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German Pages 506 [503] Year 1964
ARISTOTELES EUDEMISCHE
ETHIK
ARISTOTELES WERKE IN D E U T S C H E R
ÜBERSETZUNG
HERAUSGEGEBEN
VON
E R N S T GRUMACH FORTGEFÜHRT
HELLMUT
VON
FLASHAR
BAND 7
EUDEMISCHE ETHIK
AKADEMIE-VERLAG 1979
BERLIN
ARISTOTELES EUDEMISCHE ETHIK ÜBERSETZT
UND KOMMENTIERT
FRANZ
VON
DIRLMEIER
Dritte, gegenüber der zweiten durchgesehenen, unveränderte Auflage
AKADEMIE-VERLAG 1979
BERLIN
Erschienen im Akademie-Verlag, D D R - 1 0 8 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag • Berlin 1963 L i z e n z n u m m e r : 202 • 100/26/79 G e s a m t h e r s t e l l u n g : V E B Druckerei „ T h o m a s M ü n t z e r " , 582 B a d Langensalza B e s t e l l n u m m e r : 7500280 (3022/7) LSV 0116 P r i n t e d in G D R DDR 4 2 , - M
BUCH I
1 . A u f Delos hat jemand, beim Gott seine Ansicht kundgebend, 1214» am Propylaion des Leto-Heiligtums eine Inschrift eintragen lassen, deren Sinn ist, daß das Gute und das Schöne und das Lustvolle getrennte, nicht ein und derselben Wesenheit zugleich zukommende s Eigenschaften sind. Die Verse lauten: Schönster Schmuck ist Gerechtsein, bester Besitz die Gesundheit 5 Süßeste L u s t aber dies: wenn man gewinnt was man liebt. Wir aber wollen ihm dies nicht zugeben. Denn in Wirklichkeit ist es so: das Glück, als Schönstes und Bestes von allem, ist das Lustvollste. 1» E s ist aber ein Unterschied unter den zahlreichen wissenschaftlichen Themen, die bei der Behandlung eines Objekts, nämlich der einzelnen Sache, der einzelnen Wesenheit, das aporetische Verfahren ermöglichen 10 und der P r ü f u n g bedürfen: ein Teil von ihnen hat Bezug lediglich auf das Erkennen, ein Teil aber auch auf das Erwerben und das Verwirkis liehen der Sache. Soweit sie nun rein theoretischen Charakter haben, sind sie bei auftreffender Gelegenheit zu behandeln, wie es bekanntlich der Anlage des Lehrgangs entspricht. Zuerst aber ist zu prüfen, worauf das glückliche Leben beruht und is wie man es erwerben k a n n : ob es also v o n N a t u r geschieht, daß all 20 die Menschen glücklich sind, die als solche angesprochen werden — so wie sie groß oder klein sind, diese oder jene H a u t f a r b e haben — oder ob es durch Lernen geschieht, was darauf hinausliefe, daß das Glück eine A r t praktischer K u n s t w ä r e ; oder durch eine A r t Training; nicht weniges nämlich kommt weder von Natur noch v o m Lernen, sondern 2i> 25 von der Gewöhnung: Schlechtes von schlechter, Gutes von guter Gewöhnung. Oder es geschieht auf keine der genannten Weisen, sondern auf folgende zwei: entweder dadurch, daß sie durch Einfluß eines göttlichen Wesens sich sozusagen in einem heilig-entrückten Zustand befinden — ähnlich jenen Menschen, von denen eine N y m p h e oder ein 30 Gott Besitz ergriffen hat — oder durch (Glücks)fügung; viele nämlich 25 behaupten, Glück und Schicksalsfügung seien identisch. Daß nun seine Anwesenheit durch alle oder einige oder eine der genannten Ursachen den Menschen gegeben ist, darüber ist keine Unklarheit; denn wohl sämtliche Formen des Werdens fallen unter
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Buch I
diese Ursachen; denn auch jegliches Werden, das aus planender Überlegung stammt, kann man begrifflich mit den Handlungen in Ver30 bindung bringen, die sich aus einer praktischen Kunst ergeben. Glückliches, seliges, edles Leben aber dürfte in erster Linie auf drei Werten beruhen, die als die wählenswertesten gelten. Die einen nämlich sehen > • im theoretischen Wissen das größte Gut, die anderen in der (ethischen) Tugend, wieder andere in der Lust. Und was die Größenordnung dieser 1214 b Güter in Hinsicht auf das Glück betrifft, | so gibt es da einige Meinungsverschiedenheiten: man sagt, das eine Gut trage mehr zum Glück bei als das andere, wobei teils das theoretische Wissen an Wert über die i« (ethische) Tugend, teils die (ethische) Tugend über das erstere, teils die Lust über die beiden anderen gestellt wird. Und nach der Überzeugung der einen ergibt sich das glückliche Leben aus der Vereinigung s aller dieser Güter oder zweier, während wieder andere es nur auf einem davon beruhen lassen. , is 2. Indem wir nun im Rahmen unseres Themas die Aufmerksamkeit darauf richten, daß jeder der sein Leben auf Grund eigener Entscheidung zu führen vermag, sich für das glückliche Leben ein bestimmtes Ziel setzt: Ehre, Ruhm, Reichtum oder Geistesbildung, im Hinblick io worauf er dann sein ganzes Tun gestalten wird, da ein Leben ohne -» Hinordnung auf ein bestimmtes Ziel großen Unverstand verrät, so ergibt sich die Notwendigkeit, zuerst im eigenen Innern klar voneinander abzugrenzen, weder überstürzt noch gleichgültig, welcher Teil des uns eigenen Wesens die Grundlage für das glückliche Leben bildet, und welches die unerläßlichen Voraussetzungen sind, ohne die es ein 2s solches für die Menschen nicht geben kann. Denn die unerläßlichen Voraussetzungen für das Gesundsein sind nicht identisch mit dem Gesundsein (selbst). Und entsprechend verhält es sich auch in vielen weiteren Fällen, so daß also auch das glückliche Leben nicht identisch ist mit den unerläßlichen Voraussetzungen für das glückliche Leben, m Übrigens ist innerhalb der genannten „Voraussetzungen" zu unterscheiden: es gibt einerseits Voraussetzungen, die der Gesundheit oder dem Leben nicht (im engen Sinn) eigentümlich, sondern einfach allen gemeinsam sind, den Zuständlichkeiten und den Handlungen: ohne 2» die Atmung z. B. oder ohne das Wachsein oder ohne Teilhabe an is Veränderungen gäbe es für uns weder Gut noch Übel; andererseits gibt es Voraussetzungen, die nur je einer Wesenheit (im engeren Sinne) eigentümlich sind und diese darf man keineswegs übersehen; denn für den guten Körperzustand sind Fleischgenuß und Spaziergänge nach
Kapitel 1—3
dem Essen iiicht im selben allgemeinen Sinn eine Voraussetzung wie die oben genannten. Diese letzteren nämlich sind Ursache der Meinungsverschiedenheit über das Glücklichsein, über sein Wesen und seine E n t s t e h u n g : die unerläßlichen Voraussetzungen nämlich f ü r s das Glücklichsein halten einige f ü r die (wesentlichen) Bestandteile des Glücks. 3. N u n , sämtliche Meinungen über das Glück zu p r ü f e n , die irgendwelche Leute darüber haben, ist überflüssig. Denn vieles k o m m t auch Kindern, K r a n k e n und Geistesgestörten in den Sinn, u n d darüber wird 3v io sich kein Verständiger Gedanken machen. Da ist j a kein Argumentieren am Platz, sondern die einen brauchen nur Zeit u m heranzuwachsen und reifer zu werden, und die anderen brauchen ein festes Eingreifen entweder von Seiten des Arztes oder der Polis. D e n n die Behandlung mit Medizinen ist nicht minder ein festes Eingreifen als is das Strafen durch Schläge. Ebensowenig sind die Meinungen der Vielen zu prüfen, ¡ da diese gedankenlos nahezu über alles reden u n d ganz mr.i besonders über (das Glück; vielmehr sind die Meinungen der Wissend e n ) allein zu p r ü f e n ; denn es ist absurd, Leuten Argumente zu Gehör zu bringen, denen nicht das Hören n o t t u t , sondern das Fühlen. •20 Wie aber jeder wissenschaftliche Gegenstand seine eigenen Probleme h a t , so gibt es diese auch in Hinsicht auf die höchste Lebensform und das beste Dasein. Diese Meinungen also sind es, die zu untersuchen eine lohnende Aufgabe ist. Denn die Widerlegung des Diskussionspartners erweist die gegen ihn gebrauchten Argumente als richtig. 25 Ferner ist es sachdienlich, wenn Dinge wie die genannten nicht ungeklärt bleiben, (sachdienlich) vor allem in Hinsicht auf das, worauf die (ganze) Untersuchung bezogen sein m u ß : nämlich von welcher Grundlage her die Teilhabe am guten und rechten Leben — falls einem ia der Ausdruck „seliges" Leben zu herausfordernd ist — möglich wird: 30 (sachdienlich aber) auch in Hinsicht auf das Erwartungsvolle, das wohl bezüglich eines jeden der Güter (in uns) a u f k o m m e n mag. Wenn nämlich das rechte Leben zu jenen Dingen gehört, die durch Zufall oder N a t u r entstehen, d a n n m ü ß t e n viele resignieren, denn d a n n k a n n es nicht durch eigene Bemühung erworben werden, steht auch nicht in 35 der Macht der Menschen und gehört nicht zum Bereich des bewußten u Handelns. H ä n g t es aber davon ab, daß der einzelne Mensch persönlich und sein ihm eigentümliches T u n einen b e s t i m m t e n W e r t c h a r a k t e r h a t , dann wäre dieses Gut weiter verbreitet und h ä t t e göttlicheren R a n g : weiter verbreitet, insofern mehr Menschen die Möglichkeit der
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Buch I
Teilhabe h ä t t e n ; göttlicheren R a n g aber h ä t t e es, weil es denen al6 Preis gesetzt wäre, die sich selbst und ihr T u n zu einer bestimmten Werthaftigkeit formen. 20 4. E s wird aber der größte Teil der Streit- u n d Zweifelspunkte geklärt sein, sobald richtig bestimmt ist, wie m a n sich das Wesen des s Glücks vorzustellen h a b e : ob lediglich als eine bestimmte Werthaftigkeit der Seele, wie einige der älteren Philosophen meinten, oder ob diese Werthaftigkeit natürlich zwar vorhanden sein muß, es aber darüber 25 hinaus vor allem auf die Werthaftigkeit der Handlungen ankomme. E s gibt aber eine (traditionelle) Einteilung der Grundformen des 10 Lebens, u n d dabei sind solche, die nicht einmal den Anspruch darauf erheben, als Glückszustand in unserem Sinne zu gelten, sondern n u r im Gedanken an die Beschaffung des Unterhalts mit Betriebsamkeit erfüllt werden, z. B. die auf den groben, geldraffenden und servilen Berufen beruhenden — von grob aber spreche ich, wenn lediglich auf 30 P r o t z e n t u m hingearbeitet wird; als servil bezeichne ich die im Sitzen betriebenen Handwerke und die L o h n a r b e i t ; als geldraffend die Praktiken des Marktes: die Kauf- und Verkaufsgeschäfte der K r ä m e r —. Davon hebt sich ab die Dreizahl der einer glückvollen Lebensführung zugeordneten Güter, jene schon früher genannten höchsten Menschen- 20 35 güter: (ethische) Tugend, theoretisches Wissen und Lust. Und so sehen wir denn, d a ß es auch drei Grundformen des Lebens gibt, f ü r die sich alle entscheiden, denen eben die Möglichkeit dazu gegeben ist: die 1215b Tätigkeit in der Polis, das Leben des Philosophen, | das Genußleben. Von diesen Grundformen nämlich h a t die philosophische als i h r Ziel 2s das theoretische Wissen, das heißt die B e t r a c h t u n g des wahren Seiend e n ; die politische das wertvolle Handeln, das heißt das H a n d e l n von 5 der Tugend her, das Genußleben die körperliche Lust. Daher bezeichnet, wie schon f r ü h e r gesagt, der eine diesen, der andere jenen als den Glücklichen. Als Anaxagoras aus Klazomenai gefragt wurde, wer der 30 Glücklichste sei, antwortete er: „Keiner von denen die du meinst, sondern einer der dir wohl als eine recht merkwürdige Figur v o r k ä m e . " Solchermaßen aber lautete seine A n t w o r t , weil er sah, d a ß der Fra10 gende sich unmöglich denken konnte, es sei nicht einer der Hochgewachsenen und Schönen oder der Reichen, dem diese Bezeichnung 35 zukomme. Des Anaxagoras eigene Meinung war wohl die: wenn einer frei von Leid u n d in Lauterkeit nach dem Rechten lebe oder in der Teilhabe an einer göttlichen Schau, d a ß dieser dann, soweit menschenmöglich, ein „Seliger" sei.
Kapitel 3—5
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5 . N u n ist in vielen Fällen ein richtiges Urteil nicht leicht, am is wenigsten aber in dem Falle, wo es allen am leichtesten zu sein und die Erkenntnis f ü r j e d e r m a n n möglich zu sein scheint, nämlich in der Frage, was von den Dingen im Leben wählenswert ist und wodurch des Menschen Begehren voll befriedigt werden könnte, (a) Gar manches nämlich von dein was sich im Leben ereignet, ist von solcher Art, daß die Menschen das Leben preisgeben, z. B. K r a n k h e i t , übermäßige 20 Qual, Sturmesnot. Dies bedeutet, daß es, wenn uns j e m a n d die Wahl freistellte, von vorneherein wählenswert wäre — zumindest im Hinblick auf diese Nöte — ü b e r h a u p t nicht geboren zu werden, (b) W e i t e r h i n : (was t a u g t ) das Leben, das wir als Kinder f ü h r e n ? Auch da würde ja kein Vernünftiger es auf sich nehmen, den Lauf zurückzuwenden, (c) Ferner: gar manches, worin weder Lust noch Unlust ist, oder zwar 25 Lust, aber keine schöne, ist von solcher A r t , d a ß Nichtleben besser ist als Leben, (d) Und ü b e r h a u p t : wenn m a n alles zusammenbrächte, was die Menschen t u n und leiden — nichts d a v o n jedoch willentlich, weil j a auch nicht um der Sache selbst willen — und m a n t ä t e dazu eine grenzenlose Fülle der Zeit, so möchte doch keiner d a r u m lieber leben ao als nicht leben, (e) Aber selbstverständlich würde auch nicht wegen der bloßen Lust des Essens und Trinkens oder des Geschlechtlichen, wenn alle andere Lust weg wäre, die das E r k e n n e n u n d das Sehen oder ein anderes Sinnesvermögen den Menschen gewährt, auch n u r e i n Mensch dem Leben (vor dem Nichtleben) den Vorzug geben, außer er wäre durch und durch ein Sklave. Denn wer eine solche W a h l träfe, f ü r 35 den wäre es offenbar gleichgültig, ob er ein Tier ist oder ein Mensch. | Der Stier jedenfalls, der in Ägypten als Apis verehrt wird, h a t in mehr i2i» als einem dieser Genüsse größere Möglichkeiten als mancher Monarch, (f) Und ebensowenig (würde m a n das Leben wählen) wegen der Lust des Schlafens; denn was m a c h t es aus, ob m a n einen Schlaf ohne Erwachen schläft, vom ersten bis zum letzten Tag, tausend J a h r e und •"> länger, oder ob m a n als Pflanze vegetiert? Die Pflanzen jedenfalls scheinen an einem Leben solcher Art teilzuhaben und auch die E m b r y o n e n ; denn im Anfangsstadium der Entwicklung im Mutterleib h a b e n auch diese, als Gewachsenes, eine kontinuierliche Existenz, sind aber die ganze Zeit im Schlafzustand. Somit ergibt sich aus solchen Erwägungen, d a ß es sich, bei allem Suchen, doch dem Wissen entzieht, was „glücklich" (leben) bedeutet und was das (oberste) Gut im Leben ist. 10 Von Anaxagoras n u n ist überliefert, er h a b e j e m a n d e m der über Probleme solcher Art nachdachte, auf die Frage, um welchen Zieles
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willen es wohl sein könnte, d a ß einer sich entschiede, lieber geboren als nicht geboren zu werden, die Antwort gegeben: „ U m das Himmels•'"> gebäude zu betrachten und die Ordnung im Weltall." Anaxagoras also h a t wegen einer F o r m des theoretischen Wissens die W a h l des Lebens für ein hohes Gut gehalten. J e n e aber die den Sardanapal selig preisen j oder den Smindyrides aus Sybaris oder irgendwelche anderen Vertreter des Genußlebens, sie alle setzen das Glück in das Erleben von Lust. Wieder andere entscheiden sich weder f ü r irgendeine F o r m theoretischen Wissens noch f ü r die körperliche Lust, sondern lieber f ü r die von der Tugend herkommenden Handlungen. Und es gibt in der 10 T a t einige, die sich f ü r dieses Handeln entscheiden nicht n u r um des Ansehens willen, sondern auch dann, wenn kein R u h m winkt. Aber die Mehrzahl der S t a a t s m ä n n e r t r ä g t den N a m e n ( „ S t a a t s m a n n " ) nicht im wahren Sinn; denn sie sind nicht in Wahrheit S t a a t s m ä n n e r ; der (echte) S t a a t s m a n n entscheidet sich nämlich seinem Wesen nach f ü r die is rechten Handlungen um ihrer selbst willen, während die Mehrzahl (der Staatsmänner) wegen des Geldes und aus Gewinnsucht ein Leben dieser Art ergreift. Aus dem Gesagten nun ist klar, daß alle das Glück auf drei Grundformen des Lebens beziehen: auf das politische, das philosophische und das Genußleben. Bei (einem von) diesen besteht keine Unklarheit, ¡0 nämlich ü b e r Wesen, Eigenschaften und Z u s t a n d e k o m m e n der körperlichen, sinnlichen Lust. Man b r a u c h t also nicht nach dem Wesen der (sinnlichen) Lustformen zu suchen, sondern m u ß fragen, ob sie einen b e s t i m m t e n Bezug zum Glück haben oder nicht, und welcher Art 25 dieser Bezug ist; und ob, falls es notwendig ist, b e s t i m m t e Lustformen mit dem Glück zu verknüpfen, diese (sinnlichen) es sind, die (mit ihm) v e r k n ü p f t werden müssen — oder ob m a n mit diesen 35 auf eine andere Weise ins reine zu kommen habe, jene Lust aber, die nach wohlbegründcter Meinung das glückliche Leben lustvoll 30 und nicht n u r frei von Unlust m a c h t , (von der sinnlichen) verschieden sei. Aber diese Fragen sind später zu untersuchen. Dagegen wollen wir gleich die (ethische) Tugend und das theoretische Wissen studieren: was eines jeden Wesen ist und ob sie (wesentliche) Bestandteile des 35 tu hohen Lebens sind, entweder sie selbst oder die von ihnen ausgehenden 1210b Handlungen, | nachdem ja feststeht, d a ß sie, wenn schon nicht von allen, so doch von den der Beachtung würdigen Menschen allen, mit dem Glück v e r k n ü p f t werden.
Kapitel 5—6
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Sokrates nun, der ehrwürdige, meinte, das Ziel sei die E r k e n n t n i s der Tugend und er pflegte zu fragen: was ist das Wesen der Gerechtigkeit und das Wesen der Tapferkeit, das heißt eines jeden Teiles der Tugend. Und dieses Fragen war ja wohlbegründet, denn er meinte alle Tugenden seien theoretisches Wissen, so d a ß es gleichzeitig • dazu komme, daß man die Gerechtigkeit weiß u n d gerecht ist. Denn es i s t j a gleichzeitig: wir haben die Mathematik u n d die B a u k u n s t gelernt und damit s i n d wir Baumeister und Mathematiker. So pflegte er denn zu f r a g e n : was ist die T u g e n d ? und n i c h t : wie oder wodurch e n t s t e h t sie? Dies aber h a t seine Richtigkeit (nur) bei dem T y p u s der theoretischen Wissenschaften. Denn Astronomie u n d M a t h e m a t i k h a b e n kein anderes (Ziel) als das E r k e n n e n und B e t r a c h t e n des Wesens der Dinge, die d(ies)en Wissenschaften als Gegenstand vorliegen — wobei freilich nichts im Wege steht, d a ß sie uns in akzidenteller Weise f ü r manches K o n k r e t e nützlich sind. Dagegen bei dem T y p u s der hervorbringenden Wissenschaften ist das Ziel etwas anderes als Wissenschaft und (bloßer) Erkenntnisvollzug: die Gesundheit z. B. ist Ziel der ärztlichen K u n s t , gute Gesetzgebung u n d dergleichen ist Ziel der Wissenschaft des Staatsmanns. Gewiß ist es in jedem Falle etwas Schönes auch die Gegenstände hoher Schönheit zu erkennen, aber bei d e r Tugend ist es wahrhaftig anders: nicht ihr W e s e n zu wissen ist höchst wertvoll, sondern zu erkennen, wodurch sie e n t s t e h t . Denn wir wollen nicht wissen, was Tapferkeit i s t , sondern wollen t a p f e r sein, u n d nicht, was Gerechtigkeit i s t , sondern gerecht sein — genau so wie wir auch lieber gesund sein wollen als erkennen, was Gesundsein ist, u n d lieber in guter körperlicher Verfassung sein als erkennen, was gute körperliche Verfassung ist. 6. E s m u ß aber versucht werden, über dies alles eine feste Uberzeugung zu schaffen mittels logischer A r g u m e n t e , wobei m a n sich der Erfahrungstatsachen als Zeugnis und Beispiel bedient. Am eindrucksvollsten nämlich ist es, wenn in Erscheinung t r i t t , d a ß alle Menschen mit dem übereinstimmen, was wir sagen werden. Sollte dies aber nicht der Fall sein, (so ist es am besten, wenn es) wenigstens in einem gewissen R a h m e n alle (tun), u n d sie werden es t u n , indem sie sich von u n s (durch Argumente) Schritt f ü r Schritt hinleiten lassen. D e n n jeder Mensch t r ä g t etwas in sich, was in Beziehung s t e h t zur W a h r h e i t ; dies m u ß m a n zum Ausgangspunkt nehmen und auf diese oder j e n e Weise überzeugende Argumente f ü r unsere Probleme aufzeigen. Denn aus den Meinungen, die zwar zutreffend, aber nicht präzise (von den Menschen)
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Buch I
vorgebracht werden, wird sich im weiteren Verlauf d a n n auch das Präzise einstellen, indem m a n jeweils f ü r die üblichen ungeordneten Meinungen das klarere Wissen b e k o m m t . 35 Es unterscheiden sich aber bei jeder wissenschaftlichen Untersuchung die Argumente in solche, die mit philosophischem Gewicht und 0 solche, die ohne es vorgetragen werden. Daher soll auch der Staatsmann nicht meinen, es sei eine theoretische E r ö r t e r u n g überflüssig, die so v e r f ä h r t , daß durch sie nicht n u r das Wesen, sondern auch die hervorbringende Ursache klar wird: das nämlich b e d e u t e t „philosopisches Gewicht" bei jeder wissenschaftlichen Untersuchung. 10 1217 • Indes bedarf dies großer Achtsamkeit, denn es gibt Leute, die, j weil es als Charakteristikum des Philosophen gilt, auf keinen Fall willkürliche Rede, sondern begründende vorzutragen, häufig — ohne daß man es merkt — Argumente bringen, die nicht zur Sache gehören und leer sind. Dies aber t u n sie teils aus Unwissenheit teils aus großspreche- is 5 rischem Wesen. U n d davon lassen sich auch die E r f a h r e n e n und mit der Möglichkeit des Verwirklichens ausgestatteten (Staatsmänner) verblüffen, von diesen Leuten, die gestaltendes oder zur T a t führendes Denken weder haben noch h a b e n können. So aber geht es ihnen aus Mangel an logischer Schulung, denn Mangel ist es, wenn m a n es nicht 20 vermag, bei jeder Sache die zugehörigen und die sachfremden Argumente auseinanderzuhalten. 10 E s ist aber auch zweckmäßig auseinanderzuhalten die Argumentation, die die Ursache liefert u n d das F a c t u m , das aufgewiesen wird. Und zwar (erstens) wegen des kurz zuvor Gesagten, daß m a n seine 25 Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf die logische Argumentation, sondern in vielen Fällen m e h r auf die E r f a h r u n g s t a t s a c h e n hinwenden soll — jetzt aber ist es so, daß die Leute, weil sie außerstande sind, den vorgetragenen Beweisgang zu widerlegen, sich gezwungen sehen ihn 15 hinzunehmen — u n d (zweitens) weil in vielen Fällen das was durch die 3« Argumentation als erwiesen gilt, zwar de facto wahr ist, indes nicht aus dem G r u n d , den der Beweisgang sagt. Denn m a n k a n n auch auf Grund falscher Voraussetzungen Wahres erweisen, wie aus der Analytik zu sehen ist. 7. Nachdem auch diese Bemerkungen noch in das Prooemium auf- ss genommen sind, wollen wir die Untersuchung beginnen, indem wir von dem ausgehen, was wir als die ersten unpräzisen Meinungen 20 bezeichnet h a b e n u n d in Richtung auf das Präzise herauszubringen suchen, was das Glück ist.
Kapitel 6—8
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Nun ist bekanntlich Übereinstimmung darin, daß dies das bedeutendste und hochwertigste unter den menschlichen Gütern ist. „Menschlich" aber sagen wir, weil es ja sein könnte, daß „ G l ü c k " im Bereiche des Seienden auch noch bei einer anderen, höheren Wesenheit vor5 kommt, z. B . bei der Gottheit. Denn von all den Lebewesen, die an Rang unter den Menschen stehen, hat keines teil an dieser Benennung — 25 es gibt ja kein Pferd, keinen Vogel, keinen Fisch, der „glücklich" ist und nichts im Bereich des Seienden, mit Ausnahme dessen, was, im Bezirke der (Gesamt)natur, durch seine Benennung andeutet, daß es io an einem „Göttlichen" Anteil hat —, sondern gemäß einer anders gearteten Teilhabe an den Gütern lebt das eine ein besseres, das andere ein geringeres Leben. Indes, daß es sich auf diese Weise verhält, ist später zu untersuchen. 30 Jetzt aber sagen wir: von den Gütern können die einen Gegenstand 15 des menschlichen Handelns sein; die anderen nicht. Dies aber sagen wir deshalb so, weil einige der seienden Wesenheiten keinerlei Anteil an Veränderung haben und folglich auch nicht an den Gütern. Und diese Wesenheiten haben wohl den höchsten Rang. Manche Güter wiederum können zwar Gegenstand des Handelns sein, aber für 20 Wesen, die höher stehen als wir. Da aber der Ausdruck „Gegenstand 35 des Handelns" einen zweifachen Sinn hat — er bedeutet nämlich sowohl das, worum willen wir handeln als auch das, was zur Erreichung des Zieles von unserem Handeln erfaßt wird: so setzen wir als Gegenstand des Handelns z. B . sowohl die Gesundheit und den Reichtum als 25 auch das was wir zu deren Erreichung t u n : das Gesundheit- oder Geldbringende — so ist klar, daß wir auch das Glück als höchstes Gut im Bereiche dessen was Gegenstand menschlichen Handelns sein kann, 40 anzusetzen haben. 8. Zu untersuchen ist also nunmehr das Wesen des höchsten Gutes 1217 b so und wie viele Bedeutungen das Wort hat. E s sind in der Hauptsache drei Meinungen (A, B , C), in denen dies in Erscheinung tritt. (A) Man sagt nämlich, allerhöchstes Gut sei das Gut-an-sich. Gut-an-sich aber sei jenes, das dadurch charakterisiert ist, daß es einerseits das „ e r s t e " Gut ist und andererseits für die übrigen Güter durch seine Anwesen-, s 35 heit (in ihnen) „ U r s a c h e " davon ist, daß sie Güter sind. Diese beiden Charakteristika aber sind gegeben bei der I d e e des höchsten Gutes. Wenn ich aber sage „beide Charakteristika", so meine ich damit einerseits das Moment „erstes" Gut zu sein und andererseits für die übrigen Güter durch die Anwesenheit „ U r s a c h e " davon zu sein, daß sie Güter
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sind. Denn in eminentem Sinn werde einerseits von dieser Idee prädiziert, d a ß sie ein G u t ist — während die übrigen G ü t e r (nur) gemäß einer 10 Teilhabe an u n d einer Ähnlichkeit m i t der Idee G ü t e r seien — und andererseits, daß sie das erste G u t ist. H e b t m a n nämlich das auf, woran teilgehabt wird, so werde auch das aufgehoben was Anteil h a t an der Idee und das W e r t p r ä d i k a t (nur) t r ä g t , weil es an ihr Anteil h a t : womit die Relation „ E r s t e s — Späteres" gegeben sei. Folglich sei das Gut-an-sich identisch mit der Idee des (höchsten) G u t s ; sie sei nämlich is auch t r e n n b a r von den (an ihr nur) teilhabenden (Gütern), wie denn auch die anderen Ideen (trennbar seien). E s ist n u n die kritische P r ü f u n g dieser Theorie Aufgabe eines anderen Lehrgangs, eines, der aufs Ganze gesehen, notwendigerweise mehr logisch-abstrakten Charakter h a t ; denn die widerlegenden und zugleich das Allgemeine fassenden Argumentationen gehören in keine andere Wissenschaft (als in die Dialektik). Soll m a n aber kurz und bündig 20 über diese Theorie sprechen, so sagen wir erstens: die Behauptung, es gebe eine Idee nichj: nur des höchsten Gutes, sondern auch irgendeines anderen Dings, ist reine Abstraktion u n d inhaltsleer (A'I). D a r ü b e r ist auf viele Weisen diskutiert sowohl in den exoterischen wie in den nach strenger Methode verfahrenden Schriften. Zweitens: selbst wenn es die Ideen wirklich gibt u n d (also auch) die Idee des höchsten Gutes, so ist 25 sie doch wohl u n b r a u c h b a r in Hinsicht auf das rechte Leben u n d auch in Hinsicht auf das H a n d e l n (A'II). (A'I 1) I n vielfachen Bedeutungen nämlich spricht man, und zwar in gleich vielen, von „ G u t " u n d von „seiend". Denn „seiend" zeigt an, wie anderswo unterschieden ist, sowohl die Substanz als auch die Qualität und die Q u a n t i t ä t u n d die Zeit; u n d dazu k o m m t noch (daß es) bald in der Kategorie „ b e w e g t " (ausgesagt wird), bald in der so Kategorie „ b e w e g e n d " ; u n d in jeder dieser Kategorien findet sich „ G u t " : in der Kategorie der Substanz Geist u n d Gott, in der der Qualität das Gerechte, in der der Q u a n t i t ä t das rechte Maß, in der der Zeit der rechte Augenblick, das Lehrende aber u n d das Belehrtwerdende gehören in den Bereich der Bewegung. So wenig n u n das Seiende in Hinsicht auf die genannten Kategorien ein undifferenziertes Eines ist, so wenig ist es das Gut. 35 (2) Und es gibt auch nicht (bloß) eine einzige Wissenschaft weder vom Seienden noch vom Gut. (3) J a nicht einmal das Studium der Güter, die u n t e r dieselbe (Kategorien)form fallen ist Aufgabe ein und derselben Wissenschaft,
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z. B. das (Studium) des rechten Augenblicks oder des rechten Maßes, sondern die eine studiert diesen, die andere einen anderen rechten Augenblick oder rechtes Maß. Bei der N a h r u n g z. B. sind es Heilkunst und Gymnastik, die den rechten Augenblick u n d das rechte Maß s studieren, in militärischen Dingen ist es die Strategik und so ist e.s «u (immer wieder) eine andere auf einem anderen Gebiet des Handelns. Daher | ist es schwerlich Aufgabe (nur) e i n e r Wissenschaft das Gut-an- )aia» sich zu studieren. (4) F e r n e r : da wo es das „ F r ü h e r u n d S p ä t e r " gibt, gibt es nicht 10 daneben noch ein Gemeinsames — dieses verstanden als Abtrennbares; denn sonst gäbe es etwas was noch f r ü h e r wäre als das E r s t e . Denn es ist so, d a ß das Gemeinsame u n d T r e n n b a r e des F r ü h e r e ist, da mit der A u f h e b u n g des Gemeinsamen (auch) das E r s t e aufgehoben 5 wird. W e n n z-. B. das Zweifache das E r s t e in der Reihe des Vielfachen is ist, so k a n n der (übergreifende) Allgemeinbegriff „Vielfachheit" nicht a b t r e n n b a r sein, da er vor dem Zweifachen seine Stelle h a b e n wird, falls es zutrifft, d a ß das Gemeinsame identisch ist m i t der Idee — ich meine, wenn j e m a n d d a r a n denkt, das Gemeinsame zu etwas Abtrennbarem zu machen. W e n n nämlich die Gerechtigkeit ein G u t ist, d a n n io 20 auch die Tapferkeit. Es gibt n u n , so sagen sie, das G u t als etwas „an sich" Bestehendes. E s ist also zu dem Allgemeinbegriff das „an-sich" hinzugesetzt worden. Aber was k ö n n t e dieses („an-sich") anderes bedeuten als „ i m m e r w ä h r e n d " u n d „ a b t r e n n b a r " ? Indes ist das was viele Tage weiß ist, kein bißchen intensiver weiß als das, was (nur) einen 2s T a g weiß ist. Somit ist denn auch wirklich der Allgemeinbegriff „ G u t " 15 nicht identisch mit der Idee, denn er stellt (nur) ein allen (Gütern) gemeinsames Element dar. (5) Dazu k o m m t aber auch, daß m a n das Gut-an-sich in einer Richtung aufzeigen m ü ß t e , die der j e t z t üblichen entgegengesetzt ist. 30 J e t z t nämlich gehen sie von Dingen aus, von denen gar nicht allgemein anerkannt ist, d a ß sie w e r t h a f t sind und aus diesen zeigen sie die Güter auf, die a n e r k a n n t sind: aus Zahlen nämlich (beweisen sie), d a ß Gerechtigkeit u n d Gesundheit ein G u t sind, indem diese (beiden) Geordnetheiten und Zahlen sind; sie meinen nämlich, in den Zahlen a und Einheiten sei W e r t h a f t e s , weil das Eine ein Wert-an-sich sei. I n 2® Wirklichkeit aber m u ß m a n aus den a n e r k a n n t e n G ü t e r n , z. B . Gesundheit, K r a f t , Besonnenheit, beweisen, d a ß in den unveränderlichen Wesenheiten das Schöne sogar in noch höherem Grade vorh a n d e n ist. Denn alle diese (anerkannten Güter) sind Geordnetheit u n d
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R u h e ; wenn dies aber gilt, d a n n (sind) die unveränderlichen Wesenheiten in noch höherem Grade (schön), denn sie sind es, denen dies ( = Geordnetheit, Ruhe) in noch höherem Grade z u k o m m t . 25 (6) Bloße Analogie aber ist es auch, wenn m a n den Satz „ D a s Eine ist Wert-an-sich" damit beweist, daß die Zahlen ein Streben haben, s Denn weder wird von ihnen klar gesagt, w i e sie streben — sondern das sagen sie einfach so hin - und daß es da Streben gibt, wie k a n n einer das annehmen von Wesenheiten, die gar kein Leben h a b e n ? Es muß daher an diesem Problem ernstlich gearbeitet werden und m a n darf keinesfalls auf Begründüngen verzichten in einer Sache, die auch m i t n 30 Begründung nicht leicht zu glauben ist. (7) Und die Behauptung, daß alle seienden Dinge nach e i n e m Gut — was dies auch sei — streben, ist nicht richtig. Denn ein jedes strebt nach s e i n e m G u t : das Auge nach dem Sehen, der K ö r p e r nach Gesundheit und so weiter. js (A'II) D a ß es also etwas wie das „ G u t - a n - s i c h " nicht gibt, ist Gegenstand von Aporien wie wir sie vorgetragen haben. U n d daß es 35 nicht brauchbar ist f ü r die K u n s t des Staatsmannes. Vielmehr gibt es (für letztere) etwas was (deren) spezielles G u t ist, wie auch f ü r die anderen „ K ü n s t e " : f ü r die Gymnastik z. B. (ist es) der gute Körper- 20 zustand. Ferner (gilt) auch das was in dem Buche geschrieben ist: entweder ist das Eidos des höchsten Gutes selber f ü r keine „ K u n s t " brauchbar oder f ü r alle in gleicher Weise. Ferner (gilt): es k a n n nicht Ziel des Handelns sein. 1218b (B) Ähnlich aber ist auch der Allgemeinbegriff „ G u t " weder | Gut- -'s an-sich, denn er k o m m t ja auch einem ganz geringfügigen Gut zu, noch k a n n er Gegenstand des Handelns sein. Denn die Heilkunst beschäftigt sich nicht damit, irgendeinen Gemein-Wert zu verwirklichen, sondern die Gesundheit. Und ähnlich verfährt jede einzelne der praktischen K ü n s t e . 30 5
(C) Vielmehr spricht m a n von „ G u t " in vielfachen Bedeutungen — ein Ausschnitt daraus ist das Schöne — und es gibt Güter, die Gegenstand des Handelns sein und solche die es iiichi. sein können. Gegenstand des Handelns aber ist ein G u t von folgender A r t : das u m dessentwillen (gehandelt wird). Dagegen ist es nicht jenes, das sich im 35 Bereiche des Unveränderlichen befindet. So ist also klar, (A) daß weder die Idee des höchsten Gutes das gesuchte Gut-an-sich ist, noch (B) der Allgemeinbegriff „ G u t " ; denn erstere ist unveränderlich und nicht Gegenstand des Handelns, letzterer
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zwar v e r ä n d e r l i c h , a b e r n i c h t G e g e n s t a n d des H a n d e l n s . (C) D a s a b e r , worumwillen ( g e h a n d e l t wird), ist als E n d z i e l h ö c h s t e s G u t u n d b e w e g e n d e r G r u n d dessen was u n t e r seine W i r k u n g f ä l l t , u n d das e r s t e aller G ü t e r . Dies also ist das „ G u t - a n - s i c h " : das E n d z i e l dessen was d e r Mensch d u r c h sein H a n d e l n verwirklichen k a n n . D a s a b e r ist d a s Ziel, welches in d e n Bereich j e n e r W i s s e n s c h a f t g e h ö r t , die a u t o r i t a t i v ü b e r allen ( a n d e r e n ) s t e h t . U n d z w a r b e d e u t e t dies (dreierlei): W i s s e n s c h a f t des S t a a t s m a n n s , d e r H a u s w i r t s c h a f t u n d p r a k t i s c h e E i n s i c h t . E s u n t e r s c h e i d e n sich n ä m l i c h diese (drei) G e i s t e s h a l t u n g e n v o n d e n a n d e r e n d a d u r c h , d a ß sie v o n solcher A r t sind. O b sie sich e t w a gegenseitig u n t e r s c h e i d e n , ist s p ä t e r d a r z u legen. D a ß a b e r das E n d z i e l U r s a c h e ist f ü r d a s i h m U n t e r g e o r d n e t e , d a s beweist die A r t des L e h r e n s . D e n n der L e h r e n d e definiert erst d a s E n d z i e l u n d d a n n zeigt er v o n d e m ü b r i g e n , d a ß j e d e s v o n i h n e n ein G u t ist. D e n n d a s E n d z i e l ist die U r s a c h e . Weil z. B. „ G e s u n d s e i n " dieses B e s t i m m t e b e d e u t e t , so m u ß n o t w e n d i g e r w e i s e j e n e s d a s in R i c h t u n g auf die G e s u n d h e i t Z u t r ä g l i c h e sein. D a s G e s u n d h e i t b r i n g e n d e (seinerseits) a b e r ist U r s a c h e der G e s u n d h e i t als d a s w a s (das Gesundsein) a n g e b a h n t h a t u n d z w a r d a n n U r s a c h e d a v o n , d a ß die G e s u n d h e i t d a i s t , dagegen n i c h t d a v o n , d a ß sie ein G u t i s t . F e r n e r : es beweist a u c h keiner, d a ß die G e s u n d h e i t ein G u t ist — d a s t ä t e h ö c h s t e n s ein Sophist u n d N i c h t - M e d i z i n e r ; d e n n diese L e u t e klügeln m i t s a c h f r e m d e n A r g u m e n t e n — e b e n s o w e n i g wie einer das G r u n d p r i n z i p irgendeiner a n d e r e n K u n s t u n d W i s s e n s c h a f t b e w e i s t . D a s a b e r was, als Endziel, f ü r den M e n s c h e n ein G u t ist u n d d a s h ö c h s t e G u t i n n e r h a l b des V e r w i r k l i c h b a r e n m ü s s e n wir b e t r a c h t e n u n d , n a c h d e m dieses d a s h ö c h s t e G u t ist, f r a g e n , auf welche Weise es d a s allerhöchste G u t ist, i n d e m wir s o d a n n v o n e t w a s N e u e m a u s g e h e n .
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1. Sodann wollen wir von etwas Neuem ausgehen, um von dem zu sprechen Avas folgt. Bekanntlich sind alle Güter entweder außerhalb (der Seele) oder in der Seele, wobei die in der Seele wählenswerter sind, entsprechend einer von uns auch in den exoterischen Schriften getroffenen Unterscheidung. Theoretisches Wissen nämlich und (ethische) s 35 Tugend und Lust sind in der Seele und nach allgemeiner Überzeugung sind diese Güter entweder einzeln genommen oder alle (drei) Endziel. Bei dem aber was in der Seele ist, sind einerseits Beschaffenheiten oder ruhende Kräfte, andererseits aktive Kräfte und Bewegungen zu unterscheiden. Das also soll in dieser Weise als Voraussetzung zugrunde liegen. Und io von der Tugend (soll vorausgesetzt sein), daß sie die beste Disposition 1211« oder Beschaffenheit oder ruhende K r a f t | einer jeden Wesenheit ist, von der es Gebrauch oder ein Werk gibt. Das ergibt sich aus der Induktion. Denn bei allen Wesenheiten bestimmen wir ( „ T u g e n d " , „Trefflichkeit") in diesem Sinn. Zum Beispiel: der Mantel hat eine is Trefflichkeit, denn er hat ein bestimmtes Werk und ist in Gebrauch. Und „Trefflichkeit" des Mantels heißt: seine beste Beschaffenheit. Und so (hat) auch ein Schiff (Trefflichkeit) und ein Haus und so weiter. » Somit auch die Seele; denn sie leistet ein bestimmtes Werk. Und es darf gelten: je wertvoller die Grundbeschaffenheit, desto wertvoller das 20 Werk. Und es darf weiterhin gelten: wie sich die Grundbeschaffenheiten zueinander verhalten, so auch die aus ihnen stammenden Werke. Und zwar ist das Werk in jedem Falle der Endzweck. Daraus nun ist klar, daß das Werk wertvoller ist als die (bloße) 10 Beschaffenheit, denn der Zweck ist als solcher höchstes Gut. Denn es 2s ist j a Voraussetzung, daß der Zweck das oberste Gut ist und das Äußerste, um dessentwillen alles andere da ist. Daß also das Werk wertvoller ist als die (bloße) Beschaffenheit und die Disposition (dazu) ist klar. „ W e r k " aber bedeutet zweierlei: es kann einerseits das Werk etwas anderes sein, über den (bloßen) Gebrauch hinaus : das Werk der 30 15 Baukunst z. B . ist das Haus und nicht das Bauen; das der Heilkunst ist die Gesundheit, nicht aber der Heilungsprozeß und nicht die ärzl-
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liehe Behandlung. Andererseits jedoch k a n n das Werk im (bloßen) Gebrauch bestehen: (Werk) der Sehanlage z. B. ist das Sehen, der mathematischen Wissenschaft das theoretische Verhalten. Die Schlußfolgerung ist zwingend, d a ß da wo Werk gleich Gebrauch ist, der Gebrauch wertvoller ist als die (bloße) Anlage. Nachdem aber diese Dinge auf diese A r t festgelegt sind, sagen wir: das von einem E t w a s hervorgebrachte Werk ist auch (das Werk) des M trefflichen E t w a s — n u r nicht in genau demselben Sinn. Zum Beispiel: Werk der Schusterkunst und des Schusterns ist der Schuh; wenn also bei der Schusterei und dem guten Schuster (auch noch) eine Trefflichkeit gegeben ist, dann ist das Werk der gute Schuh. U n d genauso ist es auch in den übrigen Fällen. Weiter darf gelten: Werk der Seele ist das Hervorbringen des Lebens; Leben aber ist A k t i v i t ä t und Wachzustand, denn der Schlaf ist Passivität u n d R u h e . Also: nachdem not- 25 wendigerweise das Werk der Seele und das ihrer Trefflichkeit ein u n d dasselbe ist, so ist das Werk ihrer Trefflichkeit des treffliche Leben. Dies ist somit das Gut im voll-endeten Sinn, gleichbedeutend, wie wir gesehen haben, mit „ G l ü c k " . E s ist aber ein klares Ergebnis aus unseren Voraussetzungen — es galt: das Glück ist der H ö c h s t w e r t ; die E n d zwecke, das heißt die höchstwertigen Güter sind in der Seele; diese ist 30 entweder Beschaffenheit oder Tätigsein — daß, n a c h d e m das Tätigsein besser ist als die (bloße) Disposition, und beste Beschaffenheit bestes Tätigsein im Gefolge hat, beste Beschaffenheit aber gleichzusetzen ist mit Trefflichkeit (Tugend), das Tätigsein der Trefflichkeit (Tugend) der Seele den Höchstwert darstellt. Es galt aber a u c h : das Glück ist der Höchstwert. Folglich bedeutet „ G l ü c k " das Tätigsein der 35 trefflichen (tugendhaften) Seele. Nachdem uns aber das Glück als G u t im voll-endeten Sinne galt, und es „ L e b e n " im vollendeten wie auch im iiichtvollehdeten Sinne gibt, und desgleichen „ T u g e n d " — sie ist j a sowohl als Ganzes wie auch alsTeil vorhanden—, Tätigsein von Nichtvollendetem aber (selbst) etwas Nichtvollendetes ist, so bedeutet „ G l ü c k " soviel wie ..Tätigsein vollendeten Lebens im Sinne vollendeter Trefflichkeit (Tugend)". Daß wir aber G a t t u n g und Definition des Glücks richtig aussagen, 40 d a f ü r sind Bestätigung die Vorstellungen, die wir alle (von ihm) haben. | (1) Denn sowohl des Trefflich-wirken wie auch das Trefflich-leben ist 1219b gleichbedeutend mit Glücklichsein: jedes davon ist ein Gebrauchen und Tätigsein, das Leben sowohl wie das W i r k e n ; auch das wirkende Leben ist ja gebrauchendes Leben: Der Schmied schafft den Zügel, der Reiter gebraucht ihn. (2) Und daß man nicht n u r einen Tag lang, und 3
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d a ß kein K i n d , u n d d a ß keine einzelne A l t e r s s t u f e glücklich ist — wesh a l b d e n n a u c h Solon r e c h t h a t m i t seiner b e k a n n t e n M a h n u n g , m a n d ü r f e bei L e b z e i t e n keinen glücklich preisen, s o n d e r n erst w e n n (das Leben) v o l l e n d e t sei; d e n n n i c h t s U n v o l l e n d e t e s ist glücklich, d a es k e i n G a n z e s ist. (3) F e r n e r : die L o b r e d e n h a b e n als G e g e n s t a n d die T u g e n d , u m ihrer W e r k e willen, u n d die E n k o m i e n gelten den W e r k e n . (4) U n d den K r a n z e r h a l t e n die Sieger, nicht dagegen j e n e , die n u r der Möglichkeit n a c h , nicht a b e r t a t s ä c h l i c h Sieger sind. (5) U n d d a ß m a n die Q u a l i t ä t eines Menschen n a c h seinen W e r k e n b e u r t e i l t . (6) F e r n e r : w a r u m e r h ä l t das Glück keine L o b r e d e ? Weil m a n seinetwegen die ü b r i g e n W e r t e l o b t , u n d zwar d e s h a l b , weil diese sich auf j e n e s beziehen oder weil sie Teile v o n ihm sind. D a h e r ist ein U n t e r s c h i e d zwischen Glücklichpreisung, L o b r e d e u n d E n k o m i o n . D a s E n k o m i o n nämlich b e r i c h t e t v o m W e r k als E i n z e l f a c t u m , die L o b r e d e d a v o n , d a ß einer eine b e s t i m m t e G e s a m t q u a l i t ä t h a t , die Glücklichpreisung a b e r v o m Z u s t a n d der V o l l e n d e t h e i t . (7) A u c h ergibt sich d a r a u s die L ö s u n g der gelegentlich v o r g e t r a g e n e n Aporie, w a r u m d e n n das h a l b e L e b e n l a n g die Trefflichen u m n i c h t s besser seien als die M i n d e r w e r t i g e n ; im Schlafe n ä m l i c h seien sie alle gleich. D a s k o m m t d a v o n , d a ß der Schlaf P a s s i v i t ä t , nicht A k t i v i t ä t der Seele ist. (8) Selbst wenn es d a h e r a u c h einen gewissen a n d e r e n Seelenteil g i b t , n ä m l i c h das n ä h r e n d e Verm ö g e n , so ist doch dessen Trefflichkeit ( „ T u g e n d " ) nicht Teil der Vollt u g e n d , so wenig wie die T r e f f l i c h k e i t ( „ T u g e n d " ) des Leibes. D e n n d a s n ä h r e n d e V e r m ö g e n ist vorzugsweise im Schlafe w i r k s a m , w ä h r e n d das W a h r n e h m u n g s - u n d das S t r e b e v e r m ö g e n im Schlafe nicht voll zur W i r k u n g k o m m e n . Soweit indes (die Schlafenden) in irgendeiner F o r m ein B e w e g t w e r d e n e r f a h r e n , sind sogar die T r a u m v o r s t e l l u n g e n der Trefflichen v o n höherer Q u a l i t ä t (als die der Minderwertigen), falls (sie) n i c h t d u r c h K r a n k h e i t oder O r g a n d e f e k t ( b e h i n d e r t sind). D a n a c h m u ß eine B e t r a c h t u n g ü b e r die Seele f o l g e n ; d e n n die T u g e n d ist e t w a s Seelisches (und zwar) nicht (nur) in einem beiläufigen Sinn. D a wir a b e r M e n s c h e n - T u g e n d zu b e s t i m m e n suchen, m ö g e als V o r a u s s e t z u n g gelten, d a ß es zwei Teile der Seele gibt, die a m R a t i o n a l e n Anteil h a b e n , d a ß sie a b e r nicht beide auf dieselbe Weise a m R a t i o n a l e n Anteil h a b e n , s o n d e r n i n d e m der eine d a z u da ist zu befehlen, der a n d e r e zu g e h o r c h e n u n d h i n z u h ö r e n . Falls es a b e r einen Teil gibt, der in a n d e r e r Weise (als der z u l e t z t g e n a n n t e ) n i c h t - r a t i o n a l ist, soll dieser Teil beiseitegelassen w e r d e n . E s ist also unwichtig, ob die Seele geteilt ist oder n i c h t geteilt — entscheidend ist n u r , d a ß sie
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verschiedengeartete Vermögen hat, und zwar die genannten (zwei) - so wie an etwas Gebogenem das K o n k a v e und das K o n v e x e und wie das Gerade und das Weiße ungeschieden ist. Und doch ist „ G e r a d e " nicht :i> gleich „ W e i ß " ; sie sind vielmehr nur in akzidentellem Sinn identisch s und nicht wesenhaft. Ausgeschieden aber ist ein anderer Teil der Seele, auch wenn es ihn gibt, nämlich der vegetative. E s ist aber speziell die menschliche Seele, der die genannten Teile zu eigen sind, weshalb denn auch die Trefflichkeiten ( „ T u g e n d e n " ) des nährenden und des Strebevermögens nicht dem Menschen (allein) gehören. E s >o muß nämlich, wenn (es um Tugend des Menschen) als Mensch (geht), in tu ihm sein Überlegung und Herrschen und Handeln. E s herrscht I aber 1220« die Überlegung nicht über die Überlegung, sondern über das Streben und die (irrationalen) Regungen. Notwendigerweise muß also der Mensch diese (genannten) Teile haben. Und wie sich der gute Körperis zustand zusammensetzt aus den (körperlichen) Teilvorzügen, so auch die Tugend der Seele (aus deren Einzelvorzügen), insoferne sie Vollendungszustand ist. Von der Tugend aber gibt es zwei A r t e n : die des Charakters (die :> „ethische") und die des Verstandes (die dianoetische). Denn wir loben so nicht nur den gerechten Mann, sondern auch den verständigen und weisen; es war nämlich angenommen, daß die Tugend etwas Lobwürdiges ist oder (deren) Werk. Diese (Tugenden) allerdings sind nicht (selbst) A k t i v i t ä t , aber es geht A k t i v i t ä t von ihnen aus. D a aber die Verstandestugenden mit Rationalem verbunden sind, so gehören solche 25 Tugenden zum rationalen Teil, dessen wesenhafte Bestimmung — inso- hi ferne er Rationalität hat — es ist, der Seele zu befehlen; die Charaktertugenden aber gehören zu jenem Seelenteil, der, obzwar irrational, von Natur dazu da ist, dem rationalen Teil zu folgen. Wir kennzeichnen nämlich die charakterliche Beschaffenheit eines Menschen nicht, indem so wir sagen, er sei weise oder gerissen, sondern (indem wir sagen): er hat ein ruhiges oder freches Wesen. Danach ist zuerst das Thema der ethischen Tugend zu behandeln, was sie ist und welche Teile von ihr es gibt — auf dieses nämlich läuft die Wesensfrage hinaus — sowie, wodurch sie zustandekommt. Man i.-, 35 muß aber beim Suchen so verfahren, wie es bei den sonstigen Gegenständen alle Leute tun, indem sie nämlich schon ein (Vor)wissen haben; also versuchen, mittels dessen was zwar zutreffend aber unpräzise ausgesagt wird, weiterhin auch zur zutreffenden u n d präzisen Aussage zu kommen. Denn jetzt ist unser Wissen (von der Tugend) ähnlich wie
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wenn wir wüßten, sowohl daß Gesundheit der beste Zustand des 20 Leibes, als auch daß Koriskos unter den Leuten auf der Agora der dunkelhäutigste ist. Nämlich: w a s jede von diesen Wesenheiten (Gesundheit, Koriskos) ist, das wissen wir nicht; indes um zu erkennen, was jede von ihnen ist, dafür ist es förderlich in dieser Weise ein (Vor)- 5 wissen zu haben. Es soll also zuerst folgendes vorausgesetzt sein: der beste Zustand ensteht durch die besten Wirk-Faktoren und bei jeder Wesenheit ist es so, daß am trefflichsten gehandelt wird von der Trefflichkeit einer jeden Wesenheit her; z. B. sind die trefflichsten Sportübungen und Ernäh- 10 2s rungsweisen jene, von denen her gute Körperkondition entsteht und von der guten Kondition (wiederum) kommt die trefflichste Sportleistung. Ferner: jeder Zustand entsteht und wird zerstört durch ein und dieselben Wirk-Faktoren, je nach der Weise wie sie (an ihn) herankommen, die Gesundheit z. B. durch Nahrung und Sportübungen und 15 Jahreszeit. Dies ergibt sich aus der Induktion. Und auch die Tugend ist somit ein Zustand von folgender Art: einerseits entsteht sie durch 30 die trefflichsten seelischen Bewegungen und andererseits kommen von ihr her die trefflichsten Werke und Affektionen der Seele. Und durch ein und dieselben Wirk-Faktoren entsteht sie und wird zerstört, 20 je nach deren Einwirkungsart, und ihre Aktivität bezieht sich auf dieselben Dinge, durch die sie gemehrt und zerstört wird — in Beziehung worauf sie (uns) in die beste Form versetzt. Ein Hinweis aber (auf das 35 Gesagte) ist dies, daß sowohl Tugend wie Minderwertigkeit als Bereich das Lust- und das Unlustbringende haben; es gehen j a die Bestra- 25 fungen, in ihrer Funktion als Heilverfahren und, wie auch sonst, mit Kontrasten wirkend, mit Hilfe dieser ( = Lust und Unlust) vor sich. 2. Daß also die ethische Tugend als Bereich das Lust- und Unlüstbringende hat, ist klar. Indem aber der Charakter (ethos), wie auch 1220 b der Name an|zeigt, etwas ist was sich von der Gewöhnung (ethos) her 30 ausbildet, der Gewöhnungsprozeß aber vor sich geht durch eine Führung, die keine angeborene ist, vermittels häufigen, in bestimmter Art erfolgenden Bewegtwerdens, ist er auf diese Weise letzten Endes das aktivierende Element. Das ist etwas was wir beim Unbelebten nicht beobachten können, denn auch dann wenn du den Stein unzählige- 35 male in die Höhe wirfst, wird er dies (das Steigen) niemals tun ohne 5 Zwang. Daher soll gelten: der Charakter ist eine Beschaffenheit des irrationalen Seelenelements, das in der Lage ist, nach Maßgabe des befehlenden Rationalen dem Rationalen zu folgen.
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W i r m ü s s e n n u n also sagen, m i t welchen S e e l e n i n h a l t e n C h a r a k t e r f o r m e n v o n b e s t i m m t e r Qualifikation z u s a m m e n h ä n g e n . N u n , sie w e r d e n z u s a m m e n h ä n g e n (a) m i t den (verschiedenen) E m p f ä n g l i c h keiten f ü r Affekcionen, in Bezug worauf die Menschen als „ a f f i z i e r b a r ' " angesprochen w e r d e n , u n d (b) mit d e n f e s t e n G r u n d h a l t u n g e n , in Bezug auf welche sie hinsichtlich dieser A f f e k t i o n e n als in b e s t i m m t e r Weise affiziert oder n i c h t affiziert a n g e s p r o c h e n w e r d e n . D a n a c h (folge, wie sie) in den z u m A b s c h l u ß g e k o m m e n e n ( S c h r i f t e n s i e h t ) , die A u f g l i e d e r u n g der A f f e k t i p n e n u n d der E m p f ä n g l i c h k e i t e n u n d der festen G r u n d h a l t u n g e n . Als A f f e k ü o n e n a b e r b e z e i c h n e ich solches: Z o r n e s m u t , A n g s t , S c h a m e m p f i n d u n g , Begierde, ü b e r h a u p t das was f ü r gewöhnlich (und zwar) als solches, s i n n e n v e r m i t t e l t e L u s t u n d U n l u s t im Gefolge h a t . U n d in Z u s a m m e n h a n g m i t diesen (Affektionen) gibt es keine C h a r a k t e r q u a l i t ä t , s o n d e r n (die Seele) e r f ä h r t (lediglich) E i n w i r k u n g ; wohl ab$r gibt es sie in Z u s a m m e n h a n g mit d e n E m p f ä n g l i c h k e i t e n . I c h meine a b e r die E m p f ä n g l i c h k e i t e n , v o n d e n e n sich die B e n e n n u n g j e n e r herleitet, die g e m ä ß den A f f e k t i o n e n a k t i v sind u n d also z. B. j ä h z o r n i g , e m p f i n d u n g s l o s , erotisch, v e r s c h ä m t , schamlos g e n a n n t w e r d e n . F e s t e G r u n d h a l t u n g e n a b e r sind j e n e , die U r s a c h e d a v o n sind, d a ß diese (Affektionen) e n t w e d e r g e m ä ß d e m R a t i o n a l e n d a sind oder in gegenteiliger Weise, z. B . T a p f e r k e i t , B e s o n n e n h e i t , F e i g h e i t , Zuchtlosigkeit. 3. N a c h d e m diese U n t e r s c h e i d u n g e n getroffen sind, m u ß m a n b e a c h t e n , d a ß es bei allem w a s ein G o n t i n u u n i , d. h . (in i n f i n i t u m ) teilbar ist, Ü b e r m a ß , U n t e r m a ß u n d Mittleres g i b t , u n d dies e n t w e d e r in d e m V e r h ä l t n i s (der Größen) z u e i n a n d e r oder in der B e z i e h u n g auf uns, z. B . in der G y m n a s t i k , der H e i l k u n s t , der B a u k u n s t , d e r S t e u e r m a n n s k u n s t u n d in T ä t i g k e i t beliebiger A r t , m a g sie m i t p r ä z i s e m Wissen oder o h n e solches, m i t f a c h l i c h e m K ö n n e n oder o h n e solches vollzogen w e r d e n . D e n n B e w e g u n g ist ein C o n t i n u u m u n d H a n d l u n g ist B e w e g u n g . I n allein a b e r ist das auf uns bezogene Mittlere d a s Beste, d e n n dieses ist so wie das Wissen befiehlt u n d die p l a n e n d e Ü b e r l e g u n g . Dies a b e r ist es a u c h , was ü b e r a l l die b e s t e G r u n d h a l t u n g h e r v o r b r i n g t . U n d dies ergibt sich d u r c h die I n d u k t i o n u n d d a s syllogistische V e r f a h r e n . Die Gegensätze n ä m l i c h zerstören sich gegenseitig; die E x t r e m e a b e r stehen sowohl z u e i n a n d e r als a u c h z u m Mittleren in G e g e n s a t z . D e n n das Mittlere ist in seiner B e z o g e n h e i t auf beide E x t r e m e j e das eine u n d das a n d e r e ; das Gleiche z. B. ist verglichen m i t d e m Kleineren größer, verglichen m i t d e m G r ö ß e r e n
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kleiner. Notwendig muß daher die ethische Tugend als Bereich jeweils ein bestimmtes Mittleres haben und eine bestimmte Mitte sein. Man muß also bestimmen, welche Art von Mitte Tugend ist und auf welche Arten von Mittlerem sie sich bezieht. Nehmen wir also das Einzelne und studieren es aus der Tabelle : (1) Jähzorn (2) Tollkühnheit » (3) Hemmungslosigkeit (4) Zuchtlosigkeit (5) Mißgunst (6) Gewinn 3 (?) Verschwendung (8) Aufschneiderei (9) Schmeichelei (10) Unterwürfigkeit (11) Weichlichkeit o (12) Aufgeblasenheit (13) Angeberei (14) Gerissenheit
Phlegma Feigheit Schüchternheit Stumpfsinn unbenannt Verlust Knauserei Selbstverkleincrung Widerwärtigkeit Selbstgefälligkeit Stumpfe Härte Engsinn Engherzigkeit Einfältigkeit
Gelassenheit Tapferkeit Scham Besonnenheit ehrliche Empörung Recht Großzügigkeit Aufrichtigkeit Freundschaftlichkeit Würde Standfestigkeit Hochsinn Großartigkeit Einsicht
Dies und dergleichen sind die Affektionen, die in den Seelen vorkommen; alle aber haben ihre Benennung auf Grund davon, daß die eine Gruppe Ubermaß, die andere ein Untermaß darstellt. (1') J ä h 5 zornig nämlich ist, wer mehr als recht ist zürnt und schneller und mehr Personen als recht ist; phlegmatisch aber wer hinter dem was recht ist zurückbleibt, sowohl was Personen als auch was das Wann und das Wie betrifft. (2') Und tollkühn, wer weder das fürchtet was recht ist noch dann und wie es recht ist; feige aber, wer sowohl das was nicht recht ist fürchtet als auch dann wann es nicht recht ist und wie es nicht recht 0 ist. (4') Entsprechend ist auch zuchtlos und begierdevoll, wer das Maß überschreitet, wo es nur möglich ist; stumpfsinnig aber ist, wer e.s unterschreitet und nicht einmal soweit es gut und naturgemäß ist begehrt, sondern fühllos bleibt wie ein Stein. (6') Gewinnsüchtig ist, wer den Profit von überall her sucht; gegen Verluste gleiphgültig, wer ihn von nirgendher oder nur aus wenigem sucht. (8') Aufschneider ist, 5 wer so tut als sei mehr da als vorhanden ist; Selbstverklcinerer, wer so tut als sei weniger da. (9') Und Schmeichler ist, wer mehr Lob und Zustimmung äußert als der Anstand verlangt; widerwärtig wer darin zuwenig tut. (10') Und ein Verhalten allzusehr auf das Wohlgefallen
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(des anderen) abgestimmt, ist Unterwürfigkeit; wenn zu wenig und nur verkrampft, Selbstgefälligkeit. (11') Ferner: wer gar keine Unlust erträgt, auch wenn es gut (für ihn) wäre, ist weichlich; wer dagegen jede gleichmäßig (über sich ergehen läßt), für den gibt es keine ein- 30 deutige Bezeichnung; in übertragenem Sinn heißt er stur und stumpf und verkümmert. (12') Aufgeblasen ist wer sich größerer; engsinnig, wer sich geringererDinge (als recht ist) für wert hält. (7') Ferner : Verschwender ist wer bei jeder Ausgabe (das Maß) überschreitet; knauserig wer bei jeder darunterbleibt. (13') Entsprechend ist es auch beim Engherzigen und Großtuerischen: der eine geht über das Geziemende 35 hinaus, der andere bleibt unter dem Geziemenden. (14') Und der Gerissene ist durch i)nd durch und von allen Seiten her auf Gewinn aus, der Einfältige dagegen nicht einmal von da her wo es recht ist. (5') Mißgünstig ist einer, wenn er sich über mehr Fälle von (fremdem) Glück ärgert (als recht ist): sogar jene die ihr Glück verdienen sind ja den Mißgünstigen ein Ärger — durch ihr Glück. Der entgegengesetzte k> Typ kann nicht so recht benannt werden: es ist | der welcher nach der 1221 Seite das Maß überschreitet, daß er sich nicht einmal über unverdientes Glück (der anderen) ärgert, sondern er ist gleichmütig — so wie es den Freßbäuchen gleich ist, was sie essen —, während der andere bösen Gemütes ist, gemäß seiner Mißgunst. Zu jeder einzelnen Aussage aber die Bestimmung treffen, es dürfe sich nicht (nur) in beiläufiger Weise so verhalten, ist überflüssig. Denn "•> keine Wissenschaft, weder eine theoretische noch eine praktische macht es in der Aussage oder in der Praxis so, daß sie diese zusätzliche Bestimmung trifft, sondern dies ist (nur) dann am Platz, wenn man den technischen Kniffen der Dialektiker begegnen will. Es sollen also die Definitionen einfach in der vorgetragenen Weise aufgestellt sein; Genaueres (wird folgen), wenn wir von den festen Grundhaltungen sprechen, die entgegengesetzt sind. Innerhalb der genannten Affektionen aber werden Unterarten mit 111 bestimmten Namen bezeichnet, je nachdem wie sie sich voneinander abheben (a) durch ein Übermaß der Zeit oder (b) des Grades oder (c) durch die Beziehung zu einem der Objekte, die die Affektionen hervorrufen. Ich meine z. B . : jemand ist hitzigen Gemütes indem er (a') schneller affiziert wird als recht ist; bösartig und aufbrausend (b') durch das Mehr (als recht ist); verbittert, indem er dazu neigt, seinen Zorn aufzubewahren; Schläger und Zänker infolge der vom Zorn ausgehenden Racheakte. Leckermaul aber und Freßbauch und '•»
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Säufer heißt einer deshalb, weil er entgegen dem rationalen Element eine Affektionsschwäche hat (c') in Bezug auf die Konsumierung sowohl des einen (Nahrung) wie des anderen (Wein) Genußmittels. Man darf übrigens nicht außer acht lassen, daß sich einiges von dem was (als Affektion) bezeichnet wird, begrifflich nicht bestimmen läßt, indem man das Wie (des Vorgangs) betrachtet — falls „Wie" bestimmt wird durch „mehr" (als recht ist affiziert werden). Der Ehebrecher z. B. wird nicht darnach bestimmt, ob er mehr als recht ist mit den verheirateten Frauen Verkehr hat — es gibt da kein „mehr" —, sondern dies ist an sich bereits Schlechtigkeit; denn der Name der Affektion und ihre (schlechte) Qualität sind in einem Begriff beisammen. Ähnlich auch bei der Gewalttätigkeit. Daher bestreiten sie auch die Sache, indem sie behaupten, zwar zusammengewesen zu sein, jedoch nicht Ehebruch begangen zu haben, insofern es in Unwissenheit oder unter Zwang geschehen sei. Oder sie hätten zwar zugeschlagen, aber es sei keine Gewalttat gewesen. Und entsprechend (streiten sie) auch gegen die anderen Fälle dieser Art. 4. Nachdem dies (begrifflich) gefaßt ist, muß man sodann aussprechen, daß, nachdem es zwei Teile der Seele gibt und die Tugenden diesen entsprechend (zwei)geteilt sind und die des rationalen Teils Verstandestugenden (dianoetische) sind, deren Werk die Wahrheit ist, entweder im Hinblick auf das Wie (der seienden Dinge) oder im Hinblick auf Entstehungen, die anderen aber (Tugenden) jenes Teils, der irrational ist, aber Strebung besitzt — es besitzt nämlich nicht einfach jeder Teil der Seele Strebung, vorausgesetzt sie hat Teile — (daß also) notwendigerweise der Charakter minderwertig oder* trefflich ist auf Grund davon, daß er bestimmte Lust- und Unlustformen verfolgt oder meidet. Dies ist klar aus den Einteilungen, den bekannten, die das Gebiet der Affektionen und Empfänglichkeiten und Grundhaltungen betreffen. Die Empfänglichkeiten und die Grundhaltungen hängen nämlich mit den Affektionen zusammen, die Affektionen aber sind durch Lust und Unlust charakterisiert. Sowohl daraus also wie aus den früheren Sätzen ergibt sich, daß alle ethische Tugend als Bereich Lust und Unlust hat. Von der Seele nämlich gilt allgemein, daß sie schließlich zu dem in Relation steht und das als Gebiet hat, wodurch sie ihrer Natur nach schlechter oder besser wird. | Daß es aber Lust und Unlust ist, wodurch jemand minderwertig ist, das meinen wir in dem Sinn, daß er (diese) verfolgt oder meidet, entweder wie es nicht recht ist oder solche, bei denen es nicht recht ist. Daher definieren denn auch alle
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leichterhand, die Tugenden seien Unaffiziertheit u n d R u h e gegenüber Lust und Unlust, die Schlechtigkeiten aber (bestimmen sie) aus dem Gegenteiligen. 5. Nachdem aber feststeht, daß Tugend der Zustand von solcher Art ist, daß m a n von ihm her grundsätzlich zum Verwirklichen des Besten k o m m t , Bestes aber und Trefflichstes das der rechten Überlegung Gemäße ist — worunter zu verstehen ist d a s Mittlere zwischen U b e r m a ß und U n t e r m a ß in der Bezogenheit auf uns —, so ist notwendigerweise die ethische Tugend die auf die jeweilige Person bezogene Mitte und h a t als Bereich jeweils ein bestimmtes Mittleres bei Lust und Unlust und bei Lust- und Unlustbringendem. E s wird aber die Mitte das eine Mal bei Lustempfindungen Zustandekommen — denn da gibt es sowohl Ubermaß wie U n t e r m a ß — ein andermal bei Unlustempfindungen, bisweilen aber bei beiden. Denn wer in der Freude übermäßig ist, ist es durch das Lustvolle; wer es im Leid ist, durch das Gegenteil — u n d dies entweder schlechthin oder in Bezug auf eine Norm, wenn er sich z. B. nicht so verhält, wie die Vielen; der wertvolle Mensch aber (verhält sich) wie es recht ist. Da es aber ein bestimmtes Grundverhalten gibt, von d e m der I n h a b e r schließlich Einfluß in der Richtung erfährt, d a ß er von ein u n d derselben Sache im einen Fall das Ü b e r m a ß , im anderen das U n t e r m a ß bei sich R a u m gewinnen l ä ß t , so folgt notwendig, daß, wie diese (Übermaß und Untermaß) einander und dem Mittleren entgegengesetzt sind, so auch die G r u n d h a l t u n g e n einander u n d der Tugend entgegengesetzt sind. E s k o m m t indes vor, d a ß die Gegensätze in gewissen Fällen allesamt durchaus klar hervortreten, in anderen dagegen (nur) jene auf der Seite des Übermaßes und bisweilen die auf der Seite des Untermaßes. Der Grund f ü r die Diskrepanz aber ist, d a ß die Ungleichheit oder Ähnlichkeit mit dem Mittleren nicht immer an derselben Stelle lokalisiert ist, sondern in manchen Fällen der Übergang schneller vom Ü b e r m a ß weg zum mittleren Verhalten erfolgt, in anderen dagegen vom Unterm a ß weg. U n d wer vom Mittleren den größeren A b s t a n d h a t , von dem gilt, daß er in größerem Gegensatz steht. F ü r den K ö r p e r z. B. ist Ü b e r m a ß im Training gesünder als U n t e r m a ß u n d dem Mittleren n ä h e r ; bei seiner E r n ä h r u n g aber ist es umgekehrt. Folglich werden auch jene zu Willensentscheidungen führenden H a l t u n g e n , die auf Liebe zum Sport beruhen, in höherem Grade gesundheitliebend sein — im Falle der einen wie im Falle der anderen Willensentscheidung — (also) auf der einen Seite jene Männer, die eher zu viel Training, auf der anderen
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jene, die eher zu viel Enthaltsamkeit wollen; und es wird dem Manne des Maßes, d. h. dem der Überlegung folgenden, in dem einen Falle der >5 vor jeglichem Training Zurüekscheuende entgegengesetzt sein und nicht beide, im anderen Falle aber der zu sehr Eßfreudige und nicht der zum Hungern Bereite. Das ist aber deshalb so, weil unsere Natur s von allem Anfang an nicht, in jedem Betracht gleicherweise von der Mitte absteht, sondern zur Anstrengung ist unsere Neigung geringer, zum Genuß dagegen größer. Und entsprechend ist es bei der Seele. Als *o Gegensatz (zur Tugend) gilt uns jenes Verhalten, auf das zu wir leichter Fehler machen und auf das hin die Vielen (tendieren) — und darüber io bleibt uns der andere Gegensatz verborgen als gäbe es ihn nicht; er ist nämlich so selten daß man ihn gar nicht wahrnimmt — also (stellen wir) z. B . den Zorn der Gelassenheit (gegenüber) und den zornvollen 1222b Menschen | dem gelassenen. Allerdings gibt es ein Ubermaß auch beim Mild-sein und beim Versöhnlich-sein und beim Nichtzornig- is werden, (selbst) wenn man Schläge bekommt. Aber Leute mit solchen Eigenschaften sind selten und es ist vielmehr des Gegenteilige, zu dem man gemeinhin neigt. Daher denn auch der Zorn zu Racheakten neigt Nachdem wir nun die Liste der den einzelnen Affektionen entsprechenden Grundhaltungen haben und zwar einerseits die Über- und 20 Untermaße, andererseits die (diesen) entgegengesetzten Grundhaltungen (— die Mitte), auf Grund deren man sich gemäß der rechten Überlegung verhält — was aber die „rechte Überlegung" ist und im Hinblick auf welche Norm das Mittlere zu bestimmen ist, das soll später untersucht werden — so ist klar, daß alle ethischen Tugenden 23 10 und Mängel als Bereich Übermaß und Untermaß von Lust und Unlust haben und daß Lust und Unlust von den genannten Grundhaltungen und Affektionszuständen herstammen. Das beste Grundverhalten aber ist natürlich in der Tat das mittlere in jedem Einzelfall. Somit ist offenbar, daß die Tugenden entweder lauter Mitten oder aber einige 30 dieser Mitten sein werden. Io 6. Nun wollen wir einen anderen Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung nehmen. Bekanntlich sind alle Wesenheiten, nach der Ordnung der Natur, in bestimmtem Sinn Ursprung (von etwas), weshalb j a auch jede fähig ist, viele mit ihr gleichartige Wesenheiten :is zu zeugen: so zeugt der Mensch (wieder) Menschen; allgemein gesagt: Lebewesen zeugt Lebewesen und die Pflanze Pflanzen. Überdies aber ist speziell der Mensch auch noch Ursprung von bestimmten Hand20 lungen, er allein unter den Lebewesen, insofern® von keinem anderen
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gesagt werden könnte, es handle. Ursprünge nun von der Art, daß sie an der Spitze von Veränderungsvorgängen stehen, heißen Ursprünge im strengen Wortsinn, und mit vollstem R e c h t sind das jene, deren Wirkung den Charakter des Nicht-anders-sein-könnens' hat, eine Form 5 des Ursprung-seins, die man doch wohl Gott zuerkennen darf. Bei den unveränderlichen Prinzipien dagegen, z. B . den mathematischen, haben wir es nicht mit Ursprüngen im strengen Wortsinn zu tun, obwohl man dort den Ausdruck analogisch verwendet. Auch im Bereich »s des Mathematischen ist es j a so, daß, wenn das Prinzip sich ändert, 10 sogleich alle (aus ihm) sich ergebenden Folgerungen anders werden: es sind aber nicht die Folgerungen selbst, die sich anders machen — durch gegenseitige Aufhebung —, sondern nur dann wenn man die Hypothesis aufhebt und eben damit den (neuen) Beweisgang einsetzen läßt. Der Mensch aber ist Ursprung von Veränderungsvorgängen; denn Handlung ist Veränderung. Nachdem aber, hier wie sonst, der Ursprung 3« Ursache dessen ist was durch ihn Sein oder Werden empfängt, so muß man sich die Sache so vorstellen wie beim strengen Beweisverfahren. Wenn nämlich daraus daß das Dreieck (als Winkelsumme) zwei 20 Rechte hat mit Notwendigkeit folgt, daß die des Vierecks vier Rechte beträgt, so ist klar, daß die Ursache dafür der Satz von der Winkelsumme des Dreiecks ist. Gibt man aber die Möglichkeit zu, daß das Dreieck sich ändert, so muß notwendig sich auch das Viereck ändern: 35 ein Dreieck von drei rechten Winkeln hätte ein Viereck von sechs, 25 eines von vier ein solches von acht zur Folge. Und andererseits: wenn sich das Dreieck nicht ändern kann, sondern das bleibt, was es ist, so muß auch das Viereck bleiben was es ist. Daß aber das was wir zu zeigen versuchen den Charakter der Notwendigkeit hat, ist aus der Analytik zu ersehen. Für den Augenblick 30 allerdings ist es nicht möglich, weder die Sache (ganz) zu übergehen noch E x a k t e s über das bisher Gesagte hinaus vorzutragen. Wenn es nämlich keine weitere Ursache für den beim Dreieck fest- «0 gestellten Sachverhalt gibt, so ist dieser Ursprung und Ursache von dem was danach kommt. Daraus folgt: wenn es im Bestand des Wirk35 liehen einiges gibt was die Möglichkeit hat sich so u n d entgegengesetzt zu verhalten, so müssen notwendig auch dessen Ursprünge von solcher Art sein. | Was sich nämlich aus Notwendigem ergibt, ist (seinerseits) 1223« notwendig. Was dagegen aus jenen erwähnten anderen Ursprüngen stammt, hat die Möglichkeit das Gegenteil zu werden, und das was i5
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d e n M e n s c h e n in i h r e V e r f ü g u n g g e g e b e n i s t , g e h ö r t ü b e r w i e g e n d zu d e m e r w ä h n t e n Bereich des So-und-anders u n d U r s p r u n g v o n dera r t i g e m sind sie s e l b s t . A l s o : b e i a l l e n H a n d l u n g e n , d e r e n U r s p r u n g u n d H e r r der Mensch ist, b e s t e h t offenkundig die Möglichkeit, d a ß sie g e s c h e h e n o d e r d a ß sie n i c h t g e s c h e h e n u n d h ä n g t d e r e n G e s c h e h e n oder- N i c h t g e s c h e h e n v o n i h m a b — i n s o f e r n j e d e n f a l l s als er H e r r ü b e r i h r Sein o d e r N i c h t s e i n i s t . Alles T u n a b e r , d e s s e n V o l l z u g o d e r N i c h t v o l l z u g v o n i h m a b h ä n g t , f ü r dieses ist e r p e r s ö n l i c h d e r • U r h e b e r . U n d ü b e r a l l w o er U r h e b e r ist, d a h ä n g e n die D i n g e v o n ihm ab. N a c h d e m a b e r s o w o h l T a g e n d u n d M i n d e r w e r t i g k e i t als a u c h die e n t s p r e c h e n d e n W e r k e G e g e n s t a n d teils des L o b e s teils des T a d e l s sind — g e l o b t n ä m l i c h u n d g e t a d e l t w i r d n i c h t a u f G r u n d d e s s e n w a s d u r c h N o t w e n d i g k e i t , Z u f a l l o d e r N a t u r g e g e b e n ist, s o n d e r n a u f G r u n d von Dingen, deren U r h e b e r wir persönlich sind, d e n n überall d a w o ein a n d e r e r d e r U r h e b e r i s t , d a b e k o m m t d i e s e r a n d e r e d a s L o b o d e r d e n T a d e l — so ist k l a r , d a ß s o w o h l T u g e n d wie M i n d e r w e r t i g k e i t sich a u f j e n e n B e r e i c h b e z i e h e n , w o d e r M e n s c h s e l b s t U r s p r u n g u n d U r s a c h e d e r H a n d l u n g e n - ist. D a h e r m u ß m a n b e g r i f f l i c h f a s s e n , w a s das f ü r H a n d l u n g e n sind, deren U r h e b e r u n d Ursprung der Mensch selber i s t . N u n , d a s t i m m e n w i r alle ü b e r e i n : w a s w i l l e n t l i c h u n d g e m ä ß d e r E n t s c h e i d u n g des e i n z e l n e n g e s c h i e h t , d a v o n ist e r d e r U r h e b e r , w ä h r e n d er v o n d e m w a s u n w i l l e n t l i c h g e s c h i e h t , n i c h t s e l b e r U r h e b e r ist. U n d alles w a s er t u t weil er sich d a f ü r e n t s c h i e d e n h a t , d a s t u t er s e l b s t v e r s t ä n d l i c h als w i l l e n t l i c h H a n d e l n d e r . S o m i t ist also offenk u n d i g , d a ß s o w o h l T u g e n d wie M i n d e r w e r t i g k e i t z u r G a t t u n g des willentlich V o l l z o g e n e n g e h ö r e n . 7. E s m u ß also b e g r i f f l i c h g e f a ß t w e r d e n , w a s d a s W i l l e n t l i c h e u n d w a s d a s N i c h t - w i l l e n t l i c h e u n d w a s die E n t s c h e i d u n g ist, d a T u g e n d u n d M i n d e r w e r t i g k e i t d u r c h diese B e g r i f f e b e s t i m m t w e r d e n . Z u e r s t ist d a s W i l l e n t l i c h e u n d d a s N i c h t - w i l l e n t l i c h e zu u n t e r s u c h e n . N u n , es s c h e i n t eines v o n f o l g e n d e n drei D i n g e n z u s e i n : e n t w e d e r e t w a s w a s im B e r e i c h d e r S t r e b u n g o d e r d e r E n t s c h e i d u n g o d e r des D e n k e n s in E r s c h e i n u n g t r i t t , w o b e i d a s W i l l e n t l i c h e e t w a s w ä r e w a s m i t diesen (dreien) ü b e r e i n s t i m m t , d a s N i c h t - w i l l e n t l i c h e w a s i h n e n w i d e r s t r e i t e t . I n d e s ist z u b e a c h t e n , d a ß die S t r e b u n g d r e i f a c h g e g l i e d e r t ist, in W ü n s c h e n (A), A u f w a l l u n g (B) u n d B e g i e r d e (C). F o l g l i c h m u ß m a n den S a c h v e r h a l t entsprechend dieser Gliederung studieren u n d zwar zuerst den Fall der Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der Begierde.
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( C ) (1) E s darf gelten, daß alles was in Übereinstimmung mit der Begierde geschieht, willentlich ist. Denn das Nicht-willentliche gilt durchweg als erzwungen^ das Erzwungene aber bringt Unlust wie 30 auch alles was man unter Nötigung tut oder erfährt. Und so sagt auch 5 Euenos: „Freudlos und lästig ist stets, was dir als Zwang widerfährt." Wenn also etwas Unlust bringt, ist es aufgezwungen, und wenn aufgezwungen, unlustbringend. Was aber der Begierde zuwiderläuft bringt durchweg Unlust, denn die Begierde zielt auf das Lustvolle; folglich 10 ist es aufgezwungen und nicht-willentlich. Mithin ist willentlich was 35 der Begierde entspricht, da eins das Gegenteil von anderen ist. (2) Ferner: Schlechtigkeit macht durchweg ungerechter, Unbeherrschtheit gilt als Schlechtigkeit, der Unbeherrschte ist jener T y p der der Begierde folgend gegen die sachliche Überlegung handelt und im Zu15 stand der Unbeherrschtheit ist er, wenn er der Begierde folgend aktiv ist; Unrechttun aber ist willentlich: folglich wird der | Unbeherrschte 1223b Unrecht tun indem er der Begierde folgend handelt. E r wird also willentlich handeln und was in Übereinstimmung mit der Begierde geschieht ist etwas Willentliches. — E s wäre j a auch absurd, wenn man 20 durch Unbeherrschtheit gerechter würde. — Auf Grund dieser Argumente also scheint das was in Übereinstimmung mit der Begierde geschieht, willentlich zu sein. Aus den folgenden aber ergibt sich das Gegenteil: s (3) Alles was einer willentlich tut, tut er weil er es wünscht, und 25 (umgekehrt), was er zu tun wünscht, das tut er willentlich. E s wünscht sich aber keiner was er für schädlich hält. Indes, wer unbeherrscht, handelt, tut nicht das was er (eigentlich) wünscht; denn unbeherrscht handeln bedeutet gerade dies, daß man der Begierde folgend im Widerspruch zu dem handelt was man für das Beste hält. Woraus sich er30 geben müßte, daß ein und derselbe zur gleichen Zeit willentlich und nicht-willentlich handelt. Das aber ist unmöglich. 10 (4) Ferner: Der Beherrschte wird gerecht handeln, und zwar gerechter als es der Unbeherrschtheit möglich wäre; denn Beherrschtheit ist Tugend, Tugend aber macht gerechter. Man handelt aber beherrscht, wenn man 3s sich in Gegensatz zur Begierde stellt und der sachlichen Überlegung folgt. Wenn daher gerechtes Handeln willentlich geschieht wie auch das Unrechttun — dies beides gilt j a als willentlich und wenn es vom 15 einen gilt, muß es auch vom anderen gelten — das Handeln im Gegensatz zur Begierde aber nicht-willentlich ist, so ergibt sich, daß ein
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und derselbe zur gleichen Zeit dasselbe willentlich und nicht-willentlich tut. (B') Dasselbe Argument gilt auch für die Aufwallung. Denn Unbeherrschtheit und Beherrschtheit scheint es auch bei der Aufwallung 20 im selben Sinne zu geben wie bei der Begierde, und was der Aufwallung s zuwiderläuft bringt Unlust und deren Niederhalten ist etwas Erzwungenes. Wenn daher das Erzwungene nichtwillentlich ist, so müßte das was man der Aufwallung folgend tut, durchweg willentlich sein. Auch Heraklit scheint im Hinblick auf die Stärke der (Zorn)wallung zu behaupten, ihre Unterdrückung sei voll Unlust; „es ist nämlich 10 schwer", sagt er, „mit dem Zorn zu kämpfen, denn er erkauft (was er 25 will) mit der Seele". Wenn es aber unmöglich ist, daß derselbe dasselbe gleichzeitig willentlich und nicht-willentlich tut in Bezug auf denselben Aspekt der Sache, so ist eher willentlich das was in Übereinstimmung mit dem Wünschen geschieht als was mit Begierde und Aufwallung k. zusammenstimmt. Und ein Beweismittel hierfür ist, daß wir vieles willentlich tun ohne Zorn und Begierde. (A') E s verbleibt also zu untersuchen, ob „Wünschen" und „willentso lieh" sich decken. Allein auch dies scheint unmöglich. Denn es ist unsere Voraussetzung und es gilt, daß Schlechtigkeit ungerechter 2« macht, Unbeherrschtheit aber zeigt sich als eine Form von Schlechtigkeit. Aber es wird sich das Gegenteil (zu unserer Voraussetzung) ergeben. Niemand wünscht nämlich was er für schädlich hält und doch tut man es, wenn man unbeherrscht wird. Wenn nun Unrechttun willentlich ist und das Willentliche das Wunschgemäße, so wird man, 2.". 35 wenn man unbeherrscht geworden ist, nicht mehr Unrecht tun, sondern gerechter sein als vorher ehe man unbeherrscht geworden war. Das aber ist unmöglich. Daß also das Willentliche nicht darin besteht, daß man in Ubereinstimmung mit der Strebung handelt, und das Nicht-willentliche im .10 Handeln gegen die Strebung, ist klar. 8. Daß es aber auch nicht auf dem Gebiet der Entscheidung in Erscheinung tritt, erhellt wiederum aus folgendem: vom Handeln in 1224 a Übereinstimmung mit dem Wünschen | ist nämlich nachgewiesen worden, daß es nicht nicht-willentlich ist, sondern vielmehr, daß alles was 33 man wünscht, geradezu willentlich ist. Aber auch daß man willentlich handeln kann ohne ausdrücklich (etwas) zu wünschen, ist als F a c t u m besonders hervorgehoben worden. Vieles aber tun wir, von einem Wunsche getrieben, plötzlich; eine Entscheidung aber trifft kein Mensch plötzlich.
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Wenn nun aber, wie wir sahen, das Willentliche notwendig eines von folgenden drei Dingen sein muß: entweder etwas was im Bereich der Strebung oder der Entscheidung oder des Denkens in Erscheinung tritt, und wenn es das erste und das zweite nicht sein kann, so bleibt nur übrig, daß das Willentliche in einem Handeln erscheine, das von einem irgendwie gearteten Durchdenken (der Situation) bestimmt wird. Wir wollen aber die Diskussion noch ein bißchen weiter vorantreiben und dann die Erörterung des Willentlichen und Nicht-willentlichen zum Abschluß bringen. Nun, es ist anzunehmen, daß ein Handeln unter Zwang oder nicht unter Zwang sachlich zu den genannten Begriffen (des Willentlichen, Nicht-willentlichen) gehört. Denn das Erzwungene ist willentlich und das Nicht-willentliche ist, wie wir sagen, durchweg erzwungen. Daher muß man zuerst das Handeln unter Zwang untersuchen und fragen, was es ist und wie es sich zum Willentlichen und Nicht-willentlichen verhält. Bekanntlich gelten das Erzwungene und das Genötigte, Zwang und Nötigung, als Gegensätze zum Willentlichen und der bei unserem Tun stattfindenden Überredung. Im weiteren Sinne aber gebrauchen wir die Ausdrücke „erzwungen" und „Nötigung" sogar für das Unbelebte. Denn vom Stein sagen wir, er könne nach oben, und vom Feuer, es könne nach unten gezwungen und genötigt werden. Wenn sie sich aber in diesen Richtungen gemäß ihrer natürlichen, das heißt in ihnen selbst liegenden Tendenz bewegen, dann heißt es nicht, sie bewegten sich unter Zwang, ebensowenig aber auch, daß es willentlich geschehe; vielmehr gibt es für dieses andere keine Bezeichnung. Im entgegengesetzten Fall aber sprechen wir von „Zwang". Ähnlich kann man aber auch bei Belebtem und bei den Tieren beobachten, wie sie vieles unter Zwang erleiden und tun, sobald sie durch etwas von außen her gegen die ihnen einwohnende Tendenz bewegt werden. Beim Unbelebten nun ist das Anstoßgebende einfach, beim Belebten dagegen mannigfaltig, denn nicht immer stimmen Strebung und Überlegung zusammen. (Eben) deshalb ist bei den Tieren das Erzwungene (nur) einfach — wie beim Unbelebten —, denn bei ihnen gibt es den Gegensatz von Überlegung und Strebung nicht, sondern sie folgen der Strebung. Im Menschen aber ist beides, das heißt in einem bestimmten Alter, dem wir das Handeln wirklich zuerkennen. Wir sprechen j a nicht vom „Handeln" beim Kinde, und auch nicht beim Tier, sondern erst dann wenn schon auf Grund von Überlegung gehandelt wird. Bekanntlich bringt das Erzwungene durchweg Unlust und niemand handelt gezwungen und doch mit Freude. Daher die größten Meinungs-
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Verschiedenheiten um den Beherrschten und den Unbeherrschten. Denn jeder, als Person betrachtet, handelt auf Grund von Impulsen, die seinem eigentlichen Wesen entgegengesetzt sind, so daß einerseits der Beherrschte sich mit Zwang — so wird behauptet — seiner Begierde 33 zum Trotz, sich vom Genuß losreißt — denn es ist ihm ein schmerzliches "> Sich-losreißen gegen die Widerspenstigkeit der Strebung — andererseits auch der Unbeherrschte unter Zwang gegen die Überlegung handelt. Nur daß er anscheinend weniger Unlust empfindet; denn die Begierde geht auf den Genuß, dieser folgt er mit Freuden, und daher handelt der Unbeherrschte eher willentlich und nicht unter Zwang — 10 weil nicht mit Unlustgefühlen. Die Überredung aber ist dem Zwang und 122t i) der Nötigung entgegengesetzt und der Beherrschte | bewegt sich in der Richtung der Überredung, die er in sich vollzogen hat und geht seinen Weg nicht unter Zwang, sondern willentlich. Die Begierde dagegen treibt (den Unbeherrschten) ohne sich mit Überreden aufgehalten is zu haben, denn sie hat keinen Anteil am rationalen Element. D a ß nun diese (beiden) in besonders auffallender Weise unter Zwang und nicht-willentlich zu handeln scheinen, und aus welchem Grunde dies so ist, nämlich wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit jenem Zwang3 begriff, den wir auch beim Unbelebten anwenden, das ist dargelegt 20 worden. Indes, man braucht nur das was bei der (obigen) Erörterung beigefügt gewesen war auch dort beizufügen — und schon ist das Gesagte widerlegt. Denn wenn etwas von außen gegen den ihm einwohnenden Impuls bewegt oder angehalten wird, so sagen wir, das sei mit Zwang gesche'hen; ist dies nicht der Fall, so reden wir nicht von 25 Zwang. Beim Unbeherrschten aber und beim Beherrschten ist es deren 10 eigener Impuls, der sie treibt; er ist i n ihnen, da er sie j a beide in Besitz hält. Folglich handelt keiner von beiden unter Zwang, sondern — auf Grund zumindest des eben Vorgetragenen — willentlich. Und auch nicht genötigt; denn dem von außen kommenden Bewegungs- 30 anstoß, der, gegen den (inneren) Impuls, entweder hemmt oder bewegt, nennen wir Nötigung. Beispiel: einer packt die H a n d (eines zweiten) und schlägt damit einen dritten, wobei der zweite durch Wunsch und i5 Begehren widerstrebt. K o m m t aber der Anstoß von innen, so geschieht kein Zwang. 35 Übrigens ist auch L u s t und Unlust in beiden anwesend, denn wer beherrscht ist, empfindet Unlust, indem er j a soeben gegen die Begierde handelt; und (andererseits) freut er sich erwartungsvoll, daß er später Nutzen haben werde oder daß er ihn soeben schon hat, da
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ihm seine Gesundheit weiterhin erhalten bleibt. Und der Unbeherrschte freut sich, da ihm durch das unbeherrschte Verhalten seine Begierde erfüllt wird; Unlust dagegen empfindet er wegen der Unlust-Erwartung; 20 er ahnt j a , daß er unrichtig handelt. 5 Wenn man also sagt, daß beide unter Zwang handeln, so ist das sinnvoll, und daß der eine bisweilen nicht-willentlich handelt infolge seiner Strebung, der andere infolge seiner Überlegung. Denn da (in ihnen) die beiden K r ä f t e voneinander getrennt sind, verdrängen sie sich gegenseitig. Von da übertragen sie es dann auch auf die ganze Seele, weil sie ein 2.-. 10 Teilstück der Seele in solcher Verfassung beobachten. Von den Teilen nun ist es erlaubt dies zu sagen, die Seele als Ganzes aber handelt willentlich, sowohl beim Unbeherrschten wie beim Beherrschten und unter Zwang handelt weder der eine noch der andere. Sondern dies tut etwas Partielles i n ihnen; denn daß wir beides haben ist j a von N a t u r 15 gegeben. Denn sowohl die rationale K r a f t ist von N a t u r da, weil sie sich bei normalem, unversehrtem Entwicklungsablauf bei uns einstellen 30 wird — als auch ist die Begierde da, denn gleich von der Geburt ab begleitet sie uns und ist in uns anwesend. Das aber sind j a faktisch die beiden Momente, mit denen wir den Begriff „ v o n N a t u r " be20 stimmen: einerseits „ w a s uns alle gleich von Geburt an begleitet 4 ', andererseits „ w a s uns bei normalem, geradlinigem Entwicklungsablauf zuwächst", z. B . graue Haare, Alter und was dergleichen mehr ist. Somit folgt, daß jeder von beiden (gewissermaßen) gegen die N a t u r 35 handelt, rundweg und einfach gesprochen jedoch beide gemäß der 25 Natur — nur daß es nicht in beiden dieselbe ist. Dies also sind die Aporien über den Unbeherrschten und den Beherrschten, ob sie beide oder einer von beiden unter Z w a n g handeln, und zwar so, daß sie entweder nicht willentlich sind oder zugleich unter Zwang und willentlich handeln; wenn aber das Erzwungene nicht3« willentlich ist — ob sie zugleich willentlich und nicht-willentlich | han- 122s. dein. Aus dem was wir gesagt haben ist aber doch wohl klar, wie man (diesen Aporien) zu begegnen hat. Aber noch auf eine andere Weise spricht man davon, daß Menschen unter Zwang und Nötigung — und zwar ohne Zwiespalt zwischen Über3s legung und Strebung — gehandelt haben: wenn sie nämlich etwas tun was sie sowohl als Unlustbringend wie als schlecht ansehen — aber im Weigerungsfall wäre Mißhandlung, K e r k e r oder Tod zu gewärtigen. 5 Oder ist es nicht so, sondern tun alle eben dies willentlich? E s gibt j a doch die Möglichkeit es nicht zu tun, sondern jenes Leid auf sich zu
36
Buch II
nehmen. Und übrigens könnte man sagen, diese Handlungen seien teils willentlich teils nicht. Einerseits gilt nämlich: wenn es beim Menschen steht, ob etwas von jenem Schlimmen als Situation nicht gegeben ist oder schließlich doch gegeben ist, so handelt er da jeweils, obgleich die T a t nicht in seinem Wunsche liegt, willentlich und nicht unter Zwang, s Andererseits gilt: soweit jenes Schlimme n i c h t bei ihm steht, handelt er unter Zwang, in gewisser Weise allerdings nur und nicht schlechthin, da seine Entscheidung nicht genau auf das gerichtet ist was er (de facto) tut, sondern auf das worum willen er es tut. Wobei aber doch ein gewisser Unterschied vorhanden ist. Wenn zum Beispiel einer einen 10 anderen totschlüge, nur damit der ihn nicht beim Blinden-MannSpielen erwische, so wäre es lächerlich, wenn er sich herausredete, er habe es unter Zwang und Nötigung getan; nein, es muß schon ein bedeutenderer und schmerzlicherer Schaden sein, der ihm bevorstünde, wenn er die T a t nicht beginge. Denn dies wäre ein Fall, wo er unter is Nötigung und Zwang handelte — oder (jedenfalls) nicht seiner N a t u r entsprechend — sobald er Schlimmes um eines Guten willen tut oder zur Vermeidung noch größeren Schadens; und gewiß handelt er (in diesem Fall) nicht-willentlich, da diese Situationen nicht bei ihm stehen. 2o Daher rechnen manche auch den E r o s zum Nicht-willentlichen, ebenso manche Arten von Zorneswallung und das Naturhaft-Menschliche, weil das (alles) so stark ist und über Menschenkraft hinausreicht. Und wir sind da nachsichtig, weil es die Menschennatur unwiderstehlich zwingen kann. 25 Und eher dürfte jenes Handeln als erzwungen und nicht-willentlich gelten, mit dem man starken Schmerz, als jenes mit dem man nur einen gelinden von sich fernhalten möchte. Und rund gesagt, eher ein Handeln zur A b w e h r von Schmerz als zum E r w e r b von L u s t . Denn der Begriff „es steht bei i h m " , auf den alles ankommt, bedeutet „ d a s was 30 die Menschennatur zu tragen imstande i s t " . Was sie aber nicht tragen kann und was nicht im Bereiche der naturgegebenen Strebung oder Überlegung des Handelnden ist, das steht nicht bei ihm. Daher kommt es auch, daß wir v o n den Wahnbegeisterten und Prophezeienden, obwohl sie etwas Geistiges tun, dennoch nicht sagen, m es habe „bei ihnen" gestanden das zu sagen was sie gesagt oder das zu tun was sie getan haben. Aber auch Handlungen auf Grund von Begierde (stehen nicht durchweg bei uns).
Kapitel 8 - 9
37
E s gibt also auch gewisse geistige Phänomene und (gewisse) Zustände, oder auf solchem Geistigen und Gedanklichen beruhende Handlungen, die nicht „bei uns" stehen. E s gibt vielmehr, wie Philolaos gesagt hat „gewisse Gedanken, die stärker sind als wir". 5 Wenn also die Begriffe „willentlich" und „nicht-willentlich" auch in ihrer Beziehung zu dem Begriff „unter Zwang" zu untersuchen waren, so mag es mit den vorstehenden Bestimmungen sein Bewenden .i.» haben. Denn die Argumente, die die Definition des Willentlichen ganz besonders behindern, sind jene, die zeigen wollen, daß die Menschen io unter Zwang handeln, aber doch willentlich. 9. Nachdem dieses Thema nun abgeschlossen ist und das Willentliche weder durch „ S t r e b u n g " noch durch „Entscheidung" begrifflich bestimmt werden konnte, ver|bleibt schließlich noch die Bestimmung als „Handeln auf Grund denkender Überlegung". Nun gilt doch, daß is das Willentliche dem Nicht-willentlichen entgegengesetzt ist, und es gilt, daß ein Handeln in vollem Wissen um Person, Mittel und Zweck entgegengesetzt ist dem Handeln, das in Unwissenheit über Person, Mittel und Sache geschieht, und zwar in wirklicher Unwissenheit, nicht in beiläufiger. E s kommt nämlich vor, daß man weiß „das ist 20 der V a t e r " und an ihm handelt, nicht um ihn zu töten, sondern ihn sich zu erhalten — Beispiel: die Peliastöchter; oder man weiß „das ist ein T r a n k " , gibt ihn aber als Liebestrank oder Wein, während es in Wirklichkeit Gift war. Eine Handlung aber, die in Unwissenheit über Sache, Mittel, Person geschieht, ist nicht-willentlich, mithin das Gegen2s teil willentlich. Alles also was unter der Voraussetzung, daß es bei uns steht es auch zu unterlassen, getan wird — getan einerseits nicht im Zustand der Unwissenheit, andererseits aus Eigenem heraus —, das muß notwendigerweise willentlich sein; dies i s t „das Willentliche", Was aber jemand im Zustand der Unwissenheit und auf Grund der so Unwissenheit t u t , das tut er nicht-willentlich. Da aber Kenntnis und Wissen zwei Seiten h a t : es haben und davon Gebrauch machen, so mag der welcher es hat, aber nicht gebraucht, einerseits mit R e c h t als unwissend bezeichnet werden, andererseits aber wieder nicht mit R e c h t : wenn er es z. B . aus unbekümmerter Fahrlässigkeit nicht ge35 braucht hat. Und ähnlich kann einer dafür, daß er es nicht hat, getadelt werden, wenn er ein Wissen, das er leicht hätte haben können oder unbedingt hätte haben müssen, nicht hat — aus Fahrlässigkeit oder weil Lust-Unlust ihn hinderte. Diese Bestimmungen müssen also (zu obiger Definition) noch hinzugefügt werden.
msb
s
io
i;
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Buch II
Über das Willentliche und Nicht-willentliche mögen nun also die Bestimmungen so wie wir sie vorgetragen haben abgeschlossen sein. 10. Danach aber wollen wir von der Entscheidung sprechen und zunächst in unserem Vortrag die entsprechenden Aporien durchgehen. 20 Man kann nämlich im Zweifel sein, in welcher Gattung ihr natürlicher > Ort ist und in welche man sie setzen muß, und ob „willentlich" und „ a u f Entscheidung beruhend" nicht-identisch oder identisch sind. Vor allem nun wird von manchen behauptet, daß die Entscheidung eines von beiden sei: entweder Meinung oder Strebung, und daran scheint auch bei genauerem Zusehen etwas zu sein, denn beide sind io begleitende Phänomene. Daß sie nun aber nicht Strebung ist, ist klar. 2s Denn dann wäre sie entweder Wunsch oder Begierde oder Wallung. Denn niemand strebt ohne von einem dieser (drei) affiziert zu sein. Nun, (1) Wallung und Begierde haben auch die Tiere, Entscheidung aber nicht. Ferner (2): aber auch (Handelnde) in denen dies beides ist, is entscheiden sich vielfach ohne der Wallung oder der Begierde R a u m zu geben. (3) Und ^andererseits): auch wenn sie sich in (diesen beiden) Zuständen befinden, treffen sie doch keine Entscheidung, sondern 30 bleiben stark. Ferner (4): Begierde und Wallung sind immer mit Unlust verbunden, wir entscheiden uns aber vielfach auch ohne Unlust -» zu empfinden. Sicherlich sind aber auch Wunsch und Entscheidung nicht identisch. Denn man wünscht sich manchmal sogar Dinge obwohl man weiß, daß sie unmöglich sind, z. B . die Herrschaft über alle Menschen oder die Unsterblichkeit, aber eine Entscheidung (dafür) 3s trifft niemand, außer er wüßte nicht um die Unmöglichkeit. Und er 2r, entscheidet sich auch grundsätzlich nicht für das was zwar möglich ist, dessen Verwirklichung aber oder Nicht-verwirklichung nach seiner Ansicht nicht bei ihm steht. So viel also ist klar, daß das auf Entscheidung Beruhende etwas aus dem Bereich dessen sein muß, was 1226a bei uns steht. | Dementsprechend ist Entscheidung aber auch offenbar 3« nicht gleich Meinung und sie ist auch nicht da, einfach gesagt, wenn jemand etwas glaubt. Denn, so sahen wir, das auf Entscheidung Beruhende gehört zum Bereich dessen was bei uns steht; Meinungen aber haben wir viele, auch über Dinge, die nicht bei uns stehen, z. B . daß die Diagonale kommensurabel ist. Ferner: es gibt keine Entscheidung, 3s s die „ w a h r " oder „ f a l s c h " wäre. Aber auch die Meinung über Dinge aus dem Bereich des Handelns — wenn man jeweils glaubt etwas tun oder nicht tun zu sollen — über Dinge die bei uns stehen (ist nicht gleich Entscheidung). Und dies haben Meinung und Wunsch gemeinsam.
Kapitel 9 - 1 0
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Denn niemand entscheidet sich für ein (End)ziel, sondern für die Mittel zum Ziel. Ich meine zum Beispiel: niemand entscheidet sich für das Gesundsein, sondern für Spazierengehen oder Sitzen um der Gesundheit willen; es entscheidet sich auch niemand dafür glücklich zu sein, sondern Besitz zu erwerben oder Gefährliches zu bestehen um des Glückes willen. Und rund gesagt: beim Sich-entscheiden enthüllt man immer sowohl was man wählt als auch worumwillen man es wählt; letzteres ist das worumwillen man ein anderes wählt, ers teres ist das was man um eines anderen willen wählt. Es ist aber der Wunsch, der speziell auf das Ziel geht, und es ist die Meinung, man sollte gesund und glücklich sein. Mithin ist durch diese Argumente klar geworden, daß Entscheidung etwas anderes ist sowohl als Meinung wie auch al* Wunsch. In der Tat sind Wunsch und Meinung speziell auf das Ziel gerichtet, die Entscheidung ist es nicht. Daß also die Entscheidung nicht einfach Wunsch oder Meinung oder Vermutung ist, ist offenkundig. Worin aber unterscheidet sie sich von diesen und wie ist ihr Bezug zum Willentlichen? Die Antwort daraui wird zugleich auch klären ; was Entscheidung ist. Nun, die Dinge, die ebensowohl sein wie auch nicht sein können, sind teils von solcher Art. daß es möglich ist über sie mit sich zu Rate zu gehen; bei einigen dagegen ist dies nicht möglich. Die einen nämlich können sowohl sein als auch nicht sein, aber ihr Werden steht nicht bei uns, sondern die einen entstehen durch die Natur, andere wieder durch andere Ursachen. Und über diese mit sich zu Rate zu gehen würde sich niemand unterfangen, außer er befände sich in Unwissenheit. Jene (anderen) Dinge, aber, die nicht nur sein oder nicht sein können, sondern den Menschen auch das ]yiit-sich-zu-Rate-gehen gestatten, d a s sind die, wo Handeln oder Nicht-handeln bei uns steht. Daher gehen wir nicht mit uns zu Rate über die Dinge in Indien und nicht über die Quadratur de;Kreises. Denn die Dinge (in Indien) stehen nicht bei uns, das andero aber ist überhaupt kein Gegenstand des Handelns. Aber auch in Sachen, die bei uns stehen und verwirklichbar sind, ist es nicht so, daß wir über a l l e mit uns zu Rate gehen — woraus sich übrigens auch ergibt, daß „Entscheidung" nicht gleich „Meinung" ist —; was aber Gegenstand der Entscheidung und verwirklichbar ist, gehört zu dem was bei uns steht. Daher könnte man die Frage stellen, warum denn die Ärzte mit sich zu Rate gehen in Dingen, von denen sie die Fachkunde haben, die Schreibkundigen aber nicht? Der Grund ist, daß es eine doppelte Irrtumsmöglichkeit gibt, nämlich entweder beim theoreti-
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Buch II
sehen D u r c h d e n k e n oder im E m p i r i s c h e n , das heißt bei d e r p r a k t i s c h e n Durchführung.
So ist in d e r
1226 b R i c h t u n g m ö g l i c h , b e i d e r
ärztlichen
Kunst
Schreibkunst
Irrtum
in
beiderlei
aber nur im | Empirischen,
das heißt bei der A u s f ü h r u n g . W ü r d e n die Schreibkundigen
darüber
n o c h r e f l e k t i e r e n , so k ä m e n sie a n k e i n E n d e .
s
N a c h d e m die E n t s c h e i d u n g also w e d e r M e i n u n g n o c h W u n s c h
ist,
n i c h t eines v o n beiden u n d a u c h nicht beides z u s a m m e n — eine plötzliche E n t s c h e i d u n g fällt j a n i e m a n d , wohl aber k a n n einer (plötzlich) d i e M e i n u n g o d e r d e n W u n s c h h a b e n z u h a n d e l n — s o i s t sie s c h l i e ß s l i e h e i n e M i s c h u n g a u s b e i d e n z u s a m m e n . D e n n b e i d e s i s t i n d e m v o r - io h a n d e n , d e r s i c h e n t s c h e i d e t . A b e r w i e sie a u s d i e s e n b e s t e h t , d a s m u ß man
untersuchen. In
gewisser Weise e n t h ü l l t
dies allein s c h o n
der
N a m e . D e n n die E n t s c h e i d u n g ist eine W a h l , a b e r n i c h t in e i n f a c h e m Sinn, sondern indem m a n d e m einen vor d e m anderen den
Vorzug
g i b t . D i e s a b e r i s t n i c h t m ö g l i c h o h n e Ü b e r p r ü f u n g u n d R a t . D a h e r e n t - is s t e h t die E n t s c h e i d u n g aus einer M e i n u n g b e r a t e n d e n 10
Charakters.
Ü b e r d a s E n d z i e l n u n g e h t n i e m a n d m i t sich zu R a t e ; dieses liegt v i e l m e h r f ü r alle fest. S o n d e r n ( m a n b e r ä t bei sich) ü b e r d a s w a s einen B e z u g auf d a s Ziel h a t , ob dieses oder jenes sich d a r a u f b e z i e h t , o d e r w e n n e t w a s b e r e i t s g u t g e h e i ß e n i s t , w i e d i e s e s v e r w i r k l i c h t w e r d e n 20 k ö n n t e . U n d w i r b e r a t e n d a alle bei u n s so l a n g e bis w i r die d a s W e r d e n auslösende Ursache auf u n s selbst z u r ü c k g e f ü h r t h a b e n . W e n n
nun
also n i e m a n d e i n e n E n t s c h l u ß f a ß t o h n e sich b e r e i t g e m a c h t u n d bei 35 s i c h b e r a t e n z u h a b e n , o b e t w a s b e s s e r o d e r s c h l e c h t e r i s t , u n d
wenn
e r ü b e r a l l e d i e M i t t e l z u m Z i e l b e i s i c h b e r ä t , d i e i n u n s e r e r M a c h t 2s s t e h e n u n d z u d e m g e h ö r e n , w a s s e i n u n d n i c h t s e i n k a n n , so i s t k l a r , d a ß die E n t s c h e i d u n g t a t s ä c h l i c h eine m i t B e r a t u n g v e r b u n d e n e
Er-
s t r e b u n g d e s s e n ist w a s in u n s e r e r M a c h t s t e h t . D e n n alle w ü n s c h e n w i r d a s , w o z u w i r u n s d a n n a u c h e n t s c h l i e ß e n — allein es ist n i c h t so, d a ß w i r u n s z u a l l e m , w a s w i r w ü n s c h e n , e n t s c h l i e ß e n . „ M i t B e r a t u n g 30 v e r b u n d e n " a b e r n e n n e ich jenes S t r e b e n , bei d e m die B e r a t u n g Aus20 g a n g s p u n k t u n d U r s a c h e i s t , d a s h e i ß t , w o S t r e b u n g s t a t t f i n d e t , w e i l z u v o r b e r a t e n w o r d e n ist. D a h e r gibt es E n t s c h e i d u n g w e d e r bei d e n Tieren noch auf j e d e r Altersstufe noch in j e d e m beliebigen
Zustand
d e s M e n s c h e n ; d e n n d a g i b t e s j a a u c h k e i n M i t - s i c h - z u - R a t e - g e h e n , 3s noch eine Vorstellung über das W a r u m
(einer H a n d l u n g ) .
Dagegen
k a n n unsicheres R a t e n über H a n d e l n oder Nichthandeln ohne weiteres bei vielen
vorkommen,
Handeln
aber
auf
Grund
schlußfolgernden
23 D e n k e n s n i c h t m e h r . D e n n d a s V e r m ö g e n cler S e e l e m i t s i c h z u b e r a t e n
Kapitel 10 ist das V e r m ö g e n eine
der
(vier)
Das
aber
eine U r s a c h e
Ursachen
worumwillen
ist.
zu e r s c h a u e n , d a
Denn
etwas
41
ist
das
oder
das
„Warum"
geschieht,
„Worumwillen"
ist
das
eine
Ursache.
bezeichnen
als U r s ä c h l i c h e s ; z. B . ist U r s a c h e des G e h e n s die E i n h o l u n g v o n s vorausgesetzt,
daß
dies
der
Zweck
des
Gehens
ist.
Wenn
wir Geld,
einer
also
gar kein Ziel hat, h a t er (auch) nicht das V e r m ö g e n bei sich zu beraten. Es
folgt also: n a c h d e m
einer das was
zu tun
oder nicht zu tun
i h m s t e h t , v o r a u s g e s e t z t er t u t o d e r u n t e r l ä ß t es a u s sich selbst
heraus
und nicht durch Unwissenheit, willentlich tut oder nicht t u t ; wir 10 a n d e r e r s e i t s
vieles
Derartiges
tun
ohne
in
uns
beraten
oder
g e d a c h t zu h a b e n — so m u ß n o t w e n d i g e r w e i s e das d u r c h
Zustandegekommene liche
aber
durchweg
durchweg
nicht
etwas
durch
Und
es m ü s s e n
die H a n d l u n g e n
J5 w e g
willentlich
sein,
scheidung
die
Willentliches
Entscheidung
auf Grund
willentlichen
von
aber
aber
voraus-
Entscheidung
sein, das
Willent-
Zustandekommen.
Entscheidung
nicht
30
bei
durchweg
35
durch-
auf
Ent-
beruhen.
Zugleich aber ist aus d e m G e s a g t e n offenkundig, d a ß j e n e
Gesetzgeber
Richtiges festlegen, welche die R e c h tsfälle einteilen in willentliche, nichtwillentliche u n d v o r b e d a c h t e . | D e n n a u c h d a n n w e n n sie n i c h t e i g e n t l i c h 20 e x a k t
sind, berühren
sie d o c h
w e n i g s t e n s in e t w a die W a h r h e i t .
d a r ü b e r w e r d e n wir n o c h in der U n t e r s u c h u n g ü b e r das R e c h t
bung
zusammen,
25 w o r d e n
wenn
Wortsinn
sie a u s
ist, sondern
vollzogener
Meinung
Beratung
Doch
sprechen.
W a s a b e r die E n t s c h e i d u n g betrifft, so ist k l a r , d a ß sie w e d e r noch Meinung im einfachen
Wunsch
und
heraus
Stre-
eins
E t w a s willen t u t u n d es gibt i m m e r einen R i c h t p u n k t f ü r ihn, in a u f den er das Z w e c k m ä ß i g e ins A u g e f a ß t . D a b e i gilt a b e r über das Endziel 30 i s t ( b e w e g e n d e s )
selbst geht niemand Prinzip
theoretischen
Werkes)
kurz,
Fachkenntnis; beraten
Weshalb
in
und
sich
Grundannahme,
Wissenschaften,
der
mit
Analytik
wie die
worüber
eingehend
zu R a t e ,
im
eines
folgendes:
sondern
z. B . sie
kommen,
wenn
über
sie
über
dieses.
das heißt,
Eher
Krieg
„Hypothesen"
Anfangsteil
gesprochen
an
oder
erster
das Worumwillen,
nicht Stelle z. B .
dies
ist.
(dieses
Krieg aber
ohne
beraten, wird
Reichtum
das oder
D e n n w e r m i t sich zu R a t e geht, der b e r ä t m i t sich d a r ü b e r — v o r a u s er
hat
(die
Sache)
vom
Endziel
her
ins
Auge
10
Dagegen
L u s t oder dergleichen, w a s eben sonst n o c h ein W o r u m w i l l e n sein m a g .
gesetzt
s
Bezug
über die Mittel z u m Ziel h ä l t j e d e r prüfende A u s s c h a u , m i t oder
35 d a n n
ge-
sind.
E s ist a b e r so, d a ß der m i t sich zu R a t e g e h e n d e dies i m m e r u m
in den
1227«
gefaßt
—,
was
15
42
Buch II
d o r t h i n B e z u g hat, damit er es auf sich selbst zurückführe, und w a s er selbst v e r m a g in R i c h t u n g auf das Z i e l . D a s Ziel aber ist v o n N a t u r immer ein G u t und (ebenso ist ein G u t ) , worüber man im Einzelfall mit sich zu R a t e geht. Der A r z t z. B . k a n n 20 bei sich beraten, ob er ein Medikament geben, der Feldherr, wo er s L a g e r schlagen soll, Dinge, denen als G u t (übergeordnet ist) das E n d ziel, das schlechthin oberste G u t . Gegen die N a t u r aber und durch Verkehrung ist nicht „ d a s G u t " (Endziel), sondern das S c h e i n - G u t . Der G r u n d d a v o n aber ist, daß es im Bereich des Seienden Dinge gibt, die m a n zu keinem anderen Zweck gebrauchen k a n n als zu ihrem i® ursprünglichen, z. B . das Sehvermögen. E s ist nicht möglich etwas zu Gesichte zu b e k o m m e n , w a s nicht zum Gesichtssinn, noch etwas zu hören, w a s nicht zum Hörsinn gehört. Wohl aber k a n n man auf G r u n d von F a c h w i s s e n auch etwas t u n , worauf dieses Wissen nicht angelegt ist. D e n n nicht in gleicher Weise ist dieselbe Wissenschaft auf Ge- is sundheit und K r a n k h e i t bezogen, sondern v o n N a t u r auf erstere, gegen die N a t u r auf letztere. E n t s p r e c h e n d ist auch das Wünschen v o n N a t u r io auf das G u t e gerichtet, der N a t u r zuwider aber auch auf das Schlechte. U n d m a n wünscht v o n N a t u r das G u t e , gegen die N a t u r aber und durch Verkehrung auch das Schlechte. 20 Indes geschieht jeweils Verderbnis und Verkehrung nicht in ein Beliebiges hinein, sondern in das Gegenteilige und in das „ D a z w i s c h e n " . D a s ist nämlich der Weg, v o n dem man nicht w e g k o m m e n kann, da auch die T ä u s c h u n g nicht in Beliebiges hinein geschieht, sondern ins Gegenteilige, da wo es Gegenteiliges gibt, und z w a r in 2s 35 jenes Gegenteilige hinein, das im R a h m e n des (entsprechenden) Wissens und K ö n n e n s ein Gegenteiliges darstellt. Notwendig muß also sowohl die T ä u s c h u n g wie die E n t s c h e i d u n g v o m Mittleren weg zum Gegenteiligen hin geschehen; gegenteilig zum Mittleren aber ist das Zuviel und das Z u w e n i g . Ursache ist das L u s t v o l l e und das Unlustvolle, 3» denn es steht j a so, daß der Seele das L u s t v o l l e als G u t erscheint und »0 das Lustvollere als größeres G u t und das Unlustvolle als Übel und das 1227 b Unlust | vollere als größeres Übel. Folglich ist auch daraus klar, daß T u g e n d und Minderwertigkeit als Bereich L u s t und Unlust h a b e n ; denn ihr Bereich sind jeweils dieGegenstände 3s von E n t s c h e i d u n g , die Entscheidung aber geht auf Wert und U n w e r t oder w a s als solcher erscheint. U n d v o n dieser A r t ist L u s t und Unlust. .-, Somit folgt mit N o t w e n d i g k e i t : nachdem die ethische T u g e n d selbst eine Mitte ist und ganz in den Bereich von L u s t und Unlust gehört,
Kapitel 1 0 - 1 1
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die Minderwertigkeit aber in Übermaß und Untermaß (sich zeigt) und zwar im selben Bereich wie die Tugend — so muß die ethische Tugend folgendes sein: eine feste, auf Entscheidung abgestellte Haltung, welche die auf uns bezügliche Mitte wählt in lust- und unlustvollen Dingen; Dingen, in Bezug auf die wir, Lust oder Unlust erlebend, das Prädikat charakterlicher Qualität erhalten; nur deshalb nämlich weil einer Lust an Süßem oder Bitterem hat, erhält er (noch) nicht das Prädikat charakterlicher Qualität. 11. Nachdem diese Bestimmungen getroffen sind, wollen wir darüber sprechen, ob die Tugend die Entscheidung zu etwas macht was ohne Fehl ist, und deren Ziel zum richtigen Ziel so daß man sich (nur) zugunsten dessen entscheidet was sein soll, oder ob sie, wie einige meinen, den Denkvorgang (richtig macht). — In Wirklichkeit ist das aber Beherrschtheit, denn diese ist es, die den Denkvorgang im Unverdorbenen erhält. Tatsächlich aber ist Tugend und Beherrschtheit verschieden. Darüber ist später zu sprechen, denn wenn jene meinen, es sei die Tugend, welche den Denkvorgang zu einem richtigen macht, so ist dies ihre Begründung dafür: „Die Beherrschtheit hat solche Wirkung und sie gehört zum Lob-würdigen". — Wir geben aber unsere Darstellung, indem wir vorweg einiges diskutieren: E s kommt vor, daß zwar das Ziel richtig ist, daß man aber bei den Mitteln zum Ziel fehlgreift: es kommt aber auch vor, daß das Ziel verfehlt angesetzt ist, während die Mittel dazu in Ordnung sind, oder es ist beides verfehlt. I s t es nun aber das Ziel, das durch die Tugend de facto bestimmt wird oder sind es die auf das Ziel hinwirkenden Mittel? Wir antworten in der T a t : es ist das Ziel, denn dieses erhält man nicht durch schlußfolgerndes und auch nicht durch beratendes Denken. Vielmehr hat das Ziel im Sinne einer Ausgangsposition festzuliegen. Denn weder faßt ein Arzt als Ziel ins Auge, ob man gesund sein solle oder nicht, sondern (er überlegt), ob man Spazierengehen solle oder nicht; noch fragt der Trainer, ob man in Form sein solle oder nicht, sondern ob man im Ringen trainieren solle oder nicht. Dementsprechend geht auch kein anderes Können auf die Konstituierung des Endziels. Denn so wie für die theoretischen Wissenschaften die Grundannahme Ausgangsposition ist, so ist auch für die praktischen Künste das Endziel soviel wie Ausgangsposition und Grundannahme. „Nachdem dies in gesundem Zustand sein soll, muß notwendigerweise, wenn jenes Zustandekommen soll, dies und das geschehen". Und so heißt es dort: „ W e n n das Dreieck zwei rechte Winkel hat, folgt notwendig das und das".
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Für die Gedankenreihe bildet also das Endziel den Ausgangspunkt, für das Handeln dagegen der Abschluß der Gedankenreihe. Wenn nun 35 für jegliche Richtigkeit entweder der Denkvorgang oder die Tugend Ursache ist, so wäre, falls der Denkvorgang (als Ursache) ausscheidet, die Richtigkeit des Endziels auf die Tugend zurückzuführen, nicht aber s die der Mittel zum Ziel. Das Ziel aber ist das Worumwillen (des Handelns). Denn es geht ja jegliche Entscheidung auf ein Etwas und wird um eines Etwas willen gefällt. „ D a s , worumwillen" (man handelt) ist aber das Mittlere und davon ist Ursache die Tugend, das Sich-entscheiden für das Worum-willen. Es geht aber die Entscheidung de 10 facto nicht auf das Ziel, sondern auf die Mittel dazu. Diese nun (richtig) •m zu treffen ist Sache einer anderen Seelenkraft — gemeint ist all das 1228« was um des Zieles willen getan | werden muß. Dafür aber, daß das Ziel der Entscheidung richtig ist, ist die Tugend Ursache. Und darum beurteilen wir die Qualität eines Menschen nach seiner is Entscheidung, das heißt nach dem, worumwillen er es tut, nicht nach dem, w a s er tut. Entsprechend bewirkt auch die Schlechtigkeit, daß s die Entscheidung zugunsten des Gegenteiligen ausfällt. Wenn somit jemand, anstatt — wie es bei ihm stünde — das Schöne zu tun und das Häßliche zu lassen, das Gegenteil tut, so ist das offenbar kein wert- 20 voller Mensch. Folglich ist notwendig sowohl die Schlechtigkeit wie die Tugend etwas Willentliches. Denn es besteht keine Nötigung das Schlimme zu tun. Deshalb gibt es auch für die Schlechtigkeit Tadel 1« und für die Tugend Lob. Denn was nicht-willentlich ist, wird j a , wenn häßlich und schlecht, nicht getadelt und, wenn gut, nicht gelobt, 2s sondern nur das Willentliche. Ferner: bei unserem Lob und Tadel schauen wir allgemein eher auf die Entscheidung als auf die Werke — obwohl die Aktivität der Tugend wertvoller ist —, weil die Menschen Schlechtes auch in einer Zwangslage 15 tun, niemand aber (in einer solchen) die Entscheidung trifft. 30 Ferner: weil es nicht leicht ist eine echte Entscheidung zu erkennen, deshalb sind wir gezwungen, die Qualität eines Menschen nach seinen Werken zu beurteilen. Wertvoller also ist die Aktivität, lobenswerter aber die Entscheidung. Und dies ergibt sich uns ebensosehr aus unseren ]9 begrifflichen Setzungen als es auch mit den Erfahrungstatsachen 3s übereinstimmt.
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1 . Daß es also einerseits Mitten in den Tugenden gibt und daß diese auf Entscheidung angelegt sind, und daß es andererseits die gegenteiligen Schlechtigkeiten gibt und welches diese sind, haben wir im allgemeinen behandelt. Nun wollen wir sie im einzelnen fassen und der Reihe s nach behandeln und zwar wollen wir zuerst von der Tapferkeit sprechen. Als allgemeine Ansicht darf etwa gelten, daß der T a p f e r e in das Gebiet der Furchtzustände gehört und daß die Tapferkeit eine der Tugenden ist. Wir haben aber schon an früherer Stelle, in der Tabelle, Tollkühnheit und Furcht als Gegensätze unterschieden. Denn sie sind 10 j a wirklich in bestimmter Weise einander entgegengesetzt. Weiterhin ;:o ist klar, daß auch jene die nach diesen Grundhaltungen benannt sind, in entsprechender Weise einander entgegengesetzt sein werden, nämlich der Feige — er hat j a seinen Namen davon, daß er mehr Furcht hat als recht ist und weniger Zuversichclichkeit als recht ist — und der is Tollkühne, denn auch dieser heißt so, weil sein Wesen darin besteht weniger Furcht zu haben als recht ist und mehr Zuversichtlichkeit als recht ist. Daher hat er auch seine Benennung, denn „ t o l l k ü h n " ist von 3s (derQualität) „Tollkühnheit" abgeleitet. Also: da dieTapferkeitdiebeste Grundhaltung ist gegenüber Furcht und Tollkühnheit — man soll sich j a so weder so verhalten wie der Tollkühne, denn die haben teils ein Zuwenig, teils ein Zuviel, noch auch so wie die Feigen, denn auch die tun dasselbe, | nur nicht in Bezug auf dasselbe, sondern umgekehrt, im Zuversichtlichen 1228b zu wenig, im Fürchten zu viel — so ist klar, daß Tapferkeit die zwischen Tollkühnheit und Feigheit mittlere Haltung ist, denn d i e se ist die beste. 25 E s gilt aber der Tapfere normalerweise als furchtlos, der Feige als 5 anfällig f ü r F u r c h t : er fürchtet gleicherweise Vieles und Weniges, Bedeutendes und Unbedeutendes, und er fürchtet heftig und augenblicklich. Der erstere dagegen, umgekehrt, fürchtet entweder überhaupt nicht oder nur leichthin und zögernd und selten und nur Bedeutendes: er hält der 30 Schärfe des Furchtbaren stand, der andere nicht einmal dem Harmlosen. Was sind das nun f ü r Dinge, denen der T a p f e r e standhält? Zuerst (fragen wir): sind es Dinge, die f ü r ihn persönlich oder solche die f ü r 10
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einen a n d e r e n f u r c h t b a r s i n d ? N u n , w e n n er t a t s ä c h l i c h den l e t z t e r e n s t a n d h ä l t , d a n n m ö c h t e m a n sagen, es ist nichts Besonderes. W e n n a b e r d e n ersteren, d a n n m u ß Vieles u n d B e d e u t e n d e s f ü r ihn f u r c h t b a r sein. (Als „ f u r c h t b a r " a b e r gelten die Dinge), die j e d e m der sie als f u r c h t b a r e m p f i n d e t , F u r c h t einflößen. D a s h e i ß t : w e n n sie sehr > f u r c h t b a r sind, d a n n ist das F u r c h t e r l e b n i s s t ä r k e r , w e n n sie h a r m l o s sind, d a n n s c h w a c h . S o m i t ergibt sich, d a ß der T a p f e r e b e d e u t e n d e u n d viele F u r c h t e r l e b n i s s e h a t . F ü r u n s a b e r galt im Gegenteil, d a ß die T a p f e r keit den M e n s c h e n f u r c h t l o s m a c h e u n d d a ß dies heiße, e n t w e d e r n i c h t s oder n u r weniges zu f ü r c h t e n u n d n u r leicht hin u n d zögernd. ii>
A b e r vielleicht b e d e u t e t „ d a s F u r c h t b a r e " zweierlei, wie a u c h „ d a s L u s t v o l l e " u n d „ d a s G u t e " ? E s gibt n ä m l i c h Dinge, die s c h l e c h t h i n , u n d solche die n u r f ü r eine b e s t i m m t e P e r s o n lustvoll oder g u t sind, 20 schlechthin a b e r n i c h t , s o n d e r n im Gegenteil schlecht u n d n i c h t lustvoll, z u m Beispiel all d a s w a s v e r d e r b t e n Menschen n ü t z l i c h u n d w a s K i n d e r n is als K i n d e r n lustvoll ist. D e m e n t s p r e c h e n d ist a u c h das F u r c h t b a r e teils s c h l e c h t h i n , teils n u r b e s t i m m t e n P e r s o n e n f u r c h t b a r . Was somit ein Feiger als Feiger f ü r c h t e t , das ist teils n i e m a n d e m f u r c h t b a r , teils n u r l e i c h t h i n . 25 W a s a b e r d e n m e i s t e n u n d w a s der menschlichen N a t u r f u r c h t b a r ist, d a s n e n n e n wir „ s c h l e c h t h i n f u r c h t b a r " . D e r T a p f e r e a b e r v e r h ä l t sich 2» j e n e n D i n g e n g e g e n ü b e r f u r c h t l o s u n d h ä l t solchem F u r c h t b a r e n s t a n d , d a s im einen Sinn f ü r ihn f u r c h t b a r ist, im a n d e r e n a b e r n i c h t : f u r c h t b a r n ä m l i c h , sofern er Mensch i s t ; sofern er a b e r t a p f e r e r Mensch ist, sind sie (ihm) n i c h t f u r c h t b a r oder h ö c h s t e n s leichthin oder in gar keiner H i n s i c h t . 30 E s ist dies a b e r o b j e k t i v f u r c h t b a r , d e n n es ist f ü r die meisten Men- 2s sehen f u r c h t b a r . Dies ist d e n n a u c h der G r u n d , w a r u m die H a l t u n g (des T a p f e r e n ) gelobt w i r d . D e n n es s t e h t m i t i h m wie m i t d e m S t a r k e n u n d G e s u n d e n . D e n n a u c h diese sind d a s w a s sie sind n i c h t d e s h a l b weil der eine v o n keiner S t r a p a z e u n d der a n d e r e v o n n i c h t s U b e r m ä ß i gem a u f g e r i e b e n w i r d , s o n d e r n d e s h a l b weil sie v o n j e n e n D i n g e n 3» ü b e r h a u p t n i c h t oder n u r l e i c h t h i n affiziert w e r d e n , v o n d e n e n die 35 Vielen oder die M e h r z a h l der Menschen affiziert w e r d e n . N u n , die K r ä n k lichen u n d die S c h w ä c h l i c h e n u n d die Feigen w e r d e n a u c h v o n d e m affiziert, w a s g e m e i n h i n zu affizieren pflegt, n u r schneller u n d h e f t i g e r als die a n d e r e n , u n d d a z u k o m m t n o c h , d a ß sie g e r a d e g e g e n ü b e r 35 D i n g e n , v o n d e n e n die Vielen affiziert w e r d e n , e n t w e d e r ganz u n affiziert bleiben o d e r n u r leicht e r f a ß t w e r d e n . E s ist a b e r eine A p o r i e , ob d e m T a p f e r e n n i c h t s f u r c h t b a r ist u n d 1229« er g a r keine F u r c h t e m p f i n d e t . S p r i c h t e t w a s d a g e g e n , | d a ß es in d e r
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(oben) ausgesprochenen Weise doch der Fall ist? Tapferkeit ist nämlich Gefolgschaft, dem rationalen Elemente (folgen). Dieses aber befiehlt, sich für das (Sittlich-)Schöne zu entscheiden. Wer daher nicht um dessentwillen dem Furchtbaren standhält, der ist (aus seinem eigentlichen Wesen) herausgetreten oder er ist tollkühn. Wer aber wegen des (Sittlich-)Schönen standhält, ist furchtlos und im ausgezeichneten Sinne tapfer. Der Feige freilich fürchtet auch da wo es nicht recht ist und der Tollkühne ist es auch da wo es nicht recht ist, während der Tapfere sich in beiden Fällen so verhält wie es recht ist, und in dieser Hinsicht ist er in der Mitte. J e nachdem es nämlich das rationale Element befiehlt,ist er zuversichtlich oder er fürchtet. Das Rationale befiehlt aber nicht, der ganz großen Pein, das heißt, der lebenzerstörenden, standzuhalten — außer es geht um (Sittlich-)Schönes. Der Tollkühne freilich ist auch da zuversichtlich, wo das Rationale nicht befiehlt, der Feige selbst da nicht, wo es befiehlt; der Tapfere einzig wenn es befiehlt. Man nimmt fünf Arten von Tapferkeit an, auf Grund von Ähnlichkeit (mit der echten). Deren Vertreter halten nämlich demselben Furchtbaren stand, nur nicht aus demselben Grund. (1) Eine Form ist die des Bürgerheers; das ist die welche auf der Scheu (vor Schande) beruht. (2) Eine zweite ist die der Söldner. Diese beruht auf Erfahrung und auf dem Wissen — zwar nicht, wie Sokrates sagte, um das Wesen i des Schrecklichen, sondern weil sie wissen, was in der Not hilft. (3) Die dritte ist die auf Unerfahrenheit und Unwissen beruhende. Sie wirkt bei Kindern und Wahnsinnigen: sie trotzen dem Sturm der Elemente, und die Kinder packen Schlangen. (4) Eine weitere beruht auf Beschwingtheit; da gibt es Leute, die haben schon oft Glück gehabt, und deshalb gehen sie in die Gefahr; und die Betrunkenen (tun es), weil 2( der Wein fröhliche Beschwingtheit schafft. (5) Und eine weitere Form beruht auf dem Zustand des Nicht-überlegens, z. B. wenn Eros oder Zorn einwirkt. Wenn einer vom Eros gefangen ist, ist er eher tollkühn als feige und nimmt viel Gefährliches auf sich; so der Tyrannenmörder von Metapont und der sagenverklärte Mann aus Kreta. Und aus Zorn und Wallung desgleichen. Denn der Zorn neigt dazu (aus der natür- ? liehen Norm) herauszutreten. Daher gelten auch die wilden Eber als tapfer — und sind es doch nicht. Nämlich immer nur dann wenn sie außer sich sind, zeigen sie solche Art; sonst sind sie ungleichmäßig wie die Tollkühnen. Dennoch aber ist Tapferkeit aus Zornesmut am ehesten etwas Natürliches, denn Zornesmut ist etwas Unbesiegliches, weshalb denn auch die Knaben hervorragende Kämpfer sind. Die
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Tapferkeit des Bürgerheeres aber beruht auf Satzung und Brauch. 30 Echte Tapferkeit ist keine der genannten Formen, aber wenn es auf Anspornung in Gefahr ankommt, sind sie allesamt brauchbar. Über die Gegenstände der Furcht haben wir jetzt allgemein gesprochen; es ist aber zweckmäßig sie genauer zu bestimmen. Rund s gesagt sind jene Dinge furchtbar, die Furcht einflößen. Von solcher 35 Art ist alles was zerstörende Unlust bewirkt. Denn wer irgendeine andere Form von Unlust zu erwarten hat, dem mag vielleicht irgendein anderes Schlimmes oder eine andere AfFektion zuteilwerden, aber es wird nicht Furcht sein: wenn einer zum Beispiel voraussieht, daß ihm io Unlust zukommen werde nach Art der Neidempfindung oder so wie sie mit gekränktem Ehrgeiz oder mit Scham verbunden ist. Vielmehr 40 entsteht Furcht nur bei Vorahnung all solcher Unlustformen, deren 1229b Wesen ans Leben j geht. Daher auch manche in gewissen Dingen extrem weichliche Leute tapfer, gewisse harte und standfeste Typen aber feige i > sind. Und insbesondere gilt einfach als eigentümliches Merkmal der Tapferkeit ein bestimmtes Verhalten zum Tod und der mit ihm verbundenen Unlust. Wenn es nämlich jemandes Art wäre im Sinne des 5 rationalen Elements gegen Hitze und Kälte und dergleichen j a ungefährliche Beschwerden ein standhaltendes Wesen zu zeigen, dagegen 20 dem Tod gegenüber weichlich und verängstigt zu sein, aus keiner anderen Erschütterung als weil dieser Vernichtung bedeutet - und wenn ein anderer gegen jene Einwirkungen Weichlich, aber dem Tode gegenüber unerschüttert wäre, so müßte der erstere als feige, der 10 letztere als tapfer gelten. E s ist j a auch von „ G e f a h r " einzig und allein 25 bei Furchtbarem von der geschilderten Art die Rede, wenn das was die geschilderte Vernichtung bewirkt, nahe ist. „ G e f a h r " aber scheint zu sein, wenn (jenes) in disr Nähe erscheint. Von dem Furchtbaren nun, in dessen Umkreis sich, naeh unserer Behauptung, der Tapfere bewegt, haben wir ausgesagt, daß es das so sich (uns) zeigende, die zerstörende Unlust Bewirkende ist, was indes is bedeutet, daß dieses sich nahe zeigt und nicht ferne; und daß es von solchen, wirklichen oder (uns) erscheinenden Größenverhältnissen ist, daß es dem Menschenmaß entspricht. Denn es gibt gewisse Dinge, die sich notwendig jedem Menschen als furchtbar zeigen und ihn völlig 35 durcheinanderbringen müssen. Denn wie Heißes und Kaltes und auch 20 von den sonstigen Naturkräften einige über uns, das heißt über die Verhältnisse des menschlichen Körpers, hinausgehen können, so kann dies ohne weiteres auch der Fall sein mit dem was der Seele zustößt.
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Die F e i g e n u n d T o l l k ü h n e n w e r d e n n a t ü r l i c h d u r c h ihre G r u n d h a l t u n g g e t ä u s c h t . D e n n d e m Feigen gilt d a s N i c h t - f u r c h t b a r e als f u r c h t b a r u n d das H a r m l o s e als schrecklich; d e m T o l l k ü h n e n u m g e k e h r t das F u r c h t b a r e als e r m u t i g e n d u n d d a s Schreckliche als h a r m - 25 5 los. D e r T a p f e r e dagegen sieht die Dinge so wie sie in W a h r h e i t sind. (3') W e n n also einer d e m F u r c h t b a r e n aus U n w i s s e n h e i t s t a n d h ä l t , so ist er deswegen n i c h t t a p f e r ; w e n n er z u m Beispiel d e n h e r a b f a h r e n d e n Blitzen t r o t z t , im W a h n s i n n . (5') U n d a u c h d a n n n i c h t , w e n n er die G r ö ß e der G e f a h r zwar e r k e n n t , a b e r in Z o r n e s w u t dagegen 10 a n g e h t , wie die K e l t e u m i t den W a f f e n in d e r H a n d gegen die S t u r m flut — u n d ü b e r h a u p t ist B a r b a r e n - T a p f e r k e i t w ü t e n d e T a p f e r k e i t . 30 (4') M a n c h e wieder h a l t e n s t a n d aus a n d e r e r L u s t h e r a u s — a u c h Z o r n e s w u t h a t n ä m l i c h g e w i s s e r m a ß e n L u s t , d e n n es ist die H o f f n u n g auf R a c h e d a b e i . U n d doch, m a g einer a u s dieser oder j e n e r L u s t 15 h e r a u s d e m T o d e s t a n d h a l t e n oder u m g r ö ß e r e m Ü b e l zu e n t k o m m e n — keiner v o n diesen k a n n m i t R e c h t als t a p f e r a n g e s p r o c h e n w e r d e n . W e n n n ä m l i c h das S t e r b e n süß w ä r e , h ä t t e n sich wohl die Z u c h t l o s e n 3.-> schon o f t den T o d a n g e t a n , v e r m ö g e ihrer U n b e h e r r s c h t h e i t ; wie d e n n a u c h j e t z t — d a zwar n i c h t d a s S t e r b e n selbst, a b e r d e r W e g d a h i n 20 süß ist — viele d u r c h ihre U n b e h e r r s c h t h e i t wissend d e m T o d e verfallen. A b e r keiner v o n d e n e n d a r f als t a p f e r gelten, a u c h w e n n a n seiner völligen Bereitwilligkeit zu s t e r b e n k e i n Zweifel ist. N o c h a u c h , wenn einer d a d u r c h der N o t e n t k o m m e n will, w a s viele t u n — a u c h 4« v o n d e n e n ist keiner t a p f e r , wie | a u c h A g a t h o n s a g t : 123«® 25
„ D e r schlechte M a n n v e r z a g t i m K a m p f e m i t d e r N o t U n d w ü n s c h t zu s t e r b e n " .
So wissen die D i c h t e r a u c h v o n Chiron zu b e r i c h t e n , er h a b e sich w e g e n der S c h m e r z e n seiner W u n d e d e n T o d h e r b e i g e w ü n s c h t , u n d w a r d o c h u n s t e r b l i c h . (2') U n d d e m e n t s p r e c h e n d ist es a u c h bei j e n e n , die der so G e f a h r auf G r u n d ihrer E r f a h r u n g s t a n d h a l t e n , wie es w o h l m e i s t die 5 Weise der S ö l d n e r n a t u i e n ist. D e n n es gilt g e n a u d a s Gegenteil zu d e r Meinung des S o k r a t e s , der m e i n t e die T a p f e r k e i t sei ein W i s s e n . D e n n n i c h t weil sie wissen, was f u r c h t b a r ist, sind j e n e u n b e k ü m m e r t , die d e n M a s t b a u m zu e r k l e t t e r n wissen, s o n d e r n weil sie sich i n d e n Ge35 f a h r e n ihres B e r u f e s zu helfen v e r s t e h e n . U n d a u c h d a s w a s die K ü h n - 10 heit eines K a m p f e s steigert, ist n i c h t T a p f e r k e i t , sonst w ä r e a u c h K r a f t oder R e i c h t u m T a p f e r k e i t n a c h d e m W o r t e des T h e o g n i s : „ K a n n d o c h keiner im B a n n e der A r m u t . . . "
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Ganz offenkundig aber gibt es Leute, die zwar feig sind, aber doch standhalten: aus Erfahrung nämlich. Sie tun es, weil sie meinen, es sei keine Gefahr dabei, da sie j a wissen, wie man sich hilft. Beweis: 15 wenn sie meinen, sie bekämen keine Hilfe mehr, und die Gefahr ist schon nahe, halten sie nicht stand. (1') Aber von all den geschilderten Gründen, wer da aus dem Grunde der Scheu (vor Schande) standhält, der darf in erster Linie als tapfer gelten. So besteht Hektor bei Homer die Gefahr gegen Achilleus: 20
„Hektor erfaßte die Scham . . und: „Pulydamas wird als erster mich kränken mit schimpflichem Vorwurf".
Und so ist die Bürger-Tapferkeit. Die wahre aber ist weder so noch wie eine der genannten, sondern sie ist (ihnen) ähnlich, wie auch die wilden Tiere, die durch ihren Zornmut dem tödlichen Schlag entgegenstürzen. Denn man darf nicht standhalten (1") aus Furcht vor Verlust des Rufes, noch (5") aus Zornesmut, noch deshalb (4") weil man nicht 25 ans Sterben denkt oder (2") weil man schutzgebende Mittel hat. Dies könnte j a geradezu zu der Meinung führen, das Furchtbare existiere überhaupt nicht. Vielmehr, nachdem jede Tugend auf Entscheidung abgestellt ist — wie wir das meinen, ist früher dargestellt, daß sie nämlich jegliches um eines Zieles willen zu wählen veranlaßt, und dies ist das Ziel: das (Sittlich-)Schöne — ist klar, daß auch die Tapferkeit, als 3o eine der Tugenden, bewirken wird um eines Zieles willen dem Furchtbaren standzuhalten: dies also weder (3") aus Unwissenheit — Tapferkeit bewirkt j a vielmehr ein richtiges Urteilen — (4") noch aus Lust, sondern weil es (sittlich-)schön ist, während man, wenn es nicht schön, sondern wahnwitzig ist, nicht standhält, denn es wäre dann häßlich. In Hinsicht also auf welche Dinge die Tapferkeit eine Mitte ist, zwischen welchen sie es ist und warum, und welches die Macht des 35 Furchtbaren ist, das haben wir im großen und ganzen gemäß unserer Art an die Dinge heranzugehen, hinreichend dargestellt. 2. Danach aber muß man genauere Bestimmungen über die Besonnenheit und Zuchtlosigkeit zu treffen suchen. Nun, „zuchtlos" hat mehrfache Bedeutung. Einmal (a) ist es, wenn wir so sagen wollen, so viel wie „nicht in Zucht genommen", „nicht in Kur", wie ,,schnitt 1230b los" | = „nicht zerschnitten", und das wieder schließt in sich sowohl die Möglichkeit wie die Unmöglichkeit. „Schnittlos" nämlich bedeutet sowohl das was nicht zerschnitten werden kann, wie auch das was
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zwar zerschnitten werden kann, es aber nicht ist. Ebenso verhält es sich bei dem Begriff „zuchtlos". Denn dieser geht sowohl auf das was gar nicht dazu geschaffen ist Zucht anzunehmen, wie auch auf das was dazu geschaffen, aber de facto nicht in Zucht genommen ist in Hinsicht auf falsches Handeln — wo der Besonnene richtig handelt. Beispiel: die Kinder. Denn d i e s e „Ungezogenheit" ist gemeint, wenn man sie zuchtlos nennt, (b) Weiterhin (geht „zuchtlos") auf jene die schwer kurierbar und auf jene die ganz und gar durch Züchtigung unkurierbar sind. Bei dieser Mehrdeutigkeit des Begriffes der Zuchtlosigkeit ist nun aber klar, daß die Zuchtlosen sich im Bereiche von bestimmten Lustund Unlustformen bewegen und daß sie j e nach der Haltung, die sie diesen gegenüber einnehmen, sich sowohl untereinander als auch von den anderen unterscheiden — wir haben aber schon früher schematisch aufgezeichnet, wie der Begriff Zuchtlosigkeit, übertragen, gebraucht wird —, denn die aus Stumpfsinn denselben Lustformen gegenüber im Unbeweglichen Verharrenden nennt man teils stumpfsinnig, teils werden sie mit anderen Namen von solcher Art charakterisiert. E s ist aber diese Eigenart nicht sonderlich bekannt und nicht gemeinhin verbreitet, weil die Leute durchweg mehr nach der anderen Seite fehlen und durchweg Schwäche und Empfänglichkeit für solche Lust angeboren ist. Von solcher Art sind vor allem Typen wie sie die Komödiendichter auf die Bühne bringen, die Bauerntölpel, die nicht einmal in den gemäßigten und notwendigen Dingen an den Genuß herangehen. Da nun der Besonnene mit der Lust in Zusammenhang steht, muß er notwendigerweise auch mit bestimmten Begierden in Zusammenhang stehen. Man muß also feststellen, mit welchen. E s ist nämlich nicht so, daß der Besonnene in allen Begierden und in allem Lustvollen besonnen ist, sondern, nach bekannter Meinung, in zwei Sinnesbezirken, dem des Schmeckbaren und dem des Tastbaren — in Wirklichkeit aber (nur) in dem des Tastbaren. Denn mit jener Lust, die das Schauen des Schönen frei von geschlechtlichem Begehren erweckt, oder mit der Unlust am Häßlichen, und mit den Empfindungen, die das Hören von Harmonischem oder Disharmonischem bietet, und ferner mit den Geruchseindrücken wie sie von guten oder schlechten Düften kommen, hat der Besonnene nichts zu tun. Denn es wird auch keiner als zuchtlos bezeichnet infolge seiner Empfänglichkeit oder Nicht-Empfänglichkeit (für solches). In dem Falle also, wo jemand beim Anblick
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eines schönen Standbildes oder Pferdes oder Menschen oder beim Hören eines Gesangs weder Lust h a t zu essen noch zu trinken noch der Liebe zu genießen, sondern n u r dazu das Schöne zu schauen und 35 dem Singen zu lauschen, wird er gewiß nicht als zuchtlos zu gelten haben — so wenig wie die bei den Sirenen Verzauberten. Vielmehr h a t es der Besonnene mit jenen zwei genannten Sinneseindrücken zu t u n , f ü r welche auch die Tiere allein sich empfänglich zeigen, das heißt Lust u n d Unlust empfinden, nämlich mit den Geschmacks- und Tastcindrücken. Gegenüber dem aus anderen Sinneseindrücken stara1231a menden Lustvollen zeigen sich die Tiere so ziemlich alle gleich I unausgestattet mit einem Sinnesorgan, z. B. gegenüber Wohlklang oder Schönheit. Denn offenbar m a c h t das bloße Sehen des Schönen oder das Hören des Harmonischen keinerlei nennenswerten E i n d r u c k auf sie, wenngleich da wohl einmal Außergewöhnliches vorkommen mag. s Aber auch nicht das Gut- oder Schlechtriechende, obwohl sie, was die Sinnesvermögen anlangt, durchweg mit recht scharfen ausgestattet sind. Aber auch bei den Gerüchen ist es so, daß sie (nur) Lust an denen haben, die in beiläufiger Weise, nicht dagegen an sich angenehm sind. „An-sich" — damit meine ich solche, an denen wir Lust haben nicht infolge der E r w a r t u n g oder der Erinnerung, wie das z. B. bei Speisen und G e t r ä n k e n der Fall ist — es ist nämlich Lust von anderer Art, die 10 unser Vergnügen an diesen Gerüchen b e w i r k t : die Lust des Essens oder Trinkens, während mit „ a n sich" z. B. der D u f t der Blumen gemeint ist. Daher denn Stratonikos fein gesagt h a t , der D u f t der Blumen sei „ s c h ö n " , der der Speisen „ a n g e n e h m " . Übrigens geraten die Tiere auch im Bereich des Schmeckbaren nicht bei jeder Lust in Ekstase. Und nicht bei solcher die mit der Zungenspitze, sondern bei solcher, die mit dem Schlund wahrgenommen wird, u n d es handelt sich dabei also u m eine Sinnesfunktion, die mehr ein Tasten als ein Schmecken is ist. D a r u m wünschen sich die Feinschmecker nicht eine lange Zunge, sondern einen Hals so lang wie der des Kranichs — wie Philoxenos, der Sohn des Eryxis. Man h a t also, einfach gesagt, die Zuchtlosigkeit im Gebiete der Tasterfahrungen anzusetzen. Dementsprechend steht auch der Zuchtlose mit Lusterfahrungen dieser Art in Zusammenhang. Denn T r u n k s u c h t , Gefräßigkeit, Wollust, 20 Feinschmeckerei u n d alles sonstige dieser Art fällt in den Bereich der genannten Sinneserfahrungen u n d diese sind die Teile, in die sich die Zuchtlosigkeit gliedert. I m Bereiche aber der durch Gesicht, Gehör, Geruchsinn vermittelten Lust wird keiner als zuchtlos bezeichnet,
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•wenn er das Maß überschreitet; wir tadeln diese Fehler lediglich, ohne sie schimpflich zu finden. Und summarisch k a n n m a n sagen: überall da wo nicht die Rede ist von „ b e h e r r s c h t " , beziehungsweise ; ,unbe- 25 herrscht", da gibt es auch nicht die P r ä d i k a t e zuchtlos und besonnen. 5 Stumpfsinnig nun — oder wie m a n das bezeichnen will — ist ein Mann von solcher Verfassung, daß er sogar davon im U n t e r m a ß genießt, woran notwendigerweise gemeinhin alle teilhaben u n d Lust empfinden müssen, während der übermäßig Genießende zuchtlos ist. Denn alle haben an diesen Dingen eine natürliche Lust und ein n a t ü r 10 liches Begehren danach, ohne deshalb zuchtlos zu sein oder zu heißen; 30 denn sie überschreiten nicht das Maß der Lustempfindung, wenn ihnen das Gewünschte zuteil wird, noch das Maß der Unlustempfindung, wenn es ihnen nicht zuteil wird. Uiid wiederum sind sie auch nicht s t u m p f , denn sie unterschreiten nicht das Maß der Lust- oder Unlustig empfindung — eher überschreiten sie es. Nachdem es aber Ü b e r m a ß u n d U n t e r m a ß in diesen Dingen gibt, 35 gibt es offenbar auch eine Mitte und dies ist die beste H a l t u n g u n d beiden (anderen) entgegengesetzt. Folglich gilt: wenn die beste H a l t u n g in den Dingen, mit denen es der Zuchtlose zu t u n h a t , Besonnenheit 20 ist, so darf als Besonnenheit die Mitte gelten in Hinsicht. ajif die genannten lustvollen Sinneserfahrungen, die Mitte also zwischen Zuchtlosigkeit u n d Stumpfsinn, wobei Zuchtlosigkeit das Ü b e r m a ß darstellt und das | U n t e r m a ß entweder ohne Benennung oder durch 1231b die genannten N a m e n charakterisiert ist. Genauer wird über die (für 2s die Zuchtlosigkeit in Frage kommende) G a t t u n g der Lustempfindungen zu handeln sein in dem was später über Beherrschtheit u n d Unbeherrschtheit vorgetragen wird. 3. Auf dieselbe Weise m u ß m a n auch Klarheit zu bekommen suchen 5 über Gelassenheit und Gereiztheit; denn wir beobachten, d a ß auch der 30 Gelassene in Bezug steht zu einer Unlust, (nämlich) der v o m Zorn her s t a m m e n d e n , indem er ihr gegenüber ein b e s t i m m t e s Verhalten h a t . Wir haben schematisch als Gegensatz z u m Jähzornigen, Gereizten u n d Wilden Mann — lauter Bezeichnungen f ü r denselben Zustand — aufgestellt den Sklavischen und den Blöden. D e n n das etwa sind die 10 33 üblichen N a m e n , die m a n denen gibt, deren Zorn sich nicht einmal da r ü h r t , wo es a m Platze wäre, die sich vielmehr ohne weiteres schlecht behandeln lassen und der Geringschätzung unterwürfig begegnen. Denn im Erleben jener Unlust, die wir Zorn nennen, gibt es den Gegensatz von j ä h u n d zögernd, leichthin und heftig, langdauernd u n d kurz.
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is Da es aber, wie wir auch bei den anderen Fällen schon gesagt haben, auch in diesem ein Ubermaß und ein Untermaß gibt — es ist ja der Gereizte ein Mann von solcher Art, er gerät schneller und stärker in Affekt und länger und wann und worüber es nicht recht ist und über 20 zu vieles, während beim Sklavischen das Gegenteilige stattfindet — so » gibt es offenbar auch den Mann der die Mitte der Ungleichheit darstellt. Da nun beide genannten Haltungen verfehlt sind, so ist klar, daß die in der Mitte zwischen beiden befindliche Haltung gut ist. Denn er ist weder zu früh daran noch zu spät, noch zürnt er wenn er nicht sollte, noch zürnt er nicht wem er zürnen sollte. Folglich gilt: nachdem in der 10 Tat die Gelassenheit die beste Haltung zu diesen Affektionen ist, ist 25 denn auch die Gelassenheit eine Mitte und der Gelassene ist der mittlere Mann zwischen dem Gereizten und dem Sklavischen. 4. Mitten sind aber auch die Hochsinnigkeit, die Großge^rtetheit und die Großzügigkeit. Zunächst also die Großzügigkeit: ihr Gebiet ist is Erwerb und Verlust von Geld und Geldeswert. Wer nämlich an jegso lichem Erwerben «lehr Lust hat als recht ist, an jedem Verlust aber mehr Unlust als recht ist, der ist knauserig; wer in beiden Fällen weniger als recht ist empfindet, ist verschwenderisch; wer in beiden Fällen so wie es recht ist empfindet, ist großzügig. Den Ausdruck aber 20 „wie es recht ist" gebrauche ich sowohl in diesem Fall wie in den anderen im Sinne von „wie die rechte Planung (befiehlt)". Nachdem aber jene (beiden) ein Übermaß und ein Untermaß dar•is stellen, wo aber Extreme sind, auch ein Mittleres ist — und zwar ist dieses das Beste und es gibt jeweils der Art nach nur e i n Bestes — so 2s muß die Großzügigkeit die Mitte sein zwischen Verschwendung und Knauserigkeit auf dem Gebiete des Erwerbs und des Verlustes von Geld und Geldeswert. In zweifachem Sinn aber sprechen wir von Besitz und Umgehen mit dem Besitz. Einmal meint man den eigentlichen Gebrauch des Besitz|- so 1232a stücks, z. B. eines Schuhs oder Mantels; zum zweiten aber den uneigentlichen Gebrauch, indes nicht wie wenn der Schuh als Gewicht benützt wird, sondern z. B. Verkauf oder Verpachtung: denn (auch) da wird vom Schuh ein Gebrauch gemacht. Der Habsüchtige ist aber 5 der, dessen Bemühung ganz auf Geld gerichtet ist. Das Geld aber 35 gehört in die Sparte „Besitz"; es tritt an die Stelle des uneigentlichen Gebrauchs. Der Knauserige aber ist unter Umständen auch verschwenderisch im Rahmen des uneigentlichen Umgangs mit Besitz; denn er verfolgt ja Mehrung (des Besitzes) auch in jener Erwerbsgebarung,
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die natürlich ist. Der Verschwenderische dagegen geht unter das Maß des Unentbehrlichen hinunter, während der Großzügige das gibt, was er über das Unentbehrliche hinaus besitzt. Bei eben diesen (beiden Gattungen) gibt es Ausdrücke für einzelne Arten, die sich dem Grade nach, auf Teilgebieten, unterscheiden. So (teilt sich) „knauserig" in „Geizhals", „ K n i c k e r " und „schmutziger Kaffer". Geizhals ist er darin, daß er jede Ausgabe scheut, Raffer darin daß er auf jegliche Art von Einnahme versessen ist. Knicker ist, wer ein maßloses Getue hat mit kleinen Beträgen; Defraudant und Räuber aber heißt, wer seiner Knauserigkeit folgend das Recht verletzt. Und ebenso sind Abarten des Verschwenders der Prasser, der haltlos das Geld hinauswirft, und andererseits der Hohlkopf, dein die Mühe des Rechnens zuviel ist. "». Was die Hochsinnigkeit betrifft, so muß man das ihr Eigentümliche aus den Merkmalen bestimmen, die man dem Hochsinnigen zuweist. Wie nämlich auch die anderen Eigenschaften vermöge ihrer Nachbarschaft und bis zu einem gewissen Grade reichenden Ähnlichkeit uns darüber hinwegtäuschen, daß sie (in Wirklichkeit) weit abrücken, so trifft es auch bei der Hochsinnigkeit zu. So kommt es, daß manchmal die entgegengesetzten Typen auf das nämliche Anspruch erheben, z. B . der Verschwender und der Großzügige, der Selbstgefällige und der Würdevolle, der Tollkühne und der Tapfere; sie gehören j a auch zu demselben Bereich und grenzen bis zu einem gewissen Grade aneinander: so hält z. B. der Tapfere seinem Wesen nach den Gefahren stand — und der Tollkühne tut es auch. Indes geschieht dies bei dem einen auf diese, bei dem anderen auf jene Weise; auf dieses Wie aber kommt alles an. Wir sprechen aber von dem Hochsiunigen, entsprechend der Nainengebung, als von einem Menschen, der sich sozusagen in einer gewissen Größe der Seele und der (gesellschaftlichen) Stellung kundgibt. Somit gilt er als ähnlich sowohl dem Würdevollen wie dem Großartigen, nachdem sich zeigt, daß die Hochsinnigkeit sogar bei a l l e n Tugenden dabei ist. Denn es ist j a auch in der T a t das richtige Urteilen über „groß" und „ k l e i n " innerhalb iler Güterreihe lobenswert. Als groß aber gilt das was der anstrebt, der die höchstwertige Haltung in Bezug auf solches Lustvolle hat. Die Hochsinnigkeit aber ist höchstwertige Haltung. E s beurteilt aber j e d e Einzeltugend in richtiger Weise das „Größere" und das „Kleinere", in dem Sinne wie der Einsichtige und die Tugend (der Einsicht) befehlen würde.
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Also folgen der Hochsinnigkeit alle T u g e n d e n oder s i e folgt allen Tugenden. Ferner gilt es als M e r k m a l des Hochsinnigen zur Geringschätzung zu neigen. E s b e w i r k t aber j e d e E i n z e l t u g e n d , dpß m a n sich gering1232b schätzig v e r h ä l t | gegenüber „ G r o ß e m " , das nicht v o m rationalen s E l e m e n t anerkannt wird. Z u m Beispiel v e r h ä l t sich die T a p f e r k e i t so gegenüber G e f a h r e n , denn als „ g r o ß " sieht (d)er (Tapfere) nur das Minderwertige an, und es ist nicht j e d e Menge (von F u r c h t b a r e m ) f u r c h t b a r . U n d der Besonnene v e r h ä l t sich so gegenüber großen und vielen L u s t e m p f i n d u n g e n , und der G r o ß z ü g i g e gegenüber G e l d . A l s 10 charakteristisch aber für den Hochsinnigen gilt dies, weil er nur weniges i ernstlich anstrebt, und z w a r D i n g e die (objektiv) groß sind u n d nicht deshalb weil sie irgendein anderer d a f ü r hält. U n d ein hochsinniger Mann k ü m m e r t sich mehr u m die Meinung eines einzelnen T r e f f l i c h e n als u m die vielen gewöhnlichen L e u t e , wie A n t i p h o n nach seiner Ver- is urteilung zu A g a t h o n sagte, der ihn w e g e n seiner Verteidigungsrede gelobt h a t t e . U n d dieses Sich-nicht-kümmern gilt als das hervorstechendste M e r k m a l des Hochsinnigen. Andererseits: w a s E h r e , L e b e n und R e i c h t u m b e t r i f f t , w o r a u f b e k a n n t l i c h das T r a c h t e n der Menschen geht — er k ü m m e r t sich u m nichts d a v o n , außer u m E h r e . U n d schmerz- 20 lieh e m p f ä n d e er es, wenn ihm E h r e v o r e n t h a l t e n bliebe oder er sich v o n einem U n w ü r d i g e n beherrschen lassen m ü ß t e . U n d größte F r e u d e ist es ihm, wenn er (Ehre) erhält. A u f diese Weise nun scheint ein W i d e r s p r u c h vorzuliegen, denn d a ß ü m a n so stark n a c h E h r e v e r l a n g t u n d die Vielen und das A n s e h e n (bei 25 ihnen) grundsätzlich geringschätzt, das scheint nicht zusammenzustimmen. Man m u ß da aber unterscheiden. E s gibt nämlich E h r e , große und kleine, in einem zweifachen S i n n ; denn es ist ein Unterschied, ob die E h r e v o n den vielen gewöhnlichen Menschen erwiesen wird oder v o n denen die B e a c h t u n g verdienen — und andererseits, a u f so 30 G r u n d w o v o n . G r o ß nämlich ist die E h r e nicht nur durch die Menge der E h r e n d e n u n d a u c h nicht durch deren Q u a l i t ä t , sondern auch dadurch, d a ß sie ein preisenswertes G u t ist. U n d tatsächlich sind sowohl hohe Stellungen wie auch die anderen G ü t e r nur dann preisenswert, wenn sie tatsächlich groß sind — weshalb es auch keine T u g e n d ohne G r ö ß e gibt. D a h e r die A n s i c h t , d a ß j e d e T u g e n d den Menschen auf dem Gebiete hochsinnig m a c h t , welches jeweils das ihre ist, wie wir gesagt haben. U n d doch gibt es neben den anderen T u g e n d e n eine Hochsinnigkeit als spezielle T u g e n d , wie auch speziell als hochsinnig der zu bezeichnen
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ist, der diese besitzt. Nachdem aber einige Güter teils preisenswert sind, teils so wie früher unterschieden worden i s t ; von solchen G ü t e r n aber die einen tatsächlich groß, andere klein sind, u n d n a c h d e m einige Menschen dieser Güter wert sind u n d sich ihrer f ü r wert halten, so ; m u ß unter diesen Menschen der Hochsinnige gesucht werden. Dabei gibt es notwendigerweise vier Fälle: (1) es k a n n einer nämlich großer Güter wert sein u n d sich ihrer f ü r wert h a l t e n ; (2) es gibt aber auch kleine Güter und es k a n n einer dieser bescheidenen Güter wert sein u n d sich ihrer f ü r wert halten. Es k a n n aber auch umgekehrt sein 10 in Bezug auf beide Fälle, insofern der eine (3) von der A r t ist, d a ß er, obzwar n u r kleinerer Güter wert, sich großer, das heißt der hochangesehenen Güter, f ü r wert hält, der andere aber (4), obzwar großer Güter wert, sich n u r kleiner Güter f ü r wert halten könnte. (3') Wer n u n kleiner Güter wert ist, sich aber der großen f ü r wert hält, ist zu tadeln, denn es ist unsinnig und nicht sittlich-schön etwas wider das Angemessene zu erhalten. Tadelnswert aber ist auch (4') wer zwar solcher (großer) Güter wert ist, aber sich | der Teilhabe nicht f ü r wert hält, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind. Da bleibt also jener (1') übrig, der diesen (beiden) entgegengesetzt ist, der großer 2« Güter wert ist und sich ihrer auch für wert hält, wesensmäßig f ü r wert hält. Das ist der Mann, der Lob verdient u n d in der Mitte zwischen den beiden anderen steht. Da n u n in Hinsicht auf W a h l und Gebrauch der E h r e sowie der anderen, hochangesehenen Güter die beste Grundh a l t u n g durch die Hochsinnigkeit repräsentiert wird und wir dies und 25 nicht „in Hinsicht auf das Nützliche" als Definition des Hochsinnigen geben, und da zugleich diese Mitte die lobenswerteste Verhaltensweise ist, so ist klar, d a ß auch die Hochsinnigkeit eine Mitte ist.
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Von den entgegengesetzten Verhaltensweisen aber ist die eine, die sich, wie wir schematisch beschrieben haben, darauf bezieht, daß man 30 sich großer Güter f ü r wert hält ohne es zu sein, Aufgeblasenheit — jene m C h a r a k t e r t y p e n nämlich bezeichnen wir als aufgeblasen, die sich großer Güter f ü r wert halten ohne es zu sein —, w ä h r e n d die andere, die sich darauf bezieht, daß m a n sich, obwohl großer G ü t e r w e r t , ihrer f ü r nicht wert hält, Engsinnigkeit ist — als Charakteristikum f ü r den Eng35 sinnigen nämlich gilt, d a ß m a n sich, obwohl die Voraussetzungen da sind, auf Grund deren m a n mit Recht f ü r wert b e f u n d e n würde, trotzdem keinerlei großen Gutes f ü r wert hält. D a r a u s folgt notwendig, d a ß 1.» auch die Hochsinnigkeit die Mitte ist zwischen Aufgeblasenheit und Engsinnigkeit.
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D e r vierte aber (2') v o n den unterschiedenen T y p e n ist w e d e r in irgendeiner W e i s e tadelnswert noch ist er hochsinnig, da er in keiner B e z i e h u n g G r ö ß e hat. D e n n e r i s t weder großer G ü t e r w e r t noch hält er sich ihrer f ü r w e r t . E r steht also nicht im Gegensatz (zum Hochsinnigen), so sehr es a u c h scheinen k ö n n t e , d a ß dem, der großer G ü t e r •> -« w e r t ist und sich ihrer für w e r t hält, der entgegengesetzt sei, welcher nur kleiner G ü t e r w e r t ist u n d sich (ihrer) für w e r t hält. I n W i r k l i c h k e i t aber steht er nicht im G e g e n s a t z , w e d e r dadurch, d a ß er tadelnswert wäre — er v e r h ä l t sich nämlich entsprechend der W e i s u n g des rationalen E l e m e n t e s — vielmehr ist er in seiner A r t derselbe wie der Hoch- 10 sinnige, denn wessen sie w e r t sind, dessen halten sich beide f ü r wert. U n d er k ö n n t e möglicherweise noch hochsinnig werden, da er sich -•'"> dessen f ü r w e r t halten wird, wessen er w e r t i s t ; der Engsinnige aber, der sich, obwohl ihm als V o r a u s s e t z u n g große, hochangesehene G ü t e r v o r h a n d e n sind, ihrer nicht für wert hält — w a s würde der erst tun, i"> wenn er nur k l e i n e r G ü t e r w e r t w ä r e ? ( A n t w o r t : er t ä t e E x t r e m e s ) denn entweder ist er, sich großer G ü t e r f ü r w e r t haltend, aufgeblasen — oder (er h ä l t sich für) noch geringerer G ü t e r (wert). D a h e r k a n n denn auch niemand v o n „ e n g s i n n i g " sprechen, w e n n sich einer a l s M e t ö k e nicht für wert hält ein A m t zu bekleiden, sondern (anderen) P l a t z "i m a c h t ; w o h l aber, w e n n (dies einer tut) der aus edlem Geschlechte ist und ein A m t f ü r etwas Großes h ä l t . 6. E s zeigt sich aber auch der G r o ß a r t i g e nicht in einer beliebigen H a n d l u n g oder W a h l , sondern im A u f w a n d , a u ß e r m a n g e b r a u c h t das W o r t , was v o r k o m m t , metaphorisch. W o kein A u f w a n d , da keine G r o ß a r t i g k e i t . D e n n das Geziemende zeigt sich im G l a n z , dieser aber 35 k o m m t nicht durch gewöhnliche A u f w e n d u n g e n zustande, sondern im Hinausgehen über das u n b e d i n g t Nötige. W e r sich also bei großem A u f w a n d grundsätzlich für die geziemende G r ö ß e entscheidet und dabei nach der entsprechenden Mitte, und z w a r wegen der entsprechen- m den L u s t , t r a c h t e t , der ist großgeartet. W e r aber zum E x t r e m neigt und taktlosen A u f w a n d treibt, f ü r den gibt es keinen eigenen N a m e n ; i2.'i.!i, er h a t aber immerhin eine gewisse | N a c h b a r s c h a f t zu denen, die v o n manchen als geschmacklos und großtuerisch bezeichnet werden. Beispiele: wenn einer daran ist Geld auszugeben für die Hochzeit seines .is Lieblings, und er ist reich, meint aber es „ g e z i e m e " sich d a f ü r eine Zurüstung, wie er sie sich für die B e w i r t u n g v o n Temperenzlern leisten würde, so ist dieser Mann engherzig. W e r a b e r (umgekehrt) G ä s t e -11 dieser A r t wie zu einer Hochzeit bei sich a u f n i m m t , der gleicht dem
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Großtuer — außer es geschieht u m Ansehen zu gewinnen oder weil er es seiner hohen Stellung schuldig ist. Dagegen ist, wer in angemessener Weise A u f w a n d treibt, u n d so wie das rationale E l e m e n t (es gebietet), großgeartet. D e n n „geziemend" ist gleich „angemessen", da nichts s geziemend ist, was wider das Angemessene ist. E s m u ß sich aber das Geziemende zeigen sowohl in den jeweiligen U m s t ä n d e n als auch in dem Wie, da j a das Geziemende ein Angemessenes ist, u n d in Bezug auf den Gegenstand — in Bezug auf die Hochzeit eines Haussklaven ist z. B. das Geziemende ein anderes als in Bezug auf die eines Liebio lings — und in Bezug auf den Aufwendenden selbst, wenn er etwa bis zu dieser Q u a n t i t ä t oder Qualität hin (aufwendet): so h a t z u m Beispiel mancher gemeint, die Festgesandtschaft, diaThemistokles nach Olympia u n t e r n a h m , habe sich f ü r ihn nicht geziemt wegen der ihm von f r ü h e r her a n h a f t e n t e n Niedrigkeit, wohl aber h ä t t e sie sich f ü r K i m o n geziemt. 15 Wer sich aber in Fragen der Angemessenheit so verhält wie es gerade k o m m t , ist zu keinem dieser (drei) T y p e n zu rechnen. U n d im Bereich der Großzügigkeit ist es genauso: es gibt da einen T y p u s , der ist weder großzügig noch das Gegenteil. 7. Man k a n n sagen, d a ß auch die übrigen lobens- oder tadelns20 werten Charaktereigentümlichkeiten jeweils Ü b e r m a ß , U n t e r m a ß u n d mittlere Zustände unseres Affektlebens darstellen. Da ist z u m Beispiel der Mißgünstige u n d der Schadenfrohe. W a s nämlich die festen Verhaltensweisen betrifft, nach denen (ihre Träger) b e n a n n t werden, so ist die Mißgunst die Unlust über solche die sich in verdientem Glück 25 befinden; der Affekt des Schadenfrohen aber, im selben Bereich, h a t keinen N a m e n , wohl aber ist dessen Träger k l a r : sein Bereich ist die F r e u d e über unverdientes Unglück. Der Mittlere zwischen beiden ist der Mann der gerechten E m p ö r u n g u n d das was bei den Alten „gerechte E m p ö r u n g (nemesis)" hieß: die Unlust ü b e r unverdientes 30 Unglück oder Glück u n d andererseits die F r e u d e ü b e r verdientes — weshalb denn auch die Nemesis f ü r eine Gottheit gehalten w u r d e . E c h t e Scheu ist die Mitte zwischen Hemmungslosigkeit u n d Schüchternheit. Wer fremdes Urteil ü b e r h a u p t nicht ernst n i m m t , ist hemmungslos; wer unterschiedslos jedes, ist s c h ü c h t e r n ; wer sich an das 35 der offenkundig Wertvollen hält, h a t echte Scheu. Freundschaftlichkeit ist die Mitte zwischen Gehässigkeit u n d Schmeichelei. Wer sich leichterhand in allem nach den Wünschen (des anderen) richtet, ist ein Schmeichler; wer in allem u n d jedem opponiert, ist widerwärtig; wer aber nicht bei jedem Genuß m i t m a c h t u n d sich
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nicht gegen j e d e n s t e m m t , sondern sich n u r nach dem richtet, was sich als Bestes zeigt, ist f r e u n d s c h a f t l i c h . W ü r d e ist die M i t t e zwischen Selbstgefälligkeit und U n t e r w ü r f i g 35 keit. W e r sich nämlich, v o l l G e r i n g s c h ä t z u n g , in keiner Weise im L e b e n a u f den anderen einstellt, ist selbstgefällig; wer sich in allem 5 a u f andere einstellt oder a u c h wer sich geringer m a c h t als alle (anderen) ist u n t e r w ü r f i g ; w e r sich aber j e n a c h d e m so oder nicht so einstellt, und z w a r j e a u f die welche es w e r t sind, h a t W ü r d e . D e r A u f r i c h t i g e und E i n f a c h e , der, wie m a n sagt, g a n z „ e r s e l b s t " ist, steht in der Mitte zwischen dem hintergründig Bescheidenen und 10 1234a dem A u f s c h n e i d e r . W e r nämlich in R i c h t u n g des | Schlechteren ü b e r sich selbst F a l s c h e s redet, in voller B e w u ß t h e i t , ist hintergründig bescheiden; wer dasselbe in R i c h t u n g auf das Bessere t u t , ist aufschneiderisch; w e r sich aber im Sprechen so gibt wie er ist, ist aufrichtig u n d , wie H o m e r sagt, „ e i n M a n n v o n V e r s t a n d " . K u r z , der >r> eine ist F r e u n d der W a h r h e i t , der andere F r e u n d des Schwindeins. E s ist aber auch die (gesellschaftliche) G e w a n d t h e i t eine Mitte und s der G e w a n d t e steht in der Mitte zwischen dem Humorlosen oder Schwerfälligen u n d dem H a n s w u r s t . W i e sich nämlich im Essen der Mäkelige v o m G e f r ä ß i g e n d a d u r c h unterscheidet, d a ß der erstere 20 nichts oder nur wenig und widerwillig zu sich n i m m t , der letztere dagegen mit L e i c h t i g k e i t alles, so v e r h ä l t sich der Humorlose z u m Grobschlächtigen und H a n s w u r s t e n : der eine nämlich l ä ß t ü b e r h a u p t 10 keinen S p a ß an sich heran oder nur widerwillig, der andere dagegen n i m m t alles leicht u n d gerne hin. A b e r keines v o n beiden ist das 2:> R e c h t e , sondern j e n a c h d e m sollten Unterschiede g e m a c h t werden, und z w a r n a c h M a ß g a b e des rationalen Elementes. W e r es so m a c h t , ist g e w a n d t . U n d der Beweis l a u t e t wie i m m e r : G e w a n d t h e i t dieser A r t — dieser und nicht in dem Sinn wie m a n das W o r t metaphorisch gebraucht — ist das vorzüglichste V e r h a l t e n und die Mitte ist lobenswert und die s» E x t r e m e sind tadelnswert. E s gibt aber zwei F o r m e n v o n (gesellschaft13 licher) G e w a n d t h e i t . Die eine zeigt sich in der F r e u d e a m S p a ß , auch w e n n er einen selbst t r i f f t , er m u ß nur Q u a l i t ä t h a b e n — und d a z u gehört auch der satirische W i t z ; die andere zeigt sich in der B e g a b u n g , so e t w a s selber zustandezubringen. Diese beiden F o r m e n sind z w a r voneinander verschieden, indes Mitten sind sie beide. D e n n auch der M a n n , der die Beg a b u n g h a t , lauter solchen S p a ß zu machen, an d e m der rechte Beurteiler 20 seine F r e u d e h a b e n k a n n — auch wenn er gegen ihn selber geht —, auch er wird in der Mitte einen P l a t z h a b e n , zwischen dem Grobschlächtigen und
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d e m F r o s t i g e n . Diese l e t z t e r e B e s t i m m u n g a b e r ist besser als d i e : „ d e r W i t z soll der v e r s p o t t e t e n P e r s o n n i c h t u n a n g e n e h m sein, ganz gleich was das f ü r eine P e r s o n i s t " . W i c h t i g e r n ä m l i c h ist, d a ß m a n d e m M a n n e der richtigen Mitte g e f ä l l t ; d e n n (nur) d e r h a t das r e c h t e U r t e i l . Alle diese Mitten sind z w a r l o b e n s w e r t , j e d o c h T u g e n d e n sind sie 5 n i c h t , sowenig wie ihre Gegenteile S c h l e c h t i g k e i t e n sind. E s fehlt - 3 nämlich d a s M o m e n t der E n t s c h e i d u n g . Dies alles s t e h t in d e n „ E i n teilungen der A f f e k t e " ; d e n n j e d e dieser E i g e n s c h a f t e n ist eine Affektion. Weil sie a b e r e t w a s N a t u r h a f t e s sind, t r a g e n sie zu d e n n a t ü r l i c h e n T u g e n d e n bei. E s existiert n ä m l i c h , wie a n s p ä t e r e r Stelle gesagt w e r d e n w i r d , p r a k t i s c h j e d e T u g e n d in einer n a t u r h a f t e n F o r m u n d a u c h a n d e r s , n ä m l i c h in V e r b i n d u n g m i t sittlicher E i n s i c h t . So t r ä g t die M i ß g u n s t zur U n g e r e c h t i g k e i t bei, d e n n die v o n ihr h e r k o m m e n d e n 30 H a n d l u n g e n b e z i e h e n t l i c h auf den a n d e r e n ; u n d die E m p ö r u n g zur 's G e r e c h t i g k e i t , die Scheu zur B e s o n n e n h e i t . D a h e r k o m m t es, d a ß m a n c h e die B e s o n n e n h e i t sogar als in diese G a t t u n g gehörig definieren. D e r A u f richtige a b e r u n d der S c h w i n d l e r : der eine ist einsichtig, der a n d e r e t ö r i c h t . E s ist a b e r das Mittlere in e i n e m s t ä r k e r e n G e g e n s a t z zu d e n E x t r e m e n | als diese z u e i n a n d e r . D e r Mittlere n ä m l i c h k o m m t m i t 1234 b 20 k e i n e m der b e i d e n E x t r e m e z u s a m m e n v o r , d a g e g e n die E x t r e m e häufig m i t e i n a n d e r , u n d es sind bisweilen dieselben M e n s c h e n dreist u n d feige in einem, oder sowohl v e r s c h w e n d e r i s c h als a u c h k n a u s e r i g — k u r z : in s c h l e c h t e m Sinne u n g l e i c h m ä ß i g . W e n n sie n ä m l i c h in g u t e m Sinne u n g l e i c h m ä ß i g sind, d a n n gibt d a s d e n T y p u s des M i t t l e r e n ; 5 25 d e n n p r a k t i s c h sind im Mittleren die E x t r e m e a n w e s e n d . Die K o n t r a s t e zwischen d e n E x t r e m e n u n d d e m M i t t l e r e n scheinen a b e r n i c h t in b e i d e n F ä l l e n in gleicher Weise vorzuliegen, s o n d e r n bisweilen (ist der G e g e n s a t z größer) auf d e r Seite des U b e r m a ß e s , bisweilen auf d e r des U n t e r m a ß e s . E s gibt d a f ü r die b e i d e n f r ü h e r 30 gesagten G r ü n d e : (a) einerseits d a s seltene V o r k o m m e n z u m Beispiel des T y p u s , der sich gegen G e n u ß s t u m p f s i n n i g v e r h ä l t ; z u m a n d e r e n (b), weil der s t ä r k e r e G e g e n s a t z in der R i c h t u n g zu liegen s c h e i n t in der wir 10 leichter F e h l e r m a c h e n . D e r d r i t t e G r u n d a b e r ist, d a ß d a wo die g r ö ß e r e Ä h n l i c h k e i t ist, das Gegensätzliche weniger in E r s c h e i n u n g t r i t t ; dies ist 35 z u m Beispiel der F a l l bei der T o l l k ü h n h e i t i m V e r h ä l t n i s z u r e c h t e n K ü h n heit u n d bei der V e r s c h w e n d u n g s s u c h t i m V e r h ä l t n i s z u r G r o ß z ü g i g k e i t . W a s n u n die ü b r i g e n V e r h a l t e n s w e i s e n b e t r i f f t , die l o b e n s w e r t e n T u g e n d e n n ä m l i c h , so ist d a v o n im g r o ß e n u n d g a n z e n gesprochen w o r d e n . D a s n ä c h s t e T h e m a ist die G e r e c h t i g k e i t .
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I. Über die Freundschaft, (d. h. darüber) was und v o n welcher Art sie ist, und was ein Freund ist, und ob der Begriff nur eine oder mehrere 20 Bedeutungen hat, und w e n n mehrere, wieviele; ferner wie man mit dem Freunde umgehen soll, und welches die Rechtsansprüche innerhalb der Freundschaft sind, ist eine Untersuchung nicht weniger nötig als über das, was im Bereiche der Charaktereigenschaften schön und wählenswert ist. E s gilt nämlich als Hauptaufgabe der Staatskunst Freundschaft zu stiften und die Tugend gilt als nützlich für dieses Ziel, denn unmöglich könnten Bürger einander freund sein, wenn sie unteres einander Unrecht verübten. Ferner: Recht und Unrecht, so sagen wir 10 alle, gibt es besonders unter den Freunden, und wenn j e m a n d „Freund" ist, so gilt er zugleich auch als „gut", und Freundschaft gilt als ethisch wertvolle Haltung. U n d wenn einer bewirken möchte, daß (die Bürger) nicht Unrecht tun, so stiftet er unter ihnen Freundschaft, denn die 30 wahren Freunde t u n kein Unrecht. Indes, auch wenn sie gerecht sind, IS werden sie kein Unrecht t u n ; in der Tat sind ja Gerechtigkeit und Freundschaft dasselbe oder stehen sich doch recht nahe.
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Außerdem aber gilt uns der Freund als eines der größten Güter, umgekehrt Freundlosigkeit und Einsamkeit als schlimmstes Übel, weil Leben und sich seinen U m g a n g selber suchen so viel bedeutet wie stets 20 mit Freunden zusammen sein. Denn es sind die Hausgenossen I oder die Verwandten oder die Gefährten, mit denen wir die Tage verbringen, oder die Kinder, die Eltern, die Frau. U n d die privaten Rechtsbeziehungen zu unseren Freunden sind ganz allein u n s e r e Sache, während die zu den anderen Bürgern durch das Gesetz fest- 23 gelegt sind und nicht in unserer Macht stehen. E s gibt aber viele Aporien über die Freundschaft: erstens die Theorie derer, die das T h e m a von außen und zu weit fassen. Die einen nämlich meinen, das Gleiche sei mit dem Gleichen befreundet. Deshalb heißt es: 30 „ W i e doch immer den Gleichen die Gottheit führet zum Gleichen" und
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„ K r ä h e (sitzt) neben der K r ä h e " u n d „ E s kennt der Dieb den Dieb wie auch der Fuchs den F u c h s " . Die Naturphilosophen aber lassen gar in der G e s a m t n a t u r O r d n u n g entstehen, indem sie als Prinzip nehmen, d a ß Gleiches z u m Gleichen 5 gehe. So h a t Empedokles b e h a u p t e t , der H u n d liege auf d e m Ziegelstein, weil er die größte Ähnlichkeit damit habe. So also bestimmen die einen das Freundschaftsverhältnis. (2) Die anderen aber b e h a u p t e n , das Gegensätzliche sei mit dem Gegensätzlichen b e f r e u n d e t ; denn das Geliebte und Begehrte sei j e d e m „ f r e u n d " ; es begehrt aber das io Trockene nicht nach dem Trockenen, sondern nach dem F e u c h t e n , und deshalb heißt es: „Die E r d e liebt den R e g e n " u n d „ I n allem ist der Wechsel s ü ß " ; Wechsel aber geschieht zum Entgegengesetzten hin. Das Gleiche aber 15 ist dem Gleichen feind, denn es heißt j a a u c h : „ U n d zürnet der Töpfer dem T ö p f e r " , und Tiere, die sich vom selben F u t t e r n ä h r e n , bekriegen sich gegenseitig. So weit also stehen diese Ansichten voneinander a b : den einen zufolge ist das Gleiche b e f r e u n d e t , das Gegensätzliche aber feindselig: 20
„ D e m Mehr e n t s t e h t als k a m p f b e r e i t e r Feind doch stets Das Weniger: haßschweren Tag f ü h r t es h e r a n " , und ferner sind Gegensätze räumlich geschieden, die F r e u n d s c h a f t aber f ü h r t bekanntlich zusammen. F ü r andere wiederum ist das Gegensätzliche b e f r e u n d e t u n d Heraklit schilt das W o r t des Dichters:
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„ D a ß doch der Streit, der verwünschte, aus G ö t t e r n u n d Menschen verschwände!"
Denn es gebe keine Harmonie, wenn es nicht „ h o c h " und „ t i e f " gibt, und keine Tiere ohne „weiblich" und „ m ä n n l i c h " — dies aber seien Gegensätze. 30 Das sind zwei Theorien über die F r e u n d s c h a f t , (beide) zu allgemein und so weit (wie gesagt) voneinander geschieden. E s gibt aber noch andere, die schon näher herankommen und zu den E r f a h r u n g s t a t s a c h e n passen. (3) So denken die einen, daß schlechte Menschen unmöglich freund sein können, sondern n u r die G u t e n , während es anderen 35 absurd v o r k o m m t , daß M ü t t e r nicht ihre Kinder lieben sollten — wo doch F r e u n d s c h a f t sogar bei Tieren zu beobachten ist, zumindest
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insofern sie entschlossen f ü r ihre J u n g e n sterben. (4) Anderen hin!.» wiederum gilt allein der Nutzen als F r e u n d s c h a f t s m o t i v . E i n Zeichen d a f ü r ist (ihnen zufolge) einerseits, daß alle Menschen diesen verfolgen — das U n n ü t z e aber t u n sie sogar mit eigener H a n d von sich, wie Sokrates, der Ehrwürdige, sagte, indem er den Speichel, die H a a r e u n d s die Nägel als Beispiele beibrachte — und andererseits d a ß wir die unI2:i5i, nütz gewordenen Teile wegwerfen und schließlich I beim Sterben den Körper, denn der Leichnam ist zu nichts nütze; nur da wo er noch Nutzen bringt, wird er a u f b e w a h r t , zum Beispiel in Ägypten. N u n , das alles scheint einander doch recht zu widersprechen. Denn io das Gleiche ist ohne Nutzen f ü r das Gleiche und Gegensätzlichkeit ist s denkbar weit entfernt von Gleichheit und das Gegensätzliche ist f ü r das Gegensätzliche am unbrauchbarsten, denn Gegensätze zerstören sich gegenseitig. (5) F e r n e r : manche halten es f ü r leicht sich einen Freund zu ge- u winnen, andere wieder meinen, das Erkennen (des echten Freundes) sei etwas ganz Seltenes und nicht möglich ohne Unglückserlebnis; so lange m a n nämlich im Glück ist, will jeder als F r e u n d erscheinen; j a manche wollen nicht einmal denen trauen, die im Unglück mit uns ic aushalten: das sei nur T ä u s c h u n g und Verstellung um sich durch den Umgang mit Unglücklichen die Freundschaft zu sichern f ü r den Fall, daß sie wieder ins Glück kämen. 2. Man m u ß nun eine Argumentation nehmen, die uns einerseits die Ansichten darüber möglichst klar interpretiert und andererseits zuis gleich die Aporien lösen wird und die Widersprüche. Und dies wird 25 geschehen, wenn sich herausstellt, d a ß die gegensätzlichen Thesen nicht ohne Grund Geltung haben. Eine solche Argumentation wird sich nämlich am besten mit den E r f a h r u n g s t a t s a c h e n decken. Und letzten Endes halten sich die gegensätzlichen Thesen, wenn an dem Behaupteten einerseits Richtiges, andererseits Nicht-richtiges ist. so Eine Aporie ist aber auch durch die Frage gegeben, ob das Lustvolle 2u oder das Gute Motiv der F r e u n d s c h a f t sei. Wenn wir nämlich das lieben was wir b e g e h r e n - und es ist vor allem der Eros von solcher Art, denn „es liebt nicht w a h r h a f t , wer nicht immer liebt", 35 und wenn die Begierde auf das Lustvolle gerichtet ist, so ist auf diese Weise das Lustvolle das Motiv der F r e u n d s c h a f t ; wenn wir dagegen (lieben), was wir f ü r uns w ü n s c h e n , dann (ist) das Gute (Motiv). „ L u s t v o l l " u n d „ g u t " sind ober zwei verschiedene Dinge.
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Uber dies und die anderen verwandten Fragen muß man zu klaren Bestimmungen zu kommen versuchen, indem man folgendes als Alis- -:> gangspunkt nimmt: Objekt des Strebens und des Wünschens ist entweder das Gute oder was uns als solches erscheint. Daher ist auch das > Lustvolle ein Objekt des Strebens, denn es erscheint uns als Gut. Die einen nämlich haben die feste Ü b e r z e u g u n g (es sei so), 'während es sich den anderen (wenigstens so) v o r s t e l l t , auch wenn ihnen dies nicht Überzeugung ist. „Vorstellung" und „ U b e r z e u g u n g " finden sich nämlich nicht im gleichen Teil der Seele. Daß (uns) indes sowohl das 10 Gute wie das Lustvolle lieb sind, ist klar. :io Nach dieser Begriffserklärung wollen wir einen anderen Satz zugrundelegen. Von den Gütern sind die einen Güter schlechthin, die anderen nur f ü r bestimmte Menschen, nicht schlechthin. Und dieselben Dinge sind Güter schlechthin und sind lustvoll schlechthin. Was nämir. lieh dem gesunden Körper zuträglich ist, von dem sagen wir, es sei f ü r den Körper schlechthin „ g u t " — nicht aber von dem was dem kranken Körper (zuträglich ist), wie zum Beispiel Medizinen und Operationen. 3s Entsprechend ist auch schlechthin lustvoll f ü r den K ö r p e r nur das was dem gesunden und in allen Gliedern volltaugenden K ö r p e r angenehm 20 ist, zum Beispiel das Sehen im Hellen und nicht das im Dunkeln, obwohl es f ü r den Augenleidenden umgekehrt ist. Und nicht d e r Wein ist angenehmer, der einem Säufer mit seiner vom Trunk verdorbenen Zunge so vorkommt — die gießen j a Essig dazu —, sondern der welcher es f ü r ein | unverdorbenes Sinnesorgan ist. Entsprechendes gilt aber I i « * 25 auch von der Seele. Und nicht das ist angenehm was es f ü r Kinder und Tiere ist, sondern das was dem gestandenen Alter (angenehm ist). Gewiß geht uns beides durch den K o p f , aber unsere Wahl gilt letzterem. Wie sich aber Kinder und Tiere zum gestandenen Mann verhalten, so verhält sich der Schlechte und Uneinsichtige zum wertvollen und ein- s so sichtigen Menschen. Diesen letzteren aber ist das lustvoll, was ihren Grundverhaltensweisen entspricht und das ist das Gute und das (sittlich) Schöne. Da also „ g u t " mehrere Bedeutungen hat, denn wir nennen das eine „ g u t " , weil es diese Qualität wesenhaft hat, das andere, weil es nützlich 3s und brauchbar ist, und da das Lustvolle einerseits, als Lustvoiles schlechthin, auch gut schlechthin ist, andererseits aber, als f ü r bestimmte Menschen (Lustvolles), ebenfalls ein Gut ist, nämlich ein 10 als Gut Erscheinendes, (so gilt): wie es uns bei den unbelebten Wesenheiten möglich ist, aus jedem der genannten Motive heraus etwas aus-
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zuwählen und zu lieben, so können wir es beim Menschen. Denn mit dem einen befreunden wir uns, weil er von solcher Art ist, das heißt wegen der Tugend; mit dem anderen, weil ei nützlich und brauchbar ist, und mit einem dritten, weil er angenehm ist, also um der Lust willen. Freund aber wird er bekanntlich erst dann, wenn er die empfangene Zuneigung erwidert und wenn dies den Partnern nicht aus irgendeinem Grund unbekannt bleibt. So muß es denn drei Arten von Freundschaft geben und die Begriffe dafür sind nicht lauter Synonyma, und sie meinen nicht Arten ein und derselben Gattung, noch besteht unter ihnen bloße Namensgleichheit. Denn die (drei) Arten werden benannt auf e i n e bestimmte Freundschaft hin, welche die „ e r s t e " ist. Das ist wie bei dem Gebrauch des Wortes „medizinisch". Denn von der Seele sagen wir, sie habe eine medizinische Funktion und vom Körper und vom Werkzeug und vom Werk, aber im eigentlichen Sinn meinen wir das Erste. Erstes aber ist das wovon uns eine Definition zu Gebote steht. So ist ein medizinisches Werkzeug eines das der Mediziner gebrauchen würde, während in der Definition des Mediziners nicht die des Werkzeugs enthalten ist. Durchweg also sucht man nach dem „ E r s t e n " . Weil nun aber das Allgemeine ein „ E r s t e s " ist, fassen sie auch das „ E r s t e " als allgemein. Das aber ist ein Irrtum. Dieser hat zur Folge, daß sie auch bei der Freundschaft nicht alle Erfahrungstatsachen interpretieren können. Denn da e i n e Definition nicht auf (diese alle) paßt, meinen sie, die anderen Formen seien keine Freundschaften. Und doch sind sie es, nur nicht in derselben Weise. Sie aber behaupten, sobald sie finden, daß die „ e r s t e " Freundschaft (irgendwo) nicht paßt — nach ihrer Annahme müßte sie j a , da „ e r s t e " , auch allgemein sein — die anderen Formen seien gar keine Freundschaften. In Wirklichkeit aber gibt es viele Arten von Freundschaften. In dem (oben) Dargelegten waren j a (einige) enthalten, da wir einen dreifachen Gebrauch des Wortes Freundschaft unterschieden hatten. Die eine nämlich, so unterschieden wir, beruhe auf der Tugend, die andere auf dem Nutzen, die dritte auf der Lust. Von diesen ist die um des Nutzens willen die Freundschaft der Meisten, denn sie befreunden sich, weil sie sich brauchen können und bis dahin (geht die Beziehung), wie das Sprichwort s a g t : „Glaukos, im Feld ist dein Helfer nur so lang Freund a.s er k ä m p f t " und
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Kapitel 2
„Niehl
mehr
kennen
die Männer
Athens
die
megarischen
Freunde" Dagegen ist die auf L u s t beruhende F r e u n d s c h a f t die der jungen Leute, denn darauf sind ihre Sinne gerichtet — weshalb J u g e n d f r e u n d *> schaft wandelbare F r e u n d s c h a f t ist, da die mit den J a h r e n eintretenden charakterlichen Veränderungen auch Veränderung | des Lustvollen üim» mit sich bringen. Die auf der Tugend beruhende F r e u n d s c h a f t aber ist die der Besten. Daraus ist klar, daß die „ e r s t e " F r e u n d s c h a f t die der Guten i s t ; sie io ist gegenseitiger Austausch von Freundesneigung und Güterwahl. Denn lieb ist das Geliebte dem Liebenden, freund aber das Geliebte und Wiederliebende. Diese F r e u n d s c h a f t nun gibt es nur unter Mensehen, denn nur er kann das Wollen (des anderen) wahrnehmen. Die übrigen Freundschaften dagegen gibt es auch bei den Tieren, und zwar is gibt es offenbar, in bescheidenem Ausmaß, Nützlichkeit sowohl im Verhältnis der zahmen Tiere zum Menschen als auch der Tiere untereinander, wie zum Beispiel Herodot von S t r a n d l ä u f e r und K r o k o d i l berichtet und wie die Zeichendeuter das Zusammensitzen und Aus- io einandersitzen (der Vögel) erklären. Auch die Schlechten können mit20 ejnander befreundet sein, sowohl um des Nutzens wie um der L u s t willen. J e n e (oben Genannten) aber behaupten, weil es sich bei diesen nicht um die „ e r s t e " F r e u n d s c h a f t handle, so seien sie gar nicht F r e u n d e ; denn der Schlechte werde dem Schlechten schaden, wo aber geschädigt wird, da gebe es keine Freundschaftsbeziehung. U n d doch 25 können diese Leute Freunde sein, nur nicht im Sinne der „ e r s t e n " is F r e u n d s c h a f t , während niemand sie hindert es im Sinne der (beiden) anderen zu sein. U m der L u s t willen halten sie nämlich beieinander aus trotz der (gegenseitigen) Schädigung, wie es die Leute tun, wenn sie unbeherrscht sind. Indes scheinen auch die um der L u s t willen sich 30 Befreundenden keine Freunde zu sein, sobald jene (oben Genannten) mit (ihrer) Akribie forschen, weil es nämlich nicht die „ e r s t e " Freundschaft ist. D i e nämlich ist beständig, die andere ist unbeständig. Und doch ist das, wie gesagt, F r e u n d s c h a f t , nur nicht die „ e r s t e " , sondern 20 eine von ihr abgeleitete. Unter F r e u n d s c h a f t also nur jene verstehen 35 heißt den Tatsachen Z w a n g antun und f ü h r t notwendig zu paradoxen Behauptungen. Daß aber alle Freundschaften unter e i n e Definition gehören ist unmöglich. Also bleibt nur folgende Feststellung: es gibt gewissermaßen nur e i n e F r e u n d s c h a f t , die „ e r s t e " , andererseits aber sind alle Spielarten F r e u n d s c h a f t , aber weder so daß nur Namens- >.-,
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Buch V I I
gleichheit und nur reiner Zufallszusammenhang unter ihnen bestünde, noch daß sie unter e i n e Gattung gehörten, sondern vielmehr (so daß sie) auf e i n e s hin (benannt werden). Nachdem aber das Prädikat „schlechthin gut jind schlechthin angenehm" für denselben Sachverhalt und zur gleichen Zeit zutrifft, falls kein Hindernis da ist, und nachdem der wahre Freund auch der „ e r s t e " schlechthin ist; da weiter ein wesenhaft Solcher der ist, der um seinetwillen, als er selbst, Objekt einer Wahl ist — von solcher Art aber muß er unbedingt sein, denn ebenso wie einer sich die Güter um seinetwillen wünscht, genau so ist es notwendig, daß man ihn auch als Person wählen kann —; und da der wahre Freund auch angenehm schlechthin ist, so gilt auch d e r Freund als angenehm, der aus irgendeinem Motiv heraus Freund ist. Ferner sollten aber hierüber noch genauere Bestimmungen gegeben werden. E s veranlaßt nämlich zum Nachdenken die Frage, ob dem Menschen das für ihn Gute oder das schlechthin Gute lieb ist und ob das aktuelle Freund-sein mit Lust verbunden ist, so daß auch das Objekt der Freundschaft lustvoll ist oder nicht. Beides nämlich (das Gute für ihn und das schlechthinnige) muß zusammengebracht werden; denn was nicht gut schlechthin ist, sondern j e nach Umständen schlecht, das muß man meiden, und was nicht gut ist für den einzelnen, das hat überhaupt nichts mit ihm zu tun. Sondern das ist es was gesucht wird: daß die schlechthinnigen Güter in dem genannten Sinn Güter seien. E s ist nämlich \ Objekt der Wahl das schlechthin Gute, für den einzelnen aber das für ihn Gute. Das muß zusammenstimmen. Und es ist die Tugend, die dieses (Zusammenstimmen) bewirkt. Und die Staatskunst ist zu dem Zwecke da, daß die Übereinstimmung da wo sie noch nicht vorhanden ist, entstehe. ( D a aber) . . . aber in wohlangelegter Weise . . . und förderlich . . . da er Mensch ist; von Natur nämlich ist für ihn das gut was schlechthin gut ist . . . entsprechend auch der Mann eher als die Frau, wohlgeraten eher als der Schlechtgeratene . . . der Weg aber vermittels des Lustvollen ist, so müssen notwendig die sittlich-schönen Dinge lustvoll sein. Stimmt dies (wertvoll und lustvoll) aber nicht zusammen, so ist noch nicht der endgültig treffliche Zustand erreicht, denn dann kann Unbeherrschtheit entstehen; durch das Nicht-übereinstimmen nämlich von gut und lustvoll bei den irrationalen Regungen ist Unbeherrschtheit da. D a also die „ e r s t e " Freundschaft auf der Tugend beruht, so werdeu auch die Freunde selbst schlechthin gut sein; dies aber nicht deshalb,
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•w eil sie nützlich sind, sondern auf andere Weise. Denn „ g u t f ü r den einzelnen" und ,, gut schlechthin" sind begrifflich getrennt. Und wie es beim Nützlichen ist, so auch bei den festen Verhaltensweisen; denn etwas anderes ist das schlechthin Nützliche (und das dem einzelnen Nützliche), wie das Körpertraining sich verhält z u m Arzneigebrauch. Und auch das Sittlich-schöne ist ein solches; folglich auch die Verhaltensweise, welche die Trefflichkeit des Menschen ist — wobei angenommen sei, daß der Mensch zu den von N a t u r hochwertigen Wesenheiten gehört: es ist nämlich die Trefflichkeit der von N a t u r hochwertigen Wesenheit ein schlechthinniges G u t , die der nicht(hochwertigen) dagegen ist n u r ein Gut f ü r jene Wesenheit. Und entsprechend also verhält es sich mit dem Lustvollen. Hier nämlich sind wir an dem P u n k t , wo m a n einhalten u n d zusehen m u ß , ob es F r e u n d s c h a f t gibt, bei der keine Lust ist, und wie sie sich (von den anderen) unterscheidet, und auf welcher Objektwahl n u n eigentlich das Freundschaft-schließen b e r u h t : ob (einer geliebt wird), weil er gut, wenn auch nicht lustbringend ist, oder nicht, sondern wegen des Lustvollen? Schließlich, da „lieben" einen zweifachen Sinn h a t : erweist sich die Freundschaft deshalb weil aktives Verwirklichen ein Gut ist, als etwas was „nicht ohne" Lust ist? Es ist aber eine klare E r f a h r u n g s t a t s a c h e : wie auf dem Gebiete des Wissens die eben erst vollzogenen Betrachtungen u n d Erkenntnisgewinne den größten Eindruck auf uns machen durch die Lust (die sie mit sich bringen), so geschieht es auch beim Wiedererkennen lieber u n d v e r t r a u t e r Menschen und in beiden Fällen ist die Begründung dieselbe. Von N a t u r jedenfalls ist das schlechthin Gute schlechthin lustvoll u n d ist das individuelle Gut für den einzelnen lustvoll. D a h e r h a t u n m i t t e l b a r Gleiches an Gleichem Freude und dem Menschen ist a m liebsten der Mensch. W e n n dies also schon vom unvollkommenen Wesen gilt, dann natürlich auch vom vollkommenen. Vollkommen aber ist der Hochwertige. Wenn aber aktives, mit L u s t verbundenes Freund-sein so viel ist wie das wechselseitige Wählen des Sich-einander-Erkennens, d a n n ist offenbar die „ e r s t e " F r e u n d s c h a f t ü b e r h a u p t das wechselseitige Wählen des schlechthin Guten und Lustvollen — w e i l es gut u n d lustvoll ist. U n d es ist diese Freundschaft das Grundverhalten aus dem sich die eben genannte Güterwahl ergibt. Denn ihr W e r k ist ein AmWerke-sein; das aber geschieht nicht außerhalb, sondern in dem Liebenden selbst, wogegen das Werk jedes W i r k - V e r m ö g e n s außerhalb ist: denn das Wirk-Vermögen ist entweder in einem anderen oder
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sofern dieses (in gewissen Fällen) ein a n d e r e s isl. D a h e r b e d e u t e t da> Lieben L u s t , n i c h t das G e l i e b t w e r d e n . D e n n das G e l i e b t w e r d e n ist S a c h e des O b j e k t s der Liebe, w ä h r e n d das A m - W e r k e - s e i n z u m Begriff der F r e u n d s c h a f t gehört. U n d letzteres ist (nur) b e i m B e l e b t e n möglich, iu ersteres a b e r a u c h b e i m U n b e l e b t e n : a u c h das U n b e l e b t e wird geliebt, -s N a c h d e m a b e r F r e u n d - s e i n im a k t i v e n Sinne so viel ist wie ein Gei237 h b r a u c h m a c h e n v o n d e m G e g e n s t a n d d e r Liebe insofern er d e r geliebte G e g e n s t a n d ist, u n d da der F r e u n d G e g e n s t a n d der Liebe ist f ü r d e n F r e u n d insoferne dieser der F r e u n d ist, n i c h t dagegen insofern er musikalische oder medizinische T a l e n t e h a t , so ist folglich die v o n 10 seiner P e r s o n , insofern er diese Person ist, a u s g e h e n d e L u s t die e c h t e F r e u n d s c h a f t s l u s t . D e n n e r als P e r s o n wird geliebt, n i c h t weil er d u r c h a n d e r e s (begehrenswert wäre). W e n n also einer n i c h t F r e u d e 5 ( a m F r e u n d e ) h a t , weil dieser g u t ist, so ist es n i c h t die „ e r s t e " F r e u n d s c h a f t . U n d es darf a u c h keine zufällige E i g e n s c h a f t (des F r e u n d e s ) so is stören, d a ß d a s G u t e (in i h m ) keine F r e u d e m e h r m a c h t . K e i n e s f a l l s ! H a t er einen sehr-üblen G e r u c h , so l ä ß t m a n ihn allein u n d b e g n ü g t sich m i t d e m Wohlwollen, lebt a b e r n i c h t ( m i t i h m ) z u s a m m e n . D a s also ist die „ e r s t e " F r e u n d s c h a f t , ü b e r die sich alle einig sind. Die a n d e r e n F o r m e n gelten einerseits ihretwegen als F r e u n d s c h a f t e n , -•« a n d e r e r s e i t s wird bezweifelt ( d a ß sie F r e u n d s c h a f t e n sind). D e n n 10 F r e u n d s c h a f t gilt als e t w a s B e s t ä n d i g e s , b e s t ä n d i g a b e r ist n u r sie, (die erste). W a s n ä m l i c h g e p r ü f t worden ist, ist b e s t ä n d i g , u n d w a s n i c h t ü b e r h a s t e t u n d n i c h t leichthin geschieht, m a c h t d a s U r t e i l richtig. O h n e V e r t r a u e n a b e r gibt es keine b e s t ä n d i g e F r e u n d s c h a f t ; 2.-> das V e r t r a u e n a b e r k o m m t n i c h t o h n e Zeit z u s t a n d e . D e n n m a n m u ß e r p r o b e n k ö n n e n , wie a u c h Theognis (125) s a g t : is
„ D e n n erst d a n n ist k l a r , wes Sinnes M a n n oder W e i b ist. W e n n d u sie ernstlich e r p r o b t , wie einen Ochsen im J o c h " .
U n d m a n wird a u c h n i c h t o h n e Zeit z u m F r e u n d ; j e d o c h sie m ö c h t e n 30 F r e u n d e sein u n d g e r a d e ein solcher Z u s t a n d wird u n v e r s e h e n s m i t F r e u n d s c h a f t verwechselt. W e n n n ä m l i c h alles in i h n e n b e r e i t ist zu F r e u n d s c h a f t , so m e i n e n sie, d a s sei n i c h t n u r ein b l o ß e r W u n s c h — i n d e m sie e i n a n d e r j a jeglichen F r e u n d s c h a f t s d i e n s t erweisen —, sondern 20 sie s e i e n (bereits) F r e u n d e . D a s ist a b e r a u c h bei der F r e u n d s c h a f t 35 n i c h t a n d e r s als in sonstigen F ä l l e n : n i c h t w e r gesund sein m ö c h t e , ist schon g e s u n d , u n d so ist m a n a u c h nicht schon F r e u n d , w e n n m a n F r e u n d sein m ö c h t e . E i n Beweis d a f ü r ist f o l g e n d e r : es ist leicht,
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Menschen, die sich unerprobt in dieser Illusion befinden, auseinander zu bringen, während sie in den Punkten, in denen sie sich gegenseitig 15 die Möglichkeit der Erprobung gegeben haben, nicht leicht auseinander zu bringen sind. Aber da wo die Erprobung fehlt, lassen sie sich •>" umstimmen, sobald der welcher an der Verfeindung Interesse hat, mit (angeblichen) Tatsachen aufwartet. Zugleich ist klar, daß diese (die erste) Freundschaft auch nicht unter Schlechten besteht. Denn der Schlechte und Bösgeartete ist mißtrauisch gegen alle, da er das Maß für die anderen von sich selbst nimmt. Daher 1» sind (übrigens) die Guten leichter zu täuschen — außer die Erfahrung 30 hat sie gelehrt zu mißtrauen. Und die Schlechten wählen lieber dir natürlichen Güter und keiner von ihnen liebt mehr den Menschen als die Sachen. Daher sind sie keine Freunde. Denn auf diese Weise kommt es nicht zu dem bekannten ,,Freundesgut gemeinsam G u t " : der Freund 15 wird zu den Sachen verw iesen, nicht die Sachen zum Freund. So gibt es also die „erste" Freundschaft nicht unter Vielen, da es 35 schwer ist, viele zu erproben; man müßte j a mit jedem einzelnen eine Lebensgemeinschaft beginnen. Auch darf man es bei der Wahl eines Freundes nicht ebenso machen wie wenn man sich ein Gewand aus20 sucht. Freilich gilt es allenthalben als Zeichen von Klugheit, wenn man zwischen zwei Dingen die Wahl hat, das Bessere zu wählen; und wenn man das Schlechtere lange in Gebrauch gehabt hat, das Bessere dagegen noch nicht, so ist (dennoch) das letztere zu wählen — und doch darf 1« man nicht anstatt des alten Freundes sich für einen (neuen) entscheiden. 23 von dem nicht bekannt ist, ob er besser ist. | Denn ein Freund ist nicht 123g« etwas was man ohne Erprobung und in Tagesfrist bekommt, sondern das braucht Zeit. Und so ist der „Scheffel Salz" sprichwörtlich geworden. Zugleich aber darf der Freund nicht nur gut schlechthin sein. m sondern er muß es auch f ü r d i c h sein, wenn der Freund wirklich Freund f ü r d i c h sein soll. Gut schlechthin nämlich ist er dadurch, daß > er gut ist; Freund aber ist er, indem er für einen anderen gut ist: schlechthin gut und schlechthin Freund aber ist er, wenn dieses beides im Einklang ist, so daß, was schlechthin gut ist, auch für einen anderen 35 ein solches Gut ist, oder, wenn jemand auch nicht schlechthin gut, wohl aber für einen anderen insofern gut ist als er nützlich ist. Vielen aber gleichzeitig Freund zu sein, das wird auch dadurch verhindert, daß Lieben etwas Aktives ist, denn es ist unmöglich gleich- 10 zeitig vielen gegenüber aktiv zu sein.
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Dadurch ist also klar geworden, daß die Behauptung richtig ist. wonach die Freundschaft zu den Dingen gehört, die beständig sind — so wie das Glück zu dem gehört was autark ist. Und mit Recht heißt es: „Natur allein steht fest, doch nicht des Gfeldes W e r t " . Viel besser aber wäre es zu sagen, daß die Tugend beständiger ist als die Natur. Und richtig ist es, daß es von der Zeit heißt, sie erweise den Freund und das Unglück (erweise es) eher als das Glück; denn da werde wahr, daß Freundesgut gemeinsames Gut ist, denn die Freunde allein sehen nicht nach den natürlichen Gütern und den natürlichen Übeln — um die es in Glück und Unglück geht —, sondern sie geben dem Menschen den Vorzug, nicht dem Besitz von Gütern oder dem Verschontbleiben von Übeln. Und das Unglück bringt an den Tag, wer nicht wesenhaft Freund ist, sondern ein Zufallsfreund wegen des Nutzens. Die Zeit aber bringt beide an den Tag. Denn auch der Nützliche ist nicht schnell zu erkennen, eher schon der Angenehme. Indes ist auch der schlechthin Angenehme nicht schnell zu entdecken; denn es ist j a beim Menschen ähnlich wie bei den Weinen und Speisen. D i e nämlich lassen das Angenehme (zunächst) schnell erkennen, auf die Dauer aber ist es unangenehm und kein süßer Genuß (mehr). Und entsprechend ist es beim Menschen. Denn man muß das schlechthin Angenehme nach dem Ende bestimmen und nach der Dauer. Dem könnten auch die Vielen zustimmen, die nicht ausschließlich (wie es sich gehörte) nach den Folgen urteilen, sondern wie sie etwa zu einem Trünke sagen: „wie köstlich!" Dieser ist nämlich, mit Rücksicht auf die Folgen betrachtet, nicht köstlich, aber deshalb, weil sie nicht in einem zu trinken (sagen sie so); aber sie gehen nach dem ersten Eindruck und der täuscht. „Erste" Freundschaft also, das heißt jene durch die die anderen Formen so heißen, ist die auf der Tugend und auf der der Tugend eigentümlichen Lust beruhende, wie früher gesagt. Die anderen Freundschaften aber entstehen auch bei Kindern und Tieren und bei den Schlechten. Daher der Satz „Gleiche J a h r e , gleiche Freuden" und „Es schmilzt in eins der Schlechte mit dem Schlechten durch die Lust". Es besteht (A) aber die Möglichkeit einerseits (1) daß die Schlechten einander angenehm sind, nicht (a) insoferne sie schlecht oder weder gut noch schlecht sind, sondern (b) zum Beispiel., weil beide Musiker sind;
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oder der eine hat Freude an der Musik und der andere i s t Musiker, und (c) sofern alle Menschen irgendeinen Wert (in sich) haben und sich auf diese Weise zueinander fügen. (2) Andererseits ferner können sie für einander brauchbar und nützlich sein, nicht schlechthin, aber zu | dem 1238 b beabsichtigten Zweck, oder insoferne sie weder gut noch schlecht sind. Es ist aber (B) auch möglich, daß der Gute dem Schlechten Freund wird; denn sie können nützlich sein für den konkreten Zweck, der Schlechte für den dem Guten gerade vorliegenden Zweck, der Gute aber einerseits einem Unbeherrschten für den gerade vorliegenden Zweck, andererseits einem Schlechten für ein Vorhaben wie es dessen Natur 3 entspricht. Und er wird dem Partner die Güter wünschen, in uneingeschränkter Weise die objektiven, die subjektiven dagegen nur in bedingter Weise, insofern sie in Armut oder Krankheit dienlich sind, das heißt, letztere Güter um der schlechthinnigen willen, wie zum Beispiel auch das Einnehmen einer Medizin; denn er wünscht (dem Partner) die Medizin nicht als diese, sondern nur zu dem bestimmten Zweck. Ferner können (Gut und Schlecht) auch auf jene Weise befreundet sein wie es die Nicht-Guten untereinander sind. E s könnte nämlich d e m V e r h ä l t n i s zwischen G e b i e t e r u n d G e h o r c h e n d e m . D e n n Geliebtw e r d e n , nicht L i e b e n s t e h t d e m G e b i e t e n d e n zu — oder ein L i e b e n auf in a n d e r e Weise. U n d was die L u s t b e t r i f f t , so ist a u c h d a n i c h t m i n d e r ein U n t e r s c h i e d zwischen d e r , die d e r A u t a r k e a n seinem Besitz oder (der V a t e r ) a n seinem S o h n e h a t u n d der des B e d ü r f t i g e n a n d e m w a s 10 ihm (vom B e s i t z e n d e n ) n o c h z u t e i l w e r d e n m a g . U n d e n t s p r e c h e n d ist es bei d e n e n , die wegen der B r a u c h b a r k e i t oder der L u s t F r e u n d e s i n d : sie sind es teils a u f der Basis d e r Gleichheit, teils a u f d e r d e r Ü b e r l e g e n h e i t , weshalb d e n n auch F r e u n d e , die a u f d e r e r s t e r e n zu stehen g l a u b e n , V o r w ü r f e m a c h e n , w e n n d e r N u t z e n i> a> oder die W o h l t a t (von Seiten des P a r t n e r s ) n i c h t gleich groß i s t ; u n d bei der L u s t ist es a u c h so. M a n sieht es d e u t l i c h in den B e z i e h u n g e n , die auf d e m E r o s b e r u h e n : dies ist j a der G r u n d , w a r u m sie so o f t s t r e i t e n ; d e n n d e r L i e b e n d e weiß n i c h t , d a ß bei d e r H i n g a b e - B e r e i t s c h a f t nicht f ü r beide derselbe M a ß s t a b gegeben ist. D a h e r h a t Ainikos -u ¿resagt, das sei „ D i e S p r a c h e des G e l i e b t e n , n i c h t des L i e b e n d e n " . Aber sie m e i n e n es gelte derselbe M a ß s t a b . i2:w«
4. | E s g i b t also, wie gesagt, drei A r t e n v o n F r e u n d s c h a f t : sie b e r u h e n auf d e r T u g e n d , auf d e m N u t z e n u n d auf d e r L u s t . U n d diese 2sind u n t e r g e t e i l t in j e zwei, j e n a c h d e m Gleichheit oder Ü b e r l e g e n h e i t v o r h a n d e n ist. Beides n u n sind F r e u n d s c h a f t e n , (echte) F r e u n d e a b e r "> sind n u r die, d e r e n Basis die Gleichheit ist. D e n n es w ä r e a b s u r d , w e n n ein M a n n eines K i n d e s F r e u n d sein sollte; i m m e r h i n a b e r liebt er u n d wird (wieder) geliebt. Bisweilen a b e r g e h ö r t es sich, d a ß der Ü b e r l e g e n e 3» geliebt w i r d ; falls er j e d o c h (wieder) liebt, m a c h t m a n i h m V o r w ü r f e m i t d e r B e g r ü n d u n g , er liebe einen d e r es nicht v e r d i e n t . D e n n Maßs t a b (des Liebens) ist die W ü r d i g k e i t der F r e u n d e u n d eine b e s t i m m t e io Gleichheit. Gleiche Liebe n u n v e r d i e n t der P a r t n e r teils d e s h a l b n i c h t , weil es a n der Gleichheit des Alters f e h l t , teils weil der a n d e r e d u r c h 3.i T u g e n d oder A b s t a m m u n g oder d u r c h sonst einen V o r z u g überlegen ist. D a ß a b e r der Überlegene I.iebe e n t w e d e r in geringerem G r a d e oder gar nicht b e k u n d e , ist in allen Fällen a n g e m e s s e n : auf d e r
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G r u n d l a g e des N u t z e n s und auf der d e r L u s t u n d auf der der Tugend. W e n n n u n die Überlegenheit, klein ist, e n t s t e h e n n a t u r g e m ä ß Differ e n z p u n k t e , d e n n das Kleine h a t u n t e r U m s t ä n d e n keine B e d e u t u n g , z u m Beispiel b e i m A b w ä g e n des Holzes, wohl aber b e i m Gold. A b e r w a s eigentlich klein ist, das b e u r t e i l e n die Menschen n i c h t richtig, d e n n der W e r t , d e n sie v o n sich aus zu b i e t e n h a b e n , k o m m t i h n e n groß v o r , d e r des P a r t n e r s dagegen wegen des A b s t a n d e s klein. W e n n a b e r die Ü b e r l e g e n h e i t (groß) ist, d a n n v e r l a n g e n die P a r t n e r schon selbst n i c h t , d a ß sie wiedergeliebt oder n a c h gleichem M a ß wiedergeliebt w e r d e n m ü ß t e n — das w ä r e so wie w e n n m a n es v o n der G o t t heit v e r l a n g t e . Somit ist k l a r , d a ß die Menschen F r e u n d e sind, w e n n sie auf der Basis der Gleichheit s t e h e n ; Gegenliebe a b e r k o m m t v o r o h n e d a ß ein (echtes) F r e u n d e s v e r h ä l t n i s b e s t e h t .
i2iin 7. | E s g e h ö r t a b e r zu u n s e r e r U n t e r s u c h u n g a u c h eine Reflexion ü b e r die E i n t r a c h t u n d das Wohlwollen. D e n einen n ä m l i c h gelten sie uls identisch, (mit d e r F r e u n d s c h a f t ) den a n d e r e n als u n e r l ä ß l i c h e Bed i n g u n g . E s ist a b e r d a s Wohlwollen w e d e r e t w a s ganz a n d e r e s als die F r e u n d s c h a f t n o c h ist es identisch m i t ihr. Die F r e u n d s c h a f t n ä m l i c h :o ist n a c h drei Weisen u n t e r s c h i e d e n , a b e r das Wohlwollen findet sich 3 w e d e r in der N u t z - noch in der L u s t f r e u n d s c h a f t . W e n n n ä m l i c h j e m a n d d e s h a l b , weil er es n ü t z l i c h findet, d e m a n d e r e n die G ü t e r w ü n s c h t , d a n n w ü n s c h t er sie i h m n i c h t u m dessen Person willen, s o n d e r n aus E i g e n s u c h t . E s gilt a b e r , so wie (die F r e u n d s c h a f t ) , a u c h das Wohl- 23 wollen n i c h t als W o h l w o l l e n f ü r die P e r s o n des W o h l w o l l e n d e n selbst, sondern f ü r die Person des a n d e r e n , dem m a n es s c h e n k t . W e n n sich das Wohlwollen a b e r in der F r e u n d s c h a f t z u m L u s t v o l l e n f ä n d e , d a n n e m p f ä n d e m a n Wohlwollen a u c h f ü r das U n b e l e b t e . S o m i t ist k l a r , 10 d a ß das Wohlwollen in den Bereich der ethischen F r e u n d s c h a f t ge- 3« h ö r t . A b e r w ä h r e n d der Wohlwollende (das G u t e ) n u r zu w ü n s c h e n h a t , ist es Sache des F r e u n d e s , d e n W u n s c h a u c h zur T a t w e r d e n zu lassen. D a s Wohlwollen ist n ä m l i c h der A n f a n g der F r e u n d s c h a f t ; d e n n j e d e r F r e u n d ist wohlwollend, a b e r nicht j e d e r Wohlwollende ist F r e u n d . D e r Wohlwollende gleicht lediglich einem M a n n e der a n f ä n g t , 3.1 weshalb das Wohlwollen d e r A n f a n g d e r F r e u n d s c h a f t ist, aber n i c h t 15 die F r e u n d s c h a f t (selbst). (Der F r e u n d s c h a f t n a h e s t e h t die E i n t r a c h t ; ) d e n n F r e u n d e scheinen e i n t r ä c h t i g u n d die E i n t r ä c h t i g e n F r e u n d e zu sein. A b e r n i c h t alles
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umfaßt die zur Freundschaft gehörige Eintracht, sondern das H a n d e l n der Einträchtigen und was auf das Zusammenleben Bezug h a t . noch (besteht Eintracht) nur im Denken oder nur im Streben; denn es kommt vor, daß das Begehrende Gegensätzliches bewegt, wie es 5 zum Beispiel beim Unbeherrschten diesen Zwiespalt gibt; man muß 20 vielmehr im bewußten Wählen u n d im Begehren einträchtig sein. Es sind aber die Guten, bei denen sich Eintracht findet, während die Schlechten, wenn sie sich für dasselbe entscheiden und dasselbe begehren, einander schaden. 10 Es scheint aber auch der Begriff „Eintracht" nicht nur e i n e Bedeutung zu haben, so wenig wie der der Freundschaft. Sondern es gibt eine, die die „erste" ist und von Natur hochwertig, weshalb Eintracht 2.; unter den Schlechten nicht möglich ist. Davon verschieden ist jene, nach der auch die Schlechten einträchtig sind, wenn ihre Entscheidung 15 und ihre Begierde dasselbe Objekt haben. Ihr Streben nach „demselben" muß aber so beschaffen sein; daß es beiden Teilen möglich ist, das Erstrebte (auch) zu b e s i t z e n . Wenn nämlich das erstrebte Objekt so ist, daß sie es nicht beide haben können, werden sie sich bekämpfen. Die (echten) Einträchtigen aber werden sich nicht bekämpfen. Ein- 30 20 tracht ist aber dann verwirklicht, wenn bezüglich des Herrschens und Beherrschtwerdens dieselbe Entscheidung gefällt ist, daß nämlich nicht zwei Partner in Frage kommen, sondern nur ein und derselbe: Eintracht ist Freundschaft unter Bürgern. Über Eintracht nun und Wohlwollen mag so viel gesagt sein. 25 8. Es ist aber eine Aporie, warum der Spender einer Wohltat den 35 Empfänger mehr liebt als der Empfänger den Spender. Richtig scheint doch das Gegenteil zu sein. Nun, man könnte annehmen, daß es so ist wegen des Nutzens und wegen des für i h n (noch ausstehenden) Vorteils; denn dem einen wird geschuldet, der andere hat zurückzugeben. 30 Aber es ist nicht nur dies, sondern es liegt etwas Natürliches zugrunde. 40 Denn das Am-Werke-sein ist wählenswerter. | Aber von „ W e r k " und 1241 b „Am-Werk-sein" gilt das gleiche: der Empfänger der Wohltat ist gleichsam das Werk des Spenders der Wohltat. Daher ist auch bei den Tieren der Eifer um die J u n g e n : sie zu zeugen und, gezeugt, zu 35 schützen. Und so ist in der Tat die Liebe der Väter zu ihren Kindern größer — und die der Mütter ist noch größer als die der Väter — als die der Kinder zu ihnen. Und die Kinder wieder haben größere Liebe zu ihren eigenen Kindern als zu den Eltern, weil das Aktive der größte Wert ist. Und die Liebe der Mütter ist größer als die der Väter, weil
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Burli VII
sie überzeugt sind, daß die Kinder mehr i h r Werk sind. Denn Maßstab für das Werk ist dessen Schwere; den größeren Anteil aber an Beschwernis haben, bei der Geburt, die Mütter. Uber die Freundschaft zu sich selbst und die unter mehreren mögen also auf diese Weise Bestimmungen getroffen sein. 9. E s gilt aber, daß, so wie das Recht Gleichheit ist, auch die Freundschaft auf Gleichrangigkeit beruht, falls es nicht grundlos heißt „Gleicher Rang — Freundesrang". Nun stellen aber die Polisverfassungen alle eine bestimmte Gestalt des Rechtes dar — denn (jede ist eine) Gemeinschaft, und alles Gemeinsame ist durch das Recht konsolidiert. Folglich gilt: wie viele Arten von Freundschaft, so viel Arten von Recht und Gemeinschaft, und all das grenzt aneinander und die jeweiligen Unterschiede stehen sich nahe. Da aber die gleiche Beziehung besteht zwischen Seele und Leib, Handwerker und Werkzeug, Herr und Sklave, so besteht zwischen diesen nicht Gemeinschaft. Denn sie sind nicht zwei Wesenheiten, sondern die eine Gruppe ist j e Eines, die andere dagegen ist j e in Abhängigkeit von dem Einen. Auch läßt sich nicht jedem von beiden sein Wert j e getrennt zuweisen, sondern beider Wert ist der des Einen, um dessentwillen (der andere) da ist. Der Leib nämlich ist das (mit der Seele) zusammengewachsene Werkzeug und der Sklave gehört zum Herrn wie ein Teil und ein abtrennbares Werkzeug, wobei das Werkzeug als unbelebter Sklave gelten darf. Die übrigen Gemeinschaften aber sind Teile der Gemeinschaften in der Polis, zum Beispiel die der Phratrien oder der Orgeonen oder die geschäftlichen Vereinigungen. Alle Verfassungsformen aber finden sich vereint im Familienverband, die echten wie die Entartungen — es ist nämlich bei den Verfassungsformen genauso wie bei den Harmonieformen —: Königsherrschaft ist die des Familienvaters, aristokratische Verfassung ist das Verhältnis von Mann und Frau, Politie ist das Verhältnis der Brüder. Entartungen davon sind Tyrannis, Oligarchie und Demokratie. Und so groß ist auch die Zahl der Rechtsformen. Nachdem sich aber das Gleiche unterscheidet nach dem quantitativ und dem proportional Gleichen, werden auch (entsprechende) Arten des Rechts (zu unterscheiden) sein und der Freundschaft und der Gemeinschaft. Auf quantitativer Gleichheit beruht die Gemeinschaft der Politie und die Kameradenfreundschaft, denn da wird mit demselben Maß gemessen; auf proportionaler Gleichheit beruht die Aristokratie, und zwar deren beste Form, und die Königsherrschaft, denn
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nicht das (arithmetisch) Gleiche steht als Recht dem Überragenden und dem Überragten zu, sondern das proportionale. Und Entsprechendes gilt von dem Verhältnis Vater-Sohn und in den Vereinigungen (unter Bürgern) ist dieselbe Weise. m 3 10. \ Man spricht aber von Freundschaft der Verwandten, der i2t^a K a m e r a d e n und der Genossen, der sogenannten Bürgerfreundschaft. Bei der verwandtschaftlichen ist es so, d a ß sie viele U n t e r a r t e n h a t — die eine ist so wie bei Brüdern, die andere wie bei Vater und Söhnen denn teils b e r u h t sie auf proportionaler Gleichheit, teils auf quantiio tativer, wie die der Brüder, welche j a der K a m e r a d e n f r e u n d s c h a f t s nahesteht, denn auch da bekommen sie E h r u n g e n . Bei der E n t s t e h u n g der Bürgerfreundschaft ist zumeist der Nutzen maßgebend, denn m a n ist der Ansicht, daß sich die Menschen zusammengeschlossen haben, weil sie nicht autark waren — obwohl sie sich immerhin wohl auch zum Zwecke gemeinschaftlichen Lebens zusammengeschlossen hätten. Aber nur die Gemeinschaft der Politie und die ihr entsprechende E n t a r t u n g — da gibt es nicht n u r Freundschaften, sondern die Bürger i haben (da) auch Gemeinschaft wie F r e u n d e ; die anderen dagegen beruhen auf Überlegenheit (des einen Teils), -'o Recht im vorzüglichsten Sinn aber ist das in der F r e u n d s c h a f t der Nützlichen, denn das ist Polisrecht. D e n n von anderer A r t ist d a s Beieinander von Säge und H a n d w e r k : sie gehören nicht zusammen um eines gemeinsamen Zweckes willen — ihre Beziehung ist j a wie die von Seele und Werkzeug — sondern um des Benützenden willen, is 25 Natürlich b e k o m m t auch das Werkzeug seine Pflege, die zu bekommen sein „ R e c h t " ist, nämlich f ü r sein Werk; denn u m des Werkes willen ist es da., Auch „Bohrer-sein" bedeutet zweierlei und davon ist das Am-Werke-sein das Eigentlichere, nämlich das Bohren. U n d zu dieser Art gehören auch Leib und Sklave, wie f r ü h e r gesagt. 30 Wenn m a n also sucht, auf welche Weise m a n mit dem Freund Gemeinschaft pflegen soll, so ist das ein Suchen nach einem bestimmten 20 Rechtsverhältnis. Denn ü b e r h a u p t ist j a alles Recht auf einen F r e u n d bezogen. Denn Recht ist Recht f ü r bestimmte Personen, die P a r t n e r sind, und der Freund ist ein P a r t n e r ; der eine teilt mit uns die Ab35 s t a m m u n g , dei andere die Lebensführung. Denn der Mensch ist rricht nur ein für die Polisgemeinschaft, sondern auch ein f ü r die Hausgemeinschaft bestimmtes Wesen, und es ist bei ihm nicht so wie bei den Tieren, daß er sich bald mit irgendeinem weiblichen oder männlichen Wesen 33 p a a r t , bald aber f ü r sich als Einsiedler lebt, sondern der Mensch ist
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ein Wesen, das zur Gemeinschaft mit denen bestimmt ist, an die ihn die N a t u r durch Verwandtschaft gebunden hat. Und so gäbe es denn Gemeinschaft und ein bestimmtes Recht, auch wenn keine Polis existierte. Hausgemeinschaft aber ist eine Form von Freundesgemeinschaft. Was nun die Beziehung von Herr und ¿ k l a v e angeht, so ist sie wie die zwischen Handwerk und Werkzeug, Seele und Leib. Diese s® Beziehungen sind aber weder Freundschaften noch Formen der Gerechtigkeit, sondern etwas (der Gerechtigkeit) Analoges, wie auch das Heilsame nicht das Gerechte ist, sondern etwas Analoges. Die Beziehung aber von Mann und Frau ist Freundschaft und Gemeinschaft, 10 weil sie (einander) nützlich sind. Und die Beziehung von Vater und Sohn ist dieselbe wie die der Gottheit zum Menschen und die des Wohltäters zum E m p f ä n g e r und überhaupt die des von Natur Gebietenden 35 zu dem von Natur Gehorchenden. Die gegenseitige Beziehung aber zwischen Brüdern hat sehr stark den Charakter der Kameraden- is freundschaft, der auf Gleichrangigkeit beruhenden Freundschaft. „ N i e könnt' er als B a s t a r d mich höhnen im V o l k ; Als Vater f ü r uns hat es ¿inen genannt: Nur Zeus, meinen H e r r n " . 40 Dies zitiert man als Beweis, daß (Brüder) den gleichen R a n g bean- ui> 1242b spruchen. I n der Hausgemeinschaft also | (werden) zuerst die A n f ä n g e und Quellen von Freundschaft, Polisordnung und Recht (sichtbar).
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Da es aber drei Arten von Freundschaft gibt, die auf der Tugend, die auf dem Nutzen und die auf der Lust beruhende, und jede davon zwei Unterarten hat — j e nachdem jede einzelne Spielart auf Über- 25 legenheit oder auf Gleichrangigkeit beruht; und da das Recht innerhalb dieser Arten dann klar ist, wenn die Auseinandersetzungen (darüber) stattgefunden haben (so gilt folgendes): in der auf Überlegenheit beruhenden Freundschaft wird das Proportionale beansprucht, aber nicht in derselben Weise (von beiden Partnern), sondern der Überlegene 30 beansprucht es in gegenzüglicher Weise: wie er sich zu dem geringeren Partner verhalte, so müsse sich der Beitrag des Geringeren zu dem verhalten, was von seiner (des Überlegenen) Seite geschehe, wobei des letzteren Haltung die des Herrschers zum Beherrschten ist. Wenn aber diese Form (des Ausgleiches) nicht zustandekommt, so beansprucht is er wenigstens das quantitativ Gleiche. Und in der Tat geschieht es so auch in den anderen Gemeinschaften: in manchen Fällen bekommen sie das quantitativ Gleiche, in anderen das proportional Gleiche. Wenn
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Dämlich die Partner zahlenmäßig gleiche Geldsummen eingebracht haben, so nehmen sie sich bei der Verteilung zahlenmäßig Gleiches; waren die Einbringungen ungleich, (so teilen sie) proportional. Der Unterlegene aber gibt der Proportion eine entgegengesetzte Wendung s und stellt eine Verbindung übers Kreuz her. Auf diese Weise aber, so scheint es, kommt der Überlegene zu kurz und Freundschaft und Gemeinschaft werden zur offiziellen Pflichtleistung. Man muß also die Gleichheit durch etwas anderes herstellen und Proportion schaffen. Das aber ist die E h r e , also das was dem von Natur zum Herrschen Bestimmio ten — und der Gottheit — im Verhältnis zum Beherrschten zukommt. E s ist aber der Gewinn, der mit der E h r e ausgeglichen werden muß. Die auf quantitativer Gleichheit beruhende Freundschaft ist die Bürgerfreundschaft und die Bürgerfreundschaft beruht auf dem Nutzen. Und wie die Polisgemeinden (aus diesem Grunde) miteinander befreunis det sind, so auch die Bürger. Und wie es heißt „ N i c h t mehr kennt die Gemeinde Athen die megarische P o l i s " , so ist es auch bei den Bürgern, wenn sie einander nicht (mehr) nützlich sind, ihre Freundschaft vielmehr (auf dem Stande angelangt) ist des „ a u s der Hand in die H a n d " . Und das Verhältnis „herrschend20 beherrscht" besteht da (in der Nutzfreundschaft) nicht als ein naturgegebenes noch ist es so wie im Königtum, sondern es gilt das Prinzip des Wechsels, und der Herrschende hat nicht als Ziel wohltätig zu sein nach den Maßen der Gottheit, sondern daß ein Gleiches sei an Gewinn und Leistung. E s ist also die Basis der Gleichheit, auf der die 25 Bürgerschaft grundsätzlich stehen will. Die Nutzfreundschaft hat aber zwei Unterarten, die Vertragsfreundschaft und die ethische. Die Bürgerfreundschaft nun schaut auf die Gleichheit und auf die Sache, wie Verkäufer und K ä u f e r . Daher heißt es („man gebe) 30
Lohn wie vereinbart dem F r e u n d " .
Wenn also die (Nutz)freundschaft auf einem Übereinkommen beruht, dann ist sie Bürgerfreundschaft und zwar Vertragsfreundschaft. Stellt man aber (die Gegenleistung) vertrauensvoll dem Partner anheim, dann will das Verhältnis grundsätzlich ethisch sein und eine K a m e r a 35 denfreundschaft. Darum ist in dieser Freundschaft am meisten Veranlassung zu Vorwurf. Und der Grund ist, daß sie dem Natürlichen widerspricht. Denn Nutz- und Tugendfreundschaft sind zwei verschiedene
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to Dinge. Die (genannten) Partner aber .wollen beides zusammen haben: 3« ihre Gemeinschaftlichkeit hat als Zweck den Nutzen, | aber sie geben ihr die F o r m einer ethischen Freundschaft, im Stil der Guten. D a also Vertrauen die Grundlage ist, machen sie keine vertragliche Sicherung. Überhaupt nämlich gibt es, innerhalb der drei Formen, in der Nutzfreundschaft am meisten Vorwürfe — denn wo Tugend ist, da gibt es keinen Vorwurf, und in der Lustfreundschaft trennt man sich, nachdem jeder seinen Teil gegeben und erhalten h a t ; in der Nutzfreunds schaft aber löst man sich nicht sofort voneinander, wenn die Beziehung nicht vertraglich geregelt und kameradschaftlich ist —; dennoch aber gibt es in der durch Vertrag geregelten Nutzfreundschaft keinen Anlaß zu Vorwurf. Die vertraglich geregelte Auflösung richtet sich nach dem Geld, indem dieses j a das Maß f ü r das Gleiche ist; die Auflösung der ethischen Freundschaft aber beruht auf Freiwilligkeit. Daher gibt es mancherorts ein Gesetz f ü r solche die auf diese Weise freundschaftlich vergesellschaftet sind, nach welchem bei freiwilligen Geschäftsabio machungen keine Bereinigung durch Prozeß zugelassen ist — und das ist eine richtige Bestimmung. Denn im Wesen des Guten liegt es, daß es fiir ihn kein Recht (durch Prozeß) gibt, und in diesem Fall gehen die Partner ihre Abmachung auf Grund von Tugend und Vertrauen ein. Bei dieser Freundschaft aber wechselt bei den Freunden der Standpunkt f ü r die Vorwürfe, auf beiden Seiten, in welcher Richtung nämlich jeder der beiden Partner seine Stimme erheben will, wo sie doch auf Grund ethischer Freundschaft Vertrauen gefaßt haben und nicht auf Grund vertraglicher Abmachung. Und es ist in der T a t eine Aporie, auf welche von zwei Arten beis stimmt werden soll, was Recht ist: ob man auf die geleistete Sache schauen, also nach dem Wieviel fragen soll — oder nach der A r t des Wertes f ü r den E m p f ä n g e r . E s kann j a sein wie Theognis sagt: „ K l e i n ist die Sache f ü r dich; groß ist sie, Göttin, f ü r m i c h " ; es kann aber auch das Gegenteil der F a l l sein, daß, wie es in der be20 kannten Geschichte heißt, „dieses f ü r dich ein Spiel, f ü r mich aber den Tod bedeutet". Daher, haben wir gesagt, kommen die Vorwürfe. Der Partner A nämlich beansprucht eine (große) Gegenleistung, da s e i n e Leistung groß gewesen sei, sofern sie auf die Bitte von B hin geschehen sei, oder mit einer anderen Begründung dieser A r t , indem er betont, wieviel (seine Hilfe) zum Nutzen von B vermocht habe — während kein Wort darüber fällt, was sie f ü r ihn selbst (A) bedeutet
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habe (nämlich weiiig). Der P a r t n e r B dagegen b e t o n t , wie hoch ( = wie billig) die Gabe dem Geber (A) zu stehen gekommen sei, dagegen nicht, wie groß ihr Wert f ü r den E m p f ä n g e r (B) selbst gewesen war. Ein andermal aber (spricht B) auch vom reinen S t a n d p u n k t des E m p f a n - 2"> "> genden aus und es wechselt der S t a n d p u n k t . B nämlich sagt, wie wenig doch f ü r ihn herausgekommen sei, während A betont, wie entscheidend seine Hilfe f ü r B gewesen sei. Wenn einer zum Beispiel u n t e r persönlicher Gefahr einen Nutzen von einer Drachme gebracht h a t , so betont A die Größe der Gefahr, B die „ G r ö ß e " des Geldbetrags, wie die io Leute es bei der Rückzahlung von Geldbeträgen machen. Denn auch da geht es um diesen P u n k t : der eine betont, w i e es damals war, der 30 andere, wie es j e t z t ist — außer sie haben eine vertragliche Absprache getroffen. Die Bürgerfreundschaft also schaut auf das Übereinkommen und 13 die Sache, die ethische auf die Intention. Darin verkörpert sich somit ein höherer Grad von Gerechtem, das ist Freundschaftsgerechtigkeit. Die Ursache des Streitens aber liegt darin, d a ß die ethische Freund- 35 schaft ein Schöneres, N u t z f r e u n d s c h a f t aber notwendiger ist. Sie fangen aber die Freundschaft an wie die ethischen Freunde und als wäre 2« Tugend der Beweggrund. Wenn aber Egoistisches in die Quere k o m m t , d a n n wird offenbar, daß sie anderen Sinnes gewesen waren. F ü r die Vielen nämlich ist das Streben nach dem Schönen n u r ein L u x u s ; daher auch | das nach der schöneren F r e u n d s c h a f t . So ist also klar, iä«b wie in diesen Dingen zu unterscheiden i s t : sind sie T u g e n d f r e u n d e , so 25 muß m a n auf die I n t e n t i o n schauen, ob sie (bei beiden) die gleiche ist, und weitere Ansprüche darf keiner an den anderen stellen. H a b e n sie sich abef im Sinne der Nutz- oder Bürgerfreundschaft b e f r e u n d e t , so muß m a n zusehen, wie auf Grund von Ubereinkommen ein Vorteil (für sie) herauskommen könnte. Wenn aber der eine b e h a u p t e t , sie s so seien in diesem, der andere, sie seien in jenem Sinne freund, so ist es nicht richtig, in dem einen Fall, wo Gegenleistung fällig ist, von der (anderen), der schönen Freundschaft daherzureden; und f ü r den anderen Fall gilt das Entsprechende. Sondern, nachdem sie keine Absprache getroffen haben, daß wie bei der ethischen F r e u n d s c h a f t v e r f a h r e n werden solle, m u ß ein Schiedsrichter her und kein P a r t n e r darf den andern durch schauspielerische Tricks täuschen. Und so m u ß es der P a r t n e r zufrieden sein, wie er eben dabei wegkommt. D a ß es aber in der ethischen Freundschaft auf die I n t e n t i o n a n k o m m t , ist klar, denn io selbst wenn ein P a r t n e r große Hilfe erfahren h ä t t e , aber aus Unver-
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mögen keine (entsprechende) Gegenleistung bieten konnte, sondern nur eben so wie er's vermochte, so ist die Sache in Ordnung: auch die Gottheit begnügt sich j a damit, von uns Opfer zu erhalten so gut wir es eben können. Einem Geschäftsmann freilich wi*d es nicht ausreichen, wenn der K ä u f e r sagt, mehr könne er nicht zahlen. Auch einem Geldverleiher nicht. Viele Anlässe zu Vorwurf gibt es innerhalb der Freundschaften für jene Partner, deren Interessen nicht auf gerader Linie liegen, und das Recht in den Blick zu bekommen ist nicht leicht; denn es ist schwer mit diesem e i n e n Maß das zu messen, was nicht in gerader Linie liegt, wie zum Beispiel die Interessen bei erotischen Verhältnissen. Denn der eine sucht seinen Partner als den Lustbringer, weil er mit ihm leben will, der letztere aber bisweilen den Liebhaber weil er nützlich ist. Hat aber die Leidenschaft aufgehört, so ändert sich mit dem einen auch der andere und dann berechnen sie das quid pro quo. Und (sie entzweien sich) wie Python und Pammenes sich entzweit haben, und wie es im allgemeinen Lehrer und Schüler tun, da sich Wissen und Geld nicht mit e i n e m Maß messen lassen. Und so bekam Herodikos, der Arzt, Differenzen mit dem Patienten der nur wenig zahlen wollte. Und so der Kitharasänger und der König; dem ging es nämlich bei diesem Verhältnis um die Lust, dem Künstler aber um das Geld. Als aber der König zahlen sollte, da nahm er für sich den Part des Lustbringers in Anspruch und behauptete: wie jener durch seinen Gesang erfreut habe, so habe auch er Freude gemacht indem er Hoffnung (auf Lohn) erweckte. Indes ist auch hier ganz klar, wie zu entscheiden ist: einheitlich muß auch hier gemessen werden, aber nicht mit ein und derselben Maßeinheit, sondern mit dem Verhältnisgleichen. Proportional nämlich muß gemessen werden, so wie auch die Bürgergemeinschaften gemessen werden. Denn wie soll Gemeinschaft entstehen zwischen Bauer und Schuster, wenn es nicht gelingen will, die Leistungen der beiden proportional auszugleichen? Da aber wo keine geradlinige Beziehung besteht, ist das Proportionale das Maß. Zum Beispiel, wenn einer bei einer Beschwerde erklärt, er habe Wissen gegeben, und der andere sagt, er habe jenem Geld dafür gegeben, (so ist proportional) das Wissen im Verhältnis zum Reichen zu messen und (ist zu messen) was in Richtung auf das eine wie auf das andere gegeben worden ist. H a i nämlich der eine die Hälfte des Minderwertigeren gegeben, der andere aber nicht einmal einen kleinen Teil des Wertvolleren, so hat offenbar der letztere das Recht verletzt. E s ist aber auch hier von vornherein
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A n l a ß zu S t r e i t , w e n n der eine b e h a u p t e t , sie h ä t t e n sich aus N ü t z l i c h k e i t s e r w ä g u n g e n z u s a m m e n g e s c h l o s s e n , der a n d e r e dies a b e r v e r n e i n t u n d s a g t , dies w ä r e geschehen im Sinne einer a n d e r e n F r e u n d s c h a f t . 11. | W a s a b e r einen Menschen b e t r i f f t , der g u t ist u n d d e r u n s aui' 12«» •> G r u n d der T u g e n d b e f r e u n d e t ist, so m u ß m a n u n t e r s u c h e n , ob m a n i h m d u r c h n ü t z l i c h e L e i s t u n g e n dienen u n d i h m helfen soll oder d e m der einen G e g e n d i e n s t leistet u n d d a z u in der L a g e ist. D a s a b e r ist dasselbe P r o b l e m , wie dies, ob m a n d e m F r e u n d oder n i c h t v i e l m e h r d e m wertvollen Menschen G u t e s t u n soll. W e n n einer n ä m l i c h F r e u n d u n d s io wertvoll zugleich ist, so ist die E n t s c h e i d u n g wohl n i c h t allzu schwer — a u ß e r m a n steigert das eine M o m e n t u n d bagatellisiert d a s a n d e r e , i n d e m m a n das F r e u n d - s e i n sehr s t a r k , d a s Gut-sein d a g e g e n n u r schwach b e w e r t e t . W e n n a b e r ( F r e u n d und wertvoll) nicht ( z u s a m m e n fallen), e n t s t e h e n viele P r o b l e m e ; zum Beispiel w e n n der eine ( F r e u n d ) u w a r , a b e r es in Z u k u n f t n i c h t sein w i r d ; oder w e n n d e r eine ( F r e u n d ) sein wird, a b e r es n o c h n i c h t i s t ; oder w e n n einer g e g e n w ä r t i g ( F r e u n d ) ist, a b e r es n i c h t w a r u n d n i c h t sein w i r d . A b e r j e n e s erstere ist m ü h - m s a m e r . D e n n es ist wohl e t w a s d a r a n , w e n n E u r i p i d e s s a g t :
üo
„ F ü r g u t e s W o r t ist g u t e s W o r t als L o h n g e n u g , Doch g u t e T a t wird n u r d u r c h a n d r e T a t b e l o h n t " .
U n d m a n b r a u c h t d e m V a t e r n i c h t alles u n d j e d e s zu leisten, s o n d e r n es gibt a n d e r e s was d e r M u t t e r z u s t e h t , w e n n a u c h d e r V a t e r h ö h e r e n R a n g h a t . D e n n es wird j a a u c h dem Zeus n i c h t alles u n d j e d e s geo p f e r t u n d er b e k o m m t n i c h t alle E h r e n , s o n d e r n n u r gewisse. So wird ir, 25 m a n also wohl einiges d e m F r e u n d zu leisten h a b e n , der n ü t z l i c h ist. a n d e r e s d e m der g u t ist. Z u m Beispiel m u ß m a n n i c h t , w e n n u n s jem a n d N a h r u n g u n d die n o t w e n d i g e n D i n g e g i b t , m i t diesem a u c h z u s a m m e n l e b e n . U n d es ist wirklich n i c h t n ö t i g , d e m F r e u n d , d e m ' wir L e b e n s g e m e i n s c h a f t m i t u n s g e w ä h r e n , d a s zu geben w a s n i c h t 3» e r , sondern ein n ü t z l i c h e r F r e u n d leistet. A b e r ( L i e b h a b e r ) die dies t u n u n d alles [gegen die Schicklichkeit v e r s t o ß e n ] dem Geliebten g e b e n , sind n i c h t s w ü r d i g . U n d die in den Diskussionen v o r g e b r a c h t e n D e f i n i t i o n e n der F r e u n d - au s c h a f t sind alle in einem gewissen Sinn B e g r i f f s b e s t i m m u n g e n der 35 F r e u n d s c h a f t , a b e r sie gehen n i c h t auf ein u n d dieselbe F r e u n d s c h a f t . E i n e r s e i t s n ä m l i c h (1) die B e s t i m m u n g , d a ß es d e m N u t z f r e u n d eigent ü m l i c h ist d a s f ü r d e n P a r t n e r G u t e zu w ü n s c h e n , u n d d a ß dies dem W o h l t ä t e r eigentümlich ist u n d p r a k t i s c h j e d e m beliebigen F r e u n d —
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denn diese Definitionsweise liefert kein (artunterscheidendes) Merkmal f ü r Freundschaften —; andererseits d a ß wir (2) dem einen die Existenz, mit dem anderen (3) das Zusammenleben wünschen, u n d d a ß (4) dem durch die Lust mit u n s Befreundeten das Mitempfinden in Leid und 25 Freude eigentümlich ist — alle diese Definitionen passen auf beliebige •"> Freundschaftsformen, aber auf eine einzige passen sie wirklich nicht. D a h e r gibt es ihrer viele u n d jede scheint zwar auf eine einzige F r e u n d schaft zu gehen, in Wirklichkeit aber ist es nicht so, zum Beispiel (2') die Bestimmung „Willensentscheidung f ü r die Existenz des F r e u n d e s " . Denn auch der auf der Basis der Überlegenheit Befreundete und der io Wohltäter wünscht seinem -Werk die Existenz, und auch dem der uns :M die Existenz gegeben h a t , m u ß m a n seinerseits eine Gegenleistung geben, aber leben m u ß m a n nicht mit i h m , sondern mit dem F r e u n d , der Lust gibt. Manche F r e u n d e begehen gegeneinander Unrecht, denn ihre Liebe gilt mehr den Sachen, aber nicht dem der sie h a t . D a h e r liebt (ein solcher schließlich) auch die Besitzer der Sachen auf die Weise wie er sich f ü r den Wein entschieden h a t , weil er süß ist, u n d f ü r R e i c h t u m weil er nützlich ist; denn der Besitzer ist nützlicher. Daher ärgert sich schließlich der Besitzer, da es so aussieht als h a b e der andere ein Mehr 13 dem Minderwertigeren vorgezogen. Die anderen aber reagieren darauf mit Vorwürfen, denn j e t z t suchen sie in ihm den F r e u n d der gut ist, während sie zuvor den gesucht h a t t e n der ihnen Lust oder Nutzen zu bieten h a t t e . i2in, 12. I Eine Untersuchung ist notwendig über die Autarkie (des Mensehen) u n d die F r e u n d s c h a f t , also zu fragen, wie sie sich zueinander verhalten. Man k a n n nämlich zweifeln, ob es, wenn j e m a n d in jeder Hinsicht a u t a r k ist, f ü r diesen einen F r e u n d geben k a n n , vorausgesetzt es geschehe wegen einer Bedürftigkeit unserer N a t u r , d a ß m a n einen F r e u n d sucht. Wenn aber gelten soll, d a ß der G u t e , vorausgesetzt d a ß •> der Besitz der Tugend das Glück a u s m a c h t , im vollsten Sinne a u t a r k ist, wozu b r a u c h t er d a n n noch einen F r e u n d ? E s ist doch f ü r den a u t a r k e n Mann charakteristisch, weder Menschen zu brauchen, die ihm nützen, noch solche die ihm Lust bereiten, noch auch das Zusammenleben (mit ihnen). Denn ilim genügt seine eigene Gesellschaft. Am offenkundigsten ist dies bei dem Gott, denn es ist k l a r : da er nichts b r a u c h t , wird er auch keinen F r e u n d brauchen, und er selber in wird auch nicht einem Herrn zu eigen gehören. Und somit wird auch der Mensch auf der höchsten Stufe des Glücks am wenigsten eines
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Freundes bedürfen, außer soweit es unmöglich isl a u t a r k zu sein. E s k a n n also gar nicht anders sein als d a ß der Mensch, der das vollk o m m e n s t e Leben f ü h r t , die wenigsten F r e u n d e h a t u n d d a ß sie immer weniger werden u n d d a ß er sich nicht d a r u m b e m ü h t F r e u n d e zu bes kommen, vielmehr nicht n u r auf die Nützlichen geringen W e r l legt, sondern auch auf die mit denen das Zusammenleben wählenswert wäre, n Indes zeigt sich wirklich auch in diesem Fall, d a ß der F r e u n d nicht da ist u m der Brauchbarkeit u n d nicht u m des Vorteils willen, sondern d a ß der T u g e n d f r e u n d der einzige F r e u n d ist. D e n n wenn wir gar 10 keiner Sache bedürftig sind, d a n n sucht jeder nach solchen, die mit ihm den Genuß teilen könnten und eher solche, denen e r Gutes t u n kann als solche, die i h m Gutes erweisen könnten. Und wir haben ein besseres Urteilsvermögen, wenn wir autark sind — also dann wenn wir 20 ganz besonders F r e u n d e brauchen, die es w e r t sind m i t uns zu leben — 15 als wenn wir in bedürftigem Zustande sind. W a s aber die vorliegende Aporie betrifft, so m u ß m a n zusehen, ob wir nicht teils richtig argumentieren, teils aber d a s Richtige nicht gewahr werden wegen der Parallelisierung (von G o t t und Mensch). Die Sache wird aber klar, wenn wir begrifflich fassen, was Leben als 20 Aktualität und als Endziel ist. N u n , es ist klar, d a ß „ l e b e n " so viel ist wrie wahrnehmen u n d erkennen. Und somit b e d e u t e t in Gemein- 25 samkeit leben soviel wie gemeinsame W a h r n e h m u n g e n u n d gemeinsame Erkenntnisse h a b e n . Sich selbst w a h r z u n e h m e n u n d sich selbst zu erkennen ist aber f ü r jeden Menschen der größte W e r t u n d deshalb 25 ist allen Menschen der Trieb zu leben von N a t u r eingepflanzt, denn m a n m u ß als gültig setzen, d a ß Leben ein E r k e n n e n ist. W e n n also j e m a n d das E r k e n n e n a b t r e n n e n und selbständig f ü r sich stellen und nicht (mit dem Leben in eins sehen) wollte — dies freilich liegt nicht 30 auf der H a n d , wie in dem Buche geschrieben i s t ; tatsächlich aber 30 b r a u c h t es durchaus nicht verborgen zu sein — so wäre dies gleichbedeutend damit daß ein anderer erkennt s t a t t meiner, u n d dies wäre so wie wenn ein anderer lebte s t a t t meiner. Mit g u t e m G r u n d aber ist sich selbst wahrnehmen und (sich selbst) erkennen der größere W e r t . Man m u ß nämlich zwei in dem Buch e n t h a l t e n e Dinge vereinigen: 3:. 35 (a) d a ß das Leben u n d d a ß das G u t e wählenswert ist, u n d (b) — was daraus folgt — d a ß sie wählenswert sind, weil ihnen | j e n e b e k a n n t e iju a W e r t h a f t i g k e i t eigen ist. W e n n also in jener b e k a n n t e n Doppelreihe die eine Reihe immer zur Klasse des Wählenswerten gehört, so (gehören ihr) auch das E r k e n n b a r e und das W a h r n e h m b a r e (an), u m es
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kurz zu sagen: durch das Teilnehmen an der begrenzten Wesenheit. Folglich ist der Wunsch sich selbst wahrzunehmen identisch mit dem Wunsch ein Wesen von solcher Art zu sein. Da wir nun aber nicht ohne weiteres schon jedes von diesen (-= erkennbar, wahrnehmbar, begrenzt) sind, sondern nur kraft der Teilhabe an den Vermögen (hiezu), im Vollzug des Wahrnehmens und Erkennens — denn indem man sich wahrnehmend verhält, wird man selber wahrnehmbar, auf die Weise und in der Hinsicht, in der man vorher selber wahrnimmt, und inwiefern man wahrnimmt und dem Objekt entsprechend; und ebenso ist es beim Erkennenden, daß er selber erkennbar wird — daher ist dies der Grund, warum man immer leben will: weil man nämlich immer erkennen will; dies aber weil man selber Erkenntnisobjekt sein will. Das sieht nun so aus als ob es von einem gewissen Gesichtspunkt aus töricht wäre, im Zusammenleben einen Wert zu sehen — (1) zunächst einmal bei den Dingen, die auch den Tieren (mit uns) gemeinsam sind, zum Beispiel gemeinsam essen und gemeinsam trinken; denn was macht es schon aus, ob sich dies abspielt während man in der Nähe des andern ist oder getrennt von ihm, wenn du das (miteinander) Sprechen wegnimmst? (2) Tatsächlich ist indes auch das Teilnehmen an Gesprächen ein weiteres Indifferentes, falls es Allerweltsgespräche sind. Damit zusammenzunehmen ist (3) das Argument, daß es für Freunde die autark sind, weder die Möglichkeit des Lehrens noch des Lernens gibt; ist er nämlich ein Lernender, so ist er selbst (noch) nicht in der richtigen Verfassung; lehrt er, so ist es der Freund nicht, und doch gilt „Gleichheit ist Freundschaft" — aber es ist doch nun einmal Tatsache, und alle finden wir ein größeres Vergnügen dabei, an den Gütern zusammen mit Freunden teilzuhaben, in dem Ausmaß wie ein Sonderinteresse berührt wird, und zwar teilzuhaben an einem möglichst vorzüglichen Gut. Aber innerhalb dessen ist es so, daß der eine den materiellen Genuß teilt, der andere die Schau des KünstlerischSchönen, und der dritte das philosophische Gespräch. Und auch die Gemeinsamkeit des Ortes muß für Freunde gegeben sein; daher heißt es „der ferne Freund ist eine Qual". Man sollte sich also, wenn das geschieht (was dieser Satz ausspricht), nicht voneinander entfernen. Daher sieht man im erotischen Verhältnis etwas der Freundschaft Ähnliches; denn der Liebhaber verlangt nach dem Zusammenleben, allerdings nicht so wie es am richtigsten wäre, sondern nach dem sinnlichen. Die Argumentation also sagt die weiter oben vorgetragenen Dinge, in Form einer Aporie. Auf der anderen Seite aber stehen die Tatsachen
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Kapilel 12 u n d sie t r e t e n a u f d i e z u l e t z t e r w ä h n t e W e i s e in E r s c h e i n u n g . ist o f f e n b a r , d a ß u n s der a p o r e t i s c h e
Gedankengang
Somit
irgendwie
ins
Falsche abdrängt. Man muß zusehen, woher uns das Richtige kommeil k a n n : d e r F r e u n d will s e i n e m W e s e n n a c h , s o w i e d a s S p r i c h w o r t s a g t , 30 s „ e i n zweiter H e r a k l e s " sein, ein zweites I c h . A b e r d a ist n u n einmal d a s A u s e i n a n d e r u n d es i s t s c h w e r , d a ß E i n h e i t e n t s t e h e . Z w a r
ist
v o n N a t u r a u s (Gleiches m i t G l e i c h e m ) h ö c h l i c h s t v e r w a n d t , a b e r die Gleichheit bezieht sich b e i m einen (nur) a u f d e n K ö r p e r , b e i m a n d e r e n (nur) a u f d a s Seelische, u n d d a b e i k o m m t es n o c h v o r , d a ß sie sich io n u r j e w e i l s a u f T e i l e d a v o n b e z i e h t . U n d d o c h w i l l n i c h t s d e s t o w e n i g e r d e r F r e u n d e i n z w e i t e s , g e t r e n n t e s I c h s e i n . F o l g l i c h b e d e u t e t d e n 35 F r e u n d w a h r n e h m e n so viel wie in g e w i s s e r W e i s e sich s e l b s t w a h r n e h m e n u n d in gewisser W e i s e sich selbst e r k e n n e n . E s h a t a l s o s c h o n seinen g u t e n G r u n d , d a ß die G e m e i n s a m k e i t d e s Genießens u n d d a s •5 Z u s a m m e n l e b e n m i t d e m F r e u n d a u c h i n d e n t r i v i a l e n F o r m e n e t w a s Lustvolles ist — es ist j a i m m e r auch zugleich dabei die W a h r n e h m u n g , wie wir o b e n s a g t e n , d e s eigenen I c h — d a ß a b e r die G e m e i n s a m k e i t im feineren G e n u ß noch m e h r L u s t enthält. D a v o n aber ist die U r s a c h e d i e : j j e h ö h e r d a s G u t i s t , i n d e s s e n G e n u ß m a n s e i n e r s e l b s t g e w a h r 1215b 20 w i r d , d e s t o g r ö ß e r i s t j e w e i l s d i e L u s t . U n d d i e s i s t b a l d e i n E r l e b e n , b a l d ein H a n d e l n , b a l d e t w a s a n d e r e s . W e n n es a b e r s o s e i n s o l l , d a ß d a s I c h glücklich lebt u n d so a u c h der F r e u n d , u n d d a ß m a n i m Z u s a m menleben
z u s a m m e n w i r k t , so g e h ö r t die G e m e i n s a m k e i t
(des
Ich
u n d D u ) gewiß in v o r z ü g l i c h e r W e i s e z u d e n D i n g e n , die T e l o s - R a n g 25 h a b e n . D a h e r soll m a n g e m e i n s a m ( d a s S c h ö n e ) b e t r a c h t e n u n d g e m e i n s a m F e s t e feiern, nicht die, wo E s s e n u n d d a s wendige
s
(Primitiv-)Not-
eine R o l l e spielen, d e n n solches G e n i e ß e n gilt als schlechte
F o r m gegenseitigen V e r k e h r s . A b e r j e d e r w ü n s c h t sich L e b e n s g e m e i n s c h a f t im R a h m e n j e n e s E n d z w e c k s , der i h m e r r e i c h b a r ist. L ä ß t sich 30 d a s n i c h t v e r w i r k l i c h e n , s o z i e h e n e s d i e M e n s c h e n v o r , g e r a d e
im
Wohltun u n d W o h l t a t e m p f a n g e n den Sinn der F r e u n d s c h a f t zu erfüllen. D a ß m a n a l s o z u s a m m e n l e b e n soll u n d d a ß s i c h a l l e g e r a d e d i e s 10 wünschen und daß gerade der glücklichste u n d wertvollste
Mensch
seinem Wesen nach z u m Z u s a m m e n l e b e n d r ä n g t , ist klar. D a ß 35 a u f G r u n d
des
(Gottes-)Arguments das Gegenteil herauskam,
aber auch
dies geschah mit g u t e m G r u n d , d a dieses e t w a s feststellt w a s richtig ist. D e n n i n d e m d a s A r g u m e n t den Parallelfall in V e r b i n d u n g dem Menschen) bringt, k o m m t
die L ö s u n g zustande. Weil
(mit
nämlich
G o t t n i c h t s o i s t d a ß e r e i n e n F r e u n d b r a u c h t , e r a c h t e t e e s d a s A r g u - 15
94
Buch VII
ment für richtig, d a ß auch der (dem Gott) Gleiche (keinen Indes, nach diesem Argument
brauche).
Mensch
nicht
einmal (etwas außerhalb seiner) denkend erfassen können. Denn
nicht
in dem
Sinn
würde der hochwertige
(wie der Mensch)
ist der
Gott glücklich,
sondern
sein
G l ü c k ist h ö h e r e n R a n g e s , so d a ß d e r G e g e n s t a n d s e i n e s D e n k e n s k e i n 5 a n d e r e r sein k a n n als er selbst. D e r G r u n d a b e r d a v o n ist, d a ß f ü r u n s das Glück eine Bezogenheit n a c h a u ß e n hat, für Gott a b e r gilt, d a ß er selbst allein sein eigenes Glück 20
ist.
U n d w a s unser Suchen u n d unseren W u n s c h betrifft viele
Freunde
z u h a b e n , w ä h r e n d w i r i m g l e i c h e n A t e m z u g d a s W o r t a u s s p r e c h e n : 10 K e i n e n F r e u n d h a t , w e r v i e l e F r e u n d e h a t " — es ist b e i d e s D e n n w e n n es m ö g l i c h ist m i t v i e l e n F r e u n d e n zuleben
und
gemeinsame
Wahrnehmungen
h a b e n , so ist e i n e m ö g l i c h s t lichste.
Da
dies
aber
zugleich
und
richtig.
zusammen-
Empfindungen
große Zahl von Freunden
das
a u ß e r o r d e n t l i c h beschwerlich ist,
zu
Vorzüg-
s o m u ß s i c h 15
notwendig die A k t i v i t ä t gemeinschaftlichen Erlebens a u f eine
relativ
kleine Zahl b e s c h r ä n k e n . E s ist also nicht n u r s c h w e r sich viele F r e u n d e 23 z u e r w e r b e n — d e n n d a s b e d a r f d e r E r p r o b u n g — s o n d e r n a u c h , m a n sie hat, m i t ihnen
wenn
umzugehen.
U n d m a n c h m a l w ü n s c h e n wir, d a ß es d e m den wir lieben, g u t geht, M über ferne v o n uns, u n d d a n n wieder, d a ß er an demselben wie teilhabe, w i e es d e n n ü b e r h a u p t
als Freundschaftsmerkmal
s a m m e n sein zu wollen. W e n n nämlich Anwesenheit u n d Glücklichsein
des Freundes
m ö g l i c h i s t , so z i e h e n
wir
gilt
bei-
gleichzeitiges
alle dies vor.
Ist
a b e r b e i d e s z u s a m m e n n i c h t m ö g l i c h , j a d a n n i s t e s s o w i e b e i H e r a k l e s : 23 30 d a h ä t t e e s s e i n e M u t t e r w o h l l i e b e r g e s e h e n , e r w ä r e e i n G o t t a l s d a ß er z w a r in ihrer Gesellschaft weilte — aber als Knecht des Man
könnte ja
scherzend
etwas Ähnliches
antwortete
herbeirufen hieß. schaftlich
Es
Liebenden,
sagen
als ihn j e m a n d gilt
aber
daß
33 T e i l h a b e a n s c h w i e r i g e n
er
wie in
das
der
Spartaner
Sturniesnot
die
Dioskuren
als charakteristisch (den
Eurystheus.
was
Freund)
von
für den
der
f r e u n d - 30
unmittelbaren
Situationen ausgeschlossen sehen will,
r e n d es d e n F r e u n d s c h a f t s p a r t n e r
kennzeichnet,
d a ß er
wäh-
unmittelbar
mit dabeisein will — u n d beides h a t seinen guten Grund. Denn
nichts
d a r f d e m F r e u n d s o b e t r ü b l i c h s e i n a l s d e n P a r t n e r i n B e t r ü b n i s z u :>s sehen, u n d es gilt als u n g e h ö r i g seinen e i g e n e n Vorteil zu Mollen. D a h e r der Widerstand gegen das unmittelbare Teilhaben (am Leid). n ü g e n ä m l i c h (so m e i n e n sie), d a ß sie selbst
Ungemach leiden,
E s gedamit
i:moii s i e n i c h t a l s M e n s c h e n d a s t e h e n , d i e a u f i h r e n e i g e n e n V o r t e i l | s c h a u e n
Kapitel 12
95
und sogar die L u s t 'wählen, während der Freund in Betrübnis ist. Ferner das Argument, daß sie leichteren Herzens sind, wenn sie nicht allein das Ungemach zu tragen haben. Da aber sowohl das Glück als auch das Beisammen wählenswert ist. s so ist offenbar wählenswerter ein Beisammensein bei kleinerem Glücksfall als ein Getrenntsein bei größerem. Da aber unklar ist, welches Gewicht das Beisammen hat, kommt es zu Meinungsverschiedenheiten und (die einen) denken, (a) daß das unmittelbare Teilhaben an allem ein Freundschaftsmerkmal sei, wie man zum Beispiel sagt, das uni« mittelbare Zusammengenießen von Speisen, und zwar von gleichen, sei angenehmer. Die anderen dagegen (b) wünschen das Beisammen nicht — wiewohl sie, wenn einer E x t r e m f ä l l e setzen würde, zugeben (es sei das Beisammen angenehmer), wenn man im äußersten Unglück ist, als getrennt voneinander zu sein im äußersten Glück. Ii Nicht viel anders wie bei dem eben Dargestellten steht es in Fällen von Unglück. B a l d nämlich (a) wünschen wir uns, daß die Freunde nicht da seien und daß wir sie nicht (zu) betrüben (brauchen), wenn (nämlich) zu erwarten ist, daß sie uns doch nicht werden helfen können, bald aber (b) ist es (für uns) größte Freude, wenn sie da sind. Die Sache 20 mit diesem Widerspruch ist aber auch recht wohl verständlich. Der Grund nämlich, warum es so kommt, liegt in dem früher Gesagten und auch darin, daß wir einerseits schlechthin eine Abneigung dagegen haben, den Freund in Betrübnis oder in schlechter Verfassung vor Augen zu haben — geradeso wie wir uns selbst (in solcher Situation ü.r> nicht mehr sehen wollen). Andererseits aber bedeutet den Freund zu sehen f ü r uns eine Lust so groß wie nur irgendeine, aus dem gesagten Grund, und (wenn wir ihn) frei von K r a n k h e i t (sehen), obwohl wir selbst krank sind. Was also von diesen beiden Möglichkeiten lustvoller ist, das gibt den Ausschlag, ob wir uns wünschen, daß der Freund da 30 sei oder daß er nicht da sei. Und es kommt v o r , daß dies auch bei den minderwertigen Menschen geschieht und zwar aus demselben Grund. Denn sie brennen darauf, daß die Freunde nicht glücklich sind, j a nicht einmal mehr am Leben bleiben, wenn sie (die Minderwertigen) ihrerseits im Unglück sind. Daher kommt es v o r , daß Liebhaber sich selbst und ihre Geliebten töten, denn (die Geliebten, so meinen sie) spüren (wenn sie am Leben bleiben) ihr eigenes Elend noch schärfer, geradeso wie auch der, welcher die Erinnerung an sein einstiges Glück aufrechterhält, sein Unglück schärfer empfindet als wenn er das Bewußtsein hat, daß Unglück bei ihm ein Dauerzustand ist.
BUCH VIII
1. ( = V I I 13) Man könnte aber die Aporie vorbringen, ob jedes Ding gebraucht werden kann sowohl (1) zu seinem eigentlichen Zweck als auch (2) in uneigentlicher Weise, und letzteres entweder (a) insofern es als es selbst oder (b) andererseits nur in beiläufiger Weise gebraucht wird, zum Beispiel das Auge als solches, zum Sehen (1') oder in un- s eigentlicher Weise zum Schielen (2'a'), indem man es verdreht, so daß das e i n e Ding als zwei erscheint. Diese beiden ( 1 ' 2 ' a ' ) Gebrauchsweisen nun beruhen auf der Benützung des Auges als Auge, eine weitere aber ist nur beiläufig (2'b'), zum Beispiel wenn m a n die Möglichkeit h a t ein Ding zu verkaufen oder j e m a n d e m zu überlassen. Entsprechend io ist es mit dem Wissen: man k a n n einen echten Gebrauch davon machen und einen falschen, zum Beispiel wenn einer absichtlich falsch schreibt, so gebraucht er in diesem Augenblick das Wissen so als ob es Un:is wissenheit wäre. E r verdreht gleichsam die H a n d . Und die Tänzerinnen gebrauchen manchmal den F u ß als Arm und diesen als F u ß . 15 Wenn also alle Tugenden Arten des Wissens wären, so könnte m a n auch die Gerechtigkeit als Ungerechtigkeit gebrauchen und m a n würde also Unrecht t u n indem m a n (a) von der Gerechtigkeit aus unrechte Handlungen begeht, so wie m a n die Unwissenheits-Handlungen vom Wissen aus begehen könnte. Wenn das aber unmöglich ist, d a n n ist | 20 12i6b klar, daß auch die Tugenden nicht Arten des Wissens sind. U n d selbst wenn es zwar nicht möglich ist, d a ß Unwissend-sein vom Wissen herkommt, sondern m a n (b) n u r irren und Dinge t u n k a n n , die sich mit dem was aus Unwissenheit hervorgeht (äußerlich) decken, so wird doch sicherlich niemand von der Gerechtigkeit aus so handeln können wie 25 er aus Ungerechtigkeit handeln würde. Da aber (sittliche) Einsicht 5 ein Wissen und etwas Richtiges ist, so könnte es bei ihr geradeso sein wie beim Wessen. Man könnte (a') nicht-einsichtig handeln t r o t z der Einsicht u n d k ö n n t e (b') dieselben Fehler machen wie sie der Nichteinsichtige m a c h t . W e n n es aber von jedem Ding als solchem n u r ein 30 einfaches Gebrauchen gäbe, j a dann würden die Menschen tatsächlich, indem sie so handeln, einsichtig handeln.
Kapitel 1
97
Bei den anderen Arten des Wissens n u n bewirkt eine andere, eine übergeordnete, die W e n d u n g . Aber welches Wissen k ö n n t e die Wendung jenes Wissens bewirken, das allen Wissensformen übergeordnet 10 ist? Da gibt es nämlich keine weitere Wissensart mehr oder I n t u i t i o n . Aber auch die ethische Tugend (könnte die Wendung) nicht (bewirken). Denn die sittliche Einsicht m a c h t j a ihrerseits Gebrauch von d e r ethischen Tugend. Denn die Tugend des Herrschenden m a c h t Gebrauch von der des Beherrschten. Wo k o m m t das also v o r ? I s t es vielleicht so wie m a n von der Unbeherrschtheit als einer Schlechtigkeit des irrationalen Seelenteils spricht u n d wie m a n sagt, d a ß der Unbeherrschte irgendwie zuchtlos ist: (1) er ist zwar im Besitz des Verstandes, u n d doch, wenn die Begierde (zu) stark ist, gelänge es ihr n schließlich diesen zu wenden und seine Berechnungen würden i h n dann zum Gegenteiligen f ü h r e n ? Oder ist es Satz, daß nichts stärker ist als die sittliche Einsicht. N u r daß er sie als 3"> „ W i s s e n " faßte, war nicht richtig, denn sie ist eine Tugend, nicht Wissen, vielmehr eine andere Art des Erkennens. 2 . ( = V I I 14) Da aber nicht n u r die Einsicht und die ethische Tugend glückliches Handeln bewirkt, sondern wir auch von einem io Glückbegünstigten sagen, er sei und handle glücklich — womit wir 1247a ausdrücken, daß auch | Glücksgunst glückliches Handeln bewirke und zwar gerade so wie das Wissen — so m u ß m a n untersuchen, ob die T a t sache, daß der eine glückbegünstigt ist und der andere nicht, von N a t u r gegeben ist oder nicht, und wie es sich damit verhält. D a ß es nämlich is L e u t e gibt, die glückbegünstigt sind, ist eine Erfahrungstatsache. Denn obwohl sie keine E i n s i c h t haben, gelingt ihnen vieles in Dingen, die 5 dem Zufall u n t e r s t e h e n ; manche wiederum haben da Erfolg, wo zwar fachliches K ö n n e n wichtig ist, aber doch auch viel Zufall hereinspielt, zum Beispiel in Strategieund Schiffsführung. Sind sienunGlücksmänner, 20 weil sie in ihrem Beruf firm sind oder nicht (vielmehr), weil sie ganz von allein schon eine bestimmte Qualität haben, die ihnen das Gelingen bei ihren Unternehmungen sichert? Das ist nämlich landläufige Meinung, daß sie v o n N a t u r so sind, und es ist die N a t u r , die b e s t i m m t e 10 Qualitäten in die Menschen legt, u n d schon gleich bei der Geburt sind 2s die Unterschiede da, wie zum Beispiel die einen hell-, die anderen schwarzäugig sind, indem sie eine individuelle Qualität haben m ü s s e n , und so scheiden sich auch jene die von Glück begünstigt sind u n d die es nicht sind. D a ß sie nämlich nicht auf Grund von Einsicht Erfolg haben, ist klar, denn die Einsicht ist nicht irrational, sondern kann 30 einen Grund angeben, w a r u m sie so handelt, während die Glücks5 männer nicht sagen könnten, warum sie Erfolg h a b e n : das wäre j a d a n n fachliches Können. Denn es ist k l a r : weil sie keine Einsicht haben, (deshalb hrfben sie Erfolg), nicht weil sie von anderen Dingen nichts verstehen — was ja in keiner Weise befremdlich ist; da war 35 zum Beispiel Hippokrates, als Mathematiker erfolgreich, aber in den anderen Dingen Mar er notorisch blöde und ohne Einsicht, u n d , so wird erzählt, aus Dummheit sei er bei einer Handelsreise von den Zoll2« pächtern in Bvzanz um viel Gold geprellt worden —, sondern weil sie
Kapitel 1 - 2
99
auch in den Glücksdingen keinen Verstand haben. I m Seehandel haben nämlich nicht die besten Fachleute das Glück auf ihrer Seite, sondern es ist wie beim Fall der Würfel: der eine wirft nichts, der andere t u t den Wurf so wie er von N a t u r die Glückshand h a t — oder deshalb, wie man sich ausdrückt, weil er von G o t t geliebt wird, das heißt, weil das Erfolgschaffende etwas ist was von außen k o m m t , so wie zum Beispiel ein schlechtgezimmertes Schiff oft bessere F a h r t m a c h t , aber 25 nicht von sich aus, sondern weil es einen tüchtigen S t e u e r m a n n h a t . Aber auf diese Weise h a t der G l ü c k s m a n n einen guten Daimon als S t e u e r m a n n ! Indes, es ist absurd, daß ein G o t t oder Daimon einen s o l c h e n Menschen lieben sollte u n d nicht vielmehr den Mann des vollen Wertes und der vollen Einsicht. Wenn also notwendigerweise der Erfolg durch N a t u r , Verstand oder eine A r t (göttlicher) Vormund- 30 schaft z u s t a n d e k o m m t , die beiden letzteren aber ausscheiden, so beruht Glücksgunst auf N a t u r a n l a g e . N u n ist es aber gewiß so, daß die N a t u r Ursache dessen ist, was sich entweder immer oder doch im großen u n d ganzen auf die gleiche Weise verhält, während der Zufall Gegenteiliges w i r k t . (1) W e n n es also f ü r ein Charakteristikum des Zufalls gilt, d a ß m a n in unberechenbarer Weise Erfolg h a t — indes, wenn m a n durch Zufall (Erfolg h a t ) wäre man ja ein Glückbegünstigter! — so kann das Ursächliche nicht von der A r t sein, d a ß es immer oder doch im großen und ganzen (Gleiches bewirkt). (2) Ferner, wenn j e m a n d deshalb weil ihm eine b e s t i m m t e 35 Qualität eignet, Erfolg oder Mißerfolg haben m u ß , so wie einer nicht scharf sieht, weil er helläugig ist, so steckt dahinter als Ursache nicht der Zufall, sondern die N a t u r : er ist also nicht von „ G l ü c k " , sondern von der N a t u r begünstigt. Man m u ß also folgendes als Ergebnis aussprechen: wer glückbegünstigt heißt, ist es nicht durch (Glücks)zufall. Also sind sie nicht g l ü c k - b e g ü n s t i g t . Denn auf die Zufalls|seite 1247b gehören alle jenen Güter, deren Ursache v Tzoay/tdTwv ngä^ig. S i e h e a u c h P l a t o , M e n e x . 237 b 1. S p e n g e l s K o n j e k t u r e n e r l e d i g t d u r c h Bonitz : > 1866, 794. 5 . 1 5 ( 1 4 a 13) „ t h e o r e t i s c h " : e%eiv (piXcaccpiav (dewgijtixr'jv) i s t wie äncniav e%fiv e i n e N e u h e i t i n d e r p e r i p a t e t i s c h c n S c h u l s p r a c h e : F h y s . 185 a 2 0 ; P o l . 1282 b 22 ( 1 2 9 9 a 30). — D i e i m V o r h e r g e h e n d e n s t e c k e n d e F r a g e : g e h ö r t n u n d i e E t h i k z u r t h e o r e t i s c h e n o d e r p r a k t i s c h e n W i s s e n s c h a f t w i r d also n i c h t a u s d r ü c k l i c h , s o n d e r n d u r c h d i e A b w e i s u n g d e s t h e o r e t i s c h e n , u n d d i e F r a g e , wie m a n d a s G l ü c k e r w e r b e , stillschweigend b e a n t w o r t e t . 5 . 1 6 ( 1 4 a 13) „ b e i a u f t r e f f e n d e r G e l e g e n h e i t " : xmd tov ¿mßdUovTa xatgöv. D e g e n . a n . 716 a 3 xaid tov ¿TiißdXXovra Xiyov. P o l . I I 6, 1266 a 2 5 : K l a r h e i t ü b e r d i e b e s t e V e r f a s s u n g w i r d sich a u s s p ä t e r e n A u s f ü h r u n g e n e r g e b e n , „ w e n n d i e U n t e r s u c h u n g ü b e r d i e b e s t e V e r f a s s u n g a u f t r i f f t " (Sxav inißdM.fl 17 oxitpig). T h u c . I I 43,2 jzagä xüj ¡vtvxivri xaigw. A r . will d a m i t n i c h t s a g e n , d a ß er bei p a s s e n d e r G e l e g e n h e i t i r g e n d welche äußer-ethischen P r o b l e m e b e h a n d e l n werde, e t w a m a t h e m a t i s c h e , physikalische, t h e o l o g i s c h e , s o n d e r n er m e i n t i n n e r h a l b d e r E t h i k . V o m S c h ö n e n i m K o s m o s
147 u n d in d e n Z a h l e n s p r i c h t e r z. B . ] 21 7 a 32—34, 1218 a 2 2 ; v o n p h y s i k a l i s c h e n T h e o rien i n n e r h a l b d e r F r e u n d s c h a f t s l e h r e 1 2 3 5 a 29. 3 3 b 6 ; E N 1 1 5 5 b 8. 5 9 b 24, u n d T h e o l o g i s c h e s findet sich u . a . in E E V I I I 2 u n d 3. A u ß e r d e m ist i n n e r h a l b d e r E t h i k a u c h d i e F r a g e n a c h d e m W e s e n d e s G l ü c k s zu s t e l l e n ( r t ¿artv) u n d d i e s e l ä ß t sich n i c h t e i n f a c h „ p r a k t i s c h " b e a n t w o r t e n , s o n d e r n ist zu l ö s e n d u r c h F a k t e n d e r T r a n i t i o n u n d durc h die a r i s t . D i a l e k t i k (köyoi E E I 6 ) ; d i e l e t z t e r e a l l e r d i n g s w ü r d e A r . d i c h t als t h e o r e t i s c h e P h i l o s o p h i e b e z e i c h n e n (siehe M e t . V I 1). 5.17 ( 1 4 a 14) „ w i e es e n t s p r i c h t " : (ITITICQ oixiiov f/r. D i e s k ö n n t e b e d e u t e n TOOOVTOIes. XexTcov ¿(7T1V ÖAOVNEQ, a b e r d a n n m ü ß t e es w e i t e r g e h e n oixewv ¿OTIV o d e r EAZAI. A l s o : w a s d a s r e i n T h e o r e t i s c h e b e t r i f f t , so ist d a v o n soviel m i t z u t e i l e n als j e w e i l s in d e n k o m m e n d e n T e i l e n d e s W e r k e s n ö t i g i s t . A b e r d a s fjv z w i n g t u n s ormto als &aneQ zu v e r s t e h e n . A r . h a t g e w i ß s c h o n v o r E E d e n G r u n d s a t z a u f g e s t e l l t , d a ß d a s w a s n i c h t s t r e n g z u m Ziel e i n e r M e t h o d o s g e h ö r t , w a s i h r „ f r e m d " i s t , z w a r a u s g e s p r o c h e n , a b e r z u g l e i c h e i n g e k l a m m e r t w i r d . D a s w a r also ein G r u n d s a t z u n d i s t ein G r u n d s a t z f ü r i m m e r . Ü b e r d a s in allen d r e i E t h i k e n u n d a u c h s o n s t v o r k o m m e n d e p h i l o s o p h i c a l i m p e r f e c t B e n i t z , I n d e x 7 5 4 a 40—43; B u r n e t E N 4 8 6 ; A r n i m ' 1929, 1 3 ; B a n d 8, 1 7 5 ; 7, 11. 5 . 1 8 ( 1 4 a 14) „ Z u e r s t " . B o n i t z 3 (1866, 794—795) v e r m i ß t d e n G e d a n k e n , „ d a ß j e t z t das Gebiet der praktischen Philosophie zur Bearbeitung k o m m e n solle" u n d setzt n a c h XIUQOV eine L ü c k e a n . D a ß dies u n n ö t i g ist, e r g i b t sich a u s m e i n e r A n m e r k u n g o. zu 5,15. — Ü b e r d e n U n t e r s c h i e d d e s A u f b a u s v o n E E ( e r s t d i e E u d ä m o n i e , d a n n d e r K o m p l e x TO aya&ov) g e g e n ü b e r d e m v o n E N ( e r s t TO a.ya&6v, d a n n E u d ä m o n i e ) s. u . zu 18 b 12. F e r n e r K a p p 1 1 9 1 2 , 2 6 - 3 1 , W a l z e r 223 2 . - D i e e i n z e l n e n P u n k t e sind in E N n u r n o c h s u m m a r i s c h b e h a n d e l t ( 1 0 9 9 b 9—11; 1 1 7 9 b 2). •"».18 ( 1 4 a 15) „ w o r a u f " : ev Ttvt. D a s ist also z u e r s t d i e F r a g e n a c h d e m W e s e n TL fVjT ( E E 1 2 1 4 b 2 5 ; 1 5 a 21) u n d d a n n f o l g t d a s mög xrtjröv - diu zivaiv ytyvtzai ( E E 1 2 1 4 b 25). S o f o r t b e h a n d e l t w i r d dieses l e t z t e r e , also d a s w a s e i n d e u t i g p r a k t i s c h e n C h a r a k t e r h a t . D i e s e l b e n zwei F r a g e n , a l l e r d i n g s b e z ü g l i c h d e r T u g e n d , a l s o eines „ G u t e s " , im E i n g a n g v o n MM. P i a t o n s Menon schließt: E i n e präzise Vorstellung v o n d e r T u g e n d w e r d e n wir d a n n b e k o m m e n , w e n n w i r n i c h t z u e r s t f r a g e n , auf w e l c h e W e i s e sie e n t s t e h e , s o n d e r n T( TIOT fori» ( 1 0 0 b 4—6). 5 . 2 0 ( 1 4 a 16) „ a n g e s p r o c h e n w e r d e n " . XQoatjyoQiat; rvy/ävctv gehört auch v i e l e n k l e i n e n , i m f o l g e n d e n i m m e r w i e d e r zu n o t i e r e n d e n S p u r e n , d i e auf d i e w e i s e n . D e r A u s d r u c k f i n d e t sich n u r in E E ( 1 2 1 5 b 1 1 ; 1 6 a 2 4 ; 4 8 b 12) Pol. 1 2 7 5 a 5. N i c h t bei P i a t o n , a b e r z. B . I s o c r a t e s X V 2 8 4 ; D i o n y s v . H a i . , v e r b . p. 137, 23 U . - R .
zu den Politik u n d in Comp,
5 . 2 1 ( 1 4 a 17) „ g r o ß " u s w . D i e E u d ä m o n i e h ä n g t e n g z u s a m m e n m i t d e r sog. E u t y rliie ( e r s t m a l s 1 2 1 4 a 25), so d a ß ä h n l i c h e F r a g e n a u f t a u c h e n . S o e r s c h e i n t i m E u t y c h i e k a p i t e l ( V I I I 2, 1247 a 9) d i e „ g e g e n w ä r t i g " g e l t e n d e A n s i c h t , d a ß es n i r v ^ t l g g e b e , die es v o n N a t u r s i n d ; d i e N a t u r g i b t d e n M e n s c h e n v o n v o r n h e r e i n g e w i s s e u n t e r s c h e i d e n d e E i g e n s c h a f t e n m i t , z. B . ist d e r e i n e b l a u - , d e r a n d e r e s c h w a r z äugig. I n a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g gibt P i a t o n einmal die Beispielreihe: klein-groß« e i ß - s c h w a r z ( P h a c d o 9 0 a 4). A b e r w i c h t i g e r ist (s. v o r i g e A n m . ) , d a ß d i e s e B e i s p i e l e
148
Anmerkungen
v o n N a t u r g a b e n n u r in E E u n d Pol. v o r k o m m e n . N a c h d e m Ar. in d e r e n I I I . B u c h k u r z n a c h e i n a n d e r G e d a n k e n a u s der E t h i k v e r w e n d e t h a t t e , zweimal m i t Z i t a t ( 1 2 8 0 a 18; 1 2 8 2 b 14—16. 20), b e g i n n t er eine P o l e m i k gegen die T h e s e , j e d r r p e r s ö n liche V o r z u g , d e n ein B ü r g e r aufweise, b e g r ü n d e sein R e c h t auf B e v o r z u g u n g bei Ä m t e r v e r t e i l u n g . A b e r , s a g t A r . , w e n n dies z u t r ä f e , m ü ß t e n a u c h gewisse ( u n v e r d i e n t e ) n a t u r g e g e b e n e V o r z ü g e zu solcher B e v o r z u g u n g f ü h r e n . U n d als Beispiele solcher N a t u r g a b e n n e n n t er F a r b e u n d G r ö ß e (1282 b 28). 5,23 ( 1 4 a 18) „ p r a k t i s c h e K u n s t " : ¿Ttiarfn»]. D a s Glück ist kein W i s s e n , e t w a g a r d e m o n s t r i e r e n d e W i s s e n s c h a f t , s o n d e r n , wie sich a u s 1 2 1 4 a 29 e r g i b t , eine Te%vt]. Ü b e r d e n ö f t e r v e r h a n d e l t e n s y n o n y m e n G e b r a u c h v o n tniOTyiii) u n d riyv>] B a n d 8. 343. 5,27 ( 1 4 a 22) „ z w e i " . Dieselbe F o r m u l i e r u n g 76a 4; 1 0 2 d 9 .
(ftvoiv
OULTIOOV
rpot-ij)
z. B. P h a e d o
5,27 ( 1 4 a 23) „ E i n f l u ß , e n t r ü c k t , N y m p h e , G o t t " . D a ß g e r a d e d a s auf i r r a t i o n a l e n F a k t o r e n b e r u h e n d e Glück e i n g e h e n d c h a r a k t e r i s i e r t ist u n d z w a r m i t Begriffen, d e n e n wir eher in einer Religionsgeschiclitc zu b e g e g n e n e r w a r t e t e n , ist a u f f a l l e n d . W i r m ü s s e n ins E i n z e l n e g e h e n . D a s ä l t e s t e Zeugnis f ü r vvjufohrfvtoq ist eine I n s c h r i f t des 5. J h . Nilsson, Gesch. der griech. R e l . I J 248; R E N y m p h a i 1553, 1 0 - 4 4 . S o d a n n P i a t o n s P h a i d r o s . S o k r a t e s h a t e b e n in d i c h t e r i s c h e m S c h w ü n g e eine E r o s Definition g e g e b e n . D a h ä l t er ein — sie sitzen im N y m p h e n h e i l i g t u m 2 3 0 b 7 — u n d s a g t , selbst ü b e r r a s c h t , v o n seinem d i c h t e r i s c h e n I m p u l s : deiov rrdtfoj nexovOa, d e r O r t ist fieiog u n d d a r u m w u n d e r e dich n i c h t , w e n n ich im w e i t e r e n Verlauf des Logos w/XfpoXtjTiTog yivoifiai, ich t ö n e j a j e t z t s c h o n b e i n a h e d i t h y r a m b i s c h ( 2 3 8 c 5—d 3). U n d n o c h m a l s ( 2 4 1 e 3 ) : D u w i r s t s e h e n , d a ß ich VTIÖ TWV vv//v iv&ovaidao). Mit „ G l ü c k " h a t dies n i c h t s zu t u n , wohl a b e r k ö n n e n wir a h n e n , d a ß es f ü r die G r i e c h e n n i c h t so schwer sein m o c h t e wie f ü r u n s , bei „ G l ü c k " ( K l u g e - G ö t z e , E t y m . W b . d . d e u t s c h e n S p r . , Berlin 1951, 272) a n einen wie i m m e r g e a r t e t e n E i n f l u ß d e s G ö t t l i c h e n , D ä m o n i s c h e n zu d e n k e n , w e n n G l u c k e b e n „ E u - d ä m o n i e " h e i ß t . — •&e6h]7iTOi w i r d k a u m sehr v e r s c h i e d e n gewesen sein v o n d e m Ergriffensein d u r c h eine N y m p h e . D a s W o r t scheint hier z u m e r s t e n m a l v o r z u k o m m e n . Bei S c x t u s E m p . ( a d v . m a t h . I X 132) ist &co?.i]7ZTiy.fi /lavTtia eine A r t M a n t i k , a b e r welche, ist n i c h t zu e r k e n n e n . K a s s a n d r a ist ftecxpdQrjToq (Aesch., A g a m . 1140). W e i t e r s t e h t bei S e x t u s ( P y r r h . I I 52), die &EÖXrj7iT0i g l a u b e n S t i m m e n zu h ö r 6 n , die wir n i c h t h ö r e n u n d n a c h P l u t a r c h , A d v . Col. 1 1 1 7 a w a r S o k r a t e s eis ägerffv ötoXrinxoQ. Auf j e d e n F a l l k o m m e n n a c h E E diese Z u s t ä n d e v o n d e m „ A n h a u c h " eines g ö t t l i c h e n W e s e n s ; so ist es in d i c h t e r i s c h e r P r ä g u n g ( W e i t e r b i l d u n g d e r g a n z k o n k r e t e n ¿mnvoia Ai6q d e r H i k e t i d e n p a r o d o s ? ) g e s a g t . D a ß die E u d ä m o n i e i r r a t i o n a l z u s t a n d e k o m m e , ist n a t ü r l i c h nie p e r i p a t e t i s c h e L e h r e gewesen. D a s k a m n u r f ü r die E u t y c h i e in F r a g e (MM 1207 a 3 5 - b 5 ; E E V I I I 2). Mit d e r E u t y c h i e V o r s t e l l u n g ist a b e r eng v e r b u n d e n die d e r T y c h e u n d so n e h m e ich t r o t z P o l . V I I 1, 1323 b 26 (evxvxia evdaifioviaq exega) u n d t r o t z der f o r m a l k l a r e n T r e n n u n g in E E ( „ e n t w e d e r — o d e r " ) a n , d a ß diese F ä l l e hier deswegen z w a r u n t e r E u d ä m o n i e , a b e r u n m i t t e l b a r v o r d e r E u t y c h i e r e g i s t r i e r t sind, weil sie d e r E u t y c h i e d e f a c t o z u n ä c h s t s t e h e n (MM 1 2 0 6 b 30 - 3 ; E E 1 2 4 6 b 3 7 - 4 7 a 3 ; P h y s . 1 9 7 b 2 - 6 ) . A b e r i m m e r n o c h h a b e n wir, a u ß e r d e m Z e u g n i s v o n E E , n o c h k e i n Z e u g n i s d a f ü r , d a ß die
149 Menschen, die göttlichen A n h a u c h e r f a h r e n , glückliche Menschen sind. N u n , ich denke, der Schlußteil v o n P i a t o n s Menon liefert dieses Zeugnis, z w a r n i c h t d a f ü r , d a ß solche Menschen glücklich sind, wohl aber d a ß sie die G r u n d v o r a u s s e t z u n g des Glücks h a b e n , die T u g e n d ( 9 9 b 11—100a 2): sie sind , , g u t " deia / W g p ; sie h a b e n die T u g e n d so wie die zQTjo/Modoi u n d dto/jacTfi; ihr Wissen h a b e n , n ä m l i c h als ev&ovaid£ovTEQ, als ¿."Ti'rrvoi xai XATF/O/itvoi TX TOV&EOV. Dieselbe Lehre a u c h in d e m p s . - p i a t o n . T r a k t a t De v i r t u t e (379 b 5—d 10). Die p i a t o n . E n t h u s i a s m u s - L e h r e ist j e t z t ausführlich b e h a n d e l t v o n H . F l a s h a r , Der Dialog I o n , Bln. 1958, 54—77; 1 1 2 - 1 3 9 . E i n e G e s a m t d a r s t e l l u n g des E n t h u s i a s m u s u n d v e r w a n d t e r E r s c h e i n u n g e n j e t z t bei F . Pfister, E k s t a s e ( R A C 1959, 944—987). Archäologische Zeugnisse bei N . H i m melmann-Wildschütz, Qf o h f m o q , M a r b u r g 1957. Vgl. a u c h M. P . Nilsson, Op. selecta, L u n d 1960, 15. Auch d e m E i n f l u ß des D e m o k r i t ist F l a s h a r n a c h g e g a n g e n . E s scheint mir aber wahrscheinlich, d a ß P y t h a g o r e i s c h e s d a h i n t e r s t e c k t . N a c h Aristoxenos ( f r . 41 Wehrli = V S I 478, 23—33) h a b e n die P y t h a g o r e e r d e n G e d a n k e n des g ö t t l i c h e n Anh a u c h s d a z u v e r w e n d e t , zwei F o r m e n der T y c h e (== EVTV/ia u n d ärw/ia) zu u n t e r scheiden: a) ein ÖAI/IÖVTOV fiEQOQ b ) ein xaiqeiv oder ev xö> exeiv usw. Außerdem h a t Bonitz 3 1866, 796 bereits die nötigen Belege aus E E beigebracht.
Kapitel 2 6.16 (14b 6) „die Aufmerksamkeit", èyioxdvai, nämlich rfjv öidvotav k o m m t in mehreren Variationen in verschiedenen Schriften des Ar. vor, auch bei Isocrates I X 69. Aber nirgends wie hier mit Inf. Doch ist mit der I n t e r p u n k t i o n von Bonitz durchzukommen, imax^aavxag als P r ä t e r i t u m zu fassen verbietet sich durch den an den meisten Stellen eindeutig zu beobachtenden Sprachgebrauch. E s ist also nicht etwa im Vorhergehenden schon der I n h a l t des Infinitiv-Satzes festgestellt, sondern es sind objektiv die drei a n e r k a n n t e n Werte genannt w o r d e n ; j e t z t k o m m t die Subjektseite d a r a n , die Menschen, die sich diese Werte als Telos ihres Handelns wählen. Die Wendung also, die hier Ar. seiner Einleitung in die E t h i k gibt (in MM ist nichts vergleichbar, in E N nur eine kleine S p u r : 1098b 25) ist nicht so verwunderlich, wie m a n beim Anlesen meint. Außerdem zeigt der erste Satz des nächsten Kapitels, d a ß Kap. 2 bereits unter die Überschrift „Methodisches" gehört und mit K a p . 1 noch verbunden ist durch das Stichwort: òó£at über die E u d ä m o n i e . — Die durch Spengels K o n j e k t u r e n verursachte Verwirrung beseitigte Bonitz 3 1866, 796. 6.17 (14 b 6) „ j e d e r d e r " . Ausgeschlossen von der Möglichkeit freier Entscheidung sind z. B. Tiere und Sklaven, „ d e n n sie haben weder Anteil an der E u d ä m o n i e noch am t.fjv xaxà Jigoaigeaiv, Zweck des Staates aber ist das e$ Lf/v (Pol. I I I 9, 1280a 34). 6,19 (14 b 9) „ i m Hinblick", ebroßXeneiv tiQÒg jety axonóv in den E t h i k e n nur hier und E N VI 1, 1138b 22. Plato, Protag. 354b 8; Gorg. 507d 6. Nächste Parallele: Rep. 519c 2: die ànaiòevxoi haben keinen axonóg in ihrem Leben, ov axoya'Qoiiivovq òei änavxa ngdxxetv ä äv Tiùdxxojaiv lòia Te xaì òrjfioaia ( A d a m ad. 1.). Die vier Ziele sind ganz populär formuliert; Tzatdeia ist soviel wie a xivi), und wenn m a n die naheliegende A n n a h m e m a c h t , d a ß die Tugend n i c h t einfach irgendwie da ist, als Geschenk des Zufalls oder der N a t u r , sondern daß sie — und damit das Glück — von uns hervorzubringen ist. indem wir uns entsprechend „ h e r r i c h t e n " (naQaoxevd^ovotv), dann ist auch die F r a g e b e a n t w o r t e t , wie sie erworben werden könne. Die F r a g e nach Wesen und Zustandekommen war 1 2 1 4 a 15 gestellt und 14 b 12 verinnerlicht worden. E i n e der B e a n t w o r t u n g entgegenstehende Schwierigkeit war 14 b 24 genannt und die Doppel (rage ebendort wiederholt worden. N a t u r und Zufall werden sodann ausgeschaltet und ab 15 a 15 wird der Weg zur richtigen Antwort eingeschlagen, zunächst kondizional formuliert ( 1 5 a 12—19). Dabei sind ungeschieden nebeneinander S t a t i k und D y n a m i k : Q u a l i t ä t des Menschen und seiner Handlungen einerseits — sich selbst und die Handlungen zu bestimmter Qualität bringen andererseits. A b e r j e t z t k o m m t etwas Neues: Qualität haben und sie verwirklichen, k a n n offenbar nicht pari passu nebeneinander stehen bleiben, sondern wichtiger ist die Bealisierung. Die Anschauung, daß es genüge, seelische Qualität zu h a b e n , wird als
I 3-5
163
f)6$a älterer Philosophen bezeichnet, die Sac'ic selbst also in das Generalthema der Kap. 3—5 eingegliedert — und iniplicitc gleich preisgegeben. Wer aber so stark das Handeln in den Vordergrund stellt und später von dem höchstwertigen Manne sagen wird, er verwirkliche die xa?.d um ihrer selbst willen und unter xaM seien „die Tugenden und die von ihnen herkommenden Handlungen" zu verstehen (1248b 34—7). der bekundet nicht die Absicht, eine Ethik des kontemplativen Lebens vorzutragen und kann auch nicht mehr die Alternative aufstellen, ob das kontemplative oder das aktive Leben besser sei. Der Begriff jrQä^ig leitet ohne besondere Schwierigkeit über zu dem Begriff „Leben", also zu dem Abschnitt 1215 a 26—b 14, der den Eindruck des abrupten Neueinsatzes nur so lange macht als man den Richtungssinn des Vorhergegangenen nicht eingesehen hat. 8.6 (15 a 22) „Werthaftigkeit der Seele — der Handlungen". I m Parallelabschnitt von E N ist dies mit den Termini XTijOig-ZQijots, e^iQ-ivegyeta ausgedrückt (1090 b 31-33). Über den Begriff der Qualität siehe Band 8, 155; 5, 5. Dazu E N 1099b 30: „Die Staatskunst trifft ganz besonders Anstalten dafür, die Bürger zu formen (noiovg rivag), d. h. sie gut zu machen und fähig zu edlem Handeln". 8.7 (15 a 23) „einige". Wenn nicht alles täuscht, so ist die Lehre, daß die Seele .to((2 rt? sein müsse, wenn sie glücklich sein will, gleichbedeutend mit der Lehre: Eudämonie ist zekeia oder xxrjaiq t jj? olxetau; aoerrjg. Ersteres ist Kern derDefinition des Speusipp, letzteres der des Xenokrates. Wenn es so ist, d a ß beide Akademiker es dabei haben bewenden lassen, dem Glück eine passive Note zu geben, dann dürfte man aus E N 1098b 3—99a 3 schließen, d a ß Ar. bewußt die unzureichenden Begriffe e£tQ und xrfjaiQ durch X6V(7"* un< ^ ¿''¿C>,£la ersetzt hat („Der Unterschied ist gewiß nicht klein: ob man das oberste Gut im Besitzen oder Benützen, in einem Zustand oder in aktiver Verwirklichung erkennt. Denn ein Zustand kann vorhanden sein, ohne d a ß etwas Wertvolles dabei herauskommt, z. B. bei einem Menschen der s c h l ä f t . . ."). Freilich führt Ar. in E N keine ausdrückliche Polemik gegen die Akademie, aber vielleicht zielt er auf sie in E E , wenn er von aotpoi xai Tißeaß&zeQOi spricht und vielleicht liegt in letzterem die Nuance „ehrwürdig". Das Fazit des platonischen Philebos ist gewiß nicht, daß eine im Passiven verharrende, mit gehobenen Lustempfindungen gemischte Phronesis das glückliche Leben bewirke, aber das Thema, das Sokrates zu Beginn des Dialogs formuliert („Wir werden versuchen eine ef»£ V*'*'?? xai öid&eoiq aufzuzeigen, die das Leben des Menschen zu einem glücklichen zu machen vermag" 11 d 4) kann zum mindesten so aufgefaßt werden, als brauche die Seele, um mit E E zu sprechen, nur noid TIQ zu sein. Daß eine solchermaßen verstandene Eudämonie den Ansatzpunkt für Speusipp bildete, wäre immerhin denkbar. $,10 (15a 26) „traditionelle". Diesen erläuternden Zusatz halte ich f ü r berechtigt, weil öiTjorjfiEvwv zeigt, daß Ar. hier in E E die Unterscheidung bestimmter Lebensformen als etwas Gegebenes vorträgt. Genauso unterscheidet er z. B. freie und knechtische Berufe (ötyorj/ievwv rviv re ¿).£vdcQu>v eoymv xai TWV äv£Ä£V&I(>(üv, Pol. V I I I 1, 1337b 5) und niemand wird annehmen, daß diese gemeingriechische Einteilung in der Politik zum erstenmal geschaffen wird. In derselben Politik (VII 2, 1324a 25) steht in einem Zusammenhang, wo auf das Genußleben einzugehen kein Anlaß war, der Satz: „Aber selbst bei denen, die sich darüber einig sind, daß das Leben der Tugend das wählenswerteste ist, ist ein Schwanken festzustellen, ob das politische, das praktische Leben den Vorzug verdient oder eher das von allem Äußeren
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Anmerkungen
losgelöste, sagen w i r : ein theoretisches Leben, das m a n c h e n als d a s einzig u n d allein philosophische gilt. Diese beiden L e b e n s f o r m e n sind es j a in e t w a , f ü r die sich die a m meisten der T u g e n d zugeneigten Menschen offenbar entscheiden, in der V e r g a n g e n h e i t sowohl wie in der G e g e n w a r t ; ich meine das politische u n d d a s philosophische L e b e n " . G e n a u g e n o m m e n u n t e r s c h e i d e t Ar. in E E vier L e b e n s f o r m e n , nämlich v o r den dreien, auf d e n schon 1214a 32 g e n a n n t e n W e r t e n b e r u h e n d e n , noch d a s E r w e r b s leben (15 a 26—32). U n d dasselbe t u t er j a , ebenfalls a b l e h n e n d , auch noch in E N (1096a 5). W e r aber h a t die a n d e r e n drei L e b e n s f o r m e n zu einer G r u p p e z u s a m m e n g e f a ß t ? W i r h a b e n j e t z t eine b r a u c h b a r e U n t e r s u c h u n g über die Vorgeschichte dieser Z u s a m m e n f a s s u n g : R . J o l y , Le t h è m e philosophique des genres de vie d a n s l ' a n t i quité classique, Brüssel 1956 (dazu, m i t wertvollen E r g ä n z u n g e n die Rez. von W. Spoerri, G n o m o n 30, 1958, 1 8 6 - 1 9 2 u n d W . B u r k e r t , H e r m e s 88, 1960, 164f.). Aber a u c h J o l y k a n n n u r d a s v o n W . J a e g e r ('1923, 245 u n d Paideia I I I 82) Festgestellte bestätigen, d a ß d a s E n t s c h e i d e n d e , n ä m l i c h der Begriff eines in sich k o h ä renten, g e f o r m t e n Lebens erst von P i a t o n d u r c h philosophische Reflexion geschaffen ist. Aber m a n darf n i c h t übersehen, d a ß es bei P i a t o n die s y s t e m a t i s c h e r a r b e i t e t e D r ei h e i t nicht g i b t , d e n n der Philebos stellt nur zwei ßiot n e b e n e i n a n d e r ; im S t a a t aber geht die R e c h n u n g nicht auf, weil d a s Genußleben n i c h t als einheitlicher K o m p l e x b e h a n d e l t ist u n d infolgedessen a u c h der T e r m i n u s ànoXavorixôç fehlt (dieser erst bei Ar.). W o h l aber darf m a n a n n e h m e n , d a ß P i a t o n s eingehende B e s c h ä f t i g u n g m i t d e m (pih>XQi)no.Tov der G r u n d ist, w a r u m noch Ar. ausdrücklich darauf eingeht. Das E n t s c h e i d e n d e aber ist, d a ß zu d e n beiden Philebos-Typen hinzu bei Ar. d a s Leben der T u g e n d gestellt wird u n d d a bleibt es bei der K o n s t a t i e r u n g W . J a e g e r s ('1923, 246): „ I m P r o t r . ist die dgerj} zu diesen beiden h i n z u g e t r e t e n " . G e r a d e auf dieses H i n z u t r e t e n a b e r , d a s wir also ü b e r den P r o t r . n i c h t zurückverfolgen k ö n n e n , k o m m t es a n , d e n n d a m i t ist die R i c h t u n g festgelegt: in d e n E t h i k e n t w ü r f e n ist überall d a s L e b e n d e r T u g e n d im Z e n t r u m u n d nicht d a s theoretische, womit d a n n die F r a g e g e k l ä r t ist, die Ar. in der Politik ( V I I I 1, 1337a 38) so s t e l l t : „ W a s die E r z i e h u n g betrifft, so h e r r s c h t U n k l a r h e i t d a r ü b e r , ob m a n d i e ' J u g e n d erziehen soll jiQÔç rijv ôidvoiav oder ngoç to rrjç yn>%rjg rjûoç" (gleich d a r a u f , a 41, n e n n t er als e t w a s Übliches eine Dreiheit v o n Lebenszielen: E r w e r b , T u g e n d , Philosophie). — I m H i n blick auf die Arbeit v o n J o l y u n d auf die z u s a m m e n f a s s e n d e D a r s t e l l u n g v o n F . W e h r l i ( S c h u l e d. Ar. X 1 9 5 9 , 1 1 5 f . ) wollen wir d a s P r o b l e m der drei L e b e n s f o r m e n nicht e r n e u t b e h a n d e l n , s o n d e r n n u r folgende B e o b a c h t u n g e n zu d e m vorliegenden A b s c h n i t t (1215a 3 2 - b 5) v o r t r a g e n : a) w ä h r e n d in Pol. V I I 2, 1324a 25—32 (s. o.) politisches u n d Geistleben u n t e r d e n Oberbegriff „ T u g e n d l e b e n " g e b r a c h t sind u n d in Pol. V I I 3, 1325 b 14—32 a u c h das Geistleben als 7iQât;tç, n u r eben h ö c h s t e n R a n g e s g e f a ß t ist, h a b e n wir in E E die s t r i k t e Isolierung des Geistlebens, b) d a s Geistleben, in den beiden A u f z ä h l u n g e n (1215 a 34—6) schon gar n i c h t b e t o n t a n erste Stelle gesetzt, spielt i m weiteren Verlauf g a r keine Rolle, c) d a s politische L e b e n ist, wie m a n a u s 1 6 a 21—7 sieht, v e r s t a n d e n als L e b e n des a k t i v e n P o l i t i k e r s ; a u s d e r spät e r e n B e h a n d l u n g des K o m p l e x e s „ T u g e n d " zeigt sich a b e r , d a ß d a s L e b e n eines j e d e n Bürgers g e m e i n t ist. d ) die drei L e b e n s f o r m e n sind völlig s p a n n u n g s l o s koordin i e r t ; n i c h t einmal in d e r A u f z ä h l u n g d e r L e b e n s i n h a l t e ( 1 5 b 1—5) e r h ä l t d a s L u s t leben ein negatives Vorzeichen.
I 3-5
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8. II (15a 26) „nicht einmal". Einschult einer Negation (oö* — jedenfalls nicht fir) — oder ovd') ist unerläßlich. Bonitzens ovd' überzeugt. Er hat auch die ganze Stelle, trefflich, gegen Spengel, behandelt ( 3 1866, 780—2) und ist durch Marguerittes (1930, 88) aV.cog, a>; nicht widerlegt. 8 , 1 2 ( 1 5 a 2 7 ) „in unserem Sinne", r/yg zoiavTijg evt]fieQtag geht entweder auf den Eingang von EE (1214a 1—8) oder auf das unmittelbar Vorhergehende zurück, wo j a eindeutig klar geworden war, daß die Eudämonie auf der Tugend beruht. 8,14 (15a 28) „z. B . " Die Darstellung des menschlichen Treibens, das mit der recht verstandenen Eudämonie gar nichts zu tun hat, zeigt, auch im Terminologischen, engen Zusammenhang mit der Politik und diese ihrerseits, nicht nur im Sprachgebrauch, mit Piaton. „Es ist nicht möglich Tugend zu verwirklichen £ojvxa ßtov ßdvavoov i j {hjTixöv" (Pol. III 5, 1278a 20). Eine ähnlich scharfe Grenze zwischen dem höheren und dem niedrigen Leben zieht Ar. im VIII. Buch (2, 1337b 6—15): „Die Jugend darf nur solches Nützliche lernen, was sie nicht zu „Banausen" macht. Als banausisch aber hat zu gelten, was den Leib, die Seele, den Geist der Freien für die Betätigung der Tugend unbrauchbar macht. %t.%vai ßdvavaoi sind solche, die den körperlichen Zustand verschlechtern — s. a. I 11, 1258b 37 — und dazu gehören auch die Lohnarbeiten, iuadaQviy.ai ¿oyaaiai, da sie der Geistbetätigung die Muße nehmen und sie ins Niedrige hinabziehen". Die Stelle gehört zu den vielen, die Bendixen' 2 1856, 579 gesammelt hat um die Beziehungen zwischen EE und Politik zu beweisen. 8,16 (15 a 30) „Protzentum": rroog öo^av. Hier darf man nicht an das (fi?.6rifiov yevog des piaton. Staates denken, sondern gemeint ist jener Spezialfall, der Piatons großartiger Beobachtungsgabe nicht entgangen ist; er läßt (Rep. 581 d 3) den Erwerbsmenschen sein Leben preisen gegenüber dem des Philosophen und des Ehrliebenden: im Vergleich zum Geldgewinn, so sagt er, sei die Lust des Lernens oder des Ansehens gar nichts wert, außer wenn mit Wissen oder Ehre Geld zu machen sei. 8.16 (15a 30) „im Sitzen": iögaiag. Siehe Band 6, 363—4. Xenophon, Oec. IV 2—3: In Sparta ist das Handwerk verachtet, weil es zu Tätigkeit im Sitzen und ohne Licht zwingt. Dazu Resp. Lac. I 3: die meisten Handwerker sind ¿doaloi, wo das folgende zeigt, daß e/ioaiog nicht „seßhaft" heißt, sondern „eine sitzende Lebensweise haben". 8.17 (15 a 31) „die Praktiken". Überliefert ist TZOOQ atv ä yogdg . . . oder nqög mv ayogag /ier xai ngdaeig xanrjhxag. Dazu im Vat. die Randbemerkung tauig cüj'dg. Daraus stellte Fritzsche (Ep. crit. 14) unter Zustimmung von Bonitz 3 (1866, 782) her nQog wvag äyoQaiag xai jiq. y.an. Dem gegenüber ist auch ein neuerer Versuch von Il.Jackson 5 1913,298 (jigog äyooaofiöv) kein Fortschritt. Doch läßt sich auch Fritzsches Lesung nicht halten. Der Ausdruck ibvrj xai Ttoäatg gehört seit Sophokles, Herodot, Xenophon zu den stehenden und wer dies aus unserem Text herausliest verstößt also nicht wie Jackson gegen festgewordenen Sprachgebrauch. Dieselbe Verbindung auch bei Plato, Rep. 525c 3; Sophist. 223d 10; Leges 850b 4, 915d 6, e 1; vgl. EE 1242b 33. Nun fragt man sich aber bei Fritzsche: was soll die Unterscheidung von Käufen auf dem Markt und Verkäufen beim Krämer? Soll denn auf dem Markt nur eingekauft, beim Krämer nur verkauft werden? Ersteres zum mindesten ist gegen jede Wahrscheinlichkeit. Ar. nennt einmal als Teil des Demos: äXko de (sc. drj'fiov rlöog) to äyogalov zo negi (bvf/v xai noäaiv öiarglßov (Pol. 1291 b 19). Wir müssen also
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Anmerkungen
normalerweise a n n e h m e n , d a ß beides, Kauf u n d V e r k a u f , auf d e m M a r k t e g e t ä t i g t wurde. D u r c h Pol. 1291 a 4—6 wird dies jedenfalls b e s t ä t i g t . Zu völliger K l a r h e i t aber f ü h r t P l a t o , R e p . 371b 7—d 6, eine Stelle, die Ar. auch sonst k e n n t : die Verteilung produzierter G ü t e r gehe in der S t a d t vor sich d u r c h TiUjXe.lv u n d ihvrimJai. W e n n n u n ein B a u e r oder H a n d w e r k e r seine Erzeugnisse auf d e n M a r k t bringt u n d nicht gleich einen A b n e h m e r findet, was ist d a n n zu t u n ? A n t w o r t : d a gibt es L e u t e , die in diesem Fall ihre Dienste zur V e r f ü g u n g stellen. D a s sind meist die körperlich Schwächlichsten u n d zu a n d e r e r L e i s t u n g U n t a u g l i c h e n . I h r Beruf ist, sich auf d e m M a r k t e a u f z u h a l t e n , a n g e b o t e n e W a r e n a n z u k a u f e n u n d sie d a n n an I n t e r e s s e n t e n w e i t e r z u v e r k a u f e n . D a s ist der S t a n d der K r ä m e r . U n d wir bezeichnen d o c h , f ä h r t P i a t o n f o r t , als xdnrjXon rovg nQog uivijv TE xai noäatv Staxovovvrag idou/ievovg ev äyooä. In d e n Nomoi wird sogar ein b e s t i m m t e r R a y o n auf d e m M a r k t e f ü r die K r ä m e r a n gewiesen u n d wer a u ß e r h a l b Geschäfte abschließt, t u t dies auf eigenes Risiko (849e 2—850a 1; 9 1 5 d 6—e 6). D a r a u s erschließe ich also: yo>i/taTtGTr,:(ig öe rag rag nnog /TO»"VTe; eo~, &e.la, Mensch, Tier, und da IJEO~ und &eia ausdriicklicli geschieden sind, liegt der Gedanke nahe, daß Ar. mit 1 d i e in Met. X I I 7 beschriebene Gottheit lind ihr Glück meint. Den übermenschlichen Wesen wird die Eudämonic n a t u r g e m ä ß nicht abgesprochen; sie geht nur nicht in das ethische T h e m a ein. Im Schlußteil von E N zeigt sich bei der Schilderung des theoretischen Lebens die Nähe v o n Gott und Mensch, wie sie auch in Met. 1072b 25 (rj/ieig nore. — 6 &eog äei) angedeutet ist. Und auch die Tiere haben Eudämonie, nur „eine andere", was \ r . sehr fein dadurch unterstreicht, daß er das Wort Eudämonie nun vermeidet und von ¡LETO'/IJ TCÜV äya&vji' spricht. Das kann vom Menschen gesagt werden und vom Tier, nur ist es eben bei diesem äXXrj TI ~ ¡ti\'/avrt. 18,13 (17a 30) „ s p ä t e r " . Zum zweitenmal (siehe 1216a 37) verschiebt Ar. eine Untersuchung auf später. In der E t h i k studiert er nirgends die Eudämonie Gottes oder der göttlichen Himmelskörper. Also m u ß man an außer-ethische Untersuchungen denken: das wird die „Theologie" sein. 13,15 (17 a 31) „des menschlichen Handelns". Die Einteilung in jtQuy.xd — ov 71naxzd ist formal eine Dihärese, aber deren erstes Glied spielt keine Rolle. Dies h a t Rassow* 1853, 2 nicht gesehen und daher seine Bedenken. Mit dem was der Mensch handelnd verwirklichen kann, wird sich j a die E t h i k in ihrem ganzen U m f a n g beschäftigen, z. B. E E I I 6. Es geht vielmehr (bis 17a 35) nur u m das was n i c h t in den Bereich menschlichen Handelns fallen kann. Wie im vorigen Abschnitt so wird also auch hier das E t h i k f r e m d e ausgeklammert. „Das sagen wir deshalb so . . . " b e d e u t e t : „Von ov Ttnaxjd sprechen wir deshalb, weil. . .". Das Folgende ist durchaus klar formuliert und Unordentliches, beinahe Verschrobenes (so Gigon a. O. 202) k a n n ich hier nicht entdecken. Ziel u n s e r e s Handelns also k a n n nicht sein 1. das in ontologischer Hinsicht höchstwertige Seiende; 2. das was nur xgeirToveg r\fi xiväo&ai,
ist
xivrir
zu
ergänzen
(nach
EiN
1096 a 2 4 ) }Jyi:r äyadwv sei, w o b e i TIOÖJTOV -)- G e n . so viel ist wie JIOÖTEOOV -)- G e n . ( W i l p e r t a. O. 154- 8 ). U n d dieser R a n g d e r I d e e ( i n n e r h a l b e i n e r G ü t e r r e i h e „ f r ü h e r als d i e ü b r i g e n G ü t e r " zu sein) w a r m i t d e m a u c h in a n d e r e n a r i s t o t e l i s c h e n W e r k e n v e r w e n d e t e n 19—25 is especially referred t o " . Beide erkennen also nicht, daß nur das t¡ yágSätzchen etwas mit dem Zitat zu tun hat. Die Beziehung auf die gesamte frühere Diskussion und insbesondere auf 1217b 19—25, wo doch nur eine Behauptung aufgestellt wird, ist indiskutabel, weil eben in dem Früheren keine Spur des r¡ yágArguments ist und weil die Zitierweise, die dann ein Ersatz f ü r das übliche 71q0teqciv eÍQtjrai sein müßte, schlechthin unbegreiflich wäre. So hat W. Jaeger 1 1923, 268 gewiß recht , wenn er an ein vor E E publiziertes Werk denkt. Aber nach dem, was ich zu 1217 b 22 gesagt habe, möchte ich auch hier nicht wagen, mit derselben Bestimmtheit wie Jaeger (noch entschiedener Walzer 281) an das Werk Über die Philosophie zu denken, nachdem wir seit Wilpert einen Einblick in liegt ráyaüov und 77. iöeiov haben, der viel Genaueres erkennen läßt als das I I . Buch Über die Philosophie. Insbesondere wissen wir aus ersterem (fr. 2 Ross) und aus 77. Idemv (fr. 1 Ross), d a ß in beiden Werken die Ideentheorien Piatons u n d der Pythagoreer behandelt waren, also das was wir in E E lesen, während die Fragmente aus dem I I . Buch Über die Philosophie dies nicht erkennen lassen. — Eine gewisse Parallele zu der Zitierweise To ev TO) Aóyw yeyßa/i/ievov kann man wohl darin sehen, daß bei Piatons Original-Vorlesung umgekehrt die Nicht-Schriftlichkeit betont und sie (p. 112 Ross) von Simplicius so zitiert wird: ev Taíg áynáipoig ralg Ileni rdya&ov avrovataig. Demgegenüber waren aristotelische Abhandlungen „geschrieben", d. h. publiziert, aber offenbar nicht alle — so wie es ynjtpia/xaja Áeyá/ieva und yeyga/ifiiva gab (Plato, Theaet. 113d 3)— denn die normale Zitierweise des Ar. selbst ist ev rolg eÍQr¡fiévoig, ev roig Aóyoig. Es muß sich also bei „geschriebenen Werken" u m eine besondere Klasse handeln.
211 Vielleicht kann man aber noch ein Stück weiterkommen, indem wir noch einmal auf den Inhalt des Zitats in E E zurückgehen. E r besteht kurz gesagt in der Anwendung der Distinktion „keine — alle". Diese Distinktion aber kennen wir. E s wird sich an der Stelle des I I . Buches, wo Ar. zum erstenmal an das Problem der Mitte herangeht ( I I 3, 1220b 38— 2 1 b 3) leicht zeigen lassen, daß er dort dasselbe Schema anwendet. E r stellt eine große Anzahl von Affektionen zusammen, die ivaarzia sind. Die auf die Tabelle folgenden Kurzbeschreibungen bieten zum Teil wörtlich das Schema „alles — nichts" und der liest läßt sich leicht als Abwandlung dieses Schemas begreifen. Zum Beispiel: Der Gewinnsüchtige und der Gerissene suchen von überallher Profit, ihr Gegenstück von nirgendher (21 a 23, 37). Wer keine Unlust aushält ist weichlich, wer jede aushält stumpfsinnig ( 2 1 a 28). Dasselbe Schema begegnet in der Tiergeschichte ( 4 8 6 a 25—b 17). Eine Zusammenstellung gibt Arnim 3 1927, 234, der insbesondere auch die Liste bei Stobaeus (141, 5—142, 5) studiert, wo dasselbe Schema zugrunde liegt. Man wird behaupten dürfen, daß diese Distinklioncn aus einem diäretischen Werk stammen. In E E 1 2 2 1 b 34 zitiert Ar. selbst .1 laisjéneiq der Tiá&rj, ówá/xeig und efeií; in Met. 1054a 30 das Werk liegt évavxíuiv und in De part. an. 642 b 12 ai yeyQa/i/itvai diatneaetg. Wenn wir nun dasselbe Schema .,alles — nichts" im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Ideenlehre finden, so hat es also Ar. in einer ideenkritischen Schrift gebraucht und diese zitiert er j e t z t . Oder er zitiert ein logisches, diäretischesWerk, in dem das Schema stand, und macht j e t z t ad hoc eine Anwendung. Das läßt sich nicht eindeutig entscheiden, doch ist mir letzteres wahrscheinlicher. Aber daß er mit dem „geschriebenen L o g o s " ein Buch meint, dessen T e x t durch Publikation zum festen T e x t geworden war, scheint mir sicher. Wo anders sollten sich Unterscheidungen wie „alles — n i c h t s " ; „mehr — weniger" usw. lokalisieren lassen als in einem logischen Werk, das bei den verschiedensten Gelegenheiten benützt werden konnte? Und hier kommt uns nun eine Anweisung der Topik zu Hilfe, die, soweit ich sehe, noch nicht beachtet worden ist. Es heißt dort (105b 12): éxkéyeiv óé XQV (nämlich rag óuxXexTtxág TiQOTÓaeig) xai ex Ttjjv yeryQafi^iévwv láyojv, TÚ; dé óiaygarpá; (die Tabellen) 7iotEia&at Tteoi ¿xátnov yévovg imozi&évTag %ov xai nEQI áya&ov navxóg usw. Leider weiß Alexander im Kommentar zu dieser Topikstelle (p. 92, 23 Wallies) keine genaueren Titel zu nennen, aber daß es gewisse handbuchartige Publikationen, vielleicht propädeutischer 'Natur gab, ist durch die Topik erwiesen. Und ein solches Gebrauchsbuch hat Ar. in E E zitiert. Vermutlich doch wohl direkt. Denn wenn wir annehmen, daß er eine ideenkritische Schrift zitierte, in der das aus dem Handbuch genommene Argument schon verarbeitet war, so müßten wir uns damit abfinden, daß er in der ganzen vorhergegangenen Erörterung über die Idee nirgends auf seinen früheren Spezialarbeiten zu diesem Thema fußt, sondern nur an dieser einzigen Stelle, wo es sich doch, mit dem übrigen verglichen, nur um ein populäres Argument handelt. 16,23 ( 1 8 a 38) „ F e r n e r " . Ab 1 2 1 8 a 34 haben wir, wie gesagt, nur stichwortartigc Notizen, eingeleitet durch xai ort und tri. E s ist also denkbar unwahrscheinlich, daß das Sätzchen ex i ov ngaxróv, geschweige denn, wie Jaeger 1 1923, 268 meinte, auch noch „die folgenden Argumente" zum Zitat aus dem geschriebenen Buch gehören. Man kann wohl nicht ein anderes Werk zitieren, nur um zu sagen, daß dort eine unbewiesene Behauptung (ov ngaxróv) steht. Das Sätzchcn steht als Notiz da zur Andeutung, daß jetzt noch eine Diskussion darüber zu folgen hätte, daß das
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Anmerkungen
aya&ov als Eidos nicht in den Bereich menschlichen H a n d e l n s eingehe. E s wird 1 2 1 8 b 1 wiederholt, wo zu zeigen ist, d a ß dasselbe auch f ü r den ( h y p o s t a s i e r t e n ) Vllgemeinbegriff gilt. D a aber hier das ov jiQay.rov g e n a u e r b e g r ü n d e t wird, m o c h t c Ar. wohl darauf verzichtet h a b e n , es a u c h bei der h y p o s t a s i e r t e n Idee zu begründen. 16,25 (18 a 38) „ Ä h n l i c h " . N a c h d e r klaren W i e d e r h o l u n g (18 b 7) des bisher im 8. K a p i t e l Dargestellten darf m a n hier die S t e l l u n g n a h m e des Ar. zu der als P u n k t B des G e s a m t p r o g r a m m s g e d a c h t e n letztlich sokratischen Position e r k e n n e n : das xoivov als uyüiQimov, wie Gigon festgestellt h a t (s. o. zu 17 b 1). Von d e m h y p o s t a sierten xoivov war bereits im 4. A r g u m e n t ( 1 2 1 8 a 2—15) die R e d e gewesen, so d a ß Ar. j e t z t nur, wieder im Notizenstil, ein einziges A r g u m e n t vorlegt. W a s besagt es? Wir müssen z u r ü c k g e h e n auf das R e f e r a t über die platonische Ideenlehre im A n f a n g des 8. Kapitels. D o r t war gesagt, das Eidos sei nicht n u r das „ e r s t e " G u t , sondern es sei auch G u t in e m i n e n t e m Sinn ( j i d h a r a 1217b 8). D a f ü r h ä t t e Ar. a u c h sagen k ö n n e n , es sei fieyiarov ayadöv, was er j a von der E u d ä m o n i e , die das höchste G u t f ü r die aristotelische E t h i k ist, de f a c t o sagt (1217a 21). Ü b e r dieses /idXiara hinwegzulesen h i n d e r t u n s MM 1183a 30: „Die P l a t o n i k e r meinen, merkwürdigerweise, sie m ü ß t e n , wenn sie v o m G u t sprechen, v o n der Idee sprechen. Denn, so sagen sie, m a n müsse v o n d e m sprechen, was a m meisten (/tdhara) ein G u t sei; als solches aber h a b e jeweils d a s ,eigentliche E s ' zu gelten, w o r a u s folge, d a ß eben die Idee a m meisten (fidhcna) ein Gut i s t " ( B a n d 8, 179; 8, 12). N u n v e r s t e h t m a n E E : Wert-an-sich-sein b e d e u t e t W e r t in e m i n e n t e m Sinne sein, der Allgemeinbegriff „ W e r t " k o m m t aber a l l e m u n t e r i h m z u s a m m e n g e f a ß t e n Einzelnen zu, m a g dies b e d e u t e n d oder unbed e u t e n d sein (näat yäg vnärr/ßi 1218a 14); also k a n n das xoivöv nicht fjdAiora äyaftov sein, also nicht Idee. F ü r einen K r i t i k e r wie Apelt 2 1902, 12 „ s p o t t e t " /xixnü> hier „aller L o g i k " , weshalb er fiixzü> vorschlägt, was m a n der K u r i o s i t ä t halber im Original nachlesen m a g . — D a r ü b e r d a ß u n d wie das xoivov äya&ov äy/öoiazov in MM I I viel ausführlicher b e h a n d e l t ist, siehe B a n d 8, 172; 7, 1. 16,27 ( 1 8 b 2) „ D e n n " . Die B e h a u p t u n g , d a ß der Allgemeinbegriff „ W e r t " nicht Gegenstand menschlichen H a n d e l n s sein k ö n n e , wird d u r c h A n w e n d u n g des Argum e n t s b e g r ü n d e t , d a s wir soeben k e n n e n g e l e r n t h a b e n : xoivov sein heißt näaiv — anders a u s g e d r ü c k t oxqmvv (Spengel 600: n o n intelligo!) — v7idn%Eiv. Wie aber soll eine H a n d l u n g sich auf d e r a r t Allgemeines richten k ö n n e n , wo doch „ a l l e " nQa^eig auf d a s Einzelne abgestellt sind? Der Arzt heilt j a nicht ,den' Menschen, sondern den Kallias oder d e n Sokrates, denen das P r ä d i k a t ,Mensch' z u k o m m t (Met. 981 a 16—20). Zu vergleichen ist a u c h d a s A r g u m e n t der avzoiiyuia in 77. löeöjv f r . 3, p. 122 Ross. — I n E N r i c h t e t sich dasselbe A r g u m e n t , m i t m e h r Beispielen, gegen die Idee, was aber keinen grundsätzlichen Unterschied b e d e u t e t , d e n n a u c h die I d e e ist ein xoivov , n u r ^topiorov. 16,31 ( 1 8 b 4) „ V i e l m e h r " . W i e d e r u m zeigt die Z u s a m m e n f a s s u n g , d a ß ein P u n k t des G e s a m t p r o g r a m m s ( s . o . zu 1 7 b 1) erreicht i s t ; nämlich C: die Lehre des Ar. selbst. Bei d e m Notizenstil darf es nicht v e r w u n d e r n , d a ß äXXa auf 18 b 1 (ovze amo äya&ov ¿ort) z u r ü c k g r e i f t , d. h. die dazwischen s t e h e n d e n B e g r ü n d u n g s s ä t z e ignoriert. Zu JtoAAaj;d>g t o äya&öv ist Xeyerai zu ergänzen. Der Satz ist eine Formel. — A b 18 b 1 ist d u r c h Susemihls D r u c k die Bekkersche Zeilenzählung besonders arg gestört. I c h zitiere, wie i m m e r , n a c h letzterer.
213 16,32 (18b 5) „das Schöne". D a ß xaXov so oft vom Moralisch-Schönen, vom sittlichen Wert, gebraucht •wird, h a t frühere Interpreten dazu v e r f ü h r t , hier vom Sittlich-Schönen zu sprechen und dann das folgende ro /¿h> darauf zu beziehen: das Sittlich- Schöne ist NQAXTÖV, der Gattungsbegriff dya&ov nicht. Das ist gegen die Grammatik, und 1217a 31—34; 1218a 22. b 7 lassen keine andere Erklärung zu als d a ß xa7>6v hier das ist, was wir das Wissenschaftlich-Schöne genannt haben, also das im Bereich des Unveränderlichen vorgefundene. Das ist also, wie der noAAa^täs-Satz, (vgl. 1217 b 25), eine Rekapitulation, wie auch noch die Teilung nQaxxöv-ov TIQOMTOV (vgl. 1217 a 31). D a n n erst k o m m t der Kernsatz: der f ü r die E t h i k in Frage kommende Wert (jiqay.iov) ist das TE/.OQ OV evexa. Und dann geht es zurück auf das Wissenschaftlich-Schöne, von dem (nach 1217 a 32—33) rekapituliert wird, d a ß es nicht ngaxTuv ist. — D a ß 1218b 7 allein mit P u n k t nach axivrjroti; und Einfügung von o5v nach ipaveQov lesbar wird, also durch die Emendation v o n Brandis 1857, 1343 9 , gebilligt von Rassow 1 1858, 2, sollte keines Worts mehr bedürfen. 16,38 (18 b 8) „Gut-an-sich". Man sollte kaum befürchten müssen, d a ß j e m a n d diesen Satz (dazu 1218b 11) so versteht, d a ß Ar. seinerseits nach dem hypostasierten Gut sucht und dieses zwar nicht in Piatons Idee, wohl aber in seinem r¿Xog ov ivExa gefunden habe, daß also auch das aristotelische höchste Gut eine Idee sei. Indes versteht v. Mentzingen (49) so und findet dies „widersinnig". Richtig ist in der T a t , daß Ar. am Schluß des 8. Kapitels s e i n Telos in einer Weise, die noch beträchtlich über den durch v. Mentzingen beanstandeten Terminus „ A u t o a g a t h o n " hinausgeht, genau nach dem Modell der Definition formuliert, die er von Piatons Idee am Anfang des Kapitels gegeben h a t t e : auch s e i n Gut ist ägicnov, no&Tov und alxiov (18b 3. 4. 5). I m Gegensatz zu E N , wo im ganzen 4. Kap. der Terminus atiro To äya&ov n u r ein einziges Mal v o r k o m m t (1097a 9, was nicht einmal genau zu E E s t i m m t , weil, nach K b amo und äyadov durch rovro getrennt sind), wird er in E E nicht weniger als zehnmal, also mit größter Konstanz, gebraucht. Demnach k a n n Ar. am Schluß der Polemik sehr wohl sagen: „jenes in der ganzen vorhergegangenen Partie gesuchte ,Gut-an-sich' ist nicht die Idee". Das ist also die pointierte Verneinung der platonischen Position: „Das Gut-an-sich ist die I d e e " (1217b 14), woraus m a n sieht, d a ß der pronominale Ausdruck weiteren Umfang h a t u n d nicht einfach mit „ I d e e " gleichgesetzt werden kann, da sonst an der eben genannten Stelle der Unsinn herausk ä m e : „die Idee ist die Idee". Wir haben oben (zu 17 b 6) festgestellt, mit welcher Aufmerksamkeit Ar. die platonische Bestimmung der Idee notiert — u n d als eines der zahlreichen platonisierenden Elemente in E E ist das durchaus zu beachten. E s ist daher eindrucksvoll, wenn er jetzt sagt: die drei platonischen Bestimmungen des Gutes-an-sich treffen auch auf das wirkliche Gut-an-sich zu, nämlich auf das ZE)JOZ ov Evexa, aber dieses ist keine Idee (1218b 7—8). Obwohl das I. Buch in so auffallend preisendem Ton mit der Eudämonie beginnt, wird sie jetzt am Schluß nicht genannt. Zu ihrer E i n f ü h r u n g ist ein weiterer Anlauf v o n n ö t e n : E E I I 1. 17,1 (18 b 9) „veränderlich". Allgemeinbcgriffe wie Mensch, Lebewesen sind gewiß nicht veränderlich. Aber ethische Allgemeinbegriffe, z. B. das Gerechte odei das Gut, sind veränderlich ( E N 1094b 14—16). In der Diskussion über das Polis-Recht ( E N V 10, 1134b 24—30) deutet Ar. an, daß es bei den Göttern vielleicht axivtjza öiy.ma gebe, bei den Menschen aber gilt: xirrirov rräv (r6 diy.mov). — Einen Allgemein-
214
Anmerkungen
begriff kann man nicht handelnd verwirklichen, »} noüitrztni tu xa#' exaaxa ( E N VI 6, 1141 b 16; Band 6, 4 5 5 ; 130, 4). Das ist möglicherweise ein Reflex aus 77. iöcwv (fr. 3, p. 122 Ross), wo es um das Problem geht, ob Gegenstand der i m m f j f i a i Tv
noar.xmv
( 1 7 a 40),
( 1 4 a 8. 1 7 b 3). O b w o h l e i n f ü r d i e
axenxiov
Rekapitulation
ü b l i c h e r A u s d r u c k ( E t g r j x a i o. dgl.) f e h l t , v i e l m e h r d a s R e k a p i t u l i e r t e als G e g e n s t a n d n e u e r B e t r a c h t u n g b e z e i c h n e t ist, h a b e n wir also d e f a c t o e i n e n R ü c k g r i f f auf s c h o n D a r g e s t e l l t e s . N u n ist f ü r E E c h a r a k t e r i s t i s c h , d a ß die E u d ä i n o n i e s c h o n gleich a n f a n g s d a s äoiarov äjidvxiav (14 a 8) ist u n d d a ß A r . a u c h P i a t o n s E i d o s n i c h t wie in MM, E N q u a uyattov s o n d e r n q u a ÜQIOXOV Tidvxiov (17 b 3) u n t e r s u c h t . D a m i t h a b e n w i r d e n Schlüssel z u m V e r s t ä n d n i s . Diese a u c h s o n s t i m G r i e c h i s c h e n ü b l i c h e V e r s t ä r k u n g d e s S u p e r l a t i v s ( o f t i m P r o t r . z. B . 60, 5 P ) soll o f f e n b a r n i c h t stilis t i s c h e r S c h m u c k sein. A r . s c h e i n t s a g e n zu w o l l e n : i m V o r h e r g e h e n d e n h a b e n w i r a n die Stelle des p l a t o n i s c h e n ÜQtaxov Tidvxmv als o b e r s t e n v e r w i r k l i c h b a r e n W e r t d a s F i n a l g u t g e s e t z t . Dieses ist noönov Tiävrojv (18 b I I ; 1 7 b 10). A b e r A r . h a t t e n i c h t a u s d r ü c k l i c l i g e s a g t , es sei a u c h ÜQIOXOV ndvxwv (18 b 10). Also b l e i b t n o c h z u s t u d i e r e n , w i e , a u f w e l c h c W e i s e d a s F i n a l g u t äoiarov Tidvxiov ist. J e d e r H ö r e r w e i ß n a t ü r l i c h seit d e m D e l i s c h e n E p i g r a m m , d a ß d i e E u d ä m o n i e äoiarov Tidvxtav i s t . a b e r d e r S c h l u ß d e s I . B u c h e s g r e i f t n i c h t so w e i t z u r ü c k , s o n d e r n s e t z t n u r I ü v o r a u s . A b e r w e d e r in d e r I d e e n k r i t i k n o c h v o r h e r in B u c h I w a r D e t a i l l i e r t e s ü b e r die I n h a l t e d e s o b e r s t e n T e l o s a u s g e s a g t ; n u r d a ß m a n xoiu; xund d a ß die H a n d l u n g e n noiai xive- sein m ü s s e n , w a r a u s g e s p r o c h e n . J e t z t also soll d e r a b s t r a k t e Begriff I n h a l t b e k o m m e n . D a s ist bei dieser G e d a n k e n f ü h r u n g g a r n i c h t a n d e r s möglich als d u r c h E i n b e z i e h u n g j e n e r G ü t e r , a u s d e n e n die E u d ü m o n i e b e s t e h e n , o d e r die sie u m g r e i f e n soll (MM 1 1 8 4 a 28). U n d in d e r T a t b e g i n n t d a s I I . B u c h m i t d e n G ü t e r n . S o f o r t zeigt s i c h : die e n t s c h e i d e n d e n G ü t e r s i n d in d e r Seele. Diese h a t ein . , W c r k " , n ä m l i c h die E u d ä m o n i e h e r v o r z u b r i n g e n . I n d e r Seele s i n d xe^rj, d . h. innerseelische äya&ä. n ä m l i c h P h r o n e s i s , T u g e n d u n d L u s t ( 1 8 b 34—35; d a ß P h r o nesis u n d L u s t d e f a c t o n e b e n d e r T u g e n d k e i n e R o l l e s p i e l e n , t u t n a c h 1 6 a 2 8 ; b 2 5 n i c h t s z u r S a c h e ) . D i e s e xi'/.rj sind n a c h 19 a 29—30 xii äotara xo>v ä y a f t o i v u n d d a h e r ist d a s S e e l e n w c r k , n ä m l i c h die E u d ä m o n i e , äoiaxov Txdvxaw. So v e r s t e h e ich also die S c h l u ß p a r t i e d e s I. B u c h e s , a b e r m a n s i e h t , d a ß dies n u r m ö g l i c h ist, w e n n m a n n i c h t nooaxwi liest (18 b 26), s o n d e r n m»;, wie M M 1 1 8 4 a 15 jrwi r ö äoiarov öci axontlv, o d e r E N 1154 b 33. noaa'/ßiC. w ä r e n u r m ö g l i c h , w e n n g e f r a g t w ü r d e noaayfi. ).r/rrnt
to
äya&öv
(MM 11831)20),
denn
das
nynOöv
ist
wie
das
i'iv
ein
7zoD.ayß>z
218
Anmerkungen
(EE 1218b 4). Aber den „allerhöchsten" Wert mit noaay/Tjq zu befragen ist so sinnlos wie diese Frage an das allgemeinste Seiende zu richten, das ov fj ov, womit — nach Merlan — das höchstrangige Seiende gemeint ist. Es verbleibt noch das was auf den ersten Blick als ärgerliche Pedanterie erscheint: „Wie ist unser Telos das aQtarov ndvrcuv, nachdem dieses (unser Telos) das äotazov ist (nach 18 b 10)?" Immerhin kann man sagen: wenn der instäij-Satz fehlte (Fritzsche z. B. läßt ihn in der lateinischen Übs. einfach weg), dann käme, da äoiarov TiavTWv auch als mehr oder minder unverpflichtende Floskel aufgefaßt werden könnte (z. B. Phileb. 55 b 7; Prot. 352 d 2), nicht scharf genug heraus, daß es nun gerade darum geht, von dem aQtarov zu zeigen, daß es der alle anderen Güter umgreifende Höchstwert ist. Ar. markiert im folgenden nirgends mit ausdrücklichen Worten die Stelle, wo die .Tcüi-Frage beantwortet ist. Offenbar liegt die Antwort in 19 a 33—35. Aus dem dort vorgetragenen Schluß sieht man, daß es zwei äotara gibt: die Tugendverwirklichung durch die Seele und die Eudämonie. Diese zwei aber fallen auf merkwürdige Weise in eins zusammen: Eudämonie i s t Tugendverwirklichung. Dahinter scheint die Lehre des Xenokrates (Top. 152 a 7—10) zu stehen, die, in den Worten von EE ausgedrückt, lautet: Eudämonie und Tugendleben sind identisch, da sowohl das eine wie das andere äotorov ndvraiv ist; das ägiOTOv kann nämlich nur eines sein. Siehe unten zu 19 a 29. Nach all dem darf als sicher gelten, daß die Schlußpartie von EE I 8 dieselbe Funktion hat wie der erste Satz von EN I 6: Es genügt nicht vom Telos einfach zu sagen, es sei aQtarov, sondern man muß dies noch genauer bestimmen. XeyöftEvov
BUCH II
V o r b e m e r k u n g . Die Bücher I I und I I I sind klar disponiert. Gute Gliederung vor Solomons Übersetzung. Die wesentlichen, durch Ar. markierten Punkte sind folgende: 1. Entwicklung der Eudämonie-Definition
I I 1, 1218 b 3 1 - 1 2 1 9 b 26
1219 a 38 eirj äv rj evdai/iovia 2 . Psychologie, Zweiteilung der Tugend
I I 1, 1 2 1 9 b 2 6 - 1 2 2 0 a 13
1 2 1 9 b 26 (iEra. Tavja negi ywxrji deo)Qi)Teov 1220 a 4 äQErfis d'eiör] övo I I 1, 1220 a 13—III 7, 1234 b 14 3. Von der ethischen Tugend 1220 a 13 /jnzn Tavra . . . negi uQEXf/Q ifityS^ 4. Beschreibung des Wesens der eth. Tugend, vorläufige Definition 1222 b 13 ai ägerai . . . /jEtjorrjrcov
I I 1, 1220a 13—II 5, 1222b 14
5. Analyse des menschlichen Handelns (Willentlichkeit, Entscheidung), endgültige Definition 1222 b 15 Xdßw/tsv ovv aAA/jv aQ'/JjV 1227 b 8 ¿¡ig Tiooainexixrj /leooTr/TOC
I I 6, 1 2 2 2 b 1 5 - 1 1 11, 1228a 19
6. Die einzelnen ethischen Tugenden
I I I 1—7
Kapitel 1 18.1 (18 b 31) „ S o d a n n " . Über den Gedankengang des Anfangs von B . I I siehe W. Jaeger 1 1923, 258f., der ziemlich viel aus dem Protr. herleitet. Hierin kann ich nicht folgen. Näheres s. u. S. 222 u. a. 18.2 (18 b 31) „was f o l g t " : neni tojv ¿no/ievojv. Eine genaue Parallele dazu kenne ich nicht. Ähnlich ist E N 1172 a 15. 19, während der Verweis in B . I ( 1 0 9 6 a 5) in singulärer Weise bis auf den Schluß des Werkes vorausgreift. Der Eiuleitungssatz von E E I I 6 (Xdßa>/i£v oöv äXhjv aQxrjv xrjq emovOTjs oxexpews) könnte gewiß auch lauten . . . aQxfjv rwv enofievcov. MM 1185 a 14 ro ¡leXXov Myea&ai. 18,2 ( I 8 b 3 2 ) „ G ü t e r " . Die Zweiteilung hat hier keinen Selbstzweck, sondern soll die Seele ins Spiel bringen und zwar deshalb, wie man später sieht, weil die Eudämonie etwas Seelisches ist. Ar. hatte die Frage nach dem Wesen der Eudämonie zum erstenmal gleich nach dem Ende des Proömiums gestellt (17 a 20), aber eigent-
220
Anmerkungen
lieh n u r u m sie m i t B e r u f u n g auf die allgemeine Ü b e r z e u g u n g z u m UQIOTOV zu erk l ä r e n u n d d a n n ü b e r P i a t o n h i n w e g z u r F o r m u l i e r u n g seines Telos zu k o m m e n . Auf diese Weise h a t t e n wir es b i s h e r sozusagen m i t einer seelenlosen E u d ä m o n i e zu t u n . D a s h ö r t j e t z t auf. A u c h die drei L e b e n s f o r m e n v e r s c h w i n d e n . W e n n deren drei G r u n d l a g e n n o c h ein letztes Mal g e n a n n t w e r d e n , so ebenfalls n u r u m festzustellen, d a ß es seelische G r u n d l a g e n sind. E s v e r s c h w i n d e t s o m i t a u c h die T u g e n d , sofern sie im D r e i c r s c h e m a der L e b e n s f o r m e n den I n h a l t des s t a a t s m ä n n i s c h e n L e b e n s gebildet h a t t e . V o n j e t z t a b sind Seele u n d T u g e n d des S t a a t s b ü r g e r s die t r a g e n d e n Begriffe, m i t d e r e n Hilfe m a n zur Definition d e r E u d ä m o n i e k o m m t . D a n a c h v e r s c h w i n d e t a u c h die E u d ä m o n i e — n u r noch e i n m a l , in V I I 2, s t e h t sie im H i n t e r g r u n d d e r E u t y c h i e l e h r e (vgl. MM 1206 b 30) — u n d der W e g ist frei f ü r d a s H a u p t s t ü c k d e r E t h i k , die T u g e n d e n . D a s B u c h I f i n d e t also keine E r f ü l l u n g . Diese b i e t e t e r s t E N . P a r a l l e l e n : MM 1 1 8 4 b 1 - 6 . E N 1 0 9 8 b 1 2 - 1 5 . Pol. V I I 1, 1323a 2 1 - 2 4 a 4. I n MM g e h t Ar. v o n d e r T u g e n d a u s ; wir k ö n n e n a u c h s a g e n : v o m äya&öv, d a er die T u g e n d gleich u n t e r diesem Oberbegriff b e t r a c h t e t . N a c h der P o l e m i k gegen d a s p l a t o n i s c h e a b t r e n n b a r e äya&ov u n d d a s „ s o k r a t i s c h e " n i c h t - a b t r e n n b a r e s e t z t er in I 2 m i t d e n G ü t e r d i ä r e s e n ein u n d f i n d e t v o n d a zur F o r m u l i e r u n g , d a ß die E u d ä m o n i e ein aQiarov ist (der N a m e der E u d . e r s t m a l s 1 1 8 4 a 11—14). I n I 3 s o d a n n b e g i n n t er m i t einer „ a n d e r e n " Diärese (der ü b l i c h e n D r e i t e i l u n g ) ; die ßekriaTa sind seelisch. D a n n folgt in I 4 die Definition der E u d ä m o n i e u n d in I 5 die Psychologie. I n E N k o m m t er r a s c h v o m ayaßöv zur E u d ä m o n i e ; d a n n P o l e m i k gegen P i a t o n ; die Definition s c h o n E n d e I 6. D a n n erst in I 8 die P r ü f u n g d u r c h die Ä£y6/j.eva, d e r e n erstes die G ü t e r d r e i t e i l u n g ist. E r s t in I 13 f o l g t die Psychologie, a u s d e r sich gegen E n d e v o n B. I die Zweiteilung d e r T u g e n d e r g i b t . E E h ä n g t m i t P o l . z u s a m m e n d u r c h die B e r u f u n g auf die e x o t e r i s c h e n Logoi, ( n i c h t in MM, E N ; e r s t m a l s , auf d e r Spengelschen Basis, e r ö r t e r t v o n E . Zeller H e r m e s 15, 1880, 553—6), sowie d u r c h die G ü t e r - Z w e i t e i l u n g ( V I I 1, 1 3 2 3 b 27; allerdings g i b t es im selben B u c h a u c h die D r e i t e i l u n g , 1323 a 25). E E h ä n g t m i t MM z u s a m m e n d u r c h d e n E i n s a t z m i t iiXhj ÜQX>) (FL).hj äiaineaii; MM 1 1 8 4 b 1), v o r allem a b e r d a d u r c h , d a ß erst n a c h der G ü t e r t e i l u n g die E u d ä m o n i e definiert wird. D a s h e i ß t , die G ü t e r t e i l u n g s t e h t k o m p o s i t i o n e l l in diesen b e i d e n E t h i k e n a n derselben Stelle ( B a n d 8, 196 oben). B e i d e E t h i k e n u n t e r s c h e i d e n sich v o n E N stricte d a d u r c h , d a ß die G ü t e r t e i l u n g n i c h t als )*ey6t.ievov z u r B e s t ä t i g u n g der v o r h e r gew o n n e n e n E u d ä m o n i e d e f i n i t i o n b e n ü t z t ist. Gewiß wird diese a u c h in E E b e s t ä t i g t (1219 a 40—b 20), a b e r e b e n o h n e Blick auf die G ü t e r . Ü b e r die t r a d i t i o n e l l e G ü t e r e i n t e i l u n g siehe B a n d 6, 281—283 u n d B a n d 8, 196; 11, 14. D o r t a u c h die Z u r ü c k w e i s u n g v o n Spengels Versuch die g e n u i n e Zweiteilung v o n E E d u r c h K o n j e k t u r zur D r e i t e i l u n g zu m a c h e n . Ü b r i g e n s stellt a u c h I s o k r a t e s e i n m a l ( X V 290) die „ a n d e r e n G ü t e r " als G e s a m t h e i t d e n seelischen g e g e n ü b e r u n d bezeichnet (V 109) die T u g e n d e n als rd r f j yiv%fj Tiooaövza aya&d. I S , 4 ( 1 8 b 34) „ i n d e n e x o t e r i s c h e n S c h r i f t e n " . Siehe o. zu 1 7 b 22. I c h m ö c h t e m i t B e z u g n a h m e auf B a n d 8, 186 a n n e h m e n , d a ß diese Zweiteilung a u s d e n „ D i ä r e s e n " s t a m m t . D a s w ü r d e sich a u c h g u t zu d e n E r k e n n t n i s s e n W i e l a n d s in d e m o. zu 17 b 22 g e n a n n t e n A u f s a t z f ü g e n . W e n n m a n diai^tm/ie&a g e n a u n i m m t ( „ e n t s p r e c h e n d einer Diärese, die wir in den e x o t . Sehr, m a c h e n " ) , so ist c'aniit wohl ausgeschlossen,
221 ilaß sich Ar. auf irgendeine p o p u l ä r e a u ß e r p e r i p a t e t i s c h e Quelle bezieht. Diese 1. Pers. p l u r . ist in d e r T a t der s c h w ä c h s t e P u n k t in d e r so g l ä n z e n d e n Beweisf ü h r u n g v o n Dicls (487). D e r P r o t r . (52, 12—15 P ) j e d e n f a l l s scheidet als Quelle schon d e s h a l b a u s , weil d o r t a u s d r ü c k l i c h die D r e i t e i l u n g e r s c h e i n t . W e n n m a n ü b r i g e n s d a v o n a u s g e h t , d a ß in Pol. 1323 b 25 27 d e r A u s d r u c k rä ¿iajreoixä dya&d s y n o n y m isl m i t ra exrog dya&ti, wobei l e t z t e r e r zu v e r s t e h e n ist als exrog njg yn'XVS äyudä (ähnlich P o l . 1325 b 22 -f- 29 nnd^etg -- ngdieig ixrog rfjg diavoiag, G e g e n s a t z oixeiai; f e r n e r Pol. 1272 b 19 ¿ f . ao'/rj — ¿xrog ri}g Kgr'jTrjz, u n d schließlich D e gen. a n . 786 a 26 /löoia — r a exrog ri)g xoMag ft6(_na, Gegensatz ra evrog /mgia H . a n . 508 b 26), so sind die e x o t . Logoi zu v e r s t e h e n als Äoyoi exrog rov X . , ?.6yoi ovx olxeloi, ovx evrog. Aber w a s dieses X ist, k a n n a u c h Wieland n i c h t k l ä r e n . D e n n wie sollen, v o n seiner T h e s e lirr, S c h r i f t e n o d e r A r g u m e n t a t i o n e n des Ar., die er selbst in d e r Zeit der f r ü h e n , m i t I s o k r a t e s k o n k u r r i e r e n d e n R e d n e r s c h u l e h e r v o r g e b r a c h t h a t , exrog nvog sein? W e n n hier in E E die Aiatgeaetg „ z i t i e r t " sind, so k a n n Ar. diese n u r d a n n als ,.Werk a u ß e r h a l b v o n X " b e z e i c h n e n , w e n n er m e i n t e „ a u ß e r h a l b m e i n e r j e t z i g e n S c h u l e " oder „ a u ß e r h a l b m e i n e r , n a c h d e m I s o k r a t e s - I n t e r m e z z o s t r e n g g e w o r d e n e n P h i l o s o p h i e " . A b e r wie soll m a n sich d a s Griechisch d e n k e n ? Vielleicht b i e t e t doch E E 1217 b 22 d e n Schlüssel, als einzige Stelle, wo die e x o t . S c h r i f t e n u n d die xard rpiXoooipiav n e b e n e i n a n d e r s t e h e n . D a n n w ä r e n die e r s t e r e n solche des Ar., a b e r exrog rijg rpi?.oaoTr] fjfaxia, dann k o m m t die dx/iri, dann das A l t e r : R h e t . I I 12—14. Alter und J u g e n d als Te.Xt.iov und äreXeg nebeneinander: Pol. 1259 b 3. D a ß aber deswegen das Alter nicht einfach d i e Zeit der E u d ä m o n i e ist, sieht m a n aus den unzähligen K l a g e n über die Beschwerden des Alters. D a ß das Mannesalter für die E u d ä m o n i e reserviert sei, k a n n m a n aus MM 1185 a 4 schließen. Doch hat Ar. den Gedanken nicht ausgebaut. — S o l o n : Herodot I 32—33. E . Fraenkel, K o m m , zu Agamemnon 9 2 8 . 2 0 . 4 ( 1 9 b 7) „das L e b e n " . Dies, und nicht 6 tüv ist S u b j e k t : Leges 8 0 2 a 2 (-|- 801 e 7) . . . TIQIV av rtg Cmavxa TOV ßiov dtadnaßibv TeXog ¿7iiaxr\AR\xai Y.aXdv (sc. avxiü). — MM 1204 a 3 4 : ein Gut gehört nicht in den Bereich des cirfAej. E N 1177 b 2 5 : kein Teilaspekt des Glücks ist d r e ^ c . S. auch Pol 1 3 3 9 a 30. ' 2 0 . 5 (19 b 8) „ G a n z e s " : SXov. S. o. zu 1 9 a 37. F ü r P i a t o n ist TeXecuraTog und öAog synonym ( R e p . 3 4 4 a 4 + c 2). D a s ist der Gegensatz zu TO äreXeg ov% oAov ( E E ) . Und so finden wir bei Ar. z. B . nebeneinander TO T¿Aeiov xai SXov ( P h y s . 2 2 8 b 14), auch wenn 5Aov dem Zusammenhang nach nicht nötig ist. Die Kreislinie ist im Vollsinn ein ev, weil sie 5Xt] xai xileiog ist (Met. 1016 b 17), und auch die L u s t ist ein oAov xai TEAEIOV ( E N 1174 b 7). 20,5 (19 b 8) „ F e r n e r " . Die 3. Bestätigung betrifft wie die erste den A k t i v i t ä t s c h a r a k t e r der E u d ä m o n i e : sie wird bestimmt durch W e r k e , ist nicht bloße Dynamis. Parallelen: MM 1 1 8 3 b 26 („Andere Güter sind des Lobes wert, z . B . die Tugenden, denn von den Handlungen her, die im Sinne der Tugenden vollzogen werden, wird das L o b zuteil"). E N 1 1 0 1 b 31—34 ( „ D a s L o b gilt der Tugend, denn von ihr her wird m a n befähigt sittlich zu handeln, und das E n k o m i o n giltjden igya"). R h e t . I 9 , 1367 b 26—33 ( I I 11, 1388 b 21) Sari ö'eTiaivog Aoyog Efupavi^a>v fiiyE&og ägerfjg. SEI qvv rag nod^eig Emöeixvvvai d>g roiavrat. TO ö'eyxwfiiov TÜJV egyaiv iarlv . . . öiö xai Eyxui/iid^ofiev TtQd^avxag. r a d'egya arjfisia rrjg E&mg eoxiv. Leges 801e 8 ( E n k o m i e n für xaXä egya). Siehe auch B a n d 6, 2 9 0 ; 2 3 , 1 ; 2 9 1 ; 24, 2. B a n d 8, 1 8 7 ; 9, 10. D a ß letztlich alle drei E t h i k e n die Diärese der Güter in inaivera und xifiia voraussetzen, d. h., nach dem Zeugnis Alexanders, die aristotelischen „ D i ä r e s e n " , sieht m a n nur in MM ( B a n d 8, 187). I n E E steckt das ttfiiov unausgesprochen im 6. Argument.
229 D a ß E E und E N stärker als MM mit der Rhetorik zusammenhängen, zeigt ohne weiteres ein Blick auf deren Text. Die einschlägigen Texte in MM und E N sind unvollkommene Parallelen; alle drei Ethiken benützen zwar dasselbe Grundmotiv, daß nämlich die Tugend gelobt wird. Aber weder MM noch E N benützen es, um eine weitere Bestätigung der Eudämoniedefinition zu bekommen. I n MM steht es v o r der Definition, in E N zwar n a c h ihr, aber nicht zum Zwecke der Bestätigung; denn wenn m a n bei summarischer Betrachtung sagen k a n n , d a ß E N I 7—10 der Bestätigung dienen, k a n n m a n dies von I I I nicht mehr sagen; dieses Kapitel dient nur dazu, abschließend den überragenden Rang der Eudämonie zu illustrieren, worum es gerade in E E nicht geht. E E steht also dadurch, daß Ar. das Motiv zur Bestätigung verwendet, allein. — Die nachlässige Formulierung von E E , die nicht erkennen läßt, w a r u m es nicht einfach h e i ß t : xai ol inaivoi xai TU ¿yxch/xia rcjv egyoiv, wird erst aus Argument 6 verständlich (s. u.). 20,7 (19 b 9) „den K r a n z " . Auch die 4. Bestätigung zielt auf den Aktivitätscharakter. Sie steht in E N (1099 a 3—7) an derselben Dispositionsstelle. Der Vergleich („wie der K r a n z — so das Glück") ist dort voll ausgeführt. 20,9 (19 b 11) „Werken". Ziel der 5. Bestätigung wie bei 4. An ganz anderer Dispositionsstelle, nämlich zum Abschluß der Lehre von der Entscheidung, findet sich in MM I 19 und E E I I 11 eine Parallele: man beurteilt die Qualität eines Menschen nach seiner ngoatgeoig (xgivo/xev noiog Ttg); nur weil diese schwer zu erkennen ist, hält m a n sich auch an die Werke (MM 1190 a 3 4 - b 6 ; E E 1228 a 2. 16). Auch Rhet. I 9, 1367b 31—33 ist vergleichbar. 20,13 (19 b 12) „Lobrede". Die 6. Bestätigung bezieht sich auf 19 a 34. 36; die Eudämonie ist ägiorov, rekeov. Parallelen: MM 1183 b 2 6 - 2 7 . E N 1101b 21—34. R h e t . 1367 b 26—35. Man lobt Werte, die in Relation zum Höchstwert stehen, z. B. die Tugend, oder die Teile von ihr sind. Also ist Lob f ü r das was etwas Absolutes und nicht Teil, sondern Ganzes ist, zu wenig. F ü r Eudoxos ( E N 1101b 27—31) war die Lust der H ö c h s t w e r t ; auch dieser wird nicht gelobt u n d so schloß Eudoxos, d a ß er erhaben sein müsse über die inaivErd. Und auch er sprach von der Bezogenheit äva igyiov. E s ist bestimmt f ü r die, welche gehandelt h a b e n (ngdgavre;). Durch die Rhetorik wird auch die nicht sofort durchsichtige Bestimmung der Lobrede verständlich: TOIOVTOQ xa&öXov ist nichts anderes als die Umschreibung f ü r ei ig, ¿nerr). D a Tugend sich in Handlungen entfaltet, ist also deren Tugendcharakter aufzuzeigen (dei oüv rag 7iQg roiavrai). N u n verstehen wir in Argument 3 (s. o.) den Ausdruck, die Lobrede gehe auf die Tugend Sia rag Jioafeig. Man möchte zunächst meinen, das Thema sei somit dasselbe wie beim Enkomion. Gewiß, beide haben es mit Werken, Handlungen zu t u n , aber das Enkomion zielt auf die Einzelleistung (es m u ß deswegen nicht nur eine einzige sein), die Lobrede dagegen auf den Gesamthabitus, der allerdings nicht als ruhend gedacht ist.
230
Anmerkungen
Zum T e x t : /.¿yoq ist liier nichts anderes als das Vcrbalnomen von Äty. Und so ist zu verstehen o encuvog Äeyei + Infinitiv. Damit erledigt sich der Einschub von zov vor TotovTov durch Bonitz 1 1844, 36. Dann aber wirkt Xdyei auch bei evöai/joviofiog weiter und das überlieferte reAot; braucht nicht in r¿Xovg geändert zu werden (Bonitz a. O.). Der Sinn von reAog ist wie 19 b 7 „Vollendung". „Ganzes". Dieselbe Vorstellung liegt auch der Bestimmung des evöaifiovio/MS in der Rhetorik (a. O.) zugrunde: „Wie die Eudämonie die Tugend umfaßt, so der tvSai/joviv/jog sowohl die Lobrede wie das Enkomion". Diese gehen auf Teilaspekte, jener auf ein oAov, das riXog. 20,17 ( 1 9 b 16) „Aporie". Die 7. Bestätigung geht wieder auf den in der evegyeia ausgedrückten Rang der Eudämonie. Sobald der Mensch schläft, also die Aktivität suspendiert ist, besteht kein Unterschied mehr zwischen dem, der Tugend hat und dem, der sie nicht hat. — Parallelen: E E 1219a 25 (ägyia). MM 1185a 9 - 1 3 ; dazu Band 8, 201; 13, 4. E N 1102b 2 - 8 . E E stimmt mit MM überein in der Dispositionsstelle, denn auch in MM dient das Argument der Bestätigung („daß die Eudämonie eine Energeia ist, sieht man auch aus folgendem . . . " und nun kommt das Schlafmotiv). E N steht E E näher in der sprachlichen Formulierung (der Treffliche — der Minderwertige; das halbe Leben; ngyia o vnvog Tfjq yvxiji), aber eben diese Gedanken werden erst in I 13 entwickelt, (1. h. innerhalb des neuen Themas' „Von der Tugend, also von der Seele" (1102 a 6 - f 17, was in E E und-MM erst später folgt): in der Seele ist ein rationales und ein irrationales E l e m e n t ; zu letzterem gehört auch das Vegetative, das aber für das folgende Zusammenwirken von Rationalem und Irrationalem auszuscheiden hat. weil es nicht „ethische" Tugend besitzt. Und dies wird illustriert durch das Schlafmotiv. Dieses kommt also deshalb herein, weil j e t z t die Seele als Trägerein der Tugend zu diskutieren ist, nicht weil ausdrücklich der Aktivitätscharakter der Eudämonie von einer neuen Seite her zu bestätigen wäre. — I n den Gesetzen hat Piaton übrigens Strenges gegen zu langen Schlaf gesagt. Begründung: xa&evöiov yäg ovöeiq ovbevoq ä^toQ, ovöcv fjäV.ov rov [ir/ ovxoq ( 8 0 8 b 5). 20,20 ( 1 9 b 20) „Selbst wenn" usw. Parallelen: MM 1185a 1 4 - 3 5 . E N 1102a 32 —02 b 5 ; 1102 b 9—11. Ist das eine 8. Bestätigung oder eine „Anmerkung"? Jedenfalls ist es keine allgemeine Vorstellung, sondern eine Reflexion auf der Basis der aristotelischen Psychologie. Gewiß ist, daß auch dieser Passus (dio xa't) indirekt die Bedeutung des Begriffes der Aktivität in der Glücksdefinition erhellt; man sieht nämlich, daß ein innerseelisches Vermögen, das „mehr im Schlafe" arbeitet, zwar auch seine eigentümliche Leistungstrefflichkeit besitzt, aber wegen seiner reduzierten Energeia nicht zu jener vollendeten Trefflichkeit gehört, welche in der Glücksdefinition vorkommt. Anders ausgedrückt: indem der Abschnitt den in der Definition festgelegten Begriff der energetischen Tugend von der zweitrangigen Energetik einer zweitrangigen Tugend reinigt, wird jener Teil der Definition bestätigt, welcher besagte: es gibt partikulare „Tugend" und Volltugend (19 a 37), von der nur letztere in Frage kommt. Mit Recht hieß es also in der Definition: xar' äoerTjv reXeiav. Ich habe daher diesen Passus als 8. Bestätigung notiert. Wenn wir nun andererseits nach einer Bestätigung unserer Interpretation ausschauen, so gibt es deren zwei: Erstens hat der Schlußsatz ( 1 9 b 24) folgenden Sinn: Selbst im Schlafe, also bei reduzierter Energeia, also bei prinzipieller Aufhebung des Unterschieds zwischen Guten und Schlechten, sind immerhin noch die Träume
231 der Guten besser. Der ,,Guten" — das heißt jener, die im Wachzustand xaT'doeriyi releiav leben. Die darin steckende Energeia ist also in der T a t höchstrangige Aktivität, wenn sie selbst im Schlaf noch das Niveau der Träume bestimmt. Zweitens haben wir das Zeugnis von MM ( 1 1 8 5 a 14f.), was erstaunlichcrweise noch nie bemerkt worden zu sein scheint. Ich hebe nur die entscheidenden Sätze heraus: Wenn das &Q£7iTix6v eine Tugend hat, dann muß auch diese Tugend tätig sein, d e n n Eudämonie bedeutet j a Tätigsein xax äoETtjr TeXet'av . . . Auch wenn es Tugend des doeTiTixov gibt, so hat sie doch keine Energeia . . . S o m i t wirkt dieser Seelenteil nicht mit am Zustandekommen der Eudämonie. Damit ist auch geklärt, daß E E wieder, gegen E N , mit MM zusammengeht, was die Disposition betrifft. Wie in MM so folgt auch in E E j e t z t unmittelbar das Thema Tugend und Seele. — Nun noch Einzelheiten: 20.22 ( 1 9 b 21) „ T e i l " . Der Bezug auf 1 9 a 37 liegt zutage. 20.23 ( 1 9 b 22) „des Leibes". Daß auch die Tugend des Leibes nicht ein Teil der Volltugend ist, dafür weiß ich keine Parallele. Es stimmt aber zu der starken Heraushebung der seelischen Güter gleich zu Beginn von Buch I I . Auch sonst spielen die körperlichen Vorzüge trotz dem reichen Katalog in R h e t . I 5, 1361 b 3—35 keine besondere Rolle in der E t h i k : „Menschentugend" bedeutet nicht die des Leibes, sondern die der Seele: E N 1102a 16. Über das Schlußkapitel von E E ist noch zu sprechen. In den Nomoi bemüht sich der Gesetzgeber mit großer Eindringlichkeil auch um die Ausbildung der Tugend des Leibes. 20.25 (19b 23) „Wahrnehmungsvermögen". An der entsprechenden Stelle von MM steht die platonische Dreiteilung, von der E E und E N keinen Gebrauch machen: Band 8, 204; 13, 11. De anima I I I 10, 4 3 3 b 1: „ F ü r diejenigen, die Seelenteile unterscheiden, gibt es, wenn sie diese nach Vermögen unterscheiden und trennen, eine ganze Menge: den ernährenden, wahrnehmenden, denkenden, überlegenden und dazu den strebenden T e i l " (W. Theiler). Dazu Theiler, Band 13, 1 4 9 - 1 5 0 . 20.26 (19 b 24) „die Schlafenden". Daß nur dies als S u b j e k t zu fiexExovoiv möglich ist, ergibt sich aus dem folgenden. Über die Bedeutung dieses Satzes im Gesamtzusammenhang s. o. Die Sache selbst ist zu klären aus dem 3. Kapitel der Schrift Über die Träume (Parva Nat. 460 b 28—462 a 31). Wahrnehmung ist ein kinetischer Vorgang. Auch wenn im Schlaf der K o n t a k t mit den äußeren Wahrnehmungsgegenständen unterbrochen ist, geht die Bewegung weiter. E s entstehen Wahrnehmungsbilder, die nicht mehr an der Realität kontrolliert sind ( = T r ä u m e ) ; sie können nicht kontrolliert werden wegen der Passivität, der ädvvaftia rov ¿vegyelv (461a 9), in der sich die Sinnesorgane während des Schlafs befinden. Also auch der Schlafende hat teil an y.ivrjoii, an einer modifizierten {nrj ist die richtige, von Casaubonus aus E N 1102 b 9—14 gewonnene Lesung des sinnlosen /t/J); er hat Träume. Der Begriff der Bewegung erscheint auch in der Definition des Traums (462 a 29). Wieder also zeigt sich das differenzierte Interesse des Ar. am Phänomen der Bewegung und am Biologischen (s. o. zu 1 6 a 3). In diesem Punkte stimmt E E zu E N , wo Ar. denselben Gedanken noch einmal vorträgt (1102 b 9), doch ohne die weitere, verfeinerte und den Satz von der höheren Qualität der Träume der Guten in seiner Gültigkeit noch verstärkende Beobachtung, daß er nur dann nicht gelte, wenn äußerer, also unverschuldeter, Zwang auftrete. — Zu der attischen „ F o r m e l " luv fit] öid siehe KühnerGcrtli 1, 4 8 4 - 4 8 5 .
232
Anmerkungen
20.30 ( 1 9 b 26) „ D a n a c h " . Parallelen. E E 1219b 2 6 - 2 0 a 4 : MM I 5 ( - 1 1 8 5 b 12): E N 1 1 3 . Einzelnes im folgenden. Alle drei E t h i k e n h a b e n Seelenteilung u n d d a m i t T u g e n d t e i l u n g (diese auch in MM, sachlich, wenn a u c h nicht terminologisch: B a n d 8, 208; 14,8) an derselben Dispositionsstelle. E E u n d MM b e r ü h r e n sich i m Stil, schon in der gegenüber E N 1102 a 5—27 k a r g e n Einleitung d u r c h fiera ravra (diese in E E a u c h 18b 27. 31; 2 0 a 13; 2 1 b 2 7 ; 2 5 b 18; 3 0 a 37. In E N n u r zu A n f a n g von B. V I I , V i l i , X). I m einzelnen überwiegen, neben Unvergleichbarem, die B e r ü h r u n g e n mit E N , doch i m m e r so, d a ß es völlig u n e r k l ä r b a r bliebe, wie die K u r z f a s s u n g zeitlich nach, quellenmäßig aus E N h ä t t e e n t s t e h e n k ö n n e n . 20.31 ( 1 9 b 27) „Seelisches". So b e t o n t n u r in E E herausgehoben, entsprechend d e m E i n g a n g von B u c h I I . I m folgenden ist nach Pliys. 192 b 23 zu v e r s t e h e n y.aft' avrò y.al firj xarà av/xßeß>]xo-Stil Außerdem kommt nur mit tarai
lavai.
von E E .
klar heraus, daß der ganze Abschnitt b 7—20,
und dazu noch das ganze Kapitel 3 verfaßt ist im Hinblick auf die Gebietsbestimmung und damit vorläufige Definition der Tugend in K a p . 4 (bes. 21b 34—39). Das alles ist also Vorarbeit und deren erster Abschnitt, eben b 7—20, dient der Feststellung, daß von den drei seelischen Gegebenheiten (jratfr/, öiwdfteig, e^etg) die soz. unterste Schicht, nämlich das nd&og, zentrale Bedeutung hat: sowohl
die ówd/ueig
wie auch die efets sind auf die Tid-fhj bezogen. Dies auszusprechen wäre wohl nicht nötig, wenn nicht die karge Ausdrucksweise und der leidige Pronominagebrauch zu Mißverständnis führte. Es müßte anerkannt werden, daß mit ravra
(20 b 14
und 18) rd nd&r) gemeint sind. 23,4 (20b 8) „ A f f e k t i o n e n " : naflrjftdxwv. Wiederholt 21b 36, gleichbedeutend
mit
Svfiaitig rov ndayt.iv (vgl. E N 1106 a 7). nd&tj/ia (nddoq) hat offenbar zwei Seiten : die rein passive Zuständlichkeit und das Energetische. Warum hier die nafirjftaTa als Gen. subiect. v o n den . Nahezu wörtlich auch in De interpretatione 22a 22, wo ebenfalls eine Liste folgt. Desgleichen Hist. an. 510a 29; 566a 13 (anatomische Zeichnungen, auch mit markierenden Buchstaben). U m beim Disputieren dialektische nQOTäaeiQ zur H a n d zu haben, soll m a n Staygaqxii machen, von Gattungen, z . B . ¿yadöv, Cqiov (Top. 105 b 13, vgl. auch Anal. Pr. 46 a 8). Nach Xenophon (Mem. IV 2, 13) h a t Sokrates eine Belehrung über G(erechtigkeit) und U(ngerechtigkeit) insofern systematisch anlegen wollen, als er auf die eine Seite ein G, auf die andere ein U schrieb und darunter die Einzelfälle zu notieren begann. — Plato, Polit. 277 d 1: es ist schwer eine bedeutende Sache richtig darzustellen, wenn man keine „Beispiele" verwendet. Top. 157 a 14: zur Deutlichkeit m u ß m a n „Beispiele" beibringen. Eine Tabelle in II. zäya&ov hält K r ä m e r 1959, 359 nicht f ü r ausgeschlossen. 24.6 (20b 38) „ P h l e g m a " : ävaÄyr/ina (20b 17 avdXytjTog). I m Sinne des einen Extrems zur „ R u h e " nur noch MM 1186a 23 u n d Stob.; s . B a n d 8, 214; 1 6 , 4 ; Kapp 1 1912, 9. W a r u m die Tabelle mit der Tioaoxrjt; beginnt, läßt sich nicht exakt feststellen. Völlige Willkür ist es nicht, wie oben gezeigt. Über die Möglichkeit einer Erklärung s. Band 6, 383; 86, 4, Arnim 4 1927, 42. - W e n n übrigens in der Tabelle, trotz 21 a 13 T« fiiv näßi/ raora, auch die Mitten erscheinen, so wird deshalb niemand die 3. Colurnne streichen wollen. Nach der Ankündigung sollen j a die fiiaa studiert werden, die Mitten aber sind Mitten von nd&ri (vgl. MM 1186 b 35). E s entspricht also ganz der grundsätzlichen Bedeutung des 7iä&ogoavvrj;, s o n d e r n vno navov(iytaaivovzai yän (sc. r d r'i&r) ziov ¡¡.qiüiv) e/ovrd ziva ¿öva/Jiv Jifoi ixaazov rü>v Trjg Y>vx>]g na&Tjptdzwv tpvotxrjv, neoi TC tpQÖvtjaiv xai evrj&etav, xai ävÖQeiav xai öeiXiav, neni ze nQaözrjza xai xafonorrjTa u s w . Zwei ä h n l i c h e L i s t e n , wobei das einemal das „Dianoetische" voransteht, das anderemal nachfolgt, stehen im S t o b a e u s (145, 19—146, 14: acxpla, (pnovr/at^, dvdgeia u s w . , w o aotpia n a t u r g e m ä ß die a r i s t o t e l i s c h e h ö c h s t e V e r s t a n d e s t u g e n d ist, u n d in d e r R h e t o r i k ( I 9, 1366 b 1): G e r e c h t i g k e i t , T a p f e r k e i t . . . (poovtjoit;, ooqpia, w o l e t z t e r e g e w i ß n i c h t a n d e r s zu v e r s t e h e n ist wie in d e n o b e n z i t i e r t e n Beispielen a u s P i a t o n . D e r l e t z t e G r u n d , w a r u m die P h r o n e s i s - G r u p p e als l e t z t e in d e r T a b e l l e v o n E E s t e l l t , wird d e r sein, d a ß e t h i s c h e T u g e n d j a o h n e P l i r o n e s i s n i c h t d e n k b a r ist. S c h o n P i a t o n k e n n t z. B . eine .ißaoTTji /.lezü. ipnov/joeiog ( C r i t i a s 1 2 0 e 4 ) ; auf die T a b e l l e f o l g e n die B e s c h r e i b u n g e n , in d e n e n j a s o f o r t d a s ü; ¿et seine Rolle spielt, v o n d e m wir s p ä t e r h ö r e n , d a ß e.< v o m oQ&di Aoyoj, d . h. d e r P h r o n e s i s , b e s t i m m t w i r d . M a n darf d a r a n e r i n n e r n , d a ß Ar. d e n i;); das Erkennen beim Handeln, die Ttnaxxtxrj öidvota, geht a u c h auf Wahrheit, aber nicht auf das ov, sondern auf die yevEOiz, also auf ein Gebiet, das unserem verändernden Eingreifen zugänglich ist (Part. an. 640 a 3 t) ydn doxy xolg j-tiv xö öv, rot; tU xo EOÜ/IEVOV). I n E E ist also nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Wahrheit gemeint; durch t}— ij sind zwei verschiedene Objekte bezeichnet, yereotz bedeutet hier dasselbe wie E E 1214a 28 (yeveaas oT£oa ivairtia rrj fieaoTrßi, xai r) vneqßoMi xai rj evdeta) ergibt sich zwingend daß auch in E E (22 a 20) mit ravra das Übermaß und das Untermaß gemeint sind. Wie diese einander und dem Mittleren entgegengesetzt sind, so sind es auch die l£eti. Dieses „so — wie" findet sich in den anderen Ethiken nicht, aber in E E betont Ar. eben die Objekt- und die Subjektseite. Der Text von ävdyxt] bis ägnTfj ist klar, aber weniger klar ist, wie sich die Folgerung aus dem Vorhergehenden ergibt. Man wird sich an die Definition der i!ji$ in Met. V 20, 1022b 10 erinnern müssen: dia&eaig xa&'rjv rj eß fj xaxmg duixetrai ro Ötay.n'iievov. Und außerdem ist eft; ein Relationsbegriff (ngo; T( Cat. I I a 22). Es gibt, so sagt nun Ar. in E E , eine el-ig, die ein Über-
263 maß von dem Tumy/tu X veranlaßt, und eine, die ein Untermaß von dem noây/ia X bewirkt. Das sind objektive Gegensätze — folglich müssen auch die Gegensätze sein. Da sowohl die eine wie auch die andere eine «fie ?TQOÇ to '¿BÏQOV ist, kann Ar. von êÇiç riç sprechen. Nehmen wir als Beispiel das 7ioäy/ta „ F u r c h t " . Da gibt es a) eine e|iç JIQÔÇ tO -/eitjov, die den Inhaber ein Übermaß von Furcht akzeptieren läßt (Feigheit), b) eine NQÔÇ ro die den Inhaber ein Untermaß von Furcht aufnehmen läßt (Tollkühnheit). Man kann also objektiv feststellen, daß bei Gegebenheit ein und desselben ngäy/ia, der Furcht, Übermaß und Untermaß realisiert wird. Das sind èvavriœ xai yàn éari JICOÇ àvzixeifwva. âÀÂtfAot;. ôi/Xov ovv, ort "MÙ oi aurù ràc eçeiç ravraç Xeyofievoi ô/iolojç àvnxeiaovrai atpiatv avzolç ( E E I I I 1, 1228a 29—31). Dieser Interpretationsversuch hält sich in 22 a 19 an den überlieferten Text (ov fit r — ou ôé), an dem auch Rassow 1 1858 keinen Anstoß fand, was ihm Bonitz' 2 1859. 21—22 zu Unrecht vorhält. Der Satz wird sinnlos, wenn man zwei ngäy/iara annimmt (ov = jov) oder zwei Personen einander gegenüberstellt (o ftiv — o ôé, Bonitz). In letzterem Fall wäre es, selbst bei äußerst nachlässigem Stil, unbegreiflich, warum es nicht statt vivra heißen sollte ovroi — ivavriot. Bonitz selbst hat ov fiiv — ov ôé int Corpus Ar. nachgewiesen (Oec. I I 1, 1345b 34). Gewiß ist dort die Bedeutung rein lokal. Aber in unserem EE-Kapitel steht viermal ÔTE fièv — oxe ôé und êv&a ftiv — êr&A ôé und so wird es verständlich, wenn Ar. in 22 a 19 aus Gründen der Variation èvêu durch ov ersetzt. Von Spengels ovre — ovre kann man bestenfalls annehmen, daß es Druckfehler statt ¿ré ist. ¿7,20 (22a 18) „Einfluß in der Richtung": rotovroç; v>are. Dies kenne ich im Corpu» Ar. nicht. Aber in E . Fraenkels Agamemnon-Kommentar ( S . 668) stehen genug Belege. 27,22 (22a 19) „ R a u m gewinnen l ä ß t " : ù.W/tyraO«!. Wie z . B . bei Plato, Protag. 346 d 3 (rà ftéaa nTrohtytrai). 27,25 (22 a 22) „die Gegensätze", àvri&eaiç kommt zwar bei Ar., vor allem in den logischen Schriften, häufig vor, aber in den Ethiken nur hier. Noch häufiger findet sich das gleich folgende evavritoaig, aber in der bei Piaton und Isokrates begegnenden Nuance „Diskrepanz" kenne ich es in den Ethiken ebenfalls nur hier, àviaozrjç (a 25) kommt in E N nicht vor, wohl aber in der Politik und im Freundschaftsteil von MM. 27,25 22a 23) „allesamt". E N 1108b 29: Die Extreme sind voneinander weiter entfernt als von der Mitte, so wie der Abstand von groß und klein, klein und groß beträchtlicher ist als beider Abstand vom Gleichen". 27,28 (22 a 24) „Der Grund . . . lokalisiert ist". Die Überlieferung aïuov )filv, also ein Willentliches (EN 1113b 6) b) der Mensch ist Ursprungs von Handlungen (EN 1113b 7) übereinstimmen. Den genau entsprechenden Abschnitt von MM dagegen notiert er nur mit einem „confer" Richtig Walzer (73): „Eine dem straff gespannten Beweisgang von EE II 6 entsprechende Ableitung der Selbstverantwortlichkeit des Menschen enthält die NE an keiner Stelle". Die richtigen Parallelen sind folgende. EE 1222b 1 5 - 1 8 : MM 1187 a 2 9 - 3 5 : EN 1113b 17-19 (1112b 31). EE 1222b 1 8 - 2 0 : MM 1187b 4 - 9 (vgl. EN 1099b 32—1100a 1). EE 1222b 2 0 - 2 5 : - . EE 1222b 2 5 - 2 3 a 4 : MM 1187a 3 5 - b 4 (89b 9-13). EE 1223a 4 - 9 : MM 1187b 4 - 2 0 . EE 1223b 9 - 1 5 : MM 1187a 19-23 (vgl. EN 1109b 31). EE 1223b 15-20: vgl. EN 1113b 6; 13. 1114b 19. 28.32 (22b 15) „die folgende Untersuchung": r r j g emovatjg axeyewq. Der Ausdruck sonst nirgends bei Ar.; vergleichbar nur Rhet. 1414b 21; 1419a 22 sowie Plato, Protag. 344 a 6 und Phaedr. 260 e 2 (oi ¿mövreg Xöyoi). 28.33 (22b 16) „Wesenheiten": ovat'ai. Zu den Begriffen „Substanz" und ÖQxtfi sie in EE verwendet sind, siehe Walzer 27—31. Dazu Met. V 1 u. 8; De anima 402a 6; 415 b 8 - 1 4 . Bonitz-Index 545 b 41-45. 28,35 (22b 17) „gleichartige": roiavta. Über den platonischen Ursprung dieses Gedankens Band 6, 334—335. — Der Satz „Mensch zeugt Mensch" ist von Bonitz (Index 59 b 40—45) als solenne generationis naturalis exemplum aus der Met., der Physik, Zoologie reich belegt. 28,37 (22b 18) „Lebewesen": £o> i [oj>]. Es ist nicht einzusehen, warum Susemihl diese offenkundige Dittographie trotz Bedenken im Text hat stehen lassen. An eine Formulierung wie Met. 1003b 26 ravro yaQ el; ävft(>amog xai ¿ov äv&Qionoi; xai äv&ocoTto; ist nicht zu denken. 28,39 (22b 19) „er allein". EN VI 2, 1139a 20: Die Tiere haben keinen Anteil am Handeln. 29.2 (22 b 21) „an der Spitze", nitz, Met.-Komm. 150.
O&EV
TIOOIZOV
---
ef
OJV
Ngamuv. Geklärt durch Bo-
29.3 (22 b 22) „mit vollstem Recht". Man sollte meinen, daß es von XUQIOV genau genommen keine Steigerung gibt. Aber im Hintergrund steht die platonische Wertung des Seienden, in dem Notwendigkeit ist. Das hindert nicht die spätere (23 a 5) Aussage, der Mensch sei aQxh xai XVQIOQ = änyrj xvgia. 29,5 (22 b 23) „Gott". Walzer (32) denkt an Met. XII. Aber dazu paßt nicht recht, daß, wie der folgende Satz („bei den unveränderlichen Prinzipien dagegen") lehrt, die Gottheit hier in der Ethik gerade nicht als äxivrjTov gesehen ist. Auch das schöne Wortspiel o deog ÖQXEt läßt eher an eine Gottheit denken, der nQoaigeatQ eignet (Met. V 1, 1013 a 10—13). OQ/EIV setzt voraus, daß aQX^i >m üblichen Sprachgebrauch genommen ist und so wird auch eine mehr populäre Gottesvorstellung dahinterstecken, falls man nicht an den Gott von EE VIII 2 denken will. Andererseits zeigt die Art und Weise, wie hier Gott aus der Ethik herausgenommen wird, daß in EE kein theonomer Aufriß zu erwarten ist. Wohl aber zeigt die Mathematik, bei ihrer bekannten Mittelstellung, eine Analogie zum ägxrj-sein des Menschen. Dies kann freilich nur mit einer gewaltsamen Fiktion („wenn der Satz von der Winkelsumme
268
Anmerkungen
des Dreiecks geändert wird . . .") herausgebracht werden. Und so meine ich, daß Walzer (32—33) die Bedeutung des mathematischen Beispiels zu stark betont, wenn er schreibt, der Beweis dafür daß der Mensch zwar do/r), aber nicht äxivrjrog ¿QX1? ist, könne „ n u r " mit Hilfe der mathematischen dgxai geführt werden. Ar. mag sich zur Zeit als er E E konzipierte mit mathematischen — besser: logischen — Problemen beschäftigt und daher in der Ethik davon Gebrauch gemacht haben. Später hat er wohl eingesehen, daß die Analogie der Mathematik doch wenig Hilfe für die Erkenntnis der Besonderheit des Menschen bietet und so hat er in E N darauf verzichtet. Gut Stewart I 225: alle drei Ethiken — auch MM und E E trotz ihrer Erklärungsversuche — leave us with the unexplained fact that man is a cause. 29,11 (22b 26) „die Folgerungen selbst": avrd. Rassow» 1858, 9 wird dem Satz nicht gerecht, wenn er umstellt: fiexaßaXXot ävaiQovfievov ßarcgov vjto fiaxeoov, avrd ö' avxd usw. Ar. geht es nur um den Gedanken: Änderung der äßxV bewirkt automatisch Änderung dessen was aus ihr abgeleitet ist. Für den Zweck des Beweisgangs in E E ist der ganze Satz avrd . . . öei£ai nicht notwendig. Ar. erwägt aber zusätzlich den Gedanken, ob nicht eine Änderung der Folgerungen möglich ist ohne daß sich die &QXH ändert. Das wäre nur möglich, wenn diese sich — aus ungeklärtem Grunde — gegenseitig aufheben. Diese Möglichkeit aber verneint er rundweg. 29,13 (22 b 28) „Hypothesis". Th. Heath, Mathematics in Aristotle, Oxford 1949, 280 bemerkt zutreffend: I t is clear t h a t the word ,hypothesis' is here used in the sense of a general principle (one of the indemonstrable assumptions) in mathematics rather than as an ad hoc assumptiou in some proposition made as the startingpoint of an 'analysis'. Vielleicht ist Ar. hier auch vom Sprachgebrauch der Analytik beeinflußt; siehe 1227a fr—11. doxy und vnö&eaig sind synonym im Phaidon (101 d 3—e 3). 29,13 (22b 28) „eben d a m i t " : öl exeivriQ. Rassow a. O. schlägt diä y.atvijg vor. Das ist sprachlich anstößig. Aristotelisch wäre öl etiqag oder Öi äXXrjg (cf. Phaedo 101 d 6). Aber auch sachlich hält die Konjektur nicht stand, weil Ar. unmöglich meinen k a n n : „ d a n n nehme man einfach irgendeine andere, neue, Hypothesis". Benders Vorschlag äi' ¿xeivtjg hätte von Susemihl nicht notiert werden sollen, weil der Gedanke zu primitiv ist: „die Hyp. aufheben und den Beweis nicht durch jene aufgehobene Hyp. führen". Auch wäre dann fiij öi' avxrjg zu erwarten. Vielmehr ist Si ¿XEivtjg so viel wie exeivw; und bedeutet: den Beweis führen durch eben die avaigeaig und nichts anderes (cf. 1223 a 13. 17). Ar. hätte auch sagen können i)i' exetvov = xov aveXeiv. 29.17 (22b 30) „Ursache". Met. V 1, 1013a 14-17: Eine sechste Art von do/j) ist das, woher — als von dem Ersten — eine Sache erkennbar wird. Beispiel: rä>v ajioäei^ecuv ai vna&eaeig. Und Ar. f ä h r t f o r t : iaax(ög (5e xai rä aixia Xeyerar ndvxa yaQ ra ahia aQxal. 29.18 (22b 31) „beim strengen Beweisverfahren": ini xü>v anodeßemv. Met. V 5, 1015 b 6—9: Ferner fällt unter den Begriff des Notwendigen die äjiodei£tg, denn wenn der Beweis stringent geführt ist, kann sich die Sache nicht mehr so oder anders verhalten. Die Stringenz wird dann erreicht, wenn bei den Vordersätzen kein So-oderanders statthaben kann.
269 2!),24 (22 b 3 5 ) „ein Drcieck
von drei rechten W i n k e l n " . Mit R e c h t
(.'!:!') darauf a u f m e r k s a m , d a ß hiermit nicht „ e r n s t l i c h " an eine
macht Walzer
nichteuklidischc
Geometrie gedacht sei. I m m e r h i n ist es b e d e u t s a m , d a ß Ar. es ü b e r h a u p t für aussprechbar h ä l t , d a ß auch im B e r e i c h des schlechthin U n b e w e g t e n Änderung s t a t t finden k ö n n t e . Zu B a n d 8, 227—230, wo ich die U b e r e i n s t i m m u n g von MM und E E behandelt h a b e , wäre n a c h z u t r a g e n , d a ß auch in MAI h y p o t h e t i s c h m i t einer „ a n d e r e n " M a t h e m a t i k wird: „ W e n n die W i n k e l s u m m e im Dreieck zwei r e c h t e n W i n k e l n gleich ist, und die im V i e r e c k vier rechten, so m u ß , wie das Dreieck sich ändert, entsprechend auch das V i e r e c k sich m i t - v e r ä n d e r n , da e i n W e c h s e l v e r h ä l t n i s b e s t e h t . Und wenn die W i n k e l s u m m e im Viereck nicht gleich vier r e c h t e n ist, so wird auch die des Dreiecks nicht zwei rechten gleich s e i n " ( 1 1 8 7 a 38— b 4). •29,25 (22 b 3 6 ) „ U n d - w e n n " : xäv EI. Siehe oben zu 16 b 1. 2 9 , 2 9 ( 2 2 b 3 8 ) „ A n a l y t i k " . Siehe oben
zu 1 7 a 17. Seit B o n i t z verweist man auf
Anal. P o s t . I 4. R a c k h a m notiert I 1. I n W i r k l i c h k e i t k a n n man nur so viel sagen, d a ß der Verweis nicht auf die Priora, sondern die Posteriora geht, die wohl in der uns gegebenen F o r m noch nicht verfestigt waren. Von den 4 A n a l y t i k z i t a t e n in den drei E t h i k e n k a n n weder das in MM noch das unsrige hier in E E (wiederholt 1227 a 10) genau verifiziert werden. Nur d a s in E N V I 3 s t e h t fest und r e l a t i v genau ist auch das erste in E E ( 1 2 1 7 a 17). 2 9 , 3 1 (22 b 3 8 ) „ v o r z u t r a g e n " ,
ist nicht überliefert, a b e r auch B e k k e r
OVTE /Jytiv
h a t das notwendige Glied, wohl aus der Aldina, a u f g e n o m m e n .
Soweit ich sehe,
wird das S ä t z c h e n meist so v e r s t a n d e n , daß es nicht möglich sei weder ganz zu schweigen (so z. B . F r i t z s c h e , H e a t h ) noch E x a k t e s auszusagen. D a s ist ein merkwürdiger G e g e n s a t z ; doch gibt es eine Parallele, nämlich Pol. V I I 1, 1 3 2 3 b 36—40, so d a ß ich nicht wie Solomon
äxoißü>i
auf beide V e r b a beziehe.
Auf j e d e n F a l l
ist dadurch das Vorhergehende von Ar. selbst als Versuch c h a r a k t e r i s i e r t . 2 9 . 3 3 (22 b 4 0 ) „ d i e s e r " . Nämlich der S a c h v e r h a l t , der S a t z von der W i n k e l s u m m e , TO TO Toíyojvov
OVTCOI i%Eiv.
So auch H e a t h a. O. ( t h e n the l a t t e r — nämlich d a ß
das Dreieck die g e n a n n t e E i g e n s c h a f t h a t — will be a sort of principie. 2 9 . 3 4 ( 2 2 b 4 1 ) , , i m B e s t a n d des W i r k l i c h e n " : r a VOTEQOV, die in MM TU FIETA rag áo/ág
TÖ>V ÖVTWV ( 2 7 a 23).
Gemeint
dem P h a i d o n (101 e 2) wäre die Scheidung von ÜQ%r¡ und T(i e| ixEÍvijQ avTtò xat xarà xò avrà. Das h a t auch Bohitz 1 1844, 38 getan. In E E darf also das Element Ó avTOI; nicht fehlen. F ü r das unmögliche TÒ xaxà aber gibt es zwei Lösungen. E n t weder, mit Bonitz, xal xaxà zu schreiben oder, da Verderbnis eines ursprünglichen y.ai in xó schwerlich plausibel ist, das T6 zu tilgen. Das Nebeneinander aber von TÒ avrò und TÒ avróv am Anfang weist darauf hin, daß hier etwas ausgefallen igt, d a ß man es sich also zu leicht macht, wenn man TÒV avróv schreibt (Sylburg u. a.). Also: ei àiivrarov TÒ avrò . . . ngáxxeiv äfta [TÒ] xaxà xò avxó. D a ß äfta zu TtoáxxEiv gehört, zeigt die Met. Doch ist, wie gesagt, Eindeutigkeit nicht erreichbar, da das von mir entfernte TÒ ebensogut der Rest eines TÒ sein k a n n ; avrò k a n n leicht ausgefallen sein wegen des sofort folgenden xò afrtó. Dann wäre zu lesen ei ó' àdvvaxov xò avxòv . . . noárreiv äfta rò xarà rò avrò. 32,16 (23 b 27) „vieles". I m 10. K a p . wird sich herausstellen, d a ß die „Entscheid u n g " weder {hifiöq noch im&v/iia noch ßovÄrjcrtQ ist. Dort gebraucht Ar. dasselbe E r f a h r u n g s a r g u m e n t : „ F ü r vieles entscheiden wir uns auch ohne fiv/xós, im&Vfiía, /.vmj, ßovXijois": 1225b 27. 31. 33 (èvia = no)M). 32,19 (23 b 30) „unmöglich". Wünschen und Willentlichkeit ist nicht dasselbe, denn es käme das Gegenteil zu dem Erfahrungssatz von 23a 36 heraus; aus dem Satz „Unbeherrschtheit macht ungerecht" würde „ U n b . m a c h t gerecht". Die verkürzten Gedanken im einzelnen zu verfolgen ist nach der zwar etwas groben, im Ganzen aber zutreffenden Analyse von Aumiller 1898—1900 nicht mehr nötig. 32,24 (23b 33) „unbeherrscht w i r d " : Srav yiviyiai. Solomon, R a c k h a m yévrjxai. Unnötig wegen 23 b 3 yivó/XEVoi und nicht etwa durch 23 b 35 zu rechtfertigen, wo, wie ovxFTi zeigt, pseudo-temporal gedacht wird.
II 7-8
275
Kapitel 8 .'12,3 t (24 a 1) „ist nachgewiesen worden" usw. Die Aufhebung der Gleichsetzung (23 a 24) von Entscheidung und Willentlichkeit geschieht sehr flüchtig. Ich verstehe so: Auf Grund von ßovh)aij handeln, heißt willentlich handeln. Manche Augenblickshandlungen sind |9ot)/.ij; ovx äxovaiov) zu lösen. Trotz der eindringenden Interpretation von Rassow 1 1858, 10—12 und deren Bestätigung durch Bonitz 2 1859, 25—26, denen zufolge in b 39 gesagt sein müsse „ d a ß das Handeln nach der ßoöXtjaiQ Unwillentlich sei, wurde n i c h t bewiesen" (ot5j; f dx. ovx), halte ich die überlieferte Wortfolge f ü r richtig: „es wurde bewiesen, d a ß dieses Handeln nicht unwillentlich ist", ovx äxovaiov ist eine vorsichtige Formulierung, durchaus am Platze, da sich j a in K a p . 7 — und auf diese Abschnitte geht der Rückverweis; vgl. auch 24 a 38 — gezeigt h a t t e , d a ß der Unbeherrschte einerseits unter dem Zwang der Begierde steht (MM 1188b 9—11), andererseits aber willentlich = ßovMfievot; handelt. Infolge dieser vorsichtigen Ausdrucksweise k a n n Ar. steigernd f o r t f a h r e n : „es wurde eher bewiesen, d a ß das Handeln des ßooM/ievog geradezu (xai, von Rassow und Bonitz nicht beachtet) willentlich ist. I m übrigen zeigt sich die Überspitzung durch die älteren I n t e r p r e t e n schon darin, daß es de facto auf das gleiche hinauskommt, ob man sagt: „es wurde nicht bewiesen, d a ß die ßovXrjaig ein äxovaiov ist" (dann ist eben doch noch irgendwie d a m i t zu rechnen, d a ß sie willentlich ist) oder „es wurde bewiesen, d a ß sie nicht unwillentlich i s t " (das ist dann eine gemilderte B e h a u p t u n g f ü r „es wurde bewiesen, d a ß sie willentlich ist"). — Die von Rassow in dem auf äsiedeix&T) folgenden doppelten aXka gesehene Schwierigkeit h a t Bonitz a. O. unter Verweis auf P h a e d o 90 b 5—6 beseitigt. 32,38 (24a 3) „besonders hervorgehoben": öiöeixxai fiövov. Der Verweis geht auf 23b 30—36; 7—9. An ftövov h a t zuerst Fritzsche Anstoß genommen indem er es in der Übersetzung wegließ. Dann h a t Spengel (607) gemeint, es sei zwar schwerlich verderbt, aber nur d a n n verständlich, wenn didsixzai eine schwächere Bedeutung habe als (kiFÖet'yflt), was hier gewiß nicht der Fall ist. Apells ( 2 1902, 15) unglückliches i'ieöoxrat geht in dieselbe Richtung. Susemihl d e n k t an Jigöxegov, Solomon tilgt fiövov hier, aber inkonsequenterweise nicht 24 b 3. „Dies allein ist gezeigt w o r d e n " wäre natürlich sachlich falsch. Wir haben hier aber den auch sonst im Attischen gut bezeugten Gebrauch von pdvos = in besonderer Weise, prae ccteris, sehr oft mit Endstellung. Wenn Lysias (24, 9) sagt, der Ankläger scheine ihm die Größe der A r m u t des Beklagten ¿mÖEtijm /¿ovos dvOgomcuv so heißt das nicht „ n u r er allein", sondern „besser als andere Menschen es könnten, in besonders eindrucksvoller Weise, unus omnium maxime". Und der Seher Teiresias ist nicht der einzige Mensch, in dem sich
276
Anmerkungen
Wahrheit findet, Soph. O T 299 (Jebb).
Ebenso OC 261; Isocrates 14,57;
Plato,
Symp. 220 a 2 u. a. Dasselbe gilt von E E 1224 b 3; an beiden Stellen ist fjóroz mit dem Demonstrativ-Pronomen verbunden. S. a. zu 24 b 3 und 29 a 4. 32,39 (24a 3) „ p l ö t z l i c h " . M M I 17, 1189a 33: vieles tun wir willentlich, bevor ein Durchdenken eingesetzt hat. E N I I I 4, 1111b 9: plötzliches Handeln nennen wir zwar willentlich, aber nicht vollzogen auf Grund einer Entscheidung. 33.6 (24a 7) „Durchdenken": öiavoov/tevov. Gemeint ist nicht, daß dieses Denken den ganzen Handlungsablauf begleitet, sondern es gilt M M 1189 a 24—31 (Paraphrase) : die Entscheidung richtet sich auf Güter, auf die Mittel zum Ziel; diese sind aber nicht immer eindeutig wertvoll. Daher muß man über sie
71QÓXF.QOV
óiavoij&rjvat, und vorher
mit sich zu R a t e gehen. Dabei stellt sich dann heraus, daß ein bestimmtes Gut den Vorzug verdient, und so, n a c h A b s c h l u ß des Durchdenkens, kommt es zum Handeln. 33.7 (24a 8) „ v o r a n t r e i b e n " : ngodyeiv. Eine Formel, die A r . mit Piaton gemeinsam hat. Adyov als Objekt kenne ich nur hier. Dazu Bywater im P o e t i k - K o m m . zu 1448b 22 (p. 128). Die in E E unterdrückte Voraussetzung, daß nämlich die bisherige Darstellung noch nicht ausreiche, findet sich in Pol. I I I 12, 1285 b 35. Ebendort als Objekt t ó Xeyó/ievov (ähnlich E N 1098 a 22). Nächste Parallele Plato, Polit. 262c 4—7 : im Augenblick könne die Sache nicht voll geklärt werden, imxewßiov
di TI xai
OfitxQtT) nXéov avrò rrQoayayeiv ini TÒ JiQÓa&ev aa avrov ). Zum Beispiel bei
304
Anmerkungen
der Heilkunst. Entweder wird da nicht richtig erkannt, wie ein gesunder Körper eigentlich beschaffen sein muß, oder man greift fehl in den Mitteln, die in Richtung des ihnen gegebenen Ziels etwas ausrichten sollen. Man muß aber bei den praktischen und theoretischen Wissenschaften dieses beides in den Griff bekommen, das Ziel und das Handeln hin zum Ziel". Die Wertung dieses Textes, die jetzt nicht beabsichtigt ist, muß allerdings zwei Zeugnisse miteinbeziehen, die noch aus der Zeit vor Piatons Tod stammen und, soweit ich sehe, für die aristotelische Ethik noch nie beachtet worden sind. Das ist Isocrates, Epistel VI 8 - 9 (c. 359 v. Chr.; E. Mikkolas [Isocrates, Helsinki 1954, 290] Einwände gegen die Echtheit bedürfen genauerer Prüfung) und die Friedensrede ( V I I I 28; c. 356 v. Chr.). An beiden Stellen glauben wir geradezu Ar. zu hören, der seinerseits bei Piaton gelernt haben kann (Band 8, 263). Aber die Frage, wie das zu erklären ist, kann ich hier nicht aufnehmen; sie müßte zu der Untersuchung des Problems Isokrates-Aristoteles auf breitester Basis führen. Sicher ist nur, daß die Scheidung von Ziel und Mittel bei Ar. zu den Standard-Diäresen gehört in Topik, Ethik, Politik und Biologie (Bonitz, Index 753 b 58) und eben auch in der Rhetorik, wo eben die Beziehung zu Isokrates interessant wird. Ich zitiere nur (im Hinblick auf Isoer., Ep. VI) Rhet. I 6, 1362 a 17: Die symbuleutische Rede hat als Ziel die Eudäinonie; da man aber nicht über das Ziel berät, sondern über die Mittel, d. h. die ov/itpegovra — äya&ä, muß man die elementaren rönoi (hier auffallend axoiyela genannt) über das äya&iv kennen. Genau nun nach dieser Anweisung verfährt Isokrates in der 8. Rede. Das Ziel ist der Friede. Aber bei seiner Beratung der Athener geht er ins Grundsätzliche ( V I I I 27), und er leitet es auffällig ein mit £%ei yag oflzojg (28). Seine Bemerkung ist also nicht irgendeine Bemerkung nebenbei, sondern sie bestimmt den Plan seiner Rede: „Mir scheint, alle haben Verlangen nach dem oi!firm> ipikov des platonischen Lysis. Und dann, terminologisch näher, im Phaidros (245c 5—d 3), im Unsterblichkeitsbeweis. Die Selbslbewegung der Seele ist eine solche ¿QXV- Von dieser gilt, d a ß sie unentstanden ist. Denn alles Werdende m u ß notwendig aus einer ägxtf entstehen; diese selbst aber nicht ihrerseits wiederum aus etwas. — Das Arztbeispiel und das Demonstrandum auch E E 1218b 1 7 - 2 4 ; 26a 7 - 1 5 . Phys. I I 3, 194b 32-35. Met. V I I 7, 1032b 6 - 9 . De part. an. I 1, 640 a 3 - 7 . 43,34 (27b 29) „ G r u n d a n n a h m e " . E N VII 9, 1151a 1 5 - 1 9 : „Wie die Tugend das Grundprinzip (¿Q'/r'i) des Handelns in uns erhält, so wird es von der Schlechtigkeit zerstört. Beim Handeln aber ist der beabsichtigte Zweck das Grundprinzip, wie es in der Mathematik die Grundannahmen (vno&eaEtg) sind. Wir sehen: weder dort noch hier ist es ein syllogistisches Verfahren, das die Grundprinzipien lehrt, sondern es ist die Tugend, entweder die mit der Naturanlage gegebene oder die durch Gewöhnung entwickelte, welche f ü r die richtige Auffassung bezüglich des Grundprinzips maßgebend ist". 44,3 (27b 34) „Richtigkeit". Der Sinn ist: Im ganzen Bereich der 6ff&6r7]g (sie ist ein 7iteovaxä>sAey6fievovE1S VI 10, 1142 b 17) sind zwei Gründe für eben die Richtigkeit denkbar, entweder der Logos oder die Tugend; und wenn nun der Logos in unserem ethischen Bereich ausscheidet (nach 27 b 24—25), dann m u ß es eben die Tugend sein, die das Telos richtig macht. Damit ist die Frage 27 b 22—23 b e a n t w o r t e t : die Tugend macht das Telos richtig ( E N VI 13, 1144a 6—9; 20) aber nicht den vom Telos abhängigen, am Telos erst einsetzenden Logos. S t a t t dessen steht d a : „aber nicht die Mittel zum Ziel". Anstatt des Logos wird also dessen Wirkungssphäre genannt. Das läuft auf das Gleiche hinaus. Damit ist auch die Frage 27 b 12—15 beantwortet. 47,7 (27b 37) „auf ein E t w a s " : ttvos wie 26a 11. Gedankengang: die Tugend ist Ursache der Richtigkeit des Ziels. Das ist rein statisch formuliert, ohne „voluntat i v e s " Element. J e t z t nun t r i t t durch die Einbeziehung der Entscheidung die „dynamische" Seite hervor. Dabei ist es kein Widerspruch, wenn, anscheinend im Gegensatz zu 27b 39, gesagt wird: jede Entscheidung geht auf Ziel und Mittel. Denn
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Anmerkungen
wie der Name schon sagt, sind das eben Dinge nooQ ro xe).o~, und so gehört zum Inhalt einer Entscheidung natürlich auch das Telos, aber nicht so, daß sie dessen causa efficiens wäre. 44,9 (27 b 38) „die Tugend, das Sich-entscheiden". Ich halte also Fritzsches tw anstatt to f ü r unrichtig. I m Zusammenhang des 11. Kap. kann man j a äQerrj und TiQoaiQeaii geradezu gleichsetzen. Wir haben also eine Apposition vor uns. So wie etwa MM 1200b 18 rj xaxia, rjfrrjQtÖTTjiBand 8, 373; 55, 1. Dies ergänze ich jetzt durch Plato, Euthd. 274 e 2 to TiQäy/xa, TT]v agerijv, fia&rjrov elvai und Eudemus fr. 127, 12 Wehrli (ro ßr/ßtov, o Mwv). 44,12 (27b 40) „anderen Seelenkraft". E N VI 13, 1144a 20-22. S. o. zu 27b 12. Eine frühe Stufe der Verbindung von Charaktertugend mit kalkulierendem Intellekt mag man im platonischen Laches erkennen (192 b 8—193 a 9 XOQTegia fiera tpQOvrjoetog). 44,14 (28a 2) „ist die Tugend Ursache": [oi] jj ägerfj ahia. Die Entfernung des o — EIEQO) kenne ich allerdings keine Parallele. Gemeint k a n n nur sein, der Tapfere fürchte das was a u c h f ü r einen anderen f u r c h t b a r ist, rj rct ¿regq) (Plato, Rep. 345 b 1 xai ireg6g rif, od /xovoi ¿yu>), weshalb aber, da mit sorgloser Ditkion jederzeit zu rechnen ist, das xai nicht im Text selbst stehen muß. W e n n der Tapfere nicht die Dinge f ü r c h t e t , die f ü r ihn persönlich f u r c h t b a r sind, also bedeutende, sondern nur die üblichen Furchterlebnisse h a t , dann ist eigentlich kein Aufheben ( a e / t v o v ) davon zu machen. I m ereQOQ ist auch der Feige eingeschlossen und d a n n gilt erst recht dieselbe Folgerung. Wie aber k o m m t es zu dem Schluß: wenn er die ihm persönlich f u r c h t b a r e n Dinge f ü r c h t e t , dann wird er viel F u r c h t erleben müssen? Ich verstehe so, d a ß Ar. Subjekt- und Objektseite dialektisch scharf trennt, xo noiovv und r o naa%av. Die noir/Tixa tpäßov (Laches 198 b 6 Setvd = ä deog 71OQE%EI) üben auf jeden Fall als alaih/zd Wirkung aus; es m u ß zu einer Affektion des Subjekts kommen (¿xdorw), das in die entsprechende Situation gerät ( tpoßov noirjztxd. Dann ist die Haplographie am verständlichsten. Ganz willkürlich Apclt 2 1902, 19 tpoßov 7toiózr¡ ?.oyitjfißeQd. D a z u gehören oi èv £vzv)>iaig fteyaXatg ovxeg, ganz gleich ob d a s echte oder eingebildete E u t y c h i e ist. Sie verfallen in H y b r i s , sind geringschätzig u n d tollkühn. U n d noch genauer, n u r d u r c h ein S y n o n y m a u s g e d r ü c k t , ebd. 1383 a 25—27: Zuversichtlich sind die Menschen, Sv TIoAAd xaTOiQ&wxévai olmvTai xat /itj niTiuvdh'ai. 47,29 ( 2 9 a 21) „ Z u s t a n d des N i c h t - ü b e r l e g e n s " : na&og àXóyiaxov. Wie die P h y s i k , so leistet a u c h i m m e r wieder die R h e t o r i k einen B e i t r a g z u m V e r s t ä n d n i s v o n E E . Das A d j e k t i v k o m m t n u r in E E , e i n m a l in E N ( V I I 6, 1 1 4 9 a 10) u n d wiederholt in der R h e t o r i k vor. E n t s c h e i d e n d I I 8, 1385 b 29—30. T a p f e r i m eigentlichen Sinn, so h a t t e n wir in der vorigen A n m e r k u n g gehört, k a n n n u r d e r sein, der g l a u b t , es k ö n n e ihm noch e t w a s passieren. G e n a u d a s Gleiche gilt f ü r die E m p f i n d u n g v o n „ M i t l e i d " (ÈXeog), wovon eben R h e t . I I 8 h a n d e l t . L e u t e , die noch n i c h t a b g e b r ü h t sind, h a b e n die F ä h i g k e i t z u m Mitleid, sie sind mnaiÒEv/iévot = evAóyurroi, d. h. sie k ö n n e n gut „ d e n k e n " — v o r a u s d e n k e n . A n d e r s s t e h t es m i t solchen, die sich èv àvógsiag nd&ei befinden, also in einem falschen Z u s t a n d , der zwar m i t T a p f e r k e i t zu t u n h a t , a b e r nicht echte T . ist, z. B. in Zorn oder Tollkühnheit. D a diese nd&rj d a s V o r a u s d e n k e n an eigenes U n g e m a c h v e r h i n d e r n , k a n n ein solcher nicht mitleidig, bzw. n i c h t t a p f e r sein; àXóyiara ydp TOV iao/iévov javra (sc. r à nd&rj). 47,32 (29 a 23) „ M e t a p o n t " . Die beiden Beispiele sind n i c h t zu verifizieren. P l a t o nische E x e m p l a im Symposion 178d 1—179b 3 ; die a t h e n i s c h e n T y r a n n e n m ö r d e r ebd. 182 b 7 - c 7. 47,32 ( 2 9 a 24) „ Z o r n " . D a s N e b e n e i n a n d e r v o n ópytj u n d {hjftóg fällt auf. I n MM 1202 b 18 -f- 19 wechseln sie a b . P l a t o , Phileb. 47 e 6 (e'v r o t ; {fafiolg xal raig ogyalg) wird v o n m a n c h e n a t h e t i e r t . W i r d hier v o n d e n m e i s t e n t r o t z 47,34 ( 2 9 a 25) „ h e r a u s z u t r e t e n " : ixcrzmixóv. 29 a 3 aktivisch g e n o m m e n . Aber wie m a n v o m &Vfi(óòr)g sagt, d a ß er ¿¡lararat ( P a r t , a n . 651 a 3 ; E E 29 a 26) so v o n d e r £l-ig. Ü b e r die B e d e u t u n g s. o. zu 29 a 3. — S t a t t aveg h a t M b {HjQeg. Aber wie es wilde u n d z a h m e Schweine gibt ( H i s t . a n . 606 a 9) so a u c h wilde, u n d weil v e r s c h n i t t e n , zahme E b e r (ebd. 578 a 25—b 5 : der k a l y d o nische E b e r verschnitten?). M b sieht n a c h K o n j e k t u r aus, d a „ w i l d " v o r E b e r sinnlos schien. Aber es ist d e r originale homerische A u s d r u c k (Ilias 9, 539).
316
Anmerkungen
47.36 (29 a 27) „ungleichmäßig". ävw/uaAo; ist nicht dvö/noiog (Poet. 1454 a 24 -(26). Soweit ich sehe, ist die Stelle noch nicht verstanden worden. Der &vfiv>/)r]g und der dv/iög treten aus dem naturgemäßen Zustand heraus und sind dann tollkühn (vgl. 29 a 4). Und zwar ¿fiaXelg, denn das ist der geforderte Gegensatz zu ävcb/nakog: immer wenn sie von außen gereizt werden durch Verwundung (so in MM und E N ; die Odysseus-Situation von Od. 19, 4 4 4 f . ) sind sie TOIOVTOI, tapfer, und das ist eine gleichmäßige Eigenschaft; auf die gleiche Ursache folgt immer die gleiche Wirkung. Dies zu betonen ist notwendig, denn es wird ihnen j a Tapferkeit, eine Tugend, zugeschrieben; Ungleichmäßigkeit aber widerspräche dem Begriff der Tugend (34 b 4—6); sie sind im Extremen gleichmäßig (Poet. 1454 a 27 ¿fiatäg ävdo^iaXoi). Wenn sie aber innerhalb ihrer normalen Tiernatur sind, dann sind sie nicht so konstant, sondern ungleichmäßig, in ihrem Gehaben bald so bald so (Phrynichus com. fr. 20 Kock tiviöfiaXoi ni&tjy.oi). So ist z. B . auch Achilleus: den Priamos scheltend — und im nächsten Augenblick aus dem Zelte stürzend wie ein Löwe, um den Wunsch des Greises zu erfüllen (Ar., frg. 168 R ) . Von dem in E E Vorgetragenen ist in MM und E N , auch in anderen Werken — von der Poetik abgesehen — keine Spur. Wieder vernehmen wir hier Ar. den Physiker. Ein konstantes Begriflfspaar der Bewegungslehre, nicht nur in der Physik, ist eine gleichmäßige und die ungleichmäßige Bewegung (¿/taXrjg — ävvo/jaÄog). Erstere ist eine Einheit (Phys. 228 a 2 0 ; b 15). Letztere hat eine große Spannweite, vom völlig Regelmäßigen bis zum völlig Irregulären. Was dazwischen liegt, ist charakterisiert durch Steigerung und Nachlassen, schneller und langsamer, fiäXXov und fjzrov (De caelo 2 8 8 a 17; b 10. Phys. 228b 18). Wie dies ohne weiteres auf die Bewegungen (— Handlungen) von Lebewesen übertragen werden konnte, zeigt allein E E . 47.37 ( 2 9 a 27) „Dennoch". Weil soeben der Zornesmut als ein Heraustreten aus der Natur charakterisiert war. Xenophon beginnt (Mem. I I I 9, 1) mit der Frage, ob Tapferkeit lehrbar oder ein ipvaixöv sei. Den „unbesieglichen" Zorn teilt E E nur mit Pol. V I I 7, 1328 a 7, und beide mit Piaton, Menex. 243 d 5 und besonders Rep. 375 a 11—b 5 : kein Wesen kann tapfer sein ohne &v[iöc. „Hast du noch nicht gemerkt, wie dieser (ifiayav und dvixrjrov ist und daß, wenn er da ist, die Seele allem gegenüber nipoßog und ärjTTr/rog i s t ? " 47,39 (29a 29) „die K n a b e n " . Aus Fritzsche z. St. Das scheint bei Sylburg Anstoß erregt zu haben, at quod coritenditur a philosopho id multa saepe proelia comprobaverunt. 4S,1 ( 2 9 a 29) „ S a t z u n g " . Gegensatz zu dem (pvoei-Charakter Rhet. 1366b 12 mg 6 vö/xog xetevet (Plato, R e p . 4 2 9 c 7. 4 3 0 b 3).
des Zornmute.s.
48,3 (29 a 31) „Anspornung". Ein ganz eigentümlicher Gedanke, nur in E E , daß die fünf Formen als Topoi bei Anfeuerungsreden verwendbar seien. TtagaxeÄevaig nur hier im Corpus Ar. Öfter bei Piaton. D a ß Geschrei und solche Reden im Kampfe selbstverständlich waren, lehrt Isocrates I V 97 — 1 X 3 1 . — Die Gegenüberstellung der fünf falschen Arten mit der einen echten schließt sowohl die Kurzübcrsicht ab wie auch nachher die breite Darstellung (30 a 21). Aber hier hat sie noch kein Gewicht, sondern läßt nur einen kleinen Seitenblick zu auf das Rhetorisch-Praktische. Dort jedoch wird sie, vorbereitet durch das oliie OVTE-Schema, zur entscheidenden Aussage. E s bleibt abzuw arten, ob v mand versucht, die Kurzdarstellung als Dublette
317
III 1
zu b e s e i t i g e n , m i t d e m b e k a n n t e n A r g u m e n t , d a ß sie „ n a c h h i n t e n u n d v o r n " n i c h t a n s c h l i e ß e u n d n a c h d e r E n t f e r n u n g „ f u g e n l o s e r " Z u s a m m e n h a n g sei. 4 8 , 5 (29 a 33) „ g e n a u e r " . A r . g e h t i m f o l g e n d e n A b s c h n i t t ( 2 9 a 32—b 21) auf d a s T h e m a z u r ü c k nola r d (poßr.od; n a c h d e m d e r v o r i g e d i e S u b j e k t s e i t e b e t r a c h t e t h a t t e ( wörtlich aus 29a 16 wiederkehrt; er wird terminus technicus sein. Walzer (207) hat auf den Gebrauch von ßorj&eta nur in EE aufmerksam gemacht und auf die Epinomis verwiesen. Aber die genauen Parallelen, wozu der Plural gehört, sind auch hier in der Rhetorik zu finden. v ßoij&eiat ni) eiaiv !j fii] Qaöiai (II 5, 1382 b 25), wogegen man zuversichtlich ist, wenn ßorj&eiai noÄhai zur Verfügung stehen (1383 a 20). Jene Menschen sind unempfindlich gegen das Furchtbare, die keine Erfahrung oder aber ßorj&eiag haben. In den Gefahren des Meeres z. B. sind einerseits jene zuversichtlich, die nicht wissen, was ein Sturm ist, andererseits oi ßorj&eiag eyovTES öiä Ttjv ¿/¿neigiav (1383 a 28—32). Speziell die Gefahren der Schiffahrt (Band 6, 340; 58,7), aus Laches 191 d 4, erwähnt Ar. auch noch in E N 1115b 1, aber da ist keine Rede von den „Hilfsmitteln". Verbal drückt er sich aus z. B. in Parva Nat. 474 b 24 und Hist. an. 621a 13. Von den Gefahren der See spricht Ar. in EE nicht ausdrücklich, aber er wählt ein Beispiel aus dieser Sphäre (30a 9). Ähnlich realistisch; ebenfalls als imardfievoi charakterisiert sind die Brunnentaucher in Piatons Protagoras (350 a 1. vgl. Laches 193 c 2). 49,36 (30 a 11) „Kraft". Dieser Gedanke — nur in EE — überrascht zunächst. Aber der Zusammenhang ist so: Tapferkeit ist weder Besitz von Erfahrungswissen noch von Kraft und Reichtum. Beides gehört zu tcc ngdg to TcXog. Wenn man irgendeinen Kampf bestehen will — das muß nicht auf das Schlachtfeld eingeengt sein — braucht man Hilfen. Deren Besitz gibt Aufschwung, aber das darf man nicht mit der Tugend verwechseln. Das Zitat aus dem Theognis (177), der nur in EE und E N wiederholt zitiert wird, zeigt e contrario den Zustand des Nicht-besitzens und setzt Kenntnis des ganzen Distichons voraus. Es geht nämlich weiter: ,,. . . den Mund auftun oder handeln". Also: wenn man reich ist, kann man handeln. Reichtum kann ein Stimulans zur (tapferen) Tat sein. — Die direkte Parallele bietet wieder die Rhetorik. Man könnte sich vorstellen, daß der Aktionsbereich der Tapferkeit aufgegliedert würde a) nach rpoßEQa b) nach •BaQQaXia. Das geschieht aber in keiner der Ethiken systematisch. Immerhin beginnt MM, sie allein, damit daß die T. Tieot cpoßovq xal ödggtj sei (EE tisqI ea>zeQ0i rj dv£ 6 voaog) und der Gegensatz heißt merkwürdigerweise äxQaoia (Probl. 949 a 2 1 - 9 5 0 a 16). W a s E E mit MM, und nur mit dieser Fassung, verbindet, ist in Band 8, 285 behandelt: die ausdrückliche Konstituierung der B. als Mitte, in MM am Anfang, in E E am Schluß des Kapitels (s. o. S. 308). Besonderheiten gegenüber beiden anderen Ethiken sind 1) rein formal die weithin hiatfreie Diktion; auch sonst k a n n m a n , schon ab 29b 22, Kennzeichen eines gepflegteren, isokrateischen Stils bemerken; der übermäßige Pronominalgebrauch geht allerdings nebenher. 2) Die Sinneswahrnehmungen der Tiere gehören zur Argumentation aller drei Ethiken, aber nirgends stehen sie so wie in E E im Vordergrund, was bei der Kürze der Gesamtdarstellung ( E E 86: E N 130 BeLkerzeilen) noch mehr auffällt. E E und E N , E E noch stärker, stellen das Ganze mehr auf den Zuchtlosen als auf den Besonnenen ab, aber nur E E entwickelt die Aussagen über ihn unmittelbar aus denen über die Tiere (¿fioiwg de 31a 18). Einzelheiten des Ausdrucks (s. u.) legen die Annahme nahe, was wir auch früher schon beobachtet haben, daß Ar. gleichzeitig mit zoologischen Studien beschäftigt gewesen sein muß. 3) E E und E N tragen gegenüber MM der Subjektseite Rechnung, indem sie nicht nur von der Einwirkung der Lust, sondern auch von den Begierden sprechen. Aber E N t u t es 1118b 8 so, daß über die Ursprünglichkeit von E E 1230b 21 k a u m ein Zweifel ist. 4) Nur E E h a t (aus De sensu?) die ausdrückliche Unterscheidung zweier Geruchsarten: a) beiläufig b) an sich. 5) Nur in E E ist der schwierige Zusammenhang von B.-Zuchtlosigkeit mit Beherrschtheit-Unbeherrschtheit gesehen und auf spätere Behandlung des letzteren Paares verwiesen. 6) Nur E E nennt den Mann, der den Kranichhals haben wollte und schmückt auch sonst durch ganz knappe Beispiele, was gelegentlich schon zu der grotesken Annahme geführt h a t , E E habe Kommentarcharakter. 50.34 (30 a 38) „ m e h r f a c h e Bedeutung". Entscheidend ist, daß das Kapitel gerade mit diesem Thema und keinem anderen einsetzt. Damit tritt, wie nirgends sonst, das sog. etymologische Interesse, das Walzer (160 u. a.) f ü r den theophrastischen Peripatos gleichsam reservieren wollte, beherrschend hervor. In E N ist bezeichnenderweise das ovo/ta ganz an den Schluß der Gesamtdarstellung gerückt. Die Ausführungen in E E — f ü r das folgende, ab 30 b 9, allerdings ohne Bedeutung — gehören ganz dem Logiker Ar., nicht dem Ethiker, und zeigen wieder, wie weit er noch entfernt ist, an das „wirkliche" Leben heranzugehen. Daß sie überdies elementarisch sind, erweist ohne weiteres ein Blick auf alle anderen Stellen, wo Ar. von der Privation spricht; sie sind bei Bonitz im K o m m , zu Met. V 22 verzeichnet, jenem Kapitel, das bis ins Vokabular hinein am besten E E zu erläutern vermag. 50.35 (30a 39) „in K u r " : iaXQevüfiEvog. Die Konzinnität scheint das von Spengel geforderte largev/nivoi zu erzwingen. Indes zeigt der vielfache Gebrauch des P t . praes. bei Piaton, daß dies geradezu stereotyp ist. I m Gorgias (478d 1—4) z. B. erwartet m a n iaxgev/ievog und anrjXXayfitvoq und doch steht das Präsens da. Übrigens erklärt auch gerade diese Partie, ü b e r h a u p t das 24. K a p . des Gorgias, warum Ar. gerichtliche und ärztliche Behandlung nebeneinanderstellt, bes. Gorg. 478a 8—b 1.
III 2
323
Für das Präsens spricht auch gerade Met. V 22, wo Ar. (1023 a 2—4) sagt, priyatio liege auch dann vor, wenn etwas „nicht leicht" zu bewerkstelligen sei (dem fit) 5 entspricht in E E 30a 8 dvoiazos). Etwas sei z. B. äzftrjzov nicht nur, wenn es sich nicht zerschneiden läßt, sondern auch wenn es sich nicht leicht zerschneiden läßt. Auch liier nicht zez/trjo&ai, sondern ze/iveodat. Spengels tazQeufiivog, von Susemilil akzeptiert, scheint übrigens auch sonst in griechischer Literatur nicht belegt zu sein. D a ß Ar. nicht äzfirjzov sagt, sondern das Masculinum — das er übrigens gleich darauf aufgibt — liegt an dem vorhergehenden dxöAaazos. Dementsprechend geht er 30b 4 zum N e u t r u m über (zo äxoXaozov), weil das Vorhergehende im N e u t r u m steht. In der Übersetzung habe ich dieses schwerlich Nachzuahmende geglättet. Auch d ü r f t e trotz iazQcvEO&ut, wieder im Hinblick auf Met. V 22, bei zifivetv k a u m an Operation gedacht sein. 51.3 (30b 4) ,.anzunehrnen": dexeo&ai. In der Sprache der Kategorienschrift (passim) würde das heißen tö fiij öexztxdv xoXdaeoig. Das erinnert an den Phaidon, z. B. 105 e 2: o d' äv •dävaxow /jij Ö£'/j]Tat, zt y.aXov/.im; 'A&dvazov. 51.4 (30b 5) „in Hinsicht a u f " : neqi. kenne ich keine Parallele.
Zu dieser Konstruktion, s t a t t fall c. dat.,
51.5 (30 b 6) „richtig h a n d e l t " : ¿0&07iQayel. S t a t t oo0tZ>£ Jigdzzei. Nur hier und Pol. I 13,1260 a 26. Auch bei Deinokrit 181. Ebenso gebildet ist auch das erst bei Ar. nachweisbare öiy.aioTtQayelv. — Über die Kinder handelt E N I I I 15, 1119a 33—b 15. B a n d 6, 353; 6 9 , 2 . Über die Crundanlagen von B. und Zuchtlosigkeil Plato, Rep. 431b 9 - c 1 und Legcs 710 a 5—8. 51,8 (30b 8) „schwer k u r i e r b a r " : övoiazoj. Dies, aber noch weit mehr avtaxog. sind Lieblingsausdrücke von Piaton und Ar. Das seltenere erstere, bei Ar. nur hier und MM 1203b 30; 1204a 2, beidemale vom Zuchtlosen, h a t dichterischen Klang (Aescli. Eur.). Beide Adjektive nebeneinander nur Leges 854a 3. 51,11 (30b 10) „die Zuchtlosen". Wegen 30b 13 (roi)s- öe) ist klar, d a ß nicht itxoXaaiat Subjekt ist, sondern, in dem üblichen Wechsel von H a b i t u s und dessen Trägern, die dx6).acrtoi. — Der rasche, aus der Tatsache der Mehrdeutigkeit des Begriffes sich nicht ergebende Übergang vom dvofia zum T h e m a „ L u s t - U n l u s t ' überrascht in E E nicht, da sie dieses Begriffspaar konsequenter als die anderen Ethiken vom II. Buch ab jeweils in die Argumentation bringt. 51,14 (30b 12) „schematisch aufgezeichnet": dieyQdtpa/iev. Nämlich 1221a 19—23 (a 2). Nach der üblichen Anschauung dagegen soll sich der Rückverweis auf etwas beziehen, was in der Kurzbeschreibung der ndfhj (21a 19) ausgefallen sei. Das ist nicht richtig. S. o. zu 21a 19. 6in (vm>-) yndipetv bedeutet bei Piaton ( R e p . 500 e 3) eine Roh-Skizze, auf einem Pinax, anfertigen (öiav7ioyQa]xai VTiodr/ftaxi ist schon längst verbessert aus unmöglichem vnodtffiaxa. Subjekt o ncokäm aus nü>bjaig. Susemihls Zufügung »J vn6drjfia ist unangebracht, denn es kommt Ar. nur darauf an, ntoXrjaig unter den Oberbegriff XßVati z u bringen. Verkaufen ist uneigentliches Gebrauchen, wie 46 a 31. Pol. I 9, 1257 a 6 - 1 3 . 54.35 (32 a 5) „ganz", eorlv eojiovöaxdjt;: Perfcctum intensivum, Kühner-Gerth 1, 148, 4. 149 2 ; 38 Anm. 3. — Den (ptAdgyvgo; scheint Ar. an anderer Stelle (fr. 182 R ; p 139,2) als den beschrieben zu haben, bei dem viel „eingeht", aber nur wenig „ausgeht". Er ist Vertreter der xQrHJLaTiaTlitlQi V öoxti pdkiaxa neoi xö vdfiiofia elvai (Pol. 1257b 5. 22). 54.36 (32a 5) „Sparte". Den Genetiv xxrjoEax; hat man vielfach mißverstanden. Gewiß könnte man ihn bei freier Wortstellung zu xQVaec°i ziehen, vgl. Pol. 1257 b 37 xxrjoecog xQijaig. Aber der ganze Satz ist eng an den vorhergehenden Gedanken angeschlossen: es ist nun einmal eine übliche Form des Gebrauchs von Besitzstiicken, sie zu verkaufen. Dazu bildet der Geizige den direkten Gegensatz, indem er nicht lebendige Zirkulation will, sondern Geldhortung. Die Münze aber bedeutet nicht ZQfjoit;, sondern xxfjaiQ. Zu verstehen ist also to vd/xia/ia xi&exat xf/q xxrjoeajs (dieses wie so oft = xxrifiaxog), Kühner-Gerth 1, 375, 3 a. 54.37 (32 a 7) „auch verschwenderisch". Bei Fritzsches xai äowxog kommt folgende Sinnlosigkeit heraus: der Knauserige und der Verschwender befassen sich mit der uneigentlichen Erwerbsform, denn der Knauserige (so Fr. in seiner Übersetzung) sucht Mehrung des Besitzes durch die natürliche Erwerbsform. Und Susemihls Streichung von äawxog und yaQ (32 a 8) läuft, vom Verstoß gegen den Stil und der paläographischen Unwahrscheinlichkeit abgesehen, im Grunde auf dasselbe hinaus. Beide haben offenbar die Politik nicht zur Interpretation benützt. Wenn meine o. zu 31b 38 (S. 335) vorgetragene Auffassung gebilligt wird, erledigt sich auch Rassow 2 1861, 12, der für äawxog vorschlägt avxdg und dann in der nächsten Zeile mit ov yäg ini fortfährt. — Wenn ich recht sehe, hat bereits Piaton den Typus des (piXaQyvQOi der auch äawxog werden kann, ins Auge gefaßt. Der mit dem Geld Zurückhaltende gilt ihm nämlich nicht geradezu als schlecht, wenn er sparsam ist; unter Umständen aber kann er auch ganz und gar schlecht werden (Leges 743 b 4). Das verdeutlicht er sogleich: ein solcher Mann erwirbt das Geld auf rechte und auf unrechte Weise, und er gibt es aus weder auf rechte noch auf unrechte Weise, ist dabei sparsam und so wird er reich (743 b 5—7). Das wäre der aristotelische äveXev&eQOS. xoxe öi noxe wird aber dieser Typus auch ganz schlecht (Ar.: