Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana: Entscheidungsbegründungen bei Celsus und Julian [1 ed.] 9783428537785, 9783428137787

Einzelne Falllösungen oder Argumentationen, und seien sie noch so markant, vermitteln kein zuverlässiges Bild von der Me

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Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana: Entscheidungsbegründungen bei Celsus und Julian [1 ed.]
 9783428537785, 9783428137787

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 157

Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana Entscheidungsbegründungen bei Celsus und Julian

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

JAN DIRK HARKE

Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana

Schriften zur Rechtsgeschichte

Heft 157

Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana Entscheidungsbegründungen bei Celsus und Julian

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-13778-7 (Print) ISBN 978-3-428-53778-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-83778-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Nike, Karl und Kasi

Vorwort Rund 16 Jahre sind vergangen, seit ich den ersten und später inhaltlich kaum veränderten Entwurf meiner Doktorarbeit über die Entscheidungsbegründungen des hochklassischen Juristen Celsus abgeschlossen habe. Diese Zeit genügt, um den Blick für Unzulänglichkeiten zu öffnen, die sich mir damals nicht erschlossen haben. Einer Veränderung bedürftig erscheint mir heute in erster Linie der exegetische Charakter der Untersuchung, der das statistische Ergebnis, auf das es eigentlich ankommt, in den Hintergrund drängt. Da es nun reizlos wäre, die Arbeit einfach neu zu fassen, habe ich mich dazu entschlossen, sie derart auszuweiten, dass dem statistischen Resultat ein noch größerer Aussagewert zukommt: Zwar widerlegt schon die Untersuchung der Entscheidungsbegründungen eines klassischen Juristen das Vorurteil vom intuitiven Vorgehen der römischen Rechtswissenschaft. Noch interessanter ist aber der Vergleich zweier Rechtsgelehrter, an dem sich erst die methodische Individualität erweist. Sucht man deshalb nach einem Gegenpart zu Celsus, so kann die Wahl nur auf Julian fallen, den anderen großen Hochklassiker und Vorstand der konkurrierenden Rechtsschule. Das von ihm stammende Quellenmaterial ist, gemessen in Fallentscheidungen, mehr als viermal so groß wie das auf Celsus zurückgehende und einer vergleichenden Untersuchung wert, die sich mit einer knappen Neudarstellung von Celsus’ Methode verbinden lässt. Würzburg, im November 2011

Jan Dirk Harke

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Eine unhistorische oder zeitlose Frage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Definition und Einteilung der rationes decidendi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Zählung von Entscheidungen und Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Schema der Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Argumenta Iuventiana – ­Entscheidungsbegründungen bei Celsus . . . . . 19 I. Systemimmanente Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Unvermittelte Fallentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 aa) Subsumtion unter Gesetze und Juristenregeln . . . . . . . . . . . . . 26 (1) Gesetzes- und Ediktsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 (2) Juristenrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 bb) Subsumtion unter Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (1) Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (2) Letztwillige Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Entscheidung durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Gesetze und Regeln des Juristenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Fortbildung des Juristenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Interpretation von Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Systemüberschreitende Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Interessenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Bonum et aequum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Konkrete private und öffentliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Erkenntnisse anderer Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian . . . . . . . . 65 I. Systemimmanente Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Unvermittelte Fallentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Einfacher Fallvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Fallvergleich zur Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

10 Inhaltsverzeichnis aa) Schlüsse aus Gesetzen und Juristenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (1) Gesetzes- und Ediktsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (2) Juristenrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Subsumtion unter Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (2) Letztwillige Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Entscheidung durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Gesetze und Regeln des Juristenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Fortbildung des Juristenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Interpretation von Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (1) Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (2) Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (1) Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 II. Systemüberschreitende Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Interessenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Parteiinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 aa) Verhinderung eines unbilligen Vorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 bb) Vermeidung eines unbilligen Nachteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b) Immaterielle und öffentliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 aa) Schutz der Würde und Sanktion unwürdigen Verhaltens . . . . . 327 bb) Favor libertatis und öffentliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Erkenntnisse anderer Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Anhang: Überblick über die Entscheidungsbegründungen bei Celsus und Julian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

Einleitung I. Eine unhistorische oder zeitlose Frage? Kann man sich der Methode eines römischen Juristen anders als aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie nähern? Es steht doch ganz außer Zweifel, dass die Vertreter der römischen Jurisprudenz einen klassischen Bildungsgang durchlaufen und insbesondere in Rhetorik und antiker Philosophie geschult waren. Ist es da nicht verfehlt, wenn man, statt nach beider Einfluss auf die Methode eines römischen Juristen zu fragen, diese nach Kriterien beurteilt, an denen man auch die heutige Rechtsfindung messen könnte? Sicherlich wäre es eine unzulässige Rückprojektion moderner Theorie, wenn man ihre Kategorien ohne Weiteres auf die Entscheidungen der klassischen römischen Juristen anwendete, indem man hier beispielsweise nach einer Analogie im Sinne der Ausfüllung einer Gesetzeslücke suchte. Nicht in gleicher Weise bedenklich erscheint es dagegen, die Entscheidungsbegründungen eines römischen Juristen nach Krite­ rien zu ordnen, die weder antik noch modern, sondern zeitlos sind, weil sie alle Möglichkeiten abdecken, wie ein Jurist mit einer vorgegebenen Rechtsordnung umgehen kann. Er kann sie außer Acht lassen und seine Entscheidung an Maßstäben ausrichten, die sich nicht aus der Rechtsordnung selbst ergeben. Oder er kann diese heranziehen, indem er entweder von einem unter ihrem Regime vorgenommenen Rechtsgeschäft, einer ihrer Regeln oder einer bereits getroffenen Fallentscheidung ausgeht und diese zur Grundlage für die Ableitung der Lösung des zu entscheidenden Falles macht. Geht er von einer Regel oder einem Rechtsgeschäft aus, kann er diese entweder unmittelbar zur Anwendung bringen oder auslegen, sie also konkretisieren oder auch modifizieren. Diese Methoden stehen einem Juristen in jeder beliebigen Rechtsordnung zur Verfügung, so dass sie sowohl von deren Charakter als auch von der jeweils gängigen Wissenschaftstheorie unabhängig sind. Orientiert man sich an ihr, gelingt die historische Einordnung der Vorgehensweise eines Juristen. Richtet man sich dagegen nach den abstrakten Kriterien, denen die Rechtsfindung in Auseinandersetzung mit einer vorhandenen Rechtsordnung schlechthin unterworfen ist, gewinnt man eine Aussage über die Methode eines Juristen, die sich in Beziehung zur Vorgehensweise von Rechtsgelehrten anderer Zeiten und Orte setzen lässt. Voraussetzung und Eigenheit dieses Ansatzes ist, dass alle Äußerungen des Juristen einbezogen werden, in denen er selbst Auskunft über den Weg

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der Falllösung gibt. Entscheidungen, die ohne Begründung geblieben oder mit dem Argument eines anderen Juristen versehen sind, scheiden aus dem Untersuchungsbereich von vornherein aus, weil man sie zwar deuten und aus dieser Deutung auch auf die Methode des Juristen schließen kann. Die Gefahr, dass man seinen eigenen Gedankengang verfehlt, ist jedoch zu groß, als dass man sich auf andere als die eigens begründeten Entscheidungen und damit auf die von ihm selbst gewählte Argumentationsmethode stützen könnte. Deren Quellen muss man aber wiederum vollständig auswerten. Denn nur, wenn man die Entscheidungsbegründungen ausnahmslos heranzieht, entsteht ein statistisches Gesamtbild von seiner Argumentationsmethode, das nicht zu erreichen ist, wenn man sich an einzelnen, besonders markanten Entscheidungsbegründungen orientiert. Zwar mögen sich diese für die Beurteilung der Methode eines Juristen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Wissenschaftslehre und vielleicht auch als Gradmesser seiner Originalität und intellektuellen Leistungsfähigkeit eignen. Die Frage, wie ein Jurist bei der Falllösung regelmäßig vorgegangen ist, kann man jedoch nur beantworten, wenn man auch die anderen, blasseren Begründungen untersucht. Für Celsus habe ich mich schon selbst um eine möglichst vollständige Auswertung seiner Entscheidungsbegründungen bemüht.1 Die mir heute erkennbaren Schwächen dieser Untersuchung auszugleichen, ohne sie zugleich vollständig neu zu fassen, dient das erste Kapitel dieser Arbeit. Für Julian, dem das zweite Kapitel gewidmet ist, existiert eine vergleichbare Untersuchung nur in Gestalt der Arbeit von Bund, der sich Julians Methode der Fallanknüpfung gewidmet hat.2 Er kommt zu dem Ergebnis, Julian sei einer Argumentation aus systematischen Zusammenhängen abgeneigt gewesen und habe den Umweg über die Verallgemeinerung gescheut.3 Grundlage dieser Einschätzung ist vor allem Julians Abstinenz von Analogieschlüssen, als die Bund nur solche Fallanknüpfungen gelten lassen will, in denen das tertium comparationis zwischen Haupt- und Vergleichsfall genannt ist4. Unabhängig davon, ob diese Beobachtung zutrifft, trägt sie natürlich nicht die Schlussfolgerung, Julian sei konkretem Denken verpflichtet gewesen; denn diese kann eben nur eine Untersuchung aller Entscheidungsbegründungen und nicht bloß die Auswertung der Fallanknüpfungen ergeben, die von 1  Harke, Argumenta Iuventiana. Entscheidungsbegründungen eines hochklassischen Juristen, Berlin 1999 (im Folgenden Harke, Argumenta Iuventiana). 2  Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, Köln  / Graz 1965 (im Folgenden Bund, Methode Julians). 3  Bund, Methode Julians, S. 178. Vgl. auch dens., Salvius Iulianus. Leben und Werk, in: Temporini / Haase (Hg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Bd. II.15, Berlin / New York 1976, S. 408, 445 f. 4  Bund, Methode Julians, S. 97 ff.

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vornherein weniger systematisch sind als die Entscheidungsbegründungen, in denen Julian seine Falllösung aus Regeln ableitet.5 Erst die Auswertung aller Entscheidungsbegründungen Julians ermöglicht auch einen Vergleich mit Celsus und damit eine Aussage über die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden großen Gestalten der römischen Hochklassik.6

II. Definition und Einteilung der rationes decidendi 1. Zählung von Entscheidungen und Begründungen Um die Begründungsdichte im Werk eines römischen Juristen zu ermitteln, bietet sich zunächst einmal an, die Zahl der Entscheidungsbegründungen in Beziehung zur Zahl der Fragmente zu setzen, die auf den Juristen in Lenels Palingenesie7 entfällt.8 So nähert man sich jedoch lediglich dem eigentlich relevanten Verhältnis, das in der Relation der Begründungen zu den getroffenen Entscheidungen besteht. Deren Zahl stimmt wiederum weitgehend mit der Summe aller Abschnitte überein, in die die überlieferten Fragmente eingeteilt sind. Zwar enthalten manche Abschnitte mehr als eine Fallentscheidung; häufig handelt es sich jedoch um komplementäre Fälle, bei denen die Lösung des einen nur Negativ der Entscheidung des anderen und von derselben ausdrücklichen oder unausgesprochenen ratio getragen ist. Lässt man solche Gestaltungen als eine einzige Falllösung gelten, kommt man in Celsus’ Werk auf 378 Entscheidungen, wovon sich etwas mehr als die Hälfte, nämlich 197 Entscheidungen, in Originalauszügen aus den digesta finden. Bei Julian sind es einschließlich seiner zahlreichen Zitate in ­Afrikans Quästionen insgesamt 1587 Entscheidungen, von denen wiederum etwa 50 %, nämlich 762 Entscheidungen, auf Originalauszüge aus seinen digesta, den libri ad Minicium und ad Urseium Ferocem entfallen.

5  Den Ansatz zu einer Auswertung aller Julianfragmente hat im 19. Jahrhundert Buhl in seinem nicht über den ersten Band hinausgekommenen Werk Salvius Iulianus (Heidelberg 1886) gemacht. Dessen Ziel ist jedoch nicht die Erforschung der Methode des Juristen, sondern die Darstellung des Standes, auf dem sich das Privatrecht bei Julian befindet. 6  Nachgerade entgegengesetzt ist der Ansatz von Scarano Ussani, L’utilità e la certezza, Mailand 1987, der das Wissenschaftsverständnis Julians anhand weniger Quellen, insbesondere der aus ihrem Zusammenhang gerissenen Aussagen im Digestentitel 1.3 rekonstruieren will. 7  Lenel, Palingenesia iuris civilis, Leipzig 1889, Bd. 1, (im Folgenden Lenel, Palingenesia). 8  So ist Horak, Rationes decidendi, Innsbruck 1969, S. 289 für die republikanischen Juristen und bin ich auch früher bei Celsus verfahren; vgl. Argumenta Iuventiana, S. 17.

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Schwieriger als die Zählung der Entscheidungen gestaltet sich die der Entscheidungsbegründungen. Hier stellt sich zunächst die Frage, wann man überhaupt von einer Argumentation sprechen kann. Gilt dies schon immer dann, wenn sich der Jurist eines Ausdrucks bedient, der eine Kausalbeziehung anzeigt? Oder sind an die Annahme einer Entscheidungsbegründung inhaltliche Anforderungen zu stellen? Sicherlich kann man keinen Qualitätsmaßstab anlegen und als ratio decidendi nur gelten lassen, was aus heutiger und subjektiver Sicht des Bearbeiters überzeugend erscheint. Dass die Ausdrucksweise gleichwohl nur Indizwirkung hat und nicht schon die Annahme einer Entscheidungsbegründung trägt, liegt daran, dass eine sprachliche Kausalverbindung heute wie in Rom oft nur dazu dient, eine Neuformulierung desselben Gedankens anzuzeigen. Von einer Entscheidungsbegründung kann man aber nur sprechen, wenn der formal als ratio ausgewiesene Satz auch einen Gedanken enthält, der über die eigentliche Entscheidung hinausgeht. Hieran fehlt es, wenn der Schluss aus der vermeintlichen Begründung auf die Falllösung die Banalitätsgrenze nicht überschreitet, weil mit der einen Aussage zugleich die andere getroffen ist. Ein Beispiel hierfür bietet Julians Entscheidung zur Teilung eines Schadens unter Gesellschaftern: Iul 234 = D 17.2.52.4 Ulp 31 ed Quidam sagariam negotiationem coierunt: alter ex his ad merces comparandas profectus in latrones incidit suamque pecuniam perdidit, servi eius vulnerati sunt resque proprias perdidit. dicit Iulianus damnum esse commune ideoque actione pro socio damni partem dimidiam adgnoscere debere …

Formal betrachtet schließt Julian von der Feststellung, dass der Schaden, den ein unter die Räuber geratener Gesellschafter erlitten hat, damnum commune sei, auf die Zuständigkeit der actio pro socio. Julian hätte sich jedoch auch, ohne dass seine Aussage an Gehalt verloren hätte, mit der Bejahung dieser Klagemöglichkeit begnügen können, weil sie eben nichts anderes als die Vergemeinschaftung des Schadens bedeutet. Von einer Begründung seiner Entscheidung kann unter solchen Umständen keine Rede sein. Dasselbe gilt, wenn der Jurist eine Entscheidung zunächst in abstrakter Form fällt, um sie dann durch die Konkretisierung des einen oder anderen Merkmals zu veranschaulichen. Hier lässt sich weder der abstrakte Satz als begründete Entscheidung begreifen, weil er nur durch Beispiele erläutert und nicht bewiesen wird; noch kann man die konkrete Falllösung als begründet ansehen, weil der Jurist sie ebenso gut direkt hätte treffen können, ohne dass sie deshalb weniger plausibel gewesen wäre. Das zweite Problem, vor das die Filterung der rationes decidendi stellt, betrifft die Wiedergabe von Entscheidungen durch andere Juristen. Diese nennen Celsus und Julian häufig als Urheber einer Falllösung und fügen eine Begründung hinzu, ohne diese hinreichend als Zitat zu kennzeichnen. Natürlich besteht hier stets die Möglichkeit, dass auch die Begründung von

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dem zitierten Hochklassiker stammt. Rechnete man deshalb auch diese Argumentationen Celsus und Julian zu, vergrößerte man jedoch über Gebühr die schon durch die Möglichkeit unrichtiger Überlieferung, insbesondere falscher Auflösung von Kürzeln, ohnehin gegebene Gefahr, dass man für das Werk des Juristen hält, was erst späterer Zusatz ist. Daher kann man, von den Ausnahmefällen einer parallelen Überlieferung oder Entscheidung abgesehen, als Begründung des zitierten Hochklassikers nur Aussagen gelten lassen, die im überkommenen Text nach derzeitigem Stand seiner Kritik auch eindeutig als solche gekennzeichnet sind. Der Fall ist dies meist nur, wenn zur Anzeige der indirekten Rede ein AcI verwandt wird. Bedient sich der zitierende Jurist des Konjunktivs, muss man alle Gestaltungen ausscheiden, in denen dieser eine andere Ursache haben kann, insbesondere weil ein Vergleichsfall im Irrealis geschildert wird. 2. Schema der Einteilung An der Spitze der Ordnung der Entscheidungsbegründungen muss die Unterscheidung danach stehen, ob der Jurist von dem vorhandenen Rechtssystem überhaupt Gebrauch macht oder ob er es vernachlässigt und sich für seine Entscheidung auf andere, hiervon unabhängige Maßstäbe beruft. Diese kann man mit Wieacker9 offene Wertungen nennen, sofern man sich hierdurch nicht zu dem falschen Schluss verleiten lässt, der Anwendung des überkommenen Rechtssystems müssten verdeckte Wertungen zugrunde liegen, zu deren Transport es eingesetzt wird. Dies ist natürlich nie ausgeschlossen, betrifft aber eine Frage, die jenseits der Analyse der Entscheidungsbegründungen liegt. Ob ein Jurist ein Motiv hat, über das er keine Auskunft gibt, ist nicht mehr eine Frage seiner Argumentationsmethode, die sich allein aus seiner Erklärung über die von ihm verwendete Art der Rechtsfindung ergibt. Bezieht er sich in ihr auf das vorhandene Rechtssystem, wendet er zumindest argumentativ die hierin wirksamen Wertungen an; und diese sind keineswegs verdeckt, sondern allenfalls so beschaffen, dass sie sich als Substrat unmittelbar anwendbarer Vorgaben formulieren lassen. Zu den offenen Wertungen, deren Einsatz systemüberschreitend ist, gehören einerseits Erkenntnisse anderer Wissenschaften, die die tatsächliche Grundlage für eine rechtliche Folgerung bieten, anderseits Interessenbewertungen, die an die Schutzwürdigkeit eines Beteiligten oder deren Fehlen sowie an überindividuelle oder öffent­ liche Interessen anknüpfen können. Von einer Entscheidungsbegründung lässt sich aber nur sprechen, wenn die Interessenbewertung mindestens angedeutet ist. Beschränkt sich der Jurist darauf, eine Lösung als gerecht zu bezeichnen, ist damit nicht mehr als das Ergebnis beschrieben, zu dem er kommt. 9  Offene

Wertungen bei den römischen Juristen, SZ 94 (1977) 1 ff.

16 Einleitung

Die Vorgaben der vorhandenen Rechtsordnung können nun in Einzelfallentscheidungen oder in mehr oder weniger abstrakt gefassten Rechtssätzen bestehen, die sich in Gesetzen, gesetzesähnlichen Regelwerken oder in Gestalt von außergesetzlich gebildeten Regeln finden. Orientiert sich der Jurist bei der Rechtfertigung seiner Lösung an der Entscheidung eines anderen Falles, dessen Lösung anerkannt oder leicht ist, geht er induktiv vor.10 Dies bedeutet aber noch nicht, dass er regellos verfährt. Denn auch beim reinen Schluss von Einzelfall zu Einzelfall hält sich der Jurist doch an ein Prinzip, nämlich den Gleichbehandlungsgrundsatz: Seine Schlussfolgerung beruht entweder darauf, dass der zu entscheidende dem schon entschiedenen Fall entweder so ähnlich ist, dass sie gleich zu behandeln sind, oder sie ergibt sich daraus, dass er so wesentlich verschieden ist, dass sie gerade nicht gleich behandelt werden dürfen.11 Formuliert der Jurist den maßgeblichen Umstand, ist er schon der Bildung einer Rechtsregel nahegekommen, die zur Deduktion taugt. Lässt der Jurist das tertium comparationis unbenannt, liegt ein reiner Induktionsschluss vor, der nicht über die Behauptung der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zweier Konstellationen hinausgeht. Dass das verbindende oder trennende Element hier ungenannt bleibt, ist aber kein Grund, den Fallvergleich nicht als Entscheidungsbegründung gelten zu lassen. Der Vergleichsfall muss nur auch wirklich als Argument gedacht sein und darf sich in seiner Bedeutung nicht darin erschöpfen, das Ergebnis zu beschreiben, zu dem der Jurist in dem Ausgangsfall kommt. Die Abgrenzung ist im konkreten Fall schwierig und muss ebenso wie die Filterung der Entscheidungsbegründungen überhaupt danach erfolgen, ob sich der Aussage des Juristen ein über die Fallentscheidung selbst hinausgehender Erklärungswert beimessen lässt. Dies lässt sich immer schon dann behaupten, wenn der Vergleichsfall zumindest hilft, das Problem des Ausgangsfalles zu vereinfachen. Trägt er nichts zu dessen Verständnis bei, kann man nicht von einer Entscheidungsbegründung sprechen.12 Eine weitergehende Aufgliederung der Fallanknüpfung ist kaum möglich. Vor allem die von Bund für Julian verwendeten vielfältigen Kategorien laufen auf die künstliche Trennung gleichartiger Argumentationsstrukturen hinaus. Stets geht es nämlich darum, dass aus der Lösung des Vergleichsfalls auf die Entscheidung des Ausgangsfalles geschlossen wird, und zwar 10  Induktion ist hier nicht im gewöhnlichen Sinne einer Regelbildung aus dem Einzelfall heraus gemeint. 11  Richtig Giaro, Methodologische Werkmittel der Romanistik, SZ 105 (1988) 180, 239 f. 12  Dies trifft auf viele der Texte zu, die Bund, Methode Julians, S. 122  ff. in Anknüpfung an Buhl, Julianus, S. 107 f. als Belege für die Verwendung einer Fik­tion aufführt. Anders als früher (Argumenta Iuventiana, S. 29 ff.) möchte ich heute auf den Begriff der Fiktion ebenso verzichten wie auf den der Analogie.

Einleitung17

entweder wegen seiner Ähnlichkeit oder weil er wegen seiner Andersartigkeit einen Gegenschluss erlaubt. Was den Vergleichsfall zum Argument für die Entscheidung macht, ist entweder die Akzeptanz seiner Lösung, oder dass diese leichter als die des Ausgangsfalles fällt, weil sein Sachverhalt einfacher ist. Will man eine weitere Einteilung der induktiven Entscheidungsbegründungen wagen, muss man bei diesem Unterschied ansetzen, der zugleich das Verhältnis der Fallanknüpfung zur Deduktion berührt: Wird ein Fall nicht wegen der Anerkennung, die seine Lösung genießt, sondern deshalb angeführt, weil er sich leichter begreifen lässt, ist der Fallvergleich gewöhnlich Vehikel einer angedeuteten Deduktion: Im zu entscheidenden Fall soll die Regel eingreifen, der die Lösung des Vergleichsfalls folgt oder gerade nicht folgt. Der Jurist verlässt so das Feld der eigentlichen Induktion als einer Schlussfolgerung von Einzelfall zu Einzelfall und bewegt sich auf die Ableitung der Fallentscheidung aus der Regel selbst zu. Anknüpfungspunkt regelrecht deduktiver Entscheidungsfindung können außer Rechtsgeschäften sowohl Bestimmungen in Gesetzen oder gesetzesähnlichen Werken wie insbesondere dem Edikt des römischen Prätors als auch Regeln anderer Herkunft sein, die der Jurist als Teil des vorhandenen Rechtssystems begreift. An die Grenze der systemimmanenten Argumentation gerät er erst dort, wo der Rechtssatz zur Wertung auffordert, indem er eine Rechtsfolge an die Bewertung eines Verhaltens anknüpft. Prominente Beispiele des römischen Rechts sind die Rekurse auf das Gebot der guten Treue (bona fides) und das Verbot der Arglist (dolus). Zwar sind sie jeweils durch den einschlägigen Rechtssatz, nämlich die Klage- und Einredeformeln im prätorischen Edikt, vorgegeben. Bei ihrer Anwendung ist der Jurist jedoch geradewegs dazu aufgefordert, Wertmaßstäbe anzulegen, die noch nicht notwendig in Gestalt von Rechtssätzen verfestigt und damit auch noch nicht Teil des Rechtssystems selbst sind. Zuweilen fällt die Entscheidung eines Falls weder durch schlichte Induktion noch im Wege einfacher Deduktion, sondern dadurch, dass ein Rechtssatz erst für den zu entscheidenden Fall aus einem anderen entwickelt wird. Bei Gesetzen und Rechtsgeschäften heißt dieses Verfahren gewöhnlich Auslegung; und es bietet sich an, hiervon auch dann zu sprechen, wenn ein neuer Satz des Juristenrechts aus schon entschiedenen Fällen oder einer anderen Regel gebildet wird, die der Jurist für verbindlich hält. Hier wie dort geht es nämlich darum, einen neuen Rechtssatz aufzustellen. Formal fällt die Entscheidung des Einzelfalls dann im Wege der Deduktion. Der entscheidende Schritt findet jedoch gerade nicht bei der Anwendung des Rechtssatzes auf den Fall statt. Entweder ist die Subsumtion unter den durch Auslegung gewonnenen Obersatz banal; oder es gibt noch gar keinen subsumtionsfähigen Sachverhalt, weil die Dinge wie etwa bei der Frage nach der Auslegung eines Testaments noch gar nicht so weit gediehen sind,

18 Einleitung

dass sich ein Umstand oder Verhalten unter einen Obersatz fassen ließe. Es bedeutete daher eine Verfälschung der Statistik, zählte man alle Auslegungsentscheidungen zu den deduktiven Argumentationen. Vielmehr muss man die Fallentscheidung durch Auslegung von der unvermittelten Entscheidungsfindung, bei der kein Zwischenschritt auf der Normseite gemacht wird, trennen und beide nebeneinander stellen. Und als begründete Falllösung kann man bei der Interpretation von Gesetzen und Rechtsgeschäften nur diejenigen Auslegungsentscheidungen gelten lassen, bei denen das Auslegungsergebnis auf ein weiteres Kriterium zurückgeführt wird. Dieses Interpretationskriterium kann seinerseits wiederum deduktiver oder induktiver Natur sein kann. Verfährt der Jurist deduktiv, bezieht er sich auf den Wortlaut oder bei der Auslegung von Gesetzen und gesetzesähn­ lichen Regelwerken auf den Zweck einer Vorschrift, bei der Deutung von Verträgen oder Testamenten auf die Absicht der Vertragspartner oder des Erblassers. Geht der Jurist induktiv vor, gewinnt er das Auslegungsergebnis aus einem schon entschiedenen Vergleichsfall, den er dem zu entscheidenden für hinreichend ähnlich oder derart unähnlich hält, dass ihm ein abweichendes Verständnis des Rechtssatzes geboten erscheint. Bei der Fortbildung des Juristenrechts, die sich durch die Schaffung neuer Regeln und Rechtsfiguren vollzieht, kann ein Jurist ebenfalls induktiv vorgehen und sie aus schon entschiedenen Konstellationen ableiten. Die deduktive Gewinnung neuer Rechtsregeln oder Rechtsfiguren trägt dagegen in aller Regel ihre eigene Begründung in sich, weil dem neu geschaffenen Rechtsinstitut der Bezug auf schon vorhandene Rechtsphänomene bereits inhärent ist. Das hier entworfene Schema der Auswahl und Einteilung der zu untersuchenden Entscheidungsbegründungen lässt in vielfacher Hinsicht Spielräume, die geeignet sind, das Ergebnis zu verfälschen. Insbesondere der Befund, ob eine Begründung einen gegenüber der Entscheidung eigenständigen Inhalt hat, ist dem subjektiven und unzeitgemäßen Eindruck des modernen Betrachters ebenso unterworfen wie die Entscheidung darüber, ob einem geschilderten Parallelfall Begründungsfunktion zukommt. In dem einen Fall drohen deduktive Falllösungen unter den Tisch zu fallen, die der antike Leser als solche begriffen hätte, in dem anderen besteht die Gefahr, dass Induktionsschlüsse verkannt werden. Die hierdurch geschaffenen Ungenauigkeiten sind aber kein Grund, von dem Versuch dieser Untersuchung abzusehen. Geht man von der vernünftigen Prämisse einer Normalverteilung der Entscheidungsbegründungen aus, behält das statistische Ergebnis Gültigkeit. Denn neben den möglicherweise nicht oder zu Unrecht erfassten Grenzfällen gibt es genügend Normalfälle, die sich ohne Schwierigkeiten in das Schema eingliedern, so dass über die Gesamtzahl eine gültige Aussage möglich wird.

A. Argumenta Iuventiana – ­Entscheidungsbegründungen bei Celsus I. Systemimmanente Rechtsfindung 1. Unvermittelte Fallentscheidung a) Induktion Selbst wenn man die nicht näher erläuterte Fallanknüpfung als Argument gelten lässt, spielt die Induktion in Celsus’ Werk nur eine untergeordnete Rolle: Von den 46 Begründungen unvermittelter Rechtsfindung, die überliefert sind, bestehen nur acht in einem Fallvergleich; und dieser ist durchweg nicht einfacher Struktur, sondern geht jeweils über die bloße Übertragung der Falllösung hinaus. Dies gilt sogar für (1) Cels 144 = D 31.19 (18 dig): Si is, cui legatus sit Stichus aut Pamphilus, cum Stichum sibi legatum putaret, vindicaverit, amplius mutandae vindicationis ius non habet: tamquam si damnatus heres alterutrum dare Stichum dederit, cum ignoret sibi permissum vel Pamphilum dare, nihil repetere possit.

Hat der Vermächtnisnehmer, dem einer von zwei Sklaven nach seiner Wahl per vindicationem vermacht ist, einen der beiden in der Annahme herausverlangt, nur diesen fordern zu können, kann er gleichwohl nachträglich nicht den anderen verlangen. Für Celsus ergibt sich dies aus dem Vergleich zu dem umgekehrten Fall, dass ein zur Auswahl des Vermächtnisgegenstands befugter Erbe eine Leistung auf ein Damnationslegat erbracht hat, von dem er fälschlich annahm, es sei allein auf die übereignete Sache gerichtet.1 Kann der Erbe sie nicht zurückfordern, weil die Leistung auf ein Vermächtnis kondiktionsfest ist,2 kann auch der Vermächtnisnehmer, wenn er sich für eine Sache entschieden hat, später keine andere fordern, weil der Erbe durch die Übergabe der Sache freigeworden ist. Damit der Vergleichsfall zur Vorgabe für die Entscheidung des Ausgangsfalles wird, genügt nicht der allgemeine Gleichheitssatz, der die Gleichbehandlung wesentlich gleicher Fälle vorschreibt. Vielmehr kommt als weitere Prämisse hinzu, dass Erbe und Vermächtnisnehmer als Schuldner und Gläubiger des Legatsan1  Zum 2  Vgl.

Verhältnis zu Iul 162 = D 12.6.32.3 (10 dig) s. u. B.I.1.a)bb) (30). Gai 2.283, IJ 3.27.7.

20 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

spruchs in der Frage seiner Erfüllung gleich zu behandeln sind. Diese Prämisse ist nicht so leicht einzusehen wie der allgemeine Gleichheitssatz; sie erscheint Celsus aber doch derart evident, dass er sie nicht mehr erläutert: Ist der Gläubiger zur Auswahl des Vermächtnisgegenstands befugt, darf er dem Schuldner nicht mehr zumuten, als diesem gestattet wäre, wenn er selbst wahlberechtigt gewesen wäre. Komplizierter ist der Fallvergleich, den Celsus anstellt, um die gesamtschuldnerische Haftung bei commodatum und locatio conductio zu begründen: (2) Cels 60 = D 13.6.5.15 Ulp 28 ed Si duobus vehiculum commodatum sit vel locatum simul, Celsus filius scripsit libro sexto digestorum quaeri posse, utrum unusquisque eorum in solidum an pro parte teneatur. et ait duorum quidem in solidum dominium vel possessionem esse non posse: nec quemquam partis corporis dominum esse, sed totius corporis pro indiviso pro parte dominium habere. usum autem balinei quidem vel porticus vel campi uniuscuiusque in solidum esse (neque enim minus me uti, quod et alius uteretur): verum in vehiculo commodato vel locato pro parte quidem effectu me usum habere, quia non omnia loca vehiculi teneam. sed esse verius ait et dolum et culpam et diligentiam et custodiam in totum me praestare debere: quare duo quodammodo rei habebuntur et, si alter conventus praestiterit, liberabit alterum et ambobus competit furti actio …

Celsus untersucht die Haftung mehrerer Entleiher oder Mieter derselben Sache, die durch den fehlerhaften Umgang mit ihr, bei der Leihe auch durch den von der Pflicht zur custodia abgedeckten niederen Zufall abhanden oder zu Schaden gekommen ist. Dass die Entleiher oder Mieter jeder für sich in voller Höhe haften, scheint zumindest auf den ersten Blick der Verteilung der Gebrauchsmöglichkeiten zu widersprechen: Während man bei Plätzen und Hallen durch den Mitgebrauch anderer nicht beschränkt werde, müsse man sich eine Mietsache wie etwa einen Wagen aufteilen und könne ihn nicht insgesamt allein benutzen. Celsus schließt hieraus gleichwohl nicht auf eine Haftung pro parte. Vielmehr sieht er Entleiher und Mieter in solidum verpflichtet und hält sich dabei an das Regime von Eigentum und Besitz:3 Auch hier steht den Mitinhabern der Gebrauch der Sache nicht einzeln allein zu; sie sind aber nichtsdestoweniger pro parte an der gesamten, ungeteilten Sache berechtigt. Zwar sind Entleiher und Mieter weder 3  Umgekehrt Schmieder, Duo rei, Berlin 2007, S. 175 f., der glaubt, Celsus überwinde eine ältere Diskussion, in der es auf die Zuständigkeit von Eigentum und Besitz angekommen sei. Ebenso Steiner, Die römischen Solidarobligationen, München 2009, S. 240, die meint, Celsus setze dem hergebrachten und unpassenden Schluss aus Eigentum und Besitz die Erwägung entgegen, die geforderte diligentia könne nur für die gesamte Sache geleistet werden; die diligentia erscheint aber nicht als Argument für die solidarische culpa-Haftung, sondern als Glied einer Aufzählung, in der beide gleichstehen.



I. Systemimmanente Rechtsfindung21

Eigentümer noch Besitzer der ihnen überlassenen Sache. Gleichwohl lässt sich der Gedanke einer anteiligen Berechtigung an der gesamten Sache pro indiviso übertragen; und hieraus ergibt sich dann auch die Verpflichtung als Gesamtschuldner.4 Celsus’ Schluss aus Miteigentum und Mitbesitz nähert sich insofern einer deduktiven Rechtsfindung, als der Jurist nicht schlicht von dem Ergebnis eines Vergleichsfalls auf die Lösung der Ausgangskonstellation folgert, sondern die Rechtsfigur der Gesamtberechtigung für einen Fall fruchtbar macht, in dem sie gewöhnlich keine Rolle spielt. Ähnlich ist der Vergleich, den Celsus zwischen Legat und Stipulationsschuld zieht: (3) Cels 130 = D 31.16 (16 dig) Si Titio aut Seio, utri heres vellet, legatum relictum est, heres alteri dando ab utroque liberatur: si neutri dat, uterque perinde petere potest atque si ipsi soli legatum foret: nam ut stipulando duo rei constitui possunt, ita et testamento potest id fieri.

Dass zwei Vermächtnisnehmer, die nach Auswahl des Erben durch ein Legat mit demselben Gegenstand bedacht sind, diesen einzeln fordern können, ergibt sich für Celsus aus dem Vergleich zur Stipulation:5 Sind hier zwei Gläubiger, denen der Schuldner eine Leistung als duo rei verspricht, einzeln zur gesamten Forderung berechtigt, darf nichts anderes für das Legat mit zwei alternativen Vermächtnisnehmern gelten, das Celsus der hier wie dort anwendbaren Rechtsfigur der Gesamtgläubigerschaft zuweist.6 Noch deutlicher in Richtung einer deduktiven Rechtsfindung geht Celsus’ Entscheidung zur Beweislast beim Vermächtnis in (4) Cels 135 = D 22.3.12 (17 dig): Quingenta testamento tibi legata sunt: idem scriptum est in codicillis postea scriptis: refert, duplicare legatum voluerit an repetere et oblitus se in testamento legasse id fecerit: ab utro ergo probatio eius rei exigenda est? prima fronte aequius videtur, ut petitor probet quod intendit: sed nimirum probationes quaedam a reo exiguntur: nam si creditum petam, ille respondeat solutam esse pecuniam, ipse hoc probare cogendus est. et hic igitur cum petitor duas scripturas ostendit, heres posteriorem inanem esse, ipse heres id adprobare iudici debet. 4  Ist hier ein Vergleich zur Gesamtschuld bei der Stipulation angedeutet, bezieht er sich jedenfalls nicht auf die Frage der Prozess- oder Solutionskonkurrenz; vgl. Schmieder (Fn. 3), S. 176 ff. 5  Nach Justinian waren sowohl die Zulässigkeit solcher Vermächtnisse als auch ihre Rechtsfolgen unter den klassischen Juristen umstritten; vgl. CJ 6.38.4pr und hierzu Schindler, Justinians Haltung zur Klassik, Köln / Graz 1966, S. 278 ff. Die Haltung des Celsus wird hier mit der auf das Vindikationslegat passenden Formel: occupantis melior condicio, beschrieben; vgl. Schindler a. a. O., S. 279 Fn. 112 und Schmieder (Fn. 3), S. 264. 6  Diese begriffliche Einordnung ist, wie Schmieder (Fn. 3), S. 321 feststellt, einmalig.

22 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Celsus beschäftigt sich mit der Beweislastverteilung in dem Fall, dass ein Erblasser ein Legat demselben Vermächtnisnehmer in gleicher Höhe doppelt, nämlich einmal im Testament, das andere Mal in einem Kodizill, ausgesetzt hat. Mit der zweiten Anordnung kann der Erblasser einerseits das frühere Vermächtnis verdoppelt, andererseits bloß aus Versehen wiederholt haben, weil er sich an die frühere Verfügung in seinem Testament nicht mehr erinnerte. Ausgehend von dem Grundsatz, dass ein Kläger den Nachweis für seine intentio führen muss, käme man zu dem Ergebnis, dass der Vermächtnisnehmer den Willen des Erblassers zur Verdopplung des Legats nachweisen müsste. Celsus weist die Beweislast dagegen dem beklagten Erben zu und beruft sich auf den Vergleichsfall, in dem ein verklagter Darlehensnehmer behauptet, die Darlehensvaluta zurückgezahlt zu haben. Dass er die Beweislast für die solutio trägt, zeigt, dass die Zuordnung eines Beweisthemas zur intentio der Klage noch nichts für die Beweislastverteilung ausgibt:7 Obwohl die Rückzahlung des Darlehens die intentio der condictio betrifft, trägt die Beweislast für diesen anspruchsvernichtenden Umstand doch der Darlehensnehmer. Im Ausgangsfall trägt der beklagte Erbe die Beweislast, weil er sich auf den rechtshindernden Umstand beruft, dass der zweiten Anordnung wegen des Irrtums des Erblassers der zugrunde liegende Wille fehlt.8 Der Vergleichsfall erzwingt diese Lösung nicht, ebnet ihr aber den Weg, indem sich an ihm zeigen lässt, dass es statt auf die intentio der Klage auf die Unterscheidung zwischen anspruchsbegründenden und solchen Umständen ankommt, die ein Recht in seiner Entstehung hindern oder wieder ausschließen. Damit ist ein Grundsatz als nicht einschlägig erwiesen, der prima fronte für die gegenteilige Lösung spricht. Einmal setzt Celsus den Fallvergleich ein, um die Subsumtion unter eine Regel über den Verlust einer Dienstbarkeit auszuschließen: (5) Cels 199 = D 8.6.12 (23 dig) Qui fundum alienum bona fide emit, itinere quod ei fundo debetur usus est: retinetur id ius itineris: atque etiam si precario aut vi deiecto domino possidet: fundus enim qualiter se habens ita, cum in suo habitu possessus est, ius non deperit, neque refert, iuste nec ne possideat, qui talem eum possidet. quare fortius et si aqua per rivum sua sponte perfluxit, ius aquae ducendae retinetur, quod et Sabino recte placet, ut apud Neratium libro quarto membranarum scriptum est.

Damit ein Wegerecht nicht durch non usus verloren geht, lässt Celsus genügen, dass es überhaupt in Anspruch genommen wird, und sei es auch von einem bonae fidei emptor, Prekaristen oder gewaltsamen Eindringling. Denn für sie gilt nicht weniger als beim Eigentümer, dass sie das Recht 7  Dies 8  Vgl.

habe ich in meinen Argumenta Iuventiana, S. 27 f. noch verkannt. Harke, Si error alquis intervenit, Berlin 2005, S. 345 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung23

fundi nomine,9 also für das herrschende Grundstück ausüben. Hieraus zieht Celsus nun einen Erst-Recht-Schluss auf den Fall des Wasserleitungsrechts: Fließe das abzuleitende Wasser von selbst als Bach über das dienende Grundstück, bleibe die zugrunde liegende Dienstbarkeit ebenfalls erhalten. Obwohl die Nutzung des dienenden Grundstücks hier nicht von Menschenhand erfolgt, erscheint Celsus der Untergang der Dienstbarkeit doch noch weniger gerechtfertigt als in dem Fall, dass sie ein Eindringling ausübt, der sich auf dem herrschenden Grundstück nicht nur ohne, sondern sogar gegen den Willen des Eigentümers befindet.10 Reicht sein Verhalten, um einen non usus zu verneinen, kann man ihn nach Celsus’ Auffassung auch dann nicht bejahen, wenn das herrschende Grundstück gewissermaßen selbst die hierfür bestellte Dienstbarkeit in Anspruch nimmt. Als Hilfe zur positiven Subsumtion dient Celsus die Fallanknüpfung dagegen in den folgenden drei Fragmenten: (6) Cels 237 = D 39.5.21.1 (28 dig) Sed si debitorem meum tibi donationis immodicae causa promittere iussi, an summoveris donationis exceptione necne, tractabitur. et meus quidem debitor exceptione te agentem repellere non potest, quia perinde sum, quasi exactam a debitore meo summam tibi donaverim et tu illam ei credideris. …

Celsus befindet über die Gewährung einer exceptio legis Cinciae für den Schuldner, der sich auf Anweisung seines Gläubigers durch Stipulation demjenigen verbindlich gemacht hat, den der Gläubiger beschenken will. Celsus verwehrt dem Schuldner die Einrede, indem er ihn so ansieht, als habe sein Gläubiger den geschuldeten Betrag eingezogen, ihn dann an den Beschenkten weitergegeben und dieser ihn als Darlehen an den Schuldner ausgereicht.11 In diesem Fall liegt eine donatio perfecta vor, so dass für eine Einrede aufgrund der lex Cincia kein Raum ist.12 Mit der Unterstellung einer doppelten Zahlung im Deckungs- und Valutaverhältnis vollzieht Celsus die Wirkung einer Leistung auf Anweisung nach, die er andernorts begrifflich zu erfassen versucht:13 Wer auf die Anweisung seines Gläubigers 9  Vgl.

die isoliert überlieferte ratio in Cels 32 = D 8.6.6.1 (5 dig). Schluss a maiore ad minus ist gerade, weil in dem einen Fall ein Mensch, im anderen die Natur am Werke ist, nicht unproblematisch; vgl. Harke, Argumenta Iuventiana, S. 22 f. 11  Hierzu Harke, Argumenta Iuventiana, S. 89 f. 12  Daher kann auch der Schluss des Fragments nicht echt sein, in dem diese Entscheidung abgeändert und der Fallvergleich gerade seines Sinnes beraubt wird: … sed ego, si quidem pecuniae a debitore meo nondum solutae sint, habeo adversus debitorem meum rescissoriam in id, quod supra legis modum tibi promisit ita, ut in reliquum tantummodo tibi maneat obligatus: sin autem pecunias a debitore meo exegisti, in hoc, quod modum legis excedit, habeo contra te condictionem. 13  Cels 120 = D 24.1.3.12 (Ulp 32 Sab); s. u. A.I.2.a)bb) (2). 10  Dieser

24 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

an den Anweisungsempfänger zahlt, stellt so die Rechtsfolgen her, die eine Leistung an den Anweisenden und eine weitere an den Anweisungsempfänger hätte. Mit dem weiteren Fallelement eines Darlehens des Anweisungsempfängers an den Angewiesenen geht Celsus darauf ein, dass im Zuwendungsverhältnis noch keine Zahlung, sondern nur eine Verpflichtung erfolgt ist. Da sie jedoch einer Leistung gleichsteht, bleibt dies ohne Einfluss die Beurteilung von Deckungs- und Valutaverhältnis14 und ändert nichts daran, dass eine donatio perfecta vorliegt. (7) Cels 106 = D 47.2.68.2 (12 dig): Infans apud furem adolevit: tam adulescentis furtum fecit ille quam infantis, et unum tamen furtum est: ideoque dupli tenetur, quanti umquam apud eum plurimi fuit. nam quod semel dumtaxat furti agi cum eo potest, quid refert propositae quaestioni? quippe, si subreptus furi foret ac rursus a fure altero eum recuperasset, etiam si duo furta fecisset, non amplius quam semel cum eo furti agi posset. nec dubitaverim, quin adulescentis potius quam infantis aestimationem fieri oporteret. et quid tam ridiculum est quam meliorem furis condicionem esse propter continuationem furti existimare?

Celsus zieht einen Schluss a maiore ad minus, um zu rechtfertigen, warum ein Dieb, der ein Sklavenkind gestohlen hat, mit der actio furti auf dessen Wert als adulescens haftet, wenn das Kind bei dem Dieb herangewachsen ist.15 Celsus’ Zweifel rühren daher, dass die Diebstahlsklage, die die Buße an den Wert der Sache im Zeitpunkt des furtum knüpft (cum furtum factum est), nur einmal gegeben ist und es deshalb naheliegt, von dem Moment der Entwendung auszugehen. Celsus entscheidet sich jedoch dagegen, indem er auf den Parallelfall verweist, dass der Dieb das gestohlene Kind an einen Dritten verliert und sich seiner wieder als adulescens bemächtigt: Auch hier kann der Eigentümer nur einmal klagen und doch als Buße den doppelten Wert des Sklaven im Jünglingsalter verlangen. Die actio furti ist damit nicht notwendig auf den Zeitpunkt der ersten Entwendung festgelegt, sondern auch ein für wiederholtes und dementsprechend auch für ein Dauerdelikt zuständig. Vergleicht man nun das wiederholte und das ständige furtum, so erscheint Celsus das Strafbedürfnis bei diesem nicht geringer, vielmehr noch größer, so dass es nach seiner Ansicht lächerlich wäre, den Täter dadurch zu privilegieren, dass man den Wert des Sklaven im Moment seiner erstmaligen Entwendung zugrunde legte. Mit der continuatio furti stellt Celsus einerseits das für ihn relevante Kriterium der Fallbewertung heraus, dass seinen Erst-Recht-Schluss aus dem Vergleichsfall trägt. Andererseits nennt er das begriffliche Merkmal, das eine Subsumtion unter die Formel der actio furti trägt: Weil das furtum ein Dauerdelikt ist, wird es nach der ersten Entwendung weiterhin begangen, so dass auch 14  Vgl.

Heine, Condictio sine datione, Berlin 2006, S. 44. hierzu Harke, Argumenta Iuventiana, S. 35 f.

15  Ausführlich



I. Systemimmanente Rechtsfindung25

der Wert, den der Sklave als Jüngling hat, in dem Zeitpunkt besteht cum furtum factum est. (8) Cels 260 = Coll 12.7.10 Item Celsus libro XXVII digestorum scribit: si, cum apes meae ad tuas advolassent, tu eas exusseris, quosdam negare conpetere legis Aquiliae actionem, inter quos et Proculum, quasi apes domini mei non fuerint. Sed id falsum esse Celsus ait, cum apes revenire soleant et fructui mihi sint. Sed Proculus eo movetur, quod nec mansuetae nec ita clausae fuerint. Ipse autem Celsus ait nihil inter has et columbas interesse, quae, si manum refugiunt, domi tamen fugiunt.

Celsus wendet sich gegen Proculus, der bei der Verbrennung eines Bienenschwarms einen Anspruch seines Halters aus der lex Aquilia mit der Begründung verneint, an Bienen bestehe kein Eigentum. Celsus zieht einen Vergleich zu den Tauben, deren Eignung als Gegenstand des Eigentums und Schutzobjekt der lex Aquilia ihm unstreitig erscheint: Da Bienen ebenso wie Tauben die Gewohnheit hätten, zu ihrem Halter zurückzukehren, und deshalb eine Fruchtziehung erlaubten, brauche man sie im Gegensatz zu anderen wilden Tieren nicht einzusperren, um Eigentum an ihnen zu begründen. Damit ist das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung erfüllt. b) Deduktion Die weit überwiegende Zahl der Entscheidungsbegründungen in Celsus’ Werk besteht aus unvermittelten Deduktionsschlüssen, bei denen der Jurist die Lösung des zu entscheidenden Falls aus der direkten Anwendung eines Rechtssatzes gewinnt. Auf diese Art der Argumentation entfallen bei Celsus 38 Begründungen. Ordnen lassen sie sich, indem man nach der Quelle des angewendeten Rechtssatzes unterscheidet und sie in Schlüsse aus Gesetzen und Ediktsbestimmungen sowie solche aus Regeln des Juristenrechts sondert. Aus dieser Einteilung heraus fällt eine ebenfalls der Deduktion zuzurechnende Entscheidungsbegründung, in der Celsus den Satz vom Widerspruch als Postulat für die Ausgestaltung von Rechtsinstituten bemüht:

Cels 149 = Vat 75.5 … quamquam Sabinus responderit, ut et Celsus libro XVIII digestorum refert, eum, qui partem usus fructus in iure cessit, et amittere partem et ipso momento recipere. quam sententiam ipse ut stolidam reprehendit; etenim esse incogitabile eandem esse causam cuique et amittendi et recipiendi.

Celsus wendet sich gegen Sabinus, der annimmt, die teilweise in iure cessio eines Nießbrauchs führe zu Verlust und Anwachsung des betroffenen Teils.16 Celsus hält es für undenkbar, dass derselbe Rechtsakt konträre 16  Zum Zusammenhang dieser Erwägung in Ulpians Sabinuskommentar eingehend Lohsse, Ius adcrescendi, Köln u. a. 2008, S. 232 ff.

26 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Rechtsfolgen auslöst und will der teilweisen in iure cessio daher von vornherein die Wirkung absprechen.17 aa) Subsumtion unter Gesetze und Juristenregeln (1) Gesetzes- und Ediktsbestimmungen Die direkte Subsumtion unter eine gesetzliche oder ediktale Vorschrift ist in Celsus’ Werk mit 12 Entscheidungen vertreten. Hiervon entfallen lediglich drei auf die gesetzesgebundene Ableitung einer Falllösung; und hierunter ist wiederum nur eine Folgerung aus einem Volksgesetz, namentlich der lex Aelia Sentia, der Celsus die Unwirksamkeit einer Sklavenfreilassung durch einen insolventen Erblasser entnimmt:18 (1) Cels 240 = D 28.5.61 (29 dig) Qui solvendo non erat, servum primo loco et alterum servum secundo loco heredes scripsit. solus is qui primo loco scriptus est hereditatem capit: nam lege Aelia Sentia ita cavetur, ut, si duo pluresve ex eadem causa heredes scripti sint, uti quisque primus scriptus sit, heres sit.

Außerdem bezieht sich Celsus an zwei Stellen auf Sätze des Zwölftafelgesetzes. Im einen Fall ist es die Bestimmung: uti legassit suae rei, ita ius esto19 (V.3), mit der die nuncupatio eines Erblassers Bindungswirkung für seine Vermögensnachfolge erlangt: (2) Cels 122 = D 28.5.9.2 Ulp 5 Sab Sed si non in corpore erravit, sed in parte, puta si, cum dictasset ex semisse aliquem scribi, ex quadrante sit scriptus, Celsus libro duodecimo quaestionum, digestorum undecimo posse defendi ait ex semisse heredem fore, quasi plus nuncupatum sit, minus scriptum …

Hat jemand einem Testamentsschreiber diktiert, dass ein Erbe zur Hälfte eingesetzt sein solle, und ist im Testament geschrieben, er solle zu einem Viertel erben, ist er Erbe zur Hälfte. Denn das Diktat bedeutet die nuncupatio, für die die Testamentsurkunde nur ein Beweismittel ist.20 17  Zum Zusammenhang mit der Entscheidung zur Besitzübertragung an einen furiosus in Cels 195 = D 41.2.18.1 (23 dig; s. u. A.I.2.b)aa) [10]) und mit Celsus’ Durchgangskonstruktion in Cels 120 = D 24.1.3.12 Ulp 32 Sab (s. u. A.I.2.a.bb [2]) vgl. Harke, Argumenta Iuventiana, S. 78 Fn. 309, S. 86 Fn. 341. 18  Ebenso Iul 767 = D 28.5.43 (64 dig). 19  Vgl. Gai 2.224. 20  Die folgende Ausdehnung der Entscheidung auf den Fall eines eigenen Schreibversehens des Erblassers stammt von Ulpian; vgl. Harke, Verba und voluntas – was bedeutet Testamentsauslegung für die Hochklassiker?, in: ders. (Hg.), Römisches Erbrecht, Berlin / Heidelberg  2012.



I. Systemimmanente Rechtsfindung27

Im anderen Fall ist es der Satz: nomina ipso iure divisa (V.9), aus dem sich die Entscheidung ergibt: (3) Cels 228 = D 5.1.31 (27 dig) Si petitor plures heredes reliquerit unusque eorum iudicio egerit, non erit verum totam rem quae in priore iudicio fuerit deductam esse: nec enim quisquam alienam actionem in iudicium invito coherede perducere potest.

Hat ein Kläger mehrere Erben und lässt sich von diesen nur einer auf den Prozess ein, wird die Forderung bloß zu dem Teil rechtshängig, zu dem der neue Kläger Erbe geworden ist. Wegen der automatisch eintretenden Realteilung der Forderung steht das einstige Recht des Klägers im Übrigen den Miterben nach dem Maß ihrer Erbquote zu und kann auch nur von ihnen wirksam geltend gemacht werden. Häufiger, nämlich neunmal, folgert Celsus aus einer Anordnung des prätorischen Edikts. Die hier einschlägigen Texte kann man in solche einteilen, in denen der Jurist schlicht den Tatbestand eines ediktalen Rechtssatzes verneint oder bejaht, und solche, in denen er von einem durch das Edikt eingeräumten Entscheidungsspielraum Gebrauch macht. Ein einfacher Schluss durch Subsumtion unter eine ediktale Bestimmung oder ihre Ablehnung findet sich in fünf Fragmenten: (4) Cels 8 = D 3.2.4.1 Ulp 6 ed Designatores autem, quos Graeci brabentas appellant, artem ludicram non facere Celsus probat, quia ministerium, non artem ludicram exerceant. …

Celsus nimmt von der Infamie die Platzanweiser aus: Zwar sind sie ebenfalls in einem Bühnenbetrieb tätig; sie verrichten jedoch einen Dienst und keine ars ludicra, wie sie im prätorischen Edikt als Voraussetzung der Infamiefolge bestimmt ist21. (5) Cels 23 = D 42.1.39 (3 dig) Duo ex tribus iudicibus uno absente iudicare non possunt, quippe omnes iudicare iussi sunt. sed si adsit et contra sentiat, statur duorum sententiae: quid enim minus verum est omnes iudicasse?

Dem Gebot, dass eine Entscheidung durch alle drei Rekuperatoren, ergehen muss, ist dann nicht Genüge getan, wenn das Urteil nur von zweien in Abwesenheit des Dritten gefällt worden ist. Es ist dagegen eingehalten, wenn zwei derselben Meinung sind und mit ihrer Mehrheit den dritten überstimmen, der anderer Ansicht ist. Denn trotz der fehlenden Einstimmigkeit lässt sich hier nicht Abrede stellen, dass alle drei Richter ein Urteil gefällt haben. (6) Cels 37 = D 10.4.5pr Ulp 24 ed Celsus scribit: si quis merces, quas exvehendas conduxit, in horreo posuit, cum conductore ad exhibendum agi potest: item si mortuo conductore heres existat, 21  Vgl.

D 3.1.1pr Ulp 1 ed.

28 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus cum herede agendum: sed si nemo heres sit, cum horreario agendum: nam si a nullo, inquit, possidentur, verum est aut horrearium possidere aut certe ille est, qui possit exhibere. idem ait: quomodo autem possidet qui vehendas conduxit? an quia pignus tenet? quae species ostendit etiam eos, qui facultatem exhibendi habent, ad exhibendum teneri.

Celsus befasst sich mit der Frage, ob und gegen wen der Eigentümer einer Sache mit der actio ad exhibendum vorgehen kann, wenn sie einem Frachtführer übergeben und von diesem bei einem Lagerhalter in Verwahrung gegeben worden ist. Weder der Frachtführer noch der Lagerhalter sind, wenn sie nicht das Eigentum an der Sache beanspruchen, deren Besitzer. Der Lagerhalter ist aber zumindest derjenige, der die Sache vorlegen kann, so dass er zur actio ad exhibendum passivlegitimiert ist. (7) Cels 58 = D 42.1.13.1 (6 dig) Si quis promiserit prohibere se, ut aliquid damnum stipulator patiatur, et faciat ne quod ex ea re damnum ita habeatur, facit quod promisit: si minus, quia non facit quod promisit, in pecuniam numeratam condemnatur, sicut evenit in omnibus faciendi obligationibus.

Bricht ein Schuldner sein Versprechen, den Eintritt eines Schadens beim Gläubiger zu verhindern, wird er zum Geldausgleich des Interesses verurteilt, das der Gläubiger an der Vermeidung des Schadens hat. Das Versprechen der Schadensabwehr unterscheidet sich nicht von anderen obligationes faciendi, deren durch die Kondemnationsformeln vorgegebenes Regime Celsus hier zur Anwendung bringt. (8) Cels 209 = D 43.19.7 (25 dig) Si per fundum tuum nec vi nec clam nec precario commeavit aliquis, non tamen tamquam id suo iure faceret, sed, si prohiberetur, non facturus, inutile est ei interdictum de itinere actuque: nam ut hoc interdictum competat, ius fundi possedisse oportet.

Celsus spricht demjenigen die Befugnis zur Erhebung des interdictum de itinere actuque privato ab, der über einen Weg zwar weder mit Gewalt noch heimlich oder kraft einer Bittleihe gegangen ist, aber auch nicht glaubte, ein Recht zur Benutzung des Wegs zu haben. Ihm fehle nämlich der Besitz, der Voraussetzung für den Interdiktenschutz ist. Die Anwendung von ediktalen Begriffen mit Wertungsspielräumen verbindet Celsus in zwei von vier Fällen mit der Aufforderung, der Prätor oder iudex solle nicht voreilig verfahren, sondern seine Entscheidung erst nach gründlicher Aufklärung des Sachverhalts treffen. Der Lösung eines realen Falles gilt dies vermutlich in (9) Cels 13 = D 4.4.3.1 Ulp 11 ed: … unde illud non ineleganter Celsus epistularum libro undecimo et digestorum secundo tractat, ex facto a Flavio Respecto praetore consultus. minor annis viginti quinque, annos forte viginti quattuor agens, iudicium tutelae heredi tutoris



I. Systemimmanente Rechtsfindung29 dictaverat: mox factum ut (non finito iudicio iam eo maiore effecto viginti quinque annis) tutoris heres absolutus proponeretur: in integrum restitutio desiderabatur. Celsus igitur Respecto suasit non facile hunc quondam minorem in integrum restitui, sed si ei probaretur calliditate adversarii id actum, ut maiore eo facto liberaretur: neque enim extremo, inquit, iudicii die videtur solum deceptus hic minor, sed totum hoc structum, ut maiore eo facto liberaretur. idem tamen confitetur, si levior sit suspicio adversarii quasi dolose versati, non debere hunc in integrum restitui.

Vom Prätor nach der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung wegen Minderjährigkeit gefragt, gibt Celsus ihm den Rat, einen Kläger, der im Laufe des Prozesses gegen den schließlich freigesprochenen Erben seines Vormunds 25 Jahre alt geworden ist, nicht unbesehen und insbesondere nicht aufgrund eines leichten Verdachts, sondern nur bei Nachweis seiner Hintergehung durch den Erben des Vormunds wiedereinzusetzen. Dass der Kläger während des Verfahrens das Alter von 25 Jahre erreicht hat, schließe seine restitutio in integrum aber nicht von vornherein aus. Sei das Verhalten des Beklagten darauf angelegt gewesen, dass sein Freispruch erst nach Erreichen der Altersgrenze erfolgt, erscheine der Kläger nicht erst durch den Ausgang des Prozesses, vielmehr schon vorher und damit noch als Minderjähriger hintergangen worden zu sein. Nicht auf einen wirklichen Fall zugeschnitten, sondern Gegenstand eines Traktats sind Celsus’ Differenzierungen in (10) Cels 22 = D 6.1.38 (3 dig): In fundo alieno, quem imprudens emeras, aedificasti aut conseruisti, deinde evincitur: bonus iudex varie ex personis causisque constituet. finge et dominum eadem facturum fuisse: reddat impensam, ut fundum recipiat, usque eo dumtaxat, quo pretiosior factus est, et si plus pretio fundi accessit, solum quod impensum est. finge pauperem, qui, si reddere id cogatur, laribus sepulchris avitis carendum habeat: sufficit tibi permitti tollere ex his rebus quae possis, dum ita ne deterior sit fundus, quam si initio non foret aedificatum. [constituimus vero, ut, si paratus est dominus tantum dare, quantum habiturus est possessor his rebus ablatis, fiat ei potestas:] neque malitiis indulgendum est, si tectorium puta, quod induxeris, picturasque corradere velis, nihil laturus nisi ut officias. finge eam personam esse domini, quae receptum fundum mox venditura sit: nisi reddit, quantum prima parte reddi oportere diximus, eo deducto tu condemnandus es.

Celsus beschreibt die Position eines gutgläubigen Besitzers, der Aufwendungen auf das vom Eigentümer herausverlangte Grundstück gemacht hat. Ihren Ersatz oder die Wegnahme von Einrichtungen kann er zwar nicht positiv im Wege einer eigenen Klage verlangen, aber indirekt dadurch erzwingen, dass er die exceptio doli erhebt.22 Sie sperrt die Vindikation des 22  Eingehend

Harke, Argumenta Iuventiana, S. 109 ff.

30 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Eigentümers, falls es eine unzulässige Rechtsausübung darstellte, die Herausgabe des Grundstücks zu verlangen, ohne zugleich Verwendungsersatz zu leisten oder die Wegnahme der Einrichtung zu gestatten. Celsus ermahnt den Richter zu gründlicher Unterscheidung: Verwendungsersatz kann der Besitzer grundsätzlich dann beanspruchen, wenn der Eigentümer das Grundstück verkaufen will oder die Aufwendung selbst getätigt hätte, jedoch doppelt begrenzt einerseits durch die Höhe der Aufwendungen und andererseits durch die Wertsteigerung, die das Grundstück dadurch erfahren hat. Ist dem Grundstücksbesitzer mangels Verkaufsabsicht und wegen seiner bescheidenen finanziellen Verhältnisse ein Aufwendungsersatz nicht zuzumuten, gereicht ihm dessen Verweigerung nicht zum Vorwurf des dolus, falls er dem Besitzer zumindest die Wegnahme gestattet.23 Auch dies muss er aber nicht dulden, wenn dadurch entweder das Grundstück weniger wert als vor der Verwendung wäre oder der Besitzer nur aus Bosheit tätig würde, weil ihm die Wegnahme wie etwa bei der Zerstörung einer Wandverkleidung oder eines Gemäldes selbst keinen Vorteil brächte und nur dem Eigentümer Schaden zufügte. Der zunächst als offene Wertung erscheinende Aufruf: malitiis indulgendum est, erweist sich bei näherem Hinsehen als Ausfüllung des dolus-Begriffs: Dem Grundstückseigentümer kann nicht der Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung gemacht werden, wenn er, obwohl er keinen Verwendungsersatz leistet, eine Wegnahme untersagt, die dem Besitzer nicht von Nutzen ist. Um die exceptio doli geht es entgegen dem ersten Anschein auch in (11) Cels 233 = D 8.3.11 (27 dig): Per fundum, qui plurium est, ius mihi esse eundi agendi potest separatim cedi. ergo suptili ratione non aliter meum fiet ius, quam si omnes cedant et novissima demum cessione superiores omnes confirmabuntur: benignius tamen dicetur et antequam novissimus cesserit, eos, qui antea cesserunt, vetare uti cesso iure non posse.

Mit dem scheinbar auf Rechtskritik gerichteten Begriffspärchen: subtilis ratio – benignius, beschreibt Celsus den Unterschied zwischen Zivil- und Honorarrecht:24 Bleibt die Bestellung einer Dienstbarkeit durch einen Miteigentümer des dienenden Grundstücks, für sich genommen, auch wirkungslos und wird erst mit der Bestellung durch die übrigen Teilhaber geheilt, so steht dem Miteigentümer, der die Bestellung schon vorgenommen hat, vom Moment der Zession an doch schon die exceptio doli entgegen, wenn er dem künftigen Inhaber der Dienstbarkeit die Benutzung des dienenden 23  Zu dieser Lösung steht der mit constituimus vero beginnende Einschub in Widerspruch, weil er eine Geldzahlung des Eigentümers in Spiel bringt, zu der dieser aber gerade nicht in der Lage sein soll. 24  Vgl. Harke, Argumenta Iuventiana, S. 115 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung31

Grundstücks untersagen will. Da er sich so mit seinem vorangegangenen Verhalten in Widerspruch setzt, bringt ihm das Nutzungsverbot den Vorwurf des dolus ein. Um das ebenfalls ausfüllungsbedürftige Gebot der bona fides geht es schließlich in (12) Cels 68 = D 17.1.48pr (7 dig) Quintus Mucius Scaevola ait, si quis sub usuris creditam pecuniam fideiussisset et reus in iudicio conventus cum recusare vellet sub usuris creditam esse pecuniam et fideiussor solvendo usuras potestatem recusandi eas reo sustulisset, eam pecuniam a reo non petiturum. sed si reus fideiussori denuntiasset, ut recusaret sub usuris debitam esse nec is propter suam existimationem recusare voluisset, quod ita solverit, a reo petiturum. hoc bene censuit scaevola: parum enim fideliter facit fideiussor in superiore casu, quod potestatem eximere reo videtur suo iure uti: ceterum in posteriore casu non oportet esse noxiae fideiussori, si pepercisset pudori suo.

Celsus begründet eine Entscheidung von Quintus Mucius, der einen Bürgen, der vorbehaltlos auf eine vom Hauptschuldner bestrittene Zinspflicht geleistet hat, den Rückgriff gegen seinen Auftraggeber nicht unter allen Umständen verwehrt: Kann der Bürge die Zinspflicht nicht ohne Ansehensverlust in Abrede stellen, darf er sich über eine Weisung des Hauptschuldners hinwegsetzen und nach der Zahlung an den Gläubiger gleichwohl mit der Auftragsklage vorgehen. Entscheidungsgrundlage ist das G ­ ebot der bona fides, dem die Beurteilung der Verpflichtung des Hauptschuldners aus der actio mandati unterliegt: Ebenso wie es dem Bürgen im Normalfall verbietet, dem Hauptschuldner die Möglichkeit zu nehmen, sich gegen eine von ihm bestrittene Zinspflicht zu wehren, ist es umgekehrt treuwidrig, wenn der Hauptschuldner vom Bürgen verlangt, sich in ehrenrühriger Weise gegen den Gläubiger zur Wehr zu setzen, und dann, wenn der Bürge dies unterlässt, den Ersatz seiner Aufwendungen zu verweigern.

(2) Juristenrecht Der Schwerpunkt der Deduktionstätigkeit im Werk Celsus’ liegt auf der Subsumtion unter Regeln des Juristenrechts, die in insgesamt 16 Entscheidungsbegründungen Ausgangspunkt der Argumentation sind. Dass Celsus die Deduktion hieraus der unnötigen Bildung von Kasuistik vorzieht, zeigt seine Kritik an Proculus in (1) Cels 10 = D 3.5.9.1 Ulp 10 ed: Is autem qui negotiorum gestorum agit non solum si effectum habuit negotium quod gessit, actione ista utetur, sed sufficit, si utiliter gessit, etsi effectum non habuit negotium. et ideo si insulam fulsit vel servum aegrum curavit, etiamsi

32 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus insula exusta est vel servus obit, aget negotiorum gestorum: idque et Labeo probat. sed ut Celsus refert, Proculus apud eum notat non semper debere dari. quid enim si eam insulam fulsit, quam dominus quasi inpar sumptui deliquerit vel quam sibi necessariam non putavit? oneravit, inquit, dominum secundum Labeonis sententiam, cum unicuique liceat et damni infecti nomine rem derelinquere. sed istam sententiam Celsus eleganter deridet: is enim negotiorum gestorum, inquit, habet actionem, qui utiliter negotia gessit: non autem utiliter negotia gerit, qui rem non necessariam vel quae oneratura est patrem familias adgreditur. …

Proculus will die actio negotiorum gestorum versagen, wenn jemand das baufällige Haus eines anderen abgestützt hat, das dieser ohnehin abreißen wollte. Er sieht hierin eine Ausnahme von dem auf Labeo zurückgehenden Grundsatz, dass ein Geschäftsbesorger Aufwendungsersatz verlangen kann, wenn er das Geschäft utiliter, also aus der Sicht ex ante zweckmäßig, wenn auch nicht notwendig erfolgreich, geführt hat. Celsus selbst leitet die von Proculus befürwortete Rechtsfolge gerade aus diesem Grundsatz her und stellt dessen vorschnelle Einschränkung als überflüssig bloß:25 Ist die Geschäftsführung für den Geschäftsherrn von vornherein unnötig oder gar belastend, liege auch kein utiliter geführtes Geschäft vor, so dass kein Aufwendungsersatz geschuldet sei. Auf das prätorische Edikt lässt sich die Voraussetzung der nützlichen Geschäftsführung nur insoweit zurückführen, als die Geschäftsführungsklage darin dem Gebot der bona fides unterstellt ist. Auf derselben Grundlage haben die klassischen Juristen den Satz entwickelt, ein Verkäufer müsse, um seinen Anspruch auf den Kaufpreis zu wahren, dafür sorgen, dass der Käufer die Kaufsache aufgrund des Kaufvertrags innehat. Den Zusammenhang dieser Regel mit dem in der Formel der Kaufklagen genannten Maßstab der bona fides stellt Celsus eigens heraus: (2) Cels 80 = D 21.2.29pr Pomp 11 Sab Si rem, quam mihi alienam vendideras, a domino redemerim, falsum esse quod Nerva respondisset posse te a me pretium consequi ex vendito agentem, quasi habere mihi rem liceret, Celsus filius aiebat, quia nec bonae fidei conveniret et ego ex alia causa rem haberem.

Celsus spricht dem Verkäufer einer fremden Sache den Anspruch auf den Kaufpreis ab, wenn der Käufer sie später vom Eigentümer erneut kauft. Das Argument Nervas, der erste Verkäufer verstatte dem Käufer doch den Besitz an der Sache, widerlegt Celsus mit der Erwägung, der Käufer besitze die Sache, seitdem er sie dem Eigentümer abgekauft hat, aufgrund dieses zweiten Kaufvertrags und nicht mehr auf der Basis der ersten emptio. Fällt mit dem habere licere auch die Leistung des Verkäufers weg, liefe es dem 25  Hierzu

ausführlich Harke, Argumenta Iuventiana, S. 44 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung33

Gebot der bona fides zuwider, behielte dieser den Anspruch auf den Kaufpreis.26 Um die Konkretisierung eines im prätorischen Edikt und schon in den XII Tafeln genannten Begriffs handelt es sich bei dem Merkmal der Entwendung (intervertere), mit dem die Juristen den Tatbestand des furtum ausfüllen: (3) Cels 104 = D 47.2.43.10 Ulp 41 Sab Si quis sponte rem iecit vel iactavit, non quasi pro derelicto habiturus, tuque hanc rem tuleris, an furti tenearis, Celsus libro duodecimo digestorum quaerit. et ait: si quidem putasti pro derelicto habitam, non teneris. quod si non putasti, hic dubitari posse ait: et tamen magis defendit non teneri, quia, inquit, res non intervertitur ei, qui eam sponte reiecit.

Celsus will wissen, ob ein furtum vorliegt, wenn jemand eine Sache an sich nimmt, die ihr Eigentümer ohne Dereliktionsabsicht fortgeworfen hat. Geht der Täter davon aus, das Eigentum hieran sei aufgegeben worden, scheitert die Annahme eines furtum an seinem fehlenden Vorsatz. Zweifelhaft ist dagegen der Fall, in dem der Täter weiß, dass der Eigentümer keine Absicht zur Dereliktion hatte. Celsus entscheidet sich auch hier gegen die Strafbarkeit, weil er schon das objektive Tatbestandsmerkmal der Entwendung (intervertere) nicht erfüllt sieht, wenn sich jemand einer weggeworfenen Sache bemächtigt. Ohne Anhaltspunkt in Gesetz oder Edikt ist die Regel, dass derjenige, der eine Leistung ohne Rechtsgrund erhalten hat, deren Herausgabe aus der condictio schuldet. Celsus bezieht sich hierauf insgesamt fünfmal, dreimal bejaht er einen Rückforderungsanspruch, zweimal verneint er ihn oder eine entsprechende Einrede. Zum Ausgangspunkt einer systematischen Darstellung wird der Kondiktionsanspruch in (4) Cels 73 = D 12.4.16 (8 dig):27 Dedi tibi pecuniam, ut mihi Stichum dares: utrum id contractus genus pro portione emptionis et venditionis est, an nulla hic alia obligatio est quam ob rem dati re non secuta? in quod proclivior sum: et ideo, si mortuus est Stichus, repetere possum quod ideo tibi dedi, ut mihi Stichum dares. finge alienum esse Stichum, sed te tamen eum [tradidisse] : repetere a te pecuniam potero, quia hominem accipientis non feceris: et rursus, si tuus est Stichus et [pro evictione eius promittere] non vis, non liberaberis, quo minus a te pecuniam repetere possim.

Die Vereinbarung über den Austausch von Geld gegen das Eigentum an einem Sklaven begreift Celsus wegen der angestrebten Übereignung nicht 26  Zum Zusammenhang dieser Entscheidung mit der Lehre Julians Harke, Julian und die Rechtsmängelhaftung, OIR 11 (2006) 63, 81. 27  Hierzu eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 49 ff.

34 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

als Kauf,28 sondern als datio ob rem.29 Dies bedeutet, dass der Erwerber die Geldleistung kondizieren kann, falls der Sklave vor seiner Übereignung stirbt, nicht dem Veräußerer gehört oder von ihm nicht durch mancipatio übereignet wird. Alle diese Rechtsfolgen stehen im Gegensatz zu denjenigen, die bei Annahme eines Kaufvertrags einträten: Hier hätte der Käufer die Gefahr eines zufälligen Untergangs des Kaufgegenstands zu tragen; er könnte auch dann, wenn er nicht das Eigentum an dem Sklaven erwirbt, gegen den Verkäufer erst im Fall der Eviktion vorgehen; und er hätte, wenn ihm die Sache von ihrem Eigentümer übergeben wird, kein schätzbares Interesse an der Vornahme der mancipatio, da er ja durch die exceptio rei venditae et traditae und die actio Publiciana umfassend geschützt ist. (5) Cels 54 = D 12.6.48 (6 dig): Qui promisit, si aliquid a se factum sit vel cum aliquid factum sit, dare se decem, si, priusquam id factum fuerit, quod promisit dederit, non videbitur fecisse quod promisit atque ideo repetere potest.

Hat jemand eine Leistung vor Eintritt der Bedingung erbracht, unter der er sie versprochen hat, kann er sie zurückfordern, weil er etwas geleistet hat, das er noch nicht schuldete. (6) Cels 53 = D 12.6.47 (6 dig) Indebitam pecuniam per errorem promisisti: eam qui pro te fideiusserat solvit. … sin autem fideiussor suo nomine solverit quod non debebat, ipsum a stipulatore repetere posse, quoniam indebitam iure gentium pecuniam solvit: quo minus autem consequi poterit ab eo cui solvit, a te mandati iudicio consecuturum, si modo per ignorantiam petentem exceptione non summoverit.

Celsus beschäftigt sich mit der Leistung eines Bürgen auf eine mangelhaft begründete Hauptschuld. Die überlieferte Fassung des Fragments ist insofern widersprüchlich, als die Leistung des Bürgen einerseits nach dem Zusatz: quod non debebat, auf einer regelrechten Nichtschuld, andererseits wegen des Verweises auf das ius gentium und eine zu erhebende exceptio auf eine nur einredebehaftete Schuld erfolgt sein soll. Im ersten Fall hätte die Hauptschuld auf den nicht vorhandenen Rechtsgrund Bezug genommen und wäre ihrerseits hinfällig gewesen; im zweiten Fall wäre sie durch eine auch dem Bürgen eröffnete exceptio doli gehemmt gewesen.30 Hier wie dort 28  Anders neuerdings Cristaldi, Il contenuto dell’ obligazione del venditore nel pensiero dei giuristi dell’ età imperiale, Mailand 2007, S. 106 ff., der glaubt, es fehle an der Vereinbarung, dass die Zahlung ein Kaufpreis sei. 29  Zu dieser Kategorie und ihrem Verhältnis zur datio ob causam und dem von Julian (B.I.1.b)aa)(2) [23 ff.]) verwendeten Begriff der datio sine causa Harke, Das klassische römische Kondiktionensystem, IVRA 54 (2003) 49, 53 ff. 30  Anders als in meinen Argumenta Iuventiana, S. 132 f. möchte ich mir heute kein Urteil mehr darüber erlauben, wie der Widerspruch aufzulösen und der klassische Text zu rekonstruieren ist.



I. Systemimmanente Rechtsfindung35

besteht aber ein Rückforderungsrecht des Bürgen, weil er auf eine von vornherein oder durch Einrede ausgeschlossene Forderung geleistet hat; und außerdem hat er gegen den Hauptschuldner ein Aufwendungsersatzrecht, soweit die Rückforderung an der Insolvenz des vermeintlichen Gläubigers und nicht daran scheitert, dass der Bürge in Kenntnis seiner mangelnden Verpflichtung geleistet hat. Dass eine Leistung trotz Störung eines Rechtsgrundverhältnisses nicht verweigert werden kann, ergibt sich für Celsus aus dem von der Jurisprudenz für Dreiecksverhältnisse entwickelten Satz, dass nicht zur Rückgabe verpflichtet ist, wer nur das Seine erhalten hat: (7) Cels 237 = D 39.5.21pr (28 dig) Ut mihi donares, creditori meo delegante me promisisti: factum valet, ille enim suum recepit.

Der Forderung aus einem Versprechen, das ein Schenker gegenüber dem Gläubiger des Beschenkten abgegeben hat, steht nicht die exceptio legis Cinciae entgegen. Zwar wäre sie zuständig, wenn die Leistung gegenüber dem Beschenkten selbst versprochen worden wäre. Das dem Gläubiger gemachte Versprechen gilt jedoch wie eine Leistung des Beschenkten an diesen; und vor ihrer Rückgewähr oder Entkräftung durch exceptio schützt die Regel, dass ein Gläubiger, der nur das das ihm im Valutaverhältnis Geschuldete erhält (suum recepit), von etwaigen Mängeln des Deckungsverhält­ nisses unbehelligt bleiben soll31. Ist das Versprechen des Schenkers damit jedenfalls durchsetzbar, liegt zwangsläufig auch im Deckungsverhältnis eine donatio perfecta vor, so dass das Schenkungsverbot der lex Cincia nicht eingreift. Um eine Schenkung und den Bestand eines Rechtsgrunds geht es auch in (8) Cels 88 = D 24.1.5.15 Ulp 32 Sab: Si quis rogatus sit praecepta certa quantitate uxori suae hereditatem restituere et is sine deductione restituerit, Celsus libro decimo digestorum scripsit magis pleniore officio fidei praestandae functum maritum quam donasse videri: et rectam rationem huic sententiae Celsus adiecit, quod plerique magis fidem ­exsolvunt in hunc casum quam donant nec de suo putant proficisci, quod de alieno plenius restituunt voluntatem defuncti secuti: …

Celsus verneint eine Ehegattenschenkung, wenn ein Ehemann, der von einem Erblasser zur Herausgabe der Erbschaft an die Ehefrau gebeten worden ist, davon abgesehen hat, einen ihm zugestandenen Abzug zu machen. Da der Abzug nur an Stelle der falzidischen Quart zugelassen worden ist, folgt der Ehemann, wenn er seiner Ehefrau die gesamte Erbschaft herausgibt, dennoch der Anordnung des Erblassers. Er leistet plenior, also mehr 31  Vgl.

etwa D 12.6.44 Paul 14 Plaut, D 44.5.1.10 Ulp 76 ed.

36 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

als er müsste, aber doch nicht zuviel und damit auch nicht ohne oder aus einem anderen Rechtsgrund als dem Fideikommiss. Daher scheiden die Annahme einer verbotenen Ehegattenschenkung sowie ein sich hieraus ergebender Kondiktionsanspruch aus.32 Mit den Voraussetzungen der usucapio beim Erwerb einer Sache vom Nichtberechtigten befasst sich Celsus in drei Begründungen. Zweimal beschäftigt ihn die Redlichkeit des Erwerbers, die im Zeitpunkt des Besitzerwerbs vorliegen muss: (9–10)  Cels 197 = D 41.4.2.11, 13, 14 Paul 54 ed Celsus scribit, si servus meus peculiari nomine apiscatur possessionem, id etiam ignorantem me usucapere: … et si vitiose coeperit possidere, meam vitiosam esse possessionem. … (13) Si servus bona fide emerit peculiari nomine, ego ubi primum cognovi sciam alienam, processuram usucapionem Celsus ait: initium enim possessionis sine vitio fuisse: sed si eo tempore quo emit, quamquam id bona fide faciat, ego alienam rem esse sciam, usu me non capturum. (14) Et si quod non bona fide servus meus emerit, in pactionem libertatis mihi dederit, non ideo me magis usucapturum: durare enim primam causam possessionis idem Celsus ait.

Celsus leitet die Entscheidung zweier Ersitzungsfälle aus dem Grundsatz ab, dass der Eigentümer eines Sklaven, der eine Sache für sein peculium empfangen hat, diese auch ohne sein Wissen zu ersitzen beginnt: Erfährt der Eigentümer des Sklaven, als er von dem gutgläubigen Erwerb des Sklaven Kenntnis erlangt, zugleich von dem fremden Eigentum an der Sache, so hindert dies die Ersitzung nicht; denn im Moment des Beginns der Ersitzung lag noch kein böser Glaube und damit kein Ersitzungshindernis vor.33 Umgekehrt scheidet die Ersitzung aus, wenn der Sklave die Sache, die er unredlich erworben hat, später dem Eigentümer zum Ausgleich für seine Freilassung gegeben hat;34 denn der Besitzerwerb des Eigentümers fand ja schon in dem Moment statt, in dem der Sklave die Sache erlangt hat, und lässt wegen des hier gegebenen Ersitzungshindernisses keine usucapio mehr zu. In der dritten Begründung geht es um die causa traditionis. Da Celsus das Gebot der bona fides mit dem guten Glauben des Besitzers gleichsetzt und damit von dem Erfordernis der causa sondert,35 hat er keinen Wer32  Hierzu eingehend, allerdings mit kaum haltbarer Interpolationsvermutung für die zwar simple, aber deshalb noch nicht notwendig falsche ratio im zweiten Satz Harke, Argumenta Iuventiana, S. 78 ff. und Fn. 312. 33  Das vitium meint hier die Unredlichkeit des Erwerbers der fremden Sache; vgl. Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischen Recht, Berlin 2004, S. 61. 34  Nur scheinbar anders Julian in Iul 855 = D 41.4.10; s. u. B.I.1.b)aa)(2) (36). Zum Zusammenhang beider Stellen Bauer, Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen Recht, Berlin 1988, S. 72 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung37

tungsspielraum mehr, um wie etwa Proculus, Neraz oder Julian36 eine Putativtitelersitzung zuzulassen, sondern muss sie am fehlenden Erwerbsgrund scheitern lassen: 35

(11) Cels 277 = D 41.3.27pr Ulp 31 Sab Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, emerit nec ne, donatum sit nec ne, si modo emptum vel donatum sibi existimaverit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit, idem et in litis aestima­tione placet, ut, nisi vere quis litis aestimationem subierit, usucapere non possit.

Um die Verwaltungsbefugnis eines Vormunds geht es in den beiden folgenden Fragmenten: (12) Cels 227 = D 27.5.2 (25 dig) Si is, qui pro tutore negotia gerebat, cum tutor non esset, rem pupilli vendidit nec ea usucapta est, petet eam pupillus, quamquam ei cautum est: non enim eadem huius quae tutoris est rerum pupilli administratio.

Wer vom Scheinvormund eines Mündels eine Sache gekauft hat, muss sie, sofern er sie noch nicht ersessen hat, auch dann wieder an das Mündel herausgeben, wenn der Scheinvormund dem Mündel Sicherheit für die Tutel geleistet hat. Denn nur der bestellte Vormund kann wirksam für das Mündel handeln und durch den Abschluss eines Kaufvertrags den Eigentumsübergang an einer dem Mündel gehörenden Sache oder zumindest bewirken, dass dem Erwerber gegen den Herausgabeanspruch des Mündels die exceptio rei venditae et traditae zusteht. (13) Cels 200 = D 50.17.89 (13 dig) Pupillus nec velle nec nolle in ea aetate nisi adposita tutoris auctoritate creditur: nam quod animi iudicio fit, in eo tutoris auctoritas necessaria est.

Trifft Lenels Rekonstruktion des ursprünglichen Kontextes dieser Aussage zu, entstammt sie dem 23. Buch von Celsus’ Digesten und gilt dem Besitzerwerb und dem Besitzverlust solo animo durch ein Mündel. Celsus spricht beiden die Wirkung ab,37 indem er einen rechtserheblichen Willen des Mündels verneint, weil er hierfür der auctoritas tutoris benötige. Um die Voraussetzungen einer gültigen Ehe geht es in (14) Cels 118 = D 23.2.22 (15 dig): Si patre cogente ducit uxorem, quam non duceret, si sui arbitrii esset, contraxit tamen matrimonium, quod inter invitos non contrahitur: maluisse hoc videtur. 35  Richtig Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio, Graz / Köln  1962, S. 33. In meinen Argumenta Iuventiana, S. 24 ff. habe ich dies nicht hinreichend berücksichtigt. 36  D 23.3.67 Proc 7 epist, D 41.10.3 Pomp 22 Sab, D 41.4.11 Afr 7 quaest. 37  Ebenso Ulpian und Paulus in D 41.2.1.3 Paul 54 ed, 41.2.29 Ulp 30 Sab.

38 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Dass eine Ehe auch dann gültig zustande kommt, wenn der Sohn auf Druck seines Vaters eine Frau geheiratet hat, die er sonst nicht geheiratet hätte, folgt für Celsus aus der Entscheidung des Sohnes: Beugt er sich dem Zwang seines Vaters, will er dies lieber, als sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Dementsprechend ist die Ehe auch in einem solchen Fall freiwillig und nicht etwa inter invitos und damit ungültig geschlossen.38 Eine auf Juristenrecht beruhende Ausnahme von dem ediktalen Recht eines Gesandten auf Verweisung an sein Heimatgericht verneint Celsus in dem folgenden Text: (15) Cels 21 = D 5.1.2.3 Ulp 3 ed … eo quoque qui ipse provocavit non imponitur necessitas intra tempora provocationis exercendae Romae vel alio loco ubi provocatio exercetur aliis pulsantibus respondere: nam Celsus huic etiam domus revocationem dandam ait, quoniam ob aliam causam venerit. …

Celsus will das ius domum revocandi auch demjenigen nicht verwehren, der aus Anlass einer eigenen Berufung an einen anderen Ort gekommen ist und dort seinerseits verklagt wird: Zwar soll sich jemand, der selbst Klage an einem anderen Ort erhebt, einen dort gegen ihn begonnenen Rechtsstreit durch den Prozessgegner gefallen lassen.39 Für diese Ausnahme vom Verweisungsrecht sieht Celsus jedoch dann keinen hinreichenden Grund, wenn der Gesandte nur Berufung eingelegt und damit in der Fremde keinen Rechtsstreit begonnen, sondern bloß fortgeführt hat. Schließlich wendet Celsus noch die regula Catoniana an, derzufolge ein Legat unwirksam ist, wenn es beim Tod des Erblassers im Moment der Testamentserrichtung unwirksam gewesen wäre: (16) Cels 250 = D 34.7.1pr, 1 (35 dig) Catoniana regula sic definit, quod, si testamenti facti tempore decessisset testator, inutile foret, id legatum quandocumque decesserit, non valere. quae definitio in quibusdam falsa est. (1) Quid enim, si quis ita legaverit: ‚si post kalendas mortuus fuero, Titio dato?‘ an cavillamur? nam hoc modo si statim mortuus fuerit, non esse datum legatum verius est quam inutiliter datum.

Nur scheinbar setzt sich Celsus über die regula Cationiana hinweg, indem er sie für zuweilen falsch erklärt. Dies gelte insbesondere für den Fall eines bedingten Vermächtnisses, weil der Eintritt der Bedingung im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zwangsläufig noch in der Schwebe ist und dem Vermächtnisnehmer bei einem sofortigen Tod des Erblassers damit 38  Celsus’ Lösung beruht damit auf der Vorstellung: coactus volui, die sich in der vermeintlichen Kardinalstelle D 4.2.21.5 Paul 11 ed gerade nicht findet; vgl. Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 254 ff. und Fn. 103. 39  Vgl. Iul 8 = D 5.1.2.5 Ulp 3 ed; s. u. B.II.1.a)bb) (13).



I. Systemimmanente Rechtsfindung39

nichts geschuldet wäre. Dass das Vermächtnis deshalb nicht unwirksam ist, braucht man aber nicht aus einer Einschränkung der regula Catoniana herzuleiten. Celsus hält dies gerade für einen Trugschluss und bietet eine deduktive Lösung an, indem er zwischen einem überhaupt nicht und einem unwirksam ausgesetzten Vermächtnis unterscheidet: Das bedingte Legat ist im Moment der Testamentserrichtung nicht etwa ungültig, sondern noch gar nicht ausgesetzt, so dass auch die regula Catoniana nicht eingreifen kann, weil sie nur eine Fortwirkung von Gültigkeitshindernissen vorschreibt.40 Hier wiederholt sich das schon aus der Kritik an Proculus’ Entscheidung zur actio negotiorum gestorum41 bekannte Schema: Statt vorschnell Ausnahmen von einer Regel zu fordern, bevorzugt Celsus deren deduktiven Ausschluss, indem er zeigt, dass die Subsumtion unter ihren Tatbestand misslingt. bb) Subsumtion unter Rechtsgeschäfte (1) Verträge An sechs Stellen gründet Celsus seine Argumentation auf den Inhalt eines Vertrags, den der Jurist nicht weiter auslegt, sondern unmittelbar zum Gegenstand eines Subsumtionsschlusses macht. Das Spektrum reicht von der Bürgschaft über die Eviktionsstipulation hin zu den Konsensualverträgen der societas und locatio conductio: (1) Cels 42 = D 12.1.42 (6 dig) Si ego decem stipulatus a Titio deinceps stipuler a Seio, quanto minus a Titio consequi possim: si decem petiero a Titio, non liberatur Seius, alioquin nequicquam mihi cavetur …

Celsus schließt aus dem Sinn einer Ausfallbürgschaft, dass die Verpflichtung des Bürgen anderes als bei einer gewöhnlichen Bürgschaft nicht schon mit der Streitbefestigung im Prozess gegen den Hauptschuldner ausgeschlossen wird.42 Denn die Ausfallbürgschaft soll den Gläubiger ja gerade vor den Folgen einer Insolvenz des Hauptschuldners zu schützen; und dieser Aufgabe wird sie nur dann gerecht, wenn der Bürge zur Leistung des Betrags verpflichtet bleibt, den der Gläubiger bei dem Hauptschuldner nicht erlangen kann. (2) Cels 222 = D 45.1.97.1 (26 dig) Possum utiliter a te ita stipulari: ‚Titii nomine te soluturum?‘, neque enim hoc simile est illi ‚Titium daturum?‘: sed ex ea stipulatione, dum interest mea, agere possum, et ideo, si locuples sit Titius, nihil ex hac stipulatione consequi 40  Hierzu

eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 81 f. = D 3.5.9.1; s. o. A.I.1.b)aa)(2) (1). 42  Ebenso Paulus in seiner Note zu Papinian; vgl. D 45.1.116pr (4 quaest). 41  Cels 10

40 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus possim: quid enim mea interest id a te fieri, quod si non feceris, aeque salvam pecuniam habiturus sum?

Das Versprechen, für einen Dritten zu leisten, hält Celsus im Gegensatz zu einem Vertrag zulasten Dritter zwar für gültig. Der Gläubiger könne den Schuldner aber nur dann in Anspruch nehmen, wenn er ein besonderes Interesse an der Drittleistung habe. Dieses bestehe nicht, wenn der Dritte solvent sei, weil der Gläubiger vom Schuldner dann nur erlangen könnte, was er ohnehin erhielte. (3) Cels 234 = D 21.2.62.2 (27 dig) Si fundum, in quo usus fructus titii erat, qui ei relictus est quoad vivet, detracto usu fructu ignoranti mihi vendideris et Titius capite deminutus fuerit et aget Titius ius sibi esse utendi fruendi, competit mihi adversus te ex stipulatione de evictione actio: quippe si verum erat, quod mihi dixisses in venditione, recte negarem Titio ius esse utendi fruendi.

Celsus nimmt den Verfall einer Eviktionsstipulation an, die der Verkäufer eines mit einem Nießbrauch belasteten Grundstücks abgegeben hat. Zwar hat er das Grundstück detracto usu fructu verkauft. Dieser gewöhnliche Nießbrauchsvorbehalt schließt jedoch nicht das besondere Recht ein, das der Inhaber des usus fructus dadurch erlangt hat, dass er ihm quoad vivet vermacht ist. Es bedeutet nämlich, dass ihm der Nießbrauch nach seiner capitis diminuitio wieder zufällt,43 wohingegen ein normaler Nießbrauch bei einer Statusänderung des Berechtigten ein für alle mal verloren und der Käufer befugt gewesen wäre, dem Nießbraucher die Nutzung der Sache zu untersagen. Fällt die Erklärung des Verkäufers über das verkaufte Grundstück damit hinter seine wirklichen Rechtslage zurück, liegt ein Rechts­ mangel vor, der die Eviktionshaftung auslöst. (4) Cels 69 = D 17.2.58pr Ulp 31 ed Si id quod quis in societatem contulit exstinctum sit, videndum, an pro socio agere possit. tractatum ita est apud Celsum libro septimo digestorum ad epistulam Cornelii Felicis: cum tres equos haberes et ego unum, societatem coimus, ut accepto equo meo quadrigam venderes et ex pretio quartam mihi redderes. si igitur ante venditionem equus meus mortuus sit, non putare se Celsus ait societatem manere nec ex pretio equorum tuorum partem deberi: non enim habendae quadrigae, sed vendendae coitam societatem. …

Celsus befindet über den Fortbestand einer Gesellschaft, die zwei Eigentümer von Pferden zu dem Zweck eingegangen sind, eine Quadriga zu bilden, diese zu verkaufen und den Erlös aufzuteilen. Stirbt das Pferd eines Gesellschafters, so dass die Quadriga nicht mehr gebildet werden kann, sieht Celsus die Gesellschaft als beendet an. Sie ist nämlich nicht zur Unterhaltung einer Quadriga und damit zu einem Gesellschaftszweck einge43  Vgl.

D 7.4.3pr Ulp 17 Sab.



I. Systemimmanente Rechtsfindung41

gangen, der trotz des Todes eines Pferdes nach wie vor durch Zukauf erreichbar wäre. Stattdessen ist sie allein zum Verkauf der vorhandenen Pferde gegründet, der nach dem Tod eines Pferdes nicht mehr stattfinden kann. (5) Cels 82 = D 19.2.9.5 Ulp 32 ed Celsus etiam imperitiam culpae adnumerandam libro octavo digestorum scripsit: si quis vitulos pascendos vel sarciendum quid poliendumve conduxit, culpam eum praestare debere et quod imperitia peccavit, culpam esse: quippe ut artifex, inquit, conduxit.

Dass die Verschuldenshaftung des conductor auch dann eingreift, wenn er sich im Rahmen seiner Fähigkeiten verhalten und nur aus Unerfahrenheit einen Schaden verursacht hat, führt Celsus auf die Parteivereinbarung zurück: Wer ein Werk wie etwa die Weidung von Rindern oder die Ausbesserung oder Reinigung von Kleidern übernehme, verdinge sich als Fachmann und müsse deshalb dafür einstehen, dass er das Werk, und sei es aus Mangel an Erfahrung oder Ausbildung, nicht fachmännisch ausführe. Zumindest mittelbar geht es auch um eine Parteivereinbarung, wenn Celsus über einen Schiedsrichterbefehl befindet, dessen Befolgung mit einer Strafstipulation gesichert ist: (6) Cels 18 = D 4.8.21.11 Ulp 13 ed Sed si in aliquem locum inhonestum adesse iusserit, puta in popinam vel in lupanarium, ut Vivianus ait, sine dubio impune ei non parebitur: quam sententiam et Celsus libro secundo digestorum probat. unde eleganter tractat, si is sit locus, in quem alter ex litigatoribus honeste venire non possit, alter possit, et is non venerit, qui sine sua turpitudine eo venire possit, is venerit, qui inhoneste venerat, an committatur poena compromissi an quasi opera non praebita. et recte putat non committi: absurdum enim esse iussum in alterius persona ratum esse, in alterius non.

Celsus beschäftigt sich mit der Frage, ob die zur Sicherung einer Schiedsabrede vereinbarte Vertragsstrafe verfallen ist, wenn der Schiedsrichter den Parteien befiehlt, sich an einem unanständigen Ort einzufinden. Bedeutet das Treffen nur für eine der Parteien eine Schande, erscheint aber gleichwohl bloß der Gegner nicht, verfällt für diesen die versprochene Vertragsstrafe dennoch nicht. Denn der Befehl des Schiedsrichters kann, da er auf ein Treffen der Kontrahenten gerichtet ist, nur für beide Parteien gleichermaßen gelten oder insgesamt unwirksam sein. Gereicht er einer der Seiten zur Schande, ist er auch für die andere unverbindlich. Dementsprechend sind die Voraussetzungen, unter denen die Vertragsstrafe versprochen ist, nicht erfüllt.

42 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

(2) Letztwillige Verfügungen Naturgemäß nur wenige Deduktionsschlüsse gehen von letztwilligen Verfügungen aus, bei deren Behandlung der Schwerpunkt auf ihrer Interpretation liegt. Zu einer unmittelbaren Ableitung der Entscheidung aus einer testamentarischen Anordnung kommt es bei Celsus nur in zwei Fällen; in einem weiteren befindet er über die Wirkungen eines Testamentswiderrufs: (1) Cels 125 = D 28.5.27.1 Pomp 3 Sab Sed si te heredem instituero et deinde eundem te sub condicione instituam, nihil valere sequentem institutionem, quia satis plena prior fuisset.

Hat jemand einen Erben unbedingt und dann bedingt als Ersatzerben eingesetzt, ist die Substitution ungültig. Für Celsus, auf den sich Pompo­nius hier in Fortführung seines Zitats im principium des Fragments bezieht, folgt dies aus dem umfassenden Charakter der unbedingten Erbeinsetzung: Sie schließt eine bedingte ein, so dass die Substitution keinen eigenständigen Regelungsgehalt hat. (2) Cels 183 = D 36.1.2 (21 dig) Qui quadringenta reliquit, Titio trecenta legavit, heredis fidei commisit, ut tibi hereditatem restitueret, isque suspectam iussu praetoris adiit et restituit: quaerebatur, quid legatario dare deberes. dicendum est, quia praesumptum est voluisse testatorem cum onere legatorum fideicommissum restitui, tota trecenta te dare Titio debere: nam heres hoc rogatus intellegi debet, ut te suo loco constituat et quod heres perfunctus omnibus hereditariis muneribus, id est post legatorum dationem, reliquum habiturus foret, si non esset rogatus et tibi restitueret hereditatem, id tibi restituat. quantum ergo haberet? nempe centum: haec ut tibi daret rogatus est. itaque sic ineunda est legis Falcidiae ratio, quasi heres trecenta Titio dare damnatus tibi centum dare damnatus sit: quo evenit, ut, si hereditatem sua sponte adisset, daret Titio ducenta viginti quinque, tibi septuaginta quinque. …

Celsus stellt sich die Frage, in welchem Umfang ein Universalfideikommissar einem Legatar verpflichtet ist, nachdem ihm die Erbschaft herausgegeben wurde. Hat der Erbe die Erbschaft für verdächtig erklärt und nur auf Befehl des Prätor angetreten, gilt das senatus consultum Trebellianum,44 so dass der Fideikommissar in die Rolle des Erben eintritt45. Aus dem mut­ maßlichen Erblasserwillen, der Fideikommissar solle wie ein Erbe stehen und die Erbschaft daher mit der vollen Last der Vermächtnisse erhalten, folgert Celsus, dass der Fideikommissar das Legat ungekürzt erfüllen muss.46 44  Gai 2.258. 45  Gai 2.251. 46  Ebenso entscheidet Afrikan in Afr 56 = D36.1.29.1,2 (6 quaest); anders sehen dies später Gaius und Marcell; vgl. D 36.1.65.11 Gai 2 fid und Iul 565 = D 36.1.3pr Ulp  3 fid; hierzu Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, Berlin 1989, S. 92 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung43

Dann wendet er sich dem Problem zu, wie die falzidische Quart im Fall eines freiwilligen Erbschaftsantritts zu berechnen ist.47 Hier stellt sich die ­Frage, mit welchem Wert das Fideikommiss in die Rechnung einzustellen ist, entweder mit dem Wert der Erbschaft, im Beispielsfall also 400, oder mit der Differenz zu dem Legat, also 100. Celsus entscheidet sich für die zweite Lösung, und zwar wiederum aufgrund derselben Überlegung, die er schon im Ausgangsfall des erzwungenen Erbschaftsantritts angestellt hat:48 Der Erblasser wollte dem Legatar das volle Vermächtnis und dem Fidei­ kommissar nur den Überrest zuwenden, so dass auch das Fideikommiss nur mit diesem Wert in die Rechnung Eingang findet.49 (3) Cels 181 = D 31.22 (21 dig) Lucius Titius in testamento suo Publio Maevio militiam suam reliquit sive pecuniam eius quaecumque redigi ex venditione eius potuerit, cum suis commodis: sed cum supervixit testamento Lucius Titius, militiam vendidit et pretium exegit et dedit ei, cui illam militiam vel pretium eius testamento dari voluerit: post mortem Lucii Titii iterum Publius Maevius vel militiam vel pretium eius ab heredibus Lucii Titii exigebat. Celsus: existimo pretium militiae praestari non oportere, nisi legatarius ostenderit testatorem et post factam solutionem iterum eum pretium militiae accipere voluisse. quod si non totum pretium militiae, sed partem vivus testator legatario dedit, reliqui superesse exactionem, nisi heres et ab hoc decessisse testatorem ostenderit. onus enim probandi mutatam esse defuncti voluntatem ad eum pertinet, qui fideicommissum recusat.

Ein Erblasser hat eine militia oder den mit ihrem Verkauf erzielten Erlös durch Fideikommiss vermacht, die Stelle dann später selbst veräußert und den Erlös noch zu Lebzeiten dem Fideikommissar zugewandt. Celsus sieht hierdurch das Vermächtnis widerrufen, es sei denn, der Erblasser hat dem Fideikommissar nicht den gesamten Betrag ausgekehrt. In diesem Fall könne aufgrund des Testaments noch der Überschuss gefordert werden. Zwar ist denkbar, dass in der Entscheidung, dem Fideikommissar nicht den gesamten Erlös zukommen zu lassen, ebenfalls ein Widerruf des gesamten Vermächtnisses zum Ausdruck kam. Anders als bei der Auskehrung des gesamten Erlöses ist dies jedoch nicht evident, sondern bedarf des Nachweises eines entsprechenden Erblasserwillens. Die Beweislast trifft dabei 47  Dieser Wechsel wird durch den Schlusssatz des Textes etwas verdunkelt: … non ergo plus Titio debetur, quam si iniussu praetoris adita hereditas foret. Hier muss man statt des sinnentstellenden [non] wohl lesen; vgl. Manthe (Fn.  46), S.  108 ff. 48  Vgl. Manthe (Fn. 46), S. 104 ff., der eine Schlussfolgerung aus der ratio der ersten Entscheidung, zugleich aber auch eine historisch-teleologische Auslegung des Pegasianum erkennt, die der Verwirklichung des Erblasserwillens diene. 49  Zum Zusammenhang mit dem Entscheidungen zum Universalfideikommiss deductis legatis und insbesondere zur offenbar abweichenden Ansicht Julians in Iul 568 = D 36.1.17.3 Ulp 4 fid Manthe (Fn. 46), S. 109 ff.

44 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

den Erben, der geltend macht, eine gültig getroffene Verfügung sei wieder aufgehoben worden.50 2. Entscheidung durch Auslegung a) Gesetze und Regeln des Juristenrechts aa) Gesetzesauslegung In Celsus’ Werk finden sich drei Fragmente, in denen sich der Jurist mit der Bedeutung eines hoheitlichen Rechtsaktes befasst. Zweimal ist es die lex Aquilia, die er auslegt, einmal ein Bürgerrechtsprivileg: (1) Cels 258 = D 9.4.2. 1 Ulp 18 ed Is qui non prohibuit, sive dominus manet sive desiit esse dominus, hac actione tenetur: sufficit enim, si eo tempore dominus, quo non prohibeat, fuit, in tantum, ut Celsus putet, si fuerit alienatus servus in totum vel in partem vel manumissus, noxam caput non sequi: nam servum nihil deliquisse, qui domino iubenti obtemperavit. et sane si iussit, potest hoc dici: si autem non prohibuit, quemadmodum factum servi excusabimus? Celsus tamen differentiam facit inter legem Aquiliam et legem duodecim tabularum: nam in lege antiqua, si servus sciente domino furtum fecit vel aliam noxam commisit, servi nomine actio est noxalis nec dominus suo nomine tenetur, at in lege Aquilia, inquit, dominus suo nomine tenetur, non servi. utriusque legis reddit rationem, duodecim tabularum, quasi voluerit servos dominis in hac re non obtemperare, Aquiliae, quasi ignoverit servo, qui domino paruit, periturus si non fecisset. sed si placeat, quod Iulianus libro octagensimo sexto scribit ‚si servus futurum faxit noxiamve nocuit‘ etiam ad posteriores leges pertinere, poterit dici etiam servi nomine cum domino agi posse noxali iudicio, ut quod detur Aquilia adversus dominum, non servum excuset, sed dominum oneret. nos autem secundum Iulianum probavimus, quae sententia habet rationem et a Marcello apud Iulianum probatur.

Nach dem Zwölftafelgesetz haftet der Eigentümer eines Sklaven für dessen Delikte grundsätzlich noxal, also nur mit der Einschränkung, dass er sich durch die Auslieferung des Sklaven befreien kann. Etwas anderes gilt, wenn der Sklave die Tat auf Geheiß oder zumindest mit Wissen des Eigentümers verübt hat.51 In diesem Fall trifft den Eigentümer selbst die Haftung aus der lex Aquilia, weil er sich des Sklaven wie eines Instruments bedient hat. Nach Auffassung von Celsus geht mit dieser Eigenhaftung nicht die ältere Noxalhaftung einher, so dass diese auch nicht auf dem Sklaven lasten 50  Da es um ein Fideikommiss und nicht um ein Legat geht, ergibt sich diese Beweislastverteilung noch nicht daraus, dass der Widerruf des Vermächtnisses durch exceptio doli geltend zu machen ist; vgl. Gai 2.198. 51  Zur Gleichsetzung beider Konstellationen eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 71 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung45

und mit seiner Veräußerung oder Freilassung übergehen kann. Dass sie weggefallen ist, folgt für Celsus, dessen Meinung später der gegenteiligen Ansicht Julians weichen muss, aus der unterschiedlichen gesetzgeberischen Absicht, die mit dem Zwölftafelgesetz und der lex Aquilia verbunden war: Während die auf dem Sklaven lastende Haftung aus dem älteren Gesetz auf der Erwägung beruhe, ein Sklave solle sich dem Befehl seines Eigentümers zur Untat widersetzen, liege dessen Eigenhaftung aus der lex Aquilia die Erwägung zugrunde, ein Sklave könne sich der Anordnung seines Eigentümers kaum entziehen; er sei deshalb gewissermaßen entschuldigt und von der ihn betreffenden Noxalhaftung ausgenommen. Für diese Auffassung spricht in der Tat der soziale Hintergrund der beiden Gesetze, der in der Behandlung des Sklaven als Objekt eines Delikts zum Ausdruck kommt: Während er im älteren Zwölftafelgesetz immerhin noch als ein, wenn auch geringwertiger, Mensch behandelt wurde, steht er in der lex Aquilia auf einer Stufe mit Tieren und Sachen. Dem hierin zum Ausdruck kommenden Wandel seiner sozialen Rolle entspricht es, wenn ihm zunächst Eigenverantwortung zugemutet, später erspart werden soll. Celsus kann auf das mit der lex Aquilia verfolgte Ziel einer Beseitigung der älteren Noxalhaftung zwar nicht direkt aus Quellen über die Absicht der Gesetzesverfasser schließen. Indem er aus dem historischen Hintergrund der Gesetze folgert, rekonstruiert er sie aber doch und nicht etwa den objektiven Gesetzeszweck, der nicht zeitgebunden ist. Dieselbe Rücksicht auf das Ziel des historischen Gesetzgebers fordert er in einer isoliert überlieferten Maxime zur Gesetzesauslegung ein, in der er zur Bewahrung der ursprünglichen voluntas legis eine großzügige Interpretation eines nicht mehr zeitgemäßen Wortlauts propagiert:52

Cels 238 = D 1.3.18 (29 dig) Benignius leges interpraetandae sunt, quo voluntas earum conservetur.

Einem objektiven Verständnis der lex Aquilia folgt Celsus dagegen, wenn es um die Ausdehnung des Tatbestands der Haftung nach dem dritten Kapitel der lex Aquilia geht:53 (2) Cels 261 = D 9.2.27.13, 15, 16 Ulp 18 ed Inquit lex ‚ruperit‘. rupisse verbum fere omnes veteres sic intellexerunt ‚corruperit‘. … (15) Cum eo plane, qui vinum spurcavit vel effudit vel acetum fecit vel alio modo vitiavit, agi posse Aquilia Celsus ait, quia etiam effusum et acetum factum corrupti appellatione continentur. (16) Et non negat fractum et ustum contineri corrupti appellatione, sed non esse novum, ut lex specialiter quibusdam enumeratis generale subiciat verbum, quo specialia complectatur: quae sententia vera est. 52  Hierzu 53  Hierzu

Harke, Argumenta Iuventiana, S. 70, 117 f. ausführlich Harke, Argumenta Iuventiana, S. 60 ff.

46 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Ersatzpflicht des Schädigers auf den Fall beschränkt, dass er eine Sache widerrechtlich verbrannt, zerbrochen oder zerrissen hat. Um die Haftung von diesen Tathandlungen zu lösen, begriffen schon die Juristen der römischen Republik das Verb rumpere, das eigentlich „zerreißen“ heißt, im Sinne von corrumpere, was „beschädigen“ bedeutet und damit jede körperliche Einwirkung auf die betroffene Sache abdeckt. Ist rumpere so zu einem umfassenden Tatbestand geworden, stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Verhältnis zu den beiden anderen im Gesetz genannten Tatvarianten des Verbrennens (urere) und Zerbrechens (frangere). Celsus beantwortet sie, indem er sie zu Spezialtatbeständen erklärt, die das Gesetz gleichsam als Beispiele der Generalnorm voranstelle. So entzieht er die Verkehrung von rumpere in corrumpere dem Vorwurf, einen Widerspruch in das Gesetz hineinzutragen, und zeigt, dass sie nach wie vor dem Anspruch kohärenter Gesetzgebung gerecht wird, die ein objektiver Maßstab für die Gesetzesinterpretation ist. Ebenfalls auf ein objektives Verständnis gerichtet ist Celsus’ Entscheidung zu einem Bürgerrechtsprivileg des Pompeius: (3) Cels 1 = D 50.1.1.2 Ulp 2 ed … Celsus etiam refert Ponticis ex beneficio Pompeii Magni competere, ut qui pontica matre natus esset, Ponticus esset. quod beneficium ad volgo quaesitos solos pertinere quidam putant. quorum sententiam Celsus non probat: neque enim debuisse caveri, ut volgo quaesitus matris condicionem sequeretur (quam enim aliam originem hic habet?): sed ad eos, qui ex diversarum civitatium parentibus orerentur.

Dass als Pontier nicht nur das Kind eines pontischen Vaters, sondern aufgrund des Privilegs auch gilt, wer von einer pontischen Mutter geboren ist, will Celsus im Gegensatz zu anderen nicht nur auf diejenigen beziehen, deren Abstammung ungeklärt ist. Da diese ohnehin nur pontische Bürger sein können, wäre das Privileg, wenn man es hierauf beschränkte, sinnlos. Ein vernünftiger Regelungsgehalt kommt ihm nur dann zu, wenn es sich auf diejenigen bezieht, die bekanntermaßen von einer pontischen Mutter und einem Vater aus einem anderen municipium stammen. bb) Fortbildung des Juristenrechts Häufiger als auf Fälle der Gesetzesinterpretation, nämlich insgesamt siebenmal, stoßen wir in Celsus’ Werk auf Argumentationen, mit denen er den vorhandenen Bestand an Juristenregeln fortbildet. Dies geschieht zuweilen durch die Weiterführung einer schon bekannten Rechtsfigur, ferner durch die Auflösung eines Konflikts zweier widerstreitender Prinzipien oder ihre Falsifikation sowie schließlich durch die Transplantation eines Grundsatzes oder eines Rechtsinstituts.



I. Systemimmanente Rechtsfindung47

Aus der autonomen Fortbildung einer Rechtsfigur geht bei Celsus zum einen die einheitlich mit Julian getroffene und begründete Entscheidung zur Anwachsung eines vermachten Nießbrauchs (Cels 150 = Vat 7754), zum anderen der Haftungsmaßstab der diligentia quam in suis hervor, der zugleich Ursprung des Rechtsphänomens der culpa lata ist:55 (1) Cels 91 = D 16.3.32 (11 dig) Quod Nerva diceret latiorem culpam dolum esse, Proculo displicebat, mihi verissimum videtur. nam et si quis non ad eum modum quem hominum natura desiderat diligens est, nisi tamen ad suum modum curam in deposito praestat, fraude non caret: nec enim salva fide minorem is quam suis rebus diligentiam praestabit.

Gegen die Kritik des Proculus verteidigt Celsus die Ansicht Nervas, der eine schwerwiegende Fahrlässigkeit dem Vorsatz zurechnet und damit von der hierauf beschränkten Haftung des unentgeltlich tätigen Verwahrers umfasst sieht. Für Celsus ist der Vorwurf des dolus schon dann begründet, wenn der Verwahrer im Umgang mit der hinterlegten Sache eine geringere als diejenige Sorgfalt walten lässt, die er gewöhnlich in eigenen Angelegenheiten anwendet. Denn der Reduktion des Sorgfaltsstandards liegt zwangsläufig eine bewusste Entscheidung des Verwahrers zugrunde, die die Bewertung seines Verhaltens als vorsätzlich rechtfertigt. Geht er mit der Sache sorgfaltswidrig um, kann er sich damit nur noch entlasten, indem er dartut, dass er auch in eigenen Dingen sorglos verfährt. Dies gelingt ihm aber praktisch nur, sofern er ein Mindestmaß an Sorgfalt eingehalten hat, wie man es von allen Menschen erwarten kann. Hat er auch diese Verhaltensanforderung missachtet, ist er automatisch für seinen Vorsatz haftbar, weil stets anzunehmen ist, dass er die diligentia quam in suis nicht einzuhalten ist. Ebenso wie diese56 verselbständigt sich nach Celsus dann auch die culpa lata57 als ein dem Vorsatz gleichstehender Haftungsmaßstab. Beide entspringen der Entfaltung des dolus-Begriffs. Um die Konkurrenz zweier Rechtsprinzipien, von denen Celsus das eine erstmals abstrakt formuliert, geht es in seiner Entscheidung zum sogenannten Durchgangserwerb:58 (2) Cels 120 = D 24.1.3.12 Ulp 32 Sab Sed si debitorem suum ei solvere iusserit, hic quaeritur, an nummi fiant eius debitorque liberetur. et Celsus libro quinto decimo digestorum scribit videndum 54  Das Fragment ist zugleich Iul 503 und wird bei Julians Argumentationen behandelt; s. u. B.I.2.a)bb) (23). 55  Vgl. hierzu außer meinen Argumenta Iuventina, S. 128 ff. vor allem Harke, Freigiebigkeit und Haftung, Würzburg 2006, S. 14 ff. 56  Vgl. D 17.2.72 Gai 2 rer cott, D 23.3.17 Paul 7 Sab. 57  Vgl. D 44.7.1.5 Gai 2 aur, CJ 4.34.1 – a 234. 58  Hierzu ausführlich Harke, Argumenta Iuventiana, S. 83 ff.

48 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus esse, ne dici possit et debitorem liberatum et nummos factos mariti, non uxoris: nam et si donatio iure civili non impediretur, eum rei gestae ordinem futurum, ut pecunia ad te a debitore tuo, deinde a te ad mulierem perveniret: nam celeritate coniungendarum inter se actionum unam actionem occultari, ceterum debitorem creditori dare, creditorem uxori. nec novum aut mirum esse, quod per alium accipias, te accipere: …

Celsus beschäftigt sich mit dem Fall, dass ein Schuldner auf Anweisung seines Gläubigers an dessen Ehefrau geleistet hat, um ihr so ein Geschenk des Mannes zu machen. Handelte es sich im Valutaverhältnis zwischen Ehemann und -frau um einen gewöhnlichen Mangel des Rechtsgrunds, wäre die Folge, dass hier die Leistungskondiktion begründet ist, während der angewiesene Schuldner frei wird. Denn die von ihm erbrachte Leistung gälte als eine solche an seinen Gläubiger und zugleich als dessen Leistung an die Ehefrau. Da das im Valutaverhältnis eingreifende Ehegattenschenkungsverbot jedoch schon dem Eigentumserwerb der Ehefrau entgegensteht, kann eine automatische Befreiung des Schuldners, den der Mangel im Valutaverhältnis nichts angeht, nur in der Weise erreicht werden, dass man dem Ehemann das Eigentum an den der Ehefrau gezahlten Münzen zuspricht. Im Gegensatz zu Julian, der den Schuldner nur im Wege einer exceptio doli befreit,59 tritt Celsus für diese gewagte Lösung ein und beruft sich hierfür auf den ordo der Zahlung auf Anweisung, die einer doppelten Leistung in Deckungs- und Valutaverhältnis gleichsteht. Dieses Prinzip verdrängt für ihn den Grundsatz: per extraneam personam nobis adquiri non potest,60 den er ohnehin durchbrochen sieht: Ebenso, wie man durch ein Vormund oder einen procurator das Eigentum erwerben kann, soll auch die Ehefrau für ihren Mann erwerben; denn beider Verhältnis ist wegen des Schenkungsverbots so beschaffen, dass ein eigener Erwerb der Frau ohnehin nicht in Betracht kommt. Einen Konflikt zwischen zwei Rechtsregeln aufzulösen, bemüht sich Celsus auch in (4) Cels 50 = D 12.6.26.12 Ulp 26 ed: … et Celsus libro sexto digestorum putat eam esse causam operarum, ut non sint eaedem neque eiusdem hominis neque eidem exhibentur: nam plerumque robur hominis, aetas temporis opportunitasque naturalis mutat causam operarum, et ideo nec volens quis reddere potest. sed hae, inquit, operae recipiunt aestimationem: et interdum licet aliud praestemus, inquit, aliud condicimus: ut puta fundum indebitum dedi et fructus condico: vel hominem indebitum, et hunc sine fraude modico distraxisti, nempe hoc solum refundere debes, quod ex pretio habes: vel meis sumptibus pretiosiorem hominem feci, nonne aestimari

59  Iul

871 = D 24.1.39 (5 Min); s. u. B.I.1.b)aa)(2) (48).

60  Gai 2.95.



I. Systemimmanente Rechtsfindung49 haec debent? sic et in proposito, ait, posse condici, quanti operas essem conducturus. …

Der Kondiktion ungeschuldet geleisteter operae steht eigentlich entgegen, dass sie anders als Sachen nicht in rerum natura sind und ihre Rückforderung daher am Grundsatz: impossibilium nulla obligatio, scheitern müsste, wenn man stets die Identität von Leistungs- und Kondiktionsgegenstand verlangte61. Celsus zeigt jedoch, dass die Nämlichkeit der beiden, wenn auch praktische Regel, so doch kein durchgängiges Rechtsprinzip ist.62 Vielleicht hat er sich dabei der von Ulpian aufgeführten Beispiele bedient, bei denen es um die Kondiktion von Früchten des Leistungsgegenstands, hierauf gemachte Aufwendungen und den Kaufpreis geht, den der gutgläubige Kondiktionsschuldner durch die Veräußerung eines ungeschuldeten Sklaven erlangt hat63. Jedenfalls erweist Celsus das Identitätsdogma als mindestens lückenhaft und bahnt so den Weg für die Kondiktion rechtsgrundlos geleisteter operae, die in ihrem Wert geschätzt und durch dessen Zahlung zurückerstattet werden können. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Celsus in der Frage, ob eine auf facere gerichtete Stipulation teilbar ist: (5) Cels 269 = D 45.1.72pr Ulp 20 ed Stipulationes non dividuntur earum rerum, quae divisionem non recipiunt, veluti viae itineris actus aquae ductus ceterarumque servitutium. idem puto et si quis faciendum aliquid stipulatus sit, ut puta fundum tradi vel fossam fodiri vel insulam fabricari, vel operas vel quid his simile: horum enim divisio corrumpit stipulationem. Celsus tamen libro trigensimo octavo digestorum refert Tuberonem existimasse, ubi quid fieri stipulemur, si non fuerit factum, pecuniam dari oportere ideoque etiam in hoc genere dividi stipulationem: secundum quem Celsus ait posse dici iusta aestimatione facti dandam esse petitionem.

Während Ulpian der Auffassung ist, eine stipulatio ad faciendum lasse wegen der Natur ihres Gegenstands keine Teilung zu, ist der von ihm zitierte Celsus gegenteiliger Ansicht. Er beruft sich auf Tubero, der entschieden hat, dass auch eine auf facere gerichtete Stipulation zur condemnatio pecuniaria in das Interesse des Gläubigers führe. Da dieses ohne Weiteres teilbar ist, müsse man auch schon das Versprechen selbst als teilbar ansehen und hieraus eine Teilklage zulassen, die auf eine Quote des dem Gläubiger zustehenden Interesseersatzes gerichtet ist.64 Indem Celsus vom Ergebnis der 61  Dies

tut Marican in D 19.5.25 (3 reg). eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 95 ff. 63  Hierzu Harke, Das klassische römische Kondiktionensystem, IVRA 54 (2003) 49, 77 ff. 64  Hierzu Harke, Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht, in: ders. (Hg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, Berlin / Heidelberg 2010, S. 5, 8 f. 62  Hierzu

50 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Verurteilung ausgeht, erweist er das Dogma von der Unteilbarkeit einer stipulatio ad faciendum als falsch. Zur Übertragung eines Rechtsinstituts auf ein Gebiet jenseits seines eigentlichen Anwendungsbereichs kommt es in (6) Cels 90 = D 37.6.6 (10 dig):65 Dotem, quam dedit avus paternus, an post mortem avi mortua in matrimonio filia patri reddi oporteat, quaeritur. occurrit aequitas rei, ut, quod pater meus propter me filiae meae nomine dedit, perinde sit atque ipse dederim: quippe officium avi circa neptem ex officio patris erga filium pendet et quia pater filiae, ideo avus propter filium nepti dotem dare debet. quid si filius a patre exheredatus est? existimo non absurde etiam in exheredato filio idem posse defendi, nec infavorabilis sententia est, ut hoc saltem habeat ex paternis, quod propter illum datum est.

Hat ein Großvater für seine Enkelin eine Mitgift bestellt, kann sie nach seinem Tod von seinem Sohn, dem Vater der Ehefrau, zurückgefordert werden. Für Celsus ergibt sich dies daraus, dass das officium des Großvaters gegenüber seiner Enkelin auf dem officium ihres Vaters beruht. Damit spielt Celsus auf das Institut der Drittleistung oder das Regime einer Leistung auf Anweisung an und überwindet so die schlichte Folgerung, dass der Vater nicht zurückfordern kann, was er nicht selbst bestellt hat66: Ist die Mitgift in Erfüllung des officium des Vaters bestellt worden, kann sie auch ihm zugerechnet werden, so dass er sie nach dem Tod der Ehefrau zurückfordern kann. Als Transplantat kann man auch das ministerium possessionis ansehen: (7) Cels 195 = D 41.2.18pr (23 dig) Quod meo nomine possideo, possum alieno nomine possidere: nec enim muto mihi causam possessionis, sed desino possidere et alium possessorem ministerio meo facio. nec idem est possidere et alieno nomine possidere: nam possidet, cuius nomine possidetur, procurator alienae possessioni praestat ministerium.

Celsus erläutert, warum ein procurator seinem Geschäftsherrn den Besitz an einer Sache vermitteln kann, die er vorher für sich erworben hat. Er erkennt keinen Verstoß gegen das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung, weil der procurator ja nicht die Qualität des eigenen Besitzes ändert, sondern diesen beendet und den Besitz seines Geschäftsherrn begründet, indem er für diesen ein ministerium leistet. Mit diesem Begriff knüpft Celsus an den Besitzerwerb durch Sklaven an, deren Dienste gegenüber ihrem Gewalthaber gleichfalls ministerium genannt werden: Ebenso wie Sklaven ihrem Herrn den Besitz an Sachen verschaffen können, soll es auch der procurator omnium bonorum, der früher zumeist ebenfalls Sklave des Geschäftsherrn war.67 65  Hierzu

ausführlich Harke, Argumenta Iuventiana, S. 98 ff. ziehen Servius und Labeo in D 23.3.79pr Lab 3 post a Iav epit. 67  Hierzu eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 103 ff. 66  Diese



I. Systemimmanente Rechtsfindung51

b) Interpretation von Rechtsgeschäften aa) Vertragsauslegung In Celsus’ Werk finden sich insgesamt 14 Entscheidungen zur Auslegung von Verträgen und vertragsähnlichen Rechtsakten. Über die Rolle, die Celsus der Auslegung im Verhältnis zur Ermittlung des quod actum zumisst, gibt eine Entscheidung zum Dotalrecht Auskunft: (1) Cels 87 = D 23.3.7.2 Ulp 31 Sab Si usus fructus in dotem datus sit, videamus, utrum fructus reddendi sunt nec ne. et Celsus libro decimo digestorum ait interesse, quid acti sit, et nisi appareat aliud actum, putare se ius ipsum in dote esse, non etiam fructus qui percipiuntur.

Ist ein Nießbrauch dotis nomine bestellt worden, hängt es nach Celsus’ Ansicht vom quod actum, also der konkreten Parteivereinbarung, ab, ob nur das Recht selbst oder auch die gezogenen Früchte zum Gegenstand der Mitgift und eines etwaigen Herausgabeanspruchs der Frau werden. Für den Fall, dass sich keine besondere Vereinbarung feststellen lässt, soll allein der Nießbrauch selbst in die Mitgift fallen, so dass der Ehemann die Früchte bei beendeter Ehe nicht herausgeben muss. Dieses Verständnis entspricht der objektiven Bedeutung der Mitgiftbestellung, die als solche eher dafür spricht, dass allein das eingeräumte Recht und nicht auch die mit seiner Hilfe gezogenen Früchte in die Mitgift fallen.68 In welcher Beziehung quod actum und Auslegung zu Beweislast und Geschäftswortlaut stehen, zeigt eine Reihe von Entscheidungen zur Erstreckung einer Vereinbarung auf die Erben einer Partei: (2) Cels 4 = D 22.3.9 (1 dig): Si pactum factum sit, in quo heredis mentio non fiat, quaeritur, an id actum sit, ut ipsius dumtaxat persona eo statueretur. sed quamvis verum est, quod qui excipit probare debeat quod excipitur, attamen de ipso dumtaxat ac non de herede eius quoque convenisse petitor, non qui excipit probare debet, quia plerumque tam heredibus nostris quam nobismet ipsis cavemus.

Celsus befindet über die persönliche Reichweite eines pactum und erläutert, welche Wirkung hiervon auf die Beweislastverteilung ausgeht: Dass jemand seinen Erben in die Übereinkunft einbeziehen will, erscheint ihm derart üblich, dass es auch dann anzunehmen ist, wenn der Erbe nicht ausdrücklich erwähnt worden ist. Dieses allgemeine Verständnis des pactum schließt nicht aus, dass es sich im konkreten Fall aufgrund einer eigens getroffenen Vereinbarung allein auf denjenigen bezieht, der es eingeht. Ein 68  Vgl.

auch Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 305 Fn. 113.

52 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

solches quod actum ist aber von demjenigen zu beweisen, der sich gegen die typische Bedeutung der Vereinbarung wendet.69 (3) Cels 19 = D 4.8.37 (2 dig) Quamvis arbiter alterum ab altero petere vetuit, si tamen heres petit, poenam committet: non enim differendarum litium causa, sed tollendarum ad arbitros itur.

Dass ein Vertragsstrafeversprechen, mit dem die Unterwerfung unter ein Schiedsgericht abgesichert wird, auch den Erben einer Schiedspartei bindet, folgert Celsus aus seinem objektiven Zweck: Da das Schiedsverfahren nicht zur Vertagung, sondern zur Beseitigung des Streits diene, gelte die stipulatio poenae für den Erben auch ohne dessen ausdrückliche Erwähnung, so dass er durch Missachtung des Schiedsspruches die zur Sicherung der Schiedsabrede versprochene Vertragsstrafe verwirkt. (4) Cels 215 = D 50.16.158 (25 dig) In usu iuris frequenter uti nos Cascellius ait singulari appellatione, cum plura generis eiusdem significare vellemus: nam ‚multum hominem venisse Romam‘ et ‚piscem vilem esse‘ dicimus. item in stipulando satis habemus de herede cavere ‚si ea res secundum me heredemve meum iudicata erit‘ et rursus ‚quod ob eam rem te heredemve tuum‘: nempe aeque si plures heredes sint, continentur stipulatione.

Lässt sich die Geltung eines pactum oder contractus für den Erben einer Partei auch ohne dessen Nennung annehmen, bereitet Celsus die Einbeziehung einer Erbenmehrheit Schwierigkeiten, wenn im Wortlaut der Stipula­ tion nur von einem Erben die Rede ist. Die vernünftige Annahme, die Stipulation binde die Erbengemeinschaft, muss er mit dem Wortlaut des Versprechens in Einklang bringen, dem die Auslegung nicht widersprechen darf.70 Dass sich die Erwähnung eines Erben aber auch auf eine Erbengemeinschaft bezieht, entnimmt Celsus dem schon von Cascellius festgestellten Sprachgebrauch, wonach sich die Einzahl häufig auf eine Mehrheit von Personen oder Sachen bezieht. Wie sich die Auslegung einer Vereinbarung nach ihrem typischen Sinn zur interpretatio contra stipulatorem verhält,71 demonstriert Celsus in (5) Cels 267, 268 = D 45.1.99 (38 dig): Quidquid adstringendae obligationis est, id nisi palam verbis exprimitur, omissum intellegendum est: ac fere secundum promissorem interpretamur, quia stipulatori liberum fuit verba late concipere. nec rursum promissor ferendus est, si eius intererit de certis potius vasis forte aut hominibus actum. (1) Si stipulatus hoc modo fuero: ‚si intra biennium Capitolium non ascenderis, dari?‘, non nisi 69  Zu diesem Text eingehend Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 308, 342. 70  Harke, Argumenta Iuventiana, S. 96. 71  Hierzu Harke, Argumenta Iuventiana, S. 112 ff. und ders. (Fn. 69), S. 313 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung53 praeterito biennio recte petam: nam etsi ambigua verba sunt, sic tamen exaudiuntur, si immutabiliter verum fuit te Capitolium non ascendisse.

Aus der Eigenart der Stipulation, die dem Gläubiger die genaue Festlegung des Rechtsfolgenprogramms aufzwingt,72 folgt, dass Doppeldeutigkeiten grundsätzlich zu seinen Lasten gehen. Die Auslegung erfolgt daher secundum promissorem und führt zum Wegfall dessen, was zur Verschärfung der Verpflichtung gedacht, aber nicht hinreichend klar ausgedrückt ist. Dies gilt aber nur, wenn das quod actum offenbleibt:

Cels 219 = D 34.5.26 (26 dig) Cum quaeritur in stipulatione, quid acti sit, ambiguitas contra stipulatorem est.

Hat ein Versprechen eine typische Bedeutung, die an die Stelle des quod actum tritt, greift die interpretatio contra stipulatorem nicht ein. Dies gilt etwa dann, wenn Vasen oder Sklaven der Gattung nach oder eine Leistung unter der Bedingung versprochen worden ist, dass eine Handlung nicht in einem bestimmten Zeitraum vorgenommen wird. Zwar lässt sich, wenn man spitzfindig ist, auch hier eine Doppeldeutigkeit behaupten, weil mit Vasen oder Sklaven ja bestimmte gemeint sein könnten und das bedingte Versprechen so aufgefasst werden könnte, dass es verfällt, wenn der Schuldner die Handlung nur irgendwann innerhalb des angegebenen Zeitraums unterlässt. Hier wie dort ist die Bedeutung des Versprechens jedoch wegen seines typischen Gehalts derart evident, dass die Falllösung ohne die interpretatio secundum promissorem auskommt: Beim Gattungsversprechen bleibt es trotz des Interesses des Schuldners daran, seine Verbindlichkeit auf bestimmte Stücke zu beschränken, beim gläubigerfreundlichen Verständnis im Sinne einer Verpflichtung zur Leistung aus der Gattung. Beim Versprechen unter der Bedingung, dass eine Handlung nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorgenommen wird, ergibt sich das schuldnerfreundliche Verständnis, dass die Stipulation erst nach Ablauf des Zeitraums verfällt, schon aus der typischen Bedeutung des Versprechens und nicht erst aufgrund der interpretatio contra stipulatorem. Wie sich selbstverständliche Einschränkungen einer Leistungszusage oder eines sonstigen Rechts auch ohne ausdrückliche Erwähnung allein aufgrund des typischen Verständnisses ergeben, zeigt sich bei Celsus in einer weiteren Reihe von Entscheidungen: (6) Cels 31 = D 8.1.9 (Cels 5 dig) Si cui simplicius via per fundum cuiuspiam cedatur vel relinquatur, in infinito, videlicet per quamlibet eius partem, ire agere licebit, civiliter modo: nam quaedam in sermone tacite excipiuntur. non enim per villam ipsam nec per medias vineas ire agere sinendus est, cum id aeque commode per alteram partem facere possit minore servientis fundi detrimento. … 72  Vgl.

Harke, Römisches Recht, Rn. 4.20 ff.

54 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Dass der kraft in iure cessio zur Nutzung eines Fahrwegs Berechtigte von seiner Befugnis nur schonend Gebrauch machen und insbesondere nicht quer durch ein Haus oder den Weinberg fahren darf, ist für Celsus Gegenstand einer stillschweigenden Vereinbarung, die der Bestellung des Rechts ohne Weiteres inhärent ist.73 (7) Cels 109 = D 38.1.30pr. (12 dig) Si libertus ita iuraverit dare se, quot operas patronus arbitratus sit, non aliter ratum fore arbitrium patroni, quam si aequum arbitratus sit. et fere ea mens est personam arbitrio substituentium, ut, quia sperent eum recte arbitraturum, id faciant, non quia vel immodice obligari velint.

Dass das eidliche Versprechen eines libertus zur Dienstleistung nach dem Ermessen seines Patrons unter dem Vorbehalt steht, dass dieser sein Ermessen in billiger Weise ausübt, ergibt sich für Celsus aus der typischen Absicht des libertus, der sich nicht übermäßig verpflichten will, sondern auf eine angemessene Bestimmung seiner Leistungspflicht durch den Patron hofft.74 (8) Cels 224 = D 46.2.8.2 Ulp 46 Sab Si quis ita stipulatus a Seio sit: ‚quod a Titio stipulatus fuero, dare spondes?‘, an, si postea a Titio stipulatus sim, fiat novatio solusque teneatur Seius? et ait Celsus novationem fieri, si modo id actum sit, ut novetur, id est ut Seius debeat quod Titius promisit: nam eodem tempore et impleri prioris stipulationis condicionem et novari ait, eoque iure utimur.

Verspricht jemand, die von einem anderen geschuldete Leistung zu erbringen, bevor diese selbst versprochen worden ist, so ist diese Stipulation nicht etwa nichtig, sondern als Novationsversprechen unter der stillschweigenden Bedingung abgegeben, dass sich der Hauptschuldner später zur Leistung verbindlich macht. Sobald dies erfolgt ist, wird er frei und die Novationsstipulation wirksam.75 (9) Cels 76 = D 18.2.11.1, 13pr. Ulp 28 Sab Item quod Sabinus ait, si tribus vendentibus duo posteriori addixerint, unus non admiserit adiectionem, huius partem priori, duorum posteriori emptam … (13) … Celsus quoque libro octavo digestorum refert Mucium Brutum Labeonem quod Sabinum existimare: ipse quoque Celsus idem probat et adicit mirari se a nemine animadversum, quod si prior emptor ita contraxit, ut nisi totum, fundum emptum nollet habere, non habere eum eam partem emptam, quam unus ex sociis posteriori emptori addicere noluit.

Verkaufen Miteigentümer das gemeinschaftliche Grundstück unter dem Vorbehalt des besseren Gebots, so müsste die Ausschlagung eines solchen Gebots durch einen der socii eigentlich dazu führen, dass dessen Anteil dem 73  Vgl.

zu diesem Text auch Harke, Argumenta Iuventiana, S. 75 f. hierzu auch Harke, Argumenta Iuventiana, S. 76. 75  Vgl. zu diesem Text auch Harke, Argumenta Iuventiana, S. 86. 74  Vgl.



I. Systemimmanente Rechtsfindung55

ersten Käufer zufällt, während die Anteile der übrigen Miteigentümer dem zweiten Käufer verkauft sind. Diese von Sabinus vertretene Ansicht wird, wie Celsus berichtet, auch von Quintus Mucius, Brutus und Labeo geteilt. Celsus zweifelt ebenfalls nicht an ihrer konstruktiven Richtigkeit, hält sie aber im Regelfall für unvereinbar mit der erkennbaren Absicht des Erstkäufers: Typischerweise will er nicht nur einen Miteigentumsanteil, sondern das Alleineigentum an dem verkauften Grundstück erwerben, so dass die Annahme eines besseren Gebots durch einzelne Miteigentümer den ersten Kaufvertrag insgesamt auflöst.76 Auf eine Grenze stößt die Unterstellung stillschweigender Vorbehalte nach Celsus’ Ansicht bei der erfolglosen Besitzübertragung: (10) Cels 195 = D 41.2.18.1 (23 dig) Si furioso, quem suae mentis esse existimas, eo quod forte in conspectu inumbratae quietis fuit constitutus, rem tradideris, licet ille non erit adeptus possessionem, tu possidere desinis: sufficit quippe dimittere possessionem, etiamsi non transferas. illud enim ridiculum est dicere, quod non aliter vult quis dimittere, quam si transferat: immo vult dimittere, quia existimat se transferre.

Scheitert die traditio einer Sache daran, dass ihr Erwerber unerkannt geisteskrank ist, bleibt der Veräußerer nicht etwa deshalb im Besitz der Sache, weil er ihn nur unter der Bedingung seiner Übertragung aufgeben will. Sein Wille zum Besitzverlust erscheint Celsus vielmehr unbedingt, weil er ja gerade glaubt, dass der andere Teil den Besitz erwerbe.77 Um den stillschweigenden Einschluss eines nicht explizit genannten Falles geht es in weiteren vier Entscheidungen: (11) Cels 18 = D 4.8.23.1 Ulp 13 ed Idem ait, si iusserit me tibi dare et valetudine sis impeditus, quo minus accipias, aut alia iusta ex causa, Proculum existimare poenam non committi, nec si post kalendas te parato accipere non dem. sed ipse recte putat duo esse arbitri praecepta, unum pecuniam dari, aliud intra kalendas dari: licet igitur in poenam non committas, quod intra calendas non dederis, quoniam per te non stetit, tamen committis in eam partem, quod non das.

Hat die Partei eines Schiedsverfahrens dem iussum des arbiter zuwider, aber schuldlos die ihr auferlegte Leistung nicht innerhalb des dafür vorgesehen Zeitraums erbracht, kann die von ihr abgegebene stipulatio poenae gleichwohl noch verfallen, wenn sie später weiterhin untätig bleibt. Im Gegensatz zu Proculus zerlegt Celsus den Schiedsrichterbefehl in zwei An76  Dass hierdurch, wie Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufrechts, Köln / Wien 1973, S. 46 meint, einer der Verkäufer von den anderen majorisiert wird, ist keine Folge von Celsus’ Auslegung, sondern der Entscheidung für die Aufteilung des Gegenstands. 77  Vgl. hierzu Harke, Argumenta Iuventiana, S. 77 f.

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ordnungen, nämlich den, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu leisten, und den, überhaupt zu leisten. Hat der Schuldner auch nicht gegen den ersten Befehl verstoßen, verletzt er doch die Anordnung, überhaupt zu leisten, wenn er später untätig bleibt. (12) Cels 53 = D 12.6.47 (6 dig) Indebitam pecuniam per errorem promisisti: eam qui pro te fideiusserat solvit. ego existimo, si nomine tuo solverit fideiussor, te fideiussori, stipulatorem tibi obligatum fore: nec exspectandum est, ut ratum habeas, quoniam potes videri id ipsum mandasse, ut tuo nomine solveretur: …

Hat ein Bürge für den rechtsgrundlos verpflichteten Hauptschuldner gezahlt, erwirbt dieser auch ohne Genehmigung einen Kondiktionsanspruch gegen den vermeintlichen Gläubiger und ist dem Bürgen aus der actio mandati verpflichtet: Zwar ist der Auftrag zur Übernahme einer Bürgschaft eigentlich auf eine Zahlung des Bürgen im eigenen Namen gerichtet. Eine Leistung im Namen des Hauptschuldners hat jedoch im Normalfall, dass die Hauptschuld wirklich besteht und durchsetzbar ist, denselben Effekt und ist für Celsus daher generell und damit auch dann als vom Auftrag erfasst anzusehen, wenn die Hauptschuld unter einem Mangel leidet. Bei der Bestellung eines procurator omnium rerum differenziert Celsus dagegen zwischen dem Fall einer wirklich bestehenden und dem einer nur vermeintlichen Schuld: (13) Cels 230 = D 46.3.87 (20 dig) Quodlibet debitum solutum a procuratore meo non repeto, quoniam, cum quis procuratorem omnium rerum suarum constituit, id quoque mandare videtur, ut creditoribus suis pecuniam solvat neque post ea exspectandum est, ut ratum habeat.

Eine Zahlung, die ein procurator omnium bonorum aus dem Vermögen des Geschäftsherrn an dessen Gläubiger geleistet hat, unterliegt nicht der Kondiktion. Denn die Bestellung zum Vermögensverwalter schließt nach Celsus’ Ansicht auch das Mandat ein, die Schulden des Geschäftsherrn zu begleichen. Daher bedarf es zu einer hierauf erfolgten Zahlung nicht dessen Genehmigung, damit Erfüllung eintritt und die Kondiktion ausgeschlossen ist. Anders verhält es bei der Leistung auf eine Nichtschuld. Hier erscheint ihm eine Genehmigung des Geschäftsherrn nötig, damit ihm der Empfang zugerechnet wird und er einer Kondiktion des Leistenden ausgesetzt wird; denn die Bestellung zum procurator omnium bonorum deckt nicht den Einzug von Nichtschulden ab: (14) Cels 47 = D 12.6.6pr, 2 Paul 3 Sab Si procurator tuus indebitum solverit et tu ratum non habeas, posse repeti labeo libris posteriorum scripsit: quod si debitum fuisset, non posse repeti Celsus: ideo, quoniam, cum quis procuratorem rerum suarum constituit, id quoque mandare videtur, ut solvat creditori, neque postea exspectandum sit, ut



I. Systemimmanente Rechtsfindung57



ratum habeat. … (2) Celsus ait eum, qui procuratori debitum solvit, continuo liberari neque ratihabitionem considerari: quod si indebitum acceperit, ideo exigi ratihabitionem, quoniam nihil de hoc nomine exigendo mandasse videretur, et ideo, si ratum non habeatur, a procuratore repetendum.

bb) Testamentsauslegung Deutlich ist die der sechs gibt. Auslegung

geringer als die Zahl der Entscheidungen zur Vertragsauslegung Testamentsinterpretationen, von denen es in Celsus’ Werk nur Darunter ist der bekannte Bericht über die Kontroverse bei der eines supellex-Legats:78

(1) Cels 168 = D 33.10.7.2 (19 dig) Servius fatetur sententiam eius qui legaverit aspici oportere, in quam rationem ea solitus sit referre: verum si ea, de quibus non ambigeretur, quin in alieno genere essent, ut puta escarium argentum aut paenulas et togas, supellectili quis adscribere solitus sit, non idcirco existimari oportere supellectili legata ea quoque contineri: non enim ex opinionibus singulorum, sed ex communi usu nomina exaudiri debere. id Tubero parum sibi liquere ait: nam quorsum nomina, inquit, nisi ut demonstrarent voluntatem dicentis? equidem non arbitror quemquam dicere, quod non sentiret, ut maxime nomine usus sit, quo id appellari solet: nam vocis ministerio utimur: ceterum nemo existimandus est dixisse, quod non mente agitaverit. sed etsi magnopere me Tuberonis et ratio et auctoritas movet, non tamen a Servio dissentio non videri quemquam dixisse, cuius non suo nomine usus sit. nam etsi prior atque potentior est quam vox mens dicentis, tamen nemo sine voce dixisse existimatur: nisi forte et eos, qui loqui non possunt, conato ipso et sono quodam chai tē anartrō phōnē dicere existimamus.

Scheint es Celsus auf den ersten Blick auch um den Vorrang zwischen Sprachgebrauch und Erblasservorstellung zu gehen, ist sein Thema in Wahrheit doch ein anderes: Hat jemand, der einen Gegenstand zum Hausrat zählt, was nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht hierunter fällt, eine formgerechte Erklärung abgegeben, wenn er ihn unter dem Namen supellex vermacht? Celsus will wissen, unter welchen Umständen man annehmen könne, dass jemand etwas bestimmtes sage (dicere) oder gesagt habe (dixisse). Im Anschluss an Servius stellt er fest, dass niemand jenseits des Sprachgebrauchs sprechen könne. Dies bedeutet, dass ein Testament, dessen Urheber sich nicht an den Sprachgebrauch hält, formunwirksam ist79.80 Wortlaut und 78  Hierzu auch Harke, Argumenta Iuventiana, S.  12 f., ders., Verba und voluntas – was bedeutet Testamentsauslegung für die Hochklassiker?, in: ders. (Hg.), Facetten des römischen Erbrechts, Berlin / Heidelberg 2012. 79  Richtig Flume, Irrtum und Rechtsgeschäft im römischen Recht, Festschrift für Schulz Bd. 1, Weimar 1951, S. 209, 220 ff.; anders John, Die Auslegung des Legats von Sachgesamtheiten im römischen Recht bis Labeo, Karlsruhe 1970, S. 86. 80  Ob ein Testament auch ohne zugrunde liegenden Willen existieren kann, interessiert Celsus hier nicht. Sind die vom Erblasser unter Vernachlässigung des

58 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Wille stehen damit nicht im Gegensatz oder Konkurrenzverhältnis, sondern sind die beiden Elemente, aus denen sich eine wirksame Verfügung zusammensetzt. Dass man die verba, auch wenn sie nur zur Äußerung der voluntas dienen, nicht vernachlässigen und zum supellex Sachen zählen darf, die nach dem Sprachgebrauch nicht dazugehören, ergibt für Celsus ein Induktionsschluss: Ließe man die verba unbeachtet, müsste man auch unartikulierte Äußerungen als wirksame Verfügungen gelten lassen. In den übrigen vier Fragment argumentiert Celsus deduktiv. Das komplementäre Verhältnis von verba und voluntas dabei kommt auch in dem folgenden Fragment zum Ausdruck: (2) Cels 137 = D 30.63 (17 dig) Si ancillas omnes et quod ex his natum erit testator legaverit, una mortua servius partum eius negat deberi, quia accessionis loco legatus sit: quod falsum puto et nec verbis nec voluntati defuncti accommodata haec sententia est.

Celsus kritisiert die Ansicht Servius’, der von einem Legat über die Sklavinnen des Erblassers und deren Nachkommen ein Kind ausnehmen will, weil seine Mutter schon vorher gestorben ist. Dass es, wie Servius meint, nur accessio zu seiner Mutter sei, widerspricht nach Celsus’ Ansicht sowohl dem Wortlaut des Testaments, in dem die Nachkommenschaft aller Sklavinnen vermacht ist, als auch der mutmaßlichen Absicht des Erblassers, die bei einem auf omnes lautenden Vermächtnis typischerweise auf die Zuwendung der gesamten Personengruppe gerichtet ist. Dass Celsus auch bei erkennbarem Willen des Erblassers keine Entscheidung gegen den Wortlaut treffen will, zeigt (3) Cels 172 = D 31.21 (20 dig): Cum quidam uxori suae dotem reddidisset, quadraginta ei legare voluisset et quamquam sciret dotem redditam, hoc tamen praetextu usus esset, quasi dotis reddendae nomine eam summam legaret, existimo deberi quadraginta: etenim reddendi verbum quamquam significationem habet retro dandi, recipit tamen et per se dandi significationem.

Celsus untersucht, ob der Wille eines Ehemannes, seiner Frau über die schon herausgegebene Mitgift hinaus einen Betrag zukommen zu lassen, genügenden Ausdruck in dem Testament gefunden hat, wenn er ihr die Summe dotis redendae nomine zugewandt hat. Dass dieser Vorwand das Legat nicht unwirksam macht, folgert Celsus aus dem Bedeutungsreichtum von reddere: Heißt es auch eigentlich ‚zurückgeben‘, wird es doch ebenfalls im Sinne von ‚geben‘ (dare) verwendet. Daher kann es auch die ZuwenSprachgebrauchs zum supellex gezählten Dinge nicht von dessen allgemeinem Vermächtnis umfasst, geht sein Wille doch zumindest dahin, die gewöhnlich zum Hausrat gerechneten Gegenstände zu hinterlassen.



I. Systemimmanente Rechtsfindung59

dung einer bislang allein dem Ehemann gehörenden Sache bezeichnen, wodurch der Hinweis auf die dos gegenstandslos wird. Wie die voluntas gerade aus den verba gewonnen wird, demonstriert Celsus’ Entscheidung für die Erstreckung eines Weinlegats auf die entsprechenden Behältnisse: (4) Cels 163 = D 33.6.3.1 Ulp 23 Sab Si vinum legatum sit, videamus, an cum vasis debeatur. et Celsus inquit vino legato, etiamsi non sit legatum cum vasis, vasa quoque legata videri, non quia pars sunt vini vasa, quemadmodum emblemata argenti (scyphorum forte vel speculi), sed quia credibile est mentem testantis eam esse, ut voluerit accessioni esse vino amphoras: et sic, inquit, loquimur habere non amphoras mille, ad mensuram vini referentes. …

Sind die Gefäße, in denen sich vermachter Wein befindet, im Gegensatz etwa zu Verzierungen auf Silberzeug auch nicht Bestandteile des Weins, werden sie gleichwohl von einem hierauf lautenden Vermächtnis erfasst. Einen solchen Willen entnimmt Celsus gerade dem Sprachgebrauch:81 Wolle man die Menge von Wein angeben, sage man, dass jemand über eine bestimmte Anzahl von Krügen verfüge. Dementsprechend schließt auch die Nennung des Weins die dazugehörigen Krüge ein. Celsus ist sich aber bewusst, dass der Sprachgebrauch Wandlungen unterliegt und will diese bei der Interpretation der letztwilligen Verfügung berücksichtigt wissen. Exemplifiziert wird dies wiederum am supellex-Legat: (5) Cels 168 = D 33.10.7.1 (19 dig) Tubero hoc modo demonstrare supellectilem temptat: instrumentum quoddam patris familiae rerum ad cottidianum usum paratarum, quod in aliam speciem non caderet, ut verbi gratia penum argentum vestem ornamenta instrumenta agri aut domus. nec mirum est moribus civitatis et usu rerum appellationem eius mutatam esse: nam fictili aut lignea aut vitrea aut aerea denique supellectili utebantur, nunc ex ebore atque testudine et argento, iam ex auro etiam atque gemmis supellectili utuntur. quare speciem potius rerum, quam materiam intueri oportet, suppellectilis potius an argenti, an vestis sint.

Celsus beschäftigt sich mit Tuberos Definition des supellex, der alle zum täglichen Gebrauch bestimmten Gerätschaften umfasse, die keiner anderen Art wie etwa Vorrat, Silber oder Kleidern unterfallen. Celsus konstatiert eine Änderung des Sprachgebrauchs, die sich aus einem Wandel der Lebensverhältnisse ergibt82: Während der supellex früher bloß Gegenstände 81  Vgl. Harke, Verba und voluntas – was bedeutet Testamentsauslegung für die Hochklassiker?, in: ders. (Hg.), Facetten des römischen Erbrechts, Berlin / Heidelberg 2012. 82  Vgl. John, Die Auslegung des Legats von Sachgesamtheiten im römischen Recht bis Labeo, Karlsruhe 1970, S. 77 f.

60 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

aus Holz, Ton, Glas oder Eisen umfasste, könnten nach jetziger Auffassung auch Sachen aus Elfenbein, Schildkröte und Silber, ja sogar aus Gold und Edelsteinen hierzu zählen. Dies zeigt, dass sich der Kreis derjenigen Sachen, die vom supellex ausgenommen und einer anderen Art zugewiesen sind, verkleinert hat, so dass es jetzt weniger auf den Stoff ankommt, aus dem eine Sache gemacht ist, als vielmehr auf ihre Widmung zum alltäg­ lichen Gebrauch.83 Dass man nach Celsus’ Ansicht trotz gehöriger Rücksicht auf den Sprachgebrauch auch bei der Testamentsauslegung eine stillschweigende Bedingung unterstellen darf, wenn sie selbstverständlich ist, zeigt (6) Cels 127 = D 28.5.60.6 (16 dig): Si ita scriptum fuerit: ‚Titius ex parte tertia, Maevius ex parte tertia heredes sunto: Titius, si intra tertias kalendas navis ex Asia venerit, ex reliqua parte heres esto‘: … sed si decesserit Titius, antequam condicio exsistat, deinde condicio exstiterit, tamen ille sextans non Titii heredi, sed Maevio adcrescet: nam cum adhuc dubium esset, Titio an Maevio is sextans datus esset, Titius decessit nec potest intellegi datus ei qui tempore dandi in rerum natura non fuit.

Ist ein Erbe teils unbedingt, teils bedingt zum Erben eingesetzt und vor dem Eintritt der Bedingung gestorben, erhält sein Erbe nur den Teil, zu dem er unbedingt eingesetzt war; und der bedingt ausgesetzte Teil wächst dem Miterben zu. Obwohl dies nicht ausdrücklich gesagt ist, erscheint es Celsus als ausgemacht, dass der Erblasser den verstorbenen Erben nur dann ein weiteres Mal bedenken wollte, wenn die Bedingung noch zu seinen Lebzeiten eintritt. Denn beim bedingten Vermächtnis nimmt der Bedingungseintritt gewissermaßen den Platz ein, der beim unbedingten Vermächtnis dem Erbfall zukommt. Muss der Erbe, damit der Nachlass seinem Rechtsnachfolger anfällt, hier noch leben, kann nichts anderes für den Moment des Bedingungseintritts gelten.

II. Systemüberschreitende Rechtsfindung 1. Interessenbewertung a) Bonum et aequum Während die Begriffe aequum und aequitas, wenn sie überhaupt Celsus und nicht den ihn zitierenden Juristen zuzurechnen sind, nicht als Bestimmungsgrund seiner Entscheidungen erscheinen, kommt dem Paar bonum et 83  Species meint hier also nicht Form als Gegensatz zu Stoff, sondern durchaus „Art“; vgl. Schermaier, Materia, Wien u. a. 1992, S. 295 f.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung61

aequum, das Celsus zu seiner Definition des Rechts84 verwendet, an zwei Stellen Begründungsfunktion zu: (1) Cels 221 = D 45.1.91.3 Paul 17 Plaut: Sequitur videre de eo, quod veteres constituerunt, quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem, quemadmodum intellegendum sit. et quidem si effecerit promissor, quo minus solvere possit, expeditum intellectum habet constitutio: si vero moratus sit tantum, haesitatur, an, si postea in mora non fuerit, extinguatur superior mora. et Celsus adulescens scribit eum, qui moram fecit in solvendo Sticho quem promiserat, posse emendare eam moram postea offerendo: esse enim hanc quaestionem de bono et aequo: in quo genere plerumque sub auctoritate iuris scientiae perniciose, inquit, erratur. et sane probabilis haec sententia est, quam quidem et Iulianus sequitur: nam dum quaeritur de damno et par utriusque causa sit, quare non potentior sit qui teneat, quam qui persequitur?

Celsus wettert gegen diejenigen, die eine perpetuatio obligationis aufgrund des früher eingetretenen Verzugs des Schuldners auch dann annehmen, wenn der Schuldner später die Leistung anbietet und die Erfüllung am Gläubiger scheitert. Er wirft seinen Gegnern vor, hier, gestützt auf die auctoritas iuris scientiae, mit verderblichen Folgen in einer quaestio de bono et aequo zu irren. Was sich zunächst wie ein Aufruf zu Gerechtigkeit und Vernachlässigung der Dogmatik ausnimmt, ist in Wahrheit eine Aufforderung zur Einsicht in die Natur von Rechtszuständen:85 Celsus’ Gegner bejahen die perpetuatio obligationis, weil der Untergang des Leistungsgegenstands auch bei einem nachfolgenden Angebot des Schuldners dennoch post moram stattfindet. Damit behandeln sie den Verzug wie eine Tatsache, die, einmal eingetreten, nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, und verkennen, dass er als Rechtseinrichtung anderen Maßstäben unterliegt und daher ohne Weiteres nachträglich wieder beseitigt werden kann. Dass eine quaestio de bono et aequo vorliegt, ist demnach weniger Ausdruck einer offenen Wertung als vielmehr der Erkenntnis, dass es statt um eine Tatsache um ein Rechtsphänomen geht, das nicht den Gesetzmäßigkeiten der realen Welt unterliegt. Nicht ohne dogmatischen Bezug ist auch die Berufung auf bonum et aequum zur Begründung der sogenannten condictio Iuventiana: (2) Cels 42 = D 12.1.32 (5 dig) Si et me et Titium mutuam pecuniam rogaveris et ego meum debitorem tibi promittere iusserim, tu stipulatus sis, cum putares eum Titii debitorem esse, an mihi obligaris? subsisto, si quidem nullum negotium mecum contraxisti: sed 84  Cels

278 = D 1.1.1pr Ulp 1 inst. eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 134 ff. und zur Stellung der Äußerung im Kontext des Verzugsrechts ders., Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, Berlin 2005, S. 25 ff. 85  Hierzu

62 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus propius est ut obligari te existimem, non quia pecuniam tibi credidi (hoc enim nisi inter consentientes fieri non potest): sed quia pecunia mea ad te pervenit, eam mihi a te reddi bonum et aequum est.

Hat ein Darlehensnehmer den Gläubiger des Schuldners verwechselt, der ihm ein Versprechen leistet, ist kein Darlehen zustande gekommen, weil der Darlehensnehmer einem beachtlichen error in persona unterlegen ist. Aber auch einer Kondiktion wegen unberechtigter Vorenthaltung fehlt die Grundlage: Der Irrtum des Darlehensnehmers vereitelt außer dem Darlehen auch die Annahme, dass es im Valutaverhältnis zu einer rechtsgrundlosen Leistung gekommen ist. Da sich die Kondiktion mangels unrechtmäßigen Eingriffs in das Vermögen des Darlehensgebers erst recht nicht darauf stützen lässt, dass sich etwas ex iniusta causa beim Darlehensnehmer befindet, entscheidet sich Celsus aber dennoch für die Gewährung einer Leistungskondiktion.86 Ebenso wie im Fall der Ehegattenschenkung im Dreiecksverhältnis87 konstatiert er die für Leistungen auf Anweisungen charakteristische Vermögensbewegung in Deckungs- und Valutaverhältnis und hält es für angebracht, sich unter Berufung auf bonum et aequm über das Fehlen einer Abrede im Valutaverhältnis hinwegzusetzen. b) Konkrete private und öffentliche Interessen Neben der Berufung auf bonum et aequum treffen wir in Celsus’ Werk noch auf drei Entscheidungen, in denen der Jurist die Folgen einer Falllösung erwägt und danach fragt, ob sie für eine Seite unvertretbare Konsequenzen hat. Um mögliche Nachteile für eine Partei geht es dabei in (3) Cels 32 = D 8.6.6.1 (5 dig): Si ego via, quae nobis per vicini fundum debebatur, usus fuero, tu autem constituto tempore cessaveris, an ius tuum amiseris? … Celsus respondit: si divisus est fundus inter socios regionibus, quod ad servitutem attinet, quae ei fundo debebatur, perinde est, atque si ab initio duobus fundis debita sit: et sibi quisque dominorum usurpat servitutem, sibi non utendo deperdit nec amplius in ea re causae eorum fundorum miscentur: nec fit ulla iniuria ei cuius fundus servit, immo si quo melior, quoniam alter dominorum utendo sibi, non toti fundo proficit.

Celsus befasst sich mit der Wirkung, die von der Realteilung eines gemeinschaftlichen Grundstücks auf die hierfür bestellten Grunddienstbarkei86  Eingehend Harke, Argumenta Iuventiana, S. 137 ff.; anders neuerdings Heine, Condictio sine datione, Berlin 2006, S. 48 ff., die freilich von der verfehlten Vor­ stellung einer allgemeinen Bereicherungsklage ausgeht; hiergegen Harke, Das klassische römische Kondiktionensystem, IVRA 54 (2003) 49, 68 ff. und ders., Römisches Recht, München 2008, Rn. 11.10 ff. 87  Cels 120 = D 24.1.3.12 Ulp 32 Sab; s. o. A.I.2.a)bb) (2).



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung63

ten ausgeht. Er will diese so behandeln, als seien sie von vornherein für verschiedene Grundstücke bestellt worden mit der Folge, dass sie durch Gebrauch oder Nichtgebrauch des jeweiligen Eigentümers für das ihm zugewiesene Grundstück erhalten bleiben oder erlöschen. Bedenklich erscheint Celsus dabei aber offenbar, dass das dienende Grundstück nun zugunsten mehrerer herrschender Grundstücke belastet ist. Vergrößert sich damit auch die Zahl der Servitutsverhältnisse, ist dies für den Eigentümer des dienenden Grundstücks aber nicht nur nachteilig, sondern bringt auch den Vorteil mit sich, dass die Nutzung der Dienstbarkeit durch einen der Eigentümer die Servitut nur für dessen Grundstück und nicht auch für eine andere aus der Realteilung hervorgegangene Immobilie erhält. Daher bedeutet die Vermehrung der Servitutsverhältnisse für den Eigentümer des dienenden Grundstücks nach Celsus’ Ansicht keine iniuria. Wiederum das Interesse einer Partei, aber auch das öffentliche Interesse an effizienter Rechtspflege hat Celsus bei seiner Entscheidung über die Bestimmung des Streitgegenstands im Zivilprozess im Blick: (4) Cels 41 = D 5.1.61pr Ulp 26 ed Solemus quidem dicere id venire in iudicium, de quo actum est inter litigantes: sed Celsus ait periculose esse ex persona rei hoc metiri, qui semper ne condemnetur hoc dicet non convenisse. quid ergo? melius est dicere id venire in iudicium non de quo actum est ut veniret, sed id non venire, de quo nominatim actum est ne veniret.

Den hergebrachten Satz, zum Streitgegenstand werde, worauf sich die Parteien verständigt haben, will Ulpian durch die Regel ersetzen, dass nur vom Rechtsstreit ausgenommen sei, was die Parteien ausdrücklich ausgeschlossen haben. Zur Begründung beruft er sich auf Celsus.88 Dieser hat gegen die herkömmliche Bestimmung des Streitgegenstands aus der Parteivereinbarung eingewandt, durch sie drohe stets der zur Vermeidung einer Verurteilung erhobene Einwand des Beklagten, er habe sich nicht auf den betreffenden Umstand eingelassen. Um ein rein öffentliches Interesse geht es Celsus dagegen in (5) Cels 184 = D 39.1.1.10 Ulp 52 ed: Inde quaeritur apud Celsum libro duodecimo digestorum, si post opus novum nuntiatum conveniat tibi cum adversario, ut opus faceres, an danda sit conventionis exceptio? et ait Celsus dandam, nec esse periculum, ne pactio privatorum iussui praetoris anteposita videatur: quid enim aliud agebat praetor quam hoc, ut controversias eorum dirimeret? a quibus si sponte recesserunt, debebit id ratum habere.

Celsus erwägt, ob die Entkräftung eines prätorischen Bauverbots durch pactum der Parteien die Gefahr mit sich bringe, dass die Anordnungen des 88  Hierzu

ausführlich Harke, Argumenta Iuventiana, S. 120 f.

64 A. Argumenta Iuventiana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Celsus

Prätors in ihrer Autorität missachtet werden. Celsus verneint dies, weil schon das Bauverbot selbst nur auf Parteibetrieb, nämlich aufgrund der operis novi nuntiatio, verhängt worden ist und damit der Bewältigung des Streits dient, der durch das pactum beendet werden kann.89 2. Erkenntnisse anderer Wissenschaften Auf eine medizinische Erkenntnis greift Celsus zurück, um die Geschäftsfähigkeit eines Gehörlosen zu belegen: Cels 114 = CJ 6.22.10.3 (a 530) Si enim vox articulata ei a natura concessa est, nihil prohibet eum omnia quae voluit facere, quia scimus quosdam iuris peritos et hoc subtilius cogitasse et nullum esse exposuisse, qui penitus non exaudit, si quis supra cerebrum illius loquatur, secundum quod Iuventio Celso placuit.

Entgegen dem Eindruck, den ein Zitat bei Ulpian erweckt,90 lässt sich Celsus bei seiner Entscheidung für die Zulassung von Gehörlosen zum Geschäftsverkehr nicht erst von dem Gedanken der utilitas leiten. Vielmehr leugnet er schon, dass die Taubheit eines Menschen überhaupt einen Hinderungsgrund für Rechtshandlungen darstelle: Gibt es für ihn gar keine völlige Gehörlosigkeit, sondern nur eine Hörschwäche, die sich stets durch möglichst nahes Sprechen überwinden lässt, kann man den hiervon Betroffenen aus diesem Grund auch nicht die Fähigkeit zur Vornahme von Rechtshandlungen absprechen.

89  Zwar erscheint dieser Teil der Argumentation nicht mehr in indirekter Rede. Er ist jedoch derart untrennbar mit dem Vorangehenden verbunden, dass er nicht von Ulpian stammen kann. 90  Cels 192 = D 40.9.1 Ulp 1 Sab: Celsus libro duodecimo digestorum utilitatis gratia motus surdum ita natum manumittere posse ait.

B.  Argumenta Salviana – ­Entscheidungsbegründungen bei Julian I. Systemimmanente Rechtsfindung 1. Unvermittelte Fallentscheidung a) Induktion aa) Einfacher Fallvergleich Von den insgesamt 233 Entscheidungsbegründungen in Julians Werk, in denen der Jurist seine Entscheidung unvermittelt fällt, bestehen immerhin 107 aus einem Fallvergleich. Auf die schlichte Fallanknüpfung, die ohne Zusammenhang mit einem deduktiven Schluss nur auf die Übertragung des Ergebnisses einer Falllösung auf eine weitere Konstellation gerichtet sind, entfallen jedoch deutlich weniger als die Hälfte dieser Entscheidungen, nämlich 43. Einen Schluss von Einzelfall zu Einzelfall zieht Julian beim Vergleich zwischen Miete und Kauf: (1) Afr 100 = D 19.2.33 (8 quaest) Si fundus quem mihi locaveris publicatus sit, teneri te actione ex conducto, ut mihi frui liceat, quamvis per te non stet, quominus id praestes: quemadmodum, inquit, si insulam aedificandam locasses et solum corruisset, nihilo minus teneberis. nam et si vendideris mihi fundum isque priusquam vacuus traderetur publicatus fuerit, tenearis ex empto: …

Ist ein Grundstück, das du mir vermietet hast, enteignet worden, haftest du mir mit der Mietklage auf mein Interesse daran, dass ich das Grundstück nutzen kann, obwohl es nicht an dir liegt, dass du diese Leistung nicht erbringst, und zwar, wie er sagt, ebenso, wie du, wenn du ein Grundstück zum Bau eines Wohnblocks überlassen hast und es einbricht, nichtsdestoweniger haftest. Denn auch wenn du mir ein Grundstück verkauft hast und es enteignet worden ist, bevor es mir frei von Rechten Dritter übergeben wird, haftest du mir mit der Kaufklage. …

Dass ein Vermieter mit der Enteignung des vermieteten Grundstücks den Anspruch auf die Miete verliert und einem korrespondierenden Rückforderungsanspruch des Mieters ausgesetzt ist, folgt für Julian aus dem Vergleich zu zwei Parallelfällen: Zum einen hafte auch der Besteller, der dem Bau­

66 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

unternehmer ein Grundstück zur Errichtung eines Wohnblocks überlassen habe. Zum anderen sei ein Verkäufer haftbar, wenn das Grundstück vor seiner Übergabe enteignet wird. Mit dem Fall des Bauvertrags hat die Ausgangskonstellation nur gemein, dass der Gegenstand der locatio conductio abhanden kommt, was aber zu gegenläufigen Rechtsfolgen, nämlich im einen Fall zur Rückgewähr der Miete, im anderen zur Zahlung des vereinbarten Werklohns trotz Ausfalls der Werkleistung, führt. Der Fall des Verkaufs eines später enteigneten Grundstücks ist der Ausgangskonstellation dagegen durchaus ähnlich. Wie Afrikan im Folgenden erläutert,1 hat der Verkäufer hier nämlich ebenso wie der Vermieter für den Ausfall des habere licere einzustehen und den Kaufpreis zurückzuzahlen.2 Gemeinsam mit dem precarium erscheint die Miete als Vergleichsfall für die Entscheidung über Verwahrung oder Leihe einer rei sua: (2) Iul 210 = D 16.3.15 (13 dig) Qui rem suam deponi apud se patitur vel utendam rogat, nec depositi nec commodati actione tenetur: sicuti qui rem suam conducit aut precario rogat, nec precario tenetur nec ex locato.

Wer eine eigene Sache in Verwahrung nimmt oder entleiht, haftet weder mit der Verwahrungs- noch mit der Klage aus der Leihe, und zwar ebenso wenig, wie derjenige, der eine eigene Sache mietet oder im Wege der Bittleihe erlangt, aus dieser oder mit der Verdingungsklage haftet.

Dass ein Vertrag über eine Sache nichtig ist, die ihrem Übernehmer schon gehört, ist für viele Verträge und insbesondere für Stipulation3 und Kauf4 anerkannt. Julian nimmt es auch für Verwahrung und Leihe an, indem er auf das precarium und den Mietvertrag5 verweist:6 Sind der precario rogans und der Mieter nicht verpflichtet, die eigene Sache demjenigen zurückzugeben, der sie ihnen überlassen hat,7 darf nichts anderes für den Verwahrer und den Entleiher gelten. Auch sie dürfen nicht dafür haften, dass sie eine Sache zurückbehalten oder beschädigen, die ihnen selbst gehört.8 1  Hierzu Harke, Das Vertragsrecht in Afrikans Quästionen, in: ders. (Hg)., Africani quaestiones, Berlin / Heidelberg 2011, S. 37 ff. 2  Vgl. zu den hierauf gerichteten Ausführungen Afrikans und ihrem Zusammenhang mit Julians Entscheidungen zur Rechtsmängelhaftung Harke, Julian und die Rechtsmängelhaftung OIR 11 (2006) 63, 89 f. 3  Gai 3.99. 4  D 41.3.21 Iav 6 ep. 5  Dies stellt schon Javolen in D 41.3.21 (6 ep) fest. 6  Vgl. auch das Zitat Julians bei African in Afr 72 = D 41.2.40.3 (7 quaest). 7  Etwas anderes gilt natürlich, wenn der Vermieter oder precario dans über ein Zwischenrecht verfügen, das dem Mietvertrag oder precarium einen Sinn gibt; vgl. hierzu M. Zimmermann, Der Rechtserwerb hinsichtlich eigener Sachen, Berlin 2001, S.  55 ff., 91 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung67

Zwei besondere Erscheinungsformen des Auftrags beschäftigen Julian in 8

(3) Afr 7 = D 28.5.47 (2 quaest): Quidam cum filium familias heredem instituere vellet, ne ad patrem eius ex ea hereditate quicquam perveniret, voluntatem suam exposuit filio: filius cum patris offensam vereretur, petit a testatore, ne sub condicione ‚si a patre emancipatus esset‘ heredem eum institueret et impetravit ab eo, ut amicum suum heredem institueret: atque ita testamento amicus filii ignotus testatori heres institutus est nec quicquam ab eo petitum est. quaerebatur, si ille amicus aut adire nollet aut aditam nollet restituere hereditatem, an fideicommissum ab eo peti possit aut aliqua actio adversus eum esset et utrum patri an filio competeret. respondit, etiamsi manifestum sit scriptum heredem fidem suam interposuisse, non tamen aliter ab eo fideicommissum peti posse quam si et ipsum testatorem fidem eius secutum esse probaretur. si tamen, cum a filio familias rogaretur, amicus et aditurum se hereditatem recepisset et restituturum patri familias facto, non absurde dici possit mandati actionem futuram: et eam actionem patri inutilem fore, quia non sit ex bona fide id ei restitui, quod testator ad eum pervenire noluerit: sed nec filio vulgarem competituram, verum utilem, sicuti dare placeret ei, qui, cum filius familias esset, pro aliquo fideiussisset ac pater familias factus solvisset.

Jemand, der einen Haussohn zum Erben einsetzen, aber nicht wollte, dass etwas aus dem Nachlass an dessen Vater gelangt, unterrichtete den Sohn über seine Absicht. Da der Sohn fürchtete, der Vater würde gekränkt sein, bat er den Erblasser, ihn nicht unter der Bedingung: „wenn er von seinem Vater aus der Gewalt entlassen worden ist“, einzusetzen, sondern bat darum, dass er seinen Freund zum Erben eingesetzt. Und so wurde der Freund des Sohnes, der dem Erblasser unbekannt war, zum Erben eingesetzt, ohne dass ihm etwas auferlegt wurde. Es wurde gefragt, ob, wenn dieser Freund entweder die Erbschaft nicht antreten oder nicht herausgeben wolle, sie von ihm als Gegenstand eines Fideikommisses gefordert werden könne oder ob eine andere Klage gegen ihn bestehe und ob sie dem Vater oder dem Sohn zustehe. Er hat befunden, dass, auch wenn offensichtlich sei, dass dem eingesetzten Erben Vertrauen geschenkt wurde, dennoch das Fideikommiss nur dann gefordert werden könne, wenn nachgewiesen werde, dass auch der Erblasser selbst ihm Vertrauen geschenkt hat. Habe sich der Freund jedoch auf die Bitte des Sohnes bereiterklärt, die Erbschaft anzutreten und sie herauszugeben, wenn der Sohn selbst Familienvater geworden sei, erscheine es nicht abwegig zu sagen, dass die Auftragsklage gegeben sei. Und diese Klage sei für den Vater nicht zuständig, da es nicht der guten Treue entspreche, ihm etwas herauszugeben, von dem der Erblasser nicht wollte, dass es an ihn gelange. Aber auch dem Sohn stehe nicht die gewöhnliche Auftragsklage zu, sondern eine analoge, und zwar ebenso wie sie demjenigen gewährt zu werden pflege, der sich als Haussohn für einen anderen verbürgt und dann als Familienvater gezahlt habe.

8  Anders als beim Kauf und Stipulation liegt hier allerdings entgegen Zimmermann (Fn. 7), S. 108 kein Fall der Unmöglichkeit vor.

68 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Jemand hat einen ihm unbekannten Dritten zum Erben eingesetzt, damit dieser die Erbschaft an einen Haussohn weiterleitet, sobald dieser aus der Gewalt seines Vaters entlassen ist. Auch wenn sich im Testament kein Anhaltspunkt für ein Erbschaftsfideikommiss findet, kann dieses gleichwohl bestehen, setzt aber voraus, dass der Erblasser sich in irgendeiner Form gegenüber dem eingesetzten Erben erklärt hat. Lässt sich dies nicht nachweisen und steht allein fest, dass der Haussohn mit dem Erben eine Vereinbarung getroffen hat, scheidet zwar eine fideikommissarische Verpflichtung des Erben aus. Der Sohn kann aber, nachdem er rechtlich selbständig geworden ist, gegen ihn mit der Auftragsklage vorgehen. Allerdings liegt kein regelmäßiger Auftrag vor; denn dieser würde ja einen Herausgabeanspruch in der Person des Vaters zeitigen, der aber gerade durch die Erbeinsetzung des Auftragnehmers umgangen werden sollte. Dem Wunsch der Parteien, eine Verpflichtung unter Vermeidung des Vaters allein gegenüber dem Haussohn zu erzeugen, will Julian durch die Gewährung einer actio utilis Rechnung tragen. Als Vorbild für diese Lösung dient ihm der Fall, dass jemand als Haussohn eine Bürgschaft übernommen und hierauf später als selbständiger Familienvater geleistet hat: Ähnlich wie im Ausgangsfall ist das der Bürgschaft zugrunde liegende Auftragsverhältnis eigentlich zwischen dem Hauptschuldner und Vater des Bürgen entstanden, der jedoch mangels Zahlung auf die Bürgenschuld keinen Regressanspruch gegen den Hauptschuldner erwirbt. Zahlt später der rechtlich selbständig gewordene Sohn, wird ihm für seinen Rückgriff, obwohl er nicht selbst Partei des mandatum geworden ist, gleichwohl eine analoge Auftragsklage gewährt, mit der das Vertragsverhältnis gewissermaßen auf ihn übergeleitet wird. Diese Lösung bietet sich auch im Ausgangsfall an, in dem der Auftrag zur Person des Vaters von vornherein als inhaltsleeres Rechtsverhältnis besteht und die maßgebliche Verpflichtung erst gegenüber dem Sohn nach seiner rechtlichen Verselbständigung einsetzen soll. Die Anwendbarkeit der actio negotiorum gestorum ist Gegenstand eines einfachen Fallvergleichs in (4) Iul 45 = D 3.5.29 (3 dig): Ex facto quaerebatur: quendam ad siliginem emendam curatorem decreto ordinis constitutum: eidem alium subcuratorem constitutum siliginem miscendo corrupisse atque ita pretium siliginis, quae in publicum empta erat, curatori adflictum esse: quaque actione curator cum subcuratore experiri possit et consequi id, ut ei salvum esset, quod causa eius damnum cepisset. Valerius Severus respondit adversus contutorem negotiorum gestorum actionem tutori dandam: idem respondit, ut magistratui adversus magistratum eadem actio detur, ita ­tamen, si non sit conscius fraudis, secundum quae etiam in subcuratore idem dicendum est.

Aus praktischem Anlass wurde folgende Frage gestellt: Jemand war als Beauftragter zum Kauf von Winterweizen durch Verordnung der Gemeinde und ihm



I. Systemimmanente Rechtsfindung69 ein Unterpfleger bestellt worden, der den gekauften Winterweizen durch Vermischung verdarb und so dafür sorgte, dass der Preis des Weizens, der zum öffentlichen Wohl gekauft worden war, zum Schaden des Beauftragten verringert wurde. Mit welcher Klage kann der Beauftragte gegen den Unterbeauftragten vorgehen und erreichen, dass er schadlos gehalten wird für den von ihm erlittenen Verlust? Valerius Severus hat entschieden, dass einem Vormund gegen seinen Mitvormund die Geschäftsführungsklage zu gewähren sei. Derselbe hat entschieden, dass diese Klage auch einem Magistrat gegen seinen Amtskollegen zu geben sei, sofern er nicht Mitwisser des Fehlverhaltens des anderen gewesen sei. Demnach ist beim Unterpfleger ebenso zu entscheiden.

Julian sucht die passende Klage für denjenigen curator, der von einer Gemeinde zum Kauf von Winterweizen bestellt und dem ein anderer Beauftragter beigeordnet ist, der den Weizen verdorben hat. Da der curator selbst für den Schaden verantwortlich ist, stellt sich die Frage, mit welcher Klage er gegen seinen Beigeordneten vorgehen kann. Julian will ihm die Geschäftsführungsklage gewähren und zitiert Valerius Severus, der diese Klage beim Rückgriff unter Mitvormündern und Magistratskollegen für einschlägig hält. Erst beide Konstellationen zusammen gestatten den Rückschluss auf den Ausgangsfall, der gewissermaßen zwischen ihnen liegt: Während die Vormundschaft ein eher privates, die Magistratur ein eindeutig öffent­ liches Amt darstellt, sind bei der Bestellung zum Weizenerwerb öffentliche und private Elemente vermischt, die den Schluss von nur einem der beiden Parallelfälle zweifelhaft erscheinen ließen. Ist aber sowohl für das private als auch für das öffentliche Amt die Zuständigkeit der actio negotiorum gestorum ausgemacht, kann nichts anderes für Ämter gelten, die als gemischt öffentlich-private gewissermaßen dazwischen liegen. Die eingeschränkte Anwendung des senatus consultum Macedonianum ist Ziel des Fallvergleichs in (5) Iul 186 = D 14.6.7.12 Ulp 29 ed: Proinde si acceperit pecuniam et in rem patris vertit, cessat senatus consultum: patri enim, non sibi accepit. sed et si ab initio non sic accepit, verum postea in rem patris vertit, cessare senatus consultum libro duodecimo digestorum Iulianus ait intellegendumque ab initio sic accepisse, ut in rem verteret.

Hat ein Haussohn einen Betrag empfangen und ihn dem Vermögen seines Vaters zugewandt, greift der Senatsbeschluss nicht ein. Denn er hat den Betrag für den Vater, nicht für sich empfangen. Hat er ihn aber nicht von vornherein zu diesem Zweck empfangen, sondern ihn später dem Vermögen seines Vaters zugewandt, greife der Senatsbeschluss, wie Julian im zwölften Buch seiner Digesten schreibt, nicht ein, und er sei so anzusehen, als ob er den Betrag von vornherein erhalten habe, um ihn dem Vermögen des Vaters zuzuwenden.

Julian schließt von einer anerkannten Ausnahme vom senatus consultum Macedonianum auf eine weitere: Da der Senatsbeschluss den Vater eines Haussohns, der ein Darlehen aufnimmt, nicht vor der Rückforderung von

70 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Beträgen schützen soll, die für sein Vermögen bestimmt sind, darf er auch keine Klage in dem Fall ausschließen, dass ein Betrag zunächst vom Haussohn zu anderem Zweck empfangen, dann aber dem Vermögen des Vaters zugewandt wurde. Auch hier besteht nicht die Gefahr einer für den Vater gefährlichen Verschuldung des Sohnes, der der Senatsbeschluss wehren soll. Einen Vergleich zwischen den Leistungsverweigerungsrechten aus dem velleianischen und dem macedonianischen Senatsbeschluss zieht Julian in (6) Iul 187 = D 14.6.9.5, 11 Ulp 29 ed: … si non opposita exceptione condemnati sunt, utentur senatus consulti exceptione: et ita Iulianus scribit in ipso filio familias exemplo mulieris intercedentis.

… wenn sie verurteilt worden sind, weil sie die Einrede nicht erhoben haben, können sie die Einrede aus dem Senatsbeschluss dennoch gebrauchen. Und dies stellt Julian für den Haussohn nach dem Vorbild der Regel für eine interzedierende Frau fest.

Julian schließt aus dem Regime des senatus consultum Velleianum auf die Umsetzung des senatus consultum Macedonianum: Wer als Haussohn dem Verbot des Senatsbeschlusses zuwider ein Darlehen erhalten hat, kann sich nicht nur im Erkenntnisverfahren auf die ihm deshalb zustehende Einrede berufen, sondern sie auch in der Vollstreckung noch erheben. Dies ist nämlich auch einer interzedierenden Frau gestattet, die durch den vellejanischen Senatsbeschluss in gleicher Weise wie der Haussohn durch den macedonianischen, nämlich ope exceptionis, geschützt wird. An anderer Stelle vergleich Julian das Verhältnis von Hauptschuldner und Bürge mit dem zweier Gesamtschuldner: (7) Iul 159 = D 12.6.20 (10 dig) Si reus et fideiussor solverint pariter, in hac causa non differunt a duobus reis promittendi; quare omnia, quae de his dicta sunt, et ad hos transferre licebit.

Haben der Hauptschuldner und ein Bürge zugleich gezahlt, unterscheiden sie sich insoweit nicht von zwei Gesamtschuldnern, weshalb alles, was über sie gesagt worden ist, auf sie übertragen werden kann.

Nach dem letzten Abschnitt des vorangehenden Pomponiusfragments9, mit dem die Kompilatoren diese Aussage Julians zusammengestellt haben, geht es um die doppelte Begleichung einer Schuld durch zwei Personen: Haben zwei Gesamtschuldner gleichzeitig jeweils den ganzen geschuldeten Betrag an den Gläubiger entrichtet, haben beide nach Ansicht von Celsus jeweils einen Kondiktionsanspruch in Höhe der Hälfte ihrer Leistung. Julian überträgt diese Lösung auf die gleichzeitige Zahlung von Schuldner und 9  D 12.6.19.4 Pomp 22 Sab: Si duo rei, qui decem debebant, viginti pariter solverint, Celsus ait singulos quina repetituros, quia, cum decem deberent, viginti solvissent, et quod amplius ambo solverint, ambo repetere possunt.



I. Systemimmanente Rechtsfindung71

Bürge, die er Gesamtschuldnern insoweit für vergleichbar hält. Bedenkt man, dass der Rückgriff des Bürgen gegen den Hauptschuldner sich zumindest dann ebenso wie der Rückgriff unter Gesamtschuldnern vollzieht, wenn diese Mitbürgen sind,10 erscheint es durchaus plausibel, ein für die Gesamtschuld schon etabliertes Muster auch auf das Verhältnis von Bürge und Hauptschuldner zu übertragen, wenn es um die Rückforderung vom Gläubiger geht.11 Zur Verneinung einer Kondiktionsschuld bedient sich Julian des Vergleichs zu einem zunächst entfernt scheinenden Fall: (8) Iul 163 = D 12.6.60pr Paul 3 quaest Iulianus verum debitorem post litem contestatam manente adhuc iudicio negabat solventem repetere posse, quia nec absolutus nec condemnatus repetere posset: licet enim absolutus sit, natura tamen debitor permanet: similemque esse ei dicit, qui ita promisit, sive navis ex Asia venerit sive non venerit, quia ex una causa alterius solutionis origo proficiscitur.

Julian verneinte, dass ein Schuldner, der nach Streitbefestigung während des Rechtsstreits leistet, kondizieren könne, weil er dies weder im Fall seines Freispruchs noch im Fall seiner Verurteilung könne. Selbst wenn er freigesprochen worden sei, bleibt er doch natürlicher Schuldner. Und Julian sagt, er sei demjenigen ähnlich, der eine Leistung sowohl für den Fall versprochen hat, dass ein Schiff aus Asien kommt, als auch für den Fall, dass es nicht kommt, denn sowohl aus dem einen als auch aus dem anderen Grund entsteht ein Rechtsgrund für die Leistung.

Hat ein Beklagter noch vor Abschluss des Rechtsstreits an den Kläger gezahlt, kann er seine Leistung unter keinen Umständen wieder zurückverlangen. Denn auch bei einer Zahlung nach Abschluss des Rechtsstreits wäre die Kondiktion jedenfalls ausgeschlossen, sei es, der Beklagte wäre verurteilt und seine Schuld damit rechtskräftig festgestellt, sei es, er wäre freigesprochen worden und hätte dann wissentlich auf eine Nichtschuld geleistet. Paulus macht in diesem Fall, den er andernorts der Schenkung gleichstellt,12 eine Naturalobligation aus. Der von ihm zitierte Julian leitet die Lösung nicht begrifflich ab, sondern vergleicht den Fall der Zahlung im laufenden Rechtsstreit mit dem Versprechen einer Leistung unter komplementären Bedingungen: Verpflichtet sich jemand sowohl für den Fall, dass ein Schiff aus Asien kommt, als auch für den Fall, dass es nicht kommt, besteht für seine Leistung in jedem Fall ein Rechtsgrund. Ebenso wie der 10  Hier wie dort kann der Leistende nämlich die eigene Zahlung von der Abtretung der Forderung gegen die anderen Schuldner abhängig machen; vgl. Iul 839 = D 46.1.17 (89 dig) und 46.6.12 Pap 12 quaest. 11  Steiner, Die römischen Solidarobligationen, München 2009, S. 114 wertet den Text als Indiz dafür, dass die Leistung des Bürgen pro reo erfolgt. 12  D 46.2.12 Paul 31 ed.

72 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Schuldner hier unbedingt verpflichtet ist, leistet auch der Beklagte vor Abschluss des Prozesses ohne Rücksicht auf den Fortgang des Verfahrens und die Feststellung seiner Schuld und ist daher unbedingt von der Rückforderung seiner Leistung ausgeschlossen.13 Nicht auf den ersten Blick erschließt sich auch der Fallvergleich, den Julian zur actio de in rem verso anstellt: (9) Afr 90 = D 15.3.17pr (8 quaest): Servus in rem domini pecuniam mutuatus sine culpa eam perdidit: nihilo minus posse cum domino de in rem verso agi existimavit. nam et si procurator meus in negotia mea impensurus pecuniam mutuatus sine culpa eam perdiderit, recte eum hoc nomine mandati vel negotiorum gestorum acturum.

Ein Sklave hat Geld als Darlehen aufgenommen, in das Vermögen seines Eigentümers eingebracht und dann ohne seine Schuld verloren. Er glaubte, ­ nichtsdestoweniger könne gegen den Eigentümer die Versionsklage erhoben werden. Denn auch wenn mein Verwalter einen Betrag als Darlehen aufgenommen, in mein Vermögen eingebracht und dann ohne seine Schuld verloren hat, kann er deshalb zu Recht die Auftrags- oder Geschäftsführungsklage erheben.

Julian begründet, warum die actio de in rem verso auch dann zuständig bleibt, wenn der Geldbetrag, den der Sklave in das Vermögen seines Eigentümers eingebracht hat, hier wieder verloren gegangen ist: Auch in dem Fall, dass jemand auftragsgemäß oder im Zuge einer erlaubten Geschäftsführung ohne Auftrag ein Darlehen aufgenommen hat, bleibe der Geschäftsherr zum Aufwendungsersatz selbst dann verpflichtet, wenn der Geschäftsbesorger das Geld ohne seine Schuld verloren habe. Obwohl diese Konstellation zunächst eher fernliegend erscheint, zeigt sie doch, was Julian für den Ausgangsfall demonstrieren möchte: Damit ein Geschäft oder Vorteil einer bestimmten Person zugerechnet werden kann, muss diese nicht nach wie vor bereichert sein. Es genügt, wenn das Geschäft abgeschlossen oder der Vorteil einmal vorhanden war, weil schon so die jeweils einschlägige Klage begründet ist. Einen Schluss vom Haftungsregime einer adjektizischen Klage auf das einer anderen zieht Julian in (10) Iul 179 = D 14.3.13.2 Ulp 28 ed: Si duo pluresve tabernam exerceant et servum, quem ex disparibus partibus habebant, institorem praeposuerint, utrum pro dominicis partibus teneantur an pro aequalibus an pro portione mercis an vero in solidum, Iulianus quaerit. et verius esse ait exemplo exercitorum et de peculio actionis in solidum unumquemque conveniri posse, et quidquid is praestiterit qui conventus est, societa13  Entgegen Bund, Methode Julians, S. 81 kann man also nicht behaupten, dass der Vergleichsfall die Entscheidung nicht trägt.



I. Systemimmanente Rechtsfindung73 tis iudicio vel communi dividundo consequetur, quam sententiam et supra probavimus.



Betreiben zwei oder mehrere ein Ladengeschäft und haben sie einen Sklaven, der ihnen zu ungleichen Teilen gehört, als Geschäftsleiter eingesetzt, stellt sich die von Julian aufgeworfene Frage, ob sie nach dem Maß ihrer Eigentumsanteile an dem Sklaven oder zu gleichen Teilen oder nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung an den Waren oder in voller Höhe haften. Und er sagt, es sei besser, wenn sie nach dem Vorbild der Reederklage und der Klage wegen des Sonderguts jeweils in voller Höhe in Anspruch genommen werden könnten; und was derjenige Miteigentümer, der verklagt worden ist, geleistet habe, könne er mit der Gesellschafter- oder Teilungsklage ersetzt verlangen; diese Ansicht haben wir schon oben gutgeheißen.

Julian überträgt auf die actio exercitoria, was ihm für die actio institutoria und die actio de peculio ausgemacht scheint, nämlich dass die Miteigentümer eines Sklaven aus den von diesem abgeschlossenen Geschäften als Gesamtschuldner von dem Vertragspartner jeweils auf das Ganze in Anspruch genommen werden und nach ihrer Leistung an den Gläubiger im Innenverhältnis Rückgriff nehmen können. Für Gaius ist dies später schon zur Regel für alle adjektizischen Klagen geworden und darauf zurückzuführen, dass der Vertragspartner eines in Miteigentum stehenden Sklaven nicht schlechter stehen soll als der Kontrahent eines Sklaven, der in Alleineigentum steht.14 Julian begnügt sich an dieser Stelle mit dem Schluss vom Regime zweier adjektizischen Klagen15 auf das einer anderen. Ihr gemeinsames Merkmal ist, dass die Haftung der Miteigentümer an die dem servus communis erteilte Generalermächtigung anknüpft. Zur Begründung einer perpetuatio obligationis vergleicht Julian andernorts die Verpflichtung desjenigen, der einen anderen von einem Grundstück vertrieben hat, mit der eines Diebs: (11) Iul 658 = D 43.16.1.35 Ulp 69 ed Denique scribit Iulianus eum, qui vi deiecit ex eo praedio, in quo homines fuerant, propius esse, ut etiam sine culpa eius mortuis hominibus aestimationem eorum per interdictum restituere debeat, sicuti fur hominis etiam mortuo eo tenetur. huic consequens esse ait, ut villae quoque et aedium incendio consumptarum pretium restituere cogatur: ubi enim quis, inquit, deiecit, per eum stetisse videtur, quo minus restitueret. 14  Iul 197 = D 15.1.27.8 Gai 9 ed prov: Si quis cum servo duorum pluriumve contraxerit, permittendum est ei cum quo velit dominorum in solidum experiri: est enim iniquum in plures adversarios distringi eum, qui cum uno contraxerit: …; hierzu Harke, Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht, in: ders. (Hg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, Berlin / Heidelberg 2010, S. 1, 9 ff. 15  Drosdowski, Das Verhältnis von actio pro socio und actio communi dividundo im klassischen römischen Recht, Berlin 1998, S. 116 nennt dies modern eine „Gesamtanalogie“.

74 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Ferner schreibt Julian, es sei richtiger, dass derjenige, der einen anderen mit Gewalt von einem Grundstück vertrieben hat, auf dem sich Sklaven befanden, aus dem Interdikt auch den Wert der Sklaven zu ersetzen habe, die ohne seine Schuld gestorben seien, und zwar ebenso wie der Dieb eines Sklaven auch nach dessen Tod hafte. Dem entspreche es, wie Julian sagt, dass er auch zu zwingen sei, den Wert von Häusern und Gebäuden zu leisten, die durch einen Brand zerstört worden seien. Wo nämlich jemand vertrieben habe, scheine es, sagt Julian, an ihm zu liegen, dass er nicht zurückgegeben habe.

Julian erweitert die Haftung des Grundstücksbesitzers, der einen anderen mit Gewalt vertrieben hat und nun mit dem Interdikt unde vi belangt wird: Er soll dem früheren Besitzer nicht nur für den Verlust einzustehen haben, der durch seine Schuld entstanden ist, sondern auch für einen Schaden haften, der wie beim Tod der auf dem Grundstück befindlichen Sklaven oder beim Brand von Gebäuden zufällig eingetreten ist. Vorbild hierfür ist die absolute Zufallshaftung des Diebs, der kraft der Regel fur semper in mora mit der condictio furtiva auch dann belangt werden kann, wenn die gestohlene Sache zufällig und so untergegangen ist, dass sie bei rechtzeitiger Rückgabe auch für den Eigentümer verloren gewesen wäre.16 Die Übertragung dieses Regimes auf die Verantwortlichkeit des Besitzers, der sich eines Grundstücks mit Gewalt bemächtigt hat,17 liegt deshalb nahe, weil die Vertreibung von einem Grundstück nur deshalb aus dem Begriff des furtum herausfällt, weil dieses auf die Entwendung beweglicher Sachen beschränkt ist. Ansonsten ist sie dem furtum jedoch durchaus ähnlich und wird auch mit der condictio wegen unrechtmäßigen Eingriffs sanktioniert, deren prominenter Anwendungsfall die condictio furtiva ist18. Der Erwerb durch einen Nießbrauchssklaven ist Gegenstand eines einfachen Induktionsschlusses von stipulatio auf mancipatio: (12) Iul 608 = D 41.1.37.5 (44 dig) Fructuarius servus si dixerit se domino proprietatis [per traditionem] accipere, ex re fructuarii totum domino adquiret: nam et sic stipulando ex re fructuarii domino proprietatis adquireret.

Ein Nießbrauchssklave erwirbt, wenn er bei der Manzipation sagt, dass er für seinen Eigentümer erwerbe, diesem das vollständige Eigentum auch dann, wenn er Mittel des Nießbrauchers eingesetzt hat. Denn er erwirbt so auch durch Stipulation unter Einsatz des Nießbrauchervermögens für seinen Eigentümer.

16  Hierzu Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, Berlin 2005, S. 14 ff. 17  Sie entspricht nicht Ulpians eigener Auffassung; vgl. D 4.2.14.11 (11 ed) und hierzu Harke (Fn. 16), S. 16 f. 18  Vgl. Harke, Das klassische römische Kondiktionensystem, IVRA 54 (2003) 49, 71 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung75

Die Regel, eine von einem Nießbrauchssklaven ex re fructuarii erworbene Sache gehöre dem Nießbraucher,19 gilt nach Julians Ansicht nur als Zweifelssatz20 für den Fall, dass nichts anderes erklärt worden ist. Der Jurist zeigt dies am offenbar unumstrittenen Fall der Stipulation: Macht der Nießbrauchssklave hier auch bei Einsatz des Nießbrauchervermögens durch ausdrückliche Nennung seines Eigentümers allein diesen zum Gläubiger, darf nichts anderes für die mancipatio gelten, wenn er zur Durchführung des zugrunde liegenden Kaufvertrags zwar auf das Vermögen des Nießbrauchers zurückgegriffen, aber als Erwerber explizit seinen Eigentümer genannt hat.21 Insgesamt viermal erscheint bei Julian die Gegenüberstellung des Erwerbs durch einen wirklichen oder vermeintlichen Sklaven und der Fruchtziehung aus einem Grundstück: (13) Iul 92 = D 22.1.25.2 (7 dig) Bonae fidei emptor sevit et antequam fructus perciperet, cognovit fundum alienum esse: an perceptione fructus suos faciat, quaeritur. respondi, bonae fidei emptor quod ad percipiendos fructus intellegi debet, quamdiu evictus fundus non fuerit: nam et servus alienus quem bona fide emero tamdiu mihi ex re mea vel ex operis suis adquiret, quamdiu a me evictus non fuerit.

Ein gutgläubiger Käufer hat gesät und, bevor er die Früchte gezogen hat, erfahren, dass das Grundstück einem anderen gehört. Es wurde gefragt, ob er die gezogenen Früchte zu eigen erworben habe. Ich habe geantwortet, dass ein gutgläubiger Käufer, was die Fruchtziehung anbelangt, so lange als solcher gilt, wie das Grundstück noch nicht evinziert worden ist. Denn auch wenn ich einen fremden Sklaven guten Glaubens gekauft habe, erwirbt er aus meinem Vermögen oder mit seiner Arbeit etwas für mich, solange er noch nicht evinziert worden ist.

Die Entscheidung der Frage, ob ein gutgläubiger Besitzer das Eigentum an Früchten erwirbt, die er nach Eintritt seiner Bösgläubigkeit zieht, ergibt sich noch nicht aus der für die Ersitzung geltenden Regel, dass mala fide superveniens nicht schadet.22 Für Julian folgt sie aber aus dem Regime des Erwerbs durch einen bona fide besessenen Sklaven. Auch hier trete eine Zäsur erst durch die Eviktion ein, so dass diese auch beim Fruchterwerb einer gutgläubig erworbenen, dann aber als fremd erkannten Sache den 19  Gai 2.91. 20  Vgl. Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischen Recht, Berlin 2004, S. 101. 21  Ist dieser Schluss auch konsequent, befasst sich Julian doch nicht mit dem wesentlichen Argument der Vertreter der Gegenansicht, die meinen, ein Eigentümer, dem die nuda proprietas verbleibe, sei derart schlechter berechtigt als der Nießbraucher, dass er überhaupt nichts erwerben könne; vgl. Gai 3.166. 22  Dies stellt Pomponius heraus, der auch zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt; vgl. D 41.1.48.1 Paul 7 Plaut.

76 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

maßgeblichen Zeitpunkt markiere, ab dem ein Eigentumserwerb durch Fruchtziehung scheitere. (14) Afr 71 = D 41.1.40 (7 quaest) Quaesitum est, si is, cui liber homo bona fide serviret, decesserit eique is heres extiterit, qui liberum eum esse sciat, an aliquid per eum adquirat. non esse ait, ut hic bona fide possessor videatur, quando sciens liberum possidere coeperit, quia et si fundum suum quis legaverit, heres, qui eum legatum esse sciat, procul dubio fructus ex eo suos non faciet: et multo magis si testator eum alienum bona fide emptum possedit. et circa servorum igitur operam ac ministerium eandem rationem sequendam, ut, sive proprii sive alieni vel legati vel manumissi testamento fuerint, nihil per eos heredibus, qui modo eorum id non ignorarent, adquiratur. etenim simul haec fere cedere, ut, quo casu fructus praediorum consumptos suos faciat bona fide possessor, eodem per servum ex opera et ex re ipsius ei adquiratur.

Es ist gefragt worden, ob, wenn derjenige, dem ein Freier nach guter Treue diente, gestorben und sein Erbe jemand geworden ist, der weiß, dass er ein Freier ist, dieser etwas durch ihn erwerben könne. Er sagt, er könne nicht als Besitzer nach guter Treue angesehen werden, wenn er wissentlich einen Freien zu besitzen begonnen habe, weil auch, wenn jemand sein Grundstück vermacht habe, der Erbe, der hiervon wisse, ohne Zweifel die Früchte nicht erwerbe, und dies um so mehr, wenn der Erblasser das Grundstück, das einem anderen gehört, nur als redlicher Käufer besessen hat. Und bei den Diensten der Sklaven sei dieselbe Regel zu befolgen, so dass für diejenigen Erben, die Bescheid wüssten, nichts erworben werden könne, sei es, dass die Sklaven fremd oder eigen, vermacht oder durch Testament freigelassen seien. Denn es stehe sich beinahe gleich, ob, wenn ein Besitzer nach guter Treue unter bestimmten Umständen die verbrauchten Früchte erwerbe, er auch durch einen Sklaven aus dessen Diensten oder unter Einsatz seines Vermögens erwerbe.

Julian verneint den Erwerb durch einen liber homo, wenn dieser zunächst bona fide serviens ist, danach aber von dem Erben seines scheinbaren Eigentümers besessen wird und dieser Erbe den wahren Status des vermeintlichen Sklaven kennt. Dass dem Erben der gute Glaube des Erblassers zugute kommt, wird zwar dadurch nahegelegt, dass Julian einer mala fides superveniens des Besitzers eines fremden Sklaven keine Bedeutung für den Erwerb durch diesen zumisst. Dass der bösgläubige Erbe gleichwohl nichts erwerben kann, folgert Julian aber aus dem Parallelfall des Fruchterwerbs aus einem Grundstück, der ausscheidet, wenn der Erbe des Besitzers weiß, dass es nicht ihm gehört. Der Erwerb von Früchten aus einem Grundstück entspricht für ihn dem Erwerb durch einen liber homo oder einen servus alienus; und beide kommen gleichermaßen nur in Betracht, wenn der Erbe selbst gutgläubig ist. (15) Iul 92 = D 22.1.25.1 (7 dig) In alieno fundo, quem Titius bona fide mercatus fuerat, frumentum sevi: an Titius bonae fidei emptor perceptos fructus suos faciat? respondi, quod fructus



I. Systemimmanente Rechtsfindung77 qui ex fundo percipiuntur intellegi debet propius ea accedere, quae servi operis suis adquirunt, quoniam in percipiendis fructibus magis corporis ius ex quo percipiuntur quam seminis, ex quo oriuntur aspicitur: et ideo nemo umquam dubitavit, quin, si in meo fundo frumentum tuum severim, segetes et quod ex messibus collectum fuerit meum fieret. porro bonae fidei possessor in percipiendis fructibus id iuris habet, quod dominis praediorum tributum est. praeterea cum ad fructuarium pertineant fructus a quolibet sati, quanto magis hoc in bonae fidei possessoribus recipiendum est, qui plus iuris in percipiendis fructibus habent? cum fructuarii quidem non fiant, antequam ab eo percipiantur, ad bonae fidei autem possessorem pertineant, quoquo modo a solo separati fuerint, sicut eius qui vectigalem fundum habet fructus fiunt, simul atque solo separati sunt.



Ich habe auf einem fremden Grundstück, das Titius nach guter Treue gekauft hat, Getreide gesät. Erwirbt der ordentliche Käufer Titius die gezogenen Früchte zu Eigentum? Ich habe befunden, dass die Früchte, die aus dem Grundstück gezogen werden, dem sehr nahestehen, was Sklaven durch ihre Arbeit erwerben, weil bei gezogenen Früchten das Recht an der Sache, aus der sie gezogen werden, mehr wiegt als das Recht an dem Samen, aus dem sie wachsen. Und daher hat noch niemand bezweifelt, dass, wenn ich auf meinem Grundstück dein Getreide gesät habe, die Saat und die Ernte mir gehören. Nun hat aber ein gutgläubiger Besitzer bei der Fruchtziehung dasselbe Recht, was auch den Grundstückseigentümern zusteht. Ist außerdem, da dem Nießbraucher die Früchte zustehen, von wem sie auch immer gesät sind, dies nicht umso mehr bei gutgläubigen Besitzern zu sagen, die mehr Recht zum Fruchtbezug haben? Denn während die Früchte nur dann zum Eigentum des Nießbrauchers werden, wenn sie von ihm selbst gezogen worden sind, stehen sie dem gutgläubigen Besitzer schon dann zu, wenn sie nur auf irgendeine Art und Weise vom Boden getrennt sind, wie die Früchte auch zum Eigentum eines Erbpächters werden, sobald sie vom Boden getrennt sind.

Julian wendet sich gegen das von Quintus Mucius, vielleicht auch noch von Pomponius,23 verteidigte Produktionsprinzip, demzufolge Früchte, wenn sie nicht vom Eigentümer gezogen werden, demjenigen zufallen, der gesät hat, und nicht etwa einem gutgläubigen Besitzer des Grundstücks. Für Julian kommt es statt auf die Aussaat auf die Rechtsposition an der Muttersache an. Und er begründet seine Entscheidung für den Eigentumserwerb des gutgläubigen Besitzers an Früchten, die ein anderer gesät hat, durch vierfachen Fallvergleich: Zunächst rekurriert er auf den Erwerb durch Sklaven, bei denen allein Eigentum oder Besitz an diesen selbst entscheidet. Außerdem verweist er auf den Fruchterwerb durch den Eigentümer der Muttersache, dem der gutgläubige Besitzer jedenfalls gleichstehe. Schließlich zieht er einen Schluss a maiore ad minus vom Fruchterwerb des Nieß23  D 22.1.45 Pomp 22 QM: … nam si pomum decerpserit vel ex silva caedit, non fit eius, sicuti nec cuiuslibet bonae fidei possessoris, quia non ex facto eius is fructus nascitur.

78 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

brauchers: Erwerbe dieser erst, wenn die Früchte in seinen Besitz gelangen, müsse der gutgläubige Besitzer, der gewöhnlich schon mit der Trennung der Früchte das Eigentum hieran erwerbe, erst recht einem Dritten vorgehen, dem ja auch der Nießbraucher vorgehe. Der gutgläubige Besitzer stehe damit wie ein Erbpächter, dem das Eigentum an den Früchten ebenfalls schon mit der Trennung zufalle. Um die Irrelevanz der Aussaat geht es auch im principium des Fragments, in dem Julian einen Miteigentümer mit einem bösgläubigen Besitzer vergleicht: (16) Iul 92 = D 22.1.25pr (7 dig) Qui scit fundum sibi cum alio communem esse, fructus, quos ex eo perceperit invito vel ignorante socio, non maiore ex parte suos facit quam ex qua dominus praedii est: nec refert, ipse an socius an uterque eos severit, quia omnis fructus non iure seminis, sed iure soli percipitur: et quemadmodum, si totum fundum alienum quis sciens possideat, nulla ex parte fructus suos faciet, quoquo modo sati fuerint, ita qui communem fundum possidet, non faciet suos fructus pro ea parte, qua fundus ad socium eius pertinebit.

Wer weiß, dass ihm ein Grundstück gemeinsam mit einem anderen gehört, erwirbt die Früchte, die er hieraus gegen den Willen oder ohne das Wissen des Miteigentümers zieht, nicht zu einem größeren Teil zu eigen, als zu dem er der Eigentümer des Grundstücks ist. Und es spielt keine Rolle, ob er selbst oder der Miteigentümer oder sie beide gesät haben, denn alle Früchte werden nicht nach dem Recht am Samen, sondern nach dem Recht am Grundstück gezogen. Und ebenso wie derjenige, der wissentlich ein fremdes Grundstück besitzt, die Früchte zu keinem Teil zu eigen erwirbt, wie auch immer sie gesät sein mögen, so erwirbt derjenige, der ein Grundstück gemeinsam mit einem anderen besitzt, die Früchte nicht zu dem Teil, zu dem das Grundstück dem Miteigentümer zusteht.

Dass der Miteigentümer einer Muttersache nur anteilig an ihren Früchten berechtigt ist, leitet Julian aus einem Vergleich zum bösgläubigen Besitzer her: Erwerbe dieser überhaupt kein Recht an den von ihm gezogenen Früchten, könne auch der Miteigentümer, der von der Berechtigung des anderen Teilhabers wisse, nicht mehr als einen Anteil an den Früchten erwerben. Zumindest zu dem ideellen Anteil, zu dem ihm die Muttersache nicht gehört, ist er nämlich deren bösgläubiger Besitzer ähnlich, so dass insoweit auch sein Fruchterwerb scheitert. Einen Vergleich verschiedener dinglicher Rechtspositionen stellt Julian in dem folgenden Fragment an, in dem er ein Stufenverhältnis darstellen will: (17) Iul 715 = D 45.1.58 (54 dig) Qui usum fructum fundi stipulatur, deinde fundum, similis est ei, qui partem fundi stipulatur, deinde totum, quia fundus dari non intellegitur, si usus fructus detrahatur. et e contrario qui fundum stipulatus est, deinde usum fructum, similis est ei, qui totum stipulatur, deinde partem. sed qui actum stipulatur,



I. Systemimmanente Rechtsfindung79 deinde iter, posteriore stipulatione nihil agit, sicuti qui decem, deinde quinque stipulatur, nihil agit. item si quis fructum, deinde usum stipulatus fuerit, nihil agit. [nisi in omnibus novandi animo hoc facere specialiter expresserit: tunc enim priore obligatione exspirante ex secunda introducitur petitio et tam iter quam usus nec non quinque exigi possunt.]



Wer sich den Nießbrauch eines Grundstücks und danach dieses selbst hat versprechen lassen, ist demjenigen ähnlich, der sich den Teil eines Grundstücks und danach das ganze hat versprechen lassen, weil das Grundstück als nicht geleistet erscheint, wenn der Nießbrauch vorbehalten ist. Und umgekehrt ist derjenige, der sich ein Grundstück und danach den Nießbrauch versprechen lässt, demjenigen ähnlich, der sich das ganze Grundstück und danach den Nießbrauch versprechen lässt. Wer sich aber ein Viehtrift-, danach ein Gehwegerecht versprechen lässt, erzielt mit dem späteren Versprechen keine Rechtswirkungen, und zwar ebenso wenig wie derjenige, der sich erst zehn und dann fünf versprechen lässt. Auch wer sich das Fruchtziehungs- und dann das Gebrauchsrecht versprechen lässt, bewirkt nichts. [Dies gilt in allen Fällen freilich nur, falls nicht eigens die Absicht kundgetan ist, dass das Versprechen mit dem Ziel der Novation erfolgt. Dann ist nämlich die frühere Verpflichtung erloschen und durch die zweite ein Forderungsrecht begründet, und dann können das Gehwegsrecht, der Gebrauch und fünf gefordert werden.]

Julian erläutert mit Hilfe von Vergleichsfällen, weshalb eine Stipulation, deren Gegenstand schon in einem früheren Versprechen enthalten ist, zumindest dann unwirksam ist, wenn kein animus novandi vorliegt,24 und warum sie wirkungslos wird, wenn ihr Gegenstand von dem Objekt eines späteren Versprechens eingeschlossen ist: Die problematischen Fälle sind Versprechen über Eigentum und Nießbrauch an derselben Sache sowie über Viehtrift- und Wegerecht oder Fruchtziehungs- und Gebrauchsrecht. Dass hier jeweils der eine Leistungsgegenstand in dem anderen enthalten ist, zeigt Julian am Vergleich zu den einfacheren Fällen, in denen ein Miteigentumsanteil an einer Sache und diese selbst oder in denen die Beträge fünf und zehn versprochen werden. Hier ist jeweils evident, dass die eine Leistung die andere einschließt, so dass die spätere umfassendere Stipulation die frühere ersetzt oder die zuerst vorgenommene umfassendere Stipulation der späteren von vornherein die Wirksamkeit nimmt. Das Verhältnis von mehr und weniger besteht aber auch bei Eigentum und Nießbrauch, weil die Übereignung einer Sache unter Vorbehalt des Nießbrauchs erfolgen kann, sowie bei Viehtrift- und Wegerecht, weil man zum Viehtrieb auch über das 24  Der Schlusssatz des Textes wirkt nachträglich angefügt und entspricht in seinem Stil den kompilatorischen Vorbehalten über abweichende Willensrichtungen. In der Sache ist er freilich keineswegs falsch, sondern sagt nur, was Julian vorher stillschweigend voraussetzt. Anders Apathy, Animus novandi, Wien / New York  1975, S. 245 f., der die Novationswirkung bei einer Mengenänderung für ein Produkt der Nachklassik und den Zusatz daher für den Ausdruck einer echten Rechtsänderung hält.

80 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

belastete Grundstück gehen muss und darf, sowie bei Fruchtziehungs- und Gebrauchsrecht, weil man zur Fruchtziehung die Sache auch gebrauchen muss. Einen Vergleich zwischen verschiedenen Arten von Felddienstbarkeiten und zum Nießbrauch zieht Julian in folgendem Fragment: (18) Iul 583 = D 43.20.4 (40 dig) Lucio Titio ex fonte meo ut aquam duceret, cessi: quaesitum est, an et Maevio cedere possim, ut per eundem aquae ductum aquam ducat: et si putaveris posse cedi per eundem aquae ductum duobus, quemadmodum uti debeant. respondit: sicut iter actus via pluribus cedi vel simul vel separatim potest, ita aquae ducendae ius recte cedetur. sed si inter eos, quibus aqua cessa est, non convenit, quemadmodum utantur, non erit iniquum utile iudicium reddi, sicut inter eos, ad quos usus fructus pertinet, utile communi dividundo iudicium reddi plerisque placuit.

Ich habe Lucius Titius das Wasserleitungsrecht aus meiner Quelle zugestanden. Es ist gefragt worden, ob ich auch Mävius das Recht einräumen könne, Wasser über dieselbe Wasserleitung zu führen, und, wenn du glaubst, ich könne zweien dasselbe Wasserleitungsrecht zugestehen, wie sie es nutzen sollen. Er hat geantwortet: Wie das Fuß- oder Fahrwegs- oder Viehtriftsrecht mehreren zur selben Zeit oder getrennt voneinander zugestanden werden kann, kann auch das Wasserleitungsrecht in dieser Weise wirksam eingeräumt werden. Aber wenn sich diejenigen, denen das Wasserleitungsrecht zugestanden ist, nicht über die Nutzung einigen können, erscheint es nicht ungerecht, eine analoge Teilungsklage zu gewähren, und zwar ebenso, wie sie nach Meinung vieler unter Nießbrauchern zu gewähren ist.

Julian befasst sich mit dem Fall einer mehrfachen Zuständigkeit für ein ius aquae ducendae. Dass es wirksam mehreren Grundstückseigentümern eingeräumt werden kann, zeigt für ihn der Vergleich zum Wege- und Triftrecht. Bei ihnen ist die Möglichkeit einer Benutzung und Berechtigung für mehrere Personen offensichtlich, weil sie sich anders als beim Wasserleitungsrecht nicht in denselben Wasserstrom teilen, sondern von dem Recht zwangsläufig nacheinander Gebrauch machen müssen. Dass es beim mehrfach zuständigen Wasserleitungsrecht um denselben Wasserstrom geht, bewirkt aber auch, dass es hier eher als beim Wege- oder Triftrecht zu Auseinandersetzungen zwischen den Servitutsberechtigten kommt. Zu ihrer Bewältigung schlägt Julian vor, eine Teilungsklage nach dem Vorbild der actio communi dividundo zu gewähren und verweist hierfür auf den Nießbrauch, bei dem von vielen anerkannt ist, dass seine Mitinhaber gegeneinander wie Miteigentümer vorgehen können. Nießbrauch und Eigentum erscheinen in zwei Fragmenten als Komponenten eines Ähnlichkeitsschlusses, der den Verlust des usus fructus durch Nichtgebrauch betrifft:



I. Systemimmanente Rechtsfindung81

(19) Iul 101 = D 7.6.3 (7 dig) Qui usum fructum traditum sibi ex causa fideicommissi desiit in usu habere tanto tempore, quanto, si legitime eius factus esset, amissurus eum fuerit, actionem ad restituendum eum habere non debet: est enim absurdum plus iuris habere eos, qui possessionem dumtaxat usus fructus, non etiam dominium adepti sint.

Wer den Nießbrauch, der ihm aufgrund eines Fideikommisses eingeräumt wurde, über einen so langen Zeitraum nicht benutzt, dass er, wenn er das Grundstück zu Eigentum erworben hätte, dieses verloren hätte, darf nicht mehr die Herausgabeklage erheben. Es wäre nämlich absurd, hätten diejenigen mehr Rechte, die nur den Nießbrauchsbesitz und nicht auch das Eigentum erworben haben.

Julian rechtfertigt den Untergang eines Nießbrauchs durch seinen Nichtgebrauch, der nach Ablauf der für die Ersitzung des Eigentums geltenden Fristen eintritt,25 mit einem Schluss a maiore ad minus aus dem Eigentumsrecht: Kann dieses durch Ersitzung verloren gehen, darf nichts anderes für den Nießbrauch gelten, weil sein Inhaber weniger Recht habe als ein Eigentümer. (20) Iul 496 = Vat 89 (= D 7.1.12.3 Ulp 17 Sab) Iulianus tamen libro V digestorum scribit, etiam si non stipuletur quid servus fugitivus intra annum mancipiove accipiat, tamen retineri usum fructum: nam qua ratione, inquit, retinetur a proprietatis domino possessio, etiamsi in fuga servus sit, pari ratione etiam usus fructus non amittitur.

Julian schreibt im 35. Buch seiner Digesten, dass man den Nießbrauch an einem flüchtigen Sklaven auch dann behalte, wenn sich dieser ein Jahr lang weder etwas versprechen lasse noch durch Manzipation erwerbe. Denn aus demselben Grund, aus dem der Eigenbesitz des Eigentümer erhalten bleibe, sagt er, werde auch der Nießbrauch nicht verloren.

Dass ein Nießbraucher sein Recht an einem flüchtigen Sklaven auch dann nicht verliert, wenn dieser binnen Jahresfrist weder eine Forderung noch eine res mancipi für ihn erwirbt, folgt für Julian wiederum aus dem Vergleich zur Rechtsstellung des Eigentümers: Verliert dieser trotz fehlenden Erwerbs durch den Sklaven seinen Eigenbesitz nicht, kann auch der Nießbraucher seine Rechtsstellung nicht verlieren. Denn der Nießbraucher, der das Recht zur uneingeschränkten Nutzung des Sklaven hat, steht seinem Eigentümer in dieser Hinsicht gleich. Das Thema: Ersitzung und Pfandrecht, ist unter den einfachen Fallvergleichen in Julians Werk gleich mit drei Entscheidungen vertreten: (21) Iul 215 = D 41.2.36 (13 dig) Qui pignoris causa fundum creditori tradit, intellegitur possidere. sed et si eundem precario rogaverit, aeque per [diutinam possessionem] capiet: 25  PS 3.6.30.

82 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian nam cum possessio creditoris non impediat capionem, longe minus precarii rogatio impedimento esse non debet, cum plus iuris in possessione habeat qui precario rogaverit quam qui omnino non possidet.

Wer seinem Gläubiger ein Grundstück als Pfand übergeben hat, wird so angesehen, als besitze er es. Aber auch wenn er es im Wege der Bittleihe überlassen bekommen hat, ersitzt er es. Denn da der Besitz des Gläubigers die Ersitzung nicht hindert, darf noch viel weniger die Bittleihe ein Hindernis hierfür sein, da derjenige, der eine Sache im Wege der Bittleihe erlangt, mehr Besitzrecht hat als derjenige, der überhaupt nicht besitzt.

Julian zieht einen Erst-Recht-Schluss, um die Ersitzung einer Sache durch denjenigen zu begründen, der sie rechtmäßig erworben, dann einem Gläubiger zum Pfand gegeben26 und von diesem im Wege der Bittleihe zurückerhalten hat. Zweifel an der Fortdauer seines Ersitzungsbesitzes ergeben sich daraus, dass ihm als Prekaristen eigentlich keine Ersitzung möglich ist. Dies gilt jedoch nur im Verhältnis zum precario dans, nicht auch gegenüber einem anderen Eigentümer der Sache.27 In der Beziehung zu diesem wird seine Stellung durch das precarium nicht verschlechtert, sondern umgekehrt verbessert: Kann er die zum Pfand gegebene Sache schon ersitzen, wenn sie beim Pfandgläubiger verbleibt und er gar keinen Besitz im physischen Sinne hat, muss die usucapio erst recht möglich sein, wenn er die Sache tatsächlich hat, weil sie ihm von dem Pfandgläubiger im Wege der Bittleihe überlassen ist. (22) Iul 614 = D 41.3.33.4 (44 dig) Qui pignori rem dat, usucapit, quamdiu res apud creditorem est: si creditor eius possessionem alii tradiderit, interpellabitur usucapio: et quantum ad usucapionem attinet, similis est ei qui quid deposuit vel commodavit, quos palam est desinere usucapere, si commodata vel deposita res alii tradita fuerit ab eo, qui commodatum vel depositum accepit. plane si creditor nuda conventione hypothecam contraxerit, usucapere debitor perseverabit.

Wer an einer Sache ein Pfandrecht bestellt, ersitzt sie, solange sie sich beim Pfandgläubiger befindet. Übergibt dieser sie einem anderen, wird die Ersitzung unterbrochen. Und was die Ersitzung anbelangt, ist der Schuldner denjenigen ähnlich, die eine Sache in Verwahrung gegeben oder verliehen haben und die offensichtlich aufhören zu ersitzen, wenn die verliehene oder hinterlegte Sache von dem Entleiher oder Verwahrer einem anderen gegeben wird. Ist dem Pfandgläubiger freilich durch bloße Einigung eine Hypothek bestellt worden, setzt der Schuldner die Ersitzung fort.

Wie schon im vorangehenden Fragment festgestellt, behält ein Schuldner, der an einer von ihm besessenen Sache seinem Gläubiger ein Pfandrecht 26  Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 354 Fn. 3 will diesen Text wegen seiner Stellung im 13. Buch von Julians Digesten auf die fiducia beziehen. 27  Bezieht man den Text mit Lenel (Fn. 26) auf die fiducia, betrifft die Fallfrage die usureceptio der Sache durch den Fiduzianten.



I. Systemimmanente Rechtsfindung83

bestellt, den Ersitzungsbesitz, wenn das Pfandrecht besitzlos ist oder die Sache beim Pfandgläubiger bleibt. Dann gilt, dass dieser ad reliquas omnes causas, der Schuldner ad usucapionem besitzt.28 Gibt der Pfandgläubiger die Sache dagegen an einen anderen weiter, verliert der Schuldner den Ersitzungsbesitz. Für Julian folgt dies aus dem Vergleich zu Verwahrung und Leihe: Bewirkt die Übergabe an einen Verwahrer oder Entleiher noch keine Unterbrechung des Ersitzungsbesitzes, wird dieser doch beendet, wenn diese die Sache an einen Dritten weitergeben. (23) Iul 217 = D 44.7.16 (13 dig) Qui a servo herditario mutuam pecuniam accepit et fundum vel hominem [pignoris causa ei tradiderat] et precario rogavit, precario possidet: nam servus hereditarius sicuti [per traditionem] accipiendo proprietatem hereditati adquirit, ita precario dando efficit, ne res usucapi possit. nam et si commodaverit vel deposuerit rem peculiarem, commodati et depositi actionem hereditati adquiret. haec ita, si peculiare negotium contractum est: nam ex hac causa etiam possessio adquisita intellegi debet.

Wer von einem Erbschaftssklaven ein Darlehen erhalten, ihm ein Grundstück oder einen Sklaven zur Sicherheit übereignet und im Wege der Bittleihe erbeten hat, besitzt aufgrund der Bittleihe. Denn ebenso wie der Erbschaftssklave der Erbschaft durch die Übereignung das Eigentum erwirbt, kann er durch die Überlassung im Wege der Bittleihe bewirken, dass die Sache nicht ersessen wird. Denn auch wenn er eine Sache des Sonderguts verliehen oder in Verwahrung gegeben hat, erwirbt er für die Erbschaft die Verleiher- oder Verwahrungsklage. Dies gilt, wenn das Geschäft für das Sondergut abgeschlossen worden ist; denn aus diesem Grund muss auch der Besitz als erworben angesehen werden.

Es geht um die usureceptio einer Sache, die ein Schuldner im Rahmen der fiducia zur Sicherheit einem Erbschaftssklaven übereignet29 und im Wege der Bittleihe zurückerhalten hat. Bevor die Erbschaft angetreten ist, erwirbt der Sklave die sich aus diesen Geschäften ergebenden Rechte für die Erbschaft, die vorübergehend als subjektloses Vermögen existiert; dies jedoch nur, wenn die Geschäfte auf das Sondergut bezogen sind, das der verstorbene Eigentümer des Sklaven diesem eingeräumt und mit dem er ihm eine über seinen Tod hinauswirkende Generalermächtigung für die damit verbunden Geschäfte erteilt hat.30 Ebenso wie die usucapio im Allgemeinen 28  Vgl.

die Erläuterung von Julians Lehrer Javolen in D 41.3.16 (4 Plaut). der überlieferten Fassung, in der statt von der fiducia von pignus die Rede ist, ergibt der Text keinen Sinn. Es ist demnach von einer schematischen Ersetzung durch die Kompilatoren auszugehen; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 354 Fn. 6 f. 30  Diese deckt auch den für die Gewährung des precarium notwendigen Be­ sitzerwerb; vgl. Noordraven, Die Fiduzia im römischen Recht, Amsterdam 1999, S.  203 f. 29  In

84 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

wird auch die usureceptio eines Sicherungsgebers dadurch verhindert, dass ihm die Sache im Zuge einer Bittleihe überlassen wird. Der Grund, aus dem diese hier unwirksam sein könnte, ist, dass die Bittleihe eigentlich ein unentgeltliches Geschäft ist, das den römischen Juristen gar als genus liberalitatis gilt31. Das precarium rückt damit in die Nähe der Schenkung, die von der Ermächtigung zur Verwaltung eines Sonderguts zweifellos ausgenommen ist. Häufig und so auch in diesem Fall dient die Überlassung im Zuge eines precarium jedoch weniger dem Interesse des Prekaristen als vielmehr dem precario dans, der auf diese Weise seine Besitzposition erhält und eine Ersitzung der Sache durch ihren Empfänger verhindert. Wegen dieser Funktion der Bittleihe zieht Julian auch einen Erst-Recht-Schluss, indem er aus der Möglichkeit des Eigentumserwerbs für die Erbschaft folgert, dass der Sklave auch den Verlust des Eigentums an der Kreditsicherheit verhindern kann. Darüber hinaus bemüht er die Vergleichsfälle der Leihe und Verwahrung. Auch hier findet eine zeitweise Überlassung der Sache statt, aus der ein Rückgewähranspruch für den Eigentümer des Sklaven oder die Erbschaft entsteht. Im Fall der Leihe liegt sogar wiederum ein Geschäft vor, das ebenso wie die Schenkung unentgeltlich ist. Gleichwohl ist es anders als die Schenkung gültig, weil es die vorteilhafte Rechtsfolge eines Rückgewähranspruchs für den Sklaveneigentümer oder die Erbschaft mit sich bringt. Nichts anderes darf im Fall des precarium gelten, das ebenfalls nur ein Rückgewährrecht hervorbringt und dessen Unwirksamkeit dem Sklaven­ eigentümer oder der Erbschaft keinen Vorteil brächte. Gegenstand eines weiteren – inhaltlich überaus zweifelhaften – Vergleichs ist das precarium in (24) Afr 72 = D 41.2.40.3 (7 quaest): Si servum meum bonae fidei emptori clam abduxerim, respondit non videri me clam possidere, quia neque precarii rogatione neque conductione suae rei dominum teneri et non posse causam clandestinae possessionis ab his duabus causis separari.

Habe ich meinen Sklaven heimlich von demjenigen weggeführt, der ihn nach guter Treue besitzt, gelte ich, wie er befunden hat, nicht als heimlicher Besitzer, weil der Eigentümer weder aus der Bittleihe noch aus der Miete seiner eigenen Sache haftete und der Fall des heimlichen Besitzes nicht von diesen beiden Besitzarten getrennt werden könne.

Julian schließt aus der Ungültigkeit eines precarium oder einer Miete der eigenen Sache darauf, dass auch ein heimlich begründeter Besitz des Eigentümers nicht fehlerhaft sein könne. Die heimliche Entwendung einer Sache und das precarium bilden gemeinsam mit der gewaltsamen Entwendung die 31  D 43.26.1.1

Ulp 1 inst.



I. Systemimmanente Rechtsfindung85

Tatbestände fehlerhaften Besitzes, für die in den Interdikten ein Vorbehalt gemacht ist. Führt man Julians Gedankengang fort, dürfte dann freilich auch der gewaltsam begründete Besitz nicht als fehlerhaft angesehen werden, wenn ihn nur der Eigentümer innehat. Dies widerspräche jedoch offensichtlich der Funktion des Besitzschutzrechts sicherzustellen, dass die Eigentumsfrage erst im Herausgabeprozess geklärt wird. Gegenstand eines einfachen Fallvergleichs ist auch die Mitgift in (25) Iul 282 = D 23.4.21 (17 dig): Si mulier dotis causa promiserit certam summam et pro ea mancipia in dotem dederit ea condicione, ut periculo eius essent et si quid ex his natum esset ad eam pertineat, stari pacto convento oportebit: nam constat posse inter uxorem et virum conveniri, ut dos, quae in pecunia numerata esset, permutaretur et transferatur in corpora, cum mulieri prodest.

Hat eine Frau als Mitgift eine bestimmte Summe versprochen und an deren Stelle als Mitgift eine Sklavin mit der Abrede geleistet, dass diese auf ihre Gefahr gehe und ihre Kinder ihr gehörten, ist eine solche Vereinbarung einzuhalten. Denn es steht fest, dass zwischen Frau und Mann vereinbart werden kann, dass die Mitgift, die in Geld geleistet wurde, ausgetauscht und auf andere Sachen bezogen werden kann, wenn dies der Frau nützt.

Julian beurteilt die Wirksamkeit eines pactum dotalium, in dem die Ehegatten vereinbart haben, dass die Frau statt eines von ihr versprochenen Geldbetrags eine Sklavin leistet. Während ihr zufälliger Tod zulasten der Frau gehe, soll ihr zugleich auch der Nachwuchs der Sklavin zustehen. Bedenken gegen die Wirksamkeit einer solchen Abrede können sich nur daraus ergeben, dass ein pactum dotalium wegen des öffentlichen Interesses am Erhalt der Mitgift nicht dazu führen darf, dass die causa dotis verschlechtert wird.32 Dass dies hier nicht der Fall, die getroffene Vereinbarung vielmehr wirksam ist, ergibt sich für Julian daraus, dass auch die Abrede, schon gezahltes Geld durch eine andere Sache zu ersetzen, anerkanntermaßen gültig ist, wenn sie der Frau nützt. Dementsprechend muss erst recht die Auswechslung einer noch unerfüllten Geldforderung durch die Übereignung einer Sache möglich sein, weil sie der Frau die Geldleistung erspart und ihr damit sogar noch eher zustatten kommt als der Austausch eines schon gezahlten Geldbetrags gegen eine Sache. Die Frage der Erbunwürdigkeit eines Sklaven beschäftigt Julian in (26) Iul 415 = D 38.13.1 (28 dig): Servo meo herede instituto dolo feci, ne testamentum mutaretur, eumque postea manumisi: quaesitum est, an actiones ei denegandae essent. respondi: 32  Iul 283 = Vat 120: Ulpianus libro III ad edictum. inter cetera de reddenda dote pacta praeter legitimam ut retentionum ratio habeatur si quidem convenit, eo pacto verendum est, ne non deterior dotis causa fiat, nisi in eum casum, quo filii extent, convenerit; hoc enim iure utimur et Iulianus scribit et est rescriptum. …

86 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian hic casus verbis edicti non continetur. sed aequum est, si dominus dolo fecerit, ne testamentum mutaretur, quo servus eius heres scriptus erat, quamvis manumissus adierit hereditatem, ei denegari, cum etiam emancipato filio denegetur, si pater dolo fecerit, ne testamentum mutaretur.

Nachdem mein Sklave zum Erben eingesetzt worden ist, habe ich arglistig bewirkt, dass das Testament nicht geändert wird; und nachher habe ich ihn freigelassen. Es ist die Frage gestellt worden, ob ihm die Klagen zu verweigern seien. Ich habe befunden: Dieser Fall wird vom Text des Edikts nicht erfasst. Aber es ist gerecht, dass, wenn der Herr arglistig bewirkt hat, dass ein Testament nicht geändert wird, durch das sein Sklave zum Erbe eingesetzt wird, diesem die Klagen verweigert werden, obwohl er die Erbschaft als Freigelassener angetreten hat; denn sie würden auch dem aus der Gewalt entlassenen Sohn verweigert, wenn sein Vater bewirkt hätte, dass das Testament nicht verändert wurde.

Julian wird nach der Sanktion für das arglistige Verhalten eines Gewalthabers gefragt, der dafür gesorgt hat, dass ein Testament nicht geändert wurde, durch das sein Sklave zum Erben eingesetzt worden ist.33 Dass die Erbschaftsklage nicht nur dem Gewalthaber, sondern auch dem Sklaven versagt wird, wenn er vor dem Erbschaftsantritt freigelassen wurde, folgt für Julian aus dem Vergleich zur Erbeinsetzung eines zwischenzeitlich emanzipierten Sohnes. Gilt dieser anerkanntermaßen als erbunwürdig,34 obwohl sein Vater es war, der den Erblasser von der Testamentsänderung abgehalten hat, darf nichts anderes bei einem freigelassenen Sklaven gelten. Beide sind insofern vergleichbar, als sie in der Gewalt des Täters standen, dem selbst die Erbschaft fraglos wegen Erbunwürdigkeit aberkannt worden wäre. Einen weiteren Vergleich zwischen Sklave und Haussohn zieht Julian bei der Entscheidung über die Wirkungen der lex Cornelia auf das Testament eines in Feindeshand gestorbenen Römers: (27) Iul 588 = D 28.1.12 (42 dig) Lege Cornelia testamenta eorum, qui in hostium potestate decesserint, perinde confirmantur, ac si hi qui ea fecissent in hostium potestatem non pervenissent, et hereditas ex his eodem modo ad unumquemque pertinet. quare servus heres scriptus ab eo, qui in hostium potestate decesserit, liber et heres erit seu velit seu nolit, licet minus proprie necessarius heres dicatur: nam et filius eius, qui in hostium potestate decessit, invitus hereditati obligatur, quamvis suus heres dici non possit, qui in potestate morientis non fuit.

Nach dem cornelianischen Gesetz sind die Testamente derer, die in Feindeshand sterben, ebenso gültig, wie wenn ihre Urheber nicht in Feindeshand ge-

33  Seine Entscheidung ist, freilich ohne Zitat, auch bei Ulpian in D 29.6.1.1 (48 ed) überliefert. 34  Für die eigene Erbeinsetzung desjenigen, der den Erblasser an der Änderung des Testaments hindert, gibt es eine Entscheidung Hadrians; vgl. D 29.6.1.1 Ulp 48 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung87 raten wären, und ihre Erbschaft steht so einem beliebigen Erben zu. Deshalb wird ein Sklave, der von einem in Feindeshand Gestorbenen zum Erben eingesetzt wurde, frei und Erbe, sei es, dass der Sklave dies will, sei es, dass er es nicht will, obwohl er nicht im eigentlichen Sinne ein Zwangserbe genannt werden kann. Denn auch der Sohn eines in Feindeshand Gestorbenen wird gegen seinen Willen der Erbschaft verpflichtet, obwohl jemand, der sich nicht in der Gewalt des Erblassers befand, nicht Hauserbe genannt werden kann.

Julian beschäftigt sich mit der Rechtsstellung eines Sklaven, der durch das Testament seines als captivus gestorbenen Eigentümers freigelassen und zum Erben eingesetzt ist. Aus der Anordnung der lex Cornelia, das Testament so zu behandeln, als ob der Erblasser nicht in Feindeshand gestorben wäre, schließt Julian, dass sich der Sklave seiner Erbenstellung nicht entziehen kann. Da er sich beim Tod des Erblassers nicht mehr in dessen Gewalt befand,35 ist er zwar eigentlich kein heres necessarius. Julian verweist jedoch auf den Haussohn, der obwohl nicht suus heres, dennoch unbedingt und ohne Rücksicht auf seinen Willen Erbe des in Gefangenschaft gestorbenen Erblassers ist. Wird sein Sohn wie ein heres suus et necessarius behandelt, der die Erbschaft gegen seinen Willen erlangt, sie aber ausschlagen kann,36 muss man auch einem freigelassenen und als Erben eingesetzten Sklaven die korrespondierende Stellung eines heres necessarius geben, der die Erbschaft automatisch erlangt und auch nicht ausschlagen, sich aber mit einer separatio bonorum schützen kann37. Die Gleichbehandlung von Vater und Sohn fordert Julian in (28) Iul 416 = D 38.15.4.1 (28 dig): Filius non solum si tamquam filius, sed et si tamquam adgnatus vel tamquam cognatus ad bonorum possessionem vocatur, annuum spatium habet: sicuti pater, qui filium manumisisset, quamvis ut manumissor bonorum possessionem accipiat, tamen ad bonorum possessionem accipiendam annuum spatium habet.

Einem Sohn steht nicht nur, wenn er als Sohn, sondern auch wenn er als Mannes- oder einfacher Verwandter zum Nachlassbesitz berufen ist, die Jahresfrist zur Verfügung, und zwar ebenso, wie ein Vater, der seinen Sohn aus seiner Gewalt entlassen hat, für die Einweisung in den Nachlassbesitz die Jahresfrist hat, obwohl er als Freilasser eingewiesen wird.

Dass einem Sohn des Erblassers für die Einweisung in den Nachlassbesitz unabhängig von der Klasse, in welcher er berufen wird, nicht der gewöhnliche Zeitraum von 100 Tagen, sondern die Jahresfrist offensteht, folgt für Julian aus der spiegelbildlichen Konstellation, in der einem Vater der Nachlassbesitz nach seinem freigelassenen Sohn angetragen wird. Gilt hier 35  Als

zweifelhaft wird dies in Gai 1.129 dargestellt. 2.156, 158. 37  Gai 2.153, 155. 36  Gai

88 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

eine Jahresfrist, kann für den Nachlassbesitz des Sohnes nichts anderes gelten. Denn auf beide Fälle passt gleichermaßen die ratio der Fristverlängerung, die der engen persönlichen und vermögensmäßigen Verbindung zwischen Eltern und Kindern Rechnung tragen soll38. An anderer Stelle macht Julian geltend, dass der Erbschaftserwerb durch den gewaltabhängigen Sohn nicht anders als der seines Vaters behandelt werden darf: (29) Iul 413 = D 29.4.21 (27 dig) Si filius meus a matre sua heres scriptus fuerit et ego testamenti causa omissa bonorum possessionem eiusdem filii nomine petiero, actio legatorum in me dari debebit non secus ac si ipse heres scriptus omissa causa testamenti bonorum possessionem ab intestato accepissem.

Ist mein Sohn von seiner Mutter zum Erben eingesetzt worden und habe ich ohne Rücksicht auf das Testament im Namen meines Sohnes den Nachlassbesitz gefordert, ist die Vermächtnisklage gegen mich ebenso zu gewähren, als wenn ich selbst als Erbe eingesetzt worden wäre und den Nachlassbesitz ohne Rücksicht auf das Testament als gesetzlicher Erbe erlangt hätte.

Der Vater eines Haussohnes, der von seiner Mutter zum Erben eingesetzt worden ist, kann sich seiner Verpflichtung gegenüber den Vermächtnisnehmern nicht dadurch entziehen, dass er den Nachlassbesitz für den Sohn als Intestaterben fordert.39 Für Julian ergibt sich dies daraus, dass auch der Vater selbst, wenn er von der Mutter zum Erben eingesetzt worden wäre, aber als gesetzlicher Erbe den Nachlassbesitz erhalten hätte, den Vermächtnisnehmern gegenüber verpflichtet wäre. Mit einem ähnlichen Umgehungsproblem beschäftigt sich Julian in (30) Iul 389 = D 38.1.20.5 (25 dig): Si libertus filium emancipatum heredem instituerit eiusque fidei commiserit, ut totam hereditatem Sempronio restitueret, et filius, cum suspectam sibi hereditatem diceret, iussu praetoris adierit eam et Sempronio restituerit: non inique patrono bonorum possessio partis debitae dabitur, perinde ac si non filius, sed is cui hereditas restituta est liberto heres exstitisset.

Hat ein Freigelassener seinen emanzipierten Sohn zum Erben eingesetzt und ihm aufgegeben, die gesamte Erbschaft dem Sempronius herauszugeben, und hat der Sohn, indem er vorgab, die Erbschaft für verdächtig zu halten, diese auf Geheiß des Prätors angetreten und an Sempronius herausgegeben, erscheint es nicht ungerecht, wenn dem Patron der Nachlassbesitz für den ihm geschuldeten Teil ebenso wie in dem Fall gewährt wird, dass nicht der Sohn, sondern derjenige Erbe geworden ist, dem die Erbschaft herausgegeben worden ist. 38  D 38.9.1.12 39  Iul 451

Ulp 49 ed. = D 29.4.22.2 Iul 31 dig.



I. Systemimmanente Rechtsfindung89

Julian dehnt das Pflichtteilsrecht des Patrons am Nachlass seines Freigelassenen auf den Fall eines Universalfideikommisses aus: Ist der Sohn des Freigelassenen, der dem Patron vorgeht, zwar zum Erben eingesetzt, aber mit der Pflicht zur Herausgabe der gesamten Erbschaft an einen anderen belastet, kommt diesem im praktischen Ergebnis die Stellung des Erben zu. Damit das Pflichtteilsrecht des Patrons nicht umgangen wird, muss diesem der Nachlassbesitz daher so gewährt werden, wie er ihn erhielte, wenn der Fremde von vornherein zum Erben eingesetzt worden wäre. Als Vergleichsfall wird das Universalfideikommiss eingesetzt in (31) Iul 89 = D 5.3.54pr (6 dig): Ei, qui partes hereditarias vel totam a mercatus fuerit, non est iniquum dari actionem, per quam universa bona persequatur, quemadmodum ei, cui ex Trebelliano senatus consulto hereditas restituta est, petitio hereditatis datur.

Es erscheint nicht ungerecht, demjenigen, der eine Erbschaft teilweise oder ganz vom Fiskus gekauft hat, eine Klage zu gewähren, mit deren Hilfe er das gesamte Vermögen einfordern kann, und zwar ebenso wie die Erbschaftsklage demjenigen gewährt wird, dem eine Erbschaft unter dem Regime des trebel­ lianischen Senatsbeschlusses herausgegeben worden ist.

Julian will eine Herausgabeklage nach dem Vorbild der Erbschaftsklage auch einem Erbschaftskäufer zugestehen, der den erblosen Nachlass vom Fiskus40 erworben hat. Als Vorbild dient ihm das senatus consultum Trebellianum, durch das der Universalfideikommissar wie ein Erbe gestellt und zur Erbschaftsklage zugelassen wird. Die Verfolgung des Nachlasses und die Inanspruchnahme des Nachlassbesitzers vollziehen sich damit ebenso ohne Beteiligung des Fiskus, wie sie bei einem Universalfideikommiss ohne Einschaltung des Erben geschehen. Ein Vergleich zwischen zwei besonderen Arten des Nießbrauchsvermächtnisses findet sich in (32) Iul 500 = D 7.1.34pr (35 dig): Quotiens duobus usus fructus legatur ita, ut alternis annis utantur fruantur … quod si Titius eo anno, quo frueretur, proprietatem accepisset, interim legatum non habebit, sed ad Maevium alternis annis usus fructus pertinebit: et si ­Titius proprietatem alienasset, habebit eum usum fructum, quia et si sub condicione usus fructus mihi legatus fuerit et interim proprietatem ab herede accepero, pendente autem condicione eandem alienavero, ad legatum admittar.

Immer wenn zweien der Nießbrauch so vermacht ist, dass sie ihn im Turnus jeweils für ein Jahr haben sollen … Hat aber Titius in dem Jahr, in dem er den Nießbrauch hatte, das Eigentum erworben, fällt für ihn das Vermächtnis

40  Je nachdem, wann die constitutio imperatoris Antonini ergangen ist, die UE 17.2 den Verfall des erblosen Nachlasses an den Fiskus verfügt hat, könnte im Original stattdessen von der Staatskasse die Rede sein, die nach Gai 2.150 zuständig ist.

90 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian weg, aber Mävius steht der Nießbrauch ein um das andere Jahr zu. Und wenn Titius das Eigentum wieder veräußert hat, erlangt er wieder den Nießbrauch, weil ich auch dann aus dem Vermächtnis berechtigt bin, wenn mir ein Nießbrauch unter einer Bedingung vermacht ist und ich zwischenzeitlich das ­Eigentum von dem Erben erworben und noch, während der Eintritt der Be­ dingung in der Schwebe war, wieder veräußert habe

Das Vermächtnis eines Nießbrauchs, der zwei Vermächtnisnehmern abwechselnd jeweils für ein Jahr zustehen soll, erlischt dann teilweise, wenn einer der beiden Vermächtnisnehmer das Eigentum an der Sache erwirbt, so dass ihm der Nießbrauch nicht mehr eingeräumt werden kann. Verliert der Vermächtnisnehmer das Eigentum später wieder, lebt sein Anspruch aus dem Vermächtnis aber wieder auf. Dass er durch den Eigentumserwerb nicht endgültig ausgeschlossen ist, ergibt für Julian der Vergleich zu einem bedingten Nießbrauchsvermächtnis: Erwirbt und verliert der Vermächtnisnehmer hier das Eigentum an der Sache noch vor Bedingungseintritt, steht ihm ebenfalls der Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs gegen den Erben zu. Mit dem bedingten Nießbrauchsvermächtnis hat das Legat des Ausgangsfalls gemein, dass die Verpflichtung des Erben jeweils suspendiert ist, beim bedingten Vermächtnis einfach, beim Legat abwechselnden Nießbrauchs stets für die Jahresfrist, in der der Nießbrauch dem anderen Vermächtnisnehmer zusteht. Eher vage ist der Vergleich, mit dem Julian die Tauglichkeit eines kriegsgefangenen Sklaven zum Gegenstand eines Vermächtnisses belegt: (33) Iul 760 = D 30.98 (52 dig) Servus ab hostibus captus recte legatur: hoc enim iure postliminii fit, ut, quemadmodum heredem instituere possumus servum qui in hostium potestate est, ita legare quoque eum possemus.

Ein in Kriegsgefangenschaft geratener Sklave kann wirksam vermacht werden. Denn das Rückkehrrecht bewirkt, dass wir einen in Kriegsgefangenschaft geratenen Sklaven ebenso, wie wir ihn zum Erben einsetzen können, auch vermachen können.

Julian folgert aus der Erhaltung der Rechtsstellung, die ein in Kriegsgefangenschaft geratener Sklave bei seiner Einsetzung zum Erben durch das ius postliminii erfährt, auf seine Eignung als Objekt eines Vermächtnisses. Wiederum konkreter ist dagegen der Vergleich, den Julian anstellt, um die Wirksamkeit eines Fideikommisses in einem Kodizill zu begründen: (34) Iul 553 = D 30.96.4 (39 dig) Cui statuliber pecuniam dare iussus est, is rogari potest, ut eandem pecuniam alicui restituat: nam cum possit testator codicillis pure libertatem dare et hoc modo condicionem exstinguere, cur non etiam per fideicommissum eandem pecuniam adimendi potestatem habeat?



I. Systemimmanente Rechtsfindung91



Demjenigen, dem ein bedingt Freigelassener auf Anordnung des Erblassers eine bestimmte Summe zahlen soll, kann auferlegt werden, denselben Betrag einem anderen herauszugeben. Denn warum sollte der Erblasser, der in einem Kodizill die Freiheit unbedingt erteilen und so eine Bedingung aufheben kann, nicht auch die Macht haben, durch ein Fideikommiss diesen Betrag zu entziehen?

Zu klären gilt es, ob ein Erblasser in einem nicht konfirmierten Kodizill wirksam durch Fideikommiss den Empfänger eines Betrags beschweren kann, den dieser nach dem Testament von einem statuliber als Bedingung für dessen Freiheit erhalten soll. Julian bezweifelt nicht, dass der Empfänger einer zum Zwecke des Bedingungseintritts erbrachten Leistung überhaupt mit einem Fideikommiss belastet werden kann, das gewöhnlich nur Erben und Vermächtnisnehmer trifft.41 Für ihn stellt sich bloß die Frage, ob dies auch in einem Kodizill erfolgen kann. Zu ihrer Beantwortung zieht er einen Schluss a maiore ad minus von einer unbedingten Freilassung: Kann sie wirksam in Gestalt eines Fideikommisses in einem Kodizill erfolgen und so eine früher gesetzte Bedingung der Zahlung beseitigen, muss der Erblasser erst recht dafür sorgen können, dass der Empfänger der als Bedingung festgesetzten Zahlung diesen wieder an einen anderen herausgeben muss. Ein Vergleich zwischen Vermächtnis und Schenkung von Todes wegen dient Julian als Entscheidungsgrundlage in (35) Iul 648 = D 39.6.17 (47 dig): Etsi debitor consilium creditorum fraudandorum non habuisset, avelli res mortis causa ab eo donata debet. nam cum legata ex testamento eius, qui solvendo non fuit, omnimodo inutilia sint, possunt videri etiam donationes mortis causa factae rescindi debere, quia legatorum instar optinent.

Hatte ein Schuldner auch nicht die Absicht, die Gläubiger zu hintergehen, kann eine Sache, die er von Todes wegen geschenkt hat, dennoch wieder entzogen wegen. Denn da Vermächtnisse, die in dem Testament eines Insolventen ausgesetzt sind, unter allen Umständen unwirksam sind, kann man auch bei Schenkungen von Todes wegen davon ausgehen, dass sie angefochten werden können, weil sie Vermächtnissen gleichstehen.

Für Julian ergibt sich die Anfechtbarkeit einer Schenkung auf den Todesfall, die ein Insolventer ohne Benachteiligungsabsicht gemacht hat, aus dem Vergleich zum Vermächtnis: Zwar greifen mangels consilium fraudis nicht die Rechtsbehelfe wegen Gläubigerbenachteiligung ein. Für Vermächtnisse ist jedoch unabhängig hiervon anerkannt, dass sie nicht erfüllt werden müssen, soweit die Erbschaft überschuldet ist.42 Sind Legate damit 41  Auch Papinian gilt derjenige, der eine Schenkung mortis causa empfängt, als möglicher Schuldner eines Fideikommisses; vgl. D 30.77.1 Pap 8 resp. 42  Ulpian beruft sich hierfür in Iul 564 = D 36.1.1.17 (3 fid) auf Julian und eine Entscheidung von Antoninus Pius.

92 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

ohne Rücksicht auf die vom Erblasser mit ihnen verfolgten Ziele undurchsetzbar, darf nichts anderes für die Schenkung von Todes wegen gelten, die dem Vermächtnis funktionell entspricht.43 Von den bisher betrachteten Begründungen unterscheidet sich eine aufwändige Argumentation, in der Julian zunächst ebenfalls verwandte Fälle anführt, dann aber seine Entscheidung durch Gegenschluss aus einem dieser Fälle gewinnt: (36) Afr 24 = D 16.1.19.5 (4 quaest) Cum haberes Titium debitorem et pro eo mulier intercedere vellet nec tu mulieris nomen propter senatus consultum sequereris, petit a me mulier mutuam pecuniam solutura tibi et stipulanti mihi promisit ignoranti, in quam rem mutuaretur atque ita numerare me tibi iussit: deinde ego, quia ad manum nummos non habebam, stipulanti tibi promisi: quaesitum est, si eam pecuniam a muliere petam, an exceptio senatus consulti ei prosit. respondit videndum, ne non sine ratione dicatur eius loco, qui pro muliere fideiusserit, haberi me debere, ut quemadmodum illi, quamvis ignoraverit mulierem intercedere, exceptio adversus creditorem detur, ne in mulierem mandati actio competat, ita mihi quoque adversus te utilis exceptio detur mihique in mulierem actio denegetur, quando haec actio periculo mulieris futura sit. et haec paulo expeditius dicenda, si prius, quam ego tibi pecuniam solverim, compererim eam intercessisse: ceterum si ante solverim, videndum, utrumne nihilo minus mulieri quidem exceptio adversus me dari debeat et ego tibi condicere pecuniam possim, an vero perinde habendum sit, ac si initio ego pecuniam mulieri credidissem ac rursus tu mihi in creditum isses. quod quidem magis dicendum existimavit, ut sic senatus consulto locus non sit: sicuti et cum debitorem suum mulier deleget, intercessioni locus non sit. quae postea non recte comparari ait, quando delegatione debitoris facta mulier non obligetur, at in proposito alienam obligationem in se transtulerit, quod certe senatus fieri noluerit.

Als Titius dein Schuldner war und eine Frau für ihn eintreten wollte und du der Frau wegen des Senatsbeschlusses nicht vertrautest, hat die Frau bei mir ein Darlehen aufgenommen, um es dir auszuzahlen, und mir in Unkenntnis dieser Absicht die Rückzahlung des Geldes versprochen und mich angewiesen, es an dich auszuzahlen. Danach habe ich, weil ich kein Geld zur Hand hatte, dir den Betrag versprochen. Es ist gefragt worden, ob, wenn ich dieses Geld von der Frau fordere, ihr die Einrede aus dem Senatsbeschluss zustehe. Er hat geantwortet, man müsse zusehen, ob nicht aus gutem Grund gesagt werden könne, dass ich so anzusehen sei, als hätte ich mich für die Frau verbürgt, so dass mir ebenso, wie einem Bürgen auch gegen den unwissenden Gläubiger eine Einrede gegeben wird, damit nicht die Auftragsklage gegen die Frau zustehe, gegen dich eine Einrede zu gewähren sei und mir die Klage gegen die Frau verweigert werde, da diese Klage zum Nachteil der Frau ausfiele. Und dies sei noch einfacher in dem Fall zu behaupten, dass ich von der Interzession erfahren habe, bevor ich dir das Geld gezahlt habe. Aber wenn ich

43  Gleichgestellt finden wir Vermächtnisse und Schenkungen von Todes wegen auch bei Ulpian in D 35.2.66 (18 Iul et Pap).



I. Systemimmanente Rechtsfindung93 zuerst gezahlt habe, müsse man zusehen, ob nichtsdestoweniger der Frau gegen mich eine Einrede zustehe und ich den Betrag bei dir kondizieren könne oder ob es so anzusehen sei, als hätte ich von vornherein das Geld der Frau gegeben und dann du mir ein Darlehen gegeben. Dies, glaubte er, sei eher zu sagen, so dass der Senatsbeschluss nicht Platz greife, wie auch in dem Fall kein Eintritt der Frau vorliege, wenn sie ihren Schuldner anweise. Später sagte er aber, dass man dies richtigerweise nicht vergleichen können, da die Frau, wenn sie ihren Schuldner anweist, nicht verpflichtet werde, im vorliegenden Fall aber eine fremde Verbindlichkeit übernehme, was der Senat sicher nicht gewollt habe.

Julian ermittelt durch Fallvergleich, ob der für die exceptio senatus consulti Velleiani erforderliche Interzessionstatbestand in einer verwickelten Konstellation gegeben ist: Eine Frau hat, da der Gläubiger eines Mannes sie nicht als Schuldnerin akzeptiert hat, bei einem anderen, der von der Interzessionsabsicht keine Kenntnis hatte, ein Darlehen aufgenommen und diesen angewiesen, an den Gläubiger zu zahlen, woraufhin zunächst eine Verpflichtung des Darlehensgebers gegenüber dem Gläubiger des Mannes begründet wurde. Um die Frage zu beantworten, ob sich der Darlehensgeber gegen den Gläubiger mit einer Einrede verteidigen kann, zieht Julian einen Vergleich zu dem Fall des Bürgen: Hat eine Frau in Interzessionsabsicht einen Bürgen gestellt, kann sich dieser auch gegenüber einem unwissenden Gläubiger auf die Einrede aus dem vellejanischen Senatsbeschluss berufen, damit die Frau nicht mit der Auftragsklage belangt werden kann. Eine ganz entsprechende Situation besteht in dem Ausgangsfall, in dem der Darlehensgeber ebenfalls gewissermaßen Rückgriff mit Hilfe seines Anspruchs auf Rückzahlung der Darlehensvaluta nehmen könnte. Für den Fall, dass er von der Interzession vor der Zahlung erfahren hat, erscheint Julian denn auch evident, dass dem Darlehensgeber der Regress versagt werden muss, weil er sich selbst durch die exceptio senatus consulti Velleiani hätte schützen können. Hatte er bei der Auszahlung dagegen keine Kenntnis von der Interzession, stellt sich dagegen die Frage, ob er den Betrag von dem Gläubiger mit der condictio deshalb zurückfordern kann, weil er auf eine einredebehaftete Forderung geleistet hat. Julian schreckt vor dieser Konsequenz zunächst zurück, indem er wiederum zwei Vergleichsfälle bemüht: zunächst den, dass der Darlehensgeber den Betrag der Frau gegeben hätte und dann im Wege eines Darlehens von dem Gläubiger erhalten hätte, dann den, dass die Frau ihren Schuldner angewiesen hat, an den Gläubiger zu zahlen. Während der erste nur das Ergebnis beschreibt, auf das die Verweigerung der Einrede im Ausgangsfall hinausliefe, hat der zweite wirkliche Begründungsfunktion. Er spricht dafür, dass statt des Darlehensgebers die Frau selbst als Anweisende die Kondiktion gegenüber dem Gläubiger erheben muss,44 44  D 16.1.8.3

Ulp 29 ed.

94 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

wobei ihr wegen ihres Manövers zur Vertuschung der Interzession freilich die Arglisteinrede entgegensteht. Julian verneint die Bedeutung des Falles der Schuldneranweisung für die Entscheidung des Ausgangskonstellation jedoch schließlich, indem er auf den Unterschied in der Verpflichtungsstruktur verweist: Während die Frau bei der Anweisung ihres Schuldners dem Gläubiger gar nicht verpflichtet, sondern nur ihres Anspruchs gegen den Schuldner beraubt werde, sei sie im Ausgangsfall einer Verpflichtung ausgesetzt, indem sie nämlich dem Darlehensgeber aus der Auftragsklage haftbar sei. Damit greift nach seiner Ansicht auch in der Ausgangskonstellation die exceptio senatus consulti Velleiani ein, so dass der unwissende Darlehensgeber nach Auszahlung der Darlehensvaluta an den Gläubiger die Kondiktion gegen diesen erheben muss und keinen Anspruch gegen die Frau aus Auftrag hat.45 Aus der Gruppe der Begründungen durch schlichten Fallvergleich stechen ferner einige heraus, in denen sich Julian eines wiederkehrenden Vergleichsmusters bedient. Es besteht darin, dass die Entscheidung über eine Innenrechtsbeziehung im Verhältnis zwischen einem Sklaven und seinem Eigentümer oder zwischen zwei Miteigentümern eines gemeinschaftlichen Sklaven durch einen Vergleich zu einer parallelen Konstellation ohne Innenrechtsbeziehung unterlegt wird:46 (37) Afr 79 = D 46.3.38.2 (7 quaest) De peculio cum domino actum est: is damnatus solvit. et fideiussores pro servo acceptos liberari respondit: eandem enim pecuniam in plures causas solvi posse argumentum esse, quod, cum iudicatum solvi satisdatum est et damnatus reus solvat, non solum actione iudicati, sed etiam ex stipulatu et ipse et fideiussores liberentur. …

Gegen einen Sklaveneigentümer ist wegen des Sonderguts geklagt worden; und er hat auf seine Verurteilung hin gezahlt. Er hat befunden, dass so auch die von dem Sklaven gestellten Bürgen befreit würden. Dass dieselbe Zahlung in mehreren Verhältnissen zur Befreiung führe, werde dadurch bewiesen, dass, wenn ein Beklagter für die Erfüllung der Urteilsschuld Sicherheit geleistet und dann selbst gezahlt hat, er nicht nur von der Vollstreckungsklage, sondern sowohl er selbst als auch die Bürgen von der Verpflichtung aus dem Versprechen befreit werden.

Dass der Eigentümer eines Sklaven, der auf seine Verurteilung aus der actio de peculio leistet, so auch die vom Sklaven gestellten Bürgen befreit, 45  Zum Verhältnis zu den Entscheidungen von Pomponius (D 16.1.32.3 Pomp 1 sen cons) und Papinian (D 16.1.7 Pap 9 quaest), die offenbar anderer Ansicht sind, Medicus, Zur Geschichte des senatus consultum Velleianum, Köln / Graz  1957, S.  130 f. 46  Sie müssten in der Einteilung von Bund, Methode Julians, S. 145 ff. in die Kategorie der „Ersetzung handelnder und betroffener Personen“ fallen.



I. Systemimmanente Rechtsfindung95

demonstriert Julian an dem Parallelfall, dass ein Schuldner die Urteilsschuld begleicht und so auch die von ihm hierfür gestellten Bürgen befreit.47 Die Polivalenz der Leistung ist hier deshalb offensichtlicher, weil es anders als im Ausgangsfall um Bürgen geht, die der Schuldner selbst gestellt hat. Ihre Rolle unterscheidet sich jedoch nicht von denen, die der mit einem peculium ausgestattete Sklave gestellt hat, weil die Hauptschuld, obwohl von diesem begründet, auch hier den Eigentümer des Sklaven trifft und die Bürgen, obgleich von diesem gestellt, ihre persönliche Sicherheit doch für den Eigentümer des Sklaven leisten. (38) Iul 196 = D 15.1.11.8 Ulp 29 ed Idem scribit, si quis servum, cuius nomine de peculio habebat actionem, comparasset, an possit deducere quod sibi debetur, quoniam adversus venditorem habeat actionem de peculio? et recte ait posse: nam et quivis alius potest eligere, utrum cum emptore an cum venditore ageret: hunc igitur eligere pro actione deductionem. …

Derselbe (Julian) fragt, ob jemand, wenn er einen Sklaven kauft, dessenthalben ihm die Klage wegen des Sonderguts zustand, abziehen könne, was ihm geschuldet wird, da er ja auch die Klage wegen des Sonderguts gegen den Verkäufer habe. Und zu Recht sagt Julian, er könne die Schuld abziehen. Denn auch jeder andere kann wählen, ob er gegen den Käufer oder den Verkäufer klage; folglich wähle er den Abzug anstelle einer Klage. …

Kann der Käufer eines Sklaven, der zuvor gegen den Verkäufer eine Klage wegen des Sonderguts erworben hat, seinen Anspruch von dem Sondergut abziehen? Julian bejaht dies unter Berufung auf die Wahlmöglichkeit, die einem dritten Gläubiger zusteht: Innerhalb eines Jahres nach der Veräußerung kann er noch mit der actio de peculio gegen den ehemaligen Eigentümer vorgehen,48 zugleich aber schon den Käufer in Anspruch nehmen. Steht einem Sondergutsgläubiger damit ein Wahlrecht zu, gilt dies auch in dem Fall, dass er den Sklaven erwirbt, wobei an die Stelle der wegen Konfusion ausgeschlossenen Klage gegen sich selbst der Abzug vom peculium tritt. (39) Iul 899 = D 9.4.41 (2 Urs Fer) Cum servus communis alteri dominorum damnum iniuria dedit, idcirco legis Aquiliae actio non est, quia, si extraneo damnum dedisset, cum altero in solidum lege Aquilia agi posset: sicuti, cum servus communis furtum fecerit, cum altero domino furti agi non potest, sed communi dividundo agi potest. 47  Der folgende Fallvergleich passt in keiner Hinsicht zu der Entscheidung des Bürgschaftsfalles und ist vermutlich hierhin geschoben worden: … et magis simile esse, quod, cum possessor hereditatis existimans se heredem esse solverit, heres non liberetur: tunc enim propterea id evenire, quod ille suo nomine indebitam pecuniam dando repetitionem eius haberet. Entgegen Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 21, Fn. 3 scheint er mir aber auch nicht zum § 1 des Fragments zu gehören. 48  D 15.1.1pr Ulp 29 ed.

96 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Hat ein gemeinschaftlicher Sklave einem seiner beiden Eigentümer widerrechtlich Schaden zugefügt, ist die Klage aus dem aquilischen Gesetz deshalb nicht gegeben, weil dann, wenn er einem Dritten einen Schaden zugefügt hätte, nach dem aquilischen Gesetz gegen jeden der beiden auf das Ganze geklagt werden könnte. Ebenso kann, wenn der gemeinschaftliche Sklave einen Diebstahl begangen hat, gegen den anderen Eigentümer nicht die Diebstahls-, sondern nur die Teilungsklage erhoben werden.

Julian verneint die Zuständigkeit der actio noxalis aus der lex Aquiliae, wenn ein gemeinschaftlicher Sklave einen von zwei Miteigentümern geschädigt hat. Er verweist darauf, dass der geschädigte Miteigentümer selbst für den gesamten Schaden einzustehen hätte, wenn das Opfer der Sklaventat ein unbeteiligter Dritter gewesen wäre. Trifft den Miteigentümer eines Sklaven damit das Risiko eines von diesem verübten Delikts in vollem Umfang, muss dies auch dann gelten, wenn er selbst das Opfer der Tat ist. Dass in einem solchen Fall nur die Teilungs- und nicht auch die Deliktsklage gegeben ist, ist bei einem Diebstahl im Übrigen schon seit Ofilius anerkannt;49 und es besteht kein Grund, die actio furti anders als die actio legis Aquiliae zu behandeln. (40) Afr 69 = D 10.3.9 (7 quaest) Sed postquam socius servi communis nomine de peculio in solidum damnatus esset, si apud socium res peculiares intercidant, nihilo minus utile erit iudicium communi dividundo ad reciperandam partem pecuniae: alioquin iniquum fore, si tota ea res ad damnum eius qui iudicium acceperit pertineat, cum ­utriusque domini periculum in rebus peculiaribus esse debeat. nam et eum, qui mandatu domini defensionem servi suscepit, omne quod bona fide praestiterit servaturum, quamvis peculium postea interciderit. …

Aber der Miteigentümer eines gemeinschaftlichen Sklaven hat, nachdem er wegen des Sonderguts auf das Ganze verurteilt worden ist, die Teilungsklage zum teilweisen Rückgriff auch dann, wenn bei dem anderen Miteigentümer Sachen des Sonderguts verschwunden sind. Andernfalls träfe der Schaden, obwohl die Gefahr des Sonderguts beide Eigentümer gleichermaßen belasten müsste, in ungerechter Weise denjenigen, der sich auf den Prozess eingelassen hat. Denn auch derjenige, der im Auftrag des Eigentümers die Verteidigung eines Sklaven übernommen hat, werde für alles, was er nach guter Treue geleistet hat, schadlos gehalten, wenn das Sondergut später verloren gegangen ist. …

Dass der Miteigentümer eines Sklaven, der sich auf die actio de peculio eingelassen und die Urteilssumme bezahlt hat, bei seinem socius Regress nehmen kann, erscheint Julian als gerecht, weil die mit dem Sondergut verbundene Haftungsgefahr beide Miteigentümer gleichermaßen treffen müsse. Und dass der Rückgriff nicht vom Schicksal des Sonderguts ab49  D 10.2.16.6 Ulp 19 ed; hierzu Horak, Rationes decidendi, Innsbruck 1969, S. 180 ff. Ebenso entscheidet Sabinus in D 11.3.14.2 Paul 19 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung97

hängt, zeigt Julian am Parallelfall des Prozessmandats, das der Alleineigentümer eines Sklaven einem Dritten erteilt: Kann der Prozessvertreter hier unbedingt Ersatz für alle Aufwendungen verlangen, die er redlicherweise machen durfte, darf nichts anderes für den Rückgriff unter Miteigentümern wegen eines Prozesses gelten, den der einzelne socius gewissermaßen als berechtigter Geschäftsführer für die Eigentümergemeinschaft und damit als teilweise fremdes Geschäft geführt. (41) Iul 704 = D 45.3.1.4 (52 dig): Communis servus duorum servorum personam sustinet. idcirco si proprius meus servus communi meo et tuo servo stipulatus fuerit, idem iuris erit in hac una conceptione verborum, quod futurum esset, si separatim duae stipulationes conceptae fuissent, altera in personam mei servi, altera in personam tui servi: neque existimare debemus partem dimidiam tantum mihi adquiri, partem nullius esse momenti, quia persona servi communis eius condicionis est, ut in eo, quod alter ex dominis potest adquirere, alter non potest, perinde habeatur, ac si eius solius esset, cui adquirendi facultatem habeat.

Ein gemeinschaftlicher Sklave nimmt den Platz zweier Sklaven ein. Hat sich ein allein mir gehörender Sklave etwas für einen mir und dir gemeinsam gehörenden Sklaven versprechen lassen, gilt für dieses einheitliche Versprechen dasselbe, was gelten würde, wenn zwei getrennte Versprechen abgegeben worden wären, das eine meinem Sklaven, das andere deinem Sklaven. Und wir dürfen auch nicht annehmen, dass mir nur die Hälfte erworben wird und das Versprechen zur anderen Hälfte unwirksam ist, weil einem gemeinschaftlichen Sklaven eigen ist, dass er bei dem, was er für den einen Eigentümer erwerben kann, für den anderen aber nicht, so behandelt wird, als gehöre er allein demjenigen, der es erwerben kann.

Kann einer der Miteigentümer eines gemeinschaftlichen Sklaven einen Anspruch aus der Verpflichtung gegenüber dem Sklaven nicht erwerben, wird das Forderungsrecht nicht etwa geteilt und von dem anderen Miteigentümer lediglich zur Hälfte erworben. Vielmehr erlangt dieser allein den vollen Anspruch gegenüber demjenigen, der sich dem gemeinschaftlichen Sklaven verbindlich gemacht hat.50 Für Julian ergibt sich dies daraus, dass ein Versprechen, das sich ein gemeinschaftlicher Sklave geben lässt, so angesehen wird, als sei es gegenüber zwei verschiedenen Sklaven als Gesamtgläubiger51 abgegeben worden, die jeweils im Alleineigentum der beiden Inhaber des gemeinschaftlichen Sklaven stehen. Hier ist offensichtlich, dass es keine Wirkung auf das Versprechen gegenüber dem einen Sklaven hat, wenn das Versprechen gegenüber dem anderen deshalb unwirksam ist, weil der Eigentümer des Sklaven das Forderungsrecht nicht erwerben kann. Dass der gemeinschaftliche Sklave zwei Sklaven verschiedener Eigentümer 50  Überliefert 51  Vgl.

ist diese Entscheidung auch bei Ulpian in D 41.1.23.3 (43 Sab). Lohsse, Ius adcrescendi, Köln u. a. 2008, S. 244.

98 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

gleichsteht, kann man aus der Natur des Miteigentums herleiten, das für den einzelnen Inhaber einen Anteil an dem Sklaven pro indiviso begründet. Aus der ideell anteiligen Berechtigung könnte man freilich auch das Gegenteil folgern.52 Trotz dieser bedient sich Julian des Vergleichs zum Fall zweier Sklaven auch, wenn es darum geht darzutun, dass ein dem gemeinschaftlichen Sklaven ausgesetztes Vermächtnis von einem seiner Eigentümer angenommen, vom anderen ausgeschlagen werden kann: (42) Iul 457 = D 30.81.1 (32 dig) Si servo communi res legata fuisset, potest alter dominus agnoscere legatum, alter repellere: nam in hanc causam servus communis quasi duo servi sunt.

Ist einem gemeinschaftlichen Sklaven eine Sache vermacht, kann der eine Eigentümer das Vermächtnis annehmen, der andere es ausschlagen. Denn der gemeinschaftliche Sklave steht in dieser Hinsicht zwei Sklaven gleich.53

Den Entscheidungsbegründungen zum Miteigentum verwandt ist eine weitere, in der die Rechtslage bei einer Gesamtgläubigerschaft vereinfacht wird: (43) Iul 717 = D 46.3.34.1 (54 dig) Si duo rei stipulandi hominem dari stipulati fuerint et promissor utrique partes diversorum hominum dederit, dubium non est, quin non liberetur. sed si eiusdem hominis partes utrique dederit, liberatio contingit, quia obligatio communis efficiet, ut quod duobus solutum est, uni solutum esse videatur. …

Haben sich zwei Gesamtgläubiger einen Sklaven versprechen lassen und hat der Schuldner beiden einen Anteil an verschiedenen Sklaven geleistet, besteht kein Zweifel, dass er nicht befreit wird. Hat er aber beiden jeweils einen Anteil an demselben Sklaven geleistet, tritt Befreiung ein, weil die gemeinschaftliche Zuständigkeit der Verpflichtung bewirkt, dass das, was beiden geleistet wird, so angesehen wird, als sei es einem geleistet worden. …

Julian begründet, warum die Übertragung komplementärer Miteigentums­ anteile an einem Sklaven auf zwei Gesamtgläubiger befreiend wirkt, obwohl diese aus der Stipulation eigentlich einen einheitlichen Anspruch auf Leistung des Sklaven haben:54 Die Verbindung der beiden Gläubiger als duo rei bewirke, dass die Leistung der Miteigentumsanteile so anzusehen sei, als ob 52  Bund, Methode Julians, S. 153 attestiert Julian daher zumindest in diesem Fall durchaus zu Recht eine „methodische Unbefangenheit“. 53  Anders sieht dies Celsus, der der Tradition seiner Schule folgt, vgl. Cels 158 = D 31.20 (19 dig): Et Proculo placebat et a patre sic accepi, quod servo communi legatum sit, si alter dominorum omitteret, alteri non adcrescere: non enim coniunctim, sed partes legatas: nam ambo si vindicarent, eam quemque legati partem habiturum, quam in servo haberet. Zum Schulenstreit Lohsse (Fn. 51), S. 229 ff. 54  Im Folgenden wird diese Lösung auch für den Fall der Gesamtschuld befürwortet: … nam ex contrario cum duo fideiussores hominem dari spoponderint, diversorum quidem hominum partes dantes non liberantur: at si eiusdem hominis partes dederint, liberantur.



I. Systemimmanente Rechtsfindung99

sie bloß an einen von ihnen erfolgt wäre. Dann hätte der Gläubiger, dem beide Miteigentumsanteile übertragen worden wären, aber das Alleineigentum an dem Sklaven, also ihn selbst, erhalten; und diese Leistung an einen Gesamtgläubiger wirkt gegenüber beiden. bb) Fallvergleich zur Deduktion Im überwiegenden Teil der zu den Induktionsschlüssen zählenden Fragmente steht die Argumentation aus dem Vergleichsfall nicht allein da. Vielmehr dient sie nur dazu, eine deduktive Ableitung der Falllösung plausibel zu machen, deren Ausgangspunkt eine Regel oder der Zweck eines Rechtsinstituts ist. Auf diese Art der Fallvergleichung entfallen in Julians Werk 64 der insgesamt 107 Induktionsschlüsse. Die meisten hiervon betreffen Regeln des Juristenrechts. Es gibt nur fünf Entscheidungen, in der Ziel des Fallvergleichs die Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung ist. Einmal geht es um den Zwölftafelsatz über die Aufteilung einer Stipulationsforderung unter Miterben: (1) Iul 361 = D 45.1.54.1 (22 dig) Operarum stipulatio similis est his stipulationibus, in quibus genera comprehenduntur: et ideo divisio eius stipulationis non in partes operarum, sed in numerum cedit. …

Die auf Leistung von Diensten gerichtete Stipulation ist dem Gattungsversprechen ähnlich; und deshalb erfolgt die Teilung dieser Stipulation nicht nach Anteilen an den Diensten, sondern nach ihrer Zahl. …

Kommt es im Zuge einer Erbfolge nach dem Patron zur Teilung einer vom Freigelassenen abgegebenen stipulatio operarum, müssen sich die Gläubiger die Dienste des Freigelassenen nicht ideell, sondern wirklich teilen, indem jeder eine seiner Erbquote entsprechende Zahl von Tagwerken verlangen kann.55 Für Julian ergibt sich dies aus dem Vergleich zum Versprechen einer Leistung von Sachen aus der Gattung:56 So wie hier eine Teilung der Verpflichtung dazu führt, dass jeder Gläubiger eine bestimmte Anzahl von Gattungsstücken fordern kann, werden die Tagwerke des Freigelassenen unter den Erben des Patrons nach der Regel: nomina ipso iure divisa, aufgeteilt. Um den Tatbestand des Freilassungsverbots der lex Aelia Sentia geht es bei dem Fallvergleich in 55  Ebenso entscheidet Papinian, während Celsus die Aufteilung in numerum sogar bei einer anfänglichen Gläubigermehrheit annimmt, zu der es bei der Freilassung eines servus communis kommt; vgl. Cels 108 = D 38.1.15.1 Ulp 38 ed. 56  Die stipulatio operarum ist aus Julians Sicht kein Gattungsversprechen; vgl. Bund, Methode Julians, S. 55 f.

100 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (2) Iul 766 = D 40.9.5.2 (64 dig): Si Titius nihil amplius in bonis quam Stichum et Pamphilum habeat eosque stipulanti Maevio ita promiserit ‚Stichum aut Pamphilum dare spondes?‘, deinde, cum alium creditorem non haberet, Stichum manumiserit: libertas per legem Aeliam Sentiam rescinditur. quamvis enim fuit in potestate Titii, ut Pamphilum daret, tamen quamdiu eum non dederit, quia interim mori possit, non sine fraude stipulatoris Stichum manumisit. quod si solum Pamphilum dari promisisset, non dubitarem, quin Stichus ad libertatem perveniret, quamvis similiter Pamphilus mori possit: multum enim interest, contineatur ipsa stipulatione is qui manumittitur an extra obligationem sit. nam et qui ob aureos quinque Stichum et Pamphilum pignori dederit, cum uterque eorum quinum aureorum sit, neuter manumitti potest: at si Stichum solum pignori dederit, Pamphilum non videtur in fraudem creditoris manumittere.

Hat Titius in seinem Vermögen nichts außer Stichus und Pamphilus und hat er diese dem Mävius wie folgt versprochen: „Versprichst du, Stichus oder Pamphilus zu leisten?“, und hat er danach, als er keinen anderen Gläubiger hatte, den Stichus freigelassen, wird diese Freilassung durch das älisch-sentische Gesetz aufgehoben. Obwohl es nämlich in Titius’ Macht stand, den Pamphilus zu leisten, konnte er doch, solange er diesen noch nicht geleistet hat, da er zwischenzeitlich sterben könnte, Stichus nicht ohne Benachteiligung seines Gläubigers freilassen. Hat er dagegen nur Pamphilus versprochen, zweifle ich nicht, dass Stichus die Freiheit erlangt, obwohl Pamphilus auch hier sterben konnte. Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob der Freigelassene Gegenstand des Versprechens war oder außerhalb der Verpflichtung stand. Denn auch derjenige, der für die Schuld von fünf Stichus und Pamphilus, die beide jeweils fünf wert waren, als Pfand gegeben hat, kann keinen von beiden freilassen. Hat er aber Stichus allein zum Pfand gegeben, gilt Pamphilus nicht als zum Nachteil des Gläubigers freigelassen.

Julian zieht einen Gegenschluss, um die Anwendung der lex Aelia Sentia auf den Fall einer Wahlschuld zu begründen: Hat jemand einen von zwei Sklaven versprochen, die sein gesamtes Vermögen ausmachen, kann er vor Erfüllung der Stipulationsschuld keinen der beiden freilassen, ohne sich zugleich dem Vorwurf der Gläubigerbenachteiligung auszusetzen. Zwar könnte er seinem Gläubiger auch den jeweils anderen leisten, muss aber den Fall bedenken, dass dieser sterben und dann nur der andere als Leistungsgegenstand übrig bleiben könnte. Der Fall der Wahlschuld darf nach Julians Ansicht nicht ebenso entschieden werden wie die Konstellation, in der der Eigentümer von vornherein nur den anderen Sklaven versprochen hätte. Dass hier die lex Aelia Sentia keine Anwendung finden kann, ergibt sich daraus, dass der freigelassene Sklave nicht Gegenstand der Leistungspflicht ist, der Schuldner also auch beim Tod des versprochenen Sklaven nicht gezwungen werden könnte, den freigelassenen zu leisten. Ebenso verhält es sich bei der Verpfändung, wenn die beiden Sklaven mit ihrem Wert jeweils die gesamte gesicherte Forderung abdecken: Auch hier kann sich das wahlweise bestellte Pfandrecht beim Tod des einen Sklaven auf den anderen



I. Systemimmanente Rechtsfindung101

konkretisieren, so dass dieser nur dann ohne Verstoß gegen die lex Aelia Sentia freigelassen werden kann, wenn das Pfandrecht von vornherein auf den nicht freigelassenen Sklaven beschränkt war. In zwei Entscheidungen zielt der Fallvergleich auf den Zweck der lex Cornelia, die Testamente kriegsgefangener Erblasser denjenigen der im Staat verbliebenen Erblasser gleichzustellen: (3) Iul 763 = D 49.15.22.4 (62 dig) Si quis, cum praegnatem uxorem haberet, in hostium potestatem pervenerit, nato deinde filio et mortuo, ibi decesserit, eius testamentum nullum est, quia et eorum, qui in civitate manserunt, hoc casu testamenta rumpuntur.

Ist derjenige, der eine schwangere Frau hatte, in Kriegsgefangenschaft geraten und hierin nach Geburt und Tod seines Sohnes gestorben, ist sein Testament ungültig, weil auch die Testamente derjenigen, die im Staat verblieben sind, in diesem Fall ungültig wären.

Julian befindet über die Wirkung der Geburt eines postumus auf das Testament eines Kriegsgefangenen. Er lässt es an der Regel: agnatione postumi teatmentum rumpitur,57 scheitern58 und beruft sich hierfür darauf, dass dies auch beim Testament eines Erblassers gelten würde, der nicht in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Zur Vorgabe für die Lösung des Ausgangsfalles wird dies dadurch, dass der in Kriegsgefangenschaft geratene Erblasser nach der lex Cornelia nicht besser, sondern nur ebenso wie ein im römischen Staate verbliebener Erblasser behandelt werden soll.59 (4) Iul 759 = D 28.6.28 (62 dig) … si vero vivo patre filius in hostium potestatem pervenerit, non existimo legi Corneliae locum esse, quia non efficitur per eam, ut is, qui nulla bona in civitate reliquit, heredes habeat. quare etiam si pubes filius vivo patre captus fuerit, deinde mortuo in civitate patre in hostium potestate decesserit, patris hereditas ex lege duodecim tabularum, non filii ex lege Cornelia ad adgnatum proximum pertinet.

… Ist aber der Sohn zu Lebzeiten des Vaters in Kriegsgefangenschaft gestorben, erkenne ich nicht, weshalb das cornelianische Gesetz Anwendung finden könne, weil hierdurch nicht bewirkt wird, dass derjenige, der kein Vermögen im Staat hat, einen Erben hat. Daher steht auch, wenn der erwachsene Sohn zu Lebzeiten des Vaters gefangen genommen worden und dann, nachdem der Vater im Staat gestorben ist, in Gefangenschaft gestorben ist, der Nachlass des Vaters nach dem Zwölftafelgesetz dem nächsten agnatischen Verwandten und nicht dem Sohn aus dem cornelianischen Gesetz zu.

Julian fragt, ob eine Pupillarsubstitution, die ein im römischen Staat verbliebener Erblasser für seinen in Kriegsgefangenschaft geratenen und nach 57  Gai 2.131. 58  Ebenso 59  Iul 588

hat schon Javolen in D 28.3.15 (4 ep) entschieden. = D 28.1.12 (42 dig); s. o. B.I.1.a)aa) (27).

102 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

ihm verstorbenen Sohn vorgenommen hat, kraft der lex Cornelia wirksam ist.60 Eigentlich gilt sie nur für Testamente der selbst in Kriegsgefangenschaft verstorbenen Erblasser. Da die Pupillarsubstitution zu einer Erbfolge nach dem Unmündigen führt, ist die Anwendung der lex Cornelia jedoch zumindest denkbar. Julian lehnt sie gleichwohl ab, weil der unmündige Sohn im Gegensatz zu einem in Kriegsgefangenschaft geratenen Erblasser nicht über Vermögen verfügte, das seiner Verfügungsbefugnis unterstellt werden müsste. Er darf nicht anders behandelt werden als ein schon erwachsener Sohn des Erblassers, bei dem mangels Möglichkeit einer Pupillarsubstituion die Berufung auf die lex Cornelia gar nicht erst in Betracht käme. Über die Behandlung eines Vorausfideikomisses bei der ratio legis Falcidiae urteilt Julian schließlich in (5) Iul 756 = D 35.2.87.2 (61 dig): Si quis heredem instituerit eum, cui rogatus fuerat post mortem suam centum restituere, in ratione legis Falcidiae centum deducere debet, quia, si alius quilibet heres exstitisset, haec centum in aere alieno ponerentur.

Hat jemand denjenigen zum Erben eingesetzt, zu dessen Gunsten ihm durch Fideikommiss auferlegt ist, nach seinem Tod 100 zu zahlen, muss man diesen Betrag bei der Rechnung nach dem falzidischen Gesetz abziehen, weil er auch dann zu den Schulden gerechnet würde, wenn irgendein anderer Erbe geworden wäre.

Julian begründet, warum die Verpflichtung aus einem Fideikommiss zugunsten des Erben bei der Berechnung der falzidischen Quart zu den auf der Erbschaft lastenden Schulden zu zählen ist: Zwar ist die Erfüllung des Fideikommisses wegen Konfusion unmöglich. Wäre ein anderer Erbe geworden, wäre aber selbstverständlich, dass die Fideikommissverpflichtung zu den Passiva des Nachlasses zu rechnen ist. Hieran darf sich nun nicht deshalb etwas ändern, weil der Fideikommissar selbst Erbe geworden ist; andernfalls ginge er nämlich aufgrund seiner Erbenstellung seines Fideikommisses verlustig. Einer durch Fallvergleich erläuterten Ableitung der Falllösung aus dem prätorischen Edikt widmet Julian insgesamt sieben Entscheidungen. In einer Konstellation, in der Julian einen Gegenschluss aus einem Vergleichsfall zieht, geht es um die exceptio senatus consulti Velleiani: (6) Afr 24 = D 16.1.17pr (4 quaest) Vir uxori donationis causa rem viliori pretio addixerat et in id pretium creditori suo delegaverat. respondit venditionem nullius momenti esse et, si creditor pecuniam a muliere peteret, exceptionem utilem fore, quamvis creditor existimaverit mulierem debitricem mariti fuisse: nec id contrarium videri debere ei, 60  Damit

spiegelt Julian den vorher behandelten Fall; s. u. B.I.2.a)aa) (7).



I. Systemimmanente Rechtsfindung103 quod placeat, si quando in hoc mulier mutuata est, ut marito crederet, non obstaturam exceptionem, si creditor ignoraverit in quam causam mulier mutuaretur, quoniam quidem plurimum intersit, utrum cum muliere quis ab initio contrahat an alienam obligationem in eam transferat: tunc enim diligentiorem esse debere.



Ein Mann hat seiner Ehefrau eine Sache schenkungshalber zu einem geringeren Preis verkauft und sie angewiesen, sich in Höhe dieses Preises gegenüber seinem Gläubiger verbindlich zu machen. Er hat geantwortet, der Kaufvertrag sei nichtig und, wenn der Gläubiger den Betrag von der Frau fordere, sei die Einrede auch dann zuständig, wenn der Gläubiger gedacht habe, die Frau sei die Schuldnerin des Ehemannes. Und dem widerspreche nicht, dass die Einrede anerkanntermaßen nicht entgegenstehe, wenn die Frau ein Darlehen aufnehme, um ihrem Mann ein Darlehen zu gewähren, falls der Gläubiger nicht gewusst habe, warum die Frau das Darlehen aufnimmt; denn es mache einen großen Unterschied, ob die Frau einen Vertrag selbst eingehe oder eine fremde Verbindlichkeit übernehme; hier müsse der Gläubiger sorgfältiger sein.

Eine gemischte Schenkung unter Ehegatten ist zwar, für sich genommen, nach Julians Auffassung nichtig,61 bewirkt aber nicht die Unwirksamkeit eines Versprechens, dass die Ehefrau anstelle des vereinbarten Kaufpreises zur Ablösung der Verpflichtung ihres Ehemannes gegenüber dessen Gläubiger abgegeben hat. Denn insoweit ist die Ehefrau ja nicht bereichert. Ihr steht jedoch die exceptio senatus consulti Velleiani zu, ohne dass der Gläubiger darauf berufen könnte, von einer Verpflichtung der Ehefrau gegenüber ihrem Mann ausgegangen zu sein. Zwar kann die Einrede aus dem Senatsbeschluss bei einer Darlehensaufnahme durch die Frau nur dann mit Erfolg erhoben werden, wenn der Gläubiger weiß, dass sie das Darlehen an ihren Mann weiterreicht. Dass es hier auf die Kenntnis des Innenverhältnisses zum Mann ankommt, stellt jedoch eine Ausnahme dar und ist dem Umstand geschuldet, dass die Darlehensaufnahme selbst ein neutrales Geschäft ist, das zur Interzession nur durch die Absicht zur Weitergabe der Darlehensvaluta an den Mann wird. Bei der Ablösung einer bestehenden Verpflichtung durch Novation ist dagegen evident, dass regelmäßig eine Interzession vorliegt und dies nur ausnahmsweise nicht der Fall ist. Daher besteht kein Anlass, auf den Gläubiger, der schon hinreichend gewarnt ist, besondere Rücksicht zu nehmen.62 61  Iul 279 = D 24.1.5.5 Ulp 32 Sab, wo Julians Ansicht der Lösung Neraz’ gegenübergestellt ist, der für eine Teilnichtigkeit eintritt; hierzu Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten, Köln / Wien 1974, S. 120 ff. 62  Entgegen Medicus, Zur Geschichte des senatus consultum Velleianum, Köln /  Graz 1957, S. 60 ist der Hinweis auf die diligentia hier nicht so zu verstehen, dass Julian statt der Kenntnis des Gläubigers schon sein Verschulden genügen lässt. Julian sagt nur, dass der Gläubiger im Fall der Interzession umsichtiger sein muss, um später vorbringen zu können, er habe von der Interzession nichts gewusst.

104 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

In dem anderen Fall ersetzt die exceptio doli die Befreiung eines angewiesenen Schuldners, dem der Erfolg seiner Leistung an den Anweisungsempfänger versagt bleibt: (7) Afr 79 = D 46.3.38.1 (7 quaest) Si debitorem meum iusserim Titio solvere, deinde Titium vetuerim accipere et debitor ignorans solverit, ita eum liberari existimavit, si non ea mente Titius nummos acceperit, ut eos lucretur. alioquin, quoniam furtum eorum sit facturus, mansuros eos debitoris et ideo liberationem quidem ipso iure non posse contingere debitori, exceptione tamen ei succurri aequum esse, si paratus sit condictionem furtivam, quam adversus Titium habet, mihi praestare: sicuti servatur, cum maritus uxori donaturus debitorem suum iubeat solvere: nam ibi quoque, quia nummi mulieris non fiunt, debitorem non liberari, sed exceptione eum adversus maritum tuendum esse, si condictionem, quam adversus mulierem habet, praestet. [furti tamen actionem in proposito mihi post divortium competituram, quando mea intersit interceptos nummos non esse.]

Habe ich meinen Schuldner angewiesen, an Titius zu zahlen, danach Titius den Zahlungsempfang untersagt und hat der Schuldner, ohne dies zu wissen, an ihn gezahlt, werde er, wie er glaubt, befreit, falls Titius das Geld nicht in der Absicht angenommen hat, sich zu bereichern. Ansonsten bleibe das Geld, da ein Diebstahl vorgekommen sei, im Eigentum des Schuldners, und deshalb könne er nicht automatisch Befreiung erlangen; es sei jedoch gerecht, ihm mit einer Einrede zu Hilfe zu kommen, falls er bereit sei, mir die Diebstahlskondiktion abzutreten, die er gegen Titius hat. Es verhält sich ebenso wie in dem Fall, dass ein Ehemann, um seiner Frau ein Geschenk zu machen, seinen Schuldner anweist, an sie zu zahlen; denn auch hier werde der Schuldner, da die Frau das Eigentum an dem Geld nicht erwirbt, nicht befreit, sei aber mit einer Einrede gegen den Ehemann zu schützen, wenn er ihm die Kondiktion abtrete, die ihm gegen die Frau zusteht. [Die Diebstahlsklage stehe hier nach der Scheidung aber mir zu, da ich ein Interesse daran habe, dass das Geld nicht unterschlagen worden ist.]

Julian überträgt seine Lösung des Falls einer Ehegattenschenkung durch Anweisung63 auf die Konstellation, dass ein Schuldner angewiesen worden ist, an einen procurator zu zahlen, dem der Gläubiger dann aber zwischenzeitlich die Annahme der Leistung verboten hat. Obwohl die Anweisung zum Schutz des Schuldners weitergilt und dessen Befreiung durch Leistung an den procurator zeitigen müsste, kann diese Wirkung ausnahmsweise dann nicht eintreten, wenn der procurator das Geld unterschlagen wollte. Da er in diesem Fall ein furtum begeht,64 erwirbt er das Eigentum weder für den Gläubiger noch für sich selbst. Der Schuldner soll sich jedoch gegen seine erneute Inanspruchnahme durch den Gläubiger mit der exceptio doli verteidigen können, wenn er zur Abtretung seiner Klagen gegen den procurator, insbe63  Iul

871 = D 24.1.39 (5 Min); s. u. B.I.1.b)aa)(2) (48). vor allem zur subjektiven Seite des Deliktstatbestands, Fargnoli, Richerche in tema di furtum, Mailand 2006, S. 111 ff. 64  Hierzu,



I. Systemimmanente Rechtsfindung105

sondere zur Zession der Diebstahlskondiktion, bereit ist. So erlangt er einredeweise die gewünschte Befreiung, und die Rückabwicklung vollzieht sich ebenso wie im Fall der Ehegattenschenkung im mangelhaften Valutaverhältnis. Dass der Bericht über den parallelen Ehegattenfall nicht korrekt ist, weil statt von einer Vindikation des Schuldners gegen die Ehefrau von einer Kondiktion und schließlich auch von der hier gar nicht einschlägigen actio furti die Rede ist, lässt auf eine Überarbeitung des Textes, nicht jedoch darauf schließen, der Fallvergleich selbst stamme nicht von Julian.65 In einem weiteren Fragment geht es vermutlich um die Anwendung des interdictum utrubi: (8) Afr 117 = D 44.3.6.1 (9 quaest) Vendidi tibi servum et convenit, ut, nisi certa die pecunia soluta esset, inemptus esset: quod cum evenerit, quaesitum est, quid de accessione tui temporis putares. respondit id quod servetur, cum redhibitio sit facta: hunc enim perinde haberi ac si retrorsus homo mihi venisset, ut scilicet, si venditor possessionem postea nactus sit, et hoc ipsum tempus et quod venditionem praecesserit et amplius accessio haec ei detur cum eo, quod apud eum fuit, a quo homo redhibitus sit.

Ich habe dir einen Sklaven verkauft, und wir haben vereinbart, dass er als nicht gekauft gelten soll, wenn der Kaufpreis nicht bis zu einem bestimmten Termin gezahlt ist. Als dies nicht geschah, ist gefragt worden, was du über die Anrechnung des Zeitraums denkst, in dem sich der Sklave bei dir befand. Er hat befunden, dass gelte, was im Fall einer Wandlung gelte. Es sei nämlich so zu handhaben, als ob du mir den Sklaven zurückverkauft hättest, so dass, wenn der Verkäufer später wieder den Besitz erlangt habe, ihm sowohl diese Zeit zugute komme als auch die Zeit, die dem Verkauf voranging, und darüber hinaus noch der Zeitraum, in dem sich der Sklave bei demjenigen befunden habe, der ihn zurückgewährt habe.

Julian beschäftigt sich mit der Frage, ob nach der Auflösung eines Kaufs kraft einer lex commissoria die Zeit, in der sich die Sache bei dem Käufer befand, dem Verkäufer zugute kommt. Diese Anrechnung der Besitzzeit kann sowohl für die Ersitzung relevant werden, für die eine solche accessio temporis jedoch vielleicht erst durch Severus und Caracalla zugelassen wird,66 als auch für den Ablauf der Ausschlussfrist beim interdictum utrubi67. Im Anschluss an Javolen68 leitet Julian die Anrechnung der Besitzzeit aus einem Vergleich zur redhibitio her. Da sie wie ein Rückkauf wirkt, ist 65  Anders noch in Anknüpfung an die alte Interpolationistik Harke, Argumenta Iuventiana, S. 93 Fn. 373. 66  IJ 2.6.13. 67  Hierauf beziehen den Text Wesel, Zur dinglichen Wirkung der Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufs, SZ 85 (1968) 94, 139 und Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufrechts, Köln / Wien 1973, S. 260. 68  D 41.3.19 Iav 1 ep.

106 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

bei ihr nicht zweifelhaft, dass sie unter die Vorschrift des prätorischen Edikts fällt, derzufolge beim interdictum utrubi eine accessio temporis beim Kauf stattfindet69.70 Der redhibitio ist nun wiederum die ebenfalls auf Rückabwicklung gerichtete Auflösung des Kaufvertrags aufgrund einer lex commissoria ähnlich, so dass auch hier das ediktale Regime des Rückkaufs eingreift. Ebenfalls um den Interdiktenschutz geht es in (9) Afr 72 = D 41.2.40.2 (7 quaest): Servum tuum a Titio bona fide emi et traditum possedi, deinde cum comperissem tuum esse, ne eum peteres, celare coepi. non ideo magis hoc tempore clam possidere videri me ait: nam retro quoque, si sciens tuum servum non a domino emerim et, cum clam eum possidere coepissem, postea certiorem te fecerim, non ideo desinere me clam possidere.

Deinen Sklaven habe ich von Titius nach guter Treue gekauft und seit der Übergabe besessen, danach habe ich, nachdem ich erfahren habe, dass er dir gehört, angefangen, ihn zu verstecken, damit du ihn nicht herausverlangst. Ich gelte, wie er sagt, deshalb nicht etwa als jemand, der ihn in dieser Zeit heimlich besitze. Denn auch umgekehrt würde ich, wenn ich deinen Sklaven wissentlich vom Nichteigentümer gekauft und ihn heimlich zu besitzen angefangen habe, nicht deshalb aufhören, heimlich zu besitzen, weil ich dich später hierüber in Kenntnis gesetzt habe.

Um zu zeigen, dass man nicht durch das nachträgliche Verstecken einer fehlerfrei erlangten Sache zu deren heimlichem Besitzer wird, zieht Julian den Vergleich zu dem entgegengesetzten Fall, dass man eine Sache heimlich erlangt und dann den Eigentümer hierüber informiert hat. Ändert die Unterrichtung des Eigentümers nichts an der einmal eingetretenen Fehlerhaftigkeit des Besitzes, kann auch umgekehrt das spätere Verstecken einer gehörig erlangten Sache den Besitz an dieser nicht fehlerhaft machen. Denn für die Beurteilung, ob jemand heimlich besitzt, kommt es hier wir dort allein auf den Besitzbeginn an. Eine Folgerung aus dem Zweck der operis novi nuntiatio zieht Julian in dem folgenden Fragment: (10) Iul 573 = D 39.2.13.10 Ulp 53 ed Si quis opus novum nuntiaverit, an nihilo minus damni infecti ei caveri debeat, Iulianus tractat. et magis probat caveri oportere: nam et ei, qui egerit ius adversario non esse altius tollere aedificium, caveri debere. …

Julian behandelt die Frage, ob, wenn jemand Anzeige wegen eines neuen Bauwerks erstattet hat, ihm nichtsdestoweniger Sicherheit wegen eines drohenden Schadens geleistet werden müsse. Und er neigt mehr der Ansicht zu, 69  Vgl. 70  Vgl.

Lenel, Das edictum perpetuum, 3. Aufl. Leipzig 1927, S. 489. Wesel, SZ 85 (1968) 94, 140, Peters (Fn. 67), S. 260.



I. Systemimmanente Rechtsfindung107 es müsse Sicherheit geleistet werden. Julian sagt, es müsse nämlich auch demjenigen, der Klage mit der Behauptung erhoben habe, seinem Kontrahenten stehe nicht das Recht zu, höher zu bauen, Sicherheit geleistet werden. …

Um zu begründen, dass der Inhaber eines Grundstücks, der eine operis novi nuntiatio vorgenommen hat, von dem Bauherrn auch eine cautio damni infecti verlangen kann, verweist Julian auf das Regime der actio negatoria. Kann der Kläger hier zusätzlich zum Hauptsacheverfahren über die Zulässigkeit des Baus eine Sicherheit für den Schadensfall verlangen, darf nichts anderes für den vorläufigen Rechtsschutz gelten, den die operis novi nuntiatio bewirkt. Sie kann nicht weiter reichen als die actio negatoria und betrifft wie diese allein die Zulässigkeit des Baus. Demnach deckt sie nicht die Gefahren ab, die sich aus einem Mangel des Baus oder einem Baustellenunfall ergeben und denen die cautio damni infecti wehrt. Der Zweck des einem heres necessarius gewährten ius abstinendi beschäftigt Julian in: (11) Iul 519 = D 30.89 (36 dig): Nam nec emancipatus hereditate omissa legatum ab herede petere prohibetur. praetor enim permittendo his, qui in potestate fuerint, abstinere se hereditate paterna manifestum facit ius se in persona eorum tribuere, quod futurum esset, si liberum arbitrium adeundae hereditatis habuissent.

Denn auch einem aus der Gewalt entlassenen Haussohn ist es nicht verwehrt, nach Ausschlagung der Erbschaft vom Erben ein Vermächtnis zu fordern. Der Prätor macht nämlich deutlich, dass er, indem er den Gewaltunterworfenen die Befugnis gibt, sich der väterlichen Erbschaft zu enthalten, ihnen das Recht gibt, was ihnen zustehen würde, wenn sie die freie Entscheidung über den Erbschaftsantritt hätten.

Dass ein heres necessarius, dem der Prätor das ius abstinendi gewährt, die Erbschaft ausschlagen und dann doch von demjenigen, der an seiner Stelle den Nachlassbesitz erhält, ein Vermächtnis fordern kann, folgt für Julian aus dem Zweck des ius abstinendi: Mit ihm soll der Hauserbe dieselbe Stellung erlangen, die ein Außenerbe hat, der sich frei für oder gegen den Antritt der Erbschaft entscheiden kann. Darf sich der Außenerbe anerkanntermaßen der Gesamtrechtsnachfolge entziehen und gleichwohl die Erfüllung eines Vermächtnisses von dem Erben fordern, kann nichts anderes für den Hauserben gelten, den der Prätor mit dem Ausschlagungsrecht nur gleichstellen wollte. Über den Tatbestand des ediktalen Pflichtteilsrechts eines Patrons am Vermögen eines Freigelassenen befindet Julian in (12) Iul 397 = D 38.2.13 (26 dig): Filius patroni exheredatus, quamvis nepos ex eo heres scriptus fuerit, bonorum possessionem contra tabulas paternorum libertorum accipere non potest: licet enim necessarius existat patri suo, non per semetipsum, sed per alium ad he-

108 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian reditatem admittitur. et certe constat: si emancipatus filius exheredatus fuerit et servus eius heres scriptus, etsi iusserit servo hereditatem adire et ita patri suo heres extiterit, non habebit contra tabulas paternorum libertorum bonorum possessionem.

Der enterbte Sohn eines Patrons kann, obwohl der von ihm stammende Enkel zum Erben eingesetzt worden ist, den Nachlassbesitz gegen das Testament der Freigelassenen seines Vaters nicht erlangen. Auch wenn er notwendiger Erbe seines Vaters ist, wird er doch nicht seinetwegen, sondern wegen eines anderen zur Erbschaft zugelassen. Und es steht sicherlich fest: Ist ein aus der Gewalt entlassener Sohn enterbt worden und sein Sklave zum Erben eingesetzt worden, steht ihm, obwohl er den Sklaven angewiesen hat, die Erbschaft anzutreten, und dadurch zum Erbe seines Vaters geworden ist, der Nachlassbesitz gegen das Testament der Freigelassenen des Vaters nicht zu.

Julian verwehrt dem emanzipierten und enterbten Sohn eines Patrons den Nachlassbesitz an der Erbschaft des Freigelassenen, obwohl der Patron selbst ihn contra tabulas wegen Beeinträchtigung seines Pflichtteils verlangen könnte. Dies soll auch dann gelten, wenn der Enkel des Freilassers zu dessen Erbe eingesetzt ist, so dass der emanzipierte Sohn schließlich doch Erbe seines Vaters geworden ist. In diesem Fall habe er die Rechtsnachfolge nach seinem Vater nämlich nicht um seiner selbst willen, sondern wegen eines anderen erlangt.71 Dass er deshalb nicht den Pflichtteil vom Vermögen des Freigelassenen verlangen kann, ergibt für Julian der Vergleich zu dem Fall, dass Erbe des Freilassers ein Sklave des emanzipierten und enterbten Sohnes ist. In diesem Fall, in dem keine verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Patron und dem Testamentserben besteht, ist nicht zweifelhaft, dass dieser nicht in das Pflichtteilsrecht des Patrons einrückt und dementsprechend auch dessen Sohn dieses Recht nicht vermitteln kann. Dann darf der Ausgangsfall, in dem der Enkel zum Erben des Patrons eingesetzt wird, nicht anders behandelt werden. Zwar gehört der Enkel zur Gruppe derjenigen, die für eine Rechtsnachfolge in das Pflichtteilsrecht in Betracht kommen.72 Als Gewaltunterworfener des enterbten Sohnes ist er jedoch ebenso wie er selbst aus diesem Kreis ausgeschieden. In nur vier Entscheidungen dient der Fallvergleich dazu, die Ableitung der Falllösung aus dem Inhalt eines Rechtsgeschäfts zu unterstützen. Den Schluss aus der Funktion einer cautio ratam rem haberi ermöglicht sie in (13) Afr 60 = D 46.8.25pr,1 (6 quaest): Pater dotem a se datam absente filia petit et ratam rem habituram eam cavit: ea prius quam ratum haberet, mortua est. negavit committi stipulationem, quia 71  Ebenso entscheidet Terentius Clemens; vgl. D 38.2.38pr (9 Iul et Pap). Für den Fall einer Verpflichtung des Freigelassenen zu operae urteilt so auch Gaius; vgl. D 38.1.22.1 (4 ed prov). 72  Gai 3.45.



I. Systemimmanente Rechtsfindung109 et si verum sit ratum eam non habuisse, nihil tamen mariti intersit dotem restitui, cum patri etiam mortua filia salva esse dos debeat. (1) Procurator cum ab eo aes alienum exegerat, qui tempore liberaretur, ratam rem dominum habiturum cavit: deinde post tempus liberato iam debitore dominus ratam rem habet. posse debitorem agere cum procuratore existimavit, cum iam debitor liberatus sit: argumentum rei, quod, si nulla stipulatio interposita sit, condictio locum adversus procuratorem habitura sit: in locum autem condictionis interponi stipulationem.



Ein Vater hat die für seine Tochter geleistete Mitgift in ihrer Abwesenheit gefordert und für deren Genehmigung Sicherheit geleistet. Noch bevor die Tochter genehmigt hat, ist sie gestorben. Er hat verneint, dass das Versprechen verfallen sei; denn obwohl zutreffe, dass sie nicht genehmigt habe, habe der Ehemann doch kein Interesse daran, dass die Mitgift zurückgewährt werde, weil dem Vater die Mitgift nach dem Tod der Tochter zustehe. (1) Ein Prozessvertreter hat, als er eine Schuld von dem einzog, der durch Zeitablauf befreit sein sollte, eine Sicherheit für die Genehmigung durch den Gläubiger geleistet. Der Gläubiger hat die Genehmigung erst erteilt, als der Schuldner nach Ablauf der Frist schon befreit war. Er glaubte, dass der Schuldner gegen den Vertreter klagen könne, weil er schon befreit gewesen sei. Hierfür spreche, dass, auch wenn keine Garantie übernommen worden wäre, die Kondiktion gegen den Vertreter zuständig wäre; das Versprechen trete aber nur an die Stelle der Kondiktion.

Julian beurteilt zwei Konstellationen, in denen die cautio ratam rem haberi wegen Ausfalls oder Erteilung der Genehmigung auf den ersten Blick entweder nicht verfallen oder gerade doch verfallen scheint, im Ergebnis aber jeweils das Gegenteil zutrifft:73 Die Kaution, die ein Vater für die Rückforderung einer Mitgift ohne Beteiligung seiner Tochter gestellt hat, verfällt trotz deren fehlender Genehmigung nicht, wenn die Tochter stirbt; denn der Vater ist dann ohne Mitwirkung der Tochter zur Rückforderung berechtigt. Umgekehrt verfällt Kaution, die ein procurator für den Einzug einer befristeten Verbindlichkeit geleistet hat, auch bei einer Genehmigung durch den Gläubiger, falls diese erst nach Ablauf der Frist erfolgt; denn der Schuldner war zu dieser Zeit schon von seiner Verpflichtung befreit. Das argumentum rei ergibt sich jeweils aus dem ausdrücklich nur für den zweiten Fall angestellten Vergleich zu der Konstellation, dass gar keine Kaution geleistet worden ist: Hier hat der Ehemann, der die Mitgift erstattet, keinen Anspruch auf ihre Rückgewähr, weil der Vater sie ohne Beteiligung der Tochter herausverlangen kann; und der Schuldner der befristeten Verbindlichkeit kann seine Leistung zurückfordern, weil die Klage des procurator vor ihrer Genehmigung durch den Gläubiger den Fristablauf und damit seine Befreiung nicht verhindern konnte. Die cautio ratam rem haberi ist 73  Vgl. zu diesem Text auch Harke, Das Vertragsrecht in Afrikans Quästionen, in: ders. (Hg.), Africani quaestiones, Berlin / Heidelberg 2011, S. 37, 43 f.

110 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

demzufolge in der ersten Konstellation trotz Ausfalls der Genehmigung nicht verbindlich, in der zweiten ungeachtet ihrer Erteilung verfallen, weil sie jeweils nur die Verpflichtung des Klägers zur Rückgewähr der ohne Genehmigung eingeklagten Leistung ersetzt. Wo diese Rückforderung aus einem anderen Grund als der mangelnden Genehmigung ausscheidet, fehlt es an dem Interesse des Beklagten, das durch die Sicherheitsleistung geschützt werden könnte; wo die Rückforderung ungeachtet der Genehmigung begründet ist, liegt das Interesse vor, das die Haftung aus der cautio trägt. Ähnlich ist Julians Argumentation mit einem Vergleichsfall, der zum Zweck einer cautio iudicatum solvi führt: (14) Iul 729 = D 46.7.7 Gai 27 ed prov Si ante acceptum iudicium prohibitus fuerit [procurator] a domino et actor ignorans prohibitum eum esse egerit, an stipulatio committatur? et nihil aliud dici potest quam committi. quod si quis sciens prohibitum esse egerit, Iulianus non putat stipulationem committi: nam ut committatur, non sufficere ait cum ea persona acceptum esse iudicium, quae stipulationi comprehensa est, sed oportere etiam causam personae eandem esse, quae stipulationis interponendae tempore fuit. et ideo si is, qui [procurator] datus est, heres exstiterit domino atque ita acceperit iudicium sive etiam prohibitus acceperit, non committitur stipulatio: … .

Ist dem Prozessvertreter vor Verfahrensaufnahme von dem Vertretenen die Prozessführung verboten worden und hat der Kläger in Unkenntnis hiervon geklagt, stellt sich die Frage, ob das Versprechen verfalle. Und man kann nichts anderes sagen, als dass es verfalle. Hat aber jemand in Kenntnis des Verbots die Klage erhoben, verfällt die Stipulation nach Julians Ansicht nicht. Denn damit sie verfalle, reiche es, wie er sagt, nicht, dass der Prozess von der Person aufgenommen werde, die in dem Versprechen genannt ist; vielmehr sei erforderlich, dass die Person auch in derselben Lage verbleibe, in der sie sich bei Abgabe des Versprechens befand. Und daher verfalle das Versprechen nicht, wenn derjenige, der zum Prozessvertreter bestellt ist, Erbe des Vertretenen werde und so den Prozess aufnehme oder wenn ihm die Prozessführung verboten worden sei. …

In diesem Fragment beschäftigt sich Julian entgegen dem Eindruck, den die überlieferte Fassung macht, nicht mit der Prozessvertretung durch einen procurator, sondern mit der Verteidigung durch einen cognitor.74 Im Gegensatz zum procurator muss nicht dieser eine Kaution leisten, sondern der Vertretene, gegen den sich auch die actio iudicati richtet.75 Diese cautio iudicatum solvi verfällt zweifellos, wenn der Vertretene dem cognitor die Prozessführung verbietet, ohne dass der Kläger dies weiß. Kennt der Kläger dagegen das Verbot, verfällt die Kaution nach Julians Ansicht nicht, weil sie 74  Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1 Sp. 461 Fn. 7 und Finkenauer, Stipulation und Geschäftsgrundlage, SZ 126 (2009) 305, 341 f. 75  Gai 4.101, Vat 317.



I. Systemimmanente Rechtsfindung111

voraussetzt, dass sich die Parteien in derselben Lage wie bei ihrem Abschluss befinden:76 Weiß der Kläger, dass die Ermächtigung zur Prozessführung später weggefallen ist, haben sich die Umstände derart geändert, dass er nicht mehr auf die Erfüllung der Urteilsschuld durch den Vertretenen vertrauen darf, und zwar ebenso wenig wie in dem Fall, dass der frühere cognitor nun als Erbe des Vertretenen den Prozess aufnimmt. In diesem Vergleichsfall, in dem sich die Kaution gegen den cognitor und damit gegen die Person richten würde, die auch für die actio iudicati passivlegitimiert wäre, ist die Haftung aus der Kaution offensichtlich irrelevant. Julian verwendet ihn, um darzutun, dass auch in dem schwieriger zu beurteilenden Ausgangsfall ein stillschweigender Vorbehalt für eine Umstandsänderung zu machen ist: Hier wie dort liegt ein dem Kläger erkennbarer Wegfall der Ermächtigung zur Prozessführung vor, so dass die Kaution, die nur für den Fall einer vermeintlich fortdauernden Ermächtigung abgegeben ist, keinen Anspruch hervorbringen kann. Die cautio iudicatum solvi dient Julian an anderer Stelle als Beispiel für die Regel, dass sich die prätorischen Stipulationen von oder für Miterben stets nur auf deren Quote beziehen: (15) Iul 731 = D 35.2.32.2 Maec 9 fid Iulianus scribit, si utriusque heredis pars exhausta est legatis et alter ex heredibus cautionem praetoriam accepit a legatariis, non aequaliter, sed pro suo modo legis Falcidiae rationem et actionem ex stipulatu habiturum. omnes enim praetorias stipulationes eiusdem interpretationis esse: nam constare ex iudicatum solvi stipulatione, sive a parte actoris sive a rei plures heredes exstitissent, non omnibus nec adversus omnes actionem contingere, sed dumtaxat his qui vicissent et adversus victos, hisque, adversus quos res defensa non esset, adversus eos, qui rem non defendissent.

Julian schreibt, dass, wenn die Anteile zweier Erben erschöpft sind und einer von den beiden Vermächtnisnehmern eine prätorische Kaution erhält, er die Rechnung nach dem falzidischen Gesetz und die Klage aus dem Versprechen nicht gleichmäßig, sondern nur für seinen Anteil anstellen könne. Allen vom Prätor erzwungenen Versprechen sei dasselbe Verständnis gemein: Es stehe nämlich fest, dass aus der Kaution zur Leistung einer Urteilsschuld, wenn auf Seiten des Klägers oder auf Seiten des Beklagten mehrere Erben vorhanden seien, eine Klage nicht allen und gegen alle zustehe, sondern nur denjenigen, die gesiegt hätten, und gegen diejenigen, die unterlegen seien, und denjenigen, gegenüber denen eine Sache nicht verteidigt worden sei, gegen diejenigen, die die Sache nicht verteidigt hätten.

Hat ein Miterbe, weil sein Leistungsverweigerungsrecht aus der lex Falcidia in der Schwebe war, von den Vermächtnisnehmern auf Anordnung des Prätors eine Kaution erhalten, kann er diese, wenn sie verfällt, nur für sei76  Finkenauer, SZ 126 (2009) 305, 339 f. erkennt hierin einen Vorbehalt für den Wegfall der Geschäftsgrundlage.

112 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

nen Erbteil und nicht auch für den des Miterben geltend machen. Wie Ju­lian am Vergleichsfall der cautio iudicatum solvi demonstriert, gelten prätorische Stipulationen stets nur zugunsten des einzelnen Erben, der nach dem Grundsatz: nomina ipso iure divisa, nur in Höhe seiner Erbquote Forderungen erheben und aus ihnen in Anspruch genommen werden kann. Aus dem Zweck eines Nießbrauchvorbehalts folgert Julian in (16) Afr 63 = D 21.1.46pr (6 quaest): Fundum, cuius usus fructus Attii erat, mihi vendidisti nec dixisti usum fructum Attii esse: hunc ego Maevio detracto usu fructu [tradidi] . Attio capite minuto non ad me, sed ad proprietatem usum fructum redire ait, neque enim potuisse constitui usum fructum eo tempore, quo alienatus esset: sed posse me venditorem te de evictione convenire, quia aequum sit eandem causam meam esse, quae futura esset, si tunc usus fructus alienus non fuisset.

Du hast mir ein Grundstück, an dem Attius das Recht zum Nießbrauch hatte, verkauft, ohne zu sagen, dass Attius der Nießbrauch zustehe. Ich habe das Grundstück unter Vorbehalt des Nießbrauchs dem Mävius übereignet. Er sagt, dass der Nießbrauch nach der Verminderung der Rechtsfähigkeit des Attius nicht mir, sondern dem Eigentum zufalle; denn der Nießbrauch hätte in dem Moment, in dem das Grundstück veräußert worden sei, nicht bestellt werden können. Aber ich könne gegen den Eigentümer wegen der Entwehrung vorgehen, weil es gerecht sei, wenn ich mich in derselben Lage befinde, in der ich mich befände, wenn der Nießbrauch nicht einem anderen zugestanden hätte.

Hat jemand ein Grundstück in Unkenntnis eines hieran bestehenden Nießbrauchs erworben und unter Vorbehalt eines eigenen Nießbrauchsrechts weiterveräußert, führt das Ende des bestehenden Nießbrauchs dazu, dass der Erwerber das unbeschränkte Eigentum an dem Grundstück erhält und der Veräußerer auf Eviktionsansprüche gegen seinen Vordermann beschränkt ist. Dass der Nießbrauch trotz seines Vorbehalts nicht dem Veräußerer zufallen kann, folgt für Julian daraus, dass auch die Bestellung des Nießbrauchs, wenn sie nach der Übertragung des Eigentums auf den Erwerber erfolgt wäre, wegen des Rechts des ursprünglichen Nießbrauchers keinen Effekt gehabt hätte. Scheitert aber die Bestellung des Rechts, darf nichts anderes für seinen Vorbehalt gelten, der nur die nachträgliche Bestellung durch den Grundstückserwerber zugunsten des Veräußerers vorwegnehmen soll. Alle übrigen Fallvergleiche, die auf eine Deduktion der Entscheidung zielen, gelten Regeln des Juristenrechts. Einem in der Jurisprudenz herausgebildeten Grundsatz des Bürgschaftsrechts gilt etwa Julians Entscheidung in (17) Iul 710 = D 46.1.16.2 (53 dig): Sed et si reus, romae constitutus, capuae dari promiserit, fideiussor ephesi, perinde non obligabitur fideiussor, ac si reus sub condicione promisisset, ­fideiussor autem in diem certam vel pure promisisset.



I. Systemimmanente Rechtsfindung113



Hat aber ein Schuldner, der sich in Rom befindet, versprochen, in Capua zu leisten, und der Bürge, in Ephesus zu leisten, wird der Bürge ebenso wenig verpflichtet, wie wenn der Hauptschuldner unter einer Bedingung, der Bürge Leistung zu einem bestimmten Termin oder unbedingt versprochen hätte.

Dass eine fideiussio unwirksam ist, die den Bürgen zur Leistung an einem Ort verpflichtet, der weiter entfernt als der Leistungsort des Hauptschuldners ist, zeigt Julian am Parallelfall einer bedingten Hauptschuld: Hat sich der Bürge hierfür unbedingt oder lediglich aufschiebend befristet verbindlich gemacht, ist die Bürgschaft ungültig. Hier wie im Ausgangsfall der verschiedenen Leistungsorte greift die Regel ein, dass die Verpflichtung des Bürgen, wenn die fideiussio wirksam sein soll, nicht über die obligatio principalis hinausgehen darf77. Die Ergänzung einer Stipulation durch ein pactum ist Gegenstand der Fallvergleichung in (18) Iul 697 = D 45.1.56.4 (52 dig): Qui ita stipulatur: ‚decem, quoad vivam, dari spondes?‘, confestim decem recte dari petit: sed heres eius exceptione pacti conventi summovendus est: nam stipulatorem id egisse, ne heres eius peteret, palam est, quemadmodum is, qui usque in kalendas dari stipulatur, potest quidem etiam post kalendas petere, sed exceptione pacti summovetur. nam et heres eius, cui servitus praedii ita concessa est, ut, quoad viveret, ius eundi haberet, pacti conventi exceptione submovebitur.

Wer sich wie folgt hat versprechen lassen: „Versprichst du, zu meinen Lebzeiten zehn zu zahlen?“, fordert zu Recht sofort die Zahlung von zehn. Aber sein Erbe wird mit der Einrede aus einem Pakt überwunden. Denn der Versprechensempfänger hat offensichtlich vereinbart, dass sein Erbe die Leistung nicht verlangen kann, und zwar ebenso wie derjenige, der sich hat versprechen lassen, dass ihm eine Leistung bis zum 1. des Monats erbracht wird, auch danach klagen kann, aber durch die Einrede aus einem Pakt überwunden wird. Denn auch der Erbe desjenigen, dem auf Lebenszeit eine Grunddienstbarkeit bestellt wird, hat das Wegerecht, wird aber durch die Einrede aus einem Pakt überwunden.

Julian deutet eine Stipulation, mit der ein Schuldner versprochen hat, eine Leistung zu Lebzeiten des Erblassers zu erbringen. Die Verpflichtung geht hier zwar nicht automatisch mit dem Tod des Gläubigers unter, weil eine Stipulation nicht auflösend befristet abgeschlossen werden kann.78 Sie ist aber nach Julians Auffassung ab dem Tod des Gläubigers durch eine exceptio pacti conventi gehemmt, da der Gläubiger durch den Hinweis auf seine Lebenszeit offensichtlich seinen Erben von der Forderung ausnehmen wollte. Zur Untermauerung dieser Lösung führt Julian zwei Parallelfälle an, 77  Gai 3.126. 78  IJ 3.15.3.

114 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

in denen ihm die Zuständigkeit der exceptio pacti conventi evident erscheint: zum einen das Versprechen einer Leistung bis zum Monatsersten, zum anderen die Stipulation über ein Wegerecht auf Lebenszeit. Im ersten Fall stellt sich das Problem der Ausgangskonstellation noch in derselben Weise. Im zweiten Fall geht es dagegen um ein anderes Hindernis, nämlich darum, dass eine durch Stipulation bestellte Dienstbarkeit ebenso wie die eigent­ liche Servitut nur zugunsten eines Grundstücks und nicht bloß, gewisser­ maßen als Mischform zwischen Grund- und persönlicher Dienstbarkeit, auf Lebenszeit eines Grundstückseigentümers bestellt werden kann. Scheitert auch hier die automatische Begrenzung auf die Lebenszeit des Gläubigers, kann sich der Eigentümer des dienenden Grundstücks, wenn er vom Erben des Eigentümers des herrschenden Grundstücks in Anspruch genommen wird, jedoch ebenfalls mit der exceptio pacti conventi verteidigen. Wie im Ausgangsfall verhilft die durch die Fallvergleichung anschaulich gemachte Einordnung als pactum einer Vereinbarung zur Wirksamkeit, die ansonsten auf die Grenzen des ius civile stößt. Um die Wirkung des Satzes: impossibilium nulla obligatio, auf eine Novationsstipulation geht es Julian in dem folgenden Text: (19) Iul 697 = D 45.1.56.8 (52 dig) Si hominem, quem a Titio pure stipulatus fueram, Seius mihi sub condicione promiserit et is pendente condicione post moram Titii decesserit, confestim cum Titio agere potero, nec Seius existente condicione obligetur: at si Titio acceptum fecissem, seius existente condicione obligari potest. idcirco haec tam varie, quod homine mortuo desinit esse res, in quam Seius obligaretur: acceptilatione interposita superest homo, quem Seius promiserat.

Hat Seius mir den Sklaven, den ich mir von Titius unbedingt habe versprechen lassen, unter einer Bedingung versprochen und ist er, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe war, gestorben, nachdem Titius in Verzug geraten war, kann ich sofort gegen Titius klagen; und Seius wird auch bei Eintritt der Bedingung nicht verpflichtet. Aber wenn ich Titius die Verpflichtung durch Akzeptilation erlassen habe, kann Seius bei Bedingungseintritt verpflichtet werden. Der Unterschied rührt daher, dass der Sklave, zu dessen Leistung Seius verpflichtet sein soll, mit seinem Tod aufhört zu existieren; bei der Akzeptilation bleibt der Sklave, den Seius versprochen hat, dagegen vorhanden.

Julian untersucht die Wirkung, die eine bedingte Novationsstipulation hat, wenn der Leistungsgegenstand der zu novierenden Stipulation nach Verzugseintritt untergeht. Julian nimmt offenbar nicht an, dass schon der bloße Abschluss der bedingten Novationsstipulation mit einem anderen Schuldner zu einer Befreiung des ersten Schuldners führt.79 Dieser kann nach seiner Ansicht vielmehr trotz der schon in Schwebe befindlichen Novation in mo79  Für die Novation im Zweipersonenverhältnis hat dies Servius vertreten; vgl. Gai 3.179.



I. Systemimmanente Rechtsfindung115

ra geraten und ist dann sofort nach dem zufälligen Untergang des Leistungsgegenstands haftbar, ohne dass der Eintritt der Bedingung für die Verpflichtung des zweiten Schuldners abgewartet werden müsste und er sich bis dahin mit einer exceptio pacti conventi oder doli schützen könnte80. Zwar wäre denkbar, dass der zweite Schuldner bei Bedingungseintritt wegen der durch den Verzug begründeten perpetuatio obligationis verpflichtet, der erste dagegen befreit wird.81 Statt der fiktiven Fortexistenz des post moram untergegangenen Leistungsgegenstands will Julian jedoch seinen realen Verlust entscheiden lassen, so dass die Novationsstipulation nach der Regel: impossibilium nulla obligatio, wirkungslos und der erste Schuldner unbedingt verpflichtet ist. Untermauert wird diese Lösung von Julian durch den Vergleich zur acceptilatio: Hat der Gläubiger dem ersten Schuldner die Verpflichtung erlassen, kann der zweite noch wirksam verpflichtet werden. Auch bei der acceptilatio findet eine Fiktion statt, nämlich dass der Gläubiger die Leistung erhalten hat. Wäre dies wirklich der Fall, würde wiederum die Novationsstipulation wegen Unmöglichkeit der versprochenen Leistung wegfallen. So wenig diese Fiktion nun auf das Verhältnis zum Novationsschuldner durchschlagen kann, so wenig soll es die Fiktion der Fortexistenz des Leistungsgegenstands. In dieser Hinsicht sind Ausgangsund Vergleichsfall also nicht etwa unähnlich, sondern Ausprägung desselben Gedankens, nämlich dass eine Fiktion in einem Schuldverhältnis nicht auf eine Novation durchschlägt. Für Julian entscheidet die reale Existenz des Leistungsgegenstands,82 die die Wirksamkeit der Novationsstipulation im Vergleichsfall trägt und im Ausgangsfall durch ihr Fehlen die Anwendung der impossibilium-Regel zeitigt. Zur Veranschaulichung der Rechtsmängelhaftung bei der Leistung auf eine Stipulationsschuld an einen Dritten dient der Fallvergleich in (20) Iul 699 = D 46.3.33pr (52 dig): Qui sibi aut Titio fundum dari stipulatus est, quamvis fundus Titio datus fuerit, tamen, si postea evictus est, habet actionem, quemadmodum si hominem stipulatus esset et promissor statuliberum Titio dedisset isque ad libertatem pervenisset.

Hat sich jemand versprechen lassen, dass ihm oder Titius ein Grundstück geleistet wird, hat er auch dann, wenn Titius das Grundstück geleistet wurde, eine Klage, falls es später wieder entwehrt wird, und zwar ebenso wie in dem

80  So versteht Julians Entscheidung richtig Apathy, Animus novandi, Wien / New York 1975, S. 154. 81  Wird die Novation zwischen denselben Parteien vorgenommen, sind die Meinungen der Juristen in dieser Frage geteilt; vgl. Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, Berlin 2005, S. 74 ff. 82  Richtig Effer-Uhe, Die Wirkungen der condicio im römischen Recht, BadenBaden 2008, S. 51 f.

116 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian Fall, dass er sich einen Sklaven hat versprechen lassen und der Schuldner dem Titius einen bedingt Freigelassenen übereignet hat und dieser später frei wird.

Hat sich ein Stipulationsgläubiger die Leistung an sich oder einen Dritten als solutionis causa adiectus ausbedungen, löst ein Defizit der Leistung an den Dritten die Haftung nicht minder aus, als wenn die mangelhafte Leistung an den Gläubiger selbst erfolgt wäre. Für den Fall der Leistung einer fremden Sache demonstriert Julian dies an dem Vergleichsfall der Leistung eines statuliber: Hier ist schon im Zeitpunkt der Leistung ausgemacht, dass der Schuldner seiner Verpflichtung nicht in vollem Umfang nachgekommen ist; zugleich verhält es sich aber wie im Ausgangsfall auch so, dass der Rechtsmangel des Leistungsgegenstands erst nach dem Moment der Leistung akut wird und nicht unmittelbar den Gläubiger trifft. Ebenfalls mit einem Rechtsmangel, der aber einen Anspruch nach der kaufrechtlichen Gefahrverteilung auslöst, beschäftigt sich Julian in (21) Iul 477 = D 30.84.5 (33 dig): Qui servum testamento sibi legatum, ignorans eum sibi legatum, ab herede emit … quod si pretio soluto ex testamento agere instituerit, hominem consequi debebit, actione ex empto pretium reciperabit, quemadmodum reciperaret, si homo evictus fuisset. …

Wer einen Sklaven, der ihm in einem Testament vermacht war, in Unkenntnis dieser Verfügung von dem Erben gekauft hat … Hat er aber nach Zahlung des Kaufpreises die Testamentsklage angestellt, wird er den Sklaven erlangen; und mit der Kaufklage erhält er den Kaufpreis ebenso wie in dem Fall zurück, daß ihm der Sklave entwehrt wird. …

Julian behandelt einen Fall des concursus causarum, in dem eine causa lucrativa mit einem entgeltlichen Erwerbsgrund zusammentrifft: Kauft ein Vermächtnisnehmer in Unkenntnis der letztwilligen Verfügung vom Erben den ihm hinterlassenen Sklaven und bezahlt er den Kaufpreis, kann er ihn vom Verkäufer mit der Kaufklage zurückfordern. Für Julian ergibt sich dies aus einem Vergleich zu dem Fall, dass der gekaufte Sklave dem Käufer entwehrt worden ist. Zwar liegt bei einem Vermächtnis zugunsten des Käufers keine regelrechte Eviktion vor, so dass der Käufer keinen Anspruch auf Leistung des Interesses erwirbt. Auch bei der Entwehrung der Kaufsache gilt jedoch, dass, selbst wenn eine Eviktionshaftung ausdrücklich ausgeschlossen ist, der Käufer zumindest den Kaufpreis zurückverlangen kann.83 83  Dieser Gedanke steht auch hinter der Entscheidung in Iul 250 = D 19.1.11.18 Ulp 32 ed, bei der Julian dem Ausschluss der Eviktionshaftung insoweit die Wirkung nimmt, als der Käufer zumindest den Kaufpreis zurückfordern kann: … sed Iulianus libro quinto decimo digestorum scribit, etiamsi aperte venditor pronuntiet per se heredemque suum non fieri, quo minus habere liceat, posse defendi ex empto eum in hoc quidem non teneri, quod emptoris interest, verum tamen ut pretium reddat teneri. ibidem ait idem esse dicendum et si aperte in venditione comprehen-



I. Systemimmanente Rechtsfindung117

Der Verkäufer verstattet dem Käufer nämlich kein habere ex causa emptionis, das nach Julians Auffassung Teil der Leistungspflicht des Verkäufers ist und nicht erreicht wird, wenn die Kaufsache dem Käufer aus einem anderen Grund zusteht.84 An anderer Stelle zeigt Julian mit Hilfe des Gegenschlusses aus einem Vergleichsfall, dass eine in diem addictio ebenso wie der Kaufvertrag selbst an die Existenz der Kaufsache gebunden ist: (22) Iul 242 = D 18.4.2.2 Ulp 28 Sab Idem Iulianus eodem libro scribit, si ex duobus servis viginti venditis et in diem addictis alter decesserit, deinde unius nomine qui superest emptor extiterit, qui supra viginti promitteret, an discedatur a priore contractu? et ait dissimilem esse hanc speciem partus specie et ideo hic discedi a priore emptione et ad secundam perveniri.

Julian fragt auch in demselben Buch, ob von dem Kaufvertrag abgegangen werden könne, wenn von zwei Sklaven, die zu 20 unter dem Vorbehalt eines besseren Gebots verkauft sind, der eine stirbt und sich für den überlebenden ein Käufer findet, der mehr als 20 zahlt. Und er sagt, dieser Fall sei anders als der eines Sklavenkindes, und deshalb könne von dem ersten Kauf Abstand genommen und auf den zweiten übergegangen werden.

Julian entscheidet über die Reichweite einer in diem addictio durch Gegenschluss. Den Parallelfall, zu dem der Vergleich angestellt wird, schildert Ulpian im vorangegangenen Abschnitt des Fragments:85 Ist eine Sklavin unter dem Vorbehalt des besseren Gebots verkauft worden und vor diesem gestorben, stellt sich die Frage, ob dieses Gebot immer noch wirksam für das zwischenzeitlich geborene Kind der Sklavin abgegeben werden kann oder ob dieses unbedingt dem ersten Käufer zusteht. Julian ist für die zweite Lösung und lässt sich dabei unausgesprochen von der Begründung leiten, die Ulpian gibt, nämlich dass die in diem addictio nicht auf eine andere als die Kaufsache bezogen werden dürfe.86 Ebenso wie die Wirksamkeit des Vertrags selbst ist sie an die Existenz der Kaufsache geknüpft und scheitert bei ihrem Untergang daher an dem Satz: nec emptio nec venditio sine re quae veneat intellegi potest87. Diese Regel kann nicht eingreifen, wenn zwei datur nihil evictionis nomine praestatum iri: pretium quidem deberi re evicta, utilitatem non deberi: … . 84  Hierzu ausführlich Harke, Julian und die Rechtsmängelhaftung, OIR 11 (2006) 63, 76 ff. 85  D 18.4.2.1 Ulp 28 Sab: Idem Iulianus libro quinto decimo quaerit, si res in diem addicta interciderit vel ancilla decesserit, an partus vel fructus eius nomine adiectio admitti possit. et negat admittendam adiectionem, quia alterius rei quam eius quae distracta est non solet adiectio admitti. 86  Vgl. auch Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufrechts, Köln  /  Wien 1973, S. 34 f. 87  D 18.1.8.1 Pomp 9 Sab.

118 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Sklaven unter dem Vorbehalt des besseren Gebots verkauft sind und einer von ihnen vor dem zweiten Gebot gestorben ist. Julian hält diese Konstellation und den Fall des Sklavenkinds für dissimiles. Denn anders als dort ist beim Verkauf zweier Sklaven ja immer noch eine der Kaufsachen vorhanden. Die Konfusion eines durch locatio conductio begründeten Anspruchs ist Gegenstand des Fallvergleichs in (23) Iul 498 = D 7.1.25.5 Ulp 17 Sab: Idem Iulianus eodem libro scripsit: si servo fructuarius operas eius locaverit, nihil agit: nam et si ex re mea, inquit, a me stipulatus sit, nihil agit, non magis quam servus alienus bona fide mihi serviens idem agendo domino quicquam adquirit. simili modo, ait, ne quidem si rem meam a me fructuario conducat, me non obligabit. et regulariter definiit: quod quis ab alio stipulando mihi adquirit, id a me stipulando nihil agit: nisi forte, inquit, nominatim domino suo stipuletur a me vel conducat.

Julian schreibt auch in demselben Buch: Verdingt sich der Nießbraucher gegenüber dem Nießbrauchssklaven, sei dies unwirksam, weil, wie er sagt, auch dann, wenn er sich von mir aus meinem Vermögen versprechen lasse, das Versprechen ebenso wenig gültig sei wie in dem Fall, dass ein fremder Sklave, der von mir gutgläubig besessen wird, auf diese Weise etwas seinem Herrn erwerbe. Ebenso, sagt er, werde ich nicht verpflichtet, wenn er meine Sache von mir, dem Nießbraucher, mietet. Und er stellt die Regel auf: Was jemand, wenn er es sich versprechen lasse, für mich erwerbe, werde nicht wirksam erworben, wenn er es sich von mir versprechen lasse, sofern er, wie er sagt, sich nicht ausdrücklich für seinen Herrn von mir versprechen lasse oder miete.

Dass sich der Nießbraucher gegenüber dem Nießbrauchssklaven nicht wirksam zur Dienstleistung verdingen kann, folgt für Julian aus dem Vergleich zu einer Stipulation, die sich der Nießbrauchssklave von dem Nießbraucher geben lässt: Macht der Sklave hier nicht deutlich, dass er sich für seinen Eigentümer versprechen lässt, ist das Versprechen unwirksam; denn der Sklave erlangte auf diese Weise etwas ex re fructuarii, was er eben nicht dem Eigentümer, sondern dem Nießbraucher erwirbt,88 so dass dieser sein eigener Gläubiger wäre. Die Konfusion liegt im Fall der Stipulation klarer zutage als bei der Verdingung von Diensten, die dem Nießbrauchervermögen nicht als wirklicher Gegenstand, sondern nur als Potential zugeordnet sind. Von der Stipulation schließt Julian deshalb auf die Vermietung, die dem Ausgangsfall schon ähnlicher ist, aber ihm gegenüber immer noch den Vorteil hat, dass die Herkunft der Leistung aus dem Nießbrauchervermögen handgreiflicher ist als bei Dienstleistungen. Der Zuordnung einer Vereinbarung zum Tatbestand des mandatum dient der Fallvergleich in zwei Entscheidungen Julians: 88  Gai

3.164 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung119

(24) Iul 919 = D 17.1.32 (3 Urs Fer) Si hereditatem aliter aditurus non essem quam cautum fuisset damnum praestari et hoc mandatum intercessisset, fore mandati actionem existimo. si quis autem mandaverit alicui, ne legatum a se repellat, longe ei dissimile esse: nam legatum adquisitum numquam illi damno esse potuit: hereditas interdum damnosa est. …

Habe ich eine Erbschaft nur unter der Bedingung angetreten, dass mir Sicherheit geleistet und ein Auftrag erteilt werde, ist nach meiner Ansicht die Auftragsklage gegeben. Hat aber jemand einen anderen gebeten, ein Vermächtnis nicht auszuschlagen, ist dies völlig unähnlich. Denn das Vermächtnis kann ihm niemals zum Schaden gereichen, eine Erbschaft zuweilen schon. …

Julian begründet, warum die an einen Erben gerichtete Bitte zum Antritt einer zweifelhaften Erbschaft einen Anspruch des Erben aus Auftrag auslöst: Im Gegensatz zum Vermächtnis, dass dem Vermächtnisnehmer nicht nachteilig sein kann, sind mit der Erbschaft Verpflichtungen verbunden, so dass von vornherein erkennbar ist, dass ihre Annahme für den Erben nachteilhaft sein kann. Daher liegt anders als beim Rat zur Annahme eines Vermächtnisses kein bloßes mandatum tua gratia vor, aus dem wegen des ausschließlichen Eigeninteresses des Beratenen kein Anspruch gegen den Ratgeber erwächst89. Vielmehr handelt der Erbe zumindest auch im Interesse des anderen oder Dritter,90 so dass ein mandatum zustande gekommen und die Auftragsklage zuständig ist. (25) Afr 92 = D 17.1.34pr (8 quaest) Qui negotia Lucii Titii procurabat, is, cum a debitoribus eius pecuniam exegisset, epistulam ad eum emisit, qua significaret certam summam ex administratione apud se esse eamque creditam sibi se debiturum cum usuris semissibus: quaesitum est, an ex ea causa credita pecunia peti possit et an usurae peti possint. respondit non esse creditam: alioquin dicendum ex omni contractu nuda pactione pecuniam creditam fieri posse. nec huic simile esse, quod, si pecuniam apud te depositam convenerit ut creditam habeas, credita fiat, quia tunc nummi, qui mei erant, tui fiunt: item quod, si a debitore meo iussero te accipere pecuniam, credita fiat, id enim benigne receptum est. his argumentum esse eum, qui, cum mutuam pecuniam dare vellet, argentum vendendum dedisset, nihilo magis pecuniam creditam recte petiturum: et tamen pecuniam ex argento redactam periculo eius fore, qui accepisset argentum. et in proposito igitur dicendum actione mandati obligatum fore procuratorem, ut, quamvis ipsius periculo nummi fierent tamen usuras, de quibus convenerit, praestare debeat.

Derjenige, der die Geschäfte des Lucius Titius führte, stellte diesem, als er von dessen Schuldnern Geld eingezogen hatte, ein Schriftstück aus, in dem er zum Ausdruck brachte, dass er eine bestimmte Summe Geldes habe und dieses 89  Gai 3.155. 90  Vgl.

Watson, Contract of mandate in Roman law, Oxford 1961, S. 121.

120 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian als Darlehen mit einem halben Prozent Zins schulden wolle. Es ist gefragt worden, ob wegen dieser Sache das Geld als Darlehen und auch die Zinsen verlangt werden könnten. Er hat befunden, dass kein Darlehen vorliege. Sonst müsse man sagen, dass aus jedem Vertrag durch bloßen Pakt ein Darlehen entstehen könne. Und es bestehe keine Ähnlichkeit zu der Entscheidung, dass ein Darlehen zustande komme, wenn vereinbart worden sei, dass du in Verwahrung gegebenes Geld als Darlehen haben sollest; in diesem Fall erwirbst du nämlich Eigentum an Geld, das mir gehörte. Ebenso wenig sei die Entscheidung vergleichbar, dass ein Darlehen begründet ist, wenn ich dich angewiesen habe, Geld von meinem Schuldner zu nehmen: Diese Lösung ist nämlich aus Gründen der Zweckmäßigkeit anerkannt worden. Hierfür mache Beweis, dass wer Silber zum Verkauf gegeben hat, um einen Kredit zu gewähren, nicht aus Darlehen klagen könne; und gleichwohl trage die Gefahr für das Geld, das mit dem Verkauf des Silbers erlangt worden sei, dessen Empfänger. Auch im vorliegenden Fall sei demnach zu entscheiden, dass der Geschäftsführer aus Auftrag verpflichtet sei und dass er, obwohl er die Gefahr trage, dennoch die vereinbarten Zinsen zahlen müsse.

Julian wehrt sich dagegen, das Vereinbarungsdarlehen als mutuum anzuerkennen, weil es an einer Übereignung der Darlehensvaluta fehlt und das mutuum als Realvertrag nicht durch bloßes pactum zustande kommen könne.91 Um seine ablehnende Haltung zu begründen, geht Julian auf zwei Parallelfälle ein, die auf den ersten Blick für die Annahme eines mutuum auch in Form eines Vereinbarungsdarlehens sprechen, bei näherer Betrachtung aber keinen Ähnlichkeitsschluss erlauben, sondern vielmehr den Gegenschluss nahelegen: Ist Geld in Verwahrung gegeben, kann es durch bloße Vereinbarung zum Gegenstand eines mutuum gemacht werden; denn hier, so führt Afrikan Julians Gedanken aus, geht anders als im Ausgangsfall zugleich mit der Einigung über das mutuum das Eigentum an den hinterlegten Geldstücken über, die bislang dem Hinterleger gehören und nun durch brevi manu traditio ihren Eigentümer wechseln. Nicht vergleichbar ist auch das Anweisungsdarlehen, aus dessen Anerkennung Ulpian später auf die Zulässigkeit des Vereinbarungsdarlehens schließt92: Zwar kommt hier allerdings ein mutuum ohne Übereignung der Darlehensvaluta vom Darlehensgeber an den Darlehensnehmer zustande. Diese Ausnahme ist jedoch von dem hergebrachten und auch von Julian akzeptierten Grundsatz getragen, dass die Anweisung eines Schuldners der Zahlung gleichsteht.93 Da es an einer vergleichbaren Regel, die Afrikan ein benigne receptum nennt, für das Vereinbarungsdarlehen fehlt, kann dieses nicht als mutuum gelten. Es wäre im Übrigen auch gar nicht das richtige Institut, um die von den Parteien im Ausgangsfall angestrebte Verzinsung zu erreichen. Für sie genügt vielmehr 91  Vgl

Harke, Römisches Recht, Rn. 10.2 f. Ulp 31 ed. 93  Iul 841 = D 46.1.18 (90 dig), s. u. B.I.1.b)aa)(2) (16). 92  D 12.1.15



I. Systemimmanente Rechtsfindung121

das hier schon bestehende Auftragsverhältnis. Dass es auch ein Vereinbarungsdarlehen einschließen kann, erscheint Julian nur deshalb zweifelhaft, weil der Auftragnehmer gewöhnlich nicht die Gefahr trägt, dass eine Sache verloren geht, die er dem Auftraggeber abzuliefern hat, während er als Darlehensnehmer doch gerade das Risiko des zufälligen Untergangs der Darlehensvaluta tragen soll. Über dieses Problem, das Julian andernorts dazu bestimmt, die Annahme eines Auftrags abzulehnen,94 hilft ihm hier jedoch der Vergleichsfall hinweg, in dem jemand eine Sache einem anderen gibt, damit dieser sie verkauft und den Erlös als Darlehen behält. Obwohl er die Gefahr trägt, dass dieser Betrag untergeht, ist er nichtsdestoweniger als Auftragnehmer anzusehen, der die Rück- und Zinszahlung aus mandatum schuldet. Damit ist erwiesen, dass aus der mit dem Vereinbarungsdarlehen verbundenen Risikoverteilung nicht gefolgert werden kann, dass die forma mandati gesprengt ist.95 Dem Inhalt eines Auftrags gilt die Fallanlehnung in (26) Iul 230 = D 17.1.31 (14 dig): Si negotia mea mandavero gerenda ei, qui mihi actione in quadruplum tenebatur, post annum vero in simplum, etsi post annum cum eo mandati agam, praestare mihi quadruplum debebit: nam qui alterius negotia administranda suscipit, id praestare debet in sua persona, quod in aliorum.

Habe ich denjenigen mit der Besorgung meiner Geschäfte beauftragt, der mir mit einer Klage auf das Vierfache und nach Ablauf eines Jahres nur auf das Einfache haftete, muss er mir das Vierfache leisten, auch wenn ich erst nach Jahresfrist gegen ihn klage. Denn wer die Besorgung fremder Geschäfte übernimmt, muss in Ansehung seiner Person dasselbe leisten wie im Hinblick auf andere.

Wer die Besorgung fremder Geschäfte übernommen hat, muss auch von sich selbst rechtzeitig eine Schuld einziehen; und wenn sie sich durch Zeitablauf vom Vierfachen auf das Einfache reduziert, muss er seinem Auftraggeber aus der Auftragsklage auch das Vierfache leisten.96 Julian leitet dies aus einem Vergleich zur Verpflichtung eines Dritten her: Ist bei ihm selbstverständlich, dass der Auftragnehmer rechtzeitig die Forderung einziehen muss, so dass sie sich nicht reduziert, darf nichts anderes für einen gegen den Auftragnehmer selbst gerichteten Anspruch gelten, der der Pflicht zur Geschäftsbesorgung nicht minder unterfällt als die Forderungen, die der Geschäftsherr gegen Dritte hat. 94  Afr 93

= D 19.5.24 (8 quaest); s. u. B.I.1.b)aa)(2) (20). Harke, Das Vertragsrecht in Afrikans Quästionen, in: ders. (Hg.), Africani quaestiones, Berlin / Heidelberg 2011, S. 37, 48 f. 96  Eine entsprechende Entscheidung trifft Ulpian in D 3.5.5.14, 7pr (10 ed) für die Geschäftsführung ohne Auftrag. 95  Hierzu

122 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Die mangelnde Außenwirkung einer societas auf den Tatbestand der negotiorum gestio belegt Julian durch Fallvergleich in (27) Iul 42 = D 3.5.7.3 Ulp 10 ed: Iulianus libro tertio tractat, si ex duobus sociis alter me prohibuerit administrare, alter non: an adversus eum qui non prohibuit habebam negotiorum gestorum actionem? movetur eo, quod, si data fuerit adversus eum actio, necesse erit et eum pertingi qui vetuit: sed et illud esse iniquum eum qui non prohibuit alieno facto liberari, cum et si mutuam pecuniam alteri ex sociis prohibente socio dedissem, utique eum obligarem. et puto secundum Iulianum debere dici superesse contra eum qui non prohibuit negotiorum gestorum actionem, ita tamen ut is qui prohibuit ex nulla parte neque per socium neque per ipsum aliquid damni sentiat.

Julian behandelt im dritten Buch die Frage, ob, wenn einer von zwei Gesellschaftern mir die Geschäftsführung verboten hat, der andere aber nicht, ich die Geschäftsführungsklage gegen denjenigen habe, der die Geschäftsführung nicht untersagt hat. Er zieht in Erwägung, dass, wenn die Klage gegen diesen gewährt wird, zwangsläufig auch der andere hiervon betroffen wird, der die Geschäftsbesorgung verboten hat. Aber es sei auch unbillig, wenn derjenige, der die Geschäftsführung nicht untersagt hat, durch die Handlung eines anderen von einer Last befreit werde, da er auch verpflichtet würde, wenn ich ein Darlehen dem anderen Gesellschafter gegen seinen Widerstand gewährt hätte. Und ich glaube, man muss mit Julian annehmen, dass die Geschäftsführungsklage gegen denjenigen eingreift, der die Geschäftsbesorgung nicht verboten hat, freilich so, dass der andere, der sie untersagt hat, keinesfalls Schaden erleidet, weder durch seinen Gesellschafter noch unmittelbar.

Julian beschäftigt sich mit der Frage, ob es der Klage des auftragslosen Geschäftsführers auf Aufwendungsersatz entgegensteht, wenn das Geschäft die Angelegenheit einer Gesellschaft des Geschäftsherrn ist und der andere Gesellschafter die Geschäftsbesorgung durch den Geschäftsführer untersagt hat. Julian zweifelt, weil sich die Geschäftsführungsklage auf die Abrechnung unter den Gesellschaftern auswirkt und damit indirekt auch den Gesellschafter trifft, der die Geschäftsführung verboten hat. Da es ihm jedoch ungerecht erscheint, wenn der andere Gesellschafter, der die Geschäftsführung nicht untersagt hat, von dieser profitiert, ohne Aufwendungsersatz leisten zu müssen, lässt er die Klage zu, macht jedoch für die Abrechnung unter den Gesellschaftern den Vorbehalt, dass sie sich nicht zum Nachteil desjenigen auswirken darf, der die Geschäftsbesorgung untersagt hat.97 Getragen wird die Entscheidung vom Vergleich zu dem Fall, dass es zum Vertragsschluss zwischen dem Geschäftsführer und einem Gesellschafter 97  Justinian zitiert Julian in CJ 2.18.24 deshalb zu Recht als Vertreter der Ansicht, dass eine Geschäftsführung gegen den Widerstand des Geschäftsherrn keine Geschäftsführungsklage auslöst; andere Juristen wollen auch in diesem Fall zumindest eine actio utilis gewähren; vgl. D 17.1.40 Paul 9 ed und Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio im römischen Recht, Köln u. a. 1968, S. 87 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung123

kommt: Hätte der Geschäftsführer ihm ein Darlehen gewährt, stünde ihm ohne Weiteres auch dann die Klage auf Rückzahlung zu, wenn der andere Gesellschafter der Kreditaufnahme widersprochen hat. Als reines Innenrechtsverhältnis unter den Gesellschaftern98 berührt die societas nicht die Gültigkeit des Vertragsschlusses zwischen einem Gesellschafter und einem Dritten. Da die Geschäftsführung ohne Auftrag einem Vertragsverhältnis ähnlich ist, darf hier nichts anderes gelten; und die actio negotiorum gestorum kann ebenso gewährt werden wie eine Vertragsklage gegen den am Vertragsschluss beteiligten Gesellschafter. Um die Befreiung bei einer Leistung auf Anweisung kraft fortbestehenden iussum geht es in (28) Iul 213 = D 46.3.32 (13 dig): Si servus peculiari nomine crediderit eique debitor, cum ignoraret dominum mortuum esse, ante aditam hereditatem solverit, liberabitur. idem iuris erit et si manumisso servo debitor pecuniam solverit, cum ignoraret ei peculium concessum non esse. neque intererit, vivo an mortuo domino pecunia numerata sit: nam hoc quoque casu debitor liberatur, sicut is, qui iussus est a creditore pecuniam Titio solvere, quamvis creditor mortuus fuerit, nihilo minus recte Titio solvit, si modo ignoraverit creditorem mortuum esse.

Hat ein Sklave aus seinem Sondergut ein Darlehen gewährt und hat der Schuldner, da er nicht wusste, dass der Eigentümer des Sklaven gestorben war, an ihn noch vor Antritt der Erbschaft gezahlt, wird er befreit. Dasselbe gilt, wenn der Schuldner an den Sklaven nach seiner Freilassung gezahlt hat, da er nicht wusste, dass ihm das Sondergut nicht belassen worden war. Und es macht keinen Unterschied, ob das Geld zu Lebzeiten oder nach dem Tod des Eigentümers gezahlt worden ist. Denn der Schuldner wird in diesem Fall ebenso befreit wie derjenige, der von seinem Gläubiger zur Zahlung an Titius angewiesen worden ist und an diesen, obwohl der Gläubiger gestorben ist, nichtsdestoweniger wirksam zahlt, falls er von dem Tod seines Gläubigers keine Kenntnis hat.

Julian befindet über zwei verwandte Konstellationen der Befreiung durch Leistung auf ein Darlehen, das ein Sklave aus seinem Sondergut gewährt hat: Die Zahlung an den Sklaven soll den Schuldner auch dann befreien, wenn der Sklave keine Empfangszuständigkeit mehr hat, sofern der Schuldner von deren Wegfall bei der Leistung keine Kenntnis hatte. Dies gilt einmal, wenn der Eigentümer des Sklaven verstorben und noch keine Rechtsnachfolge durch Erbschaftsantritt eingetreten ist; der Sklave verbleibt hier in seiner Rechtsstellung, hat aber vorübergehend keinen Herrn mehr, an den erfüllt werden könnte. Es gilt ferner, wenn der Sklave unter Entzug seines Sonderguts freigelassen worden ist; unter diesen Umständen kann er 98  Nämlich als Geschäftsführungsverhältnis; vgl. Harke, Societas als Geschäftsführung und das klassische Obligationensystem, TR 73 (2005) 43 ff.

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zwar selbst das Eigentum an den Münzen erwerben, aber eben nicht für seinen Herrn, der wegen Einbehalt des Sonderguts nach wie vor Inhaber der Forderung gegen den Schuldner ist. Dass der Leistung hier wie dort gleichwohl befreiende Wirkung zukommt, leitet Julian aus dem Fall der Anweisung ab: Ist der Schuldner von seinem Gläubiger beauftragt worden, statt an ihn an Titius zu leisten, wirkt seine Zahlung an diesen auch dann befreiend, wenn der Gläubiger im Zeitpunkt der Leistung bereits verstorben ist, der Schuldner hiervon aber keine Kenntnis hat. Mit dem Tod des Gläubigers erlosch eigentlich das iussum zur Leistung an Titius; zugunsten des Schuldners gilt es jedoch als fortbestehend, bis er hiervon erfährt. In gleicher Weise soll die Zuständigkeit des Sklaven für den Einzug des Darlehens erhalten bleiben, so dass er das Eigentum an den Münzen im einen Fall für die hereditas iacens, im anderen für sich selbst und jeweils mit befreiender Wirkung für den Schuldner erwirbt. Die Übertragung der Lösung des Anweisungsfalls auf die Konstellationen der Leistung an den Sklaven ist deshalb gerechtfertigt, weil in der Einrichtung des Sonderguts für den Sklaven gewissermaßen eine Weisung an einen Schuldner liegt, der hieraus ein Darlehen empfangen hat, dieses an den Sklaven zurückzuzahlen. Diese Weisung wirkt wie andere Weisungen zugunsten des gutgläubigen Schuldners über das Ende des Gewaltverhältnisses hinaus, so dass sie auch die Befreiung durch Leistung an die ruhende Erbschaft und den mit seiner Freilassung rechtlich selbstständig gewordenen Sklaven trägt. Aus dem Themenkreis: Befreiung und Kondiktion, finden sich in Julians Werk drei weitere Fragmente, in denen der Fallvergleich zur Veranschau­ lichung einer angedeuteten Deduktion eingesetzt wird. Das bekannteste von ihnen gilt Julians Entscheidung zum Dissens über die causa traditionis: (29) Iul 222 = D 41.1.36 (13 dig) Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus, in causis vero dissentiamus, non animadverto, cur inefficax sit traditio, veluti si ego credam me ex testamento tibi obligatum esse, ut fundum tradam, tu existimes ex stipulatu tibi eum deberi. nam et si pecuniam numeratam tibi tradam donandi gratia, tu eam quasi creditam accipias, constat proprietatem ad te transire nec impedimento esse, quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus.

Sind wir uns über den Körper der Sache einig, die übergeben wird, dagegen uneins über den Rechtsgrund, so sehe ich nicht, dass die Übergabe unwirksam sein soll, wie zum Beispiel wenn ich glaube, dass ich dir aus Testament verpflichtet sei, ein Grundstück zu übereignen, und du glaubst, es sei aus Stipulation geschuldet. Denn auch wenn ich dir einen Geldbetrag zahle, um ihn zu schenken und du ihn als Darlehen empfängst, steht fest, dass das Eigentum auf dich übergeht und es kein Hindernis bedeutet, dass wir über den Rechtsgrund für Hingabe und Empfang uneins gewesen sind.

Julian begründet, warum die Übergabe einer Sache den Empfänger zuweilen auch dann zum Eigentümer macht, wenn die Parteien keine Einigung



I. Systemimmanente Rechtsfindung125

über den Rechtsgrund erzielt haben.99 Als Beispiel nennt er den Fall, dass der Veräußerer an eine Leistung auf ein Vermächtnis, der Erwerber an die Erfüllung einer Stipulation glaubt. Dass das Eigentum in dieser Konstellation trotz der Meinungsverschiedenheit über die causa traditionis auf den Erwerber wechselt, folgert er aus einem Vergleichsfall, dessen Entscheidung ihm unzweifelhaft erscheint:100 Hier leistet der Veräußerer, um zu schenken, während der Erwerber an ein Darlehen glaubt. Gemeinsam ist diesem Fall und der Ausgangskonstellation, dass jeweils ein Stufenverhältnis zwischen den Vorstellungen der Parteien besteht: Das Darlehen, durch das man Geld auf Zeit erhält, ist ein minus gegenüber der Schenkung, bei der man den Betrag für immer behalten darf. Die Leistung auf eine Stipulation ist ebenfalls ein minus gegenüber der Leistung auf eine Legatsschuld; denn man muss sie wieder zurückgewähren, wenn die zugrunde liegende Verpflichtung nicht existiert, während die Leistung auf eine in Wahrheit nicht bestehende Legatsschuld kondiktionsfest ist101. Liegt ein solches Stufenverhältnis vor, erscheint es Julian gerechtfertigt, ungeachtet des Dissenses der Parteien ihre Abrede in dem Umfang als gültig anzusehen, in dem ein Minimalkonsens auf der unteren Stufe erreicht ist:102 Ebenso wie die Absicht zur Schenkung das Einverständnis mit einem Darlehen einschließt, umfasst die Absicht zur Leistung auf eine Legatsschuld das Einverständnis zur Leistung auf eine Stipulation. Hier wie dort lässt sich also eine Einigung konstatieren, die den Eigentumsübergang trägt und jeweils dazu führt, dass die Leistung zurückgefordert werden kann, beim Darlehen mit Hilfe des vertraglichen Anspruchs auf Rückgewähr,103 bei der Leistung auf eine vermeintliche Schuld mit dem Anspruch auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Zuständig ist in beiden Fällen die condictio. Der Fallvergleich erleichtert die Rechtsfindung dadurch, dass er das in der Ausgangskonstellation vorhandene, aber schwerer erkennbare Stufenverhältnis in den Partei99  Zu diesem Text eingehend Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S.  104 ff. 100  Diese Entschiedenheit überrascht, sieht Ulpian die Sache später doch umgekehrt; vgl. D 12.1.18pr (7 disp): Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu quasi mutuam accipias, iulianus scribit donationem non esse: sed an mutua sit, videndum. et puto nec mutuam esse magisque nummos accipientis non fieri, cum alia opinione acceperit. … 101  Gai 2.283, IJ 3.27.7. 102  Dementsprechend tritt Julian hier auch nicht für eine abstrakte Wirkung der traditio ein, sondern leitet den Eigentumserwerb aus einer Vereinbarung ab. 103  Anders löst den Fall Ulpian, der dem Empfänger nur die Rückforderung mit der condictio eröffnet, diese aber versagt, weil sich der Veräußerer mit seiner früheren Absicht zur Schenkung in Widerspruch setzt; vgl. D 12.1.18pr (7 disp): … quare si eos consumpserit, licet condictione teneatur, tamen doli exceptione uti poterit, quia secundum voluntatem dantis nummi sunt consumpti.

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vorstellungen als Voraussetzung für die Feststellung eines consensus anschaulicher macht. Die Kondiktion bei der Leistung auf eine Gattungsschuld betrifft (30) Iul 162 = D 12.6.32.3 (10 dig): Qui hominem generaliter promisit, similis est ei, qui hominem aut decem debet: et ideo si, cum existimaret se Stichum promisisse, eum dederit, condicet, alium autem quemlibet dando liberari poterit.

Wer einen Sklaven der Gattung nach versprochen hat, ist demjenigen ähnlich, der einen Sklaven oder zehn schuldet. Und daher kann er, wenn er glaubte, den Stichus versprochen zu haben, und diesen geleistet hat, ihn kondizieren, sich aber durch die Übereignung eines beliebigen anderen Sklaven befreien.

Julian will das Kondiktionsrecht desjenigen begründen, der sich bei der Leistung als Schuldner einer Speziesschuld wähnte, während er in Wahrheit aus der Gattung schuldete. Dass er den übereigneten Sklaven, in dem er irrtümlich den einzigen Leistungsgegenstand erkannte, zurückfordern und sich durch Übereignung eines beliebigen anderen Sklaven befreien kann, folgt für Julian aus dem Vergleich zur Wahlschuld: Kann auch hier ein Schuldner, der sein Wahlrecht verkannt und deshalb gar nicht ausgeübt hat,104 noch die schon erbrachte Leistung zurückfordern und die andere erbringen,105 darf bei der missverstandenen Gattungsschuld nichts anderes gelten. Andernfalls verbliebe dem Gläubiger ein Gegenstand, der mangels der auch bei der Gattungsschuld erforderlichen Auswahl durch den Schuldner gar nicht zur Erfüllung taugt und daher rechtsgrundlos geleistet ist. Um den Ausschluss der Kondiktion wegen wissentlicher Leistung auf eine Nichtschuld geht es in (31) Iul 728 = D 46.7.14 (55 dig): Si ex duobus [fideiussoribus] , qui iudicatum solvi spoponderant, alter ob rem non defensam partem suam solverit, nihilo minus res defendi poterit. nec tamen is, qui solverit, repetet: stipulatio enim pro parte eius perempta est, perinde ac si acceptum ei factum fuisset. (1) Quotiens ex stipulatione iudicatum solvi ob rem non defensam agitur cum [fideiussoribus] 104  Richtig Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht, Münster / Köln 1952, S. 26. 105  Nur scheinbar anders sieht dies Celsus, der einem Erben nach der Leistung auf ein verkanntes Wahlvermächtnis die Kondiktion verweigert; vgl. D 31.19 (18 dig): … tamquam si damnatus heres alterutrum dare Stichum dederit, cum ignoret sibi permissum vel Pamphilum dare, nihil repetere possit. Die Rückforderung der Leistung auf ein Damnationslegat scheitert, wie Schwarz (Fn. 104), S. 27 Fn. 26 richtig bemerkt, schon ohne Rücksicht auf das Wahlrecht des Schuldners an dem generellen Rückforderungsverbot für Legatsleistungen; vgl. Gai 2.283, IJ 3.27.7. Zum vermeintlichen Meinungsstreit der beiden Hochklassiker äußert sich auch Ziliotto, Studi sulle obligazioni alternative nel diritto romano, Mailand 2004, S. 33 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung127 , non est iniquum caveri dominum priore iudicio absolvi, quia omissa cautione [fideiussores] mandati iudicio non consequentur aut certe cogantur dominum priore iudicio defendere.



Hat einer von zwei Bürgen, die versprochen haben, dass die Urteilsschuld erfüllt werde, ohne Verteidigung in der Sache seinen Teil gezahlt, kann die Sache nichtsdestoweniger verteidigt werden. Und derjenige, der gezahlt hat, kann nichts zurückfordern. Das Versprechen ist nämlich für seinen Teil ebenso erloschen, als wenn ihm die Verpflichtung förmlich erlassen worden wäre. (1) Immer wenn aus einem Versprechen, dass die Urteilsschuld erfüllt wird, mangels Verteidigung in der Sache gegen die Bürgen geklagt wird, ist es nicht ungerecht, wenn ihnen Sicherheit dafür geleistet wird, dass der Beklagte in dem ersten Prozess freigesprochen wird, weil nämlich die Bürgen, wenn sie diese Sicherheit nicht haben, auch nicht mit der Auftragsklage vorgehen können und zumindest gezwungen werden, den Beklagten im ersten Prozess zu verteidigen.

Ein sponsor, der die cautio iudicatum solvi geleistet hat, muss den Beklagten notfalls verteidigen. Unterlässt er es und erfüllt sofort unbedingt die potentielle Urteilsschuld, kann er gegen den Beklagten keinen Rückgriff nehmen. Hat er sich keine Sicherheit dafür geben lassen, dass der Beklagte doch noch erfolgreich verteidigt wird, kann er seine Leistung auch nicht vom Kläger zurückfordern. Denn die Verpflichtung zur Leistung einer nicht existierenden Urteilsschuld war von vornherein ebenso inexistent, als wenn sie durch acceptilatio erlassen worden wäre; und nicht anders als im Fall des förmlichen Erlasses war der Mangel der Verpflichtung dem Bürgen, der ja ohne Versuch der Verteidigung des Hauptschuldners gezahlt hat, auch bekannt. Seine Rückforderung scheitert daher an der Regel, dass die wissentliche Erfüllung einer Nichtschuld nicht zur Kondiktion berechtigt. In einem Fragment dient Julian der Inhalt eines Kondiktionsanspruchs zur Bestimmung einer mortis causa capio bei der Schenkung von Todes wegen: (32) Iul 748 = D 39.6.18.1 (60 dig) Si donaturus mihi mortis causa debitorem tuum creditori meo delegaveris, omnimodo capere videbor tantam pecuniam, quanta a creditore meo liberatus fuero. quod si ab eodem ego stipulatus fuero, eatenus capere existimandus ero, quatenus debitor solvendo fuerit: nam et si convaluisset creditor idemque donator, condictione aut in factum actione debitoris obligationem dumtaxat reciperet.

Hast du, um mir von Todes wegen zu schenken, deinen Schuldner angewiesen, sich meinem Gläubiger zu verpflichten, bin ich jedenfalls so anzusehen, als hätte ich soviel Geld erworben, um wie viel ich von meinem Gläubiger frei geworden bin. Habe ich mir aber von dem Schuldner versprechen lassen, habe ich nur insoweit erworben, als der Schuldner zahlungsfähig ist. Denn auch wenn sein Gläubiger, der Schenker, wieder genesen wäre, hätte er mit der Kondiktion oder einer auf den Sachverhalt zugeschnittenen Klage lediglich die Verpflichtung des Schuldners zurückerlangt.

128 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Julian fragt nach dem Umfang einer mortis causa capio, wenn eine Schenkung auf den Todesfall durch Anweisung eines Schuldners des Schenkers erfolgte: Hat dieser den Beschenkten durch sein Versprechen gegenüber dessen Gläubiger ganz oder teilweise von seiner Schuld befreit, liegt in deren Höhe auch ein Erwerb von Todes wegen vor. Hat er sich dagegen dem Beschenkten direkt verpflichtet, ist es zu einer mortis causa capio nur insoweit gekommen, als der Schuldner auch solvent ist. Dass das Versprechen des Schuldners nur mit dem Wert angesetzt werden darf, zu dem es auch erfüllt werden kann, zeigt Julian an den Konsequenzen, die eine Erholung des Schenkers gehabt hätte: In diesem Fall hätte er nicht etwa den versprochenen Geldbetrag, sondern nur die Wiederherstellung der Forderung gegen Schuldner verlangen können.106 Ist sie der Gegenstand einer möglichen Kondiktion, kann der Beschenkte auch bei der Feststellung der mortis causa capio nicht als um einen höheren Betrag bereichert gelten. An anderer Stelle verwendet Julian die Fallvergleichung zur Erläuterung, warum der Eigentümer eines Sklaven dazu befugt ist, einen Abzug von dessen peculium zu machen, weil es mit einer entsprechenden Naturalobligation belastet ist: (33) Iul 195 = D 15.1.9.5 Ulp 29 ed: Sed et creditor servi, qui heres exstitit domino eius, deducit de peculio quod sibi debetur, si conveniatur, sive libertatem servus acceperit sive non, idemque et si legatus sit pure servus: nam quasi praevenerit et ipse secum egerit, sic deducet quod sibi debetur, licet nullo momento dominium in manumisso vel legato pure habuerit. et ita Iulianus libro duodecimo scribit. certe si sub condicione servus libertatem acceperit, minus dubitanter Iulianus eodem loco scribit heredem deducere: dominus enim factus est. ad defensionem sententiae suae Iulianus etiam illud adfert, quod, si ei, qui post mortem servi vel filii intra annum potuit conveniri de peculio, heres exstitero, procul dubio deducam quod mihi debetur.

Aber auch der Gläubiger des Sklaven, der Erbe seines Eigentümers geworden ist, zieht, wenn er in Anspruch genommen wird, vom Sondergut ab, was ihm geschuldet wird, und zwar unabhängig davon, ob der Sklave die Freiheit erlangt oder nicht. Dasselbe gilt, wenn der Sklave unbedingt vermacht ist. Denn

106  In der Parallelüberlieferung der Entscheidung bei Gaius bleibt die zuständige Klage unbenannt; vgl. D 39.6.31.3 (8 ed prov): Si iusseris mortis causa debitorem tuum mihi aut creditori meo expromittere decem, quid iuris esset quaeritur, si iste debitor solvendo non sit. et ait iulianus, si ego stipulatus fuerim, tantam pecuniam videri me cepisse, in quantum debitor solvendo fuisset: nam et si convaluisset, inquit, donator, obligationem dumtaxat debitoris recipere deberet. si vero creditor meus stipulatus fuerit, tantam videri me pecuniam accepisse, in quantum a creditore meo liberatus essem. Hieraus braucht man freilich nicht den Schluss zu ziehen, die Erwähnung der actio in factum in D 39.6.18.1 sei das Werk späterer Bearbeitung.



I. Systemimmanente Rechtsfindung129 er zieht, was ihm geschuldet ist, so ab, als sei er den anderen Gläubigern zuvorgekommen und habe gegen sich selbst geklagt, obwohl er in keinem Moment das Eigentum an dem freigelassenen oder vermachten Sklaven hatte. Und so schreibt Julian im zwölften Buch. Hat er freilich die Freiheit unter einer Bedingung erlangt, dürfe der Erbe, wie Julian am selben Ort schreibt, zweifellos seine Schuld abziehen. Er ist nämlich rechtlich selbständig geworden. Zur Verteidigung seiner Entscheidung führt Julian auch an, dass ich ohne Zweifel abziehen kann, was mir geschuldet wird, wenn ich Erbe desjenigen geworden bin, der nach dem Tod des Sklaven oder Sohnes ein Jahr lang wegen des Sonderguts in Anspruch genommen werden konnte.

Julian rechtfertigt, warum ein Gläubiger, dem die Klage wegen des Sonderguts gegen einen Sklaveneigentümer zusteht, nach dessen Beerbung auch dann seinen Anspruch von dem Sondergut in Abzug bringen darf, wenn der Sklave einem anderen vermacht oder freigelassen ist. Zweifelsfrei erscheint ihm die Lösung des Falles, in dem der Sklave nur bedingt vermacht oder freigelassen ist und sich deshalb vorübergehend im Eigentum des Erben befand. Schwieriger fällt die Entscheidung, wenn der Sklave unbedingt durch Vindikationslegat vermacht ist, weil er sich dann zu keinem Zeitpunkt im Eigentum des Gläubigers befand. Ulpian meint, der Gläubiger sei hier gleichwohl so anzusehen, als habe er seinen Anspruch gegen sich selbst geltend gemacht. Auf alle Fälle passt die Erwägung Julians, der Erbe sei jedenfalls dann abzugsberechtigt, wenn er den Eigen­ tümer des Sklaven erst mehr als ein Jahr nach dessen Tod beerbt habe. Dann ist eine Klage gegen Eigentümer und damit auch für den Gläubiger, der sein Erbe wird, nicht mehr möglich. Kann er hier trotz fehlenden Klagerechts gleichwohl noch seine Forderung von dem Sondergut in Abzug bringen, darf nichts anderes gelten, wenn er den Eigentümer noch im Moment seines Todes hätte belangen können. Die Entscheidung folgt aus der Existenz der natürlichen Verbindlichkeit, die Julian mit Hilfe eines ErstRecht-Schlusses herausstellt. Um die Verneinung einer Naturalobligation mangels Ausstattung eines Vikarsklaven mit einem peculium geht es in (34) Afr 89 = D 15.1.38.2 (8 quaest): Stichus habet in peculio Pamphilum qui est decem, idem Pamphilus debet domino quinque. si agatur de peculio Stichi nomine, placebat aestimari debere pretium Pamphili et quidem totum non deducto eo, quod domino Pamphilus debet: neminem enim posse intellegi ipsum in suo peculio esse: hoc ergo casu damnum dominum passurum, ut pateretur, si cuilibet alii servorum suorum peculium non habenti credidisset. idque ita se habere evidentius appariturum ait, si Sticho peculium legatum esse proponatur: qui certe si ex testamento agat, cogendus non est eius, quod vicarius suus debet, aliter quam ex peculio ipsius deductionem pati: alioquin futurum, ut, si tantundem vicarius domino debeat, ipse nihil in peculio habere intellegatur, quod certe est absurdum.

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Stichus hat im Sondervermögen den Pamphilus, der zehn wert ist; eben dieser Pamphilus schuldet dem Eigentümer fünf. Werde wegen Stichus mit der Klage wegen des Sonderguts vorgegangen, müsse, so meint er, der Wert des Pamphilus geschätzt werden, und zwar der gesamte, ohne Abzug dessen, was Pamphilus dem Eigentümer schuldet. Denn niemand könne als Gegenstand seines eigenen Sondervermögens angesehen werden. Die Einbuße trage also in diesem Fall der Eigentümer, und zwar so, wie er sie tragen würde, wenn er irgendeinem anderen seiner Sklaven, der kein Sondervermögen hat, Kredit gewährt hätte. Und dass sich dies so verhalte, werde besonders deutlich, wie er sagt, wenn man annehme, Stichus werde sein Sondervermögen vermacht. Klagt er aus dem Testament, darf er sicher nicht gezwungen werden, einen Abzug dessen, was sein Vikarsklave schuldet, in anderer Weise als von dessen Sondervermögen hinzunehmen. Andernfalls käme es dazu, dass, wenn der Vikarsklave dem Eigentümer gerade so viel schulde, er selbst so angesehen würde, als hätte er nichts im Sondervermögen, was zweifellos widersinnig ist.

Zur Erläuterung seiner Entscheidung, dass natürliche Verbindlichkeiten, die ein Vikarsklave gegenüber seinem Eigentümer hat, nicht bei der Berechnung des Wertes berücksichtigt werden, die das Sondergut des Ordinarsklaven hat, verweist Julian hier zunächst auf den Fall, dass der Eigentümer ein Darlehen einem Sklaven gegeben hat, der überhaupt kein Sondergut hat; dann folgt die Konstellation, dass dem Ordinarsklaven sein Sondergut vermacht ist. Dass es in diesem Fall wertlos wäre, wenn die Schulden des Vikarsklaven dessen Wert erreichen, erscheint zumindest Afrikan als absurd.107 Julian hält es jedenfalls für offensichtlich, dass sich ein Sklave nicht gewissermaßen selbst entwerten kann und schließt von dem Vermächtnis des Sonderguts an den freigelassenen Ordinarsklaven darauf, dass auch, wenn es um die Haftung des Eigentümers gegenüber Dritten geht, kein Abzug für die natürlichen Schulden des Vikarsklaven zu machen ist. Getragen ist dieses Ergebnis aber von der durch den ersten Vergleichsfall angedeuteten Feststellung, dass dem Vikarsklaven selbst kein Sondergut zusteht und daher auch kein Abzug einer Naturalobligation gegenüber dem Eigentümer in Betracht kommt. Um die Haftung aus einem Verwahrungsvertrag mit der actio de peculio geht es in (35) Afr 89 = D 15.1.38pr (8 quaest): Deposui apud filium familias decem et ago depositi de peculio. quamvis nihil patri filius debeat et haec decem teneat, nihilo magis tamen patrem damnandum existimavit, si nullum praeterea peculium sit: hanc enim pecuniam, cum mea maneat, non esse peculii. denique quolibet alio agente de peculio minime dubitandum ait computari non oportere. itaque ad exhibendum agere me et exhibitam vindicare debere. 107  Vgl. Platschek, Nemo ipse in suo peculio intellegig potest, in: Harke (Hg.), Africani quaestiones, Berlin / Heidelberg 2011, S. 79, 87 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung131



Ich habe bei einem Haussohn zehn hinterlegt und klage aus Verwahrung mit der Klage wegen des Sonderguts. Obwohl der Sohn dem Vater nichts schulde und diese zehn noch habe, dürfe der Vater, wie er glaubt, gleichwohl nicht verurteilt werden, wenn außerdem kein Sondergut vorhanden sei. Dieses Geld gehöre nämlich, da es mein eigenes geblieben sei, nicht zum Sondergut. Klagt irgendein anderer wegen des Sonderguts, sei, wie er sagt, keineswegs zu bezweifeln, dass dieses Geld nicht dazugerechnet werde. Daher müsse ich auf Vorlegung klagen und nach der Vorlegung die Eigentumsherausgabeklage erheben.

Julian spricht einem Hinterleger die Befugnis zur actio de peculio ab, wenn der Haussohn, der einen Betrag in Verwahrung genommen hat, über kein Sondergut, sondern lediglich über die hinterlegte Summe verfügt. Denn sie gehört, da die Verwahrung keinen Eigentümerwechsel bewirkt, gerade nicht zum Vermögen des Familienvaters und damit auch nicht zum Sondergut des Sohnes, bei dem sie selbst dann außer Betracht bliebe, wenn sein Vater von einem Dritten mit der actio de peculio belangt würde. Da der Vater, dessen Sohn den Betrag in seiner tatsächlichen Gewalt hat, aber deshalb in eigener Person zur Vorlegung verpflichtet ist,108 kann der Verwahrer die actio ad exhibendum sowie nach Vorlegung die Eigentumsherausgabeklage erheben. Eine Regel über die Aktivlegitimation zur actio furti betrifft der Fallvergleich in (36) Iul 348 = D 13.1.14pr (22 dig): Si servus furtivus sub condicione legatus fuerit, pendente ea heres condictionem habebit et, si lite contestata condicio exstiterit, absolutio sequi debebit, perinde ac si idem servus sub condicione liber esse iussus fuisset et lite contestata condicio exstitisset: nam nec petitoris iam interest hominem recipere et res sine dolo malo furis eius esse desiit. quod si pendente condicione iudicaretur, iudex aestimare debebit, quanti emptorem invenerit.

Ist ein gestohlener Sklave unter einer Bedingung vermacht, hat der Erbe, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe ist, die Kondiktion und der Dieb muss, wenn sie vor der Streitbefestigung eintritt, ebenso freigesprochen werden, wie wenn der Sklave unter einer Bedingung freigelassen worden und vor der Streitbefestigung die Bedingung eingetreten wäre. Denn der Kläger hat kein Interesse mehr daran, den Sklaven zurückzuerhalten, und er hat ohne Arglist des Diebs aufgehört, ihm zu gehören. Wird aber in der Schwebezeit das Urteil gefällt, muss der Richter schätzen, zu welchem Preis der Sklave einen Käufer gefunden hätte.

Julian erklärt, warum der Eintritt einer Bedingung, unter der ein gestohlener Sklave vermacht ist, dazu führt, dass die Aktivlegitimation des Erben 108  Um zur actio ad exhibendum passivlegitimiert zu sein, bedarf keines besonderen Besitzwillens; vgl. Marrone, Actio ad exhibendum, Annali Palermo 26 (1957) 177, 323 ff.

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zur Diebstahlsklage wegfällt: Tritt die Bedingung ein, verliert zum einen der Erbe das Interesse daran, dass der Sklave nicht gestohlen worden wäre; zum anderen hat der Dieb diesen Interessewegfall nicht arglistig bewirkt. Beides wird deutlicher am Vergleichsfall, in dem der gestohlene Sklave unter einer Bedingung freigelassen ist. Hier ist der Verlust der Aktivlegitimation deshalb evident, weil der Sklave überhaupt niemandem, also auch keinem Vermächtnisnehmer, mehr zusteht, so dass es überhaupt kein Interesse mehr gibt, das die Grundlage für actio furti bieten könnte.109 Um den Fortbestand der Passivlegitimation geht es dagegen in Julians Entscheidung zur Noxalhaftung eines Eigentümers, der seinen Besitz an einem deliktischen Sklaven aufgegeben hat: (37) Iul 351 = D 9.4.16 (22 dig): Si heres dolo malo fecerit, ne statuliberum in potestate haberet, et propter hoc iudicium sine noxae deditione acceperit: et impleta condicione statutae libertatis condemnari debebit, sicuti mortuo servo condemnaretur.

Hat ein Erbe arglistig bewirkt, dass sich ein Sklave, der unter einer Bedingung freigelassen ist, nicht mehr in seiner Gewalt befindet, und sich deshalb auf die Klage ohne Auslieferung eingelassen, ohne dass die Möglichkeit zur Auslieferung des Sklaven bestünde, so ist er nach Eintritt der Bedingung für die gewährte Freiheit ebenso zu verurteilen, wie er beim Tod des Sklaven zu verurteilen wäre.

Arglistig hat der Eigentümer eines Sklaven, der ein Delikt begangen hat, bewirkt, dass sich der Sklave nicht mehr in seiner Gewalt befindet, sondern unter einer Bedingung freigelassen ist. Dementsprechend hat er sich auf die Klage des Opfers in der Weise eingelassen, dass er den Sklaven nicht mehr ausliefern kann. Scheidet der Sklave wegen Eintritts der Bedingung später endgültig aus seinem Vermögen aus, müsste dies eigentlich zu einer Abweisung der Klage oder ihrer Überleitung auf den Freigelassenen110 führen, weil die Haftung auf den Sklaven übergegangen ist. Wegen seiner Arglist soll der Gewalthaber jedoch verurteilt werden. Julian leitet dies aus dem Vergleich zu dem Fall her, dass der Sklave gestorben ist. Auch hier erlischt die Verpflichtung des Gewalthabers eigentlich mit dem Tod des Sklaven, bleibt aber ausnahmsweise erhalten, wenn er ihn arglistig herbeigeführt hat. Im Vergleichsfall ist diese Rechtsfolge leichter einzusehen, weil es anders als in der Ausgangskonstellation nach dem Tod des Sklaven kein weiteres Haftungssubjekt gibt, das im Fall der arglistigen Freilassung gerade in Gestalt des gewaltfrei gewordenen Sklaven besteht. Für die Haftung des ehemaligen Eigentümers darf dies jedoch keinen Unterschied machen. Er wird 109  Von einer bloßen „Ersetzung eines Tatbestandselements“ kann also entgegen Bund, Methode Julians, S. 116 keine Rede sein. 110  So Gaius in vorangehendem Fragment D 9.4.15 (6 ed prov).



I. Systemimmanente Rechtsfindung133

nach der Regel für alle Beklagten, die sich der Passivlegitimation arglistig begeben haben, so behandelt, als sei sie noch gegeben. Um die Reichweite des Noxalregimes bei natürlichen Verbindlichkeiten geht es in Julians Entscheidung zur Haftung eines Ordinarsklaven für eine naturalis obligatio seines Vikarsklaven gegenüber dem Eigentümer der beiden. Julian zieht hier einen Gegenschluss aus dem Noxalregime, um die mangelnde Verpflichtung des Ordinarsklaven darzutun: (38) Afr 51 = D 33.8.16 (5 quaest) Stichus habet in peculio Pamphilum: hunc dominus noxali iudicio defendit et damnatus litis aestimationem solvit: deinde Stichum testamento manumisit eique peculium legavit: quaesitum est, an quod Pamphili nomine praestitum sit, ex peculio vel ipsius Pamphili vel Stichi deducendum sit. respondit Pamphili quidem de peculio utique deducendum, quantacumque ea summa esset, id est etiam si eum noxae dedere expedisset: quidquid enim pro capite servi praestitum sit, in eo debitorem eum domini constitui. quod si Pamphili peculium non sufficiat, tunc ex peculio Stichi non ultra pretium pamphili deduci debere. (1) Quaesitum est, si ex alia qua causa Pamphilus pecuniam domino debuisset nec ea ex peculio eius servari posset, an usque ad pretium eius ex peculio stichi possit deducere. negavit: neque enim simile id superiori esse. ibi enim propterea pretium vicarii deducendum, quod eo nomine ipse Stichus ob defensionem vicarii sui domino debitor constituatur, at in proposito quia Stichus nihil debeat, ex eius peculio nihil esse deducendum, sed ex Pamphili dumtaxat, qui certe ipse in suo peculio esse intellegi non potest.

Stichus hat in seinem Sondergut den Pamphilus. Der Eigentümer hat diesen in einem Prozess wegen unerlaubter Handlung verteidigt und, nachdem er verurteilt worden ist, den Schätzwert gezahlt. Hierauf hat er Stichus im Testament freigelassen und ihm sein Sondervermögen vermacht. Es ist gefragt worden, ob das, was für Pamphilus geleistet worden sei, aus dem Sondergut entweder des Pamphilus selbst oder des Stichus abgezogen werden müsse. Er hat befunden, es müsse jedenfalls vom Sondergut des Pamphilus abgezogen werden, wie hoch auch immer die Summe gewesen sei, das heißt, selbst wenn es sich gelohnt hätte, ihn zur Vergeltung auszuliefern. Denn was auch immer für das Haupt des Sklaven geleistet worden sei, dafür werde er Schuldner des Eigentümers. Wenn aber das Sondervermögen des Pamphilus nicht ausreiche, dann müsse ein Abzug vom Sondergut des Stichus vorgenommen werden, aber nicht über den Wert des Pamphilus hinaus. (1) Es wurde gefragt, ob er, wenn Pamphilus dem Eigentümer aus irgendeinem anderen Grund Geld schulde und dieses nicht aus seinem Sondergut erlangt werden könne, es bis zu dessen Wert vom Sondergut des Stichus abziehen könne. Er hat es verneint; denn dies sei dem obigen Fall nicht ähnlich. Dort nämlich müsse deshalb der Wert des Vikarsklaven abgezogen werden, weil dafür Stichus selbst wegen der Verteidigung seines Vikarsklaven zum Schuldner des Eigentümers werde; doch im vorliegenden Fall dürfe, weil Stichus nichts schulde, aus seinem Sondergut kein Abzug vorgenommen werden, sondern nur aus dem des Pamphilus, der zweifellos nicht als Gegenstand seines eigenen Sondervermögens betrachtet werden kann.

134 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Julian befasst sich mit dem Umfang des Sonderguts eines freigelassenen Sklaven, der über einen Vikarsklaven verfügt. Julian vergleicht den Fall, dass der ehemalige Eigentümer für den Vikarsklaven eine Noxalschuld erfüllt hat, mit demjenigen, dass ihm der Vikarsklave aus einer anderen Naturalobligation schuldet. Im ersten Fall kann der frühere Eigentümer die Aufwendungen, die er in Erfüllung der Noxalschuld gemacht hat, von dem Sondergut des ehemaligen Ordinarsklaven abziehen, allerdings nur bis zur Höhe des Wertes des Vikarsklaven, weil er diesen ja auch dem Geschädigten hätte ausliefern können und den überschießenden Betrag daher gewissermaßen aus freien Stücken entrichtet hat. Im zweiten Fall kann der frühere Eigentümer keinen Abzug von dem Sondergut des Ordinarsklaven machen und nur auf das Sondergut des Vikarsklaven zurückgreifen. Denn hier trifft die Naturalobligation gegenüber dem Eigentümer allein den Vikarsklaven und nicht auch den Ordinarsklaven. Im Fall der Noxalhaftung muss dieser nur deshalb bis zum Wert des Vikarsklaven einstehen, weil er im Verhältnis zum ehemaligen dominus wie der Eigentümer des Vikarsklaven angesehen wird.111 Dieses besondere Verhältnis besteht bei sonstigen Schulden nicht, so dass diese auch nicht ebenso wie die Noxalhaftung unter rechtlich Selbständigen behandelt werden dürfen.112 Die Ersitzung ist in der Gruppe der zur Deduktion eingesetzten Induk­ tionsschlüsse mit vier Entscheidungen vertreten, in denen Julian die Verwirklichung oder den Ausfall des Tatbestands der usucapio durch Fallvergleich belegt: (39) Iul 618 = D 41.4.7.2 (44 dig) Servus meus Titio mandavit, ut fundum ei emeret, eique manumisso Titius possessionem tradidit: quaesitum est, an [longa possessione] caperet. respondit, si servus meus mandaverit Titio, ut fundum emeret, et manumisso ei Titius fundum tradiderit, cum putaret peculium ei concessum esse vel etiam cum ignoraret peculium concessum non esse, nihilo minus servum [diutina possessione] capere, quia aut scit servus peculium sibi concessum non esse aut scire debet et per hoc similis est ei, qui se creditorem esse simulat. quod si scierit Titius peculium manumisso concessum non esse, donare potius quam indebitum fundum solvere intellegendus est.

Mein Sklave hat Titius beauftragt, ein Grundstück für ihn zu kaufen, und Titius hat ihm nach seiner Freilassung den Besitz übertragen. Es ist gefragt worden, ob der Sklave das Grundstück ersitze. Er hat geantwortet, dass, wenn mein Sklave den Titius zum Grundstückskauf beauftragt hat und dieser ihm das Grundstück nach seiner Freilassung übergeben hat, indem er glaubte, ihm 111  Vgl.

Platschek (Fn. 107), S. 84 f. Schlusssatz, demzufolge der Vikarsklave nicht als Gegenstand seines eigenen Sonderguts angesehen werden dürfe, stammt von Afrikan; vgl. Platschek (Fn. 107), S. 85. 112  Der



I. Systemimmanente Rechtsfindung135 sei sein Sondergut überlassen worden, oder auch nur nicht wusste, dass es ihm nicht überlassen war, der Sklave nichtsdestoweniger nicht ersitze, weil er entweder weiß, dass ihm das Sondergut nicht überlassen war oder dies zumindest wissen muss und daher demjenigen ähnlich ist, der vorgibt, ein Gläubiger zu sein. Weiß Titius aber, dass dem Sklaven bei seiner Freilassung sein Sondergut nicht überlassen ist, ist eher anzunehmen, dass er das Grundstück schenkt, als dass er eine Nichtschuld tilgt.

Ein Sklave, der einen Auftragnehmer gebeten hat, ein Grundstück für sein Sondergut zu erwerben, kann dies grundsätzlich nicht ersitzen, wenn es ihm erst übergeben wird, nachdem er ohne Sondergut freigelassen worden ist.113 Eine Ausnahme gilt, wenn der Auftragnehmer von der Entziehung des peculium Kenntnis hatte, weil dann zu unterstellen ist, dass er die Sache nicht zur Erfüllung seiner Verpflichtung gegenüber dem ehemaligen Eigentümer des Sklaven, sondern mit der Absicht übergeben hat, sie zu schenken. Ansonsten kommt eine Ersitzung nicht in Betracht, weil der Freigelassene die Entziehung des peculium entweder kannte oder zumindest kennen musste. Deshalb konnte er sich der Einsicht nicht verschließen, dass er nicht zum Empfang der Leistung des Auftragnehmers berechtigt ist. Ebenso wie bei demjenigen, der sich als Gläubiger aufspielt, entspricht es daher nicht der bona fides, ihn zur Ersitzung zuzulassen. Zwar könnte es zumindest im Fall der bloß fahrlässigen Unkenntnis an dem Vorsatz fehlen, der für die Annahme eines furtum erforderlich ist, das der Ersitzung durch einen Scheingläubiger entgegensteht. Dem ehemaligen Sklaven, der die Umstände kennt, aus denen sich seine mangelnde Empfangsberechtigung ergibt, kann aber jedenfalls nicht attestiert werden, guten Glaubens zu sein. Damit bleibt der Tatbestand der usucapio auch dann unerfüllt, wenn diese nicht schon am Ausschlusskriterium des furtum scheitert. (40) Iul 618 = D 41.4.7.6 (44 dig) Procurator tuus si fundum, quem centum aureis vendere poterat, addixerit triginta aureis in hoc solum, ut te damno adficeret, ignorante emptore, dubitari non oportet, quin emptor [longo tempore] capiat: nam et cum sciens quis alienum fundum vendidit ignoranti, non interpellatur [longa possessio] . quod si emptor cum procuratore collusit et eum praemio corrupit, quo vilius mercaretur, non intellegetur bonae fidei emptor nec [longo tempore] capiet: et si adversus petentem dominum uti coeperit exceptione rei voluntate eius venditae, replicationem doli utilem futuram esse.

Hat dein Verwalter ein Grundstück, das er zu 100 hätte verkaufen können, allein zu dem Zweck einem unwissenden Käufer zu 30 veräußert, dir Schaden zuzufügen, kann man nicht bezweifeln, dass der Käufer das Grundstück er-

113  Eine Umkehrung des überlieferten Wortlauts der julianischen Entscheidung ist nach dem Zusammenhang, in dem sie steht, unvermeidlich. Wie die Negation in dem ursprünglichen Text zum Ausdruck kam, bleibt dagegen offen.

136 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian sitzt. Denn auch wenn jemand wissentlich das Grundstück eines anderen einem Unwissenden verkauft, wird dadurch die Ersitzung nicht gehindert. Aber wenn der Käufer mit dem Verwalter zusammengewirkt und ihn bestochen hat, damit er das Grundstück zu einem geringeren Preis verkauft, ist er kein Käufer nach guter Treue und ersitzt das Grundstück nicht. Und wenn er gegen die Klage des Eigentümers die Einrede erhebt, das Grundstück sei mit dessen Willen veräußert worden, greife die Replik der Arglist ein.

Hat ein Verwalter ein Grundstück seines Geschäftsherrn in Schädigungsabsicht unter Wert verkauft, kann dies dem Käufer nach der Übergabe des Grundstücks nur dann entgegengehalten werden, wenn er mit dem Verwalter gemeinsame Sache gemacht oder ihn sogar bestochen hat, um den Kaufpreis zu drücken. Zwar steht für Julian auch in diesem Fall nicht in Frage, dass das Grundstück voluntate domini zum Verkauf gekommen ist;114 die hieraus entspringende Einrede wird jedoch durch die replicatio doli überwunden. Hat der Käufer daher schon kein prätorisches Eigentum erlangt, scheitert auch der Erwerb quiritischen Eigentums durch Ersitzung: Zwar liegt hier wegen der Zustimmung des Eigentümers kein Fall eines Erwerbs vom Nichtberechtigten im eigentlichen Sinne vor; gleichwohl entspricht es nicht der bona fides, wenn sich der Käufer auf den kollusiv geschlossenen Kaufvertrag beruft.115 Anders verhält es sich, wenn er von der Schädigungs­ absicht des Verwalters keine Kenntnis hat. Dass er in diesem Fall durch Ersitzung das quiritische Eigentum an dem Grundstück erwirbt, zeigt Julian an dem Vergleichsfall, in dem der Verkäufer wissentlich ein fremdes Grundstück verkauft. Hier ist der Verkäufer noch weniger berechtigt als der ­Verwalter, der ja zur Veräußerung des Grundstücks grundsätzlich ermächtigt ist und diese Rechtsstellung lediglich missbraucht. Daher ist ein Schluss a maiore ad minus angebracht: Kann dem gutgläubigen Käufer schon eine völlig fehlende Berechtigung des Veräußerers nicht schaden, kann ihm erst recht nicht der Fehlgebrauch der eingeräumten Veräußerungsbefugnis entgegengehalten werden. Für den Ersitzungsbesitz kommt es nicht auf die Kenntnisse des Verkäufers an, sondern allein auf die Gutgläubigkeit des Käufers, in der das Gebot der guten Treue konkretisiert wird. (41) Iul 618 = D 41.4.7.4 (44 dig) Qui bona fide alienum fundum emit et possessionem eius amisit, deinde eo tempore adprehendisset, quo scit rem alienam esse, non capiet [longo tempore], quia initium secundae possessionis vitio non carebit, nec similis est ei, qui emptionis quidem tempore putat fundum vendentis esse, sed cum traditur, scit alienum esse: cum enim semel amissa fuerit possessio, initium rursus reciperatae possessionis spectari oportet. … 114  Dies verkennt Hausmaninger, Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht, Wien 1964, S. 78. 115  Richtig Söllner, Bona fides – guter Glaube?, SZ 122 (2005) 1, 6.



I. Systemimmanente Rechtsfindung137



Wer nach guter Treue ein fremdes Grundstück gekauft, den Besitz hieran verloren und ihn danach wiedererlangt hat, als er schon wusste, dass es fremd war, ersitzt es nicht, weil der Beginn der zweiten Besitzzeit mangelhaft ist. Und er ist nicht demjenigen ähnlich, der im Zeitpunkt des Kaufs glaubt, das Grundstück gehöre dem Verkäufer, aber als es ihm übergeben wird, weiß, dass es fremd ist. Da der Besitz nämlich einmal verloren worden ist, kommt es auf den Beginn der erneuten Besitzerlangung an. …

Ein Ersitzungsbesitzer, der den Besitz an der gekauften Sache verloren hat und bei ihrem Rückerwerb bösgläubig ist, kann die Sache nicht mehr ersitzen. Denn es fehlt ihm an dem erforderlichen Vertrauen auf die Berechtigung des Vorbesitzers, für die es nach der Unterbrechung des Besitzes auf den Zeitpunkt seiner Neubegründung ankommt.116 Julian unterstützt die Verneinung des Ersitzungstatbestands durch den Vergleich zu dem Fall, dass der Käufer einer Sache nur bei Abschluss des Kaufvertrags gutgläubig ist und bei ihrer Übergabe schon die fehlende Berechtigung des Verkäufers kennt. Zwar versagt Julian selbst dem Käufer unter diesen Umständen die Ersitzung117 und folgt damit der Tradition Sabinus’ und Cassius’, die eine Gutgläubigkeit des Käufers bei Besitzerwerb verlangen118.119 Sogar wenn man die Gegenposition einnähme und sich mit der Gutgläubigkeit im Zeitpunkt des Verkaufs begnügte, bildete der Vergleichsfall jedoch keine Stütze für die Zulassung der Ersitzung im Ausgangsfall. Denn auch bei späterer Unredlichkeit des Käufers bedarf es zur Verwirklichung des Ersitzungstatbestands doch eines darauf folgenden Ersitzungsbesitzes, der nicht vorliegt, wenn der Käufer die Sache wieder verloren hat. (42) Iul 310 = D 25.2.22 (19 dig) Si propter res amotas egero cum muliere et lis aestimata sit, an actio ei danda sit, si amiserit possessionem? movet me, quia dolo adquisiit possessionem. respondi: qui litis aestimationem suffert, emptoris loco habendus est. ideo si mulier, cum qua rerum amotarum actum est, aestimationem litis praestiterit, adversus vindicantem maritum vel heredem mariti exceptionem habet et, si amiserit possessionem, in rem actio ei danda est.

Habe ich gegen meine Frau geklagt wegen entwendeter Sachen und ist der Streitwert geschätzt worden, stellt sich die Frage, ob ihr eine Klage zu gewähren ist, wenn sie den Besitz verliert? Mir gibt zu denken, dass sie den Besitz arglistig erworben hat. Ich habe entschieden: Wer die Schätzsumme leistet, steht einem Käufer gleich. Deshalb steht der Frau, gegen die eine Klage wegen entwendeter Sachen erhoben worden ist, wenn sie den Schätzwert geleis116  Ebenso

sieht dies Paulus in D 41.3.15.2 (15 Plaut). 98 = D 6.2.7.17 (6 dig). 118  D 41.3.10pr Ulp 16 ed. 119  Für Hausmaninger (Fn. 114), S. 91 ist dies Grund genug, nec similis als nec dissimilis zu lesen. 117  Iul

138 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian tet hat, gegen ihren Ehemann oder seine Erben eine Einrede zu, und wenn sie den Besitz verloren hat, ist ihr eine dingliche Klage zu gewähren.

Julian befindet über die Rechtsstellung einer Frau, die auf die von ihrem früheren Ehemann erhobene actio rerum amotarum die Schätzsumme für die entwendete Sache geleistet hat. Sie soll sich fortan gegen den Ehemann oder seinen Erben mit einer Einrede verteidigen und die Sache auch aktiv mit der actio Publiciana verfolgen können. Zwar kann sie nicht Eigentümer der Sache geworden sein, weil sie ihr nicht übergeben worden ist und sie die Sache durch eine Untat erlangt hat, die ihre Ersitzung bisher ausgeschlossen hat. Entscheidend ist aber, dass sie die Sache demjenigen, dem sie entwendet worden ist, später gewissermaßen abgekauft und so den Makel ihres Besitzes beseitigt hat.120 Sie steht daher ohne Rücksicht auf ihre frühere Besitzpositon nunmehr wie ein Besitzer, der die Sache zunächst unrechtmäßig erlangt und dann rechtmäßig von ihrem Eigentümer gekauft hat.121 Den nachträglichen Kauf einer Sache durch ihren unrechtmäßigen Besitzer bemüht Julian an anderer Stelle als Vergleichsfall, um darzulegen, dass ein Tatbestand nicht dem Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung unterfällt: (43) Iul 671 = D 43.26.6.3 Ulp 71 ed Iulianus ait eum, qui vi alterum deiecit et ab eodem precario rogavit, desinere vi possidere et incipere precario, neque existimare sibi ipsum causam possessionis mutare, cum voluntate eius quem deiecit coeperit precario possidere: nam si ab eodem emisset, incipere etiam pro emptore posse dominium capere.

Julian sagt, derjenige, der einen anderen gewaltsam vertrieben und dann denselben um eine Bittleihe gebeten hat, höre auf, gewaltsam zu besitzen, und beginne, im Wege einer Bittleihe zu besitzen; und er sei auch nicht so anzusehen, als habe er sich selbst den Grund seines Besitzes geändert, da er nun mit Zustimmung des Vertriebenen im Wege einer Bittleihe zu besitzen angefangen habe. Denn auch wenn er es von demselben gekauft hätte, könne er beginnen, das Eigentum als Käufer zu erlangen.

Ein Besitzer, der sich der Sache durch Gewalt bemächtigt hat, besitzt diese, wenn er sich mit dem Vertriebenen auf eine Bittleihe geeinigt hat, fortan precario. Dass dieser Lösung nicht die Regel: nemo sibi causam 120  Dieser Grund der Entscheidung ist durch den Vergleich zum Kauf dargetan, so dass man entgegen Bund, Methode Julians, S. 158 nicht von einer begründungslosen Entscheidung sprechen kann. 121  Diesen Vergleich stellt allgemein auch Ulpian in Iul  349 = D  6.2.7.1 Ulp  16  ed an, wo er Julian nur zum Beleg für den hieraus gezogenen Schluss der Zuständigkeit der actio Publiciana nennt: Si lis fuerit aestimata, similis est venditioni: et ait Iulianus libro vicensimo secundo digestorum, si optulit reus aestimationem litis, ­ publicianam competere.



I. Systemimmanente Rechtsfindung139

possessionis mutare potest, entgegensteht, folgt für Julian aus dem Vergleich zu einem Kaufvertrag: Kann der Besitzer, der eine Sache gewaltsam erlangt hat, diese nach Abschluss eines Kaufvertrags mit dem Vertriebenen ersitzen, muss auch die Vereinbarung einer Bittleihe wirksam sein. Hier wie dort hat sich der Besitzer nicht allein in die neue Lage gebracht, sondern gemeinsam mit dem Vertriebenen einen neuen Umstand geschaffen, der seine veränderte Besitzposition begründet. Dass dies im Fall des Kaufvertrags anschaulicher ist als beim precarium, liegt daran, dass der Kauf anders als dieses keinen mangelhaften Besitz begründet, der mit dem gewaltsam erlangten auf einer Stufe steht. Um die Bedeutung des Besitzwillens für den Besitz- und Eigentumserwerb geht es bei dem Fallvergleich in (44) Iul 608 = D 41.1.37.6 (44 dig): Si, cum mihi donare velles, iusserim te servo communi meo et Titii rem tradere isque hac mente acciperet, ut rem Titii faceret, nihil agetur: nam et si procuratori meo rem tradideris, ut meam faceres, is hac mente acceperit, ut suam faceret, nihil agetur. quod si servus communis hac mente acceperit, ut duorum dominorum faceret, in parte alterius domini nihil agetur.

Habe ich dich, als du mir schenken wolltest, angewiesen, die Sache dem Sklaven zu geben, der mir und Titius gemeinsam gehört, und hat er sie in der Absicht angenommen, sie für Titius zu erwerben, ist dies unwirksam. Denn auch wenn du meinem Verwalter eine Sache übergeben hast, um sie mir zu übereignen, er sie aber in der Absicht angenommen hat, sie für sich selbst zu erwerben, ist dies ungültig. Hat aber der gemeinschaftliche Sklave sie in der Absicht angenommen, sie zum Miteigentum seiner beiden Eigentümer zu machen, bleibt die Übertragung nur insoweit wirkungslos, als es um den Anteil des anderen Miteigentümers geht.

Kollidiert das mit einer Übergabe an einen servus communis verfolgte Ziel der Übereignung an einen von zwei Miteigentümern mit dem Besitzwillen des Sklaven, ist die Übergabe mindestens teilweise wirkungslos: Will der Veräußerer die Sache dem einen Miteigentümer des Sklaven schenken, nimmt der Sklave sie aber in der Absicht an, sie für den anderen oder für beide zu erwerben, verbleibt das Eigentum ganz oder zum Teil beim Veräußerer: Der Beschenkte erwirbt es nicht oder nicht vollständig, weil an ihn mangels hinreichenden Besitzwillens des servus communis keine traditio erfolgt; der andere Miteigentümer erlangt es nicht, weil mit ihm keine Schenkungsabrede getroffen ist. Julian erläutert diese Lösung durch den Vergleich zur anweisungsgemäßen Leistung an einen procurator, der die Sache mit der Absicht annimmt, sie selbst zu erwerben: Auch hier fehlt es wegen des Eigenbesitzwillens des procurator an einer traditio an den Geschäftsherrn; und für den Erwerb durch den procurator liegt keine hinreichende causa vor. Die Bedeutung des Vergleichsfalls liegt darin, dass er den Besitzwillen, der die Entscheidung steuert, in eine rechtlich selbständige

140 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Person verlegt, die nicht der vom Leistenden ins Auge gefassten Zielperson untergeordnet ist. Ebenso wie es hier auf den Besitzwillen des Empfängers ankommt, entscheidet dieser auch beim servus communis, der eine Sache für den einen oder den anderen oder auch für beide Miteigentümer annehmen kann.122 Dass eine für den Nießbrauchssklaven geltende Regel nicht für den gemeinschaftlichen Sklaven gilt, erweist Julian durch Fallvergleich in (45) Iul 608 = D 41.1.37.2 (44 dig): Sed ut sequens quaestio locum habeat, constituamus socium ita servo communi pecuniam donasse, ut proprietatem suam manere vellet. si ex hac pecunia servus fundum comparaverit, erit is fundus communis sociorum pro portione dominii: nam et si furtivis nummis servus communis fundum comparaverit, sociorum erit pro portione dominii. neque enim ut fructuarius servus ex re fructuarii non adquirit proprietario, ita et communis servus ex re alterius domini non adquirit alteri domino. …

Um zu einer weiteren Frage überzugehen, nehmen wir an, ein Miteigentümer habe einem gemeinschaftlichen Sklaven Geld in der Weise geschenkt, dass er es in seinem Eigentum behalten wollte. Kauft der Sklave mit diesem Geld ein Grundstück, gehört dieses Grundstück den Miteigentümern gemeinsam nach dem Verhältnis ihrer Eigentumsanteile. Denn auch wenn der gemeinschaftliche Sklave ein Grundstück mit gestohlenem Geld kauft, gehört es den Miteigentümern nach dem Verhältnis ihrer Eigentumsanteile. Und es verhält sich nicht wie beim Nießbrauchssklaven, der für seinen Eigentümer aus dem Vermögen des Nießbrauchers nichts erwirbt, etwa so, dass der gemeinschaftliche Sklave aus dem Vermögen des einen Herrn dem anderen nichts erwürbe. …

Hat ein gemeinschaftlicher Sklave ein Grundstück mit Geld erworben, das nur einem seiner Miteigentümer gehört, fällt das Grundstück nichtsdestoweniger ins Miteigentum und wird nach dem Verhältnis der Beteiligung der socii an dem Sklaven aufgeteilt.123 Um dieses Ergebnis zu begründen, verweist Julian auf den Parallelfall, dass der Sklave das Grundstück mit Geld erworben hat, das er gestohlen hat. Steht das Grundstück in diesem Fall ebenfalls den Miteigentümern gemeinsam zu, zeigt dies hinlänglich, 122  Anders sieht dies sowohl für den Ausgangs- als auch für den Vergleichsfall Ulpian, der beide Konstellationen offenbar in Anknüpfung an Julian, aber mit gegenteiligem Ergebnis entscheidet und sich über den Besitzwillen von servus communis und procurator hinwegsetzt; vgl. D 39.5.13 Ulp 7 disp: Qui mihi donatum volebat, servo communi meo et titii rem tradidit: servus vel sic accepit quasi socio adquisiturus vel sic quasi mihi et socio: quaerebatur quid ageret. et placet, quamvis servus hac mente acceperit, ut socio meo vel mihi et socio adquirat, mihi tamen adquiri: nam et si procuratori meo hoc animo rem tradiderit, ut mihi adquirat, ille quasi sibi adquisiturus acceperit, nihil agit in sua persona, sed mihi adquirit. Vgl. zu beiden Texten Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischen Recht, Berlin 2004, S. 113 ff. 123  So entscheidet auch Gaius; vgl. D 45.1.45 (7 ed prov).



I. Systemimmanente Rechtsfindung141

dass es auf die Herkunft des Geldes nicht ankommt. So kann Julian dartun, dass unter Miteigentümern kein vergleichbares Regime wie beim Nießbrauchssklaven gilt, der, je nach Herkunft des eingesetzten Vermögens, entweder nur für den Nießbraucher oder allein für den Eigentümer erwirbt124.125 Die Übertragung dieser Regel auf das Miteigentum verbietet sich deshalb, weil die Miteigentümer gleichgeordnet sind und im Gegensatz zu Nießbraucher und Eigentümer nicht auf verschiedenen Stufen stehen.126 Der Verneinung des Dereliktionstatbestands dient der Fallvergleich in (46) Iul 857 = D 14.2.8 (2 Min): Qui levandae navis gratia res aliquas proiciunt, non hanc mentem habent, ut eas pro derelicto habeant, quippe si invenerint eas, ablaturos et, si suspicati fuerint, in quem locum eiectae sunt, requisituros: ut perinde sint, ac si quis onere pressus in viam rem abiecerit mox cum aliis reversurus, ut eandem auferret.

Wer Sachen zur Leichterung eines Schiffs über Bord wirft, hat nicht die Absicht, das Eigentum an ihnen aufzugeben; denn wenn er sie wiederfindet, wird er sie mitnehmen und, wenn er eine Vermutung hat, wo sie hingespült worden sind, wird er sie suchen, so dass er ebenso steht wie derjenige, der eine Last auf einem Weg abwirft, um bald darauf zurückzukommen und sie zu holen.

Julian begründet, warum Sachen, die zur Leichterung eines Schiffs über Bord geworfen werden, nicht als derelinquiert anzusehen sind und daher, wie er in einem in D 41.7.7 überlieferten Teil desselben Textes sagt, auch nicht pro derelicto ersessen werden können:

Si quis merces ex nave iactatas invenisset, num ideo usucapere non possit, quia non viderentur derelictae, quaeritur. sed verius est eum pro derelicto usucapere non posse.

Die Ersitzung scheitert am Mangel des erforderlichen animus derelinquendi127: Wer zur Rettung eines in Seenot geratenen Schiffs Sachen über Bord wirft, möchte sie, wenn sie gefunden werden, wieder in Besitz nehmen 124  Gai 2.91. 125  Diese Überlegung wird im folgenden Text weitergeführt, ohne dass ein neuer Gedanke hinzuträte: … sed quemadmodum in his, quae aliunde adquiruntur, diversa condicio est fructuarii et servi communis, veluti cum alter fructuario non adquirat, alter dominis adquirat: ita quod ex re quidem fructuarii adquisitum fuerit, ad eum solum pertinebit, quod ex re alterius domini servus communis adquisierit, ad ­utrumque dominum pertinebit. 126  Der Ausgleich zwischen dem Miteigentümer, dessen Vermögen zum Einsatz gekommen ist, und den übrigen vollzieht sich im Rahmen der actio communi dividundo; vgl. Iul 118 = D 10.3.24pr (8 dig): Communis servus si ex re alterius dominorum adquisierit, nihilo minus commune id erit: sed is, ex cuius re adquisitum fuerit, communi dividundo iudicio eam summam percipere potest, quia fidei bonae convenit, ut unusquisque praecipuum habeat, quod ex re eius servus adquisierit. 127  PS 2.31.27.

142 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

und wird auch Nachforschungen anstellen, wenn er einen Hinweis auf den Ort hat, an dem sie sich befinden. Er steht daher ebenso wie derjenige, der eine zu schwere Last am Wegesrand zurücklässt, um sie später abzuholen. Von diesem Vergleichsfall, in dem das Fehlen der Dereliktionsabsicht evident ist, unterscheidet sich die Konstellation des Seewurfs nur dadurch, dass es hier weitaus unwahrscheinlicher ist, dass der Eigentümer seine Sache wiedererlangt.128 Diese Divergenz ist aber für seine Einstellung irrelevant, der mangelnde animus derelinquendi im Vergleichsfall lediglich leichter nachzuvollziehen. Auf die Struktur einer Dienstbarkeit zugunsten mehrerer Grundstücks­ eigentümer zielt der Fallvergleich, den Julian in dem folgenden Fragment anstellt: (47) Iul 103 = D 8.2.32pr (7 dig) Si aedes meae serviant aedibus Lucii Titii et aedibus Publii Maevii, ne altius aedificare mihi liceat, et a Titio precario petierim, ut altius tollerem, atque ita per statutum tempus aedificatum habuero, libertatem adversus Publium Maevium usucapiam: non enim una servitus Titio et Maevio debebatur, sed duae. argumentum rei praebet, quod, si alter ex his servitutem mihi remisisset, ab eo solo liberarer, alteri nihilo minus servitutem deberem.

Ist mein Gebäude denen des Lucius Titius und des Publius Maevius in der Weise dienstbar, dass es mir nicht erlaubt ist, höher zu bauen, und habe ich von Titius im Wege der Bittleihe die Erlaubnis erbeten, höher zu bauen, und das Gebäude auch für die Dauer der Ersitzungszeit so innegehabt, ersitze ich die Freiheit von der Dienstbarkeit gegenüber Publius Maevius. Es liegt nämlich nicht nur eine Dienstbarkeit gegenüber Titius und Maevius vor, sondern es bestehen zwei Dienstbarkeiten. Ein Beweis hierfür bietet der Umstand, dass, wenn einer von beiden mir gegenüber auf die Dienstbarkeit verzichtet, ich nur von ihm befreit werde und dem anderen nichtsdestoweniger verpflichtet bin.

Für Julian ergibt sich der Verlust einer mehreren Grundstückseigentümern geschuldeten Dienstbarkeit durch non usus aus dem Regime des Verzichts: Hat dieser, wenn er von dem Inhaber eines der herrschenden Grundstücke erklärt wird, nur Einzelwirkung und keinen Effekt für das Recht der anderen, gilt nichts anderes im umgekehrten Fall, in dem sich ein Grundstückseigentümer den Erhalt der Dienstbarkeit dadurch sichert, dass er die ihr widersprechende Bebauung des dienenden Grundstücks nur precario zulässt: Auch die Vereinbarung einer Bittleihe hat bloß Einzelwirkung, so dass die Dienstbarkeit zugunsten des anderen herrschenden Grundstücks erlischt. Die einheit­ liche ratio, die Julian im Ausgangs- und Vergleichsfall für gültig erachtet, lautet, dass bei einer Mehrheit herrschender Grundstücke zwei Servituten 128  Daher ist der Wiederbeschaffungswille augenfälliger, wie Bund, Methode Julians, S. 134 meint.



I. Systemimmanente Rechtsfindung143

vorliegen und nicht etwa eine Gesamtdienstbarkeit gegeben ist, bei der eine Gesamtwirkung des Verhaltens eines Inhabers immerhin denkbar ist. Aus dem Zweck eines Pfandrechts folgert Julian in (48) Iul 211 = D 12.2.40 (13 dig): Iusiurandum a debitore exactum efficit, ut pignus liberetur: est enim hoc acceptilationi simile: perpetuam certe exceptionem parit. …

Ein dem Schuldner abverlangter Eid führt dazu, dass Pfand frei wird. Der Eid ist nämlich dem Erlass ähnlich; er begründet jedenfalls eine dauerhafte Ein­ rede. …

Dass ein Pfand129 freiwird, wenn die gesicherte Forderung zum Gegenstand eines vom wirklichen oder vermeintlichen Schuldner geleisteten iusiurandum wird, folgt für Julian aus einem Vergleich zur acceptilatio: Ist der Anspruch des Gläubigers, selbst wenn er bestanden haben sollte, dauerhaft durch die exceptio iurisiurandi gesperrt, steht der Schuldner so, als sei ihm seine Verpflichtung förmlich durch acceptilatio erlassen worden. Wird in diesem Fall das Pfand frei, darf nichts anderes gelten, wenn dem Schuldner die Einrede aus dem in iure geleisteten Eid zusteht. Denn der Gläubiger hat kein durchsetzbares Recht mehr, für das ihm das Pfandrecht Sicherheit leisten könnte. Die Struktur der acceptilatio ist wiederum Gegenstand der Fallvergleichung bei einer Entscheidung aus dem Dotalrecht: (49) Iul 870 = D 23.3.49 (5 Min) Vir ab eo, qui uxori eius dotem facere volebat, certam pecuniam eo nomine stipulatus est, deinde acceptam eam fecit: quaerebatur, essetne ea pecunia in dotem. respondit, si acceptam non fecisset et promissor solvendo esse desisset, quaereremus, an culpa mariti ea pecunia exacta non esset: cum vero acceptam fecit, omnimodo periculum ad eum pertinebit: perinde enim est, ac si acceperit pecuniam et eandem promissori donaverit.

Ein Mann, dessen Frau jemand eine Mitgift bestellen wollte, hat sich von diesem eine Summe Geldes versprechen lassen und ihm danach die Schuld erlassen. Es wurde gefragt, ob dieser Betrag zur Mitgift gehöre. Er hat befunden, es sei, wenn die Schuld ansonsten nicht erlassen worden und der Schuldner nicht mehr zahlungsfähig wäre, danach zu fragen, ob es durch die Schuld des Ehemannes geschehen sei, dass der Betrag nicht eingezogen worden sei. Da er die Verpflichtung aber erlassen hat, trifft ihn die Gefahr unter allen Umständen. Der Fall liegt nämlich so, als hätte er den Betrag empfangen und dem Schuldner geschenkt.

129  Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 353 Fn. 6 will diesen Text wegen seiner Herkunft aus dem 13. Buch von Julians Digesten auf die fiducia beziehen; die Aussage, dass das Pfand „freiwird“ (liberatur) passt, auch wenn sie keinesfalls falsch ist, zum akzessorischen pignus freilich besser als zur nicht akzessorischen fiducia. Noordraven, Die Fiduzia im römischen Recht, Amsterdam 1999, S. 315 glaubt, Julian wolle so die Zuständigkeit der actio fiduciae begründen.

144 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Hat ein Ehemann demjenigen, der ihm dotis causa einen Betrag versprochen hat, die Schuld erlassen, ist zwar der Betrag selbst nicht Teil der Mitgift geworden. Den Mann trifft jedoch eine Haftung in gleicher Höhe, weil der Betrag durch seine Schuld nicht in die dos gelangt ist. Zwar ist dies bei der Insolvenz des Schuldners auch davon abhängig, ob der Ehemann den Betrag bei rechtzeitiger Klage hätte einziehen können.130 Die acceptilatio führt dagegen zu seiner unbedingten Haftung. Denn mit ihr quittiert der Ehemann ja, den geschuldeten Betrag erhalten zu haben.131 Auf diese Weise hat er das Risiko der Einbringlichkeit der Forderung übernommen und ist daher so zu behandeln, als ob er ihn erhalten und dem Schuldner dann wieder geschenkt hätte. Um den Tatbestand des Schenkungsverbots unter Ehegatten geht es in (50) Iul 284 = D 24.1.3.13 Ulp 32 Sab: Huic sententiae consequens est, quod Iulianus libro septimo decimo digestorum scripsit, si donaturum mihi iussero uxori meae dare: ait enim Iulianus nullius esse momenti, perinde enim habendum, atque si ego acceptam et rem meam factam uxori meae dedissem: quae sententia vera est.

Dem entspricht es, was Julian im 17. Buch seiner Digesten zu dem Fall schreibt, dass ich denjenigen, der mir schenken wollte, angewiesen habe, meiner Frau zu leisten. Julian sagt, dies sei unwirksam, nämlich so anzusehen, als hätte ich die Leistung angenommen und die Sache, nachdem sie zu­ meinem Eigentum geworden ist, meiner Frau gegeben. Diese Ansicht ist richtig.

Julian befindet über die Anwendung des Verbots einer donatio inter virum et uxorem in dem Fall, dass der Ehemann einen Schenker angewiesen hat, an seine Frau zu leisen.132 Dass der Tatbestand des Schenkungsverbots: Bereicherung des einen und Entreicherung des anderen Ehegatten, in dieser Konstellation erfüllt ist, lässt sich nicht ohne Weiters einsehen, weil die Schenksache ja noch gar nicht zum Vermögen des Ehemannes gehörte, als sie der Frau geleistet wurde.133 Um zu begründen, dass die Leistung gleich130  D 24.3.49pr Paul 7 resp; vgl. zu diesem Text Kroppenberg, Die Insolvenz im klassichen römischen Recht, Köln u. a. 2001, S. 353 ff. 131  Gai 3.169. 132  Vgl. Kaser, Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, Wien u. a.  1986, 287 f., Weyand, Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde, Göttingen  1989, 124 ff., Harke, Argumenta Iuventiana, S. 93 f. Fn. 373 m. w. N. gegen Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten, Köln  /  Wien 1974, S. 41 ff. der annimmt, Julian habe sich Celsus’ Ansicht angeschlossen, wonach der anweisende Ehegatte bei der misslungen Leistung auf Anweisung das Eigentum erwerbe (s. o. Cels 120 = D 24.1.3.12 Ulp 32 Sab; s. o. A.I.2.a)bb) [2]). 133  Dass dies die ratio dubitandi ist, geht eindeutig aus dem Fragment D 24.1.4 hervor, das die Kompilatoren mit dem Zitat bei Ulpian zusammengestellt haben und das aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit dessen Vorlage verbunden war.



I. Systemimmanente Rechtsfindung145

wohl gegen das Schenkungsverbot verstößt und daher nichtig ist, bemüht Julian den Vergleichsfall, dass der Ehemann das Geschenk erst empfangen und dann an die Ehefrau weitergeleitet hat. Damit folgt Julian der Regel, dass die Leistung auf Anweisung wie eine Leistung des Angewiesenen an den Anweisenden und eine weitere von diesem an den Anweisungsempfänger anzusehen ist.134 Durch den Fallvergleich wird deutlich, dass es beim anweisenden Ehemann sehr wohl zu einer Entreicherung gekommen ist, der eine Bereicherung der Frau korrespondiert. Dem Problem eines Leistungshindernisses bei der Dienstpflicht eines libertus gilt (51) Iul 359 = D 38.1.23.1 (22 dig): Si patroni plures consulto in diversas regiones discesserint et liberto simul operas indixerint, potest dici diem operarum cedere, sed libertum non obligari, quia non per eum, sed per patronos staret, quo minus operae dentur, sicut accidit, cum aegrotanti liberto operae indicuntur. …

Sind mehrere Patrone bewusst in verschiedene Regionen gezogen und haben sie von dem Freigelassenen zugleich die Dienste gefordert, kann man sagen, dass die Dienste fällig geworden sind, aber der Freigelassene gleichwohl nicht verpflichtet werde, weil es nicht an ihm, sondern an den Patronen lag, dass die Dienste nicht geleistet wurden, wie es sich auch verhält, wenn die Dienste von einem Freigelassenen während seiner Krankheit gefordert werden. …

Sind mehrere Patrone berechtigt, von dem Freigelassenen die Leistung von Diensten zu verlangen, und halten sie sich an verschiedenen Orten auf, kann der Freigelassene die zugesagten Dienste, wenn sie zugleich deren Leistung verlangen, nicht erbringen. Für Julian wirkt sich das Verhalten der Patrone nicht etwa nur auf die Fälligkeit der Dienstpflicht aus, sondern führt zu ihrem vollständigen Wegfall:135 Der Freigelassene sei so zu behandeln, als ob er die Dienste wegen Krankheit nicht erfüllen könnte. Auch in diesem Fall verliert der Patron den Anspruch auf die Dienste, ohne dass diese nachgeholt werden müssten.136 Hieraus lässt sich ein Erst-RechtSchluss auf die Ausgangskonstellation ziehen: Bewirkt schon der vom Freigelassenen nicht zu vertretende Ausfall der Dienste wegen Krankheit den Untergang des Anspruchs, muss dies umso eher gelten, wenn die Unmöglichkeit der Dienstleistung von den Patronen zu vertreten ist, weil sie den Freigelassenen durch ihr gleichzeitiges Verlangen nach Diensten an verschiedenen Orten überfordern.

134  Anders als Bund, Methode Julians, S. 141 ff. würde ich daher nicht von einer „Zerlegung“ sprechen. 135  Vgl. Waldstein, Operae libertorum, Stuttgart 1986, S. 258. 136  D 38.1.34 Pomp 22 QM.

146 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

In erbrechtlichem Zusammenhang fällt Julian drei durch Fallvergleich unterlegte Entscheidungen, die sich aus Existenz und Schicksal einer Naturalobligation im Familienverband ergeben: (52) Iul 520 = D 30.91pr (36 dig) Quaesitum est, si filius familias, qui filium habebat, heres institutus fuisset, cum esset uterque in potestate aliena, an ab eo filio eius legari possit. respondi, cum possit a filio patri legari, consequens est, ut vel fratri ipsius vel filio vel etiam servo patris sui legetur.

Es ist gefragt worden, ob, wenn zum Erben ein Haussohn eingesetzt werde, der seinerseits einen Sohn hatte und mit ihm gemeinsam in der Gewalt eines anderen stehe, dieser Haussohn mit einem Vermächtnis zugunsten seines eigenen Sohnes belastet werden könne. Ich habe befunden, dass es, da man den Sohn mit einem Vermächtnis zugunsten seines Vaters beschweren kann, folgerichtig ist, wenn man ihn auch mit einem Vermächtnis zugunsten seines Bruders oder Sohnes oder eines Sklaven seines Vaters belasten kann.

Julian stellt sich die Frage, ob ein Vermächtnis wirksam ist, dass einem zum Erben eingesetzten Haussohn zugunsten seines eigenen Sohns auferlegt ist, wenn dieser unter der Gewalt desselben Familienvaters steht. Die Schwierigkeit, der dieses Vermächtnis begegnet, ist, dass im Familienverband keine regelrechte Verpflichtung, sondern allenfalls Rechnungsposten bei der Bestimmung des Sonderguts begründet werden, die man seit Javolen als naturalis obligatio bezeichnet137. Dass eine solche ausreicht, um das Vermächtnis als wirksam anzusehen, folgert Julian aus dem Fall, dass der Haussohn mit einem Vermächtnis zugunsten seines Familienvaters beschwert werden kann. Da auch hier lediglich eine natürliche Verbindlichkeit entsteht, gibt es keinen Grund, dem Vermächtnis zugunsten eines anderen Mitglieds des Familienverbands die Wirkung zu versagen, so dass der Haussohn auch mit Vermächtnissen zugunsten seiner Brüder, seiner Söhne oder eines unter der Gewalt des Familienvaters stehenden Sklaven belastet werden kann. (53–54)  Afr 121 = D 12.6.38pr, 1 (9 quaest) Frater a fratre, cum in eiusdem potestate essent, pecuniam mutuatus post mortem patris ei solvit: quaesitum est, an repetere possit. respondit utique quidem pro ea parte, qua ipse patri heres exstitisset, repetiturum, pro ea vero, qua frater heres exstiterit, ita repetiturum, si non minus ex peculio suo ad fratrem pervenisset: naturalem enim obligationem quae fuisset hoc ipso sublatam videri, quod peculii partem frater sit consecutus, adeo ut, si praelegatum filio eidemque debitori id fuisset, deductio huius debiti a fratre ex eo fieret. idque maxime consequens esse ei sententiae, quam Iulianus probaret, si extraneo quid debuisset et ab eo post mortem patris exactum esset, tantum iudicio eum familiae herciscundae reciperaturum a coheredibus fuisse, quantum ab his creditor actione de peculio consequi potuisset. igitur et si re integra familiae herciscundae agatur, ita peculium dividi aequum esse, ut ad quantitatem eius 137  Hierzu

s. u. B.I.2.a)bb) (6 ff.).



I. Systemimmanente Rechtsfindung147 indemnis a coherede praestetur: porro eum, quem adversus extraneum defendi oportet, longe magis in eo, quod fratri debuisset, indemnem esse praestandum. (1) Quaesitum est, si pater filio crediderit isque emancipatus solvat, an repetere possit. respondit, si nihil ex peculio apud patrem remanserit, non repetiturum: nam manere naturalem obligationem argumento esse, quod extraneo agente intra annum de peculio deduceret pater, quod sibi filius debuisset.



Jemand hat von seinem Bruder, mit dem er in der Gewalt desselben Fami­ lienvaters stand, ein Darlehen aufgenommen und nach dem Tod des Vaters zurückgezahlt. Es ist gefragt worden, ob er es zurückfordern könne. Er hat befunden, dass er den Betrag sicherlich insoweit zurückfordern könne, als er Erbe seines Vaters geworden sei; zu dem Teil, zu dem sein Bruder Erbe geworden sei, könne er ihn nur dann zurückfordern, wenn aus dem Sondergut nicht weniger an den Bruder gelangt ist. Die natürliche Verbindlichkeit, die früher bestanden habe, sei dadurch aufgehoben worden, dass der Bruder den entsprechenden Teil des Sonderguts erhalten habe, und zwar sogar so, dass, wenn dem Bruder, der schulde, das Sondergut als Vorausvermächtnis hinterlassen sei, der Abzug wegen dieser Schuld vom Sondergut des Bruders zu machen sei. Dem entspreche insbesondere die von Julian geteilte Auffassung, dass, wenn ein Fremder die Schuld von ihm nach dem Tod des Vaters eingezogen habe, er so viel von seinen Miterben mit der Erbteilungsklage verlangen könne, wie der Gläubiger von ihnen mit der Klage wegen des Sonderguts hätte erlangen können. Werde die Erbteilungsklage vor der Zahlung an den Gläubiger erhoben, sei es daher gerecht, das Sondergut so zu teilen, dass er von dem Miterben in Höhe von dessen Miteigentum freigestellt werde. Wer aber gegenüber einem Fremden geschützt werde, sei umso mehr für das schadlos zu halten, was er dem Bruder schuldete. (1) Es ist gefragt worden, ob, wenn der Vater dem Sohn ein Darlehen gewährt und dieser nach seiner Entlassung aus der Gewalt gezahlt hat, er es zurückfordern könne. Er hat befunden, dass er es nicht zurückfordern könne, wenn von dem Sondergut nichts bei dem Vater verblieben sei. Dass die natürliche Verbindlichkeit erhalten bleibe, zeige sich nämlich daran, dass der Vater, wenn ihn ein Fremder innerhalb eines Jahres wegen des Sonderguts in Anspruch nehme, abziehen könne, was der Sohn ihm geschuldet habe.

Julian befasst sich mit der Frage, ob die Leistung, die ein ehemaliger Haussohn, nachdem er rechtlich selbständig geworden ist, auf ein vorher bei seinem Bruder oder bei seinem Vater aufgenommenes Darlehen erbracht hat, der Kondiktion unterliegt. Maßgeblich ist, ob die Naturalobligation, die durch die Auszahlung des Darlehens ursprünglich begründet war, auch nach Erlangung der rechtlichen Selbständigkeit fortbestanden hat. Julian bejaht dies in dem Fall des § 1, in dem der Sohn nach seiner emancipatio an den Vater gezahlt hat, falls dem Sohn das Sondergut vollständig überlassen ist. Die Fortexistenz der natürlichen Schuld des Sohnes ergibt sich für Julian hier aus dem Vergleich zur Haftung des Vaters mit der actio de peculio annalis: Darf er sie hier zum Abzug bringen, bedeutet dies, dass das Sondergut insoweit gemindert ist, der Sohn also, wenn es ihm ungekürzt über-

148 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

lassen worden ist, zuviel erhalten hat und dementsprechend auch nicht zurückfordern kann, wenn er den überschießenden Betrag geleistet hat. In dem schwieriger zu beurteilenden Fall des principium, in dem die Naturalobligation zwischen zwei Brüdern bestand und diese durch den Tod des Vaters freigeworden sind, muss zunächst auf die Erbfolge Rücksicht genommen werden: Die naturalis obligatio des Darlehensnehmers ist sicherlich zumindest insoweit untergegangen, als er selbst Erbe seines Vaters geworden und damit zugleich in die Gläubigerstellung eingerückt ist. Für den übrigen Teil besteht die Schuld noch, ist aber insoweit zu kürzen, als der darlehensgebende Bruder sein Sondergut erhalten hat. Durch die Überlassung des peculium, und sei sie ihm Rahmen eines Vorausvermächtnisses erfolgt, hat er nämlich schon einen Vermögensvorteil erhalten, der auf seine natürliche Forderung anzurechnen ist. Diese richtet sich nämlich gegen die Erbengemeinschaft und unterliegt daher dem Ausgleich mit Vorausempfängen. Ju­ lian zeigt dies wiederum an dem Vergleich zur Haftung gegenüber einem außenstehenden Dritten: Auch hier könnte der Haussohn, der die Verbindlichkeit eingegangen ist, trotz seiner Urheberschaft von den anderen Ausgleich verlangen, weil sie eben auf der Erbengemeinschaft insgesamt lastet. Dementsprechend muss auch die Forderung eines Haussohnes, die gegen die Erbengemeinschaft und nicht gegen den anderen Haussohn besteht, mit dem Vorteil kompensiert werden, den die Überlassung des Sonderguts verschafft. Die Reichweite eines Urteils über die Erbschaftsklage ist Grundlage für die Bestimmung der Wirkung eines in iure geleisteten Eides: (55) Iul 127 = D 12.2.12 (9 dig) Idem est et si ego a quolibet alio possidente res hereditarias petere velim, quia et si petissem a te hereditatem et probassem meam, nihilo minus ab altero petendo id ipsum probare necesse haberem.

Dasselbe gilt, wenn ich eine Erbschaftssache von irgendeinem anderen Besitzer fordern will, weil auch dann, wenn ich von dir die Erbschaft gefordert und bewiesen habe, dass sie mein ist, ich nichtsdestoweniger gezwungen bin, dies zu beweisen, wenn ich sie von einem anderen fordere.

Wie der Zusammenhang ergibt, der von den Kompilatoren durch den Anschluss an das vorangehende Ulpianfragment138 hergestellt worden ist, geht es Julian um die Frage, ob ein in iure geleisteter Eid, den der Erbschaftskläger gegenüber einem Erbschaftsbesitzer geschworen hat, auch gegenüber einem anderen wirkt, der eine Erbschaftssache besitzt. Julian verneint dies un138  D 12.2.11.3 Ulp 22 ed: Si, cum de hereditate inter me et te controversia esset, iuravero hereditatem meam esse, id consequi debeo, quod haberem, si secundum me de hereditate pronuntiatum esset. … plane si alius a me hereditatem petere ­coeperit, dubium non erit, ut et Iulianus scribit, nihil mihi iusiurandum prodesse.



I. Systemimmanente Rechtsfindung149

ter Berufung auf die Beweislast: Ebenso wenig wie der Nachweis der Erbenstellung in dem ersten Verfahren die Entscheidung im Prozess gegenüber dem anderen Erbschaftsbesitzer präjudiziert, kann dies ein Eid, der nur den erfolgreichen Nachweis im Prozess ersetzt139 und daher nicht weiter reichen kann als die Entscheidung selbst, die nur inter partes wirkt. Mit dem Legatsrecht beschäftigt sich Julian in insgesamt fünf Entscheidungen, zu deren Deduktion er auf einen Fallvergleich zurückgreift. Um die althergebrachte regula Catoniana geht es dabei in (56) Iul 810 = D 30.102 (81 dig): Si minor quam viginti annis dominus servum causa non probata manumiserit et postea legatum ei dederit isque alienatus ad libertatem perductus fuisset, legatum non capit: nam perinde nullius est momenti legatum, ac si sine libertate datum fuisset.

Hat jemand im Alter von weniger als 20 Jahren als Eigentümer einen Sklaven ohne anerkannten Grund freigelassen und später ein Vermächtnis ausgesetzt und ist der Sklave veräußert und freigelassen worden, erwirbt er das Vermächtnis nicht. Denn es ist ebenso unwirksam, als wenn es ohne Aussetzung der Freiheit zugewandt worden wäre.

Hat jemand ein Vermächtnis einem Sklaven zugewandt, den er zuvor, da er selbst jünger als 20 Jahre war, unter Verstoß gegen die lex Aelia Sentia140 und damit unwirksam freigelassen hat, ist das Vermächtnis auch dann nicht gültig, wenn der Sklave später, aber noch vor dem Tod des Erblassers von einem anderen Eigentümer freigelassen wird. Der Sklave steht so, als wäre die erste Freilassung gänzlich unterblieben. Dann hätte er aber nur unter gleichzeitiger Anordnung seiner Freilassung im Testament Vermächtnisnehmer werden können; und dieses Wirksamkeitshindernis setzt sich kraft der regula Catoniana fort. Die sabinianische Lehre von der Gültigkeit eines Legats, das unter einer unmöglichen Bedingung ausgesetzt ist, beschäftigt Julian in (57) Iul 600 = D 40.7.13.4 (43 dig): Servus heredis rem ipsius heredis dare iussus et liber esse ad libertatem perveniet, quia potest testator et sine ulla dandi condicione heredis servum manumitti iubere.

Ein Sklave, der unter der Bedingung freigelassen ist, dass er dem Erben eine diesem gehörende Sache gebe, erlangt die Freiheit, weil der Erblasser die Freilassung des Sklaven durch den Erben auch unbedingt anordnen kann.

Ist einem Sklaven zur Erlangung seiner Freiheit im Testament auferlegt, dem Erben eine Sache zu geben, die diesem schon gehört, ist die Wirksam139  D 12.2.5.2 140  UE 1.13.

Ulp 22 ed.

150 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

keit dieser Anordnung zweifelhaft, wenn man „geben“ (dare) technisch im Sinne von „übereignen“ versteht. Julian verweist darauf, dass der Erblasser auch die Möglichkeit gehabt hätte, den Sklaven unbedingt freizulassen. Damit eröffnet er Raum für die Anwendung der sabinianischen Regel, wonach Vermächtnisse, die unter einer unmöglichen Bedingung ausgesetzt sind, als unbedingt und wirksam gelten141. An anderer Stelle befasst sich Julian mit der Mängelhaftung des aus einem Legat verpflichteten Erben: (58) Iul 476 = D 30.84.4 (33 dig) Aedes, quibus heredis aedes serviebant, legatae sunt traditae legatario non imposita servitute. dixi posse legatarium ex testamento agere, quia non plenum legatum accepisset: nam et eum, qui debilitatum ab herede servum acceperit, recte ex testamento agere.

Ein Gebäudegrundstück, dem das bebaute Grundstück des Erben diente, wurde vermacht und dem Vermächtnisnehmer ohne Bestellung einer Dienstbarkeit übergeben. Ich habe befunden, der Vermächtnisnehmer könne mit der Vermächtnisklage vorgehen, weil er das Vermächtnis nicht in vollem Umfang erhalten habe. Denn auch derjenige, der vom Erben einen Sklaven in schlechtem Zustand erhalte, erhebe zu Recht die Vermächtnisklage.

Die Vermächtnisklage, die eigentlich strengen Rechts und normalerweise nur auf die Übereignung einer Sache gerichtet ist, kann nach Julians Ansicht auch angestellt werden, wenn die Sache zwar schon geleistet, aber mit einem Mangel behaftet ist. Offensichtlich ist dies für Julian in der Konstellation, dass ein vermachter Sklave in schlechter Verfassung geleistet wird. Schwieriger zu beurteilen ist dagegen der Fall, dass ein Grundbesitz, dem ein beim Erben verbleibendes Grundstück dienlich ist, ohne Bestellung einer entsprechenden Dienstbarkeit übereignet worden ist. Ebenso wie der kranke Sklave entspricht das Grundstück, dem die Servitut fehlt, nicht dem Zustand, in dem der Erblasser den Gegenstand dem Vermächtnisnehmer zuwenden wollte. Einen Fall des concursus causarum behandelt Julian in (59) Iul 475 = D 30.82.6 (33 dig): Cum mihi Stichus aut Pamphilus legati fuissent duorum testamentis et Stichum ex altero testamento consecutus fuissem, ex altero Pamphilum petere possum, quia et si uno testamento Stichus aut Pamphilus legati fuissent et Stichus ex causa lucrativa meus factus fuisset, nihilo minus Pamphilum petere possem.

Sind mir Stichus oder Pamphilus in zwei Testamenten vermacht und habe ich Stichus aufgrund des einen Testaments erlangt, kann ich aus dem anderen mit Recht Pamphilus fordern, weil ich ihn, wenn Stichus oder Pamphilus in einem 141  Gai 3.98.



I. Systemimmanente Rechtsfindung151 Testament vermacht worden wären und Stichus aus einem unentgeltlichen Erwerbsgrund mein Eigentum geworden wäre, nichtsdestoweniger fordern könnte.

Es geht um die Anwendung der Regel, dass ein unentgeltlich verpflichteter Schuldner befreit wird, wenn sich der Leistungsgegenstand aus einer anderen causa lucrativa beim Gläubiger befindet. Sie findet sich in dem Fragment D 44.7.17, das Lenel mit D 30.82.6 zusammengestellt hat:

Omnes debitores, qui speciem ex causa lucrativa debent, liberantur, cum ea species ex causa lucrativa ad creditores pervenisset.

Ist einem Vermächtnisnehmer in verschiedenen Testamenten jeweils ein Wahlvermächtnis über zwei Sklaven ausgesetzt, kann er, nachdem er erfolgreich seinen Anspruch aus dem einen Vermächtnis geltend gemacht hat, noch aus dem anderen vorgehen. Dies ergibt der Blick auf den Vergleichsfall, dass das Wahlvermächtnis nur einmal ausgesetzt und der Vermächtnisnehmer einen der beiden Sklaven aus einem anderen unentgeltlichen Erwerbsgrund erlangt hat. Steht hier außer Zweifel, dass die Wahlschuld des Erben nicht etwa wegfällt, sondern sich nur auf den anderen Sklaven beschränkt, darf nichts anderes gelten, wenn der Gläubiger durch zwei inhaltsgleiche Wahlvermächtnisse beschwert ist. Auch hier kann der unentgeltliche anderweitige Erwerb nur dann zum Untergang der Verpflichtung führen, wenn der Vermächtnisnehmer beide möglichen Leistungsgegenstände erlangt hat. Durch den Vergleich zum Erwerb aus einer anderen causa lucrativa überwindet Julian den Zweifel, der sich hier aus der Inhaltsidentität der beiden Vermächtnisse ergibt. Entgegen dem ersten Anschein sind sie wegen der durch sie jeweils begründeten Wahlschuld nicht auf ein und dieselbe Sache gerichtet.142 Schließlich unterstützt Julian durch Fallvergleich eine Entscheidung über die Folgen einer Mitberechtigung an einem vermachten Sklaven aufgrund der Regel über den dies cedens: (60) Iul 524 = D 33.5.11 (36 dig) Si Eros Seio legatus sit et Eroti fundus, deinde optio servi Maevio data fuerit isque Erotem optaverit, fundus ad solum seium pertinebit, quoniam aditae hereditatis tempore is solus erit, ad quem posset legatum pertinere. nam et cum servo communi alter ex sociis legat, idcirco ad solum socium totum legatum pertinet, quoniam die legati cedente solus est, qui per eum servum possit adquirere.

Ist dem Seius der Sklave Eros vermacht und diesem ein Grundstück, danach dem Mävius die Auswahl eines Sklaven überlassen worden und hat dieser sich für Eros entschieden, steht das Grundstück allein dem Seius zu, weil zum

142  Es fehlt also am Erfordernis der eadem res; vgl. Pfeil, Der concursus causarum im klassischen römischen Recht, Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 24.

152 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian Zeitpunkt des Erbschaftsantritts er allein es war, dem das Vermächtnis zustehen konnte. Denn auch wenn einer von zwei Miteigentümern dem gemeinschaftlichen Sklaven etwas vermacht, gehört dies insgesamt allein dem anderen Miteigentümer, weil bei Anfall des Vermächtnisses er allein es ist, der durch den Sklaven etwas erwerben kann.

Ein Sklave, dem ein Grundstück vermacht wurde, ist seinerseits einem Vermächtnisnehmer per vindicationem vermacht und zudem Gegenstand eines Wahl- oder Gattungsvermächtnisses zugunsten eines anderen Vermächtnisnehmers, der sich für diesen Sklaven entscheidet. Auch wenn der zweite Vermächtnisnehmer mit seiner Wahl erreicht, dass er zum Miteigentümer des Sklaven wird, gehört dem ersten Vermächtnisnehmer doch nichtsdestoweniger das dem Sklaven vermachte Grundstück allein, weil er beim dies cedens Alleineigentümer des Sklaven war. Dies folgt für Julian aus dem Parallelfall, dass einem gemeinschaftlichen Sklaven durch einen seiner Miteigentümer ein Vermächtnis ausgesetzt wird. Hier kann der Erbe dieses Miteigentümers das Vermächtnis, dessen Schuldner er ja ist, nicht erwerben, so dass nur der andere Miteigentümer als alleiniger Vermächtnisnehmer übrig bleibt. Veräußert der Erbe später seinen Miteigentumsanteil, ändert dies nichts daran, dass im entscheidenden Moment des dies cedens bloß der andere Miteigentümer das Vermächtnis erwerben konnte. Ebenfalls mit fünf Entscheidungen ist unter den zur Deduktion eingesetzten Fallanknüpfungen das Fideikommissrecht vertreten. Um die Geltung des Fideikommissregimes für eine fideikommissarische Freilassung geht es dabei in (61) Iul 592 = D 40.5.47pr (42 dig): Si pater duos filios heredes instituerit et adgnatione postumi ruptum testamentum fuerit, quamvis hereditas pro duabus partibus ad eos pertineat, tamen fideicommissae libertates praestari non debent, sicuti ne legata quidem aut ­ fideicommissa praestare coguntur.

Hat ein Vater zwei Söhne zu Erben eingesetzt und ist das Testament durch eine Nachgeburt unwirksam geworden, brauchen sie, auch wenn ihnen die Erbschaft zu gleichen Teilen gehört, ein Freilassungsfideikommiss ebenso wenig zu erfüllen, wie sie gezwungen werden, auf Vermächtnisse oder andere Fideikommisse leisten.

Dass sich die Ungültigkeit eines Testaments durch die Geburt eines postumus auch auf ein hierin vorgesehene fideikommissarische Freilassung erstreckt, macht Julian durch den Verweis auf Legate und andere Fideikommisse deutlich. Hier ist leichter einzusehen, dass sie die gesetzlichen Erben auch dann nicht treffen, wenn sie mit den Testamentserben identisch sind. Da das Erbschaftsfideikommiss von gleicher Rechtsnatur wie Legate und gewöhnliche Fideikommisse ist, trifft es der Ausfall der testamentarischen Erbfolge ebenso wie diese.



I. Systemimmanente Rechtsfindung153

Eine Ausnahme gilt für Fideikommisse in einem isoliert aufgesetzten Kodizill: (62) Iul 549 = D 29.7.3pr, 1 Iul 39 dig Si quis cum testamentum nullum habebat, codicillis fideicommissa hoc modo dedit: ‚quisquis mihi heres erit bonorumve possessor, eius fidei committo‘, fideicommissa praestari debent, quia pater familias, qui testamenti factionem habet et codicillos faceret, perinde haberi debet, ac si omnes heredes eius essent, ad quos legitima eius hereditas vel bonorum possessio perventura esset. (1) Sed et si post codicillos factos natus quis esset proximus adgnatus vel suus heres, fideicommissum praestari debebit: intellegitur enim is quoque heres scriptus et ideo non perinde habendus est ac si rupisset hos codicillos.

Hat jemand, ohne ein Testament zu errichten, in einem Kodizill ein Fideikommiss wie folgt ausgesetzt: „Wer auch immer mein Erbe oder Nachlassbesitzer wird, dem gebe ich auf …“, so sind die Fideikommisse zu erfüllen, weil der Familienvater, der testamentsfähig ist und ein Kodizill errichtet hat, so angesehen werden muss, als seien alle diejenigen seine Erben, denen das gesetz­ liche Erbrecht oder der Nachlassbesitz zufällt. (1) Aber auch wenn nach der Errichtung des Kodizills ein nächstverwandter Agnat oder ein Hauserbe geboren wird, ist das Fideikommiss zu leisten. Er ist nämlich als eingesetzter Erbe und deshalb nicht so anzusehen, als ob er das Kodizill ungültig machte.

Julian erläutert, warum Fideikommisse wirksam sind, die in einem isoliert und ohne Testament errichteten Kodizill enthalten und zulasten des jeweiligen Erben oder Nachlassbesitzers ausgesetzt sind: Sie behalten auch dann ihre Gültigkeit, wenn es nicht zur zivilrechtlichen Erbfolge, sondern bloß zur Einweisung eines Verwandten in den Nachlassbesitz kommt; und sie fallen selbst dann nicht weg, wenn ein postumus geboren wird. Die Begründung lautet in beiden Fällen, dass derjenige, der schließlich die Erbenstellung einnimmt, bei der Beurteilung des Kodizills wie ein Testamentserbe anzusehen ist, der mit einer ihm im Wege der gesetzlichen Erbfolge zugekommenen Erbschaft ausgestattet ist. Daher kann ihn stets die Verpflichtung aus dem Fideikommiss treffen;143 und seine spätere Geburt kann auch nicht dazu führen, dass das Kodizill unwirksam wird144. Um den Gegenstand eines Fideikommisses geht es in (63) Iul 569 = D 36.1.28.9 (40 dig): Quare si Maevius te heredem instituerit et rogaverit, ut hereditatem Titii restituas, a quo esses heres institutus, et tu hereditatem Maevii adieris, perinde a te fideicommissum petetur, ac si fundum, qui tibi a Titio legatus esset, restituere rogatus fuisses: …

Daher wird, wenn Mävius dich zum Erben eingesetzt und dir durch Fideikommiss auferlegt hat, die Erbschaft des Titius herauszugeben, von dem du als 143  Ebenso 144  Ebenso

Paulus in D 29.7.8.1 (sing codic). Paulus in D 29.7.16 (8 quaest).

154 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian Erbe eingesetzt worden bist, und du die Erbschaft des Mävius angetreten hast, die Erfüllung des Fideikommisses von dir ebenso zu Recht gefordert, als ob dir auferlegt wäre, ein Grundstück, was dir von Titius vermacht worden ist, herauszugeben. …

Julian erläutert, warum das einem Erben auferlegte Fideikommiss zur Herausgabe der Erbschaft eines Dritten gültig ist:145 Es ist nicht anders zu behandeln als das Fideikommiss über eine Sache, die dem Erben von einem Dritten vermacht worden ist. Taugt sie zum Gegenstand eines Fideikommisses, gilt dies auch für eine Erbschaft. Hier wie dort liegt eine res aliena vor, die anerkanntermaßen Objekt eines Fideikommisses sein kann146. An anderer Stelle beschäftigt sich Julian mit dem Unvermögen des Beschwerten zur Leistung, wobei er ähnlich wie im Fall der schuldhaft unerfüllten Dienstpflicht eines libertus147 argumentiert: (64) Iul 552 = D 30.92.1 (39 dig) Si Titio pecunia legata fuerit et eius fidei commissum, ut alienum servum manumitteret, nec dominus eum vendere velit, nihilo minus legatum capiet, quia per eum non stat, quominus fideicommissum praestet: nam et si mortuus fuisset servus, a legato non summoveretur. Ist Titius ein Vermächtnis ausgesetzt und er mit dem Fideikommiss belastet worden, einen fremden Sklaven freizulassen, und will dessen Eigentümer ihn nicht verkaufen, erwirbt er dennoch das Vermächtnis, weil es nicht an ihm liegt, dass er das Fideikommiss nicht leistet. Denn auch wenn der Sklave gestorben wäre, würde er nicht von dem Vermächtnis ausgeschlossen.

Ein Legatar ist zulässigerweise mit dem Fideikommiss beschwert worden, einen fremden Sklaven freizulassen.148 Kann er seine Verpflichtung nicht erfüllen, weil der Eigentümer des Sklaven diesen nicht verkaufen will, wird er von seiner Verpflichtung frei; und auch seiner Klage aus dem Vermächtnis steht kein Einwand im Wege. Beides folgt aus der Regel, dass die Unerfüllbarkeit des Fideikommisses nicht zulasten des Beschwerten geht, wenn sie von ihm nicht zu vertreten ist. Der Musterfall hierfür ist der Tod des freizulassenden Sklaven. Indem Julian ihn anführt, zeigt er, dass der Beschwerte auch im Ausgangsfall, in dem die Freilassung ebenfalls ausgeschlossen ist, von seiner Verpflichtung befreit wird. Die Unschärfe, dass der Tod des Sklaven ein für jedermann bestehendes Hindernis darstellt, während 145  Da es sich nicht um ein Erbschaftsfideikommiss im eigentlichen Sinne handelt, kann der Erbe des Mävius freilich nicht zum Antritt der Erbschaft gezwungen werden. Dies stellt Julian im Fortgang des Textes fest: … ideoque et si suspectam Maevii hereditatem dixeris, cogi te non oportet eam adire. („Deshalb darfst du nicht zum Antritt der Erbschaft des Mävius gezwungen werden, wenn du sie als verdächtig bezeichnet hast.“) 146  Gai  2.261 f. 147  Iul 359 = D 38.1.23.1 (22 dig); s. o. B.I.1.a)bb) (51). 148  Gai 2.261, 271 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung155

seine Unverkäuflichkeit nur die Freilassung durch den Vermächtnisnehmer ausschließt, fällt nicht ins Gewicht; denn für das Fideikommiss kommt es anders als beim Legat nicht nur auf die objektive Möglichkeit der Leistung, sondern auf das individuelle Vermögen des Vermächtnisnehmers an.149 b) Deduktion aa) Schlüsse aus Gesetzen und Juristenregeln (1) Gesetzes- und Ediktsbestimmungen Von der in Julians Werk mit 126 Entscheidungen vertretenen Gruppe der deduktiven Begründungen entfällt der kleinere Teil von insgesamt 43 Falllösungen auf die Ableitung aus gesetzlichen und ediktalen Bestimmungen. Während das Edikt in 28 Konstellation Basis der Falllösung ist, bezieht sich Julian insgesamt 15mal auf Gesetze, senatus consulta und Kaisererlasse. In 12 Fällen gewinnt Julian seine Entscheidung durch einfache Ableitung aus dem Zwölftafel- oder einem Volksgesetz. So beschäftigt ihn die Aktivlegitimation der auf das Zwölftafelgesetz zurückgehenden actio aquae pluviae arcendae in (1) Iul 874 = D 39.3.25 (5 Min): Is, cuius fundo via debetur, aquae pluviae arcendae agere potest fundi sui nomine, quoniam deteriore via facta fundo nocetur.

Derjenige, für dessen Grundstück ein Fahrwegerecht bestellt ist, kann wegen seines Grundstücks Klage auf Zurückhaltung des Regenwassers anstellen, weil durch die Verschlechterung des Weges sein Grundstück beschädigt wird.

Julian begründet, warum zur actio aquae pluviae arcendae auch der Inhaber eines herrschenden Grundstücks zugelassen ist, der durch die Anlage eines Nachbarn nicht auf seinem eigenen Land, sondern deshalb betroffen ist, weil das umgeleitete Regenwasser den Fahrweg beeinträchtigt, den er auf einem dienenden Grundstück benutzen kann. Durch die Beschädigung des Wegs sieht Julian auch das herrschende Grundstück selbst beeinträchtigt, so dass sein Eigentümer die Nachbarklage gegen den Urheber der schädlichen Anlage anstellen kann. Die lex Aquilia ist sowohl mit ihrem ersten als auch mit ihrem dritten Kapitel Gegenstand einer Deduktion: (2) Iul 827 = D 9.2.23.3 Ulp 18 ed Idem Iulianus scribit aestimationem hominis occisi ad id tempus referri, quo plurimi in eo anno fuit: et ideo et si pretioso pictori pollex fuerit praecisus et 149  Gai,

2.262, 265.

156 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian intra annum, quo praecideretur, fuerit occisus, posse eum Aquilia agere pretioque eo aestimandum, quanti fuit priusquam artem cum pollice amisisset.

Julian schreibt auch, der Schätzwert eines getöteten Sklaven sei auf den Zeitpunkt zu beziehen, in dem er in dem letzten Jahr am meisten Wert war; und daher könne, wenn einem wertvollen Maler sein Daumen abgeschnitten und er innerhalb eines Jahres danach getötet worden ist, aus dem aquilischen Gesetz geklagt werden, und sein Wert sei danach zu bestimmen, wie viel er vor dem Verlust seines Daumens wert war.

Julian hält sich an die Vorgabe im ersten Kapitel der lex Aquilia, indem er einen Schädiger, der einen schon seines Daumens beraubten Maler getötet hat, auf den Wert dieses Sklaven vor dieser Verletzung haften lässt, wenn nur der zeitliche Abstand zwischen Daumenverlust und Tötung weniger als ein Jahr beträgt. (3) Iul 653 = D 9.2.42 (48 dig) Qui tabulas testamenti depositas aut alicuius rei instrumentum ita delevit, ut legi non possit, depositi actione et ad exhibendum tenetur, quia corruptam rem restituerit aut exhibuerit. legis quoque Aquiliae actio ex eadem causa competit: corrupisse enim tabulas recte dicitur et qui eas interleverit.

Wer eine Testaments- oder sonstige Urkunde so auswischt, dass man sie nicht mehr lesen kann, haftet mit der Verwahrungs- und Vorlegungsklage, weil er eine beschädigte Sache zurückgegeben oder vorgelegt hat. In dieser Sache steht auch die Klage aus dem aquilischen Gesetz zu. Denn auch von demjenigen, der eine Urkunde unleserlich gemacht hat, nimmt man an, dass er sie beschädigt hat.

Julian begründet, warum gegen den Täter, der eine bei ihm in Verwahrung gegebene Urkunde unleserlich gemacht hat, außer der actio depositi und der actio ad exhibendum auch die actio legis Aquiliae zuständig ist: Selbst wenn die Beseitigung der Schrift nicht mit einer Zerstörung der Urkunde einhergeht, ist der Tatbestand der Klage dennoch erfüllt, weil das Auswischen des Textes unter den Begriff corrumpere fällt, den schon die republikanischen Juristen an die Stelle des im Gesetzeswortlaut zu findenden Wortes rumpere gesetzt haben.150 Die lex Falcidia macht Julian an vier Stellen zum Ausgangspunkt einer Subsumtion. Die für ihre Geltung erforderliche Belastung mit einer Verpflichtung des Erben verneint Julian in (4) Iul 561 = D 30.11 Pap 8 quaest: … denique Iulianus non insuptili ratione motus patrem, cuius filius heres institutus est, extero quidem habita ratione legis Falcidiae restituere hereditatem respondit, quoniam ex persona filii teneretur, ipsi vero filio non admissa Falcidia, quoniam ex persona sua sibi filius obligari non posset ac pater non ut heres, sed ut pater rogari videtur. … 150  Cels 261

= D 9.2.27.13, 15, 16 Ulp 18 ed; s. o. A.I.2.a)aa) (2).



I. Systemimmanente Rechtsfindung157



… So hat Julian durchaus scharfsinnig befunden, dass ein Vater, dessen Sohn zum Erben eingesetzt ist, einem Fremden die Erbschaft unter Abzug der falzidischen Quart herausgebe, weil er aus der Person des Sohnes hafte, seinem Sohn aber, ohne dass das falzidische Gesetz zur Anwendung komme, weil sein Sohn ihm nicht aus eigener Person verpflichtet sein könne und er nicht als Erbe, sondern als Vater mit dem Fideikommiss beschwert sei. …

Julian verneint die Anwendbarkeit der lex Falcidia auf ein Fideikommiss, mit dem ein Vater zugunsten seines von dem Erblasser zum Erben eingesetzten Sohnes beschwert ist. Dass die lex Falcidia nur Geltung erheischt, wenn der Vater die Erbschaft einem Dritten herauszugeben hat, folgt für Julian daraus, dass nur hier eine regelrechte Verpflichtung besteht, während im Verhältnis zu seinem Sohn lediglich eine naturalis obligatio151 begründet sein kann. Diese erfüllt der Vater ohnehin nur freiwillig, ohne sich dabei auf die lex Falcidia berufen zu müssen oder zu können.152 Den Schwellenwert von ¾ der Erbschaft sieht Julian an anderer Stelle verfehlt: (5) Iul 756 = D 35.2.87.1 (61 dig) Item is, qui duos fundos in bonis centum haberet, si me et Titium heredes instituisset et damnasset me, ut Titio fundum Cornelianum quinquaginta venderem et contra Titium damnasset, ut mihi fundum Seianum quinquaginta venderet: non animadverto, quemadmodum lex Falcidia locum habere possit, cum uterque heredum unius fundi partem dimidiam hereditario iure habiturus sit, in qua pars dimidia hereditatis est: nam certe qui damnatus est fundum Cornelianum vendere, Seiani fundi partem hereditario iure habet, item qui damnatus est Seianum fundum vendere, partem Corneliani fundi hereditario iure retinet.

Auch wenn derjenige, der in seinem Vermögen zwei Grundstücke im Wert von 100 hatte, mich und Titius als Erben eingesetzt und mich mit dem Vermächtnis beschwert hat, dem Titius das cornelianische Grundstück zu 50 zu verkaufen, und umgekehrt Titius beschwert hat, mir das seianische Grundstück zu 50 zu 151  Hierzu

B.I.2.a)bb) (6 ff.). Fortgang des Fragments, in dem das Julianzitat weitergeführt wird, lässt sich nur mit Hilfe einer im Text keineswegs angelegten Unterstellung erklären: … et ideo si filio rogatus sit pater post mortem suam, quod ad se pervenit ex legato vel hereditate filio relictis, restituere isque vivo patre decedat, omnimodo patrem id retenturum, quoniam fideicommissum ex persona patris vires acceperit. („Und daher werde der Vater allerdings einen Einbehalt machen, wenn er damit beschwert worden ist, nach seinem Tod dem Sohn herauszugeben, was aus dem Vermächtnis oder der Erbschaft, die dem Sohn hinterlassen sind, an ihn gelangt ist, und der Sohn zu Lebzeiten des Vaters gestorben ist, weil das Fideikommiss in der Person des Vaters wirksam sei.“) Dass zwischen Vater und Sohn oder ihren jeweiligen Erben eine regelrechte Verpflichtung besteht, die auch die lex Falcidia anwendbar macht, lässt sich bei einem vorzeitigen Tod des Sohnes nur dann behaupten, wenn er zuvor freigelassen wurde. Andernfalls stirbt er, ohne selbst Erben zu hinterlassen, so dass auch keine Verpflichtung ex persona patris entstehen und nach dem Tod des Vaters von dessen Erben erfüllt werden kann kann. 152  Der

158 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian verkaufen, so sehe ich nicht, wie das falzidische Gesetz Anwendung finden könnte; denn beiden Erben gehört jeweils entsprechend ihrer hälftigen Beteiligung am Nachlass die Hälfte eines Grundstücks nach Erbrecht. Denn wer damit beschwert ist, das cornelianische Grundstück zu verkaufen, behält seinen Anteil am seianischen Grundstück nach Erbrecht, und wer damit beschwert ist, das seianische Grundstück zu verkaufen, behält seinen Anteil am cornelianischen Grundstück nach Erbrecht.

Die lex Falcidia kommt nicht zum Zuge, wenn sich der Erblasser des Vermächtnisrechts zur Gestaltung einer gleichmäßigen Auseinandersetzung unter Miterben bedient: Besteht sein Vermögen aus zwei gleichwertigen Grundstücken und beschwert er seine beiden Erben jeweils mit der Verpflichtung, eines der Grundstücke dem anderen zu demselben Preis zu verkaufen, haben nicht nur beide Erben nach Erfüllung der Legatsschuld im Ergebnis einen gleich großen Vermögensvorteil. Schon der Tatbestand der lex Falcidia ist nicht erfüllt, weil ja jeder Erbe kraft seines Erbrechts und nicht erst durch die Erfüllung des Vermächtnisses den hälftigen Anteil behält, der ihm an dem Grundstück zusteht, das ihm der andere verkaufen soll. Dieser Anteil macht aber die Hälfte seines Erbteils aus, so dass er nicht über ¾ hinaus belastet ist. Mit der Bemessungsgrundlage für die falzidische Rechnung befasst sich Julian in zwei Fragmenten. In dem einen leitet er die separate Behandlung zweier Erbteile aus der Qualität der Verpflichtung des Erben ab: (6) Iul 756 = D 35.2.87.4, 5 (61 dig) Qui filium suum impuberem et Titium aequis partibus heredes instituerat, a filio totum semissem legaverat, a Titio nihil et Titium filio substituerat. quaesitum est, cum Titius ex institutione adisset et impubere filio mortuo ex substitutione heres exstitisset, quantum legatorum nomine praestare deberet. et placuit solida legata eum praestare debere: nam confusi duo semisses efficerent, ut circa legem Falcidiam totius assis ratio haberetur et solida legata praestarentur. sed hoc ita verum est, si filius antequam patri heres exsisteret decessisset. si vero patri heres fuit, non ampliora legata debet substitutus, quam quibus pupillus obligatus fuerat, quia non suo nomine obligatur, sed defuncti pupilli, qui nihil amplius quam semissis dodrantem praestare necesse habuit. (5) Quod si extranei heredis semis totus legatus fuerit isque pupillo, a quo nihil legatum erat, ex substitu­ tione heres exstiterit, poterit dici augeri legata et perinde agendum, ac si cuilibet coheredi substitutus fuisset eoque omittente hereditatem ex asse heres exstitisset, quia semper substitutus rationem legis Falcidiae ex quantitate bonorum, quae pater reliquerit, ponet.

Jemand hat seinen unmündigen Sohn und Titius zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt, die seinem Sohn hinterlassene Hälfte vollständig mit Vermächtnissen belastet, den Titius nicht beschwert und ihn als Ersatzerben des Sohnes eingesetzt. Es ist gefragt worden, wie viel Titius, wenn er die Erbschaft angetreten habe und nach dem Tod des unmündigen Sohnes auch aufgrund der Ersatzerbeneinsetzung Erbe geworden sei, aus den Vermächtnissen leisten müsse. Und



I. Systemimmanente Rechtsfindung159 es ist schon entschieden worden, dass er die Vermächtnisse vollständig erfüllen muss; denn der Zusammenfall der beiden Hälften bewirkt, dass man bei der Rechnung nach dem falzidischen Gesetz von der gesamten Erbschaft ausgehen muss und die Vermächtnisse voll zu erfüllen sind. Aber dies trifft nur dann zu, wenn der Sohn gestorben ist, bevor er Erbe seines Vaters geworden ist. Ist er dagegen zum Erben seines Vaters geworden, muss der Ersatzerbe die Vermächtnisse nicht in größerem Umfang erfüllen, als der Unmündige verpflichtet gewesen wäre, weil er nicht im eigenen Namen verpflichtet ist, sondern im Namen des Unmündigen, der nicht mehr als drei Viertel leisten musste. (5) Aber wenn die einem fremden Erben hinterlassene Hälfte mit Vermächtnissen erschöpft ist und er zum Ersatzerben des Unmündigen wird, der mit keinen Vermächtnissen beschwert ist, kann man sagen, dass sich die Vermächtnisse vergrößern und so zu verfahren ist, als sei er Ersatzerbe irgendeines Miterben und, weil dieser die Erbschaft ausgeschlagen hat, Alleinerbe geworden; denn die Rechnung nach dem falzidischen Gesetz wird stets nach dem Anteil an dem Vermögen angelegt, das der Erblasser hinterlassen hat.

Julian begründet, warum der Pupillarsubstitution eine Sonderrolle bei der Anwendung der lex Falcidia zukommt: Wird jemand zum gewöhnlichen Ersatzerben, weil der Unmündige noch vor dem Erblasser stirbt, muss man nach Julians Auffassung, die mit der hergebrachten Regel von der Trennung der Erbportionen bricht,153 bei der Berechnung der falzidischen Quart stets von dem gesamten Erbteil ausgehen, der dem Ersatzerben infolge von Substitution und eigener Berufung zum Haupterben als quantitas bonorum quae pater relinquit zukommt. Dementsprechend hat der Substitut Vermächtnisse auch dann in vollem Umfang zu erfüllen, wenn sie einen der ihm hinterlassenen Erbteile ausschöpfen, solange nur durch den anderen Erbteil gewährleistet ist, dass ihm, insgesamt gesehen, ein Viertel verbleibt. Anders soll es sich verhalten, wenn er als Ersatzerbe eines Unmündigen zum Zuge kommt, nachdem der Pupill schon Erbe geworden ist:154 Hier ist die falzidische Quart für Vermächtnisse, mit denen der Pupill beschwert ist, bezogen auf dessen Erbquote und nicht nach dem gesamten Erbteil zu berechnen, der dem Ersatzerben aus eigener Berufung und Substitution zufällt. Denn der Ersatzerbe haftet für sie nicht suo, sondern pupilli nomine, also als Rechtsnachfolger des Unmündigen: Konnte dieser die Vermächtnisse, weil sie seinen Erbteil ausschöpfen, um ein Viertel seiner Erbquote kürzen, darf dies auch der Ersatzerbe, den sie nicht als Vermächtnisse, sondern als Nachlassverbindlichkeiten treffen.155 153  Vgl. D 35.2.11.7 Pap 29 und Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, Berlin 1995, S.  81 ff. 154  Wegen der Wendung ‚placuit‘, mit der Julian in § 4 den Grundsatz der Zusammenrechnung versieht, glaubt Schanbacher (Fn. 153), S. 84 f., Julian rücke hier teilweise von einer früheren Entscheidung ab. 155  Schanbacher (Fn. 153), S. 88, 97 ff. sieht hier außerdem noch die Überlegung am Werk, dass der Erblasser die Überlastung der Pupillportion nur für den Unmün-

160 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

In dem anderen Fragment ordnet er einen im Nachlass vorhandenen Vermögenswert dem abziehbaren aes alienum zu: (7) Iul 301 = D 35.2.85 (18 dig) Si dos socero data est et solus filius heres patri exstitisset, dotem confestim in computatione hereditatis et Falcidiae ratione in aere alieno deducet: aliter enim videbitur indotatam uxorem habere. …

Ist eine Mitgift dem Schwiegervater bestellt worden und wird der Sohn zu seinem Alleinerben, zieht er die Mitgift bei der Bemessung der Erbschaft und der falzidischen Quart von vornherein als Schuld ab; andernfalls würde er nämlich eine Frau ohne Mitgift haben. …

Für die Berechnung der falzidischen Quart kommt es auf den Nettowert der Erbschaft unter Abzug der Erblasserschulden an.156 Dass hierbei auch die Mitgift zu berücksichtigen ist, die der Erblasser für die Ehefrau seines Sohnes und Alleinerben empfangen hat, ergibt sich daraus, dass ihre Einbeziehung in den Erbschaftswert dazu führen würde, dass dem Sohn und damit im Fall der Scheidung auch der Frau nicht mehr die volle Mitgift zur Verfügung stünde. Deshalb ist sie als Sondervermögen in der Erbschaft aes alienum. Um das Ersitzungsverbot für geraubte Sachen nach der lex Iulia et Plautia geht es in (8) Iul 614 = D 41.3.33.2 (44 dig): Si dominus fundi homines armatos venientes existimaverit atque ita profugerit, quamvis nemo eorum fundum ingressus fuerit, vi deiectus videtur: sed nihilo minus id praedium, etiam antequam in potestate domini redeat, a bonae fidei possessore usucapitur, quia lex Plautia et Iulia ea demum vetuit [longa possessione] capi, quae vi possessa fuissent, non etiam ex quibus vi quis deiectus fuisset.

Hat ein Grundstückseigentümer ankommende Leute für bewaffnet gehalten und ist deshalb geflohen, gilt er auch dann als durch Gewalt vertrieben, wenn nie-

digen und nicht auch für den Substituten beabsichtigt hat. Sie trägt allerdings die Entscheidung in § 8 des Fragments, in dem Julian keine Rücksicht auf den Unterschied zwischen Vermächtnisschuld und Nachlassverbindlichkeit macht und den Substitut so stellt, als sei er insgesamt Erbe des Vaters und nicht des Unmündigen geworden: Coheres pupillo datus si pro parte sua legata, habita legis Falcidiae ratione, praestiterit, deinde impubere mortuo ex substitutione heres exstiterit et semis pupilli legatis exhaustus esset, ex integro legis falcidiae ratio ponenda erit, ut contributis legatis, quae ab ipso et quae a pupillo data fuerant, pars quarta bonorum apud eum remaneat. licet enim pupillo heres exsistat, tamen circa legem Falcidiam perinde ratio habetur ac si patri heres exstitisset. nec aliter augebuntur legata, quae ab ipso ultra dodrantem data fuerant, quam augentur, cum ex parte heres institutus et coheredi suo substitutus deliberante coherede legata, habita ratione legis Falcidiae, solvit, deinde ex substitutione alteram quoque partem ­ ­hereditatis adquirat. 156  IJ 2.22.3.



I. Systemimmanente Rechtsfindung161 mand von ihnen das Landgut besetzt hat. Nichtsdestoweniger wird das Grundstück auch, bevor es in die Gewalt des Eigentümers zurückgekehrt ist, von einem rechtmäßigen Besitzer ersessen, weil das plautisch-julische Gesetz nur die Ersitzung der Grundstücke verbietet, die mit Gewalt besetzt worden sind, nicht auch derjenigen, aus denen jemand bloß mit Gewalt vertrieben worden ist.

Wer in Angst vor der nur scheinbaren Gefahr, die von ankommenden Personen ausging, von seinem Grundstück geflohen ist, gilt als vi deiectus und kann demzufolge mit Hilfe eines Interdikts die Wiedereinräumung des Besitzes fordern. Seine Flucht verhindert aber nicht, dass jemand das Grundstück ersitzt, wenn es von den vermeintlichen Aggressoren gar nicht in Besitz genommen worden ist. Denn die Ausnahme, die die lex Iulia et Plautia für die Ersitzung einer gewaltsam abhanden gekommenen Sache macht, gilt nicht schon zugunsten eines vi deiectus, sondern nur für eine Sache, die vi possessa ist,157 so dass die bloße Vertreibung vom Grundstück nicht reicht. Der lex Iulia de fundo dotali gilt die folgende Entscheidung (9) Iul 271 = D 23.5.7.1 (16 dig) Sed cum uxor fundum cui praedia viri servitutem debebant in dotem dat, fundus ad maritum pervenit amissa servitute et ideo non potest videri per maritum ius fundi deterius factum. quid ergo est? officio de dote iudicantis continebitur, ut redintegrata servitute iubeat fundum mulieri vel heredi eius reddi.

Gibt aber die Ehefrau als Mitgift ein Grundstück, für das eine Dienstbarkeit am Grundstück ihres Mannes bestand, so erlangt der Ehemann das Grundstück ohne die Dienstbarkeit; und daher kann man nicht annehmen, dass das Grundstück durch ihn verschlechtert worden sei. Was soll also gelten? Es ist Teil der Amtspflicht des Richters, der über die Rückgewähr der Mitgift entscheidet, anzuordnen, dass das Grundstück der Frau oder ihrem Erben unter Wiederherstellung der Dienstbarkeit zurückgewährt werde.

Julian beurteilt einen Fall, in dem ein Dotalgrundstück verschlechtert worden ist. Verbietet die lex Iulia dem Ehemann die Veräußerung des Grundstücks, darf er auch keine hierfür bestellten Dienstbarkeiten aufgeben.158 Wird ihm ein Grundstück geleistet, zu dessen Gunsten eine Dienstbarkeit an einem eigenen Grundstück besteht, geht diese jedoch schon automatisch mit der Übereignung unter, so dass er die Dienstbarkeit gar nicht erst erlangt hat und folglich auch nicht für ihren Untergang haftbar sein kann.159 Scheitert damit die Subsumtion unter das Verbot der lex Iulia, ist 157  Gai 2.45. 158  D 23.5.5 Ulp 2 omn trib: Iulianus libro sexto decimo digestorum scripsit neque servitutes fundo debitas posse maritum remittere neque ei alias imponere. 159  Anders verhält es sich, wenn der Untergang der Dienstbarkeit darauf beruht, dass der Ehemann das dienende Grundstück später erworben hat; vgl. das principi-

162 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

der Ehemann im Rahmen der Dotalklage aufgrund des Gebots der bona fides gleichwohl zu zwingen, das Grundstück unter Wiederherstellung der Dienstbarkeit herauszugeben, die er gewissermaßen als Teil der Mitgift empfangen hat160. Die lex Iulia iudiciorum wendet Julian in (10) Iul 7 = D 5.1.2pr Ulp 3 ed an: Consensisse autem videntur, qui sciant se non esse subiectos iurisdictioni eius et in eum consentiant. ceterum si putent eius iurisdictionem esse, non erit eius iurisdictio: error enim litigatorum, ut Iulianus quoque libro primo digestorum scribit, non habet consensum. …

Dass sie sich geeinigt haben, kann nur von denen angenommen werden, die wissen, dass sie seiner Gerichtsbarkeit nicht unterworfen sind und sich auf ihn einigen. Dagegen steht ihm keine Gerichtsgewalt zu, wenn sie nicht wussten, dass er sie nicht hat. Aus dem Irrtum der Streitparteien entsteht, wie auch Julian im ersten Buch seiner Digesten schreibt, keine Einigung.161

Die Parteien eines Rechtsstreits können einem an sich unzuständigen Gerichtsherrn durch Vereinbarung Gerichtsgewalt verleihen. Dies setzt jedoch voraus, dass sie überhaupt von der Unzuständigkeit des Gerichtsherrn wissen. Halten sie ihn für zuständig, fehlt ihnen das für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung erforderliche Bewusstsein. Ihr Irrtum schließt dann den consensus aus, der für die Annahme einer wirksamen Prorogation nach der lex Iulia iudiciorum erforderlich ist162. Mit dem Pflichtteil eines Patrons an der Erbschaft seines Freigelassenen nach der lex Papia Poppea befasst sich Julian in (11) Afr 14 = D 38.2.26 (2 quaest): Liberto octoginta habenti fundus quadraginta legatus est: is die cedente legati decessit extraneo herede instituto. respondit posse patronum partem debitam vindicare: nam videri defunctum mortis tempore ampliorem habuisse rem centum, cum hereditas eius propter computationem legati pluris venire possit. neque referre, heres institutus repudiet legatum liberto relictum nec ne: nam et si de lege Falcidia quaeratur, tale legatum quamvis repudiatum in quadrantem hereditatis imputatur legatariis.

Einem Freigelassenen, der ein Vermögen von 80 hatte, wurden 40 hinterlassen. An dem Tag des Vermächtnisanfalls starb er und ließ einen Fremden als Tes-

um des Fragments: Si maritus fundum Titii servientem dotali praedio adquisierit, servitus confunditur et hoc casu maritus litis aestimationem praestabit: … . 160  Vgl. Kies, Die confusio im klassischen römischen Recht, Berlin 1995, S. 52. 161  Vgl. zu diesem Text und seinem Zusammenhang mit dem Satz: errantis voluntas nulla est, Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 154 ff. 162  Vgl. § 1 des Fragments: … lex Iulia iudiciorum ait ‚quo minus inter privatos conveniat‘ … Hierzu auch Bertoldi, La lex Iulia iudiciorum privatorum, Turin 2003, S.  199 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung163 tamentserben zurück. Er hat befunden, der Freilasser könne den ihm geschuldeten Teil herausverlangen. Denn der gestorbene Freigelassene habe zur Zeit seines Todes mehr als 100 besessen, da sein Nachlass wegen Hinzurechnung des Vermächtnisses zu einem entsprechend höheren Betrag verkauft werden könne. Und es komme nicht darauf an, ob der eingesetzte Erbe das dem Freigelassenen hinterlassene Vermächtnis annehme oder nicht. Denn auch wenn die Rechnung nach dem falcidischen Gesetz aufzustellen sei, werde ein Vermächtnis, auch wenn es ausgeschlagen werde, den Vermächtnisnehmern zu dem Viertel der Erbschaft hinzugerechnet.

Die bei einem Vermögenswert von 100.000 einsetzende Beteiligung des Patrons am Nachlass seines Freigelassenen nach der lex Papia Poppea163 findet auch dann statt, wenn die Schwelle nur durch ein Vermächtnis überschritten wird, das dem Freigelassenen zwar ausgesetzt ist, aber von ihm wegen seines Todes nicht mehr angetreten werden kann. Und es kommt auch nicht darauf an, ob der Erbe das Vermächtnis antritt, weil dies, wie Afrikan hinzufügt, auch bei der Berechnung der Pflichtquote nach der lex Falcidia außer Betracht bleibe. Für Julian ist entscheidend, dass der Kaufpreis, der für die Erbschaft des Freigelassenen verlangt werden könnte, durch das angefallene Vermächtnis um dessen Wert erhöht ist. Dieser Kaufpreis macht den Wert der Erbschaft aus, von dem die Beteiligung des Patrons am Nachlass abhängt. Die lex Iulia de alduteriis coercendis beschäftig Julian in (12) Iul 832 = D 48.5.44 Gai 3 leg XII tab: Si ex lege repudium missum non sit et idcirco mulier adhuc nupta esse videatur, tamen si quis eam uxorem duxerit, adulter non erit. idque Salvius Iulianus respondit, quia adulterium, inquit, sine dolo malo non committitur: quamquam dicendum, ne is, qui sciret eam ex lege repudiatam non esse, dolo malo committat. Ist die Erklärung der Scheidung nicht nach den gesetzlichen Regeln erfolgt und eine Frau deshalb noch als verheiratet anzusehen, so ist doch derjenige, der sie heiratet, kein Ehebrecher. Und dies hat Salvius Julian befunden, weil der Ehebruch, wie er sagt, nicht ohne Arglist begangen werde, obwohl zu sagen sei, dass auch derjenige, der wisse, dass die Scheidung nicht gesetzmäßig erklärt worden ist, nicht mit Arglist handle.

Julian verneint die Strafbarkeit wegen Ehebruchs, wenn jemand eine Frau heiratet, die nicht entsprechend dem Zwölftafelgesetz formgerecht geschieden worden ist,164 solange er hiervon nichts weiß. Denn der Tatbestand des Ehebruchs setze dolus malus voraus. Auch die Kenntnis des Formmangels führe aber nicht mehr zu einer Strafbarkeit wegen Ehebruchs, weil die Scheidung nach klassischem Recht an keine Form mehr gebunden ist. 163  Gai 3.42. 164  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., München 1971, S. 327 Fn. 21.

164 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

An einer Stelle verneint Julian den Tatbestand des Interzessionsverbots nach dem senatus consultum Velleianum: (13) Iul 694 = D 16.1.15 (51 dig) Si mulieri solvero id quod tibi debebam et ab ea ratam rem te habiturum stipulatus fuero et forte te ratum non habente agere ex stipulatu instituero, exceptio senatus consulti, quod de intercessionibus feminarum factum est, non proderit mulieri: non enim videri potest alienam obligationem recusare, cum maneam debito obligatus, et ipsa de lucro agat ac potius reddere cogatur quod non debitum acceperat, quam pro alio solvere.

Habe ich einer Frau geleistet, was ich dir schulde, und mir danach von ihr versprechen lassen, dass du die Leistung genehmigst, und habe ich, da du sie nicht genehmigt hast, aus diesem Versprechen Klage gegen sie erhoben, steht der Frau die Einrede aus dem Senatsbeschluss über die Interzession von Frauen nicht zu. Denn sie kann nicht so angesehen werden, als verteidige sie sich gegen eine fremde Verbindlichkeit, da ich dir verpflichtet bleibe, sie selbst zu ihrem eigenen Vorteil handelt und nur gezwungen wird, eine von ihr auf eine Nichtschuld empfangene Leistung zu erstatten, und nicht etwa dazu, für einen anderen zu leisten.

Eine Frau, die eine Leistung auf den Anspruch eines anderen ohne dessen Ermächtigung empfangen hat und diese nicht beizubringen vermag, kann sich gegenüber der Klage des Schuldners auf Rückgewähr der rechtsgrundlosen Leistungen nicht mit der exceptio senatus consulti Velleiani verteidigen. Zwar hat sie sich in die Angelegenheiten eines anderen eingemischt und ist deshalb zur Schuldnerin geworden. Aber sie hat nicht etwa fremdnützig gehandelt, um für diesen zu leisten, sondern vielmehr eigennützig, um die für ihn bestimmte Leistung an sich zu ziehen. Daher lässt sich ihr Verhalten nicht unter den Tatbestand der Einrede subsumieren, die eine Interzession, also die Verpflichtung der Frau im Interesse eines anderen, voraussetzt. Andernorts befasst sich Julian mit den Erfordernissen des mütterlichen Erbrechts nach dem senatus consultum Tertullianum: (14) Iul 741 = D 38.16.8.1 (59 dig) Si quis praegnatem uxorem reliquisset et matrem et sororem, si viva uxore mater mortua fuisset, deinde uxor mortuum peperisset, ad sororem solam legitima hereditas pertinet, quia certum esset matrem eo tempore decessisse, quo legitima hereditas ad eam non pertinebat.

Hat jemand eine schwangere Ehefrau, seine Mutter und seine Schwester hinterlassen und ist die Mutter zu Lebzeiten der Frau gestorben und hat diese danach eine Totgeburt gehabt, steht die gesetzliche Erbschaft allein der Schwester zu, weil gewiss ist, dass die Mutter zu einer Zeit gestorben ist, als ihr die gesetzliche Erbfolge nicht zustand.

Julian untersucht, ob die Erben der Mutter des Erblassers am Nachlass beteiligt sind, wenn die Mutter den Erblasser zwar überlebt hat, aber noch



I. Systemimmanente Rechtsfindung165

gestorben ist, bevor die schwangere Frau des Erblassers eine Totgeburt erlitten hat. Da der nasciturus als suus die Erbfolge der Mutter nach dem senatus consultum Tertullianum ausgeschlossen hätte, hätte sie nur dann Erbin werden können, wenn sie nach seiner Totgeburt gestorben wäre. Denn erst mit ihr erfolgt die Delation,165 so dass die in diesem Moment schon verstorbene Mutter ausscheidet und als Alleinerbin nur die Schwester des Erblassers übrigbleibt. Das durch Kaisererlasse begründete Privileg für Soldatentestamente beschäftigt Julian schließlich in (15) Iul 404 = D 29.1.20 (27 dig): Tribunus militum si intra dies certos, quam successor eius in castra venerat, manens in castris codicillos fecerit et ibi decesserit, quoniam desinit militis loco haberi, postquam successor eius in castra venit, ideo communi iure civium Romanorum codicilli eius aestimandi sunt.

Hat ein Militärtribun, während er noch im Lager weilte, als schon sein Nachfolger angekommen war, ein Kodizill verfasst und ist dann dort gestorben, ist dieses Kodzill nach dem Recht der römischen Bürger zu beurteilen, da er nicht mehr als Soldat gilt, nachdem sein Nachfolger in das Lager gekommen war.

Julian versagt dem Kodizill eines Militärtribuns die für ein Soldatentestament geltenden Privilegien, wenn es zwar noch im Lager, aber schon zu einer Zeit abgefasst wurde, als bereits der Nachfolger des Tribuns im Lager angekommen war. Die Erleichterungen, die für ein Soldatentestament kraft der kaiserlichen Erlasse166 gelten, beschränken sich auf die Zeit des Militärdienstes, so dass mit seinem Ende trotz der andauernden räumlichen Nähe zum Dienstort auch wieder die allgemeinen Regeln für Testamente römischer Bürger eingreifen. Die Falllösungen, die Julian direkt aus dem prätorischen Edikt ableitet, zerfallen in Schlüsse aus einfachen ediktalen Vorgaben und solche Entscheidungen, bei denen der Jurist einen wertungsgebundenen Begriff anwendet und den hierbei eröffneten Spielraum ausfüllt. Ein einfacher Begriff, der Julian insgesamt 12mal als Basis einer Entscheidungsbegründung dient, ist etwa das Interesse, das Ziel der Klage wegen Gestellungsvereitelung ist: (16) Iul 28 = D 2.10.3.4 (2 dig)  Si a fideiussore quinquaginta stipulatus fuero, si in iudicium reus non venerit, petiturus a reo centum, et dolo malo Sempronii factum fuerit, ne in iudicium reus veniat: centum a Sempronio consequar. tanti enim mea interfuisse videtur, quia, si venisset in iudicium, actio mihi centum adversus reum vel adversus heredem eius competebat, licet fideiussor minorem summam mihi promiserit. 165  Vgl. Voci, Diritto ereditario romano, Bd. 2, 2. Aufl., Mailand 1967, S. 500 Fn. 19. 166  D 29.1.1pr Ulp 45 ed.

166 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Habe ich mir von einem Bürgen 50 für den Fall versprechen lassen, dass der Beklagte, den ich auf 100 in Anspruch nehmen wollte, nicht vor Gericht erscheint, und ist es durch die Arglist Sempronius’ geschehen, dass der Beklagte nicht vor Gericht erschienen ist, kann ich Sempronius auf 100 in Anspruch nehmen. So viel macht nämlich mein Interesse aus, weil mir, wenn er vor Gericht erschienen wäre, eine Klage auf 100 gegen den Beklagten oder seinen Erben zugestanden hätte, auch wenn der Bürge eine geringere Summe versprochen hat.

Für den ediktalen Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Interesses daran, dass ein anderer nicht arglistig das Erscheinen des Beklagten vor Gericht verhindert, macht es keinen Unterschied, ob sich der Kläger von einem Gestellungsbürgen einen geringeren als den Klagebetrag hat versprechen lassen. Der Umfang der Forderung gegen den Schädiger richtet sich allein nach dem Interesse des Klägers, auf das die im Edikt ‚de eo per quem factum erit quominus quis in iudicio sistat‘ verheißene Klage gerichtet ist;167 und dieses Interesse entspricht dem Klagebetrag und eben nicht der Bürgschaftssumme.168 Eine vergleichbare Betrachtung des hypothetischen Kausalverlaufs stellt Julian bei der Anwendung der prätorischen actio restitutoria an, mit der ein Gläubiger nach verbotener Fraueninterzession die Wiederherstellung seiner Forderung verlangen kann: (17) Iul 207 = D 16.1.14 (12 dig) Si mulier contra senatus consultum intercesserit, aequum est non solum in veterem debitorem, sed et in fideiussores eius actionem restitui: nam cum mulieris persona subtrahatur creditori propter senatus consultum, integra causa pristina restituenda est.

Ist eine Frau dem Senatsbeschluss zuwider für einen anderen eingetreten, erscheint es billig, wenn nicht nur gegen den alten Schuldner, sondern auch gegen seine Bürgen die Klage wiederhergestellt wird. Denn da die Frau wegen des Senatsbeschlusses dem Gläubiger als Schuldnerin genommen wird, muss die frühere Rechtslage umfassend wiederhergestellt werden.

Scheitert der Anspruch eines Gläubigers gegen eine Frau, die für den Schuldner eingetreten ist, an der Einrede aus dem senatus consultum Velleianum, kann er die Wiedereinsetzung in den Zustand verlangen, der vor der Interzession bestand. Hierzu gehört nicht nur die Hauptschuld, sondern auch die Verpflichtung möglicher Bürgen. Deren Verbindlichkeit ist mit der Interzession untergegangen, für die wiederherzustellende pristina causa aber nicht weniger prägend als die Hauptschuld.169 167  Vgl. das prinicipium des Fragments und Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 1996, S. 230. 168  Medicus, Id quod interest, Köln  /  Graz 1962, S. 272 schließt hieraus, dass quanti interfuit zu Julians Zeit noch keinen fest bestimmten Inhalt hat.



I. Systemimmanente Rechtsfindung167

An anderer Stelle ordnet Julian eine unentgeltliche Zuwendung der Kategorie der donatio perfecta zu, die das prätorische Edikt dadurch vorgibt, dass es die imperfekte lex Cincia mit einer exceptio gegen noch nicht erfüllte Schenkungszusagen sanktioniert: 169

(18) Iul 294 = D 39.5.14 (17 dig) Qui alienum fundum donationis causa excolit, nullam retentionem propter impensas faciet, quia domini res ab eo iniectas continuo efficit.

Wer, um zu schenken, ein fremdes Grundstück bewirtschaftet, hat wegen seiner Aufwendungen kein Zurückbehaltungsrecht, weil die Sachen, die er eingebracht hat, sofort dem Eigentümer gehören.

Hat jemand ein fremdes Grundstück mit dem Ziel bewirtschaftet, dem Grundstückseigentümer unentgeltlich einen Vorteil zuzuwenden, kann er sich später nicht mehr auf den mangelnden Vollzug der Schenkung berufen und Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Denn durch die Verbindung mit dem Grundstück ist dessen Inhaber schon Eigentümer der eingebrachten Sachen geworden, so dass die Schenkung vollzogen und von Bestand ist.170 Unter den Tatbestand der prätorischen Freilassung subsumiert Julian in (19) Iul 585 = D 40.2.4.1 (42 dig): Quotiens dominus servum manumittat, quamvis existimet alienum esse eum, nihilo minus verum est voluntate domini servum manumissum et ideo liber erit. et ex contrario si se Stichus non putaret manumittentis esse, nihilo minus libertatem contingere. plus enim in re est, quam in existimatione et utroque casu verum est stichum voluntate domini manumissum esse. idemque iuris est et si dominus et servus in eo errore essent, ut neque ille se dominum nec hic se servum eius putaret.

Immer wenn der Eigentümer einen Sklaven freilässt, obwohl er glaubt, er gehöre einem anderen, trifft nichtsdestoweniger zu, dass der Sklave mit Willen seines Eigentümers freigelassen worden ist, und deshalb wird er frei. Und umgekehrt, wenn Stichus nicht glaubt, er gehöre dem Freilasser, erlangt er nichtsdestoweniger die Freiheit. Denn in der Wirklichkeit ist mehr vorhanden als in der Vorstellung, und in beiden Fällen ist wahr, dass Stichus mit Willen des Eigentümers freigelassen worden ist. Dasselbe gilt, auch, wenn sich sowohl der Eigentümer als auch Sklave im Irrtum befinden, so dass weder der eine glaubt, der Eigentümer des Sklaven zu sein, noch andere glaubt, der Sklave des Freilassers zu sein.

Julian erklärt den Irrtum von Freilasser und Sklaven, die entweder einzeln oder gemeinsam glauben, der Freilasser sei nicht der Eigentümer, für irre169  Vgl. auch D 16.1.8.11 Ulp 29 ed, wo die Wiederherstellung der Klage gegen omnes qui liberati sunt befürwortet wird. 170  Entgegen Michel, Gratuité en droit romain, Brüssel 1962, S. 297 geht es Julian hier also nicht um den animus donandi, sondern um die Frage, ob die Schenkung vollzogen ist.

168 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

levant und die Freilassung für wirksam. Geht man vom Tatbestand der prätorischen Freilassung aus, die voraussetzt, dass der Sklave voluntate domini in libertate ist, stellt die Fehlvorstellung des Freilassers die voluntas domini, der Irrtum des Sklaven dagegen in Frage, dass er sich in libertate befindet. Julian sieht jedoch weder das eine noch das andere Merkmal beeinträchtigt. Die Fehlvorstellung über die Eigentumsverhältnisse führe jeweils nur dazu, dass sich in Wahrheit ein größerer Effekt einstelle, als die Parteien erwartet hätten (plus est in re quam in existimatione), nicht aber ein andersartiger, der ihren Irrtum zu einer relevanten Fehlvorstellung über die Freilassung machen würde.171 Freilasser und Sklave unterliegen keinem Irrtum über Existenz und Art des Rechtsgeschäfts, an dem sie beteiligt sind. Ihre Fehleinschätzung der Eigentumsverhältnisse kann folglich nichts daran ändern, dass der Sklave mit Willen seines Eigentümers frei geworden und damit der Tatbestand der prätorischen Freilassung erfüllt ist. Zur Einweisung in die prätorische bonorum possessio finden sich in Julians Digesten zwei Entscheidungen: (20) Iul 410 = D 38.7.4 (27 dig) Si ex duobus fratribus alter decesserit testamento iure facto, dein deliberante herede alter quoque intestato decesserit et scriptus heres omiserit hereditatem, patruus legitimam hereditatem habebit: nam haec bonorum possessio ‚tum quem heredem esse oportet‘ ad id tempus refertur, quo primum ab intestato bonorum possessio peti potuisset.

Ist von zwei Brüdern der eine mit gültig errichtetem Testament gestorben und dann auch der andere, als der Erbe noch über den Antritt der Erbschaft nachdachte, ohne Testament gestorben und hat der im Testament eingesetzte Erbe die Erbschaft ausgeschlagen, wird der Onkel die Erbschaft kraft Gesetzes erhalten. Denn für den Nachlassbesitz nach dem Edikt „wer dann Erbe sein muss“ kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem der Nachlassbesitz ohne Testament erstmals hätte gefordert werden können.

Julian befindet über die Berufung zum Nachlassbesitz, wenn der testamentarisch bestimmte Erbe die Erbschaft ausgeschlagen hat, nachdem die Söhne des Erblassers in der Zwischenzeit gestorben sind. Der Nachlass stehe dem Bruder des Erblassers und nicht etwa den Rechtsnachfolgern der Söhne zu. Dies ergibt die Regel, dass für die Einweisung in den Nachlassbesitz nicht der Todeszeitpunkt, sondern der Moment ausschlaggebend ist,172 in dem der Nachlassbesitz erstmals verlangt werden konnte.173 Da in 171  Hierzu und zu anderen Erscheinungsformen des Satzes plus est in re quam in existimatione ausführlich Harke, Error in dominio?, SZ 121 (2004) 129, 143 ff. 172  Dies sagt Julian ausdrücklich im principium des Fragments: … non ad mortis testatoris tempus referuntur, sed ad id, quo bonorum possessio peteretur … . 173  Dies sagt für die agnatische Verwandtschaft auch Gai 3.13.



I. Systemimmanente Rechtsfindung169

diesem Moment keiner der beiden Söhne mehr lebte, können deren Erben nicht zum Zuge kommen, und der Nachlassbesitz fällt an ihren Onkel. (21) Iul 414 = D 38.2.23 (27 dig) Si libertus intestato decesserit relictis patroni filio et ex altero filio duobus nepotibus, nepotes non admittentur, quamdiu filius esset, quia proximum quemque ad hereditatem liberti vocari manifestum est.

Ist ein Freigelassener ohne Testament gestorben und hat einen Sohn seines Freilassers sowie zwei Enkel hinterlassen, die von dessen anderem Sohn abstammen, werden die Enkel nicht zur Erbfolge berufen, solange der Sohn lebt, weil bekanntlich nur der nächste Verwandte zur Erbschaft berufen wird.

Kommen für die Erbfolge nach einem Freigelassenen nur ein Sohn und zwei Enkel des Patrons in Betracht, die von dem anderen Sohn des Patrons abstammen, schließt der überlebende Sohn die beiden Enkel aus. Dieses Ergebnis gewinnt Julian aus der Regel, dass sich die Erbfolge unter den Deszendenten eines Patrons nach der Gradnähe und nicht nach Stämmen richtet174. Um den Nachlassbesitz zur Sicherung des Pflichtteils, den ein Patron am Nachlass seines Freigelassenen hat, geht es in zwei Passagen desselben Fragments: (22) Iul 389 = D 38.2.20pr (Iul 25 dig): Libertus sub condicione iurisiurandi, quam praetor remittere solet, patronum instituit heredem: non puto dubitandum, quin a bonorum possessione submoveatur: verum est enim eum heredem factum.

Ein Freigelassener hat seinen Freilasser unter der Bedingung zum Erben eingesetzt, dass er einen Eid leistet, den der Prätor ihm jedoch üblicherweise erlässt. Daher besteht kein Zweifel, dass er vom Nachlassbesitz ausgeschlossen ist. Denn er ist Erbe geworden.

Julian verweigert einem Patron die Einweisung in den Nachlassbesitz, wenn er unter der Bedingung zum Erben eingesetzt ist, dass er einen normalerweise erlassenen Eid schwört. Denn er ist als unbedingt eingesetzter Erbe anzusehen und kann daher nicht die Einweisung in den Nachlassbesitz beanspruchen, die nur der Sicherung seines Pflichtteils dient. (23) Iul 389 = D 38.2.20.6 (25 dig) Item cum filius hereditatem liberti patris omiserit et coheres eius totius hereditatis onus susceperit, danda erit patrono bonorum possessio. utroque enim casu non filio, sed extraneo pars eripitur.

Hat der Sohn eines Freigelassenen dessen Erbschaft ausgeschlagen und hat sein Miterbe die gesamten Lasten der Erbschaft auf sich genommen, ist dem Freilasser der Nachlassbesitz zu gewähren. In beiden Fällen wird nämlich nicht dem Sohn, sondern einem Fremden ein Teil der Erbschaft entzogen. 174  Ulp

Ep 27.3 f.

170 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Julian befindet, es reiche nicht aus, dass der Sohn eines Freigelassenen, der dessen Patron vorgeht,175 lediglich zur Erbfolge berufen ist. Um das Pflichtteilsrecht des Patrons auszuschließen, muss er die Erbschaft vielmehr auch angetreten haben. Andernfalls wird sie nämlich bloß einem Fremden entzogen, der gegenüber dem Patron nicht privilegiert ist. Dies gilt auch dann, wenn der Fremde als Miterbe neben dem Sohn eingesetzt ist und wegen dessen Ausschlagung zum Alleinerben wird. Mit den Voraussetzungen der als Flankenschutz für das Pflichtteilsrecht des Patrons gedachten actio Fabiana befasst sich Julian in (24) Iul 394 = D 38.5.6 (26 dig): Si libertus, cum fraudare patronum vellet, filio familias contra senatus consultum pecuniam crediderit, non erit inhibenda actio Faviana, quia libertus donasse magis in hunc casum intellegendus est in fraudem patroni quam contra senatus consultum credidisse.

Hat ein Freigelassener, um seinen Patron zu hintergehen, einem Haussohn entgegen dem Senatsbeschluss ein Darlehen gegeben, darf die fabianische Klage nicht verwehrt werden, weil der Freigelassene in diesem Fall eher zum Nachteil des Freilassers geschenkt als wider den Senatsbeschluss ein Darlehen gegeben hat.

Eigentlich ist der Tatbestand der actio Fabiana abstrakt formuliert und erfasst jegliches arglistige Handeln des Freigelassenen, durch das der Pflichtteil seines Patrons geschmälert wird.176 Gleichwohl ist ihr Regeltatbestand die Schenkung, unter die Julian auch ein Darlehen subsumiert, das der Freigelassene in der Absicht, seinen Patron zu beeinträchtigen, einem Haussohn gewährt hat. Da seine Rückgewähr durch das senatus consultum Macedonianum gesperrt ist und der Freigelassene diese Rechtsfolge auch ins Kalkül gezogen hat, deutet Julian das Geschäft als Schenkung, die das Anfechtungsrecht des Patrons aus der actio Fabiana auslöst. Ob ein ungeklärtes Verwandtschaftsverhältnis als Voraussetzung für den vorläufigen Nachlassbesitz eines Unmündigen nach dem edictum Carbonianum vorliegt, beschäftigt Julian in den beiden folgenden Entscheidungen: (25–26)  Iul 385 = D 37.10.7.1, 2 (24 dig) Item si impubes in adoptionem datus esse dicatur et ideo negetur naturalis patris hereditas ad eum pertinere, quia et hoc casu quaeritur, an iure filii hereditatem optinere possit, locus erit Carboniano edicto. (2) Cum vero proponitur exheredatus esse, non est necessarium controversiam in tempus pubertatis differri, quia non de ipsius filii, sed de testamenti iure quaeritur.

Auch wenn behauptet wird, der Unmündige sei zur Annahme an Kindes Statt gegeben worden und deshalb stehe ihm die Erbschaft seines natürlichen Vaters 175  Gai 3.41. 176  D 38.5.1pr

Ulp 44 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung171 nicht zu, greift das karbonianische Edikt ein, weil auch in diesem Fall fraglich ist, ob dem Sohn die Erbschaft richtigerweise gebühren könne. (2) Wird dagegen vorgetragen, dass er enterbt worden sei, ist es nicht nötig, den Rechtsstreit auf den Eintritt der Mündigkeit zu verschieben, weil nicht die Rechtsstellung des Sohnes selbst, sondern die Wirksamkeit des Testaments in Frage steht.

Ist nicht die natürliche Abstammung des Unmündigen von dem Erblasser, sondern zweifelhaft, ob er sein Erbrecht wegen Annahme an Kindes Statt verloren hat, ist dem Unmündigen der vorläufige Nachlassbesitz zu gewähren. Anders verhält es sich, wenn umstritten ist, ob der Unmündige im Testament übergangen oder enterbt worden ist. Entscheidend ist jeweils, ob die Verwandtschaft des Unmündigen im Verhältnis zum Erblasser in Streit steht: Während dies auch dann gilt, wenn das Kindschaftsverhältnis durch Adop­ tion weggefallen sein könnte, steht nicht die Verwandtschaftsfrage im Streit, wenn bloß die Erwähnung des Unmündigen im Testament fraglich ist. Die Reichweite des edictum Carbonianum beschäftigt Julian in (27) Iul 383 = D 37.10.5.1 Ulp 41 ed: Si impubes non defendatur idcircoque missus sit in possessionem etiam adversarius eius, actiones hereditarias quis exercebit? et ait iulianus libro vicensimo quarto digestorum curatorem constitui debere, qui omnia curet actiones exerceat. denique scribit etiam eum, qui cum impubere missus est in possessionem, actiones posse adversus curatorem intendere nec esse prohibendum: nullum enim per hoc praeiudicium hereditati fieri: nam et adversus ipsum pupillum, si satis dedisset, recte experiretur.

Ist ein Unmündiger nicht verteidigt und deshalb auch sein Gegner in den Nachlassbesitz eingewiesen worden, stellt sich die Frage, wer die Erbschaftsklage erheben kann. Und Julian schreibt im 24. Buch seiner Digesten, dass ein Pfleger zu bestellen sei, der alle Geschäfte besorge und auch Klagen erheben könne. Außerdem schreibt er, dass derjenige, der gemeinsam mit dem Unmündigen in den Nachlassbesitz eingewiesen worden ist, gegen den Pfleger klagen könne und daran nicht gehindert werden dürfe. Hierdurch werde nämlich keine Vorentscheidung über die Erbfolge getroffen. Denn auch gegen den Unmündigen könnte er, wenn er Sicherheit geleistet habe, erfolgreich klagen.

Ist ein Unmündiger aufgrund des edictum Carbonianum gemeinsam mit seinem Gegner im Streit um Abstammung und Erbschaft in den Nachlassbesitz eingewiesen worden, muss zur Ausübung der Erbenrechte ein Pfleger bestellt werden. Gegen diesen kann der andere Nachlassbesitzer nach Ju­ lians Ansicht auch gerichtlich vorgehen, da auf diese Weise nicht der Entscheidung über das Erbrecht des Unmündigen vorgegriffen werde, die durch das Edikt gesperrt und erst nach Eintritt der Mündigkeit getroffen werden soll. Häufiger als der Schluss aus einfachen Vorgaben des prätorischen Edikts finden sich in Julians Werk Entscheidungen, die er durch Ausfüllung eines

172 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

wertungsgebundenen Begriffs gewinnt. Von den 16 Falllösungen, die Julian auf diese Weise begründet, beziehen sich drei auf die bona fides als Maßstab der Haftung im gleichnamigen iudicium: (28) Iul 228 = 17.1.22.4 Paul 32 ed Iulianus scripsit mandati obligationem consistere etiam in rem eius qui mandatum suscipit ex eo maxime probari, quod, si pluribus heredibus vendentibus uni mandavero, ut rem hereditariam emeret, etiam pro ea parte, qua heres sit, obligatur mandati actione et obligat: et sane si ille propter hoc extraneo rem non addixerit, quod mandatum susceperat, ex bona fide esse praestare ei pretium, quanti vendere poterat: …

Dass sich die Verpflichtung aus Auftrag auch auf eine eigene Sache des Auftragnehmers beziehen könne, werde, wie Julian schreibt, dadurch bewiesen, dass, wenn mehrere Erben eine Erbschaftssache verkaufen wollen und ich einen beauftrage, sie zu kaufen, er auch im Hinblick auf den Teil, zu dem er Erbe ist, mit der Auftragsklage verpflichtet wird und sich den Auftraggeber verbindlich macht. Und wenn der Auftragnehmer die Sache wegen der Übernahme des Auftrags nicht einem Dritten verkauft hat, sei ihm nach guter Treue der Preis zu leisten, zu dem er die Sache hätte verkaufen können. …

Ist ein Auftrag normalerweise auf den Umgang des Auftragnehmers mit Sachen des Auftraggebers oder deren Anschaffung gerichtet, liegt beim Bezug auf eine Sache des Auftragnehmers gewöhnlich ein Kaufvertrag vor. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn jemand einen Miterben beauftragt, ihm einen Nachlassgegenstand zu besorgen, der einer Erbengemeinschaft gehört. Hier ist der Vertrag zwar auf eine teilweise auch dem Auftragnehmer gehörende Sache gerichtet, aber doch ein Auftrag und kein Kaufvertrag, weil sich der Miterbe nicht unbedingt zur Beschaffung der Sache verpflichten will, für deren Übereignung er ja die Zustimmung der übrigen Erben benötigt.177 Dementsprechend kann der Miterbe vom Auftraggeber auch nicht nur den vereinbarten Preis für die Beschaffung der Erbschaftssache verlangen. Er kann auch beanspruchen, dass der Auftraggeber ihm erstattet, was er dadurch verloren hat, dass er wegen des Auftrags davon abgesehen hat, die Kaufsache einem anderen zu verkaufen. Julian führt diese Ersatzpflicht, die sich nicht auf Aufwendungen im eigentlichen Sinne, sondern einen vom Auftragnehmer erlittenen Schadens bezieht, auf das Gebot der guten Treue zurück, dem die Beurteilung der Verpflichtungen aus der Auftragsklage unterliegt. Es rechtfertigt nach seiner Ansicht die Gleichbehandlung von Aufwendungen und unfreiwillig eingetretenen Vermögensnachteilen, die der Auftragnehmer im Zuge des Auftrags erlitten hat.178

177  Für den eigenen Anteil kann dagegen ein bedingter Kauf vorliegen, wie ihn Julian in Afr 92 = D 17.1.34.1 (8 quaest) erwägt. 178  Vgl. auch das Julianzitat in Afr 74 = D 47.2.61 (7 quaest).



I. Systemimmanente Rechtsfindung173

(29) Iul 118 = D 10.3.24pr (8 dig) Communis servus si ex re alterius dominorum adquisierit, nihilo minus commune id erit: sed is, ex cuius re adquisitum fuerit, communi dividundo iudicio eam summam percipere potest, quia fidei bonae convenit, ut unusquisque praecipuum habeat, quod ex re eius servus adquisierit.

Hat ein in Miteigentum stehender Sklave einen Geldbetrag unter Einsatz des Vermögens eines seiner Eigentümer erworben, steht er nichtsdestoweniger den Eigentümern gemeinschaftlich zu. Derjenige, mit dessen Vermögen der Betrag erworben worden ist, kann ihn aber mit der Teilungsklage erlangen; denn es entspricht der guten Treue, dass jeder vorweg erhält, was der Sklave unter Einsatz seines Vermögens erworben hat.

Setzt ein servus communis zum Erwerb eines Geldbetrags einen Gegenstand ein, der einem seiner Miteigentümer allein gehört, hat dies keine Wirkung auf die Rechtszuständigkeit an dem Geldbetrag, so dass dieser allen Miteigentümern gemeinsam gehört. Im Innenverhältnis der Teilhaber steht er aber dem betroffenen Miteigentümer allein zu, so dass er ihn auch bei der Auseinandersetzung der Gemeinschaft vorweg verlangen kann. Ju­ lian hält dies für ein Gebot der guten Treue, dem die Auseinandersetzung der Gemeinschaft mit Hilfe der actio communi dividundo folgt.179 (30) Iul 329 = D 27.3.1.2 Ulp 36 ed Sed et si non mortis causa donaverit tutore auctore, idem Iulianus scripsit plerosque quidem putare non valere donationem, et plerumque ita est: sed nonnullos casus posse existere, quibus sine reprehensione tutor auctor fit pupillo ad deminuendum, decreto scilicet interveniente: veluti si matri aut sorori, quae aliter se tueri non possunt, tutor alimenta praestiterit: nam cum bonae fidei iudicium sit, nemo feret, inquit, aut pupillum aut substitutum eius querentes, quod tam coniunctae personae alitae sint: quin immo per contrarium putat posse cum tutore agi tutelae, si tale officium praetermiserit.

Aber auch wenn es (das Mündel) nicht von Todes wegen mit dem Einverständnis des Vormunds geschenkt hat, seien, wie Julian auch schreibt, die meisten der Ansicht, dass eine Schenkung nicht gültig sei, und häufig ist es auch so. Aber es könnten einige Fälle auftreten, in denen der Vormund ohne Tadel dem Mündel seine Zustimmung zu einer Verminderung des Mündelvermögens gibt, insbesondere wenn eine Anordnung hierzu ergeht, wie zum Beispiel wenn der Vormund einer Mutter oder einer Schwester, die sich sonst nicht ernähren könnten, Unterhalt gewährt. Da die Vormundschaftsklage eine Klage nach guter Treue sei, werde, wie er sagt, niemand das Mündel oder seinen Ersatzerben hören, wenn sie sich darüber beklagen, dass so nahe Verwandte unterhalten worden seien. Ja er glaubt sogar, dass man umgekehrt gegen den Vormund klagen könne, wenn er diese Pflicht verletzt hat.

179  Ob die Klage selbst die bona fides-Klausel enthielt oder dem Richter nur ein vergleichbarer Spielraum eröffnet war, ist offen; vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1 S. 592.

174 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Ein Vormund darf grundsätzlich keine unentgeltlichen Geschäfte aus dem Mündelvermögen tätigen oder ihnen zustimmen, ohne sich dem Mündel haftbar zu machen. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn der Vormund nahen Verwandten des Mündels wie dessen Mutter oder Schwester Unterhalt gewährt. Dies widerspricht nach Julians Ansicht nicht nur dem Gebot der guten Treue, dem die Beurteilung der Haftung mit der Vormundschaftsklage unterliegt; vielmehr folge es hieraus sogar als positive Pflicht für den Vormund. Der bona-fides-Klausel verwandt ist die aequius melius-Formel der Mitgiftklage: (31) Iul 275 = D 23.3.41.4 Paul 35 ed Si debitor mulieris dotem promiserit et mulierem heredem reliquerit, Labeo perinde habendum ait, ac si mulier ipsa dotem promisisset. cuius sententiam Iulianus quoque probat: nec enim aequum esse ait, ut ei damnetur eius pecuniae nomine, quam ipsa debeat, et satis esse acceptilatione eam liberari.

Hat ein Schuldner der Frau die Mitgift versprochen und sie als Erbin hinterlassen, ist es nach Labeo so anzusehen, als ob die Frau selbst die Mitgift versprochen hätte. Dieser Ansicht ist auch Julian. Es sei, wie er sagt, nämlich nicht gerecht, wenn der Ehemann wegen des Betrags verurteilt werde, den sie selbst schulde, und daher genüge es, wenn sie durch förmlichen Erlass befreit werde.

Eigentlich hat ein Ehemann, der sich eine Mitgift von einem Schuldner der Frau versprechen lässt, dieser nach Beendigung der Ehe den zugesagten Betrag und nicht nur die Forderung herauszugeben, weil es an ihm lag, diese einzuziehen. Ist die Frau aber Erbin des Schuldners geworden und hat der Ehemann sie nicht in Anspruch genommen, kann sie nach Auflösung der Ehe ausnahmsweise nicht den Betrag, sondern nur ihre Befreiung von der nach wie vor unerfüllten Schuld verlangen. Der Frau einen Anspruch auf das zuzugestehen, was sie selbst geschuldet und nicht geleistet hat, erscheint Julian nicht aequus.180 Der dolus einer Partei ist für Julian insgesamt neunmal Ausgangspunkt seiner Falllösung. Als unmittelbar im Edikt genannter Haftungsgrund erscheint er im Edikt bei der actio in eum qui pro tutore negotia gessit:181 (32) Iul 324 = D 27.6.11.3 Ulp 35 ed Iulianus libro vicesimo primo digestorum tractat, in patrem debeat dari haec 180  Noch klarer ist der Bezug auf die aequius-melius-Klausel in der parallelen Entscheidung von Javolen; vgl. D 24.3.66.7 Iav 6 post Lab: Si quis pro muliere dotem viro promisit, deinde herede muliere relicta decesserit, qua ex parte mulier ei heres esset, pro ea parte dotis periculum, quod viri fuisset, ad mulierem pertinere ait Labeo, quia nec melius aequius esset, quod exigere vir ab uxore non potuisset, ob id ex detrimento viri mulierem locupletari: et hoc verum puto. 181  D 27.6.7pr Ulp 12 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung175 actio, qui filiam minorem duodecim annis nuptum dedit. et magis probat patri ignoscendum esse, qui filiam suam maturius in familiam sponsi perducere voluit: affectu enim propensiore magis quam dolo malo id videri fecisse.



Julian behandelt im 21. Buch seiner Digesten die Frage, ob diese Klage gegen einen Vater zu gewähren sei, der seine noch nicht zwölfjährige Tochter verheiratet hat. Und er ist dafür, dem Vater zu verzeihen, der seine Tochter verfrüht in die Familie ihres Verlobten führen wollte. Er habe dies nämlich eher aus übertriebener Zuneigung als aus Arglist getan.

Julian lehnt eine Haftung des Vaters ab, der seine Tochter vor dem Eintritt ihrer Ehemündigkeit verheiratet hat. In Betracht kommt die Klage, die sich gegen denjenigen richtet, der, ohne Vormund zu sein, arglistig seine Zustimmung zu dem Geschäft eines Minderjährigen erteilt hat. Zwar liegen, obwohl der Vater kein Scheintutor ist, die Voraussetzungen dieser Klage bis auf den dolus vor; diesen verneint Julian aber, weil sich die vorzeitige Heirat gerade nicht gegen den Schwiegersohn oder seinen Gewalthaber richtete, sondern diesen gerade nützen sollte. Genannt wird der dolus auch in der formula in factum concepta der actio depositi, womit er auch für das Haftungsregime der auf die bona fides bezogenen formula in ius concepta maßgeblich ist: (33) Iul 209 = D 16.3.1.22 Ulp 30 ed Est autem et apud Iulianum libro tertio decimo digestorum scriptum eum qui rem deposuit statim posse depositi actione agere: hoc enim ipso dolo facere eum qui suscepit, quod reposcenti rem non reddat. …

Bei Julian steht im 13. Buch seiner Digesten aber geschrieben, dass derjenige, der eine Sache hinterlegt hat, umgehend die Verwahrungsklage erheben könne. Wer die hinterlegte Sache übernommen habe, handle nämlich schon dadurch arglistig, dass er sie dem Hinterleger, der sie zurückfordert, nicht zurückgibt.

Julian begründet die sofortige Zuständigkeit der actio depositi gegen den Verwahrer, der unentgeltlich zum Vorteil des Hinterlegers tätig wird und daher bloß für seinen dolus einzustehen hat.182 Gerade diesen wirft Julian ihm vor, wenn er sich der Rückforderung des Hinterlegers widersetzt.183 182  An diesem Grundsatz ändert nichts, dass Celsus auch den Verstoß gegen die eigenübliche Sorgfalt mit einer Haftung versehen will; denn diese folgt für ihn ja gerade daraus, dass die Entscheidung für einen geringeren Sorgfaltsmaßstab im Umgang mit der hinterlegten Sache Vorsatz bedeutet; vgl. Cels 91 = D 16.3.32 (11 dig); s. o. A.I.2.a)bb) (1). 183  Diese Grundsatzentscheidung wird durch die bei Ulpian im Folgenden referierte Note Marcells nicht in Frage gestellt: … Marcellus autem ait non semper videri posse dolo facere eum, qui reposcenti non reddat: quid enim si in provincia res sit vel in horreis, quorum aperiendorum condemnationis tempore non sit facultas? vel condicio depositionis non exstitit? Marcell verweist auf Fälle, in denen die sofortige Rückgabe der hinterlegten Sache nicht möglich ist; mit diesen hat sich Julian aber ersichtlich gar nicht befasst.

176 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Über die Gewährung der exceptio doli befindet Julian an sieben Stellen: (34) Iul 693 = D 46.1.15pr (51 dig) Si stipulatus esses a me sine causa et fideiussorem dedissem et nollem eum exceptione uti, sed potius solvere, ut mecum mandati iudicio ageret, fideiussori etiam invito me exceptio dari debet: interest enim eius pecuniam retinere potius quam solutam stipulatori a reo repetere.

Hast du dir von mir ohne Rechtsgrund ein Versprechen geben lassen und habe ich einen Bürgen gestellt und will nicht, dass er sich einer Einrede bedient, sondern eher, dass er zahlt, um dann gegen mich mit der Auftragsklage vorzugehen, ist dem Bürgen auch gegen meinen Willen die Einrede zu gewähren. Er hat nämlich einen Interesse daran, den Betrag eher zurückzuhalten als ihn nach der Zahlung an den Gläubiger vom Hauptschuldner zurückzufordern.

Steht einem Hauptschuldner die exceptio doli zu, weil er sich ohne Rechtsgrund durch Stipulation verpflichtet hat, kann der Bürge diese Einrede auch dann geltend machen, wenn der Hauptschuldner ihm dies untersagt. Zwar ergibt sich die Einrede aus dem Verhältnis zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie allein dem Schutz des Hauptschuldners zu dienen bestimmt wäre. Dass auch der Bürge dem ohne Rechtsgrund berechtigten Gläubiger dolus vorwerfen kann, kann vielmehr überhaupt nur deshalb fraglich sein, weil der Hauptschuldner wegen des Verbots der Einrede ja unbedingt regresspflichtig ist. Dies genügt für die Versagung der Einrede jedoch deshalb nicht, weil der Bürge wegen der möglichen Insolvenz des Hauptschuldners ja gleichwohl ein Interesse daran hat, gar nicht erst leisten zu müssen. (35) Afr 63 = D 21.2.46.2 (6 quaest) Cum tibi Stichum venderem, dixi eum statuliberum esse sub hac condicione manumissum ‚si navis ex Asia venerit‘, is autem ‚si Titius consul factus fuerit‘ manumissus erat: quaerebatur, si prius navis ex Asia venerit ac post Titius consul fiat atque ita in libertatem evictus sit, an evictionis nomine teneatur. respondit non teneri eum: etenim dolo malo emptorem facere, cum prius exstiterit ea condicio, quam evictionis nomine exsolverit.

Als ich dir Stichus verkauft und gesagt habe, er sei unter der Bedingung freigelassen: „wenn ein Schiff aus Asien kommt“, er aber unter der Bedingung freigelassen war: „wenn Titius Konsul wird“, wurde gefragt, ob wegen Entwehrung gehaftet werde, wenn zuerst ein Schiff aus Asien komme und dann Titius Konsul und die Freiheit des Sklaven erfolgreich geltend gemacht werde. Er hat befunden, dass er nicht hafte. Denn der Käufer verhalte sich arglistig, da zuerst die Bedingung eingetreten sei, mit deren Nennung sich der Verkäufer von der Eviktionshaftung befreit habe.

Ist ein bedingt freigelassener Sklave unter unzutreffender Angabe der Freilassungsbedingung verkauft, kann der Käufer den Verkäufer nicht nach den Grundsätzen der Eviktionshaftung in Anspruch nehmen, wenn die behauptete Bedingung früher eingetreten wäre als diejenige, unter der die



I. Systemimmanente Rechtsfindung177

Freiheit wirklich ausgesetzt ist. Zwar scheidet die Eviktionshaftung nicht schon automatisch mangels eines entsprechenden Schadens des Käufers aus; denn das Garantieversprechen des ein- oder mehrfachen Kaufpreises setzt einen solchen Schaden eben nicht voraus. Julian lässt die Haftung des Verkäufers aber am dolus des Käufers scheitern, der, indem er den Verkäufer in Anspruch nimmt, mehr fordert, als ihm nach seiner eigenen Vorstellung bei Vertragsschluss zugestanden hätte. (36) Iul 477 = D 30.84.5 (33 dig): Qui servum testamento sibi legatum, ignorans eum sibi legatum, ab herede emit, si cognito legato ex testamento egerit et servum acceperit, actione ex vendito absolvi debet, quia hoc iudicium fidei bonae est et continet in se doli mali exceptionem. …

Wer einen Sklaven, der ihm in einem Testament vermacht war, in Unkenntnis dieser Verfügung von dem Erben gekauft und, nachdem er von dem Vermächtnis erfahren hat, mit der Testamentsklage vorgegangen ist und den Sklaven erhalten hat, ist von der Verkäuferklage freizusprechen, weil sie auf die gute Treue gerichtet und ihr die Arglisteinrede inhärent ist. …

Hat jemand einen ihm durch Vermächtnis hinterlassenen Sklaven in Unkenntnis der letztwilligen Verfügung von dem Beschwerten gekauft, kann er, nachdem er aus dem Vermächtnis geklagt und den Sklaven erhalten hat, nicht mehr auf Zahlung des Kaufpreises in Anspruch genommen werden.184 Der zuständigen Klage ist als bonae fidei iudicium nämlich die exceptio doli inhärent. Diese steht dem Anspruch des Verkäufers entgegen, weil der Käufer den Sklaven aufgrund des Legats innehat und daher den Kaufpreis nach seiner Zahlung umgehend wieder zurückfordern könnte.185 (37) Iul 478 = D 30.84.6 (33 dig) Cum pater pro filia sua dotis nomine centum promisisset, deinde eidem centum eadem legasset, doli mali exceptione heres tutus erit, si et gener ex promissione et puella ex testamento agere instituerit: convenire enim inter eos oportet, ut alterutra actione contenti sint.

Hat ein Vater für seine Tochter 100 als Mitgift versprochen, danach ihr denselben Betrag vermacht, kann sich der Erbe mit der Arglisteinrede schützen, wenn sowohl der Schwiegersohn aus dem Versprechen als auch die Tochter aus dem Testament eine Klage anstellen. Zwischen ihnen muss nämlich Einigkeit darüber erzielt werden, dass sie sich mit einer Klage zufrieden geben.

Hat ein Vater die Mitgift seiner Tochter sowohl dem Schwiegersohn versprochen als auch zum Gegenstand eines Vermächtnisses für die Tochter gemacht, kann sich sein Erbe gegenüber beider Forderung mit der exceptio doli schützen. Zwar sind die Ansprüche, für sich genommen, jeweils wirk184  Es

geht hier um eine Variante des concursus causarum; s. u. B.I.2.a)bb) (2 ff.). ergibt sich aus der folgenden Entscheidung; s. u. B.I.1.a)bb) (21) und vgl. Lambrini, Il problema del concursus causarum, Mailand 2000, S. 120. 185  Dies

178 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

sam begründet. Die Tochter und der Schwiegersohn handeln jedoch arglistig, wenn sie aus beiden zugleich vorgehen. Denn sie verhalten sich der Absicht des Erblassers zuwider, der die Mitgift nur einmal bestellen wollte. (38) Iul 692 = D 44.4.4.22 Ulp 76 ed Apud Iulianum quaesitum est, si heres soceri, a quo dos peteretur, exciperet de dolo mariti et mulieris, cui pecunia quaereretur, an obstatura esset exceptio ex persona mulieris. et ait Iulianus, si maritus ex promissione dotis ab herede soceri petat et heres excipiat de dolo filiae, cui ea pecunia adquireretur, exceptionem obstare: dos enim, quam maritus ab herede soceri petit, intellegitur, inquit, filiae adquiri, cum per hoc dotem sit habitura.

Bei Julian wird gefragt, ob, wenn der Erbe des Schwiegervaters, von dem die Mitgift gefordert werde, eine Einrede wegen der Arglist des Mannes und der Frau erhebe, für die das Geld erworben würde, die Einrede aus der Person der Frau entgegenstehe. Und Julian sagt, die Einrede stehe entgegen, wenn der Mann aus einem Mitgiftversprechen klage und der Erbe des Schwiegervaters die Einrede wegen der Arglist der Tochter erhebe, für die das Geld erworben werde. Die Mitgift, die der Mann von dem Erben des Schwiegervaters fordert, sei nämlich, wie Julian sagt, so anzusehen, als ob sie für die Tochter erworben werde, da sie hiermit ausgestattet werde.

Der vom Schwiegersohn auf Leistung der versprochenen Mitgift in Anspruch genommene Erbe des Schwiegervaters kann die exceptio doli nach Julians Ansicht auch dann mit Erfolg erheben, wenn er dem Schwiegersohn selbst keinen dolus vorwerfen, sich aber auf ein arglistiges Verhalten der Tochter berufen kann. Zwar hat sie aus dem Mitgiftversprechen keinen Anspruch erworben und tritt auch nicht als Klägerin auf. Von der eingeklagten Leistung profitiert sie dennoch gleichsam als Klägerin, weil die Mitgift ein vom Ehemann verwaltetes Sondervermögen darstellt und ihr im Scheidungsfall auch regelrecht gehört. (39) Iul 74 = D 5.1.74.2 (5 dig) Cum absentem defendere vellem, iudicium mortuo iam eo accepi et condemnatus solvi: quaesitum est an heres liberaretur, item quae actio mihi adversus eum competeret. respondi iudicium, quod iam mortuo debitore per defensorem eius accipitur, nullum esse et ideo heredem non liberari: defensorem autem, si ex causa iudicati solverit, repetere quidem non posse, negotiorum tamen gestorum ei actionem competere adversus heredem: qui sane exceptione doli mali tueri se possit, si ab actore conveniatur.

Als ich einen Abwesenden verteidigen wollte, ließ ich mich, nachdem er schon gestorben war, auf den Rechtsstreit ein und erbrachte nach meiner Verurteilung die Leistung. Es wurde gefragt, ob der Erbe befreit werde und welche Klage mir gegen ihn zustehe. Ich habe befunden, dass der Rechtsstreit, da er schon nach dem Tod des Schuldners durch den Vertreter aufgenommen wurde, keine Wirkung habe und daher der Erbe auch nicht befreit werde. Der Vertreter könne aber, da er auf ein Urteil gezahlt habe, seine Leistung auch nicht zurückfordern; ihm stehe aber die Geschäftsführungsklage gegen den



I. Systemimmanente Rechtsfindung179 Erben zu. Dieser könne sich nämlich mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung verteidigen, wenn er von dem Kläger in Anspruch genommen werde.

Julian findet mit Hilfe der exceptio doli einen Ausweg aus der Sackgasse, in die ein auftragsloser Geschäftsführer durch die Kondiktionssperre bei der Leistung auf ein Urteil geraten ist: Hat er den Rechtsstreit auf Beklagtenseite aufgenommen, als der Geschäftsherr schon gestorben war, kann der Prozess für dessen Erben keine Wirkung mehr entfalten: Die litis contestatio befreit den Erben nicht; und die Zahlung auf das nichtige Urteil ist ebenfalls ohne Effekt, weil sie zur Erfüllung der eigenen Judikatsschuld des Geschäftsbesorgers erfolgt.186 Dementsprechend müsste eigentlich auch die Geschäftsführungsklage scheitern, weil der Geschäftsbesorger ein von vornherein unnützes Geschäft geführt hat.187 Da er jedoch auch seine Leistung an den Kläger nicht zurückverlangen kann,188 ist dieser durch sie endgültig bereichert. Indem Julian dem Erben deshalb die exceptio doli gegen den Gläubiger zugesteht, schafft er zugleich die Grundlage für einen Anspruch des Geschäftsführers auf Ersatz seiner Aufwendungen, die dann doch nicht vergebens waren. (40) Iul 28 = D 2.10.3.3 (2 dig) Si et stipulator dolo promissoris et promissor dolo stipulatoris impeditus fuerit quo minus [ad iudicium] veniret: neutri eorum praetor succurrere debebit, ab utraque parte dolo compensando.

Wurde der Gläubiger durch die Arglist des Schuldners, dieser durch die Arglist des Gläubigers daran gehindert, vor Gericht zu erscheinen, darf der Prätor keinem von beiden zu Hilfe kommen, da sich die Arglist beider Seiten aufhebt.

Es geht um die Haftung aus dem Edikt: ‚de eo per quem factum erit quominus quis in iudicio sistat‘. Sie ist eigentlich nur für den Fall gedacht, dass ein Dritter eine Prozesspartei am Erscheinen vor Gericht hindert, wird von Julian aber zuweilen einer der Parteien auferlegt.189 Während er im vorangehenden Abschnitt des Fragments beiden Parteien einen Schadensersatzanspruch zugesteht, falls sie jeweils durch einen Dritten arglistig von dem Prozess ferngehalten worden sind,190 lehnt er in dieser Passage eine 186  Vgl.

Müller-Ehlen, Hereditatis petitio, Köln u. a. 1998, S. 196. erheblich ist dagegen, wie Müller-Ehlen (Fn. 186), S. 197 zu Recht bemerkt, der Irrtum über die Person des Geschäftsherrn, der statt des Erblassers dessen Erbe ist; vgl. D 3.5.5.1 Ulp 10 ed. 188  Ulpian führt dies auf die Autorität des Urteils zurück; vgl. D 17.1.29.5 (7 disp): … tunc enim propter auctoritatem rei iudicatae repetitio quidem cessat … . 189  Iul 28 = D 2.10.3.1 (2 dig); s. u. B.II.1.a)aa) (2). 190  D 2.10.3.2 Iul 2 dig: Si et stipulator dolo Titii et promissor dolo Maevi impeditus fuerit, quo minus in iudicio sistatur: uterque adversus eum, cuius dolo impeditus fuerit, actione in factum experietur. 187  Nicht

180 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Haftung ab, wenn sich die Parteien gegenseitig daran hindern, vor Gericht zu erscheinen. Der Vorsatz von Kläger und Beklagtem schließt es für ihn aus, dass der Prätor die ediktale Klage ausnahmsweise auch für eine Prozesspartei vorsieht. Außerdem begründet es gegenüber der Verpflichtung des Beklagten aus dem Vadimonium die hierfür im Edikt vielleicht eigens aufgeführte191 exceptio doli,192 so dass beide Parteien ohne Anspruch bleiben. Dem so sanktionierten Vorwurf des dolus liegt das Gleichbehandlungsgebot zugrunde: Wer einen Anspruch auf Ersatz des Schadens erhebt, der ihm durch das Verhalten der anderen Seite entstanden ist, muss sich den Vorwurf der Arglist gefallen lassen, weil er dem anderen vorhalten müsste, was er selbst getan hat. Der dem dolus verwandte Begriff der fraus ist Gegenstand zweier Entscheidungen zum interdictum fraudatorium: (41) Iul 679 = D 42.8.17.1 (49 dig) Lucius Titius cum haberet creditores, libertis suis isdemque filiis naturalibus universas res suas tradidit. respondit: quamvis non proponatur consilium fraudandi habuisse, tamen qui creditores habere se scit et universa bona sua alien­ avit, intellegendus est fraudandorum creditorum consilium habuisse: ideoque et si filii eius ignoraverunt hanc mentem patris sui fuisse, hac actione tenentur.

Lucius Titius hatte Gläubiger und übertrug sein ganzes Vermögen seinen Freigelassenen, die zugleich seine natürlichen Söhne waren. Er hat befunden: Obwohl nicht vorgetragen ist, dass er Benachteiligungsabsicht hatte, ist dennoch derjenige, der weiß, dass er Gläubiger hat, und dennoch sein gesamtes Vermögen veräußert, so anzusehen, als hätte er Benachteiligungsabsicht. Und daher haften seine Söhne auch dann, wenn sie nicht wussten, dass dies die Absicht des Vaters war.

Hat jemand sein gesamtes Vermögen in Kenntnis seiner Schulden seinen Freigelassenen übertragen, kann gegen diese das interdictum fraudatorium eigentlich nur bei Nachweis einer Benachteiligungsabsicht des Schuldners angestellt werden. Julian lässt hierfür jedoch schon die Kenntnis der Schulden und der Vermögensübertragung genügen, weil sich aus ihnen zwingend der Schluss auf eine zumindest bedingt vorsätzliche Benachteiligung der Gläubiger ergibt.193 191  Vgl.

Lenel, Editum Perpetuum, S. 502. verweist Ulpian, der aus diesem Grund von vornherein ausschließt, dass die Klage gegen den Kläger zuständig ist; vgl. D 2.10.1.3 Ulp 7 ed: Si reus dolo actoris non steterit, non habebit reus adversus eum actionem ex hoc edicto, cum contentus esse possit exceptione, si ex stipulatu conveniatur de poena, quod ad iudicium non venerit. aliter atque si ab alio sit impeditus: nam actionem propositam adversus eum exercebit. 193  Entgegen Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht, Göttingen 2003, S. 121 sehe ich hierin keine Vermutung, sondern einen zwingenden Schluss auf das consilium fraudandi. 192  Hierauf



I. Systemimmanente Rechtsfindung181

(42) Iul 679 = D 42.8.17 (49 dig) Si vir uxori, cum creditores suos fraudare vellet, soluto matrimonio praesentem dotem reddidisset, quam statuto tempore reddere debuit, hac actione mulier tantum praestabit, quanti creditorum intererat dotem suo tempore reddi: nam praetor fraudem etiam in tempore fieri intellegit.

Hat ein Mann, um seine Gläubiger zu benachteiligen, nach der Scheidung die Mitgift sofort zurückerstattet, obwohl er sie erst zu einem bestimmten Termin hätte zurückgewähren müssen, haftet die Frau mit dieser Klage darauf, was das Interesse der Gläubiger daran ausmacht, dass die Mitgift zur rechten Zeit zurückgewährt worden wäre. Denn der Prätor kann eine Benachteilung der Gläubiger auch in zeitlicher Hinsicht feststellen.

Dass auch die vorzeitige Erfüllung einer Schuld die anderen Gläubiger eines Schuldners zur Erhebung des interdictum fraudatorium berechtigt, ergibt sich für Julian daraus, dass hier ein fraus in tempore vorliege: Der Schuldner hat zwar in gegenständlicher Hinsicht nicht mehr als geschuldet, wohl aber früher als nötig geleistet und so die übrigen Gläubiger benachteiligt. Die iusta causa als Grund für eine restitutio beschäftigt Julian schließlich in (43) Iul 58 = D 44.7.15 (4 dig): Qui cum herede egit, exceptione summotus est hac: ‚si non in ea causa tabulae testamenti sint, ut contra eas emancipato bonorum possessio dari possit‘. emancipato omittente bonorum possessionem non inique postulabit creditor restitui sibi actionem adversus scriptum heredem: nam quamdiu bonorum possessio contra tabulas filio dari potest, heres quodammodo debitor non est.

Jemand, der Klage gegen einen Erben erhoben hatte, wurde mit der Einrede überwunden: „falls das Testament nicht derart ist, dass einem emanzipierten Sohn der Nachlassbesitz gegen das Testament eingeräumt werden kann“. Nachdem der Hauserbe die Erbschaft ausgeschlagen hatte, forderte der Gläubiger nicht zu Unrecht die Wiedereinsetzung seiner Klage gegen den Testamentserben. Denn so lange der Nachlassbesitz dem Sohn gegen das Testament eingeräumt werden kann, scheint der Erbe gewissermaßen kein Schuldner zu sein.

Ein Erbschaftsgläubiger ist gegen den Testamentserben unterlegen, weil diesem eine Einrede wegen der drohenden Einweisung eines im Testament übergangenen emanzipierten Sohnes in den Nachlassbesitz zustand. Nachdem der Sohn die Erbschaft ausgeschlagen hat, begehrt der Gläubiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. In Betracht kommt nur eine restitutio aus der Generalklausel, die eine Wiedereinsetzung ex alia iusta causa erlaubt194. Julian rechtfertigt sie mit der Erwägung, dass der Testamentserbe, 194  D 4.6.1.1

Ulp 12 ed.

182 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

der eigentlich passivlegitimiert, aber mit der Einrede siegreich gewesen ist, in einem weiteren Sinne vorübergehend nicht Schuldner des Klägers war.195 Da dieser deshalb zwischenzeitlich keine Möglichkeit hatte, erfolgreich gegen ihn vorzugehen, befindet er sich damit in derselben Lage wie der Prozessgegner desjenigen, gegen den die potestas agendi nicht eröffnet ist. Da dies sogar ein im Edikt vertypter Fall der Wiedereinsetzung ist,196 kann man diese nach der Generalklausel auch im vorliegenden Fall zum Zuge kommen lassen. (2) Juristenrecht Erheblich öfter als auf Gesetzes- oder Ediktsbestimmungen greift Julian bei seinen deduktiven Entscheidungsbegründungen auf Sätze des Juristenrechts zurück. Diese bringt er in insgesamt 69 Fällen zur Anwendung, die sich auf alle Bereiche des Privatrechts verteilen. Um das Bestimmtheitserfordernis für eine Stipulation geht es in (1) Iul 705 D 45.3.10 (52 dig): Sed et si ita stipuletur: ‚Titio decem aut Maevio fundum dare spondes?‘, quia incertum est, utri eorum adquisierit actionem, idcirco inutilis stipulatio existimanda est.

Aber auch wenn er (der gemeinschaftliche Sklave) sich wie folgt versprechen lässt: „Versprichst du, Titius zehn oder Maevius das Grundstück zu leisten?“, ist das Versprechen als unwirksam anzusehen, weil unklar ist, für wen der beiden er eine Klage erworben hat.



D 45.3.21 Venul 1 stip Si servus communis ita stipuletur: ‚Kalendis Ianuariis decem Titio aut Maevio dominis, uter eorum tunc vivet, dare spondes?‘, inutilem esse stipulationem Iulianus scribit, quia non possit in pendenti esse stipulatio nec apparere, utri eorum sit adquisitum.



Lässt sich ein gemeinschaftlicher Sklave folgendermaßen versprechen: „Versprichst du, am 1. Januar dem Titius oder dem Mävius, welcher von beiden dann noch lebt, zu leisten?“, so sei das Versprechen, wie Julian schreibt, unwirksam, weil es nicht in der Schwebe bleiben könne und nicht erkennbar sei, für wen von den beiden die Forderung erworben werde.

In einem Originalfragment und einem Zitat bei Venuleius, die Lenel zusammengefügt hat, befasst sich Julian mit Stipulationen gegenüber einem 195  Bemerkenswerterweise fehlt gerade diese Begründung in der Parallelstelle, einem Julianzitat in Ulpians Ediktskommentar; vgl. D 44.2.2 Ulp 13 ed. 196  D 4.6.1.1 Ulp 12 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung183

gemeinschaftlichen Sklaven, die an der Unbestimmtheit der Gläubigerrolle scheitern: Hat sich der Sklave für den einen Eigentümer einen Geldbetrag und alternativ hierzu für den anderen ein Grundstück versprechen lassen, können nicht beide Miteigentümer jeweils einzeln Gläubiger für die einzelnen Leistungsgegenstände sein. Sie können nur entweder beide zugleich oder einzeln Gläubiger der gesamten Wahlschuld sein. Da völlig offen ist, welche dieser Varianten gelten soll, ist das Versprechen schlechthin unwirksam. Dasselbe gilt in dem Fall, dass sich der gemeinschaftliche Sklave die Leistung an den zu einem bestimmten Termin noch lebenden Miteigentümer hat versprechen lassen. Selbst wenn nur einer von beiden den Leistungszeitpunkt erlebt, bleibt die Zuordnung des Anspruchs zunächst in der Schwebe; und darüber hinaus ist unklar, für welchen Herrn die Forderung erworben wird, wenn beide an diesem Termin noch leben. Die Nichtigkeit einer Stipulation wegen Unmöglichkeit der versprochenen Leistung und die Voraussetzungen der Novation beschäftigen Julian in zwei aufeinanderfolgenden Abschnitten eines anderen Fragments: (2, 3)  Iul 697 = D 45.1.56.6, 7 (52 dig): Qui proprietatem sine usu fructu habet, recte usum fructum dari sibi stipulatur: id enim in obligationem deducit, quod non habet, sed habere potest. (7) Si a te stipulatus fuero fundum Sempronianum, deinde eundem fundum detracto usu fructu ab alio stipulor, prior stipulatio non novabitur, quia nec solvendo fundum detracto usu fructu liberaberis, sed adhuc a te recte fundi usum fructum peterem. …

Wer das Eigentum unter Ausnahme des Nießbrauchs hat, lässt sich zu Recht den Nießbrauch versprechen. Es wird nämlich zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht, was er noch nicht hat, aber haben kann. (7) Habe ich mir von dir das sempronianische Grundstück versprechen lassen, danach von einem anderen dasselbe Grundstück unter Ausnahme des Nießbrauchs, wird das erste Versprechen nicht noviert, weil du durch die Leistung des Grundstücks unter Ausnahme des Nießbrauchs nicht befreit wirst, sondern ich von dir zu Recht den Nießbrauch fordere. …

Das Versprechen eines Nießbrauchs an den Eigentümer der Sache scheitert dann nicht an der Unmöglichkeit seiner Erfüllung, wenn er bislang die nuda proprietas hat, während der Nießbrauch einem anderen zusteht. Zwar kann er nicht im eigentlichen Sinne Nießbraucher der ihm gehörenden Sache werden. Durch Erfüllung der Stipulationsverpflichtung kommt ihm jedoch das Nutzungsrecht zu, dessen er bisher entbehrt. Dasselbe bleibt auch dann als Leistungsinhalt übrig, wenn sich jemand zunächst ein Grundstück schlechthin und danach dieses Grundstück wieder unter Ausnahme des Nießbrauchs von einem Dritten hat versprechen lassen. Leistet dieser Dritte, kann der Gläubiger aus der ersten Stipulation noch isoliert den Nießbrauch fordern. Daher kann die zweite Stipulation trotz des Schuldnerwechsels, der

184 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

eigentlich für eine Novation genügt,197 dennoch nicht als solche angesehen werden. Um die Klagenkonsumption bei zwei inhaltsgleichen Versprechen geht es in (4) Iul 714 = D 44.7.18 (54 dig): Si is, qui Stichum dari stipulatus fuerat, heres exstiterit ei, cui ex testamento idem Stichus debebatur: si ex testamento Stichum petierit, non consumet stipulationem, et contra si ex stipulatu stichum petierit, actionem ex testamento salvam habebit, quia initio ita constiterint hae duae obligationes, ut altera in iudicium deducta altera nihilo minus integra remaneret.

Derjenige, der sich hat versprechen lassen, dass ihm Stichus geleistet wird, ist zum Erben desjenigen geworden, dem derselbe Stichus aus Testament geschuldet wird. Fordert er Stichus aus dem Testament, verbraucht er damit nicht das Versprechen; und wenn er Stichus aus dem Versprechen fordert, bleibt ihm umgekehrt die Klage aus dem Testament erhalten; denn am Anfang waren es zwei Verpflichtungen und derart begründet, dass die eine nichtsdestoweniger erhalten blieb, wenn die andere zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht wurde.

Julian begründet, warum es bei einem durch Erbfolge verdoppelten Anspruch auf Leistung desselben Sklaven nicht zur Klagenkonsumtion kommt: Da die Forderungsrechte ursprünglich unterschiedlichen Personen zustanden, sind sie nicht miteinander verbunden, vielmehr nur zufällig später in derselben Person zusammengetroffen.198 Die Regel über die Unmöglichkeit bei der Wahlschuld beschäftigt Julian in (5) Iul 161 = D 12.6.32pr (10 dig); Cum is qui Pamphilum aut Stichum debet simul utrumque solverit, si, posteaquam utrumque solverit, aut uterque aut alter ex his desiit in rerum natura esse, nihil repetet: id enim remanebit in soluto quod superest.

Hat jemand, der Pamphilus oder Stichus schuldete, beide zugleich geleistet, kann er nichts zurückfordern, wenn nach der Leistung entweder einer von beiden gestorben ist oder beide gestorben sind. Gegenstand der Erfüllung ist nämlich, was übrig bleibt.

Der Schuldner einer Wahlschuld hat, statt sich für einen der beiden alternativ versprochenen Sklaven zu entscheiden, versehentlich beide zugleich geleistet. Auch wenn nur einer der beiden Sklaven gestorben ist, kann er den überlebenden nicht zurückfordern, weil dieser in soluto bleibt. Julian 197  Gai

3.176. eine der beiden Verpflichtungen nicht gerichtlich geltend gemacht wird, liegt ein Fall des concursus causarum eines entgeltlichen und eines unentgeltlichen Erwerbsgrundes vor, bei dem ungeachtet der Unmöglichkeit der nicht erfüllte Anspruch erhalten bleibt; s. u. B.I.2.a)bb) (2 ff.). 198  Falls



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macht hier die für noch nicht erfüllte Wahlschulden geltende Regel fruchtbar, dass sich das Schuldverhältnis bei Unmöglichkeit einer Leistung auf die andere beschränkt199. War bis zum Tod des einen Sklaven noch offen, welcher von beiden Erfüllungsgegenstand sein sollte, weil der Schuldner mit beider Leistung sein Wahlrecht unausgeübt gelassen hatte,200 gilt nun der überlebende Sklave als einziger Erfüllungsgegenstand, der folglich auch nicht zurückgefordert werden kann. Im Bürgschaftsrecht wendet Julian den aus dem Akzessorietätsgedanken folgenden Satz an, dass Hauptschuld und Bürgschaft denselben Gläubiger haben müssen: (6) Iul 709 = D 46.1.16pr (53 dig) Fideiussor obligari non potest ei, apud quem reus promittendi obligatus non est. quare si servus communis Titii et Sempronii nominatim Titio dari stipulatus fuerit et fideiussorem ita interrogaverit: ‚Titio aut Sempronio id dare spondes?‘, Titius quidem petere a fideiussore poterit, Sempronii vero persona in hoc solum interposita videbitur, ut solvi ei ante litem contestatam et ignorante vel invito Titio possit.

Ein Bürge kann nicht demjenigen verpflichtet werden, dem der Hauptschuldner nicht verpflichtet ist. Hat sich der gemeinschaftliche Sklave von Titius und Sempronius ausdrücklich eine Leistung an Titius versprechen lassen und den Bürgen gefragt: „Versprichst du, dies Titius und Sempronius zu leisten?“, so kann daher zwar Titius von dem Bürgen die Leistung fordern; Sempronius gilt aber als allein zu dem Zweck genannt, dass ihm vor der Streitbefestigung auch ohne Wissen und gegen den Willen des Titius geleistet werden kann.

Ein gemeinschaftlicher Sklave hat sich für einen seiner beiden Eigentümer das Versprechen eines Hauptschuldners und von einem von diesem gestellten Bürgen für beide Eigentümer eine hierauf bezogene fideiussio geben lassen. Aus dieser kann nur der Gläubiger des Hauptschuldners berechtigt werden, während der andere Miteigentümer des Sklaven lediglich solutionis causa adiectus ist. Dies folgt aus dem Satz, dass der Gläubiger des Bürgen mit dem des Hauptschuldners personengleich sein muss. Andernorts richtet er sich nach der Regel, dass Bürge und Hauptschuldner nicht identisch sein dürfen: 199  D 13.4.2.3 Ulp 27 ed: … et ideo cum quis Stichum aut Pamphilum promittit, eligere posse quod solvat, quamdiu ambo vivunt: ceterum ubi alter decessit, extingui eius electionem, ne sit in arbitrio eius, an debeat, dum non vult vivum praestare, quem solum debet. … Ferner D 18.1.34.6 Paul 33 ed: Si emptio ita facta fuerit: ‚est mihi emptus stichus aut pamphilus‘, in potestate est venditoris, quem velit dare, sicut in stipulationibus, sed uno mortuo qui superest dandus est … D 45.1.128 Paul 10 quaest: … eadem ratione qui Stichum aut Pamphilum stipulatur, si in unum constiterit obligatio, quia alter stipulatoris erat … 200  Richtig Ziliotto, Studi sulle obligazioni alternative nel diritto romano, Mailand 2004, S. 30 Rn. 21.

186 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (7) Afr 82 = D 46.1.21.2 (7 quaest) Servo tuo pecuniam credidi: eum tu manumisisti: deinde eundem fideiussorem accepi. si quidem in eam obligationem fideiubeat, quae adversus te intra annum sit, obligari eum ait: sin vero in naturalem suam, potius ut nihil agatur: non enim intellegi posse, ut quis pro se fideiubendo obligetur. …

Ich habe deinem Sklaven ein Darlehn gegeben; du hast ihn freigelassen; danach habe ich ihn als Bürgen angenommen. Er sagt, dass er verpflichtet werde, wenn er sich für die Verpflichtung verbürgt hat, die gegen dich binnen Jahresfrist bestehe. Habe er sich dagegen für seine eigene natürliche Verbindlichkeit verbürgt, werde eher nichts bewirkt; denn man könne nicht annehmen, dass jemand verpflichtet werde, indem er sich für sich selbst verbürge. …

Julian beurteilt die Verpflichtung eines ehemaligen Sklaven aus einer Bürgschaft, die er nach seiner Freilassung, aber für eine von ihm zuvor begründete Darlehensverbindlichkeit übernommen hat. Das Bürgschaftsversprechen des Sklaven soll nur dann gültig sein, wenn er so Sicherheit für die Verpflichtung seines ehemaligen Eigentümers geleistet hat, der nach der Freilassung des Sklaven noch binnen Jahresfrist mit der actio de peculio in Anspruch genommen werden kann. Hat sich der Sklave dagegen für seine eigene Verpflichtung gegenüber dem Darlehensgeber verbürgt, ist dies nach Julians Ansicht wirkungslos. Zwar wäre die Bürgschaft keineswegs unsinnig, weil die Verpflichtung des Freigelassenen, der das Darlehen noch als Sklave aufgenommen hat, lediglich als Naturalobligation besteht, die durch die regelrechte Verpflichtung aus der Bürgschaft ergänzt würde. Gleichwohl verneint Julian eine Bürgschaftsverpflichtung, weil er es für undenkbar hält, dass sich ein Hauptschuldner für sich selbst verbürgt. Um die Existenz der Hauptschuld als Voraussetzung der Bürgenpflicht geht es an zwei weiteren Stellen: (8) Iul 190 D 46.1.11 (12 dig) Qui contra senatus consultum filio familias crediderit, mortuo eo fideiussorem a patre accipere non potest, quia neque civilem neque honorariam adversus patrem actionem habet nec est ulla hereditas, cuius nomine fideiussores obligari possent.

Wer einem Haussohn entgegen dem Senatsbeschluss ein Darlehen gewährt hat, kann sich von dem Vater nach dem Tod des Sohnes keinen Bürgen stellen lassen, weil weder eine zivil- noch eine honorarrechtliche Klage verbleibt und auch keine Erbschaft vorhanden ist, für die sich die Bürgen verpflichten könnten.



D 14.6.18 Venul 2 stip … Iulianus scribit … plane a patre eius actionis nomine, quae de peculio adversus eum competat, fideiussorem recte accipi.



… Julian schreibt, er könne sich von dem Vater einen Bürgen stellen lassen wegen der Klage, die ihm wegen des Sonderguts gegen diesen zustehe.



I. Systemimmanente Rechtsfindung187

Julian prüft, ob sich ein Bürge wirksam für den Vater eines Haussohnes verpflichten kann, dem vor seinem Tod unter Verstoß gegen den macedonia­ nischen Senatsbeschluss ein Darlehen gewährt worden ist. Zweifellos ist die Bürgschaft gültig, wenn sie sich auf die adjektizische Haftung des Vaters wegen des Sonderguts bezieht. Die Verpflichtung des Sohnes selbst ist jedoch mit seinem Tod nicht mehr bloß mit einer Einrede behaftet, sondern, da er ohne Rechtsnachfolger gestorben ist, vollständig erloschen.201 Mangels Hauptschuld entsteht daher auch keine Bürgenpflicht. (9) Iul 717 = D 46.3.34.8 (54 dig) Quidam filium familias, a quo fideiussorem acceperat, heredem instituerat: quaesitum est, si iussu patris adisset hereditatem, an pater cum fideiussore agere posset. dixi, quotiens reus satisdandi reo satis accipiendi heres existeret, fideiussores ideo liberari, quia pro eodem apud eundem debere non possent.

Jemand hat einen Haussohn, von dem er sich einen Bürgen hat stellen lassen, als Erben eingesetzt. Es ist gefragt worden, ob sein Vater, wenn der Sohn die Erbschaft auf dessen Weisung angetreten habe, gegen den Bürgen klagen könne. Ich habe gesagt, dass immer dann, wenn derjenige, der einen Bürgen gestellt habe, zum Erben desjenigen geworden sei, der sich den Bürgen hat stellen lassen, der Bürge befreit werde, weil er nicht gegenüber demselben für denselben schulden könne.

Ist ein Haussohn Erbe seines Gläubigers geworden, erlischt auch eine diesem gestellte Bürgschaft, so dass der Vater des Haussohnes den Bürgen nun nicht als Rechtsnachfolger des Gläubigers in Anspruch nehmen kann. Grund ist die Konfusion der Hauptschuld, die den Bürgen automatisch befreit.202 Die Pflicht des Verkäufers zu habere licere der Kaufsache macht Julian an zwei Stellen zum Ausgangspunkt seiner Entscheidung. In dem einen Fall geht es um ihre Konkurrenz mit einem Anspruch auf dieselbe Sache aus einem Vermächtnis: (10) Iul 863 = D 19.1.29 (4 Min) Cui res sub condicione legata erat, is eam imprudens ab herede emit: actione ex empto poterit consequi emptor pretium, quia non ex causa legati rem habet.

Ein Vermächtnisnehmer, dem eine Sache unter einer Bedingung vermacht worden war, kaufte sie, ohne es zu wissen, von dem Erben. Mit der Kaufklage kann der Käufer den Kaufpreis zurückverlangen, weil er die Sache nicht aufgrund des Vermächtnisses hat.

201  Dies gilt auch für die naturalis obligatio des Haussohnes, wie sie Paulus D 14.6.10 (30 ed) behauptet; vgl. Longo, Filius familias se obligat?, Mailand 2003, S. 251 Fn. 111. 202  Entgegen Kieß, Die confusio im klassischen römischen Recht, Berlin 1995, S. 91 ist damit natürlich indirekt schon die Akzessorietät der Bürgschaft ins Feld geführt.

188 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

In diesem Auszug aus den libri ad Minicium befasst sich Julian mit einer ähnlichen Konstellation wie in einem Fragment aus seinen Digesten203. Dort hat er sich dafür entschieden, einem Käufer, der die Sache nicht aufgrund des Kaufvertrags, sondern in Erfüllung einer Vermächtnisschuld erlangt hat, nach dem Vorbild der Eviktionshaftung einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu geben, weil der Verkäufer ihm das habere ex causa emptionis nicht verstatten kann. Hat der Käufer die Sache dagegen schon in Vollzug des Kaufvertrags erhalten, bevor die Bedingung für das Vermächtnis eintritt, hat er sie zwar ex causa emptionis. Gleichwohl kann er die Kaufklage auf Rückzahlung des Kaufpreises erheben; denn sonst bliebe der Vermächtnisanspruch unerfüllt,204 was der Käufer ebenfalls nicht hinzunehmen braucht. Er kann daher die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, damit er die Sache, wie vom Verkäufer geschuldet, ex causa legati hat. In dem anderen Fall trifft die Entscheidung über die Pflicht zu habere licere mit einer Schlussfolgerung aus dem Satz zusammen, der Verkäufer müsse für eine von ihm vor Vertragsschluss verübte Täuschung des Käufers einstehen: (11) Afr 95 = D 19.1.30.1 (8 quaest) Si sciens alienam rem ignoranti mihi vendideris, etiam priusquam evincatur utiliter me ex empto acturum putavit in id, quanti mea intersit meam esse factam: quamvis enim alioquin verum sit venditorem hactenus teneri, ut rem emptori habere liceat, non etiam ut eius faciat, quia tamen dolum malum abesse praestare debeat, teneri eum, qui sciens alienam, non suam ignoranti vendidit: id est maxime, si manumissuro vel pignori daturo vendiderit.

Hast du mir, als ich gutgläubig war, wissentlich eine fremde Sache verkauft, so könne ich, wie er glaubt, noch bevor mir die Sache entwehrt wird, mit Erfolg die Kaufklage darauf erheben, was mein Interesse ausmacht, dass die Sache zu meinem Eigentum geworden wäre. Obwohl nämlich wahr sei, dass der Verkäufer nur dafür einzustehen habe, dass der Käufer die Sache in ungestörtem Besitz behalte, und nicht auch dafür, dass er sie zum Eigentum des Käufers mache, hafte derjenige, der wissentlich eine fremde und nicht eine eigene Sache einem Gutgläubigen verkauft hat, weil er dafür einzustehen habe, dass Arglist nicht im Spiel sei. Dies gilt insbesondere dann, wenn er einen Sklaven verkauft hat, den der Käufer freilassen oder verpfänden will.

Beim Verkauf einer fremden Sache kann der Käufer gewöhnlich nicht sein Interesse am Eigentumserwerb ersetzt verlangen, wie es insbesondere dann besteht, wenn er einen gekauften Sklaven nicht wirksam freilassen oder verpfänden kann. Dies folgt daraus, dass sich die Pflicht des Verkäufers darauf beschränkt, dem Käufer den Besitz der Kaufsache zu verschaffen 203  Iul 477

= D 30.84.5 (33 dig); s. u. B.I.1.a)bb) (21). Ernst, Rechtsmängelhaftung, Tübingen 1995, S. 40; vgl. auch Lambrini, Il problema del concursus causarum, Mailand 2000, S. 127 ff. 204  Vgl.



I. Systemimmanente Rechtsfindung189

und ihn darin zu erhalten. Keine Ausnahme von diesem Grundsatz bedeutet es, dass der Verkäufer, der den Mangel seiner Berechtigung kennt, dem Käufer doch das Interesse am Eigentumserwerb zu ersetzen hat. Anknüpfungspunkt dieser Haftung ist nämlich nicht die Pflicht des Verkäufers zu habere licere, sondern das Verbot der arglistigen Täuschung: Der Verkäufer hat den Käufer so zu stellen, als wenn kein dolus vorgekommen wäre und die Vorstellung des Käufers, den gekauften Sklaven zu Eigentum zu erwerben, richtig gewesen wäre.205 Die Haftung des Verkäufers wegen vorvertraglicher Täuschung beschäftigt Julian auch in (12) Iul 252 = D 19.1.13.6 Ulp 32 ed: Idem Iulianus dolum solere a venditore praestari etiam in huiusmodi specie ostendit: si, cum venditor sciret fundum pluribus municipiis legata debere, in tabula quidem conscripserit uni municipio deberi, verum postea legem consignaverit, si qua tributorum aut vectigalis indictionisve quid nomine aut ad viae collationem praestare oportet, id emptorem dare facere praestareque oportere, ex empto eum teneri, quasi decepisset emptorem: quae sententia vera est.

Wie der Verkäufer für seine Arglist einzustehen hat, zeigt Julian auch am folgenden Fall: Hat der Verkäufer, obwohl er wusste, dass das verkaufte Grundstück bei verschiedenen Gemeinden abgabenpflichtig ist, im Kaufvertrag nur geschrieben, dass es bei einer Gemeinde abgabenpflichtig sei, dann aber später die Bestimmung hinzugefügt, dass der Käufer geben, tun und leisten müsse, was als Steuer, Gemeinde-, Sonder- oder Wegeabgabe geleistet werden müsse, so hafte der Verkäufer aus dem Kaufvertrag, weil er den Käufer getäuscht habe. Diese Ansicht ist richtig.

Julian entscheidet einen Grenzfall der Arglisthaftung, die den Verkäufer wegen eines verschwiegenen Mangels der verkauften Sache trifft: Hat er die mit dem Grundstück verbundene Abgabenpflicht nicht richtig dargestellt, zugleich aber durch eine Klausel dafür gesorgt, dass sie den Käufer umfassend trifft, entgeht er dem Vorwurf der Arglist nicht. Zwar musste sich der Käufer wegen der expliziten Überwälzung der Abgabenlast im Kaufvertrag darüber im Klaren sein, dass ihn infolge des Grundstückserwerbs Verpflichtungen gegenüber der öffentlichen Hand treffen. Nichtsdestoweniger begründet deren fehlerhafte Darstellung durch den Verkäufer als Täuschung den Vorwurf der vorvertraglichen Täuschung, die einen Anspruch auf das Interesse auslöst, das der Käufer daran hat, nicht getäuscht worden zu sein. Die aus dem Veräußerungscharakter des Kaufs folgende Zuweisung der Nutzungen an den Käufer bildet die Grundlage der folgenden Entscheidung: 205  Zu dieser Entscheidung und ihrer Stellung in Julians kaufrechtlichem Werk eingehend Harke, Julian und die Rechtsmängelhaftung, OIR 11 (2006) 63, 72 ff.

190 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (13) Iul 438 = D 28.5.38.5 (30 dig) Cum venditor servum ante traditionem ab emptore pro parte heredem scriptum adire iubet, restituere coheredi servi necesse habet, quia lucrum facere eius servi iure quem vendidit non debet. plane non totum quod adquisierit restituet, sed pro ea dumtaxat parte, qua servus coheredem habuerit …

Hat der Verkäufer seinem Sklaven, der von dem Käufer zur Hälfte zum Erben eingesetzt worden war, vor der Übergabe befohlen, die Erbschaft anzutreten, muss der Verkäufer diese dem Miterben des Sklaven herausgeben, weil er rechtmäßig keinen Gewinn aus dem Sklaven ziehen darf, den er verkauft hat. Freilich muss er nicht alles, was er erworben hat, sondern nur den Teil herausgeben, zu dem der Sklave einen Miterben hat …

Hat ein Erblasser einen Sklaven gekauft, den er auch zum Erben eingesetzt hat, kann der Sklave den Verkäufer bis zu seiner Veräußerung noch wirksam zum Erben des Käufers machen. Dieses Ergebnis kollidiert jedoch mit der kaufrechtlichen Regel, dass ab dem Abschluss des Kaufvertrags dem Käufer und nicht dem Verkäufer die Nutzungen206 sowie der sonstige Erwerb gebühren, der mit der Person des Sklaven verknüpft ist.207 Hieraus erwächst ein Auskehranspruch gegen den Verkäufer, den ein Erbe des Käufers freilich nur nach dem Maß seiner Erbquote erheben kann, während er im Übrigen wegen Konfusion ausfällt.208 Dem Verhältnis von actio redhibitoria und actio quanti minoris gilt Ju­ lians Entscheidung in (14) Iul 691 = D 44.2.25.1 (51 dig): Est in potestate emptoris intra sex menses, redhibitoria agere mallet an ea quae datur, quanti minoris homo cum veniret fuerit. nam posterior actio etiam redhibitionem continet, si tale vitium in homine est, ut eum ob id actor empturus non fuerit: quare vere dicetur eum, qui alterutra earum egerit, si altera postea agat, rei iudicatae exceptione summoveri.

Es steht sechs Monate lang in der Macht des Käufers zu entscheiden, ob er lieber mit der Wandlungs- oder mit der Minderungsklage vorgehen will. Denn diese zweite Klage schließt ebenfalls die Wandlung ein, wenn der Mangel des Sklaven derart ist, dass der Käufer ihn überhaupt nicht gekauft hätte. Deshalb wird zu Recht gesagt, dass derjenige, der eine der beiden Klagen erhebt, mit der Einrede der Rechtskraft ausgeschlossen wird, wenn er später die andere anstellt.

Der Käufer eines mangelhaften Sklaven oder Tieres kann, wenn er den Kaufvertrag auf dem Markt geschlossen hat, in den ersten sechs Monaten 206  IJ 3.23.3. 207  Vgl.

Pennitz, Das periculum rei venditae, Wien u. a. 2000, S. 171. sieht dies Marcell, der dem Miterben sogar einen Anspruch auf Auskehr der gesamten Erbschaft zugesteht; vgl. D 28.5.40: Immo et id debet praestari, quod consequi venditor non potuisset, si prius, quam adiret servus partem hereditatis, is traditus esset: quod est verum. 208  Anders



I. Systemimmanente Rechtsfindung191

nach Vertragsschluss zwischen der Wandlungs- und der Minderungsklage wählen; danach steht ihm nur noch die Minderungsklage offen. Bei Wertlosigkeit der Kaufsache kann diese jedoch ebenfalls das Ziel der Wandlungsklage haben und auf Rückerstattung des gesamten Kaufpreises gegen Rückgabe der Kaufsache gerichtet sein. Aus dieser möglichen Identität des Klageziels folgert Julian, dass es bei beiden Klagen um eadem res geht und nach Erhebung der einen die andere durch die exceptio rei iudicatae gesperrt ist. Mit Juristenrecht im Bereich der locatio conductio befasst sich Julian in Gestalt der lex Rhodia de iactu: (15) Iul 831 = D 14.2.6 (86 dig) Navis adversa tempestate depressa ictu fulminis deustis armamentis et arbore et antemna Hipponem delata est ibique tumultuariis armamentis ad praesens comparatis Ostiam navigavit et onus integrum pertulit: quaesitum est, an hi, quorum onus fuit, nautae pro damno conferre debeant. respondit non debere: hic enim sumptus instruendae magis navis, quam conservandarum mercium gratia factus est.

Ein Schiff, das in einen Sturm geraten war und dessen Takelage, Mast und Rahe infolge eines Blitzschlags verbrannten, wurde nach Hippo verschlagen und segelte, nachdem man es dort mit eilig gekauftem Takelwerk behelfsmäßig ausgestattet hatte, nach Ostia und brachte die gesamte Ladung unversehrt ans Ziel. Es ist gefragt worden, ob die Inhaber der Ladung dem Reeder einen Beitrag zu seinem Schaden leisten müssen. Er hat befunden, dass sie nichts leisten müssten. Denn die Aufwendungen sind mehr zur Ausstattung des Schiffs als zur Rettung der Waren gemacht worden.

Julian verneint einen Ausgleichsanspruch nach dem rhodischen Gesetz, weil dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind: Hat ein Reeder Aufwendungen gemacht, um ein beschädigtes Schiff wieder fahrtüchtig zu machen, kann er hierfür von den Befrachtern im Rahmen der actio conducti keinen Ersatz verlangen. Der Ausgleichsanspruch besteht nämlich nur, wenn Waren einzelner Befrachter zur Leichterung über Bord geworfen werden,209 weil sich hier die als Risikogemeinschaft übernommene Gefahr eines durch Seenot zufällig entstandenen Schadens verwirklicht. Das Risiko, dass das Schiff beschädigt wird und der Ausbesserung bedarf, ist dagegen allein dem Frachtführer zugewiesen, der den Transport der Waren zum Bestimmungshafen übernommen hat. Das Regressrecht eines Auftragnehmers für die von ihm getätigten Aufwendungen beschäftigt Julian in zwei Fragmenten: (16) Iul 841 = D 46.1.18 (90 dig) Qui debitorem suum delegat, pecuniam dare intellegitur, quanta ei debetur: et ideo si fideiussor debitorem suum delegaverit, quamvis eum, qui solvendo non erat, confestim mandati agere potest. 209  PS 2.7.1

= D 14.2.1.

192 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Wer seinen Schuldner anweist, ist so anzusehen, als habe er so viel Geld gezahlt, wie dieser ihm schuldet. Und deshalb kann ein Bürge, der seinen Schuldner angewiesen hat, auch dann sofort mit der Auftragsklage vorgehen, wenn der Schuldner nicht zahlungsfähig ist.

Weist jemand seinen Schuldner an, sich einem anderen zu verpflichten, und akzeptiert der andere das Versprechen des Schuldners, steht dies einer Zahlung gleich. Die Anwendung dieser Regel im Fall der Anweisung durch einen Bürgen führt zu dem Ergebnis, dass der Bürge auch dann umgehend die Auftragsklage gegen den Hauptschuldner erheben kann, wenn der von ihm angewiesene Schuldner zahlungsunfähig ist. Denn der Gläubiger hat, indem er dessen Versprechen annahm, das Risiko einer Insolvenz des Schuldners übernommen.210 Er ist daher als vom Bürgen befriedigt anzusehen, so dass dieser mit der actio mandati Rückgriff beim Hauptschuldner nehmen kann. (17) Iul 868 = D 17.1.33 (4 Min) Rogatus ut fideiuberet si in minorem summam se obligavit, recte tenetur: si in maiorem, Iulianus verius putat quod a plerisque responsum est eum, qui maiorem summam quam rogatus erat fideiussisset, hactenus mandati actionem habere, quatenus rogatus esset, quia id fecisset, quod mandatum ei est: nam usque ad eam summam, in quam rogatus erat, fidem eius spectasse videtur qui rogavit.

Hat sich jemand, der beauftragt worden war, eine Bürgschaft zu übernehmen, auf einen geringeren Betrag verpflichtet, haftet der Auftraggeber zu Recht. In dem Fall, dass er sich auf einen höheren Betrag verpflichtet hat, hält Julian für richtiger, was auch von den meisten angenommen wird, nämlich, dass wer eine Bürgschaft zu einem höheren Betrag als beauftragt übernommen habe, insoweit die Auftragsklage habe, als er beauftragt worden ist. Denn er habe das getan, was ihm aufgetragen worden ist; und bis zu dem Betrag, zu dem sein Auftrag reichte, hat er dem Auftraggeber die Treue gehalten.

Julian behandelt eine Variante des alten Streitfalls, wie die Überschreitung eines Auftrags zu behandeln ist: Während dem Auftragnehmer nach Ansicht von Sabinus und Cassius unter diesen Umständen jeglicher Anspruch zu versagen ist, sind die Prokulianer der Auffassung, dass er insoweit Aufwendungsersatz verlangen kann, wie der Auftrag reicht.211 Für den Fall einer Bürgschaft, die über den vom Hauptschuldner vorgegebenen Betrag hinausgeht, schließt sich Julian der Ansicht der Prokulianer an und gewährt dem Bürgen einen Aufwendungsersatzanspruch in Höhe des vom Auftraggeber vorgegebenen Betrags.212 Diese Lösung erscheint ihm das Resultat 210  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., München 1971, S. 651 Fn. 43. 211  IJ 3.28.8. 212  Für einen Ausdruck bewusster Rezeption prokulianischer Tradition bei Julian hält dies Choe, Die Schulkontroverse bei Überschreitung des Auftrags zum Grund-



I. Systemimmanente Rechtsfindung193

einer einfachen Subsumtion: Da die Bürgschaft teilbar ist, hat der Bürge insofern, als er sich im Rahmen des Auftrags hielt, diesen erfüllt und nicht etwas völlig anderes gemacht. Um den Aufwendungsersatz mit Hilfe der actio pro socio oder der actio communi dividundo geht es in (18) Iul 198 = D 10.3.25 (12 dig): Si Stichus communis meus et tuus servus habuerit Pamphilum vicarium [aureorum] decem milia et mecum actum de peculio fuerit condemnatusque decem praestitero: quamvis postea Pamphilus decesserit, nihilo minus actione communi dividundo vel pro socio quinque milia praestare debebis, quia te hoc aere alieno liberavi. longe magis consequar, si Stichus post mortem pamphili alium vicarium adquisierat.

Hatte der mir und dir gemeinsam gehörende Sklave Stichus den Vikarsklaven Pamphilus im Wert von 10.000 und habe ich, nachdem ich wegen des Sonderguts verklagt worden bin, 10.000 geleistet, schuldest du mir, obwohl Pamphilus später gestorben ist, nichtsdestoweniger mit der Teilungsklage oder mit der Gesellschafterklage 5.000, weil ich dich von dieser Schuld befreit habe. Erst recht werde ich diesen Betrag erlangen, wenn Stichus nach Pamphilus’ Tod einen anderen Vikarsklaven erworben hat.

Julian befindet über den Regressanspruch, den der Miteigentümer eines servus communis mit der Teilungsklage oder, wenn die Eigentümer zugleich Gesellschafter sind, mit der Gesellschafterklage geltend machen kann. Auslöser ist seine Zahlung an einen Gläubiger, der ihn erfolgreich mit der Klage wegen des Sonderguts in Anspruch genommen hat. Zweifelhaft ist das Regressrecht zumindest dann, wenn das Sondergut später durch den Verlust des darin befindlichen Vikarsklaven wertlos geworden ist und auch nicht durch den Erwerb eines neuen Vikarsklaven wieder an Wert gewonnen hat; denn der andere Miteigentümer könnte in diesem Fall nicht mehr von dem Gläubiger belangt werden.213 Gleichwohl hält Julian ihn für ausgleichspflichtig, weil er ja vor dem Tod des Sklaven, als sein socius verklagt wurde, ebenfalls mit der Klage wegen des Sonderguts hätte in Anspruch genommen werden können. Dementsprechend ist er auch durch die Leistung seines socius befreit worden und schuldet infolge dieser Befreiung nun anteiligen Aufwendungsersatz. Mit den Voraussetzungen von mutuum und Schenkung befasst sich Julian in dem folgenden Fragment: stückskauf, in: Nörr  /  Nischimura (Hg.), Mandatum und Verwandtes, Berlin u. a. 1993, S. 135. 213  Und nicht etwa deshalb, weil die Gemeinschaft aufgelöst worden wäre, die sich eben nicht auf den Vikarsklaven, sondern auf den servus ordinarius Stichus bezieht; vgl. Drosdowski, Das Verhältnis von actio pro socio und actio communi dividundo im klassischen römischen Recht, Berlin 1998, S. 128.

194 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (19) Iul 302 = D 12.1.20 (18 dig): Si tibi pecuniam donassem, ut tu mihi eandem crederes, an credita fieret? dixi in huiusmodi propositionibus non propriis verbis nos uti, nam talem contractum neque donationem esse neque pecuniam creditam: donationem non esse, quia non ea mente pecunia daretur, ut omnimodo penes accipientem maneret: creditam non esse, quia exsolvendi causa magis daretur, quam alterius obligandi. … [sed haec intellegenda sunt propter suptilitatem verborum: benignius tamen est utrumque valere.]

Habe ich dir einen Geldbetrag geschenkt, damit du ihn mir als Darlehen gibst, stellt sich die Frage, ob er auch als Darlehen gewährt worden ist. Ich habe gesagt, in diesen Fällen verwendeten wir die Worte nicht richtig; denn dieser Vertrag sei weder eine Schenkung noch ein Darlehen. Eine Schenkung liege nicht vor, weil ich den Geldbetrag nicht in der Absicht gegeben habe, dass er unter allen Umständen beim Empfänger bleibe. Eine Darlehensgewährung liege nicht vor, weil mehr zur Erfüllung als dazu geleistet werde, eine Verpflichtung zu begründen. … [Aber dies gilt nur wegen Wortklauberei; großzügiger ist es, beide Verträge gelten zu lassen.]

Julian beurteilt die Rechtsnatur zweier Zahlungen, von denen die erste vermeintlich schenkungshalber, aber von vornherein mit dem Ziel erfolgt, dass der Empfänger den Betrag wieder als Darlehen an den Schenker zurückgewährt. Julian verneint sowohl die Wirksamkeit der Schenkung als auch die Gültigkeit des Darlehens: Dort fehle es an der Absicht, den Betrag auf Dauer dem Empfänger zu belassen, hier an dem Ziel, eine Verpflichtung zu begründen, weil der Empfänger eher einer schon bestehenden Verpflichtung Genüge tun wollte. Der ursprüngliche Inhaber des Geldbetrags darf diesen, wenn er ihn zurückerlangt hat, also behalten und ist nicht aus Darlehen verpflichtet. Ein Bearbeiter des Textes hat diese Lösung in ihr Gegenteil verkehrt, weil er sie für das Produkt der subtilitas verborum und die Wirksamkeit beider Verträge für benignius hielt. Damit hat er sich nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung gegen Julian gestellt. Denn dieser fällt seine Entscheidung gerade ohne Rücksicht auf den von den Parteien und in der Umgangssprache verwendeten Wortlaut und nimmt an, man hätte sich hier nicht der propria verba bedient: Entscheidend ist für ihn der Zweck der Leistung, der bei der Schenkung in der dauerhaften Bereicherung des Schenkers, beim Darlehen in der Begründung einer Rückzahlungsverpflichtung liegen muss. Zwar lässt sich beides bei oberflächlicher Betrachtung auch in diesem Fall feststellen. Der vermeint­liche Schenker hat jedoch bestenfalls ein formloses Schenkungsversprechen abgegeben; denn er hat den Betrag dem Beschenkten nur formal zugewandt, damit mangels vollzogener Schenkung aber gar keinen Rechtsgrund geschaffen, so dass der Beschenkte mit der Rückzahlung daher nur einer schon bestehenden Rückgewährpflicht entsprach. Diese Lösung beruht gerade nicht auf Wortklauberei, sondern auf einem Abgleich



I. Systemimmanente Rechtsfindung195

der Parteivereinbarung mit den Vorgaben für die Annahme einer donatio perfecta und eines mutuum.214 An anderer Stelle befasst sich Julian mit der Zuordnung einer Vereinbarung zu mutuum oder mandatum: (20) Afr 93 = D 19.5.24 (8 quaest) Titius Sempronio triginta dedit pactique sunt, ut ex reditu eius pecuniae tributum, quod Titius pendere deberet, Sempronius praestaret computatis usuris semissibus, quantoque minus tributorum nomine praestitum foret, quam earum usurarum quantitas esset, ut id Titio restitueret, quod amplius praestitum esset, id ex sorte decederet, aut, si et sortem et usuras summa tributorum excessisset, id quod amplius esset Titius Sempronio praestaret: neque de ea re ulla stipulatio interposita est. Titius consulebat, id quod amplius ex usuris Sempronius redegisset, quam tributorum nomine praestitisset, qua actione ab eo consequi possit. respondit pecuniae quidem creditae usuras nisi in stipulationem deductas non deberi: verum in proposito videndum, ne non tam faenerata pecunia intellegi debeat, quam quasi mandatum inter eos contractum, nisi quod ultra semissem consecuturus esset: sed ne ipsius quidem sortis petitionem pecuniae creditae fuisse, quando, si Sempronius eam pecuniam sine dolo malo vel amisisset vel vacuam habuisset, dicendum nihil eum eo nomine praestare debuisse. quare tutius esse praescriptis verbis in factum actionem dari, praesertim cum illud quoque convenisset, ut quod amplius praestitum esset, quam ex usuris redigeretur, sorti decederet: quod ipsum ius et causam pecuniae creditae excedat.

Titius hat Sempronius 30 gegeben und beide sind übereingekommen, dass Sempronius aus dem hiermit erwirtschafteten Gewinn eine Steuerschuld des Titius begleichen sollte, wobei ein halbes Prozent Zinsen in Ansatz gebracht werden sollte; falls er weniger an Steuern leiste, als der Zinsbetrag ausmache, solle er den Rest dem Titius erstatten; falls er mehr entrichte, solle er dies von der Kapitalschuld abziehen; und wenn die Steuerschuld Kapital und Zinsen übersteige, solle Titius den Überschuss dem Sempronius erstatten. Die Parteien haben hierüber keine Stipulation abgeschlossen. Titius hat gefragt, mit welcher Klage er von Sempronius die Differenz zwischen Zinsen und Steuern einfordern könne. Er hat befunden, dass Kreditzinsen ohne Stipulation eigentlich nicht geschuldet würden. Im vorliegenden Fall sei aber zu prüfen, ob statt eines verzinslichen Darlehens eher ein Auftrag zustande gekommen sei, mit Ausnahme freilich dessen, was Sempronius über das halbe Prozent Zinsen hinaus erwirtschaftet hat. Dann aber gäbe es noch nicht einmal eine Klage auf Rückzahlung des Kapitals, wenn Sempronius dieses ohne Arglist verloren oder aus ihm keine Zinsen gezogen hat und deshalb nicht haften müsse. Daher sei es sicherer, eine Klage mit vorgeschriebener Formel zu gewähren, zumal man auch vereinbart habe, dass eine die Zinsen übersteigende Leistung auf die Steuerschuld vom Kapital abzuziehen sei. Auch dies sei mit Recht und Zweck des Darlehensvertrags unvereinbar.

214  So einfach, wie Casavola, Lex Cincia, Neapel 1960, S. 155 meint, ist die Lösung des Falles also nicht.

196 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Jemand hat einem anderen einen Geldbetrag zu einem halben Prozent Zinsen pro Monat überlassen. Der Empfänger soll die Zinsen aber nicht insgesamt an den Darlehensgeber zahlen, sondern zunächst dessen Steuerschuld tilgen. Falls die Steuerschuld den Zinsbetrag übersteigt, soll die Differenz auf die Kapitalschuld angerechnet werden. Falls die Steuerschuld höher ist als die Summe aus Zinsen und Kapital, soll der Darlehensgeber zur Erstattung des Fehlbetrags verpflichtet sein. Da keine Stipulation abgeschlossen worden ist, erwägt Julian, ob ein mutuum zustande gekommen ist. Hiergegen spricht aus seiner Sicht aber nicht nur, dass es keinen Anspruch auf Zinszahlung hervorbringt; auch dass es keinen Raum für ein Recht auf Erstattung des Fehlbetrags eröffnet, schließt nach seiner Auffassung den Gedanken an ein mutuum aus. Stattdessen liegt für Julian die Annahme eines Auftrags näher, der dem Auftragnehmer den Gewinn belasse, den er über das halbe Prozent hinaus erwirtschaftet habe. Auch diese Lösung verwirft Julian jedoch, weil sie bedeute, dass der Darlehensgeber die Gefahr des zufälligen Untergangs der Darlehensvaluta trage. Zwar ist eine Umkehrung der Risikoverteilung beim mandatum für ihn nicht schlechthin ausgeschlossen.215 Um dem Parteiwillen zur Geltung zu verhelfen, erscheint es ihm jedoch tutius, eine unbenannte Vereinbarung anzunehmen, aus der eine actio praescriptis verbis entspringt. Diese Lösung ist nicht zwingend, aber anders als die Annahme eines Auftrags nicht mit Unwägbarkeiten für den Darlehensgeber verbunden. Die custodia-Haftung von Entleiher und Verwahrer beschäftigt Julian in dem folgenden Fragment: (21) Iul 24 = D 13.6.19 (2 dig) Ad eos, qui servandum aliquid conducunt aut utendum accipiunt, damnum iniuria ab alio datum non pertinere procul dubio est: qua enim [cura aut diligentia] consequi possumus, ne aliquis damnum nobis iniuria det?

Es unterliegt keinem Zweifel, dass diejenigen, die etwas zur entgeltlichen Verwahrung oder zum Gebrauch übernehmen, nicht für den von einem Dritten widerrechtlich zugefügten Schaden einzustehen haben. Denn durch welche Maßnahme oder Sorgfalt können wir erreichen, dass uns niemand widerrechtlich Schaden zufügt?

Dass Julian hier von der Pflicht des Verwahrers oder Entleihers zur custodia handelt, zeigt das parallele Zitat bei Ulpian, in der die Erwähnung der custodia nicht ihrer schematischen Ersetzung durch culpa und diligentia zum Opfer gefallen ist: 215  Afr 92 = D 17.1.34pr (8 quaest); s. o. B.I.1.a)bb) (25); vgl. auch Harke, Das Vertragsrecht in Afrikans Quästionen, in: ders. (Hg.), Africani quaestiones, Berlin / Heidelberg 2011, S. 37, 48 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung197 D 19.2.41 Ulp 5 ed Sed de damno ab alio dato agi cum eo non posse Iulianus ait: qua enim custodia consequi potuit, ne damnum iniuria ab alio dari possit? sed Marcellus interdum esse posse ait, sive custodiri potuit, ne damnum daretur, sive ipse custos damnum dedit: quae sententia Marcelli probanda est.

Ist eine Sache beschädigt worden, verneint Julian eine Haftung des Verwahrers oder Entleihers unter dem Gesichtspunkt ihrer Bewachungspflicht, weil er die geschuldete custodia im Gegensatz zu Marcell und Ulpian216 auf die Abwehr eines furtum und sonstiger gewaltloser Handlungen beschränkt sieht.217 Eine widerrechtliche Schädigung liegt damit jenseits des Kreises der Vorfälle, für die der custodia-Pflichtige einzustehen hat. Mit Schwierigkeiten bei der Bestimmung des peculium eines servus communis befasst sich Julian in dem folgenden Fragment: (22) Iul 196 D 15.1.11.9 Ulp 29 ed Non solum autem quod ei debetur qui convenitur deducendum est, verum etiam si quid socio eius debetur, et ita Iulianus libro duodecimo digestorum scribit: nam qua ratione in solidum alteruter convenitur, pari ratione deducere eum oportet quod alteri debetur: quae sententia recepta est:

Aber nicht nur das, was dem in Anspruch genommenen (Miteigentümer) geschuldet wird, ist abzuziehen, vielmehr auch, was seinem Partner geschuldet wird, und dies schreibt Julian im zwölften Buch seiner Digesten. Denn aus demselben Grund, aus dem jeder von beiden in voller Höhe in Anspruch genommen werden kann, darf dieser auch abziehen, was dem anderen geschuldet ist. Diese Ansicht ist anerkannt …



D 15.1.12 (12 dig) quia hoc casu etiam cum eo agi potest, penes quem peculium non est.



… weil in diesem Fall auch gegen denjenigen geklagt werden kann, bei dem sich das Sondergut nicht befindet.

Der von Ulpian zitierte Julian beschäftigt sich mit der Frage, in welchem Umfang Schulden, die ein gemeinschaftlicher Sklave bei seinen Eigentümern hat, von diesen in Abzug gebracht werden können, wenn sie wegen des Sonderguts in Anspruch genommen werden. Julian ist der Ansicht, es seien nicht nur die Schulden des servus communis gegenüber dem verklagten Miteigentümer, sondern auch die Verpflichtungen gegenüber dem anderen Teilhaber zu berücksichtigen. Dass die von Ulpian nicht als Zitat kenntlich gemachte Begründung auf Julian zurückgeht, zeigt der folgende Originalauszug aus Julians digesta, den die Kompilatoren an den Ulpiantext an216  Ihrer

Ansicht ist auch Gaius; vgl. D 4.9.5.1 (5 ed prov). Cannata, Ricerche sulla responsabilità contrattuale nel diritto romano, Mailand 1966, S. 68 ff. 217  Vgl.

198 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

gehängt haben: Julian verweist hier darauf, dass ein Gläubiger wegen des Sonderguts auch gegen denjenigen Teilhaber vorgehen könne, bei dem es sich nicht befindet. Damit meint Julian dasselbe, was auch Ulpian sagt, nämlich, dass der einzelne Miteigentümer in voller Höhe des Sonderguts in Anspruch genommen werden kann, das dem servus communis von beiden Teilhabern eingeräumt worden ist.218 Mit dem so verbundenen Vorteil muss zwangsläufig der Nachteil einhergehen, dass auch die Ansprüche beider Miteigentümer gegenüber dem gemeinschaftlichen Sklaven bei der Bestimmung des Sonderguts in Abzug gebracht werden. Der Vorzug der erweiterten Haftung kann nämlich nicht ohne die mit ihr verbundene Einschränkung bestehen,219 weil das Sondergut eben nur ein Rechnungsposten und damit ein Saldo von natürlichen Verbindlichkeiten und Forderungen gegenüber dem Gewalthaber ist. Eine hervorragende Rolle nimmt in Julians Werk die Subsumtion unter den Tatbestand der Leistungskondiktion ein. Spätestens Julians Lehrer Javolen220 hat ihn als datio sine causa bestimmt und damit eine Regel geschaffen, die nach Julian auch von Papinian221 und Ulpian222 angewandt wird.223 Bei Julian bildet sie insgesamt achtmal den Obersatz eines Subsumtionsschlusses: (23) Iul 375 = D 37.6.3.5 (23 dig) Emancipatus praeteritus si, dum deliberat, caverit de bonorum collatione nec bonorum possessionem petierit, agente fratre ex stipulatu ipso iure tutus erit. sed et si pecuniam contulerit, condictione eam repetit: omissa enim bonorum possessione incipit pecunia sine causa esse apud heredem.

Hat ein aus der Gewalt entlassener und übergangener Sohn, während er noch überlegte, Sicherheit für den Ausgleich geleistet und später nicht die Einwei-

218  Deutlich wird die Identität der Begründungen, wenn man folgenden Gaiustext hinzunimmt, in dem sich auch ein Julian-Zitat findet: Iul 197 = D 15.1.27.8 Gai 9 ed: nec huius dumtaxat peculii ratio haberi debet, quod apud eum cum quo agitur is servus haberet, sed et eius quod apud alterum. . nec tamen res damnosa futura est ei qui condemnatur, cum possit rursus ipse iudicio societatis vel communi dividundo quod amplius sua portione solverit a socio sociisve suis consequi. quod iulianus ita locum habere ait, si apud alterum quoque fuit peculium, quia eo casu solvendo quisque etiam socium aere alieno liberare videtur: at si nullum sit apud alterum peculium, contra esse, quia nec liberare ullo modo aere alieno eum intellegitur. 219  Vgl. auch di Porto, Impresa collettiva e schiavo ‚manager‘, Mailand 1984, S. 358. 220  D 12.4.10 (1 Plaut). 221  D 12.6.66 (8 quaest). 222  D 12.7.1pr (43 Sab). 223  Vgl. hierzu und zur Konkurrenzlehre Pomponius’ und Paulus’ eingehend Harke, Das klassische römische Kondiktionensystem, IVRA 54 (2003) 49 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung199 sung in den Nachlassbesitz beantragt, ist er im Fall einer Klage seines Bruders aus der Stipulation automatisch geschützt. Aber auch wenn er schon Geld zum Ausgleich gezahlt hat, kann er es mit der Kondiktion zurückfordern. Ab dem Verzicht auf den Nachlassbesitz befindet es sich nämlich ohne Rechtsgrund bei dem Erben.

Julian erörtert die Rechtsfolgen, die eine vorzeitige Ausgleichszahlung oder eine hierfür als Sicherheit geleistete Stipulation haben, wenn der aus der Gewalt entlassene und vom Vater im Testament übergangene Sohn, der die Einweisung in den Nachlassbesitz verlangen konnte, von diesem Recht dann doch keinen Gebrauch gemacht hat. Mit der Pflicht zur Ausgleichsleistung fällt automatisch auch die Verpflichtung aus der Stipulation weg, ohne dass es einer Einrede bedürfte. Hat der emanzipierte Sohn die Ausgleichszahlung dagegen schon erbracht, kann er die Kondiktion erheben, weil sich der Geldbetrag seit seiner Entscheidung gegen den Nachlassbesitz ohne Rechtsgrund bei dem Testamentserben befindet. Die diesen treffende Rückgewährpflicht folgt daraus, dass für die datio keine causa mehr vorhanden ist. (24) Iul 560 = D 12.6.34 (40 dig) Is cui hereditas tota per fideicommissum relicta est et praeterea fundus, si decem dedisset heredi, et heres suspectam hereditatem dixerit et eam ex Trebelliano restituerit, causam dandae pecuniae non habet, et ideo quod eo nomine quasi implendae condicionis gratia dederit, condictione repetet.

Derjenige, dem eine gesamte Erbschaft durch Fideikommiss hinterlassen ist und außerdem ein Grundstück für den Fall, dass er dem Erben zehn zahlt, hat, wenn der Erbe die Erbschaft als verdächtig bezeichnet und sie gemäß dem trebellianischen Senatsbeschluss herausgegeben hat, keinen Rechtsgrund für die Zahlung und kann deshalb mit der Kondiktion zurückfordern, was er zur Erfüllung der Bedingung geleistet hat.

Einem Fideikommissar hat der Erblasser außer der gesamten Erbschaft auch noch ein Grundstück hinterlassen, falls er dem Erben einen Geldbetrag zahlt. Diese Verpflichtung des Erben erlischt gleichsam durch Konfusion,224 wenn der Fideikommissar nach dem senatus consultum Trebellianum mit Herausgabe der Erbschaft an die Stelle des Erben tritt und für die Nachlassforderungen mit einer actio utilis haftet225. Seit dem senatus consultum Pegasianum ist dies beim Fideikommiss einer ganzen Erbschaft zwar grundsätzlich nicht mehr der Fall; die trebellianische Regelung gilt jedoch ausnahmsweise, wenn der Erbe die Erbschaft der Überschuldung verdächtigt und nur auf Geheiß des Prätors antritt226. Hat der Fideikommissar nun 224  Insoweit richtig Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht, Münster / Köln 1952, S. 261. 225  Gai 2.255. 226  Gai 2.258.

200 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

an den Erben zur Erfüllung der Bedingung für das Grundstücksfideikommiss gezahlt, kann er diese Leistung zurückfordern, weil seiner Leistung seit dem Wegfall der Fideikommissverpflichtung die causa fehlt. (25) Afr 95 = D 19.1.30pr (8 quaest)

Servus, quem de me cum peculio emisti, priusquam tibi traderetur, furtum mihi fecit. quamvis ea res quam subripuit interierit, nihilo minus retentionem eo nomine ex peculio me habiturum ait [id est ipso iure ob id factum minutum esse peculium, eo scilicet, quod debitor meus ex causa condictionis sit factus]. nam licet, si iam traditus furtum mihi fecisset, aut omnino condictionem eo nomine de peculio non haberem aut eatenus haberem, quatenus ex re furtiva auctum peculium fuisset, tamen in proposito et retentionem me habiturum et, si omne peculium penes te sit, vel quasi plus debito solverim posse me condicere. secundum quae dicendum: si nummos, quos servus iste mihi subripuerat, tu ignorans furtivos esse quasi peculiares ademeris et consumpseris, condictio eo nomine mihi adversus te competet, quasi res mea ad te sine causa pervenerit.



Ein Sklave, den du von mir mit seinem Sondergut gekauft hast, hat mich, bevor er dir übergeben wurde, bestohlen. Obwohl die entwendete Sache untergegangen sei, habe ich, wie er sagt, aus diesem Grund nichtsdestoweniger ein Zurückbehaltungsrecht an dem Sondergut [das wegen der Tat automatisch dadurch vermindert ist, dass er mein Kondiktionsschuldner geworden ist]. Zwar hätte ich, wenn er den Diebstahl nach der Übergabe begangen hätte, deshalb entweder überhaupt keine Kondiktion wegen des Sonderguts oder nur insoweit, als es durch die Tat vermehrt worden ist; gleichwohl stehe mir im vorliegenden Fall ein Zurückbehaltungsrecht zu, und wenn sich das Sondergut schon vollständig bei dir befinde, könne ich kondizieren, weil ich über die Schuld hinaus geleistet habe. Danach sei zu sagen: Hast du die Geldstücke, die der Sklave mir gestohlen hat, in Unkenntnis des Diebstahls als Bestandteile des Sonderguts an dich genommen und verbraucht, stehe mir deshalb gegen dich die Kondiktion zu, weil meine Sache an dich ohne Rechtsgrund gelangt sei.

Ein samt Sondergut verkaufter Sklave hat vor seiner Übergabe an den Käufer seinen bisherigen Eigentümer bestohlen. Julian gesteht ihm ein Zurückbehaltungsrecht an dem Sondergut und, falls dieses dem Käufer schon überlassen worden ist, eine Kondiktion zu.227 Zwar würde den Käufer, wenn die Tat nach der Übereignung des Sklaven geschehen wäre, nicht unbedingt die Diebstahlskondiktion treffen. Die Kondiktion, die Julian dem Verkäufer zugesteht, ist jedoch die Leistungskondiktion, die deshalb begründet ist, weil der Verkäufer mit der Herausgabe des gesamten Sonderguts an den Käufer zu viel geleistet hat: Er hätte den Betrag, den ihm der Sklave entwendet hat, zurückbehalten können, weil das peculium insoweit mit einer 227  Vgl.

zu dieser Entscheidung auch Harke, IVRA 54 (2003) 49, 63 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung201

natürlichen Verbindlichkeit belastet ist.228 Hat er es ungekürzt herausgegeben, hat er mehr als geschuldet und damit teilweise ohne Rechtsgrund geleistet, so dass eine datio sine causa vorliegt und damit der Tatbestand der Leistungskondiktion erfüllt ist.229 (26) Iul 154 = D 12.2.39 (10 dig) Si quis cum debitore suo pepigerit, ne ab eo pecunia peteretur, si iurasset se Capitolium non ascendisse vel aliud quodlibet fecisse vel non fecisse, isque iuraverit, et exceptio iurisiurandi dari debebit et solutum repeti poterit: est enim iusta conventio, si quaelibet causa in condicione iurisiurandi deducta fuerit.

Hat jemand mit seinem Schuldner vereinbart, der geschuldete Betrag werde nicht gefordert, wenn er schwöre, das Kapitol nicht erstiegen oder irgendetwas anderes getan oder nicht getan zu haben, und leistet der Schuldner den Eid, ist ihm die Einrede wegen des Eides zu gewähren und, was geleistet worden ist, kann zurückgefordert werden. Es liegt nämlich stets eine gültige Vereinbarung vor, wenn irgendeine Sache zum Gegenstand eines Eids gemacht wird.

Hat der Schuldner einen Eid geleistet, den der Gläubiger zur Voraussetzung eines pactum de non petendo gemacht hat, steht nicht nur der Klage des Gläubigers die exceptio iurisiurandi entgegen, die an einen solchen Vertragseid230 ebenso wie an einen zugeschobenen Eid anknüpft231. Auch eine freiwillige Leistung des Schuldners kann dieser später kondizieren, weil durch die Vereinbarung über den Eid neben den Voraussetzungen der exceptio iurisiurandi auch der Tatbestand der exceptio pacti conventi erfüllt ist. Diese sperrt den Anspruch des Gläubigers, so dass der Schuldner eine unter Verkennung seines Verweigerungsrechts erfolgte Leistung als datio sine causa zurückfordern kann. (27) Iul 269 = D 23.3.46pr (16 dig) Quemadmodum invito domino servus stipulatus adquirit, ita, si dotem domini nomine sibi promitti patiatur, obligatio domino adquiritur. sed neque periculum dominus praestare debebit (si forte debitor mulieris dotem promiserit) neque culpam. traditione quoque rei dotalis in persona servi vel filii familias facta dos constituitur ita, ut neque periculum nec culpam dominus aut pater praestet. igitur hanc dotem periculo mulieris esse dico, quamdiu dominus vel pater ratam promissionem vel donationem habuerit: ideoque etiam manente 228  Man kann dies durchaus als eine ipso iure eintretende Reduktion ansehen; dennoch ist der Wechesel von der retentio zu groß, die Herleitung der Naturalobligation des Sklaven ex causa condictionis zu ungewöhnlich, als dass der entsprechende Passus von dem Autor der vorangehenden Sätze stammen könnte. Die Aussage des Textes ist davon freilich nicht betroffen. 229  Ähnlich Heine, Condictio sine datione, Berlin 2006, S. 108 Fn. 213. 230  Vgl. hierzu Münks, Vom Parteieid zur Parteivernehmung in der Geschichte des Zivilprozesses, Köln u. a. 1992, S. 19 ff. 231  Vgl. Gröschler, Actiones in factum, Berlin 2002, S. 142.

202 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian matrimonio res quas tradiderit condictione repetituram, item incerti condictione consecuturam, ut promissione liberetur.

Ebenso wie ein Sklave seinem Eigentümer auch gegen dessen Willen einen Anspruch aus einer Stipulation erwirbt, so erwirbt er seinem Eigentümer auch dann eine Forderung, wenn er sich für ihn hat eine Mitgift versprechen lassen. Aber der Eigentümer trägt weder die Gefahr (wenn etwa ein Schuldner der Frau die Mitgift versprochen hat), noch braucht er für Fahrlässigkeit einzustehen. Ist eine Sache auch als Mitgift einem Sklaven oder Haussohn übergeben worden, wird sie in der Weise zur Mitgift, dass der Eigentümer oder Vater weder für die Gefahr noch für Fahrlässigkeit einzustehen hat. Deshalb sage ich, dass eine solche Mitgift auf die Gefahr der Frau gehe, bis der Eigentümer oder Vater das Versprechen oder die Schenkung genehmigt hat, und dass sie deshalb die übergebenen Sachen auch während der Ehe mit der Kondiktion zurückfordern sowie mit der Kondiktion auf einen unbestimmten Gegenstand erreichen könne, dass sie von dem Versprechen befreit wird.

Obwohl der Text in seiner heutigen Fassung derart redundant ist, dass er kaum dem Original entsprechen kann, lässt sich Julians Gedankengang ohne Weiteres nachvollziehen: Einem Sklaven des Ehemannes kann die für diesen bestimmte Mitgift sowohl wirksam geleistet als auch versprochen werden. Da es ein den Ehemann höchstpersönlich betreffendes Geschäft ist, muss er aber, damit Bestellung oder Versprechen der dos ihre volle Wirkung entfalten können, seine Zustimmung erteilen. Ohne sie trifft die Gefahr des Untergangs von Dotalgegenständen oder der Insolvenz eines Schuldners, der die Mitgift versprochen hat, die Ehefrau; und der Ehemann macht sich durch eine fahrlässig verursachte Verschlechterung der Dotalgegenstände nicht haftbar. Bedarf es zur Wirksamkeit des Versprechens an den Sklaven keiner gültigen Abrede über den Rechtsgrund, ist diese zumindest bei der Leistung der dos an den Sklaven erforderlich und auch insoweit wirksam, als der Sklave für den Ehemann das Eigentum an den Dotalgegenständen erwirbt. Julian gewährt die Kondiktion gleichwohl auch in diesem Fall, weil der Zweck der Leistung erst erreicht wäre, wenn die Mitgift in jeder Hinsicht als solche gelten würde. Da sie noch auf die Gefahr der Frau geht, erscheint sie Julian ebenso wie das Versprechen als Leistung ohne Rechtsgrund, so dass die Frau sie noch vor Auflösung der Ehe zurückfordern kann. (28) Iul 162 = D 12.6.32.2 (10 dig) Mulier si in ea opinione sit, ut credat se pro dote obligatam, quidquid dotis nomine dederit, non repetit: sublata enim falsa opinione relinquitur pietatis causa, ex qua solutum repeti non potest.

Eine Frau, die irrtümlich annahm, sie sei zur Bestellung einer Mitgift verpflichtet, kann nicht zurückfordern, was sie als Mitgift geleistet hat. Sieht man von ihrem Irrtum ab, bleibt noch der sittliche Rechtsgrund, weshalb die Leistung nicht zurückgefordert werden kann.



I. Systemimmanente Rechtsfindung203

Julian schließt die Rückforderung einer Mitgift aus, die eine Frau in der Fehlvorstellung einer entsprechenden Verpflichtung geleistet hat, und beruft sich zur Begründung darauf, dass auch dann, wenn man von ihrem Irrtum absehe, noch eine causa pietatis verbleibe. Damit meint Julian nicht etwa eine besondere Kondiktionssperre, die eine eigentlich gebotene Rückabwicklung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen ausschließt. Stattdessen sagt er lediglich, dass für die Leistung jedenfalls ein Rechtsgrund besteht, nämlich ihre Bestimmung als Mitgift,232 die man auch ohne vorangehende Verpflichtung unmittelbar aus Anstand treffen kann. Mangels datio sine causa ist demnach der Tatbestand der Leistungskondiktion nicht erfüllt. (29) Iul 551 = D 12.6.33 (39 dig) Si in area tua aedificassem et tu aedes possideres, condictio locum non habebit, quia nullum negotium inter nos contraheretur: nam is, qui non debitam pecuniam solverit, hoc ipso aliquid negotii gerit: cum autem aedificium in area sua ab alio positum dominus occupat, nullum negotium contrahit. sed et si is, qui in aliena area aedificasset, ipse possessionem tradidisset, condictionem non habebit, quia nihil accipientis faceret, sed suam rem dominus habere incipiat. et ideo constat, si quis, cum existimaret se heredem esse, insulam hereditariam fulsisset, nullo alio modo quam per retentionem impensas servare posse.

Habe ich auf deinem Gelände gebaut und besitzt du das Gebäude, greift die Kondiktion nicht Platz, weil kein Geschäft zwischen uns abgeschlossen wurde. Denn wer einen nicht geschuldeten Betrag zahlt, schließt auf diese Weise ein Geschäft ab. Nimmt aber der Eigentümer das von einem anderen auf seinem Gelände errichtete Gebäude in Besitz, schließt er kein Geschäft ab. Aber auch wenn derjenige, der auf einem fremden Gelände gebaut hat, den Besitz überträgt, steht ihm nicht die Kondiktion zu, weil er dem Empfänger kein Eigentum verschafft hat, sondern dieser von vornherein Eigentümer war. Und daher steht fest, dass jemand, der in dem Glauben, Erbe zu sein, einen zur Erbschaft gehörenden Wohnblock instandgesetzt hat, seine Aufwendungen nur mit Hilfe eines Zurückbehaltungsrechts geltend machen kann.

Julian stellt dar, warum der Verwendungsersatz aus dem Schema des römischen Bereicherungsrechts fällt. Dieses kennt nur zwei Anknüpfungspunkte für die Kondiktion: die datio sine causa und den widerrechtlichen Eingriff des Bereicherungsschuldners, der vor allem in Gestalt des furtum vorkommt und eine Kondiktion auslöst, weil sich die Sache nun ex iniusta causa bei ihrem Besitzer befindet.233 In dem Fall, dass jemand auf einem fremden Grundstück gebaut und dessen Eigentümer so das Gebäude verschafft hat, kommt für Julian von vornherein nur die Leistungskondiktion in Betracht. 232  Dies erkennt (ungeachtet der darauf fußenden abwegigen Interpolationsvermutungen) auch Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht, Münster / Köln 1952, S. 104. 233  Vgl. Harke, IVRA 54 (2003) 49, 68 ff.

204 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Sie scheitert aber, weil kein Geschäft vorliegt, wie es etwa vorkommt, wenn jemand in der Fehlvorstellung seiner Verpflichtung einen Geldbetrag zahlt. Damit ist nicht etwa gemeint, dass die Übereignung selbst ein separates Rechtsgeschäft wäre. Vielmehr will Julian zeigen, dass es schlechthin an einem rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb als Voraussetzung der Kondiktion wegen rechtsgrundloser Leistung fehlt:234 Der Bau auf fremdem Grund macht den Eigentümer kraft der Regel superficies solo cedit automatisch zum Eigentümer des verwendeten Materials, so dass weder er selbst noch die spätere Herausgabe des Grundstücks an den Eigentümer als datio sine causa anzusehen ist. Den Ersatz seiner Verwendungen kann der Eigentümer daher nur vor der Grundstücksherausgabe erreichen, indem er der Vindikation des Eigentümers die exceptio doli entgegenhält und sich darauf beruft, dass das Herausgabeverlangen ohne Verwendungsersatz eine unzulässige Rechtsausübung bedeutet.235 Anders verhält es sich in dem Fall, dass die Herausgabe an einen Nichteigentümer erfolgt, der nur ein unbebautes Grundstück beanspruchen kann. Diese Konstellation ist Gegenstand eines anderen Fragments, das Lenel mit D 12.6.33 zusammengestellt hat: (30) Iul 551 = D 30.60 (39 dig) Quod si nulla retentione facta domum tradidisset, incerti condictio ei competet, quasi plus debito solverit.

Hat er aber das Grundstück, ohne sich auf sein Zurückbehaltungsrecht zu berufen, übergeben, steht ihm die Kondiktion mit unbestimmtem Inhalt zu, weil er mehr geleistet hat, als er schuldete.

Der Sachverhalt, dem diese Entscheidung gilt, erschließt sich aus dem vorangehenden Papinianfragment236: Ein Erbe hat auf seine Kosten ein abgebranntes Gebäude auf einem Grundstück wiederhergestellt, das Gegenstand eines nach seinem Tod erfüllten Fideikommisses war. Da der Fideikommissar erst mit der Herausgabe das Eigentum an Haus und Grund erlangt hat, liegt eine Leistung vor,237 der insofern der Rechtsgrund fehlt, als der Fideikommissar seit dem Brand nur Anspruch auf ein unbebautes Gelände und nicht auch auf ein Hausgrundstück hatte. In dem folgenden Fragment geht es um den Tatbestand der Eingriffskondiktion, der dadurch verwirklicht ist, dass sich eine Sache ex iniusta causa bei einem anderen befindet238: 234  Offenbar

anders Heine, Condictio sine datione, Berlin 2006, S. 40. Weg zu einer aktiven Verfolgung des Aufwendungsersatzrechts eröffnet später Gaius, der dem Besitzer als Komplementärstück zur exceptio doli eine vindicatio utilis gewährt; vgl. Gai 2.78. 236  D 30.58 Pap 8 resp: Domus hereditarias exustas et heredis nummis exstructas ex causa fideicommissi post mortem heredis restituendas viri boni arbitratu sumptuum rationibus deductis et aedificiorum aetatibus examinatis respondi, … 237  Vgl. Heine (Fn. 234), S. 36. 235  Den



I. Systemimmanente Rechtsfindung205

(31) Afr 6 = D 12.1.23 (2 quaest) Si eum servum, qui tibi legatus sit, quasi mihi legatum possederim et vendiderim, mortuo eo posse te mihi pretium condicere Iulianus ait, quasi ex re tua locupletior factus sim. 238



Habe ich den Sklaven, der dir vermacht ist, als mir hinterlassen besessen und verkauft, könnest du nach seinem Tod, wie Julian sagt, von mir seinen Wert kondizieren, weil ich aus deinem Vermögen bereichert sei.

Veräußert ein Nichtberechtigter den Sklaven eines anderen, der diesem durch Vindikationslegat zugefallen ist, muss er nach dem Tod des Sklaven dessen Wert ersetzen.239 Hat der Veräußerer auch kein furtum begangen, weil er den Sklaven ja nicht vorsätzlich entwendet hat, haftet er dennoch mit der Eingriffskondiktion, die jede Bereicherung durch unrechtmäßigen Eingriff erfasst. Dass sie hier eingetreten ist, liegt am Tod des Sklaven, der in das periculum emptoris fällt und verhindert, dass der Käufer den Rechtsmangel geltend machen kann. Den von der Jurisprudenz ausgeformten Tatbestand der actio furti betreffen drei Entscheidungen Julians: (32) Afr 110 = D 47.2.62.8 (8 quaest) Locavi tibi fundum, et (ut adsolet) convenit, uti fructus ob mercedem pignori mihi essent. si eos clam deportaveris, furti tecum agere posse aiebat. sed et si tu alii fructus pendentes vendideris et emptor eos deportaverit, consequens erit, ut in furtivam causam eos incidere dicamus. etenim fructus, quamdiu solo cohaereant, fundi esse et ideo colonum, quia voluntate domini eos percipere videatur, suos fructus facere. quod certe in proposito non aeque dicitur: qua enim ratione coloni fieri possint, cum emptor eos suo nomine cogat?

Ich habe dir ein Grundstück verpachtet, und wir haben dabei, wie dies üblich ist, vereinbart, dass die Früchte mir als Pfand für die Pacht dienen sollen. Hast du sie heimlich weggeschafft, könne ich, wie er sagt, gegen dich mit der Diebstahlsklage vorgehen. Aber auch wenn du einem anderen die noch nicht gezogenen Früchte verkauft hast und der Käufer sie weggeschafft hat, sei es folgerichtig, wenn wir sagen, dass sie Gegenstand eines Diebstahls geworden seien. Denn die Früchte seien, solange sie vom Grundstück nicht getrennt sind, Teil des Grundstücks, und der Pächter würde sie, weil er sie mit Zustimmung des Eigentümers ziehe, zu Eigentum erwerben. Was man in diesem Fall aber nicht sagen kann. Wie sollen sie nämlich zum Eigentum des Pächters werden, wenn der Käufer sie für sich gezogen hat?

Julian sieht den Tatbestand des Diebstahls verwirklicht, wenn jemand aufgrund eines Kaufvertrags mit dem Pächter Grundstücksfrüchte direkt gezogen hat. Denn die Früchte gehören als Teil des Grundstücks noch dessen Eigentümer; und dieser hat seine Zustimmung zum Fruchtbezug allein 238  Vgl. 239  Dass

Harke, IVRA 54 (2003) 49, 68 ff. pretium hier Wert und nicht Preis meint, zeigt Heine (Fn. 234), S. 87 ff.

206 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

dem Pächter selbst und nicht etwa auch zur Überlassung an einen Dritten erteilt. Denn er hat mit dem Pächter die übliche Vereinbarung getroffen, dass die Früchte zum Pfand für den Anspruch auf die Pacht dienen sollen;240 und dieses Pfandrecht kann gerade nicht entstehen, wenn der Käufer die Früchte unmittelbar zieht. (33) Iul 860 = D 47.2.60 (3 Min) Si is, qui rem commodasset, eam rem clam abstulisset, furti cum eo agi non potest, quia suum recepisset et ille commodati liberatus esset. hoc tamen ita accipiendum est, si nullas retinendi causas is cui commodata res erat habuit: nam si impensas necessarias in rem commodatam fecerat, interfuit eius potius per retentionem eas servare quam ultro commodati agere, ideoque furti actionem habebit.

Hat derjenige, der eine Sache verliehen hat, diese Sache heimlich entwendet, kann gegen ihn nicht wegen Diebstahls geklagt werden, weil er das Seinige erlangt hat und der Entleiher befreit ist. Dies gilt dann, wenn der Entleiher keinen Grund für die Zurückbehaltung der entliehenen Sache hatte. Denn wenn er notwendige Verwendungen auf die entliehene Sache gemacht hat, hat er mehr Interesse daran, deren Ersatz durch die Zurückbehaltung der Sache sicherzustellen als mit Entleiherklage vorzugehen; und deshalb steht ihm die Diebstahlsklage zu.

Julian korrigiert vermutlich eine Entscheidung Minicius’, der die Zuständigkeit der Diebstahlsklage verneint hat, wenn ein Eigentümer seine Sache dem Entleiher entwendet. Minicius’ Begründung, der Eigentümer habe nur das Seine erlangt und der Entleiher kein Interesse, erweist Julian als teilweise unrichtig. Er zweifelt zwar nicht daran, dass der Verleiher, der das commodatum jederzeit kündigen kann, mit der Sache nur erlangt hat, was ihm gebührt. Nach seiner Ansicht trifft jedoch nicht zu, dass der Entleiher schlechthin kein schutzwürdiges Interesse am Verbleib der Sache in seinen Händen haben kann. Da ihm für seine notwendigen Aufwendungen ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, dessen Ausübung bequemer als die Erhebung der Entleiherklage ist, kann er durchaus ein Interesse daran haben, dass die Sache nicht entwendet worden wäre. Damit ist nicht stets, aber doch zuweilen eine Subsumtion unter den Tatbestand der Aktivlegitimation zur actio furti: das interesse rem salvam esse,241 möglich. (34) Iul 339 = D 47.2.14.4 Ulp 29 Sab Iulianus quoque libro vicensimo secundo digestorum scribit: quia in omnium furum persona constitutum est, ne eius rei nomine furti agere possint, cuius ipsi fures sunt, non habebit furti actionem is, apud quem res deposita est, quamvis periculo eius esse res coeperit qui eam contrectavit. 240  Nach D 20.2.7pr Pomp 13 var lect wird dies sogar ohne ausdrückliche Vereinbarung unterstellt. 241  Gai 3.203.



I. Systemimmanente Rechtsfindung207



Julian schreibt im 22. Buch seiner Digesten: Weil für alle Arten von Dieben anerkannt ist, dass sie nicht die Diebstahlsklage wegen einer Sache erheben können, deren Dieb sie selbst sind, hat die Diebstahlsklage auch nicht derjenige, bei dem eine Sache in Verwahrung gegeben worden ist, obwohl sie schon auf seine Gefahr ging, weil er sie unterschlagen hatte.

Die Aktivlegitimation zur Diebstahlsklage kommt einem Verwahrer normalerweise deshalb nicht zu, weil er dem Eigentümer nicht zur custodia und lediglich für sein Verschulden haftbar ist.242 Hat er die Sache unterschlagen, könnte freilich etwas anderes gelten, weil er nun auch für einen zufälligen Verlust der Sache einzustehen hat. Hier greift jedoch die konkurrierende Regel ein, dass ein Dieb wegen Verlustes der von ihm selbst entwendeten Sache niemals zur Diebstahlsklage zugelassen ist. Die Voraussetzungen der Ersitzung beschäftigen Julian in vier Fragmenten, von denen zwei dem Erwerbstatbestand des redlichen Kaufs gelten: (35) Iul 855 = D 41.4.8 (2 Min) Si quis, cum sciret venditorem pecuniam statim consumpturum, servos ab eo emisset, plerique responderunt eum nihilo minus bona fide emptorem esse, idque verius est: quomodo enim mala fide emisse videtur, qui a domino emit? nisi forte et is, qui a luxurioso et protinus scorto daturo pecuniam servos emit, non usucapiet.

Hat jemand von demjenigen, von dem er wusste, dass er das Geld sofort verschwenden werde, Sklaven gekauft, so meinen viele, dass er nichtsdestoweniger ein redlicher Käufer sei; und dies ist richtig. Wie kann nämlich derjenige als unredlicher Käufer gelten, der vom Eigentümer gekauft hat? Andernfalls könnte sogar derjenige nicht ersitzen, der Sklaven von einem Schwelger gekauft hat, der das Geld umgehend einer Hure geben wird.

Julian begründet, warum es für den Ersitzungsbesitz keine Rolle spielen kann, ob der Käufer die Sache von einem Verkäufer erworben hat, von dem er weiß, dass er den Kaufpreis sofort vergeuden wird.243 Für die Frage, ob ein Kaufvertrag der Geschäftsmoral entspricht244 und eine Grundlage für die Ersitzung bietet, kommt es allein darauf an, ob der Käufer die Sache von einem Verfügungsberechtigten oder von demjenigen kauft, den er für verfügungsberechtigt hält. Die Sorge um das Vermögen des Verkäufers liegt jenseits dessen, was die bona fides als Beurteilungsmaßstab für den Ersitzungstatbestand verlangt. 242  Gai 3.207. 243  Entgegen Hausmaninger, Hausmaninger, Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht, Wien 1964, S. 75 geht es nicht darum, dass der Käufer irrtümlich an die Entmündigung des Verkäufers glaubt. Seine Vorstellung stimmt mit der Realität überein, in der der Verkäufer ein Verschwender, aber nicht entmündigt ist; vgl. Söllner, Bona fides – guter Glaube?, SZ 122 (2005), 1, 4. 244  Dies ist der streitentscheidende Punkt; vgl. Söllner, SZ 122 (2005) 1, 4 f.

208 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (36) Iul 855 = D 41.4.10 (2 Min) Servus domino ancillam, quam subripuerat, pro capite suo dedit: ea concepit: quaesitum est, an dominus eum partum usucapere possit. respondit: hic do­ minus quasi emptor partum usucapere potest, namque res ei abest pro hac muliere et genere quodammodo venditio inter servum et dominum contracta est.

Ein Sklave hat seinem Eigentümer, um frei zu werden, eine Sklavin gegeben, die er selbst gestohlen hat; und diese hat ein Kind geboren. Es ist gefragt worden, ob der Eigentümer das Kind ersitzen könne. Er hat befunden: Dieser Eigentümer kann das Kind gleichsam als Käufer ersitzen, denn im Gegenzug für den Erhalt der Frau entgeht ihm etwas; und es ist gewissermaßen ein Kaufvertrag zwischen dem Sklaven und dem Eigentümer geschlossen worden.

Julian lässt die Ersitzung eines Sklavenkinds, das die von einem anderen Sklaven gestohlene und zur Erlangung seiner eigenen Freiheit geleistete Sklavin gebiert, als usucapio pro emptore zu: Zwar ist eine Ersitzung der Sklavin selbst wegen des Diebstahls ausgeschlossen; der Makel des furtum setzt sich jedoch nicht an ihrem Kind fort. Der ehemalige Eigentümer des diebischen Sklaven kann es kraft einer quasi emptio ersitzen245, weil er wie ein Käufer seinerseits etwas aufgegeben hat, als er den Sklaven Zug um Zug gegen Übergabe der Sklavin freiließ.246 In den beiden anderen Entscheidungen geht es um das Erfordernis des Ersitzungsbesitzes: (37) Iul 614 = D 41.3.33.5 (44 dig) Si rem tuam, cum bona fide possiderem, pignori tibi dem ignoranti tuam esse, desino usucapere, quia non intellegitur quis suae rei pignus contrahere. at si nuda conventione pignus contractum fuerit, nihilo minus usucapiam, quia hoc quoque modo nullum pignus contractum videtur.

Bestelle ich dir ein Pfandrecht an deiner Sache, die ich gutgläubig besitze, ohne zu wissen, dass sie dir gehört, höre ich auf zu ersitzen, weil niemand ein Pfandrecht an der eigenen Sache erwerben kann. Ist das Pfandrecht aber durch

245  Bauer, Ersitzung und Bereicherung, Berlin 1987, S. 72 ff. hält diese Entscheidung für dogmatisch nicht zu rechtfertigen und sieht einen Widerspruch zu Afr 73 = D 41.4.11 (7 quaest). Dies trifft nicht zu. In jenem Fragment geht es um eine Putativtitelersitzung aufgrund der unrichtigen Behauptung eines Sklaven, eine Sache selbst gekauft zu haben; hier geht es dagegen um eine Ersitzung aufgrund der kauf­ ähnlichen Vereinbarung über die Freilassung. 246  Anders beurteilen diese Frage Sabinus und Cassius (D 41.3.4.16 Paul 54 ed). Dagegen besteht kein Widerspruch zu Celsus, der die Ersitzung einer zur Erlangung der Freiheit gegebenen Sache ausweislich des Kontextes, in dem diese Entscheidung steht, nur für den Fall ausschließt, dass der Eigentümer des Sklaven aufgrund einer von ihm erteilten Ermächtigung sofort den Besitz an der Sache erworben hat; vgl. Cels 197 = D 41.4.2.11, 13, 14 Paul 54 ed; s. o. A.I.1.b)aa)(2) [9–10]).



I. Systemimmanente Rechtsfindung209 bloße Vereinbarung bestellt worden, ersitze ich nichtsdestoweniger, weil auch auf diese Weise kein wirksames Pfandrecht zustande kommt.

Räumt der Ersitzungsbesitzer dem Eigentümer ein Pfandrecht an seiner Sache ein, hängt die Fortdauer des Ersitzungsbesitzes von der Art des bestellten Pfandrechts ab: Ist es ein besitzloses Pfandrecht, ist es wegen der Identität von Eigentümer und Pfandgläubiger schlicht unwirksam und bleibt ohne Einfluss auf den Ersitzungsbesitz. Ist es ein Besitzpfandrecht, ist das pignus zwar ebenfalls ungültig. Seine Unwirksamkeit führt hier jedoch dazu, dass der Ersitzungsbesitzer mit der Übergabe auch seinen Besitz verliert, weil er ihm nicht mehr wirksam durch den Pfandgläubiger vermittelt wird. Nur bei gültiger Pfandbestellung gilt, dass der Pfandgläubiger ad reliquas omnes causas, der Besitzer ad usucapionem besitzt.247 (38) Iul 614 = D 41.3.33.6 (44 dig) Si rem pignori datam creditoris servus subripuerit, cum eam creditor possideret, non interpellabitur usucapio debitoris, quia servus dominum suum possessione non subvertit. sed et si debitoris servus subripuerit, quamvis creditor possidere desinat, tamen debitori usucapio durat, non secus ac si eam creditor debitori tradidisset: nam quantum ad usucapiones attinet, servi subtrahendo res non faciunt deteriorem dominorum condicionum. facilius optinebitur, si precario possidente debitore servus eius subripuerit. …

Hat ein Sklave des Pfandgläubigers eine Pfandsache gestohlen, als der Pfandgläubiger sie besaß, unterbricht er nicht die Ersitzung durch den Schuldner, weil der Sklave den Besitz seines Herrn nicht aufheben kann. Aber auch wenn der Sklave des Schuldners die Sache stiehlt, dauert, obwohl der Pfandgläubiger zu besitzen aufhört, der Ersitzungsbesitz des Schuldners ebenso wie in dem Fall an, dass der Gläubiger die Sache dem Schuldner übergeben hat. Denn was die Ersitzung anbelangt, können Sklaven durch die Entwendung von Sachen die Lage ihrer Eigentümer nicht verschlechtern. Dies ist noch leichter einzusehen, wenn der Sklave des Schuldners die Sache gestohlen hat, als der Schuldner sie im Wege der Bittleihe besaß. …

Auf den Ersitzungsbesitz eines Schuldners, der die Sache seinem Pfandgläubiger übergeben hat, bleibt es ohne Einfluss, wenn diese von einem Sklaven des Pfandgläubigers oder von einem eigenen Sklaven des Schuldners entwendet wird. Durch einen Diebstahl, den der Sklave des Pfandgläubigers verübt hat, verliert dieser nicht seine Besitzposition und kann dementsprechend auch noch den Besitz an den Schuldner vermitteln. Wird die Sache von dem Sklaven des Schuldners entwendet, verliert der Pfandgläubiger dagegen zwar seinen Besitz; gleichwohl bleibt der Besitz des Schuldners erhalten, da sich die Sache ja bei seinem Sklaven befindet. In beiden Fällen folgt die Lösung der Regel, dass die Entwendung einer Sache durch einen Sklaven nicht den Besitz seines Eigentümers beeinträchtigt. Dies be247  Vgl.

die Erläuterung von Julians Lehrer Javolen in D 41.3.16 (4 Plaut).

210 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

deutet für den Diebstahl durch den Sklaven des Pfandgläubigers, dass überhaupt keine Änderung in den Besitzverhältnissen eintritt; für den Diebstahl durch den Sklaven des Schuldners ergibt sich, dass der Schuldner den Pfandgläubiger als Besitzmittler verliert, aber dennoch im Besitz der Sache bleibt und so steht, als sei sie ihm von dem Pfandgläubiger zurückgegeben worden. Überhaupt keine Änderung in den Besitzverhältnissen bewirkt es wiederum, wenn die Sache dem Schuldner vom Pfandgläubiger precario überlassen worden ist und dann vom Sklaven des Schuldners entwendet wird. Dem Schutz des Eigentums durch rei vindicatio und actio ad exhibendum gelten die folgenden Entscheidungen, in denen Julian die Subsumtion unter den Begriff der eadem causa verneint: (39) Iul 141 = D 10.4.12.2 Paul 26 ed Saepius ad exhibendum agenti, si ex eadem causa agat, obstaturam exceptionem Iulianus ait: novam autem causam intervenire, si is, qui vindicandi gratia egisset, post acceptum iudicium eam ab aliquo accepit, et ideo exceptionem ei non officere. …

Julian zufolge stehe demjenigen, der mehrfach auf Vorlegung klage, wenn er aus demselben Grund klage, eine Einrede entgegen. Es sei aber ein neuer Grund, wenn derjenige, der eine Vindikation erhoben hat, die Sache nach Prozessbegründung von einem anderen erworben hat, und deshalb stehe ihm die Einrede nicht entgegen. …

Ebenso wie die Hauptsacheklage wird auch der Anspruch auf Vorlegung verbraucht, wenn die Klage auf die Hauptsache in derselben Angelegenheit erneut erhoben wird. Bei der rei vindicatio liegt nach Ansicht Julians aber ein neuer Streitgegenstand vor, wenn der Kläger die Sache nachträglich von einem Dritten erworben hat. (40) Iul 142 = D 10.4.8 (9 dig) Si ad exhibendum actum est cum eo, qui neque possidebat neque dolo malo fecerat quo minus possideret, deinde eo defuncto heres eius possidet rem, exhibere eam cogendus erit. nam si fundum vel hominem petiero et heres ex eadem causa possidere coeperit, restituere cogitur.

Ist jemand, der eine Sache weder besaß noch sich ihrer arglistig begeben hat, auf Vorlegung verklagt worden und hat nach seinem Tod sein Erbe begonnen, die Sache zu besitzen, wird er gezwungen, sie vorzulegen. Denn auch wenn ich ein Grundstück oder einen Sklaven gefordert habe und der Erbe aus demselben Grund den Besitz erworben hat, wird er zur Herausgabe gezwungen.

Julian schließt aus der Zuständigkeit der rei vindicatio, um die Zulässigkeit einer Klage auf Vorlegung gegen den Erben desjenigen zu begründen, von dem der Kläger schon erfolglos die Vorlegung verlangt hat: Da der Kläger von dem Erben, wenn dieser den Besitz erlangt, auch die Herausgabe der Sache verlangen kann, muss er ihn auch auf Vorlegung in Anspruch



I. Systemimmanente Rechtsfindung211

nehmen können, ohne dass ihm seine Klage gegen den Erblasser entgegengehalten werden kann. Ebenso wenig wie die Eigentumsherausgabeklage248 gesperrt ist, wenn er den Besitz an der Sache erlangt hat, kann auch der Vorlegungsanspruch verbraucht sein.249 Die Regeln zur Bestellung und zum Verlust einer Dienstbarkeit durch Konsolidation beschäftigen Julian in zwei Fragmenten: (41) Afr 64 = D 8.3.32 (6 quaest) Fundus mihi tecum communis est: partem tuam mihi [tradidisti] et ad eundem viam per vicinum tuum proprium. recte eo modo servitutem constitutam ait neque quod dici soleat per partes nec adquiri nec imponi servitutes posse isto casu locum habere: hic enim non per partem servitutem adquiri, utpote cum in id tempus adquiratur, quo proprius meus fundus futurus sit.

Ein Grundstück gehört mir mit dir gemeinsam. Du hast mir deinen Anteil übertragen und ein Wegerecht über das dir allein gehörende Nachbargrundstück bestellt. Er sagt, auf diese Weise werde eine Dienstbarkeit wirksam bestellt, und es greife auch nicht die Regel ein, dass man Dienstbarkeiten nicht teilweise erwerben oder bestellen könne. Denn die Dienstbarkeit werde hier nicht teilweise erworben, vielmehr für den Zeitpunkt, in dem mir das gesamte Grundstück gehören werde.

Hat jemand zugleich mit der Übertragung seines Miteigentumsanteils auf seinen socius für das Grundstück eine Dienstbarkeit an einem ihm allein gehörenden Nachbargrundstück bestellt, ist fraglich, ob die Entstehung des Rechts an der Regel scheitert, dass Dienstbarkeiten nicht durch einzelne Miteigentümer erworben werden können; denn die Dienstbarkeit wird nur dem künftigen Alleineigentümer des herrschenden Grundstücks eingeräumt, der im Moment der Verfügung aber noch bloßer Miteigentümer ist. Dass die Dienstbarkeit gleichwohl wirksam bestellt ist, folgt für Julian daraus, dass ihr Erwerb bedingt ist und erst in dem Zeitpunkt erfolgen soll, in dem auch die Übertragung des Miteigentumsanteils wirksam ist. Dann scheitert aber auch die Subsumtion unter das Verbot der Bestellung einer Dienstbarkeit für einen einzelnen Miteigentümer. (42) Iul 105 = D 8.3.27 (7 dig) Si communi fundo meo et tuo serviat fundus Sempronianus et eundem in commune redemerimus, servitus extinguitur, quia par utriusque domini ius in utroque fundo esse incipit. at si proprio meo fundo et proprio tuo idem serviat, manebit servitus, quia proprio fundo per communem servitus deberi potest. 248  Dass es statt dessen um die hereditatis petitio geht, glaubt González Roldán, Dolo desinere possidere fra editto del pretore e scienza giuridica, Bari 2010, S. 98. 249  Der Vergleich zur rei vindicatio ist kein Argument gegen die Annahme, die actio ad exhibendum sei auf Mobilien beschränkt; vgl. Marrone, Actio ad exhibendum, Annali Palermo 26 (1957) 177, 335 ff.

212 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Dient das sempronianische Grundstück einem Grundstück, das mir und dir gemeinsam gehört, und kaufen wir das sempronianische gemeinsam, so erlischt die Dienstbarkeit, weil das Recht beider Eigentümer an beiden Grundstücken dann gleich ist. Dient aber das Grundstück sowohl einem nur mir gehörenden als auch einem nur dir gehörenden Grundstück, bleibt die Dienstbarkeit erhalten, weil dem eigenen Grundstück eine Dienstbarkeit durch das gemeinsame geschuldet sein kann.

Julian beschäftigt sich mit der Konsolidation einer Dienstbarkeit beim Erwerb eines dienenden Grundstücks durch zwei Miteigentümer: Gehört ihnen auch das herrschende Grundstück gemeinsam, erlischt die Dienstbarkeit, weil die Berechtigung und die Verpflichtung zusammenfallen. Anders ist es, wenn die Dienstbarkeit nicht zugunsten eines gemeinsamen Grundstücks, sondern zweier jeweils in Alleineigentum stehender Grundstücke der Käufer bestellt ist. Mangels Personenidentität in der Inhaberschaft von herrschendem und dienendem Grundstück bleibt die Servitut hier erhalten. Julian gewinnt diese Lösung durch den Schluss aus dem Satz, dass es für die Konsolidation einer gleichen Berechtigung (par ius) an dienendem und herrschendem Grundstück bedarf. Um die Konsolidation eines Nießbrauchs geht es in (43) Iul 512 = D 7.4.17 (35 dig): Si tibi fundi usus fructus pure, proprietas autem sub condicione Titio legata fuerit, pendente condicione dominium proprietatis adquisieris, deinde condicio extiterit, pleno iure fundum Titius habebit neque interest, quod detracto usu fructu proprietas legata sit: enim dum proprietatem adquiris, ius omne legati usus fructus amisisti.

Ist dir der Nießbrauch an einem Grundstück unbedingt, das Eigentum aber unter einer Bedingung dem Titius vermacht und hast du, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe war, das Eigentum erworben und ist dann die Bedingung eingetreten, hat Titius das Grundstück zu vollem Recht; und es kommt nicht darauf an, ob es unter Ausnahme des Nießbrauchs vermacht ist. Denn indem du das Eigentum erworben hast, hast du das vermachte Nießbrauchsrecht verloren.

Ist einem Vermächtnisnehmer der Nießbrauch an einem Grundstück zugewandt, das einem anderen unter einer Bedingung vermacht ist, führt der Eigentumserwerb des Nießbrauchers dazu, dass dieser endgültig erlischt und auch nicht wieder auflebt, wenn die Bedingung eintritt und der andere Vermächtnisnehmer das Eigentum an dem Grundstück erlangt. Dies gilt auch dann, wenn das bedingte Vermächtnis für diesen detracto usu fructu erfolgte. Denn so ist nur das Grundstücksvermächtnis beschränkt und nicht auch der Nießbrauch erneut vermacht. Dieser erlischt also endgültig durch Konsolidation, wenn der Nießbraucher zum Eigentümer der belasteten Sache wird.



I. Systemimmanente Rechtsfindung213

Der Verlust des Nießbrauchs an einem Sklaven beschäftigt Julian in dem folgenden Fragment: (44) Iul 496 = D 7.1.12.4 Ulp 17 Sab Idem tractat: quid si quis possessionem eius nactus sit, an, quemadmodum a proprietario possideri desinit, ita etiam usus fructus amittatur? et primo quidem ait posse dici amitti usum fructum, sed licet amittatur, tamen dicendum, quod intra constitutum tempus ex re fructuarii stipulatus est, fructuario adquiri potest. per quod colligi posse dici, ne quidem si possideatur ab alio, amitti usum fructum, si modo mihi aliquid stipuletur, parvique referre, ab herede possideatur vel ab alio cui hereditas vendita sit vel cui proprietas legata sit, an a praedone: sufficere enim ad retinendum usum fructum esse affectum retinere volentis et servum nomine fructuarii aliquid facere: quae sententia habet rationem.

Julian behandelt auch die Frage, ob der Nießbrauch ebenso wie der Besitz des Eigentümers verloren gehe, wenn jemand den Besitz des Sklaven erlangt habe. Und er sagt zunächst, man könne behaupten, dass der Nießbrauch verloren gehe; aber obwohl er verloren gehe, sei trotzdem zu sagen, dass der Sklave, was er während der Ersitzungszeit unter Einsatz des Nießbrauchervermögens erwirbt, für den Nießbraucher erwerbe. Hieraus könne man ableiten, dass der Nießbrauch auch dann nicht verloren gehe, wenn der Sklave von einem anderen besessen werde; und es komme nicht darauf an, ob er von einem Erben besessen werde oder von einem Erbschaftskäufer, Vermächtnisnehmer oder Räuber. Es reiche nämlich für den Erhalt des Nießbrauchs, dass der Nießbraucher den Besitz behalten wolle und der Sklave in seinem Namen irgendetwas unternehme. Diese Ansicht ist richtig.

Julian geht der Frage nach, ob und wie der Nießbrauch an einem Sklaven verloren geht, wenn dieser von einem redlichen Erwerber besessen wird. Grundsätzlich gehe mit Ablauf der Ersitzungszeit auch der Nießbrauch unter. Erwirbt der Sklave während der Ersitzungszeit aber etwas unter Einsatz des Nießbrauchervermögens, bleibt der Nießbrauch erhalten, und zwar unabhängig davon, wer ihn besitzt. Dass an die Fortdauer des Nießbrauchs geringere Anforderungen als an den Erhalt des Eigentums zu stellen sind, folgt daraus, dass anders als bei diesem zum Besitzwillen des Berechtigten nicht auch die tatsächliche Sachherrschaft hinzutreten muss. Stattdessen genügt, dass der Sklave seine Zugehörigkeit zum Nießbraucher dadurch dokumentiert, dass er etwas unter Einsatz des Nießbrauchervermögens erwirbt. Den Konsequenzen der Regel über den Erwerb durch einen Nießbrauchssklaven widmet sich Julian in (45) Iul 498 = D 7.1.25.1 Ulp 17 Sab: Interdum tamen in pendenti est, cui adquirat iste fructuarius servus: ut puta si servum emit et [per traditionem] accepit necdum pretium numeravit, sed tantummodo pro eo fecit satis, interim cuius sit, quaeritur. et Iulianus libro trigensimo quinto digestorum scripsit in pendenti esse dominium eius et

214 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian numerationem pretii declaraturam, cuius sit: nam si ex re fructuarii, retro fructuarii fuisse. …

Zuweilen ist es in der Schwebe, für wen der Nießbrauchssklave erwirbt, wie zum Beispiel, wenn er einen Sklaven gekauft und durch Manzipation erworben, aber den Kaufpreis noch nicht bezahlt, sondern nur Sicherheit geleistet hat; hier ist offen, wem der Sklave in der Zwischenzeit gehört. Und Julian schreibt im 35. Buch seiner Digesten, das Eigentum an dem Sklaven bleibe in der Schwebe, und die Zahlung des Preises ergebe, wem er gehöre. Denn wenn sie aus Mitteln des Nießbrauchers erfolge, gehöre er rückwirkend dem Nießbraucher. …

Julian stellt fest, dass das Eigentum an einer von einem Nießbrauchssklaven erworbenen Sache solange in der Schwebe ist, bis die Zahlung des Kaufpreises erfolgt. Dies ergibt die Regel, dass der Erwerb ex re fructuarii dem Nießbraucher zufällt,250 der sonstige Erwerb dagegen dem Eigentümer des Sklaven. Dementsprechend entscheidet sich das Eigentum an einem vorab durch mancipatio erworbenen Sklaven erst daran, ob der Nießbrauchssklave bei der Kaufpreiszahlung auf das Vermögen des Nießbrauchers zurückgreift oder nicht. Einen weiteren Schwerpunkt in der Subsumtionstätigkeit Julians bildet das Verbot der Schenkungen unter Ehegatten. Es gibt fünf Entscheidungen, bei denen Julian einen Fall unter den Tatbestand des Verbots subsumiert und eine Bereicherung des einen Ehegatten auf Kosten des anderen feststellt oder verneint: (46) Iul 893 = D 23.4.22 (2 Urs Fer) Quidam fundum dotis causa ab uxore sua acceperat interque eos convenerat, ut mercedes eius fundi vir uxori annui nomine daret: deinde eum fundum vir matri mulieris certa pensione colendum locaverat eaque, cum mercedes eius fundi deberet, decesserat et filiam suam solam heredem reliquerat et divortium factum erat: vir deinde petebat a muliere mercedes, quas mater debuerat. placuit exceptionem mulieri dari non debere ‚ac si inter se et virum non convenisset, ut hae mercedes sibi alimentorum nomine darentur‘, cum futurum sit, ut quodammodo donationes inter virum et uxorem confirmentur: nam quod annui nomine datur, species est donationis.

Jemand hatte von seiner Frau als Mitgift ein Grundstück erhalten und mit ihr vereinbart, dass er ihr die Pacht dieses Grundstücks als Jahresrente überlasse. Danach hatte der Mann das Grundstück der Mutter der Frau zu einer bestimmten Pacht überlassen; diese war, als sie noch die Pacht für das Grundstück schuldete, gestorben und hatte ihre Tochter als Alleinerbin hinterlassen; dann wurde die Ehe geschieden. Der Mann hat von der Frau die Pacht gefordert, die die Mutter schuldete. Es ist entschieden worden, dass der Frau keine Einrede des Inhalts gegeben wird: „und falls nicht zwischen ihr und dem Mann vereinbart worden ist, dass ihr die Pacht zum Unterhalt geleistet werden sol250  Gai 2.91.



I. Systemimmanente Rechtsfindung215 le“, weil dies dazu führte, dass auf gewisse Weise Schenkungen unter Ehegatten anerkannt würden. Denn was als Jahresrente geleistet wird, ist eine Art von Schenkung.

Hat ein Ehemann seiner Frau die Pacht eines Dotalgrundstücks als jährliche Rente versprochen, kann die Frau diese nicht indirekt dadurch erlangen, dass ihr eine Einrede gegen den Mann gegeben wird, dem sie als Alleinerbin der Pächterin die Pacht für das Grundstück schuldet. Ihr eine exceptio pacti gegen die Klage zu gewähren bedeutete nämlich einen Verstoß gegen das Schenkungsverbot unter Ehegatten, dem die Herausgabe einer eigentlich dem Ehemann zustehenden wiederkehrenden Leistung nicht minder unterfällt als eine einmalige Zahlung. (47) Iul 284 = D 24.1.3.13 (17 dig) … Idemque est et si mortis causa traditurum mihi iusserim uxori tradere, nec referre, convaluerit donator an mortuus sit. neque existimandum est, si dixerimus valere donationem, non fieri me pauperiorem, quia sive convaluerit donator, condictione tenebor, sive mortuus fuerit, rem, quam habiturus eram, in bonis meis desinam propter donationem habere.

… Dasselbe gilt auch, wenn ich denjenigen, der mir von Todes wegen etwas geben wollte, angewiesen habe, dies meiner Frau zu geben, und es spiele keine Rolle, ob der Schenker sich erholt oder nicht. Es ist auch nicht anzunehmen, dass ich nicht entreichert werde, wenn wir die Schenkung für wirksam erklärten; denn wenn der Schenker sich erholt, hafte ich mit der Kondiktion, wenn er stirbt, hätte ich eine Sache, die mir gehören sollte, nicht mehr in meinem Vermögen.

Julian ergänzt seine in demselben Abschnitt durch Fallvergleich begründete Entscheidung, dass die Leistung, die ein Schenker auf Anweisung des beschenkten Ehegatten an den anderen erbringt, unter das Verbot der donatio inter virum et uxorem fällt:251 Dieses gelte auch, wenn die Schenkung von Todes wegen erfolgt. Der beschenkte Ehegatte ist nämlich auch hier auf Kosten des anderen bereichert: Erholt sich der Schenker, ist er zur Rückgewähr des Geschenks mit der condictio verpflichtet; ansonsten muss er einer Sache entbehren, die sonst zu seinem Vermögen gehört hätte.252 (48) Iul 871 = D 24.1.39 (5 Min) Vir uxori pecuniam cum donare vellet, permisit ei, ut a debitore suo stipuletur: illa cum id fecisset, priusquam pecuniam auferret, divortium fecit: quaero, utrum vir eam summam petere debeat an ea promissione propter donationis causam actio nulla esset. respondi inanem fuisse eam stipulationem. sed si promissor mulieri ignorans solvisset, si quidem pecunia exstat, vindicare eam debitor potest: sed si actiones suas marito praestare paratus est, doli mali exceptione se tuebitur ideoque maritus hanc pecuniam debitoris nomine vindi251  s. o.

B.I.1.a)bb) (50). argumentiert später Scaevola in D 24.1.56 (3 quaest).

252  Ebenso

216 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian cando consequetur. sed si pecunia non exstat et mulier locupletior facta est, maritus eam petet: intellegitur enim ex re mariti locupletior facta esse mulier, quoniam debitor doli mali exceptione se tueri potest.

Ein Mann, der seiner Frau schenken wollte, duldete, daß sie sich eine Leistung von seinem Schuldner versprechen ließ. Nachdem sie dies gemacht hatte und noch bevor das Geld angeboten wurde, ließ sie sich scheiden. Ich frage, ob der Ehemann die Summe fordern muss oder ob wegen dieses schenkweisen Versprechens keine Klage vorhanden ist. Ich habe befunden, dass das Versprechen unwirksam sei. Aber wenn der Schuldner der Frau in Unkenntnis geleistet hat und das Geld noch existiert, kann der Schuldner es vindizieren. Ist er jedoch bereit, dem Ehemann seine Klagen abzutreten, wird er mit der Arglist­ einrede geschützt; und der Ehemann wird im Namen des Schuldners das Geld vindizieren. Aber wenn das Geld nicht mehr existiert und die Frau bereichert ist, fordert der Ehemann es ein. Die Frau ist nämlich als aus dem Vermögen des Mannes bereichert anzusehen, weil sich der Schuldner mit der Arglisteinrede verteidigen kann.

Julian stellt dieselbe Fallfrage, die Celsus zur Entwicklung seiner sogenannten Durchgangserwerbslehre veranlasst hat,253 und löst sie weniger ­innovativ, im Ergebnis aber ebenso wie Celsus: Hat ein Ehemann seinen Schuldner angewiesen, sich seiner Frau zu verpflichten, und hat er an sie daraufhin gezahlt, sind sowohl das Versprechen als auch die Zahlung wirkungslos, wenn und weil mit ihnen eine unzulässige Ehegattenschenkung bewirkt werden soll. Um den Schuldner zu schützen, den das Valutaverhältnis zwischen den Ehegatten nichts angeht, gewährt Julian ihm aber die exceptio doli, falls er bereit ist, dem Ehemann seinen Herausgabeanspruch gegen die Ehefrau abzutreten, damit dieser den Betrag wie ein Eigentümer vindizieren kann. Diese Einrede soll ebenfalls zuständig sein, wenn die Frau das Geld verbraucht hat; denn auch in diesem Fall kann der Schuldner, obwohl er nicht regelrecht befreit worden ist, geltend machen, dass er den Geldbetrag infolge der Anweisung seines Gläubigers verloren hat und dass dieser daher dolos handelt, wenn er von dem Schuldner erneut Leistung verlangt. So ist auch in diesem Fall die Grundlage dafür gelegt, dass der Ehemann nun selbst gegen seine Frau vorgehen kann: Da der Anspruch des Mannes gegen seinen Schuldner gesperrt und die Frau in gleicher Höhe bereichert ist, liegt der Tatbestand des Ehegattenschenkungsverbots vor, dem eine Kondiktion entspringt254. (49) Iul 286 = D 24.1.9.1 Ulp 32 Sab Si pecunia accepta mulier manumiserit vel operas ei imposuerit, ait Iulianus operas quidem eam licito iure imposituram et tenere obligationem nec videri mulierem ex re viri locupletiorem fieri, cum eas libertus promittat: quod si 253  Cels

120 = D 24.1.3.12 Ulp 32 Sab; s. o. A.I.2.a)bb) (2). Ulp 32 Sab, D 24.1.6 Gai 11 ed prov.

254  D 24.1.5.18



I. Systemimmanente Rechtsfindung217 pretium ob manumissionem acceperit mulier et sic manumiserit, si quidem ex peculio suo dedit, nummos mariti manere …



Hat eine Frau einen (von ihrem Ehemann geschenkten) Sklaven nach Empfang einer Geldzahlung von ihm freigelassen oder ihm Dienstleistungen auferlegt, habe sie diese, wie Julian schreibt, wirksam auferlegt, so dass eine Verpflichtung entstehe; und die Frau gelte nicht als aus dem Vermögen ihres Mannes bereichert, da die Dienstleistungen von dem Freigelassenen versprochen würden. Habe die Frau dagegen einen Preis für die Freilassung empfangen und den Sklaven dann freigelassen, blieben die Münzen, wenn er sie aus seinem Sondergut gezahlt hat, im Eigentum des Ehemannes. …

Hat eine Frau einen ihr von dem Ehemann geschenkten Sklaven freigelassen, hängt die Anwendung des Schenkungsverbots davon ab, welcher Art die Gegenleistung ist, die sie von dem Sklaven erlangt hat. Dessen Freilassung ist jedenfalls wirksam, da sie sich auf das Einverständnis des Ehemannes zurückführen lässt, der den Sklaven der Frau überlassen hat. Erhält die Frau noch vor der Freilassung eine Zahlung aus dem Sondergut des Sklaven, ist diese ungültig, weil sie eine Vermögensverschiebung des Ehemannes an die Frau bedeutet. Geschieht die Freilassung dagegen in der Weise, dass der Sklave im Gegenzug Dienste für die Frau erbringen muss, ist die entsprechende Verpflichtung wirksam, weil der Sklave die Dienste erst verspricht, wenn er schon aus dem Vermögen des Ehemannes ausgeschieden ist, so dass dieser durch sie nicht mehr entreichert sein kann.255 (50) Iul 292 = D 24.1.32.27 Ulp 33 Sab Si quis sponsam habuerit, deinde eandem uxorem duxerit cum non liceret, an donationes quasi in sponsalibus factae valeant, videamus. et Iulianus tractat hanc quaestionem in minore duodecim annis, si in domum quasi mariti immatura sit deducta: ait enim hanc sponsam esse, etsi uxor non sit. …

Hat jemand eine Verlobte und sie dann geheiratet, obwohl dies nicht gestattet war, ist zu fragen, ob Schenkungen, die er gemacht hat, als solche unter Verlobten wirksam seien. Und Julian behandelt diese Frage am Fall einer noch nicht zwölfjährigen Braut, die, obwohl noch minderjährig, in das Haus ihres vermeintlichen Ehemannes geführt worden ist. Er sagt, sie sei eine Verlobte und keine Ehefrau. …

Vom Verbot der donatio inter virum et uxorem nimmt Julian eine Schenkung unter unwirksam Verheirateten aus, die er als Verlobte ansieht. Im Gegensatz zu Labeo und Papinian, denen sich auch Ulpian anschließt,256 255  Streitig war dies im anschließend geschilderten Fall einer Zahlung durch einen Dritten für den Sklaven; vgl. Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten, Köln / Wien 1974, S. 57 f. 256  Vgl. den Fortgang des Textes: … sed est verius, quod Labeoni videtur et a nobis et a Papiniano libro decimo quaestionum probatum est, ut, si quidem praecesserint sponsalia, durent, quamvis iam uxorem esse putet qui duxit, si vero non praecesserint, neque sponsalia esse, quoniam non fuerunt, neque nuptias, quod

218 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

kommt es ihm nicht darauf an, ob dem unwirksamen Eheschluss ein Verlöbnis vorangegangen ist oder nicht. Über die Geltung des Schenkungsverbots entscheidet für ihn allein das objektive Verhältnis von Schenker und Beschenktem: Leben sie in einer gültigen Ehe, ist die Schenkung unwirksam; ist die Ehe ungültig, bleibt sie als Schenkung unter Verlobten wirksam. Der bloße Versuch, seinem vermeintlichen Ehegatten eine unentgeltliche Zuwendung zu machen, rechtfertigt noch keine Subsumtion unter den Tatbestand des Schenkungsverbots.257 Die Haftung eines Vormunds leitet Julian in der folgenden Entscheidung ab: (51) Iul 335 = D 27.8.5 (21 dig) Duo tutores partiti sunt inter se administrationem tutelae: alter sine herede decessit: quaesitum est, in magistratum, qui non curasset ut caveretur, an in alterum tutorem actio pupillo dari deberet. respondi aequius esse in alterum tutorem dari quam in magistratum: debuisse enim eum, cum sciret pupillo cautum non esse, universa negotia curare, et in ea parte, quam alteri tutori commisisset, similem esse ei, qui ad administrationem quorundam negotiorum pupilli non accessisset: nam etsi aliquam partem negotiorum pupilli administraverit, tenetur etiam ob rem, quam non gessit, cum gerere deberet.

Zwei Vormünder haben sich die Vormundschaftsverwaltung geteilt; der eine ist ohne Erben gestorben. Es ist gefragt worden, ob dem Mündel gegen den Magistrat, der nicht dafür gesorgt habe, dass Sicherheit geleistet worden sei, oder gegen den anderen Vormund eine Klage gegeben werden müsse. Ich habe befunden, es sei gerechter, wenn die Klage gegen den anderen Vormund gewährt werde, als wenn sie gegen den Magistrat erteilt werde. Denn der andere Vormund hätte, da er wusste, dass dem Mündel keine Sicherheit geleistet wurde, sämtliche Geschäfte des Mündels besorgen müssen, und im Hinblick auf den Teil, den er dem anderen Vormund anvertraut habe, stehe er dem­ jenigen gleich, der sich jeglicher Geschäftsführung für das Mündel enthalten habe. Denn hat er auch einen Teil der Geschäfte des Mündels geführt, haftet er doch für die Geschäfte, die er nicht geführt hat, obwohl er sie hätte führen müssen.

nuptiae esse non potuerunt. ideoque si sponsalia antecesserint, valet donatio: si minus, nulla est, quia non quasi ad extraneam, sed quasi ad uxorem fecit … . 257  Die Gegenauffassung von Labeo, Papinian und Ulpian, die aus diesem Grund eine Schenkung für verboten hält, der kein Verlöbnis vorausging, ist inkonsequent und nur damit zu erklären, dass diese Juristen die Schenkung unter Verlobten zu Unrecht als eine Ausnahme vom Schenkungsverbot missdeuten, obwohl sie eigentlich gar nicht darunterfällt: Entweder geht man mit Julian von einem rein objektiven Verbotstatbestand aus; dann ist die Schenkung stets gültig, die Fehlvorstellung über die Gültigkeit der Ehe irrelevant. Oder man sanktioniert die mit dieser Vorstellung verbundene Absicht zur Vornahme einer Ehegattenschenkung; dann ist die Schenkung durchgängig unwirksam, sei es, dass ein Verlöbnis vorangegangen ist, sei es, dass die Partner sofort die unwirksame Ehe eingegangen sind.



I. Systemimmanente Rechtsfindung219

Julian begründet die Haftung eines Mitvormunds, der sich mit seinem Kollegen die Verwaltung des Mündelvermögens aufgeteilt hat. Hat das Mündel durch diesen Vormund einen Schaden erlitten und kann er nach dessen Tod hierfür mangels Erben oder Sicherheitsleistung keinen Ersatz erlangen, soll er ihn von dem überlebenden Vormund und nicht vom Magistrat fordern können. Julian wirft dem überlebenden Vormund vor, dass er die Geschäfte des Mündels teilweise überhaupt nicht geführt hat.258 Da er wusste, dass der andere keine Sicherheit geleistet hat, hätte er sich mit ihm überhaupt nicht die Geschäftsführung teilen dürfen, sondern sämtliche Geschäfte führen müssen. Aus der Verletzung dieser Pflicht zur umfassenden Geschäftsführung folgt dann ohne Weiteres seine Haftung, die die subsidiäre Haftung des Magistrats verdrängt. Um die Grundsätze über den Erwerb durch einen liber homo bona fide serviens geht es in (52) Afr 85 = D 12.1.41 (8 quaest): Eius, qui in provincia Stichum servum kalendario praeposuerat, Romae testamentum recitatum erat, quo idem Stichus liber et ex parte heres erat scriptus: qui status sui ignarus pecunias defuncti aut exegit aut credidit, ut interdum stipularetur et pignora acciperet. consulebatur quid de his iuris esset. … quod si stipulatus quoque esset, referret, quemadmodum stipulatus esset: nam si nominatim forte Titio domino suo mortuo iam dari stipulatus sit, procul dubio inutiliter esset stipulatus. quod si sibi dari stipulatus esset, dicendum hereditati eum adquisisse: sicut enim nobismet ipsis ex re nostra per eos, qui liberi vel alieni servi bona fide serviant, adquiratur, ita hereditati quoque ex re hereditaria adquiri. post aditam vero a coheredibus hereditatem non aeque idem dici potest, utique si scierint eum sibi coheredem datum, quoniam tunc non possunt videri bonae fidei possessores esse, qui nec possidendi animum haberent. quod si proponatur coheredes eius id ignorasse, quod forte ipsi quoque ex necessariis fuerint, potest adhuc idem responderi: quo quidem casu illud eventurum, ut, si suae condicionis coheredes iste servus habeat, invicem bona fide servire videantur.

In Rom wurde das Testament eines Erblassers verlesen, der seinen Sklaven Stichus mit der Vermögensverwaltung in den Provinzen betraut hatte; dieser Stichus war in dem Testament freigelassen und als Miterbe eingesetzt worden. Da er seine Rechtsstellung nicht kannte, zog er Forderungen des Erblassers ein oder reichte Darlehen aus, wobei er sich zuweilen ein Rückzahlungsversprechen geben ließ oder Pfänder bestellt bekam. Er wurde gefragt, was hier rechtens sei. … Aber wenn ein Rückzahlungsversprechen geleistet worden ist, komme es darauf an, wie dies abgefasst ist: Denn wenn ausdrücklich auf den

258  Bund, Methode Julians, S. 34 erkennt hier einen überflüssigen Vergleichsfall und die eigentliche Begründung in dem Satz, dass der überlebende Vormund alle Geschäfte hätte führen müssen. Beide Aussagen hängen jedoch miteinander zusammen: Weil der Vormund alle Geschäfte hätte führen müssen, fällt ihm die pflichtwidrige Abstinenz von der Geschäftsführung zur Last.

220 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian Namen des Titius, seines verstorbenen Eigentümers, versprochen worden sei, sei das Versprechen zweifellos unwirksam. Aber wenn ihm selbst versprochen worden sei, sei zu entscheiden, dass es für die Erbschaft erworben worden sei. Denn wie für uns in unseren Angelegenheiten etwas erworben werden könne durch Freie oder fremde Sklaven, die uns nach guter Treue dienen, so könne auch etwas in Erbschaftsangelegenheiten erworben werden. Nach dem Antritt der Erbschaft durch die Miterben könne man aber jedenfalls dann nicht dasselbe sagen, wenn diese wüssten, dass Stichus als Miterbe eingesetzt ist, weil sie dann nicht als Besitzer nach guter Treue anzusehen seien, da sie keinen Besitzwillen hätten. Werde dagegen vorgetragen, dass sie es nicht wussten, etwa weil sie selbst als Zwangserben eingesetzt seien, könne immer noch dasselbe befunden werden. In diesem Fall könne es sogar dazu kommen, dass man sich gegenseitig nach guter Treue als Sklave diene, weil nämlich der Sklave Miterben von gleicher Stellung habe.

Julian befasst sich mit der Frage, ob ein ehemaliger Sklave, der sich die Rückzahlung ausgereichter Darlehen versprechen lässt, als er von seiner testamentarischen Freilassung und Einsetzung als Miterbe seines Eigentümers noch nichts weiß, so einen Anspruch für sich und seine Miterben begründet. Dies kommt nicht in Betracht, wenn er sich die Rückzahlung im Namen seines verstorbenen Herrn versprechen lässt. Anders verhält es sich nach Julians Ansicht dagegen, wenn er sich selbst die Rückgewähr der Darlehen hat versprechen lassen. In diesem Fall könne er als liber homo bona fide serviens den Anspruch für die Erbschaft und auch für seine Miterben erwerben, solange sie noch nicht über seine Freilassung und Erbeinsetzung unterrichtet und deshalb noch als redliche Besitzer anzusehen sind. Die Frage, ob eine Freilassungsbedingung als eingetreten gilt, beschäftigt Julian in (53) Afr 113 = D 40.4.22 (9 quaest): Qui filium impuberem heredem instituit, Stichum ratione argenti, quod sub cura eius esset, reddita liberum esse iusserat: is servus parte argenti subtracta cum tutore divisit atque ita tutor ei parem rationem adscripsit. consultus, an Stichus liber esset, respondit non esse liberum: nam quod alioquin placeat, si statuliber pecuniam dare iussus tutori det vel per tutorem stet, quo minus condicioni pareatur, pervenire eum ad libertatem, ita accipiendum, ut bona fide et citra fraudem statuliberi et tutoris id fiat, sicut et in alienationibus rerum pupillarium servatur. itaque et si offerente statulibero pecuniam tutor in fraudem pupilli accipere nolit, non aliter libertatem contingere, quam si servus fraude careat. eademque et de curatore dicenda. …

Wer einen unmündigen Sohn zum Erben eingesetzt hat, hat Stichus die Freiheit ausgesetzt, falls er über den von ihm verwalteten Silbervorrat Rechnung ablege. Dieser Sklave hat einen Teil des Silbers unterschlagen und mit dem Vormund geteilt, der ihm eine ordentliche Rechnungslegung bescheinigt hat. Auf die Frage, ob Stichus frei sei, hat er befunden, er sei nicht frei. Denn was man ansonsten annehme, dass ein bedingt Freigelassener frei werde, wenn er



I. Systemimmanente Rechtsfindung221 Geld dem Vormund zahlen solle und es an diesem liege, dass die Bedingung nicht erfüllt worden sei, sei so zu verstehen, dass nach guter Treue und ohne Hintergehungsabsicht gehandelt werde, wie es auch bei der Veräußerung von Sachen des Mündels gelte. Daher erlange der bedingt Freigelassen auch dann, wenn der Vormund das von ihm angebotene Geld nicht annehme, um das Mündel zu benachteiligen, die Freiheit nur dann, wenn der Sklaven keine Hintergehungsabsicht hatte. Dasselbe sei von einem Pfleger zu sagen. …

Julian sieht die Bedingung einer testamentarischen Freilassung nicht erfüllt, wenn der Sklave, der über den von ihm verwalteten Silbervorrat Rechnung ablegen sollte, gemeinsame Sache mit dem Vormund des unmündigen Erben gemacht und gegen die falsche Bescheinigung einer ordent­ lichen Rechnungslegung einen Teil des Silbers mit ihm geteilt hat. Für die Freiheit des Sklaven könnte hier sprechen, dass ein vom Eigentümer zu vertretender Ausfall der Freilassungsbedingung gewöhnlich nicht zulasten des Sklaven geht, dieser vielmehr seit Servius auch ohne Erfüllung der Bedingung frei wird.259 Diese Regel, die auch gegen ein Mündel bei einem entsprechenden Verhalten seines Vormunds wirkt, ist aber zum Schutz des redlichen Sklaven gemacht und damit nur auf den Fall zugeschnitten, dass ihm nicht seinerseits vorgeworfen werden kann, den Eintritt der Bedingung vereitelt zu haben. Zur Gültigkeit eines Testaments und der darin enthaltenen Anordnungen finden sich in Julians Werk fünf Entscheidungen, zu deren Ableitung der Hochklassiker auf hergebrachte Sätze des Juristenrechts zurückgreift. Während es einmal um die Testierfähigkeit geht, beschäftigt Julian in den vier anderen Fällen die Frage, ob die Erbeinsetzung eines Sklaven an seiner fehlenden Freilassung scheitert: (54) Iul 543 = D 29.7.2.3 (37 dig) Furiosus non intellegitur codicillos facere, quia nec aliud quicquam agere intellegitur, cum per omnia et in omnibus absentis vel quiescentis loco habetur.

Ein Wahnsinniger kann kein gültiges Kodizill errichten, weil er auch ansonsten nicht wirksam handeln kann, indem er in jeder Hinsicht einem Abwesenden oder Schlafenden gleichsteht.

Dass ein Wahnsinniger kein wirksames Kodizill errichten kann, schließt Julian aus der Regel, dass er gleich einem Abwesenden oder Schlafenden überhaupt kein Rechtsgeschäft wirksam vornehmen kann.260 259  D 40.7.3.2

Ulp 27 Sab. lässt sich nicht in Abrede stellen, dass der Blick auf den Fall des Schlafenden die mangelnde Handlungsfähigkeit augenfälliger macht. Der Vergleich ist jedoch entweder selbst Teil der Regel oder ihr nur zur Beschreibung des Ergebnisses angehängt, so dass man mit Bund, Methode Julians, S. 173 insoweit durchaus von einer Fiktion sprechen kann. 260  Zwar

222 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (55) Iul 421 = D 28.2.13.1 (28 dig) Regula est iuris civilis, qua constitutum est hereditatem adimi non posse: propter quam liber et heres esse iussus, quamvis dominus ademerit eodem testamento libertatem, nihilo minus et libertatem et hereditatem habebit.

Nach einer Regel des Zivilrechts kann eine ausgesetzte Erbschaft nicht wieder entzogen werden. Daher erlangt ein Sklave, der freigelassen und als Erbe bestimmt ist, obwohl in demselben Testament die Freiheit widerrufen ist, nichtsdestoweniger sowohl die Freiheit als auch die Erbschaft.

Um widersprechende Anordnungen des Erblassers zur Freiheit seines Sklaven zu beurteilen, macht Julian die Regel fruchtbar, dass eine Erbeinsetzung in demselben Testament nicht wirksam widerrufen werden kann, weil sie die Gefahr der Unwirksamkeit des gesamten Testaments mit sich bringt.261 Aus diesem Grund hält Julian auch den Widerruf einer Freilassung für unwirksam, wenn der Freigelassene zugleich zum Erben eingesetzt ist; denn ohne wirksame Freilassung kann er nicht Erbe werden, so dass der Widerruf der Freilassung auf einen Widerruf der Erbeinsetzung hinausliefe. (56) Iul 438 = D 28.5.38.2, 3 (30 dig) Si quis servum suum liberum sub condicione, heredem pure scripsisset eumque vendidisset pendente condicione, iussu emptoris servus adire hereditatem potest, quia et constitit institutio et est qui ius imperandi habet. (3) Quod si post defectam condicionem alienatus fuisset, non potest iussu emptoris hereditatem adire, quia eo tempore ad eum pervenisset, quo iam extincta institutio inutilis fuerat.

Hat jemand seinen Sklaven testamentarisch unter einer Bedingung freigelassen, ihn aber unbedingt zum Erben eingesetzt und ihn, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe war, verkauft, kann der Sklave auf Geheiß des Käufers die Erbschaft antreten, weil die Einsetzung Bestand hat und jemand vorhanden ist, der das Recht hat, ihm den Erbschaftsantritt zu befehlen. (3) Ist er aber nach dem Ausfall der Bedingung veräußert worden, kann er nicht auf Geheiß des Käufers die Erbschaft antreten, weil er zu einem Zeitpunkt an den Käufer gelangt ist, als die Einsetzung schon erloschen und unwirksam war.

Julian beurteilt zwei Fallvarianten nach der Regel, dass die Erbeinsetzung eines Sklaven des Erblassers nur in Verbindung mit dessen Freilassung erfolgen kann. Ist der Sklave unbedingt zum Erben eingesetzt, aber nur bedingt freigelassen, kann er die Erbschaft auch für seinen neuen Eigentümer erwerben, wenn er noch vor dem Erbfall veräußert wird. Voraussetzung ist aber, dass die bedingte Freilassung vor der Veräußerung noch in der Schwe261  Vgl. Voci, Diritto ereditario romano, Bd. 2, 2. Aufl., Mailand 1967, S. 490. Eine Ausnahme gilt naturgemäß, wenn ein Ersatzerbe vorhanden ist, so dass die Einsetzung des Haupterben dann als nicht geschehen angesehen werden kann; vgl. D 28.4.1.4 Ulp 15 Sab.



I. Systemimmanente Rechtsfindung223

be und die Bedingung nicht schon ausgefallen war. War sie bereits ausgefallen, ist mit der Freilassung auch die Erbeinsetzung hinfällig geworden, bevor der Sklave in Gestalt seines neuen Eigentümers ein Zurechnungssubjekt erhielt. (57) Iul 445 = D 28.6.48.1 Scaev quaest publ tract … ut Iulianus libro trigesimo digestorum putat: si quidem sic sit substitutus sibi, cum haberet coheredem Titium: ‚si Stichus heres non erit, liber et heres esto‘, non valere substitutionem: quod si ita: ‚si Titius heres non erit, tunc Stichus liber et heres et in eius partem esto‘, duos gradus esse atque ideo repudiante Titio Stichum liberum et heredem fore.

… wie Julian dies im 30. Buch seiner Digesten meint: Ist der Miterbe des Titius für sich selbst so zum Ersatzerben bestimmt worden: „Wird Stichus nicht Erbe, soll er frei und Erbe sein“, gelte die Ersatzerbeneinsetzung nicht; aber wenn wie folgt angeordnet ist: „Wird Titius nicht Erbe, dann soll Stichus frei und Erbe auch auf dessen Teil sein“, so lägen zwei Stufen vor und mit der Ausschlagung durch Titius werde Stichus frei und Erbe.

Ist ein Sklave auf einen Teil als Erbe und als sein eigener Ersatzerbe eingesetzt, wird er nicht zum Rechtsnachfolger des Erblassers, wenn seine Freilassung erst mit der Bestimmung zum Ersatzerben und nicht schon mit der Einsetzung als Haupterbe verknüpft ist. Scheitert schon diese an der fehlenden Rechtsfähigkeit des Sklaven, kann er auch nicht mehr als Ersatzerbe zum Zuge kommen, weil sich die Anordnung der Ersatzerbschaft wegen der Identität des Erben nicht von der wirkungslosen Einsetzung des Haupterben trennen lässt. Etwas anderes gilt, wenn der Sklave nicht sein eigener, sondern Ersatzerbe des als Miterben eingesetzten Titius ist. Dann bewirkt die Ausschlagung des Titius, dass der Sklave frei und sowohl dessen Ersatzerbe wird als auch Haupterbe für den anderen Teil der Erbschaft wird. Die Ersatzerbeneinsetzung unterscheidet sich hier von der Haupterbeneinsetzung, ist deshalb wirksam und verhilft sogar der eigentlich ungültigen Haupterbeneinsetzung zur Geltung. Mit dem Erwerb des Erbschaftsbesitzes durch einen Sklaven befasst sich Julian in (58) Iul 611 = D 41.2.38.2 (44 dig): Si is, qui Titio servum vendiderat, heredi eius eum tradiderit, poterit heres rerum hereditariarum possessionem per eum adprehendere, quia non servus iure hereditario, sed actio ex empto ad eum pervenit: nam et si ex stipulatu vel ex testamento servus testatori debitus fuisset et heres eum accepisset, non prohiberetur rerum hereditariarum possessionem per eundem adquirere.

Hat derjenige, der Titius einen Sklaven verkaufte, diesen dessen Erben übergeben, kann der Erbe den Besitz an den Nachlassgegenständen durch den Sklaven erwerben, weil im Wege der Erbfolge nicht der Sklave, sondern die Kaufklage an ihn gelangt ist. Denn auch wenn ein Sklave dem Erblasser aus einem Versprechen oder aus Vermächtnis geschuldet ist und der Erbe ihn er-

224 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian wirbt, besteht kein Hindernis dafür, dass er den Besitz an den Nachlassgegenständen durch ihn erwirbt.

Kann der Erbe den Besitz am Nachlass durch einen Sklaven erwerben, der ihm in Vollzug eines vom Erblasser geschlossenen Kaufvertrags vom Verkäufer übergeben wird? Wäre der Sklave ein servus hereditarius, gehörte er selbst zum Nachlass und könnte daher für den Erben nicht den Besitz der Erbschaft erwerben. Da der dem Erben übergebene Sklave jedoch nicht selbst zum Nachlass gehört, sondern nur der auf ihn gerichtete Anspruch aus dem Kaufvertrag, ist er gerade kein servus hereditarius und kann daher dem Erben den Besitz an den Nachlassgegenständen vermitteln. Dasselbe gilt, wenn der Sklave dem Erblasser aus Stipulation oder Vermächtnis geschuldet ist und dem Erben übergeben wird. In acht Entscheidungen beschäftigt sich Julian mit Juristenregeln zum Vermächtnis. Um eine hierfür gestellte Bedingung geht es dabei in zwei Fällen: (59) Iul 888 = D 30.104.1 (1 Urs Fer) In testamento sic erat scriptum: ‚Lucio Titio, si is heredi meo tabellas, quibus ei pecuniam expromiseram, dederit, centum dato‘: Titius deinde antequam tabellas heredi redderet, decesserat: quaesitum est, an heredi eius legatum deberetur. Cassius respondit, si tabulae fuissent, non deberi, quia non redditis his dies legati non cessit. Iulianus notat: si testamenti faciendi tempore tabulae nullae fuerunt, una ratione dici potest legatum Titio deberi, quod adynatos condicio pro non scripta habetur.

In einem Testament ist folgendes bestimmt: „Lucius Titius soll mein Erbe, wenn er ihm den Schuldschein zurückgibt, 100 zahlen.“ Danach ist Titius vor der Rückgabe des Schuldscheins gestorben. Es ist gefragt worden, ob seinem Erben das Vermächtnis geschuldet werde. Cassius hat befunden, dass es nicht geschuldet werde, wenn ein Schuldschein vorhanden gewesen sei, weil ohne seine Rückgabe der Verfallstag nicht gekommen sei. Julian bemerkt hierzu: Gab es zur Zeit der Errichtung des Testaments keinen Schuldschein, könne aus demselben Grund gesagt werden, dass das Vermächtnis geschuldet sei, weil eine unmögliche Bedingung als nicht geschrieben gilt.

Steht ein Vermächtnis unter der Bedingung, dass der Vermächtnisnehmer dem Erben einen Schuldschein zurückgibt, kann es, wenn der Legatar vor der Rückgabe stirbt, nicht mehr zum Anfall des Vermächtnisses kommen, weil die Bedingung nicht zu Lebzeiten des Vermächtnisnehmers eingetreten ist. Diese Entscheidung hat jedoch schon Cassius unter den Vorbehalt gestellt, dass überhaupt ein Schuldschein existiert, der zurückgegeben werden kann. Gibt es schon bei der Testamentserrichtung keinen Schuldschein, kann das Vermächtnis nur entweder von vornherein unwirksam oder unbedingt sein und deshalb anfallen und auch auf den Erben des Vermächtnisnehmers übergehen. Julian entscheidet sich für die zweite Variante und lässt eine



I. Systemimmanente Rechtsfindung225

unmögliche Vermächtnisbedingung, der sabinianischen Schultradition fol­ gend,262 pro non scripta gelten. (60) Iul 600 = D 40.7.13.5 (43 dig) Haec scriptura ‚Stichus cum erit annorum triginta, liber esto. Stichus si decem non dederit, liber ne esto‘ hanc vim habet ‚Stichus si decem dederit et ad annos triginta pervenerit, liber esto‘: namque ademptio libertatis vel legati sub condicione facta incipit contrariam condicionem legato vel libertati, quae prius data erat, iniecisse.

Die Formulierung: „Stichus soll frei werden, wenn er 30 Jahre alt wird; Stichus soll nicht frei werden, wenn er nicht zehn leistet“, hat die Bedeutung: „Stichus soll frei sein, wenn er zehn leistet und 30 Jahre alt wird“. Denn die Aufhebung einer Freilassung oder eines Vermächtnisses unter einer Bedingung bewirkt, dass das Vermächtnis oder die Freilassung, die zuerst angeordnet worden sind, unter eine entgegengesetzte Bedingung gestellt werden.

Julian verbindet die Freilassung eines Sklaven für den Fall, dass er 30 Jahre alt wird, mit der Aufhebung dieser Freilassung für den Fall, dass er dem Erben nicht einen bestimmten Betrag leistet, zu der einheitlichen Verfügung, dass der Sklave frei sein soll, wenn er 30 Jahre alt wird und zehn leistet. Julian folgert dies aus der Regel, dass die bedingte Aufhebung einer letztwilligen Verfügung dazu führt, dass diese unter die komplementäre Bedingung gestellt ist. Um die Erfüllungstauglichkeit eines Vermächtnisgegenstands geht es in (61) Iul 465 = D 33.5.9.2 (32 dig): In eodem casu quaesitum est, si optione servorum data, antequam optarem, condicio statutae libertatis defecisset, an Stichum optare possim. puto Mucianae sententiae adsentiendum, qua placet ipsa libertate legatum peremi, non datione statutae libertatis: quare sive vivo testatore sive post mortem eius et ante aditam hereditatem condicio statutae libertatis defecerit, legatum erit utile: nam sicut pura libertas, ita statuta libertas aditae hereditatis tempore vires accipit. ideoque Stichum optare possum.

In demselben Fall stellt sich die Frage, ob ich, wenn mir die Wahl eines Sklaven eröffnet ist, Stichus wählen kann, falls noch vor meiner Wahl die Bedingung für seine Freilassung ausfällt. Und ich glaube, man muss der Auffassung von Quintus Mucius zustimmen, der der Ansicht war, dass ein Vermächtnis erst mit dem Eintritt der Freiheit untergehe, nicht schon mit ihrer bedingten Aussetzung, weshalb das Vermächtnis wirksam sei, wenn zu Lebzeiten des Erblassers oder nach seinem Tod, aber vor dem Antritt der Erbschaft, die Bedingung für die Freiheit wegfällt. Denn ebenso wie die unbedingt ausgesetzte Freiheit, so tritt auch die bedingt erteilte erst mit dem Antritt der Erbschaft in Kraft. Daher kann ich den Stichus wählen.

Julian will wissen, ob ein Sklave, der wegen seiner bedingten Freilassung von einem Wahl- oder Gattungsvermächtnis ausgenommen ist, wieder zum 262  Gai 3.98.

226 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Erfüllungsobjekt taugt, wenn die Bedingung der Freilassung noch vor dem Legatserwerb ausgefallen ist. Er beruft sich auf Quintus Mucius, der das Vermächtnis über einen bedingt freigelassenen Sklaven erst mit dem Eintritt der Freiheit für ausgeschlossen und, wenn die Bedingung noch vor dem Erbschaftsantritt ausgefallen ist, das Vermächtnis für unbedingt wirksam hielt.263 Demnach kommt es bei der Beurteilung der Eignung eines Vermächtnisgegenstands auf den Zeitpunkt an, in dem der Vermächtnisnehmer eine gesicherte Position erlangt. Nach altem Recht ist dies stets der Moment des Erbschaftsantritts, nach klassischer Lösung der variable dies cedens. Dieser ist beim Wahlvermächtnis auf den Moment aufgeschoben, in dem der Vermächtnisnehmer sein Wahlrecht ausübt.264 Ist die Bedingung für die Freilassung bis dahin ausgefallen, kann sich der Vermächtnisnehmer wirksam für den bedingt freigelassenen Sklaven entscheiden. Die in der Jurisprudenz ausgebildeten Sätze zur Umdeutung eines Vermächtnisses nach dem senatus consultum Neronianum sind Gegenstand von Julians Entscheidung in (62) Iul 469 = Gai 2.218: Ideoque si extraneo legatum fuerit, inutile est legatum, adeo ut Sabinus existimaverit ne quidem ex senatus consulto Neroniano posse convalescere: nam eo, inquit, senatus consulto ea tantum confirmantur, quae verborum vitio iure civili non valent, non quae propter ipsam personam legatarii non deberentur. sed Iuliano et Sexto placuit etiam hoc casu ex senatus consulto confirmari legatum: nam ex verbis etiam hoc casu accidere, ut iure civili inutile sit legatum, inde manifestum esse, quod eidem aliis verbis recte legatur, velut per vindicationem, per damnationem, sinendi modo: …

Daher ist ein Vermächtnis unwirksam, wenn es einem Nichterben ausgesetzt ist, und zwar so, dass es, wie Sabinus glaubt, auch nicht durch den neronianischen Senatsbeschluss geheilt werden könne. Denn durch diesen Senatsbeschluss, sagt er, würden nur diejenigen Anordnungen bestätigt, die wegen eines Formfehlers nach Zivilrecht ungültig sind, nicht auch diejenigen, die wegen der Person des Vermächtnisnehmers nicht geschuldet werden. Aber Julian und Sextus waren der Ansicht, dass auch in diesem Fall das Vermächtnis durch den Senatsbeschluss bestätigt werde. Denn hier liege es ebenfalls an der Formulierung, dass das Vermächtnis nach Zivilrecht unwirksam sei; dies sei deshalb offensichtlich, weil demselben mit einer anderen Formulierung, wie etwa mit einem Vindikations-, Damnations- oder einem Duldungsvermächtnis, wirksam vermacht wird …

263  Julian wendet diese Regel, modifiziert für den Fall eines bedingten Vermächtnisses, auch im vorangehenden § 9 des Fragments an: Cum statuliber sub condicione legatus est et pendente condicione legati condicio statutae libertatis deficit, legatum utile fit: nam sicut statuta libertas tunc peremit legatum, cum vires accipit, ita legatum quoque non ante peremi potest, quam dies cesserit eius. 264  IJ 2.20.23.



I. Systemimmanente Rechtsfindung227

Julian folgt der sabinianischen Ansicht, dass ein legatum per praeceptionem nur einem Erben ausgesetzt werden kann, weil es bloß im Rahmen der Erbteilung berücksichtigt wird.265 Dies schließt für ihn und Pomponius aber nicht aus, es kraft des senatus consultum Neronianum in ein wirksames Vermächtnis anderer Gattung umzudeuten. Sabinus’ Argument, der Senatsbeschluss gelte nur, wenn das Testament an einem Formelfehler leide, und nicht auch, wenn die Ungültigkeit an der Person des Bedachten liege, wendet Julian um: Auch beim Präzeptionslegat an einen Nichterben liege ein bloßer Formulierungsfehler vor, weil der Vermächtnisnehmer ja durch eine der anderen Vermächtnisarten wirksam hätte bedacht werden können. Julian behält Sabinus’ Unterscheidung zwischen vitium verborum und vitium personae bei, zeigt aber, dass der Fall des Präzeptionslegats an einen Nicht­ erben von dem Frühklassiker nicht richtig eingeordnet worden ist. Um die Erstreckung eines Legats auf einen zur gesetzlichen Erbfolge oder zum Nachlassbesitz berufenen Erben geht es in den beiden folgenden Fragmenten: (63) Iul 451 = D 29.4.22.2 (31 dig) Si quis hoc modo testamentum scripserit: ‚Titius heres esto: si Titius heres non erit, Maevius heres esto: quisquis mihi ex supra scriptis heres erit, Maevio, si mihi heres non erit, centum dato‘, deinde Titius omisso testamento legitimam hereditatem possideat, an Maevio, cuius in potestate fuit, ut ex substitutione adeundo totam hereditatem haberet, legatorum actio dari debeat, quaeritur. et placet dari, quia nihil prohibet Maevium iustam causam habuisse, propter quam nollet negotiis hereditariis implicari.

Hat jemand in seinem Testament wie folgt bestimmt: „Titius soll mein Erbe sein! Wird Titius nicht mein Erbe, soll Mävius mein Erbe sein! Wer von den Genannten mein Erbe ist, soll Mävius, wenn er nicht mein Erbe wird, 100 geben!“, und hat Titius danach ohne Rücksicht auf das Testament die gesetzliche Erbschaft angetreten, stellt sich die Frage, ob Mävius, in dessen Macht es lag, durch Antritt der Ersatzerbschaft den gesamten Nachlass zu haben, die Vermächtnisklage zu gewähren ist. Und sie ist ihm anerkanntermaßen zu gewähren, weil es durchaus sein kann, dass Mävius einen vernünftigen Grund hatte, aus dem er sich nicht in die Nachlassgeschäfte einmischen wollte.

Die Regel, dass eine Vermächtnisklage auch gegen den Erben angestellt werden kann, der sich in den Nachlassbesitz einweisen lässt, greift sogar dann ein, wenn der Vermächtnisnehmer zugleich Ersatzerbe war und die Erbschaft ausgeschlagen hat. Zwar ist das Bedürfnis nach der Erstreckung des Vermächtnisanspruchs auf den Nachlassbesitzer hier nicht ohne Weiteres zu erkennen. Denn so soll ja nur sicherstellt werden, dass Vermächtnisse überhaupt erfüllt werden können;266 und der Vermächtnisnehmer hatte hier 265  Gai 2.217, 266  Dies

219. sagt Julian ausdrücklich im principium des Fragments.

228 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

die Möglichkeit, sogar die Erbschaft zu erlangen. Der Vermächtnisanspruch und die Erbfolge sind jedoch etwas anderes und stehen nicht im Verhältnis von plus und minus, weshalb sich mit der Möglichkeit des Erbschafts­ erwerbs das Vermächtnisrecht noch keineswegs erledigt hat. Julian weist darauf hin, dass es vernünftige Gründe für den Vermächtnisnehmer geben kann, sich der Ersatzerbschaft zu enthalten. So verteidigt er die Regel in einem Fall, in dem ihr Sinn auf den ersten Blick eine Ausnahme nahezulegen scheint. (64) Iul 756 = D 35.2.87.7 (61 dig) Qui filios impuberes duos habebat, alterum heredem instituit, alterum exheredavit, deinde exheredatum instituto substituit ac postea exheredato Maevium et ab eo legavit: et exheredatus fratri impuberi exstitit heres, deinde impubes decessit. … dicet aliquis: quid ergo, si exheredatus filius non ex substitutione fratri suo heres exstiterit, sed aut lege aut per interpositam personam atque ita impubes decesserit? sic quoque existimandus erit substitutus legata debere? minime: nam quantum intersit, exheredatus filius ex substitutione fratri suo heres exsistat an alio modo, vel ex eo apparet, quod alias ab eo legare pater potuit, alias non potuit. est igitur rationi congruens, ne plus iuris circa personam substituti testator habeat, quam habuerat in eo, cui eum substituebat.

Jemand, der zwei unmündige Söhne hatte, setzte den einen zum Erben ein, enterbte den anderen und setzte ihn als Ersatzerben für den eingesetzten und als Ersatzerben für den enterbten Sohn den Mävius ein und beschwerte diesen mit Vermächtnissen. Und der enterbte Sohn wird Erbe seines unmündigen Bruders und stirbt danach selbst unmündig. … Es könnte jemand fragen: Was gilt, wenn der enterbte Sohn seinem Bruder nicht kraft der Ersatzerbfolge, sondern nach Gesetz oder durch eine weitere Person nachgefolgt und dann unmündig gestorben ist? Muss man hier annehmen, der Ersatzerbe schulde die Vermächtnisse? Keineswegs. Der Unterschied, der zwischen der Erbfolge des Sohnes kraft der Ersatzerbeneinsetzung und einer anderen Art der Nachfolge besteht, wird daran erkennbar, dass der Vater ihn in dem einen Fall mit Vermächtnissen beschweren kann, in dem anderen nicht. Es ist also selbstverständlich, dass der Erblasser nicht mehr Recht gegenüber der Person des Ersatzerben als gegenüber der Person hat, für die er ihn als Ersatzerbe eingesetzt hat.

Julian zeigt die Grenzen der Pupillarsubstitution auf: Die Befugnis des Erblassers, mit Wirkung für einen Erben seines unmündig gestorbenen Kindes zu verfügen, ist davon abhängig, ob dieses Kind selbst kraft Testaments zur Erbfolge gelangt ist. Ist es kraft Gesetzes oder als Erbe einer weiteren Person zum Rechtsnachfolger des Erblassers geworden, ist auch der Substitut nicht wirksam mit Vermächtnissen belastet. Denn als Rechtsnachfolger des Unmündigen kann ihm nicht mehr auferlegt werden als diesem: Ist der Unmündige gesetzlicher Erbe oder Rechtsnachfolger eines Dritten, kann der Erblasser ihn nicht wirksam mit Vermächtnissen beschweren und dementsprechend auch nicht seinen Rechtsnachfolger, den Substitut.



I. Systemimmanente Rechtsfindung229

Die Anwachsung unter Vermächtnisnehmern beschäftigt Julian in (65) Iul 504 = Vat 78 (= D 7.2.1.4 Ulp 17 Sab): Iulianus libro V scribit, si duobus heredibus institutis deducto usu fructu proprietas legetur, ius adcrescendi heredes non habere, nam videri usum fructum constitutum non per concursum divisum.

Julian schreibt im 35. Buch, dass unter zwei eingesetzten Erben keine Anwachsung statt finde, wenn das Eigentum an einer Sache unter Ausnahme des Nießbrauchs vermacht sei. Denn der Nießbrauch werde festgesetzt und nicht durch das Zusammentreffen geteilt.

Julian verneint die Anwachsung, wenn ein Nießbrauch nicht verschiedenen Vermächtnisnehmern zugewandt, sondern umgekehrt zwei Erben an einer vermachten Sache vorbehalten ist. Es fehlt für ihn am Tatbestand des ius adcrescendi, das nur eintritt, wenn durch das vom Erblasser nicht geregelte Zusammentreffen mehrerer in demselben Gegenstand eine anteilige Berechtigung entsteht.267 Dass die beiden Erben sich in den Nießbrauch teilen, ist im zu entscheidenden Fall eben nicht Folge der hierüber getroffenen Verfügung, sondern ihrer gemeinsamen Berechtigung am Nachlass, zu dem der vorbehaltene Nießbrauch gehört. Dem Erwerb durch einen vermachten Sklaven gilt schließlich Julians Entscheidung in (66) Iul 489 = D 30.86.2 (34 dig): Cum servus legatur, et ipsius servi status et omnium, quae personam eius attingunt, in suspenso est. nam si legatarius reppulerit a se legatum, numquam eius fuisse videbitur: si non reppulerit, ex die aditae hereditatis eius intellegetur. secundum hanc regulam et de iure eorum, quae [per traditionem] servus acceperit aut stipulatus fuerit, deque his, quae legata ei vel donata fuerunt, statuetur, ut vel heredis vel legatarii servus singula gessisse existimetur.

Ist ein Sklave vermacht, ist die Rechtsstellung des Sklaven und alles, was ihn anbelangt, in der Schwebe. Schlägt der Vermächtnisnehmer nämlich das Vermächtnis aus, wird der Sklave so angesehen, als habe er ihm niemals gehört; schlägt der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis nicht aus, wird der Sklave so angesehen, als gehöre er ihm seit dem Erbschaftsantritt. Nach dieser Regel wird auch die Rechtslage daran beurteilt, was der Sklave durch Manzipation erworben hat oder ihm versprochen worden ist, sowie daran, was ihm vermacht oder geschenkt worden ist, so dass der Sklave dies alles entweder für den Eigentümer oder für den Vermächtnisnehmer erworben hat.

Der sabinianischen Tradition folgend,268 bezieht Julian den Erwerb oder die Ausschlagung eines Vindikationslegats auf den Zeitpunkt des Erbschafts267  Iul 503

= Vat 77; s. u. B.I.2.a)bb) (23).

268  Gai 2.195.

230 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

antritts zurück. Daher gilt ein vermachter Sklave schon ab diesem Moment als dem Vermächtnisnehmer gehörig, falls dieser sich später nicht dazu entscheidet, das Vermächtnis auszuschlagen; und wenn er dies tut, hat der Sklave stets dem Erben gehört. Hieraus ergibt sich auch für den Erwerb des Sklaven eine Schwebelage: Was der Sklave nach dem Erbschaftsantritt durch Manzipation, Stipulation, Vermächtnis oder Schenkung erlangt hat, gehört entweder schon dem Vermächtnisnehmer oder, wenn dieser ausschlägt, dem Erben. Aus der Regel über das Eigentum an dem Sklaven, das bis zur Entscheidung über die Ausschlagung in suspenso ist, ergibt sich auch die Zuständigkeit für den von ihm vorgenommenen Erwerb. In drei Entscheidungen zum Fideikommiss befasst sich Julian zum einen mit den Voraussetzungen seiner Gültigkeit als Untervermächtnis, zum anderen mit dem Tatbestand der Haftung des Beschwerten: (67) Iul 552 = D 30.94.4 (39 dig) Qui testamento manumittitur et neque legatum neque hereditatem capit, fideicommissum praestare cogendus non est, ac ne is quidem, qui servum legatum rogatus fuerit manumittere: is enim demum pecuniam ex causa fideicommissi praestare cogendus est, qui aliquid eiusdem generis vel similis ex testamento consequitur.

Wer durch Testament freigelassen worden ist und weder ein Vermächtnis noch die Erbschaft erhalten hat, kann nicht zur Leistung aus einem Fideikommiss gezwungen werden; und auch nicht derjenige, dem aufgegeben worden ist, einen vermachten Sklaven freizulassen. Denn zur Geldleistung aufgrund eines Fideikommisses kann nur derjenige gezwungen werden, der etwas von derselben oder ähnlicher Art aus dem Testament erlangt hat.

Julian erklärt ein auf Geldzahlung gerichtetes Fideikommiss für unwirksam, wenn es einen durch Testament Freigelassenen oder einen Vermächtnisnehmer trifft, der einen ihm hinterlassenen Sklaven freilassen soll269. Ist beiden ansonsten kein weiterer Gegenstand vermacht, haben sie nämlich nichts erlangt, woraus sie das Fideikommiss erfüllen könnten. Zwar ist dem einen die Freiheit zugekommen; und der andere hat durch die Freilassung des vermachten Sklaven die Patronatsstellung erworben. Diese Vorteile sind jedoch keiner Schätzung in Geld zugänglich und taugen daher nicht als Ansatzpunkt für die Feststellung, dass der mit dem Fideikommiss beschwerte Vermächtnisnehmer mindestens ebenso viel erhalten hat, wie seine Verpflichtung ausmacht. Nur unter dieser Voraussetzung wäre das Fideikommiss aber gültig.270 269  Die Entscheidung dieses zweiten Falls ist auch bei Ulpian überliefert; vgl. D 32.3.1 Ulp 1 fid: Iulianus scribit, si servus mihi legatus sit eumque manumittere rogatus sim, fideicommissum a me relinqui non posse, … . 270  Gai 2.261.



I. Systemimmanente Rechtsfindung231

(68) Iul 590 = D 40.4.40pr Pomp 5 Plaut Iulianus ait, cum idem homo et per fideicommissum detur alicui et liber esse iubeatur, heredem libertatem praestare debere: non enim cogetur, inquit, ex causa fideicommissi aestimationem sufferre, cum debitam libertatem reddiderit.

Ist ein Sklave sowohl durch Fideikommiss einem anderen zugewandt als auch freigelassen, muss der Erbe nach Julians Auffassung die Freiheit gewähren. Denn er werde, wie Julian sagt, nicht aus dem Fideikommiss gezwungen, den Wert des Sklaven zu leisten, weil er die Freiheit gewährt habe, zu deren Erteilung er verpflichtet gewesen sei.

Treffen in einem Testament ein Fideikommiss über einen Sklaven und die Anordnung seiner Freilassung aufeinander, setzt sich letztere durch. Der Erbe hat den Sklaven freizulassen; und er ist auch nicht verpflichtet, dem Fideikommissar den Schätzwert des Sklaven zu leisten. Denn es liegt nicht an ihm, dass er die geschuldete Freiheit gewähren und so die Erfüllung des Fideikommisses vereiteln muss. Damit ist der Tatbestand seiner Haftung gegenüber dem Fideikommissar nicht erfüllt. (69) Iul 552 = D 30.94.2 (39 dig) Si cui Stichus aut Dama legatus esset electione legatario data et fidei eius commissum esset, ut Stichum alteri praestaret: si damam vindicare maluerit, nihilo minus stichum ex causa fideicommissi praestare debebit. sive enim pluris est Dama, compellendus est Stichum redimere, sive minoris, aeque Stichum iuste dare cogetur, cum per eum steterit, quo minus ex testamento haberet quod fideicommissum fuerit.

Ist demjenigen, dem Stichus oder Dama nach seiner Wahl vermacht sind, auch das Fideikommiss auferlegt, dass er Stichus einem anderen leistet, so muss er aus dem Fideikommiss den Stichus auch dann, wenn er lieber Dama herausverlangt hat, nichtsdestoweniger leisten. Ist Dama mehr wert, ist er zu zwingen, den Stichus zu kaufen; ist er weniger wert, wird er ebenfalls zu Recht gezwungen, den Stichus zu leisten, da es an ihm liegt, dass er nicht aufgrund des Testaments erlangt hat, was durch das Fideikommiss ausgesetzt worden ist.

Einem Vermächtnisnehmer, dem durch Vindikationslegat nach seiner Wahl die Sklaven Stichus oder Dama vermacht sind, hat der Erblasser durch Fideikommiss aufgegeben, einem anderen den Stichus zu übereignen. Wählt der Vermächtnisnehmer diesen, ist das Fideikommiss ohne Weiteres erfüllbar. Zweifel an seiner Wirksamkeit ergeben sich daraus, dass er auch den Dama wählen kann.271 Dann könnte ihm die Erfüllung der Verpflichtung 271  Dagegen erwägt Julian gar nicht, dass das Fideikommiss im Lichte des Legats, nämlich so ausgelegt werden könnte, dass die Verpflichtung den Vermächtnisnehmer nur trifft, wenn er sich für den Stichus entscheidet. Ebenso gut ließe sich freilich das Legat im Sinne des Fideikommisses so verstehen, dass der Vermächtnisnehmer nur Stichus wählen darf.

232 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

gegenüber dem Fideikommissar entweder unmöglich sein oder zumindest daran scheitern, dass das Fideikommiss insoweit unwirksam ist, als die hieraus geschuldete Leistung die Zuwendung an den Vermächtnisnehmer übersteigt272. Julian hält den Vermächtnisnehmer gleichwohl für verpflichtet: Ist Dama mehr wert als Stichus, übersteigt die Verbindlichkeit aus dem Fideikommiss ohnehin nicht die Zuwendung aus dem Legat, und sie ist auch keineswegs unmöglich, weil der Vermächtnisnehmer ja den Stichus von dem Erben kaufen kann. Ist Dama weniger wert als Stichus, würde die Verpflichtung zu seiner Übereignung zwar dem Werte nach über der Zuwendung liegen. Dies ist jedoch nicht auf das Legat selbst zurückzuführen, das den Erben durchaus zur Herausgabe des Stichus verpflichtete. Es liegt am Vermächtnisnehmer, dass er durch die Wahl des Dama weniger hat, als er zur Erfüllung des Fideikommisses benötigt. bb) Subsumtion unter Rechtsgeschäfte (1) Verträge Gegenüber den Schlüssen aus Gesetzen und Regeln des Juristenrechts fällt die Zahl der Entscheidungen deutlich zurück, die Julian durch unvermittelte Ableitung aus einem Rechtsgeschäft gewinnt. Von den sieben Falllösungen, die hierzu gehören, bestehen sechs in einem Schluss aus dem Inhalt einer vertraglichen Vereinbarung, eine in der Folgerung aus einseitigem Rechtsakt unter Lebenden: Um einen Erbschaftskauf und die zu seiner Durchführung abgegebenen Stipulationen geht es in (1) Iul 246 = D 18.4.18 (15 dig): Si ex pluribus heredibus unus, antequam ceteri adirent hereditatem, pecuniam, quae sub poena debebatur a testatore, omnem solverit et hereditatem vendiderit nec a coheredibus suis propter egestatem eorum quicquam servare poterit, cum emptore hereditatis vel ex stipulatu vel ex vendito recte experietur: omnem enim pecuniam hereditario nomine datam eo manifestius est, quod in iudicio familiae erciscundae deducitur, per quod nihil amplius unusquisque a coheredibus suis consequi potest, quam quod tamquam heres impenderit.

Hat einer von mehreren Miterben, noch bevor die anderen die Erbschaft angetreten haben, einen Geldbetrag, der vom Erblasser unter einer Vertragsstrafe geschuldet war, vollständig geleistet, die Erbschaft verkauft und kann er von seinen Miterben wegen deren Armut keinen Ersatz erlangen, kann er gegen den Erbschaftskäufer mit Erfolg entweder aus der Stipulation oder aus dem Kaufvertrag vorgehen. Dass er den gesamten Betrag wegen der Erbschaft aufgewen272  Gai 2.262.



I. Systemimmanente Rechtsfindung233 det hat, wird dadurch deutlich, dass sein Anspruch Eingang in die Erbteilung findet, durch die jemand unbedingt das ersetzt erhält, was er als Erbe aufgewendet hat.

Hat ein Miterbe seinen Erbteil verkauft, steht ihm gegen den Käufer auch ein Anspruch auf Ersatz des Betrags zu, mit dem er über seinen Anteil hinaus eine Erblasserschuld getilgt hat; und zwar selbst dann, wenn der Regressanspruch gegen die Miterben wegen deren Insolvenz uneinbringlich ist. Der Verkäufer kann nämlich für alle Aufwendungen Ersatz verlangen, die auch im Rahmen des Erbteilungsverfahrens berücksichtigt werden, weil für sie stets gilt, dass sie hereditario nomine erfolgt sind. Damit fallen sie unter die entsprechende Klausel in der vom Erbschaftskäufer zu leistenden Stipulation273 und sind andernfalls, wenn diese nicht abgeschlossen worden sein sollte, unmittelbar aufgrund des Kaufvertrags zu ersetzen, aus dem sich die Verpflichtung zur Übernahme der Stipulation ergibt. Dies gilt selbst dann, wenn die Leistung zwar vor Antritt der anderen Erben, aber wegen eines drohenden Vertragsstrafenverfalls erfolgte, der die Erbschaft belastet hätte und rechtfertigt, sie ebenfalls als hereditario nomine erbracht anzusehen. Um eine Eviktionskaution geht es in (2) Iul 737 = D 21.2.40 (58 dig): Si is qui satis a me de evicitone accepit fundum a me herede legaverit, con­ festim fideiussores liberabuntur, quia, etiamsi evictus fuerit ab eo cui legatus fuerat, nulla adversus fideiussores actio est.

Hat derjenige, der von mir für die Entwehrung eines gekauften Grundstücks Sicherheit erhalten hat, mich als seinen Erben mit einem Vermächtnis über dieses Grundstück beschwert, werden die Bürgen sofort frei, weil auch dann, wenn das Grundstück dem Vermächtnisnehmer entwehrt wird, keine Klage gegen die Bürgen gegeben ist.

Ist der Verkäufer eines fremden Grundstücks zum Erben des Käufers geworden, sind die von ihm zur Sicherheit gegen Eviktion gestellten Bürgen auch dann nicht mehr verpflichtet, wenn das Grundstück vermacht worden ist. Denn die Eviktion beim Vermächtnisnehmer ist nicht mehr von der Eviktionsgarantie gedeckt, aus der nur der Käufer selbst und sein Erbe, nicht aber ein Einzelrechtsnachfolger berechtigt ist. Der Gegenstand einer cautio ratam rem haberi beschäftigt Julian in drei Entscheidungen in 273  Gai 2.252: … et quae stipulationes inter venditorem hereditatis et emptorem interponi solent, eaedem interponebantur inter heredem et eum, cui restituebatur hereditas, id est hoc modo: heres quidem stipulabatur ab eo, cui restituebatur hereditas, ut quidquid hereditario nomine condemnatus fuisset sive quid alias bona fide dedisset, eo nomine indemnis esset …

234 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (3–5)  Iul 734 = D 46.8.22.2, 4 (56 dig): Quod si procurator per iudicem non debitam pecuniam exegisset, dici potest, sive ratum dominus habuisset sive non habuisset, [fideiussores] non teneri, vel quia nulla res esset, quam dominus ratam habere possit, vel quia nihil stipulatoris interest ratum haberi: adficietur ergo iniuria is, qui procuratori solvit. … (4) Cum autem procurator recte petit, dominus perperam, non debet procurator praestare, ne iniuria iudicis dominus aliquid consequatur: numquam enim propter iniuriam iudicis fideiussores obligantur. … (6) … si procuratori eius, qui mortuus erat, sine iudice soluta fuerint legata, stipulatio committetur, nisi heres ratum habuerit, utique si debita fuerint: tunc enim non dubie interest stipulatoris ratam solutionem ab herede haberi, ne bis eadem praestet.

Hat ein Prozessvertreter mit Hilfe des Richters eine nicht geschuldete Summe eingezogen, kann man sagen, dass die Bürgen nicht haften, sei es, dass der Vertretene genehmigt, sei es, dass er nicht genehmigt, und zwar entweder deshalb, weil es keine Sache gab, die der Vertretene hätte genehmigen können, oder deshalb, weil der Gläubiger kein Interesse daran hat, dass die Genehmigung erfolgt. So wird demjenigen, der an den Prozessvertreter zahlt, also Unrecht zugefügt. … (4) Klagt der Prozessvertreter aber zu Recht, der Vertretene zu Unrecht, muss der Vertreter nicht gewährleisten, dass der Vertretene durch das Unrecht des Richters nichts erlangt. Denn Bürgen werden niemals durch das unrechte Handeln des Richters verpflichtet. … (6) Sind dem Prozessvertreter von demjenigen, der gestorben ist, ohne Zutun des Richters Leistungen auf Vermächtnisse erbracht worden, verfällt die Kaution, falls der Erbe keine Genehmigung erteilt, jedenfalls dann, wenn die Vermächtnisse geschuldet sind. Dann hat der Gläubiger nämlich zweifellos ein Interesse daran, dass die Leistung von dem Erben genehmigt wird, damit er nicht zweimal leisten muss.

Hat ein procurator als Prozessvertreter einen nicht geschuldeten Betrag eingeklagt und kraft eines Fehlurteils des iudex zugesprochen bekommen, erwächst dem Beklagten hieraus kein Anspruch gegen die Bürgen, die eine cautio ratam rem haberi geleistet haben. Denn die Nichtschuld geht den Vertretenen nichts an, so dass er gar keine Genehmigung im eigentlichen Sinne erteilen kann. Selbst wenn man dies annehmen wollte, weil ein Vertretener auch eine freiwillige Leistung an den procurator genehmigen und sich so zum Kondiktionsschuldner machen kann, nützt die Kaution dem Beklagten hier dennoch nichts, weil er kein Interesse an der Genehmigung hätte. Sie würde nämlich bloß verhindern, dass der Vertretene noch einmal gegen ihn klagen könnte, ihm aber kein Verteidigungsmittel gegenüber dem procurator eröffnen, der die actio iudicati erwirkt hat274. Dies bedeutet im Ergebnis, dass dem Beklagten, der auf seine Verurteilung eine Nichtschuld an den procurator zahlen muss, durch den Fehlentscheid des iudex endgültig Unrecht geschehen ist.275 – Dass ein unrichtiges Urteil, für sich genom274  Vat

317. diese Feststellung durchaus Julian zuzutrauen, kann der nachfolgende Satz, mit dem die vorherige Lösung umgekehrt wird (… magis tamen est, ut, si dominus 275  Ist



I. Systemimmanente Rechtsfindung235

men, noch keine Verpflichtung der Bürgen auslöst, sagt Julian ausdrücklich, wenn es darum geht, ob die cautio ratam rem haberi verfällt, wenn der procurator zwar mit Genehmigung des Vertretenen und damit zu Recht, der Vertretene dann aber trotz seiner Genehmigung noch einmal erfolgreich gegen den Beklagten vorgeht. Auch hier ist der Tatbestand der Kaution nicht erfüllt, weil diese nur an den Ausfall der Genehmigung anknüpft und nicht vor einem späteren Fehlverhalten des Vertretenen und des Richters schützt.276 – Die Voraussetzungen für die Verpflichtung des Bürgen sind dagegen gegeben, wenn die prekäre Lage des Beklagten nicht durch ein Fehlurteil, sondern dadurch entstanden ist, dass der ursprüngliche Gläubiger gestorben ist und der Erbe den Einzug der Schuld durch den procurator nicht genehmigt. Hier ist das Risiko, dass der Beklagte erneut leisten muss, allerdings auf den Mangel der Genehmigung zurückzuführen, die cautio ratam rem haberi also verfallen. Ebenfalls auf den Gegenstand einer Stipulation bezogen ist eine Entscheidung, in der Julian die Gültigkeit eines Schiedsspruchs verneint, dessen Mangel den Anspruch aus der zugrunde liegenden stipulatio poenae sperrt: (6) Iul 68 = D 4.8.47.1, 49pr (4 dig) Item si alter ex compromittentibus furere coeperit, [sed et] interpellatur, quo minus sententiam dicat, quia nihil coram furioso fieri intellegitur. …

Wenn eine der Streitparteien geisteskrank wurde, wird der Schiedsrichter ebenfalls gehindert, einen Schiedsspruch zu fällen, weil gegenüber einem Geisteskranken keine Rechtshandlungen wirksam vorgenommen werden können. …

Julian unterwirft den Schiedsspruch den Regeln des Vertragsrechts, wonach ein unter Beteiligung eines Geisteskranken vorgenommener Rechtsakt keine Wirkung zeitigt.277 Um die Bedeutung, die der Einsetzung eines procurator omnium rerum für die Erfüllung der Forderungen des Geschäftsherrn zukommt, geht es in

ratum non habuerit, fideiussores teneantur), kaum von ihm stammen, zumal sie geradewegs dem danach aufgestellten Grundsatz widerspricht: numquam enim propter iniuriam iudicis fideiussores obligantur. 276  Wiederum wird diese Lösung, wenn auch in geringerem Umfang durch einen nicht von Julian stammenden Schlussatz des Abschnitts in ihr Gegenteil verkehrt: … verius tamen est hoc casu fideiussores non nisi in impensas litis teneri. Die Ausnahme zugunsten der Prozesskosten scheint durch die folgende Note Marcells inspiriert, in der es ebenfalls um Prozesskosten, freilich auch um einen ganz anderen Fall geht: si dominus ratam rem non habuerit, sed lite mota rem amiserit, nihil praeter impendia in stipulationem ratam rem deducitur. 277  Julians Entscheidung findet auch Niederschlag in einem Zitat bei Ulpian in D 4.8.27.5 (13 ed).

236 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (7) Iul 717 = D 46.3.34.3 (54 dig): Si Titium omnibus negotiis meis praeposuero, deinde vetuero eum ignorantibus debitoribus administrare negotia mea, debitores ei solvendo liberabuntur: nam is, qui omnibus negotiis suis aliquem proponit, intellegitur etiam debitoribus mandare, ut procuratori solvant.

Habe ich Titius als Verwalter für alle meine Geschäfte eingesetzt und ihm danach, ohne dass meine Schuldner dies wussten, verboten, meine Geschäfte zu führen, werden meine Schuldner dennoch frei, wenn sie an ihn leisten. Denn derjenige, der einen anderen als Verwalter für alle seine Geschäfte bestimmt, wird so angesehen, als habe er auch die Schuldner angewiesen, an den Verwalter zu leisten.

Die befreiende Wirkung einer Leistung an den mittlerweile abgesetzten procurator omnium bonorum des Gläubigers leitet Julian aus der Bestellung zum Vermögensverwalter ab: Sie enthalte zugleich die Anweisung an die Schuldner, an den procurator zu zahlen, so dass die hierdurch geschaffene Empfangszuständigkeit auch nur durch Erklärung gegenüber den Schuldnern und nicht durch bloße Äußerung gegenüber dem Verwalter wieder beseitigt werden kann.278 (2) Letztwillige Verfügungen Von den ebenfalls sieben Entscheidungen, bei denen Julian unter die Anordnung einer Erbfolge oder eines Vermächtnisses subsumiert, entfallen zwei auf die Frage, ob ein vorhandener Gegenstand unter ein Vermächtnis fällt oder dieses wegen Unmöglichkeit seiner Erfüllung unwirksam ist: (1) Afr 42 = D 7.1.36pr (5 quaest) … idemque esse, et si scyphorum usus fructus legatus sit, deinde massa facta et iterum scyphi: licet enim pristina qualitas scyphorum restituta sit, non tamen illos esse, quorum usus fructus legatus sit.

… Dasselbe gelte, wenn der Nießbrauch an Bechern vermacht ist, diese danach zu Metall und dann wieder zu Bechern gemacht seien. Sei hier auch die ursprüngliche Eigenart der Becher wiederhergestellt, seien es noch nicht diejenigen, an denen der Nießbrauch vermacht sei.

Julian verneint die Wirksamkeit eines Nießbrauchsvermächtnisses wegen fehlender Existenz der betroffenen Sachen auch dann, wenn diese nur zwischenzeitlich zu Rohmaterial verwandelt und dann wieder neu hergestellt worden sind. Zwar sei die frühere qualitas wieder vorhanden; gleichwohl seien die neuen Sachen nicht mit denjenigen identisch, die Gegenstand des Vermächtnisses geworden sind. 278  Bund, Methode Julians, S. 157 erkennt hierin eine Fiktion, weil die Annahme einer konkludenten Erklärung dem anschaulichen römischen Denken widersprochen habe.



I. Systemimmanente Rechtsfindung237

(2) Iul 500 = D 7.1.34.2 (35 dig) Universorum bonorum an singularum rerum usus fructus legetur, hactenus interesse puto, quod, si aedes incensae fuerint, usus fructus specialiter aedium legatus peti non potest, bonorum autem usu fructu legato areae usus fructus peti poterit: quoniam qui bonorum suorum usum fructum legat, non solum eorum, quae in specie sunt, sed et substantiae omnis usum fructum legare videtur: in substantia autem bonorum etiam area est.

Ob der Nießbrauch an einem gesamten Vermögen oder an einzelnen Sachen vermacht ist, macht, wie ich glaube, insofern einen Unterschied, als, wenn ein Gebäude abgebrannt ist, der speziell an diesem Gebäude vermachte Nießbrauch nicht mehr gefordert werden kann, während beim Vermächtnis des Nießbrauchs an einem Vermögen auch der Nießbrauch des Geländes beansprucht werden kann. Denn wer den Nießbrauch an seinem Vermögen vermacht, hat nicht nur den Nießbrauch an einzelnen Gegenständen, sondern auch an ihrer Substanz vermacht; zu dieser Substanz gehört aber das Gelände.

Den Unterschied zwischen dem Vermächtnis über den Nießbrauch an einem Vermögen und dem Legat des Nießbrauchs an einer Sache demonstriert Julian an dem Fall, dass ein Gebäude abgebrannt ist: Während ein nur hierauf gerichtetes Nießbrauchsvermächtnis wegen Unmöglichkeit seiner Erfüllung erlischt,279 kann der Vermächtnisnehmer, dem der Nießbrauch an dem gesamten Vermögen hinterlassen ist, noch die Nutzung des Geländes beanspruchen. Denn der Nießbrauch am Vermögen umfasst nicht nur die einzelnen Sachen, sondern auch deren Substanz.280 Hierunter fällt auch ein Grundstück, dessen Bebauung zerstört worden ist. In der folgenden Entscheidung schließt Julian aus der Erstreckung eines Vermächtnisses auf eine Sklavin auf die Pflicht zur Übereignung ihres Kindes: (3) Iul 478 = D 30.84.10 (33 dig) Legatum est ita: ‚fundum Cornelianum et mancipia, quae in eo fundo cum moriar mea erunt, heres meus Titio dato‘. ancilla, quae in eo fundo esse con­ sueverat, mortis tempore cum in fuga esset, enixa est: quaero, an vel ipsa vel partus eius legato cedat. respondi: ancilla quamvis in fuga sit, legata videtur et, licet fugitiva erat, perinde habetur ac si in eo fundo fuisset moriente patre familias: huic consequens est, ut partus quoque matrem sequatur et perinde legato cedat, ac si in fundo editus fuisset. 279  Dies ergibt auch das Julian-Zitat bei Ulpian in Iul 511 = D 7.4.5.2 (17 Sab): Rei mutatione interire usum fructum placet: veluti usus fructus mihi aedium legatus est, aedes corruerunt vel exustae sunt: sine dubio extinguitur. an et areae? certissimum est exustis aedibus nec areae nec cementorum usum fructum deberi. et ita et Iulianus. 280  Schermaier, Materia, Wien u.  a. 1992, S. 144 Fn. 198 bezieht den Begriff substantia hier statt auf die Nachlassgegenstände auf die Erbschaft selbst und will ihn mit „Gesamtheit“ übersetzen.

238 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Es wurde wie folgt vermacht: „Das cornelianische Grundstück und die Sklaven, die sich bei meinem Tod auf dem Grundstück befinden, soll mein Erbe dem Titius geben.“ Eine Sklavin, die sich gewöhnlich auf dem Grundstück befand, war zum Todeszeitpunkt auf der Flucht und gebar ein Kind. Ich frage, ob sie selbst oder ihr Kind von dem Vermächtnis erfasst sind. Ich habe entschieden: Die Sklavin gilt, obwohl sie sich auf der Flucht befindet, als vermacht und wird, obwohl sie flüchtig ist, so behandelt, als sei sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers auf dem Grundstück gewesen. Daraus folgt, dass auch ihr Kind das Schicksal der Mutter teilt und ebenso von dem Vermächtnis erfasst ist, als ob es auf dem Grundstück geboren worden wäre.

Julian versteht das Vermächtnis über ein Grundstück und die beim Tod des Erblassers dazugehörigen Sklaven so, dass es auch die auf der Flucht befindlichen Sklaven erfasst, weil sich diese unter regelmäßigen Umständen auf dem Grundstück befunden hätten.281 Hieraus folgt, dass auch das Kind einer Sklavin, das auf deren Flucht geboren ist und sich dementsprechend bisher nicht auf dem Grundstück aufgehalten hat, dennoch vermacht ist. Denn die Einbeziehung seiner Mutter in das Vermächtnis bedeutet, dass der Fall so behandelt werden muss, als sei die Mutter im Zeitpunkt des Todes des Erblassers auf dem Grundstück gewesen. Dann hätte aber auch das Kind hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so dass es ebenfalls als vermacht gilt. Einen Schluss aus der besonderen Wirkungsweise eines penus-Legats zieht Julian in zwei Entscheidungen in dem folgenden Fragment: (4–5)  Iul 792 = D 36.2.19pr, 1 (70 dig) Cum sine praefinitione temporis legatum ita datum fuerit: ‚uxori meae penum heres dato: si non dederit, centum dato‘, unum legatum intellegitur centum et statim peti potest, penoris autem causa eo tantum pertinet, ut ante litem contestatam tradita peno heres liberetur. (1) Quod si ita scriptum sit; ‚si penum intra kalendas non dederit, centum dato‘, non efficitur, ut duo legata sint, sed ut centum legata sub condicione videantur: idcirco si uxor ante kalendas decesserit, heredi suo neque penum relinquet, quia legata non est, neque centum, quia dies legati cesserit necesse est legataria viva.

Ist ohne Zeitangabe wie folgt vermacht: „Meiner Frau soll er den Lebensmittelvorrat leisten; leistet er ihn nicht, soll er 100 zahlen“, so ist dies als ein Vermächtnis über 100 anzusehen und kann sofort gefordert werden; was den Vorrat anbelangt, so kann seine Leistung den Erben befreien, wenn sie bis zur Streitbefestigung erfolgt. (1) Ist aber so verfügt: „Wenn er den Vorrat nicht bis zum 1. des Monats geleistet hat, soll er 100 leisten“, so bewirkt dies nicht, dass zwei Vermächtnisse vorliegen, sondern dass der Betrag von 100 als unter einer Bedingung ausgesetzt gilt. Ist die Frau vor dem Monatsersten gestorben, ist ihrem Erben daher weder der Vorrat hinterlassen, weil er nicht vermacht ist, noch der

281  Bund, Methode Julians, S. 164 nennt dies zu Recht eine Fiktion, weil für diese Auslegung keine Begründung gegeben wird.



I. Systemimmanente Rechtsfindung239 Betrag von 100, weil die Vermächtnisnehmerin am Tag des Vermächtnisanfalls noch leben muss.

Julian versteht die Zuwendung eines Lebensmittelvorrats und eines für den Fall seiner Nichtleistung ausgesetzten Geldbetrags als ein einziges bedingtes Vermächtnis über eine Geldleistung. Sie ist gleichsam als Strafe für die unterbliebene Herausgabe der penus gedacht, die ja zur Deckung eines kurzfristig auftretenden Unterhaltsbedarfs dient und daher selbst eher nicht zum Gegenstand einer regelrechten Verpflichtung taugt.282 Dementsprechend kann der Vermächtnisnehmer bei einem unbefristeten Vermächtnis sofort Klage auf die Geldleistung erheben und muss nur bis dahin dulden, dass sein Anspruch durch die Leistung des Vorrats zu Fall gebracht wird. Und bei einer Zeitbestimmung erlangt sein Erbe nichts, wenn der Vermächtnisnehmer vor dem Termin stirbt; denn die penus selbst ist ja nicht geschuldet und für das bedingte Geldvermächtnis ist noch nicht der dies cedens gekommen. An anderer Stelle löst Julian einen durch Freilassung des bedachten Sklaven kompliziert gewordenen Fall durch Subsumtion unter die Vermächtnisanordnung: (6) Iul 492 = D 33.5.10 Iul 34 dig Si Pamphilo servo Lucii Titii servus generaliter legatus sit, deinde dominus Pamphili, postquam dies legati cesserit, eum manumisisset: si quidem Titius servum vindicaverit, exstinguitur Pamphili legatum, quia non esset in hereditate qui possit optari. si vero Titius legatum a se repudiasset, Pamphilum optare posse legatum constat: licet enim manumissione Pamphili duae personae constituerentur Titii et Pamphili, unius tamen rei legatum inter eas vertitur et Titio vindicante optio exstinguitur, repudiante Pamphilus optare potest.

Ist Pamphilus, dem Sklaven des Lucius Titius, ein Sklave der Gattung nach vermacht worden und hat sein Eigentümer, nachdem das Vermächtnis angefallen war, Pamphilus freigelassen, erlischt das Vermächtnis für Pamphilus, wenn Titius den Sklaven herausverlangt, weil sich in der Erbschaft dann kein Sklave mehr befindet, der gewählt werden könnte. Hat aber Titius das Vermächtnis ausgeschlagen, kann sich Pamphilus sicherlich noch für das Vermächtnis entscheiden. Sind nämlich durch die Feilassung des Pamphilus zwei Gläubiger, Titius und Pamphilus, vorhanden, so liegt doch in diesem Verhältnis nur ein Vermächtnis über eine Sache vor, und mit der Herausgabeforderung des Titius erlischt das Wahlrecht; bei seiner Ausschlagung kann Pamphilus noch wählen.

Bei einem per vindicationem ausgesetzten Gattungsvermächtnis, mit dem der Erblasser einen Sklaven bedacht hat, verdoppelt sich die aktive Zuständigkeit, wenn der Eigentümer des Sklaven diesen nach dem dies cedens freigelassen hat. Anders als bei der Einsetzung zweier Vermächtnisnehmer283 erwerben der Freigelassene und sein Patron hier aber nicht etwa Miteigen282  Vgl.

Kaser, Restituere als Prozessgegenstand, 2. Aufl., München 1968, S. 126 f.

283  Gai 2.199.

240 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

tumsanteile, sondern ein alternatives Forderungs- und Wahlrecht, dessen Ausübung durch den Patron den Sklaven ausschließt. Für Julian folgt dies schlicht daraus, dass die nachträgliche Spaltung der Aktivzuständigkeit nichts daran ändert, dass das Vermächtnis auf einen Sklaven gerichtet bleibt, den Erben also weder zur Herausgabe zweier Sklaven noch zur Übertragung von Miteigentumsanteilen verpflichten kann. Schließlich findet sich noch eine Folgerung aus der Stufenfolge der Ersatzerbeneinsetzung: (7) Iul 427 = D 28.5.37pr (29 dig) Cum in testamento ita scribitur: ‚si filius meus me vivo morietur, nepos ex eo post mortem meam natus heres esto‘, duo gradus heredum sunt: nullo enim casu uterque ad hereditatem admittitur. ex quo apparet, si nepoti Titius substitutus fuerit et filius patri heres exstiterit, non posse Titium una cum filio heredem esse, quia non in primum, sed in secundum gradum substituitur.

Ist in einem Testament Folgendes angeordnet: „Stirbt mein Sohn zu meinen Lebzeiten, soll mein Enkel, der nach meinem Tod geboren wird, mein Erbe sein“, so ist dies eine zweistufige Erbeinsetzung. Denn keinesfalls sind beide zur Erbschaft berufen. Hieraus folgt, dass, wenn Titius als Ersatzerbe für den Enkel eingesetzt ist und der Sohn Erbe des Vaters wird, Titius nicht zugleich mit dem Sohn Erbe wird, weil er nicht auf der ersten, sondern auf der zweiten Stufe als Ersatzerbe eingesetzt ist.

Ist der Enkel des Erblassers unter der Bedingung zum Erben eingesetzt, dass sein Vater, der Sohn des Erblassers, vorverstorben ist, kommt ein für den Enkel eingesetzter Ersatzerbe nicht zum Zuge, wenn der Sohn Erbe wird. Zwar wird der Enkel nicht Erbe, so dass eigentlich die Bedingung für die Berufung des Ersatzerben erfüllt ist. Dieser soll aber im Verhältnis zu dem anderen Erben nicht mehr erhalten, als der Enkel erhalten hätte. Julian gewinnt dieses Ergebnis unmittelbar aus dem Stufenverhältnis der Erbfolge: Da der Ersatzerbe nur Substitut für einen Erben der zweiten Stufe ist, kann er nicht mit einem Erben der ersten Stufe zusammentreffen. 2. Entscheidung durch Auslegung a) Gesetze und Regeln des Juristenrechts aa) Gesetzesauslegung In Julians Werk finden sich insgesamt 20 Entscheidungen, die in der Interpretation einer gesetzlichen oder gesetzesähnlichen Bestimmung bestehen. Nur eine davon beruht auf einem Induktionsschluss, bei dem der Jurist seine Entscheidung trifft, indem er von schon anerkannten Falllösungen auf eine weitere folgert:



I. Systemimmanente Rechtsfindung241

(1) Iul 821 = D 9.2.51pr, 1 (86 dig) Ita vulneratus est servus, ut eo ictu certum esset moriturum: medio deinde tempore heres institutus est et postea ab alio ictus decessit: quaero, an cum utroque de occiso lege Aquilia agi possit. respondit: occidisse dicitur vulgo quidem, qui mortis causam quolibet modo praebuit: sed lege Aquilia is demum teneri visus est, qui adhibita vi et quasi manu causam mortis praebuisset, tracta videlicet interpretatione vocis a caedendo et a caede. rursus Aquilia lege teneri existimati sunt non solum qui ita vulnerassent, ut confestim vita privarent, sed etiam hi, quorum ex vulnere certum esset aliquem vita excessurum. igitur si quis servo mortiferum vulnus inflixerit eundemque alius ex intervallo ita percusserit, ut maturius interficeretur, quam ex priore vulnere moriturus fuerat, statuendum est utrumque eorum lege Aquilia teneri. (1) Idque est consequens auctoritati veterum, qui, cum a pluribus idem servus ita vulneratus esset, ut non appareret cuius ictu perisset, omnes lege Aquilia teneri iudicaverunt. (2) Aestimatio autem perempti non eadem in utriusque persona fiet: nam qui prior vulneravit, tantum praestabit, quanto in anno proximo homo plurimi fuerit repetitis ex die vulneris trecentum sexaginta quinque diebus, posterior in id tenebitur, quanti homo plurimi venire poterit in anno proximo, quo vita excessit, in quo pretium quoque hereditatis erit. eiusdem ergo servi occisi nomine alius maiorem, alius minorem aestimationem praestabit, nec mirum, cum uterque eorum ex diversa causa et diversis temporibus occidisse hominem intellegatur. quod si quis absurde a nobis haec constitui putaverit, cogitet longe absurdius constitui neutrum lege Aquilia teneri aut alterum potius, cum neque impunita maleficia esse oporteat nec facile constitui possit, uter potius lege teneatur. multa autem iure civili contra rationem disputandi pro utilitate communi recepta esse innumerabilibus rebus probari potest: unum interim posuisse contentus ero. cum plures trabem alienam furandi causa sustulerint, quam singuli ferre non possent, furti actione omnes teneri existimantur, quamvis subtili ratione dici possit neminem eorum teneri, quia neminem verum sit eam sustulisse.

Ein Sklave wurde so verletzt, dass sicher war, dass er an dem Schlag sterben würde. In der Zwischenzeit wurde er zum Erben eingesetzt und ist später, weil er von einem anderen geschlagen wurde, gestorben. Ich frage, ob gegen beide wegen Tötung nach dem aquilischen Gesetz geklagt werden könne. Man sagt zwar gewöhnlich, dass getötet hat, wer auf irgendeine Weise die Ursache für den Tod gesetzt hat. Aber es ist anerkannt, dass nach dem aquilischen Gesetz nur haftet, wer durch Gewaltanwendung und gleichsam eigenhändig die Ursache für den Tod gesetzt hat, wobei diese Auslegung von den Begriffen „erschlagen“ und „Totschlag“ bestimmt ist. Gleichwohl gelten als aus dem aquilischen Gesetz haftbar nicht nur diejenigen, die einen Sklaven so verletzt haben, dass er sofort sein Leben einbüßt, sondern auch diejenigen, die ihm eine Verletzung derart beigebracht haben, dass sicher ist, dass sein Leben enden wird. Daher ist zu entscheiden, dass beide nach dem aquilischen Gesetz haften, wenn der eine dem Sklaven einen tödliche Wunde zufügt und der andere ihn später so schlägt, dass er früher stirbt, als er aufgrund der älteren Wunde gestorben wäre. (1) Dies entspricht auch der Meinung der Alten, die der Auffassung waren, dass alle Schädiger nach dem aquilischen Gesetz haften, wenn derselbe Sklave von mehreren in der Weise verletzt worden ist, dass sich nicht aufklären lässt, an wessen

242 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian Schlag er gestorben ist. (2) Der Schätzwert des getöteten Sklaven ist aber nicht bei beiden Schädigern gleich: Denn derjenige, der ihn zuerst verletzt hat, muss so viel leisten, wie der Sklave im letzten Jahr wert war, also in den 365 Tagen vor dem Tag der Verletzung; der zweite haftet auf den Betrag, zu dem der Sklave im letzten Jahr, bevor er gestorben ist, maximal hätte verkauft werden können, worin auch der Wert der Erbschaft enthalten ist. Daher hat der eine wegen der Tötung desselben Sklaven einen größeren, der andere einen geringeren Schätzwert zu leisten; und dies ist nicht verwunderlich, gelten sie doch als solche, die auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Zeiten den Sklaven getötet haben. Wer unser Ergebnis aber für absurd hält, möge bedenken, dass es viel absurder wäre, keinen nach dem aquilischen Gesetz haften zu lassen oder nur einen; denn es darf keine Untat ungestraft bleiben, und es lässt sich nicht leicht entscheiden, wer von beiden eher nach dem Gesetz haftet. Dass viel nach dem Zivilrecht zugunsten des öffentlichen Wohls und gegen die Sprachlogik anerkannt ist, lässt sich an unzähligen Beispielen zeigen. Ich begnüge mich mit einem: Haben mehrere in Diebstahlsabsicht einen fremden Balken weggetragen, den ein einzelner nicht tragen konnte, gelten sie alle als mit der Diebstahlsklage haftbar, obwohl strenggenommen nicht gesagt werden kann, dass sie haften, weil auf keinen zutrifft, dass er den Balken weggetragen hat.

Julian stellt sich dem Problem der überholenden Kausalität bei der Haftung aus der lex Aquilia: Ist ein Sklave zunächst tödlich verwundet und danach von einem anderen so geschlagen worden, dass er früher gestorben ist, als er aufgrund der ersten Verletzung gestorben wäre, ist nach Celsus’ Ansicht allein der zweite Schädiger wegen Totschlags nach dem ersten Kapitel der lex Aquilia, der erste Schädiger dagegen bloß wegen Verletzung des Sklaven nach dem dritten Kapitel haftbar.284 Für Julian haben dagegen beide für Totschlag nach dem ersten Kapitel der lex Aquilia einzustehen, wobei aber die Berechnung des Schätzwertes zwangsläufig an unterschiedliche Zeitpunkte anknüpft, so dass eine zwischen dem ersten und dem zweiten Schlag erfolgte Erbeinsetzung des Sklaven nur bei dem zweiten, nicht auch bei dem ersten Schädiger zu berücksichtigen ist.285 Julian kommt zu diesem Ergebnis durch Subsumtion unter den Tatbestand des Gesetzes: Zwar ist für die Feststellung von occidere anerkanntermaßen eine gleichsam eigenhändige Todesverursachung286 erforderlich, wie sie vorkommt, wenn ein Sklave regelrecht erschlagen wird. Es ist jedoch nach überkommener Ansicht nicht nötig, dass der Tod sofort eintritt, sondern es genügt, wenn der geschlagene Sklave später an den Folgen der Tat stirbt. Hieraus ergibt sich für Julian, dass im Fall der überholenden Schädigung beiden Tätern ein 284  Cels

254 = D 9.2.11.3 Ulp 18 ed. die Kontroverse beider Juristen keiner Harmonisierung zugänglich ist, zeigt Gerkens, Aeque periturus, Lüttich 1997, S. 199 ff. 286  Mortis causam praebere erscheint hier bei Julian anders als bei Celsus (Cels 253 = D 9.2.7.6 Ulp 18 ed) als Oberbegriff für die direkte und die indirekte Tötung; vgl. Nörr, Causa mortis, München 1986, S. 189. 285  Dass



I. Systemimmanente Rechtsfindung243

occidere im Sinne des Gesetzes vorgeworfen werden muss. Die Schwierigkeit, dass die tatbestandliche Handlung des ersten Schädigers gar nicht zu einem Todeserfolg geführt hat, überwindet Julian unter Rückgriff auf die wiederum anerkannte Lösung des Problems einer alternativen Kausalität:287 Schon die republikanischen Juristen haben entschieden, dass sämtliche Schädiger haften, wenn feststeht, dass sie alle den Sklaven geschlagen haben, aber unklar ist, wessen Schlag tödlich war. Ist die Kausalität zum Todeserfolg damit für die Haftung nicht unabdingbar und genügt stattdessen die Eignung der Tathandlung, kann es auch bei der überholenden Kausalität nicht darauf ankommen, ob die Verletzung durch den ersten Schädiger wirklich todbringend war, zumal hier ja sogar feststeht, dass der Sklave bei ungehindertem Kausalverlauf gestorben wäre.288 Ist der Induktionsschluss, den Julian aus dem Fall der alternativen Kausalität auf den der überholenden zieht, ein argumentum a maiore ad minus und damit nahezu zwingend,289 macht ihm offenbar doch zu schaffen, dass sich der bloß hypothetische Todeserfolg bei der Erstschädigung mit dem herkömmlichen Sprachgebrauch von occidere kaum vereinbaren lässt.290 Deshalb verweist er auf das öffentliche Wohl als allgemeinen Gesetzeszweck der lex Aquilia und die besondere Aufgabe des Rechtsanwenders, für die adäquate Bestrafung einer Untat zu sorgen.291 Dieser Strafzweck rechtfertigt es für Julian,292 occidere im Sinne des Gesetzes anders zu verstehen, als der Begriff herkömmlich verwendet wird. Eine Parallele sieht er in der Verwendung des Verbs sufferre: Bei einem in Mittäterschaft verübten Diebstahls einer schweren Sache werden alle Beteiligten so angesehen, als hätten sie die Sache weggetragen, obwohl sie es einzeln gar nicht gekonnt hätten. Auch hier lässt sich bei den 287  Dies setzt, wie Willvonseder, Die Verwendung der Denkfigur der condicio sine qua non bei den römischen Juristen, Wien u. a. 1984, S. 149 bemerkt, voraus, dass Julian bei seinen Lesern ein Kausalitätsverständnis im Sinne der notwendigen Bedingung erwartet. 288  Für den Fall, dass der tödliche Ausgang im hypothetischen Kausalverlauf nicht feststeht, entscheidet Julian anders; vgl. Iul 825 = D 9.2.15.1 Ulp 18 ed: Si servus vulneratus mortifere postea ruina vel naufragio vel alio ictu maturius perierit, de occiso agi non posse, sed quasi de vulnerato, sed si manumissus vel alienatus ex vulnere periit, quasi de occiso agi posse iulianus ait. haec ita tam varie, quia verum est eum a te occisum tunc cum vulnerabas, quod mortuo eo demum apparuit: at in superiore non est passa ruina apparere an sit occisus. sed si vulneratum mortifere liberum et heredem esse iusseris, deinde decesserit, heredem eius agere aquilia non posse. 289  Dass beide Fälle wegen der Störung des Kausalverlaufs durchaus vergleichbar sind, betonen zu Recht Nörr (Fn. 286), S. 188 und Gerkens (Fn. 285), S. 171 ff. 290  Richtig Nörr (Fn. 286), S. 187. 291  Entgegen Navarra, Ricerche sulla utilitas nel pensiero die giuristi romani, Turin 2000, S. 28 vermag ich hierin keine topische Methode zu erkennen. 292  Dass er stärker pönalisierend urteilt, hebt Nörr (Fn. 286), S. 184 hervor.

244 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

einzelnen Tätern keine volle Verwirklichung des Tatbestands feststellen, wie sie bei Anwendung der lex Aquilia im Fall der überholenden Kausalität ebenfalls fehlt.293 Unter den deduktiven Auslegungsentscheidungen sind drei, in denen Julian auf den Wortlaut der einschlägigen Norm rekurriert. Sowohl die gesetzliche Erbfolge nach dem Zwölftafelgesetz als auch die prätorische Einweisung in den Nachlassbesitz betrifft dabei Julians Erörterung, ob ein nondum conceptus zu den Verwandten gehört: (2) Iul 741 = D 38.16.6, 8pr (58 dig) Titius exheredato filio extraneum heredem sub condicione instituit: quaesitum est, si post mortem patris pendente condicione filius uxorem duxisset et filium procreasset et decessisset, deinde condicio instituti heredis defecisset, an ad hunc postumum nepotem legitima hereditas avi pertineret. respondit: qui post mortem avi sui concipitur, is neque legitimam hereditatem eius tamquam suus heres neque bonorum possessionem tamquam cognatus accipere potest, quia lex duodecim tabularum eum vocat ad hereditatem, qui moriente eo, de cuius bonis quaeritur, in rerum natura fuerit, … (8pr) Item praetor edicto suo proximitatis nomine bonorum possessionem pollicetur his, qui defuncto mortis tempore ­cognati fuerint. nam quod in consuetudine nepotes cognati appellantur etiam eorum, post quorum mortem concepti sunt, non proprie, sed per abusionem vel potius anaphorichōs accidit.

Titius hat seinen Sohn enterbt und einen Fremden unter einer Bedingung zum Erben eingesetzt. Es ist gefragt worden, ob, wenn der Sohn nach dem Tod seines Vaters, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe sei, eine Frau heirate und einen Sohn zeuge und danach sterbe, bevor die Bedingung für die Erbeinsetzung ausfalle, die gesetzliche Erbschaft des Großvaters diesem nachgeborenen Enkel zustehe. Er hat geantwortet: Wer nach dem Tod seines Großvaters gezeugt wird, kann weder als Hauserbe die gesetzliche Erbschaft noch als kognatischer Verwandter den Nachlassbesitz erhalten, weil das Zwölftafelgesetz nur denjenigen zur Erbfolge beruft, der zur Zeit des Todes des Erblassers existiert … (8pr) Desgleichen gesteht der Prätor in seinem Edikt wegen der Verwandtschaftsnähe den Nachlassbesitz denjenigen zu, die zur Zeit des Todes des Erblassers mit diesem verwandt waren. Denn wenn die Enkel, und zwar auch die nach dem Tod gezeugten, üblicherweise Verwandte genannt werden, so geschieht dies nicht zu Recht, sondern uneigentlich oder eher relativ.

Julian schließt den Gedanken an eine Erbfolge aus, der nur durch den umgangssprachlichen Fehlgebrauch des Begriffs cognati entstehen kann: Zeugt der enterbte Sohn des Erblassers nach dessen Tod einen Enkel, wird dieser auch dann nicht zum Erben, wenn die Bedingung für die Erbeinsetzung eines extraneus ausfällt. Zwar kann ein nasciturus, der schon beim Tod des Erblassers gezeugt ist, dessen Erbe werden, nicht aber ein nondum conceptus.294 293  Vgl. 294  IJ

Willvonseder (Fn. 287), S. 150. 3.1.8.



I. Systemimmanente Rechtsfindung245

Dieser wird, da er im Gegensatz zum nasciturus noch nicht in rerum natura ist,295 weder bei der auf das Zwölftafelgesetz zurückgehenden gesetzlichen Erbfolge noch bei der prätorischen Einweisung in den Nachlassbesitz berücksichtigt. Dass es anders sein könnte, ist bloß ein Fehlschluss, der durch die umgangssprachliche Erweiterung des Ausdrucks cognati auf die nach dem Tod des Erblassers geborenen Nachkommen provoziert wird: Der erst später gezeugte Enkel ist nur im uneigentlichen Sinne, in Wahrheit nicht mit dem Erblasser verwandt, da beide ja nie gleichzeitig gelebt haben. Als Schluss aus den verba des Gesetzes ist ausdrücklich die folgende Entscheidung zur Verfolgung eines Ehebruchs gekennzeichnet: (3) Iul 832 = D 48.5.5 (86 dig) Nuptam mihi adulterii ream postulari posse in priore matrimonio commissi dubium non est, cum aperte lege Iulia de adulteriis coercendis caveatur, si quidem vidua sit, de cuius adulterio agetur, ut accusator liberum arbitrium habeat, adulterum an adulteram prius accusare malit: si vero nupta sit, ut prius adulterum peragat, tunc mulierem.

Dass meine Frau wegen eines in einer früheren Ehe begangenen Ehebruchs angeklagt werden kann, ist nicht zweifelhaft. Denn im julischen Gesetz über den Ehebruch ist ausdrücklich vorgesehen, dass, wenn die Frau, um deren Ehebruch es geht, eine Witwe ist, der Ankläger die freie Wahl habe, ob er den Ehebrecher oder die Ehebrecherin zuerst anklagt, dagegen zuerst den Ehebrecher und dann die Ehebrecherin verklagen müsse, wenn diese verheiratet ist.

Den Bestimmungen über die Reihenfolge der Anklage in der lex Iulia de adulteriis coercendis entnimmt Julian, dass es für die Verfolgung des Ehebruchs kein Hindernis bedeutet, wenn die Frau erneut verheiratet ist: Soll zuerst der Ehebrecher belangt werden, wenn die Frau in einer Ehe lebt, liegt nahe, dass diese Bestimmung gerade für den Fall einer erneuten Heirat der Frau gemacht ist, weil die Ehe, die sie gebrochen hat, typischerweise nicht mehr besteht. Ähnlich ist die folgende Entscheidung zur Reichweite der Kaisererlasse über das Soldatentestament: (4) Afr 30 = D 29.1.21 (4 quaest) Quod constitutum est, ut testamentum militiae tempore factum etiam intra annum post missionem valeret, quantum ad verba eius ad eos dumtaxat qui mitti solent id beneficium pertinere existimavit: secundum quod neque praefectos neque tribunos aut ceteros, qui successoribus acceptis militare desinunt, hoc privilegium habituros.

Ist bestimmt, dass das während der Dienstzeit errichtete Soldatentestament innerhalb eines Jahres nach der Entlassung gültig bleibe, beziehe sich dieser Vorzug, so glaubt Julian, nach den Wortlaut bloß auf diejenigen, die gewöhnlich 295  Iul 781

= D 1.5.26 (69 dig); s. u. B.I.2.a)bb) (1).

246 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian entlassen werden. Daher komme es weder den Präfekten noch den Tribunen oder anderen zu, deren Dienstzeit durch den Antritt eines Nachfolgers endet.

Dass die Fortgeltung eines Soldatentestaments innerhalb eines Jahres nach Dienstende auf gewöhnliche Soldaten beschränkt und kein Privileg für Amtsträger ist, leitet Julian aus dem Wortlaut der einschlägigen Kaisererlasse296 ab: Hierin ist von einer Entlassung die Rede, die eben nur bei einem einfachen Soldaten, nicht aber bei einem Amtsträger vorkommt, der durch den Dienstantritt seines Nachfolgers aus dem Militärdienst ausscheidet. Ansonsten gewinnt Julian seine Entscheidungen aus dem Zweck des einschlägigen Gesetzes oder Senatsbeschlusses, der zuweilen deren erweiternde, zuweilen ihre eingeschränkte Anwendung vorgibt. Eine Reduktion des Anwendungsbereichs schlägt Julian in zwei Entscheidungen zur lex Iulia de maritandis ordinibus und zum senatus consultum Velleianum vor: (5) Iul 788 = D 35.1.62.2 Ter Cl 4 Iul et Pap Cum vir uxori ‚si a liberis ne nupserit‘ in annos singulos aliquid legavit, quid iuris sit? Iulianus respondit posse mulierem nubere et legatum capere. quod si ita scriptum esset ‚si a liberis impuberibus ne nupserit‘, legem locum non habere, quia magis cura liberorum quam viduitas iniungeretur.

Was gilt, wenn der Ehemann der Ehefrau eine Leibrente unter der Bedingung: „wenn sie von den Kindern nicht wegheiratet“, vermacht hat? Julian sagt, die Frau könne heiraten und das Vermächtnis erwerben. Lautet die Bedingung aber: „wenn sie von den unmündigen Kindern nicht wegheiratet“, finde das Gesetz keine Anwendung, weil ihr eher die elterliche Sorge als die Witwenschaft auferlegt sei.

Um den Eheschluss zu fördern, versagt die lex Iulia de maritandis ordinibus einer Bedingung die Wirkung, mit der ein Ehegatte seine letztwillige Verfügung zugunsten des anderen davon abhängig macht, dass dieser nicht erneut heiratet.297 Dieser Regelung unterstellt Julian auch eine Bedingung, die gemeinsame Kinder einschließt und dem überlebenden Ehegatten verbietet, von den Kindern „wegzuheiraten“. Beschränkt sich die Anordnung des Erblassers dagegen auf die unmündigen Kinder, scheint Julian die Sorge um diese im Vordergrund zu stehen, so dass er die Bedingung vom Verbot der lex Iulia ausnimmt, da diese nach seiner Auffassung bloß einer testamentarisch verfügten viduitas wehren will. (6) Iul 924 = D 16.16pr (4 Urs Fer) Si mulier contra senatus consultum Velleianum pro me intercessisset Titio egoque mulieri id solvissem et ab ea Titius eam pecuniam peteret, exceptio huius senatus consulti non est profutura mulieri: neque enim eam periclitari, ne eam pecuniam perdat, cum iam eam habeat. 296  UE 23.10. 297  PS 3.4b.2.



I. Systemimmanente Rechtsfindung247



Ist eine Frau entgegen dem vellejanischen Senatsbeschluss für mich eine Verpflichtung gegenüber Titius eingegangen und habe ich der Frau den Betrag gezahlt, der von Titius gefordert wird, steht der Frau die Einrede aus dem Senatsbeschluss nicht zu. Denn sie laufe nicht Gefahr, einen Betrag zu verlieren, den sie schon hat.

Julian nimmt vom Interzessionsverbot des senatus consultum Velleianum den Fall aus, dass die Frau von dem Hauptschuldner den Betrag, für den sie eingetreten ist, schon erhalten hat. Zwar ist der Tatbestand des Interzessionsverbots nach dem Wortlaut des Senatsbeschlusses auch in diesem Fall erfüllt, weil er lediglich die intercessio für einen Mann durch obligatio der Frau fordert.298 Verfügt sie schon über die Summe, besteht aber nicht das Risiko, dem durch den Senatsbeschluss vorgebeugt werden soll, nämlich dass Frauen durch die Übernahme von Männerschulden ihr Vermögen gefährden. Für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs sorgt der Rückgriff auf den Gesetzeszweck in den beiden folgenden Entscheidungen zur lex Cornelia und dem senatus consultum Macedonianum: (7) Iul 759 = D 28.6.28 (62 dig) Lex Cornelia, quae testamenta eorum qui in hostium potestate decesserunt confirmat, non solum ad hereditatem ipsorum qui testamenta fecerunt pertinet, sed ad omnes hereditates, quae ad quemque ex eorum testamento pertinere potuissent, si in hostium potestatem non pervenissent. quapropter cum pater in hostium potestate decessit filio impubere relicto in civitate et is intra tempus pubertatis decesserit, hereditas ad substitutum pertinet, perinde ac si pater in hostium potestatem non pervenisset. …

Das cornelianische Gesetz, das die Testamente der in Kriegsgefangenschaft Gestorbenen heilt, erstreckt sich nicht nur auf den Nachlass des Erblassers, sondern auf alle Erbschaften, die jemandem aus diesem Testament zustehen könnten, wenn der Erblasser nicht in Kriegsgefangenschaft gestorben wäre. Deshalb steht die Erbschaft, wenn ein in Kriegsgefangenschaft gestorbener Vater einen unmündigen Sohn im Staat hinterlassen hat und dieser vor Eintritt der Mündigkeit gestorben ist, dem Ersatzerben so zu, als ob der Vater nicht in Kriegsgefangenschaft geraten wäre. …

Julian erörtert den Anwendungsbereich der lex Cornelia, die das Testament eines in Kriegsgefangenschaft gestorbenen Erblassers für ebenso wirksam erklärt, wie wenn er im römischen Staat gestorben wäre. Eigentlich gilt dies nicht für die Pupillarsubstitution, weil der Unmündige hier im Zeitpunkt des Todes des Erblassers gar nicht mehr in dessen Gewalt stand, so dass es an einem Wirksamkeitserfordernis für die Ersatzerbeneinsetzung fehlte.299 Julian entnimmt der lex Cornelia aber eine Regelung für alle Erb298  D 16.1.2.1

Ulp 29 ed. ist die Auffassung der von Papinian in D 49.15.10 pr (29 quaest) zitierten quidam. 299  Dies

248 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

folgen aufgrund des Testaments, so dass nicht nur die eigene Rechtsnachfolge, sondern im Fall der Pupillarsubstitution auch die nach dem Unmündigen abgedeckt ist. So setzt sich der Zweck des Gesetzes, der Kriegsgefangenschaft des Erblassers die Wirkung auf die letztwilligen Verfügungen des Erblassers zu nehmen, durch und über ein zusätzliches Wirksamkeitshindernis für die Pupillarsubstitution hinweg. (8) Iul 189 = D 14.6.14 (12 dig) Filium habeo et ex eo nepotem: nepoti meo creditum est iussu patris eius: quaesitum est, an contra senatus consultum fieret. dixi, etiamsi verbis senatus consulti filii continerentur, tamen et in persona nepotis idem servari debere: iussum autem huius patris non efficere, quo minus contra senatus consultum creditum existimaretur, cum ipse in ea causa esset, ut pecuniam mutuam invito patre suo accipere non possit.

Ich habe einen Sohn und durch diesen einen Enkel. Meinem Sohn wurde mit Zustimmung seines Vaters ein Darlehen gewährt. Es ist gefragt worden, ob dies dem Senatsbeschluss zuwiderliefe. Ich habe gesagt, dass, obwohl im Wortlaut des Senatsbeschlusses nur Haussöhne erwähnt seien, dennoch dasselbe auch für Hausenkel gelten müsse. Die Zustimmung ihres Vaters bewirke nämlich nicht, dass ihnen ohne Verstoß gegen den Senatsbeschluss ein Darlehen gewährt werde, da der Vater sich selbst in einer Lage befinde, in der er ohne die Zustimmung seines Vaters kein Darlehen aufnehmen könne.

Julian begründet die Anwendung des senatus consultum Macedonianum auf einen von seinem Wortlaut nicht erfassten Fall: Hat statt eines Haussohnes ein in der Gewalt seines Großvaters stehender Enkel ein Darlehen aufgenommen, greift das Verbot des Senatsbeschlusses ebenfalls ein, und zwar auch dann, wenn der Vater des Enkels der Darlehensaufnahme zugestimmt hat. Zwar macht das Einverständnis des Vaters den Senatsbeschluss gewöhnlich unanwendbar. Kann sich der Vater als Haussohn aber selbst nur mit Zustimmung des Großvaters verpflichten, kann nichts anderes für den Enkel gelten. Obwohl er im Text des senatus consultum nicht eigens erwähnt ist, muss man ihn nach dessen Zweck ebenfalls in das Verbot einbeziehen, da es um das Verhältnis eines gewaltunterworfenen Freien zu seinem Gewalthaber geht. In drei weiteren Entscheidungen befasst sich Julian mit der Frage, ob durch eine bestimmte rechtsgeschäftliche Gestaltung eine fraus legis geschieht, die zu einer zweckentsprechenden Anwendung des umgangenen Gesetzes führt. In einem Fall beurteilt er den vom Patron einer Freigelassenen auferlegten Eid, ihn zu heiraten, vor dem Hintergrund der lex Aelia Sentia: (9) Iul 773 = D 37.14.6.3 Paul 2 Ael Sent Si patronus libertam iureiurando adegerit, ut sibi nuberet, si quidem ducturus eam adegit, nihil contra legem fecisse videbitur: si vero non ducturus propter



I. Systemimmanente Rechtsfindung249



hoc solum adegit, ne alii nuberet, fraudem legi factam Iulianus ait et perinde patronum teneri, ac si coegisset iurare libertam non nupturam.



Hat ein Freilasser eine Freigelassene zu dem Eid bestimmt, dass sie ihn heirate, hat er nicht gegen das Gesetz verstoßen, wenn er in der Absicht gehandelt hat, sie zu heiraten. Hat er aber ohne diese Absicht nur mit dem Ziel gehandelt, dass sie keinen anderen heiratet, liege, wie Julian sagt, eine Gesetzesumgehung vor, und der Patron habe hierfür so einzustehen, als hätte er die Freigelassene zu dem Eid gezwungen, nicht zu heiraten.

Hat er wirklich die Absicht, die Freigelassene zur Ehefrau zu machen, hat er gegen kein Gesetz verstoßen. Hat er dagegen gar nicht vor, die Freigelassene zu heiraten und ihr den Eid nur auferlegt, damit sie nicht heiratet, verstößt er gegen die lex Aelia Sentia, die verbietet, von der Freigelassenen den Eid zu verlangen, dass sie nicht mehr heirate.300 Dass der Patron seinen Wunsch nach einem solchen Versprechen durch den Eid, ihn zu heiraten bemäntelt hat, bedeutet für Julian eine fraus legis, der er durch die Anwendung des Gesetzes wehrt, die seinem Sinn entspricht. An anderer Stelle geht es um das Verbot testamentarisch auferlegter Heiratsverbote nach der lex Iulia de maritandis ordinibus: (10) Iul 789 = D 35.1.64.1 Ter Cl 5 Iul et Pap Quod si ita scriptum esset ‚si Ariciae non nupserit‘, interesse, an fraus legi facta esset: nam si ea esset, quae aliubi nuptias non facile possit invenire, interpretandum ipso iure rescindi, quod fraudandae legis gratia esset adscriptum: legem enim utilem rei publicae, subolis scilicet procreandae causa latam, adiuvandam interpretatione.

Ist aber so verfügt: „wenn sie in Aricia nicht heiratet“, komme es darauf an, ob das Gesetz umgangen werden sollte. Denn wenn es sich so verhalten habe, dass sie andernorts nicht leicht Gelegenheit zur Heirat hätte, sei das Gesetz so zu verstehen, dass es automatisch beseitige, was zur Gesetzesumgehung hinzugefügt wurde. Denn ein Gesetz, das zum öffentlichen Wohl, nämlich zum Bevölkerungserhalt, geschaffen worden sei, müsse auch durch die Auslegung unterstützt werden.

Die dem einen Ehegatten von dem anderen gemachte Testamentsbedingung, nicht an einem bestimmten Ort zu heiraten, bedeutet für Julian dann eine fraus legis, wenn der überlebende Ehegatte andernorts ohnehin kaum Gelegenheit zur Heirat hätte. Dass die geplante Umgehung des Gesetzes zu seiner direkten Anwendung führt, folgt für Julian aus dem Ziel des Gesetzes, das öffentliche Wohl zu fördern. Dieses Ziel trägt nach seiner Ansicht seine Erstreckung auf einen Fall, der von dem Wortlaut nicht selbst erfasst ist.301 300  Vgl. 301  Vgl.

§ 4 des Fragments. Behrends, Die fraus legis, Göttingen, 1982, S. 105.

250 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Eine regelrechte Definition eines als fraus legis erkannten Tatbestands findet sich in einer Entscheidung über die Kaduzität eines Fideikommisses, das entgegen den augusteischen Ehegesetzen einem Erwerbsunfähigen ausgesetzt ist. Julian behandelt ihn wie den Gesetzestatbestand selbst, indem er für den zu entscheidenden Fall die Subsumtion ablehnt: (11) Iul 818 = D 49.14.3pr Call 3 fisc Non intellegitur fraudem legi fecisse, qui rogatus est palam restituere. sed cum quidam testamento suo ita scripsisset: ‚vos rogo, ut in eo, quod a vobis peti, fidem praestetis: perque deum, ut faciatis, rogo‘ et quaereretur, an id palam datum intellegeretur: Iulianus respondit non quidem apparere, quid ab heredibus ex huiusmodi verbis petitum est. quaeri autem solere, quando intellegatur quis in fraudem legis fidem suam accommodare: et fere eo iam decursum, ut fraus legi fieri videatur, quotiens quis neque testamento neque codicillis rogaretur, sed domestica cautione et chirographo obligaret se ad praestandum ei qui capere non potest: ideoque dici posse ex supra dictis verbis non esse legi fraudem factam.

Derjenige, dem offen durch Fideikommiss auferlegt worden ist, etwas herauszugeben, kann nicht so angesehen werden, als ob er das Gesetz umgehe. Hat aber jemand in seinem Testament wie folgt bestimmt: „Ich erlege euch auf, dass ihr bei der Erfüllung meiner Wünsche die Treue wahrt und fordere euch bei Gott auf, dass ihr so handelt“, stellt sich die Frage, ob dies offen festgesetzt sei. Julian hat befunden, es ergebe sich zwar nicht, was auf diese Weise von den Erben gefordert werde. Es werde aber üblicherweise die Frage gestellt, ob jemand so anzusehen sei, als habe er seine Treue zur Gesetzesumgehung gewährt. Und man nehme in der Regel an, dass immer dann eine Gesetzesumgehung stattfinde, wenn jemand einen anderen weder in Testament noch Kodizill, sondern durch eine mündliche Vereinbarung oder eine sonstige Urkunde verpflichtet habe, demjenigen etwas zu leisten, der es nicht erwerben kann. Daher könne man nicht sagen, dass bei der geschilderten Verfügung eine Gesetzesumgehung vorliege.

In D 30.103 (83 dig) ist die ratio dieser Entscheidung im Original überliefert:

In tacitis fideicommissis fraus legi fieri videtur, quotiens quis neque testamento neque codicillis rogaretur, sed domestica cautione vel chirographo obligaret se ad praestandum fideicommissum ei qui capere non potest.

Julian ist vor die Frage gestellt, ob eine testamentarisch geäußerte Bitte des Erblassers, die zwar der Form nach ein Fideikommiss, aber ohne Gegenstand ist, als eine Verfügung gilt, mit der der Erblasser einem Erwerbsunfähigen etwas zuwenden will. Julian entscheidet sich dagegen, weil er eine Gesetzesumgehung durch fideicommissum tacitum nur dann annimmt, wenn es völlig außerhalb von Testament oder Kodizill ausgesetzt wird. Ist es dagegen in der Urkunde über die letztwillige Verfügung, wenn auch ohne seinen Gegenstand, aufgeführt, ist es offen ausgesetzt. Mangels fraus



I. Systemimmanente Rechtsfindung251

legis greift daher auch nicht die für die direkte Einsetzung des Erwerbsunfähigen verhängte Strafe der Kaduzität ein. Von höherem Abstraktionsniveau als seine Entscheidungen zur Gesetzesauslegung sind die neun Entscheidungen, in denen Julian eine Vorgabe des prätorischen Edikts interpretiert. Den Zweck einer Klage oder Klausel kann er hier begrifflich leichter erfassen, indem er auf anerkannte Figuren der Dogmatik zurückgreift. Besonders deutlich wird dies in zwei Entscheidungen, in denen Julian seine Falllösung aus der Natur der metus-Klage als Schadensersatzanspruch folgert:302 (12) D 4.2.12.2 Ulp 11 ed Iulianus ait eum, qui vim adhibuit debitori suo ut ei solveret, hoc edicto non teneri propter naturam metus causa actionis quae damnum exigit: …

Julian sagt, derjenige, der Gewalt gegen seinen Schuldner anwende, damit dieser leiste, hafte nicht nach diesem Edikt, und zwar wegen der Natur der Klage wegen unrechtmäßigen Zwangs, die einen Schaden voraussetzt.

Die im Edikt verheißene Klage wegen unrechtmäßigen Zwangs richtet sich gegen denjenigen, der infolge der inkriminierten Handlung etwas erlangt hat. Dementsprechend liegt es nicht fern, ihre Zuständigkeit auch in dem Fall zu erwägen, dass ein Gläubiger seinen Schuldner in unrechtmäßiger Weise dazu zwingt, die ihm obliegende Verpflichtung zu erfüllen. Julian wehrt sich gegen diese Lösung unter Rückgriff auf die Natur der metusKlage: Als Sanktion eines Vermögensdelikts setze sie einen Schaden des Opfers voraus und müsse versagen, wenn dieser durch den Zwang nur verloren hat, was er ohnehin hätte leisten müssen. (13) Iul 48 = D 4.2.14.14 Ulp 11 ed Iulianus ait quod interest quadruplari solum, et ideo eum, qui ex causa fideicommissi quadraginta debebat, si trecenta promiserit per vim et solverit, ducentorum sexaginta quadruplum consecuturum: in his enim cum effectu vim passus est.

Julian sagt, nur das Interesse müsse vervierfacht werden und daher könne derjenige, der aus Vermächtnis 40 geschuldet und unter Gewalt 300 versprochen und geleistet habe, nur das Vierfache von 260 verlangen. Denn nur hierin ist ihm Gewalt mit schädlicher Wirkung angetan worden.

Basis für die Berechnung des aus der metus-Klage geschuldete quadruplum ist, was der Schädiger zurückzuerstatten hat. Julian, der die metusKlage als Sanktion eines Vermögensdelikts begreift, versteht hierunter allein das Interesse des Geschädigten daran, dass der Zwang unterblieben wäre. Dementsprechend kann der Genötigte, wenn er versprochen hat, was er 302  Den Zusammenhang der beiden Entscheidungen stellt auch Hartkamp, Der Zwang im römischen Privatrecht, Amsterdam 1971, S. 228 f. heraus.

252 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

teilweise ohnehin schon schuldete, nur die Erstattung der Differenz verlangen, die dann auch für die Bestimmung des quadruplum maßgeblich ist. Auf die Natur der actio tributoria als sachverfolgende Klage beruft sich Julian in dem folgenden Fragment: (14) Iul 181 = D 14.4.8 (11 dig) … quia non de dolo est, sed rei persecutionem continet: quare etiam mortuo servo dominus, item heres eius perpetuo teneri debebit propter factum defuncti: quamvis non aliter quam dolo interveniente competat.

… weil sie [die Klage] nicht der Arglist wehrt, sondern der Sachverfolgung dient. Deshalb müssen auch beim Tod des Sklaven der Eigentümer sowie sein Erbe für das Verhalten des Sklaven unbefristet haften, obwohl die Klage nur zusteht, wenn Arglist vorgekommen ist.

Nach dem von den Kompilatoren hergestellten Zusammenhang mit dem letzten Abschnitt des vorangehenden Ulpianfragments303 geht es um die actio tributoria, soweit sie sich als Klage auf die noch vorhandene Bereicherung gegen den Erben des Eigentümers richtet, der bei der Abwicklung des Sonderguts seines Sklaven einen Gläubiger arglistig bevorzugt hat. Julian begründet die passive Vererblichkeit der Klage aus ihrer Natur: Zwar sei sie an die Arglist des Sklaveneigentümers geknüpft,304 wegen der Voraussetzung einer Bereicherung des Erben aber gleichwohl sachverfolgend und nicht pönal, so dass sie ohne Weiteres auch den Erben treffen könne. Die Natur der actio confessoria beschäftigt Julian in (15) Iul 827 = D 9.2.23.11 Ulp 18 ed: Si quis hominem vivum falso confiteatur occidisse et postea paratus sit ostendere hominem vivum esse, Iulianus scribit cessare Aquiliam, quamvis confessus sit se occidisse: hoc enim solum remittere actori confessoriam actionem, ne necesse habeat docere eum occidisse: ceterum occisum esse hominem a quocumque oportet.

Hat jemand zu Unrecht gestanden, einen Sklaven getötet zu haben, und ist er später in der Lage zu beweisen, dass der Sklave noch lebt, so falle, wie Ju­lian schreibt, die aquilische Klage weg, obwohl er die Tötung gestanden habe. Denn die Geständnisklage diene nur dazu, dem Kläger vom Nachweis der Tötung zu befreien. Es muss aber der Sklave von irgendeinem getötet worden sein.

303  D 14.4.7.5 Ulp 29 ed: Haec actio et perpetuo et in heredem datur de eo dumtaxat quod ad eum pervenit, … 304  Diese ergibt sich aus einem Fehlverhalten bei der Aufteilung des Sonderguts unter den Gläubigern und sich selbst; vgl. Iul 182 = D 14.4.12 (12 dig): … tributoria actione tunc demum agi potest, cum dominus in distribuendo pretio mercis edicto praetoris non satisfecit, id est cum maiorem partem debiti sui deduxit quam creditoribus tribuit …



I. Systemimmanente Rechtsfindung253

Julian folgert aus dem Zweck der im Rahmen einer aquilischen Klage erteilten actio confessoria, dass diese nicht zur Verurteilung des Beklagten führen darf, wenn sich dessen anfängliches Geständnis deshalb als falsch herausstellt, weil der angeblich getötete Sklave erwiesenermaßen noch lebt: Die actio confessoria, mit der die Prüfungsbefugnis des iudex auf den Schätzwert des getöteten Sklaven reduziert ist,305 diene nur dazu, dem Kläger den Beweis der Tötung abzunehmen. Steht dagegen aufgrund eines vom Beklagten erbrachten Nachweises fest, dass es gar nicht zur Tötung gekommen ist, darf der iudex nicht verurteilen. Um den Sinn einer im Edikt vorgeschriebenen Pflicht zur Sicherheitsleistung geht es Julian in den beiden folgenden Fragmenten: (16) Iul 35 = D 3.3.39.2 Ulp 9 ed Quaeritur apud Iulianum: utrum dominum solum ratam rem habere debet satisdare an etiam ceteros creditores? et ait dumtaxat de domino cavendum nec illis verbis ‚ad quem ea res pertinet‘ creditores contineri: nam nec ipsi domino haec incumbebat cautio.

Bei Julian wird die Frage aufgeworfen, ob er (der Prozessvertreter) nicht nur für die Genehmigung durch den Vertretenen, sondern auch für die Genehmigung durch übrige Gläubiger Sicherheit leisten müsse. Und er führt aus, es müsse nur für die Genehmigung durch den Vertretenen Sicherheit geleistet werden, und die Worte: „wen diese Sache angeht“, erstreckten sich nicht auf die übrigen Gläubiger; denn hierfür müsste auch der Geschäftsherr keine Sicherheit leisten.

Julian legt die Bestimmung des prätorischen Edikts aus, dass ein als Kläger auftretender Prozessvertreter Sicherheit für die Genehmigung der Prozessführung durch den hiervon Betroffenen zu leisten hat: ‚ei quo nomine aget id ratum habere eum ad quem ea res pertinet, boni viri arbitratu satisdet‘.306 Die Formulierung: ‚ad quem ea res pertinet‘, ist nicht eindeutig und könnte im Fall der Prozessführung für einen von mehreren Gläubigern durchaus auch auf die anderen erstreckt werden. Julian bezieht sie jedoch nur auf den Geschäftsherrn, also denjenigen, in dessen Namen der Prozessvertreter auftritt. Er beruft sich dabei auf den Sinn der Sicherheitsleistung, die den Beklagten nur davor schützen soll, dass der Geschäftsherr die Prozessführung durch den Vertreter nicht genehmigt. Dessen Verpflichtung zur Sicherheitsleistung kann folglich auch nur hierauf beschränkt sein und sich nicht auf weitere Umstände erstrecken, die auch den Geschäftsherrn, wenn er denn selbst Klage erhöbe, nicht zur Sicherheitsleistung zwängen. (17) Iul 37 = D 3.3.75 (3 dig): Qui absentem emptorem eundemque possessorem fundi defendebat et iudicium nomine eius accipiebat, postulabat a venditore fundi, ut ab eo defenderetur: 305  Vgl.

Kaser, Vollstreckbarkeit und Bürgenregreß, SZ 100 (1983) 80, 135. Ulp 9 ed.

306  D 3.3.33.3

254 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian venditor desiderabat caveri sibi ratam rem emptorem habiturum: puto eum venditori de rato satisdare debere, quia si fundum agenti restituerit, nihil prohibet dominum rem petere et cogi venditorem rursus defendere.

Derjenige, der einen abwesenden Käufer im Besitz eines Grundstücks verteidigte und sich für ihn auf einen Rechtsstreit einließ, forderte vom Verkäufer des Grundstücks, dass er ihn verteidige. Der Verkäufer verlangte, dass ihm Sicherheit dafür geleistet werde, dass der Käufer die Prozessführung genehmige. Ich glaube, dass er dem Verkäufer für die Genehmigung Sicherheit leisten müsse; denn auch wenn er das Grundstück dem Kläger zurückgibt, ist der Vertretene nicht daran gehindert, es als Eigentümer zu fordern und den Verkäufer zu zwingen, ihn erneut zu verteidigen.

Julian beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Prozessvertreter, der einen Grundstückskäufer gegen das Herausgabeverlangen eines Dritten verteidigt, dem Verkäufer, wenn er von diesem die Abwehr des Dritten verlangt, Sicherheit leisten muss. Die Pflicht zur satisdatio trifft denjenigen Prozessvertreter, der einen Aktivprozess führt, ohne so das Klagerecht des Anspruchsinhabers zu verbrauchen.307 Eben diese Gefahr besteht auch bei der Abwehr einer Eviktion, weil der im Prozess vertretene Käufer durch Erhebung eines eigenen Herausgabeanspruchs wieder in die Lage kommen könnte, in der er sein Recht auf Beistand durch den Verkäufer geltend machen kann. Eine abstrakte Beschreibung der Funktion der Besitzinterdikte gelingt Julian in (18) Iul 656 = D 43.16.17 (48 dig): Qui possessionem vi ereptam vi in ipso congressu reciperat, in pristinam causam reverti potius quam vi possidere intellegendus est: ideoque si te deiecero, ilico tu me, deinde ego te, unde vi interdictum tibi utile erit.

Wer sich im Streit den ihm gewaltsam entrissenen Besitz wieder mit Gewalt verschafft hat, ist eher in die frühere Lage zurückgekehrt, als dass er mit Gewalt besitzt. Daher wird dir das Interdikt „von wo mit Gewalt“ zustehen, wenn ich dich vertrieben habe, danach du mich und ich wieder dich.

Julian begründet die Zuständigkeit des Interdikts unde vi in einem Fall, der von seinem Wortlaut nicht mehr erfasst ist: Hat der Beklagte, der den Kläger mit Gewalt vertrieben hat, seinerseits vorher den Besitz durch die Gewalt des Klägers verloren, scheitert dieser eigentlich an dem Vorbehalt, dass er, um mit seinem Begehren durchzudringen, nicht selbst den entrissenen Besitz durch Gewalt, heimlich oder im Wege der Bittleihe erlangt hat.308 Mangels eines weiteren Vorbehalts müsste dies auch dann gelten, wenn die Gewalt des Klägers ihrerseits nur die Reaktion auf eine noch ältere gewaltsame Vertreibung durch den Beklagten war. Julian folgt jedoch 307  Gai

4.98.

308  Gai 4.154.



I. Systemimmanente Rechtsfindung255

dem Sinn des Vorbehalts zugunsten des Beklagten, der Selbsthilfe gegen eine Aggression des Klägers sanktionslos stellen will, und versagt dem Beklagten die Berufung hierauf, wenn die Gewaltanwendung des Klägers nur der Selbsthilfe gegen eine ursprünglich vom Beklagten ausgehende Gewalt diente. Durch die Vertreibung des Beklagten sei der Kläger nur in seine pristina causa, also die Lage vor der erstmaligen Gewaltanwendung, gelangt, so dass sie ihm auch jetzt nicht mehr entgegengehalten werden kann und das Interdikt eingreift. Mit der Rückkehr in den ursprünglichen Zustand schafft Julian in Verallgemeinerung des Vorbehalts für eine Gewaltanwendung des Klägers ein abstraktes Kriterium, mit dessen Hilfe sich entscheiden lässt, ob das Interdikt zuständig sein soll oder nicht: Es wendet sich gegen denjenigen, der den friedlichen Besitz erstmals gewaltsam gestört hat, und nicht gegen denjenigen, der durch seine Gewalt nur die pristina causa wiederhergestellt hat. Den Versuch einer abstrakten Beschreibung des einschlägigen Tatbestands unternimmt Julian auch für das interdictum fraudatorium: (19) Iul 678 = D 42.8.15 (49 dig) Si quis, cum haberet Titium creditorem et sciret se solvendo non esse, libertates dederit testamento, deinde dimisso Titio postea Sempronium creditorem habere coeperit et eodem testamento manente decesserit: libertates datae ratae esse debent, etsi hereditas solvendo non sit, quia, libertates ut rescindantur, utrumque in eorumdem persona exigimus et consilium et eventum et, si quidem creditor, cuius fraudandi consilium initum erat, non fraudatur, adversus eum qui fraudatur consilium initum non est. libertates itaque ratae sunt.

Hat jemand, als Titius sein Gläubiger und er insolvent war, in seinem Testament Freilassungen angeordnet und ist nach Titius’ Befriedigung Sempronius sein Gläubiger geworden und ist er, ohne das Testament zu ändern, gestorben, so sind die Freilassungen gültig, auch wenn die Erbschaft überschuldet ist; denn damit die Freilassungen angefochten werden können, bedarf es sowohl der Benachteilungsabsicht als auch einer Benachteiligung, bezogen auf dieselbe Person; und wenn der Gläubiger, dessen Benachteiligung bezweckt war, nicht benachteiligt worden ist, so lag gegenüber demjenigen, der benachteiligt worden ist, keine Absicht vor. Die Freilassungen sind daher wirksam.

Dass Freilassungen, die ein Schuldner in der Absicht getätigt hat, einen anderen als den schließlich geschädigten Gläubiger zu benachteiligen, nicht mit dem interdictum fraudatorium angegriffen werden können, ergibt sich für Julian aus der Aufgliederung seines Tatbestands. Er verlangt, dass der Schuldner fraudandi causa gehandelt haben muss.309 Für Julian bedeutet dies, dass er zum einen tatsächlich einen Gläubiger geschädigt (eventum) und zum anderen eine auf diesen konkreten Gläubiger gerichtete Benachteiligungsabsicht (consilium) gehabt haben muss. Bezog sich sein Vorsatz auf 309  D 42.8.10pr

Ulp 73 ed.

256 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

einen Gläubiger, der schließlich doch nicht benachteiligt worden ist, bedeutet dies, dass ein anderer Gläubiger, zu dessen Nachteil die Freilassungen objektiv ausgefallen sind, dennoch mangels individualisierter Benachteilungsabsicht kein Anfechtungsrecht hat.310 In dem folgenden Fragment präzisiert Julian die Voraussetzungen, die an eine Verpflichtung des Gewalthabers für Geschäfte eines magister navis oder institor zu stellen sind: (20) Afr 88 = D 14.1.7pr (8 quaest) Lucius Titius Stichum magistrum navis praeposuit: is pecuniam mutuatus cavit se in refectionem navis eam accepisse: quaesitum est, an non aliter Titius exercitoria teneretur, quam si creditor probaret pecuniam in refectionem navis esse consumptam. respondit creditorem utiliter acturum, si, cum pecunia crederetur, navis in ea causa fuisset, ut refici deberet: etenim ut non oportet creditorem ad hoc adstringi, ut ipse reficiendae navis curam suscipiat et negotium domini gerat (quod certe futurum sit, si necesse habeat probare pecuniam in refectionem erogatam esse), ita illud exigendum, ut sciat in hoc se credere, cui rei magister quis sit praepositus, quod certe aliter fieri non potest, quam si illud quoque scierit necessariam refectioni pecuniam esse: quare etsi in ea causa fuerit navis, ut refici deberet, multo tamen maior pecunia credita fuerit, quam ad eam rem esset necessaria, non debere in solidum adversus dominum navis actionem dari. (1) … et in summa aliquam diligentiam in ea creditorem debere praestare. (2) Eadem fere dicenda ait et si de institoria actione quaeratur: …

Lucius Titius hat Stichus zum Schiffskapitän bestellt; dieser hat ein Darlehen empfangen und versprochen, dass er es zur Ausbesserung des Schiffs aufgenommen hat. Es ist gefragt worden, ob Titius nur dann mit der Reederklage hafte, wenn der Gläubiger nachweise, dass der Betrag zur Ausbesserung des Schiffs verbraucht worden sei. Er hat befunden, der Gläubiger werde erfolgreich klagen, wenn das Schiff zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung in einem solchen Zustand gewesen sei, dass es hätte ausgebessert werden müssen. Auch wenn der Gläubiger nicht dazu gezwungen werden darf, dass er selbst Sorge für die Ausbesserung des Schiffs trägt und damit das Geschäft des Eigentümers führt (was der Fall wäre, wenn er nachweisen müsste, dass der Betrag für die Ausbesserung ausgegeben worden ist), sei doch zu verlangen, dass er wisse, dass das Darlehen zu einem Zweck gewährt werde, zu dem der Kapitän eingesetzt worden sei, was sicherlich nur dann der Fall ist, wenn er weiß, dass der Betrag für die Ausbesserung nötig sei. Daher sei ihm die Klage gegen den Eigentümer des Schiffs auch dann nicht in vollem Umfang zu gewähren, wenn das Schiff zwar in ausbesserungsbedürftigem Zustand gewesen, aber ein viel größerer Betrag als Darlehen gewährt worden sei, als hierfür

310  Anderer Ansicht ist Papinian; vgl. D 40.9.25 (5 resp). Eine Einschränkung von Julians Lösung für den Fall der Umschuldung findet sich bei Marcell, Papinian und in der späteren Kaiserrechtsprechung; vgl. D 42.8.10.1 Ulp 73 ed, D 42.8.16 und hierzu Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung im klassischen römischen Recht, Göttingen 2003, S. 121 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung257 nötig gewesen sei. (1) … Und grundsätzlich müsse der Gläubiger in diesen Angelegenheiten eine gewisse Sorgfalt walten lassen. (2) Und etwa dasselbe gelte, wie er sagt, für die Geschäftsleiterklage: …

Julian entscheidet über die Gewährung der actio exercitoria und instituroia bei einem Geschäft, das sich nicht schon ohne Weiteres den Angelegenheiten zuordnen lässt, für die ein magister navis oder institor bestellt worden sind. Es geht um ein Darlehen, das, für sich genommen, neutral und sowohl für die Verwaltung des Schiffs oder Ladenlokals als auch für andere Zwecke eingesetzt werden kann, die nicht von der dem magister oder institor erteilten Generalermächtigung umfasst sind. Julian verlangt hier anders als Ofilius und Pedius311 über die Zweckerklärung des Sklaven hinaus, dass der Darlehensgeber ihnen Glauben schenken und nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Darlehensbetrag zu dem genannten Zweck verwendet wird. Der Fall ist dies, wenn ein Schiff, zu dessen Ausbesserung sein Kapitän ein Darlehen aufnimmt, entgegen seiner Behauptung gar nicht oder nur in einem geringeren Umfang als angegeben ausbesserungsbedürftig ist. Nicht für erforderlich hält Julian dagegen, dass der Darlehensgeber den Einsatz des Geldes überwacht; denn damit mutete man ihm zu, das Geschäft des Eigentümers zu führen, der mit der Einsetzung des Sklaven zum magister navis oder institor aber gerade einen Vertrauenstatbestand geschaffen und dem Rechtsverkehr so den Nachweis der für die actio quod iussu erforderlichen Einzelermächtigung oder der bei der actio de in rem verso nötigen Bereicherung des Sklaveneigentümers erspart hat. bb) Fortbildung des Juristenrechts Auf die Weiterentwicklung des Juristenrechts, also die Abwandlung bestehender oder Bildung neuer Regeln oder Rechtsfiguren, entfallen in Julians Werk insgesamt 27 Entscheidungsbegründungen. Aus dieser Gruppe ragen die Entscheidungen zum concursus causarum, zur naturalis obligatio und ihrem sachenrechtlichen Pendant, der naturalis possessio, hervor. Schafft Julian hier jeweils neue Sätze oder Rechtsfiguren, gewinnt er sie doch nicht induktiv durch die Verallgemeinerung der ratio schon entschiedener Fälle. Zwar greift er zuweilen auf schon anerkannte Falllösungen zurück und integriert sie in sein Konzept. Seine Argumentation ist jedoch nahezu durchgängig deduktiv, indem er von der neu formulierten Regel auf die Entscheidung eines Falles schließt. Die induktive Bildung einer, freilich recht ungewissen, Regel können wir nur in der folgenden Entscheidung über die Rechtsstellung eines nasciturus nachverfolgen: 311  D 14.1.1.9

Ulp 28 ed.

258 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (1) Iul 781 = D 1.5.26 (69 dig) Qui in utero sunt, in toto paene iure civili intelleguntur in rerum natura esse. nam et legitimae hereditates his restituuntur: et si praegnas mulier ab hostibus capta sit, id quod natum erit postliminium habet, item patris vel matris condicionem sequitur: praeterea si ancilla praegnas subrepta fuerit, quamvis apud bonae fidei emptorem pepererit, id quod natum erit tamquam furtivum usu non capitur: his consequens est, ut libertus quoque, quamdiu patroni filius nasci possit, eo iure sit, quo sunt qui patronos habent.

Der Embryo wird beinahe im gesamten Zivilrecht als schon existierend angesehen. Denn ihm wird das gesetzliche Erbrecht zugestanden; und wenn eine schwangere Frau in Kriegsgefangenschaft gerät, hat ihr Kind das Rückkehrrecht und folgt in den Stand des Vaters oder der Mutter. Außerdem wird, wenn eine schwangere Sklavin gestohlen wird, ihr Kind auch dann, wenn es bei einem gutgläubigen Besitzer geboren wird, nicht ersessen, da es als gestohlen gilt. Dem entspricht es, dass auch ein Freigelassener, solange seinem Patron noch ein Sohn geboren werden kann, ebenso steht, als wenn er noch einen Patron hätte.

Julian gewinnt aus verschiedenen Einzelregelungen einen Grundsatz und schließt von diesem wiederum auf die Lösung eines konkreten Falles: Der Rücksicht auf den nasciturus bei der gesetzlichen Erbfolge, der Geltung des ius postliminii bei der Geburt durch eine in Kriegsgefangenschaft geratene Mutter und der Fortwirkung eines an ihr begangenen Diebstahls in Form einer Ersitzungssperre entnimmt Julian das Prinzip, dass der nasciturus in vielerlei Hinsicht als ein schon existierender Mensch312 gilt.313 Hieraus schließt er nun wiederum darauf, dass ihm auch eine Patronatsstellung erhalten bleibt, wenn sein Vater einen Sklaven freigelassen und dann gestorben ist. Das Problem des concursus causarum versieht Julian in zweifacher Hinsicht mit neuen Regeln: Zum einen legt er fest, dass beim Zusammentreffen zweier unentgeltlicher Erwerbsgründe eine der beiden Verpflichtungen untergeht, wenn der Gläubiger die Leistung aufgrund der anderen erlangt.314 Zum anderen trifft er mehrere Entscheidungen, die der Regel folgen, dass bei einem Zusammentreffen eines unentgeltlichen und eines entgeltlichen Erwerbsgrundes beide Verpflichtungen erhalten bleiben, mit der Folge, dass die Gegenleistung, die im Rahmen des entgeltlichen Erwerbsgeschäfts vereinbart worden ist, nicht gefordert oder, wenn sie schon erbracht worden ist, zurückverlangt werden kann. Beim Kaufvertrag bedeutet dies konkret, dass 312  Ferretti, In rerum natura esse in rebus humanis nondum esse, Mailand 2008, will diese Formel von dem Satz abgrenzen, der nasciturus sei schon menschlichen Charakters, also als geboren zu behandeln. 313  Ähnlich vage ist die Regel, die in Gai 1.147 für den postumus aufgestellt wird. 314  Iul 475 = D 30.82.6 + D 44.7.17 (33 dig); s. o. B.I.1.a)bb) (59).



I. Systemimmanente Rechtsfindung259

dem Anspruch des Verkäufers auf den Kaufpreis die exceptio doli entgegensteht, weil der Käufer den Kaufpreis wieder zurückerstatten müsste, und dass er nach Zahlung des Kaufpreises wie im Fall der Eviktion dessen Rückgewähr fordern kann.315 Leitet Julian diese Lösungen jeweils aus dem Gebot der bona fides oder aus dem Vergleich zum Entwehrungsfall ab, finden sich die Regeln, der seine Entscheidungen folgen, doch auch als solche zum Ausgangspunkt einer Entscheidung gemacht. Als Grundlage für zwei Lösungsalternativen erscheinen sie in (2) Afr 48 = D 30.108.4 (5 quaest): Stichum, quem de te stipulatus eram, Titius a te herede mihi legavit: si quidem non ex lucrativa causa stipulatio intercessit, utile legatum esse placebat, sin e duabus, tunc magis placet inutile esse legatum, quia nec absit quicquam nec bis eadem res praestari possit.

Stichus, den ich mir von dir habe versprechen lassen, hat mir Titius unter Beschwerung seines Erben vermacht. Ist das Versprechen nicht unentgeltlich abgegeben worden, ist er der Ansicht, dass Vermächtnis sei wirksam. Ist aber aus zwei unentgeltlichen Gründen geschuldet, ist er eher der Ansicht, das Vermächtnis sei unwirksam, da der Gläubiger nichts entbehre und dieselbe Sache nicht zweimal geleistet werden könne.

An anderer Stelle behandelt er einen Fall, in dem die Einteilung in causae lucrativae und causae non lucrativae auf ihre Grenzen stößt: (3) Iul 794 = D 44.7.19 (73 dig) Ex promissione dotis: non videtur lucrativa causa esse, sed quodammodo creditor aut emptor intellegitur, qui dotem petit. porro cum creditor vel emptor ex lucrativa causa rem habere coeperit, nihilo minus integras actiones retinent, sicut ex contrario qui non ex causa lucrativa rem habere coepit, eandem non prohibetur ex lucrativa causa petere.

Das Versprechen einer Mitgift gilt nicht als unentgeltlicher Erwerbsgrund; vielmehr ist derjenige, der eine Mitgift fordert, gewissermaßen als Gläubiger oder Käufer anzusehen. Besitzen ein Gläubiger oder ein Käufer aber eine Sache aus einem unentgeltlichen Erwerbsgrund, bleiben ihre Ansprüche nichtsdestoweniger erhalten, wie umgekehrt derjenige, der aus einem entgeltlichen Erwerbsgrund eine Sache besitzt, nicht gehindert ist, diese aus dem unentgeltlichen Grund zu fordern.

Julian befasst sich mit dem Fall, dass eine als Mitgift versprochene Sache dem Ehemann aus einem anderen Grund unentgeltlich zusteht. Zwar wird die Mitgift, formal gesehen, ebenfalls unentgeltlich zugesagt, weil der Ehemann keine direkte Gegenleistung erbringen muss. Als Beitrag zu den Lasten der Ehe und wichtigstem Bestandteil des Ehegüterregimes darf man sie gleichwohl nicht als causa lucrativa ansehen, sondern muss den auf sie gerichteten Anspruch des Ehemannes wie diejenigen behandeln, die einem 315  Iul 477

= D 30.84.5 (33 dig); s. o. B.I.1.a)bb) (21) und und B.I.1.b)aa)(1) (36).

260 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Käufer oder dem Gläubiger einer im Austausch abgeschlossenen Stipulation zustehen. Dementsprechend kann der Ehemann, wenn er den als Mitgift versprochenen Gegenstand auf andere Weise ex causa lucrativa erlangt, noch erfolgreich auf Leistung der dos klagen und umgekehrt den unentgeltlich erlangten Anspruch geltend machen, wenn er den Gegenstand in Erfüllung des Mitgiftversprechens bekommen hat. Zu demselben Ergebnis kommt Julian in einem anderen Fall: (4) Iul 475 = D 30.82.4 (33 dig) Quod si legatum mihi est quod ex Pamphila natum erit, ego Pamphilam mercatus sum et ea apud me peperit, non possum videri partum ex causa lucrativa habere, quia matrem eius mercatus sum: argumentum rei est, quod evicto eo actio ex empto competit.

Sind mir die Nachkommen der Pamphila vermacht und habe ich Pamphila gekauft und hat sie bei mir ein Kind geboren, ist nicht anzunehmen, dass ich dieses Kind aus einem unentgeltlichen Erwerbsgrund habe, weil ich die Mutter gekauft habe. Ein Beweis hierfür ist, dass mir bei seiner Entwehrung die Kaufklage zusteht.

Ist jemandem das Kind einer Sklavin vermacht ist, die er selbst zuvor gekauft hat, scheitert die Verpflichtung aus dem Vermächtnis nicht daran, dass er das Kind schon ex causa lucrativa hat. Vielmehr gehört es ihm aus einem entgeltlichen Grund, nämlich aufgrund des Kaufvertrags über die Mutter, aus dem ihm bei Entwehrung des Kindes auch ein Anspruch gegen den Verkäufer erwachsen wäre. An anderer Stelle zeigt Julian, dass die Regel vom Untergang einer Verpflichtung beim Zusammentreffen zweier unentgeltlicher Erwerbsgründe die Identität des Geschäftsgegenstands voraussetzt. Sie kann daher nicht zur Anwendung kommen, wenn zwar dieselbe Sache erlangt wird, der Erwerb aber unterschiedlich beständig ist: (5) Iul 475 = D 30.82pr (33 dig) Non quocumque modo si legatarii res facta fuerit die cedente, obligatio legati exstinguitur, sed ita, si eo modo fuerit eius, quo avelli non possit. ponamus rem, quae mihi pure legata sit, accipere me per traditionem die legati cedente ab eo herede, a quo eadem sub condicione alii legata fuerit: nempe agam ex testamento, quia is status est eius, ut existente condicione discessurum sit a me dominium. nam et si ex stipulatione mihi Stichus debeatur et is, cum sub condicione alii legatus esset, factus fuerit meus ex causa lucrativa, nihilo minus exsistente condicione ex stipulatu agere potero.

Nicht in jedem Fall, in dem eine vermachte Sache bei Anfall des Vermächtnisses dem Vermächtnisnehmer gehört, erlischt die Verpflichtung, sondern nur dann, wenn sie ihm so gehört, dass sie ihm nicht wieder entzogen werden kann. Stellen wir uns vor, ich hätte die Sache, die mir unbedingt vermacht ist, nach dem Verfallstag durch Übergabe erworben von dem Erben, dem dieselbe unter einer Bedingung durch Vermächtnis zugunsten eines anderen entzogen wird.



I. Systemimmanente Rechtsfindung261 Hier kann ich zweifellos aus dem Testament klagen, weil die Lage der Sache so ist, dass ich mit Eintritt der Bedingung das Eigentum hieran verlieren werde. Denn auch wenn mir aus einem Versprechen Stichus geschuldet wird, und dieser, da er unter einer Bedingung einem anderen vermacht ist, aus einem unentgeltlichen Erwerbsgrund mir gehört, kann ich nichtsdestoweniger mit Eintritt der Bedingung aus der Stipulation klagen.

Ist einem per damnationem begünstigten Vermächtnisnehmer oder dem Gläubiger einer Stipulation die geschuldete Sache oder der geschuldete Sklave übergeben worden,316 kann er sie immer noch dadurch verlieren, dass eine Bedingung eintritt, unter der sie von ihrem früheren Eigentümer per vindicationem einem anderen vermacht ist. Solange der Gläubiger noch nicht ihr ziviler Eigentümer geworden ist, hat er dem Herausgabeanspruch des Vermächtnisnehmers auch dann nichts entgegenzusetzen, wenn er sie dem bisherigen Eigentümer oder mit seiner Zustimmung erworben hat. Dementsprechend kann sein Anspruch auch nicht durch die Regel über den anderweitigen Erwerb ex causa lucrativa gesperrt sein. Denn diese kann nur dann Geltung beanspruchen, wenn der Gläubiger die Leistung in vollem Umfang erhalten hat, was nicht der Fall ist, wenn sie ihm wieder entzogen werden kann.317 Mit der Figur der naturalis obligatio, die erstmals bei Julians Lehrer Javolen erscheint,318 befasst sich Julian ebenfalls in zahlreichen Fragmenten. Wie Javolen bezeichnet er mit ihr die uneigentlichen Verbindlichkeiten, die zwischen Gewaltunterworfenem und Gewalthaber als Rechnungsposten in dessen Vermögen bestehen.319 Er verwendet sie aber darüber hinaus auch, um unvollkommene Rechtsbeziehungen zwischen rechtlich Selbständigen zu bezeichnen, die zwar kein Forderungsrecht begründen, aber doch den Rechtsgrund für den Verbleib einer Leistung bei ihrem Empfänger begründen und so ihre Rückforderung durch Kondiktion ausschließen. Hierunter fallen auch die Verpflichtungen, die ein Freigelassener als Sklave seines ehemaligen Eigentümers eingegangen ist: (6) Afr 82 = D 46.1.21.2 (7 quaest)320 Servo tuo pecuniam credidi: eum tu manumisisti: deinde eundem fideiussorem accepi. … quod si hic servus manumissus fideiussori suo heres existat, durare causam fideiussionis putavit et tamen nihilo minus naturalem obligationem 316  Der Text wird sinnlos, wenn man per traditionem mit Lenel, Palingenesia, Sp. 402 Fn. 2 durch mancipio ersetzt. 317  Dass die Klage erst nach dem Eintritt der Bedingung erhoben werden kann, glaubt Lambrini, Il problema del concursus causarum, Mailand 2000, S. 74 f. 318  D 35.1.40.3 Iav 2 post Lab. Zu ihrer Handhabung bei Julian unlängst Longo, D. 46.1.16.3–4: ancora una riflessione, in: Buti u. a. (Hg.), Fides humanitas ius, ­Neapel 2007, Bd. 5, S. 2933 ff. 319  Afr 121 = D 12.6.38pr, 1 (9 quaest); s. o. B.I.1.a)bb) (53–54). 320  Zum Rest des Fragments s. o. B.I.1.b)aa)(2) (7).

262 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian mansuram, ut, si obligatio civilis pereat, solutum repetere non possit. nec his contrarium esse, quod, cum reus fideiussori heres existat, fideiussoria obligatio tollatur, quia tunc duplex obligatio civilis cum eodem esse non potest. …

Ich habe deinem Sklaven ein Darlehen gegeben; du hast ihn freigelassen; danach habe ich ihn als Bürgen angenommen. … Wird aber dieser freigelassene Sklave zum Erben seines Bürgen, bestehe das Bürgschaftsverhältnis, wie er glaubt, fort, und es bleibe nichtsdestoweniger die natürliche Verpflichtung bestehen, so dass, wenn die zivilrechtliche Verpflichtung untergehe, die Leistung gleichwohl nicht zurückgefordert werden könne. Und dem stehe nicht entgegen, dass, wenn der Hauptschuldner zum Erben seines Bürgen werde, die Bürgenpflicht erlösche, weil dann eine doppelte zivilrechtliche Verpflichtung gegen denselben nicht bestehen kann. …

Hat ein Freigelassener einen Bürgen für eine Verpflichtung gestellt, die er noch als Sklave durch Aufnahme eines Darlehens begründet hat, geht die Bürgschaft nicht dadurch unter, dass der Freigelassene zum Erbe des Bürgen wird. Denn die Bürgschaft sichert die Verpflichtung seines ehemaligen Eigentümers, die noch innerhalb eines Jahres seit der Freilassung geltend gemacht werden kann. Geht diese civilis obligatio danach unter, erlischt auch die gleichartige Bürgenpflicht. Gleichwohl kann eine freiwillige Leistung des Freigelassenen nicht zurückgefordert werden, weil ihr immer noch die natürliche Verbindlichkeit des ehemaligen Sklaven zugrunde liegt, die durch seine Darlehensaufnahme begründet ist. Eine weitergehende Definition der naturalis obligatio, die vom Gewaltverhältnis gelöst ist, gibt Julian in

Iul 711 = D 46.1.16.4 (53 dig): Naturales obligationes non eo solo aestimantur, si actio aliqua eorum nomine competit, verum etiam cum soluta pecunia repeti non potest: nam licet minus proprie debere dicantur naturales debitores, per abusionem intellegi possunt debitores et, qui ab his pecuniam recipiunt, debitum sibi recepisse.

Und angewandt findet sich das Institut in dieser neuen Bedeutung in einer Entscheidung zum Edikt: quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur: (7) Iul 13 = D 2.2.3.7 Ulp 3 ed: Ex hac causa solutum repeti non posse Iulianus putat: superesse enim naturalem causam, quae inhibet repetitionem.

Julian glaubt, dass man, was aus diesem Grund geleistet worden sei, nicht zurückfordern könne, da ein natürlicher Rechtsgrund verbleibe, der die Rückforderung ausschließe.

Hat jemand unter Verstoß gegen das von ihm selbst eingeführte neue Recht einen Anspruch begründet, kann er diesen zwar nicht durchsetzen. Die Leistung auf eine solche Forderung kann jedoch auch nicht mehr zurückgefordert werden. Denn sie stellt nach Julians Auffassung eine Leistung auf eine Natu-



I. Systemimmanente Rechtsfindung263

ralobligation dar, die zwar undurchsetzbar ist, aber den Rechtsgrund für den Verbleib der Leistung bei ihrem Empfänger schafft. Dem Konzept der naturalis obligatio in ihrer ursprünglichen, von Javolen geprägten Bedeutung steht die Übertragung der Grundsätze der Noxalhaftung auf das Delikt eines Sklaven gegenüber seinem Eigentümer nahe: (8) Afr 110 = D 47.2.62pr, 1, 3 (8 quaest) Si servus communis uni ex dominis furtum fecerit, communi dividundo agi debere placet et arbitrio iudicis contineri, ut aut damnum praestet aut parte cedat. cui consequens videtur esse, ut etiam, si alienaverit suam partem, similiter et cum emptore agi possit, ut quodammodo noxalis actio caput sequatur. quod tamen non eo usque producendum ait, ut etiam, si liber sit factus, cum ipso agi posse dicamus, sicuti non ageretur etiam, si proprius fuisset. ex his igitur apparere et mortuo servo nihil esse, quod actor eo nomine consequi possit, nisi forte quid ex re furtiva ad socium pervenerit. (1) His etiam illud consequens esse ait, ut et si is servus, quem mihi [pignori] dederis, furtum mihi fecerit, agendo contraria [pigneraticia] consequar, uti similiter aut damnum decidas aut pro noxae deditione hominem relinquas. … (3) Nisi quod in his amplius sit, quod, si sciens quis ignoranti furem [pignori] dederit, omni modo damnum praestare cogendus est: id enim bonae fidei convenire: …

Hat ein gemeinschaftlicher Sklave zum Nachteil eines seiner Eigentümer einen Diebstahl begangen, müsse, wie er meint, die Teilungsklage erhoben werden, und es sei Aufgabe des Richters, dafür zu sorgen, dass der andere den Schaden ersetze oder seinen Teil abtrete. Dem entspricht es, dass auch dann, wenn er seinen Teil veräußert, in derselben Weise gegen den Käufer geklagt werden kann, so dass gewissermaßen die Noxalklage dem Sklaven folgt. Dies sei aber, wie er sagt, nicht soweit zu treiben, dass man annehme, nach seiner Freilassung könne gegen ihn selbst geklagt werden, und zwar ebenso wenig wie in dem Fall, dass es der eigene Sklave gewesen sei. Hieraus ergebe sich, dass auch beim Tod des Sklaven nichts übrigbleibe, was der Kläger aus diesem Grund erlangen könne, falls nicht etwas aus dem Diebstahl an den Miteigentümer gelangt sei. (1) Dem entspreche es, sagt er, dass ich, wenn mich ein Sklave bestohlen habe, den du mir zur Sicherheit übereignet hattest, in ähnlicher Weise mit der Treuhandklage durchsetzen könne, dass du den Schaden ersetzt oder mir den Sklaven auslieferst. … (3) Falls nicht noch hinzukomme, dass jemand wissentlich einem Unwissenden einen Dieb zur Sicherheit übereignet hat; dann ist er unbedingt zum Schadensersatz zu zwingen; denn dies entspreche dem Gebot der guten Treue. …

Julian transplantiert das Regime der Noxalhaftung in das Gefüge der Verpflichtungen, die zwischen zwei Miteigentümern eines Sklaven und zwischen einem Fiduziar und dem Schuldner im Fall der Sicherungsübereignung eines Sklaven bestehen: Obwohl der Diebstahl, den ein gemeinschaftlicher Sklave zum Nachteil eines Miteigentümers verübt, nicht die gewöhnlichen Diebstahlsfolgen zeitigt,321 gilt nach Julians Ansicht doch gewisser321  Iul 899

= D 9.4.41 (2 Urs Fer); s. o. B.I.1.a)aa) (39).

264 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

maßen der Grundsatz noxa caput sequitur, indem der geschädigte Eigentümer im Rahmen der actio communi dividundo von seinem socius bis zum Tod des Sklaven dessen Auslieferung durch Überlassung des anderen Miteigentumsanteils und, wenn der socius hierzu nicht bereit ist, den Ersatz des von dem Sklaven angerichteten Schadens verlangen kann. Diesem Muster will Julian auch bei der fiducia folgen,322 indem er den Fiduzianten wegen eines Diebstahls, den der Sklave bei dem Fiduziar verübt hat, aufgrund der actio fiduciae entweder zur dauerhaften Überlassung des Sklaven oder zum Schadensersatz323 für verpflichtet hält, sofern er nicht von der kriminellen Neigung des Sklaven wusste und deshalb wegen seines dolus unbedingt für den Schaden des Fiduziars einzustehen hat.324 Mit dieser indirekten Anwendung des Noxalregimes führt Julian eine schon bei Proculus nachweisbare Lehre fort, derzufolge bei einer Konkurrenz von Delikts- und Vertragshaftung die noxae deditio auch bei der Vertragshaftung möglich ist.325 Julian geht hierüber hinaus, indem er das Muster der Noxalhaftung auch dann zur Anwendung kommen lässt, wenn der Sklave den eigenen Herrn geschädigt und damit überhaupt keine Deliktshaftung ausgelöst hat. Dem Noxalregimes sieht er hier freilich eine Grenze dadurch gesetzt, dass der diebische Sklave rechtliche Selbständigkeit erlangt: Haben die Miteigentümer den gemeinschaftlichen Sklaven freigelassen, folgt ihm die Haftung nicht. Stattdessen überwiegt hier, dass die Tat eines Sklaven zum Nachteil seines eigenen Herrn doch kein furtum im eigentlichen Sinne bedeutet: Ebenso wenig wie der im Alleineigentum stehende Sklave deshalb nach seiner Freilassung von seinem ehemaligen Eigentümer in Anspruch genommen werden kann, ist ein gemeinschaftlicher Sklave mit der Noxalverpflichtung belastet, die nicht als solche, sondern nur als ein Rechnungsposten im Rahmen der gegen den Freigelassenen nicht zuständigen Teilungsklage besteht. Der naturalis obligatio als unvollkommener Verpflichtung entspricht im Sachenrecht die Kategorie der naturalis possessio. Mit ihr unterwirft Julian die tatsächliche Sachherrschaft, die nicht von dem Willen zum Eigenbesitz getragen ist, den Regeln über die possessio, insbesondere dem Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung. Ganz entsprechend zur naturalis obli322  Dass es hier ursprünglich nicht wie in der überlieferten Fassung des Textes um das Pfandrecht ging, folgt schon aus dem Vergleich mit dem Miteigentum und wird von Noordraven, Die Fiduzia im römischen Recht, Amsterdam 1999, S. 271 zu Recht angenommen. 323  Und nicht auch zur Strafe wegen Diebstahls, wie Noordraven (Fn. 322), S. 274 meint. 324  Diese Entscheidung ist auch in D 13.7.31 überliefert und wurde hier vermutlich früher auf die fiducia cum amico contracta übertragen; vgl. Noordraven (Fn. 322), S. 271. 325  D 9.2.27.11 Ulp 18 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung265

gatio umfasst die naturalis possessio sowohl den Gewahrsam eines Gewaltunterworfenen als auch die Sachherrschaft, die rechtlich Selbständige ohne Eigenbesitzwillen ausüben: (9) Iul 620 = D 41.5.2.1, 2 (44 dig) Quod volgo respondetur causam possessionis neminem sibi mutare posse, sic accipiendum est, ut possessio non solum civilis, sed etiam naturalis intellegatur. et propterea responsum est neque colonum neque eum, apud quem res deposita aut cui commodata est, lucri faciendi causa pro herede usucapere posse. (2) Filium quoque donatam rem a patre pro herede negavit usucapere Servius, scilicet qui existimabat naturalem possessionem penes eum fuisse vivo patre. cui consequens est, ut filius a patre heres institutus res hereditarias a patre sibi donatas pro parte coheredum usucapere non possit.

Was gemeinhin gesagt wird, dass sich niemand selbst den Grund seines Besitzes ändern könne, ist so zu verstehen, dass als Besitz nicht nur der zivilrechtliche, sondern auch der natürliche gilt. Und daher ist entschieden worden, dass weder ein Pächter noch ein Verwahrer noch ein Entleiher zu ihrem Vorteil als Erbe ersitzen können. (2) Servius hat auch verneint, dass ein Haussohn, dem eine Sache von dem Vater geschenkt worden sei, diese als Erbe ersitzen könne, und zwar indem er glaubte, dass beim Sohn zu Lebzeiten des Vaters nur der natürliche Besitz vorhanden gewesen sei. Dem entspricht es, dass der Sohn, wenn er vom Vater als Erbe eingesetzt worden ist, Erbschaftssachen, die ihm vom Vater geschenkt worden sind, nicht zum Anteil der Miterben ersitzen kann.

Die überkommene Regel, dass sich niemand den Grund seines Besitzes ändern und so den Ersitzungsbesitz erlangen kann, gilt in ihrer hergebrachten Bedeutung nur für die possessio civilis, also den Eigenbesitz. Gleichwohl ist anerkannt, dass sich auch Pächter, Verwahrer oder Entleiher nicht zum Ersitzer pro herede aufschwingen können. Und Servius hat bereits entschieden, dass ein Haussohn eine Sache, die ihm vom Vater schenkungshalber überlassen worden ist, nicht nach dessen Tod ersitzen könne. Julian will diese Entscheidungen mit dem Verbot der Besitzumwandlung vereinen, indem er unter Besitz nicht nur die possessio civils, sondern auch den natürlichen Besitz versteht. In die Kategorie der possessio naturalis fallen sowohl die Detention eines Pächters, Verwahrers oder Entleihers als auch die rein faktische Gewalt, die ein Haussohn über eine Sache ausübt, die ihm von seinem Vater überlassen worden ist. Ihnen allen ist es nach der Neubestimmung des Begriffs der possessio aufgrund der Regel verwehrt, eine Sache unter Berufung auf ein vermeintliches Erbrecht zu besitzen.326 Dies gilt sowohl, wenn ein gar nicht bestehendes Erbrecht in Anspruch genommen wird, als auch dann, wenn ein Miterbe eine Alleinerbenstellung be326  Damit folgt Julian entgegen Böhr, Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung im römischen Privatrecht, München / Leipzig 2002, S. 169 gerade nicht den Vorgaben aus der Spruchfassung der Rechtsregel.

266 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

hauptet, so dass er auch nicht die Anteile ersitzen kann, die seine Miterben an den Sachen haben. Eine weitere Ausdehnung erfährt der Besitzbegriff bei Julian durch die gleichsam komplementäre Figur der iuris possessio, mit der derjenige dem Besitzregime unterworfen wird, der eine Sache zwar nicht tatsächlich, aber ein ohne Weiteres durchsetzbares Recht hierauf hat: (10–11)  Iul 78 = D 5.3.16.4,7 Ulp 15 ed Iulianus scribit, si is, qui pro herede possidebat, vi fuerit deiectus, peti ab eo hereditatem posse quasi a iuris possessore, quia habet interdictum unde vi, quo victus cedere debet: … (7) Idem Iulianus scribit, si quis ex causa fideicommissi restituerit hereditatem vel singulas res praestiterit, peti ab eo hereditatem posse, quia habet condictionem earum, quae sunt ex ea causa solutae, et veluti iuris possessor est.

Julian schreibt, man könne gegen denjenigen, der etwas als Erbe besessen habe, dann aber mit Gewalt ausgetrieben worden sei, die Erbschaftsklage erheben, da er Rechtsbesitzer sei, weil ihm das Interdikt „von wo mit Gewalt“ zusteht, aufgrund dessen der Unterlegene aus dem Besitz weichen muss. … (7) Julian schreibt auch, dass man von demjenigen die Erbschaft fordern könne, der sie insgesamt oder einzelne Sachen aufgrund eines Fideikommisses ausgefolgert habe, weil ihm ja die Kondiktion für die Sachen zusteht, die aus diesem Grund geleistet worden sind, und er gewissermaßen Rechtsbesitzer ist.

Hat ein Erbschaftsbesitzer eine zum Nachlass gehörende Sache tatsächlich an jemanden verloren, der ihn mit Gewalt von dem Grundstück vertrieben hat, soll er nach Ansicht von Ulpian weiterhin zur Erbschaftsklage passivlegitimiert sein, weil er sich ja gegen denjenigen, der ihn vertrieben hat, mit dem Interdikt unde vi erfolgreich zur Wehr setzen kann. Diese Erwägung, die nicht als Zitat kenntlich gemacht ist, hat schon Julian angestellt, der den vertriebenen Ersitzungsbesitzer als iuris possessor, also als Inhaber eines zur Erbschaft gehörenden Rechts ansieht. Dies zeigt § 7 des Fragments, wo Ulpian sie erneut und unter Berufung auf Julian anwendet, um die Zuständigkeit der hereditatis petitio gegen denjenigen zu begründen, der die Erbschaft oder einzelne Erbschaftssachen an Fideikommissare he­ rausgegeben hat und jetzt, da er auf eine eigene Nichtschuld geleistet hat, über einen Kondiktionsanspruch verfügt. Auch bei Paulus erscheint die Figur des iuris possessor in Verbindung mit einem Julianzitat, demzufolge die Erbschaftsklage auch gegen den Inhaber eines Sklaven zuständig ist, der eine Erbschaftssache erworben, dann aber verkauft und den Preis für sein Sondergut eingenommen hat: (12) Iul 79 = D 5.3.34.1 Paul 20 ed Si servus vel filius familias res hereditarias teneat, a patre dominove peti hereditas potest, si facultatem restituendarum rerum habet. certe si pretium rerum hereditariarum venditarum in peculio servi habeat, et Iulianus existimat posse a domino quasi a iuris possessore hereditatem peti.



I. Systemimmanente Rechtsfindung267



Besitzt ein Sklave oder ein Haussohn Erbschaftssachen, kann gegen seinen Vater oder Eigentümer die Erbschaftsklage erhoben werden, wenn er die Möglichkeit hat, die Sachen herauszugeben. Freilich glaubt Julian, dass auch, wenn sich der Preis für die veräußerten Erbschaftssachen noch im Sondergut des Sklaven befinde, die Erbschaftsklage gegen den Eigentümer erhoben werden könne, da er Rechtsbesitzer sei.

Überrascht diese Entscheidung zunächst, weil der vereinnahmte Kaufpreis kein Recht, sondern eine Sachenmehrheit ist, zeigt der von den Kompilatoren angehängte Gaiustext, dass es auf seinen Empfang gar nicht ankommt:

Iul 80 = D 5.3.35 Gai 6 ed prov Idem Iulianus ait etiam si nondum pretia rerum consecutus sit servus, posse a domino quasi a iuris possessore hereditatem peti, quia habet actionem, qua eam pecuniam consequatur, quae quidem actio etiam ignoranti adquireretur.



Julian sagt auch, dass sogar, wenn der Sklave den Preis der Sachen noch nicht eingenommen habe, die Erbschaftsklage gegen den Eigentümer erhoben werden könne, da er Rechtsbesitzer sei, weil er eine Klage hat, mit der er den Betrag einfordern könne und die ihm auch ohne sein Wissen erworben werde.

Wiederum unter Bezug auf Julian sieht Gaius den Eigentümer des Sklaven auch schon vor der Zahlung des Kaufpreises zur Erbschaftsklage passivlegitimiert, weil er ja einen Anspruch auf den Kaufpreis habe, der ihm durch das Geschäft seines Sklaven auch ohne sein Wissen erworben werde. Ist der Eigentümer des Sklaven deshalb Rechtsbesitzer, kann er diese Stellung nicht durch die Vereinnahmung des Preises verlieren, so dass im Ergebnis eine doppelte Surrogation stattfindet: Die Erbschaftssache wird durch den mit ihrer Hilfe erworbenen Kaufpreisanspruch, dieser durch den Kaufpreis ersetzt.327 Eine weitere besondere Art der possessio ist der uneigentliche Besitz, den Julian dem Besitzer eines dienstbarkeitswidrig genutzten Grundstücks zuerkennt: (13) Iul 103 = D 8.2.32.1 (7 dig) Libertas servitutis usucapitur, si aedes possideantur: quare si is, qui altius aedificatum habebat, ante statutum tempus aedes possidere desiit, interpellata usucapio est. is autem, qui postea easdem aedes possidere coeperit, integro statuto tempore libertatem usucapiet. natura enim servitutium ea est, ut possideri non possint, sed intellegatur possessionem earum habere, qui aedes possidet.

327  Die zugrunde liegende Figur des iuris possessor wird von Ulpain später auch dazu eingesetzt, die Passivlegitimation eines Erbschaftsschuldners zu begründen, der behauptet, als Erbe von seiner Verpflichtung freigeworden zu sein (vgl. D 5.3.13.15. Ulp 15 ed) und neben den Sachbesitz zum allgemeinen Kriterium für die Zuständigkeit der hereditatis petitio erhoben (vgl. D 5.3.9 Ulp 15 ed).

268 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Die Freiheit von einer Dienstbarkeit wird ersessen, wenn ein Gebäude besessen wird. Daher wird die Ersitzung unterbrochen, wenn derjenige, der ein Gebäude zu hoch gebaut hat, vor Ablauf der erforderlichen Frist aufgehört hat, es zu besitzen. Derjenige aber, der später anfängt, das Gebäude zu besitzen, ersitzt die Freiheit von der Dienstbarkeit erst mit Ablauf der gesamten Ersitzungszeit. Dienstbarkeiten können nach ihrer Natur nicht besessen werden, sondern es wird angenommen, diejenigen hätten den Besitz, die das Gebäude besitzen.

Wechselt der Besitzer eines dienenden Grundstücks, das entgegen der auf ihm lastenden Dienstbarkeit bebaut ist, stellt sich die Frage, ob bei der Entscheidung über die Ersitzung der Freiheit von der Dienstbarkeit die Zeiten zusammengerechnet werden, in denen die beiden Besitzer das Grundstück innegehabt haben. Julian wendet sich dagegen und beruft sich auf die natura servitutium. Sie sei derart beschaffen, dass die Dienstbarkeiten nicht regelrecht besessen werden, sondern nur der Besitzer des Gebäudes so angesehen werde (intellegitur), als ob er sie besitze. Diese Argumentation fußt auf der spätestens im klassischen Recht aufgekommenen Einordnung der Dienstbarkeiten als res incorporales,328 die auch ihrer Übertragung durch traditio entgegensteht329 und ausschließt, dass sie Gegenstand regelrechten Besitzes sind. Ähnlich wie Javolen330 will Julian aber immerhin eine possessio im uneigentlichen Sinn anerkennen, die sich nach seiner Auffassung jedoch nicht mit der Annahme einer Rechtsnachfolge bei der Ersitzung verträgt.331 Dieser Schluss ist auf den ersten Blick keineswegs zwingend und wird auch nicht von Paulus gezogen, der die Besitzzeiten für den Erwerb der Freiheit von einer Dienstbarkeit beim Besitzerwechsel ohne Weiteres zusammenrechnen will.332 Gerade Julians Vorstellung eines uneigentlichen Besitzes, die ja auf die Gleichstellung mit dem Besitz von res corporalis zielt, scheint diese Lösung nahezulegen. Will Julian mit seinem Hinweis auf die natura servitutium dagegen nicht die Ähnlichkeit, sondern den Unterschied zum Besitz beweglicher Sachen betonen, kann er für sich doch immerhin das Regime der lex Scribonia in Anspruch nehmen. Schließt sie die positive Ersitzung von Dienstbarkeiten aus,333 kann für den Konträrtatbestand des Untergangs einer Dienstbarkeit durch non usus ebenfalls nicht das Ersitzungsregime Anwendung finden, der uneigentliche Besitz an 328  Gai

2.14. 2.28. 330  D 8.1.20 Iav 5 post Lab. 331  Möller, Die Servituten, Göttingen 2010, S. 327 ff. erkennt hierin eine Rückwendung der hochklassischen Jurisprudenz zur vorklassischen Lehre von der körperlichen Natur der Dienstbarkeiten. 332  D 8.6.18.1 Paul 15 Sab. 333  D 41.3.4.28 Paul 45 ed. 329  Gai



I. Systemimmanente Rechtsfindung269

einer Dienstbarkeit also auch nicht wie der Ersitzungsbesitz einer körper­ lichen Sache behandelt werden. Der in den Figuren der naturalis obligatio und naturalis possessio zum Ausdruck kommenden Abstufung ist eine Unterscheidung zwischen factum und ius ähnlich, derer sich Julian bei der Entscheidung über die Verwaltungsbefugnis eines von mehreren Pflegern bedient: (14) Iul 336 = D 27.10.7.3 (21 dig) Quaesitum est, an alteri ex curatoribus furiosi recte solvetur vel an unus rem furiosi alienare possit. respondi recte solvi. eum quoque, qui ab altero ex curatoribus fundum furiosi legitime mercaretur, usucapturum, quia solutio venditio traditio facti magis quam iuris sunt ideoque sufficit unius ex curatoribus persona, quia intellegitur alter consentire: denique si praesens sit et vetet solvi, vetet venire vel tradi, neque debitor liberabitur neque emptor usucapiet.

Es ist gefragt worden, ob an einen von zwei Pflegern eines Geisteskranken wirksam geleistet werde und ob einer allein eine Sache des Geisteskranken veräußern könne. Ich habe befunden, man könne wirksam an ihn zahlen; und derjenige, der von einem der Pfleger ein Grundstück des Geisteskranken rechtmäßig kaufe, ersitze es. Denn Erfüllung, Verkauf und Übergabe sind mehr tatsächliche als Rechtsakte, und daher genügt einer der Pfleger, weil es so angesehen wird, als ob der andere zustimme. Ist er aber anwesend und verbietet die Leistung oder den Verkauf oder die Übergabe, wird weder der Schuldner befreit werden noch der Käufer ersitzen.

Julian begründet die Wirksamkeit von Rechtshandlungen, die gegenüber einem von zwei Pflegern eines Geisteskranken oder durch ihn vorgenommen werden: Dass sowohl dessen Schuldner gültig an den einzelnen Pfleger leisten als auch ein Käufer von ihm den Ersitzungsbesitz einer Sache des Geisteskranken erwerben kann, folgt für Julian daraus, dass diese Akte eher tatsächlicher als rechtlicher Natur seien. Die Zustimmung des anderen Pflegers werde daher unterstellt, sofern dieser nicht ausdrücklich widerspricht. Damit ist das Prinzip, dass alle Pfleger einem Geschäft zustimmen müssen,334 gewahrt. Mit der Unterscheidung zwischen eher rechtlichen, also Grundlagengeschäften, und solchen, die eher faktisch, also alltäglich, sind und daher kraft unterstellten Einverständnisses des anderen Pflegers vorgenommen werden können, gewinnen die Kuratoren jedoch die nötige Flexibilität in der Verwaltung des Vermögens des Geisteskranken. Nicht begrifflich, aber der Sache nach finden naturalis obligatio und naturalis possessio eine weitere Parallele in dem natürlichen Konsens, den Julian zur Voraussetzung der Ehe macht und auch von einer Haustochter verlangt: 334  Vgl.

für den Vormund UE 11.26.

270 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (15) Iul 262 = D 23.1.11 (16 dig) Sponsalia sicut nuptiae consensu contrahentium fiunt: et ideo sicut nuptiis, ita sponsalibus filiam familias consentire oportet: …

Das Verlöbnis wird wie die Ehe durch Konsens begründet; und daher muss ebenso wie bei der Ehe auch eine Haustochter zustimmen. …

Julian schließt aus dem Begründungsmodus von Verlöbnis und Ehe, dass auch eine Haustochter, die von ihrem Gewalthaber verlobt oder verheiratet wird, der Verbindung zustimmen muss.335 Sie ist zwar nicht vermögensund anders als ein Haussohn auch nicht verpflichtungsfähig336. Dass sie zumindest bei natürlicher Betrachtung Partei des vorgenommenen Rechtsakts ist, rechtfertigt für Julian aber, neben dem rechtsgeschäftlichen Einverständnis ihres Gewalthabers als weiteres Erfordernis des Eheschlusses auch ihre Zustimmung zu verlangen.337 Wie Paulus berichtet, will Julian diese Zustimmung freilich unterstellen, sofern die Haustochter der Ehe nicht ausdrücklich widerspricht.338 Rücksicht auf die eigentlich unbeteiligte Ehefrau nimmt Julian auch, wenn es um die Rückforderung einer von ihren Verwandten bestellten Mitgift geht. Hier entwickelt er zu ihrem Schutz die Vorstellung einer im römischen Recht ansonsten unbekannten Art der Gläubigermehrheit: (16) Iul 717 = D 46.3.34.6 (54 dig) Si gener socero, ignorante filia, dotem solvisset, non est liberatus, sed condicere socero potest, nisi ratum filia habuisset. et propemodum similis est gener ei, qui absentis procuratori solveret, quia in causam dotis particeps et quasi socia obligationis patri filia esset.

Hat ein Schwiegersohn seinem Schwiegervater ohne Wissen der Tochter die Mitgift zurückgewährt, wird er nicht befreit, sondern kann von dem Schwiegervater kondizieren, falls die Tochter die Leistung nicht genehmigt. Und der Schwiegersohn steht nahezu demjenigen gleich, der an den Verwalter eines Abwesenden gezahlt hat, weil die Tochter an der Mitgift beteiligt und gleichsam Mitinhaberin der Forderung des Vaters ist.

Julian spricht der Rückzahlung der Mitgift an den Schwiegervater die Wirkung ab, wenn sie ohne Wissen und Genehmigung der Frau erfolgt. Den 335  Ebenso

sieht dies später Paulus; vgl. D 23.2.2 (15 ed). 3.104. 337  Astolfi, Il matrimonio nel diritto romano classico, Mailand 2006, S. 114 hält dies für eine feste Regel des klassischen Rechts. Ulpian will dem Widerspruch der Haustochter gegen den von ihrem Vater gefassten Entschluss aber später nur dann Wirkung zumessen, wenn der ausgesuchte Bräutigam ihrer unwürdig ist; vgl. D 23.1.12.1 (sing spons). 338  D 23.1.7.1 Paul 35 ed: In sponsalibus etiam consensus eorum exigendus est, quorum in nuptiis desideratur. intellegi tamen semper filiae patrem consentire, nisi evidenter dissentiat, Iulianus scribit. 336  Gai



I. Systemimmanente Rechtsfindung271

Schwiegervater, der die Mitgift ohne Rechtsgrund erlangt hat und sie deshalb nach Bereicherungsrecht wieder herausgeben muss, vergleicht Julian dabei mit einem Verwalter ohne Vertretungsmacht. Seine mangelnde Alleinzuständigkeit führt er darauf zurück, dass die Tochter an der Mitgift beteiligt und deshalb gleichsam socia obligationis sei: Zwar ist der Schwiegervater Inhaber des Anspruchs auf Rückgewähr einer dos profectitia, die Frau muss der Leistung an ihn jedoch zustimmen, so dass es sich so verhält, als sei sie Mitinhaberin des Anspruchs. Julian entwickelt hier vielleicht in Anlehnung an das Institut des Miteigentums den Gedanken einer neuen Form der Gläubigermehrheit, die sich erheblich von der herkömmlichen Gesamtgläubigerschaft unterscheidet: Kann der Schuldner bei ihr an jeden der Gläubiger mit befreiender Wirkung leisten, soll die Erfüllung gegenüber socii obligationis nur durch Leistung an alle gemeinsam möglich sein. Julian braucht dieses Konzept, das sich im Gegensatz zur Gesamtgläubigerschaft vor allem für ein System der Naturalvollstreckung eignet,339 nicht durchzuführen, weil die Frau ja nicht wirklich Gläubigerin des Rückgewähranspruchs ist. Er verwendet es jedoch, um so das auf den ersten Blick kaum nachzuvollziehende Phänomen zu erklären, dass eine Leistung an den Gläubiger der Verpflichtung wirkungslos bleibt und einen Kondiktionsanspruch auslöst. Um den consensus geht es auch in der folgenden Entscheidung, in der Julian die schon im Vertragsrecht erprobte Figur des Minimalkonsenses340 auf einen Schiedsspruch überträgt: (17) Iul 65 = D 4.8.27.3 Ulp 13 ed … inde quaeritur apud Iulianum, si ex tribus arbitris unus quindecim, alius decem, tertius quinque condemnent, qua sententia stetur: et Iulianus scribit quinque debere praestari, quia in hanc summam omnes consenserunt.

Daher wird bei Julian die Frage aufgeworfen, welcher Schiedsspruch gelte, wenn von drei Schiedsrichtern der eine zu 15, der andere zu zehn und der dritte zu fünf verurteile. Julian schreibt, es seien fünf zu leisten, weil in dieser Summe alle übereingekommen seien.

Sind mehrere Schiedsrichter eingesetzt, bedarf es für den Schiedsspruch ihres Konsenses, also einer einstimmigen Entscheidung.341 Hieran fehlt es eigentlich auch dann, wenn die Ansichten der Schiedsrichter in der Weise auseinandergehen, dass sie eine Partei zur Leistung aus der Gattung in un339  Zur Verbindung der Gesamtgläubigerschaft mit dem Regime der condemnatio pecuniaria Harke, Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht, in: ders. (Hg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, Berlin / Heidelberg 2010, S. 1 ff. 340  Iul 222 = D 41.1.36 (13 dig); s. o. B.I.1.a)bb) (29). 341  Anders entscheidet Celsus, der die Mehrheit der Schiedsrichter genügen lässt; vgl. D 4.8.17.7 Ulp 13 ed.

272 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

terschiedlicher Höhe verpflichtet sehen. Julian tritt jedoch dafür ein, einen gültigen Schiedsspruch in dem geringsten Umfang anzunehmen.342 Hierin erkennt er den Gegenstand eines Minimalkonsenses, den er zum Inhalt des Schiedsspruchs macht. In den weiteren Entscheidungen führt Julian keine neuen Regeln oder Figuren ein, sondern beschränkt sich darauf, schon anerkannte Sätze abzuwandeln, insbesondere indem er sie mit Rücksicht auf ihren Zweck einschränkt. So erleichtert er etwa die Begründung einer Gesamtschuld in (18) Iul 700 = D 45.2.6.3 (52 dig): Duo rei sine dubio ita constitui possunt, ut et temporis ratio habeatur, intra quod uterque respondeat: modicum tamen intervallum temporis, item modicus actus, qui modo contrarius obligationi non sit, nihil impedit, quo minus duo rei sunt. fideiussor quoque interrogatus inter duorum reorum responsa si responderit, potest videri non impedire obligationem reorum, quia nec longum spatium interponitur nec is actus, qui contrarius sit obligationi.

Zwei können zweifellos nur so zu Gesamtschuldnern gemacht werden, dass man auch die Zeit berücksichtigt, innerhalb derer sie antworten. Ein mäßiger zeitlicher Abstand und auch ein kleineres Geschäft, das der Verpflichtung nicht entgegensteht, hindern freilich nicht die Wirksamkeit der Gesamtschuld. Auch die zwischen den Antworten der Hauptschuldner an einen Bürgen gerichtete Frage und die darauf folgende Antwort können nicht als hinderlich für die Verpflichtung der Hauptschuldner angesehen werden, weil kein großer Zeitraum dazwischengeschoben wird und auch kein Rechtsakt, der der Verpflichtung widerspräche.

Julian modifiziert die Regel, dass eine Verpflichtung zweier Gesamtschuldner durch Stipulation nur durch einheitlichen Akt erfolgen kann und deshalb die sofortige Antwort beider Schuldner auf die Frage des Stipula­ tionsgläubigers erfordert343. Antworten sie nicht zur selben Zeit, schadet dies nach Julians Ansicht nicht, wenn der Zeitraum zwischen den Antworten nur modicus ist.344 Und auch wenn zwischen den Antworten ein anderes Geschäft vorgenommen worden ist, steht dies der Wirksamkeit der Gesamtschuld nicht entgegen, wenn dieses nur ebenfalls modicus ist und der Gesamtschuld nicht zuwiderläuft. Daher ist es der Verpflichtung der duo rei nicht abträglich, wenn der Gläubiger zwischen ihren Antworten einen Bürgen befragt und von diesem eine Antwort erhält. Denn ebenso wenig wie 342  Dagegen müsste er einen Schiedsspruch zu dem mittleren Betrag annehmen, wenn er, wie Ziegler, Das private Schiedsgericht im antiken römischen Recht, München 1971, S. 135 meint, vom Majoritätsprinzip ausginge. 343  IJ 3.16pr Zum Erfordernis der Begründung einer Gesamtschuld durch unitas actus Schmieder, Duo rei, Berlin 2007, S. 54 ff. 344  Zu diesem Kriterium Klingenberg, Das modicum-Kriterium, SZ 126 (2009) 187, 274 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung273

der kurze Zeitraum zwischen den Antworten der Hauptschuldner lässt die Frage an den Bürgen an dem Begründungszusammenhang zweifeln, der die Verpflichtung als Gesamtschuldner trägt. Auch die von der Jurisprudenz entwickelte Formel zur Aktivlegitimation bei der actio furti schränkt Julian ein: (19) Iul 339 = D 47.2.14.10 Ulp 29 Sab An pater, cuius filio commodata res est, furti actionem habeat, quaeritur. et Iulianus ait patrem hoc nomine agere non posse, quia custodiam praestare non debeat: sicut, inquit, is qui pro eo, cui commodata res est, fideiussit, non habet furti actionem. neque enim, inquit, is, cuiuscumque intererit rem non perire, habet furti actionem, sed qui ob eam rem tenetur, quod ea res culpa eius perierit: quam sententiam Celsus quoque libro duodecimo digestorum probat.

Es ist fraglich, ob ein Vater, dessen Haussohn eine Sache geliehen worden ist, die Diebstahlsklage habe. Und Julian sagt, der Vater könne, weil er keine Bewachung der Sache leisten müsse, deshalb ebenso wenig klagen, wie derjenige die Diebstahlsklage habe, der sich für einen Entleiher verbürgt habe. Denn es habe, wie er sagt, nicht etwa derjenige die Diebstahlsklage, der irgendein Interesse daran habe, dass sie nicht verlorengehe, sondern derjenige, der deshalb hafte, weil die Sache durch eine eigene Pflichtverletzung verloren gegangen sei. Diese Ansicht teilt auch Celsus im zwölften Buch seiner Digesten.

Aus Anlass der Frage, ob die Diebstahlsklage dem Vater eines Haussohnes zusteht, dem eine geliehene Sache entwendet worden ist, unterscheidet Julian zwischen direkt und mittelbar Betroffenen der Tat: Den Vater hält er ebenso wenig für aktivlegitimiert wie den Bürgen eines Entleihers. Die Begründung lautet, dass sie dem Verleiher nicht zur custodia verpflichtet seien. Hierin erkennt Julian eine Voraussetzung der Diebstahlsklage, weil diese nur demjenigen zustehe, der für den Verlust der Sache aufgrund seiner culpa einzustehen habe. Damit meint Julian nicht die culpa im technischen Sinne, sondern dass den Kläger gegenüber einem Dritten unmittelbar eine Ersatzpflicht aus eigener Pflichtverletzung treffen muss, wie sie auch bei der Haftung für custodia begründet ist345. Dagegen genügt die Haftung für fremde Pflichtverletzung, die den Gewalthaber eines Entleihers oder einen von diesen gestellten Bürgen trifft, nicht. Indem er diese nur mittelbar betroffenen von der actio furti ausschließt, verleiht Julian der von der Jurisprudenz aufgestellten Klagevoraussetzung, dem interesse rem salvam esse,346 einen eingeschränkten Sinn, um die Aktivlegitimation zur Diebstahlsklage nicht zu vervielfältigen. Dass sie nur einem und nicht mehreren Klägern zustehen soll, entspricht auch dem Sinn der Interesseformel, die ja im Verhältnis von Eigentümer und custodia-Pflichtigem dazu führt, dass nur dieser 345  Gai  346  Gai

3.205 f. 2.203.

274 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

und nicht auch der vom Diebstahl mittelbar betroffene Eigentümer aktiv­ legitimiert ist347. Die Modifikation der Lehre vom dies cedens ist das Ziel der beiden folgenden Entscheidungen: (20) Iul 509 = D 36.2.16.1 (35 dig) Cum servo legato, antequam hereditas eius qui legaverat adiretur, usus fructus ab alio legatus fuerit et prior hereditas eius, qui usum fructum legaverit, adita fuerit: nulla ratio est, cur diem legati cedere existimemus, antequam ea quoque hereditas, ex qua servus legatus erat, adeatur, cum neque in praesentia ullum emolumentum hereditati adquiratur et, si interim servus mortuus fuerit, legatum extinguatur. quare adita hereditate existimandum est usum fructum ad eum, cuius servus legatus esset, pertinere.

Ist einem vermachten Sklaven, bevor die Erbschaft desjenigen angetreten ist, der das Vermächtnis ausgesetzt hat, der Nießbrauch von einem anderen vermacht worden und ist zuerst die Erbschaft desjenigen angetreten worden, der den Nießbrauch vermacht hat, gibt es keinen Grund, aus dem wir annehmen müssten, das Vermächtnis falle schon an, bevor die Erbschaft, aus der der Sklave vermacht worden ist, angetreten werde; denn derzeit kann für den Nachlass kein Vorteil erworben werden und das Vermächtnis kann erlöschen, wenn der Sklave zwischenzeitlich stirbt. Daher ist erst nach Antritt der Erbschaft anzunehmen, dass der Nießbrauch demjenigen zustehe, dem der vermachte Sklave gehöre.

Ist einem Sklaven ein Nießbrauch vermacht, kann dieser ihn nicht erwerben, wenn sein Eigentümer gestorben und der Erbe die Erbschaft noch nicht angetreten hat. Auch wenn die hereditas iacens in vielerlei Hinsicht an die Stelle des Erblassers oder des Erben tritt, bedarf es für einen Nießbrauch doch eines wirklichen Berechtigten: usus fructus sine persona esse non potest348. Dies bedeutet aber noch nicht, dass deshalb auch das dem Sklaven ausgesetzte Vermächtnis verfällt. Vielmehr ist aus Julians Sicht nur der dies cedens auf den Moment verschoben, in dem die Erbschaft, zu der der Sklave gehört, angetreten wird. Der ihm hinterlassene Nießbrauch fällt dann, wenn der Sklave per vindicationem vermacht ist, sofort dem hierdurch begünstigten Vermächtnisnehmer zu. Der Aufschub des dies cedens entspricht seinem Zweck, dem Vermächtnisnehmer eine vererbliche Anwartschaft zu verschaffen. Erreichen lässt sich dieses Ziel, wenn das Vermächtnis mangels Eigentümer des bedachten Sklaven nicht erworben werden kann, bloß in der Weise, dass man dies cedens nicht vorverlegt, sondern noch hinter den Moment verschiebt, in dem die belastete Erbschaft angetreten wird. Nur so 347  Gai 3.205. Später hat man aber offenbar eine doppelte Zuständigkeit der Klage für Käufer und Verkäufer sowie Pächter und Verpächter angenommen; vgl. PS 2.31.17, 31. 348  Vat. 55.



I. Systemimmanente Rechtsfindung275

verhindert man, dass sich die Regel, die im Interesse des Vermächtnisnehmers geschaffen worden ist, nicht gegen ihn wendet. (21) Iul 522 = D 36.2.17 (36 dig) Cum legato servo aliquid legatur, dies eius legati quod servo datur non mortis tempore, sed aditae hereditatis cedit: et ideo impedimento non est regula iuris, quo minus manumisso legatum debeatur, quia etsi confestim pater familias moreretur, non in eiusdem personam et emolumentum legati et obligatio iuris concurreret. perinde igitur est hoc, de quo quaeritur, ac si filio herede instituto patri legatum esset: quod consistere intellegitur eo, quod, quamvis statim pater familias moriatur, potest emancipatus adire hereditatem, ut patri legatum debeat.

Ist einem vermachten Sklaven etwas vermacht, fällt dieses Vermächtnis, das dem Sklaven eingeräumt worden ist, nicht mit dem Tod des Erblassers, sondern mit dem Erbschaftsantritt an. Und daher bedeutet die Rechtsregel kein Hindernis, wonach ihm bei einer Freilassung das Vermächtnis nicht geschuldet werde, weil auch dann, wenn der Erblasser sofort gestorben wäre, nicht in derselben Person das Recht und die Pflicht aus dem Vermächtnis zusammenträfen. Daher ist der Fall, der hier in Rede steht, so zu behandeln, als ob ein Haussohn zum Erben eingesetzt und mit einem Vermächtnis zugunsten seines Vaters beschwert wäre. Dieses Vermächtnis wird deshalb als wirksam angesehen, weil, auch wenn der Erblasser sofort stirbt, der aus der Gewalt entlassene Sohn die Erbschaft antreten kann, so dass dem Vater das Vermächtnis geschuldet ist.

Ist ein Sklave vermacht und ihm wiederum ein Vermächtnis ausgesetzt, führte dies, ginge man vom Zeitpunkt des Todes des Erblassers aus, eigentlich zur Unwirksamkeit des Vermächtnisses, weil sich die hieraus ergebende Verpflichtung mit dem Recht in der hereditas iacens vereinigte. Verschiebt man dagegen den dies cedens auf den Moment, in dem die Erbschaft angetreten wird, fallen Anspruch und Verpflichtung wieder auseinander, weil dann der Sklave schon dem Vermächtnisnehmer zusteht und für diesen das Vermächtnis erwerben kann. Anders als bei einer Freilassung des Sklaven durch den Erben ist das Vermächtnis also nicht ein für alle Mal durch Konfusion erloschen, sondern von vornherein wirksam und auch der regula Catoniana entzogen, weil bei ihrer Anwendung auf die Verschiebung des dies cedens Rücksicht genommen werden muss. Dasselbe gilt in dem Fall, dass ein als Erbe eingesetzter Haussohn mit einem Vermächtnis zugunsten seines Vaters beschwert wird. Auch hier ist der dies cedens auf den Moment aufgeschoben, in dem der Sohn aus der Gewalt entlassen wird und damit gegenüber seinem Vater Schuldner des Vermächtnisses sein kann. Das hergebrachte Regime der Haftung aus einem Fideikommiss modifiziert Julian in (22) Iul 558 = D 36.1.26.2 (39 dig): Si quis filium suum ex asse heredem instituit et codicillis, quos post mortem filii aperiri iussit, fidei eius commisit, ut, si sine liberis decesserit, hereditatem

276 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian suam sorori suae restitueret, et filius cum sciret, quod in codicillis scriptum esset, Stichum servum hereditarium testamento suo liberum esse iussit: heredes filii pretium eius servi sorori defuncti praestare debent libertate favore sui servata. hoc amplius et si ignorasset filius codicillos a patre factos, nihilo minus heredes eius pretium praestare debebunt, ne factum cuiusquam alteri damnum adferat.

Ist ein Sohn als Alleinerbe eingesetzt und durch ein Kodizill, von dem der Erblasser befohlen hat, es erst nach dem Tod des Sohnes zu öffnen, mit dem Fideikommiss beschwert, die Erbschaft, wenn er ohne Kinder stirbt, seiner Schwester herauszugeben, und hat der Sohn, da er wusste, was im Kodizill stand, den Erbschaftssklaven Stichus in seinem eigenen Testament freigelassen, so müssen die Erben des Sohnes den Wert des Sklaven der Schwester des Verstorbenen leisten, während die Freiheit zu seinen Gunsten Bestand hat. Aber auch wenn der Sohn das von dem Vater errichtete Kodizill nicht gekannt hat, müssen seine Erben nichtsdestoweniger den Wert des Sklaven leisten, damit nicht die Handlung des einen dem anderen zum Schaden gereicht.

Julian befasst sich mit dem Fall, dass ein als Alleinerbe eingesetzter Sohn, dem durch verschlossenes Kodizill fideikommissarisch bei seinem Tod die Herausgabe der Erbschaft an seine Schwester aufgegeben ist, einen zur Erbschaft gehörenden Sklaven testamentarisch freigelassen hat. Seine Erben sollen der Schwester nicht nur dann zum Wertersatz verpflichtet sein, wenn der Sohn von dem Inhalt des Kodizills wusste. Auch wenn es ihm unbekannt war, sollen sie der Schwester den Wert des Sklaven ersetzen.349 Die fehlende Kenntnis des Sohnes von seiner Verpflichtung fällt für Julian deshalb nicht ins Gewicht, weil er das Leistungshindernis durch eigene Handlung geschaffen hat. Hierfür sollen seine Erben ohne Rücksicht auf sein Verschulden unbedingt einstehen, damit nicht die Handlung des Schuldners zum Schaden des Gläubigers ausfalle. Dem maßgeblichen Haftungskriterium des Vertretenmüssens gibt Julian so eine objektive Wendung, indem er es mit dem Gedanken der Risikozuweisung anreichert:350 Die Gefahren, 349  Diese Entscheidung, die Marcian in D 30.112.1 (8 inst) in gleicher Weise für das Damnationslegat trifft, erscheint Paulus so bemerkenswert, dass er sie in seine Abhandlung über die Haftung des Stipulationsschuldners aufnimmt; vgl. D 45.1.91.2 Paul 17 Plaut: De illo quaeritur, an et is, qui nesciens se debere occiderit, teneatur: quod Iulianus putat in eo, qui, cum nesciret a se petitum codicillis ut restitueret, manumisit. Ausweislich des aus demselben Buch stammenden Fragments D 12.6.65.8 war Paulus selbst offenbar anderer Ansicht: Si servum indebitum tibi dedi eumque manumisisti, si sciens hoc fecisti, teneberis ad pretium eius, si nesciens, non teneberis, sed propter operas eius liberti et ut hereditatem eius restituas. Justinian übernimmt Julians Lösung dagegen unkommentiert: Si res legata sine facto heredis perierit, legatario decedit.  et si servus alienus legatus sine facto heredis manumissus fuerit, non tenetur heres.  si vero heredis servus legatus fuerit et ipse eum manumiserit, teneri eum Iulianus scripsit, nec interest, scierit an ignoraverit, a se legatum esse. … 350  Zum Zusammenhang mit der Risikohaftung aus Verzug Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, Berlin 2005, S. 85 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung277

die sich für die Erfüllung des Fideikommisses aus einer Handlung des Schuldners ergeben, sind nach seiner Ansicht eher dem Schuldner als dem Gläubiger aufzubürden. Auf das Verschulden kommt es dann nur noch an, wenn das Leistungshindernis nicht auf einer Aktion des Schuldners, sondern auf seiner Untätigkeit beruht. Den zweckentsprechenden Abwandlungen hergebrachter Rechtsregeln steht der Schluss aus Natur oder Sinn eines Rechtsinstituts nahe. Ihn zieht Julian gemeinsam mit Celsus, um das besondere Anwachsungsregime des Nießbrauchsvermächtnisses darzutun: (23) Iul 503 = Vat 77 (= D 7.2.1.3 Ulp 17 Sab) Interdum tamen etsi non sint coniuncti, tamen usus fructus legatus alteri adcrescit, ut puta si mihi fundi usus fructus separatim totius et tibi similiter fuerit usus fructus relictus; nam ut Celsus libro XVIII digestorum et Iulianus libro V scribunt, concursu partes habemus. quod et in proprietate contingeret; nam altero repudiante alter totum fundum haberet. sed in usu fructu hoc plus est (contra quam Atilicinum respondisse Aufidius Chius refert), quod et constitutus nihilo minus amissus ius adcrescendi admittit. omnes enim auctores apud Plautium de hoc consenserunt: et, ut Celsus et Iulianus eleganter aiunt, usus fructus cotidie constituitur et legatur, non, ut proprietas, eo solo tempore quo vindicatur. cum primum itaque non inveniet alter eum, qui sibi concurrat, solus utetur in totum. …

Zuweilen wächst ein vermachter Nießbrauch dem anderen auch dann an, wenn die Vermächtnisnehmer nicht verbunden sind, wie zum Beispiel, wenn mir und dir getrennt der Nießbrauch an einem gesamten Grundstück vermacht ist. Denn hier entstehen für uns, wie Celsus im 18. Buch seiner Digesten und Julian im 35. Buch schreiben, durch das Zusammentreffen Anteile. Dies treffe auch auf das Eigentum zu, so dass bei der Ausschlagung des einen der andere das gesamte Grundstück erhalte. Aber beim Nießbrauch gilt es (entgegen dem was Aufidius Chius über eine Entscheidung des Atilicinus berichtet) insofern noch mehr, als es zur Anwachsung auch dann kommt, wenn der Nießbrauch schon bestellt und dann wieder verloren ist. Alle Kommentatoren von Plautius stimmen nämlich hierin überein; und der Nießbrauch werde, wie Celsus und Julian elegant sagen, täglich neu bestellt und vermacht, nicht wie das Eigentum nur in dem Moment, in dem die Sache herausverlangt wird. Findet der eine Vermächtnisnehmer den anderen, der mit ihm zusammentrifft, nicht vor, kann er die Sache allein nutzen. …

Das Vindikationsvermächtnis über das Eigentum steht dem über den Nießbrauch an einer Sache insofern gleich, als es stets zur Anwachsung kommt, wenn zwei Vermächtnisnehmer, sei es coniunctim, sei es disiunctim, eingesetzt sind.351 Denn hier wie dort ist der Tatbestand des ius adcrescendi erfüllt, nämlich dass eine anteilige Berechtigung durch das vom Erblasser ungeregelte Zusammentreffen der Vermächtnisnehmer in demselben Gegen351  Gai 2.199.

278 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

stand entsteht. Eigentums- und Nießbrauchsvermächtnis unterscheiden sich dagegen, indem es bei jenem nur beim Legatserwerb, bei diesem auch später zur Anwachsung kommen kann. Celsus und Julian folgern dies da­ raus, dass der Nießbrauch täglich neu bestellt und vermacht werde, so dass auch zu jeder Zeit der Anteil des einen dem anderen Vermächtnisnehmer zufallen könne. So bilden sie den vorübergehenden Charakter des Nießbrauchs ab, der eine Berechtigung auf Zeit und anders als das Eigentum daher auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist. Dementsprechend treffen die Vermächtnisnehmer nicht nur in demselben Recht, sondern auch in den einzelnen Zeitabschnitten zusammen, so dass der Legatserwerb des einen nicht ausschließt, dass er in einer späteren Periode wieder dem anderen Vermächtnisnehmer Platz macht, dessen Recht auf den Nießbrauch wegen des Zusammentreffens mit dem anderen unerfüllt geblieben ist.352 Die verschuldensunabhängige Haftung eines Nachlassbesitzers für fremdes Verschulden leitet Julian aus dem Zweck der bonorum possessio her: (24) Iul 528 = D 37.5.17 (36 dig) Si emancipato filio praeterito pater extraneum heredem instituisset et ab eo rem legasset eaque adita hereditate dolo scripti heredis perisset, adversus emancipatum utilis actio dari debebit ei scilicet personae, cui filius legata praestare cogitur, quia praetori propositum est sine iniuria ceterarum personarum bonorum possessionem contra tabulas testamenti dari.

Hat ein Vater seinen aus der Gewalt entlassenen Sohn übergangen und einen Fremden zum Erben eingesetzt und diesem das Vermächtnis einer Sache auferlegt und ist diese nach Antritt der Erbschaft durch die Arglist des Testamentserben untergegangen, ist gegen den aus der Gewalt entlassenen Sohn eine analoge Klage zu gewähren, und zwar demjenigen, an den der Sohn die vermachte Sache zu leisten gezwungen ist, weil es Absicht des Prätors ist, den Nachlassbesitz entgegen dem Testament ohne Nachteil für die anderen Beteiligten zu gewähren.

Julian leitet die Gewährung einer actio utilis aus dem Sinn der bonorum possessio contra tabulas ab: Hat der Testamentserbe eine vermachte Sache zerstört, haftet der emanzipierte Sohn des Erblassers, der als gesetzlicher Erbe neben ihm den Nachlass erlangt, eigentlich nicht. Wäre es nicht zu seiner Einweisung in den Nachlassbesitz gekommen, hätte der Vermächtnisnehmer den Testamentserben aber als Inhaber des gesamten Nachlasses allein in Anspruch nehmen können. Da sich der gesetzliche Erbe mit dem Testamentserben in den Nachlass teilt, muss er nun auch diese Verpflichtung übernehmen. Denn die Einweisung in den Nachlassbesitz soll nicht zum Schaden dritter Personen, insbesondere der Vermächtnisnehmer, erfolgen, 352  Dies bedeutet aber nicht, dass sich der dies cedens vervielfältigt; vgl. Lohsse, Ius adcrescendi, Köln u. a. 2008, S. 155 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung279

deren Recht verkürzt würde, wenn ihnen nur der Testaments- und nicht auch der gesetzliche Erbe haftete. Dem Zweck der Regeln über die Geschäftsfähigkeit entnimmt Julian eine Vorgabe für die Pflichten eines Vormunds: (25) Iul 329 = D 27.3.1.1 Ulp 36 ed Unde quaeritur apud Iulianum libro vicensimo primo digestorum, si tutor pupillo auctoritatem ad mortis causa donationem accommodaverit, an tutelae iudicio teneatur. et ait teneri eum: nam sicuti testamenti factio, inquit, pupillis concessa non est, ita nec mortis quidem causa donationes permittendae sunt.

Daher wird bei Julian im 21. Buch seiner Digesten gefragt, ob ein Vormund mit der Vormundschaftsklage hafte, wenn er dem Mündel die Zustimmung zu einer Schenkung von Todes wegen erteilt habe. Und er sagt, er hafte; denn ebenso wie dem Mündel keine Testierfähigkeit zukomme, seien ihm keine Schenkungen von Todes wegen zu gestatten.

Dass ein Vormund haftet, wenn er seine Zustimmung zu einer vom Mündel vollzogenen Schenkung von Todes wegen erteilt hat, ergibt für Julian ein Blick auf das Testamentsrecht: Kann der Mündel nicht wirksam eine letztwillige Verfügung errichten, dürfe man ihm auch keine Schenkung von Todes wegen erlauben. Als Argumentation aus einem Parallelfall könnte man diese Begründung nur ansehen, wenn im Fall des Testaments eine Zustimmung des Vormunds überhaupt in Betracht käme. So ist es aber nicht: Als höchstpersönliches Rechtsgeschäft ist es der Zustimmung durch den Vormund von vornherein entzogen.353 Julian kommt es nicht auf die mangelnde Testierfähigkeit, sondern auf den Grund an, aus dem das Mündel kein Testament zu errichten vermag: Da ihm die erforderliche Reife fehlt, die Tragweite dieses Geschäfts zu übersehen, soll er keine letztwillige Verfügung treffen. Aus diesem Verbot für das Mündel wird ein Gebot für den Vormund, der verhindern soll, dass das Mündel funktionsgleiche Geschäfte vornimmt, und zu diesen erst recht keine Zustimmung erteilen darf. Dieser Schluss von der fehlenden Geschäftsfähigkeit auf die Vormundspflichten ist deshalb gerechtfertigt, weil die Vormundschaft denselben Schutzzweck hat wie die Regeln über die Geschäftsfähigkeit. Einen funktionellen Zusammenhang zwischen zwei Rechtsfiguren macht Julian auch fruchtbar, indem er von der Passivlegitimation zur actio de peculio auf die Berechnung des Sondergutes schließt: (26) Iul 199 = D 15.1.37.2 (12 dig) Servum communem, quem cum Titio habebam, vendidi Sempronio: quaesitum est, si de peculio cum Titio aut cum Sempronio ageretur, an eius peculii, quod apud me esset, ratio haberi deberet. … sed et si cum Titio post annum quam vendidissem ageretur, similiter non esse computandum peculium quod apud 353  Gai

2.113.

280 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian me est, quia iam mecum agi de peculio non posset. sin autem intra annum ageretur, tunc quoque habendam huius peculii rationem, postquam placuit alienato homine permittendum creditori et cum venditore et cum emptore agere.

Ich habe einen gemeinschaftlichen Sklaven, der mir zusammen mit Titius gehörte, an Sempronius verkauft. Es ist gefragt worden, ob dessen Sondergut bei mir berücksichtigt werde, wenn gegen Titius oder Sempronius wegen des Sonderguts geklagt werde. … Wird aber gegen Titius mehr als ein Jahr nach dem Verkauf geklagt, ist das bei mir befindliche Sondergut ebenfalls nicht mitzurechnen, weil man gegen mich nicht mehr wegen des Sonderguts klagen kann. Wird aber binnen Jahresfrist geklagt, ist das Sondergut einzubeziehen, nachdem anerkannt ist, dass es nach der Veräußerung eines Sklaven dem Gläubiger erlaubt ist, sowohl gegen den Verkäufer als auch gegen den Käufer zu klagen.

Julian schließt von der Zuständigkeit der actio de peculio annalis nach der Veräußerung eines Sklaven auf die Bestimmung des Sonderguts beim Verkauf des Miteigentumsanteils an einem Sklaven: Wird der verbliebene Teilhaber wegen des Sonderguts in Anspruch genommen, ist der Teil des peculium, der bei dem aus der Gemeinschaft ausgeschiedenen Veräußerer vorhanden ist, bloß dann in die Berechnung des Haftungsumfangs einzubeziehen, wenn der Veräußerer auch noch selbst erfolgreich in Anspruch genommen werden kann.354 Dies gilt nur im ersten Jahr nach der Veräußerung,355 so dass bei einer vorher erhobenen Klage das Sondergut beim Veräußerer Berücksichtigung findet, bei einer nach Ablauf der Jahresfrist angestrengten Klage dagegen nicht. Um die Transplantation einer Regel für das Anweisungsrecht auf ein atypisches Dreiecksverhältnis unter Beteiligung eines Gewaltunterworfenen geht es in (27) Iul 186 = D 14.6.9.1 Ulp 29 ed: Si ab alio donatam sibi pecuniam filius creditori solverit, an pater vindicare vel repetere possit? et ait Iulianus, si quidem hac condicione ei donata sit pecunia, ut creditori solvat, videri a donatore profectam protinus ad creditorem et fieri nummos accipientis: si vero simpliciter ei donavit, alienationem eorum filium non habuisse et ideo, si solverit, condictionem patri ex omni eventu competere.

Hat ein Haussohn an seinen Darlehensgeber einen Betrag gezahlt, der ihm von einem Dritten geschenkt worden ist, ist fraglich, ob sein Vater den Betrag vindizieren oder kondizieren könne. Und Julian schreibt, dass der Betrag, wenn er ihm zu dem Zweck gegeben worden sei, dass er an seinen Gläubiger

354  Es geht hier also um das Verhältnis zum Gläubiger und nicht um das Regressrecht der Teilhaber untereinander, wie dies di Porto, Impresa collettiva e schiavo ‚manager‘, Mailand 1984, S. 360 meint. 355  D 15.2.1pr Ulp 29 ed.



I. Systemimmanente Rechtsfindung281 zahle, so anzusehen sei, als sei er unmittelbar von dem Schenker an den Darlehensgeber gelangt, und deshalb würden die Münzen zum Eigentum des Empfängers. Habe er ihm dagegen einfach geschenkt, habe der Sohn keine Veräußerungsbefugnis, und deshalb stehe, wenn er gezahlt habe, dem Vater in jedem Fall die Kondiktion zu.

Die Einrede aus dem senatus consultum Macedonianum begründet kein Rückforderungsrecht, wenn die Leistung auf das verbotene Darlehen nicht von dem Haussohn stammt, sondern von einem Dritten. Denn der Darlehensgeber, der dem Senatsbeschluss zuwider ein Darlehen an einen Haussohn gegeben hat, soll zwar von einer Klage abgehalten werden; er soll, wenn er die Leistung einmal erhalten hat, jedoch nicht im Verhältnis Dritten zu benachteiligt werden, die nicht in den Schutzbereich des Senatsbeschlusses fallen und denen Kaiser Hadrian deshalb auch die Kondiktion verwehrt356. Ist der Betrag nicht von dem Dritten an den Darlehensgeber gezahlt, sondern dem Haussohn geschenkt und von diesem dann an seinen Gläubiger weitergereicht worden, liegt eigentlich eine Leistung des Haussohnes vor, die dem Senatsbeschluss unterfällt und schon daran scheitert, dass der Haussohn gar kein Eigentum an den Münzen übertragen kann, die seinem Vater gehören. Dementsprechend soll dieser sie auch ohne Weiteres zurückfordern können, und zwar zunächst mit der Vindikation und nach dem Verbrauch des Geldes mit der Kondiktion. Hat der Schenker dem Haussohn den Betrag dagegen mit der Bestimmung zugewandt, dass er an den Darlehensgeber gezahlt werde, hat der Gläubiger nach Julians Ansicht kondiktionsfestes Eigentum an den Münzen erworben. Denn der Schenker hätte sich, statt den Umweg über den Haussohn zu wählen, auch unmittelbar an den Gläubiger wenden können und ihn dann ohne Möglichkeit der Rückforderung zum Eigentümer der Münzen machen können. Dass er den Haussohn zwischengeschaltet hat, darf nicht dazu führen, dass der Gläubiger benachteiligt wird, der nur die Mittel eines nicht unter den Senatsbeschluss fallenden Dritten erlangt hat. Julian bildet hier eine Parallele zu einer hergebrachten Regel des Anweisungsrechts: Hier gilt, dass derjenige, der die Anweisung zu einer Zahlung erteilt, so angesehen wird, als habe er selbst gezahlt357. Der Anweisung steht es nun gleich, wenn nicht einem Schuldner zum Zwecke seiner Befreiung ein Zahlungsauftrag erteilt, sondern Geld mit der Bestimmung ausgehändigt wird, es an einen Dritten weiterzureichen. Auch unter diesen Umständen muss der Fall so behandelt werden, als habe der Empfänger die Leistung direkt von demjenigen erhalten, der sie initiiert hat. Da dann auch der Darlehensgeber ohne Weiteres 356  Dies sagt Ulpian in § 4 desselben Fragments: Et hi tamen, qui pro filio familias sine voluntate patris eius intercesserunt, solvendo non repetent: hoc enim et divus Hadrianus constituit et potest dici non repetituros. … 357  D 16.1.8.3 Ulp 29 ed.

282 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

das Eigentum an den Münzen erlangt hätte, darf nichts anderes bei der Zwischenschaltung des Haussohnes gelten, den man deshalb ausnahmsweise auch als verfügungsbefugt ansehen kann, indem er ja nicht aus Mitteln seines Vaters, sondern gewissermaßen fremdes Geld weitergibt.358 b) Interpretation von Rechtsgeschäften aa) Vertragsauslegung (1) Induktion Gibt es kaum Induktionsschlüsse im Rahmen der Gesetzesauslegung und bei der Fortbildung des Juristenrechts, kommen diese wieder häufiger bei der Auslegung von Rechtsgeschäften vor. Bei der Interpretation von Verträgen, die Julian in insgesamt 16 Fällen begründet, zieht er siebenmal einen Vergleichsfall heran, um die Bedeutung einer Vereinbarung abzuleiten. In drei Fällen legt sich Julian auf ein bestimmtes Verständnis fest. Maßgeblich ist hierfür in einem Fall der Wortlaut einer Stipulation: (1) Iul 3 = D 34.5.13.2 (sing amb) Cum ita stipulationem concipimus: ‚si hominem aut fundum non dederis, centum dari spondes?‘ utrumque est faciendum, ne stipulatio committatur, id est sive alterum sive neutrum factum sit, tenebit stipulatio. idemque est evidenter, cum propositis specialiter pluribus rebus, quas fieri volumus, ita stipulamur: ‚si quid eorum factum non erit‘: veluti ‚Stichum et Damam et Erotem sisti? si quis eorum non steterit, decem dari?‘ necesse est enim omnes esse sistendos, ut stipulationi satisfiat. vel ut propius accedamus, fingamus ita stipulationem factam: ‚si Stichum et Damam et Erotem non sisteris, decem dari?‘ neque enim dubitabimus, quin aeque omnes sisti oporteat.

Fassen wir eine Stipulation wie folgt: „Versprichst du, 100 zu zahlen, wenn du den Sklaven oder das Grundstück nicht leistest?“, so muss, damit die Stipula­ tion nicht verfällt, beides geleistet werden; die Stipulation verpflichtet also ­sowohl dann, wenn nur eine Leistung nicht erbracht ist, als auch dann, wenn beide ausgeblieben sind. Dies ist offensichtlich, wenn ausdrücklich mehrere Dinge angegeben sind, von denen wir wollen, dass sie geschehen, und wir uns unter der Bedingung versprechen lassen: „wenn davon eines nicht geschieht“, wie zum Beispiel mit der Formulierung: „Versprichst du, dass Stichus, Dama und Eros gestellt und zehn geleistet werden, wenn sich einer von ihnen nicht stellt?“ Damit der Stipulation Genüge getan ist, sind nämlich alle zu stellen. Oder um es noch deutlicher zu machen, nehmen wir an, die Stipulation sei wie folgt abgeschlossen: „Versprichst du, zehn zu leisten, wenn du nicht Stichus,

358  Anders Wacke, Verbotene Darlehensgewährung an Hauskinder und die Gebote wirtschaftlicher Vernunft, SZ 112 (1995) 239, 306, der annimmt, der Haussohn verfüge als Nichtberechtigter über die Münzen des Schenkers.



I. Systemimmanente Rechtsfindung283 Dama und Eros stellst?“ Wir haben keine Zweifel daran, dass alle gleichermaßen gestellt werden müssen.

Julian verdeutlicht die Bedeutung einer negativ und alternativ gefassten Stipulationsbedingung.359 Der Ausgangsfall, in dem der Schuldner eine Strafe für den Fall verspricht, dass er einen Sklaven oder ein Grundstück nicht leistet, lässt sich nicht ohne Weiteres beurteilen. Denn zumindest auf den ersten Blick ist denkbar, dass die Strafe nur dann verfallen soll, wenn der Gläubiger weder den Sklaven noch das Grundstück erhalten hat. Diese Deutung verstößt jedoch gegen den Wortlaut der Stipulation, nach dem die Strafe schon dann verfällt, wenn auch nur eine der beiden Leistungen nicht erbracht wird. Um dies anschaulich zu machen, wählt Julian den Vergleichsfall, in dem eine Strafe ausdrücklich für den Fall versprochen wird, dass eine von mehreren Leistungen nicht erbracht wird, und er konkretisiert diesen Vergleichsfall mit Hilfe eines Strafversprechens für den Fall mangelnder Gestellung mehrerer Sklaven. Hat sich der Gläubiger die Strafe bei Ausbleiben eines der genannten Sklaven zusagen lassen, ist offensichtlich, dass er will, dass alle vor Gericht erscheinen, so dass die Strafe auch für den Fall versprochen ist, dass nur einer nicht gestellt wird. Dasselbe gilt in dem weiteren Parallelfall, dass die Strafe unter der Bedingung zugesagt ist, dass die Sklaven nicht gestellt werden. Die Formulierung der Stipulation entspricht hier wieder dem Ausgangsfall, der sich von diesem zweiten Vergleichsfall nur dadurch unterscheidet, dass nicht mehrere verschiedene Leistungen (Grundstück und Sklave), sondern dreifach dieselbe Leistung (Gestellung von Sklaven), nur jeweils bezogen auf andere Objekte, versprochen wird. Ist in dieser zweiten Konstellation offensichtlich, dass die Leistungen kumuliert werden müssen, um den Strafverfall zu verhindern, kann nichts anderes gelten, wenn es um verschiedene Leistungen geht, die Formulierung der Stipulation ansonsten aber gleich ist. In einer anderen Konstellation ergibt sich die Deutung einer Stipulation aus dem Horizont der Parteien im Zeitpunkt ihres Abschlusses: (2) Iul 579 = D 39.2.18.5 Paul 48 ed Si is, qui unas aedes habebat, stipulatus fuerit, deinde vicinas comparaverit, an earum quoque nomine, quas post interpositam stipulationem comparasset, promissorem obligaret, quaesitum est. Iulianus scribit videndum, ne earum dumtaxat nomine cautum habeat, de quibus inter eum et promissorem initio actum fuerit. cui consequens videri posse, ut et, cum aedium communium nomine duo socii stipulentur, de eo dumtaxat damno caveri videatur, quod in parte aedium cuique socio datum fuerit. sive ergo redemerit alteram partem quis ex his sive adiudicata fuerit, non augeri promissionis obligationem. Pomponius relata ­Iuliani scriptura dicit non se improbare. 359  Hierzu unlängst Ziliotto, Si hominem aut fundum non dederis, centum dari spondes? SDHI 76 (2010) 291 ff.

284 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Hat sich jemand, der ein Haus hatte, Sicherheit leisten lassen und danach ein Nachbarhaus gekauft, stellt sich die Frage, ob der Schuldner wegen des Hauses, das er nach Leistung der Sicherheit gekauft habe, verpflichtet sei. Julian schreibt, man müsse zusehen, ob ihm nicht nur für das Haus Sicherheit geleistet sei, über das er und der Schuldner von vornherein übereingekommen seien. Hieraus könne man folgern, dass auch dann, wenn zwei Miteigentümern wegen eines gemeinschaftlichen Hauses Sicherheit geleistet worden sei, nur für den Schaden Sicherheit geleistet sei, den ein Miteigentümer wegen seines Anteils an dem Haus erlitten habe. Kaufe er nun den anderen Teil oder werde er ihm im Teilungsverfahren zugesprochen, erhöhe sich die Verpflichtung des Schuldners nicht. Pomponius, der Julians Auffassung mitteilt, sagt, er billige sie.

Unter Zustimmung von Pomponius, auf dessen Referat Paulus seinen Bericht stützt, befindet Julian, eine cautio damni infecti, die einem von zwei Miteigentümern geleistet worden sei, beziehe sich nur auf seinen Anteil und auch dann nicht auf das gesamte Gebäudegrundstück, wenn ihm der andere Anteil später durch Kauf oder im Teilungsverfahren zufalle. Zwar ist das Versprechen durch diesen Erwerb nachträglich scheinbar doppeldeutig geworden.360 Wie es zu verstehen ist, ergibt sich jedoch aus dem einfacheren Parallelfall, dass ein Grundstücksinhaber, nachdem ihm die cautio damni infecti geleistet worden ist, ein weiteres Grundstück erwirbt, das ebenfalls von der schadensdrohenden Anlage betroffen ist. Kommt bei real geteilten Grundstücken ohne Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen keine nachträgliche Erweiterung der Sicherheit in Betracht,361 darf diese auch nicht bei ideellen Anteilen eintreten. In zwei weiteren Fällen ist es für Julian die res ipsa, die ein bestimmtes Verständnis der Vereinbarung erzwingt: (3) Iul 695 = D 38.1.24pr (52 dig) Quotiens certa species operarum in stipulationem deducitur, veluti pictoriae fabriles, peti quidem non possunt nisi praeteritae, quia etsi non verbis, at re ipsa inest obligationi tractus temporis, sicuti cum Ephesi dari stipulemur, dies continetur. et ideo inutilis est haec stipulatio: ‚operas tuas pictorias centum hodie dare spondes?‘ …

Immer wenn eine bestimmte Art von Diensten zum Gegenstand eines Versprechens gemacht wird wie etwa eine Malerei oder ein bestimmtes Gewerbe, können sie nicht gefordert werden, solange nicht die hierfür erforderliche Zeit vergangen ist; denn der Verpflichtung ist, wenn auch nicht nach dem Wortlaut, so doch der Sache nach, ein Aufschub inhärent, und zwar ebenso wie eine Zeitbestimmung vorliegt, wenn wir uns versprechen lassen, dass uns in Ephesus übereignet werde. Und daher ist das Versprechen: „Versprichst du, heute hundert Tage deiner Malerdienste zu leisen?“, unwirksam. … 360  Vgl.

Babusiaux, Id quod actum est, München 2006, S. 100. Julian diese Entscheidung aus der Regel: ambiguitas contra stipulatorem, gewinnt, glaubt Babusiaux (Fn. 360), S. 100. 361  Dass



I. Systemimmanente Rechtsfindung285

Dem Versprechen von Dienstleistungen entnimmt Julian eine unausgesprochene Vereinbarung über die Leistungszeit, nämlich dass die Forderung erst dann fällig wird, wenn die Dienste hätten geleistet werden können. Zum Beweis, dass das Versprechen von Dienstleistungen re ipsa einem tractus temporis unterliegt, führt Julian den Vergleichsfall an, dass eine Übereignung in Ephesus geschuldet ist. Unter diesen Umständen ist die Verzögerung der Fälligkeit augenscheinlicher, weil sich der Schuldner erst an den für die Erfüllung bestimmten Ort begeben muss und daher nicht eher in Anspruch genommen werden kann, als er nicht auch den Leistungsort hätte erreichen können. Hier wie im Ausgangsfall ist den Parteien nämlich zu unterstellen, dass sie erst noch vollständig zu erbringende und nicht etwa schon vorbereitete Leistungen versprechen.362 Und wenn sie sich bewusst über den aus der Natur der Sache folgenden Aufschub hinwegsetzen und die Erbringung von vielfachen Tagewerken am heutigen Tag vereinbaren, scheitert das Versprechen an der Unmöglichkeit seiner Erfüllung. (4) Iul 247 = D 18.5.5pr (15 dig) Cum emptor venditori vel emptori venditor acceptum faciat, voluntas utriusque ostenditur id agentis, ut a negotio discedatur et perinde habeatur, ac si convenisset inter eos, ut neuter ab altero quicquam peteret, sed ut evidentius appareat, acceptilatio in hac causa non sua natura, sed potestate conventionis valet.

Hat der Käufer dem Verkäufer oder der Käufer dem Verkäufer seine Schuld förmlich erlassen, zeigt dies, dass der Wille beider Parteien darauf gerichtet ist, dass von dem Geschäft abgegangen und es so gehandhabt werden solle, als hätte man vereinbart, dass keiner von dem anderen etwas verlangen werde. Aber der förmliche Erlass wirkt offensichtlich nicht entsprechend seiner Natur, sondern kraft der in ihm enthaltenen Vereinbarung.

Erlassen der Käufer oder Verkäufer dem jeweils anderen durch acceptilatio die Verpflichtung aus dem Kaufvertrag, wirkt dieser Erlass nicht direkt, weil durch die acceptilatio nur eine Stipulationsverpflichtung aufgehoben werden kann.363 Das formale Geschäft der acceptilatio enthält jedoch ein pactum de non petendo.364 Dessen Inhalt bestimmt Julian so, dass es nicht nur die Verpflichtung erfasst, auf die sich die gescheiterte acceptilatio bezog, sondern auch die andere, so dass der Kaufvertrag insgesamt aufgeho362  Da sich diese Deutung für Julian re ipsa ergibt, kann man entgegen Babusiaux (Fn. 360), S. 58 nicht davon sprechen, dass sie im Wortlaut der Stipulation nicht einmal angedeutet ist. 363  Anders Benöhr, Das sogenannte Synallagma in den Konsensualkontrakten des römischen Rechts, Hamburg 1965, S. 75  f., und Knütel, Contrarius consensus, Köln / Graz 1968, S. 32 f., die annehmen, Julian gehe von einer in Vollzug des Kaufvertrags übernommenen Stipulationsverpflichtung aus. Für die ratio der Entscheidung spielt dies keine Rolle. 364  So auch für die acceptilatio beim Realvertrag Ulpian in D 46.4.19pr (2 reg).

286 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

ben ist.365 Zu dieser Lösung zwingt der Blick auf die Konsequenzen, die ein einseitiger Erlass hätte: In diesem Fall bliebe die Verpflichtung der anderen Seite als unentgeltliche Zuwendung erhalten; und es läge ein Schenkungsversprechen vor, das sich jedoch, um überhaupt wirksam sein zu können, nicht durch einfachen consensus begründen lässt, sondern in Form einer Stipulation abgegeben werden muss.366 Deshalb kann der Vertragspartner, der durch den Erlass seiner Verpflichtung begünstigt wird, auch nicht erwarten, dass der Forderungsverzicht, wenn er denn als einseitige Befreiung misslingt, insgesamt hinfällig ist.367 Daher lässt sich die Vereinbarung auch aus seiner Sicht nur so verstehen, dass die Verpflichtungen beider Seiten beseitigt werden.368 In drei Fragmenten lässt Julian Raum für zwei verschiedene Deutungsvarianten. An einer Stelle beschränkt er sich sogar darauf, diese darzustellen. Den Vergleichsfall zieht er dabei nur heran, um eine der beiden Deutungsmöglichkeiten zu veranschaulichen: (5) Iul 907 = D 18.1.41pr (3 Urs Fer) Cum ab eo, qui fundum alii obligatum habebat, quidam sic emptum rogasset, ut esset is sibi emptus, si eum liberasset, dummodo ante kalendas Iulias liberaret, quaesitum est, an utiliter agere possit ex empto in hoc, ut venditor eum liberaret. respondit: videamus, quid inter ementem et vendentem actum sit. nam si id actum est, ut omni modo intra kalendas Iulias venditor fundum liberaret, ex empto erit actio, ut liberet, nec sub condicione emptio facta intellegetur, veluti si hoc modo emptor interrogaverit: ‚erit mihi fundus emptus ita, ut eum intra kalendas Iulias liberes‘, vel ‚ita ut eum intra kalendas a Titio redimas‘. si vero sub condicione facta emptio est, non poterit agi, ut condicio impleatur. 365  Ebenso

entscheidet Paulus in D 46.4.23 (Lab 5 pith a Paul epit). verhält es sich, wenn schon eine Seite geleistet hat; dann wäre die von ihr erbrachte Zuwendung als schon vollzogene Schenkung gültig. Einen entsprechenden Vorbehalt für den Fall der Vorleistung macht denn auch Paulus in D 46.4.23 (Lab 5 pith a Paul epit): … immo cum locatio conductio, emptio venditio conven­ tione facta est et nondum res intercessit, utrimque per acceptilationem, tametsi ab alterutra parte dumtaxat intercessit, liberantur obligatione. 367  Anders mag dies beim Gläubiger der erlassenen Forderung sein; vgl. D 46.4.8pr Ulp 48 Sab und hierzu Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S.  234 ff. 368  Deshalb kann man Julians Äußerung entgegen Benöhr (Fn. 363), S. 75 ff., Knütel (Fn. 363), S. 32 f. und Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, S. 530 Fn. 18 auch nicht als Ausdruck der synallagmatischen Verknüpfung der Leistungen im Austauschvertrag ansehen, wie sie durch eine Entscheidung seines Lehrers Javolens dokumentiert wird; vgl. D 19.1.50 Lab 4 post a Iav epit: Bona fides non patitur, ut, cum emptor alicuius legis beneficio pecuniam rei venditae debere desisset antequam res ei tradatur, venditor tradere compelletur et re sua careret. possessione autem tradita futurum est, ut rem venditor aeque amitteret, utpote cum petenti eam rem petitor ei neque vendidisset neque tradidisset. 366  Anders



I. Systemimmanente Rechtsfindung287



Da jemand ein Grundstück von demjenigen, der es einem Dritten verpfändet hat, in der Weise erworben hat, dass es gekauft sei, wenn es befreit werde, sofern es bis zum 1. Juli befreit werde, ist gefragt worden, ob er zu Recht mit der Kaufklage darauf klagen könne, dass der Verkäufer das Grundstück befreie. Er hat geantwortet: Wir müssen beachten, was zwischen Käufer und Verkäufer vereinbart worden ist. Denn wenn vereinbart ist, dass der Verkäufer das Grundstück jedenfalls bis zum 1. Juli befreit, ist die Kaufklage auf Befreiung gegeben, und der Kaufvertrag gilt auch nicht als bedingt abgeschlossen, und zwar ebenso, wie wenn der Käufer gefragt hätte: „Habe ich das Grundstück in der Weise gekauft, dass du es bis zum 1. Juli befreist?“ oder „dass du es bis zum 1. Juli von Titius auslöst?“. Ist der Kaufvertrag dagegen unter einer Bedingung abgeschlossen, kann man nicht auf Erfüllung der Bedingung klagen.

Julian befasst sich mit der Wirkung eines Kaufvertrags über ein verpfändetes Grundstück, das bis zu einem bestimmten Termin aus der Pfandhaftung befreit sein soll. Die Bedeutung dieser Vereinbarung hängt von der konkreten Vorstellung ab, die beide Parteien mit ihr verbunden haben: Wollten sie den Kaufvertrag nur für den Fall der Befreiung des Grundstücks abschließen, ist er bedingt abgeschlossen; und dem Käufer steht kein Anspruch auf Befreiung des Grundstücks aus der Pfandhaftung zu. Ist der Kaufvertrag dagegen unbedingt abgeschlossen, ist durch den Hinweis auf die Pfandhaftung eine besondere Leistungspflicht des Verkäufers begründet, der dafür einzustehen hat, dass das Grundstück bis zu dem angegebenen Termin pfandfrei wird. Der Vertrag ist dann so zu behandeln, als sei ausdrücklich vereinbart, dass der Käufer das Grundstück befreien oder es von dem Pfandgläubiger auslösen soll. In zwei weiteren Entscheidungen stellt Julian ebenfalls zwei Deutungsvarianten gegenüber, lässt aber zugleich eine Präferenz für eine von ihnen erkennen und beruft sich hierfür jeweils auf die Interpretation einer vergleichbaren Bestimmung im Vermächtnisrecht: (6) Iul 697 = D 45.1.56pr (52 dig) Eum, qui ita stipulatur: ‚mihi et Titio decem dare spondes?‘ vero similius est semper una decem communiter sibi et Titio stipulari, sicuti qui legat Titio et Sempronio, non aliud intellegitur quam una decem communiter duobus legare.

Wer sich folgendermaßen hat versprechen lassen: „Versprichst du, mir und Titius zehn zu leisten?“, hat sich wahrscheinlich nur einmal die Leistung des Betrags an sich und Titius gemeinsam versprechen lassen, und zwar ebenso wie derjenige, der Titius und Sempronius ein Vermächtnis ausgesetzt hat, so angesehen wird, als habe er beiden gemeinsam einmal zehn vermacht.

Hat jemand versprochen, einen bestimmten Betrag mihi et Titio zu leisten, kann damit einerseits gemeint sein, dass er die Summe jeweils beiden zukommen lassen will; andererseits kann er sich verpflichtet haben, die Summe beiden gemeinsam und nur einmal zu leisten. Julian schließt die erste Variante nicht aus, hält die zweite aber für wahrscheinlicher und damit

288 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

für die im Zweifelsfall relevante Bedeutung. Er beruft sich dafür auf die Testamentsinterpretation, bei der ausgemacht ist, dass eine entsprechende Formulierung in einem Vermächtnis dazu führt, dass die Leistung nur einmal erbracht werden muss. (7) Afr 42 = D 7.1.36.1 (5 quaest) Stipulatus sum de Titio fundum Cornelianum detracto usu fructu: titius decessit: quaesitum est, quid mihi heredem eius praestare oportet. respondit referre, qua mente usus fructus exceptus sit: nam si quidem hoc actum est, ut in cuiuslibet persona usus fructus constitueretur, solam proprietatem heredem debiturum: sin autem id actum sit, ut promissori dumtaxat usus fructus reciperetur, plenam proprietatem heredem eius debiturum. hoc ita se habere manifestius in causa legatorum apparere: etenim si heres, a quo detracto usu fructu proprietas legata sit, priusquam ex testamento ageretur, decesserit, minus dubitandum, quin heres eius plenam proprietatem sit debiturus. idemque et si sub condicione similiter legatum sit et pendente condicione heres decessit.

Ich habe mir von Titius das cornelianische Grundstück unter Vorbehalt eines Nießbrauchs versprechen lassen. Titius ist gestorben. Es ist gefragt worden, was mir sein Erbe leisten muss. Er hat befunden, es komme darauf an, mit welcher Absicht der Nießbrauch ausgenommen worden sei. Denn wenn vereinbart worden sei, dass der Nießbrauch irgendeiner Person bestellt werde, schulde der Erbe nur das bloße Eigentum. Sei dagegen vereinbart worden, dass nur der Schuldner den Nießbrauch erlangen solle, schulde dessen Erbe das volle Eigentum. Dies sei noch offensichtlicher im Fall eines Vermächtnisses: Sei nämlich der Erbe, der damit beschwert sei, das Eigentum an einer Sache unter Vorbehalt des Nießbrauchs zu leisten, gestorben, bevor die Klage aus dem Testament erhoben worden sei, bestehe kein Zweifel, dass dessen Erbe das volle Eigentum schulde. Dasselbe gelte auch, wenn ähnlich unter einer Bedingung vermacht sei und der Erbe sterbe, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe sei.

Julian deutet das Versprechen eines Grundstücks unter Vorbehalt eines Nießbrauchs. Es kann sich nach seinem doppeldeutigen Wortlaut einerseits auf einen usus fructus beziehen, der zugunsten irgendeiner Person eingeräumt werden sollte und daher allemal von der Leistung auszunehmen ist; andererseits kann er allein für den Schuldner persönlich gedacht sein und darf daher nicht ausgenommen werden, wenn dieser vorher stirbt. Für diese zweite Variante spricht die Auslegungspraxis im Testamentsrecht, wo man das Vermächtnis einer Sache detracto usu fructu im Zweifel so versteht, dass allein der Erbe begünstigt sein soll, weshalb der Vorbehalt des Nießbrauchs gewissermaßen unter der Bedingung steht, dass der Erbe noch am Leben ist, wenn der Anspruch aus dem Vermächtnis geltend gemacht wird. Die beim Testament geläufige Bedeutung des doppeldeutigen Geschäftswortlauts scheint Julian auch bei der Stipulation zu befürworten, falls sich kein abweichender Parteiwille erweisen lässt.369 369  Vgl.

Babusiaux (Fn. 360), S. 45.



I. Systemimmanente Rechtsfindung289

(2) Deduktion Deduktiv gewinnt Julian in insgesamt neun Fällen sein Verständnis eines Vertrags. Dabei stützt er sich seltener auf seinen Wortlaut, eher auf die Situation, in der er geschlossen worden ist, oder die Konsequenzen, die er hat, und ermittelt hieraus ihnen seine typische Bedeutung. Zu einem eindeutigen Ergebnis, das kein abweichendes Verständnis zulässt, kommt Julian dabei nur in den drei folgenden Fällen, in denen Julian sich an der Formulierung, der Natur der versprochenen Leistung oder dem Zweck einer Stipulation orientiert: (1) Iul 738 = D 21.2.43 (58 dig) Vaccae emptor, si vitulus qui post emptionem natus est evincatur, agere ex duplae stipulatione non potest, quia nec ipsa nec usus fructus evincitur. nam quod dicimus vitulum fructum esse vaccae, non ius, sed corpus demonstramus, sicuti praediorum frumenta et vinum fructum recte dicimus, cum constet eadem haec non recte usum fructum appellari.

Der Käufer einer Kuh kann, wenn ein nach dem Kauf geborenes Kalb entwehrt wird, nicht aus dem Versprechen des doppelten Kaufpreises klagen, weil weder die Sache selbst noch der Nießbrauch entwehrt worden sind. Denn wenn wir sagen, das Kalb sei die Frucht der Kuh, beziehen wir uns nicht auf ein Recht, sondern auf eine Sache, und zwar ebenso wie wir Getreide und Wein zu Recht als Früchte bezeichnen, während doch feststeht, dass sie nicht Nießbrauch genannt werden können.

Julian stellt die Doppeldeutigkeit des Begriffs fructus heraus, um zu zeigen, dass die Eviktion eines Kalbes nicht die Haftung des Verkäufers der Mutterkuh mit der stipulatio duplae auslöst. Zwar gilt die erfolgreiche Geltendmachung eines Nießbrauchs an der Kaufsache als Eviktionsfall, der die Haftung aus dem Garantieversprechen auslöst. Spricht man hier von fructus, meint man damit jedoch im Sprachgebrauch des Rechtsverkehrs das Fruchtziehungsrecht und nicht etwa eine Sache, die Frucht der Kaufsache ist. (2) Iul 164 = D 13.4.2.6 Ulp 27 ed Qui ita stipulatur ‚Ephesi decem dari‘: si ante diem, quam Ephesum pervenire possit, agat, perperam ante diem agi, quia et Iulianus putat diem tacite huic stipulationi inesse. quare verum puto, quod Iulianus ait eum, qui Romae stipulatur hodie Carthagine dari, inutiliter stipulari.

Wer sich versprechen lässt, dass zehn in Ephesus geleistet werden, und vor dem Termin klagt, zu dem man nach Ephesus gelangen kann, klage zur Unzeit; denn auch Julian glaubt, dass in diesem Versprechen stillschweigend ein Leistungstermin enthalten sei. Daher glaube ich, was Julian sagt, dass sich nämlich derjenige, der sich in Rom versprechen lasse, dass heute in Karthago geleistet werde, unwirksam versprechen lasse.

Julian entnimmt der Vereinbarung über den Leistungsort eine Vereinbarung über die Leistungszeit: Wer sich durch Stipulation eine Leistung in

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Ephesus versprechen lässt, bestimmt stillschweigend einen Termin in der Weise, dass die Leistung erst gefordert werden kann, wenn der Schuldner sich nach Ephesus begeben haben könnte.370 Dieser Aufschub ist durch die tatsächlichen Möglichkeiten vorgegeben, die der Schuldner hat und denen die Parteien mutmaßlich Rechnung tragen. Haben sie sich bewusst darüber hinweggesetzt, scheitert das Versprechen an dem Satz: impossibilium nulla obligatio: Wird in Rom eine sofort in Karthago zu bewirkende Leistung versprochen, ist die Stipulation nichtig.371 (3) Iul 873 = D 46.8.23 (5 Min) Procurator cum peteret pecuniam, satisdedit amplius non peti: post iudicium acceptum extitit, qui et ipse procuratorio nomine eandem pecuniam peteret: quaesitum est, cum is, qui postea peteret, procurator non esset et propter hoc exceptionibus procuratoriis excludi posset, num fideiussores prioris procuratoris tenerentur. Iulianus respondit: verius est non obligari fideiussores: nam in stipulatione cavetur non petiturum eum, cuius de ea re actio petitio persecutio sit, et ratum habituros omnes, ad quos ea res pertinebit: hic autem, qui procurator non est, nec actionem nec petitionem habere intellegendus est.

Ein Prozessvertreter hat, als er einen Geldbetrag forderte, versprochen, dass nicht noch einmal geklagt werde. Nach Aufnahme des Prozesses ist jemand erschienen, der seinerseits als Prozessvertreter diesen Geldbetrag forderte. Es ist gefragt worden, ob die Bürgen des ersten Vertreters haften, da der zweite Kläger kein Prozessvertreter war und deshalb mit der Vertretereinrede ausgeschlossen werden kann. Julian hat befunden: Es ist richtiger, wenn die Bürgen nicht verpflichtet sind. Denn mit ihrem Versprechen leisten sie nur Sicherheit dafür, dass nicht derjenige klagt, dem in dieser Sache eine persönliche oder dingliche oder sonstige Klage zusteht, und dass alle die Prozessführung genehmigen, die die Sache angeht. Wer aber kein Prozessvertreter ist, hat weder eine persönliche noch eine dingliche Klage.

Julian deutet die von einem procurator gestellte Kaution amplius non agi und schließt von ihr die Klageerhebung durch einen zweiten Prozessvertreter aus. Die Kaution soll den Beklagten nur vor der Inanspruchnahme durch einen Berechtigten, nicht auch vor dem Auftreten desjenigen schützen, der als Vertreter ohne Vertretungsmacht gar kein Klagerecht hat. Dass der Beklagte von ihm in Anspruch genommen wird, ist sein stetes Risiko und bedeutet keine von dem ersten Prozessvertreter geschaffene Gefahr, die durch die Kaution abgeschirmt werden soll. Nur scheinbar vor eine Alternative stellt Julian den Rechtsanwender in dem folgenden Fall, in dem er einen Schluss aus den Konsequenzen zieht, die eine Vereinbarung in der einen oder anderen Bedeutung hat: 370  Diese Entscheidung entspricht derjenigen in Iul 695 = D 38.1.24pr (52 dig); s. o. B.I.2.b)aa)(1) (3). 371  Zu dieser auch in IJ 3.15.5 behandelten Frage eingehend Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 174 ff.



I. Systemimmanente Rechtsfindung291

(4) Iul 22 = D 2.14.30.1 Gai 1 ed prov Qui pecuniam a servo stipulatus est, quam sibi Titius debebat, si a Titio petat, an exceptione pacti conventi summoveri et possit et debeat, quia pactus videatur, ne a Titio petat, quaesitum est. Iulianus ita summovendum putat, si stipulatori in dominum istius servi de peculio actio danda est, id est si iustam causam intercedendi servus habuit, quia forte tantandem pecuniam Titio debuit: quod si quasi fideiussor intervenit, ex qua causa in peculium actio non daretur, non esse inhibendum creditorem, quo minus a Titio petat: …

Es ist fraglich, ob derjenige, der sich von einem Sklaven einen Betrag hat versprechen lassen, den ihm Titius schuldete, bei der Klage gegen Titius durch die Einrede aus einem Pakt überwunden werden könne und müsse, weil es als vereinbart anzusehen sei, dass er von Titius nichts mehr fordern solle. Julian glaubt, der Gläubiger müsse überwunden werden, wenn ihm gegen den Eigentümer des Sklaven die Klage wegen des Sonderguts zu gewähren sei, also wenn der Sklave einen Grund zum Schuldeintritt hatte, insbesondere weil er Titius denselben Betrag schuldete. Habe er sich aber wie ein Bürge verpflichtet, wo­ raus keine Klage wegen des Sonderguts gewährt werde, sei der Gläubiger nicht an der Klage gegen Titius zu hindern. …

Hat ein Sklave dem Gläubiger des Titius den von diesem geschuldeten Betrag versprochen, ist fraglich, ob er so Titius’ Verpflichtung übernommen und bewirkt hat, dass sich dieser, wenn seine Forderung auch nicht erloschen ist,372 gegen den Gläubiger von nun an zumindest mit Hilfe einer exceptio pacti verteidigen kann.373 Ob den Parteien ein solcher animus novandi unterstellt werden kann, macht Julian von der Position abhängig, die der Gläubiger durch das Versprechen des Sklaven erlangt: Hat er eine Klage gegen den Eigentümer des Sklaven erworben, insbesondere weil dieser dem Titius den Betrag schuldig war und sich damit im Rahmen der ihm zugestandenen Verwaltung seines Sonderguts gehalten hat, so ist Titius’ Verpflichtung als noviert anzusehen. Hat sich der Sklave dagegen ohne eigene Verbindlichkeit gegenüber Titius verpflichtet und so die Grenzen seiner Verwaltungsbefugnis überschritten,374 ist der Eigentümer des Sklaven nicht 372  Gai 3.176. 373  Hierzu

Apathy, Animus novandi, Wien / New York 1975, S. 185 f. Unterscheidung zwischen den beiden Arten der Interzession findet sich auch in einem Zitat bei Ulpian; vgl. Iul 193 = D 15.1.3.6 Ulp 29 ed: Iulianus quoque libro duodecimo digestorum scribit, si servus mandaverit, ut creditori meo solveretur, referre ait, quam causam mandandi habuerit: si pro creditore suo solvi mandavit, esse obligatum dominum de peculio: quod si intercessoris officio functus sit, non obligari dominum de peculio. Als unentgeltliche Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger behandelt Julian die Interzession ebenso wie eine Schenkung, die er gleichfalls von der Ermächtigung zur Verwaltung des Sonderguts ausnimmt; vgl. Iul 192 = D 2.14.28.2 Gai 1 e prov: … nam cum verum est, quod Iuliano placet, etiamsi maxime quis administrationem peculii habeat concessam, donandi ius eum non habere: … . 374  Die

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verpflichtet und dementsprechend auch kein animus novandi zu unterstellen. Die Wirkung des Versprechens, deren Feststellung an die Ermittlung zusätzlicher Sachverhaltselemente geknüpft ist, gibt damit vor, wie sie zu verstehen ist. Ebenso verfährt Julian in der folgenden Entscheidung, in der es um ein iusiurandum geht, das wie ein pactum auf die betroffene Verpflichtung wirkt: (5) Iul 131 = D 12.2.42pr Pomp 18 ep Creditore, qui de mutua pecunia contra pupillum contendebat, iusiurandum deferente pupillus iuravit se dare non oportere: eandem pecuniam a fideiussore eius petit: an excludendus sit exceptione iurisiurandi? quid tibi placet, rescribe mihi. eam rem apertius explicat Iulianus. nam si controversia inter creditorem et pupillum fuerit, an omnino pecuniam mutuam accepisset, et convenit, ut ab omni condicione discederetur, si pupillus iurasset, isque iuraverit se dare non oportere, naturalis obligatio hac pactione tolletur et soluta pecunia repeti poterit. sin vero creditor quidem se mutuam dedisse contendebat, pupillus autem hoc solo defendebatur, quod tutor eius non intervenisset et hoc tale iusiurandum interpositum est, hoc casu fideiussorem praetor non tuebitur. …

Ein Mündel hat auf Antrag eines Gläubigers, der die Rückzahlung eines Darlehens verlangte, den Eid geleistet, dass er nicht leisten müsse. Kann der Betrag nun von dem Bürgen gefordert werden, oder ist der Gläubiger durch die aus dem Eid sich ergebende Einrede ausgeschlossen? Antworte mir, was du glaubst. Diese Frage wird bei Julian deutlicher erklärt. Denn wenn der Streit zwischen dem Gläubiger und dem Mündel darum gegangen sei, ob er überhaupt Geld in Empfang genommen hätte, und man vereinbart habe, dass er durch den Eid schlechthin befreit würde, sei, wenn er seine mangelnde Verpflichtung beschwöre, die Naturalobligation durch diese Vereinbarung beseitigt und eine schon erbrachte Leistung könne zurückgefordert werden. Hat der Gläubiger dagegen geltend gemacht, dass er das Darlehen ausgezahlt habe, der Mündel sich aber nur damit verteidigt, dass sein Vormund nicht dabei gewesen sei, und ist der Eid so geleistet worden, schützt der Prätor den Bürgen in diesem Fall nicht. …

Bei der Entscheidung, welche Wirkungen ein Eid hat, den ein von seinem Darlehensgeber belangtes Mündel geleistet hat, greift Pomponius auf Julian zurück.375 Dieser hat sich freilich selbst offenbar nicht mit der bei Pomponius in Rede stehenden Bürgschaftsverpflichtung, sondern mit der Frage beschäftigt, ob eine ungeachtet des iusiurandum erbrachte Leistung von Seiten des Mündels zurückgefordert werden kann. Der Fall sei dies, wenn der Eid sich auf die Frage beziehe, ob das Mündel überhaupt das Darlehen in Empfang genommen habe. Denn dann bestehe, wenn man die beschworene Tatsache als wahr gelten lasse, noch nicht einmal eine Naturalobliga375  Vgl. zu dieser Entscheidung auch Babusiaux (Fn. 360), S. 131 ff. und Steiner, Die römischen Solidarobligationen, München 2009, S. 142 f.



I. Systemimmanente Rechtsfindung293

tion. Anders verhält es sich, wenn die Auszahlung des Darlehens unstreitig, aber die Anwesenheit des Vormunds umstritten ist. Hier scheidet eine Rückforderung aus, weil das Mündel sonst ungerechtfertigt bereichert wäre, die Leistung also auf eine Naturalobligation erfolgte.376 Trotz der Varianz in der Bedeutung des Eides eröffnet Julian bei seiner Interpretation doch keinen Spielraum, sondern lässt die Situation, in der er abgegeben wird, endgültig über sein Verständnis entscheiden.377 Auf dieser Grundlage erscheint Julian auch eindeutig, dass sich das iusiurandum stets auf alle aus einem bestimmten Grund gegebenen Klagen erstreckt: (6) Iul 211 = D 12.2.40 (13 dig) … idcirco poenam quoque petentem creditorem exceptione summoveri oportet et solutum repeti potest, utpote cum interposito eo ab omni controversia discedatur.

… Deshalb kann auch der Gläubiger, der eine Vertragsstrafe verlangt, mit der Einrede überwunden werden und das, was er geleistet hat, zurückfordern, da mit der Eidesleistung der Streit ja in jeder Hinsicht beendet ist.

Wer einen ihm von der anderen Seite angetragenen Eid leistet, möchte sich typischerweise von allen aus demselben Sachverhalt entspringenden Forderungen befreien und die Leistung, die der Gläubiger mit der Hauptsacheklage nicht mehr wirksam einfordern kann, nicht auf dem Umweg über eine Vertragsstrafe erbringen. Ebenso wie die Verurteilung aus der Hauptschuld durch die exceptio iurisurandi gehindert ist, steht diese daher auch seiner Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe entgegen, so dass nach einer Leistung auch die condictio indebiti angestrengt werden kann. 376  Ebenso sehen dies die Spätklassiker; vgl. D  46.3.95.4 Pap 28 quaest, D 46.2.1.1 Ulp 46 Sab, D 12.6.13.1 Paul 10 Sab; anders noch Neraz; vgl. D 12.6.41 (6 membr). 377  Erst Pomponius liefert eine Entscheidungshilfe für den Fall, dass sich auch nach Ermittlung der Umstände die Bedeutung, die die Parteien dem Eid zugemessen haben, nicht ermitteln lässt; hier gelte die Regel, dass im Zweifel der gesamte Vorgang in Abrede gestellt werde, so dass der Bürge befreit sei und eine bereits geleistete Zahlung zurückgefordert werden könne: … si autem liquido probari non potest, quid actum sit, et in obscuro erit (ut plerumque fit), de facto an de iure inter creditorem et pupillum controversia fuerit deferente creditore pupillum iurasse, intellegere debemus id actum inter eos, ut, si iurasset se dare non oportere, ab omni condicione discederetur: atque ita et solutam pecuniam repeti posse et fideiussoribus exceptionem dari debere existimavimus.Pomponius beschreibt den Gegenstand des iusiurandum in diesem Fall unscharf als controversia de facto und belegt die andere Deutung, bei der das Hinzutreten des Vormunds zweifelhaft ist, als eine controversia de iure. In Wahrheit geht es hier wie dort um eine Tatsachenfrage, an die nur jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft sind.

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Zwei mögliche Bedeutungen eines Geschäfts erwägt Julian dagegen in den folgenden drei Fragmenten. In den beiden ersten erklärt er jedoch eine von beiden Varianten für die wahrscheinliche: (7) Iul 700 = D 45.2.6pr (52 dig) Duos reos promittendi facturus si utrumque interrogavero, sed alter dumtaxat responderit, verius puto eum qui responderit obligari: neque enim sub condicione interrogatio in utriusque persona fit, ut ita demum obligetur, si alter quoque responderit.

Habe ich, um zwei Schuldner zu gewinnen, sie gemeinsam gefragt und hat nur einer von beiden geantwortet, glaube ich, es sei richtiger, wenn derjenige, der geantwortet hat, verpflichtet wird. Denn die Frage an beide erfolgte nicht unter einer Bedingung, so dass der eine bloß dann verpflichtet würde, wenn auch der andere geantwortet hätte.

Julian fragt nach der Wirkung einer an zwei Schuldner gerichteten Frage eines Stipulationsgläubigers, wenn nur einer der Schuldner geantwortet hat. Julian hält diesen im Zweifel für allein verpflichtet,378 weil er der Frage des Gläubigers nicht entnimmt, dass die Verpflichtung des einen durch die des anderen Schuldners bedingt sein sollte. Auch wenn diese scheitert, hat der Gläubiger nämlich im Regelfall immer noch ein Interesse daran, zumindest einen Schuldner zu gewinnen. (8) Iul 710 = D 46.1.16.6 (53 dig) Cum fideiussor hoc modo acceptus esset: ‚si reus quadraginta, quae ei credidi, non solverit, fide tua esse iubes?‘, verisimile est id actum, ut, cum appellatus reus non solvisset, fideiussor teneretur. sed et si reus, antequam appellaretur, decessisset, fideiussor obligatus erit, quia hoc quoque casu verum est reum non solvisse.

Ist ein Bürge auf folgende Weise verpflichtet worden: „Versprichst du 40, die ich dem Hauptschuldner als Darlehen gegeben habe, zu leisten, wenn dieser nicht zahlt?“, so ist wahrscheinlich vereinbart, dass der Bürge haftet, wenn der Hauptschuldner trotz Mahnung nicht zahlt. Aber auch, wenn der Hauptschuldner, bevor er gemahnt werden konnte, gestorben ist, ist der Bürge verpflichtet, weil auch in diesem Fall zutrifft, dass der Hauptschuldner nicht geleistet hat.

Julian legt eine Ausfallbürgschaft aus, die unter der Bedingung steht, dass der Hauptschuldner nicht geleistet hat. Diese Bedingung ist ohne Weiteres erfüllt, wenn der Hauptschuldner, ohne gezahlt zu haben, gestorben ist. Lebt er noch, kann der Gläubiger den Bürgen aber im Zweifelsfall nicht eher in Anspruch nehmen, als er den Hauptschuldner nicht fruchtlos gemahnt hat. Könnte der Gläubiger sofort gegen den Bürgen vorgehen, hätte die Bedingung keinen eigenständigen Regelungsgehalt. 378  Ebenso

entscheidet Ulpian in D 45.2.8 (1 resp).



I. Systemimmanente Rechtsfindung295

Im dritten Fall überlässt Julian dem Rechtsanwender sogar die Feststellung der Kriterien, an denen sich entscheidet, ob eher die eine oder die andere Bedeutungsvariante als Geschäftsinhalt in Betracht kommt: (9) Iul 747 = D 39.5.2.7 (60 dig) Titio decem donavi ea condicione, ut inde Stichum sibi emeret: quaero, cum homo antequam emeretur mortuus sit, an aliqua actione decem recipiam. respondi: facti magis quam iuris quaestio est: nam si decem Titio in hoc dedi, ut Stichum emeret, aliter non daturus, mortuo Sticho condictione repetam: si vero alias quoque donaturus titio decem, quia interim Stichum emere proposuerat, dixerim in hoc me dare, ut Stichum emeret, causa magis donationis quam condicio dandae pecuniae existimari debebit et mortuo Sticho pecunia apud Titium remanebit.

Ich habe Titius zehn unter der Bedingung geschenkt, dass er hiervon den Sklaven Stichus kaufe. Ich frage, ob ich den Betrag, wenn der Sklave noch vor seinem Kauf gestorben sei, mit irgendeiner Klage zurückfordern könne. Ich habe geantwortet: Dies ist mehr eine Sachverhalts- als eine Rechtsfrage: Denn wenn ich Titius zehn gezahlt habe, damit er Stichus kauft, und andernfalls nicht gezahlt hätte, kann ich den Betrag bei Stichus’ Tod mit der Kondiktion zurückfordern. Hätte ich dagegen Titius den Betrag auch sonst geschenkt, und habe ich, weil er sich vorgenommen hatte, Stichus zu kaufen, gesagt, ich zahlte ihm, damit er Stichus kauft, liegt eher eine Schenkung als eine Bedingung für die Zahlung des Geldes vor, und es verbleibt nach Stichus’ Tod bei Titius.

Julian beschäftigt sich mit der Einordnung einer Geldzahlung zum Sklavenerwerb: Sie kann entweder eine Schenkung aus einem rechtlich unbeachtlichen Motiv sein, so dass der Leistungsempfänger den Betrag auch dann nicht zurückgewähren muss, wenn der zu kaufende Sklave gestorben ist; oder sie kann eine Leistung zu einem vom Empfänger herzustellenden Erfolg sein, so dass mit dessen Ausfall die condictio begründet ist379.380 Für die Auslegung kommt es auf die Verknüpfung der Geldzahlung mit dem Sklavenerwerb an: Wird er vom Empfänger als möglicher Verwendungszweck ins Spiel gebracht, liegt wahrscheinlich eine Schenkung vor; stammt die Idee hierzu vom Leistenden, der sonst die Zahlung nicht erbracht hätte, spricht mehr dafür, eine Leistung zu einem bestimmten Zweck anzunehmen, die einen Kondiktionsanspruch auslöst.

379  Vgl. Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht, Münster / Köln 1952, S. 143 f. 380  Eine „Schenkung unter Auflage“, die eine spätere Mischform dieser beiden Varianten ist, erwägt Julian noch nicht.

296 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

bb) Testamentsauslegung (1) Induktion Häufiger als der Vertragsinterpretation widmet sich Julian der Auslegung letztwilliger Verfügungen, auf die insgesamt 29 Entscheidungsbegründungen entfallen. Hiervon sind wiederum 16 induktiv, also durch den Schluss aus einem Vergleichsfall gewonnen. Bei nur drei Entscheidungen dient er der Demonstration, dass der Wortlaut einer letztwilligen Verfügung einer bestimmten Deutung zugänglich ist oder sie vereitelt. In einem Fall zieht Julian dabei einen Gegenschluss aus einer Formulierung, mit der die erwogene Absicht des Erblassers formgerechten Ausdruck gefunden hätte: (1) Iul 3 = D 34.5.13.6 (sing amb) Item si pater familias in testamento ita scripserit: ‚Si quis mihi filius aut filia genitur, heres mihi esto: si mihi filius aut filia heres non erit, Seius heres esto‘, non satis voluntatem suam declaravit, si non aliter extraneum heredem esse volet, quam si neque filius neque filia heres sit: hoc enim modo concipi oportet: ‚Si mihi neque filius neque filia heres erit‘. …

Hat ein Vater ferner in seinem Testament geschrieben: „Wird mir ein Sohn oder eine Tochter geboren, sollen sie oder er Erbe sein; wird mein Sohn oder meine Tochter nicht Erbe, soll Seius Erbe sein“, hat er seinen Willen nicht hinreichend erklärt, falls er den Dritten nur dann Erbe werden lassen wollte, wenn weder Sohn noch Tochter Erbe werden. Dies muss folgendermaßen erklärt werden: „Wenn weder mein Sohn noch meine Tochter Erbe werden …“. …

Ist ein Ersatzerbe für den Fall eingesetzt, dass Sohn „oder“ (aut) Tochter des Erblassers nicht Erben werden, kommt er schon dann zum Zuge, wenn einer von beiden nicht mehr lebt oder von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Wollte der Erblasser den Ersatzerben nur für den Fall einsetzen, dass sowohl sein Sohn als auch seine Tochter ausfallen, hat er seinen Willen nicht hinreichend erklärt. Denn er hätte sich, um seinen Wunsch formwirksam zum Ausdruck zu bringen, der Wendung „weder – noch“ (neque – neque) bedienen müssen. Sie ist der vom Erblasser gewählten Formulierung derart unähnlich, dass sie nicht dieselbe Rechtsfolge zeitigen kann. In dem Fall, dass die vom Wortlaut gesetzte Grenze nicht überschritten ist, soll der Vergleichsfall entweder zeigen, wie die unterstellte Absicht des Erblassers klarer zum Ausdruck hätte gebracht werden können; oder Julian erweist den Sprachgebrauch an der Verwendung eines parallelen Begriffs: (2) Iul 387 = D 37.11.8.1 (24 dig) Qui filio impuberi substituitur ita: ‚si filius meus moriatur, priusquam in suam tutelam veniat, tunc Titius mihi heres esto‘, sicut hereditatem vindicat, perinde ac si verbum hoc ‚mihi‘ adiectum non esset, ita bonorum quoque eius possessionem accipere potest.



I. Systemimmanente Rechtsfindung297



Wer für einen unmündigen Sohn so zum Ersatzerben eingesetzt ist: „Wenn mein Sohn stirbt, bevor er mündig wird, ist Titius mein Erbe“, der kann ebenso, wie er die Erbschaft herausverlangen kann, den Nachlassbesitz so erhalten, als sei das Wort „mein“ nicht eingefügt.

Ein Erblasser hat bei einer Pupillarsubstitution den Ersatzerben als seinen Erben bezeichnet, obwohl er eigentlich die Rechtsnachfolge nach dem vor Eintritt der Mündigkeit verstorbenen Pupill antritt. Julian hält die Einsetzung des Ersatzerben gleichwohl für wirksam und fasst den entsprechenden Passus so auf, als hätte der Erblasser auf die unrichtige Bezeichnung als „seinen“ Erben verzichtet. (3) Iul 2 = D 32.62 (sing amb) Qui duos mulos habebat ita legavit: ‚mulos duos, qui mei erunt cum moriar, heres dato‘: idem nullos mulos, sed duas mulas reliquerat. respondit Servius deberi legatum, quia mulorum appellatione etiam mulae continentur, quemadmodum appellatione servorum etiam servae plerumque continentur. id autem eo veniet, quod semper sexus masculinus etiam femininum sexum continet.

Wer zwei Esel hatte, vermachte so: „Die beiden Esel, die mir bei meinem Tod gehören, soll mein Erbe leisten.“ Derselbe hinterließ nicht zwei Esel, sondern zwei Eselinnen. Servius war der Meinung, das Vermächtnis sei geschuldet, weil die Bezeichnung „Esel“ auch Eselinnen erfasst, ebenso wie die Bezeichnung „Sklave“ häufig auch Sklavinnen umfasst. Dies kommt daher, dass das männ­ liche Geschlecht immer auch das weibliche einschließt.

Ist dem Erben auferlegt, zwei Esel zu übereignen, und befinden sich im Nachlass nur zwei Eselinnen, sind sie nach Servius’ Ansicht Gegenstand des Vermächtnisses, weil die maskuline Bezeichnung ebenso wie im Fall von Sklaven die weibliche umfasse. Dies gelte, so erklärt Ju­lian, ganz generell, weil das männliche Geschlecht stets das weibliche umfasse. Dies schließt nicht aus, dass im konkreten Fall von einer maskulinen Bezeichnung auch nur männliche Sklaven oder Tiere erfasst sind. Für den Regelfall unterstellt er jedoch die nach dem Sprachgebrauch zu erwartende Absicht des Testators. In den übrigen 13 Entscheidungen soll der Vergleichsfall Beweis für eine bestimmte Deutung erbringen, die mit einem anderen Verständnis der letztwilligen Verfügung konkurriert. Obwohl diese abweichende Deutung ebenfalls vom Wortlaut des Testaments gedeckt wäre, entnimmt Julian ihm doch zugleich das bevorzugte Verständnis als die entweder allein in Betracht kommende oder zumindest wahrscheinlichere Absicht des Testators. Auch hier kann es wiederum zu einem Gegenschluss aus einer Testamentsgestaltung kommen, in der die abweichende Deutung angebracht wäre: (4) Iul 470 = D 30.6 (33 dig) ‚Stichum, qui meus erit cum moriar, heres meus dato‘: magis condicionem legato iniecisse quam demonstrare voluisse patrem familias apparet eo quod, si

298 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian demonstrandi causa haec oratio poneretur, ita concepta esset ‚Stichus qui meus est‘, non ‚qui meus erit‘. sed condicio talis accipi debet ‚quatenus meus erit‘, ut, si totum alienaverit, legatum exstinguatur, si partem, pro ea parte debeatur, quae testatoris mortis tempore fuerit.

„Mein Erbe soll den Stichus, der mir gehören wird, wenn ich sterbe, leisten.“ Dass der Familienvater eher eine Bedingung für das Vermächtnis einfügen als nur beschreiben wollte, ergibt sich daraus, dass, wenn dieser Passus zur Beschreibung verwendet worden wäre, so formuliert gewesen wäre: „Stichus, der mir gehört“, und nicht: „der mir gehören wird“. Die Bedingung ist aber so aufzufassen: „sofern er mir gehört“, so dass, wenn er ihn ganz veräußert hat, das Vermächtnis erlischt und, wenn er einen Teil veräußert hat, nur der Teil geschuldet wird, der dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes gehörte.

Hat jemand einen Sklaven vermacht, der ihm bei seinem Tode gehöre, versteht Julian dies als Bedingung mit der Folge, dass der Sklave nur für den Fall vermacht ist, als er dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes auch gehört.381 Eine bloße Beschreibung des Sklaven wäre präsentisch und nicht auf die Zukunft bezogen gewesen. Bedient sich der Erblasser des Futurs, kommt seiner Formulierung im Regelfall auch normative Bedeutung zu, weil er so gewöhnlich die zukünftige Entwicklung zum Gegenstand seiner Verfügung macht. In fünf anderen Konstellationen besteht der Vergleichsfall dagegen umgekehrt in einer anderen Testamentsgestaltung, mit der die angenommene Absicht des Erblassers gerade deutlicher zutage tritt: (5) Iul 478 = D 30.84.7 (Iul 33 dig) Si ita cui legatum esset: ‚si tabulas chirographi mei heredi meo reddiderit, heres meus ei decem dato‘, huiusmodi condicio hanc vim habet ‚si heredem meum debito liberaverit‘. quare et, si tabulae exstabunt, non intellegetur condicioni satisfecisse creditor, nisi acceptum heredi fecerit, et, si tabulae in rerum natura non fuerint, existimabitur implesse condicionem, si heredem liberaverit, nec ad rem pertinebit, iam tunc cum testamentum fiebat tabulae interciderint an postea vel mortuo testatore.

Ist jemandem wie folgt vermacht: „Gibt er meinem Erben meinen Schuldschein zurück, soll ihm mein Erbe 100 geben!“, hat diese Bedingung die Bedeutung: „befreit er meinen Erben von seiner Schuld“. Deshalb hat der Gläubiger die Bedingung, wenn der Schuldschein noch existiert, nicht eher erfüllt, als er nicht auch meinem Erben die Schuld erlassen hat, und auch, wenn der Schuldschein nicht mehr existiert, erfüllt er die Bedingung nur, wenn er meinen Erben befreit; und es kommt nicht darauf an, ob der Schuldschein schon zur Zeit der Testamentserrichtung untergegangen war oder erst später nach dem Tod des Erblassers.

Julian versteht ein Vermächtnis, das unter der Bedingung einer Rückgabe seines chirograhum ausgesetzt ist, nicht wörtlich, sondern entsprechend der 381  Anders

hat offenbar Labeo entschieden; vgl. D 30.5.1 Paul 1 Sab.



I. Systemimmanente Rechtsfindung299

umgangssprachlichen Bedeutung, die der Rückgabe des Schuldscheins zukommt.382 Nach ihr geht es darum, dass der Vermächtnisnehmer dem Erben die Forderung erlassen soll, die sich aus dem chirographum ergibt. Dementsprechend reicht die bloße Rückgabe des Schuldscheins nicht aus; und die Erfüllung des Vermächtnisses wird nicht etwa dadurch unmöglich, dass der Schuldschein schon bei der Testamentserrichtung oder später verlorengegangen ist. (6) Iul 478 = D 30.84.12 (33 dig) Quibus ita legatum fuerit: ‚Titio et Maevio singulos servos do lego‘, constat eos non concursuros in eundem servum, sicuti non concurrunt, cum ita legatur: ‚Titio servum do lego: Maevio alterum servum do lego‘.

Diejenigen, denen wie folgt vermacht ist: „Titius und Mävius vermache ich jeweils einen Sklaven“, können zweifellos nicht auf denselben Sklaven Anspruch erheben, und zwar ebenso, wie wenn wie folgendermaßen vermacht wäre: „Titius vermache ich einen Sklaven, Mävius einen anderen.“

Ein Gattungsvermächtnis, das Julian der Wahlschuld gleichstellt,383 führt dann, wenn es zwei Vermächtnisnehmern ausgesetzt worden ist, nicht dazu, dass beide denselben Gegenstand fordern können. Dies ist für Julian deshalb evident, weil es nach dem typischen Willen des Erblassers so zu verstehen ist, als seien den beiden Vermächtnisnehmern ausdrücklich verschiedene Sklaven vermacht. (7) Iul 598 = D 40.7.31.1 Gai 13 leg Iul Pap Et ideo cum quaesitum est ‚Stichus cum rationes dederit, cum contubernali sua liber esto‘ an mortuo Sticho ante condicionem contubernalis eius libera esse possit: Iulianus dixit quaestionem esse in hac specie, quae et in legatis agitatur ‚illi cum illo do‘, an altero deficiente alter ad legatum admittatur: quod magis sibi placere, perinde ac si ita scriptum esset ‚illi et illi‘. …

Und als gefragt war, ob aufgrund der Anordnung: „Stichus soll, wenn er Rechenschaft ablegt, mit seiner Gefährtin frei sein“, falls Stichus vor dem Eintritt der Bedingung gestorben sei, seine Gefährtin frei sein könne, hat Julian daher gesagt, es liege hier eine Frage vor, wie sie auch bei Vermächtnissen derart: „ich wende diesem mit jenem zu“, vorkomme, nämlich ob, wenn der eine wegfalle, der andere das Vermächtnis erwerbe. Es erscheint ihm vorzugswürdig, den Fall so zu behandeln, als sei angeordnet: „diesem und jenem wende ich zu“. …

Julian stellt sich die Frage, ob die Gefährtin eines Sklaven, die mit diesem gemeinsam unter der Bedingung ordentlicher Rechnungslegung die Freiheit erlangen soll, frei wird, wenn der Sklave selbst noch vor der Rechnungslegung stirbt. Er vergleicht die Freilassungsverfügung mit einem Vermächtnis, das einem Vermächtnisnehmer „mit“ einem anderen zugewandt ist, und hält 382  Vgl. zur Zuwendung eines Schuldscheins Julians Ausführungen in Iul 490 = D 32.59 Iul 34 dig (s. u. B.I.2.b)bb)(1) [10]). 383  Iul 162 = D 12.6.32.3 (10 dig); s. o. B.I.1.a)bb) (30).

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hier für ausgemacht, dass es gewöhnlich so zu verstehen sei, als habe der Erblasser beide Personen als Vermächtnisnehmer benannt. Dementsprechend ist auch die Gefährtin des Sklaven als direkter Adressat der Freilassungsverfügung anzusehen und nach dem Tod des Sklaven und Ausfall der ihm gesetzten Bedingung noch in der Lage, die Freiheit zu erlangen. (8) Iul 440 = D 28.5.41 (30 dig) Si pater familias Titium, quem ingenuum esse credebat, heredem scripserit eique, si heres non esset, Sempronium substituerit, deinde Titius, quia servus fuerat, iussu domini adierit hereditatem: potest dici Sempronium in partem hereditatis admitti. nam qui scit aliquem servum esse et eum heredem scribit et ita substituit: ‚si Stichus heres non erit, Sempronius heres esto‘, intellegitur tale quod dicere: ‚si Stichus neque ipse heres erit neque alium fecerit‘. at qui eum, quem liberum putat esse, heredem scripserit, hoc sermone ‚si heres non erit‘ nihil aliud intellegitur significare, quam ‚si hereditatem vel sibi non adquisierit vel mutata condicione alium heredem non fecerit‘, quae adiectio ad eos pertinet, qui patres familias heredes scripti postea in servitutem deducti fuerint. igitur in hoc casu semisses fient ita, ut alter semis inter eum, qui dominus instituti heredis fuerit, et substitutum aequis portionibus dividatur: …

Hat ein Familienvater Titius, den er für freigeboren hielt, zum Erben eingesetzt und ihm für den Fall, dass er nicht Erbe wird, Sempronius zum Ersatzerben bestimmt und hat danach Titius, da er Sklave war, auf Geheiß seines Eigentümers die Erbschaft angetreten, kann man vertreten, dass Sempronius zum Teil zur Erbschaft berufen sei. Denn wer weiß, dass jemand Sklave ist und ihn zum Erben und für ihn folgendermaßen einen Ersatzerben bestimmt: „Ist Stichus nicht mein Erbe, soll Sempronius mein Erbe sein!“, wird so angesehen, als habe er angeordnet: „Ist Stichus nicht mein Erbe und hat er auch keinen anderen zum Erben gemacht“. Aber wer jemanden zum Erben einsetzt, von dem er glaubt, er sei frei, wird so angesehen, als habe er mit der Formulierung: „ist er nicht mein Erbe“, bloß ausdrücken wollen: „wenn er die Erbschaft nicht für sich erwirbt und nach Änderung seines Status auch niemand anderen zum Erben gemacht hat“, ein Zusatz, der sich auf diejenigen bezieht, die als Familienvater zum Erben eingesetzt werden und später in Sklaverei geraten. Daher werden in diesem Fall Hälften gebildet, so dass die gesamte Erbschaft nach Hälften zwischen dem Eigentümer des eingesetzten Sklaven und dem Ersatzerben zu gleichen Teilen geteilt wird.

Julian beurteilt den Fall, dass ein Erblasser einen Sklaven, den er irrtümlich für einen Freien hielt, zum Erben eingesetzt und dieser auf Geheiß seines Eigentümers die Erbschaft angetreten hat. Ist dieser Eigentümer dadurch zum Rechtsnachfolger des Erblassers geworden, oder soll wegen dessen Irrtums der Ersatzerbe zum Zuge kommen? Der überlieferte Text ist sicher verändert worden, wobei man bei der Rekonstruktion des Originals mit der geringstmöglichen Unterstellung auskommt, wenn man mit Lenel384 384  Palingenesia, Bd. 1 Sp. 395 Fn. 2  ff.; ebenso Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Aufl. München 1971, Bd. 1, S. 689 Fn. 34.



I. Systemimmanente Rechtsfindung301

annimmt, Julian habe von einer Ersatzerbeneinsetzung für den Fall gehandelt, dass der Haupterbe keine cretio vornehme. Nur hier kommt es nämlich zu dem von Julian befürworteten Ergebnis, dass sich Haupt- und Ersatzerbe gleichermaßen in den Nachlass teilen.385 Dieses passt freilich wiederum nicht zu der Begründung, bei der Julian den zu entscheidenden Fall, in dem sich der Erblasser über den Status des Sklaven irrt, von der Konstellation abgrenzt, in der er von der Sklaveneigenschaft weiß. Während er hier den Ersatzerben nur dann bedacht wissen will, wenn der Sklave weder für sich selbst noch für seinen Eigentümer die Erbschaft erwirbt, deckt die Bedingung, wenn er den Sklaven für frei hält, nur den Fall ab, dass er die Erbschaft weder für sich noch für denjenigen erwirbt, unter dessen Gewalt er nachträglich gerät. Danach müsste die Entscheidung des Falles lauten, dass der Eigentümer des Sklaven nicht zum Erben geworden ist und der Nachlass oder der hiervon für den Sklaven vorgesehene Teil allein an den Ersatzerben fällt. (9) Iul 462 = D 30.81.7 (32 dig) Si pater familias ab impubere filio Titio fundum legaverit et a substituto eundem eidem Titio et pupillus patri heres exstiterit: sive vindicaverit Titius legatum sive repudiaverit, quamvis filius impubes decesserit, a substituto vindicare non poterit. hoc enim, quod rursus a substituto legatur, perinde habendum est ac si repetita legata essent. …

Hat ein Familienvater seinem unmündigen Sohn zugunsten von Titius das Vermächtnis eines Grundstücks und dem Ersatzerben dasselbe Vermächtnis zugunsten von Titius auferlegt und ist der Unmündige Erbe seines Vaters geworden, kann Titius unabhängig davon, ob er das Grundstück herausverlangt oder das Vermächtnis ausgeschlagen hat, auch dann, wenn der Sohn unmündig gestorben ist, das Grundstück von dem Ersatzerben nicht fordern. Denn das Vermächtnis, das dem Ersatzerben erneut auferlegt ist, wird so verstanden, als sei es nur wiederholt worden. …

Sind bei der Pupillarsubstitution sowohl der Unmündige selbst als auch sein Ersatzerbe mit einem Vermächtnis gleichen Inhalts beschwert, sieht Julian hierin nur eine Wiederholung und nicht eine zweifache Beschwerung, so dass der Vermächtnisnehmer den Vermächtnisgegenstand nicht von dem Unmündigen und Ersatzerben gleichermaßen fordern kann. Dies entspricht der typischen Absicht eines Erblassers,386 der denselben Gegenstand dem Vermächtnisnehmer gewöhnlich nur einmal zuwenden will und dessen 385  Demgegenüber muss man den Schlusssatz und mit ihm die Entscheidung des Juristen selbst streichen, wenn man mit Voci, Diritto ereditario romano, Bd. 2, 2. Aufl., Mailand 1967, S. 859 annimmt, Julian habe sich mit einer Einsetzung auf einen Erbteil befasst; denn in diesem Fall kommt es nicht zu einer Teilung des Nachlasses zwischen dem Haupt- und Ersatzerben. 386  Vgl. Voci (Fn. 385), S. 248.

302 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Wunsch sich nicht dadurch vermehrt, dass er eine Pupillarsubstitution vornimmt. Einen Vergleich zu einem Vertrag mit identischem Geschäftsgegenstand stellt Julian in dem folgenden Fragment an: (10) Iul 490 = D 32.59 (34 dig) Qui chirographum legat, non tantum de tabulis cogitat, sed etiam de actionibus, quarum probatio tabulis continetur: appellatione enim chirographi uti nos pro ipsis actionibus palam est, cum venditis chirographis intellegimus nomen venisse. …

Wer einen Schuldschein vermacht, denkt nicht nur an die Urkunde, sondern auch an die Klage, deren Beweis die Urkunde dient. Die Bezeichnung „Schuldschein“ gebrauchen wir nämlich offensichtlich für die Klage, indem wir mit der Aussage, es seien Schuldscheine zum Verkauf gekommen, den Verkauf der Forderung bezeichnen. …

Julian bestimmt den Gegenstand des Vermächtnisses über ein chirographum, das sich nach seiner Ansicht nicht auf den Schuldschein beschränkt, sondern auf die darin verbriefte Forderung erstreckt, die der Erbe dem Vermächtnisnehmer abzutreten hat. Er gewinnt diese Lösung aus der Beobachtung des Sprachgebrauchs bei Kaufverträgen: Anders als im Fall des Vermächtnisses kann man hier in aller Regel schon am Kaufpreis ablesen, dass die Parteien, wenn sie einen Vertrag über ein chirographum schließen, nicht dieses selbst, sondern in erster Linie die hierdurch bewiesene Forderung meinen. In vier weiteren Fällen schließt Julian auf die Lösung des Ausgangsfalles aus der Deutung einer letztwilligen Verfügung, die zwar einen anderen Inhalt hat, aber in dem entscheidenden Punkt gleich zu behandeln ist: (11) Iul 515 = D 7.5.6pr (35 dig) Si tibi decem milia legata fuerint, mihi eorundem decem milium usus fructus, fient quidem tua tota decem milia: sed mihi quinque numerari debebunt ita, ut tibi caveam tempore mortis meae aut capitis deminutionis restitutum iri. nam et si fundus tibi legatus fuisset et mihi eiusdem fundi usus fructus, haberes tu quidem totius fundi proprietatem, sed partem cum usu fructu, partem sine usu fructu, et non heredi, sed tibi caverem boni viri arbitratu.

Sind dir 10.000 vermacht und mir an demselben Betrag der Nießbrauch, wird er insgesamt zu deinem Eigentum, aber mir sind 5.000 in der Weise auszuzahlen, dass ich dir Sicherheit dafür leiste, dass sie bei meinem Tod oder im Fall der Beschränkung meiner Rechtsfähigkeit zurückgezahlt werden. Denn auch wenn dir ein Grundstück vermacht ist und mir der Nießbrauch an demselben Grundstück, hast du das Eigentum an dem gesamten Grundstück, einen Teil aber nur mit dem Nießbrauch belastet, einen Teil ohne diesen; und nicht dem Erben, sondern dir leiste ich Sicherheit nach dem Ermessen eines redlichen Mannes.



I. Systemimmanente Rechtsfindung303

Hat ein Erblasser per vindicationem einem Vermächtnisnehmer das Eigentum, dem anderen den Nießbrauch an einem bestimmten Betrag vermacht und steht fest, dass es um dieselbe Summe geht, wird sie geteilt: Eine Hälfte erhält der eine Vermächtnisnehmer zu unbeschränktem Eigentum; die andere Hälfte gehört ihm ebenfalls, wird aber dem Nießbraucher unter der Bedingung ausgezahlt, dass er Gewähr für die Rückzahlung bei seinem Tod oder im Fall seiner capitis deminuitio leistet. Dieses Verständnis der beiden Anordnungen des Erblassers, das auf eine Teilung des Nießbrauchs hinausläuft,387 leitet Julian aus dem Parallelfall ab, in dem einem Vermächtnisnehmer ein Grundstück zu Eigentum, dem anderen der Nießbrauch hieran vermacht ist. In diesem Fall ist anerkannt, dass nicht etwa der eine Vermächtnisnehmer nur die nuda proprietas, der andere den Nießbrauch an dem gesamten Grundstück erlangt,388 sondern das Grundstück bis zum Tod des Nießbrauchers unter den Vermächtnisnehmern geteilt wird. Andernfalls erlangte der Vermächtnisnehmer, dem das Eigentum vermacht ist, nur eine formale Rechtsstellung, ohne dass sich aber dem Testament seine Zurücksetzung gegenüber dem Vermächtnisnehmer entnehmen ließe, dem der Nießbrauch vermacht ist. Die Zuwendung des Eigentums an der Sache ist daher so zu begreifen, dass sie auch ihre Nutzung mit umfasst,389 so dass sich Eigentümer und Nießbraucher in das Nutzungsrecht teilen müssen. (12) Iul 454 = IJ 2.20.18,19 … Grege autem legato etiam eas oves quae post testamentum factum gregi adiciuntur legato cedere, Iulianus ait:  esse enim gregis unum corpus ex distantibus capitibus, sicuti aedium unum corpus est ex cohaerentibus lapidibus: …

Ist eine Herde vermacht, seien, so sagt Julian, aber auch diejenigen Schafe von dem Vermächtnis erfasst, die nach der Testamentserrichtung zur Herde hinzukommen. Die Herde sei nämlich eine Einheit, die aus den verschiedenen Tieren gebildet werde, wie auch das Gebäude eine Einheit aus zusammengefügten Steinen sei. …

Julian sieht von einem Vermächtnis über eine grex alle dazugehörigen und damit auch die Tiere erfasst, die nach der Errichtung des Testaments zur Welt gekommen sind. Die Herde sieht er als unum corpus an, das alle seine Teile in seiner jeweiligen Zusammensetzung erfasse. Durch den Vergleich zu einem Gebäude, das keine selbständige Sache, sondern nur Teil des Grundstücks ist, nähert er sich der Vorstellung der Herde als einer Art Sondervermögen. 387  So

ausdrücklich Modestin in D 33.2.19 (sing heur). nach Modestins Ansicht scheitert diese Lösung am Wortlaut, weil das Vermächtnis des Eigentums deducto usu fructu hätte erfolgen müssen; vgl. D 33.2.19 (sing heur). 389  Vgl. Lohsse, Ius adcrescendi, Köln u. a. 2008, S. 182 f. 388  Zumindest

304 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (13) Iul 465 = D 33.5.9.1 (32 dig) Quaesitum est, si Stichus sub condicione liber esse iussus sit et mihi optio servi data esset vel servus generaliter legatus esset, quid iuris esset. dixi commodius constitui eum, qui sub condicione libertatem Sticho det et optionem servorum, non cogitare de Sticho, sicuti constat non cogitare eum de eo, cui praesentem libertatem dederit: secundum quod si Stichum optavero vel elegero, nihil agam et ex ceteris nihilo minus optabo.

Es ist gefragt worden, was rechtens sei, wenn Stichus unter einer Bedingung freigelassen und mir die Wahl eines Sklaven überlassen oder ein Sklave schlechthin vermacht worden sei. Ich habe befunden, es sei richtiger anzunehmen, dass derjenige, der Stichus unter einer Bedingung freigelassen und einem anderen die Wahl eines Sklaven überlassen habe, nicht an Stichus gedacht habe, ebenso wie feststeht, dass derjenige nicht an ihn denke, der ihm die Freiheit unmittelbar gewähre. Danach bewirke ich durch die Auswahl von Stichus nichts und kann nichtsdestoweniger aus dem Kreis der anderen Sklaven wählen.

Hat jemand einen Sklaven testamentarisch unter einer Bedingung freigelassen und zugleich für einen Vermächtnisnehmer eine Wahl- oder Gattungsschuld auf einen Sklaven begründet, so scheidet der freigelassene Sklave aus dem Kreis der möglichen Verpflichtungsgegenstände aus. Was im Fall einer unbedingten Freilassung feststeht, nämlich dass der Erblasser den Sklaven von dem Vermächtnis ausnehmen will, lässt sich für Julian im Regelfall auch auf die Konstellation einer bedingten Freilassung übertragen. Denn auch der unter einer Bedingung geäußerte Wunsch nach Freiheit des Sklaven läuft typischerweise der Absicht seiner Übertragung auf einen anderen zuwider. (14) Iul 387 = D 37.11.8pr (24 dig) Si ita scriptum sit: ‚Sempronius ex parte dimidia heres esto. Titius, si navis ex asia venerit, ex parte tertia heres esto. idem Titius, si navis ex asia non venerit, ex parte sexta heres esto‘: Titius non ex duabus partibus heres scriptus, sed ipse sibi substitutus intellegi debet ideoque non ex maiore parte quam tertia scriptus videtur. secundum hanc rationem cum sextans vacuus relinquatur, bonorum possessionem Titius accipiet non solum tertiae partis, sed eius quoque, quae ex sextante eidem adcrescit.

Ein Testament ist so verfasst worden: „Sempronius ist zur Hälfte mein Erbe. Kommt ein Schiff aus Asien, ist Titius zu einem Drittel Erbe. Kommt kein Schiff aus Asien, ist derselbe Titius zu einem Sechstel Erbe.“ Titius ist nicht auf zwei Anteile zum Erben eingesetzt, sondern ist so anzusehen, als sei er für sich selbst als Ersatzerbe eingesetzt; und daher gilt er auch nicht zu einem größeren Teil als zu einem Drittel eingesetzt. Da nach dieser Rechnung ein Sechstel übrigbleibt, erhält Titius den Nachlassbesitz aber nicht nur zu einem Drittel, sondern auch zu dem Anteil, der ihm aus dem Sechstel anwächst.

Ist ein und derselbe Erbe unter komplementären Bedingungen zu unterschiedlichen Erbteilen angesetzt, kann er nur zu dem größeren von beiden



I. Systemimmanente Rechtsfindung305

Anteilen Erbe werden, erhält aber, wenn die Erbschaft so nicht ausgeschöpft wird, im Wege der Anwachsung noch eine Quote an dem nicht vergebenen Teil. Julian begründet dieses Ergebnis durch den Verweis auf den Fall einer substitutio: Schließen sich die Bedingungen, unter denen die Erbteile ausgesetzt worden sind, gegenseitig aus, ist der Erbe gleichsam sein eigener Ersatzerbe: So wie bei der gewöhnlichen substitutio nur einer zum Zuge kommt, kann auch hier der doppelt eingesetzte Erbe nur einen Erbteil beanspruchen. Schließlich finden sich noch zwei Entscheidungen, in denen Julian zur Ermittlung des hypothetischen Willens eines Erblassers auf einen Vergleichsfall zurückgreift, in dem die Fortgeltung einer zweifelhaft gewordenen Verfügung evident ist: (15) Iul 523 = D 30.91.2 (36 dig) Duobus heredibus institutis alteri Stichum legaverat et eidem Sticho decem. cum Stichus vivo testatore ad libertatem pervenisset, totum legatum ei debebitur: nam in solidum constitisse causam legati in eius persona hoc quoque argumento est, quod, si heres, cui legatus fuerat, hereditatem non adisset, solidum ab altero herede consequi possit.

Ein Erblasser setzte zwei Erben ein und vermachte dem einen den Sklaven Stichus und diesem wiederum zehn. Ist Stichus zu Lebzeiten des Erblassers freigekommen, wird ihm das gesamte Vermächtnis geschuldet. Dass das Vermächtnis insgesamt mit seiner Person verknüpft ist, wird nämlich auch dadurch belegt, dass er das gesamte Vermächtnis von dem anderen Erben fordern könnte, wenn der Erbe, dem er vermacht war, die Erbschaft nicht angetreten hätte.

Ist ein Sklave im Wege eines Prälegats einem von zwei Miterben vermacht, kann er ein ihm selbst ausgesetztes Vermächtnis auch dann in voller Höhe verlangen, wenn er noch vor dem Erbfall freigelassen worden ist. Zwar wäre das Vermächtnis teilweise durch Konfusion erloschen, wenn der Sklave nicht freigeworden und zum Eigentum des Miterben geworden wäre. Das Vermächtnis ist aber mit seiner Person und nicht der des Erben verbunden, dem er vermacht wurde. Dies zeigt für Julian der Vergleichsfall, dass dieser Erbe die Erbschaft nicht antritt. Hier kann von vornherein keine Konfusion stattfinden, weil er den Sklaven nun wie ein gewöhnlicher Vermächtnisnehmer besitzt und nicht an der Erbengemeinschaft beteiligt ist.390 Würde dem mit dem Vorausvermächtnis des Sklaven begünstigten Miterben das gesamte Vermächtnis zustehen, wenn er der Erbschaft als Dritter gegenübertritt, darf aber nichts anderes gelten, wenn der freigelassene Sklave selbst Erfüllung des ihm ausgesetzten Vermächtnisses fordert. 390  Vgl.

Wimmer, Das Prälegat, Wien u. a. 2004, S. 286.

306 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (16) Afr 48 = D 30.108.9 (5 quaest) Si servus alienus liber esse iussus et legatus sit, peti eum ex legato posse ait: nam cum libertas nullius momenti sit, absurdum esse per eam legatum infirmari, quod alioquin valeret, et si solum datum fuisset.

Habe ich einen fremden Sklaven freigelassen und ihn vermacht, könne er, wie er sagt, aus dem Vermächtnis gefordert werden. Denn da die Freilassung unwirksam sei, wäre es absurd, wenn sie das Vermächtnis ungültig machte, das, wenn es allein ausgesetzt wäre, gültig wäre.

Während die testamentarische Anordnung der Freiheit für einen fremden Sklaven ungültig ist, kann er durchaus zum Gegenstand eines Vermächtnisses gemacht werden. Julian folgert hieraus, dass beim Zusammentreffen beider Verfügungen das Vermächtnis Bestand hat. Kann der Erblasser nicht wirksam die Freilassung des Sklaven verfügen, soll hiervon auch kein Einfluss auf das Legat ausgehen. Zwar wäre denkbar, auch das Vermächtnis wegen seines Widerspruchs zu der Freilassung als ungültig anzusehen. Da jedoch offen ist, welche der beiden Anordnungen der Erblasser nun wirklich gewollt hat, muss diejenige, die wirksam ist, erhalten bleiben und der Fall so angesehen werden, als sei nur sie getroffen worden. (2) Deduktion Auch bei den deduktiv gewonnenen Deutungen letztwilliger Anordnungen, die insgesamt 13mal vorkommen, ist es wiederum nur eine Minderheit von zwei Entscheidungen, in denen sich Julian mit der Frage beschäftigt, ob ein bestimmtes Verständnis vom Wortlaut des Testaments gedeckt ist. In dem einen Fall wirft er dem Erblasser die Verfehlung der zur Verwirk­ lichung seiner Absicht eigentlich angebrachten Verfügung vor; in dem anderen verfährt er großzügig, weil trotz unpassender Formulierung die Absicht des Erblassers klar zutage tritt: (1) Iul 451 = D 29.4.22pr (31 dig) Si in testamento ita scriptum fuerit: ‚Titius heres esto: si Titius heres erit, Maevius heres esto‘ et Titius omissa causa testamenti hereditatem legitimam possederit, Maevio adversus eum petitio hereditatis dari non debet pro parte, quam habiturus esset, si testamenti causa omissa non fuisset. cum enim omisso testamento hereditas possidetur, legatorum quidem et libertatium ratio habenda est, quia aliter quam ab herede dari non potuerunt: hereditatis vero quae ita data est rationem habere praetor non debet: sua enim culpa testator sub hac condicione hereditatis partem dedit, quam potuit pure dare.

Ist in einem Testament Folgendes bestimmt: „Titius soll Erbe sein! Ist Titius Erbe, soll auch Maevius Erbe sein!“ und besitzt Titius die gesetzliche Erbschaft ohne Rücksicht auf das Testament, ist Mävius die Erbschaftsklage auch nicht zu dem Teil zu gewähren, den er innegehabt hätte, wenn das Testament nicht übergangen worden wäre. Wird die Erbschaft ohne Rücksicht auf das Testament



I. Systemimmanente Rechtsfindung307 besessen, ist zwar den Vermächtnissen und Freilassungsanordnungen Genüge zu tun, weil sie nur vom Erben gewährt werden können. Eine derart ausgesetzte Erbschaft aber darf der Prätor nicht berücksichtigen. Der Erblasser hat den Erbteil nämlich aus eigener Schuld unter einer Bedingung ausgesetzt, während er sie auch unbedingt hätte aussetzen können.

Ist ein Erbe nur für den Fall eingesetzt, dass auch der andere Erbe wird, stellt sich die Frage, ob dieser die Erbengemeinschaft dadurch vermeiden kann, dass er, statt sein testamentarisches Erbrecht geltend zu machen, als Intestaterbe den Nachlassbesitz verlangt. Zweifel erweckt das Umgehungsverbot für Vermächtnisse und Freilassungen, die der Testamentserbe nicht dadurch entwerten kann, dass er statt der Erbschaft den Nachlassbesitz fordert.391 Diese Regel beruht jedoch auf der Erwägung, dass Vermächtnisse und Freilassungen bloß vom Erben verlangt werden können, und lässt sich nicht auf die bedingte Einsetzung eines Miterben übertragen. Anders als bei Vermächtnissen und Freilassungen hat der Erblasser, wenn er den Miterben jedenfalls bedenken will, hier die Möglichkeit, ihn unbedingt zum Erben einzusetzen. Setzt er ihn bedingt ein, verdient sein Wunsch, ihn unter allen Umständen zum Erben zu machen, daher keine Rücksicht. Der Wortlaut des Testaments setzt sich unabhängig von der Absicht des Erblassers durch, weil sie, wenn sie hiervon abweicht, nicht formgerecht erklärt worden ist. (2) Iul 901 = D 40.4.18.1 (2 Urs Fer) Haec condicio ‚cum moriar, liber esto‘ vitae tempus complectitur et idcirco inutilis esse videtur. sed melius est verba benignius interpretari, ut post mortem suam videatur testator ei libertatem reliquisse.

Die Verfügung: „Wenn ich sterbe, soll er frei sein!“, ist auf die Lebenszeit bezogen und daher unwirksam. Es ist aber besser, diese Formulierung großzügig auszulegen, so dass dem Sklaven die Freiheit nach dem Tod des Erblassers hinterlassen ist.

Julian versteht eine vom Erblasser mit dem Zusatz: cum moriar, angeordnete Freilassung eigentlich so, dass sie sich auf einen Zeitpunkt vor dem Tod des Erblassers bezieht. Dies würde bedeuten, dass sie als Verfügung von Todes wegen unwirksam wäre. Julian will jedoch Nachsicht gegenüber dem Erblasser üben, dessen Absicht ungeachtet der ungeschickten Formulierung klar zutage tritt,392 und seine Worte so verstehen, dass sie sich auf die Zeit nach seinem Tod beziehen. In den anderen elf Fällen einer deduktiven Testamentsinterpretation geht es um die Präferenz einer von zwei Deutungen. Während beide vom Wort391  Iul 413

= D 29.4.21 Iul 27 dig. Wubbe, Benigna interpretatio als Entscheidungskriterium, in: Pichonnaz (Hg.), Ius vigilantibus scriptum, Fribourg 2003, S. 437. 392  Vgl.

308 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

laut des Testaments gedeckt sind, erkennt Julian mit seiner Hilfe in einer der beiden den wahrscheinlichen Willen des Erblassers: (3) Iul 888 = D 30.104pr (1 Urs Fer) Ab omnibus heredibus legatum ita erat: ‚quisquis mihi heres erit, damnas esto Titio dare centum‘: deinde infra comprehensum erat, ne unus ex heredibus ei daret: quaeritur, reliqui heredes utrum tota centum dare deberent an deducta unius illius hereditaria portione. respondit verius esse reliquos heredes tota centum debere, cum et significatio verborum non repugnet huic sententiae et voluntas testatoris congruat.

Allen Erben war folgendes Vermächtnis auferlegt: „Wer auch immer mein Erbe ist, soll verpflichtet sein, Titius 100 zu zahlen.“ Danach war weiter unten aufgeführt, dass einer der Erben nicht zahlen sollte. Es wird gefragt, ob die übrigen Erben den vollen Betrag von 100 oder unter Abzug der Erbquote dieses Erben zahlen müssten. Er hat geantwortet, es sei besser, wenn die übrigen Erben den vollen Betrag von 100 schuldeten, weil der Wortlaut diese Deutung zulasse und sie dem Willen des Erblassers entspreche.

Julian muss das Konkurrenzverhältnis auflösen, das zwischen der Anordnung eines allen Erben auferlegten Legats und der Befreiung eines Erben von dieser Pflicht besteht. Sollen die übrigen die ausgesetzte Summe in vollem Umfang oder nur insoweit leisten müssen, als sie auch die Erbschaft erlangt haben, also unter Abzug der Quote des befreiten Erben? Julian entscheidet sich für die erste Möglichkeit. Er stellt fest, dass sie dem doppeldeutigen Wortlaut des Testaments nicht zuwiderläuft, und leitet sie aus der voluntas testatoris ab. Gewinnen kann er sie nur aus der Anordnung des Vermächtnisses, das quisquis und damit nicht etwa nur bestimmte Erben trifft, so dass auch dann, wenn man die Befreiung eines Erben hinzunimmt, kein Bezug zu einer bestimmten Erbquote erkennbar ist. (4) Iul 464 = D 30.81.3 (32 dig) Qui fundum excepto aedificio legat, appellatione aedificii aut superficiem significat aut solum quoque, cui aedificium superpositum est. si de sola superficie exceperit, nihilo minus iure legati totus fundus vindicabitur, sed exceptione doli mali posita consequetur heres id, ut sibi habitare in villa liceat: in quo inerit, ut iter quoque et actum in ea habeat. si vero solum quoque exceptum fuerit, fundus excepta villa vindicari debebit et servitus ipso iure villae debebitur, non secus ac si duorum fundorum dominus alterum legaverit ita, ut alteri serviret. sed inclinandum est testatorem etiam de solo cogitasse, sine quo aedificium stare non potest.

Wer ein Grundstück mit Ausnahme eines Gebäudes vermacht, bezeichnet mit dem Wort „Gebäude“ entweder nur das Bauwerk oder auch den Boden, auf dem das Bauwerk errichtet ist. Hat er nur das Bauwerk ausgenommen, wird nichtsdestoweniger nach Vermächtnisrecht das gesamte Grundstück vindiziert, der Erbe aber im Wege des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung durchsetzen, dass er in dem Gebäude wohnen kann, wozu auch gehört, dass er bis dorthin ein Wege- und Triftrecht hat. Ist dagegen auch der Boden ausgenom-



I. Systemimmanente Rechtsfindung309 men, kann das Grundstück nur ohne das Gebäude gefordert werden, und zu diesem kommt automatisch die Dienstbarkeit hinzu, und zwar nicht anders, als wenn der Eigentümer zweier Grundstücke das eine so vermacht hätte, dass es dem anderen dient. Es liegt aber näher, dass der Erblasser auch den Boden gemeint hat, ohne den das Gebäude nicht bestehen kann.

Ist ein Gebäude vom Vermächtnis eines Grundstücks ausgenommen, lässt sich dies nach dem doppeldeutigen Wortlaut entweder so verstehen, dass der Erblasser das Grundstück teilen und dem Vermächtnisnehmer nur den nicht von dem Gebäude bedeckten Teil zuwenden wollte, der zudem mit der zur Gebäudenutzung erforderlichen Dienstbarkeit belastet ist; oder der Vermächtnisnehmer soll das gesamte Grundstück erhalten, während der Erbe nur im Wege der exceptio doli ein Wohnrecht geltend machen kann. Julian will vorbehaltlich des Nachweises eines abweichenden Erblasserwillens die erste dieser beiden Lösungen gelten lassen, die beide vom Wortlaut des Testaments gedeckt sind. Denn die Ausnahme zugunsten des Erben ist im Zweifel nach der Regel der rechtlichen Einheit von Grund und Aufbau (superficies solo cedit) zu verstehen. So wird das Wort aedificium in der Rechtssprache verwendet, der sich im Zweifel auch der Erblasser bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts bedienen wollte. (5) Iul 489 = D 30.86.1 (34 dig) Si testamento Stichus ab uno herede legatus fuerit Maevio et eidem codicillis idem Stichus ab omnibus heredibus et antequam codicilli aperirentur Maevius litis aestimationem consecutus fuerit, ipso iure vindicari ex codicillis non potest, quia testator semel legatum ad eum pervenire voluit.

Ist dem Mävius der Sklave Stichus in einem Testament unter Beschwerung eines Erben, in einem Kodizill unter Beschwerung aller Erben vermacht und hat Mävius vor der Eröffnung des Kodizills den Wert des Sklaven erhalten, ist er automatisch mit der Eigentumsherausgabeklage aus dem Kodizill ausgeschlossen, da der Erblasser das Vermächtnis ihm nur einmal zukommen lassen wollte.

Ist ein Sklave per vindicationem sowohl in dem Testament selbst als auch in einem konfirmierten Kodizill vermacht, hat die Zahlung der litis aestimatio zur Folge, dass der Vermächtnisnehmer auch dann, wenn das Kodizill später eröffnet wird, nicht noch einmal klagen kann. Und dies, obwohl im Testament ein einzelner Miterbe, im Kodizill alle Erben beschwert sind. Dass die Zahlung des einzelnen Erben nicht nur diesen, sondern auch seine Miterben befreit, folgt für Julian aus der inhaltlichen Identität der Verfügung: Mit der zweiten Anordnung in dem Kodizill hat der Erblasser vielleicht die passive Zuständigkeit für die Vermächtnisforderung geändert, so dass nicht mehr der einzelne Erbe, sondern alle Miterben als Gesamtschuldner beschwert sind. Er hat aber sicherlich nicht den Sklaven noch einmal zuwenden wollen. Da er ein individuell bestimmter Vermächtnisgegenstand ist, kann nach aller Lebenserfahrung nicht angenommen werden, dass der Erblasser ihn doppelt zuwenden wollte.

310 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (6) Iul 553 = D 30.96pr (39 dig) Quidam testamento vel codicillis ita legavit: ‚aureos quadringentos Pamphilae dari volo ita ut infra scriptum est: ab Iulio actore aureos tot et in castris quos habeo tot et in numerato quos habeo tot‘: post multos annos eadem voluntate manente decessit, cum omnes summae in alios usus translatae essent: quaero, an debeatur fideicommissum. respondi: vero similius est patrem familias demonstrare potius heredibus voluisse, unde aureos quadringentos sine incommodo rei familiaris contrahere possint, quam condicionem fideicommisso iniecisse, quod initio pure datum esset, et ideo quadringenti Pamphilae debebuntur.

Jemand hat in einem Testament oder Kodizill so vermacht: „Ich wünsche, dass Pamphila 400 gegeben werden, und zwar wie folgt: so und so viel von meinem Verwalter Julius, so und so viel, was ich im Feldlager habe, so und so viel, was ich bar zur Verfügung habe.“ Ohne Veränderung seines letzten Willens starb er nach vielen Jahren, als alle diese Beträge anderweit verbraucht worden waren. Ich frage, ob das Fideikommiss geschuldet wird. Ich habe befunden: Es ist wahrscheinlicher, dass der Familienvater eher seinem Erben aufzeigen wollte, wo er den Betrag von 400 ohne Beeinträchtigung der Familiengeschäfte beschaffen kann, als dass er das Fideikommiss, was zunächst unbedingt ausgesetzt war, unter eine Bedingung stellen wollte. Und daher wird der Betrag von 400 der Pamphila geschuldet.

Julian steht vor der Frage, welche Bedeutung einem Zusatz zu einem Fideikommiss zukommt, in dem der Erblasser beschreibt, wie der Erbe die ausgesetzte Summe beschaffen soll. Es kann sich um einen rechtlich irrelevante Hinweis für den Erben oder um eine Bedingung für das Fideikommiss handeln, so dass dieses nicht mehr geschuldet ist, wenn der Erblasser die Summen, die er im Testament erwähnt hat, selbst aufgebraucht hat. Julian entscheidet sich hiergegen und für die Annahme, der Erblasser habe dem Erben nur einen unverbindlichen Ratschlag erteilen wollen. Er beruft sich darauf, dass dies eher die Absicht des Erblassers gewesen sei. Hierfür spricht, dass der Erblasser gleich auf verschiedene Quellen für die ausgesetzte Summe verwiesen hat. (7) Iul 558 = D 36.1.24 (39 dig) Quotiens pater familias unum vel duos heredes coheredibus suis restituere hereditatem iubet, intellegitur easdem partes in fideicommissis facere, quas in hereditate distribuenda fecerit. sed si iubeantur hi, quibus fideicommissum datur, pecuniam numerare atque ita fideicommissa recipere, ex quantitate pecuniae, quam dare iubentur, voluntas colligenda est patris familias. nam si ex disparibus partibus heredes scripti aequas partes dare iubentur, propius est, ut viriles recipere debeant: si vero summa pecuniae dandae congruit portionibus, hereditarias portiones accipere debebunt.

Immer wenn ein Familienvater einem oder zwei Erben aufgegeben hat, ihren Erbschaftsanteil ihren Miterben herauszugeben, gilt, dass sie sich in das Fideikommiss mit der derselben Quote teilen, nach denen die Erbschaft unter ihnen aufzuteilen ist. Ist aber denjenigen, denen das Fideikommiss ausgesetzt ist, befohlen, gegen dessen Empfang einen Betrag zu zahlen, ist die Absicht des Fa-



I. Systemimmanente Rechtsfindung311 milienvaters aus der Höhe des Betrags zu entnehmen, den er zu zahlen befohlen hat. Denn wenn angeordnet ist, dass von denjenigen, die zu ungleichen Teilen Erben sind, gleiche Beträge zu zahlen sind, liegt näher, dass sie gleiche Teile an dem Fideikommiss erhalten sollen. Entsprechen die zu leistenden Beträge dagegen den Erbteilen, sollen sie das Fideikommiss nach ihren Erbteilen erhalten.

Das Fideikommiss zur Herausgabe eines Erbteils an die Miterben steht diesen im Zweifel im Verhältnis ihrer Erbquoten zu. Von dieser Regel ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn der Erblasser den Fideikommissaren eine Ausgleichszahlung auferlegt hat, die von ihren Erbquoten abweicht. Hier entscheidet über die Berechtigung am Fideikommiss das Verhältnis, in dem die zu zahlenden Beträge stehen. Ihrer Festsetzung kann man nämlich die mutmaßliche Absicht des Erblassers entnehmen, dem zu unterstellen ist, dass er die Belastung durch die Ausgleichszahlung nach demselben Muster verteilen wollte wie die Vorteile, die sich aus der Erfüllung des Fideikommisses ergeben. (8) Iul 786 = D 35.1.25 (69 dig) Cum vir uxori, quandoque liberos habebit, fundum legat, si mulier divortio facto liberos ex alio procreaverit, deinde soluto secundo matrimonio ad priorem maritum redierit, non intellegitur expleta condicio, quod testatorem verisimile non est de his liberis sensisse, qui se vivo ex alio suscepti fuissent.

Hat ein Mann seiner Frau ein Grundstück für den Fall vermacht, dass sie Kinder haben sollte, und hat die Frau nach ihrer Scheidung Kinder von einem anderen bekommen und ist sie nach Auflösung dieser zweiten Ehe zu ihrem ersten Ehemann zurückgekehrt, ist die Bedingung nicht als erfüllt anzusehen, weil unwahrscheinlich ist, dass der Erblasser auch an die Kinder dachte, die sie zu seinen Lebzeiten von einem anderen bekommt.

Steht das von einem Ehemann seiner Frau ausgesetzte Vermächtnis unter der Bedingung: quandoque liberos habebit, ist diese im Zweifel nicht erfüllt, wenn die Ehefrau noch zu Lebzeiten des Erblassers Kinder von einem anderen Mann bekommt, mit dem sie zwischenzeitlich verheiratet ist. Zwar ist nicht völlig auszuschließen, dass der Erblasser mit seiner Formulierung auch sie erfassen wollte. Nach der Lebenserfahrung ist dies jedoch unwahrscheinlich, so dass die Bedingung entsprechend dem typischen Willen des Erblassers nur auf eigene und bestenfalls auf solche fremden Kinder bezogen werden kann, die nach seinem Tod geboren worden sind. (9) Iul 803 = D 28.6.30 (78 dig) Quidam testamento Proculum ex parte quarta et Quietum ex parte dimidia et quarta heredem instituit, deinde Quieto Florum, Proculo Sosiam heredes substituit, deinde, si neque Florus neque Sosia heredes essent, tertio gradu ex parte dimidia et quarta coloniam Leptitanorum et ex quarta complures heredes substituit in plures quam tres uncias: Quietus hereditatem adiit, Proculus et Sosia vivo testatore decesserunt: quaeritur, quadrans Proculo datus ad Quietum an ad

312 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

substitutos tertio gradu pertineat. respondi eam videri voluntatem patris familias fuisse, ut tertio gradu scriptos heredes ita demum substituerit, si tota hereditas vacasset, idque apparere evidenter ex eo, quod plures quam duodecim uncias inter eos distribuisset, et idcirco partem quartam hereditatis de qua quaeritur ad quietum pertinere.



Jemand hat Proculus zu einem Viertel und Quietus zu ¾ als Erben und dann als Ersatzerben für Quietus Florus, als Ersatzerben für Proculus Sosia eingesetzt, danach für den Fall, dass weder Florus noch Sosia Erben sind, im dritten Grad als Ersatzerben zu ¾ die Gemeinde der Leptitaner und zu einem Viertel mehrere Erben eingesetzt, und zwar auf mehr als die drei verbleibenden Zwölftel. Quietus hat die Erbschaft angetreten, Proculus und Sosia sind zu Lebzeiten des Erblassers gestorben. Es wird gefragt, ob das dem Proculus ausgesetzte Viertel Quietus oder den Ersatzerben dritten Grades zustehe. Ich habe befunden, der Wille des Erblassers scheine zu sein, dass er die im dritten Grad bestimmten Erben nur dann zu Ersatzerben eingesetzt habe, wenn die gesamte Erbschaft vakant sei, und dies ergebe sich offensichtlich daraus, dass er mehr als zwölf Zwölftel unter ihnen verteilt hat, und daher stehe das Viertel der Erbschaft, um das es gehe, Quietus zu.

Julian muss darüber entscheiden, ob die Anwachsung zugunsten eines Miterben oder die Einsetzung eines nachrangigen Ersatzerben den Vorrang genießt: Fallen ein auf ein Viertel eingesetzter Erbe und sein unmittelbarer Ersatzerbe aus, stellt sich die Frage, ob an dessen Stelle sein Miterbe oder weitere Ersatzerben zum Zuge kommen, die der Erblasser für den Fall eingesetzt hat, dass die zunächst berufenen Ersatzerben ausfallen. Julian geht davon aus, dass der Erblasser diese erst nach dem Miterben berücksichtigt wissen wollte, und folgert dies daraus, dass der Erblasser bei der Bestimmung der nachrangigen Ersatzerben über mehr als den vollen Nachlass verfügt hat. Hieraus lässt sich schließen, dass der Erblasser den nachrangigen Ersatzerben weniger Beachtung geschenkt hat als der Verteilung des Nachlasses unter den erstrangigen Miterben, so dass diesen der Vorzug gebührt.393 (10) Iul 817 = D 50.16.142 Paul 6 leg Iul Pap … ‚Lucius Titius ex parte dimidia heres esto. Seius ex parte, qua lucium Titium heredem institui, heres esto. Sempronius ex parte dimidia heres esto‘. Iulianus dubitari posse, tres semisses facti sint an Titius in eundem semissem cum Gaio Seio institutus sit. sed eo, quod Sempronius quoque ex parte dimidia scriptus est, verisimilius esse in eundem semissem duos coactos et coniunctim heredes scriptos esse. 393  Man hätte zu diesem Ergebnis auch deshalb kommen können, weil der Erblasser in diesem Fall eine klare Trennung zwischen den unmittelbaren und den weiteren Ersatzerben vorgenommen hat: Sollen diese erst zum Zuge kommen, wenn keiner von jenen Erbe wird, kann man erst recht davon ausgehen, dass die den unmittelbaren Ersatzerben vorgeordneten Miterben den nachrangigen Ersatzerben vorgehen müssen.



I. Systemimmanente Rechtsfindung313



… „Lucius Titius soll zur Hälfte Erbe sein. Seius soll zu dem Teil Erbe sein, zu dem ich Lucius Titius als Erben eingesetzt habe. Sempronius soll zur Hälfte Erbe sein.“ Julian sagt, man könne zweifeln, ob die Erbschaft in Drittel zu teilen oder ob Titius mit Gaius Seius auf denselben Anteil eingesetzt sei. Aber da Sempronius zur Hälfte als Erbe eingesetzt sei, sei wahrscheinlicher, dass die beiden auf dieselbe Hälfte und verbunden als Erben eingesetzt seien.

Die vom Erblasser gewählte Formulierung, ein Miterbe solle zu demselben Anteil wie einer der beiden eingesetzt sein, den er zur Hälfte zum Erben bestimmt hat, ist doppeldeutig: Damit kann gemeint sein, dass die Erbschaft den drei Miterben zu gleichen Teilen zukommen soll; der Erblasser kann aber auch beabsichtigt haben, dass sich zwei der drei Erben in dieselbe Hälfte teilen sollen. Julian entnimmt dem Testament eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Erblasserwille auf diese zweite Lösung gerichtet ist: Da der dritte Miterbe ohne Verbindung zu einem der beiden anderen auf die Hälfte eingesetzt ist, spricht mehr dafür, dass er diese auch ungeschmälert bekommen soll, während die beiden anderen, die der Erblasser in Beziehung zueinander gebracht hat, coniunctim eingesetzte Erben für die andere Hälfte sein sollen. (11) Afr 27 = D 40.4.21 (4 quaest) ‚Stichus, immo Pamphilus liber esto‘. Pamphilum liberum futurum respondit: quodammodo enim emendasse errorem suum testatorem. idemque iuris fore etiam, si ita scriptum fuerit: ‚Stichus liber esto, immo Pamphilus liber esto‘.

„Stichus, vielmehr Pamphilus soll frei sein.“ Er hat befunden, dass Pamphilus freigelassen sei, weil der Erblasser seinen Irrtum gewissermaßen selbst verbessert habe. Dasselbe gelte auch, wenn so verfügt worden sei: „Stichus soll frei sein, vielmehr Pamphilus soll frei sein.“

Julian deutet die Nennung zweier Begünstigter, die durch das Wort immo verbunden sind, in der Weise, dass die Verfügung zugunsten des ersten durch die zweite aufgehoben ist.394 Dass sie nicht beide zugleich gelten können, ergibt die adversative Bedeutung von immo, aus der Julian darauf schließt, dass sich der Erblasser zunächst im Ausdruck vergriffen und dann seinen Fehler korrigiert hat. Nicht an einem aus Lebenserfahrung geschöpften Erblasserwillen, sondern am normativen Leitbild eines guten Erblassers orientiert ist die Unterstellung, er habe seine Verfügung so gemeint, wie es dem favor libertatis entspricht: 394  Für die Erbeinsetzung findet sich eine entsprechende Entscheidung in dem von Lenel mit D 40.4.21 zusammengefassten Fragment D 28.5.48pr: Si ita scriptum fuerit: ‚Titius, immo Seius heres esto‘, Seium solum heredem fore respondit. sed et si ita: ‚Titius heres esto: immo Seius heres esto‘, idem erit dicendum.

314 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (12) Iul 594 = D 40.4.17.2 (42 dig) Post annos indistincte liber esse iussus post biennium liber erit: idque et favor libertatis exigit, et verba patiuntur: [nisi si aliud sensisse patrem familias manifestissimis rationibus is, a quo libertas relicta est, probaverit.]

Ist jemand „nach Jahren“ ohne weitere Angabe freigelassen, wird er nach zwei Jahren frei. Dies gebietet der Vorzug der Freiheit und ist mit dem Wortlaut vereinbar [falls nicht derjenige, zu dessen Lasten die Freiheit ausgesetzt worden ist, mit handgreiflichen Beweisen dartut, dass der Erblasser etwas anderes meinte.]

Dass die im Testament post annos ausgesetzte Freiheit nach dem denkbar geringsten Zeitraum von zwei Jahren eintreten soll, folgt für Julian aus dem favor libertatis und widerspricht nach seiner Ansicht auch nicht dem Wortlaut des Testaments. Wie der wahrscheinlich interpolierte, aber inhaltlich keineswegs falsche Vorbehalt am Ende des Textes zeigt, steuert der favor libertatis die Ermittlung der voluntas des Erblassers, dem unterstellt wird, er habe sich wie ein vir bonus menschenfreundlich und freiheitsfördernd verhalten. Um den hypothetischen Willen des Erblassers in einem von ihm nicht bedachten Fall geht es in (13) Iul 420 = D 28.2.13pr (28 dig): Si ita scriptum sit: ‚si filius mihi natus fuerit, ex besse heres esto: ex reliqua parte uxor mea heres esto. si vero filia mihi nata fuerit, ex triente heres esto: ex reliqua parte uxor heres esto‘, et filius et filia nati essent, dicendum est assem distribuendum esse in septem partes, ut ex his filius quattuor, uxor duas, filia unam partem habeat: ita enim secundum voluntatem testantis filius altero tanto amplius habebit quam uxor, item uxor altero tanto amplius quam filia: [licet enim suptili iuris regulae conveniebat ruptum fieri testamentum, attamen cum ex utroque nato testator voluerit uxorem aliquid habere, ideo ad huiusmodi sententiam humanitate suggerente decursum est, quod etiam Iuventio Celso apertissime placuit.]

Ist in einem Testament Folgendes bestimmt: „Wird mir ein Sohn geboren, soll er zu 2 / 3 Erbe sein, zum restlichen Teil soll meine Frau Erbe sein; wird mir eine Tochter geboren, soll sie zu 1 / 3 Erbe sein, zum restlichen Teil soll meine Frau Erbe sein“, und werden sowohl ein Sohn als auch eine Tochter geboren, muss die ganze Erbschaft in sieben Teile geteilt werden, von denen der Sohn drei, die Frau zwei und die Tochter einen erhalten. Nach dem Willen des Erblassers soll der Sohn nämlich doppelt so viel wie die Frau und diese doppelt so viel wie die Tochter bekommen. [Obwohl es den spitzfindigen Rechtsregeln entsprach, dass das Testament unwirksam war, traf man, da doch der Erblasser wollte, dass die Frau auch bei der Geburt beider etwas erlangte, diese Entscheidung, die auch Iuventius Celsus offensichtlich gefiel.]

Ein Erblasser hat in seinem Testament nur für die Alternative Vorsorge getroffen, dass ihm ein Sohn oder eine Tochter geboren wird, und den Sohn neben seiner Mutter zu 2 / 3, die Tochter zu 1 / 3 als Erben eingesetzt. Werden



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung315

ihm nun sowohl ein Sohn als auch eine Tochter geboren, ist die Erbfolge ungeregelt. Julian schließt die Lücke, indem er den beiden alternativen Anordnungen jeweils eine Relation von Sohn und Tochter zur Mutter entnimmt: Der Sohn soll doppelt so viel erhalten wie die Mutter, die Tochter die Hälfte von ihr. Mit diesem Verständnis hat sich zugleich die in der interpolierten Passage am Schluss des Textes aufgeworfene Frage erledigt, ob das Testament wegen Nachgeburt eines postumus unwirksam ist: Da nach der ergänzenden Auslegung des Testaments Tochter und Sohn gleichermaßen mit einem Erbteil bedacht sind, kann das Testament auch nicht aus dem Grund unwirksam sein, dass einer von beiden keine Berücksichtigung gefunden hat.

II. Systemüberschreitende Rechtsfindung 1. Interessenbewertung a) Parteiinteressen Der Schwerpunkt der Entscheidungsbegründungen, in denen Julian weder aus einem Vergleichsfall noch aus einem Rechtssatz schließt, liegt auf der Bewertung konkreter materieller Folgen, die eine Falllösung für eine der beteiligten Parteien hat. Hierauf entfallen 14 der insgesamt 29 Begründungen, in denen der Jurist seine Entscheidung weder durch Fallanknüpfung noch unter Anwendung eines Rechtssatzes gewinnt. Unterscheiden lassen sich die auf materielle Parteiinteressen gerichteten Argumentationen danach, ob Julian einen unbilligen Vorteil für eine Seite oder aber vermeiden will, dass sie in unangemessener Weise benachteiligt wird. aa) Verhinderung eines unbilligen Vorteils In fünf Fällen geht es Julian darum, der Entstehung eines Vorteils zu wehren, der für den Begünstigten unverdient wäre und daher eher der anderen Seite zuzuweisen ist. Das zugrunde liegende Schema ist das Bereicherungsverbot im weiteren, nicht auf das Kondiktionsrecht verengten Sinne: Niemand soll durch Zufall und ohne hinreichenden Grund einen Vorteil erlangen, wenn dieser auf Kosten eines besser Berechtigten geht. Besonders deutlich kommt dies in einer Entscheidung Julians zur Herausgabepflicht eines Erbschaftsbesitzers zum Ausdruck: (1) Iul 746 = D 5.3.55 (60 dig) Evicta hereditate bonae fidei possessor quod lege Aquilia exegisset non simplum, sed duplum restituet: lucrum enim ex eo, quod propter hereditatem acceperit, facere non debet.

316 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Bei der Herausgabe einer Erbschaft hat deren gutgläubiger Besitzer das, was er durch Erhebung der Klage nach dem aquilischen Gesetz erlangt hat, nicht einfach, sondern doppelt herauszugeben. Er darf nämlich keinen Gewinn aus dem ziehen, was er aus der Erbschaft erlangt hat.

Hat ein Erbschaftsbesitzer mit der actio legis Aquiliae einen Schädiger in Anspruch genommen, der für die Beschädigung einer zum Nachlass gehörenden Sache haftbar ist, darf er den Betrag, der ihm durch die Litiskreszenz zugefallen ist, nicht behalten. Zwar ist das Interesse des Erben an der Erhaltung des Nachlasses schon durch die Herausgabe des einfachen Sachwertes befriedigt. Die Strafe, die dem Schädiger wegen der Leugnung seiner Tat auferlegt wird, stellt jedoch einen Gewinn dar, den Julian dem gutgläubigen Besitzer, der auch keine Früchte behalten darf,395 versagt. Demselben Muster folgt die Argumentation, mit der Julian die Erweiterung der Passivlegitimation für die ediktale Klage wegen Gestellungsvereitelung rechtfertigt: (2) Iul 28 = D 2.10.3.1 (2 dig) Plane si is, qui dolo fecerit, quo minus in iudicio sistatur, solvendo non fuerit, aequum erit adversus ipsum reum restitutoriam actionem competere, ne propter dolum alienum reus lucrum faciat et actor damno adficiatur.

Ist aber freilich derjenige, der arglistig bewirkt hat, dass der Beklagte nicht vor Gericht erscheint, zahlungsunfähig, ist es billig, wenn die restitutorische Klage gegen den Beklagten selbst zusteht, damit er nicht aus der Arglist eines Dritten einen Gewinn zieht und der Kläger einen Schaden erleidet.

Julian schlägt eine Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs der Klage nach dem Edikt: ‚de eo per quem factum erit quominus quis in iudicio sistat‘, vor: Eigentlich steht der Anspruch dem Kläger nur gegen einen Dritten zu, der ihn dadurch geschädigt hat, dass er das Erscheinen des Beklagten vor Gericht verhindert hat.396 Ist der Dritte insolvent, soll die Klage aber auch gegen den Beklagten angestellt werden können, der andernfalls zu Lasten des Klägers und durch das arglistige Verhalten eines Dritten einen Vorteil erlangte. Ihn abzuschöpfen erscheint Julian ein Gebot der Billigkeit, die es rechtfertigt, sich über die im Edikt vorgegebene Beschränkung der Passivlegitimation auf einen arglistigen Dritten hinwegzusetzen. Dass sie derart eingeengt ist, liegt daran, dass der Beklagte, der aus eigenem Antrieb dem Prozess ferngeblieben ist, gewöhnlich schon durch das vadimonium verpflichtet wird. Zwar ist die hieraus entspringende Haf395  D 5.3.20.3

Ulp 15 ed. geht hier ebenso wie im principium des Textes um das Nichterscheinen des Beklagten, nicht um eine Verhinderung des Klägers; vgl. Reichard, Die Frage des Drittschadensersatzes im klassischen römischen Recht, Köln  /  Wien 1993, S. 52 f. gegen Knütel, Stipulatio poenae, Köln / Wien 1976, S. 202. 396  Es



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung317

tung grundsätzlich objektiv und nur in einzelnen Fällen wie etwa bei Krankheit des Beklagten397 oder bei dolus des Klägers398 durch Einreden gesperrt.399 Hält ein Dritter den Beklagten vom Erscheinen ab, ist jedoch nicht völlig ausgeschlossen, dass eine dieser Einreden eingreift. Wenn der Beklagte unter diesen Umständen subsidiär mit der ediktalen Klage haftet, entspricht dies also durchaus deren Ergänzungsfunktion.400 Der Vermeidung einer unberechtigten Bereicherung dient auch Julians Entscheidung zur Gewährung der exceptio doli gegenüber der Forderung eines Minderjährigen: (3) Iul 692 = D 44.4.4.26 Ulp 76 ed … denique Iulianus quoque saepissime scripsit doli pupillos, qui prope pubertatem sunt, capaces esse. quid enim, si debitor ex delegatu pupilli pecuniam creditori eius solvit? fingendus est, inquit, pubes esse, ne propter malitiae ignorantiam bis eandem pecuniam consequatur. …

… Julian schreibt auch, dass sehr häufig diejenigen Unmündigen, die fast mündig seien, fähig seien, sich der Arglist schuldig zu machen. Was solle nämlich gelten, wenn ein Schuldner auf Weisung des Unmündigen an dessen Gläubiger leiste? Es sei zu unterstellen, sagt Julian, dass er mündig sei, damit er nicht aufgrund der Unkenntnis des Schuldners von seiner Bosheit zweimal denselben Betrag erlangen könne. …

Dass auch ein Unmündiger für seinen dolus verantwortlich gemacht werden kann, demonstriert Julian an dem Fall, dass er arglistig seinen Schuldner angewiesen hat, seinem Gläubiger zu zahlen. Eigentlich ist diese Leistung, da das iussum des Unmündigen ungültig ist, wirkungslos. Julian hielte es jedoch für unerträglich, wenn der Schuldner, der sich über Reife und Charakter des Unmündigen getäuscht hat, noch einmal an diesen leisten müsste, und gewährt aus diesem Grund die exceptio doli. Dass diese Lösung auf den Fall eines Unmündigen beschränkt ist, der prope pubertatem ist,401 beruht darauf, dass nur hier ein besonderes Risiko der Fehleinschätzung durch den Kontrahenten und dem Unmündigen die Einsicht in sein Fehlverhalten eher möglich ist. 397  D 2.11.2.3

Ulp 74 ed. Ulp 7 ed. 399  Vgl. Knütel (Fn. 396), S. 198 ff. 400  Sie stellt Ulpian heraus, indem er auf die Sperre der Verpflichtung des Beklagten aus dem vadimonium bei einem dolus des Klägers verweist; vgl. D 2.10.1.3 Ulp 7 ed: Si reus dolo actoris non steterit, non habebit reus adversus eum actionem ex hoc edicto, cum contentus esse possit exceptione, si ex stipulatu conveniatur de poena, quod ad iudicium non venerit. aliter atque si ab alio sit impeditus: nam actionem propositam adversus eum exercebit. 401  So auch Gai 3.208 für das furtum. 398  D 2.10.1.3

318 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

In dem folgenden Fragment geht es um die Folgen einer in integrum restitutio, die nur vom Anfechtungsberechtigten und nicht auch vom Anfechtungsgegner ausgelöst werden dürfen: (4) Iul 629 = D 4.4.41 (45 dig) Si iudex circumvento in venditione adulescenti iussit fundum restitui eumque pretium emptori reddere, et hic nolit uti hac in integrum restitutione paenitentia acta, exceptionem utilem adversus petentem pretium quasi ex causa iudicati adulescens habere poterit, quia unicuique licet contemnere haec, quae pro se introducta sunt. nec queri poterit [venditor] , si restitutus fuerit in eam causam, in qua se ipse constituit et quam mutare non potuisset, si minor auxilium praetoris non implorasset.

Hat der Richter angeordnet, dass einem Heranwachsenden, der beim Verkauf eines Grundstücks übervorteilt worden ist, dieses zurückzugewähren sei und er dem Käufer den Kaufpreis zurückzugeben habe, und will der Heranwachsende von der Wiedereinsetzung, weil er sie bereut, keinen Gebrauch machen, kann er demjenigen, der den Kaufpreis wie aus einem Urteil fordert, eine analoge Einrede entgegenhalten, weil jedem erlaubt ist, von dem abzusehen, was zu seinen Gunsten bestimmt worden ist. Und der Käufer kann sich nicht beschweren, wenn er in die Lage versetzt wird, in die er sich selbst gebracht hat und die er nicht hätte ändern können, wenn der Minderjährige nicht um die Hilfe des Prätors ersucht hätte.

Hat ein Minderjähriger die Wiedereinsetzung für einen Grundstücksverkauf erwirkt, kann er zwar den Käufer zur Rückgewähr des Grundstücks gegen Rückzahlung des Kaufpreises, umgekehrt der Käufer aber den Minderjährigen nicht zur Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Grundstücks zwingen. Zwar steht dem Käufer ein entsprechender Anspruch aufgrund der Entscheidung über die Wiedereinsetzung zu; und er ist, obwohl das Verfahren steckengeblieben ist, zumindest mit einer actio quasi ex causa iudicati durchsetzbar402. Julian gewährt dem Minderjährigen gegen diese jedoch eine exceptio. Denn die restitutio ist allein in seinem Interesse erfolgt und darf deshalb nicht zugunsten des Kontrahenten wirken, der den Kaufvertrag nicht hätte anfechten können und sich durch seine einseitige Berufung auf diese Wiedereinsetzung einen unverdienten Vorteil verschaffte. Nicht ohne Weiteres zu beziffern, aber doch materiell ist auch der Vorteil, den Julian einem Gesandten abspricht, der sich in einem Herausgabeprozess auf die Zuständigkeit seines Heimatgerichts beruft: (5) Iul 10 = D 5.1.25 (1 dig) Si legationis tempore quis servum vel aliam rem emerit aut ex alia causa possidere coeperit, non inique cogetur eius nomine iudicium accipere: aliter enim potestas dabitur legatis sub hac specie res alienas domum auferendi. 402  Hierzu Kaser, In integrum restituio, besonders wegen metus und dolus, SZ 94 (1977) 101, 162 ff.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung319



Hat jemand während der Dauer seiner Gesandtschaft einen Sklaven oder eine andere Sache gekauft oder begonnen, sie aus anderem Grund zu besitzen, ist es nicht unbillig, wenn er dazu gezwungen wird, aus diesem Grund einen Rechtsstreit aufzunehmen. Andernfalls würde den Gesandten die Möglichkeit gegeben, unter diesem Vorwand fremde Sachen nach Hause zu schaffen.

Das ius domum revocandi soll nach Julians Auffassung nicht bestehen, wenn der Gesandte auf Herausgabe eines Sklaven oder einer Sache in Anspruch genommen wird, die er während seines Aufenthalts in Rom erlangt hat. Denn sonst könnte er sich, ohne einen Prozess in Rom fürchten zu müssen, fremder Sachen bemächtigen. Um ihm diesen unangemessenen Vorteil zu verwehren, hält Julian eine Einschränkung des Gesandtenprivilegs für billig (non iniquum). bb) Vermeidung eines unbilligen Nachteils Häufiger als die Vermeidung einer unbilligen Bereicherung verfolgt Julian das umgekehrte Ziel, einer Partei einen unzumutbaren Nachteil zu ersparen. Hierauf gründet der Jurist insgesamt neun Falllösungen, wobei der Gedanke der Schadensabwehr teilweise isoliert erscheint, teilweise aus dem Postulat eines Interessenausgleichs folgt. Eine Ausprägung dieses Gebots ist die gleichmäßige Zuweisung von Vor- und Nachteilen, um die es Julian in den folgenden drei Fragmenten geht: (6) Iul 235 = D 17.2.58.2 Ulp 31 ed Si filius familias societatem coierit, deinde emancipatus a patre fuerit, apud Iulianum quaeritur, an eadem societas duret an vero alia sit, si forte post emancipationem in societatem duratum est. Iulianus scripsit libro quarto decimo digestorum eandem societatem durare, initium enim in his contractibus inspiciendum: duabus autem actionibus agendum esse, una adversus patrem, altera adversus filium: cum patre de eo, cuius dies ante emancipationem cessit, nam eius temporis, quo post emancipationem societas duravit, nihil praestare patrem oportet: cum filio autem de utroque tempore, id est de tota societate, nam et si quid, inquit, socius filii post emancipationem filii dolo fecerit, eius non patri, sed filio actio danda est.

Ist ein Haussohn eine Gesellschaft eingegangen und danach von seinem Vater aus dessen Gewalt entlassen worden, stellt sich, wie bei Julian zu lesen ist, die Frage, ob die Gesellschaft dieselbe geblieben oder eine andere geworden sei, indem sie nach der Entlassung des Haussohnes fortgesetzt worden ist. Julian schreibt im 14. Buch, es sei dieselbe Gesellschaft geblieben, weil es bei solchen Verträgen auf den Beginn ankomme. Es könne aber mit zwei Klagen vorgegangen werden, eine gegen den Vater, die andere gegen den Sohn, gegen den Vater wegen der Forderungen, die vor der Entlassung des Sohnes entstanden sind, weil er für die Zeit, in der die Gesellschaft nach der Entlassung fortgesetzt worden ist, nichts zu leisten hat, gegen den Sohn für beide Zeiträume, also für die gesamte Dauer der Gesellschaft. Denn auch wenn ein Partner des Sohnes

320 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian diesen nach der Entlassung schädigt, ist die Klage, wie Julian sagt, nicht dem Vater, sondern dem Sohn zu gewähren.

Ist ein Haussohn vor und nach seiner Emanzipation Mitglied einer Gesellschaft, ändert seine Entlassung aus der väterlichen Gewalt nichts an der Identität der Gesellschaft.403 Für die bis zu seiner Emanzipation begründeten Ansprüche der anderen Gesellschafter haftet der Sohn daher neben seinem Vater, der mit einer der adjektizischen Klage in Anspruch genommen werden kann. Für die später entstandenen Ansprüche haftet dagegen nur der Sohn. Julian hätte dies schlicht aus dem Wegfall des Gewaltverhältnisses erklären können, mit dessen Ende auch die Verpflichtung des Vaters durch seinen Sohn ausgeschlossen ist. Vielleicht um dem Gedanken einer andauernden Vertretung des Vaters durch den Sohn zu wehren, wählt er einen anderen Weg: Er verweist auf die Gegenansprüche, die gegen die Gesellschafter des Sohnes begründet sind. Ebenso wie sie nach der Emanzipation allein dem Sohn zustehen können, darf auch nur er aus dem Gesellschaftsverhältnis verpflichtet sein. Ohne diesen Gleichlauf von Vor- und Nachteilen wäre der Vater in unbilliger Weise belastet. (7) Afr 110 = D 47.2.62.5, 6 (8 quaest) Quod vero ad mandati actionem attinet, dubitare se ait, num aeque dicendum sit omni modo damnum praestari debere, et quidem hoc amplius quam in superioribus causis servandum, ut, etiamsi ignoraverit is, qui certum hominem emi mandaverit, furem esse, nihilo minus tamen damnum decidere cogatur. iustissime enim procuratorem allegare non fuisse se id damnum passurum, si id mandatum non suscepisset: idque evidentius in causa depositi apparere. nam licet alioquin aequum videatur non oportere cuiquam plus damni per servum evenire, quam quanti ipse servus sit, multo tamen aequius esse nemini officium suum, quod eius, cum quo contraxerit, non etiam sui commodi causa susceperit, damnosum esse, et sicut in superioribus contractibus, venditione locatione pignore, dolum eius, qui sciens reticuerit, puniendum esse dictum sit, ita in his culpam eorum, quorum causa contrahatur, ipsis potius damnosam esse debere. nam certe mandantis culpam esse, qui talem servum emi sibi mandaverit, et similiter eius qui deponat, quod non fuerit diligentior circa monendum, qualem servum deponeret. (6) Circa commodatum autem merito aliud existimandum, videlicet quod tunc eius solius commodum, qui utendum rogaverit, versetur. itaque eum qui commodaverit, sicut in locatione, si dolo quid < … non > fecerit non ultra pretium servi quid amissurum: quin etiam paulo remissius circa interpretationem doli mali debere nos versari, quoniam, ut dictum sit, nulla utilitas commodantis interveniat.

Was den Auftrag anbelangt, zweifle er, wie er sagt, ob dasselbe zu sagen und ein Schaden unbedingt zu ersetzen sei; und noch über die vorher genannten Fälle hinausgehend sei zu beachten, dass auch, wenn derjenige, der den Auftrag zum Kauf eines bestimmten Sklaven erteile, nicht wisse, dass er ein Dieb ist, 403  Vgl.

auch D 17.2.65.11 Paul 32 ed.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung321 er nichtsdestoweniger zum Schadensersatz gezwungen werde. Völlig zu Recht könne der Auftragnehmer nämlich vorbringen, dass er den Schaden nicht erlitten hätte, wenn er diesen Auftrag nicht übernommen hätte; und dies zeige sich besonders deutlich an der Verwahrung. Denn obwohl es sonst als gerecht angesehen werde, dass dem Eigentümer eines Sklaven durch diesen nicht mehr Schaden entstehe, als der Sklave selbst wert sei, gelte noch viel mehr als gerecht, dass niemandem sein Dienst, den er nicht zum eigenen, sondern zum Vorteil seines Vertragspartners erbracht habe, zum Schaden gereichen dürfe; und deshalb müsse ebenso, wie in den vorher genannten Fällen des Kaufvertrags und der Verpfändung entschieden worden sei, die Arglist desjenigen zu bestrafen, der wissentlich etwas verschweige, so auch für die Schuld derjenigen entschieden werden, zu deren Gunsten der Vertrag abgeschlossen worden sei. Denn sicher sei es die Schuld des Auftraggebers, der den Auftrag zum Kauf eines solchen Sklaven gegeben habe, und ebenso des Niederlegers, dass er nicht sorgfältiger dabei gewesen sei, darauf aufmerksam zu machen, was für einen Sklaven er in Verwahrung gegeben habe. (6) Beim Leihevertrag sei freilich anders zu entscheiden, und zwar weil er zum alleinigen Vorteil des Entleihers abgeschlossen werde. Der Verleiher werde, wenn er sich nicht arglistig verhalte, daher ebenso wenig wie ein Verpächter etwas über den Wert des Sklaven hinaus verlieren. Ja es sei sogar bei der Auslegung des Begriffs der Arglist vorsichtiger zu verfahren, weil, wie gesagt, nicht zum Nutzen des Verleihers gehandelt werde.

Julian stellt die Haftung eines Verleihers oder Vermieters eines diebischen Sklaven der Schadensersatzpflicht gegenüber, die einen Niederleger oder Auftraggeber trifft, der das mandatum zum Kauf eines kriminellen Sklaven erteilt hat: Verleiher und Vermieter sind nach Julians Ansicht404 ebenso wie ein Fiduziant nach dem Muster der Noxalhaftung zu behandeln.405 Sie müssen also auch im Rahmen der Vertragsklage lediglich den Sklaven, der einen Diebstahl zum Nachteil des Vertragspartners verübt hat, ausliefern und Schadensersatz bloß dann leisten, wenn sie den Sklaven behalten wollen. Etwas anderes soll bei der Verwahrung des diebischen Sklaven oder einem auf seinen Erwerb gerichteten Auftrag gelten. Hier erscheinen Julian der Verwahrer und der Auftragnehmer, die beide ohne Entgelt zum alleinigen Vorteil des anderen Vertragsteils tätig werden, schutzwürdiger. Zwar leitet er ihre volle Haftung aus dem Vorwurf der culpa ab, indem er ihnen vorhält, sie hätten sich und ihren Vertragspartner über den Charakter des kriminellen Sklaven informieren können. Julian ist sich jedoch bewusst, dass er damit keine gewöhnliche Schadensersatzpflicht wegen Verschuldens, sondern eine Risikohaftung einführt, die sich auf das Verhalten von Niederleger und Auftraggeber nur insoweit zurückführen lässt, als sie durch den 404  Vgl.

principium, §§ 1 und 3 des Fragments; s. o. B.I.2.a)bb) (8). Gröschler, Schadens- und Aufwendungsersatz bei Julian, Afrikan und Paulus, in: Harke (Hg.), Africani quaestiones, Berlin / Heidelberg 2011, S. 26, der einen Schluss a maiore ad minus annimmt. 405  Vgl.

322 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Vertragsschluss die Ursache für die Gefahr gesetzt haben, die sich in dem eingetretenen Schaden verwirklicht hat.406 Deshalb liegt die eigentliche Begründung in der Abwägung der Interessen der Vertragsparteien: Der Wunsch des Niederlegers und Auftraggebers, nicht über den Wert des Sklaven hinaus mit Schadensersatzpflichten aus dessen Verhalten belastet zu sein, erscheint Julian weniger schutzwürdig als das Interesse des Verwahrers und Auftragnehmers, aus seiner Dienstleistung für den anderen Teil keinen Schaden zu erleiden.407 Der Vorteil der unentgeltlichen Leistung soll mit dem Nachteil der unbedingten Haftung einhergehen, damit Auftragnehmer und Verwahrer nicht über Gebühr belastet werden. (8) Iul 569 = D 36.1.28.15 (40 dig) Sed si eidem legatum esset sub hac condicione ‚si heres non esset‘ et suspectam sibi hereditatem dicat, non aliter cogendus est adire, quam ut legata, quae sub condicione ‚si heres non esset‘ data erant, restituantur, non quidem a coheredibus, ne onerentur, sed ab eo cui restituta fuerit hereditas. nam sicut explendae fidei gratia cogendus est adire hereditatem, ita ob id ipsum damno adfici non debebit.

Aber wenn einem Erben ein Vermächtnis unter der Bedingung ausgesetzt ist: „falls er nicht Erbe wird“, und er die Erbschaft für verdächtig erklärt, kann er nur in der Weise zum Erbschaftsantritt gezwungen werden, dass das Vermächtnis, das ihm unter der Bedingung: „falls er nicht Erbe wird“, ausgesetzt ist, erfüllt wird, allerdings nicht von den Miterben, damit sie nicht belastet werden, sondern von demjenigen, dem die Erbschaft herausgegeben wird. Denn wie der Erbe zur Erfüllung seiner Treuepflicht durch Erbschaftsantritt gezwungen wird, darf er deshalb keinen Nachteil erleiden.

Julian stellt die Frage, ob ein Erbe, dem für den Fall seines Nichtantritts ein Vermächtnis ausgesetzt ist, von dem Erbschaftsfideikommissar nach dem senatus consultum Pegasianum408 zum Antritt der Erbschaft gezwungen werden kann. Julian bejaht dies, hält den Fideikommissar, der nach Herausgabe die Erbschaft die Stellung des Erben einnimmt, aber auch zur Erfüllung des Vermächtnisses für verpflichtet. Eigentlich ist das Vermächtnis nicht geschuldet, weil der Erbe die Erbschaft ja angetreten hat und die Bedingung damit ausgefallen ist. Julian setzt sich hierüber jedoch mit der 406  Zwar ist Gröschler (Fn. 405), S. 30 zuzugeben, dass Julian sich hier nicht generell für eine Gefährdungshaftung des Auftraggebers für alle Schäden aus dem Auftrag ausspricht, sondern nur den Fall des diebischen Sklaven behandelt. Die ratio dieser Entscheidung ist jedoch einer Verallgemeinerung zugänglich. 407  Julian folgt damit dem später sogenannten Utilitätsprinzip, das ansonsten dazu dient, die Beschränkung der Haftung des unentgeltlich tätigen Vertragsteils auf seinen dolus zu rechtfertigen; vgl. D 44.7.1.5 Gai 2 aur, D 13.6.5.2 Ulp 28 ed und vor allem Afr 48 = D 30.108.12 (5 quaest) und hierzu Harke, Freigiebigkeit und Haftung, Würzburg 2006, S. 14 ff. 408  Gai 2.258.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung323

Erwägung hinweg, der unfreiwillige Erbschaftsantritt, der dem Erben im Interesse des Fideikommissars aufgezwungen wird, dürfe ihm nicht zum Schaden gereichen. Der Fideikommissar, der die Treue gegenüber dem Erblasserwillen fordert, darf seinerseits dem Erben die Treue nicht versagen und muss das Vermächtnis so erfüllen, als habe der Erbe die Erbschaft nicht angetreten. Ohne diesen Vorteil bedeutete der Zwang zum Erbschaftsantritt einen unzumutbaren Nachteil für den Erben. Nicht mit dem Postulat des Interessenausgleichs verknüpft ist der Gedanke der Überforderung einer Partei, von dem sich Julian in drei Entscheidungen leiten lässt: (9) Iul 359 = D 38.1.23.1 (22 dig) … quod si diversarum civitatium patroni sint et in sua quisque moretur, consentire debent in operis ab eo accipiendis: durum alioquin est eum, qui se liberare potest decem diebus operando, simul operis indictis, si in accipiendis non consentiant, compelli ad praestandam alteri quinque operarum aestimationem.

… Halten sich die Patrone aber in verschiedenen Städten auf und lebt jeder in seiner Stadt, müssen sie sich einigen über die Leistung der Dienste durch ihn. Sonst wäre es hart, wenn derjenige, der sich durch die Leistung von zehn Tagesdiensten befreien könnte, gezwungen wäre, einem der Patrone fünf als Wert der Dienste zu leisten, falls sie gleichzeitig gefordert werden und man sich nicht über die Leistung einigt.

Ist ein Freigelassener mehreren Patronen zum Dienst verpflichtet, die an verschiedenen Orten wohnen, müssen sie übereinkommen, um dem Sklaven die Ableistung seiner Dienste zu ermöglichen. Tun sie es nicht und verlangen sie von dem Freigelassenen die Dienste so, dass er sie nicht zugleich erfüllen kann, entfällt seine Dienstpflicht ersatzlos.409 Da unter den Patronen kein Rangverhältnis besteht, kann sie nicht nur im Verhältnis zu einem von ihnen ausgeschlossen sein; und die Alternative, dass sich die Dienstpflicht im Verhältnis zu einem Patron in eine Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs in Geld wandelt, erscheint Julian durus und deshalb inakzeptabel. Denn sie überforderte zum Vorteil der Patrone den Freigelassenen, der sich nur zur Leistung von Diensten, nicht auch zur Geldzahlung verpflichtet hat. (10) Iul 375 = D 37.6.3pr (23 dig) Praetor non sub condicione collationis bonorum possessionem contra tabulas promittit, sed demonstrat, quid data bonorum possessione fieri oportet. alioquin magna captio erit emancipati, si non aliter bonorum possessionem accipere intellegeretur, nisi cavisset de collatione: nam si interim ipse decessisset, 409  Dies ergibt der Zusammenhang mit der anderen Entscheidung in diesem Fragment (s. o. B.I.1.a)bb) [51]); vgl. auch Waldstein, Operae libertorum, Stuttgart 1986, S. 259.

324 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian heredi suo nihil relinqueret. item si frater eius decessisset, non admitteretur ad bonorum possessionem. quid ergo est? intellegendum est bonorum possessionem accipere et antequam caveat, sed si non caverit, ita observabitur, ut tota hereditas apud eum, qui in potestate fuerit, remaneat.

Der Prätor sagt den Nachlassbesitz entgegen dem Testament nicht unter der Bedingung einer Sicherheitsleistung für den Ausgleich zu, sondern erklärt nur, was nach der Einweisung in den Nachlassbesitz zu erfolgen hat. Andernfalls wäre es für den aus der Gewalt Entlassenen sehr gefährlich, wenn er den Nachlassbesitz nur dann erhielte, falls er für den Ausgleich Sicherheit leistet. Denn wenn er zwischenzeitlich stürbe, hinterließe er seinem Erben nichts. Auch würde er nicht zum Nachlassbesitz zugelassen, wenn sein Bruder stürbe. Was gilt also? Er muss den Nachlassbesitz erhalten, auch wenn er keine Sicherheit leistet; aber solange er sie nicht leistet, gilt, dass die gesamte Erbschaft bei dem verbleibt, der in der Gewalt des Erblassers verblieben ist.

Dass die Sicherheitsleistung, die ein emanzipierter Sohn für den Ausgleich mit dem zivilen Erben leisten muss, nicht Bedingung für die Einweisung in den Nachlassbesitz ist,410 sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht begründet, folgert Julian aus den besonderen Nachteilen, die die Gegenansicht für den Sohn hätte:411 Wäre er gezwungen, die Sicherheit zu leisten, hinterließe er, da sie sich auf sein gesamtes Vermögen bezieht, nichts, falls er vor dem Empfang der Erbschaft stirbt; und wenn umgekehrt der zivile Erbe vor der Sicherheitsleistung stirbt, könnte der emanzipierte Sohn nicht die Voraussetzung für die Einweisung in den Nachlassbesitz schaffen. Wegen dieser Unwägbarkeiten bedeutete die Bedingung der Sicherheitsleistung eine magna captio für den emanzipierten Sohn. (11) Iul 199 = D 15.1.37.2 (12 dig) Servum communem, quem cum Titio habebam, vendidi Sempronio: quaesitum est, si de peculio cum Titio aut cum Sempronio ageretur, an eius peculii, quod apud me esset, ratio haberi deberet. dixi, si cum Sempronio ageretur, numquam rationem eius peculii, quod apud me esset, haberi debere, quia is nullam adversus me actionem haberet, per quam id quod praestitisset consequi posset …

Ich habe einen gemeinschaftlichen Sklaven, der mir zusammen mit Titius gehörte, an Sempronius verkauft. Es ist gefragt worden, ob dessen Sondergut bei mir berücksichtigt werde, wenn gegen Titius oder Sempronius wegen des Sonderguts geklagt werde. Ich habe gesagt, dass, wenn gegen Sempronius geklagt werde, das bei mir befindliche Sondergut niemals berücksichtigt werden dürfe, weil dieser keine Klage gegen mich habe, mit der er ersetzt verlangen könne, was er geleistet habe … 410  So

aber später PS 5.9.4, UE 28.4. glaubt Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Aufl., München 1971, S. 731, Fn. 22, Julians Lösung habe sich aus praktischen Gründen durchgesetzt. Aufgenommen wird sie in CJ 6.20.11 (a 293). 411  Deshalb



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung325

Veräußert der Miteigentümer eines Sklaven seinen Anteil an diesem, stellt sich die Frage, ob ein bei ihm verbliebenes Sondergut in die Haftung einbezogen wird, die den neuen Miteigentümer trifft. Denkbar ist dies deshalb, weil die actio de peculio nach der Veräußerung eines Sklaven noch ein Jahr lang gegen seinen bisherigen Eigentümer angestellt werden kann412 und dem Gläubiger so lange die Wahl eröffnet ist, ob er gegen den neuen oder gegen den alten Eigentümer vorgehen will413. Daher kann bei der Klage gegen einen von beiden auch nur das Sondergut einbezogen werden, das der Sklave bei dem anderen Teilhaber hat, der seinen Miteigentumsanteil nicht veräußert und von dem beide aufgrund des Gemeinschaftsverhältnisses Regress nehmen können.414 Das Sondergut beim Veräußerer darf dagegen im Fall einer Klage gegen den Erwerber nicht berücksichtigt werden. Denn diesem steht keine Klage zu, mit der er Rückgriff beim Veräußerer nehmen könnte, so dass er in unangemessener Weise belastet würde. Einen dem Zweck des einschlägigen Rechtsinstituts widersprechenden Nachteil macht Julian in den beiden folgenden Entscheidungen aus: (12) Iul 734 = D 46.8.22.10 (56 dig) Sed et si nepoti iniuria facta fuerit et procurator avi propter hanc causam iniuriarum aget, non solum filii, sed etiam nepotis persona comprehendenda erit in stipulatione: quid enim prohibet et patrem et filium, antequam scirent procuratorem egisse, decedere? quo casu iniquum est fideiussores non teneri nepote iniuriarum agente. Aber auch wenn der Enkel beleidigt worden ist und der Prozessvertreter des Großvaters in dieser Sache die Injurienklage erhebt, ist nicht nur auf den Sohn, sondern auch auf den Enkel in der Kaution Rücksicht zu nehmen. Denn ist es nicht möglich, dass sowohl der Vater als auch der Sohn sterben, bevor sie erfahren, dass der Vertreter geklagt hat? In diesem Fall wäre es ungerecht, wenn die Bürgen nicht haften, falls der Enkel die Injurienklage erhebt.

Julian ermahnt den Prätor zur Sorgfalt bei der Formulierung einer cautio ratam rem haberi, die von einem procurator im Prozess über die Beleidigung eines gewaltabhängigen Enkels gestellt werden muss. Sie muss außer der Person des Großvaters und des Vaters auch den Enkel selbst einschließen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sie beide sterben und dann der Enkel selbst die Injurienklage erhebt. Der Beklagte, der schon an den pro412  D 15.2.1pr

Ulp 29 ed. sagt Julian selbst im Fortgang des Textes: … postquam placuit alienato homine permittendum creditori et cum venditore et cum emptore agere. 414  Dies sagt ausdrücklich Gaius in einem Text mit Julian-Zitat; vgl. Iul 197 = D 15.1.27.8 (Gai 9 ed prov): … nec huius dumtaxat peculii ratio haberi debet, quod apud eum cum quo agitur is servus haberet, sed et eius quod apud alterum. nec tamen res damnosa futura est ei qui condemnatur, cum possit rursus ipse iudicio societatis vel communi dividundo quod amplius sua portione solverit a socio sociisve suis consequi. quod Iulianus ita locum habere ait, … . 413  Dies

326 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

curator geleistet hat, muss auch hiervor geschützt werden; ein anderes Ergebnis erscheint Julian iniquum. (13) Iul 8 = D 5.1.2.5 Ulp 3 ed Sed et si agant, compelluntur se adversus omnes defendere: non tamen si iniuriam suam persequantur vel furtum vel damnum quod nunc passi sunt: alioquin, ut et Iulianus eleganter ait, aut impune contumeliis et damnis adficientur aut erit in potestate cuiusque pulsando eos subicere ipsos iurisdictioni, dum se vindicant.

Klagen sie aber, sind sie gezwungen, sich gegenüber allen zu verteidigen. Dies gilt aber nicht, wenn sie wegen einer Ehrverletzung oder eines Diebstahls oder eines Sachschadens, die sie soeben erlitten haben, klagen. Andernfalls müssten sie, wie Julian treffend bemerkt, entweder ungestraft Beleidigungen oder Sachschäden erleiden oder es läge in der Macht eines jeden, sie der Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, indem er sie schädigt.

Schon nach hergebrachter Ansicht soll das Recht eines Gesandten auf Verweisung eines Rechtsstreits an sein Heimatgericht dann nicht eingreifen, wenn er in Rom selbst Klage erhebt und von seinem Prozessgegner in Anspruch genommen wird. Von dieser Sonderregelung macht Julian nun wiederum eine Unterausnahme, durch die das ius domum revocandi wieder erweitert wird: Es soll auch gegenüber einem Klagegegner gelten, wenn der Gesandte diesen wegen eines Delikts in Anspruch nimmt. Sonst hätte der andere die Möglichkeit, den Gesandten zu schädigen und ihn so zu nötigen, die Verletzung hinzunehmen oder einen Gerichtsstand in Rom zu begründen. Die umgekehrte Argumentation, dass eine bestimmte Falllösung für eine Seite gerade keinen besonderen Nachteil bedeutet, auf den es Rücksicht zu nehmen gälte, findet sich nur in (14) Iul 872 = D 3.3.76 (5 Min): Titius cum absentem defenderet, satisdedit et prius quam iudicium acciperet desiit reus solvendo esse: quam ob causam defensor recusabat iudicium in se reddi oportere. quaero, an id ei concedi oporteat. Iulianus respondit: defensor cum satisdedit, domini loco habendus est. nec multum ei praestaturus est praetor, si eum non coegerit iudicium accipere, cum ad fideiussores eius iri possit et hi quidquid praestiterint a defensore consecuturi sint.

Als Titius einen Abwesenden verteidigte, leistete er Sicherheit; und bevor er sich auf die Klage einließ, wurde der Schuldner zahlungsunfähig, weshalb der Verteidiger sich dagegen gewandt hat, dass die Klage gegen ihn erteilt wird. Ich frage, ob man ihm dies zugestehen müsse. Julian hat befunden: Der Verteidiger ist, wenn er Sicherheit geleistet hat, wie der Geschäftsherr anzusehen. Und der Prätor würde ihm auch nicht viel helfen, wenn er ihn nicht zwingen würde, sich auf die Klage einzulassen, da man auf seine Bürgen zugreifen kann und diese vom Verteidiger wieder erlangen, was sie geleistet haben.

Julian befasst sich mit der Frage, ob ein procurator, nachdem er Sicherheit geleistet hat, noch die Aufnahme des Prozesses verweigern kann, wenn



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung327

er feststellt, dass der Schuldner, den er verteidigen will, insolvent wird. Julian verneint dies und will den procurator ab der Sicherheitsleistung wie den Schuldner selbst behandeln. Maßgeblich ist für ihn, dass es dem Verteidiger gar nichts nützen würde, sich nicht auf den Prozess einzulassen, da der Kläger in diesem Fall ja die Bürgen in Anspruch nehmen würde, die die Sicherheit geleistet haben und die dann wiederum Regress beim procurator nehmen würden.415 b) Immaterielle und öffentliche Interessen aa) Schutz der Würde und Sanktion unwürdigen Verhaltens Einer Schadensabwehr im noch weiteren Sinne, nämlich der Vermeidung eines immateriellen Nachteils, dienen nach Julians eigenem Bekenntnis zwei Entscheidungen, in denen Julian honor und dignitas einer Partei verteidigt: (1) Iul 239 = D 37.15.2 (14 dig) Honori parentium ac patronorum tribuendum est, ut, quamvis per procuratorem iudicium accipiant, nec actio de dolo aut iniuriarum in eos detur: licet enim verbis edicti non habeantur infames ita condemnati, re tamen ipsa et opinione hominum non effugiunt infamiae notam.

Auf das Ansehen der Eltern und der Patrone ist insofern Rücksicht zu nehmen, als gegen sie, auch wenn sie sich auf eine Klage durch einen Geschäftsführer einlassen, weder die Arglist- noch die Injurienklage zu gewähren ist. Sind die hierdurch Verurteilten auch nach Wortlaut des Edikts nicht mit Infamie belastet, entgehen sie ihr doch schon aus der Natur der Sache heraus und wegen der öffentlichen Meinung nicht.

Julian erweitert das zugunsten der Eltern oder des Patrons eines Schädigers bestehende Verbot zur Erteilung einer Klage mit Infamiewirkung. Obwohl eine solche im Edikt des Prätors nicht für die Arglist- und die Injurienklage vorgesehen sei,416 will er auch diese nicht gegen Eltern und Freilasser gewährt wissen, weil die Infamie, wenn auch nicht als Rechtsphänomen, so doch als Tatsache, dadurch eintritt, dass das Ansehen der Beklagten herabgesetzt wird, falls andere von der Tat ihres Kindes oder Freigelassenen erfahren. 415  Hierauf und nicht auf dem von Bund, Methode Julians, S. 147 betrachteten Verweis auf die Stellung des Geschäftsherrn liegt der Schwerpunkt der Argumentation. 416  In seiner Aufzählung der Klagen mit Infamiewirkung (Gai 4.182) nennt Gaius zwar ebenfalls nicht die actio de dolo, wohl aber die actio iniuriarum. Ulpian nennt in D 3.2.4.5 (6 ed) dagegen auch die actio de dolo.

328 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian (2) Iul 626 = D 47.10.17.22 Ulp 57 ed Idem ait filio familias iniuriarum nomine actionem dari, quotiens nemo est, qui patris nomine experiatur, et hoc casu quasi patrem familiae constitui. quare sive emancipatus sit sive ex parte heres scriptus fuerit vel etiam exheredatus sive paterna hereditate abstinuerit, executionem litis ei dandam: esse enim perabsurdum, quem praetor manente patria potestate ad actionem admittendum probaverit, ei patri familias ultionem iniuriarum suarum eripi et transferri ad patrem, qui eum, quantum in ipso est, omiserit, aut, quod est indignius, ad heredes patris, ad quos non pertinere iniuriam filio familias factam procul dubio est.

Julian sagt auch, einem Haussohn sei immer dann die Klage wegen Ehrverletzung zu gewähren, wenn es keinen gibt, der sie im Namen seines Vaters erhebt, und in dieser Hinsicht sei er wie ein Familienvater zu behandeln. Daher sei ihm auch, wenn er aus der Gewalt entlassen, zum Teil Erbe oder enterbt werde oder die väterliche Erbschaft ausschlage, die Vollstreckung zu erlauben. Es sei nämlich absurd, demjenigen, den der Prätor noch während der Dauer der väterlichen Gewalt zur Klage zulasse, als Hausvater die Sanktion einer von ihm selbst erlittenen Ehrverletzung zu versagen und dem Vater zu überlassen, der sie nicht verfolgt habe, als es an ihm gelegen habe, oder, was noch unwürdiger ist, sie seinen Erben zu überlassen, die eine dem Haussohn zugefügte Ehrverletzung doch zweifellos gar nichts angeht.

Dass ein Haussohn, der zum Opfer einer Ehrverletzung geworden ist, deshalb auch gegen den Täter vollstrecken kann, folgert Julian aus der Zuständigkeit der actio iniuriarum: Wird sie nicht von dem Familienvater oder einem anderen Kläger mit eigener Rechtspersönlichkeit verfolgt, darf der Haussohn, damit die Ehrverletzung nicht ungesühnt bleibt, kraft besonderer Anordnung des Prätors417 selbst so vorgehen, als sei er ein Familienvater. Wird er nun anschließend aus der Gewalt entlassen oder beim Tod des Vaters nicht dessen alleiniger Rechtsnachfolger, ist die Vollstreckung des von ihm noch als Haussohn erstrittenen Urteils eigentlich dem Vater oder dessen Erben überlassen. Julian will sie stattdessen jedoch dem ehemaligen Haussohn zugestehen, weil er sie beim Vater in den falschen Händen sieht: Ihm dürfe man sie nach der emancipatio des Sohnes nicht überlassen, weil er sich schon nicht um die Verfolgung der Ehrverletzung im Erkenntnisverfahren gekümmert hat und daher zu besorgen sei, dass er auch die Vollstreckung vernachlässige. Der Erbengemeinschaft dürfe man sie, wie Afrikan hinzufügt, nicht anvertrauen, weil sie die Ehrverletzung, die nur der Haussohn erlitten hat, nichts angeht und ihre Beschäftigung mit dieser Frage für den Sohn sogar noch indignius wäre. Um die Würde eines Menschen geht es Julian auch, wenn er einen zu Lebzeiten eines Erblassers begonnenen Rechtsstreit über seinen Nachlass verbietet: 417  D 47.10.17.10

Ulp 57 ed.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung329

(3) Iul 569 = D 36.1.28.4 (40 dig) A patre heres scriptus et exheredato filio substitutus si rogatus fuerit hereditatem, quae ad eum ex substitutione pervenerit, Titio restituere, cogendus non est vivo pupillo patris hereditatem adire, primum quia sub condicione fideicommissum datum est, deinde quia non probe de hereditate viventis pueri aget: mortuo autem pupillo compelli debet hereditatem patris adire.

Ist demjenigen, der von einem Vater zum Erben und auch zum Substitut für seinen enterbten Sohn eingesetzt worden ist, durch Fideikommiss auferlegt worden, die Erbschaft, die er aus der Substitution erlangt, dem Titius herauszugeben, kann er nicht zu Lebzeiten des Unmündigen gezwungen werden, die Erbschaft des Vaters anzutreten, zunächst einmal, weil das Fideikommiss unter einer Bedingung ausgesetzt ist, und dann, weil es sich nicht gehört, einen Rechtsstreit über die Erbschaft des noch lebenden Jungen zu führen. Nach dem Tod des Unmündigen kann er aber zum Antritt der Erbschaft des Vaters gezwungen werden.

Ist jemand zum Erben und Pupillarsubstitut für einen enterbten, unmündigen Sohn des Erblassers eingesetzt, kann er von dem Fideikommissar, dem er den Nachlass des Pupills herausgeben soll, nicht nach dem senatus consultum Pegasianum418 zum Antritt der Erbschaft des Vaters gezwungen werden. Dieser ist zwar Voraussetzung für das Erbschaftsfideikommiss, das jedoch zusätzlich davon abhängt, dass der Sohn des Erblassers unmündig stirbt, und damit unter einer Bedingung steht. Julian begnügt sich nicht mit dem Hinweis auf diese Schwebelage, die das Recht des Fideikommissars einstweilen ohnehin undurchsetzbar macht. Er fügt hinzu, es sei ungehörig, über den Nachlass eines noch lebenden Dritten zu streiten.419 Zwar betrifft der vom Fideikommissar gewünschte Erbschaftsantritt den Nachlass des Vaters und nicht den des enterbten Sohnes. Gezwungen werden kann der Substitut jedoch nur wegen des Fideikommisses über den Nachlass des Sohnes, der so ebenfalls zum Gegenstand der Auseinandersetzung würde. Die besondere reverentia, die eine Freigelassene ihrem Patron schuldet, macht Julian in dem folgenden Fragment zum Bestimmungsgrund seiner Entscheidung: (4) Iul 779 = D 23.2.45.6 Ulp 3 Iul et Pap Si ab hostibus patronus captus esse proponatur, vereor ne possit ista conubium habere nubendo, quemadmodum haberet, si mortuus esset. et qui Iuliani sententiam probant, dicerent non habituram conubium: putat enim Iulianus durare eius libertae matrimonium etiam in captivitate propter patroni reverentiam. … 418  Gai 2.258. 419  Nur diese Begründung gibt Ulpian in dem Julianzitat in D 28.6.2.2 (6 Sab) wieder: Interdum etiam pupillaris testamenti causa compellendum heredem institutum adire hereditatem, ut ex secundis tabulis fideicommissum convalescat: ut puta si iam pupillus decessit: ceterum si adhuc vivat, improbum esse Iulianus existimat eum, qui sollicitus est de vivi hereditate.

330 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Wird vorgebracht, der Patron sei von Feinden gefangen genommen worden, befürchte ich, dass die Freigelassene die Ehe so eingehen kann, wie sie es könnte, wenn er gestorben wäre. Aber die Anhänger von Julians Ansicht bestreiten, dass sie das Recht dazu habe. Julian glaubt nämlich, die Ehe einer Frei­ gelassenen dauere aus Achtung vor dem Patron während seiner Gefangenschaft an. …

Eigentlich beendet die Kriegsgefangenschaft eines Ehegatten die Ehe endgültig und sogar ohne postliminium.420 Julian will jedoch eine Ausnahme in dem Fall machen, dass ein Patron seine Freigelassene geheiratet hat. Gerät er in Kriegsgefangenschaft, soll die besondere Würde, die ihm im Verhältnis zur Freigelassenen zukommt und die dieser nach der lex Iulia auch eine Scheidung untersagt421, dazu führen, dass die Ehe fortbesteht422 und nach der Rückkehr des Patrons aus der Kriegsgefangenschaft nicht neu geschlossen werden muss.423 Um die Sanktion eines unwürdigen Verhaltens bemüht sich Julian in den nächsten drei Fragmenten: (5) Iul 603 = D 22.3.20 (43 dig) Si quis liberum hominem vi rapuerit, in vinculis habuerit, is indignissime commodum possessoris consequeretur, quia probari non poterit hominem eo tempore quo primum lis ordinaretur in libertate fuisse.

Hat jemand einen freien Menschen gewaltsam geraubt und in Fesseln gehalten, ist er höchst unwürdig, in den Genuss der Vorteile eines Besitzers zu kommen, weil dann nicht bewiesen werden könnte, dass der Mensch zum Zeitpunkt des Prozessbeginns in Freiheit lebte.

Befindet sich jemand faktisch in der Gewalt eines anderen, erhält dieser beim Rechtsstreit über seinen Status die Rolle des beklagten Besitzers, die ihm den Beweis abnimmt, dass der Mensch sein Sklave sei424. Julian will dies nicht gelten lassen, wenn das Gewaltverhältnis dadurch zustande gekommen ist, dass der vermeintliche Sklave von seinem Besitzer geraubt und in Fesseln gelegt worden ist. Er sorgt so für das Ergebnis, das beim Eigentumsrechtsstreit durch die Besitzinterdikte erreicht wird, nämlich dass eine gewaltsame Veränderung des tatsächlichen Status ohne Auswirkung auf die Rollenverteilung im Hauptprozess und die hierfür geltende Beweislastverteilung bleibt. Er begründet dies damit, dass der Besitzer des Menschen 420  D 24.2.1

Paul 35 ed. = D 24.2.11pr Ulp 3 Iul et Pap. 422  Anders als Bund, Methode Julians, S. 152 vermag ich hier keine Form der Fallanknüpfung auszumachen. 423  Den Zusammenhang mit dem Scheidungsverbot stellt auch Watson, Captivitas and matrimonium, TR 29 (1961) 243, 253 her. 424  D 44.7.12.5 Ulp 54 ed. 421  Iul 778



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung331

indignissimus für den Beweisvorteil ist, den ihm die Anerkennung seiner faktischen Gewalt über den geraubten Menschen verschaffte. (6) Iul 312 = D 25.3.1.14 Ulp 34 ed Idem Iulianus scribit, si uxore denuntiante se praegnatem maritus non negaverit, non utique suum illi partum effici, cogendum tamen alere: ceterum esse satis iniuriosum ait, si quis longo tempore afuerit et reversus uxorem praegnatem invenerit et idcirco reiecerit, si quid ex his, quae senatus consulto continentur, omiserit, suum heredem ei nasci.

Julian schreibt auch, dass ein Ehemann, wenn er auf die Anzeige seiner Frau, sie sei schwanger, nicht reagiert, so noch nicht bewirke, dass das Kind sein eigenes sei; er müsse aber gezwungen werden, es zu unterhalten. Andernfalls wäre es ziemlich ungerecht, wenn jemand, der lange Zeit abwesend gewesen sei und bei seiner Rückkehr seine Frau schwanger vorgefunden und sie deshalb verstoßen habe, einen Hauserben schon dadurch erhielte, dass er es unterlassen habe zu tun, was im Senatsbeschluss vorgesehen sei.

Julian ist der Ansicht, das senatus consultum Plancianum dürfe nur zugunsten der Kinder mit umstrittener Abstammung und nicht auch zum Vorteil des mutmaßlichen Vaters wirken: Hat er es unterlassen, auf die Anzeige der Schwangerschaft seiner Frau hin den Nachweis zu erbringen, dass das Kind nicht von ihm stamme, führt dies zwar dazu, dass er das Kind als das seine anerkennen und unterhalten muss. Solange er es aber nicht anerkannt hat, gilt es auch noch nicht als sein Kind und kann deshalb, wenn er stirbt, auch nicht zu seinem Hauserben werden.425 Ansonsten wäre denkbar, dass jemand, der voreilig und ohne Nachweis fremder Vaterschaft seine Frau verstößt, von den Konsequenzen seines Fehlverhaltens verschont bliebe, indem er einen Hauserben gewönne. Er darf nach Julians Auffassung keinen Vorteil daraus ziehen, dass er, obwohl er die Vaterschaft in Abrede stellt, nicht in der vom Senatsbeschluss vorgesehenen Weise vorgegangen ist und den Nachweis für seine Behauptung erbracht hat. (7) Iul 905 = D 45.1.61 (3 Urs Fer) Stipulatio hoc modo concepta: ‚si heredem me non feceris, tantum dare spondes?‘ inutilis est, quia contra bonos mores est haec stipulatio.

Ein derart abgefasstes Versprechen: „Versprichst du, so und so viel zu zahlen, wenn du mich nicht als Erben einsetzt?“, ist unwirksam, weil es gegen die guten Sitten verstößt.

425  Von derselben Tendenz ist Julians Entscheidung in § 12 des Fragments getragen: Iulianus libro nono decimo digestorum scripsit: quod senatus consulto comprehensum est, si mulier viro denuntiaverit se ex eo concepisse et is cui denuntiatum erit custodes ad ventrem custodiendum inspiciendumque non miserit neque contestato dixerit eam ex se praegnatem non esse, ut ei id quod editum sit agnoscere sit necesse, non eo pertinet, ut, si quis agnoscere se filium diceret, suum heredem haberet, quamvis ex alio conceptus sit: quandoque enim, inquit, coepit causa agi, grande praeiudicium adfert pro filio confessio patris.

332 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian

Julian verneint die Wirksamkeit einer Stipulation, mit der ein Schuldner eine bestimmte Summe für den Fall verspricht, dass er den Gläubiger nicht zum Erben einsetzt. Da er so eine erbrechtliche Regelung anstrebt und die Testierfreiheit des Schuldners zumindest mittelbar beschränkt, sieht Julian in dem Versprechen einen Sittenverstoß, der es unwirksam macht. bb) Favor libertatis und öffentliche Interessen Obwohl im Einzelfall auf den Vorzug einer Seite gerichtet, ist der favor libertatis, der in Freilassungsangelegenheiten die Entscheidung zugunsten des Sklaven steuert, doch nicht das Ergebnis einer konkreten Interessenbewertung. Indem er für eine schematische Begünstigung einer Partei zulasten der anderen sorgt, dient er einem überindividuellen, gleichsam öffentlichen Interesse, das der Einsicht in die natürliche Gleichheit der Menschen entspringt. Diese Einsicht wird von Julian auch bei der Rekonstruktion des vernünftigen Erblasserwillens im Rahmen der Testamentsauslegung unterstellt, wo der favor libertatis nicht direkt, sondern als Gegenstand der mutmaßlichen voluntas des Testators wirkt.426 Unmittelbarer Bestimmungsgrund der Entscheidung ist der favor libertatis an vier Stellen in Julians Werk: (1) Iul 525 = D 40.4.16 (36 dig) Si ita scriptum fuerit: ‚cum Titius annorum triginta erit, Stichus liber esto eique heres meus fundum dato‘ et Titius, antequam ad annum trigensimum perveniret, decesserit, Sticho libertas competet, sed legatum non debebitur. nam favore libertatis receptum est, ut mortuo Titio tempus superesse videretur, quo impleto libertas contingeret: circa legatum defecisse condicio visa est.

Ist wie folgt angeordnet: „Stichus soll frei sein und mein Erbe ihm ein Grundstück geben, wenn Titius 30 Jahre alt wird“, und ist Titius gestorben, bevor er dreißig Jahre alt wurde, steht Stichus die Freiheit zu, das Vermächtnis wird aber nicht geschuldet. Denn um der Freiheit den Vorzug zu geben, ist anerkannt, dass nach Titius‘ Tod noch ein Zeitraum verbleibe, nach dessen Ablauf die Freiheit zustehe; für das Vermächtnis nimmt man dagegen an, dass die Bedingung ausgefallen sei.

Ist ein Sklave unter der Bedingung, dass Titius 30 Jahre alt wird, freigelassen und mit einem Grundstück bedacht, so ist diese Bedingung ausgefallen, wenn Titius vorher stirbt. Während es beim Vermächtnis des Grundstücks damit sein Bewenden hat, soll die Freilassung doch wirksam sein. Julian beruft sich auf den favor libertatis, der dazu führe, dass die Freiheit dann eintrete, wenn Titius dreißig Jahre alt geworden wäre. Dieselbe Differenzierung zwischen Vermächtnis und Freilassung, die deren Sonderbehandlung deutlich macht, erscheint in 426  Iul 594

= D 40.4.17.2 (42 dig); s. o. B.I.2.b)bb)(2) (12).



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung333

(2) Iul 596 = D 40.7.20.3 Paul 16 Plaut: Is, cui servus pecuniam dare iussus est ut liber esset, decessit. Sabinus, si decem habuisset parata, liberum fore, quia non staret per eum, quo minus daret. Iulianus autem ait favore libertatis constituto iure hunc ad libertatem perventurum, etiamsi postea habere coeperit decem. adeo autem constituto potius iure quam ex testamento ad libertatem pervenit, ut, si eidem et legatum sit, mortuo eo cui dare iussus est ad libertatem quidem perveniet, non autem et legatum habiturus est: idque et Iulianus putat, ut in hoc ceteris legatariis similis sit.

Derjenige, dem ein Sklave nach testamentarischer Anordnung Geld zahlen soll, damit er frei wird, ist gestorben. Sabinus hat gesagt, der Sklave werde frei, wenn er zehn bereitgehalten habe, da es nicht an ihm gelegen habe, dass er nicht gezahlt habe. Julian dagegen sagt, wegen des Vorrangs der Freiheit erlange er diese anerkanntermaßen auch dann, wenn er den Betrag erst später beschafft habe. Er erlangt die Freiheit aber eher aus rechtlichem Brauch als aus dem Testament, so dass ihm, wenn ihm auch ein Vermächtnis ausgesetzt ist, mit dem Tod desjenigen, dem er leisten soll, zwar die Freiheit zuteil wird, nicht aber das Vermächtnis. Und auch Julian glaubt, dass er in dieser Hinsicht anderen Vermächtnisnehmern gleichstehe.

Ein Sklave, dessen testamentarische Freilassung unter der Bedingung einer Zahlung angeordnet ist, kann nach dem Tod des Zahlungsempfängers eigentlich nicht mehr bewirken, dass die so ausgefallene Bedingung für seine Freiheit eintritt. Schon Sabinus will aber danach differenzieren, ob es an dem Sklaven lag, dass er die Bedingung nicht erfüllen konnte, und ihm daher die Freiheit gewähren, wenn er den festgesetzten Betrag bereithielt.427 Julian geht einen Schritt weiter und behauptet, es sei bereits anerkannten Rechts, dass der Sklave auch dann frei werde, wenn er den festgesetzten Betrag später vorrätig habe. Er geht aber nicht so weit, auch ein Vermächtnis für wirksam zu erklären, das dem Sklaven unter derselben Bedingung ausgesetzt ist. Dies zeigt, dass seine Entscheidung für die Wirksamkeit der Freilassung nicht mehr von der sabinianischen Lehre getragen sein kann, wonach Vermächtnisse, die unter einer unmöglichen Bedingung ausgesetzt sind, als unbedingt gelten428. Verfügt der Sklave nicht über den Betrag, den er zur Herbeiführung des Bedingungseintritts benötigt, kann er sich nicht darauf berufen, dass die Zahlung wegen des Todes des Empfängers ausgeschlossen ist. Daher erlangt er zwar nicht das Vermächtnis, wohl aber die Freiheit, weil ihr Erwerb dem favor libertatis dient. Auf Grenzen stößt der Vorzug der Freiheit bei der Beurteilung einer Freilassung unter Lebenden: (3) Iul 585 = D 40.2.4pr (42 dig) Si pater filio permiserit servum manumittere et interim decesserit intestato, deinde filius ignorans patrem suum mortuum libertatem imposuerit, libertas 427  Dies

stellt auch Ulpian in D 40.7.3.10 (27 Sab) fest; vgl. auch UE 2.6.

428  Gai 3.98.

334 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian servo favore libertatis contingit, cum non appareat mutata esse domini voluntas. sin autem ignorante filio vetuisset pater per nuntium et antequam filius certior fieret, servum manumisisset, liber non fit. nam ut filio manumittente servus ad libertatem perveniat, durare oportet patris voluntatem: nam si mutata fuerit, non erit verum volente patre filium manumisisse.

Hat der Vater dem Sohn gestattet, einen Sklaven freizulassen, und ist unterdessen ohne Testament gestorben, bevor der Sohn in Unkenntnis des Todes seines Vaters die Freiheit erteilt hat, erlangt der Sklave die Freiheit, da ihr der Vorrang zukommt, wenn nicht erkennbar ist, dass sich der Wille des Eigentümers geändert hat. Hat aber der Vater, ohne dass der Sohn dies wusste, die Freilassung verboten und einen Boten geschickt und der Sohn, bevor er benachrichtigt wurde, den Sklaven freigelassen, wird er nicht frei. Denn damit der Sklave durch eine vom Sohn vorgenommene Freilassung zur Freiheit gelangt, muss der Wille des Vaters hierzu fortdauern; und hat er sich geändert, trifft nicht zu, dass er mit Willen des Vaters freigelassen worden ist.

Ist ein Sklave von einem Haussohn auf Anweisung des Familienvaters, aber nach dessen Tod freigelassen worden,429 erlangt der Sklave die Freiheit zumindest dann, wenn der Sohn von dem Tod seines Vaters nichts wusste und dieser auch zu Lebzeiten nicht kundgegeben hat, dass er von seinem Entschluss abgerückt ist.430 Diese Lösung folgt für Julian aus dem favor libertatis, der freilich seine Grenze in dem mutmaßlichen Willen des Vaters findet: Dass das iussum zur Freilassung seinen Tod überdauert, erscheint Julian nur dann gerechtfertigt, wenn nicht erkennbar ist, dass der Vater seine Absicht geändert hat. Hat der Vater seinen Meinungswandel noch kundgetan, hat man sich zu sehr vom Tatbestand der Freilassung, nämlich voluntate domini in libertate esse, entfernt, als dass man sich hierüber unter Rücksicht auf den favor libertatis hinwegsetzen könnte. Beim Freiheitsprozess gibt der favor libertatis den Ausschlag für die Wahl zwischen zwei gleichermaßen denkbaren Lösungen:

429  Nach Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Auf., München 1971, S. 267 Fn. 258 handelt es sich um eine manumissio vindicta, die der Haussohn nach Paulus D 40.2.22 (12 quaest) wirksam vornehmen kann und von der Paulus in seinem Julianzitat in D 40.9.15.1 (1 leg Iul) spricht. 430  Entgegen Lenel, Palingenesia, Bd. 1 Sp. 430 Fn. 2 bedeutet es kein hinreichendes Interpolationsindiz, wenn Julians Entscheidung bei Paulus in D 40.9.15.1 (1 leg Iul) in ihr Gegenteil verkehrt ist: Iulianus ait, si postea, quam filio permisit pater manumittere, filius ignorans patrem decessisse manumisit vindicta, non fieri eum liberum. sed et si vivit pater et voluntas mutata erit, non videri volente patre filium manumisisse. Welche der beiden Versionen das julianische Original trifft und ob nicht vielleicht schon Paulus einem Flüchtigkeitsfehler unterlegen ist, lässt sich heute nicht mit hinreichender Sicherheit entscheiden. Als Auszug aus Julians Werk verdient D 40.2.4pr jedenfalls den Vorzug.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung335

(4) Iul 875 = D 40.12.30 (5 Min) Duobus petentibus hominem in servitutem pro parte dimidia separatim, si uno iudicio liber, altero servus iudicatus est, commodissimum est eo usque cogi iudices, donec consentiant: si id non continget, Sabinum refertur existimasse duci servum debere ab eo qui vicisset: cuius sententiae Cassius quoque est et ego sum. et sane ridiculum est arbitrari eum pro parte dimidia duci, pro parte libertatem eius tueri. commodius autem est favore libertatis liberum quidem eum esse, compelli autem pretii sui partem viri boni arbitratu victori suo praestare.

Haben zwei Kläger getrennt zur Hälfte die Unfreiheit eines Menschen geltend gemacht und ist er nach dem einen Urteil frei, nach dem anderen als Sklave verurteilt, ist es am besten, wenn die Richter zu einer einheitlichen Auffassung gezwungen werden. Für den Fall, dass dies nicht gelingt, soll Sabinus der Ansicht gewesen sein, dass der Sklave demjenigen gehören solle, der gesiegt habe. Diese Ansicht teilen auch Cassius und ich. Und es erscheint reichlich absurd, wollte man ihn zur Hälfte als Sklaven zusprechen, zum anderen Teil seine Freiheit anerkennen. Besser ist aber, dass er um des Vorrangs der Freiheit willen frei ist und gezwungen wird, dem siegreichen Kläger den Preis für seinen Anteil nach dem Ermessen eines redlichen Mannes zu zahlen.

Geht der Freiheitsprozess zwischen zwei Miteigentümern und einem in servitutem vindizierten Beklagten so aus, dass einer der Miteigentümer gewinnt, der andere verliert, kann die Entscheidung nicht lauten, dass der Beklagte teils frei, teils Sklave ist. Nach Ansicht von Sabinus und Cassius steht er dann dem siegreichen Miteigentümer in vollem Umfang zu, und zwar ebenso, wie wenn einer der Eigentümer den Sklaven freilässt431. Zwingen die Kaiser später den anderen Eigentümer unter diesen Umständen, seinen Anteil an den Freilasser zu verkaufen,432 hält Julian eine vergleichbare Lösung schon im Fall der divergenten Gerichtsentscheidungen zur Freiheit für angebracht: Der in seiner Ingenuitätsbehauptung teilweise bestätigte Mensch soll seine Freiheit auch gegenüber dem siegreichen Miteigentümer durchsetzen können, indem er ihm den Wert für seinen Miteigentumsanteil erstattet. Dieses Resultat gebietet für Julian der favor libertatis. Von regelrecht öffentlichen Interessen lässt Julian sich ebenso wie Celsus nur leiten, wenn es um Funktion und Funktionstüchtigkeit der Prätur geht. Auf ihre Aufgabe, Streitigkeiten zu schlichten, und die Notwendigkeit ihres Respekts durch die Rechtsunterworfenen rekurriert Julian an drei Stellen: (6) Iul 544 = D 7.1.13.3 Ulp 18 Sab Sed si inter duos fructuarios sit controversia, Iulianus libro trigensimo octavo digestorum scribit aequissimum esse quasi communi dividundo iudicium dari vel stipulatione inter se eos cavere, qualiter fruantur: cur enim, inquit Iulianus, 431  UE 1.18, PS 4.12.1. – Zur Rolle von Minicius unlängst Capone, Una quaestio di Minicio e una nota di Giuliano, in: Buti u. a. (Hg.), Fides humanitas ius, Neapel 2007, Bd. 2, S. 695 ff. 432  CJ  7.7.1.1 f.

336 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian ad arma et rixam procedere patiatur praetor, quos potest iurisdictione sua componere? quam sententiam Celsus quoque libro vicensimo digestorum probat, et ego puto veram.

Entsteht aber Streit zwischen zwei Nießbrauchern, sei es, wie Julian im 38.  Buch seiner Digesten schreibt, höchst gerecht, gleichsam eine Teilungsklage zu gewähren oder sie durch Versprechen untereinander regeln zu lassen, wie sie die Sache nutzen wollen. Warum nämlich, fragt Julian, solle der Prätor zulassen, dass sie sich streiten, wenn er kraft seiner Gerichtsbarkeit schlichten könne? Dieser Ansicht ist auch Celsus im 20. Buch seiner Digesten, und ich halte sie für richtig.

Julian empfiehlt dem Prätor, um einen Streit zwischen zwei Nießbrauchern zu bewältigen, eine Klage nach dem Vorbild der für das Miteigentum zuständigen actio communi dividundo zu gewähren oder den Parteien die Regelung ihrer Auseinandersetzung durch Stipulation aufzugeben. So könne der Prätor mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass es zu einem dauernden Streit zwischen den Nießbrauchern kommt. (7) Iul 633 = D 5.1.75 (46 dig) Si praetor iusserit eum a quo debitum petebatur adesse et ordine edictorum peracto pronuntiaverit absentem debere, non utique iudex, qui de iudicato cognoscit, debet de praetoris sententia cognoscere: alioquin lusoria erunt huiusmodi edicta et decreta praetorum. …

Hat der Prätor denjenigen, von dem eine Schuld gefordert wird, vorgeladen und ihn entsprechend den Anordnungen des Edikts in Abwesenheit verurteilt, muss der Richter, der über die Vollstreckungsklage zu entscheiden hat, die Entscheidung des Prätors hinnehmen. Andernfalls wären solche Edikte und Anordnungen des Prätors lächerlich. …

Ein Versäumnisurteil, das der Prätor gegen den geladenen und nicht in iure erschienen Beklagten erlassen hat, ist vom Richter, der über die actio iudicati befindet, nicht mehr zu überprüfen.433 Könnte sich der iudex über die Entscheidung des Prätors hinwegsetzen, wäre nach Julians Ansicht dessen Autorität untergraben, so dass er geradezu lächerlich erschiene. (8) Iul 655 = D 43.8.7 (48 dig) Sicut is, qui nullo prohibente in loco publico aedificaverat, cogendus non est demolire, ne ruinis urbs deformetur, ita qui adversus edictum praetoris aedificaverit, tollere aedificium debet: alioqui inane et lusorium praetoris imperium erit. 433  Ausnahmen, namentlich zur Abwehr von Arglist und zur Rücksicht auf eine Abwesenheit des Beklagtem aus wichtigem Grund, zählen Marcell und Paulus in ihren Bemerkungen zu Julians Entscheidung auf, ohne diese aber als solche in Frage zustellen: … Marcellus notat: si per dolum sciens falso aliquid allegavit et hoc modo consecutum eum sententiam praetoris liquido fuerit adprobatum, existimo debere iudicem querellam rei admittere. Paulus notat: si autem morbo impeditus aut rei publicae causa avocatus adesse non potuit reus, puto vel actionem iudicati eo casu in eum denegandam vel exsequi praetorem ita iudicatum non debere.



II. Systemüberschreitende Rechtsfindung337



Kann derjenige, der ohne Widerspruch etwas auf einem öffentlichen Platz gebaut hat, nicht zum Abriss gezwungen werden, damit die Stadt nicht durch Ruinen verunstaltet wird, muss das Gebäude doch derjenige abreißen, der etwas entgegen dem prätorischen Edikt errichtet hat. Andernfalls wäre die Amtsgewalt des Prätors wirkungslos und lächerlich.

Dass ein Werk, das auf öffentlichem Grund ohne Erlaubnis errichtet worden ist, gleichwohl nicht abgerissen werden muss, folgt aus der prohibitorischen Natur des einschlägigen Interdikts ne quid in loco publico vel itinere fiat,434 das nicht dazu gedacht ist, Ruinen zu schaffen. Wirkt das Interdikt auch nicht restitutorisch, heißt dies aber noch nicht, dass der Prätor, wenn er im Wege des Interdikts einen Bau auf öffentlichem Grund verboten hat, nicht auch seinen Abriss durchsetzen könnte. Beschränkte man die Befugnis des Prätors darauf, dem Bauherrn eine Sicherheitsleistung aufzuerlegen, wäre nach Julians Ansicht seine Amtsgewalt untergraben, von der er durch den Erlass des Interdikts Gebrauch gemacht hat. 2. Erkenntnisse anderer Wissenschaften Wie bei Celsus gibt es auch bei Julian nur eine Entscheidung, in der der Jurist zur Ableitung einer Falllösung auf naturwissenschaftliche, nämlich medizinische, Erkenntnisse zurückgreift:

Iul 886 = D 46.3.36 (1 Urs Fer) Si pater meus praegnate uxore relicta decesserit et ex causa hereditaria totum hoc, quod patri meo debitum fuisset, petissem, nihil me consumpsisse quidam existimant: si nemo natus sit, recte me egisse, quia in rerum natura verum fuisset me solum heredem fuisse. Iulianus notat: verius est me eam partem perdidisse, pro qua heres fuissem, antequam certum fuisset neminem nasci, aut quartam partem, quia tres nasci potuerunt, aut sextam, quia quinque: nam et Aristoteles scripsit quinque nasci posse, quia vulvae mulierum totidem receptacula habere possunt: et esse mulierem Romae Alexandrinam ab Aegypto, quae quinque simul peperit et tum habebat incolumes, et hoc et in Aegypto adfirmatum est mihi.



Hat mein Vater bei seinem Tod eine schwangere Frau hinterlassen und habe ich aufgrund des Erbrechts eine Forderung meines Vaters voll eingeklagt, so tritt nach Meinung einiger kein Klageverbrauch ein. Werde niemand geboren, hätte ich zu Recht geklagt, weil es den Tatsachen entsprochen habe, dass ich der einzige Erbe gewesen sei. Julian bemerkt hierzu: Es ist besser, wenn ich den Teil verliere, zu dem ich Erbe geworden bin, bevor feststand, dass niemand mehr geboren würde, also ein Viertel, weil drei geboren werden können, oder ein Sechstel, weil fünf geboren werden können. Denn auch Aristoteles schreibt, fünf Kinder könnten geboren werden, weil die weibliche Gebärmutter so viel fasse. Und es sei in Rom eine Frau aus Alexandria in Ägypten gewesen, die auf 434  D 43.8.2.17

Ulp 68 ed.

338 B.  Argumenta Salviana – E ­ ntscheidungsbegründungen bei Julian einmal fünf gesunde Kinder geboren habe, und das ist mir in Ägypten versichert worden.

Hat der Sohn eines Erblassers ohne Rücksicht auf weitere Nachkommen, die die schwangere Frau des Erblassers noch gebären könnte, eine Forderung des Erblassers voll eingeklagt, stellt sich die Frage, ob und zu welchem Teil er sein Klagerecht verbraucht hat. Nach Meinung von quidam findet aufgrund dieser voreiligen Klage überhaupt keine Konsumtion statt, so dass der Sohn sie, wenn später feststeht, dass er Alleinerbe ist, in vollem Umfang noch einmal erheben kann. Julian hält es für besser, einen Klageverbrauch zumindest insoweit eintreten zu lassen, als der Sohn im Zeitpunkt der Klageerhebung schon sicher Erbe war. Dies hängt wiederum davon ab, wie viele Kinder die schwangere Frau des Erblassers noch gebären kann. Julian geht zunächst von Drillingen als maximaler Geschwisterzahl aus, woraus sich ein Anteil des Sohnes von einem Viertel ergibt. Den Angaben Aristoteles’ und Berichten über eine Frau aus Alexandria entnimmt er dann jedoch, dass auch eine Geburt von Fünflingen möglich ist, woraus sich dann als feststehender Erbteil, zu dem ein Klageverbrauch eintritt, ein Sechstel ergibt.

Ergebnis Das Ergebnis dieser Untersuchung ist statistisch und deshalb nüchtern, aber aussagekräftig. Es entsteht zwar kein Gemälde, aber doch ein Bild von Celsius’ und Julians Methode, das auf weitgehend objektiven und damit belastbaren Daten beruht und frei von Spekulationen ist. Wie spröde der Vergleich von Gezähltem auch sein mag, so enthüllt er doch einen signifikanten Unterschied in der Methode von Celsus und Julian: Ähnlich sind sich die beiden Juristen darin, dass wenig mehr als ein Fünftel der überlieferten Entscheidungen mit einer ihnen zuzuschreibenden Begründung versehen ist. Die höhere Begründungsdichte in den Originalauszügen, die bei Celsus geringfügig (57 % originale Begründungen zu 52 % originalen Entscheidungen), bei Julian signifikant ist (68 % originale Begründungen zu 48 % originalen Entscheidungen), lässt darauf schließen, dass es ursprünglich, vor allem in Julians Werk, mehr Argumentationen gab, die beim Zitat durch andere Juristen entweder weggelassen oder nicht in indirekter Rede wiedergegeben wurden. Stellt man dies in Rechnung, kann man die Werke der beiden Hochklassiker keineswegs begründungsarm nennen; hier wie dort muss jedoch ein erheblicher Teil der Falllösungen begründungslos gewesen sein. Keine ins Gewicht fallenden Divergenzen bestehen auch bei der Verteilung der Entscheidungsbegründungen auf unvermittelte und Auslegungsentscheidungen sowie bei der Binnenzuordnung zu verschiedenen Rechtsquellen: Die unvermittelte Entscheidungsfindung ist im Begründungscorpus beider Juristen mit etwa zwei Dritteln der Argumentationen (bei Celsus mit 56 %, bei Julian mit 66 %) vertreten, wohingegen auf die Auslegungsentscheidung jeweils etwa ein Drittel (Celsus 37 %, Julian 26 %) entfallen. Ausgangspunkte der unvermittelten Fallentscheidung sind bei beiden Juristen in ziemlich genau einem Drittel der Fälle (Celsus 35 %, Julian 34 %) gesetzliche oder ediktale Bestimmungen. Wie nicht anders zu erwarten, stehen sie hinter den Regeln des Juristenrechts zurück, die bei Celsus schlicht (41 %), bei Julian deutlich (55 %) überwiegen. Auf den Schluss aus Rechtsgeschäften entfällt dagegen der kleinste Teil der Begründungen unvermittelter Entscheidungen (Celsus 14 %, Julian 11 %). Bei den Rechtsquellen, die zum Gegenstand einer Auslegungsentscheidung werden, sind die Juristenregeln, deren Fortbildung jeweils den interessantesten Teil der Entscheidungsbegründungen überhaupt darstellen, weniger stark vertreten

340 Ergebnis

(bei Celsus mit 23 %, bei Julian mit 29 %). Sie werden aber immer noch häufiger fortentwickelt als Gesetze ausgelegt (10 % bei Celsus, 22 % bei Julian). Der Schwerpunkt liegt auf der Rechtsgeschäftsinterpretation, wobei sich Celsus mehr mit Verträgen (47 %), Julian stärker mit der Testamentsauslegung (32 %) befasst. Eine bemerkenswerte Übereinstimmung besteht auch bei der Bedeutung der systemüberschreitenden Rechtsfindung durch offene Wertung. Sie ist in den Werken beider Juristen mit annährend demselben Anteil (bei Celsus mit 7 %, bei Julian mit 8 %) vertreten. Während die absolute Zahl dieser Wertungen bei Celsus zu gering ist, als dass eine weitere Differenzierung möglich wäre, lassen sich bei Julian die zahlreichen konkreten Interessenbewertungen dem Bereicherungsverbot im weiteren Sinne und dem Gebot der Schadensabwehr zuordnen, mit denen der Jurist einem unverdienten Vorteil oder einem unzumutbaren Nachteil wehren will. Anders als bei Celsus tritt bei Julian auch der favor libertatis als ein gleichsam öffentliches Interesse auf den Plan. Den großen Unterschied in der Vorgehensweise von Celsus und Julian offenbart die Verteilung von induktiven und deduktiven Argumenten bei der unvermittelten Fallentscheidung: Während Celsus seine unvermittelten Falllösungen in weniger als einem Fünftel der Fälle (18 %) durch Anknüpfung an einen Vergleichsfall ableitet, ist es hier bei Julian fast die Hälfte (46 %) der Begründungen, in denen die Entscheidung aus einem Vergleichsfall gewonnen wird. Dies bedeutet nun noch nicht, dass sich Julian im Gegensatz zu Celsus in erster Linie am Repertoire schon ergangener Fallentscheidungen orientiert hätte. Denn von den zahlreichen induktiven Entscheidungsbegründungen in seinem Werk (107) entfällt nur der geringere Teil (43) auf die schlichte Gegenüberstellung zweier Fälle, wohingegen der Fallvergleich häufiger zur Veranschaulichung einer immerhin angedeuteten deduktiven Ableitung der Entscheidung eingesetzt wird (64). Auch bei Ju­ lian dominiert damit die Folgerung aus Regeln; der Fallanknüpfung kommt jedoch eine weitaus größere Bedeutung zu als bei Celsus, der sich ihrer kaum bedient. Diese methodische Verschiedenheit macht sich auch bei den Entscheidungen bemerkbar, die durch Auslegung der einschlägigen Norm fallen: Zwar besteht hier kaum eine inhaltliche Divergenz, indem beide Juristen mit einer bei Celsus zu findenden Ausnahme stets von Wortlaut oder objektivem Sinn einer Norm, bei der Testamentsauslegung vom typischen Willen eines vernünftigen Erblassers ausgehen. Und auch bei der Begründung einer bestimmten Gesetzesauslegung oder Fortbildung des Juristenrechts unterscheiden sich Celsus und Julian nur dadurch, dass dieser zweimal einen Induktionsschluss zieht, während Celsus stets deduktiv vorgeht. Gleichwohl gibt

Ergebnis341

es in Julians Werk insgesamt nicht weniger als 25 induktiv begründete Auslegungsentscheidungen, die vor allem das Testamentsrecht betreffen und nahezu ein Drittel aller Argumentationen zur Norminterpretation ausmachen. Bei Celsus findet sich dagegen nur eine einzige induktiv gewonnene Aussage zur Testamentsinterpretation, während alle übrigen Entscheidungsbegründungen deduktiv sind. Zieht man die Summe aus diesen Zahlen, treten Celsus und Julian keineswegs als Antipoden, aber doch als Juristen mit unterschiedlicher Methode hervor. Beide eint die Zurückhaltung gegenüber offenen Wertungen und ihre Präferenz für die systemimmanente Rechtsfindung. Diese vollzieht sich bei beiden auch vorwiegend anhand von Rechtssätzen oder vorgegebenen Geschäftsinhalten, wobei hier die Regeln des Juristenrechts naturgemäß im Zentrum stehen. Im Umgang mit diesen Rechtssätzen und beim Verständnis einschlägiger Rechtsgeschäfte verfährt Celsus jedoch vorwiegend deduktiv, indem er die Entscheidung direkt aus ihnen ableitet oder im Fall der Auslegung die objektive Bedeutung einer Vorschrift herausstellt. Julian greift dagegen eher als Celsus auf den Fallvergleich zurück und entnimmt ihm die Falllösung oder Interpretation der einschlägigen Norm. Anders als bei Celsus lässt sich für Julian behaupten, was man für ein generelles Merkmal der römischen Jurisprudenz gehalten hätte, nämlich, dass in seinem Werk Systematik und Kasuistik miteinander verschränkt sind. Dem Vorurteil einer intuitiv1 oder nach Judiz2 verfahrenden Rechtswissenschaft3 widersetzen sich aber beide gleichermaßen.

1  So Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philosophisch-historische Klasse, Göttingen 1962, S. 49 ff. 2  So Wieacker, Römische Rechtsgeschichte. Ein Fragment, Bd. 2, München 2006, S. 45 ff. 3  Kritisch hierzu außer Harke, Juristenmethode in Rom, in: Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., Berlin 2010, S. 9 ff. auch Knütel, Zur Rechtsfindung der Römer, in: Söllner (Hg.), Gedächtnisschrift für Heinze, München 2005, S. 475, 477 ff., 497 f., der der Intuition aber immerhin noch eine gewisse Bedeutung für den Entdeckungszusammenhang einer Entscheidung zugestehen will.

Anhang Überblick über die Entscheidungsbegründungen bei Celsus und Julian Celsus absolut

relativ

Entscheidungen insgesamt davon in Originalauszügen

378 197

100% 52%

Begründungen insgesamt davon in Originalauszügen

81 46

21%

Unvermittelte Fallentscheidung

45

100% 57% 56%

100%

8

18%

Deduktion Gesetz/Edikt Juristenregeln Verträge Testamente

37 13 15 6 3

82%

Entscheidung durch Auslegung

30

Induktion

37%

100% 35% 41% 16% 8% 100%

Induktion

1

3%

Deduktion

29

97%

Rechtsquellen Gesetz/Edikt Juristenregeln Verträge Testamente

3 7 14 6

10% 23% 47% 20%

Offene Wertung

6

7%

Anhang343

Julian absolut

relativ

Entscheidungen insgesamt davon in Originalauszügen

1587 762

100% 48%

Begründungen insgesamt davon in Originalauszügen

354 242

22%

Unvermittelte Fallentscheidung

233

Induktion

107

46%

Deduktion Gesetz/Edikt Juristenregeln Verträge Testamente

126 43 69 7 7

54%

100% 68% 66%

26%

100%

100% 34% 55% 6% 6%

Entscheidung durch Auslegung

92

Induktion

25

27%

Deduktion

67

73%

Rechtsquellen Gesetz/Edikt Juristenregeln Verträge Testamente

20 27 16 29

22% 29% 17% 32%

Offene Wertung

29

8%

100%

Quellenverzeichnis Gai instituiones 1.129 1.147 2.14 2.28 2.45 2.91 2.95 2.113 2.131 2.150 2.153 2.155 2.156 2.158 2.195 2.199 2.217 2.218 2.219 2.224 2.251 2.252 2.255 2.258 2.261

87 Fn. 35 258 Fn. 313 268 Fn. 328 268 Fn. 329 161 Fn. 157 141 Fn. 124, 75 Fn. 19, 214 Fn. 250 48 Fn. 60 279 Fn. 353 101 Fn. 57 89 Fn. 40 87 Fn. 36 87 Fn. 36 87 Fn. 37 87 Fn. 37 229 Fn. 268 239 Fn. 283, 277 Fn. 351 227 Fn. 266 226 f. 227 Fn. 266 26 Fn.19 42 Fn. 45 233 Fn. 273 199 Fn. 225 42 Fn. 44, 199 Fn. 226, 322 Fn. 408, 329 Fn. 418 154 Fn. 146, 148, 230 Fn. 270

2.262 2.265 2.271 f. 2.283 3.41 3.42 3.45 3.98 3.99 3.104 3.126 3.155 3.164 3.165 3.166 3.176 3.203 3.205 3.206 3.207 3.208 4.98 4.101 4.154 4.182

154 Fn. 146, 155 Fn. 149, 232 Fn. 272 155 Fn. 149 154, 148 125 Fn. 101, 126 Fn. 105 170 Fn. 175 163 Fn. 163 108 Fn. 72 150 Fn. 141, 225 Fn. 262, 333 Fn. 428 66 Fn. 3 270 Fn. 336 113 Fn. 77 119 Fn. 89 118 Fn. 88 118 Fn. 88 75 Fn. 21 184 Fn. 197, 291 Fn. 372 206 Fn. 241, 273 Fn. 346 273 Fn. 345, 274 Fn. 347 273 Fn. 345 207 Fn. 242 317 Fn. 401 254 Fn. 307 110 Fn. 75 254 Fn. 308 327 Fn. 415

Pauli sententia 2.7.1 2.31.17 2.31.27 2.31.31

191 Fn. 209 274 Fn. 347 141 Fn. 127 274 Fn. 347

3.4b.2 3.6.30 4.12.1 5.9.4

246 Fn. 297 81 Fn. 25 335 Fn. 431 324 Fn. 410

Quellenverzeichnis345

Fragmenta Vaticana 89 81 85 Fn. 32 120 317 110 Fn. 75, 234 Fn. 274

55 274 Fn. 348 75.5 25 f. 77 47, 229 Fn. 267 78 229

Collatio 12.7.10 25

Ulpiani epitome 1.13 1.18 2.6 11.26 17.2

149 Fn. 140 335 Fn. 431 333 Fn. 427 269 Fn. 334 89 Fn. 40

23.10 27.3 27.4 28.4

246 Fn. 296 169 Fn. 174 169 Fn. 174 324 Fn. 410

Institutiones 2.6.13 105 Fn. 66 2.20.18 303 2.20.23 226 Fn. 264 2.22.3 160 Fn. 156 3.1.8 244 Fn. 294

3.15.3 3.15.5 3.23.3 3.27.7 3.28.8

113 Fn. 78 290 Fn. 371 190 Fn. 206 125 Fn. 101, 126 Fn. 105 192 Fn. 211

Digesta 1.1.1pr 61 Fn. 84 1.3.18 45 245 Fn. 295, 258 1.5.26 2.2.3.7 262 f. 2.10.1.3 180 Fn. 192, 317 Fn. 398, 400 2.10.3pr 166 Fn. 167 2.10.3.1 179 Fn. 189, 316 f. 2.10.3.2 179 Fn. 190 2.10.3.3 179 f. 2.10.3.4 165 f. 2.11.2.3 317 Fn. 397 2.14.28.2 291 Fn. 374 2.14.30.1 291 f.

27 Fn. 21 3.1.1pr 3.2.4.1 27 3.2.4.5 327 Fn. 416 3.3.33.3 253 Fn. 306 3.3.39.2 253 3.3.75 253 f. 3.3.76 326 f. 3.5.5.1 179 Fn. 187 3.5.5.14 121 Fn. 96 3.5.7pr 121 Fn. 96 3.5.7.3 122 3.5.9.1 31 f., 39 Fn. 41 3.5.29 68 f. 4.2.12.2 251

346 Quellenverzeichnis 4.2.14.11 74 Fn. 17 4.2.14.14 251 f. 4.2.21.5 38 Rn. 38 4.4.31 28 f. 4.4.41 318 4.6.1.1 181 Fn. 194, 182 Fn. 196 4.8.17.7 271 Fn. 341 4.8.21.11 41 55 f. 4.8.23.1 4.8.27.3 271 f. 4.8.27.5 235 Fn. 277 4.8.37 52 4.8.47.1 235 4.9.5.1 197 Fn. 216 5.1.2pr 162 5.1.2.1 162 Fn. 162 5.1.2.3 38 5.1.2.5 38 Fn. 39, 326 5.1.25 318 f. 5.1.31 27 5.1.61pr 63 5.1.74.2 178 f. 5.1.75 336 5.3.9 267 Fn. 327 5.3.13.5 267 Fn. 327 5.3.16.4 266 f. 5.3.16.7 266 f. 316 Fn. 395 5.3.20.3 5.3.35 267 5.3.41.4 266 f. 5.3.54pr 89 315 f. 5.3.55 6.1.38 29 f. 6.2.7.1 138 Fn. 121 6.2.7.17 137 Fn. 117 81 f. 7.1.12.3 7.1.12.4 213 7.1.13.3 335  f. 7.1.25.1 213 f. 7.1.25.5 118 7.1.34pr 89 f. 7.1.34.2 237 7.1.36pr 236

7.1.36.1 288 7.2.1.3 277 f. 7.2.1.4 229 7.4.3pr 40 Fn. 43 7.4.5.2 237 Fn. 279 7.4.17 212 f. 7.5.6pr 302 f. 7.6.3 81 8.1.9 53 8.1.20 268 Fn. 330 8.2.32pr 142 f. 8.2.32.1 267 f. 8.3.11 30 f. 8.3.27 211 f. 8.3.32 211 8.6.6.1 23 Fn. 9, 62 f. 8.6.12 22 f. 8.6.18.1 268 Fn. 332 9.2.7.6 242 Fn. 286 9.2.11.3 242 Fn. 284 9.2.15.1 243 Fn. 288 9.2.23.3 155 f. 9.2.27.11 252 f., 264 Fn. 325 9.2.27.13 45 f., 156 Fn. 150 9.2.27.15 45 f., 156 Fn. 150 9.2.27.16 45 f., 156 Fn. 150 9.2.42 156 9.2.51pr 241 ff. 9.4.2.1 44 f. 9.4.16 132 f. 9.4.41 95 f., 263 Fn. 321 10.2.16.6 96 Fn. 49 10.3.24pr 141 Fn. 126, 173 10.3.25 193 10.4.5pr 27 f. 10.4.8 210 f. 10.4.12.2 210 11.3.14.2 96 Fn. 49 12.1.15 120 Fn. 92 12.1.18pr 125 Fn. 100, 103 12.1.20 194 f. 12.1.23 205 12.1.32 61 f.

Quellenverzeichnis347 12.1.41 219 f. 12.1.42 39 12.2.5.2 149 Fn. 139 12.2.11.3 148 Fn. 138 12.2.12 148 f. 12.2.39 201 12.2.40 143, 293 12.2.42pr 292 f. 12.4.10 198 Fn. 220 12.4.16 33 f. 12.6.6pr 56 f. 12.6.6.2 56 f. 12.6.13.1 293 Fn. 376 12.6.19.4 70 Fn. 9 12.6.20 70 12.6.23pr 184 f. 12.6.26.12 48 f. 12.6.32.2 202 f. 12.6.32.3 126, 299 Fn. 383 12.6.33 203 f. 12.6.34 199 f. 12.6.38pr 146 ff., 261 Fn. 319 12.6.41 293 Fn. 376 12.6.44 35 Fn. 31 12.6.47 34 f., 56 12.6.48 34 12.6.60pr 71 f. 12.6.65.8 276 Fn. 349 12.6.66 198 Fn. 221 12.7.1pr 198 Fn. 222 13.1.14pr 131 f. 185 Fn. 199 13.4.2.3 13.4.2.6 289 f. 13.6.5.2 322 Fn. 407 13.6.5.15 20 f. 196 f. 13.6.19 13.7.31 264 Fn. 324 14.1.1.9 257 Fn. 311 14.1.7pr 256 f. 14.1.7.1 256 f. 14.1.7.2 256 f. 14.2.1 191 Fn. 209 14.2.6 191

14.2.8 141 f. 14.3.13.2 71 f. 14.4.7.5 252 Fn. 303 14.4.8 252 14.4.12 252 Fn. 304 14.6.7.12 69 f. 14.6.9.1 280 ff. 14.6.9.4 281 Fn. 356 14.6.9.5 70 14.6.10 187 Fn. 201 14.6.14 248 14.6.18 186 f. 15.1.1pr 95 Fn. 48 15.1.3.6 291 Fn. 374 15.1.9.5 128 f. 15.1.11.8 95 15.1.11.9 197 f. 15.1.12 197 f. 15.1.27.8 73 Fn. 14, 198 Fn. 218, 325 Fn. 414 15.1.37.2 279 f., 324 f. 15.1.38pr 130 f. 15.2.1pr 280 Fn. 355, 325 Fn. 412 15.3.17 72 16.1.2.1 247 f. 16.1.7 94 Fn. 45 16.1.8.3 93 Fn. 44, 281 Fn. 357 16.1.8.11 167 Fn. 169 16.1.14 165 16.1.15 164 16.1.16pr. 246 f. 16.1.17pr 102 f. 16.1.19.5 92 ff. 16.1.32.3 94 Fn. 45 16.3.1.22 175 f. 16.3.15 66 f. 16.3.32 47, 175 Fn. 182 17.1.22.4 172 17.1.31 121 17.1.32 119 17.1.33 192 f. 17.1.34pr 119 ff., 196 Fn. 215 17.1.34.1 172 Fn. 177

348 Quellenverzeichnis 17.1.40 122 Fn. 97 17.1.48pr 31 17.2.58pr 40 f. 17.2.58.2 319 f. 17.2.65.11 320 Fn. 403 17.2.72 47 Fn. 56 18.1.8.1 117 Fn. 87 18.1.34.6 185 Fn. 199 18.1.41pr 286 f. 18.2.11.1 54 f. 18.2.13pr 54 f. 18.4.2.1 117 Fn. 85 18.4.2.2 117 f. 18.4.18 232 f. 18.5.5pr 285 f. 19.1.11.18 116 f. Fn. 83 19.1.13.6 189 19.1.29 187 f. 19.1.30pr 200 f. 19.1.30.1 188 f. 19.1.50 286 Fn. 368 19.2.9.5 41 19.2.33 65 f. 19.2.41 197 19.5.24 121 Fn. 94, 195 f. 19.5.25 49 Fn. 61 20.2.7pr 206 Fn. 240 21.2.29pr 32 f. 21.2.40 233 21.2.43 289 21.2.46pr 112 21.2.46.2 176 f. 21.2.62.2 40 22.1.25pr 78 22.1.25.1 76 f. 22.1.25.2 75 f. 22.1.45 77 Fn. 23 22.3.9 51 f. 22.3.12 21 f. 22.3.20 330 f. 23.1.7.1 270 Fn. 338 23.1.11 270 23.1.12.1 270 Fn. 337

23.2.2 270 Fn. 335 23.2.22 37 f. 23.2.45.6 329 f. 23.3.7.2 51 23.3.17 47 Fn. 56 23.3.41.4 174 23.3.46pr 201 f. 23.3.49 143 f. 23.3.67 37 Fn. 36 23.3.79pr 50 Fn. 66 23.4.21 85 23.4.22 214 f. 23.5.5 161 Fn. 158 23.5.7.1 161 f. 24.1.3.12 26 Fn.17, 47 f., 62 Fn. 87, 216 Fn. 253 24.1.3.13 144 f., 215 24.1.5.5 102 Fn. 61 24.1.5.15 35 f. 24.1.5.18 216 Fn. 254 24.1.6 216 Fn. 254 24.1.9.1 216 f. 24.1.32.27 217 f. 48 Fn. 59, 104 Fn. 63, 215 f. 24.1.39 24.1.56 215 Fn. 252 24.2.1 330 Fn. 420 24.2.11pr 330 Fn. 421 24.3.49pr 144 Fn. 130 24.3.66.7 174 Fn. 180 137 f. 25.2.22 25.3.1.12 331 Fn. 325 25.3.1.14 331 27.3.1.1 279 173 f. 27.3.1.2 27.5.2 37 174 Fn. 181 27.6.7pr 27.6.11.3 174 f. 218 f. 27.8.5 27.10.7.3 269 28.1.12 86 f., 101 Fn. 59 28.2.13pr 314 f. 28.2.13.1 222 101 Fn. 58 28.3.15

Quellenverzeichnis349 28.4.1.4 222 Fn. 261 28.5.9.2 26 f. 28.5.27.1 42 28.5.37pr 240 28.5.38.2 222 f. 28.5.38.5 190 28.5.40 190 Fn. 208 28.5.41 300 f. 28.5.43 26 Fn.18 28.5.47 67 f. 28.5.48pr 313 Fn. 394 28.5.60.6 60 28.5.61 26 329 Fn. 419 28.6.2.2 28.6.28 101 f., 247 f. 28.6.30 311 f. 28.6.48.1 223 29.1.1pr 165 Fn. 166 29.1.20 165 29.1.21 245 f. 29.4.21 88, 307 Fn. 391 29.4.22pr. 306 f. 29.4.22.2 88 Fn. 39, 227 f. 29.6.1.1 86 Fn. 33 f. 29.7.2.3 221 f. 29.7.3pr 153 29.7.8.1 153 Fn. 143 29.7.16 153 Fn. 144 30.5.1 298 Fn. 381 30.6 297 f. 30.11 156 f. 30.58 204 Fn. 236 30.60 204 30.63 58 30.77.1 91 Fn. 41 30.81.1 98 30.81.3 308 f. 30.81.7 301 f. 30.82pr 260 f. 30.82.4 260 30.82.6 150 f., 258 Fn. 314 30.84.4 150

116 f., 177, 188 Fn. 203, 259 Fn. 315 177 f. 30.84.6 30.84.7 298 f. 30.84.10 237 f. 30.84.12 299 30.86.2 229 f. 30.89 107 30.91pr 146 30.91.2 305 30.92.1 154 30.94.2 231 30.94.4 230 f. 30.96pr 310 30.96.4 90 f. 30.98 90 30.102 149 30.103 250 30.104pr 308 30.104.1 224 f. 30.108.4 259 30.108.9 306 30.108.12 322 Fn. 407 30.112.1 276 Fn. 349 31.16 21 31.19 19 f., 126 Fn. 105 31.20 98 Fn. 53 31.21 58 f. 43 f. 31.22 32.3.1 230 Fn. 269 32.59 299 Fn. 382, 302 32.62 297 33.2.19 303 Fn. 387 f. 33.5.9.1 304 33.5.9.2 225 f. 33.5.10 239 f. 33.5.11 151 f. 33.6.3.1 59 33.8.16 133 f. 33.10.7.1 59 f. 33.10.7.2 57 f. 34.5.13.2 282 f. 34.5.13.6 296 30.84.5

350 Quellenverzeichnis 34.5.26 53 34.7.1pr 38 f. 34.7.1.1 38 f. 35.1.16.2 246 35.1.25 311 35.1.40.3 261 Fn. 318 35.1.64.1 249 f. 35.2.11.7 159 Fn. 153  35.2.32.2 111 f. 35.2.66 92 35.2.85 160 35.2.87.1 157 f. 35.2.87.2 102 35.2.87.4, 5 158 f. 35.2.87.7 228 f. 35.2.87.8 159 f. Fn. 155 36.1.1.17 91 Fn. 42 36.1.2 42 f. 36.1.3pr 42 Fn. 46 36.1.17.3 43 Fn. 49 36.1.24 310 f. 36.1.26.2 275 ff. 36.1.28.4 329 36.1.28.9 153 f. 36.1.28.15 322 f. 36.1.29.1 42 Fn. 46 36.1.29.2 42 Fn. 46 36.1.65.11 42 Fn. 46 36.2.16.1 274 f. 36.2.17 275 36.2.19pr 238 f. 36.2.19.1 238 f. 37.5.17 278 f. 37.6.3pr 323 f. 37.6.3.5 198 f. 37.6.6 50 37.10.5.1 171 f. 37.10.7.1 170 f. 37.10.7.2 170 f. 37.11.8pr 304 f. 37.11.8.1 296 f. 37.14.6.3 248 f. 37.14.6.4 249 Fn. 300

37.15.2 327 38.1.15.1 99 Fn. 55 38.1.20.5 88 f. 38.1.22.1 108 Fn. 71 38.1.23.1 145, 154 Fn. 147, 323 38.1.24pr 284 f., 290 Fn. 370 38.1.30pr 54 38.1.34 145 Fn. 136 38.2.13 107 f. 38.2.20pr 169 38.2.20.6 169 f. 38.2.23 169 38.2.26 162 38.2.38pr 108 Fn. 71 38.5.1pr 170 Fn. 176 38.5.6 170 38.7.4 168 f. 38.9.1.12 88 Fn. 38 38.13.1 85 f. 38.15.4.1 87 f. 38.16.6 244 f. 38.16.8pr 244 f. 38.16.8.1 164 f. 39.1.1.10 63 f. 39.2.13.10 106 f. 39.5.2.7 295 39.5.13 140 Fn. 122 39.2.18.5 283 f. 39.5.21pr 35 39.3.25 155 39.5.14 167 39.5.21.1 23 f. 39.6.17 91 f. 39.6.18.1 127 f. 39.6.31.3 128 Fn. 106 40.2.4pr.  333 f. 40.2.4.1 167 f. 40.2.22 334 Fn. 429 40.4.16 332 40.4.17.2 314, 332 Fn. 426 40.4.18.1 307 40.4.21 313 40.4.22 220 f.

Quellenverzeichnis351 40.4.40pr 231 40.5.47pr 152 40.7.3.2 221 Fn. 259 40.7.3.10 333 Fn. 427 40.7.13.4 149 f. 40.7.13.5 225 40.7.20.3 333 40.7.31.1 299 f. 40.9.1 64 Fn. 90 40.9.5.2 100 f. 40.9.15.1 334 Fn. 429 f. 40.9.25 256 Fn. 310 40.12.30 335 41.1.23.3 97 Fn. 50 41.1.36 124 ff., 271 Fn. 340 41.1.37.2 140 f. 41.1.37.6 139 f. 41.1.40 76 41.1.48.1 75 Fn. 22 41.2.1.3 37 Fn. 37 41.2.18pr 50 41.2.18.1 26 Fn.17, 55 41.2.29 37 Fn. 37 41.2.38.2 223 f. 41.2.40.2 106 41.2.40.3 66 Fn. 6, 84 f. 41.3.4.16 208 Fn. 246 41.3.4.28 268 Fn. 333 41.3.10 137 Fn. 118 41.3.15.2 137 Fn. 116 41.3.16 209 Fn. 247 105 Fn. 68 41.3.19 41.3.21 66 Fn. 5, 6 41.3.27pr 37 41.3.33.2 160 f. 41.3.33.4 82 f. 41.3.33.5 208 f. 41.3.33.6 209 41.3.36  81 f. 41.3.37.5 74 f. 41.4.2.11 36 f. 41.4.2.13 36 f. 41.4.2.14 36 f.

41.4.7.2 134 f. 41.4.7.4 136 f. 41.4.7.6 135 f. 41.4.8 207 41.4.10 36 Fn. 34, 208 41.4.11 37 Fn. 36, 208 Fn. 245 41.5.2.1 265 f. 41.5.2.2 265 f. 41.7.7 141 f. 41.10.3 37 Fn. 36 42.1.13.1 28 42.1.39 27 42.8.10pr 255 Fn. 309 42.8.10.1 256 Fn. 310 42.8.15 255 f. 42.8.16 256 Fn. 310 42.8.17.1 180 43.8.2.7 337 Fn. 434 43.8.7 336 f. 43.16.1.35 73 f. 43.16.17 254 f. 43.19.7 28 43.20.4 80 43.26.1.1 84 Fn. 31 43.26.6.4 138 f. 44.2.2 182 Fn. 195 44.2.25.1 190 f. 44.3.6.1 105 f. 44.4.4.22 178 44.4.4.26 317 44.5.1.10 35 Fn. 31 44.7.1.5 47 Fn. 57, 322 Fn. 407 44.7.12.5 330 Fn. 424 44.7.15 181 f. 44.7.16 83 44.7.17 151, 258 Fn. 314 44.7.18 184 44.7.19 259 f. 45.1.45 140 Fn. 123 45.1.54.1 99 45.1.56pr 287 f. 45.1.56.6 183 f. 45.1.56.7 183 f.

352 Quellenverzeichnis 45.1.56.8 114 f. 45.1.58 78 ff. 45.1.61 331 f. 45.1.72pr 49 f. 45.1.91.2 276 Fn. 349 45.1.91.3 61 45.1.97.1 39 f. 45.1.99 52 f. 45.1.116pr 39 Fn. 42 45.1.128 185 Fn. 199 45.2.6pr 294 45.2.6.3 272 f. 45.2.8 294 Fn. 378 45.3.1.4 97 f. 182 f. 45.3.10 45.3.21 182 f. 46.1.11 186 f. 46.1.15.pr. 176 46.1.16.2 112 f. 46.1.16.4 262 46.1.16.6 294 f. 46.1.17 71 Fn. 10 46.1.18 120 Fn. 93, 191 f. 46.1.21.2 186, 261 f. 46.2.1.1 293 Fn. 376 46.2.8.2 54 46.3.32 123 f. 46.3.33pr 115 f. 46.3.34.1 98 f. 46.3.34.3 236 46.3.34.8 187 46.3.38.1 104 f. 46.3.38.2 94 f. 46.3.46 337 f. 46.3.87 56 46.3.95.4 293 Fn. 376

286 Fn. 367 46.4.8pr 46.4.19 285 Fn. 364 46.4.23 286 Fn. 365 f. 46.6.12 71 Fn. 10, 12 46.7.7 110 f. 46.7.14 126 f. 46.8.22.2 234 f. 46.8.22.4 234 f. 46.8.22.6 234 f. 46.8.22.10 325 f. 46.8.23 290 46.8.25pr 108 ff. 46.8.25.1 108 ff. 47.2.14.4 206 f. 47.2.14.10 273 f. 47.2.43.10 33 47.2.60 206 47.2.61 172 Fn. 178 47.2.62pr 263 f., 321 Fn. 404 47.2.62.1 263 f., 321 Fn. 404 47.2.62.3 263 f., 321 Fn. 404 47.2.62.5 320 ff. 47.2.62.6 320 ff. 47.2.62.8 205 f. 47.2.68.2 24 f. 47.10.17.10 328 Fn. 417 47.10.17.22 328 48.5.5 245 48.5.44 163 49.14.3pr 250 f. 49.15.10pr 247 f. 49.15.22.4 101 50.1.1.2 46 50.16.142 312 f. 50.16.158 52 50.17.89 37

Codex Iustinianus 2.18.24 122 Fn. 97 4.34.1 47 Fn. 57 6.20.11 324 Fn. 411 6.22.10.3 64

6.38.4pr 7.7.1.1 7.7.1.2

21 Fn. 5 335 Fn. 432 335 Fn. 432

Sachverzeichnis acceptilatio  115, 127, 143 f., 285 f. actio ad exhibendum  27 f., 131, 210 actio aquae pluviae arcendae  155 actio de in rem verso  72, 257 actio de peculio  94 ff., 128 ff., 147 f., 186 f., 197 f., 279 f., 319 f., 324 f. actio exercitoria  72 f. actio Fabiana  170 actio iniuriarum  328 actio institutoria  72 f., 256 f. actio negatoria  107 actio Publiciana  34, 138 actio quod metus causa   251 f. actio rerum amotarum  137 f. actio tributoria  252  adulterium  163 arbitrium  41, 52, 55 f., 235, 271 f. Besitzschutz  138 f. Beweislast  21 f. bonorum possessio  87 ff., 168 ff., 227 f., 244 f., 278 f., 323 f. Bürgschaft  31, 39, 56, 67 f., 70 f., 94 f., 112 f., 126 f., 166, 176, 185 ff., 191 ff., 234 f., 262, 273 f., 294 cautio amplius non agi  290 cautio damni infecti  284 cautio iudicatum solvi  110 ff., 127 cautio ratam rem haberi  108 ff., 234 f., 253 f., 325 f. codicilli  22, 90 f., 153, 165, 221, 276, 309 f. cognitor  110 f. commodatum  20 f., 196 f., 206, 273 f. concursus causarum  116 f., 150 f., 177, 184, 187 f., 258 ff.

condictio  22, 33 ff., 49, 61 f., 71 f., 74, 125 ff., 198 ff., 293, 295 consensus  38, 63, 124 ff., 162, 271 f., 285 f. culpa  41, 47, 273 ff., 278 f. custodia  196 f., 207, 273 f. Darlehen  69 f., 92 ff., 103, 120 f., 146 ff., 186 f., 193 ff., 256 f., 262 delegatio  23 f., 47 f., 61 f., 103, 123 f., 144 f., 216, 280 ff. depositum  47, 131, 175 f. Dereliktion  141 f. donatio  23 f., 35 f., 47 ff., 91 f., 127 f., 139 f., 144 f., 167, 193 ff., 214 ff., 280 ff., 285 f., 295 donatio inter virum et uxorem  35 f., 47 f., 103 ff., 144 f., 214 ff. dos  50 f., 58 f., 85, 143 f., 160 ff., 174, 177 f., 202 f., 259 f. edictum Carbonianum  170 ff. emptio venditio  32 f., 37, 40, 54 f., 65 f., 105 f., 112, 116 ff., 172, 176 f., 187 ff., 232 f., 258 ff., 285 ff., 315 f. Erbengemeinschaft  27, 99, 111 f., 172, 307 error  26 f., 58, 162, 167 f. Eviktion  40, 112, 116 f., 176 f., 233, 289, 315 f. exceptio doli  29 ff., 34 f., 104 f., 176, 216, 259, 309, 317 exceptio pacti conventi  113 f., 201, 215, 291 f. favor libertatis  313 f., 332 ff. fiducia  83 f., 143 Fn. 129, 263 f. fructus  77 f.

354 Sachverzeichnis furtum  24 f., 33, 96, 104 f., 131 f., 135, 197, 203, 205 ff., 208, 263 f., 273 f. Gesamtgläubigerschaft  21, 97 ff. Gesamtschuld  20 f., 70 f., 73, 272 f. Gestellungsvereitelung  166, 179 f., 316 f. hereditatis petitio  89, 148 f., 265 f., 315 f. in integrum restitutio  28 f., 181 f., 318 interdictum fraudatorium  180 f., 255 f. interdictum unde vi  74, 254 f. interdictum utrubi  105 f. iuris possessio  266 f. ius abstinendi  107 ius domum revocandi  38, 318 f., 326 iusiurandum  143, 148 f., 201, 292 f. ius postliminii  258, 330 lex Aelia Sentia  26, 99 ff., 149, 248 f. lex Aquilia  25, 44 ff., 96, 155 f., 241 ff., 252 f., 315 f. lex Cincia  23 f., 35 lex Cornelia de confirmandis testamentis  86 f., 101 f., 247 f. lex duodecim tabularum  26 f., 99, 155, 163, 244 f. lex Falcidia  35 f., 42 f., 102 f., 111 f., 156 ff., 163 lex Iulia de adulteriis coercendis  163, 245 lex Iulia de fundo dotali  161 f. lex Iulia de maritandis ordinibus  246, 249 f. lex Iulia et Plautia  160 f. lex Iulia iudiciorum  162 lex Papia Poppea  162 f. lex Rhodia de iactu  191 lex Scribonia  268 liber homo bona fide serviens  75 f., 219 f.

locatio conductio  20 f., 41, 65 f., 84 f., 118, 191, 196 f., 205 f. mancipatio  34, 74 f. mandatum  31, 56, 67 f., 118 ff., 172, 191 ff., 195 f., 320 ff. matrimonium  38, 270, 329 f. Miteigentum  20 f., 30 f., 54 f., 78, 173, 193, 212, 263 f., 336 naturalis obligatio  128 ff., 133 f., 146 ff., 157, 187 Fn. 201, 201 Fn. 228, 261 ff. naturalis possessio  264 ff. negotiorum gestio  32, 68 f., 122 f., 179 Nießbrauchssklave   74 f., 118, 140 f., 213 f. novatio  54, 79 f., 114 f., 291 f. Noxalhaftung  44 f., 96 f., 132 ff., 263 f. operae libertorum  49, 54, 99, 145, 323 operis novi nuntiatio  64, 106 f. peculium  36, 94 ff., 128 ff., 135, 147 f., 186 f., 197 f., 200 f., 279 f., 324 f. perpetuatio obligationis  61, 73 f. pignus  81 ff., 143, 205 f., 208 ff., 286 f. postumus  101, 152 f. precarium  22 f., 66, 82, 84 f., 138 f., 142 f., 209 f. procurator  50, 56 f., 104 f., 109 f., 139 f., 234 ff., 254 f., 290, 324 ff. regula Catoniana  38 f., 149, 275 rei vindicatio  29 f., 210 f. senatus consultum Macedonianum  69 f., 247 f., 280 ff. senatus consultum Neronianum  226 f.

Sachverzeichnis355 senatus consultum Pegasianum  199 f., 322 f., 329 senatus consultum Plancianum  331 senatus consultum Tertullianum  164 f. senatus consultum Trebellianum  42 f., 89, 199 f. senatus consultum Velleianum  70, 92 ff., 102 f., 164, 166, 246 f. Servitut  22 f., 30 f., 62 f., 79 f., 113 f., 142, 150, 211 f., 267 ff., 309 servus communis  73, 96 ff., 139 ff., 152, 173, 182 f., 193, 197 f. societas  40 f., 122 f., 193, 319 f. Soldatentestament  165, 245 f. solutio  22, 56 f., 116 substitutio pupillaris  101 f., 159, 228, 296 f., 301 f.

traditio  55, 124 ff., 139 ff., 268 tutela  37, 173 ff., 218 f., 279 Unmöglichkeit  49, 114 f., 117 f., 145, 154 f., 183 ff., 231, 275 ff., 289 f. usucapio  36 f., 81 ff., 134 ff., 160 f., 207 ff., 258 usus fructus  40, 79 ff., 89 f., 112, 183 f., 212 ff., 229, 237, 274 f., 277 f., 285, 288, 302 f., 335 f. Verlöbnis  217 f., 270 Verwendungsersatz  29 f., 203 f. Wahlschuld  126, 184 f., 299, 304 Wahlvermächtnis  19 f., 231 f.