Ars boni et aequi: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Josef Kremsmair / Helmuth Pree [1 ed.] 9783428487998, 9783428087990

Der Titel des Sammelbandes greift auf die römisch-rechtliche Definition des Begriffes »Recht« bei Celsus zurück: »Ius es

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German Pages 1144 Year 1997

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Ars boni et aequi: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Josef Kremsmair / Helmuth Pree [1 ed.]
 9783428487998, 9783428087990

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Ars boni et aequi Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer

Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. Albert M. Koeniger t o.Ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. Heinrich Flatten t o.Ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn herausgegeben von Dr. Georg May Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz und Dr. Anna Egler Akademische Direktorin am Fachbereich Katholische Theologie der Universität Mainz

----------------------- Band 44 -----------------------

Ars boni et aequi Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer

Ars boni et aequi Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer Herausgegeben von

J osef Kremsmair und Helmuth Pree

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Primetshofer, Bruno: Ars boni et aequi : gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer I hrsg. von Josef Kremsmair und Helmuth Pree. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Kanonistische Studien und Texte; Bd. 44) ISBN 3-428-08799-2

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 3-428-08799-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

IN HONOREM BRUNONIS PRIMETSHOFER CONSULTISSIMI IURIS CANONICI VIRI ELEGANTISSIMI SINGULARIS SAPIENTISSIMIQUE MAGISTRI FAUTORIS COLLEGARUM OPTIMI MAXIMI AUCTORIS SUBTILISSIMI CONSIDERATISSIMI SAGACISSIMI HAEC EIUS OPERA MINORA AD SUMMAM IURISPRUDENTIAE UTILITATEM COLLEGERUNT ITERUMQUE EDIDERUNT DISCIPULI GRATISSIMI NEC NON COLLEGAE AMICI

HELMODUS PREE

JOSEPHUS KREMSMAIR

Vorwort der Herausgeber Der vorliegende Band enthält einen repräsentativen Querschnitt des kanonischen und staatskirchenrechtlichen Werks von o. Univ.-Prof. Dr. Bruno Primetshofer, Ordinarius für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Dessen Emeritierung markiert den Zeitpunkt der Herausgabe dieses Bandes, die von seinen Schülern als Zeichen der Wertschätzung und Dankbarkeit besorgt wurde. Für die Drucklegung wurden die einzelnen Aufsätze in ihrer ursprünglichen Fassung und Zitierweise übernommen; um der Originaltreue einerseits und der Geschlossenheit als Sammelband andererseits gerecht zu werden, wurden einige formale Änderungen vorgenommen. Alle Beiträge mußten in mühevoller Arbeit in die Druckvorlage transkribiert werden: Für diese mit kaum zu beschreibendem Fleiß, bewunderungswürdiger Ausdauer und Sorgfalt bewerkstelligte Leistung gebührt der verbindlichste Dank Frau Jutta Melanie Katholitzky, Sekretärin am Institut für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sie hat auf diese Weise erheblich zum Entstehen dieses Bandes beigetragen. Dank gebührt auch den Mitarbeitern am Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau für ihre engagierte Mithilfe bei der Arbeit an den Korrekturen: dem wissenschaftlichen Assistenten Dipl.-Theol. Peter Stockmann sowie der Sekretärin am Lehrstuhl, Frau Heidi Hausinger. Dank gebührt ferner folgenden Institutionen, die durch Gewährung von Druckkostenzuschüssen das Erscheinen des Werkes ermöglicht haben: Erzdiözese Wien, Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs, Diözese Eisenstadt, Diözese Graz-Seckau, Diözese Gurk-Klagenfurt, Diözese Linz, Stift Admont, Stift Geras, Stift Heiligenkreuz, Stift Klosterneuburg, Stift Wilhering. Herrn Prof. Dr. Georg May und Frau Dr. phil. Anna Egler wissen sich die Herausgeber für die Aufnahme des Werkes in die Reihe "Kanonistische Studien und Texte" zu verbindlichstem Dank verpflichtet.

VIII

Vorwort

Dank gebührt schließlich dem Verlag Duncker & Humblot, Berlin, für die termingerechte Fertigstellung des Bandes. Wien/Passau, im Dezember 1996

Ao. Univ. -Prof Dr. Jose! Kremsmair Univ.-Prof DDr. Helmuth Pree

Hochverehrter, lieber Herr Professor! Die Emeritierung von Univ.-Prof. Dr. iur. can. Bruno Primetshofer bietet seinen Schülern den willkommenen Anlaß, sein bisheriges wissenschaftliches Schaffen rückblickend zu würdigen. Dem qualitativen Anspruch des reichhaltigen kanonistischen Oeuvres entsprechend etweist sich die Herausgabe der wichtigeren Aufsätze in Form eines Sammelbandes - verbunden mit einer Übersicht über das gesamte wissenschaftliche Werk des Geehrten - mehr als angemessen, unter anderem um es der fachlichen Öffentlichkeit und auch weiteren Kreisen erleichtert zugänglich zu machen. Der mit Bedacht gewählte Titel des Sammelbandes "Ars boni et aequi" darf als programmatisch und prägend für die Forschungs- und Lehrtätigkeit Primetshofers bezeichnet werden. Die "Kunst des Guten und Billigen" - mit christlichem Geiste belebt - im Beziehungsgefüge der kirchlichen Gemeinschaft zur Geltung zu bringen und lehrend zu vermitteln, ist bei Primetshofer zur Leidenschaft für die Sache des Guten und Gerechten geworden. Sich der theologischen Valenz des Kirchenrechts wohl bewußt zu sein, fein zwischen dem Theologischen und dem Juridischen des Kirchenrechts zu unterscheiden wissen, bei klarem Blick für die Positivität des Kirchenrechts keiner positivistischen oder funktionalistischen Verengung zu verfallen, sondern den je größeren Horizont zu sehen und stets auf ausgewogene, billige Lösungen bedacht zu sein, darf mit vollem Recht als "Kunst" bezeichnet werden - als Kunst jenes Meisters, dessen Werk dieser Schriftenband in Auswahl präsentieren soll. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß der Geehrte für sich den Wahlspruch "Moderata durant" ("Nur das Maßvolle überdauert"l) erkoren hat, sich bewußt unter den Anspruch des Maßvollen, Besonnenen, Weisen, Ruhigen und Taktvollen stellend. In Linz/Österreich am 12. Jänner 1929 als Sohn des Postobervetwalters Anton Primetshofer und seiner Frau Franziska geboren, wuchs Bruno Primetshofer in Attnang/Puchheim auf. Während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft absolvierte er das Gymnasium in Gmunden, wo er nach dem Endes des Krieges im Jahre 1947 die Reifeprüfung mit Auszeichnung ablegte. I Wahlspruch des Abtes des Benediktinerstiftes Kremsmünster Erhard Voit (15711588).

x

Laudatio

Seine bereits in früher Jugend gemachten bitteren Erfahrungen mit einem Unrechtsregime, dem gegenüber er seine Treue zur Kirche unter Beweis stellen mußte, weckten seinen Sinn für das Gute und Billige, für Gerechtigkeit und Recht. Schon im akademischen Jahr 1947/48 widmete er sich dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck, wo er sich im Sommersemester 1948 der rechtshistorischen Staatsprüfung unterzog. Diese juristische Grundausbildung mag seinen Blick für die juristische Komponente allen Kirchenrechts bleibend geschärft haben. Noch im selben Jahr verließ er (zunächst) den Weg der Rechtsausbildung, um einer höheren Berufung zu folgen: Er trat in die Kongregation der Redemptoristen ein, in welcher er im Jahre 1952 die ewige Profeß ablegte. Von 1949 bis 1955 studierte Primetshofer an der Philosophisch-Theologischen Lehranstalt der Redemptoristen in Mautern (Steiermark) Philosophie und Theologie; dort wurde er auch im Jahre 1954 zum Priester geweiht. 1955 vollendete er sein Theologiestudium. Das Interesse an Fragen des Rechts, nunmehr verstärkt des Kirchenrechts, wurde durch die theologischen Studien keineswegs gemindert, sondern zusätzlich motiviert. Primetshofer studierte von 1955 bis 1958 an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom kanonisches Recht, wo er im Jahr 1958 zum "Doctor Iuris Canonici" mit dem Prädikat "Summa cum laude" promoviert wurde. Die im Jahre 1960 publizierte Dissertation zum Thema "Ehe und Konkordat. Die Grundlinien des österreichischen Konkordats-Eherechts 1934 und das geltende österreichische Eherecht" wurde im Jahr 1962 mit dem Kardinal-Innitzer-Preis ausgezeichnet. Damit war das Fundament gelegt für eine verheißungsvolle akademische Laufbahn, die Primetshofer nicht nur an mehrere akademische Lehrstätten, sondern auch in mehrere leitende Funktionen universitärer Selbstverwaltung sowie in fachlicher Hinsicht in die volle Breite der Kanonistik und des Staatskirchenrechts führen sollte. Vom Jahre 1958 an bis 1968 lehrte Primetshofer an der PhilosophischTheologischen Lehranstalt der Redemptoristen in Mautern kanonisches Recht. Zum Wintersemester 1962 wurde er zum Staatsprüfungskommissär für Kirchenrecht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ernannt. Im Wintersemester 1966/67 erhielt er einen Lehrauftrag für kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der damals neu gegründeten Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz. Im April 1967 wurde Primetshofer von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien die Venia docendi für das Fachgebiet Kirchen-

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recht verliehen. Noch im selben Jahr wurde er zum a.o. Professor für Kirchenrecht an der damaligen Fakultät für Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft der Hochschule Linz ernannt. Im Jahre 1972 folgte die Ernennung zum Ordinarius für Kirchenrecht an dieser Hochschule, wo er für das Studienjahr 1974/15 das Amt des Dekans an der genannten Fakultät bekleidete. Diese und die folgenden Jahre stellten keineswegs eine leichte Zeit für Primetshofer dar. War es zunächst die Phase des Beginns einer vom Universitätsorganisationsgesetz bewirkten tiefgreifenden Universitätsrechtsreform, so kam es mit dem Bundesgesetz über das Studium der Rechtswissenschaften (1980) zur Infragestellung und Eliminierung des Faches "Kirchenrecht" als Pflichtfach aus dem Fächerkanon der Juristenausbildung. Im Sommersemester 1979 supplierte Primetshofer die vakante Lehrkanzel für Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, im Studienjahr 1979/80 die Lehrkanzel für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg. Mit Wirkung vom 1. Juli 1983 wurde Primetshofer auf die Planstelle eines Ordinarius für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien berufen, an der er seither unter größter Anerkennung sowohl seitens der Kollegenschaft als auch seitens der Hörerschaft tätig ist. Diese Wertschätzung manifestierte die Fakultät durch die Wahl Primetshofers zum Dekan für die Amtsperiode 1987-1989, womit sie seine auf Sachlichkeit und Ausgleich bedachte, von hoher Fachkompetenz begleitete Wesensart würdigte. Aus Anlaß der Vollendung des 60. Lebensjahres widmeten ihm Kollegen, Schüler und Freunde eine Festschrift, die als Separatband des "Österreichischen Archivs für Kirchenrecht" erschienen ist. In deren Laudatio werden nicht zuletzt die Eigenschaften eines weltoffenen, verständnisvollen und mit viel pastoralem Spürsinn begabten Theologen eigens hervorgehoben. Was an der Forschungstätigkeit Primetshofers besonders ins Auge sticht, ist einerseits die breite fachliche Streuung der Forschungsinteressen und dementsprechend der Veröffentlichungen, andererseits ihre in qualitativer Hinsicht gleichermaßen gründliche und verläßliche wie praxisbezogene und pastoral orientierte Ausrichtung. Schwerpunkte waren stets das Ordensrecht und das Eherecht; das in dritter Auflage erschienene "Ordensrecht" ist zum Standardwerk dieses Gebietes für den deutschsprachigen Raum geworden. Die inhaltliche Reichweite der Forschungsgebiete erschließt sich eindrucksvoll aus dem der Schriftensammlung angeschlossenen Publikationsverzeichnis. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, um wenigstens ein konkretes Teilgebiet herauszugreifen, daß Primetshofer sich seit dem Erscheinen des CCEO mit mehreren Veröffentlichungen selbst der diffizilen Problematik des interrituellen Rechts zugewandt hat. Auch in quantitativer Hinsicht ragt das bisherige wissen-

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schaftliehe Schaffen Primetshofers hervor: Zu nennen sind vier größere und kleinere Monographien, über 80 Aufsätze zu Themen der kirchlichen Rechtsgeschichte, des österreichischen Staatskirchenrechts und dem System des kanonischen Rechts, 16 Lexikonartikel sowie über 120 Rezensionen. Seit 1983 zeichnet der Geehrte als Mitherausgeber des ·Österreichischen Archivs für Kirchenrecht· verantwortlich, dessen Rubrik für päpstliches Recht er schon ab 1964 ständig betreut. Nicht zuletzt ist seine Mitarbeit an der im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz besorgten deutschen Übersetzung des Codex Iuris Canonici von 1983 hervorzuheben. Für das Renommee Primetshofers sprechen schließlich nicht nur die von ihm erreichten Listenplätze bei einer Reihe von Berufungsverfahren an traditionsreichen Universitäten im deutschen Sprachraum, sondern ebenso die an ihn ergangenen zahlreichen Einladungen zu Vorträgen auf internationalen Fachkongressen und zu Vorlesungen an bedeutenden europäischen Hochschulen, durch deren Wahrnehmung auch der emeritierte Professor weiterhin eng in die kanonistische Fachwelt eingebunden bleiben wird. Höchste Anerkennung erfuhr Primetshofers kanonistische Sachkenntnis dadurch, daß er im Jahre 1984 an der Seite anderer bedeutender Vertreter seines Faches in das Amt eines Konsultors des ·Pontificio Consiglio per l'interpretazione dei testi legislativi" berufen wurde. Über seine vielfältige wissenschaftliche Tätigkeit hinaus bekleidete und bekleidet Primetshofer zahlreiche weitere kirchliche Ämter: 10 der Kongregation der Redemptoristen waren es die Ämter des Hausoberen sowie des Provinzvikars; mehrere Male war er Vokal der Wiener Provinz bei den Generalkapiteln seiner Kongregation. Viele Jahre hindurch gehörte er der ökumenischen Kommission der Diözese Linz, seit rund einem Jahrzehnt auch jener der Erzdiözese Wien an. Am Linzer Diözesangericht fungierte er seit dem Jahr 1967 als Ehebandverteidiger. Von 1974 an bis heute ist Primetshofer Mitglied der Österreichischen Theologischen Kommission. Seit dem Jahre 1995 gehört er den Leitungsgremien der ·Consociatio Internationalis Studio Iuris Canonici Promovendo· an. Es versteht sich von selbst, daß der Rat eines solchen Gelehrten nicht nur in seinem eigenen Ordensverband, sondern in der gesamten Kirche Österreichs und weit darüber hinaus stets gesucht war und ist: ein Rat, gegründet auf außergewöhnliches Fachwissen und sicheres Gespür für das Machbare, stets ausgewogen und verläßlich - meisterhaft vermittelnd zwischen der Treue zum Grundsätzlichen und den konkreten Erfordernissen der Realität und so das bonum et aequum augenscheinlich verkörpernd. Abgesehen von einer umfangreichen Vortragstätigkeit im 10- und Ausland ist auf die vielfältigen Akti-

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XIII

vitäten als Konsultor und Gutachter im Dienste verschiedenster Gremien und kirchlicher Autoritäten bzw. Stellen hinzuweisen, so unter anderem für die Österreichische Bischofskonferenz. Mit feinfühlender Beobachtungsgabe und Augenmaß für die Geschehnisse in Kirche und Welt ausgestattet, von persönlicher Ausgeglichenheit, von nicht in Zweifel zu ziehender Aufrichtigkeit und Integrität, ist Primetshofer auch seinen Mitarbeitern gegenüber stets ein Vorbild gewesen. Dabei gelang es ihm, seine Treue und Liebe zur Kirche mit der kritischen Distanz, Objektivität, Freiheit und allein der Wahrheit verpflichteten Berufung zum Wissenschaftler zu verbinden. Es ist kein Zufall, daß Primetshofer nahezu immer auch in seelsorgerischen Funktionen - so etwa durch Aushilfen in der Pfarrseelsorge oder als Geistlicher Assistent des Akademikerverbandes Linz - tätig war. Die Lebensnähe seiner kanonistischen Arbeit hat davon nachhaltig profitiert. Die ständige Verwurzelung in der pastoralen und auch kirchenrechtlichen Praxis hat wohl entscheidend dazu beigetragen, daß in diesem herausragenden Gelehrten der Umgang mit dem Recht, besonders dem der Kirche, zur ars bon; et aequ; ausreifen konnte, die im Titel dieses Bandes angesprochen ist. Weitblick, Lebensweisheit und ein Sinn für das, was dem Heil des Menschen zuträglich ist, ließen ihn als Wissenschaftler, als Theologen und Kanonisten zu einer Persönlichkeit werden, an der man Maß nehmen konnte und kann. Nicht der Buchstabe des Gesetzes ist das letzte, sondern der Geist ist es, der auch das Recht lebendig und somit zu einer Institution christlicher Freiheit machen kann: Dieses Prinzip mag als prägend für das kanonistische Berufsethos Primetshofers gelten. Mit der Herausgabe des vorliegenden Sammelbandes verbinden die Herausgeber ihren tief empfundenen Dank für das Viele, das sie Bruno Primetshofer bei der Ermöglichung ihres wissenschaftlichen Berufsweges zu verdanken haben, darüber hinaus aber - ganz gewiß auch im Namen ungezählter Kollegen und Freunde - die respektvolle Anerkennung der so ertragreichen bisherigen kirchenrechtlichen Arbeit, verbunden mit dem aufrichtigen Wunsch, weiterhin in Gesundheit und ungetrübter Schaffenskraft so fruchtbar zu wirken. Über dem ganzen bisherigen und auch künftigen kirchenrechtlichen Wirken des großen Meisters ruht die segensvolle, tröstende Verheißung, daß der Einsatz für das Recht, und damit für das Gute und Billige in der Kirche, auch im Paradies Gefallen findet, so daß schon auf das irdische Bemühen des Kanonisten etwas vom bleibenden Glanz der Ewigkeit fällt, wie es Dante, den Primetshofer, der Kenner und Liebhaber musikalischer und literarischer Werke, gelegentlich zitierte, in poetischer Sprache formuliert:

XIV

Laudatio

Quell' altra fiammeggiar esee dei riso di Grazian, ehe l'uno e l'altroforo aiuto si ehe piaee in paradiso. (Dante, Divina Commedia, Paradiso X, 103-105). W

W

Wien, am 27. Juni 1997 Ao. Univ.-Prof Dr. lose! Kremsmair Univ.-Prof DDr. Helmuth Pree

Inhaltsverzeichnis I. Rechtsgeschichte Die Frage der gemischten Ehen in den Reformplänen des Wiener Erzbischofs Vinzenz Eduard Milde und des Apostolischen Nuntius Pietro Ostini (1832-34) (1965)............................................................................................

3

Kirchenrecht an der theologischen Fakultät der Universität Wien (1884-1984) (1984)............................................................................................

25

Demokratische Traditionen in der kirchlichen Rechtsgeschichte (1993) .........

61

Die gesetzliche Entwicklung der Beziehungen von Kirche und Staat (zusammen mit Josef Kremsmair) (1993)................................................

69

Die Bischofsbestellungen seit dem Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart (1994)............................................................................................

149

11. Grundfragen Der Weg der Kirche ins 21. Jahrhundert und das kanonische Recht (1963) ....

169

Der Grundsatz des Versammlungsrechts im kanonischen Recht (1969)..........

181

Der Naturbegriff in theologischer Sicht (1970) ........................................

191

Das Recht auf Wort und Sakrament (1984) .............................................

199

Vom Geist des Codex Iuris Canonici 1983 (1986) ....................................

205

Das neue Ökumenische Direktorium (1994) ............................................

225

Die sozialen Kommunikationsmittel (1996) .............................................

231

Konfessionsübergreifende Jurisdiktion? (1997) ........................................

249

111. Verfassungsrecht Interrituelles Verkehrs recht im CCEO (1991)..........................................

273

Zur pro-episkopalen Tendenz des neuen Kirchenrechts (1991) ....................

295

Die interkonfessionelle Geltung des kanonischen Rechts (1992)...................

311

XVI

Inhaltsverzeichnis

Kanonistische Bemerkungen zu den österreichischen Pfarrgemeinderats- und Pfarrkirchenratsordnungen (1993) ........................................................ Zur Frage nach dem Normadressaten im kanonischen Recht (1976) ............. .

327 351

Der Kreis der Normadressaten des kanonischen Rechts (1977)....................

365

Zur Frage der Rechtsfolgen eines Kirchenaustritts aus fmanziellen Gründen (1989) ........................................................................................... .

383

Der CCEO und seine (möglichen) Auswirkungen auf das Recht der Lateinischen Kirche (1994).....................................................................

397

Die Ernennung von Bischöfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz (1996)............................................................................................

425

IV. Ordens recht Feierliches Armutsgelübde und staatliche Erbfähigkeit (1974) .....................

449

Grundzüge der klösterlichen Vermögensverwaltung (1979) ........................

457

Das klösterliche Vermögen und seine Verwaltung (1986).. ............ ..... ........

475

Instituta nec c1ericalia nec laicalia. Möglichkeit und Konsequenzen (1989) .....

487

Die Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarre(r) bei einer Klosterpfarrkirche (1995) ............................................................................

503

Zur Frage der vermögensrechtlichen Vertretung vollinkorporierter Pfarren in Österreich (1967) .............................................................................

525

Reformen des Ordensrechts im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils (1971) ........................................................................................... .

545

Akzente im Ordensrecht des Codex Iuris Canonici von 1983 (1985) .............

563

Die zivilrechtliche Relevanz mangelhafter innerkirchlicher Vertretungsbefugnis bei Rechtsgeschäften von Ordensinstituten (1985).........................

577

Die Rechtsverhältnisse in einer Klosterpfarrkirche (1986) ..........................

589

Inkorporation und Inkardination von Ordensklerikern (1991) ......................

605

Der Ortsbischofund die Ordensverbände (1991)......................................

623

Ordensrechtliche Bestimmungen des Konkordats (1994) ............................

641

Vertretungsmacht der Ordensoberen zum Abschluß von Mietverträgen (1987)

659

V. Eherecht Zerbrochene Ehe und Ehescheidung (1971) ............................................

671

Inhaltsverzeichnis

XVII

Zur Frage der psychischen Eheuntähigkeit (1974) ....................................

693

Pastorale Anfragen an ein kirchliches Eherecht (1980) ..............................

709

Bemerkungen zum Eherecht des künftigen Codex luris Canonici (1982) ........

719

Überlegungen zum Eherecht des CIC/1983 (1985) ...................................

749

Impotenz, trennendes Ehehindernis aufgrund des Naturrechts? (1985)...........

777

Die kanonistische Bewertung der Zivilehe (1986) .....................................

793

Ehescheidung und Wiederverheiratung im Kirchenrecht (1994) ...................

821

Die Stellung der Zivilehe im kanonischen Eherecht (1963) .........................

831

Probleme eines ökumenischen Mischehenrechts (1968)..............................

847

Theologische Kriterien für ein Familienrecht in Kirche und Staat (1980) ........

863

Impotenz, Ehehindernis oder Konsensmangel? (1985) ...............................

891

Die Fähigkeit zum Ehekonsens nach kanonischem Recht (1995) ..................

909

VI. Staatskirchenrecht Die Beendigung der Privatpatronate durch Verzicht des Patrons (1974) .........

937

Die Beerdigung von Andersgläubigen auf konfessionellen Friedhöfen (1976)..

957

Offene Fragen des österreichischen Staatskirchenrechts (1976)....................

961

Kirche und Staat in Österreich (1983) ...... ........................................... ...

977

Kirchliche Verbandsformen im staatlichen Recht des deutschsprachigen Raumes (1989)......................................................................................

999

Die Bestellung akademischer Lehrer an katholisch-theologischen Fakultäten Österreichs (1990) ............................................................................

1017

Staatliche Anerkennung kirchlicher Einrichtungen (1995)... ........................

1029

Church and State in Austria (1995) .......................................................

1049

Warum sollte der Staat Großkirehen fördern? (1995).................................

1059

Bibliographie..................................................................................

1071

Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1089

Sachwortregister .............................................................................

1095

2 Primetshofer

Abkürzungsverzeichnis AAS

ABGB Abs. ADB AHS AHStG

AKH

AkKR Ang Anm. Anton AnwZ AöR Apoll Art. ASS ASVG ASV/NV AVA BayObLG BG BGB BGB\. BHS BLOÖ BMflJ BMfWuF BRD BVerfGE BVerfG B-VG CA CCEO CIC/1917 CIC/1983

Acta Apostolicae Sedis Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Absatz Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeinbildende Höhere Schule Allgemeines Hochschul-Studiengesetz Allgemeines Krankenhaus Archiv für katholisches Kirchenrecht Angelicum Anmerkung Antonianum Anwaltszeitung Archiv des öffentlichen Rechts Apollinaris Artikel Acta Sanctae Sedis Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Archivio secreto Vaticano/Nunziatura di Vienna Allgemeines Verwaltungsarchiv Bayerisches Oberstes Landesgericht Bundesgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Berufsbildende Höhere Schule Biographisches Lexikon von Oberösterreich Bundesministerium für Unterricht Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung Bundesrepublik Deutschland Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgesetz Causas matrimoniales Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium Codex Iuris Canonici 1917 Codex Iuris Canonici 1983

Abkürzungsverzeichnis CICFontes Communicat CPBI

CRM

CS CSSR DDC Dec Deler.

d. h.

DirEccl DRGBI DTC ECatt EICan

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Erk. EThL FS GBlÖ GlU GP Gr GrNKirchR GS

HD HdbKathKR HdbStKirchR HerKorr HHStA

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HkD HRG Hrsg. i. d. F. i. S. v.

Codicis Iuris Canonici Fontes Communicationes Christlich pädagogische Blätter Commentarium pro Religiosis et Missionaris Communicatio Socialis Congregatio Sanctissimi Redemptoris Dictionnaire du droit canonique Decisio Dekret das heißt Il Diritto Ecclesiastico Deutsches Reichsgesetzblatt Dictionnaire de theologie catholique Enciclopedia Cattolica Ephemerides Iuris Canonici Evangelisches Kirchenlexikon Europäische Menschenrechtskonvention Episcoporum muneribus Eheprozeßordnung Erkenntnis Ephemerides Theologicae Lovanienses Festschrift Gesetzblatt für Österreich Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des kk. Obersten Gerichtshofes Gesetzgebungsperiode Gregorianum Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts Gaudium et Spes, Pastorale Konstitution des 11. Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute Hofdekret Handbuch des katholischen Kirchenrechts Handbuch des Staatskirchenrechts Herder-Korrespondenz Haus-, Hof- und Staatsarchiv Historisches Jahrbuch Hotkammerdekret Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Herausgeber in der Fassung im Sinne von

XIX

xx Inst. IOmatr IPR lusCan lusEccl JBI JGPrÖ JGS Jurist

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KathPress KirchE

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LGBI U

LS LThK M.a.W. MfCuU MIÖG MKCIC MonEccl MP MR MRK MThSt MThSt, Kan. Abt. MThZ NJW NKD NR NRTh NV NZ

Abkürzungsverzeichnis

Instruktion lus Orientale matrimoniale Internationales Privatrecht lus Canonicum lus Ecclesiasticum Juristische Blätter Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich Justizgesetzsammlung The Jurist Konsistorialarchiv Salzburg Katholische Presseagentur Entscheidungen in Kirchensachen Kommunistische Partei Österreichs Kirchenrechtliche Abhandlungen Landgericht Lumen Gentium, Dogmatische Konstitution des 11. Vatikanischen Konzils über die Kirche Landesgesetzblatt Liturgisches Jahrbuch Lebendige Seelsorge Lexikon für Theologie und Kirche Mit anderen Worten Ministerium für Cultus und Unterricht Mitteilungen des Instituts für österreichsche Geschichte Münsterischer Kommentar zum Codex luris Canonici Monitor Ecclesiasticus Motu proprio Mutuae relationes Menschenrechtskonvention Münchener theologische Studien Münchener theologische Studien, Kanonistische Abteilung Münchener theologische Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Nachkonziliare Dokumentation Nationalrat Nouvelle Revue Theologique Nationalversammlung Notariatszeitung

Abkürzungsverzeichnis

ÖAKR ÖD OE OGH ÖJZ OLG OrChrP Orien ÖVP PastMun PC PCI PG PL PRMCL Prot. PStG RDC RdZ REDC RGBI RGG SchemaSacr SCIC SCOrient SCRel SignAp Slg.

SPÖ

SRR StCan StG StGB StGBI StGG Sten.Prot. StZ ThGI

Österreichisches Archiv für Kirchenrecht Ökumenisches Direktorium Orientalium Ecclesiarum, Ostkirchendekret des 11. Vatikanischen Konzils Oberster Gerichtshof Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Orientalia Christiana periodica Orientierung Österreichische Volkspartei Pastorale munus Perfectae Caritatis, Dekret des 11. Vatikanischen Konzils über die Erneuerung des Ordenslebens Pontificia Commissio ad Codicis canones authentice interpretandos Patrologia graeca Patrologia latina Periodica de re morali canonica liturgica Protokoll Personenstands gesetz Revue de droit canonique Randziffer Revista espafiola de derecho canonico Reichsgesetzblatt Religion in Geschichte und Gegenwart Schema Sakramentenrecht 1975 Schema 1980 Codex luris Canonici Sacra Congregatio Orientalium Sacra Congregatio pro Religiosis et Institutis Saecularibus Signatura Apostolica Sammlung Sozialistische Partei Österreichs Sacra Romana Rota Studia Canonica Strafgesetz Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt Staatsgrundgesetz Stenographische Protokolle Stimmen der Zeit Theologie und Glaube

XXI

XXII ThPh ThpQ ThQ TOP TThZ VA, ThDA VA, ThSP VOG VR VfGH VwGH z. B. ZGB ZevKR ZöR ZRG/KA ZusProt

Abkürzungsverzeichnis

Theologie und Philosophie Theologisch-praktische Quartalschrift Theologische Quartalschrift Tagesordnungspunkt Trierer Theologische Zeitschrift V niversitätsarchiv, Theologie, Dekanatsakten (Wien) V niversitätsarchiv, Theologie, SitzungsprotokolIe (Wien) Vniversitätsorganisationsgesetz Vnitatis Redintegratio, Ökumenismusdekret des 11. Vatikanischen Konzils Verfassungsgerichtsho f Verwaltungsgerichtsho f zum Beispiel Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung ZusatzprotokolI

I. Rechtsgeschichte

Die Frage der gemischten Ehen in den Reformplänen des Wiener Erzbischofs Vinzenz Eduard Milde und des Apostolischen Nuntius Pietro Ostini (1832-34) Einleitung

Seitdem in Österreich Kaiser Joseph 11. die Ehehoheit als ein landesfürstliches Recht in Anspruch genommen 1 und ein vom materiellen kanonischen Eherecht in vielen Punkten abweichendes staatliches Eherecht geschaffen hatte, war für die kommenden Jahrzehnte ein bedeutsames Streitobjekt zwischen Kirche und Staat entstanden. Während jedoch im allgemeinen die Gegensätze um die vom josephinischen Ehepatent und später vom ABGB nicht anerkannten kanonischen Ehehindernisse bzw. um die neu geschaffenen staatlichen Hindemisse2 nicht jenes Ausmaß erreichten, das nach gegebener Sachlage eigentlich zu erwarten gewesen wäre - dies wohl vor allem dank der Tatsache, daß einerseits die praktische Handhabung der besagten staatlichen Gesetze wesentlich milder war als ihr Wortlaut3 und daß andererseits beide Par1 § 1 des Ehepatents vom 16. Jänner 1783: "Die Ehe an sich selbst als ein bürgerlicher Vertrag betrachtet, wie auch die aus diesem Vertrage herfließenden, und den Vertrag errichtenden gegeneinander zustehenden bürgerlichen Gerechtsame und Verbindlichkeiten erhalten ihre Wesenheit, Kraft und Bestimmung ganz allein von den landesfürstlichen Gesetzen. Die Entscheidung der hierüber entstehenden Streitigkeiten gehört also für die landesfürstlichen Gerichtsstellen. " 2 Papst Pius VII. hatte nach der Einführung des Eherechts des ABGB in Lombardo-Venezien (Patent vom 20. April 1815) eine überaus scharfe Stellungnahme gegen dieses Eherecht approbiert, die aber dann nicht veröffentlicht wurde. Es heißt darin u.a.: "Praescriptiones, de quibus in casu, sive in obvio earum sensu, sive attenta sententiarum complexione, esse praescriptiones respective pemiciosas in praxi, scandalosas, conscientiarum perturbatrices, laesivas naturalis Iibertatis, Ecclesiasticae Iibertatis, et jurisdictionis laesivas, haeresi, schismati, atque indifferentismo faventes, inducentes in errores proscriptos in propositionibus 59 et 60 Synodi Pistariensis in Bulla Auctorem Fidei, ab haeretico systemate alias damnato profluentes, demum contrarias dispositionibus eccIesiasticis, praesertim Concilü Tridentini." Archivio secreta Vaticano, Nunziatura di Vienna (= ASV/NV), cad. 279, fol. 84 v. 3 Vgl. J. O. Rauscher, Die Ehe und das zweite Hauptstück des bürgerlichen Gesetzbuches, (Wien 1868) 77.

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teien ein gewolltes Hochspielen der Kontroverse nach Tunlichkeit vermieden entwickelte sich die Frage der gemischten Ehen zwischen Katholiken und Protestanten und die hierin bestehenden Gegensätze zwischen kirchlicher und staatlicher Gesetzgebung allmählich auch in Österreich zu einer, wie Metternich es einmal ausdrückte, "question flagrante dujour"4, die in zunehmendem Maße kirchliche und staatliche Stellen beschäftigte und nach geeigneten Abhilfemaßnahmen Ausschau halten ließ. Bei den Mischehen handelte es sich (damals wie heute) im wesentlichen um zwei Probleme: Das eine ist die Eheschließungifonn, d.h. die Entscheidung darüber, welcher Religionsdiener die Trauung des religiös gemischten Paares vornehmen solle; das zweite bildet die Frage der religiösen Kindererziehung. Das kanonische Recht der hier zu Behandlung stehenden Epoche nahm in der Frage der Kindererziehung den Standpunkt ein, daß alle Kinder ohne Unterschied des Geschlechtes ausschließlich katholisch getauft und erzogen werden müßten und daß heide Ehepartner, der katholische sowohl als der protestantische, diesbezüglich eine bindende Erklärung abzugeben hätten. Dies wurde als eine unerläßliche Voraussetzung für die erlaubte Eingehung einer Mischehe angesehen5 . Was hingegen die Eheschließungsform anlangt, so war der Standpunkt des kanonischen Rechts nicht so eindeutig, da die vom Konzil von Trient verfügte Formpflicht6 , von der auch die Mischehen betroffen waren, später wieder gebietsweise gelockert wurde, so daß dort akatholische und gemischte Ehen wenigstens gültigerweise auch vor dem akatholischen Religionsdiener eingegangen werden konnten 7 . Ein staatliches Eingreifen in die Mischehenfrage ist im Raum der Habsburger-Monarchie für Ungarn, das ja schon lange vor dem Toleranz-Patent von 1781 starke protestantische und kalvinische Minderheiten aufzuweisen hatte8 , schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt nachzuweisen 9 . Hier soll indes 4 Mettemich an Botschafter Lützow, 18. Februar 1840 bei F. Maaß, Der Josephinismus, (Wien 1961) V, 565. 5 Benedikt XIV. in der Enzyklika "Magnae Nobis", 29. Juni 1748, in Fontes CIC, n, nr. 387. 6 Decretum "Tametsi" de reformatione matrimonii, bei H. Denzinger, Enchiridion Symbolorum, (ed. 32/1963) 1813 ff. 7 Eine Zusammenstellung der diesbezüglich ergangenen Entscheidungen des Hl. Stuhles, siehe u.a. bei A. Leinz, Der Ehevorschrift des Concils von Trient Ausdehnung und heutige Geltung, Freiburg/Br. 1888, 54 ff. - G. May, Die kanonische Formpflicht bei Abschluß von Mischehen, Paderborn 1963, 14 f. 8 O. Szekely, in: Lexikon für Theologie und Kirche, X, Sp. 385 f. 9 A. de Roskovtiny, De matrimonüs mixtis inter Catholicos et Protestantes, (Quinque Ecclesüs 1842 ff.) I, 469 ff.

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auf diese Entwicklung nicht näher eingegangen werden. Unter Maria Theresia wurde jedenfalls schrittweise die staatliche Leistung der vom kanonischen Recht geforderten Reverse über die katholische Kindererziehung bei gemischten Ehen zur Pflicht gemacht lO , was jedoch keineswegs sagen will, daß überall lückenlos nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen gehandelt worden wäre ll . In dem am 17. Oktober 1781 i2 veröffentlichten Toleranz-Patent Joseph 11. wurde hinsichtlich der Frage der religiösen Kindererziehung bei Mischehen bestimmt, daß es von der Ausstellung der bisher üblichen Reverse gänzlich abzukommen habe, da bei einem katholischen Vater alle Kinder der katholischen Religion zu folgen hätten, während bei einem akatholischen Vater die Knaben akatholisch, die Mädchen hingegen katholisch zu erziehen wären i3 . Am 25. Oktober desselben Jahres wurde das ToleranzPatent in lateinischer Sprache auch für Ungarn kundgemacht i4 und dann später, auf dem ungarischen Reichstag 1790/91, wurde im Art. 26 dieselbe Bestimmung nochmals promulgiert i5 . Was die Eheschließungsform betrifft, so bestanden in beiden Ländern staatliche Bestimmungen, daß eine Mischehe nur vor dem katholischen Pfarrer eingegangen werden könne i 6 . Im Anschluß an diese erwähnten staatlichen Normen entwickelte sich jene Problematik, die in den folgenden Jahrzehnten immer wieder zu einem Streitobjekt zwischen kirchlichen und staatlichen Stellen wurde und die dadurch gekennzeichnet ist, daß der katholische Priester einerseits zur Trauung gemischter Ehepaare beiO Roskowiny, (Anm. 9) I, 479 ff., 11, 448 ff. ii So sind z. B. auch Reverse des katholischen Eheteils zugunsten der protestantischen Erziehung sämtlicher Kinder bekannt. Wiederholt auch wurden die königlichen Verordnungen über die Reverse bei Mischehen Anlaß zu Streitigkeiten zwischen den beiden Konfessionen. Roskowiny, (Anm. 9), I, 491. J. Bank, Connubia canonica, Romae 1959, 146. 12 Am 13. Oktober 1781 erfolgte die Mitteilung des Toleranz-Patents an den Staatskanzler Kaunitz, die Veröffentlichung geschah aber erst in der Wiener Zeitung Nr. 83 vom Mittwoch, den i7. Oktober i781. Diese Veröffentlichung enthält jedoch ebenso wie die an Kaunitz erfolgte Mitteilung (vgl. dazu Maaß, Der Josephinismus (Anm. 4) 11, 278 f.) keine Bestimmung über die Mischehen. Der einschlägige § 6 wurde erst am 20. Oktober im österreichischen Staatsrat festgelegt. G. Frank, Das Toleranz-Patent Kaiser Joseph 11. Urkundliche Geschichte seiner Entstehung und seiner Folgen, (Wien 1882) 32 ff. 13 K. Kuzmany, Urkundenbuch zum österreichisch-evangelischen Kirchenrecht, (Wien 1856), Nr. 92, 79 ff. i4 Kuzmany, ebd. Nr. 100, 139 ff. i5 Roskovany, De matrimoniis (Anm. 9) 11, 585 f. 16 In Österreich zunächst § 29 des josephinischen Ehepatents, später § 77 ABGB; in Ungarn § 15 des zitierten Gesetzesartikels Nr. 26 von 1790/91. In Ungarn mußten diese Bestimmungen später immer wieder eingeschärft werden. Vgl. P. OlJvanyi, Vegyes hazassagok (Die gemischten Ehen), Terneswar 1857, 12 ff.

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rechtigt und verpflichtet war, er aber andererseits über die Vornahme bzw. Verweigerung dieser Trauung nicht nach kirchlichem, sondern nach staatlichem Recht zu entscheiden hatte. Dies bedeutete im Falle der Mischehen, daß er auch solchen Ehewerbern die Trauung nicht verweigern durfte, die hinsichtlich der religiösen Kindererziehung nach den im Toleranz-Patent gezogenen Grundsätzen vorgingen, d. h. wenn bei einem akatholischen Vater die Kinder dem Geschlecht der Eltern folgten. Bereits ein Jahr nach Erlassung des Toleranz-Patentes hatte der Bischof von Zips in Ungarn den in Wien weilenden Papst Pius VI. auf diese schwierige Lage der katholischen Geistlichkeit aufmerksam gemacht und um geeignete Abhilfemaßnahmen gebeten. Wie wir aus einer Entscheidung der Konzilskongregation aus dem Jahre 1795 wissen, hatte der Papst damals geantwortet, es könne in solchen Fällen die sogenannte passive Assistenz geleistet werden, wenn es einerseits nicht möglich war, die vom kanonischen Recht geforderten Kindererziehungsreverse vom akatholischen Bräutigam zu erhalten und andererseits dem katholischen Pfarrer durch die Verweigerung der Eheassistenz ein schwerer Schaden drohte 17. Diese passive Assistenz bestand darin, daß der Traugeistliche in keiner Weise eine Tätigkeit äußerte, sondern ohne liturgische Gewandung, bloß im Talar den Konsens der Brautleute anhörte l8 , ohne die im Rituale aufgezeichneten Segnungen und Zeremonien vorzunehmen l9 . Diese Form der passiven Assistenz war anfänglich als Folge der streng ablehnenden Haltung des Heiligen Stuhles gegenüber den Mischehen auch in jenen Fällen anzuwenden, in denen die kanonischen Bedingungen über die katholische Kindererziehung eingehalten worden waren 20 . Später aber, namentlich unter dem Druck 17 Roskowirry, 111,364 ff ...... abstineant semper", heißt es in der Instruktion "a nuptiali benedictione impertienda, eorumque praesentia, si necessitas urgeat, sit tantummodo materialis, neque actibus et declarationibus coniungantur, quae confirment vel approbent prolem aliter quam in Religione Catholica posse educari." - Im gleichen Sinne erging bereits einige Jahre vorher ein Reskript Pius VI. an den Erzbischof von M echeln (13. Juli 1782). Roskowirry, 11, 61 ff. 18 Das Wesen der tridentinischen Eheschließungsform bestand überhaupt - im Unterschied zum heutigen Recht, wo ein positives Erfragen des Konsenses seitens des Traugeistlichen erforderlich ist (vgl. c. 1095 § 1, 3) - in der rein passiven Entgegennahme desselben. 19 Die Kirche wollte mit diesen Maßnahmen ihre Mißbilligung der Mischehen deutlich zum Ausdruck bringen. A. Boudinhon, De la publication des Bans pour les mariages mixtes, in: Le Canoniste contemporain, 16 (1893), 429 schreibt von diesen Absichten der Kirche: ..... elle desirerait qu'aucune ceremonie religieuse, fUt eil aussi negative que possible ... ne donnat l'occasion d'assimiler ces unions avec celles des catholiques ... 20 Das älteste diesbezügliche Dokument ist nach A. J. Binterim, Die vorzüglichsten Denkwürdigkeiten der Christ-Katholischen Kirche, Mainz 1825 ff., VII, 2, S. 45 eine durch Papst Klemens XI. im Jahre 1603 erteilte Dispens für die Eingehung einer

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staatlicher Bestimmungen änderte sich dieser "stylus Curiae" und die Erlaubnis zu der beschriebenen passiven Assistenz wurde auch in solchen Fällen gegeben, in denen die besagten Reverse nicht geleistet wurden. Wie jedoch nicht anders zu erwarten stand, stieß die passive Assistenz, die die Eheschließung zu einem nüchternen Beurkundungsakt werden läßt und eine Abwertung der solcherart eingegangenen Verbindungen in sich zu schließen scheint, auf entschiedenen Widerstand der davon betroffenen Ehewerber. In Ungarn kam es deswegen gegen Ende der Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zu einem offenen Konflikt zwischen den Bischöfen und einigen Komitaten, und in Österreich war die Lage nicht viel besser21 . So ist es nur allzu verständlich, wenn die Praxis allmählich dazu überging, bei Mischehen ebenso wie bei den rein katholischen Ehen dasselbe Trauzeremoniell anzuwenden, gleichgültig ob die Kindererziehungsreverse geleistet worden waren oder nicht. Daß diese Praxis, die in offenem Widerspruch zu den kanonischen Bestimmungen stand, nun wiederum nicht die uneingeschränkte Billigung aller kirchlichen Kreise fand, läßt sich denken. Einen an sich naheliegenden Ausweg aus diesem schier unlösbaren Dilemma sahen manche Vertreter der kirchlichen und staatlichen Gewalt darin, daß man den Versuch unternahm, die kirchliche und staatliche Gesetzgebung so aufeinander abzustimmen, daß sich keine Reibungsflächen der genannten Art ergeben könnten. Von einem ersten derartigen Plan soll im folgenden die Rede sein.

Die Aufnahme der Verhandlungen Bereits als Internuntius (1824-27) hatte Titular-Erzbischof Pietro Ostini von seiten des österreichischen Kaisers mehrere Andeutungen erhalten, daß dieser nicht abgeneigt sei, in Verhandlungen mit Rom hinsichtlich der gegen die Freiheit der Kirche gerichteten Gesetze einzutreten22 . Neben einer Reihe von anderen Komponenten mag an dieser Bereitschaft des Monarchen auch das von Papst Pius VII. vorbereitete, dann aber nicht veröffentlichte, sondern dem Monarchen gelegentlich seines Rombesuches persönlich überreichte Memorandum über die Ehefrage ihren Anteil gehabt haben23 . In diesem Mischehe zwischen dem katholischen Heinrich von Bar mit einer kalvinischen Prinzessin. - Ein Nachklang dieser ursprünglichen Haltung findet sich auch im geltenden kanonischen Recht in c. 1102 § 2. 21 Maaß, V, 97 ff. 22 Maaß, V, 28. 23 Dieses Memorandum fmdet sich im ASV/NV, cod. 279, fol. 181-193.

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ziemlich umfangreichen Schriftstück24 , in dem die eherechtlichen Grundsätze der österreichischen bürgerlichen Gesetzgebung in einer eingehenden dogmatischen und kanonistischen Stellungnahme zergliedert und mißbilligt wurden, ist auch das Problem der gemischten Ehen erwähnt. Der Papst führte in diesem Zusammenhang Klage, daß durch die österreichische Gesetzgebung einerseits dem Abfall vieler Katholiken und andererseits einer Verbreitung der Häresie Tür und Tor geöffnet sei. Überaus bedauerlich sei es aber, daß sich die staatliche Gesetzgebung nicht damit begnüge, Mischehen einfachhin zu tolerieren, sondern sie verhalte den katholischen Geistlichen sogar zu einer direkten Mithilfe, indem sie ihm gebiete, sie zu verkündigen und ihre Schließung in der Kirche vorzunehmen25 . Allerdings vergingen noch ziemlich einige Jahre, ohne daß etwas Greifbares geschah. Erst im Jahre 1832 dürften einige von außen kommende Ereignisse den Monarchen veranlaßt haben, endlich in Verhandlungen über diesen Gegenstand zu treten. Am 23. April nämlich sandte Papst Gregor XVI. ein eigenhändiges Schreiben an Franz 1., worin der Heilige Vater über die "mali deplorabilissimi" Klage führte, denen die Kirche in den österreichischen Staaten ausgesetzt sei und zugleich in beschwörenden Worten bat, alles daranzusetzen, um das Ärgernis zu beseitigen, das für andere, nichtkatholische Staaten durch die josephinische Gesetzgebung hervorgerufen würde26 . Während sich das päpstliche Handschreiben allgemein über die staatskirchliche Gesetzgebung in der Monarchie beklagte, ging ein anonym abgefaßtes Schreiben über die bedauernswerte Lage eines österreichischen Bischofs insbesondere auf die Ehegesetzgebung ein und schilderte die ausweglose Lage, in

24 Vgl. dazu Rauscher, (Anm. 3) 74; A. Th. Michel, Beiträge zur Geschichte des österreichischen Eherechtes, Graz 1870171, I, 64 ff. 25 In Punkt XXXIV dieses Memorandums heißt es u. a.: "Nec praetereunda ea sunt, quae Catholicorum respiciunt cum haereticis connubia. Profecto lacrimas continere non possumus animadvertentes, ea publici legis praesidio introduci in ipsam ltaliam sub oculis huius Apostolicae Sedis, idque catholici Imperantis auctoritate ac proinde latissimum tali pacto aditum pandi Catholicorum perversioni, haeresiumque propagationi. Id autem in doloris angustiorumque cumulum accedit, quod non permittantur modo ac toJlerantur huiusmodi connubia, sed etiam lex imponatur ipsius animarum Pastoribus, qua positivam conferre debeant ac directam hisce connubiis operam, Parochis nimirum praecipiendo, ut ineunda denuntient, et quidem in Ecclesia et eorum intersint celebrationi ... " ASV/NV, cod. 279, fol. 191 v-l92. Bezüglich der erwähnten Einführung des österreichischen Eherechts in Italien vgl. Anm. 2. 26 Der Brief ist abgedruckt bei Maaß, V, 377 ff. und F. Engel-Janosi, Die politische Korrespondenz der Päpste mit den österreichischen Kaisern 1804-1918, Wien 1964,213 ff.

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die sich der katholische Geistliche angesichts der Widersprüche zwischen der kirchlichen und staatlichen Gesetzgebung versetzt sehe27 . So ist es verständlich, daß Ostini, der 1832 als Nutius nach Wien zurückkehrte, herzliche Aufnahme beim Kaiser fand und dem Kardinalstaatssekretär Tommaso Bernetti freudig von einer am 7. Oktober 1832 stattgefundenen Unterredung mit dem Kaiser berichten konnte. Der Monarch wolle endlich sein Gewissen beruhigen und denke ernstlich an einen Ausgleich zwischen Kirche und Staat28 . Am 4. Dezember desselben Jahres erließ der Kaiser ein Handschreiben an den Fürsten Metternich, in dem dieser unter Beiziehung des Erzbischofs Milde zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem päpstlichen Nuntius ermächtigt wurde29 . Schon wenige Tage später, am 10. Dezember 1832 konnte Ostini die "consolante notizia" nach Rom melden, daß ihm am Vortag (9. Dezember) der Staatskanzler Metternich von der kaiserlichen Ermächtigung Mitteilung gemacht habe30 . Immerhin dauerte es noch bis zum 9. Februar des kommenden Jahres, bis tatsächlich die erste Konferenz zwischen dem Staatskanzler, dem Wiener Erzbischof und dem päpstlichen Nuntius stattfand31 • In dieser ersten Verhandlung wurde auch schon der Rahmen gezogen, wie sich die bei den Kirchenfürsten die Reform der Kirchengesetze vorstellten. Der Nuntius machte in seiner Depesche an den Staatssekretär auf die großen Schwierigkeiten des Unternehmens aufmerksam, da es sich doch darum handle, "di salvare i diritti della Chiesa senza ledere quelli dei Sovrano". Dies sei nicht zuletzt durch die Person des Kaisers selbst sehr erschwert, der zwar ein sehr zartes Gewissen habe, aber als "scrupolosamente cattolico, ma anche scrupolosamente Sovrano" charakterisiert werden müsse32 . Im weiteren Verlauf seiner Depesche äußerte sich Ostini noch ausführlich über den erwähnten Tenor des Reformplanes, der - wie noch zu zeigen sein wird - besonders in der Frage der gemischten Ehen zur Anwendung kommen sollte. Es sollten grundsätzlich die Rechte des Staates und diejenigen der Kirche möglichst unangetastet gelassen werden.

27 Maaß, V, 374 f. 28 Dispaccio Ostinis an Bernetti, 9. Oktober 1832, ASV/NV, cod. 275 fol. 1 f. 29 Maaß, V, 381. 30 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 437 vom 10. Dezember 1832, ASV/NV, cod. 276, fol. 5. 31 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 69/17 vom 10. Februar 1833, ASV/NV, cod. 276, fol. 14 f. 32 Ostini an Bernetti, ebd.

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Die Refonnpläne im einzelnen In den folgenden Monaten waren der Wiener Oberhirte und der apostolische Nuntius emsig an der Arbeit. Anfangs März berichtete Ostini kurz an den Kardinalstaatssekrelär, die Schwierigkeiten, die sich dem Reformplan entgegenstellten, seien nicht bloß sachlicher Natur, sondern noch durch die Opposition in der Umgebung des Kaisers vergrößert und sogar Metternich sei schon ein wenig entmutigt33 . Aber am 12. Mai 1833 war es dann so weit, daß Ostini einen ersten vorläufigen Entwurf seines "piano di riforma" einschicken konnte34 . Was den eherechtlichen Bereich betrifft, so sind in diesem Entwurf zunächst einmal alle Ehehindernisse des kanonischen und bürgerlichen Rechts erfaßt und werden einander gegenübergestellt, wobei deren wechselseitige Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung vermerkt ist. Hierauf werden die Ergebnisse dieser Konfrontierung zusammengefaßt und eine Wiederherstellung der kanonischen Rechtsordnung, wie sie vor dem josephinischen Ehepatent bestand, gefordert. Dies sollte durch volle Anerkennung sämtlicher kanonischer Ehehindernisse bzw. durch Abschaffung der einseitig vom Staat eingeführten trennenden Hindernisse erreicht werden35 . Die Einzelheiten dieses Reformplanes liegen hier außerhalb unserer Betrachtung. Es ist lediglich hervorzuheben, daß das Hindernis der mixta religio im heutigen Sinn (c. 1060) überhaupt nicht unter die Ehehindernisse eingereiht wurde. Der Mischehenfrage ist jedoch in diesem Entwurf ein gesonderter Abschnitt gewidmet und es werden bezüglich ihrer rechtlichen Behandlung folgende Richtlinien erstellt:

33 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 73/18 vom 4. März 1833, ASV/NV, cod. 276. 34 Ostini charakterisiert den Plan als einen "abbozzo ancora imperfetto", der in den folgenden Konferenzen noch Verbesserungen erfahren müsse. Ostini an Bernetti, Disp. Nr. 102128 vom 12. Mai 1833, ASV/NV, cod. 276, fo!. 26. 35 Die einzelnen Hindernisse sind in dem Reformplan hinsichtlich ihrer Tragweite und bezüglich ihrer Differenzen mit dem staatlichen Recht eingehend behandelt. Ein weiteres Eingehen auf diese Frage ist jedoch hier nicht möglich. - In diesem ersten Entwurf Ostinis ist übrigens der dem Nuntius seitens der Kongregation für die außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten zuteil gewordene Auftrag, den Ostini später am 2. November 1834 mit den Worten wiedergab: "que S.M.J. et R.A. se determine a d6clarer que les empechements etablis du cöte du seul Code civil ayent a l'avenir leur force pour les seuls effets civils, la validite du contrat matrimonial restant toujours intacte et reconnue, quant au lien conjugal d'apres les lois de l'Eglise" noch ziemlich genau eingehalten. Vg!. M. Hussarek, Die Verhandlungen des Konkordats vom 18. August 1855, Wien 1922,9, Anm. 21.

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1. Es müßten hinsichtlich der Geltung der kanonischen Hindernisse bei Mischehen dieselben Grundsätze zur Anwendung gelangen wie bei den rein katholischen Ehen. 2. Der katholischen Braut müsse die Freiheit zugestanden werden, sich durch einen auch im zivilen Rechtsbereich gültigen Vertrag die katholische Erziehung sämtlicher Kinder auszubedingen. 3. Wenn die Ehewerber die vom kanonischen Recht vorgeschriebenen Bedingungen hinsichtlich der erlaubten Eingehung einer Mischehe nicht erfüllt hätten, dann dürfe diese Ehe nicht vor dem katholischen Pfarrer geschlossen werden. Dieser habe sich überdies der Vornahme des Aufgebotes und der Ausstellung von Dimissorialien zu enthalten36 . Ungefähr auf dieser Ebene37 sollten sich der kirchliche und der staatliche Gesetzgeber treffen. Freilich war sich zumindest der Nuntius bewußt, daß dieser Plan nicht bloß weit davon entfernt war, wirklich eine allen Umständen Rechnung tragende Lösung zu enthalten, sondern daß er im Gegenteil weitere Probleme aufwarf. Denn nachdem in Punkt 2 des Reformprogramms der katholischen Braut die Freiheit (Vollmacht) eingeräumt worden war, sich die katholische Erziehung sämtlicher Kinder auszubedingen, bestand also - dem Plane zufolge - keineswegs eine Pflicht, tatsächlich eine solche vom kanonischen Recht geforderte Vereinbarung zu treffen. Andererseits aber untersagte Punkt 3 dem katholischen Geistlichen die Vornahme der Trauung, wenn die vom kanonischen Recht aufgestellten Bedingungen nicht erfüllt waren. Was sollte also nun mit jenen Ehen geschehen, bei denen die katholische Braut von der ihr in unkt 2 zugestandenen Vollmacht, die katholische Kindererziehung zu vereinbaren, nicht Gebrauch machte, sondern sich an die einschlägige Regelung des Toleranz-Patents hielt? Nach § 77 des ABGB mußte der katholische Geistliche die Trauung von Mischehen vornehmen, nach Punkt 3 des Reformprogramms hatte er sie zu verweigern, wenn die Forderungen des kanonischen Rechts nicht erfüllt waren, die aber wiederum nach Punkt 2 nicht erfüllt zu werden brauchten. Was sollte also mit jenen Ehewerbern geschehen, die dem Reformplan zufolge nicht vor dem katholischen Pfarrer heiraten konnten? Sollte es eine Möglichkeit geben, eine gültige Ehe einzugehen oder nicht? Wir sehen, daß sich gleich hier bei der ersten Behandlung'der Mischehenfrage jenes dornenvolle Problem um deren Formver36 Anhang an den Dispaccio Nr. 102/28 Ostinis an Bemetti vom 12. Mai 1833, ASV/NV, cod. 276, fol. 22-22 v. 37 Ostini spricht ja bezüglich des ganzen Reformplanes, daß es sich erst um einen "abbozzo imperfetto" handle. 3 Primetshofer

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pflichtung stellte, das dann wenige Jahre später den österreichisch-ungarisehen Unterhändlern in Rom so erhebliche Schwierigkeiten bereiten sollte38 . Wenige Jahre zuvor, am 25. März 1830 hatte Papst Pius VIII. die tridentinische Formpflicht bei Mischehen für das Gebiet der Kölner Kirchenprovinz aufgehoben39 . Ob und inwieweit sich die beiden in Wien verhandelnden Bischöfe, Milde und Ostini, eine parallele Lösung auch für Österreich als wünschenswert vorstellten, läßt sich aufgrund der vorhandenen Aktenlage schwer nachweisen. Jedenfalls legte Ostini in einer Depesche an den KardinalStaatssekretär Bernetti diesem u. a. die sehr vorsichtig formulierte Frage vor, was man dem Herrscher bezüglich des Aufgebotes und der Trauungsform der Mischehen raten solle, die ohne päpstliche Dispens und ohne Erfüllung der kirchlichen Bedingungen geschlossen würden40 • Bernetti schrieb am 3. August an den Nuntius, daß die Vielzahl der momentan durch die Berichte Ostinis anfallenden Überlegungen es noch nicht erlaubt hätten, den hl. Vater bezüglich der von Ostini vorgelegten Fragen zu konsultieren. Dies werde aber zur rechten Zeit geschehen und der Nuntius werde davon in Kenntnis gesetzt werden 41 . Einige Monate später, am 27. September 1833, sandte Ostini bereits einen neuen "piano di riforma" nach Rom, in dem die einzelnen Ehehindernisse genauer untersucht und Mittel und Wege zur Harmonisierung der beiden Rechtsordnungen vorgeschlagen werden42 . In einer Begleitdepesche schildert der Nuntius eingehend die Schwierigkeiten, die sich der Erstellung des "piano di riforma" in den Weg gestellt hätten und anschließend werden die von den beiden Kirchenfürsten angestellten Überlegungen über die Zuständigkeit der Kirche und des Staates in Ehefragen gewissermaßen als Motivenbericht für die einzelnen Gesetzesvorschläge unterbreitet43 . Der Reformplan selbst ent38 Diesbezügliches Aktenmaterial befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv. Eine einschlägige Veröffentlichung ist in Vorbereitung. 39 "Literis altero abhinc" vom 25. März 1830, in: Fontes, 11, nr. 482. 40 Maaß, V, 38. 41 Bernetti an Ostini am 3. August 1833, abgedruckt bei Maaß, V, 392 f. 42 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 151/46 vom 27. September 1833; der Reformplan ist dieser Depesche als Anhang beigefügt. ASV/NV, cod. 279: fol. 32 f. 43 Aus diesem Motivenbericht, auf dessen Einzelheiten nicht näher eingegangen werden kann, ist stark der Einfluß der Ideen Mildes herauszuspüren, der einmal in einem Schreiben an den Nuntius seine Ansichten über das Verhältnis von Kirche und Staat auf dem Gebiete der Ehehindernisse folgendermaßen zusammengefaßt hatte: "Errant toto coelo qui asserunt Augustissimum Austriae Imperatorem limites iuris et officü sui excedere cum leges de matrimonio, in quantum Sacramentum est, tulerit, et

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hält neben einer genauen Bestandaufnahme und Konfrontierung der kirchlichen und staatlichen Ehehindernisse je drei an die Adresse des Kaisers und des Papstes gerichtete Wünsche. Der Kaiser möge bestimmte kanonische Ehehindernisse anerkennen, ferner die nicht mit dem kanonischen Recht übereinstimmenden abschaffen bzw. sie im Sinne der kirchlichen Bestimmungen abändern. Der Papst hingegen solle einer Reihe von bestehenden kirchlichen Hindernissen eine solche Auslegung angedeihen lassen, daß gewisse rein staatliche Hindernisse darin inbegriffen seien; das kanonische Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit44 solle überhaupt abgeschafft und schließlich einige verwaltungsrechtliche Fragen im Sinne der staatlichen Normen geregelt werden. Diese aufgestellten Grundsätze sollten - mutatis mutandis - auch bezüglich der gemischten Ehen zur Anwendung kommen. Der Reformplan selbst enthält über diese Frage nichts, sondern in einer eigenen Depesche vom 27. September 1833 wurde ein sieben Punkte umfassendes Programm zur Bewältigung dieses Teilstücks der kirchlich-staatlichen Beziehungen in Österreich eingesandt45 . Für die gemischten Ehen, so hieß es, sollten grundsätzlich dieselben Bestimmungen gelten wie für die rein katholischen46 . Bei Mischehen zwischen einem akatholischen Bräutigam und einer katholischen Braut müsse letztere eine Vereinbarung treffen können, alle aus der Ehe entspringenden Kinder katholisch zu erziehen; dieser Vereinbarung müsse staatliche Wirksamkeit zukommen. In einer Anmerkung zu diesem Punkt führte der Nuntius aus, es sei gegenwärtig nicht möglich, die Bestimmungen des Toleranz-Patentes, denenzufolge bei einer Ehe zwischen einer katholischen Frau und einem akatholischen Mann die Kinder dem Geschlecht der Eltern zu folgen hätten, direkt zu widerrufen; man versuche, durch die angeführte Formulierung das Toleranz-Patent zu paralysieren47 . - Wenn nun, so fährt der Rede valore Sacramenti iudicare praesumat ... In Codice matrimonium consideratur solummodo ut contractus civilis ... Augustissimus Imperator limites iuris sui non excessit cum leges de matrimonio tulerit, et nemo prudentis et moderatae mentis petere aut expectare potest, ut Austriae Imperator iure, imo officio suo leges de matrimoniis subditorum ineundis ferendi se abdicet." Milde an Ostini, 16. September 1833, ASV/NV, ebd. fol. 50-55. 44 Soweit es, den Worten des Reformplans zufolge, "ex matriomonio rato, non consummato, sed invalido, si solummodo consensus defuerit" entstand. 45 Dispaccio Nr. 151146, ASV/NV, ebd. fol. 56-56 v. 46 Hier ist zunächst offenbar an Aufgebot und Formverpflichtung gedacht. 47 Der Nuntius führt dazu aus: "La legge attuale austriaca per i matrimoni misti quando il padre e acattolico e la madre cattolica, dice che la prole femminina deve seguire la Religione cattolica, e che la prole mascolina puo seguire la Religione del Padre. Senza revocare direttamento la seconda parte di questa legge (il che non ri-

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formplan fort, keine Vereinbarung zugunsten der katholischen Kindererziehung getroffen worden sei, könne auch keine Trauung vor dem katholischen Religionsdiener stattfinden. Sei aber eine solche Vereinbarung erfolgt, dann solle der Eheschließung weiter kein Hindernis mehr in den Weg gelegt werden und der hl. Vater werde daher ersucht, den Bischöfen der österreichischen Monarchie allgemeine Dispensvollmachten hinsichtlich der Mischehen zu erteilen. Grundsätzlich solle eine Mischehe gültigerweise nur vor dem katholischen Trauungsorgan eingegangen werden können. In der Anmerkung zu diesem Punkt kommt der Nuntius wohl auf das heikelste Thema der ganzen Mischehenfrage zu sprechen, nämlich auf die Formverpflichtung. Wenn nämlich, so schreibt er, sich die katholische Braut nicht die katholische Erziehung sämtlicher Kinder ausbedungen habe, werde der katholische Pfarrer die Assistenzieistung bei einer solchen gegen die kanonischen Bestimmungen verstoßenden Mischehe verweigern. Daraufhin werden sich die Ehewerber aber ohne Zweifel an den akatholischen Religionsdiener wenden. Man sehe sich daher gezwungen, an den hl. Vater die Bitte heranzutragen, die Gültigkeit dieser Ehen im kanonischen Bereich anzuerkennen. - Der Plan sieht schließlich noch vor, daß kein Katholik eine gültige Ehe mit einem geschiedenen Akatholiken eingehen könne48 . In einer späteren Depesche sah sich der Nuntius bewogen, die Gründe für dieses Ansuchen näher darzulegen. Es werde nämlich unter den obwaltenden Umständen der österreichischen Regierung nichts übrig bleiben, als die vor dem akatholischen Religionsdiener geschlossenen Ehe als gültig anzuerkennen und nur, damit in diesem wichtigen Belange das bürgerliche Recht mit dem kanonischen in Einklang stehe, sehe man sich gezwungen, den Papst um die Anerkennung der in Rede stehenden Ehe zu ersuchen49 • uscirebbe) si cerca di paralizzarla negli artic. 3, 4, 5." (Hervorhebung vom Verfasser). - Wie unten noch zu zeigen sein wird, entsprach das "pub" nicht ganz der durch den Wortlaut des Toleranz-Patents geschaffenen Lage. 48 Diese Frage war insofern von Bedeutung, als das sog. Impedimentum catholicismi des österreichischen Eherechts, das in solchen Fällen keine gültige Ehe zustandekommen ließ, erst durch das Hofdekret vom 17. Juli 1835 in seiner endgültigen Gestalt festgelegt wurde. Vgl. dazu A. di Pauli, Das Impedimentum catholicismi nach österreichischem und kanonischem Recht, in: AkKR 88 (1908) 273 ff., Michel, ebd., 1,51 ff. M. Piekarski, Ehescheidung und Ehetrennung, Wien 1935, 123 ff. 49 Ostini an Bernetti, Dispaccio Nr. 166/53 vom 31. Oktober 1833, ASV/NV, ebd. - Es sei in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt, daß die Hofkommission in Justizgesetzgebungssachen bereits Jahre zuvor in einem ausführlichen Gutachten über den Rechtscharakter des § 77 ABGB zu der Stellungnahme gelangt war, daß die Trauung einer Mischehe vor dem akatholischen Religionsdiener nach staatlichem Recht nicht die Ungültigkeit der Ehe zur Folge habe. Allg. Verwaltungs-Archiv (Wien), Faszikel Cultus 10 Akatholiken, Nr. 31607/3843 ad 198 ex Juny 824. Trotz-

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Wenn wir nun kurz die Hauptpunkte des Mischehenprojekts rekapitulieren, so lassen sie sich in vier Sätzen wiedergeben: 1. Die bestehenden Toleranzgesetze sollten formell nicht angetastet werden, da dies in der gegenwärtigen kirchenpolitischen Lage nicht durchführbar sei. 2. Die dem kanonischen Recht entgegenstehende Bestimmung des Toleranz-Patents in bezug auf die Kindererziehung sollte dadurch "entschärft"50 werden, daß man der katholischen Braut die Möglichkeit einräumte, einen mit staatlicher Wirkung ausgestatteten Revers über die katholische Erziehung sämtlicher Kinder zu verlangen. 3. Die Bischöfe sollten allgemeine Dispensvollmachten bezüglich der Mischehen erhalten. 4. Die vor dem akatholischen Religionsdiener eingegangenen Mischehen sollten unter gewissen Voraussetzungen kanonisch gültig sein. Die römische Stellungnahme Die Antwort der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten ließ ziemlich lange auf sich warten. Am 7. März 1834 beteuerte Ostini dem Kardinal-Staatssekretär gegenüber, bei seinem Plan handle es sich weder um eine Vermehrung noch um eine Verminderung der Ehehindernisse des kanonischen Rechts, sondern lediglich um eine Auslegung, die auf die Bedürfnisse des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches abzustimmen wäre51 . Und einige Wochen später schrieb der inzwischen schon ein wenig dem auch die Hofkanzlei im Einvernehmen mit der Hofkommission in Justizgesetzgebungssachen in der Folgezeit konsequent diesen Standpunkt vertrat (über weitere Fälle dieser Art berichten Maaß, V, 605 f. - Gutachten Jüstels für Kaiser Ferdinand, und A. Beer, Kirchliche Angelegenheiten in Österreich, Sonderdruck aus der Zeitschrift "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung", 59 f.), dürfte Ostini davon nichts gewußt haben, sonst hätte er in seinem Mischehenplan sicher auf diese Tatsache verwiesen. Tatsächlich blieb auch die Lehre hinsichtlich des Rechtscharakters des § 77 ABGB schwankend. Kuzmtiny, Handbuch des allgemeinen und österreichischen evangelisch-protestantischen Eherechtes, (Wien 1860) 305 sowie Th. Dolliner, Ausführliche Erläuterung des zweyten Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1835, 1,418 sehen den § 77 als eine lex irritans an. J. F. Schulte, Handbuch des katholischen Eherechts, Gießen 1855, 535 und J. Helfert, Die Rechte und Verfassung der Akatholiken in dem österreichischen Kaiserstaate, Wien 21827, 102 bzw. ders. Handbuch des Kirchenrechts, Prag 1849, 503 sprechen sich für die Gültigkeit der entgegen den Bestimmungen des § 77 vor dem protestantischen Seelsorger geschlossenen Mischehe aus, halten aber das Vorgehen desselben für strafbar. 50 So könnte man das "paralizzare" (vgl. Anm. 48) wohl am besten wiedergeben. 51 Dispaccio senza numero vom 7. März 1834, ASV/NV, cod. 276.

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ungeduldig Gewordene, die Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten dürfe sich nicht darauf beschränken, den Plan ganz oder teilweise zu verwerfen, sondern im Falle, daß sie mit den darin ausgesprochenen Grundsätzen nicht einverstanden sei, müsse sie einen neuen Plan schicken, der dem Kaiser vorgelegt werden könne. Er sei im übrigen durchaus bereit, sich den römischen Weisungen zu fügen, nur wünsche er, daß etwas geschehe52 , und man möge ihm doch endlich die Ansichten des heiligen Vaters mitteilen53 . Schließlich wurde am 20. September 1834 die Antwort der Kongregation abgesandt54 . Die Stellungnahme zu den Wiener Vorschlägen umfaßt drei große Faszikel55 • Ihre Lektüre ergibt ein ungemein aufschlußreiches Bild des damaligen "stylus curiae", bzw. läßt einen Blick tun in jene Grundsätze, nach denen man sich die Ordnung zwischen Kirche und Staat vorstellte. Was den Inhalt dieser Instruktion für den Nuntius betrifft, so werden die von Milde und Ostini ausgearbeiteten Grundsätze im großen und ganzen als unannehmbar und teilweise sogar als mit den kirchlichen Lehren in Widerspruch stehend abgelehnt. Und dies nicht bloß bezüglich des Mischehenplanes, sondern bezüglich des ganzen Umfangs der projektierten Reform der Ehegesetzgebung56 • Zunächst einmal wird, was die Stellung zu den Mischehen anlangt, die in dem "piano di riforma" vorgesehene allgemeine und uneingeschränkte Dispensbefugnis der Bischöfe untersucht. Der Reformplan hatte ja bekanntlich gewollt, daß die Bischöfe der Monarchie mit allgemeinen Dispensvollmachten ausgestattet werden sollten, wenn bei den Mischehen alle vom kanonischen Recht vorgesehenen Bedingungen erfüllt seien. Die Instruktion an den Nuntius führt aus, daß der Hl. Stuhl Mischehen immer verabscheut und dieselben nach Kräften zu verhindern gesucht habe. Eine Dispens sei nur dann gewährt worden, wenn der nichtkatholische Teil entweder seiner Häresie abgeschworen oder doch zumindest bindende Versprechungen gegeben habe, die katholische Kindererziehung und die freie Religionsausübung des katholischen Teils zu gewährleisten. Für die Erteilung einer solchen Dispens seien aber immer gewichtige Gründe erforderlich gewesen und der Hl. Stuhl habe sich 52 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 227176 vom 18. April 1834, ASV/NV, ebd.

53 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 269/93 vom 25. Juli 1834, ASV/NV, ebd. 54 Am 3. Oktober 1834 berichtet Ostini an den Kardinal-Staatsskeretär, er habe mit großem Vergnügen die lange ersehnten Blätter erhalten. Disp. Nr. 285/99, ASV/NV, ebd. 55 ASV/NV, cod. 279, fol. 72-135. 56 ASV/NV, ebd. fol. 81-127. Vgl. dazu Maaß, V, 44 ff.

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bislang konstant geweigert, den Bischöfen unbeschränkte Vollmachten in dieser Hinsicht zu gewähren; dies sei sogar dann angewendet worden, wenn tatsächlich überaus schwerwiegende Gründe für die Gewährung allgemeiner Dispensbefugnisse gesprochen hätten. Es könne somit der HI. Stuhl, ohne seinen bisherigen Grundsätzen untreu zu werden, auch im Falle Österreichs keine Ausnahme gestatten. Den weitaus meisten Raum nehmen die Auslassungen der Instruktion bezüglich jener Punkte des "piano di riforma" ein, in denen der katholischen Braut die Vollmacht eingeräumt werden sollte, sich die katholische Erziehung sämtlicher Kinder auszubedingen. Der Nuntius, so heißt es in der Instruktion, könne unmöglich nicht davon überzeugt sein, daß die Eltern durch Naturrecht und positiv göttliches Recht verpflichtet seien, für das ewige Heil aller ihrer Kinder zu sorgen. Eine ausdrückliche Vereinbarung, einen Teil der Nachkommenschaft in Irrtum und Häresie zu erziehen, sei ruchlos. Es sei daher absolut nicht angängig, beim Eheabschluß eine diesbezügliche Freiheit zu lassen. Der HI. Stuhl habe immer die Erziehung sämtlicher Kinder in der katholischen Religion verlangt. Gegen diesen Grundsatz nun verstoße der Reformplan, da er der katholischen Braut die Freiheit lasse, die katholische Erziehung auch der männlichen Nachkommenschaft zu vereinbaren, mithin also keine eindeutige Verpflichtung in dieser Richtung vorsehe. An dieser Stelle erhebt sich die Instruktion zu einer grundsätzlichen Erörterung über die Verlegenheit, in die sich der HI. Stuhl durch die Teilnahme des Nuntius an der Ausarbeitung des Reformplans versetzt sehe. Denn alle Welt wisse nun, daß der Apostolische Nuntius an diesem Plan mitgearbeitet habe und daß derselbe, wenn schon nicht mit der ausdrücklichen Zustimmung Ostinis, so doch sicherlich mit seinem Wissen und nach Einholung der Meinung des HI. Stuhles der österreichischen Regierung vorgelegt worden sei. Wenn nun der HI. Stuhl in Schweigen verharre, so werde dies unter den gegenwärtigen Umständen notwendigerweise im Sinne einer Approbation oder doch zumindest einer Tolerierung ausgelegt werden. Noch größer werde aber die Verlegenheit, wenn man einige Punkte des Reformprogramms, die an sich approbiert werden könnten, tatsächlich approbiere. Denn weder die Katholik~n noch die Andersgläubigen könnten sich vorstellen, daß der HI. Stuhl nicht auch bezüglich der anderen Artikel befragt worden sei, bezüglich derer keine Äußerung vorliege. Somit müßte also wenigstens einschlußweise auch für diese Artikel die päpstliche Zustimmung vermutet werden. Darüber hinaus, so fährt die Instruktion fort, sei noch eine weitere Feststellung zu treffen: Die Freiheit, die dem Reformplan zufolge der katholischen Braut eingeräumt werden solle, bilde genau genommen gar keine be-

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sondere Errungenschaft, sondern fmde sich in mehr oder weniger denselben Ausdrücken auch in der gegenwärtigen österreichischen Gesetzgebung vor. In jener Gesetzgebung, gegen die der Hl. Stuhl so oft und energisch Verwahrung eingelegt habe. Bei einer eventuellen Publikation des Reformplanes ergebe sich für Rom eine höchst peinliche Alternative: Entweder müßte der Hl. Stuhl, um nicht gegen seine eigenen Prinzipien zu verstoßen, sofort Reklamation erheben und so die Harmonie zwischen Kirche und Staat brechen oder aber er müßte es zulassen, daß die ganze Welt nicht ohne Grund vermuten könne, zumindest in Handlungen und in bezug auf die österreichische Monarchie sei die römische Kurie von ihren geheiligten Grundsätzen abgewichen. Man müsse gewiß der guten Absicht des Nuntius, mit der er versucht habe, die beiden Rechtsordnungen in Einklang zu bringen, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Jedoch dürften die bisher angeführten Schwierigkeiten hinlänglich dargetan haben, daß es auf diese Weise unmöglich sei, zu einem Übereinkommen zu gelangen57 . Diese Stellungnahme zur Mischehe seitens der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten erfolgte im Rahmen der allgemeinen Begutachtung des ganzen von Milde und Ostini ausgearbeiteten eherechtlichen Reformplans. Das Urteil Roms über die von den beiden Kirchenfürsten vorgesehene Harmonisierung der kirchlichen und staatlichen Ehegesetzgebung fiel womöglich noch negativer aus, da man den Nuntius in diesem Zusammenhang auf einige grundsätzliche rechtlich-dogmatische Irrtümer aufmerksam machen mußte. So interessant eine eingehende Befassung mit diesbezüglichen Einzelheiten wäre, so muß sie doch als außerhalb des Rahmens unseres Untersuchungsgegenstandes liegend fallengelassen werden. Daß der "piano di riforma" einen für den kanonischen Gesetzgeber praktisch kaum zu gehenden Weg vorschlug, da er - wenn auch formell immer nur von einer "Auslegung" des bestehenden kanonischen Eherechts sprechend 57 Punkt 50-52 der Instruktion für Ostini, ASV/NV, ebd. fol. 119 ff. - Bezüglich der dem Reformplan zufolge der katholischen Braut einzuräumenden Vollmacht, sich die katholische Erziehung sämtlicher Kinder auszubedingen, führt Pkt. 51 der Instruktion u. a. aus: "La liberta ehe difatti si lascia alle spose cattoliche riguardo all , educazione della prole mascolina nel Cattolicismo, trovasi negli stessi 0 poco diversi termini espressa nell' attuale legislazione austriaca, contro la quale in quanto al compies so delle prescrizioni matrimoniali la S. Sede ha SI altamente reclamato. Pubblicandosi percio ora le riforme matrimoniali, nelle quali non si esige la cautela dell' educazione di tutta la prole nel Cattolicismo; la S. Sede 0 dovrebbe, per esser coerente alle sue massime costantemente protestate, reclamare e rompere subito l'armonia fra la Chiesa e l'Impero, oppure dovrebbe suffrire che tutto il mondo presumesse non senza ragione aver essa almeno col fatto, ed a riguardo dei Dominj Austriaci deviato dei suoi santissimi regolamenti e principj."

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doch eigentlich keine interpretatio legis, sondern eine nova lex ins Auge faßte, sei nur kurz am Rande vermerkt58 . Daß sich der Heilige Stuhl dazu nicht verstehen werde, war vorauszusehen. Auf der anderen Seite muß aber doch auch gesagt werden, daß die römische Kurie in etwa die Schwierigkeiten unterschätzte, mit denen der Nuntius in Wien zu kämpfen hatte. Namentlich, was die Frage der gemischten Ehe betrifft, so hätte vielleicht berücksichtigt werden müssen, daß ein ausdrücklicher Widerruf der nun einmal seit fünfzig Jahren bestehenden Toleranzgesetze in Österreich nicht so ohne weiteres zu bewerkstelligen war5 9 und letztlich das konfessionelle Zusammenleben einer unerträglichen Belastung ausgesetzt hätte. Eine entsprechende Forderung Ostinis hätte sehr leicht zu einem gänzlichen Scheitern der Verhandlungen führen können. Wenn der Nuntius nämlich u. a. nach Rom schrieb: " ... so bensl che 10 spingere piu oltre farebbe un rovinare I'affare ... "60, bzw. " ... se si spingesse la cosa piu avanti, nulla si otterrebbe"61, so war dies keine leere Beteuerung, sondern eine aus unmittelbarer Nähe und Vertrautheit mit den realen Gegebenheiten in Österreich geschöpfte Erfahrung. - Was nun insbesondere die in der römischen Instruktion ausgesprochene Ansicht betrifft, die in dem Reformplan für die katholische Braut projektierte Möglichkeit, sich die katholische Erziehung sämtlicher Kinder auszubedingen, bedeute keinerlei Errungenschaft, sondern sei auch schon der gegenwärtigen österreichischen Gesetzgebung enthalten62 , so ist dazu zu bemerken, daß hier die einschlägigen Bestimmungen des Toleranz-Patents einfach verkannt wurden. Es entspricht nämlich keineswegs den Tatsachen, daß das Toleranz-Patent der katholischen Mutter bzw. dem protestantischen Vater so ohne weiteres die Möglichkeit eiru:äumte, alle Kinder katholisch zu erziehen, selbst wenn sie dies wollten. Ein zeitlich mit der Abfassung der römischen Instruktion ziemlich zusammenfallendes Gutachten des österreichischen Staatsrates Jüstel, der gewiß ein gründlicher Kenner des österreichischen Staatskirchenrechts genannt werden

58 Einzelheiten über die Ideen des Refonnplanes siehe in der eingehenden Darstellung von Maaß, V, 44 ff. 59 Vor allem hätte der Nuntius in diesem Zusammenhang auf Art. XVI der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 hinweisen müssen: "Die Verschiedenheit der christlichen Religions-Partheyen kann in den Ländern und Gebiethen des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen." - An diesen Artikel war auch Österreich gebunden. H. Liennann, Kirchen und Staat, München 1954, I, 2. 60 Dispaccio Ostinis an Bernetti Nr. 102/28 vom 12. Mai 1833, ASV/NV, cod. 276, fol. 26. 61 Dispaccio Nr. 151/46 vom 27. September 1833, ASV/NV, ebd. 62 Vgl. Anm. 57.

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konnte63 , führt ganz deutlich aus, daß der § 6 des Toleranz-Patents seinem Buchstaben nach die Ausstellung von Reversen zugunsten der katholischen Kindererziehung seitens des protestantischen Vaters untersage und diesem befehle, seine aus der Mischehe hervorgehenden Söhne protestantisch zu erziehen. Jüstel steht nicht an zu behaupten, das Toleranz-Patent bedeute sogar eine Einschränkung der Gewissensfreiheit des protestantischen Teils, da es ihm etwas verbiete, was seine Religion ihm erlaube64 . Vielleicht hätte Ostini auch nocht stärker betonen müssen, daß ein Vorgehen auf der Basis des "piano" keineswegs eine positive Approbation der im josephinischen Eherecht enthaltenen Grundsätze bedeuten müsse, sondern nur ein tatsächliches Sich-Abfinden mit der nun einmal nicht zu ändernden Lage sei. Der Nuntius schrieb zwar in diesem Sinne nach Rom, als er seinen ersten Reformplan einsandte65 , er erklärte ferner, daß eine Einigung auf der mittleren Linie, namentlich was das Problem der gemischten Ehen anlangt, zwar keineswegs das erstrebenswerte Optimum, aber unter den gegenwärtigen U mständen das einzig realisierbare minus Malum darstelle66 , aber er drang damit 63 C. von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Wien 1852 ff., X, 307 ff.; A. Posch, Staatsrat Joseph Jüste!, in: Zeitsehr. des Histor. Vereins für Steiermark, 44 (1953) 99-109. 64 Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien) (= HHStA), Staatsratsakten Nr. 6054 ex 1834. Vgl. auch das bei Maaß, V, 434 ff. abgedruckte Gutachten Jüstels für Kaiser Franz I. Ebenso deutlich Jüstel in einem Gutachten an Kaiser Ferdinand vom 15. Februar 1838: "Eben dieses Ehepatent" (gemeint ist das Toleranz-Patent) "befiehlt in gemischten Ehen, wenn der Vater protestantisch ist, die Erziehung seiner Söhne in seiner Religion." (Die Hervorhebung ist im Original unterstrichen). HHStA/Kabinettsakten Nr. 133/1838. 65 Dispaccio Nr. 102/28 vom 12. Mai 1833, ASV/NV, cod. 276, fol. 26. Es handle sich, so meinte Ostini, bei dem piano di riforma keineswegs um ein Konkordat, der Papst möge daher auch nichts positiv approbieren. Man müsse im Augenblick lediglich trachten, das zu erreichen, was zu erreichen sei und alles andere könne man späteren Zeiten überlassen. - Wenn daher A. Hudal, Die österreichische Vatikanbotschaft 1806-1918, München 1952, 94 davon spricht, daß 1833/34 zwischen Milde und Ostini Verhandlungen wegen eines Konkordats geführt wurden und wenn er sagt, Rom habe damals ein eigenes Konkordat gewünscht, so kann dem aufgrund der Aktenlage nicht vorbehaltlos zugestimmt werden. Hudal übernimmt hier offenbar ohne nähere Begründung die Ansicht von I. Beidtel, Untersuchungen über die kirchlichen Zustände in den kaiserlich österreichischen Staaten, Wien 1849, 206, der von gescheiterten Konkordatsverhandlungen 1834 berichtet. In gleichem Sinne J. F. Schulte, Erläuterung des Gesetzes über die Ehen der Katholiken im Kaiserthume Österreich, Prag 1856,17. 66 Dispaccio Nr. 146/44 vom 20. September 1833, ASV/NV, cod. 276, fol. 52. Ostini berichtet da, daß ihn der Wiener Erzbischof Milde ersucht habe, dem Hl. Vater zu melden, wenn man sich bei Erstellung des Reformplanes nicht allen römischen

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nicht durch. Ob man vielleicht an der Kurie die guten Absichten des Kaisers überschätzte, da doch Ostini selbst auf die "stimoli di coscienza" verwiesen hatte, die den Monarchen zu einer Bereinigung der ganzen Angelegenheit drängten, mag dahingestellt bleiben67 . Tatsache ist jedoch, daß man den Eindruck gewinnt, als redeten der piano di riforma und die Instruktion für den Nuntius aneinander vorbei. Während nämlich der Reformplan und die ihn begleitenden Depeschen des Nuntius von den praktischen Schwierigkeiten ausgingen, befaßte sich die römische Instruktion mehr mit einer theoretischen Erörterung der Prinzipien und stellte die nun einmal gegebene Lage nicht gebührend in Rechnung. In diesem Zusammenhang mag auch die Frage berechtigt erscheinen, ob vielleicht der Verhandlungspartner Ostinis, der Wiener Erzbischof Milde, Schuld an dem Scheitern der Verhandlungen trug. Tatsächlich ist gegen Milde ein Vorwurf in dieser Richtung erhoben worden68 . Nun steht von Milde gewiß fest, daß er - übrigens in diesem Punkt keineswegs eine Einzelerscheinung - als Kind seiner Zeit in den Auffassungen von den Obliegenheiten seines geistlichen Hirtenamtes sich zumindest ebenso als Diener des Staates wie der Kirche fühlte69 . Daß der piano di riforma die von Rom schärfstens verurteilten Ideen des josephinischen Staatskirchenrechts in einer mitunter recht deutlichen Weise zum Ausdruck brachte und daß hier Milde als der treibende Faktor angesehen werden mußte, in dessen Fahrwasser auch der apostolische Nuntius geriet70 , dürfte wohl als sicher anzunehmen sein. Doch Wünschen geneigt zeige, so geschehe das nicht aus einem Mangel an gutem Willen, sondern einzig und allein aufgrund der Überzeugung, daß momentan bei bestem Willen nicht mehr zu erreichen sei. 67 Die Instruktion für den Nuntius spielt auf das vorbereitete Memorandum über die österreichische Ehefrage an (vgl. oben Anm. 23) und sagt, Papst Pius VII. habe 1819 gelegentlich des Rombesuches Kaiser Franzens die Veröffentlichung dieses Schriftstückes nur unterlassen "nella lusinga che un Sovrano cosl pio avrebbe finalmente resa aHa Chiesa la dovuta giustizia reintegrandola completamente nei diritti ad essa derivati dalla stessa sua divina Costituzione." ASV/NV, cod. 279, fol. 85 f. 68 Maaß, V, 30. 69 Wurzbach, Biographisches Lexikon (Anm. 63), XVIII, 101 ff. 70 Wiederholt hob der Nuntius die hervorragenden Eigenschaften des Wiener Erzbischofs hervor. Milde sei einer der klügsten Menschen, die er kenne (Dispaccio senza numero Ostinis an Unterstaatssekretär Msgr. Capaccini vom 22. August 1834, ASV/NV, cod. 276), ein "uomo di gran virtu, di molto talento, di rettissime intenzioni". Freilich mußte Ostini zugeben, Milde kenne zwar das österreichische Terrain, aber von ihm müsse auch gesagt werden, "non essendosi deI tutto spogliato dei principj ricevuti in queste scuole, sebbene convenga co nostri nella massima parte ... " Ostini an Bernetti, Disp. Nr. 323/114 vom 3. Februar 1835, ASV/NV, cod. 276, fol. 153 f. 0

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ist dies nicht Gegenstand unserer Untersuchung. Was die gemischten Ehen anlangt, so muß hervorgehoben werden, daß der diesbezüglich erstellte, in seinen Grundlinien sicherlich von Milde stammende Reformplan ebenso wie die später im gleichen Zusammenhang verfaßten Eingaben des Erzbischofs an Kaiser Ferdinand71 und Papst Gregor XVI. 72 im Grund genommen gar nichts anderes wollen, als der vom ungarischen Episkopat abgesandte Bischof Josef Lonovics, der zusammen mit Karl Ernst Jarcke, dem persönlichen Berater Metternichs, in den Verhandlungen von 1840/41 nicht müde würde, den Papst und die leitenden Beamten der römischen Kurie immer wieder darauf hinzuweisen, daß Österreich seine gegenwärtige Toleranz-Gesetzgebung nicht ohne schwerste Gefährdung des inneren Friedens aufheben oder zugunsten der· katholischen Religion abändern könne73 . Und die in den päpstlichen Dekreten von 1841 erfolgte Beilegung des Mischehenkonfliktes in Österreich und Un-

71 HHStAlKabinettsakten Nr. 185/1838 vom 11. Mai 1838. Milde ersuchte in dieser Eingabe zunächst, § 6 des Toleranz-Patents dahingehend zu erläutern, daß die freiwillige Erklärung eines akatholischen Vaters über die Erziehung seiner Söhne in der katholischen Religion keineswegs verboten oder rechtsungültig sei. Ferner wollte er erreichen, daß § 77 ABGB dahingehend abgeändert werde, daß bei den Mischehen, in denen die katholische Braut sich nicht die katholische Erziehung ihrer Söhne ausbedungen hatte, und wo daher der katholische Geistliche die Trauung verweigern mußte, auch der akatholische Geistliche gültigerweise die Eheschließung vornehmen könne. 72 Die Eingabe trägt das Datum vom 19. Juni 1840. Roskovany, V, 444 ff. 73 Die Berichte befmden sich im HHStAlBotschaftsarchiv, Fasz. 65, Varia de Rome, bzw. Fasz. 66 Varia de Rome. Vgl. dazu Anm. 38. - Metternich gab am 18. Februar 1840 dem österreichischen Botschafter in Rom, Rudolf von Lützow den Auftrag, Verhandlungen mit dem HI. Stuhl wegen der gemischten Ehen einzuleiten. In dem diesen Auftrag begleitenden Expose über die Mischehenfrage führt der Staatskanzler u. a. aus: "Le cabinet autrichien, en acquittant le tribut de respect et de fidelite que lui imposent son attachement a la foi et aux loix de l'Eglise catholique, ne se cache par contre pas la necessite dans laquelle lui, comme tous les gouvernements, se trouvent, d'avoir egard aux positions de fait, telles qu'elles existent, et regarde comme un devoir de conscience de veiller au maintien de la paix civile entre les confessions diverses dans cette monarchie. Le gouvernement imperial est des lors resolu a ne pas se departir du principe de la liberte des consciences dans sa coilduite a I'egard des sujets non-catholiques, et, en s'y decidant, ce n'est point uniquement par suite de consideration d'un politique profane, dont la position des choses lui impose la necessite, mais egalement dans l'interet de I'Eglise, qu'il suit cette marche. Il est convaincu qu'iJ ne saurait rendre a celle-ci un service plus veritablement utile qu'en opposant avec calme, moderation et douceur les principes d'un liberte reelle et bien entendue aux nombreux empietements que d'autres gouvernemens se permettent, plus ou moins systematiquement, sur la liberte de conscience et sur ce1le de la croyance religieuse de 1eurs sujets catholiques." Maaß, V, 559.

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garn74 enthält inhaltlich keine über die Prinzipien des Reformplans hinausführende Lösung, sondern mußte sich eben mit der in beiden Ländern bestehenden Toleranz-Gesetzgebung abfinden. Wenn Milde schon in seinem Reformplan von 1833 die Formfreiheit für die Mischehen verlangte - eine Lösung, die von den genannten Unterhändlern Lonovics und Jarcke in Rom überaus dringend gewünscht, aber nur für Ungarn auch tatsächlich erreicht wurde75 beweist er damit einen in dieser Frage durchaus nicht gewöhnlichen Weitblick. Somit kann die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen über die gemischten Ehen nicht in einem inhaltlichen Mangel des diesbezüglich erstellten Planes bzw. in den Persönlichkeiten seiner Urheber gesucht werden, sondern sie liegen anderswo. Zunächst einmal muß in Betracht gezogen werden, daß die Mischehenfrage im Rahmen des ganzen Ehereformplanes behandelt wurde und beide Verhandlungspartner, Wien und Rom damals eine ganzheitliche Lösung der Ehefrage ins Auge faßten, einer selbständigen Teillösung des Mischehenrechts jedoch offensichtlich abgeneigt waren. Mit der seitens der römischen Kurie erfolgten Ablehnung des Reformplanes als ganzes war auch das Schicksal der Vorschläge zur Behandlung der Mischehenfrage besiegelt. Die im Jahre 1841 ohne Rücksicht auf die sonst zwischen Wien und Rom bestehenden Kontroversen erfolgte selbständige Bereinigung der Mischehenfrage war einerseits zu dem hier zu behandelnden Zeitpunkt (183234) noch kein so dringendes Gebot der Stunde wie dies wenige Jahre später der Fall sein sollte und andererseits bedurfte es selbst dann noch einiger Mühe, den römischen Verhandlungspartner zu überzeugen, daß es augenblicklich nur um die gemischten Ehen ginge und alle sonstigen Kontroversen ausgeklammert werden müßten 76. Wie die umfangreiche Instruktion für Ostini deutlich erweist, dachte man sich 1834 in Rom die gänzliche Beseitigung der bestehenden Differenzen zwischen dem kanonischen und dem österreichischen Eherecht nur in Form einer lückenlosen Anerkennung der einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen. Das wußte übrigens Ostini genau, aber er wußte auch ebensogut wie Milde, wie schwer, um nicht zu sa74 Für Österreich erfolgte die Regelung in der Instruktion des Kardinal-Staatssekretär Lambruschini vom 22. Mai 1841 "Cum Romanus Pontifex", Fontes VIII, nr. 6453; für Ungarn in dem Breve Gregors XVI. "Quas vestro" vom 30. April 1841, Fontes 11, bzw. der Instruktion Lambruschinis vom gleichen Datum "Memores officii", Acta Gregorii XVI, tom. III, 122 ff. 75 Instruktion Lambruschinis "Memores o fficü " , 30. April 1840. 76 Metternich an Lützow, 18. Februar 1840: "Un autre soin, que je prie V. E. de ne pas negliger, c'est celui d'empecher que la cour de Rome ne croie le moment propice pour vider, a l'occasion d'un circonstance fortuite, toute la liste des differens canoniques entre les deux autorites supremes." Und nicht eben freundlich fährt der Staatskanzler fort: "Cette maniere, de saisir la circonstance, serait a la fois toute italienne et tres gauche." Maaß, V, 566.

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gen unmöglich es war, ein derartiges Verlangen in Österreich in die Tat umzusetzen. So befanden sich er und sein Verhandlungspartner Milde in keiner beneidenswerten Lage, die sich treffend mit Skylla und Charybdis vergleichen läßt und die Ostini einmal mit folgenden Worten umriß: "Se si danno i veri nostri principi, questi non saranno qui ricevuti. Se si danno per meta si compromette la S. Sede quasi transigesse sul resto ... "77. Unter diesen Voraussetzungen war das Scheitern der so hoffnungsvoll begonnenen Verhandlungen eigentlich zu erwarten. Erst einem wesentlich späteren Zeitpunkt, dem Konkordat von 1855 sollte es beschieden sein, wenn auch nicht vollständig, so doch weitgehendst im eherechtlichen Bereich78 das zu verwirklichen, was sich Ostini als Ziel seines piano di riforma gesetzt hatte, nämlich "di salvare i diritti della Chiesa senza ledere quelli deI Sovrano"79. Was die gemischten Ehen anlangt, so erfolgte, wie bereits erwähnt, ein Ausgleich zwischen dem Hl. Stuhl und Österreich im Jahre 1841 80 , wobei jedoch zu bemerken ist, daß dieser Ausgleich inhaltlich keinen über den von Milde und Ostini erstellten piano di riforma hinausreichenden Fortschritt brachte.

77 Ostini an Bernetti, Dispaccio Nr. 288/101 vom 3. Oktober 1834, ASV/NV, cod. 276, fol. 135. 78 Auch das Konkordat von 1855 brachte in der Frage der Ehehindernisse keine vollständige Übereinstimmung zwischen den beiden vertragschließenden Parteien, da weiterhin einige staatliche, kirchlich nicht anerkannte Hindernisse bestehen blieben. Die nach schwierigen Verhandlungen zustandegekommene endgültige Fassung der das Konkordat ergänzenden Instructio des Kardinals Rauscher (§§ 68-70) bringt in dieser Frage keine endgültige Lösung. Vgl. dazu B. Primetshofer, Ehe und Konkordat, Wien 1960, 12 ff. 79 Ostini an Bernetti, Dispaccio Nr. 69/17 vom 10. Februar 1833, ASV/NV, cod. 276, fol. 14 f. 80 Instruction Lambruschinis ''eum Romanus Pontifex" vom 22. Mai 1841 für die österreichischen Bischöfe, Fontes, VIII, nr. 6453.

Kirchenrecht an der theologischen Fakultät der Universität Wien (1884-1984) Der Lehrstoff (Kirchenrecht - Dekretalenrecht) Inhaber des kirchenrechtlichen Lehrstuhles im Jahre 1884 war Franz Laurin, auf dessen Person und wissenschaftliche Arbeiten noch näher einzugehen sein wird. Laurin war bereits 1864 zum o. ö. Professor des Dekretalenrechts ernannt worden. Für dieses Fach bestand ein Ordinariat, während das Kirchenrecht mit dem durch die Ernennung zum Bischof bedingten Abgang Feßlers l als Dozentur eingerichtet war. Diese war mit dem Kapitular des Stiftes Klosterneuburg, Professor Vinzenz Seeback, besetzt. Seeback wurde mit Erreichung des 70. Lebensjahres im Jahre 1876 emeritiert. In der Sitzung des Professorenkollegiums vom 19. 7. 1876 wurde die Vereinigung der beiden Tätigkeitsbereiche Kirchenrecht und Dekretalenrecht beschlossen und das Ministerium gebeten, "es möge aus der bisherigen Professur des Dekretalenrechts und der Dozentur des Kirchenrechts eine ordentliche systemisierte Professur des Kirchenrechts an der Theologischen Fakultät errichten "2. Die Vereinigung sollte in der Weise erfolgen, daß der Professor dieser neu zu schaffenden Lehrkanzel ein fünfstündiges Kolleg über Kirchenrecht in deutscher, sowie eine vierstündige Einleitung in das Corpus Iuris Canonici und Exegese ausgewählter Teile dieses Corpus in lateinischer Sprache zu halten habe3 . Der Besuch des fünfstündigen Kollegs über Kirchenrecht sollte für die Kandidaten des Priesterstandes verpflichtend sein, das vierstündige Einleitungskolleg war für Rigorosanten aus Kirchengeschichte und Kirchenrecht gedacht.

1 Joseph Feßler (1813-1872), 1856 Professor für Kirchenrecht an der Universität Wien. 1862 Weihbischof und Generalvikar für Vorarlberg in Feldkirch. 1864 Bischof von St. pölten. 1869170 Sekretär des I. Vatikanischen Konzils. Cf. F. Grass, LThK2 IV, 95. 2 Schreiben der Theol. Fakultät Wien an das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht vom 4.8.1876, Cf. AV A, MfCuU 4, Theologie/Laurin, Zl. 18.112176. 3 Ebd.

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Dem Antrag der Fakultät wurde nach einem befiiJwortenden Ministerratsvortrag vom 31. 10. 18764 vom Kaiser am 5. 11. 1876 stattgegeben, und Franz Laurin wurde nunmehr zum ordentlichen Professor des vereinigten Faches Kirchenrecht ernannt.

I. Franz Laurin (1829-1914) Der in Prag für Kirchenrecht habilitierte Laurin wurde 1862 als Hofkaplan und Studiendirektor des Weltpriester-Bildungsinstituts St. Augustin nach Wien berufen. Zunächst nur mit der Supplierung der Vorlesungen aus dem Dekretalenrecht beauftragt, wurde er 1864 ordentlicher Professor des Dekretalenrechts und 1876, wie bereits erwähnt, zum Ordinarius für das nunmehr auch das Dekretalenrecht umfassende Kirchenrecht ernannt. Literarisch trat Laurin, der 1829 zu Iszeny in Böhmen geboren, 1854 zum Weltpriester der Prager Erzdiözese geweiht wurde, zunächst mit quellengeschichtlichen Arbeiten an die Öffentlichkeit. Die eine handelte über das Decretum Gratiani und die andere über die Dekretalensammlungen vor Gregor IX. 5 . Auch in seinen weiteren wissenschaftlichen Arbeiten ist die geglückte Verbindung von Rechtsgeschichte und systematischem Kirchenrecht festzustellen, so in der 1872 erschienenen Abhandlung über die geistliche Verwandtschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zum Recht der Gegenwart6 . Eherechtlichen Fragestellungen sind auch die Studien über das Ehehindernis der bürgerlichen oder gesetzlichen Verwandtschaft mit besonderer Beziehung auf Österreich7 sowie "Wesen und Bedeutung des Domicils besonders in Rücksicht auf die Eheschließung nach römischem, kanonischem und österreichischungarischem Recht" gewidmet8 . Mit selbständigen größeren Publikationen trat Laurin ab dem Jahre 1874 auf. In diesem Jahr erschien die erste Auflage von "Schultes Kirchenrechtswissenschaft einst und jetzt", der im folgenden Jahr (1875) die zweite folgte. Es handelt sich bei dieser Arbeit um die Zusammenfassung von insgesamt 4 Ebd. 5 Decretum Gratiani: Bayer, Vierteljahresschrift für kath. Theologie 2 (1863), 489-528. Die Decretalensammlung vor Gregor IX: AkKR 12 (1864) 1-22; 337-366. 6 Die geistliche Verwandtschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zum Rechte der Gegenwart: AkKR 15 (1872) 216-274. 7 AkKR 19 (1868) 193-259. 8 AkKR 26 (1871) 165-249.

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dreizehn Aufsätzen, die Laurin im "Vaterland" veröffentlicht hatte und worin er sich kritisch mit dem Gesinnungswandel Schultes im Zusammenhang mit der Entstehung der altkatholischen Kirche auseinandersetzt9 . Insbesondere geht es um eine Darstellung der Zwiespältigkeit in der Haltung Schultes gegenüber dem österreichischen Konkordat von 1855. Bei aller sachlichen Kritik zeugt die Schrift Laurins doch von der großen Wertschätzung, die er dem wissenschaftlichen Genius Schultes entgegenbringt. - 1876 erschien die ebenfalls polemische Schrift "Dr. Weeber und canonisches Recht"IO. 1880 veröffentlichte er "Der Cölibat der Geistlichen nach canonischem Recht mit besonderer Berücksichtigung der österreichisch-ungarischen Monarchie", worin dem Verfasser trotz einer gewissen Weitläufigkeit und Neigung zu ermüdender Breite auch vollständige Beherrschung der historischen Entwicklung und scharfsinnige Aufarbeitung der gestellten Fragen bescheinigt wurde 1I. Wiederum der Quellengeschichte gewidmet ist die "Introductio in Corpus iuris canonici" (1889). Innerhalb des Professorenkollegiums der Wiener Theologischen Fakultät im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war eine Polarisierung zwischen libe9 Johann Friedrich Ritter von Schulte (1827-1914), 1854 a.o., 1855 o. Prof. des Kirchenrechts und der Deutschen Rechtsgeschichte in Prag. Oie Verkündigung des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit wurde für Schulte Anlaß zu einer heftigen, auch literarisch ausgetragenen Kontroverse um die Stellung des Papstes in der Kirche. Schulte wurde Mitbegründer, Organisator und Verfechter der altkatholischen Kirche. Er ist zweifellos einer der führenden Kanonisten des 19. Jahrhunderts. Seine Arbeit "Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts" 3 Bände (Stuttgart 1875 bis 1880) zählt trotz gelegentlich sehr subjektiver Beurteilung bis heute zu den Standardwerken der kirchenrechtlichen Quellen- und Literaturgeschichte. A. Franzen, LThK 21X, 516; N. Hilling, AkKR 95 (1915) 519-527; A. Berlola, ODC VII, 890 s. IO Kritische Beleuchtung der Ausführungen des Berichterstatters Dr. Weeber über das feierliche Gelübde der Ehelosigkeit in der 180. Sitzung des Abgeordnetenhauses in Wien am 8. Februar 1876. Wien 1876. In dieser Schrift, die eine Sammlung von zuerst im "Vaterland" vom 12.-20. 2. 1876 erschienener Aufsätze darstellt, setzt sich Laurin kritisch mit den Ausführungen des Berichterstatters Dr. August Weeber (Olmütz) in der 180. Sitzung des Abgeordnetenhauses in Wien vom 8. 2. 1876 auseinander. Weeber hatte eine Aufhebung des § 63 ABGB (trennendes Ehehindernis des feierlichen Ehelosigkeitsgelübdes bzw. der höheren Weihe) im Hinblick darauf gefordert, daß das Kirchenrecht selbst das feierliche Gelübde der Ehelosigkeit bei Entlassung der Ordensperson aus dem Verband erlöschen lasse. - Laurin wies in seiner Schrift die Unrichtigkeit dieser generellen Behauptung nach. 11 Cf. dazu die Besprechung des Buches Laurins von I. Silbernagel, AkKR 45 (NF 39) (1881) 183-187. - Schreiben der n. Ö. Statthalterei an das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht vom 15. 5. 1899. AVA, MfCuU 4, Theologie/Laurin, Zl. 3.250/1899. 4 Primetshofer

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ralen und ultramontanen Gruppen festzustellen. Zu den Ultramontanen ühlte zweifellos Laurin, ja er wird sogar als der "profilierteste Vertreter ultramontaner Ansichten im Kollegium und Führer dieser Professorengruppe" bezeichnet 12. Wegen dieser Einstellung Laurins kam es 1878 zu einem wohl seltenen Vorgang: Der Kaiser hatte, ohne sich vorher mit dem Kultusminister Carl von Stremayr zu besprechen, Laurin zum Bischof von Leitmeritz ernannt. Stremayr reagierte darauf mit seinem Entlassungsgesuch. Er habe, so fiihrte er aus, Laurin nicht vorgeschlagen, da sein inkonzilianter Charakter bekannt sei. Durch allzu strenges Auftreten und durch Härte habe er sich überall unbeliebt gemacht; sein starres Festhalten an "canonistischem Legalismus und an den Grundsätzen strengster Kirchlichkeit" würden zu Schwierigkeiten mit der Staatsgewalt führen. Die Ernennung Laurins zum Bischof würde den Frieden zwischen Kirche und Staat schwer stören 13 • - Der Kaiser nahm den Rücktritt Stremayrs nicht an, sondern machte die Nomination Laurins ruckgängig l4 . Laurin verfaßte auch eine Anzahl von kanonistischen Abhandlungen in tschechischer Sprache. Mit zahlreichen kirchlichen und staatlichen Auszeichnungen versehen, schied er 1899 mit Erreichung der Altersgrenze aus dem akademischen Lehramte. Damit scheint auch seine literarische Tätigkeit ein Ende genommen zu haben. In der Folgezeit sollte der kirchenrechtliche Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät der Universität Wien in unmittelbarer Aufeinanderfolge mit zwei Persönlichkeiten besetzt werden, die nicht nur in der Zeit ihrer aktiven Lehr- und Forschungstätigkeit internationales Ansehen genossen, sondern deren Arbeiten auch noch nach Jahrzehnten trotz geänderter Gesetzeslage von grundlegender Bedeutung sind. Es waren dies Rudolf von Scherer und Eduard Eichmann.

12 E. KOWlcS, Die Berufung Ernst Commers nach Wien (1899/1900): Auftrag und Verwirklichung, hrsg. v. F. Loidl, (WBTh 44), Wien 1974, 22. E. KOl'acs/G. Roth, Anselm Ricker und seine Pastoralpsychiatrie 1824-1902/03 (WBTh 41), Wien 1973, 38-40. 13 E. Saurer, Die politischen Aspekte der österreichischen Bischofsernennungen 1867-1903, Wien 1968,196. 14Ebd.198.

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11. Rudolf Ritter von Scherer (1845-1918) Die für die Wiederbesetzung der vakant gewordenen Lehrkanzel eingesetzte Fakultätskommission bestand aus den Professoren Franz Pölzl, Franz Schindler und Albert Ehrhardt. Bevor ein Vorschlag erstattet wurde, erörterte das Fakultätskollegium zunächst die Grundsätze hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden Personen. Die Fakultätsmitglieder stimmten dahingehend überein, daß für die ordentliche Professur des Kirchenrechts an der Wiener Theologischen Fakultät nur solche Persönlichkeiten in Frage kämen, die als akademische Lehrer des Kirchenrechts bewährt seien, sich einen hervorragenden literarischen Ruf als Kanonisten erworben haben und selbstverständlich Männer von korrekt kirchlicher Haltung· seien. Diese Grundsätze seien von der Wiener Theologischen Fakultät bei sämtlichen Besetzungsvorschlägen der letzten Jahre als leitende Grundsätze anerkannt und festgehalten worden. Denn, so fährt der Fakultätsbericht fort, das ordentliche akademische Lehramt an einer Universitätsfakultät vom Range der Wiener Theologischen Fakultät dürfe nicht "zu einem Versuchsfeld für ungeübte Neulinge in der akademischen Dozentur gemacht werden" . Im weiteren Verlauf dieses Schreibens der Fakultät wird dann schon das Problem angeschnitten, das gerade auch den zu Berufenden wenige Jahre später intensiv beschäftigen sollte, nämlich die keineswegs unberechtigte Sorge um die grundsätzliche Stellung der Theologischen Fakultäten im Universitätsbereich. Die Theologischen Fakultäten allgemein und speziell die Theologische Fakultät in Wien werden ihre Stellung im Universitätsorganismus nämlich nur dann behaupten können, wenn sie sich bei Ergänzung des Lehrkörpers in wissenschaftlicher Hinsicht von denselben Grundsätzen leiten lassen wie die übrigen Fakultäten, und das seien eben die erwähnten Richtlinien l5 . Das Augenmerk der Fakultät richtete sich von vornherein auf einen Kanonisten, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen Namen gemacht hatte, nämlich den Ordinarius des Kirchenrechts an der Grazer Theologischen Fakultät, Rudolf Ritter von Scherer.

15 Besetzungsvorschlag der Theol. Fakultät ftir die Wiederbesetzung der Lehrkanzel ftir Kirchenrecht vom 28. 4. 1899. AVA, MfCuU 4, Theologie/Scherer Zl. 1.053/1899; cf. UA, ThSP 1898/99, Zl. 1049.

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Der gebürtige Grazer widmete sich zunächst an der Universität seiner Heimatstadt den juristischen Studien, wo er vor allem bei Friedrich Maassen 16 jene ihn später auszeichnende hervorragende Beherrschung der kanonistischen Quellen erlernt haben dürfte. Nach Absolvierung der juristischen (1867 Dr. jur., Graz) und theologischen Studien (1875 Dr. theol., Wien) wurde Scherer schon 1874, also im Alter von erst 29 Jahren, zum Supplenten der Kirchengeschichte an der Universität Graz ernannt und zwei Jahre später (1876) wurde er Ordinarius für Kirchenrecht und erhielt überdies den Auftrag, em zweIstündiges Kolleg über Dogmengeschichte zu halten l7 . Interessanterweise war Scherer niemals Dozent, und auch von einer der Habilitierung gleichzuhaltenden "schriftlichen Konkursprüfung" , wie dies bei Laurin festzustellen ist 18, ist bei ihm nichts aufzufinden 19 . Der Vorschlag der Wiener Theologischen Fakultät enthielt zwar primo et unico loco den Namen Scherers, doch fällt auf, daß dieser Vorschlag mit einer - namentlich nicht ausgewiesenen - Gegenstimme gefaßt wurde20 • Gewisse Bedenken schienen gegen die Person Scherers bestanden zu haben, wohl weniger, was seine zweifellos hohe wissenschaftliche Qualifikation, als vielmehr seine Haltung zu bestimmten philosophisch-theologischen Grundfragen des Kirchenrechts anlangt. So wurde Scherer vorgeworfen, daß er zwar nicht die Inhalte bzw. Verbindlichkeit dessen leugne, was die katholische Kirche unter Naturrecht versteht, wohl aber, daß er diesen Inhalten nicht den Namen Recht zu geben bereit sei. Dies deshalb nicht, weil er von einer Position des von der historischen Schule geprägten Rechtspositivismus aus-

16 Friedrich Maassen, 1823-1900. 1858 Professor für Römisches Recht und Kirchenrecht in Innsbruck, 1860 in Graz und 1871 in Wien. Neben anderen quellengeschichtlichen Studien ist vor allem sein Werk "Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts im Abendlande bis zum Ausgang des Mittelalters" (Graz 1870) zu erwähnen. Cf. G. Damizia, ECatt VII, 1735 s.; R. Naz, DDC VI, 689 s. 17 Fakultätsbericht vom 28. 4. 1899, AVA, MfCuU 4, Theologie/Scherer ZI. 1.05311899. 18 Bericht des k.k. Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 1. 1. 1863. AVA, MfCuU 4, Theologie/Laurin, ZI. 2626/1863. 19 Haring erwähnt in seinem ausführlichen Nachruf für Scherer nichts von einer Habilitierung. J. Haring, Rudolf Ritter von Scherer: Liter. Anzeiger XXXIIII1918, Nr.4. 20 Lt. Sitzungsprotokoll der Theol. Fakultät wurde der Beschluß mit 9 Stimmen gegen 1 Stimme gefaßt. UA, ThSP 1898/99, ZI. 1049.

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gehend, als Recht nur das bezeichnen wolle, was durch positives Gesetz in die Rechtsordnung aufgenommen worden sei 21 . Auch scheinen ihm einige, namentlich in seinem "Handbuch des Kirchenrechts" anzutreffende "absprechend und überfrei " lautende Äußerungen über kirchliche Personen und Maßnahmen22 übel vermerkt worden zu sein. Daß Scherer es bei grundsätzlicher Loyalität zur Kirche gleichwohl verstand, seine Meinung über Angemessenheit bzw. Unangemessenheit einzelner kirchlicher Maßnahmen im Bereich des theologischen Lehrbetriebs freimütig zu äußern, davon wird noch die Rede sein. Zur Zeit, als Scherer für die Lehrkanzel des Kirchenrechts an der Wiener Theologischen Fakultät vorgeschlagen wurde, stand der Vierundfünfzigjährige schon im Zenit seines wissenschaftlichen Ruhmes und konnte auf ein stattliches wissenschaftliches Oeuvre blicken. Neben zahlreichen kleineren Beiträgen in Lexika und wissenschaftlichen Zeitschriften - allein in der 2. Auflage von Wetzer & Weites "Kirchenlexikon" stammen insgesamt 109 Beiträge aus der Feder Scherers - waren an größeren Schriften bereits erschienen: "Das Eherecht bei Benedikt Levita und Pseudo-Isidor" (1879); "Winfried Bonifatius. Aus dem Nachlasse des Hofrates von Buss" (1880); "Die Prozeßfähigkeit der kirchlichen Institute" (1882) und ferner die umfangreichen Ausführungen über Freisens "Geschichte des kanonischen Eherechts"23 (1891). Vor allem aber ist jenes Werk zu erwähnen, das den wissenschaftlichen Ruhm Scherers bis zum heutigen Tag begründet hat und das trotz geänderter Gesetzeslage immer noch als Fundgrube für die Lösung rechtshistorischer bzw. rechtssystematischer Detailfragen herangezogen werden kann, nämlich das "Handbuch des Kirchenrechts". Zur Zeit, als Scherer sich an die Abfassung seines Handbuchs machte, waren insbesondere zwei umfangreiche Werke von Zeitgenossen Scherers tonangebend, nämlich die Studien von Hinschius24 und Phillips25. In seiner Selbstbiographie26 steckt sich Scherer selbst 21 Besetzungsvorschlag der Theologischen Fakultät für die Lehrkanzel Kirchenrecht vom 28. 4. 1899. AVA, MfCuU 4, Theologie/Scherer, Zl. 1053/1899. Cf. dazu auch den Nachruf Scherers, 6. 22 Besetzungsvorschlag vom 28.4. 1899, AVA, l.c. 23 J. Freisen, Geschichte des canonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur, Tübingen 1888. Die Besprechung Scherers erschien AkKR 65 (1891) 353-390. 24 P. Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, 6 Bde., Berlin 1869-1897. 25 G. Phi/lips, Kirchenrecht, 7 Bde., Regensburg 1845-69; Lehrbuch des Kirchenrechts, 2 Bde., Regensburg 1859-62. Phillips war von 1851 bis zu seinem Tod 1872

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den Rahmen für sein zu schaffendes Werk und legt zugleich die Methode seines wissenschaftlichen Arbeitens vor. Demnach sollte sein Buch nicht so breit angelegt sein wie die beiden erwähnten Werke, es sollte aber doch über den Rahmen auch der besseren Lehrbücher hinausgehen. Eine gedrängte Darstellung des geltenden Rechts und seines Werdeganges schwebte ihm vor, die "durchaus verläßlich, weil aus den Quellen geschöpft sein sollte. Nichts sollte ohne Beweis und Nichts ohne Grund - nur der Phrase wegen - geschrieben werden. Objektiv sollte die Darstellung sein, ohne ein dürres Regestenwerk zu sein; der Kritik, auch der meritorischen sollte der Mund nicht verschlossen sein "27. Dieses hochgesteckte Ziel konnte Scherer in den zwei Bänden seines Werkes, deren Abschluß ihm gegönnt war, auch verwirklichen. Die Durchführung seines Planes nahm allerdings weitaus mehr Zeit in Anspruch, als er sich vorgestellt hatte. "Habent sua fata libell i ... " könnte man auch über das Handbuch Scherers schreiben. Der erste Halbband des ersten Bandes erschien 1885, der zweite Halbband im folgenden Jahr. Innerhalb eines weiteren Jahres sollte der zweite Band vorliegen; tatsächlich erschien er erst zwölf Jahre später, nämlich 1898. "Spes fefellit", so beginnt Scherer das Vorwort zum zweiten Band und führt als Grunde für dessen verspätetes Erscheinen mehrere Krankheiten an, die ihn vor allen Dingen an den für die Fortführung des Buches notwendigen Bibliotheksreisen gehindert hätten. Scherers Handbuch kam nicht über zwei Bände hinaus. Es blieb ein allerdings genialer Torso, ebenso wie das Werk seines Lehrers und wissenschaftlichen Vorbildes, Friedrich Maassen, dessen "Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts im Abendlande bis zum Ausgang des Mittelalters" (Graz 1870) nicht einmal über den ersten Band hinausgekommen ist. Professor an der juridischen Fakultät der Wiener Universität. Die in seinen Werken fonnulierte Drei-Ämter-Lehre (Tria-munera), nämlich das Propheten-, P~ester- und Königsamt Christi und der Gläubigen wurde längere Zeit hindurch als richtungweisend für die diesbezüglichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils angesehen, während neuerdings der Einfluß PhilIips' wieder in Zweifel gezogen wird. Cf. L. Schick, Die Tria-Munera in den Schriften George Phillips und in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Vergleich: ÖAKR 32 (1981) 59-78. Über Phillips als Lehrer an der Wiener Universität cf. W. Plöchl, Die Vorlesungstätigkeit von George Phillips an der Wiener Universität: Jus Sacrum, hrsg. v. A. Scheuennann/G. May, München 1969, 157 ss. 26 Das Original der im Jänner 1906 abgefaßten Autobiographie Scherers liegt, einer Mitteilung von Nikolaus Grass zu folge , bei den Personalakten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Cf. N. Grass, Österreichische Kanonistenschulen aus drei Jahrhunderten: ZRG/KA 41 (1955) 346, A. 255. 27 Grass, l.c., 349 s.

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Über die Gründe, warum Scherer den dritten Band nicht mehr der Öffentlichkeit vorlegen konnte - umfangreiche Aufzeichnungen für den dritten Band fanden sich in seinem von Gottfried Hugelmann betreuten wissenschaftlichen Nachlaß28 , - darüber gibt es nur Vermutungen. Einen Teil des geplanten dritten Bandes hat Hugelmann, einer letztwilligen Anordnung Scherers folgend, als "Kirchliches Verordnungsrecht" veröffentlicht29 . Für die nur teilweise erfolgte Veröffentlichung des dritten Bandes macht Hohenlohe-Schillingsfürst neben dem schweren physischen Leiden Scherers auch seelische Depressionen namhaft, die insbesondere durch herbe Kritiken seines Handbuchs hervorgerufen worden waren30 . Scherer selbst gibt in den von Hugelmann nicht veröffentlichten "Vorbemerkungen" zum dritten Band einen bemerkenswerten Hinweis auf die Gründe für den nicht erfolgten Abschluß des Werkes. Was ihn an der Fortsetzung seines Buches gehindert habe, seien nicht allein schwere körperliche Leiden gewesen, sondern auch tiefe Besorgnis wegen Maßnahmen der kirchlichen Autorität, - welche unter dem Pontifikat Pius X. ihren Höhepunkt gefunden hätten3 !. Scherers Werk besticht gleichermaßen durch eine geradezu unglaubliche Kenntnis und Verwertung der Quellen, wie durch Scharfsinn und Gründlichkeit. Daß der Verfasser durch eine erstklassige rechtshistorische Schule gegangen ist, die den Werdegang einzelner Rechtsinstitute in den wesentlichen Entwicklungslinie aufzuzeichnen vermochte, ist dem Buch auf Schritt und Tritt anzumerken. Scherer hatte, bevor er den Ruf an die Wiener Theologische Fakultät annahm, bereits Berufungen an die Theologische Fakultät der Universität Prag

28 Grass, l.c., 353. 29 ZÖR 3 (1922) 449-474. 30 K. von Hohenlohe-Schillingsfiirst, Nachruf für Scherer: AkKR 99 (1919) 120. 3! Grass, l.c., 354. Diese innerkirchlichen Maßnahmen präzisiert Voltelini unter Berufung auf die Autobiographie Scherers dahingehend, daß dieser sich der kirchlichen Bücherzensur nicht unteIWerfen wollte. "Mit der Freiheit und Selbstverantwortlichkeit des zensurierten Autors", so Scherer in der Selbstbiographie, "erscheint auch die Authentie und Genuinität seines Werkes vernichtet oder wenigstens in Frage gestellt". - Dieser Umstand hat mehr noch als das zweifellos vorhandene Augenleiden Scherers das Erscheinen des dritten Bandes verhindert. H. von Voltelini, Nachruf für Scherer: Akademie der Wissenschaften, Almanach für das Jahr 1919, Wien 1919, 208. - In diese Darstellung fügt sich auch der Umstand, daß Scherer seinen "Grundriß" (1901) ohne vollen Namen drucken ließ, um so der Zensur zu entgehen.

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(1883) sowie Freiburg im Breisgau (1887) abgelehnt32 . Im Studienjahr 1888/89 war Scherer Rektor der Universität Graz.

Eine nicht unmaßgebliche Rolle spielte Scherer in der Spannung zwischen den Theologischen Fakultäten der Monarchie und den bischöflichen Ordinariaten bzw. der Österreichischen Bischofskonferenz und dem Heiligen Stuhl. Durch das Motu proprio "Sacrorum Antistitum" vom 1. 9. 191()33 und durch die am 25. 9. 1910 erfolgte Erklärung der Konsistorialkongregation34 wurden neue Überwachungsvorschriften hinsichtlich des theologischen Unterrichts erlassen, die nicht nur in einer jährlichen Ablegung des sog. Antimodernisteneides35 , sondern auch in einer Vorlage der Vorlesungsunterlagen gegenüber dem Bischöflichen Ordinariat und in einer Inspektion des Unterrichts bestehen sollten. In einer an die Bischofskonferenz gerichteten Zuschrift vom 30. 10. 191()36 zeigte zunächst die Theologische Fakultät der Universität Graz ihre Bedenken gegen die geplanten Maßregeln auf. Grundsätzlich stehe, so wird in dem vom Dekan der Grazer Fakultät, Anton Michelitsch, gezeichneten Dokument ausgeführt, den Bischöflichen Ordinariaten selbstverständlich die Überwachung des theologischen Lehrbetriebes zu. Aber schon der bloße Bestand dieser neuen detaillierten Verordnungen sei geeignet, selbst bei mildester Durchführung die Stellung der Theologischen Fakultäten an den Staatsuniversitäten ernstlich zu gefährden. Denn nicht bloß erklärte Kirchenfeinde, sondern auch gutgesinnte katholische Laien fänden diese Vorschrift mit dem akademischen Herkommen für unvereinbar, zumal ja nicht einmal für die katholischen Religionslehrer an Haupt- und Mittelschulen derartige Überwachungsvorschriften bestünden. Auf diese Weise entstehe zwangsläufig der Eindruck, daß die Theologischen Fakultäten Fremdkörper und daher auszu32 Schreiben der Theol. Fakultät Wien an das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht vom 28. 4. 1899. AVA, MfCuU 4, Theologie/Scherer, Zl. 1053/1899. 33 AAS 11 (1910) 655-680; OS 2145-2147. 34 Die Konsistorialkongregation hatte auf Anfrage am 25. 10. 1910 eine Erklärung über das MP "Sacrorum antistitum" abgegeben (AAS 11 (1910) 740 s.). U. a. wurde die Frage "An quotannis doctores in seminariis teneantur textum, quem sibi quisque in docendo proposuerit, vel tractandas quaestiones, sive theses, Episcopis exhibere, et ineunte anno iusiurandum dare" mit "affmnative" beantwortet. - In einem namentlich nicht gekennzeichneten Einleitungskommentar zur Wiedergabe des MP "Sacrorum antistitum" heißt es unter Berufung auf F. Heiner (Die Maßregeln Pius X. gegen den Modernismus, Paderborn 1910), daß die Maßregeln "nur zum Teil unsere deutschen und österreichischen Verhältnisse" beträfen. Und weiter wird ausgeführt: "Besonders werden die theologischen Fakultäten an den Universitäten Deutschlands und Österreichs sowie den anderen theologischen Lehranstalten kaum durch das Motu proprio berührt." AkKR 91 (1911) 110. 35 Dazu J. Pilz, LThK 21,640 s. 36 UA, ThDA 1910/11, Zl. 130.

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scheiden seien37 . Neuerdings werde auch in Tageszeitungen die Behauptung aufgestellt, diese die Theologischen Fakultäten betreffenden Bestimmungen seien mit der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar3 8. Die Eingabe der Grazer Fakultät an die Bischofskonferenz gipfelt in der Bitte, der Episkopat möge sich angesichts der schwierigen, an den Staatsuniversitäten obwaltenden Verhältnisse dahingehend verwenden, eine Modifikation der päpstlichen Dekrete für die Theologischen Fakultäten Österreichs zu erwirken. Es sei sowieso zweifelhaft, ob diese überhaupt unter den Begriff "seminarii professores"39 fallen. Die Wiener Theologische Fakultät hatte bereits ein mit 23. 10. 1910 datiertes Schreiben des fürsterzbischöflichen Ordinariates Wien erhalten, worin unter Berufung auf die päpstliche Weisung sämtliche Professoren zur Eidesleistung aufgefordert wurden, sowie zur Bekanntgabe der "Thesen, die alljährlich zum Vortrage kommen, resp. der zur Benutzung kommenden Lehrbücher" . Scherer bereitete für die Sitzungen des Fakultätskollegiums zwei Anträge vor, in denen er sich mit der Opportunität der geforderten Maßnahmen kritisch auseinandersetzte. Nach den Grundsätzen des "wenigstens bis jetzt geltenden Kirchenrechts", so heißt es in seinem ersten Antrag vom 3. 11. 191040 , dürfe und solle von den bereits durch Amtseid verpflichteten Inhabern einer kirchlichen Stelle, solange sie sich nicht gegen die "kanonische Obedienz" verfehlt haben, kein wiederholter Amtseid gefordert werden. Dasselbe gelte von der professio fidei, sofern dieselbe - wie bei den theologischen Professoren - den Charakter eines Amtseides aufweise. Das Professorenkolleg 37 In dem Schreiben weist Dekan Michelitsch darauf hin, daß die Theol. Fakultät Graz seit einer Reihe von Jahren vom Rektorat ausgeschlossen werde. Es sei ihr überdies unmöglich gewesen, an der nach einem Turnus von den Fakultäten der Universität Graz herausgegebenen Festschrift mitzuwirken. Denn Rektor und Senat hätten eine mit dem kirchlichen Imprimatur versehene Festschrift abgelehnt, und es sei der Theologischen Fakultät trotz ernstlichen Bemühens nicht gelungen, in Rom Nachsicht auch nur vom Aufdruck des Imprimaturs für das vorher der kirchlichen Zensur unterbreitete Werk zu erreichen. 38 Es wird hier offensichtlich auf Art. 17, 1 des Staats grundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus 1867 (RGBI. Nr. 142) Bezug genommen. "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei." 39 Hier wird ungenau zitiert, denn in der Erklärung der Konsistorialkongregation ist nicht von "seminarii professores" , sondern von "doctores in seminariis" die Rede. Cf. A. 34. 40 UA, ThDA 1910/11, ZI. 471.

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sei sich keiner Verfehlungen gegen den Amtseid bewußt; wäre dies der Fall, dann stünde der Einleitung eines kanonischen Verfahrens natürlich nichts im Wege. In einer konkret nicht motivierten, sondern allgemein angeordneten Wiederholung des Amtseides bzw. der oder einer neuformulierten professio fidei müsse aber das Professorenkollegium den Ausdruck eines nicht verdienten Mißtrauens erblicken und es bitte daher, von dieser Maßnahme Abstand nehmen zu wollen. - Das Gesagte gelte in gleicher Weise von der dem bisherigen Recht fremden Beschwörung einer einzelnen päpstlichen Entscheidung, im vorliegenden Falle der gegen den Modernismus gerichteten Enzyklika "Pascendi". Diese Enzyklika enthalte bekanntlich nicht nur eine Verurteilung glaubenswidriger Lehren und gewisser nicht völlig einwandfreier Methoden, sondern sie lege auch "eine erklekliche (sic!) Zahl von Präventivmaßnahmen" fest. Eine Beschwörung und eidliche Verpflichtung auf solche Disziplinarvorschriften sei dem kanonischen Recht fremd. Ein Eid könne nach seiner strengen Würdigung durch das kirchliche Recht nicht ununterschieden und in solidum auf den Glauben bezügliche Punkte und auf neue, jederzeit der Abänderung unterliegende Rechts- und Formvorschriften abgelegt werden. Abgesehen von diesen rechtlichen Bedenken weist Scherer auf den negativen Eindruck hin, der durch die" Abheischung" dieses Eides entstehen würde. Hierin decken sich seine Ausführungen weitgehend mit denen der Grazer Theologischen Fakultät. Auch außerhalb des Kreises der Theologischen Fakultät, so schreibt Scherer, würde die Vereidigung als Beweis der Minderwertigkeit der Theologischen Fakultät in den Augen der kirchlichen Behörde, als unverdiente Kränkung und als Bindung der wissenschaftlichen Tätigkeit der Fakultät und ihrer Mitglieder angesehen werden. Die beabsichtigte eidliche Verpflichtung scheine in methodologischer Hinsicht die Freiheit des einzelnen unnötig einzuschränken; Textkritik und geschichtliche Methode würden als etwas hingestellt, das besser vermieden werden müßte. Dadurch entstehe die Gefahr, daß der Bestand der Theologischen Fakultät als Teil der Universität angegriffen und das Ausscheiden dieser methodisch gebundenen, dem wahren wissenschaftlichen Betrieb entfremdeten Anstalt verlangt werde. Schließlich werde die genannte eidliche Verpflichtung der Theologieprofessoren von einer großen Anzahl von Mitgliedern der weltlichen Fakultäten dazu benutzt werden, die Eingliederung der Evangelisch-theologischen Fakultät in die Untersität Wien durchzusetzen. In einem zweiten, wesentlich kürzeren Antrag befaßt sich Scherer mit der ebenfalls vom fürsterzbischöflichen Ordinariat Wien geforderten Vorlage der Vorlesungsunterlagen bzw. der verwendeten Lehrbücher. Die Befolgung die-

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ser Aufträge, so heißt es in Scherers Antrag vom 4. 11. 191041 , sei dem Professorenkollegium insofern unmöglich, als eine Verpflichtung der Universitätsdozenten, ihren Vorlesungen ein bestimmtes Buch zugrundezulegen, in den derzeit zu Recht bestehenden Studienvorschriften nicht festgelegt erscheine. In der Frage fanden zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Sitzungen des Fakultätskollegiums statt, nämlich am 4. und 5. 11. 1910. Weder der eine noch der andere Antrag Scherers fand die erforderliche Mehrheit des Kollegiums. In einem an das Dekanat der Theologischen Fakultät gerichteten Schreiben vom 6. 10. 1910 bedauert Scherer, daß es ihm nicht möglich gewesen sei, seinen ersten Antrag42 als Beilage dem Sitzungsprotokoll anzuschließen und diesen "zur Kenntnis der hohen Unterrichtsverwaltung" zu bringen43 • Scherer fährt fort, daß der am 5. 11. 1910 eingebrachte Antrag von Prälat Schindler und Genossen "im Gegenstand dasselbe Petitum" enthalten habe wie sein eigener Antrag, allerdings mit wesentlich anderer Begründung, da jede meritorische Kritik des Dekrets "Sacrorum antistitum" vermieden worden sei. Scherer ersucht den Dekan, seinen Antrag in den Akten der Fakultät zu hinterlegen.

Auch der zweite Antrag Scherers vom 4. 11. 1910 gegen die Vorlegung der Vorlesungsunterlagen und Lehrbücher fand in der Sitzung vom 5. 11. 1910 keine Mehrheit des Fakultätskollegiums. Scherer meldete sofort ein Separatvotum an und übermittelte mit Schreiben vom 6. 11. dem Dekanat den Wortlaut seines Antrags. Die Begründung dieses Antrags, so führt er aus, sei in dessen Tenor gelegen. Mit bemerkenswerter Schärfe fährt Scherer fort, die Aufforderung des fürsterzbischöflichen Ordinariats Wien vom 13. 10. 1910 setze vormärzliche Zustände voraus; die Wiederherstellung eines solchen Lehrbetriebes auf österreichischen Universitäten werde hoffentlich nie gelingen44 . Wenngleich also ein Antrag der Wiener Theologischen Fakultät auf Erwirkung einer Befreiung von den päpstlichen Vorschriften an das Wiener fürsterzbischöfliche Ordinariat geleitet wurde und sich auch die Theologische Fakultät Prag diesem Wunsch anschloß (die Grazer Theologische Fakultät hatte, wie schon erwähnt, bereits am 30. 10. 1910 eine diesbezügliche Eingabe an die Bischofskonferenz verfaßt), schien die Lage zunächst festgefah41 UA, ThDA 1910/11, ZI. 472; cf. Beitrag Kovacs, 329-332 - m. A. 43. 42 Das ist der mit 3. 11. datierte. 43 = Anm. 41. 44 = Anm. 41.

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ren. Das Ordinariat Wien antwortete am 27. 11. 1910 dem Dekanat der Theologischen Fakultät Wien, es habe eine Kopie der Bitte der Fakultät dem Präsidium der Bischofskonferenz weitergeleitet. Die Bischofskonferenz sei jedoch zu dem Ergebnis gekommen, daß die von den drei Theologischen Fakultäten vorgebrachten Gründe nicht ausreichend seien, beim Heiligen Stuhl die Befreiung vom Eid und von der Vorlage des jährlichen Vortragsstoffes zu beantragen. Als Zeichen des Wohlwollens und Vertrauens gegenüber dem Professorenkollegium werde aber die Bischofskonfemez den Heiligen Vater bitten, daß die jährliche Wiederholung des Eides dem Ermessen der zuständigen Ordinarien überlassen werde45 . Von einer weiteren Stellungnahme Scherers zur gegenständlichen Frage ist nichts mehr aufzufinden. - Die Sache selbst nahm indes eine unvorhergesehene Wendung. In einem mit 6. 12. 1910 datierten Schreiben an das fürsterzbischöfliche Ordinariat Wien weist das Dekanat der Theologischen Fakultät Wien darauf hin, daß durch eine Erklärung des ·Osservatore Romano· vom 1. 12. 1910 der Beschluß der Bischofskonferenz vom 27. 10. d.J. über die Eidesleistung offensichtlich gegenstandslos geworden sei. Das Schreiben der Fakultät enthält keine nähere Begründung, da es beim Adressaten offensichtlich die genaue Kenntnis des Osservatore voraussetzt. In der Nummer des angeführten Datums enthält der Osservatore eine Mitteilung, wonach die katholischen Professoren an staatlichen Universitäten von der Verpflichtung zur Eidesleistung nicht erfaßt werden46 . Und um die Richtigkeit dieser Interpretation zu unterstreichen, fügt der Dekan hinzu, daß der geschäftsführende Uditore der Wiener Nuntiatur die Auffassung des Professorenkollegiums in bezug auf den Wegfall der Eidesleistung als den Intentionen des Heiligen Vaters entsprechend bezeichnet habe47 . 45 Das Schreiben des fürsterzbischöflichen Ordinariats Wien ist gezeichnet mit "Francisus, Erzbischof-Koadjutor". - Es handelt sich um Franz Nagl. UA, ThDA 1910/11, Zl. 520. 46 Die mit "Una pretesa esenzione dal giuramento antimodernista" betitelte Mitteilung im Osservatore vom 1. 12. 1910 berichtet zunächst von verschiedenen Unsicherheiten über die Ausdehnung des geforderten Antimodernisteneides. Pressemeldungen zufolge solle angeblich in Bayern der genannte Eid nicht gefordert werden, und dies aufgrund von Vorstellungen, die der Akademische Rat der Universität München und die Bayerische Staatsregierung beim Heiligen Stuhl erhoben hätten. - In Wirklichkeit sei beim Hl. Stuhl angefragt worden, ob sich der Eid nur auf Professoren der vom Episkopat abhängigen katholischen Universitäten erstrecke oder auch auf katholische Professoren staatlicher Universitäten. Und auf diese Frage habe Rom geantwortet, daß die Vorschrift "naturalmente" nur die erstgenannte Kategorie von Professoren erfasse. L'Osservatore Romano, 1. 12. 1910, Nr. 331 - (14 965) 1. 47 UA, ThDA 1910/11, Zl. 526.

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In die Zeit der Tätigkeit Scherers an der Universität Wien fallen mehrere Habilitationsgesuche bzw. zwei Prüfungen der kirchenrechtlichen Lehrbefähigung für Vortragende an Klosterlehranstalten. Noch in das Jahr des Amtsantritts Scherers, 1899, fällt ein Habilitationsansuchen von Dr. Ludwig Gaugusch, der als Habilitationsschrift "Der Irrtum als Ehehindernis" (Wien 1899) vorlegte. Scherer votierte negativ, wobei er vor allem in der Persönlichkeit des Habilitationswerbers gelegene Gründe geltend machte. Er, Scherer, habe aus dem persönlichen Umgang mit Gaugusch den Eindruck gewinnen müssen, daß die charakterlichen Eigenschaften des Bewerbers ihn für das akademische Lehramt ungeeignet erscheinen ließen48 . Positiv hingegen war das Gutachten, das Scherer in der Habilitationssache Dr. Franz Zehentbauer erstellte, der kurze Zeit nach seiner Habilitierung die nach Scherer vakant gewordene Lehrkanzel für Kirchenrecht supplieren mußte. Zehentbauer legt 1909 dem Professorenkollegium seine Habilitationsschrift "Das Kirchenrecht bei Bonifatius, dem Apostel der Deutschen"49 vor. Scherer würdigt in seinem am 10. 1. 1910 erstellten Gutachten die Vertrautheit des Verfassers mit den einschlägigen Quellen, wie auch dessen Geschick, die rechtlich bedeutsamen Momente aufzufmden, zu würdigen und in eine organische Einheit zu bringen50 . Zehentbauer erhielt am 31. 1. 1910 die venia docendi für Kirchenrecht5 !. Zwei weitere Gutachten Scherers befassen sich mit den von Pater Tecelin Neubauer, Zisterzienser in Heiligenkreuz, bzw. Dr. Ferdinand Schönsteiner, Kapitular des Stiftes Klostemeuburg, vor dem fürsterzbischöflichen Ordinariat Wien abgelegten Klausurarbeiten für den Erwerb der Lehrbefugnis an den betreffenden Klosterlehranstalten. Beide Gutachten Scherers waren positiv52 . Es war Scherer nicht gegönnt, sein akademisches Lehramt bis zur Emeritierung auszuüben. Ob es tatsächlich die noch nicht gänzlich behobenen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit dem Antimodemisteneid waren, wie Hollnsteiner meint53 , oder ob die von Scherer selbst vorgebrachte Begründung, nämlich seine angegriffene Gesundheit, maßgebend für das vorzeitige

48 Schreiben Scherers vom 5. 12. 1899, UA, ThDA 189911900, ohne Zl. 49 Wien 1890, VII und 140 Seiten. 50 UA, ThDA 1909/10, Zl. 113. 51 UA, ThDA 1909/10, Zl. 715. 52 Das Gutachten für Neubauer stammt vom 1. 7. 1905, das für Schönsteiner vom 24.6. 1908. UA, ThDA 1904/05, ohne Zl. und ThDA 1907/08, ohne Zl. 53 J. Hollnsleiner, Scherer, Rudolfvon, in: LThK IX, 244 s.

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Ausscheiden aus dem akademischen Lehramt waren, läßt sich gegenwärtig nicht erweisen. Jedenfalls suchte Scherer, der neben zahlreichen kirchlichen und weltlichen Auszeichnungen auch Wirkliches Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften war, vorzeitig um Pensionierung an und beendete mit dem Studienjahr 1911/12 seine Lehrtätigkeit. Er starb am 21. 12. 1918. In einem Nachruf bezeichnet ihn sein Schüler und Nachfolger an der Theologischen Lehrkanzel in Graz, Johann Haring, mit Recht als "einen der größten Kanonisten der Gegenwart"54. Die Supplierung der so überraschend vakant gewordenen Lehrkanzel übernahme Franz Zehentbauer, der seit dem WS 1910/11 jeweils eine einstündige Vorlesung angeboten hatte55 . Für das WS 1912/13 hatte noch Scherer die sechsstündige Hauptvorlesung "Quellen und System des Kirchenrechts" angeboten, während Zehentbauer eine einstündige Vorlesung über das kirchliche Vermögensrecht angekündigt hatte56 . Zehentbauer ließ aber dann seine angekündigte einstündige Vorlesung entfallen und übernahme an ihrer Stelle die sechsstündige Hauptvorlesung Scherers57 , nachdem er am 5. 10. 1912 vom Ministerium mit der Supplierung der Lehrkanzel beauftragt worden war5 8 .

DI. Eduard Eichmann (1870-1946) Die mit der Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Kirchenrecht betraute Kommission, bestehend aus den Professoren Schindler, Swoboda und Wolfsgruber5 9 , richtete ihr Augenmerk gleich in der ersten Sitzung am 13. 11. 1912 auf die Vertreter des Kirchenrechts an den Universitäten Prag, Graz und Wien. 54 Haring in seinem Nachruf rur Scherer (Anm. 19). 4. Cf. auch K. von Hohenlohe, RudolfRitter von Scherer, in: AkKR 99 (1919) 117-121. Hohenlohe läßt in diesem Nachruf bei aller Wertschätzung der gewaltigen wissenschaftlichen Leistung Scherers doch auch deutlich die Kritik anklingen, die mehrfach gegen Scherers kanonistisches Grundkonzept erhoben wurde. Er sei im "Banne der historischen Rechtsschule" gestanden und habe dem Rechtspositivismus gehuldigt. Damit habe er sich aber in Gegensatz zu den Grundlagen christlicher Rechtsphilosophie gesetzt. 55 Vorlesungsverzeichnis der Theologischen Fakultät der Universität Wien. 56 Vorlesungsverzeichnis WS 1912/13,4. 57 Handschriftliche Änderung im vorhin erwähnten Vorlesungsverzeichnis WS 1912/13. 58 Ministerium rur Cultus und Unterricht ZI. 43 086. Cf. UA, ThDA 1911112, ZI. 1893. 59 Bericht der Kommission zur Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Kirchenrecht vom 29. 1. 1913. UA, ThDA 1912/13, ZI. 637.

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Dozent Zehentbauer hatte am 15. 12. 1912 der Fakultät ein Gesuch um "Berücksichtigung bei der Erstattung eines Vorschlages für die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Kirchenrecht" überreicht60 . Bei Haring (Graz) wurde angefragt, ob er bereit sei, den Lehrstuhl nach seinem Lehrer zu übernehmen. Haring erbat sich am 24. 12. 1912 zunächst Bedenkzeit6 1, gab aber schon am 8. 1. 1913 die Erklärung ab, daß er die Angelegenheit mit seinem Bischof besprochen habe. Dieser würde ihn nur ungern nach Wien ziehen lassen und außerdem würde es auch ihm persönlich schwerfallen, Graz zu verlassen62 . Somit richtete sich das Augenmerk der Kommission auf den seit 1905 in Prag lehrenden Eduard Eichmann, der sich bereits eines ausgezeichneten wissenschaftlichen Rufes erfreute. Seine erste größere wissenschaftliche Arbeit "Der recursus ab abusu nach deutschem Recht"63 deutet schon die Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit an, nämlich die Darstellung der Beziehungen von Kirche und Staat. Hierbei kam Eichmann, der ebenso wie sein Vorgänger das theologische und juristische Studium absolviert hatte (1904 Dr. jur., München; 1909 Dr. theol., Freiburg im Breisgau), die gründliche juristische und rechtsgeschichtliche Ausbildung zugute. Auch die 1909 erschienene Arbeit "Acht und Bann nach dem Reichsrecht des Mittelalters"64 weist ihren Verfasser als einen in der historischen Kanonistik und Germanistik gleichermaßen versierten Fachmann aus. Neben anderen wissenschaftlichen größeren und kleineren Abhandlungen hatten vor allen Dingen Eichmanns Studien über die Kaiserkrönung im Mittelalter65 sowie auch einige Aufsätze über 60 VA, ThDA 1912/13, Zl. 125.

61 Schreiben Harings an die Theologische Fakultät Wien: VA, ThDA 1912/13, Zl. 637. 62 Ebd. 63 Breslau 1903. 64 Publikationen der Görres-Gesellschaft XY1/157. Paderbom 1909. 65 Die Ordines der Kaiserkrönung: ZRG/KA 32 (1911) 160-194; Die rechtliche und kirchenpolitische Bedeutung der Kaisersalbung im Mittelbalter, FS für Georg von Hertling, hrsg. v. d. Görresgesellschaft, Kempten 1913, 263-271. Mit diesem Thema beschäftigte sich Eichmann später noch des öfteren: Studien zur abendländischen Kaiserkrönung. I. Die Beteiligung der lateranensischen Bischöfe: HJ 39 (1918/19) 714-730; Der Kaiserkrönungsordo "Cencius n": Miscellanea Francesco Ehrle 1924, n, 322-337; Studien zur Geschichte der abendländischen Kaiserkrönung: JH 45 (1925) 21-56; Königs- und Bischofsweihe: SAM 1928, 6. Abhdl.; Eine deutsche Kaiserkrönung im hohen Mittelalter, rechts- und liturgiegeschichtlich dargestellt: Cath 5 (1936) 105 bis 125; Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 2 Bde., Würzburg 1942; Weihe und Krönung des Papstes im Mittelalter. Aus dem Nachlaß hrsg. v. K. Mörsdorf (MThSt. III/1.), München 1951.

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das systematische Kirchenrecht66 die Aufmerksamkeit der Fachwelt erregt. Seine Vorliebe für Quellenstudien zu staatskirchenrechtlichen Problemen zeigt die 1912 in Angriff genommene "Quellensammlung zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht"67, die sich heute noch im Unterricht sowohl der Theologen wie auch der Juristen als brauchbares Quellenwerk erweist. Der Besetzungsvorschlag der Fakultät lautete daher: primo loco Eduard Eichmann, secundo loco Franz Zehentbauer68 • Mit Allerhöchster Entschließung vom 25. 3. 1913 wurde Eichmann zum Ordinarius in Wien berufen; mit Schreiben vom 2. 4. 1913 setzte er das Theologische Dekanat in Wien in Kenntnis, daß er am 9. oder 10. 4. in Wien eintreffen werde. Als Tag seiner Antrittsvorlesung schlug er den 19. oder 21. 4. 1913 vor6 9. Das von Eichmann noch im SS 1913 neben der sechsstündigen Hauptvorlesung angekündigte und abgehaltene Seminar zeigt den Schwerpunkt seiner rechtshistorischen Forschungsarbeiten an, nämlich die Kaiserkrönungsordnungen, das im folgenden WS 1913/14 unter dem Titel "Kaiserkrönungsrecht" fortgesetzt wurde70 . Bis zum SS 1916 ist das kirchenrechtliche Seminar Eichmanns immer wieder der Kaiserkrönung gewidmet. Erst ab dem WS 1916/17 finden wir einen Wechsel in der Thematik, die aber ausschließlich auf rechtshistorischen Fragen konzentriert bleibt. Es setzt eigentlich in Erstaunen, daß der am Pfmgsttag 1917 promulgierte Codex Iuris Canonici im Vorlesungsprogramm der Theologischen Fakultät anscheinend keinen besonderen Niederschlag gefunden hat. Erst im Sommersemester 1918 finden wir ein von Privatdozent Zehentbauer angekündigtes Konversatorium "Eherecht mit Zugrundelegung des neuen Codex Iuris Canonici". Das kirchenrechtliche Seminar Eichmanns ist auch in diesem Semester einer rechtshistorischen Frage gewidmet7). Auch im literarischen Schaffen Eichmanns während seiner Wiener Zeit hat der CIC von 1917 noch keinen Widerhall gefunden. Und dies, obwohl das Gesetzbuch sofort nach seinem Erscheinen auf das breite Interesse nicht nur 66 Eherechtsrefonn in Österreich?: Die Kultur 7 (1906) 129-140; Pius X. und Frankreich, ebd. 8 (1907) 1-19; Theologie und Universität, ebd. 9 (1908) 385-393. 67 Fotomechanischer Nachdruck 1969. 68 Schreiben der Theologischen Fakultät Wien an das Ministerium vom 7. 2. 1913. UA, ThDA 1912/13, Zl. 637. 69 UA, ThDA 1912/13, Zl. 925. 70 Vorlesungsverzeichnis SS 1913 - WS 1913114. 7) Vorlesungsverzeichnis WS 1917/18.

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der katholischen, sondern auch der protestantischen Fachwelt stieß72. Erst ab dem Jahre 1920 befaßt sich Eichmann mit kleineren und größeren Partien des Gesetzbuches73, was bereits Vorarbeiten zu seinem späteren Lehrbuch74 darstellte. Das Jahr 1918 brachte wieder einen Wechsel in der Besetzung der kirchenrechtlichen Lehrkanzel an der Theologischen Fakultät. Am 27. 2. 1918 erhielt Eichmann ein Schreiben des bayerischen Kultusministers, worin ihm die Nachfolge des verstorbenen Professors Heinrich M. Gietl an der Universität München angetragen wurde. In seinem Brief an die k.k. Unterrichtsverwaltung vom 5. 3. 1918 weist Eichmann u. a. darauf hin, daß es ihm ein Bedürfnis sei, "nach fast dreizehnjähriger Lehrtätigkeit im österreichischen Staatsdienste noch dem Heimatstaate Bayern meine bescheidenen Dienste zu leihen und in die bayerische Heimat zurückzukehren "75. Durch Allerhöchste Entschließung vom 29. 3. 1918 wurde Eichmann mit Ende März 1918 seiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien enthoben76. Das Wintersemester 1917/18 war somit das letzte Semester, in dem Eichmann in Wien Vorlesungen hielt; im Sommersemester 1918 supplierte bereits Privatdozent Zehentbauer die kirchenrechtliche Hauptvorlesung77.

72 So veröffentlichte Ulrich Stutz bereits 1917 einige Monographien zu Teilproblemen des neuen CIC, die 1918 in sein Buch "Der Geist des Codex luris Canonici. Eine Einführung in das auf Geheiß Papst Pius X. verfaßte und von Papst Benedikt XV. erlassene Gesetzbuch der katholischen Kirche" KRA 92. und 93. Heft. Stuttgart 1918 Eingang fanden. - Im Jahre 1918, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des CIC erschien eine ganze Reihe von Monographien bzw. Gesamtdarstellungen des neuen Kirchenrechts, so A. Knecht, Das neue kirchliche Gesetzbuch, Straßburg 1918; E. Göller, Das Eherecht im neuen kirchlichen Gesetzbuch, Freiburg/Br. 1918; H. Henrici, Das Gesetzbuch der katholischen Kirche, Basel 1918; A. Scharnagi, Das neue kirchliche Gesetzbuch, München 1918. 73 Das Strafrecht des Codex luris Canonici, Paderborn 1920; Das katholische Mischehenrecht nach dem Codex luris Canonici, Paderborn 1921; Das Prozeßrecht nach dem Codex luris Canonici, Paderborn 1921. 74 Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex luris Canonici, Paderborn 11923, 21926, 31930, 41934. - Das Lehrbuch wurde von Mörsdorf fortgesetzt und liegt gegenwärtig in 11. Aufl. vor. 75 Handschriftliches Schreiben Eichmanns an das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht vom 5.3.1918. AVA, MfCuU 4, Theologie/Eichmann, Zl. 7820/1918. 76 Entschließung von Kaiser Karl vom 29. 3. 1918. AVA, MfCuU 4, Theologie/Eichmann, Zl. 7820/1918. 77 Vorlesungsverzeichnis Universität Wien SS 1918 (Handschriftliche Einsetzung des Namens von Zehentbauer anstelle von Eichmann). 5 Primetshofer

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IV. Konstantin (Prinz) Hohenlohe-Schillingsfürst (1864-1942) Überraschend schnell erfolgte nach dem Weggang Eichmanns die Neubesetzung der kirchenrechtlichen Lehrkanzel. Zunächst übernahm Privatdozent Dr. Zehentbauer auch jetzt - im Sommersemester 1918 - wie schon nach dem Ausscheiden Scherers (1912) die Supplierung der kirchenrechtlichen Hauptvorlesung 78 . Er scheint sich nach einem erstmaligen Versuch im Jahre 191279 nun nicht mehr um das Ordinariat für Kirchenrecht beworben zu haben. Und dies, obwohl er als Privatdozent in den vergangenen Semestern regelmäßig Lehrveranstaltungen angekündigt hatte, die er ab dem Wintersemester 1918/19 noch erheblich steigerte80 . In der Fakultätssitzung vom 24. 6. 1918 wurde mehrheitlich beschlossen, aequo loco Konstantin von Hohenlohe-Schillingsfürst OSB (Rom) und Dr. Alois Schmöger (St. Pölten) vorzuschlagen. Gleichzeitig wurde das Ministerium ersucht, Dr. Zehentbauer zum a. o. Universitätsprofessor zu ernennen bzw. ihm den Titel eines a. o. Universitätsprofessors zu verleihen und ihm einen Lehrauftrag für positives Kirchenrecht zu erteilen81 . Philipp (Prinz) Hohenlohe-Schillingsfürst wurde 1864 in Wien geboren und absolvierte hier das juristische Studium. Danach war er acht Jahre lang an verschiedenen Orten im staatlichen Verwaltungsdienst beschäftigt. 1896 schied er freiwillig aus dem Staatsdienst und trat in die Benediktinerabtei Seckau (Steiermark) ein, wo er den Ordensnamen Konstantin erhielt. Nach weiteren Studien in Löwen wurde er 1907 als Professor für Rechtsphilisophie und Römisches Recht an die Benediktinerhochschule Anselmianum in Rom berufen. Im Jahre 1918 hatte Hohenlohe bereits ein breites Spektrum an wissenschaftlicher Tätigkeit aufzuweisen. Historische und rechtshistorische Arbeiten82 waren ebenso vertreten wie rechtssystematische und rechtsphilosophische Untersuchungen 83 .

78 Mit Schreiben des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 23. 4. 1918 an das Dekanat der Theol. Fakultät wurde Zehentbauer zum Supplenten für Kirchenrecht für das SS 1918 bestellt. UA, ThDA 1917/18, Zl. 702. 79 Siehe oben und Anm. 58. 80 Zehentbauer kündigte im WS 1918/19 und im SS 1919 je fünf Stunden an, davon je eine Stunde österreichisches bzw. ungarisches Staatskirchenrecht. 81 VA, ThSP 1917/18, Zl. 937.

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Während der Zeit seiner Ausbildung in Löwen war Hohenlohe Schüler von de Becker, der an der Kodifikation des kanonischen Rechts mitarbeitete und auch Hohenlohe an seinen Arbeiten am neuen Codex teilnehmen ließ. Hohenlohe soll im Rahmen des Seminars bei Becker ein Schema über das Recht der Pfarrer ausgearbeitet haben84 . Die Rechtsphilosophie wird als besonderer Schwerpunkt im Schaffen Hohenlohes hervorgehoben85 , was auch auf die künftige Stoffverteilung im Fach Kirchenrecht seinen Einfluß haben sollte. Denn die Fakultät beantragte - wie schon erwähnt - gleichzeitig mit der Ernennung Hohenlohes zum Ordinarius auch eine außerordentliche Professur für Privatdozent Zehentbauer oder zumindest den Titel eines a. o. Professors für Zehentbauer mit einem Lehrauftrag. Hohenlohe sollte nämlich mehr die rechtsphilosophische Seite des Kirchenrechts, Zehentbauer hingegen dessen positiv-rechtliche Bezüge vortragen. In diesem Sinne hatte sich auch Fürsterzbischof Piffl von Wien geäußert, daß Hohenlohe und Zehentbauer "in ihrer Tätigkeit jene glückliche Ergänzung bilden würden, welche ein volles Erfassen des für die praktische Seelsorge hochwichtigen Lehrgegenstandes den Theologiestudierenden ermöglichen könnte"86. Am 27. 9. 1918 wurde Hohenlohe zum Ordinarius ernannt, Zehentbauer erhielt den Titel eines a. o. Universitätsprofessors und zugleich für das Studienjahr 1918/19 einen remunerierten Lehrauftrag87 .

82 Das Wiener Provinzialkonzil: Die Kultur 1905; Schönbom Karl, Bischof von Bamberg (1674-1746). Eine biographische Skizze, 1906; Introductio in studium iuris Romani,1911. 83 So insbesondere: Gründe der Schadenersatzpflicht in Recht und Moral, Regensburg 1914; Beiträge zum Einfluß des kanonischen Rechts auf Strafrecht und Prozeßrecht, 1918. 84 So der Bericht des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 11. 9. 1918. AVA, MfCuU 4, Theologie/Hohenlohe, Zl. 34561/1918. 85 Dies erwähnt der Bericht des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 8. 8. 1918 (Zl. 31 356) als Meinung des Professorenkollegiums unter Berufung auf eine mündliche Mitteilung von Dekan Swoboda. AVA, MfCuU 4, TheologielHohenlohe, Zl. 31 356/1918. 86 Bericht des Ministeriums vom 8. 8. 1918, AVA ebd. 87 UA, ThDA 1917/18, ZKL. 702.

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Die geplante Ergänzung der beiden Kanonisten an der Theologischen Fakultät sollte indes nicht von langer Dauer sein, da Zehentbauer schon ab dem WS 1919/20 die moraltheologische Hauptvorlesung übernehmen mußte und dann zum Ordinarius dieses Faches ernannt wurde. Hohenlohe kündigte ab dem WS 1918/19 immer wieder eine einstündige Vorlesung über christliche Rechtsphilosophie an 88 , er mußte aber nach der Übersiedlung Zehentbauers in die Moraltheologie auch das gesamte systematische Kirchenrecht übernehmen. Das Staatskirchenrecht, das Zehentbauer - wie schon gezeigt - im Rahmen seines Lehrauftrages in relativ breitem Umfang vertreten hatte, verschwand nunmehr fast völlig aus dem Vorlesungsverzeichnis der Theologischen Fakultät. Nur im WS 1926/27 kündigte Hohenlohe ein einstündiges Kolleg "Österreichisches Staatskirchenrecht" an und erst nach sieben Jahren, im WS 1933/34 (Hohenlohe war in diesem Studienjahr Dekan), scheint im Vorlesungsverzeichnis ein höchst aktuelles Thema auch staatskirchenrechtlichen Inhalts auf, nämlich das zweistündige kirchenrechtliche Seminar Hohenlohes "Das österreichische Konkordat"89. Die von Hohenlohe ab dem WS 1918/19 angekündigten Seminarthemen lassen deutlich seine Forschungsschwerpunkte erkennen. U. a. ging es ihm um eine Darstellung der Einflußnahme des Christentums auf Modelle des römischen bzw. germanischen Rechtskreises und von da auf die modemen Kodifikationen. Unverkennbar ist er in dieser Beziehung von den Grundsätzen der damaligen österreichischen Juristenausbildung geprägt, die - freilich nicht immer mit gleichbleibendem Erfolg - die Rechtsgeschichte als Bindeglied für ein vertieftes Verständnis des geltenden (staatlichen) Rechts ansah. Im SS 1919 kündigt Hohenlohe ein zweistündiges Seminar "Das römische Recht in seinen Beziehungen zum Kirchenrecht" an, im WS 1919/20 "Die Lehre des kanonischen Rechts über die moralische Person" und ebenso im SS 1920 über fast dasselbe Thema. Im WS 1922/23 und im SS 1923 hält Hohenlohe ein Seminar über den "Einfluß des kanonischen Rechtes auf die Entwicklung des Strafrechtes", ein Thema, dem auch eine Publikation Hohenlohes gewidmet ist90 . Im WS 1923/24 lautet das Seminarthema "Kirchenrecht und Staatsrecht". Ab dem WS 1922/23 kündigt Hohenlohe mehrmals eine einstündige Vorlesung "Die soziale Frage" an. Vom SS 1932 bis zum SS 1933, also durch drei Semester hindurch, ist das kirchenrechtliche Seminar Hohenlohes dem Thema seiner 1932 erschienenen 88 Vorlesungsverzeichnisse der Universität Wien. 89 Vorlesungsverzeichnis Universität Wien WS 1933/34. 90 Beiträge zum Einfluß des kanonischen Rechts auf Strafrecht und Prozeßrecht,

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Publikation "Das Kirchenrecht der 'Lex Baiuvariorum'" (Wien 1932) gewidmet. Der 1917 promulgierte Codex Iuris Canonici, den Hohenlohe vom Beginn seiner Lehrtätigkeit (WS 1918/19) offenbar zur Grundlage seiner Vorlesungen über das systematische Kirchenrecht genommen hatte, ist in seinem wissenschaftlichen Oeuvre nur mit einer einzigen größeren Arbeit ausgewiesen. 1921 erschien die Arbeit "Das Prozeßrecht des Codex Iuris Canonici". In seinen weiteren wissenschaftlichen Arbeiten schlägt deutlich die Frucht seiner jahrelangen Beschäftigung mit dem römischen Recht zu Buche, so etwa in dem Werk "Ursprung und Zweck der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum" (1935) und insbesondere in "Einfluß des Christentums auf das Corpus Iuris Civilis. Eine rechtshistorische Studie zum Verständnis der sozialen Frage" (Wien 1937). Bisweilen scheint bei Hohenlohes Bemühungen, den Einfluß des Christentums auf weltliche Rechtsordnungen aufzuzeigen, der apologetische Eifer über exakte, auf gediegener Quellenkenntnis aufbauende Gründlichkeit gesiegt zu haben. So stieß die insbesondere in den beiden letztgenannten Arbeiten hervortretende Methode, zunächst eher programmatische Ideen ohne ausreichende quellenmäßige Absicherung vorzutragen, auf ernste Kritik91 , und es wurde ihm auch der Vorwurf gemacht, er setze sich in seinen Ausführungen "kühn ... über jede stoffgebundene Arbeitsweise hinweg"92. In einer Replik auf kritische Rezensionen der beiden genannten Werke erläutert Hohenlohe seine Arbeitsweise und führt u. a. aus, daß vor der "stoffgebundenen Quellenarbeit" eine "ganze Fülle sich stets verdichtender Indizien, eine ganze Kette aprioristischer Gedanken "93 stünde. Er habe, so führt Hohenlohe aus, seinen Hörern im kirchenrechtlichen Seminar immer wieder eingeprägt, bei der wissenschaftlichen Arbeit handle es sich im vorhinein um die wissenschaftliche Idee. "Es kommt der Augenblick, wo die Quellen sich gleichsam beugen müssen. Nicht in dem Sinne natürlich, daß man aprioristische Ideen in die Quellen hineinliest, aber in dem Sinne, daß wir oft schon erklügelt haben, was diese Quellen enthalten müssen, bevor wir sie noch zur Hand genommen "94. - Was ihn in der Arbeitsmethode von den 91 So F. Leifer in der Besprechung von Hohenlohes "Einfluß des Christentums auf das Corpus iuris civilis": ZÖR NF 17 (1937) 531-537. 92 Leifer, ZÖR NF 16 (1936) 533 ss. 93 K. von Hohenlohe, Noch einmal Ursprung und Zweck der Collatio Mosaicarum et Romanarum legum, in: AkKR 119 (1939) 354 s. 94 Ebd. 355.

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Romanisten trenne, sei die "philosophische Art, die von Ideen ausgehend, an die Quellen herantritt gegenüber der vorzugsweise induktiven Methode der historischen Rechtsschule" . Diese sei "induktiv bis zum Exzesse" und bleibe in ihrer Stoffgebundenheit "bisweilen auf unfruchtbaren Sandbänken sitzen, während sie uferlos auf dem Meere der Quellen hintreibt"95. In die Zeit Hohenlohes fallen Zwei Habilitierungen, die von Johannes Hollnsteiner und von Franz Arnold. Beide sollten hintereinander den kirchenrechtlichen Lehrstuhl der Theologischen Fakultät innehaben. Johannes Hollnsteiner hatte schon im Jahre 1925 von der Kath.-theol. Fakultät Wien die venia legend i für Kirchengeschichte erlangt. Im Jahre 1931 suchte er um die Ausdehnung seiner venia auf das Fach Kirchenrecht an, wobei er eine Reihe von rechtshistorischen Arbeiten als Habilitationsschriften vorlegte96 . Begutachter der Habilitationsschriften Hollnsteiners waren Hohenlohe und Zehentbauer. Beide Gutachten hoben die Verdienste Hollnsteiners um die Kirchengeschichte und auch um das Kirchenrecht hervor. Interessant am Gutachten Hohenlohes ist, daß er zunächst bemerkt, es sei jedenfalls zu begrüßen, wenn ein begabter und erfolgreicher Quellenforscher für das Kirchenrecht gewonnen werden könne. Wenn ein Historiker zum Kirchenrecht komme, so könnte als Bedenken höchstens vorgebracht werden, daß er durch die fortgesetzte Beschäftigung mit den Werken der Protestanten, ja "durch die rein historische Einstellung überhaupt an prinzipieller orthodoxer Auffassung gelitten haben könnte"97. Bei Hollnsteiner sei aber eine solche Gefahr nicht gegeben, denn er habe sich, so fährt Hohenlohe fort, mit dem ganzen Gewicht seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit öffentlich für die jüngst veröffentlichte Schrift Hohenlohes "Grundlegende Fragen des Kirchenrechts" (1931) eingesetzt. Und in diesem Buche sei "so ziemlich alles enthalten, was

95 Ebd. 355. 96 Es waren dies: Acta Concilii Constantiensis, Bd. 2 (547-785); Das Konstanzer

Konzil in der Geschichte der christlichen Kirche, Ergänzungsband der MIÖG 11 (1929) 395-420; Studien zur Geschäftsordnung am Konstanzer Konzil: Festgabe für Heinrich Finke, 240-256; König Siegismund auf dem Konstanzer Konzil: MIÖG 41 (1933) 185-200; Sacrum Imperium: HJ 49 (1929) 575-603. 97 Gutachten Hohenlohes vom 22. 10. 1931, AVA BMfU 4, Theologie/Hollnsteiner, Zl. 35795-1/1931.

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an orthodoxer kirchenrechtlicher Auffassung moderner philosophischer und rechtsgeschichtlicher Forschung entgegensteht"98. Am 24. 11. 1931 wurde die venia Hollnsteiners für Kirchenrecht vom Unterrichtsministerium bestätigt99 .

Noch im WS 1931/32 supplierte Hollnsteiner die sechsstündige kirchenrechtliche Hauptvorlesung. Daneben hatte er noch drei Stunden Kirchengeschichte zu lesen, so daß er in diesem Wintersemester auf insgesamt neun Wochenstunden kam 100. Von da an ist Hollnsteiner in jedem Semester mit einer einstündigen kirchenrechtlichen Vorlesung vertreten. Im SS 1934 und ebenso im WS 1934/35 suppliert er die sechsstündige kirchenrechtliche Hauptvorlesung lOI • Franz Amold hatte am 19. 2. 1934 bei der Kath.-theologischen Fakultät Wien sein Habilitationsansuchen eingereicht. Als Habilitationsschrift legte er vor: "Das Diözesanrecht bei Hinkmar von Reims"102. Schon kurze Zeit nach Einreichung der Habilitationsschrift schied Hohenlohe aus dem akademischen Lehramt aus, so daß der gegenüber dem Habilitationswerber um zwei Jahre jüngere Hollnsteiner das Verfahren weiterführen mußte. Hollnsteiner selbst hat jedoch über die Habilitationsschrift Amolds kein Gutachten erstellt; die drei im Fakultätsarchiv aufliegenden Gutachten stammen von Hohenlohe, Tomek und Zehentbauer. Am 23. 3. 1935 wurde Amold die venia docendi für Kirchenrecht erteilt, am 16. 4. 1935 wurde sie vom Ministerium bestätigt I 03 .

Ab dem WS 1935/36 fmden wir Amold mit einer ein- bis dreistündigen Vorlesung zu verschiedenen Themen des systematischen Kirchenrechts vertreten, wobei auffallend oft das Ordensrecht erscheint (nämlich im WS 1935/36, WS 1936/37, SS 1937, WS 1937/38, SS 1938). 98 Gutachten Hohenlohes, ebd. - Es sei indes nicht, so hebt Hohenlohe hervor, individuelle Befriedigung über gespendetes Lob, sondern es seien lediglich sachliche Erwägungen, die ihn bestimmten, auch diesen Umstand zu erwähnen. 99 Schreiben des BM rur Unterricht an das Theologische Dekanat vom 24. 11. 1931, AVA, BMfU 4, Theologie/Hollnsteiner, Zl. 401/1931/32. 100 Vorlesungsverzeichnis Universität Wien WS 1931/32. 101 Vorlesungsverzeichnis Universität Wien SS 1934 und WS 1934/35. 102 UA, ThDA 1933/34, Zl. 704. 103 UA, ThDA 1934/35, Zl. 749.

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Das Jahr 1938 sollte für Amold das vorläufige Ende seiner Lehrtätigkeit an der Wiener Theologischen Fakultät bedeuten. Hohenlohe war im Studienjahr 1933/34 Dekan. Er wurde zur allgemeinen Überraschung mitten in seinem Dekanatsjahr vom Bundesministerium für Unterricht in den dauernden Ruhestand versetzt und schied mit Ende März 1934 aus dem akademischen Lehramt l04 . Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 13. 12. 1934 wurde Hollnsteiner zum Ordinarius für Kirchenrecht ernannt 105 . 104 BM für Unterricht, Zl. 6167/1/34. Das Schreiben des Ministeriums beruft sich auf das Gesetz vom 9. 4. 1870 (RGBl. Nr. 47). Dieses enthält zwar in § 3 die Bestimmung, daß ein Professor mit Vollendung des 70. Lebensjahres in den Ruhestand zu versetzen sei, legt aber gleichzeitig fest, daß es dem Minister des Unterrichts vorbehalten bleibe, "soweit es das Interesse des fortlaufenden Unterrichts erfordert", den defmitiven Eintritt in den Ruhestand erst mit Amtsantritt seines Nachfolgers, spätestens am Schlusse des nächstfolgenden Jahres in Wirksamkeit zu setzen. - Für die so plötzliche Abberufung Hohenlohes während des laufenden Semesters, noch dazu während des Dekanatsjahres, müssen wohl andere Gründe maßgebend gewesen sein. Wenn man einem handschriftlichen Promemoria von Dekan Ernst Tomek aus dem Jahre 1942 Glauben schenken darf, scheint Hollnsteiner an der raschen Pensionierung seines Vorgängers nicht unbeteiligt gewesen zu sein. Tomek berichtet in diesem Promemoria folgendes: "Im Verlauf einer Vorsprache des gefertigten Dekans bei Seiner Magnifizenz dem Herrn Rektor Dr. Fritz Knoll wegen Hissung der Trauerfahne für den am 27. Juli 1942 gestorbenen o. Prof. i. R. Dr. Konstantin Hohenlohe kam auch die Rede auf den Nachfolger Hohenlohes, o. Prof. Dr. Johannes Hollnsteiner. Die Mitteilungen des Dekans über Letzteren schienen dem Rektor so wichtig, daß er befahl (im Original unterstrichen), diese in einem Promemoria für die Zukunft, die später einmal nichts von diesem Fall wissen werde, festzuhalten und dem Personalakt Hollnsteiner beizulegen. Vorsprache des Dekans und Auftrag des Rektors erfolgte am 1. August 1942 in der Rektoratskanzlei. Hollnsteiner war deIjenige, der die Versetzung Hohenlohes in den Ruhestand im Ministerium für Unterricht durchsetzte, obwohl Hohenlohe in diesem Jahre 1933/34 Dekan der Kath.-theol. Fakultät war und der Rektor dieses Jahres, der Schreiber dieses Promemorias Prof. Tomek, im Ministerium Verwahrung gegen die Pensionierung Hohenlohes einlegte, weil er jede Stimme im damaligen Akademischen Senat notwendig brauchte. Trotzdem gelang es Hollnsteiner dank seiner Beziehungen zum damaligen Unterrichtsminister Dr. Kurt Schuschnigg durchzusetzen, daß Dekan Hohenlohe während des Jahres pensioniert wurde. Hollnsteiner, der vorher Privatdozent für Kirchengeschichte gewesen war, hatte beim Herannahen des 70. Lebensjahres Hohenlohes seine Privatdozentur auf Kirchenrecht erweitern lassen, obwohl er einen Dauer-Lehrauftrag für Kirchengeschichte hatte. So erlangte Hollnsteiner seine sofortige Ernennung zum Ordinarius für Kirchenrecht." Akten d. Kath.-theol. Dekanats, Personalakt Hollnsteiner, ohne Zl. lOS UA, ThDA 1934/35, Zl. 410.

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v. Johannes Hollnsteiner (1895-1971) Wie schon erwähnt, kam Hollnsteiner von der Kirchengeschichte zum Kirchenrecht. Der schon in sehr jungen Jahren literarisch Tätige lO6 und glänzend Begabte, der 1914 in das Chorherrenstift st. Florian (Oberösterreich) eingetreten war, hat leider nur kurze Zeit (1934-38) den Schwerpunkt seines Schaffens auf das Kirchenrecht verlegt. Wenngleich vorher und besonders nach diesem Zeitraum gelegentlich auch kirchenrechtliche Themenstellungen in seinen Arbeiten aufscheinen, so dominieren doch historische, kulturhistorische bzw. kulturpolitische Fragestellungen. Die Publikationsliste Hollnsteiners umfaßt 12 selbständige Veröffentlichungen, 122 Aufsätze und Abhandlungen; er ist überdies Herausgeber von zwei größeren wissenschaftlichen Publikationen 107. Von den selbständigen Veröffentlichungen Hollnsteiners befassen sich zwei mit Konkordatsfragen l08 ; eine Arbeit ist der eherechtlichen Rotajudikatur gewidmet 109. Der im WS 1934/35 zum Ordinarius ernannte Hollnsteiner übernimmt, was das systematische Kirchenrecht angeht, im großen und ganzen die Vorlesungsthemen seines Vorgängers. Es fällt aber auf, daß Hollnsteiner keine Vorlesung über Rechtsphilosophie anbietet, obwohl bei Festlegung seiner Lehrverpflichtung durch das Bundesministerium für Unterricht ausdrücklich ein einstündiges Kolleg über Rechtsphilosophie als verpflichtend erklärt worden war llo . Ab dem SS 1935 kündigt Hollnst~iner, wenngleich nicht in jedem Semester, ein Seminar an, das er im Gegensatz zu den Gepflogenheiten seines Vorgängers, nunmehr nicht rechtshistorischen, sondern rechtssystematischen Fragestellungen widmet. So taucht mehrmals (SS 1935, SS 1936, SS 1937 und SS 1938) das Thema "Eherechtsfälle" auf, was einerseits die unmittelbare Vertrautheit Hollnsteiner mit der Praxis der kirchlichen Rechtsprechung 1l1 und die wissenschaftliche Durchdringung der kirchlichen Ehejudikatur unter Beweis stellt.

106 Erste Aufsätze allerdings nicht kirchenrechtlichen Inhalts erschienen ab 1916 in der Reichspost. 107 BLOÖ 4. 108 Konkordate, Wien 1934: J. Hollnsleiner/P. Hajek/H. Grimeisen, Das Konkordat in seiner kirchen- und staatsrechtlichen Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der eherechtlichen Bestimmungen, Leipzig 11934, 21937. 109 Die Spruchpraxis der Sacra Romana Rota in Ehenichtigkeitsprozessen seit Geltung des CIC, Freiburg/Br. 1934. 110 Schreiben des BM für Unterricht vom 11. 4. 1935 an das Theologische Dekanat, UA, ThDA 1934/35, ZI. 691. 111 Hollnsteiner gehörte seit 1932 dem Wiener Diözesangericht an.

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Mit dem Jahre 1938, genauer gesagt mit dem SS 1938, endet die akademische Laufbahn Hollnsteiners abrupt. Das Studienjahr 1937/38 sieht Hollnsteiner als Dekan der Theologischen Fakultät Wien. Im März 1938, wenige Tage nach dem" Anschluß" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, wird Hollnsteiner verhaftet und verbringt von 13 Monaten Haft insgesamt 11 im Konzentrationslager Dachau. Ende Mai 1938 wird Hollnsteiner in den zeitlichen Ruhestand versetzt. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft kehrt er zunächst in das Chorherrenstift St. Florian zurück, er sucht aber im Juni 1941 um Laisierung, verbunden mit der Dispens vom Zölibat, an. Dem Ansuchen Hollnsteiners vom Jahre 1941 wurde am 16. 5. 1966 stattgegeben. 1948 wird Hollnsteiner, der inzwischen geheiratet hatte, als Professor in den Ruhestand versetzt. Das wissenschaftliche Interesse des fast bis zu seinem Tod (1971) unermüdlich literarisch und wissenschaftlich Tätigen ist nur mehr ganz am Rande auch kirchenrechtlichen und rechtshistorischen Fragestellungen gewidmet l12 . Mit dem SS 1938 ist der kirchenrechtliche Lehrstuhl an der Wiener theologischen Fakultät wieder verwaist. Und wieder ist es Zehentbauer, der - jetzt schon zum drittenmal - als Supplent einspringen muß. Diesmal sollte es allerdings die längste Periode seiner Supplierung im Kirchenrecht werden, denn erst mit dem Ende des zweiten Weltkrieges wird die Lehrkanzel für Kirchenrecht zunächst mit einem a. o. und dann mit einem o. Professor besetzt. Der seit 1935 habilitierte Franz Amold scheint in der nationalsozialistischen Zeit nicht unter den Vortragenden des Kirchenrechts auf. Dies deshalb nicht, weil 1938 seine venia zunächst als ruhend und später als erloschen erklärt wurde 113 • Der Grund für diese Maßnahme der nationalsozialistischen Machthaber dürfte in der politischen Betätigung Amolds gelegen sein. Er war nämlich in der Zeit von 1930-34 als Abgeordneter der christlich-sozialen Partei Mitglied des Wiener Landtages l14 . Vom WS 1938/39 bis zum WS 1945/46 weist das Vorlesungsverzeichnis der Wiener Theologischen Fakultät Franz Zehentbauer als Supplenten des 112 Cf. BLOÖ (A. 107). - Einige Angaben zum Leben Hollnsteiners verdanke ich dem Historiker des Stiftes St. Florian, Prof. DDr. Karl Rehberger. 113 Erlässe des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten 22. 4. 1938, ZI. 11 379/1/1 c und 6. 7. 1938, ZI. 22443/1 a. UA, ThDA 1937/38, ZI. 8688/677. 1141. GampllW. M. Plöchl (Hrsg.), Im Dienste des Rechts in Kirche und Staat, FS für Franz Arnold zum 70. Geburtstag, Wien 1963, VIII.

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Kirchenrechts aus. Erst mit dem SS 1946 ist die Tätigkeit Zehentbauers im Rahmen des Kirchenrechts nunmehr endgültig beendet.

VI. Die kirchenrechtliche Lehrkanzel in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes Das politisch bewegte SS 1938 findet in seiner ersten Hälfte - wie schon erwähnt - zunächst noch Hollnsteiner als Ordinarius und Amold als Dozenten des Kirchenrechts; in der zweiten Hälfte ist Zehentbauer Supplent. Noch am 30. 6. 1938 wird eine Fakultätskommission zur Nachbesetzung des Ordinariats für Kirchenrecht eingesetzt. Primo et unico loco wurde der damalige Dekan Zehentbauer vorgeschlagen. Das Sitzungsprotokoll vermerkt, daß auch Dozent Amold vorgeschlagen hätte werden sollen, dies habe aber nicht geschehen können, weil seine venia ruhe l15 . Im Protokoll der Sitzung vom 24. 10. 1938 wird jedoch ein Ersuchen des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten erwähnt, demzufolge ehestens ein Ternovorschlag für die Neubesetzung der Lehrkanzel für Kirchenrecht erstattet werden solle. In die Kommission wurden die Professoren Tomek, Zehentbauer und Krebs gewählt 116 . In der Fakultätssitzung vom 17. 12. 1938 wurde eine Liste beschlossen, die nicht zur Gänze dem Vorschlag der Kommission entsprach. Diese hatte nämlich den ihr angehörenden Zehentbauer aus offensichtlich begreiflichen Gründen nicht in den Besetzungsvorschlag aufgenommen, obwohl er das Kirchenrecht nunmehr schon zum dritten Male supplierte. Die Fakultät reihte aber Zehentbauer primo loco l17 . Interessant sind aber die anderen Reihungen, wie überhaupt die Zusammenhänge dieses Besetzungsvorschlags. Secundo loco wurde Dozent Dr. Karl Hofmann (München), tertio loco Dozent Dr. Josef Trummer (Graz) und Professor Dr. Alois Dienstleder (Graz) benannt. Die Nennung von Dienstleder ist insofern besonders hervorzuheben, als es sich um einen Laien handelte, der ein juristisches Doktorat aufwies, an der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Grazer Universität für Kirchenrecht habilitiert war (1934), aber keine theologische Ausbildung hatte. Dienstleder wurde 1933 zum Landeshauptmann der Steiermark gewählt, legte 115 UA, ThSP 1937/38, ZI. 1263. Schreiben der Theologischen Fakultät an das Reichsministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 14. 7. 1938. UA, ThDA 1937/38, ZI. 1329. 116 UA, ThSP 1937/38, ZI. 1497. 117 Schreiben des Dekanats an das Reichsministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 5. 1. 1939, UA, ThDA 1938/39, ZI. 472.

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aber bereits im nächsten Jahr sein Amt als Landeshauptmann nieder. 1935 wurde er außerordentlicher und 1937 ordentlicher Professor für Kirchenrecht an der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Seit Mai 1938 wurde er mit vollem Gehalt beurlaubt l18 . Das den Fakultätsvorschlag enthaltende Schreiben von Dekan Tomek an das Reichsministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 5. 1. 1939 weist darauf hin, daß im Erlaß des Ministeriums vom 14. 10. 1938 betont worden sei, im Besetzungsvorschlag für Kirchenrecht sei Dozent Dr. Schröcker (München) besonders in Betracht zu ziehen. Dr. theol. et iur. Schröcker, so heißt es in dem Schreiben der Fakultät, sei Priester der Erzdiözese München und sei im SS 1938 gegen den Willen des Erzbischofs von München, Kardinal Faulhaber, Dozent für Kirchenrecht geworden; eine missio canonica habe er jedoch nicht erhalten. Unter Berufung auf das Reichskonkordat und die deutschen Länderkonkordate (Preußen, Bayern und Baden) und auf das (im Schreiben zuletzt angeführte) österreichische Konkordat bedürfe der staatlich ernannte Professor an einer Katholisch-theologischen Fakultät der missio canonica des zuständigen Bischofs. Dr. Schröcker könne daher trotz fachlicher Eignung solange nicht in den Besetzungsvorschlag aufgenommen werden, bis nicht die korrekten Beziehungen des Genannten mit dem Ordinarius von München hergestellt seien l19 • Trotzdem wurde seitens des Reichsministeriums Schröcker der Wiener Fakultät "zugewiesen"; zu einem Dienstantritt kam es aber nicht, da Schröcker für den Dienst im Kirchenministerium in Berlin beurlaubt wurde l20 . Von weiteren Versuchen zur Besetzung der kirchenrechtlichen Lehrkanzel während der nationalsozialistischen Zeit wird nichts mehr erwähnt. Im Jahre 1943 erfolgte die Degradation der Lehrkanzel zu einem Extraordinariat, doch wurde auch die Besetzung desselben in der nationalsozialistischen Zeit nicht zugelassen 121.

118 Ebd. 119 Ebd. - Es entspricht somit nicht den Tatsachen, wenn Dekan lellouschek in einem an den Rektor der Wiener Universität gerichteten Schreiben vom 6. 5. 1945 erwähnt, Schröcker sei tertio loco in den Fakultätsvorschlag aufgenommen worden. UA, ThDA 1945/46, Zl. 571. 120 UA. ThDA 1945/46, Zl. 571. - Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender (Berlin 1941) bezeichnet Schröcker als Dozenten an der Universität Wien, erwähnt aber gleichzeitig, daß der Genannte zur Dienstleistung im Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten in Berlin beurlaubt sei. 121 UA, ThDA 1945/46, Zl. 571.

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w. Franz Arnold (1893-1963) Der wissenschaftliche Werdegang Amolds wurde insbesondere durch drei an der Wiener Universität lehrende KirchenrechtIer geprägt. Während seiner theologischen Studienzeit - Amold begann 1912 als Alumne des Wiener Priesterseminars das Studium der Theologie an der Wiener Universität - hatte er noch Eduard Eichmann zum Lehrer, dem er eigenen Worten zufolge den Weg zum Kirchenrecht verdankte l22 . Noch vor dem Erwerb des theologischen Doktorates (1928) inskribierte Amold an der Wiener Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät (1926), wo es vor allen Dingen der Altmeister der Wiener Kirchenrechtsschule Rudolf KöstIer war, der den jungen Amold anzog und zu rechtshistorischen Studien ermunterte. Von Köstler ging auch die Anregung zur Abfassung von Amolds Habilitationsschirft "Das Diözesanrecht nach den Schriften Hinkmars von Reims" aus, von der bereits die Rede war. Für die kirchenrechtlichen Arbeiten Amolds haben zweifellos die Seminacübungen bei Hohenlohe ihren Einfluß ausgeübt. Hohenlohe schreibt jedenfalls in seinem Gutachten zur Habilitationsschrift Amolds, daß diese aus seinem (Hohenlohes) Seminar hervorgegangen sei und er erwähnt ferner, daß Amold "mit bewunderungswürdigem Fleiße" mehrere Jahre hindurch sein Seminar besucht habe l23 . Amold übernahme im SS 1946 als Privatdozent die Supplierung der kirchenrechtlichen Hauptvorlesung. Das WS 1946/47 sieht Amold schon als a. o. Professor für Kirchenrecht, das WS 1947/48 bereits als Ordinarius. Waren die Jahre vor 1938 für Amold durch seelsorgerliches und politisches Engagement geprägt - neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter des Wiener Landtages (1934-38) war Amold Mitbegcünder der Schwesternvereinigung von der HI. Agnes und der sozialcaritativen Einrichtung "Frohe Kindbeit"124 - so war die Zeit nach 1945 für ihn neben der nunmehr neu beginnenden akademischen Lehrtätigkeit in zunehmendem Maße von der Arbeit in der kirchenrechtlichen Praxis am Wiener Erzbischöflichen Diözesan- und Metropolitangeriebt gekennzeichnet. Er gehörte diesem Gericht bis zum Jahre 1961, also bis kurz vor seinem Tod, an, seit 1953 war er dessen Präsident l25 .

122 Anm. 114. 123 Gutachten Hohenlohes zur Habilitationsschrift Amolds vom 23. 6. 1934. UA, ThDA 1933/34, Zl. 704. 124 W M. Plöchl, Nachruf rur Franz Amold: ÖAKR 14 (1963) 105-108, 106. 125 Anm. 114.

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1950 erschien Arnolds Buch "Das katholische Ehegesetz. Praktisches Handbuch für den Seelsorger", das vorher in Fortsetzungen in der "Wiener Kirchenzeitung" publiziert worden war. Die Widmung dieses Buches "Meinen Mitbrüdern in der Seelsorge" weist auf dessen vorwiegend praktische Zielsetzung hin. Acht Jahre später erschien es unter verändertem Titel "Eherecht" in zweiter Auflage (Wien, 1958). Von den Aufsätzen Amolds sind insbesondere hervorzuheben: "Die Rechtslage der katholischen Kirche im heutigen Österreich" 126, worin sich der Verfasser u. a. mit den im ersten Jahrzehnt der zweiten Republik besonders aktuellen Fragen um die völkerrechtliche bzw. innerstaatliche Gültigkeit des österreichischen Konkordats vom 5. 6. 1933 beschäftigt. Während dieser Aufsatz ganz der Problematik des geltenden Kirchenrechts bzw. Staatskirchenrechts gewidmet ist, befaßt sich Arnold ein Jahr später mit einem rein rechtshistorischen Thema "Die Rechtslehre des Magisters Gratianus" 127. Bleibende Verdienste erwarb sich Arnold durch die im Jahre 1950 zusammen mit Rudolf Köstler, Willibald Plöchl, Ludwig Adamovich u. a. erfolgte Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht und die im gleichen Jahre stattfmdende Gründung der Zeitschrift "Österreichisches Archiv für Kirchenrecht". Die Gesellschaft für Kirchenrecht, deren erster Präsident Amold war, trägt bis zur Stunde nachhaltigst zur Pflege des Kirchenrechts in Österreich bei. Eine besondere Note erhielten die Gesellschaft und die von ihr getragene Zeitschrift durch die von vornherein gegebene ökumenische Ausrichtung, die die wissenschaftliche Erfassung und Durchdringung nicht bloß des katholischen Kirchenrechts, sondern auch der Rechtsordnungen der in Österreich gesetzlich anerkannten Kirchen zum Gegenstand hat. Wenngleich das Hauptverdienst um die Gründung und den Fortbestand der Gesellschaft dem damals an der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien lehrenden Schüler Köstlers, Willibald Plöchl, zuzuschreiben ist, war Arnold doch einer deljenigen, der diese die österreichische Kirchenrechtswissenschaft in vielfältiger Weise befruchtende Initiative mitgetragen und mitgestaltet hat. Was das "Österreichische Archiv für Kirchenrecht" betrifft, so hat Amold bis zu seinem Tod laufend die Sparte "Päpstliches Recht" bearbeitet, die eine Übersetzung und gegebenenfalls Kommentierung von Rechtsquellen des Universalkirchenrechts zum Inhalt hat. Amold war mehnnals Dekan der Katholisch-theologischen Fakultät und im Studienjahr 1961/62 Rektor der Wiener Universität. 126 Theologische Fragen der Gegenwart, hrsg. v. d. Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Wien 1952, 187 ss. 127 Studia Gratiana, Bd. I, Bologna 1953,451-482.

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In die Amtszeit Amolds fällt eine einzige Habilitation, nämlich die seines späteren Nachfolgers Alexander Dordett, der 1954 mit der Arbeit "Der geistliche Charakter der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Eine rechtshistorische Studie über die Bestrebungen der Antikurialisten zur Beschränkung der iurisdictio coactiva" (Wien 1954) die venia docendi für Kirchenrecht erwarb.

Amold hat seine Emeritierung nicht mehr erlebt. Bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, nahm er zum 6. 2. 1963 als damaliger Prorektor der Wiener Universität die Ehrung durch Freunde und Kollegen und die Überreichung einer Festschrift zum 70. Geburtstag entgegen. Das Sommersemester 1963 sollte sein letztes an der Wiener Universität sein. Am 23. 4. 1963 bestieg er zum letztenmal den Katheder an der theologischen Fakultät Wien; am 12. 5. 1953 ging das irdische Leben Amolds zu Ende 128 • In dem hier zu behandelnden Zeitraum war er der einzige Professor für Kirchenrecht, der noch während seiner Amtszeit als Ordinarius vom Tod ereilt wurde. VIII. Alexander Dordett (1916)

Unmittelbarer Nachfolger Arnolds wurde 1964 Alexander Dordett. Der wissenschaftliche Werdegang des in Finnland Geborenen ist durch die Ausbildung zum Theologen und Kanonisten an den Universitäten Innsbruck, Wien und Löwen (Belgien) geprägt. Vor seiner Ernennung zum Ordinarius an der Wiener Kathol.-theologischen Fakultät war Alexander Dordett neben mehreren Aufsätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften auch mit einer Reihe von selbständigen wissenschaftlichen Publikationen an die Öffentlichkeit getreten. So insbesondere mit der kanonistischen Dissertation an der Universität Löwen "Die kirchliche Straf- und Zwangsgewalt bei Bellarmin und Suarez" (Wien 1952), und die bereits erwähnte Habilitationsschrift über den geistlichen Charakter der kirchlichen Gerichtsbarkeit (Wien 1954), sowie die in Buchform erschienene Vortragsreihe an der Wiener Katholischen Akademie "Die Ordnung zwischen Kirche und Staat. Ein historisch-systematischer Grundriß " (Innsbruck 1958). Seit 1970 befassen sich die selbständigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen Dordetts insbesondere mit Fragen der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit. So etwa "Kirchliche Ehegerichte in der Krise" (Wien 1971) und zwei Bücher, die eine Analyse der Rechtsprechung der Sacra Romana Rota zu ein128 W. M. Plöchl, 1. c. A. Scheuermann, Nachruf für Pranz Arnold: AkKR 132 (1963) 475-477.

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zeinen Ehenichtigkeitsgründen zum Inhalt haben, nämlich "Eheschließung und Geisteskrankheit" (Wien 1977) und "Impotenz als Ehehindernis" (Wien 1980). - 1974 erschien das Buch "Kirche zwischen Hierarchie und Demokratie". Zahlreiche Aufsätze sind in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften verstreut. Dordett war nach dem Ausscheiden Arnolds (1961) bis 1980 Präsident des Wiener Erzbischöflichen Diözesan- und Metropolitangerichts. Er ist Mitglied der CIC-Reformkommission und war 1971/72 Rektor der Wiener Universität. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dordetts am Institut für Kirchenrecht waren Karl-Theodor Geringer, seit 1. 1. 1982 ordentlicher Professor im theologischen Fachbereich der Universität passau l29 , und Alois Diem13o . Vor Erreichung der Altersgrenze und der Emeritierung suchte Alexander Dordett um Versetzung in den Ruhestand an; mit dem SS 1981 beendete er seine akademische Lehrtätigkeit an der Wiener Kathol.-theologischen Fakultät. IX. Bruno Primetshofer (geboren 1929) Auf den vorzeitig in den Ruhestand getretenen Alexander Dordett folgte nach einjähriger Vakanz des Lehrstuhls Bruno Primetshofer. Geboren in Linz 1929.

129 Geh. 1937 in Yalta (UdSSR), Assistent v. 1973-1981; Publikationen: Das Recht auf Verteidigung im kanonischen Prozeß. (Wiener Beiträge zur Theologie 50), Wien 1976. Die sogenannten Schiedsgerichte in der Erzdiözese Wien: AkKR 142 (1973) 436-454; Die freie Beweiswürdigung im Kollegialgericht: Convivium utriusque iuris, hrsg. v. A. Scheuermann u. a., Wien 1976,285-300; Zur Verfassungstruktur in den österreichischen Diözesen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Ex Aequo et Bono, hrsg. v. P. Leisching u. a., Innsbruck 1977, 309-326; Zur Beendigung aussichtsloser Verfahren. Eine Untersuchung aufgrund der Judikatur des Diözesangerichtes Wien seit Inkrafttreten des CIC: ÖAKR 30 (1979) 23-43; Die Conformitas sententiarum. Zur Gleichwertigkeit formell nicht konformer Urteile: AkKR 149 (1980) 432-466; Staatliches Scheidungsrecht und kirchliche Ehejudikatur: ÖAKR 31 (1980) 241-272. Zur Systematik der kanonischen Ehenichtigkeitsgründe: AkKR 150 (1981) 91-136. 130 Geb. 1948 in Roseldorf/NÖ, Assistent 1972-1973. Publikation: Studia "Metus ab intrinseco bei der Eheschließung", Rom 1976.

Kirchenrecht

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1948 Eintritt in die Kongregation der Redemptoristen. Studien der Rechtswissenschaften und Theologie; 1958 Promotion zum Dr. iur.can. an der Lateran-Universität in Rom. Von 1958 bis 1968 Lektor des Kirchenrechts an der Ordenshochschule der Redemptoristen in Mautem (Steiermark). 1967 Habilitation für Kirchenrecht an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. 1967 Berufung als Professor für Kirchenrecht an die Johannes-Kepler-Universität (Rechtswissenschaftliche Fakultät) in Linz. 1974/75 Dekan. Seit 1. Juli 1982 Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Ordensrecht, Eherecht, geschichtliche Entwicklung des österreichischen Staatskirchenrechts. Am Institut für Kirchenrecht ist seit 1. 10. 1982 Univ. Ass. Dr. Josef Kremsmair 131 tätig.

131 Geb. 1943 in Ried i. Traunkreis/OÖ, Assistent ab 1982. Publikationen: Der Weg zum österreichischen Konkordat von 1933/34. (Dissertationen der Universität Salzburg 12), Wien 1980; Kirchenpolitische Probleme der Ersten Republik Österreich: Österreichisches Klerusblatt 114 (1981) Nr. 23, 276 u. 279 und Nr. 24, 293; Katholische Universität und Konkordat von 1933/34: Jahrbuch der Universität Salzburg 1979/81, Salzburg 1982, 37-46. 6 Primetshofer

Demokratische Traditionen in der kirchlichen Rechtsgeschichte 1. Kirche zwischen Hierarchie und Demokratie Mit einem Buch dieses Titels l wurde vor Jahren auf ein in der katholischen Kirche bestehendes Spannungsverhältnis hingewiesen: Soll die Kirche eine Monokratie (Herrschaft eines einzelnen) in der Form der Hierarchie (heilige Herrschaft der Priester) oder eine Demokratie (Herrschaft des Volkes) sein? Wollte man die Frage so stellen, hieße das, am eigentlichen Problem der Kirchenverfassung vorbeigehen, denn die Kirche ist genaugenommen weder das eine noch das andere. Wer den Aspekt der Hierarchie betont, vergißt, daß das besondere Priestertum (und die damit verbundenen Amtsvollmachten) nicht vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen losgelöst werden kann und darf. Beide Formen des in der Grundstruktur gleichen Priestertums sind aufeinander verwiesen, sind vom "Prinzip der wechselseitigen Immanenz"2 geprägt, und wer das eine auf Kosten des anderen überbetont, übersieht eine Grundstruktur der Kirchenverfassung. Nicht umsonst hat das 11. Vatikanische Konzil in einer grundlegenden Selbstdarstellung der Kirche vom einen Volk Gottes, von der Communio aller Gläubigen gesprochen, die von einer "fundamentalen Gleichheit" aller3 geprägt ist. Die das Sakrament der Weihe empfangen haben, sind nicht zum Herrschen, sondern zum Dienen an der Gemeinschaft des Volkes Gottes bestellt. Die Dogmatische Konstitution über die Kirche sagt deutlich, daß die geweihten Amtsträger "von Christus nicht bestellt sind, um die Heilssendung der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen, sondern daß es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so als Hirten zu führen und ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, daß alle in ihrer Weise an der gemeinsamen Aufgabe einmütig zusammenarbeiten "4. Die weder in das Bild 1 A. Dordeu, Kirche zwischen Hierarchie und Demokratie, Wien 1974. 2 P. Krämer, Kirchenrecht I, Wort - Sakrament - Charisma, Stuttgart/Berlin/Köln 1992,34. 3 LG 32; c. 208. 4 LG 30.

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der Hierarchie noch der Demokratie aufzulösende Kirche beruht auf dem polaren Bestimmungsverhältnis zwischen allgemeinem und besonderem Priestertum, die "Kirche als Institution verwirklicht sich stets rund um die beiden Pole der Taufe und der Weihe, die wie die anderen Sakramente auf die Eucharistie hingeordnet sind"5. Das Dienstamt des besonderen Priestertums muß von einem breiten Konsens der mit dem allgemeinen Priestertum Ausgestatteten getragen und rezipiert werden. Dies bedeutet, in kirchliche Entscheidungsprozesse in verschiedener Weise eingebunden zu werden. "Konsens und Rezeption"6 sind nicht nur Gestaltungsfaktoren in bezug auf das Wirksamwerden kirchlicher Gesetze7 - diese treten zwar mit der Promulgation formell in Kraft, ihre Wirksamkeit hängt aber von Zustimmung und Annahme durch die kirchliche "Communio" ab -, sondern durchdringen die ganze Struktur der Kirche, ihre Verfassung, ihr Leben. Die Kirche ist keine Demokratie, weil ihre wesentlichen Bauelemente in Wort und Sakrament vom Stifter vorgegeben und somit der Beliebigkeit einer Willensbildung seitens der Gläubigen entzogen sind. Sie ist aber auch keine Hierokratie, da das geistliche Amt sich in erster Linie als Dienst am Aufbau der Communio versteht. Die einmütige Zusammenarbeit aller (vgl. LG 30) wird sich daher immer auch in Formen demokratischen Mitgestaltens und Mitentscheidens äußern müssen.

2. Synodale ~taltungsvorgänge in der Kirche Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, daß bis zum 19. Jahrhundert das in "Dogmen" (Glaubenssätzen) sich ausdruckende Selbstverständnis der Kirche auf Synoden, näherhin ökumenischen Konzilien, d. h. Versammlungen 5 L. Gerosa, Charisma und Recht. Kirchenrechtliche Überlegungen zum "Urcharisma" der neuen Vereinigungs formen in der Kirche, Einsiedeln/Trier 1989, 137. 6 H. Maller, Rezeption und Konsens in der Kirche. Eine Anfrage an die Kanonistik, in: ÖAKR 27 (1976) 3-21. 7 Zum Verhältnis von Promulgation (Verlautbarung) eines kirchlichen Gesetzes durch den Gesetzgeber und der Annahme seitens der christlichen Gemeinde enthält das "Decretum Gratiani" (1140-1150) den richtungweisenden Satz: "Leges instituuntur, cum promulgantur, firmantur, cum moribus utentium approbantur" (Gesetze treten ins Dasein, indem sie promulgiert werden; sie werden gefestigt, wenn sie durch die Beobachtung seitens der Verpflichteten approbiert werden. C. 3 D IV). - Die Verpflichtungskraft eines kirchlichen Gesetzes ist somit eigentlich ein dialogischer Prozeß zwischen dem, der das Gesetz erläßt (Gesetzgeber), und denjenigen, für die es bestimmt ist (Normadressaten).

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von Vertretern des gesamten Gottesvolkes, formuliert wurde. Die sprachliche Ausformulierung von Glaubensaussagen vollzog sich oft in einem zähen Ringen, bis ein Konsens aller oder zumindest eine hohe Mehrheit erreicht werden konnte. Diese Form der Willensbildung trägt viele Elemente eines demokratischen Prozesses an sich. Und wenn auch - dem heutigen Kirchenrecht zufolge - eine Entscheidung des ökumenischen Konzils formal nur dann zustande kommt, wenn der Papst als Haupt des Bischofskollegiums ihr beitritt, so liegt dennoch bei einem Konzilsentscheid kein Willensakt des Papstes als Einzelperson vor, sondern der Beschluß eines Kollegiums, dessen Mitglied auch der Papst ist. Auf ökumenischen Konzilien besitzen - dem heutigen Kirchenrecht zufolge - nur Bischöfe Sitz und Stimme. Dies war aber nicht immer so. Bis zum Codex von 1983 hatte eine ganze Reihe von anderen (nichtbischöflichen) Klerikern (vor allem Ordensobere) Sitz und Stimme; auch die stimmberechtigte Teilnahme von Laien ist der Kirchengeschichte bekannt 8 • Aber selbst wenn ökumenische Konzilien reine Klerusversammlungen sind, können sie nicht ohne Fachleute (periti) auskommen, die - ohne formelles Stimmrecht zu besitzen - durch ihre Berater- und Gutachtertätigkeit den Text mancher Konzilsentscheidungen nachhaltiger beeinflußt haben als so mancher Konzilsvater i.e.S. Im 19. und 20. Jahrhundert (1854 und 1950) wurden erstmals dogmatische Entscheidungen (die beiden Marianischen Dogmen von der Unbefleckten Empfängnis und der Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel) von Päpsten allein ohne ökumenisches Konzil getroffen. Aber auch das waren keine einsamen monokratischen Entschlüsse, sondern den Dogmatisierungen ging ein breiter Prozeß der Erforschung des "sensus fidei" der gesamten Kirche voraus. Sämtliche Bischöfe wurden um ihre Meinung zu der ins Auge gefaßten Dogmatisierung befragt, wobei diese Frage nicht allein nach der persönlichen Glaubensüberzeugung des einzelnen Bischofs ging, sondern auch danach, was die Mehrheit der diesem Bischof anvertrauten Gläubigen über die anstehende Frage dachte. Der Papst und die befragten Bischöfe betrachteten sich durchaus als Teile der Glaubensüberzeugung der gesamten Kirche bzw. der weitaus überwiegenden Mehrheit derselben. Und dies entspricht ja auch der Stellung des Bischofs im ökumenischen Konzil: Er hat bei seinem zumal dogmatische Fragen betreffenden Abstimmungsverhalten den Glaubenssinn seiner Gläubigen einzubeziehen. Man wird dieses Rückgebundensein des Bischofs an seine Herde zwar nicht als ein sogenanntes "gebundenes Mandat" im strengen Rechtssinn bezeichnen können; ein Bischof würde aber seine Stellung als Repräsentant seiner Gemeinde gründlich mißverstehen, wenn er 8 W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 11, Wien/München 21962, 115-123, bes. 121.

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nicht ständig diesen "sensus fidei" des ihm anvertrauten Teils des Gottesvolks im Auge behielte und diesen in seinen Entscheidungen mitberücksichtigte. Eine ganze Reihe von nach dem 11. Vatikanischen Konzil stattgefundenen Synoden auf teilkirchlicher Ebene war von einem Kirchenverständnis ausgegangen, das dem Communio-Begriff und der daraus resultierenden gemeinsamen Verantwortung aller Mitglieder des Kirchenvolkes Rechnung trägt. So ist etwa auf die Gemeinsame Synode der Bistümer der BRD in den Jahren 1971 bis 1975 zu verweisen, die als von Rom genehmigtes Experiment gegen das damals geltende Kirchenrecht als Synodenmitglieder mit beschließendem Stimmrecht auch Laien zuließ9. Auch beim Österreichischen Synodalen Vorgang (1973/74) waren Bischöfe, Priester und Laien mit beschließendem Stimmrecht ausgestattet 10; ebenso war das Niederländische Pastoralkonzil (1968-1970) von demselben Modell in bezug auf die Beschlußfassung gekennzeichnet!!. Freilich wird auch der Funktion des Amtes der Bischöfe, die ja auch die Unversehrtheit und Einheit der Glaubenslehre zu schützen haben (c. 386 § 2), in gebührender Weise Rechnung getragen. Denn auf all den genannten Synoden bzw. synodalen Beschlußfassungsgremien wird den Bischöfen ein Vetorecht eingeräumt. Besonders deutlich etwa der Österreichische Synodale Vorgang: "Erklärt die Österreichsehe Bischofskonferenz, daß sie einer Vorlage aus Gründen der verbindlichen Glaubens- und Sittenlehre der Kirche sowie der kirchlichen Disziplin nicht zustimmen kann, so ist zu dieser Vorlage eine Beschlußfassung der Vollversammlung des ÖSV nicht möglich. "!2 Das gegenwärtig geltende Kirchenrecht (des CIC/1983) trägt dieser konziliaren Rechtsentwicklung nur unzureichend Rechnung. So sind das Ökumenische Konzil wie auch die auf der Ebene von Teilkirchenverbänden abzuhal-

9 A. Ne es , Die erste Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975), Rechts- und Staatswissenschaftliehe Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Paderborn 1978, 182. 10 Allerdings verstand sich der Österreichische Synodale Vorgang nur als Beratungsgremium für die Bischofskonferenz. - Die Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland hingegen hatte den für das Wirksamwerden eines Synodenbeschlusses erforderlichen Gesetzgebungsakt des Bischofs bzw. der Bischofskonferenz bereits in die Synode selbst integriert. Nees, ebd. 11 Vgl. R. G. W. Huysmans, Het Pastoral Concilie in Canoniek Perspektief, in: Bijdragen, Tijdschrift voor Filosofie en Theologie, Nijmegen 1970, 373-389. !2 Art. 13 des Statuts des Österreichischen Synodalen Vorgangs, Österr. Synodaler Vorgang. Dokumente, hrsg. vom Sekretariat des Österr. Synodalen Vorgangs, Wien 1974.

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tenden Synoden, was das beschließende Stimmrecht anlangt, reine Bischofsversammlungen l3 .

3. Mitwirkungsrechte bei der Bestellung kirchlicher Amtsträger Was die in diesem Zusammenhang wohl wichtigste Frage, nämlich die Bestellung der Bischöfe, betrifft, so braucht eine schon oftmals getroffene Feststellung nicht wiederholt zu werden, daß sich nämlich die kirchliche Rechtsentwicklung von einem ursprünglich weit gestreuten, Klerus und Laien umfassenden Kreis von an der Bischofswahl Beteiligten immer mehr zu einem zunächst nur den Klerikern (Domkapitel) vorbehaltenen Recht verengte, das in der gegenwärtigen Phase in ein beinahe ausschließliches päpstliches Monopolrecht übergegangen ist l4 . Der gegenwärtige CIC sieht an sich zwei Modalitäten der Bischofsbestellung vor, nämlich die freie Ernennung durch den Papst und die Bestätigung seitens des Papstes, wenn eine Wahl durch ein bestimmtes Gremium vorausgegangen ist (c. 377 § 1). Völlig freies Wahlrecht gibt es heute nur noch in den Diözesen Basel und St. Gallen aufgrund von zwischen dem Hl. Stuhl und einzelnen Schweizer Kantonen abgeschlossenen Konkordaten; eingeschränktes Wahlrecht (aus einer vom Papst erstellten Dreierliste, sogenannter Ternavorschlag) in der Erzdiözese Salzburg sowie in einer Reihe von deutschen Diözesen. Diese Wahlrechte des Domkapitels beruhen ebenfalls auf Konkordaten. Die Frage, ob die Bischofsbestellung in Form einer Mitbeteiligung des ganzen Volkes Gottes vor sich geht oder nicht, kann nicht nur formal unter der Rücksicht betrachtet werden, wer den Kandidaten letztlich bestellt, sondern sie muß in den großen Zusammenhang der Akzeptanz des Trägers eines geistlichen Amtes durch die ihm Anvertrauten gestellt werden. Diesbezüglich hat das alte Kirchenrecht einen sehr weisen Grundsatz aufgestellt: "Nullus invitis detur episcopus"l5, d. h. ein Bischof kann seiner Herde nicht einfach aufgezwungen werden. Eine dem Wohl der Kirche dienende Seelsorge muß von einer grundsätzlich vertrauensvollen Zusammenarbeit geprägt sein. Ist 13 B. Primelshofer, Zur pro-episkopalen Tendenz des neuen Kirchenrechts, m: ThpQ 139 (1991, Festgabe für Peter Gradauer) 39-48. 14 R. POIl, Bischofsernennungen. Stationen, die zum heutigen Zustand geführt haben, in: G. Greshake (Hrsg.), Zur Frage der BischofserkenmlDgen in der römisch-katholischen Kirche, Freiburg 1991,17-50. 15 C. 13, D LXI. - Dieses aus dem "Decretum Gratiani" (Anm. 7) stammende Zitat geht auf ein Schreiben Papst Coelestins I. (422-432) an die Bischöfe Galliens zurück.

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diese aus welchen Gründen immer nicht zu erreichen, wobei das nicht unbedingt schuldhaftes Verhalten auf seiten des Amtsträgers zur Ursache haben muß, dann kann auch die Amtsführung nicht wirklich seelsorglich erfolgreich sein. - Ähnliches sagt das Kirchenrecht auch vom Pfarrer. Der CIC/1917 formulierte in c. 2147 § 1, 1 den alten Grundsatz, daß das "odium plebis, quamvis iniustum et non universale" (die Ablehnung seitens des Volkes, auch wenn diese unverdient und nicht allgemein sein sollte) einen Grund darstellt, einen Pfarrer von seinem Amt zu entfernen. Und ebenso formuliert das geltende kanonische Recht (c. 1740), daß ein Pfarrer, dessen Dienst aus irgendeinem Grund, selbst ohne seine schwere Schuld, schädlich oder wenigstens unwirksam geworden ist, durch den Bischof von seiner Pfarre enthoben werden kann. Das alles bedeutet, daß sich die Bestellung eines kirchlichen Amtsträgers nicht in einem einbahnigen Verfahren von oben nach unten abspielen darf ohne, ja vielleicht sogar gegen den Willen der Betroffenen, sondern daß es einen dialogischen Prozeß braucht, in den die Gemeinde eingebunden ist. Als praktisches Beispiel einer solchen vom Konsens der Gemeinde getragenen AmtsbesteIlung sei auf das in der Innerschweiz heute noch geltende "Pfarrerwahlrecht" 16 verwiesen. Die Bestellung der Pfarrer vollzieht sich hier in der Weise, daß die Pfarrgemeinde (sie besitzt in der Schweiz aufgrund des dort geltenden Staatskirchenrechts ohne weiteres auch im staatlichen Bereich Rechtspersönlichkeit) in freier Wahl einen Pfarrer wählt und diesen dem Bischof zur Bestätigung vorschlägt. Diese Wahl bedeutet aber keine Amtsbestellung auf Lebenszeit, sondern der Pfarrer muß sich nach Ablauf einer bestimmten Zeit einer Vertrauensfrage durch die Pfarrgemeinde stellen. Ein für den Pfarrer negativer Ausgang dieser Abstimmung zieht zwar keinen automatischen Amtsverlust nach sich; in der Regel wird aber eine Beendigung der Amtsausübung die Folge sein. Die Orden, zumal die alten Mönchsorden und die Chorherren, sind seit langem ein Paradebeispiel für demokratische Mitbestimmung aller dem Kloster durch endgültige (feierliche) Profeß Eingegliederten. Denn sie alle haben das Recht, den Abt zu wählen, und dieser ist in bezug auf die Leitung der Abtei in bedeutenderen Angelegenheiten an Anhörungs- und Zustimmungsrechte (beratendes und beschließendes Stimmrecht) der Konventualen gebunden. So bedarf der Abt beispielsweise der Zustimmung des Konvents bei der 16 J. G. Fuchs, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, in: J. Krautscheid/Ho Marre (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, 5 (Münster 1971) 159.

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Zulassung eines Novizen zur ersten Profeß sowie eines zeitlichen Professen zur feierlichen Profeßl7. - Auch bei den Ordensgemeinschaften, die eine zentralistische Verfassung mit einem Generaloberen an der Spitze aufweisen (z. B. Franziskaner, Dominikaner, Jesuiten), wird der Generalobere auf dem Generalkapitel gewählt, und diese Form der (in der Regel) völlig freien und von außen unbeeinflußten Wahl hat sich durchaus bewährt. - Eine Rückkehr zu einem - freilich im einzelnen genau zu bestimmenden - Modell einer Bischofswahl durch Klerus und Volk würde zwar sicherlich nicht in allen Fällen eine völlig spannungsfreie Amtsbestellung garantieren, sie würde aber andererseits jenen (oftmals) tiefreichenden Verstimmungen vorbeugen, die unweigerlich dann entstehen, wenn die Einsetzung eines Hirten (!) in der Kirche nicht als eine vom (grundsätzlichen) Konsens der Herde getragene, sondern von einseitigen Machtinteressen diktierte (Zwangs-)Maßnahme erscheint. Es erweist sich immer als nachteilig, wenn (rechtliche) Macht nicht zugleich von der Tugend des Maßhaltens mitgeprägt und geformt wird. Maßhalten bedeutet allemal auch Anhören (Zuhörenkönnen) und Mitgestaltenlassen durch alle diejenigen, die Volk Gottes sind.

17 Vgl. Konstitutionen der Österr. Zisterzienserkongregation, Wilhering 1988, Art. 135.

Die gesetzliche Entwicklung der Beziehungen von Kirche und Staat Im Rahmen einer notwendigerweise gedrängten Darstellung sollen zwei Probleme von besonderer Brisanz herausgestellt werden, nämlich Ehe und Schule. Die Darlegung dieser Entwicklung muß im Gesamtzusammenhang des Verhältnisses von Kirche und Staat gesehen werden, wobei das Hauptaugenmerk auf eine Darstellung der unmittelbaren parlamentarischen Behandlung der in Rede stehenden Probleme gelegt wird; der umfangreichen Literatur wird daher nur in beschränktem Maße Aufmerksamkeit geschenktl. 1 Die historische Literatur zum Thema Kirche und Staat und Liberalismus ist so umfangreich, so daß hier lediglich eine Auswahl der wichtigsten Publikationen getroffen werden kann: Fritz Badegruber, Der Liberalismus und die Kodiftkation der Grundrechte von 1867 (Phi!. Diss.), Innsbruck 1969; Richard Channatz, Deutschösterreichische Politik. Studien über den Liberalismus und über die auswärtige Politik Österreichs, Leipzig 1907; Karl Eder, Der Liberalismus in Altösterreich. Geisteshaltung, Politik und Kultur (= Wiener historische Studien, Bd. 3), Wien 1955; Friedrich Engel-Janosi, Österreich und der Vatikan 1846-1918,2 Bde., Graz 1958-1960; Friedrich Engel-Janosi, Die politische Korrespondenz der Päpste mit den österreichischen Kaisern 1804-1918, Wien/München 1964; Friedrich Engel-Janosi/Helmut Rumpier (Hrsg.), Probleme der franzisko-josephinischen Zeit 1848-1916, Wien 1967; Georg Franz, Liberalismus. Die deutsch-liberale Bewegung in der habsburgischen Monarchie, München 1955; Georg Franz, Kulturkampf. Staat und katholische Kirche in Mitteleuropa von der Säkularisation bis zum Abschluß des preußischen Kulturkampfes, München o.J.; Michael Freund, Der Liberalismus, Stuttgart 1965; Heinrich Friedjung, Österreich von 1848-1860, 2Bde., Stuttgart-Berlin 1912; Albert Fuchs, Geistige Strömungen in Österreich 1867-1918, Wien 1949, Neudruck Wien 1978; Elisabeth Gold, Die katholische Presse Wiens in der Konkordatszeit 1855-1870 und ihre Stellungnahme zum Konkordat (Phil.Diss.), Wien 1940; Hugo Hantsch, Die Geschichte Österreichs, 2 Bde., Wien, Bd. 14 1959, Bd. 23 1962; Hans Hartmeyer, Die führenden Abgeordneten des Liberalismus in Österreich 1861-1879 (Phil.Diss.), Wien 1949; Joseph Alexander Frhr. von Helfert, Geschichte Österreichs vom Ausgang des Wiener October Aufstandes, 4 Bde., Prag 1869-1886; Eduard Hosp, Kirche im Sturmjahr. Erinnerungen an Johann Michael Häusle, Wien 1952; Eduard Hosp, Zwischen Aufklärung und katholischer Reform. Jakob Frint, Bischof von St. Pölten, Gründer des Frintaneums in Wien, Wien 1962; Max v. Hussarek, Die Verhandlungen des Konkordats vom 18. August 1855. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Staatskirchenrechts, in: Archiv für österreichische Geschichte 109 (1922) 447-811; Max v. Hussarek, Die Krise und die Lösung des Konkordats vom 18. Au-

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Bruno Primetshofer und losef Kremsmair

I. Schule 1. Schule und Konkordat von 1855 Mit der ÜbeIWindung der Revolution des Jahres 1848 folgte sehr bald ein in gemäßigter Form gehaltener Absolutismus2 . Die Berater3 des noch jungen Kaisers suchten das neue politische System auch durch ein Bündnis mit der gust 1855. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Staatskirchenrechts, in: Archiv ffir österreichische Geschichte 112 (1932) 211-480; Rudolf Kiszling, Die Revolution im Kaisertum Österreich 1848/49, 2 Bde., Graz/Köln 1948; Elisabeth Kovacs, Ultramontanismus und Staatskirchenturn im theresianisch-josephinischen Staat, Wien 1975; Elisabeth Kovacs (Hrsg.), Katholische Aufklärung und Josephinismus, Wien 1979; Gerold Lang, Der österreichische Liberalismus und die Außenpolitik (Phil.Diss.), Wien 1948; Gottfried Mayer, Österreich als Katholische Großmacht. Ein Traum zwischen Revolution und liberaler Ära, Wien 1989; Anton Pfaffstaller, Der Stunn wider das Konkordat vom 18. August 1855 bis zu dessen Aufhebung in der Wiener ffihrenden Presse (1867-1870) (Phil.Diss.), Wien 1934; Hebnut Rumpier, Die deutsche Politik des Freiherrn von Beust 1848-1850. Zur Problematik mittelalterlicher Refonnpolitik im Zeitalter der Paulskirche, Wien 1972; lose! Stein, Der Wiener Liberalismus und seine Gegner, Wien 1906; Karl Voce/Jca, Verfassung oder Konkordat? Der publizistische und politische Kampf der österreichischen Liberalen um die Religionsgesetze des Jahres 1868, Wien 1978; lose! Vesely, Der Niedergang des deutschen Liberalismus in Österreich und seine Ursachen (Phil.Diss.), Wien 1958; Erika Weinzierl-Fischer, Die österreich ischen Konkordate von 1855 und 1933, Wien 1960; Eduard Winter, Revolution, Nationalismus und Liberalismus in der Donaumonarchie, Wien 1969; Eduard Winter, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vonnärz, Wien 1968; Andrea Zanotti, Il Concordato Austriaco deI 1855, Milano 1986; Fritz Zeilinger, Staat und Gesellschaft in der Auffassung des österreich ischen Liberalismus (Phil.Diss.), Wien 1948; Brigitte Zeugswetter, Die katholische Kirche und die Wiener Presse 1855-1870. Die Verteidigung der katholischen Prinzipien durch die Kirche und die Agitation ihrer Gegner (Phil.Diss.), Wien 1971. 2 Die Epoche von 1851 bis 1860 ist in Österreich als Neoabsolutismus bezeichnet worden, vgl. dazu: Hugo Hantsch, Geschichte Österreichs, (Anm. 1); Peter Leisching, Die römisch-katholische Kirche in Cisleithanien, in: Die Habsburgennonarchie 1848-1918, hrsg. von Adam WandruszkalPeter Urbanitsch, Bd. IV, Die Konfessionen, Wien 1985, 1-247. 3 Zu den Beratern des Kaisers zählten in der fraglichen Zeit Fürst Felix Schwarzenberg, vgl. Constantin Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich (Wurzbach), 33. Bd., Wien 1877,41-58; Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), 33. Bd., Leipzig 1891, 266-290; Graf Franz Seraph Stadion, vgl. Wurzbach, 37. Bd.,Wien 1878, 1-14; ADB 55. Bd., Leipzip 1919, 228-234 und Freiherr Alexander Bach, vgl. Wurzbach, 1. Bd., Wien 1856, 105-108; ADB Bd. 46, Berlin 1902,158-172.

Beziehungen von Kirche und Staat

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Kirche zu festigen. Dem Heiligen Stuhl kamen diese Bestrebungen entgegen4 , da er nicht allein das Joch des josephinischen Staatskirchenrechts abschütteln, sondern der Kirche ihre Autonomie zurückgeben wollte5 . Diesen Zielen dienten die Beratungen der Bischofsversammlungen des Jahres 1849, deren Ergebnisse eine Reihe von Eingaben an das Innenministerium zum Gegenstand hatten, u. a. auch den Wunsch, mit dem Heiligen Stuhl ein Konkordat abzuschließen6 • Dieser Wunsch entsprang aber letztlich auch aus der Sorge gegenüber den liberalen Forderungen nach der Trennung von Kirche und Staat. Wenngleich durch die Rückkehr zum Absolutismus die Verfassung von 1849 aufgehoben wurde, blieben doch die der Kirche von der Verfassung gewährleisteten Rechte im Grunde erhalten, so daß es bei dem Wunsch nach einem Konkordatsabschluß nicht grundsätzlich um die Befreiung vom josephinischen Staatskirchentum ging, sondern mehr um die einfachgesetzliche Durchsetzung von Ansprüchen, die die Kirche an den Staat seit der josephinisehen Ära immer wieder gestellt hatte. Das am 18. August 1855 von Pro-Nuntius Kardinal Viale PreLa und Erzbischof Rauscher als Bevollmächtigten des Kaisers unterzeichnete Konkordat hatte auf das Schulsystem weitgehende Auswirkungen, so daß man von 1855 bis 1867 von der sogenannten Konkordatsschule spricht. Gemäß Art. 5 unterstand der gesamte Unterricht der katholischen Jugend der Aufsicht der Bischöfe und mußte den Lehren der katholischen Kirche angemessen sein. Art. 6 setzte für die Erteilung des Religionsunterrichts die Ennächtigung durch den Bischof voraus, nach Art. 7 dieses Konkordats durften nur Lehrer und Professoren ernannt werden, die in bezug auf Glaube und Sittlichkeit hiefür geeignet und makellos waren, und Art. 8 legte die Oberaufsicht der Kirche über alle Volksschullehrer, nicht nur die Religionslehrer, fest. Damit war der Kirche bestimmender Einfluß auf das niedere und mittlere Schulwesen gewahrt, die Entwicklung der katholischen Schultradition fand ihren letzten und abschließenden Höhepunkt. Der konsequente Widerstand vieler Liberaler gegen die Konkordatsschule hat die Auswirkungen des kirchlichen

4 Vom HI. Stuhl wurde schon 1816 ein Konkordatsabschluß mit Österreich angeregt. Auch in den Jahren 1832 und 1840 ist ein Konkordatsprojekt im Gespräch gewesen, vgl. dazu Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 14 ff. 5 Max Hussarek, Verhandlungen (Anm. 1) 460 ff; Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 26 ff; Andrea Zanotti, 11 Concordato Austriaco dei 1855, Milano 1986. 6 Peter Leisehing, Die Bischofskonferenz, Wien 1963, 126 ff.; Johann Schmidt, Entwicklung der katholischen Schule in Österreich, Wien 1958, 84 ff.

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Bruno Primetshofer und Josef Kremsmair

Einflusses auf das Schulwesen von Anfang an aber nicht voll zur Geltung kommen lassen7 • Für den Bereich des niederen Schulwesens hat das Konkordat von 1855 die Identität - von ganz geringen Ausnahmen abgesehen - von öffentlicher und katholischer Schule herbeigeführt und der katholischen Kirche die Herrschaft über das Schulwesen gesichert8 • Die Konkordatsschule trat jedoch unter keinen guten Vorzeichen an. Die Thun 'sehe Unterrichtsrefonn des Jahres 184~ erfaßte hauptsächlich die Universitäten und Gymnasien, das niedere Schulwesen blieb hingegen unverändert. Das Bildungsniveau differierte innerhalb der Monarchie erheblich und war im Vergleich mit anderen Ländern sehr niedrig. Der Widerstand gegen das Konkordat war seit seinem Inkrafttreten nicht nur von staatlicher, sondern auch kirchlicher Seite vorhanden, weil die ungarischen Bischöfe das Konkordat als Mittel zu einem zentralistischen Staat betrachteten lO • Zu sehr hatte die Kirche auf fast allen staatlichen Gebieten an Einfluß gewonnen. Das Konkordat, das zweifellos als Teil des staatlichen Autbauprogramms dem System des Neo-Absolutismus nützen sollte, erwies sich für die Festigung des politischen Systems rasch als trügerisch 11. Die Niederlage der Monarchie auf den italienischen Schlachtfeldern bei Magenta und Solferino im Jahr 1859 hatte weitreichende politische Konsequenzen. Der 7 Julius MendelEva Staritz/lngrid Tomschitz, Schule und Gesellschaft, Entwicklung und Probleme des österreichischen Bildungssystems, Wien 1980, 94. Johann Schmidt (Anm. 6) 85 ff.; Hans Kriegl, Schule und Kirche, in: Kirche in Österreich 1918-1965, Bd. 1, Wien/München 1966, 302-315; Robert Höslinger, Rechtsgeschichte des katholischen Volksschulwesens in Österreich, Wien 1937,99-105. 8 Dazu sind auch die konfessionellen Schulen der Evangelischen Kirche und die jüdischen Schulen zu zählen. Vgl. dazu: Ernst Mayerhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst, Bd. 4, Wien 1898, 418 ff. und 495. 9 Hans Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962; Richard Meister, Lehr- und Lern freiheit in der Thun'schen Universitätsreform und in der Gegenwart in Österreich, in: Anzeiger der phil.-histor. Klasse der österreichischen Akademie der Wissenschaften, J g. 1957, 207 ff.; Gustav Strakosch-Grassmann, Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens, Wien 1905; Ernst Hefel, Das Kultuswesen. Vorgeschichte und die Zeit von 1848-1867, in: 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848-1948, Wien 1948,412-426. 10 Pius IX. forderte die ungarischen Bischöfe auf, ihren Widerstand gegen das Konkordat aufzugeben. Vgl. dazu: Gabor Adrianyi, Die Stellung der ungarischen Kirche zum österreichischen Konkordat von 1855, Rom 1963; Moritz Csaky, Die römische-katholische Kirche in Ungarn, in: Die Habsburgermonarchie 1848-1918, hrsg. von Adam Wandruska/Peter Urbanitsch, Bd. IV, Die Konfessionen, Wien 1985,240331, hier 260 f. 11 Georg Franz, Kulturkampf (Anm. 1) 82 ff.

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Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Ära war unausweichlich. Erst durch den Systemwechsel konnten die liberalen Forderungen auf kirchenpolitischem Gebiet erneut erhoben werden. Schon in der 5. Sitzung des Abgeordnetenhauses, am 11. Mai 1861, kündigte Staatsminister Schmerling an, die Regierung werde einen "Gesetzentwurf, betreffend die interkonfessionellen Rechtsverhältnisse der Akatholiken zur Katholischen Kirche, betreffend daher die Rechtsverhältnisse in gemischten Ehen, in der Kindererziehung und dem Übertritt von einer Religion zur anderen" ausarbeiten lassen und dem Reichsrat zur Annahme empfehlen l2 . Parallel dazu stellte der radikale Vertreter der Verfassungspartei, Dr. Eugen von Mühlfeld, zur Sicherung der politischen Freiheiten am 1. Juni 1861 den Antrag, mehrere Ausschüsse zur Erstellung von vier Gesetzesentwürfen zu bestellen l3 . Wenige Tage später, am 8. Juni 1861 14 , wurde der Antrag mehrheitlich von den Abgeordneten angenommen, und am 11. Juni 1861 kam es bereits zur ersten Lesung des Antrages Mühlfeld l5 . In der Begründung desselben stellte Mühlfeld fest, daß eine gesetzmäßige Verankerung der Grundrechte unbedingt erforderlich sei und ohne dieselben der Mensch in seiner Würde nicht bestehen könne. Außerdem sei sein Anliegen von einem großen Teil der Bevölkerung getragen, die an die Stelle des noch immer bestehenden Polizeistaates den Rechtsstaat verankert wissen wolle l6 . In den Reden des Abgeordneten Mühlfeld, der schon im Jahre 1848 als gewählter Vertreter der Professorenschaft der Wiener Universität in der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten großes Aufsehen erregte, zeigte sich ab diesem Zeitpunkt ein massiver Kampf gegen das Konkordat und das Bemühen, das Verhältnis von Kirche und Staat nach liberalen Prinzipien neu zu ordnen 17. Eine Präzisierung des Antrags Mühlfeld erbrachten die Anträge des Abgeordneten Herbst bei der zweiten Lesung, wobei Herbst dafür eintrat, die Ge12 Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates (Sten. Prot. d. Abg. Hauses), I. GP, 1861-1862,5. Sitzung vom 11. Mai 1861, 49. 13 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862, 10. Sitzung vom 1. Juni 1861, 205. 14 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862, 12. Sitzung vom 8. Juni 1861, 23l. 15 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862,13. Sitzung vom 11. Juni 1861, 273-278. 16 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862, 13. Sitzung vom 11. Juni 1861, 274. 17 Über Eugen Mühlfeld: Wurzbach 19 (1868) 314 ff; Kurt Jeschko, Eugen von Mühlfeld. Ein großösterreichischer Politiker (Phil.Diss.), Wien 1961; Der Reichsrat, Biographische Skizzen der Mitglieder des Herren- und Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, Heft: 2, Wien 1862,20-23.

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setze über das Vereins- und Versammlungsrecht, sowie die Gesetze zum Schutz der Freiheit der Person und des Hausrechtes, sowie des Briefgeheimnisses möglichst rasch zu verabschieden, während zwei weitere ständige Ausschüsse sich mit den Vorlagen für Wissenschaft und Unterricht und mit den konfessionellen Angelegenheiten beschäftigen sollten l8 . Die General- und Spezialdebatte dauerte noch den ganzen Monat Juni an und endete am 5. Juli 1861 mit der Wahl der Ausschußmitglieder l9 . Den Ausschuß bildeten insgesamt zwölf Mitglieder; infolge einer andauernden Abwesenheit von drei Abgeordneten war im August 1861 eine Ergänzungswahl notwendig geworden, bei der die Bischöfe Litwinowicz und Jirsik sowie Graf Belcredi in den Ausschuß nominiert wurden20 . Der Gesetzesentwurf zusammen mit dem Ausschußbericht lag in der Sitzung vom 7. Dezember 1861 zur Beschlußfassung vor. Der Entwurf, der von Mühlfeld verfaßt und unter dem Namen "Religionsedikt von Mühlfeld" bekannt und mehrheitlich angenommen wurde, sollte gemäß einem Beschluß des Ausschusses dem Reichsrat zur Genehmigung vorgelegt werden. Das aus 71 Artikeln bestehende Religionsedikt, das mit dem gleichnamigen Verfassungsgesetz Bayerns aus dem Jahre 1818 sowohl im Aufbau als auch im Inhalt große Ähnlichkeit aufwies, enthielt nach einem allgemeinen Grundrechtekatalog die von den Liberalen postulierte Trennung von Kirche und Staat und damit die Beseitigung des Konkordats. Der Einfluß der Kirche auf das Schulwesen sollte auf die Erteilung des Religionsunterrichts reduziert21 , die Gesetzgebung und die Gerichtsbarkeit über die Ehe gänzlich der Kompetenz des Staates übergeben, hingegen die Abgabe der Ehewillenserklärung auch weiterhin vor dem Seelsorger vorgenommen werden22 • In vermögensrechtlicher Hinsicht wäre die Kirche durch die Beseitigung sämtlicher Privilegien und durch eine staatlicherseits detaillierte Reglementierung kirchlicher Einkünfte überhaupt der Möglichkeit beraubt worden, ihre kirchenin18 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862, 15. Sitzung vom 19. Juni 1861,

294 f.

19 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862, 21. Sitzung vom 5. Juli 1861, 437 ff. 20 Steno Prot. d. Abg. Hauses, I. GP, 1861-1862, 38. Sitzung vom 14. August 1861, 808, 821. 21 "Gesetz womit die Grundsätze und Vorschriften in betreff der Religionsverhältnisse überhaupt und der Kirchen und Religionsgesellschaften insbesondere für die durch den engeren Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder festgestellt werden" (Religionsedikt Mühlfeld), Art. 43-44. Das Religionsedikt wurde von der Wiener Zeitung am 26. Februar 1862 publiziert. 22 Religionsedikt Mühlfeld, Art. 46-48. Franz Joseph Buss, Österreichs Umbau im Verhältnis des Reiches zur Kirche, Wien 1862,384 ff.

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ternen, seelsorglichen, sozialen und karitativen Aufgaben in bisher bestehendem Umfang zu vetwirklichen23 . Eine Behandlung des Religionsedikts im Abgeordnetenhaus unterblieb nicht zuletzt deshalb, weil der damalige Präsident, Dr. Franz Hein, es nicht wagte, einen Gesetzesentwurf von dieser Tragweite auf die Tagesordnung zu bringen24 . Außerdem erstellte die Regierung Schmerling im Oktober 1861 den schon im Mai 1861 angekündigten Gesetzesentwurf, der am Weiterbestand des Konkordats nicht rütteln, dafür aber die konfessionelle Parität in Österreich vetwirklichen sollte, und daher längst nicht die radikale Forderung Mühlfelds einer Trennung von Kirche und Staat enthielt. Das Religionsedikt erlangte aber dennoch eine über die Grenzen der Monarchie weit hinausreichende Publizität, so daß der Entwurf von der Londoner "Times" als die "freisinnigste Verfassung von allen Ländern der Erde" gepriesen wurde, und der bayerische Gesandte die Ansicht äußerte, daß nicht nur das Konkordat völlig umgestoßen, sondern die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in einer Weise geregelt würden, "weIche weit über die josephinische Gesetzgebung hinausginge"25. Der von Staatsminister Schmerling veranlaßte und vom Kaiser am 24. Juni 1862 genehmigte Gesetzesentwurf zur Regelung konfessioneller Rechtsverhältnisse zwischen den Katholiken und den Angehörigen der übrigen christlichen Konfessionen26 , der allerdings der Reichsvertretung nie zur Beratung vorgelegt wurde, bildete die Grundlage für die Mission des damaligen Weihbischofs von Vorarlberg, Joseph Feßler. Im Auftrag der Regierung wurde Feßler im Mai 1863 nach Rom entsandt, um mit der Kurie über die Wünsche Österreichs zu verhandeln. Ein Ergebnis konnte nicht erzielt werden, obwohl Verhandlungen nur über die Eingehung von Mischehen aufgrund der Übereinkunft von 1841 27 , die religiöse Erziehung der Kinder aus diesen Ehen und den Religionswechsel unter den christlichen Bekenntnissen geführt wurden.

23 Religionsedikt Mühlfeld, Art. 51-57. 24leschko, Mühlfeld (Anm. 17) 73; Brigitte Zeugswetter, Katholische Kirche und die Wiener Presse 1855-1870. Die Verteidigung der katholischen Prinzipien durch die Kirche und die Agitation ihrer Gegner (Phil.Diss.), Wien 1971, 51 ff. 25 leschko, Mühlfeld (Anm. 17) 73; Franz, Kulturkampf(Anm. 1) 87. 26 AVA, Kultusregistratur Präsidium Zl. 3547/1861. Konfessionelle Rechtsverhältnisse zwischen den Katholiken und den übrigen anerkannten Konfessionen. 27 Die Verhandlungen wurden geftihrt auf der Basis der Übereinkunft zwischen Österreich und dem Hl. Stuhl vom Jahr 1841, vgl. dazu: Bruno Primetshofer, Rechtsgeschichte der gemischten Ehen in Österreich und Ungarn (1781-1841), Wien 1967; Zur sogenannten "Mission Feßler" der Jahre 1863/64 vgl. losef Kremsmair, Interkonfessionelle Rechtsverhältnisse in Österreich im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat. Die römische Mission Bischof Feßlers 1863/64, Würzburg 1993. 7 Primetshofer

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In Österreich standen zu dieser Zeit aber staats- und verfassungsrechtliche Fragen so sehr im Vordergrund, daß die Bemühungen um eine Revision der interkonfessionellen Rechtsverhältnisse von vatikanischer Seite abgelehnt wurden; daher waren die Verhandlungen von Anfang an nutzlos und wurden 1864 ergebnislos abgebrochen28 . Der Durchbruch des Liberalismus sollte ebenso wie die Einführung der konstitutionellen Monarchie durch ein außenpolitisches Ereignis bewirkt werden. Die verlorene Schlacht von Königgrätz bedeutete zugleich auch die Niederlage für die katholische Reichskonzeption Österreichs. Nicht nur die gesamtstaatliche Einheit ging mit dem sogenannten nAusgleich n29 mit Ungarn verloren, sondern in weiten Kreisen herrschte die Auffassung, "der preußische Schulmeister" habe über die österreichische "Konkordatsschule" gesiegt30 . Für die Liberalen war jetzt die Stunde gekommen, um ihr kulturpolitisches Programm durchzusetzen. Anläßlich der Eröffnung des neugewählten Abgeordnetenhauses erklärte am 20. Mai 1867 der Präsident des Hauses, Dr. Giskra, es gehöre zu den nächsten Aufgaben, "allen Confessionen gleiche Berechtigung zu geben und Staatsbürger und Staatsgewalt zu entlasten von den Folgen unglückseliger Verträge"3I. Die Behauptung Giskras ist insofern ungenau, als den Evangelischen AB und HB im Protestantenpatent von 1861 die grundsätzliche Gleichberechtigung gegeben wurde32 . Obwohl der Kaiser vor versammeltem Reichsrat in seiner Thronrede am 22. Mai 1867 weder das Konkordat noch die konfessionelle Gesetzgebung zur Sprache brachte, enthielt die an den Kaiser gerichtete Antwortadresse des Abgeordnetenhauses die Forderung nach Revision des Konkordats: "Wir müssen es aber auch als eine unabweisliche Notwendigkeit bezeichnen, daß im Wege der verfassungsmäßigen Gesetzgebung an die Revision des Concordates in jenen Beziehungen geschritten werde, welche in den Bereich der Staatsge28 Max Hussarek, Krise und Lösung (Anm. 1) 230; Kremsmair, Interkonfessionelle Rechtsverhältnisse (Anm. 27). 29 Zur Geschichte des Ausgleichs mit Ungarn, vgl. Friedrich Walter, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1500-1955, Wien 1972,220 ff. 30 Max Hussarek, Krise und Lösung (Anm. 1) 232 f. 31 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, Sitzung vom 20. Mai 1867,2. 32 Georg Loesche, Von der Toleranz zur Parität in Österreich 1781-1861, Leipzig 1911 und Georg Loesche, Von der Duldung zur Gleichberechtigung. Archivalische Beiträge zur Geschichte des Protestantismus in Österreich 1781-1861, Wien 1911; Karl Völker, Das Zustandekommen des österreichischen Protestantenpatents vom 8. April 1861, in: JGPrÖ 52 (1931) 3-68; Wilhelm Kühnerl, Hundert Jahre Protestantenpatent, in: ÖAKR 12 (1961) 81-86; Gustav Reingrabner, Protestanten in Österreich, Wien/Graz/Köln 1981; Grete Mecenseffy, Geschichte des Protestantismus in Österreich, Graz 1956; Friedrich Gottas, Die Geschichte des Protestantismus in der Habsburgermonarchie, in: Die Habsburgermonarchie 1848-1918, hrsg. von Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch, Bd. IV, Die Konfessionen, Wien 1985,489-595, bes. 554 ff.

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setzgebung fallen. Wir ehren die Unabhängigkeit der Kirche und sind weit entfernt, derselben jemals nahetreten zu wollen. Wir sind aber auch überzeugt, daß weder ein Gesetz noch ein Vertrag für alle Zukunft Rechte unwiderruflich aufgeben könne, welche nach der heutigen Entwicklung des staatlichen Lebens zu den wesentlichen Hoheitsrechten des Staates gehören. Wir halten es für unmöglich, daß der Staat sich seiner Rechte in bezug auf die Ausübung der Justizgewalt und auf die Gesetzgebung in Sachen des Unterrichtes zugunsten einer von ihm völlig unabhängigen Macht habe entäußern oder sich des Rechts begeben können, das Natürlichste aller politischen Rechte, das der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, ohne Rücksicht auf die Confession, welcher sie angehören, im vollsten Umfange verwirklichen zu dürfen. "33 In der anschließenden Debatte über die Adresse an den Kaiser faßte der Abgeordnete Roser die Argumente für eine Beseitigung des Konkordats zusammen. Das Konkordat beherrsche das Bildungs- und Unterrichtswesen, zu Lehrern würden nur noch Katholiken ernannt, und das Eherecht sei gänzlich in der Hand der Kirche. Das Aufgeben der Freiheitsrechte komme einem Verzicht auf die konstitutionellen Rechte gleich. Daß diese längst fälligen Reformen nicht unbedingt die Trennung von Kirche und Staat bedeuten müßten, gab der Abgeordnete Roser klar zu verstehen, wobei er die Hoffnung aussprach, "daß die freie Kirche im freien Staat einkehren werde"34 Der Abgeordnete Schneider, Superintendent aus Schlesien, bemängelte trotz der grundsätzlichen Gleichheit aller vor dem Gesetz die tatsächliche SchlechtersteIlung der Protestanten in bezug auf Schule, Mischehe und religöse Erziehung der Kinder3 5. Der Abgeordnete Dr. von Mühlfeld zeigte in der Debatte die seiner Meinung nach unhaltbaren Zustände im Ehe- und Schulwesen auf. Schon am 17. Juni 1867 brachte dieser erbitterte Konkordatsgegner den Antrag ein, seinen bereits in der ersten Wahlperiode vorgelegten Entwurf eines Religionsgesetzes in Verhandlung zu nehmen 36 . Dieser wurde am 10. Juli 1867 angenommen und von Dr. Mühlfeld begründet: "Durch dieses Gesetz sollten die Fesseln, in welche mitte1st des in Folge des unverantwortlichen Rathes damaliger Minister zwischen dem Regenten Österreichs und dem Haupte der katholischen Christenheit geschlossenen, 33 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 7. Sitzung vom 5. Juni 1867, 138 ff.; Gustav Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 1, Wien/Leipzig 1902, 262. Das Herrenhaus brachte in seiner Antwortnote an den Kaiser die Aufhebung des Konkordats nicht vor. 34 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP 7. Sitzung vom 5. Juni 1867, 144. Dieser Begriff ist erstmals von Camillo Cavour geprägt worden, allerdings mit einer gegenüber dem heutigen Verständnis wesentlich anderen Zielsetzung, vgl. dazu: Enciclopedia Cattolica, Bd. 3, Vatikan 1949, 1213-122l. 35 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 7. Sitzung vom 5. Juni 1867,145. 36 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 9. Sitzung vom 17. Juni 1867, 182.

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unter dem Namen des Concordates bekannten Übereinkommens nicht blos das Volk Österreichs, sondern - ich sage es mit Nachdruck - seine Regierung und deren Organe geschlagen wurden, gelöst werden ... !" "Die ausschließliche Bevorzugung der katholischen Kirche hat aufzuhören, die Rechte der Protestanten haben in dem Maße stattzufmden, daß diese den Katholiken gleichberechtigt sind und daß die Israeliten von allen diesen Fesseln und von allen jenen Bedrückungen befreit zu sein haben, daß sie gleichzuhalten sind eben den Christen, darüber, scheint mir, ist kein Wort zu verlieren"37. Einen Tag später brachte Dr. Herbst zusammen mit 74 Abgeordneten einen Dringlichkeitsantrag ein, es seien Gesetzesentwürfe über die Ehegesetzgebung, die interkonfessionellen Verhältnisse und das Verhältnis von Schule zur Kirche zu verfassen und dem Abgeordnetenhaus vorzulegen38 . Auch dieser Antrag wurde angenommen und dem konfessionellen Ausschuß zugewiesen39 . Damit war der Grundstein für die liberale Gesetzgebung gelegt.

2. Liberale Schulgesetzgebung In der liberalen Gesetzesära wurde das der Kirche im Konkordat von 1855 eingeräumte Aufsichtsrecht über Schule und Lehrer beseitigt und - den Religionsunterricht ausgenommen - die Schule gänzlich der obersten Aufsicht des Staates unterstellt40 . Das Verhältnis der Kirche zur Schule blieb bis zum Konkordat von 1933 auf der Basis des Staatsgrundgesetzes von 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger4 1, durch das Gesetz über das Verhältnis der Schule zur Kirche von 186842 und das Reichvolksschulgesetz von 186943 im Sinne des Liberalismus geregelt. Diese Gesetze führten einen radikalen Wandel in der Schultradition herbei. Die Identität von öffentlicher und katholischer Schule wurde beseitigt und die interkonfessionelle Schule einge-

37 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 17. Sitzung vom 10. Juli 1867. 38 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 18. Sitzung vom 11. Juli 1867,339. 39 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 19. Sitzung vom 13. Juli 1867,379 f.

40 Felix Ennacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, Wien 1963, 462 ff.; Richard SchmilZ, Schulrecht in Österreich, in: Staats lexikon , Bd. IV, Freiburg 1931, Sp. 1370 ff.; Paul M. Zulehner, Kirche und Austromarxismus, Wien 1967,25 ff.; Hans Kriegl, Kirche und Schule, in: Kirche in Österreich 1918-1965, 1. Bd., Wien 1966,302 ff.; Nikolaus Severinski, Der Kampf um den Religionsunterricht in Geschichte und Gegenwart, in: Religionsunterricht und "offene Gesellschaft", Wien/Freiburg/BaseI1984,45-58. 41 RGBI. Nr. 142/1867. 42 RGBI. Nr. 48/1868. 43 RGBI. Nr. 62/1869.

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führt. Auf das öffentliche Schulwesen im allgemeinen hatte die Kirche keinen Einfluß mehr. Dieser wurde auf die Besorgung, Leitung und unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes, die Auswahl und Ermächtigung der Religionslehrer, die Festsetzung der Lehrpläne und Lehrbehelfe beschränkt. Katholische Schulen durften nur mehr als Privatschulen geführt werden. Diese konnte die Kirche aus eigenen Mitteln errichten und erhalten44 , sie waren aber den gesetzlichen Bestimmungen des Unterrichtswesens unterworfen, und die Zuerkennung der Rechte einer öffentlichen Lehranstalt blieb an die Erfüllung aller gesetzlichen Bedingungen geknüpft, die für diese Anstalten gefordert waren45 . Der Religionsunterricht und die religiösen Übungen blieben in Vollcs-, Haupt-, Mittel- und an manchen Fach- und Fortbildungsschulen verpflichtend. Die vom Staat errichteten und erhaltenen Schulen wurden aber nicht als konfessionslose, sondern als interkonfessionelle Schulen geführt, d. h. die öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten waren allen Staatsbürgern ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses zugänglich. Die Debatten über dieses Gesetzeswerk führten sowohl im Abgeordnetenals auch im Herrenhaus zu höchst dramatischen Wendungen. Während der Antrag Mahlfeld der Aufhebung des Konkordats gleichkam46 , gingen die Bestrebungen des Abgeordneten Herbst dahin, wesentliche Bestandteile des Konkordats durch Einzelgesetze außer Kraft zu setzen47 . Daraus ist erkennbar, daß die liberale Bewegung in sich selbst in einen eher radikalen Flügel und in eine gemäßigte Gruppe gespalten war. Letztere hat sich schließlich bei der Verwirklichung kulturpolitischer Grundsätze durchsetzen können, da sie doch auch weitgehend pragmatische Ziele verfolgte. In der 22. Sitzung der neuen Gesetzgebungsperiode stellte der Abgeordnete aus Tirol, Dr. Jäger, am 19. Juli 1867 einen Gegenantrag, der auf eine neuerliche Vereinbarung zwischen Kaiser und Papst über die offenen Fragen, die vom Abgeordnetenhaus zu bestimmen seien, abzielte48 • Dieser dritte Antrag, der die besondere Unterstützung durch die im Abgeordnetenhaus vertretene katholische Geistlichkeit fand, hatte indes keine Aussicht, in Verhandlung genommen zu werden. Der Abgeordnete Mahlfeld suchte nun argumentativ nachzuweisen, daß es notwendig sei, zuerst die Grundsätze des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu regeln und dann erst, wo sich die Notwendigkeit ergibt, Spezialge44 Art. 17 Abs. 2 StGG v. 21. 12. 1867, RGBI. Nr. 142 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. Mai 1868, RGBI. Nr. 48. 45 § 4 Abs. 2 des Gesetzes vom 25. Mai 1868, RGBI. Nr. 48. 46 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 9. Sitzung vom 17. Juni 1867,182. 47 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 18. Sitzung vom 11. Juli 1867,339. 48 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP. 22. Sitzung vom 19. Juli 1867,484.

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setze zur Ausführung dieser Grundsätze zu erlassen. Mit einem Appell an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses hoffte Mühlfeld, doch noch eine Mehrheit für seinen Antrag zu gewinnen: "Wie Sie aber darüber denken, meine Herren, ich habe die Überzeugung und dieser Überzeugung gemäß warne ich, partielle Gesetze zu erlassen statt des allgemeinen Religionsgesetzes, warne ich, mit der Arbeit jener speziellen Gesetze sich früher zu beschäftigen, bevor das Religionsgesetz in Angriff genommen und dem Hohen Hause vorgelegt worden ist. Ich behaupte, es hat das Religionsgesetz, so bald Sie diesen Weg der Spezialgesetzgebung betreten, keinen Raum und keine Zeit mehr, und die Folge wird sein, daß dieses Religionsgesetz, das zum zweiten Male durch mich an das Licht gebracht wurde, abermals in das Dunkel des Archivs wandert; das erste Mal durch das Präsidium dieses Hohen Hauses, das zweite Mal durch das Hohe Haus selbst. Darum warne ich vor der Annahme des Antrages des Herrn Dr. Herbst. "49 Die im einzelnen auseinandergehenden Absichten der Konkordatsgegner wurden durch eine Initiative der Regierung in Frage gestellt. Namens dieser kündigte der interimistische Kultusminister Ritter von Hye an, die Regierung werde bemüht sein, "... die Lösung aller Fragen, welche in das kirchliche Gebiet und zugleich in die Rechtssphäre der Staatsgewalt, sowie in das in oberster Linie der Leitung der Regierungsgewalt vorbehaltene Unterrichtswesen einschlagen, vorerst im Wege conciliatorischer Verhandlungen mit der Kirche auf eine solche Art einzuleiten, daß selbst jeder Anschein der Mißachtung bestehender Vertragsverhältnisse vermieden werde"So. Diese Äußerung bewirkte bei den Konkordatsgegnern Besorgnis, bei den Konkordatsfreunden aber derartige Zuversicht, daß der Abgeordnete Jäger als Wortführer der Konservativen einen zweiten Antrag stellte, unter gleichzeitiger Zurücknahme seines früheren für den Fall, daß sein zweiter angenommen würde. Dieser zweite Antrag sah vor, daß die Verhandlung über die vorliegenden drei Anträge bis auf den Zeitpunkt zu vertagen sei, an dem die Regierung die zugesagten Vorlagen vor das Haus bringe51 . Die Anträge kamen noch in derselben Sitzung zur Abstimmung. Der Antrag Jägers auf Vertagung der Gesetzesanträge wurde mehrheitlich vom Abgeordnetenhaus abgelehnt, wie auch der erste Antrag Jägers, der Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl verlangte. Daraufhin gelangten die drei An-

49 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 23. Sitzung vom 20. Juli 1867,496. 50 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 23. Sitzung vom 20. Juli 1867,503. 51 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 23. Sitzung vom 20. Juli 1867,507.

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träge des Abgeordneten Dr. Herbst zur Abstimmung und wurden mit großer Mehrheit angenommen52 . Inzwischen kam es durch Ereignisse außerhalb des Reichsrates zu jenen dramatischen Entwicklungen innerhalb der von kulturkämpferischen Erlementen geprägten Epoche5 3 , die zweifellos zu Auswirkungen auf das Haus der Abgeordneten führten. Die in Wien im September 1867 versammelten Bischöfe hatten in einer an den Kaiser gerichteten Adresse die Angriffe gegen die Kirche scharf kritisiert und die kirchlichen Interessen auf Ehe und Schule verteidigt54 . Der Kaiser wurde aufgefordert, den Fortbestand des Konkordats zu sichern. Durch entstellende Mitteilungen der Tagespresse sah sich der Episkopat veranlaßt, den Wortlaut der Adresse gegen seine ursprüngliche Absicht Anfang Oktober zu veröffentlichen55 . Die allgemeine Empörung über diesen Schritt der Bischöfe führte in der Öffentlichkeit zu einer Radilmlisierung der Standpunkte. Der Abgeordnete Mühlfeld stellte unter dem Eindruck dieser, wie er sagte "Provokation" in der 33. Sitzung des Abgeordnetenhauses den Antrag, das Patent vom 5. November 1855, RGBI. Nr. 195, mit dem in Österreich das Konkordat innerstaatlich Gesetzeskraft erlangte, aufzuheben56 • Zwei Tage später, am 11. Oktober 1867, hielt Mühlfeld anläßlich der ersten Lesung seines Antrages eine flammende Rede gegen das Konkordat. Seit 1861 sei es seine Absicht gewesen, das Konkordat durch staatliche Gesetze auszuhöhlen, die Adresse der Bischöfe an den Kaiser habe aber nun bei ihm einen derartigen Gesinnungswandel bewirkt, so daß er für die gänzliche Aufhebung des Konkordats eintrete: "Allein, wie gesagt, das war eine Frage; am heutigen Tag kann meines Dafürhaltens eine Frage darüber nicht mehr bestehen, welchen Weg man gehe Angesichts jener Adresse, welche die Versammlung der 25 Bischöfe in Wien an Se. Majestät den Kaiser 52 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 23. Sitzung vom 20. Juli 1867,513 f.

53 Im Gegensatz zu Deutschland, wo es in der liberalen Ära besonders in Preußen zu einem echten Kulturkampf gekommen ist, wirkte sich in Österreich der Liberalismus keineswegs in gesetzgeberisch antikirchlichen Maßnahmen aus, obgleich auch in Österreich kulturkämpferisches Gedankengut weiter Verbreitung fand. Vgl. dazu: Georg Franz, Kulturkampf (Anm. 1) 82 ff.; Kurt Wimmer, Liberalismus in Oberösterreich, Linz 1979 (= Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs, 6); Jose! Fontana, Der Kulturkampf in Tirol 1861-1892, Bozen 1978 (= Schriften reihe des Südtiroler Kulturinstitutes, 6). 54 Zur Adresse der österreichischen Bischöfe an den Kaiser vgl.: Cölestin Wolfsgruber, Joseph Othmar Cardinal Rauscher. Sein Leben und sein Wirken, Freiburg 1888, 190 ff.; Karl Vocelka, Verfassung (Anm. 1) 113 ff. 55 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 105; Karl Vocelka, Verfassung (Anm. 1) 64; Cölestin Wolfsgruber, Rauscher (Anm. 54) 190 ff. 56 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 33. Sitzung vom 9. Oktober 1867, 798.

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richtete. Angesichts dieses Werkes, sage ich, wäre es Schwäche und Muthlosigkeit, noch jenen Weg zu gehen, wo man nur das Blut jenem Gesetz abzapfen möchte, damit es zu Grunde geht, statt daß man ihm unmittelbar an den Leib geht und Dasjenige, was nichts taugt, auch in der That der Vernichtung preisgebe "57. Um die Liquidierung des Konkordats auch juristisch vertreten zu können, differenzierte Mühlfeld zwischen der völkerrechtlichen Gültigkeit, nach der eine einseitige Aufhebung zumindest umstritten war, und jenem innerstaatlichen Gesetz, das zur Einhaltung des Konkordats verpflichte. Überhaupt verpflichte die österreichischen Staatsbürger nicht das Konkordat, sondern das Gesetz vom 5. November 1855. Dieses Gesetz könne jederzeit abgeändert werden, da ein Konkordat auch für die katholische Kirche nicht notwendig sei. Auch dieser Antrag ist in formeller Behandlung dem konfessionellen Ausschuß zugewiesen worden und teilte dort das Schicksal aller Anträge von Mühlfeld - er blieb unerledigt58 . In der Phase der allgemeinen Erregung wirkte das in seinem Ton abweisend und schroff gehaltene kaiserliche Handschreiben59 an Kardinal Rauscher bei den Liberalen beruhigend. Als in der 39. Sitzung am 17. Oktober 1867 der Wortlaut des Schreibens an den Kardinal verlesen wurde, worin der Kaiser sich zum Konstitutionalismus bekannte und alle Maßnahmen, die gegen diesen gerichtet werden, verurteilte und außerdem versprach, daß in Österreich nicht nur die Gewissensfreiheit eine sichere Stätte finden, sondern auch religiöser Friede herrschen solle, da stimmte die Versammlung der Abgeordneten spontan ein dreimaliges Hoch auf den Kaiser an. Der Kaiser hatte die Ziele der liberalen Kulturpolitik akzeptiert und erstmals zu erkennen gegeben, daß er sich nicht mehr für die Aufrechtferhaltung des Konkordats einsetzen werde60 .

Die Beratung der vom konfessionellen Ausschuß erstellten Gesetzesentwürfe im Sinne der Anträge des Abgeordneten Herbst ging im Abgeordnetenhaus sehr rasch vor sich. Den Ausschußbericht über das Schulgesetz legte der Abgeordnete Figuly in der 43. Sitzung am 25. Oktober 1867 dem Haus vor6 1• Ignaz von Figuly, Mitglied der von Dr. Karl Wiser geführten 57 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 35. Sitzung vom 11. Oktober 1867, 847 ff. 58 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 35. Sitzung vom 11. Oktober 1867, 850 f. 59 Abgedruckt ist das Handschreiben bei: Cölestin Wolfsgruber, Rauscher (Anm. 54) 194 und auch bei Vocelka, Verfassung (Anm. 1) 118. 60 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 39. Sitzung vom 17. Oktober 1867, 995; Cölestin Wolfsgruber, Rauscher (Anm. 54) 194; Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 106. 61 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 43. Sitzung vom 25. Oktober 1867,1139.

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"Äußersten Linken"62, war ein konsequenter Verfechter des Grundsatzes der Emanzipation der Schule von der Kirche, sprach aber zugleich beiden Institutionen gleich wichtige Erziehungsaufgaben zu: "Schule und Kirche können und sollen unter dem Schutze des Staates nebeneinander bestehen, sie mögen sich freundlich die Hand reichen; beide sollen auf Sittlichkeit, Humanität und Bildung vereint hinwirken"63. Die Unabhängigkeit des Staates von der Kirche fordere aber zugleich die Unabhängigkeit der Schule wie auch die Gleichberechtigung der Konfessionen. Aus den Debattenbeiträgen der liberalen Vertreter ist herauszulesen, daß es den Liberalen keineswegs um eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen Religion oder Glauben ging, sondern sie bekämpften eine ihrer Meinung nach zu sehr in die Tagespolitik eingreifende Kirche, die über den Staat Herrschaft ausüben wollte64 . Es wurde den liberalen Abgeordneten eigentlich zu Unrecht der Vorwurf gemacht, sie beabsichtigten, die Religion gänzlich aus der Schule zu verdrängen. In der Tat richtete sich ihre Kritik lediglich gegen das konfessionelle Schulwesen und insbesondere gegen die geistliche Schulaufsicht, nicht aber gegen die Möglichkeit der Kirche, Religionsunterricht zu erteilen. Von kirchlicher Seite wurde sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments immer wieder die Behauptung vorgebracht, der Unterricht auch in den Profanfächern ließe sich nicht von religiösen Grundlagen trennen. Immer wieder wurde die Befürchtung geäußert, die von den Liberalen projektierte Schule erziehe zur Konfessionslosigkeit; die Loslösung (Emanzipation) der Schule von der kirchlichen Aufsicht sei nicht nur verwerflich, sondern zutiefst areligiös. Nach einer vier Tage langen ausführlichen Debatte, in der der Abgeordnete Schindler die Wissenschaftsfeindlichkeit der katholischen Kirche zum Gegenstand grundsätzlicher Auseinandersetzungen machte65 , ist das Schul gesetz vom Abgeordnetenhaus in der 46. Sitzung am 29. Oktober 1867 in dritter Lesung angenommen worden 66 . In der 33. Sitzung am 30. März 1868 wurde der Schulgesetzentwurf im Herrenhaus beraten. Die Kommission konnte sich nicht auf eine einheitliche Stellungnahme einigen. Der Majoritätsbericht befürwortete die Annahme des Gesetzes, während die Minorität den Antrag stellte, den Gesetzesentwurf an 62 Wilhebn Ehrenreich, Ignaz Figuly, Würzburg 1941,90 ff. 63 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 43. Sitzung vom 25. Oktober 1867, 1139. 64 Vatikanum 11, Gaudium et spes 42, 72 und 76. 65 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 44. Sitzung vom 26. Oktober 1867, 1161 ff. 66 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 46. Sitzung vom 29. Oktober 1867.

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die Kommission mit dem Auftrag zurückzuweisen, ein Gesetz zu verfassen, das der katholischen Kirche den ihr gebührenden Einfluß auf die religiös-sittliche Erziehung der katholischen Jugend wahre und daß die Volks- und Mittelschulen als konfessionelle Schulen zu führen seien. Die Debattenbeiträge brachten keine neuen Gesichtspunkte mehf6 7 • Außer einigen unbedeutenden Änderungen ist das Gesetz unverändert vom Herrenhaus rasch in zweiter und dritter Lesung angenommen worden. Diesen Vorschlägen hat sich das Abgeordnetenhaus in seiner 90. Sitzung am 2. April 1868 angeschlossen und das Gesetz in derselben Sitzung in zweiter und dritter Lesung angenommen68 . Die kaiserliche Sanktion erhielt das "Gesetz. wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche erlassen werden" am 25. Mai 186869 .

In der Folge sind nicht nur eine Reihe von Verordnungen, sondern auch Gesetze erlassen worden, die als Durchführungsgesetze die konfessionellen Gesetze ergänzten. Darunter sind die SchulauJsichtsgesetze der Länder und ist vor allem das Reichsvolksschulgesetz zu nennen, das am 14. Mai 1869 erlassen wurde70 . Dieses Gesetz hat erstmals die achtjährige Schulpflicht, die Beseitigung der sonntäglichen Wiederholungsschule und eine deutliche Verbesserung der Lehrerbildung gebracht. Die Durchführung dieser Schulreform sollte aber noch lange Zeit in Anspruch nehmen, war diese doch mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden und waren die für die neuen pädagogischen Aufgaben erforderlichen Lehrer noch nicht herangebildet. Die Schöpfer der Volksschulreform erkannten diese Umstellungsschwierigkeiten durchaus und rieten zu behutsamer Vorgehensweise71. Zu den schärfsten Gegnern dieses Schul gesetzes zählte der Abgeordnete Greuter aus Tirol, der sich vor allem vehement gegen die Leitung der Schule durch den Staat, das staatliche Schulmonopol und den Schulzwang wandte. Das neue Schulgesetz verletze das Recht der Eltern auf Erziehung der Kinder und damit auch die Gewissensfreiheit der Eltern. Ganz entschieden bekämpfte der Vertreter der konfessionellen Schule Greuter den Schulzwang und das Schulmonopol: "Wenn man nun die Kinder noch dazu durch einen Schulzwang, der auch zur Staatsregie des öffentlichen 67 Vocelka, Verfassung (Anm. 1) 82 f. 68 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 90. Sitzung vom 2. April 1868. 69 RGB!. Nr. 48/1868. 70 RGB!. Nr. 62/1869. 71 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 190. Sitzung vom 22. April 1869,5744 f.

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Unterrichts gehört, nöthigen sollte, in eine Schule zu gehen, in welcher die autonom erklärte Religion der Familie nicht mehr zur Grundlage gelegt ist, so heißt das nach meiner Ansicht nicht blos das erste natürliche Recht verletzen, es heißt das das Hausrecht der Familie nicht mehr achten, und es heißt das meine Herren, unterschätzen Sie das Wort nicht - die Grundlage des öffentlichen Friedens gefährden. Das System der sogenannten Staatsschule, das Staatsmonopol und das sogenannte Hoheitsrecht des Staates in Betreff der Erziehung ist gegen die wesentlichen Bestimmungen eines wahrhaft freien Staates und darum ist es auch gegen alle Grundsätze aller außerdeutschen Culturvölker"n. Aus den Worten des Abgeordneten Greuter spricht aber schon die Sorge über eine neu aufkommende Bewegung, wenn er die Behauptung aufstellt, die konsequente Durchführung des Staatsmonopols führe notwendig zum Sozialismus. Der Hauptwiderstand richtete sich gegen die Auflösung der konfessionellen Schule als einer öffentlichen. So konnte die Kirche nach den §§ 68-73 Reichsvolksschulgesetz zwar ihre konfessionellen Schulen als private Schulen weiterführen, die bei Erfüllung bestimmter gesetzlicher Erfordernisse mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet werden konnten, aber überwiegend von der Kirche selbst erhalten werden mußten. Das Reichsvolksschulgesetz wurde nach sehr langer Diskussion, aus der aber die dominierende Stellung der Liberalen erkennbar war, schließlich in der 192. Sitzung am 24. April 1869 vom Abgeordnetenhaus in namentlicher Abstimmung mit einer Stimmenmehrheit von 111 gegen 4 Stimmen bei gleichzeitiger Abwesenheit von 65 Abgeordneten angenommen 73. Vom Herrenhaus wurde das Reichsvolksschulgesetz bereits am 10. Mai in zweiter und dritter Lesung unverändert angenommen; die kaiserliche Sanktion erhielt es am 14. Mai 186974 .

3. Antiliberale Strömungen Nach der Verabschiedung der konfessionellen Gesetzgebung des Jahres 1868 gelang es dem Liberalismus noch im Jahre 1874, drei wichtige Gesetze durchzusetzen75. Das Gesetz zur Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der 72 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 190. Sitzung vom 22. April 1869,5748; Über Josef Greuter, Gertrud Kretschmar, Monsignore Josef Greuter und die Tiroler Konservativen (PhiI.Diss.), Wien 1949; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 2, Graz/Köln 1959,58-59. 73 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. GP, 192. Sitzung vom 24. April 1869,5820. 74 RGBI. Nr. 62/1869. 75 Diese waren: Das Gesetz vom 7. Mai 1874, RGBI. Nr. 50, wodurch Bestimmungen zur Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche erlassen werden, das Gesetz vom 7. Mai 1874, RGBI. Nr. 51, mit welchem behufs

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klösterlichen Genossenschaften ist zwar nach mehrjähriger Beratung von beiden Häusern noch verabschiedet worden, der Kaiser verweigerte dem Gesetz jedoch die Zustimmung. Die Grande jar das Versagen des Liberalismus sind vielfältig, sie liegen vor allem in seiner Unfähigkeit, die nationale Opposition der Slawen in den Vielvölkerstaat zu integrieren und die katholisch-soziale Bewegung im Zusammenhang mit der Proletarisierung der Arbeitermassen auf seine Seite ziehen zu können76. Schon sehr bald bildete sich aus dem Sammelbecken feudaler, klerikaler und nationaler Strömungen eine mächtige Bewegung gegen den Liberalismus. Die Kirche führte gegen die liberalen Schulgesetze von allem Anfang einen erbitterten Kampf. Von Kardinal Rauscher wurde die Ehe- und Schulgesetzgebung des Jahres 1868 bereits am 19. Juni 1868 in seinem Hirtenschreiben scharf zufÜckgewiesen77 • Wegen seines Widerstandes gegen die Durchführung der Maigesetze von 1868 wurde der Bischof von Linz, Franz lose! Rudigier, am 5. Juni 1869 verhaftet und am 12. Juli zu einer vierzehntägigen Kerkerstrafe verurteilt78 ; der Kaiser gewährte ihm aber gleichzeitig Straferlaß. In der Allokution vom 22. Juni 1868 hat Papst Pius IX. das Staatsgrundgesetz als "lex infanda" und die konfessionellen Bedeckung der Bedürfnisse des katholischen Cultus die Beiträge zum Religionsfonde geregelt werden und das Gesetz vom 20. Mai 1874, RGBl. Nr. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgenossenschaften. Vgl. dazu Paul Gautsch von Frankenthurn, Die confessionellen Gesetze vom 7. und 20. Mai 1874, Wien 1874; Max Burckhard, Gesetze und Verordnungen in Cultussachen, Bd. 1, Wien 3 1895, Bd. 2, Wien 31895; Ernst Mayerhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern mit besonderer Berücksichtigung der diesen Ländern gemeinsamen Gesetze und Verordnungen, hrsg. v. Anton Pace, 4. Bd. 51898 . 76 Georg Franz, Kulturkampf (Anm. 1) 135 ff.; Karl Eder, Liberalismus (Anm. 1) 142 ff. 77 Hirtenschreiben Sr. Eminenz, unseres hochwürdigen Herrn Kardinals und Fürsterzbischofs an die Geistlichkeit der Erzdiözese, welches am Feste des heiligsten Herzens Jesu, am 19. Juni 1868 erlassen wurde, in: Wiener Diözesanblatt, Jg. 1868, 170-180 und 185-199; Johannes Hurch, Die politische Entwicklung Österreichs im Spiegel der Hirtenbriefe in den Jahren 1860-1875 (Ungedr. Phil. Diss.), Wien 1947. 78 Gegen Bischof Rudigier sind bereits 1868 in Zusammenhang mit der am 12. September erfolgten Beschlagnahme des Hirtenbriefes vom 7. September wegen des darin enthaltenen Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe gerichtliche Voruntersuchungen geführt worden. Vgl. dazu: Linzer Diözesanblatt (1869) 7-11. Vgl. auch Wurzbach (Anm. 3), 27. Bd., Wien 1874, 215-220; Johann Berndorfer, Franz Joseph Rudigier, Bischof von Linz (Phil.Diss.), Wien 1939; Konrad Meindl, Leben und Wirken des Bischofs Franz Joseph Rudigier von Linz, Linz 1891; Harry Slapnicka, Franz Joseph Rudigier. Bischof im Kampf mit dem politischen Liberalismus, in: Alois Zauner/Harry Slapnicka (Hrsg.), Oberösterreicher. Lebensbilder zur Gesichte Oberösterreichs, Bd. 2, Linz 1982, 61-79; Harry Slapnicka, Franz Joseph Rudigier, in: Die Bischöfe von Linz, hrsg. von RudoljZinnhobler, Linz 1985.

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Gesetze als "leges abominabiles, vehementer reprobandae et damnandae" verurteilt und velWorfen79.

In der Schul frage konnten die Liberalen den Antrag Wildauer auf Schaffung eines Gesetzes über grundsätzliche Bestimmungen für die Schulaufsicht im Herbst 1874 nicht mehr durchsetzen. Dafür ergriffen die Konservativen am 5. Februar 1880 erstmaId die Initiative. In der 43. Sitzung der 9. Session des Abgeordnetenhauses legten am 5. 2. 1880 zugleich Prinz Alois Liechtenstein und der konservative Salzburger Abgeordnete Lienbacher ihre Anträge auf Revision des Reichsvolksschulgesetzes vor80 . Kurz zuvor hatten die böhmischen Bischöfe an das Ministerium für Cultus und Unterricht eine Eingabe gerichtet, in der die Wiedereinführung der konfessionellen Schule unter Androhung der Untersagung der Mitarbeit des Klerus in den Schulbehörden verlangt worden war. Gegen diese Vorgangsweise des böhmischen Episkopats erhoben die Liberalen im Abgeordnetenhaus Protest und warfen den Bischöfen vor, ihre Handlungsweise diene nur politischen Rücksichten und dem Wunsch nach Macht und Herrschaft einer politischen Partei 81 . Inzwischen war im Februar 1880 ein Wechsel in der Leitung des Unterrichtsressorts eingetreten, dem liberalen Minister Stremayr folgte der gemäßigte Freiherr Conrad von Eybesfeld. Am 18. Februar 1880 hatte Ministerpräsident Graf Taaffe im Abgeordnetenhaus seine Absicht zu erkennen gegeben, daß die Regierung sich eventuellen Verbesserungen der Schulgesetze aufgrund der gesammelten Erfahrungenn keineswegs verschließen wolle82 . Diese Erklärung entsprach den Wünschen der Konservativen und bewog sogar Prinz Liechtenstein, seinen Antrag zurückzuziehen. Lienbacher bekräftigte zunächst die verfassungsmäßige Berechtigung seines Antrages, indem er auf das Staatsgrundgesetz für die Reichsvertretung velWies, wonach lediglich die Grundsatzgesetzgebung für das Volksschulwesen der Reichsgesetzgebung, die Ausführungsgesetzgebung aber den Ländern vorbehalten sei. Die achtjährige Schulpflicht sei durch § 75 des Reichsvolksschulgesetzes durchbrochen, der bestimmten Landtagen das Recht einräume, eine kürzere Schulpflicht festsetzen zu können. Die Gemeinden seien durch Reduzierung der Schulpflicht finanziell zu entlasten und der Kirche auf das Schulwesen wieder mehr Einfluß zu verschaffen 83 . 79 Der Wortlaut der Allokution, die am 22. Juni 1868 gehalten wurde, findet sich in: ASS 4 (1895) 10-13. Vgl. dazu auch: Max von Hussarek, Krise (Anm. 1) 294. 80 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 43. Sitzung vom 5. Februar 1880, 1222. Über Lienbacher, Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 5, Wien 1972,210. 81 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 44.Sitzung vom 7. Februar 1880, 1259. 82 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 48. Sitzung vom 18. Februar 1880, 1379. 83 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 49. Sitzung vom 20. Februar 1880, 1416 ff.

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Solchen Forderungen mußten die Liberalen, die zu dieser Zeit schon deutlich in der Minderheit waren, grundsätzlich widersprechen. Der Abgeordnete Hoffer hat aus diesem Grund darauf verwiesen, daß die Schulanträge nur wegen der Änderung der Schulgesetzgebung in religiöser und sittlicher Hinsicht gestellt worden seien84 . Die Befürworter des Antrages Lienbacher schritten nun zu einer Maßnahme, die noch des öfteren ergriffen werden sollte. Nachdem mehrere Abgeordnete sich für den Antrag Lienbacher ausgesprochen hatten, wurde überraschend ein Antrag auf Schluß der Debatte gestellt und von der Mehrheit auch angenommen. Dieses Vorgehen hatte eine Reihe von Kontrarednern nicht zu Wort kommen lassen, und laut Geschäftsordnung des Reichsrates durfte nur mehr je ein Pro- und Kontraredner sprechen. Der Antrag Lienbacher wurde noch in derselben Sitzung einem 24 Mitglieder umfassenden Ausschuß zugewiesen, der eine Schulnovelle ausarbeitete. Diese sah die sechsjährige Schulpflicht vor, die der Unterrichtsminister aber nicht akzeptierte. Der Kompromiß, der daraufhin geschlossen wurde, sah vor, den Antrag Lienbacher abzuändern. Diese Regierungsvorlage wurde schließlich im Februar 1881 im Abgeordnetenhaus beraten. Die Reformen, die das Reichsvolksschulgesetz erbringen hätte sollen, seien nicht durchführbar gewesen. Weder die Errichtung neuer Schulen noch die Vermehrung des Lehrpersonals konnte durchgesetzt werden und daher sei eine Verkürzung bzw. Erleichterung der Schulpflicht notwendig. Dafür sei es zu einer Bürokratisierung und Zentralisierung des Bildungswesens gekommen. Das Volksschulwesen hat in Wirklichkeit durch das Reichsvolksschulgesetz einen beachtlichen Aufschwung genommen. Vor 1869 waren die meisten Volksschulen einklassig geführt worden. Durch die achtjährige Schulpflicht haben sich die Schülerzahlen stark erhöht, das Bürgerschulwesen ist verbessert und ausgebaut worden. Auch die Zahl der Lehrer wurde vermehrt, so daß im gesamtösterreichischen Durchschnitt im Jahre 1871 auf einen Lehrer noch 82,7 Schüler, im Jahre 1875 nur noch 69 Schüler kamen 85 . Die Gegner der Schulnovelle kritisierten, die Erhöhung der Klassenschülerzahl werde zu einer Schädigung des Unterrichts führen und nicht die erwünschten Sparmaßnahmen bringen. Auch würden die Begriffe der Schulpflicht und Schulzeit immer wieder fälschlich verwendet und der Religion ein zu großer Einfluß auf die Organisation der Volksschule eingeräumt. Die Folge sei die konsequente Fortsetzung der Zerstörung des Reichsvolksschulgesetzes. Die Schulpflicht werde durch zu großzügige Schulbesuchserleichte84 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 49. Sitzung vom 20. Februar 1880, 1424 ff. 85 MendeiStaritzrromschitz, Schule und Gesellschaft (Anm. 7) 111 ff.

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rungen durchbrochen, und die Ausnützung schulpflichtiger Kinder als Arbeitskräfte sei strikt abzulehnen. Auch wiesen die Gegner der Schulnovelle immer darauf hin, daß auch der Wiener Erzbischof Kutschker im niederösterreichischen Landtag für die Aufrechterhaltung der ach~ährigen Schulpflicht gestimmt habe. Insgesamt wurde die Schulnovelle 15 Tage lang im Abgeordnetenhaus beraten. Die Debatten wurden oft sehr emotionell geführt, so etwa, als sich der Abgeordnete Lienbacher hinreißen ließ, die achtjährige Schulpflicht in Wien zu verhöhnen86 . Daraufhin hagelte es nicht nur Proteste seitens der Wiener Abgeordneten, sondern auch Unmutsäußerungen der Zuhörer auf den Galerien. Die Sitzung mußte unterbrochen werden, nachdem auf den Galerien ein Feuer gelegt worden war8 7 • Als in namentlicher Abstimmung über Artikel I die kirchlich-konservativen Abgeordneten eine Mehrheit von 160 gegen 148 Stimmen erringen konnten, beteiligten sich die Liberalen nicht mehr an den Debatten. Die Novelle zum Reichsvolksschulgesetz wurde noch am 25. Februar 1881 in dritter Lesung mit 113 gegen 79 Stimmen angenommen88 . Von kirchlicher Seite wurde diese Entwicklung lebhaft begrüßt, und Bischof Rudigier von Linz kommentierte in seinem Hirtenbrief schon am 27. Februar 1881 den Ausgang der Beratungen über die Schulnovelle mit folgenden Worten: "Freuen wir uns, daß die konservativen Vertreter des Volkes im Abgeordnetenhaus des Reichsrates, welche jetzt glücklicherweise die Mehrheit dieses Hauses bilden, eifrig bestrebt sind, wie manche andere vom Liberalismus geschaffenen Gesetze, auch insbesondere das Schulgesetz, der so nötigen Verbesserung zuzufiihren 89 . Die Gesetzesvorlage des Abgeordnetenhauses gelangte im März 1881 an das Herrenhaus. Die dabei behandelten Fragen, insbesondere das Festhalten an der achtjährigen Schulpflicht und die Frage der Kompetenz hinsichtlich der Schulbesuchserleichterung ließen divergierende Auffassungen zwischen der liberalen und der konservativen Fraktion des Herrenhauses erkennen; eine den religiösen Bereich unmittelbar berührende Frage stellt dies indes nicht dar. Anders war es hingegen mit einer im Zuge dieser Auseinandersetzung von der 86 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 116. Sitzung vom 5. Februar 1881, 4130 ff. 87 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 116. Sitzung vom 5. Februar 1881, 4135. 88 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 117. Sitzung (Abendsitzung) vom 25. Februar 188l. 89 Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich (Anm. 33), Bd. 3, 166.

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Regierung vorbereiteten Novelle zum Reichsvolksschulgesetz, die von Baron Conrad von Eybesfeld im Jänner 1882 zuerst dem Herrenhaus vorgelegt wurde, da er sich der Mehrheit im Abgeordnetenhaus sowieso sicher sein konnte. Die Schulnovelle der Regierung enthielt erstmals die Bestimmung, daß der Schulleiter zugleich auch die Befähigung zur Erteilung des Religionsunterrichtes nachweisen mußte. In der Schulkommission war unter heftigem Widerstand der konservativen Mitglieder der diese Bestimmung enthaltende § 48 gestrichen und die Novelle der Regierung abgeändert worden. Die Regierung war dennoch gewillt, ihre Vorlage im Reichsrat durchzusetzen. Als die Liberalen die Aussichtslosigkeit ihrer Ziele erkannten und ihre Mandate niederlegten, wurden Ergänzungswahlen für die Wiederbesetzung der freien Mandate mit der Begründung vorgenommen, die Arbeiten der Kommission seien inzwischen beendet. Im Februar 1883 wurde dem Herrenhaus die Schulnovelle vorgelegt. Zur Debatte im Plenum waren auch sämtliche Bischöfe, die den Beratungen über das Reichsvolksschulgesetz 1869 aus Protest ferngeblieben waren, erschienen. Deren Wortführer, Kardinal Schwarzenberg, gab am 19. Februar 1883 folgende Erklärung ab: "Die Bischöfe, in deren Namen ich das Wort ergreife, verkennen nicht die Verbesserungen und sind darum bereit, für die Annahme der Novelle mitzuwirken. Wir verwahren uns aber gegen die Zumutung, daß wir nun alle Gebrechen des Schulgesetzes als behoben betrachten, wir verwahren uns gegen die Zumutung, daß wir, indem wir an dem Zustandekommen der Novelle mitarbeiten, alle übrigen Teile des Schulgesetzes, welche die Novelle nicht berührt, hiermit gutheißen und daß wir das gesamte Schulgesetz hiermit durch unser Votum korroborieren. Wir halten viel weitergehende Anträge für nötig, wir werden aber dermalen keine weiteren Anträge stellen, um nicht das Zustandekommen der Novelle zu verzögern oder gar zu vereiteln. Den Ansprüchen der Kirche und der christlichen Bevölkerung kann nur eine konfessionelle Volksschule genügen; die jetzige ist es nicht. Indem wir Bischöfe hierbei mitwirken, behalten wir uns vor, unsere pflichtmäßigen Anträge in der Zukunft auf gesetzlichem Weg geltend zu machen"90. In die Novelle wurde der ursprüngliche § 48 wieder aufgenommen. Die Schulnovelle wurde von der Mehrheit des Herrenhauses angenommen und im Februar 1883 dem Abgeordnetenhaus vorgelegt. Die Mehrheit im Schulausschuß sprach sich für die Annahme der Vorlage aus, und am 14. April 1883 begannen die Debatten über die Schulnovelle im Abgeordnetenhaus, nachdem ein Antrag der Minorität auf Übergang zur Tagesordnung abgelehnt worden 90 Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich (Anm. 33) 289 ff.

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war. Nach einem äußerst dramatischen Verlauf der Beratungen im Plenum des Abgeordnetenhauses wurde die Novelle zum Reichsvolksschulgesetz in namentlicher Abstimmung mit einer denkbar knappen Mehrheit, nämlich 170 gegen 167 Stimmen, am 28. April 1883 in dritter Lesung angenommen 91 . Die Sanktion des Kaiser erhielt die Novelle am 2. Mai 188392 . In der Monarchie sind damit die gesetzlichen Initiativen auf Änderung der Schulgesetzgebung zum Stillstand gelangt. Die Unterrichtsbehörde ging nun vermehrt dazu über, Änderungen im Schulbereich unter Ausschaltung der gesetzgebenden Körperschaften durch Verordnungen herbeizuführen. Ein weiterer Schulantrag des Prinzen Liechtenstein aus dem Jahr 1888, der auf eine starke Angleichung an die Konkordatsschule hinauslief, beschäftigte die Öffentlichkeit zwar noch längere Zeit, im Reichsrat kam es darüber zu keinen Beratungen mehr93 . Dasselbe Schicksal teilte der Antrag Ebenhoch vom 4. Mai 189794 . Eine junge Bewegung, die Sozialdemokratie, die das kulturpolitische Erbe der Liberalen übernommen hatte, lehnte aus prinzipiellen Gründen den Antrag ab. Damit scheinen die wichtigsten Aktivitäten auf dem Schulsektor zwischen Kirche und Staat in der Monarchie abgeschlossen zu sein.

4. Schulrefonnversuche in der Ersten Republik Nach der Beseitigung der Monarchie und der Ausrufung der Republik wollte die sozialdemokratische Partei ihr prinzipiell schon in der Monarchie entwickeltes Programm der radikalen Trennung von Kirche und Staat und damit auch der Trennung von Kirche und Schule verwirklichen95 • Den Eintritt in die Koalition von 1919 machten die Sozialdemokraten von der Übertragung des Unterrichtsressorts an einen Mann ihrer Partei abhängig. Das Refonnprogramm des Schulexperten der Sozialdemokratischen Partei, Otto 91 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IX. GP, 307. Sitzung vom 28. April 1883, 10695.

92 RGB!. Nr. 53/1883.

93 490 der Beilagen zu den steno graphischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, X. Session, der Antrag ist mit 25. Jänner 1888 datiert, vg!. dazu: WeinzierlFischer, Konkordate (Anm. 1) 125; Paul Zulehner, Kirche (Anm. 40) 38 ff. 94 99 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, XII. Session, der Antrag ist datiert mit 4. Mai 1897; vg!. dazu: Adolf Mößler, Religion und Schule, Wien 1898; Zulehner (Anm. 40) 39 ff. 95 Arbeiterzeitung Nr. 355 vom 29. 12. 1918, S. 1: " ... Darum verlangen wir die Trennung von Kirche und Staat und der Schule von der Kirche. Die Grundlage des freien Staates ist die freie Schule. Der Unterricht soll von pfäffischer Unduldsamkeit ... befreit werden ... ". 8 Primetshofer

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Glöckel, zielte im wesentlichen auf die gänzliche Entkonfessionalisierung der Schule. Dazu zählte das Modell der Einheits- oder Gesamtschule mit einem vieIjährigen Unterbau, vieIjährigen Mittelbau und vieIjährigen Oberbau des einheitlichen Bildungsplanes, die Einführung des Arbeitsunterrichtes, der Zusammenfassung aller Gegenstände zum sogenannten Gesamtunterricht, die Organisation aller Erziehungs- und Bildungseinrichtungen als Staatserziehungsanstalten, die Reform der Lehrerbildung und die Angleichung des Hochschulwesens an die deutschen Universitäten. Neben einer rein fachlichen Unterrichtsreform96 verfolgte die Schulreform Glöckels eine völlige Verdrängung der Kirche aus der Schule und damit die Beseitigung des Religionsunterrichts.

Das politische Kräfteverhältnis und der Koalitionspakt der Sozialdemokraten mit den Christlichsozialen verhinderten vorerst gesetzliche Änderungen auf Bundesebene. Es kam aber in der Folge dazu, daß die Christlichsozialen die bestehende liberale Schulgesetzgebung als das kleinere Übel gegen die Reformversuche der Sozialdemokraten verteidigten. Daher suchte Otto Glöckel im Verordnungswege und durch Besetzung der Schulleiterposten mit Sozialdemokraten, den Einfluß der Kirche in der Schule zu schmälern. Hier ist vor allem der am 10. April 1919 ergangene sogenannte Glöckel-Erlaß zu erwähnen, durch den die Verpflichtung der Kinder zur Teilnahme an den religiösen Übungen verboten und die Verpflichtung der Lehrer zur Beaufsichtigung der Kinder bei den religiösen Übungen aufgehoben wurden 97 . Der von der sozialdemokratischen Partei entfachte Kampf um die Entkonfessionalisierung der Schule fand durch die Vereine "Freie Schule" und "Kinderfreunde" tatkräftige Unterstützung. In der Monarchie war es in vereinzelten Fällen zum Einschreiten gegen areligiös eingestellte Kinder und Eltern durch staatliche Behörden gekommen. In der Republik setzte nunmehr eine regelrechte Werbekampagne zur Abmeldung der Kinder vom Religionsunterricht ein98 . Den sozialdemokratischen Agitationen gegen die katholische Kindererziehung blieb zunächst ein bleibender Erfolg verwehrt. In der Schul frage hielten die Christlichsozialen hartnäckig am status quo fest und bestanden darauf, daß eine Lösung des Schulproblems nur im Rahmen einer Neuregelung des kul96 Vgl. dazu: Steno Prot. d. Abg. Hauses, 80. Sitzung der Konst. NV d. Rep. Ö. vom 12. Mai 1920, 2454-2457. 97 Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 136 f.; Zulehner, Kirche (Anm. 40) 53. 98 Schmidt, Katholische Schule (Anm. 6) 136 ff.

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turpolitischen Gesamtkomplexes erfolgen könne. Schließlich kam es durch die verfassungsrechtlich festgelegte paktierte Regelung in der Schulgesetzgebung zu einem fast gänzlichen Stillstand. In der Bundesverfassung von 1920 konnte die Kompetenzverteilung99 zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens nicht neu geordnet werden loo . Die aufgrund des Schule-Kirche-Gesetzes in der Monarchie ergangenen Landesausführungsgesetze erfuhren noch vor der Verfassungsgesetzgebung eine Angleichung an die neuen Verhältnisse. Das Verjassungsübergangsgesetz von 1920 ordnete für eine Abänderung der Schulaufsichtsvorschriften, einschließlich der in der Monarchie ergangenen Reichsgesetze, die Erlassung übereinstimmender Gesetze des Bundes und der beteiligten Länder an I 0 I. Diese Schulaufsichtsregelungen änderten nichts am Grundsatz der vollen Beteiligung von Vertretern der Kirchen in den Schulaufsichtsorganen. Eine Ausnahme bildete' lediglich die Zusammensetzung des Wiener Stadtschulrates . Was dem sozialistischen Politiker und Pädagogen Otto Glöckel in der Bundespolitik versagt geblieben ist, das suchte er nach den Nationalratswahlen vom Oktober 1920 als Leiter des Wiener Stadtschulrates zu verwirklichen. Die österreichische Bundesverfassung hatte für den Bereich des ehemaligen Landes Niederösterreich an Stelle der einheitlich politischen und autonomen Verwaltung auf dem Gebiet der Bundesverwaltung zwei vollständig getrennte autonome Verwaltungen eingerichtet 102. Dadurch wurde es notwendig, an Stelle des bisherigen niederösterreichischen Landesschulrates für die Stadt Wien eine eigene, dem gesetzlichen Zustand entsprechende Schulbehörde zu schaffen. Der Wiener Gemeinderat als Landtag beschloß am 18. Februar 1921 mit Zweidrittelmehrheit eine Abänderung des niederösterreichischen Schulaufsichtsgesetzes, wodurch den Kirchen die ihnen bisher gesetzlich garantier: ten Sitze im neuen Stadtschulrat vorenthalten wurden. Gemäß § 42 (2) lit. f des Verfassungsübergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 war die Wirksamkeit des vorliegenden Gesetzesbeschlusses vom Zustandekommen eines übereinstimmenden Bundesgesetzes abhängig. Gegen den vorliegenden Gesetzesbe99 Ernst earl Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungs geschichte, 2. Auflage, Wien 1974, 434. 100 BVG 1920, BGBl. Nr. 1 Art. 14: "Auf dem Gebiete des Schul-, Erziehungsund Volksbildungswesens wird der Wirkungsbereich des Bundes und der Länder durch ein besonderes Bundes-Verfassungsgesetz geregelt." 101 Zu diesem Zwecke dienten die paktierten Gesetze, vgl. § 42 Abs. 2 lit. f. des Verf.-Übergangsgesetzes vom 1. 10. 1920, Staatsgesetzblatt Nr. 151; § 9 d. B-VG vom 30. 7. 1925, BGBl. Nr. 269; § 3 des B-VG vom 7. 12. 1929, BGBl. Nr. 393. 102 B-VG 1920, Art. 2 und § 33 Verfassungsübergangsgesetz 1920. Die selbständigen Länder Niederösterreich und Wien sind durch die Trennungsgesetze LGBl. f. Wien Nr. 153/1921 und LGBl. für Niederösterreich Nr. 346/1921 mit Wirksamkeit ab 1. 1. 1922 gebildet worden.

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schluß erhob die Bundesregierung begründete Bedenken, und der Abgeordnete Kunschak brachte einen Gegenantrag ein 103 . Dreimal verweigerte der Nationalrat mit geringer Mehrheit dem Gesetzesbeschluß des Wiener Landtages vom 18. Februar seine Zustimmung. Dreimal beschloß er Bundesgesetze, die den Vertretern der Kirchen Sitze im Wiener Stadtschulrat sichern sollten lO4 . Dreimal erhob der Bundesrat dagegen Einspruch. In der Frage der Zusammensetzung des Wiener Stadtschulrates entbrannte unter den Großparteien ein heftiger Streit, und erst 1922 führte ein Übereinkommen zu einer Kompromißlösung, der auch der Bundesrat seine Zustimmung erteiltelOS . Nach § 2 (1) lit. g des Gesetzes betreffend den Wiener Stadtschulrat gerhöten ihm auch "je ein Inspektor für den katholischen, evangelischen und für den israelitischen Religionsunterricht" an. Diese Inspektoren durften jedoch nur dann an den Abstimmungen teilnehmen, wenn es sich um Angelegenheiten ihres Religionsunterrichtes handelte. Die Vertreter der Kirchen wurden also ausdrücklich auf die Wahrung der Interessen des Religionsunterrichts beschränkt. Damit setzte sich diese Regelung mit der Bestimmung des § 12 des Schule-Kirche-Gesetzes vom 25. Mai 1868 in Widerspruch. Dieser hatte festgelegt, daß in den Landesschulrat u. a. auch "Geistliche aus den im Lande bestehenden Konfessionen" mit vollem und uneingeschränktem Vertretungsrecht zu berufen seien 106. Am Beginn der zwanziger Jahre setzte eine sehr massive antikirchliche Agitation der Sozialdemokratien ein, die ihren Niederschlag in den Debatten über die Budgetkapitel und Regierungserklärungen der Bundeskanzler fanden. Die Angriffe richteten sich nicht minder gegen Kardinal PijJl, der als Wahlagitator der Christlichsozialen und oberster Kulturstürmer hingestellt Wurde l07 . Wortführer der Sozialdemokraten blieb während der Ersten Repu-

103 224 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates. 104 Vorlagen der Bundesregierung 254,334,506 und 646 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, Berichte des Ausschusses für Erziehung und Unterricht, 283, 447 und 583 dieser Beilagen. Vg\. dazu Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 33. Sitzung vom 15.4. 1921, 1293-1304.39. Sitzung vom 14. Juli 1921, 1852-1861; 64. Sitzung vom 9. 11. 1921, 2285-2297 und 65. Sitzung vom 10. 11. 1921,2323. 105 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 90. Sitzung vom 23. Februar 1922, 3148 ff. und der Bericht des Ausschusses für Erziehung und Unterricht, 762 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates. 106 Hans Klecatsky, Kirche und Schulaufsicht, in: JB\. 81 (1959) 308 f. 107 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 24. Sitzung vom 10. März 1921. Kardinal Piffl soll auf dem Mödlinger Katholikentag gesagt haben: "Den göttlichen Kinderfreund will man jetzt aus der Schule treiben und die Ehe soll aus dem segenspendenden Bo-

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blik der bei Parteifreunden und Partei gegnern in gleicher Weise als Schulfachmann geschätzte Otto Glöckel. Mit beißendem Spott und Hohn bedachte er das traditionsreiche ehemals kaiserliche und nunmehr bürgerliche Ministerium für Kultus und Unterricht und erblickte in der Leitung des Unterrichtsamtes für die Christlichsozialen nur die Fortsetzung der monarchischen Tradition l08 . Die Schulreformanträge von Lienbacher, Liechtenstein, Vergani und Ebenhoch beurteilte er als Versuch der kirchlichen Kreise, den Kindern weniger an Wissen zu vennitteln und damit die Schule zur Verdummungsanstalt werden zu lassen lO9 • Die Schulreform, die unter Glöckel rasch voranschritt, hatte sogar die Aufmerksamkeit des Auslandes auf sich gelenkt llO . Nicht nur die fachlichen Fortschritte der von den Sozialdemokraten initiierten Schulreform wurden hervorgehoben, sondern auch die Wandlungen, die im politischen Bereich eingetreten waren. Mit Vorliebe wurde daran erinnert, wie im 19. Jahrhundert vom Papst und vom österreichischen Episkopat die Ablösung der Konkordatsschule durch die liberale Schulgesetzgebung bekämpft wurde. Nachdem die Sozialdemokraten dann die gänzliche Entkonfessionalisierung der Schule verlangt hätten, seien aus den "klerikalen Hassern des Reichsvolksschulgesetzes seine begeisterten Schützer" geworden lll . Gegenüber der Forderung nach Wiederherstellung der Bekenntnisschule verlangten daher die Sozialisten mit umso größerem Nachdruck, unter Berufung auf ihre programmatische Zielsetzung, Religion sei Privatsache, die Trennung von Kirche und Schule 112 . Als im Mai 1922 Prälat Seipel zum erstenmal die Regierungsverantwortung übernahm, kam es im Parlament in den Debatten über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu schweren Auseinandersetzungen. Die Kritik der Sozialdemokraten richtete sich hauptsächlich gegen den zwischen der Großdeutschen und der Christlichsozialen Partei geschlossenen Pakt, in kulturpolitischen Fragen am status quo festzuhalten. Den bürgerlichen Parteien wurde Begünstigung des Ultramontanismus vorgeworfen, wie es "selbst in der den der Sakramente entwurzelt und in den Sumpfboden verpflanzt werden, damit aus ihr Vielweiberei und Dimenkultus wird". 108 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 74. Sitzung vom 12. Dezember 1921, 2525. 109 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 74. Sitzung vom 12. Dezember 1921, 2526. 110 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 74. Sitzung vom 12. Dezember 1921, 2528. 111 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 74. Sitzung vom 12. Dezember 1921, 2534. 112 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 74. Sitzung vom 12. Dezember 1921, 2534; 190. Sitzung vom 6. Juni 1923, 5732 und 5749; 30. Sitzung d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, Sitzung vom 7. Mai 1924, 728; 88. Sitzung vom 17. März 1925, 2190; 123. Sitzung vom 11. Dezember 1925, 2923; 145. Sitzung vom 27. Mai 1926, 3587; 169. Sitzung vom 16. Dezember 1926,4066; 172. Sitzung vom 22. Dezember 1926, 4220; III. GP, 113. Sitzung vom 15. Dezember 1929, 3708.

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alten verpfafften Habsburgmonarchie niemals geduldet" worden wäre, daß nämlich ausgerechnet in der Republik ein Angehöriger des Klerus den Posten des Bundeskanzlers bekleiden solle 113 • Prälat Seipel hatte den Eintritt in die Regierung davon abhängig gemacht, daß die Leitung des Unterrichtsressorts von der christlichsozialen Partei zu besetzen sei. Auch darüber wurden heftige Debatten geführt und dem Bundeskanzler wurde vorgehalten, er tue genau das, was er den Sozialdemokraten immer zum Vorwurf gemacht habe, daß sie nämlich reine Parteipolitik und nicht Staatspolitik betreiben. In grundsätzlichen Fragen der Schulpolitik trennte die beiden Großparteien eine unüberbrückbare Kluft. Dem radikalen Programm der Sozialisten stellte sich bald eine geschlossene Front der Bürgerlichen gegenüber 114 . Selbst im Wiener Stadtschulrat, wo die Sozialdemokraten über eine Zweidrittelmehrheit verfügten, konnten sie den Einfluß der Kirchen auf die Schule nicht zurückdrängen. Als Präsident des Wiener Stadtschulrates ließ Ouo Glöckel 1923 anordnen, daß das tägliche Schul gebet am Unterrichtsbeginn nicht mehr gehalten werden dürfe und verwies es in die Religionsstunde. Gegen diesen Erlaß erhob der Unterrichtsminister nach Intervention des Erzbischöflichen Ordinariates in Wien Einspruch und setzte ihn außer Kraft 115 • Den Initiativen der Sozialdemokraten, im Gesetzes- oder Verordnungsweg bestehende Schul gesetze abzuändern, standen größte Schwierigkeiten entgegen. Deswegen gaben sie den Kampf um die Schulreform aber keineswegs auf. Immer häufiger ergriffen sie nach 1922 die Möglichkeit der parlamentarischen Anfrage an die Gesamtregierung oder einen einzelnen Minister. Im April 1923 richteten Otto Glöckel und Genossen eine dringliche Anfrage an die Bundesregierung wegen der Kürzung der Lehrerbezüge l16 . Als Bundeskanzler Dr. Seipel am 18. Oktober 1924 im christlichsozialen Partei rat seine persönliche Meinung über das Schul programm abgab und sich für die Wiedereinführung der konfessionellen Schule aussprach, verlangten die sozialdemokratischen Abgeordneten schon drei Tage später im Parlament Aufklärung darüber, ob die Erklärung des Bundeskanzlers die Haltung der Regierung beeinflussen werde oder ob die Rede lediglich dessen persönliche Meinung darstelle 117 .

113 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 112. Sitzung vom 31. Mai 1922,3708.

114 Hans Kriegl, Wien 1966, 304. 115 Steno Prot. d. 116 Steno Prot. d. 117 Steno Prot. d.

Kirche und Schule, in: Kirche in Österreich 1918-1965, 1. Bd., NR d. Rep. Ö., 190. Sitzung vom 6. Juni 1923,5717. NR d. Rep. Ö., 176. Sitzung vom 12. April 1923, 5408-5427. NR d. Rep. Ö., 59. Sitzung vom 21. Oktober 1924, 1646-1668.

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Die Parteitagsrede Seipels löste beim politischen Gegner große Unruhe aus, so daß es in den darauffolgenden Jahren bei der Erstellung eines definitiven Lehrplanes für die unteren Klassen wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kam. Mit diesen Lehrplänen, die Bundesminister Schneider erlassen hat, die aber aufgrund des Einspruchs der Sozialdemokraten kurz darauf zurückgezogen werden mußten, suchten die Christlichsozialen die Volksschule wieder enger an die Kirche heranzuführen. Die Sozialdemokraten sprachen von einem "klerikalen Lehrplan, der eine neue wichtige Position zur Erringung der konfessionellen" Schule bilden sollte 118 . Im Unterrichtsministerium kam es nach dem mißglückten Lehrplanerlaß zu Parteienverhandlungen und zu neuerlichen Vereinbarungen, die von den Christlichsozialen Dr. Schneider, Kunschak und dem Wiener Stadtrat Rummelhardt mitunterzeichnet wurden. Diese Vereinbarung fand aber nicht die Billigung der gesamten Christlichsozialen Partei. Unterrichtsminister Dr. Schneider mußte zurücktreten, und das Parteienabkommen wurde zurückgezogen. In Wien kam es deswegen zu Massenversammlungen und Massendemonstrationen. Dr. Rintelen folgte als Unterrichtsminister, doch auch er mußte bald dem dritten Leiter des Unterrichtsressorts im Jahr 1926, Minister Schmitz, weichen. Der Kampf um die Schulreform erreichte 1926 einen neuen Höhepunkt. Im sei ben Jahr folgt eine weitere dringliche Anfrage der sozialdemokratischen Abgeordneten zum sogenannten Katechetenerlaß, der es den Religionsiehrem gestattete, Kinder über die Beteiligung an religiösen Übungen befragen und sie damit indirekt zu diesen anhalten zu können 119. In einigen Fällen waren Religionslehrer wegen der bloßen Befragung der Schüler über die Erfüllung religiöser Pflichten disziplinär zur Verantwortung gezogen worden. Daher entschied das Bundesministerium für Unterricht am 23. Dezember 1926 im Erlaßwege, daß die Religionslehrer zur bloßen Fragestellung berechtigt seien, wenn dabei irgendwelche Straffolgen weder verhängt noch angedroht würden l20 . Mit Durchführungsmaßnahmen, die dem Erlaß des Ministeriums widersprachen, setzte sich der Wiener Stadtschulrat über die getroffenen Maßnahmen hinweg. Die Fronten der Großparteien hatten sich so sehr verhärtet, daß der Obmann der Christlichsozialen, Prälat Seipel, den Sozialdemokraten vorwarf, einen "ununterbrochenen Kulturkampf" führen zu wollen 121. Seit mehreren Jahren erhob sich auch gegen das konfessionelle Schulwesen im Burgenland heftiger Widerstand von seiten der Sozialdemokraten. 118 Steno 4216 ff. 119 Steno 3592. 120 Steno 121 Steno

Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 172. Sitzung vom 22. Dezember 1926, Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 145. Sitzung vom 27. Mai 1926,3579Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 145. Sitzung vom 27. Mai 1926,3587. Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 145. Sitzung vom 27. Mai 1926,3590.

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Im jüngsten österreichischen Bundesland, dem im Staatsvertrag von st. Germain 122 aus Teilen West-Ungarns gebildeten Burgenland, galten die österreichischen Schulgesetze - ebenso auch die Ehegesetze - nicht. Für dieses Gebiet blieben die einschlägigen ungarischen Gesetze weiter in Kraft. Neben einer geringen Zahl ausschließlich von Gemeinden bzw. vom Land erhaltener interkonfessioneller Schulen existierten vonviegend konfessionelle Schulen der Katholiken, Protestanten und Israeliten l23 . Diese konfessionellen Schulen waren vollberechtigte öffentliche Anstalten, die Schulverwaltung wurde von der betreffenden Konfession besorgt. Konfessionelle Schulbehörde der katholischen Schulen war die Apostolische Administratur. Ihr oblag die organisatorische Führung der konfessionellen Schulen. Präses des katholischen Schulstuhles war der Ortspfarrer. Die Lasten der Schulerhaltung lagen in erster Linie bei der Glaubensgemeinschaft, der politischen Gemeinde und dem Staat. Zur Bestreitung des Personalaufwandes trug das Land in hohem Maße bei. Die Übernahme der an den wenigen vom Staat erhaltenen Schulen tätigen sogenannten Staatslehrer in den Bundesdienst hatte die Bundesregierung schon im Jahre 1922 abgelehnt. Für diese Schulen bestritt das Land sowohl den Sach- wie auch den Personalaufwand l24 . Der burgenländische Landtag beschloß erstmals 1922 einstimmig ein Landesgesetz über die staatliche Schulaufsicht im Burgenland. Gegen dieses Gesetz erhob die Bundesregierung Einspruch und verhinderte die verfassungsmäßige Behandlung im Parlament. Der Landtag wiederholte seinen Beschluß und scheiterte neuerlich am Widerstand der Regierung l25 . In dieser Handlungsweise der Regierung erblickten die Sozialdemokraten nicht nur eine Pflichtverletzung des Bundeskanzlers, sondern zugleich den Versuch, das konfessionelle Schulwesen auf die gesamte Republik ausdehnen zu wollen l26 .

122 Staatsvertrag von St. Gennain en Laye, Art. 27, Ziff. 5. 123 Im Burgenland gab es 1921 eine einzige Mittelschule, eine Lehrerbildungsanstalt, 5 Bürger(Haupt-)Schulen, 47 Staatsvolksschulen und 331 konfessionelle Schulen. Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 88. Sitzung vom 17. März 1925,2188 ff. Im Schuljahr 1932/33 gab es im Burgenland noch 298 konfessionelle Schulen, wovon 226 von der römisch-katholischen, 66 von der evangelischen und 6 von der israelitischen Glaubensgemeinschaft unterhalten wurden. Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IV. GP, 88. Sitzung vom 21. Februar 1933, 3228. 124Sten. Prot. d. NRd. Rep. Ö., 11. GP, 88. Sitzung vom 17. März 1925, 2189. 125 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 160. Sitzung vom 19. Dezember 1922, 5092 f. und 1363 der Beilagen zu den Steno Prot., 30. Sitzung vom 7. Mai 1924,727 f.; 88. Sitzung vom 17. März 1925,2188 ff.; 124. Sitzung vom 12. Dezember 1925, 2941 ff. 126 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 30. Sitzung vom 7. Mai 1924,728.

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In der burgenländischen Schulfrage blieben die Christlichsozialen unnachgiebig, obwohl sie bei einer Abstimmung über einen sozialdemokratischen Antrag auf Ausdehnung des Reichsvolksschulgesetzes auf das Burgenland am 23. Dezember 1926 mit 80 gegen 83 Stimmen unterlagen l27 . Ein solcher Antrag ist auch in der 3. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates erfolgreich wiederholt worden l28 . Damit hätte das Reichsvolksschulgesetz auch für das Burgenland verbindlich werden müssen. Die Regierung verzögerte jedoch die Durchführung. Am 23. Jänner 1929 faßte der Nationalrat zum dritten Mal den Beschluß, das Reichsvolksschulgesetz auf das Burgenland auszudehnen l29 . Als auch dieser von der Regierung nicht berücksichtigt wurde, warf der Abgeordnete Glöckel der Unterrichtsverwaltung vor, sie betreibe die Seipel-Methode einer Sabotage der Verfassung. Die "burgenländische Schulschande" bezeichnete er als österreichischen Parlamentsskandal, durch den nicht nur die Autorität des Parlaments herabgesetzt, sondern der burgenländischen Schuljugend auch schwerster Schaden zugefügt werde l30 .

Das Ziel der Sozialdemokratie war auch in diesem Fall klar. Ihr ging es um die Beseitigung der konfessionellen Schule im Burgenland. Sie wollte auch keine interkonfessionelle Schule, sondern eine Schule, frei von jedem kirchlichen Enflußl31. Obwohl die früheren Anträge am 18. Dezember 1929 132 , am 12. Februar 1931 133 , am 9. Dezember 1931 134 und am 21. Februar 1933 135 wiederholt wurden, kam es in der Ersten Republik zu keiner Änderung des 127 Die Sozialdemokraten haben denselben Antrag schon im Jahr 1925 gestellt. Damals waren sie aber noch unterlegen. Im Jahr 1926 stimmten die Landbündler und die Großdeutschen mit den Sozialdemokraten. Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 111. GP, 34. Sitzung vom 24. Februar 1928, 1012 ff. 128 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 111. GP, 44. Sitzung vom 13. Juni 1927, 1319 ff. Der Antragswiederholung vom 28. Februar 1928 ist am 13. Juni 1928 eine dringliche Anfrage der Abgeordneten Glöckel und Genossen gefolgt, in der neuerlich die Übernahme des Reichsvolksschulgesetzes auf das Burgenland verlangt wurde. 129 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 78. Sitzung vom 23. Jänner 1929, 2223 ff. 130 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 113. Sitzung vom 15. Dezember 1929,3140 ff. 131 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 113. Sitzung vom 15. Dezember 1929, 3141. 132 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 115. Sitzung vom 18. Dezember 1929, 3255 f. 133 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IV. GP, 15. Sitzung vom 12. Februar 1931, 386. 134 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IV. GP, 60. Sitzung vom 9. Dezember 1931, 1552 und 1580. 135 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IV. GP, 121. Sitzung vom 21. Februar 1933, 3222.

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konfessionellen Schulwesens im Burgenland. Der christlich-soziale Abgeordnete Dr. Aigner hat in der letzten Sitzung der im Wege von Notverordnungen einberufenen Nationalräte im Parlament noch einmal ein Bekenntnis zur Schaffung der konfessionellen Schule in Österreich abgelegt 136, seine F orderung fand aber keinen Niederschlag in der Verfassung von 1934. Auch im Konkordat konnte die konfessionelle Schule nicht verankert werden. Der katholischen Kirche und den Orden wurde jedoch ausdrücklich das Recht zuerkannt, katholische Schulen zu errichten und zu führen, die auch fmanzielle Zuschüsse erhalten sollten 137 , die Errichtung einer ·öffentlich katholisch-konfessionellen Schule" wurde in Aussicht gestellt l38 . Das Zusatzprotokoll enthält die Feststellung, "daß im Burgenland konfessionelle Schulen als öffentliche Schule bestehen"139. Die konfessionelle Schule im Burgenland blieb somit bis 1938 in ihrer ursprünglichen Form erhalten, und erst nach der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich ist das konfessionelle Schulwesen im Burgenland beseitigt worden 140. Die finanzielle Abgeltung für die im Eigentum der Kirche gewesenen Gebäude und Grundstücke, die Schul zwecken gewidmet waren, erfolgte erst 1960 im Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich

136 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IV. GP, 126. Sitzung vom 30. April 1934, 3404. "... Hohe Regierung! Da die christlich soziale Partei nicht mehr Gelegenheit haben wird, in den alten Formen der Gesetzgebung, in der öffentlichen Verwaltung, in der Politik mitzubestimmen, so möchte ich sozusagen als ein Anhängsel an das politische Testament der christlichsozialen Partei an unsere Regierung, an den Herrn Bundeskanzler, die Bitte richten, bei sich bietender Gelegenheit, wenn es die politischen Verhältnisse nach erfolgter Konsolidierung in Österreich und wenn es die finanzielle Lage des Staates gestattet, dahin zu wirken, daß eine der ältesten Programmforderungen und einer der ältesten Wünsche der christlichsozialen Partei, aber auch der gesamten katholischen Bevölkerung erfüllt und die Gesetzwerdung der konfessionellen Schule in Österreich nicht aus dem Auge gelassen und herbeigeführt werden. Das ist unsere Herzenssorge, weil es die Sorge um unsere Jugend, die Sorge um die Zukunft unseres Staates ist ... " . 137 Konkordat Art. VI § 4 Abs. 1 und 2; Vgl. dazu: Johann Haring, Das Schulwesen nach dem österreichischen Konkordat, in: Bildung und Erziehung (1934) 270273. 138 Konkordat Art. VI § 4 Abs. 3. 139 Zusatzprotokoll zu Art. VI § 2 Abs. 2. 140 Dem Abs. 2 des Zusatzprotokolls zu Art. VI § 2 ist innerstaatlich durch die Verordnung des burgenländischen Landeshauptmannes NT. 3/1938 derogiert worden, vgl. dazu: Hans R. Klecatsky/Hans Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958,264.

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zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen l41 . Im Schulvertrag von 1962 verpflichtete sich die Republik Österreich zur Errichtung eines katholischen Schulwesens im Burgenland und außerdem zur Leistung eines einmaligen Betrages in der Höhe von 45 Millionen Schilling l42 . 5. Kirche und Schule nach 1945 Die bis zum Jahr 1938 in Österreich geltende rechtliche Ordnung des Schulwesens wies unterschiedliche strukturelle Elemente auf, die teils bis in das 19. Jahrhundert reichten. Während der nationalsozialistischen Ära wurde die österreichische Schulgesetzgebung durch deutsche Rechtsvorschriften in einem Ausmaß durchbrochen, daß von einem einheitlichen Rechtsgefüge nicht mehr gesprochen werden konnte. Nach der Wiederherstellung der Republik Österreich wurde mit der Bundesverfassung von 1920 auch die Schulgesetzgebung aus der Ersten Republik wieder übernommen. Soweit diese nicht mehr den Zeiterfordernissen entsprach, ist aufgrund administrativer Verfügungen vorerst eine Anpassung erfolgt. Das österreichische Schulwesen besaß daher nach 1945 keine einheitliche Schulrechtsordnung , und so entstand nicht nur der Wunsch, sondern auch die Erkenntnis der Notwendigkeit einer rechtlichen Neuordnung des Schulwesens. Auch im Verhältnis der Schule zur Kirche waren nicht unwesentliche Veränderungen zu verzeichnen. Der Religionsunterricht zählte bis zum Jahre 1938 zu den Pflichtgegenständen des schulischen Unterrichts. In der nationalsozialistischen Ära war dieses Fach zum Freigegenstand, für den die Anmeldung vorgeschrieben wurde, degradiert worden. Das konfessionelle Schulwesen im Burgenland wurde zur Gänze beseitigt, und alle kirchlichen Privatschulen hatten zu bestehen aufgehört 143 . Nach der faschistischen Ära

141 BGB!. Nr. 195/1960 Art. VI. Zur Schulgeschichte in Österreich vg!. auch Friedrich Jellouschek, Das österreichische Schulwesen, in: Recht und Wirtschaft der Schule 4 (1963) 33-55. 142 BGB!. Nr. 273/1962 Art. III. 143 Vg!. dazu: Robert Höslinger, Die nationalsozialistischen Maßnahmen gegen das kirchliche Schulwesen in Österreich, in: Im Dienste des Rechts in Kirche und Staat, PS f. Pranz Arnold, Wien 1963, 111-125; Alfred Rinnerthaler, Die Zerschlagung des kirchlichen Privatschulwesens im Reichsgau Salzburg, in: Vermögensverwaltung in der Kirche. Thaur/lnnsbruck2 1988, 39-64; Rinnerthaler, Der Konfessionsunterricht im Reichsgau Salzburg, Salzburg 1991.

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wurde mit dem Erlaß vom 7. Juni 1945, Zl. 505 144 , im administrativen Wege der Religionsunterricht als Pflichtgegenstand mit zwei nicht unwesentlichen Modifikationen wieder eingeführt. Die im reichsdeutschen Gesetz über die religiöse Kindererziehung verankerte Abmeldemöglichkeit vom Religionsunterricht ist auch in die österreichische Rechtsordnung nach 1945 eingeflossen l45 . Außerdem ist die Besoldung der Religionslehrer den Kirchen bzw. Religionsgesellschaften überlassen worden. In einem Parteienabkommen hatte man 1945 daruberhinaus auch die Anzahl der wieder zugelassenen kirchlichen Privatschulen festgelegt l46 • Tatsächlich konnten aber 1945 alle bis 1938 bestandenen konfessionellen Privatschulen ihre Unterrichtstätigkeit wieder aufnehmen. Ein Erlaß des damaligen Staatssekretärs im Unterrichtsministerium verfügte jedoch, daß Neugrundungen von katholischen Schulen nicht mehr möglich sein sollten l47 . Das österreichische Schulwesen war am Beginn der Zweiten Republik von vielen Provisorien gekennzeichnet. Vor allem fehlte immer noch eine einheitliche verfassungsrechtliche Grundlage mit den kompetenzmäßigen Abgrenzungen. Aber auch die rechtliche Basis der Schulorganisation besaß einen eher mosaikartigen Charakter. Es fehlte auch nicht an Bemühungen, das Schulwesen gänzlich neu zu regeln. Noch im Jahre 1948 sind zwei Entwürfe für eine Gesamtregelung des Schul- und Erziehungswesens erstellt worden, einer von der sozialistischen Partei und einer vom Bundesminister für Unterricht l48 . Beide Entwürfe stimmten in der Verlängerung der Schulpflicht von acht auf nein Jahre überein, jedoch mit unterschiedlichen Varianten. Während der Entwurf des Bundesministeriums für eine Verlängerung der Grundstufe der Volksschule von vier auf fünf Jahre eintrat, sah der sozialistische Vorschlag die Verlängerung der Schulpflicht als neuntes Schuljahr vor. Zur Lehrerbildung enthielten beide Entwürfe sehr differierende Vorstellungen. Zu den strittigen Punkten zählte die Subventionierung der konfessionellen Privat144 Der Erlaß ist durch das Religionsunterrichtsgesetz vom 13. 7. 1949, RGB\. Nr. 190, aufgehoben worden. 145 Gesetz vom 15. 7. 1921, DRGBI I S. 939, in Österreich in Kraft getreten am 1. 3. 1939. 146 August Zechmeister, Die katholische Schule als politische Frage, Wien 1953, 32. 147 Johann Schmidt, Entwicklung der katholischen Schule in Österreich, Wien 1958, 162 f. Dieser Erlaß des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kulturangelegenheiten vom 11. August 1945, Zl. 2769/1945 wurde durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 245/51 vom 3. Juli 1951 aufgehoben. Vgl. dazu: ÖAKR 2 (1951) 260 f. 148 Beide Entwürfe sind abgedruckt in: Erziehung und Unterricht 98 (1948) 660675; 99 (1949) 67-83, 209-229, 299-312.

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schulen. Die vom Unterrichtsministerium, der österreichischen Volkspartei und der Kirche erhobene Forderung nach einer obligatorischen Subventionierung der konfessionellen Privatschulen wurde einerseits mit dem Recht der Eltern, ihre Kinder ohne erhebliche Mehrausgaben in solche Schulen zu schicken, andererseits damit begründet, daß der Staat den dadurch ersparten Schulaufwand den Privatschulen zur Verfügung stellen soll. Demgegenüber vertrat die sozialistische Partei den Standpunkt, die öffentliche Schule stünde allen Schülern zur Verfügung und der Besuch einer Privatschule sei Privatsache, die sich jeder selbst zu finanzieren habe l49 . Auf diesem Standpunkt verharrte die sozialistische Partei sehr hartnäckig, und erst in einem späteren StadiumiSO stimmte sie der Subventionierung der Privatschulen zu. In der Frage des Religionsunterrichtes gab es bei den allgemeinbildenden Schulen infolge der obligatorischen Einführung seit 1945 keine offenen Probleme. Strittig hingegen war Religion als Pflichtfach in den berufsbildenden Schulen wie auch die Anbringung von Schulkreuzen in den Klassenräumen. Beide Großparteien hatten 1948 ihr Schulprogramm zu verteidi149 In diesem Punkt waren beide Entwürfe konträr, daher seien hier die betreffenden Paragraphen der Entwürfe im Wortlaut wiedergegeben. Entwurf BMtu § 30 (2) Jeder von einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft (Orden und Kongregationen) erhaltenen privaten Schule mit Öffentlichkeitsrecht ist ein Schulkostenbeitrag aus öffentlichen Mitteln zu gewähren, wenn eine solche Schule eine verhältnismäßig beträchtliche Schülerzahl aufweist und der betreffende öffentliche Schulerhalter dadurch eine fmanzielle Entlastung erfährt. Dies ist als gegeben anzusehen, wenn die durchschnittliche Schülerzahl der Klassen dieser Schule mindestens zwei Drittel des Klassendurchschnittes an den öffentlichen Schulen gleicher Art im Bundeslande beträgt. (3) Der Schulkostenbeitrag ist von jenem öffentlichen Haushalte zu tragen, dem die Errichtung und Erhaltung der gleichartigen öffentlichen Schulen obliegt. (4) Der Schulkostenbeitrag ist so zu bemessen, daß der betreffenden Schule für jeden ihrer Schüler ein Betrag im Ausmaße der auf den Kopf eines Schülers an den öffentlichen Schulen der gleichen Schulart entfallenden Quote des Personal- und Sachaufwandes vergütet wird. Entwurf der SPÖ § 152 Private Schulen aller Art dürfen aus Mitteln des Bundes, der Länder oder der Gemeinden keinerlei Zuwendungen erhalten. Diese Bestimmung gilt jedoch nicht für fachliche Schulen, die von den zuständigen öffentlich-rechtlichen Wirtschaftskörperschaften erhalten werden. Solche Schulen können auch hinsichtlich der Ausstellung staatsgültiger Zeugnisse den öffentlichen Schulen gleichgestellt werden. 150 Die gesetzliche Regelung ist im Schulvertrag 1962, BGB!. Nr. 273/1962, dem am 8. März 1971 ein Zusatzvertrag, BGB!. Nr. 289/1972, folgte und im Privatschulgesetz 1962, BGB!. Nr. 244/1962 in der Fassung der Novelle vom 30. 5. 1972, BGB!. Nr. 290/1972, erfolgt.

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gen versucht und wenig Bereitschaft gezeigt, von den eingeschlagenen Positionen abzuweichen. Erst mit zunehmender Annäherung der ideologischen Standpunkte ist auch die kämpferische Note in kulturpolitischen Fragestellungen immer mehr zurückgetreten. Nicht zuletzt ist dieser Wandel durch die Haltung der katholischen Kirche bewirkt worden, sich aus partei politischen Fragen herauszuhalten. In einem wesentlichen Teilgebiet des Schule-Kirche-Verhältnisses konnte trotz verhärteter Fronten in schulischen Belangen dennoch ein Erfolg erzielt werden. Im Juni 1949 wurde von der Bundesregierung dem Nationalrat eine Gesetzesvorlage unterbreitet, wodurch der Religionsunterricht in der Schule neu geordnet werden sollte l51 . Mit diesem Gesetz war nach 1945 erstmals das Zusammenwirken kirchlicher und staatlicher Interessen in konstruktiver Form feststellbar. Im Unterrichtsausschuß wurde die Regierungsvorlage l52 , abgesehen von einer unwesentlichen textlichen Variante zu Paragraph 1, am 6. Juli 1949 unverändert angenommen I 53. Die Zeit der gegensätzlichen Positionen schien vorbei zu sein, und der sozialistische Abgeordnete Neugebauer bekannte offen: "Es gibt in Österreich keinen Boden mehr für einen Kulturkampf" . Das Gesetz sei "mit verhältnismäßiger Leichtigkeit" zustandegekommen, und auch die Verhandlungen innerhalb der Parteien und mit den Konfessionen seien ohne Schwierigkeiten geführt worden. Die Ursache dafür sei einzig und allein in der geänderten Stellung der katholischen Kirche dem öffentlichen Leben gegenüber zu suchen i54 . Nur in einem einzigen Punkt war kein Einvernehmen zu finden. Die Subventionierung konfessioneller Privatschulen lehnten die Sozialisten noch 1949 kategorisch ab, die Besoldung der Religionslehrer durch den Staat wurde jedoch akzeptiert l55 . Das Religionsunterrichtsgesetz von 1949 hat der Kirche im wesentlichen wieder die Befugnisse zurückgegeben, die sie bis 1938 im Schulbereich innegehabt hat. In einer Reihe von wichtigen Punkten ist nicht nur ein Einvernehmen möglich geworden, sondern auch wieder rechtliche Klarheit entstanden. Der Religionsunterricht basierte rechtlich bis 1949 auf dem Erlaß vom 7. Juni 1945. Die gesetzliche Grundlage brachte erst das Religionsunterrichtsgesetz.

151 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., V. GP, 113. Sitzung vom 9. Juni 1949,2343. 15292 der Beilagen zu den Steno Prot. d. NR, V. GP. 153962 der Beilagen zu den Steno Prot. d. NR, V. GP. 154 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., V. GP, 116. Sitzung vom 13. Juli 1949,3321. 155 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., V. GP, 116. Sitzung vom 13. Juli 1949.

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Erwähnenswert ist schließlich, daß dieses Gesetz als ein provisorisches angesehen wurde, das bei einer Neufassung der Schulgesetze abgeändert werden sollte l56 . Außerdem ergingen zum Religionsunterrichtsgesetz neun gleichlautende Landesgesetze. Demnach ist dieses Gesetz noch nach der paktierten Regelung zustandegekommen l57 . Im Hinblick auf den provisorischen Charakter des Religionsunterrichtsgesetzes, insbesondere durch das Ausbleiben des lang erwarteten Schulkompromisses zwischen den beiden Regierungsparteien, ist vorwiegend aus Gründen der dienstrechtlichen Gleichgestellung der Religionslehrer mit den übrigen Lehrern eine Novellierung des Religionsunterrichtsgesetzes notwendig geworden. Das Bundesgesetz vom 13. Juli 1949 hatte nämlich normiert, daß die von den Gebietskörperschaften angestellten Religionslehrer nur als Vertragslehrer , nicht aber als pragmatisierte Lehrer in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis übernommen werden konnten 158. Diese rechtliche Regelung bedeutete nicht nur eine sachlich nicht gerechtfertigte dienstrechtliche Benachteiligung der Religionslehrer gegenüber den übrigen Lehrern an öffentlichen Schulen, sondern zugleich auch eine Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatzes. Zudem wurde für jene Fälle Vorsorge getroffen, in denen dem Religionslehrer die erforderliche kirchliche Ermächtigung zur Erteilung des Religionsunterrichtes entzogen wurde. Weitere Bestimmungen betrafen die dienstrechtliche Stellung der Religionsinspektoren und einige den Erfordernissen der Praxis Rechnung tragende Ergänzungen des Religionslehrerrechtes l59 . Die Regierungsvorlage zur Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1957 gelangte schon im Februar 1957 an den Unterrichtsausschuß im Parlament l60 . Von diesem wurde in der Sitzung vom 23. Mai 1957 ein Unterausschuß zur Vorberatung der vorliegenden Regierungsvorlage eingesetzt. Dadurch verzögerte sich einerseits die Inkraftsetzung der Novelle, andererseits wurde der Entwurf selbst noch abgeändert l61 . In der Regierungsvorlage war noch vorgesehen gewesen, daß ein pragmatisierter Religionslehrer, dem die Ermächtigung zur Erteilung des Religionsunterrichtes entzogen wurde, zwar nicht 156 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., V. GP, 116. Sitzung vom 13. Juli 1949. 157 Die Übernahme der paktierten Gesetzgebung aus der Monarchie war notwendig geworden, weil die verfassungsrechtliche Abgrenzung der Kompetenzbestimmungen auf dem Gebiete des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens einer späteren Gesetzgebung vorbehalten blieb. Vg!. Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung, BGB!. d. Republik Österreich, Jg. 1920, Nr. 2. 158 Bundesgesetz vom 13. Juli 1949, BGB!. Nr. 190. 159 200 und 261 der Beilagen zu Steno Prot. d. NR, VIII. GP. 160200 der Beilagen, VIII. GP. 161 261 der Beilagen, VIII. GP.

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mehr Religion unterrichten durfte, jedoch von der Gebietskörperschaft in eine entsprechende anderweitige Dienstverwendung übernommen werden konnte l62 . Der Änderungsvorschlag des Unterrichtsausschusses ging dahin, daß die Widerrufbarkeit des pragmatischen Dienstverhältnisses der Religionslehrer deshalb sachlich gerechtfertigt sei, weil der Religionslehrer in Ausübung seiner Tätigkeit an den Besitz der kirchlichen Ermächtigung gebunden sei, ohne daß der staatlichen Behörde ein Einfluß auf die Zuerkennung oder Aberkennung dieser Ermächtigung zukomme l63 . Die Maßnahme der Entpragmatisierung könne nicht dem Ermessen der Behörde überlassen bleiben und daher erscheine es geboten, die Auflösung des pragmatischen Dienstverhältnisses anzuordnen l64 . Es ist erwähnenswert, daß die Weiterverwendung von pragmatisierten Religionslehrern im öffentlichen Dienst, denen die Ermächtigung zur Erteilung des Religionsunterrichts entzogen worden ist, über sozialistischen Wunsch aus der Regierungsvorlage herausgenommen wurde l65 . Auch wurden dem Nationalrat zwei Entschließungen zur Annahme vorgelegt, worin die Bundesregierung aufgefordert wurde, Vorsorge für jene Personen zu treffen, denen die kirchliche Ermächtigung entzogen wurde, damit diesen im Falle von Krankheit oder Arbeitslosigkeit ein über die derzeitige gesetzliche Regelung zeitlich hinausgehender sozialer Schutz eingeräumt werden könne l66 . Der Gesetzesentwurf über die Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1957 gelangte am 10. Juli 1957 zur parlamentarischen Behandlung l67 . Nachdem die beiden Großparteien sich bereits im Unterrichtsausschuß in der Sache geeinigt hatten, ist die Debatte im Parlament ohne große Emotionen geführt worden. Lediglich die Abgeordneten der Freiheitlichen Partei glaubten, dem Gesetzesentwurf nicht zustimmen zu können, da nach ihrer Meinung ein einmal pragmatisierter Religionslehrer grundsätzlich in einem unkündbaren Dienstver-

162200 der Beilagen, VIII. GP. 163 261 der Beilagen, VIII. GP. 164 200 der Beilagen, VIII. GP. 165 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., VIII. GP, 34. Sitzung vom 10. Juli 1957, 1347. 166 261 der Beilagen, VIII. GP. 167 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., VIII. GP, 34. Sitzung vom 10. Juli 1957, 13341348.

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hältnis stehe l68 . Die Freiheitlichen ihrerseits schlugen eine Lösung vor, die dem Zusatzprotokoll des Konkordats von 1933/34 konform war l69 . Demnach sollte ein pragmatisierter Religionslehrer bei Entzug der kirchlichen Ermächtigung in den Ruhestand versetzt werden. Den Argumenten der Freiheitlichen Partei konnte sich die Regierungsmehrheit nicht anschließen, und daher wurde die Novelle mehrheitlich beschlossen. Wie sehr sich das kulturpolitische Klima zur damaligen Zeit zugunsten einer Verständigung zwischen Kirche und Staat bereits entwickelt hatte, kann an dem Debattenbeitrag des Abgeordneten Rödhammer schon deutlich aufgezeigt werden: "Die sachlichen Beratungen und die einstimmigen Beschlüsse im Unterrichtsausschuß in einer kulturpolitisch neuralgischen Angelegenheit, wenn auch nicht in einer zentralen Angelegenheit, wie es auch Herr Dr. Neugebauer erwähnt hat, bei dem vorliegenden Gesetzentwurf könnten als verheißungsvoller Auftakt für die Lösung der größeren und umfassenderen kulturpolitischen Probleme gedeutet werden. Wollen wir hoffen, daß diese Interpretation nicht fehlgeht und daß die kommenden Verhandlungen über Konkordat, Schule und Ehe einen Geist der Aufgeschlossenheit und der Toleranz bekunden werden (Ruf bei der SPÖ: Bei euch!). Wir wollen hoffen, daß Ihre bisherige starre Front gegenüber religiös-kirchlichen Problemen sich tatsächlich als aufgelockert erweist und das Wort vom 'neuen Klima' keine Phrase ist, sondern ein verheißungsvoller Lichtschimmer auf dem Weg in die Zukunft unseres Volkes und Landes"170. Der Bundesrat hat dem Gesetzesbeschluß des Nationalrates in seiner Sitzung am 25. Juli 1957 zugestimmt l71 . Mit der Schulgesetzgebung 1962 hat eine Entwicklung der österreichischen Schultradition ihr Ende gefunden, die in ihren Wurzeln noch in den Liberalismus des 19. Jahrhunderts zufÜckreichte. Aus weltanschaulichen Gegensätzen unterblieb bei der Schaffung der Bundesverfassung im Jahre 1920 die Kompetenzabgrenzung auf dem Gebiet des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens zwischen dem Bund und den Ländern in bezug auf Gesetzgebung und Vollziehung. In politischer Hinsicht wurde das schulorganisatorische Provisorium mit dem System der paktierten Gesetzgebung abgesichert und damit trat praktisch eine "Versteinerung" in der Schulgesetzgebung ein. Nach 1945 konnte ein Schulkompromiß zwischen den beiden Großparteien lange Zeit nicht gefunden werden, und erst 1960 gelang es, ein gemeinsames 168 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., VIII. GP, 34. Sitzung vom 10. Juli 1957, 1340. 169 Konkordat von 1933/34, Zusatzprotokoll zu Art. V, § 4. 170 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., VIII. GP, 34. Sitzung vom 10. Juli 1957, 1348. 171 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., VIII. GP, 37. Sitzung vom 25. Juli 1957,29642973. 9 Primetshofer

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Regierungsprogramm ZU entwickeln. In mehrjährigen Parteienverhandlungen und Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern wurde ein einheitlicher Komplex von mehreren Schulgesetzen neben der Neufassung der verfassungsrechtlichen Grundlage hinsichtlich des Schulwesens geschaffen. Das Schulgesetzgebungswerk von 1962 war als Kompromiß zwischen den beiden Regierungsparteien anzusehen 172 . Mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzabgrenzung auf dem Gebiete des Schulwesens wurde nicht nur die Grundlage für die übrige Schul gesetzgebung geschaffen, sondern zugleich ein 42 Jahre lang dauerndes veifassungsrechtliches Provisorium zu Ende geführt. Für das Verhältnis von Kirche und Staat sind mehrere im Verfassungsrang stehende Bestimmungen von großer Bedeutung. Außer der Neufassung der Kompetenzverteilung auf dem Gebiete des Schulwesens sowie auf dem Gebiete des Erziehungswesens in den Angelegenheiten der Schüler- und Studentenheime l73 , enthält die Schulgesetzgebung 1962 erstmals einige verfassungsrechtliche Begriffsbestimmungen. Die begriffliche Abgrenzung war notwendig geworden, weil infolge unterschiedlicher begrifflicher Verwendung des Begriffes "Schule" in der Vergangenheit eine Auslegung der Begriffe Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesen auf Schwierigkeiten stoßen mußte. Der Gesetzgeber hatte sich dabei jener Begriffsbestimmungen bedient, die vorher durch den Verfassungsgerichtshof ausgebildet wurden 174. 172 Zur Schulgesetzgebung 1962 existieren zahlreiche Veröffentlichungen, hier nur einige wenige Literaturhinweise: Hans Spreitzer, Das österreichische Schulgesetzwerk 1962, in: Erziehung und Unterricht 112 (1962) 383-389; Friedrich Jellouscheck, Das österreichische Schulwesen, in: Recht und Wirtschaft der Schule 4 (1963) 33-35; Erwin Melichar, Die Schulgesetzgebung 1962, in: ÖAKR 15 (1964) 277-296; Hugo Schwendenwein, Verfassung, Religionsunterrichtsgesetz, Schulvertrag, in: CPBI 92 (1979) 53 ff.; Hugo Schwendenwein, Die rechtliche Ordnung des konfessionellen Privatschulwesens, in: ThpQ 130 (1982) 158 ff.; Rieger/Schima, Katholische Kirche, Organisation, Besonderer Teil, in: Rechtslexikon, hrsg. von Maultaschl/Schuppich/Stagl, Wien 1968; Gerhard Luf, Religionsunterricht - ein Privileg der Kirchen, FS f. W. M. Plöchl zum 70. Gbtg., Innsbruck 1977, 457-471; Johann Trummer, Dienstrechtliche Probleme der Lehrer für den Unterrichtsgegenstand "Katholische Religion" an den AHS und BHS, in: Jahresbericht des BG und BG für Berufstätige, Leoben 1977178; Hugo Schwendenwein, Religion in der Schule, Rechtsgrundlagen, Graz 1980. 173 Art. 14, Abs. 1-5 B-VG vom 18. Juli 1962, BGBI. Nr. 215. Die Schulgesetzgebung 1962 erfaßte nicht das land- und forstwirtschaftliche Schul- und Erziehungswesen. Dieses ist erst durch das B-VG vom 28. April 1975, 8GBl. Nr. 316 geändert worden. 174 Die begriffliche Abgrenzung umfaßte die Begriffe "öffentliche Schule", "Privatschule" und den Begriff des "Schulerhalters" .

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An Stelle der alten paktierten Gesetzgebung wurde durch das Bundes-Verfassungsgesetz vorgesehen, daß Bundesgesetze auf dem Gebiete des Schulwesens nur mit den qualifizierten Anwesenheits- und Stimmeifordernissen beschlossen werden können, wie sie sonst nur für Verfassungsgesetze erforderlich sind 175. Zu diesen Gesetzen zählen das Privatschulgesetz, das Gesetz über das Verhältnis der Schule zur Kirche, das Religionsunterrichtsgesetz und auch der Schul vertrag mit dem Apostolischen Stuhl. Diese Bestimmung findet sich in der Regierungsvorlage vom 26. Juni 1962 noch nicht l76 , hingegen aber in den vom Verfassungsausschuß vorgenommenen Änderungen zur Regierungsvorlage, die mit 16. Juli 1962 datiert sind l77 • Die in der kurzen Zeitspanne zwischen 4. Juli 178 und 16. Juli 1962 vereinbarte Neufassung des Artikels 14 Bundesverfassungsgesetz muß daher als Ergebnis eines politischen Kompromisses zwischen den beiden damaligen Regierungsparteien gewertet werden. Die Tragweite der getroffenen Vereinbarung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers deutlich zum Ausdruck bringen, es in Hinkunft auszuschließen, daß Zufallsmehrheiten der einfachen Gesetzgebung zu einer Zersplitterung der Schulgesetzgebung von 1962 führen würden. Als Oppositionspartei ist damals von der Freiheitlichen Partei die verfassungsmäßige Schutzbestimmung zur Abänderung der Schulgesetzgebung heftig bekämpft und als "Ausdruck des koalitionären Mißtrauens der einen Partei gegen die andere" hingestellt worden. Der neue Kompromiß stelle eine Verschlechterung der verfassungsrechtlichen Lage dar, da die Abänderung eines der genannten Gesetze an die qualifizierte Mehrheit gebunden sei. Einfachgesetzliche Regelungen durch Verfassungsbestimmungen zu binden, sei nicht nur ein legistisches Novum, sondern in den Augen der Freiheitlichen Abgeordneten auch eine unzulässige Behinderung für künftige Entwicklungen 179.

Nach Artikel VI des erwähnten Bundesverfassungsgesetzes ist auch Subventionierung der konfessionellen Privatschulen verankert worden, zunächst 60 Prozent des Personal aufwandes umfaßte, durch die Novelle Privatschulgesetzes 1972 die Subvention zum vollen Ausmaß

die die des des

175 BVG 215/1962 vom 18. Juli 1962, Art. 14 Abs. 10. 176 730 der Beilagen zu den Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP, Sitzung vom 26.6.1962. 177 777 der Beilagen zu den Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP. Zu den Änderungen zählen weiters Angelegenheiten der Schulbehörden, der Schulpflicht und der Schulorganisation. 178 Am 4. Juli 1962 ist vom Verfassungsausschuß ein Unterausschuß eingesetzt worden, der die Regierungsvorlage durchzuberaten hatte. Der Unterausschuß hatte am 16. Juli 1962 seine Arbeiten beendet, vgl. dazu 777 der Beilagen (Anm. 177). 179 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP, 106. Sitzung vom 18. Juli 1962, 4696 ff.

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tatsächlichen Personalaufwandes steigerte180. Gegen das Bundesverfassungsgesetz hinsichtlich der Neufassung des Schulwesens wurde am 20. Juli 1962 vom Bundesrat kein Einspruch erhoben 181 , in Kraft getreten ist das Verfassungsgesetz aber bereits am 18. Juli 1962, das ist der Tag der Beschlußfassung durch den Nationalrat. Durch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen wurden die Bestimmungen des Artikels VI des Konkordats vom 5. Juni 1933 und dessen Zusatzprotokoll teils ersetzt, teils ergänzt l82 . In Artikel I des Vertrages wurden Fragen des Religionsunterrichts, in Artikel 11 das katholische Privatschulwesen, in Artikel III die Leistung bestimmter Zahlungen zur Errichtung des katholischen Schulwesens im Burgenland und in Artikel IV die Beteiligung der katholischen Kirche an den kollegialen Schulbehörden geregelt. Der Schulvertrag ist von der Freiheitlichen Partei ebenfalls abgelehnt worden, insbesondere glaubte sie, der konkordalären Teilregelung wegen des den katholischen Schulen gewährten rechtlichen Anspruchs auf Subventionen in einem bestimmten Ausmaß nicht zustimmen zu können 183 . Die Novelle 1962 zum Religionsunterrichtsgesetz war hauptsächlich in Angleichung an den mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen Vertrag notwendig geworden. Die Ausdehnung des Religionsunterrichtes als Pflichtgegenstand auf alle berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, ausgenommen die land- und forstwirtschaftlichen Schulen l84 , und auf alle im Schulorganisationsgesetz neu aufgeführten Schultypen, einschließlich der Pädagogischen Akademien, an denen an die Stelle des Religionsunterrichtes der Ptlichtge180 BVG 215/1962 vom 18. Juli 1962, Art. VI in Verbindung mit dem BG vom 25. 7. 1962, BGB!. Nr. 244 in der Fassung der Novelle vom 30. 5. 1972, BGB!. Nr. 290/1972, §§ 17-20. 181 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP, 194. Sitzung vom 20. Juli 1962,46884702. 182 Vertrag vom 9. Juli 1962 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlußprotokoll, BGB!. Nr. 273. 183 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP, 109. Sitzung vom 25. Juli 1962, 48754878. 184 Diese Ausnahme ist durch die Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1975 beseitigt worden, so daß an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sowie an den land- und forstwirtschaftlichen Berufsschulen im gesamten Bundesgebiet der Religionsunterricht Pflichtgegenstand geworden ist, vg!. dazu: Religionsunterrichtsgesetz vom 13. 7. 1949, BGB!. Nr. 190/1949 in der Novelle 1975, 8GB!. Nr. 324 § 1 (1) d, e und g.

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genstand Religionspädagogik trat, zählte zu den materiell wichtigsten Materien der Novelle. Mit Rücksicht auf die besondere Organisation der gewerblichen und kaufmännischen Berufsschulen sollte an diesen Schulen der Religionsunterricht auch weiterhin als Freigegenstand geführt werden können 185 . Die rechtliche Stellung der religiösen Übungen, die im Jahre 1945 für unverbindlich erklärt wurden und wozu auch das Religionsunterrichtsgesetz von 1949 keine Regelung brachte, wurde durch die Novelle von 1962 gesetzlich festgelegt. Demnach ist den Schülern die Teilnahme daran im bisher üblichen Ausmaß zu ermöglichen, grundsätzlich hielt aber auch die Novelle 1962 daran fest, daß die Teilnahme an den religiösen Übungen sowohl für Schüler als auch für Lehrer freigestellt bleiben soll. Außerdem wurde angeordnet, daß an Schulen, in denen der Religionsunterricht Pflichtgegenstand ist und an denen die Mehrzahl der Schüler einem christlichen Religionsbekenntnis angehört, in allen KlasseDräumen ein Kreuz anzubringen sei 186 . Die übrigen Änderungen betreffen Regelungen für den Fall, daß die Schüler zu Religionsunterrichtsgruppen zusammengezogen werden müssen, weil sie einem Bekenntnis angehören, das weniger als die Hälfte der Schüler einer Klasse umfaßt l87 . Gegen die Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1962 wurde von den politischen Vertretern im Parlament kein Einwand erhoben, so daß die Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1962 einstimmig beschlossen wurde l88 . Im Privatschulgesetz 1962 haben die gleichen konkordatären Abmachungen ihren Niederschlag gefunden. Das Gesetz regelt die Errichtung und Führung von Privatschulen sowie die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes und die Gewährung von Subventionen an diese Schulen l89 . Den schulgesetzlichen Bedingungen über die Errichtung und Führung einer Privatschule wurden Begriffsbestimmungen vorangestellt, die durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entwickelt worden waren l90 . Durch diese Legaldefmi185 Eine Ausnahme bilden lediglich die Länder Tirol und Vorarlberg, in denen auch an den Berufsschulen der Religionsunterricht zu den Ptlichtgegenständen zählt. 186 Religionsunterrichtsgesetz §§ 2a und 2b. 187 Religionsunterrichtsgesetz §§ 7a, Abs. 1-3 und 7b, Abs. 1-2. 188 Steno Prot. d. NR d.Rep. Ö., IX. GP, 109. Sitzung vom 25. Juli 1962,4915. 189 BG vom 25. 7. 1962, BGBL Nr. 244. Für das land- und forstwirtschaftliche Privatschulwesen ist das betreffende Gesetz erst am 29. April 1975, BGBL Nr. 318, ergangen. 190 Folgende Erkenntnisse sind dafür maßgeblich: Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21. 3. 1933, Slg. Nr. 1505, des Bundesgerichtshofes vom 8. 11. 1935, Slg. Nr. 777, des Verfassungsgerichtshofes vom 10. 10. 1951, Slg. Nr. 2207 und vom 11. 10. 1960, B 5111960 und B 135/1960, Slg. Nr. 3801.

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tionen wollte man den Schwierigkeiten begegnen, die dadurch aufgetreten waren, welche Schulen als Schulen im eigentlichen Sinne anzusehen seien. Ein weiterer wichtiger Normenkomplex des Privatschulgesetzes betrifft die Subventionierung der Privatschulen. Dabei wird die Unterscheidung zwischen konfessionellen und nichtkonfessionellen Privatschulen getroffen. Während den Kirchen und Religionsgesellschaften ein Rechtsanspruch auf Subventionierung der von ihnen unterhaltenen konfessionellen Schulen eingeräumt wurde, war die Subventionierung nichtkonfessioneller Privatschulen nur nach der Maßgabe der bundesfinanzgesetzlichen Vorschriften vorgesehen worden. Diese Unterscheidung wurde im Parlament von den Freiheitlichen Abgeordneten unter Hinweis auf die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bekämpft l91 . Vom Gesetzgeber war den beiden Privatschularten die Begründung zugrundegelegt worden, daß das öffentliche Schulwesen in Österreich ein interkonfessionelles sei und daher die konfessionellen Privatschulen eine nicht unwesentliche Ergänzung des öffentlichen Schulwesens darstelle, durch die es den Eltern erleichtert wurde, die ihrer religiösen Auffassung entsprechende Erziehung ihrer Kinder frei zu wählen 192. Diese sachlich gebotene Unterscheidung läßt den Vorwurf einer Gleichheitsverletzung unberechtigt erscheinen.

ß. Die Ehefrage 1. Liberale Ehegesetzgebung

Die Neuordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Österreich muß als eine Folge der Veifassungsgesetzgebung des Jahres 1867 angesehen werden. Durch die Aufteilung der Kompetenzen von Kirche und Staat in bezug auf die "inneren Angelegenheiten" und "äußeren Rechtsverhältnisse" im Sinne von Art. 15 StGG wird für die staatliche Gesetzgebung die Voraussetzung geschaffen, all das zu regeln, was nicht innere Angelegenheit darstellt. Wie der Motivenbericht zum Katholikengesetz von 1874 ausführt, sind unter den äußeren kirchlichen Angelegenheiten bzw. äußeren kirchlichen Rechtsverhältnissen insbesondere jene

191 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP, 109. Sitzung vom 25.7. 1962,4875 ff und 4892 f. 192 Vgl. dazu: 735 der Beilagen zu den Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., IX. GP, vom 26. 6. 1962.

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Kirche und Staat betreffenden Angelegenheiten zu verstehen, die bisher im Konkordat von 1855 geregelt waren l93 . Wie zielstrebig an den konfessionellen Gesetzen gearbeitet wurde, zeigt schon die zeitliche Abfolge. Der Verfassungsausschuß hatte seine Arbeiten noch gar nicht beendet, als im konfessionellen Ausschuß bereits Beratungen über die Beziehungen der Kirche zum Staat geführt wurden. Die Gesetzesentwürfe des Verfassungs- und des Konfessionellen Ausschusses sind also parallel erstellt worden, ja im Abgeordnetenhaus sind die konfessionellen Gesetze noch im Oktober 1867, also bevor das Staatsgrundgesetz die kaiserliche Sanktion erhielt, verabschiedet worden 194. Die liberale Eherechtsreform des Jahres 1868 wurde ausgelöst durch den vom Abgeordneten Eduard von Herbst am 11. Juli 1867 eingebrachten Dringlichkeitsantrag, der außer der Ehegesetzgebung auch die Neuordnung der interkonfessionellen Verhältnisse und des Verhältnisses der Schule zur Kirche vorsah l95 . Noch in derselben Sitzung erfolgte die Wahl des 15 Mitglieder umfassenden konfessionellen Ausschusses 196 , und zwei Tage später begann die erste Lesung über die drei Anträge l97 . In der 22. Sitzung der neu zusammengetretenen Mitglieder des Abgeordnetenhauses begründete Dr. Sturm als Berichterstatter die Einbringung der Anträge mit der Rückgabe aller Rechte, auf die der Staat im Konkordat zugunsten der Kirche verzichtet habe. Der Staat könne auch nicht auf "das natürlichste aller politischen Rechte, das der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, ohne Rücksicht auf die Confession, welcher sie angehören", verzichten 198. In der anschließenden Debatte beantragte der Vertreter der Klerikalen, Dr. Jäger, die Aussetzung der Ausschußarbeiten und schlug Verhandlungen zwischen Österreich und dem Vatikan zur Abänderung des Konkordats vor. Dieser Antrag, der mit Bestimmtheit auch darauf zielte, die rasche Erledigung des Antrages Herbst hinauszuzögern, ist von der Mehrheit der Abgeordneten nicht akzeptiert worden 199. Aber auch innerhalb des liberalen Lagers kam es zu heftigen 193 Vgl. dazu: Max Burckhard, Gesetze und Verordnungen in Cultussachen, Wien3 1895, Bd. 11, 14. 194 Das Staats grundgesetz ist vom Kaiser am 21. Dezember 1867 erlassen und im Reichsgesetzblatt unter der Nr. 142 publiziert worden. 195 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 18. Sitzung vom 11. Juli 1867,339. 196 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 18. Sitzung vom 11. Juli 1867; Karl Vocelka, Verfassung (Anm. 1) 57. 197 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 19. Sitzung vom 13. Juli 1867,378 f. 198 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 22. Sitzung vom 19. Juli 1867,479. 199 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 23. Sitzung vom 20. Juli 1867,514.

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Debatten, weil man sich in den Fragen der Durchführung der Gesetzesinitiativen uneinig war. Der Abgeordnete Dr. Mühlfeld hatte nämlich am 17. Juni 1867 seinen schon im Jahre 1861 gestellten Antrag auf Schaffung eines Religionsgesetzes wiederholt200 und damit erneut die Aufhebung des Konkordats verlangt. Dem Abgeordnetenhaus lagen daher zwei von den Liberalen eingebrachte unterschiedliche Anträge vor, einer, der die gänzliche Beseitigung des Konkordats verlangte und ein zweiter, der das Konkordat in wesentlichen Punkten mit Hilfe von Spezialgesetzen durchlöchern wollte. Dabei lag der entscheidende Unterschied beider Anträge nicht in einer divergierenden Argumentation, sondern es stand lediglich die Frage der pragmatischen Durchführung des Antrages im Mittelpunkt des Interesses. Die liberale Gruppe um Dr. Herbst war außerdem bestrebt, die Gesetzesanträge so rasch als möglich durchziehen zu können20I . Die Eile war umso mehr geboten, als der interimistische Leiter des Kultusministeriums Ritter von Hye die Erklärung abgab, die Regierung werde bemüht sein, mit dem Hl. Stuhl in Verhandlungen einzutreten202 . Es war hierbei nicht auszuschließen, daß die Regierung sich gemäß Artikel 35 des Konkordats zu Verhandlungen über eine freundschaftliche Beilegung auftretender Schwierigkeiten entschließen könnte, was ein völliges Scheitern der liberalen Gesetzesinitiativen bedeutet hätte. Wenige Tage vor der Debatte über das Ehegesetz ist es in Zusammenhang mit der Veröffentlichung jener Adresse des österreichischen Episkopats an den Kaiser, in der die Bischöfe ihren Einfluß auf Ehe und Schule verteidigten, zu einem Erstarken des liberalen Kampfgeistes gekommen, der auch im Abgeordnetenhaus seine Wirkung nicht verfehlte. Die energische Haltung des Monarchen gegenüber den bischöflichen Forderungen - im Abgeordnetenhaus kam es nach der Verlesung des kaiserlichen Handschreibens an Kardinal Rauscher durch Präsident Giskra zu Hoch-Rufen auf den Monarchen 203 - hatte auch bei den Liberalen zu größerer Entschlossenheit geführt. Der radikale Vertreter der Liberalen, der Abgeordnete Mühlfeld, stellte als Antwort auf die Adresse der Bischöfe an den Kaiser seinen in der 33. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 9. Oktober 1867 formulierten Antrag auf Aufhebung des

200 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 9. Sitzung vom 17. Juni 1867,182. 201 Von Dr. Herbst ist dieses Vorhaben deutlich ausgesprochen worden, wobei er darauf verwies, daß die Erlassung eines Religionsgesetzes im Sinne des Abgeordneten Dr. Mühlfeld sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Vgl. dazu: Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 19. Sitzung vom 13. Juli 1867, 378. 202 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 23. Sitzung vom 20. Juli 1867,503. 203 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 39. Sitzung vom 17. Oktober 1867, 995. Vgl. oben Anm. 60.

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Konkordats204 . Zwei Tage später lieferte er in einer brillanten Rede die Begründung dafür, warum er nicht mehr für eine Teilaufhebung, sondern für die gänzliche Beseitigung des Konkordats votiere205 . Der Antrag ist zwar dem konfessionellen Ausschuß zugewiesen worden, eine Beschlußfassung darüber ist in beiden Kammern nie erfolgt. Damit war nicht nur die Entscheidung gegen die radikalen Anträge des profiliertesten Abgeordneten der Liberalen gefallen, sondern zugleich auch der Weg frei geworden für die konfessionellen Gesetzesanträge des Abgeordneten Herbst, die eine Teilrevision des Konkordats ins Auge faßten206 . Am 21. Oktober 1867 ist vom konfessionellen Ausschuß der Entwurf des Gesetzes, "mit dem die Vorschriften des zweiten Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches über das Eherecht, das für Katholiken durch das Konkordat außer Kraft gesetzt worden war, wieder hergestellt, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen wieder den staatlichen Gerichtsbehörden überwiesen und Bestimmungen über die bedingte Zulässigkeit der Eheschließungen vor weltlichen Behörden erlassen wurden·, dem Abgeordnetenhaus vorgelegt worden. Die Beratungen darüber dauerten lediglich drei Tage, als Berichterstatter fungierte der Abgeordnete Dr. Sturm 207 • Den grundsätzlichen Standpunkt der Konservativen legte der Abgeordnete Lovro Pintar aus Krain dar, indem er argumentierte, die Ehe sei ein von Gott eingesetzes Institut, das durch Jesus Christus zum Sakrament erhoben worden sei. Über die Sakramente habe aber allein die Kirche die Verwaltung, und dem Staat stünde daher in Eheangelegenheiten keine Kompetenz zu208. Der Hauptgrund des Wi-

204 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 33. Sitzung vom 9. Oktober 1867, 798. 205 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 35. Sitzung vom 11. Oktober 1867, 847 ff. 206 Karl Vocelka, Verfassung (Anm. 1) 64 ff. 207 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 40. Sitzung vom 21. Oktober 1867, 1046 ff. 208 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 40. Sitzung vom 21. Oktober 1867, 1049. Der hier anklingende Streit um die Kompetenzabgrenzung zwischen Staat und Kirche hinsichtlich der Ehe(gesetzgebung) hatte in diesem Zeitpunkt bereits eine lange die österreich ische Gesetzgebung mehrfach betreffende Geschichte hinter sich. Während das kanonische Eherecht im 18. Jahrhundert, freilich bereits in deutlicher Frontstellung gegen staatliche Eingriffe in eine bis dahin im wesentlichen unbestrittene und beinahe ausschließliche Kompetenz der Kirche in Ehesachen, den Grundsatz der Untrennbarkeit von Ehevertrag und -sakrament bezüglich aller Getauften ausformulierte, basierten das josephinische Ehepatent (1783) wie auch das ABGB (1811) auf der Möglichkeit einer realen Trennung von Vertrag und Sakrament bei den Ehen aller Staatsbürger, also auch der Katholiken. Diese Unterscheidung war die theoretische Rechtfertigung der staatlichen Gesetzgebung im Bereich des Eherechts schon unter

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derstandes gegen die Ehegesetzgebung dürfte aber in der Verteidigung des Konkordats gelegen sein. Durch die konfessionellen Gesetze sind nämlich entscheidende Materien des Konkordats verdrängt worden und daher mußte die Auseinandersetzung als eine Prinzipienfrage angesehen werden. Von dieser Grundposition heraus ist von fast allen klerikalen Abgeordneten die Einführung der Notzivilehe, die ja nur in seltenen Fällen zur Anwendung kommen sollte, als "privilegiertes Concubinat" bezeichnet und ist dagegen heftig angekämpft worden209 . Diese Äußerungen blieben keineswegs unwidersprochen, und der Abgeordnete Schindler aus Niederösterreich verwies zu Recht

Joseph 11., da dieses ja nur den Vertrag, nicht aber das Sakrament im Auge habe. Paragraph 1 des Ehepatentes formulierte denn auch sehr deutlich: "Die Ehe ist ein bürgerlicher Vertrag, die daraus fließenden und den Vertrag errichtenden gegeneinander zustehenden bürgerlichen Gerechtsame und Verbindlichkeiten erhalten ihre Wesenheit, Kraft und Bestimmung ganz und allein von den landes fürstlichen Gesetzen." (Handbuch aller unter der Regierung Kaiser Joseph 11. für die k.k. Erblande ergangenen Verordnungen und Gesetze in einer systematischen Verbindung, Wien 1785, 11, S. 149 ff.). Auch das ABGB spricht an zahlreichen Stellen ausdrücklich vom (Ehe)vertrag (z. B.) §§ 44, 47, 48, 54, 59, 63, 64, usw.), womit nochmals unterstrichen werden soll, was bereits Jahre zuvor kirchlichen Einwänden gegen eine staatliche Ehegesetzgebung in bezug auf die Getauften entgegengehalten wurde: "Der Vertrag, welchen das Sakrament der Ehe voraussetzt, ist nach allen seinen Eigenschaften ein Gegenstand der politischen Gesetzgebung, so daß er seine volle Gültigkeit lediglich von der bürgerlichen Gesetzmäßigkeit erhält, ehe noch das Sakrament hinzukömmt, folglich in keiner Beziehung unter die geistliche Gewalt des Hirtenamtes fällt" (Gutachten von Leopold Graf Kolowrat, Präsident der böhmisch-österreichisehen Hofkanzlei und Oberstem Kanzler vom 26. 6. 1791 bei Ferdinand Maaß, Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte in Österreich, VI. Bd., 229. Vgl. zum Ganzen: Bruno Primetshofer (Anm. 14) 5 f. 209 Diese Äußerungen sind von Lovro Pintar und Propst Degara, einem Abgeordneten aus Tirol, im Abgeordnetenhaus gemacht worden. Vgl. dazu: Steno Prot. d. Abg. Hauses IV. Session, 40. Sitzung vom 21. Oktober 1867, 1050 und 1068-1070. Die Gleichsetzung der Zivilehe mit dem Konkubinat ist zweifellos von päpstlichen Äußerungen zu dieser Frage beeinflußt. So nannte Pius IX. in einer Ansprache vom 27. 9. 1852 die Zivilehe von an die kanonische Eheschließungsform gebundenen Personen "turpis atque exitialis concubinatus". Codicis Iuris Canonici Fontes, Bd. 11. Nr. 515, 877. - In der Kanonistik fmden sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gelegentlich Äußerungen in dieser Richtung, z. B. earl Holböck, Die Zivilehe, Innsbruck/Wien 1950, 67 ff. Die herrschende Lehre unterscheidet allerdings zwischen der Zivilehe, bei der ein ausreichender und die Basis für die Heilung in der Wurzel bildender Ehekonsens vorhanden sein kann und dem durch das Fehlen eines Ehewillens gekennzeichneten Konkubinat. Vgl. dazu: HdbKathKR, Regensburg 1983, 793.

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auf mehrere Staaten in Europa, in denen die Zivilehe bereits eingeführt worden war21O •

In der Argumentation gegen die Zivilehe wurde offensichtlich übersehen, daß die Einführung derselben den katholischen Religionsdiener aus einer auch für ihn nicht immer angenehmen Zwangslage befreit hätte. Denn auch das Konkordat von 1855 hatte keine Änderung in bezug auf die staatliche Gesetzgebung hinsichtlich der konfessionell gemischten Ehen (Mischehen) gebracht. Das vom kanonischen Recht her bei konfessionell gemischten Ehen von beiden Ehepartnern zu leistende Versprechen der ausschließlich katholischen Taufe und Erziehung sämtlicher Kinder konnte gemäß den Bestimmungen des Toleranzpatents aus 1781 vom staatlichen Recht her nicht verlangt und nicht durchgesetzt werden. Andererseits war die katholische Eheschließungsform bei den konfessionell gemischten Ehen durch § 77 ABGB gefordert211 . Unter den Liberalen selbst herrschte durchaus keine einheitliche Meinung hinsichtlich einiger Grundfragen zur staatlichen Ehegesetzgebung. Die Mehrzahl sah in der Ehe kein ausschließlich kirchliches Rechtsinstitut, sondern zunächst einen bürgerlichen Vertrag. Zu diesem bürgerlichen Vertrag trete durch den kirchlichen EheabsChluß das Sakrament hinzu, das jedoch als eine reine Angelegenheit der Kirche betrachtet werden müsse212 . Einen vennit210 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 40. Sitzung vom 21. Oktober 1867, 1077. 211 Diese Bestimmung wurde erst durch Art. 11 und III des Gesetzes vom 31. 12. 1868 (RGBl. Nr. 4/1869) aufgehoben. - Im Jahr 1841 war hinsichtlich der Formpflicht bei Mischehen ein nicht allseitig befriedigendes Übereinkommen zwischen dem Apostolischen Stuhl und Österreich erzielt worden, wonach der katholische Geistliche bei Mischehen, in denen die vorgenannten Kautionen nicht geleistet wurden, die sogenannte passive Assistenz leisten mußte, d. h. er hatte die eheliche Willenserklärung der beiden Partner anzuhören, die Ehe ins Trauungsbuch einzutragen, er mußte sich aber jeder liturgischen Handlung enthalten, vgl. dazu: Instruktion des Kardinalstaatssekretärs Lambruschini an die Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs vom 22. 5. 1841, zitiert bei Bruno Primetshofer, Gemischte Ehen (Anm. 14) 178 f. 212 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 40. Sitzung vom 21. Oktober 1867, 1053. Hiermit übernehmen die Abgeordneten die Argumentation, die schon 1789 vom damaligen ersten Referenten der geistlichen Hofkommission Franz Heinke hinsichtlich der eherechtlichen Gesetzgebungskompetenz von Kirche und Staat vorgelegt hatte. "Das Eheband besteht aus zwey Teilen: bei allen Menschen in dem gesetzmäßig geschlossenen Ehevertrag und bei Katholiken insbesondere noch in dem Sakrament. Die Kirche außer oder in einem Kirchenrathe nimmt dann erst Anteil an dem Ehegeschäfte, wenn der bürgerliche Ehekontrakt nach landesfürstlicher Vor-

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telnden Standpunkt vertrat der Abgeordnete Andriewicz aus der Bukowina, der für das Zustandekommen einer Ehe das Zusammentreffen der bürgerlichen Wirkungen mit dem Sakrament für unabdingbar hielt213 . Zu den Gegnern der liberalen Eherechtsnovelle zählte vor allem Dr. Mühlfeld, dem der Entwurf zu wenig weitgehend war. Er plädierte für die Einführung der obligatorischen Zivilehe und die Aufhebung der Ehehindernisse des Zölibats, des Gelübdes (ABGB § 63), der Religionsverschiedenheit (ABGB § 64) und des Katholizismus (sog. impedimentum catholicismi)214. Die Trennbarkeit der Ehen hielt er für unerläßlich, und die Einführung der Notzivilehe betrachtete er lediglich als einen Notbehelf. "Nach meinen früheren Erörterungen kann kein Zweifel sein, daß ich die Zivilehe als Institution nur allein für das Richtige und Zweckmäßige ansehe. Je mehr ich dafür bin und je mehr ich dafür sein zu sollen glaube, ohne der Kirche entgegenzutreten und ohne der Einsegnung der Ehe irgendeinen Abbruch zu thun, umso gewisser bin ich dagegen, daß dieselbe als Notbehelf eingeführt wird. Meine Herren! Die Civilehe darf man nicht einführen unter Verhältnissen und Umständen, in einer Art und Weise, wodurch sie gewissermaßen verspottet oder wenigstens diejenigen, welche von ihr Gebrauch machen, compromitirt werden"215. Es gab daher auch unter den Liberalen nicht wenige, die mit der erzielten Lösung der Ehefrage nicht einverstanden waren. Die beiden gegensätzlichen Standpunkte, schrift gesetzmäßig geschlossen ist. Das geistliche Kirchenamt enthält daher alsdenn seine Anwendung dabei so weit, daß dasselbe sich mit Vorbereitung und Anleitung der zu zweckmäßiger Empfangung des Sakramentes bereits Verlobten und zur Erhaltung der demselben anklebenden geistlichen Wirkungen nach Bestimmung der Kirche beschäftigte". Zitiert nach: Ferdinand Maaß, Der Josephinismus, Bd. 111, 455. 213 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 40. Sitzung vom 21. Oktober 1867, 1071-1073. 214 Dieses Hindernis entstand im österreichischen staatlichen Recht im Zusammenhang mit dem dort verankerten Grundsatz der Untrennbarkeit der Katholikenehe (§ 111 ABGB). Aufgrund der Hofdekrete vom 26.8.1814 (JGS Nr. 1099) und 17. 7. 1835 (JGS Nr. 61) lag dem impedimentum catholicismi folgender Tatbestand zugrunde: eine von zwei Nichtkatholiken geschlossene Ehe, die während ihres Bestandes durch den Übertritt eines Partners zum Katholizismus zu einer gemischt-katholischen Ehe geworden war, konnte zwar nach staatlichem Recht getrennt werden, hinsichtlich der Wiederverheiratung der getrennten Partner gab es aber unterschiedliche Regelungen. Demnach konnte der katholisch gewordene Teil überhaupt keine neue Ehe mehr eingehen (absolutes impedimentum catholicismi); der nichtkatholische Partner konnte eine Ehe mit einem Nichtkatholiken eingehen; (relatives impedimentum catholicismi). Das Hindernis des Katholizismus blieb in Österreich bis zur staatlichen Neuregelung des Eherechts 1938 in Geltung. Vgl. dazu: Andreas di Pauli, Das impedimentum Catholicismi nach österreichischem und kanonischem Recht, in: AkKR 88 (1908) 273 ff.; Peter Paul Burkhart, Das Ehehindernis des Katholizismus, in: Gerichtszeitung 75 (1924) 129-138. 215 Steno Prot. d. Abg. Hauses, IV. Session, 1084.

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Zivilehe oder sakramentale Ehe, standen sich in den Debatten des Abgeordnetenhauses diametral gegenüber und gehörten zu den umstrittensten Problemen überhaupt. Die übrigen eherechtlichen Fragen, wie die der geistlichen Ehegerichtsbarkeit und die der unterschiedlichen Gestaltung von staatlichen und kirchlichen Ehehindernissen, waren lediglich sekundärer Natur. Die Debatte über das Ehegesetz ist nach nur dreitägiger Dauer am 23. Oktober 1867 beendet worden, und das Gesetz über die Wiederherstellung des bürgerlichen Gesetzbuches für die Ehen der Katholiken gelangte nach einer vom gleichen Tag datierten Zuschrift zur weiteren Beratung an die zweite Kammer, das Herrenhaus. Inzwischen waren im Dezember 1867 die Staatsgrundgesetze durch den Kaiser in Kraft gesetzt worden. Unter diesen Gesetzen legte der Artikel I des Staatsgesetzes über die richterliche Gewalt fest, daß alle Gerichtsbarkeit im Staat im Namen des Kaisers ausgeübt und Urteile und Erkenntnisse im Namen des Kaisers ausgefertigt werden216 . Diese Bestimmung stand im direkten Widerspruch zu Artikel 10 des Konkordats, der die Gerichtsbarkeit in Eheangelegenheiten, sofern dadurch nicht bürgerlichrechtliche Wirkungen217 betroffen waren, den kirchlichen Ehegerichten überließ. Für die Liberalen war aber gerade das Aufgeben der aufgrund des Staatsgrundgesetzes erwähnten und dem Staat vorbehaltenen Ausübung der Gerichtsbarkeit nicht annehmbar. Außerdem gelangte im Dezember 1867 die Regierungsverantwortung in die Hände des radikal-liberalen Carlos von Auersperg, der mit seinem "Bürgerministerium" dem liberalen Gedankengut rasch zum Sieg verhelfen wollte218 . Die einzige Hürde für die sogenannte konfessionelle Gesetzgebung bestand daher im Abstimmungsverhalten der Herrenhausmitglieder. Die zweite Kammer des Reichsrates, die sich aus den Vertretern des hohen Adels und des hohen Klerus, sowie einigen vom Kaiser auf Lebenszeit ernannten Persönlichkeiten aus den Bereichen der Wissenschaft, der staatlichen Verwaltung und des Militärs zusammensetzte, war lange Zeit von politischen Strömungen dominiert, die eher dem konservativen Lager zuzurechnen waren. Eine Kommission, bestehend aus 15 gewählten Mitgliedern, konnte sich über das Ehegesetz nicht einigen, so daß im Herrenhaus zwei Berichte eingebracht wurden. Das Majoritätsvotum wurde in der 28. Sitzung am 19. März 216 RGBI. Nr. 144/1867 vom 21. Dezember 1867. 217 Unter den Begriff der hier angesprochenen effectus mere civiles (vgl. c. 1059 CIC11983) verstand und versteht das kanonische Recht Fragen des ehelichen Güterrechts, Fragen der Namensgebung und des Erbrechts der Kinder. 218 Über Karl (Carlos) Auersperg: Wurzbach (Anm. 3) Bd. 11, 362. Wolfgang Rudolf, Fürst Karl Auersperg (1814-1890). Ein liberaler österreichischer Staatsmann und Politiker (PhiI. Diss.) Wien 1974; ders., Kar! Fürst Auersperg als Ministerpräsident (1868) in: MIÖG 58 (1977) 98-144.

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1868 dem Hohen Haus von Freiherr von Lichtenfels vorgelegt, der umfangreiche Ausschußbericht der Minorität wurde in derselben Sitzung von Graf Biome vertreten219 , von einer dritten Gruppe um Graf Mensdorff-Pouilly wurde schließlich gleich zu Beginn der Debatte ein Antrag auf Vertagung der Beratungen bis zu einem mit dem Vatikan zu erzielenden Verhandlungsergebnis gestellt220 • Dem Herrenhaus lagen somit formal drei Anträge vor, ein erster auf Annahme des Ehegesetzes, der Minoritätsantrag Graf Biomes auf Revision des Konkordates und der Vertagungsantrag des Abgeordneten Mensdorff. Eine inhaltliche Analyse der Diskussionsbeiträge ergibt sehr grundsätzliche Erklärungen für oder wider die Annahme der Eherechtsvorlage. Darunter sind auch Auffassungen vertreten, wie die des damaligen Kultusministers Ritter von Hasner, einem Josephiner und gemäßigten Liberalen. Im Gegensatz zu § 111 ABGB, wonach eine Ehe auch dann schon als dem Grundsatz der Untrennbarkeit unterliegende Katholikenehe betrachtet wurde, wenn auch nur ein Ehepartner im Zeitpunkt des Eheabschlusses katholisch war, wobei es (nach 1868) gleichgültig war, ob diese Ehe als katholisch-kirchliche oder als Zivilehe geschlossen wurde, trat Hasner für die Trennbarkeit jener Ehen ein, die von vornherein als Zivilehen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken eingegangen worden waren. Nur die von zwei katholischen Partnern geschlossene Ehe sollte seiner Auffassung nach untrennbar sein. Die Notzivilehe hielt er für eine halbe Lösung221 . Mit einem weiteren Argument, der Aufhebung wichtiger Teile des Konkordats und der damit verbundenen Vertragsbrüchigkeit setzte sich Hasner ebenso auseinander. Sein Standpunkt zum Konkordat ist dabei durchaus nicht rechtlich bestimmt, sondern für ihn stellt sich die Frage der Verbindlichkeit des Konkordats aus der je konkreten staatsrechtlichen Situation. Mit der Einführung der konstitutionellen Staatsform sei eine Art emanzipatorischer Prozeß zum Abschluß gekommen und damit habe auch der Staat seine Mündigkeit erlangt. Aus der Faktizität der Verhältnisse sei aus einem ursprünglich unfreien ein freier Mensch geworden, "durch die Gewalt der Umstände" sei ein freier Mensch nicht mehr verpflichtet, das zu halten, "was über ihn als Unfreien vertragsmäßig stipuliert worden" sei222 . Nicht alle Gegner des Konkordats griffen zu solchen theoretischen Erörterungen wie Hasner. Die berühmt gewordene Rede des Grafen Anton Auers219 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868, 512-514 und 515-520. 220 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868, 520. 221 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868, 524 ff. 222 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868, 525.

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perg, der unter dem Pseudonym Anastasius Grün politische Lyrik gegen das Metternichregime veröffentlicht hatte, bildete zweifellos den Höhepunkt der Debatten. In einer leidenschaftlichen Rede gegen das Konkordat bezeichnete er dieses als "ein gedrucktes Canossa, in welchem das Österreich des 19. Jahrhunderts für den Josephinismus des 18. Jahrhunderts in Sack und Asche zu büßen hätte" und er erblickte in den konservativen Kräften geradezu eine Bedrohung der freiheitlichen und konstitutionellen Weiterentwicklung des staatlichen Lebens223 • Die Kritik, die von der Minorität an der geplanten Änderung der Ehegesetzgebung geübt wurde, war nicht gering. Ein wichtiges Argument bildete dabei die staatsrechtliche Tragweite des Vertragsbruches mit seinen völkerrechtlichen Schwierigkeiten. Es erging aber auch eine eindringliche Warnung vor einem Rückfall in den Josephinismus, vor einer falschen Fortschrittsgläubigkeit, einer fälschlichen Verwendung des Freiheitsbegriffes und vor der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Graf Biome, der Berichterstatter des Minoritätsvotums, charakterisierte die liberalen Strömungen mit folgenden Worten: "Es scheint mir eine monströse Allianz zwischen der josephinischen Bureaucratie der Vorzeit geschlossen zu sein und der Richtung Jener, die ich bezeichnen möchte mit dem Namen 'Fanatiker der Confessionslosigkeit', die sich nur darin mit dem Bureaucraten begegnen, daß sie, indem sie für Alles Freiheit verlangen, für die Presse, für die Vereine usw., nur die Kirche ausschließen möchten "224. Die Vertragsbrüchigkeit ist auch von Kardinal Rauscher in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt worden, und er verglich sie mit einem Akt der Willkür. Für die vor der katholischen Kirche geschlossenen Ehe habe Österreich das Versprechen abgegeben, dieser auch die zivilen Wirkungen zuzugestehen. Daher könne der Staat es nicht zulassen, daß Katholiken eine bloß zivile Ehe schließen dürften225 . Eine Ehe unter Katholiken könne nur eine sakramentale und zugleich unauflösliche sein, der Eherechtsentwurf der Regierung trenne jedoch Ehevertrag und Sakrament und überlasse die vertragliche Seite dem Staat226 .

223 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868,564 ff.

224 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868, 532 ff. Vgl. die katholischen Stimmen des österreichischen Herrenhauses. Reden gehalten in der Ehegesetz-Debatte am 19., 20. und 21. März 1868. Katholische Stimmen aus Österreich, III. Wien 1868, 30 ff. 225 Die katholischen Stimmen des Herrenhauses (Anm. 224) 54 f. 226 Die katholischen Stimmen des Herrenhauses (Anm. 224) 68 f.

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Nach ebenfalls dreitägiger Debatte kam es am 21. März 1868 im Herrenhaus zur entscheidenden Abstimmung, zu der sich der betagte Franz Grillparzer im Lehnstuhl tragen ließ227. Zuerst gelangte der Vertagungsantrag Mensdorff zur Abstimmung. Durch den Antrag des Grafen Otto FanJkirchen auf namentliche Abstimmung sind wir über das Abstimmungsverhalten der Herrenhausmitglieder genau informiert. Aufgrund der im April und November des Jahres 1867 neu ernannten Mitglieder des Herrenhauses durch den Kaiser, von der Publizistik als "Pairsschub" bezeichnet, kann nachgewiesen werden, daß damit auch das Abstimmungsergebnis entscheidend beeinflußt wurde. Eine genaue Analyse des Stimmverhaltens hat ergeben, daß rund drei Viertel der neu aufgenommenen Herrenhausmitglieder sich für die liberalen Gesetzesentwürfe ausgesprochen haben228 . Der Vertagungsantrag Mensdorff ist mit 65 gegen 45 abgelehnt und damit auch eine Vorentscheidung über den weiteren Abstimmungsgang getroffen worden. Das Stimmenverhältnis über den daraufhin zur Abstimmung gelangten Minoritätsantrag - dieser ist mit 69 gegen 34 abgelehnt worden - ist noch deutlicher ausgefallen229 . Damit war das erste von drei Gesetzen (Schule - Ehe - Interkonfessionelle Fragen), die unter der Bezeichnung konfessionelle Gesetzgebung die Beziehungen von Kirche und Staat in Österreich nachhaltig verändert haben, vom Herrnhaus zum Gesetz erhoben worden. Der Abstimmungserfolg der Liberalen wurde in Wien von der Bevölkerung noch am selben Abend enthusiastisch gefeiert. An den weiteren Beratungen über die konfessionellen Gesetze nahmen die Bischöfe nicht mehr teil. Das nunmehr durch Gesetz vom 25. 5. 1868, RGBI. Nr. 47/1868 wieder in Geltung gesetzte Eherecht des ABGB nahm in seinen Bestimmungen auf die kirchenrechtliche Regelung weitgehend Rücksicht und brachte den Seelsorgern immerhin manche Erleichterung. So waren sie von der Verpflichtung, Ehen zu assistieren, die dem kirchlichen Recht widersprachen230 , ausdrücklich befreit, ohne staatliche Sanktionen231 befürchten zu müssen. § 111 ABGB (Untrennbarkeit einer Ehe, bei der auch nur ein Teil im Zeitpunkt des Eheabschlusses katholisch war) wurde vom Gesetz vom 25. 5. 1868 überhaupt nicht berührt, d. h. diese Ehen konnten weiterhin nur durch den Tod eines Ehegatten gelöst werden, wobei es rechtlich unerheblich war, ob diese Ehen als katholisch-kirchliche oder als Zivilehen eingegangen worden waren. 227 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 108. 228 Karl Vocelka, Verfassung oder Konkordat (Anm. 1) 81. 229 Steno Prot. d. Herrenhauses, 28. Sitzung vom 19. März 1868,610. 230 ABGB § 77. 231 ABGB § 79.

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Auch der nach Eheabschluß erfolgte Austritt eines oder gegebenenfalls beider Ehepartner aus der katholischen Kirche hatte auf diesen Grundsatz der (staatlichen) Untrennbarkeit der Katholikenehe keinen Einfluß. Das Kernstück der neuen Gesetzgebung bildete zweifellos die Einführung der sog. Notzivilehe (Art. 11), wonach eine nur vor dem staatlichen Organ zu schließende Ehe für die Angehörigen aller Konfessionen subsidiär dann möglich war, wenn das zufolge § 75 ABGB primär zuständige konfessionelle Trauungsorgan die Vornahme des Aufgebotes und die Entgegennahme der ehelichen Willenserklärung "aus einem durch die Gesetzgebung des Staates nicht anerkannten Hinderungsgrund verweigert" (sog. absolute Notzivilehe). Im Anschluß an die Wiedereinführung des ABGB sind noch eine Reihe von weiteren Gesetzen mit eherechtlichen Bestimmungen erlassen worden. Durch ein neues Mischehengesetz konnten Mischehepaare ihre Ehe vor dem Seelsorger einer der beiden Brautleute schließen232 . Auch das Gesetz aber die Versöhnungsversuche vor gerichtlichen Ehescheidungen wurde geändert. Die Verpflichtung, den Aussöhnungsversuch vor dem ordentlichen Seelsorger vorzunehmen, wurde den ordentlichen Gerichten zugewiesen233 . Personen, die keiner gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehörten oder überhaupt konfessionslos waren, waren von vornherein an die Notzivilehe gebunden (sog. relative Notzivilehe)234. Mit dieser erzielten Eherechtsreform war insbesondere die radikale Gruppe unter den Liberalen unzufrieden. Vor allem die in Deutschland im Jahre 1872 eingeführte obligatorische Zivilehe weckte auch in Österreich so manche Hoffnung auf eine Änderung des Eherechts. Der Abgeordnete Kopp hat daher 232 Gesetz vom 31. Dezember 1868, RGßI. Nr. 4 aus 1869. 233 Gesetz vom 31. Dezember 1868, RGßI. Nr. 3 aus 1869. Auch das Konkordat von 1855 hatte in seinen auf das Eherecht ßezug nehmenden Teilen keine völlige Übereinstimmung zwischen kirchlichem und staatlichem Recht erbracht. Es gab auch nach dem Konkordatsabschluß für die Ehen von Katholiken staatliche Ehehindernisse, die keine Parallele im kanonischen Eherecht hatten (z. ß. staatliche Heiratserlaubnis für bestimmte Beamte und Offiziere). Rauscher versuchte in seiner "Anweisung für die geistlichen Ehegcrichte" (1856) diese Schwierigkeiten dadurch zu umgehen, daß eine kirchliche Trauung eher vorgenommen werden sollte, bis die staatliche Heiratserlaubnis eingelangt sei. Diese Formulierungen in der "Anweisung" bildeten den Gegenstand von Auseinandersetzungen mit dem Heiligen Stuhl, der mit dieser Einschränkung der kirchlichen Kompetenz in bezug auf die Katholikenehen nicht einverstanden war. Vgl. dazu: Max von Hussarek, Verhandlungen (Anm. 1) 810; Franz Pototschnig, Staatlich-kirchliche Ehegesetzgebung im 19. Jahrhundert (lnstructio Austriaca), Wien 1974. 234 Gesetz vom 9. April 1870, RGßI. Nr. 51. 10 Primetshofer

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bereits in der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 21. Jänner 1874 den Antrag gestellt, neben anderen kirchlichen Gesetzen auch ein Ehegesetz und ein Gesetz über die staatliche Matrikenführung zu erlassen235 . Der ursprüngliche Entwurf auf Schaffung eines von den Religionsgemeinschaften unabhängigen Eherechts mußte wegen des Widerstandes der Mitglieder des konfessionellen Ausschusses aufgegeben werden. Daher wurde in der Sitzung vom 1. Dezember 1875 beschlossen, lediglich mehrere Bestimmungen des geltenden Eherechts abzuändern. Der neue Entwurf wurde im Dezember 1875 dem Abgeordnetenhaus vorgelegt und von diesem noch im Februar 1876 mit 101 gegen 52 Stimmen angenommen236 • Vom Herrenhaus wurde der Gesetzesentwurf, der neben der Abänderung mehrerer Paragraphen des ABGB auch die aus der katholischen Kirche Ausgetretenen von der katholischen Trauungsform befreien sollte, nicht mehr angenommen237 . In der Folge sind von den Liberalen und Sozialdemokraten wiederholt Anträge zur Änderung des Eherechts im Reichsrat eingebracht worden. In der Monarchie war aber allen diesen Versuchen kein Erfolg mehr beschieden. 2. Eherefonnbestrebungen in der Ersten Republik

Die kurze Zeit vor den Neuwahlen für die Konstituierende Nationalversammlung vom 16. Februar 1919 wurde dazu benützt, noch zwei einschlägige Anträge in die Provisorische Nationalversammlung einzubringen. In der Hauptsache handelte es sich um eine Wiederholung der schon in Zeiten der Monarchie mehrmals eingebrachten Gesetzesvorlagen. Der erste Entwurf, vom sozialdemokratischen Abgeordneten Albert Sever am 27. November 1918 vorgelegt, erstrebte die Aufhebung der Ehehindernisse der Weihe und des Gelübdes, der Religionsverschiedenheit sowie des Katholizismus238 . Für die Trennbarkeit der Ehe sollte allgemein ohne Unterschied des Religionsbekenntnisses die Bestimmung § 115 ABGB gelten. Deshalb sieht der Entwurf die Aufhebung der Paragraphen 111 und 116 ABGB sowie der Ausnahmebestimmungen über die freiwillige Trennung der Judenehe vor239 . Weiters sollte 235 442 der Beilagen zu den Steno Prot. d. Abg. Hauses, VIII. Session, Bericht des konfessionellen Ausschusses vom 18. Dezember 1875. 236 Steno Prot. d. Abg. Hauses, VIII. Session, 180. Sitzung vom 8. 2. 1876, 62036227 und 181. Sitzung vom 10. 2. 1876, 6236. 237 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 123 f. 238 Beilage Nr. 54 zu den Steno Prot. d. Provo Nationalversammlung (NV) von 1918 und 1919. Zum impedimentum catholicismi vgl. Anm. 214. 239 ABGB §§ 133 und 134.

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eine im Ausland nach den dortigen Gesetzen rechtsgültig aufgelöste Ehe auch für Deutschösterreich als aufgelöst gelten. Bald darauf, am 5. Dezember 1918, wiederholte der Abgeordnete Dr. Ofner seinen schon 1908 eingebrachten Antrag, der sich hinsichtlich der Forderung nach Aufhebung bestimmter Paragraphen des ABGB mit jenem Severs deckte, außerdem aber noch die Einführung der obligatorischen Zivilehe unter Abschaffung aller konfessionellen Verschiedenheiten und die Übernahme des gesamten Matrikenwesens durch staatliche Behörden vorsah240 . Die Anträge Severs und Ofners wurden dem Justizausschuß der Provisorischen Nationalversammlung zugewiesen. Auch der Staatssekretär für Justiz, Dr. Roller, ließ sich vom Staatsrat ermächtigen, dem Justizausschuß einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Der Wiener Weihbischof Dr. Pfluger, der ebenfalls an diesen Beratungen teilnahm, soll sich zwar gegen die Reform ausgesprochen, in ihr jedoch keine Gefahr für den Glauben erblickt haben241 . Angesichts des am 17. Jänner 1919 verfaßten Protestes der österreichischen Bischöfe gegen die Ehereform242 , muß die Richtigkeit dieses Berichtes des 240 Beilage 75 zu den Steno Prot. d. Provo NV von 1918 und 1919. 241 Beilage 145 "Bericht des Justizausschusses betreffend das Gesetz, womit Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über das Eherecht abgeändert werden", Steno Prot. d. Provo NV von 1918 und 1919. 242 Wiener Diözesanblatt, Jg. 1919, 10. Der Wortlaut des bischöflichen Protestes lautet: "Protest der Erzbischöfe und Bischöfe Deutschösterreichs gegen die "Ehereform ". In mannhaften Worten erheben die Bischöfe Deutschösterreichs ihre Stimme gegen die Vergewaltigung des Gewissens des christlichen Volkes, gegen die Verletzung der Rechte so vieler Frauen und gegen die überstürzte Form, in welcher auf den Wunsch weniger, vor allem Andersgläubiger, ohne daß den Katholiken überhaupt Gelegenheit geboten ist, in eigener Sache Stellung zu nehmen, die Gläubigen um den Wesensinhalt der christlichen Ehe gebracht werden sollen. Die Erzbischöfe und Bischöfe in Deutschösterreich haben nachstehende Verwahrung gegen die geplante Änderung der Ehegesetze eingelegt: Obschon stets von dem aufrichtigen Streben geleitet, den Frieden zwischen Staat und Kirche aufrecht zu erhalten, erachten es die Bischöfe in Deutschösterreich gleichwohl als heilige Gewissenspflicht, gegen die im Justizausschusse der provisorischen Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich zwecks Änderung des bisher geltenden Eherechtes eingebrachten Gesetzesentwürfe öffentlich und feierlich Verwahrung einzulegen. Durch diese Vorlagen wird die Unlösbarkeit des katholischen Ehebandes im Gegensatz zur Lehre der katholischen Kirche für bestimmte Fälle aufgehoben. Die Ehe, die dem gläubigen Katholiken ein von Christus dem Herrn eingesetzes Sakrament bedeutet, ist aber ein Bund, den die Brautleute in voller Hingabe der Person fürs ganze Leben schließen, sie ist ein Rechts- und Pflichtverhältnis, für das Gott allein die Bedingungen - darunter die Bedingung der Unauflöslichkeit - festgesetzt hat, sie kann daher nie zu einem kündbaren Vertrag auf Zeit und Bedingung herabsinken, dessen

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Justizausschusses über Weihbischof Pfluger jedoch in Zweifel gezogen werden243 . Das Ergebnis der Beratungen war schließlich ein neuer Entwurf, der den Mitgliedern des Justizausschusses vorgelegt wurde. Dieser nahm ihn mit nur einer Gegenstimme an und beantragte, die Provisorische Nationalversammlung wolle den Entwurf zum Gesetz erheben244 • Der von Dr. Roller im Staatsamt für Justiz ausgearbeitete Gesetzesentwurf enthielt zwar nicht mehr die radikalen Forderungen der Anträge Sever und Ofner, sprach sich aber für die Trennbarkeit der Katholikenehe aus, indem § 115 ABGB, der bisher nur für Akatholiken Anwendung fand, nun mit wesentlichen Erleichterungen auch auf die Katholiken ausgedehnt werden sollte. Das Justizamt nahm in den Gesetzesentwurf weiters die Bestimmung auf, daß Ehen von Katholiken, die schon zwei Jahre vor Beginn der Wirksamkeit des beantragten Gesetzes einverständlich oder durch gerichtliches Urteil geschieden worden waren, nunmehr ebenfalls getrennt werden können245 . Als Obmann des Justizausschusses konnte der christlichsoziale Abgeordnete Dr. Freiherr von Fuchs an Debatte und Abstimmung nicht teilnehmen. Daher brachte er einen von den Abgeordneten Wohlmeyer und Bralldl unterDauer und Festigkeit von vorübergehenden Stimmungen oder sinnlichen Affekten abhängt. Gewiß verlangt die katholische Ehe unter Umständen heroische Opfer von den einzelnen, aber das Gesetz, das über das Interesse des einzelnen das Interesse der Gesamtheit stellt, beherrscht auch jede andere Rechtsordnung und ist auch eine direkte Forderung jeder staatlichen Ordnung. Im Namen der katholischen Kirche, die in der Ehe einen Bestandteil der übernatürlichen Heilsordnung erblickt, im Namen aller gläubigen Katholiken, welche von einer kündbaren Ehe nichts wissen wollen, legen wir Bischöfe von Deutschösterreich feierlich Verwahrung ein, daß durch die erwähnten Vorlagen im Namen der Freiheit dem katholischen Glaubensinhalt Gewalt angetan wird, ohne daß dem gläubigen Katholiken Gelegenheit geboten wurde, in ihrer eigenen Sache Stellung nehmen zu können. Wien, am 17. Jänner 1919. Die Erzbischöfe und Bischöfe in Deutschösterreich " . 243 Im Text des Berichtes 145 heißt es: "Weihbischof Dr. Pfluger ... erklärte sich wohl nicht für die Refonn aussprechen zu können, man erhielt jedoch aus seinen Worten den unzweifelhaften Eindruck, daß er in der gegenständlichen Refonn des staatlichen Eherechtes im Sinne der Bestimmungen, wie sie in vielen Staaten mit durchaus religiöser Bevölkerung seit langem bestehen, weder die Absicht, die Gebote der Kirche anzutasten, noch eine Gefahr für den Glauben erblicke". 244 Beilage 145 zu den Steno Prot. d. Provo NV von 1918 und 1919. 245 Beilage 145 zu den Steno Prot. d. ProVo NV von 1918 und 1919, 13; In der Tenninologie des ABGB bedeutet Trennung die gänzliche Auflösung des Ehebandes durch richterlichen Spruch (ABGB §§ 111 ff.) , Scheidung hingegen die ebenfalls durch richterlichen Spruch vorgenommene Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft unter Aufrechterhaltung des Ehebandes (sog. Scheidung von Tisch und Bett, ABGB §§ 103 ff.).

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zeichneten Minderheitsbericht ein, der beantragte, die Nationalversammlung wolle dem Antrag des Justizausschusses nicht die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen246 . Die Vertreter dieses Minoritätsvotums begründeten ihren Standpunkt damit, daß sie die Ehe nach der Lehre der Kirche als Sakrament verstünden und daher grundsätzlich nicht die Auffassung der Majorität teilen könnten, in der Ehe eine staatliche Institution und "soziale Forderung des modemen Staates" zu sehen247 . Auch der Protest der Bischöfe hat in ganz entschiedenen Worten die Auffassung der Minorität bekräftigt248 . In der Nationalversammlung legt Dr. Neumann-Walter über den Gesetzesantrag einen Bericht vor. Die anschließende Generaldebatte am 23. und 24. Jänner 1919 offenbarte noch einmal in leidenschaftlichen Reden die gegensätzlichen Standpunkte. Freiherr von Fuchs bekämpfte in scharfen Worten den Antrag des Justizausschusses und den Gesetzesentwurf und beantragte den Übergang zur Tagesordnung249 . In den Debatten vertraten die Christlichsozialen den Standpunkt, daß die Provisorische Nationalversammlung eine so wichtige Frage nicht ohne Mitentscheidung der Frauen beraten sollte. Auch die Deutschen Agrarier waren der Meinung, daß eine so einschneidende Eherechtsänderung ein unzulässiger Vorgriff auf die Kompetenzen der Konstituierenden Nationalversammlung wäre und enthielten sich der Stimme. Damit war der erste Versuch gescheitert, eine Ehereform in einer alle Parteien befriedigenden Weise herbeizuführen. Der Antrag des Abgeordneten Fuchs auf Übergang zur Tagesordnung wurde in namentlicher Abstimmung mit 62 gegen 52 Stimmen angenommen250 . Einen Tag später beurteilte der Professor für Moraltheologie, Dr. 19naz Seipel, die Niederlage der Eherechtsreformer in einem Brief an seinen Freund Heinrich Lammasch mit folgenden Worten: "Der Sieg in der Ehereformfrage wird uns (Christlichsoziale Partei, Anmerkung der Verfasser) eine Anzahl Stimmen kosten, da es doch sehr viele brüchige Ehen gibt. Aber es ist ein Sieg des Prinzips und hat die Sozialdemokraten mit den Juden isoliert. Die Freude in unseren Frauenkreisen ist groß.

246 Beilage 145 zu den Steno Prot. d. Provo NV von 1918 und 1919, 14. 247 Beilage 145 zu den Steno Prot. d. Provo NV von 1918 und 1919, 11. 248 Wiener Diözesanblatt, Jg. 1919, 10; Vgl. dazu Anm. 242. 249 Steno Prot. d. Prov. NV, Sitzung vom 23. und 24. Jänner 1919,455-513 und 522-545. 250 Steno Prot. d. Provo NV, Sitzung vom 24. Jänner 1919, 545.

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Natürlich wird sich auch die definitive Nationalversammlung mit dieser Frage wieder beschäftigen müssen, die uns schwere Arbeit machen wird "251. Die Worte Seipels an Lammasch nach der Niederlage der Ehereformer am 25. Jänner 1919 sollten sich schon früh bestätigen. Die Sozialdemokraten, die nach den Wahlen vom 16. Februar 1919 mit 72 Mandaten in der Nationalversammlung die stärkste Fraktion bildeten, waren keineswegs gewillt, auf die Durchsetzung ihrer kulturpolitischen Forderungen zu verzichten. Verschiedenste Gruppen und Vereine haben besonders im Monat Mai große Aktivitäten entwickelt. Die Grunde lagen einerseits darin, daß am 22. Mai 1919 in der Tschechoslowakei die fakultative Zivilehe eingeführt wurde252 und andererseits in diesem Monat die Budgetkapitel der einzelnen Ministerien von der Nationalversammlung beschlossen wurden. Bei der Behandlung des Budgetkapitels "Justiz" kam es im Mai 1919 in der Nationalversammlung auch zu grundsätzlichen Außerungen zur Ehereform 253 . Die sozialdemokratische Abgeordnete Adelheid Popp, die in der Parlamentsdebatte erstmals die Forderung nach Angleichung des österreichischen Eherechts an das deutsche erhob, kam auf die Dispensehen254 zu sprechen, die vom damaligen Landeshauptmann Niederösterreichs, Albert Sever, schon in großer Zahl ermöglicht worden waren. Nachdem aber diese Initiativen von der Regierung nicht aufgegriffen wurden, brachte Adelheid Popp am 30. Juli 1919 einen Gesetzesantrag in die Nationalversammlung ein 255 . Dieser deckte sich vollständig mit dem Entwurf, der vom Eherechtsreformverein im Mai 251 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 156; Maximilian Liebmann, Die Rolle Kardinal Piffls in der österreichischen Kirchenpolitik seiner Zeit (Theol. Diss.) Graz 1960, 76. 252 Ehereformgesetz, Slg. 1919/320. Helmut S/apnicka, Beibehaltung und Fortentwicklung des österreichischen Staatskirchenrechts in den Nachfolgestaaten, in: Helmut Schnizer/Kurt Woisetschläger (Hrsg.), Kirche und Staat - Symbol und Kunst, Würzburg 1987, 114 f. 253 Steno Prot. d. Konst. NV, 82. Sitzung vom 15. Mai 1920, 2595. 254 Die Literatur über die Problematik der Dispensehe ist sehr umfangreich, dies betrifft vor allem Aufsätze in Zeitschriften während der Jahre 1919-1935. Aus diesem Grund wird hier lediglich auf einige wenige Bücher aus dieser Zeit verwiesen; Wilhelm Fuchs, Das Ehehindernis des bestehenden Ehebandes nach österreichischem Recht, Wien 1879; Oscar Hamedinger, Die Annullierung der katholischen Ehe, Wien 1928; Arthur Lenhoff, Auflösung der Ehe und Wiederverehelichung, Wien 1926; Carl Saner, Soll das Einverständnis der Ehegattin zur Auflösung der Ehe genügen?, Wien 1925; Bruno Webhofer, Ein Riß im Eherecht. Verwaltung und Ehedispens. Dispensehe und Gericht, Innsbruck 1922; Bruno Webhofer, Die Überprütbarkeit der Ehedispens, Innsbruck 1923. 255 Beilage 370, Steno Prot. d. Konst. NV vom 30. Juli 1919.

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desselben Jahres an den Präsidenten der Nationalversammlung gerichtet worden war. Er hätte durch die Bestimmung, daß es allein im Zeitpunkt der Scheidung darauf ankomme, ob der Scheidungswillige katholisch sei, den Abfall vom Glauben gefördert. Nach einjähriger tatsächlicher Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft sah er auch die Möglichkeit einer einverständlichen Ehetrennung in der Terminologie des ABGB vor. Auch dieser Vorstoß ist erfolglos geblieben. Den Sozialdemokraten war in der Provisorischen und ebenso in der Konstituierenden Nationalversammlung bei ihrem Bemühen, die Ehereform auf gesetzlicher Basis durchzuführen, jeder Erfolg versagt geblieben. Dennoch brachte der Abgeordnete Sever im neu gebildeten Parlament schon am 3. Dezember 1920 einen neuerlichen Antrag auf Änderung des Eherechts sowie der Matrikenführung ein256 . Auch die Einführung der obligatorischen Zivilehe wurde erneut gefordert. In einer Stellungnahme zu diesem Antrag vertrat das Justizministerium zwar die Ansicht, daß die Trennbarkeit der Ehe dem heutigen "Kulturbedürfnis" entspreche, die Frage der Ehereform infolge der politischen Kräfteverteilung jedoch eine politische sei. Damit hatte der Antrag von vornherein keine Aussicht auf Verwirklichung. Die kulturpolitischen Fragen nur innerhalb einer Gesamtregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat zu lösen, stand für die Christlichsozialen schon in der Konstituierenden Nationalversammlung fest. Nach dem Koalitionspakt vom Jahre 1922257 zwischen den Christlichsozialen und den Großdeutschen, der in kulturpolitischen Fragen ein Festhalten am status quo vorsah, war erst recht an eine Änderung dieses gesamten Fragenkomplexes nicht zu denken. Daher war einer Anfrage der Abgeordneten Popp und Sever an den Obmann des Justizausschusses bezüglich der Behandlung des Antrages Sever über die Reform des Eherechts kein Erfolg beschieden258 . Dennoch brachten die Abgeordneten Sever, Popp und Genossen auch in der 2. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates am 20. Dezember 1923 neuerdings einen Antrag auf Ehereform ein 259 . Dieser Antrag wurde aber weder im Justizausschuß260 noch im Bundesministerium für Justiz behandelt. Im Jahre 1924 wurde auch erstmals ein Antrag auf Straffreiheit des Schwangerschaftsab-

256 Beilage 58, Steno Prot. d. NR vom 3. Dezember 1920. 257 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 112. Sitzung vom 31. 5. 1922,3708. 258 Steno prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 172. Sitzung vom 13. 3. 1923,3511 und 189. Sitzung vom 5.6.1923,3717. 259 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 13. Sitzung vom 20. 12. 1923,263. 260 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 30. Sitzung vom 7.5. 1924,719 f.

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bruchs im Parlament eingebracht, der fast periodisch jedes Jahr urgiert wurde261 . Daß in Österreich das bestehende staatliche Eherecht, das den Katholiken zwar die Möglichkeit einer Notzivilehe einräumte, sie aber dennoch grundsätzlich an die kirchliche Eheschließungsform band, auf so heftigen Widerstand der Sozialdemokraten stieß, lag einerseits an deren tiefverwurzelter Abneigung gegen ein konfessionelles Eherecht, andererseits aber auch an der divergierenden Staatsauffassung beider Großparteien. Von den Sozialdemokraten wurde immer wieder betont, daß sie sonst nichts verlangten als die "Gleichstellung mit anderen Staaten", daß außer in Spanien nur in Österreich ein konfessionelles Eherecht bestehe262 . Den Mitgliedern der Kirche bleibe es völlig unbenommen, nach den Grundsätzen ihrer Lehre die Ehe zu schließen. Für den Staat sollte aber allein die bürgerliche Eheschließung die verpflichtende sein. Darum bekämpften die Sozialdemokraten § 111 ABGB, der bestimmte, daß eine Katholikenehe nur durch den Tod gelöst werden könne263 . Für Seipel war auch im Jahre 1927, als sich die bürgerlichen Parteien zur Bildung einer sogenannten Einheitsliste für die Nationalratswahlen desselben Jahres entschlossen hatten264 , noch nicht der Zeitpunkt gekommen, eine Änderung des bestehenden Eherechts im Wege der Gesetzgebung durchzuführen265 . Den am 19. Mai 1927 neuerlich vom Abgeordneten Sever im Parlament eingebrachten Gesetzesantrag auf Eherechtsreform ereilte dasselbe Schicksal wie die vorangegangenen. Der Antrag wurde zwar am 8. Juni 1927 dem Justizausschuß zugewiesen, von diesem aber in der Sitzung vom 24. Jänner 1928 mit zwölf gegen elf sozialdemokratischen Stimmen abgelehnt266 . In der 261 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 29. Sitzung vom 6.5.1924,656 ff., 703 ff., 713 ff., 722 ff.; 86. Sitzung vom 13. 3. 1925,2091 ff., 2099 ff.; 123. Sitzung vom 11. 12. 1925, 2883 ff. 262 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 30. Sitzung vom 7.5. 1924,717. 263 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 30. Sitzung vom 7.5.1924,717,720. 264 Bekanntlich verloren die Christlichsozialen bei den Wahlen vom 24. 4. 19279 Mandate, die Sozialdemokraten hingegen gewannen 3 dazu. Die Sitze im Parlament verteilten sich daher: Christlichsoziale 73, Sozialdemokraten 71, Großdeutsche 12, Landbund 9 Mandate. 265 Bundeskanzler Seipel hat am 19. 5. 1927 anläßlich seiner Regierungserklärung auf einen Zwischenruf des Abg. Sever, was die Regierung in der Ehefrage zu tun gedenke, erklärt: "Über das Eherecht steht eine Regierungsvorlage nicht bevor". Vgl. dazu: Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., III. GP, 2. Sitzung vom 19. 5. 1927, 12. 266 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 172.

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Budgetdebatte zum Bundesvoranschlag für das Jahr 1929 hingegen erreichten die Sozialdemokraten einen ersten Sieg267 . Am 22. Jänner 1929 sprachen sich in namentlicher Abstimmung 80 gegen 76 Abgeordnete für die Annahme eines Minderheitsantrages Sever aus, worin die Bundesregierung aufgefordert wurde, dem Nationalrat ehebaldigst einen Entwurf für die Angleichung des österreichischen Eherechts an das deutsche zu unterbreiten268 . Der Sprecher des Landbundes, Abgeordneter Dr. Schönbauer, sprach sich entschieden dagegen aus, eine Ehereform durch Kampfabstimmung erzwingen zu sollen, obwohl auch er sich der Notwendigkeit einer Übernahme des deutschen Eherechts nicht verschloß, da gegenüber den tatsächlichen Zuständen hierin ein geringeres Übel zu erblicken sei 269 . Genau denselben Standpunkt vertrat im Oktober der damalige Kaplan Johann Kosnetter in einem Zeitschriftenaufsatz, und zwar aus seelsorglichen Gründen270 . Am 14. Dezember 1929 zitierte Sever diesen Artikel im Parlament und forderte besonders die Christlichsozialen auf, endlich daraus die Konsequenzen im politischen Bereich zu ziehen271 . Wenige Tage später gelangte im Parlament ein neuerlicher Minderheitsantrag Severs auf Angleichung an das deutsche Eherecht und Durchführung des Nationalratsbeschlusses vom 22. Jänner 1929 zur Abstimmung, der mit 81 zu 74 Gegenstimmen angenommen wurde272 . Inzwischen war aber Schober im Oktober 1929 neuerlich Bundeskanzler geworden und hatte bereits seine eigene Vorstellung bezüglich der Eherechtsreform. Nicht wenige Schwierigkeiten ergaben sich auch aus der Sonderstellung des Eherechts im Burgen/and. Im Friedensvertrag von St. Germain war festgelegt 267 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., III. GP, 76. und 77. Sitzung vom 21. und 22. Jänner 1929, 2188 f. 268 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., III. GP, 76. und 77. Sitzung vom 21. und 22. Jänner 1929, 2220. 269 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., III. GP, 76. und 77. Sitzung vom 21. und 22. Jänner 1929, 2198. 270 Johann Kosnetter veröffentlichte im Oktober 1929 in der Zeitschrift "Der Seelsorger" den damals viel umstrittenen Artikel "Gedanken zur Ehereform in Österreich". Darin befülWortet er die Eherechtsreform wegen der häufigen Durchbrechung des Grundsatzes von der Unauflöslichkeit der Ehe, außerdem tolerierten Staaten mit katholischen Minderheiten die Zivilehe als "minus malum" , was auch für Österreich zutreffe, da die Katholiken in den gesetzgebenden Körperschaften in Ehe- und Schulfragen sich bereits in der Minderheit befänden. Vgl. dazu: Johann Kosnetter, Gedanken zur Eherechtsreform in Österreich, in: Der Seelsorger 6 (1929/30) 48-54; 102107; 373-379. Über Johann Kosnetter; Jacob Kremer, Neutestamentliche Bibelwissenschaft, in: Die Kath. Theologische Fakultät der Universität Wien 18841984, FS zum 600-Jahr-Jubiläum, Berlin 1984, 87-96, hier 91-93. 271 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., III. GP, 112. Sitzung vom 14. 12. 1929,3115. 272 Steno Prot. d. NR. d. Rep. Ö., 111. GP, 115. Sitzung vom 18.12. 1929,3255.

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worden, daß Teile Westungarns an Österreich angegliedert werden sollen273 . In Ungarn bestand seit dem Jahre 1894 aufgrund der Gesetzesartikel XXXI

und XXXIII die Zwangszivilehe. Den Angehörigen aller Konfessionen stand unterschiedslos die Möglichkeit der Vollscheidung (= Trennung im Sinne des ABGB) offen, und nach Artikel XXXIII war die Matrikenführung und insbesondere das Aufgebot in die ausschließliche Kompetenz der staatlichen Behörden gelegt. Mit Verordnung der Bundesregierung vom 28. Mai 1922274 sollten die in Österreich geltenden Bestimmungen des Eherechts (ABGB) im Burgenland ab 1. Jänner 1924 übernommen werden, sofern nicht vorher der burgenländische Landtag durch Beschluß verlange, daß das geltende Eherecht beibehalten werden solle. Daraufhin sprach sich der Landtag in seinem Beschluß vom 12. Oktober 1922 für die Beibehaltung des ungarischen Eherechtes aus275 . Der Bundesminister für Justiz hätte diesen Beschluß unverzüglich im Gesetzesblatt kundmachen müssen. Nachdem dieser innerhalb eines Monats noch immer nicht veröffentlicht war, kam es im Parlament zu einer Anfrage von seiten sozialistischer Abgeordneter, die verlangten, den Beschluß des burgenländischen Landtages "ungesäumt" zu veröffentlichten 276 . Daraufhin wurde der Beschluß vom Bundesministerium für Justiz am 19. 12. 1922 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht277 .

Bevor noch die Eingliederung des Burgenlandes vollzogen war, erhoben die Sozialdemokraten schon im Dezember 1921 die Forderung, die Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet des Eherechts zu beseitigen und das Deutsche Eherecht in Österreich zu übernehmen, um nicht die bestehende Verwirrung noch zu vergrößern278 . Damit stellten sich die Sozialdemokraten in ihren Forderungen im wesentlichen auf dieselbe Linie wie die Vertreter der Großdeutschen Partei, die schon vorher im Justizausschuß die Angleichung der Justizgesetzgebung an die des Deutschen Reiches verlangt hatten279 . Die Verordnung des Bundesministeriums für Justiz vom 29. 5. 1922280 , wonach das ungarische Eherecht nur für jene Ehen gelten sollte, in denen der Ehemann seit Geburt oder wenigstens vor dem 29. 8. 1921 burgenländischer 273 Art. 27 des Staatsvertrages von St. Germain-en Laye. 274 BGBI. Nr. 315/1922. 275 BGBI. Nr. 913/1922. 276 Anfragen der Abgeordneten Schön, Sailer, Morawitz und Genossen an den Herrn Bundesminister für Justiz, betreffend das Eherecht im Burgenland. 277 BGBI. Nr. 913/1922. 278 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 75. Sitzung vom 13.12.1921,2588. 279 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 26. Sitzung vom 12. März 1921, 943 ff. 280 BGBI. Nr. 316/1922, § 10 Abs. 2.

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Landesbürger war, bot den Sozialdemokraten mehrmals Gelegenheit zur Polemik, da ihrer Auffassung nach diese Verordnung eine unzulässige Einschränkung der Geltung des ungarischen Eherechts bewirkte281 . 3. Praxis der Dispenseheschließung

Das bestehende Eheband war für das ABGB selbstverständlich ein trennendes Ehehindernis (§ 62 ABGB) , das bei Katholikenehen nur durch den Tod eines Ehegatten wegfallen konnte (§ 111 ABGB). Aus wichtigen Gründen gewährte § 83 ABGB "der Landesstelle" die Vollmacht, Dispens von trennenden Ehehindernissen zu erteilen, ohne zugleich festzulegen, von welchen Ehehindernissen dispensiert werden konnte. Tatsächlich wurde schon in der Monarchie bei Vorliegen bestimmter Gründe Dispens vom Hindernis des bestehenden Ehebandes erteilt, allerdings nur, wenn es galt, einer im kanonischen Recht so bezeichneten Dispens282 von der geschlossenen und nicht vollzogenen Ehe staatliche Rechtswirksamkeit zu sichern, d. h. den Partnern dieser Ehe die Eingehung einer weiteren staatlichen Ehe zu ermöglichen283 . Von der schon in der Monarchie eröffneten grundsätzlichen Möglichkeit, vom Hindernis des bestehenden Ehebandes zu dispensieren, wurde in der Republik in wesentlich vermehrtem Umfang Gebrauch gemacht, wobei das bisher ausschlaggebende Motiv wegfiel. Vom Hindernis des bestehenden Ehebandes wurde nunmehr ohne Rücksicht auf die Frage dispensiert, ob den Ehegatten der neuerliche Abschluß einer kirchlichen Ehe möglich war oder nicht. Dispensehen in der Ersten Republik wurden daher praktisch ausschließlich als Notzivilehen oder - falls einer der Ehepartner einem gesetzlich anerkannten nichtkatholischen Bekenntnis angehörte - vor dem akatholischen Religionsdiener eingegangen. In großem Ausmaß hat Dispens vom Hindernis des bestehenden Ehebandes der damalige Landeshauptmann von Niederösterreich, Albert Sever, erteilt. Was in der Monarchie nur als Einzelfall vorkam, wurde in der Republik so sehr zur Alltäglichkeit, daß das Staatsamt des Inneren und des Unterrichts eigens einen Erlaß mit der Mahnung herausgeben mußte, bei der Erteilung der 281 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 75. Sitzung vom 13.12.1921, 257l. 282 Die noch im Codex Iuris Canonici von 1917 im Anschluß an das Dekretalenrecht so bezeichnete "dispensatio a matrimonio rato et non consummato" (vgl. C. 1119) wird nunmehr im CIC/1983 durch "dissolvi potest" (c. 1142) ersetzt. 283 Vgl. dazu: Rudolf von Scherer, Handbuch des Kirchenrechts, Bd. 11, 576, Anm. 111; Bruno Primetshofer, Ehe und Konkordat, Wien 1960, 19, Anm. 25.

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Dispens nicht so leichtfertig vorzugehen. Sever, der sich bei der Dispensation vom Hindernis des Ehebandes von Anfang an auf die in der Monarchie gewährten Dispensen berief, und dies nicht ohne gewisse Demagogie in seiner Sprechweise zum Ausdruck brachte284 , war übrigens zunächst der einzige Landeshauptmann, der derartige Dispensen erteilte285 . In Niederösterreich beruhte die Dispenserteilung gemäß § 83 ABGB auf dem Beschluß der Provisorischen Landesregierung vom 4. April 1919. Der damalige Staatssekretär des Inneren, Eldersch, ein Parteigenosse Severs, unterstützte die Handlungsweise des Landeshauptmannes. Als Sever die Erteilung der Dispens nicht mehr unmittelbar selber ausüben konnte - er war infolge der Trennung Niederösterreichs von Wien und des Wahlausganges vom 17. Oktober 1920 nicht mehr Landeshauptmann von Niederösterreich geworden - forderte er vom damaligen Innenminister Dr. Waber umso entschiedener, daß jede Beeinflussung von außen ferngehalten und der "reaktionäre Einfluß der Klerikalen" zurückgedrängt werde286 . Nach den Wahlen von 1920, als die Sozialdemokraten erkennen mußten,

daß sich ihre kulturpolitischen Forderungen schwer würden durchsetzen las-

sen, blieben ihre Angriffe nicht allein auf die Christlichsozialen beschränkt, sondern erstreckten sich auch auf die katholische Kirche und deren Repräsentanten. Kardinal Piffl, der gegen die geplante Ehereform der Konstituierenden Nationalversammlung schon heftig Protest erhoben hatte, nahm am Mödlinger Katholikentag auch zur Dispensehe Stellung und verurteilte diese Praxis schart287 • Seitdem scheuten die Sozialdemokraten nicht mehr zurück, den Kardinal in einer Weise anzugreifen, die nicht nur der allgemeinen Höflichkeit und den parlamentarischen Spielregeln widersprach, sondern auch in Österreich bisher undenkbar gewesen wäre288 . Die Praxis der Dispenserteilung vom Hindernis des bestehenden Ehebandes und die daraufhin erfolgte Eingehung einer sogenannten Dispensehe stellt ein Kuriosum in der österreichischen Eherechtsentwicklung dar, das im Ergebnis, wenngleich aufgrund einer schwankenden Praxis der Gerichte, auf das gleichzeitige Bestehen zweier Ehen ein und desselben Partners hinauslief. Abgese284 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 73. Sitzung vom 10. Dezember 1921, 2498. 285 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 73. Sitzung vom 10. Dezember 1921. 286 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 73. Sitzung vom 10. Dezember 1921. 287 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 24. Sitzung vom 10. März 1921, 842. 288 Steno Prot. d. Konst. NV, 101. Sitzung vom 30. September 1920, 3424 und 3426 f.; Steno Prot. d. NR, 24. Sitzung vom 10. März 1921, 842 und Steno Prot. d. NR, 73. Sitzung vom 10. Dezember 1921,2498 f.

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hen von der kontroversiellen Frage, ob § 62 ABGB überhaupt ein dispensierbares Ehehindernis darstellte289 , hatte die umfangreiche Dispenserteilung zur Folge, daß die Frage der Gültigkeit der Dispensehe schon sehr früh die Gerichte beschäftigte. Das Staatsamt für Justiz erklärte sich für nicht berufen, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen und veJWies die Beurteilung der Rechtsgültigkeit der Dispensehen in die Kompetenz der Gerichte. Auch in der Tagespresse lieferten sich die Parteien schon 1919 heftige Kontroversen über die Dispensehe und trugen so dazu bei, die VeJWirrung noch zu erhöhen290 . Wenig besser war es um die theoretisch-wissenschaftliche Erörterung des Problems bestellt. Auch hier standen sich die Meinungen der Fachleute konträr gegenüber, so daß das Schlagwort vom österreichischen "Ehewirrwarr" durchaus den Tatsachen entsprach. Allein im November 1919 gab es in Österreich schon 6.000 Dispensehen, und 1921 rühmte sich Sever, in Niederösterreich 15.000 Dispensehen gestiftet zu haben291 . Viele dieser Zweitehen waren inzwischen wieder geschieden, und viele Frauen aus Erstehen fochten die Gültigkeit der Dispensehen bei den Gerichten an, die ihrerseits völlig divergierende Entscheidungen fällten. Sehr häufig wurde durch die Gerichte die Dispensehe für ungültig erklärt. Es gab aber auch Fälle, in denen das Oberlandesgericht ein auf Ungültigkeit der Dispensehe lautendes Urteil eines Landesgerichtes aufhob und die Dispensehe für gültig erklärte292 . Das Wiener Oberlandesgericht erkannte am 30. Dezember 1920 bei einer Alimentationsklage sogar beide Ehen, die geschiedene und die Dispensehe, als nebeneinander bestehend und beide Ehefrauen als alimentationsberechtigt an293 . Kurze Zeit später bestätigte ein anderes Wiener Gericht die Gültigkeit einer angefochtenen Dispensehe, da die Ehehindernisse durch die Dispens der niederösterreichischen Landesregierung restlos beseitig worden seien294 . Der VeJWaltungsgerichtshof hob am 19. März 1921 eine vom Staatsamt des Inneren und Unterrichts gewährte Dispens vom Hindernis des Ehebandes über Beschwerde auf und suchte damit eine Klärung in der Ehefrage herbeizufüh-

289 Hans Sperl, War das impendimentum ligaminis dispensabel? , 10: ÖAZ 11 (1934) 432. 290 Neue Freie Presse vom 3. Dezember 1919, 5. 291 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., I. GP, 73. Sitzung vom 10. Dezember 1921, 2502. 292 Arbeiter-Zeitung vom 23. November 1920. 293 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 166. 294 Erika Weinzierl-Fischer, Konkordate (Anm. 1) 167.

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ren295 . In den Entscheidungsgründen dieses Erkenntnisses erklärte der Verwaltungsgerichtshof die Dispens vom impedimentum ligaminis als gesetzwidrig, da die Auflösung einer Ehe nicht in die Kompetenz der Verwaltungsbehörden, sondern der Gerichte falle. Diesem Urteil schloß sich 1921 der Oberste Gerichtshof in einem Gutachten aber die Dispensehe an296 . Der Kernsatz des Gutachtens lautet: "Vom Hindernisse des bestehenden Ehebandes kann eine Nachsicht gemäß §§ 83 ff. ABGB nicht mit der Wirkung erteilt werden, daß die aufgrund dieser Nachsicht geschlossene zweite Ehe sich der gerichtlichen Ungültigkeitserklärung wegen Rechtsbestandes der ersten Ehe entzöge. Auf den rechtlichen Bestand der ersten Ehe hat weder die erteilte Nachsicht, noch die hierüber erfolgte zweite Eheschließung einen rechtlichen Einfluß." In der Begründung fiihrt das Gutachten als Hauptargument fiir die Ablehnung der Dispenserteilung an, daß dadurch von den Behörden ein "gesetzgeberischer Akt" vorgenomen werde, fiir den diese nicht zuständig seien. Die Unauflöslichkeit der Ehen von Katholiken, deren Beseitigung letztlich die Dispensationspraxis herbeiführe, müsse umso mehr verlangt werden, als weder von der Nationalversammlung, noch vom gegenwärtigen Parlament eine Änderung in der Ehegesetzgebung vorgenommen worden sei, obwohl ihr diese Möglichkeit offen gestanden wäre. Die klare Aussage des Paragraphen 111 ABGB über die Untrennbarkeit der Katholikenehe lasse nicht die Meinung zu, daß durch den Abschluß der zweiten Ehe aufgrund einer für sie erteilten Dispens vom Hindernis des Ehebandes die erste Ehe als aufgelöst zu betrachten sei. Dies würde nicht eine Auslegung, sondern die Abänderung des Gesetzes bedeuten. Eine aufgrund der Nachsicht vom impedimentum ligaminis geschlossene Ehe könne daher von den Gerichten fiir ungültig erklärt werden. Schließlich wurde im Gutachten gesagt, daß es nun Sache des Gesetzgebers sei, "fiir die große Zahl der sogenannten Dispensehen" gesetzliche Maßnahmen zu treffen. Von dieser Entscheidung ist der Oberste Gerichtshof in seinen Judikaten bis 1930 niemals mehr abgerückt. In Österreich sind aber weiterhin Dispensen vom Hindernis des bestehenden Ehebandes erteilt worden. Im Falle einer Beschwerde wurde die Dispensehe in der Regel jedoch von den Gerichten für ungültig erklärt. Mit der Ungültigerklärung einer Dispensehe und der daraufhin entzogenen Pensionsberechtigung war auch das Parlament in einer dringlichen Anfrage 295 Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1921, abgedruckt in: Wiener Diözesanblatt, Jg. 1921,21-23. 296 Amtsblatt des österreichischen Bundesministeriums für Justiz vom 5. Juli 1921, 76-82, und Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen, Bd. IV, Slg. 155/1921, 406-418. Das Gutachten des OGH ist datiert mit 5. Juli 1921. Im Jahr 1928 hat der OGH ein Ergänzungsgutachten erstellt, das mit 10. Mai 1928 datiert ist.

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befaßt297 . Im Jahre 1924 entschied erstmals der Veifassungsgerichlshoj in zwei ähnlich gelagerten Fällen über die Pensionsberechtigung von Witwen aus Dispensehen. Im ersteren Fall erkannte der Verfassungsgerichtshof der Witwe aus der Dispensehe die Pensionsberechtigung zu. Er begründete sein Erkenntnis damit, daß die Witwe aus der ersten Ehe, die katholisch geschlossen, aber 1913 einverständlich von Tisch und Bett geschieden worden war, ihrerseits 1919 ebenfalls eine Zweitehe mit Dispens vom Hindernis des Ehebandes geschlossen habe298 . Infolge ihrer Eingehung einer Dispensehe habe sie zwar nicht den Anspruch auf Pensionsberechtigung aus der Erstehe verloren, doch ruhe dieser für die Dauer ihrer bestehenden Dispensehe. Im vorliegenden Fall wurde also der Witwe aus der Zweitehe die Pensionsberechtigung zuerkannt. Nach der Sachlage des zweiten Erkenntnisses hat die Frau aus der Erstehe, die nach der Scheidung dieser Ehe ihrerseits eine Dispensehe eingegangen war, die Zweitehe gerichtlich für ungültig erklären lassen299 . Damit hat sie nach dem Tod ihres Gatten aus erster Ehe den Anspruch auf dessen Pensionsberechtigung erworben. Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Fall der Gattin aus der Dispensehe die aufgrund dieser Ehe bereits ausgezahlte Pension abgesprochen. Für die Gültigkeit der Dispensehe sprach sich der Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes, Peler Paul Burkhart, aus3OO , der unter Berufung auf den fünften Abschnitt des Staatsvertrages von St. Germain über den Schutz der Minderheiten (insbesondere Art. 63) nachzuweisen suchte, daß das Ehehindernis des Katholizismus301 aufgehoben sei. Die Haltung der Regierungsparteien in der Dispensehefrage stelle einen Widerspruch zu diesem Staatsvertrag dar3 02 . Dispensehewerber, die vor Erteilung der Dispens in der Regel aus der katholischen Kirche austraten und damit einen Weg beschritten, den die Sozialdemokraten schon 1921 propagierten303 , seien dadurch, so wurde argumentiert, zu Akatholiken geworden und diesen könne die Dispens und eine neuerliche Eheschließung nicht verwehrt werden. Diesen Argumenten schlossen sich die österreichischen Gerichte jedoch nicht an, so daß bis zum 297 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 62. Sitzung vom 28. Oktober 1924, 1767 f. und 1776 ff. 298 Erkenntnis des VfGH Slg. Nr. 310 vom 28. Mai 1924, ZA 24/24. 299 Erkenntnis des VfGH Slg. Nr. 356 vom 27. Oktober 1924, ZA 62/24. 300 Gerichtszeitung 75 (1924) 129-138, hierbes. 137 f. 301 Siehe oben Anm. 214. 302 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 62. Sitzung vom 28. Oktober 1924, 1777. 303 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 11. GP, 26. Sitzung vom 21. März 1921,954.

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Jahre 1926 mehr als 1.000 Dispensehen für ungültig erklärt wurden. Von den 2.578 Ehedispensen, die im Jahre 1928 durch das Land Wien erteilt worden sind, entfielen allein 1.802 auf das Hindernis des bestehenden Ehebandes304 • Bis zum Jahre 1929 sind 55.000 Dispensen vom Hindernis des Ehebandes erteilt worden305 . Zu einer durch den parlamentarischen Gesetzgeber herbeigeführten Lösung des anstehenden Problembereiches kam es indes nicht mehrl 06 • Eine Lösung der Dispensehenfrage sollte durch die im Konkordat von 1933 erfolgte staatliche Anerkennung der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit gebracht werden (Art. VII). Das vom österreichischen Gesetzgeber jedoch einseitig erlassene Konkordats-Durchführungsgesetz307 brachte allerdings erhebliche Einschränkungen der vom Konkordatstext her umfassend konzipierten kirchlichen Zuständigkeit. Eine endgUltige Lösung der Dispensehenfrage brachte erst das EheGesetz von 1938.

4. Eherechtliche Probleme der Zweiten Republik In der Zweiten Republik wurde zunächst durch das Rechtsüberleitungsgesetz vom 1. 5. 1945308 die Großdeutsche Ehegesetzgebung (1938) übernommen. Es wurden aus ihr lediglich die typisch nationalsozialistisches Gedankengut enthaltenden Bestimmungen (z. B. Nürnberger Rassegesetze, Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre usw.) entfernt. Dies bedeutete u. a., daß Österreich nach 1945 auf dem Boden der 1938 eingeführten obligatorischen Zivilehe verblieb (§ 15 Ehe-G.). Versuche, eine staatliche Anerkennung der kirchlichen Eheschließung durch Einführung der 304 Alois Hudal, Die kirchliche Einteilung Österreichs mit der allgemeinen Statistik, in: Alois Hudal, Der Katholizismus in Österreich, InnsbrucklWien/München 1931,54. 305 Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., 111. GP, 76. Sitzung vom 21. Jänner 1929, 2192. 306 Zur umfangreichen Problematik der Dispensehen und der divergierenden Auffassungen der Gerichte, vgl. Rudolf Braun, Ein Schlußwort zur Dispensehe, in: ÖAZ 11 (1934) 106 f.; Hans Sperl, (Anm. 288) 432; Fritz Schwind, Kommentar zum österreichischen Eherecht, Wien 1951, 271; Robert Franz, Rund um die Dispensehe, in: Korrespondenzblatt für den katholischen Klerus 51 (1932) 36 f., 48 f., 57 f. und 65 f.; Robert Franz, Einiges über die Ehelichkeit der Kinder aus Dispensehen, in: Korrespondenzblatt für den katholischen Klerus 54 (1935) 178; Vgl. auch die Literatur zu Anm. 254. 307 BG vom 4. Mai 1934, BGBI. Nr. 1934/11/2. 308 Gesetz vom 1. Mai 1945, StGBI. 6/1945.

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fakultativen Zivilehe zu erwirken, sind nachweisbar, doch blieb ihnen der Erfolg versagt. So stelle der Abgeordnete Müllner (ÖVP) schon am 23. 5. 1946 im Parlament den Antrag, der Justizminister möge eine Gesetzesvorlage einbringen, durch welche unvorgreiflich einer endgültigen Neuregelung des Eherechts der kirchlichen Eheschließung staatliche Rechtswirkungen zukommen sollten309 • Dieser Antrag wurde wenige Wochen später von einigen Abgeordneten der ÖVP, darunter Müllner, wiederholt. In diesem Antrag wurde u. a. ausgefiihrt, die Trauung durch den Standesbeamten (obligatorische Zivilehe) stehe nicht im Einklang mit dem religiösen Empfmden weiter Kreise der Bevölkerung, die eine Trauung als einen Akt religiösen Charakters betrachteten. Die doppelte Trauung durch den Seelsorger und den Standesbeamten schaffe zudem für die Zeit zwischen diesen beiden Akten einen durchaus unbefriedigenden Zustand, indem die Ehe auf dem einen der beiden Gebiete bereits bestehe, auf dem anderen aber noch nicht geschlossen sei. Überdies stelle die kirchliche Eheschließung ein in Jahrhunderten erworbenes Recht der österreichischen Bevölkerung dar. - Der gegenwärtig unbefriedigende Zustand könne leicht beseitigt und gleichzeitig dem religiösen Empfmden Rechnung getragen werden, ohne daß dadurch die bezüglich der Matrikelführung und der Prüfung der Zulässigkeit einer Eheschließung den Standesbeamten nach dem geltenden Gesetz zugewiesene Zuständigkeit eine Einschränkung erfahren würde. Der Bundesminister für Justiz wird in dem Antrag aufgefordert, ehestens eine Gesetzesvorlage einzubringen, durch die, ohne der endgültigen Regelung des Eherechts vorzugreifen, ausgesprochen werde, daß unter Aufhebung des Zwanges zur staatlichen Trauung die Ehe durch Vornahme der kirchlichen Trauung auch mit Wirkung für den staatlichen Bereich geschlossen werden könne3 lO • Zu einer parlamentarischen Behandlung dieser Anträge kam es indes nicht. Mehrere Jahre später, am 16. 3. 1950, wurde wiederum ein ähnlicher Antrag von den Abgeordneten Lola Solar, Müllner, Pius Fink und Genossen (ÖVP) eingebracht und darin u. a. ausgeführt, daß das in Österreich noch geltende nationalsozialistische Ehegesetz vom 8. 7. 1938 einen groben Verstoß gegen die in der österreichischen Verfassung fundierte Glaubens- und Gewissensfreiheit darstelle. In einer freien Demokratie habe jeder Staatsbürger das Recht, die von ihm gewählte Form der Eheschließung (konfessionell oder standesamtlich) zu fordern. Nach dem noch geltenden Ehegesetz sei zum ersten Mal in Österreichs Geschichte das österreichische Volk aller Konfes-

309 Steno prot. d. NR d. Rep. Ö., V. GP, 17. Sitzung vom 23. Mai 1946,311. 310 Steno Beil. d. NR, V. GP, 23. Sitzung vom 13. Juni 1946,510. 11 Primetshofer

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sionen gezwungen, als Erbschaft Hitlers eine Doppeltrauung vorzunehmen3ll . Überdies werde gemäß § 67 Personenstandsgesetz der Vertreter der jeweiligen Konfession, der es wagt, vor der Zwangsziviltrauung den konfessionellen Trauungsakt vorzunehmen, mit Geldstrafe oder Gefängnis bestraft. Es sei für Österreich beschämend, den Zustand der Unterdrückung nach 5 Jahren demokratischer Verfassung weiterhin aufrecht zu erhalten. Nach dem Grundsatz der durch die Demokratie gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit sei das nationalsozialistische (österreichische) Ehegesetz so abzuändern, daß jede konfessionelle Eheschließung staatliche Anerkennung finde. Der Bundesminister für Justiz wird in diesem Antrag aufgefordert, ehestens eine Gesetzesvorlage einzubringen, durch welche, ohne der endgültigen Regelung des Eherechts vorzugreifen, der konfessionelle Trauungsakt der standesamtlichen Trauung gleichgestellt werde3 l2 . In der Sitzung vom 11. Dezember 1950 erfolgte eine Anfrage der Abgeordneten Häuslmeyer, Straßer, Horn und Genossen (ÖVP) an den Bundesminister für Justiz, Dr. Tschadek betreffend die Verhandlungen über das Eherecht mit der katholischen Kirche. Die Anfrage erwies sich insbesondere deshalb als notwendig, weil der Bundesminister für Justiz in der Budgetdebatte vom 8. Dezember 1950 erklärt hatte, er habe bei seinen Verhandlungen mit dem Vertreter der römisch-katholischen Kirche, dem Wiener Erzbischof Kardinal Dr. Innitzer, großes Verständnis für den Standpunkt des Staates in der Ehefrage gefunden. Insbesondere habe Innitzer im Zusammenhang mit § 67 PStG erklärt, in der Erzdiözese Wien würden keine konfessionellen Trauungen vor der standesamtlichen vorgenommen werden. In einer Presseaussendung des Erzbischöflichen Ordinariats Wien wurde indes diese Mitteilung des Bundesministers für Justiz als unrichtig bezeichnet. - Die Anfrage der erwähnten Abgeordneten lautete daher: 1. Ist der Bundesminister für Justiz bereit, mitzuteilen, ob und mit welchem Ergebnis bisher Besprechungen mit kirchlichen Kreisen stattgefunden haben? 2. Ist der Bundesminister für Justiz bereit, mitzuteilen, ob weitere Besprechungen vorgesehen sind und auf welche Rechtsfragen sich dieselben erstrecken werden?3l3

311 Dies entspricht allerdings nicht den Tatsachen, da es im Burgenland zu folge der Weitergeltung des ungarischen Eherechts von 1921 bis 1934 (nämlich bis zum Inkrafttreten des Konkordats-Eherechts) das System der obligatorischen Zivilehe gab. 312 Steno Beil. des NR, VI. GP, 20. Sitzung vom 16. März 1950,631. 313 Steno Beil. des NR, VI. GP, 39. Sitzung vom 11. Dezember 1950,1553.

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In der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage führte Bundesminister Tschadek am 12. Dezember 1950 aus, daß die Forderung nach Einführung der fakultativen Zivilehe schon seit einiger Zeit von ÖVP-Abgeordneten erhoben worden sei, die katholische Kirche habe aber zunächst keine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Vor einigen Monaten habe nun ein katholischer Pfarrer in Oberösterreich zwei Volksdeutsche kirchlich getraut, ohne daß vorher die vorgeschriebene Eheschließung vor dem Standesbeamten stattgefunden habe und stattfinden konnte, weil die betreffenden Brautleute kein Ehefähigkeitszeugnis vorlegen konnten. Dieses Vorgehen habe zu einer Verurteilung des betreffenden Pfarrers gemäß § 67 PStG geführt. Durch diesen Straffall sei eine Änderung der Strafbestimmungen des Personenstandsgesetzes erneut zur Erörterung gestellt worden.

Zur Forderung nach Einführung der fakultativen Zivilehe habe er, Tschadek, erklärt, daß jede Reform des Eherechts von dem Grundsatz ausgehen müsse, "daß ein einheitliches Eherecht eine unbedingte Notwendigkeit sei. Daher sei es vor allem anderen unmöglich, kirchliche Eheschließungen zuzulassen, wenn die betreffende Eheschließung nach staatlichem Recht unzulässig wäre. Es könne unmöglich nebeneinander Ehen geben, die nach kirchlichem Recht giltig, nach staatlichem Recht aber ungiltig, und solche, die nach staatlichem Recht giltig, nach kanonischem Recht aber nichtig seien. Dadurch würden Verwirrungen angerichtet, welche die bedenklichsten sozialen Wirkungen nach sich ziehen würden, was auch gewiß nicht dem Standpunkt der Kirche entsprechen könne. Es wäre möglich, daß kirchlich getraute Personen ohne weiteres auseinandergehen, es wäre auch nicht ausgeschlossen, daß jemand in der Kirche und später vor dem Standesamt eine verschiedene Person heiratet. • Es müsse daher, so führte Tschadek weiter aus, bei einer Änderung des Eherechts davon ausgegangen werden, daß eine kirchliche Trauung bei Vorliegen eines Hindernisses des bürgerlichen Rechts nicht erfolge; eine kirchliche Eheschließung ohne Vorliegen eines staatlichen Ehefiihigkeitszeugnisses sei daher nicht denkbar. In den weiteren Ausführungen seiner Anfragenbeantwortung wies Tschadek darauf hin, daß er von dem tiefen Wunsch beseelt sei, alles zu vermeiden, was auch nur im entferntesten an einen Kulturkampf erinnere. Unter Wahrung der Glaubens- und Gewissensfreiheit habe er sich entschlossen, die von der katholischen Kirche gewünschten Verhandlungen selbst anzubahnen. Vom Grundsatz eines einheitlichen Eherechts sei aber nicht abzugehen, und er könne nicht daran denken, den gesetzgebenden Körperschaften eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten, welche diesem Grundsatz widerstreitet. Er sei

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auch überzeugt, daß die österreichische Volksvertretung es ablehnen würde, einen Zustand herbeizuführen, der geeignet wäre, den vor 1938 auf dem Gebiet des Eherechtes bestehenden Wirrwarr auch nur zum Teil wiederherzustellen. Im übrigen gebe er der Erwartung Ausdruck, daß eine einvernehmliche Lösung zwischen Staat und Kirche auch auf diesem Gebiet möglich sein werde3 14. Die Hoffnungen, insbesondere im Zusammenhang mit einer Beseitigung der Strafbestimmung des § 67 PStG zu einer vom Gesetzgeber zu treffenden Lösung zu gelangen, erwiesen sich als trügerisch. Die genannte Bestimmung wurde erst durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1955 als verfassungswidrig aufgehoben315 • Dem in der Zweiten Republik mehrfach an den Gesetzgeber herangetragenen Wunsch, die kirchliche Eheschließung mit bürgerlichen Rechtswirkungen auszustatten und somit die Wahlzivilehe in Österreich einzuführen, ist allerdings die Erfüllung versagt geblieben. Bis zur Stunde steht Österreich auf dem Boden der 1938 eingeführten Zwangszivilehe. Es erfolgten allerdings einige gesetzliche Regelungen, die während der Geltung des Ehegesetzes vom 8. Juli 1938 eine Teilanerkennung der kirchlichen Eheschließungsform für begrenzte Zeitabschnitte und unter besonders gelagerten Umständen zum Inhalt haben. So wurde durch ein Gesetz der Provisorischen Staatsregierung vom 26. 6. 1945316 bestimmt, daß den in der Zeit vom 1. April 1945 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes (d. i. der 29. Juni 1945) vor nichtzuständigen weltlichen Behörden oder vor Funktionären der gesesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften geschlossenen Ehen bürgerliche Rechtswirkungen zukommen. Dieser Regelung lag die Tatsache zugrunde, daß unmittelbar nach Aufhören der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich die irrige Meinung verbreitet war, nunmehr gelte in bezug auf das Eherecht wieder automatisch der vor der Einführung des großdeutschen Eherechts bestehende Rechtszustand. Somit wurden teils Ehen vor unzuständigen weltlichen Behörden317 oder vor Geistlichen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften geschlossen. Durch das zitierte Gesetz wurden diese we314 Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz vom 12. 12. 1950, 1. Beiblatt 158/A. B. zu 187/J. 315 Erk. des VfGH vom 19. Dezember 1955 G 9/55. Die Kundmachung des Bundeskanzlers erfolgte am 12. März 1956, (BGB!. Nr. 46/1956). 316 StGBI Nr. 31/1945. 317 Derartige Eheschließungen erfolgten nach dem Gesetz vom 25. Mai 1868 (RGB!. Nr. 47/1868) vor den für (Not)zivilehen zuständigen Bezirks- oder Gemeindebehörden.

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gen Nichteinhaltung der Formerfordernisse des § 15, 1 Ehe-G als Nichtehen zu qualifizierenden Verbindungen in der Wurzel geheilt318 . Durch BG vom 16. 9. 1955)319 wurde eine zeitliche Erweiterung der Anerkennung der Eheschließung vor den Funktionären der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften vorgenommen. Haben nämlich Ehewerber in der Zeit vom 29. 6. 1945 bis 30. 4. 1946 ohne standesamtliche Eheschließung eine Trauung vor dem Seelsorger einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft erwirkt, so hat das Gericht auf Antrag auszusprechen, daß zwischen ihnen eine Ehe als an dem Tag der Abgabe der konfessionellen Eheschließungserklärung zustandegekommen gilt. Eine solche Antragsstellung war allerdings bis Ende des Jahres 1961 befristet. In den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum in Rede stehenden Gesetz wird festgestellt, daß die im BG vom 26. 6. 1945 (StGBl. 31/1945) gesetzte Frist vom 1. April bis 28. Juni 1945 fiir die staatliche Vergültigung nur kirchlich geschlossener Ehen ungenügend war, da auch nach diesem Zeitpunkt in der Bevölkerung noch eine gewisse Unklarheit über die Rechtslage geherrscht habe. Viele Ehewerber seien weiterhin der irrigen Ansicht gewesen, mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft habe in Österreich auch der Zwang zur standesamtlichen Trauung aufgehört und es genüge wie früher die kirchliche Eheschließung. Dies gelte insbesondere für die westlichen Bundesländer, in denen das genannte Gesetz erst nach Genehmigung durch den Alliierten Rat am 10. November 1945 anwendbar geworden sei. Dem Bundesministerium fiir Justiz seien ungefähr 300 solcher Fälle gemeldet worden320. Eine weitere Teilanerkennung der kirchlichen Eheschließungsform hat der parlamentarische Gesetzgeber durch BG vom 16. 12. 1953 vorgenommen321 , wobei hier sogar interessanterweise nicht nur eine Anerkennung der Eheschließungsform vor dem Seelsorger einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft, sondern sogar der Laiennottrauung nach c. 1098, I des CIC/1917 vorliegt. Das Gesetz bestimmt u. a.: War es Ehewerbern in der Zeit vom 13. März 1938 bis 31. März 1945 nur aus rassischen oder politischen Gründen unmöglich, die Ehe miteinander zu schließen, dann habe das Gericht auf Antrag auszusprechen, daß eine Ehe zwischen den beiden zustandegekommen ist, wenn die Ehewerber in der Zeit der Behinderung eine Trau318 Fritz Schwind, Das Familienrecht, Wien 1984, 32; Paul H. Neuhaus, Heilung von Nichtehen, in: FS für Fritz Schwind, Wien 1978,223-236. 319 BGBI. Nr. 208/1959. 320 Bruno Primetshofer, Ehe und Konkordat, Wien 1960,61. 321 BGBI. Nr. 14/1954.

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ung vor dem Seelsorger einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft elWirkt oder ihren Entschluß, eine eheliche Verbindung miteinander einzugehen, sonstwie nach dem Recht einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft erklärt hatten und die Trauung oder Erklärung in das konfessionelle Eheregister eingetragen worden war. - Das Gesetz setzt allerdings voraus, daß in den genannten Fällen eine nachträgliche standesamtliche Eheschließung wegen des Todes eines Ehegatten nicht mehr möglich war3 22 . Anträge dieser Art an das Gericht konnten nur bis Ende des Jahres 1954 gestellt werden323 . Zu weiteren Anerkennungen der kirchlichen Eheschließungsform oder anderer Bestimmungen des kirchlichen Eherechts kam es in der Zweiten Republik nicht. Von Art. VII des Konkordats von 1934 wird eine einzige Bestimmung, nämlich § 5, heute noch faktisch beobachtet: "Die kirchlichen und staatlichen Gerichte haben einander im Rahmen ihrer Zuständigkeit Rechtshilfe zu leisten "324.

UI. Die Frage der Geltung des Konkordats von 1933 in der Zweiten Republik Zum Abschluß dieser Darlegungen seien kurz einige Ausschnitte aus der parlamentarischen Behandlung der Frage um die Geltung des österreichischen Konkordats vom 5. 6. 1933 in der Zweiten Republik angeführt. In zweifacher Weise war die Geltung dieses Konkordats zunächst umstritten. Zum einen ging es um die völkerrechtliche Geltung, wobei nicht so sehr das völkerrechtlich gültige Zustandekommen des Vertrages angezweifelt wurde, sondern vielmehr dessen Weitergeltung im Zusammenhang mit den Ereignissen um den "Anschluß" Österreichs an das Großdeutsche Reich im Jahre 1938. Annexions- und Okkupationstheorie standen sich zunächst in schroffem Gegensatz gegenüber3 25 • - Zum anderen war die innerstaatliche Geltung des Konkordats umstritten. Wiederholt kam dabei der zeitliche Zusammenfall der Ratifizierung des Konkordats mit dem Verfassungsbruch 1934 zur Sprache. 322 Zit. G. § 1 (1),3. 323 Zit. G. § 6. 324 Dies bedeutet insbesondere, daß kirchliche Gerichte bei Nullitäts- oder Inkonsummationsprozessen das in der Regel dem kirchlichen Verfahren vorausliegende staatliche Scheidungs-, Aufhebungs- oder Ungültigkeits urteil von den staatlichen Gerichten anfordern können und auch ausgehändigt bekommen. 325 Vgl. dazu die Literatur bei Hans Klecatsky/Hans Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 140) 231 ff.

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Das österreichische Parlament der Zweiten Republik befaßte sich mehrmals mit dem Problem um die Geltung des Konkordats in beiden Ebenen, konnte aber zunächst keinen einheitlichen Standpunkt gewinnen. Im Zusammenhang mit einem vom damaligen Vizekanzler Adolf Sehärf stammenden Aufsatz in der sozialistischen Monatsschrift "Die Zukunft"326 kam es am 9. 3. 1950 zu einer parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten Dr. Gsehnitzer, Dr. Tonde, Geisslinger und Genossen (ÖVP) an die Bundesregierung327 . In der Anfrage wurde zunächst hervorgehoben, daß die vom Vizekanzler vertretene Annexionstheorie in Widerspruch mit der herrschenden Lehre und Praxis des In- und Auslandes stehe. Der Vizekanzler sei damit auch in Widerspruch zu der von der österreichischen Regierung vertretenen Politik geraten, wie sie u. a. in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 12. 4. 1946 klar ausgesprochen sei. An die Bundesregierung erging die Anfrage, ob sie sich mit der vom Vizekanzler vertretenen Auffassung identifiziere und ob diese eine Änderung ihrer bisherigen Stellungnahme bedeute? - Eine Beantwortung dieser Frage ist indes nicht feststellbar. Die weitere Entwicklung in dieser Frage ist durch eine mit dem Parlament offenbar zunächst nicht akkordierte Initiative der Bundesregierung gekennzeichnet. Am 8. 11. 1957 wurde das Parlament vom Unterrichtsminister informiert, daß der Heilige Stuhl bereits vor längerer Zeit in einer Note an die Bundesregierung zwei präzise Fragen gestellt habe: 1. Ist die Bundesregierung bereit, die Gültigkeit des österreichischen Konkordats offen und unbedingt anzuerkennen? 2. Ist die Bundesregierung bereit, die Weiterdauer der Wirksamkeit des Konkordats offen und unbedingt anzuerkennen?328 Am 21. 12. 1957 erging eine Antwortnote der österreichischen Bundesregierung an den Heiligen Stuhl, deren Inhalt aber zunächst weder verlautbart, noch dem Parlament bekanntgegeben wurde. In einer parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten Dr. Pfeifer (FPÖ), Dr. Zeehner (SPÖ) und Genossen vom 22. 1. 1958 wurde die Bundesregierung um Bekanntgabe des Inhalts dieser Note ersucht und zugleich festgestellt, daß es einer demokratischen Gepflogenheit entsprechen würde, die Öffentlichkeit und insbesondere den Na326 Adolf Schärf, Gilt das Konkordat? War der Anschluß Annexion oder Okkupation?, in: Die Zukunft (1950) 34 ff. 327 Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz, 17. Beiblatt vom 9. März 1950, 93/J., 423. 328 Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz, 9. Beiblatt vom 22. Jänner 1958, 20611.,2346.

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tionalrat vom Inhalt einer Antwortnote der Bundesregierung offiziell in Kenntnis zu setzen329 . Eine Beantwortung dieser Anfrage erfolgte jedoch zunächst nicht, so daß am 5. 3. 1958 eine neuerliche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet wurde3 30 . Inzwischen war jedoch bereits der Wortlaut der Antwortnote des Heiligen Stuhls bekanntgeworden, aus deren Inhalt mannigfache Rückschlüsse auf die Note der Bundesregierung gezogen wurden. An dem auf die parlamentarische Anfrage folgenden Tag, nämlich am 6. 3. 1958, wurden beide Noten im Pressedienst des Bundeskanzleramtes veröffentlicht331 . In dieser nunmehr bekanntgewordenen Antwortnote vom 21. 12. 1957 geht die Bundesregierung von der grundsätzlichen Galtigkeit des Konkordats auf beiden Ebenen, der völkerrechtlichen wie auch der innerstaatlichen, aus332 . Wenige Tage vor Ausfertigung dieser Note war es im Parlament allerdings nochmals zu einer Debatte zunächst über die völkerrechtliche Gültigkeit des Konkordats gekommen. Abgeordneter Rödhammer (ÖVP) warf in der Sitzung vom 6. 12. 1957 der SPÖ vor, sie habe die Annexionstheorie nur deshalb erfunden, um die Rechtsgültigkeit des Konkordats verhindern zu können333 . In Zwischenrufen der Abgeordneten E. Fischer (KPÖ) und Mark (SPÖ) wurde der Redner darauf aufmerksam gemacht, daß die Annexionstheorie im Staats-

329 Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz, 9. Beiblatt vom 22. Jänner 1958, 206/J., 2346. 330 Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz, 19. Beiblatt vom 5. März 1958, 236/J., 2458. 331 Presseübersicht zusammengestellt vom Bundespressedienst des Bundeskanzleramtes vom 6. März 1958, S. 1 (Wiener Zeitung). 332 Zur emotionsfreien Bereinigung dieser Frage mag auch die nunmehrige Haltung des zum Bundespräsidenten gewählten früheren Vizekanzlers Adolf Schärf beigetragen haben, der bei seiner am 22. Mai 1957 vorgenommenen Angelobung in der Bundesversammlung u. a. sagte, er sei froh darüber, daß in Österreich in Kulturfragen ein neues Klima feststellbar sei. Er wolle alles daransetzen, daß in diesem Klima eine Regelung des Verhältnisses zwischen dem Staat und der römisch-katholischen Kirche erfolge, "ohne daß dabei Sentimentalitäten von einst geweckt werden". Steno Prot. der 7. Bundesversammlung, 2. Sitzung. Schon zuvor hatte Bundeskanzler Julius Raab in der Regierungserklärung vom 4. Juli 1956 der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß es möglich sein werde, die ungeklärten Fragen einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen und das Verhältnis zwischen Österreich und der katholischen Kirche sowie das Verhältnis zur evangelischen Kirche auf neue, dauerhafte Grundlagen zu stellen. Steno Prot. d. NR d. Rep. Ö., VIII. GP, 2. Sitzung vom 4. Juli 1956,20. 333 Steno Prot. d. NR, VIII. GP, 44. Sitzung vom 6. Dezember 1957, 1957.

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vertrag stehe3 34 . Und einen Tag vorher, am 5. 12. 1957, hatte der Abgeordnete Pfeifer (SPÖ) im Zusammenhang mit der Subventionierung konfessioneller (katholischer) Privatschulen die innerstaatliche Gültigkeit des Konkordats rundweg bestritten, da gemäß Art. 50 B-VG für die innerstaatliche Gültigkeit des Konkordats die Genehmigung des Nationalrats erforderlich gewesen wäre, die aber 1934 nicht erfolgt sei33S . Dasselbe Argument wurde genau ein Jahr später, am 5. 12. 1958, vom Abgeordneten Neugebauer (SPÖ) wiederholt und noch breiter erläutert. Das österreichische Parlament sei, so führte Neugebauer aus, im Jahre 1934, als das Konkordat auf Regierungsebene unterfertigt wurde, durch die am 5. 3. 1933 erfolgte Amtsniederlegung der drei Präsidenten des Nationalrates funktionsunfähig gewesen. Am 30. April 1934 sei das Rumpfparlament durch den Zweiten Präsidenten Dr. Ramek wiedereinberufen worden. Dr. Ramek habe dabei nach seinen eigenen Worten die am 5. März 1933 unterbrochene Sitzung wiederaufgenommen. Von den 165 Abgeordneten seien 76 anwesend gewesen. Bei der Sitzung sei u. a. der Antrag gestellt worden, Art. 50 aus der Bundesverfassung zu streichen. Der großdeutsche Abgeordnete Foppa habe sich damals vehement gegen die Streichung dieses Artikels ausgesprochen, da auf diese Weise das wichtigste gesetzgeberische Recht der Volksvertretung, nämlich die Ratifikation von Staatsverträgen gemäß Art. 50 B-VG durch einen illegalen Akt der Bundesregierung übertragen werden solle. Mit den Stimmen von 74 Abgeordneten sei Art. 50 B-VG gestrichen worden; somit habe das Konkordat publiziert werden können und dadurch sei in Österreich ein Gesetz gültig. - In bezug auf die Entwicklung nach 1945 sei aber, so führte Neugebauer weiter aus, insbesondere das Verfassungs-Überleitungsgesetz vom 1. Mai 1945 zu erwähnen, das alle Verfassungsänderungen, die seit dem Jahre 1933 erfolgt seien, für rechtsungültig erklärt habe. Und damit sei auch die Streichung von Art. 50 B-VG vom 30. April 1934 ungültig geworden und damit auch die Veröffentlichung des Konkordats im Bundesgesetzblatt. So sei eben die rechtliche Situation und Recht müsse Recht bleiben336 .

334 In der Tat spricht der österreichische Staatsvertrag vom 15. 5. 1955 (BGBl. Nr. 152/1955) in der Präambel davon, daß "Hitler-Deutschland am 13. März 1938 Österreich mit Gewalt annektierte, und sein Gebiet dem Deutschen Reich einverleibte". Daß die vom Staatsvertrag verwendete Formulierung indes keine Entscheidung in dem Streit zwischen Annexions- und Okkupationstheorie herbeigeführt hat, wurde u. a. von Adamovich nachgewiesen. Ludwig Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechtes, Wien 1957, 57 ff. 33S Steno Beil. d. NR, VIII. GP, 43. Sitzung vom 5. Juni 1957, 1818. Zur Frage der innerstaatlichen Gültigkeit vgl. KlecalskylWeiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, (Anm. 140) 233 f. 336 Steno Beil. d. NR, VIII. GP, 71. Sitzung vom 5. Dezember 1958,3322.

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Auch Abg. Mark (SPÖ) bestritt in dieser Sitzung die innerstaatliche Gültigkeit des Konkordats337 . Dies alles geschah zu einem Zeitpunkt, an dem die aus der Koalition ÖVPSPÖ bestehende Bundesregierung schon die grundsätzliche Gültigkeit des Konkordats ausgesprochen hatte. Im Zusammenhang mit ihrer Antwortnote vom 21. 12. 1957 an den Heiligen Stuhl mußte sich die Bundesregierung freilich den Tadel eines Abgeordneten anhören, die in dieser Note velWendete Formel, das Konkordat sei "gültig, aber nicht wirksam" wäre "juridischer Nonsens und ein Widerspruch in sich"338. Und interessant ist ferner die in einer Sitzung zitierte negative Kritik seitens des Vizekanzlers der damaligen Koalitionsregierung, Bruno Pittennann, der die von ihm mitbeschlossene Antwortnote der Bundesregierung als "doppelzüngig" bezeichnete; daß daraufhin nur eine im wesentlichen negative Antwort des Vatikans erfolgen könne, sei zu elWarten gewesen339 . Man gewinnt allerdings aus der Lektüre der Parlamentsdebatten den Eindruck, daß die Frage der Geltung des Konkordats in dieser Zeit bereits keine die Parteien grundsätzlich entzweiende Angelegenheit mehr darstellte. Bei den angeführten Stellungnahmen einzelner Abgeordneter gegen die völkerrechtliche und innerstaatliche Gültigkeit des Konkordats handelt es sich weniger um grundsätzliche Debatten, sondern mehr um "obiter dicta" einzelner Mitglieder des Nationalrates. Immer stärker wird auch im Parlament die Bereitschaft erkennbar, auf der Basis der von der Bundesregierung beschlossenen Antwortnote an den Heiligen Stuhl mit der katholischen Kirche in Verhandlungen zu treten und dabei von der grundsätzlichen Geltung des Konkordats auszugehen, ohne über den theoretischen Streitpunkt noch weiter zu verhandeln. Einen ersten gesetzgeberischen Schritt in dieser Richtung bildete der Vennögensvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich aus dem Jahre 19(j()340, in dessen erstem Artikel das Konkordat insofern implizit anerkannt wird, als darin ausdrücklich betont wird, die katholische Kirche und die Republik Österreich seien übereingekommen, "verschiedene Vorschriften des Konkordats vom 5. Juni 1933 sowie des Zusatzprotokolls abzuändern "341. 337 Steno Beil. d. NR, VIII. GP, 71. Sitzung vom 5. Dezember 1958, 3367. 338 So der Abg. Rödhammer (ÖVP) am 5. 12. 1958. Steno Beil. d. NR, VIII. GP, 71. Sitzung vom 5. 12. 1958,3360. 339 Steno Beil. d. NR, VIII. GP, 71. Sitzung vom 5. Dezember 1958, 3360. 340 BGBI. Nr. 196/1960. 341 Auch Art. VIII und IX des Vermögensvertrages nehmen ausdrücklich auf das österreichische Konkordat Bezug, dessen Geltung somit vorausgesetzt wird.

Die BischofsbesteUungen seit dem Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart I. Vorbemerkungen Am Beginn dieser Untersuchung steht ein Blick in das Gesetzbuch der Lateinischen Kirche, den Codex Iuris Canonici aus dem Jahre 1917 (CIC/1917) und dessen Aussagen zum Thema der Bischofsbestellung. Dies deshalb, weil der CIC/1917, seiner eigenen Selbstdarstellung zufolge 1, zumeist die bisher geltende Ordnung beibehält und nur einige "angemessene Neuerungen" vornimmt, so daß eine Beschäftigung mit den Aussagen des Gesetzbuches über die Bischofsbestellungen durchaus Aufschluß über die dem Gesetzbuch zeitlich vorausliegende Rechtslage und Praxis zu ermöglichen scheint. Erleichtert wird dieses Vorhaben insofern, als der CIC/1917 - im Unterschied zu seinem Nachfolger, dem Codex aus dem Jahre 1983 (CIC/1983)2 - von Anfang an auch mit einer die Quellen zu den einzelnen Gesetzesstellen angebenden Version erschienen war3. Der auf die Bischofsbestellungen bezugnehmende c. 329 CIC/1917 enthält zunächst in seinem § 1 eine theologische Aussage, daß die Bischöfe Nachfolger der Apostel seien und kraft göttlichen Gesetzes den einzelnen Kirchen4 vorstehen. In bezug auf den Modus der Bischofsbestellung sagt § 2, daß sie frei vom Papst ernannt werden; in § 3 wird dann festgestellt, daß, wenn ei1 C. 6: "Codex vigentem huc usque disciplinam plerumque retinet, licet opportunas immutationes afferat. " 2 Der CIC/1983 erschien erst fünf Jahre nach seiner Promulgation mit einer von der Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici authentice interpretando (PCI) erstellten Quellenangabe und einem Sachindex. 3 Codex Iuris Canonici ... praefatione, fontium annotatione et Indice analyticoalphabetico ab Emo Petro Card. Gasparri auctus. Romae 1917. 4 Der CIC/1917 spricht an dieser Stelle von "Ecclesiae peculiares". Die Lehre von den "Teilkirchen" (Ecclesiae particulares) und ihrem Verhältnis zur Gesamtkirche, wie sie etwa c. 368 CIC/1983 (vgl. dazu LG 23) enthält, ist im CIC/1917 noch nicht entwickelt. Zur hierarchischen Stellung der Bischöfe nach dem CIC/1917 vgl. U. Mosiek, Verfassungsrecht der Lateinischen Kirche, Bd. lII, Der Bischof und die Teilkirehe. Freiburg/Br. 1978, 17-20.

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nem "Kollegium" das Bischofswahlrecht zustehe, gemäß c. 321 vorzugehen sei. Dieser Canon regelt die Wahl des Gefreiten Abtes oder Prälaten (Abbas, Praelatus nullius; cc. 319-327 CIC/1917)5 und verlangt für die Gültigkeit der Wahl die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen6 • Untersucht man die zu den §§ 2 und 3 des c. 329 CIC/1917 angegebenen Quellen, insbesondere die zum freien Emennungsrechte des Papstes, so findet man zwei Belegstellen aus dem Corpus Iuris Canonici, nämlich C. 1, X, de translatione episcopi I, 7 und c. 2, de praebendis et dignitatibus, III, 4, in VIo. Dann folgt ein Hinweis auf die sessio XXIII des Konzils von Trient, nämlich c. 8, de ordine. Die im Corpus Iuris Canonici angegebenen Quellen sind aber keine exakten Belege für die in c. 329 CIC/1917 enthaltenen Normierungen. Während diese auf die Ernennung von Bischöfen Bezug nehmen, spricht die im Liber extra angegebene Quelle (eine Dekretale Innozenz III. aus dem Jahre 1198), wie schon die Rubrik ihres Titels angibt, von der Versetzung eines Bischofs, nicht aber von dessen erstmaliger Bestellung, und es wird ein päpstliches Reservatrecht für die Versetzung eines Bischofs in Anspruch genommen. Ebenso ist in der aus dem Liber sextus zitierten Belegstelle (aus dem Pontifikat Clemens III. 1190) zwar von einem grundsätzlichen Anspruch des Papstes auf die Besetzung aller kirchlichen Benefizien die Rede, tatsächlich aber wird dies konkret nur hinsichtlich der "apud Sedem Apostolicam", d. h. der durch Versetzung, Absetzung, Anfechtung einer Besetzung oder Verzichtannahme seitens des Heiligen Stuhles vakant gewordenen Ämter in Anspruch genommen7 • Und erst recht legt c. 8 der 23. Sitzung des Trienter Konzils nur fest, daß die vom Papst eingesetzten Bischöfe rechtmäßige und wirkliche Bischöfe 5 In heutiger Tenninologie Gebietsabtei bzw. -prälatur (c. 370 CIC/1983). 6 Die Bestimmung von c. 321 erweist sich als sog. nachgiebiges Recht (ius dispositivum) gegenüber einem Sonderrecht, wenn dieses ein höheres Konsensquorum als die absolute Mehrheit vorsieht. Durch die Spezialnonn des c. 321 wird dem generellen Recht des c. 101 § 1, 1 des CIC/1917 derogiert, derzufolge nach zwei ergebnislos gebliebenen Wahlgängen (weil keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht hat), im dritten Wahlgang die relative Stimmenmehrheit genügt. - Dies bedeutet, daß die Wahlordnung eines Domkapitels, wenn ihm ein Bischofswahlrecht zusteht, jedenfalls für sämtliche Wahlgänge absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen verlangen muß. Die Wahl eines Bischofs mit bloß relativer Stimmenmehrheit soll es dem Tenor des c. 321 zufolge nicht geben. 7 P. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland III. Berlin 1883, 144 f.

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seien, ohne auf die Frage einzugehen, ob die freie Ernennung seitens des Papstes den überwiegenden Regelfall darstellt oder nichtS. Daraus läßt sich nun, was den CIC/1917 und die den Worten des Gesetzgebers zufolge (c. I) darin kodifizierte "Vigens hucusque disciplina" betrifft, weniger ein bisher geltender Rechtszustand ablesen, sondern es zeigt sich vielmehr ein Trend des Gesetzgebers, der eindeutig auf eine möglichst starke päpstliche Zentralisierung der Bischofsbestellung gerichtet ist. Im Vordergrund sollte die freie päpstliche Ernennung stehen; ausnahmsweise wird auch gebundene Amtsverleihung9 in Form der Wahl anerkannt. Hierbei fällt auf, daß der CIC/1917 an dieser Stelle nur die Wahl als gebundene Amtsverleihung zu kennen scheint, nicht auch deren übrige Formen, wie z. B. im Bereich der Bischofsbestellung die zur Zeit des Inkrafttretens des Codex noch zahlreich bestehenden Nominationsrechte. Wenn c. 329 § 2 nur die Wahl als Form der gebundenen Amtsverleihung festlegt, so sind damit selbstverständlich andere Modalitäten der Bestellung von Bischöfen, insbesondere Nominationsrechte, soweit diese auf Konkordaten beruhen, nicht ausgeschlossen. Denn der CIC/1917 enthält (ebenso wie der CIC/1983) einen Vorbehalt zugunsten des vom kodikarischen Recht abweichenden Konkordatsrechts (c. 3 CIC/1917 und CIC/1983), so daß für beide Gesetzbücher ohne jede Einschränkung der Grundsatz galt bzw. gilt "Konkordatsrecht bricht kodikarisches Recht", wobei die Frage, welches die lex prior bzw. posterior ist, keine Rolle spielt lO • Wenn man also vom CIC/1917 ausgehend den Status der Bischofsernennungen rückblickend aufrollen will, so ist, jedenfalls für den Bereich der Ecclesia Latina 11 das ständige Ringen der päpstlichen Gesetzgebung im Hinblick auf ein freies Ernennungsrecht des Papstes unverkennbar; andererseits ist auch eine Fülle von gegenteiligen Normierungen festzustellen, die sich in zwei große Gruppen einteilen lassen: gebundene Amtsverleihung zugunsten kirchlicher oder weltlicher Instanzen. Über die Verschiedenheit des dabei zur Anwendung kommenden rechtlichen Instrumentariums wird an Ort und Stelle zu sprechen sein. S H. Denzinger/A.. Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, defmitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Barcinone/FriburgilBr. Romae 36 1976, Nr. 1778. 9 Zum Begriff der gebundenen Amtsverleihung vgl. K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts I München/PaderbornlWien 111964, 279 f. 10 Vgl. dazu die Erklärung der Konzilskongregation vom 10. 3. 1923, in: AAS 15 (1923) 588 f. 11 Über das geltende Recht der unierten Ostkirchen siehe unten, IV: Die gegenwärtige Rechtslage.

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ß. Wahlrechte Unter den Wahlberechtigten sind in erster Linie die Domkapitel zu nennen, denen es seit dem 4. Laterankonzil endgültig gelungen war, sich das alleinige aktive Bischofswahlrecht zu sichern l2 . Aktiv wahlberechtigt waren Kanoniker, die wenigstens die Subdiakonatsweihe empfangen hatten l3 . Als Wahlformen kamen die electio per acclamationem, per compromissium und per scrutinium in Frage. Gewählt war derjenige Kandidat, auf den zumindest die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen fiel, wobei allerdings gefordert wurde, daß die pars maior auch die pars sanior sei. Damit war dem die Wahl bestätigenden Papst nicht nur ein formelles Prüfungsrecht in bezug auf die Einhaltung der kanonischen Wahl bestimmungen gegeben, sondern er konnte sich auch für den von einer Minderheit gewählten Kandidaten entscheiden l4 . Hinsichtlich des Wahlrechts der Domkapitel gab es allerdings zahlreiche Unzuträglichkeiten, von denen wir u. a. aus den Diskussionen des Konzils von Trient wichtige Details erfahren. So führte der Bischof von Fünfkirchen (Pecs) Georg Draskovics l5 in bewegten Worten Klage über einige seiner Meinung nach unhaltbare Zustände, die im Zusammenhang mit dem Wahlrecht der Domkapitel festzustellen seien. Draskovics, der selbst nicht aus den Reihen der Domkapitulare gewählt worden war I 6 , beklagt sich zunächst über die Zusammensetzung vieler Domkapitel. Sie bestünden zum Teil aus völlig ungebildeten Leuten, darunter achtjährigen Knaben, die zwar der Herkunft nach Adelige seien, deren Lebenswandel aber alles eher als vorbildlich sei. Von solchen Wählern könne keine den Anforderungen des Bischofsamtes entsprechende Wahl erwartet werden; und dies umso weniger, als man es stel-

12 Vg!. dazu c. 42 X de electione I 6. K. Ganzer, Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel in Theorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts, in: ZRG/KA 57 (1971) 22-82; 58 (1972) 166-197; H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche. KölnIWien 51972, 381. 13 W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts 111. Wien/München 21970, 471. 14 Zur Frage der "sanioritas capituli", d. h. der "vom Oberen nachzuprüfenden größeren kirchlichen Zweckwürdigkeit" vg!. H. E. Feine, Die Besetzung der Reichsbistümer vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation (= Kirchenrecht!. Abhandlungen 97/98). Stuttgart 1921, 207 f.; R. PoIl., Bischofsernennungen. Stationen, die zum heutigen Zustand geführt haben, in: Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, hrsg. von G. Greshake. München/Zürich 1991, 27 f. 15 K. S. Draganovic, in: LThK 2111, Sp. 542. 16 C. Eubel, Hierarchia catholica medii et recentioris aevi 111. Münster 21923, 280.

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lenweise beinahe als Gesetz betrachte, daß nur ein Mitglied des Domkapitels zum Bischof gewählt werden könne. Mangels entsprechender Qualifikation werde dann nicht ein Mensch, sondern irgendein Tölpel zum Bischof bestellt l7 . Ein weiteres Übel, so fährt Draskovics fort, ergebe sich bei den Wahlen seitens der Kapitel aus der mannigfachen Beeinflussung durch Außenstehende, vor allem durch weltliche Fürsten. Diese verstünden es, ihre Einflußnahme mit Schmeicheleien, Versprechungen, mitunter sogar mit Drohungen zu verbinden, so daß die Kanoniker auch dadurch behindert seien, einen geeigneten Kandidaten zu wählen 18. Aber nicht nur der Wahlvorgang selbst ist es, der die Kritik Draskovics' herausfordert. Er nimmt gleichermaßen auch die nachfolgende Bestätigung (confirmatio) seitens der Römischen Kurie aufs Kom. Denn dort beschränke man sich auf eine rein formale Überprüfung der von den Kapiteln übersandten Wahl protokolle und eventueller Empfehlungen der Fürsten, ohne jedoch die Echtheit dieser Schriftstücke einer Prüfung zu unterziehen. Schon gar nicht denke man daran, die Qualitäten der Gewählten bzw. der sonstwie vorgeschlagenen Kandidaten zu untersuchen. Die Bestätigung finde statt, sobald die Annaten 19 eingelangt seien. Auf diese Weise sei es schon vorgekommen, daß offenkundige Häretiker als Bischöfe eingesetzt worden seien. - Diesem Übel könne nur dann abgeholfen werden, wenn das Konzil erkläre, der Papst solle, bevor er in Rom eine Entscheidung bezüglich einer Bischofsbestellung vornehme, geeignete Kommissäre für die zu besetzende Diözese aufstellen, die alle mit der Wahl bzw. Nomination zusammenhängenden Fakten zu erheben und darüber dem Hl. Stuhl zu berichten hätten20 . Tatsächlich schuf das Tridentinum die Grundlagen für den späteren Informativprozeß, wobei uns heute der Grad der Öffentlichkeit des diesbezüglich geplanten Verfahrens in Erstaunen setzt. Demnach sollte der vom Papst unter welchem Titel immer zu bestellende Kandidat öffentlich an den Türen der wichtigsten Kirchen der Stadt angeschlagen, und nicht nur Kleriker, sondern auch Laien sollten zur Teilnahme an einer Art von Eignungsprüfung eingeladen werden. Diese sollte unter dem Vorsitz des Metropoliten bzw., wenn die 17 Concilium Tridentinum diariorum, actorum, epistolarum tractatuum IX, hrsg. von der Societas Goerresiana. FriburgilBr. 1965, 543: ..... ita ut aliquando ecclesiae Dei non homo, sed truncus quidam necessario praeficiendus sit." 18 Ebd. 19 F. Merzbacher, Annaten, in: HRG I (1971) Sp. 177 f. 20 Concilium Tridentinum (Anm. 17) 543 f.

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Metropolitankirche zu besetzen war, des ältestens Bischofs aus der Kirchenprovinz als Delegaten des Heiligen Stuhles vorgenommen werden. Der in Aussicht genommene Kandidat sollte bei dieser Prüfung ein Leumundszeugnis seines bisherigen Bischofs, bzw. wenn er aus dem Ordensstand kam, seines Ordensoberen vorlegen; ferner wurden Weihezeugnisse und Urkunden über den erworbenen Grad eines Doktors oder Lizentiaten in Theologie oder dem kanonischen Recht verlangt. Allen, die beim Examen zugegen waren, wäre die Möglichkeit offengestanden, Einwände gegen den Kandidaten vorzutragen, wobei allerdings diejenigen zurückgewiesen werden sollten, deren Rechtgläubigkeit nicht einwandfrei feststand, sofern sie nicht vorher das Glaubensbekenntnis abgelegt hätten21 . Das vom Trienter Konzil dann tatsächlich vorgeschriebene Verfahren zur Prüfung der Eignung der Kandidaten weist einen wesentlich geringeren Grad von Öffentlichkeit auf. Bei Einlangung der Wahlanzeige wurde, sofern die Kurie nicht von sich aus über die nötigen Kenntnisse verfügte, ein Legat des Apostolischen Stuhles beauftragt, an Ort und Stelle Auskünfte über den Kandidaten einzuholen. Ein Kardinal wurde zum Berichterstatter in Rom bestellt, und drei weitere Kardinäle mußten diesen Bericht überprüfen und ausdrücklich bestätigen, daß sie den Kandidaten für geeignet hielten 22 . Im Zusammenhang mit den durch die Domkapitel vorgenommenen Bischofswahlen sind u. a. die Wahlkapitulationen zu erwähnen, die laut Plöchl die größte Bedeutung in den reichs fürstlichen Bischofssitzen erlangten, da sich hier die landesherrlichen Interessen mit denen der kirchlichen Oberhirten aufs engste verknüpften23 . Bedeutsam wurden die Wahlkapitulationen insbesondere in der Reformationszeit, da sie auch zur Erhaltung des kirchlichen Besitzstandes dienten. Es fehlte nicht an gesetzgeberischen Versuchen seitens der Päpste, die Wahlkapitulationen, die als Übel betrachtet wurden, einzuschränken, doch blieb diesen Bemühungen ein bleibender Erfolg versagt. Zu erwähnen sind hier insbesondere die Konstitution Gregors XIII. "Inter apostolicas" (1584)24, Innozenz' XII. "Ecclesiae catholicae" (1695)25 und schließlich Benedikts XIV. "Pastoralis" (1754)26. Man versuchte, die Verbote 21 Concilium Tridentinum (Anm. 17) 477 f. 22 Es bilden sich die Grundzüge des Infonnativprozesses und des an der Römischen Kurie stattfindenden Definitivprozesses heraus. Vgl. Plöchl III, 484; Feine (Anm. 12) 533. 23 Plöchl III, 471 f. 24 CICFontes I, 275-277, Nr. 154. 25 CICFontes I, 505-508, Nr. 259. 26 CICFontes 11, 434-436, Nr. 430.

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teilweise durch geheime Kapitulationen bzw. durch Umschreibungen zu umgehen, ja es wurden sogar gelegentlich sog. Ewige Kapitulationen in den Kapitelstatuten verankert27 . Andererseits sind Fälle bekannt, in denen der mit Hilfe von Wahlkapitulationen gewählte Bischof sich hernach nicht an die getroffenen Vereinbarungen halten konnte oder wollte und sich beim Hl. Stuhl um eine Annullierung der Kapitulationen bemühte. Diesen Anträgen wurde regelmäßig unter Berufung auf bestehende kanonische Verbote stattgegeben28 . Den Kapitulationen erwuchs schließlich ein Gegner, den man durchaus nicht als Befürwortet der Ansprüche der Römischen Kurie auf freie Ernennung von Bischöfen bezeichnen konnte, nämlich das landesjarstliche Ernennungsrecht, das zwar an sich keine Neuerung darstellt, sich aber ab dem 16. Jahrhundert mehr und mehr ausbreitete. Darauf ist im folgenden näher einzugehen.

ill. Fonnen eines mehrstufigen Verfahrens bei Bischofsernennungen Unter dem hier verwendeten Oberbegriff ist nicht nur die gebundene Amtsverleihung im eigentlichen kanonischen Sinn zu verstehen, derzufolge der durch Wahl oder Nomination für das Amt bezeichnete Kandidat, sofern er die kanonischen Voraussetzungen für dieses Amt erbringt, ein Anrecht (ius ad rem) auf Bestätigung und Einsetzung in das Amt erhält29 , sondern es sollen darunter auch jene Vorgänge subsumiert werden, bei denen der Ernennung seitens des Papstes ein lokales, d. h. auf der Ebene von Teilkirchen bzw. Teilkirchenverbänden stattfindendes Ermittlungsverfahren von Kandidaten vorausgeht, dessen Ergebnis teils eine rechtliche, teils aber auch eine bloß moralische Bindung beim Ernennungsberechtigten erzeugt, die in diesem Ermittlungsverfahren vorgeschlagenen Kandidaten zu berücksichtigen. In erster Linie sind hier Ernennungsrechte (Nominationsrechte) zu erwähnen. Diese bestehen der Hauptsache nach zugunsten der weltlichen Landesfürsten, können aber auch geistlichen Hoheitsträgern zukommen. Sofern letztere zugleich auch Landesfürsten sind, erhebt sich die Frage, aufgrund welchen Titels diese Nominationsrechte geltend gemacht und auch durchgesetzt werden: aufgrund der geistlichen Jurisdiktion oder der weltlichen Herrschaft?

27 Plöchl 111, 471 f.

28 Feine (Anm. 12) 534.

29 Mörsdorf(Anm. 9) 279. 12 Primetshofer

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Dieser Frage wird noch eigens nachzugehen sein, insbesondere im Zusammenhang mit den Rechten des (Fürst)Erzbischofs von Salzburg. Landesfarstliche Ernennungsrechte gibt es in der zu behandelnden Periode in großer Zahl. 1516 ist zum ersten Mal in dem unter Leo X. geschlossenen französischen Konkordat die "nominatio regia· verankert30 • Damit wurde für ein ganzes Land das Kapitelwahlrecht zugunsten des königlichen Ernennungsrechtes aufgehoben. Diese nominatio regia wurde später auf die meisten zu Frankreich gekommenen Bistümer ausgedehnt, ausgenommen blieb Straßburg, für das sich ein Kapitelwahlrecht erhielt. Auch die Länder der spanischen Krone wurden dem königlichen Ernennungsrecht unterworfen, ebenso seit 1559 auch die niederländischen Bistümer3 1•

Im österreichischen Raum ist zunächst der besonderen, bereits ins Mittelalter zurückreichenden Rechtslage der Salzburger Erzbischöfe zu gedenken. Für die von Salzburg aus gegründeten Bistümer Gurk, Chiemsee, Seckau und Lavant hat der Salzburger Erzbischof, ganz auf dem Gedanken des germanischen Eigenkirchenrechts autbauend32 , das freie Ernennungsrecht beansprucht und auch vom Papst bestätigt erhalten33 • Dieses Recht der Salzburger Erzbischöfe in bezug auf die Ernennung der Suffraganbischöfe ist weitaus mehr als die ansonst übliche Form gebundener Amtsverleihung, die ja durch ein Verfahren auf zwei Ebenen gekennzeichnet ist: der Benennung der Person auf der einen Ebene und der päpstlichen Bestätigung auf der anderen. Der Salzburger Erzbischof hingegen war bei der Einsetzung seiner Suffraganbischöfe völlig frei, d. h. es bedurfte auch keiner nachfolgenden päpstlichen Bestätigung34 . In bezug auf Gurk kam 1535 ein Vergleich zwischen dem damaligen Erzbischof Matthäus Lang und Kaiser Ferdinand I. zustande, demzufolge in Hinkunft bei zwei aufeinanderfolgenden Erledigungsfällen der österreichische Monarch den Bischof ernannte, während jedes dritte Mal dem Salzburger Erzbischof dieses Recht zustehen sollte3S . Dieses Alternieren bei der Beset30 A. Mercati, Raccolta die Concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede eIe autoritA civili I. Roma 1954,233-251, insbes. 236. 31 Plöchl III, 472. 32 W. Seidenschnur, Die Salzburger Eigenbistümer in ihrer reichs-, kirchen- und landesrechtlichen Stellung, in: ZRG/KA 9 (1919) 177-287. 33 Bezüglich des Privilegs der freien Ernennung des Bischofs von Gurk durch den Salzburger Erzbischof: Papst Alexander 11. 21. 3. 1070, bei W. HauthalerlF. Martin, Salzburger Urkundenbuch 11. Salzburg 1916, 169, Nr. 102. 34 C. Holböck, Das Salzburger Privileg der freien Verleihung der Suffraganbistümer, in: FS für Hans Lentze, hrsg. von N. GrasslW Ogris. InnsbrucklMünchen 1969,325-338. 3S J. Ploner, LThK 2IV, Sp. 1279-1281.

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zung des Bischofssitzes von Gurk blieb bis zum Jahre 1918, d. h. bis zum Ende der Monarchie in Kraft, während ansonsten das Privileg des Salzburger Erzbischofs hinsichtlich der Besetzung der Suffraganbistümer , wenngleich nicht immer unbestritten, bis zum Konkordat 1933/34 in Geltung blie},36. Die Habsburger besaßen in vielen österreichischen Erbländern bereits am Beginn der Neuzeit für viele Bistümer Nominationsrechte. Diese wurden später auf die Länder der böhmischen Krone ausgedehnt (ausgenommen blieb Olmütz, für das sich das Kapitelwahlrecht erhielt) und ebenso auf die Länder der Stephanskrone. Auch für Galizien und die südslawischen Gebiete konnten Ernennungsrechte erlangt werden, ebenso für die unter Joseph 11. neu errichteten bzw. verlegten Diözesen Linz und St. Pölten37 • Das freie Ernennungsrecht des Salzburger Erzbischofs bezüglich der vier genannten Suffraganbistümer ist übrigens sicherlich nicht Ausfluß seiner landesfürstlichen , sondern seiner geistlichen Gewalt. Darauf weist schon die päpstliche Verleihung dieses freien Ernennungsrechtes hin38 . Das 18. Jahrhundert wird man als den Zeitraum der größten Verbreitung des Nominationsrechtes bezeichnen können. Wir finden es in Frankreich, in Österreich, Spanien und Portugal, in einzelnen italienischen Gebieten, in Bayern, Sachsen und vielen süd- und mittelamerikanischen Ländern, wo es sich als eine historische Fortsetzung des alten Missionspatronates darstellt. - In Österreich wurde eine regelrechte Bewerbung um Bischofssitze üblich, und die Bewerber ricltteten ein Bittgesuch an die kaiserliche Regierung, gleichsam als ob es sich um einen Posten im Staatsdienst handelte. Erst 1799 wurde durch ein Hofdekret dieses Bewerbungssystem abgeschafft; seit 1850 - schon deutlich unter dem Vorzeichen des künftigen Konkordats - gestand die kaiserliche Regierung die Einholung des Rates der Komprovinzialbischöfe bei der Auswahl der Kandidaten zu. Dieser Vorgang wurde schließlich im Konkordat von 1855 rechtlich verankert39 , das dem österreichischen Kaiser das Nominationsrecht auf die meisten Bischofssitze der Monarchie sicherte und das bekanntlich über die 1870 bzw. 1874 einseitig durch Österreich erfolgte Kündigung des Konkordats hinaus in Geltung blieb, d. h. die Nominationsrechte

36 Holhöck (Anm. 34) 337. 37 Plöchl III, 472. 38 Vgl. die entsprechenden Nachweise bei Holhöck (Anm. 34) 327. 39 Art. XIX des Konkordats von 1855.

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wurden vom Kaiser weiterhin beansprucht, und dieser Anspruch wurde von Rom anerkannt4O • Was die Ausübung des Nominationsrechtes seitens der österreichischen Monarchen zumindest in der Zeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Monarchie anlangt, kann sicherlich Willibald Plöchl beigepflichtet werden, der auf die sorgfältige Ausübung dieses Nominationsrechtes seitens der Kaiser hingewiesen und dargelegt hat, daß die Kirche zur Zeit der Geltung des kaiserlichen Nominationsrechts zum Großteil durchaus über geeignete, ja zum Teil hervorragende Gestalten auf den Bischofssitzen verfügte41 . Das bei der (österreichischen) landesfürstlichen Nomination angewandte Verfahren, auf das im einzelnen hier nicht eingegangen werden kann, stellt eine relativ komplizierte Verquickung von Vorgängen auf staatlicher und kirchlicher Ebene dar, die unter Umständen zu erheblichen Verzögerungen bei der Bestellung von Bischöfen geführt haben. Allerdings sind derartige Verzögerungen wohl offensichtlich nicht nur zur Zeit bestehender kaiserlicher Nominationsrechte aufgetreten, sondern sie scheinen auch bei der freien Verleihung seitens des Hl. Stuhles sozusagen systemimmanent zu sein. Und dies, obwohl derzeit42 - im Gegensatz zum früheren Recht, das keinen verpflichtend vorgeschriebenen Amtsverzicht mit Erreichung des 75. Lebensjahres kannte - der Zeitpunkt des Freiwerdens eines bischöflichen Amtes eigentlich von dem Augenblick an bekannt ist, an dem der Inhaber dieses antritt43 . Neben diesen Formen der freien Verleihung des Bischofsamtes und der echten gebundenen Amtsverleihung, kraft der der Nominierte bzw. Gewählte bereits ein ius ad rem in bezug auf das Amt erhält, sind andere Formen zu 40 J. Gelmi, in: Geschichte der katholischen Kirche, hrsg. von J. Lenzenweger/P. Stockmeier/K. Amon/R. Zinnhobler. GrazlWien/Köln 1986,458. 41 Plöchl III, 473. 42 Gemäß c. 401 § 1 CIC/1983 wird ein Diözesanbischof, der das 75. Lebensjahr vollendet hat, "gebeten" (rogatur), seinen Amtsverzicht dem Papst anzubieten, der nach Abwägung al1er Umstände entscheiden wird. 43 Zwischen der Verzichtserklärung seitens des Bischofs und dessen Annahme durch den Papst können al1erdings beträchtliche Zeitspannen (mehrere Jahre) liegen. Abgesehen von jenen Ländern, wo aufgrund politischer Umstände die Einsetzung neuer Bischöfe auf große Schwierigkeiten stößt, hat eine sofortige Annahme des Verzichts beim betroffenen Bischof mitunter Verstimmung ausgelöst, gleichsam als ob damit indirekt ein Tadel an der bisherigen Amtsführung ausgedrückt werden sol1e. Umgekehrt könnte das Hinausschieben der Verichtsannahme als einschlußweise Belobigung gedeutet werden.

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erwähnen, die eine Mitwirkung ortskirchlicher Gremien vorsehen, ohne daß deren Vorschlag gleichartige Rechtsverbindlichkeit zukommt. Hier ist in erster Linie das sogenannte Listenveifahren zu erwähnen, das verschiedene rechtliche Ausformungen erlangt hat und zum Teil bereits Bestandteil der gegenwärtigen Rechtsordnung ist. Ältestes Anwendungsgebiet eines Listenverfahrens ist Irland. Nach 1766 entwickelte sich dort ein Verfahren, das im Ergebnis auf die Erstellung eines Vorschlags mit mindestens drei für das Bischofsamt geeigneten Kandidaten hinausläuft. Zum Teil wurde diese Liste von den Kapiteln (wo es solche noch gab) erstellt und dem Metropoliten sowie den Komprovinzialbischöfen zur Begutachtung vorgelegt. In anderen Diözesen beteiligten sich sämtliche Pfarrer an der Erstellung einer Liste. Dieser Vorgang wurde "domestical nomination" genannt. Weder für die Bischöfe, denen der Vorschlag zugeleitet wurde, noch für die Römische Kurie hatten diese Vorschläge rechtliche Verbindichkeit. 1829 wurde durch ein Dekret der Propagandakongregation "Cum ad gravissimum"44 der Vorgang der domestical nomination näher geregelt; wahlberechtigt waren die Pfarrer und (soweit vorhanden) die Kapitel. Das Dekret hebt ausdrücklich hervor, daß die Vorschläge für den HI. Stuhl nicht rechtsverbindlich seien45 . Das irische Listenverfahren wurde später in etwas abgeänderter Form auf die USA ausgedehnt und durch ein Dekret der Propagandakongregation "Cum ad Religionis incrementum" (1834) geregelt46 .

IV. Die gegenwärtige Rechtslage Diese ist durch mehrere "Schichten" von kanonischem Recht bzw. Staatskirchenrecht geprägt. Zum einen ist das Allgemeine Recht anzuführen, zum anderen bestehendes Konkordatsrecht, das grundsätzlich dem Allgemeinen 44 CICFontes VII, 266-269, Nr. 4746.

45 Im erwähnten Dekret wird betont, daß in dem dem Hl. Stuhl zu übersendenden Dokument nicht der Anschein erweckt werden dürfe, es handle sich um eine Wahl, Nomination oder Postulation. In Wirklichkeit liege nur eine einfache Empfehlung (simplex commendatio) vor. Was die äußere Form dieses dem Hl. Stuhl zu übersendenden Schriftstücks anlage, so müsse es als Bittschrift (supplex libellus) abgefaßt sein, so daß völlig klar ersichtlich sei, daß daraus dem Hl. Stuhl keinerlei Verpflichtung erwachse, irgendeinen der empfohlenen Kandidaten tatsächlich zum Bischof zu ernennen. 46 PlöchllIl, 475 f.

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Recht vorgeht (c. 3 CIC/1983). Was das allgemeine katholische Kirchenrecht betrifft, so besteht ein auffallender Unterschied zwischen dem Recht der Lateinischen und dem der (Unierten) Orientalischen Kirchen. In letzterem ist das Bischofswahlrecht neuestens durch den am 18. 10. 1990 promulgierten "Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium47 geregelt, wonach Residential-(Eparchial-)bischöfe ebenso wie Titularbischöfe grundsätzlich durch die Bischofssynode des Patriarchats gewählt werden (c. 181 § 1). Hierbei sind zwei Modalitäten möglich: Zum einen wird, unabhängig von einem konkreten Erledigungsfall, von der Bischofssynode dem Hl. Stuhl eine Liste von für das Bischofsamt geeignet erscheinender Kandidaten vorgelegt. Der Hl. Stuhl gibt bezüglich der einzelnen Kandidaten seine Zustimmung und erklärt damit, daß diese zum Bischof gewählt werden können. Die einmal gegebene Zustimmung gilt bis zu ihrem ausdrücklichen Widerruf. Wird nun ein solcher Kandidat gewählt, so bedarf es keiner Bestätigung der Wahl seitens des Hl. Stuhles, sondern lediglich einer Mitteilung, wenn der Betreffende die Wahl angenommen hat (c. 184 § 2). - Zum anderen ist aber auch die Wahl eines Kandidaten möglich, für den keine vorausgehende Zustimmung des Hl. Stuhles vorliegt. In diesem Fall ist allerdings das Wahlergebnis gegenüber allen, auch dem Gewählten, geheimzuhalten, bis die römische Zustimmung eingetroffen ist (c. 185 §§ 1 und 2). In der Lateinischen Kirche ist gerade in jüngster Zeit der schon vom CIC/1917 aufgestellte Grundsatz "Bischöfe werden frei vom Papst ernannt" (c. 329 § 2) noch stärker akzentuiert und allen Bestrebungen, ein irgendwie geartetes "Mitspracherecht" teilkirchlicher Gremien zu erreichen, eine deutliche Absage erteilt worden. Zur Zeit der Promulgation des CIC/1917 stellte allerdings der genannte Grundsatz angesichts zahlreicher, noch bestehender Formen der gebundenen Amtsverleihung - für Österreich wurde beispielsweise das dem Kaiser zustehende Nominationsrecht (Art. XIX des Konkordats von 1855) durch den CIC/1917 nicht berührt - eher einen in die Zukunft gerichteten Appell des Gesetzgebers dar. Heute stellt das freie Ernennungsrecht des Papstes den überwiegenden Regelfall dar.

Ein echtes, freies (d. h. nicht auf einen päpstlichen Ternavorschlag eingeschränktes) Wahlrecht gibt es nur mehr in den Schweizer Diözesen Basel und

47 AAS 82 (1990) 1033-1363. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Orientalischen Codex vgl. MP "Cleri Sanctitati" 11. 6.1957, in: AAS 49 (1957) 433-603; ce. 251257. Dazu V. J. Pospishil, Code of Oriental Canon Law. The Law on Persons. Pord City, Pa 1960, 128 f.

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St. Gallen48 • Diese Wahlrechte sind durch Konkordate abgesichert49 und werden daher weder durch den CIC/1917 noch durch den CIC/1983 berührt. Rechtsgrundlage für das nunmehr dominierende freie Ernennungsrecht des Papstes (c. 377 § 1) ist einerseits der CIC/1983, andererseits das Schreiben des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche vom 25. 3. 1972 mit den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen (Normae)50. Partikularrechtlich sind die mit einzelnen Ländern abgeschlossenen Konkordate zu erwähnen. Das für die Lateinische Kirche geltende Allgemeine Recht unterscheidet wie schon das frühere Recht zwischen einem absoluten und einem relativen Listenverfahren. Ersteres bedeutet, daß unabhängig von einem konkreten Erledigungsfall dem Hl. Stuhl Listen von für das Bischofsamt geeigneten Kandidaten aus dem Welt- und Ordensklerus zu übermitteln sind; letzteres ist für eine bestimmte neu zu besetzende Diözese vorgesehen. Die absoluten Listen zu erstellen ist teils Recht jedes Diözesanbischofs, teils fällt dies in die Kompetenz der sog. "kleinen" Bischofskonferenz. Darunter ist nicht die aus den 48 H. Maritz, Das Bischofswahlrecht in der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung im Bistum Basel nach der Reorganisation (= MThS III. Kan. Abt. Bd. 36). St. Ottilien 1977,96 und 103. 49 Für Basel: Konkordat vom 13. 7. 1828; für St. Gallen 7. 11. 1845 bei Maritz (Anm. 48) 44 und 103. - Demgegenüber besitzt Chur kein konkordatär gesichertes Bischofswahlrecht. Das bis zur Auflösung des HI. Römischen Reiches (1803) für Chur aufgrund des Wiener (Aschaffenburger) Konkordats von 1448 anwendbare Bischofswahlrecht durch das Domkapitel wurde nach 1803 in ein päpstliches Privileg umgewandelt. Mit Inkrafttreten des CICI1917 wurde aber das bisherige Privileg aufgehoben, da ein normativer Widerspruch zwischen diesem und c. 329 § 2 CIC/1917 bestand. Der Vorbehalt des c. 3 zugunsten der Konkordate kam nicht zum Tragen, da - wie bereits ausgeführt - seit 1803 ein Bischofswahlrecht nicht mehr aufgrund des (Wiener) Konkordats, sondern aufgrund eines päpstlichen Privilegs bestand. Seit 1948 wählt das Domkapitel aus einem ihm vom Papst vorgelegten Ternavorschlag. Vgl. Maritz (Anm. 48) 104 f. Das Wahlrecht des Churer Domkapitels wurde allerdings bereits mehrmals von seiten des HI. Stuhles durch die Ernennung eines Bischofskoadjutors (c. 403 CIC/1983; frühere Bezeichnung: Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge, c. 350 § 2 CIC/1917) umgangen. Die Ernennung von Wolfgang Haas zum Bischofskoadjutor von Chur im Jahre 1988 hat nicht nur die Frage der Opportunität, sondern auch der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens aufgeworfen. Vgl. dazu W Gut, Zur Ernennung eines Koadjutors des Bischofs von Chur, in: ders., Politische Kultur in der Kirche. Religion-Politik-Kultur in der Schweiz, hrsg. von U. Andermatt, Bd. 4. Freiburg/Schw. 1990,72-113. 50 AAS 64 (1972) 386-391. Vgl. dazu H. Schmitz, in: Nachkonziliare Dokumentation Bd. 38. Trier 1974, 115-151.

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gesamten Bischöfen eines Landes bestehende Bischofskonferenz, sondern sind die Bischöfe einer Kirchenprovinz zu verstehen. Wenn die Gesamtbischofskonferenz eine derartige Liste erstellen will, ist vorher der Hl. Stuhl davon in Kenntnis zu setzen51 • In diesen wie auch in anderen noch zu besprechenden Details zeigt sich eine gewisse Zurückhaltung des Gesetzgebers, den Vorgang der Kandidatenermittlung für das Bischofsamt einem zu großen Gremium anzuvertrauen. Die Gründe hiefür scheinen auf der Hand zu liegen: je größer das Gremium ist, desto schwieriger ist es, bezüglich der von diesem ermittelten Kandidaten die erforderliche Diskretion zu wahren; außerdem vergrößert sich das (moralische) Gewicht der solcherart zustandegekommenen Liste von Kandidaten, d. h. es würde praktisch schwer fallen, einen in diesem Ermittlungsverfahren überhaupt nicht Erwähnten zum Bischof zu ernennen. Auf dieser sog. "kleinen" bzw. regionalen Bischofskonferenz sollen in regelmäßigen Abständen Kandidatenlisten erarbeitet oder bereits erstellte auf den neuesten Stand gebracht werden, sei es, daß bisher vorgeschlagene Kandidaten ausgeschieden werden, sei es, daß neue hinzukommen. Über die bei dieser Konferenz vorgeschlagenen Kandidaten wird eine mündliche Aussprache gehalten und einzeln abgestimmt. Die auf diese Weise erstellte Liste ist zusammen mit dem vollständigen Sitzungsprotokoll im Wege des Päpstlichen Legaten dem Hl. Stuhl vorzulegen52 . Interessant ist, daß grundsätzlich weder die gesamte Bischofskonferenz noch auch deren Vorsitzender von dieser Liste Kenntnis erlangt. Dem Vorsitzenden der gesamten Bischofskonferenz ist die Kandidatenliste nur dann vorzulegen, wenn die Bischofskonferenz vorher mit Zweidrittelmehrheit einen diesbezüglichen Beschluß gefaßt hat. Der Vorsitzende hat dann das Recht, zu der Liste zusätzliche Bemerkungen und Angaben zu machen. - Und ebenfalls über eine Zweidrittelmehrheit ist es möglich, daß das ständige Gremium der Konferenz oder eine nicht zu große, aus Mitgliedern der Vollversammlung für bestimmte Zeit gewählte Sonderkommission unter Leitung des Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenz die angeführten Bemerkungen und Angaben macht53 • Diese Listen sind zwar, wie das genannte Schreiben ausführt, zu berücksichtigen, sie beeinträchtigen aber andererseits nicht die Freiheit des Papstes, 51 Nonnae, Art. 11. Vgl. c. 377 § 2 CIC/1983. 52 Nonnae, Art. III-IX. 53 Nonnae, Art. X, 1-2.

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dem aufgrund seines Amtes immer das Recht zusteht, auch von anderer Seite vorgeschlagene Männer auszuwählen und zu ernennen54 . Beim sog. relativen Listenveifahren, d. h. bei der konkret anstehenden Besetzung eines vakanten Bischofsstuhles kommt nach gegenwärtigem Recht dem Nuntius eine Schlüsselstellung zu. Er hat zunächst einen "ausführlichen und sorgfältigen Bericht über den Stand und die Erfordernisse" der Diözese vom interimistischen Leiter derselben bzw. vom noch amtierenden Diözesanbischof anzufordern. Auch der Klerus und die Laien können befragt werden, vor allem die nach dem kanonischen Recht eingesetzten Organe (insbesondere wäre hier an den Priesterrat und Pastoralrat zu denken). Bevor ein Kandidat zum Bischof ernannt wird, nimmt der HI. Stuhl sorgfältige und weitergehende Nachforschungen55 vor. Die Durchführung dieser Nachforschungen wird ebenfalls dem Päpstlichen Legaten übertragen, der entsprechend formulierte Fragen Geistlichen (Bischöfen, Priestern, Ordensmännern) vorlegt; es können aber auch "kluge und wirklich bewährte Laien befragt werden, die nützliche Kenntnisse von dem Kandidaten haben"56. Bezüglich des dem Apostolischen Stuhl vorzulegenden Dreiervorschlages ist es, abgesehen von jenen Fällen, die durch Sonderrecht, Gewohnheitsrecht oder auf andere Weise rechtlich ausgenommen sind, Aufgabe des Päpstlichen Legaten, einzeln zu befragen den Metropoliten und die Suffraganbischöfe der entsprechenden Kirchenprovinz sowie den Vorsitzenden der Nationalen Bischofskonferenz. Der Päpstliche Legat übermittelt deren Äußerungen mit seiner eigenen Stellungnahme dem Apostolischen Stuhl; außerdem kann er, wenn er es für opportun hält, einige Persönlichkeiten aus dem Domkapitel oder dem Gremium der Diözesankonsultoren sowie aus dem Welt- und Ordensklerus hören, vor allem Mitglieder des (bei besetztem Bischofsstuhl bestehenden) Priesterrates. Bei Weihbischöfen soll ähnlich verfahren werden57 . 54 Nonnae, Art. XI, 2. 55 Nonnae, Art. XII und XIII. 56 Nonnae, Art. XII, 2. 57 Nonnae, Art. XIII, 3. - Der deutsche Ausdruck "Weihbischof' kann im gegen-

wärtigen kanonischen Recht Verschiedenes bedeuten. Zum einen wird darunter der "Episcopus auxiliaris" (c. 403 §§ 1 und 2) verstanden, zum anderen der "Episcopus coadiutor" (ebd. § 3). Ersterer wird entweder auf Wunsch des Diözesanbischofs vom Hl. Stuhl ernannt, oder ohne einen solchen "bei Vorliegen schwerwiegender Umstände, auch persönlicher Art" dem Diözesanbischof vom Hl. Stuhl beigegeben (c. 403 § 2). Dieser letztgenannte Auxiliarbischof ist mit besonderen Befugnissen ausge-

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Das hier erwähnte Allgemeine Recht verweist ausdrücklich auf bestehendes Sonderrecht, das in Geltung bleibt. Daher ist noch kurz auf dieses Sonderrecht für den deutschsprachigen Raum einzugehen. Abgesehen von dem bereits erwähnten völlig freien Wahlrecht einiger Schweizer Diözesen besitzen Salzburg und die dem Preußischen sowie Badischen Konkordat unterliegenden deutschen Bistümer ein eingeschränktes Wahlrecht aus einem päpstlichen Ternavorschlag. Der Erstellung dieses Vorschlags ist nochmals ein besonderes relatives Listenverfahren vorgeschaltet. Zufolge Art. 6 des Preußischen Konkordats (1929) haben sowohl das betreffende Metropolitan- oder Diözesankapitel wie auch die Erzbischöfe und Bischöfe Preußens dem HI. Stuhl Listen von geeigneten Kandidaten vorzuschlagen. Ebenso legt nach Art. III des Badischen Konkordats (1932) das Domkapitel nach Erledigung des erzbischöflichen Stuhles (von Freiburg) dem HI. Stuhl eine Liste von geeigneten Kandidaten vor. Und schließlich sagt Art. 14 des Bayerischen Konkordats (1924), daß das beteiligte Kapitel bei Erledigung eines Bischofssitzes dem HI. Stuhl eine Liste von geeigneten Kandidaten überreicht. In den beiden erstgenannten Fällen (dem Preußischen und dem Badischen Konkordat) ist festgelegt, daß der HI. Stuhl "unter Würdigung dieser Listen" den Temavorschlag für das Domkapitel erstellen wird. Beim Badischen Konkordat heißt es zusätzlich, daß unter den drei Benannten mindestens ein Angehöriger der Erzdiözese Freiburg im Breisgau sein wird. - Eine derartige Bindung des Apostolischen Stuhles an eingereichte Listen besteht in Salzburg nicht. Wenngleich im Bayerischen Konkordat zwar kein Recht für das Domkapitel enthalten ist, den Bischof aus einem päpstlichen Temavorschlag zu wählen, so ist doch eine noch stärkere Bindung an die seitens des betreffenden Kapitels wie der sonst von den bayerischen Bischöfen und Kapiteln eingereichten (absoluten) Listen zu vermerken, da der HI. Stuhl "unter diesen", d. h. in den Listen enthaltenen Namen einen Kandidaten frei auswählt58 . In allen angeführten Konkordaten, auch im österreichischen, ist die sog. politische Klausel enthalten, d. h. der HI. Stuhl verpflichtet sich, vor der Ernennung bzw. Bestätigung eines gewählten Bischofs bei der Bundes- bzw.

stattet, die eine teilweise Ausschaltung des Diözesanbischofs von der Leitung seiner Diözese zum Inhalt haben. - Der "Episcopus coadiutor" (Bischofskoadjutor) hat im Gegensatz zum Auxiliarbischof das Nachfolgerecht; auch er besitzt "besondere Befugnisse" (c. 403 § 3). 58 Vgl. Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von J. Lisrl. Berlin 1987.

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Landesregierung anzufragen, ob gegen den Kandidaten Erinnerungen (Gründe) "allgemein politischer Natur" bestehen59 . Die geschilderte Entwicklung zeigt, daß der Papst gegenwärtig im Bereich der Lateinischen Kirche weitestgehend die Initiative bei der Ernennung von Bischöfen in der Hand hat. Dominierend ist die freie Ernennung seitens des Papstes; dort, wo konkordalär ein Wahlrecht des Domkapitels vorgesehen ist, kann dieses, mit Ausnahme der Schweizer Diözesen Basel und St. Gallen, nur aus einem päpstlichen Ternavorschlag wählen. Es bestand allerdings bis in die jüngste Vergangenheit die Gepflogenheit, die Anregungen der Ortskirche aufzugreifen und sie bei der Kandidatenauswahl zu berücksichtigen, so daß der von Papst Cölestin I. (422-432) stammende Satz "Nullus invitis detur episcopus"60 Beachtung gefunden hatte. In jüngster Zeit machen sich allerdings Tendenzen bemerkbar, die befürchten lassen, daß das bei der Handhabung des rechtlichen Instrumentariums der Bischofsbestellung so notwendige Fingerspitzengefühl und die erforderliche Ausgewogenheit abhanden gekommen sind61 . Die konkrete Ausgestaltung rechtlicher Einrichtungen in der Kirche ist immer auf den Prüfstein ihrer ekklesiologischen Stimmigkeit gestellt. Was die Bischofsernennungen betrifft, so ist gerade hier zu bedenken, daß die katholische Kirche kein monolithischer Machtblock, keine einzige große Weltdiözese ist, sondern daß sie in und aus den Teilkirchen62 besteht, deren Vorsteher keine Vikare des Papstes sind, sondern eine ihnen kraft göttlichen Rechts zukommende eigenberechtigte Gewalt besitzen63 . Die Frage, ob dem gegenwär-

59 Für Österreich Art. IV § 2 des Konkordats und ZusProt zum genannten Art. Der pointierte Hinweis auf Gründe allgemein politischer Natur bedeutet nach Köstler, daß parteipolitische Gründe außer Betracht zu bleiben haben. R. Köstler, Das neue österreichische Konkordat, in: ZÖR 15 (1936) 11. 60 C. 13 D LXI. 61 Vgl. dazu die "Erklärung des Domkapitels von Salzburg zur Person des gewählten Erzbischofs Dr. Georg Eder", in: KathPress 30. 12. 1988, H. - Bezüglich der Vorgänge um die Wahl des Kölner Erzbischofs H. Grote, Papst und Bischöfe. Debatte um den CIC (IX), in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 40/1989,29. 62 C. 368 CIC/1983 (vgl. LG 23): "Ecclesiae particulares, in quibus et ex quibus una et unica Ecclesia catholica exsistit ... " 63 H. Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR, 341.

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tigen kirchenrechtlichen System zufolge die Teilkirchen angemessen an der Bischofsbestellung beteiligt sind, wird zu Recht gestellt64 .

64 In der im gegenwärtigen (lateinischen) Kirchenrecht verankerten Ernennung von Bischöfen ausschließlich durch den Papst erblickt Greshake ein "pneumatologisches Defizit", weil der kommunialen Struktur der Kirche nicht Rechnung getragen wird. G. Greshake, Bischofsernennungen im Lichte einer Theologie des kirchlichen Amtes und einer Communio-Ekklesiologie, in: ders. (Hrsg.), Zur Frage der Bischofsernennungen (Anm. 14) 128 f. Einen detaillierten Vorschlag für die Wahl des Bischofs durch Kleriker und Laien mit nachfolgender päpstlicher Bestätigung unterbreitet neuerdings M. Kaiser, Besetzung der Bischofsstühle. Erfahrungen und Optionen, in: AkKR 158 (1989) 69-90, insbes. 85-90.

11. Grundfragen

Der Weg der Kirche ins 21. Jahrhundert und das kanonische Recht Die von dem verstorbenen Papst Johannes XXIII. als eines der Ziele des Vatikanischen Konzils bezeichnete Anpassung des kanonischen Rechts ("aggiornamento deI Codice deI Diritto Canonico")l, stellt ganz ohne Zweifel ein Unternehmen dar, von dessen Gelingen die Kirche von morgen entscheidend mitbeeinflußt wird. Das weltweite Echo, das das nunmehr zur Wirklichkeit gewordene, von Papst Paul VI. fortgesetzte Konzil gefunden hat und immer noch fmdet, bezieht sich daher in einem nicht geringen Ausmaß auf die Frage, wie die künftige Rechtsentwicklung verlaufen werde. An mehr oder weniger weitreichenden und detaillierten Vorschlägen und Wünschen hinsichtlich dieser Neugestaltung des kanonischen Rechts, eines "Codex repetitae praelectionis", fehlt es keineswegs2 . Gegenstand dieser Zeilen ist es jedoch nicht, diese Anregungen summarisch wiederzugeben oder einer Prüfung zu unterziehen, es soll vielmehr, dem Wunsch der Redaktion dieser Zeitschrift entsprechend, das aufgezeigt werden, was sich bereits mit einiger Sicherheit voraussagen und als ein Kommendes erahnen läßt. Damit sind wir freilich bei einer gewissen Schwierigkeit angelangt: Eine zukünftige Rechtsentwicklung läßt sich mitunter nur in sehr groben Umrissen andeuten und ist überdies von der persönlichen Ein- und Ansicht des Verfassers nicht immer völlig freizuhalten. Wenn hier trotzdem ein Versuch in dieser Richtung gewagt wird, so ist sich der Verfasser dieser Zeilen an erster Stelle der Bedingtheiten eines solchen Unternehmens bewußt. Ein kurzes Wort noch zur Abgrenzung des Themas: Wir zeigen hier nur jene Punkte auf, wo sich unserer Meinung nach schon eine einigermaßen erkennbare Linie der Entwicklung abzuzeichnen beginnt; andere Bereiche, wo zwar eine Änderung wahrscheinlich ist, ohne eine bestimmte Richtung erkennen zu lassen, werden nicht behandelt. Ferner wird nur das im Codex Iuris Canonici (CIC) enthaltene Recht erörtert, woraus sich unter anderem

1 AAS 51 (1959),68. 2 Einen guten Überblick über diese Vorschläge bietet A. Szenlirmai, Zur bevorstehenden Refonn des kanonischen Rechts. Vorschläge und Entwicklungstendenzen, in: AÖR 87 (1962) 67-81.

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ergibt, daß die - gewiß hochaktuellen - Fragen des liturgischen Rechts bewußt ausgeklammert werden.

I. Es unterliegt wohl keinem Zweifel mehr, daß das Schwergewicht des angekündigten "aggiornamento" des eIe weniger in einer rein formellen Verbesserung der mit Recht oft beklagten gesetzestechnischen Mängel (etwa der Rechtssprache)3, beziehungsweise in einer redaktionellen Einarbeitung der seit dem Jahr 1918 sehr reichlich fließenden päpstlichen Gesetzgebung4 liegen wird, sondern vielmehr in einer materiellen Um- und Abänderung bestimmter Einrichtungen. Das läßt sich unter anderem aus der noch näher zu erörternden Ansprache Pauls VI. an die römische Kurie entnehmen. Unter den immer wieder in eindringlicher Weise an das gegenwärtige Konzil herangetragenen Wünschen nimmt der nach Abbau des, vielen überspitzt erscheinenden, römischen Zentralismus und nach Stärkung der Autorität untergeordneter Organe, vor allem der Bischöfe, einen besonderen Platz ein5 . Es ist ja sicher richtig, daß der Zentralismus in der Vergangenheit bisweilen ein Gebot der Stunde darstellte, um den unter den verschiedenen Namen und Formen auftauchenden zentrifugalen, landeskirchlichen Bestrebungen einen Riegel vorzuschieben. In den Konzilsdebatten wurde mitunter sogar darauf hingewiesen, daß derartige Überlegungen auch heute ihre Aktualität nicht voll eingebüßt hätten, wobei jedoch die Gefahr nicht von seiten der Bischöfe ausgehe, sondern vielmehr von den weltlichen Machthabern in manchen Ländern, die nichts unversucht lassen, die Kirche unter ihre Botmäßigkeit zu bringen6 • - Aber von diesen Fällen abgesehen, könne doch gesagt werden, daß sich der Zentralismus mit der Vervollkommnung der Kommunikationsmittel derart ausgestaltet habe, daß die örtliche Hierarchie nur mehr zu einem Vollzugsorgan der vom Zentrum ausgehenden Weisungen erscheine; gerade diese durch die Technik ermöglichte leichte Verbindung mit Rom sei

3 Vgl. K. Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Iuris Canonici (Paderborn 1937). 4 S. Mayer, Neueste Kirchenrechtssammlung, 4 Bände (Freiburg/Br. 1951 ff.); C. Sartori, Enchiridion canonicum (Rom 1961). 5 W. de Vries, Römische Zentralgewalt und örtliche Autonomie in der Ostkirche, in: StZ 87 (1961/62) 46. 6 Vgl. den offiziellen Bericht über die 43. Sitzung des Konzils, in: L'Osservatore Romano, 9. Oktober 1963, 3.

Der Weg der Kirche ins 21.1ahrhundert und das kanonische Recht

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es aber auch, die eine "Dezentralisierung ohne Gefahr der Desintegragtion " ermögliche7 . Dieser Wunsch hängt indes mit einem Problem von weitaus größerer Tragweite zusammen. Das erste Vaticanum hat, wie ja gerade jetzt wieder des öfteren betont wurde, sich darauf beschränkt, die Stellung des Papstes gegenüber der Gesamtkirche zu definieren, während eine theologisch-kanonistische Erfassung des Bischofsamtes bis heute ein Desiderat geblieben ist. Nun wurde aber gerade in den Diskussionen der beiden Sitzungsperioden des Konzils und in dem damit zusammenhängenden theologischen und kanonistischen Schrifttum ein bisher nicht genügend beachtetes, bisweilen vielleich sogar übersehenes Element des kirchlichen Verfassungsrechts neu herausgearbeitet: die Tatsache, daß das Bischofsamt nicht eine "atomare" Größe bildet, dergestalt, daß der einzelne Ordinarius loci in seiner Hirtengewalt und -sorge nur auf ein bestimmtes, meist territorial abgegrenztes Gebiet beschränkt ist, sondern daß die Gesamtheit der Bischöfe, die - als Nachfolger des Apostelkollegiums - mit dem Papst an der Spitze das Bischofskollegium bildet, auch für das Wohl der Gesamtkirche verantwortlich ist. Im Zusammenhang mit der gewünschten Dezentralisierung müsse daher auch diesem kollegialen Element Rechnung getragen werden 8 • Im gegenwärtigen Kirchenrecht sucht man vergeblich nach einer näheren Konkretisierung dieser Gedanken, ja, man wird nicht fehlgehen mit der Behauptung, daß die erwähnte atomistische Auffassung des Bischofsamtes, möglicherweise im Anschluß an die Worte des ersten Vaticanums, "Episcopi ... assignatos si bi greges singuli singulos pascunt et regunt"9, zu einem Grundpfeiler des kirchlichen Verfassungsrechts geworden ist. So werden beispielsweise in den beiden, die Sectio 11 ("De c1ericis in specie") des zweiten Buches des CIC bildenden Titel (VII = cc. 218-328, bzw. VIII = cc. 329486) die päpstliche Gewalt einerseits und die bischöfliche andererseits angeführt, wodurch der Eindruck einer strengen Scheidung und Abgrenzung (was sicher richtig ist) entsteht, ohne daß jedoch der Zusammenordnung und Zusammenfassung beider Gewalten in dem einen Bischofskollegium mit dem Papst als dessen hierarchischer Spitze auch nur Erwähnung getan wird.

7 Vgl. dem mit *** gekennzeichneten Artikel, in: Wort und Wahrheit, 18 (1963) 329. 8 Vgl. P. Fransen, Die Reorganisation des Konzils. Erfahrungen aus der ersten Session zum Nutzen der kommenden, in: Wort und Wahrheit 18 (1963) 249 ff. 9 H. Denzinger/C. Bannwart, Enchiridion Symbolorum, Nr. 1828. 13 Primetshofer

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Daß die Bestrebungen um die Herausarbeitung dieses kollegialen Elements der kirchlichen Verfassung, das wir hier nur in seinen Grundzügen anführen konnten 10 , schon bei Johannes XXIII. und nicht minder bei dem gegenwärtigen Heiligen Vater auf Widerhall gestoßen sind, davon gibt die bereits erwähnte Ansprache an die römische Kurie vom 22. IX. 1963 11 Zeugnis. Konkret gesprochen, scheint sich hinsichtlich der Neuordnung der Kurie eine Abtretung gewisser Funktionen seitens der römischen Behörden an die Bischöfe sowie auch die ständige Einrichtung eines aus regierenden Diözesanbischöfen bestehenden Senats abzuzeichnen, der dem Papst bei sämtlichen Fragen der Kirchenregierung zur Seite stünde, mithin sachlich nicht beschränkt wäre 12 . Die Einrichtung dieses Bischofskollegiums würde die Kurie, bezüglich der im übrigen eine noch entschlossener als bisher durchgeführte Internationalisierung im Beamtenstab ebenfalls bereits sicher scheint 13 , nicht überflüssig machen, sondern sie würde ihre exekutiven Vollmachten beibehalten, wäre aber allerdings dem Bischofskollegium nicht über-, sondern untergeordnet. Es sei nicht verkannt, daß sich der Verwirklichung dieses Projekts einige Schwierigkeiten entgegenstellen. Erstens einmal die Befürchtung, daß bei dem allen menschlichen Einrichtungen eigenen "Gravitätsgesetz" der erwähnte Bischofssenat doch wieder so etwas wie eine Kurie würde, die dazu neigt, die Dinge von dem begrenzten örtlichen (in diesem Fall römischen) Standpunkt aus zu betrachten. Man hätte dann statt der bisherigen noch eine übergeordnete Zentralbehörde, und statt den Zentralismus abzubauen, würde er vielmehr noch verstärkt. - Diesem Einwand wäre am ehesten dadurch zu begegnen, daß die Bischöfe, deren Auswahl selbstverständlich die Universalität der Kirche repräsentieren müßte, etwa jährlich ausgetauscht würden. Damit würde sich gleich eine andere Schwierigkeit, nämlich die der länger dauernden Abwesenheit der Bischöfe von ihren Diözesen, erledigen. Daß sich die mit dieser notwendigen Abwesenheit sicherlich verbundenen Unzukömmlichkeiten durch eine Dezentralisation und mutige Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auch im Bereich der Diözese weitgehend ausschalten ließen, sei hier nur am Rande vermerkt. Es wäre zum Beispiel eine Entlastung der Bischöfe selbst im Bereich der Weihegewalt denkbar, da man die 10 Ausführlich darüber K. Rahner/J. Rarzinger, Episkopat und Primat (Quaestiones disputate, Nr. 11), Freiburg/BaseUWien 1961, 78 ff.; K. Rahner, Über Bischofskonferenzen, in: StZ 88 (1962/63) 267 ff. 11 L'Osservatore Romano, 22. September 1963, 1 f. 12 L'Osservatore Romano, ebd., 2. Im übrigen kündigte Papst Paul VI. auch eine bevorstehende Reorganisation der Kurie an, die ja bezüglich ihrer Kompetenzverteilung im wesentlichen noch auf die Kurialreform Pius' X. vom Jahre 1908 zurückgeht. 13 L'Osservatore Romano, ebd. - Vgl. auch die Ausführungen in: Wort und Wahrheit, 18 (1963) 330 ff.

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Spendung der Firmung durchaus den Priestern übertragen könnte, wie dies ja auch bei den unierten orientalischen Riten der Fall ist. Daß bestimmte Verwaltungsaufgaben in noch größerem Maß als bisher an untergeordnete Organe abgetreten werden könnten (Dechant, Pfarrer und eventuell auch Laien), sei hier ebenfalls erwähnt. Die letzten Päpste, vor allem Pius XII., haben unablässig auf die Notwendigkeit einer zeitgemaßen Erneuerung der Stande der Vollkommenheit hingewiesen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß in diesem Zusammenhang auch einige kirchenrechtliche Bestimmungen den geänderten Zeitverhältnissen angepaßt werden müssen. Vor allem müßte in den "canones praeliminares" des Ordensrechts der theologische und ekklesiologische Ort des Rätestandes etwas besser umschrieben werden, als es die gegenwärtige, theologisch sehr "dünne" Aussage des c. 487 tut. Von hier aus wäre auch gleich die mit dem Religiosenstand notwendig verbundene Verpflichtung zu einem zeitgemäßen Apostolat zu betonen, was besonders auch für die weiblichen Verbände zu gelten hätte, deren apostolisches Potential ja weithin noch unausgenützt ist. Es dürfte durchaus richtig sein, wenn Kardinal Suenens schreibt, daß die Ordensfrau, nicht zuletzt infolge allzu eng gezogener kirchenrechtlicher Schranken (wobei dieses Kirchenrecht ein Frauenbild vergangener Jahrhunderte konserviert), in der Welt von heute bei weitem nicht die Stellung einnimmt, die der Frau im allgemeinen zukommt l4 . Freilich ist hier auch zu sagen, daß es sich bei dieser zeitgemäßen Erneuerung zu einem nicht unwesentlichen Teil auch um eine Änderung in der Mentalität handelt, die der Einflußnahme seitens des Gesetzgebers nur sehr indirekt offensteht. Doch desungeachtet bleibt für kirchenrechtliche Maßnahmen, teils durch Abbau gewisser überholter Einrichtungen, die die Bewegungsfreiheit und Privatinitiative des einzelnen über Gebühr einengen, teils durch die verbindliche Anordnung der für diese Erneuerung notwendigen Direktiven, noch ein reichliches Betätigungsfeld. Der weitere Ausbau der in den letzten Jahren seitens des Heiligen Stuhles schon geförderten und auch schon weitgehend verwirklichten Zusammenarbeit der Religiosen 15 wäre überaus nützlich. Man wird ohne Übertreibung sagen können, daß vom Gelingen dieser zeitgemäßen Erneuerung des Ordensstandes der Weg der Kirche in die Zukunft entscheidend mitbeeinflußt werden wird. Wiederholt wurde im Zusammenhang mit der Reform des Ordensrechtes auch eine Einschrankung und Exemtion der Religiosen und eine über das bisherige Recht hinausgehende Unterstellung unter den Diözesanbischof gefordert. Der Gesetzgeber wird sich jedoch in diesem Punkt wohl kaum der Erwägung verschließen können, daß das Apostolat der Ordensgemeinschaften 14 L. J. Suenens, Krise und Erneuerung der Frauenorden (Salzburg 1962) 32, 103. 15 G. Nardin, Il movimento d'unione tra i Religiosi (Roma 1961).

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eine gewisse überdiözesane Organisation verlangt, und daß bei einer zu weitreichenden Ingerenz der örtlichen Hierarchie dieses Apostolat nicht unwesentlich beeinträchtigt, in extremen Fällen vielleicht sogar unmöglich gemacht werden könnte. Aufs Ganze gesehen, wäre dann nichts gewonnen, wohl aber viel verloren. Aus dem Gesagten soll nun aber nicht gefolgert werden, daß nicht mancherorts eine bessere Zusammenarbeit der Religiosen untereinander und mit dem Ordinarius loci überaus wünschenswert wäre. Allein, es ist nicht wahrscheinlich, daß der Gesetzgeber den Weg einer erweiterten Unterstellung der Religiosen unter den einzelnen Diözesanbischof vornimmt, es dürften eher den Bischofskonferenzen diesbezüglich erweiterte Befugnisse eingeräumt werden. Die Zusammenarbeit der Religiosen mit den Bischöfen ließe sich am ehesten dadurch erreichen, daß die nunmehr schon in sehr vielen Ländern bestehenden Superiorenkonferenzen (Zusammenschluß der höheren Oberen der im Land tätigen Religiosen) zusammen mit der Bischofskonferenz eine gemeinsame Operationsbasis bilden, um hier in kollegialer Brüderlichkeit die Notwendigkeiten der Seelsorge zu erörtern und eventuell bindende Beschlüsse zu fassen. Auf diese Weise wäre es möglich, den pastoralen Notwendigkeiten bei grundsätzlicher Wahrung der spezifischen Aufgabe jedes Verbandes entgegenzukommen. Es ist hier nicht der Ort, die Vorteile, die diese erwähnte Kontaktaufnahme zwischen Bischofs- und Superiorenkonferenz mit sich bringen würde, zu erörtern (in Österreich ist übrigens dieses Projekt schon teilweise verwirklicht I6 ), aber es hat den Anschein, als ob das Problem der Exemtion auf diese Weise am leichtesten einer Lösung zugeführt werden könnte. Unter den mannigfachen Problemen, die im Bereich des kirchlichen Verfassungsrechtes hervorragen, sei eines noch besonders erwähnt, das gerade in den gegenwärtigen Sitzungen des Konzils immer wieder erörtert wird: die Schaffung des Diakonats als selbständige Weihestufe. Es wird hierbei auch gefordert, diese Diakone von der ansonsten mit dem Empfang einer höheren Weihe verbundenen Zölibatspflicht auszuklammern. Vor allem sind es die afrikanischen Bischöfe, die die Einrichtung eines solchen Diakonats unter Hinweis auf die Notwendigkeiten der Kirche in den Missionsländern fordern I7 . Die Verwirklichung dieses Vorschlags, bei dem die angeführten Vorteile (erweiterte missionarische Tätigkeit) gegenüber den teilweise befürchteten Nachteilen (Rückgang der Priesterberufe) das Übergewicht haben dürften, scheint angesichts so dringender Bitten als überaus wahrscheinlich. 16 Ordensnachrichten, herausgegeben im Auftrage der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs, Heft 2 (1963) 5 ff. 17 B. Maneucci, in: L'Osservatore Romano vom 11. Oktober 1963, 3.

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Daß das künftige kanonische Recht sich auch eingehender als das bisherige mit der Stellung der Laien befassen wird, steht außer Zweifel. Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder gewünscht, nicht nur einseitig die Pflichten, sondern auch die Rechte der Laien herauszuarbeiten l8 . In welchem Ausmaß indes die Gesetzgebung diesen Wünschen Rechnung tragen wird, läßt sich schwer voraussagen.

11. Das kanonische Eherecht ist hinsichtlich nicht weniger Bestimmungen schon seit Jahren zu einem Objekt mehr oder minder fundierter Reformvorschläge geworden. Als das Problem schlechthin, vor allem wegen seiner ökumenischen Konsequenzen, wird hierbei die Frage der Mischehen bezeichnet. In erster Linie ist es die erst durch das gegenwärtige kirchliche Gesetzbuch zur allgemeinen Norm erhobene Formpflicht, derzufolge eine Mischehe bei sonstiger Ungültigkeit vor dem katholischen Trauungspriester eingegangen werden muß, die immer wieder den Ruf nach Abänderung laut werden läßt l9 . Eine Rückkehr zu der vor dem CIC in gewissen Gebieten bestandenen Formfreiheit, wonach eine Mischehe auch gültig wäre, wenn sie vor dem akatholischen Geistlichen oder dem Standesbeamten geschlossen wird, liegt im Bereich des Möglichen. Unserer persönlichen Meinung nach, die wir an anderer Stelle20 ausführlich dargelegt haben, würden sich jedoch mit einer solchen Änderung nicht unbedeutende Nachteile verbinden, die sich kaum durch gesetzgeberische Maßnahmen ausschalten ließen. Was hingegen das Trauungszeremoniell bei Mischehen anlangt, so werden die gegenwärtigen Bestimmungen des kanonischen Rechts, die an sich die Schließung einer Mischehe außerhalb der Kirche anordnen, alle "sacri ritus", Brautmesse und Brautsegen untersagen21 , und damit diese Eheschließung als 18 Vgl. dazu Bischof losej Schoiswohl, Rechte und Pflichten des Laien nach dem geltenden Kirchenrecht, in: Der Laie. Rechte und Pflichten. K. Rudolf (Hrsg.), Wien 1959,45 ff. 19 l. C. Barry, The Tridentine Form of Marriage: Is the Law Unreasonable?, in: Jurist (Washington D.C.) 20 (1960) 159 ff.; O. B. Roegele, Was erwarten wir vom Konzil? (Osnabrück 1961) 38 ff.; O. Karrer, Die Mischehe in seelsorglicher Betrachtung, in: LS 12 (1961) 220 f. 20 B. Primetshojer, Die Formverpflichtung bei Mischehen, in: ThpQ 110 (1962) 17 ff. 21 Cc. 1102 § 2, 1109 § 3. - Hierbei ist nach einer Entscheidung der Päpstlichen Kommission zur Auslegung des CIC nicht nur die eigentliche Brautmesse verboten,

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einen reinen Beurkundungsakt seitens des kirchlichen Trauungs"organs" erscheinen lassen, sicherlich nicht in dieser Form bestehen bleiben. Denn diese Anordnungen, bezüglich derer übrigens dem Ortsbischof eine gewisse Dispensmöglichkeit eingeräumt ist22 , werden wohl kaum den gewünschten Erfolg, nämlich die Gläubigen von der Eingehung von Mischehen abzuhalten, erreichen; eher verursachen sie eine Entfremdung des durch die Mischehe ohnedies schon in seinem Glauben gefährdeten katholischen Teils, und von seiten der Akatholiken wird man ihnen im besten Fall mit Verständnislosigkeit begegnen. Wenn schon das 1949 veröffentlichte orientalische Eherecht23 keine solchen Beschränkungen kennt (hier findet die Trauung zwischen katholischen und "orthodoxen" Christen nicht anders als eine rein katholische statt, d. h. unter Anwendung sämtlicher im Rituale vorgesehener Segnungen usw.), so werden sich die erwähnten Normen des lateinischen Kirchenrechts auch nicht mehr länger rechtfertigen lassen. Hingegen wird den teilweise auch von katholischer Seite her erhobenen Forderungen nach einer Abschaffung der Kautionen hinsichtlich der katholischen Kindererziehung24 sicherlich kein Erfolg beschieden sein. Denn in diesem Punkt sieht sich der kanonische Gesetzgeber einer unübersteigbaren Schranke des göttlichen Rechts gegenüber25 . Bei den Ehehindernissen zeigen sich nicht minder zahlreiche Probleme, die eine gesetzgeberische Regelung erheischen. Die rechtshistorische Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte weist im allgemeinen die Tendenz einer zunehmenden Einengung der ehehindernden Tatbestände auf. Eine weitergehende Entwicklung in dieser Richtung könnte man sich unter anderem so vorstellen, daß die trennenden Ehehindernisse niederen Grades26 , bei denen unter sondern auch eine Privatmesse, wenn diese nach den Umständen als Ergänzung der Trauungszeremonien betrachtet werden kann. Vgl. S. Mayer, (Anm. 4), I, 322. 22 Zitierte cc. - Von dieser Möglichkeit wird bei uns weitgehend Gebrauch gemacht, so daß es wohl nicht vorkommt, daß eine vor dem katholischen Priester geschlossene Mischehe nicht in der Kirche eingegangen wird. 23 Motu proprio "Crebrae allatae" vom 22. Februar 1949; AAS 41 (1949) 89-117. 24 C. 1061 § 1,2. 25 In den letzten Jahren hat sich, vor allem in Missionsgebieten, eine gewisse Milderung dahingehend eingestellt, daß unter Umständen auf die Leistung von formellen Kautionen seitens des akatholischen Teils verzichtet werden kann; es genügen sogenannte "cautiones implicitae" bzw. "aequipollentes". Vgl. Congr. S. Off., 10. Mai 1941, in: AAS 33 (1941) 294; Congr. S. Off., 21. April 1938, bei S. Mayer, (Anm. 4), 11, 318. Dazu J. Bank, Connubia canonica (Romae/FriburgilBarcinone 1959), 155. 26 C. 1042 § 2.

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Umständen die erteilte Dispens ohne Vorhandensein eines sonst nach dem Kurialstil erforderlichen Dispensgrundes gültig ist27 , in einfache, aufschiebende Ehehindernisse umgewandelt werden, falls nicht überhaupt der entsprechende Tatbestand als Ehehindernis fallengelassen wird. Ein anderes Problem stellt die Tatsache dar, daß das kanonische Eherecht bestimmte Umstände, die in den Rechtsordnungen der meisten Staaten als Ehehindernisse erfaßt sind, nicht unter dieselben einreiht. So wird vor allen Dingen die gesetzliche Normierung eines trennenden Hindernisses der arglistigen Täuschung verlangt, dergestalt, daß eine Ehe nichtig sein solle, wenn einer der Partner den anderen über solche Tatsachen böswillig irreführte, die diesen bei Bekanntsein von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten28 . - Am ehesten könnte man sich eine Verwirklichung dieses Vorschlags noch so denken, daß eine Erweiterung der in c. 1083 § 2 angeführten ehehindernden Tatbestände des Eigenschaftsirrtums vorgenommen würde. Denn es ist ja nicht einzusehen, warum ausschließlich der Irrtum über den Sklavenstand eines Ehepartners die Nichtigkeit der Ehe im Gefolge haben sollte (c. 1083 § 2, 2) und nicht auch andere, weit schwerwiegendere Irrtümer (Geschlechtskrankheit, Sterilität)29. Die etwas archaisch anmutende, soeben erwähnte Bestimmung über den Sklavenstand wird im übrigen wohl kaum in den Codex repetitae praelectionis Aufnahme finden. Hinsichtlich der Erweiterung der Ehehindernisse öffnet sich indes für den Gesetzgeber des neuen CIC ein weit diffizileres Problem, nämlich die Frage, ob nicht die Kirche von dem Grundsatz eines einheitlichen, übernationalen Eherechts überhaupt abgehen und wenigstens in gewissen eherechtlichen Teilbereichen eine Angleichung an das Recht der einzelnen Staaten vornehmen solle (natürlich, soweit dies im Rahmen des göttlichen und Naturrechts überhaupt möglich ist). Konkret gesprochen, würde dies die Übernahme gewisser staatlicher Eheverbote bedeuten, um so die auffallendsten Diskrepan-

27 C. 1054. 28 Dazu H. Flotten, Irrtum und Täuschung bei der Eheschließung nach kanoni-

schem Recht (Paderbom 1957); ders., Der error dolose causatus als Ergänzung zu c. 1083 § 2 CIC, in: ÖAKR 11 (1960) 249 ff.; ders., Quomodo matrimonium contrahentes contra dolum tutand i sint (Coloniae 1961). - Gegen die sehr weitreichenden Vorschläge Flattens: A. Szentinnai, De constituendo vel non "impedimento deceptionis" in iure matrimoniali canonico, in: Revista espafiola de Derecho canonico, 16 (1961) 91 ff. 29 H. Flatten, Quomodo matrimonium contrahentes ... , 13, führt insgesamt neun Tatbestände auf, die mindestens (saitern!) als wesentliche Eigenschaftsirrtümer zu normieren wären.

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zen zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsordnung zu beseitigen30 • Dem kirchlichen Gesetzgeber ist dieser Weg einer "Kanonisierung" staatlicher Ehehindernisse auch bisher nicht völlig fremd gewesen (vgl. cc. 1059 und 1080 bezüglich des Hindernisses der gesetzlichen Verwandtschaft), allein unserer Meinung nach stehen einer erweiterten Anwendung einer solchen Verweisung auf staatliches Recht überaus große Schwierigkeiten entgegen, vor allem was die Rechtsprechung betrifft, die sich unendlich verkomplizieren würde. Es scheint, daß ein "aggiornamento" des Eherechts sicherlich auch die berücksichtigungswürdigen Elemente des staatlichen Eherechts gebührend in Rechnung stellen müßte, ohne jedoch zu einer Zersplitterung der kanonischen Bestimmungen zu führen. Eines dieser Elemente, das aus dem staatlichen Eherecht in das kanonische hineingearbeitet werden könnte, wäre z. B. die nach Ablauf einer gewissen Zeit eintretende automatische Vergültigung einer mit einem dispensierbaren Hindernis eingegangenen Ehe. Der gegenwärtigen Rechtslage zufolge ist bei der sog. einfachen Vergültigung (cc. 1133-1137) immer eine Konsenserneuerung erforderlich, bei der Heilung in der Wurzel (cc. 1138-1141) bedarf es des Dazwischentretens des kirchlichen Hoheitsträgers. Es wäre nun durchaus denkbar und rechtstheoretisch ohne weiteres möglich, daß - ähnlich wie in staatlichen Rechtsordnungen31 - bei einer mit einem dispensierbaren trennenden Ehehindernis eingegangenen, mithin also ungültigen Ehe nach Ablauf einer bestimmten Zeit von selbst eine Vergültigung eintritt. Eine solche Lösung liegt durchaus im Bereich des vom Gesetzgeber ins Auge Gefaßten, doch würde dabei unserer Meinung nach dieses automatische Gültigwerden wohl auf jene Ehen eingeschränkt, bei deren Eingehung wenigstens einer der Kontrahenten im guten Glauben war, daß kein Hindernis bestehe, d. h. wo der Eheabschluß eine Scheinehe (matrimonium putativum nach c. 1015 § 4) im Gefolge hatte32 •

30 P. Zepp, Einflüsse der staatlichen Ehegesetzgebung auf das neuere Kirchenrecht, in: Im Dienste des Rechtes in Kirche und Staat, FS für Franz Amold zum 70. Geburtstag (Wien 1963) 30l. 31 Vgl. das derzeit in Österreich geltende Ehegesetz vom 6. Juli 1938, § 21, 2, wo hinsichtlich einer wegen Formmangels nichtigen Ehe folgendes bestimmt wird: "Die Ehe ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung fünf Jahre ... als Ehegatten miteinander gelebt haben ... ". 32 L. Bender empfiehlt in seinem Buch Forma iuridica celebrationis matrimonii (Romae 1960) 224 ff., diese automatische Vergültigung und schlägt sechs Monate als Zeitraum vor, nach dessen Ablauf die automatische Vergültigung Platz greifen solle.

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111. Schließlich sei noch auf ein Gebiet verwiesen, wo ohne Zweifel weitgehende Änderungen zu erwarten stehen, das Strafrecht33 . Es setzt, seinen Grundkonzeptionen nach, einen geschlossenen katholischen Raum voraus, der aber heute bei einer weitgehend gewandelten Gesellschaft wohl nirgends mehr, auch nicht in den Staaten mit dominierend katholischer Bevölkerung, gegeben ist. Ganz abgesehen davon, daß heute nicht wenige der mit selbsttätig eintretenden Strafen (poenae latae sententiae) belegten Tatbestände als ausgesprochen überholt zu bezeichnen sind und überhaupt das Vielerlei dieser Strafen mit ihren verschiedenen dosierten Wirkungen dem nicht speziell mit der Materie Vertrauten (bisweilen auch den Seelsorgern) ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch bleibt, hat das erwähnte Fehlen des geschlossenen katholischen Raumes dazu geführt, den Kirchenstrafen, vor allem soweit sie Laien betreffen, vieles von ihren Wirkungen zu nehmen. Die ohnedies schon sehr weit gefaßten Absolutions- und Dispensvollmachten (cc. 2254, 2290) lassen erst recht die Frage berechtigt erscheinen, ob nicht die selbsttätig eintretenden Strafen auf sehr wenige Delikte beschränkt und in den übrigen Fällen dem Beichtvater einfach der Auftrag erteilt werden könnte, eine den Umständen angepaßte schwerere Buße aufzuerlegen. - Man kann als sicher annehmen, daß eine ungefähr in dieser Richtung verlaufende Vereinfachung des Strafrechts in Aussicht genommen ist.

IV. Wir stehen am Ende unserer Überlegungen. Es waren durchwegs Einzelpunkte, die wir einer näheren Beleuchtung unterzogen. Nun bleibt vielleicht noch die große Frage: Welchen Geist wird denn nun, abgesehen von den aboder umgeänderten Einzelbestimmungen, das neue Gesetzbuch atmen? Es ist selbstverständlich unmöglich, über das in den vorausgegangenen Zeilen Gesagte hinaus eine genauere Prognose zu stellen. Aber wenn man die von Papst Paul VI. so konsequent weiterverfolgte und ausgebaute "johanneische Linie" des "Übergangs "-Papstes nach ihren möglichen kirchenpolitischen und kirchenrechtlichen Konsequenzen sondiert, so läßt sich vielleicht sagen, daß der Codex repetitae praelectionis in dem Vielerlei von 33 O. Cassola, Oe iure poenali codicis iuris canonici emendando, in: Apoll 32 (1959) 240 ff.

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noch nicht im einzelnen vorauszusehenden Bestimmungen ein Kirchenbild zeichnen wird, das die Stiftung Christi weniger als Imperium, als eine auf ihre Machtstellung pochende und fordernde Institution, sondern als das Lebensprinzip der menschlichen Gesellschaft, als Einheits- und Integrationsfaktor zeigt, der in liebevollem Dienst einer zerrissenen und zerspalteten Welt eine ewiggültige Wertordnung verkündet. Gerade das weltweite Echo, das die Enzyklika "Pacem in terris" Johannes XXIII. gefunden hat, zeigt die in dieser Richtung liegenden Möglichkeiten auf. Wenn das erste Konzilsschema über die Kirche von der Mehrheit der Konzilväter wegen seiner allzu juristischen Konzeption abgelehnt und ein neues erstellt wurde, so lassen sich von dort her wohl auch gewisse Rückschlüsse auf die Leitmotive der künftigen Gesetzgebung ziehen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der neue Kodex auch von denen, die "draußen" stehen, einer sehr eingehenden Prüfung unterzogen wird. Wir wollen alle hoffen, daß in diesem Gesetzgebungswerk, das den Weg der Kirche in das kommende Jahrhundert maßgebend bestimmen wird, das Wehen des Heiligen Geistes machtvoll spürbar werde.

Der Grundsatz des Versammlungsrechts im kanonischen Recht I.

Begrimich~

Das Versammlungsrecht (die Versammlungsfreiheit) gehört zusammen mit dem Vereinsrecht zu den Grundrechten demokratischer Rechtsordnungen. Verfassungs- und geistesgeschichtlich den sogenannten "klassischen" Freiheitsrechten zugezählt, rangieren diese Rechte rein äußerlich auf der Stufe von Verfassungsgesetzen. Sie sind im Artikel 20 der UN-Deklaration vom 1948 und im Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 enthalten. Man versteht unter dem Versammlungsrecht die Befugnis der Staatsbürger, sich zur Erreichung bestimmter Ziele zusammenzuschließen, ohne daß es einer vorgängigen Ermächtigung von irgendeiner Seite bedürfte. Das Versammlungsrecht steht in logischem Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit und dem Petitionsrecht, und ohne verfassungsmäßige Garantie der letzteren würde auch das Versammlungsrecht ein Torso bleiben. Dieser Zusammenhang kommt schon in der ersten hier einschlägigen Verfassungsdeklaration zum Ausdruck, dem 1. Amendment zur Verfassung der USA (1791), in dem die Versammlungsfreiheit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit und dem Petitionsrecht verankert wird 1• Wie häufig bei den Grundrechten hängt ihre Verwirklichung vielleicht weniger von der gesetzestechnischen Prägnanz der Formulierung als vielmehr von der Interpretation durch den einfachen Gesetzgeber und von der Verwirklichung durch die Rechtsprechung ab. So finden wir das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch in den Verfassungen der UdSSR und Chinas verankert, womit freilich noch nichts über die tatsächliche Durchführung dieser Rechte gesagt ist. Ja sogar bei weitgehender Übereinstimmung im Wortlaut hängen die konkreten Schlußfolgerungen aus der Vereins- und Versammlungsfreiheit von der Grundsatzfrage ab, welche Rolle dem Recht in der konkreten Lebensordnung zugewiesen wird. Während in demokratischen Rechtsordnungen Vereins- und Versammlungsrecht als Ausfluß der Rechte der 1 W. Mallmann, Vereins- und Versammlungsfreiheit: Staatslexikon Recht Wirtschaft Gesellschaft (Freiburg/Br. 61963) VIII, 106 ff.

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menschlichen Persönlichkeit ein Individualrecht darstellen, werden diese Rechte in Volksdemokratien als "sozialistische Persönlichkeitsrechte" Im Dienst des herrschenden kommunistischen Systems aufgefaßt2 .

11. Das Versammlungsrecht im kodikarischen Recht Die Frage, ob und inwieweit im kanonischen Recht der Grundsatz des Versammlungsrechts verankert ist, ist nicht so einfach zu beantworten. Sicherlich ist von vornherein eine Fixierung des genannten Rechts nach Art eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechts im Sinne einer zivilen Verfassung auszuschließen. Dies allein schon deshalb, weil dem Codex Iuris Canonici die im weltlichen Recht zu fmdende Unterscheidung in Verfassungs- und einfache Gesetze zumindest in dem Sinne fremd ist, als die beiden Normengruppen sich rein äußerlich nicht voneinander abheben. Wenngleich die kanonistische Lehre teilweise schon längere Zeit an der genannten Unterscheidung festhielt, so taucht interessanterweise die Bezeichnung "Verfassungsgesetz" in einem gemeinkirchlichen Gesetz erstmalig im nachkonziliaren Recht auf, und zwar in den Dispensbefugnissen für die Bischöfe3. Hierbei ergibt sich die Paradoxie, daß mit dieser neuen Unterscheidung ein Vorstellungsmodell an eine Rechtsordnung angelegt wird, die nach dem Gesagten nicht die hiefür erforderlichen Voraussetzungen erbringt, so daß es in Einzelfällen oft schwierig ist zu sagen, was als Verfassungsgesetz anzusehen ist und was nicht. Auch einen ausdrücklich formulierten Grundsatz der Versammlungsfreiheit als einfachen Rechtssatz finden wir in der kanonistischen Rechtsordnung nicht. Es bleibt also nur mehr der Weg, die bestehenden Rechtsnormen dahingehend zu untersuchen, ob in ihnen einschlußweise etwas über das Versammlungsrecht ausgesagt ist. Nach der ziemlich übereinstimmenden Lehre der Autoren bringt c. 684 ein Versammlungsrecht zum Ausdruck. Denn wenn es hier heißt, daß die Gläubigen zu loben sind, wenn sie den von der Kirche errichteten oder wenigstens belobigten Vereinigungen beitreten, so ist damit einschlußweise gesagt, daß Vereinigungen von Gläubigen entstehen können, die nicht von der kirchlichen Hierarchie errichtet wurden, sondern durch den Willen einiger Kirchenglieder entstanden sind. Daß der Codex ein Versammlungsrecht festlegt, ersieht man 2 Mallmann, ebd. 3 Apostolisches Schreiben Pauls VI. "De Episcoporum muneribus", 15. VI. 1966: ÖAKR 17 (1966) 367, Nr. IV.

Der Grundsatz des Versammlungsrechts im kanonischen Recht

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freilich weniger deutlich aus dem zitierten c. 684, als vielmehr aus einigen Hinweisen der nachkodikarischen Rechtsentwicklung. So schrieb die Konstistorialkongregation am 4. November 1918, also etwa ein halbes Jahr nach dem Inkrafttreten des neuen Codex, ein neues Formular für die Quinquennalberichte der Diözesen vor. Darin wird genau unterschieden zwischen Vereinigungen von Laien, die mit kirchlicher Autorität errichtet sind und daher der Jurisdiktion des Ortsordinarius unterstehen, und anderen Vereinigungen, die hier als "associationes sociales" bezeichnet werden, wobei für diese nur die allgemeine Leitungsgewalt des Ortsordinarius festgelegt wird4 . Bezüglich des Ausmaßes dieser Leitungsgewalt kam es dann einige Jahre später zu einer Klärung eines Streitfalles um die von Friedrich Ozanam gegründete Genossenschaft des heiligen Vinzenz von PauI. In der Motivierung der Entscheidung um das Ausmaß der bischöflichen Ingerenz bei der fraglichen Genossenschaft führt das Gutachten der Konzilskongregation unter anderem aus, daß es neben den von der kirchlichen Obrigkeit errichteten und approbierten Vereinigungen auch solche gebe, die ausschließlich unter der Gewalt und Leitung von Laien stehen, wobei diese Vereinigungen von der Kirche nur gelobt und empfohlen seien. Daraus ergebe sich, daß diese Vereinigungen auch von der Kirche nicht anerkannt seien, nicht von der kirchlichen Obrigkeit geleitet werden, sondern von Laien nach ihren eigenen Satzungen5 • Damit ist nach der überwiegenden Ansicht der Autoren in c. 684 das für die Laien einschluß weise zum Ausdruck gebrachte Versammlungsrecht durch die in unmittelbarem Anschluß an den Codex erflossene Rechtsentwicklung verdeutlicht. Im Anschluß an die erwähnte Entscheidung der Konzilskongregation unterscheidet die Lehre zwischen öffentlichen und privaten Vereinigungen, wobei die ersten mit den von der kirchlichen Autorität, letztere mit den von Privaten errichteten Vereinigungen identisch sind6 . Bevor auf die neue Entwicklung des konziliaren und nachkonziliaren Rechts eingegangen wird, soll noch ein kurzer Blick auf die Hintergründe der kodikarischen Situation geworfen werden. Es nimmt nämlich wunder, daß der kirchliche Gesetzgeber es verabsäumt hat, das Versammlungsrecht in der Kodifikation des kanonischen Rechts ausdrücklich zu erwähnen. Und dies umso mehr, als es längst vor der Promulgation des Codex Iuris Canonici schon zu sehr deutlichen Hinweisen auf das mit der menschlichen Natur als solcher verbundene Recht gekommen war, sich frei zu versammeln und beliebige 4 AAS X (1918) 502, NT. 92-94. 5 S. CongTegatio Concilii, Corrienten. 13. XI. 1920: AAS XIII (1921) 135/44. 6 G. Onclin, Principia generalia de fidelium associationibus, in: Apoll 36 (1963) 85.

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Gemeinschaften zu bilden. Schon in der Enzyklika "Libertas, praestantissimum" Papst Leos XIII. wird darauf hingewiesen, daß der Mensch seiner Natur nach darauf angelegt sei, das in Gemeinschaft mit anderen zu erreichen, wozu er allein nicht in der Lage sei. Die Versammlungsfreiheit als solche wird ferner ausdrücklich in der Enzyklika "Rerum novarum" gefordert. Es fällt jedoch auf, daß als Adressat dieser Forderungen die bürgerlichen Rechtsordnungen gemeint sind, wobei außerdem die Feststellung angezeigt ist, daß die Postulate zu einem Zeitpunkt erhoben wurden, wo ohnehin schon eine ganze Reihe von europäischen und außereuropäischen Staaten den Grundsatz des Versammlungsrechts in ihre Verfassungen aufgenommen hatten. Umso erstaunlicher ist es, daß die am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in die Wege geleitete Kodifikation des kanonischen Rechts, rur die sicherlich wenigstens vom Formalen her die großen Kodifikationen des bürgerlichen Rechts im ausgehenden achtzehnten und im neunzehnten Jahrhundert Modell gestanden sind7 , nach dem oben Gesagten keinen ausdrücklich formulierten Grundsatz des Versammlungsrechts kennt. Diese Widersprüchlichkeit ist bereits zu wiederholten Malen aufgefallen, und man dürfte zu ihrer Lösung wohl nicht zu Unrecht Nell-Breuning folgen können, der darauf hinweist, daß die Lehre von der Volkssouveränität und Demokratie, auf der letztlich das Versammlungsrecht gründet, nur sehr zögernd Eingang in die offizielle kirchliche Staatslehre gefunden hat. Lange Zeit hindurch neigte die Kirche dazu, die Struktur des Staates möglichst nahe an ihre eigene, kraft göttlichen Rechts bestehende Struktur heranzurücken, um so die beiden Gewalten ihrer sozialen Struktur nach eng miteinander verwandt und zugeordnet erscheinen zu lassen8 . Solange man nun die staatliche Gewalt in Analogie zur hierarchischen Verfaßtheit der Kirche, mithin also von oben nach unten ausgehend ansieht, ist der Boden rur eine rechtliche Normierung des Versammlungsrechts noch nicht bereitet. Denn dieses setzt ja voraus, daß allein durch den Willen der "Untergebenen" eine Vereinigung stattfinden und wenigstens mit einem Minimum an juridischer Verfaßtheit Gestalt gewinnen kann ohne den Willen und das Zutun des hierarchisch übergeordneten Hoheitsträgers. Das Selbstverständnis der Kirche als einer hierarchisch gegliederten Gemeinschaft, in der das Recht nicht vom Volk, sondern von einem Amtsträger ausgeht, der nicht Delegierter der Gemeinde, sondern letztlich Beauftragter Gottes ist, dieses Selbstverständnis mag der Anlaß gewesen sein, den Grund7 F. Elsen er , Der Codex Iuris Canonici im Rahmen der europäischen KodifIkationsgeschichte, in: A. Müller/F. Elsener/P. Huizing (Hrsg.), Vom Kirchenrecht zur Kirchenordnung? (Einsiedeln/Zürich/Köln 1968) 38. 8 O. von Nell-Breuning, Das Zweite Vatikanische Konzil, Dokumente und Kommentare, in: LThK (Freiburg/Br. 21968) III, 524.

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satz des Versammlungsrechts nicht offen auszusprechen, wobei zumindest im Unterbewußtsein des Gesetzgebers auch der logische Zusammenhang zwischen dem Versammlungsrecht und dem Petitionsrecht eine Rolle gespielt haben mag. Dieses Selbstverständnis der Kirche läßt jedoch für die gesetzliche Normierung des Versammlungsrechts durchaus Raum, und es ist eher eine überspitzte, den tatsächlichen Gegebenheiten nicht Rechnung tragende Sicht der hierarchischen Verfaßtheit der Kirche, die zu einem Ausschluß des Versammlungsrechts führen würde. ill. Die Rechtslage nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil

a) Versammlungsrecht für Laien Während nach dem bisher Gesagten das Versammlungsrecht in der kanonischen Rechtsordnung nicht ausdrücklich festgelegt war, sondern aus c. 684 und der nachfolgenden Rechtsentwicklung mehr erschlossen als eindeutig deduziert werden konnte, finden sich in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils mehrere Stellen, in denen das Versammlungsrecht ausdrücklich zum Ausdruck kommt. Hierbei können wir einen zweifachen Kreis von Aussagen unterscheiden: Den einen, in dem das Konzil unter ausdrücklicher Bezugnahme auf frühere Äußerungen von Päpsten das Versammlungsrecht für die bürgerlichen Rechtsordnungen als Postulat der menschlichen Persönlichkeit deklariert9 ; den anderen, in dem dieses Recht als Bestandteil innerkirchlicher Normen statuiert wird. Auf diesen letzten Kreis soll im folgenden unser besonderes Augenmerk gerichtet sein. Die wichtigste Äußerung findet sich wohl in Nr. 19 des Dekrets über das Laienapostolat. Ausgehend von der universalen Missionsaufgabe der Kirche, die angesichts der fortschreitenden Institutionalisierung und der unerhörten Entwicklung der menschlichen Gesellschaft stets neue apostolische Initiativen der Katholiken auf internationaler Ebene erfordere, wird schließlich gefolgert: "Unter Wahrung der erforderlichen Verbundenheit mit der kirchlichen Autorität haben die Laien das Recht, Vereinigungen zu gründen, zu leiten und den gegründeten beizutreten." Diese Stelle ist unter anderem mit einer vom rechtlichen Standpunkt aus in9 Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" Nr. 68 und 75. Vgl. dazu A. dei Porti/w, Ius associationis et associationes fidelium iuxta Concilii Vaticani 11 doctrinam, in: IusCan VIII (1968) 8 ff.

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teressanten Anmerkung versehen, weil in der das Versammlungsrecht begründenden Aussage auf die eben erwähnte Entscheidung der Konzilskongregation Bezug genommen wird, nicht aber auf c. 684 des Codex Iuris Canonici. Damit bringt das Konzilsdekret indirekt zum Ausdruck, daß das Versammlungsrecht wohl deutlicher in der in Rede stehenden Entscheidung der Konzilskongregation als in c. 684 des Codex ausgesprochen ist. Bedeutsam an dieser Festlegung des Versammlungsrechts im Konzilsdekret ist vielleicht weniger der Umstand, daß es hier zum erstenmal ausdrücklich als ein Recht der Laien festgesetzt wurde, sondern daß hier ganz offensichtlich ein gegenüber der Konzeption des Codex Iuris Canonici neuer Weg in der Rechtsetzung beschritten wurde. Wiederholt ist am Codex bemängelt worden, daß sich seine Normen als beinahe ausschließliches Klerikerrecht darstellen. Der einzige Canon, der im dritten Teil des Personenrechts mit der Überschrift "De laicis" von einem Recht der Laien redet, ist c. 682, der die Befugnis für die Laien festlegt, nach Maßgabe der kirchlichen Disziplin vom Klerus geistliche Güter, insbesondere die heilsnotwendigen Hilfsmittel zu empfangen. Mit Recht ist auf der ersten Bischofssynode im Herbst 1967 in Rom die Formulierung des c. 682 einer Kritik unterzogen worden. Es wurde festgestellt, daß es für eine Definition des Laienrechts nicht genüge, unter diesem Schlagwort die entsprechenden Pflichten des Klerus zusammenzufassen 1O. Demgegenüber wird nun im Konzilsdekret erstmals das Versammlungsrecht als ein Laienrecht betont, das sich nicht als ein vom Willen des Klerus abhängiges oder gar von ihm hergeleitetes Recht darstellt, sondern als ein "ius nativum" , das in der menschlichen Natur als solcher schon seine Grundlage hat. Diese Tatsache ergibt sich vielleicht weniger aus dem Wortlaut von Nr. 19 des Dekrets über die Apostolatsaufgaben der Laien, als vielmehr aus dem Komplex der Konzilsaussagen und vor allem aus der Entstehungsgeschichte der zitierten Stelle. Schon im vorbereitenden Schema des Jahres 1962 wurde auf das Versammlungsrecht als ein in der sozialen Natur des Menschen wurzelndes und daraus resultierendes Recht verwiesen 11 • Die Absicht der Konzilsväter, das Versammlungsrecht als ein dem Menschen schon angeborenes Recht festzulegen, wird noch deutlicher, wenn die einzelnen Abänderungsvorschläge, die "modi", zu dieser Aussage ins Auge gefaßt werden. Die Modi wünschten unter anderem, daß das Versammlungsrecht mit der einleitenden Formel "nach Approbierung durch die kirchliche Autorität", bzw. "nach vorher eingeholten Ermächtigung von seiten der 10 R. Laurentin, Le premier Synode. Histoire et bilan (Paris 1968) 8l. 11 Porti/Io, (Anm. 9) 10.

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kirchlichen Autorität" bzw. "unbeschadet der Rechte der kirchlichen Autorität" versehen werden solle. Diese Modi wurden aber nicht berücksichtigt, so daß sich im Endergebnis das Versammlungsrecht als ein Recht darstellt, das den Laien ohne vorausgehende Ermächtigung durch den kirchlichen Jurisdiktionsträger zusteht 12 • Es wäre nun verlockend, auf die juridischen Konsequenzen einzugehen, die in einem neu zu schaffenden Kirchenrecht aus dem Versammlungsrecht zu ziehen sein werden. Allein, um den Rahmen dieser Untersuchung nicht zu sprengen, muß auf eine eingehende Darstellung von Einzelheiten verzichtet werden 13 • b) Versammlungsrecht für Kleriker Es bleibt aber nach dem Gesagten noch eine Frage: Ist das Versammlungsrecht nun ein ausgesprochenes Laienrecht oder gilt es nicht auch für Kleriker? Sollten die vom Zweiten Vatikanischen Konzil verkündeten Grundsätze nur für den einen Teil des Volkes Gottes gelten? Interessanterweise wird in der Literatur das Versammlungsrecht als ein spezifisch den Laien zustehendes Recht aufgefaßt. Die Frage, ob nicht auch den Klerikern das Versammlungsrecht zusteht, ist umso mehr berechtigt, als ein knappes Jahrzehnt vor der Promulgation des Codex Iuris Canonici ein eigenes päpstliches Verbot des Versammlungsrechts für den Klerus erging. In der Enzyklika "Pascendi" ordnet Pius X. angesichts des um sich greifenden Modernismus an, daß die Bischöfe freie Versammlungen des Klerus nur äußerst selten ("rarissime") dulden sollen. Und wenn eine solche Duldung dennoch stattfinde, dann nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß auf solchen Versammlungen keine Gegenstände behandelt werden, die dem Bischof oder dem Apostolischen Stuhl zustehen. Zugleich mit dem erwähnten Verbot wurde ein sogenanntes "consilium de vigilantia" eingesetzt, das darüber zu wachen hatte, daß in den schriftlichen Äußerungen katholischer Autoren keine Ansichten vertreten seien, die von neuen kirchlichen Vorschriften reden oder eine neue soziale Berufung des Klerus bzw. eine neue christliche Humanität fordern l4 . Bedenkt man ferner, daß das Heilige Offizium am 22. März 1918 die Weitergeltung 12 Portillo, (Anm. 9) 11 f. 13 Es sei in diesem Zusammenhang auf die sehr instruktive Studie Portillos (Anm. 9, 12 ff.) velWiesen, die sich in einem eigenen Abschnitt "Consequentiae de iure condendo" mit dieser Frage befaßt. 14 AkKR 88 (1908) 142. 14 Primetshofer

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der Bestimmungen über das "consilium de vigilantia", trotzdem sie im Codex nicht erwähnt werden, ausdrücklich bejaht hat 1S , so könnte man sich immerhin fragen, ob nicht auch das in logischem Zusammenhang mit diesem erwähnten Consilium stehende Verbot des freien Versammlungsrechts für Kleriker nach dem kodikarischen Recht noch weiterhin Geltung habe. Diese Frage wird bereits für das Recht des Codex verneint l6 . Und sie ist erst recht durch das Konzil in dem Sinne gelöst worden, daß auch den Klerikern das Versammlungsrecht zustehe, ja das Konzil empfiehlt sogar Vereinigungen von Klerikern l7 . Freilich führte der juridische Status dieser Vereinigungen, näherhin der Grad ihrer Abhängigkeit vom Bischof, zu einer längeren Kontroverse. Eine größere Anzahl von Bischöfen wünschte eine Beschränkung des Versammlungsrechts der Kleriker in dem Sinne, daß es nur vom Bischof gegründete oder wenigstens von der Bischofskonferenz abhängige Vereinigungen von Klerikern geben dürfe. Die mit der Aus- und Umarbeitung des Konzilsdekrets beauftragte Kommission wies aber diesen Einwand mit dem bemerkenswerten Hinweis zurück, es könne nicht grundsätzlich den Klerikern etwas vorenthalten werden, was für die Laien als ein ihnen von Natur aus zukommendes Recht fixiert worden sei 18. Das Versammlungsrecht ist jedoch für die Kleriker nicht in demselben Umfang zugestanden wie für die Laien. Denn während bei den Laien gesagt wird, daß sie "unter Wahrung der erforderlichen Verbundenheit mit der kirchlichen Hierarchie", mithin also in einem rechtlich nicht genauer determinierten Bezugsverhältnis zu ihr, Vereinigungen gründen können, ist für die Kleriker der freilich hinsichtlich seiner juristischen Konsequenzen auch nicht eindeutig festliegende Ausdruck verwendet, daß die Satzungen dieser von Klerikern gegründeten Vereinigungen der Prüfung durch die kirchliche Autorität unterliegen l9 . Wenn nach dem Gesagten auch offenbleibt, wie in einem Fall die "erforderliche Verbundenheit" mit der kirchlichen Hierarchie, im anderen die "Prüfung der Statuten durch die kirchliche Autorität" in rechtlich eindeutig umschriebene Normen gegossen werden kann, so dürfte doch so viel feststehen, daß für die Kleriker das Versammlungsrecht nicht in derselben Freizügigkeit zugestanden wird wie für die Laien. Der Grund für diese Einschränkung ergibt sich aus der besonderen Gehorsamsbindung zum Diözesanbischof, 15 Ebd. 143 f. 16 K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici (München/PaderbornlWien 111964) I, 564; Por/i/fo, (Anm. 9) 26.

17 Dekret "Presbyterorum ordinis", Nr. 7. 18 Vgl. das bei Por/ilfo (Anm. 9) 26 zitierte Schema des Konzilsdekrets "Presbyterorum ordinis". 19 Nr. 8 des Dekrets "Presbyterorum ordinis".

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in die Welt- und Ordenspriester auf Grund ihrer Weihe eintreten. Dieses "Dienst"verhältnis besteht zunächst rein auf Grund der empfangenen Weihe, wobei es gleichgültig ist, ob der Geweihte noch in ein besonderes dienstrechtliches Verhältnis zum Diözesanbischof tritt oder nicht. Auf diese besondere Dienstleistung weist das Dekret hin, wenn es heißt, daß die Priester des neuen Bundes auf Grund des Weihesakraments das hohe und notwendige Amt des Vaters und Lehrers im Volk ausüben. Ohne einem Klerikalismus oder einer schablonenhaften, dem Charisma des einzelnen nicht Rechnung tragenden Uniformität das Wort zu reden, betont das Konzilsdekret doch sehr stark die Notwendigkeit der durch das Weihesakrament grundgelegten Einheit der Priester mit dem Bischoflo. Daraus ergibt sich die erwähnte Beschränkung des Versammlungsrechts, die freilich nicht im Sinne einer ängstlichen Überwachung auszulegen ist, da ja das Konzilsdekret ausdrücklich von "vielfältigen Aufgaben und neuen Anpassungen" (Artikel 8) spricht, die für die Seelsorge in einer geänderten Umwelt erforderlich sind. Wenn wir uns abschließend die Frage vorlegen, welche Bedeutung dem nun ausdrücklich für Kleriker und Laien formulierten Versammlungsrecht zukommt, so könnte geantwortet werden, daß der kanonische Gesetzgeber vielleicht einem vielfach geäußerten Wunsch entsprechend in nicht allzu ferner Zukunft die in den Konzilsdokumenten verstreuten, auf der Würde und Freiheit des Menschen beruhenden Grundrechte sammeln und in einen Codex des kirchlichen Verfassungsrechts einbauen könnte21 . - Was aber das Versammlungsrecht des näheren betrifft, so scheint ihm angesichts der heutigen seelsorglichen Situation eine besondere Bedeutung zuzukommen. In der Geschichte hat es sich wiederholt gezeigt, daß freien seelsorglichen Initiativen, die pfarrliche, ja sogar diözesane Grenzen sprengen, oft eine viel größere Durchschlagskraft beschieden war als einer rein auf dem pfarrlichen bzw. diözesanen Territorialitätsprinzip aufbauenden Seelsorge. In Anbetracht der namentlich in den Großstädten immer unübersichtlicher werdenden seelsorglichen Gesamtsituation, die mit dem bisherigen Pfarrkonzept sicher nicht mehr bewältigt werden kann, dürfte der freien Gruppenbildung zum Zwecke der Schaffung seelsorglicher Sonderräume erhöhte Bedeutung zukommen. Angesichts der Pluralität unserer heutigen Gesellschaft, die immer mehr zu einem Übergang von der Volkskirche zur Freiwilligkeitskirche führt, ist unbedingt erforderlich, die Seelsorge für die einzelnen Kategorien von Menschen möglichst effektiv zu gestalten. Das Kirchenrecht kann durch gewisse 20 Vgl. P. J. Cordes, LThK (Anm. 8) 111,180. 21 Vgl. dazu J. Neumann, Über die Notwendigkeit eines gesamtkirchlichen

Grundgesetzes, in: Theologie im Wandel (1967) 423 ff.; ders., Revision der Kirchenverfassung, in: Wort und Wahrheit 23 (1968) 390 f.

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Akzentsetzungen dazu einen Beitrag leisten. Hand in Hand mit einer konsequenten Fortbildung des Versammlungsrechts steht zu hoffen, daß eine den Erfordernissen unserer Zeit angepaßte dynamische Seelsorge in die Wege geleitet wird.

Der Naturbegriff in theologischer Sicht Das Thema dieses Vortrages wirft zunächst eine Frage der Zuständigkeit auf: Man könnte durchaus mit Recht in Zweifel ziehen, ob es nicht ein müßiges, im Ergebnis von vornherein aussichtsloses Unterfangen darstelle, die Theologie zu befragen, was sie zu dem Thema des Naturbegriffes beizusteuern vermag. Und dies durchaus nicht bloß deshalb, weil gerade der "Naturwissenschaftler" (wobei der hier verwendete Begriff von "Natur" nicht näher untersucht werden soll) sich sowieso seit längerer Zeit in der Kirche einsam und in seinen spezifischen Problemen schlecht verstanden fühlt, sondern u. a. auch deswegen, weil das Zweite Vatikanische Konzil die legitime Eigenständigkeit (Autonomie) der irdischen Dinge und der profanen Wissenschaften dargetant hat l . Wenn es somit den Anschein hat, als habe die Kirche selbst in weiser Beschränkung darauf verzichtet, zumindest in gewisse Bereiche des "Profanen" einzugreifen, was soll dann eine Frage an den Theologen, welche Aussagen er zum Thema des Naturbegriffes zu machen habe? - Dies umso mehr, als ja zunächst noch gar nicht sicher ist, ob die natarliche Theologie befragt werden soll, jene Wissenschaft also, die auf Grund philosophischer Reflexionen über Gott, seine Erkennbarkeit und die daraus abgeleiteten Folgerungen spricht2 (worauf bekanntlich Paulus in Röm 1,20 anspielt), oder ob die abernatarliche Theologie eine Aussage vornehmen soll, also die Wissenschaft, die mit der im Glauben erfaßten Offenbarung Gottes zu tun hat3 . - Ganz offensichtlich ist die Frage an die zuletzt genannte Wissenschaft gerichtet, wobei uns die eigentliche Schwierigkeit erst aufleuchtet: Denn in Frage steht doch offensichtlich, wie weit diese übernatürliche Theologie auf einer irgendwie verstandenen Natur aufbaut, was sie über der Natur stehend, diesem Bereich der Natur zuordnet, wie sie diese Natur deutet und welche Forderungen sie aus dieser Deutung herleitet. Wenn nun gar vor Ärzten über den Naturbegriff in theologischer Sicht gesprochen werden soll, so wird die Problematik einer solchen Fragestellung vollends zum Dilemma. Denn gewiß stößt der Arzt durch die mannigfachen, in seiner Kunst gelegenen Möglichkeiten der Manipulation des Menschen an I Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute" Kap. 3, Nr. 36. 2 G. Söhngen, LThK 2YII, 814 f. 3 J. Ratzinger, RGG 3YI, Sp. 775 ff.

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Grenzen. Aber diese Grenzen sind doch in erster Linie Grenzen der Ethik, der Moralethik und in einem sehr beschränkten Maß Grenzen der Theologie. Somit scheint die Unzuständigkeit des Theologen in Fragen der Natur offenkundig zu sein. Aber dennoch hat die Kirche, wo es um Fragen der Natur des Menschen geht, immer auch eine Kompetenz behauptet. Sie hat behauptet, etwas, und nicht wenig, über diese Natur zu wissen und bei den sich aus ihr ergebenden Rechten und Pflichten ein gewichtiges Wort mitreden zu können. Diese empirische Tatsache ist in keiner Weise strittig. Strittig ist hingegen, wo für die Kirche, für die Theologie, der Ansatzpunkt zu finden ist, damit eine derartige Zuständigkeit nicht als Anmaßung, sondern vielmehr als zu Recht bestehend anerkannt werden kann. Das Thema reduziert sich somit auf zwei Fragen: I. Was sagt die sozusagen offizielle Lehre der Kirche, die ich hier in einer etwas vergröberten Sicht mit "der Theologie" gleichsetzen möchte, so daß ich also auch formulieren könnte, was sagt die Theologie vom Begriff der Natur?

11. Mit welcher Autorität sagt sie das, d. h. welcher Stellenwert ist einer solchen Aussage beizumessen?

I. Zur Debatte steht, ob der Begriff der Natur in der Sicht des Theologen etwas darstellt, was der Theologe nur aus seiner spezifischen Wissenschaft heraus findet, oder ob er sich dabei auf andere Wissenschaften stützt. Hierbei möchte ich auf eine erkenntnistheoretische Erörterung dieses Problems, m. a. W. wie eine diesbezügliche Erkenntnis zustandekommt, bewußt verzichten. Die Lehre von der Natur des Menschen, wie sie von der Theologie vorgelegt wird, baut zunächst auf der empirischen Anthropologie auf, die die Erfahrungsgegebenheiten des menschlichen Bereiches kritisch erhebt und systematisch ordnet. Aus dieser Betrachtungsweise stammen zwei Einsichten: Erstens, daß der Mensch seinem Leibe nach dem Tierreich nahesteht, zweitens, daß er ein mit Vernunft begabtes Wesen ist. Er ist homo faber, das einzige Lebewesen, das Werkzeuge anfertigt. Er ist als einziges Lebewesen ausgestattet mit der Fähigkeit bewußter Selbstbestimmung in seinem Verhalten.

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Sein Erkenntnis- und Selbstbestimmungsvermögen unterscheiden ihn als animal rationale, als homo sapiens wesentlich von der Tierwelt. Ferner baut die von der Theologie vorgetragene Lehre auf der metaphysischen Anthropologie auf und entnimmt dieser die Einsicht, daß der Mensch eine geistige Seele besitzt und daß er zufolge seiner leiblich-geistigen Natur ein Gesellschaftswesen ist, d. h. ein Wesen, das seine volle Entfaltung nur in der Gesellschaft findet. Die metaphysische Anthropologie lehrt, daß die menschliche Seele - im Gegensatz zur tierischen - geistigen, selbständigen, unsterblichen Wesens ist. Auf diesen beiden Pfeilern der empirischen und metaphysischen Anthropologie kommt eine theologische Reflexion nun aus der übernatürlichen Offenbarung zu dem Ergebnis, daß der Mensch in diesen seinen geistigen Fähigkeiten in einer bestimmten Richtung von Gott angerufen ist. Zunächst weiß er sich in seinen natürlichen Erkenntnissen über die Menschennatur durch die Offenbarung bestätigt. Die übernatürliche Offenbarung unterrichtet den Menschen unmißverständlich über den geistigen Charakter seiner Seele und ihre Unsterblichkeit, über Gott als seinen Schöpfer, Richter und sein letztes Ziel. Sie unterrichtet ihn über die Tatsache, daß Gott in die Welt getreten ist und durch die Annahme der Menschennatur die in die Seele des Menschen geschriebene Gottebenbildlichkeit besiegelt und damit bezeugt hat, daß der Wert der Person mit ihrer an die geistige Seele geknüpften Bestimmung ("Persönlichkeitswürde") über jeglichen irdischen Wert erhaben ist, so daß weder die Gesellschaft, noch der Staat, noch die Nation diesen Wert aufzuwiegen vermögen. Die übernatürliche Offenbarung unterrichtet den Menschen auch in unmißverständlicher Weise über die Gefährdung in bezug auf sein geistiges Ziel, über seine Verwundbarkeit, über die Sünde4 . Daraus ergibt sich als Konsequenz, daß ein christliches Sittengesetz sich wenn man das Ausmaß der Verpflichtungen ansieht - von einem natürlichen Sittengesetz kaum unterscheidet. Im Dekalog, wie er durch die Lehre Christi und der Apostel bestätigt und ergänzt wurde, ist - ausgenommen das dritte Gebot - nicht mehr enthalten, als was auch das Naturgesetz selbst enthält5 . Die Theologie, wobei nochmals darauf verwiesen sei, daß wir hier mit diesem Begriff die Wissenschaft meinen, die auf der übernatürlichen Offenbarung beruht, sagt also materiell kaum mehr über den Begriff der Natur aus, 4 J. Messner, Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik. InnsbruckIWien/München 41960, 23 ff. 5 J. Messner, ebd. 115.

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als was auch schon eine rein philosophische Reflexion aussagen würde. Lediglich von der Erkenntnisquelle her ist ein Unterschied zu verzeichnen, insofern als die Theologie ihr "Wissen" auch aus der im Glauben erfaßten Offenbarung bezieht. Wenn nun aber die "Theologie" eine Aussage über etwas aus der Natur Ableitbares macht, wenn sie sagt, daß der Begriff der Natur dies oder jenes fordere, so stellt sich die Frage, was damit eigentlich gemeint sein soll. Es könnte damit gesagt sein, daß die Theologie dabei eine aus der übernatürlichen Offenbarung stammende Aussage macht, wobei sie im Sinne des vorhin Gesagten auf der empirischen und metaphysischen Anthropologie aufbaut. Man könnte also sagen, daß die Theologie eine aus philosophischer Reflexion ableitbare Aussage übernatürlich bekräftigt, weil eben die Offenbarung auch etwas zu dem in Rede stehenden Gegenstand beizusteuern vermag. Etwa, wenn die Kirche zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe Stellung nimmt. In diesem Falle kann sie die bereits aus profaner Überlegung herleitbare Unauflöslichkeit der Ehe6 mit Argumenten aus der Offenbarung stützen, wobei noch gar nicht im einzelnen gesagt sein muß, zu welchen konkreten rechtlichen Folgerungen dieses Offenbarungswissen nun ruhren muß. - Auf der anderen Seite aber könnte eine solche Aussage über die Natur des Menschen, eine - wie gesagt - von der Theologie vorgenommene Aussage auch bedeuten, daß sich die Theologie dabei nicht auf die übernatürliche Offenbarung beruft, sondern auf dem Boden der reinen Spekulation verbleibt, sich also auf rein profane Überlegungen stützt, ohne andere Momente ins Treffen zu fiihren. Letzteres könnte seine Ursache darin haben, daß die übernatürliche Offenbarung keine Argumente beisteuert oder aber, daß solche bewußt nicht ins Treffen geruhrt werden.

11. Dies dürfte genau das Problem sein: Mit welcher Autorität sagt die Theologie als Wissenschaft von der übernatürlichen Offenbarung, daß gewisse Dinge der Natur des Menschen entsprechen oder nicht entsprechen, wenn sie über diese Dinge weder ausdrücklich noch ableitbar aus der übernatürlichen Offenbarung weiß, sondern aus rein philosophischer Überlegung. Diese Frage wäre bei Gegenständen der Soziallehre (Eigentumsrecht, Mitbestimmungs6 J. Pfab, Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach göttlichem, kirchlichem und bürgerlichem Recht (Salzburg 1957) 33.; J. Bank, Connubia canonica (Romae 1959) 35.

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recht) aber auch in manchen Gebieten der Moral (Ehe-, Sexual moral) zu stellen, soweit wir in den letztgenannten Bereichen nicht eindeutige (direkte oder ableitbare) Aussagen der Offenbarung vor uns haben. Daß derartigen Fragen offensichtlich nicht mit dem Rüstzeug der Theologie allein beizukommen ist, beweist unter anderem die Tatsache, daß in päpstliche Kommissionen zum Studium dieser Probleme nicht nur Theologen, sondern auch Vertreter der profanen Wissenschaften berufen wurden, wobei die letzteren sogar an Zahl die Theologen übertrafen. Dies wirft aber erst recht die Frage auf, wie denn der von einer derartigen Kommission verabschiedeten und von der kirchlichen Autorität verkündeten Aussage ein anderer als eben ein profaner oder vielleicht überwiegend profaner Stellenwert zukommen könne7 • Dies vor allem angesichts der Sachlage, daß ja mitunter die von der kirchlichen Autorität kundgemachten Aussagen - bewußt oder unbewußt - auf eine eigentlich theologische Begründung verzichten und sich auf eine im Bereich des Profanen bleibende Äußerung beschränken. Wird die solcherart von einem Theologen vorgenommene Aussage zu einer theologischen Aussage oder ist sie dies nicht? Hebt der Tatbestand der Promulgation eines bestimmten Sachverhalts durch eine kirchliche Autorität diesen aus der ihm immanenten Eigenwertigkeit heraus und macht ihn zu emer "theologischen" Aussage oder wird dieser Stellenwert nicht berührt? Ich meine, daß wir hier am Kern unseres Problems angelangt sind. Als Lösung möchte ich mich an eine Unterscheidung anschließen, die Jakob David vorgenommen hat8 . Er sagt, wenn kirchliche Autoritäten, zumal die Päpste, zu Fragen der Natur des Menschen und des daraus ableitbaren Naturrechts Stellung nehmen, und wenn sie sich dabei nicht auf eine aus der übernatürlichen Offenbarung stammende Erkenntnisquelle berufen, so erfolge eine solche Äußerung nicht aufgrund des Lehramtes, sondern aufgrund des Hirtenamtes. Das Lehramt beziehe sich unmittelbar auf die Weitergabe, Auslegung, Bewahrung, Abgrenzung und Verteidigung der göttlichen Offenbarung. Die Kirche habe unzweifelhaft das Recht, Auslegungen der Natur des Menschen und des daraus abgeleiteten Naturrechts abzulehnen, soweit sie mit der Offenbarung in Widerspruch stehen. Sie könne ferner positiv erklären, daß andere Lehren mit der 7 J. David, Kirche und Naturrecht. Versuch einer neuen Grenzziehung. Orien 30 (1966) 129. 8 J. David, Theologische und naturrechtliche Gesichtspunkte zur Beurteilung ethischer Fragen, in: F. Henrich, Naturwissenschaft vor ethischen Problemen, Münchner Akademie-Schriften Bd. 49 (Kath. Akademie München 1969) 82 ff.

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geoffenbarten Wahrheit vereinbar seien. Sie könne außerdem aus der Offenbarungslehre schlüssige Folgerungen ziehen oder Voraussetzungen klären, ohne die eine Offenbarungswahrheit nicht zu halten ist. Letzteres wäre etwa dann gegeben, wenn die Kirche lehrt, daß der Mensch einen freien Willen habe, da ohne diese Auffassung das aus der Offenbarung stammende Wissen von dem freien Angerufensein des Menschen durch Gott nicht zu halten ist. Doch genügt dies alles nicht, um die Fragen des rein Natürlichen zu vollverbindlichen Lehraussagen zu kommen. Wenn eine Interpretation der Natur gegen die Offenbarung ist, ist sie selbstverständlich abzulehnen. Wenn etwa eine Lehre das blinde Befolgen menschlicher Triebe zum ausschließlichen oder auch nur vorwiegend zu beachtenden Maßstab menschlichen Handelns machte, so müßte sich die Kirche gegen eine solche Interpretation der Natur des Menschen zur Wehr setzen. Die Kirche könnte selbstverständlich gegen bestimmte Manipulationen des Menschen Stellung nehmen, die die Medizin vielleicht in naher Zukunft ermöglichen wird. Etwa die Züchtung menschlicher Arbeitsbienen. Die Kirche kann hier, aufbauend auf den Erkenntnissen einer natürlichen Ethik (die gegen eine solche Manipulation schon ein Veto einlegen würde) auch aufgrund der Offenbarungswahrheiten zu dem Ergebnis kommen, daß derartige Eingriffe das wahre und volle Menschsein beeinträchtigen und mit der übernatürlichen Zweckbestimmung des Menschen nicht vereinbar seien9 • In gleicher Weise wird die Kirche gegen eine rein materialistische Deutung der Menschennatur zu Feld ziehen, die etwa dem Staat das Recht einräumt, sogenanntes ·unwertes· Leben nach freiem Ermessen zu vernichten. In allen diesen Fällen wendet sich die Kirche gegen eine Interpretation der Menschennatur, die mit gewissen Wahrheiten der Offenbarung in Widerspruch steht. Zu beachten ist allerdings, daß die Kirche dabei nicht ausschließlich auf der Offenbarung beruhende Erkenntnisse verwertet, sondern lediglich auch mit den aus der Offenbarung stammenden Begründungen eine Forderung untermauert, die schon von der natürlichen Ethik gestellt wird. Wie ist es aber, wenn nun bestimmte Lehren und Ansichten mit der Offenbarung der Kirche vereinbar sind und wenn die Kirche aus diesen mehreren möglichen Lösungen eine bestimmte auswählt? In diesem Falle kann sie sich für die konkrete Lösung nicht mehr auf die Offenbarung stützen, sondern ausschließlich auf die Erkenntnisse profaner Wissenschaften. Hier muß in aller Deutlichkeit gesagt werden, daß der Stellenwert solcher Aussagen sich 9 J. David, ebd. 78.

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wesentlich von dem der vorhin genannten unterscheidet. Es dürfte hier der Grundsatz gelten: Tantum valet, quantum probat, d. h. die Aussage ist soviel wert, als sie sich selbst mit profanen Mitteln zu begründen vermag. Es ist daher als Folgerung gar nicht anzuzweifeln, daß derartige Aussagen das Feld für weitere wissenschaftliche Forschungen nicht nur nicht verschließen, sondern mitunter geradezu eröffnen. Die vom Ersten Vatikanischen Konzil verkündete Unfehlbarkeit des Papstes hinsichtlich der Glaubens- und Sittenlehre lO bezieht sich nach den Worten des offiziellen Sprechers dieses Konzils, des Bischofs Gasser von Brixen, auf das sogenannte "Depositum fidei", den Glaubens-(Offenbarungs-)schatz und was unmittelbar damit zusammenhängt. Die Unfehlbarkeit bezieht sich auf Sittenlehren, soweit sie geoffenbart sind, z. B. auf das Gebot der Nächstenund Feindesliebe, die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe usw. Aber damit ist nach Jakob David noch nicht bewiesen, daß sich die Lehrautorität der Kirche und gegebenenfalls die Unfehlbarkeit auch auf Fragen der rein natürlichen Sittlichkeit beziehe. Eine Äußerung einer kirchlichen Autorität in Dingen, die nicht mit dem "Depositum fidei" zusammenhängen, erfolgt daher nicht aufgrund des unfehlbaren Lehramtes der Kirche, sondern aufgrund des Hirtenamtes. Dieses Hirtenamt hat nun die Aufgabe, die Gläubigen in ihrer sittlichen Lebensführung zu unterstützen und zu leiten. Es kann auch Weisungen geben in Dingen, die nur mittelbar mit dem geistlichen Ziel der Kirche zusammenhängen, wie etwa hinsichtlich des sozialen Wohnbaues etc. Doch kommt den Aussagen des Hirtenamtes nicht der gleiche Stellenwert zu, wie wenn das Lehramt sich im Bereich der übernatürlichen Offenbarung äußert. Die Verbindlichkeit bei den Aussagen des Hirtenamtes ist einerseits aufgrund der unbestrittenen Autorität des Amtes gegeben, das eine Entscheidung zwar aufgrund kontingenter, wandelbarer Einsichten, aber doch immerhin nach gewissenhafter Prüfung vornimmt; andererseits kommt diese Verbindlichkeit letztlich doch nur zustande, wenn und insoweit eine wirklich schlüssige Beweisführung vorliegt. Solche Aussagen gelten daher stets nur "salvo meliori iudicio"lI. Mit diesen bruchstückhaften Darlegungen dürften vielleicht einige Schwierigkeiten um das Verständnis des Naturbegriffs in theologischer Sicht aus dem Weg geräumt sein. Diese Darlegungen haben aber vielleicht auch ein Doppeltes zu zeigen vermocht: 10 H. Denzinger/A. Schönmelzer, Enchiridion Symbolorum (Barcinone 32 1963), nr.3074. 11 J. David, Kirche und Naturrecht, (Anm. 7) 130 ff.

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1. Daß die Theologie als Wissenschaft der übernatürlichen Offenbarung die Profanwissenschaften vor Fehlinterpretationen im Naturbegriff zu bewahren vermag und dies - innerhalb des Rahmens ihrer Zuständigkeit - auch tun soll; 2. daß aber auch die Theologie bei ihren Aussagen eines ständigen Dialogs mit den profanen Wissenschaften nicht entraten kann.

Das Recht auf Wort und Sakrament Ein Grundrecht und seine Verwirklichung 1. Grundrechte im neuen Codex Iuris Canonici Der am 27. November 1983 in Kraft getretene Codex Iuris Canonici (CIC/1983) enthält in seinem zweiten Buch mit dem Titel "Das Volk Gottes" einen eigenen Grundrechtskatalog. Damit ist ein langer Streit teils um die kirchenrechtliche Kodifizierung von Grundrechten an sich, teils über die Frage zum Abschluß gekommen, wo und wie diese Grundrechte niedergelegt sein sollten. Im Zuge der Arbeiten am neuen Codex wurde auch das Projekt eines eigenen, von diesem Codex verschiedenen und formal als solches gekennzeichneten Verfassungsrechts (Lex Ecclesiae fundamentalis) diskutiert, und es wurden auch mehrere Entwürfe eines solchen Kirchlichen Grundgesetzes erstelltl. Neben einer Beschreibung des hierarchischen Aufbaues der Kirche sollte dieses Grundgesetz auch einen Katalog von Grundrechten enthalten. Mit der Promulgation des CIC/1983 am 25. Jänner 1983 ist auch die Entscheidung darüber gefallen, daß es (vorläufig) kein Kirchliches Grundgesetz geben wird; die in den Projekten zum Kirchlichen Grundgesetz enthaltenen Grundrechte sind in den Codex eingegangen2• Die Grundrechte sind im CIC/1983 teils als Rechte aller Gläubigen (ce. 208-223), teils als solche der Laien (cc. 224-231) ausformuliert. Das Recht

1 Zu dem Ringen um die Formulierung eines Kirchlichen Grundgesetzes (Lex Ecclesiae Fundamentalis) vgl. W. Aymans/H. Heinemann/K. MörsdorflR. A. Strigl, Lex Ecclesiae Fundamentalis. Bericht über die Arbeitsergebnisse eines kanonistischen Symposions in München 1971, in: AkKR 140 (1971) 407-506. 2 Bemerkenswert ist allerdings, daß sich der CIC/1983 durchwegs, auch bei der Kodifizierung von Grundrechten, nicht der üblichen Reihenfolge "Rechte und Pflichten" bedient, sondern immer die Pflichten vor den Rechten anführt. Im Streit um die Reihenfolge hat sich in der CIC-Kommission offensichtlich die Meinung durchgesetzt, Rechte folgten erst aus Pflichten. Vgl. Communicationes 12 (1980) 78. Dazu Komonchak, Die Stellung der Gläubigen im neuen Kirchenrecht, in: Concilium 17 (1981) 563.

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auf "geistliche Güter" (darunter sind, wenngleich nicht ausdrücklich erwähnt, zweifellos in erster Linie die Sakramente zu verstehen) war in c. 682 des Codex von 1917 (CIC/1917) einseitig als Recht der Laien zu finden3 ; nunmehr ist das Recht auf Wort und Sakrament als allen Gläubigen zustehendes Grundrecht kodifiziert, und es hat folgenden Wortlaut: "Die Gläubigen haben ein Recht, aus den geistlichen Gütern der Kirche, insbesondere aus dem Wort Gottes und den Sakramenten, Hilfe von den geistlichen Hirten zu erhalten." Wenn hier von einem allen Gläubigen in gleicher Weise zustehenden Grundrecht gesprochen wird, so ist dies eine Folgerung aus der neuen Sichtweise des CIC/1983, der im Gegensatz zum CIC/1917 nicht zuerst das Kleriker und Laien Unterscheidende betont, sondern das allen Gemeinsame in den Vordergrund rückt. Unter allen Gläubigen herrscht zufolge c. 208 CIC/1983 eine fundamentale Gleichheit in bezug auf Würde und Tätigkeit, kraft der alle, je nach ihren LebensumstäDden und Aufgaben, am Aufbau des Leibes Christi Anteil nehmen4 . 2. Grundrechte und "einJachgesetzliche" AusJormulierung

Wenngleich die Grundrechte im CIC/1983 formal nicht als Verfassungsnormen gekennzeichnet sind und ihnen somit keine formalrechtlich höhere Wertigkeit gegenüber anderen Bestimmungen des CIC zukommt, kann doch die Frage gestellt werden, ob und wie sich Konsequenzen hinsichtlich der Durchsetzung der Grundrechte in den einzelnen Bestimmungen des CIC fmden. Was das Grundrecht auf Wort und Sakrament angeht, ist zunächst einmal in einer grundsätzlichen Aussage über die Sakramente deren ekklesiale Dimension deutlich heraugesteIlt, wenn es nämlich heißt, daß die Sakramente einen höchst wichtigen Beitrag zur Begründung, Festigung und Sichtbarmachung der kirchlichen Gemeinschaft leisten (c. 840 CIC/1983). Damit wird 3 CIC/1917 fonnulierte in c. 682 ein Grundrecht der Laien, allerdings mit einer gewissen "Obrigkeitslastigkeit", nämlich "ad nonnam ecclesiasticae disciplinae". 4 C. 208 CICI1983 lehnt sich in seiner Aussage offensichtlich an LG 32 an, allerdings mit einer nicht unbedeutenden Akzentverschiebung. Lautete nämlich die Konzilsaussage: " ... vera tarnen inter omnes viget aequalitas quoad dignitatem et actionem cunctis fidelibus communem circa aedificationem Corporis Christi", so hat c. 208 diese Aussage folgendennaßen umgefonnt: "... vera viget quoad dignitatem et actionem aequalitas, qua cuncti, secundum propriam cuiusque condicionem et munus, ad aedificationem Corporis Christi cooperantur." Im Text des CIC/1983 wird also das Unterscheidende in der Tätigkeit wieder ganz deutlich hervorgehoben, während das Konzil die Gemeinsamkeit von Warde und Tätigkeit in den Mittelpunkt gestellt hatte. Vgl. dazu Komonchak, (Anm. 2) 562 f.

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deutlich, daß jedes Grundrecht, so auch das auf Wort und Sakrament, zunächst als ekklesiales Grundrecht auf volle communio in der Kirche gesehen werden muß5. Insofern auch das Grundrecht auf Wort und Sakrament als der Kirche vorgegebenes und zu ihrer Verwirklichung aufgetragenes Anrecht aller Gläubigen verstanden werden muß, ergibt sich von hier aus die (auch) den kirchlichen Gesetzgeber bindende Pflicht, alles zur Verwirklichung dieser communio in bestmöglicher Weise zu tun6 • Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien im folgenden elDlge Beispiele angeführt, aus denen hervorgeht, daß die Kirche innerhalb ihrer bestehenden Strukturen das Grundrecht auf Sakramente durchaus ernst nimmt. Die Sakramente können den auf ihren Empfang entsprechend Vorbereiteten nicht grundlos verweigert werden, sondern nur im Rahmen bestehender rechtlicher Bestimmungen (c. 843). Soweit es sich dabei um strafrechtliche Normen handelt, gilt der Grundsatz "keine Strafe ohne (vorheriges) Gesetz" (c. 221 § 3)7. Wurde einem Priester strafweise die Vollmacht zur Spendung von Sakramenten und Sakramentalien entzogen, so wird dieses Verbot suspendiert, sooft die Sakramentenspendung zum Wohl der Gläubigen notwendig ist (c. 1335); gegenüber den in Todesgefahr befindlichen Gläubigen ist jede Sakramentenspendung, insbesondere die Spendung des Bußsakramentes, durch jeden Priester möglich (cc. 976, 1335). Anzuführen sind hier auch die Bestimmungen über den Sakramentenempfang der Katholiken bei nichtkatholischen christlichen Amtsträgem bzw. die Sakramentenspendung an nichtkatholische Christen durch katholische Priester. Demnach können, sofern ein katholischer Amtsträger nicht erreichbar ist, Katholiken die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung von nichtkatholischen Amtsträgem erbitten, wenn in der betreffenden Kirche die genannten Sakramente gültig gespendet werden. Katholische Geistliche können ihrerseits die genannten Sakramente den Mitgliedern der getrennten Ostkirchen spenden, sooft diese darum bitten und in der rechten 5 P. Hinder, Grundrechte in der Kirche. Eine Untersuchung zur Begründung der Grundrechte in der Kirche, in: Studia Friburgensia, Neue Folge 54, Kanonistische Abt., Freiburg/Schw. 1977,228,257. 6 Mit Recht fonnuliert Hinder, ebd. 230, es sei Sache der Kirche, sich grundsätzlich "in favorem communionis" zu verhalten. 7 Allerdings wird - und das erscheint zumindest wegen der Optik bedenklich - der Grundsatz "nulla poena sine lege" mit einer eigentümlich pastoral motivierten Begründung durchbrochen. Es heißt in c. 1399 CIC/1983, daß auch ohne vorheriges Strafgesetz oder Strafgebot eine Bestrafung dann erfolgen könne, wenn die besondere Schwere der Gesetzesverletzung eine Strafe fordere und die Notwendigkeit bestehe, einem Ärgernis zuvorzukommen oder ein solches wiedergutzumachen.

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Verfassung sind. Das für die Ostkirche Gesagte gilt auch für jene Kirchen, die nach dem Urteil des Heiligen Stuhls den getrennten Ostkirchen in bezug auf die Sakramente gleichgestellt sind. - In Todesgefahr oder bei einer anderen schwerwiegenden Notwendigkeit können diese Sakramente auch anderen Christen gespendet werden, die keine volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche haben, wenn sie einen Amtsträger ihrer eigenen Kirche nicht aufsuchen können, von sich aus um die Sakramente bitten, in der rechten Verfassung sind und in bezug auf die Sakramente den Glauben der katholischen Kirche teilen (c. 844 §§ 2-4). In diesem Zusammenhang müßte man auch auf die Erleichterungen hinsichtlich der Fonnpflicht bei der Eheschließung eingehen. Zwar hält auch das derzeitige kanonische Recht, nicht zuletzt aus pastoralen Gründen8 , an der Formpflicht der Katholikenehe fest, d. h. die kirchliche Rechtsordnung betrachtet die Ehe des Katholiken, wenn sie nicht vor dem katholischen Geistlichen eingegangen wurde, als ungültig. Gleichwohl bietet das derzeitige kanonische Recht gegenüber dem CIC/1917 wesentlich mehr Möglichkeiten, eine gültige Ehe auch ohne Einhaltung der kanonischen Form zu schließen. Diese kirchenrechtlichen Erleichterungen sind insofern unter dem Blickwinkel des Grundrechts auf Sakramente zu sehen, als die Kirche, aufgrund einer im einzelnen freilich umstrittenen, aber dem kanonischen Gesetzgeber "vorgegebenen" theologischen Position, von der Untrennbarkeit von gültiger und sakramentaler Ehe von Getauften ausgeht (vgl. c. 1055 § 2 CIC/1983). Dieser Auffassung zufolge ist jede gültige Ehe unter Getauften eo ipso Sakrament, und die Gültigkeit der Ehe hängt wiederum u. a. von der Einhaltung der im positiven Kirchenrecht für die Katholiken ausformulierten kanonischen Formpflicht ab. Wer diese nicht beobachtet, kann keine gültige Ehe eingehen und ist damit vom Empfang des Sakraments der Ehe ausgeschlossen.

Der kirchliche Gesetzgeber befindet sich hier in einem Dilemma: einerseits meint er, auf die Formpflicht aus guten Gründen nicht ganz verzichten zu können, andererseits will er aber auch nicht ohne schwerwiegende Gründe das 8 Deutlicher als das bisherige Kirchenrecht bringt der CIC/1983 die seelsorgliche Bedeutung von kirchlicher Ehevoroereitung und kirchlicher Trauung zum Ausdruck (cc. 1063-1072), wobei auch das Partukularrecht höchst wertvolle Beiträge im Zusammenhang mit der kirchlichen Ehevorbereilung leistet. Die Einffihrung der Formpflicht im gegenwärtigen Umfang auf dem Konzil von Trient (1563) war freilich in erster Linie als sozialer Ordnungsfaktor gedacht, da bis dahin sehr oft Zweifel über die Tatsache einer Eheschließung vorlagen. Ob angesichts heute völlig geänderter gesellschaftlicher Voraussetzungen (Einffihrung einer staatlichen Eheschließung) die Kirche an einer die GQltigkeil der Ehe betreffenden Formpflicht festhalten soll, bedarf wohl noch einer gründlichen Erörterung.

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Sakrament der Ehe denen vetweigern, die aus bestimmten Gründen die kirchliche Formpflicht nicht einhalten. Dieser Kompromiß hat im neuen Kirchenrecht zu Zugeständnissen insbesondere im Bereich der Formpflicht bei konfessionell gemischten Ehen geführt. Es ist aber darüber hinaus ein gerade auch unter dem Blickwinkel des Grundrechts auf Sakramente beachtlicher zusätzlicher Schritt getan worden, insofern als der aus der katholischen Kirche Ausgetretene nicht mehr formpflichtig ist. Selbst dem Kirchenglied, das sich von der communio distanziert hat, soll der Empfang des für die Ehe bedeutsamen Sakramentes ermöglicht werden (vgl. c. 1117). 3. Sprengung bestehender Strukturen? Das Grundrecht auf Wort und Sakrament konzentriert sich in dem Recht auf Eucharistie, von der der neue CIC sagt, sie sei jenes erhabenste Sakrament, durch das ständig Kirche lebt und wächst. Die Eucharistie ist Höhepunkt und Quelle der gesamten Gottesverehrung und des christlichen Lebens (c. 897). Ein Grundrecht auf Sakramente, das - wie schon gesagt - ein Grundrecht auf communio bedeutet, impliziert daher selbstverständlich ein Recht auf jenes Sakrament, das diese communio in besonderer Weise bewirkt und ausdrückt. Im Zusammenhang mit dem Recht auf Eucharistie scheint ein Weg nicht gangbar zu sein, der aus dem Grundrecht auf Sakramente ein durchsetzbares Recht auf Amtsträger in dem Sinne ableiten will, daß in bestimmten Extremsituationen, wenn eine Gemeinde lange Zeit ohne Priester und damit ohne Eucharistie wäre, sie selbst aus ihrer Mitte einen berufen könnte, der ohne sakramentale Priestetweihe gültig die Eucharistiefeier vornehmen könnte9 . Eine solche Deutung von Amt und Amtsgewalt ist offensichtlich im Selbstverständnis der katholischen Kirche nicht enthalten; die Kongregation für die Glaubenslehre hat ihr erst jüngst eine deutliche Absage erteilt 10 . Andererseits aber hieße es das Grundrecht auf Sakramente nicht ernst nehmen wollen, wenn daraus nicht auch eine Anfrage an den kirchlichen Gesetzgeber abzuleiten wäre, ob er nicht bestehende Strukturen, die zweifellos 9 So fonnuliert E. Schillebeeckx, Das kirchliche Amt (Düsseldorf 1981) 200, es scheine "neutestamentlich einfach selbstverständlich", daß eine Gemeinde in extremen Notsituationen aus ihrer Mitte einen Amtsträger berufen könne. 10 Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Fragen bezüglich des "Dieners der Eucharistie", in: L 'Osservatore Romano, 9. Sept. 1983. 15 Primetshofer

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seinem ändernden Zugriff unterliegen, überprüfen müßte. Sofern durch Priestermangel die Gemeinden in ihrem Recht auf Sakramente, insbesondere auf Eucharistie, spürbar verkürzt werden, erhebt sich die Frage, ob nicht die Kirche das bestehende Auswahlprinzip, nämlich Verleihung des Priesteramtes nur an Ehelose, ändern könnte, ja sogar müßte. So sinnvoll der Zölibat nicht zuletzt wegen seiner grundsätzlichen Zeichenhaftigkeit auch ist, so kann die Koppelung des Priesteramtes mit dem Zölibat doch zu einer spürbaren Verkürzung, ja sogar Vereitelung des Grundrechts auf Sakramente führen 11 . Eine Kirche, die sich als eine Gemeinschaft von fundamental Gleichen versteht, müßte sich ganz ernsthaft die Frage nach der Wertigkeit ihrer Normen stellen. Wenn und insoweit ein von der Kirche selbst erkanntes und in ihrer eigenen Rechtsordnung enthaltenes Grundrecht ernsthaft gefährdet erscheint, muß sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um diesem Grundrecht Anerkennung zu verschaffen, und dazu gehört zweifellos in erster Linie die Sorge um ausreichenden apostolischen Dienst an der Gemeinde 12 •

11 A. Gerken, Theologie der Eucharistie, München 1973, 245: "Das in der römisch-katholischen Kirche geübte Auswahlprinzip (Ehelosigkeit und volle theologische Ausbildung) ist trotz seiner Affmität zum Amt situationsgebunden, also nicht notwendig mit der Übernahme des kirchlichen Amtes verbunden. Dies ist allgemein anerkannt. Dann darf dieses Auswahlprinzip aber nicht höher eingeschätzt werden als das Recht einer christlichen Gemeinde auf die Eucharistiefeier. " 12 Hinder, (Anm. 5) 247. - Mit Recht fragt Örsy: "Are our present laws such that the fundamental right of our people to celebrate the Eucharist is protected and sustained?" L. Örsy, The Fundamental Rights of Christians and the Exercise of the "Munus sanctificandi", in: Die Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft. Akten des IV. Internationalen Kongresses für Kirchenrecht, Editions universitaires Fribourg/Suisse, 1981,216.

Vom Geist des Codex loris Canonici 1983 1. Vorbemerkungen

Den Geist einer Rechtsordnung im allgemeinen oder zumindest eines bestimmten Gesetzes zu untersuchen, ist eine alte und immer wieder reizvolle Aufgabel. Geht es doch dabei darum, hinter die Fassade eines Normgerüstes zu blicken, die Frage nach Sinnzusammenhängen nicht nur innerhalb der einzelnen Normen unter sich, sondern nach den allgemeinen Ideen und Leitlinien ("Leitmotiven") des konkreten Erscheinungsbildes der gesatzten Norm zu stellen. Es geht dabei um durchaus mehr als um die "ratio legis"2 und die Omens legislatoris" als Hilfsmittel der Gesetzesinterpretation3 • Die Frage nach dem Geist einer Gesetzgebung zu stellen, heißt, unabhängig von dem im Zusammenhang mit der Interpretation zu ermittelnden konkreten Norminhalt nach jenen Triebkräften zu forschen, die - dem Gesetzgeber selbst vielleicht nicht immer reflex bewußt - dafür verantwortlich sind, daß das Gesetz in einer bestimmten geschichtlichen Konstellation gerade diese und keine andere Gestalt bekommen hat. In diesem Sinne wäre es ein lohnendes Unterfangen, dem Geist des CIC/1983 in einer umfassenden Untersuchung nachzugehen. Insbesondere wäre angesichts des engen Zusammenhangs zwischen dem Gesetzbuch und dem 11. Vatikanischen Konzil eine ins Detail gehende Fragestellung interessant, inwieweit der CIC/1983 bei einem Vergleich mit den Aussagen des 11. 1 Für das kanonische Recht sind insbesondere anzufiihren: U. Stutz, Der Geist des Codex Iuris Canonici, Stuttgart 1918; R. Bidagor, EI espiritu dei derecho canonico, in: Revista espaiiola de derecho canonico, 13 (1958) 5-30; P. Fedele, Lo spirito dei diritto canonico, Padova 1962. - Unmittelbar vor der Promulgation des CIC/1983 hat Schwarz den grundsätzlich beachtenswerten Versuch unternommen, dem Geist des Kirchenrechts nachzugehen; gegen einzelne der von ihm vorgelegten Ergebnisse sind jedoch nicht unerhebliche Bedenken anzumelden. R. Schwarz, Vom Geist des Kirchenrechts, in: ÖAKR 31 (1980) 223-240. 2 V gl. I. Dekkers, De momento rationis legis in legum interpretatione. Pontificia Universitas Lateranensis, Theses ad lauream. Romae 1960. 3 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff. Wien/New York 1982,449-453.

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Vatikanischen Konzils die "Vorgaben und Leitlinien und die durch sie angeregten Erwartungen in allem und jedem erfüllt" hat4 • - Hiezu ist der vorliegende Beitrag nicht in der Lage. Es sollen lediglich schlaglichtartig einige Facetten aus diesem Problembereich herausgegriffen werden, die sich u. a. auch der Frage widmen, ob der Gesetzgeber aus den ihm vorgegebenen und von ihm grundsätzlich auch anerkannten Prämissen immer die bestmöglichen Schlüsse gezogen hat, oder ob vielleicht da und dort Abweichungen und Fehlinterpretationen festzustellen sind. Die Frage nach dem Geist des CIC/1983 zu stellen, heißt aber auch, der Frage nach einem möglichen Ungeist nicht auszuweichen. Das 20. Jahrhundert ist, was die kirchliche Rechtsgeschichte anlangt, durch zwei Kodifikationen des universalen Kirchenrechts der Lateinischen Kirche gekennzeichnet, die - gewiß zufällig - jeweils 17 Jahre nach dem Beginn bzw. vor dem Ende dieses Jahrhunderts promulgiert wurden (1917 und 1983). Es braucht hier nicht mehr eigens auf eine sehr oft schon festgestellte Tatsache verwiesen zu werden, daß beide Kodifikationen in einem sofort ins Auge springenden Ausmaß von ökumenischen Konzilien (dem Ersten bzw. Zweiten Vatikanischen Konzil) getragen werden, die mit den sie begleitenden Ekklesiologien und Theologien das Selbstverständnis der katholischen Kirche nachhaltigst beeinflußt haben. Hierbei zeigt sich, was die diese Kodifikationen begleitende Kanonistik betrifft, ein auffallender Unterschied: In ungleich größerem Maß als beim CIC/1917 wird beim CIC/1983 die Frage nach der diese Kodifikation, ja überhaupt das Recht in der Kirche tragenden Theologie gestellt. Während beim CIC/1917 in der bald nach der Promulgation des Gesetzbuches einsetzenden Kommentierung des Codex' als ganzem bzw. einzelner Teile desselben5 zwar z. T. hohe wissenschaftliche Qualität erzielt wurde6 , so fehlt doch die Fragestellung nach dem spezifisch theologischen Ort des Rechts in der Kirche und damit zusammenhängend die Frage nach der

4 H. Schmilz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR, 45. Papst Johannes Paul 11. bezeichnete am 9. 12. 1983 in einer Ansprache den CIC/1983 als "letztes Konzilsdokument": "Ultimo documento conciliare, il Codice sara il prima a inserire tutto il Concilio in tutta la vita". Communicationes 15 (1983) 128. 5 Vgl. dazu das Literaturverzeichnis bei K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Paderborn 111, 1964,41 f. 6 Dies gilt insbesondere von den in rechtsdogmatischer Hinsicht ungemein tiefgründigen Monographien von G. Michie/s: Normae generales iuris canonici, Paris 21949; Principia generalia de personis in Ecclesia, Paris 21955; De delictis et poenis, Paris 1961. Freilich sind bei Michiels wie auch bei vielen anderen Kommentatoren des CIC/1917 Fragestellungen nach philosophischen, theologischen und ekklesiologischen Zusammenhängen fast vollständig ausgeklammert.

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Eigenart dieses kanonischen Rechts fast vollständig7. Demgegenüber wird in der der Promulgation des CIC/1983 vorausgehenden und ihr folgenden Literatur die Frage nach dem theologischen und ekklesiologischen Ort des Kirchenrechts so häufig und intensiv gestellt8 , daß sie schon zu einer die Beschäftigung mit dem gesatzten Recht beinahe notwendigerweise begleitenden Pflichtübung zu werden scheint. Hierbei bilden Impulse von höchster kirchlicher Ebene9 , wenn schon nicht das auslösende Moment, so doch einen mitbestimmenden Faktor. Es sind zweifellos Aussagen des 11. Vatikanischen Konzils, die den CIC/1983 von seinem Entstehen her und nach seinem Inhalt prägen lO • Dieser Codex kann, wie Papst Johannes Paul 11. ausführt, "als ein großes Bemühen aufgefaßt werden, eben diese Lehre, nämlich die konziliare Ekklesiologie, in die kanonistische Sprache zu übersetzen"ll; das grundlegend Neue in der ekklesiologischen Lehre des 11. Vatikanischen Konzils, wie sie insbesondere in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche und in der Pastoralkonstitution niedergelegt seien, mache auch das grundlegende Neue im CIC/1983 aus l2 .

7 Insofern hat sich die im Anschluß an die Promulgation des CIC/1917 getroffene Voraussage U. Stutz', die Kanonistik werde für längere Zeit "exklusive Kodizistik" sein, durchaus bewahrheitet. Stutz, Geist des Codex (Anm. 1) 169. 8 Vgl. dazu u. a. E. Corecco, Theologie des Kirchenrechts, in: HdbKathKR, 12-24 (mit ausführlichen Literaturhinweisen). 9 Papst Paul VI. hat mehnnals auf die Notwendigkeit einer theologischen Begründung des Kirchenrechts hingewiesen: z. B. Ansprache an die SRR, 8. 2. 1973, in: AAS 65 (1973) 95-103; Ansprache an die Teilnehmer des zweiten kanonistischen Kongresses in Mailand, 17. 9.1973, in: AkKR 142 (1973) 463-471. - Freilich sind da und dort auch im Zusammenhang mit einer Theologie des Kirchenrechts Überdehnungen feststellbar. So etwa, wenn es in den "Principia quae Codicis Iuris Canonici recognitionem dirigant" beim Aufweis der Dienstfunktion des Kirchenrechts für den übernatürlichen Charakter der Kirche heißt: "Nam ius in mysterio Ecclesiae habet rationem veluti sacramenti seu signi vitae supernaturalis christifidelium, quam signat et promovet". (Hervorhebung vom Verf.): Communicationes I (1969) 79. 10 Papst Johannes Paul 11., Apost. Konstitution "Sacrae disciplinae leges" 25. 1. 1983. 11 Ebd. Vgl. die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene deutsche Übersetzung des CIC/1983, XIX. 12 Ebd. XXI. Vgl. dazu die Ansprache Papst Pauls VI. vom 4.2. 1977, worin eine bereits 1965 erteilte Weisung wiederholt wird, der neue Codex müsse ein aufs beste an das Zweite Vatikanische Konzil angepaßtes Instrument werden. AAS 69 (1977) 147-153; X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem Iuris canonici editae, V, Romae 1980, Sp. 7290-7293.

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In seiner Grundausrichtung und in vielen Einzelaussagen unzweifelhaft von der Geistigkeit des 11. Vatikanischen Konzils geprägt l3 , ist es dem CIC/1983 weitaus besser als seinem Vorgänger (dem CIC/1917) gelungen, ein nach Form und Inhalt spezifisch geistliches Recht zu schaffen, das schon bei einem kurzen Überblick aufweist, daß es die Rechtsordnung einer zum Glauben gerufenen und von diesem geprägten Gemeinschaft (communio) ist. Während der CIC/1917 den - vom Standpunkt rein juristischer Kodifikationstechnik durchaus gelungenen - Versuch unternimmt, ein juristisch exaktes, der Kirche als "societas perfecta" angemessenes Recht zu schaffen l4 , ist der CIC/1983, obwohl er sich durchaus zum kanonischen Recht als Rechtsordnung bekennt l5 , von dem erfolgreichen Bestreben getragen, der Kirche als Volk Gottes ein seiner Eigenart adäquates Normgefüge zu geben. Daß diese Rechtsordnung von Theologie und Ekklesiologie getragen wird, daß viele Normen ohne den geistigen Horizont dieser Vorgegebenheiten nicht erfaßt werden können, ist an diesem Gesetzbuch so sehr greifbar, daß man beinahe die alte Rechtsparömie über das Verhältnis von kirchlicher und weltlicher Rechtswissenschaft ("legista sine canonibus parum valet, canonista sine legibus nihil") um den Zusatz ergänzen möchte, "canonista sine theologia nihil (valet)". Gleichwohl kann der aufmerksame Beobachter nicht umhin festzustellen, daß der vorliegende CIC/1983 durchaus nicht in allem und jedem als getreues Spiegelbild und kanonistische Verarbeitung konziliarer Vorgaben anzusprechen ist, sondern daß sich teils im Grundsätzlichen, teils in Einzelfragen Formulierungen finden, die vom Konzil, wenn überhaupt, so doch nicht zwingend vorgezeichnet sind, ja sich gelegentlich von ihm deutlich abheben. Es ist auch zu bemerken, daß mitunter bei (fast) verbalem Festhalten an konziliaren Formulierungen durch Auslassungen und Einschübe in (zu Canones gewordenen) Konzilsaussagen Akzentverschiebungen, ja Sinnverlagerungen stattgefunden haben. Daß es einige normative Widerspcüchlichkeiten in diesem Gesetzbuch gibt, ist bei einem so umfassenden, beinahe die gesamte Rechtsmaterie des universalen Kirchenrechts der Lateinischen Kirche regeln13 Schmitz, Codex (Anm. 4) 45-53. 14 Zur Entwicklung der Societas-perfecta-Lehre vgl. N. Timpe, Das kanonistische Kirchenbild vom Codex Iuris Canonici bis zum Beginn des Vaticanum Secundum. Eine historisch-systematische Untersuchung. Leipzig 1978, 16-19. - Über die legistischen Vorbilder des CIC/1917 gibt der Beitrag von F. Elsener, Der Codex Iuris Canonici im Rahmen der europäischen Kodiftkationsgeschichte, in: A. MüllerlF. ElsenerlP. Huizing, Vom Kirchenrecht zur Kirchenordnung? Einsiedeln/Zürich/Köln 1968,27-53 Aufschluß. 15 Vgl. dazu die von der Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 1967 approbierten Grundsätze für die Reform des Codex, in: CIC/1983 Praefatio (lateinisch-deutsche Ausgabe), XL, Nr. 1.

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den Codex nicht weiter verwunderlich l6 ; darauf soll auch hier nicht näher eingegangen werden. Es gibt indes tiefer reichende Widersprüche, die eine nicht unerhebliche Belastung des Erschenungsbildes der Kirche nach außen bedeuten. Spätestens bei der Auswertung dieses Befundes ist eine gewisse Ängstlichkeit des Gesetzgebers festzustellen, der mitunter davor zurückschreckt, die ganze Fülle und Breite konziliarer Aussagen ohne Abstriche in Gesetzesform zu gießen. 2. Bemerkungen zur hierarchischen Veifaßtheit der Kirche

Papst und Bischofskollegium bilden, den Worten des CIC/1983 zufolge, die höchste Autorität in der Kirche; analog zum Apostelkolleg (Petrus und die übrigen Apostel) sind Papst und Bischöfe untereinander verbunden (c. 330). In dem Kapitel "Papst und Bischofskollegium" ist für beide Verfassungsorgane je ein Artikel vorgesehen. Die in diesen niedergelegte Selbstdarstellung der Kirche ist getragen von der Dogmatischen Konstitution über die Kirche und deren Erläuternden Vorbemerkungen, speziell was die Stellung des Papstes als Haupt des Bischofskollegiums betrifft (c. 336). Mehrere Details springen in diesem Zusammenhang ins Auge. Da ist zum einen die in c. 331 anzutreffende Selbstdarstellung des Amtes des Bischofs von Rom und der damit verbundenen Amtsgewalt. Der Bischof von Rom wird u. a. als Vicarius Christi bezeichnet, was zwar nicht grundsätzlich ungewöhnlich ist, da man, was die kanonistischen Aspekte dieser Stellung betrifft, längst von einer (bei bestimmten Gegebenheiten tätig werdenden) potestas vi-

16 So ist etwa die Einfügung der rur die "Lex Ecclesiae fundamentalis" vorgesehenen Canones in den CIC/1983 gesetzestechnisch nicht in jeder Hinsicht geglückt. Überdies sind die in der Schlußphase der Redaktionsarbeiten vorgenommenen Änderungen nicht zur Gänze in eine homogene Fassung des gesamten Gesetzestextes eingebracht worden. Vgl. dazu Schmitz, Codex (Anm. 4) 44. - Insbesondere ist das redaktionelle Versehen des c. 1400 § 2 zu erwähnen, das von einem Rechtsmittel (gegen Verwaltungsakte) an ein "tribunal administrativum" spricht. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß hier nicht die Signatura Apostolica (Zweite Sektion) gemeint sein kann. Der Hinweis auf ein (sonstiges) tribunal administrativum geht aber ins Leere, weil es ein solches nach der vorliegenden Fassung des CIC/1983 nicht gibt. Vorgesehen waren solche tribunalia administrativa auf der Ebene der Bischofskonferenzen nach dem Schema CIC/1980 und dem von 1982. Es hat also den Anschein, als ob die Textfassung von c. 1400 § 2 eine in den Schemata projektierte Rechtslage im Auge hat, die nicht Gesetz geworden ist.

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caria 17 des Papstes sprach. Ungewöhnlich ist indes die Tatsache, daß der CIC/1983 von Vicarius Christi nur im Zusammenhang mit dem Papst spricht und nicht, wie das Konzi1 18 , diese Bezeichnung für alle Bischöfe verwendet l9 • Das Attribut ·Vicarius Christi" für Papst und Bischöfe hat eine lange geschichtliche Tradition20 • Der CIC/1917 gebrauchte diesen Ausdruck indes weder für den Papst noch für die Bischöfe. Und dies obwohl, was den Papst betrifft, die Bezeichnung Vicarius Christi zuletzt in der Konstitution ·Pastor aeternus" des I. Vatikanischen Konzils21 als Wiederholung und Zitat einer auf dem Konzil von Florenz (1439) getroffenen Aussage verwendet wurde22 • Es wären somit ausreichende Gründe vorhanden gewesen, den in Rede stehenden Titel entweder allen Bischöfen oder keinem von ihnen, also auch dem Papst nicht, zuzuweisen. Erblickt man in der ausschließlichen Verwendung des Titels Vicarius Christi für den Papst keinen Zufall, sondern Absicht, so kommt man um die Feststellung nicht herum, daß hier ein vom Konzil so nicht formulierter Akzent in die Lehre vom Bischofskollegium hineingeraten ist. Die Auswirkung dieser Akzentverlagerung mag nicht so sehr im innerkatholischen Bereich liegen, da sich unter den im "Annuario Pontificio" ange17 Unter der potestas vicaria oder potestas ministerialis versteht man seit dem 12. Jhd. (Pontifikat Alexanders III., 1159-1181) die Gewalt des Papstes, bei Verpflichtungen aufgrund des göttlichen Rechts (z. B. Gelübde, Eid, nichtvollzogene Ehe, nichtchristliche Ehe) zwar nicht im eigentlichen Sinne Dispens zu erteilen, sondern die authentische Erklärung abzugeben, daß aufgrund geänderter Umstände eine Verpflichtung des göttlichen Rechts nicht mehr bestehe. Vgl. dazu L. Coache, Vicaire (pouvoir), in: DDC VII, Sp. 1434-1478; J. Lederer, Der Dispensbegriff des kanonischen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtssprache des CIC. München 1957, 152 f.; U. Navarrete, Potestas vicaria Ecclesiae. Evolutio historica conceptus atque observationes attenta doctrina Concilii Vaticani 11, in: Periodica de re morali, canonica, liturgica 60 (1971) 414 ff. 18 LG 27: "Episcopi Ecclesias particulares sibi commissas ut vicarii et legati Christi regunt ... ". Vgl. auch LG 21. 19 Bezüglich der Bischöfe übernimmt c. 375 § 1 Teilsaussagen von LG 20 und 21, nicht aber die auf den Titel "vicarius" hinweisende Stelle von LG 27. 20 Für den Papst wird in der Fußnote zu LG 18 das Konzil von Florenz (Decretum pro Graecis) als erste Belegstelle erwähnt. H. DenzingerlA. Schönmetzer, Enchiridion symbolorum, Freiburg/Br. 32 1963, Nr. 1307. Für die Bischöfe weist die Fußnote zu LG 27 auf das Breve Benedikts XIV., "Romana Ecclesia" vom 5. 10. 1752 (Bullarium Benedicti XIV, tom. IV, 21) und auf die Enzyklika Pius' XII. "Mystici corporis" hin. Vgl. dazu M. Maccarone, Vicarius Christi. Storia dei titolo papale. Rom 1952; R. Metz, Der Papst, in: HdbKathKR, 255. 21 Denzinger, Nr. 3059. 22 Denzinger, Nr. 1307: "Item difflnimus ... Pontiflcem Romanum ... esse verum Christi Vicarium".

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führten Amtsbezeichnungen des Papstes seit Jahrzehnten auch die eines "Vicario di Gesu Cristo"23 findet. Für das ökumenische Klima aber ist diese einseitig zugunsten des Papstes lautende Hervorhebung wohl nicht günstig. Ganz in das Bezugsverhältnis Papst-Bischofskollegium eingebunden ist nunmehr auch das Ökumenische Konzil. Es wird im CIC/1983 als eine der möglichen Formen des Tätigwerdens des Bischofskollegiums in der Gesamtkirche bezeichnet (c. 337 § 1); die dem Bischofskollegium übertragene Vollmacht kann aber auch auf andere Weise ausgeübt werden (ebd. § 2). Hinsichtlich der Stellung des Ökumensichen Konzils sind damit Konsequenzen in zwei Richtungen gegeben: Zunächst einmal fällt auf, daß es in den Rubriken des CIC/1983 keine Überschrift "De Concilio oecumenico" gibt, wie dies beim CIC/1917 der Fall war24 . Wer sich also anband des der amtlichen Verlautbarung beigegebenen Index des CIC/1983 einen Überblick verschaffen will, wird über das Fehlen des Wortes "Ökumenisches Konzil" vielleicht erstaunt sein; er wird das Konzil nur unter dem Oberbegriff des Bischofskollegiums finden. Man mag geneigt sein, dies als eine der reinen Optik zuzuweisende, rechtlich aber nicht bedeutsame Angelegenheit zu bezeichnen. Es werden aber aus dieser Einbindung des Ökumenischen Konzils in das Bischofskollegium gewichtige inhaltliche Folgerungen abgeleitet. Als Teilnehmer am Konzil werden nämlich jetzt, sogar mit einigem verbalem Nachdruck25 nur die Bischöfe angeführt, von einer kraft Gesetzes gegebenen Teilnahmeberechtigung anderer (Kleriker und Laien) ist nicht die Rede. Es heißt lediglich, 23 Annuario Pontificio 1983,27*. 24 Caput I des Tit. VII im zweiten Buch des CIC/1917. - Freilich krankte die Einordnung des Ökumenischen Konzils im CIC/1917 unter die Rubrik "De suprema potestate deque iis qui eiusdem sunt ecclesiastico iure participes" an mehreren formalen Unschärfen. Zum einen wird eigentlich - merkwürdigerweise - ein konziliaristischer Konzilsbegriff vorausgesetzt. Das ökumenische Konzil wird ja als kraft (bloßen) Kirchenrechts bestellter Teilhaber an der päpstlichen Vollgewalt angesprochen. Damit kann aber nur ein Konzil ohne Papst gemeint sein. Denn für das (richtig verstandene) Konzil als Versammlung von Bischöfen mit dem Papst als hierarchischer Spitze kann die Aussage nicht gelten, daß das so verstandene Konzil Teilhaber an der päpstlichen Höchstgewalt sei. - Zum anderen geht der Hinweis auf die Verankerung des Konzils im bloßen Kirchenrecht an der jedenfalls im göttlichen Recht gründenden Stellung des Apostelkollegiums vorbei, als dessen Rechtsnachfolger sich das Ökumenische Konzil darstellt. Die Tatsache, daß Häufigkeit und Modalitäten der Einberufung eines Ökumenischen Konzils in der Hand des Papstes liegen, kann nicht über die Verankerung des Konzils als solchem im göttlichen Recht hinwegtäuschen. 25 C. 339 § 1: " ... omnibus et solis Episcopis". Das Konzilsdekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe "Christus Dominus" postuliert in Kap. 1, I, 4 für alle Bischöfe das Teilnahmerecht am Ökumenischen Konzil, ohne indes andere bisher Teilnahmeberechtigte auszuschließen.

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daß die höchste kirchliche Autorität auch einige Nichtbischöfe berufen IWnne, wobei es ihr dann auch obliege, deren Rechtsstellung am Konzil näher zu bestimmen (c. 339 § 2).

Bei einem Vergleich dieser Bestimmungen mit den entsprechenden des CIC/1917 lallt der gewaltige Unterschied auf, der hinsichtlich des Kreises der von Rechts wegen auf dem Ökumenischen Konzil mit Sitz und Stimme Ausgestatteten Platz gegriffen hat. Der Unterschied läßt sich auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen: Während der CIC/1983 beim Kreis der ipso-iure-Teilnehmer einzig und allein auf die Bischojsweihe und die dadurch bewirkte (die Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl vorausgesetzt) Mitgliedschaft im Bischofskollegium abstellt, hat der CIC/1917 primär bestimmte Ämter im Auge, die unabhängig von der bischöflichen Weihestufe Sitz und Stimme auf dem Ökumenischen Konzil mit sich bringen. Hierbei lallt, abgesehen vom Ausschluß der Teilnehmer aus dem Ordensstand (c. 223 § I, 4 CIC/1917), überdies auf, daß der CIC/1983 beim Kreis der ipso-iure-Teilnehmer am Konzil nicht auf die Vorsteher von Teilkirchen 26 an sich abstellt, sondern diesen nur dann das Teilnahmerecht am Konzil gibt, wenn sie die Bischojsweihe haben. Hinter der Fassade einer Rechtsänderung hinsichtlich der Teilnahmeberechtigten auf dem Ökumenischen Konzil verbirgt sich freilich die grundsätzliche Frage um die Zuordnung der bei den Wirkweisen der "potestas sacra", d. h. es tritt die Frage des Verhältnisses von Weihe- und Leitungs(lurisdiktions)gewalt zutage. Ohne diesen, vom CIC/1983 durchaus nicht gelösten Problemkreis, der u. a. die Frage nach der Möglichkeit einer Übertragung kirchlicher lurisdiktionsgewalt an Laien impliziert27 , hier aufwerfen zu wollen, sind im Zusam26 Teilkirchen (Ecclesiae particulares) sind nach c. 368 CIC/1983 neben den Diözesen auch die Gebietsprälatur und Gebietsabtei, das Apostolische Vikariat und die Apostolische Präfektur sowie die für dauernd errichtete Apostolische Administratur. - Was die Vorsteher der hier genannten Teilkirchen anlangt, so müssen nur die Diözesanbischöfe die Bischofsweihe haben und zwar, bevor sie von ihrem Amt Besitz ergreifen (c. 379). Die Vorsteher der übrigen Teilkirchen müssen die Bischofsweihe nicht haben. Sofern sie also nicht Bischöfe sind, haben sie von Gesetzes wegen kein Teilnahmerecht am Konzil. 27 Beachte dazu den Unterschied in der Formulierung von c. 126 Schema CIC/1980 und c. 129 § 2 CIC/1983. Hieß es noch im Schema 1980 hinsichtlich der Ausübung von Jurisdiktionsgewalt: " ... in exercitio eiusdem potestatis, quatenus eodem ordine sacro non innititur, christifideles laici eam partem habere possunt quam singulis pro causis auctoritas Ecclesiae suprema ipsis concedit", so enthält der CIC/1983 an Stelle dieser Formulierung nur die unbestimmte Aussage: "In exercitio eiusdem potestatis, christi fideles laici ad normam iuris cooperari possunt".

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menhang mit dem Stimmrecht auf dem Ökumenischen Konzil einige Feststellung angezeigt: Die Ökumenischen Konzilien verstehen sich seit dem Mittelalter nicht mehr als Versammlungen, bei denen nur Kleriker mit Bischofsweihe Sitz und Stimme haben. Zunächst ist hier auf die Kardinäle zu verweisen, die Stimmrecht ohne Rücksicht auf ihren Weihegrad besitzen. Dies läuft, der bisweilen geübten Praxis zufolge darauf hinaus, daß Kardinäle, die überhaupt keine (höhere) Weihe besaßen, auf ökumenischen Konzilien Stimmrecht ausübten. Und auch bei den Bischöfen kam es auf die Ernennung zum Vorsteher einer Diözese und nicht auf die schon stattgefundene Bischofsweihe an28 . Abgesehen von einer im Zuge der konziliaristischen Bewegungen des 14. und 15. Jhds. vorgenommenen exzessiven Ausdehnung des Stimmrechts auf niedere Kleriker und Laien erscheinen jedenfalls seit dem 5. Laterankonzil bis zum 11. Vatikanischen Konzil nichtbischöfliche Kleriker unter den stimmberechtigten Teilnehmern des ökumenischen Konzils29 . Es können hier nicht alle Details hinsichtlich der unterschiedlichen Regelungen des c. 223 CIC/1917 und c. 339 CIC/1983 30 behandelt werden. Inhaltlich scheint vor allem die Streichung der höheren Ordensoberen (Abtprimas, Abtpräses einer monastischen Kongregation, Generaloberer einer exempten Klerikergenossenschaft) aus der Liste der stimmberechtigten Teilnehmer gravierend. Die Kirche begibt sich damit eines wichtigen und fiir viele der auf den Konzilien zu behandelnden Fragen durchaus kompetenten Potentials. Bei einem über die Welt verbreiteten Orden mag es durchaus vorkommen, daß deren Generaloberer in bezug auf Kenntnis von Problemen und Anliegen der Weltkirche manchen bischöflichen Teilnehmern am ökumenischen Konzil zumindest gleichwertig gegenübersteht31 , zumal bei letzteren die 28 Noch c. 223 § 1, 2 CIC/1917 bezeichnet ausdrücklich den zum (Diözesan)bischof Ernannten vor Empfang der Bischofsweihe als stimmberechtigtes Mitglied des Konzils. 29 Vgl. dazu P. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, Berlin 1883, III, 424, 431; W. M. Pwchl, Geschichte des Kirchenrechts, 11, Wien 21962, 115-123. 30 Die Fonnulierung des c. 339 CIC/1983 geht auf das Schema der Lex Ecclesiae fundamentalis (c. 37) zurück. Über diese und die im Zusammenhang mit der Begrenzung der ipso-iure Teilnehmer auf die Bischöfe geführte Diskussion vgl. Communicationes 9 (1977) 88. 31 Mörsdorftritt nachhaltig für ein Teilnahmerecht der Vertreter klösterlicher Verbände am ökumenischen Konzil ein. Und dies deshalb, weil die "klösterlichen Verbände, vor allem im Missionsbereich, eine so vorherrschende Rolle spielen, daß ohne sie eine echte Repräsentation der Kirche nicht denkbar ist". K. Mörsdorf, Kommentar zu "Christus Dominus", in: LThK, Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen. Freiburg/Br. 1967,11, 154.

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Gefahr nicht völlig auszuschließen ist, daß Fragestellungen ihrer Teilkirchen im Vordergrund ihrer Interessen stehen. Die hier vorgebrachte Kritik an der Fassung des c. 339 § 1 CIC/1983 kann nicht mit Grund durch den Hinweis entkräftet werden, daß es der kirchlichen Autorität gemäß § 2 des in Rede stehenden c. unbenommen bleibt, einen über die Bischöfe hinausgehenden Kreis von Teilnehmern zu bestimmen. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Teilnahmerecht am höchsten kollegialen Leitungsorgan der Kirche im Gesetz selbst verankert ist, oder ob dies von Mal zu Mal vom nicht vorausberechenbaren Ermessen des kirchlichen Hoheitsträgers abhängig gemacht wird. Gegen die durch den CIC/1983 auf die Bischöfe eingegrenzte Zahl von Teilnehmern mit Sitz und Stimme lassen sich mehrere Argumente ins Treffen führen: Zum einen ist eine diesbezügliche Absicht des Zweiten Vatikanischen Konzils überhaupt nicht nachzuweisen. Gegenüber c. 223 § 2 CIC/1917, der die Titularbischöfe nicht von vornherein mit Teilnahmerecht ausstattete und ihnen Stimmrecht nur dann zuwies, wenn sie überhaupt zum Konzil gerufen wurden, sollte durch das Zweite Vatikanische Konzil die grundsätzliche Teilnahmeberechtigung aller Bischöfe festgelegt werden, ohne indes hinsichtlich des Stimmrechts der Titularbischöfe schon eine Entscheidung zu treffen32 . Ferner ist im Konzilsdekret "Christus Dominus" (1. Kap., I, 4) nicht die Rede davon, daß den nunmehr teilnahmeberechtigten Titularbischöfen andere bisher berechtigte Nichtbischöfe weichen müßten. Vielmehr ist, wie Mörsdorf bemerkt, davon auszugehen, daß die von "Christus Dominus" vorgenommene Gleichsetzung von Bischofskollegium mit ökumenischem Konzil "nicht als erschöpfende Aussage über das Teilnahmerecht bei ökumenischen Konzilien zu verstehen" ist33 . Das Konzilsdekret wollte offensichtlich nur festlegen, daß das gesamte Bischofskollegium jedenfalls Teilnahmerecht haben sollte. Wenngleich es auch praktische Überlegungen gewesen sein mögen, die den Gesetzgeber, zumal angesichts der seit dem Ende des 11. Vatikanischen Konzils sprunghaft angestiegenen Zahl von Bischöfen34 zu einer Begrenzung der Teilnehmerzahl drängten, so dürfen derartige pragmatische Gesichtspunkte nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein falscher Eindruck entsteht: Wenngleich die Kirche auf den Fundamenten des päpstlichen und bischöflichen Amtes aufruht, so besteht sie doch nicht nur aus Bischöfen. Der Geist ist der 32 Mörsdorf, ebd. 153. 33 Mörsdorf, ebd. 153. 34 Die Zahl der Residential- und Titularbischöfe betrug laut Annuario Pontificio im lahre 1960 2.038, im lahre 1982 hingegen 3.526.

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ganzen Kirche gegeben, und diese Tatsache muß beim höchsten kollegialen Beschlußfassungsorgan der Kirche, das auch bindende dogmatische Entscheidungen treffen kann, adäquat zum Ausdruck kommen. Insbesondere was die bisher grundsätzlich außer Streit stehende Teilnahme von Vertretern der Ordensgemeinschaften anlangt, ist zu bedenken, daß Institute des geweihten Lebens zwar kein verfassungsrechtliches Element der Kirche darstellen, daß sie aber dennoch "unerschütterlich zu ihrem Leben und zu ihrer Heiligkeit gehören"35. Was die auf unterer Ebene abzuhaltenden Partikularkonzilien (Provinzialund Plenarkonzil)36 anlangt, so sind diese in ihrer Bedeutung als Organe der teilkirchlichen Gesetzgebung durch die seit dem Konzil erfolgte rechtliche Aufwertung der Bischofskonferenz (diese besitzt nun Gesetzgebungskompetenz) zurückgegangen. Dies äußert sich neben mehreren Details u. a. in der gegenüber dem CIC/191737 völlig dem freien Ermessen der Bischofskonferenz (beim Plenarkonzil) oder der Mehrheit der Diözesanbischöfe (beim Provinzialkonzil) überlassenen Frage, wie oft diese Partikularkonzilien zusammentreten sollen (ce. 439 § 1; 440 § 1)38. Hinsichtlich der Teilnehmer an diesen Konzilien fällt auf, daß das entscheidende Stimmrecht (suffragium deliberativum) nur den Residential- und

35 LG 44; vgl. dazu c. 574 CIC/1983. Auch Gutiirrez hält die ausschließliche Teilnahme von Bischöfen auf dem ökumenischen Konzil für bedenklich. Er sieht in der Bestimmung des c. 339 § 1 CIC/1983 ein Wiederaufleben der vor und während des Konzils wie auch nach Abschluß desselben vertretenen Ansicht von der ausschließlich sakramentalen Quelle aller kirchlichen Gewalt (Weihe und Jursidiktion); diese These könne aber nach der Nota explicativa praevia zu LG aufgrund der dort enthaltenen Unterscheidung zwischen "munus" und "potestas" nicht mehr aufrechterhalten werden. A. Gutiirrez, Canones circa Instituta vitae consecratae et societates vitae apostolicae extra partem eorum propriam, in: Commentarium pro Religiosis et Missionariis, 65 (1984) 8 Anm. 2. 36 Vgl. ce. 439-446. 37 Dieser ordnete die Abhaltung eines Provinzialkonzils alle 20 Jahre an (c. 283); für das Plenarkonzil war keine bestimmte Periodizität vorgesehen. 38 Auch bei der Diözesansynode ist nunmehr, im Gegensatz zu c. 356 § 1 CICI1917, der ihre Abhaltung alle 10 Jahre vorsah, keine Periodizität vorgeschrieben, sondern sie ist dann einzuberufen, wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs und nach Anhören des Priesterrates die Umstände dies anraten (c. 461 § 1). Die Diözesansynode ist allerdings nach wie vor kein kollegiales Gesetzgebungsorgan, sondern der Diözesanbischof ist "unicus legislator" (c. 362 CIC/1917; c. 466 CIC/1983).

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Titularbischöfen zugedacht wird39 ; alle Nichtbischöfe (Kleriker und Laien) haben nur beratende Stimme (suffragium consultivum; c. 443 §§ 3-5). Hier wird die im Zuge der nachkonziliaren partikularrechtlichen Entwicklung eingetretene Erweiterung der Teilnehmer mit entscheidender Stimme auf Priester und Laien völlig außer acht gelassen. Die Einbeziehung von Nichtbischöfen in die Beschlußfassung von Partikularkonzilien, etwa nach dem Muster der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, die als "eine aus Bischöfen, Priestern und Laien zusammengesetzte Kirchenversammlung mit konstitutivem Mitwirkungsrecht bei der kirchlichen Gesetzgebung" bezeichnet werden kann40 , ist im CIC/1983 nicht einmal als Möglichkeit vorgesehen. Sollte ein derartiger Versuch unternommen werden, so wäre dies nur auf dem Wege einer Dispens seitens des Heiligen Stuhles möglich; die Dispensvollmachten des Diözesanbischofs würden dazu nicht ausreichen41 • Zusammenfassend läßt sich sagen: Die vom CIC/1983 angeführten Modelle von Konzilien sind, soweit es sich dabei um kollegiale Beschlußfassungsorgane handelt42 , reine Bischofsversammlungen geworden bzw. geblieben; Nichtbischöfe haben, soweit ihre Teilnahme vom allgemeinen Recht überhaupt vorgesehen ist, nur beratende Funktion, bzw. wird ihre RechtssteIlung offengelassen (c. 339 § 2).

39 Cc. 282 § 2 und 286 § 2 CIC/1917 ließen die Frage offen, ob die Titularbischöfe zum Provinzial- bzw. Plenarkonzil einzuberufen seien. Wen sie aber einberufen wurden, hatten sie entscheidende Stimme (votum deliberativum). 40 A. Ne es , Die erste Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975), Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der GÖrres-Gesellschaft. Paderborn 1978, 182. 41 Die nach c. 87 den Diözesanbischöfen erteilten Dispensvollmachten erstrecken sich nur auf "leges disciplinares", denen die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Partikularkonzilien zweifellos nicht beizuzählen sind. 42 Die Diözesansynode ist, wie schon erwähnt wurde, nicht als kollegiales Gesetzgebungsorgan zu bezeichnen. Dennoch trat sie nach dem CIC/1917 in mehreren Fällen als beschlußfassendes kollegiales Gremium auf, und zwar bei der Bestätigung der vom Bischof vorgeschlagenen Synodalprufer und Pfarräte (c. 385 § 1 CIC/1917) und der Synodalrichter (c. 1574 § 1 CIC/1917). - Soweit diese Amtsträger überhaupt noch bestehen, ein Mitwirkungsrecht der Diözesansynode bei ihrer Bestellung hat jedenfalls nicht Eingang in den CIC/1983 gefunden (vgl. insbesondere c. 1421 § 1: Die Diözesanrichter werden frei vom Bischof ernannt).

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3. Das Problem des ausreichenden Rechtsschutzes

Die von der Vollversammlung der Bischofssynode 1967 fast einstimmig verabschiedeten Grundsätze für die Reform des kanonischen Rechts befassen sich u. a. mit der Frage eines ausreichenden Rechtsschutzes des einzelnen in der Kirche. In diesem Zusammenhang weisen die Grundsätze darauf hin, daß es, ausgehend vom Gedanken der fundamentalen Gleichheit aller und aufgrund der Verschiedenheit der Ämter und Dienste in der Kirche förderlich sei, daß die Rechte der Personen in geeigneter Weise umschrieben und sichergestellt würden. Dies bringe mit sich, daß die Ausübung der Gewalt deutlicher als Dienst erscheine, ihre Anwendung besser gesichert und ihr Mißbrauch ausgeschlossen werde. Um dies zu erreichen, müsse besondere Sorgfalt aufgewandt werden, um die Vorgehensweise zum Schutz subjektiver Rechte festzulegen. Bei der Erstellung des neuen Rechts solle also beachtet werden, was in dieser Beziehung bislang bezüglich des Einspruchs gegen Verwaltungsentscheidungen und bezüglich der Rechtsprechung dringend gefordert wurde. Zu diesem Zweck es auch notwendig, die verschiedenen Aufgaben der kirchlichen Gewalt genauer zu unterscheiden, nämlich die Aufgabe der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung, und es sei außerdem in geeigneter Weise festzulegen, von welchen Organen diese Aufgaben ausgeführt werden sollen43 . Zwei Fragenbereiche sind hier angesprochen. Zum einen die Gewährleistung eines effektiven Schutzes subjektiver Rechte und zum anderen die damit zusammenhängende Frage nach einer genauen Abgrenzung und Festlegung, welche Art von Gewalt einzelnen kirchlichen Organen zukommt. Denn, wenngleich auch das kanonische Recht vom Prinzip der Gewalteneinheit bei den Inhabern der Grundämter (Papst und Bischöfe) getragen ist44 , so impliziert dies keineswegs, daß bei den Stellvertretungsämtern, insbesondere im Bereich der Römischen Kurie, eine völlige Vermischung der Kompetenzen von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung Platz greifen muß. Das hier anstehende Problem war übrigens dem Gesetzgeber des CIC/1917 nicht grundsätzlich unbekannt. In dem Motu proprio "Cum iuris" Benedikts XV. vom 17. 9. 191745 wird in bezug auf die Römischen Kongregationen gesagt, daß sie neue Allgemeine Dekrete (nova decreta generalia) nur bei

43 Nr. 6 und 7 der Grundsätze in der Vorrede des CIC/1983. Lateinisch-deutsche Ausgabe, XLIII f. 44 J. Listl, Die Rechtsnonnen, in: HdbKathKR, 83. 45 AAS 9 (1917) 483 f.

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schwelWiegendem Anlaß herausgeben sollen; ihre ordentliche Aufgabe bestehe darin, wenn nötig, Instruktionen zu erlassen, die Erklärungen und Erläuterurigen des Codex und somit jedenfalls gesetzeskonJorm sein sollten. Dieses Anliegen einer Art von Kompetenzabgrenzung wurde allerdings durch die kirchliche Praxis von allem Anfang an unterlaufen. Nicht nur, daß gleich nach dem Beginn der Promulgation des CIC/1917 eine reichlich fließende Gesetzgebung in Form von neuen Allgemeinen Dekreten Römischer Kongregationen einsetzte46 , es war vor allem auch zu bedauern, daß der vom Motu proprio "Cum iuris" gezogene Rahmen hinsichtlich der Instruktionen völlig überzogen wurde. Charakteristisches Beispiel in dieser Richtung ist die Instruktion der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute "Renovationis causam" vom 6. 1. 196947 , die weitgehend dem kodikarischen Recht derogiert hatte48 . Der auf diese Weise entstandene "Normenwildwuchs" war ein oft beklagtes Phänomen der Rechtswirklichkeit zur Zeit der Geltung des CIC/1917. Wie die vorhin elWähnten Richtlinien aus 1967 erkennen lassen, war man sich der anstehenden Probleme durchaus bewußt. Eine Reihe von Verbesserungen im CIC/1983 sind eindeutig von dem erfolgreichen Bestreben gekennzeichnet, durch direkte Rechtsschutzbestimmungen im Bereich der Grundrechtskodifikation, durch eine verbesserte Normenhierarchie und durch eine VelWaltungsgerichtsbarkeit dem Anliegen eines verbesserten Rechts46 Dem Wortlaut des Motu proprio ''Cum iuris" (Nr. 111) zu folge gewinnt man den Eindruck, als sei dessen Verfasser, Papst Benedikt XV., davon ausgegangen, daß die Herausgabe eines Allgemeinen Dekrets durch eine römische Kardinalskongregation ein eher in ferner Zukunft liegendes, keineswegs aber alltägliches Ereignis darstelle. "Si quando", so heißt es, "decursu temporum, Ecclesiae universae bonum postulabit, ut novum generale decretum ab aliqua Sacra Congregatione condatur ... ". - Tatsächlich aber sind schon im Jahr des Inkrafttretens des CIC/1917, nämlich 1918, vier Allgemeine Dekrete erlassen worden, gefolgt von zahllosen anderen in den folgenden Jahren. Vgl. (für 1918) Ochoa, Leges (Anm. 12), I, Nr. 87; 125-127. 47 AAS 62 (1969), 103-120. Vgl. dazu J. Pfab, Zeitgemäße Erneuerung der Ausbildung zum Ordensleben. Freiburg/Br. 1969. 48 Die CIC-Kommission hatte sich der im letzten Begutachtungsstadium an sie herangetragenen Aufforderung, c. 34 Schema CIC 1980 (identisch mit c. 34 CIC/1983) zu streichen, mit dem Hinweis widersetzt, die juristische Sicherheit erfordere, daß Umfang und Bedeutung der "Instructio" klar festgelegt sein müsse. Es dürfen nicht weiterhin Gesetze in Form von Instruktionen ergehen, was schon durch das Motu proprio Benedikts XV. "Cum iuris" ausgeschlossen sei. "Instructiones non sunt leges et ideo sub forma Instructionum ferri non possunt leges". Pontificia Commissio Codici iuris canonici recognoscendo, Relatio complectens synthesim animadversionum, Typis Polyglottis Vaticanis 1981,27.

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schutzes des einzelnen Rechnung zu tragen. Im Bereich der Grundrechtskodifikation etwa wird für alle "christifideles" die Möglichkeit der Geltendmachung aller ihnen zustehenden Rechte fixiert (c. 221 § 1), es wird ihnen vor Gericht ein Verfahren nach Recht und Billigkeit zugesichert (§ 2), und es wird für das Strafrecht das Legalitätsprinzip verankert (nulla poena sine lege). Im Bereich der Normenhierarchie wird zwischen Gesetz (cc. 7-22), Allgemeinen Dekreten (c. 29 f.), Allgemeinen Ausführungsdekreten (ce. 31-33), Instruktionen (c. 34), Verwaltungsakten für Einzelfälle (ce. 35-93), sowie Statuten und Ordnungen (cc. 94 f.) unterschieden. Hierbei werden Gesetze und Allgemeine Dekrete formell gleichgestellt; beide sind Ausfluß der gesetzgebenden Gewalt. Von einem Organ mit bloß ausführender Gewalt (potestas executiva) können sie nicht erlassen werden, es sei denn, eine diesbezügliche Vollmacht sei diesem Organ in Einzelfällen vom Gesetzgeber ausdrücklich zugestanden worden (c. 30). Daraus folgt - und hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum CIC/1917 - daß ein Verwaltungsorgan, das durch die Erlassung eines Allgemeinen Dekrets gesetzgeberische Gewalt in Anspruch nimmt, auch nachzuweisen hat, daß ihm die Ermächtigung dazu in Einzelfällen49 erteilt wurde. Die Verwaltung ist dem neuen CIC zufolge grundsätzlich an die Gesetze gebunen50 . Dies erhellt u. a. daraus, daß für allgemeine Verwaltungsakte (Allgemeine Ausführungsdekrete und Instruktionen) die Gesetzeskonformität unter Nichtigkeitssanktion vorgeschrieben ist (cc. 33 § 1, 34 § 2). Der individuelle Verwaltungsakt ist gemäß c. 38 rechtlich unwirksam, wenn er das wohlerworbene Recht eines Dritten verletzt oder mit einem Gesetz oder einer rechtmäßigen Gewohnheit in Widerspruch steht. Während nun beim individuellen Verwaltungsakt ein Prüfungsverfahren im

CIC/1983 vorgesehen ist bis zur Möglichkeit der Anrufung der Signatura Apostolica bei behaupteter Rechtsverletzung (c. 1445 § 2)51, so fehlen Vor49 Die Ausdrucksweise des c. 30 (in casibus particularibus) legt eine Interpretation nahe, derzufolge es einer von Fall zu Fall zu erteilenden Ennächtigung zur Gesetzgebung bedarf. Vom Wortlaut der genannten Gesetzesstelle scheint auch eine Auslegung nicht ausgeschlossen, wonach einem Verwaltungsorgan in bestimmten Bereichen seiner Kompetenz von vornherein ein rur al1emal Gesetzgebungsbefugnis zugestanden wird. - ledenfal1s steht aber bei einem Verwaltungsorgan die Vennutung nicht filr, sondern gegen die Gesetzgebungskompetenz; sie ist daher im Zweifelsfal1 zu beweisen. 50 Listl, Rechtsnonnen (Anm. 44) 85. 51 Gemäß Art. 106 der Apost. Konstitution URegimini Ecclesiae universae u vom 15. 8. 1967 (AAS 59 (1967) 885-928) urteilt die Zweite Sektion der Signatura Aposto16 Primetshofer

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schriften über ein Verfahren zur Prüfung genereller Verwaltungsakte. Somit erhebt sich also die Frage, wer die in den cc. 33 § 1 und 34 § 2 vorgesehene Nichtigkeit eines gegen das Gesetz verstoßenden generellen Verwaltungsaktes in einer die Behörde bindenden Weise feststellt. Solange dies nicht geschehen ist, streitet gemäß c. 124 § 2 jedenfalls die Vermutung für die Gültigkeit eines von der Behörde gesetzten Aktes, da dieser ja in aller Regel bezüglich seiner "elementa extema" vorschriftsmäßig vorgenommen sein wird. Dies bedeutet daher, daß ein Verwaltungsakt, auch wenn die Normadressaten von seiner Nichtigkeit überzeugt sind, solange befolgt werden muß, bis diese Nichtigkeit durch ein Überprüfungsorgan bindend festgestellt ist. Das im Kirchenrecht immer noch fehlende Normenprüfungsverfahren erweist sich daher als fühlbarer Mangel52 . lica über die Gesetzesverletzung eines päpstlichen VelWaltungsorgans "sive in procedendo sive in decernendo", nicht jedoch über das "meritum causae". Vgl. Päpstliche Kommission zur authentischen Interpretation der Dekrete des 11. Vatik. Konzils, 11. 1. 1971, in: AAS 63 (1971) 330. - Zur Frage Z. Grocholewski, Atti e ricorsi amminisstrativi, in: Apoll 57 (1984) 259-279; ders., I tribunali apostolici, (Manuskript eines beim Internationen Kanonistenkongreß 1984 in Ottawa gehaltenen Vortrags). 52 G. May, Grundfragen kirchlicher Gerichtsbarkeit, in: HdbKathKR, 961. - Mit Recht frägt Gaudemet in bezug auf die Überprüfbarkeit der Gesetzeskonformität des generellen VelWaltungsaktes: "En cas d'inobservation des ces prescriptions, qui sera qualifie pour soulever la nullite ou I'incompetence? Selon quelle modalite et devant quelle instance?" J. Gaudemet, La hierarchie des normes dans le nouveau code du droit canonique, in: H. Schambeck (Hrsg.), Pro fide et iustitia, Festschrift für A. Casaroli, Berlin 1984, 218. Im Zusammenhang mit der im CIC/1983 anzutreffenden Normenhierarchie und Normentypik stellt sich die Frage nach Rechtscharakter und Verbindlichkeit der von der Kongregation für die Glaubenslehre am 26. 11. 1983 ergangenen "Declaratio de associationibus massonicis" (AAS 76 [1984J 300). Die CIC-Kommission hatte sich nach reiflicher Prüfung für die Formulierung des c. 1374 CIC/1983 entschieden, in der keine namentliche Nennung der Freimaurerei als einer ipso-iure verbotenen Vereinigung enthalten ist. Normativer Inhalt des in Rede stehenden c. ist somit, daß die Zugehörigkeit zur Freimaurerei an sich keinen strafrechtlichen Tatbestand bildet; dieser ist vielmehr nur dann gegeben, wenn es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die "gegen die Kirche Machenschaften betreibt". Ob und inwieweit dies bei einzelnen Gruppierungen von Freimaurern der Fall ist, wäre demnach von dem mit Strafgewalt Ausgestatteten im Einzelfall zu prüfen. Demgegenüber legt die Erklärung der Glaubenskongregation fest, daß die Zugehörigkeit zur Freimaurerei an sich schon einen Straftatbestand bildet, der - weil unter den Begriff der schweren Sünde fallend - von der eucharistischen Tischgemeinschaft ausschließt. - Worum handelt es sich bei der genannten Declaratio? Theoretisch kämen Decretum generale (c. 29), Decretum generale executorium (c. 32) und Instructio (c. 34) in Frage. Von ihrem Inhalt her ist die Declaratio wohl kaum als Decretum generale einzustufen. Außerdem müßte dazu formal die Gesetzgebungsbefugnis nachgewiesen werden, wozu aber "Regimini Ecclesiae universae" keinen Anhaltspunkt bietet. Die vom Papst bloß "in forma communi"

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Hinsichtlich der Überprüfung individueller Verwaltungsakte hat der CIC, wie schon erwähnt, die bereits durch die Kurienreform Papst Pauls VI. 53 eingefiihrte Gerichtsbarkeit über die Verwaltung54 durch die Signatura Apostolica übernommen; er ist damit dem Anliegen eines besseren Rechtsschutzes des einzelnen in dankenswerter Weise nachgekommen. Es kann freilich nicht übersehen werden, daß der CIC/1983 in der Frage des Schutzes der subjektiven Rechte trotzdem beträchtlich hinter dem zurückbleibt, was in diesem Zusammenhang schon vor dem CIC/1983 als Programmpunkt fixiert worden war5 5 und was überdies auch in den Entwürfen zum CIC/1983 als ausgereiftes Programm vorgelegen hatten56 , nämlich der Ausbau einer Verwaltungsgerichtsbarkeit auf "unterer Ebene", d. h. im Bereich von Teilkirchenverbänden. Im CIC/1983 ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bereich der Teilkirchenverbände nicht verwirklicht, obwohl sie den Entwürfen zufolge ohnedies nicht als verpflichtend zu schaffende Einrichtung, sondern nur als Möglichkeit vorgesehen war5 7 . In diesem Punkt hat der CIC/1983 das ihm gesteckte Ziel nur teilweise erreicht58 . vorgenommene Approbation (" ... adprobavit et publici iuris fieri iussit") weist auf einen im Rahmen der Kompetenz einer Kardinalskongregation verbleibenden VerwalJungsakt hin. Es bleiben somit Decretum generale executorium und Instructio. Die Frage, ob das eine oder andere vorliegt, braucht, was die Verbindlichkeit der genannten Declaratio betrifft, nicht näher untersucht zu werden. Inhaltlich ist die Declaratio zweifellos rechtsändernd, da sie für einen im CIC/1983 nicht vorgesehenen (Strat)tatbestand eine neue Rechtsfolge, nämlich Ausschluß von der eucharistischen Tischgemeinschaft festlegt. Für dem Gesetz widersprechende Verwaltungsakte, seien sie nun Allgemeine Ausführungsdekrete (Decreta generalia executoria) oder Instruktionen, legt aber der CIC/1983 Nichtigkeitssanktion fest (c. 33 § 1; c. 34 § 2). 53 Apostol. Konstitution "Regimini Ecclesiae universae" (vgl. Anm. 51). 54 Eine solche bestand schon vor dem CIC/1917. Vgl. dazu insbes. H. Schmitz, Appellatio extraiudicialis. Entwicklungslinien einer kirchlichen Gerichtsbarkeit über die Verwaltung im Zeitalter der klassischen Kanonistik (1140-1348). MThSt III/29, München 1970. 55 Nr. 7 der von der Bischofssynode 1967 approbierten Grundsätze (Principia) für die Refonn des Codex. CIC/1983, Lateinisch-deutsche Ausgabe, XLIII f. 56 Vgl. Schema CIC/1980, Lib. VII, Pars V: De procedura administrativa. - An die Stelle dieses Abschnittes im Schema ist im CIC/1983 die Pars V mit der Überschrift "De ratione procedendi in recursibus administrativis atque in parochis amovendis vel transferendis" getreten. Sämtliche Bestimmungen über ein tribunal administrativum wurden entfernt. Zu den diesbezüglichen Arbeiten der CIC-Kommission und den einzelnen Entwürfen vgl. P. Huizing, Rechtsschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Codex Iuris Canonici, in: ThQ 163 (1983) 213-218. 57 Vgl. c. 1689 § 1 Schema CIC 1980: "Unaquaeque Episcoporum Conferentia tribunal administrativum stabiliter constituere potest ... " (Hervorhebung vom Verf.). 58 Dem sehr emotional vorgetragenen Einwand Kard. Siris gegen die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ("Nullo modo expedit ut in Ecclesia mentalitas illa

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Der Gedanke des Rechtsschutzes des einzelnen impliziert schließlich im Strafrecht den Grundsatz, daß eine Bestrafung nur nach Maßgabe der Gesetze erfolgen dürfe, ein Grundsatz, zu dem sich der CIC/1983 im Rahmen der Grundrechtskodifikation ausdrücklich (c. 221 § 3) bekennt. Der CIC/1917 kannte zwar das Analogieverbot im Strafrecht (c. 2219 § 3), nicht aber den Legalitätsgrundsatz (Nulla poena sind lege) in vollem Umfang. C. 2222 CIC/1917 sah eine Bestrafung im eigentlichen Sinne auch ohne vorausgehendes Strafgesetz vor5 9 . Überdies waren Maßnahmen disziplinärer Art auch bei nicht einwandfrei nachgewiesener Straftat sowie bei bereits verjährten Delikten möglich60 . Im Zuge der Strafrechtsreform wurde u. a. eine ersatzlose Aufhebung des c. 2222 CICI1917 gefordert61 • Zu diesem radikalen legalistica, ut vocant, qua administratio civilis informatur, introducatur ... Caveatur accurate ne huiusmodi procedura ad vitam Ecclesiae praepediendam adhiberi possit. In tuto ponatur ius divinum Episcoporum, qui non officiales ("funzionari"), sed veri Pastores sunt quaeque (richtig: quique) "discretionalitate" gaudeant oportet") war die CIC-Kommission 1981 mit dem Hinweis begegnet, daß sie mit der Festlegung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit einem klaren Auftrag der Bischofssynode 1967 entsprochen habe. Vgl. Pontificia Commissio Codici iuris canonici recognoscendo, Relatio (Anm. 48) 334. - Ähnlich wie Kard. Siri äußert sich Schwarz, Geist (Anm. 1) 239: Es entspräche nicht dem Geist des Kirchenrechts, wenn die Verwaltung einer Überprüfung durch kirchliche Verwaltungsgerichte anheimfiele. In der Kirche gehe es nicht um den Schutz von ausschließlichen Persönlichkeitsrechten, sondern einzig und allein um die Erlangung der allen gemeinsamen salus animarum, wobei der einzelne im Sinne des Subsidiaritätsprinzips verpflichtet sei, sein je einmaliges Charisma - juristisch seine Kompetenz - ganz in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen. Deshalb sei bei einem Versagen kirchlicher Verwaltungsorgane nicht der Klageweg zu beschreiten, sondern unter stillem Erdulden menschlicher Unzulänglichkeit der Kreuzweg, da das Kreuztragen in der Nachfolge Christi selbst noch einmal der Verwirklichung der salus animarum diene. - Einem Rechtsschutz Suchenden werden derartige Überlegungen wohl kaum mit Aussicht auf Verständnis vorgetragen werden können. Angesichts der Unzulänglichkeit jeder (kirchlichen wie staatlichen) Rechtsordnung bleibt zum Kreuztragen immer noch genügend Spielraum. Die durchaus mögliche Schaffung von ausreichenden Rechtsschutz gewährleistenden Modellen aber mit mystischen Überlegungen der beschriebenen Art von vornherein auszuschließen, könnte geradezu als blanker Zynismus gedeutet werden. 59 Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Bestrafung ohne vorausgehendes Strafgesetz ist c. 2222 § 1 CIC/1917 ebenso wie c. 1399 CICI1983 auf zwei Tatbestandstypen festgelegt, nämlich "scandalum" und "specialis transgressionis (violationis legis) gravitas". 60 Darauf weist der Schlußsatz des c. 2222 § 2 CICI1917 hin: " ... quae omnia in casu non habent rationem poenae". 61 Communicationes 7 (1975) 94, über die Diskussion zu c. 73 des Strafrechts schemas von 1973. Vgl. F. Nigro, Le sanzioni nella Chiesa come tutela

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Schritt konnte sich der Gesetzgeber im Rahmen der Strafrechtskodifikation allerdings trotz einer gegenteiligen Aussage im Bereich der Grundrechte (c. 221 § 3) nicht entschließen. Der am Schluß des Strafrechts unter der Überschrift "Norma generalis" stehende c. 1399 hebt sogar optisch noch deutlicher als der bisherige c. 2222 § 1 CIC/1917 die Durchbrechung des Legalitätsgrundsatzes hervor: Die äußere Verletzung eines göttlichen oder eines kanonischen Gesetzes kann ohne vorausgehendes Strafgesetz oder vorausgehenden Strafbefehl dann mit einer gerechten Strafe belegt werden, wenn die besondere Schwere der Rechtsverletzung eine Bestrafung erfordert und die Notwendigkeit drängt, Ärgernissen zuvorzukommen oder sie zu beheben. Es drängen sich einige Fragen auf: Besteht eine von der Zielsetzung der Kirche her absolute Notwendigkeit, eine Strafverhängung auch ohne vorausgehendes Strafgesetz bzw. -gebot festzulegen? Wenn ja, wie ist dies zu begründen? Wenn nein, wäre der kirchliche Gesetzgeber nicht gut beraten, schleunigst die Konkordanz zwischen der Grundaussage im c. 221 § 3 und dem c. 1399 herzustellen? Bei der theoretischen Begründung des c. 1399 wird in der Literatur u. a. ausgeführt, es sei keinesfalls autoritäres Denken, das zur Generalnorm des c. 1399 CIC/1983 geführt habe; der Ansatzpunkt hiezu liege in theologischen und pastoralen Erwägungen. Die kanonische Billigkeit verlange, daß bei verwerflichen Handlungen, die eine Bestrafung geradezu herausfordern, diese nicht deshalb unterbleiben dürfe, weil eine passende gesetzliche Strafdrohung fehle62 . - Und wenn es um das Heil eines Delinquenten oder um das von jenen gehe, denen durch ein Delikt ein schweres Ärgernis drohe, dann dürfe die pastorale Verantwonung nicht durch "positivistische Gesetzesfesseln" gebunden sein63 • Es läßt sich m. E. kein Konfliktfall von der Art konstruieren, daß im Interesse des Seelenheils wessen immer eine Strafe i. e. S. ohne vorausgehendes Strafgesetz oder zumindest vorausgehenden Strafbefehl gerechtfertigt wäre. Der Ausschluß einer Strafe in dem beschriebenen Fall bedeutet ja nicht eo ipso, daß keine Maßnahmen disziplinärer An (vgl. dazu c. 2222 § 2 CIC/1917) ergriffen werden könnten. Was den Legalitätsgrundsatz im kirchdella comunione ecclesiale, in: La nuova legislazione canonica. Studia Urbaniana 19, Roma 1983, 436. 62 R. Ä. Strigl, Die einzelnen Straftaten, in: HdbKathKR, 948. 63 Schwarz, Geist (Anm. 1) 237. Im gleichen Sinne Nigro, Sanzioni (Anm. 61) 436, der aber selber zugibt, daß bei der Formulierung des c. 1399 ein "favor institutionis ecclesiasticae" durchschlägt. Favor animarum und favor institutionis ecclesiasticae sind bei ihm allerdings deckungsgleich.

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lichen Strafrecht betrifft, so ist seine lückenlose Anwendung gerade durch freilich in etwas größerem Zusammenhang gesehene - pastorale Rücksichten gefordert. Wenn sich die Kirche immer wieder zu einem Anwalt für die Menschenrechte macht, wenn sie nicht müde wird, die Einhaltung derselben von staatlichen Rechtsordnungen zu fordern, dann soll sie alles tun, um in ihrem eigenen Bereich auch den bloßen Anschein einer falschen Optik zu vermeiden. Die Generalnorm des c. 1399 CICI1983 erweckt aber unzweifelhaft den Eindruck, die Kirche nehme in ihrer eigenen Gesetzgebung das nicht ernst, was sie selbst als Grundrecht formuliert hat und was immerhin auch Gegenstand der Europäischen Menschenrechtskonvention ist64 • Der pastorale Auftrag der Kirche, die heute mehr denn je "auf den Leuchter" gestellt ist, kann nur dann glaubwürdig in die Tat umgesetzt werden, wenn die subjektiven Rechte des Menschen, dessen Würde und Freiheit die Kirche schützen will65 , eindeutig garantiert werden. Es kann keine (anscheinend) höheren Interessen geben, die diesem ganzheitlichen pastoralen Auftrag der Kirche vorgezogen werden könnten. Nur so kann mit dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit behauptet werden, das Kirchenrecht stehe im Dienste der Pastoral66 . Der CICI1983 wäre zweifellos in der vorliegenden Form ohne das Zweite Vatikanische Konzil nicht denkbar. Es muß allerdings auch festgestellt werden, daß es nicht immer nur die omens Concilii" ist, die sich in ihm niederschlägt, sondern daß im Verlauf der zwei Jahrzehnte dauernden Phase vom Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils bis zur Promulgation des Gesetzbuches auch andere Kräfte auf die konkrete Normgestalt Einfluß genommen haben.

64 Art. 7, 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in Österreich promulgiert in BGBI 210/1958): "Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war" . 65 Vgl. GS 41. - Johannes Paul 11., Enz. "Redemptor hominis", 4. März 1979, Nr.14. 66 Paul VI., Ansprache vom 4.2. 1977 an die Teilnehmer am Internationalen Kongreß zur Einhundertjahrfeier der kanonistischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana: "Ius enim non est impedimentum, sed adminiculum pastorale; non occidit, sed vivificat. Praecipuum eius munus non est, ut comprimat veJ obnitatur, sed ut stimulet, promoveat, protegat veraeque libertatis spatium tueatur ... " Communicationes 9 (1977) 33.

Das neue Ökumenische Direktorium Kirchenrechtliche Fragen und Antworten 1. Anlaß für das neue Direktorium Am 25. März 1993 hat der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen mit Billigung des Papstes ein "Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus" herausgegeben. Wie es im Vorwort dieses Dokuments heißt, war die Suche nach Einheit der Christen eines der Hauptanliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils. In dieser Richtung hat das Konzil selbst schon wichtige Impulse, auch kirchenrechtlicher Natur, gesetzt, und das nach dem Konzil in zwei Teilen (1967 und 1970) veröffentlichte Ökumenische Direktorium hat "kostbare Dienste zur Orientierung, Koordinierung und Entfaltung der ökumenischen Bemühungen geleistet" (Johannes Paul 11., Ansprache vom 6. 2. 1988). Das Direktorium weist einleitend darauf hin, daß die seit 1970 eingetretene Rechtsentwicklung, insbesondere die Promulgation der Gesetzbücher für die Lateinische Kirche (Codex Iuris Canonici - CIC/1983) bzw. für die Orientalischen Kirchen (Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium CCEO/1990) sowie der 1992 erschienene Katechismus der katholischen Kirche eine neue Lage geschaffen habe; überdies sei die ökumenische Dimension zu einer Grundfrage des kirchlichen Selbstverständnisses geworden. All das habe eine zusammenfassende Überarbeitung des Ökumenischen Direktoriums notwendig erscheinen lassen.

2. Kirchenrechtliche Aspekte a) Einheit der Taufe Von besonderer ökumenischer Bedeutung ist die nochmalige Bekräftigung der in den wesentlichen Punkten bestehenden Übereinstimmung in bezug auf

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das Sakrament der Taufe. Die in einer Kirche oder "kirchlichen Gemeinschaft" gespendete Taufe wird grundsätzlich als gültig anerkannt und darf daher im Falle einer Konversion nicht wiederholt werden. Eine wichtige, mit der Spendung der Taufe zusammenhängende Frage von ökumenischer Bedeutung ist die Übernahme des Patenamtes bei katholischen Taufen durch nichtkatholische Christen bzw. durch Katholiken bei nichtkatholischen Taufen. Diesbezüglich enthalten schon das Direktorium von 1967 und der CIC/1983 (ebenso wie der CCEO) Bestimmungen, wonach nichtkatholische Christen bei katholischen Taufen als Taufpaten bzw. Taufzeugen zugelassen werden können. Im einzelnen besteht folgender Unterschied: Christen aus getrennten Ostkirchen dürfen bei katholischen Taufen - zusammen mit einem katholischen Paten - als Taufpaten, andere Christen - ebenfalls zusammen mit einem katholischen Paten - als Taufzeugen zugelassen werden. Bezüglich des Charakters dieser Taufzeugenschaft ist auf die Erklärung der österreichischen Bischofskonferenz (1986) hinzuweisen: "Der Taufzeuge bezeugt nicht bloß die Spendung der Taufe. Er ist dem Täufling gegenüber auch Zeuge des Glaubens an den dreifaltigen Gott und an Jesus Christus als Gott und Herrn und einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Darum hat der Taufzeuge wie der Taufpate dem heranwachsenden Täufling zusammen mit den Eltern menschliche und christliche Lebensweisung, vor allem auch im bewußten Vorleben christlicher Glaubensexistenz, zuteil werden zu lassen" (vgl. ÖAKR 36/1986,98). Neu ist im Direktorium die Bestimmung, daß auch ein Katholik, wenn er dazu eingeladen wird, das Taufpaten- bzw. Taufzeugenamt in einer nichtkatholisehen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft übernehmen kann. Bei orthodoxen (altorientalischen) Kirchen als Taufpate, bei anderen kirchlichen Gemeinschaften als Taufzeuge. Dies unter der Voraussetzung, daß zusätzlich ein eigener Taufpate der nichtkatholischen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft zugezogen wird. b) Sakramentengemeinschaft Unter der allgemein gehaltenen Überschrift "Teilhabe an geistlichen Aktivitäten und Reichtümern" werden die Christen aller Konfessionen eingeladen und ermuntert, das gemeinsame geistliche Erbe zu teilen, und zwar in der Weise und in dem Maße, wie es dem jeweiligen Stand der Trennung entspricht. Diese gemeinsame Teilhabe kann verschiedene Stufen umfassen, gemeinsames Gebet, Gemeinschaft in der Liturgie im strengen Sinn, gemeinsamer Gebrauch von kirchlichen Räumen und liturgischen Gegenständen.

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Was den Kernpunkt der ökumenischen Beziehungen, nämlich die Gemeinschaft im sakramentalen Leben, insbesondere in der Eucharistie anlangt, bekräftigt das Direktorium den bisher schon im CIC/1983 und CCEO/1990 festgelegten Standpunkt, der auf der verschieden großen Nähe der nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zur katholischen Kirche beruht. Diese Nähe ist größer bei den Ostkirchen, geringer bei den aus der Reformation stammenden Kirchen. Demzufolge können Katholiken, wenn es ihnen physisch oder moralisch unmöglich ist, einen katholischen Spender aufzusuchen, die Sakramente der Buße, Eucharistie und Krankensalbung bei einem nichtkatholischen Spender einer Ostkirche empfangen. Dies unter der Voraussetzung, daß eine Notwendigkeit es erfordert oder ein wirklicher geistlicher Nutzen dazu rät und daß jede Gefahr des Irrtums oder des Indifferentismus vermieden wird. In diesem Zusammenhang wird allerdings auf die unterschiedlichen Gewohnheiten bezüglich der Häufigkeit des Kommunionempfanges, der Beichte vor der Kommunion und der eucharistischen Nüchternheit aufmerksam gemacht. Ein Katholik, der die Kommunion bei den orientalischen Kirchen zu empfangen wünscht, muß die orientalische Ordnung beachten und muß vom Kommunionempfang absehen, wenn die Kirche die sakramentale Gemeinschaft nur ihren eigenen Gläubigen gewährt und andere ausschließt. Neu ist in diesem Zusammenhang, daß die Frage, wann ein Katholik die drei genannten Sakramente von einem nichtkatholischen Spender empfangen darf, nicht mehr, wie im bisherigen Recht (c. 844 § 2 CIC/1983) an die Kirchenzugehörigkeit dieses Spenders gebunden ist. Nunmehr heißt es nämlich, daß diese Sakramente auch von einem Spender erbeten werden können, von dem feststeht, daß er gemäß der katholischen Lehre von der Ordination gültig geweiht ist (ÖD 132). Damit ist ein gegenüber der bisherigen Rechtslage erweiterter Personenkreis angesprochen, der für einen Katholiken unter den genannten Voraussetzungen als Spender der drei Sakramente in Frage kommt. Katholische Spender können die drei Sakramente Mitgliedern der orientalischen Kirchen spenden, wenn diese von sich darum bitten und in rechter Weise disponiert sind. Auch in diesem Fall muß die Ordnung der orientalischen Kirchen für ihre eigenen Gläubigen beachtet und jeder Schein von Proselytismus vermieden werden (ÖD 125). - Bezüglich der Mitglieder anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften wird die bisher schon geltende Regelung des kirchlichen Gesetzbuches wiederholt: Wenn Todesgefahr besteht, oder wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs bzw. der Bischofskonferenz eine andere schwere Notlage dazu drängt, spenden katholische Spender diese Sakramente erlaubt jenen Christen, die einen Spender der eigenen Gemeinschaft nicht aufsuchen können und von sich aus darum bitten, sofern sie be-

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züglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind (c. 844 § 4). c) Bekenntnisverschiedene Ehen Wohltuend fällt zunächst gegenüber den bei den Gesetzbüchern (CIC/1983 und CCEO/1990) die unterschiedliche Diktion auf. Während die Codices noch von Mischehen (matrimonia mixta) sprechen, velWendet das Direktorium den Ausdruck "bekenntnisverschiedene Ehe" und meint damit die Ehe zwischen Katholiken und nichtkatholischen Christen. Ohne die besonderen Schwierigkeiten dieser Ehen zu verkennen, werden in Anklang an das Apostolische Schreiben "Familiaris consortio" (1981) doch auch die zahlreichen positiven Elemente aufgewiesen, die solche Ehen in die ökumenische Begegnung einbringen können. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn beide Ehepartner ihren religiösen Verpflichtungen nachkommen (ÖD 145). Die bisher schon geltende Regelung über die Eheschließungsform bei bekenntnisverschiedenen Ehen wird bestätigt. Demnach kommen Ehen zwischen katholischen und orthodoxen (altorientalischen) Christen gültig zustande, wenn sie vor einem geweihten Amtsträger (Priester oder Bischof) der orthodoxen (altorientalischen) Kirche geschlossen werden. - Ehen zwischen Katholiken und Protestanten sind zwar zur Gültigkeit an die katholische Eheschließungsform gebunden, doch kann der (örtlich) zuständige Diözesanbischof (Generalvikar) von dieser Formpflicht Dispens erteilen, so daß die bekenntnisverschiedene Ehe in irgendeiner öffentlichen Form (auch als standesamtliche Ehe) gültig geschlossen werden kann. Die österreichischen Bischöfe haben in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß in solchen Fällen einer (nichtkatholisch) kirchlichen Trauung der Vorzug vor einer bloßen Ziviltrauung zu geben sei. Ein neuralgischer Punkt beim Abschluß bekenntnisverschiedener Ehen ist der gemeinsame Empfang der Eucharistie in der katholischen Kirche. Das Direktorium hält auch diesbezüglich am status quo fest, das heißt eine Zulassung des nichtkatholischen Christen kann nicht generell, sondern nur in Ausnahmefällen nach den allgemein bestehenden Regeln erfolgen.

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3. Abschließende Würdigung Das Direktorium enthält keine sensationellen Neuerungen, zeichnet sich aber im Tenor seiner Ausführungen durch große Offenheit und Sensibilität für den diffizilen Fragenbereich der Ökumene aus, wobei auch die vom Konzil geprägte Formel von der "Hierarchie der Wahrheiten" mehrfach übernommen wird. Auch die Regelung rechtlicher Detailfragen baut darauf auf, daß mit "Ehrlichkeit, Klugheit und Sachkenntnis" gehandelt und daß schrittweise vorgegangen werden muß, um nicht den Versuchungen des Indifferentismus und Proselytismus zu erliegen (ÖD 24).

Die sozialen Kommunikationsmittel I. Einleitung 1. Begriffliches

Kommunikation als "Formen sozialen Handelns zwischen Sender (Kommunikator) und Empfänger (Rezipient)"!, insbesondere in der Form der sogenannten "Sekundärkommunikation" , d. h. mit und zwischen Großgruppen, mithin also als Massenkommunikation2 , ist ein Wort, das sich im allgemeinen wie auch insbesondere im kirchlichen Wortschatz in dieser Bedeutung erst relativ spät findet. Der CIC/1917 kennt "communicatio" nur in der Bedeutung von Teilhabe, Anteilgewährung an Privilegien (ce. 63 § 1, 64, 65, 613 § 1), oder als gottesdienstlichen Verkehr (Beziehung) mit Nichtkatholiken (c. 1258), bzw. mit Exkommunizierten (ce. 2259 § 2, 2261 §§ 2 und 3, 2267)3. Der Begriff "instrumenta communicationis socialis" (soziale Kommunikationsmittel) als Sammelbegriff für Presse, Film, Rundfunk, Fernsehen und ähnliche Mittel wurde vom Konzilsdekret "Inter mirifica" (Nr. 1) eingeführt und ist seitdem zu einem feststehenden Begriff geworden. Auch in die Rechtssprache des CIC/1983 hat er in der Wortfolge "instrumentum communicationis socialis" und "medium communicationis socialis" Eingang gefunden4 . Kirchliches Interesse an den Massenmedien kann unter einem dreifachen Aspekt gesehen werden. Zum einen sind die Massenmedien Träger der kirchlichen Verkündigung und stehen somit im Dienst eines Kernstückes kirchlicher Präsenz in der Welt. Sie haben ferner die Aufgabe einer 1nformation 1 J. Heme/s, Kommunikation, in: Evangelisches Kirchenlexikon, 11, 31989, 1343 f. 2 O. B. Roegele, Kommunikation, in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, I1I, 71987, 583. 3 R. Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici. München 1927, Stichwort "communicatio" . 4 Vgl H. Zapp, Codex Iuris Canonici. Lemmata, Stichwortverzeichnis. Freiburg/Br., 1986.

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über wichtige Vorgänge des kirchlichen Lebens und tragen so auch zur inneren Integration der Kirchen bei. Schließlich wollen die Kirchen am allgemeinen Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt sein und erfüllen so ihren Öffentlichkeitsauftrag5. In der Grundsatzaussage des c. 822 ist daher von einem "Ius proprium" der Kirche in bezug auf die sozialen Kommunikationsmittel die Rede (§ 1); die Kirche müsse dafür sorgen, daß sie auch diese Mittel in den Dienst ihres pastoralen Handeins stellen könne (§ 3). Schon relativ fruh, im ausgehenden 18. Jahrhundert, setzt das Interesse der Kirche an Massenmedien ein, zunächst freilich nur an der Presse, wobei ein eher defensiver Ton der Abwehrhaltung gegenüber der "schlechten" Presse tonangebend ist6 . Dieses eher gespannte Verhältnis zwischen Kirche und Kommunikation sieht Mussinghoff auch bis in die Gegenwart als gegeben an7.

2. Die Quellenlage Bei der Untersuchung zur Quellenlage stößt man zunächst auf eine erste Schicht, d. h. einige vorkonziliare Dokumente, nämlich die sogenannte FilmEnzyklika Pius' XI. "Vigilanti cura" vom 29. 6. 19368 sowie die Enzyklika Pius' XII. "Miranda prorsus" vom 8. 9. 19579. Daneben wäre noch eine Reihe von kleineren Verlautbarungen des Hl. Stuhles zu erwähnen 10. 5 R. Herzog, Kirchen und Massenmedien, in: E. Friesenhahn - U. Scheuner J. Listl (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchen rechts der Bundesrepublik Deutschland. 11, Berlin 1975,418 f. 6 So Häring unter Hinweis auf die Enzyklika Gregors XIII. "Christianae reipublicae salus" (1766, CICFontes, 11, 609-611, Nr. 461) und die Enzyklika Pius' VII. "Diu satis" (1800, Magnum Bullarium Romanum, Neudruck Graz 1964, tom. XI, 21-25). B. Häring, Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis des christlichen Lebens, 11, 1980, 182. 7 H. Mussinghoff, Neues Kirchenrecht und Kommunikation, in: Communicatio Socialis (im folgenden CS) 18 (1985) 143; ders., Communicatio socialis in novo Codice, in: MEccl112 (1987) 385-405; ders. in: Münsterischer Kommentar zu cc. 822 ff. 8 AAS 28 (1936) 249-263. 9 AAS 49 (1957) 765-805. 10 So etwa zwei Verlautbarungen des Päpstlichen Rates für die Sozialen Kommunikationsmittel: "Richtlinien für die ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit im Kommunikationswesen" (Vatikanstadt 1989) und "Pornographie und Gewalt in den Kommunikationsmedien. Eine pastorale Antwort" (Vatikanstadt 1989), sowie die

Die sozialen Kommunikationsmittel

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Als zweite Schicht von Quellen sind insbesondere das Konzilsdekret "Inter mirifica"ll und die Pastoralinstruktion "Communio et Progression vom 23. 5. 1971 12 zu erwähnen. Als dritte Schicht von Quellen stellen sich die Aussagen des CIC/1983 dar, und zwar nicht nur die unmittelbar unter der Rubrik "Soziale Kommunikationsmittel, insbesondere Bücher" (ce. 822-832) - über deren unmittelbare Ergiebigkeit zum Thema wird noch zu sprechen sein -, sondern auch andere Aussagen des CIC/1983, insbesondere im Rahmen der sogenannten Grundrechtskodifikation. Hierbei sind die kodikarischen Aussagen nicht nur nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ins Auge zu fassen, sondern auch im Kontext ihrer Abhängigkeit von Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, wobei hier an das Wort Johannes Pauls 11. erinnert werden darf, daß der CIC/1983 eigentlich das letzte Konzilsdokument sei 13 . Eine vierte Schicht von Quellen ist schließlich mit einem zeitlichen Abstand von 20 Jahren nach "Communio et Progressio" festzustellen. Das erste Dokument, nämlich die Pastoral instruktion des Päpstlichen Rates für die Sozialen Kommunikationsmittel "Aetatis novae" vom 22. 2. 1992 14 nimmt denn auch ausdrücklich auf dieses 20jährige Jubiläum von "Communio et Progressio" Bezug. Im selben Jahr, nämlich unter dem Datum vom 30. 3. 1992, erschien die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre "über einige Aspekte im Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel "15 . Interessant ist indes, daß das letztgenannte Dokument der Glaubenskongregation in der Einführung zwar ausdrücklich auf "Inter mirifica", "Communio et Progressio" und "Aetatis novae" wie auch auf den CIC/1983 verweist, aber die im selben Jahr erschienene Pastoralinstruktion mit keinem Wort erwähnt. Und dies, obwohl in der Einleitung davon gesprochen wird, daß das vorliegende Dokument "in Absprache" mit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens erfolgt sei, und daß der Päpstliche Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel "Anleitung für die Ausbildung künftiger Priester im Hinblick auf die sozialen Kommunikationsmittel" der Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Vatikanstadt 1986). 11 AAS 56 (1964) 145-157. 12 AAS 63 (1971) 593-656; vgl. NKD 11, Trier 1971. 13 Vgl. Johannes Paul 11, Ansprache vom 9. 12. 1983, in: Communicationes 15 (1983) 128. 14 AAS 84 (1992) 447-468. 15 Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 106, Bonn 1992.

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befragt worden sei. In der Tat ist der Unterschied im Inhalt wie auch im sprachlichen Duktus zwischen den beiden Dokumenten erheblich. Angesichts des geringen zeitlichen Abstandes zwischen den beiden Dokumenten wie auch angesichts der ausdrücklich erwähnten Kontaktaufnahme mit dem Päpstlichen Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel nimmt dies eigentlich wunder.

Das Schreiben der Glaubenskongregation befaßt sich der Hauptsache nach (in den Abschnitten I, 11 und IV) mit Maßnahmen, die von kirchlichen Obrigkeiten im Zusammenhang mit dem Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel zu setzen sind l6 , und nur einmal wird (im kürzesten Abschnitt III) vom Apostolat der Gläubigen, und zwar im Verlagswesen, zumal in katholischen Verlagen, gesprochen. Es ist somit ein streng hierarchisch strukturiertes Modell, daß die Glaubenskongregation hier zeichnet. Eine umfassendere Sicht, etwa über den theologischen Inhalt des Begriffs der Kommunikation an sich, wie auch über diesbezügliche Grundrechte der Gläubigen wird nicht einmal in Ansätzen geboten. An weiteren Quellen zum Thema wären noch die verschiedenen päpstlichen Ansprachen zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel zu erwähnen, insbesondere die beiden letzten vom 24. 1. 1991 17 wie die vom 24. 1. 1992 18 . Bei der Darstellung der Quellenlage kann es nicht nur um Aussagen des Konzils bzw. der Päpste gehen. Auch die Bischofskonferenzen verschiedener Länder 19 sowie partikularrechtliche Gesetzgebungs- oder Beratungsorgane20 haben sich einläßlich mit dem Thema beschäftigt. Wenngleich diesen "Quellen" mitunter keine, auch keine partikularrechtliche, Gesetzgebungskraft eignet, sind sie doch als Zeichen einer Sensibilität der Kirche im Bereich der

16 BezeichnendeIWeise ist in den Abschnitten I und IV vOn der Verantwortung der Hirten bzw. der Ordensoberen zur Wachsamkeit über den rechten Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel seitens ihrer Untergebenen die Rede. 17 AAS 83 (1991) 987-999. 18 L'Osservatore Romano, Deutsche Ausgabe 22. Jg. - Nr. 5 - Beilage IV, 31. 1. 1992. 19 Vgl. dazu etwa die Dokumente der 2. und 3. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Medellin und Puebla, in: Stimmen der Weltkirche, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 8 (2. Aufl.), Bonn 1979. Dazu: H. Schöpfer - E. L. Stehle (Hrsg.), Kontinent der Hoffnung. Die Evangelisierung Lateinamerikas heute und morgen. Beiträge und Berichte zur 3. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla 1979, München 1979. 20 Wiener Diözesansynode zum Thema "Kirche und soziale Kommunikation", in: es 4 (1971) 246-249.

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Kommunikation und ihrer Mittel bedeutsam21 . Gelegentlich wird daher auch auf diese Art von Quellen Bezug genommen werden. Bei den hier behandelten Quellen zeigt sich etwas, auf das noch ausführlich einzugehen sein wird, das aber gleichwohl auch hier schon grundsätzlich angemerkt zu werden verdient. Es ist damit ein, wenngleich auch nur in gelegentlichen Ansätzen, so doch deutlich zu spürendes ungewohntes Stilelement in der kirchlichen Gesetzgebung zu beobachten, daß nämlich Normsetzung nicht nur einseitig "von oben nach unten" (d. h. vom Gesetzgeber zum Normadressaten) mit dem Anspruch auf Rechtsgehorsam gesetzt wird, sondern daß Norminhalte ausgesprochen werden, von denen auch der andere Pol der Gesetzgebung, d. h. der Gesetzgeber selbst gleichermaßen in Pflicht genommen wird. Es können somit in den hier zu behandelnden Quellen Verbindlichkeiten geortet werden, die auch an (hierarchische) Verantwortungsträger gerichtet sind. 11. Zum Inhaltlichen 1. Verschiedene Typen von Akzentsetzungen

Betrachtet man die auf unsere Frage bezugnehmenden Aussagen, sei es auf universalkirchlicher, sei es auf partikularrechtlicher Ebene im gesamten, so treten naturgemäß eine ganze Reihe von Schwerpunkten zutage, wobei sich allerdings bestimmte Typisierungen feststellen lassen. Eine sehr wesentliche Unterscheidung sehe ich zunächst einmal schon in bezug auf das Objekt der Untersuchung, wobei festzustellen ist, daß die im folgenden anzuführenden Beobachtungen eigentlich auch den Gegenstand meines Referats betreffen. Die hier anstehende Frage lautet, ob sich die Darlegung auf Mittel der sozialen Kommunikation zu beschränken hat, oder ob tiefer angesetzt werden kann bzw. muß, nämlich bei der (sozialen) Kommunikation an sich. Pointiert könnte man also fragen, soziale Kommunikationsmittel oder soziale Kommunikation. Bei letzterer wäre dann nocheinmal der ekklesiologische Kontext einer solchen Kommunikation zu untersuchen. Ich möchte gleich vorwegnehmen, daß ich mein Thema in diesem umfassenden 21 Vgl. dazu das zur Vorbereitung auf die Bischofssynode in Rom von der Kommunikationsabteilung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) veröffentlichtes Dokument. "Evangelisation aus der Sicht des sozialen Kommunikators" , in : CS 7 (1974) 170-182. 17 Primetshofer

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Sinne verstanden habe, wobei ich davon ausgehe, daß nur eine solche Betrachtungsweise auch den Akzenten Rechnung trägt, die sich aus dem zur Verfügung stehenden Quellenmaterial unzweideutig ergeben. Diese verschiedenen inhaltlichen Akzentsetzungen hängen nicht mit der chronologischen Reihenfolge der zur Untersuchung stehenden Dokumente zusammen, wohl aber mit deren Autoren, d. h., die je verschiedenen Verfasser kommen zwar in bestimmten Einzelfragen zu demselben Ergebnis, weichen aber in Ansatzpunkten und Schlußfolgerungen zum Teil erheblich voneinander ab.

2. Kurze Skizzierung der Inhalte der einzelnen Dokumente a) Konzilsdekret "Inter mirifica" Am Beginn der Untersuchung steht das Konzilsdekret "Inter mirifica", und zwar nicht bloß, weil es das erste offizielle, ausdrücklich auf soziale Kommunikationsmittel bezugnehmende universalkirchliche Dokument ist, sondern weil ihm als Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils auch ein besonderes Gewicht zukommt. Das Dokument wurde nach relativ kurzer Beratungszeit bereits in der zweiten Sitzungsperiode des Konzils, nämlich am 4.12.1963, verabschiedet; zusammen mit der am selben Tag unterfertigten Konstitution über die Liturgie "Sacrosanctum Concilium" stellt es somit die beiden ersten Verlautbarungen des Zweiten Vatikanischen Konzils dar. Das Dekret "Inter mirifica" war freilich von Anfang an einer ziemlich herben Kritik ausgesetzt: Es sei zu rasch verabschiedet worden und weise daher insbesondere den Mangel auf, daß es die im weiteren Verlauf des Konzils erarbeiteten Grundsätze über das Wesen der Kirche und ihr Verhältnis zur Welt nicht berücksichtige. In erheblichen Teilen seiner Aussagen müsse es daher als "präkonziliär" bezeichnet werden. Es stehe weder auf der Höhe der konziliären noch der allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion22 . Ohne der Frage nach der Berechtigung dieser Kritik im einzelnen nachzugehen, sei festgehalten, daß das Konzilsdekret sich offensichtlich der 22 K. H. Schmidthüs, Kommentar zum Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel, Freiburg 1967. H. Wagner, Kommentar zur Pastoralinstruktion "Communio et Progressio", Nachkonziliare Dokumentation (NKD) 11, Trier 1971, 2.

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Tatsache bewußt war, daß es in bestimmten Bereichen nur Anstöße geben konnte und gewisse Aspekte nicht oder nicht ausreichend ins Auge zu fassen vermochte. Daher gibt das Konzilsdekret den ausdrücklichen Auftrag, daß nach Beendigung des Konzils eine Pastoral instruktion zum anstehenden Thema herausgegeben werde. Hinsichtlich des Inhalts dieser Pastoralinstruktion werden keine Vorgaben gemacht (Nr. 23). Auf einige markante Punkte des Konzilsdekrets sei verwiesen: bemerkenswert ist die positive Sicht der Information und des "in der menschlichen Gesellschaft" vorhandenen Rechts "auf Information über all das, was dem Menschen, sei es als einzelner, oder als Mitglied der Gesellschaft, je nach seiner besonderen Situation zu wissen zukommt" (Nr. 5). - Wenn der Mensch Träger dieses Rechts auf Information ist, dann erhebt sich allerdings die Frage, warum an dieser Stelle nicht auch ein Wort über das Recht auf Information im Raum der Kirche selbst gesagt wird. Bemerkenswert ist ferner die Aussage, daß die Einbindung der sozialen Kommunikationsmittel in die Seelsorge als Aufgabe der ganzen Kirche angesprochen wird, ohne daß sofort nach hierarchischen Gesichtspunkten differenziert wird. "Alle Glieder der Kirche sollen einmütig und planmäßig darangehen, ohne Aufschub und mit größtem Eifer die sozialen Kommunikationsmittel in die vielfältigen Arbeiten des Apostolates, wie es Zeit und Umstände erfordern, zu benutzen und schädlichen Unternehmungen zuvorzukommen, besonders in den Gegenden, wo sittlicher oder religiöser Fortschritt erhöhte Anstrengungen erfordern" (Nr. 13). Dieser erste Eindruck trügt allerdings, denn bei der Durchführung dieser Aufgabe wird doch wiederum auf ein streng hierarchisch gegliedertes Modell zurückgegriffen, d. h. in erster Linie sind die Oberhirten (Sacri Pastores) angesprochen, dieser mit ihrer Pflicht zur Verkündigung eng verbundenen Aufgabe nachzukommen, wobei die Laien mit ihren technischen, wirtschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Kräften die kirchliche Seelsorge unmittelbar unterstützen sollen (Nr. 13 Abs. 2 und 3). In diesem Zusammenhang ist bereits während der Diskussion um das Thema des Konzilsdekrets, aber auch nach dessen Veröffentlichung bemängelt worden, daß den Laien, die mitunter im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel über erheblich größere Sachkompetenz verfügen als die Kleriker, das Gefühl vermittelt wird, sie stünden auch in diesem Bereich unter klerikaler Vormundschaft23 .

23 K. H. Schmidthüs, Einleitung zum Konzilsdekret "Inter mirifica", in: LThK. Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erläuterungen. I (1966) 114.

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Der Eindruck einer reduktionistischen Kompetenzzuweisung in bezug auf den Umgang mit sozialen Kommunikationsmitteln ergibt sich auch aus dem sprachlichen Duktus einer Grundaussage im ersten Kapitel des Dekrets. Zunächst wird (Nr. 3) von einem "ursprünglichen" Recht ("Ius nativum")24 der Kirche auf Besitz und Benutzung der sozialen Kommunikationsmittel gesprochen. Auch hier werden unter Kirche allerdings nur die Oberhirten verstanden, "die Gläubigen zu lehren und zu leiten, damit sie das Heil und die Vollendung für sich und die ganze Menschheitsfamilie auch mit Hilfe dieser Mittel erstreben" (Nr. 3 Abs. 2). Bezeichnenderweise wird dann mit dem Bindewort "ceterum" (im übrigen) fortgesetzt und gesagt, daß es vor allem zur Aufgabe der Laien gehöre, "die sozialen Kommunikationsmittel mit echt humanem und christlichem Geist zu beseelen, um so den großen Erwartungen der Menschheit und dem Plane Gottes voll zu entsprechen" (Nr. 3 Abs. 3). Das Konzil hat mit dem Dekret "Inter mirifica" eine für das Apostolat der Kirche überaus wichtige Frage angeschnitten; aus mehreren Gründen war es aber nicht imstande, das Thema umfassend und vor allen Dingen in einer der konziliaren Ekklesiologie entsprechenden Weise zu behandeln. Umsomehr durfte man gespannt sein, wie der konziliare Impuls, nämlich die Einsetzung einer Kommission für die Erarbeitung einer Pastoral instruktion aufgegriffen und durchgeführt werden würde. Mit dem Motu proprio "In fructibus multis" vom 11. 4. 1964 wurde die Päpstliche Kommission für die Instrumente der Sozialen Kommission errichtet25 . b) "Communio et Progressio" Nach siebenjähriger Arbeit wurde der fertige Text der Pastoralinstruktion "Communio et Progressio" am 23. 5. 1971, dem 5. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, veröffentlicht26 . Dem umfangreichen Dokument ist zu bescheinigen, daß es auf einer sehr sorgfältigen Analyse der kirchlichen und allgemein-gesellschaftlichen Befindlichkeit aufbaut. Durch die Einbeziehung des Weltepiskopats in den Bera24 C. 822 § 1 CIC/1983 spricht dagegen nur von einem "ius proprium" der Kir-

che.

25 AAS 56 (1964) 289-292. 26 AAS 63 (1971) 593-656; NKD Bd. 11, Lateinisch-Deutsche Ausgabe, Trier

1971.

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tungsvorgang wurde einerseits die globale Dimension des Anliegens betont und andererseits die Notwendigkeit aufgewiesen, alle Kräfte auf universalwie partikularrechtlicher kirchlicher Ebene zu mobilisieren. Das Pastoralschreiben zeichnet eine große Perspektive, nämlich die "Idee der universalen Öffentlichkeit", es weist den Weg "zur Entwicklung einer universalen Menschengemeinschaft, der 'Mitteilung' heißt und in unserer Zeit mit Hilfe der 'technischen Vermittlung' der Kommunikation ausgebaut und nach allen Richtungen befahrbar gemacht werden muß "27. Bemerkenswert ist auch der tiefe theologische Ansatz einer Ortsbestimmung der sozialen Kommunikationsmittel in der Kirche. Das Pastoral schreiben erblickt in ihnen von der Vorsehung Gottes zur Verfügung gestellte Mittel, um das Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde zu fördern. Denn, so heißt es, die Kommunikationsmittel knüpfen neue Verbindungen unter den Menschen und schaffen sozusagen eine neue Sprache, die es ermöglicht, daß Menschen einander noch besser kennenlernen und leichter zueinander finden (Nr. 12). Die durch die sozialen Kommunikationsmittel geförderten Ziele, nämlich besseres Verständnis und Rücksichtnahme unter den Menschen, Hilfsbereitschaft und schöpferische Zusammenarbeit seien Ziele, die mit denen des Gottesvolkes nicht nur in Einklang stehen, sondern von da her sogar noch tiefer gesichert und vervollkommnet werden (Nr. 15). - Dieser Passus schließt mit einem Zitat aus GS 42 und LG 1: "Denn die Förderung der Einheit hängt ja mit der innersten Sendung der Kirche zusammen, da diese' in Christus gleichsam das Sakrament, d. h. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschen ist'" (Nr. 18). c) Der CIC/1983 Der CIC/1983 widmet, wie bereits erwähnt, den sozialen Kommunikationsmitteln einen eigenen Titel im dritten Buch. Allerdings läßt schon der zweite Teil der diesbezüglichen Rubrik (soziale Kommunikationsmittel, insbesondere Bücher) erkennen, daß es hier zum Großteil um erheblich andere Zielsetzungen geht als im Konzilsdekret bzw. in der Pastoralinstruktion angesprochen wurden.

27 H. Wagner, Kommentar zur Pastoralinstruktion "Communio et Progressio" , NKD 11, 145.

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Mit der Thematik um die sozialen Kommunikationsmittel zusammenhängende Fragen werden freilich nicht nur im genannten Titel IV angesprochen, sondern auch in der sogenannten Grundrechtskodifikation des zweiten Buches des CIC/1983. Dort ist in c. 212 § 3 das Recht der freien Meinungsäußerung verankert; alle Gläubigen haben entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hevorragenden Stellung das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Hirten angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Person den übrigen Gläubigen kundzutun. - Unter den Quellen für c. 212 § 3 wird u.a. das Konzilsdekret "Inter mirifica" Nr. 8 zitiert28 . Es fällt aber auf, daß im Quellenverzeichnis (S. V-x der Quellenausgabe) des CIC/1983 die Pastoralinstruktion "Communio et Progressio" überhaupt nicht angeführt wird, was den Schluß rechtfertigt, daß die Aussagen des CIC/1983 in bezug auf das Thema der sozialen Kommunikationsmittel noch vom Stand des Konzilsdekrets bzw. der weiter zurückliegenden Rechtsquellen geprägt ist. Und selbst bei der Verwendung konziliarer Rechtsquellen ist (wie auch in anderen Zusammenhängen) in diesem Punkt der Trend des Gesetzgebers festzustellen, durch gezielte Weglassungen bzw. Einfügungen etwas vom "Pleroma" konziliarer Aussagen abzuschwächen oder zurückzunehmen 29 . Titel IV des dritten Buches des CIC/1983 ist, abgesehen von dem einleitenden c. 822, die auf die sozialen Kommunikationsmittel als ganzes anspielen, im Grunde genommen nur eine modifizierte Neuauflage des Abschnittes über das Bücherverbot ("Oe prohibitione librorum") des CIC/1917 (cc. 1395-1405), wobei freilich die aufgrund des Dekrets der Glaubenskongregation vom 19. 3. 197530 geänderte Rechtslage berücksichtigt wurde. 28 Codex Iuris Canonici Fontium annotatione et Indice analythico - alphabetico auctus. Libreria editrice Vaticana 1989. 29 Vgl. dazu B. Primetsllofer, Der Geist des Codex Iuris Canonici 1983, in: K. Amon u.a. (Hrsg.), Ecclesia Peregrinans. FS zum 70. Gbtg. von losef Lenzenweger. Wien 1986,405-417. - In bezug auf c. 212 § 3 ist zu sagen, daß es in der (als Quelle angeführten) Dogmatischen Konstitution LG (Nr. 37, 1) heißt, die Gläubigen sollten die Meinungsfreiheit "mit Wahrhaftigkeit, Mut und Klugheit ("in veracitate, fortitudine et prudentia") ausüben. Diese noch in den beiden ersten Entwürfen zur Lex Ecclesiae Fundamentalis zu findende Wendung hat nicht Eingang in den c. 212 § 3 gefunden. Sie findet sich auch nicht im c. 212 § 3 des "Schema novissimum" (1982). Vgl. dazu H. J. F. Reinllardt, in: Münsterischer Kommentar, c. 212, RdZ 5. Auch "Aetatis novae" erwähnt diesen Passus aus LG nicht. Vgl. H. Rolfes, Soziale Kommunikation und Wahrheitsverwaltung. Überlegungen zu Aetatis novae Nr. 10 über die Medien im Dienst der kirchlichen Gemeinschaft, in: CS 25 (1992) 268. 30 Dekret "De Ecclesiae pastorum vigilantia circa libros", in: AAS 67 (1975) 281284; ÖAKR 26 (1975) 180-182; NKD 52.

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Die Richtigkeit dieser Beobachtung wird durch einen Bli.;k in die Quellenausgabe des CIC/1983 erhärtet: bei allen Canones dieses Titels, ausgenommen den einleitenden c. 822, wird auf die einzelnen das ki;chliche Bücherverbot betreffenden Canones des CIC/1917 verwiesen. Die Pastoralinstruktion "Commurno et Progressio" wird hingegen als Quellerbeleg nur im einleitenden c. 822, allerdings ohne genaueren Hinweis auf einen bestimmten Abschnitt der Instruktion, erwähnt. Die Bestimmungen des CIC/1983 in bezug auf die sozialen Kommunikationsmittel erweisen sich somit in ihrer Gesamtheit als sehr dürftig. Die Grundaussage des c. 822 ist eindeutig vom hierarchisch strukturierten Modell des Konzilsdekrets "Inter mirifica", d. h. durch eine Überbewertung der Rolle der "höheren" Kleriker mit nur unzureichender Berücksichtigung der autonomen Rolle der übrigen Mitglieder der Kirche, vor allen Dingen der Laien, gekennzeichnet. - Die übrigen Regelungen des Titels IV (ce. 823-832) weisen vom Inhalt her (Bücherzensur) wie auch aufgrund ihrer Formulierung einen überwiegend negativen Tenor aus. Die gesetzessystematische Verflechtung der beiden Materien, nämlich der sozialen Kommunikationsmittel und der Bücher(zensur) kann nicht als geglückte Lösung bezeichnet werden. d) "Aetatis novae" Zum 20-jährigen Jubiläum von "Communio et Progressio" erließ der Päpstliche Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel die Pastoralinstruktion "Aetatis novae" (22. 2. 1992)31, worin ein Resümee über 20 Jahre kirchlichen Umgangs mit den Medien gezogen und Überlegungen angesichts neuer Herausforderungen im Bereich der Kommunikationsmittel angestellt werden. In dem umfangreichen Dokument werden Chancen und Gefahren des Medienzeitalters aufgewiesen, wobei den Problemen eines Medienzugangs der Dritten Welt besonderes Augenmerk geschenkt wird.

31 AAS 84 (1992) 447-468.

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Bemerkenswert an "Aet' tIs novae" Ist der Versuch emer sehr tIefgehenden theologischen Verankerung des Themas. KommunIkatIon wird Im Zusammenhang mit der InkarnatIon gesehen: Im fleischgewordenen Wort teIle sIch Gott endgültig mit. DIe Selbstenthüllung Gottes in Liebe bringe in Verbindung mit der G1aubensa ntwort des Menschen einen tiefgründigen Dialog hervor. Die menschhche Geschichte und alle zwischenmenschlichen Beziehungen spielen sich innerhalb dieser SelbstmitteIlung Gottes in Chnstus ab. Die Geschichte selbst solle eine Art Wort Gottes werden, und es gehöre zur Berufung des Menschen, dazu beIzutragen, mdem er dIese ständige unbegrenzte Mlttetlung der versöhnenden LIebe Gottes auf schöpfensche Welse zu leben versuche. Man mag über (hesen tIefgr"ndigen Versuch emes Begründun.!,szu~ammen­ hangs durchaus geteilter Memung ~em können 32 , bedeutsam er~chemt Jedenfalls (he Tat~ache, daß "AetatIs novae" wIe übngens auch schon "CommunIo et ProgresslO"33, unt r Berufung auf das Recht der freIen Melnungsäußerung (c. 212 § 3 CIC/1983 von emem mnerkIrchlIchen Recht auf DIalog und InformatIOn ~pncht. Die Memungsfrelhelt seI ein MIttel zur Stärkung von GlaubwürdIgkeIt und Wirhamkelt der KIrche und dIene der VerwIrklIchung Ihre~ Gememschaftscharakters (Nr. 10). Das Recht auf KommUnIkatIon gehöre zum Recht auf reh.!,löse FreIheIt, dIe nIcht auf dIe bloße KultfreIheIt beschränkt werden dürfe (Nr. 15). "AetatIs novae" enthält als Anhang detaIllIerte Vorschläge für dIe Erarbeltung von Elementen emes Pa~t( ralplanes für SOZIale KommUnIkatIon auf der Ebene von DIözesen, BI~ch( f~konferenzen oder Patnarchalversammlungen. el allen bemerkenswerten Ansätzen der Pastor' ImstruktlOn "Aet' tl~ novae" , dIe sich als Fortschreibung von "CommUnIO et Progres~lO" ver~teht, wurde doch bezweIfelt, ob dadurch da~ "m VIeler Hmslcht fragIle oder sogar massIv gestörte VerhältnIS von KIrche und MedIen" entscheIdend verbessert worden se1 34 .

32 DIese Pas~' gcn au~ "Act' h~ novac" wurdcn dcnn auch auch ab "unnoh~e theologIsche Flo~kel" bczclchnet, ITIIt dcncn da~ Dokument uberfrachtet werde Vgl dcn mIt "ru" (U Ruh gezcu:hneten BCltrag "Chancc vcrpaHt Dlc nl.,ue Pa~toral­ IsntruktlOn uber ~o-_JUIc KommunIkatIOn", In HerKorr 45 (1992) 154 33 Nr 114-121 34 Vgl HcrKorr 46 (1992 154

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e) Kongregation für die Glaubenslehre Die am 9. Juni 1992 veröffentliche Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre35 will, eigener Darstellung zufolge, nur "einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel bei der Förderung der Glaubenslehre" behandeln36 . Die Instruktion versteht sich vor allem als Mahnung an die Bischöfe und Ordensoberen, ihre Verantwortung im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel wahrzunehmen, wobei der Frage breiter Raum gewidmet ist, welche Schriften einer vorausgehenden Approbation seitens der zuständigen kirchlichen Autorität bedürfen. Wachsamkeit seitens der Hirten sei insbesondere deshalb notwendig, weil durch die sozialen Kommunikationsmittel im allgemeinen und durch Bücher im besonderen heute immer mehr irrige Gedanken verbreitet würden (Einführung). Das Dokument will daher in organischer Form die Gesetzgebung der Kirche in diesem Punkt zusammenstellen. Die kanonischen Normen, so führt die Instruktion aus, bilden eine Garantie für die Freiheit aller: für die der einzelnen Gläubigen, die das Recht haben, die Botschaft des Evangeliums rein und vollständig zu empfangen; für die pastoralen Kräfte, die Theologen und alle katholischen Publizisten, die das Recht haben, ihre Gedanken mitzuteilen, unbeschadet der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten sowie der Ehrfurcht vor den Hirten37 . Ein besonderes Augenmerk wendet die Instruktion der Verantwortung der Ordensoberen zu; angeblich sollen Auseinandersetzungen zwischen Bischöfen und einigen Ordensinstituten in bezug auf die Veröffentlichungen von Ordensleuten bzw. um von Orden getragene Zeitungen und Zeitschriften der eigentliche Anlaß der Instruktion der Glaubenskongregation gewesen sein38 . Alle Oberen, zumal jene, die Ordinarien sind, müßten darüber wachen, daß innerhalb ihrer Institute die kirchliche Disziplin auch bei den sozialen Kom35 Instructio quoad aliquos adspectus usus instrumentorum communicationis socialis in doctrina fidei tradenda, in: Communicat XXIV/1992, 18-27. 36 Die am 9. Juni 1992 veröffentliche Instruktion trägt das Datum vom 30. März des Jahres. 37 Zusammenfassend über die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre der Präsident des Päpstlichen Rates über die Sozialen Kommunikationsmittel, Erzbischof J. P. Foley, in einer Pressekonferenz vom 2. 6. 1992: "The instruction does not really enunciate new principles; it gathers existing norms in abrief document in which long valid principles are made more readily accessible". Und sehr plakativ wird als Ziel der Instruktion angegeben "truth in packaging". Vgl. Rolfes, Soziale Kommunikationsmittel (Anm. 29) 262 f. 38 Vgl. HerKorr 46 (1992) 342.

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munikationsmitteln gewahrt werde (Nr. 16 § 4). Die Wachsamkeit der Ordensoberen solle sich insbesondere auf die mit dem Institut verbundenen Verlage, Buchhandlungen usw. erstrecken; es möge dafür Sorge getragen werden, daß diese ein wirksames apostolisches Werkzeug seien und der Kirche und ihrem Lehramt treu bleiben (ebd. § 5). Besonders wichtig sei die Zusammenarbeit zwischen dem Ortsordinarius und den Ordensoberen (Nr. 17 § 4). Im einzelnen wird u.a. die Bestimmung des c. 831 § 1 eingeschärft, wonach es Sache des Ortsordinarius sei, darüber zu entscheiden, unter welchen Bedingungen er Klerikern und Ordensleuten die Erlaubnis geben könne, in periodisch erscheinenden Zeitschriften zu schreiben, die gewöhnlich die katholische Religion oder die guten Sitten angreifen (Nr. 13).

III. Soziale Kommunikationsmittel - Ausdruck kirchlicher Selbstdarstellung 1. Problembewußtsein

Umfang und Inhalt universal- wie partikularkirchlicher Aussagen zum Thema der sozialen Kommunikationsmittel lassen keinen Zweifel, daß sich die Kirche, sei es als Weltkirche, sei es in ihren teilkirchlichen Erscheinungsfonnen, der stets wachsenden Bedeutung der sozialen Kommunikationsmittel voll bewußt ist. Die Anstrengungen der letzten Jahrzehnte, nicht nur theoretische Festlegungen zu treffen, sondern diese auch in die Tat umzusetzen, sind beachtlich. Hier ist auch auf die Einrichtung eines eigenen universitären Studienganges im Bereich der päpstlichen Hochschulen in Rom hinzuweisen, der der wissenschaftlichen Erforschung und Durchdringung des anstehenden Fragenkreises gewidmet ist39 . Auch die Notwendigkeit einer ständigen theologischen Reflexion über die Verfahren und Mittel der sozialen Kommunikation und über ihre Rolle in Kirche und Gesellschaft wird in aller Deutlichkeit gezeigt40 .

39 Die Päpstliche Universität der Salesianer in Rom hat seit einigen Jahren ein eigenes kommunikationswissenschaftliches Studium eingerichtet, das auch akademische Grade verleiht. An der Päpstlichen Universität Gregoriana besteht ein diesbezüglicher Lehrgang. 40 "Aetatis novae" Nr. 32, c.

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Von nicht zu unterschätzendem Gewicht ist die dezidierte Verankerung des Rechts auf Information und Kommunikation als allgemeines Menschenrecht, das mit der Religionsfreiheit in Zusammenhang steht. Zur Verteidigung dieses Rechts führt" Aetatis novae" u.a. folgendes aus: "Es ist untragbar, daß die Ausübung der Kommunikationsfreiheit vom Reichtum, von der Erziehung oder von der politischen Macht abhängt. Das Recht auf Kommunikation ist ein Recht, das allen zusteht. Das erfordert besondere Anstrengung auf nationaler und internationaler Ebene, nicht nur um den Armen und Machtlosen den Zugang zur Information zu geben, die sie für ihre individuelle und soziale Entwicklung brauchen, sondern auch um sicherzustellen, daß sie bei der Entscheidung über die den Inhalt der Medien und bei der Festlegung der Strukturen und der Politik ihrer nationalen Kommunikationseinrichtungen tatsächlich eine verantwortungsvolle Rolle spielen. Wo rechtliche und politische Strukturen die Beherrschung der Massenmedien durch Eliten begünstigen, muß die Kirche nachdrücklich auf der Respektierung des Rechts auf Kommunikation und insbesondere auf ihrem eigenen Zugangsrecht zu den Medien bestehen, während sie gleichzeitig für ihre eigenen Mitglieder und für die Bevölkerung insgesamt nach alternativen Kommunikationsmodellen sucht. "41 Hervorzuheben sind auch die vielfältigen Anstrengungen, Planungen und Initiativen, die unternommen wurden und werden, um die Grundsätze hinsichtlich des U mgangs mit den sozialen Kommunikationsmitteln auf den verschiedenen Ebenen der Kirche in die Tat umzusetzen. Die sozialen Kommunikationsmittel, von "Communio et Progressio" als "Geschenk Gottes" an die Menschen bezeichnet42 , können einen "partizipatorischen Prozeß" einleiten, der geeignet ist, die verschiedenen Kulturen einander näherzubringen43 . Die Kirche, insbesondere in Lateinamerika, hat die providentielle Hilfe dieser Kommunikationsmittel mit Vertrauen und Hoffnung aufgegriffen, damit diese "immer mehr zur menschlichen und christlichen Förderung des Kontinents beitragen "44. In der heutigen Welt könne die Kirche den von Christus ihr anvertrauten Auftrag, die Frohe Botschaft "bis an die Grenzen der Erde" zu tragen, nicht erfüllen, wenn sie nicht die sozialen Kommunikationsmittel in Anspruch nimmt, die allein fähig sind, alle Menschen wirksam zu erreichen. Das Wort sei das normale Ausdrucks41 "Aetatis novae" Nr. 15.

42 "Communio et Progressio" Nr. 2 unter Berufung auf die Enzyklika Pius' XII. "Miranda prorsus" , in: AAS 49 (1957) 765. 43 R. A. ~i/e, Twenty Years of Evolution in the Church's Thinking about Co mmunication, in: CS 25 (1992) 252. 44 Dokumente der 11. und III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Medellin und Puebla (6. 9. 1968, 13. 2. 1979), in: Stimmen der Weltkirche, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn (0.J.), 130.

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mittel des Glaubens: fides ex auditu (Röm 10, 17). In unserer Zeit werde "das Wort" auch zu Bild, Farbe und Ton, weil es durch die verschiedenen sozialen Kommunikationsmittel mannigfaltige Formen annimmt. So verstanden seien die Kommunikationsmittel ein Imperativ der gegenwärtigen Zeit, damit die Kirche ihren Evangelisierungsauftrag verwirklichen könne45 . Dazu sei freilich, wie das Puebla-Dokument (27.1. - 13.2.1979) ausführt, erforderlich, daß die Kirche in der Vermittlung der Botschaft eine aktualisierte, konkrete, unmittelbare, klare und zugleich behutsame Sprache benütze. Diese Sprache müsse wirklichkeitsnahe sein und das Volk, seine Denkweise und seine Religiosität becücksichtigen46 . Es sei unumgänglich notwendig, einen aufrichtigen und wirksamen Dialog zwischen der Hierarchie und all jenen zu fördern, die in den sozialen Kommunikationsmitteln arbeiten. Dieser Dialog müsse besonders mit denen geführt werden, die in den kircheneigenen sozialen Kommunikationsmitteln arbeiten, um sie pastoral anzuregen und zu orientieren. Die daraus resultierende offene Haltung fördere die notwendige Freiheit der Meinungsäußerung, die - dem Zweiten Vatikanischen Konzil zufolge - auch innerhalb der Kirche unerläßlich sei 47 . 2. Bewertung

Bereits zu wiederholten Malen ist, auch im Zusammenhang mit der kirchlichen Lehre von den sozialen Kommunikationsmitteln, die (kritische) Frage aufgeworfen worden, ob die Kirche nicht mit zweierlei Maß messe, d. h. daß sie "ad extra" bzw. "ad intra" eine jeweils andere Sprache spreche48 . Schon bei "Communio et Progression zeigt sich eine Art von gespaltenem Bewußtsein, aufgrund dessen manche entscheidende und sich fortschrittlich gebende Forderungen im innerkirchlichen Bereich unter Hinweis auf die besondere Natur der kirchlichen Institution nicht verifiziert werden 49 . In "Aetatis novae" und noch unmißverständlicher in der Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre setzt sich eine Mentalität durch, die in bezug auf Kommu45 Dokumente von Medellin und Puebla, ebd. 46 Dritte Vollversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats (CELAM) in Puebla (Mexiko) Abschnitt "Pastorale Anhaltspunkte" Nr. 2.2.g, in: CP 12 (1979) 295. 47 Medellin und Puebla, ebd. unter Hinweis auf die Pastoralkonstitution GS Nr. 92. 48 Rolfes, Soziale Kommunikationsmittel (Anm. 29) 266. 49 G. Deussen, "Communio et Progressio" auf dem Hintergrund der päpstlichen Lehrtradition, in: Kirche und Publizistik. Beiheft 1 zu CS. Paderbom 1972,34.

Die sozialen Kommunikationsmittel

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nikation innerhalb der Kirche in erster Linie auf kirchliche Autorität und Amtsvollmacht setzt, auf Durchsetzung von WahrheitsanspTÜchen und nicht auf Überzeugung. Das kirchliche Lehramt wird als eine von Gott selbst ausgestattete Instanz zur Sicherung und Verwaltung der Wahrheit in einem umfassenden Sinne verstanden50 . Schon unmittelbar nach Erscheinen von "Communio et Progression hat Bemhard Häring die Verpflichtung des kirchlichen Lehramts zu genauem Hinhören und Hinsehen aufgewiesen und vor einer Kirche gewarnt, deren Lehramt von den geistigen Strömungen und der Kommunikationsweise der Zeit abstrahiere51 . Zurecht wurde hervorgehoben, daß sich die Kirche nicht nur als Subjekt, sondern ebenso sehr als Objekt der Evangelisierung betrachten müsse; sie sei sogar erster Adressat der Evangelisation52 . "Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns von der falschen Vorstellung einer bloß vertikalen Kommunikation von oben nach unten befreit. Die Kommunikatoren sind nicht nur Kanäle, um das Wort der Obrigkeit weiterzugeben. Die kirchlichen Lehrer können nicht über den Glaubenssinn des Volkes hinwegsehen. Die Pastoralinstruktion über die Massenmedien betont den Öffentlichkeitscharakter nicht nur des gemeinsamen Suchens nach einem besseren Glaubensverständnis, sondern vor allem des Bemühens in Dingen, die nicht unmittelbar zu dem der Kirche anvertrauten Glaubensgut gehören. Alle haben gemäß ihrem Charisma und ihrer besonderen Kompetenz einen Beitrag zu leisten. Dies ist hochbedeutsam für die wirksame Ausübung der Autorität. "53 Die Verpflichtung der Kirche als ganzes, auch mit Hilfe der sozialen Kommunikationsmittel, genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Kirchen hinzuhören, bevor verbindliche lehramtliche Äußerungen erlassen werden, kommt deutlich in einigen partikularrechtlichen kirchlichen Aussagen zum Ausdruck. Somit wird die Frage des rechten Umgangs mit den sozialen Kommunikationsmitteln auch zu einer grundsätzlichen Rückfrage an die praktische Durchführung eines Grundsatzes des kirchlichen Selbstverständnisses, das ja vom Begriff der "communio Ecclesiarum" geprägt ist. Der für die Einheit der Kirche unersetzliche "Petrusdienst" müßte sich angesichts eines globalen Kommunikationsprozesses zunächst in Richtung auf eine sehr sorgfal50 Rolfes, ebd. 272. 51 B. Häring, Theologie der Kommunikation und theologische Meinungsbildung, in: Kirche und Publizistik, 39. 52 Rolfes, Soziale Kommunikationsmittel (Anm. 29) 273. 53 B. Häring, Frei in Christus (Anm. 6) 192 f.

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tige Analyse und Bestandaufuahme der Befindlichkeit der einzelnen Teilkirchen manifestieren. Dies müßte bei allen, vorab den kirchlichen Amtsträgern, zu einer Rede- und Handlungweise führen, die zum Ausdruck bringt, daß die Kirche das Evangelium nicht nur anderen predigt, sondern daß sie sich selbst immer wieder neu von der Frohen Botschaft erfassen läßt. Bedenkt man, daß die Botschaft der Kirche sich immer in erster Linie an die "Armen" im Sinn des Evangeliums zu richten hat, dann kann eine Evangelisation dieser Armen erst dann erfolgen, wenn diese Kirche selbst von der Botschaft der Armen ergriffen und durchdrungen ist. Leitmotiv kirchlichen Umgangs mit den sozialen Kommunikationsmitteln müßte daher sein: "Evangelizare pauperibus et a pauperibus evangelizari" .

Konfessionsübergreifende Jurisdiktion? I. Kanonische Relevanz nichtkanonischer Rechtsordnungen 1. Verweisungsformen des kanonischen Rechts

Wie jede Rechtsordnung arbeitet auch die kanonische mit dem rechtstechnischen Mittel des VeIWeises auf fremde, d. h. nichtkanonische Rechtsordnungen. Während der CIC/1917 und der CIC/1983 dies in relativ großem Umfang hinsichtlich staatlichen Rechts vornahmen bzw. vornehmen - man denke an die Bereiche des (bürgerlichen) Vertragsrechts, an das Recht der Verjährung und Ersitzung l bzw. im kanonischen Eherecht an den VeIWeis auf die Geltung staatlichen Rechts hinsichtlich der "rein bürgerlichen Rechtswirkungen. der Ehe,,2 - kennen beide Gesetzbücher keinen VeIWeis auf einen fremden kirchenrechtlichen Normenbereich. Angesichts der Grundaussage des c. 12 CIC/1917 bestand diesbezüglich auch keinerlei Notwendigkeit, da die Getauften schlechthin als Adressaten aller Normen des kanonischen Rechts anzusehen waren3 , sofern sie nicht von einzelnen Bestimmungen durch Sonderregelungen ausgenommen waren. Diese

1 CIC/1917 cc. 1508, 1529; CIC/1983 cc. 1268 i.V.m. 197-199; 1290. 2 C. 1016 CIC/1917; c. 1059 CIC/1983. - Zur Frage des (rezipierenden bzw. nichtrezipierenden) Verweises des kanonischen Rechts auf staatliches Recht vgl. G. Göbel, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983. Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 21, Berlin 1993, bes. 181-195; O. Cassola, La recezione del Diritto Civile nel Diritto Canonico. Roma 1969; P. Ciproni, Le "Leggi Civili" nel nuovo codice di diritto canonico, in: Apoll 57 (1984) 281-293. 3 Besonders signifIkant in diesem Zusammenhang eine Entscheidung der SignAp aus dem Jahre 1969: Die Ehe eines Protestanten, der zwar das nach staatlichem Recht vorgeschriebene Ehemündigkeitsalter, nicht aber dasjenige des kanonischen Rechts erreicht hatte, wurde für ungültig erklärt. Staatliches (materielles) Recht sei in bezug auf die Ehen von Protestanten irrelevant; die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit ihrer Ehen sei allein nach kanonischem Recht zu beurteilen. X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem Iuris canonici editae, IV, Sp. 5559, Nr. 3754.

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betrafen im Eherecht die Formpflicht4 und das Hindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus), da dessen Tatbestandsbild ausdrücklich auf die Eheschließung des in der katholischen Kirche Getauften oder zu ihr Konvertierten mit einem Nichtgetauften abstellte5 . Die elWähnten Ausnahmebestimmungen, d. h. die Nichtanwendung bestimmter Normen des CIC bedeutete nun aber keineswegs, daß anstelle der nichtanzuwendenden kanonischen nun eine andere (nichtkatholische oder staatliche) Norm zur Anwendung zu kommen hätte. Aus der vom Recht des CIC verfügten Befreiung des Akatholiken von der Formpflicht wurde keineswegs gefolgert, daß deren Eheschließung zu ihrer Gültigkeit von der Einhaltung irgendeines anderen kirchlichen oder staatlichen Rechts abhängig wäre, dies selbst dann nicht, wenn die nichtkatholische Kirche oder kirchliche Gemeinschaft etwa die Einhaltung einer bestimmten Eheschließungsform zwingend vorsehen sollte6 • In grundsätzlich gleichen Bahnen, wenngleich auch nicht immer völlig konsequent, verlief die Entwicklung vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil in bezug auf die nichtunierten Orientalen. Das MP "Crebrae allatae" (CA)? enthielt in c. 90 § 2 eine im Inhalt mit c. 1099 § 2 CIC/1917 übereinstimmende Formulierung, derzufolge getaufte Akatholiken, wenn sie unter sich oder mit Ungetauften eine Ehe schließen, nirgends an die kanonische Eheschließungsform gebunden seien. Diese Befreiung von der Formpflicht nach 4 C. 1099 § 2. Dazu das MP Pius' XII.!. 8. 1948, in: AAS 40 (1948) 305. 5 C. 1070 § 1. - Nur am Rande sei erwähnt, dan dem Recht des CIC/1917 zufolge ein Glaubensabfall des Katholiken keine Änderung in bezug auf seine Normunterworfenheit mit sich brachte. Es galt uneingeschränkt der Grundsatz: semel catholicus, semper catholicus. 6 Entscheidung der SRR 29. 10. 1968 coram Anne, in: DecSRR 60, 703. Der Tenor der Entscheidung besteht darin, daß die in c. 1099 § 2 (erster Halbsatz) verfügte Entbindung der Akatholiken von der Formpflicht keinesfalls einen einschlußweisen Verweis auf eine fremde (kirchliche oder staatliche) Rechtsordnung bedeute. Zur Gültigkeit der Eheschließung genüge bei den Akatholiken der Konsensaustausch an sich, die Einhaltung irgendeiner im staatlichen Recht des betreffenden Landes geltenden Eheschließungsform noch auch eine sonstwie öffentliche Form der Eheschließung sei nicht erforderlich: " ... pro baptizatis acatholicis numquam ad veram fidem conversis, inter se contrahentibus, sufficit solus matrimonialis consensus quocumque modo manifestatus. Matrimonium inter personas quarum alterutra saltem est baptizata penitus subducitur regimini auctoritatis civilis." Damit wird im Ergebnis für die Eheschließung getaufter Nichtkatholiken eine Rückkehr zum vortridentinischen Eherecht bewirkt, d. h. die klandestine Ehe ist gültig. Entscheidend für das Zustandekommen der Ehe ist demnach nur der Konsensaustausch, in welcher Form immer dieser erfolgt sein mag. ? AAS 41 (1949) 89-117.

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CA bedeutete aber keinesfalls einen Verweis auf eine fremde Rechtsordnung, insbesondere nicht auf das Recht der Orientalischen Kirchen, denen nicht nur jede legislative, sondern auch jede administrative Kompetenz im äußeren Rechtsbereich abgesprochen wurde8 . Die Unterstellung der Ehen nichtkatholischer Orientalen unter die ausschließliche katholische Jurisdiktion in Rechtssetzung und -anwendung war somit perfekt; einer fremden Rechtsordnung wurde keinerlei diesbezügliche Kompetenz zugewiesen9 . Der Umstand, daß CA die nichtunierten Orientalen von der in diesem MP enthaltenen Formpflicht befreite 10 , ohne an dessen Stelle eine im nichtkatholischen Recht bestehende Formpflicht als relevant zu erklären, führte zu dem bekannten Ergebnis, daß Zivilehen Orthodoxer nach katholischem Recht als gültig betrachtet wurden 11, auch wenn sie nach orthodoxer Auffassung - al8 Coussa macht im Zusammenhang mit c. 90 § 2 CA auf einen Umstand aufmerksam, der schlaglichtartig die Position des vorkonziliaren kanonischen Rechts gegenüber den Orientalen zum Ausdruck bringt. Die im angezogenen Kanon enthaltene Befreiung von der Formpflicht bei Eheschließung zwischen getauften Nichtkatholiken und Ungetauften gehe insofern ins Leere, weil diese Ehen zu folge c. 60 § 1 CA, d. h. wegen des Hindernisses der Religionsverschiedenheit, auf jeden Fall nichtig seien. Die Nichtigkeitssanktion dieses Gesetzes könne aber nicht aufgehoben werden, weil den nichtkatholischen Hierarchen keine Dispensbefugnis zukomme. A. COllssa, Epitome praelectionum de iure ecclesiastico orientali, vol. III, in: De matrimonio, Romae 1950,206. 9 Pospishil zählt einige Fälle auf, in denen vor bzw. nach Inkrafttreten von CA Eherechtsfälle von nichtunierten Orientalen unter Zugrundelegung katholischen Kirchenrechts gelöst wurden. V. J. Pospishil, The Code of Oriental Canon Law. The Law on Marriage. Chikago 1962, 175-190. \0 Allerdings war im vorkonziliaren Recht die Anwendbarkeit von CA auf die Ehen Orthodoxer in Lehre und Rechtsprechung umstritten. Vgl. dazu D. Faltin, De legibus quibus baptizati acatholici ritui orientali ad scripto tenentur, in: Apoll 35 (1962) 238-249; C. PlIjol, Orientales ab Ecclesia catholica seiuncti tenenturne novo iure canonico a Pio XII. promulgato?, in: OrChrP 31 (1966) 78-110. Über die uneinheitliche Spruchpraxis der Römischen Kurie vor 1970 vgl. P. Wirth, Ehen mit Orthodoxen (Wort und Weisung. Schriften zur Seelsorge und Lebensordnung der katholischen Kirche, Bd. 3), Freiburg/Br. 1967, 31 ff. 11 Coussa faßt (hinsichtlich der orthodoxen Griechen) die Spruchpraxis Römischer Kongregationen wie folgt zusammen: "Sacrae Congregationes, quoties de matrimonii valididate, omisso ritu vel ab sente quovis sacerdote celebrati, res fuit, respons um pro vincolo dederunt". COllssa, Epitome (Anm. 8) - Signifikant dazu eine Entscheidung des Hl. Offiziums vom 6. 6. 1964, Prot. Nr. 3984/64: "Matrimonium inter orthodoxos sola forma civili servata, etiam ante Motum Proprium "Crebrae allatae" validum censeri debet quoad formam" . Wirth, ebd. 37. 18 Primetshofer

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lerdings auch in schwankender Praxis - wegen Fehlens der priesterlichen Segnung als nicht gültig angesehen wurden. Die vorkonziliare Lage, genauer gesagt, vor UR 16, kann man folgendermaßen zusammenfassen: Das Recht der Lateinischen Kirche wie auch der Orientalischen Kirchen ging von der Geltung katholischen Kirchenrechts für die Eheschließungen nichtkatholischer Christen aus l2 . Wo dieses katholische Kirchenrecht eine Freistellung der Nichtkatholiken von Bestimmungen des katholischen Kirchenrechts vorsah, wie insbesondere im Bereich der Formpflicht, dann bedeutete dies keinesfalls, daß damit implizit auf eine nichtkatholische kirchliche oder staatliche Rechtsordnung verwiesen wurde 13 . Dieses wurde für die Regelung von Rechtsbeziehungen von Nichtkatholiken untereinander als unzuständig angesehen. Wenn nichtkatholisches orthodoxes Recht als verbindlich anerkannt wurde, dann mußte es sich um Recht handeln, das in der betreffenden Rituskirche bereits vor dem Schisma gegolten hatte; dem von der nichtkatholischen Hierarchie nach dem Schisma geschaffenen Recht wurde keine Verbindlichkeit zuerkannt l4 . So wurde u. a. in mehreren römischen Entscheidungen die Verbindlichkeit der im Trullanum (692) aufgestellten Ehehindernisse (insbesondere das trennende Ehehindernis der Bekenntnisverschiedenheit der Ehepartner l5 ) als für die Orthodoxen geltendes Recht anerkannt l6 .

12 J. Vadakumcherry, Marriage Laws in the Eastern and Latin Codes, in: J. Chiramel/K. Bharanikulangara (Hrsg.), The Code of Canons of the Eastem Churches. A Study and Interpretation. Alwaye (India) 1992, 184: "Right up to just before the Second Vatican Council it was a common opinion that Crebrae allatae was binding not only for Oriental Churches of the Catholic fold but also for baptized non-Catholics as weil." 13 B. Primetshofer, Die interkonfessionelle Geltung des kanonischen Rechts, in: ÖAKR 41 (1992) [FS Peter Leisching) 196. 14 Coussa, Epitome vol. I, nr. 16 f. 15 C. 72. Codificazione Canonica Orientali; Fonti, fase. IX, Roma 1962, 209. Dazu D. Sa/achas, Istituzioni di diritto canonico delle Chiese cattoliche orientali. Roma/Bologna, 1993,27 f. 16 Dazu Wirth, Ehen mit Orthodoxen (Anm. 10) 35. - Besonders deutlich die SRR 31. 10. 1940; DecSRR vol. 32, 745-752: Für die Orthodoxen gelten die Bestimmungen des Naturrechts und jene positivrechtlichen Bestimmungen des CIC (1917), die ausdrücklich auf Orientalen Bezug nehmen oder aus der Natur der Sache für sie verbindlich sind. Insbesondere aber gelten die Gesetze ihres Ritus, die bereits vor der Kirchenspaltung in Kraft standen. Allerdings macht Prader auch auf schwankende lehramtliche Aussagen hinsichtlich der Verbindlichkeit von c. 72 des Trullanums aufmerksam. Bei der SRR habe sich ab 1969 die Auffassung durchgesetzt, daß der erwähnte Kanon des Trullanums aufgrund gegenteiliger Gewohnheit bzw. durch Entscheidungen verschiedener orthodoxer Kirchen als aufgehoben gelten könne. J.

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2. Das Ökumenismusdekret und die Ausführungsbestimmungen "Unitatis redintegration (UR) Nr. 16 bedeutet einen Schluß strich unter eine lange Kontroverse. Im Ergebnis wird gesagt, daß das bei Orthodoxen und Altorientalen geltende Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Kirchenspaltung entstanden ist, Verbindlichkeit für diese Kirchen besitzt und damit auch von der katholischen Kirche anerkannt wird. Zugleich wird damit die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des katholischen Rechts für die Mitglieder dieser Kirchen ausgesprochen. Es liegt hier formalrechtlich ein dem bisherigen kanonischen Recht nicht geläufiger Typ von Verweisung vor, der sich nicht in die Kategorie der "canonizatio" (rezipierender Verweis) und auch in keine andere Form des Verweises an Hand der gängigen Formen einreihen läßt I7 . Denn die "canonizatio" bedeutet für die Normadressaten des kanonischen Rechts (vgl. c. 11, d. h. für die Katholiken), daß in bestimmten Bereichen für sie eine fremde Rechtsordnung als verbindlich bezeichnet wird und die in dieser Rechtsordnung festgelegten Rechtsfolgen eintreten. Bei der Verweisung der cc. 780 f. wird nicht die Verbindlichkeit einer anderen Rechtsordnung für die Normadressaten des kanonischen Rechts fixiert, sondern es wird für nicht dem kanonischen Rechtsbereich Unterliegende (hier orientalische Nichtkatholiken) die Verbindlichkeit ihrer eigenen Rechtsordnung ausdrücklich ausgesprochen. Die katholische Rechtsprechung und Verwaltung hat, sobald sich ein entsprechender Anwendungsfall ergibt, grundsätzlich dieses fremde und nicht das eigene Recht für den Rechtsstatus des in Rede stehenden Personenkreises anzuwenden. Erstmals legt das kanonische Recht hier - zumindest ansatzweise - KollisionSllormen nach dem Muster des (staatlichen) Internationalen Privatrechts vor I8 . Es setzt eigentlich in Erstaunen, daß weder in der Lehre noch in der Judikatur sofort Konsequenzen aus UR 16 gezogen wurden l9 . Eine drei Wochen

Prader, Interituelle, interkonfessionelle und interreligiöse Probleme im Eherecht des neuen CIC, in: AkKR 152 (1983) 434-437. 17 Zu den verschiedenen Formen des Verweises des kodikarischen Rechts auf (staatliche) Rechtsordnungen vgl. Göbet, Verhältnis (Anm. 2) 184-190. 18 Vgl. M. Schwimann, GrundriJ\ des internationalen Privatrechts. Mit besonderer Berücksichtigung der IPR-Staatsverträge. Wien 1982. 19 Weder in der Einführung noch im Kommentar zum Konzilsdekret (L ThK, Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen) wird auf die Bedeutung dieser Aussage für die kanonische Rechtsordnung eingegangen. In der

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nach Verabschiedung des Ökumenismusdekrets (21. 11. 1964)20 ergangene Entscheidung der SRR ignoriert die neue Rechtslage völlig. Es ging dabei um die Frage der Gültigkeit einer Ehe von zwei orthodoxen Griechen, die nur zivil geheiratet hatten. Die Rota entschied für die Gültigkeit der Ehe, weil die orthodoxen Ehewerber nicht an die kanonische Formpflicht gebunden seien21 . An der Gültigkeit des Konsenses sei auch im Falle einer Zivilehe nicht grundsätzlich zu zweifeln22 , so daß insgesamt von der Gültigkeit der Ehe auszugehen sei23 . Auch eine von Papst Paul VI. beauftragte Kardinalskommission entschied noch am 24. 6. 1966, daß die orientalischen Nichtkatholiken Normadressaten des katholischen Kirchenrechts, näherhin des MP "Crebrae allatae" seien. Erst eine neue Kardinalskommission entschied zwei Jahre später, am 23. 9. 1968, daß unter den "christifideles" des "Crebrae allatae" nur die orientalischen Katholiken, nicht auch die Nichtkatholiken angesprochen seien. Diese Entscheidung wurde von Papst Paul VI. am 18. 10. 1968 approbiert24 . Einführung (33) weist W Becker auf die Bedeutung dieser nunmehr anerkannten Freiheit der Orientalen als Vorbedingung für Einheitsbestrebungen hin, während der Kommentar von J. Fleiner zu Art. 16 (102 f.) den Eindruck erweckt, daß an der angezogenen Stelle teilweise eine Schuld gegenüber den unierten Orientalen aufgearbeitet werde, d. h. daß auch diese als Adressaten von UR 16 angesprochen seien. 20 Verlautbart in: AAS 57 (1965) 90-107. 21 Hierbei fallt auf, daß die Formfreiheit in diesem Fall mit Hinweis auf c. 1099 § 2 CIC/1917, nicht aber, was eigentlich zu erwarten gewesen wäre, auf die Parallelaussage von c. 90 § 2 CA begründet wird. 22 Allerdings ist die Spruchpraxis der SRR in diesem Zusammenhang ambivalent. Wiederholt entschied sie nämlich, dan angesichts der bei den Orientalen vorherrschenden Überzeugung von der Notwendigkeit der priesterlichen Segnung im Falle einer blonen Zivilehe Orthodoxer kein wahrer Ehekonsens geleistet werde, und die Ehe somit aus diesem Grund ungültig sei. Vgl. dazu Wirth, Ehen mit Orthodoxen (Anm. 10) 31.35; Weitzel, Zivilehen orthodoxer Christen sind wegen Formmangels ungültig, in: AkKR 139 (1970) 483 f. 23 Entscheidung vom 11. 12. 1964 coram Sabauini; DecSRR 56 (1964) nr. 7,932. Vgl. dazu B. Franck, Evolution recente du droit et de la jurisprudence catholiques touchant la validite d 'un mariage entre deux chretiens acatholiques dont I'un appartient a I'orthodoxie, in: RDC 27 (1977) 275. 24 J. Prader, 11 matrimonio in Oriente e Occidente. Pontificium Institutum Orientalium, Roma 1992, 39 f. - Diese Haltung setzt umso mehr in Erstaunen, als m. E. UR 16 als "self-executing" zu bezeichnen ist. Vgl. dazu I. Zuzek, Hat die katholische Kirche die Jurisdiktion der orthodoxen Bischöfe nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil anerkannt oder nicht?, in: ÖAKR 22 (1971) 109-128. - Reinhardt verweist im Zusammenhang mit der Anerkennung der Jurisdiktion der orthodoxen Kirchen neben UR 16 auch auf OE 5. Aus der zuletzt genannten Bestimmung ist aber für unsere Frage nichts zu gewinnen, da sich OE im ganzen nur auf die katholischen Ostkirchen bezieht. Vgl. H. J. F. Reinhardt, Hat c. 11 CIC/1983 im Bereich des Eherechts Konsequenzen für die Verwaltungskanonistik? , in: W. Schulz (Hrsg.), Recht als Heilsdienst. FS für MaUhäus Kaiser zum 65. Geburtstag, Paderborn 1989,204, Anm. 11.

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Erst die Entscheidungen der SignAp ab dem Jahre 197025 brachten die rechtliche Tragweite der konziliaren Entscheidung ins Bewußtsein26 . Die erste der in diesem Zusammenhang anzuführenden Entscheidungen der SignAp vom 28. 11. 197027 bedeutet eine Kehrtwendung in der bisherigen Auffassung von der Verbindlichkeit nichtkatholischen Rechts: Eine Zivilehe zweier rumänisch-orthodoxer Christen wurde wegen Fehlens der erforderlichen Eheschließungsform, d. h. des "ritus sacer" für ungültig erklärt. Diese Entscheidung erhielt am 28. 12. 1970 eine ausdrückliche päpstliche Approbation, was sonst bei Gerichtsurteilen nicht üblich ist28 . An der Entscheidung springen mehrere signifikante Details ins Auge: Abgesehen davon, daß das Höchstgericht detaillierte Weisungen hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Behandlung künftiger derartiger Fälle gibt29 , ist die Frage von besonderem Interesse, ob und inwieweit die Entscheidung materiellrechtlich auf fremdes, d. h. nichtkatholisches Recht verweist und inwieweit in den Fragenkomplex um die Formpflicht orientalischer Nichtkatholiken eine autonome, d. h. einseitig-katholische Normsetzung erfolgt. Es fällt auf, daß bei der Beschreibung des "defectus formae" nicht einfachhin auf das in der betreffenden Kirche diesbezüglich geltende Recht abgestellt wird, etwa mit der Formel "iuxta normas in Ecclesia .... vigentes", sondern daß einerseits der Formfehler als solcher detailliert angegeben ("ob defectum 25 Eine Zusammenstellung des Tenors dieser Entscheidungen findet sich bei S. Rambacher, Formerfordernisse für die Eheschließung getaufter Nichtkatholiken nach

dem CCEO unter besonderer Berücksichtigung der altorientalischen Kirchen. Münchener Theologische Studien, III. Kanonistische Abt., 46. Bd. St. Ottilien 1995, 26-

47.

26 Dazu u. a. J. Weitzel, Zivilehen (Anm. 22) 482-492. 27 X. Ochoa, Leges Ecc1esiae post Codicem Iuris Canonici editae, Romae 1970, IV, nr. 3924, in: AkKR 139 (1970) 523 f. 28 Aus diesem Umstand ist geschlossen worden, daß es sich bei dieser Approba-

tion und der daraufhin erfolgten Publikation des Urteils um eine "gesetzesgleiche Norm" handle. Weitzel, Zivilehen (Anm. 22) 456. - Zur Kontroverse um den Rechtscharakter dieser Approbation vgl. B. Primetsllo/er, Zur Frage nach dem Normadressaten im kanonischen Recht, in: A. Scheuermann/R. Weiler/Go Wink1er (Hrsg.), FS für Alexander Dordett zum 60. Geburtstag, Wien 1976, 140 f.; R. Potz, Die Geltung kirchenrechtlicher Normen. Prolegomena zu einer kritisch-hermeneutischen Theorie des Kirchenrechts. Kirche und Recht, Bd. 15, Wien 1978,255-257. 29 So behält sich die SignAp insbesondere bei derartigen vor Diözesangerichten abzuhandelnden Fällen bei einem auf Ungültigkeit der Ehe lautenden Erkenntnis eine Überprüfung und Approbation des gesamten Verfahrens vor: " ... ad sententiam deveniatur, quae si pro nullitate matrimonii feratur, exsecutioni ne mandetur nisi antea obtenta fuerit approbatio Signaturae Apostolicae". Oclloa, Leges (Anm. 27) nr. 3924.

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formae seu ritus sacri") und andererseits der Umfang seiner Rechtserheblichkeit genau umschrieben wird. Es sei nämlich in jedem einzelnen Fall genau nachzuforschen, ob eine priesterliche Segnung wirklich gefehlt habe bzw. ob ihr Fehlen nicht etwa auf die Unmöglichkeit zurückzuführen gewesen sei, einen Priester zu finden. Diese Fonnulierung läßt an sich die Frage offen, wie Ehen zu beurteilen sind, bei denen der ritus sacer wegen Nichterreichbarkeit eines Priesters unterlassen wurde30 . Es ist aber sicher Rambacher rechtzugeben, wenn er bemerkt, daß die SignAp in diesem Fall nicht auf das Eigenrecht der betreffenden orthodoxen (altorientalischen) Kirche abstellt, sondern eine autonome Regelung festlegt, derzufolge von der Gültigkeit solcher Ehen auszugehen ist31 . Allerdings wäre hinzuzufügen, daß sich die Gültigkeit von Ehen unter den genannten Umständen nicht primär aus dem legistischen Wortlaut der Entscheidung, sondern schon aus dem Naturrecht ergibt. Denn das Recht auf Eheschließung kann nicht unter allen Umständen von der Erreichbarkeit eines Priesters abhängig gemacht werden 32 . Die von der SignAp vorgenommene einschlußweise Anerkennung der fremden Rechtsordnung - formalrechtlich liegt im Unterschied zu c. 781, 2 CCEO noch kein Verweis auf die fremde Rechtsordnung vor - d. h. das Erfordernis des "ritus sacer" ist inhaltlich begrenzt. Wie immer sich die nichtkatholische Rechtsordnung zu der ohne priesterliche Segnung geschlossenen Ehe verhalten mag, ist sie nach katholischem Recht jedenfalls dann als gültig anzusehen, wenn die Segnung nur deshalb unterlassen wurde, weil ein Priester nicht erreichbar war. Dies wird in einer am 7. 7. 1971 von der SignAp ausgesprochenen Bestätigung eines erstinstanzlichen Urteils eines US-amerikanischen Gerichts in voller Deutlichkeit ausgesprochen 33 .

30 Auf diese Tatsache weist Weitzel, Zivilehen (Anm. 22) 488 aufmerksam. 31 Rambacher, Formerfordernisse (Anm. 25) 33. 32 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß auch das Recht der Noteheschließung (c. 1116 CIC/1983 bzw. c. 832 CCEO), d. h. die Gültigkeit einer Eheschließung vor zwei Zeugen, nicht den ganzen Umfang der naturrechtlichen Eheschließungsfahigkeit abdeckt. Denn auch in dem Fall, dan zwei Zeugen nicht erreichbar sind, kann, was die Formvorschrift anlangt, eine gültige Ehe durch bloßen Konsensaustausch der Ehepartner eingegangen werden. 33 IusCan 14 (1974) 389 f. - Die beiden Entscheidungen unterscheiden sich im Sachverhalt insofern, als es sich bei der ersten Eheschließung um zwei orthodoxe, bei der zweiten hingegen nur um einen orthodoxen Ehepartner handelte.

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Auffallend ist, daß die hier besprochenen Entscheidungen der SignAp ebensowenig wie noch zwei andere hier einschlägige34 keinerlei Hinweis auf UR 16 enthalten. Dies entspricht auch durchaus dem Tenor der Entscheidungen, der keinesfalls auf die Relevanz einer fremden Rechtsordnung verweist, sondern autonom eine Regelung vornimmt, die allerdings meritorisch zumindest teilweise die Rechtsvorstellungen der getrennten Ostkirchen berücksichtigt, ohne ihnen als solchen irgendeine unmittelbare Verbindlichkeit zuzuweisen35 • Eine Ausnahme hievon macht eine Entscheidung der SRR vom 5. 2. 1970 (coram Abbo) , die ausdrücklich auf die Rechtsverbindlichkeit von UR 16 verweist36 .

11. Die Verweisungsnonnen von cc. 780 und 781 CCEO 1. Konfessionsübergreifende Gesetzgebung Der CCEO greift erstmals in aller Deutlichkeit das in UR 16 enthaltene Element auf, indem er die unmittelbare Beachtlichkeit einer fremden nichtkatholischen Rechtsordnung festlegt. Im Gegensatz zu den Entscheidungen der SignAp, worin der Gesetzgeber3 7 von sich aus eine Regelung fixiert, die rnateriellrechtlich wenigstens teilweise Inhalte des nichtkatholischen Rechts 34 18.4. 1972, in: IusCan 14 (1974) 404 f. und 23. 11. 1974, in: Apo 11 49 (1976) 19-29. 35 Von dieser Haltung macht lediglich die Entscheidung der SignAp vom 24. 11. 1974 ansatzweise eine Ausnahme. Bei der Frage in bezug auf das hinsichtlich der Lösung des anstehenden Falles anzuwendende Recht werden auch Rechtsquellen der Armenischen Kirche aus der Zeit nach der Trennung herangezogen bzw. wird die Frage aufgeworfen, ob innerhalb dieser Kirche eine Desuetudo in bezug auf das vor der Trennung bestehende Recht, das ja grundsätzlich als allein verbindlich betrachtet wird, stattgefunden habe. Mit Recht bemerkt dazu Rambacher, Formerfordernisse (Anm. 25) 47: "Wenn diese Frage von der Apostolischen Signatur auch verneint wird, so scheint doch allein die Fragestellung von der Möglichkeit einer legitimen und verbindlichen Neuschöpfung von Recht innerhalb einer getrennten Ostkirche auszugehen." 36 ''Cum autem ecclesiis orientalibus plenam communionem haud habentibus cum Ecclesia catholica facultas competat sese secundum proprias disciplinas regendi (quae facultas disertis verbis agnita est a Concilio Vaticano II in Decreto de Oecumenismo, n. 16)", in: Jurist 31 (1971) 398 (Hervorhebung im Original). 37 Zum gesetzesgleichen Charakter der Entscheidung der SignAp und der nachfolgenden päpstlichen Approbation vgl. oben.

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übernimmt, anerkennt der CCEO nunmehr in aller Deutlichkeit die unmittelbare Wirksamkeit der fremden verwiesenen Rechtsordnung. Daß diese Verweisung allerdings nicht lückenlos ist, sondern unter bestimmten Vorbehalten steht, wird noch zu zeigen sein38 . Es könnte der Eindruck entstehen, daß sich aus c. 780 f., zumindest was den Geltungsbereich des CCEO, nämlich die "Ecclesiae Orientales" (c. 1 CCEO) anlangt, ein vorbehaltloser Verweis auf die fremde, nichtkatholische Rechtsordnung ergäbe. In diesem Sinne könnte man hinsichtlich der in c. 780 § 2 angesprochenen konfessionell-gemischten Ehen zwischen einem katholischen und einem (getauften) Nichtkatholiken davon ausgehen, daß jeder der bei den Ehepartner ausschließlich seiner je eigenen Rechtsordnung untersteht, d. h. der katholische dem kanonischen Recht, der nichtkatholische Christ entweder dem Recht seiner Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft ("Communitas ecclesialis"), sofern diese eigenes Eherecht besitzt, bzw., wenn sie über kein solches verfügt, jenem Recht, dem der nichtkatholische Teil tatsächlich untersteht39 . Bei der in c. 781 CCEO behandelten Frage nach der Gültigkeit der Ehe des nichtkatholischen Christen verweist Abs. 1 hinsichtlich des anzuwendenden materiellen Eherechts auf c. 780 § 2; in der Frage der Formptlicht (Abs. 2) wird zunächst die grundsätzliche Relevanz jener Formvorschriften angesprochen, der die Ehewerber zur Zeit der Eheschließung unterworfen waren, unabhängig davon, ob es sich um eine Rechtsordnung handelt, die von der betreffenden nichtkatholischen Kirche (kirchlichen Gemeinschaft) selbst geschaffen oder von ihr bloß als rechtlich relevant betrachtet wird (kirchliches bzw. staatliches Recht)40. Allerdings werden zwei Vorbehalte angebracht: Die Ehe muß in irgendeiner öffentlichen Form geschlossen worden sein41 und, sofern einer der Partner einer Ostkirche angehört, wird die Einhaltung eines "ritus sacer"42 gefordert. 38 Vgl. Primetshofer, Interkonfessionelle Geltung (Anm. 13) 196-207. 39 Aus der Tatsache, daß nur bei der "Communitas ecclesialis" die Frage aufgeworfen wird, ob sie über ein eigenes Eherecht verfügt, kann geschlossen werden, daß eine "Kirche" auf jeden Fall eigenes Eherecht besitzt. 40 "... Ecclesia agnoscit quamlibet formam iure praescriptam vel admissam, cui partes tempo re celebrationis matrimonii subiectae erant ... " 41 Damit ist der CCEO deutlich von der noch nach dem 11. Vatikanischen Konzil von der SRR vertretenen Position abgerückt, wonach getaufte Akatholiken aufgrund ihrer Freistellung von der kanonischen Formpflicht an überhaupt keine bestimmte Form der Eheschließung gebunden seien (vgl. Anm. 6). 42 Diesbezüglich gibt c. 828 § 2 CCEO eine Legaldefinition: Der ritus sacer besteht im Tätigwerden ("interventus") des der Ehe assistierenden und sie segnenden Priesters. - Diese Formulierung basiert auf c. 85 § 2 CA. Dazu D. Salachas, Il

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Namentlich die Betonung des Erfordernisses eines "ritus sacer" bei der Eheschließung, wenn zumindest einer der Ehepartner einer Ostkirche angehört, könnte als eine Rezeption, hier sogar in Form einer ausdrücklichen "canonizatio" nichtkatholischen Rechts verstanden werden. Denn in dieser Bestimmung wird anscheinend die allgemeine ostkirchliche Überzeugung von der Notwendigkeit der priesterlichen Segnung bei der Eheschließung wiedergegeben43 . Bei näherem Zusehen aber zeigt sich, daß hier eigentlich das bereits von der SignAp entwickelte Modell durchschlägt, d. h., daß der katholische Gesetzgeber keinesfalls die Aussage von UR 16 vollinhaltlich in die geltende Rechtsordnung übernommen hat, sondern daß er selbst eine Position fixiert, die sich zwar inhaltlich an die orientalische Auffassung "anlehnt", dieser aber durchaus nicht unmittelbare Verbindlichkeit für die Ehen von orientalischen Nichtkatholiken zuweist. Inhaltlich liegt somit eine nicht unerhebliche Eingrenzung der Aussage von UR 16 vor: Das Konzilsdekret hatte in bezug auf die nichtkatholischen Ostkirchen schlechterdings die Beachtlichkeit von deren Rechtsordnungen festgelegt; der CCEO tut dies nur mit diesen bei den Vorbehalten. Damit greift der katholische Gesetzgeber eindeutig in die Rechtsordnungen nichtkatholischer Kirchen (kirchlicher Gemeinschaften) ein. C. 781, 2 stellt somit eine konfessionsübergreifende Bestimmung dar. Die Konsequenzen liegen weniger im Bereich des ersten der angeführten Vorbehalte, d. h. beim Erfordernis einer öffentlichen Form der Eheschließung. Denn es wird praktisch kaum eine kirchliche oder staatliche Rechtsordnung geben, die nicht für die Eheschließung eine irgendwie geartete Öffentlichkeit vorsieht. Gültige klandestine Ehen wird es heute kaum mehr geben. Anders hingegen, was den "ritus sacer" betrifft. Bevor auf die Konsequenzen aus dem Erfordernis dieses "ritus sacer" eingegangen wird, sei kurz noch eine andere Frage angeschnitten: C. 781, 2 CCEO verlangt bei einer Eheschließung, an der zumindest ein orientalischer Christ beteiligt ist, den ritus sacer. Hingegen hatte die Grundsatzentscheidung der SignAp von 197044 diesen nicht schlechterdings für die Gültigkeit der sacramento dei matrimonio nel Nuovo Diritto Canonico delle Chiese orientali. Roma/Bologna 1994, 183 f. 43 Unter Bezugnahme auf OE 18 weist das "Schema canonum de cultu divino et praesertim de sacramentis" (1980) darauf hin, daß der "ritus sacer", insbesondere die Segnung durch einen Priester in der universalen orientalischen Praxis und einer seit Jahrhunderten bestehenden Tradition begründet sei, in: Nuntia 10 (1980) 14 f. 44 Siehe Anm. 27.

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Eheschließung gefordert, sondern betrachtete eine ohne priesterliche Segnung geschlossene Ehe als gültig, wenn das Fehlen derselben auf die Unmöglichkeit zurückzuführen war, einen Priester ausfindig zu machen. C. 781, 2 CCEO enthält hingegen keine diesbezüglichen Modifikationen, sondern geht anscheinend unter allen Umständen vom Erfordernis des ritus sacer bei der Eheschließung aus. Bedeutet dies nun ein Abgehen von der Position der SignAp? Die Frage ist m. E. zu verneinen, d. h. eine Ehe ohne ritus sacer wäre ohne weiteres als gültig anzusehen, wenn der ritus sacer nur deshalb unterlassen wurde, weil kein Priester ausfindig gemacht werden konnte. Für diese Rechtsfolge kann nicht unmittelbar auf c. 832 CCEO, d. h. auf die Bestimmungen über die Noteheschließung verwiesen werden, denn das katholische Recht gilt ja nicht für nichtkatholische Orientalen (c. 1 CCEO). Allerdings, und darauf wurde bereits hingewiesen, enthält c. 832 CCEO nur kodifiziertes Naturrecht, da das Recht auf Eheschließung nicht generell von der Erreichbarkeit eines Priesters abhängig gemacht werden kann. Somit steht m. E. c. 781, 2, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wird, weiterhin unter dem in der Entscheidung der SignAp formulierten Vorbehalt. Auch hier findet demnach keine Anerkennung der Rechtslage der nichtkatholischen Orientalischen Kirchen statt, sondern das kanonische Recht regelt diesen Fragenbereich unter Zugrundelegung naturrechtlicher Prinzipien nach eigenen Gesichtspunkten und läßt von diesen Prämissen die Gültigkeit der Eheschließung nichtkatholischer Christen abhängig sein. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie sich das nichtkatholische Recht in diesem Zusammenhang verhält, d. h. auch wenn dieses für diesen Notfall keine Vorsorge getroffen hätte und demzufolge die ohne ritus sacer geschlossene Ehe als ungültig oder jedenfalls nichtsakramental ansähe, läge nach kanonischem Recht eine gültige und - sofern von zwei Christen geschlossen - auch sakramentale Ehe vor45 . Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Verweisungsnorm des c. 781, 2 CCEO, die den Vorbehalt der SignAp nicht kodifiziert hat, als echte Gesetzeslücke46 anzusehen ist, oder ob der kanonische Gesetzgeber einfach die Weitergeltung des genannten Vorbehalts als selbstverständlich angenommen 45 Auf die Frage, ob orthodoxes bzw. altorientalisches Recht eine ohne ritus sacer geschlossene Ehe zwar als gültig, wenngleich nicht sakramental ansieht und die damit zusammenhängende Problematik wird noch einzugehen sein. 46 Darunter wäre eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung, zu verstehen. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff. Wien/New York 1982, 473; H. Koziol/R. Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, I ( 10 1995) 24.

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hat. In jeder der beiden Alternativen käme man zu demselben Ergebnis, d. h. auch wenn eine Gesetzeslücke anzunehmen ist, wäre diese zweifellos i.S.v. c. 1501 CCEO zu schließen, wobei als Mittel der Lückenschließung hier die allgemeinen unter dem Grundsatz der Billigkeit anzuwendenden Rechtsprinzipien heranzuziehen wären. Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten, daß das kanonische Recht, auch was die Frage der Anerkennung von Eheschließungsformen im Bereich nichtkatholischer Orientalischer Kirchen anlangt, Rechtsfolgen festlegt, die ihren Ursprung nicht in der Rechtsetzungskompetenz dieser Kirchen, sondern in der des katholischen Kirchenrechts haben. - Daß hier konfessionsübergreifende Rechtsetzung von katholischem zu nichtkatholischem Recht vorliegt, bedarf keines näheren Beweises. Die hier behandelte Frage ist nicht rein akademischer Natur, sondern hat weitreichende praktische Konsequenzen. Es läßt sich nämlich zeigen, daß bei den nichtkatholischen Ostkirchen das Erfordernis des ritus sacer nicht schlechterdings als conditio sine qua non für die Eingehung einer gültigen und sakramentalen Ehe betrachtet wird. Wie Rambacher nachgewiesen hat47 , besteht z. B. in der Armenischen Kirche eine Praxis, derzufolge auch eine von einem nicht gültig geweihten Amtsträger (z. B. anglikanischer Geistlicher) gesegnete Ehe als gültig und sakramental betrachtet wird. Bei den orthodoxen Äthiopiern besteht die Gewohnheit, eine nach staatlichem Recht geschlossene Ehe (standesamtliche Ehe) durch eine einfache nicht dem Trauungsritus folgende Segnung seitens eines Priesters in eine sakramentale Ehe umzuwandeln. In diesen Fällen würde Rambacher zufolge48 das kanonische Recht derartige nach dem nichtkatholischen orientalischen Recht gültige und sakramentale Ehen nicht anerkennen, da sie nicht den Voraussetzungen des c. 781,2 CCEO entsprechen. Im ersten der genannten zwei Fallbeispiele (Segnung der Ehe durch einen nicht gültig geweihten Priester) scheint, rein positivistisch gesehen, die von Rambacher festgestellte Rechtsfolge einleuchtend. Dies deshalb, weil ganz offensichtlich auf einen gültig geweihten Priester abgestellt wird. - Nicht einleuchtend allerdings - wiederum vom reinen Wortlaut des c. 781, 2 CCEO aus betrachtet - ist die von Rambacher behauptete Nichtigkeit in dem Fall, daß zwar ein Priester eine Segnung der Ehe vornimmt, aber nicht den (gesamten) Trauungsritus seiner Kirche persolviert. Denn hier ist m. E. doch eine gewisse Form des "adsistere" und "benedicere" gegeben, und es steht 47 Rambacher, Formerfordernisse (Anm. 25) 63, 159-161,202. 48 Rambacher, ebd. 63.

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nirgends geschrieben, daß der gesamte Trauungsritus eingehalten werden muß. Der RJ 15 "odia restringi, et favores convenit ampliari" zufolge, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, daß Gesetze, die die freie Ausübung von Rechten einschränken, eng auszulegen sind (c. 18 CIC/1983; c. 1500 CCEO), würde man im vorliegenden Fall eher zur gegenteiligen Lösung kommen, d. h. die fragliche Ehe wäre als gültig (und sakramental) anzusehen, sofern nur irgendeine nach dem Recht der nichtkatholischen Orientalischen Kirche als ausreichend betrachtete Segnung stattgefunden hat. Spätestens hier muß festgestellt werden, daß sich die Regelung des c. 781, 2 CCEO vom Tenor der Aussage von UR 16 in erheblichem Maß entfernt hat. Denn das Konzilsdekret hatte ja eine Anerkennung der Disziplin nichtkatholischer Orientalischer Kirchen im Auge, d. h. die Beurteilung rechtserheblicher Tatsachen sollte grundsätzlich nach dem fremden, d. h. nichtkatholischen Recht erfolgen. Daß davon Bereiche, die dem göttlichen Recht angehören, ausgeklammert werden konnten, d. h. daß die Regelung dieser Fragen anband der katholischen Interpretation des göttlichen Rechts erfolgen sollte (insbesondere in der Frage der Unauflöslichkeit der Ehe) steht außer Zweifel. Aber c. 781, 2 CCEO geht weit darüber hinaus, da er, was das Erfordernis des ritus sacer anlangt, den nichtkatholischen Orientalen im Grunde genommen eine Position aufoktroyiert, die sich in dieser apodiktischen Form in deren eigenen Rechtsordnungen nicht findet. Im Grunde genommen ist somit c. 781, 2 CCEO als unökumenisch zu bezeichnen49 . Die im katholischen Kirchenrecht anzutreffende Aussage, katholisches oder nichtkatholisches orientalisches Recht kämen in der Feststellung überein, daß die ohne ritus sacer geschlossene Ehe ungültig sei, ist in mehrfacher Hinsicht differenzierend zu betrachten. Zum einen dürfte den orthodoxen Kirchen die im katholischen Kirchenrecht lateinischer wie orientalischer Prägung enthaltene absolute lunktimie49 Es stellt sich allerdings die Frage, ob c. 781, 2 CCEO, insbesondere auf dem Hintergrund von UR 16 nicht mit Hilfe der teleologischen Reduktion so interpretiert werden müßte, daß der ritus sacer nur insoweit als Erfordernis für die Gültigkeit der Eheschließung anzusehen ist, als dies die betreffende nichtkatholische Orientalische Kirche selbst tut. Die Rechtserheblichkeit des ritus sacer würde somit nur nach Maßgabe der nichtkatholischen orientalischen Rechtsordnung gegeben sein. Vgl. dazu B. Primetshofer, Besprechung des Buches von S. Rambacher, Formerfordemisse (Anm. 25), in: MThZ (in Druck).

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rung von gültiger Ehe Getaufter mit deren Sakramentalität (c. 1012 § 2 CIC/1917; c. 1055 § 2 CIC/1983; c. 776 § 2 CCE050) zumindest nicht in vollem Umfang nachvollziehbar sein. Eine standesamtliche Eheschließung zweier Orthodoxer wird zumindest dann als gültige, wenngleich nichtsakramentale Ehe angesehen, wenn es den Partnern wegen politischer Schwierigkeiten nicht möglich war, die priesterliche Segnung einzuholen51 . Es gibt daneben aber auch die Auffassung bei anderen nichtkatholischen Orientalen, die eine standesamtliche Eheschließung nicht nur dann als gültig ansehen, wenn die priesterliche Segnung aufgrund kirchenpolitischer Schwierigkeiten, sondern auch wenn sie aufgrund anderer Ursachen unterlassen wurde52 . Die dem nichtkatholischen orientalischen Recht unterstellte Gleichung: ohne priesterliche Segnung kommt es unter gar keinen Umständen zu einer gültigen Ehe, entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Nun steht das katholische Kirchenrecht hier allerdings vor einem ausweglosen Dilemma: Eine gültige Ehe Getaufter, die nicht zugleich Sakrament ist, gibt es nach katholischer Auffassung nicht. Das katholische Recht muß daher diese Ehen Orthodoxer ohne priesterliche Segnung in seine eigenen kanonistischen Kategorien einpassen und diese lassen eben nur zwei Möglichkeiten zu: gültig und damit sakramental oder ungültig - "tertium non datur". Das kanonische Recht vollzieht in diesem Bereich eindeutig eine Option zugunsten der Rechtssicherheit und -klarheit: eine ohne priesterliche Segnung geschlossene Ehe ist ungültig, es sei denn, die Segnung sei nur deshalb unterlassen worden, weil ein Priester nicht erreicht werden konnte53 . Eine Noteheschließung gemäß c. 832 CCEO, d. h. die Möglichkeit der Eingehung einer gültigen und sakramentalen Ehe vor bloß zwei Zeugen, ist dem orthodoxen Recht fremd 54 .

50 Daß der CCEO nicht wie c. 1055 § 2 CIC/1983 vom Ehevertrag spricht - dieses Wort kommt im Eherecht des CCEO überhaupt nicht vor - sondern von der Ehe selbst, die durch Christus zur Würde eines Sakraments erhoben wurde, ändert nichts am prinzipiellen Gleichklang beider KodifIkationen in diesem Punkt. 51 Vgl. C. Gallagher, Marriage in the Revised Canon Law for the Eastern Churches, in: StudCan 24 (1990) 77; E. C. Suttner, Ehen zwischen Partnern aus der katholischen Kirche und aus einer orthodoxen bzw. altorientalischen Kirche. Handreichungen zur Pastoral, Nr. 19, hrsg. vom Pastoralamt der Erzdiözese Wien, Wien 1995,30. 52 Rambacher, Formerfordernisse (Anm. 25). 53 Daß die diesbezüglich von der SignAp in ihrer Grundsatzentscheidung von 1970 getroffene Einschränkung weiterhin gilt, auch wenn sie nicht in den CCEO Eingang gefunden hat, wurde bereits aufgezeigt. 54 Suttner, Ehen (Anm. 51) 30.

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2. Konfessionsübergreifende Maßnahmen im Bereich der Verwaltung und Rechtsprechung

Bisher wurde die Frage behandelt, ob und inwieweit katholisches Kirchenrecht auf dem Weg der Gesetzgebung in das Recht der nichtkatholischen Orientalischen Kirchen eingreift. Es wäre noch die Frage zu untersuchen, ob ein solches Übergreifen auch im Bereich der Verwaltung stattfindet. Man könnte sich diesbezüglich folgende Anlaßfälle vorstellen: Nach dem Recht einiger orthodoxer Kirchen wird von gewissen Graden der Schwägerschaft keine Dispens erteilt55 , und ebenso wenig wird die vierte Eheschließung eines dreimal verwitweten Ehewerbers gestattet56 . Nach orthodoxem Recht ist die Eingehung einer gültigen Ehe in diesen Fällen ausgeschlossen57 . Schwierigkeiten ähnlicher Art könnten sich auch aufgrund des in einigen orthodoxen und altorientalischen Kirchen noch bestehenden trennenden Hindernisses der Konfessionsverschiedenheit ergeben58 , sofern die orthodoxe oder altorientalische Kirchenleitung dem nichtkatholischen Ehewerber keine Dispens von diesem Hindernis erteilt59 . Es ist zunächst keine Frage, daß der nichtkatholische (orientalische) Ehewerber, der eine konfessionell gemischte Ehe mit einem (lateinischen oder orientalischen) Katholiken eingeht, in bezug auf Dispens von etwaigen Ehehindernissen an die jurisdiktionelle Kompetenz seiner eigenen Hierarchie gebunden ist60 .

55 Coussa, De matrimonio (Anm. 8) 144. 56 J. Prader, Die Ehehindernisse in den Rechtsordnungen der orthodoxen Kirchen, in: AkKR 156 (1987) 51 f. Zum absoluten Verbot einer vierten Eheschließung meint Meyendorff, daß sich dafür zwar keine zwingenden theologischen Gründe anführen ließen, aber die "Ökonomie" sei kein "für endlose Kompromisse geöffnetes Tor", sondern es gebe daneben "auch eine positive christliche Disziplin"; J. Meyendorff, Die Ehe in orthodoxer Sicht. Gersau 1992,42. 57 J. Zshisman, Das Eherecht der Orientalischen Kirche, Wien 1864, 308-310, 401-417. 58 Dieses Hindernis geht auf c. 72 des Trullanums zurück. Vgl. Coussa, De matrimonio (Anm. 8) 77. 59 Zur Beurteilung der konfessionsverschiedenen Ehen aus orthodoxer Sicht (Orthodoxer mit nichtorthodoxem Christen) vgl. Meyendorff, Ehe (Anm. 55) 45-48. 60 Vgl. H. J. F. Reinhardt, Anfragen an das interkonfessionelle Eherecht der katholischen Kirche, in: W. Geerlings/M. Seckler (Hrsg.), Kirche sein. Nachkonziliare Theologie im Dienste der Kirchenreform. FS für H. J. Pottmeyer. FreiburglBaseJlWien 1994, 391.

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Probleme könnten sich allerdings in zweifacher Hinsicht ergeben: zum einen, daß in einem konkreten Fall ein zuständiger Jurisdiktionsträger der orthodoxen (altorientalischen) Kirche nicht aufzufinden ist und zum anderen, daß dieser vom betreffenden Hindernis keine Dispens erteilen will. Letzteres scheint, wie Reinhardt aufzeigt, beinahe der Regelfall zu sein, da orthodoxe Bischöfe von Hindernissen nur dann Dispens erteilen, wenn die katholischorthodoxe Ehe in der orthodoxen Kirche geschlossen und dabei die ausschließlich orthodoxe Taufe und Erziehung sämtlicher Kinder vereinbart wird61 • Es stellt sich die Frage, wie in solchen Fällen vorzugehen ist. Bedeutet die Aussage des c. 780 § 2 über die Beachtlichkeit der fremden, nichtkatholischen Rechtsordnung auch die ausschließliche Kompetenz nichtkatholischer Jurisdiktionsträger in bezug auf Dispens von diesen Hindernissen? Bejaht man diese Frage, dann würde sich ergeben, daß eine Ehe mit einem orthodoxen (altorientalischen) Ehepartner dann nicht gültig eingegangen werden kann, wenn der für den Nichtkatholiken zuständige Bischof keine Dispens erteilt. Pospishil meint, daß im Falle der Nichtgewährung der Dispens seitens der nichtkatholischen Hierarchie das betreffende Gesetz, das das Ehehindernis festlegt, von selbst zu bestehen aufhöre. Hierbei geht er davon aus, daß der kirchliche Obere, sobald die Voraussetzungen für die Gewährung der Dispens gegeben seien, eine Verpflichtung habe, diese zu gewähren 62 . Posphishil übersieht dabei aber, daß die Dispens als Gunsterweis (gratia) anzusprechen ist, auf deren Gewährung kein strenges Recht besteht, sondern die im Ermessen des Hoheitsträgers liegt. Somit ist auch der Schluß nicht gerechtfertigt, daß das Gesetz grundsätzlich von selbst seine verpflichtende Kraft verliere, wenn trotz gegebener Voraussetzungen die erbetene Dispens nicht erteilt werde. - Dieses Ergebnis müßte ja dann wohl auch im Bereich des katholischen Kirchenrechts angewendet werden, würde aber zu unmöglichen Konsequenzen führen. Reinhardt lehnt zwar diese Überlegung Pospishils ab, kommt aber in bezug auf die Möglichkeit einer kirchlichen Eheschließung im gegenständlichen Konfliktsfall zu demselben Ergebnis, d. h. die Anforderung des c. 780 § 2

61 Reinhardt, ebd. 390, Anm. 32 unter Bezugnahme auf Beschlüsse der Zweiten Panorthodoxen Präkonziliaren Konferenz in Chambesy (1982). 62 "Once the conditions are given, the ecclesiastical superior has an obligation to grant it. Should he refuse it, either recourse to a higher authority must be possible, or the law ceases to exert its prohibitive force." V. J. Pospishil, Eastern Catholic Marriage Law. Brooklyn, N.Y., 1991,225.

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CCEO sei gegebenenfalls nicht erfüll bar und somit könne die Forderung nach Erfüllung gar nicht gestellt werden 63 . Nach meinem Dafürhalten könnte das gegenständliche Problem noch auf andere Weise gelöst werden: Der Verweis der cc. 780 f. auf die Beachtlichkeit der fremden, d. h. nichtkatholischen Rechtsordnung, bedeutet keineswegs, daß bei konfessionell-gemischten Ehen die katholische Hierarchie nicht gegebenenfalls konfessionsübergreifende Verwaltungsmaßnahmen, d. h. Dispensen auch von Ehehindernissen erteilen könnte, die ihren Ursprung in der fremden Rechtsordnung haben. Dies ergibt sich aus dem Hinweis des c. 780 § 1 CCEO, wonach die konfessionsverschiedene Ehe - und nicht bloß der katholische Partner derselben - auch dem kanonischen Recht unterliegt. Damit kann nur katholisches Kirchenrecht gemeint sein. Daraus ist m. E. eine subsidiäre Kompetenz des katholischen Jurisdiktionsträgers zur Erteilung von Dispensen in bezug auf Ehehindernisse inkludiert, die ihren Ursprung in der fremden Rechtsordnung haben. Subsidiär ist diese Zuständigkeit deshalb, weil primär der Jurisdiktionsträger der nichtkatholischen Kirche angegangen werden muß64. Die hier vorgetragene Lösung unterscheidet sich von der Auffassung Pospishils und Reinhardts insofern, als dem katholischen Jurisdiktionsträger direkte Dispensbefugnis von dem in der fremden Rechtsordnung vorhandenen Ehehindernis zugewiesen wird. Dies allerdings nur dann, wenn der unmittelbar zuständige nichtkatholische Amtsträger eine solche Dispens ohne ausreichende Gründe verweigert. Man könnte einen Jurisdiktionsakt sogar in dem Fall annehmen, wenn der katholische Jurisdiktionsträger aufgrund der konkreten Umstände des Falles die Feststellung trifft, daß das in der fremden Rechtsordnung vorhandene Ehehindernis, von dem der unmittelbar zuständige nichtkatholische Obere keine Dispens erteilt, von selbst zu verpflichten aufgehört habe65 . Diese authentische Feststellung des kirchlichen Hoheitsträgers, daß eine Gesetzesverpflichtung in dem konkreten Fall nicht mehr besteht, kann mit demselben 63 Reinhardt, Anfragen (Anm. 59) 392. 64 B. PrimetshoJer, Interkonfessionelle Geltung (Anm. 13) 205 f. 65 In diesem Falle würde allerdings nicht das Gesetz als solches zu bestehen aufhören, da sicherlich kein allgemeiner konträrer Wegfall des Gesetzeszweckes gegeben ist, sondern es käme lediglich der Satz "lex positiva non obligat cum gravi incommodo" zur Anwendung. H. Heimerl/H. Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Nonnen und Eherecht. Wien/New York 1983, 12; W AymanslK. MörsdorJ, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. 1: Einleitende Grundfragen und Allgemeine Nonnen. Paderborn/München/Wien/Zürich 1991, 177.

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Recht als Jurisdiktionsakt angesprochen werden, wie die Entscheidung eines kirchlichen Gerichtes, daß eine Ehe aufgrund von im Gesetz genannten Tatbeständen ungültig ist. In beiden Fällen wird aufgrund von im Gesetz genannten Tatbeständen eine von selbst eintretende Rechtsfolge authentisch (vgl. c. 16 § 3) festgestellt. Konfessionsübergreifende Jurisdiktion liegt m. E. im einen wie im anderen Falle vor. Daß die geschilderte Dispenserteilung bzw. die authentische Feststellung vom Wegfall des Hindernisses seitens des katholischen Jurisdiktionsträgers bei der nichtkatholischen Hierarchie keine Anerkennung fmden wird, bedarf keines näheren Beweises. Im Ergebnis wird es daher weiterhin nicht vermeidbar sein, daß konfessionell-gemischte Ehen verschieden beurteilt werden: Nach der Rechtsordnung der einen Kirche sind sie gültig, nach der der anderen hingegen nicht. Aber dieser Konfliktsfall ist nicht nur durch die cc. 780 f. vorprogrammiert, sondern ergibt sich noch aus anderen Prämissen, insbesondere aufgrund der verschiedenen Interpretation des Unauflöslichkeitsgebotes durch die katholische Kirche einerseits und die orthodoxen (altorientalischen) Kirchen andererseits. Die Ehe eines Geschiedenen, dem von seiner orthodoxen Kirchenleitung die Eingehung einer zweiten Ehe gestattet wird, fmdet auf katholischer Seite keine Anerkennung als gültige Ehe. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß katholisch-orthodoxe Mischehen nicht mehr formpflichtig sind und gültig vor dem "Minister sacer" der orthodoxen (altorientalischen) Kirche eingegangen werden können (c. 1127 § 1 CIC/1983; c. 834 § 2 CCEO). Diese Ehen werden gültig "ratione formae"; nach katholischer Auffassung sind sie hingegen ungültig aufgrund des trennenden Ehehindernisses des bestehenden Ehebandes66 . Die SignAp zieht in der Beantwortung einer an sie gerichteten Anfrage den Schluß, daß getaufte oder ungetaufte Akatholiken aufgrund des ihnen gemäß cc. 1476 und 1674, 1 zustehenden Klagerechts vor dem katholischen Gericht auch der Jurisdiktion dieses Gerichts unterstehen. Dies auch dann, wenn es sich um die Ehe von zwei Akatholiken handelt, wobei allerdings das kirchliche Gericht nur tätig wird, wenn einer der akatholischen Partner nunmehr eine Zweitehe mit einem Katholiken eingehen will 67 .

66 Da bei diesen Ehen die für die Gültigkeit ausreichende Eheschließungsfonn beachtet wurde, liegt, bona fides wenigstens eines Eheteiles vorausgesetzt, eine Putativehe vor (c. 1061 § 3 CIC/1983). 67 Anfragebeantwortung der SignAp vom 28. 5. 1993 (Prot.N. 23805/92), in: Oe processibus matrimonialibus 2 (1995) 316 f. Dazu M. Walser, Die Erklärung der Apostolischen Signatur vom 28. Mai 1993 zur Zuständigkeit kirchlicher Gerichte für Ehen zweier Akatholiken, ebd. 311-314. 19 Primetshofer

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Bei der gegenständlichen Anfragebeantwortung hält sich die SignAp an das vom CIC Vorgezeichnete: Wenn dieser dem Akatholiken ein Klagerecht vor dem kirchlichen Gericht einräumt, dann macht es keinen Unterschied aus, ob es sich bei der Ehe dieses Klägers um eine gemischt-katholische oder um eine rein akatholische handelt68 . Bezüglich des anzuwendenden Rechts muß unterschieden werden: Es kommt das kodikarische Prozeßrecht zur Anwendung, wobei das Gericht aber materiell-rechtlich seiner Entscheidung dasjenige Recht zugrundezulegen hat, dem die Akatholiken im Zeitpunkt ihrer Eheschließung tatsächlich unterstanden69 . Die von der SignAp zum Ausdruck gebrachte Beschränkung, wonach ein Eheverfahren nur geführt wird, wenn einer der beiden Akatholiken eine Zweitehe mit einem Katholiken eingehen will (auf das diesbezügliche rechtliche "Interesse" wird ausdrücklich Bezug genommen), bedeutet m. E. keine conditio sine qua non für die Zuständigkeit des kirchlichen Gerichts; es wird damit lediglich eine Frage der Opportunität angesprochen, da es doch offensichtlich keinen Sinn hat, die Gültigkeit der Ehe von zwei Akatholiken zu untersuchen, wenn keine Eheschließungsabsicht mit einem Katholiken besteht. Für diese ökumenisch äußerst heikle Maßnahme muß em entsprechender Grund vorhanden sein. Und dieser liegt eben in der beabsichtigten Eheschließung des Akatholiken mit einem Katholiken. Was hier von seiten der SignAp für den Bereich der Gerichtsbarkeit ausgedrückt wird, entspricht der im Verwaltungsrecht bestehenden Sachlage: Die beim Privilegium Paulinum und dem sog. Privilegium Petrinum zur Anwendung kommende Auflösung der Erstehe70 bedeutet einen jurisdiktionellen 68 Vgl. M. J. Arroba Conde, Diritto processuale canonico. Roma 1994, 499: " ... la condizione di coniuge e sufficiente per far valere I'azione di nullitll sempre che il vincolo perduri e non sia gili. sciolto per morte di uno dei coniugi ... ". M. L. Jordan, EI ius accusandi de los conyuges en el proceso de nulidad matrimonial, in: IusCan 25 (1985) 157-174. - Zum Problem des Klagerechts des Nichtchristen vgl. K. Lüdicke, MKCIC, vor c. 1476 Nr. 3. 69 Da dies zwei verschiedene Rechtsordnungen sein können, ist auch eine Kollision derselben nicht ausgeschlossen. In Parallele zu c. 780 § 2 CCEO wird auch für den lateinischen Rechtsbereich anzunehmen sein, daß für die Angehörigen derjenigen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften, die über kein eigenes (konfessionelles) Eherecht verfügen, das Zivilrecht des Landes materiellrechtlich anzuwenden sei. Dies allerdings nur insofern, als es nicht dem göttlichen Recht widerspricht. Es liegt hier der Fall einer Gesetzesanalogie (c. 19) vor. Vgl. M. A. Orti.. , Note circa la giurisdizione della Chiesa sul matrimonio degli acattolici, in: IusEccl4 (1994) 370. 70 Begrifflich handelt es sich in beiden Fällen um eine Scheidung der Ehe dem Bande nach.

Konfessionsübergreifende Jurisdiktion

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Eingriff in die Rechtssphäre von Ehewerbern, die, für den Fall, daß die halbchristliche Ehe (Privilegium Petrinum) mit einem nichtkatholischen Christen eingegangen worden war, einer fremden christlichen und - beim Privilegium Paulinum - sogar nichtchristlichen Rechtsordnung unterstehen. Das ist im Ergebnis seitens des katholischen Kirchenrechts Ausübung nicht nur konfessions-, sondern sogar religionsübergreifender Jurisdiktion. Zusammenfassend kann folgendes gesagt werden: Die Verweisungsnormen des CCEO bedeuten, sowohl was die Gesetzgebung, als auch die Verwaltung und Rechtsprechung betreffen, konfessionsübergreifende Jurisdiktionsakte von seiten des katholischen Kirchenrechts in den Rechtsbereich nichtkatholischer Christen. Dies nicht nur hinsichtlich des ius divinum, sondern auch des ius mere ecclesiasticum. Der Generalaussage von c. 1490 CCEO bzw. c. 11 CIC/1983, wonach nur die Katholiken Normadressaten des kanonischen Rechts sind, wird hiermit teilweise derogiert. Der Verweis des CCEO auf die fremde Rechtsordnung bedeutet keine lückenlose Anerkennung derselben, sondern steht unter gewissen modifizierenden Vorbehalten. Es stellt sich noch die Frage, ob es konfessionsübergreifende Jurisdiktion auch in der Weise gibt, daß das katholische Kirchenrecht einem nichtkatholischen Priester eine Kompetenz in Bezug auf Katholiken zuweist. Ein Anwendungsfall in diesem Zusammenhang wäre der Fall der Noteheschließung (Nottrauung) vor bloß zwei Zeugen gemäß c. 832 CCEO. Abweichend von der Parallelaussage des c. 1116 § 2 CIC/1983 legt der CCEO fest, daß bei der vor bloß zwei Zeugen erfolgten Eheschließung auch ein akatholischer Priester gerufen werden kann, der die Ehe segnen soll. Diesem "nottrauenden Geistlichen" - es handelt sich begrifflich um eine Laiennottrauung, bei der ein Priester zugezogen werden soll, ohne daß von seiner Anwesenheit die Gültigkeit der Ehe abhängig wäre71 - kommen in Todesgefahr eines der Ehepartner besondere Dispensvollmachten zu (c. 1079 § 2 CIC/1983; c. 796 § 2 CCEO). Für den nottrauenden akatholischen Priester wird aber eine solche Dispensvollmacht in c. 796 § 2 CCEO ausdrücklich ausgeschlossen 72. Damit ist aber das Problem nicht erschöpft. Denn die auf Todesgefahr bezugnehmenden Aussagen der beiden Codices sprechen auch dem "Confessarius" Dispensvollmachten von "geheimen Hindernissen für den inneren Bereich" zu (c. 1079 § 3 CIC/1983; c. 796 § 2 CCEO).

71 Im lateinischen Recht kann auch ein Diakon gerufen werden (c. 1079 § 2). 72 Prader, II matrimonio (Anm. 24) 217.

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Nun ist es aber keine Frage, daß in Todesgefahr jeder gültig geweihte Priester, gleich welcher Konfession, Absolutionsvollmacht über den Pönitenten besitzt (c. 976 CIC/1983) und somit "Confessarius" ist. Die Vollmacht, von den genannten Hindernissen zu dispensieren, kommt unter den genannten Umständen auch dem nichtkatholischen Priester zu. Ausübung von Dispensvollmacht stellt einen Jurisdiktionsakt dar. Es erhebt sich die Frage, ob in unserem Fall die nichtkatholische Jurisdiktion des Priesters tätig wird oder ob es sich um eine von der katholischen Kirche stammende handelt, die in Todesgefahr jedem Priester übergeben wird (delegatio a iure). Die Frage stellt sich übrigens nicht nur in bezug auf Dispensvollmacht von Ehehindernissen, sondern umfaßt auch die Fähigkeit, von Beugestrafen zu absolvieren (c. 976 CIC/1983), die ebenfalls jedem Priester bei Todesgefahr des Pönitenten zukommt. Nach meinem Dafürhalten handelt es sich um Jurisdiktionsgewalt, die von der katholischen Kirche stammt und jedem gültig geweihten Priester unter den genannten Umständen übertragen wird. Jurisdiktionsakte seitens nichtkatholischer Priester werden somit aufgrund einer vom katholischen Kirchenrecht herstammenden Bevollmächtigung vorgenommen. Schließlich sei noch kurz eine im Zusammenhang mit der Sakramentengemeinschaft zwischen katholischen und nichtkatholischen Christen auftauchende Frage behandelt: Gemäß c. 844 § 2 CIC/1983 (c. 671 § 2 CCEO) können nichtkatholische Priester unter bestimmten Voraussetzungen Katholiken die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung spenden. Für die gültige Spendung des Bußsakramentes verlangt das Recht des CIC/1983 wie auch das des CCEO neben der Priesterweihe eine Vollmacht (facultas; c. 966 § 1 CIC/1983, c. 722 § 3 CCEO), die früher Jurisdiktion genannt wurde (c. 872 CIC/1917). Diese Vollmacht kommt entweder von Amts wegen zu, oder wird von einem Jurisdiktionsträger übertragen. Es stellt sich nun die Frage, ob der nichtkatholische Priester bei der Spendung des Bußsakramentes die genannte Vollmacht aufgrund einer im Gesetz selbst verankerten Delegation (delegatio iure) erhält, oder ob es sich hierbei einfach um eine Anerkennung der Kompetenz des nichtkatholischen Priesters handelt. Nach meinem Dafürhalten ist letzteres der Fall, d. h. es wird die in der nichtkatholischen Rechtsordnung dem Priester zukommende Vollmacht zur Spendung des Bußsakramentes unter den in c. 844 § 2 genannten Voraussetzungen für den katholischen Bereich anerkannt. Konfessionsübergreifende Vollmachtserteilung von seiten der katholischen zur nichtkatholischen Rechtsordnung liegt hier nicht vor.

111. Verfassungsrecht

Interrituelles Verkehrsrecht im CCEO* I. Einleitende Fragen 1. Zum Begriff "interrituell" Der meines Wissens erstmals von Anton Perathoner1 und Albert Koeniger2 geprägte Begriff "interrituell" , dem Hugo Dausend 1939 ein eigenes Buch gewidmet hat3 , ist weder im Wortschatz des CCEO noch in dem der Codices von 1917 und 1983 anzutreffen. In der Lehre ist der Begriff indes zu einem festen terminus technicus geworden, wobei wir allerdings verschiedene Begriffsinhalte feststellen können. Folgt man beispielsweise der von Dausend vorgenommenen Aufbereitung des Themas, so zeigt sich, daß unter ein und demselben Begriff durchaus Verschiedenes verstanden wird. Ausgehend vom CIC/1917 subsumiert Dausend unter "interrituell" alle Canones, die irgendwie auch Orientalen becühren4 , ohne daß es sich dabei um Bestimmungen handelt, die Rechtsbeziehungen zwischen dem lateinischen Ritus und den orientalischen Riten zum Gegenstand haben. So zählt Dausend beispielsweise die auf den Glauben und die Sitten sowie den Kult bezugnehmenden Canones zu den auch die Orientalen betreffenden Bestimmungen des CIC/1917 und nennt dies interrituelles Recht im weiteren Sinn. - In engerem Sinn versteht Dausend dann allerdings unter interrituellem Recht "nur jene Normen, die wirklich interrituell sind, d.h. nur jene, die den Verkehr der Angehörigen verschiedener Riten untereinander, den Übertritt von einem Ritus zum anderen, überhaupt ihr Verhältnis zueinander regeln ,,5.

* Erweiterte Fassung eines beim Kanonistischen Symposion über den CCEO im Oktober 1991 in München gehaltenen Vortrags. 1 A. Perathoner, Das kirchliche Gesetzbuch (Codex juris canonici), Bressanone 51931,49, Anm. 4. 2 A. M. Koeniger, Katholisches Kirchenrecht mit Berücksichtigung des deutschen Staatskirchenrechts, Freiburg/Br. 1926, 114. 3 H. Dausend, Das interrituelle Recht im Codex Iuris Canonici, Paderborn 1939. 4 Dausend, 32-47. 5 Dausend 47. - Zu Begriff und Inhalt des interrituellen Verkehrsrechts vgl. K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 111, 62-64; W. Aymans/K. MörsdorfKanoni-

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Damit ist auch für unser Thema ein wichtiger Anhaltspunkt gegeben, d.h. es wird sich im folgenden nur um die Erfassung von Canones des CCEO handeln, die Rechtsbeziehungen verschiedener "Riten" (dieses Wort soll vorläufig einmal so verwendet werden) zum Gegenstand haben, wobei derartige Rechtsbeziehungen entweder direkt angesprochen werden (etwa in der Frage des Übertritts von einem "Ritus" zum anderen), oder sich indirekt vom normativen Inhalt der betreffenden Canones her ergeben (können). Als Beispiel für letzteres sei auf die Bestimmung des c. 826 CCEO verwiesen, wonach eine Ehe bei sonstiger Nichtigkeit nicht unter einer Bedingung geschlossen werden kann. Interrituelle (ja sogar interkonfessionelle und interreligiöse) Probleme ergeben sich in diesem Zusammenhang bei einer Eheschließung mit Lateinern, da nach dem Recht des CIC/1983 die Beifügung von Bedingungen unter gewissen Voraussetzungen zulässig ist, d.h. die Gültigkeit der Ehe nicht tangiert, wenn das Bedungene tatsächlich eingetreten ist (vgl. c. 1102 § 2 CIC/1983)6. 2. Interrituell - unzureichende Fragestellung Es erhebt sich die Frage, ob der Begriff interrituell das abdeckt, was offensichtlich Gegenstand unseres Interesses ist. Geht es demnach um die Rechtsbeziehungen der verschiedenen Riten i.e.S., d.h. also des lateinischen und der fünf orientalischen Riten, oder reicht die Fragestellung weiter? Die Antwort darauf kann nur lauten, daß es sich selbstverständlich nicht nur um die Rechtsbeziehungen der Riten in diesem Sinne handeln kann, sondern um die der "Ecclesiae sui iuris", von denen der CCEO spricht. - Bei dieser Gelegenheit sei ein kurzer Blick in die gewandelte Terminologie gestattet: Der CIC/1917 hatte in seiner Rechtssprache in den dem interrituellen Recht zuzuweisenden Partien immer nur den "Ritus" im Auge? Diesbezügliche Schlüsselaussage ist c. 98 CIC/1917: "Inter varios catholicos ritus ... ", und durchgehend ist bei Erwerb und Wechsel immer nur von Ritus die Rede (Rituserwerb, Rituswechsel). Ebenso wird im MP "eleri sanctitati"g in dem c. sches Recht 13 1, 1991, 105-108. Einen kurzen Überblick über die wichtigsten Bereiche interrituellen Rechts im CIC/1983 gibt J. D. Faris lnterritual Matters in the Revised Code of Canon Law, in: The New Code of Canon Law. Proceedings of the Fifth International Congress ofCanon Law (1984), Ottawa 1986, 11, 821-823. 6 Siehe unten 11, 3/a/dd. ? Vgl. den "Index analytico-alphabeticus" des CIC/1917 unter "ritus". g AAS 39 (1957) 433-603. - Während c. 98 § 1 CIC/1917 von den verschiedenen katholischen Riten spricht, hat c. 1 § 1 des MP "eleri sanctitati" nur die "orientales ritus" im Auge.

Interrituelles Verkehrsrecht im CCEO

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98 CIC/1917 entsprechenden c. 1 sowie in den folgenden interrituelle Fragen betreffenden Canones durchwegs nur der "Ritus" angesprochen. Erst der CIC/1983 verwendet neben "Ritus" mehrfach den Ausdruck "Ecclesia ritualis" (cc. 111 § 1; 112 § 1, 3) und "Ecclesia ritualis sui iuris" (cc. 111 § 2; 112 §§ 1 und 2). Insbesondere ist nunmehr in dem die Materie des c. 98 CIC/1917 (Rituserwerb und -wechsel) regelnden c. 111 CIC/1983 nicht mehr von Ritus die Rede, sondern von der "Ecclesia ritualis" bzw. "Ecclesia ritualis sui iuris". Der CCEO spricht in allen Bereichen, die dem interrituellen Recht zuzuweisen sind, nicht mehr von Ritus, sondern von der Ecclesia sui iuris. Somit ergibt sich also, daß das hier in Rede stehende interrituelle Recht keinesfalls nur Rechtsbeziehungen der Riten i.e.S. umfassen kann, sondern es geht um Beziehungen der Ecclesiae sui iuris, wobei auch die Lateinische Kirche (der lateinische Ritus) als eine solche zu bezeichnen ist; sie genießt ja keinerlei Vorrang vor den anderen 9 . Wenn der Ausdruck "interrituell" beibehalten wird, dann nur deshalb, weil sich für das, was der Sache nach gemeint ist (nämlich eine Darstelllung der Rechtsbeziehungen der Ecclesiae sui iuris) keine andere passende Kurzbezeichnung finden läßt. 3. Interrituell oder auch interkonfessionell (interreligiös)? Wenngleich primär Rechtsbeziehungen verschiedener katholischer Ecclesiae sui iuris angesprochen werden, so enthält der CCEO doch auch Bestimmungen, die die Rechtsbeziehungen mit nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zum Inhalt haben. Somit können interrituelle Fragen nicht behandelt werden, ohne zugleich auch einen Blick auf sich ergebende interkonfessionelle, ja sogar (bestimmte) interreligiöse Implikationen zu werfen.- Daß es sich, was interkonfessionelle Fragestellungen anlangt, um solche nicht nur innerhalb der Ostkirchen handelt, sondern daß auch die Lateinischen Kirchen und "kirchlichen Gemeinschaften" einbezogen werden, braucht nicht eigens betont zu werden.

9 Papst Johannes Paulll. spricht in der Apostolischen Konstitution "Sacri Canones" (18. 10. 1990) von den beiden KodifIkationen (CIC/1983 und CCEO) als den beiden Lungenflügeln, mit denen die eine Kirche des Orients und des Okzidents atmet und von einem Herzen mit zwei Kammern, in dem die Liebe Christi brennt.

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11. Problembereiche 1. Zugehörigkeit zu einer Ecclesia sui iuris Die erste und wichtigste Frage, die interrituelles Verkehrsrecht zu behandeln hat, ist die der "Ritus "zugehörigkeit. Diesem Problem hat sich selbstverständlich der CIC/1917 10 , sowie von seiten des orientalischen Rechts das MP "eleri sanctitati"ll gewidmet. In beiden Kodifikationen wird die Frage im Personenrecht behandelt. Neu ist nunmehr an den Bestimmungen über die Rituszugehörigkeit, daß sich sowohl im CIC/1983 (c. 214) wie im CCEO (c. 17) eine in der Grundrechtskodifikntion anzutreffende Aussage über das Recht auf Feier des Gottesdienstes gemäß dem "eigenen Ritus" (CIC/1983), bzw. gemäß den Vorschriften der "eigenen Ecclesia sui iuris" (CCEO) findet. Beide Nonnen haben unmittelbar kirchenübergreifende ("interrituelle") Wirkung, d.h. sie beziehen sich als Grundrecht auf die Gläubigen sämtlicher Ecclesiae sui iuris. - Es liegt dem kirchlichen Gesetzgeber aber fern, ein schlechthinniges Grundrecht auf freie Wahl des Ritus festzulegen; es wird im Gegenteil größter Wert darauf gelegt, daß keine Fluktuation von einer Rituskirche zur anderen stattfindet. Allzu leicht könnte dabei eine von kirchlichen und/oder staatlichen Stellen ausgehende Beeinflussung, ja vielleicht sogar Nötigung zu einem Rituswechsel stattfinden, dem der Gesetzgeber des CCEO u.a. mit einer eigenen strafrechtlichen Sanktion zu begegnen sucht: C. 1465 CCEO legt fest, daß diejenigen, die ein Amt, einen Dienst oder irgendein "munus" in einer Ecclesia sui iuris bekleiden (und nun wird ausdrücklich auch die Ecclesia latina angeführt), mit einer angemessenen Strafe belegt werden sollen, wenn sie einen Gläubigen gegen die Vorschriften des c. 31 (dieser legt die sog. hoheitliche Umgliederung fest) zum Übertritt in eine andere Ecclesia sui iuris verleiten.

10 C. 98. Vgl. G. MichieLs, Principia generalia de personis in Ecclesia. Commentarius Libri 11 Codicis Juris Canonici. Canones praeliminares 87-106, Lublin 1932,274-304. 11 C. 6. - Aufschlußreich ist allerdings die durchaus verschiedene rechtssystematische Einordnung der auf die Rituszugehörigkeit bezugnehmenden Canones im CIC/1917 und in "Gleri sanctitati". Während c. 98 CIC/1917 sich in den Ganones praeliminares des Zweiten Buches ("De personis"), den sog. Allgemeinen Grundsätzen des Personenrechts, befindet und in unmittelbarem Zusammenhang mit Aussagen über die Schwägerschaft (affinitas, c. 97) und die juristischen Personen (c. 99) steht, widmet "Gleri sanctitati" der Frage des Ritus einen eigenen Titel (Tit. I: De ritibus orientalibus) mit insgesamt 15 Canones.

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Das in beiden Kodifikationen formulierte Grundrecht geht von einem in bezug auf die Zugehörigkeit zu einer Ecclesia sui iuris schon vorgegebenen status quo aus, d.h. der Grundrechtsschutz beginnt erst, nachdem der Gläubige seinen Ritus (seine Ecclesia sui iuris) erworben hat und nun in seinem "Besitzstand", näherhin in seinem Recht auf einen Gottesdienst gemäß den Vorschriften seiner Kirche, geschützt werden soll. Ein Recht auf freie Wahl der einmal schon bestimmten Ecclesia sui iuris ist daraus sicher nicht abzuleiten. Ein solches freies Wahlrecht gibt es nur bei der erstmaligen Wahl der eigenen Ecclesia sui iuris durch einen Taufwerber, der das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat. Dieser kann nämlich frei wählen, in welcher Ecclesia sui iuris er die Taufe empfangen will, und er gehört dann der Kirche an, in der er getauft wurde. Die diesbezüglichen Aussagen des c. 111 § 2 CIC/1983 und des c. 30 CCEO sind bis auf den Vorbehalt des letzteren "salvo iure particulari a Sede Apostolica statuto" inhaltlich identisch. Obwohl sich der Vorbehalt nur im CCEO findet, könnte dennoch eine das freie Wahlrecht des über 14 Jahre alten Taufwerbers einschränkende Bestimmung nicht nur innerhalb der orientalischen Kirchen, sondern auch im Bereich der Lateinischen Kirche gesetzt werden. Zu bemerken ist, daß hier - wie auch an anderen Stellen - ein Vorbehalt nicht zugunsten des Partikularrechts als solchem gemacht wird, sondern es muß sich um ein vom HI. Stuhl geschaffenes (statutum) Partikularrecht handeln l2 . Ein wenngleich eingeschränktes Wahlrecht der Ecclesia sui iuris kommt den ehelichen Eltern eines Kindes zu, wenn sie nicht ein und derselben Ecclesia sui iuris angehören. Grundsätzlich folgt ein eheliches Kind der Kirche des Vaters. Bei Ritusverschiedenheit können die Eltern jedoch vereinbaren, daß das Kind der Ecclesia sui iuris der Mutter zugeschrieben wird, wobei auch hier der Vorbehalt zugunsten eines anderslautenden vom HI. Stuhl festgelegten Partikularrechts besteht (c. 29 § 1 CCEO).

12 Die Wendung "a Sede Apostolica statuto" bedeutet sicherlich mehr als einfache Konsultation (v gl. c. 792) oder Approbation. Es wird hier ganz offensichtlich auf ein vom Hl. Stuhl selbst geschaffenes Recht verwiesen. Derartiges Recht könnte entweder den Hl. Stuhl selbst als Gesetzgeber haben; es könnte aber auch durch eine vom Hl. Stuhl in besonderer Weise (informa specijica) vorzunehmende Bestätigung eines vom partikularen Gesetzgeber stammenden Gesetzes erfolgen. Vgl. H. Heimerl/H. Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht. Wien/New York, 1983,32. Das auf diese Weise geschaffene Partikularrecht wäre wohl als lex particularis propriae Ecclesiae sui iuris (c. 1491 § 3, 3) zu betrachten.

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Bei dem durch die Taufe bewirkten Erwerb einer Ecclesia sui iuris kann zwischen freiem und abhängigem Erwerb, d.h. zwischen dem auf eigener Willensentscheidung des Taufwerbers beruhenden und dem von anderen verfügten Erwerb der Zugehörigkeit unterschieden werden. Das vollendete 14. Lebensjahr bildet die Zäsur zwischen beiden Formen des Erwerbs: Wer vor dem vollendeten 14. Lebensjahr die Taufe empfängt, ist hinsichtlich des damit verbundenen Erwerbs einer Ecclesia sui iuris von den Eltern, gegebenenfalls von einem Elternteil oder Erziehungsberechtigten abhängig; wer das 14. Lebensjahr vollendet hat, ist - vorbehaltlich anderslautenden vom Hl. Stuhl festgelegten Partikularrechts - frei. In bezug auf den Zusammenhang zwischen Taufempfang in einer bestimmten Ecclesia sui iuris und der durch die Taufe bewirkten Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche ist ein auffallender Unterschied in der Formulierung zwischen den cc. 29 § 1 und 30 CCEO festzustellen, der m. E. zu folgenden Konsequenzen führt:

a) Beim abhängigen Erwerb einer Ecclesia sui iuris (d.h. Taufempfang durch einen noch nicht vierzehnjährigen Taufwerber) wird der Taufempfang in einer bestimmten Ecclesia sui iuris nicht automatisch mit der Zugehörigkeit zu dieser Kirche gekoppelt, sondern unabhängig von der Frage, ob der Taufwerber in dieser oder jener Kirche getauft wurde, erwirbt er seine Zugehörigkeit zu einer Kirche aufgrund seiner Abstammung 13 • b) Anders beim freien Erwerb einer Ecclesia sui iuris, d.h. durch den Taufempfang eines bereits Vierzehnjährigen: C. 30 enthält eine andere Formulierung als c. 29 § 1; es heißt hier: "libere potest seligere quamcumque Ecclesiam sui iuris, cui per baptismum in eadem susceptum ascribitur... "14. Im einzelnen sieht der abhängige, d.h. von einem noch nicht Vierzehnjährigen vorgenommene Erwerb einer Ecclesia sui iuris folgendermaßen aus: Der Täufling wird durch den Taufempfang der Ecclesia sui iuris zugeschrieben, der der eheliche Vater angehört. Handelt es sich um eine konfessionsverschiedene Ehe, bei der nur die Mutter katholisch ist, dann folgt das Kind in der Zugehörigkeit zur Ecclesia sui iuris der Mutter. Dasselbe ist der Fall, wenn die zwar konfessionsgleichen, aber verschiedenen Ecclesiae sui iuris angehörenden Eltern übereinstimmend einen diesbezüglichen Wunsch geäußert haben. Die Regelung steht unter dem Vorbehalt eines anderslautenden, vom Hl. Stuhl festgelegten Partikularrechts. 13 VgJ. diesbezüglich die differenzierende Regelung des c. 98 § 1 CIC/1917. 14 Hervorhebung vom Verfasser.

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Ein uneheliches Kind folgt in der Zugehörigkeit zu einer Ecclesia sui iuris der Mutter. Das Kind unbekannter Eltern wird der Kirche derjenigen zugeschrieben, deren Pflege es anvertraut wird. Wird das Kind von einem Ehepaar 15 adoptiert, dann tritt die Regelung in bezug auf eheliche Kinder 10 Kraft (c. 29 § 2, 2). Das Kind nichtgetaufter Eltern wird der Ecclesia sui iuris dessen zugeschrieben, der die Erziehung im katholischen Glauben übernimmt (ebd. § 2, 3).

2. Wechsel der Zugehörigkeit a) Aufgrund ehe- und familienrechtlicher Bestimmungen Die Ehefrau hat bei Eingehung der Ehe oder zu einem beliebigen Zeitpunkt hernach das Recht, zur Ecclesia sui iuris des Ehemannes überzutreten. Nach Auflösung der Ehe kann sie frei zur früheren Kirche zurückkehren (c. 33 CCEO). In die Augen springend ist der Unterschied zur Formulierung des c. 112 § 1, 2 CIC/1983, demzufolge jeder Ehepartner gelegentlich der Eheschließung oder hernach zur "Rituskirche eigenen Rechts des anderen Ehepartners" übertreten und nach Auflösung der Ehe zur früheren Kirche zurückkehren kann. Es ist hier nicht der Ort, auf die Motivation des Gesetzgebers einzugehen, warum er das eine Mal eine vom Gedanken der Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgehende, das andere Mal eine einseitige Regelung getroffen hat l6 .

15 Allerdings ist die Fonnulierung "a patre et matre adoptantibus" mißverständlich. Sie muß nicht unbedingt in dem Sinne gedeutet werden, daß ein Ehepaar adoptiert, sofern nur überhaupt zwei geschlechtsverschiedene Personen die Adoption vornehmen (z.B. Bruder und Schwester). 16 Es erhebt sich die Frage, ob die Regelung des CCEO grundrechtskonfonn ist. Angesichts einer (mit Ausnahme der Interpunktionszeichen) wortwörtlich identischen Fonnulierung des Gleichheitssatzes in den beiden Codices (c. 208 CIC/1983; c. 11 CCEO) könnte die Frage nach der Berechtigung für die Ungleichbehandlung des Mannes (!) im CCEO aufgeworfen werden.

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Ein Problem des interrituellen Verkehrsrechts ergibt sich dann, wenn der Rituswechsel von der bzw. zur Lateinischen Kirche erfolgen soll. Gilt die Regelung des CIC/1983 oder des CCEO? Vorab und beinahe überflüssig zu bemerken ist, daß Derogationswirkung durch den CCEO (als lex posterior) gegenüber dem CIC/1983 (als lex prior) nicht anzunehmen ist, da die cc. 21 CICI1983 und 1503 CCEO einem voreiligen Schluß auf Derogation einen Riegel vorschieben.- Eine Wendung in c. 112 § 1, 2 CIC/1983 scheint einen Schlüssel zur Lösung des anstehenden Problems zu enthalten. Nachdem an der genannten Stelle zunächst festgestellt wird, daß jeder Ehepartner bei Eingehung oder während des Bestandes der Ehe das Recht habe, zur Rituskirche des anderen Ehepartners überzutreten, wird abschließend gesagt, daß der Übergetretene nach Auflösung der Ehe frei zur Lateinischen Kirche zurückkehren könne. Somit scheint sich folgende Lösung abzuzeichnen: Die Regelung des CIC/1983, wonach jeder Ehepartner, also auch der Mann, das Recht hat, die Rituskirche zu wechseln, greift dann Platz, wenn der Übertretende (Mann oder Frau) dem lateinischen Ritus angehört; ist der Übertrittswillige hingegen Angehöriger einer orientalischen Ecclesia sui iuris, dann gilt die Regelung des CCEO, d.h. nur die Frau (nicht auch der Mann) kann gelegentlich des Eheabschlusses oder während des Bestandes der Ehe die Rituskirche wechseln bzw. nach Auflösung der Ehe zur früheren Rituskirche zurückkehren.- Diese Regelung beansprucht m. E. Geltung unabhängig von der Frage, ob die Ehe vor dem lateinischen oder einem orientalischen Priester geschlossen wurde. Ein Wechsel der Ecclesia sui iuris seitens der Eltern hat Auswirkungen auf die Rituszugehörigkeit der ehelichen Kinder. Treten beide Eltern während bestehender Ehe, bzw. in einer konfessionell gemischten Ehe der katholische Elternteil, zu einer anderen Ecclesia sui iuris über, dann folgen die noch nicht vierzehnjährigen Kinder diesem Wechsel automatisch.- Tritt jedoch bei einer Ehe von Katholiken nur ein Eheteil zu einer anderen Ecclesia sui iuris über, dann folgen die Kinder nur dann, wenn beide Eltern diesbezüglich übereinstimmen. Nach erreichtem 14. Lebensjahr können die Kinder wieder zur früheren Ecclesia sui iuris zurückkehren. b) Aufgrund hoheitlicher Umgliederung Abgesehen von den geschilderten ehe- und familienrechtlichen Bestimmungen, die einen begrenzten freien Ermessensspielraum hinsichtlich des Wechsels der Ecclesia sui iuris einräumen, stehen c. 32 § 1 CCEO ebenso wie

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c. 112 § 1, 1 CIC/1983 auf dem Standpunkt, daß ein Wechsel der Ecclesia sui iuris ohne Mitwirkung des Hl. Stuhles nicht möglich ist 17 . Einem solchen Wechsel steht der Gesetzgeber grundsätzlich reserviert gegenüber. Dies erhellt u.a. aus der Bestimmung des c. 31 CCEO, wonach niemand auf irgendeine Weise einen Gläubigen zum Übertritt in eine andere Ecclesia sui iuris zu bewegen suchen darfl8 . - Auf die Stratbestimmung des c. 1465 CCEO für Anstiftung zum Übertritt wurde bereits hingewiesen. Angehörige der orientalischen Kirchen bleiben, auch wenn sie seelsorglich dem Hierarchen oder Pfarrer einer anderen Ecclesia sui iuris anvertraut wurden, trotzdem ihrer eigenen Rituskirche zugeschrieben (c. 38 CCEO). Dasselbe muß auch für Angehörige der Lateinischen Kirche Geltung haben. Der Übertritt von einer Ecclesia sui iuris zur anderen ist dann nicht an eine vorausgehende Zustimmung des Hl. Stuhles gebunden, wenn sich in einem Territorium zwei Eparchien verschiedener Ecclesiae sui iuris befinden und unter diesen Voraussetzungen jemand von der einen zur anderen übertreten will. In diesem Fall wird die Zustimmung des Hl. Stuhles vorausgesetzt, wenn die Bischöfe bei der Eparchien dem Übertritt schriftlich zugestimmt haben (c. 32 § 2 CCEO). Die Wendung "in eodem territorio" dürfte wohl so zu verstehen sein, daß zwei Eparchien verschiedener Ecclesiae sui iuris sich zumindest mit einem Teil ihres Gebietes überschneiden; nicht gefordert ist m.E., daß sich die beiden Eparchien gebietsmäßig zur Gänze decken. Schließlich ist noch die Frage der Zugehörigkeit zu einer Ecclesia sui iuris im Falle der Konversion getaufter Nichtkatholiken zu behandeln. Grundsätzlich behält der Konvertit auf der ganzen Welt seine Rituskirche bei und er wird somit der katholischen Ecclesia sui iuris desselben Ritus zugeschrieben. Auch hier wird ein Vorbehalt dahingehend festgelegt, daß der Hl. Stuhl in besonders gelagerten Fällen angegangen werden kann; diese können entweder

17 Allerdings sind die Wendungen durchaus verschieden. Nach c. 112 § 1, 1 CIC ist die Erlaubnis (licentia) des HI. Stuhles erforderlich; c. 32 § 1 CCEO spricht hingegen vom Erfordernis der Zustimmung (consensus). - Entgegen c. 10 CIC, der Irritationswirkung eines Gesetzes an ausdrückliche diesbezügliche Aussagen des Gesetzes bindet, dürfte die "licentia" des c. 112 § 1, 1 ein Gültigkeitserfordernis darstellen. Insofern ist c. 32 § 1 CCEO eine (implizite) authentische Interpretation des CIC/1983. 18 Vgl. dazu c. 98 § 2 CIC/1917 und c. 7 MP "Cleri sanctitati". Normadressat der Bestimmung des CIC/1917 ist der Kleriker, während "Cleri sanctitati" sich an jedermann richtet.

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mit den involvierten Personen, den Gemeinschaften oder den Regionen zusammenhängen (c. 35 CCEO)19. Sofern das Reskript des Hl. Stuhles nicht etwas anderes festlegt, wird der Übertritt zu einer anderen Ecclesia sui iuris erst mit der vor dem Hierarchen dieser Kirche oder dem eigenen Pfarrer bzw. vor einem von diesen delegierten Priester und zwei Zeugen abgegebenen Erklärung wirksam (c. 36 CCEO). Der Eintritt in eine Ecclesia sui iuris oder der Übertritt zu einer anderen ist im Taufbuch des Taufpfarramtes, auch gegebenenfalls der Lateinischen Kirche, einzutragen. Sofern dies nicht geschehen kann, ist ein eigenes Dokument anzufertigen, das im Archiv der Pfarre jener Kirche aufzubewahren ist, zu deren Gunsten die Zuschreibung erfolgte (c. 37 CCEO).

3. Eherechtliche Fragen a) Interrituelle Fragen innerhalb der katholischen Kirche aa) Ehehindernisse

Im Bereich der Ehehindernisse sind einige bemerkenswerte Unterschiede zum CIC/1983 wie zum MP "Crebrae allatae" (CA) festzustellen. Abgesehen von den verschiedenen Tatbeständen der Hindemisse20 wirft u.a. die Bestimmung des c. 792 CCEO ein meines Wissens in dieser Form bisher nicht gekanntes Problem auf: Die beiden lateinischen Kodifikationen (CIC/1917 19 Hier ist wohl (auch) an den Fall gedacht, daß es eine ritusgleiche unierte Kirche nicht gibt. 20 Auf Einzelheiten in der Fonnulierung der Tatbestände kann im Rahmen dieser Ausführungen nicht eingegangen werden. Bedeutsam ist aber insbesondere das vom CIC/1983 abweichende Tatbestandsbild des Hindernisses der EntfUhrung (raptus). Während c. 1089 CIC/1983 (wie auch c. 1074 CIC/1917 und c. 64 CA) das Hindernis nur zugunsten der entführten oder gewaltsam festgehaltenen Frau festlegen, spricht c. 806 CCEO geschlechtsneutral von der "persona abducta vel saltern retenta", womit eindeutig der Tatbestand auch verwirklicht wäre, wenn ein Mann entführt oder zumindest festgehalten wird. - Die Frage der Auswirkungen des CCEO auf die Interpretation des CIC/1983 muß noch eingehend untersucht werden. Vgl. dazu B. Primetshofer, Der CCEO und seine (möglichen) Auswirkungen auf das Recht der Lateinischen Kirche, in: luri Canonico Promovendo, FS für H. Schmitz zum 65. Geburtstag, Regensburg 1994, 557-584.

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und CIC/1983)21 gehen ebenso wie CA (c. 28)22 davon aus, daß die Vollmacht, trennende Ehehindernisse für die Getauften aufzustellen, nur im Wege der päpstlichen Gesetzgebung möglich ist. Nunmehr legt c. 792 CCEO für das Partikularrecht sogar einer einzelnen Ecclesia sui iuris fest, daß - wenngleich nur aus einem sehr schwerwiegenden Grund ("gravissima de causa") und nach Befragung23 des Hl. Stuhles - eigene trennende Ehehindernisse aufgestellt werden können. Es ist mir unbekannt, ob solches schon geschehen ist. Sollten aber partikularrechtliche Hindernisse aufgestellt werden, stellt sich sofort ein besonderes Problem: Die genannten Hindernisse wären solche des Partikularrechts. Diesbezüglich gibt es im CCEO keine Legaldefinition; der Begriff wird allerdings in c.1493 § 2 negativ dahingehend abgegrenzt, daß unter Partikularrecht alle Gesetze, rechtmäßigen Gewohnheiten, Statuten und anderen Rechtsordnungen zu subsumieren sind, die weder der Gesamtkirche noch allen orientalischen Kirchen gemeinsam sind. Wenn nun der einem solchen Hindernis seiner Ecclesia sui iuris Unterworfene außerhalb des Territoriums seiner Kirche eine Ehe schließt, ist er dann an das Hindernis gebunden oder nicht? - Die Frage kann vielleicht nicht ganz so gestellt werden, bzw. verrät sie sofort den Blickwinkel des Lateiners, der gleich an c. 13 CIC/1983 denkt, wonach partikulare Gesetze nicht als personale, sondern als territoriale vermutet werden, bis das Gegenteil feststeht. Der CCEO kennt nämlich einen so weder im CIC/1983 noch im CIC/1917 anzutreffenden doppelten Begriff der lex particularis, nämlich eine Lex particularis territorii und eine Lex particuLaris propriae Ecclesiae sui iuris (vgl. c. 1491 § 3, 1 und 3). Die im Peregrinenrecht des CCEO gegebene Lösung in bezug auf die Frage der Geltung von partikularen Gesetzen unterscheidet demzufolge zwischen 21 C. 1038 CIC/1917; c. 1075 CIC/1983. Die hier angesprochene ausschließliche Vollmacht der höchsten kirchlichen Autorität erstreckt sich nicht nur auf die Festlegung von Hindernissen (kirchlichen Rechts) für die Getauften, sondern auch auf die authentische Interpretation der im göttlichen Recht gründenden Hindernisse. 22 Allerdings konnten vor Inkrafttreten von CA die Synoden aufschiebende und trennende Hindernisse festlegen. A. Coussa, Epitome praelectionum de iure ecc1esiastico orientali, vol. III (De matrimonio), Romae 1950, 47-49. 23 Offen bleibt, ob die hier vorgesehene Befragung des HI. Stuhles ("consulta Sede Apostolica") eine Gültigkeitsvoraussetzung darstellt. - Sicher handelt es sich hier nicht um ein vom HI. Stuhl festgelegtes Partikularrecht, wie dies bei c. 30 vorgesehen ist (vgl. Anm. 12), sondern um ein von der rechtsetzenden Autorität der Ecclesia sui iuris geschaffenes. Sofern dieses allenfalls vom HI. Stuhl bestätigt werden sollte, könnte es sich nur um eine die rechtliche Qualität des Bestätigten nicht ändernde gewöhnliche Bestätigung (confirmatio informa commum) handeln. 20 Primetshofer

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diesen Fonnen der Geltung einer - vielleicht könnte man so sagen - territorial bzw. personal ausgerichteten lex particularis. Bezüglich ersterer besteht eine mit c. 13 § 2, 1 CIC/1983 identische Lösung, d.h. der Fremde ist außerhalb des Territoriums des Geltungsbereichs dieser lex particularis nicht an deren Beobachtung gebunden, es sei denn, daß entweder deren Übertretung im eigenen Gebiet Schaden hervorruft oder es sich um personale Gesetze handelt. Anders lauten hingegen die Geltungsregeln hinsichtlich der lex particularis propriae Ecclesiae sui iuris. Diese verpflichten nämlich den Fremden selbst dann, wenn sie im eigenen Territorium nicht mehr gelten sollten; sie verpflichten ihn aber nicht, wenn sie am Aufenthaltsort nicht mehr in Geltung stehen (c. 1491 § 3, 3 CCEO)24. Auf die einzelnen Tatbestände der Ehehindernisse, soweit sie sich vom lateinischen Recht des CIC/1983 unterscheiden, kann hier nicht eingegangen werden. Für in diesem Zusammenhang auftauchende interrituelle Fragen enthält c. 790 § 2 die Lösung: Ein Hindernis, das auch nur auf Seite eines Ehewerbers besteht, macht dennoch die Ehe ungültig. bb) Fonnvorschrift und Dispensvollmachten Auffallend ist zunächst, was die Eheschließungsfonn anlangt, der Formulierungsunterschied zwischen den cc. 1108 § 1 CIC/1983 und 828 CCEO. Nach dem CIC/1983 ist zur Eheschließung, entsprechende Delegation vorausgesetzt, grundsätzlich auch der Diakon befugt, während nach dem Recht des CCEO eine ''facultas'' (das Wort "delegation wird im CCEO im Zusammenhang mit der Eheschließung bewußt vermieden) nur einem Priester übertragen werden kann. Überdies wird auf den "ritus sacer" als Gültigkeitsvoraussetzung der Eheschließung abgestellt, wobei dieser gemäß c. 828 § 2 im Tätigwerden des der Eheschließung assistierenden und diese segnenden Priesters ("ipse interventus sacerdotis assistentis et benedicentis") besteht. Auch nach dem Recht des CCEO ist indes ein solches Tätigwerden des Priesters in den Fällen der Noteheschließung nicht erforderlich (c. 832), d.h. bei Todesgefahr oder im Falle der einen Monat hindurch andauernden Unerreichbarkeit eines Priesters. 24 Angesichts dieser Regelung, der man ja nicht gerade das Prädikat der leichten Handhabbarkeit verleihen kann, dürfte das partikularrechtliche Hindernis, sofern es ein solches überhaupt geben wird, unter Umständen einige nicht leicht zu lösende Probleme aufgeben. Vielleicht bietet sich dann als praktischer Ausweg c. 1496 an: "Leges ... in dubio iuris non urgent".

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Interrituell stellt sich die Frage, ob bei Eheschließungen zwischen Lateinern und (unierten) Orientalen eine Trauung durch einen Diakon eine gültige Ehe bewirkt oder nicht. M. E. ist hier nicht einfachhin die in bezug auf Ehehindernisse aufgestellte Regelung des c. 790 analog anzuwenden, d.h. wenn ein Hindernis nur auf einer Seite besteht, macht es dennoch die Ehe ungültig. Denn hier geht es begrifflich um einen anderen Fragenbereich, nämlich den der Formpflicht. Von der orientalischen Mentalität ausgehend, derzufolge die priesterliche Segnung ein wesentliches Element der Eheschließung darstellt, könnte man zu dem Schluß gelangen, daß immer dann, wenn ein Orientale an einer Eheschließung beteiligt ist, die priesterliche Segnung erforderlich und demzufolge eine Eheschließung durch einen Diakon ausgeschlossen sei.- Aber diese Lösung befriedigt insofern nicht, weil das im CIC/1983 formulierte Recht des lateinischen Diakons nicht ohne weiteres eliminiert werden darf. Die Päpstliche Kommission für die Redaktion des orientalischen Kirchenrechts hat im Jahre 1953 25 in der Frage des bei interrituellen Mischehen anzuwendenden Rechts eine Entscheidung getroffen, die trotz seitdem erheblich geänderter Vorzeichen26 noch einen gewissen Anhaltspunkt für die Lösung unserer Frage zu geben scheint. Zur Diskussion stand damals die Frage, ob bei interrituellen Mischehen c. 1102 § 2 CIC/1917 anzuwenden sei, der bei Mischehen grundsätzlich jeden "ritus sacer" untersagte, oder c. 85 CA, der eben diesen ritus sacer zur schlechthinnigen Voraussetzung für die Gültigkeit der Ehe machte. Die erste Variante der Anfrage ging davon aus, daß ein Priester des lateinischen Ritus der Ehe eines katholischen Orientalen mit einem getauften oder nichtgetauften Nichtkatholiken assistiert; die Frage nach dem dabei anzuwendenden Recht entschied die Kommission zugunsten des CIC/1917, d.h. also im Sinne eines Verbots des ritus sacer (c. 1102 25 Entscheidung vom 8. 1. 1953: AAS 35 (1953) 104. 26 Diese geänderten Vorzeichen basieren auf der Aussage von der grundsätzlichen Beachtlichkeit nichtkatholischen (orientalischen) Kirchenrechts durch das Konzilsdekret "Unitatis redintegratio" Nr. 16 und die darauf aufbauende Entscheidung der Apostolischen Signatur (SignAp) vom 28. 11. 1970. X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem Iuris Canonici editae, Romae 1974, IV, Nr. 3294. - Bis dahin stand die römische Kurie, wenngleich in nicht einheitlicher Spruchpraxis, auf dem Standpunkt, daß das katholische Eherecht auch für die nichtunierten Orientalen Geltung habe und daß deren eigene Rechtsordnung somit keine Relevanz aufweise. Vgl. C. Pujol, Orientales ab Ecclesia catholica seiuncti tenentume novo iure canonico a Pio XII promulgato?, in: Orientalia christiana Periodica 31 (1966) 78-110; D. Faltin, De legibus quibus baptizati acatholici ritui orientali adscripto tenentur, in: Apoll 35 (1962) 238-249; P. Wirth, Ehen mit Orthodoxen, Freiburg/Br. 1967,31 ff.

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CIC/1917). Assistiert hingegen ein orientalischer Priester der Ehe eines katholischen Lateiners mit einem getauften oder nichtgetauften Nichtkatholiken, dann war in diesem Falle c. 85 CA anzuwenden, d.h. der ritus sacer kam zur Anwendung. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist der Umstand, daß sich die Frage des anzuwendenden Rechts in beiden Fällen nicht nach der Rechtsordnung richtet, der der katholische Ehewerber angehört, sondern nach der des der Ehe assistierenden Geistlichen. Ist dieser Lateiner, dann hat er lateinisches, ist er Orientale, dann orientalisches Recht anzuwenden. Eine diese Entscheidung zugrundelegende Lösung in bezug auf die Trauberechtigung des Diakons könnte man sich nun in der Weise vorstellen, daß die Frage nach dem anzuwendenden Recht anband der Rituszugehörigkeit des der Ehe assistierenden Geistlichen zu entscheiden wäre: Der dem lateinischen Ritus angehörende Diakon kann der Ehe zwischen einem Lateiner und einem Orientalen gültig assistieren, der orientalische Diakon hingegen kann das nicht27 . Von daher beantwortet sich auch die Frage nach der Dispensvollmacht des Diakons in bezug auf Ehehindernisse in drängender Todesgefahr ("urgente mortis periculo"). C. 1079 § 2 CIC/1983 erteilt dem Diakon die Vollmacht zur Dispens von allen Ehehindernissen kirchlichen Rechts, ausgenommen die Priesterweihe; dies dann, wenn er gemäß c. 1116 § 2 bei einer Noteheschließung anwesend ist. C. 796 CCEO kennt eine solche Vollmacht unter den erwähnten Voraussetzungen nur für den Priester. Nach meinem Dafürhalten kann der lateinische Diakon von seiner Vollmacht (unter den gegebenen Voraussetzungen) auch gegenüber Orientalen Gebrauch machen; der orientalische Diakon hingegen kann das nicht. Gegen diese hier vorgetragene Auffassung könnte man nun freilich einwenden, daß die orientalische Eheauffassung der priesterlichen Segnung eine solche Bedeutung beimißt, daß ihr - den Fall der Noteheschließung (c. 832 CCEO) ausgenommen - eine gültige Eheschließung durch einen Diakon einfach nicht "nachvollziehbar" erscheint. Man könnte beinahe sagen, die priesterliche Segnung gehöre sozusagen für das - unierte wie nichtunierte - orientalische Eherecht zum Bereich der "öffentlichen Ordnung (ordre public) ", 27 Voraussetzung für die gültige Assistenz seitens des lateinischen Diakons ist dabei immer, daß wenigstens ein Ehewerber dem lateinischen Ritus angehört. Gehören nämlich beide einer orientalischen Ecclesia sui iuris an, dann sind der lateinische Ortsordinarius und -pfarrer für eine solche Trauung inkompetent (c. 1109 CIC/1983) und können auch dem Diakon keine Delegation erteilen. Vgl. dazu für das Recht des CIC/1917 und CA die Entscheidung der Päpstlichen Kommission für die Redaktion des orientalischen Codex vom 3.5.1953, in: AAS 35 (1953) 313.

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und diese komme jedenfalls zum Tragen, unabhängig von der Frage, wer der Eheschließung assistiert, sofern nur überhaupt einer der Ehewerber Orientale ist28 . cc) Eheschließung durch Stellvertretung C. 837 CCEO enthält eine an sich klare, allerdings interrituelle Implikationen völlig aussparende Formulierung: Eine Eheschließung im Wege der Stellv~rtretung ist nur gültig, wenn dies im Partikularrecht der eigenen Ecclesia sui iuris so festgelegt ist; in diesem Fall ist auch hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen eine solche Eheschließung stattfinden kann, Vorsorge zu treffen. Der genannte Canon regelt allerdings nicht den Fall, daß die Ehewerber verschiedenen Kirchen angehören, deren eine die Eheschließung durch Stellvertretung zuläßt, die andere hingegen nicht. Ein Paradefall in dieser Richtung ist wohl die Eheschließung zwischen einem Lateiner, dessen Recht die Stellvertretung zuläßt (c. 1105 CIC/1983), und einem Orientalen, dessen Ecclesia sui iuris keine Stellvertretung bei der Eheschließung kennt. Welches Recht ist anzuwenden? Ich möchte diese Frage analog zur vorhergehenden entscheiden, d.h. auch hier wäre auf die Rechtsordnung des der Ehe assistierenden Geistlichen abzustellen: Läßt das Recht seiner Ecclesia sui iuris eine Eheschließung durch Stellvertretung zu, dann kann diese gültig vorgenommen werden, andernfalls nicht. dd) Bedingte Eheschließung Das Problem der bedingten Eheschließung im orientalischen Recht ist nicht neu. Schon c. 83 CA enthielt eine Aussage über die Unzulässigkeit von Bedingungen bei Abgabe des Ehekonsenses: .. Matrimonium sub conditione 28 Allerdings ist hier, auch gegenüber der apodiktischen Fonnulierung von c. 781, 2 CCEO ( ..... dummodo ... matrimonium ritu sacro celebratum sit") die im Urteil der SignAp (vgl. Anm. 26) enthaltene Begrenzung des VeIWeises auf die Geltung der fremden (orthodoxen) Rechtsordnung zu beachten. Eine ohne priesterliche Segnung geschlossene Ehe Orthodoxer ist nämlich dann als gültige Ehe zu betrachten, wenn das Fehlen dieser Segnung auf die Unmöglichkeit zurückzuführen ist, einen Priester zu finden. Vgl. die dem Urteil beigegebenen Richtlinien für die Behandlung künftiger Fälle bei Ochoa, Leges (Anm. 26), Nr. 3924.

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contrahi nequit", was c. 826 CCEO noch verstärkt ausdrückt mit der Formulierung: "Matrimonium sub conditione valide celebrari non potest". Demgegenüber gestatten sowohl der CIC/1917 wie auch der CIC/1983 (letzterer allerdings in einem gegenüber dem CIC/1917 reduzierten Umfang) eine Eheschließung unter Bedingung (c.ll02 CIC/1983). Schon zur Zeit der Geltung des CIC/1917 und des MP "Crebrae allatae" stellte sich das Problem einer Konkurrenz zwischen den bei den Rechtsordnungen, wobei es zunächst interessanterweise gar nicht um eine interrituelle, sondern um eine grundsätzliche Fragestellung nach dem Umfang der kirchlichen Vollmacht geht. Victor Pospishil wirft die Frage nach dem Stellenwert des c. 1092 CIC/1917 auf2 9 und stellt fest, daß dieser Canon nur das Naturrecht widerspiegle. Die Kirche könne zwar die Beifügung von Bedingungen als unerlaubt erklären, sie könne aber keine unter einer echten Bedingung geschlossene Ehe für ungültig erklären, wenn das Bedungene tatsächlich eingetreten sei. Denn dies würde einen Eingriff in den Konsens darstellen und übersteige somit die Kompetenz der Kirche30 . - Acacius Coussa stellt in diesem Zusammenhang lediglich fest, daß die Beifügung einer Bedingung die Frage nach dem Vorhandensein des Konsenses als solchem aufwerfen könne31 • Dies steht aber sowieso außer Zweifel. Auf eine Befassung mit dieser Frage kann schon aus dem Grund verzichtet werden, weil sie m.E. so gar nicht gestellt werden kann. Der unter Bedingung abgegebene Konsens kann ein echter, d.h. gültiger Konsens sein. Wenn der kirchliche Gesetzgeber die Beisetzung von Bedingungen beim Eheabschluß 29 V. Pospishil, Code of Oriental Canon Law. The Law on Marriage, Chicago 1962, 131 f. Pospishil kommt zu dem Ergebnis, daß auch für die Ehen von Orientalen c. 1092 CIC/1917 und nicht c. 83 CA anzuwenden sei. "The rules ofe. 1092 CIC, whieh rejleet the naturallaw, have, therefore, to be applied also to Oriental marriages". - Zur Frage des Stellenwertes von c. 83 CA vgl. J. Prader, Il matrimonio in Oriente e Occidente. Kanonika 1; Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, Roma 1992, 189-191. Über die im Rahmen der Kommission für die Kodifikation des orientalischen Kirchenrechts stattgefundene Diskussion zur bedingten Eheschließung vgl. J. Prader, De consensu matrimoniali conditionato, in: Nuntia 6 (1978) 34-4l. 30 Zur Frage des - bei erfüllter Bedingung - gültigen Ehekonsenses, der aufgrund positivrechtlicher Bestimmung zu keiner gültigen Ehe führt, vgl. J. M. Serrano Ruiz, Il consenso matrimoniale condizionato, in: La nuova legislazione matriomoniale canonica. II consenso: Elementi essenziali, difetti, vizi, Citta deI Vaticano 1986, (Studi giuridici X) 164 f. 31 Coussa, Epitome (Anm. 22) 180. Zur Problematik der bedingten Eheschließung im orientalischen Kirchenrecht vgl. K.-Th. Geringer, Die bedingte Eheschließung im Recht der katholischen orientalischen Kirchen, in: AkKR 160 (1991) 68-83, bes. 7283.

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untersagt und bei Zuwiderhandeln Nichtigkeit der Ehe festlegt, so greift er nicht in den Bereich der Gültigkeit des Konsenses ein. Dieser Fragenbereich bleibt hier völlig außer Betracht. Die Rechtsordnung legt einfachhin zusätzliche Gültigkeitsvoraussetzungen für die Eingehung einer Ehe fest, d.h. in unserem Fall schließt sie die Beisetzung von Bedingungen bei sonstiger Nichtigkeit der Ehe aus. Es kommt hier dasselbe Modell wie bei den Ehehindernissen und der Formpflicht zur Anwendung: Der gültige Ehekonsens führt bei Vorliegen eines (trennenden) Ehehindernisses bzw. beim Fehlen der Form zu keiner gültigen Ehe. In diesem Sinne ist demnach die Frage nach einem eventuellen unzulässigen Eingriff in den Bereich des Naturrechts überhaupt nicht zu stellen; die Vollmacht der Kirche, wie sie in c. 83 CA bzw. c. 826 CCEO zum Ausdruck kommt, steht völlig außer Zweifel. Ob bei einem bedingten Eheabschluß (eventuell) ein Konsensmangel vorliegt, ist ein völlig anderes Problem. Es stellt sich die interrituelle Frage nach dem anzuwendenden Recht, wenn es um Eheschließungen zwischen Lateinern und Orientalen geht. Die Möglichkeit der Eingehung einer Ehe unter einer Bedingung bildet auf seiten jedes Ehewerbers eine der sachlichen Voraussetzungen für die Eheschließung. Hier ist m.E ein Analogieschluß zu der in c. 790 § 2 CCEO in bezug auf Ehehindernisse getroffenen Regelung geboten, d.h. wenn die Rechtsordnung auch nur eines Ehewerbers die bedingte Eheschließung mit Nichtigkeitssanktion untersagt, dann macht die Beifügung einer Bedingung, gleichgültig von seiten welchen Ehewerbers dies geschieht, die Ehe ungültig. Die anstehende Frage hat aber nicht nur eine (katholisch) interrituelle, sondern darüber hinaus auch eine interkonfessionelle, ja sogar interreligiöse Komponente. Denn auch wenn der lateinische Katholik, dessen Rechtsordnung die bedingte Eheschließung zuläßt, die Ehe mit einem getauften Nichtkatholiken schließt, dessen Recht keinen bedingten Eheabschluß zuläßt, so kommt diese Ehe nicht gültig zustande. Hierbei ist es gleichgültig, ob es sich bei dieser für den Nichtkatholiken geltenden Rechtsordnung um die einer Kirche bzw. kirchlichen Gemeinschaft handelt, oder um eine andere (staatliche), an die der Nichtkatholik gebunden ist (c. 780 § 2, 1 und 2). Letzteres wäre u.a. bei den Protestanten gegeben, die für die Eingehung ihrer Ehen grundsätzlich das im Territorium geltende staatliche Recht als verbindlich betrachten.- Dasselbe müßte als interreligiöse Regelung aber auch bei Eheschließungen mit Ungetauften gelten, wenn das für diese maßgebliche Recht einen bedingten Eheabschluß unter Nichtigkeitssanktion ausschließt32 . 32 Das deutsche wie das österreichische Eherecht lassen eine Eheschließung unter Bedingung nicht zu. Vgl. deutsches EheG § 13,2 i.V.m. § 17, 1; österr. EheG § 17,

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b) Interkonfessionelle Probleme im CCEO In den ce. 780 f. CCEO werden erstmals Ansätze eines interkonfessionellen Rechts geboten. Nach einer grundsätzlichen Feststellung, daß die Ehe von Katholiken, auch wenn nur ein Teil katholisch ist, neben dem göttlichen auch dem kanonischen Recht unterliegt (c. 780 § 1), wird in § 2 als zusätzlich, ja konkurrierend anzuwendendes Recht auf das Eigenrecht (ius proprium) der nichtkatholischen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft verwiesen, sofern diese eigenes Recht ausgebildet hat. Ist dies nicht der Fall, dann wird jenes Recht als verbindlich erklärt, dem der nichtkatholische Teil untersteht (" tenetur")33 . C. 780 CCEO ist, ohne daß dies ausdrücklich gesagt wird, ganz sicher "ritusübergreifend " , d.h. er gilt nicht nur für das Verhältnis der unierten und 2 i.V.m. § 21. Die Abgabe der ehelichen Willenserklärung unter einer Bedingung macht nach herrschender Lehre die Ehe nichtig. Vgl. U. Diederichsen, Ehegesetz, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Beck' sche Kurzkommentare, Bd. 7, München 49 1990, 2524; H. Koziol/R. WeLser, Grundriß des bürgerlichen Rechts 11, Wien 91991,187. 33 Hier wird, ebenso wie in c. 781, 2 hinsichtlich der Formpflicht, zum Ausdruck gebracht, daß für die Mitglieder kirchlicher Gemeinschaften, sofern diese kein eigenes Eherecht haben, das im jeweiligen Territorium geltende (staatliche) Recht verbindlich ist. Damit rückt der CCEO deutlich von der Position der SRR ab, derzufolge die im katholischen Kirchenrecht enthaltene Freistellung getaufter Nichtkatholiken von Bestimmungen dieser Rechtsordnung (Formpflicht) keinesfalls eine Bindung dieser Nichtkatholiken an das im Territorium geltende staatliche Recht zur Folge habe. SRR 29. 10. 1968 coram Anne, in: DecSRR 60,703. Bereits vor Inkrafttreten des CCEO hat Prader die Frage aufgeworfen, wie angesichts der grundsätzlichen Beachtlichkeit des orthodoxen Eherechts (vgl. UR 16) in jenen Fällen vorzugehen sei, in denen ein orthodoxer Ehewerber von einem nur in der Rechtsordnung seiner Kirche bestehenden Ehehindernis keine Dispens erhält (z. B. Wiederheirat eines zum dritten Mal verwitweten Ehewerbers, oder Schwägerschaft in der geraden Linie). Es stelle sich die Frage, ob die katholische Kirche in solchen Fällen Dispens von einem Hindernis der fremden (nichtkatholischen) Rechtsordnung erteilen könne. J. Prader, Die Ehehindernisse in den Rechtsordnungen der orthodoxen Kirchen, in: AkKR 156 (1987) 61 f. - Angesichts der Formulierung von c. 780 CCEO kann die Dispensvollmacht der katholischen Kirche in diesem Fall nicht in Zweifel gezogen werden. Denn die konfessionell gemischte Ehe untersteht, was die persönliche Ehefähigkeit des nichtkatholischen Partners betrifft, nicht ausschließlich der Rechtsordnung von dessen eigener Kirche, sondern auch dem kanonischen Recht (c. 780 § 1), womit in diesem Zusammenhang nur das katholische Kirchenrecht gemeint sein kann. Der in c. 780 § 2 enthaltene Verweis auf die Beachtlichkeit der fremden (nichtkatholischen) Rechtsordnung ist nicht in eine das katholische Kirchenrecht ausschließende Form gekleidet, sondern bedeutet zusätzliche Beachtlichkeit der fremden Rechtsordnung.

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nichtunierten Orientalischen Kirchen, sondern auch gleichermaßen für die Lateinische Kirche. Damit ist nunmehr vom Gesetzgeber das ausgesprochen worden, was sich in der Lehre, wenngleich mit einem gewissen Zögern34 , bereits herausgebildet hatte, daß z.B. in bezug auf die Ehen von Protestanten, die (wie schon gesagt) kein eigenes kirchliches Eherecht ausgebildet haben, jenes Recht anzuwenden ist, das sie für sich als verbindlich erachten, d.h. staatliches Recht. Nach Maßgabe dieses Rechts ist die Gültigkeit der Ehen jener Nichtkatholiken zu beurteilen, die kein eigenes kirchliches Recht kennen (c. 781 § 1). Eine gesonderte Regelung wird in bezug auf die Fonnpflicht getroffen. Die Kirche, so heißt es, anerkennt die vorgeschriebene oder zugelassene Eheschließungsform jener Rechtsordnung, der die Ehewerber zur Zeit der Eheschließung unterworfen waren, allerdings nur unter zwei Voraussetzungen: 1) Es muß sich um eine in öffentlicher Form abgegebene Konsenserklärung handeln; 2) wenn zumindest ein Eheteil einer nichtkatholischen orientalischen Kirche angehört, muß die Ehe mit einem "ritus sacer" abgeschlossen worden sein (c. 781). Was die zuletzt genannte Bedingung betrifft, so wird hier nur auf die schon mehrfach erwähnte diesbezügliche Grundüberzeugung der Orientalen von der Notwendigkeit der priesterlichen Segnung abgestellt. Allerdings bereitet sie gewisse Schwierigkeiten, d.h. der Hinweis auf die absolute Notwendigkeit der priesterlichen Segnung ist in der vorliegenden Fassung naturrechtswidrig und steht überdies mit einem in beiden Kodifikationen verankerten Grundrecht auf Sakramentenempfang in Widerspruch (c. 213 CIC/1983; c. 16 CCEO). Das im Naturrecht gründende Recht auf Eheschließung kann nicht schlechterdings davon abhängig gemacht werden, ob die Ehe gesegnet wurde oder nicht. Die Bestimmungen der beiden Codices (c. 1116 CIC/1983; c. 832 CCEO) über die Noteheschließung vor zwei Zeugen sind kodifiziertes Naturrecht und gelten insoweit auch für Ehen nichtkatholischer orientalischer Christen. Und dies selbst dann, wenn das Eigenrecht der nichtkatholischen Kirche 34 So vertrat Prader zunächst die Auffassung, die Protestanten könnten, da sie kein eigenes (gesatztes) kirchliches Eherecht kennen, eigenes Gewohnheitsrecht ausbilden. J. Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis, Bozen 1983, 46 f. An anderer Stelle kommt er allerdings zu dem Ergebnis einer unmittelbaren Anwendbarkeit staatlichen Eherechts für die Ehen der Protestanten. J. Prader, Interrituelle, interkonfessionelle und interreligiöse Probleme im Eherecht des neuen CIC, in: AkKR 152 (1983) 449.

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oder kirchlichen Gemeinschaft keine diesbezüglichen Bestimmungen enthielte35 . Somit muß also c. 781 teleologisch reduziert werden, dh bei.der hier angeführten Regelung ist im Sinne der Grundsatzentscheidung der SignAp vom 28. 11. 197036 zu differenzieren: Das Fehlen der priesterlichen Segnung führt auch bei Ehen Orthodoxer dann nicht zur Ungültigkeit der Ehe, wenn die Voraussetzungen für eine Noteheschließung gegeben waren37 . Problematisch ist m.E. auch die erste der angeführten Bedingungen, daß die Ehe von (getauften) Nichtkatholiken nur dann anerkannt wird, wenn diese in öffentlicher Fonn geschlossen worden ist. Man mag diese Bestimmung vom Gesichtspunkt der Rechtssicherheit her begrüßen, und sie trägt sicherlich in erheblichem Maß zur leichteren Judiziabilität auftauchender Fragen bei. Auf der anderen Seite kann aber nicht übersehen werden, daß der kirchliche Gesetzgeber damit einem Grundsatz der ce. 1490 CCEO und 11 CIC/1983 widerspricht, demzufolge die rein kirchlichen Gesetze ("leges mere ecclesiasticae") nur für die in der katholischen Kirche Getauften oder zu ihr Konvertierten, mithin die Katholiken, Geltung haben. Die Formpflicht ist ein rein kirchliches Gesetz. Die Bestimmung, daß nur die in (irgendeiner) öffentlichen Form geschlossenen Ehen getaufter Nichtkatholiken anerkannt werden, stellt genau genommen einen Eingriff in eine fremde, d.h. nichtkatholische Rechtsordnung dar, derzufolge es (vielleicht) eine gültige Eheschließung ohne öffentliche Form, ähnlich dem früheren matrimonium clandestinum gibt38 . 35 Über die sehr unterschiedlichen Auffassungen der orthodoxen Kirchen zu dieser Frage vgl. Coussa, Epitome (Anm. 22) 227-240; J. Zhishman, Das Eherecht der orientalischen Kirche, Wien 1864, 161 f. 36 Vgl. Anm. 26. 37 Das Urteil der SignAp enthält hinsichtlich der Behandlung künftiger Fälle folgende Richtlinien: "Quoad autem applicationem huius decisionis ad singltlos casus, perpendendae sunt uniuscuiusque casus circumstantiae, praesertim an ... defectus benediclionis sacerdotis Iribuendus sit impossibilitati sacerdolem inveniendi" Ochoa, Leges (Anm. 26) IV, 3924. - Denselben Standpunkt vertritt die SignAp in einer späteren Entscheidung (23. 11. 1974 coram Staffa), daß nämlich das Fehlen der priesterlichen Einsegnung bei der Eheschließung eines nichtunierten Orientalen dann keinen Einfluß auf die Gültigkeit der Ehe habe, wenn die Beiziehung eines Priesters unmöglich oder zumindest schwierig sei. Ochoa V, Nr. 4334, Sp. 6895. 38 Hier könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die in c. 781,2 CCEO festgelegte Bindung nichtkatholischer Christen an eine öffentliche Eheschließungsform als Interpretationshilfe für die aufgrund von c. 1117 CIC/1983 entstandene Situation dienen kann: Der durch formalen Akt von der katholischen Kirche Abgefallene ist nicht mehr an die kanonische Eheschließungsform gebunden, wenn er mit einem ebenfalls nicht Formpflichtigen eine Ehe eingeht. Für diesen Abgefallenen stellt sich nun die

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Gegen die beiden in c. 781, 2 enthaltenen Vorbehalte bei den Verweisen auf die fremde (nichtkatholische) Rechtsordnung müssen also Bedenken angemeldet werden.

111. Ergebnisse und Ausblick

1. Wichtige Klärungen Der CCEO hat in elmgen Fragen des interrituellen Verkehrsrechts wie auch des interkonfessionellen Rechts Klärungen gebracht. Diese betreffen nicht nur die Rechtsbeziehungen der orientalischen Ecclesiae sui iuris untereinander, sondern auch zwischen diesen und der Lateinischen Kirche, sowie Im Verhältnis zu nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften.

2. Offene Fragen Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß in nicht wenigen Fragen der Gesetzgeber eine Antwort schuldig geblieben ist. Dies muß nicht unbedingt (nur) als Nachteil empfunden werden, da ja auch das kanonistische Heil nicht ausschließlich von einer möglichst umfassenden Gesetzgebung abhängig ist. Insbesondere der orientalischen Rechtsauffassung mag es (mehr als der lateinischen) entsprechen, derartige Fragen nicht einseitig im Wege der abstrakten Gesetzgebung zu lösen, sondern auf die Entwicklung einer lebendigen Rechtstradition zu setzen, bei der Lehre und Rechtsprechung ihren legitimen Platz haben. In diesem Zusammenhang darf darauf verwiesen werden, daß der Frage, ob er aufgrund der durch c. 1117 verfügten Befreiung von der kodikarischen Formpflicht an eine andere (öffentliche) Form der Eheschließung gebunden ist oder ob nicht für ihn der bloße Konsensaustausch genügt. Dies würde im Ergebnis zur Folge haben, daß die klandestin geschlossene Ehe Gültigkeit hat. Vgl. dazu B. Primetshofer, Die kanonistische Bewertung der Zivilehe, in: AkKR 155 (1986) 418 f. Zu demselben Ergebnis scheint Arza Arteaga zu kommen, wenn er hinsichtlich der Eheschließungsform des in Rede stehenden Personenkreises die Feststellung trifft: "... los bautizados en la 19lesia, que la hayan abandonados por acto formal, pueden contraer vtilidamente matrimonio en otra forma y esta validez la reconoce y acepta la 19lesia". A. Arza Arteaga, Bautizados en la Iglesia cat6lica no obligados a la forma can6nica deI matrimonio: problemas que presenta, in: The New Code of Canon Law. Proceedings ofthe Fifth International Congress ofCanon Law (1984), Ottawa 1986, 11, 922.

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CCEO (c.1501) anders als der CIC/1983 auch der partikularen Rechtsprechung einen Stellenwert bei der Schließung von Gesetzeslücken zuweist39 . Auf der anderen Seite ist der in diese Fragenbereiche ebenso involvierte Lateiner gewohnt, daß offenkundige Gesetzeslücken im Wege der Gesetzgebung und/oder authentischen Interpretation geschlossen werden. Daß dafür die von Lehre und Rechtsprechung vorgelegten Ergebnisse wichtige Anhaltspunkte bieten, braucht nicht eigens betont zu werden. Auf längere Sicht wird sich im Zusammenhang mit Fragen des "interrituellen Verkehrsrechts" die Schaffung eines Normengefüges als zweckmäßig erweisen, das in etwa jene Funktion haben könnte, die im Bereich des staatlichen Rechts dem Internationalen Privatrecht40 zukommt. Inhaltlich müßte dieser Rechtsbereich aber nicht nur interrituelle, sondern gleichermaßen interkonfessionelle und interreligiöse Fragen behandeln.

39 Demgegenüber läßt die Parallelbestimmung des c. 19 CIC/1983 (vgl. c. 20 CIC/1917) als Mittel der Lückenschließung nur die Rechtsauffassung und Rechtspraxis (iurisprudentia et praxis) der Römischen Kurie zu. 40 Die Analogie zum Internationalen Privatrecht (IPR) hat selbstverständlich ihre Grenzen. So ist z. B. das Internationale Privatrecht nicht wirklich internationales, d. h. überstaatliches, sondern immer einzel-(inner-)staatliches Recht, für das man besser den im anglo-amerikanischen Rechtsbereich gebräuchlichen Ausdruck "Law of the Conflict of Laws" verwenden sollte. Vgl. M. Schwimann, Grundriß des Internationalen Privatrechts. Manz'sche Kurzlehrbuch-Reihe 11, Wien 1982, 2 f. - Kirchliches "Internationales Privatrecht" (Kollisionsnormen) könnte aber nur vom gesamtkirchlichen Gesetzgeber erlassen werden, wobei an sich (zumindest) zwei Modelle denkbar wären: Ein in die eine oder die andere universalkirchliche Kodifikation (CIC/1983 oder CCEO) inseriertes Normengefüge oder ein Sondergesetz, das allgemeine Kollisionsgrundsätze enthält.

Zur pro-episkopalen Tendenz des neuen Kirchenrechts 1. Einleitung In der Zeit zwischen dem II. Vatikanischen Konzil und der Promulgation des CIC/1983 hat H. Schmitz gelegentlich einer Analyse der Gesetzgebung mehrere Trends des nachkonziliares Kirchenrechts festgestellt, u. a. dessen pro-episkopale Tendenz 1. Die "Aufwertung des Bischofsamtes" finde insbesondere in der Fundamentalnorm von der Wiederherstellung der ursprünglichen Bischofsrechte (Christus Dominus 8) ihren markanten Ausdruck2 • Daß der CIC diese Tendenzen übernommen hat, war angesichts der weitgehenden Orientierung des Gesetzbuches an den Aussagen des 11. Vatikanischen Konzils3 zu erwarten4 . Im Vorderung dieser Aufwertung stehen der Diözesanbischof und die ihm kraft Amtes zustehenden Befugnisse. Der aus Christus Dominus 8b stammende Grundsatz des c. 87 § 1 CIC/1983, wonach der Diözesanbischof die Gläubigen, sofern dies nach seinem Urteil zu deren geistlichem Wohl beiträgt, von allgemeinen und partikularen Disziplinargesetzen dispensieren kann, hat nicht eine weitreichende faktische Änderung in bezug auf die bischöfliche Diözesanbefugnisse mit sich gebracht, sondern (lediglich) eine aus neu gewonnenen theologischen und ekklesiologischen Einsichten abgeleitete juristische Änderung. Hiefür ist die prägnante Formel von einer Umkehrung des den c. 81 CICI1917 beherrschenden Konzessionssystems (Dispens von allgemeinen Kirchengesetzen kann nur erteilt werden, wenn diese Vollmacht ausdrücklich oder einschlußweise zugewiesen wurde) zum Reservationssystem (der Diözesanbischof kann von allen disziplinaren Kirchengesetzen kraft Amtes dispensieren, sofern nicht ein Vorbehalt zugun-

I H. Schmitz, Tendenzen nachkonziliarer Gesetzgebung, in: AkKR 146 (1977) 381-419; insb. 384-396. 2 Schmitz, ebd. 385. 3 Papst Johannes Paul 11. bezeichnete in einer Ansprache vom 9. 12. 1983 den CIC/1983 als "ultimo documento conciliare". Vgl. Communicat 15 (1983) 128. 4 Schmitz, Der Codex luris Canonici von 1983, in: J. Listl/H. Müller/H. Schmitz, HdbKathKR, 50.

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sten des Hl. Stuhles besteht) gefunden worden5 . - Beinahme noch auffallender ist indes die Verbesserung der Rechtsstellung der übrigen Träger bischöflicher Weihegewalt (Titularbischöfe); sie haben eine ganze Reihe von Rechten erlangt, die sie bisher nicht innehatten. Für den Bereich der Diözesankurie ist z. B. festgelegt, daß der Titularbischof (Bischofskoadjutor oder Auxiliarbischof) auf jeden Fall mit bestimmten jurisdiktionellen Befugnissen ausgestattet werden muß: Der Diözesanbischof muß den Bischofskoadjutor sowie den mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Auxiliarbischof zum Generalvikar ernennen; darüber hinaus hat ihm der Diözesanbischof vor allen anderen das zu übertragen, was ein Spezialmandat erfordert (c. 406 § 1). Auch der mit keinen besonderen Vollmachten ausgestattete Auxiliarbischof ist zum Generalvikar oder wenigstens zum Bischofsvikar zu ernennen (ebd. § 2)6. Jeder in der Diözese tätige Titularbischof muß also einen bestimmten Aufgabenbereich in der diözesanen Verwaltung (Generalvikar oder Bischofsvikar) erhalten, was bei einer größeren Anzahl von "Weihbischöfen" in einer Diözese mitunter schon zur Schaffung von Aufgabenbereichen geführt hat, bei denen man nunmehr, von der Gewichtigkeit dieser AufgabensteIlung her, mit Recht die Frage aufwerfen kann, ob es dazu eines Amtsträgers mit bischöflicher Weihegewalt bedarf. An zwei markanten Punkten soll die gegenüber dem bisherigen Recht erheblich verbesserte Rechtsstellung der Titularbischöfe aufgezeigt und deren Berechtigung untersucht werden.

2. Das Teilnahmerecht am Ökumenischen Konzil Im Zusammenhang mit den bischöflichen Teilnehmern am Ökumenischen Konzil hat sich ein bedeutsamer Wandel zwischen dem CIC/1917 und dem von 1983 vollzogen. C. 223 § 1 CIC/1917 faßte die Residentialbischöfe, auch wenn sie noch nicht die Bischofsweihe empfangen haben sollten7 , als ordentliche Konzilsteilnehmer ins Auge. In bezug auf das Teilnahmerecht waren den 5 H. Müller, Zum Verhältnis zwischen Bischofskonferenz und Diözesanbischof, in: H. Müller/H. J. Pottmeyer (Hrsg.), Die Bischofskonferenz. Theologischer und juridischer Status. Düsseldorf 1989,246. 6 J. Lisll, Koadjutor- und Auxiliarbischöfe, in: HdbKathKR, 348-352. 7 Auf die Frage, ob der ernannte, aber noch nicht geweihte Diözesanbischof bereits von seiner Diözese Besitz ergriffen hatte oder nicht, wird im CIC/1917 nicht Bezug genommen. Demzufolge war ein Bischof, der noch nicht von der Diözese Besitz ergriffen hatte und somit noch gar nicht Träger der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt war (vgl. c. 334 CIC/1917), Mitglied des Ökumenischen Konzils.

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Residentialbischöfen gleichgestellt die Gefreiten Äbte und Prälaten (c. 223 § 1, 3), wobei der Frage, ob sie die Bischofsweihe empfangen hatten oder nicht, hier keinerlei Bedeutung beigemessen wurde. Die Titularbischöfe waren nicht automatisch Teilnehmer am Ökumenischen Konzil; sofern sie aber eingeladen wurden, stand ihnen - vorbehaltlich anderslautender Regelungen im Einberufungsdekret - auch entscheidendes Stimmrecht (suffragium deliberativum) zu (c. 223 § 2). Der CIC/1983 hat das Ökumenische Konzil ganz in den legistischen Kontext des Bischofskollegiums gestellt, was u. a. schon rein äußerlich daraus ersichtlich ist, daß, anders als im CIC/1917, in den Rubriken des CIC/1983 das Wort Ökumenisches Konzil überhaupt nicht mehr aufscheint. Die Aussagen über das Ökumenische Konzil sind zur Gänze in die Rubrik "De Collegio Episcoporum" (cc. 336-341) integriert. Wer durch Empfang der Bischofsweihe und die hierarchische Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Bischofskollegiums dessen Mitglied geworden ist (v gl. LG 22, 1), der hat damit zufolge c. 339 § 1 das Recht, am Ökumenischen Konzil mit entscheidender Stimme teilzunehmen. Damit ist der CIC/1983 über die vom 11. Vatikanischen Konzil gegebenen Anregungen hinausgegangen: Christus Dominus 4 hat bestimmt, daß "allen Bischöfen, die Glieder des Bischofskollegiums sind, das Recht zusteht, am Ökumenischen Konzil teilzunehmen". Hier wird nur vom Teilnahmerecht gesprochen, die Frage des Stimmrechts blieb zunächst offen 8 ; m. a. W., den Konzilsdokumenten ist nicht zu entnehmen, daß den Titularbischöfen in einer künftigen Gesetzgebung ordentliches Stimmrecht zuzugestehen ist9 . Es gibt keine den Inhalt von c. 339 § 1 in bezug auf die Titularbischöfe bereits vorwegnehmende Quelle vor dem CIC/1983. Die in der Quellenangabe des Gesetzbuches lO angeführten Belegstellen, nämlich c. 223 § 1, 2 und § 2 CIC/1917, sowie die Apostolische Konstitution Johannes' XXIII. "Humanae salutis" vom 25. 12. 1961 11 , womit das am 25. 1. 1959 angekündigte Ökumenische Konzil für das Jahr 1962 einberufen wurde, enthalten nicht die in c. 339 § 1 festgelegten Aussagen. In der Konstitution heißt es u. a., daß alle Bischöfe, seien es nun Residential- oder Titularbischöfe, am Ökumenischen Konzil teilnehmen sollen. Über deren entscheidendes Stimmrecht wird nichts 8 K. Mörsdorf, Kommentar zum Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, in: LThK, Ergänzungsband 11: Das Zweite Vatikanische Konzil, 153 (zu Art. 4). 9 W Aymans, Das Synodale Element in der Kirchenverfassung. MThSt. III. Kan. Abt. Bd. 30, München 1970, 123. 10 Libreria Editrice Vaticana 1988. 11 AAS 54 (1961) 5-13; AkKR 123 (1961) 478-484.

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gesagt, da ohnedies c. 223 § 2 CIC/1917 dafür Vorsorge trifft, daß den Titularbischöfen, wenn sie eingeladen werden, auch entscheidendes Stimmrecht zukommt. Und c. 223 § 2 selbst enthält - wie schon erwähnt - nur ein bedingtes Stimmrecht für die Titularbischöfe, d. h. sie haben dieses, sofern sie eingeladen werden und im Einladungsdekret nichts Gegenteiliges festgelegt ist. Das nunmehr rechtlich fixierte Teilnahme- und Stimmrecht sämtlicher Residential- und Titularbischöfe wird in Hinkunft die praktische Handhabung eines Ökumenischen Konzils vor kaum lösbare Probleme stellen l2 . Denn die Zahl der Bischöfe hat sich in den rund 30 Jahren seit dem 11. Vatikanischen Konzil verdoppelt l3 und wird u. a. zusätzlich durch die wachsende Zahl der im Ruhestand befindlichen Bischöfe vermehrt. Es ist daher schon der Vorschlag unterbreitet worden, das Ökumenische Konzil solle sich nicht mehr aus allen Mitgliedern des Bischofskollegiums, sondern nur mehr aus repräsentativen Vertretern des Gesamtepiskopats zusammensetzen 14. Insbesondere wird man einem solchen Vorschlag in bezug auf die gegenüber den residierenden Diözesanbischöfen in der Mehrzahl befindlichen Titularbischöfe nähertreten können (und vielleicht müssen), da ja die Mitgliedschaft im Bischofskollegium noch keineswegs eine Gleichheit der daraus sich für die Mitglieder ergebenden Rechte mit sich bringt l5 . Die Einbeziehung des Ökumenischen Konzils in das Bischofskollegium hat zu einer Reihe von Konsequenzen in bezug auf die nach dem Recht des CIC/1917 Teilnahmeberechtigten geführt. Zunächst sind die Kardinäle nicht mehr kraft ihrer Ernennung teilnahmeberechtigt. Dies erscheint insofern verständlich, als seit dem Pontifikat Johannes' XXIII.16 die Kardinäle die Bischofsweihe empfangen müssen (c. 351 § 1) und somit dem Bischofskollegium zuzuzählen sind. Dessenungeachtet gab und gibt es auch der neuen Rechtslage zufolge Kardinäle, die nicht die Bischofsweihe empfangen haben 17 und die damit nicht Mitglieder des Ökumenischen Konzils sind.

12 Aymans, Synodales Element (Anm. 9) 132.

13 Laut "Annuarium Statisticum Ecclesiae" (Typis Polyglottis Vaticanis, 1988) gab es 1988 insgesamt 4126 Bischöfe, die alle das Teilnahmerecht am Ökumenischen Konzil haben. 14 H. Pissarek-Hudelist, Das ordentliche Lehramt als kollegialer Akt des Bischofskollegiums, in: Gott in Welt, 11, 182. 15 Aymans, Synodales Element (Anm. 9) 118. 16 Motu proprio ''Cum gravissima" 15.4. 1962, in: AAS 54 (1962) 256-258. 17 Gegenwärtig Henri de Lubac und Pietro Pavan.

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Der gegenwärtige Codex erwähnt unter den Konzilsteilnehmern auch nicht mehr die zwar ernannten, aber noch nicht geweihten Patriarchen, Primasse, Erzbischöfe und Bischöfe. Auch dies ist ein unmittelbarer Ausfluß der Gleichsetzung von Bischofskollegium und Ökumenischem Konzil. Besonders aber fällt die Tatsache ins Gewicht, daß die Teilkirchen als solche (vgl. c. 368) bzw. deren Vorsteher und Repräsentanten beim Teilnahmerecht am Konzil völlig übergangen werden. Gewiß könnte man sagen, der CIC/1917 habe ein Teilnahmerecht nur für die Gefreiten Äbte und Prälaten, nicht aber für die sonstigen nichtbischöflichen Vorsteher von Teilkirchen festgelegt (vgl. c. 223 § 1, 3 CIC/1917); der CIC/1983 habe nun schlechterdings sämtliche nichtbischöfliche Vorsteher von Teilkirehen ausgeschlossen. Demgegenüber ist aber auf den geänderten Stellenwert der Teilkirehe in der Ekklesiologie des 11. Vatikanischen Konzils und auch des CIC/1983 zu verweisen. Wenn von den Teilkirchen gesagt wird, daß aus ihnen und in ihnen die einzige katholische Kirche besteht (vgl. LG 23; c. 368), dann ist es einfachhin unverständlich, daß das Teilnahmerecht des Vorstehers einer nichtdiözesanen Teilkirche davon abhängig ist, ob er die Bischofsweihe empfangen hat. Auf diese Weise wird nicht die Rechtsstellung als Repräsentant der Teilkirche berücksichtigt, sondern einzig und allein die Eingliederung in das Bischofskollegium. Ein gravierender Unterschied zwischen den Teilnahmeberechtigten nach dem CIC/1917 und dem von 1983 besteht ferner hinsichtlich der Ordensoberen. Zufolge c. 223 § 1, 4 besaßen der Abtprimas, die äbtlichen Vorsteher von monastischen und kanonikalen Kongregationen (Abtpräsides) und die Generaloberen exemter Klerikerverbände Sitz und Stimme auf dem Ökumenischen Konzil. Sie alle sind nunmehr kraft allgemeinen Rechts (c. 339 § 1) nicht mehr Mitglieder des Ökumenischen Konzils. Zwar legt § 2 des zitierten Canons fest, daß zum Ökumenischen Konzil auch "einige andere, die nicht Bischöfe sind" von der höchsten Autorität der Kirche, d. h. vom Papst, berufen werden können, und daß deren Rechtsstellung von eben dieser Autorität im Konzil näher zu bestimmen sei; es ist jedoch völlig offen, ob und gegebenenfalls in weIcher rechtlichen Lage (votum deliberativum oder nur votum consultivum) diese nichtbischöflichen Teilnehmer sein werden. Gegen diese Einschränkung des Teilnahmerechts am Ökumenischen Konzil ist wiederholt Stellung bezogen worden. So tritt Mörsdorf nachhaltig für eine Beteiligung der Vertreter klösterlicher Verbände ein, weil diese "vor allem im Missionsbereich, eine so vorherrschende Rolle spielen, daß ohne sie eine echte Repräsentation der Kirche nicht denkbar ist" 18. Unter diesem Gesichts18 MörsdorJ, Kommentar (Anm. 8) 154. 21 Primetshofer

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punkt der mangelnden Präsenz der missionierenden Kirche ist noch zu ergänzen, daß nicht nur missionarische Ordensgemeinschaften, sondern - wie schon erwähnt - ganze in Missionsgebieten tätige Teilkirchen, nämlich die Apostolischen Vikariate und Präfekturen, nicht am Ökumenischen Konzil vertreten sind, sofern deren Vorsteher nicht die Bischofsweihe hat l9 . Auch Gutierrez hält das ausschließliche Teilnahmerecht von Bischöfen auf dem Ökumenischen Konzil für bedenklich20 . Die Gleichsetzung von Bischofskollegium und Ökumenischem Konzil bedeutet eine ideologisch befrachtete Engführung, die - abgesehen von der bereits erwähnten praktischen Unmöglichkeit der Handhabung einer derartig überdimensionalen Versammlung - auch einen Bruch mit der historischen Kontinuität darstellt. Denn Ökumenische Konzilien sind bisher stets unter Beteiligung nichtbischöflicher Kleriker abgehalten worden, die mit Sitz und Stimme ausgestattet waren21 . Der CIC/1917 übernimmt somit in c. 223 nur eine seit Jahrhunderten bestehende Tradition22 . Der Text von c. 339 § 1 im Codex von 1983, wonach alle und nur die Bischöfe Teilnehmer am Ökumenischen Konzil sind, stammt aus dem Entwurf zur Lex ecclesiae fundamentalis. Die CIC-Kommission hat sich bereits in ihrer Sitzung vom 17. - 21. 3. 1975 mit der Aussage des (damaligen) c. 37 der genannten Lex beschäftigt. Gegen die darin enthaltene Einschränkung des Stimmrechts auf die Bischöfe hat sich einer der Konsultoren insbesondere mit dem Hinweis auf die nichtbischöflichen Vorsteher von Teilkirchen gewandt, wobei er sogar die Praxis des 11. Vatikanischen Konzils selbst ins Treffen führte, das die Vorsteher nichtdiözesaner Teilkirchen (exemplifikativ werden die Apostolische Administratur und das Apostolische Vikariat genannt) unter die Teilnehmer mit entscheidendem Stimmrecht zählte. Ihm wurde von einem anderen Mitglied der Kommission entgegengehalten, daß diese Auffassung 19 Dies ist allerdings bei den Apostolischen Vikaren häufig der Fall. 20 A. Gutierrez, Canones circa Instituta vitae consecratae et societates vitae apostolicae extra partem eorum propriam, in: CRM 65 (1984) 8, Anm. 2. Gutierrez betrachtet c. 339 § 1 CIC/1983 als eine Aussage zugunsten der These von der ausschließlich sakramentalen Quelle aller kirchlichen Gewalt. Diese These könne aber angesichts der "Nota explicativa praevia" zu LG und der darin getroffenen Unterscheidung zwischen "munus" und "potestas" nicht mehr aufrechterhalten werden. Inwieweit diese von Gutierrez gegebene Begründung stichhaltig ist, mag dahingestellt bleiben. 21 W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts. Wien 2II , 1962, 120. 22 Vgl. R. Weigand, Teilnehmer an Ökumenischen Konzilien in der Geschichte und im CIC, Manuskript eines beim VII. Internationalen Kanonistischen Kongreß in Paris 1990 gehaltenen Vortrags.

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einen Rückschritt hinter die Lehre des 11. Vatikanischen Konzils über das Bischofskollegium bedeute. Denn nur die geweihten Bischöfe seien Mitglieder des Bischofskollegiums und nur dieses könne einen kollegialen Akt in der Form des Ökumenischen Konzils setzen23 . Darauf ist zu erwidern, daß sich die absolute Gleichsetzung von Bischofskollegium mit Ökumenischem Konzil keinesfalls zwingend aus den Aussagen des 11. Vatikanischen Konzils ergibt. Und der CIC/1983 selbst führt diese Gleichsetzung ebenfalls nicht durch, weil er in c. 339 § 2 festlegt, daß es nichtbischöfliche Teilnehmer am Ökumenischen Konzil geben kann, denen auch entscheidendes Stimmrecht zukommt. In bezug auf die Ordensgemeinschaften und deren Teilnahmerecht am Ökumenischen Konzil ist daran zu erinnern, daß die Institute des geweihten Lebens zwar nicht Teil der hierarchischen Struktur der Kirche sind, daß sie aber gleichwohl "unerschütterlich zu ihrem Leben und zu ihrer Heiligkeit gehören"24. Das Erfahrungspotential der Generaloberen von Ordensgemeinschaften ist für die Effizienz des Ökumenischen Konzils wichtiger als die Präsenz sämtlicher Titularbischöfe. Ein Teilnahmerecht bestimmter, vielleicht nicht ausschließlich nur klerikaler25 Generaloberen wäre unbedingt festzulegen. Hin23 Communicat 9 (1977) 88. 24 LG 44; c. 574 § 1 CIC/1983. 25 Es wäre zu fragen, ob das Teilnahmerecht am Ökumenischen Konzil auf die in c. 223 § 1, 4 CIC/1917 angeführten Oberen klerikaler Institute beschränkt bleiben müßte. Der CIC/1917 hat m. E. das Teilnahmerecht am Ökumenischen Konzil deswegen auf die Oberen exemter klerikaler Institute eingeschränkt, weil zufolge c. 501 § 1 nur diese kirchliche Jurisdiktionsgewalt hatten, während allen übrigen Oberen Dominatillgewalt zukam. - Der CIC/1983 verwendet den Ausdruck Dominativgewalt nicht mehr, sondern bestimmt in c. 596 § 1, daß sämtliche Oberen und Kapitel "die im allgemeinen Recht und in den Konstitutionen umschriebene Vollmacht" haben. In den klerikalen Ordensinstituten päpstlichen Rechts und in klerikalen Gesellschaften päpstlichen Rechts (c. 732) besitzen Obere und Kapitel überdies kirchliche Leitungs(Jurisdiktions-)gewalt für den äußeren wie für den inneren Bereich (c. 596 § 2). Hinsichtlich der Rechtsnatur der in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt besteht eine bis heute nicht gelöste Kontroverse. Während auf der einen Seite in dieser nicht näher bezeichneten Gewalt ein Fortleben der früheren Dominatillgewalt erblickt wird (so z. B. R. Henseler, Ordensrecht. Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Essen 1987, 81-83; R. Sebott, Das neue Ordensrecht, Kevelaer 1988, 26; B. Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983. Freiburg/Br. 31988,39, mehren sich auf der anderen Seite die Stimmen derer, die in der in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt Jurisdiktionsgewalt, und zwar in der Form der potestas

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gegen ist das im CIC/1917 ausschlaggebende Unterscheidungskriterium, nämlich die Exemtion, nicht mehr heranzuziehen, da der Exemtionsbegriff im Ordensrecht des CIC/1983 einen grundlegenden Bedeutungswandel erfahren hat26 . 3. Die Bischöfe auf den Partikularkonzilien Ebenso wie der CIC/1917 sieht der CIC/1983 zwei Formen von Partikularkonzilien mit kollegialer Gesetzgebungskompetenz vor, nämlich das Plenar- und das Provinzialkonzil. Ersteres erstreckt sich auf Teilkirchen ein und derselben Bischofskonferenz (c. 439 § 1), letzteres auf die verschiedenen Teilkirchen ein und derselben Kirchenprovinz (c. 440 § 1). Die Diözesansynode ist hier nicht anzuführen, da es bei dieser keine kollegiale Gesetzgebungsbefugnis gibt, sondern nach wie vor ist der Bischof persönlich alleiniger Gesetzgeber, alle übrigen Teilnehmer haben nur beratende Stimme (c. 367 CIC/1917; c. 466 CIC/1983). Zu den Partikularkonzilien sind mit entscheidendem Stimmrecht einzuladen: die Diözesanbischöfe, die Bischofskoadjutoren und Auxiliarbischöfe, andere Titularbischöfe, die in dem Gebiet ein besonderes vom Apostolischen iurisdictionis administrativae (executivae) erblicken und somit einen Anwendungsfall von c. 129 § 2 gegeben sehen, d. h. hier komme auch Laienoberen kirchliche Leitungsgewalt zu. Vg!. Gutierrez, Canones (Anm. 20), CRM 64 (1983) 89; dens., Potesta dominativa, in: Dizionario degli Istituti di perfezione, vo!. VII, co!. 149 f.; F. lannone, Potesta dei Capitulo generale, in: CRM 68 (1987) 229; J. Beyer, Die Vollmacht in der Kirche, in FS H. Schwendenwein, Graz/Wien/Köln 1986, 288; E. McDonough, The potestas of canon 596, in: Antonianum 63 (1988) 605 f.; A. Boni, Gli Istituti religiosi e la loro potesta di governo (c. 607/c. 596), Spicilegium Pontificii Athenaei Antoniani, Romae 1989, 499. Auch die CIC-Kommission hat sich mit der Rechtsnatur der in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt befaßt. Communicat 11 (1979) 306 f. Da somit alle Oberen von Instituten des geweihten Lebens und von Gesellschaften des apostolischen Lebens Jurisdiktionsgewalt besitzen, bestünde unter diesem Gesichtspunkt kein Hindernis, den Generaloberen Sitz und Stimme auf dem Ökumenischen Konzil zu geben. 26 Der Begriff der Exemtion, wie er im CIC/1917 bestand, ist aus dem Ordensrecht des CIC/1983 verschwunden. An seine Stelle ist weitgehend die allen Instituten, wenn auch nicht im selben Umfang zukommende Autonomie ("iusta autonomia" c. 586 § 1) getreten. Das Wort Exemtion ist im neuen Ordensrecht des CICI1983 nur mehr in c. 591 zu fmden, wo es heißt, daß der Papst Institute des geweihten lebens der Leitung der Ortsordinarien entziehen und sich allein oder einer anderen kirchlichen Autorität unterstellen kann. Vg!. B. Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 25) 37.

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Stuhl oder von der Bischofskonferenz übertragenes Amt wahrnehmen. Ferner können auch andere in dem Gebiet wohnende Titularbischöfe, selbst wenn sie im Ruhestand sind, eingeladen werden und sie haben dann entscheidendes Stimmrecht (c. 443 §§ 1 u. 2). Alle übrigen, die entweder eingeladen werden müssen (c. 443 §§ 3 u. 5) bzw. können (ebd. § 4), besitzen samt und sonders nur beratendes Stimmrecht; Entscheidungsträger sind somit allein die bischöflichen Teilnehmer. Gegenüber dem Recht des CIC/1917 hat sich eine Verbesserung des Rechtsstatus der Titularbischöfe ergeben, da diese nunmehr auf jeden Fall Sitz und Stimme in den Partikularkonzilien haben, während sie gemäß c. 282 § 2 und 286 § 2 CIC/1917 zu den Konzilien gerufen werden konnten und dann entscheidendes Stimmrecht hatten, sofern nicht bei ihrer Einberufung etwas anderes ausdrücklich gesagt wurde. Der Rechtslage des CI CI 1917 zufolge konnte also durchaus der Fall eintreten, daß Titularbischöfe überhaupt nicht zu den Partikularkonzilien gerufen wurden bzw., wenn sie gerufen wurden, nur mit beratendem Stimmrecht ausgestattet waren. Bei einem Vergleich zwischen den auf Partikularkonzilien und auf die Bischofskonferenz bezugnehmenden Aussagen des CIC/1983 fällt auf, daß c. 450 ausdrücklich neben den Diözesanbischöfen die diesen im Recht Gleichgestellten, d. h. die nichtbischöflichen Vorsteher von Teilkirchen als Mitglieder der Bischofskonferenz erwähnt, während man bei c. 443, d. h. bei der Aufzählung der Mitglieder von Partikularkonzilien, einen gleichlautenden Hinweis vermißt. Hier werden nur die Diözesanbischöfe als Teilnehmer angeführt, von den ihnen im Recht gleichgestellten Vorstehern von Teilkirchen ist nicht die Rede. Nun könnte man hier freilich auf die Generalklausel des c. 381 § 2 verweisen, wonach die Vorsteher von Teilkirchen dem Diözesanbischof im Recht gleichgestellt sind, wenn nicht aus der Natur der Sache oder aus einer Rechtsvorschrift etwas anderes hervorgeht. Demzufolge wären also die nichtbischöflichen Vorsteher von Teilkirchen, auch wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt werden, mit Sitz und Stimme bei den Partikularkonzilien ausgestattet. Zu dieser Schlußfolgerung wird man auch durch den Wortlaut der cc. 439 § 1 und 440 § 1 gedrängt. Denn bei der Beschreibung des Plenar- bzw. Provinzialkonzils wird ausdrücklich gesagt, daß es sich dabei um Versammlungen verschiedener Teilkirchen, nämlich entweder um die einer Bischofskonferenz oder die einer Kirchenprovinz handelt. Daraus muß jedenfalls geschlossen werden, daß die Vorsteher dieser Teilkirchen, auch wenn sie nicht Bischöfe sind, mit beschließender Stimme an den Partikularkonzilien teilnehmen27 .

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Vergleicht man die kodikarischen Bestimmungen über die Partikularkonzilien mit denen der Diözesansynode, so fällt hinsichtlich des Teilnehmerkreises ein Unterschied sofort auf: Während die Partikularkonzilien - wie bereits gesagt - als Entscheidungsträger nur die Bischöfe und die diesen im Recht Gleichgestellten kennen, weist die Diözesansynode des CIC/1983 gegenüber der des CIC/1917 bedeutende Akzentverlagerungen auf. Sie ist zwar

27 Auch Provost weist auf den Umstand hin, daß c. 443 § 1 nichtbischöfliche Vorsteher von Teilkirchen nicht zu den Teilnehmern der Partikularkonzilien zählt. Er glaubt allerdings aus der Tatsache, daß gemäß c. 441, 1 die Bischofskonferenz über die Abhaltung eines Plenarkonzils entscheidet, folgern zu können, daß sämtliche Mitglieder der Bischofskonferenz (darunter auch die nichtbischöflichen Vorsteher von Teilkirchen) automatisch über Sitz und Stimme auf dem Plenarkonzil verfügen. Eine echte Gesetzeslücke erblickt Provost hingegen hinsichtlich der Teilnehmer an Provinzialkonzilien, da hier nichtbischöfliche Vorsteher von Teilkirchen nicht genannt werden. J. H. Provost, in: J. A. Coriden/Th. J. Green/D. E. Heintschel (Hrsg.), The Code of Canon Law. A Text and Commentary. Commissioned by the Canon Law Society of America. New York, 1985, 360. - Es mag dahingestellt bleiben, wie weit die Gesetzeslücke sich tatsächlich erstreckt; sicher ist, daß sie mittels Gesetzesanalogie geschlossen werden muß (c. 19), so daß im Ergebnis das Teilnahmerecht nichtbischöflicher Vorsteher von Teilkirchen an Plenar- und Provinzialkonzilien feststeht. Diese Lösung wird auch durch cc. 439 § 1 und 440 § 1 nahegelegt, da in beiden Gesetzesstellen in bezug auf die Partikularkonzilien von Versammlungen der Teilkirchen gesprochen wird. Darunter sind auch nichtdiözesane Gebietskörperschaften zu subsumieren (c. 368). Interessanterweise geht auch das am 12. 1. 1988 von der Kongregation für die Bischöfe ausgesandte Arbeitspapier (Prot. Nr. 427/86) "Status theologicus et iuridicus conferentiarum episcopalium" (Instrumentum laboris) hinsichtlich des Teilnehmerkreises an Bischofskonferenzen und Partikularkonzilien von einer die Bestimmungen des CIC/1983 nur oberflächlich erfassenden Unterscheidung aus. In Nr. IV, 1 des theologischen Teils des Instrumentum laboris heißt es: "Die Bischofskonferenzen unterscheiden sich von den Partikularkonzilien (vgl. CD, 37 und CIC, c. 447 f.). Die Zugehörigkeit in den Konferenzen richtet sich vor allem nach der Zuständigkeit für die Seelsorge und Leitung (auch Prälaten ohne Bischofsweihe gehören ihr an), während die Zugehörigkeit bei den Partikularkonzilien klarer von der sakramentalen Ordnung bestimmt wird (mit vollem Recht sind alle Bischöfe der Region ihre Mitglieder)". - Daraus müßte gefolgert werden, daß nach Meinung des Arbeitspapiers nichtbischöfliche Vorsteher von Teilkirchen zwar Mitglieder der Bischofskonferenzen, nicht aber der Partikularkonzilien seien. Dagegen wendet sich zu Recht Schmitz, der insbesondere aus der durch c. 368 vorgenommenen grundsätzlichen Gleichstellung der Vorsteher nichtdiözesaner Teilkirchen mit den Diözesanbischöfen ein Teilnahmerecht jener an den Partikularkonzilien ableitet. H. Schmitz, Bischofskonferenz und Partikularkonzil. Rechtsinstitutionen unterschiedlicher Natur, Struktur und Funktion, in: H. Müller/H. J. Pottmeyer, Die Bischofskonferenz (Anm. 5) 179-184.

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auch nach dem CIC/1983 kein Gesetzgebungs-, sondern nur ein Beratungsorgan - alleiniger Gesetzgeber ist nach wie vor der Diözesanbischof (c. 362 CIC/1917; c. 466 CIC/1983) - hat aber aufgehört, eine reine Klerusversammlung zu sein. C. 463 § 1, 5 sieht die Beteiligung von Laien vor und erwähnt dabei auch die Mitglieder von Instituten des geweihten Lebens. Erstmalig ist damit auch die Möglichkeit einer Beteiligung von Frauen an Diözesansynoden im universalen Kirchenrecht festgelegt. Schließlich werden "einige Obere von Instituten des geweihten Lebens und von Gesellschaften des apostolischen Lebens, die eine Niederlassung in der Diözese haben", unter die Synodenteilnehmer gereiht, wobei die Art der Wahl und die Anzahl der zu Wählenden vom Diözesanbischof festzulegen ist (ebd. § 1, 9). Der kodikarische Gesetzgeber hat die seit dem 11. Vatikanischen Konzil eingetretene Rechtsentwicklung, die durch einen breitgestreuten Klerus und Laien gleichermaßen umfassenden Kreis von stimmberechtigten Mitgliedern von Diözesansynoden gekennzeichnet war, voll aufgegriffen28 . Es ist bedauerlich, daß der CIC/1983 in seinen Aussagen über die Zusammensetzung der Partikularsynoden und des dabei zustehenden Stimmrechts der nachkonziliaren Rechtsentwicklung und dem darin ausgedrückten Selbstverständnis der Kirche als einer Gemeinschaft von "fundamental Gleichen" (c. 208) auch nicht im entferntesten Rechnung trägt. Schon in bezug auf die an den Partikularkonzilien teilnehmenden Diözesanbischöfe ist mit Recht bemerkt worden, daß der Diözesanbischof zwar Hirt und Zeuge des Glaubens seiner Ortskirche sei und als solcher diese und das gesamte Gottesvolk seiner Kirche repräsentiere; er könne aber nicht einfachhin die übrigen Mitglieder des Volkes Gottes ersetzen. Denn die Erfüllung der einen Sendung Jesu Christi sei allen Gliedern des Gottesvolkes gemeinsam aufgetragen. Jedes Glied habe hierbei spezifische Dienste, die nicht schlechthin austauschbar sind, sondern gegenseitig respektiert und gegenseitig gefördert werden müssen. Erst im Zusammenwirken aller werde die eine Sendung Christi erfüllt29 . Erst recht kann gefragt werden, ob die nunmehr vorgesehene Teilnahme sämtlicher in dem Gebiet tätiger oder auch nur dort wohnender Titularbischöfe eine verbesserte Repräsentanz der Teilkirchen und ihrer Anliegen gebracht hat. Besonders augenscheinlich wird dies, wenn man bedenkt, daß Generalvikare und Bischofsvikare keinesfalls aufgrund ihres für die Teilkirchen bedeutsamen Aufgabenbereiches Stimmrecht auf den Partikularkonzilien haben, sondern nur dann, wenn sie die Bischofsweihe besitzen, also Titular28 Vgl. K. Hartell, Die Diözesan- und Regionalsynoden im deutschen Sprachraum nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Erfurter Theologische Studien, Bd. 40, Leipzig 1979, 89 und Anm. 453. 29 HaTtell, ebd. 90.

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bischöfe sind. Hier wird der sakramentalen Bischofsweihe eine ihr von der Sachlogik her keinesfalls innewohnende Bedeutung beigemessen. Gewiß haben Generalvikare und Bischofsvikare sowie eine Reihe anderer Kleriker und Laien beratendes Stimmrecht, das durchaus nicht gering zu veranschlagen ist. Aber es ist doch seltsam, daß der Inhaber des nach dem Diözesanbischof bedeutsamsten Amtes in der Teilkirche, nämlich der Generalvikar, der zusammen mit den Bischofsvikaren wohl einen erheblichen Teil der Beschlüsse von Partikularkonzilien in die Tat umsetzen muß, an deren Zustandekommen nur beratend mitwirken kann, während andererseits ein (mit Bischofsweihe ausgestatteter) Bischofsvikar mit begrenztem territoriellem oder kategoriellem Wirkungsbereich über sämtliche in den Kompetenzbereich der Teilkirchen fallende Angelegenheiten im Wege der Gesetzgebung mitentscheiden kann. Vollends tritt die Ungleichgewichtung aber hinsichtlich der im Ruhestand befindlichen Titularbischöfe und den (nicht mit der Bischofsweihe ausgestatteten) Generalvikaren und Bischofsvikaren zutage. Erstere haben, wenn sie eingeladen werden, kraft Gesetzes entscheidendes Stimmrecht, und dies obwohl sie in den Teilkirchen kaum mehr Entscheidungsträger sind. Letzteren könnte entscheidendes Stimmrecht nur im Wege einer Dispens von den Bestimmungen des c. 443 § 1, 2 gegeben werden, wobei eine solche Dispens dem Heiligen Stuhl vorbehalten ist, da es sich um kein von der Dispensbefugnis des Diözesanbischofs erfaßtes Disziplinargesetz (vgl. c. 87) handelt30 . Die Partikularkonzilien, die nach dem 11. Vatikanischen Konzil im deutschen Sprachraum, aber auch außerhalb desselben stattfanden bzw. die diesen in etwa gleichzuhaltenden synodalen Beschlußfassungsgremien unterscheiden sich vom Modell des CIC/1917 grundlegend dadurch, daß Bischöfe, Priester und Laien (Männer wie Frauen) stimmberechtigte Mitglieder sind. Im einzelnen ist hinsichtlich des Verbindlichkeitsgrades von Beschlüssen dieser Partikularsynoden ein Unterschied festzustellen. Während die DDR-Synode, der Österreichische Synodale Vorgang und die Gesamtschweizerische Synodalversammlung sich als reine Beratungsgremien für die jeweilige Bischofskonferenz verstehen -, die Beschlüsse dieser Synodenversammlung gelten als Anträge bzw. Empfehlungen an die Bischofskonferenz bzw. deren Mitglieder als Ortsordinarien31 - nimmt die Gemeinsame Synode der Bistümer der BRD eine 30 Für die nach dem 11. Vatikanischen Konzil und vor Inkrafttreten des CIC/1983 abgehaltenen Partikularkonzilien wurde ebenso wie für die Diözesansynoden (vgl. Anm. 28) vom Hl. Stuhl großzügig Dispens von den Bestimmungen des CIC/1917 hinsichtlich des mit Sitz und Stimme ausgestatteten Teilnehmerkreises gewährt. Hartelt, ebd. 91-93. 31 Hartelt, ebd. 146. Der österreichische Synodale Vorgang (1974), bei dem Bischöfe, Priester und Laien mit Sitz und Stimme ausgestattet waren, verlangte für die Annahme einer Vorlage in der Schlußabstimmung eine Zweidrittelmehrheit der anwe-

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Sonderstellung ein. Die Beschlüsse dieser Synode sind nicht mehr bloße Empfehlungen an die Bischöfe, diese sind vielmehr bereits in die synodale Beratung und Beschlußfassung integriert, so daß ein auf diese Weise gefaßter Beschluß von den Bischöfen nachher nicht mehr verändert werden kann32 . Auch beim Niederländischen Pastoralkonzil ist festzustellen, daß Beschlüsse von der Mehrheit der aus Bischöfen, anderen Klerikern und Laien bestehenden Teilnehmer getroffen werden33 . 4. Das zugrundeliegende ekklesiologische Grundproblem

Die Tatsache der auf dem Ökumenischen Konzil ebenso wie auf den Partikularkonzilien festgelegten Überrepräsentanz der Bischöfe zu Lasten anderer "christifideles" (Kleriker und Laien), m. a. W. diese Facette der pro-episkopalen Note des neuen Kirchenrechts, ist freilich nicht nur ein kanonistisches Problem, sondern hat tiefere Wurzeln. Es hängt mit den verschiedenen Formen von Selbstdarstellung der Kirche, insbesondere mit der Theologie der Kollegialität zusammen, wie sie im Laufe der Geschichte entwickelt wurden und auch noch auf die Ekklesiologie des 11. Vatikanischen Konzils Einfluß genommen haben. Man kann zum Begriff der Kollegialität von zwei verschiedenen Ansatzpunkten aus gelangen, die durchaus unterschiedliche Akzentsetzungen in der konkreten Auswirkung zeitigen. Die eine geht von der Gesamtkirche und vom Gesamtkollegium aus, dessen übergeordnete Idee die Einheit aller Bischöfe in einem gesamtkirchlichen Kollegium darstellt. Die andere kommt von der Teilkirche her und von der mit der Sorge um diese verbundenen Verantwortung für die Gesamtkirche, die sich als "communio ecclesiarum" darsenden Mitglieder. Den Bischöfen wurde ein Vetorecht gegen Beschlüsse eingeräumt: "Erklärt die österreichische Bischofskonferenz, daß sie einer Vorlage aus Gründen der verbindlichen Glaubens- und Sittenlehre der Kirche sowie der kirchlichen Disziplin nicht zustimmen kann, so ist zu dieser Vorlage eine Beschlußfassung der Vollversammlung des ÖSV nicht möglich" Art. 13 des Statuts. Vgl. Österreichischer Synodaler Vorgang. Dokumente, hrsg. vom Sekretariat des Österr. Synodalen Vorganges. Wien 1974, 19l. 32 Vgl. A. Nees, Die erste Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975). Ihre innere Rechtsordnung und ihre Stellung in der Verfassung der katholischen Kirche. Paderborn 1978. 33 Vgl. W. Goddijn/C. van Haren/O. Ter Regen/H. J. van Santvoort (Hrsg.), Pastoral Concilie van de Nederlandse Kerkprovincie. Katholiek Archief 1968. Dazu R. G. W. Huysmans, Het Pastoraal Concilie in Canoniek Perspectief, in: Bijdr. Nijmegen 1970,373-389.

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stellt34 . Die Grundaussage des Konzils über das Verhältnis von Gesamtkirche und Teilkirchen (LG 23) ist in den Zusammenhang der Lehre von der bischöflichen Kollegialität gestellt, die "ihrerseits wiederum explizit nur in gesamtkirchlicher Sicht in Erscheinung tritt"35. Der CIC/1983 steht, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich auf dem Boden einer primär die Gesamtkirche in den Blickwinkel rückenden Ekklesiologie36 • Durchgehend spricht er von der Ecclesia particularis (Teilkirche) , niemals aber etwa gleichbedeutend mit dieser - von einer Ecclesia localis (Ortskirche)37. Und bezeichnenderweise umschreibt c. 369 in der Schlüssel aussage über die Diözese diese als Teil des Gottesvolkes ("populi Dei portio"), worin ebenso wie in dem Ausdruck Teilkirche die primär auf die Ganzheit der (Universal)kirche gerichtete Akzentsetzung deutlich zutage tritt. C. 333 § 1 spricht von der Gewalt des Papstes nicht nur im Hinblick auf die Gesamtkirche, sondern auch über alle Teilkirchen und deren Verbände38 , wobei gleichzeitig betont wird, daß dadurch die eigenberechtigte, ordentliche und unmittelbare Gewalt der Bischöfe über die ihrer Sorge anvertrauten Teilkirchen gestärkt und geschützt werde. Was speziell die Partikularsynoden und die in ihrer kanonistischen Konzeption zutage tretenden Leitmotive anlangt, schrieb Hartelt bereits 1979, die diesbezüglichen Positionen des CIC/1983 vorausahnend: "Entsprechend dem gesamtkirchlichen Aspekt bei der Entwicklung der Lehre von der bischöflichen Kollegialität und der von der Gesamtkirche her ausgehenden und an ihr orientierten Kirchenstruktur wird nicht zu erwarten sein, daß auf einer "Regionalsynode" die einzelnen Ortskirchen (Diözesen) als solche besonders in Erscheinung treten werden. Die Bischöfe werden dort nicht primär als Repräsentanten ihrer Ortskirchen erscheinen, sondern als Glieder des Gesamtkollegiums (besonders 34 J. Ratzinger, Die bischöfliche Kollegialität. Theologische Entfaltung, in: G. Barauna (Hrsg.), De Ecclesia. Freiburg/Br. 1966, Bd. 2, 56 f. 35 W. Aymans, Gemeinsame Synode. Strukturprobleme eines Regionalkonzils, in: Kölner Beiträge, Heft 2. Köln 1972, 12. 36 R. Puza, Die Communio-Ekklesiologie und das Recht der Teilkirche, in: R. Puza/P. A. Kustermann (Hrsg.), Eine Kirche - ein Recht? Kirchenrechtliche Konflikte zwischen Rom und den deutschen Ortskirchen. Akademie der Diözese RottenburgStuttgart. Stuttgart 1990, 32. 37 Der Ausdruck "Ecclesia localis" kommt im CIC/1983 nicht vor. X. Ochoa, Index verborum ac locutionum Codicis luris Canonici. Roma 21984. Vgl. dazu H. Zapp, Codex luris Canonici. Lemmata Stichwortverzeichnis. Freiburg/Br. 1986. 38 C. 333 § 1 verwendet hinsichtlich der dem Papst über die Teilkirchen zustehenden Gewalt den Ausdruck "principatus", was in der Rechtssprache des CIC/1983 ein "Hapax legomenon" darstellt.

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deutlich wird das an der Stellung der "Weihbischöfe"!), die in der jeweiligen Bischofskonferenz zusammengeschlossen sind und insofern ein "Teil"-kollegium bilden".39

Die im gegenwärtigen Kirchenrecht im Zusammenhang sowohl mit dem Ökumenischen Konzil wie auch mit den Partikularkonzilien zu beobachtende pro-episkopale Note und das dieser zugrundeliegende ekklesiologische Konzept erweist sich als einseitig und ist deshalb ungeeignet, eine echte Repräsentanz der Gesamtkirche wie auch der Teilkirchen im Synodalen Geschehen zu bewirken. Communio als prägendes Strukturmerkmal der hierarchischen Grundverfassung der Kirche verlangt Mitverantwortung der Gläubigen auf allen Ebenen. Es wäre eine bedauerliche Verkürzung, würde man die Communio-Ekklesiologie nur auf das Verhältnis der Bischöfe untereinander und mit dem Papst beschränken 40 . Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß kirchliche Rechtsentstehung ja nicht nur auf einen Akt der Gesetzgebung zurückzuführen ist, sondern ebenso der Rezeption und des Konsenses seitens des sensus fidelium bedarF I , und daß insbesondere Konzilsbeschlüsse erst durch die Annahme seitens der betroffenen Kirchen gelebte Realität werden 42 , ist auf eine möglichst breit gestreute Mitverantwortung aller Glieder des Kirchenvolkes bei Beratung und Beschlußfassung von Konzilsbeschlüssen größter Wert zu legen. Die gegenwärtig im CIC/1983 vorgesehenen Modelle, wonach das beschließende Stimmrecht auf Bischöfe - gleich welcher hierarchischen Stellung - eingeschränkt ist, erweisen sich als nachteilige Konsequenz aus einem ergänzungsbedürftigen bzw. einseitig interpretierten Kirchenbild.

39 Hartelt, Diözesan- und Regionalsynoden (Anm. 28) 83. 40 Puza, Communio-Ekklesiologie (Anm. 36) 35.

41 H. Müller, Rezeption und Konsens in der Kirche. Eine Anfrage an die Kanonistik, in: ÖAKR 27 (1976) 3-21. 42 H. Jedin, Kleine Konziliengeschichte. Freiburg/Br. 71966, 14.

Die interkonfessionelle Geltung des kanonischen Rechts 1. Der Normadressat des kanonischen Rechts Ein Vergleich zwischen c. 12 des Codex Iuris Canonici von 1917 (im folgenden CIC/1917) und c. 11 des Codex Iuris Canonici von 1983 (im folgenden CIC/1983) bzw. c. 1490 des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (im folgenden CCEO) zeigt, daß in bezug auf den Normadressaten des kanonischen Rechts so etwas wie ein "Wandel im Weltbild" stattgefunden hat. Das in den Grundzügen auf der Ekklesiologie des I. Vatikanischen Konzils aufbauende Recht des CIC/1917 1 war von der als selbstverständlich angenommenen Prämisse geprägt, daß alle Getauften, ob Katholiken oder Nichtkatholiken, den Gesetzen des CIC/1917 unterliegen und zwar nicht nur, insofern das Gesetzbuch göttliches Recht wiedergibt, sondern auch hinsichtlich der rein kirchlichen Gesetze (leges mere ecclesiasticae2). Lediglich über die Nichtgetauften könne, so wurde allgemein argumentiert, die Kirche "keine unmittelbare Hoheit beanspruchen, weil sie nicht zur kirchlichen Gemeinschaft gehören"; die verschiedenen Gruppen der nichtkatholischen Christen jedoch "unterstehen der Hoheit der Kirche, weil jeder Getaufte zu der einen Kirche Jesu Christi gehört"3. Aus dem Wortlaut des c. 87 CICI1917 war zu folgern, daß die Taufe als solche den Getauften zur Person in der Kirche macht und daß daraus Rechte und Pflichten4 resultieren. Hinsichtlich der Rechte könne ein die (volle) kirchliche Gemeinschaft behindernder "Obex"

1 Bekanntlich wurden Anregungen zur Kodifikation des universalkirchlichen Rechts bereits in der Vorbereitungsphase des I. Vatikanischen Konzils vorgebracht. Ihre Verwirklichung nahm allerdings noch mehrere Jahrzehnte in Anspruch, da erst Pius X. 1904 den entscheidenden Anstoß zur Kodifikation des CIC/1917 gab. Vgl. P. Gasparri, Praefatio zum CIC/1917. 2 K. Mörsdorj, Lehrbuch des Kirchenrechts Bd. 1, Paderbom 111, (1964) 96. 3 Mörsdorj, ebd. 4 Zu beachten ist die Reihenfolge Rechte-Pflichten, da der spätere CIC/1983 in der Kodifikation von Grundrechten durchgehend die umgekehrte Reihenfolge (PflichtenRechte) verwendet. - Der CCEO ist wieder zur Reihung Rechte-Pflichten zurückgekehrt.

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bestehen; in bezug auf die Pflichten war von einer Begrenzung oder gar Beendigung keine Rede5 . Allerdings war schon in der Zeit vor dem 11. Vatikanischen Konzil ein nicht unbedeutender Unterschied zwischen dem lateinischen und dem orientalischen Rechtsbereich festzustellen. Während für die "Ecclesia latina" die Geltung des kodikarischen Rechts (CIC/1917) für die diesem Rechtsbereich angehörenden Nichtkatholiken (im wesentlichen handelte es sich dabei um die Protestanten, Anglikaner und Altkatholiken) so gut wie unbestritten war, wurde hinsichtlich der Angehörigen der orthodoxen und altorientalischen Kirchen differenziert: Jene Gesetze, die in diesen Kirchen bereits vor dem Schisma (1054) bestanden hatten, blieben weiterhin in Geltung und waren somit anwendbares Recht6 . Bezüglich der von der katholischen Gesamtkirche (universal-kirchliches Recht) oder dem katholischen Bischof des entsprechenden Ritus erlassenen Gesetze wurde zwar die grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz auch in bezug auf die "dissidentes" behauptet, gleichzeitig wurde aber darauf hingewiesen, daß es zweifelhaft sei, ob die katholischen Gesetzgeber die "dissidentes" als Normadressaten betrachten und mit ihren Gesetzen verpflichten wollten 7 . Eine eindeutige diesbezügliche Klärung war indes dem vorkonziliaren Kirchenrecht nicht zu entnehmen. Von praktischer Bedeutung wurde diese Frage u.a. bei von orthodoxen Christen untereinander

5 A. Gommenginger, Bedeutet die Exkommunikation Verlust der Kirchengliedschaft?, in: ZkTh 73 (1951) 17 f. sah im Anschluß an K. Rahner in der Taufe in erster Linie eine "Unterworfenheit, Untertanschaft" des Getauften unter die Kirche. Dieser Gedanke ist insofern richtig, als das Bestehen von Pflichten bei (gegebenenfalls) völligem Erlöschen der Rechte nur mehr eine "Untertanschaft" zum Inhalt hat. 6 A. Coussa, Epitome praelectionum de iure ecclesiastico orientali, vol. III: De Matrimonio, Romae 1950, 11. 7 Coussa, ebd.; ders., De personis, Romae 1950,15-20; P. Wir/h, Ehen mit Orthodoxen. Freiburg/Br. 1967, 17. Diese Auffassung Coussa's und anderer fand allerdings zunächst keine offizielle Bestätigung. Paul VI. beauftragte eine besondere Kardinalskommission mit der Untersuchung der Frage, ob mit den "christifideles" im MP "Crebrae allatae" nur die Katholiken, oder auch die nichtkatholischen (orientalischen) Christen gemeint seien. Die Kommission entschied am 24. 6. 1966, daß unter den "christifideles" auch die orientalischen Nichtkatholiken zu verstehen seien. Diese mit der vorkonziliaren Lehre und Rechtsprechung übereinstimmende Ansicht wurde allerdings schon zwei Jahre später revidiert. Eine neue Kardinalskommission entschied am 23. 9. 1968, daß mit dem Wort "christifideles" in "Crebrae allatae" nur die (orientalischen) Katholiken, nicht auch die Nichtkatholiken an~espro­ ehen seien. Die Entscheidung der Kommission wurde von Paul VI. am 18. 10. 1968 approbiert. Vgl. J. Prader, 11 matrimonio in Oriente e Occidente. Pontificium Institutum Orientalium, Roma 1992,39 f.

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geschlossenen Ehen. Das MP "Crebrae allatae"8 enthielt in c. 90 § 2 eine Parallelbestimmung zu c. 1099 § 2 CIC/1917 (1. Halbsatz)9, wonach die getauften Nichtkatholiken nicht an die kanonische Eheschließungsform gebunden waren. Demzufolge entschied die Römische Kurie (die Sacra Romana Rota und das Hl. Offizium) wiederholt, daß die Zivilehe orthodoxer Christen, was die Form anlange, gültig sei JO • Damit ist aber ausgesagt, daß die in "Crebrae allatae" verfügte Freistellung von der kanonischen Formpflicht gegenüber den "dissidentes" Geltung habe und daß diese daher kraft dieser Freistellung nicht an eine kirchliche Eheschließungsform gebunden sind, die in ihrem eigenen (nichtkatholischen) Kirchenrecht besteht I I. 2. Die Verweisungsnorm des Ökumenismusdekrets; Umfang und Grenzen

Das Konzilsdekret "Unitatis redintegratio" bestimmt in Nr. 16, daß die (nichtkatholischen) orientalischen Kirchen die Vollmacht besitzen, sich nach ihrer eigenen Disziplin zu leiten. Damit ist die grundsätzliche Geltung nichtkatholischen orientalischen Kirchenrechts für die Mitglieder dieser Kir8 AAS 41 (1949) 89-117. 9 Der zweite Halbsatz des c. 1099 § 2 CIC/1917 "item ab acatholicis nati ... " wurde durch MP vom 1. 8. 1948 (AAS XL (1948) 305) außer Kraft gesetzt, so daß ab dem 1. 1. 1949 (Geltungsbeginn des MP) die Taufe in der katholischen Kirche allein in bezug auf die Formpflicht des Ehewerbers ausschlaggebend war. Die Tatsache einer von Kindheit an erfolgten nichtkatholischen Erziehung war nicht mehr in Rechnung zu stellen. 10 Entscheid des Hl. Offizium vom 6. 6. 1964, Prot. Nr. 3984m/64:"Matrimonium inter orthodoxos so la forma civili servata, etiam ante Motum proprium 'Crebrae allatae' valid um censeri debet quoad formam. " Wirth, (Anm. 7) 37. - Der Entscheid des HI. Offizium nimmt ausdrücklich auf die Zeit vor Inkrafttreten von "Crebrae allatae" Bezug. Damit kommt die Ansicht der Kurie zum Ausdruck, daß, sofern das katholische Kirchenrecht die getauften Nichtkatholiken von der Formpflicht freistellt, keine andere (kirchliche oder staatliche) Gewalt eine solche Formpflicht festlegen könne. 11 Die vorkonziliare herrschende Lehre in bezug auf den Normadressaten des MP "Crebrae allatae" wird wie folgt zusammengefaßt: "Right up to just before the Second Vatican Council it was a common opinion that Crebrae allatae was binding not only for Oriental Churches of the Catholic fold but also for baptized Oriental nonCatholics as well. It was maintained that this followed from the fact that by their baptism they had been incorporated into the Church, and since they were baptized Oriental Christians, they were consequently subject to all canons that had been legitimately promulgated for Oriental Christians" . J. Vadakumcherry, Marriage Laws in the Eastern and Latin Codes, in: J. Chiramel/K. Bharanikulangara (Hrsg.), The Code of Canons of the Eastern Churches. A Study and Interpretation, Alwaye (India), 1992, 184.

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chen ausgesprochen. Im Anschluß daran ergingen die bekannten Entscheidungen der Apostolischen Signatur vom 5. 2. 1970 und 28. 11. 1970, daß Orthodoxe bei Eheschließungen an eine in ihrem eigenen Recht bestehende Formpflicht gebunden seien l2 , eine bloße Zivilehe Orthodoxer sei somit wegen Formmangels ungültig 13 . Damit hat die Signatura Apostolica eine juridische Konsequenz aus einer ekklesiologischen Vorgabe des 11. Vatikanischen Konzils gezogen l4 . Noch deutlicher wird dieser Vorgabe im CCEO Rechnung getragen, nämlich nicht nur in dem bereits erwähnten c. 1490, der die Geltung der "leges mere ecclesiasticae" auf die Katholiken einschränkt, sondern noch deutlicher in den cc. 780 f., in denen erstmals Verweisungsnormen enthalten sind. So wird in c. 780 § 2 bei Schließung einer konfessionell gemischten Ehe zwischen Katholiken und (getauften) Nichtkatholiken die Beachtlichkeit des für den nichtkatholischen Teil geltenden Eherechts ausgesprochen. Dieses kann entweder eigenes Kirchenrecht sein, wenn die Kirche oder kirchliche Gemeinschaft (Ecclesia vel Communitas ecclesialis) über ei ge12 Jurist, 31 (1971) 398; X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem Iuris Canonici editae, Romae 1974, IV, Nr. 3924. 13 J. Weilzel, Zivilehen orthodoxer Christen sind wegen Fonnmangels ungültig, in: AkKR 139 (1970) 482-492; B. Primelshofer, Der Kreis der Nonnadressaten des kanonischen Rechts, in: FS für H. Eichler, Wien 1977,486 f. 14 Das Konzilsdekret "Unitatis redintegratio" (Nr. 14) spricht von den Kirchen des Ostens und des Westens, zwischen denen in der Vergangenheit "brüderliche Beziehungen des Glaubens und des sakramentalen Lebens" ("Ecclesiae ... fraterna ... communione fidei et vitae sacramentalis coniunctae") bestanden haben. - Diesen Ausdruck griff Papst Paul VI. bei seinem Besuch im Phanar im Juli 1967 auf: "Dieses Leben von Schwesternkirchen haben wir jahrhundertelang geführt, wir haben gemeinsam die ökumenischen Konzile gefeiert, die das depositum fidei gegen jede Veränderung verteidigt haben. Jetzt, nach einer langen Periode der Trennung und des gegenseitigen Nichtverstehens hat der Herr uns wieder als Schwesterkirchen finden lassen, trotz der Hindernisse, die zwischen uns bestanden". Vgl. E. Lanne, Orthodoxe Kirche und ökumenische Bewegung nach Uppsala, in: Ökumenische Hoffnungen. Neun PRO ORIENTE- Symposien 1965-1970, hrsg. im Auftrag des Stiftungsfonds PRO ORIENTE von Th. Piffl-Percevic und A. Stirnemann, Innsbruck/Wien, 157. - Vgl. J. Ratzinger, Folgerungen der Aufhebung der Anathemata, in: Auf dem Weg zur Einheit des Glaubens. KOINONIA, Erstes ekklesiologisches Kolloquium zwischen orthodoxen und römisch-katholischen Theologen, hrsg. im Auftrag des Stiftungs fonds PRO ORIENTE, Wien-Lainz, 1.-7. April 1974, Innsbruck/Wien/München, 109. - In seiner Ansprache in der Polnisch-orthodoxen Kathedrale in Bialystok führte Papst Johannes Paul 11. am 5. 6. 1991 folgendes aus: "Heute sehen wir klarer und verstehen besser, daß unsere Kirchen Schwesterkirchen sind. Der Ausdruck Schwesterkirche ist keine bloße Höflichkeitsfonnel, sondern eine wirkliche ökumenische Kategorie der Ekklesiologie". L 'Osservatore Romano, 10.111. 6. 1991 (Beilage XXI f.). Vgl. E. C. Sullner, "Schwesterkirchen in fast vollendeter Gemeinschaft": Eine ekklesiologische Aussage oder eine ökumenische Höflichkeitsfonnel?, in: Der christliche Osten 47 (1992) 278.

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nes Recht verfügt, oder sonstiges Recht, wenn die kirchliche Gemeinschaft (hier wird nur von dieser und nicht auch von der Kirche gesprochen) kein eigenes (Ehe)recht kennt l5 . Dieser erstmals detailliert ausformulierte Verweis auf nichtkatholisches Recht wirft eine Reihe von Fragen auf: Bedeutet der Verweis, daß in bezug auf den akatholischen Ehewerber ausschließlich dessen Recht und die Verfügungsgewalt seiner Kirche (Dispens) über dasselbe zur Anwendung kommt, die Kompetenz der katholischen Kirche somit völlig ausgeschlossen ist? - Erstreckt sich die durch den Verweis nunmehr anerkannte Zuständigkeit der nichtkatholischen Kirche nur auf den Bereich der rein kirchlichen Gesetze (leges mere ecclesiasticae), oder berührt sie auch den des göttlichen Rechts, bezüglich dessen sich die katholische Kirche und die orientalischen Kirchen zwar hinsichtlich des grundsätzlichen Befundes einig sind, nicht aber, was den (juristischen) Stellenwert anlangt. Es braucht hier nicht ausführlich der Standpunkt der katholischen Kirche dargelegt und begründet zu werden, wonach die vollzogene Christenehe nicht mehr lösbar und die Eingehung einer kirchlich gültigen Zweitehe nach Zerfall und gegebenenfalls staatlicher Scheidung der Erstehe nicht gestattet wird. Der herrschenden Lehre zufolge, die auch mehrfach von Päpsten bestätigt wurde I 6 , reicht die Vollmacht der Kirche (auch die sog. "potestas vicaria" des Papstes 17) nicht aus, um eine vollzogene Christenehe zu lösen. Der in c. 1141 15 Aus der Fonnulierung von Nr. 1 des c. 780 § 2 CCEO " ... si haec Communilas ius matrimoniale proprium habet..." und der Nr. 2 des zitierten c., worin von einer "Communilas ecclesialis" ohne eigenes Eherecht gesprochen wird, könnte gefolgert werden, daß der CCEO mit dem Begriff "Ecclesia" auf jeden Fall das Vorhandensein eigenen Eherechts verknüpft. 16 Vgl. Pius XI. Enzyklika "Casti connubii": "Quod si non erravit neque errat Ecclesia, cum haec docuit et docet, ideoque certum omnino est matrimonii vinculum ne ob adulterium quidem dissolvi posse, in comperto est reliquas lanto debiliores, quae afferri solent, divortiorum causas multo minus valere nihilique prorsus esse faciendas", in: AAS 22 (1930) 574. - Pius XII. sagte in bezug auf die Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe: "ll vincolo del matrimonio cristiano e COSt forte che, se esso ha raggiunto la sua piena slabilita con I'uso dei diritti coniugali, nessuna potesta al mondo, nemmeno la Nostra, quella cioe dei Vicario di Cristo, vale a rescinderlo." Pius XII., Discorsi e radiomessaggi, Milano 1943,46 f. 17 Unter dem Begriff der poteslas vicaria oder poteslas ministerialis des Papstes versteht die Kanonistik die Vollmacht des Papstes, bei Verpflichtungen, die aufgrund des göttlichen Rechts bestehen, (z .B. Gelübde, Eid, nichtvollzogene Ehe) zwar nicht im eigentlichen Sinne Dispens zu erteilen, sondern die authentische Erklärung abzugeben, daß aufgrund geänderter Umstände eine Verpflichtung des göttlichen Rechts nicht mehr bestehe (sog. unechte Dispens). Vgl. L. Coache, Vicaire (pouvoir), in: DDC VII, Sp. 1434-1478; U. Navarrete, Poteslas vicaria Ecclesiae, in PerM CL 60 22 Primetshofer

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CIC/1983 (c. 853 CCEO) festgelegte Grundsatz der l)ntrennbarkeit der vollzogenen Christenehe ist ein Beispiel dafür, daß das kanonische Recht des CIC/1983 bzw. des CCEO den Grundsatz von c. 11 CIC/1983 (c. 1490 CCEO) durchbricht, wonach nur Katholiken Nonnadressaten von Bestimmungen des kodikarischen Rechts sind. C. 1141 CIC/1983 und c. 853 CCEO beanspruchen Geltung für alle Getauften, gleichgültig ob Katholiken oder nicht. Die orthodoxen und altorientalischen Kirchen kommen im Grunde genommen in der Auffassung überein, daß die Kirche die Vollmacht besitzt, bei Vorliegen bestimmter Gründe mit Hilfe der "Oikonomia"18 Scheidung und Wiederverheiratung zu gestatten. Auf die Gründe, wann eine solche Trennung und Wiederverheiratung gestattet wird und auf das diesbezüglich einzuhaltende Verfahren braucht im Rahmen dieser Ausführungen nicht näher eingegangen zu werden. In aller Brisanz stellt sich nun aber die Frage, ob der in c. 780 § 2 CCEO enthaltene Verweis auf die fremde, d.h. nichtkatholische Rechtsordnung auch die in dieser Kirche übliche Interpretation des göttlichen Rechts als beachtlich erklärt, so daß ein geschiedener orthodoxer oder altorientalischer Christ, der von seiner Kirchenleitung die Erlaubnis zur Eingehung einer kirchlich gültigen Zweitehe besitzt, auch vor dem Forum der katholischen Kirche als mit keinem Ehehindernis (mehr) belastet erscheint? Dabei kann sich dieses Problem sowohl bei rein nichtkatholischen wie konfessionell gemischten Ehen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken stellen. In jedem dieser Fälle kann es sein, daß die Rechtswirksamkeit der Scheidung der Erstehe und die Gültigkeit der daraufhin nach nichtkatholischem Recht geschlossenen Zweitehe vor dem katholischen Forum zu beurteilen ist l9 . Hat das katholische Gericht nunmehr ausschließlich fremdes, d.h. nichtkatholisches Recht, inklusive die Interpretation des göttlichen Rechts seitens der

(1971) 414 ff.; J. Lederer, Der Dispensbegriff des kanonischen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtssprache des CIC. München 1957, 152 f. 18 Zum Begriff der Oikonomia vgl. KANON, Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, Bd. VI: Fifth Congress of the Society for the Law of the Oriental Churches, zum Thema "Oikonomia" mit Beiträgen von P. RodopouloslP. L 'HuillierlB. ArchondonislR. PoptodorovlC. Lefebvrel/. ZuzeklP. Rodopoulos, Oikonomia nach orthodoxem Kirchenrecht, in: ÖAKR 36 (1986) 223-231. 19 Dies dann, wenn der orthodoxe Christ, dessen Erstehe nach dem Recht seiner Kirche geschieden wurde, nunmehr mit einem Katholiken eine Zweitehe eingehen will.

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nichtkatholischen Kirche anzuwenden? Ist somit der Verweis auf fremdes Recht lückenlos oder erfährt er Durchbrechungen? Hinsichtlich der Beantwortung dieser Fragen sei vorab festgehalten, daß es dabei ausschließlich darum gehen wird festzustellen, was sich aus dem gesatzten universalkirchlichen Recht ergibt. Nicht oder höchstens am Rande soll darauf eingegangen werden, was von ökumenischen, ekklesiologischen und allgemein theologischen Prämissen her wünschenswert wäre. Auch kann das Problem nur gestreift werden, ob und inwieweit die gegenwärtig vorliegende Rechtsordnung den Vorgaben des Il. Vatikanischen Konzils entspricht oder hinter diesen zurückbleibt. Es kann m.E. überhaupt keinem Zweifel unterliegen, daß der in Rede stehende Verweis auf die fremde (nichtkatholische) Rechtsordnung keine ausschließliche Kompetenz nichtkatholischer Rechtssetzung und Rechtsanwendung für Nichtkatholiken bedeutet, sondern daß innerhalb eines noch näher zu determinierenden Rahmens immer auch katholisches Kirchenrecht zur Anwendung kommt. Dies ist zunächst einmal hinsichtlich des dem göttlichen Recht zuzuweisenden Hindernisses des bestehenden Ehebandes festzustellen. Wenngleich c. 792 CCEO nicht die (apodiktische) Aussage des c. 1075 § 1 CIC/1983 übernimmt, wonach es allein der höchsten Autorität (der katholischen Kirche) zukommt, authentisch zu erklären, wann das göttliche Recht eine Ehe verbietet oder ungültig macht20 , so kann doch die an Deutlichkeit nicht zu überbietende Aussage von c. 1141 CIC/1983 und c. 853 CCEO, daß die vollzogene Christenehe durch keine menschliche Gewalt, 20 Die Weglassung des c. 1075 § 1 CIC/1983 im parallelen c. 792 CCEO ist sicherlich kein Zufall, sondern ist ganz offensichtlich (auch) von ökumenischen Gesichtspunkten geleitet. Ob damit eine Öffnung in der Richtung intendiert ist, daß die katholische Kirche auch eine andere als ihre eigene Interpretation göttlichen Rechts wenn schon nicht positiv anerkennen, so doch zumindest tolerieren oder dissimulieren kann, vermag derzeit nicht gesagt zu werden.- Tatsache ist, daß die katholische Kirche schon Jahrhunderte hindurch eine von ihrer eigenen abweichende Praxis im Bereich der unierten Ostkirchen geduldet hat. Nach Abschluß des Unionskonzil von Florenz, d.h. nach Verabschiedung des Unionsdekrets "Laetentur coeli" (1459) wurden den Vertretern der Ostkirchen Vorhaltungen in bezug auf ihre Praxis der Zulassung von Scheidung und Wiederverheiratung gemacht. Eine Einigung kam nicht zustande; die Vertreter der Ostkirchen wiesen darauf hin, daß sie Scheidung und Wiederverheiratung nicht ohne ausreichende Gründe gestatten. Die bisherige Praxis in den (nunmehr unierten) Ostkirchen wurde daraufhin bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von Rom toleriert oder zumindest dissimuliert. Vgl. G. H. Joyce, Die christliche Ehe, Leipzig 1932, 346; J. Gill, The Council of Florence, Cambridge 1961, 297; O. Rousseau, Scheidung und Wiederheirat im Osten und im Westen, in: Concilium 3 (1967) 330.

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sondern nur durch den Tod gelöst werde, nicht auf dem Wege eines einfachen Verweises auf die Beachtlichkeit einer gegenteiligen nichtkatholischen Praxis unterlaufen werden. Denn im Klartext hieße das, daß in der katholischen Kirche selbst hinsichtlich der Unauflöslichkeit der Ehe zweierlei Recht gilt. Dies wäre nicht nur gleichheitswidrig (vgl. c. 208 CIC/1983, c. 11 CCEO), sondern würde auch zu nicht mehr überschaubaren Konsequenzen führen. Es liegt hier m.E. eine Analogie zu Grundsätzen des österreichischen Internationalen Privatrechts (IPR)21 vor. Wenn dieses nämlich auf fremdes Sachrecht verweist, dann ist dies zwar grundsätzlich anzuwenden, doch hält § 6 des IPR-Gesetzes gleichsam ein Notventil offen, kraft dessen die Anwendbarkeit fremden Rechts ausgeschlossen wird, wenn dessen Anwendung "zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist", bzw. wenn das Ergebnis eine unerträgliche Verletzung tragender Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung bedeuten würde (sog. negativer "ordre public")22. Konkret wird in Österreich im Bereich des Privatrechts etwa die Einehe als dem ordre public zuzuweisende Rechtsnorm angesehen, d.h. selbst wenn der ausländische Ehewerber ein Ehefähigkeitszeugnis seines Heimatstaates vorweist, das ihm die Mehrehe gestattet, wäre eine Eheschließung in Österreich wegen Verstoßes gegen § 8 Ehe-Gesetz und § 6 IPR-Gesetz nicht möglich 23 . - Die Unauflöslichkeit des "matrimonium ratum et consummatum" gehört in diesem Sinne zum "ordre public" des kanonischen Rechts. An dem Gesagten vermag auch der Hinweis auf die nunmehr festgelegte Freistellung des katholischen Ehewerbers von der Formpflicht (seiner Kirche) bei einer Eheschließung mit einem orientalischen Nichtkatholiken (c. 1127 § 1 CIC/1983, c. 834 § 2 CCEO) nichts zu ändern. Denn die Anerkennung der nichtkatholischen Eheschließungsform24 hat mit dem nach katholischer Auffassung noch bestehenden trennenden Ehehindernis des Ehebandes nichts zu 21 BG vom 15. 6. 1978 über das Internationale Privatrecht (lPR-Gesetz), BGBI 304/1978. 22 M. Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts. Wien 1982,48. 23 Schwimann, in: P. Rummel, Kommentar zum ABGB, 11, Wien 1984, RdZ 2 zu § 6 IPR-Gesetz. 24 Diese schon im Dekret für die Ostkirche "Crescens matrimoniorum" vom 22.2. 1967 (AAS 59 (1967) 165 f.) festgelegte Anerkennung der Eheschließung vor einem "minister sacer" einer orthodoxen oder altorientalischen Kirche ist übrigens bislang nur von geringer Reziprozität begleitet. Einer Mitteilung Gallaghers zufolge betrachten nur der Patriarch von Moskau und die orthodoxen Kirchen in Polen die von einem katholischen Priester gesegnete katholisch-orthodoxe Mischehe als gültig. C. Gallagher, Marriage in the Revised Ca non Law for the Eastern Churches, in: StudCan 24 (1990) 78.

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tun. Die Gültigkeit der Eheschließung "ratione forrnae" schließt nicht aus, daß diese Ehe "ratione impedimenti" ungültig sein kann. Und selbst die Gutgläubigkeit bei Eingehung einer solchen Ehe, d.h. wenn (sogar) beide Partner und der der Eheschließung assistierende orthodoxe Priester der Meinung sind, der nach orthodoxem Recht gültig Geschiedene, somit vom Hindernis des Ehebandes befreite Ehewerber könne mit dem katholischen Partner eine gültige Ehe eingehen, ändert daran nichts. Bei irritierenden und inhabilitierenden Gesetzen (und um solche handelt es sich bei den trennenden Ehehindernissen) haben Rechtsunkenntnis bzw. Rechtsirrtum keine entschuldigende Kraft (c. 15 § 1 CIC/1983, c. 1497 § 1 CCEO). Hier kommt dem Satz "ignorantia iuris non excusat"25 volle Bedeutung zu. Auch die Tatsache, daß diese Ehe aufgrund der möglicherweise vorhandenen bona fides eines Partners oder vielleicht sogar bei der eine Putativehe darstellt26 , ändert nichts an ihrer Nichtigkeit. Was den Bereich der rein kirchlichen Gesetze (leges mere ecclesiasticae) betrifft, so bedeuten die Verweisungsnormen des CCEO zweifellos, daß der nichtkatholische Ehewerber hinsichtlich seiner persönlichen Ehefähigkeit dem Recht seiner Kirche untersteht. Dies gilt auch bei konfessionell-gemischten Ehen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken. Von einem in der fremden (verwiesenen) Rechtsordnung bestehenden Ehehindernis erteilt die nichtkatholische Kirchenleitung nach Maßgabe ihrer eigenen Rechtsordnung Dispens. Die ohne eine solche Dispens geschlossene Ehe wäre auch nach katholischem Verständnis ungültig.

3. Katholische und nichtkatholische Dispensgewalt Es stellt sich noch die Frage, ob die Dispensgewalt der nichtkatholischen Kirche eine ausschließliche ist, so daß also bei Nichtgewährung einer Dispens für den betreffenden Ehewerber keine Möglichkeit zur Eingehung einer gültigen Ehe besteht, oder ob auch die katholische Kirche Dispensbefugnis besitzt. Konkret könnte ein solcher Kollisionsfall bei zwei in orthodoxen Eherechtsordnungen bestehenden Ehehindernissen vorliegen: Bei Schwägerschaft in der geraden Linie und bei der vierten Eheschließung eines dreimal verwitweten Ehewerbers27 . Nach orthodoxem Verständnis wird von diesen Hinder25 Vgl. Regula iuris XIII in VIo. 26 Vgl. c. 1061 § 3 CIC/1983. 27 J. Prader, Die Ehehindernisse in den Rechtsordnungen der orthodoxen Kir-

chen, in: AkKR 156 (1987) 61 f.

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nissen keine Dispens erteilt28 ; die Eingehung einer gültigen Ehe ist somit ausgeschlossen. Wenn nun der mit einem solchen Ehehindernis behaftete orthodoxe Ehewerber mit einem Katholiken eine Ehe eingehen will und die für die Dispens primär zuständige orthodoxe Kirche diese verweigert, kann dann die katholische Kirchenleitung vom Hindernis der fremden Rechtsordnung Dispens erteilen? M.a.W. bleibt das katholische Kirchenrecht zumindest in bezug auf die ausführende Leitungsgewalt (potestas iurisdictionis administrativa) subsidiär zuständig? Ein weiteres Problemfeld könnte sich im Bereich der Formpflicht stellen. Nach durchgehender orientalischer Auffassung kommt die gültige Ehe nur auf dem Wege der priesterlichen Segnung zustande; das in der Ecclesia latina vorherrschende Konsensprinzip, das die liturgische Feier als im Grunde genommen entbehrliches Akzidens betrachtet29 , war und ist dem orientalischen Kirchenrecht fremd. In diesem Zusammenhang ist auch der Unterschied zwischen den Bestimmungen des CIC/1983 und des CCEO über den zur Eheassistenz berechtigten Kleriker beachtlich: Während gemäß c. 1108 § 1 CIC/1983 auch der Diakon, entsprechende Delegation vorausgesetzt, trauberechtigt ist, kann zufolge c. 828 CCEO eine Trauungsvollmacht nur einem Priester übertragen werden. Überdies wird auf den "ritus sacer" als Gültigkeitsvoraussetzung für die Eheschließung abgestellt; dieser besteht gemäß c. 828 § 2 im "interventus sacerdotis assistentis et benedicentis". - Weder im CIC/1983 noch im CCEO ist die zunächst interrituelle und in weiterer Folge auch interkonfessionelle Frage geregelt, welches Recht bei Eheschließungen zwischen Lateinern und (katholischen oder nichtkatholischen) Orientalen zur Anwendung kommt? Kann der lateinische Diakon auch der interrituellen bzw. interkonfessionellen Ehe des Lateiners mit einem Orientalen gültig assistieren?30. Wenngleich die rein rechtliche Seite dieser Frage bis zur Stunde noch nicht eindeutig beantwortet ist, enthält der neue Trauungsritus eine für die pastorale Praxis akzeptable Lösung, die sich insofern auf das ökumenische Klima günstig auswirken dürfte, weil sie ostkirchlichen Vorstellungen in hohem Maße entspricht: "Ein Diakon kann der Trauung mit einem Katholiken 28 J. Zhishman, Das Eherecht der orientalischen Kirche, Wien 1864, 308-310, 401-417. 29 Die Einhaltung einer Eheschließungsform (vor dem Priester und zwei Zeugen) wurde ja erst durch das Trienter Konzil (1563) beschlossen; die praktische Durchführung des entsprechenden Konzilsdekrets "Tametsi" nahm allerdings noch Jahrzehnte in Anspruch. 30 Vgl. B. Primetshofer, Interrituelles Verkehrs recht im CCEO, in: AkKR 160 (1991) 356-359.

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ostkirchlicher Riten oder mit einem Christen aus einer orthodoxen oder altorientalischen Kirche nicht assistieren, da der Segen über die Neuvermählten als wesentliches, nie auszulassendes Formelement von einem Priester zu spenden ist"31. Der CCEO enthält hinsichtlich der Beurteilung der Gültigkeit der Ehen von Nichtkatholiken in c. 781, 2 eine Verweisungsnorm auf akatholische Rechtsordnungen und zwar dergestalt, daß jede Eheschließungsform anerkannt wird, der die Ehewerber zur Zeit der Eheschließung unterworfen waren, sofern nur der Konsens in öffentlicher Form ausgetauscht wurde. Wenn zumindest ein Ehewerber einer nichtkatholischen orientalischen Kirche angehört, wird überdies gefordert, daß die Ehe in einem "ritus sacer" geschlossen, d.h. von einem Priester gesegnet wurde. 4. Vorbehalte beim Verweis auf nichtkatholisches Recht

Wenngleich für den CCEO noch keine mit Quellenangabe versehene Ausgabe vorliegt - wie dies beim CIC/1983 der Fall ist32 - so steht doch fest, daß für die in Rede stehende Aussage des CCEO die Entscheidungen der Apostolischen Signatur maßgeblich waren, in denen zum ersten Mal im Wege der forensischen Interpretation praktische Konsequenzen aus Nr. 16 des Ökumenismusdekrets gezogen wurden33 . Der Urteilstenor dieser Entscheidungen 31 Die Feier der Trauung in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes, 21992, Pastorale Einführung, IV, Nr. 3l. - Mit welch geringer Sensibilität für die orientalische Mentalität derartige Fragen noch vor wenigen Jahrzehnten behandelt wurden, davon gibt eine Entscheidung der Päpstlichen Kommission für die Redaktion des orientalischen Kirchenrechts aus dem Jahre 1953 beredten Aufschluß. Zur Diskussion stand die Frage, ob bei interrituellen Mischehen c. 1102 § 2 des CIC/1917 anzuwenden sei, der jeden "ritus sacer" bei Mischehen untersagte, oder aber c. 85 des MP "Crebrae allatae", der ebendiesen Ritus zur Voraussetzung für die Gültigkeit der Ehe machte. Bei der Entscheidung wurde die orientalische Grundüberzeugung von der Notwendigkeit der priesterlichen Segnung der Ehe völlig außer acht gelassen, und es wurden rein formaljuristische Erwägungen zugrundegelegt, denenzufolge der Ritus des der Ehe assistierenden Priesters ausschlaggebend sein sollte: Ist der Priester Lateiner, dann hat er lateinisches Recht anzuwenden, d.h. darf die Segnung nicht vornehmen; ist er hingegen Orientale, dann hat er nach "Crebrae allatae" vorzugehen, d.h. der "ritus sacer" ist erlaubt. Entscheidung vom 8. l. 1953, in: AAS 35 (1953) 104. 32 Diese Ausgabe wurde von der Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici authentice interpretando erstellt. Libreria editrice Vaticana, 1989. 33 Die Entscheidungen der Apostolischen Signatur siehe oben, Anm. 12.

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enthält jedoch hinsichtlich der VelWeisung auf fremde (in diesem Fall orthodoxe) Rechtsordnungen eine wichtige Einschränkung: Das Fehlen der priesterlichen Segnung der Ehe führt bei orthodoxen Ehewerbern dann nicht zur Ungültigkeit der Ehe, wenn dieses Fehlen auf die Unmöglichkeit oder zumindest große Schwierigkeit zurückzuführen ist, einen Priester ausfindig zu machen34 . Der VelWeis des c. 781, 2 CCEO steht m. E., ohne daß dies im Gesetzestext ausdrücklich festgehalten wird, auf dem Boden des Vorbehalts der genannten Entscheidungen der Apostolischen Signatur: Wie immer das orthodoxe Kirchenrecht sich in bezug auf die Notwendigkeit der priesterlichen Segnung verhalten mag, d.h. ob es bei Vorliegen der in Rede stehenden Notfälle eine ohne priesterliche Segnung geschlossene Ehe (z.B. Zivilehe) anerkennt oder nicht, das katholische Kirchenrecht wird (und muß) unter den genannten Voraussetzungen eine gültige und sakramentale Ehe auch bei orthodoxen Christen annehmen 35 . Dies deshalb, weil das Recht auf Eheschließung zweifellos ein im Naturrecht verankertes Grundrecht darstellt, dessen VelWirklichung nicht schlechterdings von der Voraussetzung abhängig gemacht werden kann, ob eine priesterliche Segnung möglich ist oder nicht. Die in c. 832 § 1, 1 und 2 CCEO ausgesprochene Form der Noteheschließung (in Todesgefahr oder bei der einen Monat hindurch andauernden Unmöglichkeit, einen Priester zu erreichen, wird die Ehe gültig vor bloß zwei Zeugen geschlossen) ist sicherlich kodifiziertes Naturrecht und als solches nicht nur für die Katholiken maßgeblich. Die in c. 1490 CCEO ausgesprochene Begrenzung der inhaltlichen Reichweite dieses Codex gilt nur hinsichtlich der "leges mere ecclesiasticae"; c. 832 aber ist kein solches Gesetz.

34 Entscheidungen der Apostolischen Signatur vom 28. 10. 1970 bei Ochoa (Anm. 12), IV, Nr. 3924 "Quoad autem applicationem huius decisionis ad singulos casus, perpendendae sunt uniuscuiusque casus circumstantiae, praesertim an .... defectus benedictionis sacerdotis tribuendus sit impossibilitati sacerdotem inveniendi". Denselben Standpunkt vertritt die Apostolische Signatur in einer späteren Entscheidung vom 23. 11. 1974 (coram Staffa). Ochoa V, Nr. 4334, Sp. 6895. 35 Der Unterschied zwischen der katholischen und orthodoxen Auffassung in bezug auf die Gültigkeit der bei Vorliegen außerordentlicher Umstände (Unmöglichkeit oder große Schwierigkeit, einen Traupriester zu erreichen) ohne priesterliche Segnung geschlossenen Ehe dürfte allerdings darin liegen, daß nach katholischem Kirchenrecht unter diesen Voraussetzungen eine gÜ/Jige und sakramentale Ehe zustandekommt, während die Orthodoxen in diesen Fällen zwar nicht das natürliche ReCht auf Eheschließung in Abrede stellen, allerdings wegen des Fehlens der priesterlichen Segnung keine sakramentale Ehe annehmen. Zum Sakrament wird eine solche Ehe erst durch die priesterliche Segnung. Gal/agher, Marriage (Anm. 24) 77, Anm. 13; J. Vadachumcherry, Marriage Laws (Anm. 11) 197.

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Somit ist festzuhalten: Der Verweis auf die Beachtlichkeit der im orthodoxen Recht vorgeschriebenen priesterlichen Segnung steht unter einem "Schrankenvorbehalt": Eine ohne priesterliche Segnung geschlossene Ehe orthodoxer Christen ist nach kanonischem Recht dann gültig, wenn die priesterliche Segnung nur deswegen unterlassen wurde, weil ein Priester entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nur unter großen Schwierigkeiten erreichbar war3 6. Auch für den Bereich der reinen Kirchengesetze ist der Verweis auf die fremde Rechtsordnung kein die Kompetenz des katholischen Kirchenrechts ausschließender. Dies ergibt eine Analyse des c. 781 §§ 1 und 2 CCEO, der in § 1 hinsichtlich der Ehen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken neben der selbstverständlichen Einschlägigkeit des "ius divinum" auf die Geltung des "ius canonicum" verweist. Zusätzlich zu diesem (vgl. die Wendung in § 2 "etiam") wird die Beachtlichkeit nichtkatholischen Rechts aufgewiesen. Mit dem "ius canonicum" in § 1 kann, das ergibt sich klar aus dem Kontext, nur das katholische Kirchenrecht gemeint sein, das somit ebenso wie nichtkatholisches Recht zur Anwendung zu kommen hat. Die Kompetenz des kanonischen Rechts impliziert bei konfessionsverschiedenen Ehen, daß die nach 36 Zur Kritik an der Fonnulierung des c. 781, 2 CCEO vgl. Primetshofer, Interrituelles Verkehrsrecht (Anm. 30) 363 f. - Zu Recht macht das Erzbischöfliche Ordinariat Wien in einer Mitteilung darauf aufmerksam, daß die Ungültigkeitserklärung der Ehen von nur zivil getrauten Orthodoxen in die Zuständigkeit des (katholischen) kirchlichen Gerichts gehöre, das nach Durchführung eines summarischen Verfahrens mit Urteil entscheide (Wiener Diözesanblatt Nr. 184/1991). - Der Hinweis auf die (ausschließliche) Anwendung des summarischen Eheverfahrens, offensichtlich nach Maßgabe der cc. 1686-1688, wäre allerdings in zweifacher Hinsicht kritisch zu prüfen: Das summarische Verfahren kann dann durchgeführt werden, wenn die Nichtigkeit der Ehe (in unserem Falle wegen Fonnmangels) "aufgrund einer Urkunde, gegen die ein Widerspruch oder eine Einrede nicht erhoben werden kann" (c. 1686) feststeht. Ob diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Fall gegeben sind, ist zu prüfen, so daß im Ergebnis möglicherweise die Bestimmungen über das summarische Verfahren nicht anwendbar sind und somit das nonnale Langverfahren durchgeführt werden muß. - Auf der anderen Seite wäre aber nicht auszuschließen, daß ein Verwallungsverfahren vor dem Ortsordinarius oder gegebenenfalls Pfarrer gemäß Art 231 der EPO (sog. Nichtbestandserklärung der Ehe) stattfindet. Denn das in den cc. 1686-1688 angesprochene (summarische) Verfahren bezieht sich auf jene Fälle, bei denen im Zusammenhang mit der kirchlichen Eheschließungsfonn ein Fonnfehler unterlaufen ist (Dillon nennt das "defect of fonn"), während die Nichtbestandserklärung der Ehe gemäß Art 231 der EPO dann Platz zu greifen hat, wenn die kirchliche Eheschließungsfonn seitens Fonnpflichtiger gänzlich außerachtgelassen wurde (bloße Zivilehe; Dillon spricht von "lack of fonn"). Vgl. H. Flatten, Die Eheverfahren, in: HdbKathKR, 993; E. Dillon, Administrative Process in Canonical Fonn Cases, in: Jurist 43 (1983) 236.

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katholischem Kirchenrecht kompetenten VelWaltungsorgane (Bischof, Hl. Stuhl) auch befugt sind, Dispens von einem nur im fremden Recht vorhandenen Ehehindernis zu erteilen, wenn die primär zuständige nichtkatholische Kirchenleitung dies nicht tut. Konkret geht es dabei um die zwei vorhin elWähnten Ehehindernisse, nämlich Schwägerschaft in der geraden Linie und die Wiederverheiratung eines dreimal velWitweten Ehewerbers. Die von der katholischen Kirchenleitung gewährte Dispens von einem nur im nichtkatholischen Kirchenrecht verankerten Ehehindernis stellt gewiß ein delikates Problem dar, dessen konkrete Handhabung viel Fingerspitzengefühl erfordert. Freilich müßten sich auch die orthodoxen Kirchenleitungen die kritische Anfrage gefallen lassen, warum sie in diesen Fällen eine Dispens schlechterdings velWeigern und sich nicht von dem für jede kirchliche Rechtssetzung und -anwendung obersten Prinzip leiten lassen "Salus animarum suprema lex" (vgl. c. 1752 CIC/1983)37. Zu einer solchen Anfrage wird man insbesondere aufgrund der wohl außer Streit stehenden Tatsache gedrängt, daß die beiden in Rede stehenden Ehehindernisse nur rein kirchlichen Rechts (ius mere ecclesiasticum) und somit der Vollmacht der Kirche vollständig überantwortet sind. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der in den cc. 780 f. enthaltene VelWeis auf die Beachtlichkeit der nichtkatholischen Rechtsordnung kein vorbehaltloser ist. Der VelWeis bedeutet nicht, daß überall dann, wenn ein nichtkatholischer Christ eine Ehe eingeht, ausnahmslos dessen eigenes Recht zur Anwendung konunt; der VelWeis steht unter mehrfachen Vorbehalten: Das kanonische Recht betrachtet im Bereich des göttlichen Rechts und des Naturrechts seine eigene Interpretation dieser Vorgegebenheiten als verbindlich (Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe, Nichtgeltung einer kirchlichen Eheschließungsform bei Unmöglichkeit oder großer Schwierigkeiten, einen Trauungspriester zu erreichen). Im Bereich der rein kirchlichen Gesetze (leges mere ecclesiasticae) ist zwar für den Nichtkatholiken primär dessen eigene Rechtsordnung hinsichtlich Rechtssetzung und Rechtsanwendung zuständig; eine subsidiäre Zuständigkeit des katholischen Kirchenrechts hinsichtlich Gewährung einer Dispens von Ehehindernissen der nichtkatholischen Rechtsordnung ist jedoch gegeben. 37 In bezug auf die Haltung der orthodoxen Kirchen zu(r) Folgeehe(n) des verwitweten Ehewerbers vgl. J. Zhishman, Eherecht (Anm. 28) 401-417. Symptomatisch im Zusammenhang mit Ehe(n) Verwitweter der Kirchenlehrer Gregor von Nazianz (330-390): "Primum lex est, secundum venia et indulgentia, tertium iniquitas. Qui autem hunc numerum excedit, porcinus plane est, utpote ne multa quidem vitii exempla habens". Griechischer Originaltext und lateinische Übersetzung bei J. P. Migne, PG 36, 291.

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Abschließend sei noch kurz die Frage angeschnitten, ob das vorgestellte Ergebnis (de lege lata) hinter Vorgaben des 11. Vatikanischen Konzils zurückbleibt. Aus der hier einschlägigen Aussage von Nr. 16 des Ökumenismusdekrets läßt sich kein lückenloser VelWeis auf die fremde Rechtsordnung ableiten, und somit kann nicht gesagt werden, daß die cc. 780 f. CCEO "konzilswidrig" seien. Denn das Konzilsdekret sagt, daß der fremden (velWiesenen) Rechtsordnung Verbindlichkeit zukommt38 , daraus ergibt sich aber nicht eo ipso auch schon die Verpflichtung zu einem keine Ausnahmen duldenden VelWeis. Daran vermag auch die ökumenisch sehr aufgeschlossene Formulierung von Nr. 17 des Ökumenismusdekrets nichts zu ändern. Wenn es nämlich darin heißt, daß die legitime Verschiedenheit (zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen bzw. altorientalischen Kirchen) sich auch auf verschiedene Arten der theologischen Lehrverkündigung erstrecke und daß bei der Erklärung der Offenbarungswahrheit im Orient und im Abendland verschiedene Methoden und Arten des Vorgehens zur Erkenntnis und zum Bekenntnis der göttlichen Dinge angewendet worden seien39 , so ergeben sich daraus allenfalls Imperative für ein ius condendum; de lege lata wurden daraus bisher keine Konsequenzen gezogen.

38 Soweit es um die Ostkirchen geht, schafft m. E. schon das Konzilsdekret selbst (und nicht erst die cc. 780 f. CCEO), unmittelbar anwendbares Recht (sog. "self-executing-norm"). Neuer normativer Gehalt kommt hingegen der Aussage des CCEO in bezug auf andere nichtkatholische Kirchen und kirchliche Gemeinschaften zu. Dies deshalb, weil von einem Teil der Lehre auch nach der Promulgation des CIC/1983 die Ansicht vertreten wurde, staatliches (Ehe)recht sei für die Protestanten nicht unmittelbar anwendbar, diese könnten aber eigenes Gewohnheitsrecht ausbilden. J. Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis. Bozen 1983,46 f. 39 Vgl. dazu J. Feiner, Kommentar zum Konzilsdekret "Unitatis redintegratio", in: LThK, Ergänzungsband. Das Zweite Vatikanische Konzil, 11, 104-107, bes. 105: "Die Transzendenz des göttlichen Geheimnisses einerseits und die Geschichtlichkeit des menschlichen Denkens andererseits bringen die Möglichkeit einer Vielfalt theologischer Reflexion und theologischen Sprechens über die Offenbarung Gottes. Auch in der Heiligen Schrift, die ja nicht die Offenbarung ist, sondern Zeugnis über die geschehene Offenbarung und Niederschlag menschlichen Nachdenkens über das o ffenbarungsgeschehen , lassen sich verschiedene "Theologien" unterscheiden, die nicht in allem leicht zur Deckung zu bringen sind."

Kanonistisehe Bemerkungen zu den österreichischen Pfarrgemeinderats- und Pfarrkirchenratsordnungen Der Jubilar hat sich in seinem reichen wissenschaftlichen Oeuvre wie auch als Gutachter wiederholt mit den verschiedenen Rechtsfragen auf pfarrlicher Ebene auseinandergesetzt, wobei gleichermaßen universal- wie partikularrechtliche und auch staatskirchenrechtliche Aspekte berücksichtigt wurden. Insbesondere waren es oftmals Fragen des pfarrlichen Vermögensrechts, die von Helmut Schnizer wissenschaftlich bearbeitet wurden. Der folgende Beitrag ist daher einem Thema gewidmet, das des Interesses des Jubilars sicher ist. 1. Auseinandersetzung um die alte und neue Wiener PGR-Ordnung

Die in Österreich bereits vor dem 11. Vatikanischen Konzil bestehenden Pfarrkirchenräte (PKR)l und die nach dem Konzil eingerichteten Pfarrgemeinderäte (PGR)2 haben erstmals durch den CIC/1983 eine rechtliche Normierung auf der Basis des universalen Kirchenrechts erhalten. So spricht c. 536 § 1 von einem Pastoralrat auf pfarrlicher Ebene, den der Diözesanbischof, wenn es ihm zweckmäßig erscheint, nach Anhörung des Priesterrates einrichten kann. Dieser pfarrliche Pastoralrat hat beratendes Stimmrecht und wird durch die vom Diözesanbischof festgesetzten Normen geregelt (ebd. § 2). Verpflichtend vorgeschrieben ist der Vermögensverwaltungsrat in der Pfarre; in ihm sollen ausgewählte Gläubige dem Pfarrer, unbeschadet der Vorschrift des c. 532, bei der Verwaltung des pfarrlichen Vermögens helfen (c.537).

1 Vgl. die PKR-Ordnungen in den einzelnen österreichischen Diözesen bei H. Klecatsky/H. Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, 299-337. 2 Grundlage dafür war das Konzilsdekret über das Laienapostolat "Apostolicam Actuositatem" Nr. 26. Vgl. dazu J. Lederer, Der Pfarrgemeinderat, in: GrNKirchR, 333-337.

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Der Begriff Pfarrvermögen stellt in der Terminologie des CIC/1983 offensichtlich primär auf das Vermögen der durch den Codex neugeschaffenen juristischen Person "Pfarre" (c. 515 § 3) ab. Dem bisherigen Recht zufolge gab es in der Pfarrei die juristische Person "Pfarrbenefizium" und die "Pfarrkirchenstiftung"3. Da weder die Pfarrkirchenstiftung noch das Pfarrbenefizium durch den CIC/1983 aufgehoben wurden, bestehen nunmehr in der Pfarre häufig drei juristische Personen, die jede für sich genommen Träger von Vermögen sein kann4 . Es wurde nicht zu unrecht die Frage aufgeworfen, ob die nunmehr durch den CIC/1983 geschaffenen Einrichtungen, nämlich der pfarrliche Pastoralrat und der Vermögensverwaltungsrat mit den in Österreich (übrigens auch in ähnlichen Formen in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz5) bereits vor dem CIC/1983, ja - wie schon gesagt - vor dem Konzil bestehenden Gremien identisch sind6 . Von der Beantwortung dieser Frage sind eine Reihe von Konsequenzen abhängig. Geht man davon aus, daß die österreichischen PGR etwas anderes sind als die im CIC/1983 angeführten pfarrlichen Pastoralräte, dann wären die für diese geltenden Bestimmungen nicht auf die österreichischen PGR anzuwenden. Bei normativem Widerspruch zwischen den Bestimmungen des CIC/1983 über den Pastoralrat und denen für die österreichischen PGR blieben diese von den Bestimmungen des CIC unberührt. - Bei Identität beider Gremien würde hingegen die derogatorische Wirkung des CIC/1983 voll zum Tragen kommen, da die einschlägigen cc. des CIC/1983 keinen Vorbehalt zugunsten anderslautenden Partikularrechts enthalten. Ein solcher Vorbehalt wäre aber kraft c. 6 § 1, 2 erforderlich, wenn dem CIC/1983 entgegenstehendes Partikularrecht in Geltung bleiben sollte7 . 3 H. Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht, Graz/Wien/Köln 21984, 570 f. (Anm.30). 4 Vgl. Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz, ABI der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 1/15/1984. 5 Lederer, Pfarrgemeinderat (Anm. 2) 334; ders., Pfarrgemeinderat und Pfarrverwaltungsrat, in: HdbKathKR, 425f. 6 H. Paarhammer, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, RdZ 8/c zu c. 536. 7 Hinsichtlich der degoratorischen Wirkung des universalen kirchlichen Gesetzes gegenüber entgegenstehendem Partikularrecht als lex prior ist der CIC/1983 von derselben Gegensätzlichkeit gekennzeichnet wie der CIC/1917. Diese Gegensätzlichkeit besteht im wesentlichen darin, daß dem kodikarischen Recht (beider Codices) eine stärkere derogarotische Wirkung gegenüber früherem Recht beigemessen wird als dies bei sonstigem, d. h. außerkodikarischem universalem Recht der Fall ist. Denn kraft c. 6 § 1,2 CIC/1983 (inhaltlich deckungsgleich mit c. 6, 1 CIC/1917) werden die dem CIC/1983 (bzw. CIC/1917) entgegenstehenden Bestimmungen des Partikularrechts aufgehoben, sofern sie nicht durch eine eigene Vorbehaltsklausel geschützt

Östeneichischc Pfarrgcmcinderals- und Pfarrkirchenratsordnungen

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Die anstehende Frage ist theoretisch nicht völlig geklärt worden. Die Wiener Erzdiözese hat jedenfalls eine Feststellung getroffen, die von der Voraussetzung ausgeht, daß der in c. 536 angesprochene Pastoralrat und der bestehende PGR ein und dasselbe Gremium seien und daß somit die derogatorische Wirkung des CIC/1983 zum Tragen komme. In der "Erläuterung zur Novellierung der Pfarrgemeinderatsordnung" wird darauf hingewiesen, daß sich die neue Rechtslage insbesondere aufgrund der Tatsache ergebe, daß dem "pfarrlichen Pastoralrat" kraft c. 536 § 2 nur beratendes Stimmrecht zukomme. Vom Hl. Stuhl sei eine Anpassung der PGR-Ordnungen an die Norm des CIC/1983 urgiert und daraufhin von der Bischofskonferenz beschlossen worden. Diese Änderung sei automatisch durch den Codex erfolgt; nunmehr werde "in einer Art Nachholverfahren" die PGR-Ordnung dem allgemeinen Kirchenrecht angepaßt8 • Es sei aber darauf hinzuweisen, daß dies nur für pastorale Angelegenheiten gelte, in vermögensrechtlichen Fragen habe der PGR beschließendes Stimmrecht. Der Pfarrer könne auch überstimmt werden, der Beschluß erfolge nach dem Mehrheitsprinzip. Selbstverständlich stehe dem PGR, aber auch dem Pfarrer das Recht der Beschwerde beim Ordinarius zu9. Es ist bei einer Gegenüberstellung der früheren Wiener PGR-Ordnung und der aufgrund des CIC/1983 geänderten derzeitigen Fassung bemerkt worden, daß dadurch eine Änderung von bisher beschließendem zu nunmehr beratensind. Andererseits aber bestimmt c. 20 CIC/1983, daß ein späteres universalkirchliches Gesetz entgegenstehendem Partikularrecht nicht derogiert, außer es wird dies ausdrücklich festgelegt. Mit der Bestimmung des c. 20 kann nur außerkodikarisches universales Gesetz gemeint sein. Dies hat der mit c. 20 CIC/1983 inhaltlich übereinstimmende c. 22 CIC/1917 noch durch die Wendung "firmo praescripto can. 6, n. 1" zum Audruck gebracht. Der CIC/1983 und der CIC/1917 sind demnach von einem stärkeren Bestreben nach Rechtsvereinheitlichung geprägt als dies ror außerkodikarisches universalkirchliches Gesetz festgelegt wird. 8 Wiener Diözesanblatt 127 (1989) 7. 9 Ebd. Im Dekret des Wiener Erzbischofs vom 13.12.1988 (Wiener Diözesanblatt ebd.) heißt es unter Hinweis auf die derogatorische Wirkung des c. 536 § 2, daß die frühere Fassung der PGR-Ordnung von 1974 wie folgt geändert werden müsse: "9.5.5. lautet nunmehr: Beschlüsse des Pfarrgemeinderates - ausgenommen in vermögensrechtlichen Angelegenheiten (2.4.) - werden mit der vom Pfarrer genehmigend zur Kenntnis genommenen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses verbindlich. Sieht sich der Pfarrer außerstande, einem Beschluß des Pfarrgemeinderates zuzustimmen, so erlangt dieser Beschluß keine Rechtswirksamkeit. " In der daraufhin als Sondernummer 11a des Wiener Diözesanblattes (November 1991) verlautbarten Fassung der PGR-Ordnung mit der Präambel "gültige Fassung vom 16. Oktober 1991" ist allerdings diese geänderte Fassung nicht mehr zu finden. Diese Änderung ist offensichtlich von der Erkenntnis bestimmt, daß es bei einem bloß beratenden Stimmrecht keine Beschlüsse des PGR geben könne, die der Pfarrer "genehmigend zur Kenntnis" nimmt oder denen er zustimmen muß.

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dem Stimmrecht eingetreten sei 10. Dies trifft indes nicht zu, sondern die ursprüngliche Fassung der Wiener PGR-Ordnung ging nicht von einem Zustimmungsrecht des PGR zu Beschlüssen des Pfarrers aus (vgl. c. 127 § 2), sondern die Entscheidungen des PGR erfolgten in Form des kollegialen Aktes (vgl. c. 119). Der Pfarrer war in den PGR eingebunden, er stimmte mit ab, seine Stimme wog zunächst nicht mehr als die der übrigen Mitglieder des PGR. Für den Fall, daß der Pfarrer mit einem Beschluß des PGR nicht einverstanden war, trat dieser nicht inkraft. Der PGR konnte daraufhin beschließen, gegen die Verweigerung der Zustimmung Einspruch beim Schiedsgericht zu erheben. In den übrigen österreichischen Diözesen wird das bloß beratende Stimmrecht des PGR (in pastoralen Angelegenheiten) nicht in derselben Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht wie in der Wiener Ordnung. Der Pfarrer wirkt demzufolge bei Beschlüssen des PGR mit, ist allerdings mit einem Vetorecht ausgestattet ll . Hierbei mag die Überlegung eine Rolle gespielt 10 Vgl. P. Weß, Beratend oder beschließend? Zur Diskussion um die neue PGROrdnung, in: Wiener Kirchenzeitung 144 (1992) Nr. 10 (8.3. 1992) 5 f. 11 Vgl. dazu die PGR-Ordnungen in den einzelnen Diözesen (in alphabetischer Reihenfolge). Eisenstadt: § 20: Stimmt der Pfarrer einem Beschluß des Pfarrgemeinderates nicht zu, tritt dieser nicht inkraft. Der Pfarrgemeinderat kann dagegen binnen acht Tagen unter Angabe der Gründe bei der nächsthöheren Instanz oder beim Bischof selbst Einspruch erheben, die über der Einspruch kurzfristig zu entscheiden haben. Diese Entscheidung ist endgültig. Feldkireh: Der Pfarrer hat das Recht, einem Beschluß des Pfarrgemeinderates unter Darlegung seiner Gründe seine Zustimmung zu versagen. Dadurch tritt dieser Beschluß nicht inkraft. Der Pfarrgemeinderat kann dagegen Einspruch erheben, wenn zwei Drittel der Mitglieder für diesen Einspruch stimmen. Der PGR beauftragt ein Mitglied, diesen Einspruch innerhalb von 14 Tagen mit der Begründung und unter Beischluß des SitzungsprotokoUes dem Bischof zur Entscheidung vorzulegen. Seine Entscheidung ist endgültig. Sie wird dem PGR kurzfristig schriftlich zugeleitet. Die Tätigkeit des PGR unterliegt der Aufsicht und Kontrolle der zuständigen kirchlichen Stellen. Falls der PGR gegen bestehende kirchliche Vorschriften verstößt, hat die zuständige kirchliche Stelle das Recht, einen solchen Beschluß aufzuheben. Graz-Seckau: Stimmt der Pfarrer einem Beschluß des Pfarrgemeinderates nicht zu, tritt dieser nicht inkraft. Das Nähere über das Zustimmungsrecht des Pfarrers ist in der Geschäftsordnung festgehalten. Gurk-Klagenfurt: § 19: Im Pfarrgemeinderat soU zwischen dem Pfarrvorsteher und den Mitgliedern das Prinzip der Zusammenarbeit gelten. Kommt der Pfarrvorsteher zur Auffassung, einem Beschluß des Pfarrgemeinderates von Amts wegen seine Zustimmung verweigern zu müssen, ist dieser Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung abzusetzen und in der nächsten Sitzung des Pfarrgemeinderates noch einmal zu verhandeln. Wenn in dieser neuerlichen Sitzung wieder kein Einvernehmen hergestellt werden kann und wenn auch Vermittlungsversuche des

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haben, daß damit den Forderungen des kanonischen Rechts (c. 536 § 2) Genüge getan sei. Die Frage nach der Berechtigung dieser Annahme soll zunächst offengelassen werden. In der Wiener Erzdiözese hat jedenfalls die mit Dekret des Erzbischofs verlautbarte Änderung in "nur" beratendes Stimmrecht beträchtliche Aufregung verursacht. Durch diese Änderung werde eine bedauerliche Form der "Reklerikalisierung" bewirkt. Die vorgenommene Änderung der PGR-Ordnung, kraft derer keinerlei rechtlich einklagbare Bindung des Pfarrers an einen gegebenen Rat besteht, habe im Konfliktfall die völlige Machtlosigkeit der Laien zur Folge. Formelle Macht sei allein beim kirchlichen Amt. Solches Recht müsse aber als "gnadenlos" bezeichnet werden 12 Zur Verteidigung der neuen Wiener PGR-Ordnung wurde unter anderem darauf hingewiesen, daß

Dekanatsrates gescheitert sind, wird die Angelegenheit unter Beischluß der Sitzungsprotokolle der zuständigen diözesanen Schlichtungsstelle zur Entscheidung vorgelegt, die spätestens innerhalb einer Frist von drei Monaten zu erfolgen hat. Innsbruck: Stimmt der Pfarrer bei der Beschlußfassung einem Beschluß nicht zu, so tritt dieser nicht inkraft. Linz: 1. Dem Pfarrer steht das Recht des Einspruches gegen Beschlüsse des Pfarrgemeinderates zu. Der Einspruch hat aufschiebende Wirkung. 2. Der zu begründende Einspruch ist innerhalb von zwei Wochen zu erheben. Wird der Einspruch bereits in der betreffenden Sitzung eingebracht, so kann der Pfarrer innerhalb dieser Frist die Begründung des Einspruches schriftlich nachbringen. 3. Der Pfarrgemeinderat kann binnen Jahresfrist bei der "Schlichtungs- und Schiedstelle der Diözese Linz" den schriftlichen Antrag stellen, daß der ausgesetzte Beschluß Rechtswirksamkeit erlangt. Dieser Antrag ist zu begründen. Sakburg: Der Pfarrer hat das Recht, einem Beschluß des Pfarrgemeinderates unter Darlegung seiner Gründe seine Zustimmung zu versagen. Dadurch tritt dieser Beschluß nicht inkraft. Der Pfarrgemeinderat kann dagegen Einspruch erheben, wenn zwei Drittel der Mitglieder für diesen Einspruch stimmen. Der Pfarrgemeinderat beauftragt ein Mitglied, diesen Einspruch innerhalb von 14 Tagen mit der Begründung und unter Beischluß des Sitzungsprotokolles dem Erzbischof zur Entscheidung vorzulegen. Seine Entscheidung ist endgültig. Sie wird dem Pfarrgemeinderat kurzfristig schriftlich zugeleitet. SI. Pöllen: Beschlüsse des Pfarrgemeinderates werden mit der vom Pfarrer genehmigend zur Kenntnis genommenen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses verbindlich. Sieht sich der Pfarrer außerstande, einem Beschluß des Pfarrgemeinderates zuzustimmen, so erlangt dieser Beschluß keine Rechtswirksamkeit. 12 P. M. Zulehner, Wenn aber das Recht gnadenlos wird?, in: Die Furche Nr. 48 (28. 11. 1991) 10. 23 Primetshofer

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dem PGR analoge Gremien, etwa (im Bereich der Diözese) der Priesterrat 13 und der Pastoralrat, sowie (auf der Ebene der Weltkirche) die Bischofssynode grundsätzlich nur beratendes Stimmrecht haben. Hierbei handle es sich um ein die ganze Kirche strukturierendes Element, das letztlich mit der eigensten Natur der Kirche zu tun habe, nämlich mit der sakramentalen Struktur des kirchlichen Amtes. "Die pastorale Hauptverantwortung in der Kirche auf allen Ebenen (Papst, Bischof, Pfarrer) wurzelt in einem eigenen Sakrament, dem Weihesakrament. Die Letztverantwortung des durch Weihe Beauftragten und Ermächtigten beruht darauf, daß er ja nicht seine persönliche Sache zu vertreten, sondern das weiterzugeben und den Gläubigen zu sichern hat, was er nicht selber geben, sondern nur von Christus her vermitteln kann: das Wort Gottes und die Sakramente. Diese Hauptverantwortung kann der geweihte Hirte nicht delegieren, da sie ihm gar nicht selber gehört. Er ist vielmehr bestellt, in Auftrag und Person Christi zu handeln"14. Dieses Verständnis von Kirche und der in ihr bestehenden Ämter schließe zwar Beratung und sonstige Mitarbeit anderer nicht aus. Mitsprache- und Mitgestaltungsrechte in Form eines beschließenden Stimmrechts in pastoralen Belangen sei aber mit diesen Strukturprinzipien der Kirche nicht vereinbar l5 . Es ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, sich mit den hier vorgebrachten Argumenten für und wider die neue Wiener PGR-Ordnung auseinanderzusetzen. Nur so viel mag vermerkt werden, daß das Recht nicht schon deshalb "gnadenlos" wird, weil einem Gremium in bestimmten Angelegenheiten "nur" beratendes Stimmrecht zugeteilt wird. Sieht man sich die Bestimmungen des CIC/1983 über das beratende Stimmrecht näher an, so ergibt sich daraus zum einen die Verpflichtung des Oberen, den Rat des Gremiums anzuhören; tut er das nicht, ist sein Handeln sogar rechtlich unwirksam. Zum anderen ist zu bedenken, daß der Obere, wenn er den Rat gehört hat, zwar rechtlich nicht gebunden ist, sich der Stellungnahme seines Beratungsgremiums anzuschließen, er darf jedoch "ohne einen seinem Ermessen nach überwiegenden Grund von deren Stellungnahme, vor allem von einer übereinstimmenden, nicht abweichen" (c. 127 § 2,2). Damit wird jenseits rechtlicher 13 Im Zusammenhang mit der Funktion des Priesterrates wäre allerdings zu bemerken, daß der CIC/1983 für ihn ein Zustimmungsrecht (zu Handlungen des Bischofs) grundsätzlich ins Auge faßt. C. 500 § 2 enthält die Regelung, daß der Bischof die Zustimmung des Priesterrates "in den im Recht ausdrücklich genannten Fällen" benötigt. - Wenngleich sich dann im ganzen Codex kein solcher Fall findet, kommt dennoch in hinlänglicher Deutlichkeit zum Ausdruck, daß ein über bloße Beratung hinausgehendes Mitbestimmungsrecht des Priesterrates zu Handlungen des Bischofs mit der Struktur dieses Amtes nicht unvereinbar ist. 14 C. Schönborn, Von Recht und Gnade, in: Die Furche, Nr. 50 (12.12.1991) 9. 15 Schönborn, ebd.

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Verpflichtungen ein moralischer Appell an alle diejenigen gerichtet, die einen Rat anzuhören haben: Sie dürfen nicht mutwillig, unüberlegt zumal von einer einhelligen Stellungnahme des Ratsgremiums abweichen, sondern es bedarf hiezu wohlüberlegter Grunde. Der kodikarische Gesetzgeber leistet hier einen, wie es scheint, nicht unbedeutenden Beitrag zur Pflege einer Gesprächskultur zwischen Verantwortungsträgern und ihren Ratsgremien. Auf der anderen Seite muß gesagt werden, daß pastorale Verantwortung in der Kirche nicht monolithisch beim (Einzel)träger des geistlichen Amtes verankert werden kann. Es ist hier auf das in der Kirchenverfassung von Anfang an bestehende synodale Prinzip zu verweisen, kraft dessen auf der Ebene der Gesamtkirche das ökumenische Konzil, auf der Ebene von Teilkirchenverbänden andere Formen synodalen Vorgehens zur pastoralen Mitverantwortung und Entscheidungsfindung auch unter Einbeziehung von Laien bestanden und bestehen. Laien können somit durchaus auch bei der pastoralen Entscheidungsfindung mit beschließendem (und nicht bloß beratendem) Stimmrecht ausgestattet werden, ja, es ist sogar kollegiale Beschlußfassung eines aus Klerikern und Laien bestehenden Gremiums denkbar l6 . Wenn das gegenwärtige Kirchenrecht dies nicht vorsieht l7 , so ist das kein Beweis dafür, daß Derartiges mit den Strukturen der Kirche grundsätzlich unvereinbar wäre l8 . Überdies muß bemerkt werden, daß pastorale Letztverantwortung und ein "beschließendes Stimmrecht" in Form eines Beispruchsrechts gemäß c. 127 keinesfalls einen Widerspruch bedeuten muß. Denn beschließendes Stimm16 Vgl. dazu den österreichischen Synodalen Vorgang (1974), bei dem Bischöfe, Priester und Laien mit Sitz und Stimme ausgestattet waren. Für die Annahme einer Vorlage in der Schlußabstimmung war Zweidrittelmehrheit der Mitglieder verlangt. Den Bischöfen wurde ein Vetorecht gegen Beschlüsse eingeräumt: "Erklärt die Österreichische Bischofskonferenz, daß sie einer Vorlage aus Gründen der verbindlichen Glaubens- und Sittenlehre der Kirche sowie der kirchlichen Disziplin nicht zustimmen kann, so ist zu dieser Vorlage eine Beschlußfassung der Vollversammlung des ÖSV nicht möglich." Art. 13 des Statuts des Synodalen Vorgangs. Vgl. Österreichischer Synodaler Vorgang. Dokumente hrsg. vom Sekretariat des Österreichischen Synodalen Vorgangs. Wien 1974, 191. - Bezüglich ähnlicher Formen der Entscheidungsfrndung in nachkonziliaren Synoden in der Bundesrepublik Deutschland vgl. K. HartelJ, Die Diözesan- und Regionalsynoden im deutschen Sprachraum nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Erfurter Theologische Studien, Bd. 40, Leipzig 1979, 89 und Anm. 453. A. Nees, Die erste Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland (1971 - 1975), Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Paderborn 1978, 182. 17 Bezüglich der eine solche Mitwirkung von Laien ebenfalls nicht ins Auge fassenden Bestimmungen des CIC/1917 wurde seitens des Hl. Stuhles großzügig Dispens gewährt. HartelJ, ebd. 91-93. 18 Vgl. dazu B. Primetshofer, Zur pro-episkopalen Tendenz des neuen Kirchenrechts, in: ThpQ 139 (1991) 46 f.

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recht in diesem Sinne (votum deliberativum im Unterschied zum votum consultivum) besagt ja keinesfalls, daß das Gremium als solches einen Beschluß fassen kann, an dessen Ausführung der Obere gebunden ist (sog. kollegialer Akt; c. 119), sondern bedeutet, daß ein Gremium zu Beschlüssen des Oberen (hier des Pfarrers) seine Zustimmung geben muß, wobei ohne diese Zustimmung der Rechtsakt nicht gültig gesetzt werden kann. Die Initiative des Handelns liegt somit nicht bei denen, die die Zustimmung zu geben haben, sondern bei demjenigen, der um die Zustimmung bittet. Auch nach erteilter Zustimmung ist der Betreffende rechtlich nicht verpflichtet, die betreffende Handlung zu setzen, sondern er bleibt diesbezüglich frei. Er kann zwar nicht rechtswirksam handeln ohne die Zustimmung, aber nach erfolgter Zustimmung ist er nicht gebunden, den Rechtsakt zu setzen 19. Mit Recht lehnt Schönborn ein Modell von PGR ab, bei dem der Pfarrer als (bloßes) Mitglied desselben mit gleichem Stimmrecht wie alle anderen ausgestattet ist und somit praktisch nur die von der Mehrheit gefaßten Beschlüsse auszuführen hätte. Unter Berufung auf das in LG 10 angesprochene Verhältnis von allgemeinem und besonderem Priestertum kommt Schönborn zu dem Ergebnis, daß "das demokratische Modell, in dem Pfarrgemeinderatsentscheidungen, rechtlich gesehen, ein kollektiver Akt wären, ... auch vom Verständnis der Gemeinde her nicht richtig wäre"20. - Dazu ist zweierlei zu bemerken: Zum einen, daß genau das, nämlich kollegialer Akt (c. 119) bei den PGR-Entscheidungen dann vorgesehen ist, wenn es um vermögensrechtliche Angelegenheiten geht. Zum anderen aber wäre die Frage zu prüfen, ob nicht dem PGR bei pastoralen, im einzelnen genau festzulegenden Grundsatzentscheidungen über das gegenwärtig bestehende Anhörungsrecht (beratendes Stimmrecht) hinaus auch ein erweitertes Beispruchsrecht in Form der Zustimmung gegeben werden könnte. Meiner Ansicht nach ist die Frage de lege ferenda durchaus zu bejahen, denn mit pastoraler Letztverantwortung (des Pfarrers) ist ein Zustimmungsrecht des PGR zu bestimmten die Pastoral betreffenden Aktionen vereinbar. Dies umso mehr, als auch Laien nicht nur Objekt der Seelsorge sind, sondern diese als Subjekte aufgrund ihrer Teilhabe am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi mittragen (c. 204)21. Die angesprochene und sicherlich notwendige pastorale Letztverantwortung des Pfarrers bliebe insbesondere deswegen gewahrt, weil der Pfarrer 19 W. Aymans/K. Mörsdorf, Kanonisches Recht, Bd 1, Paderborn/MünchenlWien/Zürich 1991, 371. 20 C. Schönborn, Die Ordnung für den Pfarrgemeinderat - theologische Grundlagen, in: Studientag: Die Ordnung für den Pfarrgemeinderat, hrsg. vom Zentrum des Apostolats (Manuskript), Wien 1994, 16. 21 Vgl. P. Krämer, Kirchenrecht 11, Ortskirche - Gesamtkirche. Stuttgart/Berlin/Köln 1993,72.

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auch durch ein Konsensrecht (des PGR) nicht gezwungen ist, bestimmte Rechtshandlungen zu setzen. 2. Rechtsgeschiiftliche Venretung pfarrlicher juristischer Personen

Wenngleich die Wiener PGR-Ordnung, dem Gesagten zufolge, dem PGR

pastorale Mitverantwortung in Form eines Beratungs-(Anhörungs)rechts zuweist, gesteht sie ihm in vermögensrechtlichen Angelegenheiten eine wesent-

lich weitergefaßte Kompetenz zu. Die in Nr. 11 der Wiener PGR-Ordnung anzutreffende Überschrift: "Mitwirkung in den Angelegenheiten der kirchlichen Vermögensverwaltung" ist insoferne als irreführend zu bezeichnen, als dem PGR nicht ein bloßes Mitwirkungsrecht (darunter würde man Beispruchsrechte iSv c. 127 verstehen) zukommt, sondern in Wirklichkeit ist der aus Pfarrer und Pfarrgemeinderäten als 'collegium inter pares" bestehende PGR als solcher rechtsgeschäftlich Handelnder. Dem Pfarrer kommt ebenso wie allen anderen Mitgliedern des PGR eine Stimme zu; diese wiegt nicht mehr als die der übrigen. Es handelt sich also in Wirklichkeit nicht um rechtsgeschiiftliche Venretung durch den Pfarrer unter Mitwirkung des PGR,

sondern es liegt ein kollegialer Akt (c. 119) des gesamten PGR vor22 .

Auch in den PGR- und PKR-Ordnungen anderer österreichischer Diözesen findet sich eine ähnlich strukturierte kollegiale Vertretungskompetenz bezüglich des im Bereich der Pfarre gelegenen kirchlichen Vermögens. Unterschiede gegenüber der Wiener PGR-Ordnung bestehen allerdings hinsichtlich der Rechtsstellung des Pfarrers. Während die Wiener Ordnung, wie schon gesagt wurde, das Vetorecht des Pfarrers auch in vermögensrechtlichen Angelegenheiten gestrichen hat, wird dem Pfarrer in anderen diözesanen Ordnungen ein verschieden strukturiertes stärkeres Gestaltungsrecht in bezug auf Beschlüsse des PGR (PKR) eingeräumt. Darauf wird im einzelnen noch einzugehen sein.

22 Abs. 1 der Wiener PGR-Ordnung hat folgenden Wortlaut: Der PGR ist als gesetzlicher Vertreter des kirchlichen Vennögens im Namen folgender Rechtspersönlichkeiten tätig: a) der Pfarre; b) der Pfarrkirche; c) der nichtinkorporierten Pfarrpfründe und sonstiger Pfründen des Pfarrbereichs, sofern es sich um Baulast-Angelegenheiten handelt; d) der rechtsfähigen pfarrlichen Stiftungen; e) der anvertrauten Filialkirche; f) des kirchlichen Eigentümers des Pfarrheims.

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Von besonderem Interesse ist die Frage, welche juristischen Personen im pfarrlichen Bereich in vermögensrechtlicher Hinsicht in die Vertretungskompetenz der pfarrlichen Gremien (PGR, PKR; in der Diözese Graz-Seckau Wirtschaftsrat) fallen. Hier ist zunächst einmal festzustellen, daß die durch c. 515 § 3 CIC/1983 neugeschaffene juristische Person "Pfarre" als Vermögensträger in nicht wenigen diözesanen Ordnungen überhaupt nicht aufscheint. Lediglich die Ordnungen von Graz-Seckau23 , St. Pölten24 , Salzburg25 und Wien26 erwähnen die juristische Person Pfarre, die anderen Diözesen nennen hinsichtlich der vom PKR zu treffenden Entscheidungen andere Rechtsträger, insbesondere die Pfarrkirche und, allerdings mit gewissen Nuancierungen, die Pfarrpfründe. Daneben sind dem PGR bzw. PKR weitere Kompetenzen zugewiesen, insbesondere Abschluß und Auflösung von Dienstverträgen. Was diesen zuletzt genannten Bereich anlangt, so kommt dem Pfarrvorsteher diesbezüglich in einigen Diözesen eine Sonderstellung insofern zu, als ihm ein Vorschlagsrecht hinsichtlich der Person des zu bestellenden Dienstnehmers eingeräumt wird. In der Diözese Graz-Seckau werden Verträge mit pfarrlichen Dienstnehmern nur auf Vorschlag des Vorsitzenden des Wirtschaftsrates begründet und gelöst27 ; eine ähnliche Regelung besteht für die Diözesen Innsbruck28 , Linz29 und St. Pölten3 0 . In anderen Diözesen besteht ein solches Vorschlagsrecht des Vorsitzenden nicht; der Pfarrer ist den diesbezüglichen Beschlüssen des PGR oder PKR völlig ausgeliefert, sofern nicht, wie etwa in der Erzdiözese Salzburg, eine Beschlußfassung des PKR in bezug auf Begründung von Dienstverhältnissen einer Stellungnahme des PGR bedarf und der Pfarrer bei einer diesbezüglichen Beschlußfassung des PGR von seinem Vetorecht Gebrauch machen könnte. 31 Nach der Wiener PGR-Ordnung 23 Ordnung für den Wirtschaftsrat in den Pfarren der Diözese Graz-Seckau; KVBI. 1992 VIII, 60 f. § 2. 24 Pfarrordnung der Diözese St. Pölten; St. Pöltner Diözesanblatt 16/1986, 161170,§25. 25 Pfarrkirchenrats-Ordnung der Erzdiözese Salzburg 1991, § 2. 26 PGR-Ordnung Wien 11, 1 lit. a. 27 Wirtschaftsrat-Ordnung Graz-Seckau § 21, 1. 28 Pfarrkirchenrats-Ordnung der Diözese Innsbruck (1986) § 25, 1. 29 PKR-Ordnung der Diözese Linz § 5. 30 Pfarrordnung der Diözese St. Pölten § 28. 31 Allerdings ist nach der Salzburger PKR-Ordnung § 22, 3 die Gültigkeit der Beschluß fassung des PKR über Dienstverhältnisse pfarrlicher Dienstnehmer nicht an die Zustimmung des PGR gebunden. Der PKR hat zwar eine Stellungnahme des PGR einzuholen und soll diese bei seiner Entscheidung "nach Möglichkeit" mitberücksichtigen. Ist eine solche Mitberücksichtigung für den PKR nicht möglich, so hat er in seiner Eingabe an die Erzbischöfliche Finanzkammer die Stellungnahme des PGR mitvorzulegen .

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kann die Bestellung von Dienstnehmern im Bereich der Pfarre völlig gegen den Willen des Pfarrers vorgenommen werden. Er besitzt kein Vorschlagsrecht und verfügt auch über kein Vetorecht gegen Beschlüsse des PGR. Daß der Pfarrer dann gegen einen Beschluß auf Bestellung eines bestimmten Dienstnehmers bei der bischöflichen Behörde Einspruch erheben kann, steht außer Zweifel. Ebenso unzweifelhaft ist aber, daß damit ein Aufhebungsbegehren gegen einen bereits rechtsgültig gefaßten, wenngleich noch bestätigungsbedürftigen Beschluß des PGR einzubringen ist. Von besonderem Interesse ist die rechtsgeschäftliche Vertretung juristischer Personen im Bereich der Pfarre, wenn diese mit einer Ordensgemeinschaft verbunden ist oder einem Patronat untersteht. In einigen österreichischen Diözesen wird der Besonderheit der Verbindung von Pfarrkirche mit Ordensgemeinschaften besonders Rechnung getragen. Hierbei wird teilweise auf inkorporierte Pfarren abgestellt, teilweise auf Pfarrkirchen, die Sitz eines Klosters (oder Kapitels) sind32 . Die Kompetenz von PGR (PKR) wird nach Maßgabe einzelner diözesaner Regelungen ausgeschaltet, d. h. die rechtsgeschäftliche Vertretung der betreffenden Pfarrkirchen steht der Ordensgemeinschaft zu. Durch die Formulierung "Sitz eines Klosters" wird, was die Verbindung von Kloster und Pfarre angeht, auf beide diesbezüglich möglichen Formen Bezug genommen: die Inkorporation und die sogenannte einfache Anvertrauung gemäß c. 520 § 1, die auf Dauer oder für eine bestimmte festgelegte Zeit erfolgen kann33 . Soweit nicht für Inkorporationen generell eine Ausnahmeregelung vorgesehen ist (wie z. B. nach § 28 der Gurker PKR-Ordnung), unterliegen jene inkorporierten Pfarrkirchen, die nicht Sitz eines Klosters sind (dies ist bei den weitaus meisten inkorporierten Pfarrkirchen der Fall), den allgemeinen Bestimmungen über die Kompetenz des PGR (PKR, Wirtschaftsrat), wobei allerdings, wie etwa in § 25 der Grazer Ordnung für den Wirtschaftsrat, auf die Beachtlichkeit der (nicht näher bezeichneten) Rechte von Inkorporationsträger (und Patron) hingewiesen wird. Nach der st. Pöltner Ordnung steht bei inkorporierten Pfarren dem Vertreter des Inkorporationsträgers im PKR Sitz und Stimme zu; nimmt der Vorsteher des Inkorporationsträgers an einer Sitzung teil, so steht ihm der Vorsitz zu34. 32 Ordnung für den Wirtschaftsrat der Diözese Graz-Seckau § 30; PKR-Ordnung Linz § 28; Pfarrordnung St. Pölten § 5I. 33 B. Primetshofer, Ordensrecht, Freiburg 31988, 160. 34 Pfarrordnung St. Pölten § 30, 2. - Aus einem Zusammenhalt von der Bestimmung in § 51, 3 der St. Pöltner Ordnung geht hervor, daß bei inkorporierten Pfarren die Baulastsachen der Pfarrpfründe jedenfalls aus der Kompetenz des PKR

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Einige Diözesen nehmen ausdrücklich auf die Rechtsstellung des Patrons Bezug. Am umfassendsten geschieht dies in St. Pölten, da bei den unter einem Patronat stehenden Pfarrkirchen dem Patron bei allen Sitzungen des PKR Sitz und Stimme zusteht (§ 30, 3). Linz verweist ganz allgemein auf Rechte des Patrons35 , und Innsbruck verpflichtet den PKR, bei Bestand eines Privatpatronats eine Einigung wegen Zusicherung der Beitragsleistungen zu führen 36 . Sitz und Stimme im PKR kommt dem Patron in den beiden letztgenannten Diözesen nicht zu. 3. Kanonistische Bewertung

Gemeinsam ist allen österreichischen partikularrechtlichen Regelungen in bezug auf die Verwaltung pfarrlichen Vermögens, daß es sich um eine kollegiale VertretungsbeJugnis handelt, d. h. rechts geschäftlicher Vertreter dieses Vermögens ist eine Personenmehrheit, die aus grundsätzlich gleichberechtigten Mitgliedern besteht. Gegebenenfalls kommt dem Vorsitzenden dieses Gremiums ein Dirimierungsrecht bei Stimmengleichheit in der Abstimmung über Sachfragen zu37, oder er besitzt in Personal fragen , d. h. bei Begründung und Beendigung von Dienstverhältnissen ein Vorschlagsrecht. In anderen Diözesen kommt dem Pfarrer als Vorsitzendem weder ein Dirimierungsrecht noch ein Vorschlagsrecht zu. Angesichts der Tatsache dieser kollegialen Vertretungsbefugnis des PGR (PKR) stellt sich die Frage, ob diese Gremien mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind oder nicht. Vom universalen Recht des CIC/1983 zählen sie nicht zu den eo ipso in den Rang einer juristischen Person erhobenen Einrichtungen. In den hier zur Untersuchung stehenden partikularrechtlichen Rechtsquellen ist von einer solchen Rechtspersönlichkeit ebenfalls nicht die Rede; eine Verleihung von Rechtspersönlichkeit durch bischöfliches Dekret herausgenommen und in die des Inkorporationsträgers velWiesen werden. Unbeschadet dieser Kompetenzregelungen ist der Vertreter des Inkorporationsträgers zu allen Sitzungen des PKR einzuladen und mit Sitz und Stimme ausgestattet. 35 § 23 der Linzer PKR-Ordnung: "Der Pfarrkirchenrat hat unbeschadet der Rechte des Patrons mit aller Sorgfalt über den Bauzustand der Kirchen- und Pfründengebäude zu wachen ... " 36 PKR-Ordnung Innsbruck § 36, 1: "Besteht für die Kirche oder Pfarre ein Privatpatronat oder ist ein Dritter aufgrund von Privatrechtstiteln zur Tragung der Baulast verpflichtet (Spezialverpflichteter), so hat der Pfarrkirchenrat. ... mit diesem eine Einigung wegen Zusicherung der Beitragsleistungen herbeizuführen." 37 PKR-Ordnung Innsbruck § 15,2.

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ist nicht etweislich, SO daß man im Ergebnis davon auszugehen hat, daß weder PGR noch PKR mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind. Dennoch werden sie rechtsgeschäftlich tätig. Sie sind zwar nicht Eigentümer des pfarrlichen Vermögens (der Pfarre iSv c. 515 § 3, der Pfarrkirche und der Pfarrpfründe), nehmen aber dessen rechtsgeschäftliche Vertretung wahr. Als erste und wichtigste stellt sich die Frage nach der kollegialen vermögensrechtlichen Vertretungskompetenz von PGR, PKR oder Wirtschaftsrat auf pfarrlicher Ebene. Ganz allgemein ist zu bemerken, daß im kodikarischen Recht kein Fall einer kollegialen Vertretung kirchlichen Vermögens vorkommt. Überall sind einzelne Organe bestellt, die die rechtsgeschäftliche Vertretung nach außen vornehmen und die im Innenverhältnis an verschieden geartete Beispruchsrechte gebunden sind; bei Akten der außerordentlichen Vetwaltung, insbesondere bei Veräußerungen, haben diese Beispruchsrechte die Form der Zustimmung (vgl. cc. 1277,638 §§ 3 und 4). Nun läßt zwar c. 1279 § 1 hinsichtlich der Vermögensvetwaltung einen Spielraum zugunsten des Partikularrechts, der Statuten oder einer rechtmäßigen Gewohnheit, so daß es unter diesem Gesichtspunkt denkbar wäre, daß von der kodikarischen Regelung abweichendes Partikularrecht durch den im c. 1279 § 1 ausgesprochenen Vorbehalt bestehen könnte38 . 38 C. 1279 § 1 enthält auch eine Regelung in bezug auf die subsidiäre Vertretung der seinem Aufsichtsrecht unterstehenden juristischen Personen durch den Ordinarius. Dieses "Eingriffsrecht" des Ordinarius steht als zweiter Satzteil nicht unter dem Vorbehalt zugunsten anders lautenden Partikularrechts. Demzufolge erscheint eine Bestimmung der St. Pöltner Pfarrordnung äußerst bedenklich, wenn es hier u.a. heißt: "Alle Baulastsachen .... vollzieht gegenüber Dritten und Behörden der Pfarrkirchenrat im Namen der Pfarre, der Kirche, Pfründe oder Stiftung, für die er tätig ist. Die bischöfliche Behörde kann den Vollzug nach freiem Ermessen an sich ziehen und wird dann insoweit als gesetzliche Vertretung des betreffenden Rechtsträgers tätig." (§ 50, 1 Pfarrordnung der Diözese St. pölten). - Der Ordinarius kann die rechtsgeschäftliche Vertretung einer seinem Aufsichtsrecht unterstehenden juristischen Person nicht nach freiem Ermessen an sich ziehen, sondern nur nach Maßgabe der im kodikarischen Recht genannten Gründe. Diese sind für die Vertretung vor Gericht durch c. 1480 § 2, für allgemeine rechts geschäftliche Vertretung durch c. 1279 § 1 geregelt, wobei in beiden Fällen auf Nachlässigkeit des unmittelbaren rechtsgeschäftlichen Vertreters bzw. (im Falle des c. 1480 § 2) auch auf dessen völliges Fehlen abgestellt wird. Von einem freien Ermessensspielraum des Ordinarius, den unmittelbaren Vermögensverwalter auszuschalten, ist im kodikarischen Recht keine Rede. Vgl. dazu (hinsichtlich des c. 1653 CIC/1917) den völlig in Einklang mit der kirchlichen Rechtslage stehenden Beschluß des Österreichischen VwGH vom 12.1.1956, Zl. 2243/52 bei KlecatskyIWeiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, (Anm. 1) 255, Anm. 5a: "Das Vermögen der kirchlichen Pfarrkirchen und Pfarrpfründen wird durch die nach dem kanonischen Recht berufenen lokalen Organe verwaltet und vertreten, wobei den zu-

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Allerdings stehen m. E. c. 1279 und c. 537 i. V.m. c. 532 zueinander im Verhältnis von lex generalis und lex specialis. Letztere legt nun verbindlich fest, daß im Bereich der pfarrlichen Vermögensverwaltung jedenfalls der Pfarrer persönlich die Pfarrei bei allen Rechtsgeschäften vertritt; von einem Vorbehalt zugunsten anderslautenden Partikularrechts wird hier nicht gesprochen. Nach den allgemeinen Derogationsregeln des c. 6 § 1, 2 heben daher die cc. 532 und 537 ein mit dem Alleinvertretungsrecht des Pfarrers in Widerspruch stehendes Partikularrecht mit kollegialer Vertretungsbefugnis auf. Diesen normativen Widerspruch und die damit verbundenen Rechtswirkungen hat offenbar die Deutsche Bischofskonferenz klar erkannt, weil sie unmittelbar nach der Promulgation des CICI1983 vom Hl. Stuhl ein Indult erwirkt hat, wonach c. 532 (Vertretung des Vermögens der Pfarrgemeinde durch den Pfarrer) nicht eingehalten werden muß in den Rechtsgebieten, in denen das Vermögensverwaltungsrecht auf staatlicher Grundlage oder auf staatskirchenrechtlicher Vereinbarung beruht, sowie auch in den Gebieten, wo früheres Recht inzwischen durch eigenständiges kirchliches Recht ersetzt worden ist39 . Von einem Indult gleichen oder ähnlichen Inhalts ist für Österreich nichts bekannt. Das schon mehrfach erwähnte Dekret des Erzbischofs von Wien40 hebt die derogatorische Wirkung von c. 536 CIC/1983 gegenüber der früheren Fassung der PGR-Ordnung hervor, d. h. aufgrund des CIC/1983 könne dem PGR (ausgenommen in vermögensrechtlichen Angelegenheiten) nur beratende Funktion zukommen. Es ist aber der Neufassung der Wiener PGR-Ordnung völlig entgangen, daß auch den ce. 532 und 537 derogatorische Wirkung zukommt. Kraft dieser sind die Bestimmungen über die kollegiale Vertretungskompetenz des PGR und dessen Alleinentscheidungsbefugnis ebenso außerkraft getreten. Dasselbe gilt natürlich für alle diözesanen Ordnungen, die eine solche kollegiale Entscheidungskompetenz durch den PGR festgelegt haben41 . ständigen Kirchenbehörden die Aufsicht und Kontrolle zusteht (Art XIII § 2 des österreichischen Konkordats 1934). Aus dem Aufsichtsverhältnis allein kann aber eine Befugnis, Ansprüche namens des diesen kirchlichen Rechtssubjekten gehörigen Vermögens im Verwaltungsverfahren geltend zu machen, nicht abgeleitet werden." Ebenso VfGH 5.10.1964 - B 45/64 in: ÖAKR 32 (1981) 458-469. 39 Wiedergabe des Indults, in: Münsterischer Kommentar, RdZ 11 zu c. 532. 40 Vgl. Anm. 8. 41 Vgl. H. Heimerl/H. Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche. Regensburg 1993, 402. F. Coccopalmerio, Oe paroecia, Roma 1991, 206,

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Der CIC/1983 hat in bezug auf den Vermögensverwaltungsrat (c. 537) und die rechtsgeschäftliche Vertretungskompetenz des Pfarrers (c. 532) offensichtlich die Rechtsperson Pfarre (c. 515 § 3) im Auge. Nun bestehen in Österreich aber, wie schon erwähnt, neben der durch den CIC/1983 neugeschaffen Rechtsperson Pfarre in vielen Fällen noch die beiden anderen juristischen Personen aufgrund des CIC/1917, nämlich die Pfarrkirche und die Pfarrpfründe; diese bleiben auch nach dem CIC/1983 aufrecht42 • Es stellt sich demzufolge die Frage, ob die Bestimmungen des c. 537 iVm c. 532 über die rechtsgeschäftliehe Vertretung nicht nur auf die juristische Person Pfarre, sondern auch auf die beiden zuletzt genannten, nämlich Pfarrkirche und Pfarrpfründe anzuwenden sind oder nicht. Die ratio legis der in Rede stehenden ce. besteht m. E. darin, daß sich die Vermögensverwaltung im Bereich der Pfarre grundsätzlich nach dem vom CIC/1983 gezeichneten Modell, nämlich rechtsgeschäftliche Vertretung durch den Pfarrer unter Mitwirkung des Vermögensrates in Form von Beispruchsrechten abspielen soll. Und dies unabhängig von der Frage, welche juristische Person im Bereich der Pfarre (d. h. die Pfarre als Personengemeinschaft, die Pfarrkirche oder Pfarrpfründe) Träger des Kirchenvermögens ist. Aus der Tatsache, daß der CIC/1983 nur von der Pfarre spricht, kann nicht zwingend gefolgert werden, daß er dabei nur die Pfarre iSv c. 515 § 3 im Auge hat. Der Gesetzgeber geht offensichtlich von der Überlegung aus, daß für die von ihm gar nicht mehr erwähnten Rechtsträger - bezüglich der Benefizien legt er ja fest, daß diese, soweit sie noch bestehen, allmählich in eine diözesane oder sogar überdiözesane "massa communis" überführt werden sollen (c. 1272) - keine andere vermögensrechtliche Regelung haben sollen als die Pfarre selbst. Somit wird durch die erwähnten ce. der partikularrechtlichen kollegialen Vertretungsbefugnis durch den PGR bzw. PKR auch hinsichtlich der Rechtsträger Pfarrkirche und Pfarrpfründe derogiert. Eine andere Lösung, nämlich ein "Splitting" der Vertretungsbefugnis zwischen der Pfarre einerseits und den beiden anderen Rechtsträgern andererseits würde zu schwer durchführbaren Konsequenzen führen. Denn man hätte auf " ... unicus administrator, scilicet parochus, cum adiutorio plurium consiliariorum, consilii, scilicet, arebus oeconomicis." H. Paarhammer, Münsterischer Kommentar, (Anm. 6) RdZ 5 zu c. 532: "Dem VermögensvelWaltungsrat kommen Beispruchsrechte zu." - Beispruchsrechte in Form von Rat oder Zustimmung (c. 127) setzen im Unterschied zum kollegialen Akt (c. 119) die Alleinentscheidungskompetenz dessen voraus, der an Beispruchsrechte gebunden ist. 42 Dazu Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz: Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz I/Nr. 1/15/1984.

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der einen Seite die Alleinvertretungskompetenz des Pfarrers, auf der anderen hingegen die Kollegialvertretung durch PGR (PKR), in deren Entscheidungen der Pfarrer nur mit einer Stimme eingebunden wäre und gegen deren Beschlüsse ihm je nach den einzelnen diözesanen Regelungen nur das Rekursrecht an den Bischof zukäme; die Entscheidung des PGR (PKR) als solche könnte auch gegen den Willen des Pfarrers rechtsgültig getroffen werden. Bevor auf (einige) Einzelheiten hinsichtlich der materiellen Zuständigkeit von PGR (PKR) in den diözesanen Ordnungen Österreichs eingegangen wird, sei kurz noch die Frage nach Möglichkeit oder zumindest Opportunität jener Konstellation nachgegangen, derzufolge der pfarrliche Pastoralrat (PGR) und der pfarrliche Vermögensverwaltungsrat (PKR) ein- und dasselbe Gremium darstellen. Diesbezüglich besteht in Österreich nicht überall dieselbe Regelung: Die beiden Gremien sind teils identisch, allerdings mit je verschiedenen Kompetenzen und Beschlußfassungsmodalitäten, teils sind beide Gremien überhaupt oder zumindest insofern getrennt, als der Vermögensverwaltungsrat als Pfarrkirchenrat einen Fachausschuß des PGR bildet. Eine komplette Personalunion zwischen PGR und dem pfarrlichen Vermögensverwaltungsrat (PKR) muß jedenfalls als dem Sinn der kodikarischen Regelung widerstreitend bezeichnet werden43 • Dem CIC zufolge handelt es sich um zwei verschiedene Gremien, von denen das eine, nämlich der Vermögensverwaltungsrat verpflichtend vorgeschrieben ist (c. 537), während die Errichtung des anderen, nämlich des pfarrlichen Pastoralrats (PGR) in das freie Ermessen des Diözesanbischofs gestellt wird (c. 536 § 1). Verschieden ist auch die Zielsetzung: dem pfarrlichen Pastoralrat (PGR) obliegt die Förderung der Seelsorgstätigkeit der Pfarre (c. 536 § 1), der Vermögensverwaltungsrat (PKR) soll (vordringlich) bei der Verwaltung des Pfarrvermögens mithelfen (c. 537). Letzteres erfordert eine gewisse Erfahrung im Umgang mit zeitlichen Gütern, was nicht bei allen Mitgliedern des PGR unbedingt vorausgesetzt werden kann 44 • Die CIC-Kommission hatte daher in der Vorbereitungsphase des CIC/1983 die Frage, ob zwischen den beiden in Rede stehenden pfarrlichen Gremien eine Verbindung bestehen solle, rundweg vemeint45 . Bei einer Durchsicht der Kompetenzen von PGR (PKR) fallt auf, daß diese Gremien für den Abschluß und die Auflösung von Dienstverträgen mit Laiendienstnehmern der Pfarre zuständig sind46 . In einzelnen Diözesen 43 HeimerllPree, Handbuch (Anm. 41) 402. 44 Vgl. dazu Coccopalmerio, De paroecia (Anm. 41) 207. 45 Communicat 14 (1982), 226: "Nulla connexio praevidenda est, quia agitur de organis diversis." 46 Vgl. z. B. Nr. 11/2, lit. c der Wiener PGR-Ordnung. Hier wie in anderen diözesanen Ordnungen bleibt die Frage offen, ob mit "Pfarre" ausschließlich die juristische

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kommt dem Pfarrer hinsichtlich der Bestellung von Laiendienstnehmern ein Vorschlagsrecht zu. In anderen Diözesen ist dies hingegen nicht der Fall. Einer Konstellation, wonach dem Pfarrer kein Vorschlagsrecht zusteht und er somit dem Mehrheitsbeschluß von PGR (PKR) völlig unterworfen ist, kann der Vorwurf einer gewissen Realitätsferne nicht erspart werden. Denn der Pfarrer ist es ja, der in erster Linie mit den Laiendienstnehmern (Mesner, Organist, Pfarrsekretär(in) usw.) zusammenarbeiten muß, er ist von einer solchen Bestellung in erster Linie betroffen. Es ist nun doch sehr eigenartig, wenn dem Pfarrer bei der Bestellung von pfarrlichen Dienstnehmern nicht mehr Recht zukommt als jedem anderen Mitglied des PGR, das von dieser Bestellung, wenn überhaupt, so doch jedenfalls in ungleich geringerem Maße tangiert wird als der Pfarrer persönlich. Daran kann auch die Vorbehaltsklausel, wonach derartige Dienstverträge der Genehmigung des Ordinarius bedürfen, nichts ändern. Denn der PGR (PKR) faßt ja bereits einen wenn auch vorläufigen Beschluß auf Abschluß eines Dienstvertrages mit einer bestimmten Person. Wenn der Pfarrer nun seinen Einwand beim Ordinarius geltend macht, hat er, abgesehen vom durchaus ungewissen Erfolg dieses Einwandes, das Odium auf sich geladen, eine bestimmte Person abgelehnt zu haben, die noch dazu in nicht wenigen Fällen Mitglied seiner Pfarrgemeinde sein kann. Nicht wenige - allerdings auch nicht alle - diözesanen Ordnungen befassen sich mit der Sonderstellung, die aufgrund der Verbindung einer Pfarre mit einer Ordensgemeinschaft entsteht. Hier ist zunächst einmal der Fall zu erwähnen, daß eine Pfarrkirche Eigentum der Ordensgemeinschaft47 ist. Die einzig richtige Lösung dieser Verbindung kann nur darin bestehen, daß der PGR (PKR) überhaupt für die Vermögensverwaltung nicht kompetent ist. Eine PGR-Ordnung, die überhaupt keinerlei Sonderregelungen für derartige Kirchen vorsieht und die dem PGR (PKR) die vermögensrechtliche Verwaltung und Vertretung auch dieser Pfarrkirche zuweist, stellt einen gravierenden Eingriff in die den Ordensgemeinschaften zustehende Autonomie (c. 586 § 1) dar, die sich auch auf die Vermögensverwaltung erstreckt (c. 634 § 1). Dem Ordinarius obliegt es, diese allen Verbänden, auch den diözesanrechtlichen, Person iSv c. 515 § 3 gemeint ist, oder ob darunter auch die beiden anderen, nämlich Pfarrkirche und Pfarrpfcünde gemeint sind. M. E. ist "Pfarre" hier weit auszulegen, d. h. es geht hier um den Abschluß von Dienstverträgen mit Laiendienstnehmern unabhängig davon, welche juristische Person konkret Dienstgeber ist. Ein Mesner könnte z. B. auch Dienstnehmer der Pfarrkirche sein. 47 Vgl. dazu D. J. Andres, Il diritto dei Religiosi. Commento al Codice. Roma 1984,452. B. Primetshofer, Die Rechtsverhältnisse in einer Klosterpfarrkirche, in: K. Lüdicke/H. PaarhammerlD. A. Binder (Hrsg.), Recht im Dienste des Menschen. FS für H. Schwendenwein, GrazlWien/Köln, 1986,485-489.

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zukommende Autonomie zu schützen (c. 586 § 2). - Auch die dem Ortsordinarius in bezug auf diözesanrechtliche Verbände zustehenden erweiternden Vigilanzrechte über die Gebarung mit klösterlichem Vermögen (cc. 637, letzter Satz; c. 638 § 4) bedeutet nicht, daß der Ortsordinarius die Verwaltung dieses Vermögens selbst vornehmen oder sie im Wege der Diözesangesetzgebung dem PGR (PKR) oder sonst einem Gremium auf diözesaner bzw. pfarrlicher Ebene zuweisen kann48 . Nun ist die im Eigentum der Ordensgemeinschaft stehende Kirche aber auch zugleich Pfarrkirche, wobei es wohl in den meisten Fällen so sein wird, daß der Ordensgemeinschaft die Pfarre iSv c. 520 § 1 anvertraut wurde; es könnte sich aber durchaus auch um eine inkorporierte Pfarre handeln mit der Sonderform, daß der Inkorporationsträger Eigentümer der Kirche ist49 . Somit muß die Ordensgemeinschaft jedenfalls solche Eingriffe in ihr Eigentumsrecht seitens der Pfarre dulden, die für die Durchführung der Pfarrseelsorge unerläßlich sind. Als Beispiel hiefür wäre der Tautbrunnen zu nennen, der nunmehr in jeder Pfarrkirche vorhanden sein muß, selbst wenn es in der Pfarrei noch andere Kirchen mit Tautbrunnen geben sollte (c. 858 § 1). Dies bedeutet, daß der Eigentümer der Klosterpfarrkirche sich der Errichtung eines Taufbrunnens nicht widersetzen kann. Allerdings kann dieses Recht auf Errichtung des Taufbrunnens wiederum nicht so weit gehen, daß der für die Pfarre Vertretungsbefugte allein bestimmt, welche Art (insbesondere welche künstlerische Gestaltung) von Taufbrunnen wo in der Kirche errichtet wird, sondern diesbezüglich kommt dem Vorsteher der Ordensgemeinschaft zweifellos ein Konsensrecht zu. Und dies auch dann, wenn die Kosten für die Errichtung des Tautbrunnens zur Gänze von der Pfarre getragen werden. Auch dem Ortsordinarius kommt nicht das Recht zu, einer Klostergemeinschaft in der eigenen Kirche eine bestimmte Art eines Taufbrunnens verbindlich vorzuschreiben; es könnte nur sein, daß im Streitfall sich die Parteien, die Pfarre und die Klostergemeinde, freiwillig dem Schiedsspruch des Ortsordinarius oder eines anderen unterwerfen.

48 Ein Eingriffsrecht des Ordinarius wäre nur im Falle der Nachlässigkeit des unmittelbar zuständigen Verwalters möglich (c. 1279 § 1). Bei einem diözesanrechtlichen Verband ist hier unter Ordinarius der Ortsordinarius zu verstehen, da die höheren Oberen diözesanrechtlicher Verbände, auch wenn es sich um einen klerikalen Verband handelt, keine Ordinarien sind (vgl. c. 134 § 1). 49 Eine solche Sonderform der Inkorporation - sie ist m. E. nicht eo ipso identisch mit der incorporatio pleno iure aufgrund von c. 1425 § 2 CIC/1917 - liegt wohl bei den österreichischen Abteikirchen vor, wenn diese, was häufig der Fall ist, zugleich Pfarrkirchen sind.

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Die Errichtung einer Pfarrkirche bei einer Klostergemeinde bedeutet in den meisten Fällen auch, daß im Klostergebäude Räume für pfarrliche Zwecke (Pfarrkanzlei, Pfarrsaal, Jugendräume) zur Verfügung gestellt werden müssen. Dazu ist die Ordensgemeinschaft nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten verpflichtet. Diese zur Pfarre gehörenden Räumlichkeiten werden rechtsgeschäftlich vom PGR (PKR) verwaltet und vertreten, wobei die geeignetste Form der Rechtsbeziehungen zwischen Ordensgemeinschaft und Pfarre wohl der Mietvertrag 50 mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten sein wird. - Auf dem Wege einer PGR-Ordnung können nicht einseitig weiterreichende Befugnisse für den PGR dekretiert werden.

In nicht wenigen Fällen wird in den PGR-Ordnungen die Inkorporation angesprochen und es werden daraus hinsichtlich der Kompetenz von PGR (PKR) verschiedene Konsequenzen gezogen. Der Begriff Inkorporation muß sicher über die worteigene Bedeutung hinaus extensiv interpretiert werden, d. h., will die Regelung nicht unvollständig sein, muß das über die Inkorporation Gesagte auch auf die einfache Anvertrauung gemäß c. 520 § 1 angewendet werden. In bezug auf die Inkorporation ist durch den CIC/1983 insofern eine Änderung eingetreten, als die der früheren "incorporatio pleno iure" (c. 1425 § 2 CIC/1917) eigentümliche Konstruktion, wonach die juristische Person als solche Pfarrer war, aufgehoben wurde. "Eine juristische Person kann nicht Pfarrer sein" (c. 520 § I). Daraus ist aber m. E. nicht der Schluß zu ziehen, daß die incorporatio pleno iure als solche aufgehoben sei und es demzufolge, sofern überhaupt, nur mehr incorporatio semiplena (ad temporalia tantum) iSv c. 1425 § 1 CIC/1917 geben könne51 . Das fast überhaupt nur mehr in Österreich bestehende Rechtsinstitut der Inkorporation hat, auch was die Form der vollen Inkorporation (incorporatio plena iure) betrifft, nur die erwähnte Modifizierung erhalten, daß die juristische Person nicht Pfarrer sein kann, sondern daß eine physische Person Pfarrer zu sein hat. Es sind aber die sonstigen Merkmale der vollen Einverleibung erhalten geblieben. Zum einen, daß der Klosterobere dem Bischof ein Mitglied des Ordensverbandes als Pfarrer präsentiert52 , zum anderen hat sich in 50 Dazu Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz über Bestandverträge (Miet- und Pachtverträge), in: Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 3/37 (1989). 51 Vgl. H. Hack, Die Pfarrei, in: HdbkathKR 393 "Das neue Gesetzbuch verbietet jegliche volle Einverleibung (Inkorporation) einer Pfarrei". 52 Würden alle vollen Inkorporationen durch den CIC/1983 in halbe umgewandelt werden, dann müßte der Ordensobere ja einen Weltpriester als Pfarrer präsentieren

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bezug auf die vermögensrechtlichen Aspekte der Inkorporation nichts geändert53 . In Österreich ist der Inkorporationsträger in bezug auf die Baulast an Pfarrkirchen und teilweise auch Pfarrpfründen weitgehend dem Patron gleichgestellt54 . In keiner der hier zur Untersuchung stehenden PGR-(PKR)-Ordnungen findet eine ausdrückliche Berücksichtigung einer rechtlichen Konstellation statt, die dem Inkorporationsträger und dem Patron gegebenenfalls ein gesondertes Konsensrecht bei Maßnahmen der außerordentlichen Vermögensverwaltung, insbesondere bei Veräußerungen zuweist. Es handelt sich um die InteressentensteIlung; diese ist bei Inkorporationsträger und Patron dann gegeben, wenn sich durch bestimmte Maßnahmen im Bereich der außerordentlichen Vermögensverwaltung die Leistungspflicht von Patron oder Inkorporationsträger erhöhen würde. In Österreich richtet sich die Baulast primär nach staatlichen Bestimmungen, d. h. den für die ehemaligen Kronländer (der Monarchie) geschaffenen alten und neuen Baulast-Normalien55 , die aufgrund des Konkordats (ZusProt

(c. 1425 § 1). Das Fortbestehen der Inkorporation mit der durch c. 520 § 1 eingetretenen Modifizierung ist aufgrund von c. 4 gesichert, da es sich um wohlerworbene Rechte bzw. Privilegien des HI. Stuhles handelt, die durch den Codex nicht widerrufen wurden. H. Paarhammer, in: Münsterischer Kommentar, (Anm. 6) RdZ 2 zu c. 520 tritt ebenfalls für das Weiterbestehen der Inkorporation ein, meint aber, dies sei aufgrund von c. 5 (unvordenkliche Gewohnheit) gewährleistet. - Rechtsgrundlage für Inkorporationen sind jedoch kaum im Gewohnheitsrecht zu suchen, sondern es handelt sich beinahe ausschließlich um Erwerb durch päpstlichen oder allenfalls bischöflichen Hoheitsakt. Vgl. dazu W. M. Plöchl, Inkorporation, in: HRG 11, Sp. 366 - 368. - Zur Frage der Inkorporation nach dem CIC/1983 vgl. A. Gutierrez, Canones circa Instituta vitae consecratae et Societates vitae apostolicae vagantes extra partem eorum propriam, in: CommRelMiss 65 (1984), 19. 53 Die Bemerkung Hacks, Pfarrei, (Anm. 51) daß auch die halbe Einverleibung keine gesetzliche Grundlage mehr habe und daß sie angesichts der heutigen wirtschaftlichen Situation "praktisch gegenstandslos" geworden sei, entspricht daher in keiner Weise der (österreichischen) Realität. 54 HeimerllPree, Vermögens recht (Anm. 41) 478. - Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Baulastpflicht des Inkorporationsträgers weiterhin aufgrund eines staatlichen Rechtstitels oder ausschließlich aufgrund eines innerkirchlichen besteht. Vgl. dazu H. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, Essen 1992, 647 Anm. 428 und 429. 55 Diese sind abgedruckt bei M. Burckhard, Gesetze und Verordnungen in Cultussachen. Wien 11, 31895, 372 - 513. - I. GampllR. PotzlB. Schinkele, Österreich i-

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zu Art. XIV) für die heutigen Bundesländer weiterhin in Geltung stehen und auch durch den Vermögensvertrag 19605 6 im wesentlichen unberührt geblieben sind. Demzufolge besteht in Österreich im Grunde genommen nachstehende Reihenfolge hinsichtlich der Baulast an Kirchen: zunächst ist der aus dem speziellen Titel hiezu Verpflichtete nach Maßgabe des Verpflichtungstitels heranzuziehen. Hauptsächlich zur Baulast verpflichtet ist für die Pfarrkirche das Kirchenvermögen, d. h. zunächst das frei verfügbare Vermögen und, wenn dieses nicht ausreicht, auch das Stammvermögen. Den verbleibenden Rest tragen Inkorporationsträger bzw. Patron zumindest zu einem Drittel, gegebenenfalls bis zur Gänze. Inkorporationsträger und Patron sind somit nur subsidiär zur Tragung ihres Anteils verpflichtet (Patronatstangente). Sofern sich nun durch Maßnahmen im Bereich des frei verfügbaren bzw. Stammvermögens der Kirche eine zusätzliche Belastung für den Inkorporationsträger oder den Patron ergeben, besitzen diese InteressentensteIlung und haben demzufolge ein Konsensrecht zu Veräußerungen57 , wobei nicht eigens betont zu werden braucht, daß hier der weite Veräußerungsbegriff des c. 1295 zugrundezulegen ist, d. h. es ist hier jedes Rechtsgeschäft zu verstehen, durch das sich die Vermögenslage der betreffenden juristischen Person verschlechtern könnte5 8 . Nichtbeachtung eines Konsensrechts hat Nichtigkeit des betreffenden Rechtsaktes zur Folge (c. 127 § 2, 1)59. Mit der Zuweisung von Sitz und Stimme für Inkorporationsträger und Patron im PGR (PKR) wird der hier geschilderten Situation nicht oder zumindest nicht ausreichend Rechnung getragen. Denn durch das bloße Stimmrecht ist ja das Konsensrecht des Inkorporationsträgers bzw. Patrons nicht gesichert, der eine wie der andere könnte ja von der Mehrheit des PGR (PKR) überstimmt werden. Bloßer Sitz und Stimme für Inkorporationsträger und Patron sind daher nur dann als hinreichend anzusehen, wenn die Beschlüsse von PGR (PKR) von solcher Art sind, daß sie keine InteressentensteIlung der Genannten begründen60 • sches Staatskirchenrecht. Gesetze, Materialien, Rechtsprechung. Wien 1990, I, 232 244. 56 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich vom 23. 6. 1960, BGBI195/1960, zur Regelung von vermögens rechtlichen Beziehungen. 57 Anm. c. 1292 § 1: " ... cum consensu ... eorum quorum interest". 58 Vgl. C. Heinrichsmeier, Das kanonische Veräußerungsveroot im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Amsterdam 1970,22 f.: HeimerllPree, Vermögens recht (Anm. 41) 301-305. 59 Zum Zustimmungsrecht des Interessenten bei Veräußerungen von Kirchengut vgl. H. Schnizer, Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich. GrazlKöln 1961, 122-126. 60 In bezug auf Ordensgemeinschaften ist festzuhalten, daß deren mögliche InteressensteIlung unabhängig vom Grad ihrer Unterstellung unter den Diözesanbischof 24 Primetshofer

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4. Zusammenfassung

Aufgrund des bisher Gesagten läßt sich feststellen, daß die Österreichischen PGR-(PKR)-Ordnungen zu einigen Bestimmungen des universalen Kirchenrechts (CICJI983) in Widerspruch stehen. Dies bezieht sich insbesondere auf folgende Punkte: a) Die kollegiale Vertretungskompetenz des PGR (PKR) in vermögensrechtlichen Angelegenheiten. Hier wird die in c. 532 festgelegte alleinige Vertretungskompetenz des Pfarrers ausgeschaltet. Diese kollegiale Vertretungskompetenz enthält einige neuralgische Punkte, so z. B. die Kompetenz von PGR (PKR) zum Abschluß und zur Auflösung von Dienstverträgen mit Laiendienstnehmern der Pfarre. Dieses Recht der genannten Gremien zum Abschluß solcher Dienstverträge wird in einigen diözesanen Regelungen gemildert durch ein Vorschlagsrecht des Pfarrers hinsichtlich der Person des Dienstnehmers. Das Nichtbestehen eines solchen Vorschlagsrechts kann sich besonders ungünstig für den Pfarrer auswirken. b) Eine Regelung, derzufolge PGR und PKR ein und dasselbe Gremium darstellen, steht zumindest mit dem Tenor des CIC/1983 nicht in Einklang. Die je verschiedenen Aufgabenbereiche von PGR und PKR, nämlich pastorale Mitverantwortung auf der einen und Mitarbeit bei der Vermögensverwaltung auf der anderen Seite verlangen verschiedene fachliche Kompetenzen der Mitglieder. c) Die Verbindung von Ordensgemeinschaften mit Pfarrkirchen verlangen eine differenziertere Behandlung als dies in einigen PGR-(PKR)-Ordnungen geschieht. Sofern die Pfarrkirche im Eigentum der Ordensgemeinschaft steht, sind PGR bzw. PKR für die Vermögensverwaltung überhaupt nicht kompetent; die Vermögensverwaltung muß in diesem Fall ausschließlich in den Händen der Ordensgemeinschaft liegen.

ist. Besitzt ein diözesanrechtlicher Verband Interessenstellung, dann kann der Ortsordinarius in dieses Rechtsverhältnis weder hinsichtlich seines Bestandes noch hinsichtlich seiner Ausübung eingreifen. Denn die ihm in bezug auf diözesanrechtliche Verbände zukommenden erweiterten Rechte vermögens rechtlicher Natur (ce. 594, 637, 638 § 4) stellen Aufsichtsrechte dar und geben kein Recht der ersatzweisen rechtsgeschäftlichen Vertretung der dem Aufsichtsrecht unterstehenden juristischen Personen, es sei denn nach Maßgabe von c. 1279 § 1, d. h. bei (nachgewiesener) Nachlässigkeit des unmittelbar zuständigen Verwalters.

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Bei Inkorporationen ist zu beachten, daß dem Inkorporationsträger aufgrund seiner (subsidiären) Baulastpflicht InteressentensteIlung zukommt, sofern durch Veräußerungen im Bereich des Pfarrkirchen- und gegebenenfalls Pfarrpfründenvermögens eine erhöhte Leistungspflicht für den Inkorporationsträger entsteht. Dasselbe gilt auch vom Patron, wenn es sich um eine Patronatskirche handelt. Die Zuweisung von Sitz und Stimme im PGR (PKR) allein ist nicht ausreichend, da die InteressentensteIlung ein individuelles Konsensrecht des Interessenten nach sich zieht, bei dessen Nichtbeachtung der betreffende Rechtsakt ungültig wäre. d) Soweit das hier in Rede stehende Partikularrecht dem CIC/1983 entgegensteht, ist es ohne Rechtsverbindlichkeit, wobei das Verhältnis von lex prior und lex posterior außer Betracht bleiben kann. Denn der CIC würde als lex posterior entgegenstehendem Partikularrecht derogieren, soweit dieses nicht durch eine eigene Klausel geschützt wird. Eine solche Klausel gibt es aber in bezug auf die hier einschlägigen cc. 532, 536 und 537 nicht. - Nach Inkrafttreten des CIC/1983 geschaffenes Partikularrecht ist, soweit es dem Codex widerspricht, von vornherein ohne Rechtswirkung (c. 135 § 2). Auch aus dem Österreichischen Konkordat läßt sich für eine Sonderregelung in bezug auf die rechtsgeschäftliche Verwaltung und Vertretung pfarrlichen Vermögens nichts gewinnen. Im Gegenteil: Art. XIII verweist hinsichtlich der Verwaltung und Vertretung kirchlichen Vermögens auf das kanonische Recht. Derogatorische Wirkung des Konkordatsrechts (c. 3) gegenüber dem universalen Recht ist somit nicht gegeben. e) Gemäß Art. 158 der Apostolischen Konstitution "Pastor bonus"61 entscheidet der Päpstliche Rat zur Interpretation von Gesetzestexten, ob teilkirchliche Gesetze und von Gesetzgebern unterhalb der höchsten Autorität erlassene Allgemeindekrete mit den gesamtkirchlichen Gesetzen übereinstimmen oder nicht. Eine von diesem Päpstlichen Rat zu treffende Feststellung über die Diskrepanz zwischen dem in Rede stehenden österreichischen Partikularrecht und dem Recht des CIC/1983 hätte zur Folge, daß die dem kodikarischen Recht entgegenstehenden Bestimmungen der österreichischen PGR- und PKR-Ordnungen als ungültig erklärt werden. Eine diesbezügliche Anfrage kann von jedem gestellt werden, der ein rechtliches Interesse an der Klärung dieser Frage hat. Das ist im Sinne einer Entscheidung der PCI62 jeder, der in einem persönlichen, direkten, realen, vom Gesetz geschützten Interesse verletzt wird. 61 AAS 80 (1988) 901 f. 62 Entscheidung vom 29. 4. 1987, Communicat 19/1988, 76.

Zur Frage nach dem Normadressaten im kanonischen Recht Die Entscheidung der Signatura Apostolica vom 28. 11. 1970 über die Ungültigkeit einer zwischen Orthodoxen ohne "ritus sacer" eingegangenen Ehe! hat anscheinend die Diskussion um die Frage, ob und inwieweit nichtkatholische orientalische Christen den Bestimmungen des katholischen (orientalischen) Kirchenrechts, näherhin des Motu Proprio "Crebrae allatae"2 unterworfen sind, um einige Schritte weitergebracht. Was insbesondere die Formpflicht der Orthodoxen anlangt, so könnte die Art der päpstlichen Intervention bei dem zitierten Urteil der Signatura Apostolica zu dem Schluß Anlaß geben, die Frage der Formptlicht sei damit ein für allemal entschieden, da es doch heißt, Ehen zwischen Orthodoxen seien ungültig, wenn sie "absque interventu ministri sacri adsistentis ac benedicentis" eingegangen wurden. Damit hat anscheinend eine bereits vor der zitierten Entscheidung vertretene Meinung deutlich Bestätigung erhalten, derzufolge c. 90 § 2 IOMatr an einer für die orthodoxen Christen nach ihrem jeweiligen Recht bestehenden Formptlicht nichts geändert habe, sondern lediglich zum Ausdruck habe bringen wollen, daß die Orthodoxen nicht von der für die Katholiken in der zitierten Gesetzesstelle festgelegten Formptlicht erfaßt seien3 . In Wirklichkeit ist die Entscheidung nicht nur nicht geeignet, die umstrittene Frage der Formpflicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu lösen, sie wirft vielmehr eine ganze Reihe formeller wie materieller Fragen auf und läßt zudem einmal mehr die Problematik um den Normadressaten des kanonischen Rechts deutlich zutagetreten. Wie bereits angedeutet, war die Frage, inwieweit die Orthodoxen von den Normen des katholischen Kirchenrechts, insbesondere der eherechtlichen Bestimmungen, und hier wiederum besonders der Formptlicht, erfaßt seien oder nicht, schon lange vor der in Rede stehenden Entscheidung kontrovers. Und zwar nicht nur in der Lehre, ! Die Entscheidung ist abgedruckt in Apoll 44/1971,24 f.; AkKR 139 (1970) 523 f. und fmdet sich außerdem in der von X. Ochoa herausgegebenen Sammlung Leges Ecclesiae post Codicem Iuris canonici editae. Romae 1974, Nr. 3924, Sp. 5927. 2 AAS XLI/1949, 89 ff.; im folgenden IOMatr. 3 Vgl. u. a. J. Abbo in einem Urteil der SRR vom 5. 2. 1970, in Jurist 31 (1971) 401; dens., De impedimento mixtae religionis canone 72 Trullanae synod i sancito atque de forma a Graecis orthodoxis servanda in matrimonio ineundo, in PerM CL LVIII (1969) 606.

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sondern auch in der Judikatur bzw. in den Entscheidungen kirchlicher Verwaltungsbehörden. Während, was die Lehre angeht, auf der einen Seite Coussa als Hauptvertreter der These von der auch die Orthodoxen erfassenden Verpflichtungskraft des katholisch-orientalischen Kirchenrechts genannt werden muß4, hat knapp vor der Entscheidung der Signatura Apostolica vor allem Pujol in einer breit angelegten Untersuchung die Meinung vertreten, daß die Orthodoxen grundsätzlich nicht von den Bestimmungen des katholisch-orientalischen Kirchenrechts erfaßt seien5 . Ebenso divergierend sind die Entscheidungen der SRR bzw. der Römischen Kongregationen. Bis vor wenigen Jahren, vor bzw. nach "Crebrae allatae" vertrat die Rota die Auffassung, daß die nicht vor einem Minister sacer geschlossenen Ehen der Orthodoxen gültig seien, wobei auf die nach orthodoxem Recht bestehende Formpflicht keine Rücksicht genommen wurde. Diesem orthodoxen Recht wurde nur insofern Relevanz eingeräumt, als bei der Eingehung einer Zivilehe seitens Orthodoxer die Frage untersucht wurde, ob in diesem Fall ein rechter Ehekonsens vorhanden war6. Entscheidungen der Römischen Kongregationen bieten ein noch bunteres Bild, aus denen ebensowenig ein eindeutiges Urteil über die Frage der Normunterworfenheit der Orthodoxen gewonnen werden kann. Denn einerseits scheinen manche Entscheidungen davon auszugehen, daß trotz der Derogationsklausel des IOMatr das im Kanon 72 des Trullanum festgelegte (trennende) Hindernis der Bekenntnisverschiedenheit zwischen "Orthodoxen und Häretikern"7 weitergilt, daß aber anderseits - und zwar offensichtlich aufgrund von Kanon 90 IOMatr - die Orthodoxen bei Eheschließungen unter 4 A. Coussa, Epitome praelectionum de iure ecclesiastico orientali, vol. III, De Matrimonio, 7. Vgl. dazu auch D. Faltin, De legibus quibus baptizati acatholici ritui orientali adscripto tenentur, in: Apoll 35 (1962) 238-249. - Faltin läßt an der grundsätzlichen Geltung der Normen des katholischen (orientalischen) Kirchenrechts für die Orthodoxen keinen Zweifel, schränkt diese Geltung allerdings in einigen Fällen wieder ein, ohne für diese Einschränkung immer hinreichende Argumente vorzubringen. - V. J. Pospishil, The Law on Marriage (Chikago 1962) 38. 5 C. Pujol, Orientales ab Ecclesia catholica seiuncti tenenturne novo iure canonico a Pio XII promulgato?, in: Orientalia christiana Periodica 31 (1966) 78-11 0., insbes. 110: " ... sententia quae sustinet obligatorietatem huius novi iuris per se ad solos catholicos Orientales restringi, nostro iudicio, non solum ut probabilior, sed ut sola vera est retinenda." - Zumindest scheint nach Pujol in der Frage der Verpflichtungskraft der katholischen Gesetzgebung in bezug auf die Orthodoxen ein Rechtszweifel zu bestehen, so daß in der Praxis für das Freisein der Orthodoxen eingetreten werden müsse. 6 Vgl. dazu vor allem P. Wirth, Ehen mit Orthodoxen (Freiburg/Br. 1967) 34 f. 7 Zitiert bei Wirth, 12, Anm. 15.

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sich bzw. mit anderen nichtkatholischen Christen nicht an eine im orthodoxen Recht bestehende Fonnpflicht gebunden seien8 . Im Jahre 1965 wurde erstmals von der Studienkongregation und wenige Tage später von der Signatura Apostolica auf eine die Fonnpflicht betreffende Anfrage die Entscheidung gegeben, daß die Angelegenheit einem genauen Studium unterzogen werden müsse9 . Das Urteil der Signatura Apostolica vom 28. 11. 1970 könnte in dem Sinne aufgefaßt werden, daß damit voll und ganz jener Ansicht beigepflichtet wird, nach der hinsichtlich der Frage der Fonnpflicht bei Ehen von Orthodoxen die Gültigkeit dieser Ehe nach den Bestimmungen des orthodoxen Kirchenrechts zu bemessen sei. In den Rechtsausführungen einer Rota-Entscheidung coram Abbo vom 5. 2. 1970 heißt es diesbezüglich unter anderem, daß den nichtunierten orientalischen Kirchen die Vollmacht zustehe, sich nach ihrer eigenen Disziplin zu leiten; diese Vollmacht sei ausdrücklich anerkannt worden durch das Ökumenismusdekret des 11. Vatikanischen Konzils (Nr. 16). Demnach schließen die Orthodoxen, wenn sie unter sich oder mit getauften Akatholiken des lateinischen Ritus eine Ehe eingehen, diese nur gültig im Beisein eines orthodoxen Priesters lO • Den naheliegenden Einwand, daß die Anerkennung des orthodoxen Kirchenrechts, wollte man sie bis zum letzten lückenlos durchführen, unter Umständen zu unmöglichen Konsequenzen führen könnte, tut Abbo ziemlich rasch ab. Wenn es, so schreibt er, orthodoxe Rechtsnonnen (Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht) gäbe, die etwa bei Mischehen zwischen Orthodoxen und Katholiken die vom katholischen Priester vorgenommene Einsegnung der Ehe nicht anerkennen, so wären derartige Nonnen wegen Unvemünftigkeit ohne Verbindlichkeit 1 I. Bevor ich mich der Frage zuwende, ob die zitierte Entscheidung der Signatura Apostolica zumindest in der Frage der Fonnpflicht eine ausdrückliche Verweisung auf das orthodoxe Kirchenrecht beinhaltet und somit als Bestätigung der Ansicht aufgefaßt werden kann, wonach die Bestimmungen des IOMatr überhaupt nur für die katholischen Orientalen Geltung haben l2 , muß die zitierte Entscheidung selbst und insbesondere die dabei zutagetretende Intervention des Papstes untersucht werden. Erst wenn hinsichtlich der Frage Klarheit gewonnen wurde, wie die Entscheidung des Gerichtshofes und die 8 Entscheidungen bei Wirth, 35 ff. 9 Wirth, 37. 10 Abba, Jurist 31 (1971) 398. 11 Abba, ebd. 12 Pujal, Orientales (Anm. 5) 110.

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vom Papst angeordnete Veröffentlichung 13 zu beurteilen sind, können der Inhalt der Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen untersucht werden. Die Signatura hat am 28. 11. 1970 ein Urteil gefällt, also eine Entscheidung in einem Einzelfall getroffen. Ein Urteil ordnet einen konkreten Rechtsfall, es schafft Recht zwischen den im Urteil genannten Parteien (c. 1904 § 2). Eine Bindewirkung des Urteils für dasselbe oder ein anderes Gericht in der Art, daß künftig sich ergebende Rechtsfälle ebenso entschieden werden müßten, eignet einem Urteil an sich nicht (vergleiche c. 17 § 3). Die Kanonistik kennt zwei Voraussetzungen, unter denen der Rechtsprechung Bindewirkung zukommt. Erstens, wenn eine konstante Rechtsprechung zur Bildung von Gewohnheitsrecht und damit zur Normbildung geführt hat 14 und zweitens, wenn eine (ebenfalls) konstante Rechtsprechung durch die besondere Zustimmung des Gesetzgebers den Rang eines Gesetzes erhält l5 . In letzterem Fall greift also der Gesetzgeber direkt ein, er nimmt die richterliche Entscheidung zum Anlaß, eine mit der Entscheidung identische Norm in der Form eines Gesetzes zu schaffen l6 . Was diese Zustimmung des Gesetzgebers angeht, so ist sie wohl gegenüber einer gerichtlichen Entscheidung nur in der Form einer Bestätigung (confirmatio) denkbar, wobei hier an die "confirmatio in forma specifica" zu denken ist. Denn nur dieser, nicht auch der einfachen Bestätigung (confirmatio in forma communi) eignet die Rechtskraft, daß sie den zu bestätigenden Akt von seinem bisherigen Status zu einem Akt des bestätigenden Organs erhebt l7 . Genau dies nämlich ist erforderlich, wenn einem Urteil, das als solches nur Recht zwischen den Parteien schafft, eine über den konkreten Fall hinausgehende allgemeine Bindewirkung zukommen soll, wobei noch die sonst für ein Gesetz erforderlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen.

13 J. Weitzel, Zivilehen orthodoxer Christen sind wegen Fonnmangels ungültig, in: AkKR 139 (1970) 486 spricht von einer päpstlichen Bestätigung des Urteils der Signatura. - Wie noch zu zeigen sein wird, liegt hier aber keine Bestätigung im eigentlichen Sinne vor. 14 G. Michie/s, Nonnae generales iuris canonici (Parisiis 1949), I, 511. 15 K. Mörsdorf, Die Autorität der rotalen Rechtsprechung, in: AkKR 131 (1962) 427. 16 Mörsdorf, ebd., "Es ist offensichtlich, daß diese Art der Nonnbildung auf dem Weg der Gesetzgebung und nicht auf dem der Gewohnheit vor sich geht." 17 Vgl. dazu F. Schmalzgrueber, lus ecclesiasticum universum (Venetiis 1738), I, Pars IV, tit. XXX, n. 4.

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Die Kompetenz der Signatura Apostolica ist nach der Apostolischen Konstitution "Regimini Ecclesiae universae" vom 15. 8. 1967 18 so gefaßt, daß sie sowohl als Gerichtshof wie auch als Verwaltungsbehörde in Erscheinung tritt. Was ihre administrative Tätigkeit anlangt, so ist insbesondere die Überwachung der Rechtsprechung untergeordneter Gerichte zu erwähnen 19. Diese Überwachung schließt eine Weisungsbefugnis gegenüber nachgeordneten Gerichten ein. In welcher Form diese Überwachung und die sich daraus ergebende Weisungsbefugnis vorgenommen wird, welchen Instrumentariums sich die Signatura dabei bedient, ist weder in der Apostolischen Konstitution selbst, noch in den von Paul VI. am 25. 3. 1968 approbierten "Normae speciales" der Signatura zu ersehen20 . Die Signatura Apostolica hat in den letzten Jahren wiederholt von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, Weisungen für die Handhabung der kirchlichen Rechtsprechung zu erteilen. So wäre etwa das Reskript vom 23. 6. 1970 an den Bischof von Augsburg über die Gewährung des Klagerechtes in Ehesachen21 zu erwähnen, ferner das Rundschreiben vom 28. 12. 1970 an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen über die kirchlichen Gerichte22 und schließlich das Schreiben an die holländischen Bischöfe über die Behandlung von Eherechtsfällen23 . Eine päpstliche Bestätigung oder auch nur der Vermerk einer besonderen Kenntnisnahme dieser Weisung seitens des Papstes ist in diesen Schriftstücken nicht zu finden. Was die Form der Weisungen anlangt, so handelt es sich entweder um Erledigungen von Anfragen oder um Weisungen, die abstrakt formuliert sind und auf keine spezielle Anfrage Bezug nehmen.

18 AAS LIX (1967) 881-928. 19 Regimini Ecclesiae universae, n. 105. J. A. Souto, EI reglamento dei Tribunal supremo de la Signatura Apostolica, in IusCan IX (1969) 524 bezeichnet diese Tätigkeit der Signatura als "vigilancia administrativa de los tribunales y la formacfon y tutela de una jurisprudencia canonica que pueda servir de criterio interpretativo de las normas vigentes" . 20 Die einschlägigen Art. 93-95 der Normae speciales nehmen darauf keinen Bezug. 21 AkKR 139 (1970) 175. 22 AAS 63 (1971) 480-486. 23 Schreiben des Kardinal D. Staffa an Kardinal Alfrink als Vorsitzendem der holländischen Bischofskonferenz vom 30. Dezember 1971, worin die Spruchpraxis der holländischen Diözesangerichte in Ehefällen, insbesondere im Zusammenhang mit der psychischen Eheunfähigkeit, einer Kritik unterzogen wird. Abgedruckt in: "11 Regno" Doc., Bd. XVII, Nr. 342 (1. Mai 1972).

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In dem hier zur Untersuchung stehenden Fall, nämlich der Entscheidung der Signatura Apostolica vom 28. 11. 1970 über die Formpflicht der Orthodoxen ist eine besondere Vorgangsweise zu beobachten: Es wird ein an die Signatura zur gerichtlichen Entscheidung überwiesener Einzelfall mit einem Urteil beendet; dieses Urteil wird dann zum Anlaß genommen, den untergeordneten Gerichten generelle Weisungen zu erteilen, wie künftig sich ereignende Fälle dieser Art in materieller wie formeller Hinsicht zu judizieren sind. Die wichtige Frage ist jedoch die Art und Weise der päpstlichen Intervention, sowie ferner die Frage, worauf sich die päpstliche Intervention letztlich bezieht. Denn von dieser Frage hängt der Normcharakter dessen ab, was als Urteil bzw. als Weisung von der Signatura Apostolica ausgegangen ist. Weitzel 24 charakterisiert ebenso wie Köster25 die päpstliche Intervention als Approbation und Weitzel folgert daraus: "Auf Grund dieser Approbation durch den Obersten Gesetzgeber der Kirche ist es zu einer gesetzesgleichen Norm geworden "26. Besieht man indes den von der Signatura Apostolica veröffentlichten Wortlaut des Urteils, so finden sich, was die päpstliche Intervention betrifft, keineswegs die sonst bei päpstlichen Bestätigungen anzutreffenden Formulierungen wie "ratam habuit, adprobavit" noch auch "publicari iussit"27, es heißt lediglich: " ... nihil obstare declaravit quominus publicetur decisio ... "28. Der Papst als oberster Gesetzgeber und Gerichtsherr hat also lediglich erklärt, es stehe der Veröffentlichung des Urteils der Signatura Apostolica nichts im Wege. Von einem weiteren päpstlichen Eingreifen in diese Frage ist zumindest aus dem Text der Entscheidung, die übrigens niemals in den AAS veröffentlicht wurde, keine Rede. Es geht m. E. zu weit, ein einfaches päpstliches "nihil obstat" in bezug auf die Veröffentlichung eines Gerichtsurteils als eine ausdrückliche Approbation desselben zu bezeichnen. 24 Weitzel, (Anm. 13) 486. 25 L. Köster, Wandel in der Auffassung über das Eherecht der nichtkatholischen Ostkirchen (hisher unveröffentlichtes Manuskript eines Vortrages bei der Deutschen Offizialentagung in Bonn 1974). 26 Weitzel, (Anm. 13) 486. 27 VgL dazu etwa die Bestätigungen des Papstes von Entscheidungen der Päpstlichen Kommission zur authentischen Auslegung der Dekrete des 11. Vatikanischen Konzils, z. B. vom 19. 7. 1970, in: AkKR 139 (1970) 525. 28 AkKR 139 (1970) 523.

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Der von der Signatura Apostolica veröffentlichte Text fährt im sei ben Satz, in dem das "nihil obstat" des Papstes wiedergegeben wird, unter Bezugnahme auf das von diesem Gerichtshof gefällte Urteil fort: " ... iuxta quam invalida habenda sunt matrimonia inter orthodoxos inita absque benedictione sacerdotis". Diese in einem Nebensatz vorgenommene Erweiterung der Einzelentscheidung auf die judizielle Behandlung künftig sich ereignender Fälle dieser Art, wobei sich diese Erweiterung grammatikalisch unmittelbar an die Erwähnung des päpstlichen "nihil obstat" anschließt, könnte zu der Vermutung Anlaß geben, die päpstliche Unbedenklichkeitserklärung bezüglich der Veröffentlichung des Urteils beziehe sich auf die erwähnte Ausdehnung desselben. M. E. ist dies aber nicht der Fall. Sonst müßte das nihil obstat ja doch wohl am Ende des ganzen Satzes stehen und nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem den Einzelfall betreffenden Urteil. Wenngleich die sprachliche Formulierung alles eher denn als glücklich zu bezeichnen ist, so ist sie doch hinlänglich deutlich, um zwei Aussaagen machen zu können: Erstens einmal handelt es sich um ein bloßes "nihil obstat" des Papstes, das keineswegs einer Bestätigung gleichkommt, und zweitens bezieht sich dieses nihil obstat nur auf das Urteil selbst, nicht auf die sich daran anknüpfenden Weisungen der Signatura Apostolica. Das nihil obstat bedeutet keineswegs, daß der Papst als kirchlicher Gesetzgeber in dieser Frage normsetzend eingegriffen hätte. Daraus ergibt sich nun: In der Frage der Formpflicht der Orthodoxen liegt nunmehr eine forensische Interpretation in einem Einzelfall durch das kirchliche Höchstgericht vor. Darüberhinaus hat die Signatura Apostolica in ihrer Eigenschaft als mit Weisungsbefugnis ausgestattetes Überwachungsorgan hinsichtlich der kirchlichen Rechtsprechung generelle Weisungen erlassen, wie derartige Fälle künftig zu behandeln seien29 , wobei der materielle Inhalt des Urteils der Weisung zugrundegelegt wird. Bei einer Untersuchung des Inhalts der Entscheidung drängt sich sofort die Frage auf, ob sich daraus etwas im Hinblick auf die Frage nach dem Normadressaten des IOMatr gewinnen läßt. Das Urteil wendet sich sicherlich von der These ab, daß c. 90 IOMatr Formfreiheit für die Orthodoxen in dem Sinne bedeute, daß sie, ebenso wie die Protestanten kraft c. 1099 § 2 CIC an überhaupt keine Eheschließungsform gebunden seien. Das Urteil trägt, daran ist nicht zu zweifeln, der Auffassung Rechnung, daß die Orthodoxen selbst eine ohne priesterliche Einsegnung geschlossene Ehe nicht für gültig halten. 29 In einer bei Ochoa, (Anm. 1), Sp. 6257 veröffentlichten Entscheidung der Signatura vom 18. 4. 1972 bezieht sich die Signatura selbst auf das in Rede stehende Urteil vom 28. 1l. 1970 und erwähnt, daß der Papst erklärt habe, es stehe einer Veröffentlichung dieses Urteils nichts im Wege.

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Aber bedeutet das Urteil bzw. die Weisung der Signatura nun tatsächlich, daß eine klare Folgerung aus dem Ökumenismusdekret (Nr. 16) gezogen wurde, demzufolge die orthodoxen Kirchen sich nach ihrer eigenen Disziplin regieren können? Bedeutet das Urteil der Signatura insbesondere, daß nunmehr die Frage endgültig entschieden sei, ob IOMatr bzw. überhaupt das ganze von der katholischen Kirche erlassene orientalische Kirchenrecht für die Orthodoxen Geltung habe oder nicht? Ist also die Frage nach dem Normadressaten nunmehr gelöst? Bei einer eingehenden Untersuchung fällt auf, daß in der Frage der Formpflicht die Signatura Apostolica nicht einfach eine Verweisung auf fremdes, d. h. im gegenständlichen Falle auf orthodoxes Recht vorgenommen hat. Die Signatura Apostolica legt zwar für die Ehen "inter Orthodoxos" fest, daß sie ohne priesterliche Einsegnung ungültig seien, weist aber zugleich darauf hin, daß in jedem Einzelfall zu untersuchen sei, ob eine priesterliche Einsegnung wirklich fehle, und - sofern sie fehlt - ob dies nicht etwa auf die Unmöglichkeit zurückzuführen sei, einen Priester innerhalb angemessener Frist zu finden. Das Begleitschreiben der Signatura Apostolica spricht nicht von der Unmöglichkeit der Auffindung eines Priesters, sondern von einem "grave incommodum". Weitzel weist mit Recht darauf hin, daß in beiden Ausdrücken wohl ein Hinweis auf die Noteheschließungsform von c. 89 IOMatr bzw. von c. 1098 eIe gemeint sei3D • Eine Interpretation, daß in jenen Fällen, wo das Fehlen der priesterlichen Einsegnung auf Unmöglichkeit oder doch zumindest "grave incommodum" zurückzuführen ist, für die Gültigkeit der Ehe zu entscheiden ist, und zwar offensichtlich auch dann, wenn das betreffende orthodoxe Kirchenrecht keine Noteheschließungsform kennt, legt sich, auch wenn die Weisung der Signatura Apostolica sich diesbezüglich nicht klar genug ausdrückt, doch zumindest nahe. Außerdem spricht die Signatura von der priesterlichen Einsegnung, woraus sich ergibt, daß das entscheidende Kriterium, wonach sich die Gültigkeit einer Ehe bemißt, das Vorhandensein von Weihegewalt darstellt, und dies ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen in hierarchischer Gemeinschaft mit einer orthodoxen oder der katholischen Kirche stehenden Priester handelt. Die Signatura selbst hat dies in einem an den Erzbischof von Köln gerichteten Schreiben vom 23. 2. 1971 zum Ausdruck gebracht, da dort bezüglich einer zwischen einem Protestanten und einem Orthodoxen vor dem protestantischen Geistlichen geschlossenen Mischehe entschieden wurde, daß in diesem Fall zu prüfen sei, ob nicht etwa der protestantische Geistliche im Besitz der Priesterweihe gewesen sei. Erst wenn feststehe, daß dies nicht der Fall sei, könne 30 Weitzel, (Anm. 13) 488.

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die gegenständliche Ehe wegen Formmangels für ungültig erklärt werden31 . Bei dieser Sachlage ergibt sich aber ein normativer Gegensatz zumindest zum Recht einzelner orthodoxer Gemeinschaften, da diese mitunter nur die vor dem orthodoxen, nicht auch vor einem katholischen Priester geschlossenen Ehe als gültig anerkennen32 . Im Ergebnis ist also festzuhalten: Die Signatura hat keineswegs die Ansicht bestätigt, daß in der Frage der Formpflicht Orthoxer (und nur um diese Frage ging es) ausschließlich nach dem Recht der orthodoxen Kirchen vorzugehen sei und somit der kirchliche Richter zur Gänze auf fremdes Recht verwiesen werde. Die Signatura hat vielmehr eine Grundsatzentscheidung getroffen, die auf eine - man kann wohl sagen - Grundnorm der orthodoxen Kirche Bezug nimmt, derzufolge die Gültigkeit der Ehe von der priesterlichen Einsegnung abhängt. Doch wird diese Grundnorm modifiziert und keineswegs mit allen Details übernommen. Ungeklärt bleibt ferner das fonnale Problem: Bedeutet die Entscheidung der Signatura nunmehr, daß in der Frage der Formpflicht formalrechtlich das orthodoxe Recht gilt, soweit es nicht von den von der Signatura Apostolica getroffenen Regeln durchbrochen wird, oder legt die Signatura selbst in Anlehnung an die genannte Grundnorm der orthodoxen Kirche autonom eine Formpflicht für die Orthodoxen fest. M. a. W.: Sind die Orthodoxen nunmehr auf eine vom katholischen C;esetzgeber umschriebene Formpflicht festgelegt oder auf die im Recht der eigenen Kirche geltende, nach Maßgabe der genannten Einschränkungen? Vom Text der Entscheidung der Signatura her läßt sich die Frage keineswegs in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise beantworten. Angesichts der bereits mehrfach erwähnten Aussage des Ökumenismusdekrets (Nr. 16), wonach die orthodoxen Kirchen die Fähigkeit haben, sich nach ihrer eigenen Ordnung zu regieren, und angesichts der schon vor, aber besonders nach dem 11. Vatikanischen Konzil zu beobachtenden Tendenz des katholischen Gesetzgebers, die eigene Disziplin der orthodoxen Kirchen nach Möglichkeit anzuerkennen 33 , scheint jener Meinung der Vorzug zu geben zu sein, wonach das orthodoxe Recht nach Maßgabe der vom katholischen Gesetzgeber getroffenen Modifikation gilt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die in Rede stehende Entscheidung der Signatura Apostolica keineswegs als Argument für die These ins 31 Mitgeteilt bei Weitzel, (Anm. 13) 488, Anm. 23. 32 Wirth, (Anm. 6) 40, bezüglich der orthodoxen Auffassung in Jordanien. 33 Coussa, (Anm. 4), III, n. 8, weist mit Recht auf die Sonderstellung hin, die seitens des katholischen Gesetzgebers den orthodoxen Kirchen eingeräumt wurde.

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Treffen geführt werden kann, Normadressat des IOMatr seien nur die katholischen Orientalen, nicht auch die Dissidenten. Andererseits sträubt sich der Tenor der Entscheidung auch gegen eine Auslegung, wonach IOMatr schlechterdings für die nichtunierten Orientalen Geltung habe. Die Entscheidung weist vielmehr in eine Richtung, aus der vielleicht auch gesetzgeberische Kriterien für die Zukunft abgeleitet werden können. Grundsätzlich ist wohl festzuhalten, daß der katholische Gesetzgeber in einer so wichtigen Frage wie der des Eherechts nicht zur Gänze darauf verzichten kann, normsetzend auch bzgl. der nichtkatholischen Christen (des lateinischen wie orientalischen Rechtsbereichs) tätig zu werden. Die Forderung nach einem derartigen Verzicht entspringt wohl eher unreflektiertem, letztlich der ökumenischen Sache nicht dienlichem Wunschdenken. Denn das orthodoxe Kirchenrecht ist vielfach zu undeterminiert, es existiert nicht zur Gänze in Kodifikationen, sondern ist weitgehend Gewohnheitsrecht. Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach den in verschiedenen orthodoxen Gemeinschaften bestehenden eherechtlichen Vorschriften würde sich mitunter gar nicht geben lassen. Auf der anderen Seite kann es sein, daß die Rechtsordnungen orthodoxer Gemeinschaften Normen enthalten, die bei allem ökumenischem Entgegenkommen von der katholischen Kirche nicht anerkannt werden können. Etwa wenn in der Frage der Formpflicht orthodoxes Kirchenrecht nur die vor einem orthodoxen Priester geschlossene Ehe als gültig ansieht, nicht auch die vor einem katholischen Priester oder gegebenenfalls einem protestantischen Geistlichen im Besitz der Priesterweihe. Gewiß, man könnte in diesen Fällen vielleicht darauf hinweisen, daß derartige (orthodoxe) Normen des gesatzten wie ungesatzten Rechts wegen Unvernünftigkeit ihres Inhalts keine wahren Rechtsnormen darstellen34 , doch dürfte es eher angemessen sein, vom Gesetzgeber her diesbezüglich klare Linien zu schaffen. Die zitierte Entscheidung der Signatura Apostolica ebenso wie die zwei Jahre später von demselben Gerichtshof ergangene Weisung an den Erzbischof von Köln35 weisen in die Richtung, daß es Aufgabe des gesatzten Rechts sei, derartige Fragen nicht allgemeinen Rechtsprinzipien zu überlassen, sondern sie normierend zu gestalten. Für unsere Frage, nach dem Normadressaten soll nun der Versuch unternommen werden, den zu beobachtenden Trend des Gesetzgebers gegenüber

34 Wie dies etwa J. A. Abbo, Trullan Impediment and Oriental Fonn of Marriage, in: Jurist 31 (1971) 398, meint. 35 Siehe Anm. 31.

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den nichtkatholischen Christen festzustellen und daran gewisse Folgerungen zu knüpfen. Für die Orthodoxen lassen sich nach meinem Dafürhalten zwei Prinzipien feststellen. Erstens: Der katholische Gesetzgeber anerkennt grundsätzlich die Eigenständigkeit des orthodoxen Rechts und erklärt dieses als für die betreffende Kirche verbindlich. Zweitens: Er verzichtet aber nicht gänzlich darauf, eigene Normen auch für die Orthodoxen zu schaffen. Diese eigenen Normen haben teils die Aufgabe, bestehendem orthodoxen Kirchenrecht zu derogieren, soweit dies unbedingt notwendig ist; teils haben sie ergänzenden, subsidiären Charakter für den Fall, wo orthodoxes Kirchenrecht es unterläßt, in notwendigen Bereichen klare Rechtsnormen zu schaffen. - Was diesen letztgenannten Bereich betrifft, so ist es m. E. unerläßlich, daß der katholische Gesetzgeber etwa die rechtliche Relevanz von schwerer Furcht, von Irrtum bzw. arglistiger Täuschung in einer auch für die Orthodoxen verbindlichen Weise festlegt, da das orthodoxe Kirchenrecht vielfach keine hinlänglich präzise Umschreibung dieser Tatbestände kennt36 . Das katholische Kirchenrecht hätte somit einen teils korrigierenden, teils ergänzenden, subsidiären Charakter. Nach meinem Dafürhalten könnte eine ähnliche Regelung aber auch bezüglich der dem lateinischen Rechtsbereich zugehörigen getauften Nichtkatholiken, insbesondere der Protestanten vorgenommen werden. Der derzeitigen Rechtslage zufolge unterliegen, zumal im eherechtlichen Bereich, die Protestanten dem gesamten Normenkomplex des CIC, insbesondere den Ehehindernissen, sofern nicht in Einzelfällen Ausnahmen verfügt wurden. Dies ist bei der Formpflicht und beim Hindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) der Fall. Nachdem die Nichtkatholiken selbstverständlich das katholische Kirchenrecht als nicht verbindlich ansehen, wird auch keine Dispens von etwa bestehenden Ehehindernissen nachgesucht, wenn Nichtkatholiken unter sich bzw. mit Ungetauften eine Ehe schließen. Dies bedeutet nun nach dem Standpunkt des kanonischen Rechts, daß die Nichtkatholiken selbst bei Vorliegen eines Hindernisses niederen Grades (c. 1042 § 2 CIC), für dessen Dispens überhaupt kein Grund vorhanden sein muß (c. 1054), keine gültige Ehe schließen. Man mag nun einwenden, daß die Frage sowieso der praktischen Bedeutung entbehre, weil die Nichtkatholiken sich ja um diese Hindernisse des katholischen Kirchenrechts nicht kümmern, doch dürfte es wohl auf der Hand liegen, daß eine rechtliche Konstruktion, derzufolge es getauften Nichtkatholiken unter Umständen geradezu unmöglich gemacht wird, eine gültige Ehe einzugehen, nicht nur unbillig, sondern dem ökumeni36 Vgl. dazu u. a. A. Hage, Les empechements de mariage en droit canonique oriental (Beyrouth 1954) 265 ff.

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schen Gedanken höchst abträglich ist. Gleiches ist zu sagen von der Formpflicht, wo die derzeitige Fassung des c. 1099 CIC auf den in der katholischen Kirche Getauften schlechthin abstellt und - im Gegensatz zu der ursprünglichen Fassung des c. 1099 § 2 CIC - eine etwaige akatholische Erziehung des von akatholischen Eltern Abstammenden, aber in der katholischen Kirche Getauften außer Betracht läßt37 • Wenngleich durch die Ausschaltung des juristisch mitunter schwer faßbaren Begriffes der "akatholischen Erziehung" eine juristisch klare Position geschaffen wurde, muß diese Lösung doch als unbillig bezeichnet werden. Denn derjenige, der zwar als Kind in der katholischen Kirche getauft wurde, aber außer dieser katholischen Taufe vielleicht überhaupt keine Berührungspunkte mit der katholischen Kirche hat, kann, mit wem immer er eine Ehe eingehen will, dies nur unter Einhaltung der kanonischen Formpflicht tun. Von dieser Verpflichtung weiß er nicht nur nichts, er würde sie klarerweise als unverbindlich betrachten, wenn er sie kennte. Somit wird dieser Personenkreis wohl in allen Fällen keine nach kanonischem Recht gültige Ehe schließen. Eine Lösung zumindest im eherechtlichen Problemkreis könnte man sich in der Weise denken, daß das kanonische Recht auch gegenüber den dem lateinischen Rechtsbereich angehörigen nichtkatholischen Christen auf seinen generellen Anspruch verzichtet, daß Normadressat jeder Getaufte schlechthin sei (c. 12 § 1). Freilich ist die Problematik hier wesentlich schwieriger, weil die dem lateinischen Rechtsbereich angehörigen Nichtkatholiken durchwegs kein eigenes Eherecht kennen. Auf das jeweilige staatliche Landesrecht nach dem Muster der gesetzlichen Verwandtschaft zu verweisen, dürfte in den wenigsten Fällen angängig sein, da die weltlichen Eherechte Begriffe wie Eheaufhebung bzw. -scheidung kennen, die vom kanonischen Recht her nicht akzeptiert werden können. Das Projekt eines kirchlichen Strafgesetzes38 sieht hinsichtlich des Normadressaten vor, daß, von besonderen Ausnahmefällen abgesehen, getaufte Akatholiken dem kanonischen Strafrecht nicht unterliegen39 . Eine derartige Grundsatzerklärung wäre zumindest in bezug auf die Ehehindernisse wünschenswert, wobei gleichzeitig jene Fälle angeführt werden müßten, in denen der kirchliche Gesetzgeber eine Einbeziehung der Nichtkatholiken vornehmen will. Es bedürfte einer sehr sorgfältigen Abwägung, welche Hindernisse auf die Nichtkatholiken auszudehnen wären und welche nicht. Generell könnte 37 MP Pius XII. vom 1. 8. 1948, in: AAS XL (1948) 305. 38 Schema documenti quo disciplina sanctionum seu poenarum in Ecclesia Latina denuo ordinatur, Rom 1973. 39 Schema, c. 1 § 2.

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man sagen, daß jene Hindernisse für die Akatholiken nicht gelten sollen, von denen Ehewerber, die ihre Ehe vor dem Forum der katholischen Kirche schließen, dispensiert werden können. Zusammenfassend läßt sich sagen: Der kanonische Gesetzgeber sollte nicht weiterhin von dem Modell ausgehen, daß Normadressat des kanonischen Rechts der Getaufte schlechthin ist40 . Sowohl dem orientalischen wie dem lateinischen Rechtsbereich sollte eine Grundsatznorm vorangestellt werden, wonach grundsätzlich nur der Katholik41 Normadressat des rein positiven Kirchenrechts42 ist. Ich glaube, daß dies mehr als eine ökumenische Geste wäre, es handelt sich vielmehr um eine dringend gebotene Beseitigung unbilliger Härten. Gleichzeitig müßte der Gesetzgeber freilich jene Bereiche sorgfältig untersuchen, in denen eine Unterstellung akatholischer Christen unter kanonische Rechtsnormen erforderlich ist.

40 Ohne auf die eingangs im Text erwähnte Diskussion noch näher eingehen zu wollen, bin ich persönlich der Überzeugung, daß der katholische Gesetzgeber insbesondere beim IOMatr die Dissidenten als Normadressaten gemeint hat. Angesichts zahlreicher Entscheidungen des Hl. Stuhles in dieser Richtung sind die gegen diese Einbeziehung der Dissidenten vorgebrachten Argumente nicht überzeugend. 41 Natürlich wirft der Begriff "Katholik" Probleme auf. Schon der eIe hat keinen einheitlichen Katholikenbegriff, wie ein Vergleich zwischen den cc. 1060 und 1070 ergibt. - Der Mangel einer genauen Definition des Katholikenbegriffes haftet übrigens auch c. 1 § 2 des Strafrechtsschemas an. Es wäre hier genau festzulegen, weIche Auswirkungen die Tatbestände Häresie, Apostasie, Schisma bzw. der nach staatlichem Recht vollzogene Kirchenaustritt auf die Frage des Normadressaten haben. 42 Daß die im gesatzten Kirchenrecht anzutreffenden Sätze des Naturrechts und des göttlichen Rechts selbstverständlich auch die Nichtkatholiken erfassen, braucht wohl nicht eigens erwähnt zu werden. 25 Primetshofer

Der Kreis der Normadressaten des kanonischen Rechts Überlegungen zu Entwürfen der Päpstlichen Kommission zur Reform des Codex luris Canonici

C. 12 des CIC befaßt sich unter der Rubrik "Oe legibus ecclesiasticis" (cc. 8-24) mit der Frage, wer als Normadressat von Kirchengesetzen anzusprechen ist. Die Gesetzesstelle nimmt in der Beantwortung dieser Frage eine Unterscheidung hinsichtlich des Charakters der Gesetze vor und legt fest, daß von den "Iegibus mere ecclesiasticis ", den reinen Kirchengesetzen, alle Getauften betroffen sind, sofern sie sich eines hinlänglichen Vernunftgebrauches erfreuen und das siebente Lebensjahr vollendet haben 1. Mit den "reinen Kirchengesetzen" sind nach einhelliger Auffassung jene Gesetze gemeint, die von der Kirche kraft eigener Autorität erlassen wurden, wobei sie sich an den vom göttlichen bzw. Naturrecht gezogenen Rahmen zu halten hat2 . Diese umfassende Verpflichtung aller Getauften steht unter einem Gesetzesvorbehalt, "soweit nichts Gegenteiliges festgelegt ist". Welche Ausnahmen der kodikarische Gesetzgeber diesbezüglich festgelegt hat, wird noch eingehend zu behandeln sein. Wenngleich der CIC an der genannten Stelle nur von Gesetzen spricht, kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß auch das Gewohnheitsrecht, soweit es verbindliche Kraft erlangt hat, ebenso wie das Gesetzesrecht für alle Getauften verpflichtende Kraft aufweist3 . 1 C. 12. Legibus mere ecclesiasticis non tenentur qui baptismum non receperunt, nec baptizati qui sufficienti rationis usu non gaudent, nec qui, licet rationis usum assecuti, septimum aetatis annum nondum expleverunt, nisi aliud iure expresse caveatur. 2 Michiels, Nonnae generales Iuris canonici (Parisiis/Tornaci/Romae 1949) I, 346 nimmt allerdings einen weiteren Begriff der "leges mere ecclesiasticae" an, insofern er die vom kirchlichen Gesetzgeber vorgelegten (propositae) Bestimmungen des göttlichen Rechts ebenfalls unter die reinen Kirchengesetze subsumieren will. - Richtig Jone, Commentarium in Codicem Iuris Canonici (Paderborn 21949) I, 30, der die "reinen Kirchengesetze" gegenüber den dem göttlichen bzw. Naturrecht angehörenden Bestimmungen abgrenzt. In gleichem Sinne zur Tragweite des Ausdrucks "leges mere ecclesiasticae" Kinney, The Juridic Condition of the People of God. Their Fundamental Rights and Obligations in the Church (Roma 1972) 21 f.

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Das im c. 12 aufgestellte Prinzip ist der rechtliche Niederschlag eines vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Bereich der katholischen Kirche herrschenden Selbstverständnisses, das im wesentlichen dadurch gekennzeichnet war, daß es die getauften Nichtkatholiken nicht als eigene selbständige Rechtsgemeinschaften, das von ihnen gesetzte Recht daher grundsätzlich als nicht verbindlich erachtete4 . Von diesem Selbstverständnis ist auch c. 87 eIe getragen, demzufolge jemand durch die Taufe an sich (unabhängig von der Tatsache, in weIcher Kirche bzw. von wem die Taufe gespendet wurde) Person in der katholischen Kirche wird mit allen dem Getauften zustehenden Rechten und Pflichten. Derselbe Kanon enthält allerdings die Feststellung, daß zwar in bezug auf die Rechte eine Einschränkung Platz greifen könne, nicht aber hinsichtlich der Pflichten5 . Der vorhin erwähnte Gesetzesvorbehalt des c. 12 (" ... nisi aliud iure expresse caveatur ... ") zugunsten besonderer Einzelregelungen wird im Eherecht in zwei Teilbereichen aktuell. Kraft c. 1099 § 1, 1 sind nur die in der katholischen Kirche Getauften bzw. zu ihr Übergetretenen an die Formpflicht der Eheschließung gebunden, dies allerdings ohne Rücksicht auf die Tatsache, ob sie sich selber noch als Mitglieder der katholischen Kirche empfinden oder nicht. Mit anderen Worten, der Austritt aus der katholischen Kirche, mag er nun von einem Eintritt in eine andere Kirche oder Religionsgesellschaft begleitet sein oder nicht, hat ungeachtet der Tatsache, wie der Kirchenaustritt überhaupt im Bereich des kanonischen Rechts einzustufen ist6 , keinen Einfluß auf die Formpflicht. Auf eine einfache Formel gebracht kann man daher sagen: Wer einmal im Sinne von c. 1099 § 1, 1 katholisch war, der bleibt sein Leben lang an die Formpflicht gebunden, wobei es nach dem Recht des eIe auch keine Rolle spielt, mit wem er eine Ehe schließt, d. h. ob mit einem

3 Eichmann/Mörsdorj, Lehrbuch des Kirchenrechts (Paderbom 81953) I, 105 Anm.3. 4 Vgl. dazu Coussa, Epitome praelectionum de iure ecclesiastico orientali, vol III, De matrimonio, 7. 5 So haben etwa Rahner, Die Zugehörigkeit zur Kirche nach der Lehre der Enzyklika Pius' XII. Mystici Corporis Christi, in ZkTH 69 (1947) 142 und Gommenginger, Bedeutet die Exkommunikation Verlust der Kirchengliedschaft?, in: ZkTH 73 (1951) 17 ff. die Ansicht vertreten, aus der Taufe folge lediglich die "Untertanschaft" , die "Unterworfenheit" unter die katholische Kirche. 6 Heinemann, Die rechtliche Stellung der nichtkatholischen Christen und ihre Wiederversöhnung mit der Kirche (München 1964) 27-41, befaßt sich eingehend mit der Frage, wie der nach staatlichem Recht vollzogene Kirchenaustritt kanonistisch einzustufen ist.

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Katholiken bzw. (getauften oder ungetauften) Nichtkatholiken7 . - Der getaufte Nichtkatholik (d. h. also der im Sinne des vorhin Gesagten niemals Mitglied der katholischen Kirche war) ist aufgrund der in Rede stehenden Gesetzesstelle von der Formpflicht ausgenommen8 . Seine in welcher Form immer geschlossene Ehe ist daher kirchenrechtlich gültig, während die Formpflichtigen nach dem CIC gültig nur vor dem katholischen Trauungsorgan und zwei Zeugen heiraten können (vgl. c. 1094). Ebenso ist das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) nach c. 1070 § 1 auf denselben Personenkreis eingeschränkt wie die Formpflicht. Auch hier sind die getauften Nichtkatholiken ausgenommen9 . Von diesen bei den Ausnahmen abgesehen, steht das Recht des CICIO auf dem Standpunkt, daß der getaufte Nichtkatholik allen Kirchengesetzen unterliegt. Während diese Unterstellung der getauften Akatholiken in weiten Bereichen eher ein programmatischer Grundsatz ist und der praktischen Anwendbarkeit entbehrt!!, wird er doch im Eherecht von besonderer Aktualität. Wie bereits gezeigt wurde, ist der getaufte Akatholik mit Ausnahme des Hindernisses der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) und der Formpflicht allen Bestimmungen des materiellen kanonischen Eherechts unterworfen. Dies 7 Dabei kennt das kanonische Recht gegenüber diesem statischen auch einen dynamischeren Katholikenbegriff, demzufolge der aus der katholischen Kirche Ausgeschiedene nicht mehr als Katholik betrachtet wird, wenn er sich einer "secta haeretica seu schismatica" zugewendet hat (c. 1060). "Katholisch im Sinne des c. 1060 ist jeder, der in der katholischen Kirche getauft wurde oder zu ihr konvertierte und sich im Zeitpunkt der Eheschließung auch offiziell zur katholischen Kirche bekennt". Mosiek, Kirchliches Eherecht (Freiburg 1968) 101 f. 8 Die Formulierung des c. 1099 löste die leidige Frage um die mit der Verpflichtungskraft des Dekrets "Tametsi" des Trienter Konzils (1563) verbundenen "loca Tridentina" ab. 9 Somit kennt der CIC einen zweifachen Katholikenbegriff: Den des c. 1060 und den der cc. 1070 und 1099. Von diesem letzteren gilt das Axiom: "Semel catholicus, semper catholicus". 10 Das heißt also das Recht für die "Latina Ecclesia" (vgl. c. 1). Gegenüber den orthodoxen orientalischen Kirchen gelten zumindest seit dem 11. Vatikanischen Konzil andere Grundsätze, auf die noch gesondert einzugehen sein wird. !! Bezüglich der eingeschränkten Anwendbarkeit des kirchlichen Strafrechts auf die materiellen Häretiker und Schismatiker vgl. Eichmann/Mörsdorj, 7III, 415. - Allgemein zu der wohl heute weitgehend gegenstandslos gewordenen Debatte um die Verpflichtungskraft bestimmter Kirchengesetze gegenüber den (gutgläubigen) Häretikern etc. Wernz/Vidal, lusCan (Romae 1938), I (Normae generales) 200, Anm. 101.

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bedeutet insbesondere, daß bei der Frage der Gültigkeit einer Eheschließung von zwei getauften Nichtkatholiken bzw. eines getauften Nichtkatholiken mit einem Ungetauften die kanonischen Bestimmungen über trennende Ehehindernisse und Konsensmängel Anwendung finden. Im Falle des Vorliegens von einem oder mehreren Nichtigkeitsgrunden des kanonischen Rechts ist auch die Ehe eines getauften Nichtkatholiken vor dem Forum der katholischen Kirche ungültig l2 . Die neuestens gegebene Möglichkeit, daß der Bischof als Gerichtsherr seiner Diözese das Recht, die Nichtigkeitsklage einer Ehe einzubringen, auch dem Nichtkatholiken gewähren kann 13, ist nur eine prozeßrechtliche Konsequenz aus dem Grundsatz, daß materiell-rechtlich die Ehe des getauften Nichtkatholiken dem kanonischen Eherecht unterliegt l4 . Selbst im eherechtlichen Bereich wird diese grundsätzliche Unterstellung aller Getauften unter das kanonische Recht nicht sonderlich stark in Erscheinung treten bei Angehörigen einer Kirche, die von ihrem Grundkonzept her kein kirchliches Eherecht kennt, wie dies etwa bei den evangelischen Kirchen der Fall ist l5 . Anders hingegen bei den orthodoxen Kirchen, die ebenso wie die katholische ein eigenes kirchliches Eherecht als selbstverständlichen Bestandteil ihres Nonnengefüges annehmen, wobei dieses Eherecht auch Bedingungen für das gültige Zustandekommen der Ehe enthält. Gerade im Bereich des orientalischen Kirchenrechts konnte das in Rede stehende Axiom von der Unterstellung aller Getauften unter das katholische Kirchenrecht seine volle, dem Ökumenismusgedanken höchst abträgliche Wirkung entfalten: Das MP "Crebrae allatae" vom 22. 2. 1949 16 ist in seiner die Fonnpflicht betreffenden Fonnulierung (c. 90 § 2) mit der seit 1. 1. 1949 geltenden Fassung des c.

12 Namentlich was die Konsensmängel des kanonischen Rechts anlangt, hat die Kanonistik, geprägt durch die Judikatur der Sacra Romana Rota bereits eine eingehende Doktrin über die judizielle Behandlung des Ehewillens getaufter Akatholiken entwickelt. Vgl. dazu etwa Armbruster, Der Ehewille evangelischer Christen im Lichte des kanonischen Prinzips der Unauflöslichkeit der Ehe (München 1959). 13 Vgl. Reskript der Signatura Apostolica an den Bischof von Augsburg vom 23. 6. 1970 über die Gewährung des Rechts auf Erhebung der Ehenichtigkeitsklage, in dem bereits auf frühere diesbezügliche Bescheide der Glaubenskongregation Bezug genommen wird, in: AkKR 139 (1970) 175. 14 Art. 35 § 3 der Kirchlichen Eheprozeßordnung "Provida mater" sah vor, daß das Klagerecht getauften Nichtkatholiken in Einzelfällen von der Kongregation des Hl. Offizium gewährt werden konnte. Bezüglich einzelner Reskripte in diesem Zusammenhang vgl. Torre, Processus matrimonialis (Napoli 31956) 80 f. 15 Zur Grundlegung des reformatorischen Standpunkts Dornbois, Das Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht (Witten 1969) I, 641 ff. 16 AAS 41 (1949) 89-119.

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1099 § 2 CIC17 identisch l8 . Wenngleich die inhaltliche Tragweite dieser Bestimmung, insbesondere die Frage der Entbindung der Orthodoxen von der Formpflicht, umstritten war l9 , bot die Formulierung der Gesetzesstelle m. E. völlig zu Recht Anlaß zu der Schlußfolgerung, daß die Orthodoxen bei Eheschließungen unter sich, oder mit (getauften oder ungetauften) Andersgläubigen an keinerlei Formvorschrift gebunden sind. Die Sacra Romana Rota hat wiederholt in diesem Sinne judiziert und erklärte aufgrund von c. 90 des MP "Crebrae allatae" die nicht in kirchlicher Form geschlossenen Ehen Orthodoxer (Zivilehen) für gültig20 . Auch die römischen Kongregationen standen bis vor wenigen Jahren auf demselben Standpunkt21 . Dies bedeutet aber nun einen gravierenden Bruch mit einem für die katholischen wie orthodoxen Orientalen unumstößlichen Grundsatz, daß eine gültige Ehe nur aufgrund der priesterlichen Segnung zustandekommen könne22 . Dieser seit Jahrhunderten im orientalischen Kirchenrecht geläufigen Rechtsauffassung trägt c. 85 des MP "Crebrae allatae" zwar durchaus Rechnung23 , es legt aber, wie schon gesagt, diese über das lateinische Kirchenrecht des CIC hinausgehende Formpflicht bindend nur für die katholischen Orientalen fest, wenn diese unter sich oder mit Andersgläubigen eine Ehe schließen. Auf diese Weise ergibt sich, daß beispielsweise die Zivilehe von Orthodoxen nach orthodoxer Auffassung ungültig, nach katholischem Kirchenrecht jedoch als gültig betrachtet wurde. 17 Motu proprio Pius' XII. vom 1. 8. 1948, in: AAS 40 (1948) 305. 18 Durch das genannte Motu proprio wurde die Relevanz einer akatholischen Erziehung im Zusammenhang mit der Fonnpflicht (zweiter Halbsatz des c. 1099 § 2) aufgehoben und in völligem Einklang mit c. 90 des "Crebrae allatae" einzig und allein auf die Tatsache abgestellt, ob jemand in der katholischen Kirche getauft wurde bzw. zu ihr übergetreten ist. 19 Hauptvertreter der These, daß die nichtkatholischen Orientalen (Orthodoxen) überhaupt nicht Nonnadressaten des "Crebrae allatae" seien, ist Pujol, Orientales ab Ecclesia catholica seiuncti tenentume novo iure canonico a Pio XII promulgato?, in: Orientalia christiana Periodica 31 (1966) 78-110. - Den gegenteiligen Standpunkt vertreten vor allem Coussa, (Anm. 4), 7 und FalJin, Oe legibus quibus baptizati acatholici ritui orientali adscripti tenentur, in: Apoll 35 (1962) 238-249. 20 Dazu Wirth, Ehen mit Orthodoxen (Freiburg/Br. 1967) 34 f. 21 Wirth, ebd. 35 ff. 22 Über die Entwicklung der diesbezüglichen Auffassung im orientalischen Eherecht Zhishman, Das Eherecht der orientalischen Kirche (Wien 1864) 156 ff. , 23 Während c. 1094 CIC lediglich die Anwesenheit des parochus bzw. Ordinarius loci und c. 1095 § 1, 3 als Inhalt ihrer Eheassistenz das "requirant excipiantque contrahentium consensum" fordert, ist in c. 85 des MP "Crebrae allatae" die Forderung nach einem "ritus sacer" aufgestellt, der zufolge § 2 des angezogenen Kanons in einer Tätigkeit "sacerdotis adsistentis ae benedieentis" (Hervorhebung von mir) besteht.

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Erst das Zweite Vatikanische Konzil hat in diesem Punkt eine Änderung gebracht, die sowohl unmittelbar juridische Wirkung als auch eine Änderung der Mentalität im Gefolge hatte. Das Ökumenismusdekret "Unitatis redintegratio" stellt fest, daß "die Kirchen des Orients, im Bewußtsein der notwendigen Einheit der ganzen Kirche die Fähigkeit haben, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren ... " (Art. 16). Auf die Formpflicht angewendet bedeutet dies nun, daß der dem orthodoxen Kirchenrecht innewohnende Grundsatz zur Anwendung kommt, wonach die Ehe eines Orthodoxen nur mittels der priesterlichen Einsegnung gültig zustandekommt24 . Eine bloße Zivilehe eines Orthodoxen wäre daher nach orthodoxem und nunmehr auch katholischem Kirchenrecht ungültig25 . Dieser durch das Ökumenismusdekret geänderten Rechtslage trägt u. a. eine Entscheidung der Sacra Romana Rota (coram Abbo) vom 5. 2. 1970 Rechnung. Hier wird festgestellt, daß aufgrund der den orthodoxen Kirchen zustehenden Vollmacht, sich nach ihrer eigenen Disziplin zu leiten (es wird dabei eigens auf das Ökumenismusdekret Bezug genommen) im Bereich der Formpflicht zu folgern sei, daß die Bestimmung des orthodoxen Kirchenrechts von der zur Gültigkeit der Eheschließung notwendigen priesterlichen 24 Pospishil, Code of Oriental Canon Law, The Law on Marriage. (Chikago 1962) 135. 25 Pujol, (Anm. 19) 110: " ... sententia quae sustinet obligatorietatem huius novi iuris (d. h. des MP "Crebrae allatae") per se ad solos catholicos Orientales restringi, nostro iudicio, non solum ut probabilior, sed ut sola vera est retinenda ... ". Pujo/s Argumente scheinen mir allerdings keineswegs stichhaltig zu sein; er selbst gesteht letztlich ein, daß in der Frage der Verpflichtungskraft des MP "Crebrae allatae" ein Rechtszweifel (dubium iuris) bestehe, und zwar mit der Wirkung, daß man in der Praxis für das Freisein der Orthodoxen von der katholischen Gesetzgebung eintreten müsse. - Diese Argumentation ist aber fragwürdig, denn sie führt, logisch weitergedacht, zu dem genau gegenteiligen Ergebnis. Zunächst einmal läßt Pujol c. 15 des CIC offensichtlich auch für die Orthodoxen gelten, obwohl die angezogene Stelle aus dem grundsätzlich nur für die Lateinische Kirche geltenden Codex stammt. Aber selbst wenn er diesem Einwand entgegenhielte, daß c. 15 nur kodifiziertes Naturrecht enthalte und somit auch für die Orthodoxen anwendbar sei, führt dies keineswegs zu dem von Pujol gewollten Ergebnis. Denn genauso zweifelhaft war bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil ja auch die Geltung der einschlägigen orthodoxen Normen, was darauf hinausläuft, daß weder das katholische noch das orthodoxe Eherecht für die Orthodoxen Geltung hat. Im Bereich der Formpflicht - um die es in der ganzen Auseinandersetzung in erster Linie ging würde das also die absolute Formfreiheit der orthodoxen Eheschließung bedeuten. Dies ist aber genau dasselbe, was sich m. E. aus c. 90 § 2 des MP "Crebrae allatae" sowieso ergibt.

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Einsegnung Anwendung zu finden habe26 . Die bloße Zivilehe eines Orthodoxen sei daher nach orthodoxem wie katholischem Kirchenrecht ungültig. Konsequent in dieser Linie weitergedacht ist ein Urteil der Signatura Apostolica vom 28. 11. 197027 , bei dem sogar der ungewöhnliche Fall einer päpstlichen Intervention zu beobachten war. Allerdings ist diese Intervention keineswegs, wie mehrfach behauptet wurde, als ein gesetzgeberischer Akt anzusehen28 , sondern sie ist nicht mehr als ein "nihil obstat" des Papstes als oberstem Gerichtsherm in bezug auf die Veröffentlichung dieses Urteils29 . Von einer Approbation des Urteils, etwa gar in spezifischer Form, wodurch das Urteil zu einem Akt des bestätigenden Organs würde30 , kann überhaupt keine Rede sein. Dem Urteil der Signatura Apostolica kommt allerdings eine weit über den zur Behandlung stehenden Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu. Abgesehen davon, daß ihm schon an sich als einer Entscheidung des kirchlichen Höchstgerichts und wegen der Bedeutung der zur Behandlung stehenden Materie ein besonderes Gewicht zukommt, hat die Signatura Apostolica überdies von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, den nachgeordneten Gerichten Weisungen in bezug auf die gerichtliche Behandlung derartiger Fälle zu erteilen31 . Sie fügte ihrer Entscheidung die allgemeine Weisung hinzu, daß künftig Ehen Orthodoxer ohne priesterliche Einsegnung als ungültig zu betrachten seien32 .

26 Die Entscheidung der Rota ist mitgeteilt von Abbo, in: Jurist 31 (1970) 398. 27 Diese Grundsatzentscheidung ist abgedruckt in Apoll 44 (1971) 24 f., AkKR 139 (1970) 523 f. und findet sich auch bei Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem Iuris Canonici editae (Romae 1974), Nr. 3924. 28 Weitzel, Zivilehen orthodoxer Christen sind wegen Formmangels ungültig, in: AkKR 139 (1970) 486: "Auf Grund dieser Approbation durch den obersten Gesetzgeber der Kirche ist es (das Urteil der Signatura) zu einer gesetzesgleichen Norm geworden." - Im selben Sinne Köster, Wandel in der Auffassung über das Eherecht der nichtkatholischen Ostkirchen (unveröffentlichtes Manuskript eines bei der Deutschen Offizialentagung in Bonn 1974 gehaltenen Vortrags). 29 Primetshofer, Zur Frage nach dem Normadressaten im kanonischen Recht, in: FS für Alexander Dordett (Wien 1976) 140. 30 Schmalzgrueber, Ius ecclesiasticum universum (Venetiis 1738), I, pars IV, tit. XXX, nr. 4. 31 Apost. Konstitution "Regimini Ecclesiae universae" Nr. 105, in: AAS 59 (1967) 921. 32 Über die wenig glückliche Formulierung dieser Weisung vgl. Primetshofer, (Anm. 29) 140 f.

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Damit ist in der Frage nach dem Normadressaten des katholischen Kirchenrechts eine wichtige Entscheidung gefallen: Orthodoxe Christen sind nicht mehr schlechthin den Bestimmungen des katholischen Kirchenrechts unterworfen, sondern sie unterstehen prinzipiell den Normen ihrer eigenen Kirche. Dies würde also u. a. im Bereich der Ehehindernisse bedeuten, daß von naturrechtlichen und positiv-göttlichen Normen abgesehen - die den Bereich der "leges mere ecclesiasticae" zuzuordnenden Hindernisse des jeweiligen orthodoxen Rechtskreises und nicht die des MP "Crebrae allatae" anzuwenden sind. - Daß indes mit der Anerkennung der Verbindlichkeit des orthodoxen Kirchenrechts keineswegs alle Probleme um den Normadressaten gelöst sind, und dies nicht einmal im eherechtlichen Bereich, hat schon die Sacra Romana Rota in dem vorhin erwähnten Urteil angedeutet33 . In manchen Bereichen wird es jetzt erst recht, zumal angesichts der Unbestimmtheit und teilweise unzulänglichen Kodifikation des orthodoxen Kirchenrechts äußerst diffizile Probleme der Rechtsfindung geben. Desungeachtet sei festgestellt, daß nunmehr ein bedeutender Schritt in Richtung auf eine ökumenische Haltung des katholischen Kirchenrechts getan wurde. Dies freilich nur in bezug auf das Verhalten gegenüber den orthodoxen Kirchen. Was die dem lateinischen Rechtsbereich zuzurechnenden nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften (in erster Linie die evangelischen Christen) anlangt, so gibt es de lege lata keine dem Ökumenismusdekret auch nur annähernd gleichlautende Bestimmung. Hier gilt nach wie vor die Bestimmung des c. 12 eIe, daß alle Getauften den Kirchengesetzen unterliegen. Allerdings zeigen die von der päpstlichen Kommission zur Reform des eIe erstellten Gesetzesentwürfe auf, daß dem Problem um den Normadressaten des kanonischen Rechts durchaus Bedeutung beigemessen wird, und daß der Gesetzgeber ganz offensichtlich von der Absicht geleitet ist, auch hier ökumenische Schwerpunkte zu setzen34 . Die Problematik um den Normadressaten stellt sich allerdings nicht nur im Hinblick auf den Personenkreis, der außerhalb der katholischen Kirche die Taufe empfangen hat, d. h. also in bezug auf jene Menschen, die von vornherein als getaufte Akatholiken in den Blickpunkt der Rechtsordnung getreten sind. Sie stellt sich auch hinsichtlich jener Personen, die einmal Mitglieder der katholischen Kirche waren, sich aber irgendwann und auf irgendeine 33 Abbo, (Anm. 26), 398. 34 Daß bei der Festlegung der Formpflicht des c. 1099 CIC ebenso wie beim "Tametsi" des Trienter Konzils ökumenische Überlegungen eine wichtige Rolle spielten, steht außer Zweifel. Durch den eingeengten Normadressatenkreis wollte man die Gültigkeit der seitens der Protestanten ohne Einhaltung der tridentinischen bzw. kodikarischen Form geschlossenen Ehen gewährleisten.

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Weise von ihr getrennt haben, sei es, daß sie sich dann einer anderen Glaubensgemeinschaft zugewendet haben oder nicht. Halten wir diesbezüglich fest: Die im derzeitigen kodikarischen Recht geltenden Ausnahmen der cc. 1070 (Religionsverschit'-denheit, disparitas cultus) und 1099 § 1, 1 (Formpflicht) betreffen nur den zuerst genannten Personenkreis, d. h. diejenigen, die außerhalb der katholischen Kirche getauft wurden und niemals in die katholische Kirche eingetreten sind; mit einem Wort jene Personen, die niemals katholisch waren. - Wer umgekehrt in der katholischen Kirche getauft wurde oder nach Empfang der Taufe außerhalb derselben in die katholische Kirche eingetreten ist, bleibt uneingeschränkter Normadressat aller Bestimmungen des kanonischen Rechts. Dem Kirchenaustritt wird also, was die Frage nach dem Normadressaten anlangt, keine Wirkung zugeschrieben35 . Den im Bereich des lateinischen Kirchenrechts meines Wissens ersten Vorstoß in Richtung auf eine Einschränkung des Normadressatenkreises auf die Katholiken unternahm der Entwurf für ein kirchliches Strafrecht aus dem Jahre 1973 36 . C. 1 § 2 dieses Entwurfes enthält die Formulierung, daß getaufte Nichtkatholiken von kirchlichen Strafsanktionen generell ausgenommen sind, es sei denn, daß Strafgesetz oder Strafgebot es ausdrücklich anders bestimmen37 . Abgesehen von der Problematik, daß der Entwurf den verwendeten Begriff "acatholicus baptizatus" nicht festlegt38 und somit Anlaß zu einem ganz gravierenden Rechtszweifel bietet, fällt doch positiv an der Formulierung auf, daß sie eine genaue Umkehr des in c. 12 CIC festgelegten Prinzips zum Inhalt hat: Während nämlich c. 12, von besonderen Ausnahmefällen abgesehen, die grundsätzliche Normunterwoifenheit der getauften Nichtkatholiken festlegt, verfügt c. 1 § 2 des Entwurfes hinsichtlich der kanonischen Strafsanktionen deren grundsätzliche Normbejreiung, soweit nichts Gegenteiliges ausdrücklich festgelegt ist.

35 Der Katholik, der einer "secta haeretica seu schismatica" beigetreten ist, wird zwar nach c. 1060 nicht mehr als Katholik angesehen; desungeachtet gilt er weiterhin als Normadressat des kanonischen Rechts. 36 "Schema Documenti quo disciplina sanctionum seu poenarum in Ecclesia Latina denuo ordinatur" (Vatikanstadt 1973). Das Schema von 1973 geht bereits auf einen früheren Entwurf der CIC-Reformkommission zurück, über den Ciprotti, in: Communicat 1970, 101, berichtet. 37 "Nisi lex vel praeceptum aliter expresse caveant, acatholici baptizati a poenalibus sanctionibus in Ecclesia eximuntur. " 38 Weder der Bericht des Relators Ciprotti über das erste Schema von 1970 (Communicat, Anm. 36), noch der Motivenbericht zum Schema von 1973 (Praenotanda, 6) halten es für notwendig, den Begriff "acatholicus" näher zu erläutern.

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Die Frage, welchen Inhalt die vom Strafrechtsschema 1973 verwendete Formulierung aufweist, wonach der "acatholicus baptizatus" grundsätzlich nicht Normadressat des Strafrechts sei, ging vor allen Dingen darum, welche Relevanz man dem Kirchenaustritt eines Katholiken zumessen solle. Konkret lautete die Fragestellung: Ist unter dem "acatholicus baptizatus" des c. 1 § 2 des Entwurfes auch deIjenige zu subsumieren, der in der katholischen Kirche getauft wurde bzw. zu ihr übergetreten, nachher aber ausgetreten ist? Merkwürdigerweise unterlassen es sowohl der Text des Entwurfes selbst wie auch die erläuternden Bemerkungen der CIC-Reformkommission, auf diese Frage Antwort zu geben. Auf dem im Oktober 1974 am Kanonistischen Institut der Universität München stattgefundenen Symposion über den Strafrechtsentwurf wurde die von der Formulierung des Entwurfes her denkbare Möglichkeit, dem Kirchenaustritt normbefreiende Wirkung (im Strafrecht) zuzuerkennen, teilweise einer heftigen Kritik unterzogen. So äußerte sich Scheuennann bei Gelegenheit dieses Sympsions folgendermaßen: "Grundfrage bei dieser Norm (des c. 1 § 2 des Entwurfes) aber ist, wer als "acatholicus baptizatus" gilt. Es darf nicht so weit gehen, daß unter den getauften Nichtkatholiken auch andere als die gutgläubig außerhalb der katholischen Kirchengemeinschaft Verbliebenen verstanden werden. Dem Wortlaut nach könnten ja aus der Kirche Ausgetretene oder von ihr Abgefallene demgemäß vom kirchlichen Strafgesetz befreit erachtet werden. Das kann nicht Wille des Gesetzgebers sein "39. Kurze Zeit später wurde aber klar, daß sich die CIC-Reformkommission durchaus ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigte, unter dem Begriff "acatholicus" auch die aus der katholischen Kirche Ausgetretenen zu subsumieren. Der Entwurf der CIC-Kommission für ein neues Sakramentenrecht40 aus dem Jahre 1975 befaßt sich in c. 263 mit der Frage, wer als Normadressat der kirchlichen Ehehindernisse anzusprechen sei und beantwortet diese Frage folgendermaßen: "Impedimentis iuris mere ecclesiastici tenentur tantum illi qui sunt in Ecclesia catholica baptizati vel in eam recepti nec actu fonnali ab ea defecerunt. " Abgesehen von der Tatsache, daß hier ein gegenüber dem kodikarischen Recht wesentlich eingeschränkter Kreis von Normadressaten angesprochen wird41 , ist auch die Frage nach dem Inhalt des Begriffes "acatholicus" be39 Scheuermann, Das Schema 1973 für das kommende kirchliche Strafrecht, in: AkKR 143 (1974) 10 f. 40 "Schema documenti pontificii quo disciplina canonica de sacramentis recognoscitur" (Vatikanstadt 1975), Tit. VII De matriomonio, c. 263. 41 Der eIe nimmt im Bereich der Ehehindernisse, um den es im c. 263 des Entwurfes geht, den getauften Akatholiken nur vom (trennenden) Hindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) aus (c. 1070 § 1 eIC), während der Ent-

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antwortet. Auf eine kurze Formel gebracht könnte man sagen: Dem Entwurf zufolge soll in dem etwähnten Teilbereich dem Kirchenaustritt normbefreiende Wirkung zukommen42 . Auch diese Formulierung der eIe-Kommission stieß teilweise auf heftige Kritik, wobei nun allerdings etwas differenzierter auf die Problematik des Kirchenaustritts eingegangen wurde. Im Rahmen eines im Herbst 1975 am Kanonistischen Institut der Universität München stattgefundenen Symposions, hat die Arbeitsgruppe Eherecht (Vorsitz Univ.-Prof. Dr. Audomar Scheuermann) eine Formulierung vorgeschlagen, die eine gegenüber dem Entwurf der eIe-Kommission eingeschränkte normbefreiende Wirkung des Kirchenaustritts zum Inhalt hat. Demnach sollte dem Kirchenaustritt nur dann normbefreiende Wirkung zukommen, wenn er ohne positive Zustimmung in einem Lebensalter vollzogen wurde, wo der Betreffende noch der Gewalt seiner Eltern bzw. Vormünder unterstellt ist. Auf der anderen Seite faßt der Münchener Alternativentwurf aber auch ein Problem ins Auge, das der Entwurf der eIe-Kommission nicht beachtete, nämlich die Frage, ob man die katholisch Getauften, wenn sie nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, schlechthin unter allen Umständen als Normadressaten ansprechen solle oder nicht. Bekanntlich hat ja der eIe den bemerkenswerten Versuch unternommen, im Bereich der Formpflicht das diffizile Problem um die Normuntetworfenheit jener Personen anzugehen, die zwar katholisch getauft, aber dann akatholisch erzogen wurden43 .

wurf die Hindernisse des reinen Kirchenrechts (impedimenta iuris mere ecclesiastici) generell nur für die Katholiken gelten lassen will. 42 Die "Praenotanda" (Motivenbericht) zum Tit. VII De matriomonio verwenden in ihrer Formulierung bezüglich des "acatholicus" einen gegenüber dem vorgeschlagenen Gesetzestext sogar noch erweiterten Tatbestand: Während c. 263 des Entwurfes hinsichtlich des Kirchenaustritts vom "actus formalis" spricht, schreiben die Praenotanda diesbezüglich " ... actu formali aut notorie ... ". "Actus formalis" steHt offensichtlich auf bestehendes staatliches Recht hinsichtlich des Kirchenaustritts ab, wie dies etwa in Österreich und der BRD der Fall ist. 43 Vgl. c. 1099 § 2, zweiter Halbsatz. - Offensichtlich konnte sich aber der kodikarische Gesetzgeber die Tatsache einer nichtkatholischen Erziehung nur bei den "ab acatholicis nati" vorstellen und stattete demzufolge nur bei diesem Personenkreis die nichtkatholische Erziehung mit normbefreiender Wirkung (in bezug auf die Formpflicht) aus. Entscheidungen der Päpstlichen Interpretationskommission (peI) vom 20.7. 1929 (AAS 21 [1929] 573) und 17.2. 1930 (AAS 22 [1930] 195) zufolge liegt das "ab acatholicis nati" auch bei nur einem nichtkatholischen Elternteil vor, daß aber eine akatholische Erziehung auch bei einer Abstammung von katholischen Eltern durchaus im Bereich des Möglichen liegt, das hat der Gesetzgeber nicht erwogen bzw. nicht erwägen wollen.

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Der Münchener Alternativentwurf faßt beide Anliegen in einer Formulierung zusammen und kommt zu folgendem Ergebnis: "Impedimentis iuris mere ecclesiastici et obligatione observandi formam canonicam non tenentur qui a) licet in Ecclesia catholica baptizati, nunquam se membra Ecclesiae catholicae esse conscii fuerunt, b) sine positivo consensu, dum potestae parentum aut tutorum obnoxi fuerunt, actu formali ab Ecclesia catholica defecerunt"44. Es lassen sich freilich gegen diese Formulierung gewichtige Bedenken ins Treffen führen. Vor allen Dingen arbeitet sie nach meinem Dafürhalten mit zu vielen unbestimmten Gesetzesbegriffen. Nach lit. a sollen alle diejenigen von den Hindernissen des reinen Kirchenrechts und der Formpflicht ausgenommen sein, die zwar in der katholischen Kirche getauft wurden, sich aber niemals ihrer Mitgliedschaft bewußt wurden. Gegenüber der ursprünglichen Fassung des c. 1099 § 2 (d. h. vor der Novellierung durch Pius XII. vom 1. 8. 1948) bedeutet sie zwar eine durchaus begrüßenswerte Tatbestandserweiterung, da bekanntlich der CIC an der angezogenen Gesetzesstelle der akatholischen Erziehung normbefreiende Wirkung nur in bezug auf die von akatholischen Eltern Abstammenden einräumte, während hingegen bei den von katholischen Eltern Stammenden und katholisch Getauften die Frage ihrer späteren akatholischen Erziehung ohne rechtliche Relevanz blieb. Auf der anderen Seite aber wird das "nunquam se membra Ecclesiae catholicae esse conscii fuerunt" erheblichen Auslegungsschwierigkeiten Tür und Tor öffnen. Wie ist etwa der Fall zu beurteilen, in dem ein katholisch getauftes Kind vielleicht von einem Eltern- oder Großelternteil eine Zeit hindurch katholisch erzogen wurde, mehr oder weniger regelmäßig am gottesdienstlichen Leben seiner Kirchengemeinde teilgenommen hat, dann aber infolge Übersiedlung oder Trennung von dem die katholische Erziehung tragenden Teil aus der aktiven Teilnahme am Kirchenleben herausgewachsen ist. - Wie ist das "conscii fuerunt" zu beurteilen? Welcher Erkenntnis- bzw. Bewußtseinsgrad ist hier erforderlich? Es hat den Anschein, als ob die Rechtsanwendung von den im Münchener Alternativentwurf verwendeten Formulierungen überfordert wird. Nicht minder problematisch ist lit. b des Münchener Alternativentwurfes. Denn einerseits wird auf die Tatsache abgestellt, daß der Kirchenaustritt ohne positive Zustimmung (sine positivo consensu) vollzogen wurde, andererseits aber darauf, daß sie in einem Zeitraum vorgenommen wurde, wo jemand noch der Gewalt seiner Eltern bzw. Vormünder untersteht. Zunächst einmal scheint eine Aussage widersprüchlich, derzufolge jemand ohne positive Zustimmung von der katholischen Kirche abfällt. Gedacht ist offensichtlich in 44 Scheuermann, Vorschläge zum Eherecht, 4 a .

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erster Linie, wenngleich auch nicht ausschließlich, an die nach staatlichem Recht von den Eltern bzw. gesetzlichen Vertretern vorgenommene Austrittsmeldung eines ihrer Gewalt unterstehenden Religionsunmündigen45 . Wer auf diese Weise von der katholischen Kirche abgemeldet wurde, von dem läßt sich wohl schwer sagen, daß er selbst abgefallen ist. - Problematisch erscheint ferner die Aussage, wonach das Fehlen der positiven Zustimmung unabdingbare Voraussetzung für die normbefreiende Wirkung sein soll. Dieses subjektive, rechtlich schwer überprüfbare Element müßte bei der Beurteilung und damit Entscheidung über die Normunterworfenheit oder Normbefreiung außer Betracht bleiben. Sofern man sich überhaupt der Basis des Münchener Alternativentwurfes anschließt, müßte dies m. E. so geschehen, daß allzu viele unbestimmte Gesetzesbegriffe ausgeschaltet würden. Ganz wird sich dies in dieser diffizilen Materie sowieso nie erreichen lassen. Nach meinem Dafürhalten könnte man auf das in der ursprünglichen Fassung des c. 1099 § 2 verwendete Element der Erziehung zurückgreifen und der akatholischen Erziehung auch des katholisch Getauften normbefreiende Wirkung zuerkennen. - Wenn man überdies von der dem Alternativentwurf zugrundeliegenden Auffassung ausgeht, daß dem Kirchenaustritt nur unter bestimmten Voraussetzungen rechtliche Relevanz in dem hier in Rede stehenden Sinn zukommen soll, dann müßte auch diesem Anliegen in einer möglichst klaren Form Rechnung getragen werden. Mit anderen Worten, es müßte eine fixe Altersgrenze festgelegt werden, bis zu deren Erreichung der Kirchenaustritt im beschriebenen Sinne relevant wird. Konkret könnte man sich etwa folgende Formulierung denken: Impedimentis iuris mere ecclesiastici et obligatione observandi formam canonicam matrimonii non tenentur ii qui, licet in Ecclesia catholica baptizati vel recepti a) ab infantil i aetate acatholice educati fuerunt, vel b) ante 18 aetatis annum ab Ecclesia catholica seiuncti fuerunt. Gegenüber dem Münchener Alternativentwurf vermeidet der hier vorgeschlagene Text in lit. a die vage Formulierung "nunquam se membra Ecclesiae catholice esse conscii fuerunt" und stellt auf die akatholische Erziehung von Jugend auf ab. Die Formulierung lehnt sich an den zweiten Halbsatz des c. 1099 § 2 an, erweitert aber den Tatbestand insofern, als die akatholische Erziehung auch bei dem in der katholischen Kirche Getauften relevant wird. In bezug auf den Kirchenaustritt wird einerseits der Ausdruck "defecerunt" vermieden und dafür das neutralere "seiuncti" eingeführt. Dies vor allem des45 In Österreich vgl. diesbezüglich G. vom 25. 5. 1868 (RGBI 49) über die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger.

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halb, weil ja die Frage, ob der Kirchenaustritt im vollen Bewußtsein vollzogen wurde oder nicht, keine Rolle spielen soll, sofern er nur überhaupt vor dem 18. Lebensjahr stattfand. In diese Richtung gehen auch die im Rahmen der CIC-Reformkommission angestellten Überlegungen46 . Einer der Konsultoren der Kommission hatte eine Formulierung vorgeschlagen, derzufolge der in der katholischen Kirche Getaufte von kirchlichen (Straf-)Gesetzen nicht betroffen sein sollte, wenn er keine katholische Erziehung genossen hatte47 . Überdies wurde auch die Frage diskutiert, ob und in welchem Ausmaß dem Kirchenaustritt normbefreiende Wirkung zukommen sollte. Die schließlich vereinbarte Kompromißformel umfaßt beide Problemkreise, nämlich die akatholische Erziehung und die Frage der rechtlichen Relevanz des Kirchenaustritts. Sie legt eine fixe Altersgrenze fest, nämlich das 18. Lebensjahr und kommt zu dem Ergebnis, daß nur diejenigen Normadressaten des kirchlichen (Straf-)Rechts sein sollen, die nach Erreichung dieser Altersgrenze den katholischen Glauben bekannt haben48 • Damit ist indirekt ausgesagt, daß diejenigen, die nach Erreichung des 18. Lebensjahres aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, weiterhin dem kirchlichen (Straf-)Recht unterliegen; der Kirchenaustritt hätte in diesem Falle also keine normbefreiende Wirkung mehr.

Nun scheint es allerdings, daß gerade diese Aussage des Entwurfes noch einer Prüfung zu unterziehen ist. Denn es wird hier ganz eindeutig eine Haltung des kanonischen Rechts zum Ausdruck gebracht, wonach derjenige, der sich nach Erreichung der genannten Altersgrenze von der katholischen Kirche lossagt, gewissermaßen zur Strafe weiterhin den Normen des Kirchenrechts unterliegt. Weitgehend wird dies, zumal im Bereich des kirchlichen Strafrechts, aus dem die genannte Formulierung stammt, ohnedies gegenstandslos sein, denn der aus der Kirche Ausgetretene fühlt sich wohl in den meisten Fällen sowieso nicht mehr an das Recht seiner Kirche gebunden. Die hier in Rede stehende Formulierung der CIC-Reformkommission ist also - soweit sie den Bereich des kirchlichen Strafrechts betrifft - der Hauptsache nach nur eine programmatische Erklärung. Aber dennoch bin ich der Überzeugung, daß sie gegenüber dem nachkonziliaren Selbstverständnis der katholischen Kirche nicht recht bestehen kann. Die Erklärung über die Religionsfreiheit 46 Communicat VIII/1976, 167 f. 47 Communicat 168. 48 Die als provisorisch bezeichnete Fonnel hat folgenden Wortlaut: "Nisi lex vel praeceptum aliter caveat, poenalibus sanctionibus in Ecclesia ii tantum subiciuntur, qui post adeptam duodevicesimum aetatis annum catholicam fidem professi sunt". Communicat 168.

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("Dignitatis humanae") des Zweiten Vatikanischen Konzils stellt bei der Wahl des religiösen Bekenntnisses in so nachhaltiger Weise auf das persönliche Gewissen des einzelnen ab 49 , auf das Freisein von jedem Zwang im religiösen Bereich50 , daß mir eine gesetzliche Maßnahme nicht gerechtfertigt erscheint, die zumindest in ihrer nach außen in Erscheinung tretenden Optik eine Zwangsmaßnahme darstellt. Nach meinem Dafürhalten würde es einer Kirche, die in so eindrucksvoller Weise für die Religionsfreiheit eintritt, besser anstehen, auf jeden gesetzgeberischen Versuch zu verzichten, der diesem Prinzip widerstreitet. Dies würde also bedeuten, daß man dem Kirchenaustritt nicht bloß bis zum 18. Lebensjahr normbefreiende Wirkung zuerkennt, sondern generell. Wer sich von der Glaubens- und Rechtsgemeinschaft der katholischen Kirche losgesagt hat, dessen Gewissensentscheidung soll respektiert werden, und zwar auch im Bereich der Rechtsordnung. Es braucht wohl hier nicht betont zu werden, daß damit in die sakramentalen Wirkungen der einmal gültig empfangenen Taufe nicht eingegriffen wird. Der genannte Personenkreis wäre also, was die Frage seiner Normunterworfenheit anlangt, den getauften Akatholiken gleichgestellt; d. h. also denjenigen, die die Taufe außerhalb der katholischen Kirche empfangen haben und niemals katholisch waren. Es gäbe demzufolge hinsichtlich des Problems, wer Normadressat des kanonischen Rechts ist, nur mehr die Unterscheidung zwischen den Katholiken und den getauften Nichtkatholiken, wobei es bei letzteren unerheblich wäre, ob sie jemals Mitglieder der katholischen Kirche waren. Die Frage um die Verpflichtungskraft des kanonischen Rechts gegenüber dieser einen Kategorie von getauften Nichtkatholiken 51 bedarf freilich einer sehr eingehenden Überlegung. Aktuell wird dies vor allen Dingen im Eherecht. Hier stellt sich das Problem verschieden, je nachdem, ob es sich bei den getauften Nichtkatholiken um Orientalen oder dem lateinischen Rechtsbereich Angehörige handelt. Der im Ökumenismusdekret (Art. 16) anzutref49 Art. 2 "Das Vatikanische Konzil erklärt, daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich ... innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln." 50 Pavan, Kommentar zum Konzilsdekret "Unitatis redintegratio", in: LThK, Das Zweite Vatikanische Konzil, 11, 716 Sp. 2. 51 Das heißt also konkret von der Formpflicht und den Ehehindernissen des reinen Kirchenrechts. 26 Primetshofer

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fende Hinweis, daß die orthodoxen Kirchen sich "nach ihren eigenen Ordnungen regieren können" bedeutet, wie schon gesagt wurde, eine grundsätzliche Anerkennung des orthodoxen Kirchenrechts. Im eherechtlichen Bereich heißt dies also, daß prinzipiell das orthodoxe Recht anzuwenden ist52 . Die dem lateinischen Rechtsbereich angehörigen getauften Nichtkatholiken, vor allen Dingen die Protestanten, kennen grundsätzlich kein kirchliches Eherecht. Die vom katholischen Gesetzgeber her etwa vorgenommene Ausklammerung der Protestanten aus sämtlichen Bestimmungen des kanonischen Eherechts würde hier zu sehr unbilligen Konsequenzen führen. Denn das hieße, daß etwa die Ehe von zwei Protestanten, wenn die Frage ihrer Gültigkeit vor dem (katholischen) kirchlichen Gericht zur Behandlung steht, etwa wegen schwerer Furcht oder arglistiger Täuschung53 nicht für ungültig erklärt werden könnte54 . Die im Schema zum Sakramentenrecht vorgenommene Ausklammerung der dem lateinischen Rechtsbereich angehörigen getauften Nichtkatholiken aus der Formpflicht und den Hindernissen des rein kirchlichen Rechts stellt die rechte Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig dar. Fassen wir also zusammen: Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß getaufte Nichtkatholiken im Gegensatz zu der derzeitigen Bestimmung des c. 12 CIC grundsätzlich nicht dem kanonischen Recht unterworfen sein sollen. Unter dem Begriff des getauften Nichtkatholiken wären auch diejenigen zu subsumieren, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. Das künftige kirchliche Gesetzbuch müßte daher in einer grundsätzlichen Aussage nur den Katholiken als Normadressaten ins Auge fassen, wobei freilich eine Einschränkung einerseits zugunsten der Natur der Sache55 und bestimmter, im Wege der Gesetzgebung zu treffender Sonderregelungen zu machen wäre. Mit anderen Worten, sofern sich nicht aus der Natur der Sache oder kraft besonderen Gesetzes etwas Gegenteiliges ergibt, soll der getaufte Nichtkatholik 52 Primetshofer, (Anm. 29) 143 f. 53 C. 300 des Schemas für das Sakramentenrecht hat, einer seit langem erhobenen Forderung Rechnung tragend, die arglistige Täuschung beim Eheabschluß als Nichtigkeitsgrund angeführt. 54 Denn die rechtliche Relevanz von schwerer Furcht kommt nicht schon aus dem Naturrecht, sondern kraft positiver Festsetzung durch die Kirche. C. 1087 CIC ist somit "ius mere ecclesiasticum". Zur Kontroverse um die Einordnung der schweren Furcht vgl. Bank, Connubia cannonica (Romae/Friburgi/Barcinone 1959) 382-384. Die im kanonischen Recht angeführten Konsensmängel sind jedoch lediglich kodifiziertes Naturrecht; eine Anwendbarkeit dieser Bestimmungen auf die Ehen getauften Nichtkatholiken ist daher ohne weiteres gegeben. 55 Hier ist an das Naturrecht bzw. positiv göttliche Recht zu denken, dessen Verpflichtungskraft sich grundsätzlich auf alle Menschen erstreckt.

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grundsätzlich nicht als Normadressat des kanonischen Rechts angesprochen werden. Eine derartige Grundnorm über den Normadressaten des kanonischen Rechts würde ihren geeigneten Ort wohl in einem kirchlichen Grundgesetz (Lex Ecclesae fundamentalis) fmden. Sie könnte etwa folgenden Wortlaut haben: "Nisi ex natura rei vel expressa legis (specialis) dispositione aliud constet, normis iuris mere ecclesiastici subiiciuntur baptizati in Ecclesia catholica vel in eandem recepti qui catholicam fidem adhuc profitentur. "

Zur Frage der Rechtsfolgen eines Kirchenaustritts aus finanziellen Gründen Der nach Maßgabe des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz l vor einer staatlichen Behörde vollzogene Kirchenaustritt2 stellt ein Problem dar, das die kanonistische, aber auch die staatskirchenrechtliche Lehre und Praxis in mehrfacher Hinsicht beschäftigt. Die Kanonistik nicht nur im Hinblick auf die Einordnung dieses Kirchenaustritts in straftechtliche Kategorien (darauf wird noch näher einzugehen sein), sondern neuerdings, d. h. seit Inkrafttreten des CIC/1983, in Zusammenhang mit möglichen eherechtlichen Konsequenzen. Denn das Eherecht des CIC/1983 nimmt auf die durch formalen Akt von der katholischen Kirche Abgefallenen Bezug (ce. 1086 § 1; 1117)3. Hier stellt sich für den eherechtlichen Bereich die Frage, ob und inwieweit ein Kirchenaustritt den in den an-

1 Zu den Rechtsgrundlagen in der Bundesrepublik Deutschland vgl. A. v. Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR I, Berlin 1974, 657-666. - In Österreich Gesetz über die Interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger vom 25. 5. 1868 (RGBI49). - In der Schweiz ist die Frage des Kirchenaustritts teils in der Gesetzgebung des Bundes, teils in der der Kantone enthalten. Vgl. U. J. Cavelti, Der Kirchenaustritt nach staatlichem Recht, in: L. Carlen (Hrsg.), Austritt aus der Kirche - Sortir de I'Eglise. Freiburg/Schw. 1982,89. 2 Die seitens des Staates gewährleistete Möglichkeit eines Kirchenaustritts stellt in den drei hier zu besprechenden Ländern eine Konsequenz aus der verfassungs gesetzlieh gesicherten Glaubens- und Gewissensfreiheit dar. Vgl. Th. Fleiner-Gerstner, Glaubens- und Gewissensfreiheit und gesetzliche Mitgliedschaft in den Kirchen, in: Carlen, Kirchenaustritt (Anm. 1) 107-127. 1. Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1971, 95-97. H. Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/N ew York 1984,45-49. 3 Die beiden angeführten Canones sind die einzigen Fälle, in denen der CIC/1983 dem formalen Abfall von der katholischen Kirche normbefreiende Wirkung zuerkennt. Einen erheblich weiterreichenden diesbezüglichen Vorschlag enthielt c. 263 des Schemas zum Sakramentenrecht aus dem Jahre 1975 (Schema documenti pontificii quo disciplina canonica de sacramentis recognoscitur, Typis Polyglottis Vaticanis 1975). Vgl. dazu B. Primetshofer, Der Kreis der Normadressaten des kanonischen Rechts, in: U. Floßmann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik, FS für H. Eichler zum 70. Geburtstag, Wien/New York 1977,483-501, bes. 490.

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gezogenen Canones erwähnten Tatbestand erfüllt oder nicht4, wovon Wiederum die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit einer Ehe abhängen kann. Die nach Maßgabe staatlicher Bestimmungen in den genannten Ländern bestehende Pflicht zur Zahlung von Kirchensteuern bzw. Kirchenbeiträgen5 ist an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche (Religionsgesellschaft) gebunden. Die Beitragspflicht besteht so lange, als nicht vor einer staatlichen Behörde der Austritt aus der Kirche (Religionsgesellschaft) erklärt wurde6 . Es gibt nicht wenige Mitglieder von Kirchen und Religionsgesellschaften, die mit dieser Regelung der Kirchensteuer (des Kirchenbeitrags) ihre Schwierigkeiten haben. Sei es, daß sie eine ihnen zwangsweise auferlegte Pflicht zur Entrichtung eines Beitrags in vorgeschriebener Höhe überhaupt ablehnen, sei es, daß sie mit einer bestimmten Verwendung der Abgaben oder mit bestimmten kirchlichen Maßnahmen nicht einverstanden sind. Eine derartige Protesthaltung kann auch mit einer Glaubenskrise in Zusammenhang stehen, doch muß dies nicht unbedingt der Fall sein; in den meisten Fällen ist wohl die Sphäre des Glaubens nicht berührt. Verschiedentlich sind in den vergangenen Jahren Versuche unternommen worden, mit einem aus rein finanziellen Gründen vollzogenen Kirchenaustritt eine Erklärung zu verbinden, daß es sich dabei nicht um einen Austritt aus der Glaubensgemeinschaft der Kirche, sondern nur aus der diesbezüglichen Rechtsgemeinschaft handle7 • In der Bundesrepublik Deutschland sind nach anfänglichen Schwankungen derartige Zusätze als unzulässig erklärt worden; die Behörden sind demnach nicht befugt, einen Kirchenaustritt mit irgendwelchen modifizierenden Zusätzen zu 4 Vgl. dazu die sehr sorgfältige Untersuchung von T. Lenherr, Der Abfall von der katholischen Kirche durch einen fonnalen Akt. Versuch einer Interpretation, in: AkKR 132 (1983) 107-125, bes. 124. 5 Dies hängt davon ab, ob die nach Maßgabe staatlicher Bestimmungen zu entrichtende Abgabe von einer staatlichen (Finanz)behörde dem Lohn- bzw. Gehaltsempfänger abgezogen wird (Kirchensteuer) oder ob sie der Beitragspflichtige selbst an die Kirche (Religions gesellschaft) abzuführen hat (Kirchenbeitrag). 6 Die Bindung der Austrittserklärung an die Mitwirkung der staatlichen Behörde unterliegt nach österreichischem Recht dem Grundsatz "locus regit actum". Demzufolge hat der (in Österreich) vollzogene Kirchenaustritt des In- oder Ausländers nur dann staatliche Wirkungen, wenn er vor der nach österreichischem Recht zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde vorgenommen wurde. Andererseits aber ist die Gültigkeit des vom Inländer im Ausland vollzogenen Kirchenaustritts für die österreichische Rechtsordnung nach Maßgabe der im Ausland geltenden Bestimmungen zu beurteilen. Vgl. dazu VwGH 22.5. 1964, Zl. 1111/63-6, in: ÖAKR 17 (1966) 356-365. Gampl, Staatskirchenrecht (Anm. 2) 97. Pree, (Anm. 2) 45-50. 7 Vgl. dazu die Erklärung des deutschen Schriftstellers Heinrich Böll anläßlich seines Austritts aus der "kirchlichen Körperschaft" bei P. Gradauer, Der Kirchenaustritt und seine Folgen, in: ThpQ 132 (1984) 69.

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versehen8 • Auch in Österreich läßt das staatliche Recht einen Kirchenaustritt mit derartigen Zusätzen nicht zu9. Demnach gibt es von der Sicht des staatlichen Rechts her keinerlei Ansatzpunkt für eine rechtlich unterschiedliche Bewertung oder Bezeichnung des Kirchenaustritts je nachdem, aus welchen Motiven heraus der Austrittswillige seinen Austritt vollzieht. Für das kanonische Recht hingegen spricht hinsichtlich der tatbestandsmäßigen Zuordnung die Frage der Motive für einen Kirchenaustritt eine ganz entscheidende Rolle. Daß ein Kirchenaustritt den Tatbestand der Apostasie oder der Häresie (c. 751) erfüllen kann, braucht nicht länger unter Beweis gestellt zu werden. Die Frage ist indes, ob der aus rein finanziellen Gründen vollzogene Kirchenaustritt auf jeden Fall Schisma, d. h. "Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder der Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche" (c. 751) darstellt. Und selbst wenn dies, je nach Gegebenheit des Falles, unter Umständen zu verneinen wäre, stellt sich weiterhin die Frage, ob irgendwelche kirchenrechtlichen Zwangsmaßnahmen, insbesondere der Ausschluß von der Eucharistie, zu rechtfertigen sind oder nicht. Nicht wenige Autoren vertreten die Auffassung, daß ein Kirchenaustritt, auch wenn er nur aus dem Grunde vollzogen wurde, um der Kirchensteuer (dem Kirchenbeitrag) zu entgehen, auf jeden Fall ein Schisma darstellt, näherhin ein sog. "reines Schisma" (schisma purum) , d. h. ein Schisma, das nicht mit Apostasie oder Häresie verbunden ist 10 . Schisma zieht aber grundsätzlich die Tatstrafe der Exkommunikation nach sich (c. 1364 § 1), woraus dann jedenfalls der Ausschluß von den Sakramenten, insbesondere der Eucharistie, folgen würde (c. 1331 § 1,2). Unabhängig von der Frage, welcher Stellenwert dem Kirchenaustritt aufgrund des allgemeinen Rechts beizumessen ist, d. h., welche im CIC genannten strafrechtlichen Tatbestände zur Anwendung kommen, hat die parti8 Dazu J. Listl, Verfassungsrechtlich unzulässige Formen des Kirchenaustritts. Zur Rechtsprechung in der Frage der Zulässigkeit eines dog. "modifizierten" Kirchenaustritts, in: JZ 1971, 345 ff.; ders., Besprechung von A. Campenhausen, Staatskirchenrecht, in: AkKR 142 (1973) 660-662. 9 Über die Unzulässigkeit von Zusätzen zur Kirchenaustrittserklärung: Pree (Anm. 2) 47. 10 K. Märsdorf, Lehrbuch 11III, 424; H. Jone, Gesetzbuch der katholischen Kirche, Paderborn 2 11 1952, 537 ff.; Gradauer, (Anm. 7) 68; H. Heinemann, Die rechtliche Stellung der nichtkatholischen Christen und ihre Wiederversöhnung mit der Kirche. MThStkan 20, München 1964, 42 f.; R. Henseler, Ordensrecht. Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Essen 1987, 318, c. 694, RdZ 5.

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kulare Gesetzgebung bzw. Verwaltung in verschiedenartiger Weise auf den Kirchenaustritt reagiert. Es gab einige bundesdeutsche Ortsordinarien, die für den Kirchenaustritt eine dem Ordinarius reservierte Zensur festsetzten 1I. Dies war zur Zeit der Geltung des CIC/1917 insofern nicht unproblematisch, als ein bereits vom allgemeinen Kirchenrecht mit Zensur belegter Straftatbestand vom Ordinarius nicht noch mit einer weiteren Zensur belegt werden konnte (c. 2247 § 1 CIC/1917)12. Verschiedentlich wurde von bundesdeutschen und österreichischen Bischöfen insbesondere der aus rein finanziellen Gründen erfolgte Kirchenaustritt zum Gegenstand einschlägiger Verlautbarungen gemacht. Allerdings wird hierbei die Frage der Einordnung dieses Kirchenaustritts in strafrechtliche Tatbestände nicht explizit angesprochen. Die Bischöfe der Bundesrepublik Deutschland haben 1969 eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der sie denjenigen, der sich durch Kirchenaustritt seiner Unterhaltspflicht für die Kirche entzieht, einer groben öffentlichen Solidaritätsverletzung bezichtigen, die die kirchliche Gemeinschaft unter keinen Umständen hinnehmen dürfe. Der aus welchen Gründen immer vollzogene Kirchenaustritt stelle eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft dar. Der Ausgetretene könne daher erst dann wieder am sakramentalen Leben der Kirche teilnehmen, wenn er bereit sei, seine Austrittsmeldung rückgängig zu machen und seiner Pflicht auch in bezug auf die Kirchensteuer nachzukommen 13. Eine ähnliche Erklärung erging seitens des Wiener Erzbischofs Kardinal König im Jahre 1976. Auch hier wird insbesondere der aus finanziellen Gründen vollzogene Kirchenaustritt angesprochen und die Ansicht jener als irrig bezeichnet, die meinen, mit der Austrittserklärung nur die Kirchenbeitragsgemeinschaft, nicht aber die kirchliche Glaubensgemeinschaft verlassen zu haben. Diese fühlten sich berechtigt, weiterhin den Gottesdienst zu besuchen, die Sakramente zu empfangen und alle übrigen kirchlichen Dienste in Anspruch zu nehmen. Denn mit dem Glauben habe diese Form des Kirchenaustritts nichts zu tun. - Die Verlautbarung gipfelt in dem Satz: "Ohne die Kirche gibt es aber keine Glaubensgemeinschaft im Sinne Christi, der die Kirche selbst gewollt hat"14.

11 Heinemann, (Anm. 10) 36-40. 12 Heinemann, (Anm. 10) 43. 13 Gradauer, (Anm. 7) 70. 14 Gradauer, ebd. Diese Erklärung setzt also voraus, daß ein nach Maßgabe des staatlichen Rechts aus der Kirche Ausgetretener, wie immer seine persönliche Willenseinstellung beschaffen sein mag, auf jeden Fall die Kirche, und damit auch die Glaubensgemeinschaft, verlassen habe.

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Wenngleich in diesen bischöflichen Verlautbarungen keine eindeutige Zuordnung des aus finanziellen Gründen erfolgten Kirchenaustritts in die Strafrechtskategorien des kodikarischen Rechts erfolgt, so sind die ausgesprochenen Wirkungen, nämlich insbesondere der Ausschluß von der eucharistischen Tischgemeinschaft, dieselben wie bei der Exkommunikation. Gerade diese Form einer strafrechtlichen Sanktion ist es aber, die teilweise heftigen Widerspruch nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Lehre hervorgerufen hat. So vertritt Corecco die Auffassung, die Kirche habe in der Geschichte bisher niemals die Nichtleistung von fmanziellen Beiträgen als in sich strafbaren Tatbestand angesehen; ein deswegen erfolgter Ausschluß aus der Kommuniongemeinschaft, der praktisch der Exkommunikation gleichkomme, überschreite die Grenzen der sachlichen Angemessenheit l5 . In diesem Zusammenhang verwendet Corecco ein Argument, das aus dem bundesdeutschen und schweizerischen Staatskirchenrecht bzw. dem in diesen Ländern geltenden Grundverhältnis von Kirche und Staat gewonnen wird. In einigen Schweizer Kantonen sei die katholische Kirche auf der Ebene des Gesamtkantons wie auch auf der der Gemeinden nicht in der vom kanonischen Recht, sondern in einer vom Staatskirchenrecht umschriebenen Verfassungsform, nämlich als Landeskirche bzw. Kirchgemeinde, anerkannt 16. Kanonische und staatliche Institution seien somit nicht deckungsgleich. - In der Bundesrepublik Deutschland sei zwar die katholische Kirche als solche als Institution anerkannt, der bestimmte Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts zukommen 17; gleichwohl habe auch hier der aus finanziellen Gründen vollzogene Austritt aus der Kirche nicht die Kirche als kanonische Institution im Auge, sondern als öffentlich-rechtliche Körperschaft l8 . Sowohl für die 15 E. Corecco, La sortie de I'Eglise pour raison fiscale. Le probleme canonique, in: Carlen (Hrsg.), Austritt (Anm. 1) 45 f. 16 J. G. Fuchs, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Aschendorf - Münster, Bd. 5 (1971) 127. E. Corecco, Katholische "Landeskirche" im Kanton Luzern. Das Problem der Autonomie und der synodalen Struktur der Kirche, in: AkKR 139 (1970) 3-42. 17 B. Primetshofer, Kirchliche Verbands formen im staatlichen Recht des deutschsprachigen Raumes. Referat auf dem Internationalen Kanonistenkongreß in München 1987, in: W. Aymans/K. Th. Geringer/H. Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element in der Kirche. Akten des VI. Internationalen Kongresses für Kanonisches Recht (München 1987), St. Ottilien 1989, 847-863. 18 Corecco, (Anm. 15) 54. "Pourtant, la declaration de sortie de I'Eglise pour des raisons fiscales n'a pas comme destinataire reell'Egilse en tant qu'institution de droit canonique, mais I'Eglise ent tant que corporation de droit public. Meme si cette distinction formelle peut paraitre subtile, I'Eglise ne peut pas l'ignorer dans l'evaluation de la declaration de sortie de I'Eglise." - Kritisch äußerst sich zu dieser Auffassung Coreccos J. Listl, in: AkKR 155 (1986) 611-613 (Besprechung von L. Carlen (Hrsg.), Austritt aus der Kirche. Sortir de I'Eglise, Freiburg/Schwe. 1982.

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Bundesrepublik Deutschland wie auch für die Schweiz kommt Corecco somit zu dem Ergebnis, der aus finanziellen Gründen vollzogene Kirchenaustritt sei als "actum inter alios factum" zu bewerten. Das einzige Moment, auf das die kanonische Institution Kirche im Falle eines solchen Austritts Bezug nehmen könne, sei die Weigerung, eine finanzielle Leistung zu erbringen, keinesfalls aber sei die Austrittserklärung als solche relevant. Denn diese habe nichts mit Glaubensabfall, noch auch - streng genommen - mit einer Nichtanerkennung der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche als kanonischer Institution zu tun l9 . Mit großer Entschiedenheit wendet sich Lüdicke gegen die Strafbarkeit eines Kirchenaustritts aus finanziellen Gründen20 . Seine auf einem konkreten Anlaßfa1l 21 aufgebaute Argumentation geht von der Feststellung aus, daß die vor dem Amtsgericht (der Bundesrepublik Deutschland) abgegebene Erklärung, vom Staat nicht mehr länger als Glied der öffentlich-rechtlichen Körperschaft katholische Kirche behandelt werden zu wollen, eigentlich zu Unrecht als "Kirchenaustritt" bezeichnet werde. Denn diese Erklärung sei zunächst eine rein staatsrechtliche und bewirke die Streichung des Betreffenden aus den Kirchensteuerlisten der Finanzämter. Der rein staatsrechtliche Charakter dieses Vorganges werde auch dadurch deutlich, daß die Kirche an dieser Austrittserklärung nicht beteiligt sei, nicht einmal als Adressat, und ferner dadurch, daß die Amtsgerichte Erklärungen - etwa Glied der religiösen Gemeinschaft katholische Kirche bleiben zu wollen - nicht entgegennehmen. Einen" Austritt" aus der katholischen Kirche gebe es nach kirchlichem Recht nicht. Der CIC kenne zwar eine "defectio ab Ecclesia actu formali" (vgl. cc. 1086, 1117, 1124), doch sei damit unabhängig von der Frage, wie eine solche 19 Corecco, ebd. 56. - Auffallend ist, daß hier genau dieselben Argumente velWendet werden, die auch von den BefülWortem des sog. "modifizierten Kirchenaustritts" ins Treffen geführt werden. 20 K. Lüdicke, Wirtschaftsstrafrecht in der Kirche? Kanonistische Anmerkungen zu einem Kirchenaustritt, in: H. Paarhammer (Hrsg.), Administrator bonorum. Oeconomus tamquam paterfamilias, FS S. Ritter, Salzburg 1987,275-282. 21 Den Ausführungen Lüdickes liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein mit der VelWendung von Kirchensteuergeldern nicht einverstandener Bürger der Bundesrepublik Deutschland hatte allein aus diesem Grund vor der zuständigen staatlichen Behörde seinen Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. Am Ort seines Zweitwohnsitzes hatte er die Aufnahme in die Pfarrgemeinde verlangt und hatte bei der Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst auch die Kommunion empfangen. Trotz entsprechender Vorhaltungen des Pfarrers und einer eigens in diesem Zusammenhang ergangenen bischöflichen Weisung, vom Kommunionempfang Abstand zu nehmen, wollte der Betreffende trotzdem die Kommunion empfangen, worauf sie ihm vom zuständigen Pfarrer velWeigert wurde. Daraufhin haben Gemeindemitglieder die ihnen gereichte (Hand)kommunion mit dem Ausgetretenen geteilt.

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defectio ZU vollziehen wäre, nur die Voraussetzung begrenzter Rechtsfolgen defmiert, keineswegs die Lösung von der katholischen Kirche oder gar von der Kirche Jesu Christi. Denn diese sei eine theologische Unmöglichkeit, da die gliedschaftsbegründete Wirkung der Taufe irreversibel sei22 . - Wenn dem aus rein finanziellen Gründen aus der Kirche Ausgetretenen aufgrund bischöflicher Weisung23 durch den zuständigen Pfarrer die Kommunion verweigert werde, so sei nach der theologischen Notwendigkeit und kanonischen Begründbarkeit eines solchen Vorgehens zu fragen. Dies vor allem deshalb, weil die erwähnte bischöfliche Weisung sich nicht die gängige Auffassung zu eigen macht, der Kirchenaustritt erfülle auf jeden Fall den Tatbestand des Schismas (c. 751) und ziehe somit die Tatstrafe der Exkommunikation und den damit verbundenen Ausschluß von der Eucharistiegemeinschaft nach sich (cc. 1364 § 1; 1331 § 1,2). Angesichts der Grundaussage des c. 912, wonach jeder Getaufte, sofern er rechtlich nicht daran gehindert ist, zur heiligen Kommunion zugelassen werden könne und müsse, sei die Frage nach der Art von rechtlicher Behinderung zu stellen, die einen Pfarrer berechtigten könnte, die heilige Kommunion zu verweigern. Eine solche Behinderung könne sich möglicherweise aus c. 915 ergeben, demzufolge zur heiligen Kommunion nicht zugelassen werden dürfen "Exkommunizierte und Interdizierte nach Verhängung oder Feststellung der Strafe sowie andere, die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren" . Es sind somit zwei Tatbestände, die gemäß c. 915 eine Behinderung für die Zulassung zur Eucharistie darstellen: 1. Die Zensur der Exkommunikation und des Interdikts, allerdings nicht, wenn diese als Tatstrajen eingetreten sind, sondern erst, wenn sie durch Urteil oder Dekret verhängt wurden oder wenn der selbständige Eintritt der Strafe auf eben diese WeiseJestgestellt wurde (vgl. c. 1342). 2. Das hartnäckige Verharren in einer offenkundigen schweren Sünde. Was nun den Kirchenaustritt, aus welchen Gründen immer, und die damit gegebenenfalls verbundene Tatstrafe der Exkommunikation anlangt, so hat diese bei der Zulassung zur Eucharistie so lange außer Betracht zu bleiben, als nicht ein diesbezügliches Feststellungsurteil bzw. -dekret ergangen ist. Dem steht nicht entgegen, daß es dem durch eine Tatstrafe Exkommunizierten und Interdiziterten schon vor amtlicher Feststellung dieser Strafe untersagt ist, Sakramente, darunter natürlich auch die Eucharistie, zu empfangen (cc. 1331 § 1, 2; 1332). Aber dieses Verbot richtet sich an den mit dieser Strafe Beleg22 Lüdicke, (Anm. 20) 278. 23 Denn Inhalt des bischöflichen Hirtenschreibens siehe bei Lüdicke, ebd. 276 f.

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ten selbst und gibt dem Spender der Eucharistie an sich noch nicht das Recht, die Eucharistie zu verweigern. Mit Recht ist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen dem Verbot, die Eucharistie zu empfangen, und dem Recht des Amtsträgers, sie zu verweigern, aufmerksam gemacht worden 24 • Somit ist als im Falle des aus der Kirche Ausgetretenen mit der dabei möglicherweise eintretenden Tatstrafe der Exkommunikation im Hinblick auf eine Verweigerung der Eucharistie nichts gewonnen, da diese Strafe als solche (d. h., solange ihr Eintritt nicht amtlich festgestellt wurde) nicht die in c. 915 vorgesehene Rechtsfolge, nämlich zwangsweisen Ausschluß von der Eucharistie, nach sich zieht. Es bleibt also der zweite Tatbestand zu untersuchen, nämlich das hartnäckige Verharren in der offenkundigen schweren Sünde. Die Textgeschichte dieses Canons beweist, daß um die Formulierung lange gerungen wurde25 . Die entscheidende Frage, um die es bei der Interpretation dieses Gesetzestextes generell wie auch bei der Anwendung auf das konkret hier in Rede stehende Problem geht, ist folgende: Ist für den hier verwendeten Begriff von schwerer Sünde (peccatum grave) nicht nur das objektive Element, d. h. die objektive Schwere des Tatbestandes, sondern auch die subjektive Schuldhaftigkeit, d. h. die volle moralische Anrechenbarkeit, erforderlich? Auf den ersten Blick scheint es selbstverständlich zu sein, daß beide Komponenten gegeben sein müssen, da ansonsten ja überhaupt nicht von schwerer Sünde im Voll sinn des Wortes, sondern - bei Fehlen der schweren persönlichen Schuld - höchstens von einer sog. materiellen Sünde, d. h. dem bloßen Schein einer Sünde, gesprochen werden könnte26 . Mit der Formulierung "hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren" (in manifesto gravi peccato obstinate perseverare) sind nach Schmitz "jene Gläubigen umschrieben, die erstens in einer offenkundigen schweren Sünde leben, d. h., die ein Leben im Zustand der schweren Sünde führen, das öffentlich-allgemein bekannt und so offenbar ist, daß daran weder in objektiver Hinsicht, also am objektiven Tatbestand der schweren Sünde, noch in subjektiver Hinsicht, also an der persönlichen Schuld, Zweifel bestehen, und die zweitens in diesem Zustand hartnäckig verharren, d. h. den of24 H. SchmilZ, Taufe, Finnung, Eucharistie. Die Sakramente der Initiation und ihre Rechtsfolgen in der Sicht des CIC von 1983, in: AkKR 152 (1983) 369-407, hier 404. 25 Vgl. die Nachweise bei SchmilZ, ebd. 402-404. 26 P. Schoonenberg, Sünde und Schuld, in: K. Rahner (Hrsg.), Herders Theologisches Taschenlexikon, Freiburg/Br. 1973, VII, 177.

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fenkundigen schwer sündhaften Zustand trotz Hinweis und Ennahnung mit unveränderter Entschlossenheit, bewußt und willentlich, vorsätzlich und ohne jeden Entschuldigungsgrund beibehalten und nicht aufgeben "27. Dem Gesagten zufolge wäre ein von seiten des Amtsträgers vorzunehmender Ausschluß eines Gläubigen von der Eucharistie gemäß c. 915 nur dann gerechtfertigt, wenn nicht nur das objektive, sondern auch das subjektive Element der schweren Sünde vollinhaltlich gegeben sind. Hier stellt sich aber doch die entscheidende Frage, wie die Komponente der persönlichen Schuld in foro ex terno (und darum geht es ja) überhaupt faßbar sein soll. Für Schmitz scheint sich die Erkennbarkeit dieses subjektiven Elements als Konsequenz aus einem verstärkten Offenbarsein der sündigen Tat zu ergeben28 . Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß sich aus öffentlich-allgemeinen und in welcher Form immer offenbaren Tatsachen ja lediglich das Vorliegen der äußeren Merkmale, d. h. objektiver Kriterien, ergibt, daß aber daraus grundsätzlich nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf das Vorhandensein der subjektiven Schuld geschlossen werden kann. Wenn zudem der kirchliche Amtsträger die Kommunion erst dann verweigern dürfte, wenn an der subjektiven Schuld des in einem Zustand der (objektiv) schweren Sünde hartnäckig Verharrenden keinerlei Zweifel mehr bestehen, dann wäre c. 915 schlechterdings unanwendbar. Denken wir nur an den Fall einer sog. "Ehe ohne Trauschein", d. h. an die Verbindung zweier (geschlechtsverschiedener) Personen, deren Ehe an sich kein Ehehindernis entgegensteht, die es aber (vielleicht aufgrund einer nonkonformistischen Protesthaltung) ablehnen, eine kirchliche (oder auch nur staatliche) Ehe einzugehen. Diese Personen behaupten nicht selten, daß sie vor Gott und ihrem Gewissen nichts Unrechtes täten, und es sei gar nicht in Abrede gestellt, daß es in diesem Zusammenhang ein irriges Gewissen geben kann. Es erhebt sich aber die Frage, ob der kirchliche Amtsträger bei offenkundigem Bekanntsein dieses Faktums sich mit der Behauptung der Partner zufriedengeben kann, sie fühlten sich im Gewissen berechtigt, die Eucharistie zu empfangen, und diese dürfe ihnen demzufolge nicht verweigert werden? Wird der Pfarrer, wenn alle Versuche eines seelsorgerlichen Gesprächs ergebnislos verlaufen sind, d.h., wenn die Partner weder bereit sind, eine kirchliche Ehe einzugehen, noch auch, vom Kommunionempfang Abstand zu nehmen, wird er ihnen dann beim öffentlichen Gottesdienst der Pfarrgemeinde die Kommunion reichen dürfen, oder wird er nicht vielmehr sagen müssen, daß das objektiv gesetzte Verhalten angesichts des da-

27 Schmitz, (Anm. 24) 403 f. 28 Schmitz, ebd.: ..... und so offenbar ist, daß daran weder in objektiver ... noch in subjektiver Hinsicht Zweifel bestehen."

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durch bewirkten Ärgernisses in der Gemeinde unabhängig von der Schuldfrage es ihm geradezu unmöglich macht, die Kommunion zu spenden? Zusammenfassend läßt sich also sagen: Der normative Inhalt von c. 915 (2. Halbsatz) hat grundsätzlich das äußere Erscheinungsbild, den objektiven Tatbestand eines Lebens in schwerer Sünde im Auge, wenn dieser Zustand allgemein bekannt ist. Auf das subjektive Bewußtsein von schwerer Schuld wird grundsätzlich nicht abgestellt. Es ist m. E. hier die für die Zurechenbarkeit von Delikten geltende Regelung des c. 1321 § 3 als Gesetzesparallele heranzuziehen: Sobald die äußere Verletzung des Gesetzes oder Verwaltungsbefehls erfolgt ist, wird die Zurechenbarkeit vermutet, solange sich nichts anderes ergibt29 . Im Straftecht braucht somit, wenn die Täterschaft feststeht, der Nachweis für die Zurechenbarkeit nicht erbracht zu werden; diese wird vielmehr vermutet. Es ist allenfalls Sache des Täters, diese (einfache) Rechtsvermutung durch den Gegenbeweis zu entkräften30 . Mißlingt bei nicht gegebener Zurechenbarkeit der entsprechende Gegenbeweis, dann könnte sich der Täter zwar im forum internum als von der Strafe nicht betroffen ansehen, er müßte aber in foro ex terno die mit der Strafe verbundenen Rechtsfolgen auf sich nehmen. Es zeigt sich hier, daß trotz der von der Bischofssynode 1967 fast einstimmig approbierten Richtlinien für den neuen Codex, die u. a. eine solche Zuordnung von innerem und äußerem Bereich gefordert hatten, daß ein Konflikt zwischen bei den vermieden wird 31 , dies im anstehenden Fragebereich nicht gelungen ist und offensichtlich nie vollständig gelingen kann. Denn insoweit das kanonische Recht auch Recht im eigentlichen Sinn des Wortes ist, kann es nicht umhin, bei seinen Regelungen primär auf das äußere Erscheinungsbild einer Handlung abzustellen, "etiam non considerato qualiter ab agente fiat"32. Der Kirchenaustritt, der vor einer staatlichen Behörde erklärt werden muß und keinerlei Motivation bzw. erklärende Zusätze gestattet, bedeutet seinem gesellschaftlichen Erscheinungsbild nach ein öffentliches Sich-Loslassen von einer Kirche (Religionsgesellschaft), der man bisher angehört hat und der man nunmehr, der abgegebenen Austrittserklärung zufolge, nicht mehr angehören will. Dabei kann zumindest für die österreichische Rechtsordnung nicht unterschieden werden zwischen der katholischen Kirche nach ihrem internen 29 Dieser von R. A. Strigl, Straftat und Strafe, in: HdbKathKR, 930, vorgenommenen Wiedergabe des "nisi aliud appareat" (c. 1321 § 3) ist gegenüber dem von der deutschen Übersetzung des CIC/1983 gewählten Text: " ... es sei denn, anderes ist offenkundig" der Vorzug zu geben, da "offenkundig" (notorium) eine bestimmte strafrechtliche Bedeutung hat, die hier nicht gemeint ist. 30 Mörsdorf, Lehrbuch 11III, 309. 31 Vgl. Praefatio des CIC/1983; lateinisch-deutsche Ausgabe XL und XLI. 32 Thomas v. Aquin, S. Th. lI-lI qu. 57 a 1.

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Selbstverständnis und einem von diesem verschiedenen staatskirchenrechtlichen Gebilde, nämlich der öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach Maßgabe des staatlichen Rechts. Anders als im schweizerischen und bundesdeutschen Staatskirchenrecht gibt es in Österreich nicht die Rechtsfigur der Landeskirche33 als eines autonomen, vom staatlichen Recht her geschaffenen Gebildes, das die intem-verfassungsrechtlichen Vorgegebenheiten des kanonischen Rechts nicht in vollem Umfang berucksichtigt34 . In Österreich läßt sich jedenfalls sagen: Das, was der Staat als gesetzlich anerkannte Kirche im Sinne von Art. 15 StGG im Auge hat, ist, soweit es die katholische Kirche Österreichs betrifft, real nicht verschieden von dem, was das kanonische Recht unter diesem Begriff versteht. Ein Austritt kann somit in Österreich nicht als "actum inter alios factum" bezeichnet werden, wie dies möglicherweise für die bundesdeutsche und schweizerische Rechtsordnung gesagt werden kann35 . Aber selbst für das bundesdeutsche und das schweizerische Recht scheint es mir zweifelhaft, ob die juristische Unterscheidung, daß Austritt aus der Landeskirche nicht schlechterdings Austritt aus der katholischen Kirche sei, im Bewußtsein derer, zu deren Kenntnis eine Austrittserklärung gelangt, eine Relevanz aufweist. Eine Austrittserklärung, wie immer der Austretende selbst diese Erklärung versteht bzw. verstanden wissen will, wird im Bewußtsein der (Pfarr-)Gemeinde, in der er lebt, wohl immer den Eindruck entstehen lassen, daß damit eine weitreichende Distanzierung von der Kirche, die Absicht, nicht mehr zu ihr gehören zu wollen, verbunden ist36 . Dem steht nicht entgegen, daß das kanonische Recht selbst keinen Austritt aus der katholischen Kirche in dem Sinne kennt, daß der Betreffende nicht mehr (konstitutionelles) Glied dieser Kirche wäre37 . Der Austretende erweckt, generell gesprochen, durch seine vor der staatlichen Behörde abgegebene Erklärung den Eindruck, daß er, soweit es auf ihn ankommt, nicht mehr Mitglied dieser Kirche sein will. Und in diesem Sinne wird der Austritt wohl zunächst einmal vom Kreis der Gläubigen verstanden, zu deren Kenntnis die Austritts meldung gelangt. 33 Dazu kritisch für das Schweizerische Staatskirchenrecht: Corecco, Landeskirche (Anm. 16); U. J. Cavelti, in: Carlen (Anm. 1) 77-89. 34 Die Kirchengemeinde bzw. Pfarrgemeinde als mit dem kanonischen Recht nicht deckungsgleicher staatsrechtlicher Begriff im Sinne eines Personenverbandes war dem österreichischen Staatskirchenrecht des 19. Jahrhunderts bekannt (§ 35 des sog. Katholikengesetzes vom 7. 5. 1874, RGBI 50/1874); er existiert allerdings im geltenden österreichischen Staatskirchenrecht nicht mehr. Vgl. M. Burckhard, Gesetze und Verordnungen in Cultussachen, Wien 31895,11, 83-9l. 35 Vgl. oben (Anm. 19). 36 Vgl. J. G. Fuchs, Zugehörigkeit zu den Schweizer evangelisch-refonnierten Volkskirchen, in: Carlen, (Anm. 1) 187. 37 K. Mörsdorf, Lehrbuch 111, 13 ff. und 176.

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Damit ist aber dem äußeren Erscheinungsbild nach ein die kirchliche Gemeinschaft in schwerwiegender Weise störendes Verhalten eines Gemeindegliedes und somit das gegeben, was c. 915 (2. Halbsatz) unter dem Tatbild der offenkundigen schweren Sünde erfaßt. Es wurde bereits dargelegt, daß die angezogene Gesetzesstelle nur auf den objektiven Tatbestand und nicht auch auf das subjektive Bewußtsein der schweren Schuld abstellt. Wenn der Betreffende auf die Mahnungen und Vorhaltungen des zuständigen Seelsorgers und/oder der Gemeindemitglieder seinen Schritt nicht rückgängig macht, ist auch das hartnäckige Verharren im Sinne von c. 915 gegeben. Nun wird detjenige, der seine Austrittserklärung vor der staatlichen Behörde deswegen abgegeben hat, weil er nur so der Kirchensteuer- bzw. Kirchenbeitragspflicht entgehen kann, einwenden, daß sein Austritt mit seiner Glaubenshaltung überhaupt nichts zu tun habe, daß er weiterhin vollinhaltlich Katholik sei. Er wird vielleicht sogar anführen, daß er auch seiner finanziellen Beitragspflicht gegenüber der Kirche nachzukommen gedenke, nur habe er die Absicht, dies nicht in der Form der staatlich vorgeschriebenen Kirchensteuer bzw. -beiträge zu tun, sondern er wolle andere kirchliche Projekte fördern, die die Finanzmittel (seiner Ansicht nach) nutzbringender verwenden. M. E. reicht indes eine solche Erklärung, selbst wenn sie glaubwürdig vorgebracht wird, nicht aus, das schwere Ärgernis zu beseitigen, das durch den Kirchenaustritt gegeben wird. Nicht die Weigerung, finanzielle Beiträge in der vom (staatlichen) Gesetz vorgeschriebenen Form zu leisten, ist, für sich genommen, entscheidend, wohl aber der Umstand, daß diese Weigerung durch ein Mittel erreicht wird, das seinem äußeren Erscheinungsbild nach sich nicht von der Willenshaltung dessen unterscheidet, der durch die Austrittserklärung die Verbindung mit seiner Kirche abbrechen will (Apostasie, Häresie) oder jedenfalls die Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie und die Gemeinschaft mit der Kirche verweigert (Schisma). Es muß hier auch bedacht werden, daß der aus der Kirche aus welchen Gründen immer Ausgetretene nach dem staatlichen Recht nicht mehr befugt ist, sich weiterhin als Mitglied detjenigen Kirche (Religionsgesellschaft) zu bezeichnen, aus der er ausgetreten ist. Nach österreichischem Recht hat er sich, soweit der Staat das Religionsbekenntnis überhaupt erfaßt, als "ohne religiöses Bekenntnis" zu bezeichnen38 .

38 Erlaß des BMfl vom 22.6. 1946, Zl. 32.537-9/1946 betreffend KlarsteIlung der Bezeichnung "Religiöses Bekenntnis", abgedruckt bei: H. Klecalsky/H. Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, 98.

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Eine öffentliche Kommunionspendung an einen Ausgetretenen, auch wenn der Austritt aus rein finanziellen Grunden erfolgt sein sollte, ist wegen des schon mit dem Kirchenaustritt an sich und erst recht mit der eventuellen öffentlichen Kommunionspendung verbundenen Ärgernisses ausgeschlossen. Es kann dagegen nicht die Praxis mancher spanischer und italienischer Bischöfe eingewendet werden, die einem etwa in der Schweiz vorgenommenen Kirchenaustritt ihrer Landsleute, wenn diese wieder in ihre Heimat zurückkehren, keine Bedeutung beimessen und die Ausgetretenen ohne weiteres in vollem Umfang als Katholiken betrachten. Nicht selten wird der im Ausland vollzogene Kirchenaustritt in Italien und Spanien wohl überhaupt nicht bekanntwerden. Und selbst wenn der Austritt bekanntgeworden sein sollte, hat er, verbunden mit der Beteuerung des Ausgetretenen, es habe sich dabei um eine rein finanzielle Angelegenheit im Ausland gehandelt, die mit dem Glauben nichts zu tun habe, im kirchlich-gesellschaftlichen Kontext Italiens oder Spaniens, die keinen dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz gleichartigen Kirchenaustritt kennen, einen ganz anderen Stellenwert als in den angeführten Ländern. M. a. W., aus der Sicht der spanischen oder italienischen Pfarrgemeinden, die wegen Fehlens entsprechender staatlicher Bestimmungen mit Kirchenaustritten ihrer Mitglieder überhaupt nicht konfrontiert werden, bietet der im Ausland vollzogene Austritt eines Italieners oder Spaniers ein ganz anderes Erscheinungsbild als in den Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz. Diese völlig anderen Voraussetzungen rechtfertigen (zumindest teilweise) das Vorgehen italienischer und spanischer Bischöfe. Abschließend ist festzuhalten: Nicht die Weigerung des Katholiken, finanzielle Beiträge an seine Kirche (in Form von Kirchensteuern bzw. -beiträgen oder eventuell sonstiger vorgeschriebener Abgaben) zu leisten, wäre, an sich genommen, ein stichhaltiger Grund, die Kommunion zu verweigern. Wenn und insoweit aber diese Weigerung durch eine vor der staatlichen Behörde erfolgte Kirchenaustrittserklärung erreicht wird, ist aufgrund der dieser untrennbar anhaftenden und auch durch entsprechende Erklärung nicht zu beseitigenden Distanzierung von der Kirche das Erscheinungsbild des hartnäckigen Verharrens in der offenkundigen schweren Sünde (c. 915) gegeben, das einen Ausschluß von der Kommunion nicht nur ermöglicht, sondern - wegen des mit einer öffentlichen Kommunionspendung unweigerlich verbundenen Ärgernisses - geradezu gefordert.

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Der CCEO und seine (möglichen) Auswirkungen auf das Recht der Lateinischen Kirche I. Einleitende Fragen 1. Mit dem am 18. 10. 1990 promulgierten Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO)l ist eine über sechzig Jahre dauernde, verschiedenste Phasen durchlaufende Arbeit zum Abschluß gekommen2 . Die unter dem Pontifikat Pius XII. promulgierten vier Motu propri03 stellten eine aus der Sicht des damaligen Gesetzgebers wichtige Zäsur im Prozeß der Kodifikation des orientalischen Kirchenrechts dar, da sie bereits Teile eines künftigen orientalischen Codex bilden sollten. Die Motu proprio waren allerdings materiell in weiten Bereichen nur eine Übernahme des lateinischen Rechts, insbesondere des CICI 1917; von einer Berücksichtigung orientalischer Besonderheiten kann höchstens andeutungsweise gesprochen werden. Durch den CCEO sind die Motu proprio materiellrechtlich außer Kraft getreten4 ; eine formelle Derogation fand nicht statt. Inhaltlich und rechtssprachlich ist zwischen dem nunmehr vorliegenden CCEO und den Motu proprio ein erheblicher Unterschied festzustellen, der insbesondere darin besteht, daß im CCEO m.E. mit 1 Apostolische Konstitution "Sacri Canones", in: AAS 82 (1990) 1033-1363. Zum Titel der Apostolischen Konstitution Ivan Zuzek, "The very title of this Constitution as "Sacri Canones" indicates the 'highest confirmation of the invaluable worth of the canons of the oriental churches of the first millenium "'. Common Canons and Ecclesial Experience of the Oriental Catholic Churches. Vortrag gehalten beim Internationalen Kongreß für Ostkirchenrecht in Bari 23. - 29. 9. 1991. 2 Vgl. Praefatio zum CCEO, XXIV: "Verumtamen anno 1929 codificatio orientalium canonicae disciplinae reapse initium habuit". Allerdings sind Bestrebungen zur Kodifikation des orientalischen Kirchenrechts bereits seit dem Pontifikat Pius IX. (1846-1878) nachweisbar. Praefatio, XXI ff. 3 Sie betrafen das Eherecht ("Crebrae allatae" 22. 2. 1949, in: AAS 41 (1949) 89117); das Prozeßrecht ("Sollicitudinem nostram" 6. 1. 1950, in: AAS 42 (1950) 5120); das Ordensrecht, das Vermögens recht und die Abgrenzung verschiedener Begriffe ("Postquam Apostolicis litteris", in: AAS 44 (1952) 65-152) und das Personenrecht ("Cleri sanctitati", in: AAS 49 (1957) 433-603). 4 C. 6, 1 zweiter Halbsatz CCEO " .. aut quae materiam respiciunt in Codice ex integro ordinatam" erfaßt zweifellos die in den vier Motu proprio geregelten Inhalte.

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beachtlichem Erfolg versucht wird, ein orientalischem Empfinden und orientalischen Traditionen entsprechendes Recht zu schaffen5 . 2. Den entscheidenden Anstoß für diesen Wandel gab sicherlich das 11. Vatikanische Konzil, das nicht nur den CIC/1983, sondern auch den CCEO entscheidend geprägt hat, so daß ja schon von beiden KodifIkationen gesagt wurde, es handle sich um ein "letztes Konzilsdokument"6. Die Jahrzehnte zwischen dem Beginn der Kodifikationsarbeit und dem Zweiten Vatikanum waren zunächst einmal von der Tendenz einer möglichst weitgehenden Gleichschaltung der bei den Kodifikationen, des für die Lateinische Kirche und des für die Orientalischen Kirchen geltenden Gesetzbuches beherrscht. Am Beginn der Kodifikationsarbeit ist nämlich die starke Tendenz einer umfassenden Angleichung an den damals erst ein gutes Jahrzehnt alten CIC/1917 festzustellen, ja es bestand sogar der Plan eines einheitlichen Codex für alle Kirchen, in dem dann in gebührendem Maß den Besonderheiten der Orientali-

5 Grundsätzlich war die Bedeutung des geistigen Erbguts der Ostkirchen schon im Konzilsdekret "Orientalium Ecclesiarum" Nr. 5 betont worden, da es dort heißt, daß die Kirchen des Ostens wie auch des Westens das volle Recht und die Pflicht haben, "sich jeweils nach ihren eigenen Grundsätzen zu richten". - In den von der Plenarversammlung der Kommission für die KodifIkation des orientalischen Kirchenrechts (18.-23. März 1974) approbierten "Principi direttivi per la revisione dei Codice di diritto canonico orientale", wird besonders der "ca rattere orientale" des geplanten Codex betont. Der Codex solle sich inspirieren lassen von der allgemeinen Disziplin, die in der apostolischen Tradition, den Canones der orientalischen Konzilien und Synoden und schließlich in den orientalischen Canonessammlungen und dem den Orientalischen Kirchen gemeinsamen Gewohnheitsrecht enthalten sei, in: Nuntia 3 (1976) 3- 10, bes. 4 f. Vgl. Emilio Eid, La revisione dei Codice di diritto canonico orientale alla luce dei decreto conciliare "Orientalium Ecclesiarum", in: Nuntia 20 (1985) 12813l. 6 Papst Johannes Paul 11. bezeichnet in einer Ansprache vom 9. 12. 1983 den CIC/1983 als "ultimo documento conciliare". Communicationes 15 (1983) 128.- Bezüglich des CCEO hat der Vizepräsident der Kommission für die Revision des orientalischen Kirchenrechts, Bischof Eid eine gleichlautende QualifIkation vorgenommen: "Questo Codice sara ... I'ultimo documento dei Concilio Vaticano 11." Emilio Eid, Presto il nuovo Codice di diritto Canonico Orientale, in: Nuntia 27 (1988) 93. - Wenngleich die Prägung beider Codices durch die Ekklesiologie und Theologie des Konzils außer Zweifel steht, so kann doch auf der anderen Seite nicht verkannt werden, daß so manche Aussagen insbesondere des CIC/1983 hinter den konziliaren Vorgaben zurückbleiben. Vgl. Bruno Primetshofer, Vom Geist des Codex Iuris Canonici 1983: Karl Amon u. a (Hrsg.), Ecclesia peregrinans, FS für Josef Lenzenweger zum 70. Geburtstag. Wien 1986, 405-417.- Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR, 31-57.

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schen Kirche (im Singular!) Rechnung getragen werden sollte7 • Papst Pius XI. hat zwar diesem Plan eine eindeutige Absage erteilt8 , doch bedeutete dies noch lange nicht, daß der Weg für eine angemessene Eigenständigkeit der orientalischen Kodifikation offen gewesen wäre. Der Einfluß des CIC/1917, möglicherweise auch die damals noch gerade in bezug auf dieses Gesetzbuch bestehende Illusion eines "Gesetzesperfektionismus"9 waren nämlich so stark, daß in den 1930 ausgearbeiteten Kriterien für die Redaktion des CICO ("Codex Iuris Canonici Orientalis" - diese Bezeichnung sollte der neue Codex führen), davon gesprochen wurde, die Ordnung des lateinischen CIC (dessen Einteilung in Bücher, Titel usw.) auch für den orientalischen Codex zu verwenden, so daß der orientalische Codex, soweit dies überhaupt möglich sei, eine weitgehende Konformität mit dem lateinischen aufweisen solle. Lediglich 7 Die Kardinäle der Redaktionskommission faßten am 24. 2. 1930 folgenden Grundsatzbeschluß: "Tenere come punto di partenza che non si tratta di comporre un Codice per la Chiesa orientale distinto e separato dal Codice per la Chiesa latina, ma un solo Codice per tutta la Chiesa, nel quale si debbono tenere nel debito conto le particularita disciplinari della Chiesa orientale", in: Nuntia 26 (1988), 21. Vgl. Daniete Faltin, La codificazione dei diritto canonico orientale: La Sacra Congregazione per le Chiese orientali nel cinquantesimo della fondazione, 1917-1967. Roma 1969, 126. 8 Kuriakose Bharanikulangara, An introduction to the Ecclesiology and Contents of the Oriental Code, in: lose ChirameUKuriakose Bharanikulangara (Hrsg.), The Code of Canons of the Eastern Churches. A Study and Interpretation. Alwaye (India), 1992 25. Die Idee eines einzigen Codex für die gesamte katholische Kirche mit "Appendices" für die einzelnen Riten wurde allerdings während der Debatten des 11. Vatikanischen Konzils wieder aufgegriffen, dann aber nicht weiter verfolgt. Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani 11, Vol. III, Pars V. Typis Polyglottis Vaticanis 1975,785-787. 9 Das den CIC/1917 einbegleitende MP "Cum iuris" vom 25. 9. 1917 (AAS 9 (1917) 483 f.) ging offenbar noch von der Annahme aus, daß mit dieser Kodifikation die Gesetzgebung für längere Zeit zum Stillstand gekommen sei. Die Römischen Kongregationen sollten keine neuen Dekrete erlassen, und sofern eine wirkliche Notwendigkeit dies erforderlich machen sollte, dann müßten Ergänzungen, Änderungen und Streichungen gleich an Ort und Stelle in den CIC eingefügt werden. Befürchtungen in dieser Hinsicht wurden gleich nach der Promulgation des ClC/1917 und aufgrund des Tenors des MP ''Cum iuris" geäußert. Vgl Romeo Astorri, L'Introduzione' dei Falco nel dibattito sulla codificazione, in: Mario Falco, Introduzione allo studio deI "Codex Iuris canonici", a cura di Giorgio Feliciani (Neuauflage), Bologna 1992, 51-79. Trotz zahlreicher, in der Zeit der Geltung des CIC/1917 ergangener neuer Gesetze hat der Gesetzestext des Codex nur drei Änderungen erfahren: Gestrichen wurde die Wendung "nisi aliud iure particulari cautum sit" in c. 1097 § 2 (Antwort der Päpstlichen Kommission zur Redaktion des Orientalischen Codex 3. 5. 1953 (AAS 45 [1953] 313), ferner der zweite Halbsatz von c. 1099 § 2 (MP 1. 8. 1948; AAS 40 [1948] 305) und die Wendung "contra praescriptum can. 1063 § 1" in c. 2319 § 1, 1 (MP 25. 12. 1953; AAS 46 [1954] 88).

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die Disziplin der Riten sollte davon ausgenommen sein. Diese Einheitlichkeit werde dem Klerus der gesamten Kirche das Studium der beiden Codices erleichtern und könne so zur Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten beitragen lO •

3. Nonnadressaten sind ausschließlich die Mitglieder der katholischen Ostkirchen, soweit nicht, was die Beziehungen zur Lateinischen Kirche anlangt, ausdrücklich etwas anderes gesagt wird (c. 1). Damit scheint die Frage des personellen Geltungsbereiches des CCEO, sowohl was das interrituelle Verkehrsrecht (mit der Lateinischen Kirche) wie auch die Beziehungen zu nichtkatholischen Kirchen (interkonfessionelles Recht) betrifft, ausreichend geklärt zu sein. Daß dem nicht in allem so ist, wird noch gezeigt werden 11. Vom äußeren Erscheinungsbild her fällt sofort auf, daß der CCEO durchaus eigenständigen Einteilungskriterien folgt, d.h. es findet sich keine Gliederung in Bücher, partes, sectiones, sondern es besteht eine durchlaufende Gliederung in 30 Titel, die ihrerseits wieder in Kapitel und Artikel gegliedert sind. Damit wollte man einerseits bewußt eine Anlehnung an die Form vieler ostkirchlicher Rechtssammlungen (z.B. Nomokanones) vornehmen, andererseits wurde damit auch ein praktischer Zweck verfolgt: Es sollte nicht nur ein leichteres Auffinden einzelner Bestimmungen gewährleistet sein, sondern es sollten auch endlose Kontroversen darüber vermieden werden, welchem rechtssystematischen Schema sich der CCEO nun verpflichtet wisse: Dem römisch-rechtlichen Schema "Personae, res, actiones" (nach dem bekanntlich der CIC/1917 aufgebaut ist), der Drei-Ämter-Lehre, oder dem Einteilungsprinzip "fides, sacramenta, hierarchia" 12. Auf ein ebenfalls in die Augen springendes Detail in der Rechtssystematik des CCEO sei kurz verwiesen: Anders als im CIC/1917 und CIC/1983 befinden sich die Normae generales (die im CCEO nicht diese Sammelbezeich10 Hauptvertreter dieser Ansicht war Acacius Coussa, der allerdings später seine Auffassung zugunsten einer größtmöglichen Eigenständigkeit des orientalischen Codex grundlegend revidierte. In einer am 30. 1. 1930 vorgelegten Studie über die Form, in der sich der orientalische Codex darstellen sollte, schrieb er u.a.: " Ritengo l'ordine dei Codice latino per tutto il Codice orientale: i titoli, le divisioni ecc. aHo scopo di rendere il Codice Orientale, quanta e possibile, conforme a queHo latino, salva la disciplina dei riti. Cib facilita al clero di tutta la Chiesa 10 studio dei due codici ed elimina parrechie difficoltA preliminari.", in: Nuntia 26 (1988) 31. 11 Vgl. Bruno Primetshofer, InterritueHes Verkehrs recht im CCEO, in: AkKR 160 (1991) 346-366. 12 Eine diesbezügliche Entscheidung fiel in der Sitzung der Konsultoren der Redaktionskommission vom 23. 2. 1980, in: Nuntia 26 (1988) 97.

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nung, sondern die schon mehr auf den Inhalt eingehende Überschrift "Gesetz, Gewohnheit und Verwaltungsakt" tragen), nicht am Beginn, sondern am Ende des Gesetzbuches (Titel 29)13. Als Begründung wird angegeben, daß es als Widerspruch zur orientalischen Rechtstradition empfunden würde, wenn der Codex mit den Allgemeinen Normen seinen Anfang nähme, ohne vorher jene Bestimmungen angeführt zu haben, die aufgrund des göttlichen Rechts und der rechtmäßigen orientalischen Gewohnheiten die hierarchische Verfassung der Kirche zum Gegenstand haben l4 .

11. Der Rechtsstil des CCEO 1. Vorab ist zu fragen, was unter Rechtsstil gemeint ist. Es sollen darunter nicht nur Rechtssystematik und Rechtssprache verstanden werden, sondern auch die (sprachliche) Einkleidung einzelner Norminhalte, das Gewand, in dem sich eine Norm darbietet, das Umfeld, in dem sie anzutreffen ist. Dem Rechtsstil zuzuzählen sind ferner die im Gesetzestext aufscheinenden Hinweise, auf welche Art, vielleicht könnte man sagen, in welchem Geist das Normierte zu behandeln, in die Praxis umzusetzen ist. Hier bietet der CCEO, um dies gleich vorwegzunehmen, wesentlich mehr Anhaltspunkte als die Gesetzbücher der Lateinischen Kirche, nämlich der CIC/1917 und der CIC/1983. 2. Es wurde bereits von der der orientalischen Codexkommission gestellten Zielvorgabe, nämlich dem "orientalischen Charakter" der zu erstellenden Kodifikation, gesprochen. Soweit diese Kriterien formaler Natur sind, ließe sich ihre Realisierung u.a. aus den Quellenangaben zu den einzelnen Canones ablesen. Nun besitzen wir leider (noch) keine mit Quellenangaben versehene 13 Lediglich die im CIC/1983 unter den cc. 1-6 angeführten Bestimmungen über den Geltungsbereich des Gesetzbuches finden sich im CCEO als inhaltlich dieselben Fragen regelnde "Canones praeliminares" (cc. 1-6) am Anfang. Alles was sonst im ersten Buch des CIC/1983, in den "Normae generales" geregelt wird, ist im CCEO an den Schluß gesetzt worden (Tit 29 und 30; cc. 1488-1546). 14 Vgl. dazu Relatio de statu laborum in Synodo Episcoporum 1980 proposita (sessio 14. 10.), in: Nuntia 11 (1980) 85. - Am Beginn der Kodifikationsarbeiten stand diese Placierung noch keineswegs fest. In den ersten Entwürfen (Pro getto 65/1931) und in einem nicht numerierten Pro getto aus 1932 standen die "Normae generales" in ihrer Gesamtheit noch am Beginn des Codex. Nuntia 26 (1988) 25 und 28. Erstmals vom Anfang weggerückt sind sie in einem Entwurf aus dem Jahre 1935 (Progetto 68/1935), und ab diesem Zeitpunkt scheint festgestanden zu haben, daß die Normae generales nicht am Anfang des Codex stehen sollten. Nuntia ebd., 36.

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Edition des CCEO, wie dies beim CIC/1983 der Fall ist l5 . Es gibt allerdings einen in den Nuntia wiedergegebenen Textentwurf aus dem Jahre 1958, der mit ausführlichen Quellenangaben versehen ist. Und hier zeigt sich das erstaunliche Bild, wie sehr in diesem Teilbereich (es handelt sich um die Abschnitte über das Weihesakrament, heilige Orte und Zeiten und um den Gottesdienst) die Verwurzelung der Norminhalte in weit zurückreichende Quellen (bis ins 4. Jhd.) zutage tritt l6 • Ganz offensichtlich ist es die omens legislatoris" darzutun, daß dieser Codex, wenngleich er sich als formal neues Gesetzbuch für sämtliche Ostkirchen präsentiert, doch die Eigenart der einzelnen selbständigen Kirchen, der "Ecclesiae sui iuris" zu berücksichtigen trachtet, wie stark er sich als in einer großen Rechtstradition verwurzelt darstellen will. Es ist offenkundig, daß hier auch das ökumenische Anliegen insbesondere gegenüber den getrennten Ostkirchen angesprochen werden soll.

3. Besonders signifikante Beispiele für das, was man als das Umfeld normativer Regelungen bezeichnen könnte, sind dem Strafrecht des CCEO zu entnehmen (Titel 27) 17, wobei interessanterweise der CCEO auch hier eine Aussage des CIC/1917 aufgreift, die der CIC/1983 nicht übernommen hat. Bekanntlich wurde die Sectio I (De poenis in genere) der Pars secunda des Strafrechts des CIC/1917 (c. 2214 ) nach einer die grundsätzliche Strafvollmacht der Kirche betonenden Aussage mit einem die pastorale Zielsetzung des Strafrechts in Erinnerung rufenden Zitat aus dem Konzil von Trient eingeleitet: "Die Bischöfe und anderen Ordinarien seien eingedenk, daß sie Hirten und nicht Schlächter sind; sie sollen ihren Untergebenen so vorstehen, daß sie nicht über sie herrschen, sondern sie als Söhne und Brüder lieben ... "18. Der CIC/1983 hat in seinem Strafrecht trotz beachtlicher Neuansätze19 diese Leitlinie für eine geistliche Strafrechtspflege nicht übernommen, sondern beginnt seine Ausführungen über das Strafrecht mit der recht trockenen und apodiktischen Feststellung des c. 1311, wonach es das angeborene und eigene

15 Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici authentice interpretando, in: Codex Iuris Canonici fontium annotatione et indice analytico-alphabetico auctus. Libreria editrice Vaticana, 1989. 16 Vgl. Nuntia 2 (1976) 65-72. 17 Dieser enthält insgesamt 67 Canones gegenüber 88 des CIC/1983. 18 C. 1311 § 1 CIC/1983 ist in der Grundaussage mit c. 2214 § 1 CIC/1917 deckungsgleich; das in § 2 des c. 2214 CIC/1917 enthaltene Zitat aus dem Tridentinum wurde hingegen ersatzlos gestrichen. 19 Vgl. Alfred E. Hierold, Vom Sinn und Zweck kirchlicher Strafe, in: Andre Gabriels/Heinrich J. P. Reinhardt (Hrsg.), Ministerium Iustitiae. PS für Heribert Heinemann zum 60. Geburtstag. Essen 1985, 331-341; Elizabeth McDonough, A "Novus habitus mentis" for Sanctions in the Church, in: Jurist 48 (1988) 727-746.

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Recht der Kirche sei, straffällig gewordene Gläubige durch Strafmittel zurechtzuweisen20 . Ganz anders der einleitende strafrechtliche Canon des CCEO (c. 1401): "Da Gott alle Anstrengungen unternimmt, um das verlorene Schaf zurückzuführen, sollen diejenigen, die von ihm Binde- und Lösegewalt erhalten haben, der Krankheit straffällig Gewordener das geeignete Heilmittel verabreichen. Sie sollen sie in aller Geduld und Lehrweisheit rügen, mahnen und zurechtweisen und ihnen auch Strafen auferlegen, damit die von der Straftat geschlagenen Wunden geheilt werden. Somit sollen weder die straffällig Gewordenen in den Abgrund der Verzweiflung gestürzt noch jene Zügel gelockert werden, die eine Zerstörung des Lebens und Verachtung des Gesetzes hintanhalten sollen"21. Vorsicht und Zurückhaltung, vielleicht könnte man sagen, Fingerspitzengefühl, wird denen nahegelegt, die strafrechtliche Gesetzgebungsgewalt besitzen. Während der von dieser Vollmacht handelnde c. 1315 § 1 CIC/1983 völlig undifferenziert festlegt, daß, wer immer Gesetzgebungsgewalt besitzt, auch Strafgesetze erlassen könne, geht c. 1405 CCEO mit erheblich größerer Umsicht zu Werke: "Wer Gesetzgebungsgewalt besitzt, der kann, soweit dies im Interesse einer entsprechenden Befolgung der kirchlichen Disziplin wirklich notwendig ist, auch Strafgesetze erlassen"22. In gleicher Weise wird in c. 1406 CCEO demjenigen große Zurückhaltung auferlegt, der ein Strafgebot (praeceptum poenale) erlassen kann. Während c. 1319 § 2 CIC/1983 davon spricht, daß ein Strafgebot nur "nach reiflicher Überlegung" ("re mature perpensa") auferlegt werden darf, fügt c. 1406 CCEO hinzu: " ... und mit größter Zurückhaltung" ("re mature perpensa et maxima moderatione"). Der CCEO kommt im Strafrecht ohne eine Parallele zu der umstrittenen "Norma generalis" des c. 1399 CIC/1983 aus. Diese Bestimmung verletzt ja das Legalitätsprinzip im Strafrecht "nulla poena sine lege", das in der kirchlichen Grundrechtskodifikation beider Codices, des CIC/1983 (c. 221 § 3) und des CCEO (c. 24 § 3) enthalten ist. Zur Verteidigung dieser erst nach einiger

20 Der hier festgehaltene originäre Strafanspruch der Kirche hat freilich einen (auch) gegen staatliche Machtansprüche gerichteten Aspekt. Vgl. Richard A. Slrigl, Die einzelnen Straftaten, in: HdbKathKR, 928. 21 Bezüglich der Quellen für diesen Canon vgl. Sophronio Mudryi, Lo schema dei canoni riguardanti le sanzioni penali nelle Chiese Orientali Cattoliche, in: Nuntia 4 (1977) 76 f. 22 Hervorhebung vom Verfasser.

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Diskussion in der CIC-Kommission zustandegekommenen Fonnulierung23 wurde u.a. vorgebracht, die kanonische Billigkeit verlange, daß bei verwerflichen Handlungen, die eine Bestrafung geradezu herausfordern, diese nicht deshalb unterbleiben dürfe, weil eine passende gesetzliche Strafbestimmung fehle24 . - Wenn es um das Heil des Delinquenten selbst oder um das Heil jener gehe, denen durch die Begehung einer Straftat schweres Ärgernis drohe, dann dürfe die pastorale Verantwortung nicht durch "positivistische Gesetzesfesseln " gebunden sein25 . Wenn der kanonische Gesetzgeber in der neuesten Kodifikation des Rechts der Orientalischen Kirchen auf diese rechtsstaatlichem Empfinden widerstreitende26 strafrechtliche "Norma generalis" verzichten zu können meint, dann wäre zu fragen, ob nicht Gleiches auch für das Gesetzbuch der Lateinischen Kirche gelten müßte, zumal da es sich ja um denselben Gesetzgeber handelt27 , 23 Communicationes 6 (1975) 94. Im "Coetus studiorum de iure poenali" wurde insbesondere darauf hingewiesen, daß der Legalitätsgrundsatz "Nullum crimen sine lege" bereits in der "Lex Ecclesiae fundamentalis" ausgesprochen worden sei und daher im Strafrecht nicht unterlaufen werden dürfe. 24 Strigl, Straftaten (Anm. 20) 928. 25 Reinhold Schwarz, Vom Geist des Kirchenrechts, in: ÖAKR 31 (1980) 237. In gleichem Sinne äußert sich Ferdinando Nigro, Le sanzioni nella Chiesa co me tutela della comunione ecclesiale, in: La nuova legislazione canonica. Studia Urbaniana 19, Roma 1983, 436. - Diese bereits in der CIC-Kommission diskutierte Frage (vgl. Anm. 23) wurde später in der "Relatio" 1981 nochmals aufgeworfen. Vgl. Pontificia Commissio Codici iuris canonici recognoscendi, Relatio complectens synthesim animadversionum. Typis Polyglottis Vaticanis 1981, 305. Vgl. zur Frage Thomas J. Green, Penal Law: A Review of Selected Themes, in: Jurist 50 (1990) 244-247. Bei grundsätzlicher Anerkennung der Notwendigkeit der Regelung von c. 1399 warnt Green doch vor einem Risiko in zwei Richtungen: "the risk of an inadequate protection of the rights of individuals allegedly violating ecclesial values (c. 221 § 3) and the risk of arbitrary actions by church authorities inattentive to the extraordinary nature of canon 1399". Ebd., 246. - Reinhold Sebolt, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311-1399 des Codex Iuris Canonici. Frankfurt/Main, 1992, 234: " ... wird die Kirche dem Prinzip "nulla poena sine lege" nicht in exklusiver Weise zustimmen können." (Hervorhebung im Original). 26 Art 7, 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention: "Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht stratbar war" (in Österreich promulgiert: BGBI210/1958). 27 Die Promulgation des CCEO durch den Papst wirft allerdings ein ekklesiologisches Problem von nicht geringer Tragweite auf: Angesichts der Tatsache, daß der CCEO (wie übrigens auch der CIC/1983) eine Fülle von Materien regelt, die sachlich nicht dem Bereich des primatialen Amtes (des Papstes), sondern dem der einzelnen Rituskirche zufallen, wäre deren Rechtssetzungskompetenz besser zu begründen ge-

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und alle Rituskirchen, die lateinische eingeschlossen, unter sich völlig gleich sind28 . Der CCEO kennt im Strafrecht auch die Rechtsfigur der "poena latae sententiae" nicht mehr; es gibt demnach nur poenae ferendae sententiae. Wenngleich der CIC/1983 gegenüber dem CIC/1917 eine weitgehende Reduzierung (von "Entrümpelung" ist schon gesprochen worden) der Straftatbestände für die Tatstrafen (poenae latae sententiae) vorgenommen hat, so scheint doch - ohne die general- bzw. spezial präventive Wirkung des kirchlichen Strafrechts hier aufrollen zu wollen - die Frage angezeigt, ob sich in den letzten Dezennien das kirchliche und gesellschaftliche Umfeld nicht bereits so weit verändert hat, daß Tatstrafen, zumal wenn sie sich gegen Laien richten, bereits obsolet geworden sind29 . Bei einem Vergleich der auf das Strafrecht bezugnehmenden Aussagen beider Codices fällt noch ein weiteres auf: C. 1404 §§ 1 und 2 CCEO enthält einen ausdrücklichen Hinweis auf die im Strafrecht pflichtmäßig vorzunehmende "mildere Auslegung" (benignior interpretatio) und legt ferner das Analogieverbot fest, selbst in Form des Größenschlusses a maiori ad minus30 . wesen. Für den Bereich der Lateinischen Kirche fällt das primatiale Amt mit dem des Patriarchen (des Abendlandes) zusammen. Das Konzept eines einheitlichen Codex für alle Ostkirchen erwies sich daher als notwendige Bedingung, um die päpstliche, d.h. primatiale Gesetzgebungskompetenz zu begründen. Vgl. Richard Potz, Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium 1990 - Gedanken zur KodifIkation des katholischen Ostkirchenrechts, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia Canonum. Festgabe für Franz Pototschnig zum 65. Geburtstag. München 1991,399. 28 "Orientalium Ecclesiarum" Nr. 3. 29 Die Plenarkommission der Kommission zur Revision des CCEO hatte in ihrer Sitzung vom 18.- 23. März 1974 u.a. folgenden Grundsatz approbiert: "Nel Codice Orientale si aboliscano tutte le poenae Iatae sententiae, perche esse non corrispondono alle genuine tradizionali orientali, sono sconosciute alle Chiese Ortodosse, e non sembrano necessarie ad un adattamento del Codice orientale alle esigenze modeme della disciplina delle Chiese Orientali Cattoliche: Nuntia 4 (1977) 73. - Zur Frage allgemein Juan Arias Gomez, Las penas "latae sententiae", in: Actualidad 0 anacronismo: Diritto, persona e vita sociale. Scritti in memoria di Orio Giacchi, vol. 11. Milano 1984, 5-27. Die CIC-Kommission war im Zusammenhang mit der Reform des (lateinischen) Strafrechts von dem Grundsatz beherrscht: "Mens est ut poenae generatim sint ferendae sententiae et in solo foro extemo irrogentur et remittantur. Quod ad poenas latae sententiae attinet, etsi a non paucis earum abolitio proposita sit, mens est ut illae ad paucos omnino casus reducantur, imo ad paucissima eaque gravis sima delicta." Communicationes 1 (1969) 85; vgl. auch Communicationes 2 (1970) 102. 30 C. 1401 § 1: "In poenis benignior est interpretatio facienda. § 2 Non licet poenam de persona ad personam vel de casu ad casum producere, etsi par adest ratio, immo gravior" .

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Diese an c. 2219 §§ 1 und 3 CIC/1917 orientierte Aussage ist im CIC/1983 nicht anzutreffen. Was den Hinweis auf die "mildere Auslegung" betrifft, so könnte vielleicht (zugunsten des CIC/1983) eingewendet werden, daß sich eine derartige Verpflichtung bereits aus c. 18, d.h. aus den "Normae generales" ergebe und daß dies daher im Strafrecht nicht wiederholt zu werden braucht. Dagegen wäre aber zunächst rein vom Formalen her zu bedenken, daß sich eine mit c. 18 CIC/1983 bis auf eine unbedeutende Wortumstellung31 völlig gleichlautende Formulierung in c. 1500 CCEO findet, und trotzdem hat es der Gesetzgeber dieses Codex für notwendig erachtet, diesem Interpretationsgrundsatz im Strafrecht nochmals Ausdruck zu verleihen. Überdies scheint es, daß die Worte "stricta" und "benignior " (interpretatio) nicht ein und dasselbe bedeuten. Die "mildere" Auslegung verpflichtet den das Strafrecht zur Anwendung bringenden Oberen bzw. Richter zu mehr als einer bloß "strengen" Auslegung des Gesetzes, d.h. zu einem Höchstmaß von mit Klugheit gepaarter Mäßigung und Milde, wie sie in dem bereits erwähnten c. 1401 CCEO angesprochen wird. 4. Von besonderem Interesse in bezug auf den Rechtsstil des CCEO ist dessen Behandlung des Gewohnheitsrechts. Und dies nicht zuletzt deshalb, weil ja in den "principi direttivi" im Zusammenhang mit dem schon erwähnten orientalischen Charakter der zu erstellenden Kodifikation die besondere Beachtlichkeit gewohnheitsrechtlicher Normen herausgestellt worden war32 . Im Verhältnis zu den parallelen Aussagen des CIC/1983 finden sich in der Tat bemerkenswerte Unterschiede. C. 23 CIC/1983 beginnt mit der schon im sprachlichen Duktus restriktiv anmutenden und auf das (anscheinend) allein ausschlaggebende Tätigwerden des Gesetzgebers abstellenden Formulierung: "ea tantum consuetudo ... quae a legislatore approbatajuerit"33. - Demgegen31 Während c. 18 CIC/1983 mit den Worten endet" ... strictae subsunt interpretationi" , hat c. 1500 CCEO das "subsunt" an das Ende des Satzes gestellt. 32 Der "carattere orientale" des künftigen Codex für die Orientalischen Kirchen sollte sich u.a. darin zeigen, daß er sich auch inspirieren lassen sollte von den allen Orientalischen Kirchen gemeinsamen gewohnheitsrechtlichen Normen, soweit diese noch in Geltung stünden. Principi direttivi per la revisione dei Codice di diritto canonico orientale, in: Nuntia 3 (1976) 4. 33 Die deutsche Übersetzung bringt dies nicht minder deutlich zum Ausdruck: "Nur die Gewohnheit, die vom Gesetzgeber genehmigt worden ist. .. " C. 25 CIC/1917 stellt hinsichtlich der Möglichkeit der Bildung von Gewohnheitsrecht auf den dafür entscheidenden Konsens des Superiors ab, ist aber in bezug auf die Aussage, daß die Gewohnheit die "Kraft eines Gesetzes" hat, mit c. 23 CIC/1983 identisch. Unter dem "Superior" des c. 25 CIC/1917 war aber nach einhelliger Auffassung der Lehre nur ein mit Gesetzgebungskompetenz ausgestatteter Hoheitsträger zu verstehen. Vgl. Gommarus Michiels, Normae generales Juris Canonici. Commentarius Libri I Codicis Juris Canonici. Editio altera. Vol. 11. Parisiis/TornacilRomae, 1949,28-54.

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über enthält c. 1506 § 1 CCEO die für den Rechtsstil dieses Gesetzbuches geradezu typische Formulierung "Consuetudo communitatis christianae, quatenus actuositati Spiritus Sancti in corpore ecclesiali respondet, vim iuris obtinere potest". Nun ist zum CIC/1983 (wie auch zu der ähnlichen Formulierung des CIC/191734) zu bemerken, daß die als abolute Notwendigkeit hingestellte "Approbation" des Gesetzgebers ja nichts anderes als den selbstverständlich für die Bildung von Gewohnheitsrecht erforderlichen Konsens des Gesetzgebers bedeutet, der zumeist als sog. "allgemeiner Legalkonsens"35 in Erscheinung tritt, d.s. nämlich die im Gesetz von vornherein festgelegten Voraussetzungen, unter denen sich überhaupt Gewohnheitsrecht bilden kann36 . Insofern ist von der Sache her dieser Legalkonsens selbstverständlich für die Bildung von Gewohnheitsrecht auch nach dem CCEO erforderlich. Aber es ist doch immerhin erstaunlich, daß der Gesetzgeber das eine Mal diesen Konsens so stark hervorhebt und dabei die an nachträgliche Genehmigung 34 C. 25 CIC/1917 legte starken Akzent auf die Zustimmung ("consensus") des zuständigen "Oberen" zur Bildung von Gewohnheitsrecht: " ... vim legis a consensu competentis Superioris uniee obtinet" (Hervorhebung vom Verfasser). 35 Der allgemeine Legalkonsens (des Gesetzgebers) erstreckt sich auch auf die Bildung von gesetzeswidrigem Gewohnheitsrecht (c. 24 § 2 CIC/1983), allerdings unter der Voraussetzung, daß dieses vernünftig (rationabilis) ist. Hierbei ist nicht erforderlich, daß die passiv gesetzesfahige Gemeinschaft, wenn sie gesetzwidrig handelt, im guten Glauben an die Rechtmäßigkeit ihrer Vorgangsweise ist. Vgl. Michiels, Nonnae generales (Anm. 33), 125. Denn ein Analogieschluß von der für die Ersitzung geltenden Voraussetzung der "bona fides" (c. 198) auf das Gewohnheitsrecht ist sicherlich unzulässig. Somit ist nicht auszuschließen, daß das, was sich zunächst als "abusus" gegen das Gesetz manifestiert, dennoch zu Gewohnheitsrecht erstarken kann. Anderer Ansicht: Matthäus Kaiser, Der gute Glaube im Codex Iuris Canonici, Münchener Theologische Studien, III. Kanonistische Abteilung, 22. Band, München 1965,25-28. Kaiser nimmt das "legitime praescripta" der cc. 27 § 1 und 28 CIC/1917 zum Anlaß eines Analogieschlusses zwischen den Bestimmungen über die Bildung von Gewohnheitsrecht und den Voraussetzungen für die Verjährung bzw Ersitzung (praescriptio - c. 1512 CIC/1917). Wie für diese die bona fides "während der ganzen Ersitzungszeit erforderlich sei, so müsse der gute Glaube auch für die Bildung von außergesetzlichem und gesetzeswidrigem Gewohnheitsrecht als unabdingbare Voraussetzung gefordert werden." Materielles Unrecht kann auch nicht in einem "theologischen Differenzialverfahren" im Lauf der Zeit allmählich in Recht übergehen (26). - In eben diesem Sinne Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Band 1: Einleitende Grundfragen und Allgemeine Nonnen. Paderborn/MünchenlWien/Zürich 1991, 193. 36 Neben diesem allgemeinen Legalkonsens kann der Gesetzgeber auch durch einen besonderen Hoheitsakt (besonderer Legalkonsens) die Bildung von Gewohnheitsrecht bereits vor Ablauf der Zeit ennöglichen.

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rechtsgeschäftlichen Handelns erinnernde Formulierung "approbata" gebraucht37 , während der orientalische Codex diesen Legalkonsens überhaupt nicht erwähnt, sondern an dessen Stelle auf das Wirken des Heiligen Geistes verweist. Von der Zustimmung des Gesetzgebers ist ausdrücklich an anderer Stelle des CCEO die Rede, wenn nämlich gesagt wird, daß der Gesetzgeber durch seinen zumindest stillschweigenden Konsens eine Gewohnheit schon vor Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Zeit als rechtmäßig approbieren kann (c. 1507 § 4)38. Daß der Gesetzgeber des lateinischen Codex der Bildung von Gewohnheitsrecht weniger offen gegenübersteht als der des CCEO, bzw. daß die Präferenz des CIC/1983 dem gesatzten Recht gilt, sei noch an zwei Beispielen erläutert: Man könnte beinahe eine (allerdings aufschlußreiche) "Freud'sche Fehlleistung" konstatieren, wenn c. 23 CIC/1983 davon spricht, daß die Gewohnheit unter den angeführten Voraussetzungen ·vim legis habet", was die deutsche Übersetzung sprachlich richtig, aber sachlich genau so unexakt mit "kraft eines Gesetzes" wiedergibt. - C. 1507 § 1 CCEO sagt demgegenüber sachlich zurecht, daß eine Gewohnheit "vim iuris" erlangen kann 39 , was man im Deutschen sicherlich nicht mit "Rechtskraft" übersetzen darf, da dies an eine keinem (ordentlichen) Rechtsmittel mehr unterliegende Bindewirkung von Gerichtsurteilen oder Verwaltungsakten erinnert. Im Deutschen müßte etwa übersetzt werden: "Erlangt die Kraft einer Rechtsnorm" . Ein signifikantes Detail ist schließlich aus einem Vergleich der Derogationsbestimmungen des CIC/1983 mit denen des CCEO gegenüber früherem Gewohnheitsrecht zu gewinnen. Zufolge c. 5 § 1 CIC/1983 ist dem Codex entgegenstehendes Gewohnheitsrecht, auch wenn es nicht von einer Reprobationsklausel getroffen wird, grundsätzlich aufgehoben. Hundertjähriges oder unvordenkliches Gewohnheitsrecht kann geduldet werden, wenn es nach dem Urteil des Ordinarius den örtlichen oder persönlichen Umständen entsprechend nicht beseitigt zu werden vermag. Dies bedeutet also, daß hundertjähriges oder unvordenkliches Gewohnheitsrecht hinsichtlich seines Weiterbestehens von einem Ermessensentscheid des Ordinarius abhängig gemacht wird. - Anders hingegen c. 6 § 2 CCEO: "Hundertjährige oder unvordenkliche Gewohnheiten werden durch entgegenstehendes kodikarisches Recht 37 llona Riedel-Spangenberger, Art. Approbation: Grundbegriffe des Kirchenrechts, Paderbom/MünchenlWien/Zürich 1992. 38 Damit ist der "consensus specialis" des Gesetzgebers (Superiors) angesprochen. Vgl. Michiels, Normae generales (Anm. 33) 41-43. 39 Zur Problematik der Verwendung des Begriffes "approbare" im Zusammenhang mit der Bildung von Gewohnheitsrecht vgl. Aymans/Mörsdorf, Kanonisches Recht (Anm. 35) 200.

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grundsätzlich nicht aufgehoben, es sei denn, daß sie von einer Reprobationsklausel erfaßt sind"40. Das bedeutet, daß den Ordinarien hier keine Vollmacht zukommt, derartige Gewohnheiten aufzuheben. 5. Der Rechtsstil des CCEO kommt schließlich markant zum Ausdruck bei den Regelungen über die Lückenschließung. C. 19 CIC/1983 bezeichnet als erstes Mittel zur Schließung von (echten) Gesetzeslücken, die "leges latae in similibus" , also die Gesetzesanalogie. Anschließend werden die allgemeinen Rechtsprinzipien (Rechtsanalogie), Jurisprudenz und Praxis der Römischen Kurie41 und schließlich die gemeinsame und ständige Ansicht der Fachgelehrten angeführt. - C. 1501 CCEO nennt als erstes Mittel der Lückenschließung die Canones der Synoden und der heiligen Väter, dann die rechtmäßige Gewohnheit, schließlich die allgemeinen Rechtsprinzipien, die "iurisprudentia ecclesiastica" (d.h. also nicht nur die der Römischen Kurie!) und zuletzt die "communis et constans doctrina canonica"42. Damit ist ein gegenüber dem CIC/1983 (und auch CIC/1917) viel weiteres und offeneres Feld für die Gewinnung von Ersatznormen angeführt. Einmal mehr bringt diese Stelle zum Ausdruck, daß sich der CCEO in einer viel umfassenderen Rechtstradition als der CIC/1983 verankert weiß. Man gewinnt den Eindruck, als solle bewußt gezeigt werden, daß das nunmehr vorliegende gesatzte Recht sich nicht als mit Exklusivitätscharakter ausgestatteter gleichsam krönender Abschluß des Unternehmens der Kodifikation, sondern

40 Eine frühere Fassung des gegenwärtigen c. 6, 2 CCEO hatte in bezug auf die consuetudo centenaria vel immemorabilis noch einen dem c. 5 CIC/1917 nachempfundenen Zusatz" .. quae quidem, si de iudicio Hierarchae pro locorum ac personarum adiunctis submoveri nequeunt, tolerari possunt." Nuntia 10 (1980), 90. Diese Formulierung fand sich noch im Schema 1984 (c. 5), in: Nuntia 19 (1984) 20. Vgl. Elias Jarawan, Revision des canons De Nonnis generalibus. Canons preliminaires au Code tout entier. Nuntia ebd. 87-118, bes. 90. Überdies war in den Vorlagen von 1945 und 1946 noch vorgesehen, daß hundertjährige oder unvordenkliche Gewohnheiten zwar geduldet werden können, daß aber die Hierarchen darüber dem Hl. Stuhl oder dem Patriarchen Bericht erstatten müßten: Nuntia 2 (1976) 55. 41 C. 20 CIC/1917 spricht von stylus et praxis Curiae Romanae, c. 19 CIC/1983 von iurisprudentia et praxis Curiae Romanae als Mittel der Schließung von Gesetzeslücken. In beiden Fällen wird ausschließlich auf die Jurisprudenz römischer Zentralbehörden abgestellt. 42 In den Entwürfen von 1978 (c. 13) und 1981 (c. 137) war die "consuetudo legitime inducta" den übrigen in c. 1501 CCEO angeführten Mitteln der Lückenschließung vorangestellt. Vgl. Nuntia 10 (1980) 100 und Nuntia 13 (1981) 47.

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vielmehr als Baustein in einem größeren und umfassenderen Rechtsganzen betrachtet43 . 6. Aufschlußreich ist schließlich auch die vom CCEO im Bereich der sog. Kodifikation von Grundrechten vorgenommene Reihung. Während der CIC/1983 bei der fiir alle "christifideles" (cc. 208-223) und gesondert fiir die Laien (cc. 224-231) erfolgten Kodifikation in den entsprechenden Rubriken jeweils die Pflichten vor den Rechten nennt, hat der CCEO die umgekehrte Reihenfolge, nämlich Rechte-Pflichten. - Die vom CIC/1983 vorgenommene Reihung ist ebenso wie die unmittelbare Verknüpfung von Pflichten mit den entsprechenden Rechten eingehend begründet worden. Grundrechte ergeben sich erst aus der "Verankerung in der kirchlichen communio"44, woraus zu folgern sei, daß Rechte erst nach den Pflichten kommen könnten45 . Diesem Konzept, das schon fiir den CIC/1983 nicht unwidersprochen geblieben war46 , erteilt der CCEO jedenfalls in bezug auf die Reihung eine deutliche Absage47 • 7. Angesichts dieses geistigen Umfelds des CCEO nimmt es nicht wunder,

daß im Zuge der Kodifikationsarbeiten der kühne Versuch unternommen

wurde, nicht nur den Begriff der "oikonomia" zu definieren, sondern diese auch als Interpretationsmaxime des gesatzten Rechts zu deklarieren. Der von einigen Konsultoren vorgelegte Plan wurde zwar nicht verwirklicht, hauptsächlich wohl wegen der grundsätzlichen Bedenken, daß sich ein solches den Bereich des kanonischen Rechts als solchem weit übersteigendes Prinzip schwerlich in ein Gesetzbuch einbauen läßt48 . Aber es ist dennoch nicht nur 43 Papst Paul VI. sagte in einer Ansprache an die Mitglieder der Kommission zur KodifIkation des orientalischen Kirchenrechts u.a.: "Quaelibet, enim, renovatio semper cohaerentiam et concordiam cum sana traditione prae se ferre debet, ita ut novae normae appareant non quasi corpus extraneum violenter defixum in ecclesiastica compagine, sed e normis exstantibus quasi sua sponte efflorescant" , in: Nuntia 1 (1975) 6. 44 Matthäus Kaiser, Die rechtliche Grundstellung der Gläubigen, in: HdbKathKR, 174. 45 Winfried Aymans, Zur Frage der Rezeption von Menschenrechten in der Kirche, in: AkKR 149 (1980) 402. 46 Gerhard Lu/, Grundrechte im CIC/1983, in: ÖAKR 35 (1985) 120 f. 47 C. 87 CIC/1917 hatte bei der aus der Taufe resultierenden Rechtsstellung des Gläubigen die Wortfolge "iura" und "officia", d.h. die Rechte wurden vor die Pflichten gereiht. 48 Es sei hier auf die alte juristische Weisheit verwiesen: "Omnis defmitio in iure periculosa est". Der von der Kodifikationskommission selbst eingesetzte "Coetus specialis" zum Studium der Frage der "oikonomia" hatte sich am 6. und 7. Februar 1967 zu einer Sondersitzung getroffen, in der nach eingehendem Studium der Frage ein

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das Unternehmen als solches interessant und für die "Geistigkeit" dieser Kodifikation höchst aufschlußreich (von einer Parallele im Zusammenhang mit den Vorbereitungsarbeiten zum CIC/1983 ist mir nichts bekannt), sondern es verdienen auch die einzelnen vorgelegten Textvarianten unsere Aufmerksamkeit.

Bei allen drei Vorschlägen ist eine mehr oder minder deutliche Tendenz gegen ein Ausufern der Anwendbarkeit von oikonomia festzustellen. Der m.E. beachtlichste Text ist die dritte der vorgeschlagenen Varianten: "Die kirchliche Ökonomie, durch die die Erlösungstat Jesu Christi zur Anwendung kommt, soll unter der Aufsicht der Ortshierarchen so ausgeübt werden, daß dort, wo sich eine auf menschliche Art und Weise vorzunehmende Befolgung von Gesetzen als äußerst schwierig erweist, die göttliche Barmherzigkeit und mütterliche Liebe der Kirche ergänzend tätig werden "49. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die Frage, gegenüber welchen Gesetzen oikonomia zur Anwendung kommen kann, offen gelassen wurde. Nach sämtlichen drei Textierungen würde sich oikonomia nicht nur auf die "leges mere ecclesiasticae", sondern auch - in Übereinstimmung mit der orthodoxen Tradition - auf bestimmte Inhalte des göttlichen Rechts erstrecken.

Übereinkommen in bezug auf nachstehende Umschreibung der oikonomia erzielt wurde: nL 'oikonomia est un concept th60logique qui designe le plan de salut pour tous les hommes, l'oeuvre de la divine Sagesse. Selon ce dessein, Dieu le Pere a envoye son Fils dans le monde, lui donnant tout pouvoir necessaire pour accomplir sa mission, c'est a dire de sauver tous les hommes. Ce pouvoir, le Christ l'a confie a son tour a son Eglise (Matt. 28, 18). Ce pouvoir s'etend atout la mission pastorale de l'Eglise et ne se limite pas seulement a l'ordrejuridico-canonique. Il s'agit donc d'un concept qui va bien audela des competences memes du code tout entier." Der Coetus selbst kam aber zu dem Ergebnis, daß im Gesetzbuch keine Aussage über oikonomia vorzunehmen sei, in: Nuntia 10 (1980) 92. 49 "Oikonomia ecclesiastica, qua opus salvificum Domini Nostri Jesu Christi applicatur ita exerceatur sub vigilantia Hierarcharum loci ut ubi observantia legum humano modo difficillima evadit, misericordia divina et amor maternus Ecclesiae suppleat": Nuntia ebd., 93. - Diese sowie die beiden anderen Textvarianten (Nuntia ebd.) sahen sich einer starken Kritik seitens der Gesamtkommission ausgesetzt. Die Frage wurde 1980 noch einmal aufgegriffen und dabei wurde die definitive Entscheidung getroffen, den Begriff oikonomia im Codex nicht festzuschreiben, da die ganze Frage weit über den kanonischen Bereich hinausreiche: Nuntia ebd., 94. Zur Frage der oikonomia vgl. KANON, Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, Band VI: Fifth Congress ofthe Society for the Law ofthe Oriental Churches. Wien 1983. 28 Primetshofer

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ßI. Auswirkungen des CCEO auf das lateinische Recht A. Es gibt Normen des CCEO, aus denen sich eine mittelbare oder unmittelbare Verpflichtung für die Ecclesia latina ergibt. Eine unmittelbare Verpflichtung für die Ecclesia latina kann sich daraus ergeben, daß sie direkt vom CCEO angesprochen wird, oder daß eine bis dato offene Frage entschieden wird, die von der Natur der Sache her nicht ohne Auswirkungen auf den lateinischen Rechtsbereich bleiben kann. Mittelbare Verpflichtungen können daraus entstehen, daß insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes gefragt werden muß, ob Unterschiede zwischen den beiden Bereichen mit Recht aufrechterhalten werden können, oder ob nicht eine Angleichung an das Recht der Orientalischen Kirche stattfinden müßte. Bevor aber diese Einzelheiten behandelt werden, sei in gebotener Vorsicht eine grundsätzlichere Frage gestellt, nämlich die nach dem ekklesiologischen Konzept des CCEO, näherhin, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich Unterschiede zum CIC/1983 feststellen lassen. 1. Bestimmend für das Selbstverständnis der Kirche als communio Ecclesiarum ist zweifellos die Aussage von LG 23, wonach die Gesamtkirche in und aus den Teilkirchen besteht (c. 368 CIC/1983). Für den CIC/1983 sind diese Teilkirchen Diözesen und die diesen gleichgestellten Gebietskörperschaften sowie die Militärdiözese50 . Zusammenschlüsse von Teilkirchen in Teilkirchenverbände (Kirchenprovinzen und Kirchenregionen) spielen im Recht der Lateinischen Kirche eine untergeordnete Rolle. Grundsätzlich kann das Verhältnis von "Ecclesia universalis" und "Ecclesia particularis" von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Die eine Betrachtungsweise geht von der Gesamtkirche, dem Gesamtkollegium der Bischöfe aus, dessen übergeordnete Idee die Einheit aller Bischöfe in einem gesamtkirchlichen Kollegium darstellt. Die andere kommt von der Teilkirche her, von der Verantwortung des Einzelbischofs für diese, aus der die Verantwortung für die Nachbarkirchen und für die Gesamtkirche erwächst51 .

50 Apostolische Konstitution "Spirituali militum curae", in: AAS 78 (1986) 481486. 51 Joseph Ratzinger, Die bischöfliche Kollegialität. Theologische Entfaltung, in: G. Barauna (Hrsg), De ecclesia, Bd. 2, Freiburg/Br. 1966,65 f.

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Der CIC/1983 steht, wie richtig vermerkt wurde52 , grundsätzlich auf dem Boden einer primär die Gesamtkirche, die "Einheitsekklesiologie " in den Vordergrund ruckenden Betrachtungsweise53 . - U mso interessanter ist ein Blick in das Kozept des CCEO. Es zeigen sich in der Tat Ansätze von bemerkenswerten Unterschieden. Das Zweite Buch des CIC/1983 "De populo Dei" enthält im zweiten Teil die Aussagen über die hierarchische Verfassung der Kirche. Die Sectio I trägt den Titel "Die höchste Autorität der Kirche" (Papst und Bischofskollegium, Bischofssynode usw.). Erst in der Sectio 11 ist von den Teilkirchen und deren Verbänden die Rede. - Erheblich anders der CCEO: Nach sechs einleitenden "Canones praeliminares" spricht der erste Titel von den (Grund)rechten und -pflichten aller Gläubigen; der zweite Titel trägt die Überschrift "De Ecclesiis sui iuris et de ritibus", und erst im dritten Titel wird von der höchsten Autorität (Papst und Bischofskollegium) gesprochen. Freilich finden sich in dem erwähnten Titel 11 nur die Grundaussagen, eigentlich könnte man fast sagen Legaldefinitionen der "Ecclesia sui iuris" (c. 27) und des "Ritus" (c. 28); die restlichen canones handeln über die Rituszugehörigkeit und über die Verpflichtung zu getreulicher Bewahrung der Riten. Die übrigen Aussagen über die Patriarchate, Großerzbistümer, Metropolitankirchen und sonstigen Kirchen eigenen Rechts sowie über die Teilkirchen (Eparchien) und deren Vorsteher (Bischöfe) sind den Bestimmungen über die höchste Autorität in der Kirche nachgereiht. Zumindest vom redaktionellen Konzept des CCEO läßt sich somit sagen, daß er nicht in gleicher Eindeutigkeit wie der CIC/1983 der Einheitsekklesiologie den Vorzug gibt. Die Tatsache, daß zuerst von der Ecclesia sui iuris gesprochen wird, daß deren Bedeutung in einer so grundsätzlichen Weise betont wird, ist nicht zu übersehen. Sie führt auch zu einer Reihe von Konsequenzen, die sofort in die Augen springen: Die Ecclesiae sui iuris erfreuen sich (wenngleich auch nicht alle in gleichem Umfang) einer erheblich größe52 Richard PUl.a, Die Communio-Ekklesiologie und das Recht der Teilkirche. Terminologie - Entwicklung - Situation, in: Richard Puza/Abraham P. Kustermann (Hrsg.), Eine Kirche - ein Recht? Kirchenrechtliche Konflikte zwischen Rom und den deutschen Ortskirchen. Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1990, 32; ders., Katholisches Kirchenrecht (Uni-Taschenbücher 1395), 2. Aufl., Heidelberg 1993, 258 f. 53 Als "kräftigen Hinweis" in diese Richtung betrachtet PUl.a jedenfalls c. 333 § 1 CIC/1983, der nicht nur den Vorrang der ordentlichen Gewalt des Papstes über alle Teilkirchen und deren Verbände hervorhebt, sondern seine Aufgabe auch darin sieht, die eigenberechtigte, ordentliche und unmittelbare Gewalt der Bischöfe zu schützen. Puza, ebd. - Zu beachten ist auch die Sprechweise des in Rede stehenden Canons (vgl. dazu c. 45 § 1 CCEO), der die Wendung "Vorrang ordentlicher Gewalt" (des Papstes) mit dem rechts sprachlichen "Hapax legomenon" "ordinariae potestatis ... principatum" wiedergibt.

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ren Autonomie als die Teilkirchen bzw. Teilkirchenverbände des lateinischen Rechts. 2. Als vielleicht signifikantestes Beispiel sei in diesem Zusammenhang das Recht der Bischofswahl angeführt, das der Bischofssynode des Patriarchats zusteht. Es gibt dabei im wesentlichen zwei Verfahrensmodelle. Das eine besteht darin, daß die Bischofssynode des Patriarchats eine Liste von für das Bischofsamt grundsätzlich in Frage kommenden Kandidaten an den Papst schickt, der seinerseits den auf der Liste Angeführten seinen "assensus" (c. 182 § 3) gibt oder gegebenenfalls verweigert. Die einmal gegebene Zustimmung dauert bis zu ihrem ausdrücklichen Widerruf (ebd. § 4). Wird nun einer aus der Reihe dieser im vorhinein vom Papst approbierten Kandidaten gewählt, dann ist die Vornahme der Wahl dem Papst lediglich mitzuteilen (c. 184 § 2). Nur wenn ein nicht in dieser Liste Enthaltener gewählt wird (dies ist das zweite Modell), dann ist vor der Bekanntgabe des Wahl ergebnisses die Bestätigung durch den Papst erforderlich, und erst dann kann die Wahl dem Gewählten mitgeteilt werden (c. 185)54. Es braucht nicht eigens darauf hingewiesen zu werden, wie sehr der CIC/1983 und auch der CIC/1917 von diesem Modell des CCEO differieren. Von ganz geringfügigen Ausnahmen abgesehen ist das alleinige Ernennungsrecht des Papstes für sämtliche Bischofssitze im Bereich der Ecclesia latina die weitaus überwiegende Regel 55 . Bedenkt man nun einerseits, wie sehr in den für die Lateinische Kirche geltenden Bestimmungen56 geradezu ängstlich jeder Anschein eines Mitspracherechtes von Ortskirchen oder Teilkirchenverbänden (Kirchenprovinzen) bei der Ernennung von Bischöfen vermieden57 und wie nachdrücklich andererseits die Notwendigkeit eines alleinigen Ernennungsrechtes 54 Vgl Marco Brogi, The Nonns on Eparchies and Bishops,: Chiramel-Bharanikulangara, The Nonns (Anm 8) 110 f.; dens.: Nomine vescovili nelle Chiese Orientali Cattoliche: Kanon 7 (1985) 124-141. 55 Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR 337-339. 56 Neben dem CIC/1983 (cc. 377 f.) ist noch das Dekret des Rates für die Öffentlichen Angelegenheiten der Kirche "Episcoporum deIectum" vom 25. 3. 1972 zu erwähnen, in: AAS 64 (1972) 387-391; Xaverius Ochoa, Leges Ecc1esiae post Codicem iuris canonici editae. Vol. IV, Roma 1974, Nr. 4043. - NKD 38 mit Kommentar von Heribert Schmitz. 57 Wenn der Apostolische Nuntius neben dem gemäß c. 377 § 3 pflichtmäßig zu befragenden Personenkreis noch - "sofern er dies für angebracht hält" - die Meinung anderer anhört, soll er es "einzeln und geheim" tun, um nur ja nicht den Anschein einer kollektiven Abstimmung zu erwecken.

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des Papstes verteidigt wird58 , dann ist es umso erstaunlicher feststellen zu können, daß von all dem bei den orientalischen Patriarchatskirchen nicht die Rede ist. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, warum Gleiches nicht gleich behandelt wird. Denn an der Gleichheit der Ecclesiae orientales auf der einen Seite und der Ecclesia latina auf der anderen kann ja nicht gezweifelt werden59 , und es stellt sich somit in aller Dringlichkeit die Frage, warum die im CCEO verankerten Mitwirkungsrechte eines Teilkirchenverbandes nicht sicherlich mutatis mutandis (worüber im einzelnen noch nachzudenken wäre) auch im Geltungsbereich des CIC Anwendung finden könnten. Und dies umso mehr, als die Ersprießlichkeit des Wirkens eines Bischofs zwar nicht ausschließlich, aber doch auch zu einem erheblichen Teil von der Akzeptanz seitens der von ihm zu leitenden ·populi Dei portio· (vgl. c. 369 CIC/1983) abhängt60 .

58 C. 329 § 2 CIC/1917 kennt hinsichtlich der Besetzung der Bischofssitze neben dem freien Ernennungsrecht des Papstes noch das Wahlrecht zugunsten eines (nicht näher bezeichneten) Kollegiums; c. 377 § 1 CIC/1983 führt nebeneinander das freie päpstliche Ernennungsrecht und das päpstliche Bestätigungsrecht für rechtmäßig gewählte Kandidaten an. Die auf das Konzilsdekret "Christus Dominus" Nr. 20 zurückgehende Aussage von c. 377 § 5, daß in Hinkunft weltlichen Autoritäten keine Rechte und Privilegien in bezug auf Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen eingeräumt werden, enthält unter dem Prätext einer Abwehr staatlicher Einflußnahme zugleich eine nicht zu übersehende Zurückweisung kirchlicher Mitbestimmungsrechte bei der Besetzung von Bischofssitzen. Das in § 5 an erster Stelle genannte Wahlrecht ist nämlich weltlichen Autoritäten sowieso nie zugestanden. Das Wahlrecht war und ist die typische Form der gebundenen Amtsverieihung zugunsten kirchlicher Gremien. Vgl. Klaus Mörsdorf, Kommentar zum Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, in: LThK, Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen. Band 11, Freiburg-Basel-Wien 1967, 186, Anm. 12. - Seit dem CIC/1917 sind mehrfach kirchliche Wahlrechte aufgehoben worden (1918 Sitten; 1948 Chur). Richard Potz, Bischofsernennungen. Stationen, die zum heutigen Zustand geführt haben, in: Gisbert Greshake (Hrsg.), Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche: Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg. München/Zürich 1991,39. 59 Vgl. OE 3: "Alle Teilkirchen (des Ostens und des Westens) ... stehen in gleichem Rang, so daß aufgrund ihres Ritus keine von ihnen einen Vorrang vor den anderen hat. Alle genießen dieselben Rechte und haben dieselben Verpflichtungen ... ". Dazu Paul VI. in einer Ansprache an die Mitglieder der Kommission für die Redaktion des orientalischen Kirchenrechts 18. 3. 1974, in: Nuntia 1 (1975) 8. 60 Der im Dekret Gratians anzutreffende, auf Papst Cölestin I. (422-432) zurückgehende Satz "Nullus invitis detur episcopus" (D LXI, c. 13) ist zwar keine Norm des geltenden Rechts; als unverzichtbarer Grundsatz einer rücksichtsvollen und mit Augenmaß vorzunehmenden Rechtssetzung und -anwendung beansprucht er indes zeitlose Gültigkeit.

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3. Die gegenüber dem lateinischen Recht erheblich größere Eigenständigkeit von Teilkirchen und Teilkirchenverbänden kommt in einer Fülle von Details zum Ausdruck, aus denen im folgenden einige (mehr oder weniger willkürlich) herausgegriffen werden sollen. So ist schon einmal auffällig, daß der Eparchialbischof "vicarius et legatus Christi" (c. 178) genannt wird. Dies ist ein Zitat aus LG 27 61 . Vom Papst sagt c. 43 CCEO übereinstimmend mit c. 331 CIC/1983, daß er "Vicarius Christi" sei. Nun fällt im lateinischen Codex auf, daß hinsichtlich des päpstlichen Titels "Vicarius Christi" LG 18 übernommen wird 62 , nicht aber die Aussage derselben Konstitution (nämlich LG 27) in bezug auf die Bischöfe als "vicarii Christi "63. Deutlicher als im CIC/1983 kommt somit im CCEO die unmittelbare Verankerung der bischöflichen Amtsvollmacht im Amt Christi zum Ausdruck. 4. Die besondere Rechtsstellung der Patriarchen, denen im Gegensatz zu dem nur sehr entfernt vergleichbaren Metropoliten des lateinischen Rechts die Funktion einer echten Zwischeninstanz zwischen den Bischöfen und dem Hl. Stuhl zukommt, kann hier nur ganz generell angedeutet werden. Hier ist die Entwicklung übrigens noch in Fluß. Die Patriarchen hatten den Wunsch nach einer weltweiten Anerkennung ihrer Leitungsgewalt auf alle Angelegenheiten der jeweiligen Kirche vorgetragen. Diesem Wunsch wird vom Gesetzgeber des CCEO nicht Rechnung getragen; es wird allerdings eine wohlwollende Prüfung diesbezüglich vorgebrachter Wünsche zugesichert64 . Schon jetzt aber fällt u.a. auf, daß die Akten der Patriarchalsynoden, also deren Gesetze und Entscheidungen, dem Papst nur übersandt werden müssen, ohne daß - wie dies bei den Dekreten der Partikularkonzilien (Partikularsynoden) (c. 446) und der Bischofskonferenz (c. 455 § 2) der Fall ist - vor deren Promulgation eine "recognitio" seitens des Hl. Stuhles erforderlich ist65 . - Auch hier ist zu fragen, worin die sachliche Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung liegen kann. 61 "Die Bischöfe leiten die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi" (vicarii et legati Christi). 62 Die Quellenausgabe des CIC/1983 zitiert LG 18. 63 Die Groß- bzw. Kleinschreibung ergibt sich schon aus den Texten von LG. Vgl. zur Frage Primetshofer, Geist (Anm. 6) 408. 64 earl Gerold Fürst, Katholisch ist nicht gleich lateinisch. Der gemeinsame Kirchenrechtskodex für die katholischen Ostkirchen, in: HerKorr 45 (1991) 138. 65 Zum Rechtscharakter der recognitio vgl. Peter Krämer, Las Conferencias episcopales y la Santa Sede, in: Herve Legrand/Julio Manzanares/Antonio Garcia y Garcia (Hrsg.), Naturaleza y futuro de las Conferencias episcopales. Salamanca 1988, 172 f.; ders., Das Verhältnis der Bischofskonferenz zum Apostolischen Stuhl, in: Hubert Müller/Hermann J. Pottmeyer (Hrsg.), Die Bischofskonferenz. Theologischer und juridischer Status, Düsse\dorf 1989, 260-262.

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5. Auffallend ist schließlich auch die viel breitere Streuung des ökumenischen Anliegens im CCEO. C. 383 § 3 CIC/1983 nennt bei den Amtsaufgaben des Bischofs auch die Förderung des Ökumenismus "wie er von der Kirche verstanden wird", und c. 755 § 1 bezeichnet es als Aufgabe des ganzen Bischofskollegiums und besonders des Hl. Stuhles, die ökumenische Bewegung bei den Katholiken zu pflegen und zu leiten. Sonst wird die Ökumene noch bei den Aufgaben des Nuntius erwähnt (c. 364,6), und bei der Ausbildung der Alumnen soll auch dem Anliegen der Ökumene Rechnung getragen werden (c. 256 § 2). Bei der Beschreibung der Amtsaufgaben des Pfarrers und sonstiger Seelsorger wird der Ökumene nicht gedacht, ebenso wenig in Zusammenhang mit Rechten und Pflichten der Laien66 - c. 902 CCEO weist hingegen die Ökumene als Aufgabe der ganzen Kirche zu, es müßten daher alle Christen um Einheit bemüht sein. C. 902 steht am Beginn eines eigenen Titels (XVIII) über den Ökumenismus, d.h. über die Förderung der Einheit unter allen Christen, wobei freilich (c. 903) ein besonderer Akzent auf ökumenische Bemühungen in bezug auf orientalische Nichtkatholiken gelegt wird67 . B. Das bisher Gesagte weist auf Bereiche hin, in denen Norminhalte und Normstil des orientalischen Codex dem lateinischen Gesetzgeber vor allem unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes Anlaß zu einem Überdenken der eigenen Position geben können und hoffentlich auch geben werden. Es ist jedoch des weiteren zu fragen, welche Normen des CCEO unmittelbare Auswirkungen auf das lateinische Recht haben, sei es, daß auch die Lateiner direkt als Normadressaten genannt werden, sei es, daß normative Inhalte des CCEO auch ohne ausdrücklichen Hinweis auf den lateinischen Rechtsbereich bisher strittige, die Gesamtkirche betreffende Fragen klären. 1. Die Lateiner werden direkt als Normadressaten genannt beim strafrechtlichen Tatbestand des c. 1465: Wer als Inhaber eines kirchlichen Amtes oder Dienstes einer rechtlich selbständigen Kirche, auch der lateinischen, jemanden (gegen die Bestimmung des c. 31) zum Rituswechsel anstiftet, soll mit einer gerechten Strafe belegt werden 68 . 66 Mit Recht stellt Krämer fest, daß im CIC/1983 das ökumenische Anliegen über c. 755 hinaus "nur noch gelegentlich angesprochen wird". Peter Krämer, Kirchenrecht I. Wort-Sakrament-Charisma, in: Kohlhammer Studienbücher Theologie, Band 24, 1. Stuttgart/Berlin/Köln 1992,42. 67 Carl Gerold Fürst, Ökumenismus im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia Canonum. Festgabe rur Franz Pototschnig zum 65. Geburtstag. München 1991,415-428. 68 Eine umfassendere Verpflichtung der Lateiner durch Normen des CCEO war in c. 8 des Entwurfs von 1984 geplant: "Quoties in canonibus huius Codicis praescribitur vel commendatur ut Hierarchae, c1erici vel ceteri christi fideles cuiusvis ritus ali-

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2. Im Bereich des Eherechts bringt der CCEO einige auch für das lateinische Recht relevante Klärungen. Zum einen ist hier die Verweisungsnorm des c. 780 zu erwähnen: Bei konfessionell gemischten Ehen zwischen einem Katholiken und einem nichtkatholischen Christen ist, was die Frage der Gültigkeit der Ehe anlangt, auch das Recht zu beachten, dem der nichtkatholische Teil unterliegt. Das kann entweder eigenes kirchliches Recht sein, wenn die Kirche oder "kirchliche Gemeinschaft" (Ecclesia vel communitas ecclesialis) ein eigenes Eherecht hat, oder ein (hinsichtlich seiner Herkunft nicht näher bezeichnetes) Recht, dem der akatholische Teil unterliegt, wenn seine kirchliche Gemeinschaft kein eigenes Eherecht hat69 . Damit wird zunächst, was die nichtkatholischen Orientalen betrifft, die Konsequenz aus dem Konzilsdekret "Unitatis redintegration (UR) Nr. 16 gezogen, wonach die (nichtunierten) Orientalischen Kirchen das Recht haben, sich nach ihrer eigenen Disziplin zu leiten70. Ein solcher Hinweis fehlt im CIC/1983, was aber insofern in bezug auf die Orientalen bedeutungslos ist, als UR 16 unmittelbar anwendbares Recht schafft, und auch der CIC/1983 als Normadressaten der "leges mere ecclesiasticae" nur den Katholiken nennt (cc. 11, 1059). Schwerwiegender ist das Schweigen des CIC/1983 über das anzuwendende Recht zu werten, wenn es sich um Ehen von dem lateinischen Rechtsbereich angehörenden Nichtkatholiken (insbesondere Protestanten) handelt. UR findet sicher keine Anwendung, da hier nur von dem ostkirchlichen Bereich angehörenden Nichtkatholiken die Rede ist. Welches Recht ist aber nun bei den Ehen der Protestanten anzuwenden, die kein eigenes kirchliches Eherecht kennen71, sondern das jeweils in Frage kommende staatliche Recht (Bürgerliches Recht und Internationales Privatrecht) für sich als (ausschließlich) verbindlich betrachten? - In der Lehre wurde bisher nur zögernd anerkannt, daß die bestehende Gesetzeslücke konsequenterweise nur mittels (Gesetzes)analogie, d.h. unter Heranziehung der für nichtunierte Orientalen in UR 16 getroffenen Regelung zu quid agant vel omittant, Hierarchae, clerici et christi fideles latini quoque ritus comprehenduntur." Nuntia 19 (1984) 2l. 69 Kein eigenes Eherecht haben offenbar nur "communitates ecclesiales"; bei den Kirchen wird eigenes Eherecht vorausgesetzt. 70 Bis zum 11. Vatikanischen Konzil war die herrschende Lehre und Praxis der römischen Kurie von der Geltung des katholischen Kirchenrechts für die nichtunierten Orientalen geprägt. Vgl. die zusammenfassende Beurteilung bei Joseph Vadakumcherry, Marriage Laws in the Eastem and Latin Codes, in: Chiramel/Bharanikulangara (Hrsg.), The Code (Anm. 8) 184. 71 Albert Stein, Evangelisches Kirchenrecht. Ein Lembuch. Darmstadt 1980, 6466.

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schließen ist. Dies würde im Ergebnis eine Anerkennung der Verbindlichkeit staatlichen Rechts für die Ehen von Protestanten bedeuten, sei es, daß es sich um rein protestantische Ehen handelt, sei es um konfessionell gemischte mit Katholiken oder Orthodoxen (Altorientalen). Prader hat noch vor kurzem den Analogieschluß als nicht zulässig betrachtet und gemeint, die Protestanten könnten nur auf dem Weg der Bildung von Gewohnheitsrecht eine für sie verbindliche Ordnung schaffen; eine unmittelbare Anwendbarkeit staatlichen Rechts wurde in Abrede gestellt72 • Das Zweite Vatikanische Konzil habe den von der Westkirche getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften "indirekt die Fähigkeit zuerkannt", ein im Sinne von c. 23 CIC/1983 rechtmäßiges Gewohnheitsrecht zu schaffen und sich nach ihren eigenen Ordnungen zu leiten73. Das Ergebnis solcher Überlegungen ist in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend: Zum einen ist nicht einzusehen, wieso es zur Bildung eigenen, die Protestanten bindenden Eherechts des Umwegs über die Bildung von Gewohnheitsrecht bedarf und wieso nicht einem Gesetzgebungsakt dieser Kirchen (vorgenommen in Form einer Verweisung auf das am Ort geltende staatliche Recht) an sich schon Verbindlichkeit zukommen sollte. - Zum anderen führt der Hinweis auf die Bildung von Gewohnheitsrecht zu der nicht leicht zu lösenden Frage, nach welchen Kriterien die Bildung dieses Gewohnheitsrechts zu beurteilen ist. Der Hinweis auf c. 23 CIC/1983 steht vor der Schwierigkeit, daß dieser canon wie auch die folgenden auf die Bildung von Gewohnheitsrecht bezugnehmenden canones weitgehend rein kirchliches Recht (ius mere ecclesiasticum) darstellen, das zufolge c. 11 auf Nichtkatholiken gar nicht anwendbar ist. Staatliches Recht enthält diesbezüglich, wenn überhaupt, nur sehr sporadische Angaben. Wer beurteilt also, ob aufgrund welcher Voraussetzungen sich rechtmäßig Gewohnheitsrecht gebildet hat? Diese "quaestio vexata" hinsichtlich des für die Ehen von Nichtkatholiken anzuwendenden Rechts ist nunmehr durch den ausdrücklichen Verweis des c. 780 § 2, 2 CCEO gelöst: Bei jenen kirchlichen Gemeinschaften, die über kein eigenes (kirchliches) Eherecht verfügen, kommt im Falle, daß über die Gültigkeit von Ehen der Angehörigen dieser Gemeinschaften zu urteilen ist (c. 72 Jose! Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis. Bozen 1983, 46 f. An anderer Stelle kommt Prader allerdings zu dem Ergebnis einer unmittelbaren Anwendbarkeit staatlichen Eherechts für die Ehen der Protestanten: Interrituelle, interkonfessionelle und interreligiöse Probleme im Eherecht des neuen CIC, in: AkKR 152 (1983) 449. 73 Prader, ebd.; ders., Die Auswirkungen des c. 11 auf die kirchliche Rechtsprechung unter besonderer Berücksichtigung der Protestanten im deutschen Sprachraum: Gabrie/slReinhardt, Ministerium Iustitiae (Anm. 19) 121.

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781, 1), jene Rechtsordnung zur Anwendung, an die sie tatsächlich gebunden sind. Daß dieser Verweis ebenso wie der in bezug auf eigenes nichtkatholisches (kirchliches) Eherecht (c. 780 § 2, 1) unter mehrfachen Vorbehalten steht, sei hier nur kurz angedeutet: Der Verweis auf die fremde (nichtkatholische) Rechtsordnung kann einerseits nicht bedeuten, daß im katholischen Bereich Rechtsnormen als verbindlich akzeptiert werden, die dem göttlichen Recht widersprechen (z.B. in der Frage der Unauflöslichkeit der Ehe). Andererseits betrachtet sich das kanonische Recht bzw. die mit dessen Anwendung Betrauten im Konfliktsfall als kompetent, auch einen Nichtkatholiken von einem in seiner Kirche (kirchlichen Gemeinschaft) bestehenden Ehehindernis zu dispensieren, wenn er von der eigenen Kirchenleitung keine Dispens erhält (z.B. bei der vierten Eheschließung eines verwitweten Ehewerbers)74. Mit anderen Worten: Der Verweis auf die fremde Rechtsordnung ist kein ausschließlicher, sondern schließt die - allerdings subsidiäre - Geltung des kanonischen (d.h. katholischen) Kirchenrechts mit ein75. 3. Eine weitere Klärung in Form einer - formell nicht als solcher deklarierten - authentischen Interpretation bringt der CCEO im Bereich der Ehehindernisse. Zufolge c. 1093 CIC/1983 entsteht das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit aus zwei voneinander unabhängigen Tatbeständen: Der ungültigen Ehe nach Aufnahme des gemeinsamen Lebens und dem offenkundigen oder öffentlichen76 Konkubinat. Bis heute ist in der Kanonistik die Frage umstritten, wie im Zusammenhang mit diesem Hindernis die Zivilehe Formpflichtiger zu bewerten ist, d.h. ob sie eine ungültige Ehe im Sinne der zitierten Gesetzesstelle darstellt oder nicht. Zur Zeit der Geltung des CIC/1917 77 erging eine Anfrage an die PCI, ob das Hindernis der öffentli74 Gregor von Nazianz über Folgeehe(n) des verwitweten Ehewerbers: "Primum lex est, secundum venia et indulgentia, tertium iniquitas. Qui autem hunc numerum excedit, porcinus plane est, utpote ne multa quidem vitü exempla habens". Griechischer Originaltext und lateinische Übersetzung bei Jacques-Paul Migne, Patrologiae Cursus completus. Series graeca (PG) 36, 291. Vgl. dazu Joseph Zhishman, Das Eherecht der Orientalischen Kirche. Wien 1864,401-417. 75 Vgl. Bruno Primetshofer, Die interkonfessionelle Geltung des kanonischen Rechts. FS für Peter Leisching zum 60. Geburtstag, in: ÖAKR 41 (1992) 206 f. 76 Zur Begrifflichkeit des öffentlichen bzw. offenkundigen (notorischen) Konkubinats vgl. Klaus Lüdicke, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici. RdZ 2 zu c. 1093. 77 Nach c. 1078 CIC/1917 entstand das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit aus der vollzogenen oder nichtvollzogenen ungültigen Ehe (matrimonium invalid um) und dem öffentlichen oder offenkundigen (notorischen) Konkubinat.

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chen Ehrbarkeit aus der Zivilehe als solcher, unabhängig vom Zusammenleben der Partner entstehe. Die Kommission hat diese Frage verneint18 , wodurch es - wie schon KöstIer richtig bemerkt hatte - nunmehr zu einem dritten Tatbestand hinsichtlich des genannten Hindernisses gekommen war: Neben die beiden in c. 1078 CIC/1917 angeführten trat aufgrund der Entscheidung der PCI ein dritter, nämlich die Zivilehe mit nachfolgendem Zusammenleben79. Auch für das gegenwärtige lateinische Eherecht stellt sich die Frage, ob aus der Zivilehe Formpflichtiger als solcher schon das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit entsteht. In der Lehre werden verschiedene Antworten gegeben. Auf der einen Seite wird die Zivilehe schlechterdings unter den Tatbestand der "ungültigen Ehe" eingereiht, woraus sich ergeben würde, daß, sofern das gemeinsame Leben aufgenommen wurde, das Hindernis entsteht80 . Auf der anderen Seite wird die Zivilehe als Tatbestand für das Hindernis in Abrede gestellt und zwar entweder mit der Begründung, daß Rechtszweifel gemäß c. 14 vorliege und somit kein Hindernis anzunehmen sei 81 , oder daß eine echte Gesetzeslücke bestehe82 . C. 810 CCEO nennt drei Tatbestände für das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit. Die beiden ersten, nämlich die ungültige Ehe nach Aufnahme des gemeinsamen Lebens und das öffentliche oder notorische Konkubinat (c. 810 § 1 , 1 und 2). Der dritte ist neu hinzugekommen. Das Hindernis entsteht somit auch aus der Aufnahme der Lebensgemeinschaft seitens jener Ehewerber , die, obwohl zur Einhaltung der kanonischen Form verpflichtet, eine Eheschließung vor dem Standesbeamten oder dem akatholischen Religionsdiener "versucht" haben (matrimonium attentaverunt; c. 810 § 1,3).

78 PCI 12.3. 1929, in: AAS 21 (1929) 170. 79 Rudolf Köstler, Zivilehe und katholisches Kirchenrecht, in: ÖAKR 1 (1950) 10. - Demgegenüber ist Fornes für das Recht des CIC/1917 wie auch für das des CIC/1983 der Meinung, die Zivilehe (Formpflichtiger) verbunden mit der "cohabitatio" lasse das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit schon deswegen entstehen, weil damit der Tatbestand des offenkundigen oder öffentlichen Konkubinats gegeben sei. Juan Fornes, Derecho matrimonial canonico. Fuenlabrada (Madrid), 1990, 88. 80 Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht. Freiburg/Br. 71988, 123 f. 81 Hans HeimerllHebnuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht. Wien/New York 1983, 208. 82 Klaus Lüdicke, Eherecht. Essen 1983, 78; Reinhold Sebott, Das neue kirchliche Eherecht. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1990, 119; Vgl. Bruno Primetshofer, Die kanonistische Bewertung der Zivilehe, in: AkKR 155 (1986) 410-413.

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Diese Aussage des CCEO löst einen bisher für den Bereich des lateinischen Rechts bestehenden Rechtszweifel: Zivilehe mit nachfolgender Lebensgemeinschaft ist ein weiterer Tatbestand des Hindernisses der öffentlichen Ehrbarkeit, der nicht mit dem in c. 810 § 1, 1 genannten (ungültige Ehe mit nachfolgendem Gemeinschaftsleben) identisch ist. Daraus ergibt sich aber ein weiteres: Die Zivilehe Formpflichtiger kann nicht einfachhin als eine wegen Formmangels "ungültige Ehe" angesehen werden, sondern es ist hinsichtlich der Ungültigkeit zu unterscheiden, ob im Zusammenhang mit der kirchlichen Eheschließung ein Formfehler unterlaufen ist (etwa fehlende Delegation), oder ob seitens formpflichtiger Ehewerber diese kirchliche Eheschließungsform aberhaupt unterlassen wurde83 . An diese Unterscheidung knüpfen sich auch weitreichende verfahrensrechtliche Konsequenzen, wenn es um die Feststellung der "Nichtigkeit" solcher Ehen geht84 . Abschließend sei folgende Überlegung gestattet: Es kann innerhalb der kurzen Zeit nach der Promulgation des CCEO selbstverständlich noch keine Prognose gewagt werden, wie sich diese Kodifikation auf die Normadressaten, nämlich die katholischen Ostkirchen (c. 1 CCEO) auswirken wird. Ebensowenig lassen sich "Fernwirkungen" in Richtung auf die Ökumene prognostizieren. Bedenken, ob eine Kodifikation überhaupt von Vorteil sein würde, waren sowohl vor als auch während der Arbeiten am CCEO wiederholt geäußert worden. Eines aber kann mit Sicherheit gesagt werden, daß dem CCEO gegenüber dem CIC/1983 wie auch dem CIC/1917 ein erheblich größeres Maß an Großzügigkeit, Fingerspitzengefühl und Ausgewogenheit eignet85 . Vielleicht läßt sich, abgesehen von jenen Bereichen, in denen der 83 Edward J. Villon, Administrative Process in Canonical Fonn Cases: Jurist 43 (1983), 236 unterscheidet zwischen "lack of fonn" und "defect of fonn". Ersteres ist das völlige Außerachtlassen der kanonischen Eheschließungsfonn seitens fonnpflichtiger Ehewerber , letzteres liegt dann vor, wenn bei Gelegenheit des kirchlichen Eheabschlusses ein Fonnfehler (etwa Fehlen der erforderlichen Delegation) unterlaufen ist. 84 Das in den cc. 1668-1688 CICI1983 vorgesehene summarische Verfahren (sog. prozessuale Kurzfonn) findet, was den "defectus legitimae fonnae" (c. 1668) anlangt, dann Anwendung, wenn bei der kirchlichen Eheschließung Fonnpflichtiger ein Fonnfehler vorliegt ("defect of fonn"); das in EPO 231 vorgesehene Verwaltungsverfahren vor dem Generalvikar oder ggf. Pfarrer hingegen ist anzuwenden, wenn Fonnpflichtige die kanonische Eheschließungsfonn überhaupt außer acht gelassen, d.h. eine Zivilehe eingegangen haben ("lack of fonn"). Vgl. Villon, ebd.; Heinrich Flatten, Die Eheverfahren, in: HdbKathKR, 993. Zur Frage der Feststellung des "status liber" bei einer Zivilehe Fonnpflichtiger vgl. die Entscheidung der PCI 11. 7. 1984, in: AAS 76 (1984) 746; AkKR 153 (1984) 453. 85 Im Verlauf der Arbeiten der Kommission für die Redaktion des CCEO hat einer der Konsultoren (Souarn) einen Vergleich zwischen der lateinischen Kodifikaton und

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CCEO für die "Ecclesia universa" geltendes Recht schafft, -für alle, die gesatztes (und ungesatztes) Recht in den verschiedenen "Ecclesiae sui iuris" anzuwenden haben, einiges an "Umgangsformen" für eine dem Menschen in seinen verschiedenen Lebensbereichen angepaßte Handhabung des Rechts gewinnen.

der (geplanten) orientalischen angestellt. Er stellt die "rigidite latine" in Gegensatz zur "elasticite orientale": Nuntia 26 (1988) 52. - Wenn auch die generalisierende Aussage über die "rigidite" des Lateinischen Kirchenrechts noch Anlaß zur Differenzierung bieten kann bzw. muß, die behauptete Elastizität der orientalischen KodifIkation stellt jedenfalls einen wohltuenden cantus fIrmus im vielstimmigen Konzert kirchlicher Rechtsnormen dar.

Die Ernennung von Bischöfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz 1. Vorbemerkungen

a) Rechtsgrundlage für die zur Untersuchung stehende Frage ist in allen drei Ländern sowohl das universale wie auch das partikulare Kirchenrecht, wobei allerdings das Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtsbereichen erhebliche Unterschiede aufweist. Während auf der einen Seite das universale Recht des CIC/1983 und der diesbezüglichen allgemeinen AusführungsgesetzeI nur in unerheblichem Maße durch das partikulare Recht modifiziert wird, ist auf der anderen Seite dieses Partikularrecht der geradezu dominierende Faktor. Auf diese Weise wird das universale Recht des Codex, das als allgemeine Regel die freie Ernennung von Bischöfen durch den Papst vorsieht (vgl. c. 377 § 1), durch ein Wahlsystem mit nachfolgender päpstlicher Bestätigung ersetzt. b) Das Partikularrecht, von dem hier gesprochen wird, hat seine Quelle, soweit ich sehe, ausschließlich in Konkordaten2 , die von seiten des Hl. Stuh-

I Schreiben des Päpstlichen Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche vom 25.3. 1972; AAS 64/1972, 386-39l. 2 Man könnte allerdings die Frage aufwerfen, ob Konkordatsrecht wirklich als Partikularrecht zu bezeichnen ist. Es ist jedenfalls Partikularrecht eigener Prägung, da es nämlich vom universalen kirchlichen Gesetzgeber, nämlich dem Papst stammt. Außerdem wird es in den AAS veröffentlicht, die gemäß c. 8 § 1 als Publikationsorgan für "leges universales" bestimmt sind. Somit ließe sich durchaus die Meinung vertreten, Konkordate seien in ihrer Eigenschaft als kirchliche Gesetze nicht partikuläre, sondern universale Kirchengesetze, allerdings mit eingeschränktem territoriellem Geltungsbereich. Als reines Partikularrecht könnte man hingegen die sogenannten Bischofskonkordate bezeichnen, d. h. die von Bischöfen als partikularen Gesetzgebern stammenden Vereinbarungen mit einem Staat bzw. einem Bundesland. Vgl. H. Schnizer, Bischofskonkordate im österreichisch-süddeutschen Raum, in: L. Carlen/F. Steinegger (Hrsg.), Festschrift für N. Grass zum 60. Geburtstag. Innsbruck/München 1974, I, 325-348. - Bischofskonkordate sind aber im Gegensatz zu den vom Hl. Stuhl abgeschlossenen keine völkerrechtlichen Verträge. Vgl. H. Socha, MüK, RdZ. 6, zu c.3.

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les und den verschiedenen staatlichen Autoritäten geschlossen wurden3 . Konkordate werden der herrschenden Lehre zufolge als echte völkerrechtliche Verträge qualifiziert4 . Der territorielle Geltungsbereich dieser Konkordate ist aus der Sicht des staatlichen Rechts abhängig von der verfassungsrechtlichen Kompetenzaufteilung des betreffenden Staates, ob nämlich nur der Gesamtstaat die Kompetenz zum Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen besitztS oder ob auch die einzelnen Bundesländer (Kantone) zum Abschluß solcher Verträge ermächtigt sind. Das hier angesprochene Konkordatsrecht findet sich in Konkordaten, die entweder mit dem Gesamtstaat (z.B. Deutsches Reichskonkordat, Österreichisches Konkordat) oder mit Teilen desselben (z.B. Bayerisches Konkordat, Badisches Konkordat, Preußisches Konkordat6 oder mit einzelnen Schweizer Kantonen) abgeschlossen wurden. Diese Konkordate stammen aus verschiedenen historischen Epochen und sind ein Spiegelbild verschiedener politischer Ideen. Das Österreichische Konkordat wie das Deutsche Reichskonkordat und die verschiedenen deutschen Länderkonkordate stammen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die, wie Stutz treffend bemerkt hat, durch eine sogenannte "Konkordatsflut" gekennzeichnet war. Die Grundtendenz dieser Nachkriegskonkordate bestand darin, in den durch den Zerfall der alten europäischen Monarchien neu entstandenen Staaten die Positionen des CIC/1917 mit Hilfe von Einzelkonkordaten zu festigen 7 . Von diesen Konkordaten hat Stutz gesagt: Auch in ihnen und durch sie marschiert der Codex 8 .

3 Vgl. C. Corral, Concordato, in: C. Corral SalvadorlV. de Paolis/G. Ghirlanda, Nuovo Dizionario di diritto canonico, Milano 1993,238-247. 4 Bisweilen wird allerdings auch von einem quasi-völkerrechtlichen Charakter der Konkordate gesprochen. Dies aufgrund der Tatsache, daß die völkerrechtliche Stellung des Hl. Stuhles gegenüber sonstigen Völkerrechtssubjekten eine Ausnahme darstellt. A. Hollerbach, Konkordat, in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 7m (1987) 623. 5 Wie etwa in Österreich aufgrund von Art. 10, Abs. 2, 3 des Österreichischen BVG. 6 J. Listl (Hrsg.), Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, 2 Bände. 7 Vgl. R. Astorri, Le leggi della Chiesa tra codificazione latina e diritti particolari, Padova 1992. 8 Auch mit Hilfe dieser Konkordate sollte ein, wie Caron bemerkt hat, "giurisdizionalismo confessionale" geschaffen werden. P. G. Caron, Corso di storia dei rapporti fra Stato e Chiesa, 11: Dal Concilio di Trento ai nostri giomi. Milano 1985,259.

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Gegenüber diesen aus den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts stammenden Konkordaten mit mehr oder minder uniformistischen Ideen gibt es andere Konkordate mit erheblich anderem Inhalt. Es handelt sich um die Vereinbarungen zugunsten der Schweizer Diözesen St. Gallen und Basel, deren Domkapiteln, wie noch zu zeigen sein wird, das übliche Maß weit übersteigende Befugnisse zukommen. c) Die Ernennung von Bischöfen wird, soweit sie von Konkordatsrecht geregelt wird, auch Gegenstand des staatlichen Rechts (Staatskirchenrechts) der einzelnen Länder, wobei einige Punkte dieses Konkordatsrechts von besonderem Interesse für den Staat sind bzw. waren. Es handelt sich dabei um den nach einigen Konkordaten von den neu ernannten Bischöfen zu leistenden TreueitP und die sogenannte politische Klausel, aufgrund derer der Hl. Stuhl vor der Ernennung eines Diözesanbischofs oder eines Bischofskoadjutors den Namen des in Aussicht Genommenen der Regierung mitzuteilen hat, um zu erfahren, ob diese Gründe allgemein politischer Natur gegen die Ernennung geltend zu machen hat lO (sog. privilegium praenotificationis officiosae). 9 U. M. Dahl-Keller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige staatskirchenrechtliche Lage. Berlin 1994. 10 In jüngster Zeit wurden Einwendungen gegen die Opportunität dieser politischen Klausel erhoben. Sie widerspreche dem Tenor des Konzilsdekrets "Christus Dominus" (Nr. 20 b), das vollkommene Freiheit der Kirche bei der Besetzung von Bischofssitzen gefordert habe. Vgl. G. Feliciani, Autonomia istituzionale della Chiesa (Manuskript eines beim Neunten Internationalen Kongreß für Kanonisches Recht gehaltenen Vortrags in Mexico City, 1995). - Demgegenüber bemerkt allerdings D'Onorio, daß sich kein Widerspruch zwischen den Aussagen des Konzilsdekrets und der politischen Klausel feststellen lasse: J. B. D'Onorio La nomination des eveques. Procroures canoniques et conventions diplomatiques. Paris 1986, 50: "Le Concile Vatican 11 n'a vu aucun inconvenient a la survivance de ce droit." Metz berichtet von nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil einsetzenden Bemühungen des Hl. Stuhles, die politische Klausel in eine einfache Mitteilung an die staatliche Regierung von der bereits eifolgten Ernennung eines (Erz)bischofs umzuwandeln. R. Metz, Innovations et anachronismes au sujet de la nomination des eveques dans de recentes conventions pas sees entre le Saint-Siege et divers Etats (1973-1984), in: StudCan 20/1986, 197218. Auch Müller sieht zwischen der praenotificatio officiosa und den Forderungen des Dekrets "Christus Dominus" keinen Gegensatz. H. Müller, Bischof, in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 71 (1985) 815. Angesichts der gegebenenfalls auch sehr starken Auswirkungen einer Bischofsernennung auf das Beziehungsgefüge von Kirche und Staat ist die Beibehaltung der politischen Klausel jedenfalls als nützlich zu bezeichnen. Nr. 20 b des Konzilsdekrets spricht von auf Verträgen oder Gewohnheit beruhenden Rechten und Privilegien staatlicher Autoritäten, Bischöfe zu wählen, ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen. Die staatlichen Obrigkeiten werden eingeladen, auf derartige Rechte freiwillig zu verzichten. - Das im Konzilsdekret Angesprochene hat aber mit der politischen Klausel nichts zu tun. 29 Primetshofer

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d) Die im folgenden einzuschlagende Methode besteht darin, zunächst die geltende Rechtslage in den einzelnen zur Behandlung stehenden Ländern darzulegen. Daran anschließend kommen einige historische Details zur Behandlung, soweit diese zum Verständnis der gegenwärtigen Rechtslage beitragen.

2. Österreich a) Die Ernennung der Bischöfe der neun Diözesen, die sich auf die beiden Kirchenprovinzen (Salzburg und Wien) verteilen, sowie des Militärbischofs ll geschieht nach Maßgabe des universalen Rechts des CIC/1983 und der diesbezüglichen Ausfiihrungsdekrete sowie gemäß dem österreichischen Konkordatsrecht. Zufolge Art. IV § 1 dieses Konkordats erfolgt die Auswahl der Erzbischöfe und Bischöfe durch den HI. Stuhl 12. Der Konkordatstext spricht selbstverständlich noch nicht vom Militärbischof sondern vom Militärvikar, dessen Ernennung durch den HI. Stuhl zu erfolgen hat, "nachdem dieser sich bei der Bundesregierung in vertraulicher Form unterrichtet hat, ob gegen die in Aussicht genommene Persönlichkeit allgemein politische Bedenken vorliegen. "13

11 Die österreichische Militärdiözese wurde 1986 errichtet; an ihrer Spitze steht ein eigener Militärordinarius (Bischof), der nicht auch zugleich residierender Diözesanbischof ist. In diesem Punkt unterscheidet sich die österreichische Situation von der bundesdeutschen, derzufolge der Militärbischof ein residierender Diözesanbischof zu sein hat. Vgl. Art. 2 Päpstliche Statuten für den Jurisdiktionsbereich des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr, 23. 11. 1989, in: Verordnungsblatt des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr 16 (1990) 3. 12 In diesem Artikel ist auch von der Ernennung eines "Praelatus Nullius" die Rede. Eine "Praelatura Nullius" hat es in Österreich allerdings nie gegeben. Sie war vorgesehen für die (gegenwärtige) Diözese Eisenstadt, deren Gebiet nach dem Ersten Weltkrieg durch den Friedensvertrag von Trianon von den ungarischen Diözesen Györ (Raab) und Szombately (Steinamanger), d. h. vom Königreich Ungarn abgetrennt und Österreich zugesprochen wurde. Das neu entstandene Bundesland "Burgenland" wurde seitens des Hl. Stuhles zunächst zu einer Apostolischen Administratur erhoben. In Art. III § 2 des Konkordats vereinbarten die vertragschließenden Parteien, die Apostolische Administratur zur PraeJatura Nullius zu erheben. Wie bereits erwähnt, ist es aber dazu niemals gekommen, sondern das Burgenland wurde durch eine Konkordatsnovelle vom 23. 6. 1960 zur Diözese Eisenstadt (BGBI 160/1960). 13 Österreichisches Konkordat Art. VIII § 1. Vgl. U. Tammler, "Spirituali militum curae". - Entstehung, Inhalt, Bedeutung und Auswirkung der Apostolischen Konstitution vom 21. 4. 1986 über die Militärseelsorge, in: AkKR 155 (1986) 49-71.

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In bezug auf die Bestellung des Militärvikars gibt es einige interessante Besonderheiten. Seine Ernennung unterliegt ebenfalls der politischen Klausel, wie sie auch für die Residentialbischöfe vorgesehen ist. Bezüglich letzterer wird im ZusProt (zu Art. IV § 2) ausdrücklich auf den Fall Bezug genommen, daß die Bundesregierung solche Einwendungen vorbringen sollte. Hierauf sei der Versuch zu unternehmen, zu einem Einvernehmen zwischen dem Hl. Stuhl und der Bundesregierung analog zu den Bestimmungen des Art. XXII Abs. 2 zu gelangen 14. Wenn ein solcher Versuch keinen Erfolg zeitige, sei der Hl. Stuhl bezüglich der Durchführung der Besetzung des Bischofssitzes frei. Dasselbe habe zu gelten bei der Ernennung eines Koadjutors mit dem Recht der Nachfolge l5 . Eine Bezugnahme auf die erwähnte Vorgangsweise, d. h. der Einigungsversuch und, nach Scheitern desselben, die Nichtbeachtlichkeit vorgebrachter Einwendungen fehlt beim Militärvikar. Dessen Bestellung unterliegt einer anderen Vorgangsweise, als für Residentialbischöfe und Bischofkoadjutoren vorgesehen ist. Im Konkordat stimmt der Hl. Stuhl zu, daß die Bundesregierung "dem Hl. Stuhl ... in vertraulicher Form auf diplomatischem Wege die eine oder andere hiezu geeignet erscheinende Persönlichkeit unverbindlich bekannt gibt" 16. Das Amt des Militärvikars war bis zur Bestellung eines eigenen Militärbischofs l7 immer mit dem Amt eines Residentialbischofs verbunden, d. h. einer der regierenden Diözesanbischöfe bekleidete zugleich das Amt des Militärvikars. Gegenwärtig besteht ein eigener Militärbischof als Personalordinarius, der nicht zur gleichen Zeit auch Residentialbischof (Ortsordinarius) ist. 14 Art. XXII Abs. 2: "Sollte sich in Zukunft irgendeine Schwierigkeit bezüglich der Auslegung der vorstehenden Artikel ergeben oder die Regelung einer in diesem Konkordate nicht behandelten, kirchliche Personen oder Dinge betreffenden Frage, die auch den staatlichen Bereich berührt, notwendig werden, so werden der Hl. Stuhl und die Bundesregierung im gemeinsamen Einverständnis eine freundschaftliche Lösung herbeiführen, bzw. eine einvernehmliche Regelung treffen". 15 Heutige Bezeichnung: Bischofskoadjutor (c. 403 § 3). 16 ZusProt zu Art. VIII § 1. Das besondere Interesse des Staates an der Bestellung des Militärvikars (Militärbischofs) ist in Österreich nicht dadurch bedingt, daß der Militärbischof, wie in anderen Ländern, den Rang eines höheren Offiziers bekleidet. Der Militärbischof selbst ist nach österreichischem Recht nicht in die militärische Hierarchie eingegliedert. Vgl. dazu R. Metz, L'intervention du pouvoir civil dans la nomination des eveques, des vicaires apostoliques et des vicaires aux armees, d'apres les conventions signees au cours des annees 1955 a 1965, in: RDC 16 (1966) 219250. 17 Apostolische Konstitution "Spirituali Militum curae" 21. 4. 1986, in: AAS 78 (1986) 481 ff.

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Die im kanonischen Recht vorgenommene Änderung von Militärvikar zum Militärbischof hat keine Auswirkungen auf die im ZusProt zu Art. VIII des Konkordats vorgesehenen Bestellungsmodalitäten, denenzufolge die Bundesregierung dem Hl. Stuhl einige geeignet erscheinende Kandidaten bekanntgibt. b) Bezüglich der Ernennung von residierenden (Erz)bischöfen, des Militärbischofs und des "Praelaten Nullius" ebenso wie für den Militärvikar legt das Österreichische Konkordat das sogenannte relative Listenveifahren fest. Dieses besteht in einer von seiten der einzelnen Diözesanbischöfe vorzulegenden Liste von für einen bestimmten Bischofssitz geeigneten Kandidaten im Falle der Vakanz desselben l8 . Hinsichtlich dieser ausdrücklichen Bezugnahme auf den Fall der Sedisvakanz unterscheidet sich das relative Listenverfahren vom sogenannten absoluten, wie es im c. 377 § 2 und den Normen des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche 19 vorgesehen ist. Das Österreichische Konkordat betont ausdrücklich, daß der Hl. Stuhl an die von den Bischöfen vorgelegten Listen nicht gebunden ist20 . In Österreich besteht auch eine Teilkirche iSv c. 368, die nicht im Konkordat erwähnt wird. Es handelt sich um die Territorialabtei Wettingen-Mehrerau (Vorarlberg), deren Abt auch Ortsordinarius ist. Als solcher ist er, obwohl Nichtbischof, auch Mitglied der Österreichischen Bischofskonferenz21 . Die Bestellung des Territorialabtes vollzieht sich nach den Regeln des Ordensrechts, d. h. auf der Grundlage des universalen Rechts des CIC/1983 und dem Eigenrecht der Zisterzienser22 . c) Die Geschichte der österreichischen Bischofsernennungen ist durch eine Vielfalt von Formen gekennzeichnet, die sich nicht nur in bezug auf ihren Inhalt, sondern auch in bezug auf den Rechtstitel voneinander unterscheiden. In erster Linie ist hier die besonders privilegierte Rechtsstellung des Erzbischofs von Salzburg zu erwähnen, die aus dem Hochmittelalter stammt und bis ins 18 Art. IV § 1 Abs. 2 des Konkordats.

19 AAS 64 (1972) 386 ff.

20 Art. IV § 1, Abs. 2 des Konkordats; ZusProt zu Art. VIII § 1.

21 Vgl. Art. 3 des Statuts der Österreichischen Bischofskonferenz: "Mitglieder der Österreichischen Bischofskonferenz sind alle Ortsoberhirten eines jeden Ritus mit Ausnahme der Generalvikare ... ". R. Astorri, Gli Statuti delle Conferenze Episcopali in Europa, Padova 1987,59-64. 22 Bezüglich der geschichtlichen Entwicklung vgl. C. Spahr, Wettingen-Mehrerau, in: EncCatt XII, Citta dei Vaticano 1954, 1676 f.

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20. Jahrhundert, wenngleich in abgeschwächter Form, in Geltung blieb. Der Salzburger Erzbischof hatte einst das Recht der freien, d. h. an keine päpstliche Bestätigung gebundenen Besetzung der vier von Salzburg aus gegründeten Bistümer23 . Angeblich soll Papst Pius IX. unter Anspielung auf diese Privilegien des Salzburger Erzbischofs diesen einmal scherzhaft als "Mezzopapa " bezeichnet haben. Im Verlauf der Jahrhunderte haben die Privilegien des Salzburger Erzbischofs verschiedene Änderungen erfahren. In erster Linie sind der Verlust seiner Stellung als weltlicher Reichsfürst (1803), aber auch verschiedene Einschränkungen seiner geistlichen Jurisdiktion zu erwähnen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die einstmals weit ausgedehnte Kirchenprovinz Salzburg auf die beiden alten Suffragandiözesen Gurk (heute Gurk-KJagenfurt) und Seckau (heute Graz-Seckau) und die (damalige) Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch24 beschränkt. Gegenwärtig besteht die Salzburger Kirchenprovinz neben den beiden bereits genannten Diözesen Gurk-Klagenfurt und Graz-Seckau noch aus den Diözesen Innsbruck und Feldkirch25 . Das zunächst an keine päpstliche Bestätigung gebundene freie Ernennungsrecht des Salzburger Erzbischofs in bezug auf die alten Suffragandiözesen wurde im Laufe der Zeit zu einem Nominationsrecht mit nachfolgender päpstlicher Bestätigung abgeschwächt. In dieser Form blieb es bis zum Konkordat 1934 erhalten26 . Das Konkordat legt nach Maßgabe des CIC/1917 für alle österreichischen Diözesen, mit Ausnahme der Salzburger Erzdiözese, das freie Ernennungsrecht zugunsten des Papstes fest. Für die Salzburger Erzdiözese bestimmt das Konkordat, daß das Metropolitankapitel aus einem päpstlichen Dreiervorschlag (Temavorschlag) in "freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof zu wählen hat"27. Ansonsten ist nichts von der ehemals privilegierten Stellung des Salzburger Erzbischofs geblieben. 23 Von Salzburg aus wurden errichtet Gurk (1072), Chiemsee (1216), Seckau (1218) und Lavant (1226). Vgl. H. Dopsch, Salzburg, in: Lexikon des Mittelalters, VII, 1332 f. - Diese Diözesen wurden aufgrund des Eigenkirchenrechts gegründet; die vier Diözesen wurden daher auch Eigendiözesen, Eigenbistümer von Salzburg genannt. 24 B. Wechner, Die Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch in: ÖAKR 3 (1952) 69-85. 25 Durch ein Zusatzkonkordat vom 7. 7. 1964 (BGBI 227/1964) wurde zunächst die Diözese Innsbruck-Feldkirch gegründet; durch ein weiteres Zusatzkonkordat vom 9.10.1968 (BGBI417/1968) wurde Feldkirch zu einer eigenen Diözese erhoben. 26 Vgl. C. Holböck, Das Salzburger Privileg der freien Verleihung der Suffraganbistümer. Festschrift Hans Lentze, hrsg. von N. GrassfW. Ogris, InnsbrucklMünchen 1969,325-338.

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d) Die Ernennung von Bischöfen in der ÖSlerreichisch-Ungarischen Monarchie ist durch ausgedehnte Rechte des Monarchen gekennzeichnet. Diese Rechte wurden seit dem Mittelalter ausgeübt und haben im Konkordat von 185528 erneut eine rechtliche Festlegung erhalten. Kraft dieses Konkordats besaß der Kaiser das Recht, dem Hl. Stuhl einen Kandidaten für einen vakanten Bischofssitz vorzuschlagen. Dieses Nominationsrecht war an die Verpflichtung geknüpft, sich vor der Erstellung eines Vorschlags in erster Linie mit den Bischöfen der betreffenden Kirchenprovinz zu beraten29 . Der das Nominationsrecht des Kaisers enthaltende Artikel XIX des Konkordats von 1855 beruft sich auf ein früher gewährtes apostolisches Privileg, das, wie es ausdrücklich heißt, von den Vorgängen des derzeitigen Kaisers auf diesen übergegangen ("devolutum") sei30 . Dieser Hinweis auf ein bereits früher gewährtes Privileg, das im Konkordat nur erneut bestätigt wurde, diente später für eine juristisch nicht uninteressante Lösung. Bekanntlich hat Österreich in den auf den Konkordatsabschluß folgenden Jahren bzw. Jahrzehnten die Vertragstreue nicht eingehalten. Das Konkordat wurde schrittweise durch gegenteilige staatliche Gesetzgebung durchlöchert und schließlich durch das Katholikengesetz vom 7. 5. 1874 innerstaatlich völlig außerkraft gesetzt31 . Die (staatliche) Totalaufhebung des Konkordats hätte an sich auch ein Erlöschen des dem Kaiser zustehenden Nominationsrechts mit sich bringen müssen. Die Kaiser32 fuhren aber fort, das Nominationsrecht auszuüben, wobei

27 Art. IV § 1 Abs. 3. 28 A. Mercati, Raccolta di Concordati, Roma 1919, I, 821-844. 29 Art. XIX des Konkordats von 1855: "Majestas Sua Caesarea in seligendis episcopis ... imposterum quoque Antistiturn imprimis comprovincialium consilio utetur". Mercati, I, 825. 30 " ... in seligendis episcopis, quos vigore privilegii Apostolici a Serenissimis antecessoribus suis ad ipsam devoluti ... ". Mercati, I, 825. 31 Art. I des Gesetzes vom 7. Mai 1874 (RGBI50/1874): "Das Patent vom 5. November 1855 (RGBI Nr. 195) ist seinem vollen Inhalte nach aufgehoben". - Das Katholikengesetz bezieht sich in diesem Artikel auf das kaiserliche Patent vom 5. 1l. 1855, wodurch das Konkordat als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich in Geltung gesetzt worden war. Zuvor war das Konkordat durch eine Depesche vom 30. 7. 1870 als völkerrechtlicher Vertrag gekündigt worden. Vgl. E. Misch/er/J. Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch, Wien 21907, III, 27. 32 Es handelt sich um Franz losef I. (Regierungszeit 1848-1916) und Karl I. (Regierungszeit 1916-1918).

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sie sich darauf beriefen, daß das bereits vor Konkordatsabschluß bestehende apostolische Privileg durch die Kündigung des Konkordats nicht außerkraft gesetzt worden sei33 . Der Hl. Stuhl hat die einseitige Kündigung des Konkordats durch Österreich sowieso nicht zur Kenntnis genommen und betrachtete erst den Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1918) als Endigungsgrund des Konkordats34 und des darin enthaltenen Nominationsrechts zugunsten des Kaisers. Das kaiserliche Nominationsrecht galt nicht für alle Diözesen der Monarchie, sondern war mit anderen Systemen vermischt, z.B. mit dem eines Wahlrechts zugunsten von Domkapiteln, wie etwa in Salzburg und Olmütz. Hinsichtlich der Diözese Gurk galt seit dem 15. Jahrhundert ein Mischsystem, d. h. die Besetzung des Bischofssitzes erfolgte alternierend entweder durch kaiserliches Nominationsrecht bzw. durch ein Nominationsrecht zugunsten des Erzbischofs von Salzburg35 • Ein freies Ernennungsrecht seitens des Papstes, das nunmehr aufgrund der Codices von 1917 und 1983 den weitaus überwiegenden Regelfall darstellt, ist im Bereich der Österreichisch-Ungarischen Monarchie fast nicht anzutreffen. Das nunmehrige kodikarische Recht hat in Österreich (wie auch in anderen Ländern) das Wahlrecht zugunsten kirchlicher Institutionen (Domkapitel) auf das Maß einer "quantite negligeable" reduziert, wobei (wie noch zu zeigen sein wird) zwischen einem freien und einem auf einem päpstlichen Ternavorschlag eingeschränkten Wahlrecht (der Domkapitel) zu unterscheiden ist. Das Nominationsrecht für Staatsoberhäupter ist, von einigen ganz seltenen Fällen abgesehen36 , vollständig außerkraft getreten37 . 33 W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Wien 21970, III, 473. - Plöchl weist darauf hin, daß die Kaiser Franz Josef l. und Karl l. das Nominationsrecht "mit größter Zurückhaltung" ausübten und daß "die Bischöfe der Donaumonarchie aus dieser Zeit in weitaus überwiegendem Maße hervorragende Persönlichkeiten waren, die die Rechte der Kirche gegenüber dem Staat verteidigten ... ". 34 Vgl. Ansprache Papst Benedikts XV. im geheimen Konsistorium vom 21. 11. 1921, in: AAS 13 (1921) 521-524. Gleichzeitig ermunterte der Papst die österreichischen Nachfolgestaaten zum Abschluß von neuen Konkordaten. 35 Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, III, 372 f. J. PIoner, Gurk, in: LThK 2IV, 1279-1281. 36 Ungeachtet der dringenden Einladung des Konzilsdekrets "Christus Dominus" (Nr. 20 b), daß staatliche Autoritäten auf ihre alten Vorrechte in bezug auf die Besetzung von Bischofssitzen verzichten mögen, gibt es immer noch einige solcher Rechte, die iSv Regula iuris 28 "a iure communi exorbitant". So ernennt der französische Staatspräsident die Bischöfe von Straßburg und Metz, und auch in Portugal gibt es ein

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3. Deutschland a) Im Unterschied zu Österreich, das nur ein einziges Konkordat für das gesamte Bundesgebiet kennt, bestehen in Deutschland mehrere Konkordate, d. h. nicht nur das für Gesamtdeutschland geltende Reichskonkordat, sondern auch die verschiedenen Länderkonkordate. Dies hängt mit der gegenüber Österreich wesentlich föderalistischer ausgerichteten Verfassungsform zusammen, die den Ländern die Kultushoheit zuteilt und auch die Möglichkeit einräumt, völkerrechtliche Verträge abzuschließen38 . Die Frage der Ernennung von Bischöfen wird in den verschiedenen deutschen Konkordaten ähnlich, aber nicht völlig identisch behandelt. b) Das Deutsche Reichskonkordat vom 20. 7. 1933 39 enthält keine Spezialnorm hinsichtlich der Ernennung von Bischöfen, sondern weist ausdrücklich auf die diesbezüglichen Aussagen der Konkordate mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) hin40 . Es sind demnach die Länderkonkordate, die sich ausdrücklich mit der anstehenden Frage beschäftigen. Das Preußische Konkordat41 handelt zunächst von den Kandidatenlisten, die im Falle einer eingetretenen Sedisvakanz eines (erz)bischöflichen Stuhles vorzulegen sind. Gemäß Art. 6 Abs. 1 reichen in diesem Falle "sowohl das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und -bischöfe Preußens dem Hl. Stuhle Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten ein. "

staatliches Nominationsrecht in bezug auf einige Diözesen. V gl. R. Metz, Le president de la Republique franc;aise dernier et unique chef d'Etat au monde qui nomme encore des eveques. Paris 1969, 154. R. Minnerath, L'Eglise et les Etats concordataires (1846-1981), Paris 1983,313. 37 Vgl. c. 377. Wie Mörsdorf richtig bemerkt hat, richtet sich die Aussage von § 5 des zitierten Canons (vgl. dazu Nr. 20 des Konzilsdekrets "Christus Dominus") unter dem Vorwand, staatliche Einflußnahmen auf die Bischofsbestellung zurückzuweisen, in Wirklichkeit gegen ein diesbezügliches Mitwirkungsrecht seitens der Ortskirche. Denn das im zitierten Canon in erster Linie erwähnte Wahlrecht gab es niemals zugunsten staatlicher Einrichtungen. Vgl. K. Mörsdorf, Kommentar zum Dekret "Christus Dominus" des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: LThK: Das Zweite Vatikanische Konzil, 11, Freiburg/Basel/Wien 1967, 186, Anm. 12. 38 P. Badura, Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von J. ListUD. Pirson, Berlin 21994, 217. 39 AAS 25 (1933) 389-413. J. Listl, Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1987, I, 27-6l. 40 Art. 14 unter Bezugnahme auf Art. 2 des Reichskonkordats. 41 AAS 21 (1929) 521-543. Listl, Konkordate, 11, 707-758.

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Hervorzuheben ist, daß im Unterschied z.B. zum Österreichischen Konkordat, in dem ausdrücklich vermerkt wird, daß der Hl. Stuhl nicht an die von den Bischöfen vorgelegten Listen gebunden ist42 , das Preußische Konkordat festlegt, daß der Hl. Stuhl "unter Würdigung dieser Listen "43 dem Kapitel drei Personen benennen wird, "aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. "44 Allerdings wird die Bindung des Hl. Stuhles an die vorgelegten Listen durch - soweit sich dies heute noch rekonstruieren läßt - nicht mit dem Vertragspartner abgesprochene Zusätze abgeschwächt. Im offiziellen Promulgationstext in den AAS (21/1929) findet sich bei Art. 6 eine Fußnote in lateinischer Sprache. Dies ist insofern bemerkenswert, als gemäß Art. 14 Abs. 1 nur der italienische und deutsche Text authentisch sind. Der Zusatz hat folgenden Wortlaut: "Apostolica haec Sedes huiusmodi elenchis non adeo tenetur, ut nequeat, postquam eos mature perpenderit, si necessarium aut conveniens duxerit, alium etiam eligere qui sit extra elenchos. "45 Eine mit Datum vom 1. 10. 1929 in Nr. 13 der AAS desselben Jahres versehene Verlautbarung des Hl. Stuhles enthält eine nicht unbedeutende Erweiterung des in der ersten Fußnote angeführten Inhalts. Demzufolge kann der Hl. Stuhl den eingereichten Listen nicht nur einen, sondern mehrere Namen hinzufügen: "In nota ad art. 6 § 1, Sollemnis Conventionis inter Sanctam Sedem et Borussiae Rempublicam, in calce p. 527 huius Commentarii Officialis, verba 'alium etiam eligere qui sit extra elenchos' legenda, seu, si mavis, intellegenda sunt ita: 'alios etiam eligere qui sint extra elenchos' "46. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß sich die Bindung des Hl. Stuhles an die Listen nach Maßgabe des Preußischen Konkordats wesentlich von dem im Bayerischen Konkordat Vereinbarten unterscheidet, demzufolge der vom Hl. Stuhl eingesetzte Bischof auf jeden Fall aus den eingereichten Listen genommen werden muß47. c) Nach dem Badischen Konkordat vom 12. 10. 193248 , das sich, dem Konkordatstext zufolge, nur auf die Besetzung des erzbischöflichen Stuhles 42 Art. IV § 1 des Österreichischen Konkordats. 43 Im italienischen Text "Tenendo presenti queste liste". 44 Art. 6 Abs. 1. - Ausdrücklich wird vermerkt, daß bei der Aufstellung der Kan-

didaten und bei der Wahl die nichtresidierenden Domkapitulare mitwirken; ebd. Abs.2. 45 AAS 21 (1929) 527, Fußnote. 46 AAS 21 (1929) 577. - Diese Mitteilung findet sich unter den "Acta Pii PP. XI" als "Notandum" , trägt aber keine Unterschrift. In den Editionen der Konkordate von Mercati (Raccolta di Concordati) und Listl (Konkordate und Kirchenverträge) fehlen beide Fußnoten. 47 Siehe unten. 48 Listl, Konkordate, I, 135-151.

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von Freiburg/Breisgau bezieht, hat das Kapitel der genannten Erzdiözese im Falle der Sedisvakanz dem Hl. Stuhl eine Liste von kanonisch geeigneten Kandidaten vorzulegen. In Art. 14 des Reichskonkordats wird die für Freiburg vereinbarte Regelung auch auf die beiden Suffragandiözesen von Freiburg, nämlich Mainz und Rottenburg, sowie auf die Diözese Meissen ausgedehnt. In diesen Diözesen findet daher das für Freiburg Vereinbarte ebenfalls Anwendung49 . Demzufolge legen auch in den genannten Diözesen die betreffenden Domkapitel dem Hl. Stuhl eine Liste kanonisch geeigneter Kandidaten vor. Unter Würdigung dieser und der von den betreffenden Bischöfen selbst jährlich einzureichenden Listen benennt der Hl. Stuhl dem Domkapitel drei Kandidaten, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Bischof zu wählen hat. - In bezug auf die Erzdiözese Freiburg heißt es ausdrücklich, daß unter den drei Benannten "mindestens ein Angehöriger der Erzdiözese Freiburg i. Br. sein" wird50 . Die Bindung des Hl. Stuhles an die Listen ist in diesen Fällen somit erheblich stärker als im Preußischen Konkordat. Auf der einen Seite besteht keine die Bindung an die Listen abschwächende Ergänzung wie beim Preußischen Konkordat, auf der anderen Seite muß die dem Kapitel von Freiburg vorzulegende Liste des Hl. Stuhles mindestens einen Kandidaten aus der Erzdiözese Freiburg enthalten51 . d) Art. 14 des Bayerischen Konkordats vom 29. 3. 192452 enthält eine ähnliche Regelung wie sie in den bereits erwähnten Konkordaten mit Preußen und Bayern enthalten sind. Die Auswahl der Erzbischöfe und Bischöfe Bayerns steht "in voller Freiheit" dem Hl. Stuhl zu. "Bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Sitzes wird das beteiligte Kapitel dem Hl. Stuhle unmittelbar eine Liste von Kandidaten unterbreiten, die für das bischöfliche Amt würdig und für die Leitung der erledigten Diözese geeignet sind; unter diesen wie auch unter den von den Bayerischen Bischöfen und Ka49 L. Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter in den Konkordaten Papst Pius' XI. Kanonistische Studien und Texte, Bd. 18 und 19. Bonn 1942; Reprint Amsterdam 1964. 50 Art. III, 1. - Es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die Verpflichtung des Hl. Stuhles, einen Kandidaten aus der Erzdiözese Freiburg in den Temavorschlag aufzunehmen, auch dann besteht, wenn weder das Kapitel noch der Erzbischof von Freiburg einen solchen Kandidaten namhaft gemacht haben sollten. 51 Das ZusProt zu Art. III, 1 enthält eine Interpretation, was unter dem aus der Erzdiözese Freiburg stammenden Kandidaten zu verstehen sei: "Als Angehöriger der Erzdiözese Freiburg gilt auch ein aus der Erzdiözese stammender Geistlicher, der in derselben seine Studien ganz oder teilweise absolviert und wenigstens zeitweise im Dienst der Erzdiözese gestanden hat". 52 Listl, Konkordate, I, 287-302.

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piteln je in ihren entsprechenden Triennallisten Bezeichneten behält sich der Hl. Stuhl freie Auswahl vor. -53 Das Bayerische Konkordat enthält somit auf der einen Seite kein Wahlrecht fiir die Kapitel, den Bischof aus einem päpstlichen Dreiervorschlag zu wählen; auf der anderen Seite aber hat der Hl. Stuhl sich verpflichtet, keinen Bischof zu ernennen, dessen Name auf keiner der ihm vorgelegten Listen aufscheint54 . e) Alle bisher erwähnten Konkordate enthalten die sogenannte politische Klausel, derzufolge sich der kirchliche Vertragspartner verpflichtet hat, vor der Ernennung bzw. - im Falle einer vorausgehenden Wahl - Bestätigung eines Bischofs bei der zuständigen staatlichen Stelle55 anzufragen, ob gegen den in Aussicht genommenen Kandidaten Einwendungen allgemein politischer Natur bestehen56 • Das Badische Konkordat fiigt hinzu, daß unter Einwendungen allgemein politischer Natur solche parteipolitischer Natur nicht inbegriffen seien57 •

In diesem Zusammenhang ist auf ein interessantes Detail hinzuweisen: Art. 6 Abs. 1 des Preußischen Konkordats sieht vor, daß das Kapitel der vakanten Diözese, d. h. nicht der H1. Stuhl, sich zu versichern habe, ob solche Einwendungen gegen den in Aussicht genommenen Kandidaten bestehen. Partner dieses Einvernehmens zwischen Kirche und Staat sind somit in diesem Fall das Kapitel und die Landesregierung. Damit sollte, wie Hollerbach bemerkt hat, auch der Rang des Kapitels unterstrichen werden58 . Die ZusProt zu den angeführten Artikeln beschreiben die Vorgangsweise, die in dem Falle einzuhalten ist, wenn Einwendungen seitens der Landesregie53 Art. 14 § 1. Listl, Konkordate I, 300 f. 54 Eine derart nachdrücklich fonnulierte Bindung des Hl. Stuhles an die ihm vorgelegten Listen besteht in keinem der anderen Deutschen Länderkonkordate. - Im Österreichischen Konkordat (Art. IV § 1) wird eine solche Bindung an die Listen sogar ausdrücklich abgelehnt. 55 Das Reichskonkordat nimmt hier Bezug auf den "Reichstatthalter" im entsprechenden Bundesland. Nach der gegenwärtigen Verfassung der BRD gibt es keine Reichsstatthalter mehr; an ihre Stelle treten die Ministerpräsidenten des entsprechenden Bundeslandes. 56 Bayerisches Konkordat Art. 14 § 1; Preußisches Konkordat Art. VI, 1; Badisches Konkordat Art. III, 2; Reichskonkordat Art. 14, 2. 57 Art. III, 2. 58 A. Hollerbach, Staat und Bischofsamt, in: Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, hrsg. von G. Greshake. München/Zürich, 1991, 57.

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rung erhoben wurden. Das Reichskonkordat legt in Art. 2 Abs. 2 als allgemeine Richtlinie fest, daß sich aus der politischen Klausel keinesfalls ein Vetorecht des Staates ableiten lasse. Für den Fall, daß Einwendungen iSv Art. 14 des Reichskonkordats erhoben werden, müssen diese auf möglichst kurzem Weg bekanntgegeben werden. Wenn hingegen kein Einwand erhoben wird, kann der Hl. Stuhl annehmen, daß gegen den Kandidaten keine Bedenken bestehen. Bis zur Bekanntgabe des Namens des Kandidaten wird strenges Stillschweigen über die betreffende Person beobachtet59 . t) Zufolge Art. 16 des Reichskonkordats müssen die Bischöfe, bevor sie von ihrem Amt Besitz ergreifen, dem Staat gegenüber einen Treueid nach einer bestimmten Formel ablegen 60 .

Eine Verpflichtung zur Ablegung des Treueides besteht nicht nach den Länderkonkordaten, sondern nur nach dem Reichskonkordat. Nach einigen rechtlichen Unsicherheiten in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wird nunmehr der Treueid in allen zum Gebiet der BRD gehörenden Diözesen abgelegt61 . Die Ablegung des Treueides, zumindest in der vom Reichskonkordat vorgesehenen Form, ist heute nicht unumstritten. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Eidesleistung noch den modemen Vorstellungen eines Verhältnisses von Kirche und Staat entspricht, insbesondere wie dieses vor allem in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils gezeichnet wird. - So haben beispielsweise die neuen Konkordate mit Italien und Spanien vollständig auf einen Treueid verzichtet; das Österreichische Konkordat von 1933 kannte einen solchen niemals. In der Revision des Konkordats in bezug auf die Diözese Basel (2. 5. 1978) ist die alte Formel, die u.a. ein Gehorsamsversprechen

59 J. H. Kaiser, Die Politische Klausel der Konkordate, Berlin 1949; E. H. Fischer, Die politische Klausel des Reichskonkordates und ihre rechtliche Tragweite, in: ThQ (Tübingen) 134 (1954) 352-376. 60 "Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, dem Deutschen Reich und dem Lande ... Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmäßigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte." Listl, Konkordate, I, 43 f. 61 Hollerbach, Staat und Bischofsamt, 60.

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gegenüber der Kantonsregierung enthielt62 , durch eine Formel ersetzt worden, die mehr das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat betont63 . Es fehlt heute nicht an gewichtigen Stimmen, die eine vollständige Beseitigung des Treueids fordern. Eine harmonische Beziehung zwischen Kirche und Staat könne nicht von einem solchen Treueid abhängig sein64 . 4. Die Schweiz

a) Die Situation in der Schweiz ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet. Unter formalem Gesichtspunkt ist zunächst darauf hinzuweisen, daß das Schweizer Staatskirchenrecht zum Großteil Kantonsrecht ist65 . Kantonsrecht heißt in diesem Zusammenhang Konkordatsrecht, das zwischen dem Hl. Stuhl auf der einen und einer Mehrheit von Kantonen auf der anderen Seite abgeschlossen wurde. Gegenstand dieser Konkordate sind die Wahl der Bischöfe in bestimmten Diözesen, deren Gebiet sich über mehrere Kantone erstreckt. Inhaber des Wahlrechts sind die Domkapitel der entsprechenden Diözesen. Die Ingerenz der staatlichen Autorität (Kantonsregierungen), auf die in diesen Konkordaten ebenfalls Bezug genommen wird, besteht darin, daß bestimmte, der Kantonsregierung nicht genehme Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen werden können. 62 "Je jure et promets sur les Saints Evangiles fidelite et obeissance aux Gouvernements des Cantons faisant partie du Diocese ... " Mercati, Raccolta, I, 713. 63 Revision des Konkordats von 1828. Die neue Formel hat folgenden Wortlaut: "Vor den Vertretern der Kantone, aus denen sich die Diözese Basel zusammensetzt, verspreche ich, wie es einem Bischof geziemt, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den genannten Kantonen Treue. Ich verpflichte mich, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, um in meiner Diözese das gute Einvernehmen zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und dem Staat sowie den religiösen Frieden und das Wohlergehen des schweizerischen Volkes zu befördern." Conventio additicia inter Apostolicam Sedem et Consilium Foederatarum Helvetiae Civitatum de diocesi Basiliensi (2. 5. 1978), in: AAS 70 (1978) 468-470. Hier auch in Art. 4 der französische Originaltext der geänderten Form des Treueids. 64 Hollerbach, Staat und Bischofsamt, 83. - A. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 21983,82. - Dahl-Keller, Treueeid, 204 f. 65 Fuchs spricht von einem "Kantonalen Staatskirchenrecht" . J. G. Fuchs, Kirche und Staat in der Schweiz. Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag, hrsg. von L. C. MorsaklM. Escher. Zürich 1989, 274 f. Eingehender in bezug auf die Kompetenzaufteilung zwischen Kantonsrecht und Bundesrecht zum Abschluß von Konkordaten mit dem Hl. Stuhl: P. Hafner, Staat und Kirche im Kanton Luzern. Historische und rechtliche Grundlagen. Freiburg/Schweiz 1991, 262 f.

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b) Die Diözese Chur ist in jüngst vergangener Zeit Gegenstand besonderen Interesses geworden, insbesondere was die Ernennung des gegenwärtigen Bischofs (Wolfgang Haas) betrifft. Bekanntlich ist Haas vom Hl. Stuhl zum Bischofskoadjutor • Sede plena· ernannt worden. Das Kapitel konnte somit von seinem Recht, einen Bischof aus einem ihm vom Hl. Stuhl vorgelegten Ternavorschlag zu wählen, keinen Gebrauch machen. Dieses Recht war dem Domkapitel von Chur zuletzt durch ein Dekret der Konsistorialkongregation vom 28. 6. 1948 gewährt worden66 . Mit diesem Dekret wurde eine ungeklärte Rechtslage in bezug auf das Wahlrecht des Churer Domkapitels beseitigt, wobei es sich insbesondere um die Tragweite alter päpstlicher Privilegien bzw. um das Bestehen eines rechtmäßigen Gewohnheitsrechts gehandelt hat67 . Im Verlauf der Diskussion ist die Frage aufgeworfen worden, ob durch die Ernennung eines Bischofskoadjutors tatsächlich das Recht des Domkapitels, einen Bischof zu wählen, verletzt worden sei68 . Insbesondere Maritz hat dies entschieden in Abrede gestellt. Denn, so führt er aus, das Dekret von 1948 enthalte die Bestimmung, daß das Wahlrecht nur dann zum Tragen komme, wenn die Diözese vakant geworden sei 69 . Das Recht des Domkapitels sei somit nur ein bedingtes; da aber das Bedungene, nämlich die Vakanz des Bischofssitzes, nicht eingetreten sei, könne auch von keiner Verletzung eines Rechts des Domkapitels gesprochen werden 70. 66 Der lateinische Text des Dekrets zusammen mit einer deutschen Übersetzung findet sich bei H. Maritz, Erwägungen zum Churer "Bischofswahlrecht" . Fides et lus, Festschrift zum 65. Geburtstag von Georg May, hrsg. von W. Aymans/A. Egler/J. Listl, Regensburg 1991, Fußnote 28. 67 Diese Rechte reichen zurück bis ins Spätmittelalter, d. h. bis zum Wiener (Aschaffenburger) Konkordat von 1448 (Mercati, Raccolta, I, 177-181), die im Laufe der Zeit von Konkordatsrecht zu Gewohnheitsrecht umgebildet wurden. Maritz erwähnt, daß das Gewohnheitsrecht durch den CIC/1917 (c. 329) beseitigt worden sei, so daß die einzige Rechtsgrundlage für ein Wahlrecht des Churer Domkapitels in dem bereits erwähnten Dekret von 1948 zu finden sei. H. Maritz, Das Bischofswahlrecht in der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung im Bistum Basel nach der Reorganisation. St. Ottilien 1977,96, Fußnote 103. 68 Zur Ernennung eines Koadjutors des Bischofs von Chur, in: W. Gut, Politische Kultur in der Kirche. Religion, Politik, Gesellschaft in der Schweiz, hrsg. von U. Altermatt, Nr. 4, Freiburg/Schweiz 1990, 72-113, insbes. 91 f. 69 " ... SSmus Dominus ... hoc Consistoriali Decreta statuit ut in futurum, Sede Curiensi vacante ... ". 70 Maritz, Erwägungen, 503 " ... Durch den Ablativus absolutus "sede vacante" wird nach kirchlicher Rechtssprache kurz und prägnant die conditio sine qua non genannt, die unabdingbar gegeben sein muß, damit das gewährte Privileg zur Anwendung kommen kann, d. h., damit dem Churer Domkapitel das Sonderrecht zusteht, den Bischof von Chur zu wählen." - Diese Überlegungen Maritz' sind aber doch als spitzfindig zu bezeichnen. Denn ein Privileg - und das Dekret der Konsistoriaikongregation von 1948 ist als solches zu verstehen - impliziert auch eine Verpflichtung sei-

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c) In bezug auf die Diözese Basel besteht eine Vereinbarung vom 23. 3. 1828 zwischen dem Hl. Stuhl und den zur Diözese gehörenden Ständen. Aufgrund dieser Vereinbarung besitzt das Domkapitel von Basel das Recht, aus den Klerikern der Diözese einen Bischof zu wählen. Dieser wird vom Hl. Stuhl bestätigt, sobald festgestellt ist, daß er über die erforderlichen Qualitäten nach Maßgabe der üblichen Formen des Schweizerischen Rechts verfügt71 . Die Bulle Papst Leos XII. "Inter praecipua" vom 7.5. 1828 ratifiziert die getroffene Vereinbarung, legt die Zahl der aktiv Wahlberechtigten fest und beschreibt die Vorgangsweise der Wahl, die Einholung der päpstlichen Bestätigung und die Verlautbarung des Namens des Gewählten. Überdies enthält die Bulle eine weitere Konzession, derzufolge das Kapitel, falls die Wahl nicht nach den kanonischen Grundsätzen erfolgt oder der Kandidat nicht über die erforderlichen Qualitäten verfügen sollte, zu einer neuen Wahl schreiten könne72 . Zufolge Nr. 15 der Bulle "Inter praecipua" kommt dem Diözesanbischof von Basel das Recht der Ernennung des ersten Weihbischofs der Diözese zu. Bestätigung und Weiheerlaubnis obliegen dem Hl. Stuhl. Die Ernennung tens des Verleihers, das im Privileg Verliehene auch tatsächlich zur Anwendung kommen zu lassen und es nicht durch einseitige Maßnahmen zu verhindern. Dies ergibt sich schon aus dem Charakter des Privilegs als objektivem Recht. Vgl. G. Michiefs, Nonnae generales Iuris Canonici. Parisiis/TornacilRomae, 211, 501 f.; W. Aymans/K. Mörsdorf, Kanonisches Recht. Paderborn 1991, 1,257. - Würde man der Argumentation Maritz' folgen, so wäre im Ergebnis die Ausübung des in Rede stehenden Privilegs vollständig von der Willkür des einen Vertragspartners, nämlich des Hl. Stuhles abhängig, da er ja verhindern kann, daß die Bedingung (Sedisvakanz) eintritt. Seit 1948, d. h. seit Inkrafttreten des Dekrets der Konsistorialkongregation hat das Churer Domkapitel überhaupt noch nie Gelegenheit gehabt, sein Wahlrecht auszuüben. 1957 hat Bischof Christian Caminada als Achtzigjähriger den Hl. Stuhl um einen Koadjutor (mit dem Recht der Nachfolge) ersucht. Dieser hat zwar erklärt, daß die Bestellung eines Koadjutors (mit dem Recht der Nachfolge) nicht vom Wahlrecht des Domkapitels erfaßt sei, hat aber Caminada gestattet, nach Konsultation mit dem Domkapitel einen Dreiervorschlag für die Ernennung eines Koadjutors vorzulegen. Aus dieser Liste hat Papst Pius XII. Johannes Vonderach zum Koadjutor bestellt, der später Nachfolger Caminadas wurde. - 1988 trat der zweite Fall der Bestellung eines (nunmehr so genannten) Bischofskoadjutors ein. In diesem Falle ist aber das Kapitel nicht befragt worden, weder hinsichtlich der Bestellung des Koadjutors an sich, noch in bezug auf die Person des in Aussicht Genommenen. W. Kundert, Die Koadjutoren der Bischöfe von Chur. Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Heft 13, Basel und Frankfurt am Main 1990,56-64; 182 f. G. Hartmann, Der Bischof. Seine Wahl und Ernennung. Geschichte und Aktualität, Graz/Wien/Köln 1990, 72-77. 71 Art. 12 der Vereinbarung. U. Lampen, Kirche und Staat in der Schweiz, 11, 380. 72 Lampert, 11, 380 f.

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(eventueller) weiterer Weihbischöfe erfolgt nach den Bestimmungen des universalen kanonischen Rechts73. In der Vereinbarung vom März 182874 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Bestätigung des Gewählten75 durch den Papst erst erfolgen könne, nachdem die Eignung des Kandidaten gemäß der üblichen Vorgangsweise der Schweizer Kirchen festgestellt sei.

Mit der zuletzt genannten Wendung wird ein delikates, bis heute nicht vollständig gelöstes Problem des Schweizerischen Staatskirchenrechts angesprochen, das Auswirkungen bis in die jüngste Vergangenheit zeigt. Es herrscht Übereinstimmung, daß der vom Kapitel gewählte Kandidat für die in Frage kommenden Kantonsregierungen keine "persona non grata" sein dürfe. Während aber das Kapitel die Auffassung vertritt, daß es ihm selbst obliege, in der ihm geeignet erscheinenden Weise das Einvernehmen mit den Kantonsregierungen herzustellen, beanspruchen diese ein Ausschließungsrecht ("Ius exclusivae") im eigentlichen Sinne gegen einen nicht genehmen Kandidaten 76 . In der jüngeren Vergangenheit hat sich gelegentlich der Bischofswahlen eine Vorgangsweise zwischen dem Kapitel und den Vertretern der Kantone (Diözesankonferenz) herausgebildet, derzufolge das Kapitel der Diözesankonferenz eine Liste von sechs Kandidaten vorlegt um zu erfahren, ob diese der Diözesankonferenz genehm sind. Ein Kandidat wird als "persona minus grata" angesehen, wenn drei Kantonsstände gegen ihn gestimmt haben sollten. Bei der Diözesankonferenz von 1982 wurde die erforderliche Zahl von Negativstimmen auf vier erhöht, so daß die Qualifizierung eines Kandidaten als "persona minus grata" nur dann erfolgen kann, wenn mindestens vier Mitglieder der Diözesankonferenz so gestimmt haben77.

Bei der vorletzten Bischofswahl in der Diözese Basel im Jahre 1994 hat der (staatliche) Diözesanrat von diesem Recht der Streichung eines Kandidaten 73 Vgl. dazu Erklärung des Domkapitels von Basel vom 6. 4. 1989, in: AkKR 158 (1989) 294 f. 74 Diese wurde geschlossen zwischen dem Hl. Stuhl und den Kantonen von Luzem, Bem, Solothum und Zug. Merca/i, Raccolta, I, 711-714. 75 Der französische Originaltext spricht von einem Recht auf "nommer I'Eveque" , aber im zweiten Absatz wird bereits von einem "eveque ilu" gesprochen. Die private deutsche Übersetzung gibt den Text folgendermaßen wieder: "... haben das Recht, aus der Diözesangeistlichkeit den Bischof zu wählen. Der zum Bischof Erwählte ... ". Lamper/, Kirche und Staat, III, 67; B. Ehrenzeller, Die Diözesankonferenz des Bistums Basel. Freiburg/Schweiz, 1985,44. 76 Mari/z, Bischofswahlrecht, 96. 77 Ehrenzeller, Diözesankonferenz, 63 f.

Ernennung von Bischöfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz

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aus der vom Kapitel vorgelegten Liste Gebrauch gemacht, was zum Teil kritische Kommentare nach sich gezogen hat78 . d) Ein ebenfalls nicht unbedeutendes Problem stellt die Bestätigung des gewählten Bischofs durch den HI. Stuhl dar. Wie bereits erwähnt, legt das Konkordat von 1828 das freie Wahlrecht seitens des Domkapitels und die Bestätigung durch den Hl. Stuhl fest, nachdem dieser sich über die Eigenschaften des Gewählten Gewißheit verschafft hat79. Divergierende Auffassungen gibt es hinsichtlich des Zeitpunkts der Veröffentlichung des Namens des Gewählten, d. h. ob dieser schon vor oder erst nach der päpstlichen Bestätigung bekanntgegeben werden dürfe. Der Hl. Stuhl hat wiederholt auf der zuletzt genannten Alternative bestanden. Bei der Wahl, die 1967 nach dem Verzicht von Bischof Franz von Streng notwendig geworden war, hat man sich darauf geeinigt, daß der Name des Gewählten erst nach der päpstlichen Bestätigung bekanntgegeben werden dürfe. Dies solle allerdings nur dann Geltung haben, wenn dieser Name nicht bereits auf der Liste von Kandidaten enthalten sei, die vor Durchführung der Wahl dem Hl. Stuhl als mögliche Kandidaten vorgelegt wurden und gegen die der Hl. Stuhl keinen Einwand erhoben hat80 . In diesem Punkt ist es noch zu keiner vollständigen Übereinstimmung der Standpunkte gekommen. Bei jeder Bischofswahl sind gewisse Spannungen in bezug auf die angemessene Interpretation des Konkordats festzustellen. e) Ein ähnliches Modell wie in Basel besteht in der Diözese St. Gallen. Aufgrund einer "Conventio" zwischen dem Hl. Stuhl und dem Katholischen Großratskollegium von St. Gallen 81 besitzt das Domkapitel von st. Gallen das Recht der Bischofswahl. Der Gewählte muß neben den üblicherweise erforderlichen Qualitäten noch einige besondere Eigenschaften aufweisen, er muß nämlich aus dem Klerus der Diözese st. Gallen sein und muß verdienstvolle Erfahrungen entweder in der Seelsorge, dem Unterricht oder der Verwaltung gewonnen haben 82 . 78 Vgl. dazu die Stellungnahme der Regionaldekane und Dekane des Bistums Basel wegen der Streichung des Namens von Dr. Rudolf Schmid aus der Kandidatenliste seitens der Diözesanstände, in: Schweizerische Kirchenzeitung 162 (1994) 112 f. Insbesondere wurde eine Offenlegung der Gründe für diese Streichung verlangt. 79 Art. 12 Abs. 2 des Konkordats. Mercati, Raccolta, I, 713. 80 Es handelt sich hier um ein Modell, das gemäß cc. 182-184 CCEO in den Orientalischen Patriarchatskirchen zur Anwendung kommt. Vgl. M. Brog{, The Norms on Eparchies and Bishops, in: J. Chiramel - K. Bharanikulangara (Hrsg.), The Code of Canons ofthe Eastem Churches. Alwaye (India) 1992, 110 f. 81 Conventio inter Sanctam Sedem et Supremum Consilium catholicum pagi Sangallensis circa reorganisationem Episcopatus Sangallensis. Lampert III, 108-116. 82 Lampert, III, 111; Maritz, Bischofswahlrecht, 99. 30 Primetshofer

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Gemäß Art. 10 der Conventio mußte der Gewählte vor Amtsantritt einen Treueid vor den Abgeordneten des Großrates ablegen. Dieser Eid ist jedoch 1959 abgeschafft worden83 . Auch in der Diözese St. Gallen gibt es gewisse Probleme in bezug auf die Durchführung der "Conventio " . Und dies in zwei Richtungen: zum einen zwischen Kirche und Staat, zum anderen zwischen dem Hl. Stuhl und dem Domkapitel, wobei es in letzterem Fall um eine ausgewogene Bilanz zwischen den Interessen der universalen Kirche und jenen der Ortskirche geht. Was das zuletzt angesprochene Problem betrifft, so besitzt gemäß der "Conventio " von 1855 und den nachfolgenden Ausführungsdekreten das Domkapitel von St. Gallen das Recht der Bischofswahl. Sofort nach Beendigung der Wahlhandlung sind sämtliche Wahlakten dem Hl. Stuhl zu übersenden. Dieser wird nach Durchführung des üblichen Informationsprozesses die Bestätigung erteilen84 . Gegenstand der Kontroverse zwischen dem Hl. Stuhl und dem Domkapitel ist der genaue Zeitpunkt der Bekanntgabe des Namens des Gewählten, d. h. ob vor oder erst nach der päpstlichen Bestätigung. Nach der Originalfassung der "Conventio" hat die Bekanntgabe des Namens des Gewählten gemäß dem Dekretalenrecht85 unmittelbar nach der Wahl, d. h. noch vor der päpstlichen Bestätigung zu erfolgen. Es liegt aber auf der Hand, daß diese Vorgangsweise eine Präjudizierung des Hl. Stuhles bedeutet, da es ja schwer, um nicht zu sagen unmöglich ist, einem gewählten Kandidaten, dessen Name bereits bekanntgegeben wurde, die Bestätigung zu versagen. Bei der Wahl des Jahres 1938 bestand der Hl. Stuhl darauf, daß der Name des Gewählten nicht unmittelbar nach der Wahl, sondern erst nach der päpstlichen Bestätigung bekanntgemacht werden dürfe. Für die Zukunft wurde eine Vereinbarung dahingehend getroffen, daß das Domkapitel, bevor es zur Wahl schreitet, eine Liste von für das Bischofsamt geeignet erscheinender Kandidaten dem Hl. Stuhl übersendet, damit dieser minder genehme Kandidaten streichen könne. Unter den vom Hl. Stuhl als geeignet Bezeichneten könne das

83 MarilZ, Bischofswahlrecht, 99. 84 Art. 7 der Conventio; Lamperl, 111, 132 f. 85 C. 42 § 2 X 1, 6: "Electiones quoque clandestinas reprobamus, statuentes, ut, quam cito electio fuerit celebrata, solemniter publicetur" .

Ernennung von Bischöfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz

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Kapitel dann frei wählen86 . Die Vorgangsweise der Domkapitel von Basel und St. Gallen unterscheidet sich insbesondere dadurch, daß das Domkapitel von St. Gallen bereits im voraus den Informativprozeß für eine Mehrheit von Kandidaten erbittet. Das Kapitel von Basel hingegen wählt, reicht hemach um den Informativprozeß ein und gibt nach erfolgter päpstlicher Bestätigung den Namen des Gewählten bekannt. Wie Maritz richtig bemerkt, hat sich das Kapitel von Basel einen größeren Einfluß auf die Wahl gesichert, da es vom Hl. Stuhl die Bestätigung für einen Kandidaten erbittet, der bereits, aufgrund der vorausgehenden und angenommenen Wahl, ein "ius ad rem" besitzt87 . Das andere Problem hinsichtlich der Durchführung der "Conventio" bezieht sich auf das Ausmaß staatlicher Einflußnahme, d. h. des Großrates des Kantons auf die Bischofswahl. Nach dem Text der Vereinbarung darf die Person des Gewählten dem Großrat nicht "minder genehm" sein. Aber weder in der Conventio selbst noch in einer anderen Übereinkunft zwischen Domkapitel und Großrat wurden diesbezügliche Durchführungsbestimmungen erlassen, insbesondere nicht in bezug auf die Frage, wann das Domkapitel die Meinung des Großrates einzuholen habe. Der Großrat hat im Jahre 1846 einseitig, d. h. ohne Kontaktaufnahme mit dem Domkapitel in einem sogenannten "Regulativ" eine Vorgangsweise festgelegt, derzufolge das Kapitel innerhalb von 14 Tagen nach der Vakanz des Bischofssitzes eine Liste von sechs wählbaren Kandidaten vorzulegen hat, aus der der Großrat höchstens drei streichen kann 88 . f) In der Diözese Sitten (Sion) , deren Gründung bis ins vierte Jahrhundert zurückreicht, hat die Bestellung des Bischofs verschiedene geschichtliche Entwicklungsphasen durchlaufen.

Die Diözese Sitten erstreckt sich fast ausschließlich auf den (zweisprachigen) Kanton Wallis; von seiten der Kantonsregierung besteht ein besonderes Interesse daran, daß der Bischof beide Landessprachen, nämlich deutsch und französisch beherrscht. Der Hl. Stuhl hat darauf hingewiesen, daß die Kantonsregierung über keinerlei diesbezüglicher Rechtsansprüche ver-

86 Während der letzten Wahl 1995 wurde allerdings auch diese Vorgangsweise nicht eingehalten. Der gewählte Kandidat Ivo Führer befand sich zwar auf der Liste der von Rom im voraus als geeignet bezeichneter Kandidaten, dennoch bestand der Hl. Stuhl darauf, daß der Name des Gewählten nicht vor einer (neuerlichen) päpstlichen Bestätigung verlautbart werden dürfe. Vgl. Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, Nr. 76 (31. 3. 1995),25. 87 Maritz, Bischofswahlrecht, 126. 88 Maritz, Bischofswahlrecht, 101 f.

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fügt, er trägt aber de facto dem Wunsch nach Zweisprachigkeit des Bischofs Rechnung 89 . Die gegenwärtige Rechtslage ist aufgrund einer formellen Verzichtserklärung des Domkapitels auf ein allerdings rechtlich nicht mehr sicher nachweisbares Recht der Bischofswahl entstanden (1919). Die Ernennung des Bischofs von Sitten erfolgt nunmehr aufgrund des universalen (kodikarischen) Rechts, d. h. in Form der freien Verleihung durch den Papst90 •

89 LThK 2IX (1964) 800; A. Cadagheno weist auf eine Usance des HI. Stuhles hin, derzufolge der Bischof alternierend aus der einen bzw. anderen Sprachgruppe genommen wird. EncCatt XI, 713. 90 O. Stoffel, Die Bischofswahl in der Diözese Sitten, in: Schweizerische Kirchenzeitung 37/1977, 532-538; F. o. Dubuis/A. Lugon, Sitten, in: Lexikon des Mittelalters, VII (1995), Sp. 1940 f.

IV. Ordensrecht

Feierliches Annutsgelübde und staatliche Erbrähigkeit Bemerkungen zu einem Reskript der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 8. Juli 1974 Die Rechtsstellung des Professen mit einfachem oder feierlichem Armutsgelübde im österreichischen staatlichen Recht gehört zu einem verworrenen Kapitel des österreichischen Staatskirchenrechts. Nur zum Teil übernimmt die staatliche Rechtsordnung die den Status des Professen betreffenden Normen des kanonischen Rechts. Ein Bereich, wo zwischen kanonischem und staatlichem Recht eine breite Diskrepanz klafft, ist die Erbfähigkeit des Professen mit feierlichen Gelübden. Die diesbezügliche Regelung des kanonischen Rechts ist einfach: Der Professe mit feierlichen Gelübden verliert seine Vermögensfähigkeit (c. 582); was immer ihm aufgrund irgendeines Titels zukommt, fällt in das Eigentum des Ordens bzw. - bei eigentumsunfähigen Orden - in das des Heiligen Stuhles l . Es gilt somit der Grundsatz: "Quidquid acquirit monachus, acquirit monasterio" . Im Gegensatz dazu stellt das Recht des ABGB zwar im Hinblick auf das Erbrecht auch die Unfähigkeit des feierlichen Professen fest, Eigentum zu erwerben2 , es zieht aber daraus nicht den Schluß, daß das einem Professen mit feierlichen Gelübden vermachte Erbe dem Kloster zukomme, sondern sowohl das Kloster als der Professe sind von der Erbschaft ausgeschlossen 3 . Im Laufe der vergangenen Jahre wurden wiederholt Versuche unternommen, diese sich als Relikt aus der Amortisationsgesetzgebung darstellende Rechtslage zu bereinigen. Grundsätzlich boten sich dazu mehrere Möglichkeiten: Zunächst einmal eine volle Angleichung der staatlichen Gesetzgebung an das kanonische Recht. Diese im Sinne von Art. XXII, 1 des österreichi-

1 G. Escudero, Il nuovo diritto dei Religiosi, Roma 21973 , 183. 2 Vgl. § 356 ABGB unter Bezugnahme auf HkD 28. 2. 1772; 21. 5. 1774; 24. 5. 1774 bei P. laksch, Gesetzeslexikon 11,202. - H. Kapfer, ABGB, Wien 28 1967 Anm. 11 zu § 356 und § 539 ABGB. 3 E. Weiß, Klang-Kommentar, III, 83; HD 23. 3. 1809, JGS 887.

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schen Konkordats4 vorzunehmende Regelung wäre von kirchlicher Seite aus das erstrebenswerte Optimum, da es den im Konkordat gewünschten Rechtszustand herstellen würde. In den diesbezüglichen Gesprächen zwischen Vertretern des Bundesministeriums für Justiz und der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs wurde allerdings die Schwierigkeit aufgezeigt, derzufolge diese Regelung staatliche Organe zu einer ganz detaillierten Kenntnis des innerkirchlichen (Ordens)rechts verpflichte. Denn es wäre in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob die Ordensregel des als Erben eingesetzten Professen einfache oder feierliche Gelübde vorsehe bzw. ob der betreffende Professe auch tatsächlich feierliche Profeß abgelegt habe. Eine solche Befassung mit Details des innerkirchlichen Rechts könne aber den Organen der staatlichen Rechtsanwendung, zumal angesichts der Vielfalt ordensrechtlicher Regelungen, nicht zugemutet werden. Ein zweiter Weg bot sich in einer ersatzlosen Streichung der die Erbfähigkeit einschränkenden Bestimmungen des ABGB. In diesem Zusammenhang wurde argumentiert, daß die staatliche österreichische Rechtsordnung in vielen Bereichen die Tatsache der feierlichen Profeß sowieso nicht zur Kenntnis nehme, nicht nur was die Vennögensfähigkeit betreffe, sondern - daraus folgernd - in der Frage der Lohn- und Einkommenssteuergesetzgebung. Es gebe zahlreiche Beispiele, denenzufolge in der österreichischen Rechtsordnung der feierliche Professe so behandelt wird, als habe er niemals Profeß abgelegt. - Wenngleich die Lösung einer ersatzlosen Streichung der in Rede stehenden staatlichen Bestimmungen u. U. zu einer noch stärkeren Diskrepanz zwischen kirchlichem und staatlichem Recht führen würde, so sei ihr doch gegenüber der derzeitigen Rechtslage der Vorrang zu geben, da auf diese Weise der feierliche Professe wenigstens die Erbschaft antreten könnte. Ob und auf welche Weise dann der feierliche Professe seine Erbschaft in das Eigentum des Klosters überträgt (wozu er nach kirchlichem Recht verpflichtet ist), sei eine Sache, die der einzelne Ordensverband mit seinem Professen auszumachen hätte. Beide Lösungsversuche konnten nicht verwirklicht werden. Die Grunde hiefür liegen außerhalb des Bereichs dieser kurzen Darlegung; sie werden vielleicht später einmal in einem größeren Zusammenhang dargestellt werden können.

4 Art. XXII, 1 des Konkordats: "Alle anderen auf kirchliche Personen oder Dinge bezügliche Materien, welche in den vorhergehenden Artikeln nicht behandelt wurden, werden dem geltenden kanonischen Recht gemäß geregelt werden. "

Feierliches Annutsgelübde und staatliche Erbfahigkeit

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Um aber die Mißlichkeit der gegenwärtigen Rechtslage zu beseitigen, bot sich schließlich als letzter Ausweg der Rückgriff bzw. die Erweiterung eines während des NS-Regimes den (damals) deutschen Zisterzienserklöstern gewährten Reskripts der Religiosenkongregation. Tenor des päpstlichen Reskripts war die den Oberen der männlichen und weiblichen Zisterzienserklöster im damaligen Deutschen Reich übertragene Vollmacht, ihre Untergebenen von der Feierlichkeit des abgelegten Armutsgelübdes zu dispensieren, so daß sie vor den staatlichen Behörden mit gutem Gewissen sich als Eigentümer der von ihnen inngehabten Güter deklarieren konnten (Anhang I). - Dieses Reskript vom 9. November 1940 wurde formell bis zum heutigen Tag nicht aufgehoben. Das am 8. Juli 1974 ausgestellte Reskript der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute (Anhang 11) nimmt auf das 1940 gegebene Indult Bezug. Es erweitert die damals den Zisterzienseroberen gegebene Vollmacht auf alle Oberen österreichischer Orden. Diese können demzufolge ihre Untergebenen von der Feierlichkeit des Armutsgelübdes dispensieren, so daß die feierlichen Professen hinsichtlich der Vermögensfähigkeit den Professen mit einfachen (ewigen) Gelübden gleichgestellt werden. Es erhebt sich nun die Frage, ob diese kirchliche Dispens geeignet ist, die nach staatlichem Recht an die Feierlichkeit des Armutsgelübdes geknüpften Rechtsfolgen zu beseitigen. Überblickt man die auf diese Frage bezugnehmende Judikatur und Lehre, so scheint das Ergebnis zunächst negativ auszufallen. "Dispens der Ordensoberen beendet diese Erbunfähigkeit nicht", bemerkt Weiß unter Berufung auf zwei Entscheidungen des OGH5. Die eine der von Weiß zitierten Entscheidungen des OGH vom 3. Juli 1867 führt dazu aus: "Benediktiner-Ordenspriester unterliegen dem Amortisationsgesetz und sind geradezu erbunfähig. Den Ordensoberen steht aber nicht das Recht zu, Dispensationen von den geltenden Staatsgesetzen zu erteilen "6 . Zu einem genau gegenteiligen Ergebnis scheint die Kommentierung der einschlägigen Stellen des ABGB bei Kapfer7 zu führen. Kapfer schreibt zu § 539 ABGB, daß die Erbunfähigkeit von Ordensmitgliedern durch die Aufhebung der Amortisationsgesetze nicht beseitig wäre, wohl aber durch "geistliche Dispensation" behoben werde8 .

5 Weiß, (Anm. 3). 6 GIU 2815. 7 Kap/er, ABGB, 426. 8 Kapfer, ebd. Anm. 1 und 2 zu § 539 ABGB.

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Der Widerspruch ist indes nur scheinbar. Wie die von Kapfer zitierte Entscheidung des OGH (GlU 4494) darlegt, ist hier mit "geistlicher Dispensation" nicht die seitens des Ordensoberen erteilte Dispens von der Erbunfähigkeit gemeint (auf die die oben zitierte Entscheidung vom 3. Juli 1867, GlU 2815, Bezug nimmt), sondern das durch Dispensation von sämtlichen Ordensgelübden bewirkte Ausscheiden des Professen aus seinem Verband9 . Daß aber ausgetretene Religiosen Erb- und Testierrecht wiedererlangen, war und ist sowieso völlig unbestritten 10 . Somit ergäbe sich als Gesamtbefund: Nur das völlige Ausscheiden des Professen aus seinem Ordensverband bewirkt Endigung der seine Erbtähigkeit einschränkenden Bestimmungen des ABGB, nicht aber eine seitens des Ordensoberen erteilte "Dispens". Nach meinem Dafürhalten kann dieses Ergebnis aber nicht befriedigen. Es ist zunächst genau zu untersuchen, was mit Dispens seitens des Ordensoberen in den in Rede stehenden Entscheidungen gemeint ist. Wie die in diesem Zusammenhang wohl aufschlußreichste Entscheidung (GlU 2815) dartut, scheint die dem Gericht zur Untersuchung vorliegende Dispens seitens des kirchlichen Oberen sich auf die nach staatlichem Recht mit der feierlichen Profeß verbundene Erbuntähigkeit bezogen zu haben. Es wäre ansonsten sinnlos, wenn die zitierte Entscheidung als Begründung ihrer meritorischen Ausführungen den Satz anführte, es stünde den Ordensoberen nicht das Recht zu, Dispensen von den geltenden Staatsgesetzen zu erteilen. - Daß eine an kirchenrechtliche Tatbestände anknüpfende staatliche Rechtsfolge als solche nicht Gegenstand einer kirchlichen Dispens sein kann, liegt auf der Hand. Ganz anders jedoch ist der Fall zu beurteilen, wenn die kirchliche Dispens sich nicht auf eine nach staatlichem Recht eintretende Rechtsfolge bezieht, sondern die kirchenrechtliche Grundvoraussetzung betrifft, an die das staatliche Recht anknüpft, nämlich die Feierlichkeit der Profeß als solcher. Daß die Frage, wer einfache und wer feierliche Profeß hat, ausschließlich nach kirchlichem Recht beurteilt werden muß, ergibt sich von selbst. Denn dies stellt zweifellos eine im Sinne von Art. 15 StGG in den Bereich der kirchlichen Selbstverwaltung fallende innere Angelegenheit dar. Die Frage, ob einfache oder feierliche Profeß, bzw. wie lange gegebenenfalls feierliche Profeß vorliegt, kann somit nur eine ausschließlich innerkirchliche Angelegenheit sein. Wenn nun eine nach Maßgabe des päpstlichen Reskripts vom 8. Juli 1974 9 Die E. vom 28. 2. 1872 (GlU 4494) spricht übrigens richtig von "Säkularisierung" des feierlichen Professen, nicht aber - wie Kapfer, (Anm. 7.), von "geistlicher Dispensation" . 10 Vgl. die bei Kapfer, (Anm. 7) 427 zitierten Quellen.

Feierliches Armutsgelübde und staatliche Erbfähigkeit

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vorgenommene Dispens seitens des kirchlichen Oberen die Feierlichkeit des Armutsgelübdes aufhebt, so hat der betreffende Professe damit nach kirchlichem Recht im Bereich des Armutsgelübdes nur einfache (ewige) Gelübde. Ein Professe mit einfachen Gelübden aber ist nach staatlichem Recht erbfähig!!. Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, daß die vom zuständigen Oberen erteilte Dispens von der Feierlichkeit des Armutsgelübdes den Professen nach kirchlichem und daraus folgernd staatlichem Recht in den Status eines Professen mit einfachen Gelübden mit den daran anknüpfenden Rechtsfolgen versetzt. Das päpstliche Reskript vom 8. Juli 1974 stellt sich somit als derzeit gangbarer Ausweg aus einer äußerst unbefriedigenden Situation des österreichischen Erbrechts dar. Der Wunsch nach einer umfassenden Rechtsbereinigung ist damit allerdings nur aufgeschoben und nicht aufgehoben.

11 Kap/er, Anm. 4 zu § 539 ABGB; ]BI1961, 289.

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Anhang I RELIGIOSENKONGREGATION Nr.8115/40 Heiliger Vater!

SACRA CONGREGATIO DE RELIGIOSIS Nr.8115/40 Beatissime Pater,

Der Generalabt des Zisterzienserordens bittet, zu Füßen Eurer Heiligkeit hingestreckt, um folgendes:

Abbas Generalis S. Ordiois Cisterciensis, ad pedes S. V. provolutus, humiliter rogat, ut:

Es möge den männlichen und weiblichen Mitgliedern des Zisterzienserordens mit feierlicher Profeß in den im Deutschen Reich befindlichen Klöstern gestattet werden, ungeachtet des feierlichen Armutsgelübdes gültig und erlaubt Güter zu erwerben, zu behalten, zu verwalten und über sie zu verfügen, sofern sie dies mit der notwendigen Erlaubnis ihres Oberen tun. Sie sollen so mit gutem Gewissen auch unter Eid aussagen können, daß sie nach Maßgabe der Zivilgesetze wirkliches Eigentum über die von ihnen besessenen Güter zugleich mit dem Recht haben, über dieselben zu verfügen.

Omnes Sodales S. Ordiois Cisterciensis sollemniter professi utriusque sexus Monasteriorum sub gubernio Germanico constitutorum, non obstante voto sollemni paupertatis, valide ac licite bona acquirere, retinere, admioistrare ac de iisdem disponere possint, dummodo cum debita licentia Superiorum id faciant, atque tuta conscientia etiam cum iureiurando asserere valeant, se ad normam legum civilium verum dominium bonorum a se possessorum acquirere una cum iure de iisdem disponendi.

Aufgrund der ihr vom Heiligen Vater übertragenen Vollmachten gewährt die Religiosenkongregation unter Berücksichtigung der vorgebrachten Gründe die Bitte zur Gänze.

Vigore facultatum a SSmo Domino Nostro concessarum, S. Congregatio Negotiis Religiosorum Sodalium praeposita, attentis, expositis, benigna anuit pro gratia in omnibus juxta preces.

Gegenteilige Bestimmungen sind außer Kraft getreten. Gegeben zu Rom, am 9. November 1940 Vinzenz Kard. La Puma, Präfekt Fr. L. H. Pasetto, Sekretär

Contrariis quibuscumque non obstantibus. Datum Romae, die 9 Novembris 1940 Vinc. Card. La Puma, Praef. Fr. L. H. Pasetto, Secr.

Et Deus, etc.

Feierliches Annutsgelübde und staatliche Erbfähigkeit

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Anhang 11

Reskript der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute an die Superiorenkonjerenzen der österreichischen Ordensgemeinschaften. Prot. Nr. SpR 127/71 Heiliger Vater! Die Vereinigung der Höheren Oberen mit der Bezeichnung ·Superiorenkonferenz der .ptännlichen Ordensgemeinschaften Osterreichs • und die ·Vereinigung der Frauenorden und Kongregationen Österreichs· erbittet, gestützt auf ein bereits von Eurer Heiligkeit gegebenes Indult für männliche und weibliche Religiosen österreichischer Orden, welche feierliche Gelübde abgelegt haben oder ablegen werden, Dispens von den Vorschriften der cann. 579 und 581 des CIC, so daß sie in Bezug auf die Rechtswirkungen des feierlichen Gelübdes dem Status von Religiosen mit ewigen einfachen Gelübden nach Maßgabe des kanonischen Rechts, insbesondere des can. 580 § 1 und 2 angeglichen werden können.

SACRA CONGREGATIO PRO RELIGIOSIS ET INSTIUTIS SAECULARIBUS Prot. n. SpR 127/71 Beatissime Pater, Praesides Unionum Superiorum maiorum, quibus v. tituli sunt: ·Superiorenkonferenz der ~i­ chen Ordensgemeinschaften Osterreichs· et ·Vereinigung der Frauenorden und Kongregationen Österreichs·, legitimis innixi mandatis, a Sanctitate Tua pro sodalibus, viris atque mulieribus, Ordinum religiosorum Austriae praesentis et futuri temporis, qui vota sollemnia iam emiserunt vel emittent, dispensationem a praescriptis canonum 579 et 581 Codicis Iuris Canonici ob rationes expositas implorant, ut, quod ad effectus iuridicos voti sollemnis paupertatis attinent, condicioni religiosorum a votis simplicibus perpetuis aequiparari possint ad normam iuris canonici, praesertim can. 580, par. 1 et 2. Et Deus, etc.

Aufgrund der ihr vom Papst übertragenen Vollmacht, gewährt die Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute nach reiflicher Überlegung und nach Anhören der Vereinigung der Generaloberen die gewünschte Bitte.

Vigore facultatum a Summo Pontifice concessarum, Sacra Congregatio pro Religiosis et Institutis saecularibus, mature perpensis omnibus ad rem pertinentibus et audito voto Unionis Superiorum Generalium, annuit pro gratia iuxta preces.

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Diese Vollmacht soll Geltung haben, bis der den geänderten Zeitumständen entsprechend angepaßte Codex Iuris Canonici in Kraft tritt; das übrige vom Recht Vorgeschriebene ist einzuhalten.

Praesentibus usque ad diem valituris quo Codex Iuris Canonici hodiernis temporum necessitatibus rite accommodatus vigere incipiet, servatis reliquis de iure servandis.

Gegenteilige Bestimmungen, selbst wenn sie ganz besonderer Erwähnung wert wären, sind außer Kraft gesetzt. Gegeben zu Rom, am 1974-07-08

Contrariis quibuslibet etiam specialissima mentione dignis non obstantibus.

Arturus Kard. Tabera, Präfekt Augustinus Mayer, Sekretär

Arturus Card. Tabera, Praef. Augustinus Mayer, Secr.

(Archiv der Superiorenkonferenz, Wien)

Datum Romae, die 8 Julii 1974.

Grundzüge der klösterlichen Vermögens verwaltung I. Vennögen der Ordensverbände - kirchliches Vennögen 1. Vorbemerkungen Der Gebrauch zeitlicher Güter durch Ordensverbände ist von der allgemeinen Zielsetzung der Kirche bestimmt: dem Heil der Seelen. Für den Dienst der Kirche an der Welt sind zeitliche Güter in bestimmtem Umfang erforderlich. Da es sich bei den Ordensverbänden um Organisationsformen handelt, die unverzichtbar zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche gehören 1, nehmen auch diese an der Zielsetzung und am Einsatz der Mittel durch die Gesamtkirche teil. Dies bedeutet, daß auch in den Ordensverbänden zeitliche Güter zum Einsatz kommen müssen. Kirchliche Vermögensgebarung hat unter dem ständig gegenwärtigen Imperativ der "salus animarum" zu stehen; für klösterliche Vermögensverwaltung gilt noch insbesondere, daß die einzelnen Ordensverbände unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten bestrebt sein sollen, ein kollektives Zeichen der apostolischen Armut abzulegen2 . Da es sich bei den Ordensverbänden um von der Kirche approbierte, zu einem eigentlichen Stand erhobene kirchliche Personenverbände handelt, ist das klösterliche Vermögen kirchliches Vermögen im eigentlichen Sinne, und es gelten daher die für letzteres bestehenden Normen.

2. Der Begriff des Kirchenvermögens

Als Kirchenvennögen (Kirchengut) sind jene Sachen anzusprechen, die einer kirchlichen juristischen Person zugehören (c. 1497 § 1).

1 11. Vatikanisches Konzil. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, Nr. 44. 211. Vatikanisches Konzil, Dekret Perfectae caritatis, Nr. 18.

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Zugehören bedeutet hier, ein geldwertes Recht an einer Sache zu haben. Es kann sich dabei um körperliche und unkörperliche Sachen handeln. Die körperlichen Sachen werden in bewegliche (wie Bilder, Bücher, Geräte) und in unbewegliche (Liegenschaften) eingeteilt. Zu den unkörperlichen Gütern zählen alle geldwerten Rechte, die des näheren in dingliche (Gebrauchs- und Besitzrechte, Nießbrauch, Servitute, nutzbare Rechte wie Holz-, Jagd-, Weide-, Fischereirechte) und schuldrechtliche Rechte (z. B. Zehnten, Abgaben) unterschieden werden können 3 . Kirchenvermögen und Kircheneigentum sind zu unterscheiden. Für die Begriffsbestimmung als Kirchengut (Kirchenvermögen) ist nicht allein das Eigentumsrecht ausschlaggebend, sondern das Zugehörigkeitsverhältnis im beschriebenen Sinn. Es kann daher durchaus sein, daß etwas nicht im Eigentum einer kirchlichen juristischen Person steht, das aber dennoch dem Kirchenvermögen zugezählt werden muß, weil eine kirchliche juristische Person daran ein geldwertes Recht (z. B. Wohn- oder Benutzungsrecht an einem in staatlichem Eigentum stehenden Gebäude) hat. Unter den juristischen Personen, von denen hier gesprochen wird, verstehen wir entweder Personenmehrheiten, denen von der Rechtsordnung die Rechtspersönlichkeit zuerkannt wurde, d. h. die Fähigkeit, als Personenmehrheit Träger von Rechten und Pflichten zu sein, bzw. Sachgesamtheiten (z. B. die materielle Ausstattung des Pfarramtes, Pfarrbenefizium), denen ebenfalls Rechtspersönlichkeit im beschriebenen Sinne zuerkannt wurde. Auf die näheren Modalitäten des rechtsgeschäftlichen Handeins dieser juristischen Personen wird, soweit dies den Gegenstand dieses Vortrages bildet, noch gesondert einzugehen sein. Nicht als Kirchenvermögen sind daher Sachen anzusprechen, bei denen ein Zugehörigkeitsverhältnis oder sogar ein Eigentumsrecht zugunsten eines einzelnen Klerikers oder einer (vermögensfähigen) Ordensperson besteht. Und dies selbst dann nicht, wenn die betreffende Sache eine sakrale Zweckwidmung aufweist, z. B. ein konsekrierter Kelch, wenn er Privateigentum eines Klerikers ist und keinerlei Benützungsrechte zugunsten einer bestimmten Kirche bestehen. Das klösterliche Vermögen kann unterschieden werden in Güter, die zur Aufbewahrung und Erhaltung (Stammvermögen), und solchen, die zum

3 E. Eichmann/K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 11. Aufl. (München/PaderbomlWien 1967) 493 ff.

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augenblicklichen Verbrauch (frei verfügbares Vermögen) bestimmt sind. Im einzelnen sind etwa grundsätzlich als Stammvermögen zu bezeichnen: a) Grund und Boden, z. B. Äcker, Wald, Bauplätze; b) Gebäude, Kirchen, Pfarrhöfe, Krankenhäuser; c) Kostbarkeiten, bedeutende Reliquien oder wertvolle Bilder oder andere Bilder oder Reliquien, die beim Volk in besonderer Verehrung stehen, Votivgaben; d) Geld, wenn es Stammkapital ist oder zur Schaffung bleibenden Vermögens, z. B. zum Bau einer Kirche, gewidmet ist. Die Vermutung spricht bei Geld jedoch gegen Stammvermögen und für frei verfügbares Vermögen. Geld wird durch die Widmung seitens der kirchlichen Oberen Stammkapital. Laufende Überschüsse können durch ausdrückliche Widmung zum Stammkapital geschlagen werden4 . Nachstehende Formen von Geld oder Wertpapieren können Stammvermögen sein: - Ausdrücklich als Stammvermögen gewidmetes Geld; - Geld oder Investitionen, die vom Stammkapital genommen sind; - Geld oder Wertpapiere, die Erlös aus dem Verkauf von Stammvermögen bilden (c. 1531 § 3); - Geld oder Papiere, deren Substanz so lange, als vom Ertrag Zahlungen zu leisten sind, erhalten bleiben muß; - Geld oder Papiere aus Vermächtnissen oder frommen Stiftungen, insbesondere solange die zusammenhängende Verpflichtung noch nicht völlig erfüllt ist; - Geld oder Papiere, die von der zuständigen Obrigkeit zur Erbauung von Gebäuden oder zum Erwerb von unbeweglichem Gut gewidmet sind5 . Entscheidend ist jeweils die Zweckwidmung. So könnte es z. B. sein, daß jemand ein Stück Grund und Boden einer klösterlichen Gemeinschaft ausdrücklich zu dem Zweck übereignet, daß aus dem Verkaufserlös der Unterhalt der klösterlichen Gemeinde bestritten wird. In diesem Falle würde dieses Stück Grund und Boden dann nicht unter das Stammvermögen, sondern unter das frei verfügbare Vermögen fallen.

4 H. Schnizer, Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich (Graz/Köln 1961) 101. 5 E. L. Heston, The alienation of church property in the United States (Washington 1942) 75 ff. bei Schnizer, (Anm. 4). 31 Primetshofer

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D. Die Verwaltung des klösterlichen Vennögens 1. Begriff der Vermögens verwaltung

Vennögensverwaltung ist die Verwendung von klösterlichen Gütern nach deren Zweck und Rechtsnatur> . Wir unterscheiden des näheren zwischen der ordentlichen und der außerordentlichen Vermögensverwaltung, je nachdem, ob die Verwaltung der ursprünglichen Zweckbestimmung der Güter entspricht oder nicht. Beim Stammvermögen ist demnach dessen Erhaltung, Verbesserung und Fruktifizierung, bei frei verfügbarem Vermögen die im Rahmen der täglich anfallenden Geschäfe erfolgende Geldausgabe als ordentliche Verwaltung zu bezeichnen. Als außerordentliche Verwaltung hingegen sind alle auf Änderung des Stammvermögens abzielenden Vorgänge bzw. eine nicht im Rahmen der alltäglichen Geschäfte erfolgende Verwendung des frei verfügbaren Vermögens zu bezeichnen7 • Im allgemeinen Recht des CIC sind keine näheren Angaben enthalten bezüglich der Disposition über frei verfügbares Vermögen, d. h. also in aller 6 D. M. Huot, Bonorum temporalium apud Religiones administratio ordinaria et extraordinaria (Romae 1956). 7 Schnizer, (Anm. 4) 92, führt drei Kriterien an, die für eine außerordentliche Verwaltung maßgebend sind, nämlich: a) Der angestrebte Zweck ist ein anderer als bloß bestimmungs gemäße Erhaltung und Verbesserung des Stammvermögens; b) der angestrebte Zweck liegt zwar innerhalb der eben genannten Grenzen, wird aber durch Mittel erreicht, die in der normalen Organisation des betreffenden Rechtsträgers nicht vorhanden sind; c) Bedeckung aus anderen als freien Einkünften oder Eingängen. Wenn auch nur eine der drei Voraussetzungen erfüllt sei, könne keine ordentliche Verwaltung mehr vorliegen, sondern müsse bereits von außerordentlicher gesprochen werden. - Meiner Ansicht nach ist das zweite Kriterium zu eng gefaßt. Als Beispiel führt Schnizer (S. 91) an, daß der Bau eines Forstaufschließungsweges durch ein großes Stift, das hunderte Arbeiter beschäftigt, ordentliche Verwaltung, für einen kleineren Rechtsträger, der dazu fremde Arbeiter aufnehmen müßte, aber außerordentliche Verwaltung darstellen würde. - Sofern sich der Bau eines Forstaufschließungsweges als notwendige Maßnahme für Strukturverbesserung bzw. Fruktifikation eines Grundstückes erweist, wird man m. E. von ordentlicher Verwaltung sprechen müssen; die Frage, ob dieses Projekt mit eigenen oder mit fremden Arbeitern durchgeführt wird, ist in diesem Zusammenhang wohl belanglos.

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Regel über das frei verfügbare Geld. Hier erweist sich die im Recht einzelner Verbände eingeführte Unterscheidung zwischen dem ordentlichen und dem außerordentlichen Haushalt als zweckmäßig. Als ordentlichen Haushalt (ordentliche Ausgaben) wird man diejenigen Ausgaben bezeichnen können, die sich aus der Natur einer normalen Haushaltsführung im Laufe eines Jahres bzw. einer bestimmten Zeitspanne ergeben; als außerordentlichen Haushalt hingegen die über dieses Kriterium hinausgehenden Ausgaben. Diese können voraussehbar sein (z. B. Reparatur des Gebäudes) oder unvorhergesehen eintreten (z. B. Brand). Eine geordnete Haushaltsführung verlangt, daß am Beginn bzw. am Ende eines Budgetjahres eine Aufstellung der ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben vorgesehen bzw. die tatsächlich erfolgten Ausgaben vorgelegt werden. Die für den außerordentlichen Haushalt vorgesehenen Ausgaben bedürfen der vorausgehenden Genehmigung durch den zuständigen Oberen, wobei das Verbandsrecht auch die Wertgrenzen festlegen muß, bis zu welcher Höhe die einzelnen Oberen mit ihren Beiräten derartige Genehmigungen erteilen können 8 . 2. Die Vennögensanlage (collocatio pecuniae) Geldanlage (Vermögensanlage) im weiteren Sinne ist das Einlegen von Geld auf einer Bank, entweder auf ein Girokonto oder auf ein Sparbuch mit oder ohne bestimmte Kündigungsfrist. Im engeren Sinne versteht man unter Vermögensanlage das fruchtbringende und langfristige Anlegen von Geld in festen Vermögenswerten, sei es in Liegenschaften oder in Wertpapieren. Geldanlage in diesem Sinne bedeutet die Umwandlung von Geld in andere Werte; um wieder zu dem Geld zu kommen, ist daher eine Veräußerung (alienatio) im kanonischen Sinne erforderlich 9 . Die im folgenden anzuführenden Bestimmungen über die Vermögens(Geld)anlage beziehen sich nur auf die Anlage im engeren Sinne. Die Geldanlage stellt einen Akt der außerordentlichen Verwaltung dar und übersteigt daher die ordentliche Zuständigkeit des Ökonomen (vgl. c. 532 § 2). Dieser bedarf zur Geldanlage einer Ermächtigung seitens des zuständigen 8 B. Primetshofer, Ordens recht auf der Grundlage der nachkonziliaren Rechtsentwicklung (2. Aufl. Freiburg/Br. 1979) 123 ff. 9 Primetshofer, ebd. 126 ff.

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Oberen. Die Vermögensanlage, wie auch jede Veränderung derselben, hat nach Maßgabe der Konstitutionen zu geschehen, die regelmäßig ein Konsensrecht der Beiräte eines Oberen bzw. auch ein Konsensrecht des höheren Oberen vorsehen.

c. 533 § 1 legt überdies ein Konsensrecht des Ortsordinarius in den nachstehend angeführten Fällen fest. Bei Geldanlage müssen die Zustimmung des Ortsordinarius einholen: - Die Oberin eines Nonnenklosters oder einer diözesanrechtlichen Kongregation bei jeder Geldanlage; untersteht das Nonnenkloster einem Regularoberen, dann ist auch dessen Zustimmung einzuholen. - Die Oberin in einer Kongregation päpstlichen Rechts, wenn sich die Geldanlage auf die Mitgift (Dos) nach Maßgabe von c. 549 bezieht. - Der Hausobere bzw. die Hausoberin einer Kongregation, wenn ein Vermögen dem Haus zu dem Zweck übergeben oder vermacht wurde, um am Ort für gottesdienstliche oder wohltätige Zwecke verwendet zu werden. Unter dem Vermögen (fundus) sind hier nicht nur unbewegliche Güter zu verstehen, sondern auch bewegliche, insbesondere Geld. - Alle Religiosen, auch die Regularen, wenn ihnen Geld für eine Pfarrei oder Mission gegeben wurde oder einem Religiosen im Hinblick auf eine Pfarrei bzw. Mission. Die Frage, ob etwas im Hinblick (intuitu) auf eine Pfarrei oder Mission gegeben wurde, wird sich vornehmlich aus der Absicht des Spenders bzw. aus der konkreten Verumständung der Spende beantworten lassen. Grundsätzlich ist hier auch auf c. 1536 § 1 zu verweisen: Was einem Kirchenrektor (auch einem Religiosen) gegeben wurde, ist im Zweifel als der Kirche gegeben zu betrachten. Diese (einfache) Rechtsvermutung ist allerdings auf Kirchenrektoren eingeschränkt und kann nicht auf alle anderen Religiosen ausgedehnt werden, selbst wenn diese im Pfarrdienst (als Pfarrer oder Kaplan) stehen sollten. 3. Veräußerung von Klostervermögen a) Begriff der Veräußerung Veräußerung (alienatio) wird in einem engen und einem weiten Sinn verstanden. Unter den Begriff der Veräußerung im engen Sinn fällt jedes

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Rechtsgeschäft, das das Aufgeben von Eigentum an dem zum Stammkapital gehörenden Klostervermögen zum Inhalt hat, d. h. also konkret Verkauf, Schenkung, Tausch 10. Unter Veräußerung im weiten Sinne ist jedes Rechtsgeschäft zu verstehen, durch das die Rechtsstellung des vertragschließenden Rechtsträgers schlechter werden könnte (c. 1533). Man kann sagen, daß in diesem Sinne Veräußerung dann vorliegt, wenn ein Rechtsgeschäft entweder die frei verfügbaren Mittel übersteigt oder eine dauernde Last auferlegt. So sind z. B. Veräußerung jene Rechtsgeschäfte, die kirchliches Sacheigentum oder kirchliche Rechte belasten (z. B. Gewährung eines Pfandrechts, einer Hypothek) oder in ihrer Ausnützung einschränken (z. B. Dienstbarkeiten, Reallasten, Miet-, Pacht- und Leihverträge), ferner Verträge, die eine schuldrechtliche Verbindlichkeit begründen (z. B. Aufnahme eines Darlehens, einer Anleihe, Übernahme einer Bürgschaft). Die genaue Grenzziehung zwischen Veräußerung im engen und weiten Sinne ist im übrigen belanglos, weil für beide Tatbestandsgruppen dieselben Bestimmungen gelten. b) Das kanonische Veräußerungsverbot Grundsätzlich ist zu sagen, daß das Vermögen kirchlicher Rechtsträger insofern besonders geschützt ist, als die juristischen Personen, denen dieses Vermögen zugehört, rechtlich den Minderjährigen gleichgestellt sind (c. 100 § 3). Die Verwalter kirchlichen Vermögens haben sich ihrer Aufgabe mit der Sorgfalt eines guten Familienvaters zu unterziehen und sind grundsätzlich nicht berechtigt, kirchliches Vermögen zu veräußern. - Zweck dieser kirchenrechtlichen Bestimmung ist die Erhaltung des kirchlichen Stammvermögens, um dadurch die geistlichen Zielsetzungen der Kirche zu gewährleisten. Das generelle Veräußerungsverbot bedeutet nicht, daß kirchliches Vermögen unter keinen Umstiinden veräußert werden darf, sondern verlangt das Vorliegen eines gerechten Grundes, der nach c. 1530 § 1, 2 des näheren als dringende Notwendigkeit, offenkundige Nützlichkeit oder schließlich Frömmigkeit determiniert wird. Außerdem ist für jede Veräußerung die "Erlaubnis" des zustiindigen kirchlichen Oberen erforderlich, ohne die die Veräußerung ungültig wäre. Im einzelnen ist hiezu folgendes zu sagen:

10 G. Vromant, De bonis Ecclesiae temporalibus, 3. Autl (BrüsseI1953) Nr. 293.

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Eine Erlaubnis des Heiligen Stuhles ist erforderlich für die Veräußerung von kostbaren Sachen. Als solche gelten Sachen,die einen erheblichen Kunst-, Altertums- oder Materialwert besitzen (c. 1497 § 2), z. B. wertvolle Gemälde, Statuen, kostbare Gefäße, Bücher, Paramente. Ferner bedeutende Reliquien und kostbare Bilder bzw. überhaupt Reliquien, die sich in einer Kirche der besonderen Verehrung des Volkes erfreuen. In diesem Falle wäre nicht nur die Veräußerung ohne Erlaubnis des Heiligen Stuhles nichtig, sondern auch die dauernde Übertragung in eine andere Kirche (wohl auch desselben Verbandes). Ferner ist eine Erlaubnis des Heiligen Stuhles erforderlich für Sachen, deren Wert jene Summe übersteigt, die von der nationalen bzw. regionalen Bischofskonferenz als Grenzwert (sogenannte Romgrenze) festgelegt wurde. Sie beträgt für Österreich derzeit ÖS 5,000.000 11 . Wenn bei Verpachtungen der Wert der verpachteten Sache die Romgrenze erreicht, ist eine apostolische Erlaubnis dann erforderlich, wenn die Vertragsdauer neun Jahre überschreitet (c. 1541 § 2, 1). In allen anderen Fällen sind die schriftliche Genehmigung des Klosteroberen nach Maßgabe des Verbandsrechts und die Zustimmung seines Beirates erforderlich, die in geheimer Abstimmung zu erfolgen hat. Bei Nonnen und diözesanrechtlichen Schwestemkongregationen ist überdies die schriftliche Zustimmung des Ortsordinarius erforderlich; wenn das Nonnenkloster einem Regularoberen untersteht, ist auch dessen Zustimmung notwendig (c. 534 § 1).

Bei dem Ansuchen um Genehmigung einer Veräußerung müssen zur Gültigkeit der erteilten Genehmigung schon bestehende Schulden und Verbindlichkeiten angegeben werden, von denen das Haus, die Provinz oder der Gesamtverband betroffen sind (c. 534 § 2). Erfolgt der Verkauf einer teilbaren Sache, so ist im Gesuch bei sonstiger Nichtigkeit der erteilten Genehmigung anzugeben, welche Teile schon früher verkauft wurden (c. 1532 § 4). Werden mehrere Gegenstände zugleich veräußert, deren Gesamtwert die Romgrenze erreicht, dann ist eine apostolische 11 Vgl. dazu das Motu proprio Pastorale munus 30. 11. 1962, Nr. 32, in: AAS 56 (1964) 5 ff.; Päpstliches Reskript Cum admotae 6. 11. 1964, Nr. 9, in: AAS 59 (1967) 374 f. und das Dekret der Religiosenkongregation Religionum laicalium vom 31. 5. 1966, Nr. 2, in: AAS 59 (1967) 362 ff. Österreichische Bischofskonferenz Frühjahr 1979 unter Berufung auf ein Reskript der Kleruskongregation vom 23. 3. 1979, Prot. Nr. 160069/Ill.

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Genehmigung erforderlich; diese ist hingegen nicht notwendig, wenn mehrere Gegenstände nacheinander und aus verschiedenen Gründen veräußert werden, auch wenn alle zusammen die Romgrenze überschritten. Die Oberen dürfen die Erlaubnis zur Aufnahme von Darlehen nur dann geben, wenn feststeht, daß aus den üblichen Einkünften die Zinsen bezahlt und das Darlehen selbst innerhalb einer nicht allzu langen Frist zurückgezahlt werden kann (c. 536 § 5). Einige weitere Vorschriften regeln das Vorgehen bei Veräußerung von Kirchengütern. So dürfen diese nicht unter ihrem Schätzwert verkauft werden (c. 1531 § 1); zur Feststellung des Wertes ist ein schriftliches Schätzungsgutachten durch einen Sachverständigen erforderlich (c. 1530 § 1, 1). Die Veräußerung hat, sofern nicht die Umstände etwas anderes geraten scheinen lassen, durch öffentliche Ausbietung (Versteigerung) zu erfolgen oder soll wenigstens öffentlich bekanntgemacht werden. Die Sache selbst soll dem zugesprochen werden, der das beste Anbot erstellt hat. Das aus der Veräußerung erworbene Geld muß grundsätzlich wieder vorsichtig, sicher und fruchtbringend angelegt werden (c. 1531 § 3), sofern nicht in der Veräußerungserlaubnis die Vollmacht enthalten war, das erworbene Geld auszugeben, z. B. zur Tilgung von Schulden oder zur Renovierung bzw. zum Umbau eines kirchlichen Gebäudes. Der Verbrauch des Verkaufserlöses bedeutet einen zweiten Veräußerungsakt, der aber implizit schon bei der ersten Veräußerungserlaubnis rnitbewilligt werden kann, etwa dann, wenn beim Ansuchen um Erlaubnis zum Verkauf eines Teils des Stammvermögens schon angegeben wurde, daß der Verkaufserlös zur Schuldentilgung verwendet werden soll. c) Die Stellung des Ortsordinarius bei Verkäufen seitens klösterlicher Rechtsträger Es wurde bereits oben dargelegt, daß dem Ortsordinarius bei bestimmten Rechtsgeschäften klösterlicher Rechtsträger ein Zustimmungs-(Konsens-)recht zukommt. Diese Eingriffsrechte des Ortsordinarius sind aber im eIe taxativ aufgezählt; eine extensive Interpretation ist daher nicht möglich. Grundsätzlich gilt die Selbständigkeit der klösterlichen Vermögensverwaltung nicht nur für die entweder kraft allgemeinen Rechts oder kraft besonderen Privilegs exemten Verbände, sondern auch für die nichtexemten. Auch ihnen steht in der Verwaltung ihres Vermögens Selbständigkeit zu.

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Ein besonderes Problem ergibt sich in diesem Zusammenhang bei den inkorporierten Klosterpfarren, näherhin bei den mit diesen Pfarren verbundenen Pfründen. Bekanntlich stehen sich hinsichtlich der Pfründe vollinkorporierter Klosterpfarren bis heute die Vertreter der sogenannten Eigentums- und der Nutzungstheorie gegenüber, ohne daß sich aus den spärlichen Angaben des CIC und einer erfolgten authentischen Interpretation l2 eindeutige Hinweise in die eine oder andere Richtung gewinnen ließen. Nach der Eigentumstheorie wird die Vermögensmasse der Pfründe (dos beneficii) Eigentum des Inkorporationsträgers (des Klosters), der allerdings verpflichtet ist, aus den Erträgnissen der Pfründe dem die Seelsorge versehenden Geistlichen den Unterhalt zu geben. Hierbei darf am Rande darauf hingewiesen werden, daß bei inkorporierten Klosterpfarren keineswegs notwendigerweise ein Mitglied des Ordens, dem die Pfarre inkorporiert ist, als Pfarrvikar tätig sein muß, sondern dies kann durchaus auch ein Weltgeistlicher sein. Es handelt sich also um zweckgebundenes Klostervermögen. - Der Nutzungstheorie zufolge verbliebe auch bei der Vollinkorporation das Benefizium selbständiger Vermögensträger, dem Kloster komme nur ein Nießbrauch an der Pfarrpfründe zu13. Was nun die Stellung des Ortsordinarius bei Veräußerungen bzw. Belastungen von Pfründengut (also bei allen Rechtsgeschäften, die dem Alienationsverbot unterliegen) betrifft, so ist dazu folgendes zu sagen: Der Nutzungstheorie zufolge, d. h. also die rechtliche Selbständigkeit der Pfarrpfründe vorausgesetzt, handelt es sich um ein der Jurisdiktion des Ortsordinarius überhaupt nicht entzogenes Benefizium. Somit kommen dem Ortsordinarius die allgemeinen Vigilanzrechte nach c. 1519 und insbesondere als "legitimus Superior" nach c. 1532 § 2 und 3 das Konsensrecht bei Veräußerungen zu. Geht man von der Eigentumstheorie aus, so ist dem Ortsordinarius bezüglich der Pfarrpfründe eine Interessentenstellung zumindest aufgrund der österreichischen Rechtslage zuzuweisen. Die Zustimmung der Interessenten ist zufolge c. 1532 § 2 und 3 erforderlich l4 . 12 Päpstliche Interpretationskommission (pe I) 25. 7. 1926, in: AAS 18 (1926) 393. 13 B. Primetshofer, Zur Frage der vermögensrechtlichen Vertretung vollinkorporierter Pfarren in Österreich, in: Speculum Iuris et Ecclesiarum (FS für W. M. Plöchl zum 60. Geburtstag, Wien 1967) 333 ff. 14 Ungeachtet der InteressentensteIlung des Ortsordinarius und des ihm aufgrund dieses Rechtstitels zukommenden Konsensrechtes bei Verkäufen von Pfründengut der vollinkorporierten Klosterpfarre ließe sich ein solches Konsensrecht des Ortsordinarius selbst unter Zugrundelegung der Eigentumstheorie herleiten. Denn wenn auch die Pfarrpfrunde im Eigentum des (exemten) Rechtsträgers Kloster steht, so handelt es sich doch um für die Bedürfnisse der Pfarre zweckgebundenes Klostervermögen. Dies bedeutet aber ein Zugehörigkeitsverhältnis dieses Klostervermögens zugunsten der

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Die InteressentensteIlung des Ortsordinarius ist in Österreich insofern gegeben, als die Besoldung des im Pfarrdienst stehenden Welt- und Ordensklerus (also auch des Klerus an inkorporierten Klosterpfarren) durch die bischöflichen Finanzkammern vorgenommen wird. Hierbei wird das aus der Pfründe fließende Lokaleinkommen in die Besoldung eingerechnet, so daß der Pfarrvikar der vollinkorporierten Klosterpfarre von der Diözesao-Finanzkammer um dasjenige weniger bekommt, was das Lokaleinkommen der Pfründe ausmacht. Gewisse Minimaleinkünfte der Pfründe bleiben außer Betracht. Wenn nun durch Veräußerungen von Pfründengut sich das Lokaleinkommen der Pfarre verringert, und wenn sich demgemäß die von der Diözesan-Finanzkammer zu leistenden Beiträge erhöhen, dann ist die InteressentensteIlung des Ortsordinarius als Verwalter des Diözesaovermögens ohne weiteres gegeben. d) Die "Ordinariatsklausel " im österreichischen Konkordat Hier ist nun auch der Ort, auf eine Besonderheit der österreichischen Rechtslage hinzuweisen. Art. XIII § 2 des Konkordats von 1933/34 rezipiert zunächst einmal das kanonische Recht, wenn es dort heißt: "Das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte wird durch die nach dem kanonischem Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten; bei Orden und Kongregationen gilt für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften der Lokalobere und, soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handelt, der Obere des betreffenden Verbandes als der berufene Vertreter. Die Gebarung mit dem kirchlichem Vermögen findet unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordensoberen statt. Ohne deren Zustimmung kann solches Vermögen weder veräußert noch belastet werden." - Zu diesem § 2 sagt das ZusProt des Konkordats folgendes: "Der Heilige Stuhl wird die Diözesanordinarien anweisen, bei intabulationspflichtigen Rechtsgeschäften auf der Urkunde nach vorheriger Überprüfung eine Klausel beizusetzen, daß gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung und Verpflichtung kirchliPfarre im Sinne von c. 1497 § 1. Die - freilich nicht unbestrittene - Rechtspersönlichkeit der Pfarre als solcher vorausgesetzt, besteht demnach hinsichtlich der im Eigentum des Klosters stehenden Pfarrpfründe ein geldwertes Recht der juristischen Person Pfarre an dieser Pfründe, und somit ist auch der Begriff l1arrvermögen gegeben. Bezüglich dieser juristischen Person Pfarre und ihrem Vermögen ist aber der Ortsordinarius als "legitimus Superior" im Sinne von c. 1532 § 2 und 3 anzusprechen, dem bei unter der Romgrenze liegenden Veräußerungen das Konsensrecht zukommt. - Zur Frage der Rechtspersönlichkeit der Pfarre als solcher vgl. M. Petroncelli, Diritto canonico (VII edizione aggiornata con le disposizioni postconciliari, Napoli 1976) 247.

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cherseits kein Anstand obwaltet, und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen waren. " Im Zusammenhang mit dieser Bestimmung erging eine Ministerialverordnung vom 9. 5. 1934 über die Ausstellung von Bestätigungen anIäßlich der in den öffentlichen Büchern durchzuführenden Veräußerungen oder Belastungen von kirchlichem Vermögen (BGBL 11/22). - Diese Konkordatsstellen (man spricht hier von der sogenannten Ordinariatsklausel) sind z. T. in dem Sinne mißverstanden worden, als ob damit dem Ortsordinarius ein über das allgemeine Recht hinausreichendes zusätzliches Konsensrecht bei intablationspflichtigen Rechtsgeschäften von Religiosen gegeben würde und dies selbst dann, wenn es sich um reines Klostervermögen eines exemten Verbandes handelt. Ein solches zusätzliches Konsensrecht des Ortsordinarius wäre, das braucht wohl nicht eigens betont zu werden, eine weitreichende Abweichung vom kodikarischen Recht, das von der Selbständigkeit der klösterlichen Vermögensverwaltung ausgeht und dem Ortsordinarius nur in genau bezeichneten Fällen Ingerenz in diese gewährt . - Die behauptete Rechtsfolge läßt sich aus den angeführten Gesetzesstellen keineswegs herleiten. Zunächst ist zu bemerken, daß das österreichische Konkordat seiner generellen Tendenz nach einer partikularrechtlichen Durchsetzung, keineswegs aber einer Durchlöcherung des kodikarischen Rechts dient l5 . Wenn also dieses Konkordat vom eIe abweichendes Recht enthält, dann müßte sich dies wohl in hinlänglicher Deutlichkeit aus dem Gesetzestext ergeben. Die angeführten Stellen des österreichischen Konkordats haben aber offensichtlich lediglich den Zweck, den staatlichen Grundbuchsführer, der ja mit Details des internen Ordensrechts, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzungen und Vertretungsbefugnisse der verschiedenen Formen klösterlicher Oberer, nicht befaßt ist, der Pflicht komplizierter Nachforschungen zu entheben, ob ein zeichnungsberechtigter Oberer ein intabulationspflichtiges Rechtsgeschäft unter Einhaltung kirchenrechtlicher Voraussetzungen abschließt oder nicht. Dem Ortsordinarius wird damit kein über das kodikarische Recht hinausgehendes Konsensrecht gegeben. Konsensrechte hat der Ortsordinarius auch im Zusammenhang mit der Ordinariatsklausel nur insoweit, als ihm diese schon aufgrund des allgemeinen Rechts des eIe zustehen. All das schließt jedoch nicht aus, daß dem Ortsordinarius aufgrund der Ordinariatsklausel ein Recht bzw. eine Pflicht zukommt zu prüfen, ob alle innerkirchlichen Voraussetzungen für die Gültigkeit des zu tätigenden 15 Schnizer, (Anm. 4) 186, sieht die Grundtendenz des österreichischen Konkordats in der möglichst weitgehenden Rezeption des kanonischen Rechts.

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Rechtsgeschäfts vorliegen. Dieses fonnelle Prüfungsrecht umfaßt die Frage, ob ein zeichnungsberechtigter Oberer das Rechtsgeschäft abschließt, ob die Zustimmung des Kapitels bzw. der Konsultoren vorliegt (vgl. c. 534), ob bei den die Romgrenze erreichenden Veräußerungen die apostolische Genehmigung vorliegt usw. Der Konkordatstext spricht ausdrücklich davon, daß der Ortsordinarius die Klausel "nach vorheriger Überprüfung" beizusetzen hat, und daß er zu bestätigen hat, daß "gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung oder Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwaltet, und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen waren". Daraus ergeben sich aber ganz klar die angeführten Rechte bzw. Pflichten des Ortsordinarius. All dies bedeutet keinen Eingriff in die kirchenrechtliche Exemtion bzw. die auch bei nichtexemten Verbänden gewährleistete Selbständigkeit der klösterlichen Vermögensverwaltung. Denn der Ortsordinarius erhält damit keine materiellrechtlichen Eingriffsrechte in bezug auf die Entscheidung der Frage, ob und unter welchen Umständen eine Veräußerung vorgenommen werden kann, sondern er hat lediglich für den staatlichen Bereich (nach vorheriger Überprüfung) zu bestätigen, daß alle im allgemeinen Kirchenrecht wie im Verbands recht enthaltenen Voraussetzungen für den gültigen Abschluß des (intabulationspflichtigen) Rechtsgeschäftes vorliegen. - Somit ergibt sich auch, daß die Beisetzung bzw. Verweigerung der Klausel nicht eine Ermessensfrage des Ortsordinarius darstellt. Auch wenn das Rechtsgeschäft den Interessen der Diözese zuwiderliefe, kann er die Beisetzung der Klausel nicht einfach deswegen verweigern. Sicherlich steht ihm gegen eine von einem klösterlichen Verband geplante Alienation, wenn diese den Interessen der Diözese in gravierender Weise zuwiderliefe, das Rekursrecht an den Heiligen Stuhl zu. Dieser kann als oberster Administrator allen Kirchengutes (vgl. c. 1518) eine solche Veräußerung untersagen, auch wenn der Wert der zu veräußernden Sache nicht die Romgrenze erreicht und somit gar keine apostolische Genehmigung erforderlich wäre. Aber die meritorische Entscheidung, ob die Veräußerung vorgenommen wird oder nicht, liegt in diesem Fall beim Heiligen Stuhl und nicht beim Ortsordinarius.

4. Die rechtsgeschäftliche Vertretung der juristischen Personen des Ordensrechts

Hier ist insbesondere die Frage zu erörtern, wer konkret Rechtsgeschäfte im Namen klösterlicher Rechtsträger tätigen kann. Der CIC enthält in diesem Punkt wenig detaillierte Aussagen. Grundsätzlich wird festgestellt (c. 531), daß nicht nur der Gesamtverband (religio), sondern auch die Provinz und die

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Einzelniederlassung vermögensfähig sind, soweit deren Vermögensfähigkeit nicht im Verbandsrecht ausgeschlossen oder eingeschränkt ist (wie dies bei den eigentlichen Mendikantenorden der Fall ist). Die Güter dieser einzelnen Rechtsträger sind nach Maßgabe des Verbandsrechts zu verwalten (c. 532 § 1), wobei noch eigens gesagt wird, daß Akte der ordentlichen Verwaltung neben den Oberen auch von den nach dem Verbandsrecht bestellten Officiales (= Ökonomen) getätigt werden können (c. 532 § 2). Damit ist also für den Bereich der ordentlichen Verwaltung auf jeden Fall eine kumulative Kompetenz von Oberen und Ökonomen gegeben. Rechtsgeschäfte, die in den Bereich der außerordentlichen Verwaltung fallen - darunter zählt vor allem die Veräußerung im oben beschriebenen Sinne -, sind grundsätzlich von den kanonischen Oberen selber vorzunehmen. Die Ökonomen bedürfen dazu einer speziell erteilten Ermächtigung seitens des zuständigen Oberen. Daß bei einer die Romgrenze erreichenden Veräußerung der Heilige Stuhl seine Zustimmung geben muß, wurde bereits erwähnt. Es ist aber im allgemeinen Recht des eIe nicht gesagt, welcher Obere bzw. welches Gremium bei den unter der Romgrenze liegenden Werten zustimmen muß. Grundsätzlich ist zu sagen, daß kein Oberer Veräußerungen ohne den Konsens seines Kapitels bzw. seiner Konsultoren vornehmen kann (c. 534 § 1). Nonnen und diözesanrechtliche weibliche Verbände haben überdies den Konsens des Ortsordinarius einzuholen; die einem Regularoberen unterstehenden Nonnen bedürfen auch der Zustimmung des Genannten. Im eIe fehlt eine eindeutige Aussage darüber, ob und eventuell ab welcher Wertgrenze der Hausobere eines zentralistisch regierten Verbandes der Zustimmung des Provinzoberen und dessen Konsultoren bedarf, bzw. ab wann die Zustimmung des Generaloberen und dessen Konsultoren erforderlich ist. Alle diese Fragen sind der Gestaltung durch das Verbandsrecht überlassen. Das österreichische Konkordat weist den Abschluß von Rechtsgeschäften bei Orden und Kongregationen in die Kompetenz des Lokaloberen, bzw. bei Rechtsgeschäften höherer Verbände in die des Oberen des betreffenden Verbandes (Art. XIII § 2). Das Ordensrecht des eIe geht also von dem Modell aus, daß nicht bloß der Ordensverband selbst, sondern auch dessen Teilorganisationen (Provinzen, Einzelniederlassungen) vermögensfähig sind und daß deren Vermögen im Bereich der ordentlichen und außerordentlichen Verwaltung von dem je zuständigen Oberen vertreten wird. Die Überwachungsfunktion des übergeordneten Oberen und dessen Konsensrechte zu bestimmten Verwaltungsakten (insbesondere zu Veräußerungen) bedeuten aber nun keineswegs, daß der eine Genehmigung erteilende Obere damit selbst die rechtsgeschäftliche Vertretung

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der nachgeordneten juristischen Person an sich zieht. Auf eine einfache Fonnel gebracht: Die Zustimmung zu einer Veräußerung erteilen heißt nicht, diese Veräußerung selbst vornehmen. Die Erlaubnis stellt ferner keinen Befehl dar, etwas zu tun, sondern läßt die Initiative des Handelns bei dem, der die Erlaubnis einholen mußl6. Daraus ergibt sich auch, daß jede Teilorganisation des Ordensrechts für ihre Verbindlichkeiten selbst einzustehen hat, nicht aber die höhere Organisationsfonn, auch wenn deren Oberer die Erlaubnis zu einem Rechtsgeschäft gegeben hat. Wenn z. B. eine Einzelniederlassung ein Darlehen aufnimmt, dann haftet ausschließlich sie selbst für dessen Rückzahlung, nicht aber die Provinz, auch dann nicht, wenn der Provinzobere die Zustimmung zur Aufnahme des Darlehens gegeben hat (c. 536 § 1). 5. Rechtsgeschäftliches Handeln von Ordensleuren In diesem Abschnitt soll ganz kurz davon gesprochen werden, inwieweit einzelne Ordenspersonen im eigenen Namen Rechtsgeschäfte abschließen können. Es darf hier wohl als bekannt vorausgesetzt werden, daß nach kanonischem Recht die einfache Profeß die Vennögenstähigkeit nicht aufhebt, sondern nur einschränkt. So behält der Professe mit einfachen Gelübden grundsätzlich das bereits vor der Profeß erworbene Vennögen bei (c. 580 § 1); nach der Profeß geht alles das, was er durch eigenen Fleiß erwirbt oder was ihm im Hinblick auf den Ordensverband zukommt, in dessen Eigentum über (c. 580 § 2). Innerhalb welchen Rahmens Professen mit einfachen Gelübden nach der Profeß weiteres Privatvennögen erwerben können, richtet sich nach dem Verbandsrecht. - Für Professen mit feierlichen Gelübden hingegen gilt der Grundsatz: Was immer der Mönch erwirbt, erwirbt er für den Verband (c. 582). Was nun das rechtsgeschäftliche Handeln von einzelnen Ordenspersonen betrifft, so gibt c. 536 CIC darüber folgende Auskunft: Wurde seitens eines Religiosen eine Verbindlichkeit mit Erlaubnis des Oberen eingegangen, dann haftet bei einem Regularen jener Verband, dessen Oberer die Erlaubnis gegeben hat. Handelt es sich um einen Professen mit einfachen Gelübden, dann haftet dieser persönlich, es sei denn, daß er mit Erlaubnis des Oberen im Namen und Auftrag des Verbandes rechtsgeschäftlich tätig wurde. In diesem Falle haftet nämlich diejenige juristische Person, die der Religiose rechtsgeschäftlich ver16 Vgl. Primetshofer, (Anm. 8) 135 f.

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treten hat. - Liegt jedoch keine Erlaubnis des Oberen vor, dann haftet auf jeden Fall der betreffende Religiose persönlich, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen Professen mit einfachen oder feierlichen Gelübden handelt. In jedem Fall kann aber gegen denjenigen, der aus einem Rechtsgeschäft eines Religiosen Vorteil gezogen hat, mit der Bereicherungsklage vorgegangen werden. Das österreichische staatliche Recht unterscheidet ebenfalls, was das rechtsgeschäftliche Handeln von Ordensleuten betrifft, zwischen der einfachen und der feierlichen Profeß. Der Professe mit einfachen Gelübden ist in bezug auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit keinerlei Beschränkungen unterworfen, während die feierlichen Gelübde eine Einschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit bewirken I 7. Insbesondere sind nach dem ABGB Ordensleute mit feierlichen Gelübden erb- und testierunfähig l8 . Nunmehr ist aber durch Reskript der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 8. Juli 1974 für Österreich generell von der Feierlichkeit des Armutsgelübdes dispensiert worden 19, so daß die für Professen mit feierlichen Gelübden bestehenden Beschränkungen der österreichischen Rechtsordnung nicht mehr anwendbar sind. Daraus ergibt sich nunmehr aber die Pflicht zur Testamentserrichtung, wie diese für Professen mit einfachen Gelübden besteht. Ein solches Testament wird insbesondere dann notwendig sein, wenn ein Religiose (mit einfachen bzw. nunmehr dispensierten feierlichen Gelübden) ein eigenes Bankkonto bzw. ein auf seinen Namen lautendes Sparbuch hat, in das jene Gelder eingezahlt werden, die er nicht für sich, sondern für seinen Verband erwirbt (so z. B. das Gehalt, Honorare für künstlerische oder wissenschaftliche Tätigkeit, Meßstipendien). Nach dem staatlichen Recht fällt das auf eigenen Namen angelegte Vermögen im Falle des Todes des Religiosen im Wege der Intestaterbfolge seinen Verwandten zu, sofern nicht ein Testament errichtet und darin der Verband zum Erben eingesetzt wurde. Die Tatsache einer (einfachen oder feierlichen) Profeß spielt im österreichischen Sozialversicherungsrecht eine Rolle. Nach § 5 Abs. 1 Z. 7 ASVG sind u. a. Angehörige der Orden und Kongregationen der katholischen Kirche 17 Vgl. dazu E. Melichar, Ordenseintritt und vermögensrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit nach kanonischem und österreichischem Recht, in: Österreichische Notariatszeitung 87/1955,17 ff. 18 E. Weiß, in: Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von H. Klang (Ill. Bd., Wien 1952) 83. 19 Dazu B. Primetshofer, Feierliches Armutsgelübde und staatliche Erbfähigkeit. Bemerkungen zu einem Reskript der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 8. Juli 1974, in: ÖAKR 25 (1974) 274 ff.

Grundzüge der klösterlichen Vennögensverwa1tung

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von der Vollversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) ausgenommen, sofern sie nicht in einem Dienstverhältnis zu einer anderen Person (Körperschaft) als ihrem Orden (Kongregation) stehen. Damit ist indirekt zum Ausdruck gebracht, daß Ordenspersonen im Sinne des staatlichen Rechts in keinem Dienstverhältnis zu ihrer eigenen Genossenschaft stehen. Als Ausnahme von diesem Grundsatz wird in § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. b ASVG bestimmt, daß Angehörige der Orden und Kongregationen der katholischen Kirche in ihrer Tätigkeit in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb ihres Ordens (Kongregation) in der Unfallversicherung teilversichert sind. § 314 ASVG verpflichtet im Falle des Ausscheidens des Mitglieds aus einem Orden (Kongregation) die Ordensgenossenschaft zur Zahlung des sogenannten Überweisungsbetrags an den gesetzlichen Sozialversicherungsträger. Dieser Betrag ist nach einem im ASVG enthaltenen Schlüssel für die gesamte im Orden (Kongregation) verbrachte Zeit zu entrichten20 . Die Zahlung dieser mitunter recht beträchtlichen Überweisungsbeträge stellt manche Verbände vor eine schwierige finanzielle Aufgabe. Dabei sind diese Zahlungen - wie bereits erwähnt - an den gesetzlichen Sozialversicherungsträger zu entrichten; das austretende Mitglied erhält davon zunächst nichts. - Überdies ist nunmehr durch Dekret der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 25. 1. 197421 festgelegt worden, daß austretenden Mitgliedern auch eine finanzielle Überbruckungshilfe gegeben werden muß. In diesem Dekret wird auch die Schaffung von Büros angeregt, um austretende Angehörige klösterlicher Verbände moralisch und wirtschaftlich zu unterstützen. Angesichts all dieser Verpflichtungen, die nunmehr den Ordensverbänden zusätzlich erwachsen sind, erhebt sich die Frage, ob nicht aus bestimmten Rücklagen eigene Fonds gebildet werden sollen, aus denen die entsprechenden Beträge zu entnehmen wären. Die Frage einer für jedes Ordensmitglied abzuschließenden (privaten) Kranken- und Pensionsversicherung soll hier nicht mehr erörtert werden, da dieses vor wenigen Jahren heftig diskutierte Problem inzwischen wenigstens teilweise einer Lösung zugeführt wurde. - Lediglich am Rande sei noch erwähnt, daß Ordensleute, die irgendwann einmal in einem sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden sind, auch nach dessen Beendi20 H. Pree, Die vennögensrechtliche Lage ausgeschiedener Religiosen nach kanonischem Recht und nach staatlichem Recht unter Berücksichtigung der 29. ASVG-Novelle, in: ÖAKR 24 (1973) 203 ff. 21 Prot. Nr. 246173, in: ÖAKR 25 (1974) 280 f.

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gung sich freiwillig weitelVersichem lassen und so in den Genuß der Kranken- und Pensionsversicherung nach dem ASVG kommen können.

Das klösterliche Vennögen und seine Verwaltung I. Begriff des klösterlichen Vennijgens 1. Rechtsfiihigkeit klösterlicher Verbiinde

Bei der Begriffsbestimmung des klösterlichen Vermögens ist von der Stellung jener Verbände auszugehen, die das Recht des CIC/1983 unter der umständlichen Sammelbezeichnung "Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens" zusammenfaßt. Im Bewußtsein, damit Verzerrungen und Vergröberungen in Kauf zu nehmen, möchte ich im folgenden diese Verbände unter der Bezeichnung Ordensverbiinde zusammenfassen. Vieles von dem, was im folgenden zu sagen sein wird, gilt freilich in vollem Umfang nur für die Ordens institute (Instituta religiosa) , die zusammen mit den Säkularinstituten unter dem Oberbegriff der Institute des geweihten Lebens subsumiert werden. Alle Ordensverbände und auch ihre Teilgliederungen (Provinzen, Regionen, Einzelniederlassungen) sind gemäß der neuen Begriffswelt des CICI1983 "öffentliche juristische Personen", da sie "innerhalb der für sie festgesetzten Grenzen nach Maßgabe der Rechtsvorschriften im Namen der Kirche die ihnen im Hinblick auf das öffentliche Wohl übertragene eigene Aufgabe erfüllen" (c. 116 § 1). Diese juristischen Personen besitzen auch die Fähigkeit, Vermögen zu haben, soweit dies nicht im Eigenrecht des betreffenden Verbandes ausgeschlossen oder eingeschränkt ist, wie bei den Mendikanten im eigentlichen Sinn, bei denen formell der Heilige Stuhl Eigentümer jenes Vermögens ist, das sie innehaben. Das den Ordensverbänden als öffentlichen kirchlichen juristischen Personen zukommende Vermögen ist kirchliches Vermögen und unterliegt grundsätzlich den diesbezüglichen Bestimmungen des CIC/1983. Klösterliches Vermögen ist daher von der Zielsetzung und rechtlichen Gestaltung des kirchlichen Vermögens erfaßt. Kirchliches (daher auch klösterliches) Vermögen steht hinsichtlich seiner Verwendung unter dem "Ziel paragraphen " von c. 1254 § 2: Es hat der geordneten Durchführung des Gottesdienstes, der Si32 Primetshofer

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cherstellung des angemessenen Unterhalts des Klerus und anderer Kirchenbediensteter, der Ausübung der Werke des Apostolats und der Caritas, vor allem gegenüber den Armen, zu dienen. Kirchliches Vermögen bedeutet ganz allgemein zeitliche Güter, die einer (im beschriebenen Sinne) öffentlichen juristischen Person •gehören· (pertinent, c. 1257 § 1), wobei es sich nicht nur um Eigentum an körperlichen (Geräte, Bilder, Bücher) oder unkörperlichen (z. B. Liegenschaften, Grundstücken) Gütern handelt, sondern ganz allgemein um geldwerte Rechte an solchen Gütern. So sind z. B. Jagd- und Fischereirechte, Holzbezugsrechte, Weiderechte, aber auch Forderungsrechte (z. B. bestimmte Abgaben zugunsten eines Ordensverbandes) zweifellos dem klösterlichen Vermögen (Klostergut) zuzuzählen. Kirchengut oder Kirchenvermögen ist daher ein Oberbegriff, der in den engen Bereich des Kircheneigentums und den weiten des Kirchenvermögens (Kirchenguts) zerfällt. 2. Einteilung des kirchlichen (klösterlichen) Vermögens

Der CIC/1917 wie auch der CIC/1983 gehen von der Unterscheidung zwischen kirchlichem (klösterlichem) Stamm vermögen (patrimonium stabile) und frei verfügbarem Vermögen (patrimonium liberum) aus. Ersteres ist zur Aufbewahrung und Erhaltung, letzteres zum augenblicklichen Verbrauch bestimmt. Liegenschaften, Grundstücke, Wertpapiere und geldwerte Rechte sind in der Regel als Stammvermögen anzusehen. Aus dessen Erträgnissen sollen der Lebensunterhalt der Mitglieder und die dem Institut eigenen Apostolatsaufgaben bestritten werden. Geld ist in der Regel dem frei verfügbaren Vermögen zuzuweisen, es sei denn, es handle sich um Geld, das aus Veräußerungen (nicht Erträgnissen!) von Stammvermögen herrührt. Erträgnisse aus dem Stammvermögen sowie zur Bestreitung des Unterhalts gegebene Geldspenden sind in der Regel als frei verfügbares Vermögen zu betrachten.

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11. Die Verwaltung klösterlichen Vennögens 1.. Begriff und Arten der Verwaltung Verwaltung bedeutet ganz allgemein die Verwendung zeitlicher Güter nach deren Zweck und juridischer Natur. Man unterscheidet die ordentliche und die außerordentliche Verwaltung. Weder das frühere noch das jetzige Recht enthalten indes eine Legaldefmition dessen, was unter dem einen und anderen Begriff zu verstehen ist. Zufolge cc. 638 § 1 und 1281 § 1 ist im Eigenrecht eines Ordensverbandes bzw. im Statutarrecht sonstiger öffentlicher juristischer Personen festzulegen, was ordentliche und was außerordentliche Verwaltung ist. Außerdem ist zu bestimmen, was zur gültigen Vornahme eines Aktes der außerordentlichen Verwaltung erforderlich ist. Bezüglich bei der Arten von kirchlichem (klösterlichem) Vermögen, dem Stammvermögen wie dem frei verfügbaren Vermögen, gibt es ordentliche wie außerordentliche Verwaltung. Gewisse inhaltliche Grenzwerte in bezug auf die eine wie die andere Form der Vermögensverwaltung lassen sich angeben: Ordentliche Verwaltung in bezug auf das Stammvermögen besteht in dessen Erhaltung, Instandsetzung, Verbesserung und Fruchtbarrnachung; hinsichtlich des frei verfügbaren Vermögens ist der tatsächliche Verbrauch dieser Güter als Akt der ordentlichen Verwaltung anzusehen. Veräußerung (alienatio) von kirchlichem Stammvermögen ist auf jeden Fall ein Akt der außerordentlichen Verwaltung, wobei über Inhalte und Modalitäten dessen, was das Kirchenrecht unter Veräußerung versteht, noch ausführlich zu sprechen sein wird. Innerhalb dieser "Eckpunkte" besteht ein nicht unbeträchtlicher Spielraum für die Grenzziehung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Verwaltung durch das Eigenrecht, wobei hier auch die gesamte wirtschaftliche Lage eines Klosters eine Rolle spielt. So kann etwa im Bereich des frei verfügbaren Vermögens je nach dem gesamten Aufgabenbereich und der wirtschaftlichen Situation eines Klosters ein größerer oder geringerer Ausgabenrahmen als Akt der ordentlichen Verwaltung bezeichnet werden; was darüber hinausgeht, wäre außerordentliche Verwaltung. Beachtlich ist diese Unterscheidung vor allem deshalb, weil gemäß c. 638 § 2 auch der vom Oberen verschiedene Vermägensverwalter (Ökonom) Akte

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der ordentlichen Verwaltung gültig setzen kann, während für alle Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung die gewöhnlichen Vollmachten des Vermögensverwalters nicht ausreichen. C. 638 § 1 enthält die Bestimmung, daß das Eigenrecht festzulegen hat, was zur gültigen Vornahme eines Akts der außerordentlichen Verwaltung erforderlich ist. Für jenen Bereich der außerordentlichen Verwaltung, der unter den Begriff der Alienation fällt, ist jedenfalls gesagt, daß es zu ihrer gültigen Vornahme eines Tätigwerdens des Oberen als solchem (und darunter ist der Vermögensverwalter nicht zu verstehen) bedarf. Der Vermögensverwalter (Ökonom) braucht für eine Veräußerung eine Ermächtigung seitens des zuständigen Oberen. Die Anweisung an das Eigenrecht, nicht nur die Grenzen zwischen ordentlicher und außerordentlicher Verwaltung zu ziehen, sondern auch die formellen und materiellen Gültigkeitsvoraussetzungen für Akte der außerordentlichen Verwaltung zu fixieren, ist von höchster Wichtigkeit. Nicht nur, weil die Sache selbst, nämlich die Sorgfaltspflicht bei der Verwaltung klösterlichen Vermögens, eine genaue Kompetenzabgrenzung erfordert, sondern auch nicht zuletzt deshalb, weil - wie die jüngste Entscheidung des OGH (8 Ob 643/85 vom 3. 4. 1986) wieder dargetan hat - diese Bestimmungen des Eigenrechts auch im staatlichen Bereich Relevanz aufweisen. Dies selbstverständlich nur dann, wenn sie den anstehenden Fragenbereich in hinlänglicher Klarheit abgrenzen. 2. Die Veräußerung von klösterlichem Stamm vermögen Klösterliches Vermögen hat als kirchliches Vermögen eine dauernde Zweckbindung: Es dient kirchlichen Aufgaben, und diese Widmung soll dauernd erhalten bleiben. Insbesondere gilt dies bezüglich des kirchlichen Stammvermögens; dieses unterliegt dem kanonischen Veräußerungsverbot (Alienationsverbot). Veräußerung (Alienation) wird in einem engen und in einem weiten Sinn verstanden. Die Grenze ist weder im CIC/1917 noch im CIC/1983 genau festgelegt, doch ist unter Veräußerung im engen Sinn jedes Rechtsgeschäft zu verstehen, das ein Objekt kirchlichen Vermögens dem Eigentum der berechtigten öffentlichen juristischen Person entzieht, d. h. also Verkauf, Tausch, Schenkung. - Unter Veräußerung im weiten Sinn ist jedes Rechtsgeschäft zu verstehen, durch das sich die Vermögenslage der juristischen Person verschlechtern könnte (vgl. cc. 638 § 3; 1295). Darunter fallen Rechtsgeschäfte, die einer Veräußerung nahekommen, weil sie ihrer Natur nach zum Verlust

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des Eigentums führen können, z. B. Einräumung eines Pfandrechtes, einer Hypothek, einer Grund- oder Rentenschuld. Ferner zählen dazu Rechtsgeschäfte, die kirchliches Vermögen in seiner Ausnützung beschränken, z. B. Dienstbarkeiten (Servituten), Reallasten, Miet-, Pacht- und Leihverträge oder Rechtsgeschäfte, die eine schuldrechtliche Verbindlichkeit begründen, z. B. Aufnahme eines Darlehens, einer Anleihe, Übernahme einer Bürgschaft. Die Unterscheidung zwischen dem engen und dem weiten Veräußerungsbegriff zeigt keine praktischen Auswirkungen, da für beide Formen dieselben Vorschriften bestehen. Die kirchenrechtlichen Bestimmungen über das Veräußerungsverbot untersagen nicht schlechterdings jede Rechtshandlung, die als Veräußerung im angeführten Sinn zu qualifizieren ist, sondern sie binden die Gültigkeit derselben einerseits an im Gesetz angeführte Gründe und andererseits an bestimmte formelle und materielle Voraussetzungen. An Gründen werden angeführt: dringende Notwendigkeit, offenbarer Nutzen, Barmherzigkeit, Caritas oder ein anderer gewichtiger pastoraler Grund (c. 1293 § 1, 1). Überdies wird eine von Sachverständigen schriftlich vorzunehmende Schätzung der zu veräußernden Sache gefordert (ebd. 2). Die Veräußerung kirchlichen Stammvermögens als Akt der außerordentlichen Verwaltung übersteigt die Kompetenz des Vermögensverwalters (Ökonomen) und ist an die schriftliche "licentia" des Oberen gebunden. Welcher Obere zuständig ist, bestimmt das Eigenrecht. Der Obere kann aber keine Veräußerung allein vornehmen, sondern er ist an die Zustimmung seines Rates gebunden, d. h. der absoluten Mehrheit seiner Räte (Konsultoren; c. 127 § 1). Hier sind vielleicht einige grundsätzliche Bemerkungen über das Vorgehen von Oberen und Räten angebracht. Zunächst ist folgendes zu beachten: Der Obere bedarf zur Gültigkeit bestimmter Rechtshandlungen der Zustimmung seiner Räte oder, wie schon gesagt, der absoluten Mehrheit derselben. Er selbst stimmt nicht mit ab, denn er ist ja nicht Mitglied seines eigenen Rates. Erlangt er zu einem von ihm vorzunehmenden Rechtsakt die Zustimmung der absoluten Mehrheit der Räte nicht, kann die betreffende Rechtshandlung nicht gültig vorgenommen werden. Bei Stimmengleichheit hat der Obere kein Dirimierungsrecht (PCI 14. 5. 1985; AAS 77/1985, 771). - Der Obere ist aber, auch wenn er die Zustimmung seiner Räte erlangt hat, nicht gezwungen, die betreffende Rechtshandlung tatsächlich zu setzen. Die Räte haben demgemäß keine rechtliche Möglichheit, den Oberen zur Vornahme eines bestimmten

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Rechtsaktes zu veranlassen, und dies selbst dann nicht, wenn sie zunächst dem geplanten Vorhaben des Oberen einhellig zugestimmt haben. Auch bei einem an die Zustimmung der Konsultoren gebundenen Rechtsgeschäft ist der Obere allein Träger desselben und nicht etwa er und seine Konsultoren gemeinsam. Bei der Zustimmung handelt es sich nicht um kollegiales Vorgehen von Oberen und Räten in dem Sinne, daß der Obere nur primus inter pares ist und wo er, unabhängig von seinem eigenen Abstimmungsverhalten, den Mehrheitsbeschluß auszuführen hat. Veräußerungen im weiten Sinn, das sind also alle jene Rechtsgeschäfte, durch die die Vermögenslage der juristischen Person verschlechtert werden kann, bedürfen, wenn der Wert des zu veräußernden Gutes eine bestimmte Grenze erreicht (derzeit 8 Millionen Schilling), einer zusätzlichen Genehmigung durch den Heiligen Stuhl. Diese Genehmigung ist auch erforderlich, wenn es sich um Veräußerungen von Geschenken an eine Kirche aufgrund eines Gelübdes oder um Wertsachen künstlerischer oder historischer Art handelt (c. 638 § 3). Was die Bestimmung dieser sog. Romgrenze anlangt, so ist eine gewisse Unklarheit im CIC/1983 festzustellen. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzbuches war auch für Veräußerungen im ordensrechtlichen Bereich die von der Bischofskonferenz des betreffenden Landes gezogene Romgrenze verbindlich. Der CIC/1983 hat diese Rechtslage nicht übernommen. Der im Ordensrecht befindliche c. 638 spricht bei Veräußerungen klösterlichen Vermögens hinsichtlich der Romgrenze von einer seitens des Heiligen Stuhls für jede Region festzulegenden Werthöhe (c. 638 § 3). - Der im V. Buch des CIC/1983 befindliche c. 1291 § 1 spricht von einer durch die Bischofskonferenz festzulegenden Unter- bzw. Obergrenze für Veräußerungen von kirchlichem Vermögen. C. 1291 § 1 enthält einen Vorbehalt zugunsten von c. 638 § 3, d. h. also zugunsten der im Ordensrecht befindlichen Vorschriften über die Veräußerung klösterlichen Vermögens. Zweifellos ist damit ein normatives Verhältnis von lex generalis und lex specialis angesprochen, d. h. die im allgemeinen kirchlichen Vermögensrecht befindlichen Bestimmungen des V. Buches gelten im Ordensrecht nur insoweit, als ihnen nicht durch ordensrechtliche Spezialvorschriften derogiert wird (Grundsatz: "generi per speciem derogatur"). Es erhebt sich die Frage, ob die von der Bischofskonferenz festgelegten Wertgrenzen, jedenfalls was die Obergrenze (Romgrenze) betrifft, für Veräußerungen klösterlichen Vermögens anwendbar sind oder ob eigene, durch den Heiligen Stuhl (und nicht von der Bischofskonferenz) für jede Re-

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gion festzulegende Grenzen abzuwarten sind. Angesichts der Tatsache, daß eine solche in c. 638 § 3 vorgesehene Festlegung durch den Heiligen Stuhl bisher nicht erfolgt ist, wird davon auszugehen sein, daß weiterhin die Romgrenze der Bischofskonferenz auch für Veräußerung klösterlichen Vermögens maßgeblich ist. Zu bemerken ist, daß die Erlaubnis des Heiligen Stuhles ein zu den sonstigen Gültigkeitsvoraussetzungen für eine Veräußerung hinzutretendes Erfordernis darstellt. Daraus ergibt sich, daß der nach dem Eigenrecht zuständige klösterliche Obere seine schriftliche "licentia" gegeben haben muß, und daß der Obere zur Gültigkeit dieser "Iicentia" der Zustimmung seiner Konsultoren bedarf. Die Erlaubnis des Heiligen Stuhles ersetzt also nicht etwa fehlende sonstige, zur Gültigkeit des Rechtsgeschäftes einzuholende Erlaubnisse bzw. Zustimmungen konsensberechtigter Organe. Eine Zustimmung des Onsordinarius bei Veräußerungen klösterlichen Vermögens ist erforderlich für zwei Gruppen von Ordensinstituten: 1. Für jene rechtlich selbständigen Klöster (nach c. 615), die außer dem eigenen Leiter keinen anderen höheren Oberen haben (z. B. bestimmte Nonnenklöster) und 2. für Institute diözesanen Rechts. Daraus ergibt sich, daß mit Ausnahme der genannten rechtlich selbständigen Klöster alle Institute päpstlichen Rechts für Veräußerungen klösterlichen Vermögens keiner Zustimmung des Ortsordinarius bedürfen. Die bisher hier relevante Unterscheidung zwischen exemten und nichtexemten Verbänden spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr. Schon hier sei die Bemerkung gestattet, daß das österreichische Konkordatsrecht (die noch zu besprechende sog. Ordinariatsklausel nach Zusatzprotokoll zu Artikel XIII des Konkordats) in bezug auf die nach dem allgemeinen Kirchenrecht vorgesehene Ingerenz des Ortsordinarius keine Änderung mit sich bringt, d. h. - um es auf eine Kurzformel zu bringen - der Ortsordinarius erhält durch das Konkordat in bezug auf die Verwaltung klösterlichen Vermögens nicht mehr Rechte als er ohnedies schon aufgrund des allgemeinen Rechts hat. 3. Haftung für Verbindlichkeiten klösterlicher Rechtsträger

Die im folgenden anzuführenden Haftungsmaßstäbe für Verbindlichkeiten ergeben sich als Konsequenz aus zwei Grundsätzen der kirchlichen (klösterlichen) Vermögensverwaltung: Zum einen aus der Dezentralisation

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klösterlichen Vermögens (c. 634 § 1), wonach, von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen, jede juristische Person des Ordensrechts eigene Rechtspersönlichkeit und damit auch Vermögensfähigkeit besitzt. Zum anderen aus der Tatsache, daß jede vermögensfähige juristische Person ihre eigenen Verwalter hat. Dem Heiligen Stuhl kommt zwar kraft des päpstlichen Leitungsprimats bezüglich aller Kirchengüter die oberste Verwaltungs- und Verfügungsberechtigung zu (c. 1273), doch beläßt er für gewöhnlich den nachgeordneten juristischen Personen ihre Verwaltungsautonomie und begnügt sich mit der Kontrolle der kirchlichen Vermögensverwaltung bei die sog. Romgrenze erreichenden Veräußerungen. Jede juristische Person im Ordensrecht haftet für ihre eigenen Verbindlichkeiten. Regreßanspruche an die übergeordnete juristische Person bzw. an deren Oberen sind ausgeschlossen. Und dies selbst dann, wenn die Erlaubnis des übergeordneten Oberen vorliegt, denn diese Erlaubnis stellt keinen Auftrag an die nachgeordnete juristische Person dar, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen, sondern sie schafft lediglich die Voraussetzungen, daß dieses von den unmittelbar zuständigen Vermögensverwaltern vorgenommen werden kann. Was die Haftung für Rechtsgeschäfte einzelner Mitglieder betrifft, so ist zu unterscheiden, ob ein Mitglied bezüglich seines eigenen Vermögens oder bezüglich des Institutsvermögens eine Verbindlichkeit eingegangen hat. Hat es Rechtsgeschäfte bezüglich des eigenen Vermögens getätigt, so haftet es auf jeden Fall selbst, d. h. mit dem eigenen Vermögen, und zwar unabhängig davon, ob es mit (c. 639 § 2, 1. Halbsatz) oder ohne Erlaubnis des Oberen (c. 639 § 3) vorgegangen ist. Hat ein Mitglied Rechtsgeschäfte bezüglich des Institutsvermögens getätigt, dann ist zu unterscheiden, ob es dabei mit oder ohne Erlaubnis des Oberen vorgegangen ist. Hat es ohne irgendeine Erlaubnis des Oberen gehandelt, dann muß es selber haften, nicht aber die juristische Person. - Hat es hingegen im Auftrag des Oberen ein Geschäft für das Institut getätigt, muß das Institut haften (c. 639 § 2). Der Hinweis, daß das Ordensmitglied selber haftet, wenn es ohne Erlaubnis (Auftrag) des Oberen Verbindlichkeiten eingegangen ist, bedeutet, daß es mit seinem eigenen Vermögen haftet. Auch wenn solches nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorliegt, bleibt die Verbindlichkeit beim Ordensmitglied selbst. Dies kann allerdings nach weltlichem Recht sehr weitreichende Folgen haben, da u. U. der Tatbestand der fahrlässigen Krida gegeben sein kann.

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Die Rechtsfolgen, die an die vom Oberen zu gebende Erlaubnis geknüpft sind, gehen von der im Gesetzestext nicht eigens erwähnten, aber als selbstverständlich anzunehmenden Voraussetzung aus, daß der Obere selbst im Rahmen seiner Vollmacht handelt, wenn er Erlaubnis bzw. Auftrag zur Durchführung eines Rechtsgeschäftes gibt. Überschreitet er nämlich bei der Gewährung dieser Erlaubnis seine Vollmacht, sei es, daß er dazu überhaupt inkompetent ist, sei es, daß es der Mitsprache der Beispruchsberechtigten bedurft hätte, dann entsteht keine Verbindlichkeit für die juristische Person, und der Obere haftet persönlich. - Hat der Obere hingegen im Rahmen seiner Vollmacht gehandelt und dabei dem Vermögen der von ihm vertretenen juristischen Person Schaden zugefügt, dann haftet diese. Zufolge c. 639 § 4 kann gegen denjenigen, der aus einem eingegangenen Vertrag einen Vorteil gezogen hat, eine Klage angestrengt werden. Damit soll gesagt werden, daß gegen jeden, der aufgrund eines mangelhaften Rechtsgeschäftes eine vermögensrechtliche Vorteilszuwendung erfahren hat, die Klage auf Herausgabe der Bereicherung angestrengt werden kann. Dies kann im Einzelfall sowohl die juristische Person als auch das Ordensmitglied selbst sem. 4. Vennögensverwalter

Mit dem Amt des Oberen ist grundsätzlich auch die Ptlicht zur Verwaltung klösterlichen Vermögens verbunden. Ein Oberer, der sich überhaupt nicht um die dem Institut eigenen zeitlichen Güter kümmert, würde sich einer Vernachlässigung seiner Amtspflichten schuldig machen. Dies bedeutet nicht, daß dem Oberen die gesamte Last der diesbezüglichen Verantwortung aufgebürdet wird, sondern er hat dazu ein Organ, das ihn von Amts wegen in der Verwaltung klösterlichen Vermögens unterstützt, nämlich den Vennögensverwalter (Ökonom, Prokurator, Minister, Schaffner). Der Ökonom kann aber weder die ordentliche noch die außerordentliche Vermögensverwaltung unter Ausschluß des Oberen führen, sondern er ist diesem gegenüber weisungsgebunden und rechenschaftsptlichtig (c. 636 §§ 1 und 2). Für Ausgaben und Rechtshandlungen der ordentlichen Verwaltung sind neben den Oberen auch der Ökonom und gegebenenfalls andere für die Vermögensverwaltung eingesetzte Amtsträger zuständig (c. 638 § 2). Das Eigenrecht, das den Bereich der ordentlichen von dem der außerordentlichen Verwaltung abzugrenzen hat (c. 638 § 1), muß auch festlegen, was zur gültigen Vornahme eines Aktes der außerordentlichen Verwaltung

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erforderlich ist. In diesem Zusammenhang können im Eigenrecht Bestimmungen enthalten sein, denenzufolge ab einer bestimmten Ausgabenhöhe der Ökonom nicht mehr selbständig entscheiden kann, sondern dazu einer vorausgehenden Ermächtigung des Oberen bedarf, der seinerseits entweder an den Rat oder an die Zustimmung seiner Konsultoren gebunden ist. Was die Veräußerung von kirchlichem Stammvermögen betrifft, die auf jeden Fall einen Akt der außerordentlichen Vetwaltung darstellt, so bedarf diese, abgesehen von sonstigen Gültigkeitsvoraussetzungen, der Erlaubnis des zuständigen Oberen und der Zustimmung seiner Konsultoren. 5. Ordinariatsklausel Artikel XIII § 2 des österreichischen Konkordats nimmt ausdrücklich Bezug auf die Vetwaltung klösterlichen Vermögens. Ich möchte mich hier nicht mit der Frage beschäftigen, ob die Konkordatsbestimmungen eine volle Übernahme des kirchlichen Vermögensrechts zum Inhalt haben oder ob sie - wie behauptet wurde - dem kanonischen Recht teilweise derogieren. Meine Aufmerksamkeit gilt der im Zusatzprotokoll zu Artikel XIII § 2 verankerten sog. "Ordinariatsklausel ": "Der Heilige Stuhl wird die Diözesanordinarien anweisen, bei intabulationspflichtigen Rechtsgeschäften auf der Urkunde nach vorheriger Überprüfung eine Klausel beizusetzen, daß gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung und Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwaltet und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen waren."

Intabulationspflichtige Rechtsgeschäfte bedürfen demnach einer Bestätigung seitens des Ortsordinarius des Inhalts, daß gegen das betreffende Rechtsgeschäft kirchlicherseits kein Anstand obwaltet und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen waren. Die genannte Bestimmung weist dem Ortsordinarius ein Prüfungsrecht, aber - so meine ich - zumindest in bestimmten Fällen auch eine entsprechende Pflicht zu, sich über die Gültigkeitsvoraussetzungen des zu beurkundenden Rechtsgeschäftes zu vergewissern. Dies bedeutet auch bei Ordensverbänden, die hinsichtlich ihrer Vermögensgebarung nicht dem Ortsordinarius unterstehen, die sich somit einer diesbezüglichen Autonomie erfreuen, daß der Ortsordinarius einerseits die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis des das Rechtsgeschäft Abschließenden zu prüfen hat und daß er andererseits auch be-

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stimmte sonstige Voraussetzungen prüfen kann. Bei Alienationen im erwähnten Sinne, die der Intabulation bedürfen (meist wird es sich hier um Verkauf von klösterlichen Liegenschaften oder Grundstücken handeln), hat der Ortsordinarius zweifellos auch das Recht zu prüfen, ob die für die Gültigkeit der Veräußerung erforderliche Erlaubnis des Oberen und der Konsens der Beispruchsberechtigten vorliegen. Er könnte sich auch, zumindest bei berechtigtem Zweifel, die entsprechenden schriftlichen Unterlagen (Sitzungsprotokoll der Konsulta; schriftliche Erlaubnis des Oberen) vorlegen lassen. Insbesondere hat er bei die Romgrenze erreichenden Veräußerungen das Recht, in das Reskript des Heiligen Stuhles Einblick zu nehmen. All dies stellt insofern keinen Eingriff in die Autonomie der Ordensverbäode dar, als dem Ortsordinarius damit kein zusätzliches Konsensrecht, sondern nur ein Prüfungsrecht zugewiesen wird, ob die zur kirchlichen Gültigkeit der Veräußerung geforderten Voraussetzungen gegeben sind. Der Ortsordinarius hat auch aufgrund des Konkordatsrechts nicht die Möglichkeit, die Ordinariatsklausel zu verweigern, weil die durchzuführende Veräußerung seinen eigenen Interessen oder gegebenenfalls denen der Diözese widerspricht. Er kann auch nicht darüber befinden, ob die nach c. 1293 § 1, 1 erforderliche iusta causa gegeben ist. - Dies zu entscheiden, fällt in die Kompetenz der klösterlichen Rechtsträger, ist somit dem Bereich der klösterlichen Autonomie zuzuordnen. Der Ortsordinarius kann allerdings den Heiligen Stuhl angehen, damit dieser auch bei nicht die Romgrenze erreichenden Veräußerungen eingreift und zumindest vorläufig die geplante Alienation unterbindet. Gemäß c. 1273 ist der Papst kraft seines Jurisdiktionsprimats oberster Verwalter aller Kirchen- und daher auch aller Klostergüter. Alle Verwalter klösterlichen Vermögens sind nicht Eigentümer, sondern nur Verwahrer der ihrer Sorge überantworteten Güter. Mit der Sorgfalt eines "guten Hausvaters" (c. 1284) haben sie darüber zu wachen, daß das klösterliche Vermögen nicht verlorengeht oder Schaden erleidet. Das gegenwärtige Kirchenrecht (demzufolge auch das Ordensrecht) ist von der Tendenz geleitet, nicht mehr minutiös alle Details vorzuschreiben, sondern es schafft bei grundsätzlicher Zielvorgabe Rahmenbedingungen, innerhalb derer das Eigenrecht zur Setzung geeigneter Normen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. Zeitliche Güter sind in die pastorale Zielsetzung der Kirche eingeordnet und dieser untergeordnet. Dazu zählt auch eine sorgfältige, verantwortungsbewußte Verwaltung dieser Güter, wobei die Mahnung des c. 640 zu beachten ist, daß die Kirche auch immer eine Kirche der Armen zu sein hat und daß demzufolge die Ordensverbäode ein gleichsam kollektives Zeugnis der Liebe und der Armut ablegen sollen.

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Die Kirche ist, auch was ihr Verhältnis zu zeitlichen Gütern betrifft, "auf den Leuchter gestellt". Ihre Glaubwürdigkeit generell und die der Ordensverbände als Teilorganisationen dieser Kirche im besonderen werden nicht zuletzt daran gemessen, wie mit kirchlichem Vermögen umgegangen wird.

Literaturangaben B. Primetshofer, Die Religiosenverbände, in: HdbKathKR, Regensburg 1983, 486511. - E. Gambari, Il nuovo Codice e la vita religiosa, Milano 1984. - Vers., Vita religiosa secondo il Concilio e il nuovo Diritto Canonico, Roma 1985. - H. Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht, Graz 21984. - V. J. Andres, EI derecho de los religiosos, Madrid 31984. - Vers., Il diritto dei religiosi, Roma 1984. - Vers., Los superiores religiosos segun el C6digo. Guia de subditos y de superiores, Madrid 1985. - R. Henseler, Religioseninstitute, in: K. Lüdicke (Hrsg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Münster 1986, 5., 1985 f. - 1. Gampl, Veräußerung und Belastung von Kirchenvermögen in rechtsdogmatischer Sicht, in: JBl 107 (1985) 705 ff. - H. Schnizer, Konkordat, ABGB und Vertrauensschutz?, ebd. 108 (1986) 545 ff.

Instituta nec clericalia nec laicalia. Möglichkeit und Konsequenzen I. Vorbemerkungen 1. Bei der Überlegung zur Behandlung dieses Themas könnte man eigentlich ohne größere Schwierigkeiten zu dem Ergebnis kommen, die Problematik, über die gesprochen werden soll, sei im Grunde genommen gar keine. Denn schließlich ist dem die Unterscheidung zwischen klerikalen und laikalen Instituten des geweihten Lebens normierenden c. 588 §§ 2 und 3 der § 1 eben dieses Canons vorangestellt, und dieser enthält den generellen Hinweis, daß der Stand des geweihten Lebens seiner Natur nach weder klerikal noch laikal sei 1. Zur Annahme, daß die hier aufgezeigte Problematik eigentlich gar nicht bestehe, könnte man sich erst recht durch die Lektüre von LG 44 und PC 8 gedrängt fühlen, da die hier angeführten Grundaussagen über das Leben nach den evangelischen Räten im allgemeinen wie über die apostolische Zielsetzung der Institute auf eine gemeinsame, Kleriker- wie Laieninstituten gleichermaßen zukommende Basis abstellt. Angesichts dieses Umfangs von Gemeinsamkeit könnte die Bedeutung der Unterscheidung im Sinne von c. 588 §§ 2 und 3 durchaus relativiert erscheinen; ja man könnte zu dem Ergebnis kommen, daß - prima facie - einem Institut des geweihten Lehens (und dasselbe müßte dann auch von den Gesellschaften des apostolischen Lebens gesagt werden) eine Typisierung in klerikal und laikai fremd sei; das Normale sei vielmehr ein nicht in diesen Kategorien (nämlich klerikal und laikal) spezifiziertes Institut, sondern ein Institut, in dem die den heiden hierarchischen Ständen angehörigen Mitglieder suo quoque modo ihren apostolischen und caritativen Dienst versehen 2 •

2. Geht man vom Befund der lex condita aus, das ist nunmehr der CIC11983, so stößt man auf eine eigenartige Widerspcüchlichkeit in den Aussagen: Einerseits stellt c. 588 § 1 fest, daß der Stand des geweihten Lebens

1 Zur KodifIkationsgeschichte des c. 588 § 1 vgl. Communicat 16 (1984) 233; Communicat 11 (1979) 57 und die Relatio 1981, 137. 2 Ähnliches müßte von den kontemplativen Instituten (PC 7) gesagt werden.

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seiner Natur nach weder klerikal noch laikai sei 3 , andererseits enthalten aber die §§ 2 und 3 desselben Canons eine zumindest ihrem äußeren Anschein nach taxativ erscheinende Einteilung in klerikale und laikaie Institute. Daraus ist vom Erscheinungsbild der Gesetzesaussage durchaus gerechtfertigt - bereits zu wiederholten Malen der Schluß gezogen worden, ein diese Typisierung sprengendes Institut des geweihten Lebens (oder eine Gesellschaft des apostolischen Lebens) könne es nicht geben4 . Aus der Tatsache, daß der Gestzgeber nur diese beiden Formen kenne, müsse zwingend gefolgert werden, daß ein Drittes nicht zulässig sei5 . 3. Die folgende Untersuchung wird daher von der Basis der gesetzlichen Aussage her einige Fragen zu stellen haben. Zunächst einmal die Frage nach dem Inhalt der in Rede stehenden Norm selbst, d. h., ob sich aus der Umschreibung von klerikalem und laikalem Institut (eine Legaldefmition i. e. S. ist darin wohl nicht zu erblicken6 ), die Konsequenz ergibt, daß es etwas Drittes, die genannte Typisierung und Kategorisierung Übersteigendes nicht geben könne, oder ob das Schweigen des Gesetzgebers auch anders interpretiert werden kann. Und wenn ja, dann werden unter mehreren Gesichtspunkten die Konsequenzen zu beleuchten sein, insbesondere wird der Frage nach der Art von "potestas" nachzugehen sein, die den Oberen, seien sie nun Kleriker oder Laien, zukommt (vgl. c. 596). In diesem Zusammenhang wird zunächst einmal auf die Natur und Eigenart jener in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt einzugehen sein, die allen Oberen und Kapiteln in Instituten des geweihten Lebens zukommt, und die ganz offensichtlich bewußt keinen eigenen Namen erhalten hat. Darüber hinaus wird auf die Frage einzugehen sein, ob kirchliche Leitungsgewalt nur Klerikeroberen zukommen kann, oder ob im Sinne von c. 129 § 2 auch Laien eine Teilnahme an kirchlicher Leitungsgewalt in Ordens instituten gegeben werden kann. Daß wir damit eine zentrale Frage des kirchlichen Verfassungsrechts berühren, liegt ebenso auf 3 Vgl. zur vorliegenden Fassung von c. 588 § 1 die ebenso an LG 43 orientierte und inhaltlich gleichlautende Fonnel von c. 590 Schema CIC 1982: "Status vitae consecratae ... non est sive clericalis sive laicalis". 4 D. A. Andres, 11 diritto dei Religiosi, Roma 1984,36: " ... due grandi tipi esaurisco no tutte le fonne possibili ... IVC e SVA c1ericali e laicali". 5 R. Henseler, Ordensrecht. Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Essen 1987,67 f. RdZ 5 zu c. 588. 6 Sicher sind die in c. 588 §§ 2 und 3 angeführten Kriterien erheblich besser als die auf dem rein quantitativen Überwiegen des einen oder anderen Elements aufbauende Fonnulierung von c. 488,4 CIC/1917. Allerdings kann bezweifelt werden, ob dem Gesetzgeber des CI C/1983 eine wirkliche, wesentliche Elemente erfassende Umschreibung (eine Legaldefinition war offensichtlich nicht beabsichtigt) des klerikalen bzw. laikalen Instituts gelungen ist.

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der Hand wie die Tatsache, daß der CIC/1983 keine eindeutige Antwort auf dieses Problem gibt.

11. Die Kodifikationsgeschichte

1. Soweit sich die Redaktionsgeschichte des c. 588 CIC/1983 zurückverfolgen läßt, war es erstmals in der Session der CIC-Kommission "De Institutis perfectionis" vom 25. 11. 1966, daß gelegentlich der Behandlung der im CIC/1917 anzutreffenden Unterscheidungskriterien zwischen klerikalen und laikaien Instituten (vgl. c. 488, 4 CIC/1917) nicht nur die Notwendigkeit sachgerechterer Merkmale für klerikale und laikaie Institute festgestellt, sondern auch schon darauf hingewiesen wurde, daß es faktisch Institute gebe (konkret wurden als Beispiele einige monastische Kongregationen genannt), in denen Klerikern und Laien dieselben Rechte auch bezüglich der Leitung zukämen 7 . Im Zusammenhang mit einer von der Kommission ausgearbeiteten Definition des Begriffes "monachus" wird erstmals eine Formulierung gefunden, der wir - freilich in nicht nur formal, sondern auch inhaltlich abgewandelter Form - in c. 588 § 1 CIC/1983 wieder begegnen. Die von der CIC-Kommission in der schon erwähten Sitzung vom 25. 11. 1966 gefundene Formulierung bezog sich nur auf die "religio monastica" und sagt von dieser, daß sie "per se nec clericalis nec laicalis" sei 8 . Diese Formulierung finden wir wieder in einer in mehrfacher Hinsicht abgewandelter, der Substanz nach aber gleich gebliebenen Aussage in c. 588 § 1 CIC/1983. Die Änderungen liegen auf der Hand: Zum einen ist inhaltlich nicht mehr auf die "religio monastica" abgestellt, sondern generell auf den "status vitae consecratae" als solchen. Zum anderen ist im c. 588 die in Rede stehende Aussage nicht wie im besprochenen Entwurf von 1966 den übrigen Aussagen (als § 3) nachgestellt, sondern sie steht (als § 1) am Beginn, gleichermaßen als umspannende Klammer vor der Festlegung der Unterscheidungskriterien zwischen klerikalen und laikaien Instituten. Am Rande sei vermerkt, daß c. 588 auch auf die Gesellschaften des apo7 Communicat 16 (1984) 232. 8 Communicat ebd. 233. - Der erwähnte Satz findet sich als § 3 eines canon, in dessen beiden vorausgehenden Paragraphen eine Definition des "monachus" und eine von der Eigenart des monastischen Lebens her vorgegebene Zielsetzung in bezug auf das Apostolat gegeben werden.

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stolischen Lebens Anwendung findet, da der im c. 732 enthaltene Verweisungsblock auch c. 588 einschließt. 2. Eine dem c. 588 § 1 CIC/1983 schon weiter angeglichene Formulierung enthält der Sitzungsbericht der Sektion "De Institutis vitae consecratae" der CIC-Kommission vom 13. - 18. 11. 19789 • In einer am 2. 3. 1979 abgehaltenen Sitzung der Sektion der CIC-Kommission begegnen wir erstmals in voller Deutlichkeit einem Antrag, der den Kernpunkt unserer Fragestellung betrifft. Von seiten der SCRel selbst wurde eine Formulierung vorgeschlagen, die als § 4 den bereits feststehenden drei übrigen Paragraphen nachgestellt werden sollte. § 1 hätte demnach die Feststellung enthalten, daß Institute des geweihten Lebens ihrer Natur nach weder klerikal und laikai seien, die §§ 2 und 3 hätten das klerikale und laikaie Institut beschrieben und § 4 hätte die Möglichkeit eröffnet, daß jedes Institut in seinen Konstitutionen bestimmen könne, ob es sich als klerikal, laikai oder "indifferent" verstehe 10 .

Das Abstimmungsergebnis brachte allerdings eine deutliche Niederlage für diesen Vorschlag, so daß § 4 ersatzlos gestrichen wurde. Es geht leider aus dem Sitzungsprotokoll nicht hervor, aus welchem Grund der Antrag auf so entschiedene Ablehnung gestoßen war. Mehrere Möglichkeiten wären denkbar: Die eigentlich nächstliegende wäre, daß die CIC-Kommission die Aufnahme dieses § 4 aus dem Grund für entbehrlich hielt, weil ja ohnedies im § 1 dieses Canons bereits festgelegt war, daß der status vitae consecratae seiner Natur nach weder klerikal noch laikai sei. Der Umstand, daß bei der Diskussion um die in Rede stehende Formulierung der der Kommission mit Sicherheit bekannte Konzilstext (PC 15), der auf die Möglichkeit der "Instituta non mere laicalia" mit gleichen Rechten und Pflichten für Kleriker- und Laienmitglieder verwei st 11 , nicht erwähnt wird, läßt eigentlich diese erste Variante als die plausiblere erscheinen. 9 In der Sitzung vom 1. 3. 1978 hat die CIC-Kommission die alle Institute des geweihten Lebens erfassende Formulierung gefunden: "Instituta vitae consecratae, suapte natura, neque cIericalia sunt neque laicalia". Communicat 11 (1979) 57. Die Änderung von "lnstituta vitae consecratae" auf "Status vitae consecratae" des c. 588 § 1 bzw. c. 590 § 1 Schema CIC 1982 geht auf eine Intervention des Kard. Philippe zurück. Vgl. Relatio 1981, 137. 10 "Cuiuscumque Instituti est suis in Constitutionibus determinare utrum cIericale sit vellaicale vel 'indifferens'." Communicat 11/1979, 61. 11 PC 15: "Virorum autem monasteria et instituta non mere laicalia pro indole sua clericos et laicos, ad normam constitutionum, admittere possunt, pari ratio ne paribusque iuribus et obligationibus, salvis iis quae ex ordine sacro proveniunt. "

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Ferner wäre denkbar, daß die CIC-Kommission mit einer so weitreichenden Vollmacht für die das institutsinterne Eigenrecht (näherhin die Konstitutionen) schaffenden Organe (Generalkapitel) nicht einverstanden war. Und dies schon allein aus dem Grund, weil ja der erwähnten Formulierung zufolge auch eine Umwandlung von einem klerikalen in ein laikales Institut und umgekehrt inkIudiert gewesen wäre. Es müßte sich also die Zielrichtung der Ablehnung nicht unbedingt spezifisch auf die im Vorschlag angesprochene dritte Variante selbst, nämlich die Möglichkeit eines "indifferenten" Instituts bezogen haben. Überdies wäre möglich, daß die negative Haltung der Kommissionsmehrheit in erster Linie gegen die dem Eigenrecht eingeräumte Vollmacht gerichtet war, diese dritte Kategorie von Instituten, nämlich die indifferenten, zu schaffen. Aber selbst wenn man annimmt, daß die Opposition der Kommissionsmehrheit gezielt gegen diese indifferenten Institute gerichtet war, so müßte noch einmal gefragt werden, ob die Kommissionsmehrheit damit überhaupt in Abrede stellen wollte, daß es solche Institute geben könne oder ob sie bloß einer diesbezüglichen Vollmacht institutsinterner Gremien (Generalkapitel) einen Riegel vorschieben wollte. - Dies alles ist uns, wie gesagt, nicht bekannt, da die veröffentlichten Protokolle keine diesbezüglichen Einzelheiten enthalten. 3. Das Konzilsdekret (PC 15) geht noch von der Basis des CIC/1917, nämlich von dessen c. 488, 4 und der darin enthaltenen Unterscheidung in religio clericalis und laicalis aus. Trotzdem legt es nicht nur eine diese Kategorisierung übersteigende dritte Möglichkeit fest, nämlich die instituta non mere laicalia l2 , sondern es bestimmt überdies, daß in diesen Instituten Gleichheit von Rechten und Pflichten mit Ausnahme dessen obwalte, was aus der heiligen Weihe hervorgeht. Einen nicht minder deutlichen Hinweis auf die Möglichkeit solcher indifferenter Institute enthält das Dekret der SCRel vom 27. 11. 1969 über die Art und Weise, wie Laienmitglieder an der Leitung von klerikalen Instituten teilhaben können 13. In diesem Dekret wird u. a. in voller Deutlichkeit ausgesprochen, daß Nichtkleriker in einem klerikalen Institut das Amt des General -, Provinzial- oder Hausoberen bzw. das Amt des Vikars der Genannten

12 Das Konzilsdekret legte diese Gleichheit von Rechten und Pflichten hinsichtlich der Kleriker- und Laienmitglieder für zwei Gruppen von Verbänden fest: Die "virorum monasteria" und die "instituta non mere laicalia". 13 AAS 61 (1969) 739 f. 33 Primetshofer

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nicht übernehmen können l4 . - Dieses Dekret aber, so heißt es am Schluß desselben, sei keinesfalls anwendbar auf die in Nr. 15 des Konzilsdekrets "Perfectae caritatis" angesprochenen "Instituta non mere laicalia" 15. Damit scheint für die Zeit zwischen dem Konzil und der Promulgation des CIC/1983 in aller Deutlichkeit ausgesprochen zu sein, daß es neben den im CIC/1917 (c. 488, 4) festgelegten beiden Kategorien noch eine dritte gibt, und daß ferner die gemäß dem Dekret der SCRel vom 27. 11. 1969 ausgeschlossene Möglichkeit, in Klerikerinstituten Laien zum Amt des Oberen bzw. Vikars zuzulassen, für diese in Rede stehende dritte Kategorie von Instituten nicht anzuwenden sei. Angesichts dieser deutlichen Prämissen aus der Zeit vor der Promulgation des CIC/1983 scheinen die von diesem Gesetzbuch selbst (c. 588) gezogenen Konsequenzen eher mager zu sein, oder anders ausgedrückt, sie erwecken den Eindruck eines rechtlichen Torsos: Neben bzw. nach einer grundsätzlichen Feststellung über den an sich ("suapte natura") weder klerikalen noch laikalen Charakter des status vitae consecratae sind in den §§ 2 und 3 des c. 588 lediglich Beschreibungen der Merkmale des klerikalen bzw. laikaien Instituts enthalten. Auf die Frage "datur tertium" ist zunächst zu antworten, daß es nicht wenige Institute gibt, die sich im Sinne von PC 15 als "instituta non mere lai calia" verstehen und die in ihren Konstitutionen auch dementsprechende Vorkehrungen hinsichtlich der Gleichheit der Rechte und Pflichten von Klerikerund Laienmitgliedern treffen wollen; inwieweit dies im Rahmen des geltenden allgemeinen Ordensrechts möglich ist, darauf läßt sich angesichts der Unbestimmtheit der Gesetzeslage keine eindeutige Antwort geben. Nochmals sei allerdings daran erinnert, daß das Dekret der SCRel vom 27. 11. 1969 seine Anwendbarkeit auf zwei Gruppen von Instituten ausschließt: Auf die "instituta non mere laicalia" im Sinne von PC 15 sowie auf jene klerikalen Ordens institute, für die aufgrund besonderer Verumständung hinsichtlich der Laienmitglieder mit Zustimmung des Heiligen Stuhles eine anderweitige Vorsorge getroffen wurde. Für diese beiden Gruppen von Instituten kann daher, 14 Zit. Dekr. Nr. 4. 15 Ferner heißt es, daß das in Rede stehende Dekret auch dem Sonderrecht einiger Institute nicht derogiere, die trotz ihres Charakters als klerikale Institute mit Zustimmung des Apostolischen Stuhles aufgrund besonderer Umstände für ihre Laienmitglieder bestimmte Verfügungen getroffen haben. Vgl. dazu hinsichtlich des klerikalen Instituts der Marianisten die vom Hl. Stuhl approbierten Sonderbestimmungen, wonach auch ein Laie höherer Oberer sein kann. B. Primetshofer, Ordens recht auf der Grundlage des CIC/1983, Freiburg/Br. 31988,36 f.

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dem Tenor des Dekrets zufolge, Gleichheit von Rechten und Pflichten hinsichtlich der Kleriker- wie Laienmitglieder bestimmt werden. - Als ein Beispiel in dieser Richtung sei eine unmittelbar vor Inkrafttreten des CIC/1983 getroffene Entscheidung des Heiligen Stuhles angeführt. Die Marianisten, die laut Annuario Pontificio ein klerikales Ordensinstitut päpstlichen Rechts sind, bestimmen in der jüngsten Ausgabe ihrer Konstitutionen, daß auch ein Laienmitglied Provinzial sein kann; dies allerdings unter der Voraussetzung, daß der Vize-Provinzial (d. h. der Vikar des Provinzials) Priester sein muß, und dieser "nimmt die lurisdiktionsakte vor, für die das Priestertum erforderlich ist"16.

m. Die Anerkennung "indifferenter (gemischter)" Institute innerhalb der Grenzen der bestehenden Rechtsordnung

1. Die Tatsache, daß das gegenwärtige kanonische Recht den Begriff des "institutum nec c1ericale nec laicale" offiziell nicht kennt, sondern - wie schon hinreichend bekannt - im Rahmen der lex condita in einer sich wechselseitig ausschließenden Sprechweise von institutum c1ericale auf der einen und laicale auf der anderen Seite spricht, läßt zunächst einmal das rein formale Problem entstehen, ob diese Aufzählung taxativ ist oder nicht. Angesichts der ganzen Vorgeschichte der Kodifikation, die im Vorausgehenden in kurzen Zügen geschildert wurde, insbesondere aber angesichts der Aussage von PC 15 und dem darauf bezugnehmenden Dokument der SCRel von 1969 glaube ich, folgenden Befund rechtfertigen zu können: Der CIC/1983 wollte, zumal angesichts seines besonderen Nahverhältnisses zum 11. Vatikanischen Konzil 17 , keinesfalls eine vor dem Konzil begonnene, vom Konzil selbst ausdrücklich erwähnte und in der offiziellen Verwaltungspraxis des Heiligen Stuhles anerkannte Entwicklung einfachhin abrupt unterbinden. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, dann wäre eine andere, jede weitere Kategorisierung absolut ausschließende Formulierung angezeigt gewesen. Aus dem bloßen Schweigen des Gesetzgebers können so weitreichende Folgerungen nicht abgeleitet werden. Aus durchaus verständlichen Gründen hielt der Gesetzgeber es für nicht opportun, das sog. instituturn indifferens (mixtum) eigens anzuführen, da die Entwicklung hier noch zu sehr im Fluß ist. Somit ist das Schweigen des CIC/1983 wohl in dem Sinne zu interpretieren, daß der Ge16 Vgl. die am 29. 6. 1983 von der SCRel bestätigten Konstitutionen der Marianisten Nr. 102. 17 Vgl. dazu den bekannten Ausspruch Papst J ohannes Pauls 11, über den CIC/1983 als "ultimo documento conciliare", in: Communicat 15 (1983) 128.

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setzgeber keine generelle Regelung dieses Rechtsinstituts vornehmen wollte, was aber nicht ausschließt, daß im Wege von - auch bisher schon gebräuchlichen - Einzelregelungen der Rechtsstatus solcher indifferenter (gemischter) Institute geregelt wird. Zu einer solchen Annahme wird man u. a. durch die Aussage von c. 605 CIC/1983 gedrängt, der den Bischöfen die Pflicht auferlegt, die der Kirche vom heiligen Geist anvertrauten neuen Gaben des geweihten Lebens zu erkennen. Angesichts dieser grundsätzlichen Offenheit des kodikarischen Ordensrechts für die bisherigen Strukturen sprengende bzw. diese überschreitende neue Formen des geweihten Lebens wäre es widersinnig anzunehmen, daß der CIC/1983 eine bereits längst vor seinem Inkrafttreten bestehende und sogar vom Konzil selbst ins Auge gefaßte Bewegung unterbinden wollte. Im Ergebnis wäre daher festzuhalten, daß der CIC/1983 die Existenz der in Rede stehenden Institute des geweihten Lebens und ebensolcher Gesellschaften des apostolischen Lebens nicht ausschließt. Da das gesatzte Ordensrecht des CIC/1983 keine Beschreibung des indifferenten (gemischten) Instituts enthält, ist der Verwaltungspraxis des Heiligen Stuhles bzw. der der Diözesanbischöfe ein wesentlich weiterer Spielraum als bei den klerikalen bzw. laikaien Instituten gegeben. Auch hier ist das wohl in erster Linie vom Stifterwillen her bestimmte geistige Erbgut im Sinne von c. 578 zu beachten, d. h. es wird bei der Anerkennung eines solchen indifferenten (gemischten) Instituts sehr genau zu prüfen sein, ob das Institut einer der beiden "traditionellen", im CIC/1983 erwähnten Kategorien (klerikal oder laikal) bzw. der in Rede stehenden dritten Kategorie von Instituten zuzuweisen ist. So wie das Charisma eines jeden Stifters sich eine Prüfung und Siebung durch den Raster der von der kirchlichen Autorität (Diözesanbischöfe, Heiliger Stuhl) entwickelten bzw. zu entwickelnden Normierungen gefallen lassen muß (nicht immer entsprachen die kirchlich approbierten Konstitutionen unbedingt in allem und jedem den Zielvorstellungen des Stifters und seiner Gründungsmitglieder), so wird insbesondere die Gründung eines indifferenten (gemischten) Instituts sich vielleicht eine noch eingehendere Sondierung gefallen lassen müssen, ob das institutseigene Apostolat es tatsächlich erfordert, ein die Kategorien klerikal bzw. laikai übersteigendes Institut zu gründen. 2. Geht man aber nun davon aus, daß die Existenz solcher Institute auf der Basis des CIC/1983 möglich ist, dann drängt sich sofort eine Reihe von weiteren Fragen auf. Insbesondere ist es die Gleichheit von Rechten und Pflichten, die schon im Konzilsdekret PC 15 mit dem Vorbehalt zugunsten des aus der heiligen Weihe Hervorgehenden angesprochen wurde. Der neuralgische Punkt ist nicht so sehr die Zugänglichkeit des Amtes des Oberen auf allen Ebenen (General-, Provinzial- und Hausoberer), sondern vor allem die einem Laienoberen zukommende Gewalt.

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C. 596 unterscheidet zwei Formen von ordensrechtlichen Gewalten: § 1 spricht von der allen Oberen und Kapiteln in allen Instituten des geweihten Lebens (klerikalen wie laikaien, päpstlichen oder diözesanen Rechts) zukommenden und namentlich nicht näher bezeichneten Gewalt, für die als Quelle das allgemeine Recht und die Konstitutionen angegeben werden. Wie diese Gewalt zu charakterisieren ist, ob wir darin die (offensichtlich ganz bewußt nicht so bezeichnete) potestas dominativa (publica) des CIC/1917 erblicken dürfen, oder ob sich darunter eine andere Form von Gewalt verbirgt, das stellt zwar nicht die Kernfrage des hier anstehenden Referats dar, bildet aber doch ein Problem, auf das später noch in anderem Zusammenhang einzugehen sein wird. - § 2 des c. 596 gibt bei klerikalen Ordensinstituten päpstlichen Rechts allen Oberen und Kapiteln kirchliche Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt (potestas ecclesiastica regiminis) für den äußeren und den inneren Bereich. Was hier von klerikalen Ordens instituten päpstlichen Rechts gesagt wird, gilt kraft der Verweisungsnorm des c. 732 auch für die entsprechende Kategorie von Gesellschaften des apostolischen Lebens 18. Untersucht man die derzeitige Rechtslage in bezug auf die klösterlichen Oberen gemäß c. 596 § 2 zukommende Leitungs-(Jurisdiktions)gewalt des näheren, so muß, zumal angesichts der der gegenwärtigen unmittelbar vorausgehenden Rechtslage 19 festgestellt werden, daß die Abgrenzung zwischen der kraft c. 596 § 1 allen Oberen und Kapiteln zukommenden und der in § 2 erwähnten, bestimmten Kategorien von Oberen reservierten Gewalt keinem bis ins letzte schlüssigen Prinzip folgt. Denn selbst wenn man, worauf noch des näheren einzugehen sein wird, von dem in c. 129 (allerdings in einer auch nicht alle Zweifel ausschließenden Art und Weise) ausgedrückten Prinzip einer grundsätzlichen Verklammerung von Weihe- und Leitungs-(Jurisdiktions)gewalt ausgeht, so ergibt sich daraus höchstens, daß dem System des CIC/1983 zufolge nur jene Oberen Leitungsgewalt haben können, die Kleriker sind. Tatsächlich aber kommt Jurisdiktionsgewalt keinesfalls allen Klerikeroberen von Instituten des geweihten Lebens bzw. Gesellschaften des apostolischen Lebens zu, sondern nur einer begrenzten Gruppe. Denn obwohl zufolge c. 588 § 2 und c. 732 ein klerikales Institut des geweihten Lebens und eine klerikale Gesellschaft des apostolischen Lebens unter der Leitung von Klerikern stehen, und obwohl somit diese alle grundsätzlich befähigt wären, neben der allgemeinen Gewalt (c. 596 § 1) auch mit kirchlicher Leitungsge18 Für das Recht vor der Promulgation des CIC/1983 vgl. das Päpstliche Reskript "Cum admotae" 6.11. 1964, in: AAS 59 (1967) 374 f. 19 C. 501 § 1 CIC/1917 gab nur den Oberen und Kapiteln eines exemten Ordensinstituts (religio clericalis exempta) Jurisdiktionsgewalt. - Eine Erweiterung der Jurisdiktionsrechte erfolgte dann durch das Reskript ''Cum admotae" (vgl. Anm. 18).

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walt ausgestattet zu werden, so ist doch die Zahl der lurisdiktionsträger eine begrenzte. Zum einen kommt nicht den Oberen eines klerikalen Instituts des geweihten Lebens schlechthin, sondern nur dem Oberen eines klerikalen Ordensinstituts (institutum religiosum clericale) kirchliche Leitungsgewalt zu und zum anderen sind innerhalb der klerikalen Ordensinstitute nur die Oberen von Instituten päpstlichen Rechts mit lurisdiktionsgewalt ausgestattet. Ausgeschlossen sind somit von kirchlicher Leitungsgewalt die Klerikeroberen von Säkularinstituten schlechthin und bei den Ordensinstituten diejenigen diözesanen Rechts. Auch bei den Gesellschaften des apostolischen Lebens ist die Rechtslage analog, d. h. der Klerikerobere einer diözesanrechtlichen Gesellschaft hat keine kirchliche Leitungs-(Jurisdiktions)gewalt. Bei einem Vergleich zwischen dem CIC/1917 und dem von 1983 zeigt sich, daß der Kreis der klösterlichen lurisdiktionsträger zwar erweitert wurde - zufolge c. 501 § 1 CIC/1917 waren nur die Oberen von exemten Ordensinstituten päpstlichen Rechts lurisdiktionsträger - kirchliche lurisdiktionsgewalt kommt aber keinesfalls den Klerikeroberen schlechthin zu, sondern nur dann, wenn sie Vorsteher einer bestimmtenn Kategorie von Ordensinstituten bzw. Gesellschaften des apostolischen Lebens sind, nämlich solcher päpstlichen Rechts. Der CIC/1983 hat im wesentlichen das bereits durch das MP "Cum admotae"20 geschaffene Recht übernommen, allerdings besitzen die Oberen der in den ce. 596 § 2 und 732 erwähnten Verbände lurisdiktionsgewalt nunmehr als ordentliche, mit dem Amt verbundene Vollmacht, während "Cum admotae" den nicht schon kraft c. 501 § 1 CIC/1917 mit lurisdiktionsgewalt bedachten Oberen diese Gewalt nur in Form einer delegierten bzw. subdelegierten Vollmacht übertragen hatte21 . 3. Die rechtliche Konstruktion eines indifferenten (gemischten) Instituts ließe nun, aufgrund der vom CIC/1983 vorgezeichneten Prämissen folgende Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich des einem solchen Verband vorstehenden Oberen zu: Die einfachste und eigentlich sauberste Lösung bestünde darin, daß hinsichtlich der dem Oberen (ob Kleriker oder Laie) zukommenden Gewalt einfachhin eine Parallele zum diözesanrechtlichen Ordensinstitut bzw. zum Säkularinstitut schlechthin (gleichgültig, ob dieses päpstlichen oder diözesanen 20 AAS 59 (1967) 374 f. 21 Unmittelbarer Normadressat von ''Cum admotae" waren die Generaloberen der

klerikalen Ordensgenossenschaften päpstlichen Rechts, die Abtpräsides monastischer Kongregationen sowie die Generaloberen der klerikalen "Gesellschaft ohne Gelübde" . Diesen wurde die Vollmacht zur Setzung von Jurisdiktionsakten seitens des Hl. Stuhles delegiert mit der ausdrücklichen Vollmacht zu subdelegieren.

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Rechts ist) gezogen wird. D. h., dem Oberen eines solchen indifferenten (gemischten) Instituts käme auf gar keinen Fall kirchliche Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt zu, gleichgültig, ob es sich um einen Kleriker- oder Laienoberen handelt. Die Oberen aller Ebenen (General-, Provinzial- und Hausoberen) hätten demnach nur die in c. 596 § 1 angesprochene Gewalt. Eine andere von der Systematik des CIC/1983 her ebenso mögliche Lösung könnte so aussehen, daß hinsichtlich der Oberen in diesen indifferenten (gemischten) Instituten und der ihnen zustehenden Gewalt unterschieden wird, ob es sich um Kleriker oder Laien handelt. Neben der allen Oberen gemäß c. 596 § 1 zukommenden Gewalt besäßen die Klerikeroberen (und nur diese) in Instituten päpstlichen Rechts auch kirchliche Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt gemäß c. 596 § 2, die Laienoberen besäßen hingegen eine solche Gewalt nicht. Ob im Falle eines Laienoberen Vorsorge getroffen wird, daß der Vikar Kleriker zu sein hat, um, wie es in den vom Heiligen Stuhl approbierten Konstitutionen der Marianisten heißt, "die Jurisdiktionsakte vorzunehmen, für die das Priestertum erforderlich ist"22, dies ist eigentlich eine Frage von nachgeordneter Bedeutung, da für die ordensinterne Struktur und das Apostolat des Verbandes der Besitz von kirchlicher Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt nebensächlich ist. Von Besitz oder Nichtbesitz kirchlicher Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt hängt nach dem derzeitigen kanonischen Recht auch die Frage ab, ob ein (höherer) Ordensoberer Ordinarius im Sinne von c. 134 § 1 ist. In Analogie zu der oben getroffenen Unterscheidung könnte man auch hier zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Geht man davon aus, daß die Oberen in den indifferenten (gemischten) Ordensinstituten prinzipiell dem Rechtsstatus von diözesanrechtlichen Instituten anzugleichen sind und überhaupt keine kirchliche Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt besitzen, dann wären demzufolge ihre Oberen in keinem Fall als Ordinarien zu bezeichnen. - Übernimmt man hingegen das zweite Modell, d. h. daß hinsichtlich von Leitungs-(Jurisdiktions)gewalt unterschieden wird, ob der Obere Kleriker ist oder nicht, dann wäre der höhere Klerikerobere bei einem Ordensinstitut päpstlichen Rechts Ordinarius, der Laienobere hingegen nicht.

4. Spätestens hier nun stellt sich die Frage nach Rechtsnatur und Charakteristik der in den §§ 1 und 2 des c. 596 angesprochenen Gewalt. C. 596 CIC/1983 ist ganz offensichtlich von Inhalt und Struktur her als Nachfolgebestimmung von c. 501 CIC/1917 gedacht. Während c. 501 CIC/1917 zwischen einer ausdrücklich als solcher bezeichneten, allen Oberen und Kapiteln 22 Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 15) 37.

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eignenden "potestas dominativa" und einer ausschließlich den Oberen exemter klerikaler Ordensinstitute zukommenden "iurisdictio ecclesiastica" unterschied, ist bezüglich c. 596 CIC/1983 zu sagen, daß zwar zwei Typen von Gewalten voneinander abgehoben werden, aber nur eine ausdrücklich benannt wird. Sämtliche Obere und Kapitel haben eine "im allgemeinen Recht und in den Konstitutionen umschriebene Vollmacht" (§ 1), während Obere und Kapitel in klerikalen Ordensinstituten päpstlichen Rechts überdies kirchliche Leitungsgewalt besitzen (§ 2)23. Diese Aussagen, die - wie gesagt - vom Aufbau her ganz offensichtlich eine Parallele zu c. 501 CIC/1917 darstellen, lassen nicht zuletzt durch die betonte additive Hervorhebung durch das Wörtchen "insuper"24 den Schluß zu, daß es sich bei den in §§ 1 und 2 des c. 596 erwähnten Gewalten tatsächlich um solche verschiedener Natur handelt, nämlich neben der kirchlichen Leitungsgewalt um die nun nicht mehr so bezeichnete, der Sache nach aber gemeinte Dominativgewalt25 . Dem steht aber der inzwischen schon beinahe zu einer feststehenden Wendung gewordene Ausspruch von Anastasius Gutierrez, wohl einer der besten lebenden Kenner des Ordensrechts, entgegen, wonach durch c. 596 § 1 der zu so vielen Mißverständnissen Anlaß gebende Begriff der "potestas dominativa" verschwunden sei und mit dem Begriff auch die Sache selbst26 . Die in c. 596 § 1 erwähnte Gewalt sei nichts anderes als eine kirchliche Jurisdiktionsgewalt, die somit allen Oberen sämtlicher Institute des geweihten Lebens, Klerikern wie Laien, zukomme.

23 F. lannone, Potesta dei Capitolo generale, in: CRM 68 (1987) 83 bringt eine Gegenüberstellung der textgeschichtlichen Entwicklung von c. 501 CIC/1917 über die Schemata von 1977, 1980 und 1982 bis zu c. 596 CIC/1983. 24 Nach Ansicht der CIC-Kommission kommt der in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt zwar ein gewisser kirchlicher Öffentlichkeitscharakter zu (" ... etsi quandam potestatem ecclesiasticam publicam constituat ... "), sie unterscheidet sich aber klar von der Jurisdiktionsgewalt. Vgl. dazu Relatio 1981, 140 (zu c. 523 des Schemas CIC 1980, der inhaltlich bereits dieselbe Aussage enthält wie c. 596 § 1 CIC/1983). 25 Henseler, Ordensrecht (Anm. 5) 81-83 spricht im Zusammenhang mit c. 596 § 1 ausdrücklich von Dominativgewalt. Ebenso R. Sebott, Das neue Ordensrecht, Kevelaer 1988, 26. 26 A. Gutierrez, Canones circa Instituta vitae consecratae et Societates vitae apostolicae vagantes extra partem eorum propriam, in: CRM 64 (1983) 89: "Vox ergo 'potestas dominativa', quae tot aequivoca generavit, merito et definite aboletur et, cum voce, etiam conceptus". Ders., Potesta dominativa, 5: 11 CIC/1983, in: Dizionario degli Istituti di perfezione, vol. VII, col. 149 f.

Instituta nec clericalia nec laicalia. Möglichkeit und Konsequenzen

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Freilich sei umfangmäßig zu unterscheiden, ob es sich um einen Klerikeroder Laienoberen handle. Letzterem kommen nicht alle Funktionen kirchlicher Leitungsgewalt in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung (Ausführung) zu; jedem Oberen komme aber kraft c. 596 § 1 ausfahrende Jurisdiktionsgewalt zu27. Wenngleich ich persönlich diese Auffassung nicht teile, sondern der Überzeugung bin, daß die in §§ 1 und 2 c. 596 erwähnten Gewalten nicht nur quantitativ, sondern qualitativ verschieden sind, daß somit - de lege lata durch c. 596 § 1 nicht kirchliche Leitungsgewalt verliehen wird, sondern daß darin die frühere potestas dominativa weiterlebt28 , so ist hier nicht der Ort, diesem verfassungsrechtlichen Problem weiter nachzugehen. Für unsere eigentliche Fragestellung, nämlich die Konsequenzen aus der Zulassung von indifferenten (gemischten) Instituten lassen sich indes aus der Beschäftigung mit der Frage nach der Natur der in c. 596 angesprochenen Gewalten wichtige Schlußfolgerungen ziehen. Für mich ist die soeben dargelegte Auffassung, daß in c. 596 § 1 Jurisdiktionsgewalt gemeint sei, ein weiteres wichtiges Indiz dafür, daß die Formulierung des c. 129, wenngleich sie gegenüber den Entwürfen 29 erheblich an Deutlichkeit verloren hat30 , keinesfalls zur Annahme berechtigt, der Laie sei schlechterdings unfähig, Jurisdiktionsgewalt zu erlangen31 .

27 Gutierrez, Canones (Anm. 26) 94. In gleichem Sinne lannone, Potesta (Anm. 23) 229; J. Beyer, Die Vollmacht in der Kirche, in: FS für H. Schwendenwein, Graz/Wien/Köln 1986,288. 28 Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 15) 39 f. 29 Während c. 126 Schema CIC 1980 noch die Formulierung aufwies, daß Laien an kirchlicher Leitungs-(lurisdiktions-)gewalt, die nicht auf Weihegewalt aufruht (" ... ordine sacro non innititur ... "), jenen Anteil haben können, den ihnen die höchste kirchliche Autorität zuweist, fehlt bei c. 129 Schema CIC 1982 der Hinweis bezüglich der nicht auf Weihegewalt aufruhenden Leitungsgewalt. Immer aber ist noch von Teilhabe (" ... partem habere possunt ... ") der Laien an kirchlicher Jurisdiktionsgewalt die Rede. Erst c. 129 CIC/1983 hat die Teilhabe durch die (absichtlich unverbindliche?) Wendung "cooperari possunt" ersetzt. 30 Zur Bedeutung der Wendung "cooperari possunt" vgl. Gutierrez, Canones (Anm. 26) 91. 31 Die Ansicht, der Laie sei schlechterdings unfähig, kirchliche Leitungs(lurisdiktions-)gewalt auszuüben, wird u. a. nachhaltigst vertreten W Aymans, Laien als kirchliche Richter? Erwägungen über die Vollmacht zu geistlicher Rechtsprechung, in: AkKR 144 (1975) 3-20; ders., Codex Iuris Canonici. Erwägungen zu Geist und Gestalt des neuen Gesetzbuches der lateinischen Kirche, in: FS für H. Heinemann, Essen 1985,35-50, bes. 44.

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Auch aus der gegenwärtigen Fassung des c. 129, der dem Laien nur eine (reichlich unbestimmte) Mitwirkung bei der Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt zubilligt32 , hat der Gesetzgeber selbst abgeleitet, daß ein Laie kirchlicher Richter sein kann (c. 1421 § 2)33. Daraus ist aber nun doch zu folgern, daß, was immer, der lex lata zufolge, der Inhalt der in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt sein mag (Dominativoder Jurisdiktionsgewalt), es jedenfalls vom System des CIC/1983 her durchaus möglich ist, einem Laien kirchliche Jurisdiktionsgewalt zu übertragen34 . Auch Laienobere in sämtlichen Formen von Instituten des geweihten Lebens bzw. Gesellschaften des apostolischen Lebens können daher Jurisdiktionsträger sein. Die kirchliche Rechtsgeschichte ist, gerade was das Ordensrecht betrifft, voll von Beispielen, in welchem Umfang kirchliche Jurisdiktionsgewalt von klösterlichen (männlichen wie weiblichen) Laienoberen ausgeübt wurde35 . Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß Nichtgeweihte sogar Ordinarien, im Falle eines nichtgeweihten, aber rechtmäßig ernannten Bischofs, sogar Ortsordinarien gewesen sind. Gewiß will niemand einer Rückkehr zu solchen Abnormitäten das Wort reden, kraft deren z. B. manche Äbtissinnen des 32 Vgl. die Kontroverse um c. 126 Schema CIC 1980, der dem Laien eine Teilhabe an kirchlicher Jurisdiktionsgewalt zuteilte, soweit diese nicht auf der Weihegewalt aufruhte, Relatio 1981,38-41. Dazu U. Belti, In margine al nuovo Codice di Diritto canonico, in: Anton 58 (1983) 628-647. 33 Von einem Widerspruch bzw. einer Spannung zwischen der Aussage des c. 129, demzufolge der Laie (anscheinend) von der Teilhabe an kirchlicher Jurisdiktionsgewalt ausgeschlossen ist und c. 1421 § 2, der dem Laien die Funktion des kirchlichen Richters (und somit Trägers von Jurisdiktionsgewalt) eröffnet, sprechen H. Flalten, Die Eheverfahren, in: HdbKathKR, 986 und H. Müller, Zur Frage nach der kirchlichen Vollmacht im CIC/1983, in: ÖAKR 35 (1985) 103 f. 34 Mit Recht leitet Boni aus der Tatsache, daß Laien kirchliche Richter sein können, die Folgerung ab, daß Laien auch ausführende Leitungsgewall (potestas regiminis executiva) haben können, die ausreichend ist, um das Amt des höheren Oberen in einem klerikalen und nichtklerikalen Ordensinstitut zu übernehmen. A. Boni, La vita religiosa nella struttura concettuale dei nuovo Codice di Diritto canonico, in: Antonianum 58 (1983) 573 f. 35 Vgl. C. G. Fürst, "Statim ordinetur episcopus" oder Die Papsturkunden "Sub bulla dimidiata" Innozenz III. und der Beginn der päpstlichen Gewalt, in: FS für W. M. Plöchl, Innsbruck 1977, 45-65; A. M. Stick/er, De potestatis sacrae natura et origine, in: PRMCL 71 (1982) 65-91; J. Beyer, De natura potestatis regiminis seu iurisdictionis recte in Codice renovato enuntiando, in: PRMCL 71 (1982) 104-107; G. Ghirlanda, De natura, origine et exercitio potestatis regiminis iuxta novum Codicem, in: PRMCL 74 (1985) 109-164.

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Mittelalters Jurisdiktion über den gesamten Klerus eines bestimmten Gebietes ausübten, diesem Klerus die Jurisdiktion zur Spendung des Bußsakramentes erteilten und sogar der Bischof der Äbtissin einen Treueid abzulegen hatte36 . Dies allein schon deshalb nicht, weil aufgrund der mit vielen mittelalterlichen Klöstern verbundenen Feudalherrschaft nicht immer klar unterschieden wurde zwischen den aufgrund weltlichen Rechts ausgeübten Befugnissen und der geistlichen Jurisdiktion. Soviel aber kann jedenfalls aus der Rechtsgeschichte abgeleitet werden, daß Laien als zur Ausübung jener Formen der geistlichen Jurisdiktion befähigt angesehen wurden, die nicht begriffsnotwendig (wie dies etwa bei der bis zum CIC/1917 so benannten Jurisdiktion zur Spendung des Bußsakramentes37 der Fall war) Weihegewalt voraussetzt. An dieser Möglichkeit, den Laien mit kirchlicher Jurisdiktion entweder in Form ordentlicher, mit dem Amt bereits verbundener oder mit delegierter Vollmacht auszustatten, hat m. E. auch das 11. Vatikanische Konzil nichts geändert.

Daraus ist als Konsequenz abzuleiten, daß es eine von der Natur der Sache her zwingende Notwendigkeit, Jurisdiktionsgewalt ausschließlich einem Klerikeroberen vorzubehalten, nicht gibt. Mit der Grundaussage des c. 129 wäre auch eine Festlegung vereinbar, wonach allen Oberen (Klerikern wie Laien) kraft Amtes nicht nur die in c. 596 § 1 erwähnte Gewalt, sondern auch kirchliche Jurisdiktionsgewalt zukommt. Will man Jurisdiktionsgewalt nur den Verbänden päpstlichen Rechts zuteilen (auch dafür gibt es keinen von der Systematik her zwingenden Grund), dann könnte die Aussage dahingehend lauten, daß allen Oberen in Verbänden päpstlichen Rechts (Klerikern wie Laien) beide Typen von Gewalt eignen. Es versteht sich hierbei von selbst, daß dem Laien, auch wenn er klösterlicher Oberer ist, nur jene lurisdiktionsgewalt zukommen kann, die nicht begriffsnotwendig die Weihegewalt voraussetzt. Wenn dies für die im gegenwärtigen kanonischen Recht angeführten klerikalen und laikaIen Institute gesagt werden kann, dann erst recht für die ausdrücklich als solche erst anzuerkennende Kategorie von indifferenten (gemischten) Instituten. Für diese wäre zum einen davon auszugehen, daß Klerikern wie Laien der Zugang zu allen Ämtern, auch zu dem des Oberen aller Kategorien, offen steht. Zum anderen wäre es von der Grundposition des 36 A. Panloni, Abbadessa, in: Dizionario degli Istituti di perfezione, I, Sp. 19. 37 C. 872 CIC/1917; c. 966 § 1 CIC/1983 spricht nicht mehr von "iurisdictio" , sondern von der Befugnis (facultas), die Weihegewalt gegenüber bestimmten Gläubigen auszuüben.

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CIC/1983 aus denkbar, hinsichtlich der diesen Oberen zukommenden Gewalt festzulegen, daß ihnen neben der in c. 596 § 1 angesprochenen auch kirchliche Leitungs-(Jurisdiktions-)gewalt zukommt, wobei dem Laienoberen nur jene Jurisdiktionsgewalt zustehen kann, die nicht von der Natur der Sache her die Weihegewalt voraussetzt. 5. Ich möchte abschließend meine persönliche Präferenz für dieses zuletzt gezeichnete Modelle nicht verhehlen. Wenn man - und dies scheint mir wünschenswert - die Existenz indifferenter (gemischter) Institute ausdrücklich anerkennt, dann sollte man hinsichtlich der Mitglieder dieser Institute, die entweder Kleriker oder Laien sind, das Gemeinsame soweit als möglich in den Vordergrund stellen und nur das als Unterscheidendes fixieren, was dem Ordensrecht bereits als unverzichtbare Differenzierung vorgegeben ist. Die im göttlichen Recht wurzelnde Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien (vgl. c. 207) soll auf dem Umweg über das Ordensrecht keineswegs beeinträchtigt werden. Auf der anderen Seite aber ist der Stand des geweihten Lebens "seiner Natur nach weder klerikal noch laikai" (c. 588 § 1), und überdies besteht unter allen Gläubigen, Klerikern wie Laien, eine in der Wiedergeburt in Christus wurzelnde fundamentale Gleichheit (c. 208), die der Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien ideell vorausliegt. Somit ist es legitim, im Ordensrecht, zumindest bei den den Gegenstand dieser Untersuchung bildenden "Instituta nec clericalia nec laicalia" hinsichtlich der Rechtsstellung ihrer Mitglieder nur dasjenige an Unterscheidendem festzulegen, was unabdingbar festgelegt werden muß. Der Zugang zum Amt des Oberen und die diesem kraft Amtes eignende kirchliche Gewalt zählen jedoch nicht zu den Dingen, bezüglich derer eine Unterscheidung unbedingt vorgenommen werden muß. Auf der Basis dieses Gemeinsamen, das wohl ein wesentliches Stück des in c. 578 angesprochenen geistigen Erbguts des Instituts ist, können sich die Kleriker- und Laienmitglieder in ihren je verschiedenen Diensten und Charismen entfalten.

Die Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarre(r) bei einer Klosterpfarrkirche 1 I. Begrimiches 1. Bei einer Klosterpfarrkirche handelt es sich um eine Kirche, die zugleich von einer Ordensgemeinschaft und einer Pfarre benützt wird. In diesem Zusammenhang sind vorerst einige Fragen zu klären. Unter Kloster wird hier ganz allgemein die Niederlassung eines Ordensinstituts (c. 607 § 2) oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens (c. 731) verstanden; die Frage, ob es sich um ein gemäß c. 613 § 1 rechtlich selbständiges Kloster handelt oder nicht, spielt hier keine Rolle2 . Ausgeschlossen von dem Begriff Kloster sind, soweit es sie überhaupt gibt, Niederlassungen der Säkularinstitute3 . Unter der so determinierten Bezeichnung Kloster sind die Niederlassungen aller Kategorien von Ordensinstituten bzw. Gesellschaften des apostolischen Lebens gemeint, d.h. es kommt nicht darauf an, ob es sich um Verbände päpstlichen oder diözesanen Rechts, klerikale oder laikaie handelt4 . 1 Vortrag, gehalten beim Internationalen Symposium für Ordens recht an der Katholischen Universität Lublin (Polen) am 18. Oktober 1994. 2 Ohne auf die Frage einzugehen, ob die in c. 733 § 1 eIWähnte "örtliche Kommunität" (der Gesellschaften des apostolischen Lebens) auch als "Kloster" anzusprechen ist, kann es, soweit es den Gegenstand dieser Untersuchung anlangt, keinem Zweifel unterliegen, daß auch bei einer solchen örtlichen Kommunität eine Pfarre errichtet werden könnte. Die von dieser Kommunität benützte Kirche könnte "Klosterpfarrkirche" sein. 3 Zur bereits unter der Herrschaft des CIC/1917 ganz allgemeinen VeIWendung des Begriffs Kloster vgl. H. Hanstein, Ordensrecht, Paderborn 1953, 24. 4 C. 520 § 1 spricht zwar davon, daß in Hinkunft nur einem klerikalen Ordensinstitut oder einer klerikalen Gesellschaft des apostolischen Lebens eine Pfarre anvertraut werden kann. Dies wird wohl der weitaus übeIWiegende Regelfall sein. Einer auf dem Internationalen Symposium für Ordensrecht in Lublin (17.118. Oktober 1994) erfolgten Mitteilung von D. J. Andres zufolge gibt es weltweit etwa zehn Fälle der Errichtung einer Pfarre an der Kirche einer weiblichen Ordens gemeinschaft;

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Für den Begriff Kloster im hier verwendeten Sinn ist es unerheblich, ob das vom Ordensverband bewohnte Gebäude bzw. Teile desselben im Eigentum des Verbandes stehen, oder ob nur ein Mietverhältnis oder gar nur eine prekaristische Überlassung vorliegt5 . Entscheidend ist lediglich, daß die klösterliche Gemeinde ein bestimmtes Gebäude oder einen Teil desselben bewohnt, daß sie dort also ihren ständigen Sitz hat6 . Hinsichtlich des Begriffs Kloster ist es unerheblich, ob dieses selbständige juristische Person ist, womit auch die Fähigkeit zu eigenem Vermögenserwerb und eigener Vermögensverwaltung verbunden wäre (c. 634 § 1), oder ob die Niederlassung entweder überhaupt keine oder nur eine Teilrechtsfähigkeit besitzt. Es ist demnach ohne weiteres denkbar, daß eine Pfarre einer Klostergemeinde anvertraut wird, die nicht den Charakter einer juristischen Person besitzt. 2. Die zweite Frage, die zu klären ist, betrifft den Begriff Pfarrkirche. Eine Legaldefinition gibt es weder im CIC/1917 noch im CIC/1983. Im Verhältnis der beiden Codices hat sich hinsichtlich der Pfarrkirche lediglich in einem Punkt eine Änderung ergeben, insofern als der Begriff Pfarre nunmehr unabhängig von einer eigenen, als solcher deklarierten Pfarrkirche ist. Während c. 216 § 1 CIC/1917 noch die "peculiaris ecclesia" als Wesens merkmal der Pfarre angesehen hatte, ist dies nunmehr im CIC/1983 weggefallen. C. 515 § 1 stellt hinsichtlich der Pfarre auf die "bestimmte Gemeinschaft von

die Klosterkirche der Nonnen (Schwestern) ist zugleich Pfarrkirche. - Im einzelnen sind dabei mehrere Möglichkeiten denkbar: es könnte zum einen an dieser Pfarrkirche ein Pfarrer bestellt werden. Bei der Bestellung des Pfarrers müßte aber der Vorsteherin des Klosters zumindest ein Anhörungsrecht eingeräumt werden. Zum anderen könnte(n) aber i. S. v. c. 517 § 2 auch eine oder mehrere Schwester(n) "an der Wahrnehmung von Seelsorgsaufgaben" beteiligt werden, wobei es dann einen Priester geben müßte, der, ohne Pfarrer zu sein, die Seelsorge leitet. Vgl. H. Schmitz, Die "Gemeindeleitung" durch "Nichtpfarrer-Priester" oder "Nichtpriester-Pfarrer". Kanonistische Skizze zu dem neuen Modell pfarrlicher Gemeindeleitung des c. 517 § 2 CIC, in: AkKR 161 (1992) 329-361. 5 In allen drei Fällen liegt m. E. Kirchengut (Kirchenvermögen) vor, weil das hiefür erforderliche Zugehörigkeitsverhältnis ("pertinent" i. S. v. c. 1257 § 1) gegeben ist. Denn auch das Prekarium stellt einen Rechtstitel für die Benutzung einer fremden Sache dar. 6 Vgl. dazu die Statuten einiger österreichischer Pfarrgemeinderats(Pfarrkirchenrats)-Ordnungen mit Sonderbestimmungen hinsichtlich jener Pfarrkirchen, die Sitz eines Klosters sind, z. B. St. Pöltener Pfarrordnung (1986) § 51, 1.

Die Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarre(r) bei einer Klosterpfarrkirche

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Gläubigen" ab, deren Seelsorge einem Pfarrer als eigenem Hirten anvertraut wird7 • Vorab wäre die Frage zu behandeln, ob es sich bei einer Pfarrkirche wirklich immer um eine Kirche i. S. v. c. 1214 handeln muß, d. h. um ein "für den Gottesdienst bestimmtes Gebäude, zu dem die Gläubigen das Recht freien Zugangs haben". Man könnte fragen, ob nicht auch eine Kapelle (Oratorium) als "Pfarrkirche" fungieren könnte, d. h. also ein "Ort, der mit Erlaubnis des Ordinarius für den Gottesdienst zugunsten einer Gemeinschaft.... bestimmt ist, zu dem mit Zustimmung des zuständigen Oberen auch andere Gläubige Zugang erhalten können" (vgl. c. 1223). - Eine Privatkapelle iSv c. 1226 könnte wohl nicht als "Pfarrkirche" errichtet werden, weil diese dann ihren Charakter als Gottesdienststätte für einzelne oder mehrere physische Personen verlieren würde; ein für den Charakter als Pfarrkirche erforderliches allgemeines Zutrittsrecht ist hier nicht gegeben. Es stünde aber m. E. kein Hindernis entgegen, eine Kapelle, d. h. eine primär zugunsten der Klostergemeinde bestimmte Gottesdienststätte mit Erlaubnis des zuständigen Oberen insofern als Pfarrkirche zu verwenden, als allen Gläubigen der Zutritt offensteht. Dies könnte vor allem bei ursprünglich als Kapellen von Ordensgemeinschaften errichteten Gottesdienststätten geschehen, so daß man demzufolge auch nach einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Bischof und Ordensoberen eine solche Kapelle als Pfarrkirche ansprechen müßte, ohne daß sie ihren Rechtscharakter als Kapelle verliert.

7 Als Wesensmerkmal wird indes der "Pfarrer als eigener Hirte" nicht zu bezeichnen sein, sondern lediglich die "bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist" (c. 515 § 1). Denn gemäß c. 517 § 2 kann eine Pfarre auch ohne Priester als l1arrer bestehen, es bedarf für eine Pfarre lediglich eines Priesters, der, auch ohne Pfarrer zu sein, die "Seelsorge leitet". Und selbst wenn eine (kanonisch errichtete) Pfarre weder einen "Priester als eigenen Hirten" (c. 515 § 1) noch auch einen i. S. v. c. 517 § 2 die Seelsorge leitenden Priester hat (sog. Nichtpfarrer-Priester), hört sie deswegen nicht eo ipso auf, Pfarre zu sein. Man kann nicht einmal sagen, daß die Eucharistiefeier in der Pfarre für die Existenz derselben wesensnotwendig sei. Ohne die Bedeutung des "augustissimum sacramentum" (c. 897) zu verkennen, kann nicht behauptet werden, daß es "ohne Priester ... keine Gemeinde geben (kann), weil zu ihrem Aufbau und zu ihrer Entfaltung die Eucharistiefeier unersetzlich ist und es Eucharistie nicht ohne den Priester geben kann". Vgl. H. Schmitz, Pfarrei und Gemeinde, in: AkKR 148 (1979) 59 f.; ders., Gemeindeleitung (Anm 4) 329. - In der Geschichte der katholischen Missionen sind hinreichend Fälle bekannt, wo christliche Gemeinden jahrzehntelang keinen Priester hatten und nur auf die Sakramente der Taufe und der Ehe gestützt überlebten.

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Für den Begriff Klosterpfarrkirche ist die Frage, in wessen Eigentum die Kirche steht, ohne grundsätzliche Bedeutung, was allerdings nicht ausschließt, daß mit dieser Detailfrage erhebliche Konsequenzen, insbesondere finanzieller Natur (Baulast) verbunden sind. Es sind verschiedene Eigentümer einer Klosterpfarrkirche denkbar: sie kann im Eigentum der Klostergemeinde oder der Pfarre als juristischer Person (c. 515 § 3) stehen. Sie könnte auch im Eigentum einer physischen Person, oder einer anderen juristischen Person (z. B. einer politischen Gemeinde, eines Bundeslandes oder des Bundes selbst) stehen. Häufig ist die Kirche selbst juristische Person und somit Trägerin des Eigentumsrechts. Für den Begriff Klosterpfarrkirche hat es ferner keinen grundsätzlichen Einfluß, ob zugunsten dieser Kirche ein Patronatsrecht oder ein sonstiger Rechtsanspruch an Dritte besteht. Daß dies Konsequenzen insbesondere finanzieller Natur mit sich bringt, braucht nicht eigens betont zu werden8 . Bei Klosterpfarrkirchen kann ein Inkorporationsverhältnis bestehen, muß aber nicht. In Österreich gibt es noch mehrere hundert Inkorporationen, und zwar, soweit ich sehe, ausschließlich bei den selbständigen Klöstern von Mönchen (Benediktiner, Zisterzienser), sowie bei den Augustiner Chorherren und den Prämonstratensern (monasteria sui iuris iSv c. 615). Nach meinem Dafürhalten ist in bezug auf die sog. volle Einverleibung (incorporatio pleno iure nach c. 1425 § 2 CIC/1917) nur insofern eine Veränderung eingetreten, als die Konstruktion, wonach die juristische Person eigentlicher Pfarrer war und der die Pfarrseelsorge ausübende Welt- oder Ordensgeistliche hingegen als Pfarrvikar bezeichnet wurde, durch c. 520 § 1 CIC/1983 aufgehoben wurde. Eine juristische Person kann demnach nicht mehr Pfarrer sein. Keine Änderungen sind hingegen in bezug auf die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Inkorporationsträger und der Pfarrpfründe bzw. Pfarrkirche eingetreten9 . Für das Thema unserer Untersuchung muß hervorgehoben werden, daß die meisten Pfarrkirchen der inkorporierten Pfarren keine Klosterpfarrkirchen im beschriebenen Sinne darstellen, d. h. die klösterliche Gemeinde hat ihren Sitz zumeist nicht an der Pfarrkirche der inkorporierten Pfarre. Die meisten dieser inkorporierten Pfarren sind mehr oder minder weit vom Kloster entfernt, manchmal mehrere hundert Kilome8 Patron kann auch eine klösterliche juristische Person (insbesondere die Stifte der Benediktiner, Zisterzienser und Augustiner Chorherren) sein. Hinsichtlich der Baulastpflicht des Patrons nach österreichischem Recht vgl. H. Heimerl/H. Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche. Regensburg 1993,464-473. 9 Vgl. dazu Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz, Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz 1 (1984) Nr. 15.

Die Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarre(r) bei einer Klosterpfarrkirche

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ter 10. Es ist aber natürlich möglich, daß die Kirche einer inkorporierten Pfarre auch zugleich Sitz des Klosters und somit Klosterpfarrkirche ist. Dies ist insbesondere bei jenen Abteikirchen ll der Fall, die zugleich Pfarrkirchen sind. 3. Durch eine Klosterpfarrkirche wird ein Rechte-Ptlichten-Verhältnis zwischen dem Diözesanbischof und dem Ordensverband einerseits, zwischen dem Diözesanbischof und dem mit der Pfarrseelsorge betrauten Priester andererseits geschaffen (Dreiecksverhältnis). Abgesehen von der allgemeinen Unterstellung der Ordenspersonen hinsichtlich äußerer Apostolatswerke unter eine zweifache Autorität, nämlich die des Ortsordinarius und des Ordensoberen (c. 678), besteht beim Ordenspfarrer noch ein besonderer Rechtstitel für eine Bindung an den Bischof, nämlich das Pfarramt. Die cc. 681 f. unterscheiden zwischen ·Werken" (opera) und einem Kirchenamt, die Ordenspersonen durch den Bischof übertragen werden. Bei den opera (c. 681) ist wohl in erster Linie an die Form eines Gestellungsvertrages zwischen dem Ordensverband und dem Diözesanbischof zu denken l2 , bei dem sich der Ordensverband verpflichtet, eine gewisse Anzahl von individuell nicht bestimmten und daher auch jederzeit austauschbaren Mitgliedern für 10 So besitzt z. B. das Erzstift Salzburg eine inkorporierte Pfarre in Wien (Dornbach); die Entfernung zwischen Wien und Salzburg beträgt ca. 300 km. Insgesamt gibt es in Österreich, einer Statistik aus dem Jahre 1986 zufolge, noch 423 mit Klöstern verbundene Pfarren. Von denen sind insgesamt 396 mit Abteien, 27 mit Provinzialaten verbunden. Die mit Abteien verbundenen Pfarren bestehen zumeist, wenn nicht sogar ausschließlich, in der Form der Vollinkorporation, die mit Provinzialaten verbundenen in der Form der (einfachen) Anvertrauung. Im einzelnen ergibt sich folgendes Bild der mit Abteien bzw. Provinzialaten verbundenen Pfarren: Erzdiözese Wien: Abteien 104, Provinzialate 2l. St. Pölten: Abteien 102. Linz: Abteien 86, Provinzialate l. Graz-Seckau: Abteien 57, Provinzialate 3. Innsbruck: Abteien 27, Provinzialate 1 (Südtirol: Abteien 3). Erzdiözese Salzburg: Abteien 8. Gurk-Klagenfurt: Abteien 6, Provinzialate 1. Eisenstadt: Abteien 3. Freundliche Mitteilung der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs vom Oktober 1994. 11 Es könnte sich auch um die Kirche eines selbständigen Priorats handeln. In Österreich z. B. Mariazell, das als mit dem Stift St. Lambrecht (Steiermark) verbundenes Priorat besteht. 12 R. Sebott, Das neue Ordensrecht, Kevelaer 1988, 132. 34 Primetshofer

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eine bestimmte Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Anders m. E. beim Kirchenamt iSv c. 682 § 1. Auch dieser Übertragung liegt eine vertragliche Vereinbarung zwischen Bischof und Ordensverband zugrunde, aber der vom Ordensoberen vorgeschlagene Kandidat muß individuell vom Bischof eingesetzt werden und kann nicht nach freiem Ermessen, weder seitens des Ordensoberen noch seitens des Bischofs durch eine andere Person ersetzt werden. Dem Gesagten steht nicht die sog. "ad-nutum-Amovibilität" der ordensgeistlichen Pfarrer gemäß c. 682 § 2 entgegen. Denn hier wird gesagt, daß beide Autoritäten, der Bischof wie auch der Ordensobere den mit dem Amt Betrauten jederzeit absetzen können, ohne daß die Zustimmung des jeweils anderen erforderlich wäre. Absetzung bedeutet Verlust des Amtes für den bisherigen Amtsinhaber; keinesfalls folgt aber daraus, daß Bischof oder Ordensoberer "im Alleingang" eine neue Einsetzung vornehmen könnten. Hier ist wieder das zweigeteilte Verfahren des c. 681 einzuhalten mit unverzichtbaren Kompetenzen sowohl des Bischofs wie auch des Ordensoberen. 4. Wie ist nun das Rechte-Pflichten-Verhältnis zwischen Bischof, Ordensverband und dem die Seelsorge ausübenden Ordenspriester zu qualifizieren? Die schriftliche Vereinbarung (Vertrag), die gemäß c. 682 § 2 bei den vom Bischof an OrdensverbäDde übertragenen "Werken" abzuschließen ist, muß sicherlich auch auf die Übertragung der Pfarrseelsorge an eine Ordensgemeinschaft ausgedehnt werden. Die vertragschließenden Parteien müssen sich also über die Rechtsnatur der zu schließenden Vereinbarung im klaren sein. Von den bei den in erster Linie in Frage kommenden Vertragstypen, nämlich Dienstvertrag oder Werkvertrag ist auf Dienstvertrag zu entscheiden. Denn durch diesen verpflichtet sich jemand auf bestimmte Zeit zu Arbeitsleistungen. Der Dienstnehmer schuldet Arbeit, aber keinen bestimmten Erfolg. - Beim Werkvertrag hingegen verpflichtet sich jemand zur Herstellung eines bestimmten Erfolges l3 . Das Eigenartige dieses Dienstvertrages besteht darin, daß er abgeschlossen wird zwischen dem Diözesanbischof und dem Ordensinstitut; letzteres verpflichtet sich, dem Diözesanbischof bzw. der Diözese die Arbeitskraft eines Ordenspriesters des eigenen Instituts zur Dienstleistung in einer bestimmten Pfarre zur Verfügung zu stellen. Typologisch liegt demnach eine gewisse Ähnlichkeit zur "Arbeitskräfteüberlassung" vor, deren Wesen darin besteht, daß Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte verpflichtet werden 14. Das 13 H. Koziol/R. WeLs-er, Grundriß des bürgerlichen Rechts, I, Wien 91992, 393 und 397. 14 Vgl. § 3, 1 des (österreichischen) Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes, BG 23.3.1988; BGBI. 196/1988.

Die Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarre(r) bei einer Klosterpfarrkirche

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Ordensinstitut könnte in gewissem Sinne als sog. "Überlasser" bezeichnet werden, das Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte verpflichtet. Die Verpflichtung für den Ordenspriester, seine Arbeitskraft dem Institut ungeschmälert zur Verfügung zu stellen, auch zur Arbeitsleistung an Dritte, ergibt sich bereits aus der Rechtsnatur der Ordensprofeß (vgl. c. 668 § 3) - der Bischof bzw. die von ihm rechtsgeschäftlich vertretene Diözese (vgl. c. 393) wäre für den Ordenspriester "Beschäftiger" i. S. v § 3, 3 des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes. Dennoch liegt bei dem Rechtsverhältnis zwischen Bischof, Ordensinstitut und Ordenspriester als Pfarrer keine Überlassung von Arbeitskräften im Sinne des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes vor. Dies vor allem deshalb nicht, weil die zur Arbeitsleistung an Dritte Verpflichteten bereits Arbeitnehmer beim sog. "Überlasser" sind. Ordenspersonen stehen aber in keinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu ihrem Ordensverband 15. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz kann somit auf die gegenständlichen Rechtsbeziehungen nur bezüglich gewisser Teilaspekte Anwendung finden 16 . Hinsichtlich der Ausformulierung der Rechtsbeziehungen zwischen Pfarre, Ordensinstitut und dem die Seelsorge ausübenden Pfarrer besteht in gewissem Umfang Gestaltungsfreiheit, die in den gemäß c. 681 § 2 abzuschließenden Vertrag Eingang finden muß. Andererseits sind aber, was die Übertragung der Pfarre an ein Ordensinstitut und die Rechtsverhältnisse in einer Klosterpfarrkirche betrifft, einige "Eckpunkte " , die unabdingbar vorgegebenes zwingendes Recht (ius cogens) darstellen. Diesen Grenzen im einzelnen nachzugehen, ist Zweck der nachstehenden Ausführungen.

15 Vgl. Schreiben der Religiosenkongregation an den Vorsitzenden der Vereinigung der Generaloberen in Rom vom 25.1.1974. X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae, vol. V Nr. 4262; dazu ÖAKR 25 (1974) 280 f. 16 Vgl. dazu D. J. Andres, I religiosi datori di lavoro e lavoratori secondo il Codice di diritto canonico, in: CRM 72 (1991) 3-48.

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11. Kompetenzabgrenzungen 1. Rechtsstellung des die Seelsorge wahrnehmenden Priesters

Zumeist wird es sich bei einer Klosterpfarrkirche um einen kanonisch bestellten Pfarrer handeln. Die Möglichkeit, daß ein "Nichlpfarrer-Priester" die Seelsorge leitet, während gleichzeitig ein Diakon oder ein Nichtkleriker "an der Wahrnehmung der Seelsorgeaufgaben" beteiligt ist (vgl. c. 517 § 2), soll hier nicht näher in Betracht gezogen werden. Denn diesbezüglich bedürfte es noch besonderer, im einzelnen festzulegender Regelungen, die den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würden. Der für die Pfarrseelsorge bestellte Ordenspriester führt nun auf jeden Fall die Bezeichnung Pfarrer. Es spielt hierbei keine Rolle, ob die Pfarre dem Ordensinstitut inkorporiert oder bloß (in einfacher Form) anvertraut ist l7 . Die nach dem Recht des CIC/1917 für den Pfarrseelsorger einer voll inkorporierten Pfarre zu verwendende Bezeichnung "Pfarrvikar" (c. 471 § 1 CIC/1917) ist durch c. 520 § 1 CIC/1983 aufgehoben, weil dieser Aspekt der (vollen) Inkorporation, wonach die juristische Person (das Ordensinstitut) Pfarrer war, nicht mehr Bestandteil der geltenden Rechtsordnung ist l8 . Der zum Pfarrer bestellte Ordensmann ist zwar, wie bereits erwähnt wurde, gemäß c. 682 § 2 jederzeit frei absetzbar, und zwar von seiten des Diözesanbischofs wie auch seines Ordensoberen l9 , hat aber ansonsten, und 17 Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz über die einheitliche Denomination der Pfarrseelsorger, in: Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 1 (25.1.1984) 8, Nr. 18. 18 Allerdings ist zu beachten, daß auch der Pfarrvikar nach dem CIC/1917 ausschließlich für die gesamte Seelsorge der voll inkorporierten Pfarre zuständig war (c. 471 § 4 CIC/1917). In bezug auf die pfarrlichen Rechte und Pflichten unterschied sich der Pfarrvikar somit nicht von einem weltgeistlichen Pfarrer. 19 Das in den cc. 1740 - 1747 festgelegte Verfahren zur Amtsenthebung von Pfarrern kommt daher nicht zur Anwendung; dieses Verfahren ist ausschließlich auf Weltpriester bezogen. Das genannte Verfahren müßte aber angewendet werden, wenn ein Weltpriester ausnahmsweise Pfarrer einer inkorporierten oder anvertrauten Pfarre ist. In diesem Falle müßte zwar auch der Obere des Ordensinstituts eine Präsentation vornehmen, c. 682 § 2 wäre aber nicht anwendbar, weil diese formlose Art der Absetzung offensichtlich ausschließlich für Ordenspriester vorgesehen ist. Nach meinem Dafürhalten ist hier weiterhin die Norm des c. 471 § 3 CIC/1917 anzuwenden, d. h. nur wenn der nach dem Recht des CIC/1917 bei einer vollinkorporierten Pfarrei bestellte Pfarrvikar Religiose war, konnte er gemäß c. 454 § 5 jederzeit seitens des

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zwar er ausschließlich, die vollen pfarrlichen Rechte und Pflichten. Im strikt pfarrlichen Bereich ist der Ordenspfarrer nicht an Weisungen seines Ordensoberen gebunden, sondern gegebenenfalls nur an die des Bischofs. Es ist nicht so, daß eine Ordenspfarre in Wirklichkeit zwei Pfarrer hat, nämlich den zum Pfarrer bestellten Ordenspriester und dessen Oberen. Die beiden sind auch grundsätzlich nicht i. S. v. c. 517 § 1 solidarisch mit der Pfarrseelsorge betraut; Pfarrer ist nur einer, und dieser ist ausschließlich für die Pfarrseelsorge zuständig 20 .

Ortsordinarius wie auch des Ordensoberen abgesetzt werden (nAd nutum-Amovibilität n). War der Pfarrvikar hingegen kein Religiose, dann war die seitens des Ordensoberen erfolgte Präsentation auf Dauer und konnte nicht rückgängig gemacht werden. Hinsichtlich der Amtsentfernung durch den Ortsordinarius galten die allgemeinen Bestimmungen hinsichtlich der Absetzung von weltgeistlichen Pfarrern. Dem Ortsordinarius oblag lediglich die Pflicht, den präsentationsberechtigten klösterlichen Oberen von der Absetzung zu verständigen. Vgl. E. Eichmann/K. Mörsdorf, Kirchenrecht, I, 111964, 480. Dem auf diese Weise abgesetzten Ordenspfarrer steht ebenso wie ggf. dem Ordensoberen die Möglichkeit des hierarchischen Rekurses gegen die Absetzung offen, sofern die Voraussetzungen des c. 1732 § 1 gegeben sind. Die Beschwerde müßte, falls die Absetzung vom Bischof ausgeht, an die Kongregation für die Bischöfe gerichtet werden. Beschwerdeführer könnten sowohl der abgesetzte Ordenspfarrer als auch sein Oberer sein. - Geht die Absetzung vom Ordensoberen aus, dann kommt m. E. nicht nur dem abgesetzten Ordenspfarrer, sondern auch dem Ortsordinarius ParteisteIlung zu. Die Beschwerde müßte an den hierarchisch zustehenden Ordensoberen oder an das römische Dikasterium gerichtet werden, von dem das betreffende Ordensinstitut abhängig ist (in der Regel die Kongregation für die Institute des Geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens.) Vgl. dazu D. J. Andres, Il diritto dei Religiosi, Roma 2 1984, 67. Ebenso Sebott, Ordensrecht (Anm. 12) 133. Dagegen scheint Heimerl die Möglichkeit des hierarchischen Rekurses im Bereich der Ordensgemeinschaften ohne Jurisdiktionsgewalt grundsätzlich auszuschließen. Gegen Maßnahmen, die aufgrund der nPotestas dominativa (publica)" gesetzt wurden, sei ein hierarchischer Rekurs deswegen nicht zulässig, weil es sich bei diesem um Verwaltungsakte handeln müsse, für die eine Potestas iurisdictionis unerläßliche Voraussetzung sei. Vgl. H. Heimerl, Der hierarchische Rekurs (c. 1732 - 1739 CIC/1983), in: ÖAKR 35 (1985) 159. - Abgesehen von der hier nicht zu erörternden Frage, ob die in c. 596 § 1 angesprochene Gewalt wirklich als (öffentliche) Dominativgewalt und nicht vielmehr als Potestas iurisdictionis (executiva) zu bezeichnen ist, wäre die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit der Normen über den hierarchischen Rekurs auf Akte der ordensrechtlichen Verwaltung eine grobe, durch nichts zu rechtfertigende Ungleichheit. 20 B. Primetshojer, Die Rechtsverhältnisse in einer Klosterpfarrkirche, in: Recht im Dienste des Menschen. FS für H. Schwendenwein, GrazlWien/Köln 1986,482.

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Auf der anderen Seite bedeutet aber die Übernahme des Pfarramtes durch den Ordenspriester nicht, daß dieser, was seine Person und die Erfüllung der ihr übertragenen Aufgabe anlangt, dem Aufsichtsrecht und der diesbezüglichen Pflicht seines klösterlichen Oberen entzogen wäre. Mit anderen Worten, der Pfarrer bleibt Ordensmann. Der ausdrückliche Hinweis von ce. 681 § 1 und 678 § 2 auf die dem Ordensoberen zukommenden Rechte auch hinsichtlich der einer Ordensperson durch den Diözesanbischof übertragenen Apostolatsaufgaben muß auch in der Weise verstanden werden, daß der Obere das Recht, ja sogar die Pflicht hat, über die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Ordenspriester übertragenen pfarrlichen Aufgaben zu wachen. Daraus ergibt sich, daß der Ordensobere dem ihm als Ordensmann unterstellten Pfarrer zwar keine Weisungen hinsichtlich der Art und Weise der Pfarrseelsorge geben kann, er kann und muß aber darüber wachen, daß der Pfarrer seine ihm obliegenden Amtsaufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt. Daraus folgt - zumindest bei begründetem Verdacht mangelhafter Amtsführung - ein Kontrollrecht des Oberen, ob die Pfarrbücher ordnungsgemäß geführt oder ob die darin vorzunehmenden Eintragungen vernachlässigt werden. Eine daraufhin ergehende Weisung an den Ordenspfarrer, die Pfarrbücher ordnungsgemäß zu führen, stellt eine Materie des klösterlichen Gehorsams dar. Dadurch wird der Obere aber nicht selbst zu einem Organ der Pfarrseelsorge neben oder gar über dem Pfarrer21 . Dem klösterlichen Oberen wird ausdrücklich die Überwachung bezüglich der Erfüllung von Meßverptlichtungen in den Kirchen der Ordensinstitute und der Gesellschaften des apostolischen Lebens übertragen (c. 957). Desgleichen steht dem Ordinarius nach c. 958 § 2 Prüfungsrecht und -pflicht bezüglich der Bücher mit Meßintentionen zu. Ordinarius ist gemäß c. 134 § 1 auch der höhere Obere eines klerikalen Ordensinstituts oder einer klerikalen Gesellschaft des apostolischen Lebens päpstlichen Rechts. Die in den ce. 957 f. angesprochenen Rechte und Ptlichten kommen dem Ordensoberen zumindest bezüglich jener Klosterpfarrkirchen zu, die im Eigentum des Ordensinstituts oder der Gesellschaft des apostolischen Lebens stehen.

21 Ein Kontrollrecht als solches gibt nur dann ein Recht der subsidiären Übernahme von Amtsaufgaben des Kontrollierten, wenn dies ausdrücklich im Recht verankert ist, etwa in den ce. 1279 § 1 und 1480 § 2.

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2. Der geistliche Dienst in der Klosterpfarrkirche

Wenn wir den wohl überwiegenden Regelfall betrachten, daß die Klosterpfarrkirche Sitz eines klerikalen Ordensinstituts ist, dann ist davon auszugehen, daß die Erlaubnis zur Errichtung und Niederlassung eines solchen Instituts auch das Recht mit sich bringt, eine Kirche zu haben 22 und darin die geistlichen Dienste zu verrichten (c. 611, 3)23. Die Tatsache, daß die Klosterkirche auch Pfarrkirche ist, kann nun nicht bedeuten, daß die Seelsorge in dieser Kirche in die ausschließliche Kompetenz des Pfarrers fällt und daß somit jede seelsorgliche Eigeninitiative der Klostergemeinde untersagt wäre. Weder der Obere der Klostergemeinde noch auch die Mitglieder derselben sind - von besonderen, eigens zu vereinbarenden Bestellungsmodalitäten abgesehen - ex lege Gehilfen des Pfarrers24 . Die mit der Erlaubnis zur Errichtung einer Kirche der Klostergemeinde gegebene Befugnis, ihre eigenen "sacra ministeria" (c. 611, 3) in dieser Kirche zu verrichten, erlischt nicht dadurch, daß die Klosterkirche auch Pfarrkirche wird. Die Seelsorgetätigkeit des Klosters ist selbstverständlich mit der Pfarrseelsorge abzustimmen und in bestmöglicher Weise zu koordinieren; beide haben aber ihren eigenen autonomen Wirkungsbereich. So wie der Pfarrer in bezug auf die Pfarrseelsorge einen vom Klosteroberen weisungsfreien Raum besitzt, ebensowenig ist auch dieser bzw. die Klostergemeinde hinsichtlich der vom Kloster zu entfaltenden Seelsorge in einer Klosterpfarrkirche an eine Genehmigung des Pfarrers gebunden.

22 Es erhebt sich die Frage, ob der Diözesanbischof bei Gewährung der Zustimmung für die Errichtung einer Niederlassung eines klerikalen Ordensinstituts diesem das gemäß c. 611, 3 zustehende Recht absprechen könnte, eine eigene Kirche zu haben. Abgesehen von dem Umstand, daß c. 611,3 nur ein unter dem Vorbehalt des c. 1215 § 3 zustehendes Recht gibt, d. h. der Diözesanbischof muß für die Errichtung einer solchen Kirche an einem bestimmten Ort nochmals eine Erlaubnis geben, könnte der Diözesanbischof einem klerikalen Ordensinstitut die Erlaubnis zur Errichtung einer eigenen Kirche zumindest dann verweigern, wenn dieser Kirchenbau, etwa wegen einer bereits in unmittelbarer Nähe befindlichen anderen Kirche offensichtlich unvernünftig wäre. Vgl. dazu Andres, Diritto (Anm 19) 67. 23 Obwohl in den für die Gesellschaft des apostolischen Lebens geltenden Bestimmungen keine Verweisung auf c. 611 enthalten ist, halte ich diesen Umstand für eine (echte) Gesetzeslücke, die mit Gesetzesanalogie zu schließen ist. Mit anderen Worten: das für die klerikalen Ordensinstitute in c. 611 Gesagte gilt auch für die Niederlassungen von Gesellschaften des apostolischen Lebens. 24 C. 415 § 5 CIC/1917 legte bei einer Kapitelspfarrkirche für die Kapitularen eine ex caritate-Verpflichtung fest, dem Pfarrer bei der Ausübung der Seelsorge behilflich zu sein.

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Es wird sich in diesem Zusammenhang wohl als zweckmäßig erweisen, wenn in bezug auf gottesdienstliche Veranstaltungen (Eucharistiefeiem, Wortgottesdienste, Andachten) in einer Vereinbarung festgelegt wird, was in der Klosterpfarrkirche als eigentliche Pfarrgottesdienste zu gelten hat. Dies könnte im Rahmen der gemäß c. 681 § 2 zwischen Diözesanbischof und Ordensoberen abzuschließenden Vereinbarung geschehen, es könnte aber auch ein gesonderter Vertrag zwischen Kloster und Pfarre sein25 . Der Pfarrer einer Klosterpfarrkirche ist im Vollsinn des Wortes Pfarrer, d. h. er hat, und zwar er ausschließlich, alle pfarrlichen Rechte und Pflichten. C. 530 führt, allerdings nicht taxativ, die dem Pfarrer übertragenen Amtshandlungen ("functiones") an, die teilweise von der Natur der Sache her in der Kirche stattfinden (z. B. Taufe, Eucharistiefeier, Eheschließung), teilweise von der Kirche ihren Ausgang nehmen oder zur Kirche führen (z. B. Begräbnisse, Prozessionen). Für derartige Amtshandlungen muß die Klosterpfarrkirche dem Pfarrer uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Der Pfarrer hat dabei, insbesondere was den Zeitpunkt der Abhaltung von Gottesdiensten und hier wiederum in erster Linie der sonn- und feiertäglichen Eucharistiefeier betrifft, in erster Linie auf die seelsorglichen Bedürfnisse der Pfarrgemeinde Rücksicht zu nehmen. Freilich folgt daraus wiederum nicht das Recht des Pfarrers, die hinsichtlich des Zeitpunkts von Fall zu Fall frei zu bestimmenden Amtshandlungen (Taufe, Hochzeiten, Begräbnisse) zu einem Zeitpunkt anzusetzen, an dem in der Klosterpfarrkirche eine gottesdienstliche Veranstaltung der Klostergemeinde stattfindet (z. B. Chorgebet). Das geschilderte vorrangige Recht hinsichtlich der Abhaltung der pfarrlichen Gottesdienste ergibt sich m. E. mittels eines Analogieschlusses aus c. 510 § 3. Hier wird für den Diözesanbischof eine Richtlinie festgelegt, wie etwaige Kompetenzkonflikte zwischen Kanonikerkapitel und Pfarre zu bereinigen sind, wenn eine Kirche zugleich Pfarr- und Kanonikatskirche ist (Kapitelpfarrkirche)26. Allerdings würde es wohl zu weit gehen, die für den Diözesanbischof bestehende Richtlinie, wonach Kompetenzstreitigkeiten in erster 25 Sofern nicht andere finanzielle Verteilungsschlüssel festgelegt wurden, könnte die genannte Vereinbarung nicht zuletzt im Hinblick darauf hilfreich sein, daß die bei den Gottesdiensten eingesammelten Kollekten nach dem Verhältnis der Pfarrgottesdienste zu den Klostergottesdiensten aufgeteilt werden. - Auf die Verteilung von Spenden außerhalb der Kollekten wird noch gesondert einzugehen sein. 26 Im Unterschied zur Inkorporation zugunsten von Ordens instituten (diese besteht dem oben Gesagten zufolge grundsätzlich weiter) enthält c. 510 § 1 bezüglich der Kapite\pfarrkirchen ein ausdrückliches Verbot für die Vornahme künftiger Vereinigungen; bezüglich der bestehenden wird dem Diözesanbischof aufgetragen, eine Trennung herbeizuführen.

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Linie unter Bedachtnahme auf die pastoralen Bedürfnisse der Gläubigen beizulegen sind, im Sinne einer absoluten Bevorzugung der strikt pfarrlichen Seelsorge zu behandeln. Die von der Klostergemeinde ausgeübte Seelsorge in der Klosterpfarrkirche könnte etwa in der Abhaltung von Gottesdiensten für eine bestimmte Gruppe von Gläubigen bestehen, die nicht oder jedenfalls nicht zur Gänze zur Pfarre gehören (etwa Angehörige einer Sprachgruppe in einem größeren Gebiet). Deren seelsorgliche Bedürfnisse hat der Diözesanbischof ebenso ins Auge zu fassen wie die der Pfarrangehörigen27 . Reibungsflächen zwischen Pfarre und Pfarrer auf der einen, dem Kloster und dessen Oberen auf der anderen Seite können sich insbesondere hinsichtlich der Eucharistiefeiern an Sonn- und Feiertagen ergeben. Hier sind folgende Gegebenheiten in Betracht zu ziehen: zufolge c. 528 § 2 hat der Pfarrer dafür Sorge zu tragen, daß die heiligste Eucharistie zum Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft der Gläubigen wird. Zu den den Pfarrern in besonderer Weise aufgetragenen Amtspflichten zählt die "celebratio eucharistica solemnior" (c. 530, 7) an den genannten Tagen28 . Auch hat der Pfarrer die Pflicht, an Sonn- und Feiertagen die Messe für das ihm anvertraute Pfarrvolk zu applizieren (c. 534 § 1). Dies läßt sich nur realisieren, wenn (zumindest) eine Messe an Sonn- und Feiertagen als eigentliche "Pfarrmesse" deklariert und grundsätzlich auch vom Pfarrer bzw. in dessen (primärer) Stellvertretung vom Pfarrvikar (Kaplan, Kooperator; c. 545 § 1) gehalten wird. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Abhaltung dieser Pfarrmesse(n) kommt dem Pfarrer zweifellos ein Vorrecht zu, wobei freilich nach Tunlichkeit auf den klösterlichen Tagesablauf (z. B. Chorgebet) Rücksicht zu nehmen sein wird 29 .

27 Der CIC/1917 enthielt hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zwischen Klostergemeinde und Pfarre (Pfarrkirche) einen Verweis auf jene Kathedral- und Kollegiatskirchen, die zugleich Pfarrkirchen waren (Kathedralpfarrkirchen, Kollegiatspfarrkirchen; cc.609 § 1 iVm. 414 CIC/1917). Ein derartiger Verweis fehlt zwar im Ordensrecht des CIC/1983, dennoch können die (wenigen) Bestimmungen über die Kapitelpfarrkirchen (c. 510) auf das Verhältnis zwischen Kloster und Pfarre bei den Klosterpfarrkirchen angewendet werden. Für die gemäß c. 681 § 2 festzulegende schriftliche Vereinbarung zwischen dem Diözesanbischof und dem Oberen des Ordensinstituts könnte das in c. 415 CIC/1917 Niedergelegte weiterhin Richtschnur sein. Dies freilich mit der Maßgabe, daß es sich dabei nicht mehr um geltendes Recht handelt, sondern um eine frei zu gestaltende Vereinbarung, die auch Abweichungen von den früheren Aussagen des c. 415 CIC/1917 enthalten kann. 28 Vgl. F. Coccopalmerio, De paroecia. Roma 1991, 95-99. 29 Vgl. c. 415 § 3,3 CIC/1917, der dem oben Gesagten zufolge als eine (im übrigen sich aus der Natur der Sache ergebende) Richtlinie weiterhin Beachtung finden soll.

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Hinsichtlich der Zahl der Pfarrmessen ist auf die Größe der Pfarre und die Zahl der eigentlichen Pfarrseelsorger Bedacht zu nehmen30 . Die nicht streng als Pfarrmessen bzw. pfarrliche Gottesdienste deklarierten Veranstaltungen in der Klosterpfarrkirche fallen in die Kompetenz des Klosters.

In bezug auf die liturgische Gestaltung der Gottesdienste in der Klosterpfarrkirche besteht grundsätzlich, d. h. soweit die allgemein- und partikularrechtlich bestehenden liturgischen Bestimmungen beachtet werden, keinerlei Weisungsrecht des Klosteroberen gegenüber dem Pfarrer oder umgekehrt. Pfarrer und Klosteroberer sind für die liturgische Gestaltung ihrer jeweiligen Gottesdienste allein verantwortlich. Anders ist die Sache hingegen zu beurteilen, wenn bei den Gottesdiensten in der Klosterpfarrkirche liturgische Bestimmungen in erheblichem Ausmaß verletzt werden. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn ohne ersichtlichen Grund bei der Eucharistiefeier die vorgeschriebenen liturgischen Gewänder (c. 929) nicht getragen oder nicht approbierte liturgische Texte, insbesondere bei den eucharistischen Hochgebeten, verwendet werden31 . Erfolgt die Nichtbeachtung liturgischer Vorschriften seitens des Pfarrers bzw. Pfarrvikars, dann besitzt der Klosterobere ein Recht, dem Pfarrer die Beobachtung liturgischer Bestimmungen, gegebenenfalls unter Berufung auf das klösterliche Gehorsamsgelübde, zu befehlen. Dies ergibt sich klar aus c. 678 § 2, demzufolge die Ordensleute in der Ausübung des äußeren Apostolats auch den eigenen Oberen unterstehen. Auch den Bischöfen wird aufgetragen, diese Verpflichtung (im gegenständlichen Fall des Ordenspfarrers) einzuschärfen32 . Ist es hingegen der Klosterobere, der liturgische Bestimmungen in erheblichem Ausmaß verletzt, dann kann ihm der Pfarrer zwar keinen Befehl erteilen, solche Mißbräuche abzustellen, er hätte aber nicht nur das Recht, sondern 30 Hanstein, Ordensrecht (Anm. 3). 31 C. 929 velWeist hinsichtlich der bei der Feier der Eucharistie von Priester und Diakon zu tragenden Gewänder auf die bestehenden liturgischen Vorschriften. Für Laien, die liturgische Funktionen ausüben, enthält der CIC/1983 nichts. Es ergibt sich aber von selbst, daß auch Laien, wenn sie eine liturgische Funktion ausüben, eine dezente Kleidung zu tragen haben und daß es auch hier gegebenenfalls gravierende Mißstände geben kann. Vgl. K. Lüdicke, Münsterischer Kommentar zu c. 929. 32 R. Henseler, Münsterischer Kommentar zu c. 678, RdZ 7. Vgl. dazu c. 415 § 3,2, demzufolge bei einer Kapitelspfarrkirche die Aufgabe des Kapitels u. a. darin bestand, über die Einhaltung der liturgischen Bestimmungen seitens des Pfarrers zu wachen.

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auch die Pflicht, den höheren Ordensoberen und gegebenenfalls den Diözesanbischof als den für die Liturgie in seinem Bistum Letztverantwortlichen auf diese Mißstände aufmerksam zu machen. Den Genannten obläge es, geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen33 • Nicht selten werden (Pfarr)Kirchen auch für nichtliturgische Veranstaltungen (Kirchenkonzerte, Theater, Kirchenopern) verwendet. Sofern derartige Veranstaltungen überhaupt zulässig sind34 , kann jedenfalls bei einer Klosterpfarrkirche, die im Eigentum eines Ordensinstituts steht, für solche Veranstaltungen ausschließlich der Ordensobere zuständig sein. Unter diesen Voraussetzungen fällt auch die Zulassung fremder Priester zur Zelebration in der Klosterpfarrkirche in die ausschließliche Kompetenz des Ordensoberen; ihm ist gegebenenfalls das sog. Zelebret (c. 903) vorzuweisen.

3. Finanifragen, insbesondere die Baulastpflicht Auszugehen ist zunächst von dem wohl häufigsten Fall, daß die Klosterpfarrkirche im Eigentum eines klösterlichen Rechtsträgers (Einzelniederlassung, Provinz, Gesamtverband) steht und keine selbständige juristische Person ist. Ob es im Rahmen des klösterlichen Vennögens ein für die Erhaltung der Klosterpfarrkirche zweckgebundenes und von der allgemeinen Verwaltung abgetrenntes Sondervennögen gibt, ist hier ohne Belang. In jedem Fall handelt es sich bei der Klosterpfarrkirche selbst und dessen (etwa) bestehendem Sondervennögen um klösterliches Vennögen, für dessen Verwaltung und rechtsgeschäftliche Vertretung der klösterliche Obere zuständig ist. Für die Verwaltung dieses Vennögens sind, da es sich um Kirchenvermögen handelt (c. 635 § 1), die Bestimmungen des universalen (kodikarischen) Rechts und in dessen Rahmen die des Eigenrechts maßgeblich. In der Klosterpfarrkirche fallen Einkünfte verschiedener Art an. Abgesehen von den vom Diözesanbischof angeordneten oder freiwillig veranstalteten, von vornherein streng zweckgebundenen Sammlungen (z. B. Caritas, Dritte Welt, Christophorus-Aktion für unfallfrei gefahrene Kilometer) stehen sich jedenfalls zwei an den Einnahmen in der Klosterpfarrkirche Interessierte ge33 Dieses Recht steht dem Diözesanbischof selbstverständlich nicht nur bezüglich der Pfarrkirchen zu, sondern bezüglich aller Kirchen in seiner Diözese, in denen öffentlich zugängliche Gottesdienste abgehalten werden (vgl. c. 683 §§ 1 und 2). 34 V gl. dazu Richtlinien für konzertante Aufführungen in Kirchen der Österreich ischen Bischofskonferenz; Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz 1992 Nr. 8,2 ff.

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genüber: die Pfarre, rechtsgeschäftlich vertreten durch den Pfarrer (c. 532), und das Ordensinstitut, vertreten durch dessen Oberen bzw. durch die innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit bestellten anderen Amtsträger (c. 638 § 2). - Daß beide ein Recht auf fmanzielle Einkünfte haben, steht außer Zweifel; die Frage ist aber, nach welchen Gesichtspunkten eine gerechte Aufteilung vorgenommen werden kann. Vorab muß noch auf eines kurz hingewiesen werden: Pfarrer und Pfarrvikar erhalten vom Diözesanbischof bzw. von der bischöflichen Finanzkammer ein Amtseinkommen, das sog. Pfarrer- oder Kaplansgehalt, das grundsätzlich dem der weltgeistlichen Pfarrer und Pfarrvikare entspricht. Weltgeistliche Pfarrer (Pfarrvikare) werden Eigentümer des ihnen zukommenden Gehalts und können darüber, jedenfalls was die Gültigkeit betrifft, ohne bischöfliche oder sonstige Genehmigung frei verfügen35 . Bei ordensgeistlichen Pfarrern (Pfarrvikaren) ist das mit der Ausübung der pfarrlichen Tätigkeit verbundene Einkommen als Bestandteil dessen anzusehen, was eine Ordensperson gemäß c. 668 § 3 durch "eigenen Einsatz" (propria industria) erwirbt. Demzufolge werden ordensgeistliche Pfarrer (Pfarrvikare) nicht Eigentümer des ihnen zukommenden Gehalts; dieses fällt vielmehr unmittelbar in das Eigentum jener klösterlichen juristischen Person, der Pfarrer (Pfarrvikar) zugeschrieben sind. Nicht selten erfolgt daher die Gehaltsüberweisung seitens der bischöflichen Finanzkammer nicht direkt an den ordensgeistlichen Pfarrer (Vikar), sondern an das betreffende Ordensinstitut. Was dieses dann dem Pfarrer gegebenenfalls zur eigenen Verwendung zukommen läßt, ist eine Angelegenheit des Eigenrechts des betreffenden Instituts und hat mit den Rechtsbeziehungen zwischen Pfarrer bzw. Ordensinstitut und Diözesanbischof nichts zu tun. Das Gesagte gilt auch bezüglich der Meßstipendien, bzw. genauer gesagt, bezüglich des sog. Priesteranteils des Stipendiums. Während dem weltgeistlichen Pfarrer der Priesteranteil zur eigenen freien Verwendung zusteht, hat der Ordenspriester, auch der Ordenspfarrer (-vikar) diesen an das Ordensinstitut abzuführen36 .

35 Bestehende kirchenrechtliche Bestimmungen über den Umgang des Weltpriesters mit seinem eigenen Vermögen, z. B. das Verbot, Bürgschaften zu übernehmen oder Wechsel auszustellen (vgl. c. 285 § 4) betreffen nicht die Gültigkeit, da ihnen die gemäß c. 10 erforderliche Nichtigkeitsklausel fehlt. 36 In bezug auf die für Binationen und Trinationen angenommenen Stipendien gilt allerdings für Ordenspfarrer und -vikare die Sonderregelung, daß sie diese Stipendien dem Ortsordinarius und nicht - wie sonstige Ordenspriester - dem ordenseigenen

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Die dem Pfarrer anläßlich der Verrichtung pfarrlicher Aufgaben zukommenden Gaben (Oblationes), mag es sich nun um die kraft c. 1264, 1 festgelegten Stolgebühren oder um sonst bei der Feier von Sakramenten und Sakramentalien erbrachten Spenden handeln, fallen in das Vermögen der Pfarre3 7 • Denn wenn c. 531 festlegt, daß die bei der Verrichtung pfarrlicher Aufgaben erbrachten "Oblationes" selbst dann in das Eigentum der Pfarre fallen, wenn anstelle des Pfarrers (Pfarrvikars) ein anderer Priester diese Funktionen verrichtet, dann gilt das Gesagte a fortiori dann, wenn der Pfarrer (Pfarrvikar) selbst diese Funktionen vornimmt38 . Die genannten pfarrlichen Funktionen werden in der Klosterpfarrkirche verrichtet, es werden deren liturgische Gewänder und Geräte verwendet, und es werden die Dienste des an der Klosterpfarrkirche angestellten Personals (Mesner, Organist) beansprucht. Infolgedessen gebührt dem Kloster, falls nicht überhaupt eine generelle Abmachung zwischen Kloster und Pfarre hinsichtlich der Aufteilung der "Betriebskosten" der Klosterpfarrkirche besteht, auch ein entsprechender Anteil an diesen "oblationes" . Ein weiteres Problem stellt die Kollekte bei den sonn- und feiertäglichen Gottesdiensten dar. Sofern nicht von vornherein ein bestimmter Aufteilungsschlüssel festgelegt wird, könnte man sich eine Aufteilung nach der Zahl der Pfarrmessen und Nichtpfarrmessen vorstellen. Die bei den Pfarrgottesdiensten eingegangenen Sammlungen bzw. die nach einem Aufteilungsschlüssel der Pfarre zukommenden Kollekten hat der Pfarrer dem Pfarrvermögen zuzuführen. Das Vermögen der Pfarre als juristischer Person (c. 515 § 3) wird vom Pfarrer unter Mitwirkung des pfarrlichen Vermögensverwaltungsrates (c. 537) verwaltet. Bezüglich der Verwaltung dieses Vermögens ist der Ordenspfarrer seinem klösterlichen Oberen nicht rechenschaftspflichtig, sondern dem Ortsordinarius. Der Ordenspfarrer verwaltet wie jeder andere Pfarrer fremdes Vermögen (Kirchenvermögen). Wenngleich sich der klösterliche Obere in die Verwaltung dieses Vermögens nicht einmischen kann, hat er dennoch das Recht, über die ordnungsgemäße, d. h. nach Maßgabe des universalen und Ordinarius (c. 134 § 1) abzuliefern haben. Vgl. dazu Entscheidung der PCI vom 23. 4. 1987, in: AAS 79 (1987) 1249. 37 Vgl. V. de Paolis, Vita religiosa e parrocchia. Criteri giuridici, in: Vita religiosa e parrocchia. Atti della XXIV assemblea generale CISM, Collevalenza (PG) 12 - 16 Novembre 1984, Roma 1985,173 f. 38 Allerdings gebührt dem Priester, der anstelle des Pfarrers pfarrliche Funktionen vornimmt, eine vom Diözesanbischof festzulegende Entschädigung, worauf der letzte Halbsatz des c. 531 hinweist.

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partikularen Kirchenrechts vorzunehmende Verwaltung zu wachen. Bei etwaigen Mißständen kann er aber nicht selbst eingreifen, sondern müßte den Ortsordinarius in Kenntnis setzen39 . Dieser könnte auch im Falle der Nachlässigkeit des Pfarrers in die Vermögensverwaltung der Pfarre eingreifen 40 . Spenden, die dem Pfarrer in seiner Eigenschaft als Pfarrer gemacht werden, sind dem Pfarrvermögen zuzuführen41 . Bezüglich der der Klosterpfarrkirche ohne eindeutige Zweckbestimmung gegebenen Spenden könnte man zunächst geneigt sein, die Bestimmung des c. 510 § 4 anzuwenden, d. h. von einer Parallele zwischen Kapitelspfarrkirche und Klosterpfarrkirche ausgehen. Demzufolge müßte im Falle einer Klosterpfarrkirche bei nicht deklarierten Spenden angenommen werden, daß sie der Pfarre gemacht wurden. - Der Analogieschluß scheint aber in mehrfacher Hinsicht zu hinken, denn c. 510 § 4 setzt offenbar voraus, daß es in der Pfarre einen einzigen Vermögensträger , nämlich die Pfarre als juristische Person (c. 515 § 3), gibt. Infolgedessen liegen die Alternativen für den Gesetzgeber des CIC/1983 im gegenständlichen Fall nur bei einer Zuweisung an Pfarre oder Kloster. Nun hat aber gegebenenfalls eine Pfarrkirche, auch eine Klosterpfarrkirche, eigene Rechtspersönlichkeit42 . Wird nun eine Spende einer Klosterpfarrkirche mit eigener Rechtspersönlichkeit übergeben, dann muß sie deren Vermögen einverleibt werden. Nach meinem Dafürhalten hat dies auch in dem Fall zu gelten, wenn eine Klosterpfarrkirche keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, sondern im Eigentum des Klosters steht und die39 Gemäß c. 1279 § 1 kommt dem Ordinarius im Falle der Nachlässigkeit des unmittelbaren Vermögensverwalters ein Recht der Subsidiärvertretung bei ihm unterstehenden juristischen Personen zu. Für pfarrliches Vermögen kommt aber als Ordinarius nur der Ortsordinarius in Frage, nicht der klösterliche Obere. 40 De Paolis weist mit Recht darauf hin, daß der klösterliche Obere ein Vigilanzrecht bezüglich der von seinen Untergebenen durchgeführten Verwaltung fremden Vermögens besitzt. V. de Paolis, I beni temporali e la loro amministrazione, in: I religiosi e il nuovo Codice di diritto canonico, Roma 1984, 147. - Zur Illustration sei ein Passus aus den Generalstatuten der Redemptoristen (Rom 1982) Nr. 0207 angeführt: "Bona ad paroecias sodalibus concreditas pertinentia administrentur a parocho haud excluso iure superioris vigilandi ut praescripta iuris hac de re vigentia adamussim observentur. Ad hunc fmem superior potest libros acceptorum et expensorum paroeciae inspicere, non quidem ut ipse bona paroecialia administret, sed ut bonam administrationem a competentibus organis faciendam procuret." 41 Dies ergibt sich aus der Natur der Sache, wenn es auch eine ausdrückliche diesbezügliche Bestimmung wie im c. 630 § 3 CIC/1917 im CIC/1983 nicht mehr gibt. 42 Mitunter (in Österreich sogar noch sehr häufig) gibt es in den Pfarren drei juristische Personen: die Pfarre gemäß c. 515 § 3 und die weiterbestehende Pfarrpfründe sowie die fabrica ecclesiae gemäß c. 1184 CIC/1917.

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ses die gesamte Baulast zu tragen hat. Eine der Kirche gegebene Spende müßte dann in das Eigentum des Klosters fließen, allerdings als ffir die Erhaltung der Kirche zweckgebundenes Vermögen 43 . Der liturgische Dienst in der Klosterpfarrkirche, von wem immer er nun vorgenommen wird, verursacht laufende "Betriebskosten". Darunter fallen u. a. Beheizung, Beleuchtung, Beschaffung und gegenbenenfalls Instandsetzung von liturgischen Geräten und Gewändern, ferner Kerzen, Meßwein usw. Ebenso müssen Kirchenbedienstete (Organist, Mesner, Reinigungspersonal) bestellt werden. Für den Abschluß von Dienst- oder Werkverträgen mit Kirchenbediensteten kommen entweder das Kloster oder die Pfarre oder gegebenenfalls beide anteilig in Frage. Wenn man vom Regelfall ausgeht, daß die Klosterpfarrkirche im Eigentum des Klosters steht, dann ist das Kloster zum Abschluß der entsprechenden Rechtsgeschäfte zuständig; die Pfarre hat den auf sie fallenden Anteil dem Kloster zu refundieren. In vielen Fällen wird sich eine Halbierung der Kosten als sinnvoll erweisen. Das Gesagte hat wohl auch sinngemäß in jenen Fällen zu gelten, in denen die Klosterpfarrkirche nicht im Eigentum des Klosters, sondern im Eigentum einer anderen physischen oder juristischen Person steht. Unter den im folgenden zu behandelnden Fragen der Baulast sind insbesondere die Ausstattung, Erhaltung, Restaurierung und Umgestaltung der Kirche zu verstehen. Das Kirchenrecht hat ffir das diesen Fragen zugrundezulegende Rechtsverhältnis keine eigene Rechtsfigur ausgebildet; es finden sich nur da und dort verstreute Einzelbestimmungen. Da aber der CIC/1983 hinsichtlich kanonischer Vertragstypen auf staatliches Recht verweist (c. 1290), kann den Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarre ein Dienstbarkeitsverhältnis (Servitut) zugrundegelegt werden, genauer gesagt die Dienstbarkeit des Gebrauches (usus; vgl. §§ 504 - 508 ABGB). Hier wird wiederum vom Regelfall ausgegangen, daß die Klosterpfarrkirche im Eigentum des Klosters steht und von der Pfarre benützt wird. Freilich ergibt sich hier ein atypisches Rechtsverhältnis insofern, als der Eigentümer selbst, nämlich das Kloster, die Kirche (mit)benützt, so daß sich in diesem Fall nicht, wie dies sonst bei der Dienstbarkeit des Gebrauchs der Fall ist, der die Sache (zumindest ffir den Zeitpunkt der Dienstbarkeit) nicht benützende Eigentümer und der sie benützende Usuar gegenüberstehen 44 . Legt man nun das Verhält43 Zumindest müßte in der Buchhaltung des Klosters eindeutig nachweisbar sein, was an Spenden für die Erhaltung der Kirche eingegangen ist. 44 Aus dem Tatbestand der Dienstbarkeit ergibt sich, daß der Usuar die ihm zum Gebrauch übergebene Sache nicht an Dritte zur Benützung übergeben oder sogar einen Mietvertrag abschließen könnte. KoziolfWe/ser, Grundriß (Anm 13) 11, 156.

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nis von Eigentümer (Kloster) und Usuar (Pfarre) zugrunde, so ergibt sich in Baufragen, daß der Pfarrer kein vom Kloster unabhängiges Dispositionsrecht über das Kirchengebäude hat, dies selbst dann nicht, wenn es sich um eine vom Charakter der Kirche als Pfarre zwingend vorgeschriebene Einrichtung handelt, etwa den Taufbrunnen (c. 858 § 1). Die Tatsache, daß die Klosterpfarrkirche als Pfarrkirche einen Taufbrunnen haben muß, bedeutet noch nicht, daß der Pfarrer in bezug auf die künstlerische Gestaltung desselben und insbesondere hinsichtlich des Ortes der Aufstellung unabhängig vom Klosteroberen vorgehen könnte. Dies selbst dann nicht, wenn die Kosten für den Taufbrunnen nicht vom Kloster getragen werden müßten. Der Klosterobere wiederum kann sich der Aufstellung des Taufbrunnens nicht widersetzen, er hat aber sehr wohl darüber zu entscheiden, welcher Taufbrunnen an welchem Ort in der Kirche aufgestellt wird. Bei unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Klosteroberen und dem Pfarrer sind der höhere Klosterobere (Superior maior) und gegebenenfalls der Diözesanbischof um eine Entscheidung anzugehen. Neben den in erster Linie zu berücksichtigenden seelsorglichen Erfordernissen sind in dieser wie auch in anderen Baufragen künstlerische und denkmalptlegerische Gesichtspunkte mit einzubeziehen. Aus der Tatsache, daß die Kirche der Pfarre zum bloßen Gebrauch übergeben wurde, ergibt sich, daß für alle Baufragen der Eigentümer, d. h. das Kloster zuständig ist. Der Eigentümer ist demgemäß auch der befugte rechtsgeschäftliche Vertreter. Eine etwa vom Pfarrer ohne Ermächtigung 45 seitens des Eigentümers in Auftrag gegebene Bauführung bedeutet eine Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio; § 1035 ABGB). Der Pfarrer hätte in diesem Fall die Stelle eines "falsus procurator". Dem Eigentümer entstehen daraus Verbindlichkeiten nur nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag, d. h. bei Vorliegen von Vorteilszuwendung (c. 639 §§ 3 und 4)46.

45 C. 639 § 3 entläßt die klösterliche juristische Person nur dann aus der Haftung, wenn ein Ordensangehöriger "ohne irgendeine Erlaubnis der Oberen" Verbindlichkeiten eingegangen ist. Damit ist nicht einfach auftragsloses Handeln angesprochen, sondern es soll eine Verbindlichkeit fur die klösterliche juristische Person (auch) dann entstehen, wenn zwar seitens des Oberen kein formeller Auftrag, wohl aber ein zumindest konkludent aus dem Verhalten des Oberen zu erschließendes Gewährenlassen vorliegt (Duldungsvollmacht). Vgl. dazu B. Primetshofer, Vermögen von Orden und ordensähnlichen Institutionen, in: HeimerllPree, Vermögens recht (Anm 8) 492. 46 Das hier ftir den Ordensmann als Pfarrer Gesagte hat selbstverständlich auch zu gelten, wenn ein dem betreffenden Ordens institut nicht Angehörender Pfarrer ist. Vgl. B. Primetshofer, Ordensrecht, Freiburg/Br. 31988, 110 f.

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Die vorstehenden Ausführungen verstehen sich als Versuch, anband der spärlichen Bestimmungen des CIC/1983 Anhaltspunkte für eine von den Betroffenen abzuschließende Vereinbarung zu bieten. Es geht dabei darum, ein Modell zu finden, das eine Vereinnahmung des einen durch den anderen möglichst hintanhält und das eine auch mit Hilfe geeigneter Rechtsnormen zu erzielende Koordination der Seelsorge von Kloster und Pfarre ermöglichen soll.

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Zur Frage der vennögensrechtlichen Vertretung vollinkorporierter Pfarren in Österreich In den jüngstvergangenen Jahren hatte sich die österreichische Verwaltung und Rechtsprechung zu wiederholten Malen mit der vermögensrechtlichen Vertretung von Pfarrpfründen im Verwaltungsverfahren zu befassen 1. Konkret ging es dabei um die Frage, ob und inwieweit aus dem im kanonischen Recht verankerten hoheitlichen Aufsichtsrecht des Ortsordinarius über die Finanzgebarung dieser Pfründen auch das Recht abgeleitet werden kann, die vermögensrechtliche Vertretung dieser nachgeordneten Rechtsträger bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen an sich zu ziehen. In den folgenden Zeilen soll der Versuch unternommen werden, diesem Problem unter besonderer Berücksichtigung der vollinkorporierten Pfarren in Österreich nachzugehen. Die Aktualität dieser Fragestellung könnte schon allein durch die Tatsache unterstrichen werden, daß es derzeit in Österreich unter der beträchtlichen Anzahl von Klosterpfarreien 2 etwa 425 vollinkorporierte Pfarreien gibt3 . Unsere Untersuchung hat von einem zweifachen Gesichtspunkt aus zu erfolgen: 1. Die Ingerenz des Ortsordinarius in die Vermögensverwaltung der fraglichen Pfarreien nach dem allgemeinen kanonischen Recht; 2. Die Verankerung dieser Grundsätze im österreichischen Staatskirchenrecht.

1 VwGH-Beschluß vom 12. Januar 1956, Zl. 2243/52. Erkenntnis des VwGH vom 7. März 1963, Zl. 483/62/4 und 1518/62/1. Erkenntnis des VfGH vom 5. Oktober 1964, Zl. B 45/64/15. 2 Über den Begriff der Klosterpfarrei vgl. allgemein A. Fehringer, Die Klosterpfarrei, Paderborn 1958, 77 ff. H. S. Mayer, Die nichtinkorporierte Klosterpfarrei, in: AkKR 112 (1932) 468 ff. 3 Mitteilung der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs.

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I. Die Stellung des Ortsordinarius im Ratunen der Vennögensverwaltung bei volIinkorporierten Klosterpfarren Wir haben hier zunächst von Begriff und Rechtsstellung der vollinkorporierten Klosterpfarrei auszugehen. Wie so oft gibt auch hier das kanonische Gesetzbuch, der Codex Iuris Canonici (CIC) , nur ungenügende Auskunft4 , und auch bei den Autoren herrscht bis zum heutigen Tag keine restlose Einmütigkeit über die Rechtsnatur der vollinkorporierten Pfarre. Es hat somit den Anschein, als ob die für das einschlägige Dekretalenrecht getroffene lakonische Feststellung Engels nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hätte: "in hac materia iura et Doctores valde intricate et confuse loquuntur"5. Für unsere Zwecke mag es genügen, auf die Kontroverse zwischen der sog. Eigentums- und der Nutzungstheorie zu verweisen6 , ohne daß wir uns mit den in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumenten im einzelnen befassen wollen. Während die Vertreter der Eigentumstheorie davon ausgehen, daß das einem Kloster inkorporierte Pfarrbenefizium seine rechtliche Selbständigkeit völlig verliert und mit dem Vermögen des Klosters verschmilzt, behauptet die Nutzungstheorie, daß das Benefizium durch den Rechtsakt der Vollinkorporation seine Selbständigkeit keineswegs einbüße, sondern daß dem Kloster nur ein Nießbrauch (Ususfructus) am Benefizium der vollinkorporierten Pfarre zustehe. Es mag hier auch dahingestellt bleiben, ob durch eine in diesem Zusammenhang bedeutsame Entscheidung der Päpstlichen Interpretationskommission (PCI) vom 25. Juli 19267 sich die authentische Interpretation zugunsten der Nutzungstheorie entschieden habe, wie dies schon behauptet wurde8 . Lediglich der Vollständigkeit halber sei kurz erwähnt, daß

4 Dies gilt sowohl von dem die Grundlage der Inkorporation bildenden c. 1425, als auch von den Bestimmungen über den Religiosen als Pfarrer (ce. 630 f.). 5 L. Engel, Collegium universi iuris canonici, Salisburgi 1759, tom. 11, lib. III, tit. 37, nr. 12. 6 Vgl. dazu etwa R. von Scherer, Über das Eigentumssubjekt einer inkorporierten Kirche oder Pfründe, Österr. Ztschr. für Verwaltung 20, 1887,81 ff.; A. Scharnagel, Die Inkorporation mit besonderer Berücksichtigung der Baupflicht, Juristische Beilage zum Klerusblatt 50, 1935; Anonimus, Circa il rendiconto dei parroco religioso al Vescovo, DirEccl 38, (1926) 335 ff.; D. Lindner, Die Lehre von der Inkorporation und ihre geschichtliche Entwicklung, München 1951. 7 AAS XVIII, 1926, 393; H. S. Mayer, Neueste Kirchenrechtssammlung, Freiburg/Br. 1953, I, 439. 8 Fehringer, (Anm. 2) 146. - Demgegenüber weist C. Delgado, De relationibus inter parochum religiosum et eius Superiores regulares, Rio de Janeiro 1943, 32 ff. darauf hin, daß die fragliche Entscheidung keinesfalls im Sinne der Nutzungstheorie

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sich hinsichtlich der Entscheidung über die Rechtsnatur der vollinkorporierten Pfarre nicht bloß Eigentums- und Nutzungstheorie gegenüberstehen, sondern daß es dazwischen noch einige Nuancen und Schattierungen gibt. Nach Servus Goyeneche z. B. bleibt die vollinkorporierte Pfarrei unmittelbarer Träger des Pfründenvermögens, das jedoch seinerseits im Eigentum des Klosters steht9 . Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Wernz/Vidal. Nach ihnen ist der Inkorporationsträger Eigentümer des Pfründenvermögens, doch muß er dieses als zweckgebundenes Vermögen betrachten, für die Bedürfnisse der Pfarrei verwenden und dementsprechend auch getrennt vom sonstigen Klostervermögen verwalten 10 • Auf eine eingehende Befassung mit diesen Ansichten kann schon aus dem Grunde verzichtet werden, weil hier kaum neue Argumente vorgebracht werden können, so daß der authentische Interpretator, wenn nicht gar der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung herbeiführen müßte; andererseits wird sich zeigen, daß die hier im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehende Frage nach der Ingerenz des Ortsordinarius - wenngleich von je verschiedenen Gesichtspunkten aus - im Grunde genommen zu demselben Ergebnis führt, mag man sich nun dieser oder jener Theorie anschließen. Zum Ausgangspunkt unserer Problemstellung zurückkehrend, soll daher zunächst allgemein die Stellung des Ortsordinarius in bezug auf die Finanzgebarung der seiner Jurisdiktion unterstellten Rechtsträger untersucht werden. Das kanonische Recht kennt eine gestufte Verwaltung des kirchlichen Vermögens. Oberster Verwalter allen Kirchengutes, "supremus administrator et dispensator" ist der Papst kraft seiner Universaljurisdiktion (c. 1518). Die unmittelbare und direkte Verwaltung des einzelnen kirchlichen Benefiziums ist Recht und Pflicht des jeweiligen Benefiziaten (c. 1476 § 1). Der Ortsordi-

gedeutet werden müsse, sondern daß die Eigentumstheorie nach wie vor gute Gründe für sich habe. 9 S. Goyeneche, CRM 10 (1929) 40: " ... ex Codicis locutionibus videtur nunc tenendum paroeciam licet incorporatam esse subiectum dominii bonorum paroecialium quae utique pertinent ad collegium vel ad communitatem, sed quorum immediatum subiectum est paroecia ipsa." Vgl. dazu R. H. Dailey, The primary effects of the union pleno iure ofparishes with religious communities, Rom 1951,28. 10 F. X. WernzlP. Vidal, lus canonicum, Romae 1933, 111, 447, Anm. 19. Freilich scheinen WernzNidal diese getrennte Verwaltung mehr als ein praktisches Erfordernis zu betrachten, weil sich bei gemeinsamer Verwaltung die Schwierigkeit ergeben könnte, daß das Kloster mit seinem eigenen Vermögen die auf der Pfarrpfründe lastenden Verbindlichkeiten zu tragen hat.

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narius kann im allgemeinenIl nicht als übergeordneter, direkter Verwalter des gesamten, seiner Jurisdiktion unterstehenden Kirchenvermögens bezeichnet werden, sondern es kommt ihm nach c. 1519 die Aufgabe zu, mit geeigneten Mitteln darüber zu wachen, daß die unmittelbaren Vermögensverwalter seines Bistums ihrer Aufgabe nachkommen. Zu diesem Zweck wird der Ortsordinarius ausdrücklich zur Setzung teilkirchlicher Rechtsnormen ermuntert, die sich selbstverständlich innerhalb der vom allgemeinen kanonischen Recht gezogenen Grenzen halten müssen (c. 1519 § 2)12. Der Ortsordinarius ist aber und darauf kommt es vor allem an - in den Stufenbau kirchlicher Vermögensverwaltung insofern nicht direkt eingeschaltet, als er (von bestimmten, im Gesetz genannten Ausnahmefällen abgesehen) nicht selber die Stelle der unmittelbaren Vermögensverwalter der seiner Jurisdiktion unterstellten Rechtsträger einnehmen kann l3 . Er ist Aufsichts- und Leitungsorgan aller unter seiner Jurisdiktion stehenden juristischen Personen, nicht aber selbst deren rechtsgeschäftlicher Vertreter l4 . Hierbei unterliegt es keinem Zweifel, daß sich das Aufsichts- und Vigilanzrecht des Ordinarius loci gegebenenfalls in der Absetzung des unmittelbaren Verwalters einer juristischen Person und Einsetzung eines neuen Verwalters äußern kann (c. 2147). Jedoch ist der neueingesetzte Vermögensverwalter nicht als Delegierter des Ortsordinarius aufzufassen 15, gleichsam als ob der Ordinarius nun selbst die Verwaltung an sich gezogen hätte. Die Einsetzung des neuen Vertreters einer der Jurisdiktion des Ortsordinarius unterstehenden juristischen Person ist nicht als Akt der direkten

11 D. h. abgesehen von den "Iegitimae praescriptiones" des c. 1519 § I, die ihm gegebenenfalls ein Mehr an Rechten einräumen. 12 In Österreich dienen diesem Zweck vor allem die Pfarrkirchenratsordnungen. 13 A. Venneersch/J. Creusen, Epitome luris Canonici, Mechlinae/Romae 61940, 11, 587, nr. 840; G. Vromant, De bonis Ecclesiae temporalibus ad usum praesertim Missionariorum et Religiosorum, Paris 1927, 194; M. Pistocchi, De bonis Ecclesiae temporalibus, Taurini 1932, 310. - Prümmer und Badii, die Vromant (ebd.) als Vertreter seiner Ansicht zitiert, sprechen sich jedoch nicht mit genügender Deutlichkeit aus, wenn sie den Ordinarius als "supremus, non autem immeditus et unicus administrator" der seiner Jurisdiktion unterstehenden Güter bezeichnen. Das stellt keine Streitfrage dar, sondern vielmehr, ob der Ordinarius die Verwaltung nachgeordneter Rechtsträger an sich ziehen kann. Vgl. D. M. Prümmer, Manuale luris ecclesiastici, Friburgi/Br. 1920,512 f.; C. Badii, Institutiones luris canonici, Florentiae 1921, nr. 654 b. 14 S. Riuer, Die kirchliche Vermögensverwaltung in Österreich, Salzburg 1954, 60. 15 G. Forchielli, Su alcune forme di rappresentanza straordinaria nell' amministrazione dei beneficio parrocchiale, in: DirEccl45 (1934) 544.

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VeJWaltung derselben anzusehen, sondern bleibt im Rahmen der nach c. 1519 dem Ortsordinarius zustehenden Kontrollfunktion l6 • Die unterschiedliche Ausdrucksweise der cc. 1518 und 1519, wo einerseits vom Papst als dem "supremus administrator et dispensator" gesprochen wird, während es bezüglich des Ortsordinarius heißt: "... est sedulo advigilare administrationi omnium bonorum ... " führt zu dem Schluß, daß man von Papst und Bischof nicht in einem Atemzug als von übergeordneten VeJWaltern des ihrer jeweiligen Jurisdiktion unterstehenden kirchlichen Vermögens sprechen kann. Übergeordneter VeJWalter im eigentlich Sinn ist nur der Papst. Hinsichtlich des Bischofs kann auch aus c. 335 § 117 kein allgemeines Recht der direkten VeJWaltung über sämtliches, seiner Jurisdiktion unterstehendes Kirchenvermögen abgeleitet werden, denn die genannte allgemeine Bestimmung ist eben durch c. 1519 näher determiniert im Sinne eines bloßen generellen Vigilanzrechts. Wenn gelegentlich in der Literatur vom Ortsordinarius als dem übergeordneten VeJWalter des gesamten, in seiner Diözese befindlichen und ihm unterstellten Kirchenvermögens gesprochen wird l8 , so ist festzuhalten, daß es sich dabei hinsichtlich des Vermögens nachgeordneter Rechtsträger nicht um VeJWaltung im eigentlichen Sinne handelt, sondern um die Beaufsichtigung der von den unmittelbaren VermögensveJWaltern vorgenommenen Tätigkeit l9 . Inhaltlich ist diese Beaufsichtigung weitverzweigt und mannigfaltig. Sie besteht primär in der bereits eJWähnten gesetzgeberischen Tätigkeit, die dem Ortsordinarius in c. 1519 ausdrücklich nahegelegt wird20 . Die bischöfliche Aufsicht über die VermögensveJWaltung äußert sich in sehr nachdrücklicher 16 P. G. Caron, Natura giuridica dei controlli diocesani sull' amministrazione beneficiaria, in: DirEccl 62 (1951) 986. 17 "Ius ipsis et officium est gubernandi dioecesim turn in spiritualibus turn in temporalibus cum potestate legislativa, iudiciaria, coactiva ad normam sacrorum canonum exercenda. " 18 A. Couly, Dictionaire de Droit canonique I, 198; Wernl.lVidal (Anm. 10) 1V/2; A. Cambria, Sull' interpretazione dei canoni 1519 e 1653 § 5 deI Codex, in: DirEccl 74 (1963) 364. - Vgl. dazu Ritter (Anm. 14) 61, Anm. 1. 19 O. Giacchi, Sulla rappresentanza giuridica degli enti ecclesiastici, Foro della Lombardia, 1937, 5; M. Bonet-Muixi, Gestion de\ patrimonio ecclesiastico: administracion, REDC 5 (1950) 141 hält eine direkte Verwaltung nachgeordneten Vermögens durch den Ortsordinarius nur auf Grund päpstlicher Bevollmächtigung für möglich. Vgl. Vromant (Anm. 13); Vermeersch/Creusen (Anm. 13). 20 Die österreich ischen Bischöfe sind ihr vor allem durch die Pfarrkirchenratsordnungen nachgekommen. Vgl. H. Klecatsky/H. Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, 299 ff.

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Weise darin, daß für alle Akte der außerordentlichen VermögensvelWaitung21 die vorgängige schriftliche Erlaubnis des Ortsordinarius eingeholt werden muß, die ein Gültigkeitserfordernis darstellt (c. 1527 § 1). Im besonderen gilt dies für Veräußecungen des Vermögens untergeordneter Rechtsträger , die ohne Erlaubnis der rechtmäßigen Oberen ungültig sind (c. 1530 § 1, 3). Sollte eine Veräußecung wegen Nichteinholung der bischöflichen Erlaubnis ungültig sein, so steht dem Bischof unzweifelhaft ein Klagerecht auf Feststellung der Ungültigkeit und Herausgabe der unrechtmäßig veräußerten Sache zu (c. 1534 § 2). Dies aber nicht deshalb, weil das Konsensrecht des Ortsordinarius dessen ParteisteIlung begründete, sondern weil c. 1534 § 2 dem "Superior" das Klagerecht zuerkennt und der Ortsordinarius zweifelsohne als Oberer des seiner Jurisdiktion unterstehenden Vermögens anzusprechen ist. Durch die Erteilung der Erlaubnis zu einer Veräußecung übernimmt der Ordinarius nicht selbst die rechtsgeschäftliche Vertretung der den Vertrag abschließenden juristischen Person, sondern diese bleibt in den Händen der hiefür rechtmäßig bestellten Organe, d. h. im Falle einer Pfarrpfründe, des Benefiziaten unter eventueller partikularrechtlicher Mitwirkung des Pfarrkirchenrates22 . Diese Rechtslage entspricht dem allgemein vom CIC geschaffenen Modell für die konstitutive Mitwirkung bestimmter Organe zu Handlungen über- oder untergeordneter Rechtsträger23 : Der an die Zustimmung Gebundene wird durch die erfolgte Zustimmung nicht rechtlich verpflichtet, die betreffende, zu ihrem rechtsgültigen Zustandekommen an die Zustimmung gebundene Handlung tatsächlich vorzunehmen, sondern er bleibt in seiner diesbezüglichen Entscheidung frei. Das heißt also: Ohne die Zustimmung kann er nicht rechtsgültig handeln, aber nach erteilter Zustimmung muß er nicht handeln. Daraus ergibt sich, daß der Zustimmungsberechtigte nicht zum Träger des der Zustimmung bedürftigen Rechtsaktes wird. Mit anderen Worten: Er ist nicht causa efficiens des ohne seinen Konsens nichtigen Aktes, sondern lediglich conditio sine qua non. Da die Initiative des Handeins somit beim unmittelbaren Vertreter der juristischen Person bleibt, wäre ein etwaiger Versuch des konsensberechtigten Kontrollorgans, sich selbst an die Stelle des

21 Zum Begriff derselben D. M. Huot, Bonorum temporalium apud Religiones administratio ordinaria et extraordinaria, Romae 1956, 41. 22 Vgl. Pfarrkirchenratsordnung der Erzdiözese Wien § 24 bei KlecatskyIWeiler, 308. Dazu Ritter, (Anm. 14) 160. 23 G. Graf, Die Leges irritantes und inhabilitantes im Codex Iuris Canonici, Paderbom 1936, 85 ff. spricht in diesem Zusammenhang im Anschluß an E. Eichmann vom Beispruchsrecht Dritter bzw. vom Mitwirkungsrecht der Oberen.

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unmittelbaren Vertreters zu setzen, erfolglos und die solcherart getätigten Verwaltungsakte nichtig24 . Was hier allgemein von den der Jurisdiktion des Ortsordinarius unterstellten juristischen Personen gesagt wurde, findet seine Anwendung auch auf die voll inkorporierten Pfarren und deren Benefizien. Was nun das Konsensrecht des Ortsordinarius zu Akten der außerordentlichen Verwaltung, insbesondere zu Verkäufen anlangt, so scheint mir dieses auf jeden Fall gegeben, gleichgültig ob man sich der Eigentums- oder Nutzungstheorie anschließt. Nimmt man mit der Nutzungstheorie nur einen Nießbrauch das Inkorporationsträgers an, so bleibt das Benefizium der voll inkorporierten Pfarrei Säkularpfründe, die dem Vigilanzrecht des Ortsordinarius unterworfen ist. Hält man nach der Eigentumstheorie das Pfarrbenefizium als im Eigentum des Klosters stehend, so wird man, zumal wenn es sich um einen exemten Verband handelt, das allgemeine Vigilanzrecht des Ortsordinarius zwar in Zweifel ziehen können25 , doch scheint mir ein Konsensrecht des Ortsordinarius bei Veräußerungen insofern gegeben, als diesem die Stellung eines Interessenten zuzuerkennen ist. Denn selbst wenn man auch Eigentum des Klosters am Pfründenvermögen annimmt, so handelt es sich doch um ein im Hinblick auf die Bedürfnisse der Pfarrei zweckgebundenes Vermögen. Nach der in Österreich herrschenden Rechtslage wird die Klerusbesoldung auch bei vollinkorporierten KIosterpfarreien von der Diözese übernommen, wobei das aus der Pfründe fließende Lokaleinkommen in die Besoldung des Pfarrgeistlichen (Vicarius actualis) einberechnet wird. Ein eventueller Abverkauf von Pfründengut kann nun erhöhte Zuschüsse von seiten der Diözese mit sich bringen. Wenn und insoweit dies der Fall ist, wird man bei einem Verkauf von Pfründengütern dem Ortsordinarius die Stellung eines konsensberechtigten Interessenten nach c. 1532 §§ 2 und 3 nicht gut absprechen können. - Dieser Ansicht könnte man entgegenhalten, daß die Veräußerung von Pfründengut - unter der Voraussetzung der Eigentumstheorie - nicht nach c. 1532 zu erfolgen habe, sondern nach der im Religiosenrecht befindlichen Bestimmung des c. 534, wo von keiner Zustimmung der Interessenten die Rede ist. Außerdem, so könnte man sagen, sei selbst nach c. 1532 § 1, 2 bei einem die sog. Romgrenze erreichenden Verkaufswert26 die Zustimmung der Interessenten nicht gefordert27 . - Darauf 24 Venneersch/Creusen, (Anm. 13); M. Pistocchi, (Anm. 13) 310: " ... si ... circa bona quae proprios habent administratores limites vigilantiae pratergrediatur ac immediatam praetendat administrationem, actus omnes ita exerciti nullitate inficiantur." 25 Vgl. zu diesen Fragen J. Trummer, Das Aufsichtsrecht des Ortsordinarius über die Vermögensverwaltung vollinkorporierter Pfarren, in: ÖAKR 3 (1952) 101. 26 Dekret der Konstistorialkongregation vom 13. Juli 1963, in: AAS 55 (1963) 656.

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wäre zu erwidern, daß nach der Praxis des Heiligen Stuhles bei den die Romgrenze erreichenden Verkaufswerten immer dann die Zustimmung des Ortsordinarius gefordert wird, wenn es sich um Pfründengut handelt28 . Diese Praxis muß nicht unbedingt dahingehend gedeutet werden, daß der Heilige Stuhl sich der Nutzungstheorie angeschlossen habe; vielmehr könnte hier lediglich eine Festlegung des Grundsatzes erblickt werden, daß es sich bei den im Eigentum eines Klosters stehenden Pfarrbenefizien um zweckgebundenes Klostervennögen handelt, aus dem die InteressentensteIlung des Ortsordinarius abgeleitet werden kann. Selbstredend muß bei der Entscheidung über die Ingerenz des Ortsordinarius hinsichtlich der Verwaltung einer konkreten kirchlichen Vennögensmasse zuerst untersucht werden, ob es sich überhaupt um Pfründenvennögen handelt. In erster Linie müßte bei den im Bereich inkorporierter Pfarren liegenden Grundstücken geprüft werden, welches Rechtsverhältnis sich aus der Stiftungsurkunde ergibt. Es könnte sich dabei ohne weiteres herausstellen, daß ein bestimmtes Grundstück gar nicht als zur Pfarrpfründe gehörig anzusprechen ist, wenngleich dies irrtümlich bisher geschehen ist. Hier handelt es sich gegebenenfalls um reines Klostervennögen, in dessen Verwaltung der Ortsordinarius keinerlei Ingerenz besitzt, wenn es sich um einen exemten Verband handelt. Eine Veräußerung wird von dem nach Maßgabe des partikulären Verbandsrechts zuständigen Klosteroberen unter Mitwirkung des Kapitels bzw. Rates vorgenommen. Bei den die Romgrenze erreichenden Verkaufswerten ist nicht die Konzilskongregation zuständig, sondern die Religiosenkongregation (c. 251 § 1). Für den Fall, daß die Veräußerung wegen Nichteinholung der entsprechenden Erlaubnis ungültig sein sollte, besitzen nur die Klosteroberen, nicht auch der Ortsordinarius das Recht, die Feststellung der Ungültigkeit im Klagsweg zu begehren (c. 1534 § 2). Es bleibt noch die Frage zu klären, ob und inwieweit der Ortsordinarius auf Grund des c. 1635 § 5 allgemein zur Subsidiarvertretung der ihm unterstehenden juristischen Personen befugt ist. Dieser, im 4. Buch des CIC befindliche canon sieht eine prozeßrechtliche Vertretung untergeordneter juri27 M. Conte a Coronata, Institutiones Iuris canonici, Taurini 41951, 11, 498: "Codex non requirit, quando licentia S. Sedis est necessaria, ullum aliarum personarum consensum." 28 Inwieweit indes der Heilige Stuhl diese Zustimmung als Gültigkeitsvoraussetzung ansieht, wäre einer eigenen Untersuchung wert. Es sei in diesem Zusammenhang aufmerksam gemacht, daß bei Reskripten der Pönitentiarie (die für unseren Gegenstand allerdings nicht in Frage kommen) die Formel "de consensu Ordinarii" nicht zur Gültigkeit erforderlich ist. Vgl. dazu Reskript der S. Poenitentiaria vom 31. Januar 1936, in: AkKR 117 (1937) 563.

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stischer Personen durch den Ortsordinarius bei Vorliegen von "defectus" oder "negligentia" des unmittelbaren Verwalters vor. Die Frage ist nun, ob aus dieser Bestimmung eine Befugnis zur Subsidiarvertretung nachgeordneter Rechtsträger für die mannigfachen Bereiche der Verwaltung hergeleitet werden kann. Es kann hier das Problem beiseitegelassen werden, ob der Ortsordinarius, wenn er auf Grund der in Rede stehenden Gesetzesstelle die ersatzweise Vertretung einer seiner Jurisdiktion unterstehenden juristischen Person übernimmt, in fremdem Namen tätig wird und ein fremdes Recht vertritt29 oder ob er im eigenen Namen auftritt30 . Wichtiger ist hier die Tatsache, daß die angezogene Gesetzesstelle die ersatzweise Prozeßvertretung des unmittelbaren Verwalters an das Vorhandensein der offenbar taxativ aufgezählten Tatbestände "defectus" oder "negligentia" bindet. Gewiß ist der Ordinarius nicht erst dann befugt, die Vertretung an sich zu ziehen, wenn die fraglichen Tatbestände schon durch entsprechende Taten erwiesen sind. Lega/Bartoccetti weisen mit Grund auf die Rechtserheblichkeit eines diesbezüglichen begründeten Verdachts hin und es ist außerdem klar, daß "defectus" und "negligentia" nicht auf moralischer Schuld des zu enthebenden Verwalters beruhen müssen3l . Außerdem ist festzuhalten, daß der Gesetzgeber bei der ersatzweisen Vertretung einer nachgeordneten juristischen Person durch den Ortsordinarius auf eine konkrete Prozeßführung abstellt, auf eine bestimmte Streitfrage, die hic et nunc im Gerichtswege zu klären ist32 . Auf diese Tatsache weist allein schon die Stellung der hier behandelten Gesetzesstelle hin, nämlich im ersten Teil des 4. Buches des CIC unter der Rubrik "De iudiciis", näherhin im 4. Titel "De partibus in causa" und dessen erstem Kapitel "De actore et reo convento". Dies alles setzt eindeutig eine gerichtliche Auseinandersetzung voraus. Eine Ausdehnung der fraglichen Stelle auf ein Verwaltungsverfahren scheint nicht zulässig. Es kann dagegen nicht eingewendet werden, daß das kanonische Recht keine Gewaltentrennung kenne und damit die in c. 1653 § 5 vorgesehene Möglichkeit der Subsidiarvertretung nicht bloß 29 E. Mazzacane, La rappresentanza giudiziale degli enti ecclesiastici e facolta: dei vescovi, in: DirEccl63 (1952) 186: " ... il vescovo agisce "nomine personae moralis" , non fa valere un diritto proprio, ma quello deli' ente al cui organo rappresentativo si sostituisce: agisce, quindi, in norne e nell' interesse dell' ente." In gleichem Sinne M. LegalV. Bartoccetti, Commentarius in iudicia ecclesiastica iuxta Codicem Iuris Canonici, Romae 21950, I, 325. 30 F. Roherti, De processibus, Civit. Vatic. o. J.4, I, 535. 3l Lega/Bartoccetti, (Anm. 29). 32 G. Forchielli, I controlli amministrativi nel diritto canonico, in: DirEccl 46 (1935) 14 spricht in bezug auf c. 1653 § 5 ausdrücklich von defectus oder negligentia "nelle Liti". (Hervorhebung vom Verfasser).

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für das eigentliche Gerichts-, sondern auch für das Verwaltungsverfahren gelten müsse33 . Abgesehen davon, daß nach der herrschenden Lehre der Grundsatz der Trennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung dem kanonischen Recht sehr wohl bekannt ist34 und somit schon aus diesem Grund der Anwendbarkeit einer eindeutig für den Bereich der Gerichtsbarkeit geltenden Nonn auf einen anderen Zweig der kirchlichen "Iurisdictio" Bedenken entgegenstehen, so lassen überdies im gegenständlichen Fall die kanonischen 10terpretationsregeln einen solchen Analogieschluß nicht zu. Nach dem Grundsatz "Odia restringi, et favores convenit ampliari" sind odiose Gesetze eng auszulegen. Bei der Bestimmung des c. 1653 § 5 handelt es sich zweifellos um ein Gesetz, das im Sinne von c. 19 die freie Ausübung von Rechten einschränkt, mithin als "lex odiosa" anzusprechen und infolgedessen eng auszulegen ist. Daher scheint eine über den im Gesetz vorgesehenen Bereich hinausgehende Anwendung der fraglichen Bestimmung ausgeschlossen35 . Wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit hätte schaffen wollen, daß der Ortsordinarius nach Belieben auch im Bereich der Verwaltung die rechtsgeschäftliche Vertretung der ihm unterstehenden juristischen Personen an sich ziehen kann, so hätte er dies zweifellos an geeigneterer Stelle, nämlich im dritten Buch des CIC, beim 27. Titel (De bonis ecclesiasticis administrandis) oder eventuell im zweiten Buch, 8. Titel, 1. Kapitel (De Episcopis) getan. Vor allem bei der Redaktion des c. 1519 hätte sich die Festlegung dieser Befugnis für den Ortsordinarius nahegelegt, wo es dann an Stelle des dort normierten bloßen Vigilanzrechts heißen müßte, daß dem Ortsordinarius ein in jedem Augenblick nach Belieben zu tätigendes direktes Verwaltungsrecht zustünde. Da dies aber nicht der Fall ist, so muß geschlossen werden, daß eine Subsidiarvertretung untergeordneter juristischer Personen durch den Ortsordinarius nur bei Vorliegen der in c. 1653 § 5 genannten Voraussetzungen, d. h. vor allem nur in einem eigentlichen Prozeßverfahren möglich ist. Bei den vollinkorporierten Pfarreien ist Verwalter des Pfründenvennögens nicht der die Seelsorge ausübende Vicarius actualis (c. 471 § 1), sondern das Kloster als Parochus habitualis. Der Pfarrvikar kann nicht im eigenen Namen die Pfründe verwalten und sie rechtsgeschäftlich vertreten, sondern nur im Namen und Auftrag seines Klosters. Ein ohne diese Ermächtigung abgeschlossener Vertrag wäre kirchenrechtlich ungültig; eine Verbindlichkeit für 33 Vgl. dazu die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin in dem Erk. des VfGH vom 5. Oktober 1964, B 45/64/15. 34 E. Eichmann/K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Paderborn 81954, III, 27 ff. 35 A. Dordett, Rechtsgutachten zur Tragweite des c. 1653 § 5 (Archiv der Superiorenkonferenz, Wien).

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Kloster oder Pfründe entsteht nur insoweit versio in rem vorliegt (cc. 536 § 2, 1527 § 2). Kommt der Pfarrvikar den ihm übertragenen Aufgaben schlecht nach, so kann er durch den Ortsordinarius ebenso wie durch seinen eigenen Klosteroberen jederzeit durch einfachen Bescheid seiner Funktionen enthoben werden, da er ja als Religiose niemals die - allerdings jetzt stark modifizierte36 - Festigkeit der weltgeistlichen Pfarrer besitzt (c. 454 § 5). Die in c. 1653 § 5 vorgesehene Enthebung des unmittelbaren Pfründenverwalters müßte sich also im Falle einer vollinkorporierten Klosterpfarre nicht gegen den Vicarius actualis richten, sondern gegen das Kloster als Inkorporationsträger, das auf diese Weise für eine konkrete Prozeßführung von der Vertretung einer ihm pleno-iure-inkorporierten Pfarre völlig ausgeschlossen würde. Man könnte hier wohl mit Recht Bedenken hegen, ob ein so weitreichender Eingriff in die durch die Inkorporation gegebenen Rechtsverhältnisse durch die fragliche Gesetzesstelle hinreichend gedeckt erscheint37 • Diese Frage wäre einer eingehenden Spezialuntersuchung wert, die jedoch den Rahmen unserer Ausführungen hier übersteigt. Wie immer man sich indes in dieser Frage entscheiden mag, eines ist sicher: Die in c. 1653 § 5 vorgesehene Subsidiarvertretung durch den Ortsordinarius ist ausgeschlossen, wenn es sich um Vermögenswerte handelt, die nicht dem Ortsordinarius unterstehen. Das kann etwa der Fall sein bei Stiftungen in Kirchen, auch Pfarrkirchen exemter Religiosen 38 , oder wenn es sich eindeutig um Vermögen solcher Religiosen handelt, die nach c. 533 hinsichtlich ihrer Vermögensverwaltung nicht dem Ortsordinarius unterstehen. Ein etwaiger Versuch, in die Selbständigkeit dieser klösterlichen Vermögensverwaltung einzugreifen, wäre durch keine Bestimmung des geltenden kanonischen Rechts gedeckt. Selbst wenn man zugeben wollte, daß der Ortsordinarius mit Hilfe des c. 1653 § 5 ein Kloster als solches von der Vertretung einer ihm pleno-iure-inkorporierten Pfarrei ausschließen kann, so ergibt sich daraus keineswegs ein unumschränktes Verfügungsrecht über die Pfarrpfründe. Handelt es sich beispielsweise bei der Führung eines bestimmten Prozesses um Rechte der Pfarrpfründe, über die der Ortsordinarius als Subsidiarvertreter im Vergleichswege verfügen will, so kann er dies gültigerweise nur mit Zustimmung des Klosters tun. Denn abgesehen davon, daß schon nach der weiten Begriffsbestimmung 36 Nr. 31 des Konzilsdekrets "Christus Dominus" und die dazugehörigen Ausführungsbestimmungen des Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" vom 6. August 1966, Nr. 20. 37 Dordett, (Anm. 35). 38 C. 1550. Zur Frage, ob auch Stiftungen in Kirchen exemter Kongregationen der bischöflichen Aufsicht entzogen sind (ce. 533 § 1, 3 und 1550), vgl. S. Goyeneche, in: CRM 24 (1943) 152. A. Tabera-Araoz, Derecho de los Religiosis, Madrid 1957, 214.

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des c. 1533 ein derartiger gerichtlicher Vergleich zweifellos als Veräußerung anzusehen wäre, weist c. 1927 § 2 noch ausdrücklich darauf hin, daß bei Vergleichen der hier besprochenen Art die Bestimmungen über den Verkauf von Kirchengut Anwendung zu finden haben. Nun steht aber bei derartigen Veräußerungen von Pfründengut einer pleno-iure-inkorporierten Pfarre dem Kloster zumindest als Fruchtnießer die Stellung eines konsensberechtigten Interessenten nach c. 1532 §§ 2 und 3 zu. Ohne diese Zustimmung wäre die zu Lasten der Pfründe getätigte Handlung nichtig39 und dem Kloster stünde ein Klagerecht auf Feststellung der Ungültigkeit zu (cc. 1534, 1679).

ß. Die Grundsätze des österreichischen Staatskirchenrechts Die Frage nach der zivilrechtlichen Relevanz der vorhin erwähnten kanonistischen Bestimmungen verweist uns zunächst auf die Rechtsquellen, die das kanonische Recht in die staatliche Rechtsordnung einbinden. Grundsätzlich kommen hier in Frage: § 867 ABGB sowie Art. XIII des geltenden Konkordats aus 1933/34. Nachdem Art. XIII § 1 des Konkordats in Konformität mit Art. 15 StGG aus 1867 (RGBI Nr. 142)40 die Vermögensfähigkeit kirchlicher Rechtssubjekte im Rahmen der für alle geltenden Staatsgesetze gewährleistet, enthält § 2 des Art. XIII eine nähere Determinierung hinsichtlich der Frage, wer im staatlichen Bereich als Organ der kirchlichen Vermögensverwaltung angesehen wird. Es wird gesagt, daß das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte durch die nach dem kanonischen Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten wird. Lediglich bei den Ordensoberen wird eine vor dem staatlichen Recht vereinfachte Vertretung durch den Lokaloberen festgesetzt41 . In Übereinstimmung mit den entsprechenden kirchlichen Normen heißt es ferner (Abs. 2 § 2), daß die Gebarung mit dem kirchlichen Vermögen unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordens39 Eichmann/Mörsdorj, 11, 497. 40 Art. 15 StGG: "Jede gesetzlich anerkannte Kirche ... bleibt im Besitz und Genusses ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten ... ". 41 In der durch die genannte Konkordatsbestimmung abgelösten Ministerialverordnung vom 13. Juni 1858 (RGBI Nr. 95) hieß es darüber hinaus, daß sich die Lokaloberen, wenn sie einem Provinzoberen unterstehen, bei Abschluß von Rechtsgeschäften über die Zustimmung desselben ausweisen müßten. Ferner mußten Ordensvorschriften, durch welche der Lokalobere bei Eingehung von Rechtsgeschäften anderweitigen Beschränkungen unterworfen war, dem Ministerium für Kultus und Unterricht vorgelegt werden. Vgl. K. Seidl, Die Verwaltung des Kirchen- und Pfründenvermögens in Österreich, Wien 1905, 488 ff.

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oberen stattfinde und daß ohne deren Zustimmung solches Vermögen weder veräußert noch belastet werden dürfe. Eine Regelung besonderer Art enthält das Zusatzprotokoll zu Art. XIII des Konkordats, das den Verkauf von kirchlichen Liegenschaften an eine vom Ortsordinarius auszustellende Bestätigung des Inhalts bindet, daß gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung und Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwalte und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen waren. Obwohl die im Zusatzprotokoll angekündigte Anweisung des Heiligen Stuhles, die nach dem Wortlaut der fraglichen Gesetzesstelle erst die Grundlage dieser seitens des Ortsordinarius auszustellenden Bestätigung bilden sollte, bis zum heutigen Tag nicht erfolgt ist42 , erging trotzdem am 9. Mai 1934 eine Verordnung der Bundesministerien für Justiz und Unterricht über die Ausstellung von Bestätigungen der genannten Art43 . Die hier angeführten Bestimmungen geben eine Reihe von Problemen auf. Zunächst wäre zu untersuchen, ob die im Zusatzprotokoll zu Art. XIII vorgesehene Bestätigung sich im Rahmen des allgemeinen kanonischen Rechts hält oder neues Recht schafft. Im letzteren Fall wäre noch genauer zu fragen, ob sich dieses neue Recht im gesetzes freien Raum bewegt, ob es eine nähere Determinierung allgemeiner kodikarischer Grundsätze enthält oder ob es im Gegensatz zum allgemeinen Kirchenrecht steht. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß der erste Halbsatz des Art. XIII § 2 das kanonische Verwaltungsrecht übemimmt44 . Dies liegt auch ganz auf der Linie der nach dem ersten Weltkrieg abgeschlossenen Konkordate, die der partikulären Durchsetzung des CIC dienten, insbesondere des österreichischen Konkordats aus 1933/34, dessen Grundtendenz "in einer möglichst weitgehenden Rezeption des kanonischen Rechts "45 gesehen wird. Von der vereinfachten Vertretung der Orden durch den Lokaloberen war bereits die Rede. Daß die im Zusatzprotokoll vorgesehene, durch den Ortsordinarius auszustellende Klausel (Ordinariatsklausel) österreichisches Partikularrecht darstellt, liegt auf 42 Zur Frage der direkten Anwendbarkeit (self executing nonn) der fraglichen Gesetzesstelle vgl. H. Schnizer, Schuld rechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich (Grazer rechts- und staatswissenschaftliche Studien, Band 6), Graz/Köln 1961,200 f. 43 Klecalsky/Weiler, (Anm. 20) 275 f. 44 Vgl. dazu Erk. des VfGH vom 5. Oktober 1964, Zl. B 45/64. 45 Schnizer, (Anm. 42) 186.

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der Hand. Unsere Kardinalfrage aber lautet: Ist in der hier in Rede stehenden Bestimmung ein über die Grundsätze des allgemeinen kanonischen Rechts hinausgehendes Konsensrecht des Ortsordinarius vereinbart worden, so daß es in seinem Belieben stünde, die Beisetzung der Klausel zu verweigern oder handelt es sich nur um eine Überprüfung und Bestätigung, daß die nach dem allgemeinen Kirchenrecht bzw. eventuellen Diözesangesetzen (Pfarrkirchenratsordnungen) erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind? Mit anderen Worten: Setzt der Ortsordinarius mit der Klausel einen konstitutiven Rechtsakt der Zustimmung oder handelt es sich nur um eine deklarative Bestätigung, daß alle nach dem allgemeinen kanonischen Recht notwendigen Bedingungen für den Verkauf erfüllt sind? Vorab sei festgehalten, daß dem Ortsordinarius vor der Ausstellung der Klausel selbstverständlich das Recht und die Pflicht zusteht, sich zu vergewissern, ob die zur kirchenrechtlichen Gültigkeit eines intabulationspflichtigen Rechtsgeschäftes erforderlichen Voraussetzungen auch wirklich vorliegen46 . Doch damit sind meines Erachtens die dem Ortsordinarius zustehenden Befugnisse erschöpft. Insbesondere ist nicht erweislich, daß ihm über diese Prüfung der nach dem gemeinen Recht erforderlichen Voraussetzungen für die Veräußerung kirchlichen Vermögens hinaus noch ein weiteres Konsensrecht zustünde. Die gegenteilige Ansicht, die dem Ortsordinarius die Vollmacht zuspricht, im Hinblick auf "allgemeine kirchliche Interessen" oder bei Sittenwidrigkeit einer bestimmten Veräußerung die Ausstellung der Klausel zu verweigern47 , und dies selbst dann, wenn bei einem die Romgrenze erreichenden Verkaufswert die Erlaubnis des Heiligen Stuhles eingeholt wurde, scheint der gegebenen rechtlichen Lage nicht zu entsprechen. Wenn dem Gesetzgeber wirklich eine so weittragende Abänderung des allgemeinen kanonischen Verwaltungsrechts, das u. a. auch eine bedeutsame Durchbrechung des Exemtionsprivilegs nach sich zöge, vorgeschwebt wäre, dann hätte er sich anderer Ausdrücke bedienen müssen. Und überdies wäre für die Verwirklichung einer derartigen gesetzgeberischen Absicht wohl kaum eine rechtstechnisch so unzulängliche Form gewählt worden, da man sich ja mit Recht fragen könnte, warum die angeblich erweiterten Rechte des Ortsordinarius auf die intabulationspflichtigen Rechtsgeschäfte beschränkt sein und nicht auch für Verträge über bewegliches kirchliches Vermögen gelten sollten. Das Konsensrecht, das dem Ortsordinarius angeblich überall dann zustehen sollte, wo die Ordinariatsklausel erforderlich ist, würde außerdem zu höchst peinlichen juristischen Konsequenzen führen: Der Heilige Stuhl hätte auf diese Weise im Konkordat vereinbart, daß die von ihm selbst erteilte Erlaubnis zur Veräußerung von 46 Nähere Einzelheiten siehe bei Schnizer, 204. 47 Schnizer 206.

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Kirchengut vom Ordinarius loci dahingehend überprüft werden könnte, ob der fragliche Vertrag nicht etwa sittenwidrig sei. Und dies alles mit der Wirkung, daß der nach kanonischem Recht gültige Vertrag nach österreichischem Staatskirchenrecht nicht rechtsgültig zustandekommen könnte! 48 . Zweck und Inhalt der Ordinariatsklausel dürfte demnach lediglich in einer notariellen Beglaubigung bestehen, die der Ortsordinarius ausstellt und worin bestätigt wird, daß nach den intern-kirchlichen Rechtsvorschriften alle Voraussetzungen für den gültigen Abschluß eines Vertrages über die Veräußerung kirchlicher Liegenschaften gegeben sind und somit der staatliche Grundbuchsführer weiterer diesbezüglicher Nachforschungen enthoben wird. Wenn daher von einem Konsensrecht des Ortsordinarius nach Art. XIII des Konkordats die Rede ist, dann ist das so zu verstehen, daß der genannte Artikel die Nahtstelle bildet, an der das einschlägige kanonische Recht in die österreichische Rechtsordnung eingebaut ist. Soweit der Ortsordinarius nach dem kanonischen Recht Konsensrechte besitzt, soweit sind diese durch die angezogene Gesetzesstelle auch Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung. Auf Grund des Art. XIII des Konkordats kann aber keineswegs eine über das kanonische Recht hinausgehende Befugnis des Ortsordinarius abgeleitet werden, in die Vermögensverwaltung untergeordneter Rechtsträger einzugreifen. Daraus ergibt sich nun, daß durch Art. XIII des Konkordats das allgemeine Vigilanzrecht des Ordinarius loci über die Finanzgebarung der ihm unterstehenden juristischen Personen in die österreichische Rechtsordnung transponiert wurde, daß aber im Sinne der obigen Ausführungen daraus keineswegs die Befugnis abgeleitet werden kann, die rechtsgeschäftliche Vertretung der fraglichen juristischen Person im Verwaltungsverfahren zu übernehmen. Ist eine Veräußerung49 von Vermögen einer der bischöflichen Jurisdiktion unterstehenden juristischen Person wegen mangelnder Zustimmung des Bischofs ungültig (wann diese Zustimmung erforderlich ist, richtet sich nach dem kanonischen Recht), so kann der Bischof die Ungültigkeitsklage anstrengen. Dies aber nicht deswegen, weil aus dem Konsensrecht bzw. dessen Verletzung schon die Befugnis abgeleitet werden könnte, nun namens des der bischöflichen Aufsicht unterliegenden kirchlichen Rechtsträgers aufzutreten, sondern weil der durch Art. XIII des Konkordats in die österreichische Rechtsordnung eingebaute c. 1534 unzweifelhaft auch den Ortsordinarius un-

48 Dordett, (Anm. 35). 49 Für den Begriff derselben ist der weitgespannte Tatbestand des c. 1533 maßgebend. 36 Primetshofer

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ter die zur Anstrengung der Ungültigkeitsklage Berechtigten subsumiert50 . Wenn der Ortsordinarius nach dem angezogenen canon die Klage erhebt, wird er meiner Meinung nach nicht im Namen der ihm unterstehenden juristischen Person tätig, sondern er tritt im eigenen Namen auf Grund seiner Oberaufsicht über die Verwaltung des seiner Jurisdiktion unterstellten kirchlichen Vermögens in seinem Bistum51 auf. Das allgemeine Vigilanzrecht über die Vermögensverwaltung untergeordneter Rechtsträger verdichtet sich im Falle einer ungültigen Veräußerung auf Grund von c. 1534 zu einem Recht, die Ungültigkeitsklage von Amts wegen zu erheben. Hiebei zieht der Ortsordinarius nicht die Verwaltung des nachgeordneten Rechtsträgers an sich, sondern seine Tätigkeit bleibt im Rahmen der Kontrollfunktionen (c. 1519), die ihm als Korrelat zu dem vorausgehenden Konsensrecht bei Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung des nachgeordneten Rechtsträgers (c. 1527) auch die Möglichkeit einräumen, die Ungültigkeit einer Veräußerung im nachhinein gerichtlich feststellen zu lassen (c. 1534). Insofern ist es durchaus richtig, wenn die österreichischen Höchstgerichte mehrfach zum Ausdruck gebracht haben, daß aus dem Aufsichtsverhältnis allein keine Befugnis abgeleitet werden könne, Ansprüche namens des den nachgeordneten kirchlichen Rechtssubjekten gehörigen Vermögens im Verwaltungsverfahren geltend zu machen52 . Somit sieht das österreichische Staaskirchenrecht zufolge Art. XIII des Konkordates bzw. des Zusatzprotokolls nicht mehr Stufen von kirchlichen Vermögensverwaltern vor, als das allgemeine bzw. partikuläre kanonische Recht. Dieses aber zählt den Ortsordinarius, wie bereits dargelegt, nicht als Organ sämtlicher ihm unterstehender juristischer Personen auf, sondern weist ihm die Kontrolle über die von den unmittelbaren Vetmögensverwaltern getätigte Geschäftsgebarung zu, darunter als wichtigste Maßnahme das Konsensrecht bei Akten der außerordentlichen Vermögensverwaltung (c. 1527 § 1).

In diesem Zusammenhang sei die vom Gesichtspunkt unseres Themas mehr am Rande liegende Frage nach der rechtlichen Wirkung der Ordinariatsklausel im staatlichen Bereich gestreift: Ist die Klausel konstitutiv in dem Sinne, daß sie nach ihrer Ausstellung durch den Ortsordinarius im staatlichen Bereich die 50 Weil er als "Superior" des seiner Jurisdiktion unterstehenden Rechtsträges anzusehen ist. 51 Im Gegensatz zu dieser Ansicht sieht Cambria, (Anm. 18), 364 schon in c. 1519 die Möglichkeit gegeben, daß der Ortsordinarius kraft seiner Gebietshoheit im Namen der ihm unterstehenden juristischen Person tätig wird. 52 VwGH-Beschluß vom 12. Januar 1956 bei KlecatskylWeiler, 255, Anm. 5a, Erk. des VwGH vom 7. März 1963 (vgl. Anm. 1).

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nicht widerlegbare Rechtsvermutung der erfolgten kirchenrechtlichen Zustimmung aller Konsensberechtigten nach sich zieht53 oder ist sie bloß deklarativ? Die Entscheidung über diese Frage wird in dem Augenblick bedeutsam, wenn die Klausel irrtümlich ausgestellt wurde, d. h. wenn nicht alle nach dem kanonischen Recht zur Gültigkeit der Veräußerung erforderlichen Bedingungen vorliegen. Kann in diesem Fall die fragliche Veräußerung als negotium c1audicans vor den staatlichen Behörden angefochten werden oder ersetzt die wenngleich zu Unrecht ausgestellte Bestätigung des Orlsordinarius für den staatlichen Bereich alle sonstigen, nach kanonischem Recht erforderlichen Zustimmungen? Meiner Ansicht nach ist die Klausel nur deklarativ. Die als Beweis fiir den angeblich konstitutiven Charakter der Klausel herangezogene Durchführungsverordnung vom 9. Mai 1934 (BGBI. 11, Nr. 22)54 scheint die ihr unterstellte Aussage nicht zu enthalten. Abgesehen davon ist es schwer denkbar, daß eine solche, über den Konkordatstext weit hinausreichende extensive Interpretation durch eine einfache Ministerialverordnung55 , noch dazu beinahe in einem Nebensatz, vorgenommen wurde. Wäre die Klausel wirklich konstitutiv, so würde sich u. a. die Konsequenz ergeben, daß der Bischof durch die zu Unrecht ausgestellte Klausel eine ohne die erforderliche päpstliche Genehmigung vorgenommerie und damit absolut nichtige56 Veräußerung für den staatlichen Bereich sanieren könnte. Dies würde umso mehr wunder nehmen, als einerseits der Bischof nicht einmal dann eine ungültige Veräußerung sanieren kann, wenn die Erlaubnisgewährung in seinen eigenen Zuständigkeitsbereich gefallen wäre57 und andererseits das österreichische Konkordat von dem Grundsatz einer möglichst weitgehenden Rezeption des kanonischen Rechts beherrscht ist58 .

53 Schnizer 204. 54 "Durch diese Bestätigung (seil. des Ortsordinarius) wird auch dargetan, daß den Bestimmungen des Artikels XIII § 2 Absatz 2 des Konkordates entsprochen ist". 55 Es sei nicht geleugnet, daß einzelnen Bestimmungen des Konkordats aus 1933/34 durch einseitige staatliche gesetzgeberische Maßnahmen derogiert wurde. Vgl. bezüglich Art. VII des Konkordats das Bundesgesetz vom 4. Mai 1934, BGBI. 11, Nr. 2. Doch bedürfen derartige Außerkraltsetzungen bzw. weitreichende Ergänzungen des Konkordats eines Hoheitsaktes des Gesetzgebers; durch eine einfache Ministerialverordnung scheint eine so weitreichende Abänderung des Konkordatstextes nicht möglich. 56 A. Couly, Dictionnaire de Droit canonique I, 410 f. spricht von einer "nullite radicale". 57 Entscheidung der Konzilskongregation vom 17. Mai 1919, in: AAS XI (1919) 386 f. 58 Schnizer 186.

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Sollte es sich also zeigen, daß eine Veräußerung wegen nichterfolgter Zustimmung der nach dem kanonischen Recht hiezu Berechtigten ungültig ist, so scheint selbst nach erfolgter irrtümlicher Ausstellung der Ordinariatsklausel eine Anfechtung des fraglichen Vertrages durch den Kreis der in c. 1534 § 2 Genannten möglich. Selbst nach einer auf Grund der irrtümlich ausgestellten Klausel erfolgten Grundbuchsberichtigung liegt die Möglichkeit zu einer nachträglichen Grundbuchsberichtigung nach § 136 GBG vor5 9 , wobei die Anfechtungsklage vor dem staatlichen Richter erhoben werden muß. Eine andere Frage ist, ob und inwieweit die in c. 1653 § 5 normierte prozeßrechtliche Subsidiarvertretung nachgeordneter juristischer Personen durch den Ortsordinarius im staatlichen Bereich durchsetzbar ist. Der österreichische Verfassungsgerichtshof stellte sich in einem erst jüngst erflossenen Erkenntnis auf den Standpunkt, daß das in dieser Gesetzesstelle normierte Vertretungsrecht des Ordinarius loci nur für das iudicium ecclesiasticum vorgesehen, mithin für ein vor dem weltlichen Richter abgewickeltes Verfahren nicht anwendbar sei 60 . Eine eingehende Befassung mit den hier anklingenden Problemen müssen wir uns hier versagen. Das kirchliche Prozeßverfahren jedoch, bei dem der Ortsordinarius von seinem Recht der Subsidiarvertretung Gebrauch gemacht hat, müßte auch bezüglich staatlicher Auswirkungen im staatlichen Bereich anerkannt werden, ohne daß sich die staatlichen Stellen in eine Prüfung der Voraussetzungen einlassen könnten, die zur ersatzweisen Vertretung der nachgeordneten juristischen Person geführt haben. Denn diese Voraussetzungen stellen im Sinne des Art. 15 StGG eine innere Angelegenheit einer Kirche dar, die in deren autonomen Wirkungsbereich fällt61 . Die vorstehenden Ausführungen gehen, was das kanonische Recht betrifft, von der Bais' des CIC und dem dort vorzufindenden Modell des kirchlichen Benefiziums aus. Diese Form kirchlichen Vermögens dürfte indes bald der Vergangenheit angehören, da Nr. 21 des Konzilsdekrets über Dienst und Leben der Priester ganz neue Wege der kirchlichen Vermögensverwaltung beschreitet. In Ausführung dazu bestimmt Nr. I, 8 des Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" Papst Pauls VI. vom 6. August 1966, daß die Kommission zur Redaktion des neuen kirchlichen Gesetzbuches eine Revision des ganzen Benefi59 Vgl. dazu die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien (5 Wx 139/42) über die Berichtigung des Grundbuches wegen eines ungültigen Vertrags. R. Dittrich/S. Nagy/F. Peters/K. Sattler, Das österreichische Grundbuchsgesetz vom 2. Februar 1955 (Manzsche Ausgabe der Österreichischen Gesetze Bd. 25) Wien 21962, 240. 60 VfGH-Erkenntnis 5. Oktober 1964, B 45/64/15. 61 Bezüglich des italienischen Rechts kommt Cambria, (Anm. 18) 351 zu demselben Ergebnis.

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zialwesens vorzunehmen habe62 . Die Umrisse dieser künftigen Regelung lassen sich aus den vorliegenden Äußerungen zwar schon irgendwie erahnen, doch kann daraus keine Prognose über Einzelheiten erstellt werden. Insbesondere darf man gespannt sein, welChe Regelung der Gesetzgeber in bezug auf die inkorporierten Pfarreien und deren Benefizien vornehmen wird. Es steht zu hoffen, daß eine Regelung gefunden wird, die eine wirkliche Lösung dieser quaestio vexata herbeiführt.

62 "Commissioni Codicis Iuris Canonici recognoscendo committitur reformatio systematis beneficialis. Interim curent Episcopi, suis auditis Consiliis presbyterorum, ut provideatur aeque distributioni bonorum, etiam redituum ex beneficiis provenientium."

Reformen des Ordens rechts im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils Wenn man die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie sie in seinen schriftlichen Äußerungen zum Ausdruck kommen, nicht als Abschluß und gleichsam Krönung einer langen Entwicklung, sondern eher als Übergang zu einer erst in gewissen Umrissen erkennbaren Gestalt sehen kann 1, so gilt dies in besonderer Weise für die Akzente, die das genannte Konzil auf dem Gebiet des Kirchenrechts gesetzt hat2 . Auch auf dem Sektor des Ordensrechts3 hat das Konzil selbst mit seinen Aussagen eine Bewegung eingeleitet, die weder von seiten des allgemeinen noch des partikulären Kirchenrechts als zum Abschluß gekommen anzusehen ist. Eine Befassung mit dem vorliegenden Thema bedeutet daher, sich mit einer erst in bestimmten Grundtendenzen, keineswegs aber in fertigen Ergebnissen vorliegenden Entwicklung zu beschäftigen. Dies mag in mehrfacher Hinsicht als unbefriedigend erscheinen, ist aber eines der charakteristischen Merkmale der kirchenrechtlichen Situation von heute. Die Reformen des Ordensrechts, soweit sie im folgenden dargestellt werden, sind auf verstreuten Quellen aufgebaut. Wir können in etwa drei Gruppen von Rechtsquellen unterschieden: Erstens sind die Aussagen des Konzils selbst über die "accomodata renovation heranzuziehen, zweitens Äußerungen des universalen, nichtkonziliaren Gesetzgebers während und nach dem Konzil und schließlich drittens die nach dem Tenor der genannten Weisungen vorgenommenen Schritte der partikularen Gesetzgeber. Das Konzil selbst hat sich in mehreren Dokumenten mit der Frage der Reform des Ordenslebens und damit auch des Ordensrechts befaßt. In chronologischer Reihenfolge wären zu nennen: 1. Die Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" 1 Herder-Korrespondenz 21 (1967) 245. 2 B. Löbmann, Die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Refonn des Kirchenrechts, in: lus sacrum, Klaus Mörsdorf zum 60. Geburtstag (München 1969) 83 ff. 3 Zur Frage der Bedeutung des verwendeten Begriffs, der nach der heute üblichen Tenninologie nicht bloß das Recht der Orden im engeren Sinne, sondern auch das der Kongregationen, Genossenschaften ohne öffentliche Gelübde und sogar der Säkularinstitute um faßt, vgl. A. Scheuermann, LThK VII, 1962, 1206.

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vom 22. 11. 19644 ; 2. Das Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe "Christus Dominus"5 und 3. Das Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens "Perfectae caritatis"6. Die beiden letztgenannten Dokumente wurden am selben Tag, nämlich dem 28. 10. 1965 veröffentlicht. Zur zweiten Gruppe von Gesetzen wären zu zählen: 1. Das päpstliche Reskript "Cum admotae" vom 6. 11. 1964, womit den Generaloberen der klerikalen Genossenschaften päpstlichen Rechts bestimmte Vollmachten delegiert werden7 ; 2. Das Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" vom 6. 8. 1966, welches Ausführungsbestimmungen zu den Dekreten über die Hirtenaufgabe der Bischöfe und über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens enthält8 . 3. Das Dekret der Religiosenkongregation über die Vollmachten der Generaloberen laikaler Genossenschaften päpstlichen Rechts9 . 4. Die Instruktion der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 6. 1. 1969 über die zeitgemäße Erneuerung der Ausbildung zum Ordensstand lO • 5. Die Instruktion derselben Kongregation über das beschauliche Leben und die Klausur der Nonnen vom 15. 8. 1969 11 . 6. Das Dekret derselben Kongregation über die den Generaloberen laikaler Verbände delegierte Vollmacht, zeitlichen Professen die Säkularisation zu erteilen vom 27. 11. 1969 12 . 7. Das Dekret derselben Kongregation über die Art und Weise der Teilnahme von Laien an der Regierung in klerikalen Genossenschaften vom 27. 11. 1969 13 und schließlich 8. Das Dekret derselben Kongregation vom 4. 6. 1970 über die Erteilung bestimmter Vollmachten an die Ordensgemeinschaften l4 . Was die dritte Gruppe von Gesetzen anlangt, nämlich die Schritte, die die Generalkapitel der einzelnen Ordensgenossenschaften selbst vorgenommen haben, so ist die Entwicklung hier noch sehr stark in fluß, und es liegen erst von relativ wenigen Verbänden ausgearbeitete und gedruckte Überarbeitungen 4 AAS 57 (1965) 5-75. 5 AAS 58 (1966) 673-696. 6 AAS 58 (1966) 702-712. 7 ÖAKR 16 (1965) 223-226. 8 AAS 58 (1966) 757-787. 9 AAS 59 (1967) 362-364. 10 AAS 61 (1969) 103-120. 11 AAS 61 (1969) 674-690. 12 AAS 61 (1969) 738-739. l3 AAS 61 (1969) 739-740. 14 Prot. Nr. Sp. R 13170, veröffentlicht durch Aussendung an die Geenralvorstehungen der einzelnen Ordensgemeinschaften und Superiorenkonferenzen der verschiedenen Länder.

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bzw. Neuherausgaben ihres partikulären Ordensrechts vor. Aber selbst wenn hier schon eine gewisse Vollständigkeit erreicht wäre, so wäre in der vorliegenden Darstellung eine erschöpfende Behandlung dieser Frage unmöglich. Es können daher in diesem Bereich nur einige Schwerpunkte aufgezeigt werden. Das Konzilsdekret "Perfectae caritatis", das die offizielle Überschrift "Oe accomodata renovatione vitae religiosae" trägt, wurde in der rechtlich entscheidenden Abstimmung vom 28. 10. 1965 mit überwältigender Mehrheit von 2321 gegen 4 Stimmen approbiert l5 . Das Dekret, das wie fast alle Konzilsdokumente eine lange und schwierige Vorgeschichte aufweist l6 , stellt schon in seinem Titel eindeutig auf die Anpassung und Erneuerung des OrdensIebens in seinen vielfältigen, im Laufe der Jahrhunderte gewachsenen Erscheinungsformen ab 17 • Es verweist hinsichtlich der theologischen und ekklesiologischen Ortsbestimmung des Ordensstandes auf die Dogmatische Konstitution "Lumen gentium", es beschäftigt sich selbst mit dieser Frage nicht mehr, sondern stellt gleich zu Beginn klar, daß es "vom Leben und der Lebensordnung" der Institute handeln will, "deren Mitglieder Keuschheit, Armut und Gehorsam geloben", und will für deren zeitgemäße Anpassung Vorsorge treffen 18 . Daß sich die erwähnte Ortsbestimmung des Ordensstandes nicht im Ordensdekret selbst findet, sondern in der umfangreichen und mit einer größeren Wertigkeit ausgestatteten Dogmatischen Konstitution über die Kirche l9 , ist nicht von ungefähr. Wenngleich man vielleicht von rechtssystematischen Erwägungen ausgehend es als wünschenswert betrachten könnte, die konziliaren Aussagen über das Ordensleben in einem Dokument gesammelt zu fmden, so sprechen doch auf der anderen Seite wieder äußerst gewichtige Grunde für die vom Konzil vorgenommene Aufteilung der wesentlichen Aussagen auf mehrere Dokumente. Schon durch die Tatsache, daß sich die Zentralaussage des 15 F. Wulf, Kommentar zum Ordensdekret, in LThKVat, 11, 264. 16 Vgl. dazu Wulf, ebd. 250 ff. 17 Damit ist schon im Titel des Dokuments, der die farblosen ("Oe Religiosis") bzw. schwerflilligen ("Oe statibus perfectionis acquirendae") Überschriften der vorausgehenden Entwürfe ablöst, eindeutig ein Schwerpunkt des Konzilsdekrets erkennbar. Vgl. A. Scheuennann, Die Ordens leute in den Dokumenten des 11. Vatikanischen Konzils, in: AkKR 130 (1965) 337 f. - A. Fehringer, Überlegungen zum Leitbild des klösterlichen Lebens, in: Ecclesia et lus, Festgabe zum 60. Geburtstag von Audomar Scheuennann (München 1968) 251 ff. 18 "Perfectae caritatis", N r. 1. 19 Das Adjektiv "dogmatisch" wurde übrigens im letzten Augenblick noch eingefügt. A. Gutierrez, Constitutiones congruenter recognoscantur, CRM 46 (1967) 273.

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Konzils über das Leben der evangelischen Räte in der Kirchenkonstitution fmdet, wird zum Ausdruck gebracht, daß das Leben nach den evangelischen Räten, sei es nun im kanonischen "Status perfectionis" oder außerhalb desselben20 , nicht etwa vom Leben der Kirche Isoliertes darstellt, sondern ein hervorragendes und eigentümliches Zeichen dieses Lebens der Kirche bildet. Es wird ferner gesagt, daß dem Rätestand, der institutionalisierten Form eines Lebens nach den evangelischen Räten, wegen seines unübersehbaren Zeugnischarakters eine eigene unersetzliche Funktion in der Kirche zukommt21 . Aufgrund dieser ekklesiologischen Aussage wird dann im 6. Kapitel der Konstitution u. a. eine juristische Ortsbestimmung des Rätestandes vorgenommen. "Ein derartiger Stand ist, in bezug auf die göttliche, hierarchische Verfassung der Kirche kein Zwischenstand zwischen dem der Kleriker und dem der Laien. Vielmehr werden in bei den Gruppen Christgläubige von Gott gerufen im Leben der Kirche sich einer besonderen Gabe zu erfreuen und, jeder in seiner Weise, ihrer Heilssendung zu nützen"22. An diesem Beispiel einer zunächst theologisch-ekklesiologischen, und darauf aufbauend kanonistischen Aussage sind vielleicht auch Deduktionen für künftige Versuche des Gesetzgebers berechtigt, Schlüsselbegriffe im Gesetzbuch zu defmieren oder sie wenigstens zu umschreiben. Der in mehrfacher Hinsicht äußerst dürftige Versuch des CIC (c. 487), eine Umschreibung des Ordensstandes zu geben, der in die Exhorte " ... ab omnibus in honore habendus est" ausklingt, hat in den Konzilsaussagen eine wertvolle Ergänzung erfahren.

Wenn die Aussagen des Konzils über das Ordens Ieben in einem Reformwunsch gipfeln, so ist dazu sofort zu sagen, daß dieser Reformwunsch des 11. Vatikanums nicht wie in früheren Jahrhunderten dadurch veraniaßt wurde, daß schwere Mißstände im Ordensleben feststellbar waren, die die Vorsorge des universalen Gesetzgebers auf den Plan gerufen hatten23 . Vielmehr ist mit 20 Über die kanonistischen Konsequenzen dieser Unterscheidung vgl. A. Gutierrez, Doctrina generalis de statu perfectionis, in: Oe Institutis saecularibus, Documenta pontificia necnon studia dogmatica, iuridica, historica, practica. Romae 1951, 270 f. 21 A. Grilbneier, Kommentar zur Dogmatischen Konstitution über die Kirche, LThKVat, I, 303. 22 "Lumen gentium" Nr. 43. Vgl. dazu c. 207 eIe. 23 E. Gambari, Il rinnovamento nella vita religiosa, Roma 31967, 12. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf die Ansprache Papst Pauls VI. an die Äbtissinnen der Benediktinerinnen vom 28. 10. 1966 zu veIWeisen, worin der Tenor der konziliaren Weisungen als "piuttosto incorraggiamento che rimprovero, piuttosto confenna e temperanza che correzione e rigore, piuttosto stimolo che freno" interpretiert wird. Gambari, ebd., 12, Anm. 1.

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Anastasius Gutierrez festzustellen, daß das Konzil es sich keineswegs zum Ziel setzen mußte, ein deformiertes Ordensleben in seinen Grundzügen zu reformieren, sondern daß vielmehr der in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr stürmisch verlaufende Wachstumsprozeß der Gesellschaft eine Anpassung des Ordenslebens an die geänderten Lebensbedingungen erfordere24 . Dies kommt in Nr. 3 des Dekrets "Perfectae caritatis" deutlich zum Ausdruck: "Lebensweise, Gebet und Arbeit müssen den körperlichen und seelischen Voraussetzungen des Menschen von heute, aber auch - soweit die Eigenart des Instituts es verlangt - den Erfordernissen des Apostolats, den Ansprüchen der Kultur der sozialen und wirtschaftlichen Umwelt entsprechen. Das gilt überall, vor allem in den Missionsgebieten. Nach denselben Kriterien ist auch die Art und Weise der Leitung in den Instituten zu überprüfen". Um aber für diese "accomodata renovation gleich von Anfang an die Weichen richtig zu stellen, setzt dasselbe Dekret in Nr. 2 fest, daß Anpassung und Erneuerung nicht einen billigen Konformismus bedeuten, sondern eine ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Ursprungsgeist der einzelnen Institute. Letzte Nonn des Ordenslebens sei die im Evangelium vorgestellte Nachfolge Christi, die daher auch allen Instituten als oberste Regel zu gelten habe. Die Ausführungsbestimmungen "Ecclesiae Sanctae" zum Konzilsdekret treffen die für den noch zu behandelnden Stil der künftigen Gesetzgebung bemerkenswerte Feststellung, daß eine befriedigende Erneuerung nicht ein für allemal erfolgen könne; es müsse sich vielmehr um einen ständig fortzusetzenden Vorgang handeln25 . Hinsichtlich der Frage, wer als Träger der vom Konzil eindringlich nahegelegten zeitgemäßen Erneuerung in Frage komme, trifft das Konzilsdekret selbst die bemerkenswerte Feststellung, daß hiezu die einzelnen Verbände selbst aufgerufen seien26 . Damit ist in eindeutiger Weise gesagt, daß sich der Schwerpunkt in der Vornahme der Anpassungs- und Erneuerungsmaßnahmen von der Religiosenkongregation, bzw. neuerdings Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute27 weg auf die einzelnen Verbände selbst gelegt hat. Sicherlich ist hier einerseits dem in der Aula des Zweiten Vatikanischen Konzils und auch sonst wiederholt geäußerten Wunsch nach Dezentralisierung, nach Anwendung des Subsidiaritätsprinzips Rechnung getragen, doch sind andererseits gewiß auch praktische Überlegungen Pate gestanden. Denn Zentralbehörden wie die römischen Kongregationen sind selbst bei bestem 24 Gutierrez, CRM 46 (1967) 273. 25 "Ecclesiae sanctae" 11, 19. 26 "Perfectae caritatis" 2/d. 27 Apostolische Konstitution "Regimini Ecclesiae universae" vom 15. 8. 1967, in: AAS 59 (1967) 912 f.

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Willen nicht in der Lage, die von den Päpsten Pius XII., Johannes XXIII. und Paul VI. wiederholt dringend herausgestellte Frage der zeitgemäßen Erneuerung des Ordenslebens28 zu lösen. Das Konzilsdekret wendet sich an alle Ordensleute, d. h. nicht bloß an die Angehörigen des lateinischen Ritus, sondern auch an die der orientalischen Riten. Aber auch innerhalb der einzelnen Verbände soll die zeitgemäße Erneuerung nicht das Werk eines auf einsamer Höhe stehenden Gesetzgebers sein. Wenngleich in Nr. 4 des Dekrets betont wird, daß es einzig Sache der rechtmäßigen Autoritäten, vor allem der Generalkapitel sei, Richtlinien für die zeitgemäße Erneuerung festzusetzen, Vorschriften zu erlassen und hinreichende, kluge Erprobungen zu gestatten, so wird doch im gleichen Atemzug festgestellt, daß zur wirksamen Erneuerung und echten Anpassung die Zusammenarbeit aller Mitglieder eines Instituts erforderlich sei. In den Ausführungsbestimmungen "Ecclesiae Sanctae" wird diesbezüglich ergänzend hinzugefügt, daß "die Hauptrolle bei der Erneuerung und Anpassung des OrdensIebens den Ordensgemeinschaften selbst" zufalle, die dieses Ziel vor allem durch ihre Generalkapitel (oder bei den Orientalen durch ihre Versammlungen - Synaxen) erreichen werden. Von diesen Generalkapiteln wird weiter gesagt, daß sie ihre Aufgabe nicht erfüllt haben, wenn sie nur Gesetze erlassen; sie müssen dazu auch noch die geistige und apostolische Vitalität fördern29 . Die gewünschte Zusammenarbeit muß nach "Ecclesiae Sanctae" in der Weise vorgenommen werden, daß der Generalrat (die Generalskurie) zur Vorbereitung eines Kapitels in geeigneter Weise für eine umfassende und freie Befragung der Mitglieder eines Verbandes zu sorgen hat. Die Ergebnisse dieser Befragungen sollen zweckmäßig geordnet werden, damit so die Arbeit des Kapitels unterstützt werde. Dies könne dadurch erreicht werden, daß man Konvent- und Provinzkapitel hört, Kommissionen bestellt, Fragebögen vorlegt usw. - Zur Förderung der Anpassung und Erneuerung muß in jedem Verband innerhalb von zwei, höchstens drei Jahren ein ordentliches oder außerordentliches Generalkapitel einberufen werden, das in zwei getrennte, nicht über ein Jahr auseinanderliegende Zeitabschnitte geteilt werden kann 30 . Die in Rede gestellten Ausführungsbestimmungen stellen genaue Richtlinien auf, nach denen die Satzungen der einzelnen Verbände neu gefaßt werden 28 Vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen päpstlichen Weisungen bei Scheuermann, in: AkKR 130 (1965) 338 f., Anm. 5. 29 "Ecclesiae sanctae" 11, l. 30 "Ecclesiae sanctae" 11, 4.

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sollen. Demnach haben die Satzungen eines jeden Verbandes zwei grundsätzliche Elemente zu enthalten, nämlich: 1. Evangelische und theologische Grundsätze über das Ordensleben und seine Verbindung mit der Kirche, sowie geeignete und unmißverständliche Worte, aus denen der Geist und die besonderen Absichten der Stifter anerkannt und gewahrt werden. Ferner gesunde Überlieferungen, die alle zusammen das Erbe jeder Ordensgemeinschaft ausmachen. 2. Die notwendigen rechtlichen Normen zur klaren Festlegung der Eigenart, der Zweckbestimmung und der Mittel der Ordensgemeinschaft; diese Normen sollen nicht allzusehr gehäuft werden, müssen aber immer in einer Weise zum Ausdruck kommen, die das besagt, was sie meint. - Die Vereinigung beider Elemente, nämlich des geistigen und des rechtlichen, sei notwendig, damit die grundlegenden Satzungen der Ordensgemeinschaften ein festes Fundament haben31 . In diesen allgemeinen Richtlinien für die von den Generalkapiteln vorzunehmenden Anpassungen des partikularen Ordensrechts ist ein radikaler Bruch mit einer etwa seit der Zeit Benedikts XIV. geübten32 und am Beginn unseres Jahrhunderts in detaillierte Rechtsnormen gekleideten Praxis des Heiligen Stuhles feststell bar. Die Religiosenkongregation hatte in den "Normae" vom 6. 3. 1921 für die Approbation künftig zu errichtender Kongregationen genaue Grundsätze festgelegt, wie die Konstitutionen eines Verbandes auszusehen, bzw. nicht auszusehen haben, damit sie die päpstliche Approbation, zumindest das sogenannte Decretum laudis von seiten des Heiligen Stuhles erhalten könnten33 . Diese Normen der Religiosenkongregation, die auf eine zwanzig Jahre vorher, nämlich am 28. 6. 1902 von der damaligen Kongregation für die Bischöfe und Regularen erlassene Vorlage zurückgehen, enthalten ein höchst aufschlußreiches Kapitel "De excludendis a textu Constitutionum". Unter den Dingen, die in den Konstitutionen eines Verbandes nicht aufzuscheinen haben, werden genannt: "Texte der Heiligen Schrift, der Konzilien, der Kirchenväter und der Theologen. Denn, so wird erklärend angefügt, die Konstitutionen haben lediglich die "leges constitutivae" einer Kongregation sowie die "leges directivae" für das Leben einer Kommunität aufzuweisen. Das Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" nimmt hier eine, wie Scheuermann es

31 "Ecclesiae sanctae" 11, 13. 32 Vgl. dazu für die Regel der Redemptoristen M. de Meulemeester, Origines de la Congregation du Tres Saint-Redempteur. Etudes et Documents. Louvain 1957, 187 ff. 33 "Normae secundum quas Sacra Congregatio de Religiosis in novis religiosis Congregationibus approbandis procedere solet", in: AAS 13 (1921) 312 ff. S. Mayer, Neueste Kirchenrechtssammlung, Freiburg 1951, I, 170 ff.

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ausdrückt, unüberhörbare Korrektur früherer gesetzlicher Richtlinien vor3 4 . Mit Recht bemerkt ebenfalls Scheuerrnann, daß der Gesetzgeber mit seiner Vorschrift, daß die Ordenskonstitutionen von der Aussage nüchterner Rechtssatzungen kaum abweichen dürften, eine jeder Individualisierung feindliche Uniforrnierung selbst angebahnt habe35 . Die Bestimmungen des Motu proprio, derzufolge die grundlegenden Satzungen der Ordensgemeinschaften aus der Vereinigung beider Elemente, des geistlichen und des rechtlichen, bestehen müssen, wird dahingehend präzisiert, daß ein Text formuliert werden solle, der weder nur juristisch, noch rein exhortativ sei36 . Die Konstitutionen der einzelnen Verbände waren vielfach mit minutiösen Details über den Tagesablauf überlastet, wobei diese Details oft nach dem Modell eines bestimmten Landes und einer bestimmten Zeitepoche abgefaßt waren, die den besonderen Gegebenheiten in anderen Zeiten und Regionen nur mangelhaft gerecht wurden. Aus diesem Grunde bestimmt das Motu proprio, daß aus dem Grundgesetz alles auszuschließen sei, was veraltet oder nach den Bräuchen einer bestimmten Zeitepoche abgefaßt sei oder nur rein örtlichen Gewohnheiten entspreche. Was den besonderen Lebensbedingungen des Ortes und der jeweiligen Zeit zuzuschreiben sei, solle sich nicht im Grundgesetz selbst finden, sondern in zusätzlichen Büchern, Direktorien oder Gebräuchebüchern37 . Wenngleich eine derartige Teilung auch dem bisherigen partikulären Verbandsrecht vieler Ordensgemeinschaften durchaus nicht fremd war, so scheint der gesonderte Hinweis des allgemeinen Gesetzgebers, im Ordensrecht eine deutlich sichtbare Wertskala festzulegen, im Hinblick auf ähnliche Bestrebungen im Rahmen des allgemeinen Kirchenrechts von erhöhter Bedeutung. Die Vorarbeiten zur Revision des CIC sind ja inzwischen soweit gediehen, daß der Entwurf eines allgemeinen kirchlichen Verfassungsgesetzes38 (lex fundamentalis) vorliegt. Diese, dem bisherigen allgemeinen gesatzten Kirchenrecht grundsätzlich fremde Unterscheidung zwischen Verfassungs- und 34 Scheuermann, Grundrechte im Ordensleben? Ordenskorrespondenz 8 (1967) 269 Anm. 5. 35 Scheuermann, vgl. dens. Die Ausführungsbestimmungen zu den Konzilsweisungen für die Ordensleute. Ordenskorrespondenz 8 (1967) 113 ff. 36 "Ecclesiae sanctae" 11, 13. 37 "Ecclesiae sanctae" 11, 14. 38 HerKorr 24 (1970) 272 ff. Vgl. dazu: Zum Projekt eines Grundgesetzes der Kirche, in: HerKorr 24 (1970) 380 ff. J. Neumann, Über die Notwendigkeit eines gesamtkirchlichen Grundgesetzes. Vom Wandel der Form des kirchlichen Verfassungsrechts, in: Theologie im Wandel, München 1967, 415 ff.; H. Heimerl, Grundlinien eines kirchlichen Verfassungsgesetzes, in: Concilium 3 (1967) 630 ff.

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einfachen Gesetzen ist, abgesehen von allen sonstigen damit verbundenen Vorteilen, allein künftig schon aus dem Grund erforderlich, weil die Ausführungsbestimmungen zum Konzilsdekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, das Apostolische Schreiben "De episcoporum muneribus" vom 15. 6. 1966 von den Dispensvollmachten der Diözesanbischofe die "leges constitutivae" ausklammem39 . Wenn man das Unbefriedigende an der derzeitigen Rechtslage beseitigen will, daß nämlich der Begriff "Lex constitutiva" an eine Rechtsordnung angelegt wird, die uns im Einzelfall durchaus im Zweifel darüber läßt, was eine solche "lex constitutiva" ist, so muß der Gesetzgeber klar zum Ausdruck bringen, welche Normen im Verfassungsrang stehen und welche nicht40 . Was nun die Richtlinien betrifft, nach denen dieses Verfassungsrecht der Verbände neu gestaltet werden soll, so stellt schon das Konzilsdekret selbst die Forderung auf, daß die Ordensleitung wirklich von der Gesamtheit getragen sei, und daß sie über eine schnell wirksame Autorität verfüge41 . Diese Grundsätze werden in den Ausführungsbestimmungen dahingehend präzisiert, daß die Kapitel und beratenden Körperschaften Ausdruck der Teilhabe und Mitsorge jedes einzelnen Mitglieds am Wohl der Gemeinschaft sein müssen. 39 AAS 58 (1966) 467-472. - Zu den rechtssprachlichen Mängeln des Ausdrucks "leges constitutivae", der - soweit damit krichenrechtliche Verfassungsnormen gemeint sein sollten, besser "leges constitutionales" lauten sollte, vgl. K. Mörsdorf, Kommentar zum Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, in: LThKVat, 11, 168. 40 Wie Mörsdorf, (Anm. 8) nachweist, scheint der Terminus "leges constitutivae" als Gegensatz zu den "leges directivae" im nachkodikarischen Recht erstmals in dem Erlaß der Religiosenkongregation vom 6. 3. 1921 (vgl. Anm. 33) auf. Die Religiosenkongregation hat seitdem in der von ihr ausgebildeten Jurisprudenz eine Grenzziehung zwischen "leges constitutivae" und "leges disciplinares" geschaffen. Besonders deutlich kam dies u. a. bei der Bestätigung der vom Generalkapitel 1963 abgeänderten Fassung der Konstitutionen der Redemptoristen zum Ausdruck. Die vom Kapitel beschlossene Neuredaktion der Konstitutionen hatte in dem Abschnitt "Oe voto oboedientiae" folgenden Satz: "Quod si agatur de dispensanda tota Congregatione, Rector Maior adhibito consilio suorum Consultorum, eam concedere poterit, at non in perpetuum, cum reservata sit soli Capitulo Generali facultas concedendi, ex gravissimis causis dispensationes generales et perpetuas." - Der von der Religiosenkongregation am 2. 2. 1964 approbierte Text lautete jedoch an dieser Stelle: "Quod si agatur de dispensanda tota Congregatione, Rector Maior, adhibito consilio Consultorum, eam concedere poterit, at non in perpetuum, cum reservata sit soli Capitulo Generali facultas concedendi, ex gravissimis causis, dispensationes generales et perpetuas in rebus mere disciplinaribus." Vgl. Acta Integra Capituli Generalis XVI Congregationis SS. Redemptoris Romae celebrati anno MCMLXIII, Romae, Domus Generalitia C. SS. R. Typis della Pace 1963, 139; Constitutiones Congregationis SS. Redemptoris. Romae, Domus Generalitia C. SS. R. 1964,9. 41 "Perfectae caritatis" Nr. 14.

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Dies werde insbesondere dann der Fall sein, wenn die Mitglieder wirklich Anteil an der Bestellung der Kapitels- und Ratsmitglieder haben42 . Hiermit ist ein zweifacher Akzent gewiesen: Einerseits ist damit gesagt, daß die bisher in vielen männlichen wie weiblichen Verbänden übliche und eine weitreichende rechtliche Ungleichstellung bedingende Unterscheidung zwischen den Choristen und den Nichtchoristen dahingehend abzuändern sei, daß auch die Nichtchoristen wenigstens aktives Wahlrecht erlangen können. In Ergänzung dieser sowohl im Konzilsdekret wie auch in den Ausführungsbestimmungen enthaltenen Weisungen ist auf das Dekret der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 27. 11. 1969 zu verweisen, das detaillierte Normen über die Art und Weise der Teilnahme von Nichtchoristen (Laien) an der Regierung in klerikalen Genossenschaften enthält. Das Dekret weist zunächst allgemein darauf hin, daß die Generalkapitel der genannten Verbände ihre Laienmitglieder zu Aufgaben heranziehen können, die mit dem eigentlich priesterlichen Dienst keine direkte Beziehung aufweisen. Insbesondere wird gesagt, daß Laienmitglieder aktives und passives Wahlrecht für alle Arten von Kapiteln erhalten können sowie auch für die auf diesen Kapiteln vorzunehmenden Wahlen. Auch das Amt des Konsultors jeden Grades können Laien ausüben. Die Ämter des Haus-, Provinz- oder Generaloberen sind jedoch Laienmitgliedern in klerikalen Genossenschaften verwehrt43 . Mit dieser Weisung des universalen Gesetzgebers ist einmal mehr der Trend nachkonziliarer Gesetzgebung feststellbar, jene Bereiche nicht selbständig zu ordnen, die von nachgeordneten Rechtsträgern selbst geregelt werden können. Im Zusammenhang mit der Reform des Ordensrechts bedeutet dies, daß die "accomodata renovation auch bezüglich des hier in Rede stehenden Teilbereichs in die Zuständigkeit der einzelnen Ordensverbände gelegt wird. Die Einschränkung des Dekrets, daß bei klerikalen Genossenschaften das Amt des Oberen Laienmitgliedern nicht zugänglich ist, stellt ein vom kanonistischen Standpunkt aus nicht uninteressantes Detail dar. Das Amt des Oberen in Ordensgenossenschaften bringt eine zweifache Art von kirchlicher Gewalt mit sich. Bei allen Verbänden hat der Obere sogenannte potestas dominativa44 ; der Obere in exemten klerikalen Genossenschaften ist überdies im 42 "Ecclesiae sanctae" 11, 27. 43 AAS 61 (1969) 740. 44 Zum Begriff der klösterlichen Dominativgewalt vgl. H. Socha, Die Analogie zwischen der Hirtengewalt und der Dominativgewalt der klösterlichen Laienoberen. Münchener Theologische Studien, III. Kanonistische Abteilung 23. Bd. (München 1967) 33 ff.

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Besitz von potestas iurisdictionis für den inneren und äußeren Rechtsbereich (c. 501 § 1)45. Wenn schon überhaupt die Unterscheidung zwischen exemten und nichtexemten Genossenschaften nach dem heutigen Recht einer inneren Logik entbehrt und sich der Hauptsache nach wohl nur historisch daraus erklären läßt, daß die früher gegründeten Verbände sich den in späteren Jahrhunderten schwieriger gewährten Status der Exemtion zu verschaffen wußten, so ist die Rechtsstellung eines exemten klerikalen Verbandes gegenüber dem Ortsordinarius heute nicht wesentlich von dem einer nichtexemten klerikalen Genossenschaft verschieden. Der hauptsächlichste Unterschied besteht nach dem kodikarischen Recht darin, daß bei den kraft allgemeinen Rechts exemten klerikalen Verbänden im Zweifelsfalle für, bei den nichtexemten aber gegen die Befreiung von der Jurisdiktion des Ortsordinarius zu präsumieren ist46 . Der Gesetzgeber hat nunmehr zwar die Tatsache der Exemtion als solche unberührt gelassen, aber doch die damit verknüpfte Unterscheidung in bezug auf die Jurisdiktion wenigstens insoweit abgeändert, als in dem Reskript "Cum admotae" vom 6. 11. 1964 den höheren Oberen der nichtexemten klerikalen Verbände päpstlichen Rechts die Vollmacht delegiert wurde, für die innere Leitung und Disziplin Jurisdiktionsakte nach Art der höheren Regularoberen zu setzen. Diese Vollmacht kann mit Zustimmung des Kapitels den übrigen höheren Oberen desselben Verbandes subdelegiert werden47 . Die genannte Vollmacht, Jurisdiktionsakte zu setzen, wird auch den Generaloberen der klerikalen Genossenschaften ohne öffentliche Gelübde, ja sogar den Generaloberen klerikaler Säkularinstitute päpstlichen Rechts übertragen, wobei jeweils die Vollmacht der Subdelegation eingeschlossen ist48 • Die vorhin erwähnte Einschränkung, daß Laienmitglieder in klerikalen Verbänden das Amt des Oberen nicht erlangen können, ist von dem im derzeitigen Recht festgelegten Verhältnis von Dominativ- und Jurisdiktionsgewalt bedingt. Wenn es nämlich in c. 118 heißt, daß nur Kleriker Jurisdiktion erlangen können, und wenn nunmehr das Amt eines Oberen in klerikalen 45 Nach dem neuesten, noch zu behandelnden Recht besitzt auch der Priesterobere einer nichtexemten klerikalen Genossenschaft Jurisdiktionsgewalt. Vgl. dazu Socha, ebd. 44 f. Nach der durch das Reskript "Cum lldmotae" geschaffenen Rechtslage sind die Generaloberen nichtexemter Priesterverbände als "Quasi-Personaloberhirten" zu bezeichnen. H. Schmitz, Die Rechtsstellung der klösterlichen Priesterverbände päpstlichen Rechts im neuen Ordensrecht, in: Ordenskorrespondenz 8 (1967) 29. 46 A. Tabera-Araoz, Derecho de los Religiosos. Manual teorico practico (Madrid 31957),448 und 451. 47 "Cum admotae" I, 13. 48 ''Cum admotae" 11, 2. Schmitz, (Anm. 45) 31 kommt zu dem Ergebnis, daß damit der Unterschied zwischen exemten und nichtexemten Priesterverbänden "fast nur noch ein nomineller denn ein sachlicher" sei. 37 Primetshofer

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Verbänden auf jeden Fall Jurisdiktion mit sich bringt, so ergibt sich als logische Konsequenz, daß das Oberenamt nur Klerikern zugänglich ist. Wenn schon die generelle Aussage des c. 118 nicht einmal im CIC streng durchgezogen ist, insofern als Laien durchaus zu Einzelaufgaben der kirchlichen Jurisdiktion herangezogen werden 49 , so beweist vor allem ein Blick in die Rechtsgeschichte, daß von der von namhaften Autoren gelehrten Möglichkeiten, Laien Jurisdiktion zu erteilen50 , reichlich Gebrauch gemacht wurde51 . Der derzeit vom G~setzgeber eingenommene Standpunkt, das Oberenamt in klerikalen Verbänden nur Klerikern zugänglich zu machen, legt sich zwar aus gewissen praktischen Gründen nahe, stellt aber durchaus nicht das einzig mögliche Lösungsmodell dar. Der Weg für eine Entwicklung ist hier sicherlich noch offen, da keine Schranken des göttlichen Rechts bestehen, Laien Jurisdiktion zu erteilen52 . Für die Frauenklöster stellt schon das Konzilsdekret selbst die Forderung auf, es sei dafür Sorge zu tragen, daß man zu einem einzigen Stand von Schwestern komme. Das heißt also, daß bei den weiblichen Verbänden die Unterscheidung in Chor- und Laienschwestern aufzugeben ist. Wenn man aber zu einer einzigen Klasse von Schwestern gelangt sei, müssen die Chorverpflichtungen unter Rücksichtnahme auf die verschiedenen Tätigkeiten festgelegt werden53 . In bezug auf die Ausübung der klösterlichen Autorität fordern die Ausführungsbestimmungen zum Konzilsdekret, daß diese Autorität der Zeit entsprechend wirksam und reibungsloser gestaltet werden müsse. Dies bedeute, daß die Oberen aller Rangstufen mit entsprechenden Vollmachten auszustatten seien, damit unnötige und allzu häufige Berufungen an höhere Autoritäten vermieden werden 54 . Der Heilige Stuhl selbst hat in diesem Zusammenhang bereits vor Erlassung des Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" ein deutliches Zeichen gesetzt, insofern er in dem bereits mehrfach erwähnten Reskript "Cum admotae" den Generaloberen klerikaler Genossenschaften päpstlichen 49 Socha, (Anm. 44) 36 f. 50 Vgl. die Literatur bei M. a Coronata, Institutiones Iuris Canonici, I (41950), 207, Anm. 6. 51 Dazu Ph. Hofmeister, Gefreite Abteien und Prälaturen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 81 (1964) 217 ff.; A. Szentirmai, Jurisdiktion für Laien?, in: ThpQ 140 (1960) 410 ff. 52 Socha, (Anm. 44) 37: "C. 118 ist deshalb so zu verstehen, daß Laien nur relativ unfahig sind, Träger kirchlicher Gewalt zu sein. Sie sind dazu imstande, wenn die durch den Willen der Kirche festgesetzten Voraussetzungen erfüllt sind." 53 "Perfectae caritatis" Nr. 15. 54 "Ecclesiae sanctae" 11, 18.

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R~hts sowie den Abtpräsides der monastischen Kongregationen eine Reihe weitreichender Vollmachten delegierte. Die genannten Oberen haben ihrerseits das Recht, diese Vollmachten in ausgedehntem Umfang den übrigen höheren Oberen ihres jeweiligen Verbandes zu subdelegieren55 .

Zu beachten ist, daß die Vollmachten dieses Reskripts56 noch nach dem Modell des ein Jahr vorher, nämlich am 30. 11. 1963, erlassenen Apostolischen Schreibens "Pastorale munus" konzipiert sind, bzw. nach dem Modell des kodikarischen Rechts, das in c. 81 Dispensen vom allgemeinen Kirchenrecht grundsätzlich dem Papst reserviert und den hierarchisch unter dem Papst stehenden Ordinarien (zu diesen zählen auch die höheren Oberen exemter klerikaler Verbände57) diesbezügliche Vollmachten nur dann zugesteht, wenn sie ihnen ausdrücklich oder einschlußweise erteilt wurden. Dieses kodikarische Modell ist durch das Konzilsdekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe58 dahingehend abgeändert worden, daß den Diözesanbischöfen und den ihnen im Recht Gleichgestellten grundsätzliche Dispensvollmachten vom allgemeinen Kirchenrecht erteilt werden, soweit nicht ein päpstliches Reservatsrecht vorliegt. Diese päpstlichen Reservate sind dann in dem Apostolischen Schreiben "De episcoporum muneribus"59 festgelegt worden60 . Es bestünden wohl keine grundsätzlichen Bedenken, auch für die Amtsaufgaben der höheren Klosteroberen das für die Bischöfe angewandte Modell in die Tat umzusetzen, und ihnen für den Bereich der klösterlichen Leitung ihrer Verbände schon vom Recht her grundsätzliche Dispensvollmachten von allgemeinen Kirchengesetzen zuzugestehen, die durch die notwendigen päpstlichen Reservate einzuschränken wären. Die konziliaren bzw. nachkonziliaren Weisungen zur Vornahme der "accomodata renovation weisen eine Besonderheit auf, aus der man nicht zu Unrecht Schlüsse auf das neue Kirchenrecht ziehen kann. Das Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" sagt nämlich, daß das partikulare Verbandsrecht nicht in 55 L. Buijs, Facultates religiosorum concessae Rescripto Pontificio diei 6 nov. 1964 (Romae 1965); B. Belluco, Facultates Superiorum Religiosorum (Romae 1966); A. Gutierrez, Commentarium in Rescriptum Pontificium ''Cum admotae", CRM 44 (1965). 56 Es wurde vom Staats sekretariat und nicht von der Religiosenkongregation ausgestellt. 57 C. 198 § l. 58 "Christus Dominus" Nr. 8 b. 59 AAS 58 (1966) 467-47l. 60 Zum Verhältnis von c. 81 CIC und Nr. 8 b des Konzilsdekrets "Christus Dominus" vgl. Mörsdorf, LThKVat 11,167.

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der Weise gestaltet werden soll, daß bei dem nächsten einzuberufenden Generalkapitel bereits ein fertiges Gesetz verabschiedet werden müsse. Dieses Generalkapitel hat das Recht, gewisse Normen der Konstitutionen bis zum nächsten Generalkapitel probeweise zu ändern, wobei dieses nächste Generalkapitel ebenfalls die Vollmacht erhält, diese geänderten Normen noch einmal zu verlängern. Auch Experimente gegen das allgemeine Kirchenrecht können beim Heiligen Stuhl beantragt werden61 . Mit dieser Anleitung des Motu proprio ist offenkundig ein neuer Stil in die kirchliche Gesetzgebung eingeführt worden. Wenngleich auch das bisherige Kirchenrecht dadurch ausgezeichnet war, daß die generelle Norm nicht als starres, unbeugsames, unter allen Umständen verpflichtendes Gebot galt62 , sondern sich durch Flexibilität und eine gewisse, wenn auch nicht in allen Punkten hinreichende Berücksichtigung örtlicher, persönlicher und sachlicher Besonderheiten auszeichnete63 , so versucht das neue Kirchenrecht, der Forderung nach sachlicher Angemessenheit der Rechtsnorm noch durch einen weiteren Schritt entgegenzukommen. Das Neue an dem Versuch des Gesetzgebers besteht darin, daß der Gesetzesnorm selbst zunächst nur ein provisorischer Charakter beigemessen wird, daß es sich zunächst zeigen soll, ob und wie sich eine gesetzliche Regelung bewährt hat, bevor daraus eine dauernde Norm werden soll. Das Motu proprio weist selbst darauf hin, daß die Anpassung und Erneuerung nicht mit der einmaligen Erlassung eines Gesetzes abgeschlossen sein kann, sondern eine ständig fortzusetzende Aufgabe sei 64 . Wenn der Gesetzgeber hier zu einem Weg ermuntert, der in dem zunächst probeweisen Inkraftsetzen von Rechtsnormen besteht, so sind daraus gewisse Schlüsse auf den Stil des kommenden Kirchenrechts zulässig. Dies umso mehr, als der hier im Ordensrecht eingeschlagene Weg nicht einen Einzelfall darstellt, sondern auch im Zusammenhang mit dem Priesterbildungsdekret 61 "Ecc1esiae sanctae" 11, 6. - Zu der in diesem Zusammenhang eher zurückhaltenden Tendenz der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vgl. das Reskript N. 5509/68 vom 14. 1. 1969 an das Generalkapitel der Dominikaner, in: CRM 51 (1970) 79. 62 Die von Huizing gegen das bisherige Kirchenrecht erhobenen Vorwürfe sind als unzutreffend zurückzuweisen. Vgl. P. Huizing, Um eine neue Kirchenordnung, in: MQller/Elsener/Huizing, Vom Kirchenrecht zur Kirchenordnung? (Ein siedeln 1968), bes. 65 f. Vgl. dazu meine Besprechung in: ÖAKR 20 (1969) 330 f. 63 K. von Hohenlohe, Grundlegende Fragen des Kirchenrechts (Wien 1931) 16.; A. Szentirmai, Der Umfang der verpflichtenden Kraft des Gesetzes im kanonischen Recht, in: AöR 85 (1960) 337-353.; G. May, Das geistliche Wesen des kanonischen Rechts, in: AkKR 130 (1961) 1-30. 64 "Ecc1esiae sanctae" Nr. 7.

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"Optatem totius"65 beschritten wurde, wie Schwendenwein dargelegt hat66 . Man könnte also die Prognose wagen, daß ein künftiges kanonisches Recht, zumal wenn es sich um das Leben unmittelbar berührende "leges disciplinares" handelt, erst nach längerer Zeit der Erprobung in den einzelnen Teilkirchen zur Kodifikation gelangen wird. Dem steht freilich nicht entgegen, daß dem Experiment mit und um das kirchliche Gesetz Grenzen gezogen sind und auch gezogen werden. Dies führt dazu, daß der Gesetzgeber in bestimmten Teilbereichen des Ordensrechts die Anpassung und Erneuerung nicht den einzelnen Verbänden überläßt, sondern sie selbst vornimmt, wie dies etwa in der Instruktion "Renovationis causam" der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 6. 1. 196967 der Fall war. Diese, die ganze Ausbildung zum Ordensleben umfassende Instruktion ist weit mehr als ihr Name sagt, sie derogiert in nicht wenigen Fällen dem allgemeinen Ordensrecht68 . Derselben Haltung des Gesetzgebers entspricht die am 15. 8. 1969 erlassene Instruktion derselben Kongregation über das beschauliche Leben und die Klausur der Nonnen 69 . Was nun des näheren das Objekt der Anpassung und Erneuerung angeht, so wies Gutierrez in mehreren Veröffentlichungen darauf hin, daß weder die alten, sogenannten klassischen Regeln (der Benediktiner, der Franziskaner und der verschiedenen, auf der Regel des hl. Augustinus aufbauenden Verbände), noch auch das sogenannte Institutum, d. h. die mit einer päpstlichen Bulle approbierten Konstitutionen vornehmlich des 16. bis 18. Jahrhunderts Gegenstand der Anpassung und Erneuerung sein könnten 70 . Die Generalkapitel mehrerer Verbände sind aber in diesem Punkt der von Guti6rrez vertretenen Meinung nicht gefolgt, sondern haben die Umgestaltung des Textes auch auf das "Institutum" ausgedehnt. 65 AAS 58 (1966) 713-727. 66 H. Schwendenwein, Priesterbildung im Umbruch des Kirchenrechts. Die "Institutio Sacerdotalis" in der vom 11. Vatikanum geprägten Rechtslage, Kirche und Recht Bd. 9 (Wien 1970) 11 f. 67 AAS 61 (1969) 103-120. J. Pfab, Zeitgemäße Erneuerung der Ausbildung zum Ordensleben. Wort und Weisung, Bd. 6 (Freiburg 1969); G. Escudero, Istruzione Renovationis Causam, Testo latino-italiano (Roma 1969); E. Gambari, L'aggiornamento della fonnazione alla vita religiosa. Testo e commento all' istruzione "Renovationis causarn" deI 6 gennaio 1969 (Roma 1969). Ferner den von mehreren Autoren verfaßten umfangreichen Kommentar in CRM 50 (1969) 3-320. 68 Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Pfab, (Anm. 67) 41 ff. 69 AAS 61 (1969) 674-690. H. Schwendenwein, Gitter und Scheidewand, in: ThpQ 118 (1970) 364-367. 70 CRM 48 (1967) 67 ff.

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Soweit es sich bisher feststellen läßt, wurde die Bestimmung des Motu proprio "Ecclesiae Sanctae" , demzufolge die Generalkapitel die Vollmacht haben, probeweise "einige" Konstitutionen zu ändern, durchwegs extensiv interpretiert, so daß nicht nur einige der früheren Konstitutionen geändert, sondern der gesamte Text der bisherigen Konstitutionen neu gefaßt wurde. Bei größter Treue zu dem vom Stifter niedergelegten Geist wurde meist ein völlig neuer Entwurf der Konstitutionen durchgeführt7 ). Den Arbeiten der Generalkapitel ging eine ausgedehnte Meinungsbefragung sämtlicher Verbandsmitglieder voraus, so daß die legislatorischen Maßnahmen nicht von oben her dekretiert erscheinen, sondern sich auf eine breite Vor- und Mitarbeit aller Betroffenen stützen konnten. Ferner ist feststellbar, daß sich die partikularen Gesetzgeber in starkem Maße zum Subsidiaritätsprinzip bekannt haben, insofern als die für den Gesamtverband geltenden Normen sich auf die Festlegung der notwendigen allgemeinen Prinzipien beschränken, und die Teilbereiche des Verbandes (Provinzen, Vizeprovinzen) weitgehend zur Setzung von teilkirchlichen Normen ermächtigt werden. Die Provinzkapitel stehen damit vor der vielfach nicht leichten Aufgabe, die für die jeweiligen Gegebenheiten angemessenen Maßnahmen zu treffen. Diese Tendenz zur Dezentralisierung der Gesetzgebung geht Hand in Hand mit dem in weiten Bereichen festzustellenden Trend nach größerem Mitspracherecht des einzelnen Verbandsmitglieds, wozu ja die konziliaren und nachkonziliaren Weisungen ausdrücklich aufgefordert hatten. Daß indes Dezentralisation und Mitspracherecht allein noch nicht die Gewähr dafür bieten, die sachlich angemessenste Norm zu finden, ist dem Einsichtigen freilich klar. Hier wie in anderen Bereichen des Ordenslebens wird die gesunde Mitte zwischen extremen Positionen nach der einen oder anderen Richtung wahrscheinlich erst gefunden werden müssen 72 . Das neue Ordensrecht, wie es sich in seiner teilweise modifizierten Art präsentiert, unterscheidet sich in vielen Punkten vom kodikarischen Recht. Der Gesetzgeber hat viele der an ihn herangetretenen Wünsche entweder selbst respektiert oder für das zu schaffende Partikularrecht entsprechende

7) Vgl. Constitutiones et Statuta capitularia C. SS. R. Romae 1969. Regel und Satzungen der Brüder der Christlichen Schulen, Rom 1968. Satzungen und Regeln der Genossenschaft der Missionare Oblaten der heiligen und makellosen Jungfrau Maria, Rom 1966. 72 Vgl. dazu M. Rondet, OU va la vie religieuse?, in: Christus 61 (1969) 138-144.

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Weichen gestellt. Auffallend ist u. a., daß an der Autonomie der einzelnen Verbände, vor allem klerikaler Genossenschaften, nicht gerüttelt wurde73 . Wenn nun eine abschließende kurze Würdigung des neuen Ordensrechts versucht werden soll, so sei zunächst darauf verwiesen, daß der Gesetzgeber des neuen konziliaren wie nachkonziliaren Kirchenrechts einer naheliegenden Gefahr nicht immer zur Gänze entgangen ist, die sich auch im Ordensrecht bemerkbar macht. Die so oft hochgespielte Abneigung gegen das Recht in der Kirche74 hat vielfach den Gesetzgeber veranlaßt, in seinen Rechtsnormen juridische Ausdrücke tunlichst zu vermeiden, und auch die bisher durchaus nicht immer klare Gesetzessprache75 durch eine noch undeutlichere Terminologie zu ersetzen. Die in den letzten Jahren erlassenen kirchlichen Rechtsnormen weisen vielfach nicht nur eine mangelnde Kohärenz auf, sondern stellen sich auch in einem rechtstechnisch unzulänglichen Gewand dar76 . Was nun das Ordensrecht in Sonderheit betrifft, so läßt sich nicht verkennen, daß den einzelnen Normen ein einheitlicher Aufriß und ein Gesamtkonzept abgeht. Wenn man, offenbar nicht zu Unrecht, die mangelnde Präsenz der Ordensleute bei den Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils beklagt hat, so zeigt sich die Auswirkung dessen spürbar in dem, was an gesetzgeberischen Initiativen in und seit dem Konzil im Bereich des Ordensrechts gesetzt wurde. So begrüßenswert einzelne Maßnahmen, sei es in Form von Experimenten, sei es in Form von definitiven Normen, auch sein mögen, sie können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit allein noch kein wesentlicher Beitrag zur Überwindung der Krise des Ordenslebens geleistet

73 A. Scheuermann, AkKR 134 (1965) 365; H. SchmilZ, Die Rechtsstellung der klösterlichen Priesterverbände im neuen Ordensrecht, in: Ordenskorrespondenz 8 (1967) 31. 74 H. Heimerl, Das Kirchenrecht im neuen Kirchenbild, in: Ecclesia et lus, FS für A. Scheuermann, 1 f. 75 Vgl. dazu K. Mörsdorj, Die Rechtssprache des Codex luris Canonici (Paderbom 21967); A. Szentirmai, The Legal Language ofthe New Canon Law ofthe Oriental Churches, in: Jurist 22 (1962) 39-70. 76 Vgl. dazu etwa K. Mörsdorf, LThKVat, 11, 167. - Was insbesondere das Ordens recht betrifft, so ist festzustellen, daß mehrfach Instruktionen der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute dem kodikarischen Recht derogieren. So etwa die Instr. vom 6. 1. 1969 (vgl. Anm. 10) und vom 15. 8. 1969 (Anm. 11). Offenbar ist die Weisung des Motu proprio Benedikts XV. "Cum iuris" vom 15. 9. 1917, Nr. 11 längst in Vergessenheit geraten, wo es bezüglich der "Instructiones" der Kongregationen heißt, daß sie "... üsdem Codicis praeceptis maiorem et lucem afferant et efficientiam pariant. "

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wurde77 • Es hieße freilich einen Gesetzgeber überfordern, wollte man von ihm verlangen, mit Rechtsnormen allein einem so komplizierten Vorgang wie ihn die "accomodata renovation darstellt, zu steuern. Den vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausgehenden Impulsen werden noch viele Schritte folgen müssen, um ein Ordensleben zu gestalten, das, echten Werten der Vergangenheit verpflichtet, einen Weg in die Zukunft weist78 .

77 Die offensichtlich bewußt provokante Zukunftsprognose von P. Cardegna, in: Ordenskorrespondenz 10 (1969) 92 halte ich allerdings für übertrieben. 78 H. Urs v. Balthasar, Die großen Ordensregeln (EinsiedeIn 21961) 22 sagt, die Kirche werde in jeder Epoche so lebendig sein, als in ihr die aktiven und kontemplativen Orden lebendig sind. Vgl. A. Scheuermann, Die Zukunft der Orden, in: AkKR 138 (1969) 3-16.

Akzente im Ordens recht des Codex loris Canonici von 1983 1. Zum Begriff Ordensrecht

Die schon zur Zeit der Geltung des Codex Iuris Canonici von 1917 (CIC/1917) schillernde Terminologie von Orden und Ordensrecht l ist durch den am 25. 1. 1983 promulgierten Codex (CIC/1983) keineswegs klarer geworden. Wenn man zur Zeit der Geltung des CIC/1917 von Orden sprach, so konnte man sich immerhin auf einen von diesem Gesetzbuch an mehreren Stellen verwendeten und sogar mit einer Legaldefinition versehenen Terminus (c. 488, 2 CIC/1917) berufen. Im Ordensrecht des CIC/1983 fehlt aber sowohl das lateinische Wort für Orden (ordo) wie auch der mit Orden im bisherigen Verständnis gekoppelte Begriff des feierlichen GelÜbdes2 . Wenn trotzdem auch nach Inkrafttreten des CIC/1983 von Ordensrecht gesprochen wird3 , so ist die Ungenauigkeit der Terminologie überdies durch die nunmehr erfolgte Einbeziehung der Säkularinstitute in den Sammelbegriff der "Institute des geweihten Lebens"4 verstärkt worden. Die "Gesellschaften des apostolischen Lebens" (cc. 731-746 CIC/1983), die im CIC/1917 als Gesellschaften mit gemeinschaftlichem Leben ohne

1 Dazu B. Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage der nachkonziliaren Rechtsentwicklung. Freiburg/Br. 21979, 30. 2 Eine Legaldefmition von einfachem und feierlichem Gelübde findet sich in c. 1192 § 2 CIC/1983. 3 D. J. Andres, EI Derecho de los Religiosos. Comentario al Codigo. MadridRoma 1984 (italienische Ausgaben des selben Autors: Il Diritto dei Religiosi, Roma 1984), behandelt unter dieser Bezeichnung das Recht der Institute des geweihten Lebens wie auch das der Gesellschaften des apostolischen Lebens, obwohl diese nur teilweise unter dem Begriff "Religiosen" (Ordensleute) subsumiert und die Mitglieder von Säkularinstituten überhaupt nicht als Religiosen bezeichnet werden können. 4 Diese bestehen dem CIC/1983 zufolge aus den Ordens instituten (Instituta religiosa) und den Säkularinstituten (Instituta saecularia).

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Gelübde bezeichnet wurden (cc. 673-681 CIC/1917), waren bzw. sind rechtlich weitgehend den Ordensinstituten gleichgestellt5 . Wenn im folgenden vom Ordensrecht des CIC/1983 gesprochen wird, so ist damit jedenfalls der gesamte Normenkomplex des Teiles III des Zweiten Buches mit der Überschrift "Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens" gemeint (cc. 573-746); außerdem werden einige außerhalb dieses Bereiches befindliche, auf das Ordensrecht im erwähnten Sinne Bezug nehmende Bestimmungen6 einbezogen. 2. Ortsbestimmung der "Vita consecrata"

Die im CIC/1983 mehrfach zu beobachtende Tendenz, entscheidende Grundaussagen nicht zuerst mit dem Instrumentarium einer rechtlichen Normierung vorzunehmen, sondern ihnen eine theologische und ekklesiologische "Einbegleitung" voranzustellen7 , zeigt sich auch im Ordensrecht dieses Codex. Während der CIC/1917 auf derartiges "Beiwerk" weitgehend verzichtete und beispielsweise seine das Ordensrecht betreffenden Aussagen (c. 487) nach einer kurzen Beschreibung des "status religiosus" in die Ermahnung ausklingen ließ, daß dieser Stand von allen in Ehren zu halten sei, ist am CIC/1983 positiv hervorzuheben, daß in den ersten auf die Institute des geweihten Lebens Bezug nehmenden Aussagen eine theologische und ekklesiologische Ortsbestimmung der in der Profeß der evangelischen Räte gründenden "vita consecrata" vorgenommen wird. C. 573 § 1 CIC/1983 legt die wichtigsten theologischen Elemente der Ordensprofeß fest: Ganzhingabe an Gott in der besonders engen Nachfolge Christi; Eingehen einer besonderen Bindung zur Verherrlichung Gottes, zur Auferbauung der Kirche und zum Heil der Welt; ekklesiologische und eschatologische Zeichenhaftigkeit dieses Lebens8 . Die ekklesiologische Ortsbestimmung der Ordenschristen wird im Verfassungs- und Ordensrecht des CIC/1983 vorgenommen. Die verfassungsrechtliche Struktur, nämlich der Unterschied zwischen Klerikern und Laien ist, - bei 5 H. Socha, Die Gesellschaften des apostolischen Lebens im neuen Kirchenrecht, in: AkKR 152 (1983) 76-105. 6 A. Gutierrez, Canones circa Instituta vitae consecratae et societates vitae apostolicae vagantes extra paTtem eorum propriam, in: Comment. pro Re!. et Miss. LXIV (1983), 73-96; 255-280; LXV (1984), 7-22; 207-222. 7 Dazu A. Boni, La vita religiosa nella struttura concettuale deI nuovo Codice di diritto canonico, in: Antonianum LVIII (1983) 523-627. 8 Andres, (Anm. 3) 15.

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grundsätzlicher Gleichheit aller "christifideles" (c. 208 CIC/1983) - ein der Kirche vorgegebenes göttlich-rechtliches Element (c. 207 § 1 CIC/1983). Die Ordenschristen bilden in diesen verfassungsrechtlichen Elementen kein drittes, sondern sie bestehen aus Klerikern und Laien (c. 207 § 2). Die Aussage des neuen Gesetzbuches über die hierarchische Gliederung des Gottesvolkes ist, mit Ausnahme der in c. 208 CIC/1983 angesprochenen fundamentalen Gleichheit aller, im wesentlichen identisch mit der des c. 107 CIC/1917. Neu am CIC/1983 ist indes der ausdrückliche, auf LG 44 zurückgehende Hinweis, daß der Stand derer, die sich zu den evangelischen Räten bekennen, zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche gehört (c. 574 § 1 CIC/1983) bzw. für deren Leben und Heiligkeit bedeutsam ist (c. 207 § 2). Eine neue Akzentsetzung in der ekklesiologischen Ortsbestimmung der Ordenschristen bringt auch die an LG 44 und PC 5 orientierte Verbindung der Ordensprofeß mit der Taufe. Im Rahmen der Grundrechtskodifikation des CIC/1983 ist bei den Pflichten und Rechten der "christifideles" von der Berufung aller Gläubigen zur Heiligkeit die Rede (c. 210 CIC/1983). Diese allgemeine Berufung zur Heiligkeit wird durch die Übernahme der evangelischen Räte - diese werden als göttliches Geschenk an die Kirche (c. 575) und als besondere Gabe Gottes an den einzelnen (c. 574 § 2) bezeichnet - noch besonders hervorgehoben. Gleichzeitig wird in Abkehr von jeder heilsindividualistischen Sicht das Eingebundensein aller Formen des Ordenslebens in die Heilssendung der Kirche betont (c. 574 § 2). Die Gelübde führen auf eine neue Weise in das Geheimnis der Kirche und des Erlösungswerkes Jesu Christi ein, und sie vertiefen die Verpflichtung zum Dienst am vollen Aufbau der Kirche und dem Heil der Welt (vgl. LG 44; PC 5 b). Die Übernahme der evangelischen Räte verleiht eine besondere Weihe (consecratio) , die in der Taufweihe wurzelt und diese voller zum Ausdruck bringt (PC 5 a). Das Gelübde der Ehelosigkeit wird vom CIC/1983 in seiner eschatologischen Zeichenhaftigkeit dargestellt und als Quelle einer besonderen Fruchtbarkeit bezeichnet (c. 599). - Das Gelübde der Armut wird nicht nur in seinen rechtlichen Konsequenzen aufgewiesen, sondern c. 600 enthält zunächst den Hinweis, daß dieses Gelübde ein "re et spiritu" armes Leben der Ordensleute voraussetze, das in Arbeitsamkeit und Bescheidenheit zu führen ist. Erst dann kommen die Hinweise auf Abhängigkeit und Einschränkung im Gebrauch und in der Verfügung über zeitliche Güter, wobei in bezug auf Einzelheiten auf das Eigenrecht verwiesen wird. - Das Gelübde des Gehorsams bedeutet anband des Beispiels Jesu Christi, der bis zum Tode gehorsam geworden ist, die im Geist des Glaubens und der Liebe übernommene Unterwerfung des eigenen Willens unter den der rechtmäßigen Oberen, wenn sie im Rahmen der Konstitution eine Weisung erteilen (c. 601).

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Ordensinstitute sind keine "Teilkirchen " (Ecc1esiae particulaes im Sinne von LG 23); sie fmden aber ihren Standport voll und ganz in ihnen. Die Ordenschristen gehörgen ganz allgemein, wie schon das Konzil gesagt hat, zur Diözesanfamilie; die Ordenspriester sind dem Klerus der Diözese beizuzählen9 . Das Apostolat der Ordenschristen vollzieht sich in der Teilkirche, die gerade dadurch ihre volle Reife erlangt lO • Ohne dieses Apostolat würde auch der Teilkirche etwas von ihrer Aktivität fehlen 11. Deutlich hat das Eingebundensein des Apostolats der Ordenschristen in die Teilkirche Papst Johannes Paul 11. zum Ausdruck gebracht, wenn er, an alle Ordenschristen gewandt, sagt: "Wo immer auf der Welt ihr euch befindet: ihr seid, kraft eurer Berufung, 'für die Universalkirche' , durch eure Sendung, 'in einer bestimmten Ortskirche' . Eure Berufung für die Universalkirche realisiert sich folglich innerhalb der Strukturen der Ortskirche. Man muß alles tun, damit das 'gottgewollte Leben' sich in den einzelnen Ortskirchen entfalte, damit es zum geistlichen Aufbau derselben beitrage und damit es zu deren besonderer Stärke werde. Die Einheit mit der Universalkirche durch die Ortskirche: das ist euer Weg"12.

3. Dienstfunktion des Ordensrechts In besonderer Eindringlichkeit zeigt sich im Ordensrecht des CIC/1983, daß das Recht Hilfe und Weggeleit bei der Bewältigung anstehender Fragen und Probleme sein will. Im einzelnen erreicht dies der CIC durch ein ausgewogenes System von neugeschaffenen Freiräumen und maßvollen Anweisungen, denen deutlich anzumerken ist, daß sie vom Subsidiaritätsprinzip getragen werden \3 . 9 Vgl. Vat 11 "Christus Dominus" Nr. 34. - Nr. 18/b des Dekrets der Kongregation für die Bischöfe und der Kongregation für Religiosen und Säkularinstitute "Mutuae relationes" vom 14. 5. 1978, in: X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae, V (Romae 1980), nr. 4569. - J. Pfab, Das Verhältnis von Ordensgemeinschaften und Ortskirchen (auf dem Hintergrund von Mutuae Relationes), in: Ordensnachrichten 21 (1982) 145-170. 10 H. Socha, Das Ordensapostolat der Teilkirche. München 1973, 163. 11 56. Generalkongregation des 11. Vatik. Konzils, in: Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani 11, Citta delVaticano 1970 ff., 11/3, 383. Dazu H. Müller, Grundfragen der Lebensgemeinschaften der evangelischen Räte, in: HdbKathKR, Regensburg 1983, 484-486. 12 Ansprache an die Generaloberen vom 24.11. 1978, in: L'Osservatore Romano, 25. 11.1978, 1. - J. Pfab, Universalkirche und Priesterorden, in: o rdenskorrespondenz 21 (1980) 401-427.

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Das neue Gesetzbuch geht von der Feststellung aus, daß die evangelischen Räte, grundgelegt in Jesu Lehre und Beispiel, ein göttliches Geschenk an die Kirche darstellen, das durch geeignete Maßnahmen, auch rechtlicher Natur, bewahrt und geschützt werden muß (vgl. c. 575). In diesem Zusammenhang taucht ein neuer Tenninus, sozusagen ein Schlüsselbegriff auf: patrimonium Erbgut eines Instituts l4 • Darunter versteht c. 578 CIC/1983 den Stifterwillen und die von der zuständigen kirchlichen Autorität anerkannten Ziele in bezug auf Natur, Zielsetzung, Geist und Anlage des Instituts sowie dessen gesunde Überlieferungen. Dieses geistige Erbgut sei von allen getreulich zu bewahren, wobei insbesondere der zuständigen kirchlichen Autorität die Aufgabe zugewiesen wird, ihren Teil dazu beizutragen, daß die Institute im Geist des Stifters und gemäß den gesunden Überlieferungen wachsen und blühen (c. 576). Schon PC (Nr. 2) hatte die Bipolarität des vom genannten Dekret selbst geprägten Begriffes der "accomodata renovatioN aufgewiesen: einerseits ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute; andererseits deren Anpassung an die geänderten Zeitverhältnisse. Und ebenfalls im Konzilsdekret (Nr. 4) und dann in dessen Ausführungsbestimmungen 15 wurde diese Erneuerung in die prinzipielle Eigenverantwortlichkeit der Ordensinstitute, näherhin von deren Generalkapiteln, gestellt. Die den einzelnen Instituten eingeräumte "gebührende Autonomie des Lebens" ("iusta autonomia vitae", c. 586 § 1)16 wird nicht in erster Linie als Freisein von irgendwelchen Abhängigkeiten gesehen, sondern vielmehr als ein Freisein zu einem bestimmten Zweck, nämlich zur Bewahrung der je eigenen Berufung und Eigenart der einzelnen Institute und deren

\3 Vgl. dazu Nr. 5 der Grundsätze für die KodifIkation des CIC/1983 in der Praefatio des Codex. - Man kann sich allerdings, gerade beim Ordensrecht des CIC/1983, die Frage stellen, ob nicht der Gesetzgeber manchmal eine allzugroße Zurückhaltung an den Tag gelegt hat. Nicht einsichtig ist z. B., daß die bisherige Unterscheidung zwischen Orden und Kongregation, die ja Bestandteile der "Instituta religiosa" sind, im CIC/1983 nicht mehr Erwähnung emdet. Daraus wurde ja auch schon der Schluß gezogen, daß diese Unterscheidung überhaupt weggefallen sei. Vgl. H. Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht, Graz/Wien/Köln 1983, 262. - Mit Recht weist Müller (Anm. 11) 483, Anm. 47, dagegen auf, daß dieser Unterschied im Eigenrecht der einzelnen Institute mit entsprechenden Rechtsfolgen nach wie vor existiert. 14 PC Nr. 2/b. 15 Motu proprio "Ecclesiae sanctae" vom 6. 8. 1966, in: AAS 58 (1966) 757-787. 16 Dazu A. Scheuermann, Das Grundrecht der Autonomie im Ordensrecht, in: Ordenskorrespondenz 25 (1984) 31-41.

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Anpassung an die Erfordernisse von Zeit und Ort (vgl. c. 587 § 1). Diese Autonomie bedeutet Selbständigkeit in der Gesetzgebung und Vollziehung, was freilich nicht zu einem Exerzierfeld für solche Lebensformen werden darf, die einer Preisgabe des geistigen Erbguts eines Instituts gleichkommen würden 17. In diesem Zusammenhang hat der kirchliche Gesetzgeber im Zuge der nachkonziliaren Gesetzgebung vor der Promulgation des CIC/1983 einerseits selbst das Ordensrecht des CIC/1917 in nicht wenigen Punkten an die geänderter Zeitverhältnisse angepaßt l8 , und er hat andererseits - freilich unter Vorbehalt eines vorausgehenden Kontrollrechts seitens des Heiligen Stuhles den einzelnen Instituten die Vornahme von Experimenten gegen das allgemeine (kodikarische) Recht ermöglicht l9 . 4. Richtlinien für das Eigenrecht Der CIC/1983 gibt für das im Rahmen der Autonomie zu schaffende Eigemecht der einzelnen Institute Richtlinien, wobei - was gegenüber dem bisherigen Recht keine Neuerung darstellt - ein "Stufenbau " in der Rechtsordnung dieser Institute festzustellen ist. Es wird nämlich unterschieden zwi17 In diesem Zusammenhang sah sich der Hl. Stuhl bereits veranlaßt, gegenüber manchen Fehlentwicklungen korrigierend einzugreifen. So wird im Dekret der Kongregation ftir Religiosen und Säkularinstitute vom 2. 2. 1972, in: AAS 64 (1972) 393 f. bestimmten Auswüchsen einer Demokratisierung in der klösterlichen Leitung entgegengetreten, und es wird untersagt, anstelle einer persönlichen Leitung der Klostergemeinde durch einen Individualoberen eine ausschließlich kollegiale Leitung durch ein Gremium treten zu lassen, so daß ein Oberer, wenn es einen solchen überhaupt noch gibt, nur mehr Ausführungsorgan von Mehrheitsbeschlüssen ist. - Aus diesem Dekret dürfen indes nicht, wie dies schon geschehen ist (R. Henseler, Die Mitbestimmungsrechte der Mitglieder zentralistischer klösterlicher Verbände an den verbandsintemen Leitungsaufgaben in der Zeit nach dem 11. Vaticanum, St. Ottilien 1980, 151 f.), so weitreichende Schlüsse gezogen werden, daß damit der Beirat eines Oberen, der grundsätzlich bei Rechtsakten des Oberen durch Rat oder Zustimmung mitzuwirken hat, nicht auch in Einzelfällen, die im Eigenrecht des Instituts festgelegt sind, zusammen mit dem Oberen als Kollegium im eigentlichen Sinne vorgehen und eine ihm zugewiesene Frage in Form des kollegialen Aktes (c. 119,2 CIC/1983) entscheiden könnte. Vgl. zur Frage B. Primetshofer, Die Religiosenverbände, in: HdbKathKR, 494, Anm. 24. 18 Insbesondere sind hier zu erwähnen das Päpstliche Reskript ''Cum admotae" vom 6. 11. 1964, in: AAS 59 (1967) 374 f., das Dekret "Religionum laicalium" vom 31. 5. 1966, in: AAS 59 (1967) 362 ff., und die Instruktion "Renovationis causarn" vom 6. 1. 1969, in: AAS 61 (1969) 103-120. 19 "Ecclesiae sanctae" (Anm. 15), 11, 6. - Das Antragsrecht in bezug auf diese Experimente gegen das allgemeine Recht stand den Generalkapiteln zu.

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schen einem höherrangigen (Codex fundamentalis, Constitutiones) und einem niederrangigen Recht (vgl. c. 587 §§ 1 und 4), für das im Eigenrecht einzelner Institute die Ausdrucke Statuten bzw. Gebräuchebücher verwendet werden. Beide Ordnungsbereiche sind zunächst der rechtsetzenden Tätigkeit ordensinterner Organe (Kapitel) überantwortet, wobei jedoch der Unterschied zutage tritt, daß das höherrangige Recht einer Bestätigung durch einen hierarchisch über dem Institut stehenden Amtsträger bedarf (Heiliger Stuhl oder Diözesanbischof, je nach Eigenart des Instituts) und daß nach erfolgter Bestätigung eine Änderung dieses Bereichs der Gesetzgebung nur mit Zustimmung des bestätigenden Organs erfolgen kann (c. 587 § 2). Das niederrangige Recht bleibt hingegen weiterhin der freien Gestaltung durch die institutsinternen Gesetzgebungsorgane unterworfen (ebd. § 4). In bezug auf den Inhalt dieses Codex fundamentalis legt der CIC/1983 fest, daß dieser außer dem bereits erwähnten geistigen Erbgut auch die Grundnormen über die Leitung des Instituts und die Lebensordnung der Mitglieder enthalten müsse, ferner über Eingliederung und Ausbildung der Mitglieder sowie über den spezifischen Gegenstand der heiligen Bindungen (vgl. c. 587 § 1). Geistliche und rechtliche Elemente seien in geeigneter Weise zusammenzufassen (ebd. § 3; vgl. dazu c. 598). Neben dieser allgemeinen Anweisung enthält der CIC/1983 mehrere Einzelhinweise, was an Materien in diese Konstitutionen aufgenommen werden muß20. Aber selbst wenn der CIC/1983 zwingend vorschreibt, daß bestimmte Angelegenheiten im Eigenrecht der einzelnen Institute zu regeln sind, so schreibt er damit nicht auch schon detailliert vor, wie diese Regelung zu erfolgen habe, sondern er weist oftmals einen Rahmen auf, innerhalb dessen sich eine Regelung bewegen kann. Auch hier wird die von der nachkonziliaren Gesetz-

20 Z. B. c. 598 (Art und Weise der Beobachtung der evangelischen Räte); c. 609 § (zuständige Autorität für die Errichtung einer Niederlassung); c. 623 (Profeßalter der höheren Oberen); c. 624 § 1 (eventuelle Lebenslänglichkeit der Amtsdauer für bestimmte Obere). - Vgl. dazu X. Ochoa, Index verborum ac locutionum Codicis Iuris Canonici, Romae 1983 unter dem Stichwort "Constitutio". - Es scheint allerdings fraglich, ob der CIC/1983, wenn er im Ordensrecht von "Constitutiones" spricht, dies auch immer im Sinne des Terminus technicus des c. 587 § 1 tut. Zumindest ist an einigen Stellen des kodikarischen Ordensrechts kein zwingender Grund ersichtlich, warum eine Angelegenheit unbedingt in den Konstitutionen geregelt werden muß und nicht auch in das niederrangige Eigenrecht verwiesen werden kann (z. B. c. 727 § 1). Die in c. 731 § 1 anzutreffende Wendung "per observantiam constitutionum" deutet im Kontext offensichtlich nicht nur auf die Konstitutionen i. e. S., sondern auch auf den Gesamtkomplex des Eigenrechts hin.

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gebung bereits vorgezeichnete dezentralisierende Linie fortgesetzt21 ; es werden allerdings im CIC/1983 auch einige im Recht des CIC/1917 bzw. im nachkonziliaren Recht enthaltene Möglichkeiten zur autonomen Gestaltung wieder zurückgenommen22 . Die gegenüber dem CIC/1917 erheblich vergrößerten Freiräume der einzelnen Institute sind, daran läßt der CIC/1983 keinen Zweifel, in erster Linie als eine Freiheit zur möglichst angepaßten Rechtssetzung gedacht. Die Autonomie bedeutet somit nicht Freisein von jeder Regelung, sondern Freiheit zur Normsetzung, die freilich ihrerseits wiederum das rechte Maß zwischen einer für das Wohl des Instituts und des einzelnen notwendigen Bindung und der nicht minder notwendigen Freiheit zu finden hat. Daß dies ein schwieriger Prozeß ist, der außerdem mit einer einmal in einer bestimmten zeitlichen und örtlichen Verumständung getroffenen Regelung nicht ein für allemal abgeschlossen, sondern immer wieder neu zu finden ist, daß somit eine kirchliche Gesetzgebung, namentlich im Bereich des Ordensrechts, flexibel für neue Anforderungen sein muß, das klingt in diesem Codex an mehreren Stellen deutlich an: Wenngleich c. 587 § 4 sich ausdrücklich nur auf das von den Konstitutionen abgehobene niederrangige Ordensrecht bezieht und davon spricht, daß dieser Normbereich je nach den örtlichen und zeitlichen Erfordernissen entsprechend überprüft und angepaßt werden muß, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß die vom Konzil so betonte "accomodata renovation als ein je und je neu zu gestaltendes Unternehmen auf das umfassende Erscheinungsbild eines Ordensinstituts und damit auch auf das gesamte, dieses Bild mitgestaltende Eigenrecht Bezug nehmen muß23. - Den Diözesanbischö21 In besonderer Deutlichkeit etwa die Instruktion "Renovationis causam" (Anm. 18), die einerseits weitgehend das Recht des CIC/1917 in bezug auf Noviziat und Gelübdeablegung außer Kraft setzte, andererseits große Möglichkeiten zur selbständigen Gestaltung für das Eigenrecht eröffnete. 22 Der CIC/1917 hatte in bezug auf die Amtszeit der für eine bestimmte Zeitspanne bestellten höheren Oberen keine Beschränkung festgelegt, d. h. sie konnten nach Ablauf ihrer Amtszeit immer wieder für eine neue Amtsperiode bestellt werden. Denn die in c. 505 bestehende Grenzziehung bezog sich nur auf die niederen Lokaloberen. - Die nunmehr in c. 624 § 2 enthaltene Anweisung an das Eigenrecht, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß alle auf Zeit bestellte Oberen nicht zu lange ohne Unterbrechung im Amt bleiben, bedeutet eine dem bisherigen Recht nicht bekannte Einschränkung. - In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, daß nach "Renovationis causam" Nr. 34, 11 anstelle der zeitlichen Gelübde "Bindungen anderer Art" treten konnten. Diese Möglichkeit wurde durch den CIC/1983 wieder außer Kraft gesetzt. Vgl. dazu Dekret der Kongregation für Religiosen und Säkularinstitute 2.2. 1984, in: AAS 76 (1984) 498-500. 23 Das Konzilsdekret "Perfectae caritatis" spricht im Zusammenhang mit der "accomodata renovatio" von einer ständigen Rückkehr zu den Quellen jedes christli-

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fen wird aufgetragen, in bezug auf neue Formen der "vita consecrata" wachsam zu sein, um die der Kirche vom Heiligen Geist anvertrauten Gaben des geweihten Lebens zu erkennen (c. 605). Wenngleich sich diese Anweisung vom Kontext der Gesetzesstelle her primär auf Entstehung und kirchenrechtliche Approbation neuer Fonnen des Ordenslebens bezieht, so kann, ja muß sie doch von ihrem Tenor her auch in die Richtung verstanden werden, daß die Bischöfe auch den schon bestehenden Instituten behilflich sein sollen, die einmal geschenkte Gabe neu zu entdecken und zu aktualisieren, wobei auch geeignete Rechtsnormen eine Hilfeleistung bringen können (vgl. c. 605). 5. Anwendungsfälle von Dezentralisation und Subsidiaritätsprinzip

Wenngleich im Rahmen dieser Darlegungen keine vollständige Aufzählung aller jener Bereiche vorgenommen werden soll, in denen Dezentralisierung und Subsidiaritätsprinzip im Ordensrecht des neuen CIC zur Anwendung gebracht werden, so sollen doch im folgenden einige besonders markante diesbezügliche Beispiele angeführt werden. Es wurde schon erwähnt, daß der CIC/1983 die Unterscheidung in Orden und Kongregationen nicht mehr anführt; diese beiden Formen - im CIC/1917 waren sie unter dem Obergriff "religio" (c. 488, 1) zusammengefaßt - werden nunmehr als "Instituta religiosa - Ordensinstitute" (c. 607 § 2) bezeichnet. Gemeinsam ist den von bei den Codices verwendeten Begriffen, daß als ausschlaggebendes Kriterium für "religio" bzw. "institutum religiosum" die Ablegung öffentlicher Gelübde24 im Sinne der freilich nicht sehr aufschlußchen Lebens, zum ursprünglichen Geist der einzelnen Institute wie auch von deren Anpassung an die Zeitverhältnisse. 24 Der Begriff des "votum publicum" als Reservatsrecht für die "Instituta religiosa" wird neuerdings in Frage gestellt. Auch die Bindungen in Säkularinstituten seien "grundsätzlich als 'öffentliche' einzuschätzen (R. Weigand, Die Säkularinstitute, in: HdbKathKR, 514). Und für die Gesellschaften des apostolischen Lebens weist Socha (Anm. 5) 88, nach, daß es sich auch hier um eine "amtliche Bindung (vinculum publicum)" handle; in jeder dieser Gemeinschaften fmdet sich auch ein "amtlicher Inkorporationsvorgang" . - Es scheint m. E. tatsächlich nicht angängig, die "amtliche Bindung" in Säkularinstituten und in den Gesellschaften des apostolischen Lebens schlechterdings mit einem Privatgelübde im Sinne von c. 1192 § 1 gleichzusetzen. Offensichtlich zeichnet sich im CIC!1983 (wie auch schon im vorhergehenden Recht) ein doppelter Öffentlichkeitsbegriff des Gelübdes ab: Öffentliche Gelübde im engen Sinne werden in den Instituta religiosa abgelegt (c. 607 § 2); öffentliche Gelübde im weiteren Sinne in Säkularinstituten und in Gesellschaften des apostolischen Lebens. Zur terminologischen Einordnung der Gelübde in Säkularinstituten vgl. M. Albertini, 38 Primetshofer

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reichen Definition des c. 1192 § 1 CIC/1983 angesehen wird. - Dem Ordensrecht des CIC/1983 fehlen auch die Tennini einfache und feierliche Gelübde; diese Unterscheidung fmdet sich außerhalb des Kontextes des Ordensrechts, nämlich in c. 1192 § 2 CIC/1983. Das Ordensrecht des neuen Codex setzt aber im Bereich des Annutsgelübdes die aufgrund des Eigenrechts bestehende Differenzierung zwischen einfachem und feierlichem Gelübde voraus (z. B. c. 688 §§ 4 und 5). Hinsichtlich der Rechtswirkungen des Gelübdes der Ehelosigkeit besteht in bezug auf eine eventuelle Eheschließung nunmehr kein Unterschied mehr zwischen einfachem ewigen und feierlichem Gelübde, da jedes öffentliche ewige Ehelosigkeitsgelübde in einem Ordensinstitut den Charakter eines (trennenden) Ehehindernisses aufweist (c. 1088). Sehr weitreichend ist die Autonomie zugunsten ordensinterner Leitungsorgane bei Errichtung neuer Teile des Instituts und bei Vereinigung oder Neuumschreibung bestehender Organisationsformen (Provinzen, Regionen; c. 581 CIC/1983), wofür nach dem CIC/1917 die Zuständigkeit des Heiligen Stuhles gegeben war (c. 494 § 1). Lediglich für Zusammenschlüsse von Instituten sowie für Errichtung von Konföderationen und Föderationen (bei Regularkanonikern und Mönchen) ist nach wie vor eine Intervention des Heiligen Stuhles erforderlich (c. 582 CIC/1983). Auch die Errichtung von Einzelniederlassungen eines Ordensinstituts ist nunmehr in die Kompetenz ordensinterner Autoritäten gelegt, wobei in jedem Fall die vorherige schriftliche Zustimmung des Diözesanbischofs erforderlich ist (c. 609 § 1)25. Lediglich für die Errichtung eines Nonnenklosters ist nach wie vor die Erlaubnis des Heiligen Stuhles notwendig (ebd. § 2). Auch die Auflösung von rechtmäßig errichteten Niederlassungen ist der Zuständigkeit ordensinterner Organe überantwortet (c. 616 §§ 1 und 3); der Heilige Stuhl ist nur dann zuständig, wenn es sich um ein rechtlich selbstän-

Istituti secolari, in: Dizionario degli istituti di perfezione, Roma, V (1978), Sp. 113. Die Duplizität im Öffentlichkeitsbegriff müßte auf dem Wege der Gesetzgebung durch eine den tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung tragende Nomenklatur geklärt werden. 25 Was die Befassung der Diözese mit der Gründung von Niederlassungen betrifft, so bedeuten die Bestimmungen des CIC/1983 insofern eine Änderung der bisherigen Rechtslage (c. 497 CIC/1917; "Ecclesiae sanctae" (Anm. 15), I, 34 § 1; Erklärung der Kongregation für Religiosen und Säkularinstitute "Ad instituenda experimenta" vom 4. 6. 1970, in: AAS 62 (1970) 549, als bisher der Ortsordinarius seine Zustimmung bzw. Erlaubnis geben mußte, während nunmehr in jedem Fall die vorherige schriftliche Zustimmung des DiözesanbischoJs erforderlich ist.

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diges Nonnenkloster handelt oder um die Aufhebung der letzten Niederlassung eines Instituts (ebd. §§ 2 und 4). Die Amtszeit der auf Zeit bestellten Oberen kann nunmehr beliebig gestaltet werden (c. 624 § 1). Waren bisher fiir die sog. niederen Lokaloberen ("Superiores minores locales") die Triennien festgelegt - nach Ablauf eines Trienniums konnte ein solcher Oberer in ein und demselben Haus nur fiir eine zweite, in Ausnahmefällen dritte, unmittelbar folgendes Amtsperiode26 bestellt werden (c. 505 CIC/1917) -, so heißt es nunmehr, daß alle Oberen für einen bestimmten und angemessenen Zeitraum zu bestellen sind. Nur fiir den obersten Leiter und den Obern eines selbständigen Klosters können die Konstitutionen etwas anderes (c. 623 CIC/1983), d. h. Lebenslänglichkeit der Amtsdauer vorsehen. Dies bedeutet, daß dort, wo eine begrenzte Amtszeit festgelegt ist, die Dauer derselben vom Eigenrecht bestimmt werden kann. Allerdings ist hier eine Kontrolle seitens des Heiligen Stuhles vorgesehen, da diese Frage in den Konstitutionen festgelegt werden muß, die ja der Approbation durch den Heiligen Stuhl unterliegen. Neu ist nunmehr die im Hinblick auf alle für einen bestimmten Zeitraum bestellte Oberen gerichtete Anweisung, das Eigenrecht solle durch geeignete Bestimmungen dafür Sorge tragen, daß die genannten Oberen nicht allzu lange ohne Unterbrechung in Leitungsämtern verbleiben (c. 624 § 2)27. In einigen Punkten hat der CIC/1983 weitgehend die bereits im Zuge der nachkonziliaren Rechtsentwicklung eingetretenen Änderungen übernommen. So etwa hinsichtlich der gegenüber dem CI CI 1917 wesentlich großzügigeren Möglichkeiten der Gestaltung des Noviziats, die auf eine Instruktion der Kongregation fiir die Religiosen und Säkularinstitute von 1969 zurückgehen28 • Ebenso stellen die Klausurbestimmungen des CIC/1983 eine Übernahme nachkonziliarer Normen, insbesondere hinsichtlich der Klausur von Nonnenklöstern, dar29 .

26 Vgl. "Cum admotae" (Anm. 18) Nr. 19; "Religionum laicalium" (Anm. 18) 8.

27 Nach dem System des CIC/1917 konnte ein auf Zeit bestellter niederer

Lokaloberer, sofern er nach Ablauf seiner beiden Triennien in einem Haus zum Obern eines anderen Hauses bestellt wurde, faktisch Jahrzehnte hindurch das Obernamt bekleiden. Überdies konnte ein auf Zeit bestellter höherer Oberer (c. 505 CIC/1917) nach Ablauf seiner Amtszeit beliebig oft wiederbestellt werden, da sich das Verbot des dritten unmittelbar folgenden Trienniums (in ein und demselben Haus) nur auf den niederen Lokaloberen bezog. 28 "Renovationis causarn" vom 6. 1. 1969 (Anm. 18). 29 Instruktion der Kongregation für Religiosen und Säkularinstitute "Venite seorsum" vom 15. 8. 1969, in: AAS 61 (1969) 674-690.

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Das Rechtsinstitut der klösterlichen Exemtion bestand dem Ordensrecht des CIC/1917 zufolge in zwei Varianten: als unechtes Privileg, das bestimmten Religiosenverbänden schon kraft Gesetzes zukam, und als echtes Privileg, wonach die Exemtion durch besonderen Verwaltungsakt des Heiligen Stuhles an ein Institut verliehen wurde. Welche Befreiungen von der Jurisdiktion des Ortsordinarius die Exemtion im einzelnen brachte, ergab sich aus verschiedenen, im CIC/1917 verstreuten Einzelbestimmungen30 • In dieser Form besteht die Exemtion im geltenden Ordensrecht nicht mehr; an ihre Stelle ist die grundsätzlich allen Instituten, wenngleich nicht im selben Ausmaß, zukommende "iusta autonomia" (c. 586 § 1) getreten. Die Exemtion wird im Ordensrecht des CIC/1983 als eine durch besonderen Verwaltungsakt des Heiligen Stuhles zu gewährende Befreiung von der Jurisdiktion der Ortsordinarien und Unterstellung unter den Heiligen Stuhl oder eine andere kirchliche Autorität verstanden31 . Diese hinsichtlich ihres Inhalts nicht näher determinierte Exemtion wird mit dem Wohl der Ordensinstitute und der besseren Vorsorge für deren apostolisches Wirken im Hinblick auf das Gemeinwohl begründet (c. 591). Was eine solche Exemtion im einzelnen bedeutet, welche Befreiungen von der Jurisdiktion des Ortsordinarius sie mit sich bringt, wird wohl ausschließlich aus dem päpstlichen Verleihungsdekret zu entnehmen sein. Konkrete Beispiele dieser Art sind bis zur Stunde noch nicht bekannt. Diese kurzen Streiflichter zu einigen Akzenten des neuen Ordensrechts lassen folgende Schwerpunkte im CIC/1983 erkennen: die Sorge der Kirche um eine ausreichende theologische und ekklesiologische Grundlage des Ordenslebens, die den Ordenschristen und denen, die es werden wollen, in mannigfachen Herausforderungen eine Hilfe zur Identitätsfindung sein kann. Hiebei wird insbesondere die Einbindung der "vita consecrata" in die Heilssendung der Kirche betont. Ferner die Sorge der Kirche um rechtes Wachstum der verschiedenen Formen des Ordenslebens durch Zurückgreifen auf den Geist des 30 A. Scheuennann, Die Exemtion nach geltendem kirchlichen Recht mit einem Überblick über die geschichtliche Entwicklung. Paderborn 1938; ders., Der Bischof als Ordensoberer, in: Episcopus. FS für Kard. Faulhaber, Regensburg 1949, 337361. 31 H. M. Stamm, Auf dem Wege zu einem neuen Verständnis der Exemtion, in: Apoll LV (1982) 569-589; J. Garcia Martin, Nova ratio de "exemtione" Religiosorum a Concilio Vaticano 11 servata, in: CRM 60 (1979) 281-330; 61 (1980) 3-36, 97-130; 62 (1981) 193-206,289-302; 63 (1982) 23-33, 135-154, 193-217. V. Dammertz, Die Exemtion der Ordensverbände im neuen Kirchenrecht, in: Ordenskorrespondenz 23 (1982) 153-158.

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Ursprungs und durch mutiges Aufgreifen der von Gegenwart und Zukunft gestellten Anforderungen. Das geistige und geistliche Erbgut eines Instituts muß immer wieder neu in die Sprache einer Zeit übertragen werden. All dies kann eine Rechtsordnung, auch eine kirchliche, selbst nicht bewirken; sie kann aber helfen, Strukturen zu schaffen, ein "Biotop" auszubilden, in dem Leben wachsen, in dem sich der Heilsauftrag der Kirche ereignen kann.

Die zivilrechtliche Relevanz mangelhafter innerkirchlicher Vertretungsbefugnis bei Rechtsgeschäften von Ordensinstituten 1. Problemstellung

Zu wiederholten Malen hatte sich die österreichische Rechtsprechung bereits mit der Frage um die zivilrechtlichen Wirkungen mangelhafter Rechtsgeschäfte kirchlicher Rechtsträger (insbesondere Ordensgemeinschaften) zu befassen. Die Mangelhaftigkeit beruhte dabei teils auf Geschäftsabschluß durch ein überhaupt unzuständiges Organ, teils auf der Tatsache, daß das Rechtsgeschäft zwar durch das zuständige Organ, aber ohne die kirchenrechtlichen Zustimmungserfordernisse Beispruchsberechtigter abgeschlossen worden war. Kürzlich erging in diesem Zusammenhang ein Urteil des Bezirksgerichts Wien-Innere Stadtl, dem wegen einiger darin zutage getretener Auffassungen grundsätzliche Bedeutung zukommt, so daß die folgenden Ausführungen sich eingehender mit den von diesem Urteil aufgeworfenen Fragestellungen auseinandersetzen wollen. Vorerst ist die Frage nach den hier einschlägigen Rechtsquellen zu klären. Was das Kirchenrecht betrifft, so sind sämtliche Bestimmungen des allgemeinen und partikularen Rechts sowie des Eigenrechts der Ordensverbände über die Verwaltung und rechtsgeschäftliche Vertretung von Kirchenvermögen zu nennen. Sofern ein Ordensinstitut oder ein diesem in vermögensrechtlicher Hinsicht gleichgestellter Verband überhaupt vermögensfähig ist2 , sind grundsätzlich die kirchlichen Bestimmungen über die Verwaltung von Kirchenver.. Die folgenden Ausführungen befassen sich ausschließlich mit der österreichischen Rechtslage. Eine Berücksichtigung der Rechtsordnung anderer Länder war nicht zuletzt wegen des vorgegebenen Umfangs dieses Beitrags nicht möglich. 1 48 C 122/84 - 13 vom 31. 12. 1984 (nicht veröffentlicht). 2 C. 634 § 1 CIC/1983 verweist hinsichtlich der Vermögens fähigkeit ordensrechtlicher juristischer Personen auf die Möglichkeit, daß das Eigenrecht einzelner Ordensinstitute diese Vermögensfähigkeit ausschließt. Für Österreich ist zu beachten, daß die eigentlichen Mendikanteninstitute nach staatlichem Recht als vermögensfähig gelten. J. Bombiero-Kremenac, Zur Frage der beschränkten Eigentumsfähigkeit der strengen Mendikantenorden in Österreich, in: AkKR 111 (1931) 400 ff.

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mögen heranzuziehen (vgl. c. 635 § 1 CIC/1983); in diesem vom universalen Recht gezogenen Rahmen hat das Eigenrecht der einzelnen Ordensinstitute die entsprechenden (Durchführungs-)bestimmungen zu erlassen (ebd. § 2). Im Begriff des Kirchenvermögens als solchem ist durch den neuen CIC insofern eine Änderung eingetreten, als von Kirchenvermögen nur dann gesprochen werden kann, wenn dessen Träger eine öffentliche juristische Person in der Kirche ist (c. 1257 § 1); unverändert geblieben ist aber der begriffliche Inhalt des Kirchenvermögens als Summe von Sachen und geldwerten Rechten, die der genannten Trägerschaft "zugehören"3. Im Rahmen des kirchlichen österreichischen Partikularrechts ist insbesondere das Konkordat vom 1. 5. 1934 zu erwähnen, das jedoch zugleich staatliche Rechtsquelle ist. Das für die Verwaltung des Ortsldrchenvermögens bestehende Partikularrecht4 kann für den hier zu behandelnden Fragenbereich ebenso außer Betracht bleiben wie die Bestimmungen über die in Österreich noch bestehenden Benejizien5 • Das kanonische Recht verweist in c. 1290 hinsichtlich der Verträge im allgemeinen und deren Erfüllung im besonderen unter gewissen Einschränkungen auf das im betreffenden Gebiet geltende weltliche Recht (vgl. dazu c. 1529 CIC/1917). Dies bedeutet für Österreich einen Verweis auf eine ganze Reihe von Gesetzen, materiellrechtlich jedenfalls auf das ABGB und eventuell das österreichische IPR. Für das staatliche Recht ist die Verweisungsnorm des § 867 ABGB6 anzuführen, die zwar ihrem Wortlaut nach kirchliche Rechtsträger nicht nennt, doch werden mit dem Ausdruck "unter der besonderen Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehende Gemeinde" nach einhelliger Auffassung auch kirchliche juristische Personen verstanden7 . § 867 ABGB ist der" Ansatzpunkt, wo das kanonische Vertragsrecht Eingang in das bürgerliche Recht fin3 C. 1497 § 1 CIC/1917; c. 1257 § 1 CIC/1983. w. Schutz, Grundfragen kirchlichen Vennögensrechts, in: HdbKathKR, 869. 4 Vgl. dazu die Pfarrkirchenratsordnungen der österreichischen Diözesen bei H. Klecatsky/H. Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, 299-337. 5 Amtsblatt der österreichischen Bischofskonferenz, Nr. 1/1984,5. 6 "Was zur Gültigkeit eines Vertrages mit einer unter der besonderen Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehenden Gemeinde (§ 27), oder ihren einzelnen Gliedern und Stellvertretern erfordert werde, ist aus der Verfassung derselben und den politischen Gesetzen zu entnehmen (§ 290)". 7 H. Schnizer, Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich, Graz/Köln 1961, 167; P. Rummel, in: Rummel, Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, Wien 1983, RdZ 1 zu § 867.

Zivilrechtliehe Relevanz mangelhafter Vertretungsbefugnis

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det"S. Neben § 867 ABGß ist auch als staatliche Rechtsquelle das österreichische Konkordat vom 1. 5. 1934 zu nennen, das in Art. XIII § 2 auf das kanonische Recht hinsichtlich der VelWaltung und Vertretung des Vermögens der kirchlichen Rechtssubjekte velWeist9 . Hierbei wird die Frage zu untersuchen sein, ob sich aus dem Wortlaut der angezogenen Gesetzesstelle ein teilweiser normativer Widerspruch zum universalen Kirchenrecht ergibt, was allenfalls die Wirkung hätte, daß das Konkordatsrecht gegenüber dem allgemeinen Kirchenrecht derogatorische Wirkung aufweisen würde JO • 2. Das kanonische Veräußerungsverbot

Kirchliches Stammvermögen 11 unterliegt dem kanonischen Alienationsverbot, das nach einhelliger Lehre nicht nur die Veräußerung i. e. S., d. h. Rechtsgeschäfte betrifft, die auf Übertragung von Eigentum gerichtet sind l2 , sondern als Veräußerung i. w. S. jedes Rechtsgeschäft umfaßt, durch das die Rechtsstellung der kirchlichen juristischen Person schlechter werden könnte (c. 1533 CIC/1917; c. 1295 CIC/1983). Wenn somit auch in der Literatur zwischen den bei den Arten von Veräußerungen unterschieden wird, so ist dies insoferne belanglos, da das Verbot beide Arten von Veräußerungen betrifft l3 .

S Schnizer, ebd., 165. - In der Lehre wird heute weitgehend die nonnative Bedeutung des § 867 ABGB abgelehnt, d. h. den im Organisations recht der "Gemeinden" vorhandenen Vollmachtsbegrenzungen käme auch ohne die Verweisungsnonn des § 867 Rechtswirksamkeit zu. G. Wilhelm, Die Vertretung der Gebietskörperschaften im Privatrecht, Wien/New York 1981, 40; Rummel, ABGB (Anm. 7) RdZ 2 zu § 867. 9 Art. XIII § 2: "Das Vennögen der kirchlichen Rechtssubjekte wird durch die nach dem kanonischen Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten; bei Orden und Kongregationen gilt für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften der Lkalobere und, soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handelt, der Obere des betreffenden Verbandes als der berufene Vertreter. Die Gebarung mit dem kirchlichen Vennögen findet unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordensoberen statt. Ohne deren Zustimmung kann solches Vennögen weder veräußert noch belastet werden". JO C. 3 CIC/1917; c. 3 CIC/1983. Es gilt der Satz: "Konkordatsrecht bricht kodikarisches Recht". 11 Vgl. dazu die Wendung in c. 1530 § 1 CIC/1917 " ... quae servando servari possunt" und in c. 1291 CIC/1983 "patrimonium stabile". 12 K. Mörsdorf, Lb 11, 464. 13 Mörsdorf, ebd. 495; C. Heinrichsmeier, Das kanonische Veräußerungsverbot im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Amsterdam 1970, 22 f.; R. Puza, Die Rechtsgeschäfte über das Kirchenvennögen, in: HdbKathKR, 912.

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Obwohl der CIC/1983 die Wendung des c. 100 § 3 CIC/1917, wonach juristische Personen Minderjährigen gleichgestellt sind, nicht übernommen hat, kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß kirchliche juristische Personen hinsichtlich der Verwaltung ihres Vermögens den für Minderjährige geltenden Rechtsschutz genießen. Dies bedeutet, daß die Organe, durch die die juristische Person tätig wird, bei ihrer Disposition über das Vermögen, insbesondere, wenn es sich um in den Bereich der Veräußerung fallende Vorgänge handelt, mannigfachen Beschränkungen unterworfen sind. Für das uns hier besonders beschäftigende Ordensrecht ist folgendes festzuhalten: Grundsätzlich ist der Obere eines Ordensinstituts auch der Verwalter des diesem gehörenden Vermögens (cc. 1279 § 1; 638 § 2). Neben den Oberen als rechtsgeschäftlichen Primärvertretern der ihnen unterstehenden juristischen Person sind für Akte der ordentlichen Verwaltung 14 die im Eigenrecht bestellten "officiales" (Amtsträger) rechtsgeschäftliche Vertreter. Zu diesen zählt jedenfalls der nach c. 636 § 1 zu bestellende Ökonom. Hierbei ist es eine Frage der Festlegung durch das Eigenrecht, inwieweit die Rahmenvollmacht des Ökonomen geht bzw. wann dieser bei bestimmten Akten auch der ordentlichen Verwaltung einer vorherigen Ermächtigung durch den zuständigen Oberen bedarf. Ein bestimmter Typ von Rechtsgeschäften aber ist auf jeden Fall an ein Tätigwerden des Oberen als solchem geknüpft und fällt somit aus dem Rahmen einer eventuell dem Ökonomen erteilten generellen Vollmacht: Die Veräußerung i. w. S., die der CIC/1983 zwar nicht expressis verbis als solche bezeichnet, die aber in c. 638 § 3 ganz unzweifelhaft gemeint ist, wenn dort von Veräußerung und jedwedem Rechtsgeschäft gesprochen wird, durch das die Vermögenslage der juristischen Person schlechter werden könnte l5 . Ein solches Rechtsgeschäft kann also nicht gültig ohne den Oberen selbst getätigt werden, sei es, daß er selbst das Rechtsgeschäft vornimmt oder einen anderen ausdrücklich zu dessen Vornahme ermächtigt. Das Tätigwerden des Oberen bedarf in diesem Falle zu seiner Gültigkeit der Stütze durch die Zustimmung der beispruchsberechtigten Konsultoren (c. 638 § 3; vgl. dazu c. 534 § 1 CIC/1917)16. Dabei ist aber unbedingt festzuhalten, daß nach dem 14 Die Abgrenzung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Verwaltung wird im CIC/1983 nicht vorgenommen, sondern es findet sich eine Anweisung an das Partikular- bzw. Eigenrecht, eine Grenzziehung vorzunehmen (cc. 638 § 1; c. 1281 § 2); Puza, ebd. 907. 15 Vgl. dazu die identische Aussage in c. 1533 CIC/1917. 16 Weggefallen ist nunmehr das Erfordernis der geheimen Abstimmung der Konsultoren gemäß c. 534 § 1 CIC/1917. Nach wie vor ist jedoch Schriftlichkeit der Erlaubnis vorgesehen. Dies stellt aber m. E. kein Gültigkeitserfordernis dar. Wenn auch c. 638 § 3 mit der Aussage beginnt "Ad validitatem alienationis ... ", so scheint es doch zweifelhaft, ob sich die Irritationswirkung auf jedes Detail der im folgenden

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Konzept des alten wie des neuen CIC die Beispruchsberechtigten nicht mit dem Oberen zusammen ein Kollegium bilden, das eine Angelegenheit durch Mehrheitsbeschluß in Form des kollegialen Akts entscheidet. Bei den Beispruchsrechten in Form von Rat (consilium) oder Zustimmung (consensus) ist es immer der Obere allein, der handelt bzw. rechtsgeschäftlich tätig wird (c. 105 CIC/1917; c. 127 §§ 1 und 2 CIC/1983). Er braucht, um nach c. 638 eine Veräußerung rechtsgültig durchführen zu können, die Zustimmung seiner Konsultoren; er ist aber auch nach erteilter Zustimmung rechtlich nicht verpflichtet, die Veräußerung tatsächlich vorzunehmen; er braucht sie - etwa aufgrund inzwischen eingetretener Änderung der Sachlage, über deren Bedeutung er allein oder gegebenenfalls nach Beratung mit seinen Konsultoren entscheidet - entweder überhaupt nicht oder zumindest nicht unverzüglich durchzuführen 17. Die im Innenverhältnis bestehende Begrenzung des Oberen durch das Erfordernis der Zustimmung seitens der Konsultoren bedeutet demnach nicht, daß der Obere nicht persönlich oder durch einen Mandatar zur alleinigen rechtsgeschäftlichen Außenvertretung der ihm unterstehenden juristischen Person befugt wäre. Diese kirchenrechtlichen Zusammenhänge sind deshalb eingehend darzustellen, weil das in Rede stehende Urteil u. a. die Behauptung enthält, der Verweisungsnorm des § 867 ABGB sei durch Art. XIII § 2 des österreichischen Konkordats als lex posterior und lex specialis derogiert worden. Und dies deshalb, weil das Konkordat an der angezogenen Stelle davon ausgeht, daß bei Orden und Kongregationen für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften der Lokalobere und, soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handle, der Obere des betreffenden Verbandes der berufene Vertreter sei. Absatz 2 des § 2 lege für Orden nur fest, daß ohne die Zustimmung der Ordensoberen solches Vermögen weder veräußert noch belastet werden könne. Damit seien aber, so wird weiter gefolgert, für den staatlichen Bereich die Oberen allein unter Ausschaltung aller nach kanonischem Recht bestehenden Beschränkungen zur Vornahme von Veräußerungen befugt. Es komme also nicht darauf an, so wird in einem anderen Urteil ausgeführt, ob angeführten Regelungen erstreckt. Sofern der Obere die Zustimmung der Mehrheit der Konsultoren (vgl. c. 127 § 1) hat, ist das Rechtsgeschäft bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen gültig; der Mangel der Schriftlichkeit der "licentia" schadet m. E. nicht. 17 B. Primetshofer, Ordens recht auf der Grundlage der nachkonziliaren Rechtsentwicklung, 2. Aufl. Freiburg/Br. 1979, 108. - Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn Oberer und Konsultoren zusammen ein Kollegium bilden, das als solches Träger eines Rechtsaktes wird. Im kodikarischen Recht ist allerdings für kollegiales Vorgehen des Oberen mit den Konsultoren ein einziger Anwendungsfall vorgesehen, nämlich c. 699 § 1 bei Entlassung eines Professen.

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nach innerkirchlichen Vorschriften die Gültigkeit eines Vertrages an die Zustimmung irgendwelcher ordensinterner Gremien gebunden sei, sondern einzig und allein darauf, ob der im Sinne des Konkordats zuständige Obere zugestimmt habe 18 . Der staatliche Richter habe demnach nur zu prüfen, ob rechtsgeschäftliches Handeln einem klösterlichen Oberen überhaupt zurechenbar sei; die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für dessen gültiges Handeln hätten für den staatlichen Bereich außer Betracht zu bleiben. Diese Auffassung widerspricht nicht nur - wie noch zu zeigen sein wird dem kanonischen Recht, sie läßt sich auch bei Anwendung der in §§ 6 f. ABGB enthaltenen Auslegungsregeln nicht gewinnen. Bezüglich der in § 867 ABGB angesprochenen Gemeinden heißt es in den einschlägigen Gemeindeordnungen und Stadtrechten, daß der Bürgermeister die Gemeinde vertritt 19 , ohne daß daraus der Schluß gezogen wird, die Vertretung könne keinerlei vollmachtsbeschränkenden Bestimmungen unterliegen. M. a. W., aus der gesetzlich festgelegten Vertretungsbefugnis allein läßt sich für die Frage nach dem konkreten Umfang derselben überhaupt nichts gewinnen. Wieso sollte nun aber für das Konkordat, insofern dieses ja (auch) staatliches Gesetz ist, etwas anderes gelten? Keinesfalls läßt sich aus der in Art. XIII § 2 statuierten Vertretungsbefugnis des klösterlichen Oberen die Folgerung ableiten, dessen Vertretungsvollmacht sei für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften "uneingeschränkt und durch das kanonische Recht nicht beschränkbar" 20 . Ferner geht das Urteil von einem nicht vorhandenen normativen Widerspruch zwischen dem universalen Kirchenrecht und dem österreichischen Konkordatsrecht aus. Es nimmt nämlich offenbar an, das nach kanonischem Recht bestehende Erfordernis der Zustimmung durch die Konsultoren bei einer von einem klösterlichen Oberen vorzunehmenden Veräußerung ändere etwas an dessen Rechtsstellung als alleinigem rechtsgeschäftlichen Vertreter der ihm unterstehenden juristischen Person. Offensichtlich wird unterstellt, das Vermögen ordensrechtlicher juristischer Personen werde dem kanonischen Recht zufolge grundsätzlich durch den Oberen gemeinsam mit den Konsultoren vertreten (Kollektivvertretung). Wenn also im Konkordat nur vom Oberen 18 So die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts in dem Beschluß des OGH 28. 5. 1980 (6 Ob 576/80), in: ÖAKR 32 (1981) 257. - Auch I. Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1971, 253 f. scheint den genannten Bestimmungen des Konkordats hinsichtlich der Vertretungsvollmacht des Oberen derogatorische Wirkung gegenüber dem allgemeinen Kirchenrecht sowie - eventuell vorhandenem anders lautendem Eigenrecht zuzumessen. 19 WilheIm, Vertretung (Anm. 8) 3 und Anm. 5. 20 Vgl. zit. Urteil (Anm. 1).

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allein die Rede sei, so bedeute dies eine Verdrängung der Bestimmungen des allgemeinen kodikarischen Ordensrechts. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, was über die Rechtsstellung des an das Erfordernis der Zustimmung seitens der Konsultoren gebundenen Oberen als rechtsgeschäftlichem Vertreter der klösterlichen juristischen Person gesagt wurde: Das Erfordernis der Zustimmung ändert überhaupt nichts an der Tatsache, daß der Obere allein vertretungsbefugt ist, und nicht er und seine Konsultoren zusammen in Form der Kollektivvertretung. Wenn das Konkordat also den Oberen als rechtsgeschäftlichen Vertreter anfUhrt, so ist dies nicht eine Verdrängung bestehenden kanonischen Rechts, sondern entspricht im Gegenteil genau den Gegebenheiten des kodikarischen Ordensrechts. Auch wenn nach dem kanonischen Recht eine dem vertretungsbefugten kirchlichen Oberen übergeordnete Instanz, z. B. der höhere Obere in zentralistischen Verbänden (Provinzial, General), oder der Heilige Stuhl die Zustimmung zur Vornahme einer Veräußerung geben muß, so bedeutet dies nicht, daß die die Zustimmung erteilende Instanz die Stelle des unmittelbar für die Vermögensverwaltung zuständigen Oberen einnimmt und selbst rechtsgeschäftlich tätig wird. Die Zustimmung des hierarchisch höherstehenden Organs bedeutet keinen Auftrag, eine Veräußerung durchzuführen, sondern stellt nur eine Ermächtigung dar, daß das unmittelbar zuständige Organ tätig werden kann. Dessen Ermessen, das Rechtsgeschäft nach erteilter Zustimmung tatsächlich durchzuführen oder nicht, bleibt auch in diesem Fall unangestatet. Schließlich ist folgendes zu beachten: Konkordate sind sowohl kanonisches als auch staatliches Recht. Als kanonisches, vom universalkirchlichen Gesetzgeber erlassenes (Partikular-)Recht gehen sie dem kodikarischen Recht jedenfalls vor, gleichgültig, ob sie gegenüber dem CIC lex prior oder lex posterior sind (c. 3 CIC/1917 und CIC/1983). Der behauptete normative Widerspruch zwischen dem Konkordat und dem allgemeinen Kirchenrecht würde sich also nicht nur auf den staatlichen, sondern auch auf den kirchlichen Bereich erstrecken. Für das Verhältnis von lex prior und lex posterior legt das kanonische Recht als grundsätzliche Auslegungsregel fest, daß normativer Widerspruch im Zweifel nicht zu präsumieren, sondern zu beweisen ist; einer beide Normen harmonisierenden Auslegung ist demnach der Vorzug zu geben (c. 23 CIC/1917; c. 21 CIC/1983). Zudem ist für die im Anschluß an den CIC/1917 abgeschlossenen Konkordate, also auch für das österreichische, als generelle Regel anerkannt, daß diese Konkordate der partikularrechtlichen

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Absicherung und Durchsetzung, keinesfalls aber der Durchbrechung des kodikarischen Rechts dienen21 . Die behauptete derogatorische Wirkung des Konkordats gegenüber dem allgemeinen Kirchenrecht würde zu geradezu absurden Konsequenzen führen. Im Ergebnis läuft diese Interpretation nämlich darauf hinaus, daß der klösterliche Obere im Gegensatz zu c. 534 § 1 CIC/1917 bzw. c. 638 § 3 CIC/1983 Veräußerungen in beliebiger Höhe, also auch über die sog. "Romgrenze"22 hinaus ohne irgend jemandes Zustimmung gültig vornehmen könnte. Damit hätte der Papst als Gesetzgeber des Konkordatsrechts ohne jeden ersichtlichen Grund einer Fundamentalnorm des kodikarischen Ordensrechts, wonach der Obere bei Veräußerungen grundsätzlich an den Konsens Beispruchsberechtigter oder übergeordneter Instanzen gebunden ist, durchbrochen. Das zum Schutz des kirchlichen Stammvermögens bestehende Veräußerungsverbot wäre somit ohne jede kircheninterne Kontroll- und Hemmungsinstanz preisgegeben worden. Dies kann unmöglich der Sinn einer Konkordatsnorm sein. Im Zusammenhang mit der Frage, ob und inwieweit das kanonische Veräußerungsverbot in das österreichische Konkordat übernommen wurde, ist ferner auf die Bedeutung der Wortfolge "veräußern und belasten" in Art. XIII § 2 des Konkordats einzugehen. Konkret geht es um die Frage, ob die gesonderte Wortfolge eine Übernahme des weiten kanonischen Veräußerungsbegriffs im Sinne von c. 1533 CIC/1917 bzw. c. 1295 CIC/1983 darstellt oder nicht. Es wurde die Ansicht vertreten, der im Konkordatstext verwendete Begriff "veräußern" könne schon allein deshalb keine Übernahme des weiten kanonischen Veräußerungsbegriffes sein, weil er von "belasten" abgehoben sei. Hätten die Vertragspartner eine Übernahme des weiten Veräußerungsbegriffes des kanonischen Rechts ins Auge gefaßt, dann hätten sie nur von "veräußern" allein sprechen dürfen; der Konkordatstext hätte somit lauten müssen: "... kann solches Vermögen nicht veräußert werden". Gerade aus der Verwendung zweier Begriffe müsse aber geschlossen werden, daß damit besondere, vom staatlichen Recht her determinierte und mit dem vollen Umfang des kanonischen Veräußerungsverbotes jedenfalls nicht idente Inhalte angesprochen selen.

21 U. Stutz, Konkordat und Kodex, Berlin 1930,698 ff. 22 Vgl. dazu die Verlautbarung der SCRel über die für Ordensinstitute und diesen

gleichgestellten Verbände geltenden Romgrenzen (für Österreich dzt. 5.000.000,- ös), in: Directorium Superiorum CSSR, Romae 1984, 138 f.

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In einer umfassenden Darlegung hat Schnizer nachgewiesen, daß es sich bei der angeführten Wortfolge um eine seit dem Konkordat von 1855 übliche Umschreibung des weiten kanonischen Veräußerungsverbotes handelt, das damit in die staatliche Rechtsordnung transponiert werden sollte23 . - Hätten die Vertragspartner des Konkordats von 1934 eine solche Übernahme nicht beabsichtigt, gerade dann hätten sie sich nicht auf die Wortfolge "veräußern und belasten", sondern nur auf die Verwendung des Terminus "veräußern" einigen müssen. Denn die ausschließliche Verwendung dieses Begriffes würde wohl jeden von der einschlägigen Terminologie her geprägten Leser zu dem Schluß führen, daß hier nur von der Aufgabe des Eigentums an einer Sache oder allenfalls noch vom Verzicht auf ein dingliches Recht gesprochen wird. Und dies selbst anband der Tatsache, daß, wenn in einem staatlichen Gesetz ein Veräußerungs- oder Belastungsverbot ausgesprochen wird (z. B. § 364 c ABGB) die Judikatur zu dem Ergebnis kommt, daß in der Regel ein Veräußerungsverbot auch ein Belastungsverbot einschließt24 • Im Ergebnis muß also festgehalten werden, daß die Wortfolge "veräußern und belasten" eine vollinhaltliche Übernahme des weiten kanonischen Veräußerungsverbotes zum Gegenstand hat. Dies hat auch der OGH in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, wenn er feststellt, daß hinsichtlich der Frage, was als (genehmigungsbedürftige) Alienation aufzufassen sei, der weite kanonische Alienationsbegriff zugrundezulegen sei. So wurden konkret die Belastung eines kirchlichen Grundstückes mit einer Grunddienstbarkeit25 oder die Einräumung eines Wegerechtes26 als konsenspflichtige Veräußerungen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf c. 1533 CIC/1917 bezeichnet. 3. Öffentlich-rechtliche Interessen und privatrechtlicher Verkehrsschutz

Wie schon eingangs erwähnt, ist die Frage der staatlichen Relevanz innerkirchlichen Rechts beim Abschluß von Rechtsgeschäften kirchlicher juristischer Personen an die Verweisungsnorm des § 867 ABGB geknüpft. Kirchli23 Schnizer, Schuldrechtliche Verträge (Anm. 7) 181 f. 24 H. Kklng, in: Kklng, Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, 2. Aufl. Wien 1950, 185; H. Koziol/R. Weiser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 6. Aufl. 38; K. Spielbüchler, in: Rummel, ABGB (Anm. 7), RdZ 3 zu § 364 unter Hinweis auf die Judikatur.

250GH 18. 5. 1978,6 Ob 558/78, in: ÖAKR 30 (1979) 353. 260GH 19.6.1975,2 Ob 110/75, in: JBI97 (1975) 651.

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che juristische Personen werden unter den in § 867 angeführten "Gemeinden" verstanden. Daher werden die von Rechtsprechung und Lehre in bezug auf Rechtsgeschäfte der Körperschaften öffentlichen Rechts erarbeiteten Ergebnisse ihre Auswirkungen auch auf kirchliche juristische Personen haben. Die bisherige Judikatur war in bezug auf staatliche Körperschaften des öffentlichen Rechts wie auch hinsichtlich der diesen in ihrer Rechtsstellung weitgehend angeglichenen kirchlichen juristischen Personen27 von dem Grundsatz getragen, daß jeder im internen Bereich die Gültigkeit des Rechtsgeschäftes betreffende Mangel auch Außenwirkungen zeigt, d. h. daß das Rechtsgeschäft ungültig ist. Was Rechtsgeschäfte kirchlicher juristischer Personen betrifft, läßt sich die Sachlage dahingehend zusammenfassen, daß bei Fehlen der innerkirchlich zur Gültigkeit einer Alienation vorgeschriebenen Erfordernisse das vom Organ einer kirchlichen juristischen Person abgeschlossene Rechtsgeschäft auch im staatlichen Bereich nichtig ist. Ein Schutz des Vertrauens in den äußeren Tatbestand komme gegenüber dem Mangel der Genehmigung nicht in Betracht28 . Hierbei wird zur Begründung dieser Auffassung gelegentlich auf den u. a. der (kirchlichen) juristischen Person zuteil werdenden Minderjährigkeitsschutz (vgl. dazu c. 100 § 3 CIC/1917) verwiesen29 , was freilich von einem Teil der Lehre "wegen Fehlens einer vergleichbaren Schutzwürdigkeit" abgelehnt wird30 . Es stehen sich hier zwei Interessensbereiche gegenüber: Einerseits der öffentlich-rechtliche zugunsten der "unter der besonderen Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehenden Gemeinde" (§ 867 ABGB) , der auf möglichst weitreichende Sicherung des diesen gehörenden Vermögens abstellt und andererseits der privatrechtliche, der die Interessen des mit dem Vertreter einer öffentlich-rechtlichen juristischen Person ein Rechtsgeschäft abschließenden Partners im Auge hat. Dieser soll jedenfalls dann vor den nachteiligen Folgen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts geschützt werden, wenn die Mangelhaftigkeit der Vertretungsbefugnis auf seiten desjenigen, der die juristische Person vertritt, auf nicht oder nur schwer erkennbaren Mängeln an interner Zuständigkeitsbegreozung beruht. Während die frühere Judikatur im Einklang 27 Gampl, Staatskirchen recht (Anm. 18) 169, faßt die Rechtsstellung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften unter dem Begriff Körperschaften des öffentlichen Rechts sui generis zusammen, weil nicht alle Merkmale einer Körperschaft öffentlichen Rechts den genannten Kirchen (Religionsgesellschaften) zukommen. 28 Vgl. OGH 18. 5. 1978, 6 Ob 558/78, in: ÖAKR 30 (1979) 350-355; OGH 19. 6. 1975,2 Ob 110/75, in: JBl97 (1975) 650-652. 29 Z. B. OGH 19. 6. 1975, ebd. 651. 30 Rummel, ABGB (Anm. 7), RdZ 4 zu § 867 ABGB.

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mit der herrschenden Lehre eindeutig der öffentlich-rechtlichen Interessenssphäre den Vorrang gab, ist in jüngster Zeit in Lehre und Rechtsprechung der Ansatz eines gegenteiligen Trends zu spüren, der dem privatrechtlichen Verkehrsschutz stärkeres Gewicht beimißt. So sollen allgemein privatrechtliche Grundsätze wie die Regeln über die Anscheinsvollmacht und des Vertrauens in den äußeren Tatbestand zwar nicht generell, aber doch bei Vorliegen bestimmter, hier nicht näher zu erörternder Voraussetzungen zur Anwendung kommen. Dieser Richtungswechsel hat zwar bislang, so weit ich es überblicken kann, im Bereich der Rechtsprechung überwiegend bei Vertretungsfragen im Zusammenhang mit staatlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts stattgefunden; es ist jedoch anzunehmen, daß angesichts der Gleichartigkeit der Voraussetzungen auch die Beurteilung von Rechtsgeschäften kirchlicher juristischer Personen bei mangelhafter innerkirchlicher Vertretungsbefugnis zunehmend nach denselben Kriterien vorgenommen werden wird. Diese Entwicklung ist bedauerlich, da sie geeignet ist, den Schutz kirchlichen Stammvermögens auszuhöhlen. Der in bezug auf Abschluß und Erfüllung von Verträgen enthaltene Verweis des kanonischen Rechts auf das weltliche Recht (c. 1529 CIC/1917; c. 1290 CIC/1983) ist mit einem Vorbehalt zugunsten eines vom weltlichen Vertragsrecht abweichenden kanonischen Rechts versehen3l . Das kanonische Recht rechnet allerdings mit Fällen, in denen die intern-kirchenrechtliche Ungültigkeit einer Veräußerung von Kirchengütern im staatlichen Recht nicht durchsetzbar ist (c. 1296 CIC/1983). Wenn auch das Pendel bei der Güterabwägung zwischen dem Interesse auf Bestand und Erhaltung des Kirchenvermögens einerseits und dem Rechtsschutz des (gutgläubig) mit dem Vertreter einer kirchlichen juristischen Person kontrahierenden Dritten andererseits zugunsten des Letzteren ausschlagen mag, so ist doch unbedingt zu verlangen, daß die staatliche Rechtsprechung sich hierbei innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit bei der Ermittlung des Inhalts staatlicher Normen hält und daß sie nicht dadurch zu einem für kirchliche juristische Personen ungünstigen Ergebnis kommt, weil sie die kirchenrechtliche Lage falsch beurteilt. Das eingangs erwähnte Urteil läßt bei der Erfassung der Rechtsstellung des klösterlichen Oberen als Vertreter einer kirchlichen juristischen Person weitreichende kirchenrechtliche Fehlbeurteilung sowohl hinsichtlich des allgemeinen wie auch des partikulären Kirchenrechts (Konkordat) erkennen. Wenn ein vom Kirchenrecht abweichendes Urteil staatlicher Gerichte u. U. hingenommen werden muß, so sollte es nicht 31 C. 1290 CIC/1983: "Quae ius civile in territorio statuit de contractibus ... eadem iure canonico quoad res potestati regiminis Ecclesiae subiectas iisdem cum effectibus serventur, nisi ... aliud iure canonico caveatur ... ". 39 Primetshofer

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aufgrund einer offenkundigen Verkennung der einschlägigen kanonischen Bestimmungen zustandegekommen sein.

Die Rechtsverhältnisse in einer Klosterpfarrkirche I. Die Problemstellung 1. Der Begriff "Klosterpfarrkirche " Der hier verwendete Begriff "Klosterpfarrkirche" bedeutet, daß eine Kirche im Sinne von c. 1214 eine zweifache Zweckbestimmung aufweist: Sie ist zugleich Klosterkirche und Pfarrkirche. Beide Begriffe bedürfen einer näheren Klärung.

c. 611, 3 spricht davon, daß ein klerikales Ordensinstitut (Instituturn religiosum clericale)l eine Kirche haben kann, um in dieser geistliche Dienste zu verrichten. Damit ist jedenfalls hinsichtlich der genannten Kategorie von "klösterlichen Verbänden"2 ausgesagt, daß es bei ihnen eine eigene Kirche als Ort nicht nur klosterinterner, sondern auch öffentlich zugänglicher Liturgie geben kann. Nachdem im genannten Canon von einem klerikalen Ordensinstitut die Rede ist, wird offensichtlich davon ausgegangen, daß die Liturgie unter der Leitung des Klerikeroberen des betreffenden Verbandes entweder von Mitgliedern des Verbandes oder gegebenenfalls auch von Nichtmitgliedern abgehalten wird. Die in c. 611, 3 für klerikale Ordensinstitute enthaltene Vollmacht, am Ort ihrer Niederlassung eine eigene Kirche zu haben, ist nicht in dem Sinne restriktiv zu interpretieren, daß andere Verbände (laikaie Ordensinstitute oder die Gesellschaften des apostolischen Lebens) keine eigenen Kirchen haben könnten. C. 556 spricht von der mit der Niederlassung einer Ordensgemeinschaft schlechthin oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens verbundenen Kirche, und ebenso macht c. 1266 keinen Unterschied zwischen klerikalen und laiken Instituten, wenn er Kirchen und Kapellen erwähnt, die einem Ordensinstitut gehören. - C. 611, 3 ist daher in dem Sinne zu verstehen, daß 1 Zur Begriffsbestimmung des "Institutum clericale" vgl. c. 588 § 2. 2 Darunter werden im folgenden die klerikalen und laikalen Ordensinstitute und Gesellschaften des apostolischen Lebens verstanden.

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die hier genannten klerikalen Ordensinstitute mit der bischöflichen Erlaubnis zur Niederlassung als solcher auch schon grundsätzlich die Erlaubnis zur Errichtung einer eigenen Kirche haben, während andere Verbände neben der Erlaubnis zur Niederlassung noch einer gesonderten bischöflichen Erlaubnis zum Bau einer Kirche bedürfen3 . Der hier zutage tretende Unterschied ist allerdings praktisch kaum bedeutsam, da auch klerikale Ordensinstitute ihre bei der Errichtung der Niederlassung gegebene Erlaubnis zum Bau der Kirche erst realisieren können, nachdem sie eine gesonderte Erlaubnis zum Bau der Kirche an einem bestimmten Ort vom Diözesanbischof erlangt haben (c. 1215 § 3). Von einer Klosterkirche im Sinne der folgenden Ausführungen kann dann gesprochen werden, wenn eine klösterliche Gemeinde (Ordensinstitut oder Gesellschaft des apostolischen Lebens) eine Kirche als ständigen Ort ihrer Gottesdienste benützt. Die Frage, in wessen Eigentum das Gotteshaus steht, spielt hiebei m. E. keine Rolle. In den meisten Fällen wird eine klösterliche juristische Person (cc. 634 § 1; 741) Eigentümer des Kirchengebäudes sein. Es könnte sich aber auch um ein anderes Bezugsverhältnis des klösterlichen Verbandes zur Kirche handeln. C. 611, 3 und c. 556 sind keinesfalls zwingend in dem Sinne auszulegen, daß eine Klosterkirche nur dann gegeben wäre, wenn ein klösterlicher Rechtsträger Eigentümer der Kirche ist. Das Kernstück der Aussage beider Gesetzesstellen scheint darin zu liegen, daß die klösterliche Gemeinde in dieser Kirche ständig ihre Gottesdienste hält. Das Kirchengebäude selbst könnte im Eigentum einer nichtklösterlichen juristischen oder auch einer physischen Person stehen, die die Kirche dem klösterlichen Verband zur ständigen Benützung überlassen hat; das Kirchengebäude könnte auch selbständige juristische Person und somit selbst Träger aller vermögenswerten Rechte an und in dieser Kirche sein. Entscheidend ist, daß die geistliche Benützung bzw. Betreuung dieser Kirche einem klösterlichen Verband in der Weise übertragen wurde, daß der klösterlichen Gemeinde bzw. dem ihr vorstehenden (klerikalen) Oberen die Verantwortung für die Seelsorge in der Kirche obliegt. Was den Begriff Pfarrkirche anlangt, so gibt es im CIC/1983 ebensowenig wie im CICI1917 eine Legaldefinition. Der CIC/1983 erwähnt im Gegensatz zum CIC/1917 (c. 216 § 1) die Pfarrkirche nicht mehr als notwendigen Bestandteil der Pfarrei, d. h., diese könnte auch ohne eigene Pfarrkirche bestehen.

3 Vgl. D. J. Andres, EI derecho de los Religiosos. Comentario al Codigo, Roma 31984,74, Anm. 17.

Die Rechtsvemältnisse in einer Klosterpfarrkirche

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Konkret wird indes die Entscheidung über die Frage, wann eine Kirche Pfarrkirche ist, keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten, da wohl in den meisten Fällen eine bischöfliche (päpstliche) Errichtungsurkunde vorliegt, aus der hervorgeht, daß eine bestimmte Kirche die Zweckbestimmung als Pfarrkirche erhalten hat. Und dies auch dann, wenn sie zugleich im Sinn des oben Gesagten Klosterkirche ist, wobei es für die Klärung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen nicht unbedingt eine Rolle spielen muß, welche Zweckbestimmung früher war, die als Kloster- oder die als Pfarrkirche. 2. Die Frage der Kompetenzabgrenzung

Wenngleich im Sinne der vorigen Ausführungen als Klosterpfarrkirche auch die Kirche eines laikalen Ordensinstituts angesprochen werden kann, so soll dieser Fall hier als atypisch ausgeklammert werden. Wenn nämlich eine solche Kirche Pfarrkirche ist, dann ist der Pfarrer für gewöhnlich auch Rektor dieser Kirche (c. 570), und es gibt somit keinen anderen Priester, der neben dem Pfarrer mit seelsorglichen Kompetenzen in ein und derselben Kirche ausgestattet ist, wie dies bei der Klosterpfarrkirche eines klerikalen klösterlichen Verbandes der Fall ist. Der typische Fall, um den es im folgenden geht und wo sich Kompetenzfragen am häufigsten ergeben, ist der, daß es sich beim Gotteshaus um die Klosterkirche eines klerikalen Ordensinstitutes bzw. einer klerikalen Gesellschaft des apostolischen Lebens handelt, die darin ihre "sacra ministeria" (vgl. c. 611, 3) ausübt. Zugleich ist diese Kirche aber auch Gottesdienststätte einer Pfarre, d. h. Pfarrkirche, und muß demnach für die gottesdienstliche Betreuung des Pfarrvolkes zur Verfügung stehen. Selbst wenn Klosteroberer und Pfarrer ein und dieselbe Person wären (dies kann, muß aber nicht der Fall sein), wären Kompetenzkonflikte insofern nicht auszuschließen, als der beide Funktionen in einer Person vereinigende Amtsinhaber sowohl als Pfarrer wie auch als Klosteroberer an je verschiedene beispruchsberechtigte Organe gebunden ist: als Klosteroberer an seine Konsultoren, als Pfarrer an den Pfarrgemeinderat. Und beide Gremien werden die die Klosterpfarrkirche berührenden Angelegenheiten möglicherweise von durchaus verschiedenen Gesichtspunkten her betrachten. - Erst recht aber sind Kompetenzkonflikte möglich, ja sogar wahrscheinlich, wenn Pfarrer und Klosteroberer nicht ein und derselbe sind.

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Während der CIC/1917 noch einige, selbst in gewisse Detailfragen hinsichtlich der Zuständigkeit zur Abhaltung liturgischer Funktionen hineinreichende Bestimmungen enthielt (vgl. ce. 609, 415, 462, 7), ist der CIC/1983 diesbezüglich nur durch sehr allgemein gehaltene Ausführungen gekennzeichnet. C. 510 enthält Hinweise auf die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Kanonikerkapitel und Pfarrer für den Fall, daß die Kirche zugleich Kapitel- und Pfarrkirche ist. Die hier getroffene Regelung, die freilich auf vom Bischof zu erlassende genaue Anordnungen (§ 3), verweist, kann sicher im Wege der Gesetzesanalogie (c. 19) auf die Rechtsverhältnisse zwischen Kloster und Pfarrei in einer Klosterpfarrkirche angewendet werden. Eine Gesetzesanalogie legt sich umso mehr nahe, als ja auch der CIC/1917, wie schon erwähnt, hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zwischen Kloster und Pfarrei ausdrücklich auf die sinngemäße Anwendung der für das Verhältnis zwischen Kathedral-(Kollegiat-) und Pfarrkirche bestehenden Normen verwiesen hatte (ce. 609 § 1; 415 CIC/1917). C. 681 legt ganz allgemein fest, daß bei Aufgaben, die Ordensleuten vom Diözesanbischof übertragen werden (darunter ist wohl in erster Linie das Amt des Pfarrers zu verstehen), eine schriftliche Vereinbarung getroffen werden solle, in der ausdrücklich und genau festzulegen ist, was die Durchführung des Apostolatsauftrags, die ihm zur Verfügung zu stellenden Mitglieder und die wirtschaftlichen Belange betrifft (§ 2). C. 682 § 1 regelt die Übertragung eines Kirchenamtes an das Mitglied eines Ordensinstitutes (gebundene Amtsverleihung); § 2 die freie Abberutbarkeit ("ad nutum")4 der mit dieser Aufgabe betrauten Ordensperson. Bei der Ausübung eines vom Diözesanbischof einer Ordensperson übertragenen Apostolatsauftrags ist eine Kompetenz zweier aufsichts- und weisungsberechtigter Organe gegeben: Primär unterstehen Ordensleute diesbezüglich der Autorität und Leitung des Diözesanbischofs; sie unterstehen hierin aber auch den eigenen Oberen, und sie müssen der Ordnung des eigenen Instituts treu bleiben (ce. 681 § 1; 678 § 2). Auf die Notwendigkeit einer schriftlichen Vereinbarung (c. 681 § 2) und eines gemeinsamen Vorgehens von Diözesanbischof und Ordensoberen (c. 678 § 3) wird eigens hingewiesen. Der CIC/1983 verweist hinsichtlich aller etwa auftretender Kompetenzstreitigkeiten auf eine erst zu treffende Vereinbarung. Es erhebt sich nun die 4 Inhaltlich ist die Bestimmung des c. 454 § 5 CIC/1917 bzw. Nr. 1,32 des MP "Ecclesiae Sanctae" übernommen worden, allerdings ohne den in "Ecclesiae Sanctae" enthaltenen Zusatz, wonach eine Amtsentfernung nur "gravi de causa" vorgenommen werden darf.

Die Rechtsvemältnisse in einer Klosterpfarrkirche

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Frage, nach welchen Gesichtspunkten diese erstellt werden soll bzw. welche Lösung gegebenenfalls gefunden werden kann, wenn (noch) keine solche Vereinbarung besteht. Die folgenden Ausführungen versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben.

D. Lösungsversuche in einzelnen Bereichen 1. Vorbemerkung

Zunächst sei hier auf die Rechtsstellung des Ordensmannes als Pfarrer verwiesen. Das Amt des Pfarrers ist ein im Sinne von c. 682 § 1 einem Ordensmann vom Diözesanbischof übertragenes Kirchenamt. In seiner pfarrlichen Amtsführung ist der Ordensmann Pfarrer im Vollsinn des Wortes5 ; er besitzt die pfarrlichen Rechte, und ihm obliegen die pfarrlichen Pflichten grundsätzlich nicht anders als einem weltgeistlichen Pfarrer;. Die gegenüber dem Weltpriester erleichterte Möglichkeit der Entfernung vom Amt (c. 682 § 2) bringt keine Änderung in der Rechtsstellung hinsichtlich der pfarrlichen Amtsaufgaben als solcher mit sich. Auch die dem Ordensoberen in c. 678 § 2 übertragenen Rechte bedeuten keine Beeinträchtigung in den strikt pfarrlichen Aufgaben des Ordensmannes. Was diese betrifft, ist der Ordensmann als Pfarrer nicht an Weisungen seines klösterlichen Oberen gebunden. Es kann nicht 5 Vgl. dazu Dekret über die einheitliche Denomination der Pfarrseelsorger , in: Amtsblatt der österreichischen Bischofskonferenz Nr. 1 (25. 1. 1984) 8, Nr. 18. Demnach werden alle Welt- und Ordenspriester, denen eine - auch inkorporierte Pfarre als eigenem Hirten übertragen ist (cc. 515 § 1,519,520 § 1), Pfarrer genannt. - Die Bezeichnung Pfarrer (und nicht Pfarrvikar) kam allerdings schon aufgrund des CIC/1917 jenen Ordenspriestern zu, die einer nichtinkorporierten, sondern bloß in einfacher Fonn anvertrauten Pfarre (paroecia religiosis concredita nach c. 456 CIC/1917) vorstanden. Die in den Schematismen österreichischer Diözesen übliche Vorgangsweise, alle ordensgeistlichen Pfarreien vorstehenden Priester als Pfarrvikare zu bezeichnen ohne Rücksicht, ob es sich um eine inkorporierte oder bloß anvertraute Pfarrei handelte, entsprach nicht der damals geltenden Rechtslage. Vgl. B. Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage der nachkonziliaren Rechtsentwicklung, Freiburg/Br. 21979, 304. 6 Schon der CIC/1917 enthielt in c. 471 § 5 den Hinweis, daß im Falle einer vollinkorporierten Pfarre dem Pfarrvikar ausschließlich (exclusive) die gesamte Seelsorge mit allen pfarrlichen Rechten und Pflichten obliege. Daraus ergibt sich, daß der Inkorporationsträger (das Kloster), obwohl eigentlicher Pfarrer, von der aktuellen Wahrnehmung seelsorglicher Aufgaben in der vollinkorporierten Pfarre ausgeschlossen war.

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so sein, daß eine klösterliche Pfarre in Wirklichkeit zwei Pfarrer hat: den zum Pfarrer bestellten Ordensmann und dessen Oberen. Die beiden sind auch nicht im Sinne von c. 517 § 1 solidarisch mit der Pfarrseelsorge betraut; Pfarrer ist nur einer allein, und dieser ist auch ausschließlich für die Pfarrseelsorge zuständig. Andererseits bedeutet die Übernahme des Pfarramtes durch einen Ordensmann keine Dispens von den Ordensgelübden, auch nicht von dem des Gehorsams. Mit anderen Worten, der Pfarrer bleibt Ordensmann. Der ausdrückliche Hinweis von cc. 681 § 1 und 678 § 2 auf die dem Ordensoberen zukommenden Rechte auch hinsichtlich der einer Ordensperson durch den Diözesanbischof übertragenen Apostolatsaufgaben kann nur in der Weise verstanden werden, daß der Obere das Recht, ja sogar die Pflicht hat, darüber zu wachen, daß der seiner Autorität unterstellte Ordensmann seine pfarrlichen Amtsaufgaben gemäß den bestehenden kirchenrechtlichen Normen erfüllt. Daraus ergibt sich, daß der Ordensobere dem ihm als Ordensmann unterstellten Pfarrer keine Weisungen hinsichtlich der Art und Weise der Pfarrseelsorge geben kann. Er kann und muß aber darüber wachen, daß der Pfarrer seine ihm obliegenden Amtsaufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt7 . Daraus folgt - zumindest bei begründetem Verdacht mangelhafter Amtsführung - ein Kontrollrecht des Oberen, ob der Pfarrer etwa die Pfarrbücher ordentlich führt oder ob er die darin vorzunehmenden Eintragungen vernachlässigt. Eine daraufhin ergehende Weisung des Ordensoberen, die Pfarrbücher ordnungsgemäß zu führen, stellt eine Materie des klösterlichen Gehorsams dar. Da7 C. 957 legt Recht und Pflicht des klösterlichen Oberen fest, über die Erfüllung übernommener Meßverpflichtungen in den eigenen Kirchen zu wachen. Diese RechtssteIlung kommt dem klösterlichen Oberen zweifellos auch bezüglich der vom Pfarrer in der Klosterpfarrkirche übernommenen Meßverpflichtungen zu. - Ebenso steht nach c. 958 § 2 dem Ordinarius (d. i. gemäß c. 134 § 1 auch der höhere Obere eines klerikalen Ordensinstituts oder einer klerikalen Gesellschaft des apostolischen Lebens päpstlichen Rechts) ein Prüfungsrecht und eine diesbezügliche Pflicht hinsichtlich der pfarrlichen Intentionenbücher in der Klosterpfarrkirche zu. - Zur llIustration sei ein Passus aus den Generalstatuten der Redemptoristen (Rom 1982) Nr. 0207 angeführt: "Bona ad paroecias sodalibus concreditas pertinentia administrentur a parocho haud excluso iure superioris vigilandi ut praescripta iuris hac de re vigentia adamussim observetur. Ad hunc fillem superior potest libros acceptorum et expensorum paroeciae inscipere, non quidem ut ipse bona paroecialia administret, se ut bonam administrationem a competentibus organis faciendam procuret." Mit Recht weist de Paolis darauf hin, daß der klösterliche Obere ein Vigilanzrecht über die von seinen Untergebenen durchgeführte Verwaltung fremden Vermögens hat. Durch das Vigilanzrecht wird der Obere aber nicht selbst zum Verwalter. V. de Paolis, I beni temporali e la loro amministrazione, in: I religiosi e iI nuovo Codice di diritto canonico, Roma 1984, 147.

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durch wird der Obere aber nicht selbst zu einem Organ der Pfarrseelsorge neben oder gar über dem Pfarrer. Die Tatsache, daß die Klosterkirche auch Pfarrkirche ist, kann ferner nicht bedeuten, daß die Seelsorge an der Klosterpfarrkirche in die ausschließliche Kompetenz des Pfarrers fällt und daß jede seelsorgliche Eigeninitiative des Klosters unterbunden wäre. Weder die Klostergemeinde als solche noch auch deren Oberer sind - von besonderen, eigens zu vereinbarenden Bestellungsmodalitäten abgesehen - ex lege Gehilfen des Pfarrers. Die (klerikale) Klostergemeinde hat mit der Erlaubnis zur Errichtung einer Kirche auch die Vollmacht, ihre klostereigene Seelsorge, ihre "sacra ministeria" (c. 611, 3), zu entfalten, die selbstverständlich mit der Pfarrseelsorge tunlichst abzustimmen und in bestmöglicher Weise zu koordinieren, ihre aber nicht schlechthin in allem und jedem unterzuordnen sind. Genauso wie der Pfarrer bei der Entfaltung seiner spezifisch pfarrlichen Tätigkeit, was die Sache selbst betrifft, einen vom Klosteroberen weisungsungebundenen Freiraum besitzt, so sind auch die Klostergemeinde und deren Oberer bei der Entfaltung der klostereigenen Seelsorge in und an der Klosterpfarrkirche nicht an eine Genehmigung oder Weisung seitens des Pfarrers gebunden. 2. Die geistlichen Dienste in der Klosterpfarrkirche

Zunächst ist im Sinne des bereits Gesagten festzuhalten, daß der Pfarrer in der Klosterpfarrkirche Pfarrer im Vollsinne ist und daher jedenfalls für die seelsorgliche Betreuung seiner Pfarrkinder alles das zur Verfügung haben muß, was hierzu nach Recht und rechtmäßigem Herkommen erforderlich ist. Dabei ist, was die Benützung der Kirche betrifft, davon auszugehen, daß die Pfarre eine eigene Pfarrkirche, eben die Klosterpfarrkirche, besitzt; sie ist demnach nicht eine Pfarre ohne eigene Kirche, wie dies nach dem CIC/1983 möglich wäre. C. 530 CIC/1983 führt, allerdings nicht taxativ, die dem Pfarrer in besonderer Weise übertragenen Amtshandlungen ("functiones") an, die teilweise von der Natur der Sache her grundsätzlich innerhalb der Kirche stattfinden (z. B. Eucharistiefeier, Eheschließung) oder von der Kirche ihren Ausgang nehmen (z. B. Begräbnis). Für diese "functiones" muß dem Pfarrer die Klosterpfarrkirche uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Der Pfarrer hat auch dabei, insbesondere was den Zeitpunkt der Abhaltung von Gottesdiensten und hier wiederum speziell der Eucharistiefeier an Sonn- und Feiertagen betrifft, in erster Linie auf die geistlichen Bedürfnisse der seiner Sorge anvertrauten

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Pfarrkinder Rücksicht zu nehmen. Ein diesbezügliches vorrangiges Recht der Pfarrseelsorge ergibt sich m. E. aus der in c. 510 § 3 für den Diözesaobischof enthaltenen Richtlinie, wie etwa entstehende Kompetenzkonflikte zwischen Kanonikerkapitel und Pfarrer an einer Kapitelpfarrkirche zu bereinigen sind. Der Diözesanbischof habe, so heißt es, vor allem darauf bedacht zu sein, daß den seelsorglichen Erfordernissen der Gläubigen in geeigneter Weise Rechnung getragen werde. Bei der hier skizzierten Rechtsstellung des Pfarrers in bezug auf seine Amtsaufgaben spielt es keinerlei Rolle, in welcher Weise Pfarrer und Kloster miteinander verbunden sind. Hier sind aufgrund der (noch) geltenden Rechtslage mehrere Formen denkbar: Es kann sich zunächst noch um eine bestehende volle Inkorporation handeln, die ja durch den CIC/1983 nur insofern in ihrer Struktur verändert wurde (c. 520 § 1 CIC/1983), als nicht mehr die juristische Person (das Kloster als Inkorporationsträger) eigentlicher Pfarrer und der die Pfarrseelsorge wahrnehmende Priester Pfarrvikar (vgl. c. 471 CIC/1917) ist; auch bei einer bestehenden Vollinkorporation ist jetzt in der Pfarre in Pfarrer i. e. s. tätig8 . - Es kann sich ferner beim Verhältnis von Kloster und Pfarre um die vom CIC/1983 (c. 520 § 1) übernommene Form der sog. einfachen Anvertrauung der Pfarre an ein Ordensinstitut (Gesellschaft des apostolischen Lebens) handeln. Diese Anvertrauung kann auf Dauer oder auf eine von vornherein begrenzte Zeit erfolgen (ebd.). - Und es könnte auch die Bestellung eines Ordensmanoes zum Pfarrer an der Klosterpfarrkirche vorgenommen worden sein, ohne daß eine Anvertrauung der Pfarre an die Klostergemeinde als solche stattgefunden hat (vgl. c. 682 § 1). Reibungsflächen zwischen Pfarre und Pfarrer auf der einen, dem Kloster und dessen Oberen auf der anderen Seite können sich hinsichtlich der Eucharistiefeier(n) insbesondere an Sonn- und Feiertagen ergeben. Hier sind zwei Gegebenheiten in Betracht zu ziehen: Nach c. 530, 7 fällt die "celebratio eucharistica sollemnior" an den genannten Tagen in die mit dem Pfarramt untrennbar verbundenen Rechte und Pflichten. Die dem Pfarrer als geistlichem Hirten übertragene Teilhabe am dreifachen Amt Christi (vgl. c. 519) erreicht sicher in der sonntäglichen Eucharistiefeier einen ihrer Höhepunkte; an diesen Tagen ist der Pfarrer auch kraft seines Amtes verpflichtet, die Eucharistie für das ihm anvertraute Pfarrvolk zu applizieren (c. 534 § 1). Überhaupt besteht eine der vornehmsten Pflichten des Pfarrers darin, dafür Sorge zu tragen, daß 8 Zur Frage der grundsätzlichen Weitergeltung des Rechtsinstituts der Vollinkorporation vgl. A. Gutierre1.. Canones circa Instituta vitae consecratae et Societates vitae apostolicae vagantes extra partem eorum propriam. in: CRM 64 (1984) 19.

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die Eucharistie zum Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft der Gläubigen wird (c. 528 § 2). Dies alles ist ohne eine als solche deklarierte "Pfarrmesse" nicht denkbar. Hinsichtlich der Festsetzung ihres Zeitpunktes an Sonn- und Feiertagen werden der Pfarrer und die Klostervorstehung in erster Linie auf die Bedürfnisse der Pfarrangehörigen Bedacht zu nehmen haben. Hier kommt der Pfarre zweifellos ein Vorrecht zu. In der liturgischen Gestaltung der Pfarrmesse ist der Pfarrer innerhalb des vom allgemeinen und partikularen Recht gezogenen Rahmens frei, er ist insbesondere hierin nicht an Weisungen seines klösterlichen Oberen gebunden. Hat der Pfarrer einen Kaplan ("Pfarrvikar" gemäß c. 545 § 1) und hält dieser aus welchen Gründen immer die "Pfarrmesse " , dann ist auch der Kaplan hinsichtlich der liturgischen Gestaltung dieser Messe nur an die Weisungen des Pfarrers und nicht an die des Klosteroberen gebunden. Ein Vigilanz- und gegebenenfalls Weisungsrecht des klösterlichen Oberen ist in diesem Bereich nur dann anzunehmen, wenn Pfarrer oder Kaplan bestehende kirchenrechtliche Bestimmungen bei der Gestaltung der Pfarrmesse offenkundig in erheblichem Ausmaß verletzen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn Pfarrer oder Kaplan ohne ersichtlichen Grund bei der Eucharistiefeier die vorgeschriebenen liturgischen Gewänder (c. 929)9 nicht tragen oder wenn sie nicht approbierte liturgische Texte, insbesondere bei den Eucharistischen Hochgebeten, verwenden 10 . Die seelsorglichen Gegebenheiten in den meisten Pfarren Österreichs werden es nahelegen, neben der eigentlichen "Pfarrmesse" noch die eine oder andere sonntägliche Eucharistiefeier abzuhalten. Auch die Feier dieser Pfarrmessen i. w. S. fällt in die Kompetenz des Pfarrers und ev. seines Kaplans. Auch hiefür gilt das in bezug auf Weisungsfreiheit Gesagte. Nun ist aber bei der Klosterpfarrkirche ebenso davon auszugehen, daß die dem klerikalen Ordensinstitut mit der Errichtung der Kirche gegebene Vollmacht für die "sacra ministeria" unzweifelhaft auch das Recht auf eigene, vom Ordensinstitut gestaltete Eucharistiefeiem an Sonn- und Feiertagen einschließt. Es kann also grundsätzlich nicht so sein, daß die Abhaltung von Sonn- und Feiertagsgottesdiensten in der Klosterpfarrkirche ausschließlich in die Kompetenz des Pfarrers fällt und der Klosterobere womöglich einer pfarr9 Vgl. dazu Dritte Instruktion "Liturgicae instaurationes" zur ordnungsgemäßen Durchführung der Liturgiekonstitution, 5. 9. 1970, in: AAS 62 (1970) 692 ff.; A. Mayer, Die Eucharistie, in: HdbKathKR, 685. 10 Zu der schwankenden Praxis des Hl. Stuhles bei der Approbation solcher Hochgebete vgl. H. Krätzl, Ebenen liturgischen Rechts, in: U 33 (1983) 59.

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lichen Erlaubnis bedarf, wenn er in seiner Klosterkirche an Sonn- und Feiertagen Gottesdienste halten will. Dies bedeutet also, daß hinsichtlich der Zahl und der Zeit der sonntäglichen Gottesdienste eine Vereinbarung zwischen Kloster und Pfarre dringend notwendig ist, wobei aber dieser Vereinbarung jedenfalls als Richtlinie zugrunde zu legen ist, daß dem klerikalen Ordensinstitut durch die Errichtung der Pfarre keinesfalls das Recht genommen wird, eigene nichtpfarrliche Gottesdienste abzuhalten. Und hierbei gilt in umgekehrtem Verhältnis das vorhin Gesagte: Die diese Gottesdienste feiernden Zelebranten sind nicht an pfarrliche Weisungen gebunden, sondern nur an die des klösterlichen Oberen. Dies gilt m. E. selbst dann, wenn Pfarrer oder Kaplan (wohl ausnahmsweise) diese nichtpfarrlichen Gottesdienste halten. Hier handelt es sich um keine Pfarrangelegenheit, die in den autonomen Wirkungsbereich von Pfarrer bzw. Kaplan fällt, sondern um eine Angelegenheit der vom Kloster vorgenommenen Seelsorge. Da Pfarrer und Kaplan nicht aufhören, Klosterangehörige zu sein, und da sie in der Ausübung ihres Apostolats auch ihren klösterlichen Oberen unterstehen (vgl. c. 678 § 2), ergibt sich für diesen Bereich des klösterlichen Apostolats auch eine Bindung an Weisungen des Klosteroberen. Dem Pfarrer steht ebenso wie dem Klosteroberen das Recht zu, über das Ausmaß der getroffenen Vereinbarung hinaus seelsorgliche Veranstaltungen in der Klosterpfarrkirche abzuhalten. Beiden, dem Pfarrer wie dem KIosteroberen, kommen hinsichtlich Art und Umfang der Seelsorge Räume für Eigeninitiativen zu. Daß sie dabei tunlichst aufeinander wie auf die wirklichen Bedürfnisse der Gläubigen Bedacht zu nehmen haben, steht außer Zweifel. Eine nicht streng von der Seelsorge geforderte bzw. mit dieser überhaupt in keinem erkennbaren Zusammenhang stehende Veranstaltung in der Klosterpfarrkirche (z. B. Konzert, Theateraufführung) ist an die Zustimmung des Klosteroberen gebunden. Ebenso fällt die Zulassung fremder Priester zur Meßfeier in seine Kompetenz; ihm ist auch gegebenenfalls das sog. Zelebret (c. 903) vorzuweisen 11.

11 Das Wort "rector ecclesiae" in c. 903 ist nicht im Sinne der Begriffsbestimmung von c. 556 verwendet. Bei c. 903 bedeutet "rector ecclesiae" den für die Kirche Verantwortlichen ohne Rücksicht darauf, um welche Art von Kirche (Pfarr-, Kapiteloder Klosterkirche) es sich handelt.

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3. Finanz- und Baufragen

Hier ist zunächst einmal der wohl häufigere Fall ins Auge zu fassen, daß die Klosterpfarrkirche im Eigentum eines klösterlichen Rechtsträgers (Haus, Provinz, Gesamtverband) steht und keine selbständige juristische Person ist. Die Tatsache, daß die Kirche im Eigentum des Klosters steht, schließt nicht aus, daß es im Rahmen des klösterlichen Vermögens ein für die Erhaltung der Kirche zweckgewidmetes Sondervermögen gibt, das den Rang einer unselbständigen frommen Stiftung ("pia fundatio non autonoma" gem. c. 1303 § 1, 2) haben kann, aber nicht unbedingt haben muß. Da das einem Ordensinstitut gehörige Vermögen Kirchenvermögen ist (c. 635 § 1), sind für seine Verwaltung und rechtsgeschäftliche Vertretung die Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts und des Eigenrechts maßgeblich. - In der Klosterpfarrkirche fallen finanzielle Einkünfte verschiedener Art an, die in einer der besonderen Rechtsstellung dieser Kirche angemessenen Weise aufgeteilt und verwaltet werden müssen. Zunächst einmal sind die anläßlich der Spendung von Sakramenten und Sakramentalien festgelegten "oblationes" (Stolgebühren) zu behandeln. Bei diesen "stolpflichtigen" geistlichen Diensten (insbesondere Taufen, Trauungen, Begräbnisse) handelt es sich großteils um gem. c. 530 "dem Pfarrer in besonderer Weise aufgetragene Amtshandlungen". Das sich stellende Problem ist folgendes: Der diese Aufgabe vollziehende Pfarrer bzw. gegebenenfalls sein Kaplan ("Pfarrvikar") ist Mitglied des Ordensinstituts, und es scheint zunächst die Grundregel des c. 668 § 3 zu gelten, wonach alles, was ein Ordensangehöriger durch eigenen Einsatz ("propria industria") erwirbt, dem Klostervermögen einzuverleiben ist. Daß auch die pfarrlichen Amtsverrichtungen und der mit ihnen verbundene Erwerb als "eigener Einsatz" im Sinne von c. 668 § 3 anzusehen ist, steht außer Zweifel. Vom allgemeinen Recht des CIC/1983 existiert aber m. E. eine der lex generalis des c. 668 § 3 derogierende lex specialis für den Ordensangehörigen als Pfarrer oder Kaplan, nämlich c. 531. Hier heißt es, daß selbst dann, wenn ein anderer eine pfarrliche Aufgabe erfüllt, er die bei dieser Gelegenheit von den Gläubigen erhaltenen Gaben ("oblationes") dem pfarrlichen Vermögen zuzuführen habe. Was hier für den anderen, d. h. nicht den Pfarrer gesagt wurde, muß natürlich erst recht für den Pfarrer selbst gelten. In bei den Canones, 1264, 2 und 531, wird übrigens ein und dasselbe Wort, nämlich "oblationes" , verwendet. Die deutsche Übersetzung dürfte den Kern der Sache richtig getroffen haben, wenn sie bei c. 1264,2 mit "Stolgebühren", bei c. 531 hingegen mit "Gaben" übersetzt. Tatsächlich meinen die "oblationes" bei c. 531

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mehr als bei c. 1264, 2. Die "oblationes" des c. 531 gehen weiter als die des c. 1264, 2 und umfassen demnach nicht nur die Stolgebühren i. e. S., sondern alle bei Gelegenheit der Spendung von Sakramenten oder Sakramentalien gemachten Spenden. Und von diesem weiten Begriff der "oblationes" ist zu sagen, daß sie dann, wenn sie im Rahmen einer pfarrlichen Aufgabe gegeben werden, dem Pfarrvermögen zuzuführen sind l2 , unabhängig davon, ob der Pfarrer selbst oder ein anderer an seiner Stelle die betreffende geistliche Amtshandlung verrichtet 13 • - C. 531 weist aber auch darauf hin, daß der anstelle des Pfarrers pfarrliche Funktionen verrichtende Geistliche Anspruch auf Vergütung für seelsorgliche Aushilfe hat. Diese pfarrlichen Funktionen werden in der Klosterpfarrkirche verrichtet, es werden deren liturgische Gewänder und Geräte verwendet, und es werden die Dienste des an der Klosterpfarrkirche angestellten Personals (Mesner, Organist) beansprucht. Infolgedessen gebührt dem Kloster, falls nicht überhaupt ~ine generelle Abmachung zwischen Kloster und Pfarre hinsichtlich der Aufteilung der "Betriebskosten" der Klosterpfarrkirche besteht, auch ein Anteil an diesen "oblationes " . Ein weiteres Problem stellt die Kollekte (Klingelbeutel) in den Gottesdiensten dar. Anband der vorhin getroffenen Unterscheidung zwischen Pfarrmessen und Nichtpfarrmessen wird sinnvollerweise auch die Aufteilung der Kollekte zu erfolgen haben. Die bei den Pfarrgottesdiensten eingegangenen Sammlungen hat der Pfarrer dem Pfarrvermögen zuzuführen, die bei den Nichtpfarrmessen abgehaltenen Sammlungen fallen dem allgemeinen Klostervermögen oder gegebenenfalls dem für die Klosterpfarrkirche zweckgewidmeten Sondervermögen des Klosters zu. Bezüglich nicht eindeutig deklarierter Spenden zugunsten der Klosterpfarrkirche ist die gesetzliche Präsumption des c. 510 § 4 analog anzuwenden. Wenn es dort nämlich heißt, daß im Zweifel die der Kapitelpfarrkirche übergebenen Spenden als der Pfarrei zugedacht anzunehmen sind, so muß das auch für die Klosterpfarrkirche Anwendung finden. Solange also der gegen12 V. de Paolis, Vita religiosa e parrochia. Criteri giuridici, in: vita religiosa et parrocchia. Atti della XXIV assembla generale CISM, Collevalenza (PO) 12-16 Novembre 1984, Roma 1985, 173 f. 13 Die mit dem Pfarramt als solchem verbundenen Amtseinnahmen (Pfarrgehalt aufgrund der diözesanen Besoldungsordnungen) stellen ohne Zweifel einen im Sinne von c. 668 § 3 (vgl. dazu c. 580 § 2 CIC/1917) durch eigenen Einsatz ("propria industria" bzw. "industria sua") zukommenden Erwerb eines Ordensmannes dar. Dieser ist dem Klostervermögen zuzuführen; der Pfarrer kann darüber nur im Rahmen einer vom Oberen gegebenen Ermächtigung disponieren.

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teilige Spenderwille nicht eindeutig feststeht, gehen die der Klosterpfarrkirche gemachten Spenden in das Eigentum der Pfarre über. Der liturgische Dienst in der Klosterpfarrkirche, von wem immer er nun vorgenommen wird, verursacht laufende "Betriebskosten". Darunter fallen u. a. Beheizung, Beleuchtung, Beschaffung und gegebenenfalls Instandsetzung von liturgischen Geräten und Gewändern, ferner Kerzen, Meßwein usw. Ebenso müssen Kirchenbedienstete (Organist, Mesner, Reinigungspersonal) bestellt werden. Für den konkreten Abschluß von Dienst- oder Werkverträgen mit den Kirchenbediensteten kommen entweder das Kloster oder die Pfarre oder gegebenenfalls beide zur gesamten Hand in Frage. Wenn man von der hier als Regelfall angenommenen Konstellation ausgeht, daß die Klosterpfarrkirche im Eigentum des Klosters steht, dann ist in erster Linie das Kloster als zum Abschluß der entsprechenden Rechtsgeschäfte zuständiger Vertragspartner zu bezeichnen. Ein Aufteilungsschlüssel wird sich danach zu richten haben, welcher von den beiden, das Kloster oder die Pfarre, stärker in der Seelsorge an der Klosterpfarrkirche in Erscheinung tritt. In vielen Fällen wird sich eine Halbierung der Kosten als vernünftige Lösung herausstellen. Auch in jenen Fällen, in denen das Kloster nicht Eigentümer der Klosterpfarrkirche ist, sondern diese eine selbständige juristische Person darstellt oder im Eigentum einer vom Kloster verschiedenen physischen oder juristischen Person steht, ist das vorhin Ausgeführte sinngemäß anzuwenden. Auch hier hat demnach eine Aufteilung der Einkünfte und "Betriebskosten" der Klosterpfarrkirche stattzufinden. Was bei einer im Eigentum eines klösterlichen Rechtsträgers stehenden Klosterpfarrkirche dem Kloster an Einkünften und Lasten zufällt, muß bei einem anderen Rechtsträger zugunsten oder zu Lasten desselben gehen. Unter dem im folgenden zu behandelnden Begriff Baufragen sind insbesondere die Ausstattung, Erhaltung, Restaurierung Lind Umgestaltung der Kirche zu verstehen. Das Kirchenrecht hat für das diesen Fragen zugrunde zu legende Rechtsverhältnis keine eigene Rechtsfigur ausgebildet; es finden sich nur da und dort verstreute Einzelbestimmungen. Nach meinem Dafürhalten muß aber ein im staatlichen Recht vorhandenes Modell herangezogen werden, da c. 1290 für den Abschluß von Verträgen (Vertragstypen) auf das staatliche Recht verweist. Die im ABGB (§§ 504-508) enthaltenen Bestimmungen über die Dienstbarkeit des Gebrauches (usus) stellen einen brauchbaren Ansatz dar, wenngleich sich in einer Hinsicht auch eine atypische Kostellation ergibt. Wenn nämlich das Kloster Eigentümer der Klosterpfarrkirche ist und in ihr

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die "sacra ministeria" (c. 611, 3) verrichtet, kann zwar die Pfarre als Usuar der Kirche angesehen werden, jedoch mit der Maßgabe, daß auch der Eigentümer selbst die Kirche benützt, daß sich somit nicht, wie dies beim Gebrauchsrecht sonst typisch ist, der die Sache (zumindest im gegenwärtigen Augenblick) nicht benützende Eigentümer und der Servitutsberechtigte gegenüberstehen. Hier liegt der Fall vor, daß der Eigentümer die Sache, bezüglich der er einem anderen ein Gebrauchsrecht einräumt, ebenfalls noch mitbenützt. Legt man nun das Verhältnis von Eigentümer (Kloster) und Usuar (Pfarre) zugrunde, so ergibt sich in Baufragen, daß der Pfarrer kein vom Kloster unabhängiges Dispositionsrecht über das Kirchengebäude hat, dies selbst dann nicht, wenn es sich um eine vom Charakter der Kirche als Pfarrkirche zwingend vorgeschriebene Einrichtung handelt, etwa den Taufbrunnen (c. 858 § 1). Die Tatsache, daß die Klosterpfarrkirche als Pfarrkirche einen Taufbrunnen haben muß, bedeutet noch nicht, daß der Pfarrer in bezug auf die künstlerische Gestaltung desselben und insbesondere hinsichtlich des Orts der Aufstellung unabhängig vom Klosteroberen vorgehen könnte. Dieser wiederum kann sich der Aufstellung des Taufbrunnens nicht widersetzen, er hat aber sehr wohl darüber zu entscheiden, welcher Taufbrunnen an welchem Ort in der Kirche aufgestellt wird. Bei nicht überbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen Klosteroberem und Pfarrer sind der höhere Klosterobere (Superior maior) und gegebenenfalls auch die bischöfliche Kurie um eine Entscheidung anzugehen. Neben den in erster Linie zu berücksichtigenden seelsorglichen Erfordernissen sind in dieser wie auch in anderen Baufragen künstlerische und denkmalpflegerische Gesichtspunkte miteinzubeziehen; sehr oft ist (in Österreich) auch die Stellungnahme bzw. Approbation eines Projekts durch das Bundesdenkmalamt erforderlich. Aus der Tatsache, daß die Kirche der Pfarre zum bloßen Gebrauch übergeben wurde, ergibt sich, daß für alle Baufragen der Eigentümer zuständig ist (vgl. § 508 ABGB); dieser ist demgemäß auch der befugte rechtsgeschäftliehe Vertreter. Eine etwa vom Pfarrer ohne Ermächtigung seitens des Eigentümers in Auftrag gegebene Bauführung bedeutet eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 1035 ABGB); der Pfarrer hätte in diesem Falle die Stellung eines "falsus procurator". Dem Eigentümer entstehen daraus Verbindlichkeiten nur nach den Grundsätzen der im Notfall oder zum Nutzen eines anderen, d. h. hier eben des Eigentümers, durchgeführten Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 1036-1039 ABGB). Auch kirchenrechtlich ist das Baufragen betreffende Rechtsgeschäft nichtig, weil die rechtsgeschäftliehe Vertretung durch ein un-

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zuständiges Organ vorgenommen wurde l4 ; für den Eigentümer entstehen daraus keine Verbindlichkeiten, soweit nicht nach dem oben Gesagten eine im Notfall oder zu seinem Nutzen durchgeführte Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt. - Inwieweit im zivilrechtlichen Bereich die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes einem gutgläubigen Dritten gegenüber eingewendet werden kann - in der Regel wird es sich hier um den Bauauftrag ausführende Professionisten handeln -, inwieweit demnach der Eigentümer etwa den Schutz des Vertrauens in den äußeren Tatbestand gegen sich gelten lassen muß, ist eine Frage, die den Rahmen dieser Untersuchung sprengt l5 . 4. Eigenes Pfarrldrchenvennägen der Klosterpfarrldrche?

In den österreichischen Diözesen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere im Hinblick auf diözesane Zuschüsse zur Erhaltung und Renovierung der Pfarrkirchen, die Praxis herausgebildet, diese Zuschüsse von der Vorlage einer eigenen Kirchenrechnung abhängig zu machen. Diese Regelung geht auf der Basis des CIC/1917 davon aus, daß die Pfarrkirchen in der Regel Rechtspersönlichkeit besitzen (Pfarrkirchenstiftung); diese ist auch nach Inkrafttreten des CIC/1983 nicht verlorengegangen l6 . Hinsichtlich der Anwendung der in Rede stehenden diözesanen Praxis auf die Klosterpfarrkirchen ist zunächst zu wiederholen, was bereits gesagt wurde, daß nämlich die im Eigentum eines klösterlichen Rechtsträgers stehende Klosterpfarrkirche keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und demzufolge auch kein eigenes Vermögen hat. Eine Rechnungslegung über ein der Klosterpfarrkirche als solches gehörendes Vermögen ist daher nicht möglich. - Dies schließt allerdings nicht aus, daß aufgrund einer von den zuständigen Organen des Klosters getroffenen Sonderregelung ein Teil des Klostervermögens als für die Bedürfnisse der Klosterpfarrkirche zweckgebundenes Sondervennägen behandelt und darüber getrennte Rechnung geführt wird. Es ist ferner nicht ausgeschlossen, daß der Pfarrer kraft besonderer Ermächtigung seitens des Klosteroberen mit der Verwaltung dieses Sondervermögens betraut wird, wobei allerdings zu beachten ist, daß sich diese Verwaltung klö14 Vgl. c. 124 § 1. - Der Pfarrer ist in Baufragen der Klosterpfarrkirche keine "persona habilis", sofern er nicht eine gesonderte Ennächtigung seitens des Klosteroberen erhalten hat. Vgl. Österr. Konkordat Art. XIII § 2. 15 Dazu B. Primetshofer, Die zivilrechtliche Relevanz mangelhafter innerkirchlicher Vertretungsbefugnis bei Rechtsgeschäften von Ordensinstituten, in: Ministerium iustitiae. FS für H. Heinemann zum 60. Geburtstag, Bochum 1985,259-266. 16 H. Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht, Graz 21984,570 f., Anm. 30. 40 Primetshofer

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sterlichen Sondervennögens nicht schon eo ipso mit seiner Stellung als Pfarrer ergibt, im Gegenteil, sie steht mit dieser in keinem absolut notwendigen Zusammenhang. Der Pfarrer ist bei der Verwaltung dieses Vennögens an die Grenzen seiner vom Klosteroberen erteilten Vollmacht gebunden, er handelt nicht als Pfarrer, sondern als Beauftragter des Klosteroberen und ist diesem gegenüber weisungsgebundenes Verwaltungsorgan. Es dürfte sich als zweckmäßig erweisen, in der mit den einzelnen Diözesen zu treffenden Vereinbarung (vgl. 681 § 2) diese Rechtsverhältnisse in bezug auf die Klosterpfarrkirche klarzustellen. Die vorstehenden Ausführungen verstehen sich als Versuch, anband der spärlichen Bestimmungen des CIC/1983 Anhaltspunkte für eine von den Betroffenen abzuschließende Vereinbarung zu bieten. Es geht dabei darum, ein Modell zu fmden, das eine Vereinnahmung des einen durch den anderen möglichst hintanhält und das eine auch mit Hilfe geeigneter Rechtsnonnen zu erzielende Koordination der Seelsorge von Kloster und Pfarre ennöglichen soll.

Inkorporation und Inkardination von Ordensklerikem I. Vorbemerkungen Wenn hier von Ordensklerikern die Rede ist, so sind damit alle Klerikermitglieder von Instituten des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens gemeint. Der Ausdruck Ordenskleriker wird hier mit derselben Berechtigung verwendet, wie man von einem Ordensrecht spricht und damit sämtliche in der Pars III des Zweiten Buches des CIC/1983 angeführten Gruppierungen meint. Der Begriff Inkorporation ist an sich ein Terminus technicus des kirchlichen Ämterrechtes und wurde bzw. wird für die in c. 1425 CIC/1917 angesprochene Einverleibung einer Pfarre in ein Kloster verwendet. Inkorporation wird aber in c. 266 § 2 CIC/1983 im Sinne von Eingliederung in ein Ordensinstitut oder eine klerikale Gesellschaft des apostolischen Lebens gebraucht, und in diesem Sinne soll der Begriff hier Verwendung finden.

11. Inkardination von Welt- und Ordensklerikern C. 265 CIC/1983 legt in lapidarer Kürze eine Grundnorm des kanonischen Verfassungsrechts fest, daß jeder Kleriker entweder einer Teilkirche, einer Personalprälatur, einem Institut des geweihten Lebens oder einer Inkardinationsbefugnis besitzenden Gesellschaft des apostolischen Lebens inkardiniert sein muß, "ita ut clerici acephali seu vagi minime admittantur" . Hinsichtlich der Inkardination von Ordensklerikern bestimmt c. 266 § 2, daß, wer als Mitglied eines Ordensinstituts ewige Gelübde abgelegt hat oder einer klerikalen Gesellschaft des apostolischen Lebens endgültig eingegliedert ist, durch den Empfang der Diakonatsweihe als Kleriker diesem Institut bzw. dieser Gesellschaft inkardiniert wird, außer es handelt sich um Gesellschaften, deren Konstitutionen etwas anderes bestimmen. Ein Mitglied eines Säkularinstituts wird gemäß § 3 dieses Canons durch den Empfang der Diakonatsweihe der Teilkirche inkardiniert, für deren Dienst es geweiht wird, außer es wird kraft Verleihung des Apostolischen Stuhles dem Institut selbst inkardiniert.

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Als Quellen gibt der zitierte Canon neben c. 111 CIC/1917 eine Entscheidung der Interpretationskommission (PCI) vom 24. 7. 1939 1 und das Konzilsdekret "Presbyterorum Ordinis" an. Der zitierte c. 111 des CIC/1917 geht von einem anderen Klerikerbegriff als das gegenwärtige Kirchenrecht aus. Während nunmehr seit dem MP "Ad pascendum" vom 15. 8. 19722 der Übertritt vom Laien zum Kleriker durch die Diakonatsweihe erfolgt3 , ging der CICI1917 noch davon aus, daß man durch den Empfang der "prima tonsura" zum Welt- bzw. Ordenskleriker wurde. Allerdings ist letzteres, nämlich daß ein Ordensmann, d. h. wenn er zumindest zeitliche Profeß abgelegt hat, durch die Tonsur dem Ordensverband eingegliedert wird, im CIC/1917 nicht ausdrücklich angeordnet. § 2 des c. 111 sprach davon, daß der Kleriker durch den Empfang der prima tonsura der Diözese inkardiniert wird, für deren Dienst er befördert4 wurde. Man vermißt an dieser Stelle wie auch an anderen Stellen des CIC/1917 eine ausdrückliche Aussage über die Frage, welchem Verband der Ordensmann inkardiniert wird. Die hier bestehende Lücke konnte allerdings leicht geschlossen werden, d. h. es konnte sich nur um eine Inkardination zugunsten des Ordensverbandes (religio) handeln, zumal da gemäß § 1 des zitierten Canons eine Inkardination nur zugunsten einer Diözese oder einer "religion erfolgen konnte. Klarer ist in diesem Zusammenhang der dem c. 111 CIC/1917 entsprechende c. 46 des Orientalischen Personenrechts5 , demzufolge der Religiose, auch wenn er nur zeitliche Gelübde abgelegt haben sollte6 , durch die Erteilung des "heiligen Ritus" (die Tonsur ist nicht bei allen orientalischen Riten gebräuchlich, an ihre Stelle tritt ein anderer Aufnahmeritus7), dem Ordensverband als Kleriker eingegliedert (adscriptus) wird. Bemerkenswert ist die Aussage von § 2 des zitierten c. 46: Hier wird in bezug auf den Kleriker, der durch die Erteilung des heiligen Ritus einer Eparchie eingegliedert worden war, festgestellt, daß er durch die rechtmäßige Ablegung zeitlicher Gelübde in einem Ordensverband als Kleriker seinem klösterlichen Oberen untersteht, obwohl I AAS XXXI (1939) 321, Nr. I. 2 AAS LIV (1972) 534-540. 3 Zit. Dekret Nr. IX. 4 R. Köstler, Wörterbuch zum Codex luris Canonici, München 1927 übersetzt das "promotus" des c. 111 § 2 CIC/1917 mit "zur Weihe befördern, weihen". Diese Übersetzung scheint aber nicht exakt zu sein, da die "prima tonsura" keine Weihe war. Sie steilte lediglich die Voraussetzung für den Empfang von niederen und höheren Weihen dar. 5 MP "Cleri Sanctitati" vom 2. 6. 1957, in: AAS XXXIX (1957) 433-600. 6 Es wird hier auf Verbände Bezug genommen, bei denen ewige (einfache oder feierliche) Gelübde abgelegt werden. 7 Vgl. V. J. Pospishil, Code ofOriental Canon Law. Ford City (PA), 1960,60 f.

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er weiterhin seiner Eparchie zugeschrieben bleibt. Erst wenn er ewige Profeß abgelegt hat, bzw. wenn - in einem Verband, der nur zeitliche Gelübde kennt - seit der ersten Profeß 6 Jahre verstrichen sind, verliert er seine Zugehörigkeit zur Eparchie. Fassen wir das Ergebnis kurz zusammen: Aus dem CIC/1917 und dem Orientalischen Ordensrecht lassen sich für die Frage der Inkardination von Ordensklerikern zwei Feststellungen treffen: 1. Eine Inkardination (durch die Erteilung der Tonsur) war möglich, ja in der Praxis sogar die Regel, zu einem Zeitpunkt, da der Betreffende lediglich durch zeitliche Profeß seinem Verband eingegliedert war. 2. Inkardination und das, was ich weiherechtliche Verantwortung nennen möchte, konnten getrennt sein, d. h. je verschiedenen Hoheitsträgern zukommen: Dem Ortsordinarius als Träger der Inkardination, dem klösterlichen Oberen als demjenigen, dem der Professe aufgrund der Inkorporation auch in seiner Eigenschaft als Kleriker unterstands. Dem CIC/1983 zufolge vollzieht sic der Übertritt vom Laien zum Kleriker beim Empfang der Diakonatsweihe. Hinsichtlich der Ordenskleriker sind zwei Möglichkeiten vorgesehen: Die Inkardination in den Ordensverband; dies gilt ohne Einschränkung für Ordensinstitute. Bei klerikalen Gesellschaften des apostolischen Lebens ist als Regelfall die Inkardination in die Gesellschaft vorgesehen; allerdings können die Konstitutionen auch etwas anderes bestimmen, d. h. eine Inkardination zugunsten einer Teilkirche9 . In diesem Zusammenhang ist gelegentlich der Ausdruck •doppelte Inkardination· verwendet worden 10 , wobei freilich gleich zu bemerken ist, daß es sich in Wirklichkeit S Nicht geklärt war die Rechtsstellung der Klerikennitglieder nach Empfang der "prima tonsura" bei den "Societates sine votis" (ce. 673-681 CIC/1917). Stoffel bemerkt, daß sie, weil mit den Dimissorien des eigenen Oberen geweiht, in der selben Rechtsstellung wie die Religiosen mit zeitlichen Gelübden sein müßten. Diesbezüglich wurden drei Meinungen vertreten: 1. Sie sind weder der Diözese noch der Gesellschaft inkardiniert; 2. sie sind der Gesellschaft inkardiniert, allerdings "non absolute sed limitate"; 3. sie sind gemäß cc. 90-92, 93 § 2 und 94 § 1 der Diözese ihres Abstammungsortes bzw. ihres Wohnsitzes inkardiniert. O. Stoffel, Die katholischen Missionsgesellschaften. Historische Entwicklung und konziliare Erneuerung in kanonischer Sicht. Immensee 1984,33, Anm. 48. 9 Stoffel, ebd. 246. 10 Stoffel, ebd. 146, Anm. 137. Kritisch zum Ausdruck: ders., Die "doppelte Inkardination" bei den Missionsgesellschaften, in: FS für H. Schwendenwein, Graz 1986,547-560.

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keinesfalls um eine doppelte Inkardination handelt, sondern um zwei rechtlich verschiedene Begriffe, nämlich um die Inkorporation in eine Gesellschaft des apostolischen Lebens und die Inkardination in eine Teilkirche. Dieses Auseinanderfallen von Inkorporation und Inkardination ist - wie schon gesagt - bei den klerikalen Gesellschaften des apostolischen Lebens als Ausnahmefall vorgesehen (c. 266 § 2). Bei den Säkularinstituten ist es umgekehrt, d. h. hier bildet die Inkardination in eine Teilkirche den Regelfall; ausnahmsweise könnte kraft apostolischer Verleihung auch eine Inkardination in das Institut erfolgen (ebd. § 3). Ausdrücklich wird in bezug auf Ordensinstitute und klerikale Gesellschaften des apostolischen Lebens gesagt, daß einer Weiheerteilung die ewige Profeß bzw. die endgültige Eingliederung vorausgehen muß (c. 266 § 2). Es muß somit eine endgültige Inkorporation vorliegen, damit der Betreffende rechtmäßig zum Diakon (Priester) geweiht werden kann. Das vom Oberen auszustellende Weiheentlaßschreiben an den die Weihe erteilenden Bischof muß u. a. zum Ausdruck bringen, daß der Weihewerber endgültig in das Institut oder die Gesellschaft eingegliedert wurde (c. 1052 § 2; c. 1019 § 1). M. a. W., die Inkardination in das Ordensinstitut oder die Gesellschaft setzt die Inkorporation voraus 1I. Dieses Bezugsverhältnis von Inkardination und Inkorporation ist sicher bei jenen Verbänden gegeben, bei denen eine Inkardination zugunsten des Instituts (der Gesellschaft) vorgesehen ist. Es sind hier allerdings einige Fragen zu stellen: Zum einen wurde schon mehrfach aufmerksam gemacht, daß das nonnative Verhältnis der im Codex 1983 enthaltenen Bestimmungen über die Inkardination von Ordensklerikern und die Befugnis, Weiheentlaßschreiben auszustellen, nicht stimmig ist l2 . Denn gemäß c. 266 § 2 ist eine Inkardination "tamquam clericus" generell vorgesehen für Mitglieder von Ordensinstituten ohne jede Differenzierung in Institute päpstlichen oder diözesanen Rechts, Kleriker- oder Laieninstitute, sowie für klerikale Gesellschaften des apostolischen Lebens. Hier wird zwar ausdrücklich nur auf klerikale Gesellschaften abgestellt, bei diesen aber wird nicht unterschieden, ob es sich um Gesellschaften diözesanen oder päpstlichen Rechts handelt. Hinsichtlich der Säkularinstitute ist grundsätzlich eine Inkardination in eine Teilkirche vorgesehen; kraft apostolischer Verleihung könnte auch eine Inkardination in das Säkularinstitut erfolgen. 11 H. Schmitz, Die Inkardination im Hinblick auf die konsoziativen Strukturen, in: Das Konsoziative Element in der Kirche. Akten des VI. Internationalen Kongresses für kanonisches Recht (München 1987), St. Ottilien, 1989, 711. 12 Schmitz, ebd. 713 f.

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Diesen relativ weit gefaßten Bestimmungen über die Möglichkeit einer Inkardination zugunsten des Instituts oder der Gesellschaft entsprechen aber nicht die Aussagen des CIC/1983 über die Möglichkeit der Ausstellung von Weiheentlaßschreiben. Denn gemäß c. 1019 § 1 kommt nur dem höheren Oberen eines klerikalen Ordensinstituts päpstlichen Rechts oder einer klerikalen Gesellschaft päpstlichen Rechts die Befugnis zu, Weiheentlaßschreiben für ihre Untergebenen auszustellen, sofern diese auf Dauer oder endgültig dem Institut zugeschrieben (inkorporiert) sind. Die Weihespendung an alle übrigen Alumnen jedweden Instituts oder jedweder Gesellschaft richtet sich nach dem Recht der Weltkeriker; jedes den Oberen erteilte Indult ist widerrufen (c. 1019 § 2). Der Kreis der zur Ausstellung von Weiheentlaßschreiben Berechtigten ist daher wesentlich geringer als die in c. 266 § 2 angeführten ordensrechtlichen Verbandstypen. Heißt das nun, daß durch die einschränkenden Bestimmungen über die Ausstellung von Weiheentlaßschreiben das Inkardinationsrecht selbst auf jene Verbände reduziert wird, deren Obere Weiheentlaßschreiben ausstellen können? Die in c. 1019 § 1 angeführten höheren Oberen sind Ordinarien im Sinne von c. 134 § 1. In bezug auf die ihrem Verband inkardinierten Kleriker sind sie Ordinarius proprius. Es stellt sich die Frage, ob eine Inkardination nur zugunsten dieser in c. 1019 § 1 angeführten Verbände möglich ist, d. h. also hinsichtlich jener, deren Obere, weil im Besitz zumindest ausführender Leitungsgewalt (c. 134 § 1), Ordinarien sind, so daß Inkardinationsbefugnis und kirchliche Leitungsgewalt zusammenfallen, oder ob ein derartiger Zusammenhang nicht besteht. Die Frage ist dahingehend zu beantworten, daß ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar ist, so daß die Inkardinationsbefugnis auch den von c. 1019 § 1 nicht erfaßten Verbänden zukommt, sofern sie nur in dem von c. 266 § 2 gezogenen Rahmen subsumierbar sind l3 . 13 Die CIC-Kommission vertrat die Auffassung, daß Inkardinationsbefugnis nur jenen Verbänden zukommt, deren Obere kirchliche Leitungsvollmacht besitzen. Vgl. Communicat 11 (1979) 305-307. Schmitz, Inkardination (Anm. 11) 714, kommt zu dem Ergebnis, daß Inkardinationsbefugnis und kirchliche Leitungsgewalt in einem "inneren, nicht trennbaren Zusammenhang" stehen. Inkardinationsbefugnis könne daher nur den Verbänden zukommen, deren Obere kirchliche Leitungsgewalt haben. Das würde im Ergebnis bedeuten, daß nur jene Verbände inkardinieren können, deren Obere Ordinarien im Sinne von c. 134 § 1 sind. Eine solche Begrenzung ist aber vom Wortlaut der cc. 265 und 266 § 2 und 3 nicht vertretbar. Demzufolge sind auch laikale Ordensverbände päpstlichen Rechts sowie sämtliche diözesanrechtlichen Ordensverbände und - vorbehaltlich anderslautenden Eigenrechts - klerikale Gesellschaften diözesanen Rechts inkardinationsberechtigt.

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Wie vollzieht sich nun konkret die Weiheerteilung und die dadurch bedingte Inkardination in das Institut oder die Gesellschaft, wenn deren Oberer keine Weiheentlaßschreiben ausstellen kann? Ein Tätigwerden des Oberen ist in jedem Fall erforderlich, d. h. dieser präsentiert dem Bischof die Kandidaten, denen die Diakonatsweihe gespendet werden soll. Zuständiger Bischof wäre gemäß c. 1016 der sog. "eigene" Bischof (d. h. der Bischof jener Diözese, in der der Weihewerber seinen Wohnsitz hat I4). Sofern dieser Bischof die Weihe nicht selbst erteilt, könnte er (und nicht der Ordensobere) ein Weiheentlaßschreiben ausstellen. Der Inhalt dieses Entlaßschreibens ist durch den CIC/1983 vorgegeben, d. h. bevor der Bischof die Weihe entweder selbst spendet oder ein Weiheentlaßschreiben ausstellt, muß Gewißheit über das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gegeben sein. D. h. auch der Bischof muß sich vergewissern, daß der Weihewerber endgültig dem Institut oder der Gesellschaft eingegliedert ist, daß somit also die Inkorporation gegeben ist. Ohne diese ist - wie schon gesagt - eine Inkardination nicht möglich. Gemäß c. 1020 müssen ferner die in den cc. 1050 und 1051 vorgesehenen Zeugnisse und Dokumente vorliegen. Es stellt sich des weiteren die Frage, wie sich das Verhältnis von Inkorporation und Inkardination bei jenen Gesellschaften des apostolischen Lebens und bei den Säkularinstituten gestaltet, bei denen eine Inkardination in eine Teilkirehe vorgesehen ist. Für die Gesellschaften bestimmt c. 738 § 3, daß die Beziehungen des einer Diözese inkardinierten Mitglieds zum eigenen Bischof in den Konstitutionen oder durch besondere Vereinbarungen geregelt werDazu kommen jene Säkularinstitute, denen kraft apostolischer Verleihung das Inkardinationsrecht zukommt (c. 266 § 3). Vgl. W. Aymans, Oberhirtliche Gewalt, in: AkKR 157 (1988) 36. Das hier angeschnittene Problem läßt übrigens die Frage aufkommen, welcher Art die "potestas" sei, die den Oberen und Kapiteln aller Institute des geweihten Lebens (c. 596 § 1) sowie der Gesellschaften des apostolischen Lebens (c. 732) zukommt. Während § 2 des zitierten c. Jurisdiktionsgewalt ausdrücklich für Obere und Kapitel in klerikalen Instituten päpstlichen Rechts reserviert, wird die in § 1 erwähnte Gewalt nicht näher bezeichnet. Während ein Teil der Lehre hier ein Fortleben der früheren potestas dominativa annimmt, mehren sich die Stimmen derer, die auch in der in c. 596 § 1 angesprochenen Gewalt kirchliche Jurisdiktionsgewalt erblicken, die sich nicht ihrer Natur, sondern nur dem Umfang nach von der den Oberen und Kapiteln klerikaler Institute päpstlichen Rechts zukommenden Jurisdiktionsgewalt unterscheide. Letzteren komme eine umfassendere Jurisdiktionsgewalt zu, allen Instituten und Gesellschaften werde aber ausführende Jurisdiktionsgewalt zugeteilt. Vgl. dazu B. Primetshofer, Zur pro-episkopalen Tendenz des neuen Kirchenrechts, in: Thpp, Festgabe für Peter Gradauer, 139 (1991) 43 Anm. 25. 14 K. Lüdicke, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, RdZ 3 zu c. 1019.

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den l5 . Für die Säkularinstitute legt c. 715 § 1 fest, daß die einer Diözese inkardinierten Mitglieder unbeschadet dessen, was ihr geweihtes Leben im eigenen Institut betrifft, vom Diözesanbischof abhängig sind. Nur die dem Institut selbst inkardinierten Mitglieder sind, wenn sie für institutseigene Werke oder für die Leitung des Instituts bestimmt sind, nach Art von Ordensleuten vom Bischof abhängig.

C. 738 § 3 verweist also hinsichtlich der einer Teilkirche inkardinierten Mitglieder von Gesellschaften auf deren Eigenrecht und auf besondere Vereinbarungen. Untersucht man die diesbezüglichen Rechtsquellen l6 , so kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, daß die Inkardination in die Teilkirche sich beinahe zu einer Fiktion "verdünnt". Denn der Bischof, in dessen Diözese Klerikermitglieder von Gesellschaften inkardiniert sind, bekommt damit weder die Verfügbarkeit über den Kleriker, noch trifft ihn eine Sustentationspflicht. Beides ist Sache des Instituts. Will der Kleriker aus der Gesellschaft austreten, muß ihn sein "Heimatbischof" , in dessen Diözese er inkardiniert ist, keinesfalls aufuehmen, sondern ist diesbezüglich frei. Nimmt er ihn nicht auf, dann muß der Betreffende einen "Episcopus benevolus" finden, der ihn entweder inkardiniert oder zumindest probeweise in die Diözese aufnimmt. Es ist somit in dieser Hinsicht keinerlei Unterschied zu dem aus einem Ordensinstitut austretenden Mitglied. Mit Recht frägt daher Stoffel: "Kann man von einer Inkardination im eigentlichen Sinne sprechen, wenn die volle Verantwortlichkeit beim Institut bleibt und dem Bischof weder Verfügbarkeit noch Unterhaltspflicht zukommt? Verdient deshalb der Vertrag zwischen Bischof, Institut und Missionar - gegen den an sich nichts einzuwenden ist - überhaupt die Bezeichnung Inkardination?"17. Denn die aus dem Inkar15 Dies insbesondere deshalb, weil durch die bei Inkardination in eine Teilkirche gegebene mehrfache Abhängigkeit, nämlich vom eigenen Verbandsoberen, vom Diözesanbischof als geistlichem Oberhirten und gegebenenfalls noch vom Bischof des Apostolatsortes Reibungsflächen entstehen können. H. Socha, Die Gesellschaften des apostolischen Lebens, in: HdbKathKR 524, Anm. 25. 16 Stoffel, Missionsgesellschaften (Anm. 8) 132-135. 17 Stoffel, ebd. 134. Zur Zeit der Geltung des CIC/1917 wurde bei den Societates in communi viventes sine votis (den Vorläufern der im CIC/1983 so benannten Societates vitae apostolicae) allmählich die Inkardination in die Gesellschaft zum Regelfall. Der Grund hieftir lag darin, daß die Bischöfe sich weigerten, Klerikern die (höheren) Weihen zu erteilen, wenn diese dadurch der Diözese inkardiniert wurden. Die diesbezüglichen Überlegungen der Bischöfe schildert Larraona (sehr anschaulich) wie folgt: "Infatti i vescovi ragionevano COSI: 10 I'ordino, lui se ne va in missione e poi, quando diventa vecchio 0 ha dei capricci per la mente, ritorna ed io devo ricerverlo." A. Larraona, Scuola pratica di diritto dei Religiosi. La S. Congregazione dei Religiosi. Seconda parte: 11 funzionamento. (Vervielfältigtes Manuskript) Rom 1954/55,25.

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dinationsrecht erwachsende "umfassende Sorgepflicht" des Inkardinationsträgers zeigt sich vor allem im Recht auf dienstliche Verwendung, personale Betreuung, Versorgung und im Anspruch auf Sicherung dieser Rechte l8 . Die Begründung für die Inkardination der Mitglieder von Gesellschaften in eine Teilkirche liegt im theologischen Bereich: Die Heimatkirche soll sich dadurch auch ihrer Missionsverantwortung bewußt werden, und die Missionsgesellschaften scheinen als das auf, was sie in Wahrheit sind, nämlich Diener der "Communio Ecclesiarum"19. - Der Kanonist frägt sich allerdings, ob es eine so weitgehend ihres Inhalts beraubte Inkardination überhaupt geben kann. Es scheint mir persönlich undenkbar, daß ein in eine Teilkirche inkardinierter Kleriker, wenn er die Gesellschaft verläßt, nicht von "seinem" Bischof aufgenommen werden muß. Dies hat noch nichts mit der Sustentationspflicht zu tun; diese mag durchaus einer gesonderten Vereinbarung unterliegen, wobei sicherlich die Gesellschaft, in deren Dienst der Betreffende Jahre, ja vielleicht Jahrzehnte gestanden hat, zumindest einen Teil der Lasten wird übernehmen müssen. Aber daß eine Inkardination überhaupt keinerlei rechtlich faßbares "Heimatrecht" mit sich bringt, ist eigentlich unverständlich. Der Gesetzgeber hat es sich m. E. zu leicht gemacht, wenn er das Bezugsverhältnis zwischen dem Bischof und dem einer Teilkirche inkardinierten Mitglied einer Gesellschaft einfach in den Bereich des Eigenrechts bzw. eines gesondert zu schließenden Vertrages verlegt (cc. 736 § 1; 738 § 3) ohne zugleich einen nicht zu unterschreitenden Mindestinhalt einer solchen Inkardination festzulegen. Angesichts der geschilderten Sachlage müßte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, daß das Klerikermitglied einer Gesellschaft, auch wenn es nominell als einer Teilkirche inkardiniert bezeichnet wird, in Wirklichkeit der Gesellschaft inkardiniert ist. Dies sieht c. 266 § 2 für klerikale Gesellschaften sowieso als Regelfall vor.

18 H. Schmitz, Fragen des Inkardinationsrechtes, in: Festgabe A. Scheuennann, München/PaderbornlWien 1968, 146-152. 19 Stoffel, ebd. 135. - Was hier von Teilkirchen als Inkardinationsträgern der Klerikennitglieder von Gesellschaften des apostolischen Lebens gesagt wird, müßte analog auch auf die Personalprälaturen ausgedehnt werden. Dem steht m. E. nicht entgegen, daß die Personalprälatur gemäß c. 294 aus Wehklerikern besteht. Auch die Teilkirchen sind grundsätzlich Inkardinationsträger des Weltklerus; die Inkardination von Mitgliedern der Gesellschaften ist als Ausnahmefall vorgesehen. Wenn der Sinn einer solchen Inkardination aber darin besteht, eine besondere missionarische Aufgabe der Teilkirchen besonders zu akzentuieren, dann kann eine solche Zielsetzung auch in bezug auf eine Personalprälatur gegeben sein, so daß sich unter diesem Gesichtspunkt die Inkardination von Mitgliedern von Gesellschaften nahelegt.

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Bei den Klerikermitgliedern eines Säkularinstituts erfolgt eine Inkardination grundsätzlich in eine Teilkirche20 . Die Weiheerteilung richtet sich bier vollständig nach dem Recht der Weltkleriker, d. h. der im Sinne von c. 1016 § 1 "eigene Bischof" (d. h. der Bischof der Diözese, in der der Weihewerber seinen Wohnsitz hat oder jener Diözese, in deren Dienst er treten will) ist zur Weihespendung zuständig. Der Obere des Säkularinstituts, dem der Weihewerber angehört, wird rechtlich nicht tätig. Anders hingegen, wenn eine Inkardination in das Säkularinstitut stattfindet. Hier kann der höhere Obere des Instituts zwar keine Dimissorien ausstellen, er hat aber auf jeden Fall dem Bischof, und zwar dem gemäß c. 1016 "eigenen" Bischof den Weihekandidaten zu präsentieren und er muß dabei auch die gemäß cc. 1050 f. erforderlichen Dokumente und Zeugnisse vorweisen. Überdies hat der höhere Obere dem Bischof gegenüber zu bestätigen, daß eine endgültige Eingliederung in das Institut stattgefunden hat. Will der zuständige Bischof die Weihe nicht selbst erteilen, dann kann er Weiheentlaßschreiben ausstellen (c. 1019 § 2; c. 1018 § 1, 1)21.

Tritt das Klerikermitglied eines Säkularinstituts aus, so ist zu unterscheiden: Wer einer Teilkirche inkardiniert ist, muß von dem betreffenden Bischof aufgenommen werden, d. h. in seinem Status dem Bischof gegenüber tritt keinerlei Veränderung ein. So sagt c. 715 § 1, daß die einer Diözese inkardinierten Klerikermitglieder eines Säkularinstituts unbeschadet dessen, was ihr geweihtes Leben betritt, vom Diözesanbischof abhängig sind. - Tritt ein dem Säkularinstitut inkardiniertes Mitglied aus, dann ist es in derselben rechtlichen Lage wie ein aus einem Ordensinstitut oder einer Gesellschaft austretender Kleriker, d. h. er muß einen "Episcopus benevolus" finden, der ihn in seine Diözese inkardiniert oder zumindest probeweise aufnimmt (c. 727 § 2 mit Verweis auf c. 693).

Iß. Zum Verhältnis von Inkorporation (Exkorporation) und Inkardination Es wurde bereits gezeigt, daß überall dort, wo eine Inkardination zugunsten eines Instituts des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens gegeben ist, eine dauernde Inkorporation für die Erlaubtheit der gespendeten Weihe erforderlich ist. Nach meinem Dafürhalten muß eine sol20 Die Klerikennitglieder eines Säkularinstituts könnten - wie schon erwähnt auch in eine Personalprälatur inkardiniert sein. 21 H. Müller, Die Ordination, in: HdbKathKR, 722.

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che Inkorporation auch vorliegen, wenn es sich bei den Gesellschaften um eine Inkardination zugunsten einer Teilkirche handelt, da diese Form der Inkardination, wie gezeigt wurde, den Betreffenden in dieselbe Rechtslage versetzt, wie den einem Institut oder einer Gesellschaft inkardinierten Kleriker. Demzufolge dürfte also der Obere des Weihewerbers zwar kein Weiheentlaßschreiben ausstellen, müßte aber gleichwohl bestätigen, daß der Kandidat dem Institut dauernd inkorporiert ist. Es stellen sich aber, insbesondere im Falle des Ausscheidens aus dem Verband, einige das Bezugsverhältnis zwischen Inkorporation und Inkardination betreffenden Fragen. Da ist zunächst einmal der Fall eines Weihewerbers mit bloß zeitlichen Gelübden in einem Ordensinstitut. Eine Weihe darf (noch) nicht erteilt werden; die definitive Inkorporation in das Institut hat der Inkardination vorauszugehen. Nun gibt es aber Fälle, bei denen eine Weiheerteilung ohne dauernde Inkorporation stattgefunden hat, d. h. der betreffende Weihewerber hatte nur zeitliche Gelübde. Abgesehen von den strafrechtlichen Folgen für den Bischof und den Weihewerber gemäß c. 1383 (dem Bischof wird, vorausgesetzt, er hat gewußt, daß der Weihekandidat noch nicht dem Institut eingegliedert ist - für ein Jahr verboten, eine Weihe zu erteilen; der Geweihte selbst ist ohne weiteres von der empfangenen Weihe suspendiert22 ) erhebt sich die Frage, welchem Verband der betreffende KLeriker nun inkardiniert ist. Es kommen drei Möglichkeiten in Frage: Er ist der Teilkirche inkardiniert, deren Vorsteher ihn geweiht hat bzw. Weiheentlaßschreiben ausgestellt hat. Die zweite Möglichkeit ist, daß der betreffende unrechtmäßig geweihte Kleriker dem Institut oder der Gesellschaft inkardiniert ist. Die dritte Möglichkeit bestünde darin, daß er nirgends inkardiniert ist. Dieser letztgenannten Alternative würde auch die Straffolge der Suspension von der empfangenen Weihe als Tatstrafe entsprechen, so daß man sagen könnte, gerade weil es einen clericus acephalus nicht geben darf - und man müßte freilich hinzufügen, der die Weihe ausüben will - wird der "kopflose" Kleriker eben suspendiert. Andererseits könnte man die Straffolge auch rein pragmatisch dahingehend deuten, daß eine gegen die Rechtsordnung schwerwiegend verstoßende Handlungsweise eine Strafe erfordert, ohne daß dabei die weiherechtliche Frage nach der Inkardination eigens angesprochen wird.

22 Hinsichtlich des Umfangs der Suspension für denjenigen, der unrechtmäßig die Weihe empfangen hat, vgl. R. A.. Strigl, Die einzelnen Straftaten, in: HdbKathKR, 943, Anm. 8.

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Von den drei Möglichkeiten möchte ich mich für die zweite entscheiden, d. h. der betreffende Kleriker ist m. E. dem Institut (der Gesellschaft) inkardiniert, allerdings mit folgenden Besonderheiten: Die Inkardination ist resolutiv bedingt, d. h. sie erlischt, wenn der Kleriker nicht zur ewigen Profeß zugelassen wird und infolgedessen aus dem Verband ausscheidet. Er ist damit in der Lage des aus dem Verband Entlassenen und muß einen "episcopus benevolus" finden, der ihn gemäß c. 693 probeweise aufnimmt, oder ihm zumindest die Ausübung der heiligen Weihen gestattet (c. 701 in Verbindung mit c. 693). Wo ist dieser Kleriker aber inkardiniert während der Zeit seiner probeweisen Aufnahme in die Diözese bzw. während der Zeit, in der ihm der Vorsteher einer Teilkirche die Ausübung der Weihe gestattet?23 Nach meinem Dafürhalten ist er im fraglichen Zeitraum nirgends inkardiniert. Er hat aber einen Vorsteher einer Teilkirche oder einer Personalprälatur, der ihm zumindest die Ausübung der heiligen Weihe gestattet, d. h. die weiherechtliche Verantwortung übernimmt. Ist auch dieses Minimalerfordernis nicht gegeben, dann ist der betreffende Kleriker ipso facto von der Ausübung der Weihe suspendiert. Denn das eigentliche Zentralanliegen der Inkardination, der sozusagen "harte Kern" besteht darin, daß es eine Weiheausübung durch einen Kleriker nicht geben darf, für dessen mit der empfangenen Weihe in Zusammenhang stehendes Wirken niemand die Verantwortung trägt, d. h. kein Vorsteher einer Teilkirche und kein Oberhirte einer Personalprälatur24 . In diesem Sinne darf es keine "clerici acephali seu vagi" geben. - Ich werde auf diese Frage in anderem Zusammenhang noch einmal zu sprechen kommen. Es bleiben noch die Fälle des in ein Institut des geweihten Lebens oder eine Gesellschaft des apostolischen Lebens inkardinierten Klerikers zu untersuchen, der entweder freiwillig aus dem Verband austritt (Säkularisationsindult) oder entlassen wird.

23 Die im Falle der Säkularisation von Professen mit ewigen Gelübden, mithin bei Vorliegen einer endgültigen Inkorporation in das Institut bzw. die Gesellschaft, zur Anwendung kommende Vorgangsweise, daß während der probeweisen Aufnahme (c. 693) eine Exklaustration gewährt wird und damit die bisherige Inkorporation erhalten bleibt, kann bei Zeitlich-Professen, deren Profeß abgelaufen ist, nicht angewandt werden. 24 Auch der Prälat der Personalprälatur muß, wenngleich er in c. 134 nicht genannt wird, als Oberhirte angesprochen werden. H. Pree, Die Ausübung der Leitungsvollmacht, in: HdbKathKR, 134; W. Aymans, Oberhirtliehe Gewalt (Anm. 13) 33; M. Benz, Die Personalprälatur. St. Ottilien 1988,33 f.

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In bezug auf das Klerikermitglied, das freiwillig ausscheidet, d. h. um Dispens von den Gelübden oder ähnlichen Bindungen ansucht, sagt c. 693 25 , daß das Indult nicht gewährt wird, bevor er einen Bischof gefunden hat, der ihn in seine Diözese inkardiniert oder zumindest probeweise aufnimmt. Bei sofortiger Inkardination ist der Fall problemlos. Hier schließt sich an die Exkardination vom Institut (der Gesellschaft) sofort die Inkardination in die Teilkirche oder Personalprälatur an. Anders hingegen im Falle der probeweisen Aufnahme. Hier stellt sich die Frage, wo der Kleriker inkardiniert ist, wenn ihm das Säkularisationsindult sofort, d. h. vor der Inkorporation in die Teilkirehe (Personalprälatur) bereits gegeben wurde. In der Teilkirche ist er sicher noch nicht inkardiniert, weil ja die Aufnahme probeweise geschieht. Ist er weiterhin dem Institut (der Gesellschaft) inkardiniert? - In der Praxis werden diese Fälle, wie mir ein Mitglied der Religiosenkongregation sagte, so gelöst, daß dem Austrittswilligen nicht wie der Wortlaut von c. 693 immerhin nahelegt, das Säkularisationsindult gegeben wird, sondern es wird ihm nur eine Exklaustration gewährt und zwar, bis ihn ein Bischof aufnimmt. Daß er während der Dauer der Exklaustration weiterhin dem Ordensverband (der Gesellschaft) inkardiniert bleibt, ist keine Frage. Dies deshalb, weil ja seine Inkorporation in den Verband nicht berührt wird. Sollte hingegen eine Regelung Platz greifen, die vom Wortlaut des c. 693 vorgesehen ist, d. h. wird das Säkularisationsindult gewährt, und der Betreffende hat nur einen Bischof gefunden, der ihn nicht sofort, sondern nur probeweise aufnimmt, dann ist die Frage der Inkardination des betreffenden Klerikers m. E. genauso zu beantworten wie beim Entlassenen gemäß c. 701. Halten wir fest: Ein Kleriker, dem das Säkularisationsindult gewährt wurde und der einen Bischof gefunden hat, der ihn probeweise aufnimmt, d. h. (noch) nicht inkardiniert, hat einen Hoheitsträger, der für ihn die weiherechtliehe Verantwortung übernimmt. Eine Inkardination in die Teilkirche findet (noch) nicht statt; die Inkardination in den Ordensverband hingegen besteht nicht mehr, weil die Inkorporation beendet ist. Bei einem nach Durchführung des entsprechenden Verfahrens entlassenen Ordenskleriker (die beiden Tatbestände der automatischen Entlassung gemäß c. 694 § 1 scheiden aus der Betrachtung aus, weil sich hier die Frage der Inkardination nicht mehr stellt26 ) ist zu unterscheiden, ob der Betreffende dau25 In bezug auf die (dem Institut inkardinierten) Mitglieder von Säkularinstituten bzw. von Gesellschaften des apostolischen Lebens vgl. die Verweisungsnormen der ce. 727 § 2 und 743. 26 Die beiden in c. 694 § 1, 1 und 2 angeführten Deliktstatbestände haben neben den in ce. 1364 § 1 und 1394 § 1 angeführten Tatstrafen der Exkommunikation bzw. des Interdikts den automatischen Amtsverlust nach c. 194 § 1, 2 und 3 zur Folge, wodurch die erlaubte Ausübung der Weihe untersagt ist. Die in § 2 des zitierten c. in

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emd dem Institut (der Gesellschaft) eingegliedert wurde oder ob er erst zeitliche Gelübde (Bindungen) abgelegt hat. Der letztgenannte Fall könnte erlaubteIWeise nur dann vorliegen, wenn die Weihe vor Eintritt in das Institut (die Gesellschaft) stattgefunden hat. In diesem Falle ist der Kleriker weiterhin seiner Teilkirche inkardiniert. - Wenn er aber nach der ewigen Profeß oder endgültigen Eingliederung die Weihe empfangen hat, wird er dem Verband "tamquam clericus· inkardiniert (c. 266 § 2). Wird er nun entlassen, so darf er gemäß c. 701 die heiligen Weihen so lange nicht ausüben, bis er einen Bischof findet, der ihn nach einer angemessenen Prüfung in seine Diözese nach Maßgabe von c. 693 aufnimmt oder ihm zumindest die Ausübung der heiligen Weihen gestattet. Anders als bei c. 693, d. h. dem Fall des freiwillig aus dem Ordensverband Ausgeschiedenen (Säkularisierten) ist beim Entlassenen hinsichtlich des "episcopus benevolus" nur eine probeweise Aufnahme vorgesehen, oder auch die bloße Erlaubnis, die heiligen Weihen auszuüben 27 . Eine sofortige Aufnahme, wie dies c. 693 bezüglich des Ausgetretenen als Möglichkeit offenhält, gibt es in bezug auf den Entlassenen nicht. D. h. hier ist aufgrund des kodikarischen Rechts auf jeden Fall zunächst eine probeweise Aufnahme vorzunehmen. Anders als im Fall des Austrittswilligen kann man sich hier nicht mit einer Exklaustration behelfen, und zwar für so lange, bis ein aufnahmebereiter Bischof gefunden ist. Das Entlassungsdekret bedeutet, sobald es rechtswirksam geworden ist, ein Erlöschen der aus der Profeß hervorgegangenen Rechte und Pflichten (c. 701, 1. Satz). Wo ist der Kleriker nach Rechtskraft des Entlassungsdekretes inkardiniert? Der Teilkirche sicher nicht, weil ihn - wie schon gesagt wurde - der Bischof gar nicht einfachhin aufnehmen darf, sondern er kann ihn nur probeweise aufnehmen oder ihm die Ausübung der heiligen Weihen gestatten. Bleibt er seinem Verband inkardiniert? Meines Erachtens ist die Frage zu verneinen. Die von Schmitz28 und anderen vorgetragene These, wonach der Betreffende nach wie vor dem Ordensverband (der Gesellschaft) inkardiniert bleibt, bis er anderswo inkardiniert wird oder überhaupt den klerikalen Stand verliert, trägt dem Zusammenhang zwischen Inkorporation und Inkardination nicht gebührend Rechnung. Dabei erhebt sich die Frage, ob die Wendung des c. 266 § 2, wonach durch die Ablegung der ewigen Gelübde oder durch die definitive bezug auf die Möglichkeit einer Geltendmachung des Amtsverlustes geforderte Erklärung der zuständigen Autorität ist mit der gemäß c. 694 § 2 vorgenommenen Tatbestandsfeststellung seitens des höheren Oberen gegeben. 27 Vgl. B. Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983. Freiburg/Br. 31988,195. 28 Schmitz, Inkardination (Anm. 11) 719.

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Eingliederung eine Inkardination "tamquam clericus" erfolge, in dem Sinne zu deuten ist, daß die Inkardination auch im Falle der Beendigung der Inkorporation weiter besteht. Dieser Sinn ist dem Wortlaut der zitierten Gesetzesstelle nicht zu entnehmen. Dieser bestimmt lediglich die zeitliche Aufeinanderfolge von Inkorporation und Inkardination: Eine Inkardination als Kleriker in das Institut kann erst erfolgen, nachdem die Inkorporation stattgefunden hat. Die Annahme einer nach Entlassung fortdauernden Inkardination zugunsten des Ordensverbandes würde zu schwierig nachvollziehbaren Konsequenzen führen: Anders als im CIC/1917 erlöschen nunmehr mit der Entlassung die Gelübde und die aus der Profeß hervorgegangenen Rechte und Pflichten (c. 701)29. Wie soll der Klosterobere weiterhin Verantwortung für den Entlassenen übernehmen, wenn ihm dieser durch Beendigung des Inkorporationsverhältnisses in keiner Weise mehr untersteht? Dabei ist ja auch zu bedenken, daß der Entlassene aller Wahrscheinlichkeit nach kein allzu gutes Verhältnis zum Verband haben wird, aus dem er zwangsweise ausgeschlossen wurde. Eine Kommunikationsbasis wird also kaum mehr gegeben sein. Schmitz führte zugunsten seiner These vom Weiterbestehen der Inkardination in den Ordensverband trotz Entlassung u. a. an, es wäre eine ungerechtfertigte Privilegierung der Inkorporationsverbände, wenn diese sich in offenkundigem Widerspruch zur Grundnorm des Inkardinationsrechts im Wege der Entlassung (und auch der Säkularisierung) der aus der Inkardination entstandenen Pflichten gegenüber dem Kleriker einfach entledigen könnten, was den Teilkirchen verwehrt sei30 . Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Die Ordensverbände sind in bestimmten Fällen verpflichtet, eine Entlassung vorzunehmen (c. 695 unter Bezugnahme auf die in cc. 1397, 1398 und 1395 angeführten Deliktstatbestände). Es liegt also gar nicht im Ermessen des betreffenden Verbandes, ob er sich von seinem Mitglied trennen will oder nicht. Überdies ist kein Bischof verpflichtet, einen Entlassenen aufzunehmen. Ferner muß bedacht werden, daß der Entlassene ebenso wie der Säkularisierte, was seinen Lebensunterhalt angeht, keineswegs ins Nichts lallt. Denn c. 702 § 2 bestimmt, daß der Ordensverband nach Maßgabe von "aequitas" und "caritas evangelica" materiell für den Entlassenen Vorsorge treffen muß. In Österreich und Deutschland be29 Zufolge c. 669 § 1 CIC/1917 blieb der Entlassene weiter an seine Gelübde gebunden und mußte, entsprechende Zeichen der Besserung vorausgesetzt, "ad claustra redire" (c. 672 § 1). 30 Schmitz, Inkardination (Anm. 11) 719.

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stehen überdies staatliche Bestimmungen, denenzufolge eine nachträgliche Sozialversicherung für die ganze im Ordensverband zugebrachte Zeit vorgenommen werden muß, so daß jedenfalls für Alters- und Krankenversicherung gesorgt ist31 . Wir haben vorhin bei den Klerikermitgliedern von Gesellschaften des apostolischen Lebens gesehen, daß die Inkardination in eine Teilkirche sich in der Nähe einer bloßen Fiktion bewegt. Das bedeutet also, daß eine Inkardination bestehen kann, die für die Betroffenen, nämlich den Inkardinationsträger und den Inkardinierten so gut wie überhaupt keine rechtlichen Verbindlichkeiten mit sich bringt. Dies läßt nun folgende Überlegung als gerechtfertigt erscheinen: Worauf es dem Gesetzgeber des CIC/1983 im Klerikerrecht ankommt, ist die Tatsache, daß es eine Weiheausübung ohne einen dafür verantwortlichen Hoheitsträger nicht geben kann. Diese Verantwortlichkeit kann sich mit der Inkardination decken; sie kann aber auch auseinanderfallen. Letzteres dann, wenn für einen inkardinierten Kleriker nicht der Inkardinationsträger, sondern ein anderer Oberer Verantwortung trägt. So meine ich, daß der CIC/1983 im Inkardinationsrecht eine Grundnorm festlegen wollte, die die weiherechtliche Verantwortlichkeit für den die Weihe ausübenden Kleriker zum Mittelpunkt hat. Diese weiherechtliche Verantwortlichkeit kann gegebenenfalls von der Inkardination abgelöst sein, sei es, daß Inkardination und weiherechtliche Verantwortung auseinanderfallen, sei es, daß nur weiherechtliche Verantwortung ohne Inkardination besteht. Letzteres ist m. E. bei dem zwangsweise Entlassenen der Fall: Dieser ist nach Rechtskraft des Entlassungsdekrets nirgens inkardiniert. Will er die Weihe ausüben, dann braucht er einen Bischof, der ihm zumindest die Ausübung der Weihe gestattet; findet er keinen, dann ist es ihm verboten, die Weihe auszuüben. Diese Aussage, wonach der zwangsweise Entlassene zunächst nirgends inkardiniert ist, steht, dessen bin ich mir völlig bewußt, in Widerspruch zu c. 265, wonach jeder Kleriker entweder einer Teilkirche32 , einer Personal prälatur, einem Institut des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens inkardiniert sein muß. Der diesem Canon beigefügte Nach31 Vgl. B. Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 27) 197 f. 32 Nach Schmitz, Inkardination (Anm. 11) 703 f. ist die in c. 265 angeführte Liste von Inkardinationsträgem unvollständig, weil das Militärordinariat fehlt . - Meiner Ansicht nach ist das Militärordinariat den Teilkirchen zuzurechnen. Denn Nr.l § 1 und Nr. 11 § 1 der Apostolischen Konstitution "Spirituali militum curae" (AAS LXXVIII (1986) 481-486, 482 f.) setzen das Militärordinariat mit einer Diözese gleich und statten den Militärordinarius mit allen Rechten eines Diözesanbischofs aus. 41 Primetshofer

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satz "ita ut clerici acephali seu vagi minime admittantur" enthält aber einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was der Gesetzgeber hier mit Inkardination meint. Man kann daraus zu Recht dieses Anliegen dahingehend verstehen, daß es keinen "kopflosen" Kleriker geben darf, d. h. einen Kleriker, für den kein Hoheitsträger die weiherechtliche Verantwortung trägt. Das und nur das ist mit dem Verbot des "c1ericus acephalus" gemeint. Nur jener Kleriker, für den niemand die weiherechtliche Verantwortung übernimmt, wäre ein c1ericus acephalus. Der Normsinn des c. 265 ist mittels einer teleologischen Reduktion zu gewinnen: Mit dem Verbot des c1ericus acephalus hat der Gesetzgeber nicht gemeint, daß es in jedem Falle eine Inkardination geben muß. Hingegen muß ein Ordinarius vorhanden sein, der gegebenenfalls auch ohne Inkardination die weiherechtliehe Verantwortung für den Kleriker übernimmt. Es erhebt sich die Frage, ob eine solche weiherechtliche Verantwortung ohne Inkardination von allen Ordinarien im Sinne von c. 134 übernommen werden kann. Nach meinem Dafürhalten ist der hier verwendete Ordinariusbegriff einzuschränken auf die Ortsordinarien, den Militärordinarius und den Prälat der Personalprälatur; die ordensrechtlichen Ordinarien sind hingegen hier nicht subsumierbar. Dies deshalb nicht, weil die ce. 701 und 693 eine probeweise Aufnahme bzw. eine Erlaubnis, die empfangene Weihe auszuüben, für den entlassenen Ordenskleriker nur zugunsten des "Bischofs" (einer Diözese) vorsehen (c. 701). Darunter sind die dem Bischof im Recht gleichgestellten Vorsteher von Teilkirchen zu subsumieren (ce. 381 § 2; 368), ferner der Militärordinarius und - nach dem schon Gesagten - der Prälat der Personalprälatur, nicht aber die ordensrechtlichen Ordinarien. Der hier verwendete Begriff des Ordinarius ist also nicht deckungsgleich mit dem "Ortsordinarius" , weil der Personalprälat inkludiert ist; er ist aber weniger als der Genusbegriff Ordinarius (c. 134) schlechthin. Um das bisher Gesagte zusammenzufassen, sei abschließend eine Neufassung des c. 265 vorgeschlagen: § 1 QuemIibet c1ericum oportet esse vel incardinatum alicui Ecc1esiae particulari vel Praelaturae personali, aut instituto vitae consecratae aut societati hac facultate praeditis, vel saltem alieui Ordinario quoad exercitium suseepti ordinis subiectum, ita ut c1erici acephali seu vagi minime admittantur.

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§ 2 Nomine Ordinarii hic veniunt praeter Ordinarios locorum et Ordinarius castrensis et Praelatus Praelaturae personalis, non autem Ordinarii lnstitutorum religiosorum aut Socientatum vitae apostolicae3 3 •

33 Änderungen und Zusätze im lateinischen Text sind durch Hervorhebung gekennzeichnet. Deutsche Übersetzung: § 1 Jeder Kleriker muß entweder einer Teilkirche, einer Personalprälatur, einem Institut des geweihten Lebens, bzw. einer mit dieser Vollmacht ausgestatteten Gesellschaft des apostolischen Lebens inkardiniert oder einem Ordinarius in bezug auf die Ausübung einer empfangenen Weihe unterstellt sein, so daß es Kleriker ohne eine solche Unterordnung keinesfalls geben darf. § 2 Unter der Bezeichnung Ordinarius sind hier neben den Ortsordinarien (c. 134) auch der Militärordinarius sowie der Prälat der Personalprälatur zu verstehen, nicht aber die Ordinarien der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens.

Der Ortsbischof und die Ordensverbände I. Vorbemerkungen 1. Das Thema dieser Ausführungen ist, was ihre rechtlichen Aspekte betrifft, nicht neu, wenngleich - daran kann kein Zweifel sein - immer wieder aktuell. Schon zur Zeit der Geltung des CIC/1917 befaßten sich nicht wenige einschlägige Darstellungen mit dem Bezugsverhältnis zwischen Diözesanbischof bzw. Ortsordinarius und den Ordensverbänden. Seit der Promulgation des CIC/1983 ist dieses Thema wiederholt zum Gegenstand von Überlegungen gemacht worden, die einerseits auf die Neuordnung der Materie Bezug nehmen, andererseits aber nicht wenige offene Fragen aufzeigen. Dies wiederum hängt zum Teil mit dem Rechtscharakter des neuen Ordensrechts, ja des neuen kanonischen Rechts im allgemeinen zusammen, das mehr als der CIC/1917 sich damit begnügt, allgemeine Richtlinien zu zeichnen, Rahmen abzustecken, und weniger in die Regelung rechtlicher Details eingehtl. Zum anderen Teil sind es auch bestimmte, von einigen zumindest als solche empfundene Defizite bei der Regelung der anstehenden Materie, d. h. es werden die im ius conditum vorzufmdenden Regelungsmodelle als unzureichend empfunden und gewisse Wünsche für ein (eventuelles) ius condendum angemeldet2 • 2. Versucht man vor einem Eingehen in rechtliche oder sonstige Details sich einen Gesamteindruck vom Ordensrecht im allgemeinen wie von der hier 1 Vgl. dazu die von der Generalversammlung der Bischofssynode 1967 approbierten Richtlinien ftir den neuen Codex Nr. 5. Hier werden das Subsidiaritätsprinzip und die Dezentralisierung als Leitlinien ftir den neuen Codex bezeichnet. Vgl. lateinisch-deutsche Ausgabe des CIC/1983, Praefatio XLII und XLIII. Zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im neuen Codex vgl. Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR, 50 f. 2 Rudolf Henseler, Grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis Ortskirche - Ordensverbände, in: Ordenskorrespondenz 30 (1989) 5-18, hält die im gegenwärtigen Ordensrecht des CIC/1983 verankerte Autonomie der Ordensverbände ftir nicht ausreichend und wünscht eine Wiederbelebung des Rechtsinstituts der Exemtion, da nur auf diese Weise der Selbständigkeit der Ordensinstitute gegenüber dem Diözesanbischof ausreichend Rechnung getragen werden könne.

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in Rede stehenden Frage insbesondere zu verschaffen, so fallen eine Reihe von signifikanten Änderungen gegenüber den das bisherige Bezugsverhältnis zwischen Bischof und Ordensverbänden beherrschenden Leitlinien ins Auge. Dies nicht insofern, daß, was den Inhalt der Normierungen an sich betrifft, im genannten Bezugsverhältnis grundlegende, radikale Neuerungen eingetreten wären - auch hier gilt der alte Satz "ius non facit saltus" -, sondern vielmehr im theoretischen Ansatz, in dem aus den konkreten Regelungen ersichtlichen geistigen Gesamtkonzept, das teils direkt im gesatzten Recht angesprochen, teils indirekt daraus ermittelt werden kann. Es liegt auf der Hand, daß die geistige Nähe des CIC/1983 zum 11. Vatikanischen Konzil 3 , das sich ja in mehreren seiner Dokumente mit der Geistigkeit der Ordensverbände im allgemeinen, wie auch mit deren Ort in der Gesamtkirehe und in der Teilkirche beschäftigt, auch hier seinen konkreten Niederschlag gefunden hat. In der Zeit zwischen dem 11. Vatikanischen Konzil und der Promulgation des CIC/1983 hat sich ein Dokument des HI. Stuhles in großer Ausführlichkeit (man könnte beinahe sagen mit epischer Breite) mit dem Verhältnis zwischen Diözesanbischof und Ordensverbänden befaßt. Bei diesem Dokument ist rein äußerlich der Umstand bemerkenswert, daß zwei Dikasterien des HI. Stuhles, nämlich die Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute (so hieß sie damals noch) und die Kongregation für die Bischöfe gemeinsam sog. Notae directivae für die Beziehungen zwischen Bischöfen und Religiosen erlassen haben. Ein solches, von zwei Kongregationen in gemeinsamer Verantwortlichkeit erlassenes Dokument stellt eine Seltenheit dar. Die am 23. 4. 1978 unter der Bezeichnung "Mutuae relationes" veröffentlichten Direktiven4 sind weniger wegen ihres normativen Inhalts von besonderem Interesse - darin basiert das Dokument weitgehend auf den konziliaren und postkonziliaren Aussagen -, sondern vielmehr aufgrund der hier sehr eindringlich aufgewiesenen theologischen und ekklesiologischen Gesamtschau, in die die Frage des Zusammenwirkens von Bischöfen und Ordensverbänden gestellt ist.

Es wird hier nicht nur ein juristisches Rechte-Pflichtenverhältnis angesprochen und beschrieben, sondern es wird zunächst ein geistiges Klima gezeichnet, das die eine und gemeinsame Verantwortung des Bischofs als geistlichem Vater der in seiner Teilkirche bestehenden Ordensverbände und der in diese Diözesanfamilie integrierten Ordenschristen mit ihrem besonderen 3 Papst Johannes Paul 11. bezeichnet den CIC/1983 als "ultimo documento conciliare". Communicationes 15 (1983) 128. Die Apostolische Konstitution "Sacrae disciplinae leges" zur Promulgation des CIC/1983 bezeichnet das Gesetzbuch als "complementum" der vom 11. Vatikanischen Konzil vorgestellten Lehre. Vgl. lateinisch-deutsche Ausgabe des CIC/1983, XX. 4 AAS LXX (1978) 473-506 (im folgenden MR).

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Zeugnis aufweist. In solcher Deutlichkeit ist m. E. dieses Miteinander und Füreinander von Bischof und Ordensverbänden bislang nicht angesprochen worden. So wird etwa in "Mutuae relationes" wie auch in anderen Dokumenten des HI. Stuhles aus den Jahren unmittelbar vor der Promulgation des CIC/1983 nicht nur auf die Verpflichtung der Ordensverbände gegenüber den Teilkirchen, sondern umgekehrt auch und mit nicht minder großer Deutlichkeit auf den Dienst der Bischöfe an den Ordensverbänden hingewiesen. Und dies nicht nur gegenüber den apostolisch tätigen Verbänden, sondern auch gegenüber den beschaulichen. So heißt es etwa in einer Ansprache Johannes Pauls 11. an die Generaloberen5 , daß das Ordensleben ein unermeßliches Kapital an gutem Willen darstelle, ohne das die Kirche nicht mehr voll sie selber wäre. Die Orden ihrerseits müssen sich bemühen, in der immer wieder erneuerten Treue zum Charisma ihrer Gründer, dem, was die Kirchen von ihnen erwartet, den Verpflichtungen, die die Kirche samt ihren Hirten heute für die dringendsten hält, zu entsprechen, angesichts einer Mission, die so sehr qualifizierte Arbeiter braucht6 . Andererseits wird auch unter Hinweis auf CD 12, 15, 35 und LG 25, 45 dem Bischof als authentischem Lehrer und Leiter der Vollkommenheit gegenüber allen Mitgliedern der Diözese ("magistri authentici et perfectionis moderatores '" pro omnibus Dioeceseos membris ... ") aufgetragen, die Treue gegenüber der klösterlichen Berufung zu schützen7 . Besondere Sorge sollen die Bischöfe der Einpflanzung des kontemplativen Lebens zuwenden. Gerade in einer dem Materialismus zugewandten Zeit könne dies nicht deutlich genug betont werden. Es bedürfe insbesondere heute der auf Kontemplation ausgerichteten Institute, bei denen, einem Wort des heiligen Bernhards von Clairvaux zufolge, der Grund, Gott zu lieben allein Gott sei, das Maß dieser Liebe, ihn ohne Maß zu lieben ("causa deligendi Deum Deus est; modus, sine modo diligere"8). In einem Dokument der SCRel vom 12. 8. 1980, das auf eine Vollversammlung der genannten Kongregation zurückgeht, wird der Bischof als 5 Ansprache des Papstes bei der Audienz für die Generaloberen der Männerorden vom 24. 11. 1978. L'Osservatore Romano (Wochenausgabe in deutscher Sprache) 8. 12. 1978, Nr. 49, 2. 6 Ansprache des Papstes an die Mitglieder der Internationalen Union der Generaloberinnen am 16. 11. 1978. L'Osservatore Romano (Wochenausgabe in deutscher Sprache) 1. 12. 1978, Nr. 48, 2. 7 MR 28. 8 MR 23,3.

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Hirte, Führer und Vater der beschaulichen Klöster bezeichnet9 ; die Kenntnis des Ordenslebens in seinen verschiedenen Erscheinungsformen müsse auch schon in den Seminarien für die Heranbildung von Weltpriestern gefördert werden 10 . Schon in MR (9, c) fmden wir einen Hinweis, der später in c. 605 CICI1983 seinen Niederschlag gefunden hat: Den Bischöfen kommt es kraft ihres Amtes zu, auch um das Charisma klösterlicher Berufungen besorgt zu sein; dies um so mehr, als der unteilbare pastorale Dienst sie zu Vollendern (perfectores) der ganzen ihnen anvertrauten Herde macht. In der Förderung des klösterlichen Lebens und in einem diesem nach Maßgabe des Rechts zu gewährenden Schutz erfüllen die Bischöfe ihren pastoralen Dienst. C. 605 CICI1983 sagt u. a., daß die Diözesanbischöfe es sich angelegen sein lassen sollen, der Kirche vom Heiligen Geist anvertraute neue Gaben des geweihten Lebens zu erkennen; sie sollen deren Förderern behilflich sein, ihre Vorhaben auf möglichst gute Weise zum Ausdruck zu bringen und durch geeignete Satzungen abzusichern 11. 11. Die Grundlinien der Rechtsbeziehungen zwischen Diözesanbischof und Ordensverbänden

1. Autonomie und Exemtion

Schon ein kurzer Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, daß das Bezugsverhältnis zwischen Diözesanbischöfen und Ordensverbänden von einem immer wiederkehrenden Schlüsselbegriff geprägt war, der die mehr oder minder weitreichende Unterstellung (Abhängigkeit) bzw. Nicht-Unterstellung der Ordensverbände gegenüber dem Diözesanbischof zum Gegenstand hatte: die Exemtion. Diese Herausnahme, wenn man will, partielle Außerkraftsetzung der Leitungsgewalt des Diözesanbischofs gegenüber den Ordensverbänden bildete 9 SCRe1 Instr. part. 12. 8. 1980 "De arcte coniungenda activitate vitae interioris cum activitate apostolica apud sodales Institutorum vitae apostolicae deque valore perenni ac de modis tutand i et promovendi activitatem contemplativam apud sodales qui, ratione proprii Instituti, vitae contemplativae principaliter incumbunt". Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post codicem iuris canonici editae, vo!. VI, Roma 1987, Nr. 4790, co!. 8014 (Nr. 28). 10 Ochoa, ebd., co!. 8012 (Nr. 21). 11 Domingo Javier A.ndres, 11 diritto dei Religiosi, Roma 1984,39 f.

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auch einen festen Bestandteil der Begrifflichkeit des Ordensrechts des CIC/1917. Kurz sei rekapituliert, daß dieses Gesetzbuch die Exemtion in zwei Formen kannte: als echtes und unechtes Privileg. Letzteres, d. h. eine schon im Gesetz selbst vorgesehene Sonderstellung (Privilegierung) galt für die im CIC/1917 so bezeichneten Regularen; darunter verstand c. 488, 7 die Mitglieder eines Ordens i. e. S., d. h. eines Verbandes, in dem feierliche Gelübde abgelegt werden (ebd. 2). Die Regularen waren also exemt kraft allgemeinen Rechts (c. 615 CIC/1917); den Kongregationen, d. h. Verbänden, in denen nur einfache Gelübde abgelegt wurden, konnte die Exemtion durch besondere päpstliche Verleihung, somit als echtes Privileg zukommen (c. 618 § 1). Allerdings durfte die generalisierende Aussage (Legaldefinition wird man wohl nicht sagen dürfen) des c. 488, 2 CIC/1917, wonach die "religio exempta" als der Jurisdiktion des Ortsordinarius schlechthin entzogen bezeichnet wird (" a iurisdictione Ordinarii loci subducta") keinesfalls zu der Annahme verleiten, Exemtion bedeute generelle Ausschaltung des Ortsordinarius, und der nichtexemte Verband sei ihm schlechterdings unterstellt. In Wirklichkeit war einerseits der exemte Verband (gleichgültig, ob kraft Gesetzes oder kraft Privilegs exemt) dem Ortsordinarius in vielen Belangen unterstellt (so insbesondere der klerikale Verband bei Ausübung der Seelsorge) und andererseits besaß auch der nichtexemte Verband einen Freiraum, der dem Zugriff des Ortsordinarius jedenfalls entzogen war. Dies war im einzelnen ein vielschichtiges und nicht immer leicht überschaubares System, auf das hier nicht mehr näher einzugehen ist. Nur soviel sei erwähnt, daß A. Scheuennann in einer auch heute noch richtungweisenden Studie insgesamt zehn Kategorien von Ordensverbänden in ihrer mehr oder minder weitreichenden Abhängigkeit (bzw. Unabhängigkeit) vom Ortsordinarius herausgestellt hat l2 . Nun ist neben einer Reihe von anderen, das bisherige Ordensrecht prägenden Begriffen (z. B. der Unterscheidung zwischen Orden und Kongregationen) auch die Exemtion aus dem ordensrechtlichen Wortschatz des CIC/1983 geschwunden bzw. hat hier einen völligen Bedeutungswandel erfahren, auf den noch einzugehen sein wird. Man kann etwas verallgemeinernd sagen, daß die Exemtion im bisherigen Verständnis abgelöst wurde durch den Begriff der Autonomie. Die Unter-

12 Audomar Scheuermann, Der Bischof als Ordensoberer, in: Episcopus, FS für Kard. Faulhaber zum 80. Geburtstag. Regensburg 1949,337-361.

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schiede zwischen dieser in c. 586 § 1 angesprochenen "iusta autonomia"13 und der früheren Exemtion sind indes mannigfaltig. Sie liegen zum einen im Formalen. Exemtion war, wie schon ausgefiihrt wurde, ein Privileg, also ein Zugeständnis des kirchlichen Hoheitsträgers, das gewährt wurde oder nicht. Demgegenüber ist die Autonomie als ein Grundrecht konzipiert, das den einzelnen Ordensverbänden als wesentliches Element ihrer Selbstverwirklichung zuerkannt wird, dessen sie bedürfen, um ihr geistiges Erbgut (patrimonium) bewahren zu können. Angesichts der Bedeutung, die die Kirche dem Leben nach den evangelischen Räten beimißt - so sagt c. 574 § 2 im Einklang mit LG 44, daß der Stand der evangelischen Räte (unerschütterlich "inconcusse") zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche gehöre - wird den Ortsordinarien aufgetragen, diese Autonomie zu wahren und zu schützen (c. 574 § 2). Neben dieser an die Adresse der Ortsordinarien gerichteten Aufforderung ist im CIC/1983 sogar beinahe so etwas wie eine Selbstbindung des päpstlichen Gesetzgebers in dieser Frage der Autonomie festzustellen, worauf V. Dammertz mit Recht aufmerksam gemacht hat. Wenn nämlich c. 593 des CIC/1983 davon spricht, daß die Verbände päpstlichen Rechts in bezug auf ihre interne Leitung und Rechtsordnung unmittelbar und ausschließlich dem Apostolischen Stuhl unterstellt sind, so steht diese Aussage unter einem auf die "iusta autonomia" verweisenden Vorbehalt ("firmo praescripto c. 586"). Damit habe sich der Hl. Stuhl selbst zur Wahrung dieses Grundrechts verpflichtet l4 . Man kann vielleicht sagen, daß die Exemtion etwas von außen an die Ordensverbände Herangetragenes war, während die Autonomie aus dem Wesen und dem Charakter des Verbandes selbst erfließt und von der Kirche anerkannt wird (c. 584: "agnoscitur"). Der Unterschied liegt aber auch im Inhaltlichen. Die Exemtion kam, wie bereits aufgezeigt wurde, nur bestimmten Verbänden zu, anderen hingegen nicht. Nun war es freilich auch zur Zeit der Geltung des CIC/1917 nicht so, daß etwa ein diözesanrechtliches Institut, das selbstverständlich keine Exemtion haben konnte, dem Ortsordinarius in allem und jedem unterstellt war. Eine derart umfassende Abhängigkeit vom Ortsordinarius könnte sogar aus dem Wortlaut des c. 492 § 2 CIC/1917 gefolgert werden, demzufolge die diözesanrechtliche Kongregation (Orden konnten nicht diözesanen Rechts sein), nach Maßgabe des Rechts der Jurisdiktion des Ortsordinarius völlig unterworfen ("plane subiecta") war. Aber schon das "ad norrnam iuris" bedeutete eine Einschränkung, und in nicht wenigen Fällen waren die Kompetenzen des 13 Viktor Dammertz, Die "gebührende Autonomie" der diözesanrechtlichen Ordensverbände und eigenberechtigten Klöster, in: Ordenskorrespondenz 30 (1989) 23. 14 Dammertz, ebd. 24.

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Ortsordinarius auch gegenüber diözesanrechtlichen Verbänden durchaus reduziert. Autonomie im Verständnis des nunmehrigen Ordensrechts meint einen Grundbestand an rechtlicher Selbständigkeit, der allen Ordensverbänden gleich welcher Art zukommt, ob sie nun päpstlichen Rechts, Kleriker- oder Laienverbände sind. Über diesen Grundbestand hinaus gibt es dann freilich einen Unterschied im Grad einer weiterreichenden Autonomie, und hier spielt es nach wie vor eine Rolle, welchen Rechtscharakter ein Verband aufweist, ob er also päpstlichen oder diözesanen Rechts ist, oder ob es sich um eines der in c. 615 angesprochenen rechtlich selbständigen Klöster handelt. Es macht ferner einen Unterschied aus, ob es sich um einen Kleriker- oder Laienverband handelt. Höhere Obere im Klerikerverbänden päpstlichen Rechts sind nunmehr Ordinarien (c. 134 § 1), was früher nur der höhere Obere einer religio clericalis exempta war. Die Autonomie läßt also durchaus Abstufungen zu, sie kann allerdings keinem Verband völlig fehlen, wie dies bei der Exemtion der Fall war. Die Autonomie wird mit dem Adjektiv "iusta" näher eingegrenzt, und es ist bemerkenswert, daß auch das 11. Vatikanische Konzil mit den Bezeichnungen "iusta" bzw. "legitima" und MR mit "quaedam genuina autonomia" 15 gewisse Begrenzungen deutlich machen wollte. K. Mörsdorf hat aufgezeigt, daß kirchliche Autonomie nicht nach den Vorstellungen des weltlichen Rechts zu verstehen sei, sondern am theologischen Wesensverständnis der Kirche ausgerichtet sein müsse. Autonomie bedeutet demnach keine allseitige Ungebundenheit, sondern einen auf die Gemeinschaft bezogenen Freiheitsraum, näherhin ein Beziehungsverhältnis, in dem der einzelne zur Gemeinschaft oder eine bestimmte Gemeinschaftsgruppe zur höheren Gruppe oder zum Ganzen der Gemeinschaft stehen und das Recht haben sollen, die eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen. Autonomie sei somit ein Begriff, der das jeweilige Maß eigener Gestaltungsmacht und mit ihr das Maß der Unabhängigkeit im gesellschaftlichen Ganzen bestimme l6 . Was ist aber nunmehr aus dem Wort "Exemtion" geworden? Es hat im Ordensrecht des CIC/1983 eine grundlegende Wandlung seines Inhalts erfahren und ist zu einem Begriff mit völlig offenem Inhalt geworden. Gemäß c. 591 kann der Papst kraft seines Primats im Hinblick auf die ganze Kirche mit Rücksicht auf den allgemeinen Nutzen Institute des geweihten Lebens der Leitung der Ortsordinarien entziehen und sich allein oder einer anderen kirchlichen Autorität unterstellen. - Der erwähnte Canon bildet die einzige Stelle, an der im Ordensrecht des CIC/1983 der Exemtionsbegriff in der 15 MR 13. 16 Klaus Mörsdorf, Autonomie der Ortskirche, in: AkKR 138 (1969) 391.

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Wendung "eximere potest" aufscheint. Es wird also hier auf einen in Zukunft allenfalls vom Papst zu setzenden Verwaltungs- oder Gesetzgebungsakt verwiesen, wobei aber, nicht zuletzt durch das Fehlen eines jeglichen Hinweises (etwa in der Art " ... ad normam canonis ... ") einschlußweise gesagt wird, daß es im CIC/1983 selbst keinen Fall einer solchen Exemtion gibt. Und auch für künftige Fälle einer derartigen Exemtion wird deren rechtlicher Inhalt völlig offengelassen. Es ist müßig, Überlegungen anzustellen, worin im einzelnen diese Exemtion bestehen könnte. - Bemerkenswert ist lediglich, daß die mit der Exemtion verbundene Herausnahme aus der jurisdiktionellen Unterstellung unter den Ortsordinarius nicht nur zugunsten des H1. Stuhles, sondern auch zugunsten einer anderen kirchlichen Autorität erfolgen kann. Am ehesten wäre dabei an Patriarchen bzw. Primasse zu denken, auf die bestimmte dem Ortsordinarius zustehende Befugnisse übergehen würden. Die in c. 614 angesprochene Unterstellung eines Nonnenklosters unter einen Klerikeroberen bedeutet im Ergebnis eine teilweise Exemtion von der Leitungsgewalt des Ortsordinarius 17 . 2. Inhalt und Umfang der ordensrechtlichen Autonomie

Die in c. 586 § 1 erwähnte Autonomie ist nicht allumfassend; es wird von einer "autonomia vitae, praesertim regiminis" gesprochen, kraft derer die Institute in der Kirche ihre eigene Ordnung haben und ihr Erbgut im Sinne von c. 578 unversehrt bewahren können. Dieses Erbgut wird umschrieben als der Stifterwille und die von der zuständigen kirchlichen Autorität anerkannten Ziele in bezug auf Natur, Geist und Eigenart des Instituts sowie dessen gesunder Überlieferungen. Soweit dieses Erbgut einer schriftlichen Fixierung zugänglich ist, bedarf diese einer Aufnahme in jenen Teil des Eigenrechts (Konstitutionen, Codex fundamentalis), der durch eine außerhalb des Instituts liegende Instanz bestätigt werden muß, nämlich den H1. Stuhl, oder (bei diözesanrechtlichen Verbänden) den Diözesanbischof. Dies bedeutet, daß ein wichtiger Teil dessen, worauf sich die Autonomie erstreckt, keinesfalls einer ausschließlichen Festlegung durch die institutsinterne Autorität unterliegt, sondern daß sie bestätigt werden muß, was gegebenenfalls auch Einschränkungen bzw. Abänderungen einschließt. Gleichwohl, und dies scheint nicht unwesentlich, geschieht die rechtliche Festlegung dessen, was das Erbgut ausmacht, nicht durch den Rechtsetzungsakt einer außerhalb des Instituts ste17 Rudolf Henseler, o rdens recht, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Essen 1987,74; Andres, Diritto (Anm. 11) 72 f.

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henden Instanz, nämlich den Hl. Stuhl oder den Diözesanbischof, sondern durch die institutsinternen Gremien, in der Regel durch das Generalkapitel. Denn die vom Hl. Stuhl bzw. vom Diözesanbischof zu erteilende Bestätigung (confirmatio) erfolgt zumeist in der sog. gewöhnlichen Form (in forma communi), deren Eigenart darin besteht, daß sie das Bestätigte in seinem bisherigen rechtlichen Status beläßt, d. h. es wird durch die Bestätigung nicht zu einem Akt des bestätigenden Organs. Dies wäre nur bei einer Bestätigung in forma specifica gegeben, die aber bei den Konstitutionen eines Ordensverbandes selten zur Anwendung kommt. Der Raum der Autonomie, so stellt Scheuermann fest, ist der Innenbereich des Ordensinstituts, sein inwendiges Leben, sein "inneres Regiment" (so übersetzt Scheuermann c. 586), was gleichbedeutend mit der in c. 593 angesprochenen "internen Leitung und Rechtsordnung" ist. Autonom ist die interne Leitung, nämlich das Handeln des Oberen und der Kapitel kraft der ihnen zugestandenen persönlichen oder kollegialen Befugnisse, die ihnen das allgemeine Recht und das Eigenrecht gibt. Autonom ist ferner das interne Leben, das von der Gesamtheit der Konstitutionen und sonstigen internen Ordnungen in den Statuten geregelt .wird zu dem Zweck, daß das institutseigene Erbgut gewahrt und im Leben der einzelnen Mitglieder verwirklicht wird l8 . Normen für die Apostolatstätigkeit und für die Zusammenarbeit mit institutsfremden Mitarbeitern gehören nicht zum Bereich des internen Lebens l9 . Diese Feststellungen dürfen indes nicht zu dem vielleicht naheliegenden Schluß verleiten, daß die klösterliche Disziplin schlechthin eine ausschließliche Angelegenheit der institutsinternen Autoritäten wäre. Was nämlich die Überwachung der klösterlichen Disziplin betrifft, so ist festzustellen, daß bei diözesanrechtlichen Verbänden und den in c. 615 erwähnten rechtlich selbständigen Klöstern (die außer dem eigenen keinen Oberen über sich haben) dem Diözesanbischof Visitationsrecht und -pflicht auch hinsichtlich der klösterlichen Disziplin zukommt (c. 628 § 2, 1 und 2)20. Wie wichtig aber dem Gesetzgeber die Autonomie ist, erhellt aus der Tatsache, daß er den Ortsordinarien aufträgt, diese Autonomie zu wahren und zu schützen (c. 586 § 2). Was den Umfang der Autonomie anlangt, so ziehen die 18 Audomar Scheuennann, Das Grundrecht der Autonomie im Ordensrecht, in: Ordenskorrespondenz 25 (1984) 34 f. 19 Scheuennann, ebd. 34. 20 Rudolf Henseler, Fragen zur bischöflichen Klostervisitation, in: Ordenskorrespondenz 26 (1985) 171-175; Elio Gambari, Vita religiosa secondo il Concilio e il nuovo Diritto canonico, 2. Aufl., Roma 1985, 161 f.

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cc. 593 f. eine Grenze anband der Unterscheidung zwischen Verbänden päpstlichen und diözesanen Rechts. Ein Institut päpstlichen Rechts untersteht in bezug auf die interne Leitung und Rechtsordnung unmittelbar und ausschließlich der Gewalt des Apostolischen Stuhles; das diözesanrechtliche Institut verbleibt ("pennanent") unter der besonderen Hirtensorge des Diözesanbischofs. Zu bedenken ist, daß bezüglich beider Gruppen von Ordensinstituten ein Vorbehalt zugunsten der Autonomie anzutreffen ist, d. h. beide Canones stehen hinsichtlich der Kompetenzzuweisung an den Hl. Stuhl bzw. den Diözesanbischof unter dem einschränkenden Vorbehalt "finno praescripto c. 586" bzw. "finno c. 586", was - darauf wurde schon hingewiesen - im Falle der Institute päpstlichen Rechts eine Selbstbindung des (päpstlichen) Gesetzgebers an die Wahrung des Grundrechts der Autonomie zum Ausdruck bringt. Ähnlich gelagert ist die Aussage des c. 397 in bezug auf den Gegenstand der bischöflichen Visitation der Diözese. § 1 sagt generell, daß der bischöflichen Visitation Personen, katholische Einrichtungen, heilige Sachen und Orte unterliegen, die sich im Bereich der Diözese befinden. § 2 geht speziell auf das Visitationsrecht gegenüber den Ordensinstituten ein und legt fest, daß die Mitglieder von Ordensinstituten päpstlichen Rechts und ihre Niederlassungen nur in den im Recht ausdrücklich genannten Fällen visitiert werden können. Daraus ist zu entnehmen, daß diözesanrechtliche Institute und deren Niederlassungen grundsätzlich der bischöflichen Visitation unterliegen, es sei denn, dies wäre im Einzelfall ausgeschlossen. Daraus ergibt sich eine rechtliche Situation, die m. E. auf folgende Präsumtion zurückgeführt werden kann: Bei Verbänden päpstlichen Rechts müßte im Zweifelsfall das Bestehen eines Visitationsrechts nachgewiesen werden, während umgekehrt bei diözesanrechtlichen Verbänden das Freisein davon bewiesen werden müßte21 . Im Zusammenhang mit dem Bezugsverhältnis des Bischofs zu diözesanrechtlichen Verbänden ist zu erwähnen, daß die Rechte des einzelnen Diözesanbischofs gegebenenfalls Einschränkungen erfahren. Dies dann, wenn das diözesanrechtliche Institut bereits über mehrere Diözesen verbreitet ist. Für diesen Fall wird dem Diözesanbischof des Hauptsitzes das Recht zugewiesen, die Konstitutionen (den Codex fundamentalis) ebenso wie rechtmäßig in diese eingeführte Änderungen zu bestätigen, ausgenommen das, was der Apostolische Stuhl bereits an sich gezogen hat. Dem Diözesanbischof des Hauptsitzes 21 Bruno Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des CIC/1983. 3. Aufl., Freiburg/Br. 1988, 161 f.

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kommt es ferner zu, Angelegenheiten zu behandeln, die für das gesamte Institut von größerer Bedeutung sind und die Vollmacht der internen Autorität übersteigen. Die hier angeführten Befugnisse kommen dem Diözesanbischof des Hauptsitzes jedoch nur nach Beratung mit den übrigen Diözesanbischöfen zu, falls das Institut bereits über mehrere Diözesen verbreitet ist (c. 595 § I). Auch nach dem CIC/1917 (c. 495 § 2) waren die Vollmachten des einzelnen Diözesanbischofs in ähnlicher Weise beschränkt, wenn das diözesanrechtliche Institut bereits über mehrere Diözesen verbreitet war. Allerdings mußten bei etwa beabsichtigten Änderungen der Konstitutionen (des Codex fundamentalis) alle Diözesanbischöfe ihre Zustimmung (consensus) geben, was darauf hinauslief, daß ein einzelner Diözesanbischof sich mit Erfolg einer solchen Änderung widersetzen konnte. Nunmehr ist anstelle dieses Konsensrechtes ein bloßes Anhörungsrecht getreten, das dem einzelnen Bischof keine Möglichkeit der Blockierung der in c. 595 § 1 angesprochenen Angelegenheiten einräumt. Eine gegenüber dem CIC/1917 noch stärkere Schlüsselrolle kommt nunmehr dem Diözesanbischof des Hauptsitzes zu; von ihm hängt es ab, ob die Konstitutionen bestätigt, abgeändert oder sonstige bedeutende Änderungen vorgenommen werden22 . Das Anhörungsrecht der übrigen Diözesanbischöfe ist gemäß c. 127 § 2, 2 zu beurteilen, d. h. unterläßt der Bischof des Hauptsitzes die Befragung auch nur eines der übrigen betroffenen Diözesanbischöfe, so wäre das Handeln des Diözesanbischofs des Hauptsitzes ungültig. Ist das Anhörungsrecht aber gewährt worden, dann kann der Bischof des Hauptsitzes nach seinem freien Ermessen entscheiden. Jedem Diözesanbischof kommt das Recht zu, von Vorschriften der Konstitutionen in Einzelfällen zu dispensieren (c. 595 § 2). Diese Dispensgewalt erstreckt sich territoriell naturgemäß nur auf die im Bereich der Diözese gelegenen Niederlassungen des Instituts; inhaltlich ist sie reduziert auf Einzelfälle, so daß dadurch keine generelle Außerkraftsetzung von Teilen der Konstitutionen (des Codex fundamentalis) verfügt werden könnte. Dafür zuständig ist ausschließlich der Diözesanbischof des Hauptsitzes unter Einhaltung des bereits erwähnten Verfahrens. 3. Autonomie und Apostolat der Ordens verbände

Zunächst einmal sei hier der Frage nachgegangen, inwieweit der Diözesanbischof ein in seiner Diözese befindliches Institut zu Apostolatsaufgaben 22 Andres, Diritto (Anm. 11) 18.

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heranziehen kann und dies ohne, ja vielleicht gegebenenfalls sogar gegen den Willen der institutsintemen Autorität. Diesbezüglich sind recht interessante Phasen der gesetzlichen Entwicklung festzustellen. Den ersten Schritt bildete CD 35, 1: "Vor allem können die Ordensverbände, die sich nicht einem rein beschaulichen Leben widmen, angesichts der drängenden Notlage der Seelen und des Mangels an Diözesanklerus von den Bischöfen herangezogen werden, um in den verschiedenen Seelsorgediensten Hilfe zu leisten; dabei ist jedoch auf die Eigenart eines jeden Verbandes zu achten. Die Hilfeleistung, die auch durch die zeitweilige Übernahme von Pfarreien erfolgen kann, mögen die Oberen nach Kräften fördern"23.

Hier wird also gesagt, daß die nicht rein beschaulichen Verbände grundsätzlich bei Vorliegen der erwähnten Voraussetzungen vom Bischof zu Seelsorgediensten herangezogen werden können. Ein Zustimmungserfordernis des Ordensoberen wird nicht festgelegt, wenngleich der Diözesanbischof verpflichtet ist, auf die Eigenart des Verbandes zu achten. Es wird nicht (taxativ) erwähnt, zu welchen Seelsorgediensten eine solche Heranziehung erfolgen kann; exemplarisch ist nur die Pfarrseelsorge angeführt. An die Adresse der Ordensoberen wird die Aufforderung gerichtet, die vom Diözesanbischof erbetene Hilfeleistung nach Kräften zu fördern. Daraus ergibt sich - folgt man dem strengen Wortlaut des Textes - daß dem Diözesanbischof das Recht zukäme, einem Ordensgeistlichen die Übernahme einer Pfarrei aufzutragen, auch wenn sein Oberer nicht gewillt ist, der Aufforderung des Konzilsdekrets nach Förderung derartiger Maßnahmen seitens des Diözesanbischofs nachzukommen. Die Durchführungsbestimmungen zu CD, nämlich das MP "Ecclesiae Sanctae" (I, 36 § 2) betrachtet einerseits die Zustimmung des Ordensoberen für eine Heranziehung von Ordenspersonen zu Werken des Apostolats bzw. zur Förderung karitativer oder apostolischer Tätigkeit in Weltpriesterpfarren oder diözesanen Vereinigungen seitens des Diözesanbischofs als erforderlich, andererseits verpflichtet es auch den Oberen, eine solche Zustimmung zu erteilen24 . 23 AAS LVIII (1966) 673-696. 24 AAS LVIII (1966) 757-787, Nr. 36 § 2: "Si Ordinarii loci iudicio Religiosorum auxilium necessarium aut valde utile censeatur ad multiplicem apostolatus operam exercendam et ad caritatis ac pastoralis muneris incepta fovenda in paroeciis saecularibus vel in dioecesanis associationibus, a Superioribus religiosis, eodem Ordinario postulante, petitum auxilium pro viribus praestandum est. "

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Bei der hier velWendeten Formulierung, wonach jemand verpflichtet wird, der Rechtshandlung irgend jemandes zuzustimmen, könnte man, abgesehen von der vielleicht nicht ganz leichten Praktikabilität eines solchen Modells, auch die Frage aufwerfen, ob eine derartige Formulierung als juristisch besonders geglückt zu bezeichnen ist. Dem bisherigen Rechtsstil ist jedenfalls Derartiges nicht geläufig. Vielleicht auch unter dem Eindruck solcher Überlegungen hat der Gesetzgeber des CIC/1983 in c. 674 auf die Einschaltung derartiger Formeln völlig verzichtet. Der nunmehrige Gesetzestext könnte aber, für sich allein betrachtet, auch Anlaß zu Zweifeln hinsichtlich der bischöflichen Kompetenz sein. Denn es heißt, daß die Mitglieder der gänzlich auf Kontemplation ausgerichteten Institute, "mag die Notwendigkeit zu tätigem Apostolat noch so sehr drängen, nicht zu Hilfeleistungen in den verschiedenen seelsorglichen Diensten herangezogen werden" können. - Ein Umkehrschluß in Richtung auf die nicht zur Gänze auf Kontemplation ausgerichteten Institute drängt sich förmlich auf, d. h. es stellt sich die Frage, ob diese zu Seelsorgediensten herangezogen werden können. Die Antwort darauf ist aus den kodikarischen Bestimmungen über die Ordensleuten zu übertragenden Apostolatsaufgaben zu entnehmen. Diesbezüglich legt c. 682 § 1, allerdings in bezug auf die Übertragung von Kirchenämtern, fest, daß der Diözesanbischof eine solche Übertragung nicht ohne den Vorschlag oder wenigstens die Zustimmung des Ordensoberen vornehmen kann. Bei dem weiten Amtsbegriff des c. 145 § 1 und unter Berücksichtigung des Grundrechts der Autonomie der Ordensinstitute wird man zu dem Ergebnis kommen, daß Ordensleute vom Diözesanbischof zu keinerlei Dienstleistungen herangezogen werden können ohne den Willen des eigenen Ordensoberen. Am Rande sei hier auf eine Eigenart des Ämterrechts im Zusammenhang mit Ordenspersonen hingewiesen. Es handelt sich um die sog. "ad nutum-Amovibilität"25 der Ordensperson, d. h. um die Möglichkeit des jederzeitigen formlosen Entzuges des Amtes, und zwar sowohl durch den Diözesanbischof wie auch durch den Ordensoberen. Beide, der Diözesanbischof wie auch der Ordensobere, können das einer Ordensperson übertragene Amt jederzeit entziehen, wobei nur wechselseitiges In-Kenntnis-Setzen, keinesfalls aber Zustimmung des jeweils anderen erforderlich ist (c. 682 § 2). 25 Der Ausdruck stammt aus c. 454 § 5 CIC/1917 und bezieht sich auf das einem Religiosen übertragene Pfarramt. Der CIC/1983 hat zwar nicht den Begriff des c. 454 § 5 CIC/1917, wohl aber die Sache an sich übernommen. Allerdings bezieht sich c. 682 § 2 CIC/1983 nicht mehr ausschließlich auf das Pfarramt, sondern auf jedes einer Ordensperson übertragene Kirchenamt. 42 Primetshofer

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Hinsichtlich dieser Übertragung von Kirchenämtem an Ordenspersonen legt c. 681 § 2 fest, daß eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Diözesanbischof und dem zuständigen Ordensoberen zu treffen sei, in der u. a. ausdrücklich und genau festgelegt ist, was die Durchfiihrung des Werkes, die ihm zur Verfügung zu stellenden Mitglieder und die wirtschaftlichen Belange betrifft. Das primäre Apostolat aller Ordensleute besteht gemäß c. 673 im Zeugnis ihres geweihten Lebens; alle Mitglieder von Ordensinstituten sind (nach CD 33) je nach ihrer eigenen Berufung verpflichtet, am Aufbau und Wachstum des ganzen mystischen Leibes und am Wohl der Teilkirche mitzuwirken. Das Eingebundensein des Apostolats der Ordensleute in das Gefüge von Universalkirche und Teilkirchen beschreibt Johannes Paul 11. mit folgenden Worten: "Wo immer auf der Welt Ihr Euch befindet: Ihr seid, kraft Eurer Berufung, für die Universalkirche, durch Eure Sendung in einer bestimmten Ortskirche. Eure Berufung für die Universalkirche realisiert sich folglich innerhalb der Strukturen der Ortskirche. Man muß alles tun, damit das gottgeweihte Leben sich in den einzelnen Ortskirchen entfalte, damit es zum geistlichen Aufbau derselben beitrage und damit es zu deren besonderer Stärke werde. Die Einheit mit der Universalkirche durch die Ortskirche: das ist Euer Weg "26 . Der CIC/1983 legt bezüglich des Apostolats der Ordensleute in der Teilkirche folgendes fest: alle Ordensleute, gleich welcher Kategorie, ob männlich oder weiblich, päpstlichen oder diözesanen Rechts, unterstehen dem Diözesanbischof in bezug auf die Seelsorge, die öffentliche Abhaltung des Gottesdienstes und andere Apostolatswerke. Ordens leute müssen daher dem Bischof in Gehorsam und mit Ehrerbietung begegnen (c. 678 § 1)27. Allerdings besteht hinsichtlich der Regelung äußerer Apostolatsaufgaben kumulative Kompetenz von Bischof und Ordensoberen, da die Ordensleute hierin auch den eigenen Oberen unterstehen und der Disziplin des Instituts treu bleiben müssen. Die Bischöfe selbst dürfen es nicht unterlassen, diese Verpflichtung gegebenenfalls einzuschärfen (c. 678 § 2). § 3 dieses Canons legt zwar fest, daß die Diözesanbischöfe und die Ordensoberen bei der Regelung der Apostolatswerke der Ordensleute "im Mei26 L'Osservatore Romano, 25. 11. 1978, 1. 27 Vgl. Antony Pinheiro, Bishop-Religious Relationship. The "Apostolic Subjection" of Religious to the Power of Dioesesan Bishops in the Exercise of Apostolic Activities in the Dioecese (can. 678 §§ 1 & 2), in: Commentarium pro Religiosis et Missionariis 68 (1987) 35-76; 193-222.

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nungsaustausch" (collatis consiliis) vorgehen sollen; dennoch wird man nicht fehlgehen, hier ein Feld möglicher Konflikte festzustellen 28 . Auf ein weiteres Problemfeld möchte ich kurz eingehen: Gemäß c. 806 § 1 steht dem Diözesanbischof das Aufsichts- und Visitationsrecht über die in seiner Diözese befindlichen katholischen Schulen zu, auch über die von Mitgliedern von Ordensinstituten gegründeten oder geleiteten Schulen; ihm steht es ferner zu, Vorschriften zur allgemeinen Ordnung der katholischen Schulen zu erlassen; diese Vorschriften gelten auch für die von den genannten Institutsmitgliedern geleiteten Schulen, unbeschadet der Autonomie hinsichtlich der inneren Leitung ihrer Schulen. Vom Visitationsrecht ausgenommen sind nur Schulen, die ausschließlich den eigenen Alumnen des Ordensinstituts offenstehen (c. 683 § 1). Angesichts der gegebenen Rechtslage wird man durchaus zu Recht davon ausgehen können, daß dem Diözesanbischof und/oder der Bischofskonferenz eine grundsätzliche Richtlinienkompetenz hinischtlich aller katholischen Schulen in der Diözese bzw. im Bereich der Bischofskonferenz zukommt, auch wenn diese Schulen in Trägerschaft eines Ordensinstituts stehen. Das Problem liegt allerdings im Detail. So hat etwa Art. 8, 2 der "Grundordnung für die katholischen Schulen im Erzbistum Köln" vom 1. 8. 1984 zu einer Kontroverse um die Reichweite der bischöflichen Kompetenz bzw. die Reichweite der in c. 806 § 1 angesprochenen Autonomie hinsichtlich der inneren Leitung der Schulen geführt. Der genannte Artikel lautet: "Lehrer an katholischen Schulen in freier Trägerschaft müssen katholisch sein. Sie müssen bereit und fähig sein, die besondere Zielsetzung der katholischen freien Schule in freier Trägerschaft mitzuverwirklichen. Wenn im besonders begründeten Ausnahmefall der Schul träger einen nichtkatholischen Lehrer einstellt, wird auch von diesem gefordert, daß er bereit und fähig ist, die besondere Zielsetzung der katholischen freien Schule mitzuverwirklichen "29.

28 Die Fonnulierung des c. 678 § I, wonach dem Diözesanbischof auch andere Apostolatswerke ("alia apostolatus opera") der Ordensleute unterstehen, hat bereits zu Konfliktfallen Anlaß gegeben. In einem konfessionellen Krankenhaus, das in der Trägerschaft eines Ordensinstituts steht, hat der Ortsordinarius unter Berufung auf c. 678 § 1 versucht, nachhaltigen Einfluß auf die Bestellung von Primarärzten zu nehmen, wobei behauptet wurde, dem Ortsordinarius und nicht der Ordensleitung stehe das Recht zu, aus der Liste der eingegangenen Bewerber einen Kandidaten auszuwählen. 29 Der Text der Grundordnung ist abgedruckt bei Rudolf Henseler, Programmierte Konflikte? Gesetzliche Unklarheiten und mögliche Spannungen zwischen Diözese und klösterlichen Verbänden, in: Ordenskorrespondenz 26 (1985) 23, Anm. 21.

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Die Kernfrage lautet also: Kann der Diözesanbischof mittels einer von ihm erlassenen Grundordnung die Ordensverbände verpflichten, nur katholische Lehrer anzustellen, oder fällt diese Frage in den Bereich der in c. 806 § 1 angesprochenen autonomen Regelung? Diese Frage wurde von einigen Kanonisten der BRD verschieden beantwortet, wobei auch auf staatskirchenrechtliche Implikationen Bedacht genommen wurde30 . - A. Scheuermann kommt in einem Gutachten zu dem Ergebnis, daß die in c. 806 § 1 erwähnte Autonomie hinsichtlich der inneren Leitung der Schulen es dem Bischof verwehre, für Schulen von Ordensverbänden eine Verpflichtung nach Art der Kölner Grundordnung zu erlassen. Sein Rat ging dahin, die Diözesanbischöfe sollten ihre Rahmenordnung für die Ordensleute nur empfehlen, nicht aber verpflichtend vorschreiben31 . - Demgegenüber hat Reinhardt u. a. die Bestimmung von Art. 24, 1 des Reichskonkordats zitiert, wonach an katholischen Volksschulen nur katholische Lehrer angestellt werden dürfen; er verwies ferner auf § 22 des nordrhein-westfälischen Schulordnungsgesetzes, demzufolge die Lehrer an Bekenntnisschulen dem betreffenden Bekenntnis angehören müssen32 . Hierzu ist freilich zu bemerken, daß der Hinweis auf konkordatäre Vereinbarungen die anstehende Frage nicht löst. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Konkordatsrecht als vom päpstlichen Gesetzgeber erlassenes partikulares Kirchenrecht auch die Ordensverbände bindet. Die von der Kölner Grundordnung aufgeworfene Frage lautet aber dahingehend, ob unabhängig von auch die Ordensverbände betreffenden höherrangigen Bindungen die Grundordnung als solche in dem in Rede stehenden Punkt die Ordensverbände verpflichtet oder ob damit eine deren Autonomie verletzende Bestimmung vorliegt.

Beribert Schmitz hat in einer Analyse des CIC/1983 von mehreren Tendenzen des neuen Gesetzbuches gesprochen und er hat dabei u. a. auf die proepiskopale Tendenz, d. h. auf die im neuen Codex vorgenommene Aufwertung des Bischofsamtes hingewiesen33 • Diese Tendenz zeigt sich auch deutlich im Verhältnis des Diözesanbischofs zu den Ordensverbänden, insofern als im Zuge der nachkonziliaren Rechtsentwicklung dem Bischof eine Vermehrung 30 Heinrich J. F. Reinhardt, Die besondere Berufung des Ordenspriesters - aus rechtlicher Sicht, in: Ordenskorrespondenz 27 (1986) 73 f.; vgl. Henseler, ebd. 33 f. 31 Ordenskorrespondenz 26 (1985) 34. 32 Reinhardt, Die besondere Berufung (Anm. 30) 73 f. Vgl. Heinrich Mussinghojf, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, RdZ 3 zu c. 806. 33 Heribert Schmitz, Tendenzen nachkonziliarer Gesetzgebung, in: AkKR 146 (1977) 384-397.

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von Rechten gegenüber den Ordensverbänden gegeben wurde. Daß dies nicht allenthalben Zustimmung gefunden hat, liegt auf der Hand; verschiedentlich wurde auf die Wiedereinführung des Instituts der Exemtion (im Verständnis des CIC/1917) hingewiesen, da die Autonomie in der gegenwärtigen Form nicht ausreichend sei, die Eigenart des einzelnen Instituts hinreichend zu gewährleisten34 . Eine Zusammenschau des in Rede stehenden Problemfeldes des Verhältnisses von Diözesanbischof zu Ordensverbänden weist sicher - wie könnte dies bei einem Gesetz jemals anders sein - Lücken und Unvollständigkeiten auf, die verbesserungsbedürftig sind. Andererseits aber scheinen mir zwei sich ergänzende "Trends" in diesem Bereich unverkennbar. Zum einen wird der Diözesanbischof an mehreren Stellen des CIC/1983 und noch deutlicher in den auf diesen Codex Einfluß nehmenden konziliaren und nachkonziliaren Rechtsquellen auf seine Verpflichtung zur adäquaten Förderung der vita consecrata hingewiesen. Der Hirtensorge des Bischofs ist somit auch die Erhaltung, Wahrung und Förderung dieses geistlichen Kapitals der Teilkirche wie auch der Universalkirche anheimgegeben. Diese Förderung - auch das wird deutlich genug gesagt, - muß bei selbst noch so drängenden seelsorglichen Notwendigkeiten auf die Eigenart eines Verbandes und die damit in Zusammenhang stehende iusta autonomia Bedacht nehmen. - Andererseits - und auch dies wird nicht minder deutlich hervorgehoben - wird den Ordensleuten in verstärkter Eindringlichkeit die Sorge um das Erscheinungsbild, um das Wohl der Teilkirche ans Herz gelegt. Auch von dieser Seite wird ein vielleicht vorschnelles Pochen auf kirchenrechtliche Selbständigkeit sich eine immer neu vorzunehmende kritische Prüfung angesichts der seelsorglichen Bedürfnisse der Teilkirche gefallenlassen müssen. Die Ordensverbände werden die Frage ihrer Autonomie nicht nur im Hinblick darauf sehen dürfen, wovon, sondern auch wozu sie befreit werden35 . Dies ergibt im Gesamt ein theologisch und ekklesiologisch richtiges Bild des wechselseitigen Verhältnisses von Diözesanbischof und Ordensverbänden, das bei allen selbstverständlich auftretenden Interessengegensätzen doch immer wieder von einem vertrauensvollen Zueinander, Miteinander und Füreinander getragen sein muß.

34 Henseler, Grundsätzliche Überlegungen (Anm. 2) 18.

35 Vgl. Bronis/aw Wenanty Zubert, Das Apostolat der Ordensleute und seine Einordnung in die Gesamtpastoral der Ortskirche, in: Ordenskorrespondenz 30 (1989) 310-321.

Ordensrechtliche Bestimmungen des Konkordats I. Die geltenden Konkordatsbestimmungen 1.1. Im Konkordat werden Ordensverbände bzw. Ordenspersonen an zwei Stellen ausdrücklich genannt: In Art X und Art XIII. Eine Reihe anderer Bestimmungen des Konkordats nimmt einschlußweise auch auf Ordensinstitute bzw. Ordenspersonen Bezug. Wenn hier von Ordensrecht und Ordenspersonen gesprochen wird, so muß dies in dem heute üblichen weiten Sinn verstanden werden, daß nämlich gerDäß der Terminologie des CIC/1983 Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens verstanden werden. Ich bin mir dabei durchaus der dieser Begriffsbestimmung innewohnenden Problematik bewußt, die u. a. darin besteht, daß die Institute des geweihten Lebens auch die Säkularinstitute umfassen, die zur Zeit des Konkordatsabschlusses überhaupt noch nicht in rechtlich faßbarer Form vorhanden waren. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist zunächst Art X § 1 des Konkordats. Von den zur Zeit des Konkordatsabschlusses geltenden ordensrechtlichen Kategorien iwS. (CIC/1917) werden nur die "Orden und religiösen Kongregationen" angesprochen, nicht hingegen die Gesellschaften ohne (öffentliche) Gelübde (cc. 673-681 CIC/1917). Dies ist insofern erstaunlich, weil das wenige Jahre vorausliegende italienische Konkordat (1929), von dem gesagt wurde, daß es in vieler Hinsicht für das österreichische Konkordat Modell gestanden habe, im entsprechenden Text (Art 29, b) ausdrücklich von "associazioni religiose con e senza voti"l spricht und damit ohne Zweifel die "Societates in communi viventes sine votis" (cc. 637-681 CIC/1917) einbezieht. Der Text des österreichischen Konkordats deckt nach den Kategorien des CIC/1917 nur die "Religiones" ab, d. h. Verbände, in denen öffentliche (einfache oder feierliche) Gelübde abgelegt werden (vgl. c. 488, 1 CIC/1917). Die Nichterwähnung der "Gesellschaften" wurde von der Lehre als belanglos betrachtet. Angesichts der weitgehenden Ähnlichkeit dieser Gesellschaften mit den Religiosenverbänden seien sie im Wege einer extensiven 1 AAS 21 (1929) 286.

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Interpretation unter die "Orden und religiösen Kongregationen" zu subsumieren2 . Für das heutige Recht stellt sich allerdings die Frage, ob die Säkularinstitute in die Begriffswelt des Konkordats einzubeziehen sind oder nicht. Die in bezug auf die Gesellschaften ins Treffen geführte weitgehende Ähnlichkeit mit den "Religiones" greift hier nicht, denn die Säkularinstitute wollen sich nicht als Ordensgemeinschaften (auch nicht im weitesten Sinne) und auch nicht als Gesellschaften ohne (öffentliche) Gelübde verstehen und sind es auch nicht. In dem zwischen dem HI. Stuhl und der Republik Italien abgeschlossenen "Accordo" von 19843 und dem daraufhin erlassenen Gesetz vom 20. 5. 1985 (Nr. 222)4, das sich ausdrücklich mit der staatlichen Anerkennung kirchlicher Einrichtungen befaßt, werden die "istituti religiosi" und die Gesellschaften ohne Gelübde ausdrücklich erwähnt5 , Säkularinstitute hingegen nicht. Da das genannte Gesetz (im Gegensatz zum österreichischen Konkordat) die nunmehr geltenden ordensrechtlichen Kategorien des CIC/1983 exakt erfaßt und zitiert, besteht kein Zweifel, daß Säkularinstitute zwar ohne weiteres kirchlich errichtet werden können, daß sie aber von der Erlangung der staatlichen Rechtspersönlichkeit nach dem für die übrigen kirchlichen Einrichtungen (darunter Ordensinstitute und Gesellschaften) vorgesehenen Verfahren ausgeschlossen sind6 . Die Frage, ob Säkularinstitute unter die "Orden und religiösen Kongregationen" des Art X § 1 zu subsumieren sind, ist für Österreich ohne praktische Bedeutung. Denn als "kirchliche Einrichtung" (Art 11) bzw. "kirchliche Stelle" (Art X § 7) können sie in Österreich zweifellos frei errichtet werden und nach dem im Konkordat vorgesehenen Verfahren auch staatliche Rechtspersönlichkeit erlangen.

2 R. Köstler, Das neue österr. Konkordat, in: ZöR XV (1935) 18. 3 Accordo tra la Santa Sede e la Repubblica Italiana che apporta modificazioni al Concordato Iateranense, in: AAS 77 (1985) 521-578. 4 Vgl. R. Botta (Hrsg.), Codice di diritto ecclesiastico. Milano 1990,258-305. 5 Art 7, Abs. 1 des Gesetzes vom 20. 5. 1985; Botta, ebd. 263. 6 Erst nach Überwindung einiger Schwierigkeiten hat der italienische Staatsrat einer extensiven Interpretation des genannten Gesetzes zugestimmt und die Säkularinstitute in die Regelung einbezogen. Vgl. dazu G. D. Mattia, Gli istituti secolari e la qualifica di enti ecc1esiastici civilmente riconosciuti. A proposito di un parere deI Consiglio di Stato, in: Apo1l63 (1990) 665-679.

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1.2. Die im Konkordatstext angesprochenen "Orden und religiösen Kongregationen" kommen in den Besitz der staatlichen Rechtspersönlichkeit auf demselben Weg, der allgemein für kirchliche Einrichtungen (Art 11) bzw. kirchliche Stellen (Art XV § 7) vorgesehen ist, nämlich mittels der durch den Diözesanbischof (Praelatus nullius) bei der obersten staatlichen Kultusverwaltungsbehörde zu hinterlegenden kirchlichen Errichtungsurkunde. Gleichlautend heißt es in Art X und Art XV § 7, daß die oberste staatliche Kultusverwaltungsbehörde auf Verlangen eine Bestätigung (über die erfolgte Hinterlegung) auszustellen hat7• Es herrscht in der Lehre Einhelligkeit darüber, daß dieser Bestätigung kein Bescheidcharakter zukommt; die staatliche RechtspefSÖnlichkeit tritt automatisch mit der Hinterlegung der kirchlichen Errichtungsurkunde ein8. Lediglich am Rande sei die Frage angeschnitten, welche Art von Rechtspersönlichkeit den "Orden und religiösen Kongregationen" im staatlichen Bereich zukommt, eine öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche. - Ausdrücklich ist die öffentlich-rechtliche RechtssteUung gemäß Art 11 des Konkordats der "katholischen Kirche" als solcher zugesprochen; von der Art der Rechtspersönlichkeit der übrigen kirchlichen Einrichtungen, die aufgrund des konkordatären Anzeige- und Hinterlegungsverfahrens Rechtspersönlichkeit erlangt haben, wird nicht gesprochen9 . Die Lehre steht schon seit Jahrzehnten über7 Im Motivenbericht zu dieser Bestimmung des Konkordats heißt es "Die in Aussicht genommene Bestätigung der erfolgten Anzeige dient der Rechtssicherung hauptsächlich im privatrechtlichen Verkehr". Beilage C zu Pkt. 2 des Ministerratsprotokolls Nr. 878 vom 31. 5. 1933. Konsistorialarchiv Salzburg (KAS) Akten 12/14 Konkordat. 8 Vgl. J. Rieger/H. Schimajun., Katholische Kirche, in: Rechtslexikon. Handbuch des österreichischen Rechts für die Praxis, hrsg. von F. MaultaschJIW. Schuppich/F. Stagei, Wien 1968, 22-23; H. Schnizer, Kirchliches Vermögensrecht nach dem CIC/1983 - Rechtsträger und Rechtsgeschäfte in Österreich, in: H. Paarhammer (Hrsg.), Vermögensverwaltung in der Kirche. FS f. S. Ritter, Thaur 21989,226. 9 Art XIV § 1 des "Progetto di Concordato" (1931) hatte sich noch ausdrücklich mit der (unter nicht näher bezeichneten Bedingungen) zu verleihenden öJfentlichrechtlichen Rechtsstellung kirchlicher Einrichtungen im allgemeinen befaßt. Es heißt hier u. a. bezüglich der "associazioni religiose in genere" , daß sie staatliche Rechtspersänlichkeit erlangen können "in quanta concorrano i necessari requisiti, i diritti di pubbliche corporazioni". In den Konkordatstext selbst hat diese Formulierung keinen Eingang gefunden. - In der Antwortnote vom 9. 12. 1932 hatte die österreichische Bundesregierung im Zusammenhang mit der öffentlich-rechtlichen RechtssteIlung kirchlicher Einrichtungen sich noch zu dem generellen Vorbehalt veranlaßt gesehen, daß mit der gemäß dem Konkordat zu verleihenden öffentlich-rechtlichen Rechtsstellung "von selbst eine gewisse und im Konkordat allenfalls grundsätzlich nä-

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wiegend auf dem Standpunkt, daß allen nach Maßgabe der Konkordatsbestimmungen mit staatlicher Rechtspersönlichkeit ausgestatteten kirchlichen Einrichtungen eine öffentlich-rechtliche Stellung zukommt 10 . I. 3. Das Konkordat verlangt hinsichtlich einiger (klösterlicher) Oberer besondere Qualiftkationsmerkmale.

Damit wird ganz offensichtlich auf zwei große Gruppen von Ordensverbänden abgestellt: Auf die der sog. föderalistischen Verfassungsform mit dem rechtlich selbständigen Kloster (monasterium sui iuris) und einem Abt (Propst) als Superior maior an der Spitze, sowie auf die zentralistische, für die der Begriff der Provinz typisch ist. Der Vorsteher der Provinz (Provinzial) ist ebenfalls Superior maior. Das Konkordat stellt hinsichtlich des Erfordernisses der österr. Bundesbürgerschaft ausschließlich auf diesen Superior maior ab; für die anderen Oberen (niedere Lokalobere wie Rektor, Prior, Superior, Guardian) bestehen von seiten des Konkordats keine Anforderungskri terien. Es stellen sich zwei Fragen: a) Das Konkordat spricht von "auf Lebenszeit" bestellten Oberen und stellt damit auf den (damals) für die in Rede stehenden Verbände geltenden Regelfall ab, daß nämlich ein Abt (Propst) eines Stiftes grundsätzlich auf Lebenszeit gewählt wurde. Das ist aber nunmehr aufgrund des Eigenrechts der meisten monastischen bzw. kanonistischen Föderationen nicht mehr der Fall, wobei auf die verschiedenen Modelle einer zeitlich begrenzten Amtszeit hier nicht einzugehen ist. "Auf Lebenszeit" bestellte Obere gibt es jedenfalls in den im Konkordat angesprochenen Stiften kaum mehr. Es stellt sich somit die Frage, ob für nicht auf Lebenszeit bestellte Obere der Stifte das Erfordernis her zu präzisierende Vennögensingerenz des Staates verbunden sein müßte". KAS (Anm. 7). Der Entwurf zum Konkordat (Pro getto di Concordato) ist abgedruckt im Anhang zum Beitrag von J. Kremsmair, Geschichte des österreichischen Konkordats (in diesem Band). 10 Genauso wie die (gesetzlich anerkannten) Kirchen und Religionsgesellschaften selbst haben auch deren einzelne mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Einrichtungen die Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts, allerdings eine solche "sui generis", da ihre Selbstverwaltungsakte iSv Art 15 StGG keine staatlichen Hoheitsakte sind und keiner nachprüfenden Kontrolle seitens staatlicher Organe unterliegen. Zur Frage: E. Melichar, Sind die geistlichen Orden und Kongregationen der katholischen Kirche nach österreichischem Recht Körperschaften des öffentlichen Rechts?, in: ÖJZ 1947, 505 ff. - Vgl. H. Schwendenwein , Österreichisches Staatskirchenrecht, Essen 1992, 534 f. Differenzierend l. Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht. Wien/New York 1971,238.

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der österreichischen Bundesbürgerschaft nicht mehr Voraussetzung ist? - Die Frage ist m. E. dahingehend zu beantworten, daß das Erfordernis der österr. Bundesbürgerschaft auch dann besteht, wenn der Abt (Propst) nicht auf Lebenszeit bestellt wurde. Denn die ratio legis dieser Konkordatsbestimmungen liegt ganz offensichtlich darin, daß ganz allgemein höhere Obere der in Österreich gelegenen Ordensinstitute, d. s. die Äbte der Stifte und sodann die Provinziale der Provinzen mit rechtlichem Sitz in Österreich, österreichische Staatsbürger sein sollen. Die Typisierung "auf Lebenszeit bestellte Obere" dient ebenso wie der Hinweis auf die stabilitas loci der Mitglieder offenbar nur dem Zweck, den ordensrechtlichen Verbandstypus zu beschreiben, stellt aber für sich genommen kein Qualifikationsmerkmal in dem Sinne dar, daß bei einem Fehlen desselben die gesamte Regelung hinfällig würde. Dies erhärtet auch ein Blick auf die für die Provinzoberen getroffene Regelung: Obwohl sie keine Lebenslänglichkeit der Amtsinhaberschaft aufweisen, wird dennoch an sie dasselbe Anforderungsprofil gestellt wie rur die erstgenannte Kategorie, d. h. auch sie müssen die österreichische Bundesbürgerschaft besitzen. b) Der Konkordatstext spricht von Oberen der Provinzen. Nun kennt das Ordens recht (darunter ist ja auch das Eigenrecht der einzelnen Verbände zu subsumieren)11 neben den Provinzen auch die Vize-Provinzen, d. h. eine Zusammenfassung mehrerer rechtlich nicht selbständiger Niederlassungen unter einem Vize-Provinzial, der zwar auch höherer Oberer ist, der aber, ebenso wie die gesamte Vize-Provinz in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Mutterprovinz steht. Wenn nun das gesamte Gebiet der Republik Österreich bzw. Teile derselben zu einer (von einer ausländischen Mutterprovinz abhängigen) Vize-Provinz zusammengefaßt wird, dann stellt sich die Frage, ob rur den Vize-Provinzial ebenfalls das Erfordernis der österr. Bundesbürgerschaft gilt oder nicht. - Diese Frage ist m. E. zu verneinen. Denn das rechtliche Interesse der Republik Österreich (daß diese Bestimmung auf Betreiben des österreichischen Vertragspartners aufgenommen wurde, daran kann kein Zweifel bestehen) liegt wohl darin, daß jene ordensrechtlichen Einrichtungen, die auf eine jahrhundertelange, ja bisweilen mehr als ein Jahrtausend zucückreichende Tradition blicken und so auch ein kulturhistorischer Faktor ersten Ranges sind, von Österreichem geleitet werden. - Da eine VizeProvinz noch den Charakter des Vorläufigen, nicht endgültig Ausgereiften trägt, ist dieses Interesse von seiten des staatlichen Vertragspartners an der österreichischen Bundesbürgerschaft ihres Vorstehers nicht in gleichem Maße gegeben. Der Vize-Provinzial braucht daher die österreichische Bundesbürgerschaft nicht zu besitzen. 11 Vgl. dazu c. 587 §§ 1-5 CIC/1983.

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1.4. Der Konkordatstext stellt hinsichtlich des Erfordernisses der österreichischen Bundesbürgerschaft bei den Provinzoberen auf die Tatsache ab, daß der rechtliche Sitz des Provinzials in Österreich gelegen ist. Die vorliegende Textfassung enthält gegenüber dem Entwurf eine nicht unbedeutende Akzentverschiebung. In dem mir (nur auf italienisch) vorliegenden ~Progetto"12, hieß es "I Superiori provinciali, che hanno la loro sede residenza in Austria ... ". Gegenüber dieser Formulierung schlug die Bundesregierung eine Änderung dahingehend vor, daß die ~Oberen von Provinzen, deren rechtlicher Sitz in Österreich gelegen ist, die österreichische Bundesbürgerschaft besitzen müssen"I3, und diese Formel fand denn auch tatsächlich im Gesetzestext ihren Niederschlag. Provinz- und Ordensobere, die außerhalb des Bundesgebietes ihren rechtlichen Sitz haben, sind auch dann nicht an das Erfordernis der österreichischen Bundesbürgerschaft gebunden, wenn sie persönlich ihren Sitz im Bundesgebiet haben l4 . Für diese Oberen wird festgelegt, daß sie, auch wenn sie die österreichische Bundesbürgerschaft nicht besitzen, selbst oder durch andere ihre in Österreich liegenden Niederlassungen visitieren dürfen (Art X § 3, 2. Abs.). Einem in der Note der Bundesregierung vom 9. 12. 1932 zum Ausdruck gebrachten Wunsch, daß bei der Vornahme von Visitationen durch Personen, "die außerhalb der Leitung der betreffenden Ordenshierarchie ... stehen", vor der Entsendung eines solchen Visitators das Einvernehmen mit der Bundesregierung "etwa in Form der Einholung eines Agrements gepflogen werden ... sollte" 15, fand keine Berücksichtigung im Vertragstext. Allerdings verspricht der kirchliche Kontrahent, der Hl. Stuhl werde dafür Sorge tragen, daß "der Provinzverband der in Österreich bestehenden oder zu errichtenden religiösen Niederlassungen nach Tunlichkeit mit den Staatsgrenzen in Übereinstimmung gebracht wird" (ZusProt zu Art X § 3, Abs. 1). Der Motivenbericht vom 31. 5. 1933 bemerkt dazu lapidar, dieser Absatz sei "allgemeinen Zweckmäßigkeitserwägungen auf kirchlicher und staatlicher Sei te entsprungen" 16. 12 Progetto di Concordato. KAS (Anm. 7). I3 Note der österr. Bundesregierung vom 9. 12. 1932. KAS (Anm. 7).

14 Vgl. J. Haring, Kommentar zum neuen österreichischen Konkordat. InnsbrucklWien/München 1934,59. 15 Note der Bundesregierung, S. 23 (195). KAS (Anm. 7). 16 Motivenbericht zu Art X. In der Antwortnote der österr. Bundesregierung vom 9. 12. 1932 findet sich diesbezüglich die Wendung: " ... glaubt die Bundesregierung auch dem Wunsche nach Festlegung des Grundsatzes Ausdruck geben zu sollen, daß der Provinzverband der in Österreich bestehenden oder zu errichtenden religiösen Niederlassungen nach Tunlichkeit sich nicht über die Grenzen der österreichischen Republik hinaus erstrecken soll". KAS (Anm. 7). - Kremsmair meint, daß die Regierung damit nachbarstaatliche Schwierigkeiten, die sich aus der Visitation eines außerhalb der Grenzen der Republik Österreich gelegenen Klosters ergeben könnten,

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Das Erfordernis der österreichischen Bundesbürgerschaft kann zusammen mit anderen Kriterien indirekt im Zusammenhang mit der Erlangung bestimmter SeelsorgesteIlen auch für Ordenspriester aktuell werden. Der heute nicht mehr in Geltung stehende Art XI § 2 bestimmt, daß "zur Leitung und Verwaltung der Diözesen, zum Pfarramte und zur Erteilung des Religionsunterrichtes in den öffentlichen Schulen ... ausschließlich Geistliche bestellt (werden), die a) die österreichische Bundesbürgerschaft besitzen; b) die vorgeschriebenen theologischen Studien an einer kirchlichen theologischen Lehranstalt Österreichs oder an einer deutschsprachigen kath.-theoI. Fakultät oder an einer päpstlichen Hochschule in Rom durch mindestens drei Jahre mit Erfolg zurückgelegt haben. " Der Ausdruck "Leitung und Verwaltung" der Diözesen ist nicht völlig klar, da die beiden Begriffe nicht deutlich voneinander abgehoben sind. Denn der Leiter einer Diözese ist ja zugleich auch deren (oberster) Verwalter. Man wird aber wohl mit Haring annehmen dürfen, daß mit Leitung das Vorsteheramt in der Diözese angesprochen wird, also das Amt des Diözesanbischofs, gegebenenfalls Apostolischen Administrators oder des Kapitelvikars; mit Verwaltung hingegen ist das bei besetztem Bischofsstuhl eingerichtete Stellvertretungsamt im Bereich der potestas administrative (executiva) gemeint, d. h. also der Generalvikar l7 . - Da dieser Abschnitt des Konkordats, wie schon gesagt, heute nicht mehr in Geltung steht, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, welche Erfordernisse für das dem damaligen Kirchenrecht noch nicht bekannte Amt des Bischofsvikars bestehen. 1.5. Das ZusProt spricht eine Frage an, die in dieser Form ein österreichisches Spezifikum des Ordensrechts darstellt, nämlich die besondere Eigenart der einem Kloster inkorporierten Pfarreien. Die (bis zum heutigen Tag) vom Kloster räumlich oftmals weit entfernten inkorporierten Pfarreien und die wie Haring bemerkte - durch die dauernde Abwesenheit der klösterlichen Seelsorger dieser Pfarren vom Kloster bisweilen verbundene "Erschlaffung der klösterlichen Disziplin "18 bildeten einen Gegenstand des beiderseitigen Interesses der Vertragspartner. Insbesondere wurde seitens des HI. Stuhles betont, daß im Interesse einer Rückführung der Klöster zu ihrer eigentlichen AufgabensteIlung ein Aufgeben der oft weit vom Kloster entfernten Pfarreien, die mit einem Ordensgeistlichen als Pfarrvikar19 besetzt seien, erstrebenswert venneiden wollte. J. Kremsmair, Der Weg zum österreichischen Konkordat 1933/34. Wien 1980, 197. 17 Haring, Kommentar (Anm. 14) 65. 18 Haring, ebd. 61. 19 Vgl. dazu CIC/1917 cc. 452 § 2 iVm 471 § 1.

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wäre. Denn, so heißt es in einem aus der Feder Pacellis stammenden Schreiben vom 10. 8. 1931 an den österreichsichen Gesandten beim Hl. Stuhl, Kohlruß, die Ordensgeistlichen lebten einerseits Jahre hindurch außerhalb der klösterlichen Gemeinschaft und verlören so den ihrer Berufung eigenen klösterlichen Geist; andererseits aber würden die Klöster einer großen Anzahl von Konventualen beraubt und seien somit nicht mehr imstande, voll und ganz ihrer Tätigkeit im Bereich von Missionen, Exerzitien und anderen außerordentlichen Predigten für die Bevölkerung nachzugehen20 . - Der heute nicht mehr in Geltung stehende Abs. 2 des ZusProt zu Art X § 3 (durch den Vermögensvertrag von 196021 außer Kraft getreten) hatte zwei Anliegen im Auge: Zum einen das geschilderte innerkirchliche, dessen Tenor von Haring formuliert wurde22 und zum anderen ein staatskirchenrechtlich-finanzielles, da beim" Austausch einiger Regularpfarren gegen Säkularpfarren" eine staatliche Finanzhilfe erwartet und "im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten" auch zugesagt wurde. 1.6. Das Konkordat beschäftigt sich in seinem ordensrechtlichen Artikel schließlich noch mit studienrechtlichen Fragen der Ordensleute (Art X § 4). Die Ordensmitglieder haben das Recht, ihren philosophisch-theologischen Studien in den Schulen ihres Instituts oder in den päpstlichen Hochschulen in Rom zu obliegen. - Das sog. theologische Hausstudium war zur Zeit des Inkrafttretens des Konkordats noch sehr beliebt. Als Gründe dafür wurde einerseits eine ordensdisziplinäre Komponente angeführt, da die Alumnen auf diese Weise besser in das klösterliche Gemeinschaftsleben eingeführt werden konnten, als es bei einer vielleicht vom Kloster (räumlich) weit entfernten theologischen Fakultät oder einem Diözesanseminar der Fall sein konnte. Andererseits dürfte manchmal auch ein gewisses Mißtrauen gegenüber be20 Schreiben Pacellis an Kohiruß 10. 8. 1931 (Nr. 2024) KAS (Anm. 7). "Da tempo la Sacra Congregazione dei Religiosi e fortemente preoccupata per quei religiosi che, staccati dai loro conventi, vengono preposti al governo di tali parrocchie. Da una parte, infatti, vivendo essi per anni ed anni fuori di comuniti, finiscono col perdere quello spirito monastico che e proprio della loro vocazione; e d'altra parte i monasteri impoveriti per il gran numero di religiosi che devono dare aUe parrocchie, si trovano neUa impossibiliti di sviluppare appieno la loro attiviti, particolarmente di dare aUe popolazioni con missioni, esercizi ed altre predicazioni straordinarie, queU'impulso salutare che tanto giova aUa conservazione ed al rinvigoramento della vita cristiana. " 21 Vertrag zwischen dem Hl. Stuhl und der Republik Österreich vom 23. Juni 1960 zur Regelung von vermögens rechtlichen Beziehungen. BGBI195/1960. 22 Der Motivenbericht (Anm. 7) bemerkt dazu, dieser Absatz sei "von der Kirche im Interesse der Stärkung der Ordensdisziplin etz. (sie!) gefordert" worden, werde aber erst "künftig im Einvernehmen mit dem Staate zur Ausführung gelangen". Die Wahrung staatsfinanzieUer Belange sei gesichert.

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stimmten an den Fakultäten vertretenen theologischen Richtungen, die der Steuerung durch Ordensobere weitgehend entzogen waren, eine Rolle gespielt haben. Art X § 4 des Konkordats stellt nicht darauf ab, daß die angesprochenen phil.-theol. Ordens(hoch)schulen in Österreich gelegen sein müssen. Allerdings wird gemäß Art XI § 2 lit b für die Erlangung eines der hier angesprochenen seelsorgerlichen Dienstpostens gefordert, daß der in Aussicht genommene Kandidat die vorgeschriebenen theologischen Studien "an einer kirchlichen Lehranstalt Österreichs ... durch mindestens 3 Jahre mit Erfolg zurückgelegt hat23 . I. 7. Bei einem Vergleich mit anderen Konkordaten fällt auf, daß Österreich in bezug auf die staatliche Anerkennung ordensrechtlicher Institutionen eine äußerst großzügige Regelung vornimmt. Das italienische Konkordat von 1929 (auf seinen Modellcharakter für das österreichische wurde schon hingewiesen) erweist sich in dieser Hinsicht als wesentlich restriktiver, und auch die neueste italienische Regelung aufgrund des Gesetzes vom 20. 5. 1985 (Nr. 222)24 differenziert bei der Anerkennung ordensrechtlicher Institutionen. Das italienische Konkordat (1929) schloß die staatliche Anerkennung diözesanrechtlicher Verbände überhaupt aus. Als Grund wurde angegeben, daß derartige nur vom Bischof errichtete Institute mitunter keine Beständigkeit aufwiesen, und daß daher die staatliche Anerkennung bald wieder gegenstandslos würde25 . Die gegenwärtige Regelung in Italien schließt zwar diözesanrechtliche Verbände von der Erlangung der staatlichen Rechtspersönlichkeit nicht schlechterdings aus, knüpft diese aber an bestimmte Voraussetzungen, nämlich die vorausgehende Zustimmung des Hl. Stuhles und eine (allerdings nicht näher derterminierte) Garantie der Dauer26 . - In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß das Bonner Grundgesetz (Art 140) iVm Art 137, V, Satz 2 der 23 Von einer durch das Konkordat erfolgten Gleichstellung der Ordenshochschulen mit den staatlichen katholisch-theologischen Fakultäten, die Stutzinger annimmt, kann indes keine Rede sein. G. Stutzinger, Das österreich ische Konkordat vom 5.6. 1933. Jur. Diss. Köln. Orthen 1936, 60. Vgl. dazu J. Kremsmair, Konkordat (Anm. 14) 198. 24 Botta, Codice (Anm. 4) 258-305. 25 A. C. Jemow, Lezioni di diritto canonico. Milano 1979,360. 26 Art 8 des Gesetzes vom 20. 5. 1985: "Gli istituti religiosi di diritto diocesano possono essere riconosciuti soltanto previo assenso della Santa Sede e sempre che sussistano garanzie di stabiliti." Botta, Codice (Anm. 4), 263. - Aus der GesetzessteIle ergibt sich allerdings nicht, wer diese Garantie der Dauer abzugeben hat: Der HI. Stuhl oder eine andere kirchliche (staatliche?) Institution. Feliciani meint, " ... daß die geforderte Bestätigung des HI. Stuhles auch schon die Garantie der Dauer in sich einschließt." G. Feliciani, Les congregations religieuses dans la tegislation italienne apres la revision des accords du Latran, in: J. Durand (Hrsg.), Les congregations et l'Etat. La documentation franyaise. Paris 1992,95.

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Weimarer Reichsverfassung als Voraussetzung für die staatliche Anerkennung kirchlicher Einrichtungen ebenfalls die Gewähr der Dauer verlangt27 .

ß. Die ordensrechtlichen Bestimmungen auf ihrem rechtshistorischen Hintergrund 11.1. Mit den erwähnten "Orden und religiöse Kongregationen" betreffenden Bestimmungen des Konkordats sind eine ganze Reihe von bisher bestehenden Beschränkungen hinsichtlich der Errichtung von Ordensgemeinschaften und der Zulassung von Mitgliedern weggefallen. Die Regelung des Konkordats 1934 ist im Ergebnis günstiger als die des Konkordats 1855. Zufolge Art 28 des Konkordats 1855 konnten Erzbischöfe und Bischöfe beliebig Orden und Kongregationen nach den kirchlichen Gesetzen im Einvernehmen mit der Regierung einführen. Nach der Ministerialverordnung vom 13. 6. 1895 (RGBI 95) bedurfte jedoch jede Einführung einer neuen Niederlassung und erst recht einer neuen Genossenschaft einer staatlichen Bewilligung. Gemäß § 1 der VO hatte der Bischof, in dessen Diözese die Errichtung eines neuen Ordenshauses beabsichtigt wird, von diesem Vorhaben die politische LandessteIle in Kenntnis zu setzen, die zur Verfügung stehenden Subsistenzmittel anzugeben, und, .wenn der Orden oder die Kongregation, welcher das zu gründende Haus angehören soll, in Österreich noch nicht gesetzlich besteht, zugleich über die kirchliche Bestätigung, den Beruf und die Verfassung dieser geistlichen Körperschaft, unter Vorlage der Statuten, Auskunft zu erteilen. Bezüglich des Nachweises dieses Unterhalts schreibt Haring, daß dieser oftmals "peinlich gehandhabt" wilrde28 . Im einzelnen wurde unterschieden zwischen der Gründung von Konventen bei in Österreich bereits gesetzlich bestehenden Orden und Kongregationen und der Einführung einer "in Österreich noch nicht bestehenden geistlichen Körperschaft". Im erstgenannten Fall war, sofern sich nicht besondere Bedenken ergeben sollten, die politische Landesstelle ermächtigt, dem Bischof die Zustimmung zu geben; die Landesstelle hatte jedoch dem Ministerium für Kultus und Unterricht Anzeige zu erstatten. - In letzterem Fall war die Angelegenheit unmittelbar dem genannten Ministerium vorzulegen, das die AH Beschlußfassung einzuholen hatte. Die AH-Genehmigung der Einführung geistlicher Orden und Kongregationen, welche bisher in Österreich nicht bestanden hatten, wurde durch das Reichs-Gesetzblatt kundgemacht (Zit. VO §§ 2 und 3). 27 Dies allerdings nur dann, wenn es um die Erlangung der Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts geht. 28 Haring, Kommentar (Anm. 14) 59.

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11.2. In dem das Ordensrecht (direkt) betreffenden Art X des Konkordats ist keine Rede (mehr) von einer Aufhebung der bisher in bezug auf die Verwaltung, insbesondere Veräußerung von klösterlichen Vermögen bestehenden staatsrechtlichen Begrenzungen. Diesbezüglich hieß es noch im "Progetto di Concordato" vom 10. 8. 1931, daß klösterliche Verbände bei Erwerb, Besitz und Verwaltung ihrer Güter wie überhaupt bei der Regelung ihrer Angelegenheiten, keinerlei Begrenzung oder Beaufsichtigung durch den Staat unterworfen sein sollten29 . Diese zunächst beabsichtigte Formulierung ist offensichtlich in die generelle Aussage des Art XIII des Konkordats eingegangen, wo es ganz allgemein heißt, daß das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte durch die nach kanonischem Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten werde. Vor dem Konkordatsabschluß galt allgemein für kirchliches Stammvermögen § 38 des Katholikengesetzes vom 7. 5. 1874 (RGBI 50), wonach die staatliche Kultusverwaltung befugt war, "die Erhaltung des Stammvermögens der Kirchen und kirchlichen Anstalten zu überwachen, sich jederzeit von dem Vorhandensein desselben die Überzeugung zu verschaffen und wegen Einbringung wahrgenommener Abgänge das Erforderliche einzuleiten "30. - Zur bisherigen Rechtslage hatte Haring in seiner Stellungnahme zum Konkordatsentwurf bemerkt, die in § 38 des zitierten Gesetzes enthaltenen Beschränkungen der Verwaltung klösterlichen Vermögens seien unbegründet, weil die Klöster keine Subvention aus dem Religionsfonds erhielten. Gleichzeitig aber stellt Haring fest: "Bemerkt wird freilich, daß dieses Aufsichtsrecht über die Vermögensverwaltung manchmal auch wieder gut ist, insoferne die Klostervorstände vor unklugen Geschäften bewahrt werden "31. Die staatliche Verwaltung beanspruchte indes nicht nur ein generelles Aufsichts-, sondern auch ein Zustimmungsrecht bei Veräußerungen 32 von Ver29 "NeU' acquisto, nel possesso e nelI' amministrazione dei loro beni, come nel rego lamento dei loro affari, non so no sottoposti ad alcuna speciale restrizione od ispezione deUo Stato." KAS (Anm. 7). 30 M. Burckhard, Gesetze und Verordnungen in Cultussachen, 11, 3. Aufl., Wien 1895,96. 31 Haring, Gutachten zum Konkordatsentwurf für die "Konferenz der Diözesandelegierten in Sachen des Konkordats". 1931. KAS (Anm. 7). 32 In diesem Zusammenhang ist legistisch folgendes interessant: Das in Rede stehende Zustimmungsrecht des Staates bei Veräußerung kirchlichen Vennögens ergab sich bereits aus Art 30 des Konkordats 1855. Während es hier aber hieß, daß Kirchengüter ohne Zustimmung des Hl. Stuhles und auch des Kaisers (bzw. seines Beauftragten) weder verkauft noch mit einer beträchtlichen Last beschwert werden dürfen, gebrauchte die auf das Konkordat bezugnehmende Ministerialverordnung vom 43 Primetshofer

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mögen klösterlicher Genossenschaften. Zum diesbezüglichen Konkordatsentwurf bemerkt Haring in seinem Gutachten (1931), daß der Wegfall dieser staatlichen Begrenzungen deshalb zu begrüßen sei, weil diese Anstalten vom Staat keinerlei Subvention beziehen. Auch diese Aussage verbindet Haring mit der Feststellung, es müsse zugestanden werden, "das die staatliche Kontrolle manchmal auch ihre Vorteile hat"33.

m. Ordensrechtliches Vennögensrecht 111.1. Das ordensrechtliche Vermögensrecht wird nicht, wie im "Progetto " noch geplant, in dem die "Orden und religiösen Kongregationen" betreffenden Artikel (im Progetto Art XI), sondern in dem auf vermögensrechtliche Fragen im allgemeinen bezugnehmenden Art XIII behandelt. Durch die Wendung des § 2 "Das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte wird durch die nach dem kanonischen Rechte berufenen Organe verwaltet und vertreten" und mit dem 1. Satz des Abs. 2 "Die Gebarung mit dem kirchlichen Vermögen findet unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordensoberen statt" sind, wenn ich recht sehe, die bisher aufgrund staatlichen Rechts bestehenden Begrenzungen hinsichtlich der Autonomie der kirchlichen Vermögensverwaltung insoweit aufgehoben worden, als durch Veränderungen in der Gebarung mit kirchlichem Vermögen keine erhöhten Staatsleistungen bedingt waren. Darauf weist in aller Deutlichkeit Abs. 3 des § 2 hin34 . Die kirchliche Vermögensverwaltung ist also durch das Konkordat keinesfalls zu einer "inneren Angelegenheit" iSv Art 15 StGG geworden. Erst der Vermögensvertrag von 196()3s, der aufgrund der geänderten Situation die im Konkordatsrecht noch vereinbarten staatlichen Mitspracherechte außer Kraft gesetzt hat, 9. 6. 1860 nicht den Ausdruck "Verkauf', sondern sprach von" Veräußerung" . Dazu bemerkte Burckhard, da das Konkordat außer Kraft getreten sei, die zitierte VO aber weiterhin in Geltung stehe, müsse nunmehr von Veräußerung im allgemeinen gesprochen werden. Darunter sei aufgrund einer Entscheidung des VwGH vom 7. 11. 1879 mit Rücksicht auf die §§ 232, 233, 244, 366, 1008, 1120 und 1140 ABGB nicht bloß der Verkauf, sondern "jede entgeltliche oder unentgeltliche Hintangabe unter Lebenden zu verstehen". Burckhard, Gesetze (Anm. 28) 131. 33 Haring, Gutachten KAS (Anm. 7). 34 Dies hat Haring durchaus richtig eingeschätzt, wenn er in seinem Gutachten zum Konkordatsentwurf mehrfach darauf verweist, daß staatliche Ingerenz in der kirchlichen Vermögensverwaltung dann unbegründet sei, wenn der S~at für die betreffenden kirchlichen Einrichtungen keine Zuschüsse leistet. Daraus ergibt sich, daß Haring ein staatliches Mitspracherecht dann für gerechtfertigt hält, wenn dem Staat die Verpflichtung zur Leistung solcher Zuschüsse obliegt. 3S Siehe Anm. 19.

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bedeutet einen weiteren entscheidenden Schritt in Richtung auf kirchliche Autonomie. Allerdings werden einige auf älteren staatlichen Rechtsvorschriften beruhende Bestimmungen hinsichtlich einer Beschränkung in der Autonomie der klösterlichen Vermögensverwaltung als noch in Geltung stehend betrachtet. Demzufolge können die unbeweglichen Güter des Deutschen Ritterordens sowie "die zu dem Stammvermögen desselben gehörigen Kapitalien ... ohne landesfürstliche Genehmigung weder verpfändet noch veräußert werden ... Die Anlegung ersparter oder bar eingegangener Kapitalien kann nur mit Genehmigung des Ordensoberhauptes erfolgen "36. Ebenso ist der Souveräne lohanniter-(Malteser-) Ritterorden verpflichtet, "zu Veräußerungen und Belastungen seines unbeweglichen Vermögens, insofern dasselbe zur Dotation der hierländischen eigentlichen Ordenspräbenden ... bestimmt ist, von Fall zu Fall die vorläufige allerhöchste Genehmigung einzuholen "37. - Die Derogation dieser Bestimmungen durch das Konkordat 1933/34 bzw. den Vermögensvertrag 1960 wird bezweifelt; sie werden als noch in Geltung stehendes Recht angesehen 38 • Auch für das kirchliche und damit auch ordensrechtliche Vermögensrecht ist der (ausdrückliche) Hinweis auf die Derogation des Katholikengesetzes39 im ZusProt zu Art XXII Abs. 3 von Bedeutung, da sich in diesem Gesetz und den daraufhin ergangenen Verordnungen zahlreiche staatliche Ingerenzrechte hinsichtlich der Verwaltung kirchlichen (klösterlichen) Vermögens befanden. Diese sind seit Inkrafttreten des Konkordats nicht mehr Bestandteil der geltenden Rechtsordnung. III.2. Im Vermögensrecht des Art XIII und des ZusProt sind zwei auf Ordensinstitute bezugnehmende Aussagen anzutreffen: Die eine beschäftigt sich mit der Verwaltung und rechtsgeschäftlichen Vertretung ordensrechtlicher ju36 Patent Justiz-Gesetzsammlung Nr. 45111840, S 4. 37 Ministerialverordnung, RGBI Nr. 17/1886. Die Ausgabe des ABGB von R. Dittrich/H. Todes enthält noch in der 33. Aufl. (Wien 1989) bei § 867 ABGB die angeführten Bestimmungen. H. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, Essen 1992, 287 Anm. 229 weist darauf hin, daß sie "bis in unsere Tage herauf gehandhabt werden". - Durch § 42 Abs. 4 des Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetzes (BG vom 27. 11. 1974, BGBl. Nr. 11/1975) ist die Ministerialverordnung vom 24. Jänner 1866, RGBl. Nr. 156 betreffend die Genehmigung des Kaisers zur Veräußerung unbeweglichen Vermögens des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens außer Kraft getreten. 38 Rieger/Schima, Katholische Kirche, Organisation, in: Rechtslexikon, (Anm. 8) 28; vgl. B. Primetshofer, Vermögen von Orden und ordensähnlichen Institutionen, in: H. Heimerl/H. Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, 505. 39 Gesetz vom 7. 5. 1874, RGBl50 und 51.

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ristischer Personen, die andere mit dem auch Ordensgemeinschaften betreffenden Problem der rechtlichen Tragweite der im ZusProt zu Art XIII verankerten sog. Ordinariatsklausel. a) Art XIII § 2 2. Halbsatz nimmt direkt auf Ordensinstitute Bezug. Nach der allgemeinen Feststellung, daß das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte durch die nach kanonischem Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten wird, heißt es: "Bei Orden und Kongregationen gilt für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften der Lokalobere und, soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handelt, der Obere des betreffenden Verbandes als der berufene Vertreter". - In § 3 Abs. 2 wird gesagt, daß die Gebarung mit dem kirchlichen Vermögen unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordensoberen stattfinde; ohne deren Zustimmung könne solches Vermögen weder veräußert noch belastet werden. Mit der erstgenannten Bestimmung wird eine vereinfachte Außenvertretung ordensrechtlicher juristischer Personen festgelegt. Diese werden für den staatlichen Bereich immer durch den Lokaloberen bzw., soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handelt, durch den höheren Oberen des betreffenden Verbandes vertreten. Damit wird einem vielfachen Anliegen nach vereinfachter Vertretung im rechtsgeschäftlichen Verkehr entsprochen, da für den Geschäftspartner eines Ordensinstituts die ordensintemen Kompetenzen manchmal nicht leicht zu durchschauen sind40 . Die in Rede stehende Bestimmung bedeutete gegenüber dem früheren Recht eine Vereinfachung. Aufgrund der Ministerialverordnung vom 13. 6. 1858 (RGBI 95) war der Lokalobere zwar grundsätzlich zum Abschluß von Rechtsgeschäften befugt, er mußte sich aber, wenn er gemäß der Ordensverfassung einem Provinzoberen unterstand, über dessen Zustimmung ausweisen. Ordensvorschriften, durch die die Lokaloberen bei Eingehung von Rechtsgeschäften anderweitigen Beschränkungen unterworfen waren, mußten dem Ministerium für Kultus und Unterricht vorgelegt werden und wurden zur allgemeinen Kenntnis gebracht. Eine Einwendung gegen die Gültigkeit von Rechtsgeschäften, die sich aus diesen Statuten ergab, konnte nur nach erfolgter Kundmachung derselben vorgebracht werden41 • 40 Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 10) 630. 41 Burckhard, Gesetze (Anm. 28), 11, 75. - Damit ist dem allgemeinen Verweis auf die Beachtlichkeit des internen Rechts der "öffentlichen Gemeinden" gemäß § 867 ABGB teilweise derogiert, da im Eigenrecht eines Verbandes enthaltene Beschränkungen eben nur dann rechtsrelevant waren, wenn sie verlautbart worden waren.

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Die vereinfachte Außenvertretung aufgrund von Art XIII § 2 des Konkordats bedeutet in der Regel keine große Abweichung vom kanonischen Recht, da dieses ja ebenfalls grundsätzlich die vermögensrechtliche Vertretungskompetenz des Lokaloberen und des höheren Oberen kennt. Eine andere Frage aber, die hier nur kurz angeschnitten werden kann, besteht darin, ob mit der im Konkordat festgelegten vereinfachten Außenvertretung auch implizit gesagt wird, daß der Ordensobere unabhängig von im kodikarischen und allenfalls Eigenrecht bestehenden Beschränkungen in der Dispositionsbefugnis über klösterliches Vermögen tätig werden kann. Mit anderen Worten: Sofern nur überhaupt der im Konkordat angesprochene (zuständige) Obere das Rechtsgeschäft abgeschlossen hat, wäre für dessen Gültigkeit im staatlichen Bereich nur mehr auf diesen Tatbestand allein und nicht mehr auf das zur Gültigkeit erforderliche Vorhandensein von im innerkirchlichen Bereich bestehenden Konsensrechten (der Konsultoren) abzustellen. Ein Einwand gegen die Gültigkeit eines konsenspflichtigen, aber ohne Konsens abgeschlossenen Rechtsgeschäftes eines Ordensoberen könnte dieser Ansicht zufolge nicht mit Erfolg erhoben werden42 . Würde man der vorgetragenen Ansicht folgen, so ergäbe sich u. a. die Konsequenz, daß die Vertragspartner des Konkordats, d. h. also auch der universalkirchliche Gesetzgeber, eine weitreichende Derogation eines wichtigen Grundsatzes des kanonischen Verwaltungsrechts, demzufolge kirchliches, klösterliches Stammvermögen niemals ohne Zustimmung der Beispruchsberechtigten veräußert werden darf (c. 638 § 3), ohne ersichtlichen Grund vorgenommen hätte. Dies kann aber unmöglich der Sinn der Konkordatsbestimmung sein, umso weniger, als das Aufgeben eines derartigen Grundsatzes nicht gleichsam in einem Nebensatz erfolgen könnte, sondern in einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise hätte vorgenommen werden müssen43 . Auszugehen ist vielmehr von der in der hL wie auch in der Rspr vertretenen Auffassung, daß die innerkirchlichen Beschränkungen in der Vertretungsvollmacht des kirchlichen (klösterlichen) Oberen voll in die staatliche Rechtsordnung übernommen wurden. Von einer Derogation des § 867 ABGB bzw. der generellen Aussage des Art XIII des Konkordats ausgerechnet für ordensrechtliches Vermögen kann keine Rede sein.

42 Diese Ansicht vertritt I. Gampl, Veräußerung und Belastung von Kirchenvennögen in rechtsdogmatischer Sicht, in: JBI 107 (1985) 718 f. 43 B. Primetshofer, Zur Frage der vennögensrechtlichen Vertretung volIinkorporierter Pfarren in Österreich, in: FS W. M. Plöchl zum 60. Geburtstag, Wien 1967, 343; ders., Handbuch des Vennögensrechts (Anm. 32) 507 f.

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b) Die zweite Frage betrifft die Reichweite des im ZusProt vereinbarten Kontrollmechanismus in bezug auf intabulationspflichtige Rechtsgeschäfte mit Kirchenvermögen, die sog. Ordinariatsklausel. Außer Streit steht, daß die genannte Bestimmung auf intabulationspflichtige Rechtsgeschäfte über sämtliches in Österreich gelegenes kirchliches Vermögen anzuwenden ist, also auch auf das Vermögen klösterlicher Rechtsträger, selbst wenn der Verband exemt ist. Dem Ortsordinarius kommt eine im universalen (kodikarischen) Recht nicht verankerte Befugnis (und Verpflichtung) zu, sich über die Einhaltung sämtlicher kirchenrechtlicher Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Alienationsverbot zu vergewissern44 . Insofern liegt in dieser Konkordatsbestimmung auch eine Beschränkung der ordensrechtlichen Autonomie bzw. Exemtion. Die Frage ist aber, ob dem Ortsordinarius durch die Ordinariatsklausel ein zusätzliches, ihm nicht schon aufgrund des kodikarischen Rechts (z. B. c. 638 § 4 gegenüber den dort genannten Ordensverbänden) zustehendes Konsensrecht eingeräumt wird, so daß er nun nicht nur überprüfen kann, ob sämtliche innerkirchlichen Gültigkeitsvoraussetzungen, u. a. die römische Genehmigung bei die Romgrenze erreichenden Veräußerungen, vorhanden sind, sondern ob ihm bei Veräußerungen auch eine in seinem freien Ermessen liegende Entscheidungsbefugnis in bezug auf sämtliches, in seiner Teilkirche liegendes Kirchenvermögen, also auch das von Ordensgemeinschaften, zukommt. Ein solches Recht des Ortsordinarius wird in der Lehre teilweise angenommen45 , ist aber m. E. weder aus dem Konkordatstext selbst abzuleiten, noch spricht die ratio legis dafür. Ganz allgemein ist davon auszugehen, daß die Konkordate der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, darunter also auch das österreichische, von der Tendenz einer partikularrechtlichen Durchsetzung und nicht Durchbrechung der Bestimmungen des CIC/1917 gekennzeichnet sind46 . Abweichungen vom kodikarischen Recht müßten sich also in eindeutiger Weise aus dem Konkordatstext ergeben. Der Sinn der Ordinariatsklausel besteht ganz offensichtlich darin, daß der Ortsordinarius für den staatlichen 44 Vgl. dazu OGH SZ 53/1985, in: ÖAKR 32 (1985) 255 f. 45 H. Schnizer, Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich. Graz/Köln 1961, 206; I. GampllR. Potz/B. Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht, I. Wien 1990, 189. 46 Vgl. Primetshofer, Vermögensrechtliche Vertretung, (Anm. 43) 346. Bezüglich der in der Zeit von 1922 bis 1933 geschlossenen Konkordate (darunter auch dem österreichischen) hat Ulrich Stutz den bekannten Ausspruch getan: "Auch in ihnen und durch sie marschiert der Codex". Vgl. dazu R. Astorri, Le leggi della Chiesa tra codificazione latina e diritti particolari. Padova 1992.

Ordensrechtliehe Bestimmungen des Konkordats

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Grundbuchführer das Vorhandensein der innerkirchlichen Gültigkeitsvoraussetzungen bestätigt, um diesem langwierige Nachforschungen auf einem oftmals komplizierten Rechtsgebiet, wie es die innerkirchlichen Gültigkeitsvoraussetzungen sind, zu ersparen. Daß mit der Bestätigung des Ortsordinarius diese innerkirchlichen Gültigkeitsvoraussetzungen für den staatlichen Bereich als gegeben anzunehmen sind, steht außer Zweifel. Ein zusätzliches Konsensrecht des Ortsordinarius ist jedoch der Formulierung des Konkordats keinesfalls zu entnehmen. Der Ortsordinarius hat aufgrund der Ordinariatsklausel nicht selbst etwas zu genehmigen, sondern hat zu bestdtigen, daß der das Rechtsgeschäft abschließende Obere zuständig ist und daß alle Gültigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Die ordensrechtlichen Bestimmungen des Konkordats gehen auf eine Eigenart des österreichischen bürgerlichen Rechts überhaupt nicht ein, die mit der Rechtsstellung des Feierlich-Professen zusammenhängt und erhebliche Abweichungen von den Bestimmungen des kanonischen Rechts zum Gegenstand hat. Selbst ein so gewiegter Kenner der Materie wie Raring bemerkt in seinem am 9. 3. 1931 für die "Konferenz der Diözesandelegierten in Sachen des Konkordats" erstellten Gutachten47 , daß in bezug auf das Ordensrecht die meisten kanonischen Bestimmungen durch das bürgerliche Recht anerkannt seien. Das votum sollemne castitatis sei ein trennendes Ehehindernis (§ 63 ABGB), das votum sollemne paupertatis habe die zivilrechtliche Erwerbs- und Testierunfähigkeit zur Folge (§§ 538, 573 ABGB); nicht anerkannt sei staatlicherseits die Unfähigkeit der Franziskaner und Kapuziner, Korporationsvermögen zu erwerben 48 . Raring hat nicht auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß das bürgerliche Recht Österreichs, wenn es von der Erwerbsund Testierunfähigkeit des Feierlich-Professen spricht, keinesfalls den alten kanonischen Grundsatz "quidquid acquirit monachus, monasterio acquirit"49 übernimmt, sondern den Feierlich-Professen als grundsätzlich vermögensunfähig betrachtet (§ 355 ABGB iVm Art. 8 des Kundmachungspatents zum ABGB). Dies bedeutet im Bereich des Erbrechts, daß die Erbeinsetzung des Feierlich-Professen als nichtig betrachtet wird, so daß weder der Professe selbst noch sein Verband das Erbe antreten können50 . Zur Zeit des Konkordatsabschlusses hielt man eine Regelung dieser Angelegenheit offenbar nicht für nötig. Die Diskrepanz zwischen dem kanonischen und dem staatlichen 47 KAS (Anm. 7) zu Punkt X "Ordensrecht" . 48 Dazu J. von Bombiero-Kremenac, Zur Frage der beschränkten Eigentumsfahigkeit der Mendikanten in Österreich, in: AkKR 111 (1931) 400-449. 49 Cc. 7 und 9 C. XIX, qu. III. 50 B. Primetshofer, Ordens recht auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983. Freiburg/Br. 3. Aufl. 1988, 149.

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Recht Österreichs besteht bis zur Stunde, wobei allerdings zu bemerken ist,

daß die in Rede stehenden staatlichen Bestimmungen gegenwärtig nicht anwendbar sind51 . Da aber die diese Nichtanwendbarkeit bewirkende inner-

kirchliche Dispens von der Feierlichkeit des Armutsgelübdes befristet ist52 , ergibt sich, daß die staatlichen Beschränkungen sofort wieder zum Tragen kommen, sobald die Wirksamkeit des Reskripts erloschen ist53 . Eine legistische Bereinigung dieser Frage von seiten des staatlichen Gesetzgebers fand bis zur Stunde nicht statt.

51 Dies deshalb, weil der Hl. Stuhl innerkirchlich für Österreich von der Feierlichkeit des Annutsgelübdes dispensiert hat. Vgl. dazu das erstmals am 8. 7. 1974 ausgestellte Reskript der Religiosenkongregation (ÖAKR 25 (1974) 279) und die daraufhin ergangene Kundmachung des Bundesministeriums für Justiz vom 8. 1. 1976 (BGBI 50/1976). Dazu B. Primetshofer, Feierliches Armutsgelübde und staatliche Erbfähigkeit. Bemerkungen zu einem Reskript der Kongregation für die Religiosen und Säkularinstitute vom 8. Juli 1974, in: ÖAKR 251 (1974) 274-279. 52 Die letzte Verlängerung auf 7 Jahre erfolgte durch Reskript des Hl. Stuhles vom 5. 6. 1990; Ordensnachrichten 29 (1990), Heft 7,47-49. - Die kirchliche Dispens bedeutet indes keinesfalls, wie Haering meint, ein Erlöschen bestehender staatlicher Bestimmungen. S. Haering, Vermögens rechtliche Aspekte der neuen Satzungen der Österreichischen Benediktinerkongregation, in H. Paarhammer (Hrsg.), Vermögensverwaltung in der Kirche. FS für S. Ritter, Thaur/Tirol, 2. Aufl. 1989,245. 53 Vgl. H. KoziollR. WeLser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, 11, Wien 91991, 49.

Vertretungsmacht der Ordensoberen zum Abschluß von Mietverträgen §§ 867,1029 und 1017 ABGB,' Art. XlII § 2 Konkordat 1933: Nach dem Codex luris Canonici 1917 fiel unter den Begriff der alienatio auch die Einräumung des Rechts zur Weitergabe des Mietobjekts. Zur Vertretungsmacht der Ordensoberen zum Abschluß von Rechtsgeschäften und zur Vereinbarung eines solchen Weitergaberechts.

Die Anscheinsvollmacht eines Hausverwalters umfaßt jar gewöhnlich auch die Vereinbarung eines Weitergaberechts. Die von einem Vertretungsorgan einer juristischen Person (Ordensoberer) begrandete Anscheinsvollmacht kann jedoch nur Geschäfte umfassen, zu deren Vornahme das Vertretungsorgan selbst legitimiert ist. OGH 3. 4. 1986,8 Ob 643/85 (LGZ Wien 5.6. 1985,41 R 316/85; BG Innere Stadt Wien 31. 12. 1984,48 C 122/84).

Die Kläger begehrten die Feststellung, daß sie berechtigt seien, ihre Hauptmietrechte an dem von ihnen gemieteten Geschäftslokal X in dem der beklagten Ordensprovinz Y gehörigen Haus in W. gemäß dem Inhalt des Mietvertrages vom 17. 11. 1975 mit allen Rechten und Pflichten an dritte Personen mit Ausnahme des Weitergaberechtes weiterzugeben bzw. zu übertragen. Sie brachten dazu im wesentlichen vor, sie seien gemäß dem Mietvertrag vom 17. 11. 1975 Mieter des Geschäftslokales X im Haus der Beklagten in W. Der damalige (weltliche) Hausverwalter der Beklagten Manfred G. habe den Klägern gegen Zahlung von S 540.000,- die Hauptmietrechte an dem Geschäftslokal eingeräumt, ihnen die Zustimmung zu notwendigen Instandsetzungs- und Umbauarbeiten erteilt und ihnen hinsichtlich des Bestandsgegenstandes ein Weitergaberecht auch an Branchenfremde zu gleichen Bedingungen zugestanden. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte über das Vorbringen der Kläger hinaus noch folgenden Sachverhalt fest:

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Manfred G. war vom 1. 4. 1964 bis 1. 3. 1977 Dienstnehmer der Beklagten. Er führte mit Zustimmung des Provinzialates deren Häuserverwaltung. Neben der Haustür des Hauses, in dem sich die Häuserverwaltung der Beklagten befand, war eine Messingtafel mit dem Hinweis "Provinzialat Y - 1. Stock, Hausverwaltung" angebracht. Manfred G. übte alle jene Tätigkeiten aus, die üblicherweise von Hausverwaltern durchgeführt werden. Er schloß Mietverträge ab. Weniger wichtige Mietverträge durfte er überhaupt eigenständig aushandeln und abschließen. Darüber berichtete er nachträglich summarisch dem Provinzoberen. Seit 11. 10. 1975 ist dies Provinzial A. Bei wichtigeren Mietverträgen, so etwa im vorliegenden Fall der Vermietung des Geschäftslokales an die Kläger, berichtete G. dem nach außen für den Orden vertretungsbefugten Provinzial, daß ein Mietvertragsabschluß bevorstehe. Üblicherweise wurde die Höhe der vom Mietinteressenten für die Einräumung der Mietrechte zu bezahlenden "Spende" zwischen G. und dem Provinzial besprochen. Im Rahmen der Hausverwaltung verhandelte G. mit Ämtern; er vertrat die Beklagte in § 7-Verfahren und verhandelte mit Handwerkern. Zu ihm kamen die Mieter in Angelegenheiten, die die Hausverwaltung betrafen. Wenn Besuche des Hausverwalters in den Häusern notwendig wurden, führte er sie durch. Er erstellte die Mietzinsvorschreibungen und Abrechnungen und darüber hinaus die Bilanzen für die gesamte Ordensprovinz. Zur Unterfertigung von Urkunden namens der Hausverwaltung erhielt er eine Stampiglie "Österr Provinz Y - Häuserverwaltung" zur Verfügung gestellt, die er auch im vorliegenden Fall verwendete. Gegen eine "einmalige Zahlung" von S 500.000,-, S 40.000,- an Umsatzsteuer und S 2500,- für Vertragsvergebührung wurden dem Erstkläger und seiner Tochter, der Zweitklägerin, am 17. 11. 1975 die Hauptmietrechte samt den gewünschten weiteren Nebenrechten sowie das Recht der Weitergabe an Dritte vom Hausverwalter G. eingeräumt. Daß der Hausverwalter zur Einräumung des Weitergaberechtes nicht ermächtigt war, war dem Erstkläger nicht bekannt. Er wurde auch in keiner Weise darauf hingewiesen. Über diese Einigung wurden folgende mit 17. 11. 1975 datierte Urkunden von G. errichtet: a) ein Hauptmietvertrag und b) eine gesonderte Urkunde über das eingeräumte Weitergaberecht. Diese zweite Urkunde ist von G. mit der beschriebenen Stampiglie und vom Erstkläger gefertigt.

Vertretungsmacht der Ordensoberen zum Abschluß von Mietverträgen

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Die S 542.500,- wurden durch G. von der Bank des Erstklägers abgeholt. Lediglich S 380.500,- wurden von G. an den Provinzökonom Pater S. mitsamt dem Hauptmietvertrag übergeben. Die weiteren Urkunden lagen bis vor diesem Rechtsstreit nicht in den Unterlagen der Beklagten auf. Der Hauptmietvertrag wurde später vom Provinzial (nach Unterfertigung durch G.) geprüft und zustimmend zur Kenntnis genommen. Von der Einräumung des Weitergaberechts wurde ihm von G. nicht berichtet, ebensowenig darüber, daß dieser mehr kassiert hatte als er ablieferte. Ordensintern schreiben die Provinzstatuten der Beklagten bei Veräußerung wertvoller Güter, beim Ver- und Entleihen bedeutender Geldbeträge, bei Belastung von Gütern mit Hypotheken und bei Genehmigung von Ausgaben der Häuser zwischen S 50.000,- und S 100.000,- die Notwendigkeit der Zustimmung der Konsultoren vor. Bei Ausgaben über S 100.000,- ist ein Gutachten des Provinzfinanzrates (Finanzkommission, beratendes Organ der Konsultoren) einzuholen. Weder im konkreten Fall der Vermietung an die Kläger noch überhaupt im Zusammenhang mit der Einräumung von Mietrechten wurden jemals die Konsultoren der Beklagten um ihre Zustimmung befragt. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten. Es stellte noch fest: Der Erstkläger hatte vom Vormieter des Bestandsobjektes in Erfahrung gebracht, daß er sich wegen der Einräumung der HauptmietersteIlung an den Provinzial des Ordens zu wenden habe, als welcher ihm ein Pater A. genannt wurde. Der Erstkläger sprach daraufhin einige Tage vor Abschluß des Bestandsvertrages beim Provinzial A. vor, der ihm sinngemäß zu verstehen gab, daß er mit diesen Dingen nichts zu tun habe, ihm sagte, er möge zum Herrn Hausverwalter gehen, welcher die Mietverträge mache, und ihn in den Raum verwies, in dem Manfred G. amtierte. Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt. Aus der Begründung: Ein gem. Art XIII § 2 Abs. 1 Konkordat 1933 zum Abschluß von Rechtsgeschäften Vertretungsbefugter kann sich nach staatlichem wie nach kirchlichem Recht dabei eines Stellvertreters bedienen. Dieser kann allerdings nur so weit bevollmächtigt werden, als die Rechtsmacht des vertretungsbefugten Vollmachtgebers selbst reicht. Hat das vertretungsbefugte Organ der vertre-

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tenen juristischen Person selbst eine Lage geschaffen, die den Anschein erweckt, die Vollmacht decke die Erklärung des Stellvertreters, dann ist das Vertrauen des gutgläubigen Dritten in den äußeren Sachverhalt zu schützen und das Rechtsgeschäft formal dem Rechtsträger zuzurechnen, gleichgültig, ob die Vollmacht im Innenverhältnis dafür überhaupt oder auch nur teilweise nicht ausreicht (siehe dazu Gampl, Veräußerung und Belastung von Kirchenvermögen, JB11985, 705 ff. [717]). Davon ausgehend ist die zentrale Frage dieses Rechtsstreites zunächst die, ob der Provinzial der Beklagten im Zeitpunkt des Abschlusses der hier strittigen Vereinbarung ohne weitere Voraussetzungen befugt war, für sich allein die Beklagte zu vertreten, ob er also durch sein Handeln allein die Beklagte wirksam verpflichten konnte. Gemäß Art XIII § 2 Konkordat 1933 gilt bei Orden und Kongregationen für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften der Lokalobere als der berufene Vertreter (Abs. 1). Die Gebarung mit dem kirchlichen Vermögen fmdet unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen kirchlichen Behörden oder Ordensoberen statt. Ohne deren Zustimmung kann solches Vermögen weder veräußert noch belastet werden (Abs. 2). Selbst wenn man der von Gampl (ebd.) abgelehnten Ansicht Schnizers (Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich 181) folgt, daß die Bestimmung des ersten Satzes des Art XIII § 2 Konkordat 1933, daß nämlich das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte durch die nach dem kanonischen Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten wird, als generelle Rezeption der kirchlichen Vorschriften über die Befugnisse der kirchlichen Vermögensverwalter, als kurzgefaßte Übernahme der Vorschriften über die kirchliche Vermögensverwaltung, zu betrachten ist, wäre daraus zu Gunsten der Beklagten nur dann etwas abzuleiten, wenn nach den zur Zeit des Vertragsabschlusses (1975) in Geltung gestandenen kirchenrechtlichen Vorschriften des CIC/1917 der Provinzial der Beklagten für sich allein nicht berechtigt gewesen wäre, die hier in Frage stehende Vereinbarung abzuschließen. Dies trifft aber nicht zu. Es handelt sich um eine als Nebenabrede eines Mietvertrages über ein Geschäftslokal getroffene Vereinbarung, nach der den Mietern das Recht eingeräumt wurde, den Bestandsgegenstand zu gleichen Bedingungen an einen Dritten weiterzugeben. Daß diese Vereinbarung nicht im schriftlichen Mietvertrag, sondern auf einem gesonderten Blatt festgehalten wurde, ändert

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nichts an der zeitlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit des Vertrages. Die Beklagte versucht darzutun, daß ihr Provinzial allein zum Abschluß der Nebenabrede über die Berechtigung der Mieter zur Weitergabe des Bestandgegenstandes nach kirchenrechtlichen Vorschriften nicht berechtigt gewesen sei. Zieht man den aus den Bestimmungen der cc. 1530, 1533 CIC/1917 abzuleitenden weiten Alienationsbegriff des Kirchenrechts in Betracht (siehe dazu Schnizer ebd., 96 ff.), dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auch der Abschluß eines den mietengesetzlichen Bestimmungen des Jahres 1975 unterliegenden Bestandsvertrages (siehe dazu Schnizer, ebd., 137) ebenso dem kirchenrechtlichen Alienationsbegriff zu unterstellen ist wie die im Rahmen eines solchen Mietvertrages dem Mieter eingeräumte Befugnis zur Weitergabe des Bestandsobjektes. Gerade letzteres wird aus der Überlegung deutlich, daß das den Klägern eingeräumte Weitergaberecht die Beklagte daran hindert, im Falle einer möglichen Neuvermietung einen wesentlich höheren Mietzins zu erzielen. Wie sich aus c. 534 CIC/1917 ergibt, können Ordensobere Alienationen oberhalb der Romgrenze nicht bewilligen. Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor. Die im c. 1532 CIC/1917 normierte Romgrenze betrifft die Veräußerung von Kirchenvermögen, während im c. 1541 CIC/1917 für die Vermietung von Kirchenvermögen eine andere Romgrenze festgesetzt wurde. ( ... ) Ist aber davon auszugehen, daß es sich um eine Alienation unterhalb der Romgrenze handelte, dann war iS des c. 534 CIC/1917 der Provinzial der Beklagten zum Abschluß des Vertrages mit Zustimmung seines Beirates berechtigt. Diese Bestimmung ist so zu verstehen, daß sich der Ordensobere nur in den von der Konstitution erwähnten Fällen an seinen Beirat wenden muß (Jone, CIC 456). Nach Punkt 35 lit e der Provinzstatuten der Beklagten haben die beiden Konsultoren entscheidende Stimme bei der Veräußerung wertvoller Güter, beim Ver- oder Entleihen bedeutender Geldbeträge, bei Belastung von Gütern mit Hypotheken und bei Genehmigung von Ausgaben der Häuser zwischen S 50.000,- und S 100.000,-. Dabei sind die Bestimmungen des Kirchenrechts und der kirchlichen Behörde genau zu beachten. Nach Punkt 39 der Provinzstatuten ist bei Ausgaben über S 100.000,- immer ein Gutachten des Provinzfinanzrates einzuholen. Eine weitere Beschränkung der Vertretungsbefugnis des Provinzials ist den Provinzstatuten der Beklagten nicht zu entnehmen und wird von ihr auch nicht behauptet.

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Jeder Versuch einer extensiven Auslegung dieser statutarischen Vorschriften muß - unabhängig von der Meinung der Beklagten über ihre Bedeutung seine Grenze dort fmden, wo der äußerste Wortsinn dieser Bestimmungen eine solche Auslegung nicht mehr deckt. Die Vermietung eines - im Rahmen der ordentlichen Verwaltung bereits früher vermieteten - Geschäftslokales mit der Nebenabrede eines Weitergaberechts der Mieter läßt sich ohne völliges Abgehen vom Wortsinn keinem der in den Provinzstatuten der Beklagten normierten Tatbestände unterstellen, die die Zustimmung der Konsultoren bzw. die Einholung eines Gutachtens des Provinzfinanzrates als Voraussetzung der Berechtigung des Provinzials zum Abschluß eines Vertrages anordnen. Daraus ergibt sich, daß nach den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgebenden kirchenrechtlichen Bestimmungen der Provinzial der Beklagten ohne jede Einschränkung seiner Handlungsfiihigkeit zum Abschluß des hier in Frage stehenden Vertrages mit den Klägern befugt war. ( ... ) Wenn unter diesem Umständen der Provinzial der Beklagten dem bei ihm wegen des Abschlusses eines Mietvertrages vorsprechenden Erstkläger sinngemäß zu verstehen gab, er habe mit solchen Dingen nichts zu tun, er möge sich an den Hausverwalter G. wenden, der die Mietverträge mache, dann liegt darin jedenfalls ein solches Verhalten des vertretungsbefugten Organes der Beklagten, aus dem die Kläger von ihrem Erkenntnishorizont aus schließen mußten, daß G. zum Abschluß des von ihnen angestrebten Mietvertrages namens der Beklagten berechtigt sei. Nach ständiger Rechtsprechung f.illt iS des § 1029 ABGB der Abschluß von Bestandsverträgen unter gewöhnlichen Bedingungen, wozu auch noch die Einräumung des Rechtes der Übertragung der Mietrechte als Gegenleistung für eine Ablöse gehört, in den Rahmen einer normalen Hausverwaltervollmacht (vgl. MietSlg 7853, 20.091, 28099 u. a.). Nach den Regeln der Anscheinsvollmacht (siehe dazu Weiser, JBL 1979, 8 ff.; Strasser, in: Rummel, ABGB, Rz 49 zu § 1002) wurde unter diesen Umständen die Beklagte durch das in ihrem Namen von G. mit den Klägern geschlossene Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet.

*** Die vorstehende E wurde bereits von Schnizer im Anhang zu seinem Aufsatz "Konkordat, ABGB und Vertrauensschutz" (JBL 1986, 552) kurz behandelt. Hier sollen einige zusätzliche Gesichtspunkte erörtert werden. Aufgrund der teils in den Vorinstanzen, teils vom OGH selbst aufgeworfenen Fragestellungen standen im wesentlichen drei Probleme zur Behand-

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lung, von denen der OGH allerdings nur ein einziges ausdrücklich entschieden hat. Zunächst ging es um die Frage, inwieweit das Konkordat in seinem auf die Verwaltung und rechtsgeschäftliche Vertretung von Kirchenvermögen bezugnehmenden Art XIII die einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen in das staatliche Recht übernommen habe. Das kanonische Recht kennt einen engen und weiten Veräußerungs-(Alienations)begriff von Kirchenvermögen; Veräußerung im weiteren Sinne liegt demzufolge schon dann vor, wenn sich durch den Abschluß eines Rechtsgeschäftes die vermögensrechtliche Lage der betreffenden kirchlichen juristischen Person verschlechtern könnte. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob die in Art XIII des Konkordats verwendete Wortfolge "veräußern und belasten" diesen weiten kanonischen Veräußerungsbegriff übernommen habe, oder ob veräußern und belasten nur auf Rechtsgeschäfte abstelle, bei denen es sich um Übertragung dinglicher Rechte handelt. Dies würde bedeuten, daß der Konkordatstext bestenfalls den engen, keinesfalls aber den weiten kanonischen Veräußerungsbegriff übernommen habe und daß demzufolge die Spezialregelungen des Konkordats in bezug auf Verwaltung und Vertretung von kirchlichem Vermögen nur dann Platz greifen, wenn dieses Vermögen durch dingliche Rechtsgeschäfte gefährdet erscheine. - Der Abschluß eines den Streitgegenstand bildenden Bestandsvertrages fiele demnach überhaupt nicht unter den vom Konkordat erfaßten Tatbestand. Ein weiteres Interpretationsproblem bildet die ebenfalls in Art XIII § 2 geregelte vermögensrechtliche Vertretungsbefugnis des Ordensoberen. Nach der angezogenen Gesetzesstelle gilt für den staatlichen Bereich der Lokalobere und, soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handelt, der Obere des betreffenden Verbandes als der "berufene Vertreter"; ohne Zustimmung der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordensoberen könne kirchliches Vermögen weder veräußert noch bealstet werden. Hier stellt sich die Frage, ob damit dem Ordensoberen für den staatlichen Bereich auf jeden Fall eine für den gültigen Abschluß von Rechtsgeschäften weIcher Art immer ausreichende Vertretungs- und Handlungsbefugnis erteilt worden sei, oder ob die diesbezüglich im kanonischen Recht bestehenden Beschränkungen seiner Vollmacht (Zustimmung des Ordensbeirates, Erlaubnis des Heiligen Stuhles bei einer bestimmten Werthöhe des zu veräußernden Vermögens) zu beachten seien. Zu diesen beiden Fragebereichen hat der OGH zwar keine ausdrückliche Entscheidung getroffen, seine Argumentation verläuft jedoch so, daß aus ihr Rückschlüsse auf die Beantwortung der beiden Fragen zulässig sind. So geht der OGH davon aus, daß der den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Be-

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standvertrag wie auch die im Rahmen eines solchen eingeräumte Befugnis zur Weitergabe des Bestandsobjektes eine Veräußerung iS des weiten kirchenrechtlichen Alienationsbegriffes darstellen. Damit ist die Auffassung zurückgewiesen, daß Veräußerung im Sinne des Konkordats immer nur dann gegeben sei, wenn es sich um Aufgabe von Eigentum, also jedenfalls um dingliche Rechtsgeschäfte handle (vgl. Gampl, Veräußerung und Belastung von Kirchenvermögen in rechtsdogmatischer Sicht, JB11985, 713-716). Die Beweisführung des OGH baut ferner darauf auf, daß die im kanonischen Recht bestehenden Beschränkungen der Vertretungs- und Handlungsvollmacht des Ordensoberen auch im staatlichen Bereich grundsätzlich beachtlich seien. Der OGH macht sich somit jene Ansicht nicht zu eigen, die aus dem Konkordatstext eine monokratische Vertretungs- und Handlungsvollmacht des Oberen herausliest, derzufolge dieser für den staatlichen Bereich gültig Rechtsgeschäfte ohne Beachtung der im kanonischen Recht bestehenden Begrenzungen seiner Handlungsvollmacht abschließen könne. Es wird nicht nur die Relevanz der Romgrenze anerkannt, sondern es wird auch auf das Erfordernis der sonst nach dem Kirchenrecht notwendigen Zustimmung klösterlicher Beiräte zu Veräußerungshandlungen des Oberen eingegangen. Demzufolge besteht die dritte, für den OGH "zentrale Frage" darin, ob nach dem kanonischen Recht der Provinzial allein, d. h. ohne Zustimmung der Konsultoren, das gegenständliche Rechtsgeschäft habe abschließen können. Zur Prüfung dieser Frage werden nicht nur das allgemeine (kodikarische) Recht, sondern auch das Statutarrecht (die Provinzstatuten) der Beklagten herangezogen. Die Berücksichtigung beider Typen von Rechtsquellen ist im Grunde genommen richtig, nur hat es der OGH bedauerlicheIWeise unterlassen, eingehender deren normatives Verhältnis zueinander wie überhaupt die Relevanz kirchenrechtlicher bzw. konkordatärer Nichtigkeitssanktionen im Bereich des kirchlichen Vermögensrechts zu untersuchen. Es hätte ihm nicht entgehen dürfen, daß der angezogene c. 534 § 1 CIC/1917 zwingend vorschreibt, daß der Ordensobere bei sämtlichen Formen der Veräußerung der Zustimmung seiner Konsultoren bedarf. Der vom OGH zitierte Jone (Kommentar zum CIC; zu c. 534), wonach der Obere nur in den von den Konstitutionen bestimmten Fällen der Zustimmung seiner Konsultoren bedürfe, ist weder vom Wortlaut des c. 534 § 1 noch von der hL gedeckt. Gemäß c. 534 § 1 bedarf der Ordensobere in jedem Fall einer Veräußerung der Zustimmung seiner Konsultoren (vgl. Schnizer, Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich [1961] 114). Dieser Bestimmung des kodikarischen Rechts können aber Provinzstatuten keinesfalls derogieren, sondern umgekehrt dero-

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giert das kodikarische Recht ohne weiteres entgegenstehendem Partikular- und Statutarrecht (vgl. c. 6, 1 CIC/1917; c. 6 § 1, 2 CIC/1983). Die unvollständige und schon auf den ersten Blick inhaltlich mangelhafte Aufzählung von konsenspflichtigen Tatbeständen in den Provinzstatuten der Beklagten ist insofern ohne Belang, als nicht nach diesen, sondern nach den Bestimmungen des kodikarischen Rechts die Konsenspflichtigkeit des gegenständlichen Rechtsgeschäfts außer Zweifel steht und - angesichts zweifelsfrei nicht eingeholter Zustimmung - auch dessen Nichtigkeit. Bei richtiger Würdigung der kanonischen Rechtslage hätte daher der OGH zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Provinzial nach dem kanonischen Recht für sich allein nicht befugt war, die Beklagte wirksam zu verpflichten. Die vom OGH selbst so bezeichnete "zentrale Frage" ist demnach eine nach Umfang und Grenzen der Vertretungs- und Handlungsvollmacht eines Ordensoberen nach kanonischem Recht. Hier ist dem OGH allerdings ein fundamentaler Fehler unterlaufen. - Inwieweit die Beklagte angesichts der gegebenen Sachlage auch bei kanonischer Nichtigkeit des Vertragsabschlusses das Rechtsgeschäft aufgrund anderer Tatbestände für sich hätte gelten lassen müssen (Vertrauen in den äußeren Sachverhalt; Anscheinsvollmacht), dies hätte unter geänderten Voraussetzungen einer gesonderten Prüfung bedurft.

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V. Eherecht

Zerbrochene Ehe und Ehescheidung Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

I. Die sensationelle Intervention des melkitischen Patriarchalvikars Elias Zoghby auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil l hat die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit erneut auf ein Thema von außerordentlicher Aktulatilät gelenkt. Zoghby hatte in der Konzilsaula die gegenwärtige Praxis der katholischen Kirche heftig angegriffen, nach der eine geschlossene und vollzogene Ehe von Christen nicht aufgelöst werden kann. Tausende von Menschen seien nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe dazu verurteilt, entweder dauernd ehelos zu bleiben oder nach Eingehen einer nichtkirchlichen Verbindung von den Sakramenten der Kirche ausgeschlossen zu werden. Man müsse, so meinte Zoghby, auch in der katholischen Kirche zur Praxis der orthodoxen Kirche zurückkehren, die eine gescheiterte Ehe löst und eine kirchliche Wiederverheiratung gestattet. Dieser Vorstoß Zoghbys enthielt für den mit der Materie Vertrauten keine grundsätzlichen neuen Gesichtspunkte, wenngleich nicht bestritten werden soll, daß erst Zoghby eine wirkliche Breitenwirkung mit seiner Intervention erreichte. Dies bewies die sofortige heftige Reaktion des Schweizer Kardinals Journet, der die bisherige Praxis der katholischen Kirche verteidigte, sich dann allerdings in der Replik Zoghbys einige Korrekturen seiner Ausführungen gefallen lassen mußte2 ; dies bewies vor allem die Presse, die die Ausführungen Zoghbys begierig aufgriff und daraus ihre nicht immer sachlichen Argumentationen ableitete3 • Schon lange vor der Rede Zoghbys wurden in 1 IV. Session, 138. Generalversammlung am 29. September 1965. Text in: La Documentation catholique 43 (1965) co!. 1901 ff. 2 Vg!. dazu "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 1. und 2. Oktober 1965. 3 Über die Reaktion der Presse berichtet eingehend U. Navarrete, Indissolubilitas matrimonii rati et consummati. Opiniones recentiores et observationes. PerRMCL 58 (1969) 426 f., Anm. 20.

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der kanonistischen Literatur Gedankengänge ausgesprochen, die Zoghby zur Grundlage seiner Ausführungen gemacht hatte4 , wenngleich es sich vorher um vereinzelte Äußerungen handelte, die mehr theoretischen als praktischen Wert hattenS• Seitdem aber die breite Öffentlichkeit mit der Problematik der Unauflöslichkeit der Ehe vertraut wurde, ist eine kaum mehr zu übersehende Flut von Veröffentlichungen festzustellen. Abgesehen von einer Fülle größerer oder kleinerer Aufsätze, verdienen vor allem einige Monographien die Aufmerksamkeit: Das Buch von Viktor J. Pospishil, Divorce and Remarriage, mit dem bezeichnenden Untertitel: Towards a New Catholic Teaching (New York 1967); das Buch des Grazer Professors für Bürgerliches Recht, Arbeitsund Sozialrecht, Viktor Steininger, Auflösbarkeit unauflöslicher Ehen (GrazKöln 1968) sowie der Sammelband von Jakob David und Franz Schmalz, dessen Titel den Tenor des Buches wiedergibt: "Wie unauflöslich ist die Ehe?" (Aschaffenburg 1969). Schließlich sei noch auf den bereits veröffentlichten Jahrgang 1971 der "Revue de Droit canonique" (Straßburg) verwiesen, der zur Gänze dem in Rede stehenden Problem gewidmet ist6 . Das anstehende Problem ist so umfassend, daß es gar nicht in erster Linie den Juristen beschäftigt. Aber es ist natürlich auch ein juridisches Problem. Für das kanonische Recht, das hier in Frage steht, ist zu bedenken, daß es niemals losgelöst werden kann von der Theologie, die auch das Recht in der Kirche trägt. Der Kanonist ist bei der Ausgestaltung und Durchforschung eines bestimmten Rechtsgebietes immer von theologischen Prämissen abhängig7 , da das Kirchenrecht immer auch Teil an der Theologie haben muß8.

4 Vgl. dazu W. R. O'Connor, The indissolubility of a ratified consummated marriage, in: EThL 12 (1936) 692 ff. S J. T. Jimenez-Urresti, La problematica de la adaptaci6n dei derecho can6nico en perspectiva ecumenica, in: Estudios de Deusto 9 (1961) 325 ff. 6 Die wohl jüngste Veröffentlichung zum Thema ist die weniger wissenschaftlich orientierte, als vielmehr gelegentlich stark emotional betonte Darstellung von M. L. West und R. Francis, Skandal in der Kirche. Eine Dokumentation wider das katholische Eherecht, München 1970. 7 K. Mörsdorf, Kirchenrecht I, München 111964,24 ff. 8 G. May, Das geistliche Wesen des kanonischen Rechts, in: AkKR 130 (1961) 1 ff.; J. T. Jimenez-Urresti, Problematica actual en el tema "Iglesia y Derecho ", in: "Iglesia y Derecho" , Salamanca 1965, 88: "EI Derecho can6nico es ciencia teol6gica en el sentido de que se basa en principios teol6gicos corno datos propios prejuridicos, y tiene corno fin ultimo, fuera de su estricto orden, un fin teol6gico, corno dato metajuridico ...

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11. Die Fragestellung "Zerbrochene Ehe und Ehescheidung" und der dabei zu behandelnde Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe würde zunächst eine genau statistische Erfassung der Scheidungsziffern bzw. Scheidungsursachen erfordern. Ich möchte mich aber mit dem diesbezüglichen Zahlenmaterial nicht näher befassen, sondern mich gleich dem geltenden kanonischen Recht und dem darin zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe zuwenden. Das kanonische Recht kennt verschiedene Arten von gültigen Ehen. a) Die Ehe von Getauften, bei der wieder zu unterscheiden ist, ob es sich um eine geschlossene und vollzogene, oder um eine bloß geschlossene, noch nicht vollzogene Ehe handelt. b) Die gültige Ehe von zwei Ungetauften, "matrimonium legitimum" genannt.

in der Fachsprache

c) Die Ehe eines Getauften mit einem Ungetauften, die in der Fachsprache keine eigene Bezeichnung führt, sondern matrimonium inter partem baptizatam et non baptizatam genannt wird9 . Alle diese Ehen sind gültige Ehen und ihnen allen eignet das Merkmal der Unauflöslichkeit. Dies kommt klar im c. 1063 § 2 des CIC zum Ausdruck, der ohne Unterschied zwischen Christenehen und Nichtchristenehen die indissolubilitas als eine der Wesenseigenschaften jeder Ehe erklärt. Für die Christenehe ist darüber hinaus gesagt, daß diese indissolubilitas eine besondere F estigkei t "ratione sacramenti" erhäl t. Nun bedeutet diese Aussage des kirchlichen Gesetzbuches von der generellen Unauflöslichkeit aller Ehen aber keineswegs, daß alle diese Ehen tatsächlich unauflöslich wären. Bei näherem Zusehen nämlich ergibt sich, daß die meisten Ehen, denen nach dem vorhin Gesagten die Wesenseigenschaft der Unauflöslichkeit zukommt, doch in der Praxis scheidbar sind, und zwar nicht bloß in der Form, daß es eine Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft unter Aufrechterhaltung des Ehebandes gibt, sondern es besteht darüber hinaus die Möglichkeit einer Wiederverheiratung für beide Partner. Für das "matrimonium legitimum" , d. h. die gültige Ehe zweier Ungetaufter hält c. 1120 § 1 im Anschluß an 1 Kor 7, 12-16 die Möglichkeit einer

9 C. 1015 §§ 1-3. Vgl. J. Bank, Connubia canonica, Romae 1959, 51 f.

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Lösung des Ehebandes im Falle der Taufe des einen Partners bereit. Die näheren Modalitäten, unter denen dieses "Privilegium Paulinum" zur Anwendung kommt, dürfen als bekannt vorausgesetzt werden, ebenso die Tatsache, daß die kirchliche Praxis sich sehr bald über die im Korintherbrief gezogenen Grenzen hinwegsetzte und einen erweiterten Anwendungsbereich für diese Form der Ehelösung schuf. Der eIe verweist in c. 1125 auf eine Reihe von Dokumenten aus dem 16. Jahrhundert, die eine erweiterte Anwendungsmöglichkeit des Privilegiums Paulinum unter besonders gelagerten Umständen vorsehen, und die dort für bestimmte Regionen getroffenen Regelungen werden als auf dem ganzen Erdkreis anwendbares Recht erklärt 10. Aber auch die Ehe zwischen einem getauften und einem ungetauften Partner, die nach der heute herrschenden Lehre kein Sakrament darstellt 11, ist nicht schlechterdings unauflösbar. Auch sie kann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - wobei diese Voraussetzungen hier nicht näher untersucht zu werden brauchen - gelöst werden, so daß beiden Partnern der Weg zu einer neuen Eheschließung mit einem getauften oder ungetauften Partner offensteht. Seit einigen Jahren ist die Dispenspraxis in diesem Punkt sogar über die vom Recht gezogenen Grenzen hinausgegangen. Während nämlich c. 1120 eine Anwendbarkeit der Ehelösung mit Hilfe des Glaubensprivilegs für den Fall ausschließt, wo eine Ehe zwischen einem katholisch Getauften und einem Ungetauften mit Dispens vom Hindernis der Glaubensverschiedenheit eingegangen wurde, sind derartige Ehelösungen doch in einer gnazen Reihe von Fällen bekannt12 , ohne daß die zitierte Gesetzesstelle formell jemals außer Kraft gesetzt wurde. Wir können also zusammenfassend sagen: Jede Ehe, bei der wenigstens ein Partner nicht getauft ist, kann zugunsten des Glaubens gelöst werden. Es bleibt also noch die Ehe zweier Getaufter zu untersuchen: Von dieser Kategorie von Ehen wurde bereits gesagt, daß der eIe hier von einer besonderen Festigkeit des Ehebandes "ratione sacramenti" spricht 13 • Das würde also bedeuten, daß Sakramentalität und Unauflöslichkeit schlechthin identisch seien. Bei näherem Zusehen ergibt sich jedoch, daß auch dem nicht so ist. 10 CIC, Appendix: Documenta IV-VI. 11 H. Volk, Ehe, IV, in: LThK III (1959) 680 ff. Mörsdorj, 11, 133. 12 Vgl. hiezu u. a. J. Gampl, Privilegium uti aiunt Petrinum, in: Im Dienste des Rechtes in Kirche und Staat (FS für F. Amold) Wien 1963,331 ff. In diesem Aufsatz wird die Praxis solcher Ehelösungen kritisch beleuchtet. Vgl. dazu B. Russo, Die Ehescheidung im zweiten Vatikanum und in der Rechtstradition der Kirche, in J. David/F. Schmalz, Wie unauflöslich ist die Ehe? Eine Dokumentation. Aschaffenburg 1969, 133. 13 C. 1013 § 2.

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Denn für die noch nicht vollzogene voll- oder halbchristliche Ehe hält das kanonische Recht die Möglichkeit einer Lösung bereit, und zwar kann diese Ehe entweder durch päpstlichen Gnadenakt oder durch Ablegung der feierlichen Ordensprofeß seitens eines der beiden Partner gelöst werden l4 . Und dies, obwohl die Ehe zweier Christen bereits vor ihrem Vollzug unbestrittenermaßen eine sakramentale Verbindung ist l5 . Ja, es können in ein und derselben Ehe sogar Vollzug und Sakramentalität zusammenfallen und trotzdem ist die Ehe löslich. Dies unter der Voraussetzung, daß Vollzug und Sakramentalität in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge aufscheinen. Denn die Ehe zweier Ungetaufter, bzw. zwischen einem Getauften und einem Ungetauften, kann selbst dann noch gelöst werden, wenn nach der Taufe eines oder beider Partner kein geschlechtlicher Verkehr mehr stattgefunden hat, mag die Ehe auch vor Empfang der Taufe beider vollzogen worden sein 16. Bei den hier in Rede stehenden Kategorien von Ehen sind also an und für sich beide nach c. 1118 für die Unauflöslichkeit erforderlichen Tatbestandsmerkmale gegeben, nämlich die Taufe beider Partner und der Ehevollzug. Man könnte also sagen, es handle sich im Sinne der angezogenen Gesetzesstelle um ein matrimonium ratum et consummatum. Lediglich der Umstand, daß der Vollzug vor der Taufe liegt, daß man also sagen müßte, es liegt eigentlich ein matrimonium consummatum et ratum vor, wird nunmehr hinsichtlich der Lösbarkeit von entscheidender Relevanz. Das matrimonium ratum et consummatum ist unlöslich, das matrimonium consummatum et ratum bleibt solange löslich, als nicht ein neuer Ehevollzug nach Empfang der Taufe beider Partner stattgefunden hat l7 . Somit ist also der Grundsatz der Unauflöslichkeit eingeschränkt auf Ehen, bei denen Taufe und Vollzug vorliegen, und zwar in einer bestimmten, vom Gesetz mit wesentlichen Rechtsfolgen versehenen Reihenfolge. Um diese Kategorie von Ehen, die in den Ländern mit überwiegend christlicher Bevölkerung den weitaus größeren Prozentsatz darstellen, geht es im folgenden. Von diesen Ehen wird im kanonischen Recht, das sich diesbezüglich auf kirchliche Lehräußerungen srutzt l8 , behauptet, daß sie von keiner menschlichen Gewalt gelöst werden können außer durch den Tod l9 .

14C.1119. 15 C. 1012 § 2. Mörsdorf, 11, 133. 16C.1120§2. 17 Bank, (Anm. 9) 549.

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An dieser Stelle setzt nun die Kritik ein. Handelt es sich hier wirklich, so wird gefragt, um eine absolut unverrückbare Wahrheit, um einen Kanon, dem der gleiche Stellenwert zukommt wie einer dogmatischen Aussage? Ist nicht vielmehr auch dieser Äußerung des CIC der gleiche Wert zuzuerkennen wie der schon erwähnten Aussage des c. 1120 § 2, wo die Nichtanwendbarkeit des Glaubensprivilegs zunächst für bestimmte Fälle in Abrede gestellt wird, während die Praxis der römischen Behörden einen genau gegenteiligen Weg eingeschlagen hat? Ist der Unterschied zwischen beiden Kategorien von Ehen, nämlich zwischen einem getauften und einem ungetauften Partner auf der einen und zwischen zwei getauften Partnern auf der anderen Seite wirklich so wesentlich, daß sich ein Analogieschluß von der Umgehung der für die eine Kategorie von Ehen geltenden Norm auf die Umgehung der für die andere geltenden Norm ausdrücklich ausschließt? Die Kritik an der derzeitigen Haltung der römisch-katholischen Kirche, nach der die geschlossene und vollzogene Christenehe als absolut unauflöslich erklärt wird, geht von verschiedenen Gesichtspunkten aus: von exegetisch-biblischen, von historischen, philosophischen, soziologischen und schließlich auch von rechtlichen.

111. Die wichtigste Quelle in unserer Frage ist zweifellos die Hl. Schrift. In ihren Aussagen über die Unauflöslichkeit der Ehe seien die Stellen der Synoptiker angeführt: Mk 10,11: "Wer sein Weib entläßt und eine andere heiratet, bricht die Ehe und wenn sie ihren Mann entläßt und einen anderen heiratet,

18 Vgl. insbesondere Concil. Trident. Canones de sacramento matrimonii, H. Denzinger/A. Schönmetzer, Enchiridion symbolorum, ed. XXXII, Nr. 1805 und 1807. 19 C. 1118. - Zur Frage, ob mit der im angezogenen Can. zitierten "potestas humana" auch die sogenannte potestas vicaria des Papstes gemeint sei, kraft der eine Dispens vom Eheband der geschlossenen und nicht vollzogenen Ehe erteilt wird, vgl. Navarrete, (Anm. 3) 453 ff. Navarrete erwähnt Äußerungen von Pius XI. und Pius XII., aus denen hervorgeht, daß die beiden Päpste eine Lösung der vollzogenen Christenehe durch die potestas vicaria als ausgeschlossen betrachteten. - Zur Frage der Rechtsnatur der "dispensatio matrimonii rati non consummati" durch den Papst: J. Lederer, Der Dispensbegriff des kanonischen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtssprache des CIC. MthSt (K) 8. Bd. München 1957, 87 f.

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bricht sie die Ehe". Lk 16,18: "Jeder, der sein Weib entläßt und eine andere heiratet, bricht die Ehe und wer eine vom Mann Entlassene heiratet, bricht ebenfalls die Ehe". Große Schwierigkeiten bereiten von allem Anfang an die beiden Stellen bei Mt 5,32 und 19,9: "Jeder, der sich von seinem Weibe scheidet, außer aufgrund von Ehebruch, der macht sie zur Ehebrecherin. Und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe". "Jeder, der seine Frau entläßt, außer wegen Ehebruchs, und eine andere heiratet, bricht die Ehe". Die erwähnte Einfügung "außer im Falle des Ehebruchs", wird im Griechischen mit den Worten parekt6s logou porneias bzw. me epi porneia wiedergegeben. Auffallend ist der Unterschied zwischen den Aussagen bei Mt und denen bei Mk bzw. Lk. Während die beiden zuletzt genannten Evangelisten das Scheidungsverbot als Logion Jesu in seiner ganzen unerbittlichen, kompromißlosen Härte bringen, enthalten die Stellen bei Mt dem Wortlaut nach doch eine Einschränkung des Verbots. Seit eh und je war diese "Unzuchtsklausel" im Mt-Evangelium eine crux der Exegeten. Zahllos sind die Versuche, diese Stelle zu deuten. Angefangen von einer genauen Untersuchung der porneia, die das Wort nicht als Ehebruch übersetzen wollte, sondern als Ehehindernis, demzufolge es sich also bei der Ehe, in der die Frau entlassen wird, um eine von Anfang an ungültige Ehe gehandelt habe20 bis zu einer gänzlich anders gearteten Übersetzung des parekt6s logou porneias, derzufolge die fragliche Stelle bei Mt heißen sollte "nicht einmal im Falle des Ehebruchs "21 , sind beinahe alle denkbaren Lösungsmöglichkeiten versucht worden. Die heutige Exegese kommt zu dem Ergebnis, daß das ursprüngliche Logion Jesu in der bei Mk und Lk anzutreffenden Fassung zu finden sei 22 . Demnach sei also der bei Mt anzutreffende Hinweis auf die porneia eine Hinzufügung, die der speziell für Judenchristen schreibende Mt im Hinblick auf die Scheidungsmöglichkeiten des jüdischen Rechtskreises (Tora) vorgenommen habe. Es handelt sich also eindeutig um einen Kompromiß zugunsten einer der radikalen und apodiktischen Forderung Jesu zuwiderlaufenden Praxis der judenchristlichen Urgemeinde23 . Es läßt sich also feststellen, daß Mt von 20 J. Schmid (Das Evangelium nach Matthäus. RNT 31956, 104) deutet diese Lösungsmöglichkeit allerdings nur an, wobei er sich die Bedenken, die dagegen vorgebracht werden könnten, keineswegs verhehlt. 21 K. Stab, Das Evangelium nach Matthäus. Die Heilige Schrift in deutscher Übersetzung, (EB) Würzburg 1951, 34. 22 R. Schnackenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments. München 21962, 103 ff. 23 P. Hoffinann, Jesu Wort von der Ehescheidung und seine Auslegung in der neutestamentlichen Überlieferung, in: Concilium 12 (1970) 328 f. - Zu den Versuchen der Interpretation der Matthäusstellen vgl. J. Moingt, Ehescheidung "aufgrund von Unzucht" (Mt 5,32/19,9), in: David/Schmalz, (Anm. 12) 178 ff.; J. Margot, Unauflöslichkeit der Ehe nach dem Neuen Testament, in: David/Schmalz (Anm. 12)

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allem Anfang an das Herrenwort nicht als ein seinem ganzen Umfang nach verpflichtendes Rechtsgebot auffaßt, sondern eine einschränkende Interpretation desselben vornimmt24 . Die orientalisch-nichtunierten Kirchen vertreten aufgrund des biblisch-exegetischen Befundes des NTs die Ansicht, daß zunächst wegen Ehebruchs, bzw. unmoralischen Handeins, schließlich aber auch aus anderen Gründen eine Scheidung und Wiederverheiratung möglich sei 25 . Die evangelischen Kirchen lassen ebenso über den Tatbestand des Ehebruchs hinaus Scheidung und Wiederverheiratung zu26. Der Unterschied in der Beurteilung der in Rede stehenden Frage durch beide Gruppen von Kirchen liegt nicht sosehr im Katalog von Scheidungsgründen, sondern vielmehr in der Tatsache, daß die evangelischen Kirchen im Gegensatz zu den orthodoxen über das Vorhandensein dieser Gründe nicht durch ein eigenes kirchliches Forum befinden. Dies deshalb, weil die evangelischen Kirchen weder ein eigenes Eheschließungs-, noch auch ein eigenes Ehescheidungsrecht kennen, und die Regelung dieser Fragen in die staatliche Zuständigkeit verweisen27 . Lediglich bei Gewährung der kirchlichen Trauung, die allerdings nach protestantischem Verständnis zum rechtsgültigen Zustandekommen der Ehe nicht konstitutiv ist, wird eine Unterscheidung dahingehend getroffen, ob die (staatliche) Scheidung aus von der Kirche anerkannten Gründen erfolgt ist oder nicht28 . Die Unauflöslichkeit der Ehe stellt, darin kommen die genannten Kirchen überein, ein Zielgebot dar, das nicht in eine unter allen Umständen verpflichtende juridische Norm gegossen werden könne29 . 230 f.; G. Garcia Martinez, Indisolubilidad dei matrimonio rato y consumado entre dos partes bautizadas, Madrid 1963, 18 ff. 24 Hoffmann, (Anm. 23) 329. 25 P. von Chersones (p. L 'Hullier) , Ehescheidung in der Theologie und im Kirchenrecht der orthodoxen Kirche, in: David/Schmalz, (Anm. 12) 343; H. Domhois, Grundzüge des Eherechts der orientalischen Kirche - unter besonderer Berücksichtigung der Ehescheidung, in ZevKR 13 (1967/68) 107 ff.; E. Melia, Le lien matrimonial a la lumiere de la theologie sacramentaire et de la theologie morale de L'Eglise orthodoxe, in: RDC 21 (1971) 180 ff. 26 S. Reicke, Ehescheidung, in: EKL I, 1018. 27 H. G. Hesse, Evangelisches Ehescheidungsrecht in Deutschland. Schriften zur Rechtslehre und Politik, Bd. 22 (Bonn 1960) 168. 28 Reicke, (Anm. 26). - Vgl. dazu H. G. Hesse, Neuere Gesetzgebung der deutschen evangelischen Kirchen und Kirchenbünde auf dem Gebiet des Ehescheidungsund Wiedertrauungsrechts, in: ZevKR 13 (1967/68) 375 ff. 29 Vgl. dazu die Zusammenfassung in: HerKorr 24 (1970) 386. - Für die Orientalischen Kirchen kommen dabei vor allem Gründe der Ökonomie und der Condeszendenz in Betracht. Vgl. dazu E. Zoghby, Konzilsintervention vom 4. 10. 1965, abgedruckt bei David/Schmalz, (Anm. 12) 335; Moingt, (Anm. 23) 214. - Für die

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IV. Was nun die historische Beweisführung betrifft, so ließ der schon erwähnte Erzbischof Zoghby unter den Vätern des 11. Vatikanums eine Dokumentensammlung kursieren, in der er nähere Unterlagen für die in der Konzilsaula aufgestellte Forderung anbot, die katholische Kirche möge die vollzogene Christenehe dem Bande nach scheiden30 . Als Ergebnis aus dieser ziemlich umfangreichen Dokumentensammlung steht soviel eindeutig fest, daß die kirchliche Praxis sowohl im Orient als auch im Okzident äußerst schwankend war. Wir sind in der Lage, eine ganze Reihe von Kirchenvätern und Partikularkonzilien anzuführen, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Scheidung und WiedeIVerheiratung der vollzogenen Christenehe als möglich ansahen31 . Ein sehr früher Zeuge der rechtlichen Unsicherheit in den ersten christlichen Jahrhunderten ist der hl. Augustinus, der 413 in seinem Werk "Oe tide et operibus" schreibt: "Wer aber sein auf Ehebruch ertapptes Weib entläßt und eine andere heiratet, der darf, wie es scheint, jenen nicht gleichgestellt werden, die aus einem anderen Grunde als wegen Ehebruch ihr Weib entlassen und wieder eine andere heiraten. Sogar in den göttlichen Aussprüchen ist es so unklar, ob derjenige, der mit unbezweifeltem Recht sein ehebrecherisches Weib entläßt, im Falle einer WiedeIVerheiratung nun selbst auch als ein Ehebrecher zu gelten hat, daß sich jemand meines Erachtens in diesem Punkt nur unter einer geringen Sünde täuscht"32. Von größerer Bedeutung als die Aussagen von Partikularsynoden und Kirchenvätern bzw. Kirchenschriftstellern ist das Verhalten der Päpste zur Unauflöslichkeit der Ehe. In einem Brief an Bonifatius geht Papst Gregor 11. (715 bis 731) auf diese Frage ein. Bonifatius hatte angefragt, was zu tun sei, wenn eine Frau wegen Krankheit dauernd nicht mehr in der Lage sei, dem Manne die eheliche Pflicht zu leisten. Gregor antwortete, daß es besser wäre,

evangelischen Kirchen vgl. R. Voellzel, Le lien matrimonial en climat protestant, in: RDC 21 (1971) 149 ff. 30 Notes sur la tradition occidentale du IIIme au XI me siecle concemant le remariage durant la vie des epoux. Manuskript Zoghbys, zur Verteilung für die Konzilsväter bestimmt, Rom 1965. V. J. Pospishil, Divorce and Remarriage. Towards a New Catholic Teaching, New York 1967, 40 ff. Pospishil ist allerdings in der Übersetzung der Quellen nicht immer zuverlässig. Vgl. dazu meine Rezension in: ÖAKR 19 (1968) 179 ff. 31 Pospishil, ebd., 40 ff; Zoghby, (Anm. 29). 32 Migne, PL 40,221. - Der Versuch von A. de Roskovtjrry, De matrimonio in Ecclesia catholica, Tom. 11 (De indissolubilitate matrimonii) 315 ff., die Aussage Augustinus' abzuschwächen, kann nicht überzeugen.

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wenn der Mann bei seine Frau bliebe; wenn er aber dazu nicht in der Lage sei, so könne er eine andere Frau heiraten, möge aber seiner ersten Frau eine angemessene Unterstützung zuteil werden lassen 33 . Diese päpstliche Entscheidung hat schon den Bologneser Kanonisten Gratian, der sie um die Mitte des 12. Jahrhunderts in seine Kanonessammlung (Concordia discordantium canonum) aufnahm, zu der verwunderten Feststellung verleitet, damit sei der evangelischen und apostolischen Doktrin gänzlich widersprochen34 . Die Entscheidung Gregors gibt zwei Fragen auf, die aber nach dem heutigen Stand der Forschung wohl nicht zur Gänze gelöst werden können: 1. Es ist nicht völlig sicher, ob die Impotenz der Frau im gegenständlichen Falle nicht schon von Anfang an vorhanden war, so daß also eine geschlossene und nicht vollzogene Ehe vorläge, die durch päpstliche Dispens gelöst hätte werden können. Somit wäre also in diesem Fall nur ein normaler Anwendungsfall der päpstlichen Dispensvollmacht gegeben. Dem steht allerdings entgegen, daß Dispensen von der geschlossenen nicht vollzogenen Ehe durch päpstlichen Hoheitsakt zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt waren35 .

2. Doch selbst wenn es sich um eine erste nach Abschluß und nach Vollzug der Ehe aufgetretene Impotenz handelt - wenn somit eine im Sinne der heutigen Kanonistik wirklich unauflösliche Ehe vorlag - so bleibt noch die Frage offen, ob Papst Gregor 11. in seinem Brief an Bonifatius wirklich eine Dispens 33 Migne, PL 89, 525, bzw. c. 18 C. XXXII qu. 7. 34 Dict. Gratiani nach C. XXXII. 35 Nach der herrschenden Lehre sind Lösungen der nicht vollzogenen Ehe durch päpstliche Dispens erstmalig unter dem PontifIkat Martins V. (1417-1431) nachweisbar. I. Fahrner, Geschichte des Unauflöslichkeitsprinzips und der vollkommenen Scheidung im kanonischen Recht (Freiburg/Br. 1903) 318 ff.; N. Hilling, Das Eherecht des Codex iuris canonici (Freiburg/Br. 1927) 137. - Auch die Studie von Fink, Frühe urkundliche Belege für die Auflösung des matrimonium ratum non consummatum durch päpstliche Dispensation, in: ZSavRGKan 46 (1960) 435 kann kein früheres Datum einer Lösung der nicht vollzogenen Ehe durch päpstliche Dispens nachweisen. - Navarrete, (Anm. 3) 462, verweist hinsichtlich der Schwierigkeiten in der Erklärung dieser Ehelösungen auf nicht näher bezeichnete Autoren, die eine bereits vor der Ehe vorhandene Krankheit der Frau annehmen. Er fährt dann fort: "Proinde ageretur de matrimonio nullo ex capite impotentiae uxoris, vel de matrimonio rato et non consummato si infIrmitas illa mulieris non constituebat impedimenturn impotentiae sensu canonico." - Wenige Seiten später (476) legt aber Navarrete dar, daß Lösungen von geschlossenen, nicht vollzogenen Ehen durch päpstliche Dispens erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt angewendet wurden. Vgl. zur Frage auch R. Weigand, Unauflöslichkeit der Ehe und Eheauflösungen durch Päpste im 12. Jahrhundert, in: RDC 20 (1970) 44 ff.

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erteilt oder nicht vielmehr einen Akt der Toleranz gegenüber dem Zeitgebrauch gesetzt hat36 . Papst Stephan 11. (752 bis 757) hat gelegentlich eines Besuches bei Pippin dem Kurzen im Jahre 754 zu Quierzy einige konkrete Ehefragen beantwortet. Die Lösungen, die der Papst bezüglich geschlossener und vollzogener Christenehen gibt, laufen alle darauf hinaus, daß bei Vorliegen bestimmter, erst nach Eheschluß auftretender Umstände eine Lösung des Ehebandes und eine nachfolgende zweite Eheschließung gestattet wird37 . Auch hier stellt sich der Forschung das Problem, ob es sich dabei um eine päpstliche Dispens handelt, oder einfach um eine Tolerierung einer in der damaligen Zeit eingewurzelten Praxis, die nicht beseitigt werden konnte und daher zur Vermeidung größeren Übels geduldet wurde. Ein Zugeständnis an die Zeitanschauungen scheint ganz offensichtlich der erste der in der Instruktion Stephans 11. von Quierzy behandelten Fälle zu beinhalten, wenn der Papst dort sagt, daß jener, der seine Frau, die eine Sklavin ist, verstößt und eine andere aus höherem Stand heiratet, sich nicht einer "duplicatio coniugii" schuldig mache, es liege lediglich ein "profectus honestatis" vor. In ähnlicher Weise wird der Fall eines Mannes geregelt, der außerhalb seines Vaterlandes eine Sklavin geheiratet hatte, nach einiger Zeit ohne seine Frau in die Heimat zurückkehrt und hier eine Freie zur Frau nimmt. Wenn er nun wieder an den Ort zurückkommt, wo seine erste Frau ist und er fmdet diese mit einem anderem verheiratet vor, so stehe es diesem Manne frei, eine weitere Ehe zu schließen, allerdings nicht zu Lebzeiten der freien Frau, die er in seiner Heimat geheiratet hat38 . 36 P. Moncelle, in: DTC VI/2 (Paris 1925) co!. 1782.

37 Migne, PL 89, 1024.

38 "Oe eo, qui uxorem habet in patria, et in alia regione versatur. - Si quis in aliena patria ancillam duxerit in consortium, postea, in propriam reversus, ingenuam acceperit, et iterum contigerit, ut ad ipsam, qua inantea fuerat, patriam revertatur et illa ancilla, quam prius habuit, alii viro sociata fuerat, hic talis potest aliam accipere, tarnen non illa vivente ingenua, quam in patria propria habuit." PL 89, 1024. - Interessant ist der Kommentar, mit dem E. von Moy diese Stelle versieht. Er schreibt: "Ebenso bestimmt sprach sich Papst Stephan 11. im J. 754 zu Creci darüber aus, daß man anders, als wegen Ehebruchs die Ehe nicht trennen dürfe und daß die Getrennten, jeder bei Lebzeiten des anderen Teiles, ehelos bleiben müßten." In der zu diesem Text hinzugefügten Fußnote ist u. a. die vorhin wiedergegebene Stelle zitiert, allerdings mit einer ihren Sinn entscheidend verändernden Hinzufügung, die - ohne als solche gekennzeichnet zu sein - von der Hand Moys stammt. Nach" ... hic talis potest aliam accipere" findet sich in der Textwiedergabe Moys die Beifügung: "(sc. propter impedimenturn conditionis)". Im Text von Migne ist keinerlei Hinweis auf eine beigesetzte Bedingung enthalten. Vg!. E. von Moy, Das Eherecht der Christen in der mor-

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Schließlich sei eines Falles gedacht, in dem Papst Coelestin III. (1191 bis 1198) eine gegenüber der bisherigen Praxis erweiternde Auslegung des Privilegium Paulinum vornahm. Er gestattete einer Frau, deren Mann vom Christentum apostasierte und eine heidnische Frau nahm, eine zweite Ehe einzugehen39 . Nachdem diese Frau mit kirchlicher Erlaubnis wieder geheiratet hatte, brauchte sie selbst im Falle der Reversion ihres ersten Gatten nicht mehr zu diesem zurückzukehren. Wie aus dem Kontext der Dekretale hervorgeht, sah der Papst hier einen Anwendungsfall des Privilegium Paulinum gegeben40 . Sein Nachfolger im Pontifikat, Innozenz III. (1198 bis 1216) hat es dann auch nicht unterlassen, diese Ansicht seines Vorgängers einer Kritik zu unterziehen, wobei er darauf verwies, daß nur eine von zwei Nichtchristen geschlossene Ehe unter Zuhilfenahme des Privilegium Paulinum gelöst werden könne, nicht aber die Ehe zweier Christen, mag auch ein Teil vom Christentum abgefallen sein41 . Immerhin ist beachtlich, daß Innozenz III. bei der Darlegung seiner Ansichten über die Tragweite des Privilegium Paulinum einräumt, daß "einzelne Heilige aufgrund einer göttlichen Offenbarung, die jedes Gesetz übersteigt und außer Kraft setzt, gelegentlich anders gehandelt haben "42.

v. Obwohl also, wie wir gesehen haben, in der Vergangenheit Schwankungen hinsichtlich der Praxis der katholischen Kirche in bezug auf die Handhabung des Prinzips der Unauflöslichkeit feststellbar sind43 , hält die katholische Kirche nach der heutigen Rechtslage an der absoluten Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe fest. Die Einengung der absoluten Unauflöslichkeit auf die erwähnte Kategorie von Ehen stellt sich allerdings rechtshistorisch als ein Kompromiß zwischen den mittelalterlichen Rechtsschulen von Bologna und Paris dar«. Während die Pariser Schule unter Petrus Lombardus der ehelichen Konsensleistung allein schon ehebegründende Kraft zuschrieb und demnach eine gültig geschlossene Ehe auch schon vor ihrem Vollzug für ungenländischen und abendländischen Kirche bis zur Zeit Karls des Großen, Regensburg 1833, 291 und Anm. 488. 39 C. 1 X III, 33. 40 Vgl. Weigand, (Anm. 35) 49. 41 C. 7XIV, 19. 42 C. 14 X III, 32. In bezug auf einige weitere, nicht völlig zu klärende Fälle von Ehelösungen durch Päpste vgl. Weigand, (Anm. 35) 48 ff. 43 Vgl. hiezu das zusammenfassende Urteil bei J. Gaudemet, Le lien matrimonial. Les incertitudes du haut moyen-age, in: RDC 21 (1971) 105. 44 W M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, II (21962) 306 f.

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auflöslich erklärte45 , sah die Bologneser Schule, offenbar in Anlehnung an die germanischen Rechtsanschauungen von der den Eheabschluß vollendenden Wirkung des Beilagers46 den Vollzug der Ehe als zu ihrem rechtlichen Zustandekommen wesentlich an. Aus dieser Kontroverse hat sich unter Papst Alexander III. der bis zum heutigen Tage geltende rechtliche Kompromiß entwickelt, daß zwar der Ehekonsens als solcher als ehebegründend angesehen wurde, daß aber die noch nicht vollzogene Ehe zwar als sakramentale, jedoch nicht unauflösliche Verbindung betrachtet wurde47 . Dabei ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Wenn nun nach den näheren Gründen gefragt wird, die heute gegen die absolute Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe ins Treffen geführt werden, so wird eine Reihe von Argumenten vorgebracht: Nicht wenige dieser Argumente gehen davon aus, daß die Vollmacht der Kirche sich auch auf die Lösung der geschlossenen und vollzogenen Christenehe erstrecke48 . Von der Schlüsselgewalt, zu binden und zu lösen, sei auch die vollzogene Christenehe nicht ausgenommen. Wenn die Kirche bestimmt habe, daß sie ihre Binde- und Lösegewalt nicht auf die vollzogene Christenehe anwende, so habe sie sich damit lediglich vorläufig die Hände gebunden; es stehe aber durchaus in ihrer Macht, die Schlüsselgewalt eines Tages auch auf die in Rede stehende Kategorie von Ehen auszudehnen49 . Als Argument für diese Ansicht wird unter anderem die vorsichtige Formulierung des auf die Frage von Scheidung und Wiederverheiratung bezugnehmenden Kanons des Trienter Konzils ins Treffen geführt, die entgegen der 45 Plöchl, ebd. 46 H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, I (21962) 402. 47 Über die Lehre der Pariser bzw. Bologneser Schule, vgl. J. Freisen, Geschichte des kanonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur (Paderbom 1893/1963) 810 ff.; Plöchl, (Anm. 44) 11, 306, vertritt in bezug auf die Ehelehre Gratians eine von der herrschenden Lehre abweichende Auffassung. 48 O'Connor, (Anm. 4) 692 ff. O'Connor unterscheidet des näheren zwischen der Gewalt der Kirche in actu primo und in actu secundo. In actu primo erstrecke sich die Binde- und Lösegewalt auch auf die vollzogene Christenehe; in actu secundo habe die Kirche bisher nur von ihrer Binde-, nicht aber von ihrer Lösegewalt Gebrauch gemacht. Es sei auch nicht zu erwarten, daß die Kirche angesichts der Symbolhaftigkeit der christlichen Ehe von ihrer Lösungsbefugnis Gebrauch mache. - Vgl. zum Ganzen Navarrete, (Anm. 3) 422. 49 Ganz pointiert formuliert z. B. R. Charland: "Tous les mariages, y compris le mariage chretien consomme, tombent sous le pouvoir des clefs donne par le Christ a son Eglise. Si L'Eglise d6cidait unjour de rompre le mariage ratum et consummatum, comme elle dissout les autres mariages, il serait rompu avec la meme auto rite divine." In: RDC 17 (1967) 43. 45 Primetshofer

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ursprünglich geplanten Fassung auf Intervention des venezianischen Dogen in eine, wie Denzinger-Schönmetzer im Enchiridion Symbolorum es ausdrücken "mitior damnationis formula"50 umgeprägt wurde, um die Scheidungsgewohnheiten der im damaligen Königreich Venezien ansässigen orthodoxen Griechen nicht zu sehr in Mißkredit zu bringen. Während nämlich die ursprüngliche Formel gelautet hatte, daß deljenige im Banne sei, der die Behauptung aufstelle, wegen Ehebruchs eines Partners könne die Ehe geschieden werden und wenigstens dem unschuldigen Teil stünde die Möglichkeit einer Wiederverheiratung offen, lautete die endgültige Fassung folgendermaßen: "Wenn jemand behauptet, daß die Kirche im Irrtum sei, wenn sie lehrt, daß nach der evangelischen und apostolischen Doktrin wegen Ehebruchs das Eheband nicht gelöst werden könne, und beide Partner, auch der am Ehebruch unschuldige, zu Lebzeiten des anderen keine neue Ehe schließen können, und daß der Mann, der nach Entlassung seiner ehebrecherischen Frau, bzw. die Frau, die nach Entlassung ihres ehebrecherischen Mannes eine neue Ehe eingeht, selbst die Ehe bricht, so sei er im Banne "51. Damit werde aber, wie unter anderem Jimenez-Urresti feststellte, vom Trienter Konzil lediglich die sogenannte innere Auflösbarkeit der Ehe ausgeschlossen, d. h., es werde gesagt, daß es dem Ehegatten untersagt sei, von sich aus ihre Ehe zu trennen und zu einer neuen Verbindung zu schreiten.

50 H. Denzinger/A. Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, Definitonum et Declarationum de rebus fidei et morum, 32 1963, Anm. zu Nr. 1807. 51 Denzinger/Schönmetzer, Nr. 1807. Zur Frage der Bedeutung der endgültigen Formel des Trienter Konzils im Hinblick auf die Praxis der orientalischen Kirchen vgl. Domhois, (Anm. 25) 109. Bei der konkreten Formulierung des tridentinischen Kanons ist auch die Kontroverse über die Frage der Ehescheidung auf dem Unionskonzil von Florenz (1439) zu berücksichtigen. Papst Eugen IV. ließ zwar nach Beendigung der Unionsverhandlungen die griechischen Bischöfe zu sich kommen und trug ihnen vor, die Ehescheidung sei einer der Punkte der griechischen Praxis, der gebessert werden müsse. Die Bischöfe antworteten, hierzu könnten sie nichts sagen, ohne sich mit ihren Amtsgenossen und dem Kaiser zu beraten; doch ihrer Meinung nach käme dieses Verlangen, selbst wenn man es als berechtigt unterstellen wollte, der ganzen griechischen Kirche höchst ungelegen. Außerdem ließen sie Scheidungen nur aus schwerwiegenden Gründen zu. Daraufhin wurde die Frage überhaupt nicht mehr behandelt. - Es ist hier festzustellen, daß auch das Tridentinum die Scheidungspraxis der Griechen nicht untersagte. Bis ins 19. Jahrhundert herauf hat Rom die von der lateinischen abweichende Praxis der unierten Orientalen geduldet, die Scheidung und Wiederverheiratung aus schwerwiegenden Gründen gestattet. Vgl. G. H. Joyce, Die christliche Ehe (Leipzig 1932) 346; O. Rousseau, Scheidung und Wiederheirat im Osten und im Westen, in: Concilium 6 (1967) 330.

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Nichts sei jedoch über die äußere Auflöslichkeit52 der Ehe ausgesagt, d. h. über die der Kirche in bezug auf sämtliche Ehen zukommende Gewalt, sie bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen dergestalt zu trennen, daß jedem der beiden Partner der Weg zu einer neuen Eheschließung mit einem Dritten offenstehe5 3 . Das Konzil habe sich also in keiner Weise festgelegt, und es könne mithin aus dem in Rede stehenden Kanon nicht gefolgert werden, daß nicht auch das matrimonium ratum et consummatum unter die den Nachfolgern des Apostels Petrus zustehende Schlüsselgewalt falle54 . Wenn die katholische Kirche heute die vollzogene Christenehe für unauflöslich erkläre, so sei dies nicht Konsequenz aus einem unveränderlichen Satz des göttlichen Rechts, sondern stelle lediglich eine rein positive Festsetzung der Kirche dar, derzufolge sie die ihr übertragene und sich auch auf die vollzogene Christenehe erstreckende Schlüsselgewalt durch mehrere Jahrhunderte hindurch einfach nicht zur Anwendung gebracht habe. Dies bedeute aber keineswegs, daß die Kirche nicht eines Tages ihre Meinung ändern könne. Dazu könnte sie angesichts der geänderten gesellschaftlichen Voraussetzungen gedrängt werden. Während nämlich früher die Ehen auch aufgrund der die Scheidung weitgehend eindämmenden und sogar ausschließenden Bestimmungen des staatlichen Rechts bzw. aufgrund sonstiger Voraussetzungen eine viel größere Stabilität aufwiesen, hat man heute einfach den Zerfall eines hohen Prozentsatzes von Ehen zur Kenntnis zu nehmen55 . V. Steininger geht in seinem Buch, dessen Titel "Auflösbarkeit unauflöslicher Ehen" schon die Grundlinien seiner Argumentation angibt, von der Tatsache aus, daß eine Ehe eigentlich auch durch den Tod nicht gelöst werden könne. Der Tod bedeute für den Christen ja nicht Ende, sondern Anfang eines neuen Lebens. Er sei nicht Zerstörung der Natur, sondern deren Umwandlung, woraus sich ergebe, daß das Eheband durch den Tod lediglich "gewandelt", aber nicht zerstört werde56 . Dies drücke sich u. a. darin aus, daß die Kirche die zweite Ehe eines Verwitweten als eigentlich etwas nicht ganz Gehöriges empfunden habe57 . Dem Tod komme also, so Steininger, nicht schon von selbst die Funktion einer automatischen rechtlichen Lösung des Ehebandes zu, sondern er habe nur die Bedeutung eines wichtigen Grun52 Zu den Begriffen innere und äußere Auflösbarkeit bzw. Unauflöslichkeit vgl. H. Hans/ein, Kanonisches Eherecht, 31953, 24. 53 Jimenez-Urres/i, La problematica, 325. 54 HerKorr 22, (1968) 577 f. 55 J. Carbonnier, La statistique du divorce, in: RDC 21 (1971) 11 ff. 56 V. S/eininger, Auflösbarkeit unauflöslicher Ehen, Graz 1968, 40. 57 Plöchl, 11,292. Vgl. dazu auch CIC c. 1142.

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des, um dessentwillen die Ehe gelöst werden könne. Mit anderen Worten: Nach Steininger löst der Tod nicht die Ehe, sondern ist Voraussetzung, daß eine "Scheidung" der Ehe ausgesprochen werden könne5 8 • Nun gebe es aber Umstände, die auf den Betroffenen ähnlich schwerwiegende Auswirkungen haben wie der Tod eines Partners. Und diese Umstände könnten genausogut als "Scheidungsgründe" in Betracht kommen; etwa eine bald nach der Eheschließung auftretende unheilbare Geisteskrankheit, die den Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt nötig und jeden weiteren menschlichen Kontakt mit dem gesunden Ehegatten unmöglich macht. Selbstverständlich sei auch das Festhalten an der Unauflöslichkeit in diesen Fällen das Vollkommenere; aber dieses Vollkommenere sei doch lediglich ein Zielgebot, das - ebensowenig wie andere Forderungen der Bergpredigt - nicht allen Menschen unter allen Umständen als verpflichtendes Rechtsgebot auferlegt werden könne5 9 • Einen völlig neuen Ansatz in dieser Frage zeigt die Diskussion des Symposiums, das 1967 an der Notre-Dame-University (Indiana, USA) stattfand. Demnach sei die Unauflöslichkeit der Ehe überhaupt kein von außen kommendes Gesetz, auch kein göttliches Gesetz, sondern werde von den Ehegatten kraft der Erlösung Christi "gemacht" oder gegebenenfalls auch nicht gemacht. Kein Gesetz könne die Unauflöslichkeit hervorbringen, noch, wenn sie besteht, aufheben. Wenn nun die Unauflöslichkeit in einer konkreten Ehe durch den Willen des einen oder beider Partner nicht mehr bestehe, könne sie auch kein von außen kommendes Gesetz hervorbringen. Eine durch die Kirche erfolgte Lösung dieser bereits von innen her aufgelösten Ehe bedeutet daher nur noch die Anerkennung eines tatsächlich bereits eingetretenen Zustandes60 • Eine grundsätzliche Neubesinnung auf den Tatbestand der Ehekonsummation fordern J. T. Finnegan und J. Bernhard. Während nämlich in der bisherigen Lehre und Rechtsprechung der Grundsatz dominierte, daß eine einmalige "copula perfecta" die Tatsache des Ehevollzugs und damit die absolute Unauflöslichkeit der Christenehe zur Folge habe61 (ein ausgesprochen sta58 Steininger, (Anm. 56) 46. 59 Steininger, (Anm. 56) 77 ff. - In ähnliche Richtung geht die Lösung, die Häring vorschlägt. Vgl. B. Häring, Internal Forum Solutions to insoluble marriage cases, in: Jurist 20 (1970) 21 ff. 60 P. Huizing, Unauflöslichkeit der Ehe in der Kirchenordnung, in: Concilium 4 (1968) 582 ff. 61 Ein bedeutsames Abweichen von der herkömmlichen Auffassung über den Tatbestand der Ehekonsummation berichtet W. J. Tobin, Homosexuality and Marriage, A Canonical Evaluation of the Relationsship of Homosexuality to the Validity of Marriage in the Light of Recent Rotal J urisprudence. Rome 1964, 196 ff.: In einem

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tisch-dinglicher Aspekt), wird von den beiden Autoren ein radikales Umdenken in Richtung auf einen dynamisch-personalen Begriff der Eingehung und des Vollzugs der Ehe gefordert. Nach Finnegan genügt für das matrimonium ratum nicht, daß beide Partner getauft seien, sondern es muß auch zugleich feststehen, daß sie aus religiösen Beweggründen heiraten. Dadurch, daß sie sich bewußt zur Symbolik ihrer Ehe als eines Abbildes der Vereinigung Christi mit seiner Kirche bekennen, wollen sie die christliche Gemeinde zu größerer Treue in der Liebe anspornen. Für den Tatbestand der Konsummation genüge nicht die Tatsache der copula carnalis an sich, sondern es sei eine psychologische Konsummation erforderlich, d. h. die geistige Vereinigung der Ehegatten in ihrem ganzheitlichen Aspekt62 • In ähnlicher Weise unterscheidet J. Bernhard zwischen dem "mariage instaun!" und dem "mariage consacn5". Unter dem mariage instaure wäre die Tatsache zu verstehen, daß die Kontrahenten sich zur Eingehung einer religiösen Ehe durch ihr Jawort verpflichten, wobei sie nicht nur die fundamentale Unauflöslichkeit der Ehe bejahen, sondern sich zugleich verpflichten, ihr Möglichstes zu tun, um zu einer innerlich und äußerlich unauflöslichen Ehe zu gelangen. Solange aber die Eheleute nicht wirklich zu einer tiefen Lebensund Liebesgemeinschaft gelangt seien, könne man von keinem mariage consacre sprechen. Dies bedeute insbesondere, daß die bloß "begonnene Ehe" (mariage instaure) von der Kirche bei Vorliegen bestimmter Grunde gelöst werden könne. Als solche Grunde für die Lösung von Ehen sei insbesondere deren totale Zerrüttung anzusprechen63 .

Fall, wo der physische Vollzug der Ehe durch einen homosexuell veranlagten Mann nur unter Einfluß von den Vernunftgebrauch ausschaltenden Drogen erreicht werden konnte, entschied die S. R. Rota zunächst auf Inkonsummation, da für den Tatbestand des Ehevollzuges ein "actus humanus" erforderlich sei, ein bloßer "actus hominis" hingegen nicht genüge. Papst Pius XII. schien zunächst geneigt, die Dispens wegen Nichtvollzugs zu gewähren, legte aber den Fall dem Hl. Offizium vor, das auf die Frage: "An matrimonium haberi debeat inconsummatum, si essentialia elementa copulae posita sunt a coniuge, qui ad unionem sexualem non pervenit nisi adhibitis mediis aphrodisiacis, rationis usum actu intercipientibus?" mit "negative" antwortete und auf diese Weise die Rotaentscheidung widerrief. 62 J. T. Finnegan, When is a Marriage Indissoluble? Reflections on an Contemporary Understanding of a Ratified and Consummated Marriage, in: Jurist 28 (1968) 309 ff. 63 J. Bernhard, Reinterpretation (existentielle et dans la foi) de la legislation canonique concernant I'indissolubilite du mariage chretien, in: RDC 21 (1971) 269. Der Verfasser will freilich die Lösung der Ehe in solchen Fällen nicht als ein striktes Recht der Ehegatten auffassen, sondern erblickt darin eine Anwendung des Prinzips der Ökonomie durch die Kirche. 270.

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In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß schon wiederholt die automatische Junktimierung von Taufe auf der einen und Sakramentalität der Ehe auf der anderen Seite kritisiert wurde. St. J. Kelleher insbesondere meint, es sei unrealistisch, wenn die Kirche mit solcher Sicherheit annimmt, daß jede Ehe - zumindest die zwischen zwei Getauften - grundsätzlich ein Abbild der Einheit zwischen Christus und seiner Kirche sei. Es sei unrealistisch, wenn die Kirche die bloße Tatsache des Taufaktes als ausschlaggebenden Faktor betrachtet, von dem ihre Entscheidung abhängt, ob jemand von einer zerrütteten Ehe befreit werden kann oder nicht. Die heutige Tendenz, die Taufe dynamisch zu sehen, als freie und personale Entscheidung für Christus sowie als ein die Gemeinschaft betreffendes Ereignis, passe schlecht zu dieser Praxis, die reine Tatsache des Getauftseins zum Angelpunkt der Entscheidung für oder gegen die Scheidung zu machen64 . Ebenso unrealistisch ist aber die Präsumption des c. 1014, der eine Rechtsgunst für die Ehe in dem Sinne enthält, daß immer dann, wenn eine Ehe von zwei Christen in der gehörigen Form geschlossen wird, von Rechts wegen angenommen werden muß, es handle sich um eine gültige Ehe, der kein wesentliches Tatbestandsmerkmal mangelt. Insbesondere wird von Rechts wegen angenommen, daß ein völlig fehlerfreier Ehekonsens vorliege, was soviel bedeutet, daß keiner der Ehepartner durch positiven Willensakt eines der Ehegüter (Nachkommenschaft, Treue, Unauflöslichkeit) ausgeschlossen habe. Diese gesetzliche Präsumption findet heute oftmals keinen genügenden Anhaltspunkt in der Wirklichkeit mehr6 5 • Man könnte sich fragen, was die erwähnte Präsumption des fehlerfreien Ehekonsenses bei den Tausenden von Ehen für einen Sinn haben soll, die heute allenthalben von Jugendlichen eingegangen werden, oft als sogenannte Mußehen, und die nach kürzester Zeit einfach an der totalen Unfiihigkeit der beiden Partner scheitern, über die Geschlechtsgemeinschaft hinaus ein wirklich gemeinsames Leben zu führen. Es dürfte den seit der Promulgation des CIC doch wesentlich geänderten gesellschaftlichen Voraussetzungen nicht mehr entsprechen, wenn man in allen diesen Fällen den Erweis des mangelnden Ehewillens eines oder gegebenenfalls beider Partner an die komplizierten Beweisregeln des kanonischen Rechts binden wollte66 . 64 S. J. Kelleher, Das Problem der zerrütteten Ehe, in: David/Schmalz, (Anm. 12) 37. 65 Kelleher, Canon 1014 and Arnerican Culture, in: Jurist 28 (1968) 1 ff. 66 Einen nicht unbedeutenden Ansatz zur Korrektur des gegenwärtigen Eheprozeßrechts, das fast ausschließlich "in favorem vinculi" konstruiert ist, erblicke ich in den Entwürfen der "Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici recognoscendo". Vgl. dazu: Communicat 2 (1970), 188 ff.

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Abgesehen davon zeichnet das kanonische Recht, wenn es als Objekt des Ehekonsenses lediglich die Übertragung der "actus per se apti ad prolis generationem" betrachtet, nur ein äußerst grobes, beinahe naives Bild der Gesamtwirklichkeit Ehe. Von daher kommt es auch, daß das kanonische Recht nahezu ausschließlich den physischen Geschlechtsakt zum Kriterium für den Vollzug einer Ehe macht67 . Experten der verschiedenen Fächer sind heute überzeugt, daß die Ehe erst dann vollzogen ist, wenn beide Partner ein existentielles, wirklich personales Verhältnis als Mann und Frau zueinander gefunden haben68 •

VI. Ich möchte nun nicht detailliert auf Vorschläge eingehen, die zur Behebung des heutigen Dilemmas auf dem Gebiet von Ehescheidung und Wiederverheiratung schon gemacht wurden und noch werden. Sei es, daß eine radikale Umgestaltung des materiellen und formellen Eherechts gefordert wird, so daß mehr Ehen als bisher aufgrund von unserem heutigen Verständnis besser angepaßten Tatbeständen für ungültig erklärt werden könnten (ich verweise hier auf die Einbeziehung der Fälle von arglistiger Täuschung in das geltende Eherecht69 ), sei es, daß man bei wiederverheirateten Geschiedenen eine "pastorale" Lösung sucht, mit deren Hilfe die in kirchlich nicht geordneten Ehen Lebenden zu den Sakramenten zugelassen werden könnten70 oder ähnliche Lösungsversuche mehr. Die brennende Frage, um die es nach den ganzen Darlegungen geht, lautet jedoch eindeutig: Kann die Kirche auch die geschlossene und vollzogene Ehe lösen, wie sie jede andere Kategorie von Ehen löst? Erstreckt sich ihre Schlüsselgewalt auch auf die hier in Rede stehenden Fälle? Unbestritten ist, daß die heutige Praxis der katholischen Kirche unbefriedigend ist, wenn sie einerseits den Grundsatz der Unauflöslichkeit für alle Ehen aufstellt, ihn aber andererseits de facto nur für eine einzige Kategorie von Ehen wirklich gelten 67 F. M. Cappello, Tractatus canonico-moralis de sacramentis, V, 1950, 382. Vgl. hierzu in bezug auf die unterschiedliche Auffassung zwischen der S. R. Rota und dem S. Officium Anm. 61. 68 Kelleher, Das Problem der zerrütteten Ehe, 37. 69 H. Flatten, Irrtum und Täuschung bei der Eheschließung nach kanonischem Recht, Paderbom 1957; Tobin, (Anm. 61) 272 ff. 70 H. B. Meyer, Können wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen werden?, in: David/Schmalz, (Anm. 12) 269 ff., insbesondere 305.

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läßt71 . Und dies umso mehr, als diese Praxis in ihrer Gesamtheit eher geeignet ist, das Vertrauen in eine Rechtsordnung zu erschüttern, die - wie im Falle des c. 1120 § 2 gezeigt wurde - eindeutig über die im Recht gezogenen Grenzen hinausgeht, ohne es jedoch für notwendig zu finden, das dieser Praxis diametral entgegenstehende gesatzte Recht jemals formell außer Kraft zu setzen. Die Widersprüchlichkeit und - drücken wir es einmal so aus - mannigfachen "inelegantiae iuris", auf die u. a. V. Steininger sehr deutlich hinweist, bedürfen sicherlich der glättenden Hand des Gesetzgebers, dem es nicht bloß um einen "Codex repetitae praelectionis" geht, sondern dem es um eine der Sitaution der Kirche in der Welt und den Menschen in dieser Welt angepaßten Neuschöpfung zu tun ist. Aber ist die Kirche mit dieser wenngleich unbefriedigenden Praxis an der Grenze dessen angelangt, was sie kano72? R. Weigand weist in einem sehr beachtenswerten Aufsatz darauf hin, daß es in der Kirche schon mehrmals Prozesse der Bewußtseinsbildung gegeben habe, und zwar in der Art, daß bestimmte, der Kirche zukommende Vollmachten zunächst lange Zeit nicht wahrgenommen wurden; erst allmählich habe sich die Überzeugung durchgesetzt, daß in die päpstliche Schlüsselgewalt auch die Lösung von der geschlossenen, nicht vollzogenen Ehe wie auch die Befreiung von einer Gelübdeverpflichtung eingeschlossen seien. Heute sind derartige päpstliche Hoheitsakte gang und gäbe, und es ist kein Theologe oder Kanonist, der die diesbezüglichen Vollmachten des Papstes in Zweifel zieht73 . Daß es hinsichtlich der rechtlichen Ordnung der Mischehen in jüngster Zeit ebenfalls zu einem Prozeß der Bewußtseinsbildung gekommen ist, aus dem der kirchliche Gesetzgeber seine dem kodikarischen Recht in wesentlichen Punkten widersprechenden Schlüsse gezogen hat, ist jedem klar, der auch nur einigermaßen um die zunächst behaupteten unverrückbaren Grenzen in der Mischehenfrage weiß74. Es ist nun durchaus möglich, daß wir gegenwärtig in der Frage der Lösung der geschlossenen und vollzogenen

71 Somit könnte man eigentlich fonnulieren, die Kirche vertrete mit Ausnahme der vollzogenen Christenehe den Grundsatz der Auflösbarkeil der Ehen. 72 In diesem Sinne hat sich u. a. Pius XII. in einer Ansprache im Jahre 1942 ausgesprochen: "11 vincolo dei matrimonio cristiano e cosi forte ehe, se esso ha raggiunto la sua piena stabilita con I'uso dei diritti coniugali, nessuna potesta al mondo, nemmeno la Nostra, quella cioe dei Vicario di Cristo, vale a rescinderlo." Pius XII, Discorsi e radiomessaggi, Milano 1943,46 f. Vgl. Navarrele, (Anm. 3) 454 f. 73 Zur Frage des Rechtscharakters solcher "Dispensen" vgl. Lederer, 98 ff. 74 Apostolisches Schreiben Pauls VI. "Matrimonia mixta", in: AAS LXII (1970) 257 ff.

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Christenehe in einem solchen Stadium der Bewußtseinsbildung stehen75. Es wird daher der vermehrten und vertieften Anstrengung von Theologen und Kanonisten bedürfen, den wirklichen Umfang des Gotteswortes zu erforschen und zu künden, durch den die christliche Gemeinde hier und heute in Pflicht genommen wird.

75 Treffend fonnuliert A. Gommenginger: "Kann vielleicht die Kirche alle Ehen auflösen, aber weiß sie es noch nicht?", in: Orien 33 (1969) 10.

Zur Frage der psychischen EheUlüähigkeit* Das mir zur Behandlung gestellte Thema lautet: "Psychische Eheunfähigkeit" . Dieser Begriff bedarf vorab einer Klärung, denn es drängt sich sofort die Frage auf, was mit diesem Thema gemeint sein soll. "Eheunfähigkeit" läßt sofort an c. 1068 denken, wo von der impotentia als einem trennenden Ehehindernis die Rede ist 1• Es könnte bei der psychischen Eheunfähigkeit nun an jene Tatbestände gedacht werden, wo der Ehevollzug nicht aufgrund organischer Mängel, sondern durch seelische Ursachen in Frage gestellt wird. Psychische Impotenz könnte also durchaus mit Recht mit der funktionellen Impotenz in Verbindung gebracht werden, wie dies ja auch tatsächlich schon geschehen ist2 . - Im vorliegenden Referat soll es jedoch nicht um eine Behandlung dieser Frage gehen. Wenn von psychischer Eheunfähigkeit die Rede ist (wobei der Ausdruck Eheunfähigkeit nach meinem Dafürhalten mehr ausdrückt als der bereits auf das Organisch-Sexuelle eingeengte Begriff der Impotenz), so geht es dabei um die Erfassung und den Versuch einer Kategorisierung von Sachverhalten, die nur in einem sehr entfernten Sinn mit der Impotenz im traditionellen Sinne3 zu tun haben. Mit dem Begriff der psychischen Eheunfähigkeit sollen jene Bereiche menschlichen Verhaltens erfaßt werden, bei denen keine Unfähigkeit zum Ehevollzug vorhanden ist oder doch .. Vortrag, gehalten bei der Internationalen Tagung kirchlicher Richter in St. Pölten am 11. April 1973. - In der Darstellung ist im wesentlichen die Vortrags form beibehalten worden, so daß sich die Anmerkungen auf das unbedingt Notwendige beschränken. 1 Über die Problematik der unzureichenden Formulierung des Tatbestandes vgl. u. a. U. Mosiek, Kirchliches Eherecht unter Berücksichtigung der nachkonziliaren Rechtslage, Freiburg/Br. 21971,141 ff. 2 O. Heggelbacher, Die funktionelle Impotenz in der Sicht des kanonischen Eheprozesses, in: ÖAKR 15 (1964) 297 ff.; A. van Duin, De impedimento impotentiae psychicae in iure canonico, in: Apoll 23 (1950) 114-175. - Duin spricht ausdrücklich (ebd. 120) von einer auf psychischen Ursachen beruhenden funktionellen Impotenz. G. Sheehy, Male Psychical Impotence in ludicial Proceedings, in: Jurist 20 (1960) 258. 3 Zur Frage der mit dem Hindernis der Impotenz zusammenhängenden Problematik der Ehekonsummation und dem Versuch einer von der herkömmlichen Auffassung abweichenden Interpretation der SRR vgl. W. J. Tobin, Homosexuality and Marriage. A Canonical Evaluation of the Relationship of Homosexuality to the Validity of Marriage in the Light of Recent Rotal Jurisprudence. Rome 1964, 196 ff.

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zumindest keine mit den rechtserheblichen Qualifikationen des c. 1068 ausgestattete4, sondern wo der Kontrahent oder die Kontrahenten aufgrund irgendweIcher (noch näher zu untersuchender) Gegebenheiten zur Führung einer Ehe, zur Übernahme der ihr wesenseigenen Verpflichtungen in einer Weise ungeeignet erscheinen, daß mit Recht gesagt werden kann bzw. muß, derartige Personen seien keine geeigneten Kontrahenten für jene Institution, die das kanonische Recht und die kirchliche Lehre unter dem Begriff der Ehe verstand und versteht. Die Schwierigkeiten, denen wir bei dem Versuch einer Erfassung dieses Phänomens begegnen, wobei diese Erfassung noch gar nicht auf juristisch relevante Phänomene ausgerichtet sein muß, sind mannigfaltiger Natur. Zunächst einmal ergibt sich eine Schwierigkeit für den Kanonisten daraus, daß er sich hier auf einem Gebiet bewegt bzw. bewegen muß, für das weitgehend nicht seine eigene Wissenschaft, sondern die Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Soziologie und ähnliche Wissenschaften zuständig sind, wobei von dieser Seite sehr oft Ergebnisse von unterschiedlicher Brauchbarkeit geliefert werden. Zum anderen lassen sich Typisierungen schwer durchführen, so daß wir beinahe jeden Tag vor neuen Ergebnissen stehen, die unsere Kategorien von gestern sprengen und sie als überholt erscheinen lassen. Versucht man aber gar, diese bislang nur ganz grob beschriebenen Sachverhalte auf die Möglichkeit ihrer Rechtserheblichkeit, auf die Frage hin zu prüfen, weIche Konsequenzen derartige Sachverhalte auf die Gültigkeit eines Eheabschlusses ausüben bzw. ausüben könnten, so kommt man von Skylla in die Charybdis. Dies zunächst einmal deshalb, weil das kanonische Recht zu dieser Frage wenig oder fast gar keine konkreten Bestimmungen enthält5 und weil es sich hier außerdem um die Erfassung von überaus komplexen Erscheinungen handelt, die schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Daraus folgt dann die weitere Schwierigkeit, ob die juristische Relevanz der in Rede stehenden Sachverhalte hinsichtlich der Gültigkeit einer Eheschließung im Bereich der Konsensmängel, in dem der trennenden Ehehindernisse oder vielleicht in bei den zugleich zu suchen ist6 . 4 Vgl. insbesondere zum geforderten Kriterium der Dauer der Impotenz A. Vitale, La "perpetuita" dell' impotenza, in: Il diriuo ecclesiastico 73 (1962) 61-68. 5 In diesem Zusammenhang mag auf die bereits zu wiederholten Malen festgestellte Tatsache verwiesen werden, daß das (materielle) kanonische Eherecht die Geisteskrankheit nicht ausdrücklich unter die Ehenichtigkeitsgründe einreiht. Lediglich das kanonische Prozeßrecht spricht in c. 1982 von einem "defectus consensus ob amentiarn" . Vgl. dazu Decis. SRR (1937) 757. 6 Hierbei wäre darauf hinzuweisen, daß selbst hinsichtlich der Einordnung eines relativ häufig auftretenden Tatbestandes wie Geisteskrankheit bis heute noch nicht völlig geklärt ist, ob Geisteskrankheit unter die Konsensmängel oder die trennenden Ehehindernisse einzureihen ist. Vgl. dazu H. Zapp, Die Geisteskrankheit in der

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Welche Tatbestände werden heute für gewöhnlich unter dem Oberbegriff der psychischen Eheunfähigkeit zusammengefaßt? Vielleicht kann man als zunächst vorläufige Formel zu folgendem Ergebnis kommen: Psychisch eheunfähig sind diejenigen, denen es aufgrund eines nicht organischen, sondern seelischen Defekts (im weiteren Sinne) nicht möglich ist, sich im Augenblick der Eheschließung auf die der Ehe im kirchlich-kanonischen Verständnis zukommenden Wesenseigenschaften zu verpflichten, bzw. die nicht imstandtJ sind, ihr Sexualleben den Regeln der Sitte zu unterwerfen. - Ich gehe mit dieser Formulierung in etwa über Navarrete hinaus, der nachstehende Beschreibung der psychischen Eheunfähigkeit gibt: "Qui ergo ab aliquam anomaliam cuiuscumque generis incapax est tempore nuptiarum sexualem suam vitam subiacendi morum regulis incapax dicendus est assumendi onera matrimonii essentialia, ideoque incapax est validi matrimonii ineundi"7. Während Navarrete als Kriterium für den Begriff der psychischen Eheunrahigkeit die Tatsache ansieht, daß der Betroffene sein Sexual verhalten nicht den "morum regulis"8 anzupassen vermag, scheint mir, wie ich noch näher ausführen werde, der Begriff der psychischen Eheunfähigkeit zwar in erster Linie, aber doch keineswegs ausschließlich mit der Unfähigkeit eines normgemäßen Sexualverhaltens gegeben zu sein. Konkret versteht man unter psychischer Eheunfähigkeit nicht nur Tatbestände krankhafter sexueller Anomalien, wie etwa Nymphomanie, Satyriasis und Homosexualität, die einen unwiderstehlichen Drang zu einer über den Ehepartner hinausgehenden geschlechtlichen Betätigung homosexueller oder heterosexueller Art beinhalten, sondern auch jene Formen sexueller Anomalien, die zwar nicht wie die vorhin genannten Tatbestände zu Geschlechtshandlungen mit anderen Personen als dem Ehepartner drängen, die also mithin nicht direkt und unmittelbar dem bonum fidei entgegenstehen9 , die Ehekonsenslehre Thomas Sanchez'. Wien 1971. - J. R. Keating, The Caput Nullitatis in Insanity Cases, in: Jurist 22 (1962) 391-411. 7 U. Navarrete, "Incapacitas assumendi onera" uti caput autonomum nullitatis matrimonii, in: PRMCL 61 (1972) 65. 8 Den Hinweis auf die im beschriebenen Sinne geforderte Normgemäßheit des Sexualverhaltens entnimmt Navarrete einer Entscheidung der SRR coram Lefebvre. Decis. SRR, 51 (1959) 609-614. 9 Hinsichtlich der Homosexualität wäre allerdings zu bemerken, daß die SRR bisher den Standpunkt vertreten hat, daß ein Willensvorbehalt in bezug auf homosexuelle Betätigung an sich nicht dem bonum prolis entgegengesetzt sei. Vgl. Tobin, (Anm. 3) 88 ff. In neuerer Zeit ist die SRR allerdings von dieser Sicht der Dinge abgerückt. In einer Entscheidung coram Lefebvre vom 2. 12. 1967, mitgeteilt in Monitor ecclesiasticus III (1968) heißt es u. a.: "Ad matrimonium enim quod attinet, tendentias homosexuales, si revera gradum attingant superiorern, non posse nisi directe oppositas esse

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aber doch die Eigentümlichkeit aufweisen, gegen einen an den Normen der christlichen Moral orientierten usus coniugalis gerichtet zu sein, wie etwa Sadismus, Fetischismus, Masochismus u. a. lO • Darüber hinaus wäre unter den Begriff der psychischen Eheuntähigkeit ganz allgemein die psychopathische Persönlichkeit einzureihen, wenn und insoweit sich aus einer ganzheitlichen Betrachtung des in Rede stehenden Kontrahenten ergibt, daß er im Augenblick der Eheschließung nicht in der Lage war, die der Ehe wesentlichen Bindungen auf Dauer einzugehen 11. Diese Umschreibung der verschiedenen Erscheinungsformen menschlichen Fehlverhaltens, die u. a. unter den Tatbestand der psychischen Impotenz zusammengefaßt werden können, möge hier genügen l2 , da es ja nicht auf den notwendigerweise unvollständigen Versuch des Nichtfachmannes ankommen kann, eine taxative Beschreibung sexueller bzw. psychotischer Abartigkeit zu geben. - Wie sich aus dem bisher gezeichneten Bild ergibt, ist das, was wir als psychische Eheuntähigkeit bezeichnen wollen, jedenfalls im Bereich schwerer seelischer Fehlhaltungen beheimatet, die entweder zu einer direkten Störung des Sexualverhaltens führen, oder - ohne das Sexualverhalten zu berühren - die Entscheidungs- und Willensfähigkeit des Kontrahenten in krankhafter Weise beeinträchtigen 13 . ipsi essentiae et proprietatibus matrimonii, cum adversentur et procreationi et fidei" (Hervorhebung von mir). 10 Vgl. dazu Navarrete, (Anm. 7) 68; eh. Ritty, Possible Invalidity ofMarriage by Reason of Sexual Anomalies, in: Jurist 23 (1963) 395. 11 J. M. Pinto spricht hier von der "personalitas psychopathica", für die er folgende Beschreibung gibt: "Est asocialis valde impulsus atque aggrediens eo quod, distorta capacitate amandi praeditus et culpae sensu sat orbatus effrenatis cupidatibus trahitur", in: PRMCL 61 (1972) 441 f. - Eine Entscheidung der SRR vom 8.7.1967 spricht von einem Fehlen der Unterscheidungsgabe, einer Unfähigkeit zu einer wirklichen Entscheidung über eine so wichtige Angelegenheit, wie sie die Eheschließung darstelle. - Mitgeteilt in Monitor ecc1esiasticus I (1969) 53-60. In einem von der SRR veröffentlichten Jahresbericht (als Manuskript vervielfältigt) werden diese Fälle unter die "incapacitA di intendere e volere" eingereiht. Vgl. AttivitA del tribunale della S. R. Rota - 1 ottobre 1971 - 30 settembre 1972; a cura della Cancelleria, 11. Für die freundliche Überlassung dieser Veröffentlichung sei Herrn Präl. Dr. Heinrich Ewers, Rom, gedankt. 12 Vgl. dazu weitere Einzelheiten bei Navarrete, (Anm. 7) 68. Eine Umschreibung der verschiedenen Erscheinungsformen der psychischen Eheunfähigkeit findet sich bei L. Köster, Psychische Eheunfähigkeit als Nichtigkeitsgrund, in: Diaconat et lus, Festgabe für Heinrich Flatten, München 1973, 81 ff. 13 In diesem Sinne möchte ich über die Begriffsbestimmung Navarretes (siehe oben) hinausgehen.

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Die Frage, die den Kanonisten nunmehr interessiert, ist, ob derartige Phänomene einen Einfluß auf die Gültigkeit einer Ehe ausüben und welches "caput nullitatis" gegebenenfalls heranzuziehen wäre. Man könnte fragen, ob eine Person mit den geschilderten Fehlhaltungen überhaupt jene Kräfte des Erkennens und Wollens aufbringen kann, die zu einem gültigen Ehekonsens erforderlich sind. Wenn beispielsweise eine Nymphomanin eine Ehe eingeht, so könnte man fragen, will sie dann das, was vom kanonischen Recht her normiert ist, oder ist es ihr aufgrund ihrer Veranlagung gar nicht möglich, dies zu wollen, weil sie in diesem Bereich als geisteskrank zu bezeichnen ist? - Diese Frage ist umso mehr berechtigt, als die Voraussetzungen für die Abgabe eines gültigen Ehekonsenses durch die Rechtsprechung der SRR eine entscheidende Vertiefung und - wie mir scheinen will - Erweiterung erfahren haben. Einmal mehr liegt hier einer jener Fälle vor, wo durch die Rechtsprechung der SRR die eher spärlichen Bestimmungen des CIC über den Ehekonsens in höchst wünschenswerter Weise ergänzt wurden.

In der Entscheidung SRR coram Felici vom 3. 12. 1957 14 wird der für die Gültigkeit einer Eheschließung erforderliche "gradus discretionis" untersucht. Diese discretio umfasse mehr als das im c. 1082 angezogene und für den gültigen Eheabschluß erforderliche Erkennen und Wollen, mehr als die "facultas intelligendi" und die "facultas eligendi" bezüglich der in c. 1082 angeführten Elemente. Zur gültigen Abgabe eines Ehekonsenses sei neben der reinen Erkenntnisfiihigkeit (facultas cognoscitiva), die in der bloßen Erfassung (apprehensio) des Wahren bestehe, auch die sog. "facultas critica" gefordert, von der das zitierte Urteil folgende Definition gibt: "Vis iudicandi et ratiocinandi seu affirmandi vel negandi aliquid de aliqua re, et iudicia una componendi ut novum iudicium inde logice deducatur" 15. - In einer Entscheidung coram Ann6 vom 25. 11. 1961 16 wird diese Defmition der facultas critica beinahe wörtlich übernommen, wobei sich dann der bedeutungsvolle Satz anschließt: "Matrimonium tunc tantum valet, quando per hanc criticam facultatem homo potuit deliberationes efformare et liberae voluntatis excitare actus"17. Daraus zieht Lanversin den bedeutsamen Schluß, daß die von seiten der heiden erwähnten Rota-Entscheidungen hinsichtlich der gültigen Eheschließung geforderte "facultas critica" nicht nur darin bestehe, die Ver-

14 Mitgeteilt bei B. de Lanversin, L'evolution de la jurisprudence recente de la S. Rote en matiere de maladies mentales, in: L'annee canonique 1971, 405. 15 Lanversin, ebd. 405, Anm. 13. 16 Lanversin; ebd. 17 Lanversin, ebd.

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pflichtung des Ehevertrags zu kennen, sondern auch in der Vollmacht begründet sei, sie auf sich nehmen zu können 18 . Diese Betrachtungsweise, derzufolge als Erfordernis eines gültigen Ehekonsenses die geschilderte "facultas critica" aufgestellt wird, die Fähigkeit, die dem matrimonium in facto esse eigenen Kriterien auf sich nehmen zu können, führt nun selbstverständlich mit logischer Folgerichtigkeit dazu, feststellbare Defekte hinsichtlich der "facultas critica" in die Konsensmängel einzureihen. Bevor jedoch auf die Konsequenzen aus dieser erweiternden Sicht des Ehekonsenses eingegangen wird, sei kurz noch darauf verwiesen, daß bei bestimmten Fällen sexueller Abartigkeit, die nach dem oben Gesagten in die psychische Eheunfähigkeit einzureihen wären, von der Rechtsprechung der SRR ohne große Schwierigkeit auch eines der traditionellen capita nullitatis angenommen wurde. Bei Nymphomanie z. B. Ausschluß der ehelichen Treue, bzw. Ausschluß der Unauflöslichkeit durch positiven Willensakt. Als Beispiel seien hier die Entscheidungen coram Lefebvre vom 26. 4. 1958 und 19. 12. 1959 19 angeführt, wo klar von einer Simulation des Ehekonsenses aufgrund der krankhaften Konstitution des Kontrahenten gesprochen wird. In der Entscheidung vom 19. 12. 1959 heißt es ausdrücklich: "Causa vero huiusce simulationis in aperto est, inveniturque in physico morbo quo afficiebatur conventa ... "20. - Noch interessanter ist vielleicht die Entscheidung vom 26. 4. 1958 ebenfalls coram Lefebvre, wo sich folgender Gedankengang in der Beweisführung feststellen läßt: Die Erkenntnis von der Unmöglichkeit der Leistung, im gegenständlichen Fall die Erkenntnis der Beklagten, daß sie unmöglich ein Leben lang die eheliche Treue werde halten können, führe dazu, daß sie im Augenblick der Eheschließung durch positiven Willensakt eines oder mehrere Wesensgüter der Ehe ausschließe. "Simulationis causa iam apparet e conventae depositione; ipsa enim contendit sibi impossibilem esse cum uno eoque solo viro per totam vitam remanere; ... Quae sane subiectivam impossibilitatem indicant e parte conventae, sed haec sufficere videtur ex eo quod omnimoda apparet certitudo e sua parte impossibilitatis aliter vivendi, et exinde voluntas fidem excludendi quam aperte sciebat sese non servaturam "21

18 ..... le pouvoir discretionnaire n'est pas la possibilite de connaitre les obligations du Contrat, mais le pouvoir de les assumer." Lanversin, ebd. 405. 19 Decis. SRR 50 (1958) 277-281; 51 (1959) 609-614. 20 19. 12. 1959, Decis. SRR 51 (1959) nr. 10. 2126.4. 1958, Decis. SRR 50 (1958) nr. 10-11. - Auffallend ist, daß die zitierte Entscheidung der SRR die ansonsten bei Vorbehalten gegen das bonum fidei übliche

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Diese beschriebene Sicht der Rota-Urteile ist allerdings von der unbewiesenen Prämisse abhängig, daß jemand nicht zu wollen vermag, was er nicht erfüllen kann. Das Axiom "nemo ad impossibile obligari potest" würde hier bedeuten, daß nicht nur die Erfiillung einer einem bestimmten Individuum unmöglichen Leistung nicht urgiert werden kann, sondern daß diesbezüglich auch keinerlei Willensbildung stattfinden könne. Nun ist keineswegs ausgeschlossen, daß abartige Veranlagungen der geschilderten Art (Nymphomanie, Satyriasis, Homosexualität) den Betroffenen zur Abgabe eines in dem Sinne ungültigen Ehekonenses veranlassen können, durch positiven Willensvorbehalt eines der Wesensgüter der Ehe auszuschliessen. Allein, dies muß durchaus nicht immer der Fall sein. Die SRR ist in jüngster Zeit von der beschriebenen Sicht der Dinge abgerückt. Psychische Störungen der in Rede stehenden Art werden nicht mehr nur als ein Indiz dafür gewertet, daß derartige Kontrahenten durch positiven Willensakt eines der Wesensgüter der Ehe ausschließen, sie werden nicht mehr - oder nicht mehr ausschließlich - unter dem Gesichtspunkt der Simulation des Ehekonsenses betrachtet, sondern als ein anderer Nichtigkeitsgrund. Hierbei ist man offenbar von der Überlegung ausgegangen, daß krankhafte Veranlagungen der hier besprochenen Art zwar durchaus ein Anlaß sein können, im Augenblick des Eheabschlusses einen Willensvorbehalt gegen eines der Wesensgüter der Ehe zu setzen, daß aber dies durchaus nicht unbedingt notwendig der Fall sein muß. Davon ausgehend zeigt sich, daß der Ehekonsens, insofern damit ein kognoszitiv-volitiver Akt gemeint ist, in den in Rede stehenden Fällen nicht unbedingt und in jedem Fall in seiner Substanz getroffen sein muß. Die intentionale Sphäre eines solcherart Kranken muß nicht unbedingt in der Weise angeschlagen sein, daß ein gültiger Ehekonsens nicht mehr geleistet werden kann. Zum gültigen Zustandekommen einer Ehe ist nicht nur der Konsens gefordert, sondern darüber hinaus das, was in der Lehre seit neuestern das "objectum consensus matrimonialis" genannt wird, und was Tobin das "objectum materiale matrimoniabile", die "persona matrimoniabilis" nennt22 . Tobin führt als Beispiel für das Fehlen eines "objectum materiale matrimoniabile" eine bereits gültig verheiratete Person an. Was in einem solchen Fall den Ehekonsens und die mit einem gültigen Ehekonsens in Verbindung steUnterscheidung zwischen Nichtverpflichtungs- und Nichterfüllungswillen in keiner Weise erwähnt. 22 Tobin, (Anm. 3) 152. Die Terminologie Tobins ist in der kodikarischen Ausdrucksweise der "personae iure habiles" des c. 1081 § 1 grundgelegt. 46 Primetshofer

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hende Rechtswirkung hinsichtlich des Ehevertrages anlangt, so spricht Tobin hier von einem consensus naturaliter validus, zugleich aber von einem contractus matrimonialis non existens23 • - Ob man in diesem Fall zu Recht von der Inexistenz des Ehevertrages sprechen muß, möchte ich in diesem Zusammenhang, weil für unser eigentliches Problem unerheblich, dahingestellt sein lassen24 . Entscheidend ist indes der Hinweis, daß Nichtexistenz des Objekts des Konsenses nicht unbedingt und in jedem Fall mit ungültigem Ehekonsens gleichgesetzt werden darf, sondern daß hier klar unterschieden werden muß zwischen einem möglicherweise gültigen, aber aufgrund bestimmter Gegebenheiten juridisch unwirksamen25 , d. h. nicht zu einer gültigen Ehe führenden Konsens. Wer sich aus irgendwelchen Gründen nicht zu dem verpflichten kann, was objectum materiale des Ehekonsenses ist, wer mit anderen Worten keine "persona matrimoniabilis" ist, der kann zwar möglicherweise den Willen haben, eine Ehe einzugehen, es entsteht aber aus diesem Ehekonsens kein gültiger Ehevertrag. Es erhebt sich nun also die Frage, was in diesem Sinne als objectum materiale des Ehekonsenses anzusprechen sei, was unter der "persona matrimoniabilis" zu verstehen ist bzw. - wenn die Worte des eIe gebraucht werden sollen, was unter den "personae iure habiles"26 zu verstehen sei. Vorab sei kurz auf eine Tatsache hingewiesen, die für die im folgenden zu behandelnde Frage von Wichtigkeit ist: Der eIe hat keineswegs erschöpfend alle möglichen Gründe für die Nichtigkeit einer Ehe aufgezählt, er hat lediglich eine Typisierung der Nichtigkeitsursachen vorgenommen, nämlich Konsensmängel, trennende Ehehindernisse und wesentliche Formmängel. - Da die kanonistische Rechtsordnung keineswegs rechtspositivistischem Denken verpflichtet ist, sondern sich als selbstverständliche ungeschriebene Voraussetzung auch in dem hier anstehenden Bereich zur Gültigkeit des Naturrechts bekennt, ist man daher bei der Beantwortung der vorliegenden Frage nicht unbedingt gehalten, sich an die Grenzen des gesatzten Rechts zu binden bzw. eine eventuell vorhandene Gesetzeslücke ausschließlich nach Maßgabe der in c. 20 gezogenen Grenzen zu schließen. Es sei in diesem Zusammenhang le23 Tobin, (Anm. 3) 151. 24 Tobin selbst weist (Anm. 3) 151, Anm. 8) auf die Problematik seiner diesbezüglichen Ausführungen hin. 25 Zu dieser Fonnel möchte ich mich gegenüber der von Tobin angewendeten Ausdrucksweise entschließen. 26 C. 1081 § 1.

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diglich am Rande vermerkt, daß das kanonische Recht die Geisteskrankheit als ehehindernden Tatbestand ja gar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem eherechtlichen Normgefüge erwähnt, es sei denn, man würde c. 1089 § 3 über die Eheschließung durch Stellvertretung als hinreichende materiell-rechtliche Fixierung betrachten, wenn dort davon die Rede ist, daß die Eheschließung durch Stellvertretung ungültig ist, wenn der Mandant vor Ausführung des Auftrags durch den Mandatar geisteskrank geworden ist27 . Die inhaltlich beste Umschreibung dessen, was man unter dem objectum materiale des Ehekonsenses anzusehen habe, ist in zwei Rota-Entscheidungen coram Anne vom 25. 2. 1969 und 22. 7. 196928 zu finden. Es heißt dort u. a.: Das matrimonium in facto esse sei vor allem durch den interpersonellen Umgang gekennzeichnet, der in beiden Kontrahenten eine gesunde Hinordnung zu personalen Beziehungen, zum psychologischen und sozialen Engagement der Ehe bedeute. Wenn es sich nach dem klugen Urteil der Fachleute zeige, daß im Leben eines oder beider Partner bereits vor der Ehe eine schwere Störung in der Gesamtheit der intrapersonellen und interpersonellen Faktoren feststellbar sei, so sei eine solche Person als unfähig zu bezeichnen, die Natur der Ehe als einer auf Zeugung und Erziehung von Kindern ausgerichteten Lebensgemeinschaft zu verstehen. Eine solche Person müsse daher aus diesem Grunde als unfähig bezeichnet werden, sich zu einer dauernden Lebensgemeinschaft mit einer anderen zu verpflichten. Es fehle in einem solchen Falle dem Kontrahenten an der nötigen Urteilsfähigkeit, die ihn erst in die Lage versetze, gültig die eheliche Lebensgemeinschaft zu wählen. Ein derartiger Mangel an "discretio iudicii" sei ohne weiteres auch dann anzunehmen, wenn der Betreffende ansonsten durchaus in der Lage sei, anderen Verpflichtungen, die nichts mit den intrapersonellen und interpersonellen Faktoren seiner Persönlichkeit zu tun haben, nachzugehen29 . - Wie sich aus dem Tatbestandsbild der in Rede stehenden Entscheidung der Rota ergibt, ist das Fehlen einer derartigen "discretio iudicii" durchaus vereinbar mit normaler, ja sogar mit überdurchschnittlicher Intelligenz. Aus diesen sehr rudimentären Angaben, die vielleicht mehr Fragen aufwerfen als sie zu beantworten vermögen, läßt sich schon erkennen, wie schwer irgendeine Graduierung hinsichtlich dieser discretio iudicii vorzu27 In einer Rota-Entscheidung vom 16. 10. 1941 heißt es diesbezüglich: "Matrimonium quod spectat, nullum positive statuit Ecclesia impedimenturn pro eis qui sanae mentis non sunt, sed rem reliquit iuris naturae principiis." Vgl. Ritty, (Anm. 10) 399. 28 Mitgeteilt in EICan 1970,419-442, bzw. bei Lanversin, (Anm. 14) 407 ff. 29 Lanversin, (Anm. 14) 408.

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nehmen ist, wie schwer mitunter die Frage zu beantworten sein wird, ob im konkreten Fall ein auf die Gültigkeit der Ehe einfluß nehmender Mangel vorliegt oder nicht. Gerade hier ist für die forensische Interpretation noch ein weites Feld fruchtbarer Tätigkeit gegeben. Im derzeitigen Augenblick lassen sich anscheinend keine näheren Angaben vornehmen, so daß es bei der lakonischen Feststellung Sabattinis sein Bewenden haben mag, derzufolge gegenwärtig trotz größter Anstrengungen kein allgemeines und abstrates Kriterium für die zum gültigen Eheabschluß erforderliche "discretio iudicii" gefunden werden kann30. Überaus aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung der SRR coram Ann6 vom 25.2. 196931 , in der in einer nach meinem Dafürhalten richtungweisenden Art der Versuch unternommen wird, die Ehelehre des Zweiten Vatikanischen Konzils32 kanonistische Überlegungen zugrundezulegen und von hier aus eine Umschreibung des Objektes des Ehekonsenses vorzunehmen. Das Urteil geht von der Feststellung aus, daß das im c. 1081 § 2 als Objekt des Ehekonsenses dargelegte "ius in corpus ad actus per se aptos ad prolis generationem" keineswegs das ganze Formalobjekt des Ehekonenses umfasse, sondern daß hier nur das angeführt sei, "quod maxime specificum est matrimonii "33 . Schon die in dem angezogenen Canon dem ius in corpus als nähere Determination beigefügten Attribute "perpetuum et exclusivum" ließen mit hinlänglicher Deutlichkeit erkennen, daß dieses Recht nicht nur einen biologischen und physiologischen, sondern vielmehr einen die gesamte Persönlichkeit des Menschen umfassenden Aspekt aufweise. Erst recht aber zeige die bekannte Stelle aus der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", wo von der "intima communitas vitae et amoris coniugalis" und von dem actus humanus gesprochen werde "quo coniuges sese mutuo tradunt atque accipiunt"34 eine höchst personale Bindung auf. Als matrimonium in facto esse sei daher eine "communitas totius vitae", eine das ganze Leben umfassende Gemeinschaft zu verstehen, und diese müsse als das eigentliche Formalobjekt des ehelichen Konsenses angesehen werden. Ein derartig verstandener und nach den Ausführungen des Zweiten Vatikanischen Konzils notwendigerweise so zu ver30 A.. Sabattini, L 'evolution de la jurisprudence dans les causes de nullite de mariage pour incapacite psychique, in: StCan I (1967) 150. 31 EICan, (Anm. 28) 428. 32 Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" 47-52. Vgl. dazu U. Navarrele, Structura iuridica matrimonii secundum Concilium Vaticanum 11, Rama, a. J. (1969). 33 EICan, (Anm. 28) 428. 34 "Gaudium et spes", 48, 1.

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stehender Ehekonsens müsse daher richtigeIWeise folgendermaßen definiert werden: "Actus voluntatis quo vir et mulier foedere inter se seu irrevocabili consensu constituunt consortium vitae coniugalis, perpetuum et exclusivum, indole sua naturali ad prolem generandam et educandam ordinatum "35. Formalobjekt des Ehekonsenses sei daher nicht nur das ius in corpus im Sinne der Begriffsbestimmung des c. 1081 § 2, sondern auch das Recht auf das "consortium vitae matrimonialis" und die Übernahme der korrelativen Verpflichtungen, was im Sinne der Enzyklika "Humanae vitae" als jene personale Gemeinschaft gedeutet wird, in der die Ehegatten sich gegenseitig vollenden und mit Gott bei der Weckung und Erziehung neuen Lebens zusammenwirken36 • Abnormale Veranlagungen eines Kontrahenten, die der Begründung einer Lebensgemeinschaft in dem soeben beschriebenen Sinne entgegenstehen, können auf zwei mögliche Ursachengruppen zurückgeführt werden: 1. Schwere sexuelle Abartigkeiten; 2. schwere paranoide Störungen des Gefühlslebens oder ähnliche Vorgänge. Es drängt sich nunmehr die Frage auf, ob die geschilderten, der ehelichen Lebensgemeinschaft entgegenstehenden Phänomene hinsichtlich ihrer juristischen Relevanz in die Konsensmängel oder in die trennenden Ehehindernisse einzubeziehen wären. Die vorhin zitierte Rota-Entscheidung coram Anne vom 22. 7. 1969 ist nach Lanversin auch insofern von besonderem Interesse, als sie in bezug auf die formelle Einstufung derartiger Erscheinungen eher dazu neigt, von einem trennenden Ehehindernis denn von einem Konsensmangel zu sprechen37 . Sabattini reiht den "defectus discretionis iudicii" in die Hindernisse ein, er spricht von einer allgemeinen Unfähigkeit kraft des Naturrechts, die noch vor allen Hindernissen des positiven Rechts rangiere38 . - In einer Rota-Entscheidung coram Sabattini vom 21. 6. 1957 hatte sich Sabattini hinsichtlich der Nymphomanie für deren Einordnung in die Impotenz ausgesprochen, wobei er natürlich gleichzeitig für einen gegenüber der bisher gängigen Anschauung eIWeiterten Impotenzbegriff plädieren mußte. Gegenüber dem zu eIWartenden Einwand, daß Nymphomanie ja nicht in die Impotenz im traditionellen Sinn einzureihen sei, sondern man sogar eher von Hyperpotenz spre35 EICan, (Anm. 28) 430. 36 Enzyklika "Humanae vitae" Papst Pauls VI. vom 25. 7. 1968, 11, 8, in: AAS 60 (1968) 481 f. 37 Lanversin, (Anm. 14) 408. 38 Sabattini, (Anm. 30) 146: " ... si quelqu 'un me demandait ce que je pense d 'un tel probleme, je repondrais que je prefere considerer le defectus discretionis iudicii parmi les empechements, ou mieux dans une incapacite generale du Droit natureI, encore prealable aux empechements memes".

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chen müsse, weist Sabattini in seinem Urteil darauf hin, daß Impotenz als Ehehindernis keine physiologische Spezies, sondern ein juristischer Begriff sei. Impotenz liege nach seiner Auffassung nicht nur dann vor, wenn der usus corporis bei den Ehegatten nicht statthaben könne, sondern wenn dieser usus kein ausschließlicher sein könne, wie dies gerade bei der Nymphomanie der Fall sei39 . Interessant ist, daß die Versuche, eine gesetzgeberische Änderung im Sinne einer Einbeziehung der in Rede stehenden Phänomene herbeizuführen, sich mit den doch beachtenswerten Versuchen, als caput nullitatis ein im Naturrecht beheimatetes trennendes Ehehindernis festzulegen, kaum befassen, sondern samt und sonders für Konsensmängel eintreten. Dies gilt zunächst für die Formulierung, die Ritty vorschlägt, und die eine Ergänzung des c. 1081 eIe in nachstehendem Sinne ins Auge faßt: Als § 3 solle dem c. 1081 angeführt werden: "Inhabiles ad valid um consensum praestandum, praeter quos expresse iure impeditos, sunt: nr. 1 Qui carent usu rationis aut exercitio liberae voluntatis; nr. 2 Qui tarn deminuto vel tam immaturo usu rationis inficiuntur, ut rectam aestimationem matrimonii eiusque iurium et onerum efformare nequeant; nr. 3 Qui immoralitati, perversioni sexuali, aut pravis moribus tarn addicti, ut nequeant onera ex finibus proprietatibusque matrimonii profluentia aut assumere aut adimplere"40.

Diese Formulierung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, wobei hier nur darauf verwiesen sein soll, daß sie nicht zwischen einem ungültigen und einem gültigen, aber rechtsunwirksamen Konsens unterschiedet. Denn nach der bisherigen Fixierung des Gesetzgebers (c. 1085 eIC) ist ein gültiger Ehekonsens durchaus mit dem Wissen um ein trennendes Ehehindernis vereinbar, worauf ja u. a. das Rechtsinstitut der Heilung in der Wurzel beruht. Nach der Formulierung Rittys wären aber auch die "expresse iure impediti" (womit wohl die mit einem trennenden Ehehindernis Behafteten gemeint sein müssen) zur Abgabe eines gültigen Ehekonsenses unfähig. - Abgesehen also von den Mängeln dieser Formulierung fällt an ihr auf, daß sie das ganze Problem rein auf die Ebene des Ehekonsenses schiebt, und eine Erfassung der fraglichen Tatbestände als Ehehindernis in keiner Weise ins Auge faßt.

39 Der Fall ist teilweise wiedergegeben bei J. R. Keating, (Anm. 6) 409. 40 Ritty, (Anm. 10) 421, Anm. 67.

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Die Kommission zur Revision des CIC hat sich in ihren Arbeiten ebenfalls mit der anstehenden Frage beschäftigt. Der Relator des für das Eherecht zuständigen Ausschusses, Petrus Huizing, gibt uns einen Einblick in die Werkstätte des Gesetzgebers, wobei uns auch Überlegungen hinsichtlich der Grunde für eine bestimmte Lösung angegeben werden41 • Auch hier wird das in Rede stehende Problem ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Ehekonsenses gesehen. Wenngleich, so heißt es, die Grundsätze über die Unfähigkeit zur Abgabe eines gültigen Ehekonsenses einschlußweise im geltenden Recht enthalten seien, so schien es doch günstig, sie im neuen Kodex klarer und besser unterschieden anzuführen. Es wird demnach unterschieden zwischen der 1. "incapacitas totalis eliciendi talern consensum ob mentis morbum vel perturbationem qua usus rationis impeditur; 2. incapacitas proveniens ex gravi defectu discretionis iudicii circa iura et officia matrimonialia mutuo tradenda et acceptanda; 3. incapacitas assumendi obligationes essentiales matrimonii proveniens ex gravi anomalia psycho-sexuali "42. Im Kommentar zum Gesetzesentwurf meint Huizing, daß in den beiden erstgenannten Fällen der Konsens selbst mit einem wesentlichen Defekt behaftet sei, während dies im dritten Falle an sich nicht notwendigerweise gegeben sein müsse, sondern der Konsens als solcher durchaus ohne wesentlichen Fehler geleistet werden könne. Trotzdem scheine es aber besser, auch diesen dritten Fall unter die Konsensmängel einzureihen. Als Grund dafür gibt Huizing aber lediglich ein formales Argument an: um nämlich eine Verwechslung mit dem Hindernis der psychischen Impotenz auszuschließen43 . Navarrete wendet sich mit Recht gegen die seiner Meinung nach unzulängliche Formulierung des Absatzes 3 "incapacitas ... proveniens ex gravi anomalia psycho-sexuali "44. Mit dieser Einengung der rechtlichen Relevanz der incapacitas assumendi onera auf psycho-sexuelle Ursachen sei jenen Fällen nicht Rechnung getragen, wo zwar eine derartige Unfähigkeit vorhanden 41 P. Hujzing (Relator), De matrimonio, in: Communicat 1971, 69 ff. 42 Communicat, 77. - Die Aufteilung in Absätze findet sich im Original nicht. 43 P. Hujzing, (Anm. 41) 77: " ... quare tertius quoque casus recensendus videbatur inter defectus consensus, potius quam subsumendus sub no mine impotentiae, non quidem physicae, sed moralis, accedente ratio ne confusionis cum impotentia psychica vitandae. " 44 Navarrele, in: Periodica 1972,69 f.

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sei, die aber nicht in psycho-sexuellen, sondern ganz allgemein in sexuellen Abartigkeiten ihre Wurzeln habe45 • - Wenngleich ich Navarrete hier voll beipflichten möchte, will ich mich mit den in diesem Zusammenhang auftauchenden Für und Wider nicht näher befassen. Von ungleich größerer Wichtigkeit scheint mir nämlich die Frage zu sein, ob man die geschilderten Tatbestände der Nr. 2 und 3 des Schemas der Kommission unter die Konsensmängel oder die trennenden Ehehindernisse einreihen soll bzw. ob zwischen den beiden Gruppen von Tatbeständen eine Unterscheidung hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation getroffen werden soll. Hierbei läßt sich diese Frage sowohl für die geltende Rechtsordnung stellen, die ja - wie bereits erwähnt - nicht von rechtspositivistischen Gesichtspunkten ausgehen kann, sondern in erster Linie naturrechtliche Gegebenheiten ins Auge fassen muß, als auch für das ius condendum, d. h. für die in Gang befindliche Revision des kirchlichen Gesetzbuches. Zunächst einmal ist einem möglichen Einwand, daß die ganze Frage sowieso müßiger Gelehrtenstreit sei, zu begegnen, da es ja anscheinend doch nur darauf ankomme, überhaupt ein caput nullitatis zu fmden. Sofern ein solches aber gefunden sei, komme es nicht mehr darauf an, ob eine mit einem derartigen Defekt geschlossene Ehe nun aufgrund eines Konsensmangels oder aufgrund eines trennenden Ehehindernisses für nichtig erklärt werde. Die ganze Frage scheine somit der praktischen Bedeutung zu entbehren. Abgesehen davon, daß nach dem bekannten Sprichwort eine Theorie ohne Praxis zwar grau, eine Praxis ohne Theorie aber greulich ist, scheint die Frage der Zuordnung der in Rede stehenden Tatbestände in die eine oder andere Kategorie von Nichtigkeitsgründen durchaus nicht ohne praktische Bedeutung für den Richter zu sein. Es scheinen gewichtige Gründe dafür zu bestehen, daß man zumindest die im vorhin erwähnten Schema der Revisionskommission unter Nr. 3 angeführten Tatbestände unter die Ehehindernisse einreihen kann, und daß man dies auch tun solle. Man wird in diesen Fällen, zumal dann, wenn im Sinne des Korrekturvorschlags Navarretes46 nicht auf psycho-sexuelle, sondern ganz allgemein auf sexuelle Abartigkeit abgestellt wird, sehr oft jenes Tatbestandsbild vor sich haben, das uns auch bei trennenden Ehehindernissen des öfteren begegnet. Daß der Konsens zwar auf die Ehe mit ihren Wesenseigen45 Navarrete tritt daher rur die Fonnulierung ein: " ... proveniens ex gravi anomalia sexuali ... ", ebd. 70. 46 Navarrete, ebd.

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schaften gerichtet ist, daß aber Unmöglichkeit der Leistung dessen vorliegt, wozu sich der Kontrahent willentlich verpflichtet. - Wenn man in allen diesen Fällen von einem Konsensmangel reden wollte, so müßte man dies logischerweise auch im Falle des im c. 1068 festgehaltenen Hindernisses der Impotentia coeundi im traditionellen Sinne tun47 . Nach meinem Dafürhalten sind zwar die im Schema der Revisionskommission unter Nr. 2 angeführten Tatbestände wohl eher unter die Konsensmängel einzureihen, ich würde es aber für nicht ausgeschlossen halten, daß auch in diesen Fällen ein fehlerfreier Ehekonsens geleistet wird, daß aber ebenso Unmöglichkeit der Leistung vorliegt, wie in den vorhin (unter Nr. 3) besprochenen Fällen. Es schiene mir daher nicht ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber auch für diese Fallgruppen unter bestimmten Voraussetzungen ein trennendes Ehehindernis normiert. Für die Einreihung zumindest der in Nr. 3 genannten Tatbestandsgruppen unter die trennenden Ehehindernisse sprechen nach meiner Überzeugung ein systematischer und ein praktischer Grund. Zum ersten wäre zu sagen, daß man Konsensmängel schon rein sprachlich, und erst recht in der kanonischen Lehre und Rechtsprechung immer als einen Defekt im Erkennen und Wollen verstanden hat, d. h. daß jemand im Falle der Eheschließung innerlich das nicht bzw. nicht in allen seinen Wesenselementen will (oder wollen kann), was er nach außen hin durch seine Eheschließung zum Ausdruck bringt. Diese hier geschilderte Rechtsfigur läßt sich nun aber nicht ohne grobe Verzerrungen an alle jene Phänomene anlegen, die wir vorhin unter die psychische Eheunfähigkeit subsumiert haben. Hierbei bedarf es ja wohl keines gesonderten Hinweises, daß anormale Veranlagungen der in Rede stehenden Art oft genug auch Anlaß für einen echten Ehekonsensmangel im traditionellen Sinne sein mögen, doch muß dies durchaus nicht immer und notwendig der Fall sein, genausowenig wie die Impotenz nach c. 1068 immer Anlaß für einen Konsensmangel sein muß. Derartige Zusammenhänge sollten doch seit der Festlegung des c. 1085 offenkundig sein. Es wäre zumindest eine inelegantia iuris, in allen diesen Fällen unterschiedslos von Konsensmangel sprechen zu wollen. Zum anderen aber scheint mir die Einreihung unter die trennenden Ehehindernisse auch aus einem praktischen Grund geboten. Wenn man nämlich 47 Tatsächlich ist Navarrete, ebd. 79, auch der Auffassung, daß Impotenz kein trennendes Ehehindernis darstelle: "Impotentia coeundi, stricte loquendo, non est impedimentum dirimens ... " - Zur Problematik der rechtlichen Einordnung der verschiedenen Tatbestände psychischer Eheunfahigkeit vgl. Köster, (Anm. 12) 101-104.

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die geschilderten Fälle unter dem Tatbestandsbild der Konsensmängel erfassen will, so wird der kirchliche Richter immer wieder versuchen, die im Augenblick der Eheschließung tatsächlich vorhandene Willensrichtung zu erforschen, da es ja auf diese ankommt. Wie schwierig dies mitunter sein mag, darüber weiß wohl jeder mit der kirchlichen Gerichtspraxis Befaßte hinlänglich Bescheid. Ist der Tatbestand aber unter die trennenden Ehehindernisse eingereiht, so lassen sich die Tatbestandsmerkmale an Hand äußerer Kriterien leichter feststellen. Abgesehen davon scheint mir die Parallele zum Hindernis der Impotenz im Sinne von c. 1068 so auffallend, daß man mit Fug und Recht von einer Form der Impotenz sprechen kann. Allerdings wäre der Ausdruck psychische Impotenz vielleicht zu vermeiden, da man dabei notwendigerweise auf die impotentia coeundi aufgrund psychischer Ursachen schließt. Der Terminus moralische Impotenz wäre daher eher angezeigt, wobei die Frage der Nomenklatur ja eine untergeordnete Rolle spielt, sofern nur überhaupt hinsichtlich der Einordnung in die Ehehindernisse Übereinstimmung erzielt werden kann. Die Fortentwicklung des kanonischen Rechts durch die Rechtsprechung kirchlicher Gerichte, vorab der SRR, die in erstaunlichem Maße die Erkenntnisse der neueren Profanwissenschaften, in erster Linie der Psychiatrie und Psychologie verwertet, hat uns einen entscheidenden Schritt bei der Erfassung komplizierter seelischer Vorgänge und deren rechtlicher Relevanz für die Eheschließung weitergebracht. Die Entwicklung vollzog sich, wie Sabattini es einmal ausdrückte, "sensim sine sensu"48. Es steht nun zu erwarten, daß auch der kirchliche Gesetzgeber diese Ergebnisse verwertet und organisch zusammenfaßt, um so dem kirchlichen Richter ein brauchbares Instrument bei seiner höchsten und vornehmsten Aufgabe an die Hand zu geben: Beim Dienst an der Gerechtigkeit.

48 Sabattini, (Anm. 30) 144 über die Funktion der Rechtsprechung in bezug auf die Fortentwieklung des Rechts: "Ce renouvellement est realise ordinairement sensim sine sensu par la jurisprudenee. C'est la jurisprudenee qui renovat inventutem iuris, non par des interventions bruyantes, non par des destruetiones, qui lui sont defendues, non avec des eonstruetions totalement neuves, mais par une oeuvre humble, lente et eontinue, eomme ee1le de la mer qui emportant insensiblement sable et eailloux peut modifier avec le temps la ligne de la plage." (Hervorhebungen im Original).

Pastorale Anfragen an ein kirchliches Eherecht Ehe und Familie sind Gegebenheiten, die sich weitgehend in einem von (kirchlichem wie staatlichem) Recht nicht erfaßbaren Raum bewegen. Eheund Familienrecht vermag insofern immer nur einen kleinen Sektor der Gesamtwirklichkeit "Ehe" zu berühren bzw. zu gestalten. Aber es ist zweifellos auch das Recht, das auf Ehe und Familie Einfluß nimmt. Und dies nicht nur in dem Bereich, wo die Rechtsordnung mit zwingenden Normen in die Gestaltung ehe- und familienrechtlicher Bezüge der Menschen eingreift, sondern auch, und zu einem nicht geringeren Maße dort, wo die konkrete Gestalt einer Rechtsordnung bewußtseinsbildend wirkt. Denn wie eine Rechtsordnung einerseits die gesellschaftlichen Werteinsichten und -ansichten widerspiegelt, so greift sie andererseits auch prägend und gestaltend in sie ein. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend wäre also an das katholische Kirchenrecht die Frage zu richten, inwieweit es in seinem Normengefüge dem ekklesiologisch-theologischen Vorverständnis von Ehe und Familie Rechnung trägt, inwieweit es innerhalb des ihm unabänderlich vorgegebenen Rahmens anthropologische und soziologische Erkenntnisse berücksichtigt und insbesondere inwieweit es sich als ein brauchbares Instrument erweist, dem in Ehe und Familie eingebundenen Menschen wirksame Hilfe zu leisten. Denn daß das für jeden kirchenrechtlichen Regelungsbereich geltende "salus animarum suprema lex" auch und gerade im Ehe- und Familienrecht seine Anwendung finden muß, bedarf keines weiteren Beweises. Was diese an das Kirchenrecht zu richtenden Fragen des näheren anlangt, so sind es zunächst Fragen an das geltende Recht des kirchlichen Gesetzbuches (Codex Iuris Canonici = CIC). Sie richten sich aber auch an die in Ausarbeitung begriffenen, in den sogenannten Schematal vorliegenden Entwürfe für ein neues kanonisches Recht. Und schließlich wird es darum gehen aufzuweisen, wo und wie in Einzelfragen eine gegenüber der derzeitigen und der projektierten Formulierung bessere Lösung gefunden werden kann.

1 Für dieses Thema kommt in erster Linie das Schema zum Sakramentenrecht (Vatikanstadt 1975) in seinem auf das Eherecht bezugnehmenden Teil infrage.

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1. Der kirchenrechtliche Ehebegriff a) Das Recht des Codex Iuris Canonici Sowohl das geltende kirchliche Gesetzbuch wie auch das auf das Eherecht bezugnehmende Schema des künftigen Sakramentenrechts vermeiden es, eine Begriffsbestimmung der Ehe zu geben. Und dies mit guten Gründen, denn es ist generell nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, Begriffe zu definieren. Desungeachtet aber finden sich im geltenden wie im projektierten Gesetz genügend Hinweise, aus denen sich erkennen läßt, welches Bild von Ehe dieser Rechtsordnung zugrunde liegt bzw. welche Rechtsgüter dem Gesetzgeber in besonderer Weise schutzwürdig erscheinen. Bezeichnend fiir das kodikarische (also das geltende) Recht ist es zunächst, daß sich das gesamte Eherecht im Sachenrecht findet. Dies deshalb, weil Sakramente von der kirchlichen Rechtsordnung in erster Linie als heilige Sachen angesehen werden, die demzufolge in den dem Sachenrecht gewidmeten Teil des Gesetzbuches eingeordnet wurden. Diese Zuweisung, hinter der man auf den ersten Blick keineswegs zwingend eine besondere gesetzgeberische Absicht vermuten müßte, läßt indes ein ganz bestimmtes rechtstheoretisches System erkennen, das sich in etwa so umschreiben läßt: Dem Kirchenrecht geht es in erster Linie um die Institution der Ehe als solcher, die in ihrer für die Gesellschaft bedeutsamen Funktion erfaßt und rechtlich besonders geschützt wird. Diese Institution wird eingehend nach Zwecken 2 und Wesenseigenschaften beschrieben, und nur wenn die Ehepartner alle diese im Recht genannten Wesensvoraussetzungen der Ehe annehmen, kommt diese gültig zustande.

In den Aussagen über den Primärzweck der Ehe (c. 1013 § 1 CIC) und der von den Kontrahenten geforderten Willenshaltung (Konsens) bei der Eingehung der Ehe (c. 1081 § 2) kommt eine - wie mir scheinen will - überwiegend versachlichende Komponente zum Ausdruck: Primärzweck der Ehe ist die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft; der eheliche Konsens wird als Willensakt definiert, in dem jeder Ehepartner dem anderen das dauernde und ausschließliche Recht auf jene Akte überträgt, die an sich zur Zeugung von Nachkommenschaft geeignet sind.

2 Zur Frage der geschichtlichen Entwicklung der Ehezwecklehre vgl. J. Renker, Christliche Ehe im Wandel der Zeit, Studien zur Geschichte der katholischen Moraltheologie Bd. 23, Regensburg 1977, 83 ff.

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Diese biologische Engführung setzt bei einem geistlichen Recht eigentlich in Erstaunen, denn es werden erst in weiterer Hinsicht (als sogenannter Sekundärzweck) personale Aspekte der Ehe angeführt, nämlich die gegenseitige Hilfeleistung und die geordnete Befriedigung des Geschlechtstriebes3• b) Der Entwurf des neuen Sakramentenrechts Von einem erheblich geänderten Ehekonzept geht das Schema des neuen Sakramentenrechts aus. Aufbauend auf dem vom 11. Vatikanischen Konzil geprägten EheverstäDdnis4 vermeidet das Schema eine Aussage über Ehezwecke und spricht von einer innigen Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, die ihrer Natur nach auf Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist5 • In ähnlicher Weise äußert sich die auf den Ehewillen bezugnehmende Gesetzesstelle. Hier wird nunmehr in dankenswerter Weise in erster Linie dem personalen Bezug der Ehegatten Rechnung getragen. Daß diese personale Begegnung ihrer Natur nach auf Weckung neuen Lebens ausgerichtet ist, wird in einer der richtigen Rangordnung entsprechenden Reihung zum Ausdruck gebracht. Wie sehr sich die kirchenrechtliche Einstufung der Ehe nach dem Schema gewandelt hat, zeigt neben einer Reihe anderer Details auch der Einbau des Eherechts in das Gesamtsystem des neuen Gesetzbuches. Während der eIe wie schon erwähnt - die Ehe ins Sachenrecht einreihte, ist das Eherecht im Schema in dem Abschnitt "De Ecclesiae munere sanctificandi" zu finden. Auch dies bedeutet einen Wandel vom bisher vorwiegend abstrakt-institutionellen Leitbild der Ehe zu einem konkret-personalen. In diesem Zusammenhang erhebt sich eine Frage, die für sich genommen ein Randproblem sein mag, die aber doch im ganzen gesehen nicht unerheblich erscheint. Auch das im Entwurf vorliegende Eherecht kennt ebenso wie das derzeitige des eIe ein Hindernis der Impotenz. Darunter wird nach der freilich im einzelnen schwankenden Judikatur die sogenannte Beischlafsunfähigkeit verstanden (impotentia coeundi), bei deren Vorhandensein eine Ehe 3 Zur Diskussion um die Ehezwecke des CIC: U. Mosiek, Kirchliches Eherecht, Freiburg 41979,55 ff. 4 Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" Nr. 48 und 50. 5 C. 243 § 1: "Matrimonium, quod fit mutuo consensu ... est (intima) totius vitae coniunctio inter virum et mulierem, quae, indole sua naturali, ad prolis procreationem et educationem ordinatur."

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nicht gültig zustande kommen kann. Rechtlich unerheblich ist dagegen die sogenannte Zeugungsunfähigkeit oder Sterilität (impotentia generandi)6. Die Ehegatten müssen einander beim Austausch der ehelichen Willenserklärung das Recht auf die "zur Zeugung von Nachkommenschaft an sich geeigneten Akte" übertragen. Es ist aber für die Gültigkeit der Ehe unerheblich, ob sie von diesen Rechten jemals Gebrauch machen (Josefsehe). Das Hindernis der Impotenz im gegenwärtigen Umfang ist zweifellos in einem Zusammenhang mit der Festlegung des eIe über den Primärzweck der Ehe zu sehen. Es könnte angesichts des neuen Eheverständnisses die Frage aufgeworfen werden, ob Impotenz als (absolut) trennendes Ehehindernis unbedingt beibehalten werden muß oder ob nicht auch denjenigen die Eingehung einer Ehe ermöglicht werden kann, bei denen dieser Tatbestand vorliegt. Ihre Ehe würde sich faktisch nicht von einer Josefsehe unterscheiden. Die Frage, ob das Naturrecht, auf das sich sowohl der eIe als auch das Schema bei der Festlegung von Impotenz als trennendes Ehehindernis berufen, auch für den Fall ein zwingendes Verbot der Ehe festlegt, wenn beide Partner um die Impotenz wissen und trotzdem bereit sind, eine Ehe einzugehen, wäre wohl noch eingehend zu prüfen. Denn wenn auch bei diesen Menschen die sexuelle Komponente der Ehe fehlt, so sind sie deswegen sicherlich nicht unbedingt schon weniger "liebesfähig" als andere, und es kann ihnen die sakramentale Heiligung ihrer Liebe in der christlichen Ehe ein echtes Anliegen bedeuten7. 2. Rechtsschutz der Ehe oder der Ehepartner?

Das kodikarische Recht geht - wie schon erwähnt - davon aus, daß die Institution der Ehe im Mittelpunkt des rechtlichen Interesses steht und beson6 Zur kirchenrechtlichen Klärung des Impotenzbegriffs vgl. das Dekret der Kongregation für die Glaubenslehre vom 13. 5. 1977, in: AAS 69 (1977) 426; ferner A. Dordett, Der Impotenzbegriff in der Rotajudikatur, in: FS für W. M. Plöchl, Innsbruck 1977, 333 ff.; A. Gomez Lopez, Revision dei concepto de impotencia, in: IusCan 17 (1977) 159 ff. 7 Im Gegensatz zum Eherecht des 1811 promulgierten ABGB kennt das derzeitige, seit 1938 in Österreich geltende staatliche Recht kein Hindernis der Impotenz mehr. Selbstverständlich könnte im staatlichen Recht die dem anderen Partner nicht bekannte bzw. ihm sogar verheimlichte Impotenz als Eheaufhebungsgrund nach §§ 37 und 38 des Ehe-Gesetzes geltend gemacht werden. - Auch im (künftigen) kanonischen Recht würde die dem Partner arglistig verschwiegene Impotenz zweifellos den Tatbestand der arglistigen Täuschung (c. 300 des Schemas) verwirklichen und somit Nichtigkeit der Ehe im Gefolge haben.

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ders geschützt wird. Das Individualinteresse der in dieser Institution Lebenden tritt demgegenüber in den Hintergrund. Hier hat nun der Entwurf zum Eherecht einen bedeutsamen Schritt in Richtung auf einen erweiterten Rechtsschutz der Ehepartner getan. Während nämlich bisher dem Irrtum bzw. der arglistigen Täuschung über Eigenschaften des Ehepartners (Gesundheit, moralische Unbescholtenheit usw.) praktisch so gut wie kaum jemals Rechtserheblichkeit zukam (die Ehe einer Frau, die irrtümlich den Mörder ihres Vaters geheiratet hat, ist kirchenrechtlich gültig und unauflöslich), soll dem vorliegenden Entwurf zufolge nunmehr die arglistige Täuschung eines Ehepartners über die Person des anderen Partners betreffende Eigenschaften dann rechtserheblich sein (d. h. die Ehe kommt nicht gültig zustande), wenn diese Täuschung eine schwerwiegende Störung des ehelichen Zusammenlebens darzustellen vermag. So begrüßenswert diese vorgeschlagene Neuerung ist - bietet sie doch die Möglichkeit, eine schwer belastende eheliche Gemeinschaft aufzulösen -, so ist doch zu bedauern, daß der Gesetzgeber nicht dem Irrtum schlechthin, sondern nur der arglistigen Täuschung Rechtserheblichkeit zuerkennt. Denn inhaltlich kann ein dem Ehepartner selbst zuzuschreibender Irrtum über Eigenschaften des anderen Ehepartners genauso gravierend sein wie die arglistig hervorgerufene Täuschung. Einen weiteren überaus begrüßenswerten Schritt unternimmt der Entwurf, wenn im Gegensatz zu den in dieser Hinsicht spärlichen und unzureichenden Bestimmungen des CIC die geistigen Voraussetzungen für die Eingehung einer Ehe zusammengefaßt werden. So werden als Formen der Konsensunrahigkeit neben der eigentlichen Geisteskrankheit bzw. Geistesstörung auch schwerwiegende Mängel des Urteilsvermögens hinsichtlich des der Ehe eigentümlichen umfassenden Rechte-Pflichten-Verhältnisses angeführt. Überdies wird festgelegt, daß die Ehe desjenigen ungültig ist, der aufgrund eines, auf schwerer psycho-sexueller Störung beruhenden Unvermögens außerstande ist, die der Ehe wesentlichen Pflichten zu übernehmen. In diesen und einer Reihe von anderen Details läßt sich eindeutig das Bestreben des kirchlichen Gesetzgebers erkennen, neue psychologische, soziologische und anthropologische Erkenntnisse zu berücksichtigen, um so ein differenzierteres, den Gegebenheiten von heute angepaßteres Modell eines Eherechts zu entwerfen. Freilich bleiben noch eine ganze Reihe von Problemen ungelöst. So könnte man in diesem Zusammenhang die Frage aufwerfen, warum moralisches Unvermögen nur bei psycho-sexuellen Störungen angenommen wird (in erster Linie ist dabei an sexuelle Abartigkeiten wie z. B.

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Homosexualität gedacht) und nicht schlechthin bei allen im Willensbereich gelegenen schweren Störungen, die eine Übernahme ehelicher Bindungen erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen.

3. Kirche und Zweitehe Geschiedener a) Pastorale und kanonistische Beurteilung der Zweitehe In immer stärkerem Maße wird die Frage des Zerfalls kirchlicher Ehen und der daraufhin von den Partnern in Form einer standesamtlichen Verbindung geschlossenen Zweitehe zu einem die Kirche herausfordernden Problem. In den letzten Jahren sind sowohl von pastoraltheologischer8 als auch kanonistischer9 Seite Möglichkeiten aufgezeigt worden, diesen wiederverheirateten Geschiedenen die Zulassung zu den Sakramenten zu ermöglichen. Was indes dabei nicht übersehen werden kann, ist die Tatsache, daß dem wiederverheirateten Geschiedenen trotz eventueller Zulassung zur eucharistischen Tischgemeinschaft dennoch die volle Gliedschaftsstellung im Raum der Kirche verwehrt bleibt. Dies kommt neben einigen, die Ehepartner dieser Zweitehe persönlich betreffenden Nachteilen (z. B. Ausschluß von der Mitwirkung in Pfarrgemeinde- bzw. Pfarrkirchenrat) auch insofern zum Ausdruck, als die aus einer solchen Ehe stammenden Kinder kirchenrechtlich unehelich sind.

b) Neubesinnung zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe Das geschilderte Problem ist untrennbar mit der Haltung der Kirche zur Unauflöslichkeit der Ehe verbunden. Bevor auf diese mit Recht als "heißes Eisen" zu bezeichnende Frage eingegangen wird, sollen einige Feststellungen getroffen werden: Das katholische Kirchenrecht geht in bezug auf die Lösbarkeit von "gültigen Ehen" sehr differenziert vor. Es kann keineswegs gesagt werden, daß die kirchliche Rechtsordnung von der Unauflöslichkeit aller 8 H. Krätzl, Seelsorge an wiederverheirateten Geschiedenen, Wien 1979; Beirat der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen, Stellungnahme zur pastoralen Regelung der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, in: Pastoraltheologische Informationen Nr. 8 (1979) 104-111. 9 A. Zirkel, Schließt das Kirchenrecht alle wiederverheirateten Geschiedenen von den Sakramenten aus? Mainz 1977.

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Ehen ausgehe I 0. Im Gegenteil: mit Ausnahme einer einzigen Kategorie von Ehen - der allerdings die Mehrzahl der kirchlich geschlossenen Ehen zugehören - hält das kanonische Recht Lösungsmöglichkeiten bereit, auf die hier im einzelnen nicht näher einzugehen ist. Die nichtchristliche, die halbchristliche und sogar die christliche, d. h. zwischen zwei Getauften geschlossene Ehe ist unter Zuhilfenahme eines verschieden gearteten rechtlichen Instrumentariums lösbar, wobei namentlich hinsichtlich der nichtchristlichen und der halbchristlichen Ehe in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Ausweitung solcher Ehelösungen sowohl hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen als auch ihrer praktischen Anwendung feststellbar ist. Für absolut unlösbar halten das derzeitige wie auch das künftige kanonische Recht nur die von zwei Christen geschlossene und als solche geschlechtlich konsummierte Ehe. Auch hier darf und muß klar ausgesprochen werden, daß selbst die so eingegrenzte Unauflöslichkeit der Ehe kein Dogma im eigentlichen Sinne darstellt, d. h. die Unauflöslichkeit der Ehe ist niemals als geoffenbarte Glaubenswahrheit definiert worden 11. Desungeachtet hat sich das offizielle kirchliche Lehramt in zahllosen Äußerungen zur absoluten Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe geäußert l2 , so daß ein Aufgeben dieser Position nicht angenommen werden kann. Gleichwohl ist offensichtlich auch in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Internationale Theologische Kommission hat im Dezember 1977 zu einigen Lehrfragen über die Ehe Stellung genommen und dabei die bemerkenswerte Feststellung getroffen, es sei nicht auszuschließen, daß die Kirche die Begriffe der Sakramentalität und der Konsummation dergestalt näher umschreiben und ihre Bedeutung genauer illustrieren könne, daß \0 Zur Problematik der Aussage von c. 1013 § 2, wonach die Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaft aller Ehen bezeichnet wird, vgl. M. Kaiser, Grundfragen des kirchlichen Eherechts, in: J. Listl/H. Müller/H. Schmitz (Hrsg.), Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, Regensburg 1980, 542. 11 Über den Stellenwert des c. 7 der 24. Sitzung des Trienter Konzils (Denzinger/Schönmetzer, Enchiridion symbolorum Nr. 1807) vgl. L. Bressan, 11 canone tridentino sul divorzio per adulterio e l'interpretazione degli autori. Rom 1973, 352. - Demgegenüber vermag der Versuch von Bruns, den c. 7 als Dogma im modemen Sinn des Wortes darzustellen, dessen Besonderheit allerdings darin bestehen soll, daß die Leugnung dieser Aussage grundsätzlich nicht Häresie bedeute, keineswegs zu überzeugen. B. Bruns, Ehescheidung und Wiederheirat im Fall von Ehebruch, Paderbom 1976, 156. 12 Besonders deutlich Pius XII. über die Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe: " ... nessuna potestA al mondo, nemmeno la Nostra, quella cioe dei Vicario di Cristo, vale a rescinderlo" (Discorsi e radiomessagi, Milano 1943, 46 f.). Vgl. dazu Paul VI. Enz. "Humanae vitae" Nr. 8 f., in: AAS 60 (1968) 485 f. 47 Primetshofer

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auf diese Weise die ganze Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit in einer tieferen und genaueren Synthese vorgelegt wird 13 . Hier scheinen bedeutsame Ansätze für eine der diffizilen Gesamtwirklichkeit besser gerecht werdende Problemsicht zu liegen. Was die Sakramentalität der Ehe betrifft, so gehen das gegenwärtige wie auch das künftige kanonische Recht von der These aus, daß der Getaufte (Katholik oder nicht) eine gültige Ehe nur in Form einer sakramentalen Verbindung eingehen kann. Der zwischen getauften Ehepartnern zustande gekommene "Ehevertrag" ist automatisch Sakrament. Und dies selbst dann, wenn getaufte nichtkatholische Ehepartner aufgrund der Lehre ihrer Kirche die Ehe gar nicht als Sakrament betrachten. Da nun - ebenfalls nach der geltenden wie auch der künftigen Rechtsordnung - Nichtkatholiken nicht formpflichtig sind (d. h. ihre Ehe kommt nach Auffassung des katholischen Kirchenrechts gültig auch durch den Konsensaustausch in Form einer bloßen Zivilehe zustande), so ergibt sich aufgrund dieses automatischen Sakramentsbegriffes, daß eine Ehe Getaufter, bei deren Eingehung unter Umständen überhaupt keinerlei religiöser Bezug erkennbar ist, eine sakramentale und - wenn geschlechtlich vollzogen - unauflösliche Verbindung darstellt. Hier hat die Kritik schon mehrfach eingesetzt. Sie weist vor allen Dingen auf die historische Bedingtheit der einschlägigen Aussagen des kirchlichen Gesetzbuches hin. Mit der erstmals von Pius VI. 1788 formulierten l4 , seitdem des öfteren wiederholten und im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 ausformulierten Untrennbarkeit von Ehevertrag und Ehesakrament sollten Bestrebungen des Staates in die Schranken gewiesen werden, ein auch für die Ehen von Getauften geltendes staatliches Eherecht zu promulgieren 15. Die im Kirchenrecht anzutreffende Untrennbarkeit von Ehevertrag und -sakrament ist also aus einer ganz bestimmten zeitgeschichtlichen Situation heraus entstanden. Sie wird aber angesichts eines auch bei Getauften (Katholiken wie Nichtkatholiken) immer mehr säkularisierten Eheverständnisses zunehmend pro13 Gr 59 (1978) 462 f. 14 Schreiben "Deessemus nobis" an den Bischof von Mottula über die Zuständig-

keit der Kirche in Ehesachen. Denzinger/Schönmetzer, Nr. 2598. - Zur historischen Entwicklung der Untrennbarkeit von Ehevertrag und -sakrament vgl. E. Corecco, Die Lehre von der U ntrennbarkeit des Ehevertrages vom Sakrament im Lichte des scholastischen Prinzips "Gratia perficit, non destruit naturam", in: AkKR 143 (1974) 379 ff. 15 Daß bei dieser vorwiegend negativen Stellungnahme der Kirche zu Eingriffen des Staates die theologischen und pastoralen Fragestellungen vernachlässigt wurden, weist W. Molinski, Theologie der Ehe in der Geschichte, Aschaffenburg 1976,212 f., nach.

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blematisch und spiegelt außerdem immer noch den schon mehrfach elWähnten vOlWiegend sachenrechtlich-verdinglichenden Sakramentsbegriff des derzeitigen kanonischen Eherechts wider. Man kann sich die Frage stellen: Wie soll sich ein Sakrament als Glaubensvollzug ereignen bei Ehewerbern, die außer dem vielleicht nie bewußt aktualisierten Faktum ihrer (Kinder)taufe keinerlei Beziehung zu religiösen Inhalten ihrer Ehe setzen l6? Es scheint theologisch keineswegs unmöglich zu sein, zwischen dem gültigen Ehevertrag und dem Ehesakrament dergestalt zu unterscheiden, daß es auch bei Getauften eine gültige Ehe gibt, die nicht zugleich auch schon Sakrament ist l7 . Das kirchliche Gericht hätte im Falle eines Ehelösungs- (bzw. Eheungültigkeits-)verfahrens nicht einfachhin die Frage zu prüfen, ob es sich um eine von Christen geschlossene und vollzogene Ehe handelt, sondern es müßte auch in eine Prüfung der Frage eingehen, ob diese Ehe überhaupt als Sakrament zustande gekommen ist. Daß es hierbei eines wesentlich differenzierteren (prozeß)rechtlichen Instrumentariums bedarf, als es das gegenwärtige Recht bietet, liegt auf der Hand. In ähnlicher Weise stellt sich die Frage hinsichtlich des Konsummationsbegriffs der Ehe. Nach der derzeitigen Auffassung ist die Ehe rechtlich konsummiert, wenn zwischen den Ehegatten ein Geschlechtsakt stattgefunden hat. Hierbei ist sogar von der Entscheidung einer römischen Behörde l8 die Auffassung vertreten worden, ein solcher "Ehevollzug" liege auch dann vor, wenn der Geschlechtsakt im Zustand der Bewußtseinsstörung stattgefunden hat. Auf dem Hintergrund des Votums der Internationalen Theologischen Kommission erhebt sich auch hier die Frage, ob nicht eine ganzheitliche Sicht des Ehevollzugs Platz greifen müßte. Vollzug, das meint doch offensichtlich mehr als das bloße Faktum des isoliert für sich betrachteten physischen Vorgangs des Geschlechtsaktes. Mit Recht fragt J. Fuchs: " ... muß der Ehevollzug nicht ebenfalls vor allem als ein Zeichen, Ausdruck und darum Präsump-

16 Dazu J. Gründel, Die Zukunft der Ehe. Erwartungen Konflikte Orientierungshilfen, München 21979,61 ff. 17 W. Aymans, Die Sakramentalität christlicher Ehe in ekklesiologisch-kanonistischer Sicht, in: Trierer Theol. Ztschr. 83 (1974) 321 ff. zeigt die ekklesiologische Problematik der im CIC fixierten Untrennbarkeit von Vertrag und Sakrament bei Getauften auf, deren Kirche ein Ehesakrament nicht anerkennt. - Das Problem stellt sich aber m. E. nicht minder bei jenen Katholiken, die aufgrund einer weitgehend säkularisierten Eheauffassung sich vom Begriff der Ehe als Sakrament völlig getrennt haben. 18 Dazu W. J. Tobin, Homosexuality and Marriage, Rom 1964, 196 ff.

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tion - und nur Präsumption - wirklichen und personal tiefen Zusammenfindens und Einsseins der Gatten verstanden werden?" 19 Auch ein Neuüberdenken dieses Konsummationsbegriffs müßte zu anderen Konsequenzen hinsichtlich der Frage der Unauflöslichkeit führen. Die kirchlichen Gerichte hätten demnach bei behauptetem Nichtvollzug nicht einfach physische Fakten zu untersuchen, sondern müßten mit einem wesentlich verfeinerten rechtlichen Instrumentarium an die Frage herangehen, ob eine personale Begegnung der Ehegatten, ein geistiges Einswerden überhaupt stattgefunden hat. Eine gewiß weder von der Rechtssetzung noch von der Rechtsanwendung leichte Aufgabe, die aber im Interesse der Rechtsschutz suchenden Menschen unumgänglich ist20 . Das geltende und insbesondere das im Entwurf vorliegende Schema bieten Ansatzpunkte für ein dem Menschen von heute besser angepaßtes Eherecht. Es bedarf freilich noch einiger mutiger Schritte, um den von seiten der Pastoral immer dringender an das Recht von heute gestellten Anforderungen zu entsprechen.

19 J. Fuchs, Die Unauflöslichkeit der Ehe in Diskussion, bei K. Rahner/O. Semmelroth, Theologische Akademie Bd. 9 Frankfurt 1972, 96 f. 20 Kriitzl, (Anm. 8) 24 f.

Bemerkungen zum Eherecht des künftigen Codex Iuris Canonici 1. Zur Kodifikationsgeschichte

Überblickt man die Geschichte der Kodifikation des Kirchenrechts im 20. Jahrhundert, so fallen einige nicht uninteressante Details ins Auge. Da ist zum einen die Tatsache festzustellen, daß der Anstoß zur Kodifikation jeweils von Päpsten ausging, die man als Seelsorgepäpsle bezeichnen kann, und zwar, abgesehen von sonstigen pastoralen Aspekten ihrer Tätigkeit, schon allein aufgrund der Tatsache, daß sie unmittelbar von der Seelsorge in einer Diözese auf den Stuhl Petri berufen wurden: Pius X. (1903-1914) und Johannes XXIII. (1958-1963). Beide weisen zudem große Ähnlichkeiten miteinander auf. Sie waren vorher Erzbischöfe (Patriarchen) von Venedig, waren keine kanonistischen Fachleute und es war beiden nicht gegönnt, das von ihnen initiierte Werk persönlich zum Abschluß zu bringen. Der bis zur Stunde geltende Codex Iuris Canonici (CIC) wurde vom Nachfolger Pius' X., Benedikt XV., promulgiert; das vorliegende Schema zum neuen Codex (SCIC) wird aller Voraussicht nach vom dritten Nachfolger des Initiators der Kodifikation, dem gegenwärtig regierenden Papst Johannes Paul H., promulgiert werden. Die von Johannes XXIII. 1963 ins Leben gerufene Kommission zur Revision des kanonischen Rechts 1, deren Aufgabenbereich durch Paul VI. 1965 näher präzisiert wurde, legte, was das Eherecht betrifft, 1975 ein erstes Schema vor2 . Dieser 119 canones umfassende Entwurf, dessen Entstehen wie das der übrigen Teile des projektierten neuen Gesetzbuches umfassend in den Communicationes kommentiert worden war, wurde in den folgenden Jahren einer umfassenden Begutachtung unterzogen. 1980 legt die genannte päpstliche Kommission den Gesamtentwurf (Schema) eines neuen Codex (SCIC) vor3, dessen eherechtlicher Teil aus 111 canones besteht. Auch dieser Ent1 Communicat 1/1965, 5, 35. 2 Schema canonum quo disciplina canonica de sacramentis recognoscitur. Typis Polyglottis Vaticanis, 1975. 3 Schema Codicis Iuris Canonici, Typis Polyglottis Vaticanis, 1980.

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wurf wurde nochmals eingehend begutachtet. Die Kommission erstellte im Jahre 1981 einen zusammenfassenden Bericht (Relatio) über die bei ihr eingelangten Stellungnahmen und Änderungswünsche bezüglich des neuen Gesetzbuches4 . Zahlreiche, teils von den Bischöfen an die Kommission herangetragene, teils von der Kommission selbst vorgebrachte Änderungswünsche wurden noch berücksichtigt, so daß bei der Darstellung der nunmehr vorläufig projektierten Rechtslage sowohl das SCIC vom 1980 wie auch die Relatio von 1981 berücksichtigt werden müssen. Zu einigen auch das Eherecht betreffenden Fragen wurden Sondervoten von den Kommissionsmitgliedem erbeten5 , die endgültige Entscheidung über die gesetzliche Formulierung in bezug auf diese Fragen steht noch aus.

2. Die kirchenrechtliche Sicht der Ehe im neuen Codex Bevor die wichtigsten Einzelheiten des künftigen Codex dargestellt werden, interessiert ein Blick in das geistige Gesamtkonzept des neuen Eherechts, in den Geist dieser Gesetzgebung. Und hier ist zum einen schon die Einordnung der auf das Eherecht bezugnehmenden canones in das Gesetzbuch bedeutsam. Der CIC von 1917 hatte das Eherecht in das Sachenrecht eingeordnet, wobei die Überlegung maßgebend gewesen sein dürfte, daß Sakramente als heilige Sachen betrachtet wurden. Demzufolge stand bzw. steht auch im Eherecht des CIC das Rechtsinstitut Ehe als solches im Vordergrund des rechtlich zu schützenden Interesses, während demgegenüber die Interessen der in dieser Ehe Lebenden in etwa in den Hintergrund treten. Der CIC von 1917 ist, was seine Einteilungskriterien betrifft, von der aus dem römischen Recht stammenden Kategorisierung in personae, res, actiones geprägt. Das SCIC folgt demgegenüber völlig neuen Einteilungskriterien; das Eherecht findet sich nunmehr in dem Abschnitt "Der Heiligungsauftrag der Kirche" (De Ecclesiae munere sanctificandi). Schon von hier aus wird deutlich, daß bei allem berechtigten und selbstverständlich beibehaltenen Rechtsschutz für das Institut Ehe die personalen Bezüge der in dieser Ehe lebenden 4 Relatio complectens synthesim animadversionum ab Em.mis atque Exc.mis Patribus Commissionis ad novissimum Schema Codicis Iuris Canonici exhibitarum, cum responsionibus a Secretaria et Consultoribus datis. Typis Polyglottis Vaticanis, 1981. 5 An ehe- bzw. eheprozeßrechtlichen Fragen stand dabei zur Diskussion die Festlegung eines Hindernisses der Weihe für den verheirateten Diakon, d. h. ob dieser nach dem Tod seiner Frau der Zölibatsverpflichtung unterliegen solle oder nicht. Ferner die Pflichtappellation des Ehebandverteidigers an die zweite Instanz bei einem auf Ungültigkeit der Ehe lautenden Urteil der ersten Instanz.

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Menschen in stärkerem Maße das Augenmerk des Gesetzgebers auf sich gezogen haben. Der neue Codex beginnt seine Aussagen über das Eherecht mit einer Definition der Ehe, die stark auf den personalen Aspekt der Eheschließung, den Bund der Ehegatten und die dadurch begründete ganzheitliche Lebensgemeinschaft abstellt. Während der CIC in c. 1013 § 1 von Ehezwecken spricht (Primärzweck der Ehe ist bekanntlich die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft), geht das SCIC völlig neue Wege. Nicht nur daß von Ehezwecken überhaupt nicht mehr gesprochen wird, es findet sich auch bei der Beschreibung der dem ehelichen Lebensbund eingestifteten Ausrichtung eine bemerkenswerte Reihenfolge: Die Ehe ist ihrer natürlichen Beschaffenheit nach auf das Wohl der Ehegatten und auf Zeugung wie Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet (ordinatum). Hier werden ganz unzweifelhaft neue Akzente gesetzt, die in den Aussagen des Gesetzbuches über den Ehekonsens eine Bekräftigung erfahren. Hatte das Recht des CIC den Ehekonsens beschrieben als ein gegenseitiges Übertragen bzw. Annehmen des dauernden und ausschließlichen Rechtes auf die "zur Zeugung von Nachkommenschaft an sich geeigneten Akte" (c. 1081 § 2) - eine Aussage, die dem kanonischen Recht den Vorwurf eingebracht hatte, es betrachte die Ehe als "Begattungsgesellschaft"6 -, so sieht das SCIC im Anschluß an die Pastoralinstitution des Konzils7 den Ehekonsens als einen Willensakt, durch den Mann und Frau in einem unauflöslichen Bund sich gegenseitig übergeben und annehmen (c. 1010 § 2 SCIC). In diesen Grundaussagen über das EheverstäDdnis des SCIC kommen vielleicht am stärksten die Impulse des II. Vatikanischen Konzils zum Tragen, wobei insbesondere die Verwendung des biblischen Begriffes "Bund" (foedus) als Abbild der Verbindung Gottes mit dem auserwählten Volk auffällt8 . Die frühere Sichtweise und Terminologie des CIC ist indes nicht völlig verschwunden; der Ausdruck "contractus matrimonialis" (Ehevertrag) wird neben "foedus" in c. 1008 SCIC verwendet, allerdings nur, um in im Wortlaut mit c. 1012 CIC übereinstimmender Formulierung festzustellen, daß zwischen "contractus matrimonialis" und dem Ehesakrament bei Getauften kein Unterschied bestehe9 . Diese Junktimierung von Ehevertrag und -sakrament ist trotz gewichtiger Gegenstimmen in neue6 P. A. Bonnet, L'essenza dei matrimonio canonico. Contributo allo studio dell'amore coniugale. Il momento costitutivo del matrimonio. Padova 1976, 195. Vgl. die berechtigte Kritik d'Avacks an dem in der bisherigen Kanonistik bisweilen einseitig betonten "ius in corpus" als Gegenstand des Ehevertrages. P. A. d'Avack, Per una riforma giuridica dei matrimonio, in: Il diritto ecclesiastico 85/1964, I, 6. 7 VatII GS Nr. 48. 8 U. Navarrete, De matrimonio. Schema Codicis Iuris Canonici cum notis (Manuskript), Romae 1982, 1 Anm. 1. 9 "Quare inter baptizatos nequit matrimonialis contractus validus consistere, quin sit eo ipso sacramentum."

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ster Zeit 10 und trotz eines vorsichtig zurückhaltenden Votums der Internationalen theologischen Kommission, das sich für ein Neuüberdenken des Sakramentsbegriffes der Ehe ausgesprochen hatte 11 , beibehalten worden. Beachtlich für die Geistigkeit der neuen Gesetzgebung ist auch der Abschnitt über die Vorbereitung der Eheschließung. Während der CIC nach einigen einleitenden canones das 1. Kapitel des Eherechts überschreibt "De iis quae matrimonii celebrationi praemitti debent et praesertim de publicationibus matrimonialibus" (cc. 1019-1034 CIC), und dieses Kapitel einfach mit der Feststellung beginnt: Bevor eine Ehe geschlossen wird, muß feststehen, daß ihrem erlaubten und gültigen Abschluß nichts im Wege steht, wird im SCIC von der pastoralen Sorge gesprochen und von dem, was der Eheschließung vorauszugehen habe (cc. 1016-1025 SCIC). An den Beginn dieses Abschnittes wird die Aussage gestellt, die Seelenhirten seien verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die kirchliche Gemeinschaft den Gläubigen jene Hilfe angedeihen läßt, durch die der Ehebund im christlichen Geist erhalten und zur Vollendung geführt werde. Diese pastorale Hirtensorge wird näherhin konkretisiert, und es werden neben Predigt und Katechese und der Verwendung der sozialen Kommunikationsmittel auch die individuelle Ehevorbereitung wie auch eine würdige liturgische Gestaltung der Eheschließung erwähnt. Ganz neue Wege beschreitet das SCIC in der Frage nach dem Normadressaten des neuen Eherechts. Während der CIC davon ausgeht, daß das katholische Kirchenrecht grundsätzlich für alle Getauften Geltung hat, soweit nicht akatholisch Getaufte von einzelnen Bestimmungen des CIC ausgenommen sind (c. 12 CIC), sagt das SCIC, daß das katholische Kirchenrecht nur für die Katholiken Geltung hat (c. 11 § 1 SCIC). Getaufte, die einer von der katholischen getrennten Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft angehören, sind von den Gesetzen des neuen Codex direkt nicht betroffen, während hingegen die aus der katholischen Kirche durch formellen Akt Ausgetretenen diesen Gesetzen weiterhin unterliegen, sofern nicht in Einzelfällen etwas anderes ausdrücklich vorgesehen ist (ebda §§ 2 und 3). Aus diesen allgemeinen Grundsätzen werden im Eherecht die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Der 10 E. Corecco, Die Lehre von der Untrennbarkeit des Ehevertrages vom Sakrament im Lichte des scholastischen Prinzips "Gratia perficit, non destruit naturam", in: AkKR 143 (1974) 379 ff.; W. Aymans, Die Sakramentalität christlicher Ehen in ekklesiologisch-kanonistischer Sicht, in: TThZ 1974, 321 ff.; J. Manzanares, Habitudo matrimonium baptizatorum inter et sacramentum: Omne matrimonium duorum baptizatorum estne necessario sacramentum?, in: PMCL 67 (1978) 35 ff.; L. de Naurois, Le mariage des baptises de I'Eglise catholique qui n'ont pas la foi, in: RDC 30 (1980) 151 ff. 11 Mitgeteilt in: Gr 59 (1978) 462 f.

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CIC stellt in c. 1016 das Prinzip auf, daß die Ehen von Getauften, auch wenn nur ein Teil getauft sein sollte, nicht nur dem göttlichen, sondern auch dem kanonischen Recht unterstellt sind. In c. 1012 SCIC heißt es hingegen, daß die Ehe von Katholiken, auch wenn nur ein Teil katholisch ist, dem göttlichen und dem kanonischen Recht untersteht I 2. Dies bedeutet, daß die Ehen von Christen, die einer nichtkatholischen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft angehören, nach dem Recht dieser Glaubensgemeinschaft zu beurteilen sind. Eine solche Regelung ist, was die Rechtsstellung der katholischen Kirche zu den orthodoxen Kirchen betrifft, schon dem geltenden Recht nicht fremd. Das Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils hat bestimmt, daß die Kirchen des Orients die Fähigkeit haben, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren 13. Daraus wurde in einer wichtigen Grundsatzentscheidung der Signatura Apostolica vom 28. 11. 197014 die Schlußfolgerung gezogen, daß in bezug auf die Formpflicht bei Eheschließungen orthodoxer Christen nicht das katholische, sondern das orthodoxe Kirchenrecht anzuwenden sei. Das SCIC geht nun entschlossen in dieser Richtung weiter und legt generell fest, daß Ehen nichtkatholischer Christen, mögen sie nun dem orientalischen oder lateinischen Rechtsbereich angehören, nicht nach dem katholischen Kirchenrecht zu beurteilen sind. Wenngleich diese ökumensiche Geste des Gesetzgebers durchaus zu begrüßen ist, so stellt sie doch die Rechtsanwendung mitunter vor gar nicht leichte Probleme. Denn angesichts des Fehlens eines eigenen Eherechts in manchen nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften bzw. bei nicht ausreichend klaren Formulierungen wird sich bisweilen die Frage nicht leicht entscheiden lassen, welches Recht im konkreten Fall anzuwenden sein wird. Ganz in den Bahnen des bisherigen CIC bewegt sich das Schema in der Frage der Rechtsgunst der Ehe (favor matrimonii). Die Formulierung von c. 1014 CIC und 1003 SCIC ist bis auf den letzten Halbsatz des c. 1014 CIC ("salvo praescripto can. 1127") identisch. Wenngleich gewichtige Stimmen in Richtung auf eine Streichung dieser Bestimmung laut geworden sind, hat die Plenarsitzung der Kardinäle der CIC-Kommission sich für die Beibehaltung der angeführten Formulierung entschieden I 5 . Dies bedeutet, daß weiterhin bei 12 Die Änderung von "baptizatorum" in "catholicorum" bei c. 1012 SCIC erfolgte allerdings erst durch die Relatio 1981. 13 VatII UR Nr. 16. 14 X. Ochoa, Leges Ecclesiae post CIC editae, IV, Romae 1974, Nr. 3924, Sp. 5927. Dazu J. Weitzel, Zivilehen orthodoxer Christen sind wegen Formmangels ungültig, in: AkKR 139 (1970) 482 ff.; B. Primetshofer, Zur Frage nach dem Normadressaten im kanonischen Recht, in: FS für Alexander Dordett, Wien 1976, 137 ff. 15 Communicat 10 (1978) 126.

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einmal geschlossener Ehe so lange deren Gültigkeit angenommen wird, bis das Gegenteil in einem strengen Beweisverfahren erwiesen ist. Es bleibt die Frage offen, ob angesichts einer immer diffiziler werdenden Ehesituation, angesichts einer auch in christlichen Kreisen um sich greifenden säkularisierten Eheauffassung, die etwas simplifizierende Aussage von der Rechtsgunstjeder Ehe der tatsächlichen Situation ausreichend gerecht wird. Eine differenzierende, mehr auf die je verschiedene psychologische Situation und Willenserrichtung der Ehegatten eingehende Aussage des Gesetzgebers wäre wünschenswert gewesen. Die eherechtliehe Tenninologie ist im großen und ganzen gleichgeblieben, wenngleich einige nicht unbedeutende neue Akzente hervorgehoben zu werden verdienen. Die gültige Ehe von Getauften heißt weiterhin matrimonium ratum; als konsummiert wird die Ehe bezeichnet, wenn zwischen den Ehegatten "humano modo" ein Geschlechtsakt stattgefunden hat. Das im Deutschen schwer wiederzugebende "humano modo" ist gegenüber dem CIC neu. Dieser bezeichnet eine Ehe als konsummiert, wenn der eheliche Akt stattgefunden hat, auf den die Ehe ihrer Natur nach hingeordnet ist (c. 1015 § 1 CIC). Die Formulierung des CIC hatte immerhin zu der Kontroverse Anlaß gegeben, ob eine Ehe auch dann als konsummiert zu bezeichnen sei, wenn der Geschlechtsakt unter Einfluß von den Vemunftgebrauch ausschaltenden Drogen zustandegekommen war. Diese Frage wurde erstaunlicherweise zunächst vom HI. Offizium bejaht l6 . Erst durch die Lehre und die Rechtsprechung hat sich dann die Meinung durchgesetzt, von Ehevollzug könne nur dann gesprochen werden, wenn ein integral-menschlicher Akt vorliege 17 . Wenngleich also die Formulierung des SCIC von der biologistischen Sichtweise des CIC nicht unerheblich abrückt, ist doch die Grundaussage dieselbe geblieben, wonach eine Ehe durch einmaligen Geschlechtsakt als konsummiert zu 16 W J. Tobin, Homosexuality and Marriage. A Canonical Evaluation ofthe Relationship of Homosexuality to the Validity of Marriage in the Light of Recent Rotal Jurisprudence. Rome 1964, 196 ff. 17 Hier hat ganz offensichtlich die durch die Judikatur der SRR der letzten Jahre vorgebildete personale Sicht der Ehe ihren Niederschlag gefunden. So heißt es etwa in einer Entscheidung dieses Gerichtshofes vom 25. 2. 1969 (coram Anne): " ... matrimonium esse relationem maxime personalem consensumque matrimonialem esse actum voluntatis, quo coniuges SESE mutuo tradunt atque accipiunt ... ". Mitgeteilt in: 11 diritto ecclesiastico 81 (1970) 11, 226 nr. 13. - Wie sehr sich die Auffassung ein und desselben Gerichtshofes in der Zeit nach dem Konzil gewandelt hat, zeigt ein Passus aus einem Urteil des Jahres 1955, wo es heißt: "quoties enim in definitione matrimonii senno est de traditione "corporis", ad modestiam hic tenninus assumitur, nam propria quae in contractu habetur cessio est sexuum" (Hervorhebung vom Verfasser). SRRDec. vol. 37 (1955) 365, nr. 3. - Bonnet, (Anm. 6) 193 fordert für den Ehevollzug einen "atto integralmente e totalmente umano" .

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betrachten sei. Auch hier hat es schon mehrfach Anstöße in Richtung auf ein Neuüberdenken dieses Konsummationsbegriffes gegeben, wobei sich freilich wollte man einigen dieser Anregungen folgen - die für die kirchliche Rechtsanwendung wohl nie lösbare Problematik ergäbe, wann dann eine Ehe als konsummiert zu bezeichnen wäre l8 . Denn - und dies ist der springende Punkt - nach wie vor läßt das kanonische Recht die Frage der Unauflöslichkeit der christlichen Ehe abhängig sein von deren Konsummation. Indes, das Problem steht im Raum und harrt einer Lösung, wie dies auch das Votum der Internationalen Theologischen Kommission zum Ausdruck gebracht hat, wenn es dort heißt, daß die Begriffe der Sakramentalität und der Konsummation neu überdacht werden müssen, so daß daher auch die Frage der Unauflöslichkeit der Ehe in einem neuen Licht gesehen werden könne l9 . Eine nicht unbedeutende Änderung hatte die Redaktionskommission des SCIC ins Auge gefaßt hinsichtlich der rechtlichen Einstufung der Zivilehe. Bisher war die Frage kontrovers, ob die Zivilehe Formpflichtiger einfachhin als eine wegen Formmangels ungültige Ehe (matrimonium invalidum) oder als Nichtehe (matrimonium non existens) zu bezeichnen ist20 . Die Kontroverse ist 18 Dies gilt etwa für die Deutung des Begriffs der Ehekonsummation, die Finnegan vornimmt, wenn er als Voraussetzung für eine rechtlich relevante Konsummation die geistige Vereinigung der Ehegatten fordert. In eine ähnliche Richtung geht Bernhard, der zwischen dem "mariage instaure" und "mariage consacre" unterscheidet, und für letztere Ehe, die allein unauflöslich sein soll, die volle Lebens- und Liebesgemeinschaft der Ehegatten fordert. J. T. Finnegan, When is a Marriage Indissoluble? Reflections on a Contemporary Understanding of a Ratified and Consummated Marriage, in: Jurist 28 (1968) 309 ff.; J. Bernhard, Reinterpretation (existentielle et dans la fois) de la legislation concernant l'indissolubilite du mariage chretien, in: RDC 21 (1971) 269. - Auf diese Weise würde der Begriff der Ehekonsummation wohl völlig aus dem Bereich des juristisch Faßbaren herausgelöst werden. - Gleichwohl ist das Unbehagen an der gegenwärtigen Konstruktion, wonach durch den "humano modo" vollzogenen Geschlechtsakt eine Ehe als konsummiert (= vollendet, vollkommen) zu bezeichnen ist, berechtigt. Nach J. Fuchs, Die Unauflöslichkeit der Ehe in Diskussion, in: K. Rahner/O. Semmelroth, Theol. Akademie, Bd. 9, Frankfurt/M. 1972, 96 f. sollte der Ehevollzug nicht mehr als eine (offensichtlich widerlegbare) Präsumption für das wirkliche und personaltiefe Zusammenfinden der Ehegatten sein. 19 Vgl. Anm. 11. 20 Der Begriff "Nichtehe" ist dem kanonischen Recht an sich fremd. Im österreichischen staatlichen Recht versteht man darunter eine Verbindung von Mann und Frau, der wegen Fehlens der absolut zwingenden Formvorschrift des § 15 Ehe-G (Eheschließung vor dem Standesbeamten) jeder rechtliche Anschein einer Ehe mangelt. Vgl. H. Koziol/R. We~er, Grundriß des bürgerlichen Rechts, 11, 51979, 157. Angesichts der Entscheidungen der PCI vom 12.3. 1929, in: AAS 21 (1929) 170 und 26. 1. 1949, in: AAS 41 (1949) 158 ist für das kanonische Recht der Schluß zwingend, daß die Zivilehe Formpflichtiger nicht schlechterdings unter den Begriff des

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bis zur Stunde nicht gelöst21 , was allerdings keinen Einfluß auf die kirchliche Praxis hat, derzufolge Zivilehen ebenso wie andere ungültige Ehen in der Wurzel geheilt werden können22 . Nach dem eherechtlichen Konzept des CIC ist die Zivilehe somit einerseits weniger als eine ungültige Ehe, weil sie nämlich den Rechtsschein der Ehe (species matrimonii) nicht an sich hat, andererseits aber mehr als eine Nichtehe, weil sie in der Wurzel geheilt werden kann. Das Schema von 1980 enthielt in c. 1014 § 4 die Wendung, als ungültige Ehe sei auch die Zivilehe anzusehen, es handle sich dabei um eine wegen Formmangels ungültige Ehe. Dies hätte gegenüber der bisherigen Rechtslage eine erhebliche Änderung bedeutet. Im Begutachtungsverfahren zum Schema hat sich die CIC-Kommission aber entschlossen, diesen Passus wieder zu streichen, so daß nunmehr in bezug auf die rechtliche Einordnung der Zivilehe der gleiche Rechtszustand besteht wie aufgrund des CIC23. Aus dem Bereich der eherechtlichen Terminologie wäre noch zu erwähnen, daß der Begriff des "matrimonium legitimum" des c. 1015 § 3 CIC als Ausdruck für die gültige Ehe Ungetaufter weggefallen ist. 3. Ehehindernisse und Trauungsverbote a) Ehehindernisse Der wichtigste Unterschied zum bisherigen Recht des CIC besteht wohl darin, daß die Unterscheidung zwischen trennenden und aufschiebenden Hindernissen weggefallen ist. Die bisherigen Tatbestände der aufschiebenden "matrimonium invalidum" des kodikarischen Rechts fallen kann, da für dieses der Rechtsschein (species matrimonii) spricht, was bei der Zivilehe nicht der Fall ist. Diese ist somit eindeutig weniger als das matrimonium invalid um des CIC. 21 H. Heimerl, Um eine neue Wertung der nicht katholisch geschlossenen Ehen von Katholiken, in: H. Heimerl (Hrsg.), Verheiratet und doch nicht verheiratet? Wien 1970, 157 ff.; E. Lalaguna, EI matrimonio civil ante el derecho canonico, in: IusCan 2/1962,273 ff.; B. Primetshofer, Die Stellung der Zivilehe im kanonischen Recht, in: FS für Franz Arnold, Wien 1963, 302 ff.; ders., Die Eheschließung, in: J. Listl (Hrsg.), GrNKirchR, Regensburg 1980,582. 22 Dies freilich unter der Voraussetzung, daß bei der Zivilehe Formpflichtiger ein gültiger Ehekonsens geleistet und bis zum Augenblick der Vergültigung nicht widerrufen wurde. 23 Es ist somit auch weiterhin die in Anm. 20 angeführte Entsch. der PCI vom 12. 3. 1929 anzuwenden, derzufolge bei Formpflichtigen das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit nicht aus der Zivilehe als solcher entsteht.

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Hindernisse existieren als solche nicht mehr; Ehehindernis ist künftig mit trennendem, d. h. die Ehe verungültigendem Tatbestand identisch. Die bisherigen aufschiebenden Ehehindernisse sind teils überhaupt verschwunden, wie z. B. das Hindernis des Privatgelübdes der Jungfräulichkeit, der vollkommenen Keuschheit (c. 1058 CIC). - Das bisherige Hindernis der gesetzlichen Verwandtschaft, das als sog. lex canonizata in seinem Stellenwert vom jeweiligen (staatlichen) Landesrecht abhängig war (cc. 1059 bzw. 1080 CIC), ist dem Schema zufolge in ein trennendes Ehehindernis übergegangen (c. 1047 SCIC). Das wichtigste der bisherigen aufschiebenden Ehehindernisse, nämlich das der Konfessionsverschiedenheit (mixta religio), wird nicht mehr als Ehehindernis angeführt, sondern es gibt ein eigenes Kapitel "Oe matrimoniis mixtis", das mit geringfügigen Änderungen die nachkonziliare Rechtsentwicklung hinsichtlich der konfessionell gemischten Ehe enthält. Allerdings hat auch die Redaktionskommission im Unterbewußtsein im Zusammenhang mit den konfessionell gemischten Ehen noch immer in den Kategorien des Ehehindernisses gedacht. Dies erhellt u. a. aus der Tatsache, daß in der ursprünglichen Fassung des Schemas aus 1980 die Wendung zu finden war, eine konfessionell gemischte Ehe sei ohne Dispens der zuständigen kirchlichen Obrigkeit verboten (c. 1078 SCIC). Erst in der Relatio von 1981 wird "dispensation richtig durch "licentia" ersetzt24 . Die Verwandtschaft zum vormaligen Hindernis zeigt der Tatbestand der konfessionell gemischten Ehe aber auch insofern, als die Generalklausel des c. 1083 SCIC darauf hinweist, daß die Bestimmungen über die Mischehen zwischen zwei Getauften anzuwenden seien auf das Hindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus). Hier ist übrigens auch eine gewisse, in ökumenischer Hinsicht nicht gerechtfertigte Ungleichgewichtung festzustellen. Der neue wie auch der bisherige Codex legen zunächst recht detailliert ausformulierte Bestimmungen über Ehen zwischen Katholiken und getauften Nichtkatholiken, also zwischen Christen verschiedener Konfession, fest. Und dann heißt es, daß diese Bestimmungen auch anzuwenden seien auf Ehen zwischen einem Katholiken mit einem Ungetauften (disparitas cultus). Auf diese Weise entsteht der Eindruck, die erste Sorge der Kirche gelte der Abwehr und Hintanhaltung von Ehen zwischen Christen verschiedener Konfession, und erst in zweiter Linie wendet sich die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers den Ehen von Katholiken mit Un24 Relatio 1981, 263.

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getauften zu. Nun ist aber die Glaubensgefährdung in letzterem Fall doch ungleich größer, da der Katholik sich der Gefahr aussetzt, überhaupt den christlichen Glauben zu verlieren, während er im anderen Fall seinen katholischen Glauben gegenüber einem anderen, aber doch immerhin christlichen Bekenntnis aufs Spiel setzt. Eigentlich sollte es doch umgekehrt sein: Der Gesetzgeber müßte detaillierte Regelungen bezüglich des Hindernisses der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) aufstellen und anschließend sagen, daß diese Normen mutatis mutandis auch für den Tatbestand der Mischehe zwischen Katholiken und andersgläubigen getauften Christen anzuwenden seien25 . Die Kompetenz zur Festlegung von (nunmehr nur trennenden) Ehehindernissen ist dem gegenwärtigen Schema zufolge wieder ausschließlich beim Heiligen Stuhl. Während das Schema von 1975 noch die Möglichkeit für die Bischofskonferenzen vorsah, partikularrechtlich sowohl "verbietende" (impedimenta prohibentia)26 als auch trennende Ehehindernisse aufzustellen, ist das derzeitige Schema von 1980 wieder davon abgerückt, da nicht einmal die Bischöfe selbst über diese Kompetenzerweiterung erfreut zu sein schienen27 . Hingegen sind die Dispensvollmachten der Bischöfe gegenüber dem geltenden Recht28 sogar noch erweitert. Formalrechtlich folgt das Schema dem Grundsatz nachkonziliarer bischöflicher Dispensbefugnisse, demzufolge die regierenden Diözesanbischöfe zum geistlichen Wohl der ihnen anvertrauten Gläubigen grundsätzlich von allen Kirchengesetzen dispensieren können, soweit nicht im einzelnen ein Reservat des Heiligen Stuhles besteht29 . Die dem Heiligen Stuhl reservierten (trennenden) Hindernisse sind zufolge c. 1031 § 2 SCIC das Hindernis der Weihe, das Hindernis der ewigen öffentlichen (kirchenamtlichen) Gelübde und das Hindernis des Verbrechens, das allerdings nur noch bei Gattenmord vorliegt. Eine erhebliche Änderung ist eingetreten hinsichtlich der Dispensvollmachten in drängender Todesgefahr (urgente mortis periculo). Abgesehen von 25 Der CIC hatte sich ganz offensichtlich noch nicht mit der Problematik auseinanderzusetzen, daß sich Christen auch im europäischen Raum, zumal in größeren städtischen Ballungsgebieten einer zunehmend entchristlichten und auch nicht mehr getauften Umgebung gegenübersehen. Somit mag es verständlich erscheinen, daß sich der CIC in erster Linie mit Ehen zwischen Christen verschiedener Konfessionen und erst hemach mit den damals einen weitaus geringeren Aktualitätsgrad aufweisenden Ehen von Katholiken und Nichtchristen befaßte. 26 Das war der im Schema von 1975 vorgesehene Ausdruck für die impedimenta impedientia des CIC. 27 Dies ist den Communicat 9 (1977) 135 f. bzw. 10 (1978) 126 zu entnehmen. 28 MP EpMun vom 15. 6. 1966, in: AAS 58 (1966) 467 ff. 29 VatII CD Nr. 8b.

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den in c. 1043 enthaltenen, im SCIC nicht mehr aufscheinenden Klauseln, daß die Dispensvollmacht in drängender Todesgefahr zur Beruhigung des Gewissens und gegebenenfalls zwecks Legitimierung der Nachkommenschaft gegeben sei, sind auch inhaltlich gewichtige Änderungen eingetreten. C. 1043 CIC nahm zwei Hindernisse von der Dispensvollmacht aus, nämlich Priesterweihe und Schwägerschaft in gerader Linie, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe konsummiert worden war. Die Parallel bestimmung des c. 1032 SCIC enthält die genannten Beschränkungen nicht mehr, so daß die Dispensbevollmächtigten von allen Hindernissen des Kirchenrechts dispensieren können. Als Dispensbevollmächtigter wird zunächst genannt der Ortsordinarius; sofern dieser nicht angegangen werden kann, ist der Ortspfarrer sowie der der Eheschließung assistierende Geistliche (Priester oder Diakon) zur Gewährung der Dispens ermächtigt. Daraus ergibt sich, daß bei drängender Todesgefahr der einer Eheschließung assistierende Diakon sogar vom Hindernis der Bischofsweihe dispensieren könnte. Die Vollmachten des Beichtvaters erstrecken sich für den inneren Bereich nur auf die geheimen Hindernisse (d. s. die im äußeren Bereich nicht beweisbaren). Die Beschränkung des c. 1044 CIC, derzufolge die dem Beichtvater gewährte Vollmacht nur innerhalb der sakramentalen Beichte ausgeübt werden konnte, ist nicht mehr Bestandteil der künftigen Rechtsordnung; die Vollmacht kann auch außerhalb der Beichte ausgeübt werden. Überdies ist die dem Beichtvater gegebene Vollmacht nicht nur bei drängender, sondern ganz allgemein bei Todesgefahr schlechthin gegeben (in periculo mortis, c. 1032 § 3 SCIC). Die Dispensvollmacht im Verlegenheitsfalle (casus perplexus) erstreckt sich auf alle Hindernisse des Kirchenrechts, ausgenommen Weihe und ewige öffentliche (kirchenamtliche) Gelübde (c. 1033 SCIC). Was die (trennenden) Hindernisse im einzelnen angeht, so steht das Schema im großen und ganzen auf dem Boden des CIC, wenngleich einzelne Tatbestände genauer erfaßt und die Tatbestandsmerkmale exakter umschrieben werden. In einigen Fällen ergeben sich auch bedeutende Änderungen gegenüber dem CIC. Das Hindernis des Alters bleibt wie bisher: 16 Jahre beim Mann, 14 bei der Frau. In diesem Zusammenhang findet sich als Rest eines im ersten Schema (1975) umfassend konzipierten Rechts der Bischofskonferenzen (siehe oben) nunmehr die Vollmacht für die Bischofskonferenz, ein höheres Eheschließungsalter festzulegen, das aber nur die Erlaubtheit der Eheschließung berührt (c. 1036 § 2 SCIC). Impotenz wird nun, einem seit langem feststehenden Ergebnis von Lehre und Rechtsprechung folgend, als "impotentia coeundi" bezeichnet. Von ihr wird gesagt, daß sie die Ehe "ex

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ipsa eius natura" nicht zustandekommen lasse (c. 1037 § 1 SCIC). Der CIC spricht in diesem Zusammenhang von einem Hindernis, das "ipso iure naturae" eine die Ehe verungültigende Wirkung habe (c. 1068 § 1 CIC). Wenngleich im Schema also der Hinweis auf den nicht unbestrittenen naturrechtlichen Stellenwert des Hindernisses30 weggefallen und durch die unverf"anglicher klingende Formulierung ersetzt wurde, so hat sich inhaltlich an der Positition des kanonischen Rechts zum Tatbestand der Beischlafsunfähigkeit nichts geändert. Nach wie vor geht das kanonische Recht davon aus, daß "ehefähig" nur eine Person ist, die den Geschlechtsakt vornehmen kann. Und dies, obwohl das Schema dankenswerterweise von der biologistischen Sicht des bisherigen kodikarischen Rechts abgerückt ist. Es wurde schon die Frage gestellt, ob nicht die personale Sicht der Ehe, wie sie insbesondere vom Konzil als eine umfassende Lebens- und Liebesgemeinschaft beschrieben wird (Pastoralkonst. "Gaudium et spes" Nr. 48), auch zu einer neuen Bewertung der Impotenz führen müßte31 . Dies etwa in dem Sinne, daß Impotenz als Tatbestand nicht schlechterdings die Ungültigkeit der Ehe im Gefolge hat, sondern daß es vielmehr möglich sein müßte, eine gültige Ehe auch dann einzugehen, wenn ein Partner zur Setzung der sexuellen Komponente einer Ehe nicht f"ahig ist. Daß das "bonum prolis" , also die Frage der Nachkommenschaft, in diesem Zusammenhang außer Betracht zu bleiben hat, liegt auf der Hand. Denn einerseits ist auch bei Sterilität keine Nachkommenschaft möglich, und trotzdem sagt c. 1037 § 3 SCIC übereinstimmend mit der bisherigen Position von c. 1068 § 3 CIC, daß Sterilität rechtlich unerheblich sei; andererseits hat die Kirche die Iosefsehe immer als gültig betrachtet, obwohl bei ihr von den "ehelichen Rechten" niemals Gebrauch gemacht wird und somit die von c. 1013 CIC als Primärzweck bezeichnete "procreatio prolis" unterbleibt. Es ist nicht einzusehen, warum Impotenz weiterhin als trennendes Ehehindernis festgelegt wird und warum nicht auf Thomas von Aquin zurückgegriffen wird, der dieses Problem in die Privatautonomie der Ehepartner verwiesen hat. Nach ihm bildet nur die dem anderen Ehepartner nicht bekannte Impotenz einen die Ehe verungültigenden Tatbestand, nicht hingegen die dem Partner bekannte32 . Das Schema grenzt ebenso wie der CIC die rechtserhebliche "impotentia coeundi" von der rechtsunerheblichen Sterilität ab, wobei aller30 E. di Robi/ant, Il fine e I'essenza deI matrimonio in alcune recenti dottrine, in: Il diritto eccl. 1951, 728. 31 O. Fumagalli-Carulli, Il matrimonio canonico dopo il concilio. Milano 1978, 72. 32 Thomas von Aquino, Summa theologica, Supplementum qu. LU, art. I ad quarturn; ebenso qu. LVIII, art. I, ad quartum. Die Stellen sind deckungsgleich mit IV Sent., Dist. 36, qu. unic. art. I bzw. IV Sent., Dist. 34, qu. unic. art. 2 ad quartum.

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dings im neuen Recht Sterilität dann Einfluß auf die Gültigkeit der Ehe haben kann, wenn sie arglistig verheimlicht wurde. Das Hindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) hat nun in bezug auf den Normadressaten eine nicht unbeachtliche Einschränkung erfahren: Galt bisher (c. 1070 § 1 CIC) das Hindernis zwischen einem in der katholischen Kirche Getauften bzw. zu ihr Konvertierten auf der einen Seite, wobei ein späterer Kirchenaustritt keinen Einfluß auf die Weitergeltung dieses Hindernisses hatte, und einem Nichtgetauften auf der anderen Seite, so besteht es dem Schema zufolge nicht mehr zwischen einem aus der katholischen Kirche Ausgetretenen und einem Ungetauften. Wenngleich also die weitreichende Normbefreiung für die aus der katholischen Kirche Ausgetretenen, wie sie in c. 263 des Schemas von 1975 geplant war3 3 , im Schema von 1980 fallengelassen wurde, kommt dem Kirchenaustritt wiederum hier wie auch beim Tatbestand der "mixta religio" die ursprünglich geplante Bedeutung zu. Beim Hindernis der Weihe ist hinsichtlich der Diakone verfügt, daß diejenigen, die als Verheiratete die Diakonatsweihe empfangen haben, nach Auflösung ihrer Ehe dem Hindernis der Weihe nicht unterliegen 34 . In Hinkunft wird jedes öffentliche (kirchenamtliche) ewige Gelübde in einem Ordensverband (Institutum religiosum) ein trennendes Ehehindernis bilden. Die bisherigen Unterscheidungen zwischen ewigen einfachen und (ewigen) feierlichen Gelübden wird es künftig nicht mehr geben. Zufolge c. 4 SCIC gilt dies aber nur für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit, d. h. die Bestimmungen des SCIC gelten nicht für diejenigen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Codex öffentliche einfache, ewige Gelübde abgelegt haben. Bezüglich dieses Personenkreises bleibt daher die Unterscheidung zwischen einfachen und feierlichen Gelübden in Geltung.

33 Dort hieß es: "Impedimentis iuris mere ecc1esiastici tenentur tantum illi qui sunt in Ecclesia catholica baptizati vel in eam recepti nec actu formali ab ea defecerunt." Zur Frage B. Primetshofer, Der Kreis der Normadressaten des kanonischen Rechts, in: FS für Hermann Eichler, Wien 1977,483 ff. 34 Die endgültige Formulierung dieses c. steht allerdings noch nicht fest, da es sich dabei um eine jener Fragen handelt, die nach der Relatio 1981 noch einer gesonderten Begutachtung unterzogen wurden. Vgl. Anm. 5. 48 Primetshofer

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Das Hindernis des Verbrechens besteht nur noch bei Gattenmord, nicht mehr hingegen bei Ehebruch mit Eheversprechen35 . Die Blutsverwandtschaft wird anders berechnet als bisher. Der CIC folgte bekanntlich in der Seitenlinie der Zählweise des germanischen Rechts, d. h. es wurden nur die Zeugungen bzw. Personen in einem Ast der Seitenlinie gezählt. Es galt bislang das Axiom: "Tot gradus quot generationes" bzw. "tot gradus quot personae una dempta". - Dies führte zu dem Ergebnis, daß bei ungleichen Ästen (z. B. Verwandtschaft zwischen Onkel und Nichte) der Verwandtschaftsgrad mit dem längeren Ast unter Hnweis auf den kürzeren wiedergegeben wurde, d. h. also das genannte Verwandtschaftsverhältnis wurde als zweiter Grad berührend den ersten (2/1) wiedergegeben. - Das SCIC greift die römische Zählung auf und berechnet demzufolge die Verwandtschaft in der Seitenlinie dergestalt, daß beide Äste gezählt werden. Bruder und Schwester sind daher nach dieser Berechnung im zweiten Grad der Seitenlinie, Onkel und Nichte im dritten Grad verwandt. Das Hindernis reicht dem SCIC zufolge bis zum vierten Grad der Seitenlinie nach der neuen Zählung, d. i. der zweite Grad nach der Zählweise des CIC. Es ergibt sich somit, daß der Umfang des Hindernisses in der Seitenlinie reduziert wurde. In der geraden Linie hat sich gegenüber dem CIC keine Änderung ergeben. Im Gegensatz zum CIC gibt es keine mehrfache Verwandtschaft mehr, oder besser gesagt, diese ist rechtlich nicht mehr relevant. Sachlich identisch mit dem CIC ist der Hinweis des c. 1044 § 4 SCIC, daß eine Ehe niemals erlaubt werden dürfe, wenn Zweifel bestehen, ob die Ehewerber in irgendeinem Grad der geraden bzw. im zweiten Grad der Seitenlinie blutsverwandt sind. Der zweite Grad römischer Zählung entspricht dem bisherigen ersten Grad germanischer Zählung des c. 1076 § 3 CIC. Schwägerschaft besteht nur noch in der geraden Linie als Hindernis, und zwar in allen Graden.

Das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit entsteht aus der ungültigen Ehe nach Begründung der Lebensgemeinschaft. Dies ist gegenüber dem kodikarischen Recht neu, das nur auf die ungültige Ehe als solche abstellt. Ferner entsteht das Hindernis nach wie vor aus dem öffentlichen Konkubinat. Der Um-

35 Interessant ist allerdings, daß im staatlichen (österreichischen) Eherecht der Tatbestand des Ehebruchs ein Hindernis bildet, wenn der Ehebruch im Scheidungsurteil der früheren Ehe als Grund der Scheidung festgestellt wurde. Ehe-G §§ 9 und 26.

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fang ist gegenüber dem CIC eingeschränkt, da ein Hindernis nur noch im ersten Grad der geraden Linie besteht36 . Gesetzliche Verwandtschaft bildet im neuen Eherecht auf jeden Fall ein (trennendes) Ehehindernis; der Verweis auf das jeweils geltende Zivilrecht existiert nicht mehr. Geistliche Verwandtschaft ist als Ehehindernis gänzlich weggefallen.

b) Trauungsverbote Diese richten sich wie bisher an den der Ehe assistierenden Geistlichen. Es sind teils dieselben Tatbestände wie im CIC, teils sind neue hinzugekommen. Im CIC verstreut finden sich folgende Bestimmungen, die mit bestimmten Änderungen in das SCIC Eingang gefunden haben: Der Trauungsgeistliche soll nicht ohne vorherige Befragung des Ortsordinarius der Ehe Wohnsitzloser (vgl. c. 1032 CIC) oder eines notorisch vom katholischen Glauben Abgefallenen assistieren, auch wenn dieser keiner akatholischen Glaubensgemeinschaft beigetreten ist (vgl. c. 1065 CIC); ferner nicht der Ehe eines mit einer Zensur Behafteten (vgl. c. 1066 CIC). Eine Eheschließung Minderjähriger soll nicht vorgenommen werden ohne oder gegen den vernünftigen Willen der Eltern (vgl. c. 1034 CIC); in diesem Fall ist der Ortsordinarius ebenso zu konsultieren wie bei der Eheschließung durch Stellvertretung. - Neu hinzugekommen ist das Verbot der Assistenz bei einer Ehe, die nach den Bestimmungen des staatlichen Rechts nicht anerkannt wird oder nicht geschlossen werden darf3 7 , sowie das Verbot der Eheschließung bei einem Ehewerber, der Verpflichtungen gegenüber einem früheren Partner bzw. gegenüber Kindern aus einer früheren Verbindung zu erfüllen hat (c. 1024 SCIC). Hier ist 36 In der geraden Linie ist kein Unterschied zwischen der gennanischen und römischen Zählung. 37 Hier ist u. a. an die Problematik um den in der Bundesrepublik Deutschland noch bestehenden, in Österreich durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes 1955 aufgehobenen § 67 Personenstandsgesetz zu denken, demzufolge eine kirchliche Ehe nicht vor der standesamtlichen geschlossen werden darf bzw. (in Österreich) durfte. Für rein kirchliche Eheschließungen, denen keine standesamtliche Trauung vorausgeht bzw. ihr unmittelbar nachfolgt, bedarf es in Österreich aufgrund des partikularen Kirchenrechts einer gesonderten Erlaubnis seitens des zuständigen Bischöflichen Ordinariats. Vgl. P. Gradauer, Die kirchlichen Ehegesetze mit den Ehevorschriften der Diözese Linz, in: Linzer Diözesanblatt 1973, 186-187.

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an die staatlich geschiedene Zivilehe eines Formpflichtigen zu denken bzw. an Verpflichtungen, die ohne eheliche Verbindung entstanden sind. Das Recht des CIC hat auf diese Umstände wegen offensichtlich geringer Aktualität nicht geachtet. Angesichts der sprunghaften Zunahme von Ehescheidungen ist auch der kirchliche Gesetzgeber aufmerksam geworden; er hat sich übrigens schon in den Richtlinien über die Auflösung von Ehen zugunsten des Glaubens38 aus dem Jahre 1973 mit diesen Fragen auseinandergesetzt39 • Schließlich wird der Ordinarius gemahnt, die Erlaubnis zur Eheschließung mit einem Partner, der sich notorisch vom katholischen Glauben abgewandt hat, nur unter den für konfessionell gemischte Ehen geltenden Bedingungen zu erteilen. Allerdings wird im Gegensatz zum Recht des CIC (c. 1065 § 2) zur Eingehung einer solchen Ehe kein gewichtiger Grund mehr verlangt. Die Seelsorger werden angewiesen, Jugendliche vor der Eingehung einer Ehe zu warnen, solange sie nicht das ortsübliche Heiratsalter erreicht haben (c. 1025 SCIC).

4. Der Ehekonsens In diesem Abschnitt sind die einschneidendsten Änderungen des neuen Eherechts anzutreffen. Sie beziehen sich auf der einen Seite auf das, was man den "Geist" der neuen Gesetzgebung nennen kann, andererseits auch auf den materiellen Inhalt einzelner Bestimmungen. Formal sind zunächst einige Umstellungen gegenüber dem CIC zu beobachten. Die Grundaussage des c. 1081 über die Bedeutung des Konsenses für die Ehe ist nicht mehr im Abschnitt "De consensu matrimonial i " zu finden, sondern in den canones praeliminares des neuen Eherechts. An die dort an38 Kongregation flir die Glaubenslehre: Instruktion über die Auflösung der Ehe zugunsten des Glaubens vom 6. 12. 1973, Prot. Nr. 2717/68. Nachkonziliare Dokumentation 39. Der Instruktion angeschlossen sind eigene Verfahrensnormen für die Durchflihrung des Prozesses zur Auflösung der Ehe zugunsten des Glaubens. 39 Nr. 11 §§ 5 und 6 der Instruktion verlangt als Voraussetzung flir die Gewährung der Auflösung der Ehe, daß der die Auflösung begehrende Eheteil flir die religiöse Erziehung der Kinder aus der früheren Ehe Sorge trägt, und daß ferner in billiger Weise, nach den Normen der Gerechtigkeit, flir den verlassenen Eheteil und etwaige Kinder Vorsorge getroffen wird. - Art. 11 und 12 der Verfahrensnormen enthalten die Weisung, es müsse an die Kongregation für die Glaubenslehre berichtet werden, ob und wie der Bittsteller seinen Verpflichtungen gegenüber dem verlassenen Eheteil und etwaigen Kindern nachzukommen gedenke.

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zutreffende Definition der Ehe als Bund reiht sich die Beschreibung des Stellenwerts des Ehekonenses, wobei inhaltlich c. 1081 § 1 CIC übernommen wird. § 2 des zitierten c. des CIC mit der stark auf das Biologische reduzierten Aussage, daß der Ehekonsens in der Übertragung und Annahme des Rechts auf die zur Zeugung von Nachkommenschaft an sich geeigneten Akte bestehe, ist durch die Formulierung ersetzt worden, der eheliche Bund sei ein Willensakt, durch den Mann und Frau sich gegenseitig übergeben und annehmen, um eine Ehe zu bilden (c. 1010 § 2 SCIC). Das Schema fixiert drei Typen von Konsensmängeln, die in den letzten Dezennien von Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet, vom bisherigen gesatzten Recht aber nicht oder nicht genügend exakt ausformuliert worden waren. Demnach sind wegen Konsensmangels unfähig zur Eheschließung - die durch Geisteskrankheit oder schwere seelische Störung so beeinträchtigt sind, daß sie wegen mangelnden Vernunftgebrauchs einen ehelichen Konsens nicht leisten können; - die unter einer schweren Trübung ihrer Urteilsfähigkeit in bezug auf das eheliche Rechte-Pflichten-Verhältnis leiden; - die wegen einer schweren psychischen Störung die wesentlichen ehelichen Pflichten nicht zu übernehmen imstande sind. Während in den bei den erstgenannten Fällen ein Ehekonsens mangels der hiefür erforderlichen Voraussetzungen überhaupt nicht geleistet werden kann, liegt im dritten Fall sog. Erfüllungsunvermögen vor, d. h. der Kontrahent will zwar die Ehe mit ihren Wesensmerkmalen, ist aber in seiner Persönlichkeitsstruktur so beeinträchtigt, daß er diese Pflichten nicht erfüllen kann. Diese Neuformulierungen sind, wie schon gesagt, das Ergebnis eines langen Prozesses richterlicher Rechtsfortbildung und Verfeinerung durch die Lehre40 . Die vorliegende Kodifizierung gibt dem Richter ein gegenüber fruher wesentlich verbessertes Instrumentarium an die Hand, die immer komplexer werdende Wirklichkeit der Ehe in der Welt von heute zu erfassen und einer adäquaten Behandlung durch die Rechtsprechung zuzuführen. Das für eine Eheschließung erforderliche Mindestwissen (vgl. c. 1082 CIC) ist nun dahingehend festgelegt, daß beide Ehegatten nicht in Unkenntnis dar40 Vgl. dazu A. Dordett, Eheschließung und Geisteskrankheit. Eine Darstellung nach der Rechtsprechung der S. Romana Rota. Wien/Freiburg/Basel 1977; K. Lüdicke, Psychisch bedingte Eheunfähigkeit. Frankfurt/M.lBem/Las Vegas 1978; P. Wir/h, Die bisherige Rechtsprechung der Römischen Rota zur Frage der psychischen Eheunfähigkeit, in: AkKR 147 (1978) 71-98; M. Wegan, L'incapacite d'assumer les obligations du mariage dans la jurisprudence recente du tribunal de la Rote, in: RDC

28 (1978) 134-157.

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über sein dürfen, daß die Ehe eine dauernde, auf Nachkommenschaft ausgerichtete Lebensgemeinschaft (consortium permanens) zwischen Mann und Frau sei. Die Kontrahenten müssen ferner wissen, daß Nachkommenschaft durch irgendein sexuelles41 Zusammenwirken ("cooperatione aliqua sexuali") entstehe. Beim Irrtum ist die Aussage des neuen Gesetzbuches hinsichtlich des Personenirrtums identisch mit dem CIC (c. 1083 § 1 CIC - c. 1051 § 1 SCIC). Beim Eigenschaftsirrtum ist der bisherige "erratische Block" des Irrtums über den Sklavenstand (c. 1983 § 2, 2 CIC) weggefallen. Der sog. verdeckte Personenirrtum, d. h. der auf einen Personenirrtum hinauslaufende Eigenschaftsirrtum des c. 1083 § 2, 1 CIC ist im letzten Begutachtungsstadium (Relatio 1981) besser ausformuliert worden, was indes keine substantielle Änderung der bisherigen Rechtslage bedeutet42 . Die weitaus einschneidendste Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage bringt c. 1052 SCIC, demzufolge arglistige, auf Eheschließung gerichtete Täuschung über eine Eigenschaft des Partners Ungültigkeit der Ehe bewirkt, wenn die Täuschung geeignet ist, das eheliche Leben schwer zu stören 43 . Es wird nicht gesagt, daß die Täuschung von einem Ehepartner ausgehen muß; sie könnte auch von einem Dritten vorgenommen worden sein. Rechtserheblich ist indes nur der arglistig hervorgerufene (Täuschung), auf Eheschließung ausgerichtete Irrtum, nicht hingegen schwerwiegender Irrtum schlechthin, d. h. den der Irrende selbst zu vertreten hat, mag dieser Irrtum das eheliche Leben auch noch so schwer belasten44 • Hier ist im Interesse der Rechtsschutz Suchenden noch ein Desiderat an den Gesetzgeber zu richten 45 . 41 Der Ausdruck cooperatio sexualis findet sich erst in der Relation 1981; im Schema 1980 war ebenso wie im Schema 1975 noch von cooperatio corporalis die Rede. 42 In den Schemata von 1975 und 1980 fand sich die in c. 1083 § 2, 1 enthaltene Formulierung, daß nur der auf einen Personenirrtum hinauslaufende Eigenschaftsirrtum (error qualitatis in errorem personae redundans) rechtlich relevant sei. Nach der Relatio 1981 ist der Eigenschaftsirrtum dann rechtserheblich, wenn eine Eigenschaft "directe et principaliter intendatur". 43 Die jahrelangen Bemühungen von Heinrich Flatten, eine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage des eIe zu erreichen und den "error dolose causatus" mit Rechtserheblichkeit auszustatten, sind somit von Erfolg gekrönt worden. Vgl. H. Flatten, Irrtum und Täuschung bei der Eheschließung nach kanonischem Recht. Paderborn 1957; ders., Der error dolose causatus als Ergänzung zu c. 1083 § 2 eIe, in: ÖAKR 11 (1960) 304-312; ders., Quomodo matrimonium contrahentes contra dolum tutand i sint. Köln 1961. 44 Auf die Unzulänglichkeit der projektierten Rechtslage weist U. Mosiek/H. Zapp, Kirchliches Eherecht mit dem Entwurf der eIe-Kommission. Freiburg/Br.

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Im Bereich der bedingten Eheschließung sind ebenfalls Änderungen gegenüber dem CIC festzustellen. Zunächst heißt es, daß eine Ehe unter einer zukünftigen Bedingung (conditio de futuro) nicht gültig geschlossen werden kann (c. 1056 § 1 SCIC). Nach dem CIC war die Setzung einer solchen Bedingung möglich, die Ehe blieb so lange in Schwebe, bis das Bedungene eingetreten war. - SCIC ermöglicht weiterhin die Beisetzung in der Gegenwart oder Vergangenheit liegender Bedingungen (conditio de praesenti vel de praeterito). Die Gültigkeit der unter solchen Bedingungen geschlossenen Ehen hängt davon ab, ob das Bedungene im Zeitpunkt der Eheschließung eingetreten ist oder nicht. Solche Bedingungen dürfen aber nur mit schriftlicher Erlaubnis des Ortsordinarius beigesetzt werden. 5. Die Eheschließungsform

Der Kreis der formpflichtigen Personen ist gegenüber dem CIC erheblich eingeschränkt. Formpflichtig sind zufolge c. 1072 SCIC nur die in der katholischen Kirche Getauften, bzw. - wenn anderwärts getauft - zu ihr Konvertierten, solange sie nicht durch formellen Akt aus der Kirche ausgetreten sind. Damit ist der im kodikarischen Recht u. a. im Bereich der Formpflicht geltende Satz "semel catholicus, semper catholicus" hier aufgegeben worden.

51981, 162 hin. - G. Delgado, Error y matrimonio canonico. Navarra 1975, 185 f. verteidigt die gegenwärtige Rechtslage und meint, es sei unmöglich, dem Irrtum über wichtige Eigenschaften des Partners schlechthin rechtliche Relevanz zuzuerkennen, da ein derartiger Irrtum auf mangelnde Sorgfalt bei der Wahl und Prüfung des Partners zurückzuführen sei. Dem durch Unterlassung der notwendigen Sorgfalt entstandenen Irrtum eine die Ehe verungültigende Wirkung beimessen hieße aber, ein unkluges und unverantwortliches Verhalten bei der Eheschließung mit der Möglichkeit einer Annullierung der Ehe auszustatten. - Die Argumente Delgados überzeugen indes in mehrfacher Hinsicht nicht. Die gleiche Begründung könnte nämlich auch in bezug auf den de lege lata rechtlich relevanten Irrtum über den Sklavenstand bzw. hinsichtlich des verdeckten Personenirrtums gegeben werden. Auch in diesen Fällen hätte ein sorgfältigeres Nachforschen vielleicht zur Aufdeckung des wahren Sachverhalts geführt. Dennoch hat der kodikarische Gesetzgeber in diesen Fällen Nichtigkeit der Ehe vorgesehen. Bei anderen, nicht minder schwerwiegenden Irrtümern (Geschlechtskrankheit eines Partners) liegt nach dem gegenwärtigen Recht kein Ungültigkeitsgrund vor, nach dem zukünftigen nur, wenn dabei arglistige Täuschung mit im Spiel ist. 45 Dazu B. Primetshofer, Theologische Kriterien für ein Familienrecht in Kirche und Staat, in: A. RiedllW. Zauner (Hrsg.), Familie - Träger des Glaubens. Linz 1980, 107.

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Im Einklang mit der geltenden Rechtslage heißt es in c. 1062 § 1 SCIC, daß nur diejenigen Ehen Geltung haben, die entweder vor dem Ortsordinarius oder -pfarrer bzw. einem delegierten Priester und zwei Zeugen geschlossen werden. Erstmals werden nun in § 2 dieses c. die Wesenselemente der Eheassi stenz beschrieben. Der assisistierende Geistliche hat demnach bei persönlicher Anwesenheit den Konsens der Ehewerber zu erfragen und diesen im Namen der Kirche entgegenzunehmen. Die Zuständigkeit von Ortsordinarius bzw. -pfarrer ist im Schema ausdrücklich eingeschränkt auf den Fall, daß wenigstens ein Ehewerber dem lateinischen Ritus angehört46 . Die Zuständigkeit des Personaloberhirten bzw. pfarrers hängt davon ab, daß wenigstens ein Eheteil der Jurisdiktion des Genannten untersteht. Die Trauungsdelegation ist nach wie vor einer bestimmten, genau bezeichneten Person zu geben, wobei nun allerdings fiir die Träger ordentlicher (mit einem Amt verbundener) Trauungsvollmacht die Möglichkeit besteht, diese allgemein Priestern und Diakonen zu delegieren. Eine solche allgemeine Delegation bedarf zu ihrer Gültigkeit allerdings nunmehr der Schriftlichkeit. Dem Recht des CIC zufolge kann nur den Kaplänen allgemeine Trauungsdelegation erteilt werden, nicht hingegen sonstigen Geistlichen. Eine völlige Neuerung gegenüber dem bisherigen Recht stellt die im Schema vorgesehene Möglichkeit dar, bei Mangel an geeigneten Priestern bzw. Diakonen die Trauungsvollmacht geeigneten Laien zu übertragen. Die Vollmacht hiezu wird dem Diözesanbischof gegeben, der allerdings einer vorausgehenden positiven Stellungnahme der Bischofskonferenz und einer Ermächtigung seitens des Heiligen Stuhles bedarf (c. 1066 SCIC). Interessanterweise wird im Gesetzestext nicht gesagt, daß nur männliche Laien als Träger der Trauungslizenz in Betracht kommen. Es wird lediglich verlangt, daß ein Laie bestellt werde, der den Ehewerbern eine passende Instruktion erteilen und die Trauungsliturgie ordnungsgemäß vollziehen kann (c. 1066 § 2 SCIC). Fehlende Trauungsvollmacht wird bei allgemeinem Irrtum sowie positivem und wahrscheinlichem Zweifel von der Kirche suppliert (c. 1068 SCIC). Damit ist die durch eine Entscheidung der PCI geschaffene Rechtslage in bezug auf c. 209 CIC47 in das Gesetzbuch übernommen worden. 46 Dies entspricht der geltenden Rechtslage aufgrund einer Entscheidung der Kommission rur die KodifIkation des orientalischen Kirchenrechts vom 3. 5. 1953, in: AAS 45 (1953) 313. 47 pel 26.3. 1952, in: AAS 44 (1952) 497.

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Die Eheschließung kann in jener Pfarre vorgenommen werden, in der einer der beiden Kontrahenten Wohnsitz, Nebenwohnsitz oder wenigstens einmonatigen Aufenthalt hat. Die in c. 1097 § 2 CIC festgelegte Erstzuständigkeit des Pfarrers der Braut ist somit nicht in das neue Recht übernommen worden48 • Der Eheschließungsort ist nach dem Schema für Ehen von Katholiken unter sich bzw. zwischen Katholiken und getauften Nichtkatholiken die Pfarrkirche; mit Erlaubnis des Ortsordinarius oder -pfarrers kann die Ehe aber auch in einer anderen Kirche oder Kapelle geschlossen werden. Überdies kann der Ortsordinarius gestatten, daß die Eheschließung an einem anderen passenden Ort vorgenommen wird. Ehen zwischen Katholiken und Nichtgetauften sollen in der Kirche oder an einem anderen geziemenden Ort geschlossen werden (c. 1073 SCIC). Die ökumenische Akzentsetzung gegenüber dem CIC ist unverkennbar. Nach dem kodikarischen Recht durften Mischehen zwischen einem Katholiken und einem (getauften oder ungetauften) Nichtkatholiken grundsätzlich nicht in der Kirche geschlossen werden (c. 1109 § 3 CIC). Hinsichtlich des Eheschließungsritus wird den Bischofskonferenzen die Vollmacht erteilt, mit Zustimmung des Heiligen Stuhles einen den Bedürfnissen der Bevölkerung der jeweiligen Religion angepaßten Trauungsritus zu entwerfen, wobei allerdings immer darauf zu achten ist, daß der der Eheschließung Assistierende (Geistliche oder Laie) den Konsens der Ehewerber erfrägt und entgegennimmt. In bezug auf die Beurkundung der Eheschließung ergeben sich keine nennenswerten Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Die bisher als "Gewissensehe" (matrimonium conscientiae) bezeichnete, unter strengster Verschwiegenheit vorzunehmende Eheschließung (cc. 11041107) führt jetzt die Bezeichnung "Die geheim abzuschließende Ehe" (matrimonium secreto celebrandum). Für ihre Eingehung ist nach c. 1084 CIC ein schwerer und dringender Grund gefordert, über dessen Vorhandensein und damit über die Gewährung einer geheimen Eheschließung der Ortsordinarius befindet. Damit kann nach dem SCIC eine derartige Eheschließung von vornherein auch der Generalvikar gestatten, während er nach c. 1104 CIC dazu eines Spezialmandats bedurfte. Die übrigen Bestimmungen über diese ohnedies seltene Art der Eheschließung (cc. 1084-1087 SCI C) unterscheiden sich nicht wesentlich von denen des CIe.

48 P. Wirth, Das neue kirchliche Eherecht, in: ÖAKR 26 (1975) 341.

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6. Konfessionell gemischte Ehen

Wie schon erwähnt, existieren im neuen Recht keine aufschiebenden Hindernisse mehr. "Mixta religion ist kein Hindernis; die Voraussetzungen für die Eingehung konfessionell gemischter Ehen finden sich in einem eigenen Kapitel des SCIC, das im wesentlichen eine Kodifikation der derzeitigen (nachkodikarischen) Rechtslage zum Inhalt hat. Ein "matrimonium mixtum" liegt zufolge c. 1078 SCIC nur vor zwischen einem Katholiken (d. h. einem in der katholischen Kirche Getauften bzw. zu ihr Konvertierten), solange er nicht "actu formalin aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, und einem einer nichtkatholischen christlichen Religionsgemeinschaft Angehörigen. Auch hier kommt dem Kirchenaustritt des Katholiken normbefreiende Wirkung zu. Abgesehen von diesem geänderten Umfang hinsichtlich des Kreises der Normadressaten wird im Schema die insbesondere durch die MP "Crescens matrimoniorum" (1967) und "Matrimonia mixta" (1970)49 geschaffene Rechtslage kodifiziert. Was insbesondere die Formpjlicht angeht, so sei kurz darauf verwiesen, daß bei Ehen zwischen Katholiken und orthodoxen Christen die Formpflicht nur mehr zur Erlaubtheit der Eheschließung vorgeschrieben ist; zur Gültigkeit genügt die Anwesenheit eines "minister sacer" (c. 1081 § 2 SCIC). Bei konfessionell gemischten Ehen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken des lateinischen Rechtsbereichs ist hingegen die Formpflicht nach wie vor als Gültigkeitsvoraussetzung festgelegt. Nach c. 1081 § 3 SCIC kann der Ortsordinarius des katholischen Teils aber von der Formpflicht dispensieren, wobei er gegebenenfalls den Ortsordinarius jenes Gebietes konsultieren muß, in dem die Eheschließung stattfindet. Zur Gültigkeit der Ehe muß irgendeine öffentliche Eheschließungsform eingehalten werden. 7. Rechtswirkungen der Ehe

Identisch mit dem CIC (c. 1110) ist der erste Halbsatz von c. 1088 SCIC über die Rechtswirkung der Ehe: Demnach entsteht aus jeder gültigen Ehe das seiner Natur nach dauernde Eheband. Die weiteren Aussagen des Schemas

49 AAS 59 (1967) 166 ff.; AAS 62 (1970) 257 ff. Nachkonziliare Dokumentation 26 und 28.

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weichen indes von denen des CIC ab. So heißt es in Anlehnung an die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" (Nr. 48b), daß die Ehegatten in einer christlichen Ehe für die Pflichten und die Würde ihres Standes durch das Sakrament in besonderer Weise gestärkt und gleichsam geweiht werden. In Gegensatz zu c. 1111 CIC, in dem als Folge der Eheschließung jedem Ehegatten gleiches Recht und gleiche Pflicht hinsichtlich der "actus proprios coniugalis vitae" zustehen, heißt es in SCIC c. 1089, jeder Ehegatte habe gleiche Rechte und Pflichten im Hinblick auf das "consortium vitae". In bezug auf die Ehelichkeit der Kinder gilt der Grundsatz, daß die in einer gültigen oder Putativehe gezeugten oder geborenen Kinder ehelich sind. Weggefallen ist indes die Einschränkung des c. 1114 CIC, derzufolge Kinder unehelich sind, wenn den Kindeseltern im Zeitpunkt der Zeugung der "usus matrimonii" durch eine (nach Eheschließung) empfangene Weihe oder abgelegte feierliche Ordensprofeß verboten war. Dem Schema zufolge ist ein Kind selbst bei Vorliegen der genannten Tatbestände ehelich. Abgesehen von der sowieso geringen Aktualität dieses Problems mag auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, daß es doch eine merkwürdige Konstellation darstellt, das in einer gültigen Ehe gezeugte und geborene Kind als unehelich zu bezeichnen50 . Überdies richtet sich die Sanktion eindeutig an den falschen Adressaten: Denn getroffen wird das in jeder Hinsicht unschuldige Kind, wenn seinen Eltern die Geschlechtsgemeinschaft trotz aufrechter Ehe untersagt war.

Die Legitimation unehelicher Kinder erfolgt wie bisher entweder durch nachfolgende Eheschließung der Kindeseltern oder durch Reskript des Heiligen Stuhles. Bei Legitimation durch Eheschließung der Kindeseltern ist die Beschränkung des c. 1116 CIC weggefallen, wonach eine Legitimation nur dann erfolgt, wenn die Kindeseltern im Zeitpunkt der Zeugung oder Schwangerschaft oder Geburt fähig waren, die Ehe miteinander einzugehen. Künftig findet bei der Geburt des Kindes durch nachfolgende Eheschließung der Kindeseltern auf jeden Fall eine Legitimation statt. Legitimierte Kinder sind, soweit nicht in Einzelfällen Gegenteiliges bestimmt ist, ehelichen in bezug auf alle kanonischen Rechtswirkungen gleichgestellt (c. 1094 SCIC).

50 An den Fall des matrimonium ratum non consummatum, das durch feierliche Profeß gelöst wird, ist in diesem Zusammenhang offensichtlich nicht gedacht.

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8. Trennung der Ehegatten Unter dieser Rubrik (De separatione coniugum) werden ebenso wie im CIC sehr verschiedenartige Tatbestände zusammengefaßt, nämlich die Lösung der Ehe dem Bande nach (und dies wieder bei verschiedenen Voraussetzungen) sowie die Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett bei Aufrechterhaltung des Ehebandes. a) Auflösung des Ehebandes Zunächst bekräftigt das Schema den schon in c. 1118 CIC ausgesprochenen Grundsatz, daß eine vollzogene Christenehe durch keine menschliche Gewalt, sondern nur durch den Tod gelöst werden könne. Die nicht vollzogene Ehe zwischen zwei Christen bzw. zwischen einem Christen und einem Nichtchristen kann aus einem gerechten Grund vom Papst gelöst werden, und dies entweder auf Betreiben beider Teile oder gegebenenfalls auch eines Teiles, selbst gegen den Willen des anderen (c. 1096 SCIC). Interessant ist, daß die seit Jahrhunderten bestehende51 , auch im CIC noch enthaltene Möglichkeit der Lösung der nichtvollzogenen Ehe durch feierliche Profeß nicht mehr Bestandteil des künftigen Eherechts sein wird. Freilich ist zu sagen, daß auch nach bisherigem Recht die Lösung einer solchen Ehe nicht ohne vorherige päpstliche Intervention möglich ist. Diese bezieht sich freilich nicht auf die Ehelösung als solche, sondern auf die Dispens vom Hindernis des c. 542, 1 CIC, demzufolge eine verheiratete Person nicht gültig ins Noviziat aufgenommen werden kann. Von der Gültigkeit des Noviziats hängt aber selbstverständlich die nachfolgende Profeß ab (vg1. c. 572 CIC). Neu ist auch die Tenninologie bei dieser Art von Ehelösung. Wurde bisher im Zusammenhang mit der Ehelösung durch den Papst von "dispensation gesprochen, so heißt es jetzt "dissolvi potest", was der tatsächlichen Rechtslage besser entspricht. Denn es wird nicht von einem Hindernis dispensiert, sondern die Ehe wird gelöst, so daß der Eingehung einer weiteren nichts im Wege steht.

51 Die Lösung der nicht vollzogenen Christenehe durch päpstliche Dispens bzw. feierliche Ordensprofeß (vgl. X 3, 32, 2) geht auf Papst Alexander 111. (1159-1181) zurück. Zur Frage E. Saurwein, Der Ursprung des Rechtsinstitutes der päpstlichen Dispens von der nicht vollzogenen Ehe. Analecta Gregoriana, Vol. 215. Series Facultatis luris Canonici: Sectio B, nr. 43. Roma 1980.

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Die Ehe zweier Ungetaufter kann unter Zuhilfenahme des im SCIC weiterhin ausdrücklich als solchem bezeichneten Privilegium Paulinum zugunsten des Glaubens des getauften Teiles gelöst werden. Hierbei wird ausdrücklich festgehalten, daß diese Ehe erst mit der Eingehung einer neuen ipso facto gelöst werde. Dies allerdings unter der Voraussetzung, daß der ungetaufte Partner sich weigert, friedlich mit dem getauften zusammenzuleben, sofern nicht der getaufte Partner selber diese Haltung des ungetauften verschuldet hat. Bevor der getaufte Partner zu einer neuen Ehe schreiten darf, muß die Willenshaltung des ungetauften geprüft werden, was weiterhin durch eine als "interpellationes" bezeichnete Befragung zu geschehen hat. Diesbezüglich wird dem Ortsordinarius nunmehr die Vollmacht erteilt, diese Befragung schon vor der Taufe des einen Teils vorzunehmen bzw. davon gänzlich zu dispensieren, sofern nur außergerichtlich und summarisch feststeht, daß die Befragung entweder nicht erfolgen kann bzw. ergebnislos verlaufen werde (c. 1098 SCIC)52. Der CIC gibt dem getauften Teil nur die Möglichkeit, eine Ehe mit einem Katholiken zu schließen (c. 1123 CIC); SCIC sieht von vornherein auch vor, daß der getaufte Partner eine neue Ehe mit einem getauften oder ungetauften Nichtkatholiken eingeht, wobei in diesen Fällen die Bestimmungen über die konfessionell gemischten Ehen einzuhalten sind (c. 1101 SCIC). Während der CIC frühere päpstliche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Privilegium Paulinum einfach durch Verweis auf diese Rechtsquellen löste, hat das Schema den Inhalt dieser Entscheidungen in einen eigenen Canon zusammengefaßt (c. 1102 SCIC). Identisch mit c. 1127 CIC ist die Aussage von c. 1103 SCIC, daß sich das Glaubensprivileg im Zweifel einer Rechtsgunst erfreue. Völlig neu hinzugekommen ist in diesem Abschnitt die Kodifikation dessen, was bisher in der Lehre, wenngleich kanonistisch nicht einwandfrei, unter der Bezeichnung "Privilegium Petrinum" zusammengefaßt wurde53 . Entgegen der Aussage von c. 1120 § 2 CIC, wonach das Privilegium Paulinum keine Anwendung fmdet auf Ehen, die von vornherein als halbchristliche, und zwar mit Dispens vom Hindernis der Religionsverschiedenheit (disparitas 52 Dies entspricht der bereits durch MP PastMun vom 30. 11. 1963 geschaffenen Rechtslage. 53 U. Navarrete, De termino "Privilegio Petrino" non adhibendo, in: PMCL 53 (1964) 323 ff.; H. Greiner, Can we still speak ofthe Petrine Privilege?, in: Jurist 38 (1978) 158 ff.

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cultus), geschlossen worden waren, hat die kirchliche Praxis, beginnend mit dem Jahre 1924, in zunehmendem Maße Auflösungen von halbchristlichen Ehen vorgenommen, auch wenn es sich dabei um Ehen katholisch Getaufter mit Ungetauften handelte, zu deren gültiger Eingehung Dispens vom Hindernis der disparitas cultus erforderlich war5 4 . Diese sich zunächst außerhalb des gesatzten Rechts entwickelnde Verwaltungspraxis des Heiligen Stuhles ist im Jahre 1973 in einer Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre zusammengefaßt worden55 . C. 1104 SCIC hält zunächst in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht der Instruktion fest, daß Ehen zwischen einem getauften und einem ungetauften Partner vom Papst zugunsten des Glaubens gelöst werden können, sofern die Ehe nach der Taufe des bisher ungetauften Teils nicht konsummiert worden ist. Soll die neue Ehe wieder mit einem ungetauften bzw. getauften nichtkatholischen Partner eingegangen werden, dann wird die Lösung der Erstehe nur vorgenommen, wenn der nichtkatholische Teil der Zweitehe dem katholischen die Freiheit läßt, seine Religion auszuüben, und ihm die Möglichkeit zuerkennt, die Kinder katholisch taufen und erziehen zu lassen56. Diese Formulierung ist nicht identisch mit der des c. 1079, 1 und 2 SCIC, worin über die Eingehung konfessionell gemischter Ehen gesprochen wird. Während es in der angezogenen Bestimmung heißt, der katholische Teil müsse versprechen, nach Kräften für die katholische Taufe und Erziehung der Kinder zu sorgen und der nichtkatholische müsse über diese Verpflichtung des katholischen unterrichtet werden, heißt es bei der Ehelösung aufgrund des Glaubensprivilegs, daß der nichtkatholische Teil dem katholischen die Möglichkeit zuerkennen müsse ("facultatem agnoscat"), alle Kinder katholisch taufen und erziehen zu lassen. Hier liegt ganz offensichtlich eine Verschärfung gegenüber den allgemeinen Bestimmungen hinsichtlich der konfessionell gemischten Ehe vor, was insofern durchaus berechtigt erscheint, als es hier ja um Auflösung einer bestehenden Ehe zugunsten des Glaubens geht, und hernach wieder eine Ehe geschlossen wird, bei der möglicherweise die gleiche Glaubensgefährdung für den katholischen Teil und die Kinder besteht.

54 Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung beschreibt eingehend A. Hopfenbeck, Privilegium Petrinum. Eine rechtssprachliche und rechtsbegriffliche Untersuchung. St. Ottilien 1976. 55 Vgl. Anm. 38. 56 In der ursprünglichen Fassung des Schemas 1980 hieß es in Übereinstimmung mit dem Text der Instructio der Kongregation für die Glaubenslehre (Nr. I lit. c), diese Bedingung sei in Form einer Kaution sicherzustellen. Die im Text angeführte Fassung, d. h. ohne das Erfordernis der Kaution, geht auf die in der Relatio 1981 durchgeführte Änderung zurück.

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Auffallend an der Formulierung des SCIC ist ferner, daß die in der Instruktion von 1973 anzutreffenden Beschränkungen bezüglich der Anwendbarkeit des Glaubensprivilegs nicht aufscheinen. Die Instruktion 1973 hat für derartige Ehelösungen eine Reihe von einschränkenden Klauseln aufgestellt, von denen einige besondere Erwähnung verdienen57 . So wird gefordert, daß die aufzulösende Ehe wegen tiefgreifender und unheilbarer Zerrüttung in ihrer Lebensgemeinschaft nicht wiederhergestellt werden könne, daß mit der Gewährung der Ehelösung keine Gefahr eines öffentlichen Ärgernisses oder einer großen Verwunderung gegeben sei und daß der bittstellende Teil nicht selbst schuld am Zerbrechen der Ehe sei. Ferner dürfe der katholische Teil, mit dem eine neue Ehe geschlossen bzw. eine bereits eingegangene konvalidiert werden soll, nicht selbst durch eigene Schuld die Trennung der Ehegatten provoziert haben. Mag man bezüglich des einen oder anderen in der Instruktion enthaltenen Details auch einwenden, solche ins einzelne gehende Anweisungen beträfen eher die Vollziehung als die Gesetzgebung und seien daher besser in einer nach Promulgation des Gesetzes zu erlassenden Verordnung (Instruktion) zusammenzufassen, so gilt dies sicher nicht für jene Bestimmung der geltenden Instruktion, wonach die Auflösung der mit Dispens vom Hindernis der disparitas cultus geschlossenen Ehe nicht gewährt wird, um eine neue Ehe mit einem Ungetauften einzugehen, der die Taufe nicht empfangen will. Ferner wird die Auflösung nicht gewährt für eine nichtsakramentale gültige Ehe, die nach Auflösung einer nichtsakramentalen gültigen Ehe geschlossen bzw. konvalidiert worden war58 . - Diese im Stil von c. 1120 § 2 CIC konzipierten Aussagen, die zwar den Gesetzgeber selbst nicht strikte binden, aber doch eine zumindest bewußtseinsbildende Anwendungsrichtlinie festlegen, sind m. E. von solchem Gewicht, daß sie im Gesetz selbst hätten Eingang finden müssen. Alle diese bisherigen Voraussetzungen für die Gewährung der Ehelösung künftig nur der Durchführung zu überlassen, halte ich weder aus rechtssystematischen Überlegungen noch auch von der Sache selbst her für vertretbar. Allzu leicht könnte der Vorwurf berechtigt erscheinen, der schon lange vor der Instruktion aus 1973 der kirchlichen Verwaltungspraxis in bezug auf die Ehelösung zugunsten des Glaubens gemacht wurde, der favor fidei habe sich in einen favor fidelium gewandelt, denn der mit einem Ungetauften verheiratete Christ könne unter Zuhilfenahme des Glaubensprivilegs, für das im Zweifel die Rechtsgunst spricht, immer wieder seine Ehe zur Auflösung bringen59 • Die Kirche darf nicht vergessen, daß sie die Unauf57 Nr. 11, V und VI der Instructio. Dazu Reskript der Kongregation für die Glaubenslehre an den Erzbischof von Freiburg/Br. vom 2l. 10. 1978. 58 Nr. V und VI der Instructio. 59 Vgl. l. Gampl, Privilegium uti aiunt Petrinum, in: FS für Franz Amold, Wien 1963,34l.

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löslichkeit jeder Ehe als eine Wesenseigenschaft derselben erklärt hat (c. 1009 SCIC). Es darf auch nicht im entferntesten der Eindruck entstehen, die Kirche nehme ihre eigene Aussage über die Unauflöslichkeit der Ehe nur dann ernst, wenn es um die "besondere Festigkeit" (peculiaris firmitas) der sakramentalen vollzogenen Ehe gehe, während sie bei allen anderen Ehen eine eher großzügige Handhabung obwalten lasse. Betrachtet man den Abschnitt über die Lösung der Ehe dem Bande nach als ganzen, so läßt das neue Eherecht noch deutlicher als das bisherige erkennen, daß der kirchliche Gesetzgeber sich im Zusammenhang mit der Auflösbarkeit bzw. Unauflösbarkeit von Ehen eigentlich besser in der Richtung ausdrücken müßte: Mit einer einzigen Ausnahme, nämlich der vollzogenen Christenehe, sind alle übrigen Kategorien von Ehen lösbar6 0 . Und ferner wäre im Interesse einer eindeutigen Nomenklatur auch zu sagen, daß es sich bei diesen als Ehelösungen bezeichneten Tatbeständen um eigentliche Ehescheidungen handelt, d. h. um durch hoheitlichen Spruch verfügte Lösungen der Ehe dem Bande nach aufgrund von Tatsachen, die nach der Eheschließung eingetreten sind61 . Während es beim Privilegium Paulinum heißt, daß die frühere Ehe erst mit der Eingehung einer neuen "ipso facto· gelöst werde, fehlt eine parallele Aussage bei der Lösung der halbchristlichen Ehe. Diese wird offensichtlich mit dem päpstlichen Hoheitsakt gelöst.

60 Mit Recht tritt Hopfenbeck (Anm. 54) dafür ein, in der Gesetzgebung und wissenschaftlichen Diskussion nur die sakramentale und als solche vollzogene Ehe als unauflöslich zu bezeichnen; alle anderen Ehen seien durch die kirchliche Autorität lösbar. - Diesem Postulat nach terminologischer Klarheit ist indes das vorliegende Schema noch nicht hinreichend gerecht geworden. 61 Wenngleich Hopfenbeck als begriffliches Gegenstück zur Unauflöslichkeit (der vollzogenen Christenehe) den Ausdruck "Auflösbarkeit" bzw. "Auflösung" verwenden und "Ehescheidung" für die Lösung der nichtvollzogenen Christenehe bzw. für Lösung nicht- oder halbchristlicher Ehen vermeiden möchte, ist dennoch festzuhalten, daß sich die kirchenrechtliche Lösung mit dem im staatlichen Recht ausgebildeten Begriff der Scheidung deckt. Denn hier wie dort handelt es sich um eine durch hoheitlichen Spruch vorgenommene Beendigung einer gültigen und fehlerfrei zustandegekommenen Ehe. M. E. spricht nichts dagegen, auch im kanonischen Recht in den genannten Fällen von Ehescheidung zu sprechen. - Zum Begriff der Ehescheidung Koziol/We/ser, (Anm. 20) 11, 182.

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b) Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft Die Überschrift über diesen Abschnitt lautet nicht wie im CIC "Die Auflösung von Bett, Tisch und Wohnung", sondern "Die Auflösung unter Aufrechterhaltung des Ehebandes" . Das Schema beginnt mit der Feststellung, daß beide Ehegatten Pflicht und Recht auf das eheliche Zusammenleben (convictus coniugalis) haben, sofern nicht ein rechtmäßiger Entschuldigungsgrund vorliegt (c. 1105 SCIC). Wesentlich anders als im CIC ist die dem unschuldigen Teil eingeräumte Möglichkeit ausformuliert, bei Ehebruch des anderen die eheliche Lebensgemeinschaft aufzugeben. Während der CIC lediglich die dem am Ehebruch unschuldigen Teil zustehende Vollmacht erwähnt, sich unter gewissen Voraussetzungen von der ehelichen Lebensgemeinschaft zu lösen, geht das Schema von einem anderen Gesichtspunkt an die Frage heran. Wenngleich, so beginnt c. 1106 § 1 SCIC, dringend zu raten sei, daß der Ehepartner von christlicher Liebe geleitet und um das Wohl der Familie besorgt, dem ehebrecherischen Partner Verzeihung gewährt und die eheliche Lebensgemeinschaft nicht aufgibt, komme ihm gleichwohl dieses Recht zu, sofern er nicht selbst dem Ehebruch zugestimmt, diesen veraniaßt oder selbst Ehebruch begangen habe. - In kaum einem anderen Teil des Eherechts kommt m. E. der Gegensatz zwischen der moralischen und juristischen Ordnung so deutlich zum Ausdruck wie hier. Im übrigen ist die dem unschuldigen Teil gewährte Vollmacht, die eheliche Lebensgemeinschaft aufzugeben, gegenüber dem CIC eingeschränkt. In c. 1129 CIC heißt es, der unschuldige Teil könne die Ehegemeinschaft auchfür immer aufgeben, während nunmehr c. 1106 § 3 SCIC festlegt, daß der unschuldige Eheteil, wenn er die Lebensgemeinschaft aufgibt, nach Ablauf von sechs Monaten der kirchlichen Autorität die Gründe für die Trennung darzulegen habe. Diese müsse dann darüber entscheiden, ob der Ehepartner dazu gebracht werden könne, sich mit dem anderen auszusöhnen, so daß die Trennung keine dauernde werde. Nach durchgeführter Trennung ist in geeigneter Weise für den Unterhalt und die Erziehung der Kinder zu sorgen (c. 1108 SCIC). Durch diese allgemeine Wendung werden die mehr ins Detail gehenden und stärker auf die katholische Erziehung der Kinder abstellenden Normen des CIC abgelöst.

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9. Vergültigung der Ehe

Die Bestimmungen über die sog. einfache Vergültigung (convalidatio simplex) bringen dem eIe gegenüber keine wesentlichen Neuerungen, sondern lediglich Präzisierungen, die teils durch die Terminologie des Schemas selbst, teils durch die von der Lehre erarbeiteten Ergebnisse bedingt sind. In bezug auf die Heilung in der Wurzel (sanatio in radice) sind gegenüber dem Recht des eIe neben terminologischen Präzisierungen auch inhaltliche Änderungen festzustellen. Zunächst einmal wird festgestellt, daß eine Ehe nur dann in der Wurzel geheilt werden könne, wenn deren Fortbestand wahrscheinlich sei (c. 1115 § 3 SeIC). In Gegensatz zu c. 1139 § 2 eIe heißt es aber nun, daß die mit einem Hindernis des Naturrechts oder positiv göttlichen Rechts eingegangene Ehe ab dem Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses in der Wurzel geheilt werden könne. Die Verwaltungspraxis des Heiligen Stuhles ist ohnedies schon längere Zeit in diese Richtung gegangen. Zuständig für die Heilung in der Wurzel ist neben dem Heiligen Stuhl in Einzelfallen auch der Diözesanbischof (nicht der Ortsordinarius schlechthin), auch wenn mehrere Nichtigkeitsgründe in ein und derselben Ehe zusammenfallen. Bei konfessionell gemischten Ehen sind die einschlägigen Bestimmungen zu beachten. Der Diözesanbischof kann indes eine Heilung in der Wurzel nicht vornehmen, wenn ein Hindernis vorliegt, dessen Dispens dem Heiligen Stuhl vorbehalten ist bzw. wenn es sich um ein inzwischen weggefallenes Hindernis des Naturrechts oder positiv göttlichen Rechts handelt62 . Der eIe schließt den Tit. VII über das Eherecht mit einem nur aus zwei canones bestehenden Kapitel "De secundis nuptiis". Das Schema macht zu dieser Frage keine Aussage. Abgesehen von den nicht mehr geltenden liturgischen Beschränkungen der cc. 1142 f. eIe hinsichtlich der Zweitehe ist der Tenor des c. 1142 eIe juristisch insofern problematisch, als er festlegt, daß die nach dem Tod des einen Ehegatten geschlossene Zweitehe erlaubt sei. Nun ist es aber grundsätzlich nicht Aufgabe eines Gesetzbuches, festzustellen, daß etwas erlaubt, sondern wann etwas nicht erlaubt bzw. nicht gültig sei.

62 Vgl. MP EpMun Nr. 8.

Überlegungen zum Eherecht des CIC/1983* I. Zum Konzept des neuen Eherechts Der Gesetzgeber des am 25. 1. 1983 promulgierten Codex luris Canonici (CIC/1983), Papst Johannes Paul 11., charakterisiert das neue kirchliche Gesetzbuch als ein großes Bemühen, die konziliare Ekklesiologie in die kanonistische Sprache zu übersetzen I. Es sei, so fährt der Papst fort, ein Merkmal dieses Codex, daß er als Vervollständigung der vom 11. Vatikanischen Konzil vorgestellten Lehre, insbesondere hinsichtlich der Dogmatischen Konstitution über die Kirche und der Pastoralkonstitution angesehen werden könne2 • Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der CIC/1983 in vielen Bereichen die Theologie und Ekklesiologie des 11. Vatikanischen Konzils widerspiegelt, was freilich noch nicht heißt, ja gar nicht heißen kann, daß der "Geist des CIC/1983" mit dem des 11. Vatikanischen Konzils identisch ist3 . Was das Eherecht dieses neuen Codex betrifft, so führt schon eine ganz allgemeine Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis, daß es sich wohltuend von einer Reihe von Defiziten abhebt, die das Eherecht des CIC/1917 gekennzeichnet hatten. Dies beginnt schon bei der systematischen Einordnung des Eherechts in das Gesamtgefüge des Codex. Der CIC/1917 hatte das gesamte Sakramentenrecht (darunter also auch das Eherecht) dem Sachenrecht (Liber III: De rebus) zugewiesen, das sich überhaupt als ein Sammelbecken von recht unterschiedlichen Rechtsmaterien darstellte. Neben dem Sakramentenrecht waren in diesem dritten Buch auch Bestimmungen über heilige Orte und

* Um die Anmerkungen erweiterte Fassung eines am 10. 5. 1984 vor der Österr. Gesellschaft für Kirchenrecht gehaltenen Vortrags. 1 Apost. Konst. "Sacrae disciplinae leges" vom 25. 1. 1983. Lateinisch-deutsche Ausgabe des CIC/1983, XIX. 2 Ebd., XXI. - In seiner Grußbotschaft an den Internationalen Kanonistenkongreß in Ottawa (Kanada) im August 1984 sagte Papst lohannes Paul 11., der neue Codex verkörpere die Direktiven und den wahren Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils. HerKorr. 38 (1984) 492. 3 B. Primetshofer, Vom Geist des CIC 1983, in: Ecclesia peregrinans, FS für I. Lenzenweger zum 70. Geburtstag, Wien 1986, 405-417.

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heilige Zeiten zu finden, ferner Aussagen über das kirchliche Lehramt, über das Benefizialrecht und schließlich über zeitliche Güter der Kirche. Da der CIC/1917 im wesentlichen von der römisch-rechtlichen Dreiteilung des Rechtsstoffes (personae, res, actiones) geprägt war, mußten im "Sachenrecht" alle jene Materien erfaßt werden, die sonst nirgends mehr unterzubringen gewesen wären. Die Zuweisung der Sakramente in das Sachenrecht ist aber zweifellos auch von einer die frühere Rechtsordnung prägenden Sakramententheologie beeinflußt: Sakramente sind "heilige Sachen", der sachlich-dingliche Aspekt des Sakramenten "vollzugs " steht im Vordergrund. Sakramente werden von der Kirche "verwaltet", und es ist bezeichnend, daß der CIC/1917 für die Verwaltung von Sakramenten und von zeitlichen Gütern der Kirche ein und dasselbe Wort, nämlich "administrare" verwendet4 . - Im ersten der dem Sakramentenrecht des CIC/1917 vorangehenden canones praeliminares (c. 731 § 1) fmdet sich eine Aussage über die Sakramente, die zwar keine eigentliche Legaldefinition darstellt, aber doch Elemente einer solchen enthält. In der Textierung dieses c. 731 § 1 ist ganz deutlich der Nachklang einer die damalige Theologie beherrschenden Sicht der Sakramente zu erblicken, wie sie etwa in Wetzer-Welte's Kirchenlexikon zu fmden ist: "Sacramente heißen nach dem jetzt fast ausschließlichen theologischen Sprachgebrauch gewisse äußerliche Riten, die eine innere Heiligung des Menschen nicht bloß symbolisieren oder anzeigen, sondern auch bewirken. Demnach kann man ein Sacrament kurz defmieren als wirksame Zeichen der Heiligung"5. Mit Recht wurde dieser Theologie gegenüber der Vorwurf erhoben, daß sie die Sakramente zu sehr als isolierte kirchliche Phänomene betrachte, die ihren Zusammenhang mit dem Mysterium des göttlichen Heilswillens verloren haben. Bei der überwiegend institutionalisierten Sicht der Sakramente fehle überdies der Sinn für den menschlichen Kontext des sakramentalen Lebens fast gänzlich6 . Wohltuend heben sich demgegenüber die Grundaussagen des CIC/1983 über die Sakramente ab, wie sie in c. 840 niedergelegt sind: Sakramente des Neuen Bundes sind als Handlungen Christi und der Kirche Zeichen und Mit4 Vgl. dazu c. 731 § 1 und den Tit. XXVIII im Lib. III des CIC/1917 "De bonis ecclesiasticis administrandis" . 5 A. Lehmkuhl, Sacramente, in: Wetzer-Welte's Kirchenlexikon, Freiburg/Br. 21897, Sp. 1841. - Kritisch zu der die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beherrschenden Sakramententheologie C. E. O'Neill, in: H. Vorgrimler/R. Van der Gucht, Bilanz der Theologie, Freiburg/Br. 1970, III, 245 f. 6 O'Neill, ebd. 245.

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tel, durch die der Glaube ausgedruckt und bestärkt wird; sie tragen in sehr hohem Maße dazu bei, daß die kirchliche Gemeinschaft herbeigeführt, gestärkt und dargestellt wird. Hier tritt in deutlicher Abkehr von einem statischen, beinahe magischen Sakramentenverständnis der Gedanken in den Vordergrund, daß Sakramente auch, ja in erster Linie, personale, in der kirchlichen communio sich ereignende Heilsvollzüge darstellen 7 • Aus dieser in nicht wenigen Punkten erheblich geänderten GrundeinsteIlung heraus werden auch, was die rechtliche Seite des Ehesakramentes betrifft, erfreuliche Schlüsse gezogen, deren Charakteristik darin liegt, daß die abstrakte Institution Ehe in der gesetzgeberischen Interessenssphäre etwas in den Hintergrund, das Bezugsverhältnis der in der Ehe lebenden Partner in den Vordergrund tritt. So ist nun im neuen Eherecht nicht mehr von Primär- und Sekundärzweck der Ehe (c. 1013 § 1 CIC/1917) die Rede, und der Ehekonsens besteht nicht mehr im Recht bzw. in der Pflicht zur Übertragung und zur Annahme des "Rechts auf die zur Zeugung von Nachkommenschaft an sich geeigneten Akte" (c. 1081 § 2 CIC/1917)8. Im CIC/1983 wird die Ehe, wie in der Pastoralkonstitution9 , als Bund (c. 1055 § 1) bezeichnet, durch den die Ehegatten das "totius vitae consortium", die "ganzheitliche Lebensgemeinschaft"IO begründen. Der Ehekonsens wird nicht mehr in biologistischer Engführung als Recht und Pflicht zur Geschlechtsgemeinschaft verstanden, sondern als Willensakt, durch den Mann und Frau sich gegenseitig schenken und annehmen (c. 1057 § 2). Dieses neue, den CIC/1983 kennzeichnende Ehebild hängt unzweifelhaft mit einem im allgemeinen gesellschaftlichen Bewußtsein gewandelten Rollenbild von Ehe zusammen. Wiederholt wurde schon darauf hingewiesen, daß 7 Zum Wandel vom früheren statisch-magischen Sakramentenverständnis zu einer personal-dynamischen Auffassung vgl. J. Gründel, Die Zukunft der christlichen Ehe. Erwartungen, Konflikte, Orientierungshilfen. München 21979,61 ff. 8 Mit vollem Recht kritisiert u. a. P. d'Avack die einseitig materialistische und biologistische Hervorkehrung des "ius in corpus" als Gegenstand des Ehevertrages im Eherecht des CIC/1917. P. d'Avack, Per una riforma giuridica dei matrimonio, in: Il diritto ecclesiastico, 85 (1974/1) 6. - Vgl. dazu O. Giacchi, Significato evalore delle nuove norme dello "Schema iuris recogniti de matrimonio", in: EICan 35 (1979) 111. 9 GS 47-52. 10 "Totius vitae consortium" des c. 1055 § 1 scheint mir auf diese Weise besser wiedergegeben als mit dem von der deutschen Übersetzungs gruppe gewählten Ausdruck "Gemeinschaft des ganzen Lebens".

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sich im Gefolge früherer Gesellschaftsformen mit überwiegender Agrarstruktur ein starkes Eingebundensein der einzelnen Ehe in das größere Gefiige der Gruppe (Großfamilie, Sippe, Clan) ergab. Die Ehe war fiir die Groß gruppe insbesondere durch die Gewinnung neuer Arbeitskräfte (Ehepartner, Kinder) wichtig, und demzufolge wurde der Primärzweck der Ehe in der Zeugung von Nachkommenschaft erblickt. Das Vorherrschen der gruppenbezogenen Interessen hatte auch ein Zurückdrängen der Individualinteressen der Ehepartner im Gefolge 11. Dies äußerte sich u. a. auch darin, daß der Vorsteher der Groß gruppe die Auswahl der Ehepartner fiir die der Gruppe angehörigen heiratsfähigen Mitglieder besorgte, bzw. daß zumindest die vom einzelnen Ehewerber innerhalb der Gruppe selbst getroffene Partnerwahl einer Zustimmung des Familienoberhauptes bedurfte. - Mit dem Vordringen der Industrialisierung und Urbanisierung ändert sich die soziale Rolle der Ehe. Mit dem Zurückgehen der Kindersterblichkeit durch medizinische und hygienische Maßnahmen und die immer stärker werdende Gefahr einer Überbevölkerung sind der Geburtenfreudigkeit Grenzen gezogen. Die Ehe wird nunmehr zur partnerschaftlichen Beziehung der Ehegatten untereinander, wenngleich sie selbstverständlich auch ihre natürliche Ausrichtung auf die Gesellschaft, insbesondere als legitimer Ort des Werdens neuen Lebens beibehält 12 . Auch der kanonische Gesetzgeber hat dem gewandelten Rollenverständnis der Ehe in der Gesellschaft von heute Rechnung getragen. Der in c. 1055 § 1 CIC/1983 umschriebene Ehebund ist seiner "natürlichen Eigenart" ("indole sua naturali") gemäß auf das Wohl der Ehegatten und auf Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet. Gegenüber der Aussage des c. 1013 § 1 CIC/1917, wonach der Primärzweck der Ehe in der Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft, und erst einer der Sekundärzwecke, im "mutuum adiutorium" der Ehegatten bestand, bedeutet die Aussage des c. 1055 § 1 CIC/1983 einen entscheidenden und wirklich mutigen Schritt des Gesetzgebers 13 , der ihm freilich - wie so vieles- vom Konzil vorgezeichnet war 14 . 11 J. Pohier, La theologie du couple. Promotion et/ou surcharge? Bruxelles 1978, 6 f. bemerkt dazu treffend: "Le couple ne tire pas sa signification de lui-meme, ni de la relation qu'iJ represente entre deux partenaires, mais du groupe au service duquel il est." V gl. K. Lüdicke, Eherecht. Essen 1983, 1l. 12 Vgl. dazu H. Pree, Die Ehe als Bezugswirklichkeit. - Bemerkungen zur Individual- und Sozialdimension des kanonischen Eherechts, in: ÖAKR 33 (1982) 339-396. 13 Die vorliegende Fassung des c. 1055 § 1 CIC/1983 ist offensichtlich das Ergebnis eines längeren Prozesses der Bewußtseinsbildung innerhalb der CIC-Kommission. Denn das Schema Sacr. von 1975 enthielt in c. 243 zwar schon Elemente des späteren c. 1055 § 1 CIC/1983 (so wird die Ehe bereits als "totius vitae consortium inter virum et mulierem" gesehen), es fehlt aber die Bezeichnung der Ehe als Bund,

Überlegungen zum Eherecht des CICIl983

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Die Gemeinschaftsbezogenheit der Ehe sieht der CIC/1983 unter einem völlig neuen, dem CIC/1917 in dieser Form kaum bekannten Aspekt. Der für Sakramente im allgemeinen bestehende Bezug zur kirchlichen communio (c. 840), von dem bereits die Rede war, findet seine besondere Ausprägung beim Ehesakrament u. a. in einer Aussage des kirchlichen Gesetzbuches, die sich im Rahmen der kodikarischen Grundrechtskodifikation befindet. C. 226 stellt fest, daß der in Ehe und Familie lebende Christ gerade in diesem Stand zur Mitwirkung am Aufbau des Volkes Gottes berufen ist. Und im Abschnitt über die pastorale Vorbereitung der Eheschließung wird die christliche Gemeinde als solche aufgerufen, den Gläubigen jene Hilfe zu bieten, durch die der Ehestand im christlichen Geist bewahrt wird und in der Vollkommenheit vorankommt (c. 1063). Man wird dem Gesetzgeber des CIC/1983 durchaus mit Recht bescheinigen können, daß er in der Ausgestaltung des kanonischen Eherechts nicht nur theologische Impulse aufgegriffen, sondern auch das soziale Umfeld der Ehewirklichkeit von heute in seine Überlegungen miteinbezogen hat. Hierbei ist er von der durchaus richtigen Voraussetzung ausgegangen, daß es auch im Sakramentenverständnis der Kirche nicht nur Unwandelbares, der Kirche gleichsam für alle Zeiten und Zonen Vorgegebenes gibt, sondern daß Sakramente immer auch von konkreten, in ihre Geschichtlichkeit gestellten Menschen erfaßt und gelebt werden, und daß eine Kirche, die in ihrer Gesetzgebung dem Wandelbaren nicht ebenso Rechnung trägt wie dem unverziehtbar Vorgegebenen, ihrer Sendung untreu wird, am Menschen vorbeilebt und vorbeiregiert, anstatt daß sie ihm zu leben hilft. Diese Feststellung schließt indes nicht aus, daß auch die Frage aufgeworfen werden kann, ob die konkrete Gestalt der Eherechtsnormen, wie sie nunmehr vor uns liegen, alle oder doch zumindest die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt, die an ein vom Gedanken der "salus animarum" getragenes Eherecht gestellt werden müssen. Eine Gesetzgebung ist ja niemals ein endgültiger Schlußstrich, der keinen Raum für weitere Entwicklungen offen läßt. Auch der CIC/1917 ist mit seinem Anspruch, ausschließliche Quelle des universalen Rechts der Lateinischen Kirche zu sein, "geniale Utopie" geblieben; das Gesetzbuch stand "nirgends und zu keiner Zeit uneingeschränkt in Gel-

und vor allem fehlt die Hinordnung der Ehe auf das Wohl der Ehegatten. C. 243 Schema Sacr. zufolge ist die Ehe zwar eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau; sie weist aber als solche nur eine einzige Ausrichtung auf, nämlich "ad prolis procreationem et educationem" . 14 GS 48.

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tung"15. - Der Gesetzgeber von 1983 ist sicherlich erheblich bescheidener geworden. Ob man dem CIC/1983 als Ganzem die Attribute der Vorläufigkeit und Offenheit geben kann, die durchaus zu Recht der (unmittelbar) nachkonziliaren Gesetzgebung nachgesagt wurden 16 , bedürfte einer eingehenden Untersuchung. Gewisse Anzeichen im CIC/1983 sowie Vorgänge in der Zeit nach seinem Inkrafttreten deuten offensichtlich in Richtung einer wieder stärker werdenden Zentralisierung und Uniformierung, denen ein theologischer und kanonistischer Neofundamentalismus zugrunde liegt 17 . Im folgenden sollen einige eherechtliche Problemfelder aufgezeigt werden, in denen m. E. die gegenwärtige Gesetzgebung hinter berechtigten Erwartungen zurückgeblieben ist, bzw. wo sie sich von bereits überholten Denkmodellen nicht in wünschenswertem Ausmaß befreit hat.

11. Eherechtliehe Einzelfragen 1. Die Gleichsetzung von Ehevertrag und -sakrament bei Getauften

Zwischen den das Eherecht einbegleitenden und auf die Stiftung des Ehesakraments durch Christus hinweisenden canones der beiden Gesetzbücher ist insofern ein Unterschied festzustellen, als c. 1055 § 1 CICI1983 die Ehe als Bund ifoedus) bezeichnet, während c. 1012 § 1 CIC/1917 vom Ehevertrag (contractus matrimonialis) spricht l8 . Allerdings fällt auch der CIC/1983 in c. 1055 § 2 sofort wieder in die frühere Terminologie zurück, wenn er deckungsgleich mit c. 1012 § 2 CIC/1917 - davon spricht, daß es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben könne, der nicht zugleich Sakrament ist.

15 W. M. Plöchl, Um ein neues katholisches Kirchenrecht, in: ÖAKR 23 (1972) 275. 16 R. Potz, Die Geltung kirchenrechtlicher Normen. Prolegomena zu einer kritisch-hermeneutischen Theorie des Kirchenrechts. Wien 1978,268. 17 Dazu D. Seeher, Mehr als Restauration, in: HerKorr 39 (1985) 246-249, insb. 248 f. 18 Zur theologischen Begründung des Bundesgedankens in der Ehe vgl. Commissio Theowgica Internationalis, Propositiones de quibusdam quaestionibus doctrinalibus ad matrimonium christianum pertinentibus, in: Z. Grocholweski, Documenta recentiora circa rem matrimonialem et processualem, Vol alt., Romae 1980, 26 (Nr. 5048 f.).

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Die von den beiden Gesetzbüchern getroffene Feststellung der Untrennbarkeit von Ehevertrag und -sakrament hat als Normadressaten den Getauften schlechthin, allerdings nur dann, wenn beide Ehepartner getauft sind. Wenn man davon ausgeht, daß die Bestimmung des c. 1055 § 2 CIC/1983 ein rein kirchliches Gesetz (lex mere ecclesiastica) darstellt l9 , so bildet die Einbeziehung aller Getauften in die im Gesetz genannte Rechtsfolge für den CIC/1983 die Durchbrechung des allgemeinen Grundsatzes von cc. 11 und 1059, wonach nur Katholiken an die Bestimmungen des CIC/1983 gebunden sind. Beide Gesetzbücher folgern aus der Tatsache der Stiftung des Ehesakraments durch Christus, daß es daher ("quare") keinen gültigen Ehevertrag unter Getauften geben könne, der nicht automatisch Sakrament wäre (c. 1012 § 2 CIC/1917, c. 1055 § 2 CIC/1983). Vom rein formalen Standpunkt ist dazu zu bemerken, daß sich aus der Prämisse, wonach Christus die Ehe unter Getauften "zur Würde eines Sakraments" (ad sacramenti dignitatem) erhoben habe, nicht auch schon ohne weiteres ergibt, daß jede Ehe von Getauften Sakrament sein miisse20 • - Wenn beide Gesetzbücher die Realidentität von Vertrag und Sakrament so sehr betonen, so ist festzustellen, daß die Kanonistik seit eh und je dennoch eine reale Unterscheidung zwischen Vertrag und Sakrament vornimmt. Wenn es nämlich darum geht, die Zuständigkeit der Kirche zu einer dem Bereich der "leges mere ecclesiasticae" zuzuweisenden, die Gültigkeit der Ehe berührenden Gesetzgebung zu begründen und wenn dabei der Einwand vorgebracht wird, die Kirche könne nicht in das sakramentale Geschehen als solches eingreifen, so wird darauf hingewiesen, daß kirchliches Eherecht sich nicht mit dem Sakrament, sondern nur mit dem Vertrag befasse21 . 19 J. Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis, Bozen 1983, 24 bezeichnet die Identität von Ehevertrag und -sakrament als "Lehrprinzip" , das aus dem Dogma abzuleiten sei, wonach die Ehe zwischen Getauften Sakrament sei. - Er befaßt sich allerdings nicht mit der Problematik, ob aus der unzweifelhaft vorgegebenen dogmatischen Position von der Sakramentalität der Christenehe als solcher auch schon mit zwingender Notwendigkeit geschlossen werden kann bzw. muß, daß jede Ehe Getaufter unter allen Umständen Sakrament ist. 20 Von der Sprachlogik her könnte die Frage gestellt werden, ob das in § 2 des c. 1055 CIC/1983 anzutreffende, aus c. 1012 § 2 CIC/1917 übernommene "Quare" richtig plaziert ist. Denn bei c. 1013 war in §§ 1 und 2 jeweils vom "contractus" die Rede, das "quare" erweist sich somit als Bindeglied zwischen einem in beiden Abschnitten verwendeten Ausdruck. Dies ist aber in c. 1055 CIC/1983 nicht der Fall, sondern § 1 spricht vom "foedus", und in § 2 scheint erstmals das Wort "contractus" auf. Die Verwendung des "quare" in c. 1055 ist daher nicht in gleichem Maß stimmig wie bei c. 1013 CIC/1917. 21 So befaßt sich etwa Cappello im Anschluß an eine Aussage des Tridentinuums (Sess. XXI, cap. 2) mit dem Einwand, die Kirche besitze keine Kompetenz bezüglich

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In bezug auf die vom CIC/1983 neuerdings wieder eingenommene Position von der Untrennbarkeit von Ehevertrag und -sakrament stellen sich im wesentlichen zwei Fragen: 1. Ist c. 1055 § 2 Ausfluß einer unveränderbar vorgegebenen theologischen Position, die mit dem Sakramentscharakter der Ehe von Getauften untrennbar verbunden ist? 2. Wenn die erste Frage zu verneinen ist, sprechen ausreichende Gründe dafür, an der gegenwärtigen Junktimierung der bei den Elemente festzuhalten?

Betrachtet man die theologische Entwicklung des Problems, das sich hinter der Formulierung von c. 1012 § 2 CIC/1917 und c. 1055 § 2 CIC/1983 verbirgt, so kommt man um die Feststellung nicht herum, daß hier im Zusammenhang mit einer bestimmten geschichtlichen Verumständung eine Fixierung vorgenommen wurde, die über das zur Lösung anstehende Problem hinausgeht. Seit dem ausgehenden 17. und insbesondere im 18. Jahrhundert stand die Kirche einem immer stärker werdenden Anspruch des Staates auf Setzung eines eigenen, von der Kirche unabhängigen Eherechts für alle Staatsbürger gleich welcher Konfession gegenüber. Die von den sog. "Regalisten"22 behauptete staatliche Kompetenz in bezug auf das Eherecht wurde von diesen u. a. damit begründet, daß ja auch bei Getauften eine reale Trennbarkeit von Ehevertrag und -sakrament gegeben sei, und der Staat daher für den Vertrag, die Kirche aber für das Sakrament zuständig sei 23 . Der Kirche war es um eine Zurückweisung des staatlichen Ausschließlichkeitsanspruchs auf den Ehevertrag zu tun, was u. a. durch den Hinweis erzielt werden sollte, daß bei Getauften der Ehevertrag als solcher schon Sakrament sei der inneren Substanz der Sakramente; (trennende) Ehehindernisse berührten aber die Gültigkeit der Ehe und damit die Substanz des Sakramentes selbst. - Er begegnet dem Einwand mit dem Hinweis, Ehehindernisse berührten nicht "directe et immediate" die Substanz des Sakramentes, sondern "nur" den von den Partnern zu leistenden Konsens, d. h. den Vertrag. Diesen erkläre die Kirche für gültig oder nicht gültig, "antequamjiat substantia matrimonii". F. M. Cappello, Tractatus canonico-moralis de sacramentis, vol. V, De matrimonio, Taurini 61950, 51. Vgl. dazu M. F. Pompedda, Annotazioni sul diritto matrimoniale nel nuovo codice canonico, in: Z. Grocholweski/M. F. Pompedda/G. Zaggia, II matrimonio nel nuovo Codice di diritto canonico, Padova 1984, 142: "L'impedimento matrimoniale e pertanto una circostanza che tocca la persona quale oggetto deI contratto" (Hervorhebung von mir). 22 Dazu grundlegend: A. die Pauli, Das Recht des Staates bezüglich der Aufstellung trennender Ehehindernisse nach der Lehre der französischen und deutschen Regalisten, in: AkKR 97 (1917) 44 ff., 220 ff., 536 ff., 570 ff. 23 Zur rechtstheoretischen Begründung staatlicher Zuständigkeit in bezug auf den Ehevertrag vgl. B. Primetshofer, Rechtsgeschichte der gemischten Ehen in Österreich und Ungarn (1781-1841) Wien 1967,4-7.

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und dieses daher nicht in etwas dem Vertrag zeitlich Nachgeordnetem und von außen Hinzukommendem bestehe. Wenngleich eine Äußerung Papst Pius' VI. aus dem Jahre 178824 schon auf eine völlige Gleichsetzung von Vertrag und Sakrament bei Getauften abstellt, wurde noch in den Diskussionen der Theologischen Kommission des I. Vatikanischen Konzils davon ausgegangen, daß der Anspruch des Staates auf den Ehevertrag Getaufter auch dann nachhaltig zurückgewiesen werden könne, wenn die absolute Identität von Vertrag und Sakrament nicht angenommen wird. In Übereinstimmung mit einer bedeutenden Anzahl von Theologen und Kanonisten des 17. und 18. Jahrhunderts wurde in der Kommission festgestellt, daß eine Trennung beider Elemente aus akzidentellen Gründen möglich sei25 . Das hier behandelte Problem stand übrigens im Zusammenhang mit der Frage, ob der Priester Spender des Ehesakramentes sei bzw. ob es eine gültige Zivilehe (Getaufter) bei Vorliegen eines trennenden kanonistischen Ehehindernisses geben könne26 .

24 H. DenzingeriA. Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, Barcionone/FriburgilBr., 32 1963, Nr. 2598. In diesem päpstlichen Schreiben an den Bischof von Mottula (Italien) geht es um die Frage einer engen oder weiten Interpretation des c. 12 der 24. Sitzung des Tridentinums ("Si quis dixerit, causas matrimoniales non spectare ad iudices ecclesiasticos: a. s." vgl. Denzinger, Nr. 1812), näherhin also darum, ob daraus zu folgern sei, daß alle Ehefalle Getaufter ausschließlich in die Zuständigkeit kirchlicher Gerichte fallen. In der Beantwortung werden bereits die für die Folgezeit charakteristischen Denkschritte vorgenommen: "Si enim hae causae non alia ratione pertinent ad unum Ecclesiae iudicium, nisi quia contractus matrimonialis est vere et proprie unum ex septem Legis evangelicae sacramentis, sicut haec sacramenti ratio communis est omnibus causis matrimonialibus, ita omnes hae causae spectare unice debent ad iudices ecclesiasticos". (Hervorhebung von mir). 25 E. Corecco, Der Priester als Spender des Ehesakraments im Lichte der Lehre über die Untrennbarkeit von Ehevertrag und Ehesakrament, in: lus Sacrum, FS für K. Mörsdorfzum 60. Geburtstag, München 1969, 546 f.; ders., Die Lehre von der Untrennbarkeit des Ehevertrages vom Ehesakrament im Lichte des scholastischen Prinzips "Gratia perficit, non destruit naturam" , in: AkKR 143 (1974) 379 ff. 26 Vgl. dazu das überaus instruktive Votum von Giantommaso Tosa auf dem I. Vat. Konz., "An dogmatica definitione sancienda sit doctrina asserens omnimodam inseparabilitatem contractus a sacramento in christiano matrimonio" bei Corecco, Der Priester, (Anm. 25) 547, Anm. 117. - Die Verknüpfung der beiden Fragestellungen Trennbarkeit von Vertrag und Sakrament und dem Spender des Ehesakraments weist auch die als Irrtum verworfene Formulierung im Syllabus Nr. 66 auf: "Matrimonii sacramentum non est nisi quid contractui accessorium ab eoque separabile, ipsumque sacramentum in una tantum nuptiali benedictione situm est." Denzinger, Nr. 2966.

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Die in c. 1012 § 2 CIC/1917 anzutreffende Formulierung ist letztlich Ausfluß einer Position, die der ·Syllabus· (1864) einnimmt27 . Hier wird allerdings mehr festgelegt, als von der Zielsetzung, nämlich der Zurückweisung der behaupteten kirchlichen Unzuständigkeit im Bereiche des Ehevertrages, notwendig gewesen wäre. Daß der CIC/1917 diese Formulierung übernommen hat, ist angesichts seiner zeitlichen und ideologischen Nähe zur Kirche des I. Vatikanischen Konzils und zum Syllabus verständlich. Daß aber der Gesetzgeber von 1983 trotz vorgebrachter Bedenken28 den Inhalt von c. 1012 § 2 CIC/1917 unverändert übernommen hat, stellt einen in mehrfacher Hinsicht bedauerlichen Mißgriff dar. Ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob ein Gesetzbuch, auch wenn es ein kirchliches ist, überhaupt Aussagen treffen soll, die eindeutig gar nicht primär rechtlicher, sondern (sakramenten-)theologischer Natur sind - die Tatsache, daß schon der CIC/1917 dies getan hat, ist kein wirkliches Gegenargument - wirft c. 1055 § 2 CIC/1983 noch eine Reihe von anderen drängenden Problemen auf. Es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die gegenständliche Aussage eine ökumenische Belastung insbesondere im Verhältnis zu jenen Kirchen darstellt, die kein Ehesakrament kennen. Es wurde u. a. ausgeführt, daß die GrundeinsteIlung einer Kirche, deren Theologie kein Sakrament der Ehe zur Kenntnis nehme, auch Einfluß auf die Haltung der einzelnen dieser Kirche angehörenden Ehewerber ausübe, die daher von der selbstverständlichen Überzeugung geprägt sind, daß Ehe kein Sakrament sei. Die katholische Kirche müsse in ihrer Rechtsordnung diese Voraussetzungen bei nichtkatholischen Christen zur Kenntnis nehmen und könne ihnen nicht mittels eines Rechtssatzes gleichsam ein Sakrament aufzwingen29 . - Was hier von nichtkatholischen Ehewerbern gesagt wird, das gilt aber m. E. analog zumindest in jenen Fällen, in denen aus der katholischen Kirche formal ausgetretene katholische Ehewerber eine Ehe in nichtkanonischer Form eingehen. Zufolge c. 1117 CIC/1983 sind durch formalen Akt aus der Kirche ausgetretene Katholiken nicht mehr an die kanonische Eheschließungsform gebunden. Ihre vor dem Standesbeamten eingegangene Zivilehe ist - was die Formpflicht an27 Denzinger, Nr. 2966 unter Bezugnahme auf ein Schreiben Pius' IX. aus dem Jahre 1851. 28 Vgl. dazu Communicat 9 (1977) 122. 29 W. Aymans, Die Sakramentalität christlicher Ehen in ekklesiologisch-kanonistischer Sicht, in: IThZ 1974, 321 ff.; J. Manzanares, Habitudo matrimonium baptizatorum inter et sacramentum: Omne matriomonium duo rum baptizatorum estne necessario sacramentum?, in: PRMCL 67 (1978) 35 ff.; L. de Naurois, Le mariage des baptises de I'Eglise catholique qui n'ont pas la foi, in: RDC 30 (1980) 151 ff.

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langt - gültig. Kommt auch hier ein Sakrament zustande, wenn bei diesem standesamtlichen Eheschließungsakt jeder transzendente Bezug fehlt3