Archiv für Begriffsgeschichte, Band 65,2: Schwerpunkt: Leibniz und die Sprache 378734554X, 9783787345540

Leibniz’ Stellung in der Geschichte der Sprachphilosophie und der historisch-empirischen Sprachforschung, sein in immer

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German Pages 183 [184] Year 2024

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Table of contents :
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
SCHWERPUNKT
Tilman Borsche: Wie viele Sprachen spricht Leibniz?
Hubertus Busche: Leibniz als Sprachschöpfer. Eine Einführung in seine Philosophie anhand seiner Neologismen
Dirk Werle: Philosophische Lyrik als Problemreaktion. Leibniz’ Gedicht auf den Tod der Königin Sophie Charlotte (1705)
Wenchao Li: Operatio per characteres. Leibniz’ Projekt einer characteristica universalis
ABHANDLUNGEN
Jan Kerkmann: Der Eigentlichere Zeus. Die Begriffsgeschichte des Göttlichen in Hölderlins Spätwerk
Christine Blättler: Sorge und Welt: Blumenberg versus Heidegger
REZENSIONSESSAY
Jan Eike Dunkhase: Koselleck zur Erinnerung
BUCHBESPRECHUNGEN
Dag Nikolaus Hasse: Was ist europäisch? Zur Überwindung kolonialer und romantischer Denkformen (Robert Buch)
Elad Lapidot: Anti-Anti-Semitismus. Eine philosophische Kritik (Klaus Kempter)
Die Autorinnen und Autoren
Über das Archiv für Begriffsgeschichte
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Archiv für Begriffsgeschichte, Band 65,2: Schwerpunkt: Leibniz und die Sprache
 378734554X, 9783787345540

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ARCHIV FÜR BEGRIFFSGESCHICHTE HEF T 65/2  ·  Jg. 2023

LEIBNIZ

und die Sprache

Schwerpunk t  Beiträge von Tilman Borsche, Hubertus Busche,

­Wenchao Li und Dirk Werle abhandlungen  von Christine Blättler und Jan Kerkmann Rezensionsessay  Jan Eike Dunkhase über Neuerscheinungen von und zu Reinhart Koselleck Buchbesprechungen 

Dag Nikolaus Hasse: Was ist europäisch? Zur Überwindung kolonialer und romantischer Denkformen Elad Lapidot: Anti-Anti-Semitismus. Eine philosophische Kritik

ARCHIV FÜR BEGRIFFSGESCHICHTE

Begründet von e r ic h ro t h ac k e r

In Verbindung mit h u be rt us bus c h e

und

m ic h a e l e r l e r

herausgegeben von c a r s t e n du t t

Heft 65 | 2 · Jahrgang 2023 SCHWERPUNK T: LEIBNIZ UND DIE SPR ACHE

FELIX MEINER VERL AG HAMBURG

W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R AT Christian Bermes (Landau) Ulrich Dierse (Bochum) Nadja Germann (Freiburg i. Br.) Gerald Hartung (Wuppertal) Ralf Konersmann (Kiel) Martin Laube (Göttingen) Suzanne Marchand (Baton Rouge) Riccardo Pozzo (Rom) Stefan Rebenich (Bern) Gisela Schlüter (Erlangen-Nürnberg) Gunter Scholtz (Bochum) Carsten Zelle (Bochum)

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-4554-0  ·  ISSN 0003-8946 ISBN eBook 978-3-7873-4555-7

Umschlagabbildung (Ausschnitt): Christoph Bernhard Francke, Bildnis des Philosophen Leibniz (ca. 1695), Quelle: wikipedia.org © Felix Meiner Verlag Hamburg 2024. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Ein­spei­ cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck und Bindung: Stückle, Ettenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werk­ druck­­ papier. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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S C H W E R P U N K T: L E I B N I Z U N D D I E S P R AC H E

Tilman Borsche Wie viele Sprachen spricht Leibniz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hubertus Busche Leibniz als Sprachschöpfer. Eine Einführung in seine Philosophie anhand seiner Neologismen . . . . . . 37 Dirk Werle Philosophische Lyrik als Problemreaktion. Leibniz’ Gedicht auf den Tod der Königin Sophie Charlotte (1705) . . . . . . . 61 Wenchao Li Operatio per characteres. Leibniz’ Projekt einer characteristica universalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A B H A N D LU N G E N

Jan Kerkmann Der Eigentlichere Zeus. Die Begriffsgeschichte des Göttlichen in Hölderlins Spätwerk . . . . . . . . . . . 97 Christine Blättler Sorge und Welt: Blumenberg versus Hei­deg­ger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 R E Z E N S I O N S ES S AY

Jan Eike Dunkhase Koselleck zur Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

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Inhalt

B U C H B ES P R E C H U N G E N

Dag Nikolaus Hasse: Was ist europäisch? Zur Überwindung kolonialer und ­romantischer Denkformen (Robert Buch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Elad Lapidot: Anti-Anti-Semitismus. Eine philosophische Kritik (Klaus Kempter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Über das Archiv für Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

VORWORT

Leibniz und die Sprache – dieser schlichte Titel bezeichnet ein Thema mit vielen Facetten, unter denen die Erkundung der Leibniz’schen Position in der Geschichte der Sprachphilosophie und der historisch-empirischen Sprachwissenschaft die forschungspraktisch prominenteste ist. Dass sich indessen auch ihr noch neue Gesichtspunkte abgewinnen lassen, stellen zum Auftakt und Beschluss unseres Schwerpunkts Tilman Borsche und Wenchao Li unter Beweis: Borsche in einem Beitrag über das weit ausgreifende Netzwerk sprach­bezogener Konzeptualisierungen und Thesenführungen in Leibniz’ Œuvre, Li in einer Rethemati­ sierung des logisch-semiotischen Projekts einer characteristica universalis. In dieser Umrahmung greifen Hubertus Busche und Dirk Werle Themen auf, die über Leibniz’ Sprachdenken hinausführen, sein philosophisch und sogar poetisch produktives Sprachverhältnis aber fest im Blick behalten: Busche in Gestalt einer ­exemplarischen, als Glossar organisierten Übersicht der enzyklopädischen Breite der Neologismen, die Leibniz als Philosoph in begriffsbildender Absicht ersonnen hat, Werle in Form einer literatur- und problemgeschichtlich reflektierenden Interpretation von Leibniz’ Gedicht auf den Tod der Königin ­Sophie Charlotte im Jahre 1705. Die auf den Schwerpunkt folgende Rubrik enthält zwei Abhandlungen: Jan Kerkmann befasst sich mit Hölderlins Anmerkungen zur Antigonä als einem spezifisch begriffshistorisch instrumentierten Versuch der Versöhnung von Vernunft und Mythos; Christine Blättler untersucht die literarische Form und den philosophischen Ertrag von Hans Blumenbergs Auseinandersetzung mit Heideg­gers Begriff der Sorge. Im Rezensionsteil des Heftes sichtet Jan Eike Dunkhase Neuerscheinungen von und zu Reinhart Koselleck; Robert Buch erörtert Dag Nikolaus Hasses ­Beantwortung der Frage Was ist europäisch?; Klaus Kempter bespricht Elad ­Lapidots Kritik des Anti-Anti-Semitismus. Für die Herausgeber: Carsten Dutt

Siglen der wichtigsten Werkausgaben von Leibniz A

Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, hg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, später: BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (zuletzt: Berlin) 1923 ff.

C

Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Extraits manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre, hg. v. Louis Couturat, Paris 1903; ­Nachdruck Hildesheim 1961.

D

Leibniz: Opera omnia, nunc primum collecta […] studio Ludovici Dutens, Bde. 1–6, Genf 1768. Nachdruck Hildesheim/Zürich/New York 1989.

GM Leibnizens Mathematische Schriften, hg. v. Carl Immanuel Gerhardt. 7 Bde., Berlin (später Halle) 1849–1863; Nachdruck Hildesheim 1971. GP

Die philosophischen Schriften von Leibniz, hg. v. Carl Immanuel ­Gerhardt. 7 Bde., Berlin 1875–1890; Nachdruck Hildesheim 1978.

Abkürzungen häufig zitierter Schriften von Leibniz CD Causa Dei D

Discours de Métaphysique

M

Monadologie

NE Nouveaux Essais P

Principes de la Nature et de la Grâce

SD

Specimen Dynamicum

SN

Système nouveau

T

Essais de Théodicée

SCHW ERPUNK T

Wie viele Sprachen spricht Leibniz? Tilman Borsche ■ Abstract The following contribution aims to present and evaluate the complex network of topics and ideas pertaining to language across the breadth of Leibniz’s writings. The first part provides a structured overview of Leibniz’s historical language studies, which played a pioneering role in evidence-based scientific investigations across various fields, such as the history of languages, the origin(s) of language(s), language change, and grammatical theory. It also explores Leibniz’s positions on language politics. The second part of the paper investigates the partially covered role that questions of language play in constructing Leibniz’s philosophical system, illuminating how much his philosophical achievements draw inspirations both from his juridical experiences and his mathematical inventions. The paper concludes with new insights into Leibniz’s conception of scientific truths, analyzing how we operate with words as signs of distinct primitive notions or ideas.

I. Sprachforschung A. Stellenwert der Sprachforschungen bei Leibniz Gottfried Wilhelm Leibniz gilt zu Recht als ein Sprachforscher ersten Ranges und als großer Anreger und Förderer einer gerade erst entstehenden Historischen und Vergleichenden Sprachwissenschaft.1 Es ist bezeichnend, dass er für diese Disziplin noch keinen eigenen Namen kennt und wohl auch nicht sucht, es gibt sie noch nicht. Aber Leibniz erkennt ihre große Relevanz als unverzichtbare und unersetzliche Hilfsdisziplin für historische Studien aller Art. Berühmt ist seine oft variierte Feststellung, dass das Studium der Sprachen Licht in die Frühgeschichte der Menschheit bringt, wo die meisten anderen historischen Quellen versagen.2 Leibniz’ Leistungen im weiten Feld der wissenschaftlichen und spekulativen Sprachstudien wurden seit dem großen Schub, den die historische Sprachwis1 Die Literatur nicht nur zu Leibniz im Allgemeinen, sondern auch zum Thema Leibniz und die Sprache ist unüberschaubar vielfältig und reichhaltig. Für eine aktuelle und sehr hilfreiche Einführung vgl. Wenchao Li: Einführung. In: Einheit der Vernunft und Vielfalt der Sprachen, hg. von Wenchao Li (Stuttgart 2014) 11–25. 2 Z. B. NE III, 2 (A VI 6, 285 = GP V 264): »Et les langues en general estant les plus anciens monumens des peuples, avant l’ecriture et les arts, en marquent le mieux l’origine des cognations et migrations.«

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Tilman Borsche

senschaft durch die historisch wenig fundierten Arbeiten von Noam Chomsky in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts weltweit erfahren hat, gründlich erforscht. Selbst die umfassende und grundlegende Untersuchung von Sigrid von der Schulenburg, die schon in den Jahren 1929–1939 verfasst wurde, fand erst 1973 mit dem Rückenwind der Chomsky-Bewegung und -Gegenbewegung den hoch verdienten Weg an die Öffentlichkeit.3 Seither ist die Literatur rasch ins Unüberschaubare gewachsen und wird in einschlägigen Bibliographien fortlaufend dokumentiert.4 Doch in den letzten Jahrzehnten ist dieser Strom spürbar abgeebbt; was aufgrund der immer noch unbefriedigenden Editionslage gesagt werden kann, scheint gesagt zu sein. Eine neue Auswertung der Quellen in größerem Umfang ist wohl erst wieder zu erwarten, wenn eines fernen Tages die Reihe V der Akademie-Ausgabe, Historische und sprachwissenschaftliche Schriften, veröffentlicht sein wird.5 Der folgende Text versteht sich als ein Versuch, die hochkomplexen Zusammenhänge des Leibniz’schen Diskursuniversums zum Themenfeld Sprache in einer verständlichen Übersicht plausibel zu organisieren und in einer historisch informierten Bildungssprache zu präsentieren. Ziel einer Skizze dieser Art, die keines der angesprochenen Themen in der gebotenen Gründlichkeit entwickeln und diskutieren kann, ist einerseits eine strukturierende Zusammenfassung der wichtigsten Einsichten, Anregungen und Aufgaben, die Leibniz der sprachwissenschaftlichen Forschung hinterlassen hat; sie soll das eingangs erwähnte Urteil über seine Leistungen in diesem weiten historischen Feld begründen und belegen (Teil I). Dabei drängt sich andererseits unabweisbar die philosophische Frage auf nach der Funktion der Sprache im Blick auf eine wissenschaftliche Erkenntnis der Wahrheit, die Leibniz in allen Feldern seiner Studien zeitlebens angestrebt hat. Diese Frage führt den Autor selbst und seine Leser in eine Diskussion über den unter den Zeitgenossen weitgehend unbestritten angenommenen Zeichencharakter der Sprache, der daher in Teil II erörtert werden soll. Sind Wörter Zeichen?6 Wenn ja, wofür stehen sie? Wenn nein, was sind sie sonst?

3 Sigrid von der Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher (Frankfurt a. M. 1973); vgl. bes. das Vorwort von Kurt Müller, VII–XI. 4 Sehr hilfreich für Quellen und Literatur bis 1990 ist Stefano Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz (Rom 1991) 273–303. 5 Dazu notiert Christina Marras in ihrem Beitrag Sprachwissenschaft. In: Gottfried Wilhelm Leibniz. Rezeption, Forschung, Ausblick, hg. von Friedrich Beiderbeck, Wechchao Li und Stephan Waldhoff (Stuttgart 2020) 366, Anm. 5: »Erst in diesen Tagen ist begonnen worden mit der Vorbereitung der Reihe V der AkademieAusgabe mit den historischen und sprachwissenschaftlichen Schriften, die zweifellos den systematischen Zugang zu Leibniz’ sprachwissenschaftlichem Schaffen erleichtern würde.« 6 Vgl. zu dieser Frage in einer breiter angelegten historischen Perspektive und ohne Bezug auf Leibniz: Tilman Borsche: Sind Wörter Zeichen? In: Die Präsenz des Vergangenen.

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Wie viele Sprachen spricht Leibniz?

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B. Konzentration auf empirische Methoden in der Sprachforschung Gegenstände von Sprachstudien welcher Art auch immer – Wörter, Sätze und Texte, Sprachen und Grammatiken, Stimme, Sprachlaute, sowie Regeln ihrer Bildung und Verknüpfung und vieles mehr – sind historische Gegenstände, die nur empirisch, d. h. durch Erfahrung und Experiment untersucht werden können und müssen. Sie sind keine Gegenstände apriorischer Wissenschaften. Die meisten unter ihnen wird man eher der historia civilis als der historia naturalis zurechnen, aber diese Differenz spielt für Leibniz keine entscheidende Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass wir in diesen Studien nicht deduktiv argumentieren können wie in den mathematischen Wissenschaften, da ihre Prinzipien uns unbekannt sind und – das ist Leibniz’ erste bedeutende Einsicht auf diesem Feld – immer unbekannt bleiben werden. Ausgangspunkt aller Sprachstudien sind Daten, die gesammelt und interpretiert werden müssen. Mit dieser Feststellung sind die methodischen Grundlagen der Sprach- und aller anderen historischen Studien umrissen. Mit ihnen stellt Leibniz sich klar und entschieden in die Reihe der Neuerer des wissenschaftlichen Denkens im 17. Jahrhundert, das er terminologisch aber nicht unter dem Namen von scientia im Singular führt, eher im Plural von artes oder, theoretisch neutral, von disciplinae. 1. Ursprungsfragen. – Ein inhaltlicher Schwerpunkt der zeitgenössischen Sprachstudien, in die Leibniz hineinwächst und an die er anknüpft, ist die vielfältige Frage nach den wahren Ursprüngen,7 eine Frage, die ein Wahrheitsprivileg der Ursprünge zumindest suggestiv nahelegt. Dabei geht es sowohl um die etymologische Frage nach dem Ursprung von Wörtern als auch um die Frage nach der Ursprache der Menschheit. Der etymologischen Frage liegt die Mutmaßung bzw. Hoffnung zugrunde, dass man aus der Kenntnis des Ursprungs der Wörter (etwas über) die Wahrheit der durch sie bezeichneten Sachen erfahren könne. Die Frage nach der Ursprache antwortet auf die autoritative Vorgabe von Genesis 2,19 f. über die ursprüngliche Benennung der Tiere durch Adam. Beide Fragen hat Leibniz häufig diskutiert. Wie fast immer, so sind auch hier seine Einlassungen stark an den Adressaten seiner Texte und an den jeweiligen Gesprächssituationen orientiert, die auch seine Wortwahl mitbestimmen. Doch das Resultat ist klar und eindeutig: Wenn er der theologischen Annahme einer »wahren« Namengebung durch Adam nicht widerspricht, dann vor allem deshalb, weil er empirisch überzeugend deutlich machen kann, dass wir diese Namen nicht kennen und niemals Festschrift für Johann Kreuzer, hg. von Nils Baratella, Peter Neumann u. Malte Maria Unverzagt (Paderborn 2023) 5–21. 7 Gensini eröffnet seinen lesenswerten Beitrag zum Thema »Leibniz. Linguist and Philosopher of Language: Between ›primitive‹ and ›natural‹«. In: Leibniz and Adam, ed. by Marcelo Dascal and Elhanan Yakira (Tel Aviv 1993) 111–136, zutreffend mit dem Satz: »In Leibniz’ time, the ›primitive‹ had become one of the dominant themes of Western thought.«

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Tilman Borsche

kennen werden. Ein ganz analoges Argument gilt für unser (Un)Wissen über die Ursprache der Menschheit, auch wenn nach Leibniz spekulative Gründe dafür sprechen mögen, einen einheitlichen Ursprung aller menschlichen Sprachen anzunehmen. 2. Etymologie. – Mit dieser theoretischen Bereinigung des Diskussionsfeldes und der Festlegung auf empirische Forschungsmethoden gelang es Leibniz, den reichen etymologischen Spekulationen früherer Zeiten ein wissenschaftliches Fundament zu geben. Damit regte er europaweit eine systematische Sammlung von Sprachproben möglichst vieler, auch fernliegender Sprachen an, die empirisch fundierte und an weiteren Daten überprüfbare Aussagen zur Sprachengeschichte und zum Sprachenvergleich möglich machten und mit der Zeit auch wirklich werden ließen. Seine eigenen Beiträge zu diesem speziellen Forschungsfeld sind umfangreich und erstrecken sich über einen langen Zeitraum.8 3. Ursprache. – Wenn wir schon die Sprache Adams weder kennen noch rekon­ struieren können, so fragten und behaupteten viele Sprachforscher im 17. Jahrhundert und schon früher, kann man dann nicht wenigstens vermuten, dass die Sprache der Genesis, das Hebräische, der Ursprache der Menschheit näher sei als andere Sprachen? Aus der Zurückweisung auch dieser Vermutungen mit entsprechenden Argumenten und dem Hinweis auf fehlende empirisch belegbare Verbindungsglieder gewinnt Leibniz auch konstruktive Anregungen für seine eigene Suche nach ursprünglicheren – er verwendet hier den Komparativ! – Sprachformen. Wie schon einmal in der Questione della lingua, einem literarisch ausgetragenen Disput der Nationalsprachen im 16. Jahrhundert um den Vorrang des Lateinischen, Toscanischen oder, etwas später, des Französischen,9 so wiederholt sich hier ein stiller Wettstreit um die Nähe der jeweils eigenen Sprache zur »adamitischen« Ursprache, und zwar so, als sei das, falls erwiesen, selbstverständlich ein Auszeichnungsmerkmal. 4. Sprachverwandtschaften. – Von viel größerer Bedeutung ist der Umstand, dass dieser Alterswettstreit der Sprachen, den Leibniz umfänglich und systematisch mit sich selbst und mit der ihm erreichbaren Literatur bzw. der Expertise gelehrter Kollegen europaweit, persönlich und brieflich, austrägt, das Wissen um die Verwandtschaftsbeziehungen der europäischen Sprachen einen großen Sprung voran bringt. Dabei entwickelt Leibniz zukunftweisende Theorien der Sprachverwandtschaft, die nicht nur gemeinsame Herkunft, sondern auch man8 Vorläufig zusammengefasst hat Leibniz seine etymologischen Erkenntnisse und Studien in der postum 1717 von seinem Sekretär Eckhart veröffentlichten Epistolica de Historia Etymologica Dissertatio [im Folgenden = Epistolica], die erstmals ediert wurde als Anhang zu S. Gensini, Il naturale, a. a. O. [Anm. 4] 193–271; eine exemplarische Diskussion der Beispiele findet sich auch in Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, a. a. O. [Anm. 3] pass. 9 Vgl. dazu sehr erhellend Jürgen Trabant: Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens (München 2003) 87–102.

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Wie viele Sprachen spricht Leibniz?

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nigfaltige Formen der Vermischung, der Verdrängung, des Kontakts und der Aneignung etc. berücksichtigen, d. h. Prozesse, die bis heute in der Vergleichenden Linguistik Anwendung finden bzw. verfeinert werden, wenn auch in der Regel ohne Kenntnis der Leibniz’schen Anregungen.10 Hier liegt der produktive und zukunftweisende Kern der Leibniz’schen Sprachforschungen. Sie konzentrierten sich in den Jahren 1693–97,11 beginnen aber früher und werden bis zu seinem Lebensende fortgesetzt und vor allem bei anderen angestoßen, denn die Durchführung eines solchen Programms kann nicht die Arbeit eines einzelnen Gelehrten sein. Auch diese Epoche machenden Anregungen sind inzwischen gut erforscht und dokumentiert.

C. Sprachtheoretische Grundsätze Ob Leibniz eine eigenständige und in sich systematische Sprachtheorie zugeschrieben werden kann, ist umstritten. Nicht unkommentiert darf im Blick auf diese Frage die berühmte und von ihm selbst prominent wiederholte Metapher von der Sprache als Spiegel des Verstandes bleiben, denn sie kann leicht missverstanden werden. Es geht hier nicht um einen allgemeinen, immer gleichen menschlichen Verstand, sondern um die sowohl individuelle als auch (sprach)gemeinschaftliche Denkkraft und -tätigkeit von wirklichen Sprechern und Hörern. Nur so erklärt sich die Erläuterung der Spiegelmetapher, mit der der Autor seinen sprachpolitischen Grundlagentext eröffnet: »Es ist bekand, dass die Sprach ein Spiegel des Verstandes; und dass die Völcker, wenn sie den Verstand hoch schwingen, auch zugleich die Sprache wol ausüben: welches der Griechen, Römer und Araber beyspiele zeigen.«12 Diese komplexe Aussage impliziert zweierlei: (a) Die Entwicklung von Sprache und Denken bedingen und befruchten sich wechselseitig; (b) Sprechen und Denken geschieht konkret und immer zugleich in eben dadurch sich bildenden Individuen, die denken, und Gruppen, deren Mitglieder miteinander sprechen.

10 Diese Studien hat Leibniz vorläufig zusammengefasst und selbst publiziert in der Brevis designatio meditationum de originius gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum, seinem eigenen Beitrag zur ersten Veröffentlichung der neuen Berliner Societät der Wissenschaften, den Miscellanea Berolinensia von 1710; auch in: Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera omnia, ed. Ludovicus Dutens, Bd. 4 (Genevae 1768, ND Hildesheim 1989) pars II, 186–198. 11 Die Schrift Unvorgreiffliche Gedancken wird auf 1693 datiert. Zur biographischen Verortung dieser Studien vgl. Eike Christian Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz. Eine Biographie (München 2000) 311 ff. 12 Eröffnungssatz der Schrift Unvorgreiffliche Gedancken § 1, a. a. O. [s. u. Anm. 32] 532; das gleiche Bild in NE III 7 (GP V 313); sowie schon in der Ermahnung (s. u. Anm. 31) A IV 3, N.117, 812 und 815.

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Tilman Borsche

Leibniz’ zahlreiche, durchaus Epoche machenden Entdeckungen und Anregungen zu sprachtheoretischen Fragen können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Hingewiesen sei jedoch darauf, dass der Autor in der späten Epistolica de Historia Etymologica Dissertatio, die Gensini nicht zu Unrecht als »Leibniz’s linguistic testament« bezeichnet,13 unmittelbar nach Zurückweisung der Spekulationen Jakob Böhmes14 und unmittelbar bevor er zur Erörterung seiner eigenen Sprachtheorie übergeht,15 ein klares Bekenntnis zu Möglichkeit, Rang und Nutzen seiner Idee einer »characteristica« einschiebt, die er offensichtlich niemals aufgegeben hat. Dazu später mehr (Teil II). Stattdessen folgt hier der Versuch einer Zusammenschau der Grundzüge dessen, was ich eben als eigene Sprachtheorie von Leibniz angesprochen habe, die Leibniz selbst aber nie im Zusammenhang und in systematischer Absicht entwickelt. Sie setzt sich im Wesentlichen aus folgenden sieben, teilweise schon erwähnten, Einsichten zusammen. Leibniz reiht und zählt diese nicht, das ist nicht sein Denkstil; man muss sie daher aus seinen Schriften und Notizen zusammensuchen: 1. Die Frage nach dem Sprachursprung, die das europäische Sprachdenken in Gang setzte, ist falsch gestellt. Nicht nur, weil sie, wie gestellt, nicht lösbar ist. Es geht eben nicht, wie gewöhnlich angenommen, um die Scheinalternative des Platonischen Kratylos, nach der der Sprachursprung entweder natürlich oder künstlich sei; eine Alternative, die aber schon bei Platon eine ganz andere Frage beantworten sollte, nämlich die Frage, woher die gegebene Bedeutung von gegebenen Wörtern komme: um die Frage nach der »Richtigkeit der Namen«. Keine der vorgeschlagenen Antworten hatte jemals überzeugen können. Dass die Bedeutung eines Namens nicht natürlich vorgegeben ist, sieht und weiß jeder, der einmal mit fremdsprachigen Menschen Kontakt hatte. Dass die scheinbar einzig mögliche Alternative, nämlich die »Arbitrarität« der Bedeutung, weitgehend Anerkennung gefunden hat, mag daran liegen, dass sie empirisch schwer zu widerlegen ist, weil niemand sich anmaßt, den ersten Sprachgesetzgeber gesehen oder gehört zu haben. Man kann ihn ungehindert postulieren und sich ausmalen – als weise oder göttlich oder utopisch. 2. Die Ursprungsfrage wird verlagert auf die Frage nach dem Sprachwandel. – Der Empiriker Leibniz stellt die gleiche Frage ganz anders: Er fragt, wie Sprachwandel sich wirklich ereignet, wie im alltäglichen gegenwärtigen Sprechen neue Wörter (Namen) entstehen, und er mutmaßt, dass es so auch im Ursprung, besser: in den zahllosen Ursprüngen neuen Sprechens, die einer aufmerksamen

13 Stefano Gensini: Leibniz’s later writings on language and the topic of ›origins‹. In: Einheit der Vernunft, a. a. O. [Anm. 1] 25–41. 14 Epistolica (14), p. 75r. In: Gensini, a. a. O. [Anm. 4] 216 15 Epistolica (15), p. 75r., ebd.

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Wie viele Sprachen spricht Leibniz?

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Beobachtung zugänglich sind, geschehen sein könnte und immer wieder geschehe.16 3. Den natürlichen Sprachursprung oder das, was an ihm natürlich ist, erklärt die Sprachanthropologie. – Leibniz argumentiert hier anthropologisch. Er versteht den noch sprachlosen Menschen, wie auch das neugeborene Kind, als animalisches (d. h. beseeltes) Sinnenwesen, das im Übrigen von Natur aus ausgestattet ist mit Sprechorganen und Artikulationsfähigkeit. Das Menschenkind wird, wie alle Seelenwesen, emotional affiziert und reagiert auf solche Affektionen u. a. mit der Stimme, zunächst mit noch unartikulierten Lauten. Soweit konnte Leibniz das nicht nur selbst beobachten, sondern auch schon in Aristoteles, De anima lesen. Es handelt sich um Reaktionen aus aktuellen Bedürfnissen heraus im kommunikativen Austausch mit seinesgleichen.17 Details werden bei Leibniz nicht ausgeführt, jeder kann sie aus eigener Erfahrung leicht ergänzen. Mit der Zeit wachsen im kommunikativen Alltag den natürlich hervorgebrachten Lauten spezifische Bedeutungen zu, die sich in den Vorstellungen der Kommunika­ tions­teilnehmer, wenn sie sich bewährt haben, irgendwie analog kristallisieren: μετὰ φανταςίας, wie Aristoteles hier traditionsbildend erläutert.18 Entsprechend bilden ältere, schon sprechende Kinder untereinander Sondersprachen, diskret Verbundene verabreden Geheimsprachen, Berufsgruppen erarbeiten Fachsprachen; ganz analog entwickelt sich, was einmal eine Sprache war, bei dauerhaftem Kontaktverlust der Sprachgemeinschaften auseinander in mehrere ähnliche Sprachen; und nicht anders geht eine Sprache unter bzw. in einer anderen auf, wenn ein Sprachgebiet sprachlich erobert wird.19 4. Evolutionäre Anfänge. – Auch wenn Leibniz ein explizites theoretisches Vokabular dafür fehlt, sind doch klare Hinweise auf »evolutionäre« Anfänge des menschlichen Sprechens nicht zu übersehen. Wenn er der Frage nach einer ersten (Ur-)Sprache der Menschheit nicht ausweichen kann, dann denkt er nicht an eine reine, wahre, gottgegebene Sprache des Paradieses, sondern spricht von einer »lingua protoplastis«20 , von einem bildbaren, aber schon artikulierten Sprachstoff, aus dem mit der Zeit und durch geeignete Anlässe alle denkbaren Sprachen werden können. In den wirklichen Sprachen, in Dialekten und, wenn erreichbar, 16 Vgl. z. B. besonders klar und ausführlich in Epistolica (14)-(24). In: Gensini, a. a. O. [Anm. 4] 215–233. 17 Vgl. Epistolica, bes. (22), ebd., 228 f. 18 Aristoteles: De anima II 8, 420 b 32. 19 Hier ein Beispiel, das aktuelle Assoziationen weckt, aus den Unvorgreifflichen Gedancken § 20: »… mithin es fast das ansehen gewinnen will, wenn man so fortfähret, und nichts dagegen thut, es werde Teutsch in Teutschland selbst nicht weniger verlohren gehen, als das Engel-Sächsische in Engelland« (A IV 6, 538). Leibniz entwirft keine apokalyptischen Zukunftsvisionen vom drohenden Untergang der Sprachen, sondern berichtet über Fakten aus der überschaubaren und dokumentierten Vergangenheit. 20 Z. B. Epistolica (15); p. 75r.; § 33, p. 81v. In: Gensini, a. a. O. [Anm. 4] 216 bzw. 228.

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Tilman Borsche

in alten Mundarten sucht er Keimpunkte konkreter Sprachen, die er »Wurzelwörter« nennt. In diesen empirisch nur schwer zugänglichen Bereichen hat die viel geschmähte onomatopoetische Wortbildung ihren legitimen Ort. Hier allerdings stößt der Sprachforscher eher auf emotionale Interjektionen,21 jedenfalls nicht auf wohlüberlegte Setzungen eines weisen Herrschers oder Schöpfergottes. 5. Nicht Spracherwerb (acquisition of (a) language), sondern sprechen lernen, wie Kinder es tun.22 – Kurz, Leibniz betrachtet den natürlichen Ursprung der Sprache als ein wesentliches Moment des gewöhnlichen Sprechens. »Sprachursprung« ist situationell gebunden und ereignet sich immer wieder von Neuem, jederzeit und überall. Die Motive des Neuen sind »Not« (in einem weiten Sinn: Drängnis, Lust und Wünsche eingeschlossen), Erfahrung und Gemeinschaft. Indirekte, aber klare Indizien, auf die Leibniz sich stützt, sind Beobachtungen des Sprechenlernens der Kinder sowie die Sprachpraxis kleiner Sprachgemeinschaften, bei denen die Bedeutung aller, insbesondere aber neuer Worte immer auch durch andere Ausdrucksmittel der Gefühle neben den artikulierten Lauten (mit)geteilt werden.23 Auf analoge Weise zu den hier zu beobachtenden Prozessen entstehen neue Sprechweisen und mit der Zeit, mutmaßlich, auch neue Sprachen. Sprachursprung kann ständig und überall stattfinden, wo gesprochen und (miss)verstanden wird. – Mit dieser sprachanthropologischen Darstellung verträgt sich die Hypothese des gemeinsamen natürlichen Ursprungs aller Sprachen sowie ihrer allmählichen Entwicklung aus primitiven Anfängen zu höherer Kultur im Einzelnen ebenso wie in der Gruppe durch Not, Erfahrung und Spiel, die, nicht planmäßig zwar, aber unvermeidlich, zu Ausdifferenzierungen führen, wie wir es heute auch aus den gut untersuchten Kommunikationssystemen im Tierreich kennen. 6. Vom Wesen der Sprache spricht Leibniz nicht explizit, aber er bestimmt es gleichwohl, wenn auch eher beiläufig. – Sprache wäre nach ihm wesentlich zu bestimmen als eine nur im Menschen erscheinende Verknüpfung von animalischem Ausdruck (expressio) mit Sinn oder Bedeutung (significatio). In der Frage der Bedeutung liegt das philosophische Problem. Ist sie spirituell oder mental zu verstehen, als repraesentatio, notio, oder etwa als idea? (Dazu mehr in Teil II. E) Da jedem seelischen Ausdruck (expressio) ein sinnlicher Eindruck (impressio) voraus21

Z. B. Epistolica (15) und (20). In: Gensini, a. a. O. [Anm. 4] 216, 224 f. u. pass. Dazu eine höchst aufschlussreiche Randbemerkung von Leibniz zu seiner eigenen Definition von »nota« in einer langen Definitionentafel (1671/72 (?)): »Omne signum ex instituto supponit aliquod naturale, per quod institutio apparere possit. Infantes ergo non audiendo tantum, sed simul audita videndo aut alioquin sentiendo, id est non sine factis, verba discunt.« A VI 2, 500, Randnote 60. 23 Über das Sprechen der Kinder vgl z. B. Epistolica (22), p. 82r/v.. In: Gensini, a. a. O. [Anm. 4] 227 f.; oder NE III 1, § 3 (GP V 255). Es fällt auf, dass Locke an der hier von Leibniz kommentierten Stelle die Analogie zur Sprache der Kinder nicht erwähnt hatte. Für Leibniz ist sie ein exemplarisch wiederkehrendes Thema. 22

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geht, geschieht Sprache, und zwar, wie gesagt, ursprünglich, jederzeit und überall, wo wirklich gesprochen wird (das schließt ein: wo verstanden, wahr-genom­men, geschrieben, gelesen wird), und so geschieht auch Sprachwandel. – Mit folgenden Worten fasst Leibniz seine erfahrungsgestützten Mutmaßungen über das empirische Phänomenfeld der menschlichen Sprache oder, anders gesagt, über das Geschehen von Sprechen und Denken unter Menschen konzis zusammen: »At in linguis paulatim natis orta sunt vocabula per occasiones ex analogia vocis cum affectu, qui rei sensu comitabatur.«24 Das sagt wiederum nur etwas über den kontingenten Ursprung der Namen/Wörter/voces aus, ggf. auch über ihre variierenden Struktureigenschaften, aber noch nichts über ihre allgemeine significatio. Eine Wesensbestimmung der menschlichen Sprache ist auf diesem empirischen Weg weder erreichbar noch wird sie von Leibniz angestrebt. 7. Das Fehlen der Grammatik. – Dem kundigen Leser der genannten sechs Grundzüge der Leibniz’schen Sprachtheorie fällt eines auf: Der Kern und zugleich der umfänglichste Teil der hochentwickelten antiken Sprachtheorie, der »Grammatik«, die seit Dionysios Thrax den europäischen Sprachdiskurs dominiert hat25 und die Leibniz selbstverständlich geläufig ist, fehlt völlig: die Lehre von den partes orationis, griech. μέρη λόγου. Im Gegenteil, das gesamte Lehrstück von den acht Wortarten bzw. Satzteilen »der« Sprache wird für überflüssig erklärt. Was davon übrig bleibt, sind die nomina für alle bedeutungstragenden Inhalte, die für Leibniz nur von einer Art sind, sowie die sog. Partikel, 26 die die Verbindungen der nomina in der Rede zu regeln haben und damit die Verbindungen der Gedanken anzeigen: Sie gelten als »autant de marques de l’action de l’esprit«. Unentbehrlich erscheinen sie Leibniz nicht. Fehlen sie, dann »le lecteur y supplée«.27 Alle anderen partes orationis gelten als substituierbar (s. u. II. D. 2) Doch diese ungebräuchlichen Substitutionsregeln sind nur von Bedeutung, insofern es um Erkenntnis von Wahrheit geht – aber geht es darum nicht immer?

24 BD, a. a. O. [Anm. 10 (1710)], S. 2, auch zit. in S. Gensini: Leibniz’ on language, a. a. O. [Anm. 13] 31. 25 Dionysios Thrax, Τέχνη γραμματική (ars grammatica); das lat. Pendent dazu sind die Institutiones grammaticae des Priscian, dessen Namen Leibniz, zeitüblich, als Allgemeinbegriff für Grammatik verwendet: vgl. UG § 80. 26 Vgl. z. B. Locke, Essay III, 7: Of Particles / NE III 7: Des Particules (A VI 6, 329–333 = GP V 310–313). – Vgl. Marcelo Dascal: Leibniz on Particles: Linguistic Form and Comparatism. In: Leibniz, Humboldt, and the Origins of Comparativism, ed. by Tullio de Mauro and Lia Formigari (Rome 1990) 31–60. 27 Dieser Hinweis erinnert an die »stillschweigende Grammatik« des (Alt-)Chinesischen, von der Humboldt sprechen wird.

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D. Der lange Weg zum Studium der Sprachen in ihrer Verschiedenheit 1. Vorgeschichte. – Die Antike war durchaus vertraut mit der unüberschaubaren Vielfalt und scheinbar chaotischen Verschiedenheit menschlicher Arten zu reden. Ein eigenes Wort für das, was wir heute mit Sprache als Singular zu Sprachen völlig selbstverständlich und daher meist unreflektiert verwenden, gab es dennoch lange Zeit nicht. Man empfand die Vielfalt und Verschiedenheit der Sprachen als lästig und erhob die jeweils eigene Sprache gerne zum Modell für richtiges und gutes Sprechen überhaupt, besonders, wenn schon eine als vorbildlich geltende Literatur vorlag. Andere Sprachen und auch ein abweichender Gebrauch der jeweils herrschenden Sprache galten als minderwertig.28 Das ging so weit, dass sich in der Antike kein Bewusstsein der für alles Sprechen wesentlichen und die einzelnen Sprachen charakterisierenden Sprachverschiedenheit entwickelte. Sprachen gehörten nicht zu den zählbaren Gegenständen. Sofern man überhaupt nach ihnen fragte, galt ihre Verschiedenheit als Zufall der Geschichte, Resultat einer Gesetzgebung oder gar als Strafe für gotteslästerliches Verhalten der Menschen: Babel genügte als Erklärung. Als im Mittelalter und dann unüberhörbar zu Beginn der Neuzeit das Selbstbewusstsein der Träger europäischer Volkssprachen wuchs (die Trobador-Dichtung der Langue d’oc machte hier wohl den Anfang) und sich in diesen auch eigene, nicht mehr lateinisch verfasste Literaturen entwickelten (Italien, Frankreich, England), erhob sich ein Wettstreit um den Wert und bald auch um den Vorrang der Sprachen. Dabei ging es vornehmlich um die Frage, welche Sprache das Denken am besten und schönsten zur Darstellung bringe (vgl. o. I.B.3 mit Anm. 9). Dieser Wettstreit gab der Frage nach der Eigenständigkeit und den Besonderheiten der verschiedenen Sprachen überhaupt erst einen Sinn und machte sie damit zum Gegenstand der Reflexion. Er gipfelte im 18. Jahrhundert in der breit rezipierten These vom génie des langues – nach Leibniz.29 2. Leibniz’ Einstieg über die Sprachpolitik. – In dieser allgemeinen Lage des Sprachdenkens greift aus konkretem Anlass der junge Hannoveraner Hofrat in die gelehrte europäische Diskussion ein. Die jeweilige Nationalsprache und ihr rechter Gebrauch waren bereits ein (politisches) Problem. Leibniz selbst hatte schon als 20-jähriger Jura-Student dafür plädiert, Deutsch als Verkehrssprache 28 Vgl. Tilman Borsche: Sprache I., 2.: Sprachen. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9 (Basel 1995) Sp. 1450–1453. 29 Dieser Begriff wird meist mit Condillac (Essai sur l’origine des connaissances humaines, 1746) in Verbindung gebracht. Cassirer führt ihn auf Harris zurück: Hermes or a philosophical inquiry concerning universal grammar (1751). Doch auch Leibniz kennt und nutzt ihn bereits, beiläufig, wie so oft: Epistolica (20). In: Gensini, a. a. O. [Anm. 4] 224: »In his combinationibus videndum, quae quibus quadrent secundum genium linguae: neq(ue) enim quaevis natio quidvis aeque commode pronuntiat.« (Hervorh. v. Vf.)

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in Gerichtsverfahren einzuführen. Daraus spricht ein genuiner, noch nicht durch den nach-napoleonischen deutschen Nationalismus gebrochener Patriotismus, der alle thematisch einschlägigen Schriften von Leibniz durchzieht, mehr oder weniger stark. Unter dem Eindruck des Vormarschs französischer Truppen in Mitteleuropa vor allem gegen die Niederlande, aber im Bündnis mit Schweden auch gegen Brandenburg, ein Vormarsch, der die Truppen unangekündigt auch über das Territorium des zu dieser Zeit formal mit Frankreich locker verbündeten Fürstentums Hannover führte, verfasst Leibniz 1679 30 eine Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben, samt beygefügten vorschlag einer Teutsch-gesinten gesellschafft.31 Er propagiert einen besonderen Eigenwert der deutschen Sprache, die, was die Entwicklung von Literatur und ihr Ansehen in Europa angeht, wenig geschätzt wurde, weil sie wissenschaftlich schwach entwickelt und kaum standardisiert war. Das war in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, d. h. nach den Verwüstungen der mitteleuropäischen Länder durch den Dreißigjährigen Krieg, nicht anders zu erwarten. Dass es mit deutschsprachigen Texten früher, vor allem im 16. Jahrhundert, schon einmal besser stand, ist Leibniz bewusst, seinen Lesern kaum, deshalb stellt er es ausdrücklich heraus (ebd. 814 f.). Nach einer detaillierten Diagnose der Missstände in Gebrauch und Pflege der deutschen Sprache skizziert er ein Bündel von Maßnahmen, wie dem Übel abzuhelfen wäre. Denn »es ist noch hofnung bey dem Krancken, solange er schmerzen fühlet« (ebd. 819). Seine Aufgabe in dieser Schrift sieht Leibniz darin, die Schmerzen fühlbar zu machen und zu Anstrengungen der Selbstheilung aufzurufen. Nicht zu Unrecht haben die Editoren der Akademie-Ausgabe diese »Mahnung« nicht für die Sprachwissenschaftlichen Schriften (Reihe V) aufgespart, sondern unter die sprach-, heute würden wir sagen kultur-politischen Schriften (Reihe IV) aufgenommen. Entsprechendes gilt auch für die andere deutsch geschriebene und die deutsche Sprache betreffende Schrift Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache (1697–1712).32 Für beide und auch andere, nicht auf Deutsch verfasste sprachpolitische Schriften ist zweierlei zu beobachten: Nation(al) und Vaterland beziehen sich für Leibniz immer auf Deutschland, das es politisch gar nicht gab, aber als Erinnerung an das alte Kaiserreich in 30 Zur Schwierigkeit einer sicheren Datierung der Schrift vgl. Annette Antoine: Sprachpolitik und Sprachkritik. Zur Geschichte und Aktualität von Leibniz’ Ermahnung … In: Einheit der Vernunft, a. a. O. [Anm. 1] 151–164, bes. 152 f. – Über den mutmaßlichen Zusammenhang zwischen dem französischen Feldzug gegen Brandenburg und der Abfassung der Ermahnung vgl. Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a. a. O. [Anm. 11] 129. 31 Als graue Literatur zeitgenössisch durchaus rezipiert wurde dieser Text 1846 in einem deutsch-nationalen Zeitgeist erstmals publiziert. Jetzt kritisch ediert in A IV 3, 795–829. 32 A IV 6, 528–565; zitiert nach: Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übers. A. Buchenau (Hamburg 31966 [11906]) Bd. II, 519–555.

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der Tradition Karls der Großen (translatio imperii) für ihn maßgebend geblieben war. Die Schicksale von Nation und Sprache sind nach seiner historischen Erfahrung eng miteinander verbunden. Eine fruchtbare, für das Wissen und damit auch für das Wohlergehen der Menschen förderliche politische Entwicklung der Nation gehe in aller Regel Hand in Hand mit einer entsprechenden Entwicklung der Sprache. Beides geschehe nicht von selbst, beide Seiten – für Leibniz, in rhetorischer Selbstbescheidung, nur die Seite der Sprache – bedürften der gezielten Pflege. Dazu sollen seine auch deshalb auf Deutsch geschriebenen Schriften einen Beitrag leisten. In beiden Schriften, der Ermahnung und den Unvorgreifflichen Gedancken, bleibt es folglich nicht bei sprachtheoretischen Überlegungen. Theoria cum praxi lautet die Maxime des an Erfahrungen reicher gewordenen Leibniz der späteren Jahre. Das ist nicht additiv gemeint, sondern konstitutiv: Theorie durch Praxis. Von den 114 nummerierten Abschnitten der Unvorgreifflichen Gedancken befassen sich die Nummern (1) – (55) mit theoretischen Problemen: den philosophischen Grundlagen, den allgemeinen historischen, wissenschaftshistorischen und politischen Bedingungen sowie dem Entwicklungsstand der Sprachen in Europa, ihren Stärken und Schwächen. Seinen sprachtheoretischen Grundsätzen gemäß spricht Leibniz im Blick auf Sprachen im Plural in der Regel nicht von »natürlichen Sprachen«, sondern von »linguae receptae«, Sprachen als anerkannten kulturellen Gebilden. Die zweite Hälfte des Textes, die Nummern (51) – (114) sind praktischen Maßnahmen der Sprachpflege gewidmet. Auch hier ist die Gewichtsverteilung aufschlussreich. Leibniz nennt »drey gute Beschaffenheiten«, welche »bey einer Sprach verlanget werden«, nämlich »Reichthum, Reinigkeit und Glantz« (n. 56: ebd., 550). Im ersten und ausführlichsten Teil (57) – (79) erläutert er seine Vorschläge zur Erweiterung des Wortschatzes durch Erforschung neuer Gegenstandsfelder (neues Wissen), Wiederbelebung alter Wörter (vergessenes Wissen), »Einbürgerung«33 fremder Wörter (Aneignung fremden Wissens) und schließlich, wenn nötig, durch die Erfindung neuer Wörter.34 Im Reichtum der Sprache liegt offensichtlich das Hauptinteresse des Reformers. Im zweiten Teil (80) – (109) geht es um das bedauerliche Fehlen einer deutschen Grammatik und um den angemessenen, d. h. adressatengerechten Einsatz und Gebrauch der Wörter bzw. der Sprachform in Wort und Schrift. Grammatik und Gebrauch scheinen noch nicht klar unterschieden zu werden. Dieser Teil endet mit dem überraschenden Bekenntnis: »Doch der Gebrauch ist der Meister« (n. 109: ebd. 563). Dürftig fällt demgegenüber der dritte Teil der praktischen Anweisungen aus, der »Glanz und Zierde der Teutschen Sprache« behandeln soll (110) – (113). Der Text schließt mit Vorschlägen für die Einrichtung eines »Teutschgesinnten 33 Das Wort findet sich in den Unvorgreifflichen Gedancken an mindestens vier Stellen: n. 63: »Einbürgerung (Naturalisierung) fremder Benennungen«, n. 68, n. 69, n. 73. 34 Zu Neologismen vgl. den Beitrag von Hubertus Busche in diesem Band.

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Ordens« zur öffentlichen Sprachpflege, der einiges besser machen sollte als die bestehenden Akademien in Italien, Frankreich und England (114 bzw. 114–119 in einer anderen Handschrift), 3. Eigenständiges Sprachstudium. – Das Sprachdenken der Zeit ist gekennzeichnet durch den Wettstreit der europäischen Sprachen, die sich neben dem Lateinischen als der noch immer unbestrittenen Gelehrtensprache als neue Haupt- und Literatursprachen Europas zu etablieren begonnen hatten und in ihrem Gefolge auch Lokalsprachenstudien, Dialektforschungen ins Blickfeld der Sprachforscher rückten. In dieser sprachwissenschaftshistorischen Konstellation gehört Leibniz zu den ersten und nachdrücklichsten Vertretern der Meinung, dass man Sprachen als eigenwertige Gegenstände (an)erkennen, würdigen und auch als solche studieren müsse. Denn er sah, dass sie mehr sind als nur mnemotechnische Hilfsmittel und kommunikative Verständigungsmittel für den aktuellen Gebrauch (nota et signa), wie das für seine Zeit maßgebend vor allem Hobbes und Locke gelehrt hatten, sondern dass sie darüber hinaus u. a. Informationen über die Geschichte der Völker sowie ihrer Kenntnisse, Denk- und Verhaltensweisen enthielten bzw. verbargen, die aus anderen Quellen nicht zu gewinnen seien.35 Um dieses weite, reiche, vielversprechende, aber weithin unbekannte Feld zu erforschen, über das zu berichten bislang nur die Dichter und Philologen für wert befunden hatten, musste man die Verschiedenheit der Sprachen und ihre Geschichte zum wissenschaftlichen Forschungsgegenstand erheben.

E. Kurzes Fazit aus den Sprachforschungen Das hier nur flüchtig skizzierte, groß angelegte und in zahllosen Notizen, Entwürfen und Briefen dokumentierte Forschungsprogramm rechtfertigt es, Leibniz als einen Sprachforscher ersten Ranges und als großen Anreger und Förderer der Historischen und Vergleichenden Sprachwissenschaft zu würdigen. Trotzdem bleibt eine kritische Rückfrage: Warum betreibt Leibniz linguistische Sprachstudien? Geschieht das um ihrer selbst willen? Gewiss, Sprachen, wenn man einmal ihre Eigenständigkeit (ihr génie) entdeckt hat, sind interessant wie alle Gegenstände des Denkens. Leibniz ist wissbegierig! Dennoch – vielen Lesern drängte und drängt sich die Vermutung auf, dass das Studium der Sprachen selbst in ihrer Eigenständigkeit und Verschiedenheit auch bei Leibniz letztlich extrinsischen 35 Häufig zitiert werden z. B. folgende Feststellungen: »Les langues sont le vray moyen pour juger de l’origine des peuples« (an Nicaise, 16. Juni 1699, GP II 588). – »Les langues sont le meilleur miroir de l’esprit humain, et qu’une analyse exacte de la signification des mots f­ eroit mieux connoistre que toute autre chose les operations de l’entendement«: NE III 7 (A VI 6, 333 = GP V 313); s. o. das Zitat in Anm. 2.

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Motiven folgt und sich damit Interessen verdankt, die jenseits des Sprachstudiums liegen. Diese Vermutung bewegt auch die neuere Leibnizforschung seit ihrer Renaissance um die vorletzte Jahrhundertwende, die mit den Namen Ernst Cassirer, Louis Couturat und Bertrand Russell verbunden ist.36 Angesichts dieser Vermutung stellt sich einmal mehr die Frage, seit wann, in welchen Zusammenhängen und aus welchen Gründen Leibniz sich mit Problemen der Sprache konfrontiert sah. Für die Kindheit und Jugend findet sich nichts Aufschlussreiches. Aber schon in den frühen Publikationen zeigt sich das sprachtheoretische und sprachpolitische Interesse des jungen Juristen stark ausgeprägt. So entwirft der 21-jährige Doktor beider Rechte ein vollständiges Curriculum des Jurastudiums. Darin plädiert er für eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Sprache in Gerichtsprozessen und Verwaltungsangelegenheiten und begründet diese Forderung mit dem Ziel allgemeiner Verständlichkeit und größerer Lebensnähe von Rechtsstudium und -praxis. 37 Die eigenen Erfahrungen aus dem Studium und aus seiner frühen Gerichtspraxis finden sich sprachpolitisch erweitert in der Ermahnung an die Teutsche von 1679 wieder (s. o.) und bleiben bis an sein Lebensende wirksam. Zur gleichen Zeit macht er sich Gedanken über die Eignung verschiedener europäischer Landessprachen für bestimmte Themenfelder sowie über ihre Entwicklungsfähigkeit und -bedürftigkeit;38 was er später u. a. in den Unvorgreifflichen Gedancken aufnimmt und vertieft.

II. Sprachphilosophie A. Sprache und Denken – eine kontingente Relation oder eine ­notwendige Verbindung? Bis hierher kam Leibniz nur als Kulturwissenschaftler (wie man heute sagen würde) zu Wort. Wo bleibt der Philosoph? Auch diese Frage führt zur Sprache zurück. Dem Wissenschaftler und dem Philosophen begegnet die Sprache als Thema meist in schriftlicher Form. In schriftlicher Form ist sie nicht mehr nur zuhanden wie beim Sprechen und schon beim Sprechenlernen, sondern explizit vorhanden, mithin auch leichter zu untersuchen. Denn sie ist fixiert und als solche reproduzierbar. Erst unter den kritischen Augen eines Lesers gerinnt Sprache zu einem 36 Vgl. zu diesem Forschungsimpuls, der in der Leibniz-Literatur zum Gemeinplatz geworden ist, Christina Marras: Sprachwissenschaft, a. a. O. [Anm. 2] 374 f. 37 Vgl. Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (Francofurti 1667) insb. Pars II, § 66, und § 98. 38 Vgl. Leibniz’ Disputatio praeliminaris zu Marii Nizolii De veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos (1670). In: A VI 2, 398–476, bes. 414 f. = GP IV, 127–174, bes. 143–145.

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wissenschaftlichen Gegenstand, scheinbar zumindest. Oral language studies haben sich bekanntlich spät entwickelt, sie haben ihre eigenen Probleme. Zwar sieht Leibniz auch deren Bedeutung und Nutzen und gibt sie, so oft er kann, in Auftrag. Was er von seinen Informanten erhält, sind in der Regel ebenfalls schriftliche Proben, auch er selbst untersucht vornehmlich schriftliche Sprachzeugnisse. Schriftlich fixierte Sprachereignisse heben eine Differenz hervor, die in ihren mündlichen Versionen eher verborgen bleibt. Dabei geht es um die Unterscheidung von Sprechen und Denken, von Wort und Gedanken. Es sei hier die allgemein wenig diskutierte Vermutung ins Spiel gebracht, dass diese Unterscheidung sich ohne den Gebrauch von Schrift kaum hätte entwickeln, fixieren und etablieren können; auch sie selbst ist also nicht selbstverständlich. Diese Vorbemerkung erscheint mir wichtig, weil es sich bei der Sprache, die Leibniz für die Wissenschaft sucht, streng genommen nicht um eine Sprache zum Sprechen, sondern um eine Schrift handelt; auch er verwendet dafür häufig die Bezeichnung scriptura. Leibnizens wissenschaftliches Interesse war anfangs und primär nicht auf Sprachliches im engeren Sinn, auf Wörter, Sätze und Texte als solche, gerichtet, sondern auf das in Worten und Sätzen, Gesten und Bildern und anderen Sprachzeugnissen zum Ausdruck kommende, das in ihnen dargestellte Denken. Denken fungiert hier als ein einfacher Begriff. Es bezeichnet eine innere (geistige) und daher als solche nicht wahrnehmbare Tätigkeit, von der wir stillschweigend und selbstverständlich annehmen, dass ›wir‹ in ihr (der Tätigkeit des Denkens) und durch sie ›alles‹ erfassen. Jedes Wort in diesem Versuch einer Worterklärung von ›denken‹ schreit nach Erläuterung, ich beschränke mich hier auf zwei: Wer ist mit wir gemeint? Wir alle, die wir denken. Was ist mit alles gemeint? Alles Denkbare, alle Inhalte oder Gegenstände des Denkens: z. B. Gott, die Welt und wir selbst; griechisch τι; alles lässt sich nicht erschöpfend aufzählen, auch nicht unstrittig einteilen. Klar ist immerhin, dass es vieles meint, nicht Eines. Schon früh erkannte Leibniz, dass zum besseren Verständnis des Denkens – nicht der das Denken begleitenden oder ausdrückenden körperlichen Prozesse, sondern seiner Inhalte oder der Gedanken, wie man sagt, wenn man meint, die Inhalte des Denkens zählen zu können – die Schrift schon immer ein entscheidendes Hilfsmittel gewesen ist. Geschriebenes aber besteht aus Zeichen. Eine der ersten großen und bleibenden Einsichten des Philosophen Leibniz in diesem Zusammenhang liegt in der Annahme, dass bestimmtes Denken (ratiocinatio) zwar durchaus ohne (gesprochene, gehörte) Worte, nicht aber ohne irgendwelche, z. B. geschriebene, Zeichen auskomme, ja überhaupt nicht ohne Zeichen stattfinde. 39 Wenn wir etwas denken, 39 Z. B. »Omnis humana ratiocinatio signis quibusdam sive characteribus perficitur.« (A VI 4, 918 = GP VII 204) – Zum weiten Feld des Denkens in und mittels Zeichen bei Leibniz vgl. z. B. die multiperspektivisch angelegten und sehr erhellenden Arbeiten in Gensini: Il Naturale [Anm. 4] 11–190.

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dann denken wir in Zeichen, nicht nur weil es bequemer, sondern weil es anders gar nicht möglich ist. Auch diese Einsicht war und ist alles andere als trivial. Damit ist ein entscheidendes Stichwort gefallen: Zeichen. Zeichen galten in allen anerkannten Definitionen als sinnlich wahrnehmbare Gebilde (seien es Dinge oder Ereignisse); fast ausnahmslos.40 So auch für Leibniz. Das nicht wahrnehmbare Denken (cogitatio) selbst geschieht in und durch sichtbare Zeichen.41 Es war für Leibniz (und seine Zeit) eine unbefragte Selbstverständlichkeit, dass auch Wörter Zeichen sind und dass Zeichen sinnlich gegebene, artikulierte, klar und deutlich abgegrenzte, wiedererkennbare Gegenstände sind, die auf etwas anderes verweisen, was sie selbst nicht sind. Dieser Zusammenhang wird in schriftlichen Sprachgebilden nur deutlicher und leichter greifbar als im gesprochenen und gehörten Wort, denn Schriftzeichen sind sichtbar, mithin dauerhafter und leichter wiederholbar als der flüchtige Luftstrom des gesprochenen Wortes. Daher dient Sprache, konkret verstanden als mündlich oder schriftlich geäußerte menschliche Rede, vorzüglich aber in schriftlich fixierter Form, nicht nur dem Ausdruck und der Mitteilung der Gedanken, wie ihre Funktion üblicherweise beschrieben wird, sondern darüber hinaus auch, so die Erfahrung des Mathematikers Leibniz, einer Erweiterung und Verbesserung des Denkens, mithin der Gewinnung neuer Gedanken im unendlichen Feld des Denkmöglichen; und darum geht es ihm in erster Linie. Sprache erweist sich als unentbehrlich zur Weiterentwicklung der artes, insbes. der ars iudicandi und ars inveniendi des Wissenschaftlers, kurz: für die Suche nach Wahrheit(en), zur Förderung der Wissenschaft(en) – artes und scientiae –, beide sind auf Zeichen angewiesen. In einer dauerhaften und kontrollierten sinnlichen Repräsentation, nämlich als ein Regelwerk von Schriftzeichen, und in der Funktion eines Instrumentariums zur Weiterentwicklung der Wissenschaften tritt die Sprache als Gegenstand

40 Eine bahnbrechende, wenn auch wenig rezipierte Ausnahme beschreibt und diskutiert die umfassende und exzellente Studie zur Geschichte des Zeichenbegriffs von Stephan Meier-Oeser: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Berlin/New York 1997) 77–86. Hier wird belegt und diskutiert, dass seit ca. 1250 einige bedeutende Autoren auch die zweite Stelle des aristotelischen ordo orandi mit dem Terminus signum wiedergeben. In dieser neuen Lesart oder Übersetzung werden auch die nicht wahrnehmbaren conceptus (παθήματα τῆς ψυχῆς oder νοητά) als Zeichen verstanden, als signa rerum und nicht mehr alt-aristotelisch als simlitudines rerum. 41 Ein frühes Beispiel aus früher Zeit (1671/1672?): »Signum est quod nunc sentimus [geändert in: percipimus] et alioquin cum aliquo connexum esse ex priore experientia nostra vel aliena judicamus.« (A VI 2, 500) – Ein spätes Beispiel aus einer der zahlreichen Definitionstabellen (1702/1704?): »Signum est perceptum ex quo colligitur existentia non percepti. Sed hoc loco est signum cogitationis« (C 497).

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in den Horizont des Leibniz’schen Interesses. 42 Selbstverständlich weiß er, dass Sprache, insbesondere das aktuelle Sprechen, auch anderen Funktionen dient.43 Kurz und in heutiger Sprache zusammengefasst: Sprechen wird auch als Appell an die Empfänger und als unmittelbarer (Gefühls-)Ausdruck des Senders verwendet. In diesen Funktionen dient Sprache dem (Über-)Leben und dem angenehmen Leben, nicht nur für Menschen, sondern für alle Sinnenwesen.44 – Den Philosophen aber interessiert vor allem ihre spezielle und herausgehobene Funktion bei der (Er)Findung und der Beurteilung von Wahrheit(en).

B. Leibniz’ Einstieg in den wissenschaftlich-philosophischen Diskurs des 17. Jahrhunderts und sein Kernthema: die Wahrheit in Philosophie und Wissenschaft Trotz der zahlreichen sprachpolitischen Appelle, die sich schon in Leibniz’ frühen Schriften finden (vgl. o. I.D.2), tritt das philosophische Interesse an Problemen der Sprache, insbesondere das Interesse an den Sprachen in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit erst sehr viel später in den Fokus seiner Aufmerksamkeit. Der philosophische Diskurs, den der junge Leibniz vorfand, in den er hineinwuchs und den er sehr rasch eigenständig zu gestalten unternahm, kreiste um andere Themen. In Fortführung der herrschenden Debatten des 17. Jahrhunderts, inspiriert u. a. von Descartes, Hobbes und seinem Jenaer Lehrer Weigel, suchte Leibniz nach neuen Wegen zu einer Erweiterung und Verbesserung des Denkens am Leitfaden mathematischer Methoden in der Erforschung der Natur. Sein Gott war ein Mathematiker, die Schöpfung verstand er als Lösung einer mathematischen Aufgabe. Was er suchte, war eine alles umfassende scientia generalis des menschlichen Denkens. Leibniz’ eigene epochemachenden Beiträge zu den syste42 Indirekt zeigt sich dieses Interesse schon in den sehr frühen juristischen Texten. Als philosophischer Grundsatz wird diese Einsicht erstmals ausführlich entwickelt in der Dissertatio praeliminaris zu Marii Nizolii de veris principiis et vera ratione philosophandi … (A VI 2, 401–476 = GP IV 127–176, bes. 137–150). 43 Außerwissenschaftlichen Gebrauch von Sprache hat Leibniz selbst vielfach gepflegt und gelegentlich auch untersucht, und zwar in den Feldern von Dichtung und Musik, Rhetorik und Mystik. Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Dirk Werle sowie Albert Heinekamp: Ars characteristica und natürliche Sprache bei Leibniz. In: Tijdschrift voor Filosofie 34 (1972) 448–488, bes. 482–484; vgl. hierzu NE IV 21 (GP V 504 f.). 44 So verstanden sind Sprachkenntnisse wie alle anderen Kenntnisse aus Natur und Geschichte zwar »nöthig und befödernswürdig«, jederzeit und überall, wie Leibniz aufgrund seiner Reiserfahrungen sehr wohl weiß, »man kann aber diejenigen so sie allein besitzen, nicht vor verständig und noch weniger für Weise, am allerwenigsten aber für glückseelig halten« (GP VII 115) – schreibt er in einem leider noch nicht kritisch edierten, undatierten, aber vermutlich frühen Fragment zur scientia generalis.

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matischen und spekulativen nach-cartesischen Debatten finden sich vor allem in seiner neuen Naturlehre als Dynamik, die er der Mechanik in der Tradition von Descartes, auf die er gleichwohl aufbaut, entgegensetzt. Von Hobbes übernimmt er schon früh den Grundbegriff des conatus, den sich selbst bewegenden Punkt, die cartesische arithmetische Geometrie erweitert er um die Differentialrechnung. Conatus, Dynamik, Differentialrechnung dienen hier lediglich als Stichworte, die die hoch komplexe und sehr lebendig geführte Diskussion der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindest andeuten sollen.45 Mit Sprachen als historischen Gebilden jedenfalls haben diese zentralen Forschungsgebiete des Philosophen Leibniz wenig zu tun. Ein sichtbarer Zusammenhang besteht zunächst nur darin, dass insbesondere der Differentialkalkül, Leibnizens bekannteste Erfindung, allein durch die Erfindung neuer Zeichen möglich wurde und nur in Zeichen darstellbar ist. Dabei geht es allerdings, wie leicht zu sehen ist, nicht um sprachliche Zeichen im engeren Sinn. Die Zeichen des Kalküls sind weder französisch noch lateinisch, deutsch oder englisch codiert. Es geht vielmehr um Zeichen, die keiner immer schon interpretierten historischen Sprache angehören und ohne Vorstellungsbild46 gelesen werden müssen; um Zeichen, die nur operativen Zwecken dienen und nur operativ Bedeutung haben. In derartigen Erweiterungen der Wissenschaft(en) nach mathematischer Methode sieht schon der junge Leibniz das Zentrum seiner Forschungen, das, was er Neues zur Wissenschaft beizutragen hat. Wohin führen ihn diese philosophischen Forschungen im Ausgang von den Aporien der am normativen Vorbild von Arithmetik und Geometrie orientierten Lehren eines Descartes und Hobbes? Der Weg kann hier nicht nachgezeichnet werden, doch das Ergebnis ist bekannt: Mit und gegen Descartes, Hobbes und Spinoza entwickelt Leibniz eine neue Metaphysik individueller Substanzen, die sog. Monadologie.

C. Die neue Metaphysik der Monaden und die Sprache Zwei Beobachtungen zur Monadologie sind im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung und sollen kurz angesprochen werden: (a) Die Monadologie kommt ohne Diskussion der Sprache aus. Sprache hat für Leibniz keine tragende Funktion in der Metaphysik oder der Ersten Philosophie.

45 Einen aktuellen Überblick über die Quellen und die Editionslage sowie über Themen und Forschung zur Mathematik gibt Eberhard Knobloch im Kap. Mathematik. In: Leibniz. Forschung, a. a. O. [Anm. 6] 641–664; zur Dynamik entsprechend Hartmut Hecht, Dynamik, Physik, Experiment, ebd. 665–762. 46 Es sind daher im aristotelischen Sinne auch keine Sprachzeichen, keine φωναὶ μετὰ φανταςίας (s. o. I.C.3).

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(b) Monaden sind die einzig wirklichen Substanzen, sie sind das, woraus die Welt in Wahrheit besteht. In anderer Sprache, weiterhin mit Leibniz ausgedrückt: Sie (allein?) sind Gottes Geschöpfe, choses crées (M. § 56), und sie sind als solche prinzipiell nicht wahrnehmbar. Wahrnehmbar sind Dinge, Ereignisse, Prozesse in Raum und Zeit. Alles Wahrgenommene ebenso wie die Formen der Wahrnehmung selbst sind Phänomene. Das heißt aber auch, sie sind nicht nichts oder »nur Schein«, wie man zu rasch zu sagen geneigt ist, ignorierend, dass die Devise für Leibniz war »Sein und Schein«. Metaphysisch gesprochen, ist das, was wir wahrnehmen, Ausdruck oder Repräsentation des wirklichen Seins, man sollte es besser nicht nominal vom Produkt her, sondern verbal vom Produzieren her sagen: Sie, die Monaden, drücken aus (ils expriment) oder sie stellen dar (ils representent), und zwar jeweils alles auf individuelle Weise und in vollkommener Entsprechung (harmonie) mit sich. In diesem Sinn sind auch die Worte (Sätze, Texte und alle sprachlichen Äußerungen) Ausdruck wahren Seins; doch sie, die Worte, sind es auf besondere Weise. Monaden kann man nicht zählen. Was aber macht eine Monade zu einer Monade? Die Einheit einer Monade ist der Prozess der Einheitsbildung im unendlichen und kontinuierlichen Fluss »ihrer« Perzeptionen, das, was ihre Existenz ausmacht und immer Ziel ihres Strebens (appetitus) ist. Mit anderen Worten: Monaden sind fluktuante Einheitsbildungen, die sich durch ihr Dasein (Widerständigkeit) bzw. ihr Verhalten (Aktionen) bzw. ihre Gefühle (Sinneswahrnehmungen) bzw. ihre Gedanken – alle vier verstanden als verschiedene Stufen von Perzeptionen im Kontinuum des Monadenuniversums – von anderen Monaden unterscheiden und abgrenzen und dadurch ein unabsehbares Geflecht von Relationen bilden. Diejenigen unter den Monaden, die in diesem relationalen Geflecht sich selbst (d. h. ihre Existenz und damit ihre eigenen Perzeptionen) wahrnehmen können, deren Perzeptionen (Dasein, Verhalten, Gefühle, Gedanken) zusätzlich mit Reflexion und Selbstbewusstsein (apperception) verbunden sind, bestimmt Leibniz als denkende und sprechende Monaden. Sie nehmen sich und anderes auch und besonders durch eine Vermittlung von Namen wahr. Strenggenommen kann man nur in solchen Fällen von Wahr-nehmung sprechen. Doch was genau diese Namen ausdrücken oder, sprachtheoretisch ausgedrückt: was sie »bedeuten«, kann nicht erschöpfend definiert, determiniert (d. h. durch andere Namen bestimmt) werden. Dass Namen eine Realität ausdrücken, also wirklich Namen, alias bedeutungstragende Wörter sind, wird nur insofern erkannt, als das Ausgedrückte als wirklich wahr-genommen wird, anders gesagt: als es zur Bestimmung oder Beschreibung, zum Ausdruck und zur Darstellung von Existierendem dient. Streng genommen kann ich bei keiner sinnlich gegebenen und durch ein Wort bestimmten und benannten, d. h. wahrgenommenen Erscheinung sagen, dass sie eine und nur diese eine Monade ausdrücke oder darstelle; es kommt auf meine Perspektive an.

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Ein Beispiel: Ich schaue auf einen Gegenstand (Phänomen), den ich als »Menschen« wahrnehme und so auch benenne; damit stelle ich eine Tatsachenbehauptung auf. Lassen wir das unanalysiert stehen, solange es darüber keinen Streit gibt. Schaue ich auf ihn aus der Perspektive eines Juristen, der seine (dieses Menschen) Schuld beurteilen soll, oder schaue ich auf ihn aus der Perspektive eines Mediziners, der seine (dieses Menschen) Krankheit diagnostizieren will, dann sehe und bestimme, analysiere und beurteile ich andere Tatsachen, nehme andere Phänomene wahr. Handelt es sich um dieselbe Monade? Was ich sehe, ist ein Mensch, ein Dieb, ein Genesender u. v. a. Die Zahl möglicher Phänomene ist unbegrenzt, die Zahl der Namen, die mir zur Verfügung stehen, immer begrenzt; alle Namen sind Kandidaten für Tatsachen. Die aktuell anerkannten Bedeutungen der Namen laufen den flüchtigen Phänomenen und ihren unendlichen perspektivischen Verkomplizierungen hinterher. Permanent konkurrieren sie mit anderen Namen. Das führt nun endgültig zum zentralen Begriff der Untersuchung, dem Sprachzeichen oder zu der Frage: Was wird durch einen Namen/ein Wort (zum Unterschied beider gleich mehr) ausgedrückt, dargestellt, bezeichnet? – Vorausgesetzt und im Moment auf unstrittig gestellt, ist die Annahme, dass Wörter Zeichen sind. Hier hilft die von Leibniz inaugurierte und erfolgreich ins Werk gesetzte Sprachforschung, näher die wissenschaftliche Etymologie (wörtlich und ursprünglich: die Lehre von der Wahrheit der Wörter alias Namen) nicht weiter. Aber eine logische Analyse derselben Namen eröffnet für Leibniz den Königsweg der Wissenschaft, die angetreten ist, die Phänomene, die wir wahrnehmen, besser zu verstehen, indem sie deren Ursachen und Zusammenhänge aufdeckt und bestimmt.

D. Sprache der Wissenschaft und rationale Grammatik 1. Sprache des Kalküls. – Im Blick auf die Hauptaufgabe der Philosophie, eine Verbesserung der Wissenschaft herbeizuführen, erweist es sich bald, dass natürliche Sprachen und das Studium ihrer Verschiedenheit allenfalls die Rolle von indirekten Hilfsmitteln und Lagerstätten verborgener Wissensschätze übernehmen können. Immerhin erkennt Leibniz hier einen Weg, den zu erkunden und zu prüfen er für wichtig und fruchtbringend hält: Als (logisch argumentierender) Jurist hat er gelernt, dass man in allen Lebensbereichen Wahrheiten suchen, finden und auch beweisen kann, vorausgesetzt, alle Beteiligten verwenden klar und deutlich definierte Begriffe ihrer Gegenstände. Die Definitionen der Begriffe muss man nicht immer im Bewusstsein präsent halten, man verwendet an ihrer Stelle Zeichen, die bei allen Beteiligten anerkannt sind, wie in der Mathematik, insbesondere der Algebra, die hier meist als Muster dient. Der Beweis selbst ge-

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schieht dann rein formal, rechnerisch und damit zwingend. Die gesuchte scientia generalis wird entworfen als Methode zum Auffinden (inventio) bislang unbekannter Wahrheiten mittels solcher Zeichen (Namen), die anstelle der bezeichneten Gegenstände verwendet werden und im Prinzip jederzeit nach Bedarf durch ihre Definitionen salva veritate sollten substituiert werden können. Den epochemachenden Erfolg, der ihm dank der Anwendung einer solchen Methode mit der Erfindung des calculus infinitesimalis in der Mathematik gelungen ist, hofft er, auf alle zu erforschenden Lebensbereiche übertragen zu können: ein verbreiteter Traum der Gelehrten des 17. Jahrhunderts. Argumentationen in geläufigen und bewährten Sprachen sind naturwüchsige Vorformen dieser allgemeinen Methode, über die jedermann verfügt. Deshalb liegt es nahe, in ihren Verfahren Anregungen für weitere Anwendungen zu suchen, und zwar mit dem Ziel, sie, die Argumentationsmuster gegebener Sprachen, kunstvoll zu einem vollständig kontrollierbaren Kalkül auszugestalten. Sprachstudien in dieser Absicht führen jedoch in eine ganz andere Richtung als die zuvor besprochenen historischen Sprachstudien (Teil I). Bekanntlich führen sie Leibniz zu dem Projekt einer characteristica universalis. Ausgangs- und Anknüpfungspunkte solcher Bemühungen aber dürften die in Logik und Rhetorik, in Philosophie und Mathematik und anderen artes sermocinales ausgebildeten Beweistechniken sein, als deren materielle Grundlage in überlieferten Sprachen schriftlich fixierte Texte dienten. Kurz, auch dieses Lebensprojekt des Philosophen erwächst aus Erfahrungen im Umgang mit der Sprachlogik seines lateinischfranzösisch-deutschen Idioms. Als Logiker hat Leibniz gelernt: Natürliche Sprachen (linguae receptae) sind kein formaler Kalkül. In einer akademischen Disputation oder vor Gericht kann ein geübter Advokat jederzeit durch Differenzierung und Modifizierung der gegebenen Begriffe und ihrer Definitionen den Beweisgang in seinem Interesse beeinflussen. Der Versuch, vorliegende Schriftsprachsysteme zu einem vollständig kontrollierten Kalkül umzugestalten, misslang, sooft er – in der Geschichte und auch bei Leibniz – angestellt wurde. Ob die Notwendigkeit dieses Misslingens beweisbar ist, wäre eine mathematische Frage. Faktisch zeigt sich, dass natürliche Sprachen und ihre naturwüchsige Sprachlogik als Ausgangsbasis dafür wenig geeignet sind. An diesem Punkt kann Leibniz auch die Sprachkritik von Bacon und Locke aufgreifen, deren berechtigten Ort bestimmen und auf dieser Kritik seinen neuen, ganz andersartigen Kalkül aufbauen. Gründlich und radikal, wie er denkt, kommt er dabei zu radikalen Forderungen. 2. Rationale Grammatik. – Leibniz unternimmt konkrete Versuche in diese Richtung. Erstens ist die Sprache allein auf ihre Darstellungsfunktion zu reduzieren. Eine reine Sprache des Kalküls, wie er sie sucht, kennt nur Aussagen. Ziel ist das, was er eine rationale Grammatik nennt, die nur aus Nomina und

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Partikeln besteht (vgl. o. I.C.7). 47 Nach Leibniz dürfte sich diese aber nicht auf eine systematische Sammlung von Aussagen über Dinge und Ereignisse (intentione recta) beschränken, sondern sie sollte auch reflexive Aussagen über das per­ spek­tivische Denken von Dingen und Ereignissen erschließen; eine Fähigkeit, die jeder natürlichen Sprache nicht nur selbstverständlich, sondern wesentlich ist. Die kanonischen acht Wortarten bzw. Satzteile der traditionellen Grammatik, die nach ihrem Anspruch die Grammatik der Sprache sein wollten, de facto aber eine Rumpf-Grammatik des Lateinischen und Griechischen darstellen, können reduziert werden auf zwei: das, was die lateinische Grammatik nomina nennt (die sachhaltigen, bedeutungstragenden kategorematischen Bestandteile eines Satzes), und Partikel, wie er sagt,48 die die Verknüpfungen der Nomina in der Rede regeln sollen (in der mittelalterlichen grammatica speculativa als synkategorematisch bezeichnet). Grammatische Personen würden entfallen; die Person des Sprechers/ Autors soll keine Rolle spielen, es geht ja nur um die Sachen selbst. Leibniz hofft, dass in dieser Sprache alle Mehrdeutigkeiten auf technischgrammatischem Wege vermieden werden können. Damit soll die Erfüllung eines alten Wunsches des Aristoteles an die Sprache der Wissenschaft durch Kalkül erzwungen werden. Eine wesentliche Konsequenz wäre, dass alle als wahr qualifizierten Aussagen durch andere (d. h. durch in anderen Zeichen ausgedrückte) äquivalente Aussagen salva veritate substituiert werden können – wie in einer mathematischen Gleichung. Genau darin besteht der Sinn dieser Reduktion. Umgekehrt sehen historische Sprachforscher eine Stärke der natürlichen Sprachen gerade darin, dass sie der Phantasie, der Bedeutungsverschiebung, dem Missverständnis, mithin den kalkulierten Absurditäten des metaphorischen Sprachgebrauchs, konstitutiven Raum geben. Gegen das Projekt einer rationalen Grammatik oder einer reinen Kunstsprache für die Wissenschaft ist aus der Sicht der Sprachforschung zu bemerken: Wenn die Sprache als ein zwar stets wohl-motiviertes, aber grundsätzlich historisches Produkt anerkannt wird, muss man die empirischen Erkenntnisse der Sprachforschung ebenso wie die durch sie benannten und bestimmten Tatsachen(und) Wahrheiten in allen historischen Wissenschaften als endlich, veränderlich, konjektural ansehen; das betrifft nicht nur die Laute (die phonetischen Regeln), sondern auch die Grammatik (die syntaktischen Regeln) und die Bedeutungen (die semantischen Regeln). Wirkliche oder »eigentliche Wissenschaft« enthalten diese Disziplinen (historia civilis und historia naturalis betreffend) daher »nur 47 S. auch folgende Notizen: A VI 4, 111–119; 642–644; 797–802. – Zur Diskussion vgl. F. Schmidt: Leibnizens rationale Grammatik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung IX (1955) 657–663. 48 Dieses Wort greift hier den Titel des entsprechenden Kapitels 7 von Buch III in Lockes Essay auf, sein Gebrauch dürfte aber älter sein. Es gehört, in dieser undifferenzierten Form, nicht in die Reihe der klassischen acht partes orationis.

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so viel, als darin Mathematik anzutreffen ist«,49 also in allen wesentlichen Punkten – nichts. Man dürfte also, strenggenommen, nicht mehr von einer Sprache des Kalküls, von einer Universal-Sprache, sprechen. Daran ist festzuhalten trotz der aufgezeigten motivationalen Herkunft des Leibniz’schen Projekts einer universalen Zeichenschrift aus Sprachreflexionen. 3. Tatsachenwahrheiten und die Sprache(n) der Wissenschaft. – Die Cartesische und Leibniz’sche Wissenschaft – scientia im antiken Sinn dieses Begriffs, wie auch Leibniz ihn verwendet, wenn er den Unterschied zu den artes fokussiert – kennt als ihre Prinzipien nur solche Wahrheiten, die intuitiv erfasst, d. h. als innere Wahrnehmungen durch das Auge des Geistes unmittelbar geschaut werden, wie es seit Platon heißt. Ebenfalls seit Platon gelten solche Wahrheiten aufgrund ihres Ursprungs als göttlich, folglich als übernatürlich und ewig. Auch Leibniz geht davon zunächst aus. An den intuitiven Grundlagen alles bestimmten Denkens hält er zeitlebens fest. Ohne solche intuitiven Ausgangspunkte sind auch für ihn Wissenschaft selbst sowie wissenschaftliche Demonstrationen, die aus ihren intuitiven Anfängen mit logischer Notwendigkeit deduziert werden müssen, nicht vorstellbar. Doch kein menschlicher Begriff, ausgedrückt in irgendeiner bekannten historischen Sprache, erfüllt die Bedingungen einer unmittelbaren ewigen Wahrheit. Vielmehr kann jeder Begriff, ausgedrückt in einem oder in mehreren Worten, anders verstanden und interpretiert werden als üblich und als intendiert, was Leibniz als Jurist und Historiker schon früh erfahren hat. Wie können wir angesichts dieser Erfahrung trotzdem Wahrheiten finden und Wissenschaft betreiben? Leibniz beantwortet sich diese Frage in der bekannten Terminologie seiner ausgereiften Erkenntnistheorie folgendermaßen: Grundlage und Ausgangspunkt aller menschlichen »Wissenschaften«, die in der älteren Tradition nicht scientiae, sondern artes (Künste, τέχναι) genannt wurden, sind wohl intuitiv erfasste notiones, conceptus, ideae etc. und müssen es sein. Aber als in Worten ausgedrückte cognitiones, die menschlich erkannt und verstanden werden, sind sie nicht ewig, und – was er nicht sagt, aber zeigt – sie werden nicht sprachfrei oder wortlos gedacht und verstanden. Anfangsgründe aller Wissenschaften – nun unbedingt im offenen Plural gesagt – sind notiones distinctae primitivae (einfache deutliche Begriffe), die wir unmittelbar verstehen (cognitones intuitivae, nicht adaequatae), ohne sie im Moment analysieren zu können oder zu müssen.50 Damit ist nicht die Behauptung impliziert, dass sie grundsätzlich nicht analysierbar seien. Alle Begriffe und Wörter sind im Prinzip analysierbar, 49 Auf diese einprägsame Formulierung bringt Kant dieses Grundprinzip der neuzeitlichen Wissenschaft: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede. In: Kant, Werke (1968) Bd. 8, 14. 50 Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis: »Notionis distinctae primitivae non aliter datur cognitio, quam intuitiva« (A VI 4, 588).

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sonst wären es weder Wörter noch Begriffe (s. o. I.E.1). Ganz im Gegenteil: Leibniz verwendet große Mühe darauf, genau solche notiones distinctae primitivae zu analysieren, d. h. zu definieren.51 Bekanntlich erweisen sich solche Versuche als letztlich unabschließbar, oder sie verlaufen zirkulär und heben sich damit auf. Aber Leibniz macht die Erfahrung und verschließt sich dieser Erfahrung nicht, dass wir gar nicht erst anfangen könnten zu denken und zu sprechen, wenn wir nicht von im Moment nicht analysierten Begriffen wirklich ausgingen, ausgehen dürften und ausgehen könnten. – Die Kritik wird es richten, bis auf Weiteres. In dieser Perspektive sind die beiden Seiten bei Leibniz strikt zu unterscheiden: empirische Sprachstudien, die die überlieferten Sprachen als historische Gegenstände zum Thema haben, einerseits und andererseits die Suche nach einem angemessenen – durchaus historisch variablen – sprachlichen Ausdruck wissenschaftlicher Wahrheiten, die im glücklichen Fall des Gelingens dann aber sprachfrei (ungeachtet der notorischen Mängel historischer oder natürlicher Sprachen) im Denken (intellectus, νοῦς) zu erfassen sind, d. h. auch als unabhängig davon, ob sie je gedacht (cogitare) und gesagt (loqui) werden. Wenn Sätze chinesisch52 oder algebraisch geschrieben sind, dann haben die einzelnen als Bedeutungsträger markierten Zeichen an sich selbst keine Bedeutung: Sie können nicht nur, sondern müssen interpretiert werden. Was ein mit Wahrheitsanspruch geschriebener Satz interpretationsfrei darstellt, das sind nicht die Bedeutungen der Zeichen, sondern nur die Verknüpfungen dieser Bedeutungen, nur die Formen der Verknüpfung selbst, Relationen ohne (besser: mit offenen) Relata. Solche Verknüpfungen sind das Gebiet der Sprachlogik oder der rationalen Grammatik. Für sie hat die Logik eigene Symbolsprachen erfunden und sprachfrei (d. h. losgelöst von der Grammatik einer bestimmten natürlichen Sprache) standardisiert. Nur diese Sprachlogik kennt interpretationsfrei wahre Sätze. Genauer gesagt handelt es sich nicht um Sätze, denn sie haben keinen Inhalt, sondern es handelt sich um Satzformen: um die logische Struktur sprachlich ausgedrückter Wahrheiten, die selbst nichts über die wirkliche Welt aussagt; wohl aber der zu denkenden Welt mögliche Formen gibt. Tatsachenwahrheiten, insofern sie wirklich gedacht werden, sind (semantisch, historisch, konkret) interpretierte Sätze und Texte. Auf einer ersten Stufe betrachtet, sind diese Sätze und Texte entweder französisch oder lateinisch oder deutsch codiert. Auf einer zweiten Stufe verstehen sich ihre Termini im Horizont

51 Das trifft auch und gerade auf philosophische Grundbegriffe zu wie etwa cogitatio, loqui, perceptio, ens, existentia etc., die er zahlreichen Definitionsversuchen unterzieht. 52 Es dürfte allen Lesern dieser Zeilen klar sein, dass das für das Chinesische so nicht gilt, was auch Leibniz bald klar wurde. Doch die scheinbare Offenheit der Bedeutung (in diesem Fall besser: Offenheit der Lautung) der einzelnen Schriftzeichen war genau das, was Leibniz bei seinem ersten Kontakt mit der chinesischen Sprache faszinierte und inspirierte.

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aktueller (am besten akademisch sanktionierter) Wörterbucheinträge. Das heißt aber auch: Sie sind doppelt voraussetzungsreich und könnten in anderen Sprachen zu anderen Zeiten an anderen Orten, im Kontrollbereich anderer Autoritäten – kurz, unter anderen Voraussetzungen – auch als unwahr, zumindest als unverständlich erscheinen, und zwar so lange, bis der Leser die herrschende National- und die einschlägige Fach-Terminologie, in denen der Text verfasst wurde, so weit beherrscht und verinnerlicht hat, dass der Text nur noch wahr sein kann. Dann gilt er als von der scientific community anerkannt und darf bei der Weiterentwicklung des Wissens mitreden. Es kommt alles darauf an, was die Termini eines Ausdrucks oder einer Darstellung von Tatsachen jeweils bedeuten, d. h. wie sie interpretiert werden und welche Interpretation hier und jetzt (im Moment des Verstehens) Anerkennung findet. Das kann niemand nur für sich allein entscheiden (Privatsprachenargument). Es ist im Moment autoritativ bzw. konventionell geregelt, zumeist unbewusst. In Leibniz’ sprachphilosophischen Reflexionen, die sich bei ihm meist nur in beiläufiger Form finden, weil sie terminologische Festlegungen berühren, die für ihn selbstverständlich sind, wird konstant und unbefragt vorausgesetzt, dass Wörter ganz allgemein als Zeichen zu verstehen seien. Wenn aber die Wörter oder Termini generell als Zeichen gelten, dann kann und muss man genau an diesem Punkt weiter fragen: Wofür stehen die jeweiligen Zeichen, was bedeuten sie? Und zugespitzt: Wofür stehen, was bedeuten Zeichen bei Leibniz in den Tatsachen­ behauptungen der Sprachen der Wissenschaften?

E. Bedeutung (significatio) 1. Was bezeichnet, wofür steht ein (bedeutungstragendes) Sprachzeichen? Nominell ist die Antwort auf diese Frage für Leibniz klar und in der Tradition gut abgesichert: Ein Sprachzeichen steht für bzw. bezeichnet res, entia u. a. Die Antwort hat bei Leibniz, neben diesen beiden wohl häufigsten, noch weitere Namen. Negativ gilt grundsätzlich und entgegen einem immer noch verbreiteten Missverständnis: Ein Sprachzeichen steht nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, für Dinge (Wahrnehmbares, Individuiertes, Veränderliches, das gezählt, gemessen, gewogen werden kann). In dieser Feststellung liegt auch der Unterschied zwischen (Eigen-)Namen und Wort: Ein (Eigen-)Name steht für Einzelnes, eben in ihm Individuiertes, sagt aber nichts über es aus. Ein Wort53 steht für ein Allgemeines, über das es dem, der es versteht, immer etwas, aber nie alles Mögliche 53 Griechisch und vorwissenschaftlich: ὄνομα, seit Aristoteles terminologisch: φωνή σημαντική; in lateinischer Terminologie und bei Leibniz: nomen, nur als Lautform genommen: vox.

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sagt. Sagte es nichts, wäre es kein Wort – wie das berühmte βλίτυρι der Stoiker,54 das selbst auch einmal ein Wort war, bevor es wurde, als was es gilt: ein Zeichen für einen bedeutungslosen Sprachlaut. 2. Was bezeichnen, wofür stehen die Wörter res und entia? Die Wörter res und entia sind keine Namen i. e. S., sondern Wörter. Man muss also etwas über das durch sie Bezeichnete sagen, man muss sie definieren können. Gelegentlich werden sie bei Leibniz gleichbedeutend verwendet.55 Häufig werden sie definiert, aber je nach Fragestellung durchaus unterschiedlich.56 Wiederum in unterschiedlichen Kontexten bestimmt und erläutert Leibniz diese beiden Wörter (oder Namen57) als conceptus, ideae, notae, reflexiv gelesen als significationes.58 Im philosophischen Diskurs stehen diese drei Wörter gewöhnlich für drei sehr unterschiedliche Begriffe. Inwiefern können sie alle drei, wie Leibniz wiederholt feststellt, dazu dienen, res bzw. entia als das generell durch Wörter Bezeichnete zu explizieren? (a) In dieser nicht ontologisch, sondern erkenntnistheoretisch oder auf menschliche Wahrheitsfindung hin orientierten Frage-Perspektive stehen die drei genannten Wörter (conceptio, nota, idea, ggf. auch noch weitere) für das durch Wörter Bezeichnete immer und nur für etwas Gedachtes bzw. Denkbares (cogitatum, cogitabile). Sie bezeichnen Gedanken, d. h. alles, was ich denkend unterscheiden und zugleich benennen kann mit Anspruch darauf, dass das Benennende (der Name) ein Wort sei: ein Sprachlaut, gesprochen oder geschrieben, mit Bedeutung. In dieser Perspektive ist z. B. die Bedeutung von ens restringiert auf Gegenstände, die in mittelalterlicher Terminologie als eine besondere Art von entia, nämlich als entia rationis (Gedankendinge) unterschieden werden. Entia in der anderen, 54 Von

Leibniz zitiert als »parole vide de sens« in T, Disc. prél., § 76 (GP V, 95). finden sich Formulierungen wie »ens sive res«, »Rem seu Ens« (C 289, 391, 395). 56 »Res« z. B. juristisch: »Res de qua in judicio agitur« (C 504); oder ontologisch: »Nostra Mens phaenomenon facit, divina [dat Unionem] Rem« (C 528: Dieser Satz wäre eine eigene philosophische Abhandlung wert!). – Ens vor allem im Feld von Denken und Sprechen: »Ens, Res quod distincte concipi potest.« (C 437), und viele andere, deren jeweilige Kontexte zu erörtern nicht Aufgabe dieser Skizze sein kann. 57 In dieser Erklärungsperspektive werden Wörter gerne Namen genannt, weil sie sich verhalten wie Individuen der Sprache, als welche sie von Humboldt auch ausdrücklich definiert werden. (Vgl. Wilhelm von Humboldt, Ges. Schriften, Bd. 5, 410 f.) 58 Dieser Umstand, so offenkundig er sich bei näherer Lektüre der Leibniz’schen Definitionen im Einzelnen aufdrängt, wird häufig übergangen. Denn er irritiert gerade kundige Leser, die die unterschiedlichen Verwendungsweisen der genannten Termini in unterschiedlichen Kontexten und zu verschiedenen Zeiten bei Leibniz kennen. – Eine hilfreiche Zusammenstellung und Diskussion einschlägiger Stellen für an Bedeutungsfragen orientierte Definitionen von Grundbegriffen findet sich in dem lehrreichen Aufsatz von Marine Picon: »Modum definitiones investigandi«. Philology and the Foundation of Demonstrative Science. In: Einheit der Vernunft, a. a. O. [Anm. 1] 83–98. 55 Es

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ebenfalls üblichen Bedeutung von wirklichen Dingen als Geschöpfen Gottes, sind – gerade und besonders deutlich bei Leibniz – immer und nur individuelle Substanzen: Monaden, die von unserem endlichen Denken niemals in Wahrheit oder vollkommen erkannt werden können. Daher liegt es nahe, res und entia in erkenntnistheoretischer oder auf Wahrheit hin orientierter Perspektive als Begriffe zu explizieren (bei Leibniz unter den Namen conceptus, nach Bedarf auch gleichgesetzt mit notio und idea59). Es geht um mein Begreifen (Konzipieren) eines Denkgegenstands in treffenden Worten, d. h. in solchen, die zur Verfügung stehen und verständlich sind. Diese Perspektive ist vom Wort her gewonnen und bestimmt. Sie expliziert Wörter, die wirklich, sei es mündlich oder schriftlich, geäußert und verstanden werden, und zwar insofern, als hier der Gebrauch der Wörter ausdrücklich der menschlichen Wahrheitssuche, letztlich der Wissenschaft dienen soll, ohne damit den Anspruch zu erheben, Gottes Schöpfung nachzubuchstabieren.60 Gott schafft nicht Begriffe oder Vorstellungen, sondern Substanzen – auch das in unseren Worten gesagt. (b) Losgelöst von der genannten Herkunft vom Wort und in Anknüpfung an eine platonische Tradition, die er in anderen Kontexten nachdrücklich vertritt, spricht Leibniz hier auch von Ideen (ideae, idées): Wörter stehen für und bezeichnen Ideen. Bisweilen interpretiert er die (platonisch verstandenen) Ideen als ausgestattet mit allen einschlägigen platonischen Prädikaten wie dem der Unveränderlichkeit und der ewigen Wahrheit und damit als unabhängig vom Denken (cogitatio) endlicher Geister und, losgelöst von allen irdischen Kontexten, als von Gott »gedacht« vor der Schöpfung. 61 In anderen Fragekontexten wird dieser Gebrauch des Wortes (stillschweigend) abgelöst von einem moderneren, an Locke orientierten Gebrauch des englischen Wortes idea, wodurch sich der Bedeutungsakzent eher auf individual- oder auch sozialpsychologische Aspekte der Ideenbildung, des Wort- und des Begriffsgebrauchs verschiebt. Die innate ideas (idées innées), die Leibniz gegen Locke bekanntlich verteidigt,62 sind aber nicht die Locke’schen ideas, die als empirisch gewonnene Vorstellungen in arbiträr gesetzten Wörtern ausgedrückt werden, sondern betreffen allgemeine Formen des Verstandesdenkens. Der Verstand selbst ist angeboren, wie Leibniz gegen 59 Eine einschlägige Definition aus dem Jahr 1679 (?) formuliert: »Per Terminum non intelligo nomen sed conceptum seu id quod nomine significatur, possis et dicere notionem, ideam.« (A VI 4, 288 = C 243) 60 Vgl. C 528, dort zitiert in Anm. 57. 61 Umfassend wird dieses platonische Verständnis der Idee bei Leibniz dargestellt und auf eine Frühphase des Autors konzentriert in: Leibniz. Philosophical Papers and Letters, ed. by Leroy L. Loemker (Dordrecht 21969) 138; vgl. hierzu auch, kritisch weiterführend: Picon, Modum, a. a. O. [Anm. 58], 90; und vor allem Leibniz selbst: Quid sit idea? (A VI 4, 1369–1371) 62 Der locus classicus hierfür sind Leibniz’ NE, Buch I.

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Locke festhält, und damit die Fähigkeit des Denkens in Begriffen, das mit dem Anspruch auf Wahrheit verbunden ist. Nicht angeboren sind dessen immer auch empirisch (sinnlich) bedingte Inhalte. In diesem Sinn ist unser Geist (mens, mind) nach Leibniz keine tabula rasa. Aber hat Locke das je behauptet? 3. Was bezeichnen, wofür stehen die Namen der ersten oder ursprünglichen B ­ egriffe? Für Leibniz bleibt die Mathematik das Vorbild für alle Wissenschaft, wie bei Des­ cartes, Hobbes und Spinoza u. a. im 17. Jahrhundert. Die entia, insofern sie von uns erkannt werden (als res, ideae, conceptus etc.), stehen in festen Relationen zu anderen entia. Das zu zeigen und mit diesen Relationen erfolgreich zu operieren, gelingt aber auch in der Mathematik nur dann, wenn und insofern die Termini auf Definitionen, Axiome und Postulate zurückgeführt werden können und ihre Analyse nicht unendlich ist. Bei Erfahrungssätzen gelingt das – bekanntlich und ausdrücklich – nie vollständig, auch wenn es erfreulich oft bis auf Weiteres verbindlich gelingen mag. Diese Differenz ist nach Leibniz konstitutiv für die Differenz von Tatsachen- und Vernunftwahrheiten, die den endlichen menschlichen Verstand vom Verstand Gottes unterscheidet, der eine solche Einschränkung der Verstandeswahrheiten nicht kennt. Für Gott sind alle Wahrheiten Verstandesprodukte und Tatsachen, Ideen und Schöpfungen nicht nur zugleich, sondern in einem. Das Kompositum Verstandeswahrheit wäre für Gott ein Pleonasmus. Für alle menschliche Wahrheit, a fortiori für alle wissenschaftlichen Wahrheiten ist die grammatische Form des Urteils (propositio) vorausgesetzt. Es geht in der Wissenschaft immer um die Beurteilung von Fragen, was etwas ist, wobei für das Zeichen etwas ein beliebiges Wort-mit-Bedeutung, ein Begriff, eingesetzt werden kann und muss. Der Begriff fungiert als Interpretation »seines« (Wort-) Zeichens analog der Definition einer Chiffre (eines Buchstabens) in der algebraischen Notation. Damit er das kann, muss das zu interpretierende Wort verständlich sein (mehr noch: es muss verstanden sein!), es muss für etwas stehen, das für die Beteiligten unstrittig gegeben ist und mitgeteilt werden kann. Man kann das auch so ausdrücken: Ein verstandenes Sprachzeichen ist kulturell aufgeladen. Das ist eine weitere ›transzendentale‹ Bedingung der Möglichkeit des Urteilens, nicht was die Form, sondern was den Inhalt betrifft, eine semantische Bedingung der Möglichkeit des Urteilens. Sie greift, wenn ich irgendeine konkrete Frage der Form, was etwas ist, konkret zu beantworten unternehme und mich nicht mit der skeptischen Antwort begnügen will, dass prinzipiell die gegenteilige Bedeutung immer auch möglich wäre. Damit ist jeder Begriff, jedes Urteil, jede behauptete Wahrheit unvermeidlich kulturell aufgeladen; wir verstehen sie sonst nicht. Genau diese Bedingung ist es, die die strikte Arbitraritätsthese der Bedeutung von Wörtern unmöglich macht.63 Notwendig und in diesem Sinn errechenbar 63 Das

haben wenige Autoren so klar gesehen und artikuliert wie Picon in: Modum,

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(»calculemus!«) sind nur die streng geregelten Ableitungen (Deduktionen) aus gegebenen und verstandenen »ersten« Begriffen. Diese müssen allerdings, zumindest implizit oder virtuell, überzeugend definiert sein. Könnte ich nichts über sie sagen, sie nicht definieren, dann hätten sie keine Bedeutung, es wären keine Begriffe; unzureichend definiert, führen sie leicht in Widersprüche; zur Freude der Advokaten. Es ist nur konsequent, dass Leibniz den wichtigsten Teil seiner lebenslangen Bemühungen, Definitionstabellen zu erstellen, den ersten oder, wie er auch sagt, den primitiven Begriffen (notiones distinctae primitivae) widmet. Und es spricht für seine intellektuelle Redlichkeit, dass er diese Versuche, wenn nicht aufgibt, so doch ihren Anspruch entscheidend reduziert: Es geht bald nur noch um für uns erste Begriffe. Diese wohl begründete Reduktion eines hyperbolischen Anspruchs führt allerdings nicht in die Resignation. Vielmehr führt sie den Autor zu einer neuen Einsicht: Das Finden (inventio) und Definieren (iudicium) für uns einfacher – gegebener und unstrittiger – Begriffe bildet eine hinreichend sichere Grundlage (die erforderliche certitudo moralis) zur Erweiterung des menschlichen Wissens und zur Entdeckung neuer Wahrheiten und damit zum Fortschritt der Wissenschaft.64 Nichts anderes war sein ursprüngliches Ziel. 4. Wissenschaft unter Bedingungen menschlicher Endlichkeit Existierendes, warum es ist und nicht vielmehr nicht ist, sowie was und wie es ist, kann ich (als endlicher Verstand) wissenschaftlich nie letztgültig bestimmen. Aber ich darf, nach Leibniz, aus seiner dynamischen Wirklichkeit, die mir unter einem erfahrungsgesättigten und kommunikativ bewährten Wort gegeben ist, auf seine Möglichkeit (Realität, Widerspruchsfreiheit) schließen. Es hat den ihm gebührenden Platz in der dynamisch sich entfaltenden besten aller möglichen und als möglich beschriebenen Welten in der Zeit und für eine gewisse Zeit gefunden. Dazu ist erforderlich, dass seine Wirklichkeit gegeben ist und perspektivisch (d. h. für mich in kritischer Abgleichung mit anderen Perspektiven) verstanden wird. Interessant wird aus dieser neuen und von Leibniz nicht weiter ausgeführten Rea. a. O. [Anm. 58] 96: »[…] Leibniz held throughout his life a view that his confrontation with Locke occasioned him to articulate. Far from meaning ›in several men, different collections of simple ideas‹, as Locke contended (Essay III 3, 14), words signify by virtue of a historical, collective process: their significations are neither limited to nor measured by the meaning of individual speakers, but sum up evolutions that include the latest progress of knowledge made in a community.« 64 »… moralis certitudo non fundata est in sola inductione, … sed ex additione seu adminiculo harum propositionum universalium non ab inductione singularium, sed idea universali seu defintione terminorum pedentium« (Diss. Prael., a. a. O. [Anm. 42] A VI, 2, 431, zitiert in Picon: a. a. O. [Anm. 58] 88). – Die Autorin zieht aus solchen, näher die Rolle der Definition untersuchenden Analysen folgenden Schluss: »[…] the fundamental elements of science are nothing but the universal significations elaborated and transmitted through the history of languages« (ebd. 89).

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striktion die Frage, was es näher bedeutet, dass ein Begriff mir oder uns gegeben ist. Von wem und für wen? Für Leibniz ist hier die Wahrnehmung entscheidend. Das ist nicht zu bestreiten und darf nicht vergessen oder gar unterschlagen werden. Der Anstoß (excitatio) zu aller Erkenntnis kommt aus der Wahrnehmung. Doch was nehmen wir wahr? Zumindest seine Sprachstudien lehren ihn, dass unsere Wahr-nehmung – die Interpretation von sinnlichen Eindrücken als Eindrücke von etwas Bestimmtem – nicht bei allen Menschen gleich ist, wie Aristoteles voraussetzte. Sie ist jeweils anders gemeinsprachlich vorgeprägt und entsprechend kulturell imprägniert, und sie wandelt sich ständig.

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Leibniz als Sprachschöpfer Eine Einführung in seine Philosophie anhand seiner Neologismen Hubertus Busche ■ Abstract: Leibniz significantly enriched our philosophical language with around a hundred neo­ logisms. This paper commences with an exemplary overview of the encyclopaedic breadth of Leibniz’s neologisms. In its main part, it provides an introduction into Leibniz’s still unfamiliar intellectual world by elucidating the underlying concepts of eight of his most innovative linguistic coinages. These neologisms, either misunderstood in a notably high degree or inherently obscure, are explored in detail.

Leibniz hat die Philosophie nicht nur um zahlreiche große Gedanken bereichert, sondern auch um viele neue und fruchtbare Wortschöpfungen, und zwar in allen drei Sprachen, in denen er schrieb. Je nachdem, wie weit man den Begriff des Neologismus fasst, kommt man in Leibniz’ Œuvre auf bis zu 100 terminologische Innovationen in den unterschiedlichsten Disziplinen, von denen im Folgenden nur eine kleine Auswahl präsentiert werden kann. Zu ihnen zählen einerseits retrospektiv bilanzierende Formeln, wie z. B. für eine philosophiegeschichtlich recht alte Idee das principium rationis sufficientis (Satz vom zureichenden Grund: nihil est sine ratione) oder für die in der Biologie des 17. Jahrhunderts favorisierte preformation des Organismus in der Embryogenese oder das von der Sache her auch schon von Scholastikern abgelehnte vacuum formarum, d. h. eine noch über das physische Vakuum an Körpern hinausgehende Leere an Arten, deren Annahme gegen das ebenfalls erstmals von Leibniz formulierte Kontinuitätsgesetz (lex continuitatis) verstieße. Andererseits sprüht Leibniz auch vor neuen Bezeichnungen für seine eigenen wissenschaftlichen Projekte wie z. B. die Universalsprache, die er characteristica universalis, scriptura universalis, lingua universalis oder lingua rationalis nennt und die einer künftigen scientia generalis dienen soll. Die meisten Neologismen erfindet Leibniz jedoch für die eigenen Grundgedanken und Entdeckungen. So bringt er in der Erkenntnistheorie den Gegensatz zwischen notwendigen Vernunftwahrheiten und kontingenten Tatsachenwahrheiten unter die Terminologie der veritates rationis und veritates facti bzw. der verités de raison und verités de fait. Auch führt er das principium identitatis indiscernibilium oder principe d’identité des indescernables ein, dem zufolge alles, was sich in keiner Hinsicht unterscheiden lässt, als identisch anzusehen ist. Eine

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Verbindung zwischen Logik und Theologie stellt er her durch den Begriff einer notio completa (notion complete), die Gott von jedem Individuum hat und die folglich eine notio individualis (notion individuelle) ist. In der Theologie bringt Leibniz ältere Unterscheidungen auf die neue Gegensatzformel Reich der Gnade (regnum gratiae, règne de la grâce) und Reich der Natur (regnum naturae, règne de la nature). In der Philosophie des Geistes ist Leibniz der Erste überhaupt, der den Unterschied zwischen Geist und Körper auch durch ein temporales Kriterium definiert und jeden Körper als einen Augenblicksgeist (mens momentanea, mens instantanea) versteht. Auch prägt er den bis heute verteidigten parallelisme zwischen Mentalem und Physischem. In der Physik kannte man vor Leibniz weder einen motus conspirans noch eine lex aequilibrii. Die Mathematik hat Leibniz u. a. durch die Fachausdrücke Funktion (functio), calculus differentialis und infinitesimal bereichert. Auch verdanken wir ihm die für die Computerprogrammierung unverzichtbare Arithmétique Binaire. In der Rechtsphilosophie hat er z. B. die deontische Logik entdeckt, der zufolge den logischen Modalbegriffen notwendig, möglich, unmöglich und kontingent die rechtlich-moralischen Prädikate geboten, erlaubt, verboten und je nach Umständen freigestellt korrespondieren; diese nannte er modalia juris. Die deutsche Sprache schließlich hat Leibniz um den Terminus Weltbild bereichert, das jede Monade sich aus ihrem zentralperspektivischen Augenpunct (point de vue) heraus durch Abstraktionen bildet. Manchmal muten Leibniz’ Neologismen eigenwillig an, z. B. wenn er Gott als Existentificans bezeichnet, d. h. als den die endlichen Dinge zu ihrer Existenz Bringenden, und entsprechend das Streben aller möglichen Dinge nach Verwirklichung Existiturire nennt. Auch gibt es zwar im Lateinischen zum einen die deitas oder Göttlichkeit, zum anderen den deunculus oder das Götterlein. Doch erst Leibniz prägt die deunculeitas, d. h. das Ein-kleiner-Gott-Sein, um damit den Menschen angesichts seiner Gottebenbildlichkeit als einen petit Dieu aufzu­ werten. Es gibt aber auch Termini, die oft fälschlich für Leibniz’sche Neologismen gehalten werden. Dass seine Monade eine bloße Übersetzung des griechischen μονάς ist, hat Leibniz mehrfach betont. (Allerdings sind seine Spezifikationen wie monade centrale oder monas dominatrix durchaus neue Schöpfungen.) Auch hat Leibniz zwar eine originelle Hypothese vom vinculum substantiale entworfen, doch geht dieser Ausdruck auf die spanische Spätscholastik zurück, insbesondere auf Francesco Suárez. Ähnliches gilt für das vom frühen Leibniz vertretene Konzept des flos substantiae – eine Formel, die er u. a. bei Pierre Gassendi fand. Da die Prägung neuer Worte grundsätzlich eine gewisse Unzulänglichkeit existierender Terminologien bezeugt und die neuen Worte meistens Ausdruck neuer Gedanken sind, lohnt es sich, diejenigen von Leibniz’ Neologismen ausführlicher zu beleuchten, die entweder in besonders hohem Grad missverstanden wurden oder besonders dunkel sind und der Klärung bedürfen. Die Erläuterungen dürf-

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ten zumal für die mit Leibniz’ Philosophie noch Unvertrauten eine geeignete Einführung in seine ungewohnt neue Gedankenwelt sein. Dass die Neologismen im Folgenden alphabetisch geordnet sind, hindert nicht, dass die Lektüre des kleinen Glossars prinzipiell überall ein- oder absetzen kann. Am zweckmäßigsten ist es jedoch, bei Prästabilierte Harmonie und point metaphysique zu beginnen.

I. Analogum animae Mit dem Wort Seele (ψυχή, anima) verbindet sich eine lange und komplexe Begriffsgeschichte. Meistens bezeichnet es eine Leben, Bewegung und Aktivität verleihende Kraft. Weil Leibniz die Seele mit dem Licht in Verbindung bringt, das Licht aber gemäß seiner Prästabilierten Harmonie (s. d.) überall ist, weil seine spezifische Materie, der Äther, alle Körper wie ein Strom durchdringt, ist es nur konsequent, dass er auch den leblosen Körpern Tätigkeiten innewohnen lässt, die eine Ähnlichkeit mit den üblicherweise »Seelen« genannten Prinzipien haben. Daraus folgt, »dass es eine Art Perzeption und Strebung auch in den Pflanzen gibt, aufgrund jener großen Analogie, die zwischen Pflanzen und Tieren besteht« (NE II, IX, § 11, A VI 6, 139). Leibniz’ Wortschöpfung Analogon der Seele bezeichnet daher ein seelenähnliches Prinzip in allen Dingen. In der Hierarchie der Monaden bildet es die unterste Stufe. Die höchste Stufe der Monaden bilden die Geister (les esprits), d. h. vernunftbegabten Seelen, die, wie beim Menschen, der gedanklichen Selbstreflexion und des Ich-Bewusstseins fähig sind. Sind Monaden bloß der Wahrnehmung und des Gedächtnisses fähig, wie im Körper von Tieren, heißen sie Seelen (les âmes). Die unterste Stufe bilden die bloßen Entelechien, d. h. ursprüngliche, nicht auf mechanische Kräfte zurückführbare Zentren spontaner Aktivität in Pflanzen oder anorganischen Körpern. Da diese Kraftzentren kein Bewusstsein ausbilden, kann ihnen jene Perzeption, die allen Monaden eigentümlich ist, nur der Analogie nach zugeschrieben werden; deshalb nennt Leibniz sie analoga der Seele oder spricht – weil sie nicht in einen Organismus mit Sensorien eingekleidet ist – von einer »nackten Monade« (An Bierling, 12.08.1711, GP VII 502), aber auch von einer »Form, die der Seele analog ist (forma animae analoga)« (De ipsa natura, GP IV 512). Die beste Erläuterung der Hierarchie der Monaden mit der untersten Stufe der »völlig nackten Monaden (Monades toutes nues)« findet sich in M 19–30 (GP VI 610–612).

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II. Apperzeption Mit diesem Neologismus erweitert Leibniz die reichhaltige Begriffsgeschichte der perceptio, die vom Einsammeln von Früchten (Cicero) und vom Aufnehmen des Bewegungsimpulses eines anderen Körpers (Francis Bacon) bis hin zum Erfassen von Gehalten in der sinnlichen Wahrnehmung (so bei den Stoikern) reicht. Während das französische Verb apercevoir bereits Anfang des 12. Jh. belegt ist, prägt Leibniz das französische Substantiv l’apperception und das lateinische apperceptio, um hiermit die bewusste oder sogar die mit der Aufmerksamkeit auf die eigene Tätigkeit verknüpfte Wahrnehmung zu bezeichnen. Leibniz zieht nämlich wichtige Folgerungen aus der Beobachtung, dass unser Leib mit seinen Sensorien ständig von einer Fülle von Sinneseindrücken affiziert wird, von denen uns nur die wenigsten bewusst werden. Die meisten dieser Wahrnehmungen bleiben petites perceptions (s. d.), die zu schwach sind, um die Reizschwelle zu überschreiten, wie z. B. leise Geräusche, entfernte Gerüche oder minimale Helligkeitsschwankungen, die zwar die Ohren, Nase und Augen tangieren, aber nicht zu Bewusstsein kommen. Entsprechend seiner philosophischen Kernhypothese der Monade, die er als energetisches Zentrum einer Lichtsphäre konzipiert, gelangen solche Informationen der Außenwelt zwar in diese Sphäre, nicht jedoch an deren Mittelpunkt (s. u. das Schema zu point metaphysique). Im Gegensatz hierzu kann apperceptio alles dasjenige genannt werden, was von außen zum Mittelpunkt hingelangt (ad-perceptio) und zum psychisch bewussten Gehalt wird. Entsprechend unterscheidet Leibniz »la perception« als »l’état interieur de la Monade représentant les choses externes« von »l’Apperception, qui est la Conscience, ou la connoissance reflexive de cet état intérieur« (P 4, GP VI 600). Das Zitat zeigt, dass die Apperzeption ihrerseits Grade hat und vom bloßen Bewusstsein (conscience) (z. B. das Sehen leuchtender Farben) über das reflexive Aufmerken (connaissance reflexive) auf die Farben (z. B. ›welch ein leuchtendes Rot!‹) bis hin zur Aufmerksamkeit auf mich als den Wahrnehmenden (z. B. ›nie zuvor habe ich ein solches leuchtendes Rot gesehen!‹) reicht. Wenn Leibniz also die »Perzeption« definiert als »den vorübergehenden Zustand, der eine Vielheit in der Einheit einschließt und repräsentiert«, die »Apperzeption« dagegen als »das Bewusstsein (la conscience)« dieses Zustandes (M 14, GP VI 608), so hat er hier stets unterschiedliche Stufen des Bewusstseins vor Augen. Dass er ausdrücklich auch den Tieren niedere Stufen von Apperzeption zuschreibt, nämlich »die Fähigkeit, merklichere und voneinander unterschiedene Eindrücke bewusst wahrzunehmen (s’appercevoir)« (NE II 21, § 5, A VI 6, 173), ist hauptsächlich gegen die Cartesianer gerichtet. Diese begingen nicht nur den »Fehler«, »Wahrnehmungen, derer man sich nicht bewusst ist (perceptions dont on ne s’apperçoit pas)«, »nicht in Betracht zu ziehen«, sondern gingen sogar so weit, dass sie den Tieren die Seele und »die Empfindung absprachen« (P 4, GP VI 600; ähnlich M 14, ebd. 608 f.).

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III. Automate incorporel/immateriel Aristoteles hatte die physiologische Kettenreaktion, die bei der Umsetzung seelischer Strebungen in eine Körperbewegung ausgelöst wird, mit den »Automaten« der antiken Theaterspielzeuge verglichen (De motu animalium 7, 701 b 2). Vermutlich hatte Spinoza diese Stelle im Sinn, als er behauptete, die Alten hätten wie die Modernen angenommen, dass die Seele »nach gewissen Gesetzmäßigkeiten« wirkt und »quasi aliquod automa [sic] spirituale« sei (De intellectus emendatione, in: Opera, hg. v. C. Gerhardt, II 32). Leibniz, der diese Spinoza-Stelle kannte, variiert dessen Stichwort und verknüpft damit ein elaboriertes Konzept, zum einen für die Fähigkeit des Geistes, unter mehreren Handlungsoptionen die jeweils beste zu ermitteln und handlungsproduktiv werden zu lassen, zum anderen für die seelische Fähigkeit, Eindrücke der Außenwelt zentralperspektivisch zu repräsentieren. Das griechische Substantiv automaton bezeichnet ursprünglich eine Maschine, die sich (scheinbar) von selbst bewegt. Leibniz nennt nun die Monaden bzw. die den Monaden inhärierenden Seelen selbst »Automates incorporels« (M 18, GP VI 609 f.) oder »automates spirituels« (T III 403, GP V 356), die einzelne Monade auch »un Automate immaterielle« (Eclaircissement des difficultés de Monsieur Bayle, GP IV 522) oder »Automate spirituel« (SN, GP IV 485). Nach Leibniz’ metaphysischer Hypothese ist die Monade nämlich ein »metaphysischer Punkt (point metaphysique, s. d.)« (SN, GP IV 482 f.), d. h. das energetische Zentrum einer Lichtsphäre, das durch ständige »Fulgurationen«, d. h. Ausblitzungen Gottes, aus ihrem mathematischen Mittelpunkt heraus zahllose Winkel in den physischen Punkt ihrer Lichtsphäre aufspannt. Durch diese winkelbildende Struktur können Monaden zum einen extroverse Radien in ihrer Lichtsphäre initiieren und hierdurch mittelbar Handlungen des sie umgebenden Leibes verursachen, zum anderen die Sinneseindrücke der körperlichen Sensorien, die sich als introverse Radien in ihre Lichtsphäre fortpflanzen, exakt repräsentieren und insofern »lebendige Spiegel des Universums« sein (M 83, GP VI 621, und 56, ebd. 616). Der handlungsproduktive Automatismus kann hier aus Platzgründen nicht erläutert werden, der außenweltrepräsentierende (s. o. Apperzeption) dagegen immerhin in Grundzügen. Leibniz versteht die Seele, d. h. den mathematischen Mittelpunkt, der einer aus extroversen Winkeln bestehenden Monade inhärent ist, »wie einen immateriellen Automaten«, weil »seine innere Konstitution eine Konzentration oder Repräsentation eines materiellen Automaten ist« (Extrait de Dictionnaire de M. Bayle article Rorarius, GP IV 548 f.). Der materielle Automat, den Leibniz hier nennt, besteht sowohl aus den äußeren Sensorien wie Augen oder Ohren, welche die Sinneseindrücke in die Lichtsphäre fortpflanzen, in der die perzipierende Monade inkarniert ist, als auch aus den introversen Radien der Lichtsphäre selbst. »Dass die Natur den Tieren bestimmte hervorgehobene Perzeptionen verliehen hat«, er-

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kennen wir daran, dass sie an ihrem Leib »für Organe gesorgt hat, die eine Menge von Lichtstrahlen und Luftschwingungen bündeln«, so dass »die Vorgänge in der Seele das Geschehen in den Organen repräsentieren« (M 25, GP VI 611). Daher gibt es nicht nur einen »Körper, der einer Monade zugehört« und zusammen mit ihr »das Lebewesen konstituiert«; vielmehr wird auch »gemäß« diesem Leib und seinen Sinnesorganen »das Universum in der Seele repräsentiert« (M 63, ebd. 618). Die Monade hat demnach die Fähigkeit, kraft ihrer extroversen Winkel die Informationsradien der Außenwelt, die sich in den introversen Winkeln ihrer Lichtsphäre bündeln, zu kopieren oder abzubilden. Das folgende Schema visualisiert diesen Automatismus der Außenweltrepräsentation: Leibniz fasst denjenigen Teil des Automatismus, der durch die introversen Winkel gebildet wird, folgendermaßen zusammen: »Denn die Einfachheit der Substanz [Monade] hindert keineswegs die Vielheit verschiedener Zustände, die sich in dieser einfachen Substanz selbst zusammenfinden und in der Vielfalt ihrer Beziehungen zu den äußeren Dingen bestehen müssen. Das ist wie bei einem Zentrum oder Punkt, in dem – so einfach er auch ist –, sich eine unendliche Anzahl von Winkeln findet, die durch die in ihm zusammenlaufenden Linien gebildet warden« (P 2, GP VI 598). Was in diesem Zitat nur angedeutet wird, ist der spirituelle Automat selbst, der darin besteht, dass der spontane Mittelpunkt kraft seiner extroversen Winkel jene Winkel kopiert oder abbildet, in der sich die von außen kommenden Lichtradien bündeln. Die Berechtigung, diese Abspiegelungstätigkeit einen Automaten zu nennen, besteht darin, dass die genannten Prozesse automatisch oder selbsttätig – wenngleich durch Gottes kontinuierliche Mitteilung seiner »Energie« (Addition à l’explication du système nouveau, GP IV 588) – erfolgen und weder vom Willen des Individuums abhängen noch von den Wirkungen der Außenwelt. Weil die Monade reine Tätigkeit in Gestalt ihrer ständig erzeugten extroversen Winkel ist, kann strenggenommen bei ihrem Repräsentieren der Außenwelt nichts von außen »in sie hineingelangen«; sie hat nach Leibniz’ berühmter Metapher »keine Fenster« (M 7, GP VI 607 f.) oder »Türen« (D 26, A VI 4, 1570 f.). Sinnliches Repräsentieren oder Wahrnehmen ist daher kein mechanisches Beeinflusstwerden durch äußere Körper, sondern ein spontanes Übersetzen der von außen kommenden Sinneseindrücke in seelische Perzeptionen. »Das Wirken der spirituellen Automaten, d. h. der Seelen, ist nicht mechanisch, enthält jedoch im höchsten Maße dasjenige, was in der Mechanik so schön ist: Die Bewegungen, die sich in den Körpern entwickeln, werden in der Seele durch Repräsentation

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konzentriert wie in einer ideellen Welt, welche die Gesetze der realen Welt und ihrer Ereignisketten zum Ausdruck bringt« (T III 403, GP VI 356). Dass Leibniz hier von einem »spirituellen« Automaten spricht, erklärt sich daraus, dass er die spezifische Materie, in denen jede Monade inkarniert ist, mit dem Lichtäther identifiziert, diesen Lichtäther aber als »spiritus universalis« auffasst (Elementa juris naturalis, A VI 1, 480). Dass die winkelbildende Tätigkeit der Monade, durch welche die von außen kommenden Radien abgebildet werden, als »Automate immaterielle« bezeichnet wird (Eclaircissement des difficultés de Monsieur Bayle, GP IV 522), mag zunächst befremden, erklärt sich aber aus der Erläuterung, dass die Monaden nicht wirklich frei von jeder Materialität sind, sondern »dass sie mehr als bloße Materie sind und dass sie durch die Veränderungen, welche die Materie erleidet, weder erzeugt noch zerstört werden« (Lettre touchant ce qui est independant des sens et de la matiere, GP VI 506). Viel angemessener ist es daher, wenn Leibniz die Monaden als »Automates incorporels« bezeichnet, da sie die »Quellen ihrer inneren Tätigkeiten« sind, während bloße Körper träge und ohne solche Tätigkeiten sind (M 18, GP VI 609 f.). Mit seiner unglaublich elaborierten Konzeption und ihrer provokanten Bezeichnung will Leibniz betonen, dass einerseits »die Seele ein Echo der äußeren Dinge« ist und folglich ihr Repräsentieren auf inputs von außen angewiesen ist, andererseits aber aufgrund ihrer allein von innen durch Gott verliehenen Aktivität »von den äußeren Dingen unabhängig« (an des Bosses, 29. Mai 1716, GP II 517). »Alles muss ihr [der Seele] aus ihrem eigenen Grunde kommen wegen einer vollkommenen Spontaneität bezüglich ihrer selbst, und doch mit einer vollkommenen Übereinstimmung mit den Dingen außerhalb« (SN, GP IV 484).

IV. Beste aller möglichen Welten Die berühmt berüchtigten Wendungen, die von Gott geschaffene Welt sei »le meilleur (optimum) parmy tous les mondes possibles« (T I, § 8, GP VI 107) oder »entre une infinité de mondes possibles […] le meilleur de tous« (T III, § 416, GP VI 364) oder »ex infinitis mundis possibilibus optimum« (an des Bosses, 12. September 1708, GP II 359) stammen von Leibniz, auch wenn dieser Gedanke auf die spanische Spätscholastik zurückgeht. Seit Voltaires Candide ist unermesslicher Spott, aber auch flammende Empörung über dieses Lehrstück vergossen worden, denn man missverstand es als eine Aussage über den status quo der menschlichen Sozialsphäre und folglich als Symptom eines »ruchlosen« Optimismus (Schopenhauer) in sozialer oder ethischer Hinsicht. Leibniz’ Beschreibung des mundus optimus ist jedoch gar kein sozial- oder geschichtsdiagnostisches Theorem, dem zufolge auf Erden alles Friede, Freude und Sonnenschein wäre, sondern vielmehr ein kosmologisches Konzept, das die Struktur des Universums im Ganzen

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betrifft, wie sie allein Gegenstand einer göttlichen Wahl sein konnte. Leibniz beansprucht keineswegs, das Lehrstück rein aus der Vernunft abzuleiten. Vielmehr folgt es für ihn aus den Prämissen des christlichen Glaubens, dem zufolge die Schöpfung das Resultat einer rationalen Wahl durch den allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott ist. Da Gott weder mit dem Willkürgott des theologischen Voluntarismus noch mit der aus blinder Notwendigkeit produzierenden göttlichen Substanz Spinozas gleichgesetzt werden dürfe, müsse es eine unmittelbare Folge von Gottes gütigem Willen in eins mit seiner Weisheit gewesen sein, aus der Unendlichkeit möglicher Welten, die er ebenfalls hätte schaffen können, gerade »die beste« ausgewählt und erschaffen zu haben. Die inhaltliche Auswahl der bestmöglichen Welt muss nach Leibniz’ Interpretation der Schöpfungslehre durch zwei gegensätzliche Prinzipien erfolgt sein: Gottes Güte (Liebe) konnte nur auf die größtmögliche Fülle an geschöpflichem Seienden gerichtet sein, dem die Existenz geschenkt werden sollte. Gottes Weisheit dagegen konnte nur die größtmögliche Ordnung und Effizienz bei Gestaltung und Erhaltung dieser Vielfalt intendieren. Folglich sind die beiden Optimalitätskriterien, nach denen Gott die beste aller prinzipiell möglichen Welten auswählt und erschafft, einerseits das Prinzip der Fruchtbarkeit, dem zufolge die größtmögliche Vielfalt an Arten und Individuen zu realisieren ist, andererseits das Ökonomieprinzip, dem zufolge ein erstrebter Zweck mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Prinzipien, Kräften und Gesetzen verwirklicht sein muss. Der Knappheit an Prinzipien korrespondiert der Reichtum an Seiendem. Demnach muss das Universum einerseits die »größtmögliche Mannigfaltigkeit (la plus grande varieté)« enthalten, andererseits die »größtmögliche Ordnung (le plus grand ordre)« (P 10, GP VI 603; M 58, GP VI 616). Anders gesagt muss es einerseits größte »Fruchtbarkeit (fécondité)«, andererseits größte »Einfachheit (simplicité)« aufweisen (T II, § 208, GP VI 241; II, § 211, ebd. 244; II, § 204, ebd. 238; auch GP I 360). Es muss »die einfachste an Voraussetzungen und zugleich die reichhaltigste an Phänomenen« sein (D 6, A VI 4, 1538). Da mit dieser Welt ein Maximum an Wirkung durch ein Minimum an Aufwand erzeugt wird, herrschen in ihr Extremalprinzipien, die der Mini-Max-Logik gehorchen: »Immer nämlich gibt es in den Dingen ein Prinzip ihrer Bestimmung, das aus dem Maximum bzw. Minimum aufzusuchen ist, nämlich dass die größte Wirkung sozusagen mit dem kleinsten Aufwand geleistet wird« (De rerum originatione radicali, GP VII 303; ähnlich T I, § 8, GP VI 107; ebd. II, § 208, GP VI 241). Ähnlich wie man unter mehreren Häusern eines als »das beste« auszeichnen kann, »das bei gleichem Kostenaufwand hat hergestellt werden können« (T II, § 208, GP VI 241), so lässt sich auch der »bestmögliche Plan« der Welt als derjenige ermitteln, »bei dem es die größte Vielfalt zusammen mit der größten Ordnung gab, bei dem mit Raum, Platz und Zeit am besten gewirtschaftet wurde, so dass die größte Wirkung mit den einfachsten Mitteln erzielt« wurde (P 10, GP VI 603).

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Zu diesen beiden höchsten Auswahlkriterien der Knappheit und des Reichtums verhält sich ein drittes Kriterium eher wie ein Implikat oder Mittel: Da die bestmögliche Welt nicht die bestwünschbare oder besterträumbare Welt sein kann, sondern die bestmögliche sein muss, kann diejenige Welt, in der die größtmögliche Fülle an Existenzmöglichkeiten realisiert ist, dieses Maximum nicht von Anfang an oder auf einen Schlag entfalten, sondern muss selbst in einem Vervollkommnungsfortschritt begriffen sein. Hierbei dient sogar die Zerstörung der Körper und der Tod der Individuen im Ganzen der Maximierung von Existenz und Vielfalt. Obwohl mit der Unendlichkeit geschaffener Monaden bereits alle substantiellen Wesen von Anbeginn präsent sind, erwachen diese, in Korrelation zu ihrem zugehörigen Organismus, erst nach und nach zu Bewusstsein und entfalten ihre schlummernden Möglichkeiten im Verlaufe der Zeit (De rerum originatione radicali, GP VII 308). Aus der Perfektibilität der Welt folgt aber, dass die bestmögliche Welt nicht auf den gegenwärtigen Weltzustand reduziert werden kann, sondern die gesamte uns unbekannte Serie aller vergangenen und künftigen Ereignisse mit umfassen muss. Hieraus folgt wiederum, dass sich die beste aller möglichen Welten nicht am Maßstab von uns Menschen bemisst, schon gar nicht von uns heutigen, sondern dass sie auf das umfassende Gute für sämtliche Geschöpfe aller Zeiten geht. Das bedeutet, dass »die ganze Folge der Dinge bis ins Unendliche die bestmögliche ist, obgleich das, was in jedem einzelnen Zeit­abschnitt im ganzen Universum besteht, nicht das Beste ist« (T II, § 202, GP VI 237).

V. Petites perceptions Leibniz’ vor allem in den Nouveaux Essais dargelegte »Lehre von den Perzeptionen, die zu klein sind, um wahrgenommen zu werden« (NE, A VI 6, 164), d. h. von den kleinen Perzeptionen, spielt eine große Rolle in seiner Erkenntnistheorie, und zwar an zwei systematischen Orten. Zum einen werden unsere Sinnesorgane zwar häufig von zahllosen optischen, akustischen oder olfaktorischen Eindrücken affiziert, doch werden nur die wenigsten davon zu bewusst erlebten Wahrnehmungen. Sie bleiben Perzeptionen ohne »Apperzeption« (s. d.). »Wir sind niemals ohne Perzeptionen, doch es ist notwendig, dass wir oft ohne bewusste Wahrnehmungen (sans apperceptions) sind«. Wir haben »immer eine unendliche Zahl kleiner Perzeptionen (une infinité de petites perceptions)« (ebd. 161 f.), und zwar auch »im Schlaf« (ebd. 112). Die Unbewusstheit vieler Perzeptionen ist nicht immer physiologisch mit der Schwäche des Reizimpulses zu erklären, sondern ist oft auch ein psychologisches Produkt, und zwar teils wegen der Selektivität unseres Bewusstseins, »weil unsere Aufmerksamkeit durch andere Objekte gefesselt ist« (ebd. 115), teils wegen der Verdrängung oder Ausblendung infolge abstumpfen-

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der Gewohnheit. So nehmen z. B. »diejenigen, die nahe bei einer Mühle wohnen, das Geräusch nicht wahr, das sie erzeugt« (ebd. 116). Die »petites perceptions insensibles« treten aber nicht nur bei den außenweltbezogenen Wahrnehmungen auf, sondern auch bei den Empfindungen für den eigenen Körper sowie bei den eigenen Empfindungszuständen hinsichtlich Lust und Unlust; deshalb haben wir z. B. gewissermaßen auch »nicht wahrnehmbare Schmerzen (douleurs inapperceptibles)« (ebd. 188). Auch haben wir für unsere »Blutzirkulation und alle inneren Bewegungen der Eingeweide keine Apperzeption« (ebd. 116). Die Un- oder Halbbewusstheit betrifft sogar auch unsere Begriffe, denn »wir sind ebensowenig fähig, das ganze Spiel unseres Geistes und seiner oft unmerklichen und konfusen Gedanken zu apperzipieren« (ebd. 178). »Wir beachten […] nur die Gedanken, die am meisten unterschieden sind. Anders ginge die Sache auch nicht, denn wenn wir auf alles achten würden, so müsste man mit Aufmerksamkeit an unendlich viele Dinge gleichzeitig denken« (ebd. 113). Die Unbewusstheit der meisten Wahrnehmungen ist von biologischer bzw. psychologischer Zweckmäßigkeit, damit wir »nicht durch eine zu deutliche Empfindung einer Menge von Gegenständen belästigt werden«. »Wie viele Insekten verschlucken wir nicht, ohne dessen gewahr zu werden; wie viele Personen sehen wir, die einen zu feinen Geruchssinn haben und dadurch belästigt werden; und wie viele abscheuliche Gegenstände würden wir sehen, wenn unser Blick durchdringend genug wäre!« (ebd. 165). Zum anderen spielen die »kleinen Perzeptionen« in Leibniz’ Theorie der sinnlichen Wahrnehmung auch dort eine Rolle, wo sie nicht unbewusste, sondern bewusste Perzeptionen bezeichnen, die allerdings nur im Verbund mit anderen kleinen auftreten. Leibniz teilt mit Spinoza die Ansicht, dass nur intellektuelle Gedanken wirklich »deutlich (distinkt)« sein können, dass dagegen alle Bewusstseinsgehalte, »die von den Sinnen kommen, konfus sind« (ebd. 81). Seit Kant hat man diese These oft dahingehend missverstanden, dass die Sinnlichkeit »nur eine verworrene Vorstellungsart« sei und »keine eigene Art der Anschauung« besitze, sondern bloß »das verächtliche Geschäft« betreibe, die Vorstellungen des Verstandes als des einzigen Erkenntnisvermögens »zu verwirren und zu verunstalten« (Kritik der reinen Vernunft, B 326, 332). Eine solch abstruse Auffassung liegt Leibniz jedoch völlig fern. Die Konfusheit, die er allen sinnlichen Wahrnehmungen zuspricht, meint gar nicht eine Verworrenheit, welche die Sinne in eine vom Verstand wohlgeordnete Vorstellungswelt brächten, sondern nur die grundsätzliche Verschwommenheit, die den Sinneswahrnehmungen zu eigen ist, weil sie die einzelnen Faktoren der Schall- oder Lichtprozesse nicht bis ins Kleinste auflösen können. So perzipieren wir z. B. beim Meeresrauschen zwar das »Gesamtgeräusch«, können aber nicht »die besonderen Geräusche einer jeden Welle« unterscheiden (P 13, GP VI 604). »Die Perzeption des Lichtes und der Farbe zum Beispiel ist aus einer Menge kleiner Perzeptionen zusammengesetzt, derer

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wir uns bewusstwerden, und ein Geräusch, das wir zwar perzipieren, auf das wir aber nicht aufmerksam werden, vermag wahrnehmbar (apperceptible) zu werden durch eine kleine Hinzufügung oder Vermehrung« der akustischen Reize (NE, A VI 6, 134). Selbst jene Wahrnehmungsgrößen, die in der aristotelischen Tradition die »gemeinsamen« und seit Galilei die »primären Qualitäten« heißen und sich im Sinne Descartes’ klar und deutlich vor Augen stellen, wie ausgedehnte Größe, Figur oder Bewegung, haben prinzipiell diese Verschwommenheit, weil unser visueller Apparat die Struktur der Partikel eines Körpers nicht bis ins Einzelne auflösen kann. »Wie jede deutliche Perzeption der Seele eine unendliche Anzahl konfuser Perzeptionen enthält, die das ganze Universum einschließen, so erkennt die Seele die Dinge, die sie wahrnimmt, nur soweit, wie diese Perzeptionen deutlich und von anderen abgehoben sind« (P 13, GP VI 604). Die »kleinen Perzeptionen« sind also »von größerer Wirksamkeit«, weil sie gemeinsam Phänomene erzeugen, »die in ihrem Verbund klar, in ihren Teilen aber verschwommen (confuses) sind«. Auch sind gerade sie es, welche die Identität der Persönlichkeit »konstituieren«, indem sie die »Spuren« der »vorhergehenden Zustände dieses Individuums aufbewahren« (NE, A VI 6, 54 f.).

VI. Point metaphysique Bevor Leibniz erstmals 1696 Monade terminologisch verwendete, hat er den von ihm hypothetisch postulierten Einheiten zahlreiche Neologismen verliehen. Er nannte sie z. B. einen »beseelten Punkt (point animé)« (GP IV 478) oder, in Analogie zur Weltkugel, eine »kleine Welt (petit monde)« (GP IV 441), eine »eigene Welt (mundus proprius)« (GP II 436), eine »abgetrennte Welt (mundus separatus)« (GP II 444, GP IV 439), eine »konzentrierte Welt (mundus concentratus)« (GP II 252) oder eine »concentration de l’univers« (GP IV 553). Auch charakterisierte er die Monaden als »metaphysische Atome (Atomi Metaphysicae)« (GP II 336; GP VII 529), als »substantielle Atome (Atomes de substances)« (GP IV 482; ähnlich 511) und eben auch als »metaphysische Punkte (points metaphysiques)« (GP IV 482 f.). Dieser Punkt ist nicht etwa metaphorisch gemeint, sondern streng wörtlich zu verstehen, denn er gehört nach Leibniz zu der wahren Wirklichkeit und zu den letzten »Geheimnissen der Dinge (arcana rerum)« (A VI 1, 535). Schon 1663, also mit 17 Jahren, hat er den menschlichen Geist als eine im Gehirn lokalisierte winzige Sphäre mit einem aktiven Mittelpunkt aufgefasst. Diese Urfassung der Monadenkonzeption (A VI 1, 53–60), von Leibniz durch ein Schema visualisiert, wurde in der nachfolgenden Abbildung durch Stichworte erläutert.

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obj ectum extern um Abb. 1 : Das erläuterte Leib-Seele-Pentagon

Nach diesem Konzept kann der im Mittelpunkt e lokalisierte Geist einerseits in rezeptiver, introverser Richtung die Sinneseindrücke der ihn umgebenden Körper empfangen, wieaber Leibniz am visuellen Beispielbereits mit der Einfallslinie f-g-h-k-e lischen Ethik, nachdas Leibniz' Einschätzung »more Mathematico« schematisiert Der rezipierende e, den mitgeometrische der Seele gleichin einzelnen hat. Etappen erklärt (A VI Punkt 1, 53, 10 u. 21Leibniz f.).91 Die Fi­ setzt, ist also zugleich auch der »point de vue«, in dem die später so genannte gur integriert alle 1 7 Schritte, mit denen Thomasius den Prozeß von der Af­ Monade abbildet (M 57, GP 616). Daher sich fektion die derWelt Sinneperspektivisch über die Selbstbestimmung des VI Willens bis hin»verhält zur Aus­ jeder Geist wie ein Spiegel« Handlung bzw. ist »gleichsam eine Welt in einem […], übung einer vorsätzlichen beschreibt. Auf diese Weise Spiegel übersetzt der die Strahlen der aristotelische sichtbaren Dinge sammelt«in (Elementa juris naturalis, A VI 1, Leibniz die ganze Psychologie zeitgenössische Physiologie. 464, Falls die von Radien zum die Perzeptionszentrum vordringen, kommt es »Denicht anima