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German Pages 236 [240] Year 1985
Aristoteles Eine Einführung in sein Philosophieren
von
J. L. Ackrill
w G DE
1985
Walter de Gruyter · Berlin · New York
SAMMLUNG GÖSCHEN 2224
Aus dem Englischen von Eric Randolf Miller 1985 W a l t e r d e G r u y t e r &c C o . , B e r l i n · N e w Y o r k Die Originalausgabe erschien unter d e m Titel Aristotle the philosopher ©1981
bei d e r O x f o r d U n i v e r s i t y P r e s s , O x f o r d / E n g l a n d
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Ackrill, John L . : Aristoteles : e. Einf. in sein Philosophieren / von J . L. Ackrill. Aus d. Engl, übers, von Eric R a n d o l f Miller. - Berlin ; New Y o r k : de Gruyter, 1 9 8 5 . (Sammlung Göschen ; 2 2 2 4 ) ISBN 3 - 1 1 - 0 0 8 9 1 5 - 7 Einheitssacht.·. Aristotle the philosopher NE: GT
Deutsche Übersetzung © Copyright 1 9 8 5 by Walter de Gruyter & C o . , 1 Berlin 2 0 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, M i k r o f i l m oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden — Printed in Germany - Satz: Fotosatz O t t o Gutfreund, Darmstadt - Druck: Gerike G m b H , Berlin - Bindearbeiten: Dieter M i k o l a i , Berlin.
Vorwort Ich freue mich d a r ü b e r , d a ß mein Buch nun in deutscher Übersetzung vorliegt u n d hoffe sehr, d a ß es in dieser Form deutschsprachigen Lesern nützlich sein w i r d . Das Buch ist von einem bestimmten Gesichtspunkt a u s und mit einer bestimmten Absicht geschrieben: Ich wollte nicht in erster Linie Kenntnisse über Aristoteles vermitteln, sondern vor allem ein lebendiges Interesse an seiner Philosophie und an den philosophischen Problemen w e c k e n , die er untersucht. Im ersten Kapitel des Buches habe ich die Verfahrensweise erläutert, die meiner Darstellung zugrunde liegt. Ich möchte Professor Günther Patzig für seine Initiative, die zu diesem Projekt geführt hat, und auch für seine Unterstützung in den späteren Stadien herzlich d a n k e n . Besonderen D a n k schulde ich Herrn Eric Randolf M i l l e r , dem Übersetzer. Ich betrachte es als einen besonderen Glücksfall, d a ß ich einen Übersetzer gefunden habe, der vorzügliche sprachliche Kompetenz mit echtem Verständnis und Interesse für philosophische Fragen in sich vereinigt. J . L . Ackrill Oxford, November 1983
Inhalt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Einführung Wie Aristoteles arbeitet Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form Erklärung in den Naturwissenschaften Die Philosophie des Geistes Logik Die Philosophie der Wissenschaften Philosophische M e t h o d e Metaphysik Ethik
7 21 41 55 85 120 140 159 172 199
Literaturhinweise Register
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Kapitel 1 Einführung
Das Ziel dieses Buches Dieses Buch ist eine Art Reise-Führer durch die Philosophie des Aristoteles. In diesem Kapitel will ich klarmachen, was für einen Führer ich geschrieben habe und auch etwas über das von ihm erörterte Gebiet sagen. Man könnte meinen, daß eine Einführung in Aristoteles den Philosophen sich mit einer Darstellung seiner Doktrinen begnügen könnte. Was diese sind, dürfte den Experten wohl mittlerweile gut bekannt sein, und es wäre dann nur noch nötig, sie für NichtExperten so klar wie möglich zusammenzufassen. Ganz im Gegenteil. Entgegen manchen traditionellen Annahmen ist Aristoteles' Philosophie in verschiedener Hinsicht ,offen' und nicht eine geschlossene Gruppe von Lehren. Warum werden Aristoteles überhaupt ,Doktrinen' zugeschrieben - während man von anderen Philosophen sagt, sie hätten Ansichten oder machten Vorschläge oder trügen Theorien vor? Es gibt, glaube ich, zwei Gründe. Erstens ist es in der Tat seine Absicht, eine systematische und umfassende Philosophie zu entwickeln und endgültige und richtige Ergebnisse hinsichtlich der untersuchten Fragen zu erreichen. Bei der Durchführung einer Untersuchung verläßt er sich oft auf Ergebnisse einer anderen, und er trägt seine Ergebnisse oft mit großer Zuversicht vor. Kurz gesagt, er scheint den Schlüssel zu einer ganzen Reihe von Problemen in der Hand zu haben und mit großer Autorität zu sprechen. Zweitens wurden seine Werke lange Zeit so studiert, als ob sie tatsächlich eine Gruppe maßgebender Doktrinen enthielten. Seine ,Abhandlungen' oder ,Lehren' wurden als das letzte Wort betrachtet. Die Studenten wurden nicht ermutigt, sie kritisch auszuwerten, sondern die Wahrheiten, die sie zweifellos enthielten, einfach zu lernen und zu akzeptieren.
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Einführung
In der Tat muß eine Darstellung der aristotelischen Philosophie als eine Gruppe von Doktrinen erschreckend irreführend sein. Denn seine Tätigkeit umspannte viele Jahre, von seinen Studententagen in der Akademie Piatons bis zu seinem Tod im Alter von 63 Jahren. Während dieser Zeit entwickelten sich seine Gedanken und veränderten sich auch manchmal, er ließ alte Argumente fallen und erfand neue, er behandelte Hauptthemen in einer Vielfalt von Kontexten und mit einer Vielfalt von Waffen. Es folgt daraus, daß jeder ernsthafte Versuch, sein Denken zu verstehen, dessen Bewegung berücksichtigen muß und es nicht einfach als Ergebniskatalog behandeln darf. Außerdem ist Aristoteles' ganze Einstellung zur Philosophie offen, argumentativ und nicht dogmatisch: Er behauptet, seine Vorgehensweise sei die — und zum großen Teil ist sie es auch —, Fragen zu stellen, Probleme zu exponieren und mögliche Antworten oder Strategien auszuprobieren. Ich darf hier freilich auch nicht übertreiben. Es ist wahr, daß Aristoteles oft den Stil eines Schulmeisters annimmt und mit einer Selbstsicherheit redet, als sei in der behandelten Sache die endgültige Wahrheit erreicht worden: und sicherlich gibt es bei ihm das Ideal einer endgültigen und umfassenden philosophischen Erkenntnis der Welt. Nichtsdestoweniger ist durch den größten Teil seines Werkes hindurch die Stimme der Vorsicht und des Zweifeins mehr oder weniger laut zu hören: Vieles bleibt dunkel oder unsicher, die Antworten auf eine Gruppe von Problemen werfen neue Probleme auf, in wichtigen Fragen mögen die Argumente auf beiden Seiten im Gleichgewicht zu stehen scheinen. Eine Darstellung der Philosophie des Aristoteles als einer Gruppe von Doktrinen würde alles Leben und alle Lebendigkeit aus ihr entfernen. Sie ist eher eine sich entwickelnde Reihe von Problemen mit einer sich entwikkelnden Reihe von Antworten. Was Aristoteles wirklich als Philosophen auszeichnet, sind nicht die Zahl und das Gewicht seiner Ergebnisse (seiner ,Doktrinen'), sondern die Zahl, die Kraft und der Scharfsinn seiner Argumente, Gedanken und Analysen. Es ist wohl auch besser, daß dem so ist. Denn eine Doktrin lernen zu müssen, ist eine langweilige Aufgabe und besonders deprimierend, wenn man weiß, daß sie falsch ist; aber interessante Argumente bringen einem Freude und Gewinn, ob sie nun die angeblichen Ergebnisse tatsächlich beweisen oder
Das Ziel dieses Buches
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nicht. M o d e r n e A s t r o n o m e n lehnen Aristoteles' E r k l ä r u n g der H i m m e l s k ö r p e r entschieden ab, aber es bleibt von g r ö ß t e m Interesse, zu u n t e r s u c h e n , welche Argumente ihn zu d e m Ergebnis f ü h r t e n , das Universum müsse eine ewig sich bewegende Kugel sein. Ferner h a b e n die Schlüsselgedanken des Aristoteles a n d e r e P h i l o s o p h e n ü b e r viele J a h r h u n d e r t e hin h e r a u s g e f o r d e r t u n d stimuliert - g e r a d e weil sie nicht a b g e s t a n d e n e D o k t r i n e n sind, s o n d e r n in vielerlei Weise a n g e w a n d t , interpretiert u n d entwickelt werden können. Es ist also ein weitverbreitetes M i ß v e r s t ä n d n i s , Aristoteles als den g r o ß e n , W i s s e n d e n ' a u f z u f a s s e n , der sämtliche Probleme u n d Rätsel der Philosophie in s a u b e r v e r p a c k t e u n d klar adressierte P ä c k c h e n eingewickelt h a t . (Dieses M i ß v e r s t ä n d n i s läßt sich auf die Einstellung u n d Ansichten einiger ,Aristoteliker' der Antike u n d des Mittelalters z u r ü c k f ü h r e n . ) M e i n nächster Punkt k ö n n t e erheblich k o n t r o v e r s e r sein. Es scheint mir sowohl vergnüglich als auch l o h n e n d zu sein, sich auf eine philosophische Auseinandersetz u n g mit Aristoteles einzulassen. G e n a u s o wie ein A m a t e u r im Flötenspielen die Virtuosität u n d die I n t e r p r e t a t i o n s k u n s t eines Meisters genießt, genießen w i r die Raffinesse, die P r ä g n a n z u n d das A n r e g e n d e der A r g u m e n t e des Aristoteles - u n d wir genießen sie u m so m e h r , je m e h r wir uns auf sie einlassen. Wenn wir n u n nicht m e h r v o r h a b e n , als Aristoteles zu verstehen, w i r d dieses ,Sich-Einlassen' sorgfältig begrenzt w e r d e n müssen: wir müssen in seine G e d a n k e n hineinschlüpfen, d ü r f e n aber nicht über sie hina u s g e h e n ; w i r müssen versuchen, seine intellektuelle Reise nachzuerleben, a b e r d a r a u f a c h t e n , keinerlei G e p ä c k oder A u s r ü s t u n g aus d e m 2 0 . J a h r h u n d e r t m i t z u n e h m e n . Solch ein Verständnis zu erreichen, ist sicherlich ein lohnendes V o r h a b e n , das sowohl Phantasie als auch intellektuelle Fähigkeiten e r f o r d e r t . Es m a g aber sein, d a ß wir nicht n u r ein gewisses Verstehen von Aristoteles erreichen wollen, s o n d e r n auch einige der philosopischen Probleme, mit denen er sich auseinandersetzt, besser verstehen wollen. In diesem Fall d ü r f e n w i r uns so mit ihm auf eine D e b a t t e einlassen, als o b er ein Zeitgenosse w ä r e . Er h a t die beneidenswerte Fähigkeit, ein Problem oder eine A n t w o r t in wenigen Worten z u s a m m e n z u f a s sen, u n d seine klaren Sätze regen u n a u f h ö r l i c h z u m N a c h d e n k e n an. Wenn einer seiner Sätze oder eines seiner A r g u m e n t e uns dazu
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Einführung
veranlaßt, unsere eigenen in Frage zu stellen oder ein Gegenargument aufzustellen, brauchen wir keine Schuldgefühle zu haben, weil wir an einen antiken Philosophen mit modernen Instrumenten herangehen. Aristoteles selbst wird es uns nicht übelnehmen; wir dürfen sicher sein, d a ß er, wenn er auf den Inseln der Seligen sein sollte, dort kräftig weiterargumentiert und von sämtlichen intellektuellen Werkzeugen, die ihm zur Verfügung stehen, Gebrauch macht. Sicherlich werden wir ein weniger rein historisches Verständnis von Aristoteles haben, wenn unser Denken Vorstellungen und Begriffe des 20. Jahrhunderts zuläßt. Aber w a r u m sollten wir dieses O p f e r nicht bringen, wenn wir wollen? Es ist nicht schon an sich ein Fehler, moderne Begriffe in der Diskussion der Argumente antiker Philosophen zu verwenden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, als ob sie Zeitgenossen wären. Es ist nur dann ein Fehler (der Fehler des Anachronismus), wenn man vorhat und behauptet, rein historische Arbeit zu leisten. Sich mit Aristoteles auseinanderzusetzen und von ihm zu lernen ist nicht schwer. Denn die Probleme, die zu formulieren er sich solche M ü h e gegeben hat, sind immer noch H a u p t p r o b l e m e der Philosophie, und die Begriffe und die Terminologie, die er beim Versuch, sie zu lösen, benutzte, haben ihre Kraft nicht verloren. Mein Ziel in diesem Buch ist, nicht nur Informationen über seine Philosophie zu vermitteln, sondern auch aktives Interesse daran zu erregen. Daher habe ich selbst philosophische Fragen gestellt und eigene philosophische Kommentare beigegeben, um den Leser daran zu erinnern, d a ß das, was Aristoteles sagt, dazu da ist, daß man sich damit auseinandersetzt, und ihn dazu zu bewegen, selbst über die verschiedenen Probleme weiter nachzudenken. Aristoteles' Werke sind in systematischer Weise angeordnet: Am Anfang stehen logische Abhandlungen, dann k o m m t eine lange Reihe von Arbeiten über die N a t u r (auch sie sind nach einem rationalen Plan aufgestellt), dann k o m m e n die metaphysischen Bücher und zuletzt Arbeiten zu p r a k t i s c h e n ' Themen - Ethik, Politik, Rhetorik, Ästhetik. Diese Texte wurden nach dem Tode Aristoteles' bearbeitet und in dieser A n o r d n u n g zusammengestellt. Er selbst h a t sie nicht in dieser Reihenfolge geschrieben, und es w ü r d e einen durchaus falschen Eindruck machen, seine Philosophie so auszulegen, als ob er es getan hätte. Es ist sogar schon
Das Ziel dieses Buches
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ziemlich irreführend, zu suggerieren, er habe die Texte, so wie wir sie haben, in überhaupt irgendeiner Ordnung geschrieben. Denn, obwohl einige in vollendeter Form und in einem geschliffenen Stil geschrieben sind, zeigen viele noch die Merkmale der Kollegstunde; sie ähneln viel mehr Vorlesungsnotizen als dem letzten Entwurf eines zur Veröffentlichung bestimmten Buches. Da Aristoteles viele Jahre hindurch Vorlesungen gehalten hat und immer wieder zu denselben Problemen zurückgekehrt ist, hat er natürlich Korrekturen und Ergänzungen zu den Notizen gemacht. Als sein Herausgeber dazu kam, sie für die Welt zu veröffentlichen, wollte er nicht das Risiko eingehen, daß irgend etwas Wichtiges verlorengehe. Er hat weder überholte Abschnitte herausgeschnitten noch alternative Versionen entfernt, sondern hat sie in den zur Veröffentlichung bestimmten Text eingegliedert. Also enthält eine Abhandlung, wie sie vor uns liegt, wahrscheinlich frühere und spätere Schichten; Wiederholungen kommen oft vor und manchmal auch Widersprüchlichkeiten. In einigen Fällen, besonders in der Metaphysik, sind eine Anzahl ursprünglich verschiedener Kurse in Form eines einzigen Werkes mit einem einzigen Titel zusammengestellt worden. Wo es ihm nötig erschien, hat der Herausgeber hier und dort einen Satz hinzugefügt, um einen holprigen Übergang zu glätten und so den Anschein der Einheitlichkeit und des ununterbrochenen Zusammenhangs durch das ganze Corpus des Werkes hindurch zu stärken. Die Philosophie des Aristoteles ist nicht ein einziges starres System: und die Abhandlungen können nicht in einer einfachen chronologischen Abfolge dargelegt und erläutert werden. Die wahre Einheitlichkeit seines Werkes ist in Methode, Stil und seiner besonderen intellektuellen Prägung zu finden und in der durchgängigen Verwendung einiger Grundgedanken und mancher Fachausdrücke. Ich werde versuchen, diese Einheitlichkeit sichtbar zu machen. Durch Zitieren hoffe ich, einen unmittelbaren Eindruck von Aristoteles' Art zu philosophieren zu geben. (In meinen Ubersetzungen habe ich mehr auf eine angemessene Genauigkeit gezielt als auf Glätte oder Eleganz; meine Kommentare und Zusätze stehen in eckigen Klammern.) Hinsichtlich der behandelten Themen und der Abfolge, in der sie behandelt werden, habe ich versucht, Kapitel zu schreiben, von
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denen jedes für sich gelesen werden kann, die aber zusammen dem Leser eine hinreichende Bekanntschaft mit den Hauptgedanken des Aristoteles und eine lebhafte Vorstellung von seinen philosophischen Leistungen vermitteln. Eine erschöpfende Behandlung kommt natürlich nicht in Frage - viele wichtige Themen werden überhaupt nicht angeschnitten; aber am Ende des Buches habe ich einige Ratschläge für weitere Lektüre gegeben.
Das Leben des Aristoteles Es mag nützlich sein, hier eine knappe Zusammenfassung der Lebensdaten des Aristoteles zu geben. Er wurde als Sohn eines Arztes in Stagira auf der Chalkidike (Nordgriechenland) im Jahre 3 8 4 v . C h r . geboren. M i t achtzehn Jahren trat er in Piatons Akademie in Athen ein und blieb zwanzig Jahre lang bis zum Tod Piatons im Jahre 3 4 7 deren Mitglied. Die Beziehung zwischen diesen beiden philosophischen Giganten, dem jungen und dem alten, ist ein faszinierender Gegenstand für Forschung und Spekulation. Es ist klar, daß Aristoteles durch Piaton und die dialektischen Gespräche, die in der Akademie geführt wurden, stark beeinflußt wurde, aber er hat während dieser Zeit auch Kritik an den Theorien Piatons entwickelt und eigene Gedankengänge ausgearbeitet. Nach dem Tod Piatons verließ Aristoteles Athen und ging zuerst nach Assos (an der kleinasiatischen Küste) und dann auf die Insel Lesbos. Ein großer Teil seiner empirischen Forschungen in der Meeresbiologie wurde in dieser Gegend durchgeführt. Etwa um 3 4 2 wurde er nach Makedonien eingeladen, um die Erziehung des Königssohnes Alexander zu leiten; leider wissen wir nur wenig über den Ausgang dieses Projektes. Einige Jahre später kehrte Aristoteles nach Athen zurück und gründete dort eine neue Schule (das „Lykeion" oder den „Peripatos"), in der Forschungen jeder Art - naturwissenschaftliche, philologische, philosophische — betrieben wurden. Die Schule blühte, aber Aristoteles verließ Athen im Jahre 3 2 3 aus politischen Gründen. Er zog nach Euboea, wo er ein Jahr später starb. Für weitere Auskunft über das Leben des Aristoteles und eine Darstellung der Weise, in der seine Manuskripte erhalten, bearbei-
Die Philosophie des Aristoteles
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tet und uns überliefert worden sind, verweise ich den Leser auf die Bücher, die in dem Anhang „Literaturhinweise" auf Seite 2 3 0 unter der Rubrik „Allgemeines" angeführt sind. Sie enthalten auch einiges zur Chronologie seiner Werke und über die Beziehung zwischen seiner Philosophie und dem Piatonismus.
Die Philosophie des Aristoteles Die griechische Philosophie fängt mit kindlich einfachen Fragen an und kommt am Ende zu komplexen und schwierigen Theorien. Die Fragen, die Kinder stellen, führen in der Tat leicht zu großen Schwierigkeiten und zu verblüffenden Problemen. Wo geht die Flamme hin, wenn man die Kerze ausbläst? Wo gehe ich hin, wenn ich sterbe? Wie schnell vergeht die Zeit — und was ist die Zeit? Wer hat Gott gemacht? Gewissenhafte Eltern versuchen, ihren Kindern irgendeine Antwort darauf zu geben, aber sie selber fühlen sich durch solche eigenartigen Fragen kaum beunruhigt. Philosophen aber doch; und indem sie zu erhellen versuchen, worum es bei diesen Fragen geht und wie solche Probleme zu lösen (oder als Scheinprobleme zu erweisen) sind, entdecken sie, daß sie dabei die eigentlichen Grundlagen unseres Denkens über die Welt untersuchen und über die allgemeine Natur der Wirklichkeit reden. Sie werden dazu gebracht, Gedanken von großer Abstraktheit zu entwickeln und zu diskutieren und schließlich mit Fragen zu ringen, die höchst technisch wirken und von der ursprünglichen Verwunderung des Kindes weit entfernt zu sein scheinen. Wo geht die Flamme hin? Nun, sie verschwindet einfach; sie ist kein Ding, und sie geht nirgendwo hin. Was ist denn ein Ding? Was schließt Flammen davon aus, Dinge zu sein? Denn eine Flamme ist ja keine Illusion, keine bloße Erscheinung. Erscheinungen können nicht ein Stück Papier in Brand stecken. Ist es so, daß Dinge aus irgendeinem Material bestehen müssen? Aber die Flamme besteht sicherlich aus etwas, auch wenn der Laie nicht genau sagen kann, woraus. Jeder, der bei dem Versuch fortfährt, die Flammen-Frage zu beantworten, sieht sich gezwungen, eine Anzahl schwieriger Fragen über Dinge und Eigenschaften, über Stoff und Veränderung und Identität zu untersuchen. Sie sind Grundbe-
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Einführung
griffe, die alle benutzen und auf die wir uns alle verlassen, aber sie zu analysieren und zu verstehen, erweist sich als sehr schwierig. Wo gehe ich hin, wenn ich sterbe? Verschwinde ich einfach, wie eine Flamme; oder überlebe ich in irgendeiner Form oder Gestalt? Die Frage ist nicht eine, die einfach entweder religiösen Glauben oder Skeptizismus erfordert. Ehe wir eine Stellung zur Wahrheit der Behauptung, daß eine Person den Tod überlebe, nehmen können, brauchen wir ein klareres Verständnis der Behauptung selbst. Was für eine Sache ist ein ,Ich'? Hat es überhaupt einen Sinn, die Ansicht zu äußern, daß eine Seele, die die Seele einer lebenden Person gewesen ist, nach dem Tod dieser Person weiter existieren könnte - nachdem der Körper aufgehört hat, zu funktionieren? Wenn ,Ich', oder meine Seele, vom Körper getrennt existieren kann, kann sie dann auch in andere Körper als den meinen eingehen? (Kann es neben Herztransplantationen auch Seelentransplantationen geben?) Hat es einen Sinn zu sagen, ,Ich war früher Napoleon' oder ,Napoleon und ich sind eigentlich dieselbe Person'? Fragen über Leib und Seele und über persönliche Identität gehören zu den faszinierendsten und schwierigsten Problemen für den Philosophen. Das Kind, das gerade für irgendeine Verfehlung bestraft werden soll, behauptet, daß es nicht anders gekonnt habe. ,Natürlich konntest Du anders', antworten wir und vollziehen die Strafe. Aber wie könnten wir mit seiner Behauptung fertig werden, wenn wir uns darauf einlassen würden, sie ernst zu nehmen? Wir würden uns dann genötigt sehen, die Gründe zu erklären und, wenn möglich, auch zu rechtfertigen, kraft derer wir einen Menschen für einige Dinge verantwortlich machen und für andere nicht. Jede solche Erklärung wird schnell zu Rätseln hinsichtlich des freien Willens und des Determinismus führen. Wenn ein Mensch seinen Meinungen und seinen Wünschen gemäß handelt — und er handelt sicherlich so — und wenn man seine Meinungen und Wünsche nicht wählen kann, wie könnte er jemals anders handeln, als er handelt? Er tut notwendigerweise das, was ihm im Augenblick als das Beste erscheint — und er ist genausowenig für das verantwortlich, was ihm als das Beste erscheint, wie er dafür verantwortlich ist, wie sich die Musik für ihn anhört. Nicht nur
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komplizierte theoretische Fragen, sondern auch bedeutsame praktische Fragen stehen hier auf dem Spiel. Kleine Kinder sind manchmal nur in ihrer Einbildung existierenden Freunden treu ergeben und plaudern glücklich mit unsichtbaren Kameraden. Es ist natürlich, zu sagen, diese Freunde und Kameraden existieren nicht. ,Aber wenn ich an meinen Freund denke, denke ich nicht an nichts. Und wenn ich mit meinem Freund rede, rede ich nicht mit nichts. An etwas wird gedacht und mit etwas wird geredet — und wenn mein Freund es nicht ist, wer oder was ist es dann?' Irgendein Kinderstubenparadox dieser Art liegt im Kern des Denkens des Parmenides. Parmenides (um 515 v . C h r . geboren), der faszinierendste unter den frühen griechischen Philosophen, behauptete und versuchte zu beweisen, daß das, was nicht ist, nicht gesagt oder gedacht werden könne: schon der Gedanke, d a ß das, was nicht ist, ist, sei ein glatter Widerspruch. Also müsse alles, was gedacht oder gesagt werden kann, auch sein. Daraus folgt, d a ß Vielheit unmöglich ist, da man mit der Behauptung, es gebe zwei Dinge, impliziert, daß eines von ihnen nicht das andere sei. Es folgt auch, daß Veränderung und Bewegung unmöglich sind, da diese den Gedanken nach sich ziehen, daß etwas das ist oder wird, was es nicht war, und daß es nicht das ist, was es war. Parmenides' bemerkenswertes Gedicht - denn er hat seine abstrakten logischen Argumente in Hexametern verfaßt — hat einen starken Einfluß auf Piaton und die ganze darauf folgende griechische Philosophie ausgeübt. In einer Richtung führte es zu einer jenseitsgerichteten Metaphysik: die Realität ist ewig unveränderlich und eins; diese Welt der vielen, sich verändernden Dinge ist bloße Erscheinung. In einer anderen Richtung führte es zu großen Fortschritten in der Logik: um die parmenideischen Paradoxien zu durchschauen, waren grundlegende Untersuchungen über die N a tur des Denkens, der Bedeutung und der Wahrheit erforderlich. Piaton hat die ersten großen Schritte in seinem Dialog Sophistes u n t e r n o m m e n , und das Ende des Weges zur vollständigen Fernsicht in diese Fragen haben wir noch nicht erreicht. Aristoteles steht den Anfängen der Philosophie nahe genug, um noch für einfache Fragen ein Gespür zu haben und sie ohne Verlegenheit formulieren zu können, und um die allgemeine Gestalt möglicher Antworten im Umriß klar zu sehen. Er ist nicht, wie wir heute, mit einem
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riesigen Erbe an technischen Ausdrücken und Theorien belastet. Andererseits ist er fortgeschritten genug — und gescheit genug —, um differenzierte Argumente vorzutragen und Gedanken und Theorien zu entwickeln, die subtil und fruchtbar sind. In dieser Mischung aus fast kindlicher Direktheit und gespannter intellektueller Kraft besteht ein Teil des besonderen Reizes, den Aristoteles ausübt. Das ist es, was ihn zu einem Philosophen macht, der so leicht zugänglich ist und dem man sich nur schwer entzieht. Einige Themen und Gedanken Da die Werke des Aristoteles so viele philosophische Gebiete behandeln und für die meisten auch die Grundlagen gelegt haben, sind seine Hauptthemen und -gedanken nie ganz aus der Mode gekommen, obwohl er in manchen Epochen in höherem Ansehen stand als in anderen. Die Interessen der zeitgenössischen Philosophen stehen denen des Aristoteles außergewöhnlich nahe. Viele der von uns am eifrigsten diskutierten Probleme sind Probleme, die er aufgeworfen hat, und viele unserer charakteristischsten philosophischen Schachzüge sind solche, die er erfunden oder wirksam ausgewertet hat. Viele seiner Leistungen werden heute besser verstanden und mehr geschätzt als je zuvor. In diesem Abschnitt will ich eine kleine Auswahl von Beispielen vorlegen, um diese Punkte zu veranschaulichen; einige der erwähnten Themen werden natürlich später einer ausführlicheren Untersuchung unterzogen werden. Formale Logik. Aristoteles' berühmte — oder berüchtigte - Theorie des Syllogismus (siehe Kapitel 6) ist in der Vergangenheit oft kritisiert und verlacht worden, weil sie pedantisch und trocken sei und den Tatsachen der menschlichen Vernunft nicht entspreche. Seit der Entwicklung einer exakten mathematischen Logik haben wir aber eingesehen, daß seine Theorie in der Tat eine außerordentliche Leistung auf dem Gebiet der formalen Logik war. Mehr oder minder aus dem Nichts hat Aristoteles ein fast perfektes und eindrucksvoll exaktes Stück Logik hervorgebracht — was nur zu einer Zeit, in der man die Ideale der Vollständigkeit und der Exaktheit in der Logik selbst versteht und akzeptiert, in angemessener Weise geschätzt werden kann.
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Einige Themen und Gedanken Philosophie
des Geistes.
D a s L e i b - S e e l e - P r o b l e m (siehe Kapitel 5)
t a u c h t i m m e r wieder auf. Traditionell h a t m a n das P r o b l e m darin gesehen, w i e zwei grundsätzlich verschiedene Sorten von G e g e n ständen a u f e i n a n d e r w i r k e n k ö n n e n (oder wie zwei v o l l k o m m e n verschiedene G r u p p e n v o n Ereignissen etwas miteinander zu tun h a b e n k ö n n e n ) ; a b e r in letzter Z e i t hat m a n es unter erfrischend neuen A s p e k t e n a n g e p a c k t . D i e beiden wichtigsten Auffassungen, die in der zeitgenössischen D i s k u s s i o n vertreten w e r d e n , sind (1), d a ß geistige Ereignisse nichts weiter seien als physikalische Ereignisse einer b e s o n d e r e n A r t (Identitätstheorie); und (2), d a ß die Philosophie sich gar n i c h t mit einer besonderen Art G e g e n s t a n d o d e r Ereignis befasse, s o n d e r n mit einer besonderen G r u p p e von Begriffen, und z w a r mit Begriffen, die wir verwenden, u m physikalische und physiologische Ereignisse a u f eine b e s t i m m t e Weise zu b e s c h r e i b e n und zu interpretieren, n ä m l i c h indem wir sie in H i n sicht a u f das F u n k t i o n i e r e n
und Überleben
eines
Lebewesens
erklären ( F u n k t i o n a l i s m u s ) . Auch Aristoteles lehnt die dualistischen T h e o r i e n über L e i b und Seele entschieden a b . O b
seine
eigene E r k l ä r u n g mit Sicherheit als ein Raffinierter Funktionalism u s ' b e s c h r i e b e n werden k a n n — wie ein A u t o r unlängst geschrieben h a t —, k a n n bezweifelt w e r d e n ; a b e r sie enthält auf jeden Fall eine s t a r k e V o r a u s a h n u n g dieser T h e o r i e und auch der Identitätstheorie. Aristoteles' B e h e r r s c h u n g der Biologie und sein Interesse an s ä m t l i c h e n L e b e n s f o r m e n h a t ihn d a v o r geschützt, sich an den P r o b l e m e n der „ p r i v a t e n " geistigen Erlebnisse und des Selbstbew u ß t s e i n s festzuhalten, und ihn dazu geführt, sich eher auf die Analyse der verschiedenen L e b e n s f u n k t i o n e n und ihrer Beziehungen u n t e r e i n a n d e r und auf eine E r k l ä r u n g ihrer physikalischen Grundlagen
zu konzentrieren.
Dies
ist auch
die Tendenz
der
Philosophie des Geistes in jüngster Z e i t . Metaphysik.
Dieses G e b i e t hat den Angriff der logischen Positivi-
sten in den dreißiger und vierziger J a h r e n überlebt und blüht in letzter Z e i t — unter neuer G e s c h ä f t s f ü h r u n g .
Neuere
Arbeiten
e r k e n n e n an, d a ß die S p r a c h e beim B e s t i m m e n und Ausdrücken unseres B e g r i f f s r a h m e n s eine Schlüsselrolle spielt, und konzentrieren sich a u f deskriptive statt auf revisionistische M e t a p h y s i k - um einen G e g e n s a t z zu verwenden, den P. F. S t r a w s o n am A n f a n g von Individuais
( 1 9 5 9 ) , einem der einflußreichsten seit dem Z w e i t e n
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Einführung
Weltkrieg auf diesem Gebiet veröffentlichten Bücher, formuliert hat. Die T h e m e n sehr vieler seitdem veröffentlichter Bücher und Aufsätze (und nicht zum wenigsten in den Vereinigten Staaten) k o m m e n direkt von Aristoteles her. Ding und Qualitäten, Stoff und Veränderung, Individuativa und Kollektiva, Subjekt und Prädikat: solche Themen liegen im Kern der Untersuchungen des Aristoteles. Und sein Ansatz zu diesen Themen legt den gleichen N a c h d r u c k auf die Sprache und zeigt die gleiche Sensibilität f ü r sie wie der Ansatz neuerer Metaphysiker. M a n c h e seiner Untersuchungen schienen einst eher technisch und wenig inspirierend, verglichen mit kühneren Phantasieflügen kreativer Einbildungskraft, aber wir können sie jetzt als erstklassige und immer noch faszinierende Versuche erkennen, nicht eine neue Welt zu eröffnen, sondern diese zu erhellen und unser Verständnis von ihr zu vertiefen. Ethik. Zeitgenössische Arbeiten zur Ethik haben viele aristotelische M e r k m a l e und Wurzeln. Hervorragende moderne Philosophen haben die Diskussion über Fragen, die Aristoteles gestellt hat, erneut a u f g e n o m m e n und haben anerkannt, dai? sie in seiner Schuld stehen. Ich wähle nur zwei Beispiele, die beide mit menschlichem Handeln zu tun haben. J. L. Austins Aufsatz ,A Plea for Excuses', zuerst 1956 veröffentlicht, hat differenzierte und wichtige Arbeiten über Verantwortlichkeit und über die verschiedenen Weisen angeregt, in denen ein Handelnder Verantwortlichkeit von sich weisen kann oder versuchen kann, seine H a n d l u n g zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Das Thema und der Grundansatz — eine gründliche Untersuchung von Entschuldigungsausdrücken wie ,durch Zufall', ,in Unwissenheit', ,unabsichtlich', ,unter Z w a n g ' - stammen direkt aus Buch III der Nikomacbischen Ethik des Aristoteles, einem Text, den Austin selbst mit Schülern und in Seminaren viele Jahre lang studiert und diskutiert hatte. Mein zweites Beispiel ist der amerikanische Philosoph Donald Davidson. Er hat in einer Reihe von einflußreichen Aufsätzen (in Essays on Actions and Events, 1980 neu herausgegeben) den Unterschied zwischen Handlungen und Ereignissen, den Z u s a m m e n h a n g zwischen den Ursachen und den G r ü n d e n einer H a n d l u n g und die N a t u r der akrasia (Handeln gegen eigenes besseres Wissen) untersucht. Das sind alles aristotelische H a u p t t h e m e n , und manche der
Einige Themen und Gedanken
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Antworten Davidsons sind aristotelische Antworten. Aristoteles' Bemerkungen sind, hier wie auch anderswo, prägnant und komprimiert, manchmal bis zur Dunkelheit. Weil sie aber die Gedanken eines philosophischen Supergenies enthalten, sind sie der Mühe wiederholten Studiums und Nachdenkens wert. Philosophie der Wissenschaften. Bei seiner Arbeit über wissenschaftliche Erklärung umfassen die Hauptinteressen Aristoteles' auch Probleme, die heute noch frisch und lebendig sind. Die Natur wissenschaftlicher Erklärung und die Struktur wissenschaftlicher Theorien werden noch immer debattiert. In den biologischen Wissenschaften sind die Probleme der Teleologie immer noch dringlich: Was ist die Rechtfertigung dafür, daß man Prozesse durch Bezugnahme auf ihr Ende oder Ziel erklärt, und wie verhalten sich solche Erklärungen zu den Erklärungen, die mit Hilfe der gewöhnlichen Naturgesetze gegeben werden, die alle physikalischen Prozesse bestimmen? Und schließlich gedeihen die Probleme der Naturnotwendigkeit und der Wesensdefinition auch wieder prächtig, obwohl man sie einst für tot hielt. Definitionen in der Wissenschaft sind nämlich doch wohl nicht nur verbale Abkürzungen. Sie verkapseln oft wichtige Entdeckungen und können die wirkliche Natur oder das wirkliche Wesen einer Sorte von Gegenständen (oder von Ereignissen oder Phänomenen) angeben, die man früher nicht völlig verstanden hat. Einige der Erörterungen des Aristoteles über Definitionstypen und über die Rolle der Definition in der Wissenschaft stehen in klarer Beziehung zur Arbeit solcher neueren Autoren wie Hilary Putnam oder Saul Kripke (siehe S. 9 2 - 9 3 und 1 4 7 - 1 5 6 ) . Philosophische Logik. Ich werde nur einige Punkte erwähnen, (i) Das Interesse an Kategorien und an kategorialen und TypenUnterschieden geht auf Aristoteles zurück. Er untersuchte solche Unterschiede enthusiastisch und oft, und er machte guten Gebrauch davon — wie auch moderne Philosophen - , um philosophische Rätsel zu lösen oder aufzulösen. Die Kategorien-Argumente, die jenes klassische Buch des 2 0 . Jahrhunderts, The Concept of Mind ( 1 9 4 9 ) von Gilbert Ryle, beherrschen, wurden erstmals in der Werkstatt des Aristoteles zurechtgehauen. (ii) Viele Philosophen haben sich in letzter Zeit mit Fragen der Identität und der
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Einführung
Individuierung beschäftigt; es sind Fragen von entscheidender Bedeutung für die Logik und die Metaphysik. Aristoteles hat sich oft diesen Fragen gewidmet und hat wichtige Schritte zu ihrer Beantwortung unternommen. So erkannte er ζ. B., daß ,Ist es das Gleiche?' ergänzt werden muß zu ,Ist es das gleiche So-und So?' Fragen über Gleichheit können nur hinsichtlich irgendeiner Klassifizierung oder Beschreibung angemessen gestellt und beantwortet werden, (iii) Wichtige Begiffe in der neueren Philosophie sind die des Sinnes, der Bedeutung und der referenziellen Vagheit. Die Begriffe, wiewohl nicht mit diesen Etiketten, sind Aristoteles bekannt, und er verwendet sie in den verschiedensten Zusammenhängen. Wir würden sagen, daß ,der Morgenstern' und ,der Abendstern' dieselbe Bedeutung haben, aber verschiedenen Sinn. Er würde sagen, daß der Morgenstern und der Abendstern dasselbe sind, aber daß ihr Sein nicht dasselbe ist; der Morgenstern zu sein ist nicht dasselbe wie der Abendstern zu sein, obwohl der Morgenstern tatsächlich derselbe Stern ist wie der Abendstern. Hinsichtlich der Vagheit sind Aristoteles' Schlüsselausdrücke ,an sich' und ,durch Zufall' oder ,zufällig' (per accidens). Wenn a nicht an sich b ist, sondern nur per accidens, kann man in einem wahren Satz ,a' nicht durch ,b' ersetzen und noch sicher sein, daß auch der neue Satz wahr ist.
Kapitel 2 Wie Aristoteles arbeitet In diesem Kapitel will ich einige der allgemeinen M e r k m a l e des aristotelischen Philosophierens erwähnen und dann zur Erläuterung einige Beispiele vorführen.
Einige M e r k m a l e des aristotelischen Philosophierens Aristoteles beginnt eine wichtige Untersuchung meistens mit einem Überblick über die Ansichten seiner Vorgänger. J e d e solche Meinung, g l a u b t er, enthält vermutlich etwas Wahres, und d a s müssen wir zu bewahren versuchen. Die Punkte, in denen frühere Denker miteinander uneins sind, liefern die Probleme, die wir zu lösen haben. Eine angemessene L ö s u n g , eine vollständige Einsicht in das Gebiet sollte uns nicht nur fähig machen, einzusehen, wer bei einer bestimmten Frage Recht hatte und wer nicht, sondern auch zu verstehen, w a r u m die falsche Ansicht akzeptiert wurde. Die Einstellung des Aristoteles zu seinen Vorgängern ist eher die eines Philosophen als die eines Historikers. Er betrachtet sie als Hilfsmittel auf dem Weg zur Wahrheit; er hat nicht die Absicht, eine vollständige und g e n a u e Darstellung von jedem von ihnen, um seiner selbst willen, zu geben. Seine Z u s a m m e n f a s s u n g e n ihrer Ansichten sind o f t anachronistisch in seiner eigenen Terminologie a u s g e d r ü c k t ; er liest o f t seine eigenen Vorstellungen und Fragen in sie hinein. N i c h t nur die Ansichten früherer Denker, sondern auch das, w a s die gewöhnlichen M e n s c h e n sagen, muß ein Teil des M a t e r i a l s bilden, von dem philosophische Untersuchungen ihren A u s g a n g nehmen. Ein guter Teil der Arbeit des Aristoteles dreht sich um Begriffsklärung und u m den Versuch, Begriffe zu verstehen und zu analysieren, die uns in gewisser Weise schon vertraut sind. Die
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Wie Aristoteles arbeitet
Alltagssprache liefert hier wesentliche Anhaltspunkte, auch wenn es sich am Ende als wünschenswert zeigen mag, unsere gewöhnlichen Rede- und Denkweisen ein wenig zu revidieren - ein bißchen in Ordnung zu bringen. Viele der charakteristischsten und wichtigsten Ideen des Aristoteles entwickeln sich aus Erörterungen darüber, wie die Leute gewöhnlich reden. Die Schlüsselbegriffe seiner Philosophie sind nicht in hohem Grade technisch; sie sind einfache und gewöhnliche Wörter und Redewendungen. Um die Substanz z.B. von anderen Entitàtsarten zu unterscheiden, verwendet er ,Was ist es?' als eine Bezeichnung, da er erst durch die Anwendung dieser gewöhnlichen Frage - im Gegensatz zu Fragen wie ,Wo ist es?' oder ,Wie groß ist es?' - dazu kommt, die Kategorie der Substanz zu erkennen. Und dort, wo er — wie wir es sagen würden - das Verhältnis zwischen Tatsachen und deren Erklärungen untersucht, redet er regelmäßig von ,dem Daß' und ,dem Weil'. Aristoteles' genaue Aufmerksamkeit gegenüber der Alltagssprache trägt dazu bei, seine Philosophie zugänglich zu machen - er schwebt nicht davon auf einer Wolke unerklärter technischer Ausdrücke und Abstraktionen. Sie trägt auch dazu bei, seinem Stil eine reizvolle Festigkeit zu geben. In einigen Forschungsgebieten ist es notwendig, herauszugehen und eine große Menge faktischer Belege zu sammeln, bevor man in nützlicher Weise Theorien konstruieren kann. Aristoteles empfiehlt und hat auch selbst die Gewohnheit, möglichst breit angelegte Forschungen durchzuführen, bevor er anfängt, zu klassifizieren, zu verallgemeinern und zu theoretisieren. (,Es ist ein kapitaler Fehler, zu theoretisieren, bevor man Fakten hat', — so sagt es Sherlock Holmes.) Er führte viele systematische Untersuchungen durch, oder ließ sie durchführen, besonders in der Biologie, aber auch in den Geschichtswissenschaften. Es ist wahr, daß Aristoteles bedeutsame Tatsachenfragen manchmal auf höchst unwissenschaftliche Weise zu lösen scheint — er benutzt,Beweise', auf die er durch Nachdenken kam, dort, wo ein Fernrohr oder genaue Beobachtung viel nützlicher gewesen wären. So gesehen zeigt er sich natürlich bei seinen biologischen Forschungen von seiner besten Seite, dort nämlich, wo genaues und kundiges Beobachten möglich war, und wo sein Mangel an präzisen Meßinstrumenten nicht fatale Auswirkungen hatte. Deswegen
Einige Merkmale des aristotelischen Philosophierens
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konnte noch Darwin ihn als ein Genie preisen, wohingegen seine Arbeiten über Stoff, Bewegung und die himmlischen Körper, auch wenn sie f ü r Philosophen von fesselndem Interesse sind, für moderne Physiker oder Astronomen nicht zur Pflichtlektüre gehören. Bei der Ausarbeitung seiner Ansichten über ein philosophisches Problem fängt Aristoteles gern damit an, sämtliche Rätsel und Schwierigkeiten zusammen mit den wichtigsten Argumentationsschritten auf beiden Seiten einer jeden Frage zu sammeln. Und wenn er zur Klärung der Probleme übergeht, arbeitet er weiterhin dialektisch, das heißt er p r ü f t die Einwände gegen das, was er selbst gesagt hat, und wirft neue Fragen auf. Er erkennt oft an, daß noch Unklarheiten bleiben, daß das, was gesagt worden ist, vielleicht w a h r genug, aber noch nicht klar ist. Er hat ein scharfes Auge für Schwierigkeiten und einen unersättlichen Appetit aufs Argumentieren, und er ist nie geneigt, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Aristoteles unterscheidet sehr deutlich zwischen den verschiedenen Forschungsarten. M a n c h e können einen hohen Grad an Genauigkeit und Sicherheit anstreben, andere können das aus verschiedenen G r ü n d e n nicht. ,Es ist das Zeichen eines gebildeten Menschen, n u r gerade so viel Genauigkeit zu verlangen, wie die N a t u r des in Frage stehenden Gegenstands zuläßt. Es ist genauso töricht, von einem M a t h e m a t i k e r bloße Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu akzeptieren, wie von einem Redner demonstrative Beweise zu verlangen.' Aristoteles ist immer entzückt, wenn er ein umwerfendes Argument, einen nahezu mathematischen Beweis oder eine nahezu mathematische Widerlegung finden kann. Aber in vielen Gebieten ist philosophisches Argumentieren weniger stringent. Es benutzt nicht nur deduktive Ableitungen, sondern beruft sich auch auf das, was wahrscheinlich und einleuchtend ist, auf Analogieschlüsse, auf die Auswertung von aus der Sprache entnommenen Anhaltspunkten usw. Z u den Werkzeugen des Philosophen gehören nicht n u r die stringenteren Formen des Argumentierens, sondern auch ein breites Spektrum an Überredungsmitteln und -techniken.
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Wie Aristoteles arbeitet
Wie Aristoteles arbeitet Im folgenden werde ich ein halbes Dutzend ausgewählter Beispiele davon geben, wie Aristoteles arbeitet. Kurze Zitate können offensichtlich dem Prozeß des unaufhörlichen Analysierens und Argumentierens, die große philosophische Probleme verlangen, nicht gerecht werden. Aber ich hoffe, eine allgemeine Vorstellung davon zu geben, wie Aristoteles Fragen angeht, und einen Eindruck von seinem Stil zu vermitteln. Ich habe zur Erläuterung einige Bemerkungen eingefügt; ein oder zwei der eigentlichen Themen werden wir in späteren Kapiteln diskutieren.
Eine begriffliche Untersuchung: Was ist Schwäche des Charakters und wie unterscheidet sie sich von der Schlechtigkeit? Mein erstes Beispiel k o m m t aus Aristoteles' Erörterung der akrasia in der Nikomachischen Ethik. Das Wort akrasia wird oft durch ,Unbeherrschtheit' oder ,Willensschwäche' übersetzt; im folgenden habe ich ,Schwäche des Charakters' oder einfach ,Schwäche' benutzt. Die akratische Person ist eine, die gegen eigenes besseres Wissen handelt; sie tut etwas, wovon sie weiß, daß sie es nicht tun sollte. Aristoteles will verstehen, wie dies möglich ist, und sich deutlich machen, wie sich solche Schwäche von schierer Schlechtigkeit unterscheidet. Die zitierten Ausschnitte (aus der Nikomachischen Ethik VII.l und 2) sind ein gutes Beispiel einer seiner charakteristischen Argumentationsmethoden, und sie vermitteln auch einen Eindruck seines gedrängten Stils. Zunächst skizziert er das Verfahren, das er benutzen will. Wie bei den anderen Themen, müssen wir zunächst darlegen, wie die Dinge zu liegen scheinen, und dann, nachdem wir die Probleme [aporiai] entwickelt haben, wenn möglich die Wahrheit sämtlicher gängiger Meinungen [endoxa] über diese Dinge beweisen, oder, wenn das nicht möglich ist, die Wahrheit der meisten und wichtigsten von ihnen. Denn wenn wir sowohl die Probleme lösen können als auch die gängigen Meinungen unberührt lassen, wird die Sache hinreichend bewiesen sein. Nikomachische Ethik VII.l.1145b2
Eine begriffliche Untersuchung
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Danach zählt Aristoteles sieben ,gängige Meinungen' über S c h w ä che des Charakters' und ,Stärke des Charakters' auf. Nun meint man, (i) daß Beherrschtheit des Charakters gut und lobenswert sei, Willensschwäche aber schlecht und tadelnswert; und daß (ii) der beherrschte Mensch zu seinen vernünftigen Überlegungen stehe, der schwache Mensch sich aber von ihnen löse, (iii) Der schwache Mensch weiß, daß er schlecht handelt, tut es aber doch, wegen seiner Leidenschaft; der beherrschte Mensch weiß, daß seine Begierden schlecht sind und folgt ihnen nicht, wegen seiner Vernunft, (iv) Den besonnenen Menschen hält man für beherrscht und unnachgiebig, und manche meinen, daß jeder beherrschte Mensch besonnen sei, andere aber meinen das nicht, (v) Einige meinen, daß der zügellose Mensch schwach sei und der schwache Mensch zügellos, ohne einen Unterschied zu machen; andere sagen, daß sie verschieden seien, (vi) Manchmal wird behauptet, daß der weise Mensch nicht ein schwacher Mensch sein könne, manchmal, daß manche weise und kluge Menschen schwach seien, (vii) Man nennt Leute schwach [nicht nur hinsichtlich der körperlichen Gelüste, sondern] auch hinsichtlich des Zorns, der Ehre und des Gewinns. Dies sind also die Dinge, die gesagt werden. Nikomachische Ethik VII. 1 . 1 1 4 5 b8 Nun folgen einige Probleme und Schwierigkeiten (aporiai), die auf diese gängigen Meinungen zurückgehen oder von ihnen nahegelegt werden. M a n könnte die folgenden Fragen stellen: (a) Was setzt einer, der aus Willenschwäche handelt, zu Recht voraus? [Weiß er, daß das, was er tut, falsch ist, oder meint er nur, daß es so sei? Wenn ein Mensch wirklich weiß, was er am besten tun sollte, ist er nicht dadurch verpflichtet, es zu tun? Wenn aber der akratische Mensch etwas tut, das er nur für falsch hält, kann man ihm das besonders vorwerfen? Diese Fragen zeigen, daß über (iii) oben mehr gesagt werden muß.] . . . Wenn der beherrschte Mensch sowohl starke als auch böse Begierden hat [d.h. die Begierden, denen ein beherrschter Mensch widerstehen wird], wird der besonnene Mensch kein beherrschter Mensch sein, und der beherrschte Mensch wird nicht besonnen sein (da der
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Wie Aristoteles arbeitet
besonnene Mensch keine extremen oder schlechten Begierden hat). Aber Beherrschtheit muß sicherlich das Besitzen von starken und schlechten Begierden nach sich ziehen. Denn wenn die Begierden eines Menschen gut sind, wird der Charakterzustand, der ihn daran hindert, sie zu verfolgen, schlecht sein - so daß nicht alle Beherrschtheit gut sein wird; wenn dagegen die Begierden schwach sind, dann (egal ob sie nun gut oder böse seien) ist es nichts Besonderes oder Großes, ihnen nicht zu folgen [also müßten wir (iv) oben korrigieren], (b) Ferner: Wenn Beherrschtheit bewirkt, daß man auf jeder Meinung beharrt, so ist sie schlecht — wenn man ζ. B. sogar auf seinen falschen Meinungen beharrt; und wenn Schwäche des Charakters bewirkt, daß man sich an keine Meinung hält, wird es eine gute Schwäche geben [dieses Paradoxon ist aus (i) und (ii) oben abgeleitet] . . . (c) Es gibt ein Argument, aus dem folgt, daß Torheit und Schwäche zusammen Tugend ergeben. Denn wegen seiner Schwäche tut einer das Gegenteil von dem, was er für richtig hält; aber er meint, daß das, was gut ist, schlecht sei und daß er es nicht tun solle: infolgedessen wird er das, was gut ist, tun und nicht das, was schlecht ist [eine andere Form des Paradoxons aus (b) oben], (d) Ferner: Einer der aus Uberzeugung handelt, wenn er seine Gelüste verfolgt und wählt, scheint besser zu sein als jemand, der es nicht aus vernünftiger Überlegung, sondern aus Schwäche tut. [Ein vollkommen böser und zügelloser Mensch wäre infolgedessen besser als ein Mensch mit guten Prinzipien und Absichten, der aus Schwäche schlecht handelt.] Denn er ist leichter zu heilen, da man ihn dazu überreden kann, seine Meinung zu ändern. Auf den schwachen Menschen läßt sich das Sprichwort anwenden: ,Wenn Wasser in der Kehle würgt, was soll man nachtrinken?' Wenn er von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt gewesen wäre, hätte er aufgehört, nachdem man ihn dazu veranlaßt hätte, etwas anderes zu glauben; aber so wie der Fall liegt, handelt er trotz seiner widersprechenden Überzeugung [ein weiteres Paradoxon, das aus (ii) oben entsteht]. (e) Ferner: Wenn es in Bezug auf alles Schwäche und Beherrschtheit gibt, wer ist ,ein schwacher Mensch' schlechthin? Denn es besitzt ja niemand jede Art Schwäche, aber wir sagen trotzdem, daß manche schlechthin ,schwach' seien, [siehe (vii) oben]. Die Schwierigkeiten, die auftreten, sind also von
Eine begriffliche Untersuchung
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solcher Art. Einige m u ß m a n zurückweisen, andere aber stehen lassen. Die Schwierigkeiten zu lösen heißt, die Wahrheit zu entdecken. Nikomachische Ethik VII.2.1145b21 Aristoteles fährt n u n mit der Überlegung fort, ob ein schwacher Mensch mit oder ohne Wissen handelt, und um welche Gegenstände es bei der Schwäche oder Beherrschtheit des Charakters geht. Die erste dieser Untersuchungen (VII.3) hebt gewichtige Fragen über menschliches Handeln hervor und darüber, was Wünsche und Meinungen mit seiner Verursachung zu tun haben. Die zweite (VII.4—5) bringt einen nützlichen — und sehr aristotelischen — Gedanken ins Spiel, nämlich den, daß ein Wort in verschiedenen, aber verwandten Bedeutungen benutzt werden kann, und daß ein Sinn oder eine Verwendung die primäre ist ^schlechthin'), und die anderen abgeleitete und sekundäre sind. Darauf folgen, in VII. 6 10, weitere Erörterungen über das Verhältnis von Schwäche zu Schlechtigkeit.
Eine praktische Menschen?
Grundfrage:
Was ist das beste Leben
für
einen
In Kapitel 7 des ersten Buches der Nikomachischen Ethik widmet sich Aristoteles der Frage: ,Was ist eudaimonia}' ,Eudaimonia' wird oft mit „Glück" übersetzt, aber das deutsche Wort trägt irreführende Andeutungen mit sich, und im folgenden werde ich das griechische Substantiv und Adjektiv (eudaimonia und eudaimon) einfach transskribieren. In Wirklichkeit stellt Aristoteles hier die für die M o r a l grundlegende Frage: ,Was ist das allerbeste und lohnendste Leben, das ein Mensch überhaupt führen kann?' Im folgenden berühmten und einflußreichen Abschnitt nähert er sich dieser Frage durch eine Untersuchung darüber, welche Vermögen und Tätigkeiten die Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden. Was ist die Aufgabe oder die charakteristische Tätigkeit (ιergon) des Menschen als solchen? Vielleicht scheint die Behauptung, daß die eudaimonia das Beste sei, nur eine Platitüde zu sein, und es wird eine deutlichere Aussage darüber, was eudaimonia ist, erwünscht. Dem kann entsprochen werden, wenn erfaßt wird, was der Mensch tut. Denn wie bei dem Flötisten oder dem Bildhauer oder einem
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Wie Aristoteles arbeitet jeden Handwerker oder Künstler - oder überhaupt bei allem, was etwas Bestimmtes zu machen oder zu tun hat — scheint das Gute und sein Wohl in dem, was es tut, zu liegen. Und so scheint es auch bei dem Menschen zu sein, wenn er tatsächlich etwas Bestimmtes zu tun hat. Ein Zimmermann und ein Schuster haben bestimmte Sachen zu machen oder zu tun; hat ein Mensch keine, ist er von Natur aus ein Nichtstuer? Oder würde man nicht eher meinen, daß, genau wie ein Auge, eine Hand, ein Fuß und überhaupt jeder Teil offensichtlich etwas Bestimmtes zu tun haben, auch ein Mensch, neben allen diesen, etwas Bestimmtes zu tun hat? Nun, was könnte dies denn sein? Das Leben scheint mit den Pflanzen gemeinsam zu sein, und gesucht wird das, was dem Menschen eigentümlich ist. Also scheidet das Leben als Ernährung und als Wachstum aus. Als nächstes [von Pflanzen zu Tieren aufsteigend] käme das Leben als Wahrnehmung, aber auch die scheint uns gemeinsam zu sein mit den Pferden, den Rindern und jedem Tier. Was also übrigbleibt, ist das Leben als Tätigkeit des Teils des Menschen, der Vernunft besitzt. Nikomachische Ethik I.7.1097b22
Aristoteles geht nun von der Frage, was ein Mensch als solcher tut, zu der Frage, was ein guter Mensch tut, über: und er setzt sie mit der Frage gleich: ,Was ist das gute Leben für einen Menschen?' Was ein Mensch zu tun hat, ist also die Tätigkeit der Seele gemäß der Vernunft (oder nicht ohne Vernunft). Aber was ein χ und ein gutes χ zu tun haben, sind der Art nach dasselbe, ζ. B. ein Zitherspieler und ein guter Zitherspieler, und so im allgemeinen in allen Fällen; das Plus an Vorzüglichkeit wird zu dem, was er zu tun hat, hinzugefügt: was der Zitherspieler tut, ist, die Zither zu spielen, was der gute tut, ist, sie gut zu spielen . . . Das menschliche Gute zeigt sich also als die Tätigkeit der Seele gemäß der Vorzüglichkeit, oder - wenn es viele Vorzüglichkeiten gibt — gemäß der besten und vollkommensten Vorzüglichkeit. Denn eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und ein Tag auch nicht; und ähnlich macht auch ein Tag oder eine kurze Zeitspanne einen Menschen nicht glückselig oder eudaimon. Nikomachische Ethik 1.7.1198a7
Eine begriffliche Untersuchung Im
darauffolgenden
Kapitel
(1.8)
überprüft
29 Aristoteles
das
in
d i e s e m A b s c h n i t t e r r e i c h t e E r g e b n i s , i n d e m e r u n t e r s u c h t , o b es zu d e m p a ß t , w a s die L e u t e g e w ö h n l i c h ü b e r eudatmonia e n t d e c k t , d a ß es p a ß t . I m ü b r i g e n Teil d e r Ethik
sagen. Er
u n t e r s u c h t er die
v e r s c h i e d e n e n T y p e n m e n s c h l i c h e r V o r z ü g l i c h k e i t (des C h a r a k t e r s u n d des G e i s t e s ) , u m die n u r sehr g r o b u m r i s s e n e D a r s t e l l u n g des m e n s c h l i c h e n W o h l e r g e h e n s , die d e r G e d a n k e n g a n g o b e n lieferte, weiter auszufüllen. D i e G e d a n k e n , a u f die sich A r i s t o t e l e s ' A r g u m e n t h i n s i c h t l i c h der eudatmonia
s t ü t z t , sind die, d a ß d a s l a n g f r i s t i g e
Wohlergehen
eines M e n s c h e n d a r i n b e s t e h t , d a ß e r das d e r m e n s c h l i c h e n N a t u r gemäße Leben lebt, und daß wir, wenn wir entdecken wollen, was diese N a t u r ist, f r a g e n m ü s s e n , w e l c h e V e r m ö g e n u n d T ä t i g k e i t e n für
den
Menschen
kennzeichnend
sind.
Beide
Gedanken
sind
w i c h t i g u n d w e r t v o l l , a u c h w e n n ihre A n w e n d u n g u n s s o w o h l in d e r T h e o r i e als a u c h in d e r P r a x i s v o r g r a v i e r e n d e P r o b l e m e stellt. Z u d i e s e m T h e m a w i r d in K a p i t e l 1 0 e t w a s m e h r g e s a g t w e r d e n .
Ein semimatbematisches I m De
caelo
Argument über Gewicht und Bewegung
geht Aristoteles von sehr einfachen und plausiblen
A n n a h m e n über Stoff und Bewegung aus und baut eine Reihe von ziemlich
komplizierten
Argumenten
a u f , m i t der A b s i c h t ,
b e s t i m m t e D a r s t e l l u n g des U n i v e r s u m s zu b e g r ü n d e n . M a n
eine hat
sich o f t ü b e r seine K o s m o l o g i e lustig g e m a c h t , o b w o h l sie für den Geistes- und Kulturhistoriker,
da sie d u r c h viele
Jahrhunderte
h i n d u r c h a l l g e m e i n a n e r k a n n t w u r d e , v o n Interesse sein m u ß . E s s i n d a b e r s e i n e A r g u m e n t e u n d n i c h t seine E r g e b n i s s e , die jetzt u n s e r e A u f m e r k s a m k e i t e r f o r d e r n : es ist i m m e r n o c h l e h r r e i c h und m a c h t a u c h F r e u d e , sie zu a n a l y s i e r e n
u n d ihre
verschiedenen
Stränge auseinanderzudröseln. E i n e r d e r e r s t e n P u n k t e , den A r i s t o t e l e s b e w e i s e n will, ist der, d a ß die W e l t ein e n d l i c h e r u n d n i c h t (wie viele g e g l a u b t h a t t e n ) ein u n e n d l i c h e r K ö r p e r ist. U n t e r seinen A r g u m e n t e n gegen die M ö g l i c h k e i t e i n e s u n e n d l i c h e n K ö r p e r s g i b t es eins, das sich a u f das G e w i c h t b e z i e h t . E r b e h a u p t e t , d a ß das G e w i c h t eines u n e n d l i c h e n K ö r p e r s n i c h t endlich unendlich
sein k ö n n e , a b e r d a ß die A n n a h m e , d a ß es
sei, zu e i n e m W i d e r s p r u c h f ü h r e . D e n n ein u n e n d l i c h
s c h w e r e r K ö r p e r w ü r d e sich u n e n d l i c h viel s c h n e l l e r ü b e r eine
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Wie Aristoteles arbeitet
gegebene Strecke bewegen als ein endlicher Körper. Aber wie kurz auch immer die Zeit, die er brauchte, wäre, irgendein bestimmtes Verhältnis zwischen dieser Zeit und der Zeit, die ein endlicher Körper brauchte, würde es geben - so daß er sich doch nicht unendlich viel schneller bewegt hätte. (Wenn der unendliche Körper gar keine Zeit brauchte, hätte er sich überhaupt nicht bewegt, da Bewegung ja heißt, zu einem Zeitpunkt an einem Ort und zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort zu sein.) Die folgende Stelle wird als ein winziges Beispiel für den semimathematischen Argumentationstyp dienen, der in Aristoteles' Erörterungen über Themen wie Bewegung, Zeit und Raum häufig vorkommt. Aus dem Gesagten ist klar, daß das Gewicht eines unendlichen Körpers nicht endlich sein wird. Es müßte also unendlich sein. Wenn dies nun unmöglich sein sollte, wird es auch unmöglich sein, daß es einen unendlichen Körper gibt. Aber daß es in der Tat unmöglich ist, daß es ein unendliches Gewicht gibt, wird aus folgendem klar. Denn (i) wenn ein bestimmtes Gewicht sich über eine bestimmte Strecke in einer bestimmten Zeit bewegt, wird ein größeres Gewicht es in weniger Zeit schaffen; und in dem Verhältnis, in dem die Gewichte zueinander stehen, werden auch die Zeiten, umgekehrt, zueinander stehen. Wenn ζ. B. das halbe Gewicht die Strecke in einer bestimmten Zeit durchläuft, wird das ganze Gewicht (das Doppelte von ihm) es in der Hälfte dieser Zeit schaffen, (ii) Ein endliches Gewicht wird jede endliche Strecke in einer bestimmten endlichen Zeit durchlaufen. Hieraus [aus diesen beiden Prämissen] folgt, daß, wenn es ein unendliches Gewicht gibt, es sich einerseits bewegen muß (insofern es so groß wie ein endliches Gewicht ist und noch größer), sich aber andererseits nicht bewegen darf, insofern es sich in einer Zeit bewegen muß, die im umgekehrten Verhältnis zum Unterschied der Gewichte steht; je größer das Gewicht, desto kleiner die Zeit. Es gibt aber kein Verhältnis zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen: nur zwischen einer kleineren und einer größeren endlichen Zeit besteht ein Verhältnis . . . Es ist also unmöglich, daß es ein unendliches Gewicht g i b t . . .
Eine begriffliche Untersuchung
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und so a u c h u n m ö g l i c h , d a ß es K ö r p e r gibt, die unendliches Gewicht haben.
Eine Frage zum
De caelo
I.6.273b26
Gedächtnis
Was bedeutet es, sich an j e m a n d oder an etwas zu erinnern? Eine S t a n d a r d e r k l ä r u n g würde b e s a g e n , d a ß es das Besitzen eines G e dächtnisbildes von einer Person o d e r einer S a c h e impliziere, eines Bildes, das d e m ursprünglichen Sinneseindruck ähnlich sei; das ursprüngliche Erlebnis müsse irgendeine ,Spur' hinterlassen h a b e n , und diese Spur werde später als ein G e d ä c h t n i s b i l d
reaktiviert.
W a s auch i m m e r die G r e n z e n und N a c h t e i l e einer solchen Darstellung sein m ö g e n , sie wird von vielen Philosophen als zumindest ein Teil der W a h r h e i t über einen T y p u s von G e d ä c h t n i s oder Erinnerung akzeptiert. W o und wie die G e d ä c h t n i s s p u r e n
aufbewahrt
w e r d e n , ist natürlich eine Frage für die N a t u r w i s s e n s c h a f t . Aristoteles m e i n t , es sei das H e r z . D i e S i n n e s w a h r n e h m u n g , glaubt er, sei o d e r bringe mit sich eine B e w e g u n g , die v o m w a h r g e n o m m e n e n G e g e n s t a n d ausgehe und durch das Blut bis zum Herzen, dem zentralen S i n n e s o r g a n , laufe. D o r t bestehe die B e w e g u n g unbem e r k t fort, w e r d e a b e r unter b e s t i m m t e n U m s t ä n d e n reaktiviert und erscheine als ein Bild. H e r z und Blut würden wir vielleicht gerne durch G e h i r n und Nervensystem ersetzen. A b e r die wichtige Frage, die sich jetzt stellt, ist folgende: Was gibt es a u ß e r d e m noch b e i m G e d ä c h t n i s , neben dem Besitzen solcher wiederbelebten Bilder? D e n n es ist klar, d a ß nicht jeder Fall des Besitzens eines Bildes, das t a t s ä c h l i c h ein , A b k ö m m l i n g ' eines früheren Sinneseindruckes ist, ein Fall der E r i n n e r u n g an diesen Eindruck {oder an den d a m a l s w a h r g e n o m m e n e n
Gegenstand) ist. Einen Teil der
A n t w o r t a u f diese Frage liefert Aristoteles in seiner B e s p r e c h u n g eines P r o b l e m s , das er in seiner kleinen A b h a n d l u n g über das G e d ä c h t n i s e r ö r t e r t ( n a c h d e m er die o b e n e r w ä h n t e
Darstellung
des involvierten Prozesses vorgelegt hat). Sein Problem ist folgendes: W i e k a n n das gegenwärtige Besitzen eines Bildes dasselbe sein wie die E r i n n e r u n g an eine Person oder an ein Erlebnis von vor langer Z e i t ? M a n k ö n n t e sich fragen, wie es ü b e r h a u p t möglich ist, daß man sich, w e n n die A f f e k t i o n (d. h. das Bild) anwesend, die Sache selbst a b e r a b w e s e n d ist, an das A b w e s e n d e erinnert. D e n n es ist
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Wie Aristoteles arbeitet klar, daß wir uns das, was durch die Sinneswahrnehmung in der Seele (oder in dem Teil des Körpers, der die Seele enthält) entsteht, als eine Art Bild vorstellen müssen, dessen Besitz wir Gedächtnis nennen. Denn die entstandene Veränderung prägt sozusagen eine Art Abdruck des Wahrnehmungsbildes ein (wie Leute, die mit einem Siegelring etwas versiegeln)... Aber wenn das, was beim Gedächtnis vor sich geht, von dieser Art ist, ist es diese Affektion, an die man sich erinnert, oder das, woraus sie entstand? Denn sollte das erstere der Fall sein, könnten wir uns an nichts Abwesendes erinnern. Und sollte das letztere der Fall sein, wie kommt es, daß wir, während wir dieses Bild wahrnehmen, uns an das, was wir nicht gerade jetzt wahrnehmen, an das, was abwesend ist, erinnern? Und wenn es wie ein Abdruck oder ein Gemälde in uns ist, warum sollte die Wahrnehmung dessen die Erinnerung an etwas anderes sein, und nicht an das Bild selbst? Denn wer sein Gedächtnis benutzt, betrachtet diese Affektion und nimmt sie wahr. Wie also soll man sich an etwas, das nicht anwesend ist, erinnern können? Denn so müßte es auch möglich sein, etwas, was nicht anwesend ist, zu sehen und zu hören. De memoria 1 . 4 5 0 a 2 5
Aristoteles macht nun wirkungsvollen Gebrauch von seinem wichtigen Gedanken, daß ein und dieselbe Sache auf verschiedene Weise beschrieben oder betrachtet werden kann. Er behauptet, daß das, was zu der früheren Darstellung der Erinnerung hinzugefügt werden muß, etwas darüber sei, wie der Besitzer des Bildes es betrachtet, nämlich ob er es selbst als eine durch die Spur hinterlassene Kopie des ursprünglichen Gegenstandes betrachtet (oder meint, daß es eine solche Kopie sei). Man sollte das Erinnern nicht als eine Art direktes Bewußtsein der Vergangenheit verstehen; aber es bringt einen Glauben hinsichtlich der Vergangenheit mit sich, der dadurch zustandekommt, daß man ein gegenwärtiges Bild auf eine bestimmte Weise betrachtet. (Man vergleiche es mit der Lage einer Person, die eine mit Farbe bedeckte Leinwand sieht und sagt: ,Das ist der Herzog von Wellington'.) Oder ist dies doch möglich und kommt tatsächlich vor? Denn eine auf einem Brett gemalte Figur ζ. B. ist sowohl eine Figur als auch ein Bildnis. Ein und dieselbe Sache ist beides — obwohl das
Eine begriffliche Untersuchung
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e i n e zu sein n i c h t d a s s e l b e ist w i e d a s a n d e r e zu s e i n ; u n d m a n k a n n sie e n t w e d e r als F i g u r o d e r als B i l d n i s b e t r a c h t e n . G e n a u s o m ü s s e n w i r a u c h d a s B i l d in u n s a u f f a s s e n , s o w o h l als einen B e t r a c h t u n g s g e g e n s t a n d , der a n sich s e l b s t ist, als a u c h als ein B i l d von
e t w a s a n d e r e m . I n s o f e r n es a l s o a n sich selbst ist, ist es
ein B e t r a c h t u n g s g e g e n s t a n d o d e r B i l d . I n s o f e r n es v o n
etwas
a n d e r e m ist, ist es e i n e A r t B i l d n i s u n d ein E r i n n e r u n g s z e i c h e n . F o l g l i c h s c h e i n t es, i m m e r w e n n die Seele es, w i e es an sich selbst ist, w a h r n i m m t , als ein G e d a n k e o d e r e i n e V o r s t e l l u n g v o r z u k o m m e n . W e n n m a n es a b e r als v o n e t w a s a n d e r e m u n d (wie bei e i n e m G e m ä l d e ) als B i l d n i s b e t r a c h t e t , als von K o r i s k o s ζ. B . ( o h n e d a ß m a n K o r i s k o s g e r a d e g e s e h e n h a t ) , d a n n (ist n i c h t n u r h i e r [im Fall des G e m ä l d e s ] d a s E r l e b n i s , es s o zu b e t r a c h t e n , a n d e r s , als w e n n m a n es n u r als g e m a l t e F i g u r b e t r a c h t e t ; s o n d e r n a u c h ) in der Seele k o m m t d a s e i n e n u r als G e d a n k e v o r , d a s a n d e r e — w e i l es d o r t [im Fall des G e m ä l d e s ] ein B i l d n i s ist als E r i n n e r u n g s z e i c h e n .
1.450b20
De memoria
D i e h i e r n u r s o k u r z b e r ü h r t e n G e d a n k e n spielen e i n e g r o ß e R o l l e in den j ü n g s t e n D i s k u s s i o n e n ü b e r W a h r n e h m u n g , D e n k e n Verstehen.
Der
Gedanke,
etwas
a u f eine
bestimmte
und
Weise
zu
b e t r a c h t e n — o d e r e t w a s a u f eine b e s t i m m t e W e i s e zu b e n u t z e n ist v o n
großer
Wichtigkeit
für die B e d e u t u n g s t h e o r i e
-
Ludwig
W i t t g e n s t e i n s ( 1 8 8 9 — 1 9 5 1 ) , eines der t i e f s i n n i g s t e n u n d e i n f l u ß r e i c h s t e n P h i l o s o p h e n des 2 0 . J a h r h u n d e r t s . A b e r A r i s t o t e l e s ' L ö s u n g des G e d ä c h t n i s p r o b l e m s
hinterläßt
mehrere
Zweifel
und
S c h w i e r i g k e i t e n . Ich e r w ä h n e drei, (i) S e i n e D a r s t e l l u n g der E r i n nerung m a c h t einen Unterschied zwischen einer
ursprünglichen
W a h r n e h m u n g u n d d e m s p ä t e r e n Bild, das m a n als B i l d , ν ο η ' d e m ursprünglich w a h r g e n o m m e n e n Gegenstand betrachten kann oder a u c h n i c h t . In W i r k l i c h k e i t a b e r k a n n die W a h r n e h m u n g
selbst
n i c h t s o o h n e w e i t e r e s als eine u n m i t t e l b a r e E r k e n n t n i s f o r m a n g e sehen w e r d e n . E i n e S i n n e s w a h r n e h m u n g als S i n n e s w a h r n e h m u n g , ν ο η ' e i n e m w i r k l i c h e n g e g e n w ä r t i g e n G e g e n s t a n d a n z u s e h e n ist s i c h e r l i c h d u r c h a u s a n a l o g zu d e m B e t r a c h t e n eines E r i n n e r u n g s b i l d e s als E r i n n e r u n g s b i l d , ν ο η ' e i n e m v e r g a n g e n e n
Gegenstand.
N i c h t n u r E r i n n e r u n g s o n d e r n a u c h W a h r n e h m u n g v e r l a n g t die I n t e r p r e t a t i o n v o n D a t e n und h a t mit A n n a h m e n und M e i n u n g e n zu t u n . (ii) E i n e e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e F r a g e : I n w i e f e r n h a b e ich
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Wie Aristoteles arbeitet
das Recht, dieses Bild als die Abbildung eines vergangenen Gegenstandes aufzufassen? Wie könnte ich meine Behauptung überhaupt rechtfertigen, daß dieses Bild wie dieses und jenes vergangene Erlebnis sei, wenn die Möglichkeit, diese angebliche Ähnlichkeit durch direkten Vergleich zu überprüfen, prinzipiell nie gegeben sein wird? Genauso verhält es sich natürlich mit der Sinneswahrnehmung selbst; wie kann ich meine Behauptung, daß ich ein wirkliches Ding sehe, wenn ich einen bestimmten Sinneseindruck habe, je verifizieren? Solche Zweifel empfindet Aristoteles nicht, (iii) Wie ist es möglich, ein gegenwärtiges Bild als die Abbildung von etwas Vergangenem aufzufassen? Wir haben diesen Gedanken eingeführt, um ein Rätsel zu lösen, nämlich wie der Besitz eines gegenwärtigen Bildes dasselbe sein kann wie die Erinnerung an etwas Vergangenes. Aber ein ganz ähnliches Rätsel bleibt immer noch; wie kann ich, wenn ich ein gegenwärtiges Bild habe, an etwas in der Vergangenheit denken? Wenn ich mein Bild als ein Bild meines längst verstorbenen Großvaters auffassen soll, muß ich an meinen Großvater denken. Das Problem, wie man vermittels eines gegenwärtigen Bildes sich an etwas Vergangenes erinnern kann, ist durch das Problem ersetzt worden, wie man vermittels eines gegenwärtigen Bildes an etwas Vergangenes (oder auch sonst Abwesendes) denken kann. Obwohl es also völlig richtig ist, darauf zu bestehen, daß der Glaube einen Bestandteil der Analyse des Gedächtnisses bildet, löst seine Einführung nicht das besondere Problem, von dem Aristoteles ausgeht, nämlich das Problem — um es allgemein auszudrücken —, wie das Denken über das unmittelbar Gegebene hinausgehen oder es transzendieren kann. Die morgige Seeschlacht; Determinismus.
eine
berühmte
Diskussion
über
den
Einer der herausforderndsten Gedankengänge des Aristoteles ist im neunten Kapitel seines kurzen logischen Werks De interpretatione enthalten. Er entwickelt ein plausibles Argument dafür, daß alles, was je geschehen wird, notwendig geschehen wird, hebt die außerordentlichen und unannehmbaren Implikationen dieser Schlußfolgerung hervor und bietet zuletzt eine Lösung des Problems an. Das Kapitel erregt immer noch Interesse und Kontroversen: Was
Eine begriffliche Untersuchung
35
Aristoteles sagt, mag vielleicht nicht ganz deutlich sein, aber es ist klar, daß er hier sehr tiefe Fragen über Wahrheit, Zeit und Notwendigkeit aufrührt. Aristoteles beginnt mit der Behauptung, daß Aussagen über einzelne zukünftige Ereignisse (Singularurteile im Futurum) sich darin von anderen Aussagen unterscheiden, daß möglich sei, daß sie weder w a h r noch falsch sind: 'Es fand gestern in der Meeresenge eine Seeschlacht statt* muß entweder w a h r oder falsch sein (und entsprechend muß auch seine Verneinung falsch oder w a h r sein); aber ,Es wird morgen in der Meeresenge eine Seeschlacht stattfinden' ist vielleicht nicht (oder noch nicht) entweder w a h r oder falsch. Um diese Behauptung zu stützen, arbeitet Aristoteles heraus, w a s aus der Annahme, daß alle Singularurteile im Futurum entweder w a h r oder falsch sind (also einen ,Wahrheitswert' haben), folgt. Wenn meine Voraussage einer morgigen Seeschlacht w a h r ist, dann muß morgen eine Seeschlacht stattfinden; und wenn sie falsch ist, kann morgen keine Seeschlacht stattfinden. Wenn also meine Voraussage entweder wahr oder falsch ist, muß morgen entweder eine Seeschlacht stattfinden oder aber es kann keine stattfinden — und es gibt keinen Platz mehr für Z u f a l l oder andere Möglichkeiten, keinen Platz mehr für , Vielleicht findet morgen eine Seeschlacht statt.' Denn wenn jede Bejahung oder Verneinung wahr oder falsch ist, ist es für alles notwendig, daß es entweder der Fall ist oder nicht der Fall ist. Denn wenn einer sagt, daß etwas geschehen werde, und ein anderer genau dieses bestreitet, ist es klar, daß notwendig einer von den beiden die Wahrheit sagt - wenn jede Bejahung oder Verneinung wahr oder falsch ist; denn in solchen Fällen wird nicht beides zugleich der Fall sein. |,Es wird morgen eine Seeschlacht stattfinden.' und ,Es wird morgen keine Seeschlacht stattfinden.' können nicht beide wahr sein und können nicht beide falsch sein. Wenn sie also überhaupt einen Wahrheitswert haben, muß eines von beiden wahr und das andere falsch sein.) Denn wenn es wahr ist zu sagen, daß es weiß oder nicht weiß ist, dann ist es notwendig, daß es weiß oder nicht weiß ist; und wenn es weiß oder nicht weiß ist, dann ist es wahr, dies zu behaupten oder zu verneinen. Und wenn es nicht der Fall ist, ist es falsch, und wenn es falsch ist, ist es nicht der Fall. Also
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Wie Aristoteles arbeitet ist es notwendig, daß die Bejahung oder die Verneinung wahr sei. Es folgt, daß nichts durch Zufall, oder wie es gerade kommt, ist (oder geschieht) oder sein wird oder nicht sein wird; sondern alles geschieht aus Notwendigkeit und nicht wie es gerade k o m m t (denn es spricht entweder der, der behauptet, oder der, der verneint, die Wahrheit). Denn sonst könnte es genauso gut eintreten oder nicht eintreten, da das, was so ist, wie es gerade k o m m t , nicht sich eher so verhält als sich nicht so verhält oder verhalten wird. Und weiter, wenn es jetzt weiß ist, war es auch schon früher wahr, zu sagen, daß es weiß sein werde; so daß es immer wahr gewesen ist, von all dem, was geschehen ist, zu sagen, daß es sein werde. Aber wenn es immer wahr gewesen ist, zu sagen, daß es sei oder sein werde, dann könnte dies nicht nicht sein oder nicht sein werden. Aber wenn es nicht nicht eintreten kann, ist es unmöglich, daß es nicht eintritt; und wenn es unmöglich ist, daß es nicht eintritt, ist es notwendig, daß es eintritt. Alles also, was sein wird, tritt notwendigerweise ein. Nichts wird also so, wie es zufällig eintritt, oder durch Zufall sein; denn wenn durch Zufall, nicht aus Notwendigkeit. De interpretatione
9.18a34
Im anschließenden Teil des Kapitels hebt Aristoteles hervor, wie absurd und paradox diese Schlußfolgerung ist: wenn alles aus Notwendigkeit geschieht, hat es keinen Sinn, über andere Möglichkeiten zu reden. Zuletzt, in dem unten zitierten Abschnitt, bietet er einen Ausweg aus den Schwierigkeiten an. Unglücklicherweise ist diese Stelle sehr gedrängt formuliert, und es ist unklar, ob er zu dem Gedanken zurückkehrt, daß Singularurteile im Futurum keinen Wahrheitswert haben, daß einige Voraussagen also noch nicht entweder wahr oder falsch seien, oder ob er eine logische Bemerkung macht, die den oben zitierten Gedankengang untergraben soll, die Bemerkung nämlich, daß man nicht von ,Notwendig entweder ρ oder nicht-p' zu ,Entweder notwendig ρ oder notwendig nicht-p' übergehen kann. Sagt Aristoteles, daß ,Es wird morgen eine Seeschlacht stattfinden' noch nicht wahr und noch nicht falsch sei, oder daß es schon wahr oder falsch sei, aber nicht notwendig wahr oder notwendig falsch? Vielleicht möchte der
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Eine begriffliche Untersuchung
Leser selbst entscheiden, wie das Rätsel der morgigen Seeschlacht eigentlich gelöst oder aufgelöst werden
sollte.
D a ß d a s , w a s ist, ist, w e n n es ist, u n d d a ß d a s , w a s n i c h t ist, n i c h t ist, w e n n es n i c h t ist, ist n o t w e n d i g . A b e r n i c h t alles, w a s ist, ist n o t w e n d i g e r w e i s e ;
u n d n i c h t alles, w a s n i c h t ist,
ist
n o t w e n d i g e r w e i s e n i c h t . D e n n zu s a g e n , d a ß alles, w a s ist, aus N o t w e n d i g k e i t ist, w e n n es ist, u n d zu s a g e n , d a ß es s c h l e c h t h i n a u s N o t w e n d i g k e i t ist, ist n i c h t d a s s e l b e . U n d ä h n l i c h ist es bei d e m , w a s n i c h t ist. U n d für die K o n t r a d i k t i o n gilt die g l e i c h e E r k l ä r u n g : d a ß alles e n t w e d e r ist o d e r n i c h t ist, ist n o t w e n d i g : u n d a u c h , d a ß es sein w i r d o d e r n i c h t sein w i r d ; a b e r m a n k a n n h i e r n i c h t t e i l e n u n d s a g e n , eines v o n b e i d e n sei n o t w e n d i g . Ich m e i n e ζ. B . : E s ist n o t w e n d i g , d a ß m o r g e n eine S e e s c h l a c h t sein w i r d o d e r n i c h t sein w i r d ; es ist a b e r n i c h t n o t w e n d i g ,
daß
m o r g e n eine Seeschlacht stattfindet, und auch nicht, d a ß keine s t a t t f i n d e t ; es ist a b e r n o t w e n d i g , d a ß eine s t a t t f i n d e t o d e r n i c h t s t a t t f i n d e t . U n d s o , da A u s s a g e n je n a c h d e m , wie sich die D i n g e v e r h a l t e n , w a h r s i n d , ist es k l a r , d a ß w o diese s o s i n d , d a ß a u c h die G e g e n s ä t z e so sein k ö n n e n , w i e es g e r a d e k o m m t , n o t w e n dig d a s G l e i c h e a u c h für k o n t r a d i k t o r i s c h e S ä t z e gilt. D i e s gilt für D i n g e , die n i c h t i m m e r sind, o d e r die n i c h t i m m e r n i c h t sind. D e n n bei i h n e n ist es n o t w e n d i g , d a ß der eine o d e r der a n d e r e d e r k o n t r a d i k t o r i s c h e n S ä t z e w a h r o d e r falsch ist - n i c h t a b e r dieser o d e r j e n e r , s o n d e r n w i e es g e r a d e k o m m t ; o d e r d a ß der e i n e eher
w a h r ist als der a n d e r e , a b e r n i c h t jetzt
schon
wahr
oder falsch. ist, d a ß bei
jeder
B e h a u p t u n g u n d e n t g e g e n g e s e t z t e r V e r n e i n u n g die eine
Es
ist a l s o
klar,
d a ß es n i c h t n o t w e n d i g
wahr
u n d die a n d e r e f a l s c h ist. D e n n w a s für d a s , w a s ist, gilt, gilt n i c h t a u c h für d a s , w a s n i c h t ist, s o n d e r n sein o d e r n i c h t sein k a n n ; bei diesen ist es s o , wie w i r g e s a g t h a b e n .
De interpretatione
9.19a23
Es gab keine erste Veränderung und es wird keine letzte Veränderung geben. D r e i B ü c h e r der Physik
e n t h a l t e n ein e i n d r u c k s v o l l e s und k o m p l e -
x e s A r g u m e n t , das zu d e m S c h l u ß f ü h r t , d a ß es eine erste U r s a c h e aller V e r ä n d e r u n g g e b e n m u ß , eine U r s a c h e , die e w i g u n d selbst
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Wie Aristoteles arbeitet
unveränderlich ist. In den folgenden Abschnitten geht es d a r u m , eine der wesentlichen Prämissen des Arguments zu begründen, nämlich, daß es Veränderung schon immer gab und immer geben wird. Aristoteles behauptet zunächst, sowohl aufgrund seiner Definition der Veränderung als auch aufgrund dessen, ,was jeder einsehen wird', daß jede Veränderung — einschließlich einer jeden vermeintlichen ersten Veränderung — das Bestehen von Dingen, die sich ändern können, voraussetze. Gehen wir zunächst von dem aus, was wir früher festgestellt haben: die Veränderung, sagen wir, ist die Aktualisierung des Veränderlichen qua Veränderlichen. Die Dinge, die (entsprechend der jeweiligen Veränderung) verändert werden können, m u ß es also schon geben. Auch abgesehen von der Definition der Veränderung würde jeder zugeben, d a ß das, was verändert wird, etwas sein m u ß , das verändert werden kann (entsprechend der jeweiligen Veränderung: was qualitativ verändert wird, m u ß etwas qualitativ Veränderbares sein; was bewegt wird, m u ß etwas sein, das den O r t wechseln kann). Also m u ß es etwas, das verbrannt werden kann, geben, bevor es das Verb r a n n t w e r d e n gibt, und etwas, was brennen kann, bevor es das Brennen gibt. Physik VIII.1.251a8 Daraufhin behauptet Aristoteles, d a ß eine Erklärung davon, wie solche Dinge - also Dinge, die sich ändern können - zu einer bestimmten Zeit entstanden sind, oder w a r u m sie zu einer bestimmten Zeit anfingen, ihre Veränderungsfähigkeit auszuüben, irgendeine andere Veränderung voraussetzen müsse — eine Veränderung, die früher als die angebliche erste Veränderung werde stattgefunden haben müssen. Also müssen diese Dinge selber entweder (i) irgendwann einmal entstanden sein, da sie vorher nicht existierten, oder (ii) ewig sein. Wenn nun (i) jedes der veränderlichen Dinge entstanden ist, dann m u ß es — vor der fraglichen Veränderung - eine andere Veränderung gegeben haben, durch die das, was verändern kann (oder verändert werden kann) entstand. Aber wenn (ii) sie schon vorher ewig existierten, ohne daß es Veränderung gab, scheint dies auf den ersten Blick absurd - und noch absurder, wenn man die Sache weiter verfolgt. Denn wenn, während es einige Sachen gibt, die veränderlich sind, und andere, die Verän-
Eine begriffliche Untersuchung
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derung b e w i r k e n k ö n n e n , zu einer Z e i t e t w a s zuerst Veränderung b e w i r k e n soll, und e t w a s verändert werden soll, a b e r zu einer a n d e r e n Z e i t nichts dies tut, sondern es im Z u s t a n d der R u h e ist, m u ß dies [das, was im Z u s t a n d der R u h e ist] sich v o r h e r v e r ä n d e r t h a b e n . D e n n es m u ß eine U r s a c h e des R u h e z u standes gegeben h a b e n , der ja eine A b w e s e n h e i t der Veränderung ist. Also wird es vor der angeblichen ersten Veränderung eine frühere V e r ä n d e r u n g geben [um die Ursache zu entfernen, die die potentiell sich verändernden Dinge davor zurückhielt, sich t a t s ä c h l i c h zu verändern].
Physik
VIII. 1 . 2 5 1 a 16
Dieses A r g u m e n t gegen die M ö g l i c h k e i t des Bestehens einer ersten U r s a c h e b e r u h t a u f einer G r u n d v o r s t e l l u n g hinsichtlich der Verurs a c h u n g , der G r u n d v o r s t e l l u n g n ä m l i c h , d a ß es eine E r k l ä r u n g d a v o n geben m u ß , w a r u m irgendeine gegebene Veränderung stattfindet, und d a ß diese E r k l ä r u n g sich auf ein
vorangegangenes
Ereignis beziehen m u ß . Aristoteles e n t w i c k e l t danach ein Argum e n t aus d e m Begriff der Zeit. Er stützt sich auf ein in Physik
IV
erreichtes Ergebnis, in dem festgestellt wurde, d a ß die Z e i t in einem wesentlichen Z u s a m m e n h a n g mit der Veränderung steht sie ist das, w o d u r c h die Veränderung gemessen wird. Er b e h a u p t e t , d a ß , da die A n n a h m e , die Z e i t k ö n n e anfangen oder a u f h ö r e n , a b s u r d sei, es a u c h a b s u r d sei, a n z u n e h m e n , daß die Veränderung a n f a n g e n o d e r a u f h ö r e n k ö n n e ; denn die Z e i t bestehe nur als ein M a ß der Veränderung. Und a u ß e r d e m , wie soll es ein Früher und Später geben, wenn es keine Z e i t gibt, o d e r Z e i t , wenn es keine Veränderung gibt? Wenn also Z e i t ,die Z a h l der Veränderung' [das, hinsichtlich dessen Veränderung m e ß b a r ist] oder selbst eine Art Veränderung ist, m u ß , w e n n es stets Zeit gibt, auch die Veränderung ewig s e i n . . .
Wenn
Zeit
also unmöglich
sein oder
gedacht
w e r d e n k a n n o h n e das J e t z t ' , und das J e t z t 1 eine Art M i t t e ist, die zugleich einen A n f a n g und ein E n d e enthält (den Anfang der k o m m e n d e n Z e i t , das Ende der vergangenen), m u ß es i m m e r Z e i t geben. D e n n die äußerste G r e n z e jener Zeit, die m a n als die letzte b e t r a c h t e t , wird in irgendeinem J e t z t ' sein (denn in der Z e i t k a n n m a n außer dem J e t z t ' nichts erfassen), so daß, da das J e t z t ' s o w o h l ein A n f a n g als auch ein Ende ist, i m m e r auf beiden Seiten von ihm Zeit sein m u ß . A b e r wenn es Z e i t gibt.
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Wie Aristoteles arbeitet d a n n ist es klar, d a ß es auch V e r ä n d e r u n g geben m u ß , insofern die Zeit ein A t t r i b u t der V e r ä n d e r u n g ist. Physik V I I I . 1 . 2 5 1 b l O
Der Rest des Kapitels e n t h ä l t A r g u m e n t e gegen die M ö g l i c h k e i t einer letzten V e r ä n d e r u n g u n d k o m m t zu d e m Ergebnis, d a ß ,es keine Z e i t g a b u n d keine Z e i t geben w i r d , zu der es keine Veränder u n g g a b o d e r geben w i r d . ' In Kapitel 2 w e r d e n einige E i n w ä n d e gegen dieses Ergebnis dargestellt u n d b e h a n d e l t (einschließlich des interessanten E i n w a n d s , d a ß es bei freien menschlichen H a n d l u n gen so aussieht, als w e r d e etwas getan, als w e r d e eine V e r ä n d e r u n g in G a n g gesetzt, ohne d a ß sie d u r c h eine v o r a u s g e g a n g e n e Veränd e r u n g v e r u r s a c h t w o r d e n sei). Bis Kapitel 6 h a t es Aristoteles soweit g e b r a c h t , die weitere, wichtige B e h a u p t u n g aufzustellen, d a ß aus der n o t w e n d i g e n Ewigkeit der V e r ä n d e r u n g die Existenz einer einzigen p r i m ä r e n Ursache der V e r ä n d e r u n g folge, eines ewigen , u n b e w e g t e n Bewegers', den er , G o t t ' n e n n t . Hierzu siehe u n t e n , Kapitel 9.
Kapitel 3 Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form In diesem Kapitel will ich mit Hilfe von Zitaten und Paraphrasen ein fortlaufendes Stück Text auslegen, in dem Gedanken entwikkelt werden, die für große Teile der Philosophie des Aristoteles grundlegend sind, und das einen guten Ausgangspunkt für die Diskussion vieler Probleme darbietet. In dem betreffenden Stück, Physik I—II, geht es um Grundbegriffe dessen, was wir Naturwissenschaft nennen würden (das Wort physis b e d e u t e t , N a t u r ' ) ; wir könnten also sagen, daß es sich um Philosophie der Naturwissenschaft handelt. Aber die betreffenden Begriffe sind für die Art und Weise, in der wir die Welt betrachten, so grundlegend, daß die Bücher genausogut als Metaphysik angesehen werden können sie sind in der Tat ein Musterbeispiel für ,deskriptive Metaphysik'. Aristoteles beginnt das erste Kapitel von Physik I mit der Behauptung, daß wir, um Wissen von oder Einsicht in die N a t u r (oder in irgendetwas anderes) zu erlangen, Prinzipien, Ursachen oder Elemente begreifen müssen. Im Griechischen wie im Deutschen haben diese Wörter verschiedene N u a n c e n ; und wir werden entdecken, daß eine genauere Untersuchung mehrere verschiedene Arten von Erklärungsbegriffen sichtbar werden läßt. (Eine vollständige Einsicht in die N a t u r schließt die Kenntnis der Antworten auf so diverse Fragen ein wie: Woraus besteht ein Blatt? Wie wächst ein Blatt? Welchem Zweck dient ein Blatt?) Zunächst fragt Aristoteles aber, wie viele Prinzipien es gibt, und hält kurz inne, um folgende Auffassung des Parmenides und seiner Schule, der Eleaten, zu widerlegen: ,Was ist, ist eins und unveränderlich'. Nicht daß dieser M o n i s m u s wirklich die Sache des Naturforschers sei, denn für ihn sei es eine Voraussetzung, daß es Naturgegenstände gibt und daß sie der Veränderung unterworfen sind. ,Aber weil diese Leute, obwohl sie nicht über die N a t u r reden, doch auf Schwierigkeiten a u f m e r k s a m machen, die die N a t u r betreffen, wäre es vielleicht
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
gut, ein wenig über sie zu sagen. Denn die Untersuchung ist nicht ohne philosophisches Interesse.' Hier ringt Aristoteles mit einem Gedanken - daß Vielheit und Veränderung unmöglich und unwirklich seien —, der eine lange und einflußreiche Geschichte hat, der aber ihm (wie auch den meisten von uns) eine auf tiefgreifenden Mißverständnissen beruhende Absurdität zu sein scheint. Einige dieser Mißverständnisse werden ihn in späteren Büchern der Physik beschäftigen. Hier, im ersten Buch, macht er zwei einfache, aber wesentliche Feststellungen über das Verb ,sein', um mit der These aufzuräumen, daß das, was ist, eins sei. Die erste Feststellung ist, daß ,„sein" mehrdeutig ist'. Diese einfache Behauptung kehrt an Schlüsselstellen in Aristoteles' Metaphysik wieder, und aus ihr entwickeln sich mehrere seiner charakteristischsten und fruchtbarsten Ansichten. An dieser Stelle benutzt er sie, um die Einsicht einzuführen, daß man von Dingen (d. h. Substanzen, ousiai), Qualitäten und Quantitäten nicht im gleichen Sinne sagen kann, sie seien oder existierten. Qualitäten ζ. B. existieren nur als einem Ding inhärierend, und wenn man sagt, daß eine Qualität existiere, sagt man, daß ein qualifiziertes Ding existiere. Hunde, Farben, Größen, Zeiten und Orte gehören nicht in die gleiche ontologische Schublade; und man verwickelt sich sofort in Absurditäten, wenn man über eines von ihnen mit Ausdrücken redet, die einem der anderen angemessen sind. (Wie schwer ist gelb? Wo ist 10 Uhr?) Was also meinen die Eleaten wirklich, wenn sie sagen, daß das, was ist, eins sei? Sie können doch sicherlich nicht meinen, daß es nichts als Substanzen gibt — ohne Qualitäten oder andere Eigenschaften? Oder daß es nichts als Qualitäten gibt — die frei herumschweben, ohne irgendwelchen Substanzen zuzugehören? Oder daß es nur eine einzige Substanz gibt, ohne irgendwelche Qualitäten oder andere Eigenschaften? Nimmt man ihre These unter die Lupe, so fängt sie an, sich als völlig unverständlich zu erweisen. Neben der Möglichkeit, ihn gegen die Monisten zu verwenden, ist der Gedanke, daß das, was es gibt, sich in radikal verschiedene Sorten von Dingen teilt — die ,Lehre von den Kategorien' —, dem Aristoteles auch in mehreren seiner eigenen Untersuchungen sehr dienlich. Hinsichtlich der genauen Anzahl von Kategorien, die man unterscheiden muß, ist er nicht dogmatisch; und er behauptet
Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
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auch nicht, exakte Regeln anzugeben, um Fragen über Grenzfälle zu klären, d. h. um über Fälle, wo es nicht klar ist, in welche von zwei Kategorien eine Sache gehört, eine Entscheidung zu treffen. Woran er aber festhält, ist die grobe Einteilung in Substanzen, Qualitäten, Quantitäten und Relationen. Er meint, und sicherlich mit Recht, dai? diese Einteilung für die Welt, wie wir sie sehen und erfahren, grundlegend ist, und daß sie sich in der Weise, wie wir über die Welt reden, widerspiegelt. Aristoteles führt auch eine zweite und ebenso grundlegende Feststellung über das Verb ,sein' gegen die Monisten an. Eines ihrer Hauptargumente hängt von der Annahme ab, daß, wenn χ und y zwei Sachen sind, χ nicht y sein kann. Indem sie sich hierauf stützten, verwarfen sie alle Aussagen, die den Dingen Eigenschaften zuschreiben oder die behaupten, daß sich Dinge verändern. Denn, so behaupteten sie, eine jede solche Aussage wie ,Thomas ist groß' muß falsch sein, wenn ,Thomas' und ,groß' Namen für zwei verschiedene Sachen sind — und, wenn sie Namen für das Gleiche sind, muß die Aussage überflüssig sein (wie ,Thomas ist Thomas'). Außerdem, wenn ,Thomas ist groß' wahr wäre, weil,Thomas' und ,groß' Namen für ein und dieselbe Sache seien, dann könnte die Aussage ,Thomas war nicht groß' nicht auch wahr sein; ,Thomas war nicht groß aber ist groß' wäre genauso absurd wie ,Thomas war nicht Thomas aber ist Thomas'. Also werden alle Aussagen, die behaupten, Veränderung zu beschreiben, über Bord geworfen. Gegen all diese Argumente macht Aristoteles darauf aufmerksam, daß ,ist' nicht immer Identität behauptet. Es dient auch - eigentlich meistens — dazu, etwas eine Eigenschaft zuzuschreiben. Freigiebigkeit und Thomas sind in der Tat zwei Sachen (verschiedener Art oder aus verschiedenen Kategorien natürlich), aber ,Thomas ist freigiebig' behauptet nicht, daß diese beiden verschiedenen Sachen dasselbe sind. Es behauptet nicht, daß Thomas die Freigiebigkeit ist, sondern daß er sie besitzt. In der Sprache ist gerade dies die Rolle solcher Ausdrücke wie ,ist freigiebig', im Gegensatz zu solchen wie ,ist Freigiebigkeit'. Auf diese Weise läßt Aristoteles, wie es seine Gewohnheit ist, die Konsequenzen des allgemeinen Sprachgebrauchs zutage treten. Er beschreibt und unterscheidet. Er reformiert nicht und zieht der Sprache keine Zwangsjacke über, wie es einige Leute zu jener Zeit
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
taten, als sie das Argument vorbrachten, es müsse falsch sein, ,ist' für etwas anderes als für Identität zu benutzen, und man solle diese anderen Verwendungsweisen aufgeben. Seine Bemerkungen gegen die Monisten weisen vorwärts auf viel kompliziertes Theoretisieren (bei Aristoteles und noch heute) über Prädikationsarten, über Identität und über die Ausdrucksformen, die benutzt werden, um zu benennen, zu referieren oder um Eigenschaften zuzuschreiben. In dieser kurzen Erörterung in Physik 1.2—3 trifft er haargenau die wesentlichsten Verwirrungen der eleatischen Philosophie — und bringt seine Diagnose mit unkomplizierter Deutlichkeit zum Ausdruck. Zwei andere Punkte, in denen auch zukünftige Anwendungen schon im Keime vorhanden sind, werden in diesen Kapiteln der Physik I berührt. Erstens ist es wichtig, innerhalb der Klasse von Identitätsaussagen zwischen ,Thomas ist Thomas' und ,Thomas ist der Mannschaftskapitän' zu unterscheiden. Obwohl ,der Mannschaftskapitän' sich auf Thomas bezieht, hat es seinen eigenen Sinn. Die Aussage, daß Thomas und der Kapitän der Fußballmannschaft identisch seien, kann leicht zu Mißverständnissen führen, wenn man übersieht, daß Identität der Referenz sich von Identität des Sinnes unterscheidet. (Eine weitere wesentliche Unterscheidung ist die zwischen ,Thomas ist der Mannschaftskapitän' und ,Thomas ist ein Mensch', denn es ist klar, daß es sehr leicht hätte sein können, daß Thomas nicht der Kapitän ist, aber es ist überhaupt nicht klar, daß es hätte sein können, daß Thomas kein Mensch ist. ,Thomas ist ein Mensch' hat irgendeine Art Notwendigkeit.) Zweitens gibt es den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Potentialität. Ein Ding kann eben doch sowohl eines als auch vieles sein - und nicht nur in der Weise, in der Thomas ein Mensch ist, aber viele Eigenschaften hat: Es kann wirklich eines und potentiell vieles sein (ζ. B. ein unzerschnittener Kuchen) oder potentiell eines und wirklich vieles (ein noch nicht zusammengebasteltes Flugzeugmodell). In den Kapiteln 4 - 6 zieht Aristoteles die Ansichten und die Argumente seiner Vorgänger heran, um die Ansicht plausibel zu machen, daß Veränderung sowohl Gegensätze als auch etwas, was den Gegensätzen zugrundeliegt, voraussetzt: Es gibt drei Grundelemente der Veränderung, das Subjekt der Veränderung (das, was
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die Veränderung erfährt), seinen Zustand vor der Veränderung und seinen Zustand nach der Veränderung. M a n beachte, wie groß der Unterschied ist zwischen dieser Erklärung der,Grundelemente' und einer wie der des Empedokles in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr., der sagte, daß es vier Grundelemente gebe — Erde, Luft, Feuer und Wasser. Er wollte die materiellen Grundstoffe identifizieren; Aristoteles sucht hier die allgemeine Struktur des Veränderungsbegriffes selbst, er sucht die elementarsten Gedanken heraus, die in einer jeden Rede über Veränderung enthalten sind. In Kapitel 7 stellt Aristoteles seine eigenen Argumente dar. Wegen einiger charakteristischen Züge der griechischen Sprache muß die zitierte Stelle in der Ubersetzung eigenartig klingen. Insbesondere kann das Verb ,gignesthai' entweder ,wird [so-und-so]' oder e n t steht' bedeuten; und die Wörter, die als ,das Gebildete' übersetzt werden, können sowohl für jemanden, der gebildet ist, als auch für die Qualität oder den Zustand des Gebildetseins verwendet werden. Wenn wir sagen, daß eines aus einem anderen oder aus etwas von ihm Verschiedenem wird, reden wir entweder von Einfachem oder von Zusammengesetztem. Ich meine dies so: Ein Mensch kann gebildet werden, es kann aber auch das Nichtgebildete gebildet werden, oder der nichtgebildete Mensch kann ein gebildeter Mensch werden. Als einfach beschreibe ich den Menschen und das Nichtgebildete (das Werdende) und als einfach auch das Gebildete (das, was sie werden). Zusammengesetzt ist sowohl das werdende Ding [der nichtgebildete Mensch] als auch das, was es wird [der gebildete Mensch], wenn wir sagen, daß der nichtgebildete Mensch ein gebildeter Mensch wird. In einigen dieser Fälle sagt man nicht nur, daß dies wird, sondern auch, daß dies aus jenem wird, wie ζ. B. aus einem Nichtgebildeten ein Gebildeter. Man redet aber nicht in allen Fällen so. Denn der Gebildete wurde nicht aus dem Menschen, sondern der Mensch wurde gebildet. Vom Werdenden, von dem wir sagen, daß es als Einfaches wird, bleibt das eine, wenn es wird, das andere aber nicht. Der Mensch bleibt, wenn er ein gebildeter Mensch wird, und ist
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
noch vorhanden, das Nichtgebildete aber, oder das Ungebildete, bleibt weder als Einfaches noch als Zusammengesetztes. Physik I . 7 . 1 8 9 b 3 2 Diese Stelle ist für Aristoteles in zweierlei Weise charakteristisch. Erstens nimmt sie darauf Bezug, wie wir normalerweise reden. Aristoteles nimmt an, daß die Weise, in der wir reden, ein guter Leitfaden zur Erkenntnis des tatsächlichen Zustande der Dinge sein wird, und er hat einen außerordentlichen Scharfsinn für Redeweisen, die sich in der Tat als von dauerndem philosophischen Interesse erwiesen haben. Zweitens ist die Stelle ein sehr gutes Beispiel für die Art und Weise, in der Aristoteles äußerst allgemeine und abstrakte Formulierungen entwickelt, die er durch nur ein oder zwei Standardbeispiele stützt. Hier unterscheidet er zwei wichtige Redeweisen: (i) χ wird y. (ii) y wird [entsteht] aus x. Und er unterscheidet auch verschiedene Arten von Dingen, die das χ und das y sein können: (a) etwas Einfaches, ζ. B. ein Mensch, gebildet, ungebildet; (b) etwas Zusammengesetztes, ζ. B. ein gebildeter Mensch, ein ungebildeter Mensch. Er behauptet, daß bei einigen Verknüpfungen von Sachen die Form (ii) nicht benutzt wird. Ein Mensch ζ. B. wird gebildet, aber wir sagen nicht, daß gebildet aus einem Menschen wird. Und, was noch wichtiger ist: Er unterscheidet bei den einfachen Sachen zwischen denen, die bleiben, wenn sie so-und-so werden, und denen, die nicht bleiben — er stellt das Subjekt der Veränderung den Eigenschaften gegenüber, die dieses Subjekt durch die Veränderung verloren hat. Wenn der Mensch gebildet wird, bleibt der Mensch - der Mensch, dem früher die Bildung fehlte und der sie jetzt hat, ist derselbe; aber Mangel an Bildung existiert nicht mehr. Aristoteles fährt also fort: M a n kann also in allen Fällen des Werdens (wenn man sie so untersucht, wie wir vorschlagen) entnehmen, daß immer etwas zugrunde liegen muß, das das Werdende ist; und dies, auch wenn es der Zahl nach eins ist, ist der Form nach nicht eins.
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(Mit ,der F o r m n a c h ' meine ich dasselbe wie ,der Erklärung n a c h ' oder ,der Definition nach'.) Denn ein M e n s c h zu sein und ungebildet zu sein sind nicht dasselbe. Und das eine bleibt, das andere
aber
nicht.
Das
Nichtentgegengesetzte
bleibt — der
M e n s c h bleibt — das Nichtgebildete aber, oder das Ungebildete, bleibt nicht; auch nicht das aus beiden nämlich der ungebildete M e n s c h .
Zusammengesetzte, Physik
I.7.190al3
Aristoteles wiederholt jetzt eine früher gemachte Feststellung und führt auch eine wichtige, noch nicht erwähnte Art von Fällen ein. M a n sagt, d a ß etwas aus etwas
w i r d . . . hauptsächlich in bezug
auf das, w a s nicht bleibt. M a n sagt z . B . , daß gebildet aus ungebildet wird [wenn der ungebildete Mensch gebildet wird ,bleibt' das Ungebildete nicht, sondern wird durch das Gebildete ersetzt], aber nicht, daß es aus dem Menschen wird [der M e n s c h bleibt]. Allerdings wird m a n c h m a l auch in bezug auf das Bleibende so geredet. Wir sagen, d a ß eine Statue aus Bronze wird, nicht d a ß die Bronze eine Statue wird.
Physik
I.7.190a21
Der Fall, den Aristoteles vor Augen hat, ist der, in dem irgendein Stoff zu einem neuen Ding g e m a c h t wird, wie ζ. B. ein M a r m o r block oder ein Bronzeklumpen zu einer Statue gemacht werden kann. Die B e t r a c h t u n g solcher Bespiele führt ihn zu einer neuen Unterscheidung zwischen einer schon betrachteten Formel: (i) χ wird y und (iii) ν wird [ d . h . ν entsteht]. Diese letzte A u s d r u c k s w e i s e ist dort angemessen, w o die Veränderung ein neues Ding einen
neuen
Zustand
( z . B . eine Statue) hervorbringt, nicht nur desselben,
schon
vorher
existierenden
Dinges. Da
der A u s d r u c k
„werden"
mehrdeutig
ist, und
man
von
einigen S a c h e n nicht sagt, daß sie werden, sondern daß sie zu etwas
werden, und da nur die Substanzen schlechthin werden
[ d . h . entstehen], ist es klar, d a ß in den anderen Fällen etwas zugrunde liegen m u ß , das das Werdende ist - denn wenn eine Q u a n t i t ä t , eine Q u a l i t ä t , eine R e l a t i o n oder ein O r t w erden, [so werden sie das als] von etwas Zugrundeliegendem, weil nur die
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
Substanz von nichts anderem, was ihr zugrunde läge, ausgesagt wird, alles andere aber von der Substanz. Physik 1.7.190a31 Es sind Dinge - Substanzen - die im strengen Sinne entstehen. Sie entstehen aus Stoff oder Material. Wenn Material zu irgendeiner Art Ding gemacht wird, ist das ein Fall des Entstehens, nicht aber, wenn ein Ding nur eine Qualitätsveränderung erfährt. Aber daß sogar die Substanzen, und alles andere, das schlechthin ist, aus etwas Zugrundeliegendem werden, wird bei genauer Betrachtung klar werden. Denn es gibt immer etwas, das zugrunde liegt, aus dem das Werdende wird, wie ζ. B. die Pflanzen und die Tiere aus dem Samen werden. Einiges, was schlechthin wird, wird durch eine Änderung der Gestalt (wie eine Statue), einiges durch Hinzusetzen (wie alles Wachsende), einiges durch Wegnehmen (wie die Hermesfigur aus dem Stein), einiges durch Zusammensetzen (wie ein Haus), und einiges durch Umwandlung (wie die Dinge, die sich in bezug auf ihren Stoff ändern). Es ist klar, daß alles, was auf diese Weise wird, aus Zugrundeliegendem wird. Physik 1.7.190b 1 Aristoteles behauptet also, daß die Analyse einer jeden Veränderung drei Prinzipien impliziere — das zugrundeliegende Subjekt der Veränderung, sein Nicht-Haben eines Zustandes (vor der Veränderung), seinen Zustand (nach der Veränderung). Es gibt zwei Hauptarten der Veränderung: Wo das zugrundeliegende Subjekt ein bestimmtes Ding ist, fehlt ihm zunächst eine Eigenschaft, die es später erwirbt — ein ungebildeter Mensch wird zu einem gebildeten Menschen; wo das, was der Veränderung zugrunde liegt, stofflich ist, ist es zunächst ungeformt, und später entsteht aus ihm, indem ihm eine Form gegeben wird, ein Ding einer bestimmten Art - ein M a r m o r b l o c k wird zu einer Statue gemacht. Vor den Bemerkungen über die gewichtigen Fragen, die Aristoteles erwarten, dürfen wir einen kurzen Blick auf das nächste Kapitel, Physik 1.8, werfen, in dem er die eben erreichten Ergebnisse benutzt, um eine alte Schwierigkeit zu lösen. Die ersten Philosophen, die nach der Wahrheit und der Natur der Dinge suchten, wurden durch Unerfahrenheit irregeführt und gleichsam auf einen falschen Weg gedrängt. Sie sagten, daß nichts entstehe oder vergehe, weil alles, was entsteht, entweder
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
aus d e m , w a s ist, o d e r aus d e m , was nicht ist, entstehen müsse, und aus k e i n e m v o n beiden sei dies m ö g l i c h . D e n n was ist, k ö n n e n i c h t entstehen, da es s c h o n ist; und aus dem, was nicht ist, k ö n n e nichts e n t s t e h e n ; denn es müsse [bei allen Veränderungen u n d allem E n t s t e h e n ] etwas zugrunde liegen.
Physik
I.8.191a24
Aristoteles' E r k l ä r u n g d a v o n , wie seine Analyse der Veränderung diese G e d a n k e n f o l g e u n t e r g r ä b t , ist nicht o h n e Schwierigkeit, a b e r es ist k l a r , d a ß zwei H a u p t p u n k t e im Spiel sind: (i) In dem Sinne v o n ,aus', in d e m eine Statue aus Stein entsteht, k a n n ein G e g e n stand nicht aus d e m , w a s nicht ist, e n t s t e h e n ; die Stoffe, aus denen D i n g e g e m a c h t w e r d e n , o d e r die den Pflanzen und T i e r e n das W a c h s t u m e r m ö g l i c h e n , müssen s c h o n v o r h a n d e n sein. In dem Sinne v o n , a u s ' a b e r , in dem aus Unwissenheit Wissen wird, oder aus G e s t a l t l o s i g k e i t G e s t a l t , ist es ein Nichtexistentes,
eine A b w e -
senheit, die von der Veränderung durch eine positive Eigenschaft ersetzt wird. N u r was nicht werden,
dies-und-das ist, k a n n dies-und-das
(ii) D a s , was zu einem gebildeten M e n s c h e n wird, ist ein
ungebildeter M e n s c h - und ein ungebildeter M e n s c h ist etwas, das ist (ein M e n s c h ) , o b w o h l er durch Bezug auf etwas, das nicht
ist
(Bildung in i h m ) beschrieben wird. D e r A u s g a n g s p u n k t der Veränderung ist also in einer H i n s i c h t das, was ist, und in anderer H i n s i c h t das, w a s nicht ist.
Einige In Physik
Probleme I h a t sich Aristoteles also auf die verschiedenen Rede-
w e n d u n g e n berufen, mit denen wir gewöhnlich über Veränderung und E n t s t e h e n reden, um die darin enthaltenen G r u n d g e d a n k e n und ihre gegenseitigen Beziehungen
zu klären, und um einige
U n t e r s c h i e d e zu m a c h e n , die n o t w e n d i g sind, w e n n die Rätsel von der M ö g l i c h k e i t der Veränderung und der E n t s t e h u n g gelöst werden sollen. B e v o r wir seine U n t e r s u c h u n g der von den N a t u r f o r schern benutzten Begriffe und Erklärungen weiter verfolgen, sollten w i r einige v o n dieser E r ö r t e r u n g in Buch I aufgeworfenen P r o b l e m e zur Kenntnis n e h m e n - P r o b l e m e , die Aristoteles m e h r als einmal in der Metaphysik
und auch a n d e r s w o behandeln wird.
Dinge, Stoffe und Eigenschaften.
Aristoteles' Analyse der Verände-
rung h ä n g t v o n zwei G r u n d u n t e r s c h e i d u n g e n a b : dem Unterschied
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
zwischen Ausdrücken wie ,Mensch', die dauernde Gegenstände bedeuten, und Ausdrücken wie ,gebildet', die den Gegenständen Eigenschaften zuschreiben; und dem Unterschied zwischen Ausdrücken wie ,Statue', die Gegenstände bezeichnen, und Ausdrükken wie ,Stein', die Stoffe bezeichnen. Aber wie soll man diese Unterschiede im einzelnen machen, und wie soll man sie rechtfertigen? Warum sollten wir, wenn ein Mensch gebildet wird, nicht sagen — nicht daß einem und demselben Ding, einem Menschen, früher eine gewisse Qualität oder Eigenschaft fehlte und er sie jetzt erworben hat, sondern — daß ein neues Ding, ein Gebildeter, entstanden ist? Warum soll zwar das, was ich getan habe, wenn ich einige Bretter zusammennagele, als das Herstellen eines neuen Dinges [eines Tisches] gelten, das aber, was ich getan habe, wenn ich einen Tisch rot streiche, nicht als das Herstellen eines neuen Dinges gelten? Um diese Frage in allgemeinerer Form zu stellen: Ist unsere übliche Einteilung der Welt um uns herum in Dinge und Eigenschaften rein willkürlich oder konventionell, oder stellt sie einen wirklichen, objektiven Unterschied dar? Und, da verschiedene Sprachen Dinge verschieden klassifizieren und Eigenschaften verschieden unterscheiden, kann die besondere Weise, in der wir in unserer Sprache die Wirklichkeit in Dinge (verschiedener Arten) und Eigenschaften (verschiedener Arten) einordnen, irgendeinen Anspruch auf objektive Gültigkeit haben? Aristoteles glaubt auf jeden Fall, daß die wichtigsten Züge der gewöhnlichen Sprache und des gewöhnlichen Denkens nicht einfach eine Sache der Konvention oder der Nützlichkeit sind. In einem Gebiet stützt er sich auf eine sehr wichtige Tatsache: ,Ein Mensch zeugt einen Menschen, ein Gebildeter zeugt nicht einen Gebildeten.' Pflanzen und Tiere, Lebewesen, reproduzieren ihre Art, sie gehören natürlichen Gattungen' an. Hier also zeigt die Natur selbst, und nicht nur die menschliche Konvention, daß ein Unterschied gemacht werden muß zwischen Mensch und Gebildetem. Ein Gebildeter ist nicht eine besondere Art Mensch, so wie ein Mensch eine besondere Art Tier ist; er ist einfach ein Mensch mit einer bestimmten Eigenschaft (Bildung). Diese biologische Einsicht kann aber nicht alle Weisen rechtfertigen, in denen man gewöhnlich Dinge Eigenschaften gegenüberstellt. Im allgemeinen hat es Aristoteles einfach als selbstverständlich betrachtet, daß der griechische Sprachgebrauch und die griechischen Denkgewohnheiten die objektive
Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
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Wirklichkeit genau und endgültig widerspiegelten. Was er also erreicht, ist eine glänzende Analyse davon, wie die Welt für einen Griechen (und vielleicht auch für einen Mitteleuropäer) aussieht, aber was ihm fehlt, ist jegliche Anerkennung dessen, daß sie für jemanden mit einer ganz anderen Brille völlig anders aussehen könnte. Hiermit ist vielleicht nur gesagt, dai? er Aristoteles und nicht Kant ist. Ich habe eine Frage über den Unterschied zwischen Dingen und Eigenschaften aufgeworfen. Die gleiche Frage kann auch in bezug auf den Unterschied zwischen Stoffen und Dingen aufgeworfen werden. Warum sollte man sagen, daß, wenn Gold eine Gestalt erhält, ein neues Ding, ein Ring, gemacht worden ist, und nicht einfach, daß ein und dasselbe Ding, ein Stück Gold, zuerst eine bestimmte Gestalt nicht hatte und sie jetzt bekommen hat? Aristoteles (und natürlich auch wir) stellen die Dinge sowohl dem, woraus sie bestehen (ihrem Stoff), als auch den Eigenschaften, die sie haben, gegenüber. Aber was ist denn eigentlich ein ,Ding' außer Stoff mit Eigenschaften? Anstatt die Dinge als die primären oder grundlegenden Entitäten und Stoff und Eigenschaften als irgendwie in ihnen enthalten oder ihnen gehörend zu behandeln, täten wir vielleicht besser, wenn wir sagten, daß die Wirklichkeit zunächst und im Grunde aus Stoff und Eigenschaften besteht, und daß die Rede von Dingen (im Gegensatz zu Stoff und Eigenschaften) später kommt — daß sie vielleicht von großem praktischen Nutzen ist, aber auch nicht mehr als das. Wesen und diachronische Identität. Aristoteles besteht darauf, daß bei jeder Veränderung (sei sie eine Bewegung im Raum, sei sie eine Änderung der Qualität oder Größe) etwas gleich bleibt, der Mensch z.B. oder das Gold. Dies wird als notwendige Wahrheit angenommen: Es ist ein Element des Veränderungsbegriffes selbst, daß es irgendetwas gibt, das die Veränderung erfährt. (In einem Augenblick sitzt eine Cheshire-Katze in einem Baum, einen Augenblick später sitzt eine Cheshire-Katze auf dem Boden. Ich werde nicht sagen, daß eine Bewegung stattgefunden hat, wenn ich nicht annehme, daß die Cheshire-Katze, die im Baum saß, dieselbe ist wie die, die jetzt auf dem Boden sitzt. Wenn ich mich mit dem Gedanken trage, daß die Katze im Baum - da ich ja im Wunderland bin - sich einfach in Nichts auflöste, und daß bald danach
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
eine andere Katze einfach entstand, dann lasse ich damit den Gedanken, daß ,etwas gleich bleibt', fallen und also auch den Gedanken, daß sich etwas bewegt hat.) Es drängen sich nun zwei gewichtige Fragen auf. Angenommen, ein Mensch kann sich in allerlei verschiedener Weise verändern, gibt es irgendeine besondere Weise, in die er sich nicht verändern darf, ohne aufzuhören, ein Mensch zu sein? Was genau ist im Menschsein Inbegriffen, was heißt es, ein Mensch zu sein, was ist das Wesen des Menschen? Zweitens, wenn ich gestern oder letztes Jahr einem Menschen begegnet bin und heute einem Menschen begegne, was behaupte ich eigentlich, wenn ich behaupte, daß es derselbe Mensch sei, und wie kann ich hoffen, eine solche Behauptung zu begründen? Ein Teil der Behauptung ist wohl der, daß ich, wenn ich diesen Menschen von gestern oder vom vorigen Jahr an bis jetzt begleitet hätte, ihn durch einen kontinuierlichen und ununterbrochenen Weg in Raum und Zeit begleitet hätte, jetzt neben diesem Menschen stehen würde. Denn wir lassen normalerweise nicht den Gedanken zu, daß ein Mensch zu irgendeinem Zeitpunkt verschwinden und dann zu einem späteren Zeitpunkt als genau derselbe Mensch wiedererscheinen könnte, oder daß er an einem Ort verschwinden und zur gleichen Zeit an einem anderen Ort erscheinen könnte. Ein anderer Teil der Behauptung muß der sein, daß der Mensch während der fraglichen Zeit nicht einen solchen Wandel durchmachte, daß er als ein anderer Mensch gelten müßte. Dieses Problem wird oft sehr lebhaft zum Ausdruck gebracht durch einen Hinweis auf ein Artefakt, das geflickt und repariert wird - wie z. B. Sir John Cutlers berühmte Seidenstrümpfe: ,Diese wurden durch Stopfen mit Kammgarn ausgebessert, bis kein bißchen Seide in ihnen übrig blieb, und man konnte sich nicht einig werden, ob es nun dieselben alten Strümpfe seien oder neue.' In jedem Stadium waren sie ein Paar Strümpfe; es gab kein Verschwinden und kein Wiedererscheinen. Aber können das Paar, das er am Ende hatte, und das Paar, das er zu Anfang hatte, mit Recht dasselbe Paar genannt werden, da ja der Stoff völlig ausgewechselt worden ist? In diesem Fall mag die Frage trivial und lächerlich scheinen. Aber wo es um die Identität eines Menschen geht, kann die eine oder die andere Entscheidung schwerwiegende Folgen haben. Wenn Dr. Jekyll uns überzeugen könnte, daß er und Mr. Hyde nicht derselbe Mensch seien,
Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form würde er der Strafe für die Verbrechen seines alter ego können.
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Stoff und Form. Aristoteles zufolge besteht ein erzeugtes Ding - ob natürlich oder künstlich — aus Stoff, dem Form gegeben worden ist. Bei einfachen Beispielen scheint die Vorstellung klar genug zu sein, aber wenn man sie weiter entwickelt und eine allgemeinere Anwendung versucht, entstehen Schwierigkeiten. So ist der goldene Ring in bestimmter Weise gestaltetes Gold. Aber jenes Gold war selbst eine erzeugte Zusammensetzung·. Gold besteht aus diesen und jenen Elementen [Stoff], die in einer bestimmten Weise zusammengesetzt sind [Form]. Und wie steht es mit den Elementen selbst? Aristoteles glaubte, daß es nur vier Grundelemente (Erde, Wasser, Luft und Feuer) gebe, und daß jedes durch ein Eigenschaftspaar charakterisiert werde (jedes sei entweder heiß oder kalt und entweder feucht oder trocken). Er glaubte, daß ein Element zu einem anderen werden könne, indem es eine der Eigenschaften ändere; das heiß-trockene Element z. B. würde zum kalt-trockenen Element werden, wenn es Wärme verlieren und kalt werden würde. Wenn nun aber diese Veränderungen möglich sein sollen, muß jedes Element selbst eine Zusammensetzung sein aus ,Urstoff', Stoff ohne Eigenschaften, und zwei der Grundeigenschaften. Aber ist so eine Vorstellung von ,Urstoff' überhaupt verständlich? (Berkeley sollte sich im 18. Jahrhundert deshalb über Locke lustig machen, weil dieser sich auf solch ein ,unerkennbares Substrat' festgelegt hatte). Es ist umstritten, ob Aristoteles' Verwendung des Stoff-Form-Unterschiedes ihn in der Tat auf die wirkliche Existenz eines Urstoffes festlegt, oder ob diese in seinen Händen nur ein Instrument der Analyse ist und zu keinen solchen metaphysischen Rätseln führt. Eine entsprechende Schwierigkeit entsteht auch am oberen Ende der Skala. Ein gegebenes Material kann zu etwas geformt werden, das auf einer höheren Ebene steht, und dies wiederum kann noch weiter organisiert und geformt werden. Stein wird zu Bausteinen gestaltet, mit den Bausteinen baut man Wände, Wände und Dächer ergeben Häuser; in jedem Stadium wird ein höherer Grad der Form oder der Organisierung gegeben. Könnte es so etwas wie reine Form ohne Stoff geben — oder würde dies ein völlig unverständlicher Vorschlag sein? Kann Aristoteles sagen, daß Stoff und
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Die Analyse der Veränderung: Stoff und Form
Form als Aspekte jedes Dinges überall unterschieden werden können, ohne behaupten zu müssen, daß es Stoff ohne Form und Form ohne Stoff geben könnte? Ein letztes Beispiel der Schwierigkeiten, zu denen die Stoff-FormUnterscheidung führt, kann in ihrer Anwendung auf das KörperGeist-Problem oder Leib-Seele-Problem gefunden werden. Wenn uns Aristoteles sagt, daß die Seele die Form des Leibes sei, sind wir von dem einfachen Falle des Tischlers, der einen Tisch herstellt, weit entfernt, und wir sind unsicher, wie wir ihn zu verstehen haben. (Siehe die Seiten 1 0 4 - 1 1 9 . ) Wir haben gesehen, daß unsere gewöhnlichen Weisen, über Dinge und Veränderungen zu reden und zu denken, viele schwierige Fragen aufwerfen, und daß es für das Verständnis der Analyse des Aristoteles viele Probleme gibt. Einige von ihnen werden wir in späteren Kapiteln weiter erörtern (besonders in den Kapiteln 5 und 9). Aber es wird nützlich sein, zunächst das zweite Buch der Physik im Umriß darzustellen, in dem Aristoteles näher zu erklären versucht, worum es in der Philosophie der Natur geht und welche Fragen sie zu beantworten sucht.
Kapitel 4 Erklärung in den Naturwissenschaften Natur,
Stoff und
Form
Das meiste, was Aristoteles in Physik I über Dinge und Veränderungen gesagt hat, gilt für alle veränderlichen Dinge, einschließlich der von Menschen hergestellten Artefakte. Dem Naturforscher geht es aber nicht um alle veränderlichen Dinge, sondern nur um die Naturgegenstände. In Physik II.2 geht Aristoteles deshalb dazu über, eine Interpretation der Natur vorzulegen: ,Die Natur ist eine Art Quelle und Ursache der Veränderung (und des Unverändertbleibens) in dem, dem sie ursprünglich und an sich — d.h. nicht zufällig — zukommt.' So hat jeder Naturgegenstand - ein Klumpen Eisen ζ. B. oder eine Pflanze oder ein Tier - seine eigene charakteristische Weise des Agierens und Reagierens. Wie sich andererseits ein Artefakt verhält, ist völlig von den Eigenschaften seiner natürlichen Bestandteile abhängig. Die natürlichen Vermögen einer Axt kommen ihr nicht ,an sich' zu - weil sie eine Axt ist - , sondern nur ,zufällig', d. h. weil sie aus Holz und Eisen besteht; Holz und Eisen aber haben ihre eigenen natürlichen Vermögen, sie haben sie ,an sich'. Diese Art und Weise, zwischen Naturgegenständen und Artefakten zu unterscheiden, läßt einiges zu wünschen übrig. Wie eine Axt sich verhält, hängt nicht nur von ihren stofflichen Bestandteilen und deren Vermögen, sondern auch von ihrer Struktur ab, davon, wie die Bestandteile zusammengesetzt sind, von der Form, die sie zu einer Axt macht. Ähnlich hängt das natürliche Verhalten z.B. einer Pflanze, also ihre charakteristische Art und Weise, zu agieren und zu reagieren, vermutlich sowohl von den Vermögen ihrer stofflichen Bestandteile ab, als auch von der Art und Weise, in der sie zusammengesetzt oder geformt sind. Wenn dem so ist, dann wird sich etwas, sei es nun ein Naturgegenstand oder ein Artefakt, auf jeden Fall auf Grund (1) dessen, woraus es besteht, und (2; der
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Erklärung in den Naturwissenschaften
Weise, in der es zusammengesetzt ist, so verhalten, wie es sich verhält; und so scheint Aristoteles' Art und Weise, sie zu unterscheiden, hinfällig zu werden. Sicherlich ist es möglich, daß er meint, Naiwrgegenstände hätten bestimmte Eigenschaften, die nicht aus ihren Bestandteilen und aus ihrer Struktur ableitbar seien - ,neuauftretende' Eigenschaften - , daß aber künstlich hergestellte Gegenstände keine solche Eigenschaften hätten. Mit anderen Worten, es mag sein, daß er meint, sämtliche Eigenschaften und Vermögen einer Axt könnten von jedem im voraus ausgerechnet werden, der weiß, aus welchen Materialien sie besteht und wie diese zusammengesetzt sind, aber niemand könne sämtliche vitalen Vermögen eines Tieres einfach aus Kenntnissen über seine physikalische und chemische Struktur ableiten. Die Versuchung liegt nahe, anzunehmen, daß es tatsächlich einen solchen deutlichen Unterschied zwischen Lebendigem und Nicht-Lebendigem gebe, und daß Leben und Geist ,neuauftretende' Vermögen in diesem Sinne seien. Aber gleichgültig, ob dies nun wahr ist oder nicht - es bleibt unklar, ob dieser Unterschied den üblichen Gegensatz erklären kann, den wir zwischen Naturgegenständen und Artefakten machen. Die Analyse der Veränderung hatte gezeigt, daß man in einem jeden veränderlichen Gegenstand Stoff und Form unterscheiden kann. Aristoteles stellt jetzt die Frage, ob die Natur eines Naturgegenstandes — seine innere ,Veränderungsquelle' - seinem Stoff oder seiner Form innewohnt. Ist es die Form oder ist es der Stoff, durch den man seine charakteristische Weise, zu agieren und zu reagieren, erklären kann? Betrachten wir, wie Aristoteles die Argumente in dieser Streitfrage darlegt, zunächst jene zugunsten des Stoffs. Einige meinen, daß die Natur und das wirkliche Sein [ousia] der Naturgegenstände das ursprüngliche, an sich ungeformte Material in einem jeden sei, wie z.B. die Natur eines Bettes das Holz sei, einer Statue die Bronze. Ein Hinweis hierfür, sagt Antiphon, sei, daß, wenn man ein Bett in die Erde eingrübe und das faulende Holz fähig würde, einen Schößling hervorzutreiben, kein Bett, sondern Holz entstehen würde, so daß die Anordnung nach den Regeln und der Kunst nur zufällig bestehen, das Sein aber jenes sei, was, diese Veränderungen erfahrend, sich wirklich erhalte.
Erklärung in den Naturwissenschaften
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Und wenn jedes dieser [Materialien] selbst im gleichen Verhältnis zu etwas anderem steht — wie ζ. B. die Bronze und das Gold zum Wasser, die Knochen und das Holz zur Erde, und ähnlich auch bei jedem der anderen - dann ist dies [zu dem sie in einem solchen Verhältnis stehen] ihre Natur und ihr Sein. Deswegen sagen einige, daß Feuer, einige, daß Erde, einige, daß Luft, einige, daß Wasser, einige, daß manche von diesen, und einige, daß alle diese die Natur dessen, was es gibt, seien, . . . und daß alles andere nur Eigenschaften oder Zustände oder Anordnungen von diesen s e i e n . . . Das also ist eine Weise, in der man über Natur spricht, als den jeweils ursprünglichen, zugrundeliegenden Stoff dessen, was in sich selbst den Ursprung der Bewegung und der Veränderung hat. Physik I I . 1 . 1 9 3 a 9 Danach legt Aristoteles einige Argumente vor, die dafür sprechen, die Form als die Natur eines Dinges zu betrachten. Aber es gibt eine andere Redeweise, derzufolge die Natur [eines Dinges] die Gestalt oder die Form ist, wie sie in der Definition gegeben w i r d . . . und diese, viel mehr als der Stoff, sei die Natur eines Dinges. Denn (i) jedes Ding wird viel eher dann, wenn es wirklich ist, das, was es ist, genannt, als wenn es dies nur potentiell ist [das Holz oder der Same, der Stoff, ist nicht ein Tisch oder ein Salatkopf - obwohl es die Potentialität haben mag, einer zu sein — bis er zusammengestellt worden ist oder wirklich gekeimt hat und gewachsen ist]. Außerdem (ii) entsteht ein Mensch aus einem Menschen, aber nicht ein Bett aus einem Bett. Gerade deswegen sagt man, daß die Natur eines Bettes nicht die Gestalt, sondern das Holz sei, weil, wenn es sprossen würde, nicht ein Bett, sondern Holz entstünde. Wenn aber das Holz Natur ist, dann ist auch die Form Natur. Denn aus einem Menschen entsteht ein Mensch. [Zuletzt bringt Aristoteles ein etymologisches Argument: (iii) ,Das Wort für ,Natur' ist mit dem Wort für ,Wachstum 1 verbunden, und durch das Wachsen erwerben Dinge ihre Natur; aber was sie durch das Wachsen erwerben - wie das Holz, wenn es zum Tisch gemacht wird - ist Form.']
Physik
ILl.193a.30
Viele schwierige Fragen über Stoff und Form müssen noch erörtert
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werden. Für jetzt hebt Aristoteles nur hervor, daß der Naturforscher beides untersuchen muß. ,Wenn die Kunst die Natur nachahmt, und der gleiche Wissenszweig sowohl die Form als auch den Stoff (bis zu einem gewissen Punkt) kennen muß — wie ζ. B. der Arzt von der Gesundheit Wissen hat, aber auch von Galle und Schleim (Materialien, denen die Gesundheit innewohnt), und der Architekt sowohl die Form eines Hauses kennt als auch den Stoff (d. h. Ziegel und Balken) — dann folgt, daß der Naturforscher beide Sorten von Natur kennen muß.' Es ist für Aristoteles typisch, daß er die krude Dichotomie nicht akzeptiert, die in der Frage ausgedrückt wird: ,Ist die Natur einer Sache nun ihr Stoff oder ihre Form?' Das Wort ,Natur' kann man in beiderlei Weise benutzen, und für jede von beiden spricht etwas; um zu einem vollständigen Verständnis zu gelangen, muß sich der Wissenschaftler sowohl mit der Form als auch mit dem Stoff befassen. Erklärungstypen Aber es gibt für den Wissenschaftler auch andere Fragen außer ,Woraus besteht es?' und ,Was ist seine Gestalt, Struktur, Form?' Ein Naturgegenstand, wie ein Artefakt auch, wird durch einen bestimmten Prozeß hervorgebracht. Also muß er auch fragen: ,Was hat ihn hervorgebracht?' (Genauso fragen wir: ,Wer hat den Tisch gemacht?') Außerdem, wenn die Analogie zu den Artefakten gilt, stellt sich die Frage nach dem Zweck oder der Funktion eines Naturgegenstandes (parallel zur Frage: ,Wozu ist ein Tisch da?'). Im dritten Kapitel von Physik II versucht Aristoteles, sämtliche Sorten von Fragen, die erhoben werden können, und sämtliche Erklärungstypen, nach denen man suchen könnte, aufzuzählen und zu klassifizieren. Dies ist seine berühmte (oder berüchtigte) ,Lehre von den vier Ursachen'. Man könnte es besser als die Lehre von den vier ,Warum' bezeichnen: Aristoteles unterscheidet verschiedene Sorten von Antworten auf die Frage ,Warum?' oder ,Weswegen?'. Nur eine von ihnen, nämlich die, die er ,den Ursprung der Veränderung' nennt - traditionell die ,Wirkursache' genannt - , kommt unserem üblichen Gebrauch des Ausdrucks ,Ursache' überhaupt nahe. Viel unberechtigte Kritik an Aristoteles' Lehre hätte vermieden werden können, wenn man nicht das Wort ,Ursache' in den Übersetzungen benutzt hätte; aber es ist jetzt traditionell geworden, und es gibt kein anderes einzelnes Wort, das
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den Ansprüchen besser genügte. Beim Lesen des Folgenden darf also nicht vergessen werden, daß die vier sogenannten ,Ursachen' vier Typen von Erklärungsfaktoren sind. Aristoteles' Vorschlag ist, daß ein vollständiges Wissen von und eine vollständige Einsicht in irgendeine Sache das Erfassen sämtlicher vier Faktoren voraussetzt. Nachdem diese Unterschiede gemacht worden sind, müssen wir die Ursachen untersuchen, von welcher Art sie sind und wieviele es gibt. Denn da wir unsere Untersuchung um der Erkenntnis willen führen und wir nicht meinen, von etwas Wissen zu haben, bevor wir sein Warum erfasst haben ( w e s w e g e n es i s t ) . . . ist es klar, daß wir dies hinsichtlich des Entstehens und Vergehens und aller natürlichen Veränderungen leisten müssen, damit wir ihre Prinzipien erkennen und versuchen können, jeden der Untersuchungsgegenstände auf sie zurückzuführen. [(i) ,Materialursache':] In einer Redeweise wird jenes Ursache genannt, aus dem etwas als aus einem Bestandteil entsteht; ζ. B. die Bronze und das Silber (und auch ihre übergeordneten Gattungen) wären die Ursachen der Statue bzw. der Schale, [(ii) ,Formalursache':] In einer anderen Verwendung des Ausdrucks ist die Form oder das Muster (und ihre übergeordneten Gattungen) Ursache; und jene ist die Erklärung dessen, was es heißt, ein So-und-So zu sein; ζ. B. die Ursache der Oktave ist das Verhältnis zwei zu eins (und allgemeiner gesprochen die Zahl), [(iii) ,Wirkursache':] Und ferner: der Ursprung der Veränderung oder des Gleichbleibens. Der Mensch, der sich nach Überlegungen entschlossen hat, ist Ursache [seiner Handlungen], und der Vater ist Ursache seines Kindes; überhaupt ist das, was etwas herstellt, Ursache dessen, was hergestellt wird, und das, was verändert, Ursache dessen, was verändert wird. f(iv) ,Finalursache':] Und das Ziel ist das, worum willen etwas ist, wie z.B. die Gesundheit das Worum-willen des Spazierengehens ist. Denn warum geht er spazieren? Wir antworten: ,Um gesund zu bleiben,' und glauben hiermit die Ursache angegeben zu haben. Und das Gleiche gilt von all dem, was, nachdem ein anderes die Veränderung begonnen hat, zwischen ihm und dem Ziel auftritt; wie z.B. die Abmagerungskur, die Abführungskur, die Arzneien oder die ärztlichen Instrumente als Mittel zur Gesund-
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heit auftreten: Alle diese sind für das Ziel da, aber sie unterscheiden sich untereinander darin, daß die einen Handlungen, die anderen Werkzeuge sind. Von Ursachen wird also in ungefähr so vielen Weisen gesprochen. Und, da es so ist, folgt, daß es mehrere Ursachen von derselben Sache geben kann (und nicht nur akzidentiell); wie ζ. B. sowohl die Bildhauerkunst als auch die Bronze Ursachen der Statue sind (und eine Ursache von ihr, nicht insofern sie etwas anderes ist, sondern als Statue). Sie sind aber nicht in der gleichen Weise Ursachen, sondern die eine als Stoff, die andere als Ursprung der Veränderung. Einige Dinge verursachen einander sogar gegenseitig — die körperliche Anstrengung ist ζ. B. Ursache der guten Kondition, diese der körperlichen Anstrengung — aber nicht in der gleichen Weise, sondern das eine als Ziel, das andere aber als Ursprung der Veränderung. Physik
II.3.194bl6
Nachdem er diese vier Sorten von Fakten oder Erklärungen unterschieden und die Behauptung aufgestellt hat, daß alle vier für ein vollständiges Verständnis jeder Sache notwendig seien, macht Aristoteles einige Bemerkungen über die korrekte Formulierung von Erklärungen. Erstens darf man nicht das als Erklärung angeben, was nur ,zufällig' eine Ursache ist: wenn der Bäcker Kallias eine Pastete gebacken hat und Kallias ein Onkel ist, ist es nicht angemessen zu sagen (wenn man den ,Ursprung der Veränderung' angeben will), daß ein Onkel die Pastete gebacken hat. Zweitens, auch wenn man sagt: ,Kallias hat die Pastete gebacken,' hat man die Hauptursache nicht angegeben - denn er hat es nicht qua Kallias, sondern qua Bäcker getan; nichts, was ihm als Kallias eigentümlich ist, war beteiligt. Die Tatsache, daß es sich um Kallias handelt, hilft bei der Erklärung überhaupt nicht weiter. Also sollten wir lieber sagen, daß es ein Bäcker war, der die Pastete gebacken hat. Und schließlich hat er, genau genommen, nicht einfach als Bäcker, sondern als Pastetenbäcker die Pastete gebakken. Daß er ein Pastetenbäcker ist, ist das, was erklärt, daß er das Herstellen von Pasteten planen und durchführen kann. Obwohl es also zahlreiche wahre Aussagen gibt, die man über die fragliche Episode machen kann, ist die strikt formulierte Erklärung der
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,Wirkursache' der Pastete genau jene, die sich auf einen Pastetenbäcker bezieht. Es mag so scheinen, als sei dies alles ziemlich absurd und das von mir benutzte Beispiel eher für Alice im Wunderland geeignet als für eine seriöse philosophische Abhandlung. Es werden hier aber wichtige Punkte hervorgehoben, wie übrigens auch oft in Alice im Wunderland. Erstens gibt es da eine allgemeine logische Pointe, die Aristoteles als erster erkannt und ausgenutzt hat: Bei einigen Aussagetypen, freilich nicht bei allen, ist es von entscheidender Bedeutung für die Wahrheit oder Falschheit dessen, was gesagt wird, wie man jemanden oder etwas beschreibt oder sich auf es bezieht. (Dieser Punkt wird heute als höchst wichtig für viele Fragen der philosophischen Logik und der Sprachphilosophie anerkannt.) Nehmen wir an, der Bäcker sei auch Ortsvorsitzender der Liberalen Partei. Wenn es wahr ist, zu sagen: ,Der Bäcker hat sich erkältet,' ist es auch wahr, zu sagen: ,Der Vorsitzende hat sich erkältet.' Es ist gleichgültig, welches von beiden man sagt, da man sich in beiden Fällen auf ein und dieselbe Person bezieht, obwohl in verschiedener Weise. Nehmen wir aber an, daß der Bäcker entlassen worden ist; es folgt keineswegs, daß es wahr sein wird zu sagen: ,Der Vorsitzende ist entlassen worden.' Es ist gut möglich, daß zu genau demselben Zeitpunkt, zu dem der Koch gefeuert wurde, dem Vorsitzenden das Vertrauen ausgesprochen wurde. Ebenso ist die Straße von Reading nach Caversham die Straße von Caversham nach Reading. Aber die Straße von Reading nach Caversham geht bergauf, die Straße von Caversham nach Reading dagegen bergab. Aristoteles hat zwei Hauptmethoden, solche Unterschiede zu kennzeichnen. Manchmal sagt er, daß a und b zwar ,dasselbe sind, sich aber im logos [Beschreibung oder Definition] unterscheiden': der Bäcker und der Vorsitzende sind ein und dieselbe Person, sie wird aber durch zwei verschiedene Beschreibungen bezeichnet. Manchmal benutzt er den Ausdruck, den wir durch das lateinische ,qua' übersetzen: qua Bäcker ist er entlassen worden, qua Vorsitzender ist er wiedergewählt worden. Zweitens ist es bei Erklärungen — einschließlich dessen, was wir Kausalerklärungen nennen würden - tatsächlich wünschenswert, genau die Erklärung anzugeben, die den fraglichen Sachverhalt oder das fragliche Phänomen vollständig und präzise begründet.
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Wenn meine Rosen ihre Blätter verlieren, will ich nicht, daß man mir erzählt, der Laubfall sei auf einen Schädling zurückzuführen; ich will genau wissen, welcher Schädling diesen Zustand verursacht. Ein Wissenschaftler wünscht, hinsichtlich eines Ereignisses oder Phänomens χ behaupten zu können, daß es auf bestimmte vorangegangene und begleitende Ereignisse oder Umstände a, b, c, d zurückzuführen ist, eine Behauptung, die impliziert, daß Ereignisse oder Umstände genau dieser Art immer genau ein x-Phänomen hervorrufen. Er hat ja nicht die Masern erklärt, wenn die von ihm erwähnten Ereignisse oder Umstände zwar immer eine Krankheit erzeugen, aber nicht immer die Masern; und es handelt sich auch dann um keine korrekte Erklärung, wenn die von ihm erwähnten Faktoren, obwohl sie in der Tat immer die Masern erzeugen, nicht die einzigen Faktoren sind, die das tun. Die richtige, adäquate Erklärung der Masern muß ,angemessen' sein: immer wenn die Erklärung gilt, gibt es die Masern, und immer wenn es die Masern gibt, gilt die Erklärung. Obwohl diese Forderung nach einer angemessenen' Erklärung gerechtfertigt und wichtig ist, muß man zugeben, daß die Art und Weise, in der Aristoteles dieser Forderung nachkommt, trivial zu sein scheint. Indem er darauf besteht, daß es ein Pastetenbäcker ist, der die Pastete gebacken hat, macht er sich die Erfüllung dieser Forderung viel zu leicht. Mit ähnlichen Argumenten wird die Wirkursache einer jeden Sache χ ein x-Macher sein müssen. Aber diese Aussage ist für die Lage nicht erhellender als wenn man mir erzählte, der Laubverlust meiner Rosen sei auf einen LaubfallErreger zurückzuführen, oder die Masern meines Kindes auf einen Masern-Erreger. Nicht daß wir vom Wissenschaftler erwarten, er solle uns die individuellen Verursacher identifizieren und vorführen - das individuelle, für das Kahlwerden unserer Rosen verantwortliche Insekt, die individuellen, für die Masern unseres Kindes verantwortlichen Viren; denn dem Wissenschaftler geht es um allgemeine Wahrheiten. Aber er sollte sicherlich das, was den Laubfall oder die Masern erzeugt, auf eine solche Weise identifizieren und charakterisieren können, daß sie uns ermöglicht, den individuellen Erreger in einzelnen Fällen zu identifizieren. Und dies verlangt mehr von ihm als nur die Ausdrücke ,Laubfall-Erreger', ,Masern-Erreger'.
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In d e n sich a n s c h l i e ß e n d e n K a p i t e l n (11.4—6) e n t w i c k e l t Aristoteles eine s c h a r f s i n n i g e A n a l y s e v o n G l ü c k u n d Z u f a l l . Es gibt sicherlich viele D i n g e , v o n d e n e n m a n m e i n t , sie k ä m e n d u r c h sie z u s t a n d e , u n d w e n n m a n u n s f r a g t , w a r u m e t w a s geschehen ist, k ö n n e n wir a n t w o r t e n : ,Das w a r Glück', oder ,Das w a r Zufall'. Wir müssen also f r a g e n , o b sie t a t s ä c h l i c h zu den U r s a c h e n g e h ö r e n , u n d , w e n n ja, w i e sie sich zu den vier o b e n e r w ä h n t e n U r s a c h e n v e r h a l t e n . D i e zwei w i c h t i g s t e n E l e m e n t e , die Aristoteles in d e m Begriff des G l ü c k s e n t d e c k t , sind der M a n g e l a n R e g e l m ä ß i g k e i t u n d die A b w e s e n h e i t ü b e r l e g t e r A b s i c h t . Er b e r u f t sich auf Beispiele folg e n d e r A r t : W e n n einer z u m M a r k t geht, u m Lebensmittel zu k a u f e n , u n d zufällig einen M a n n t r i f f t , d e r i h m Geld s c h u l d e t w o b e i d a s E i n t r e i b e n d e r Schulden nicht der B e w e g g r u n d seines G a n g e s z u m M a r k t w a r u n d der S c h u l d n e r kein r e g e l m ä ß i g e r M a r k t g ä n g e r ist —, d a n n h a t er G l ü c k g e h a b t . G l ü c k ist also ,eine a k z i d e n t e l l e U r s a c h e dessen, w a s u m willen von e t w a s ist [d. h. e i n e m Z w e c k dient] im Bereich v e r n ü n f t i g e r E n t s c h e i d u n g ' . Z u f a l l ist ein w e i t e r e r Begriff, d e n m a n auch d o r t a n w e n d e n k a n n , w o es g a r nicht in Frage k ä m e , v o n einer überlegten E n t s c h e i d u n g zu s p r e c h e n . Es w a r eine Sache des G l ü c k s , d a ß er sein Geld v o m S c h u l d n e r e i n t r e i b e n k o n n t e - er h ä t t e g e n a u s o gut mit der Absicht, ihn zu f i n d e n , losgezogen sein k ö n n e n , o b w o h l er in W i r k lichkeit n u r auf d e n M a r k t ging, u m E i n k ä u f e zu erledigen. Es w a r d u r c h Z u f a l l , d a ß der Felsblock g e r a d e so gefallen ist, d a ß er als ein a n g e n e h m e r Sitzplatz dienen k a n n - dieses Ergebnis sieht fast so aus, als sei es A b s i c h t gewesen, a b e r es w ü r d e k a u m einer m e i n e n , der Felsblock h ä t t e es sehr w o h l p l a n e n k ö n n e n , o b w o h l er es faktisch nicht getan h a b e . U n d natürlich fallen Felsblöcke a u c h nicht r e g e l m ä ß i g so; es ist kein Teil der N a t u r eines Felsb l o c k s , in s i t z p l a t z a r t i g e Stellungen zu fallen. A u s seiner A n a l y s e schließt Aristoteles, d a ß , Z u f a l l u n d G l ü c k Geist u n d N a t u r g e g e n ü b e r n a c h g e o r d n e t sind; in w e l c h e m M a ß e a u c h i m m e r der Z u f a l l U r s a c h e des H i m m e l s g e w ö l b e s sein m a g , G e i s t u n d N a t u r sind n o t w e n d i g v o r g e o r d n e t e U r s a c h e n s o w o h l von vielen a n d e r e n D i n g e n als auch von diesem U n i v e r s u m . ' G l ü c k u n d Z u f a l l , b e h a u p t e t er, setzen G e s e t z m ä ß i g k e i t e n n o r m a l e n , r e g e l m ä ß i g e n , zielgerichteten Verhaltens (,Geist u n d N a t u r ' ) voraus; also w ä r e die M e i n u n g a b s u r d , d a ß alles d u r c h Glück u n d
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Zufall geschieht. Unsere Behauptung, einiges verlaufe so, als ob es geplant worden wäre, kann nur deswegen sinnvoll sein, weil wir es als selbstverständlich betrachten, daß einiges nur deswegen geschieht, weil es tatsächlich geplant worden ist; und wir können bestimmte Abfolgen nur dann als unregelmäßig und ungewöhnlich erkennen, wenn wir sie vor dem Hintergrund von Abfolgen, die regelmäßig und vorhersehbar sind, betrachten. Aristoteles versucht hier, wichtige Ergebnisse darüber, wie die Dinge tatsächlich sind, aus Einsichten darüber, wie wir sprechen und denken, zu folgern. Wieviel solche Überlegungen tatsächlich beweisen können, ist nicht immer leicht zu entscheiden. M a n kann Aristoteles' Behauptungen über Glück, Zufall und Regelmäßigkeit mit den folgenden modernen Argumenten vergleichen, (i) Es ist absurd, zu meinen, man sei die einzige Person, die es gibt ^Solipsismus'). Denn die Vorstellung von sich selbst als einer Person kann sich nur zusammen mit der Vorstellung von anderen Personen entwickelt haben. Also folgt die Falschheit dieser Ansicht schon aus ihrer bloßen Behauptung, (ii) Es ist absurd, zu meinen, keine Handlung sei jemals wirklich frei. Denn wir hätten nicht lernen können, das Wort ,frei' überhaupt auf Handlungen anzuwenden, wenn es nie Beispiele freier Handlungen gegeben hätte. Nur im Kontrast zu einigen Handlungen, die frei sind, können wir andere als solche kennzeichnen, die es nicht sind. Im nächsten Kapitel (II.7) geht Aristoteles von der Vier-UrsachenLehre zu der Vorstellung von nur zwei radikal verschiedenen Erklärungstypen über, einem, der sich auf Notwendigkeit beruft, und einem, der sich auf Teleologie oder ,das, wozu eine Sache da ist', beruft. Er sagt, daß die Wirkursache, die Formalursache und die Finalursache oft zusammenfallen, so daß eine Untersuchung dessen, wozu eine Sache da ist, alle drei sichtbar werden lassen wird; die Erforschung der Materialursache dagegen ist die Erforschung der notwendigen Bedingungen für das Entstehen eines Naturgegenstandes. Daß die Wirk- und die Formalursache in gewisser Hinsicht dasselbe seien, ist ein Gedanke, der schon in der vorangegangenen Erörterung angedeutet wurde. Es ist ein Pastetenbäcker, der die Pastete herstellt, oder, um noch weiter zu gehen, der ,Ursprung der Veränderung' ist der Gedanke an eine Pastete im Geist des Paste-
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tenbäckers. Im Falle eines Artefakts also ist es die Vorstellung eines so beschaffenen Dinges, die ein so beschaffenes Ding hervorbringt. Die andere Vorstellung, daß nämlich die Formal- und die Finalursache zusammenfallen — daß das, was etwas ist, das ist, wozu es ist —, wird später diskutiert werden müssen. Ich will jetzt nur zwei vorläufige Bemerkungen machen: (i) Daß ein Brotmesser durch seine Aufgabe oder seinen Zweck definiert ist, ist viel einleuchtender, als daß dies auch für einen Baum gilt. (Was ist denn die Aufgabe oder der Zweck eines Baums?) (ii) Was ist das Verhältnis oder der Zusammenhang zwischen dem, wozu etwas da ist, oder dem, was es tut, und seiner Struktur - seiner Gestalt, der Gliederung seiner Teile usw.? Wenn das letztere seine Form ist, im Gegensatz zu seinem Stoff (wie wir oft gesagt haben), wie kann man es dann mit dem, wozu es da ist, identifizieren? Wie kann eine Struktur mit einer Funktion identisch sein? Teleologie Im nächsten Kapitel (II.8) fängt Aristoteles damit an, eine nichtteleologische Auffassung der Naturbeschreibung darzustellen, eine Auffassung, derzufolge nichts zielgerichtet ist oder deswegen geschieht, weil es so am besten ist, sondern alles eine Sache des Zufalls und der Notwendigkeit ist. Dann entwickelt er eine Reihe von Argumenten gegen diese Auffassung. Warum müssen wir annehmen, daß die Natur alles um eines Zweckes willen tut und weil es besser ist? Warum ist nicht alles genauso wie beim Regen? Zeus läßt es regnen, nicht damit das Getreide wächst, sondern aus Notwendigkeit. Denn die aufgestiegene Luft muß abkühlen, und die abgekühlte Luft muß zu Wasser werden und herunterfallen. Daß, nachdem dies geschehen ist, das Getreide wächst, ist nur akzidentell. Und ähnlich, wenn einem das Getreide auf dem Dreschboden verdirbt, regnet es nicht deshalb, damit es verderbe, sondern das geschieht nur zufällig - was hindert also, daß es auch bei den Teilen in der Natur so ist, daß z. B. die Vorderzähne aus Notwendigkeit scharf wachsen, zum Zerschneiden geeignet, und die Backenzähne breit und zum Kauen der Nahrung brauchbar, nicht weil sie dazu entstanden sind, sondern es sich eben nur so trifft? Und ähnlich auch für die anderen Teile, in denen Orientierung auf
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Erklärung in den Naturwissenschaften Zwecke vorhanden zu sein scheint. Wo also sich alle Teile zufällig so entwickelten, als seien sie zu einem Zweck entstanden, überlebten diese, da sie durch den Zufall in geeigneter Weise zusammengesetzt wurden. Das aber, bei dem es nicht so war, ging zugrunde und geht immer wieder zugrunde (genau wie Empedokles es von den menschenköpfigen Rindern erzählt). Das Argument also, das einen zweifeln lassen könnte, ist dies e s . . . Aber es ist unmöglich, daß es sich so verhält. Physik II.8.198bl6
Das erste Hauptargument läuft wie folgt: Die Natur zeigt große Regelmäßigkeit. Zufall dagegen bedeutet per definitionem ein Fehlen von Regelmäßigkeit, wie wir oben gesehen haben. Also kann das, was natürlicherweise geschieht, nicht eine Sache des Zufalls und muß also zweckmäßig sein — ,für etwas'. Denn diese eben erwähnten Dinge und alles, was von Natur aus ist, entstehen entweder immer auf diese Weise oder meistens; von den Dingen aber, die durch Glück oder Zufall entstehen, entsteht keines so. Denn wir meinen nicht, daß es durch Glück oder Zufall geschieht, wenn es im Winter oft regnet, sondern nur wenn es im Hochsommer geschieht; noch wenn es im Hochsommer eine Hitzewelle gibt, sondern nur, wenn das im Winter vorkommt. Wenn nun, wie es scheint, alles entweder durch Zufall oder für etwas ist, und wenn es nicht sein kann, daß diese von uns erwähnten Dinge durch Fügung oder Zufall sind, müssen sie für etwas sein. Aber sicherlich sind alle solchen Dinge von Natur, wie auch die Vertreter jener Meinungen zugeben. Das ,für etwas' ist also in dem, was von Natur entsteht und ist, vorhanden. Physik II.8.198b34 Sein zweites Hauptargument — oder seine zweite Gruppe von Argumenten — beruft sich auf die Analogie zwischen der Natur und den menschlichen Künsten. Und weiter, überall, wo es ein Ziel gibt, wird das Frühere und das, was sich daran anschließt, für dies getan. Wie also jede Sache getan wird, so kommt sie von Natur aus vor, und wie sie von Natur aus vorkommt, so wird sie getan, wenn nichts dazwischenkommt. Sachen werden aber für etwas getan. Also
Erklärung in den Naturwissenschaften k o m m e n sie a u c h in d e r N a t u r für
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e t w a s v o r . W e n n z . B . ein
H a u s e t w a s w ä r e , d a s a u f n a t ü r l i c h e W e i s e e n t s t ü n d e , w ü r d e es s o e n t s t e h e n , w i e es j e t z t d u r c h die K u n s t e n t s t e h t . U n d w e n n die N a t u r g e g e n s t ä n d e n i c h t n u r n a t ü r l i c h e n t s t ü n d e n s o n d e r n a u c h d u r c h die K u n s t , w ü r d e n sie in g e n a u der g l e i c h e n W e i s e e n t s t e h e n , w i e sie es v o n N a t u r aus t u n . D a s eine [ f r ü h e r e ] ist a l s o für d a s a n d e r e [ s p ä t e r e ] d a . U n d i m a l l g e m e i n e n v o l l e n d e t die K u n s t e n t w e d e r d a s , w a s die N a t u r n i c h t zu E n d e f ü h r e n k a n n , o d e r sie a h m t die N a t u r n a c h . W e n n a l s o d a s , w a s g e m ä ß d e r K u n s t ist, u m e t w a s w i l l e n ist, s o ist es k l a r , d a ß dies a u c h f ü r das gilt, w a s g e m ä ß d e r N a t u r ist. D e n n bei b e i d e n s t e h t das Frühere im gleichen Verhältnis zum Späteren. A m k l a r s t e n w i r d dies bei den a n d e r e n L e b e w e s e n , die e t w a s weder durch Kunst noch nach Untersuchungen oder Überlegung e n h e r s t e l l e n . D a h e r f r a g e n sich e i n i g e , o b S p i n n e n u n d A m e i sen u n d ä h n l i c h e s m i t V e r s t a n d o d e r mit e t w a s a n d e r e m a r b e i t e n . U n d , w e n n w i r n o c h e t w a s w e i t e r g e h e n , a u c h bei den P f l a n z e n s c h e i n t m a n c h e s zu e n t s t e h e n , w a s zu e i n e m
Zweck
n ü t z l i c h ist, w i e ζ. B . B l ä t t e r z u m S c h u t z der F r ü c h t e . W e n n die S c h w a l b e a l s o s o w o h l v o n N a t u r aus als a u c h für e t w a s ihr N e s t b a u t , u n d die S p i n n e ihr N e t z ; u n d die P f l a n z e n die B l ä t t e r für die F r ü c h t e w a c h s e n lassen u n d die W u r z e l n n i c h t n a c h o b e n , s o n d e r n n a c h u n t e n für die N a h r u n g t r e i b e n , s o ist es k l a r , d a ß diese A r t U r s a c h e in d e m , w a s v o n N a t u r e n t s t e h t u n d vorhanden
ist,
ist. U n d d a ,die N a t u r ' in d o p p e l t e r W e i s e ist
-
e i n e r s e i t s als S t o f f , a n d e r e r s e i t s als F o r m — und letztere ein Z i e l ist, das a n d e r e a b e r für das Z i e l da ist, s o w ä r e die U r s a c h e als , d a s , w o f ü r ' , l e t z t e r e , n ä m l i c h die F o r m .
Physik
II.8.199a8
N a t ü r l i c h m a c h t es die N a t u r n i c h t i m m e r r i c h t i g u n d e r r e i c h t a u c h n i c h t i m m e r ihr Z i e l , a b e r so g e h t es a u c h e i n e m g e ü b t e n H a n d w e r k e r n i c h t i m m e r . U n d n a t ü r l i c h d e n k t die N a t u r n i c h t nach, a b e r der durch und durch geübte H a n d w e r k e r auch nicht. F e h l e r k o m m e n a u c h in den K ü n s t e n v o r (denn ein des S c h r e i b e n s K u n d i g e r m a g e t w a s falsch s c h r e i b e n ) , s o d a ß es k l a r ist, d a ß so etwas auch
bei den N a t u r g e g e n s t ä n d e n
möglich
ist.
W e n n es in d e r K u n s t m a n c h m a l s o ist, d a ß das w a s r i c h t i g l ä u f t , für e t w a s ist, u n d d a ß das F e h l l a u f e n d e z w a r für e t w a s g e d a c h t w a r , a b e r m i ß l u n g e n ist, m a g es bei den
Naturgegenstanden
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Erklärung in den Naturwissenschaften ähnlich sein. Und die Mißgeburten sind ein Verfehlen dieses ,für etwas'. Und die Gebilde der Urzeit müßten also, wenn die [menschenköpfigen] ,Rinder' nicht fähig sein sollten, zu einer bestimmten Grenze oder einem bestimmten Ziel zu gelangen, deswegen entstanden sein, weil irgendein Prinzip verdorben war, genau wie jetzt so etwas wegen des verdorbenen Samens passiert... Es ist absurd, zu meinen, etwas entstünde dann nicht für etwas, wenn man nicht das, was die Veränderung herbeiführt, hat überlegen sehen. Auch die Kunst überlegt nicht. Wenn die Schiffbauerkunst im Holz vorhanden wäre, würde sie genau wie die Natur wirken. Wenn also das ,für etwas' in der Kunst vorhanden ist, ist es auch in der Natur vorhanden. Am klarsten wird dies, wenn ein Arzt sich selbst kuriert; denn die Natur ist diesem Fall ähnlich. Daß also die Natur eine Ursache ist, und zwar eine für etwas, ist klar. Physik II.8.199a33
Was sollen wir von diesen Argumenten für die Teleologie in der Natur halten? Wir sind ja oft der Meinung, daß Regelmäßigkeit ein Zeichen von Absicht sei, und daß sie das rein Zufällige ausschließe: Wenn uns auffällt, daß unser Nachbar montags und mittwochs immer einen Anzug trägt und mit seinem Auto zur Arbeit fährt, aber alle anderen Tage eine Sportjacke trägt und Fahrrad fährt, nehmen wir an, daß es hierfür irgendeinen Grund gibt. Aber es mag vorkommen, daß wir bei anderen Gelegenheiten von ,mechanischer' Notwendigkeit reden und zu verstehen geben, daß das, was immer auf die gleiche Weise geschieht — den Naturgesetzen' folgend — eben nicht beabsichtigt oder für irgendeinen Zweck gedacht ist. Der augenfällige Unterschied liegt zwischen dem Fall, wo es um einen bewußt und rational Handelnden geht — jemand, der nachdenken und Gründe haben kann, und der handeln kann, um seine Ziele zu verwirklichen — und den Fällen, wo es keinen solchen Handelnden gibt. Hiergegen wendet Aristoteles ein, daß die Abwesenheit des Nachdenkens in der Natur kein Beweis für die Abwesenheit von Zweckmäßigkeit ist, da ja ein geübter Handwerker auch nicht darüber nachdenken muß, wie er vorzugehen hat. (In der Tat, je geübter er ist, desto weniger muß er sich überlegen, was er zu tun hat.) Hierauf könnten wir antworten,
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daß ein gelernter Handwerker uns immer erklären könnte, warum er gerade das tut, was er tut, auch wenn er es nicht nötig hatte, es sich vorher im einzelnen zurechtzulegen; und daß gerade dies der Grund ist, warum wir ihn als rational Handelnden betrachten, der zum zweckmäßigen Handeln fähig ist, die Natur oder die Spinnen aber nicht so betrachten. Aber wie verhält es sich, wenn wir jemand treffen, der es uns nicht erklären kann oder will? Wir werden auch ihm noch Zwecke zuschreiben, vorausgesetzt wir können verstehen, was er vorhat, vorausgesetzt also, wir können das, was er tut, auf der Basis von Meinungen und Wünschen interpretieren, die wir mit ihm teilen oder die wir wenigstens begreifen. Aber wenn wir schon so weit gegangen sind, warum sollten wir den Tieren und Pflanzen und auch deren Teilen nicht auch Zwecke zuschreiben, wenn uns, wie es oft vorkommt, einsichtig ist, wie bestimmte Tätigkeiten und Ausführungen ihre Bedürfnisse erfüllen und ihr Leben erhalten? In der Biologie und in der Medizin erforschen die Wissenschaftler nicht nur, wie die Organe eines Tieres wachsen und sich von der Geburt an entwickeln, sondern auch, wie ihre Funktion das Leben des Tiers erhält; sie untersuchen nicht nur, wie bestimmte Tätigkeiten (wie ζ. B. der Tanz der Bienen) ausgeführt werden, sondern auch ihren Sinn und Zweck. Zu entdecken, wozu ein Organ oder eine Tätigkeit da ist, erfordert mehr als nur zu entdecken, was regelmäßig geschieht; man muß dazu auch den Zusammenhang entdecken zwischen diesem Organ oder dieser Tätigkeit und dem, was andere Teile tun, und erkennen, wie sie alle zum ganzen Leben des Tieres beitragen. Also ist die allgemeine Vorstellung, daß bestimmte Sachen in der Natur für etwas sind, durchaus klar und auch akzeptabel. Es bleiben aber ernste Bedenken und Schwierigkeiten: (i) Wir können sicherlich nicht Aristoteles' Behauptung gelten lassen, daß alles, was regelmäßig vorkommt, für etwas sein muß, daß also Regelmäßigkeit ein Beweis für Zweckmäßigkeit sei. Bei einem Tier suchen wir uns von allen Regelmäßigkeiten die aus, die zur Erhaltung des Tieres beitragen, und sagen, daß sie für etwas sind, daß sie einem Zweck dienen. Viele andere Regelmäßigkeiten scheinen einfach durch Gesetze bestimmte chemische und physikalische Prozesse zu sein, die keinem Zweck dienen. Diesen Unterschied
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läßt Aristoteles selbst an anderer Stelle zu, und er behandelt diese nichtzweckmäßigen Regelmäßigkeiten auf zweierlei Weise. Einige von ihnen kann man als Notwendigkeiten betrachten, die den zweckmäßigen Aktivitäten zugrundeliegen und von ihnen vorausgesetzt werden. Ein Handwerker könnte seine geschickten Pläne nicht ausführen, wenn es nicht diverse Materialien gäbe, die sich in bestimmten Weisen verhalten — zuverlässige Regelmäßigkeiten, die ausgenutzt und zu guten (oder auch üblen) Zwecken verwendet werden können. Also erfordert der Begriff des Zwecks und der zweckmäßigen Regelmäßigkeit geradezu, daß einige nichtzweckmäßige oder vorzweckmäßige Regelmäßigkeiten vorhanden sind. M a n kann aber auch einige nichtzweckmäßige Regelmäßigkeiten als akzidentelle Begleiterscheinungen oder Ergebnisse von zweckmäßigen Ausführungen ansehen. Wenn mein Kater Milch trinkt, benetzt er seine Schnurrhaare. Er trinkt zweimal täglich Milch, und er benetzt (infolgedessen) zweimal täglich seine Schnurrhaare. Sein regelmäßiges Milchtrinken dient einem offensichtlichen Zweck, aber sein regelmäßiges Benetzen seiner Schnurrhaare dient keinem Z w e c k ; es ist eine nichtzweckmäßige Begleiterscheinung einer zweckmäßigen Regelmäßigkeit. (ii) Zugegeben, daß wir die Funktion eines Teils oder einer Tätigkeit durch Bezug auf die Erhaltung des ganzen Tieres erklären können, aber ist es sinnvoll, von der Funktion des Tieres als ganzem zu reden? Dienen es und sein Leben einem Zweck? Die Frage: ,Wozu ist ein Schäferhund da?' kann man beantworten — durch Bezug auf die Bedürfnisse und Wünsche des Schäfers. Aber ,Wozu ist ein Hund da?' klingt recht eigenartig, genauso eigenartig wie: ,Wozu ist ein Stern da?'. Aristoteles stehen jetzt zwei mögliche Argumente zur Verfügung. Erstens weist er, indem er darauf besteht, daß der individuelle Hund Mitglied der Gattung Hund ist, auf etwas hin, das über das Individuum hinausgeht, etwas, das das individuelle Leben in der Tat zu bewahren hilft. Der Sinn des Lebens eines Hundes ist es, die Gattung zu erhalten, indem er ein Hundeleben lebt und eine neue Generation erzeugt. (Aber nun: Wozu ist die Gattung selbst da?) Zweitens glaubt Aristoteles, daß jede Art von Dingen im Universum auf eigene Weise die unveränderliche Tätigkeit Gottes nachahmt: die Sterne tun es durch ihre gleichförmige Kreisbewegung, Tiere, indem sie sich selbst und ihre
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Gattung erhalten, die Elemente (wie Erde und Luft), indem sie ständig ihre Grundeigenschaften offenbaren. Also ist alles um Gottes willen — nicht in dem Sinne, daß er daraus einen Nutzen zieht, sondern in dem Sinne, daß alles, was im Universum geschieht, nur als ein Streben nach etwas Unveränderlichem und Ewigem verstanden werden kann. Z u diesem Gedanken werden wir in Kapitel 9 zurückkehren. Notwendigkeit Im letzten Kapitel von Physik II erklärt Aristoteles, welche Art von Notwendigkeit in der Natur zu finden ist, und vergleicht sie mit der der Künste. Er gibt zu, daß gewisse Bedingungen notwendig sind, wenn ein erwünschtes Ergebnis hervorgebracht werden soll (,hypothetische Notwendigkeit'), aber er verwirft die Meinung, daß aus solchen Bedingungen solche Ergebnisse notwendigerweise folgen (,absolute Notwendigkeit'). Die Eigenschaften und das Verhalten der Materialien erzeugen nicht schon selbst das Artefakt; sondern der Künstler verwendet sie und wertet sie für seine Zwecke aus. Ein Baumeister kann keine Wände ohne Ziegel und Mörtel und deren Eigenschaften bauen, aber Ziegel und Mörtel bauen nicht von selbst eine Wand. Um Wände und das WändeBauen zu verstehen, muß man wissen, wie sie hergestellt und zusammengesetzt werden können. Aber, was noch viel wichtiger ist: M a n muß wissen, wozu Wände da sind, und muß die Weisen kennen, in denen verschiedene Bautypen verschiedenen Zwecken dienen können. Ähnlich muß der Naturforscher sicherlich auch die zugrundeliegenden Notwendigkeiten verstehen (die Eigenschaften und das Verhalten der Materialien und wie die relevanten physikalischen Prozesse ablaufen), aber er soll sich nicht einbilden, daß sie eine vollständige Erklärung der Naturgegenstände liefern; er dart nicht einmal annehmen, daß sie das Wichtigste an ihnen erläutern. Ist das, was notwendig ist, unter Voraussetzungen notwendig oder schlechthin notwendig? Denn jetzt meint man, daß Notwendigkeit in dem Entstehen liege, wie wenn einer dächte, daß die Stadtmauer mit Notwendigkeit entstanden sei, weil die schweren Dinge ihrer Natur nach sinken, und die leichten an die Oberfläche steigen. - Aus diesem Grunde seien die Steine und die Grundlagen unten, die Erde aber oben wegen ihrer Leichtig-
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keit, und das Holz ganz oben, denn es ist das Leichteste. Aber trotzdem, obwohl die Mauer nicht ohne diese zustandegekommen ist, war es nicht wegen dieser (außer insofern sie ihr Stoff sind), daß sie zustandegekommen ist, sondern damit sie gewisse Sachen schütze und erhalte. Und ähnlich für alles andere, in dem ein Zweck [das ,für etwas'] vorhanden ist: Ohne das, was eine notwendige Natur hat, könnte es nicht vorhanden sein, aber es ist nicht deswegen vorhanden (außer insofern es sein Stoff ist), sondern für etwas. Warum ist ζ. B. die Säge so [d. h. von solcher Gestalt und Größe, aus solchem Material]? Damit es dieses [eine Säge] sei und für jenes [das Sägen]. Dieses, wofür sie ist, kann aber unmöglich stattfinden, wenn sie nicht aus Eisen ist. Sie muß also notwendig aus Eisen sein, wenn sie eine Säge sein und ihre Arbeit tun soll. Also ist das Notwendige unter einer Voraussetzung [„wenn sie eine Säge sein soll"] notwendig, aber nicht als Ziel. Denn das Notwendige ist in dem Stoff [d. h. es ist der Stoff, der von einer bestimmten Art sein muß], während ,das, wofür' [der Stoff muß von einer bestimmten Art sein] in der Definition ist [d. h. in der zu verwirklichenden Form], Physik I I . 9 . 1 9 9 b 3 4 Aristoteles hat eine Sache mit ihrer Form, d. h. mit ihrer Funktion, identifiziert; und er hat behauptet, daß ihre materielle Zusammensetzung dadurch erklärt wird. Aber für ein vollständiges Verständnis sind Kenntnisse nicht nur der From, sondern auch des Stoffs erforderlich, und eine vollständige Definition oder Erklärung von irgendetwas wird sich also auf beide beziehen müssen — wie er im folgenden sagt. Aber vielleicht ist das Notwendige auch in der Definition. Denn wenn man die Arbeit der Säge als diese bestimmte Art des Zerteilens definiert, wird dieses nicht möglich sein, wenn die Säge nicht Zähne von jener bestimmten Art hat; diese werden aber nicht so sein, wenn sie nicht aus Eisen sind. Denn auch in der Definition gibt es einige Teile, die sozusagen der Stoff der Definition sind. Physik I I . 9 . 2 0 0 b 4
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Beispiele aus den biologischen
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Werken
B e s o n d e r s in den b i o l o g i s c h e n W e r k e n verwendet Aristoteles tatsächlich E r k l ä r u n g e n v o n den in den v o r a n g e g a n g e n e n Passagen a n g e g e b e n e n T y p e n ; und dorthin müssen wir blicken, w e n n wir uns eine detaillierte Vorstellung von seiner Teleologie m a c h e n und sehen w o l l e n , wie seine T h e o r i e der wissenschaftlichen E r k l ä r u n g in der P r a x i s aussieht. B e v o r ich also weitere B e m e r k u n g e n über Teleologie und N o t w e n d i g k e i t m a c h e , will ich einige illustrative Stellen aus Aristoteles' T r a k t a t Über
die Teile der Tiere
vorlegen.
In der ersten b e h a u p t e t Aristoteles, daß, da die O r g a n e
eines
K ö r p e r s b e s t i m m t e n Z w e c k e n dienen, auch der K ö r p e r als ganzer dies tun müsse. Augen sind zum Sehen da, der K ö r p e r als ganzer ist ,für' das L e b e n des T i e r s als ganzes da. D a jedes W e r k z e u g für e t w a s ist, und jeder der Teile des K ö r p e r s für e t w a s ist, und da das, w o z u er da ist, eine Tätigkeit ist, ist es klar, d a ß der K ö r p e r als ganzer für irgendeine
vollständige
T ä t i g k e i t z u s a m m e n g e s e t z t ist. D e n n das Sägen ist nicht für die S ä g e e n t s t a n d e n , s o n d e r n die Säge für das Sägen. D e n n das Sägen ist ein Benutzen. Also ist auch der K ö r p e r in gewisser Weise für die Seele da, und die Teile des K ö r p e r s
für die
verschiedenen F u n k t i o n e n , zu der jeder seiner N a t u r n a c h geeig-
net ist.
De partibus animalium I.5.645bl4
I m n ä c h s t e n A b s c h n i t t b e h a u p t e t Aristoteles, d a ß die N a t u r p r o zesse, wie die in den K ü n s t e n , durch die v o n ihnen erreichten Ziele erklärt w e r d e n und nicht durch ihre frühen Stadien. In einem gewissen Sinne sind die Ziele sogar früher als die Prozesse, nämlich insofern es ein H a u s ist (das H a u s im Bewußtsein des A r c h i t e k t e n ) , das den Prozeß in G a n g setzt, der zu einem neuen H a u s führt, und insofern es ein M e n s c h ist (der Vater), der den Prozeß in G a n g setzt, der zu einem neuen M e n s c h e n führt. Um den Prozeß des E n t s t e h e n s eines χ zu e r k l ä r e n , ist es also n o t w e n d i g , sich auf ein s c h o n vor dem fraglichen Prozeß (entweder im G e d a n k e n t a t s ä c h l i c h ) existierendes χ zu beziehen. Um die S a c h e
oder
anders
a u s z u d r ü c k e n : U m den Prozeß des H a u s b a u e n s zu definieren, m u ß m a n W i s s e n von d e m , was ein H a u s ist, schon voraussetzen; aber was ein H a u s ist, k a n n m a n definieren, o h n e irgendwelches Wissen über H a u s b a u e n vorauszusetzen.
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Erklärung in den Naturwissenschaften
Nun sind die Richtung des Entwicklungsprozesses und die Ordnung des Seins einander entgegengesetzt. Denn das im Entwicklungsprozess Spätere ist seiner Natur nach früher, das im Entwickungsprozeß Letzte ist seiner Natur nach das Erste. Denn ein Haus, obwohl es nach den Ziegeln und Steinen kommt, ist nicht für die Ziegel und Steine da, sondern diese für das Haus [also ist das Haus ,das seiner Natur nach Erste']. Und dies gilt genauso für die anderen Stoffe. Es ist nicht nur auf dem Wege der Betrachtung von Beispielen klar, daß es sich so verhält, sondern auch durch ein allgemeines Argument. Denn alles, was entsteht, entwickelt sich aus etwas [Stofflichem] zu etwas [dem Endprodukt oder dem erwachsenen Tier], und aus einem Prinzip auf ein anderes Prinzip zu, von dem Ursprung der Bewegung, der schon eine bestimmte Natur hat, auf eine bestimmte Form oder ein anderes solches Ziel zu. Denn ein Mensch zeugt einen Menschen und eine Pflanze zeugt eine Pflanze aus dem jeweils zugrundeliegenden Stoff. Der Stoff und der Entwicklungsprozeß müssen also in der Zeit früher sein, aber im logos [Erklärung oder Definition] sind das Wesen [ousia] und die Form jedes Dinges früher. Dies wird klar, wenn man den logos des Entwicklungsprozesses darlegt. Denn der logos des Hausbauens enthält den des Hauses, aber der logos des Hauses enthält nicht den des Hausbauens. Und dies gilt genauso für die anderen Fälle. De partibus animalium
II.1.646a24
Aristoteles wendet dann diesen Gedanken auf die Entwicklung des ganzen Tieres an. Hinsichtlich seines Wachstums kommen einfachere Teile zuerst, Strukturen von größerer Komplexität später — aber sie und der am Ende stehende, entwickelte Körper sind das, wozu die früheren Prozesse da sind. Es ist die sich ergebende reiche Fülle des Lebens eines Tiers - seine Seele - , die seinen komplexen Körper erklärt, und es ist der am Ende stehende komplexe Körper, der die früheren allmählichen Wachstums- und Entwicklungsprozesse (und die einzelnen beteiligten Materialien) erklärt. Nun einige konkrete Beispiele. Man achte auf die zwei Erklärungstypen, den hinsichtlich der Funktion oder des Guten und den hinsichtlich des materiellen Prozesses oder der Notwendigkeit.
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Das Menschenhaar. Der Mensch hat von allen Tieren die meisten H a a r e auf dem Kopf. Einerseits ist dies notwendig so, wegen der Flüssigkeit seines Gehirns und wegen der Nähte. Denn w o am meisten Flüssigkeit und Wärme sind, dort muß notwendig das stärkste Wachstum stattfinden. Andererseits sind sie zum Schutz gegen die Extreme von Kälte und Hitze da. Da das Gehirn der Menschen das größte und flüssigste ist, braucht es auch am meisten Schutz. Denn das Flüssigste wird auch am leichtesten überhitzt oder unterkühlt. De partibus animalium II.14.658b2 Augenbrauen und Augenwimpern. Die Augenbrauen und die Wimpern sind beide zum Schutz der Augen da, die Augenbraue n . . . , damit sie, wie ein Wetterdach, vor der von dem Kopf herabfließenden Flüssigkeit schützen, die Wimpern, um zu verhindern, d a ß etwas in die Augen fliegt, wie man manchmal noch einen Zaun vor dem Schutzwall baut. Die Augenbrauen befinden sich an einer Knochenverbindung, und aus diesem Grunde wachsen sie bei vielen im fortschreitenden Alter so dicht, daß sie der Schere bedürfen. Die Wimpern aber stehen an den Enden von kleinen Adern. Denn wo die Haut endet, haben auch die Adern in der Längsrichtung ihre Grenze. Also muß die abgehende Feuchtigkeit, die ja körperlich ist, mit Notwendigkeit an jenen Stellen Haare bilden, wenn nicht irgendeine Funktion der N a t u r dazwischentritt und sie zu einem anderen Zweck benutzt. De partibus animalium I.15.658bl4 Weitere Beispiele der gleichen Art sind folgende: Daß Schlangen sich aufrollen und ihre Köpfe rückwärts wenden können, ist eine notwendige Konsequenz ihrer Struktur (ihre Rückenwirbel sind knorpelig und gelenkig), aber es dient auch einem guten Zweck, nämlich daß sie sich gegen Angriffe von rückwärts verteidigen können. Die Schwimmfüße der Wasservögel sind eine notwendige Konsequenz des Wachstumsprozesses, aber es ist auch besser, daß sie Füße haben, die ihnen beim Schwimmen behilflich sind. M a n beachte in der folgenden Erörterung des Elefantenrüssels den Bezug auf die Umwelt des Tiers: Da er im Sumpf lebt, muß er dies und das haben, wenn er atmen und sich ernähren können soll. Dies steht der Redeweise des Evolutionstheoretikers sehr nahe: Wenn er
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nicht die Mittel gehabt hätte, in Sümpfen zu atmen und sich in Sümpfen zu ernähren, hätte er in Sümpfen nicht überlebt. M a n achte in diesem Beispiel auch auf den Gedanken, daß ein Teil, der für einen Zweck wesentlich ist, auch einem zweiten Zweck dienen kann. Der Rüssel des Elefanten. Der Elefant hat eine einzigartige Nase [seinen R ü s s e l ] . . . , denn sie hat eine übermäßige Größe und Kraft. Seinen Rüssel wie eine H a n d benutzend, führt er mit ihm sowohl die trockene als auch die flüssige N a h r u n g zum M u n d . Und er umwickelt mit ihm die Bäume und reißt sie aus. Er benutzt ihn genau wie eine H a n d . Denn von N a t u r aus ist er gleichzeitig ein Landtier und ein Sumpfbewohner. Da er seine N a h r u n g aus dem Wasser zu holen hatte, aber atmen mußte (da er ein Landtier ist und Blut hat) und sich wegen seiner Übermäßigen G r ö ß e nicht so schnell aus dem Wasser zum Trockenen bewegte (wie einige andere lebendgebärende Tiere, die Blut haben und atmen, es tun), war es notwendig, d a ß er im Wasser und auf dem Lande gleichermaßen zu Hause sein konnte. Wie m a n c h m a l die Taucher mit Werkzeugen zum Atmen ausgestattet werden, d a m i t sie die Luft von oberhalb des Wassers durch das Werkzeug einziehen und lange Zeit unter Wasser bleiben können, so hat auch die N a t u r den Elefanten ein solches Werkzeug gegeben - den langen Rüssel. Deswegen atmen sie, wenn sie einmal ihren Weg durch tiefes Wasser nehmen, indem sie den Rüssel bis zur Wasseroberfläche emporheben. Denn der Rüssel ist, wie wir gesagt haben, für den Elefanten eine Nase. Und da es unmöglich gewesen wäre, daß der Rüssel von dieser Art sein könnte, ohne weich und gelenkig zu sein — denn er hätte sonst durch seine Länge die N a h r u n g s a u f n a h m e von draußen behindert, genau wie man von den H ö r n e r n der rückwärtsweidenden Rinder erzählt; denn auch von ihnen sagt man, daß sie rückwärtsgehend weideten - , da der Rüssel nun also von dieser Art [weich und gelenkig] ist, hat die N a t u r , wie es ihre Gewohnheit ist, die gleichen Teile zu Vielem zu benutzen, ihm auch die Aufgabe [in anderen Tieren] der Vorderfüße gegeben. Denn bei den anderen Vierfüßlern dienen sie auch als H ä n d e und nicht nur zur Unterstützung des G e w i c h t s . . . Aber wegen seiner G r ö ß e und der Schwere seines Körpers sind [die Vorderfüße
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eines Elefanten] nur als Stützen gut, und wegen ihrer Langsamkeit und Unbiegsamkeit sind sie zu nichts anderem brauchbar. Er hat den Rüssel zum Atmen (genau wie jedes der anderen Tiere, die Lungen haben), und weil er viel Zeit im Wasser verbringt und n u r langsam aus ihm herauskommt, ist der Rüssel lang und kann sich um Gegenstände wickeln. Und da der Gebrauch der Füße begrenzt ist, benutzt die N a t u r . . . diesen Teil [den Rüssel] auch für die Hilfe, die von den Füßen hätte geleistet werden sollen. De partibus animalium II.16.658b33 Hier ist ein weiterer Fall eines Organs mit zwei Aufgaben, aber hier ist eine Aufgabe von höherer O r d n u n g als die andere: eine hilft dem Tier, zu überleben, die andere fördert sein Wohlergehen. Die Lippen. Für die anderen Tiere sind die Lippen zum Schutz und zur Verwahrung der Z ä h n e d a . . . Die Menschen haben Lippen, die weich und fleischig sind und getrennt werden können. Sie sind zum Schutz der Z ä h n e da (wie bei den anderen), aber noch viel mehr für sein Wohlergehen. Denn sie machen auch seinen Gebrauch der Sprache möglich. M a n vergleiche, wie die N a t u r die Zunge, die denen der anderen Tiere ungleich ist, für zwei Aufgaben gemacht hat (wir haben in vielen Fällen gesagt, daß sie so handelt). Die Zunge ist zum Schmecken und zum Reden da, die Lippen zum Reden und zum Schutz der Z ä h n e . Denn die gesprochene Sprache ist aus einzelnen Lauten zusammengesetzt, und wenn die Zunge nicht von dieser Art wäre und die Lippen nicht schmiegsam wären, könnte man die meisten Buchstaben nicht aussprechen. Denn einige sind ein Anlegen der Zunge, andere ein Zusammenlegen der Lippen. De partibus animalium II.16.659b27 Aristoteles gibt zu, d a ß manchmal die Naturprozesse Auswirkungen haben, die keinem Zweck dienen. Hier ist ein Beispiel. Die Galle. Die Galle um die Leber, wie auch anderswo im Körper, scheint ein Residuum oder Ausscheidungsprodukt zu sein und nicht für e t w a s . . . M a n c h m a l verwendet zwar die N a t u r auch die Ausscheidungsprodukte zu Nützlichem, aber man m u ß nicht schon deswegen in allen Fällen einen Zweck
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Erklärung in den Naturwissenschaften suchen. Weil bestimmte Sachen von einer bestimmten Art sind, folgen viele andere schon ihretwegen mit Notwendigkeit. De partibus animalium IV.2.677al3
Hier ist ein anderes, leicht verschiedenes Beispiel: Daß Tiere Augen haben, ist natürlich notwendig, wenn sie sehen und überleben sollen - Augen sind offensichtlich ,für' das Gute. Aber es macht keinen Unterschied, welche Farbe die Augen haben; die besondere Farbe ist eine Nebenfolge der physikalischen Wachstumsprozesse. Die Farbe, ähnlich wie ein nutzloses Ausscheidungsprodukt, ist eine notwendige Folge ohne jede eigene Nützlichkeit. Als letztes Beispiel erwähne ich Aristoteles' Behandlung zweier Fragen über das Wachstum der Zähne. Warum werden die Vorderzähne zuerst gebildet und erst danach die Backenzähne? Und wieso fallen die Backenzähne nicht aus, dafür aber die Vorderzähne, wonach neue nachwachsen? Er erklärt diese Tatsachen durch Bezug auf die funktionalen Vorteile dieser Einrichtung und liefert dabei auch eine Darstellung der involvierten physikalischen Ursachen. Demokrit (um 4 6 0 - 3 7 0 v.Chr.), ein hartnäckiger Materialist, wird deswegen kritisiert, weil er die Zweckmäßigkeit in der N a t u r geleugnet und alles auf bloße Notwendigkeit reduziert hat. N u r über die notwendigen Ursachen zu reden, scheint so zu sein, als wenn einer meinte, es sei nur wegen des Messers, daß den Wassersüchtigen das Wässer abgegangen ist, aber nicht wegen der Gesundheit, um deretwillen das Messer die Schnitte machte. De generatione animalium V . 8 . 7 8 9 b l 2 Und zuletzt noch eine berühmte Stelle, die nahe am Anfang seiner großen Vorlesungsreihe über die Biologie steht, in der Aristoteles die Studenten ermuntert, die Vorteile und Reize dieses Wissenschaftszweiges zu erkennen. Die ewigen Himmelskörper seien ohne Zweifel die edelsten Erkenntnisgegenstände, aber Wissen über sie sei schwer zu erlangen. Wir seien in einer viel günstigeren Lage, an Einzelheiten über irdische Lebewesen heranzukommen, und deren Untersuchung habe auch ihren Reiz. Uns bleibt noch, über die Natur der Tiere zu reden. Wir werden uns M ü h e geben, soweit möglich, nichts auszulassen, weder das Edle noch das Geringe. Denn auch bei der Untersuchung von solchen Objekten, die den Sinnen unangenehm sind, bietet die
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N a t u r , die sie hergestellt hat, denjenigen außerordentliche Freuden, die Ursachen und Gründe [aitiai] entdecken können und von N a t u r aus Liebhaber der Weisheit sind. Denn wenn wir Freude d a r a n haben, ihre [der Tiere] Abbilder zu betrachten, weil wir die Kunstfertigkeit, die sie hergestellt hat (z.B. die graphische oder die plastische), zugleich erfassen, w ä r e es doch unvernünftig und absurd, nicht noch mehr die Betrachtung des von der N a t u r selber Hervorgebrachten zu schätzen, wenn wir nur imstande sind, die Ursachen zu erkennen. Deswegen sollten wir nicht der Untersuchung der niederen Tiere mit kindischem Ekel begegnen. Denn in allen Naturgegenständen steckt etwas Wunderbares. Von Heraklit [5. J a h r h u n d e r t ] wird erzählt, daß einige Gäste ihn besuchen wollten. Als sie eintraten, sahen sie ihn sich a m Backofen [in der Küche] wärmen und blieben stehen. Er rief ihnen aber zu: „Kommt ohne Furcht herein. Denn auch hier sind Götter." In dieser Weise sollte man ohne Naserümpfen auch an die Untersuchung eines jeden Tieres herangehen, da in jedem etwas Natürliches und Schönes ist. Denn in den Werken der Natur sind Ordnung und Z w e c k m ä ßigkeit, und zwar in höchstem M a ß e . Das Ziel, wofür sie zusammengesetzt und entstanden sind, gehört in den Bereich des Schönen. Wenn also einer die Untersuchung der anderen Tiere für etwas Unwürdiges hält, sollte er in gleicher Weise auch über sich selbst denken. Denn man kann nicht ohne erheblichen Ekel das betrachten, w o r a u s der menschliche Körper zusammengesetzt ist, ζ. B. Blut, Fleisch, Knochen, Adern und solche Teile. M a n darf nicht meinen, daß jemand, der sich über Teile und Instrumente von irgendetwas unterhält, seine Aufmerksamkeit auf den Stoff richtet, noch daß es um ihn geht, sondern es geht um die Struktur als Ganzes: z.B. um das Haus, aber nicht um die Ziegel, den Lehm oder das Holz. Und ebenso muß man anerkennen, daß es dem Naturforscher um die Zusammensetzung und um das Lebewesen als Ganzes geht, aber nicht um das, w a s nie von dem Lebewesen, zu dem sie gehören, getrennt bestehen kann. De partibits ammalium I.5.645a5
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Erklärung in den Naturwissenschaften
Bemerkungen Die oben angeführten Stellen haben eine Vorstellung davon gegeben, wie Aristoteles seine Prinzipien der wissenschaftlichen Erklärung im Gebiet der Biologie anwendet. Er will eine teleologische Erklärung hinsichtlich des Guten angeben, das ein Organ oder ein Prozess einem Tier oder einer Pflanze bringt, aber auch eine nichtteleologische Erklärung liefern vermittels der notwendigen Materialien und Bewegungen, die jene Organe oder Prozesse erzeugen. Er hat recht, wenn er diese beiden Erklärungstypen unterscheidet, und er hat auch recht, wenn er sich für beide interessiert. Ein Medizinstudent lernt heutzutage etwas über die Prozesse, die in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Biochemie dieses oder jenes Organ im Körper erzeugen, und er lernt auch etwas über den Beitrag dieses Organs zum richtigen Funktionieren des Körpers. Die teleologischen Überzeugungen des Aristoteles gehen aber ein ganzes Stück darüber hinaus, oder sie scheinen es zumindest zu tun. Denn er meint, daß, genau wie die Bewegungen des Tischlers um des Gegenstandes willen, den er herstellt, da sind und durch Bezug auf ihn erklärt werden, so auch die Naturbewegungen, die dazu führen, daß dies oder jenes Organ, dieses oder jenes Lebewesen existiert, um des Organs oder Tieres willen da seien und also nur durch Bezug auf ihr ,Ziel' richtig und in der Hauptsache erklärt werden könnten. Aber die Aussage, daß bestimmte Naturprozesse um des Organs willen, das sie erzeugen, da sind, behauptet mehr als die Aussage, daß sie tatsächlich dieses Organ erzeugen, das dem Organismus dann zu überleben hilft. Aristoteles meint, daß es nicht eine Sache des Zufalls oder der Notwendigkeit, sondern eine Sache der Absicht sei, daß die Natur ihre nützlichen Wirkungen hervorbringt. Sie sind nicht einfach das glückliche Ergebnis physikalisch-chemischer Prozesse — sie sind das, wozu diese Prozesse da sind, und sie erklären das Vorkommen dieser Prozesse. Wissenschaftstheoretiker streiten sich noch heute über teleologische Erklärung — wie sie genau zu analysieren sei und ob sie eine unerläßliche Rolle in der Biologie spiele oder nicht. Einige letzte Bemerkungen. Zunächst etwas über Notwendigkeit. Aristoteles besteht darauf, daß, obwohl es Eisen geben muß, wenn es eine Axt geben soll, es nicht der Fall sei, daß, wenn es Eisen gibt,
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es auch eine Axt geben muß; und daß die von dem Wissenschaftler untersuchte Notwendigkeit also ,hypothetische Notwendigkeit' sei. Aber die Aussage, daß es Eisen geben muß, wenn es eine Axt geben soll (d.h. ein Werkzeug, mit dem man Bäume fällen kann), hat in der Tat zur Folge, daß Eisen eine bestimmte feststehende Natur und bestimmte feststehende Vermögen hat. Hat es diese, so agiert und reagiert es notwendigerweise in bestimmten und vorhersehbaren Weisen. Dies ist nicht Notwendigkeit einer bloß hypothetischen Art. Sich auf hypothetische Notwendigkeit zu berufen setzt, kurz gesagt, die Anerkennung irgendeiner absoluten Notwendigkeit voraus. Es könnte natürlich behauptet werden, daß das Vorhandensein von Eisen seinerseits auch teleologisch zu erklären ist: Wenn es Eisen geben sollte - eine nützliche und ,gute' Mischung —, dann mußten diese und jene die vier Grundelemente miteinbegreifenden Prozesse stattfinden. Aber diese Gedankenfolge setzt voraus, daß die Elemente selbst absolut feststehende und notwendige Eigenschaften haben. Also werden sich mindestens einige der Untersuchungen des Wissenschaftlers mit dem Entdekken unbedingter Notwendigkeiten befassen. Teleologie und Artefakte. Um die Herstellung einer Axt zu erklären, müssen wir nicht nur das Material mit seiner feststehenden und notwendigen Natur erwähnen, sondern auch das, was ein völlig verschiedener und entschieden teleologischer Faktor zu sein scheint, nämlich den gelernten Handwerker mit seinem Wunsch nach einer Axt. Sein Zweck, das, worauf er zielt, bestimmt und erklärt die von ihm gewählten Materialien und die von ihm ausgeführten Prozesse. Aber nehmen wir nun an, wir könnten eine physikalische oder physiologische Erklärung der Fähigkeiten und der Wünsche des Handwerkers (als Gehirnzustände vielleicht) angeben. Wir wären dann in der Lage, nicht nur einige, für die Herstellung einer Axt notwendige materielle Bedingungen anzugeben, sondern könnten eine Gruppe materieller Bedingungen - das Vorhandensein von Eisen etc. und diese und jene Gehirn- und Muskelzustände - aufzeigen, die zusammengenommen eine hinreichende Bedingung für die Herstellung einer Axt sein würden. Diese ganze Gruppe materieller Bedingungen würde in Übereinstimmung mit nicht-teleologischen Gesetzen die Herstellung einer Axt garantieren. Wäre das nicht doch eine vollständige Erklärung
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der ganzen Geschichte, die keinen Platz für eine zusätzliche oder alternative, in teleologischen Begriffen ausgedrückte Erklärung übrigläßt? Oder wäre es doch noch möglich und wichtig, auch eine Erklärung der Herstellung der Axt zu geben, die nicht die Terminologie der Physik und der Chemie verwendet, sondern auch solche Ausdrücke wie ,Zweck', ,Ziel' und ,Gut'? Teleologie und natürliche Organismen. Wenn wir von Artefakten zu natürlichen Organismen übergehen, entstehen besondere Probleme mit der Teleologie. Man kann nicht nur leicht sagen, was die Funktion und der Zweck eines jeden Teils der Axt ist, sondern auch, was die Funktion und der Zweck der Axt als ganzer ist. Bevor der Handwerker es unternahm, eine Axt zu entwerfen und herzustellen, wußte er genau, was er damit anfangen wollte. Bei einem Tier können wir nun sicherlich erklären, wie manche Organe dazu dienen, es am Leben zu halten, vorausgesetzt, wir kennen die Umwelt, in der es lebt, und die anderen Tierarten, mit denen es kämpfen muß. Unter der Voraussetzung solcher Tatsachen ist es dem Elefanten nützlich, einen Rüssel zu haben, und wir können die Zwecke erklären, denen er im Leben des Elefanten dient. Aber können wir sagen, was die Funktion und der Zweck des Elefanten als ganzen ist? Ein Teil ,dient einem Zweck', indem er dem Tier hilft, zu überleben; aber welchem Zweck ist durch die Existenz und das Uberleben des Tiers selbst gedient? Wozu ist der Elefant da? Wozu sind Ratten da? Früher meinte man, alle anderen Tiere und auch die Pflanzen seien zum Nutzen des Menschen da — wobei nur die Frage unbeantwortet blieb, warum Gott den Menschen schuf. Eine modernere Vorstellung wäre, daß einzelne Tiergattungen eine Rolle im weiteren ökologischen System spielen. Die Ratten unterdrücken manche anderen Gattungen, die ohne solche Kontrolle überhand nehmen würden. Sie helfen, das ,Gleichgewicht der Natur' aufrechtzuerhalten. Aber warum sollten denn diese bestimmten Gattungen überhaupt existieren, und warum ist dieses bestimmte Gleichgewicht der Natur ein gutes? Auf Aristoteles warten ähnliche Fragen. Er behauptet, die Funktion eines Elefanten sei es, einen weiteren Elefanten zu erzeugen: Das Ziel der Natur ist die Erhaltung der Gattung, nicht des Individuums. Aber welchem ,Gut' dient die Existenz der Elefantengattung und die Existenz der anderen Gattungen, die es gibt? Sind sie in
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irgendeinem Sinne besser als andere Gattungen, die es hätte geben können? Wenn nicht, so mag es sein, daß wir noch einsehen können, wie die Naturprozesse für die Erhaltung des allgemeinen status quo arbeiten, aber wir werden kaum sagen dürfen, daß die N a t u r für das Gute arbeite, daß sie die beste aller möglichen Welten erzeuge. Die Teleologie des Aristoteles. Diese ist zu verschiedenen Zeiten auf radikal verschiedene Weise interpretiert worden. M a n hat ihm zeitweise die (poetische oder mystische) Vorstellung zugeschrieben, daß die N a t u r Ziele und Zwecke habe, genau wie ein Handwerker sie hat, daß eine Eichel wirklich zu einer Eiche werden wolle und zu werden versuche. Auf der anderen (nüchternen) Seite hat es auch die Meinung gegeben, die Teleologie des Aristoteles sei eine ,Als Ob'-Teleologie: Wir dürften nicht glauben, daß natürliche Organismen tatsächlich auf irgendetwas zielen oder daß Naturprozesse wirklich für irgendetwas da sind - dies sei nichts als eine anthropomorphe Redeweise, eine bloße façon de parier. Diese Auffassung wird sowohl der Bedeutung, die Aristoteles der teleologischen Erklärung in der Natur zumißt, als auch der Weise, in der seine Teleologie mit seiner Theologie (S. 197—198) zusammenhängt, kaum gerecht. Außerdem läßt sie eine wesentliche Frage unbeantwortet: Was an natürlichen Organismen und Systemen bringt uns in Versuchung, so über sie zu reden, als seien sie teleologische Systeme? Einer dritten Interpretation zufolge ist die Grundlage der aristotelischen Teleologie in seinem Glauben zu suchen, daß man das Verhalten der Pflanzen und Tiere nicht schon aus einem bloßen Wissen über die materiellen Elemente und Mischungen, aus denen sie bestehen, voraussagen könne. Er glaubt, daß es in verschiedenen Stadien der Komplexität und der Entwicklung ,Sprünge' gebe, daß ,neuauftretende' Eigenschaften und Vermögen erscheinen, deren Auftreten man vor dem Erscheinen dieser Entwicklung nicht hätte voraussehen können. Die Gesetze und die Tatsachen der Biologie sind dieser Ansicht nach nicht auf Gesetze und Tatsachen der Physik und der Chemie reduzierbar; aus den letzteren könne man nicht schließen, nicht einmal im Prinzip, wie Lebewesen sich verhalten würden. Daß es solche Sprünge in der Natur gibt, ist kein Beweis dafür, daß die einfacheren Prozesse und Gegenstände um der Komplexeren wil-
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Erklärung in den Naturwissenschaften
len da sind. Aber die Vorstellung, daß das Komplexere, da es mehr vermag, höher steht und besser ist, ist plausibel genug. (Auch wir, wenn wir von den ,höheren' Tieren reden, vermengen einen rein deskriptiven mit einem ausgesprochen bewertenden Gedanken.) Noch ein weiterer Ansatz zur Teleologie des Aristoteles konzentriert sich auf die Vorstellung von verschiedenen Sprachebenen, von denen jede ihre eigenen Begriffe benutzen kann, die auf anderen Ebenen nicht ausgedrückt werden können. Diese Vorstellung kann man mit der vorangegangenen Ansicht in Zusammenhang bringen. Denn wenn es tatsächlich Eigenschaften gibt, die für lebende Organismen kennzeichnend sind und nicht aus den Tatsachen über ihre materiellen Bestandteile deduzierbar sind, dann wird die (biologische) Sprache, in der man von solchen Eigenschaften spricht, auf einer anderen Ebene sein und andere Begriffe verwenden als die (physikalisch-chemische) Sprache, in der man nur die Tatsachen über die Bestandteile zum Ausdruck bringen kann. Hierüber wird gegen Ende des nächsten Kapitels etwas mehr gesagt werden.
Kapitel 5 Die Philosophie des Geistes Es gibt seit einigen Jahren eine lebhafte Diskussion über die Philosophie des Geistes. Sie umfaßt allgemeine Theorien über die Natur des Geistes und sein Verhältnis zum Körper, wie auch Analysen einzelner psychischer Tätigkeiten und von Begriffen wie Begehren, Wahrnehmen und Denken. Auf fast jedem Gebiet ist das, was Aristoteles in seinen kurzen, aber höchst einflußreichen Abhandlungen zu sagen hatte, für Philosophen heute noch interessant und anregend. Da er, wie üblich, an Problemen arbeitet und keine sauber verpackten Lösungen anbietet, sind in seinen Werken verschiedene Tendenzen und Argumentationsstränge vorhanden, die nicht alle in die gleiche Richtung weisen. Hier, wie auch sonst, ist Aristoteles also faszinierend und bedeutend, nicht so sehr weil er die richtigen Antworten vorlegt, sondern weil er die fundamentalen Probleme so gut diagnostiziert und sie mit einer einzigartigen Verbindung von Einfachheit und Subtilität diskutiert. Was er sagt, ist oft schwierig und manchmal unklar, aber es regt immer zum Nachdenken an; je näher man an irgendeine seiner Bemerkungen oder Argumente herangeht, desto deutlicher erkennt man, daß sie von philosophischem Interesse sind. Ich hoffe, in diesem Kapitel eine Vorstellung von einigen Hauptfragen der aristotelischen Philosophie des Geistes zu vermitteln und einen Eindruck von dem breiten Spektrum der von Aristoteles erörterten Themen zu geben. Ich werde zuerst die allgemeine kritische Position umreißen, die Aristoteles gegenüber den Ansichten seiner Vorgänger einnimmt, und werde einige Zitate aus dem ersten Buch seiner Schrift ,Uber die Seele' (De anima) vorführen, um seine Stellungnahme zu erläutern. Danach soll eine Erörterung seiner Erklärung der Sinneswahrnehmung als Beispiel für seine Behandlung einzelner psychischer Vermögen dienen. Und zuletzt will ich seine eigene Theorie der Seele und ihres Verhältnisses zum Körper untersuchen.
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Aristoteles' Ansatz zur Lösung des Leib-Seele-Problems Schon in frühen Zeiten machten die Griechen einen gewissen Unterschied zwischen dem Körper eines Menschen und seiner Seele, seiner psyche. Bis zu Aristoteles' Zeiten hatte sich diese Unterscheidung, und auch der Begriff der Seele, auf eine solche Weise entwickelt, daß Aristoteles Problemen gegenüberstand, die sich nicht wesentlich von denen unterscheiden, denen ein moderner Philosoph gegenübersteht, wenn er das ,Leib-Seele-Problem' anpackt und sich fragt, wie die Seele sich zum Körper verhält und wie ihre verschiedenen Vermögen und Tätigkeiten sich zueinander und zu körperlichen Ereignissen und Zuständen verhalten. Aber es ist unbedingt notwendig, zu beachten, daß das Wort psyche eine weitere Bedeutung hat als ,Geist': psyche zu haben, heißt einfach, Leben zu haben. Alle Lebewesen, einschließlich der Pflanzen, haben also Seelen, sie sind beseelt. Aber die Lebewesen haben nicht alle die gleiche Art Leben, die gleiche Art psyche. Das Pflanzenleben besteht nur darin, zu wachsen, Nahrung aufzunehmen und Samen neuer Pflanzen zu erzeugen: Pflanzen haben nur eine ,vegetative' Seele. Für Tiere ist das Leben auch eine Sache der Sinneswahrnehmung, des Begehrens und der Bewegung; und der Mensch besitzt außerdem noch das Vermögen zu denken. Aristoteles war Biologe, und er betrachtete das Leben als eine Art Kontinuum von den niedrigsten oder einfachsten bis zu den höchsten oder komplexesten Lebewesen. Er war keineswegs geneigt, sich die Seele als eine übernatürliche, den Menschen einwohnende Substanz vorzustellen. Diese Ansicht kann freilich sehr verlockend sein, wenn man Denken oder Bewußtsein als ein wesentliches Merkmal der Seele betrachtet; sie ist aber nicht entfernt so verlokkend für jemanden, der anerkennt, daß auch Pflanzen lebendig sind und deshalb Seelen haben. In seinen psychologischen Untersuchungen hält Aristoteles den physikalischen Aspekt psychischer Aktivitäten durchaus im Vordergrund. Er verwirft den Dualismus von Leib und Seele, den er bei Piaton vorfand, mit der gleichen Entschlossenheit, mit der moderne Philosophen den Dualismus Rene Descartes' (1596 bis 1650) verworfen haben. Eine Person - oder ein Hund - ist nicht ein Ding innerhalb eines anderen Dinges, ein in einem Körper gefangener Geist oder ein ,Gespenst in einer Maschine', sondern
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eine besondere Art komplexer Einheit. Die Seele und der Körper einer Person oder eines Tieres sind auch nicht Teile von ihr oder von ihm (genausowenig wie die Gestalt und das Holz eines Tisches seine Teile sind). Wir dürfen nicht glauben, daß es T h o m a s ' Seele ist, die Durst verspürt und sich Wasser wünscht, während es sein Körper ist, der zum Bach läuft. Es mag sehr nützlich sein, gewisse Tatsachen über Thomas als psychische Tatsachen zu klassifizieren und andere Tatsachen als physikalische Tatsachen; aber das heißt nicht, daß die zwei Tatsachengruppen sich auf Verschiedenes beziehen. Sie können sich auf ein und dasselbe beziehen, das man auf verschiedene Weise, unter verschiedenen Aspekten betrachtet. (Man erinnere sich an den M a n n , der seine Stelle als Koch verlor, aber als Vorsitzender wiedergewählt wurde.) Ich kann die Aufführung einer Symphonie von einem rein technischen Standpunkt aus beschreiben und kritisieren, oder auch von einem rein ästhetischen oder künstlerischen Standpunkt aus; das heißt aber nicht, daß die beiden Darstellungen sich auf verschiedene Aufführungen beziehen. Es gibt mehrere Weisen, in denen physikalische Tatsachen mit psychischen Tätigkeiten zusammenhängen können. Man betrachte irgendein Gefühl, ζ. B. Zorn. Gefühle, Gedanken und der Wunsch nach Vergeltung sind sicherlich Bestandteile von Zorn. Es gibt auch verschiedene physikalische Aspekte. Es gibt das Verhalten einer zornigen Person, das, was sie tut, weil sie in Zorn geraten ist; sie wirft einen Ziegelstein in ein Fenster. Es gibt auch andere körperliche Anzeichen ihres Gefühls, nicht das, was sie tut, sondern das, was ihr geschieht: sie wird rot und die Halsadern schwellen an. Es gibt auch innere physiologische Veränderungen und Prozesse, die nicht leicht, wenn überhaupt, zu beobachten sind: Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung des Bluts, elektrische Impulse im Nervensystem. Was ist dann Zorn wirklich? Und was für eine Rolle spielen die verschiedenen physikalischen Vorgänge bei der ganzen Sache? Nehmen wir ζ. B. die inneren physiologischen Veränderungen. Sind sie die Ursache oder die Wirkung des Zorns oder ein Teil des Zorns selbst? Oder sind sie sogar alles, was es am Zorn wirklich gibt: Ist Zorn vielleicht nichts anderes als ein Zustand gewisser Körperteile? Nun war Aristoteles über die tatsächlichen physikalischen Prozesse, die
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beim Zorn ablaufen, natürlich nicht sehr gut informiert. Aber das hat ihn nicht daran gehindert, dasselbe philosophische Grundproblem zu haben wie wir. Für den Naturwissenschaftler ist es eine Frage von höchster Bedeutung, ob sich gewisse charakteristische Veränderungen im Herzen oder im Gehirn ereignen, wenn jemand in Zorn gerät; für den Philosophen ist diese Frage fast völlig belanglos. Wenn Aristoteles eine Erklärung der Physiologie der Gefühle oder der Wahrnehmung oder des Gedächtnisses vorbringt, hofft er zwar in der Tat, die richtige Erklärung getroffen zu haben, und er beruft sich auch, wo sie verfügbar sind, auf empirische Belege - er ist ja, wie wir sagen würden, nicht nur Philosoph, sondern auch Naturwissenschaftler. Aber er erkennt oft die engen Grenzen seiner Kenntnisse auf diesem Gebiet an — viele Fragen warten noch auf weitere Beobachtungen und Belege, und oft bemerkt er, daß die faktischen Einzelheiten für die theoretischen Probleme irrelevant seien. So sind ζ. B. die philosophischen Probleme der Einheit des Selbst und des Verhältnisses von Leib und Seele völlig unabhängig davon, ob es das Herz oder das Gehirn ist, das Signale von den Sinnesorganen empfängt und Signale an die Hände und Beine schickt. Um zum Zorn zurückzukehren: die Fragen des Philosophen sind folgender Art: Wenn es einen physikalischen Prozeß p gibt, der immer im Körper einer Person abläuft, wenn sie in Zorn gerät, ist dann ihr Zorn mit dem Auftreten von p identisch? Wenn er nicht damit identisch ist, in welcher Beziehung steht er dann zum Auftreten von p? Ist Zorn ein rein geistiger Zustand — ein Bedürfnis nach Vergeltung — der p verursacht oder der von p verursacht wird, oder ist p irgendwie im Zorn enthalten? Betrachten wir nun das fundamentalste Vermögen der Tiere, die Sinneswahrnehmung. Ein wesentlicher Bestandteil jedes Wahrnehmungsereignisses ist, daß es etwas ,dort draußen' gibt, das das Erlebnis des Wahrnehmenden verursacht (oder mindestens mit ihm in einem Kausalzusammenhang steht). Wenn nichts wirklich da ist, wird es nicht als ein Fall von Wahrnehmung gerechnet. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Sinneswahrnehmung und Zorn. Zorn umfaßt sicherlich den Glauben, daß jemand dort draußen mir wirklich etwas Böses getan hat. Aber ich kann auf jemanden wegen einer Tat wirklich zornig sein, obwohl ich mich in Wirklichkeit mit der Meinung, er habe sie getan, irre. Bei der Wahrneh-
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m u n g liegt die Sache anders; ich kann nicht wirklich eine Katze sehen oder berühren, wenn in Wirklichkeit keine Katze da ist; ich meine dann bloß, eine Katze zu sehen; es scheint mir nur so, als berührte ich eine Katze. Es ist also klar, d a ß eine zutreffende Erklärung der Sinneswahrnehmung nicht nur Tatsachen über die Empfindungen und die Physiologie des Wahrnehmenden erwähnen muß, sondern auch Faktoren aus seiner Umwelt, und sie wird auch etwas über den Kausalzusammenhang sagen müssen, den es zwischen dem w a h r g e n o m m e n e n Gegenstand und dem Wahrnehmenden geben m u ß . Wie beim Zorn aber ist es eine Sache, zu erkennen, d a ß es einen solchen Kausalzusammenhang geben muß, und eine andere Sache, eine richtige wissenschaftliche Erklärung davon anzugeben; und philosophische Fragen stellen sich in gleichem M a ß e , o b man nun eine solche Erklärung geben kann oder nicht. Es m u ß Augen und innere physiologische Prozesse geben, wenn es Sehen geben soll, und es m u ß auch äußere Gegenstände geben, die die Veränderungen in den Augen verursachen. Aber besteht das Sehen in diesen physikalischen und physiologischen Prozessen? O d e r ist es ein Ereignis, das am Ende all dieser Prozesse geschieht, vielleicht ein Bewußtseinsakt? Aber wenn dieser das Sehen ist, könnte er vermutlich auch in Abwesenheit der üblichen vorangehenden Prozesse geschehen - in welchem Fall das Sehen nicht per definitionem voraussetzen würde, daß irgendwelche Prozesse dieser Art vorher ablaufen. Wenn aber das Sehen in den Prozessen und einem Bewußtseinsakt besteht, wie verhalten sich dann die Prozesse und der Akt zueinander? Auch hier braucht das, was in Aristoteles' Erklärung der Sinneswahrnehmungsphysik und -physiologie archaisch und überholt ist, das Interesse und den Wert seines Philosophierens über die Wahrnehmungsproblematik nicht zu beeinträchtigen. Um die H a u p t f r a g e so allgemein wie möglich zu formulieren: Was ist das Verhältnis oder der Z u s a m m e n h a n g zwischen psychischen Ereignissen, Prozessen oder Zuständen und physikalischen und physiologischen Ereignissen, Prozessen oder Zuständen? Die moderne Physik und die moderne Physiologie haben ein völlig neues Verständnis des Gehirns und des Nervensystems erreicht. Aber wenn die Philosophie eine bessere Antwort auf das L.eib-SeeleProblem hat als die Griechen, dann nicht wegen solcher naturwis-
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senschaftlichen Fortschritte, sondern wegen der Subtilität und einer gesteigerten Scharfsinnigkeit der von den Problemen erforderten Begriffsanalyse. Es ist keineswegs sicher, daß wir tatsächlich eine bessere Antwort haben: Es gibt keine Übereinstimmung darüber, was die richtige Antwort sein könnte, und die konkurrierenden zur Zeit angebotenen Antworten sind in ihren wesentlichen Zügen schon bei der griechischen Philosophie zu finden. Ich will das Ausmaß der Ubereinstimmung zwischen den Hauptinteressen des Aristoteles und den unsrigen nicht übertreiben. Einige Fragen stellen sich heutzutage, weil die ungeheuren Fortschritte des medizinischen Wissens und der medizinischen Techniken uns jetzt geneigt machen, Möglichkeiten ernst zu nehmen, die uns früher als zu phantastisch erschienen wären, um darüber nachzudenken. Wir können jetzt die Vorstellung einer Gehirntransplantation oder einer Gehirnteilung ernst nehmen, und so werden wir zu der Frage geführt, welche Konsequenzen das für die Identität der betroffenen Person(en) hätte. Wenn man A's Körper B's Gehirn gäbe, und B's Körper A's Gehirn erhielte, welcher der beiden Leute, die das Krankenhaus verlassen, wäre dann A und welcher wäre B? Und wenn man A's Gehirn teilte und eine Hälfte in einen Körper und die andere Hälfte in einen anderen Körper überginge, welche der zwei sich ergebenden Personen wäre dann A — oder wäre A jetzt zwei Personen? Wir dürfen hoffen, daß Aristoteles' allgemeine Theorie von Leib und Seele mögliche Ansätze zur Beantwortung solcher Fragen nahelegen wird, aber es wäre absurd, von ihm zu erwarten, daß er sie explizit erörtert. (Tatsächlich macht er einige Bemerkungen, die diesen Fragen sehr nahe kommen. Seine Erläuterungen über die leitende Funktion des Herzens als ,Sitz des Lebens' sind eine Vorwegnahme der Vorstellung, daß das Gehirn Träger der persönlichen Identität sei - daß also in dem Transplantationsbeispiel der Körper mit A's Gehirn auch A sein würde. Sein Hinweis auf das unabhängige Überleben der zwei Wurmteile, die entstehen, wenn ein Wurm entzweigeschnitten wird, wirft ein Problem auf, das dem der Gehirnteilung nicht unähnlich ist.) Gewisse andere vieldiskutierte Probleme der modernen Philosophie sind auf die Vorstellung zurückzuführen, daß das Geistesleben privat sei. Wenn Gefühle, Wünsche, Wahrnehmungen und
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Gedanken wesentlich Privatereignisse sind, von denen nur ihr Besitzer direktes Bewußtsein haben kann, wie kann ich dann wissen — oder auch nur den mindesten Grund haben zu glauben - , daß andere überhaupt ein Geistesleben haben? Und angenommen, sie haben tatsächlich eines, wie kann ich wissen, was in ihm vorgeht? Wie kann ich irgendeinen Grund haben zu glauben, daß du, wenn du schreist und rot wirst, ein privates Zorngefühl spürst, das dem Gefühl, das ich bei ähnlichen Gelegenheiten spüre, ähnlich ist? Solche Skepsis über die Existenz des Fremdpsychischen und skeptische Fragen gegenüber der Kenntnis der Gedanken und Gefühle anderer Leute beunruhigen Aristoteles nicht. Er hält (hier wie anderswo) für selbstverständlich, was wir alle nicht umhin können, für selbstverständlich zu halten; er macht keinen Versuch, das Offensichtliche zu beweisen oder zu rechtfertigen. Man mag es als eine große Lücke in seiner Philosophie des Geistes betrachten, daß er solchen Phänomenen wie der Verstellung und der Lüge, dem Verheimlichen der eigenen Gedanken und Gefühle, nie seine ernste Aufmerksamkeit zuwendet. Andererseits hat sein mangelndes Interesse für diese Aspekte des Eigenlebens ihn vor einigen ziemlich fruchtlosen Verwirrungen bewahrt. Verstellung und Täuschung sind notwendig anomal und können nur als Abweichungen von der Regel erklärt und verstanden werden; und deswegen ist es wichtig, daß der Theoretiker sich zuallererst auf die gewöhnlichen, unkomplizierten geistigen Vorgänge konzentriert und sie erklärt. Erläuternde
Texte
Einige Stellen aus dem ersten Buch von De anima können zur Erläuterung mancher der eben vorgetragenen Bemerkungen dienen. In diesem Buch geht es Aristoteles hauptsächlich darum, seine Vorgänger und besonders den Dualismus — die Vorstellung der Seele als einer Art dem Körper einwohnenden Dinges (,Substanz') — zu kritisieren. Aristoteles besteht darauf, daß die psychischen Vermögen, mit nur einer besonderen Ausnahme, Vermögen von und in Körpern sind, und daß es der beseelte (d. h. lebende) Körper ist — der Mensch oder das Tier oder die Pflanze - , der sich ernährt, der wahrnimmt, der begehrt, der sich fortbewegt. Von der Seele zu reden heißt von ,etwas hinsichtlich' der Pflanze oder des Tieres zu reden, von einem Tier oder einer Pflanze qua Lebendigem, und nicht von irgendeinem Ding in einer Pflanze oder einem Tier.
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Die Philosophie des Geistes Es ergibt sich eine Schwierigkeit auch mit den Affektionen der Seele: Gehören sie alle gemeinsam auch dem, das die Seele hat, oder gibt es solche, die nur der Seele selbst eigentümlich sind? Dies zu erfassen, ist notwendig, aber nicht leicht. Es scheint, d a ß in den meisten Fällen die Seele nichts ohne den Körper erleidet oder tut, wie z.B. sich zu ärgern, guten Mutes zu sein, zu begehren und ü b e r h a u p t wahrzunehmen. Am ehesten scheint das Denken etwas der Seele Eigentümliches zu sein [da am Denken keine eindeutigen körperlichen Vorgänge beteiligt sind]. Aber wenn auch dies eine Art Vorstellung oder nicht ohne Vorstellung möglich ist, kann auch dies nicht ohne den Körper sein [weil die Vorstellung auf früherer Sinneswahrnehmung beruht, die Sinneswahrnehmung aber nicht ohne den Körper möglich ist].
Wenn nun eine der Tätigkeiten oder Affektionen der Seele ihr eigentümlich ist, wäre es möglich, daß die Seele vom Körper getrennt existiert. Wenn es aber nichts der Seele Eigentümliches gibt, wäre sie nicht abtrennbar, sondern so wie das, was gerade ist, insofern es gerade ist [qua gerade], viele Eigenschaften hat, wie ζ. B. daß es die bronzene Kugel in einem Punkte berührt; es kann aber das Geradesein nicht abgetrennt etwas auf diese Weise berühren. Denn es ist unabtrennbar, da es immer mit einem Körper zusammen ist. [Was ein gerades Lineal qua gerade tun kann, ist wie das, was ein lebender Körper qua lebend tun kann. Weder das Geradesein des Lineals noch das Leben der Pflanze oder des Tieres sind etwas Abgetrenntes]. Es scheint, d a ß auch alle Affektionen der Seele die M i t w i r k u n g des Körpers voraussetzen - Z o r n , Ruhe, Furcht, Mitleid, M u t , auch Freude und Lieben und Hassen. Denn gleichzeitig mit diesen erleidet auch der Körper etwas. Dies zeigt sich darin, daß manchmal starke und deutliche Eindrücke v o r k o m m e n , ohne d a ß man sich aufregt oder fürchtet, und daß man manchmal durch geringe oder schwache Eindrücke bewegt wird — wenn der Körper erregt ist und in einem ähnlichen Z u s t a n d ist, wie wenn man zornig i s t . . . Auch wenn nichts Furchterregendes vorliegt, k o m m t es vor, daß m a n die Affektionen dessen hat, der sich fürchtet. De anima I.1.403a3 Angesichts dieser Verwicklung des Körpers in die ,Affektionen der
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Seele' wird der Psychologe das, was wir eine psychophysikalische Erklärung der von ihm untersuchten Tätigkeiten und Vermögen nennen w ü r d e n , liefern müssen, wie auch der Naturforscher, wie wir oben gesehen haben, sich im allgemeinen sowohl mit der Form als auch mit dem Stoff befassen muß. Also müssen die Definitionen von folgender Art sein: „ Z o r n ist eine Veränderung eines solchen Körpers oder Teiles oder Vermögens des Körpers durch etwas und mit dieser Zielrichtung." . . . Der N a t u r f o r s c h e r und der Dialektiker werden jede von diesen Affektionen der Seele auf verschiedene Weise definieren, wie ζ. B. was Z o r n ist: Der eine wird sagen, er sei das Streben nach Vergeltung oder etwas derartiges; der andere, es sei das Sieden des Blutes und des heißen Stoffs in der Herzgegend. Der eine von ihnen gibt den Stoff an, der andere die Form und die Wesensbestimmung [/ogos]. Denn diese ist die Wesensbestimm u n g der Sache, aber sie m u ß in einem bestimmten Stoff sein, wenn sie existieren soll. So ist die Wesensbestimmung eines Hauses eine solche: d a ß es ein Schutz sei, der Schädigung durch Wind, Regen oder Hitze verhütet. Einer mag sagen, es sei Steine und Ziegel und Holz, und ein anderer, es sei die Form in ihnen für diesen oder jenen Zweck. [Der letztere wird es als eine bestimmte Struktur definieren, die einem bestimmten Zweck dienen soll.] Welcher von diesen ist also der Naturwissenschaftler? Der, der sich nur mit dem Stoff abgibt und die Wesensbestimmung nicht kennt? Oder der, der sich nur mit der Wesensbestimmung befaßt? Oder ist es nicht vielmehr der, der beide zusammenfaßt? De anima I.1.403a25 Aristoteles kritisiert die Leichtfertigkeit, mit der Philosophen darüber reden, d a ß Seelen in Körpern seien, ohne daß sie der Tatsache Rechnung tragen, daß die verschiedenen Vermögen und Tätigkeiten der Seele — des Lebens — die geeigneten körperlichen Organe benötigen. Eine gegebene Lebensform erfordert eine gewisse bestimmte Körperart. M a n kann seine Fähigkeit im Maschineschreiben nicht ausüben, wenn man keine Schreibmaschine hat, und das Sehvermögen kann man nur mit Hilfe von Augen ausüben. Die meisten Theorien über die Seele haben folgende Ungereimtheit: Sie verbinden die Seele mit dem Körper — sie setzen sie in
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Wir reden in der Tat oft so, als ob die Seele eine Art Ding wäre, das selbst Veränderungen durchmacht und etwas tut. In Wirklichkeit aber ist es die Person oder das Tier — der lebende Körper —, das Veränderungen durchmacht und etwas tut. Wir sagen, daß die Seele betrübt sei oder sich freue, M u t habe oder sich fürchte, auch daß sie in Zorn gerate oder wahrnehme oder nachdenke. Und all dies scheinen Veränderungen zu sein. Daher könnte einer meinen, daß die Seele selbst verändert werde. Das ist aber nicht notwendig so. Wir können zwar durchaus zugeben, daß das Betrübtsein oder Sich-Freuen oder Nachdenken Veränderungen sind (daß jedes von ihnen ein ,Verändertwerden' ist), und daß die Veränderung von der Seele ausgeht. (Wir können z. B. annehmen, daß das In-Zorn-Geraten oder Sich-Fürchten das Verändertwerden des Herzens in einer bestimmten Weise ist, und daß das Nachdenken vielleicht eine Veränderung in diesem ist, oder in einem anderen Teil Von welcher Art und wie die Veränderungen sind, ist jetzt irrelevant.) Aber zu sagen, daß die Seele in Zorn gerate, ist wie wenn einer sagen würde, daß es die Seele ist, die ein Netz webe oder Häuser baue. Denn es ist wohl besser, nicht zu sagen, daß die Seele Mitleid fühle oder lerne oder nachdenke, sondern daß der Mensch es mit der Seele tut. Hiermit ist nicht gesagt, daß die Veränderung in ihr sei, sondern daß sie manchmal bis zur Seele
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reicht, und m a n c h m a l v o n ihr ausgeht. D i e W a h r n e h m u n g ζ. B. geht von b e s t i m m t e n G e g e n s t ä n d e n bis zur Seele, die Erinnerung a b e r von der Seele bis zu den B e w e g u n g e n o d e r Spuren in den S i n n e s o r g a n e n .
De anima
I.4.408bl
In den beiden o b e n a n g e f ü h r t e n Auszügen h a t Aristoteles gesagt, d a ß eine Seele ihren K ö r p e r benutze
und d a ß ein M e n s c h gewisse
D i n g e mit seiner Seele tue. Diese B e m e r k u n g e n bedürfen beide der Auslegung. D i e Seele benutzt den K ö r p e r , nicht wie ein H a n d w e r k e r seine W e r k z e u g e benutzt, sondern wie eine Kunst (z. B. die Zimmermannskunst)
sozusagen
Werkzeuge
benutzt, indem
sie
n o t w e n d i g e r w e i s e durch die B e w e g u n g der Werkzeuge ausgeübt und entfaltet wird. D i e für L e b e w e s e n charakteristischen V e r m ö gen w e r d e n durch die Bewegungen ihrer K ö r p e r ausgeübt und entfaltet. U n d genau wie die Werkzeuge um der Kunst oder der F ä h i g k e i t willen da sind, und nicht u m g e k e h r t , so sind auch die k ö r p e r l i c h e n O r g a n e um ihrer Funktionen willen da, und nicht u m g e k e h r t : Augen sind zum Sehen da. D e r andere A u s d r u c k , ,Ein M e n s c h tut etwas mit seiner Seele', ist auch nicht a n a l o g zu ,Ein H a n d w e r k e r tut etwas mit seinen W e r k z e u g e n ' , sondern viel eher zu ,Ein H a n d w e r k e r tut etwas mit seiner gelernten F ä h i g k e i t ' . N u r kraft seines Lebendigseins, seines Besitzens der E r n ä h r u n g s - und B e g e h r u n g s v e r m ö g e n , k a n n ein T i e r begehren oder sich e r n ä h r e n ; mit anderen W o r t e n , ein T i e r ernährt sich und begehrt ,mit seiner Seele'. D a ß Z o r n und S i n n e s w a h r n e h m u n g physikalische Aspekte h a b e n , ist ziemlich offensichtlich. A b e r wie steht es mit dem
Denken?
Aristoteles g l a u b t , d a ß g e w ö h n l i c h e s , alltägliches D e n k e n die Verw e n d u n g von Bildern, die selbst psvchophysische P h ä n o m e n e sind, mit sich bringe, und d a ß solches D e n k e n also der Seele und dem Körper
gemeinsam'
sei. E r läßt
D e n k e n s , eines Intellekts (nous)
aber die M ö g l i c h k e i t
reinen
zu, der die reinen F o r m e n sofort
und o h n e Hilfe der geistigen Bilder erfassen k a n n . Ein solcher Intellekt, meint er, könnte
vom Körper vollkommen ,abtrennbar'
sein. Diese B e h a u p t u n g k a n n m a n auf zwei verschiedene Weisen auffassen. M a n k a n n sie einfach als die B e h a u p t u n g verstehen, d a ß ein M e n s c h über a b s t r a k t e T h e m e n n a c h d e n k e n k ö n n t e , o h n e irgendwelche d a m i t v e r b u n d e n e n körperlichen Veränderungen zu erlei-
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den. M a n kann sie aber auch als die viel stärkere Behauptung verstehen, daß solches Denken vorkommen könnte, ohne daß der Denker überhaupt einen Körper hat; und letzteres scheint das zu sein, was Aristoteles meint. Die Vorstellung von einem reinen Intellekt, der im buchstäblichen Sinne vom Körper abtrennbar ist, ist schwer zu verstehen, und auch schwer mit den übrigen Teilen der aristotelischen Philosophie des Geistes in Einklang zu bringen. Sie ist nicht nur in De anima zu finden, sondern auch in der Metaphysik (wo, wie wir sehen werden, Gott als reines Denken identifiziert wird) und in der Abhandlung über die Erzeugung der Tiere: Es ist klar, daß diejenigen Prinzipien, deren Tätigkeit körperlich ist, unmöglich ohne einen Körper bestehen können, so wie man nicht ohne Füße gehen kann. Also können sie [solche Vermögen wie das der Ernährung oder das der Wahrnehmung ] nicht von außen in den Körper e i n t r e t e n . . . sie können nicht abgetrennt existieren . . . Übrig bleibt also, daß nur der Intellekt [nous] von außen eintritt und er allein göttlich ist. Denn mit seiner Tätigkeit ist keine körperliche Tätigkeit verbunden. De generatione
animalium
II.3.736b22
Sinneswahrnehmung und andere Vermögen Wir werden im nächsten Abschnitt zum allgemeinen Leib-SeeleProblem zurückkehren und werden die Definition der Seele betrachten, die Aristoteles am Anfang des zweiten Buches von De anima gibt. Es wird aber nützlich sein, vorher einige seiner Ansichten über einzelne psychische Vermögen und über ihre Zusammenhänge untereinander zu skizzieren. Pflanzen stellen die niedrigste und einfachste Form des Lebens dar; sie haben nur ,vegetative Seelen'. Sie können Nahrung zu sich nehmen, wachsen und Samen erzeugen, aus denen sich neue Pflanzen entwickeln. Auch Tiere haben das Ernährungs- und das Zeugungsvermögen, aber sie unterscheiden sich von den Pflanzen dadurch, daß sie auch Sinneswahrnehmung haben. Zusammen mit der Sinneswahrnehmung treten auch Vorstellung (schwächer gewordene Wahrnehmung), Begehren (durch Wahrnehmung oder Vorstellung angeregt) und Bewegung (durch Begehren verursacht)
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auf. Diese Vermögen hängen miteinander zusammen, und dieser Z u s a m m e n h a n g ist ein begrifflicher. M a n könnte z.B. nicht erklären, was Begehren ist, ohne sowohl den Gedanken eines Gegenstands des Begehrens, also etwas, das wahrgenommen wird oder zumindest vorgestellt wird, als auch den Gedanken des Strebens nach diesem Gegenstand einzuführen. Aristoteles betont diesen Punkt mit N a c h d r u c k : ,Begehren — aktives Begehren - ist dasselbe wie Verfolgen [oder Vermeiden], die Vermögen des Begehrens und des Verfolgens [oder des Vermeidens] unterscheiden sich weder voneinander noch von dem Vermögen der Wahrnehmung. Aber ihr Sein ist nicht dasselbe [zur Erläuterung dieses Ausdrucks siehe die Seiten 19f. und 61].' Die fraglichen Vermögen sind nicht eigentlich voneinander abtrennbar, sondern können nur gedanklich unterschieden werden. Von Begehren ζ. B. zu reden, heißt, von einem Aspekt eines Gesamtzusammenhangs zu reden, der notwendigerweise andere Aspekte enthält: das Erkennen eines Gegenstands des Begehrens durch W a h r n e h m u n g oder durch die Einbildungskraft und die Tendenz, danach zu streben. Neben diesem begrifflichen Z u s a m m e n h a n g der Vermögen der Tiere gibt es auch einen teleologischen Z u s a m m e n h a n g , den Aristoteles oft betont. Nicht nur könnte es kein Begehren geben ohne die Wahrnehmung, die den Gegenstand des Begehrens liefert, sondern es hätte auch keinen Sinn, das Vermögen der Wahrnehm u n g zu haben, wenn man nicht auch das Vermögen des Begehrens hätte. Und das Begehren wiederum wäre sinnlos, wenn das Tier nicht nach dem, was es begehrt, streben könnte. Diese Vermögen arbeiten alle zusammen, um es dem Tier zu ermöglichen, in einer gefährlichen Welt zu überleben, auf seine Umwelt zu reagieren, die N a h r u n g zu suchen, die es am Leben erhält (und die es angenehm findet), und das zu vermeiden, was ihm Schaden zufügt oder weh tut. Es wäre für ein Wesen nutzlos und infolgedessen unnatürlich, drohende Gefahren erkennen zu können, wenn es keine Mittel besäße, sie zu vermeiden; und es wäre sinnlos, die Mittel zur Bewegung zu haben, ohne die Merkmale seiner Umwelt unterscheiden zu können. Hier ein kurzer Abschnitt, der den Ansatz des Aristoteles erläutert. Ein Tier m u ß Sinneswahrnehmung haben und kein Tier kann ohne dieses Vermögen existieren, wenn die N a t u r nichts um-
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sonst tut. Denn alle Naturgegenstände sind für etwas (oder werden zufällige Begleiterscheinungen von Sachen sein, die für etwas sind). Jeder Körper, der sich fortbewegen kann, würde, wenn er keine Sinneswahrnehmung hätte, zerstört werden und sein Ziel, worin seine natürliche Aufgabe liegt, nicht erreichen. Denn wie könnte er sich ernähren? . . . E s gibt also keinen beseelten Körper, der sich fortbewegen kann, aber keine Sinneswahrnehmung hat. De anima I I I . 1 2 . 4 3 4 a 3 0 In der folgenden Stelle aus seiner Monographie über die Sinneswahrnehmung trifft Aristoteles einige Feststellungen über die Rolle der verschiedenen einzelnen Sinne und ihr Verhältnis zueinander. Hinsichtlich der verschiedenen einzelnen Sinne nun besitzt jedes Tier notwendigerweise Tastsinn und Geschmack, Tastsinn aus den in De anima erwähnten Gründen [,da ein Tier ein lebender Körper ist, und jeder Körper berührbar ist, muß der Körper eines Tieres Tastsinn haben, wenn das Tier überleben s o l l . . . Wenn es keinen Tastsinn hat, wird es nicht, wenn es berührt wird, einige Dinge meiden und andere ergreifen können.'], Geschmack wegen der Ernährung. Denn mit ihm [dem Geschmack] unterscheidet es das Angenehme und das Unangenehme in der Nahrung, damit es das eine vermeiden und das andere aufsuchen kann . . . Die auf äußerer Vermittlung beruhenden Sinne - z. B. Riechen, Hören, Sehen - sind den Tieren eigentümlich, die sich bewegen können. In allen, die sie haben, sind die Sinne zu ihrer Erhaltung da - damit sie im voraus wahrnehmen können, um der Nahrung nachzugehen und das Schlechte und Verderbliche zu meiden; aber bei denen, denen auch Verstand zuteil geworden ist, sind die Sinne [nicht nur für ihr Sein da, sondern auch] für ihr WohlSein. Die Sinne unterrichten sie von vielen Unterschieden, und aus diesen entwickeln sich sowohl der theoretische als auch der praktische Verstand. Unter den Sinnen ist das Sehen hinsichtlich der Lebensnotwendigkeit an sich wichtiger, hinsichtlich des Wissens ist aber zufällig das Hören wichtiger. Denn das Vermögen des Sehens unterrichtet über viele und vielerlei Unterschiede, da alle Körper
S i n n e s w a h r n e h m u n g und andere Vermögen
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Farbe haben — so daß die ,gemeinen w a h r n e h m b a r e n M e r k m a le' (Größe, Gestalt, Bewegung, Anzahl) hauptsächlich durch diesen Sinn w a h r g e n o m m e n werden. Das Hören unterrichtet aber nur über die Unterschiede der Geräusche, und bei wenigen Tieren auch über die der Stimme. Durch Zufall aber trägt das H ö r e n am meisten zur Intelligenz bei. Denn das vernünftige Reden, das h ö r b a r ist, ermöglicht das Lernen, nicht an sich, sondern durch Zufall: es ist aus Wörtern zusammengesetzt, und jedes Wort ist ein Symbol. Deswegen sind unter denen, denen seit ihrer Geburt einer von diesen beiden Sinnen fehlt, die Blinden intelligenter als die Taubstummen. De sensu 1 . 4 3 6 b l 2 Genau wie die Wahrnehmungsvermögen usw. eines Tieres seine Ernährungs- und Erzeugungstätigkeiten beeinflussen, indem sie Möglichkeiten und Komplexitäten einführen, zu denen Pflanzen nicht fähig sind, so hat auch das Denkvermögen des Menschen einen tiefen Einfluß auf die Art und Weise, in der Wahrnehmung und Begehren in ihm funktionieren. Er kann das, was er wahrnimmt, ausdrücken und beschreiben, er kann langfristige Wünsche formulieren und anderen mitteilen und kann Methoden ausarbeiten, um sie zu verwirklichen, er kann gesellschaftliche Einrichtungen und Institutionen entwickeln, die von Regeln und Vorstellungen abhängig sind, die nur dem Sprachbenutzter verständlich sind. Er ist also in einer viel besseren Lage, mit seiner Umwelt fertig zu werden und zu überleben, während seine Lebensweise auch bunter, reicher, ,höher' ist als die der Lebewesen, denen das Vermögen zu denken fehlt. Die W a h r n e h m u n g kann man zweifellos um ihrer selbst willen genießen, auch da, w o es um kein praktisches Problem geht. Noch viel mehr gilt das für das Denken. Das Bedürfnis nach Wissen geht weit über das Begehren hinaus, das zu wissen, was von praktischer Bedeutung ist oder sein könnte. Hier, bei dem theoretischen' Denken und der dadurch erlangten Erkenntnis, erreichen wir die höchste Tätigkeit, zu der ein Lebewesen fähig ist - eine Tätigkeit, die körperliche Prozesse und Bedürfnisse nicht mehr zu erfordern oder nach sich zu ziehen scheint. Es ist leider nicht möglich, Aristoteles' Erörterungen sämtlicher Vermögen und Tätigkeiten der Lebewesen zu untersuchen. Als Beispiel will ich die Hauptzüge seiner Wahrnehmungstheorie dar-
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legen. Ich hoffe, daß ich genug sagen werde, um die besondere Qualität der aristotelischen Behandlung dieses Themas deutlich zu machen, und um zu zeigen, wie nahe sie einigen heute vorherrschenden Behandlungsweisen steht. Es folgt ein kurzer Abschnitt, in dem er seine Ansicht zusammenfaßt, daß die Wahrnehmung ,ein Aufnehmen der Form ohne den Stoff' ist, und der auch eine eindrucksvolle Bemerkung über das Verhältnis der körperlichen Organe zu den psychischen Vermögen enthält. Hinsichtlich der Sinneswahrnehmung im allgemeinen muß man sich klarmachen, daß das Wahrnehmungsvermögen die Fähigkeit ist, wahrnehmbare Formen ohne den Stoff aufzunehmen, wie der Wachs das eiserne oder goldene Zeichen des Siegelringes aufnimmt: er nimmt den Abdruck des goldenen oder bronzenen Zeichens auf, aber nicht qua Gold oder Bronze. Ähnlich wird auch durch das, was Farbe oder Geschmack oder Schall hat, auf die Wahrnehmung von etwas eingewirkt, aber nicht insofern es diese bestimmte Sache genannt wird, sondern insofern es von einer bestimmten Qualität ist, d.h. kraft seiner charakteristischen Eigenschaften. Es ist das Hauptsinnesorgan, in dem dieses Vermögen sitzt. Faktisch ist es dasselbe [wie das Vermögen], aber sein Sein [was es ist] ist ein anderes. Denn das Wahrnehmende muß wohl etwas Ausgedehntes sein, aber es ist klar, daß die Fähigkeit wahrzunehmen, das Wahrnehmungsvermögen, nicht ausgedehnt, sondern so etwas wie das Wesen ist, das Vermögen des Organs. De anima II.12.424al7 Was kann Aristoteles meinen, wenn er sagt, das Wahrnehmungsvermögen sei das Vermögen, die Form ohne den Stoff aufzunehmen? Er will sicherlich nicht behaupten, daß die Sinneswahrnehmung eine Art Telepathie sei, da er ja immer darauf besteht, daß physikalische und physiologische Prozesse für sie wesentlich sind. Aber seine These wird wohl kaum die sein, daß wenn ich einen Apfel sehe, kein Stückchen des Apfels in mein Auge hineinkommt. Wäre das der wesentliche Punkt, dann müßte man zugeben, daß Spiegel Äpfel sehen können, da ein Spiegel sicherlich Eigenschaften des von ihm widergespiegelten Apfels annimmt, ohne daß irgendein Stückchen des Apfels in ihn hineingeht. Vielleicht ist Aristoteles' Ansicht, daß die Wahrnehmung von etwas Bewußtsein von ihm ist, und daß Bewußtsein ein nicht-physikalisches Ereignis ist,
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das am Ende einer Kette physikalischer und physiologischer Prozesse stattfindet. Aber für diese Interpretation gibt es nur wenige direkte Belege. Um der Intention des Aristoteles näherzukommen, werden wir kurz seine Darstellung der Wahrnehmungsprozesse und -zwecke betrachten. Aristoteles nimmt an, daß Veränderungen irgendeiner Art durch ein Medium — im Fall des Sehens, des Hörens und des Riechens sind es Luft oder Wasser - zu unseren Sinnesorganen getragen werden, und daß sie dann an das Zentrum weitergegeben werden: ,ob dieses Zentrum das Herz ist oder ob es das Gehirn ist, ist nicht von Bedeutung'. Dieses Zentrum selbst ist genaugenommen das primäre Sinnesorgan. (Daß das Sehen nicht nur eine Sache des guten Funktionierens des Auges ist, zeigt sich darin, daß Verletzungen hinter dem Auge eine Person ihres Sehvermögens berauben können). Der genaue Charakter der Veränderungen, die Aristoteles zufolge stattfinden, ist nicht klar. Die ausführlichsten Erörterungen hierüber macht er im Zusammenhang mit dem Sehen; aber seine Darstellung der Übertragung der Farbe von den äußeren Gegenständen zum Auge ist sehr schwer zu verstehen. Von den Veränderungen im Innern des Körpers wird manchmal so geredet, als seien sie Bewegungen des Blutes, manchmal so, als seien sie Bewegungen, die im Blut transportiert werden, und manchmal so, als seien sie qualitative Veränderungen. Die wirklichen Tatsachen stehen ohne Zweifel völlig außerhalb des Gesichtskreises des Aristoteles. Die zwei wesentlichen Feststellungen, die er trifft, sind folgende: daß es bei der Sinneswahrnehmung eine physikalische und physiologische Kausalkette zwischen dem Gegenstand und dem primären Sinnesorgan geben, und daß die Veränderung am Ende dieser Kette den Veränderungen der früheren Stadien und des Anfangs ähnlich sein oder in irgendeiner Weise entsprechen müsse. Diese zweite Bedingung soll offensichtlich zu erklären helfen, warum das Ergebnis des mit dem Sehen eines blauen Dreiecks verbundenen Prozesses eben das Sehen eines blauen Dreiecks ist. Sie ist eine Bedingung, die man grob deuten oder der man eine ziemlich differenzierte Auslegung geben kann. Das wird davon abhängen, was für eine Ähnlichkeit oder Entsprechung man für notwendig hält. Die elektrischen Impulse, die durch eine Telefonleitung getragen werden, sind den hörbaren Lauten, die sie vermit-
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Die Philosophie des Geistes
teln, kaum ähnlich, aber trotzdem entsprechen solche Impulse auf bestimmte Weise diesen Lauten. Ebenso kann es vorkommen, daß Ubersetzungen und verschlüsselte Nachrichten überhaupt nicht wie ihre Originale aussehen, aber sie können den gleichen Inhalt enthalten. Eine Reihe von Morsepunkten und -strichen sagt dasselbe wie ein deutscher Satz, und die einzelnen Stückchen der Reihe entsprechen den einzelnen Stückchen des Satzes. Uns ist die Vorstellung heutzutage vertraut, daß bei der Sinneswahrnehmung die Veränderungen, die durch das Nervensystem zum Gehirn laufen, in einer Art verschlüsselten Form die Eigenschaften der wahrgenommenen Gegenstände mitteilen, Nachrichten, die das Gehirn dann entschlüsselt. Man kann dies als eine verfeinerte Fassung der aristotelischen Darstellung betrachten. Um die Einbildungskraft, das Gedächtnis und die Träume zu erklären, nimmt Aristoteles an, daß die Bewegungen, die bei der Sinneswahrnehmung das Herz erreichen, in dieser Körperregion fortbestehen. Sie sind physikalische Spuren, die meistens versunken, wirkungslos, unbemerkt bleiben, aber unter geeigneten Bedingungen reaktiviert werden (oder an die Oberfläche kommen, um eine aristotelische Metapher zu benutzen); sie erscheinen uns dann als Bilder. Es wird von anderen Faktoren - von der Natur des Stimulus, dem Zustand und den Meinungen der Person - abhängen, ob das Besitzen eines solchen Bildes (auch) ein Fall von Erinnerung ist oder ein Fall von Träumen. Der Hauptpunkt ist, daß die Einbildungskraft und das Gedächtnis ohne einige Annahmen über physikalische Spuren nicht erklärt werden können. Wie diese genau aussehen mögen (elektrisch? chemisch?) und wo sie genau sein mögen (im Herzen oder im Gehirn), sind zwar wichtige, aber zweitrangige Fragen. Dem Philosophen geht es zuerst und im wesentlichen darum, daß es irgendwelche Spuren dieser Art geben muß, die reaktiviert werden können. Denn so viel implizieren selbst schon die Begriffe der Einbildungskraft und des Gedächtnisses, auch wenn uns die tatsächlichen Speicherungs- und Wiedergewinnungsprozesse vielleicht völlig unbekannt sind. Wenn ein Tier urteilsfähig auf seine Umwelt reagieren soll, sich so bewegen soll, daß es Nahrung aufnehmen und Schaden vermeiden kann (das ist Sinn und Zweck der Sinneswahrnehmung), müssen Auskünfte über seine Umwelt an ein einheitliches Zentrum über-
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mittelt werden, das den ,Input' der verschiedenen Sinne empfangen und koordinieren und die notwendigen Reaktionsbewegungen in Gang setzen kann. Aristoteles argumentiert überzeugend dafür, daß schon der Begriff eines Tieres - ein einzelner, unabhängiger, beweglicher Organismus - voraussetzt, daß es ein solches einziges Zentrum gibt (er glaubt, es sei das Herz), an dem alle Wahrnehmungsketten enden und alle Reaktionsketten beginnen. Er behauptet natürlich nicht, daß es das Herz sei, das den Apfel wahrnimmt oder von ihm angezogen wird. Das Tier ist das Subjekt der Wahrnehmung - aber es nimmt wahr, weil es sowohl ein Herz besitzt als auch die komplexe physische Ausrüstung, die es braucht, wenn das Herz funktionieren soll, wenn es Informationen über die Umwelt empfangen und Bewegungen des Tieres in Gang setzen soll. Die Merkmale der äußeren Gegenstände werden durch physikalische und physiologische Prozesse einem Zentrum im Tierkörper mitgeteilt, von dem die Reaktionsbewegungen ausgehen, Bewegungen, die darauf abzielen, das, was für das Tier gut ist, ihm zu verschaffen, und das, was ihm schadet, zu vermeiden. Dies ist sicherlich ein erheblicher Teil der aristotelischen Auffassungen der Sinneswahrnehmung, und es ist leicht zu sehen, warum er nicht sagen würde, daß ein Spiegel den von ihm widergespiegelten Apfel wahrnimmt, oder gar, daß ein Magnet die von ihm angezogenen Eisenfeilspäne wahrnimmt. Können wir aus der oben umrissenen Auffassung auch einen Anhaltspunkt zur Auslegung seiner Behauptung gewinnen, daß das Wahrnehmen das Empfangen der Form ohne den Stoff sei? Die Bewegung, die bei der Wahrnehmung das Herz erreicht, transportiert die Beschaffenheit (die Form) des äußeren Dinges, nicht das Ding selbst. Seine Beschaffenheit wird in dem Sinne empfangen, daß sie ein Zentrum erreicht, von dem Reaktionen ausgehen, die als Bewegungen zu erklären sind, die das Ding wegen dieser seiner Beschaffenheit entweder ergreifen oder meiden sollen. Man könnte sagen, daß das Tier die Merkmale seiner Umwelt in sich aufnimmt-, denn es reagiert auf sie in Weisen, die wir teleologisch verstehen können, fast so, als ob es Intelligenz besäße und verstehen könnte, was für es gut ist. Ein Spiegel nimmt die von ihm angenommenen Merkmale nicht (in diesem Sinne) in sich auf.
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Die Philosophie des Geistes
Aristoteles legt in seiner durch und durch biologischen Darstellung der Wahrnehmung und ihres notwendigen Zusammenhangs mit Begehren und Bewegung kein Gewicht auf private Bewußtseinsakte. Für jeden, der solche Bewußtseinsakte geradezu für das Wesen der Sinneswahrnehmung hält, muß die aristotelische Darstellung bis zur Lächerlichkeit inadäquat erscheinen. Wenn man aber erkennt, daß Tiere, sogar sehr primitive Tiere, wahrnehmen können, dann scheint seine Erklärung vielleicht doch das Wesentliche erfaßt zu haben. Man sollte ihn nicht so verstehen, als würde er die Tiere in bloße Maschinen verwandeln, nur weil er ihnen keine privaten Bewußtseinsakte zuschreibt. Tiere unterscheiden sich von Maschinen durch ihre komplexen Fähigkeiten — und sie sind deswegen bewundernswert — nicht durch das Vorkommen von privaten Bewußtseinsakten in ihnen. Nicht daß Aristoteles' Darstellung private Bewußtseinsakte ausschließen müßte. Er könnte durchaus zulassen, daß im Fall der Menschen (und mancher der anderen ,höheren' Tiere) die Prozesse, die die grundlegende Sinneswahrnehmung ausmachen, durch einen weiteren Prozeß bereichert werden, der das Bewußtsein der grundlegenden Sinneswahrnehmung ausmacht. Im zweiten Abschnitt des oben zitierten Textes identifiziert Aristoteles das primäre Sinnesorgan mit dem Wahrnehmungsvermögen, d. h. mit der ,wahrnehmenden Seele'. Wie kann ein Organ des Körpers (oder, noch allgemeiner, der Körper) mit der wahrnehmenden Seele (oder, noch allgemeiner, der Seele) identisch sein? Aristoteles gibt zu, daß ,ihr Sein sich unterscheidet': Der Körper zu sein und die Seele zu sein sind nicht dasselbe, obwohl ein und dasselbe Ding sowohl Körper als auch Seele ist. Dieser dunkle Ausspruch führt zum Thema des nächsten Abschnitts. Aristoteles' Erklärung der Seele In diesem Abschnitt werde ich eine Ubersetzung des ersten Kapitels von De anima II vorlegen. Die sehr allgemein gehaltene Darstellung der Seele, die Aristoteles hier vorlegt, ist schwierig. Er benutzt in ihr Begriffe, die er an anderen Stellen, einschließlich der oben referierten Bücher der Physik, ausführlicher entwickelt hat. Ich werde versuchen, dem Leser durch eine ziemlich freigiebige Verwendung von Zwischenbemerkungen beizustehen.
Aristoteles' Erklärung der Seele
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S o v i e l für d a s , w a s u n s e r e V o r g ä n g e r ü b e r die Seele g e l e h r t haben. Fangen wir nun gleichsam von vorne an und versuchen w i r zu b e s t i m m e n , w a s die Seele ist, d. h . w a s die a l l g e m e i n s t e B e g r i f f s b e s t i m m u n g v o n i h r sein k ö n n t e . W i r r e d e n v o n d e r S u b s t a n z [ousia] als v o n e i n e r b e s t i m m t e n G a t t u n g d e s s e n , w a s es g i b t , u n d m e i n e n d a m i t (i) den S t o f f , d a s , w a s n i c h t a n s i c h ein , D i e s ' ist [ M a t e r i a l , n i c h t ein individuelles D i n g i r g e n d e i n e r b e s t i m m t e n S o r t e ; ζ. B . H o l z ] ; u n d (ii) die G e s t a l t o d e r F o r m , d a s , k r a f t dessen e t w a s ein , D i e s ' g e n a n n t w i r d [die G e s t a l t o d e r S t r u k t u r , k r a f t d e r e n i r g e n d e i n M a t e r i a l , w i e ζ. B . H o l z , zu e i n e m b e s t i m m t e n D i n g w i r d , w i e ζ. B . zu e i n e m T i s c h ] ; u n d d r i t t e n s (iii) das a u s diesen [ S t o f f u n d F o r m ] Z u s a m m e n g e s e t z t e [ z . B . ein h ö l z e r n e r T i s c h ] , N u n ist d e r S t o f f P o t e n t i a l i t ä t , die F o r m a b e r ist W i r k l i c h k e i t , u n d das a u f z w e i e r lei W e i s e : e i n e r s e i t s (a) w i e d a s W i s s e n , a n d e r e r s e i t s (b) w i e die A u s ü b u n g des W i s s e n s . [ B a u h o l z ist n u r p o t e n t i e l l ein T i s c h ; w e n n es G e s t a l t u n d S t r u k t u r e r h ä l t , w i r d es w i r k l i c h ein T i s c h , o b w o h l es n o c h n i c h t als T i s c h b e n u t z t w i r d ; w e n n es b e n u t z t w i r d , h a t es sein P o t e n t i a l völlig v e r w i r k l i c h t .
Das Kind
ist
p o t e n t i e l l ein M a t h e m a t i k e r , es h a t die F ä h i g k e i t , W i s s e n zu erwerben;
nach
der A u s b i l d u n g
ist es ein M a t h e m a t i k e r ,
es
b e s i t z t W i s s e n ; w e n n es d a n n M a t h e m a t i k b e t r e i b t , ü b t es das W i s s e n a u s . In b e i d e n B e i s p i e l e n ist d e r e r s t e S p r u n g der v o n der P o t e n t i a l i t ä t zur , e r s t e n W i r k l i c h k e i t ' , der z w e i t e S p r u n g der v o n d e r e r s t e n zur z w e i t e n W i r k l i c h k e i t . ]
De anima
II.1.412a3
A r i s t o t e l e s w e n d e t n u n diese B e g r i f f e a u f den b e s o n d e r e n Fall des l e b e n d e n K ö r p e r s a n . D i e S e e l e ist e i n e S u b s t a n z i m S i n n e von (ii), a l s o
Form-,
(a), a l s o erste
und
sie
ist F o r m
oder Wirklichkeit
des
Typs
Wirklichkeit.
E s sind in e r s t e r L i n i e die K ö r p e r , die für S u b s t a n z e n g e h a l t e n w e r d e n , u n d u n t e r i h n e n b e s o n d e r s die n a t ü r l i c h e n K ö r p e r , da sie die B a s i s d e r a n d e r e n sind. U n t e r den n a t ü r l i c h e n
Körpern
besitzen
„Leben"
einige
Leben,
andere
dagegen
nicht.
Mit
m e i n e n w i r E r n ä h r u n g d u r c h sich s e l b s t u n d W a c h s t u m
(und
e n t s p r e c h e n d e n V e r f a l l ) . A l s o m u ß j e d e r n a t ü r l i c h e K ö r p e r , der L e b e n h a t , e i n e S u b s t a n z sein, u n d z w a r S u b s t a n z als Z u s a m m e n g e s e t z t e s [ d . h . S u b s t a n z im S i n n e v o n (iii) o b e n ] .
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Die Philosophie des Geistes
Aber weil er auch ein Körper einer bestimmten Art ist - nämlich einer, der Leben hat - , kann der Körper nicht schon selbst Seele [d.h. Leben] sein, denn der Körper wird nicht einem Subjekt zugeschrieben, sondern viel eher dient er selbst als Subjekt und Stoff [,Der Körper hat Leben' ist wie ,Das Bauholz hat Gestalt']. Die Seele muß also Substanz sein, und zwar als die Form eines natürlichen Körpers, der potentiell Leben hat. Aber die Substanz ist Wirklichkeit, und die Seele ist also die Wirklichkeit eines solchen Körpers. Wir reden von der Wirklichkeit auf zweierlei Weise: die eine Art Wirklichkeit ist wie das Wissen, die andere wie das Ausüben des Wissens. Es ist daher klar, daß die Seele wie das Wissen ist. Denn sowohl Schlafen als auch Wachen setzen das Bestehen der Seele voraus, und das Wachen ist dem Ausüben des Wissens analog, das Schlafen dagegen dem Besitzen von Wissen, ohne es zu benutzen; und in der Entwicklung jedes Individuums ist das Wissen das frühere. Also ist die Seele die erste Wirklichkeit eines natürlichen Körpers, der potentiell Leben hat. De anima U.l Allall Die Behauptung, daß ein Körper lebendig ist, ist nach Aristoteles die Behauptung, daß er Vermögen bestimmter Art hat — diejenigen Vermögen nämlich, durch die die Lebewesen sich von den anderen Dingen unterscheiden —, und nicht die Behauptung, daß er zu diesem Zeitpunkt unbedingt irgendwelche von ihnen ausübt. Ob dies wahr ist, scheint aber ziemlich zweifelhaft zu sein: Auch ein schlafendes oder sogar ein bewußtloses Tier übt doch sicherlich einige Lebensvermögen aus — es atmet z. B. Aristoteles fragt nun, welche Art natürlicher Körper tatsächlich potentiell Leben hat, und er behauptet, es sei einer, der Organe hat. Organe werden durch Bezug auf ihre Funktion definiert, und natürliche Körper, die Teile haben, die auf diese Weise definiert sind, sind lebendig. Ein jeder Körper, der Organe hat, ist von dieser Art. Auch die Teile der Pflanzen sind Organe, wenn auch extrem einfache. Das Blatt z. B. ist ein Schutz für die Schale, die Schale für die Frucht. Die Wurzeln der Pflanzen sind dem Mund analog; denn beide ziehen Nahrung ein. Wenn man also etwas nennen muß, das auf jede Art Seele zutrifft, so wäre es wohl, daß die Seele die erste Wirklichkeit eines natürlichen Körpers ist, der Organe hat.
Aristoteles' Erklärung der Seele
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Deswegen ist es auch unnötig zu fragen, ob die Seele und der Körper eins seien, genauso wie man nicht zu fragen braucht, ob das Wachs und seine Gestalt eins seien, oder überhaupt, ob der Stoff eines jeden Dinges und das, wovon er der Stoff ist, eins seien. Denn auch wenn ,eins' (und auch ,sein') mehrdeutig ist, ist die Wirklichkeit das, was im striktesten Sinne eins ist. De anima II.1.412a28 Von der Seele zu reden, heißt also, von der Fähigkeit zu reden, bestimmte Dinge zu tun, die Dinge nämlich, durch die sich das Lebendige vom Nicht-Lebendigen unterscheidet. Es ist der Besitz einer bestimmten Art Seele, der ernährenden, der wahrnehmenden usw., der etwas zu einer Pflanze oder einem Tier oder einem Menschen macht. Der Besitz einer Seele ist genau das, was diese Anhäufung von Fleisch, Knochen usw. zu einem Tier macht — und zu einem Tier - , genauso wie es die Gestalt und die Struktur sind, die ein Stück Holz zu einem Ding machen, nämlich zu einem Tisch. Wir dürfen nicht fragen, wie die Gestalt mit dem Holz eins sein kann. Das eine Ding ist das gestaltete Holz, der Tisch. Form und Stoff sind nicht miteinander identisch; sondern der Stoff ist nur z. B. als Tisch erkennbar, nur als etwas, das Form besitzt. Stoff wird erst dadurch, daß er so-und-so-eine Form hat, zu einem Ding. Aristoteles gibt nun weitere Erläuterungen mit Hilfe von Analogien. Es ist nun im allgemeinen erörtert worden, was die Seele ist: sie ist Substanz als definierendes Wesen [/ogos]. Und dies ist das ,Was es heißt, zu sein' eines solchen [d. h. lebenden] Körpers. [Was heißt es für ein Stück Bauholz, ein Tisch zu sein? Es heißt, in einer bestimmten Weise gestaltet und zusammengesetzt zu sein. Die Gestalt und die Struktur sind das ,Wesen', das ,Was es heißt, zu sein' eines Tisches.] Wenn irgendein Werkzeug, z. B. eine Axt, ein natürlicher Körper wäre, dann wäre sein Wesen das, was es heißt, eine Axt zu sein, und dies wäre seine Seele; und würde sie abgetrennt werden, so wäre es keine Axt mehr, außer dem Namen nach. (In Wirklichkeit ist es natürlich nur eine Axt. Denn die Seele ist das ,Was es heißt, zu sein' oder Wesen nicht eines solchen Körpers, sondern
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Die Philosophie des Geistes
eines natürlichen Körpers bestimmter Art, eines, der den Ursprung der Bewegung und der Ruhe in sich selbst hat.) Auch in dem Fall der Teile eines Körpers muß man das Gleiche feststellen. Denn wenn das Auge ein Tier wäre, wäre seine Seele das Sehen, da dieses das definierende Wesen eines Auges ist. Das Auge ist Material des Sehens, und wenn dies verschwindet, ist es kein Auge mehr, außer dem Namen nach, wie das Auge einer Statue oder eines Bildes. Aber was von einem Teil gilt, muß man auch auf den ganzen lebenden Körper anwenden. Denn das Verhältnis der Sinneswahrnehmung als ganzer zum ganzen wahrnehmungsfähigen Körper ist analog dem Verhältnis eines Teils [eines bestimmten Sinnes, wie z.B. des Sehens] zu einem Teil [einem bestimmten Wahrnehmungsorgan, wie ζ. B. dem Auge]... Das Wachsein ist also in gleicher Weise eine Wirklichkeit wie das Schneiden und das Sehen [sie sind zweite Wirklichkeiten]; und die Seele in der gleichen Weise wie das Sehvermögen und die Fähigkeit des Werkzeugs [sie sind erste Wirklichkeiten]; der Körper dagegen ist das, was potentiell ist [der Körper ist ein Lebewesen nur kraft seines Besitzens einer Seele], De anima II.1.412blO Aristoteles zieht nun seinen wichtigen Schluß. Leben (d.h. Seele) kann in seinen verschiedenen Formen ebensowenig von lebenden Körpern getrennt existieren, wie das Sehen von sehenden Augen oder das Schneiden von schneidenden Werkzeugen getrennt existieren könne. Es sei denn, es gibt tatsächlich ein Lebensvermögen, das nicht das Vermögen irgendeines Körpers ist - eine Anspielung auf den nous (siehe S.95). Es ist also durchaus klar, daß die Seele nicht vom Körper abtrennbar ist, oder jedenfalls einige ihrer Teile nicht, sollte sie tatsächlich Teile haben. Denn bei einigen ist ihre Wirklichkeit die Wirklichkeit der Teile selbst. Aber nichts hindert, daß einige Teile doch abtrennbar sein könnten, da sie nicht die Wirklichkeit irgendeines Körpers sind . . . Dies soll uns einstweilen als Bestimmung und Umriß der Seele genügen. De anima II.1.413a3
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Aristoteles' T h e o r i e der Seele und ihrer Beziehung zum K ö r p e r wird m a n c h m a l , H y l e m o r p h i s m u s ' g e n a n n t , von den W ö r t e r n (Stoff) und morpbe
hyle
( F o r m ) . U b e r zwei T y p e n von Fragen hinsich-
lich dieser T h e o r i e h a t m a n in den letzten J a h r e n heftig debattiert. E r s t e n s : E n t h a l t e n m a n c h e W e r k e des Aristoteles eine Auffassung v o n Seele und K ö r p e r , die sich von der hylemorphistischen T h e o r i e unterscheidet?
U n d , w e n n ja, w a s sind die K o n s e q u e n z e n für die
geistige E n t w i c k l u n g seiner S c h r i f t e n ?
des Aristoteles
Zweitens:
Was
und für die
besagt
die
Chronologie
hylemorphistische
T h e o r i e w i r k l i c h , wie verhält sie sich zu b e k a n n t e n
modernen
A n t w o r t e n a u f das L e i b - S e e l e - P r o b l e m , und was sind ihre Stärken und S c h w ä c h e n ? Ich werde sehr kurz über den D i s k u s s i o n s s t a n d hinsichtlich der ersten Frage referieren und dann einige durch die zweite - die eigentlich philosophische - Frage a u f g e w o r f e n e Probleme erörtern. In einem
1948
veröffentlichten
Buch
h a t ein
niederländischer
G e l e h r t e r , Fr N u y e n s , b e h a u p t e t , d a ß drei verschiedene und miteinander u n v e r e i n b a r e T h e o r i e n über die Seele bei Aristoteles zu finden seien, und d a ß m a n auch feststellen k ö n n e , welche die erste, w e l c h e die zweite und welche die dritte in der E n t w i c k l u n g seines D e n k e n s gewesen sei. D i e drei T h e o r i e n sind: (i) der Dualismus, also die A u f f a s s u n g , d a ß die Seele und der K ö r p e r unabhängige S u b s t a n z e n seien, die jeweils v o n e i n a n d e r getrennt existieren können;
(ii) der I n s t r u m e n t a l i s m u s ,
also
die Auffassung,
daß
der
K ö r p e r das W e r k z e u g der Seele sei, und d a ß die Seele (die irgendw o im K ö r p e r sitze) den K ö r p e r benutze, um ihre Tätigkeiten a u s z u ü b e n ; (iii) der H y l e m o r p h i s m u s , also die Auffassung, daß die Seele die F o r m des L e b e w e s e n s und der K ö r p e r sein S t o f f sei. Die A n s i c h t von N u y e n s ist in groben Z ü g e n folgende: Den D u a l i s m u s k ö n n e m a n in zumindest einem sehr frühen Werk des Aristoteles finden, das er n o c h als Schüler in der A k a d e m i e Piatons geschrieben hat. D e r D u a l i s m u s w a r die L e h r m e i n u n g solcher b e r ü h m t e n p l a t o n i s c h e n D i a l o g e wie des Pbaidon
oder der Politela;
und bei
Aristoteles stelle er dessen frühe, platonisierende Phase dar. D e r H y l e m o r p h i s m u s andererseits sei die späteste und für Aristoteles c h a r a k t e r i s t i s c h s t e T h e o r i e , die in Werken (wie z. B. De
anima)
v o r h e r r s c h e , die man o h n e h i n schon aus anderen G r ü n d e n für späte W e r k e halte. D e r Instrumentalismus sei eine Art Ubergangs-
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Die Philosophie des Geistes
t h e o r i e : er b e h a n d e l e die Seele m e h r w i e ein u n a b h ä n g i g e s D i n g , a l s es der H y l e m o r p h i s m u s tue, a b e r er v e r b i n d e Seele u n d K ö r p e r enger m i t e i n a n d e r , als es der D u a l i s m u s tue. A l s o seien Werke, in d e n e n m a n den I n s t r u m e n t a l i s m u s v o r f i n d e t , s p ä t e r g e s c h r i e b e n w o r d e n als diejenigen, die den D u a l i s m u s enthalten, u n d früher als d i e j e n i g e n , die den H y l e m o r p h i s m u s enthalten. D i e S a c h e liegt a b e r d o c h nicht so e i n f a c h , w i e m a n n a c h dieser k u r z e n Z u s a m m e n f a s s u n g m e i n e n k ö n n t e . E r s t e n s ist es o f t bes t r e i t b a r , d a ß ein b e s t i m m t e r A u s d r u c k o d e r eine b e s t i m m t e Textstelle in der T a t eher die eine T h e o r i e enthält o d e r impliziert als die a n d e r e . E s ist g e f ä h r l i c h , ihre vollen theoretischen K o n s e q u e n z e n in A u s d r ü c k e h i n e i n z u l e s e n , die w ä h r e n d der E r ö r t e r u n g völlig a n d e r e r T h e m e n n u r b e i l ä u f i g g e b r a u c h t w e r d e n . U n s sind in der A l l t a g s s p r a c h e v e r s c h i e d e n e Weisen ü b e r die Seele u n d den K ö r p e r zu r e d e n , v e r t r a u t , u n d es ist nicht zu e r w a r t e n , d a ß ein P h i l o s o p h s o l c h e R e d e w e i s e n i m m e r v e r m e i d e t , nur weil sie, w ö r t l i c h g e n o m m e n , eine T h e o r i e v o n L e i b u n d Seele n a h e l e g e n k ö n n t e n , die sich v o n seiner eigenen offiziellen T h e o r i e unterscheidet. F ü g t m a n n o c h h i n z u , d a ß ein g e g e b e n e s Werk a n einer Stelle eine T h e o r i e u n d a n a n d e r e r Stelle eine a n d e r e T h e o r i e zu enthalten scheinen k a n n , s o w i r d k l a r , d a ß d a s A u f s p ü r e n der drei T h e o r i e n u n d die A u f s t e l l u n g einer C h r o n o l o g i e der W e r k e (oder der Teile der Werke) d u r c h B e z u g auf die in ihnen enthaltenen T h e o r i e n eine sehr s c h w i e r i g e u n d heikle A u f g a b e sein d ü r f t e , die mit g r o ß e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t keine k l a r e n u n d allgemein a n n e h m b a r e n Erg e b n i s s e erzielen w i r d . Z w e i t e n s w a r A r i s t o t e l e s s e l b s t o f f e n s i c h t l i c h nicht der M e i n u n g , daß instrumentalistische Redeweisen mit d e m Hylemorphismus u n v e r t r ä g l i c h seien. D e n n er ist bereit, in einem A t e m z u g s o w o h l zu s a g e n , d a ß die Seele die F o r m des K ö r p e r s sei, als a u c h d a ß die Seele ,im H e r z e n ' sei u n d d e n K ö r p e r , v e r w e n d e ' - o b w o h l N u y e n s g e r a d e die L o k a l i s i e r u n g der Seele in einem b e s t i m m t e n O r g a n u n d die T e r m i n o l o g i e des , V e r w e n d e n s ' a l s e n t s c h e i d e n d e M e r k m a l e der i n s t r u m e n t a l i s t i s c h e n A u f f a s s u n g verstehen will. D e r richtig v e r s t a n d e n e H y l e m o r p h i s m u s ist a l s o vielleicht d o c h m i t der f ü r den I n s t r u m e n t a l i s m u s c h a r a k t e r i s t i s c h e n R e d e w e i s e v o l l k o m m e n v e r e i n b a r . N a t ü r l i c h scheint die V o r s t e l l u n g , d a ß die Seele den K ö r p e r v e r w e n d e t , v o n der Vorstellung, d a ß die Seele die F o r m des
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Körpers ist, dann völlig verschieden zu sein, wenn wir als Standardbeispiel von Form und Stoff die Gestalt und das Material ζ. B. eines Tisches vor Augen haben. Man kann nicht sagen, daß die Gestalt des Tisches das Holz verwende. Wenn wir aber die Form eines Artefakts — eines Tisches oder eines Radios - nicht mit seiner äußeren Gestalt, sondern mit seiner Funktion identifizieren, also mit seinem Vermögen, die Arbeit zu verrichten, die ein Tisch oder ein Radio (definitionsgemäß) verrichten können muß, dann können wir Dinge sagen, die der instrumentalistischen Weise, über die Seele zu reden, sehr nahe kommen. Die materiellen Teile eines Tisches oder eines Radios sind dazu da, dem Zweck des Dinges zu dienen, dem Tisch zu ermöglichen, feste Gegenstände zu tragen, oder dem Radio zu ermöglichen, Sendungen zu empfangen; wenn wir von einem seiner Teile fragen: ,Was ist der Nutzen davon?', dann erhalten wir eine Antwort, die sich auf die Arbeit oder die Funktion des ganzen Dinges bezieht. Wie soll man also Aristoteles' Hvlemorphismus verstehen? Löst er das Leib-Seele-Problem? Moderne Philosophen verwerfen, wie Aristoteles, die Vorstellung, daß Körper und Seele zwei Dinge sind, und sie sprechen stattdessen weiterhin über zwei Gruppen von Ereignissen, nämlich über psychische oder mentale Ereignisse und über physiologische oder physikalische Ereignisse. Sind körperliche Ereignisse die Ursachen oder die Wirkungen mentaler Ereignisse? Oder gibt es zwei unabhängige, aber einander genau entsprechende Ereignisklassen? Oder sind mentale Ereignisse mit den physikalischen Ereignissen tatsächlich identisch — ist mein Fassen eines Gedankens nur eine Veränderung in meinem Gehirn? Aber wenn wir wissen wollen, wie Aristoteles diese Probleme auffaßt, stoßen wir auf das Hindernis, daß er seine Theorie nicht mit Hilfe der Rede von körperlichen und mentalen Ereignissen und deren Verhältnis zueinander darstellt, und daß es nicht leicht ist zu sehen, wie die allgemeinen Begriffe der Form und des Stoffs (oder der parallelen Begriffe der Wirklichkeit und der Potentialität) so verstanden werden können, daß man sie auf Ereignisklassen anwenden könnte. Kehren wir zum Tisch zurück. Es ist nicht leicht, den Unterschied zwischen dem, woraus er besteht (seinem Stoffe, und seiner Gestalt oder Funktion (seiner Form; als den Unterschied zwischen zwei Klassen von Ereignissen zu deuten. Zweifellos gilt
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manches vom Tisch kraft seiner Gestalt (qua so gestaltet), und manches andere kraft seiner Materialien (qua hölzern): er ist brennbar, weil er aus Holz ist, er ist stabil, weil er vier Beine hat. Aber dieser Unterschied scheint uns kaum mit zwei Klassen von Ereignissen zu versorgen. Und der einfache Fall eines Tisches legt auch keine unmittelbar einleuchtende Interpretation der These nahe, daß die Seele die Form des Körpers sei. ,Ein Tisch besteht aus Holz mit einer ebenen Oberfläche, die Gegenstände tragen kann' ist doch weit entfernt von: ,Eine Person ist Fleisch und Knochen, so zusammengesetzt, daß sie wahrnehmen und begehren kann'. Denn daß der Tisch Dinge tragen kann, ist bloß eine weitere Tatsache aus der stofflichen, unbelebten Welt; daß eine Person Sachen wahrnehmen kann, ist dagegen eine Tatsache aus der Welt des Lebendigen. Allein schon das Gewicht des Unterschieds zwischen dem Lebendigen und dem Nicht-Lebendigen garantiert, daß es Schwierigkeiten geben wird, wenn man einen Begriff nimmt, der im Hinblick auf das Nicht-Lebendige eingeführt und erklärt wird, und ihn ohne weiteres auf das Lebendige anwendet. Es hilft uns auch nicht viel weiter, von Aristoteles' höchst allgemein gehaltenen und abstrakten Formeln über die Seele zu seinen Erörterungen der einzelnen Vermögen und Funktionen der Lebewesen überzugehen. Hinsichtlich der Sinneswahrnehmung ζ. B. gibt er ausführliche Erklärungen der physikalischen Prozesse außerhalb und innerhalb des Körpers, und er zeigt ihren Zusammenhang mit unserem Sehen, Hören usw. Aber er erklärt nicht, wie die hylemorphistische Theorie hier funktioniert. Er sagt nicht, daß das Sehen usw. sich genau so zu den physikalischen Prozessen verhalte, wie die Form sich zum Stoff verhält, und schon gar nicht erklärt er, was das bedeuten könnte. Es ist wahr, daß er an einer wichtigen Stelle über den Zorn (oben S. 93 zitiert) tatsächlich im einzelnen angibt, was in diesem Fall die Form und der Stoff seien: der Wunsch nach Vergeltung und das Sieden des Bluts. Aber was die Behauptung, der Wunsch sei die Form und das siedende Blut sei der Stoff, wirklich bedeutet - das bleibt unklar. O b nun der Wunsch als psychische Episode oder als Disposition betrachtet wird, oder aber als die Tendenz, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten - die Behauptung, daß der Wunsch und das Sieden des Bluts in ungefähr der gleichen Weise den Zorn ausmachen, wie die
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Form und der Stoff ein Ding ausmachen, ist keineswegs leicht zu verstehen. Warum betrachtet Aristoteles das Leib-Seele-Problem nicht als ein Problem des Verhältnisses zwischen zwei Klassen von Ereignissen? Ein Grund ist vielleicht, daß es ihm um alle Lebewesen geht; nicht nur Menschen haben psyche, sondern auch Tiere und Pflanzen. Er gerät nie in Versuchung, nur diejenigen Ereignisse, die Bewußtsein mitenthalten, als ,psychische' zu bezeichnen, und alle anderen Ereignisse so zu behandeln, als hätten sie mit der Seele nichts zu tun. Aber gerade wenn man sich auf die privaten Inhalte des Bewußtseins konzentriert, liegt es so besonders nahe, einerseits eine Liste von Ereignissen wie Fühlen, Wahrnehmen und Denken aufzustellen, und andererseits eine Liste von öffentlichen und physikalischen Ereignissen wie Atmen, Gehen und Essen. Wenn man einmal zwei solche Listen aufgestellt hat, ist es durchaus naheliegend, Fragen darüber zu stellen, wie sich die eine Klasse von Ereignissen (die mentalen) zur anderen (das Verhalten betreffenden oder physikalischen) verhält. Wenn andererseits der Begriff, den man von dem hat, was Seele besitzt, Tiere und Pflanzen einschließt (da Seele Leben ist), wird man natürlich Atmen, Gehen und Essen zusammen mit Fühlen als psychisch einordnen. Man wird sich die Frage stellen, wie die physikalischen und physiologischen Veränderungen verschiedener Art sich genau ζ. B. zum Atmen verhalten. Aber das sieht nicht mehr wie eine Frage über zwei radikal verschiedenen Klassen von Ereignissen oder Prozessen aus — so als wäre das Atmen ein Ergebnis oder ein Prozeß, der sich von den in Nase, Kehle und Lunge sich abspielenden Ereignissen und Prozessen völlig unterschiede (auch wenn er mit ihnen kausal verbunden sein sollte). Es wäre nämlich viel natürlicher zu behaupten, daß das Atmen nichts anderes als diese letzteren Ereignisse und Prozesse sei, aber daß die Beschreibung dessen, was als Atmen vor sich geht, einem sehr allgemeinen Hinweis auf die Bedeutung dieser Ereignisse und Prozesse im weiteren Zusammenhang des Lebens des Tieres gleichkomme. Eine Theorie, die von der Vorstellung zweier Ebenen der Beschreibung ein- und derselben Ereignisklasse ausgeht, scheint viel angemessener zu sein als eine Theorie, die versucht, zwei voneinander völlig verschiedene Klassen von Ereignissen miteinander in Verbindung zu bringen.
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Kehren wir nun zu einem aus Stoff und Form Zusammengesetzten zurück, das keine Schwierigkeiten zu bereiten schien, zum einfachen Beispiel eines Tisches oder eines Hauses, wo der Unterschied zwischen dem, woraus es besteht, und seiner Gestalt oder Struktur wohl klar genug ist. Wie wir gesehen haben, geht Aristoteles von der Auffassung der Form als Gestalt oder Struktur zur Auffassung der Form als der Fähigkeit, eine Aufgabe zu erfüllen oder eine Funktion auszuüben, über: Ein Haus ist ein aus diesen und jenen Materialien hergestelltes Obdach. Nun ist eine Aufgabe oder Funktion etwas, das über einen gewissen Zeitraum ausgeübt wird; sie ist eine in einzelnen Leistungen verwirklichte Fähigkeit. Ohne jetzt schon zum Problem der Lebewesen überzugehen, können wir also fragen, wie die Stoff-Form-Analyse funktioniert, wenn wir ζ. B. ein Haus über einen gewissen Zeitraum hinweg betrachten, wenn wir uns die Ereignisse und Prozesse anschauen, die seine Geschichte ausmachen. Enthält diese Geschichte gewisse ,formale' Elemente und gewisse ,stoffliche' Elemente? Und, wenn ja, in welchem Zusammenhang stehen sie miteinander? Ein Haus ist im Grunde genommen ein Obdach. Es besteht aus Ziegelsteinen usw., die auf bestimmte Weise zusammengesetzt sind, weil ein Obdach nur dann hergestellt werden kann, wenn solche Materialien auf eine solche Weise angeordnet werden. Seine Fähigkeit, ein Obdach zu bieten, definiert, was für ein Ding es ist macht es zu einem Haus - und erklärt und macht uns auch einsichtig, warum es aus so angeordneten Ziegelsteinen usw. besteht. Also wird etwas, das wir über die Fähigkeit des Hauses, Obdach zu bieten, sagen, sicherlich etwas über seine Form sein, d.h. über es qua Obdach; was wir über seine Materialien sagen, wird dagegen von seinem Stoff handeln. Die Behauptung, dal? ein Haus den Schnee nicht hereinlasse oder daß seine Veranda Gäste vor dem Wind schütze, ist eine Bemerkung über seine Fähigkeit, Obdach zu bieten, über die Fähigkeit, die es zu einem Haus macht, und die der Grund ist, warum es gebaut wurde; die Behauptung, daß es aus Bauholz und Ziegelsteinen bestehe, ist eine Besprechung seines Stoffs — woraus es besteht, nicht wozu es gedacht ist. Betrachten wir nun die Geschichte unseres Hauses. Die Teile erfüllen ihre Funktionen, oder sie erfüllen sie nicht; sie verschleißen und müssen repariert werden. Veränderungen in der Struktur
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der Materialien und in ihrer chemischen Zusammensetzung finden statt. Das Dach hat den ganzen Winter lang keinen Regen hereingelassen — obwohl die Dachziegel sich unbemerkt abnutzten; die Haustür ist oft geöffnet und geschlossen worden und hat Leute herein und hinaus gelassen — aber die obere Türangel wird allmählich locker. Der technisch nicht beschlagene Hausbewohner weiß und redet darüber, wie das Haus (und seine Veranda, sein Dach usw.) funktioniert, wie es den Schnee nicht hereinläßt usw., oder wie ein Defekt zum Vorschein kommt (das Dach fängt an, durchlässig zu werden). Der erfahrene Baumeister kann eine ausführliche wissenschaftliche Erklärung der genauen physikalischen Veränderungen und Prozesse geben, die vor sich gehen, wenn das Haus gut funktioniert, und er kann das gleiche tun, wenn irgendein Teil zu verschleißen anfängt. Kurz gesagt, es gibt zwei Darstellungen der Geschichte des Hauses - des ,Lebens' des Hauses: die des Hausbewohners und die des Baumeisters. Aber es wird niemand sagen wollen, daß das Haus zwei verschiedene Werdegänge oder Lebensläufe durchgemacht habe. Nehmen wir als weiteres Beispiel ein Radio. Es gibt einen frappanten Unterschied zwischen einer Erklärung dessen, was stattfindet, wenn ein Radio funktioniert oder wenn es versagt, die ein gewöhnlicher Benutzer gibt, und der Erklärung durch einen Fachmann. Die zwei Erklärungen oder Beschreibungen unterscheiden sich dem Typus nach, nicht nur in den Einzelheiten; sie verwenden vollkommen verschiedene Begriffe und dienen sehr verschiedenen Zwecken. In einem gewissen Sinne wird das, was der Benutzer berichtet, durch das, was der Wissenschaftler berichtet, erklärt, weil wir dadurch zu einem Verständnis dafür kommen, wie das Radio funktioniert und warum es versagt hat. Aber in einem anderen Sinne sind der Bericht und die Terminologie des Benutzers das Fundamentale und sein Gesichtspunkt der wichtigere, da solche Dinge überhaupt erst entworfen und hergestellt werden, um seinen Zwecken zu dienen, und da man infolgedessen nur im Hinblick auf sie erklären kann, was ein Radio ist. Die Darstellung des Benutzers offenbart die formale und finale ,Ursache' des Radios (Erklärung hinsichtlich ,des Guten'); der technische Bericht gibt die ,materielle' Ursache an (Erklärung hinsichtlich ,des Notwendigen').
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Die allgemeine Vorstellung — die, wie wir hoffen dürfen, bei der Interpretation der aristotelischen Theorie von Seele und Körper hilfreich sein wird - ist die, daß es zwei Beschreibungsebenen der Entwicklungsgeschichte eines einzigen Dinges geben kann. Die eine Darstellung mag allgemeiner sein als die andere, mag andere Begriffe benutzen, mag Ereignisse nach anderen Regeln und zu anderen Zwecken einordnen. Wie meine Beispiele zeigen, kann das Verhältnis zwischen den zwei Ebenen oft mit dem Verhältnis zwischen Form und Stoff identisch oder ihm ähnlich sein — auf der einen Ebene geht es um das Funktionieren des Dinges als ganzen, auf der anderen geht es um die einzelnen physikalischen Prozesse in den verschiedenen Teilen des Dinges. Indem wir dies alles behaupten, gehen wir etwas, aber auch nur etwas über Aristoteles' ausdrückliche Äußerungen hinaus. Wenn man seine ursprüngliche Darstellung von Form und Stoff mit seiner Analyse der Erklärungstypen (der vier Ursachen) verbindet, und wenn man seine ständige Verwendung des Gedankens berücksichtigt, daß wir von Dingen ,qua so-und-so' sprechen, d. h. unter einem bestimmten Aspekt oder unter einem bestimmten Gesichtspunkt, dann folgen die soeben vorgetragenen Behauptungen fast unausweichlich. Betrachten wir nun das Leben einer Pflanze. Sie nimmt Nahrung auf, wächst, erzeugt Blüten und Samen und stirbt. Das ist es, was es heißt, eine Pflanze zu sein; das sind die Funktionen, durch die eine Pflanze definiert ist. Diese Funktionen werden natürlich in Gestalt von unsichtbaren chemischen Prozessen vollzogen. Und sie könnten nicht vollzogen werden, wenn nicht irgendwelche Veränderungen dieser Art stattfänden. Solche Veränderungen exemplifizieren wissenschaftliche Gesetze, die überall wirksam sind; aber im jetzigen Zusammenhang dienen die fraglichen Veränderungen dem Zweck, eine Pflanze bestimmter Art zu erzeugen und zu erhalten. Es besteht hier zu den oben diskutierten Beispielen von Artefakten eine gewisse Analogie. Wenn wir eine breitangelegte biologische Darstellung des Lebenszyklus der Pflanze und ihrer Hauptfunktionen geben, erörtern wir damit ihre Form (und ihre Finalursache); wenn wir auf eine chemische Darstellung der involvierten mikroskopischen Prozesse zu sprechen kommen, beschreiben wir damit die materielle Seite der Entwicklung der Pflanze.
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Wenn wir nun zu den Tieren, die w a h r n e h m e n , begehren und sich bewegen können, hinüber und hinauf blicken, wird die Analogie schwächer. Bei einer B e w e g u n g wie z . B . dem Gehen kann man sich leicht vorstellen, d a ß es zwei mögliche Darstellungen gibt, die sich in der v o n uns erörterten Weise zueinander verhalten. Was auf der B e o b a c h t u n g s e b e n e des Alltagslebens ein G a n g zum Briefkasten ist, ist v o m S t a n d p u n k t der mikroskopisch-wissenschaftlichen Beschreibung eine A b f o l g e von unzähligen chemischen und physikalischen Veränderungen. Q u a Gehen bildet das, w a s geschieht, einen Teil der Geschichte der Person q u a einer Person; q u a jener A b f o l g e von Veränderungen bildet es einen Teil ihrer Geschichte q u a eines stofflichen K ö r p e r s , der den Gesetzen der Physik und der C h e m i e unterliegt. E s ist jedoch schwieriger, die Analogie auf Wahrnehmen und Begehren anzuwenden. Die physikalischen und physiologischen Veränderungen, die stattfinden, wenn ein M e n s c h e t w a s sieht o d e r sich an etwas erinnert oder etwas begehrt, scheinen sich nicht in der gleichen Weise zu seinem Sehen, SichErinnern und Begehren zu verhalten, wie die physikalischen und physiologischen Veränderungen sich zu seinem Gehen verhalten. W a r u m nicht? Vielleicht weil wir annehmen, daß Wahrnehmen, Begehren u s w . private Bewußtseinsakte sind (die vielleicht die Ursachen oder die Wirkungen von physikalischen Veränderungen sein können, a b e r auf keinen Fall selbst physikalisch sind). Wenn wir bereit w ä r e n , diese A n n a h m e aufzugeben — wie wir es vielleicht auch sind, wenn wir uns auf die niederen Tiere konzentrieren - und wenn wir über biologische Bedürfnisse und soziale K o n t e x t e nachdenken, dann könnte es vielleicht doch plausibel erscheinen zu behaupten, daß Wahrnehmung und Begehren Begriffe seien — wie der des Atmens und der des Gehens —, die wir benutzen, u m Regelmäßigkeiten des äußeren Verhaltens und der physiologischen Veränderungen zu beschreiben und zu interpretieren. M i t Hilfe dieser Begriffe können wir bequem z u s a m m e n f a s sen, wie Tiere auf ihre Umwelt reagieren und einwirken. Wir s a g e n , daß eine Ratte ein Stück Fleisch sieht, es begehrt und versucht, es zu b e k o m m e n . Dies zu behaupten, heißt nicht unbedingt, d a ß m a n der Ratte private mentale Erlebnisse zuschreibt, oder daß m a n behauptet, daß ü b e r h a u p t etwas anderes als die gewöhnlichen physikalischen und physiologischen Prozesse stattfinde. Wir heben hiermit bloß eine bestimmte erkennbare Regel-
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mäßigkeit aus einer sehr komplexen Abfolge von Ereignissen und Prozessen hervor. In ungefähr der gleichen Weise können wir von Raketen sagen, daß sie ein Ziel ,sehen' und auf es zusteuern. Der Grund, warum wir der Rakete kein wirkliches Sehen zuschreiben, liegt darin, daß ihr andere biologische Vermögen fehlen: Raketen können keine Raketen zeugen (noch nicht, glücklicherweise). Aber wie ist es bei den ,höheren' Tieren, und besonders bei den Menschen, die Gefühle haben können, ohne sie zu zeigen, die ihre Wünsche verheimlichen können, die sehen und denken können, ohne irgendwelche Bewegungen zu machen? Hier reden wir offensichtlich nicht mehr bloß von auffälligen Regelmäßigkeiten des Verhaltens oder der physikalischen Veränderungen. Eine Vorstellung ist die, daß solche Fälle von Gefühlen, Wahrnehmungen und Wünschen - die ja in relativ speziellen und komplizierten Zusammenhängen erscheinen — notwendig sekundär zu den gewöhnlichen, unkomplizierten Fällen sind, in denen die Regelmäßigkeiten des äußeren Verhaltens identifiziert und erklärt werden. Aber wenn dem so ist, muß erklärt werden, wie und warum es dazu kommen konnte, daß dieser Sekundärgebrauch angenommen und verstanden wurde. Wie konnte der Schritt von der Rede über gewöhnliche, öffentliche Episoden der Wahrnehmung, des Denkens und der Wünsche zur Rede über private, versteckte Erlebnisse gemacht werden? Diese Frage ist der Frage ziemlich ähnlich, vor der ein Psychologe steht, der den bekannten Begriff des Wunsches erweitern und von unbewußten Wünschen reden will. Er muß diesen erweiterten Begriff erklären und deutlich machen, wie wir ihn zu benutzen haben — wie wir unbewußte Wünsche identifizieren können und wie wir entscheiden sollen, ob ein unbewußter Wunsch in einer bestimmten Person vorhanden ist oder nicht. Auf jeden Fall handelt es sich natürlich nicht nur um ein linguistisches Problem, nämlich darüber, wie ein gewisser Sekundärgebrauch psychologischer Ausdrücke zu verstehen ist, sondern auch um eine merkwürdige und unausweichliche Tatsache: wir sind uns alle als Individuen dessen bewußt, unsere eigenen privaten Erlebnisse zu haben, oft gerade wenn es kein anderer ahnt. Kein Reden über Regelmäßigkeiten des Verhaltens oder über sekundären Gebrauch von Wörtern kann unsere privaten Gedanken und Gefühle erfassen - oder aus der Welt zaubern. Wir können auch einräu-
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men, daß jedem solchen Erlebnis irgendein physiologisches Ereignis oder irgendein physiologischer Prozeß entspricht, aber die Natur des Verhältnisses zwischen dem Erlebnis und dem Ereignis oder Prozeß bleibt trotzdem völlig rätselhaft. Aristoteles selbst stören solche Rätsel hinsichtlich des Eigenlebens und unseres Wissens über Fremdpsychisches ebensowenig, wie er allgemein für skeptische Zweifel darüber anfällig ist, wie wir überhaupt etwas wissen können. So entgeht ihm ein zentrales Thema modemer Kontroversen. Es gibt aber, wie wir gesehen haben, eine durchaus gravierende Schwierigkeit seiner Gesamttheorie, deren er sich bewußt ist: nicht das Problem der privaten Erlebnisse, sondern das Problem des reinen Denkens. Angenommen, reines Denken erfordere kein physisches Organ oder physiologisches Korrelat, dann muß Aristoteles gelten lassen, daß diese Art Seele, nämlich der nous, vom Körper getrennt existieren kann; es fällt ihm aber schwer, über diese Tätigkeit ohne Tätigen, über diese Form ohne Stoff viel zu sagen, das klar oder nützlich wäre.
Kapitel 6 Logik In diesem und den nächsten beiden Kapiteln werden wir einen Teil des aristotelischen Opus betrachten, den man gewöhnlich das Organon nennt. Die in Rede stehenden Abhandlungen sind logische (im weitesten Sinne des Wortes), und sie wurden das Organon genannt - also das Werkzeug oder Instrument - , weil man die Logik nicht für einen der wesentlichen Teile der Philosophie hielt, wie etwa die Metaphysik oder die Naturphilosophie oder die Ethik, sondern für eine Methode oder Disziplin, die in allen Untersuchungen nützlich sei, was auch immer ihr Gegenstand sein möge. Deswegen steht das Organon am Anfang der traditionellen Reihenfolge der Werke des Aristoteles. Innerhalb des Organon stehen die Kategorien und De interpretation an erster Stelle, und darauf folgen die Analytiken. (Sie stehen in dieser Reihenfolge, weil die Kategorien Terme behandeln, also die Bestandteile der Aussagen; De interpretatione behandelt Aussagen, also die Bestandteile der Syllogismen; und die Analytiken behandeln Syllogismen.) Die Kategorien enthalten eine Theorie der Kategorien, zusammen mit einer damit verbundenen Theorie der Prädikation, und auch eine Erklärung der Kategorien der Substanz, der Quantität, der Relation und der Qualität. Alle diese Themen tauchen mit weiteren Entwicklungen und Verfeinerungen in anderen Werken des Aristoteles wieder auf. In den ersten Kapiteln von De interpretatione definiert Aristoteles die Ausdrükke: ,Name', ,Verb', ,Satz', ,Aussage', ,Bejahung' und ,Verneinung' (das waren fruchtbare Keime späterer Theorien über Grammatik und Bedeutung). Der Hauptteil des Werkes behandelt die verschiedenen Arten von Aussagen und einige ihrer logischen Eigenschaften und Verhältnisse zueinander. Zwei Kapitel enthalten eine frühe Studie zur Modallogik, der Logik derjenigen Aussagen, die mit Notwendigkeit und Möglichkeit zu tun haben. Die in De interpre-
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tatione behandelten T h e m e n werden an anderer Stelle weiter ausgearbeitet, besonders in den Ersten Analytiken, w o Aristoteles einige der in De interpretatione erörterten Begriffe übernimmt und entwickelt, andere aber korrigiert. In den ersten beiden Büchern der Analytiken, den Ersten Analytiken, untersucht er die Bedingungen des gültigen Schließens und insbesondere des Syllogismus. (Dies, die formale Logik des Aristoteles, wird der Hauptgegenstand des jetzigen Kapitels sein.) In den letzten beiden Büchern, den Zweiten Analytiken, untersucht er einen besonderen Typus des Syllogismus, nämlich den demonstrativen Syllogismus, der die Form ist, in der die Wissenschaften idealerweise ausgedrückt werden sollten (siehe Kapitel 7). Der Rest des Organon besteht aus den Topiken und den Sophistici elenchi. Die Topiken sind eine erschöpfende Untersuchung dialektischer Argumente. Ein riesiges Spektrum sowohl formaler als auch informeller Arten von Argumenten wird betrachtet und was für Aristoteles charakteristisch ist - systematisiert. (Darüber werde ich in Kapitel 8 etwas zu sagen haben.) Die kurzen Sophistici elenchi sind, wie die Analytiken, ein Werk, das jahrhundertelang ein maßgebendes Lehrbuch blieb. Sie sind die Quelle des größten Teils der N a m e n , die wir heute noch für logische Fehlschlüsse verwenden - sie sind ein H a n d b u c h der schlechten Argumente. Am Ende der Sophistici elenchi k o m m t eine Stelle vor, die als Epilog auch zu den anderen logischen Werken dient. Sie hat eine ungewöhnlich persönliche Note, und berechtigter Stolz mischt sich hier mit gewinnender Bescheidenheit. Aristoteles bemerkt, daß die ersten Schritte einer jeden Wissenschaft immer die schwierigsten seien, und d a ß die meisten zeitgenössischen Wissenschaftszweige auf der Arbeit früherer Generationen aufbauten. Aber auf diesem Gebiet ist es nicht der Fall, daß einiges schon früher ausgearbeitet war und anderes nicht, sondern es war ü b e r h a u p t nichts vorhanden. Denn die Ausbildung durch die bezahlten Lehrer des Argumentierens war der Methode des Gorgias einigermaßen ähnlich. Einige ließen ihre Schüler rhetorische Reden auswendig lernen, andere solche Reden, die aus Fragen und Antworten bestanden, die, wie sie meinten, die Argumente pro und contra bereits enthielten. Deswegen war der
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Unterricht, den sie ihren Schülern gaben, zwar schnell, aber ungeschickt. Denn sie meinten zu lehren, indem sie ihnen nicht die Kunst, sondern die Produkte der Kunst gaben, wie wenn einer behauptete, das Wissen darüber, wie man Schmerzen in den Füßen verhindert, zu vermitteln, und dann nicht die Schuhmacherkunst lehrte und auch nicht das, wodurch man sich mit gutem Schuhzeug versorgen könnte, sondern bloß viele Arten verschiedener Schuhe überreichte. Denn solch einer befriedigt zwar das individuelle Bedürfnis, aber er vermittelt keine Kunst. Ferner gibt es zur Rhetorik vieles, das schon vor langer Zeit gesagt wurde, aber über das Schließen konnten wir überhaupt nichts, das klar vorlag, vortragen, sondern mußten aufs Geratewohl Untersuchungen anstellen und uns lange Zeit abmühen. Wenn es euch nach der Betrachtung dieser Disziplin scheint, daß sie, obwohl sie aus solch einem ursprünglichen Zustand heraus entstand, neben den anderen Fächern, die durch Überlieferung nach und nach gewachsen sind, sich sehen lassen kann, dann bleibt euch Zuhörern allen nur noch, die Lücken in der Disziplin mit Nachsicht zu behandeln, und für das Entdeckte sehr dankbar zu sein. Sopbistici elenchi 183b34 Formale
Logik:
Aristoteles'
Syllogistik
Aristoteles ist dafür berühmt, den Syllogismus erfunden oder entdeckt und damit die formale Logik begründet zu haben. Unter den Philosophen hat es unterschiedliche Meinungen über diese Leistung gegeben. Weil er den Syllogismus nicht für ,das große Werkzeug der Vernunft' hielt, hat sich John Locke darüber lustig gemacht: ,Wenn man die Syllogismen als das einzig angemessene Werkzeug der Vernunft und Mittel zur Erkenntnis auffassen muß, so folgt daraus, daß es vor Aristoteles keinen einzigen Menschen gab, der überhaupt etwas durch Vernunft wußte oder wissen konnte; und daß es auch seit der Erfindung der Syllogismen nicht einmal einen von zehntausend gibt, von dem das gilt. Aber Gott hat die Menschen nicht so spärlich ausgestattet, daß er sie gerade eben zu zweibeinigen Wesen gemacht hat und es dem Aristoteles überließ, sie vernünftig zu machen.' Der Philosoph Kant dagegen hat auf seiner Suche nach dem sicheren Gang für die Philosophie 1787 bemerkt: ,Daß die Logik diesen sicheren Gang schon von
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den ältesten Zeiten her gegangen ist, läßt sich d a r a u s ersehen, dal? sie seit d e m Aristoteles keinen Schritt r ü c k w ä r t s hat tun dürfen, w e n n man ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbehrlicher Subtilitäten, o d e r deutlichere Bestimmungen des Vorgetragenen als Verbesserung anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschaft gehört. M e r k w ü r d i g ist noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt v o r w ä r t s hat tun können, und a l s o allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint.' A u c h die K o m m e n t a t o r e n sind geteilter M e i n u n g gewesen. Während einige von der K r a f t und der Vollständigkeit der aristotelischen Syllogistik beeindruckt gewesen sind, haben andere sie als ein winziges und unwichtiges Fragment der formalen Logik a b g e t a n . W i e d e r u m andere haben den Syllogismus r u n d w e g verd a m m t , weil sie ihn für eine künstliche Z w a n g s j a c k e des Denkens hielten, für eine pedantische Konstruktion, die ü b e r h a u p t nichts mit der wirklichen Art und Weise zu tun hat, in der der Verstand arbeitet. Wir können zu diesen Einschätzungen zurückkehren und sie kommentieren, n a c h d e m wir herausgefunden haben, w a s Aristoteles' T h e o r i e des Syllogismus wirklich ist. H e u t z u t a g e sind wir auch in einer b e s o n d e r s guten L a g e , dies zu tun. Der heutige Stand sowohl der Philologie als auch der Logik macht es uns möglich, die größten Mißverständnisse, die m a n c h m a l in der Vergangenheit v o r g e k o m m e n sind, zu vermeiden. Die Philologen sind zu der Einsicht g e k o m m e n , d a ß es manchmal einen großen Unterschied zwischen Aristoteles und seinen eigenen Worten einerseits und den Aristotelikern und der langen Tradition andererseits geben kann. Wir müssen also die Werke des Aristoteles studieren, ohne unser Verständnis d a v o n zu sehr von dem, w a s später gesagt worden ist, beeinflussen zu lassen - von Leuten gesagt worden ist, die oft andere Interessen hatten und weniger fähig waren als Aristoteles und die o f t schlechte Texte seiner Werke und nur spärliche philologische Hilfsmittel besaßen. Auf seiten der Logik sind seit Kants Zeiten Riesenfortschritte in der M a t h e m a t i k und der mathematischen L o g i k gemacht w o r d e n . Wir können heute die Logik des Aristoteles auf einer größeren L a n d k a r t e einordnen, und wir besitzen präzise und anspruchsvolle Kriterien, mit denen wir ihre Stärken (oder Schwächen) und ihre Grenzen genau abschätzen
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können. Im folgenden ist es nicht meine Absicht, eine vollständige oder völlig strenge Darstellung der aristotelischen Syllogistik vorzulegen. Ich will nur eine Vorstellung davon vermitteln, was er vorhat, und kurz andeuten, warum seine Arbeit auf diesem Gebiet wichtig und bemerkenswert ist. Aristoteles definiert den Syllogismus wie folgt: ,Ein Syllogismus ist ein Argument, in dem, nachdem einige Dinge vorausgesetzt worden sind, etwas anderes als diese vorausgesetzten Dinge daraus, daß diese so sind, mit Notwendigkeit folgt.' Das ist in der Tat eine ziemlich gute Erklärung dessen, was ein gültiges Argument ist. Aber seine offizielle Theorie des Syllogismus behandelt nicht jede Art Argument, die dieser Definition genügen würde. Ohne jetzt schon zu fragen, was die Theorie ausläßt — und ob Aristoteles erkannte, daß sie tatsächlich manche gültigen Argumente ausläßt - , wollen wir erst einmal deutlich machen, welche Argumente von ihr behandelt werden. Die Aussagen, die in Syllogismen vorkommen, sind alle von der Subjekt-Prädikat(S-P)-Form und zerfallen in vier verschiedene Typen: sie sind entweder bejahende oder verneinende und entweder allgemeine oder partikuläre Aussagen. Informelle Beispiele dieser vier Typen wären folgende: Jeder Mensch ist sterblich — allgemein bejahend (traditionell eine α-Aussage genannt) Kein Mensch ist sterblich — allgemein verneinend (e) Einige Menschen sind sterblich — partikulär bejahend (/') Einige Menschen sind nicht sterblich nend (o)
partikulär vernei-
Ich nenne diese Beispiele informell, weil Aristoteles diese Aussagen in der genauen Ausarbeitung seiner Theorie andersherum ausdrückt; der Prädikat-Term steht vor dem Subjekt-Term. Die a-Aussage wird ζ. B. als ,Sterblich kommt jedem Menschen zu' formuliert, oder, um zu verallgemeinern: ,P kommt jedem S zu'. Dieser technische Formulierungsstil besitzt gewisse Vorteile, besonders im Griechischen, und wir werden ihn uns für den Rest des Kapitels zu eigen machen. Also werden wir die vier Aussagetypen wie folgt symbolisieren: PaS (z. b. ,Sterblich kommt jedem Menschen zu'),
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PeS, P/S, PoS. (Wenn man an Beispiele aus dem alltäglichen Deutsch denkt, muß man darauf achten, die Reihenfolge der Terme zu ändern: die übliche Fassung unseres PaS Beispiels ist natürlich J e d e r Mensch ist sterblich'; der als Ρ symbolisierte Term steht an zweiter Stelle.) Ein Syllogismus enthält zwei Prämissen und einen Schlußsatz. Wenn überhaupt eine Hoffnung bestehen soll, daß zwei Aussagen (der eben erwähnten Art) einen Schlußsatz ergeben, dann müssen sie einen gemeinsamen Term haben, der ,Mittelterm' genannt (und als M symbolisiert) wird; und die Terme des Schlußsatzes werden die übrigen beiden der drei in den Prämissen enthaltenen Terme sein müssen. Da der Mittelterm das Subjekt beider Prämissen, das Prädikat beider Prämissen oder das Subjekt der einen und das Prädikat der anderen sein kann, wird ein Syllogismus unter eine der drei folgenden ,Figuren' fallen: 1 PM MS
II MP MS
III PM SM
PS
PS
PS
Die erste Prämisse in einem Syllogismus der ersten Figur kann natürlich eine a-, e-, /-, oder o-Aussage sein: PaM oder PeM oder P/M oder P o M ; und ähnlich kann die zweite Prämisse MaS oder MeS oder M/S oder M o S sein. Also gibt es sechzehn mögliche Prämissenpaare in dieser Figur und in jeder der drei Figuren. Aber nur manche dieser Prämissenpaare ergeben einen Schlußsatz (implizieren logisch eine dritte Aussage). Wenn Ρ jedem M und M jedem S zukommt, dann folgt, daß Ρ jedem S zukommt; dies (PaM, M a S —» PaS) erweist sich also als ein Syllogismus. (Dieser Syllogismus wird traditionell Barbara genannt, weil er aus drei a-Aussagen besteht. Ein Beispiel in gewöhnlicher deutscher Sprache wäre: Jede Katze ist ein Tier und jedes Tier ist sterblich, also ist jede Katze sterblich.) Aber wenn Ρ jedem M und M einigen S zukommt, so folgt nicht daß Ρ jedem S zukommt; dies (PaM, M/S —» PaS) ist also kein Syllogismus. Aber ergibt sich aus diesem Prämissenpaar irgendein anderer Schlußsatz? Ja. Denn wenn Ρ jedem M und M einigen Ρ zukommt, dann folgt, daß Ρ einigen S zukommt. PaM, M/S —» P/S ist also ein Syllogismus. Aristoteles arbeitet sich syste-
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matisch durch alle möglichen Prämissenpaare in jeder Figur hindurch und untersucht jedes Paar daraufhin, ob es irgendeinen Schlußsatz ergibt oder nicht. Wie entscheidet er die Frage? Er setzt voraus, daß einige ,Modi' (d.h. Prämissenpaare mit Schlußsatz) offensichtlich gültig sind, und für die Gültigkeit der anderen gültigen Modi führt er Beweise an. Es sind die vier gültigen Modi der ersten Figur, die er als offenkundig gültig betrachtet; er zeigt, daß die gültigen Modi in den anderen Figuren aus ihnen abgeleitet werden können. Um die Sache auf unsere Weise auszudrücken: Er nimmt die vier Syllogismen der ersten Figur als Axiome des Systems und leitet alle anderen Syllogismen als Theoreme ab. (Er zeigt später sogar, daß alle anderen Syllogismen sich aus nur zwei der Syllogismen der ersten Figur ableiten lassen.) Wie beweist Aristoteles, daß diese anderen gültigen Modi gültig sind? Wie leitet er sie aus den gültigen Modi die er voraussetzt, ab? Er benutzt mehrere Methoden, die alle von logischem Interesse sind, aber seine Hauptmethode ist die der ,Reduktion'. Für meine jetzigen Zwecke wird es ausreichen, ein paar Beispiele anzugeben. Zunächst ein direktes Zitat — das auch dazu dienen wird, die extrem gedrängte Form zu beleuchten, in der Aristoteles seine Ergebnisse vorlegt. Nachdem er sich durch die Prämissenpaare der ersten Figur hindurchgearbeitet und diejenigen, die einen Schlußsatz ergeben, gefunden hat, widmet er sich der zweiten Figur. Wenn die Prämissen allgemein sind, wird es immer dann einen Syllogismus geben, wenn der Mittelterm (i) keinem Ρ und jedem S zukommt oder (ii) jedem Ρ und keinem S zukommt; sonst nicht. [Beweis von (i)] Es werde M von keinem P, aber von jedem S ausgesagt. Da die Negation konvertibel ist, wird Ρ keinem M zukommen. Aber M kam jedem S zu. Also wird Ρ keinem S zukommen. Denn das ist schon früher bewiesen worden. [Beweis von (ii)] Wenn wiederum M jedem Ρ und keinem S zukommt, wird Ρ auch keinem S zukommen. Denn wenn M keinem S, dann S keinem M ; aber M kam jedem Ρ zu. S wird also keinem Ρ zukommen. Denn nun ist wieder die erste Figur erreicht. Erste Analytiken I.5.27a3 Betrachten wir diese zwei Beweise, einen nach dem anderen. Im ersten will Aristoteles zeigen, daß folgendes ein gültiger Modus, d.h. ein echter Syllogismus ist:
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Logik M k o m m t keinem Ρ zu M k o m m t jedem S zu
(MeP) (MaS)
Ρ k o m m t keinem S zu
(PeS)
Er macht d a r a u f a u f m e r k s a m , daß M e P P e M impliziert: ,Die Verneinung ist konvertibeP. ( M a n kann die Reihenfolge der Terme in einer e - A u s s a g e u m k e h r e n — k o n v e r t i e r e n ' - , ohne ihren Wahrheitswert zu ändern.) A l s o ist es klar, daß M e P und M a S zusammen alles implizieren, w a s P e M und M a S z u s a m m e n implizieren. A b e r es ist bei der Analyse der M o d i der ersten Figur schon festgestellt w o r d e n , d a ß P e M und M a S z u s a m m e n PeS implizieren. Offensichtlich implizieren also M e P und M a S z u s a m m e n PeS. Diesen Beweis kann m a n wie folgt bildlich darstellen; der Pfeil stellt die Relation der logischen Implikation dar. I P e M M a S
II M e P M a S
Der zweite Beweis ist ein komplizierteres Beispiel. Hier will Aristoteles zeigen, daß folgendes gültig ist: M M
a e
Ρ S
P e S Es ist schon festgestellt w o r d e n , daß der folgende M o d u s der ersten Figur gültig ist: S M
e a
M Ρ
S
e
Ρ
Aber das P r ä m i s s e n p a a r M a P und M e S impliziert das Paar S e M und M a P (da M e S S e M impliziert - der gleiche Schachzug wie im v o r a n g e g a n g e n e n Beispiel — und die Reihenfolge der Prämissen nicht von Bedeutung ist). A l s o muß alles, w a s von S e M und M a P z u s a m m e n impliziert wird, auch von M a P und M e S impliziert werden. A l s o implizieren die letzteren SeP. Aber das impliziert PeS (wieder die gleiche Konversion). Diese Argumentation kann man wie folgt bildlich darstellen:
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Logik
S e M M a P S
e
Ρ
II a e
M M >
Ρ S
P e S
Die Prämissen des Arguments der zweiten Figur implizieren die des Arguments der ersten Figur, und der Schlußsatz des Arguments der ersten Figur impliziert den des Arguments der zweiten Figur. Wenn also das Argument der ersten Figur gültig ist, so ist es das Argument der zweiten Figur auch. Eine andere Weise, diese Argumentation auszudrücken, ist folgende. Aristoteles muß beweisen: (i) Wenn M a P und M e S , dann PeS (Syllogismus der zweiten Figur). Er hat schon: (ii) Wenn S e M und M a P , dann SeP (ein unbestritten gültiger Syllogismus der ersten Figur). Er argumentiert im wesentlichen so: (iii) Wenn M a P und M e S , dann M a P und S e M (durch Konversion der e-Aussage). (iv) Wenn MaP und S e M , dann S e M und M a P (Umkehrung der Reihenfolge der Aussagen). (v) Also: Wenn M a P und M e S , dann S e M und M a P (aus iii und iv). (vi) Also: Wenn M a P und M e S , dann SeP (aus ii und v). (vii) Wenn SeP, dann PeS (durch Konversion der e-Aussage). (i) Also: Wenn M a P und M e S , dann PeS (aus vi und vii). Die ,direkte Reduktion' beweist, daß gewisse M o d i anderer Figuren gültig sind, wenn wir bestimmte M o d i der ersten Figur schon als gültig gelten lassen. Die Beweise — wie meine Beispiele deutlich gemacht haben werden - sind von einer Anzahl logischer Wahrheiten abhängig. Erstens gibt es die ,Konversionsregeln'. Oben haben wir die Regel benutzt, daß die allgemeine Verneinung konvertibel
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ist, d. h. d a ß AeB BeA impliziert. In anderen Reduktionen benutzt Aristoteles zwei weitere Konversionsregeln: Wenn ΑλΒ, dann Bi'A. Wenn A/B, dann B