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German Pages 236 Year 2018
Ralf Liptau Architekturen bilden
Architekturen | Band 49
Ralf Liptau, geb. 1985, lehrt Architektur- und Kunstgeschichte an der Technischen Universität Wien. 2014 bis 2017 war er Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg »Das Wissen der Künste« der Universität der Künste Berlin. Zuvor studierte er Kunstgeschichte, deutsche Philologie und Geschichte in Berlin und Paris. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Theorien des Entwerfens und Fragen des Umgangs mit gebauter Substanz in kulturwissenschaftlicher Perspektive.
Ralf Liptau
Architekturen bilden Das Modell in Entwurfsprozessen der Nachkriegsmoderne
Die Publikation wurde ermöglicht durch den Exzellenzcluster »Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor« der Humboldt-Universität zu Berlin (Fördernr. EXC 1027/1) und die finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative. Sie wurde zudem unterstützt durch Mittel des DFG-Graduiertenkollegs »Das Wissen der Künste« der Universität der Künste Berlin und das Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege der Technischen Universität Wien.
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Inhalt
1.
Architekturen bilden. Eine Einleitung | 7
2. Maßstabssprünge: Montagebauten und Riesenskulpturen | 29 2.1 2.2
Allansichtigkeit, Maßstäblichkeit: Der Bau als ‚Objekt‘ | 30 Architektur und bildende Kunst: Der Bau als Skulptur | 41
3.
Das Entwurfsmodell | 49
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4
Knetmodelle | 50 Rolf Gutbrod: Waldorfschule Stuttgart | 51 Carlfried Mutschler: Saalbau Mannheim, Gemeindezentrum Mannheim-Sandhofen | 60 Josef Rikus/Heinz Buchmann: Kirche der katholischen Hochschulgemeinde Köln | 65 Paul Schneider-Esleben: St. Rochus und St. Albertus Magnus, Düsseldorf | 68
3.2 Würfelmodelle | 75 3.2.1 Bauabteilung Neue Heimat: Studienmodelle | 76 3.2.2 Justus Herrenberger: Schulzentrum Stöckheim | 84 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5
Die Epistemik des Entwurfsmodells | 91 Implizites Wissen | 94 Prozessgebundenheit | 105 Das Modell als Experimentalsystem | 111 Netzwerke und agencies | 115 Entwerfen und Spiel | 122
4.
Das Prüfmodell | 127
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3
Anatomie, Hülle, Raum | 130 Egon Eiermann: Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin | 131 Rolf Gutbrod: Uniforum Köln | 142 Candilis/Josic/Woods/Schiedhelm: Rostlaube Berlin | 153
4.2 4.2.1 4.2.2
Tragwerk und Statik | 159 Frei Otto: Weltausstellungs-Pavillon Montreal | 159 Stefan Polónyi/Fritz und Christian Schaller: St. Paulus Neuss | 167
4.3 4.3.1 4.3.2
Städtebauliche Einpassung | 174 Paul Schneider-Esleben: Erweiterung Mannesmann-Konzernzentrale Düsseldorf | 175 Werner Düttmann: Ku’damm-Eck | 181
4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5
Die Epistemik des Prüfmodells | 185 Prozess/Artefakt | 186 Das Prüfmodell als Simulation | 188 Das Prüfmodell als Experiment | 192 Das Prüfmodell in Abgrenzung zum Entwurfsmodell | 197 Vergangene Notwendigkeit | 200
5.
Das Modell als materialisierte Theorie der Nachkriegsmoderne. Ein Resümee | 205
6.
Anhang | 217
6.1 6.2 6.3 6.4
Literatur- und Quellenverzeichnis | 217 Verzeichnis der Onlinequellen | 227 Archive | 228 Abbildungsverzeichnis | 228
1. Architekturen bilden. Eine Einleitung
Die Moderne war kein Stil. Sowohl im Bereich der Kunst als auch in dem der Architektur zeichneten sich die modernen Strömungen seit Beginn des 20. Jahr hunderts durchgängig durch eben diese Absetzbewegung aus: Keinesfalls einen vorangegangenen Stil zu übernehmen und schon gar nicht selbst in einem neu herausgebildeten Stil zu erstarren. Dies gilt zumindest dann, wenn ‚Stil‘ als eine ästhetische Kategorie verstanden wird, mit der künstlerische Hervorbringungen vornehmlich anhand des fertiggestellten Artefakts beschrieben, vor allem aber historisch eingeordnet werden.1 Der vorliegende Band, in dem die operative Rolle und Funktion von physischen Modellen im architektonischen Entwurfsprozess vornehmlich in den 1950er bis 1970er Jahren analysiert wird, lenkt den Fokus auf die Entstehungsprozesse moderner Architektur und der dabei involvierten Medien. Leitend ist dabei die These, dass das Modell nicht nur wesentliches Entwurfswerkzeug in der Zeit der so genannten Nachkriegsmoderne gewesen ist, sondern dass die Modellierung als Tätigkeit sowie das Modell als Artefakt aktiven und qualitativen Einfluss auf die Entstehungsprozesse von Architektur genommen haben. 1 | Der Kunsthistoriker Wolfgang Brückle definiert den Stilbegriff der Kunstwissenschaft im Wörterbuch der ‚Ästhetischen Grundbegriffe‘: Der Begriff verweise „zunächst auf die Summe von formalen Eigenschaften, die einem Artefakt seine bestimmte Erscheinung verleihen.“ Der Stilbegriff fasst also fertiggestellte und damit in sich geschlossene Artefakte anhand ihrer äußerlichen, vornehmlich visuell wahrgenommenen Eigenschaften in Gruppen zusammen. Er sei in einem zweiten Schritt, so Brückle, „auf komparatistischen Gebrauch hin“ angelegt. Im Befragen künstlerischer Artefakte auf ihre stilistische Zugehörigkeit hin sieht er vornehmlich ein „Verfahren ästhetischen Vergleichens.“ Im 20. Jahrhundert – darauf kommt es hier wesentlich an – beobachtet auch Brückle eine „Dekonstruktion des Richtwerts ‚Stil‘“ – und zwar sowohl im praktischen Kunstschaffen als auch in der Kunsttheorie. Wolfgang Brückle (mit Rainer Rosenberg, Hans-Georg Soeffner, Jürgen Raab): Art. Stil. In: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 5. Stuttgart, Weimar 2003, S. 620-702, hier S. 665 u. 686.
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Architekturen bilden
Die architektonische Moderne, so die Hypothese, lässt sich in ihren wesent lichen Eigenheiten anhand der Entstehungsprozesse ihrer Bauten und den hier involvierten Medien analysieren. Eben diesen Medien kommt so neben ihrer pragmatisch-praktischen Rolle als Ermöglicherinnen von Architektur eine symbolische Bedeutung zu. Ihre Analyse lässt Rückschlüsse auf das – teilweise idealisierte – Selbstverständnis damaliger Akteur_innen 2 und deren eigene (architektur-)historischen Verortung zu. Der Blick auf das Modell in Entwurfsprozessen leistet einen Beitrag zum Verständnis der architektonischen Kultur der Nachkriegsjahrzehnte, indem er die Analyse fertiggestellter Bauten um einen wesentlichen Aspekt ergänzt. Der historisch-analytische Blick auf die Prozesse und Medien des architek tonischen Entwerfens ist gerade für das Verständnis moderner Architektur von elementarer Bedeutung. Gerade hier war es – nach dem propagierten Bruch mit der Baugeschichte und ihrer Praktiken – um eine allumfassende Neudefinition des architektonischen Tuns gegangen, welches weit mehr beinhaltete als das bloße Auswechseln eines als Stil zu fassenden Formenkanons. Die Architekturgeschichtsschreibung hat dieses ganz grundlegende Neuverständnis im 20. Jahrhundert weitgehend ignoriert: Denn trotzdem in der architekto nischen Praxis spätestens seit den 1920er Jahren der klassische, am ausgeführten Gebäude orientierte Stilbegriff immer wieder zurückgewiesen worden ist, werden architektonische Konzepte auch der Moderne im 20. Jahrhundert bis heute vornehmlich anhand ausgeführter Bauten und ihrer visuellen Erscheinung erfasst, beschrieben und analysiert. Diese Beobachtung gilt für die wissenschaftliche Forschung ebenso wie für die öffentliche Diskussion über Architektur. Modern ist ein Gebäude in der allgemeinen Lesart dann, wenn ihm als nüchterner Baukörper die Säulen, Giebel und Putten an der Fassade fehlen. Dieses seit dem Beginn moderner Strömungen in den 1920er Jahren zwar kritisierte, aber gleichzeitig im Diskurs weiterhin etablierte und tradierte Verständnis macht die architektonische Moderne am absoluten – ästhetischen – Bruch mit dem Vorangegangenen fest, erklärt diesen also vornehmlich anhand des Verzichts auf dekorative Stilelemente und Schmuckverzierungen. Die Konzentration auf nüchterne Architekturformen als wesentliches Signum der Moderne ist aus mehreren Gründen problematisch: Erstens wird die Moderne damit eben doch anhand stilistischer Kriterien definiert. Die Moderne 2 | Die Architekturszene war auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter männlich dominiert. Dennoch wird in den folgenden Ausführungen immer dort, wo von einem personell nicht näher bestimmten Personenkreis die Rede ist, der Gender-Gap verwendet. Dies macht deutlich, dass die architektonische Praxis auch damals auf vielen Ebenen von Frauen mitgeprägt wurde, auch wenn diese in der Regel namentlich nicht in Erscheinung getreten sind. Die rein männliche Form kommt dort zur Anwendung, wo ein ausschließlich männlicher Akteurskreis festgestellt werden musste.
Einleitung
wird implizit selbst wieder zum Stil erklärt – zum berühmten ‚Bauhaus-Stil‘ etwa. Ihre eigentliche Innovationskraft bleibt damit ästhetischer Selbstzweck. Zweitens bleibt die Beschreibung der Moderne auch auf struktureller Ebene zwangsläufig unvollständig, wenn sie ausschließlich anhand ihrer ausgeführten Bauten und ihrer visuellen Erscheinung erfolgt. Denn neben den formalästhetischen Auswirkungen moderner Strömungen musste eine grundlegend neue Idee von dem, was Architektur zu sein hatte, vor allem Veränderungen in der architektonischen Konzeption und Produk tion bewirken. Der propagierte Bruch mit dem bisher Gewesenen musste auch die Verfahren, Prozesse und Medien betreffen, die vor dem fertigen Gebäude lagen. Wenn das Selbstverständnis der modernen Architekturschaffenden gerade darin gründete, jegliche Art von Stilübernahmen zurückzuweisen, konnte die Entwurfspraxis nicht weiter darin bestehen, historisch hergeleitete Formen und Stilelemente etwa in der Tradition der École des Beaux Arts akademisch ‚richtig‘ auf die eigenen Planskizzen zu übernehmen. Entwerfende mussten vielmehr selbst schaffen, und: Neues schaffen. Ein fertiggestelltes Gebäude ist in diesem Sinne nur mehr als das Ergebnis völlig anderer Entwurfsansätze und -konzepte zu verstehen. Die eigentliche Innovationsleistung der Akteur_ innen liegt damit zeitlich vor dem Bau. Sie liegt in einer Neukonzeption der Planungsverfahren, welche wesentlich auf der verstärkten Einbindung unterschiedlicher Medien in den Entwurf basierte. Das architektonische Modell als Entwurfsmedium konnte diesen Ansprüchen vor allem in der Nachkriegszeit aus gleich mehreren – idealistischen, pragmatischen wie technikgeschichtlichen – Gründen geradezu perfekt entsprechen. Die folgenden Ausführungen, die im Wesentlichen auf der Analyse von Fallbeispielen der 1960er und 1970er Jahre in der damaligen Bundesrepublik Deutschland fußen, verfolgen ein doppeltes Ziel: Einerseits werden mit dem Blick auf konkrete Entwurfsprozesse der Zeit genuin architekturhistorische Thesen neu konturiert, die an die klassische, wesentlich am ausgeführten Bau orientierte Kunstgeschichte der (Nachkriegs-)Moderne anknüpfen. Andererseits wird auf epistemologischer Ebene ein Erkenntnismehrwert über ‚das Modell‘ als Entwurfsmedium erarbeitet. Die folgenden Ausführungen stützen sich hierfür einerseits auf bestehende Epistemologien, andererseits sehr wesentlich auf Archivmaterial zu konkreten Bauprojekten. Architekt_innennachlässe aus Archiven in München, Karlsruhe, Dortmund, Braunschweig, Berlin und Hamburg stellen die Quellen für das konkrete Untersuchungsmaterial dar. Trotz einiger Popularität der zugehörigen Akteur_innen und Bauten sind die hier analysierten Materialen aus der Phase der Entwurfsprozesse zum übergroßen Teil und bezeichnenderweise bisher unveröffentlicht gewesen. Die Verschaltung architekturhistorischer Analysen mit den auf das Modell zu beziehenden Epistemologien hat zum Ziel, die operative Rolle von physischen Modellen in Entwurfsprozessen der Nachkriegsmoderne ein erstes Mal zu konturieren.
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Der Interessenfokus liegt bei der vorliegenden Analyse wesentlich auf den Prozessen des Entwerfens, den zugehörigen Medien und Wissensordnungen als relevante Aspekte einer architektonischen Nachkriegsmoderne. Die Bedeutung von Entwurfsprozessen als Forschungsgegenstand eigenen Werts für eine Theorie der Architektur betonte zuletzt die Philosophin und Architekturtheoretikerin Sabine Ammon: „Nicht jeder Entwurfsvorgang führt am Ende zu einem Artefakt. Groß ist die Zahl an Entwürfen, die nie umgesetzt und ausgeführt wurden – obwohl sie in sich stimmig sind und funktionieren – und damit ausführbar gewesen wären.“3 Daraus folge: „Der fehlende zwingende Zusammenhang [von Entwurf und Ausführung, R.L.] ist […] ein Indiz dafür, dass der Entwurfsvorgang weniger vom späteren Ergebnis aus betrachtet werden sollte, als vielmehr aus sich selbst heraus, um mehr über seine spezifischen Eigenarten zu erfahren.“4 Daraus folge eine Verschiebung des Fokus „von einer Ergebnisorientierung zu einer Prozessorientierung.“5 Paraphrasiert und überspitzt ließe sich dieses Argument dahingehend zusammenfassen, dass eine Wissenschaft der Architektur anstelle der Bauten zunehmend die Entstehungs-, Planungs- und Bauprozesse in den Blick zu nehmen habe. Auch der Architekturtheoretiker Christoph Baumberger formuliert: „Zum Gegenstand der Theorie der Architektur gehören […] neben den Bauwerken und unserem Umgang mit Ihnen auch die architektonischen Praktiken des Entwerfens, Planens und Bauens.“6 Diesen Forderungen schließt sich die vorliegende Arbeit uneingeschränkt an. Hinzuzufügen ist dieser Formulierung allerdings die Notwendigkeit, Entwurfsprozesse weniger als anthropologische Konstante zu begreifen, sondern sie vielmehr bei ihrer Analyse auch zu historisieren, um sie gewinnbringend in die Diskurse der Architekturgeschichte einbetten zu können. Die folgenden Ausführungen soll gleichermaßen eine Arbeit über Modelle sein wie eine Arbeit über die Architekturgeschichte der Nachkriegsmoderne. Im Zentrum beider Stränge steht die Frage danach, welche neu- und anders artigen Wissensstrukturen sich mit der entwerferischen Arbeit am Architekturmodell herausbilden konnten und wie diese wiederum auf das Architekturschaffen der Zeit zurückwirkten. Speziell die epistemologische Zuspitzung der hier ausgeführten Argumentation verdankt sich sehr wesentlich den Diskussionen im von der Deutschen 3 | Sabine Ammon: Perspektiven architekturphilosophischer Entwurfsforschung. In: Jörg H. Gleiter, Ludger Schwarte: Architektur und Philosophie. Bielefeld 2015, S. 185-195, hier S. 189. 4 | Ammon 2015, S. 189. 5 | Ebd., S. 191. 6 | Christoph Baumberger: Architekturphilosophie: Ihre Abgrenzung von der Architekturtheorie und Verortung in der Philosophie. In: Gleiter/Schwarte 2015, S. 58-73, hier S. 59.
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Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Graduiertenkolleg ,Das Wissen der Künste‘ an der Universität der Künste Berlin. In diesem Rahmen ist zwischen 2014 und 2016 die Dissertationsschrift entstanden, die dem vorliegenden Band zugrunde liegt. Für die Finanzierung des Projekts ist deshalb zuvorderst der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu danken. Mein herzlicher Dank für die inhaltliche Begleitung der Arbeit gilt den beiden Betreuer_innen der Arbeit, Prof. Dr. Susanne Hauser und Prof. Dr. Peter Geimer, die mein Nachdenken über das Thema mit ihren jeweiligen Denkansätzen befruchtet haben. Das Gleiche gilt für Prof. Dr. Kathrin Peters, die das Projekt innerhalb des Graduiertenkollegs auf sehr zugewandte Weise begleitet hat. In diesem Zusammenhang geht mein Dank natürlich auch an die Kolleg_innen des Graduiertenkollegs. Das Lektorat haben dankenswerterweise Frank Schmitz und Gundula Lang übernommen. Für die Hilfe bei der Recherche möchte ich zahlreichen Archivmitarbeiter_ innen danken, die dazu bereit waren, mich an ihrem profunden Wissen über die Bestände teilhaben zu lassen und die Arbeit damit wesentlich gefördert haben. Konkret meine ich damit die Kolleg_innen am südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau | saai des KIT Karlsruhe, am Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst NRW (A:AI) der TU Dortmund, an der Sammlung für Architektur und Ingenieurbau (SAIB) der TU Braunschweig, am Baukunstarchiv der Berliner Akademie der Künste, am Hamburgischen Architekturarchiv, am Archiv des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main sowie am Archiv des Architekturmuseums an der TU München. Dass die Publikation nun vorliegt, verdankt sich mehreren Geldgebern. Ich danke dem Exzellenzcluster ,Bild Wissen Gestaltung‘ der Humboldt Universität zu Berlin, der Forschungsstelle Kunstgeschichte der TU Wien sowie dem Graduiertenkolleg ,Das Wissen der Künste‘ an der Universität der Künste Berlin für die finanzielle Unterstützung.
Aufbau der Studie Die Hypothese, wonach Entwürfe moderner Architekturen wesentlich am und mit dem Modell entwickelt worden sind, baut trotz der hier skizzierten Kritik an einer architektonischen Stilgeschichte zunächst auf der Betrachtung der gebauten Realität und ihrer ästhetischen Wirkung auf. Für die vorliegende Argumentation ist die in Kapitel 2 weiter ausgeführte Beobachtung grundlegend, nach der moderne Bauten und städtebauliche Quartiere zumeist aussehen wie übergroße Objekte, Skulpturen oder eben: Modelle. Besonders deutlich wird dies, wenn moderne Bauten in der öffentlichen Auseinandersetzung – oft in herabwertender Absicht – als Schuhschachteln, Kisten oder Klötze bezeichnet werden. Mit der zunehmenden skulpturalen Ausdifferenzierung der Architekturen etwa ab Ende der 1950er Jahre kamen weitere Spitznamen und Niedlichkeitsformeln hinzu, mit denen der Volksmund die monolithischen Großfor-
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men der Bauten auf kleinmaßstäbliche Referenzobjekte herunterminimierte. In Berlin stehen dafür etwa die Beispiele der Kongresshalle am Tiergarten, die als ‚Schwangere Auster‘ bezeichnet wird oder die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, deren Neubauten zur Entstehungszeit mit ‚Lippenstift‘ und ‚Puderdose‘ benannt wurden. Neben diese skulpturalen, monolithisch wirkenden Bauten treten diejenigen, deren Gestalt wesentlich aus der Ästhetik industrieller Präfabrikation resultiert. Neue Baumaterialien und Produktionsabläufe sorgten verstärkt ab der Mitte des 20. Jahrhunderts dafür, dass Bauten nicht mehr traditionell – etwa mit Ziegeln – geschichtet und ihre Fassaden gegebenenfalls kleinformatig verziert wurden. Vor allem seit den 1960er Jahren wurden Architekturen immer häufiger auch aus großformatigen, industriell vorgefertigten Bauteilen montiert. Besonders anschaulich werden die Effekte der Montage etwa bei Bauten, die – auch in der Bundesrepublik – in Großtafelbauweise errichtet wurden, also an so genannten Plattenbauten. Zum wesentlichen ästhetischen Merkmal wird die Montiertheit der Bauteile bei Architekturen des Strukturalismus oder Technizismus. Bauten dieser Art beinhalten großformatige Bauteile, die als montierte Objekte in der Regel dauerhaft erkenn- und differenzierbar bleiben. Sowohl der montagehafte als auch der skulptural-monolithische Charakter moderner Bauten führen im alltäglichen Erleben ausgeführter Bauten zu einer ungewohnten Maßstäblichkeit. Sie führen zu dem Eindruck, ein maßstäblich entsprechender Riese habe die Bauten entweder modelliert oder montiert. Und sie führen damit letztlich dazu, dass die Bauten als riesenhafte Modelle ihrer selbst wahrgenommen werden können und damit ihre Entwicklung aus dem Modell heraus zumindest suggerieren. Wesentliches Merkmal moderner Architekturen ist zudem die Tatsache, dass sie nicht auf eine bestimmte, festgelegte Ansichtsseite hin konzipiert, sondern multiperspektivisch entwickelt sind. Hinzu kommt eine Bezogenheit der Bauten auf den dreidimensional aufgefassten Um- und Innenraum. Mit beiden Aspekten ging eine Abkehr von der traditionellen bildhaft-zweidimensionalen Fassadenausbildung einher. Das städtebauliche Ideal des 19. Jahrhunderts beschreibt der Architekturhistoriker Christian Freigang: „Die Fassaden sollen wie Theaterkulissen von malerischer Natur sein und beim Bewohner [und bei Betrachter_innen!, R.L.] visuelles Gefallen auslösen.“7 Architektur und Städtebau moderner Prägung setzen sich davon deutlich ab: Der Architekturtheoretiker Sigfried Giedion schrieb in seiner spätestens seit Mitte der 1960er Jahre auch in Deutschland breit rezipierten Schrift ‚Raum, Zeit, Architektur‘ gar von einer „optischen Revolution“ mit der seit Beginn des 20. Jahrhunderts der eine,
7 | Christian Freigang: Die Moderne. 1800 bis heute. Baukunst – Technik – Gesellschaft. Darmstadt 2015, S. 40.
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festgelegte Blickpunkt der Perspektive aufgehoben worden sei.8 Diese an der Architektur der Zeit angestellte Beobachtung lässt sich auch an der Entwicklung der bildenden Kunst ablesen. Die vorliegende Arbeit entwickelt in einem einleitenden, wesentlich kunst- und architekturhistorischen Kapitel die These, wonach die Multiperspektivität und Volumenbetonung moderner Architekturen das Modell als dominierendes Medium für den architektonischen Entwurf prädestiniert haben. Diese Beobachtungen, die ihren Ausgangspunkt am ausgeführten Bau und damit dem jeweiligen Ergebnis eines Entwurfsprozesses nehmen, werden in den Hauptkapiteln der Arbeit – Kapitel 3 und 4 – vertieft. Damit wird der Prämisse dieser Untersuchung entsprochen, wonach Prinzipien und Merkmale einer architektonischen Strömung sich nur teilweise durch die Anschauung ihrer fertiggestellten Bauten zeigen. Beide Kapitel sind so aufgebaut, dass zunächst auf Basis von Archivrecherchen einige konkrete Entwurfsprozesse so weit wie möglich rekonstruiert werden. Dies geschieht gleichermaßen anhand der zum Einsatz gekommenen Modelle als auch mit Fokussierung auf diese Modelle. Theoretische, vor allem epistemologische Analysen schließen jeweils an diese Materialbeschreibungen an. Grundlegend sowohl für die Struktur als auch für die inhaltliche Konzeption der Arbeit ist die hier entwickelte und für den Diskurs vorgeschlagene Auf teilung der behandelten Modelle in Entwurfsmodelle einerseits – Kapitel 3 – und Prüfmodelle andererseits in Kapitel 4. Unter der Kategorie des Entwurfsmodells werden Artefakte beschrieben, die entlang eines generativen Prozesses ihren Beitrag dazu leisteten, Entwurfs ideen überhaupt erst zu entwickeln. Konkret geht es dabei um Modelle aus Knetmasse, Holz- oder Styroporklötzchen, die, vergleichbar mit einer ersten Ideenskizze, früh im Entwurfsprozess geformt wurden. Ihre Bedeutung für die kreative Ideenfindung gründete zuvorderst darin, besonders wandelbar zu sein. Damit waren sie in der Lage, den Ideenfluss der Entwerfenden zu befördern und mit zu bestimmen. Mehr als das Artefakt des Modells ist hierbei der modellbasierte Entwurfsprozess zu analysieren. Als Prüfmodelle werden auf der anderen Seite diejenigen Artefakte analysiert, deren Rolle darin bestand, bereits zuvor und anderweitig entwickelte Entwurfsideen gleichsam retrospektiv überprüf bar zu machen. Gemeint sind etwa Modelle, mit denen die Tragfähigkeit einer Konstruktion oder die Lichtwirkung einer Fassadengestalt zum Abschluss des Entwurfsprozesses getestet wurden. Hier war es im Regelfall tatsächlich das Modell als physisches Artefakt, das die jeweils gestellten Fragen ‚beantwortete‘ – der Prozess des Model-
8 | Sigfried Giedion: Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition. Ravensburg 1965 [engl. Orig. 1941], S. 33.
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lierens selbst trat in seiner epistemischen Bedeutung für den Entwurf in den Hintergrund. In der architektonischen Praxis werden Modelle, die im und für den Entwurfszusammenhang gefertigt werden, in der Regel summarisch als Arbeitsmodelle9 beschrieben. Die hier für die Architekturtheorie erstmals systematisch thematisierte Aufteilung dieser Kategorie in Entwurfs- und Prüfmodelle verspricht, die Eigenschaften und epistemischen Potentiale von Modellen schärfer zu konturieren. Von Entwurfs- und Prüfmodellen unterscheiden sich Präsentationsmodelle wesentlich. Sie werden verwendet, um ein weitgehend abgeschlossenes architektonisches Konzept etwa im Rahmen einer Wettbewerbsteilnahme nur mehr gegenüber Dritten zu präsentieren und zu kommunizieren. Sie sind nicht Teil der hier geführten Untersuchung. Im Regelfall üben sie keinen wesentlichen Einfluss mehr auf den Entwurfsprozess aus, sondern dienen lediglich dazu, die Chancen zur Realisierung eines Bauprojekts zu erhöhen. Im Anschluss an die Beschreibung der Fallbeispiele wird sowohl im Kapi tel zu den Entwurfs- als auch in dem zu den Prüfmodellen in einem Analyse teil der Versuch unternommen, das Entwerfen mit dem Modell vorrangig als epistemischen Vorgang zu fassen und unter diesem Fokus zu analysieren. Wenn Architekturschaffende ihre Vorbilder, ihre Ideen und ihr entwerferisches Wissen eben nicht mehr aus der Vergangenheit beziehen konnten, waren sie zwangsläufig auf andere, auf gegenwartsgebundene Quellen verwiesen. So forderte etwa der Architekt und Hochschulprofessor der damaligen Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Berlin, Eduard Ludwig, bereits 1949 den Einsatz eines Klötzchen-Baukastens für die Architekt_innenausbildung, um „ihre Phantasie zu wecken und ihren Spieltrieb zu nutzen.“10 Denn: „Die Studenten sollen nicht nach Vorlagen bauen, sondern aus der gegebenen Aufgabe heraus die Dinge selbständig entwickeln lernen.“11 Mit diesem Anspruch, der in ähnlicher Form bereits in den 1920er Jahren in der Lehre am Bauhaus propagiert worden war, war eine grundlegende Veränderung der Wissens- und Erkenntnisprozesse verbunden, die den Entwurfsprozess in der Moderne ganz strukturell bestimmt hat. Die vorliegenden Ausführungen werden zeigen, dass sich das Modell als Entwurfsmedium einerseits dafür eignete, ein Selbstbild von Architekt_innen zu befördern, bei dem Entwurfsideen aus der Person selbst heraus neu entstehen konnten. Das Modell unterstützte damit ein scheinbar intuitives, subjektkonzentriertes 9 | Beispielsweise Rolf Janke: Architekturmodelle. Beispielsammlung moderner Architektur. Stuttgart 1962, S. 18. 10 | Eduard Ludwig: Der Baukasten. Weisheit für die Jugend. In: Neue Baukunst 5/1949, S. 21. 11 | Ebd., S. 21.
Einleitung
und auf implizitem Wissen basierendes Entwurfshandeln. In anderen Fällen ermöglichte die Arbeit am architektonischen Modell eine quasi-wissenschaftliche, experimentelle Herangehensweise an den Entwurf, bei dem objektivierbare Kriterien den subjektiven, künstlerisch-kreativen Beitrag bei weitem übersteigen sollten.12 Dadurch, dass die Vergangenheit als Ideenlieferantin auszuschließen war, waren Entwerfende entweder auf die eigene Intuition oder auf (natur-)wissenschaftlich generiertes Wissen ‚zurückgeworfen‘. Mit der Frage nach der Rolle des Modells im Entwurfsprozess verbindet sich entsprechend immer auch diejenige der Autorschaft und damit diejenige nach dem Selbstbild der Akteur_innen zwischen Künstlerpersönlichkeit und Wissenschaftler_in. An genau diesem Punkt lässt sich im Übrigen der Unter schied zwischen der Modellverwendung im 20. Jahrhundert und der Rolle architektonischer Modelle in vorangegangenen Bauepochen beschreiben. Während das Modell etwa in der Renaissance im Wesentlichen dazu diente, bestehende Entwurfsergebnisse zu visualisieren und verbindlich für den Realisierungsprozess festzuhalten, hat das Modell in der Moderne ganz aktiv schon während des Entwurfsprozesses Einfluss auf Wissens- und Erkenntnisprozesse genommen.13 In einem abschließenden Kapitel wird dem Anspruch der Arbeit nachgegangen, mit der Fokussierung auf Entwurfsprozesse und ihre Medien neben epistemologischen Aspekten der Arbeit am Modell auch wesentliche Charakteristika der Nachkriegsmoderne auf architekturhistorischer Ebene aufzeigen zu können. Angelehnt an die These des Architekturhistorikers Klaus Jan Phi lipp, wonach die Axonometrie als eine Art von theoretischem Manifest oder als „visualisierte Theorie“ der Avantgarde zu beschreiben sei, wird das Modell hier 12 | Zum Charakter des modellbasierten Entwerfens zwischen Forschung und Spiel vgl.: Ralf Liptau: Der Stoff, aus dem Entwürfe sind. Das Architekturmodell als Spielzeug und Laborinstrument? In: Kathrin Busch, Christina Dörfling, Kathrin Peters u.a.: Wessen Wissen? Materialität und Situiertheit in den Künsten. Paderborn 2018, S. M81-M96 (=Liptau 2018b). 13 | Umfassende Studien zur Modellverwendung in der Architektur früherer Jahrhunderte stehen bisher weitgehend aus. Grundlegend ist daher noch immer: Bernd Evers (Hg.): Architekturmodelle der Renaissance. Die Harmonie des Bauens von Alberti bis Michelangelo. Ausst. Kat, München/New York 1995. Der Kunsthistoriker Andres Lepik bezeichnet das Architekturmodell der Renaissance darin als „ein Medium der Darstellung.“ Es bündele „ästhetische und technische Informationen, die zuvor auf anderen Ebenen festgelegt wurden, und übersetzt sie in eine plastische Form“ (Andres Lepik: Das Architekturmodell der frühen Renaissance. Die Erfindung eines Mediums. In: Bernd Evers (Hg.): Architekturmodelle der Renaissance. Die Harmonie des Bauens von Alberti bis Michelangelo. Ausst. Kat, München/New York 1995, S. 10-20, hier S. 10). Betont wird dabei also der nachgeordnete Charakter des Modells gegenüber der Entwurfsphase.
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als eine materialisierte Theorie der Nachkriegsmoderne gefasst.14 Wesentlich ist hierfür die Annahme, dass die Verwendung des Modells in Entwurfsprozessen dieser Zeit nicht nur pragmatischen Zwecken zur Ermöglichung bestimmter Bauten diente, sondern weit darüber hinaus auch Aufschluss gibt über die Ideale und das Selbstbild der damaligen Akteur_innen. Der zeitliche Fokus der Analyse liegt auf dem – meist summarisch als Nachkriegsmoderne benannten – Zeitabschnitt vom Beginn der 1950er bis etwa in die Mitte der 1970er Jahre. Als architekturhistorischer Ausgangspunkt vieler der beschriebenen Phänomene werden Entwicklungen der frühen Moderne nur dort mit reflektiert, wo es inhaltlich sinnvoll erscheint, ansonsten aber ausgeklammert. Der Fokus auf die Nachkriegsjahrzehnte erklärt sich zunächst anhand der damals entstandenen Bauten und ihrer im Vergleich zur Vorkriegszeit enorm zugenommenen Größe und Komplexität. Die häufige und ausgiebige Verwendung von Architekturmodellen erscheint vor diesem Hintergrund in den Nachkriegsjahrzehnten umso sinnfälliger. So wies der Architekt Rolf Janke zeitgenössisch – 1962 – in seiner Publikation über Architekturmodelle darauf hin, dass das Modell für Architekturen seiner Zeit in vielen Fällen „ein spontanes und elementares Gestaltungsinstrument [sei], mit dessen Hilfe bei größeren Baukomplexen die Abstufung der Höhen, die Gliederung und Staffelung der Baumassen oft leichter zu klären“15 sei als am Reißbrett. „In manchen Fällen läßt sich der Sachverhalt überhaupt nur räumlich darstellen.“16 Allgemein stellte Janke im Rückgriff wohl auch auf seine eigenen Erfahrungen als Architekt fest: „Je größer ein Bauprojekt, je vielfältiger ein Raumprogramm ist, desto schwieriger wird es […], einen Entwurf ins Dreidimensionale umzudenken.“17 Die Anwendung des Modells im Entwurfsprozess ist demnach neben ästhetischen Komponenten vor allem von raumkonzeptioneller, aber auch von materieller und technischer Seite her motiviert. Die Architektur der Nachkriegszeit zeichnete sich nicht nur durch ihre sprunghaft gestiegenen quantitativen Größenverhältnisse und die damit verbundene gesteigerte Komplexität der Bauten aus. Zentrales Merkmal sind auch zahlreiche neue Konstruktionsmethoden, neue Materialien und nicht zuletzt neuartige Raumvorstellungen. 14 | Vgl. Klaus Jan Philipp: Die Axonometrie als symbolische Form? Architekturdarstellung als visualisierte Theorie. In: Hartmut Frank, Katrin Peter-Bösenberg (Hg.): Auf der Suche nach einer Theorie der Architektur, Bd. 17, Hamburg 2011 (Philipp 2011b). Er bezieht sich dabei auf Erwin Panofsky Aufsatz: Die Perspektive als symbolische Form (1927). In: Hariolf Oberer, Egon Verheyen (Hg.): Erwin Panofsky. Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1983, S. 99-167. 15 | Janke 1962, S. 39. 16 | Ebd., S. 39. 17 | Ebd., S. 39.
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Die genannten Punkte sind zwar im Wesentlichen Weiterführungen und Wiederaufnahmen von Entwicklungen, die es spätestens seit Beginn der 1920er Jahre gegeben hatte. In den Jahren nach 1950 erfuhren die in Frage stehenden Entwicklungen allerdings eine enorme Steigerung und Beschleunigung. Die Eingrenzung des Untersuchungszeitraums auf die Nachkriegsjahrzehnte ist des Weiteren deshalb sinnvoll, weil die gestiegene Bedeutung des Modells für den Entwurfsvorgang auch aus der veränderten Ausbildung der jeweiligen Akteur_innen heraus begründet zu sein scheint. Die Konzentration auf den Zeitraum etwa ab 1950 erlaubt es, Architekt_innen in den Blick zu nehmen, die durch ihre Studienjahre ab den 1920er Jahren geprägt worden sind. Durch die jähe Unterbrechung moderner Strömungen in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus sind die Auswirkungen des Ausbildungsbetriebs erst ab den frühen 1950er Jahren zur vollen Blüte gelangt. Der Untersuchungszeitraum findet seinen Abschluss mit der Mitte der 1970er Jahre. Dies resultiert zunächst daraus, dass sich mit der seither zunehmenden Verwendung von computergestützten Entwurfs- und Prüfverfahren die Medien architektonischer Entwurfsarbeit verändert haben. Zwar wurden – und werden bis heute – weiterhin Modelle gebaut. Mit dem Einsatz des Computers veränderte sich dennoch das Zusammenspiel der Entwurfsmedien sehr wesentlich.18 Zudem gerieten moderne Strömungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus politischen Gründen konsequent wieder aufgenommen und weitergeführt worden waren, spätestens ab Mitte der 1970er Jahre in die Krise. Sie wurden zunehmend abgelöst von postmodernen Tendenzen, mit denen eine neue neuerliche Hinwendung zu visuellen Qualitäten von Architektur einherging, etwa durch den Rückgriff auf – teilweise ironisch gebrochene – Stilzitate.19 Diese strukturell sehr anders geartete, eine sprechende Bildhaftigkeit wieder in den Vordergrund rückende und sich zunehmend wieder als künstlerisch verstehende Bauauffassung hat ebenfalls Veränderungen in Hinblick auf die entsprechenden Entwurfspraktiken und ihre Medien mit sich gebracht. Die Konzentration der vorliegenden Arbeit auf das Medium des Modells führt damit, so die These, zur Konzentration auf den Zeitraum der Nachkriegsmoderne etwa von 1950 bis 1975. 18 | Das zeigt nicht zuletzt das in den vergangenen Jahren gestiegene Forschungs interesse am computerbasierten Entwerfen. Beispielhaft hierfür: Inge Hinterwaldner, Sabine Ammon (Hg.): Bildlichkeit im Zeitalter der Modellierung. Operative Artefakte in Entwurfsprozessen der Architektur und des Ingenieurwesens. München u.a. 2016; Nathalie Bredella, Carolin Höfler (Red.): Computational Tools in Architecture. Cybernetic Theory, Rationalisation and Objectivity. (=arq. Architectural Research Quarterly 1/2017). 19 | Vgl. beispielhaft hierfür: Falk Jaeger: Zurück zu den Stilen. Baukunst der achtziger Jahre in Berlin. Berlin 1991.
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Auch die geografische Eingrenzung der Untersuchung auf das Gebiet der damaligen Bundesrepublik verdankt sich im Wesentlichen dem Bestreben nach einer inhaltlichen Fokussierung. Mit dieser Auswahl ist keineswegs die Behauptung verbunden, dass die Rolle des Modells im modernen oder nachkriegsmodernen Architekturschaffen in der Bundesrepublik Deutschland gewichtiger gewesen sei als in anderen, vor allem westlichen Ländern. Die Arbeit ist in ihrer geografischen Eingrenzung vielmehr so zu verstehen, dass sie ein Phänomen der Nachkriegsmoderne am Beispiel des Architekturschaffens in der Bundesrepublik aufzeigt. Sehr ähnliche Beobachtungen ließen sich auch für Nord-, West- und Südeuropa, ebenso für Nordamerika oder Australien anstellen. Ebenfalls der Fokussierung ist die Entscheidung geschuldet, ostdeutsche und osteuropäische Phänomene nicht in die Analyse einzubeziehen. Allein der deutsch-deutsche Vergleich wäre sowohl überkomplex als auch inhaltlich wenig ergiebig gewesen. Überkomplex deshalb, weil die Beschreibung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Nachkriegsarchitekturen in beiden deutschen Staaten zwangsläufig politische und propagandistische Aspekte in Hinsicht sowohl auf die damalige DDR als auch auf die damalige Bundesrepublik mit zu reflektieren hätte. Dies hätte deutlich vom eigentlichen Interesse dieser Arbeit weggeführt. Darüber hinaus sind in der Recherche für diese Arbeit – mit Ausnahme des industriellen Wohnungsbaus in den 1960er Jahren – keine Fälle aufgetaucht, in denen eine gegenseitige Bezugnahme in eine der beiden Richtungen erkennbar gewesen wäre. In Hinsicht auf die Entwurfspraktiken der Zeit gab es von westlicher Seite weder eine nachweisbare Zu- noch Abneigung gegenüber dem Architekturschaffen in der DDR. Es war also nicht davon auszugehen, dass mit einer Inbezugsetzung der Entwurfspraktiken von Ost und West ein wesentlicher Erkenntnisgewinn zu erzielen gewesen wäre. Das Gleiche gilt für einen möglichen Ost-West-Vergleich auf europäischer oder globaler Ebene. Das Forschungsmaterial für die vorliegende Arbeit, mit der Charakteristika und Potentiale des architektonischen Modells im Entwurf beschrieben werden sollen, besteht im Wesentlichen aus Fotografien. Dieser scheinbare Widerspruch resultiert zunächst aus einem Problem: Schließlich bedingt gerade der als rein pragmatisch verstandene Werkzeugcharakter des Modells, dass die in Frage stehenden Objekte aus den 1950er bis 70er Jahren heute nicht mehr erhalten sind. Modelle, die im Rahmen des Entwurfs- und Planungsprozesses gefertigt worden waren, sind beinahe ohne Ausnahme direkt im Anschluss oder im Laufe der Jahre entsorgt worden. In dem Moment, in dem etwa eine frühe Entwurfsmodellierung in einem anderen Medium weiterentwickelt worden ist oder die vom Modell ‚vorgeschlagene‘ Entwurfslösung verworfen wurde, erschien das Modell selbst offensichtlich als obsolet. Über den konkreten Entwurfszusammenhang hinaus ist den Modellen im Regelfall kein Informationsgehalt zugeschrieben worden, die Zerstörung und Ent-
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sorgung von Entwurfs- und Prüfmodellen ist damit elementarer Bestandteil ihres ‚Lebenslaufs‘. Dass Entwurfs- oder Prüfmodelle vor ihrer Entsorgung fotografisch für die Archivierung und Forschung dokumentiert wurden, ist ebenfalls eine Ausnahme. Der Regelfall scheint der zu sein, dass die Modelle, nachdem sie ihren Beitrag zur Entwurfsgenese geleistet hatten, einfach wieder verschwanden. Eine exakte Rekonstruktion ihrer genauen Orte, Funktionen und Verwendungsweisen im Entwurfsprozess ist demgemäß nur selten zuverlässig zu leisten. Dies gilt vor allem, wenn es sich um besonders früh im Prozess entstandene Modelle handelt, an denen die ersten Entwurfsideen also nur summarisch und provisorisch entwickelt wurden. Die herausgehobene Bedeutung des Modells im architektonischen Entwurfszusammenhang lässt sich dennoch anhand der Modellfotografien in den Nachlässen damaliger Architekt_innen nachvollziehen. Im Regelfall dürfen diese Fotografien allerdings weniger als Dokumente gelesen werden, sondern müssen selbst als Medien des Entwurfs betrachtet werden: Sie dienten nicht dazu, der Nachwelt einen Nachweis über Modelle im Entwurfsprozess zu liefern. Anhand der Fallbeispiele wird deutlich werden, dass sie vielmehr dazu gefertigt wurden, bestimmte Modellzustände innerhalb und für den Entwurfsprozess festzuhalten und damit selbst aktiv in Entscheidungszusammenhänge während des Entwurfs eingebunden zu werden. Dieser aktive Status der Fotografie ist bei ihrer gewissermaßen missbräuchlichen Verwendung als Archivdokument stets zu berücksichtigen. Betont sei an dieser Stelle nochmals, dass es sich bei einem Großteil der hier analysierten Fotografien um bisher unveröffentlichtes Material handelt. Sichtbar wird daran, dass nicht nur die damaligen Akteur_innen selbst dem Entwurfsprozess ihrer Bauten kaum Beachtung schenkten und die materiellen Zeugnisse dieser Prozesse nur selten auf bewahrten – sondern dass auch Forscher_innen der vergangenen Jahrzehnte kaum Interesse an Dokumenten gezeigt haben, die Rückschlüsse auf Entwurfspraxis und -medien nachkriegsmoderner Architektur zulassen würden. Welche Auswirkungen dies auf die Entsorgungspolitik nicht nur der damaligen Akteur_innen, sondern auch der Archive gehabt haben mag, wäre Thema einer eigenen Untersuchung. Für die vorliegende Untersuchung leisten die Fotografien gegenüber den originalen Objekten einen enormen Mehrwert, weil sie gleich in zweierlei Hinsicht fruchtbar gemacht werden können. Einerseits bezeugen sie durch ihren indexikalischen Charakter schlicht die Tatsache, dass es im Sinne des Roland Barthes’schen „Es-ist-so-gewesen“ ein bestimmtes Modell als „photographischen Referenten“ zu einem bestimmten vergangenen Zeitpunkt gegeben hat: „‚Photographischen Referenten‘ nenne ich […] die notwendig reale Sache, die vor dem Objektiv platziert war und ohne die es keine Photographie gäbe.“20 20 | Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt am Main
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Andererseits geben die Bilder durch die Art und Weise, wie oder aus welchem Blickwinkel ein Modell aufgenommen wurde, Aufschluss darüber, worauf der spezielle Interessenfokus in Hinsicht auf das jeweilige Modell gelegen haben mag. Bereits zeitgenössisch hat sich der Architekt Rolf Janke gegen ein rein dokumentarisches Verständnis der Modellfotografie ausgesprochen und ihren Mehrwert betont: „Es geht nicht darum, ein Modell einfach abzufotografieren, sondern vom richtigen Standpunkt aus seine Besonderheit bildlich zu dokumentieren.“21 Die Modellfotografie würde die Aussage des Modells „verdichte[n] und steiger[n].“22 Für die historische Analyse von Architekturmodellen macht sie die jeweils intendierten Aussagen eines nicht mehr vorhandenen Modells überhaupt erst sichtbar. Die Auswahl der konkreten Fallbeispiele für diese Arbeit ergibt sich im Wesentlichen aus der Ergiebigkeit des Archivmaterials. Für die Analyse waren diejenigen Arbeiten überhaupt nur verwertbar, zu denen in den Nachlässen der Architekt_innen ausreichend Fotomaterial vorhanden ist. Daraus folgt zwangsläufig, dass beinahe ausschließlich Projekte rekonstruierbar sind, die Sonderbauten wie etwa Kirchen, Versammlungs- und Verwaltungsgebäude darstellen. Ihnen kam seit je her ein besonderer Innovations- und Kommunikationsanspruch zu, der ganz offensichtlich dazu führte, dass die zugehörigen Entwurfsprozesse nicht nur aufwändiger betrieben, sondern auch ausführ licher dokumentiert und archiviert wurden. Die weitgehend offene Suche nach Fallbeispielen war auch der Tatsache geschuldet, dass die vorliegende Arbeit nicht das Ziel verfolgt, die Verwendung des Modells in der Entwurfspraxis bestimmter Architekt_innen der Nachkriegsmoderne oder innerhalb bestimmter nachkriegsmoderner Strömungen nachzuzeichnen, sondern als allgemeines Phänomen der Zeit zu konturieren. Insofern stehen nicht die einzelnen Architekt_innen mit ihrem jeweiligen konkreten Schaffen im Vordergrund. Die Fallbeispiele mit ihrem zugehörigen Personal sind vielmehr einer übergreifenden Fragestellung untergeordnet. Hierfür wurden Archivalien ausgewertet aus dem südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) in Karlsruhe, dem Archiv des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, dem Archiv des Architekturmuseums an der TU München, dem Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst NRW (A:AI) an der TU Dortmund, der Sammlung für Architektur und Ingenieurbau (SAIB) an der TU Braunschweig, dem Baukunstarchiv der Berliner Akademie der Künste und dem Hamburgischen Architekturarchiv. Bei allen Beständen handelte es sich um die Vor- beziehungsweise Nachlässe 1989 [La chambre claire, Paris 1980], S. 86; zur Problematisierung der „Theorien des Abdrucks, des Index und der Spur“ vgl. vertiefend: Geimer 2009, S. 13-69. 21 | Janke 1962, S. 119. 22 | Ebd., S. 119.
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von Architekt_innen, die schwerpunktmäßig in den 1950er bis 1970er Jahren entworfen und geplant haben. Den in der vorliegenden Untersuchung analysierten Archivalien wurde bereits in der Einleitung der Status eines Mediums zugesprochen. Damit ist eine Vorannahme bereits formuliert, die für die gesamte Arbeit gilt: Mit der zunehmenden Bedeutung des Modells für das Entwurfshandeln veränderte sich nicht nur die Strategie der Sichtbarmachung architektonischer Konzepte, die – unabhängig vom Modell – ohnehin bereits entwickelt gewesen wären. Mit seiner Statuszuschreibung als Medium wird das Modell in dieser Arbeit verstanden als ein Artefakt, dem gemäß der Medienwissenschaftlerin Sibylle Krämer „eine sinnmiterzeugende und nicht bloß eine sinntransportierende Kraft“ zugesprochen werden müsse.23 Der in der Folge dieser Arbeit in Anschlag gebrachte Medienbegriff orientiert sich eng an Krämers Definition. Allerdings ist Krämers Begriff des „Sinns“ für den hiesigen Zusammenhang um die Aspekte von Wissen und Erkenntnis zu erweitern. Das Modell wäre damit ein Medium auch im Sinne einer erkenntnismiterzeugenden Kraft. Mit Krämers Medien-Definition geht auch eine Differenzierung vom Medium auf der einen und dem Instrument beziehungsweise Werkzeug auf der anderen Seite einher: „Auf ein Instrument findet man sich verwiesen, seiner bedient man sich; und was mit ihm bearbeitet wird, hat eine vom Werkzeug durchaus ablösbare Existenz. An ein Medium hingegen ist man gebunden, in ihm bewegt man sich; und was in einem Medium vorliegt, kann vielleicht in einem anderen Medium, nicht aber gänzlich ohne Medium gegeben sein.“24
Gerade vor diesem Hintergrund, dass Modelle – wie auch Skizzen, Grundrisse und ähnliches – sowohl in der Praxis aus auch in der Forschung häufig weitgehend unreflektiert als Entwurfswerkzeuge bezeichnet werden, muss ihr Charakter als Medium hier herausgestrichen werden. Wie eng sich das Modell als Medium und das „was in ihm vorliegt“ beim architektonischen Entwerfen aneinander entwickeln, werden sowohl die Fallbeispiele als auch deren epistemologische Auswertung zeigen.
Forschungsstand Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit setzt im Wesentlichen an zwei Forschungssträngen an, die in den vergangenen Jahren zunehmend an Aktualität 23 | Sibylle Krämer: Das Medium als Spur und als Apparat. In: Dies. (Hg.): Medien, Comp uter, Realität: Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien. Frankfurt am Main 1998, S. 73-94, hier S. 73. 24 | Ebd., S. 83f.
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und Relevanz gewonnen haben: Zum einen hat in der Architekturgeschichte und der Denkmalpflege seit Beginn der 2000er Jahre das Interesse an Bauten der Nachkriegsmoderne deutlich zugenommen. Zum anderen wird innerhalb der Kulturwissenschaft und Philosophie seit einigen Jahren die Frage nach einer Theorie beziehungsweise Epistemologie des Entwerfens intensiv diskutiert. In diesen Zusammenhang gehören auch die aktuell diskutierten Fragen um einen new materialism – also das veränderte Nachdenken über die Wechselw irkungen zwischen Subjekt- und Objektwelt bei der Entstehung neuen Wissens. Die Forschung zur Architektur der Nachkriegsmoderne hatte in Deutschland in den vergangenen Jahren Grundlagenarbeit zu leisten. Erst seit Anfang der 2000er Jahre werden Konzepte und Bauten der zunächst der 1950er, inzwischen zunehmend auch der 1960er und 1970er Jahre überhaupt erst als Gegenstand der klassischen Kunst- und Architekturgeschichte anerkannt und nach und nach ‚wiederentdeckt‘. Nach dem konsequenten Bruch mit der Nachkriegsmoderne ab Ende der 1970er Jahre ergab sich die neuerliche Beschäftigung mit den Architekturen und Akteur_innen dieser Zeit nicht zuletzt aus zwei pragmatischen Gründen: Die infrage stehenden Bauten hatten vielfach in den frühen 2000er Jahren das Ende ihres ersten Lebenszyklus’ erreicht. Die Frage nach Abriss, Umbau oder Sanierung hatte damit zwangsläufig die Denkmalpflege zu beschäftigen. Sie wurde und wird seither auch in der Öffentlichkeit immer häufiger geführt. Der zweite, ebenfalls pragmatische Grund für ein aufkommendes wissenschaftliches Interesse an den Architekturen der Nachkriegsmoderne liegt darin, dass ein Großteil der damaligen Akteur_innen in den vergangenen Jahren verstorben ist und die jeweiligen Nachlässe entsprechend in Archiven zu systematisieren und aufzuarbeiten sind. Teilweise kam es hierfür gar zu Archivneugründungen, so zum Beispiel im Fall des Archivs für Architektur und Ingenieurbaukunst (A:AI) an der TU Dortmund im Jahr 1995, als auch der Sammlung für Architektur und Ingenieurbau (SAIB) der TU Braunschweig im Jahr 2008. Beide Sammlungen speisen sich wesentlich aus den Nachlässen der einst im eigenen Haus lehrenden, vornehmlich seit den 1950er Jahren aktiv gewesenen Architekturprofessoren. Auch das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) am KIT Karlsruhe baut seinen Bestand zur Nachkriegsarchitektur seit den 1990er Jahren konsequent aus. Im Kontext der wissenschaftlichen Architekturgeschichtsschreibung ist die Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange nur am Rande beachtet worden. Die klassischen Überblickswerke zur Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts handeln die Periode meist sehr knapp ab und konzentrieren sich in ihren Darstellungen auf die wenigen großen ‚Meister‘ der internationalen Nachkriegsarchitektur, darunter freilich vor allem Ludwig Mies van der
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Rohe, Walter Gropius und für die Bundesrepublik der Nachkriegszeit Hans Scharoun.25 Ein wesentlicher Vorstoß zur Wiederentdeckung der Architekturmoderne in einem breiteren Sinn ging in Deutschland Anfang der 2000er Jahre von der TU Berlin aus. Unter der Leitung des Architekturhistorikers Adrian von Buttlar bereitete die Arbeitsgruppe ‚Forschungen zur Nachkriegsmoderne‘ über mehrere Jahre hinweg unter anderem die Ausstellung ‚Denkmal!Moderne. Vom Umgang mit unserem jüngsten Architekturerbe‘ vor, die schließlich im Jahr 2007 gezeigt wurde.26 2013 ging daraus der umfangreiche Architektur führer ‚Baukunst der Nachkriegsmoderne. Architekturführer Berlin 19491979‘ hervor, den Adrian von Buttlar gemeinsam mit Gabriele Dolff-Bonekämper und Kerstin Wittmann-Englert herausgegeben hat.27 Beispielhaft für die zunehmende Sensibilisierung gegenüber nachkriegsmoderner Architektur steht auch die Ausstellung der Berlinischen Galerie unter dem Titel ‚Radikal modern. Planen und Bauen im Berlin der 1960er-Jahre‘, die im Jahr 2015 gezeigt wurde.28 Ähnliche, ebenfalls vor allem regional geprägte Forschungsund Publikationsprojekte sind in den vergangenen Jahren auch an anderen Stellen entstanden, so etwa der von Sonja Hnilica, Markus Jager und Wolfgang Sonne herausgegebene Band ‚Auf den zweiten Blick. Architektur der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen‘ im Jahr 2010.29 Von je regional bestimmten Blickpunkten geprägt ist auch das aktuell in der Gemeinschaft der Forschenden breit rezipierte Online-Portal ‚moderne-regional.de‘. Neben diese vornehmlich an den Werken orientierten, geografisch gruppierten Überblickswerken treten zahlreiche monografische Ausstellungen und 25 | Vgl. etwa Julius Poseners Vorlesungen zur Architektur; Henry-Russel Hitchcock: Architecture. Nineteenth and twentieth centuries, Baltimore 1958; Leonardo Ben evolo: Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. München 1964; Kenneth Frampton: Modern Architecture. A critical History. London 1980; Heinrich Klotz (Hg.): Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion. München 1986; Peter Gössel, Gabriele Leuthäuser: Architektur des 20. Jahrhunderts. Köln 2001; Wolfgang Pehnt: Deutsche Architektur seit 1900. München 2005; Jean-Louis Cohen: The Future of Architecture. Since 1889. London 2012; Christian Freigang: Die Moderne. 1800 bis heute. Baukunst – Technik – Gesellschaft. Darmstadt 2015. 26 | https://www.ag.tu-berlin.de/menue/forschung_und_projekte/forschungen_zur_ nachkriegsmoderne/; Zugriff 12. 10. 2016. 27 | Adrian von Buttlar, Gabriele Dolff-Bonekämper, Kerstin Wittmann-Englert (Hg.): Baukunst der Nachkriegsmoderne. Architekturführer Berlin 1949-79. Berlin 2013. 28 | Adrian von Buttlar, Thomas Köhler, Ursula Müller (Hg.): Radikal Modern. Planen und Bauen im Berlin der 1960er-Jahre. Ausst.-Kat., Berlin 2015. 29 | Sonja Hnilica, Markus Jager, Wolfgang Sonne (Hg.): Auf den zweiten Blick. Architektur der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen. Bielefeld 2010.
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Publikationen, die in den vergangenen Jahren einzelne Akteur_innen der Nach kriegsmoderne und ihre Werke in den Mittelpunkt gestellt haben. Als wesentliche übergeordnete Fragestellung für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Nachkriegsmoderne steht bis heute diejenige nach Möglichkeiten und Problemen des Denkmalschutzes im Mittelpunkt. Das Kooperationsprojekt ‚Welche Denkmale welcher Moderne?‘, das die TU Dortmund gemeinsam mit der Bauhaus Universität Weimar zwischen 2015 und 2017 durchgeführt hat, mag paradigmatisch hierfür stehen.30 Im Rahmen der Beschäftigung mit modernen Architekturkonzepten wur de vereinzelt bereits der Blick auf das Modell gerichtet. Eine besondere Nähe zwischen moderner beziehungsweise nachkriegsmoderner Architektur und dem architektonischen Modell ist bereits vom Kurator des Deutschen Archi tekturmuseums Frankfurt am Main, Oliver Elser, im Zusammenhang mit der dortigen Ausstellung ‚Das Architekturmodell. Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie‘ im Jahr 2012 beschrieben worden.31 Seine Argumentation sowie die Ausstellung insgesamt fassten das Architekturmodell allerdings vor allem als Medium der Visualisierung und Repräsentation auf. Die Ausstellungs macher_innen beschrieben die Nähe zwischen dem Architekturmodell und der Moderne also vor allem anhand äußerlicher Kriterien von Bau und Modell, weniger anhand der Entwurfstätigkeit und der mit ihr verbundenen Wissensund Erkenntnisprozesse. Schon zuvor interessierte sich auch Mark Morris in seiner Publikation ‚Models. Architecture and the miniature‘ von 2006 vornehmlich für visuell-repräsentative Fragen.32 Ein größeres Interesse auch an den epistemischen Potentialen des Architekturmodells kennzeichnet andere englischsprachige Arbeiten der jüngeren Vergangenheit. Die Architektin und Architekturtheoretikerin Karen Moon hat 2005 ihr umfangreiches Werk ‚Modelling Messages. The architect and the model‘ vorgelegt und befragt die Tätigkeit des Entwerfens darin auf den speziellen Beitrag des Modells.33 Allerdings nimmt sie dabei weder eine grundlegende Trennung zwischen generativen und evaluativen Praktiken bei der Modellverwendung vor, noch differenziert sie zwischen historischen und gegenwärtigen Phänomenen. Das Gleiche gilt für Albert C. Smiths ‚Architectural Model as Machine. A new View of Models from Antiquity to Present Day‘.34 Ihm geht es in seiner Untersuchung weniger 30 | http://welchedenkmale.info/wdwm/; Zugriff am 12.10.2016. 31 | Oliver Elser, Peter Cachola Schmal (Hg.): Das Architekturmodell. Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie. Ausst.-Kat, Frankfurt am Main 2012; darin vor allem: Oliver Elser: Zur Geschichte des Architekturmodells im 20. Jahrhundert, S. 11-22, hier S. 12. 32 | Mark Morris: Models. Architecture and the miniature. West Sussex 2006. 33 | Karen Moon: Modelling Messages. The Architect and the Model. New York 2005. 34 | Albert C. Smith: Architectural Model as Machine. A new View of Models from Antiquity to the present Day. Burlington 2004.
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darum, historische Eigenheiten und Brüche aufzuzeigen, als vielmehr darum, Kontinuitäten zu betonen. Forschungen, die allgemein das Thema des architektonischen Entwerfens zum Thema haben, haben im Wesentlichen erst gegen Ende der 2000er Jahre eingesetzt. Anschließend an bestehende Wissens- und Erkenntnistheorien wurde hier das erste Mal systematisch danach gefragt, wie neues Wissen speziell im architektonischen Entwurfsprozess entstehen kann – und welche Rolle die dabei zum Einsatz kommenden Medien spielen. Die Kulturwissenschaftlerin Susanne Hauser hat das architektonische Entwerfen als „Kulturtechnik“ beschrieben und deutet es als „Verfahren des Überschreitens.“35 Damit weist sie auf das wesentliche Charakteristikum der im Entwurfshandeln angelegten Erkenntnisprozesse hin: Mit der Tatsache, dass die Erarbeitung architektonischer Konzepte auf die Zukunft ausgerichtet ist, kämen zwangsläufig Unschärfen ins Spiel, die im Entwurfsprozess produktiv zu machen seien. „Es wird […] erkennbar, dass Entwürfe nicht mit vollständig definierten Prozessen umgehen, sondern mit Nicht-Wissen, Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit.“36 Diese Beschreibung des Entwerfens schließt an Untersuchungen an, die Susanne Hauser im Jahr 2009 gemeinsam mit Daniel Gethmann unter dem Titel ‚Kulturtechnik Entwerfen‘ herausgegeben und damit zum ersten Mal auf die Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer genuin architekturbezogenen Entwurfsforschung hingewiesen hat. Die dort versammelten Beiträge gingen von der Grundannahme aus, dass die in den Entwurfsprozessen eingesetzten Medien wesentlichen Einfluss auf eben diese Prozesse nehmen und mit ihnen sogar untrennbar verwoben sind: „Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass die dem Entwerfen zugrunde liegenden Kulturtechniken als technische Basis kultureller Praktiken und damit auch die sie operationalisierenden Medien keine dem Entwurfsprozess äußerlichen ‚Mittel‘ oder ‚Werkzeuge‘ der Architektur sind: Eine Trennung zwischen entwerferischer Tätigkeit und ihren Medien verfehlt die Erkenntnis der eigentlichen kulturtechnischen Produktivität auf dem Feld des Entwerfens.“37
In den darauffolgenden Jahren sind auf dieser Ideengrundlage weitere Analy sen entstanden, die zur Entwicklung einer Theorie des Entwerfens beigetragen 35 | Susanne Hauser: Verfahren des Überschreitens. Entwerfen als Kulturtechnik. In: Sabine Ammon, Eva-Maria Froschauer (Hg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur. München u.a. 2013, S. 362-381. 36 | Ebd., S. 365. 37 | Daniel Gethmann, Susanne Hauser: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science. Bielefeld 2009, S. 9-15, hier S. 9.
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haben. Darunter etwa das Schwerpunktheft ‚Entwerfen‘ der ‚Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung‘ im Jahr 2012. Die Herausgeber Lorenz Engell und Bernhard Siegert haben hier explizit die Forderung formuliert, wonach die Entwurfsforschung auch historisch perspektiviert werden müsse. Sie haben damit einen Aspekt formuliert, der auch für den methodischen Ansatz der vorliegenden Arbeit zentral ist: „Statt das Entwerfen als fundamentalen Akt künstlerischen Schaffens zu begreifen und als anthropologische Konstante der Geschichte zu entziehen, wäre eben diese Konzeption als historisches Resultat von diskursiven, technischen und institutionellen Praktiken zu befragen.“38 Und weiter: „Erfinden soll hier nicht als Leistung eines kognitiven Vermögens, sondern als Produkt eines Gefüges von Werkzeugen, Arbeitsumgebungen, Netzwerken, Medien der Archivierung und von Zeichenkalkülen verstanden werden, denen eine eigene Intelligenz innewohnt.“39 Mit dieser Fokussierung auf den aktiven Beitrag unter anderem der Medien im Entwurfsprozess treffen sich die Ausführungen inhaltlich mit den Beobachtungen Susanne Hausers. Auch die Philosophin und Architekturtheoretikerin Sabine Ammon hat seit Anfang der 2010er Jahre ausgiebig zum Thema Entwerfen publiziert. In ihrer Forschung steht ebenfalls das produktive Wechselspiel von entwerfendem Subjekt und Entwurfsartefakt im Zentrum. Im Titel eines 2013 gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Eva Maria Froschauer herausgegebenen Bandes rufen die Forscherinnen entsprechend eine ‚Wissenschaft Entwerfen‘ aus.40 Dar in schreiben die Herausgeberinnen: „Wer nach der Verhältnisbestimmung von Wissenschaft und Entwerfen fragt, hat bereits eine wichtige Grundan nahme getroffen: dass das Entwerfen auch als Erkenntnisprozess gesehen werden muss, der Wissen hervorbringt.“41 Ammon und Froschauer wenden sich mit dem Band darüber hinaus ebenfalls gegen ein herkömmliches Verständnis von Entwurfsartefakten als bloße Visualisierungen bereits ‚im Kopf‘ bestehender Entwürfe. „Die Vorstellung einer Form gewordenen Idee, bei der sich die Imagination in der Zeichnung abbildet und der Entwurf als Zeichnung und als Idee vereint gedacht werden, lässt übersehen, wie wichtig der Einfluss materialer und medialer Bedingungen auf das Entstehende ist.“42 Was die Autorinnen über die Zeichnung im architektonischen Entwurfsprozess schreiben, wird in den hier folgenden Ausführungen auch anhand des architektonischen Modells 38 | Lorenz Engell, Bernhard Siegert: Editorial. In: Zeitschrift für Kunst und Medienforschung, 1/2012 (Schwerpunkt Entwerfen), Hamburg 2012, S. 5-10, hier S. 5. 39 | Ebd., S. 7f. 40 | Sabine Ammon, Eva Maria Froschauer: Zur Einleitung: Wissenschaft Entwerfen. Perspektiven einer reflexiven Entwurfsforschung. In: Ammon/Froschauer 2013, S. 1548, hier S. 16. 41 | Ebd. 42 | Ebd., S. 26.
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gezeigt. Auch in ihren jüngsten Veröffentlichungen zum Entwerfen als Wissenshandlung betont Ammon die aktive Rolle der zum Einsatz kommenden Medien. Sie hat Bilder im Entwurfsverfahren als „epistemische Werkzeuge“ bezeichnet und ihnen ebenfalls einen „wesentlichen Beitrag bei der Entwurfs entwicklung“ zugeschrieben.43 Der gleiche Ansatz bildet den argumentativen Ausgangspunkt des 2015 in der Reihe ‚Bildwelten des Wissens‘ erschienenen Bandes ‚Planbilder. Medien der Architekturgestaltung‘. Der Fokus der dort veröffentlichten Beiträge und Beispiele liege, so die Herausgeberin Sara Hillnhütter, auf den „konkreten Werkzeugen der Planung und Vorbereitung“, darunter beispielsweise „Papieren und Bastelwerkstoffen, Stiften und Winkelmessern, Mustervorlagen und Schablonen.“44 Mit dem von der Kunsthistorikerin Barba ra Wittmann 2018 herausgegebenen Band ‚Werkzeuge des Entwerfens‘ werden in Einzelbeiträgen zu unterschiedlichen „Denk- und Werkzeugen“45 ebenfalls die operativen Eigenheiten unterschiedlicher Entwurfsmedien schlaglichtartig fokussiert und in Bezug zueinander gesetzt.46 Gerade mit der Betonung der aktiven Rolle von Artefakten im architektonischen Entwurfsprozess entstehen hier inhaltliche Überschneidungen mit zahlreichen Wissenstheorien, die unabhängig vom architektonischen Kontext bereits seit Beginn der 1960er Jahre diskutiert wurden. Sie bilden eine elementare Grundlage für die im vorliegenden Band durchgeführten epistemolo gischen Untersuchungen. Die theoretische Analyse der Fallbeispiele wird sich Wissens- und Wissenschaftstheorien bedienen, die vornehmlich in Bezug auf naturwissenschaft liche Forschungsbereiche entstanden sind. Wesentlich für die epistemolo gische Auswertung der Entwurfsmodelle sind etwa die Theorien, die Michael Polanyi über ein implizites Wissen entwickelt hat.47 Die Prozessgebundenheit entwerferischen Handelns wird nachvollziehbar mit den Ausführungen Gilbert Ryles48 und Andrew Harrisons49. Beide haben sich damit auseinandergesetzt, wie (natur-)wissenschaftliches Wissen prozessual innerhalb forschender Tätigkeiten entsteht. In diesen Zusammenhang gehören auch Hans-Jörg 43 | Sabine Ammon: Epistemische Bildstrategien in der Modellierung. Entwerfen von Architektur nach der digitalen Wende. In: Ammon/Hinterwaldner 2016, S. 191-220, hier S. 199. 44 | Claudia Blümle, Horst Bredekamp, Matthias Bruhn, Sara Hillnhütter: Editorial. In: Sara Hillnhütter: Planbilder. Medien der Architekturgestaltung (=Bildwelten des Wissens, Bd. 11), Berlin 2015, S. 7f., hier S. 7. 45 | So die Überschrift der Einleitung von Barbara Wittmann. 46 | Barbara Wittmann (Hg.): Werkzeuge des Entwerfens. Zürich 2018. 47 | Michael Polanyi: The tacit Dimension. Chicago 1966. 48 | Gilbert Ryle: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969 [engl. Orig. 1949]. 49 | Andrew Harrison: Making and Thinking. A Study of intelligent Activities. Sussex 1978.
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Rheinbergers Ausführungen zu Experimentalsystemen.50 Die Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours51 und Lambros Malafouris’ Material-Engagement-Theorie52 sind für die folgenden Ausführungen von Bedeutung, weil es mit ihnen möglich wird, nach der Rolle des Materiellen im Umgang mit architektonischen Modellen zu fragen. Auch die theoretischen Analysen zum Prüfmodell rekur r ieren vornehmlich auf bestehende Wissenstheorien aus dem Bereich der Naturw issenschaften. Konkret prägend für die Arbeit ist der Bezug auf Reinhard Wendlers Forschungen zum Modell in der Kunst und der Wissenschaft 53 sowie auf die Anthologie zur Simulation in der Architektur, mit der Georg Vrachliotis und Andrea Gleininger ebenfalls Bezüge zwischen Architektur und Wissenschaft hergestellt haben.54 Die beiden skizzierten Forschungsfelder – zur Architekturgeschichte der Nachkriegsmoderne und zur Epistemologie des architektonischen Entwerfens – sind bisher noch kaum in Beziehung zueinander gesetzt worden. Die Architekturgeschichtsschreibung der Nachkriegsmoderne konzentrierte sich wesentlich auf die Analyse ausgeführter Bauten oder auf die monografische Rekonstruktion einzelner Architekt_innenkarrieren, die Entwurfswissenschaften und andere Epistemologien verfahren im Wesentlichen ohne analytischen Schwerpunkt auf historische Entwicklungen, Veränderungen oder Brüche. Diese Untersuchung bedient sich beider aktueller Forschungsansätze und verfolgt das Ziel, in beiden einen Mehrwert zu produzieren. Es wurde bereits ausgeführt, dass die Fokussierung auf Entwurfsprozesse und ihre Medien ein Verständnis der Nachkriegsmoderne als architekturhistorische Strömung bereichern kann, wenn sie die Beschreibung und Analyse ausgeführter Bauten ergänzt. Doch auch die Theorien des Entwurfs profitieren davon, in ihrer jeweiligen historischen Gebundenheit verhandelt zu werden. Mit einer solchen konkreten, historisch verorteten Verhandlung von ansonsten eher strukturell debattierten Wissenskonzepten ist es möglich, kulturelle Prägungen, Ideale und Selbstbilder der jeweiligen Akteur_ innen als zusätzlichen Faktor innerhalb einer solchen Theorie mit zu denken. 50 | Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen 2001. 51 | Ausführlich: Andréa Belliger, David J. Krieger (Hg.): ANThologie. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006. 52 | Lambros Malafouris: The cognitive Basis of material Engagement. Where Brain, Body and Culture conflate. In: Elizabeth de Marrais, Chris Gosden, Colin Renfrew (Hg.): Rethinking Materiality: The Engagement of Mind with the material World. Cambridge 2004, S. 53-62; ders.: How things shape the mind. A theory of material engangement. Cambridge, Massachusetts u.a. 2013. 53 | Reinhard Wendler: Das Modell zwischen Kunst und Wissenschaft. München 2013. 54 | Andrea Gleininger, Georg Vrachliotis (Hg.): Simulation. Präsentationstechnik und Erkenntnisinstrument. Basel 2008.
2. Maßstabssprünge: Montagebauten und Riesenskulpturen
Abb. 01: Karikatur zum Bau des Berliner Hansaviertels, unbe kannte Berliner Tageszeitung, zweite Hälfte der 1950er Jahre.
Eine Berliner Tageszeitung erklärte das spielende Kind in einem Bildwitz Ende der 1950er Jahre kurzerhand zum Planer des zeitgleich in Entstehung begriffenen, neuen Hansaviertels im Westteil der Stadt. Mit Blick auf das Kind ruft die an der Tür stehende Mutter aus: „Guck bloß mal unseren genialen Sohn, er baut das Hansaviertel“ (Abb. 01).1 Die Karikatur impliziert damit eine Beo bachtung, die leitend für die hier geführte Argumentation ist: Moderne Bauten sehen aus wie Bauklötze, die über die (Stadt-)Landschaft verteilt liegen. Luftaufnahmen, die zeitgenössisch etwa vom besagten Hansaviertel als Postkarten 1 | Publiziert in: Alte Neuigkeiten. Zeitungsartikel und humoristische Presse-Zeichnungen zur Interbau/Hansaviertel 1957. Berlin 1957, o.S.; für den Hinweis sei Frank-Manuel Peter (HfMT Köln) herzlich gedankt.
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veröffentlicht wurden, unterstreichen diese Lesart (Abb. 02). Bauten der Moderne erscheinen gemäß dieser Sichtweise als unnatürlich vergrößerte Objekte, wenn der Begriff des Objekts in seiner umgangssprachlichen Bedeutung verstanden wird: ‚Objekt‘ stünde demnach unbeachtet seiner philosophischen Implikationen für ein Artefakt in ‚handhabbarer‘ Größe, für ein Artefakt als ‚Ding‘, das einem Subjekt gegenübersteht und von diesem in die Hände genommen beziehungsweise auch bewegt werden kann. Durch die ironische Ineins-Setzung der Gebäude im Hansaviertel mit scheinbar zufällig über einen Fußboden verteilten Bauklötzchen werden im angeführten Bildwitz moderne Einzelarchitekturen als riesenhafte Objekte verstanden und gefasst. Deren mehr oder minder regulierte Anordnung entspräche dabei den zugehörigen Stadtplanungskonzepten.
2.1 A ll ansichtigkeit, M assstäblichkeit : D er B au als ‚O bjek t ‘ Der Effekt einer objekthaften2 Ästhetik moderner Bauten wird am Beispiel des Berliner Hansaviertels und dem Bildwitz mit seinem impliziten Aussagegehalt besonders anschaulich. Es bildet für die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings keineswegs einen Einzelfall: Die ästhetische Nähe zum Objekt mit der damit verbundenen Fokussierung auf Formen und Volumen prägen die visuelle Wahrnehmung zahlreicher Bauten. Für moderne Architektur gilt eine dezidiert dreidimensional-volumenhafte Ausformulierung geradezu als programmatisch (auch) in Abgrenzung zu historischen Architekturen und Stadtplanungskonzepten. So beobachtete etwa der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin schon 1915 in seinen ‚Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen‘: „Wenn die Frontansicht immer eine Art Ausschließlichkeit für sich in Anspruch nehmen will, so trifft man jetzt doch überall Kompositionen, die deutlich darauf ausgehen, die Bedeutung dieser Ansicht zu entwerten.“3 Wie eine Bestätigung dieser Beobachtung klingt die Formulierung des mit der niederländischen Künstler_innengruppe ‚De Stijl‘ verbundenen Architekten, 2 | Der Objektbegriff wird im folgenden Kapitel in seiner alltagssprachlichen Bedeutung eines formal und materialiter in sich abgeschlossenen Gegenstands gebraucht und bezieht sich lediglich auf die formale Erscheinung der beschriebenen Bauten. Die (wissenschafts-)politisch-philosophische Problematisierung des Objektbegriffs (im Unterschied zum Dingbegriff), welche wesentlich von Bruno Latour angestoßen worden ist, ist für die folgenden Ausführungen nicht von Bedeutung (vgl. Bruno Latour: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Frankfurt am Main 2015, insbesondere S. 34-40). 3 | Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. München 1915, S. 70.
Montagebauten und Riesenskulpturen
Abb. 02: Postkarte des Berliner Hansaviertels, Aufnahme aus den 1960er Jahren.
Künstlers und Kunsttheoretikers Theo van Doesburg wenige Jahre später: „Die neue Architektur [hat] das ‚vorn‘ und ‚hinten‘ und möglichst auch ‚oben‘ und ‚unten‘ gleichwertig gemacht. Im Gegensatz zur Frontalität, die sich aus einem fest angenommenen Blickpunkt ergibt, bietet die neue Architektur einen plastischen Reichtum von vielseitiger räumlicher Wirkung.“4 Allansichtigkeit wurde mit der Moderne zum Programm und führte zwangsläufig zu einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Baugestalt in ihrer Gesamtheit ohne die besondere Betonung einer verbindlichen Hauptansicht. Der Bauhaus-Gründer Walter Gropius schrieb im gleichen Sinne 1930: „ein aus dem heutigen geist entstehender bau wendet sich von der repräsentativen erscheinungsform der symmetriefassade ab. man muss rund um den bau herumgehen, um seine körperlichkeit und die funktion seiner glieder zu erfassen.“5 Die damit verbundene Ästhetik, so werden die folgenden Ausführungen noch genauer zeigen, ist dennoch nicht als ‚Stil‘ im Sinne eines historisch sich wandelnden, vornehmlich formal-ästhetische Kategorien betreffender Gestaltungswille misszuverstehen. Es geht hier vielmehr um eine architektonische Haltung, eine neue Auffassung von Raum, Volumen und Körper, deren visuelle Erscheinung nur mehr das wahrnehmbare Ergebnis eines grundlegend neuen Ver4 | Theo van Doesburg: Auf dem Weg zu einer plastischen Architektur [1924]. In: Ulrich Conrads (Hg.): Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts (=Bauwelt Fundamente 1). Berlin 1981, S. 73-75, hier S. 73. 5 | Walter Gropius: Bauhausbauten Dessau. In: Bauhausbücher 12, München 1930, zitiert nach: Hans M. Wingler (Hg.): Neue Bauhausbücher. Bauhausbauten Dessau. Berlin 1974, S. 19.
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ständnisses von Architektur und Stadtraum bildet. Die Realisierung solcher Auffassungen, so eine Kernthese der Arbeit, legt die Verwendung von dreidimensionalen, nicht auf nur einen Betrachter_innenstandpunkt festgelegten Entwurfsmedien nahe. Im Unterschied etwa zu gründerzeitlichen, vornehmlich auf die Gestaltung ihrer Schaufassaden fokussierten Architekturen, wirken moderne Bauten wie überdimensionierte, riesenhafte Objekte und Anordnungen von Objekten im Stadtraum. Das angebliche Fehlen eines ‚menschlichen Maßstabs‘ wurde und wird der Architektur der Zeit wohl genau aus diesem Grund so häufig zum Vorwurf gemacht. Die ästhetische Nähe der infrage stehenden Bauten zum handlichen Objekt zeigt sich – besonders im Feld der Alltagssprache – an zahlreichen konkreten Beispielen: Dass eine bestimmte Art von Spitznamen für Architekturen gerade bei modernen Bauten häufig vorkommt, ist sicherlich kein Zufall. Vielmehr verweisen diese Umbenennungen regelmäßig auf kleinformatige Artefakte, die scheinbar als gestalterische Vorbilder für die jeweiligen Baukörper infrage kommen. Vor allem für Berlin lassen sich zahlreiche Beispiele aufführen:6 Die Kongresshalle am Tiergarten 7 heißt im Volksmund ‚Schwangere Auster‘, der neue Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche8 ist als ‚Lippenstift‘ bekannt, der neben dem neuen Kirchenschiff, der ‚Puderdose‘, steht. Der Fernsehturm am Alexanderplatz9 heißt ‚Telespargel‘ und deutsche Regierungschef_innen erledigen ihre Amtsgeschäfte in der ‚Waschmaschine‘10. Die ästhetische Nähe dieser Bauten zum Objekt wurde hier aufgrund augenscheinlicher Parallelen in der Gestaltung rückgeführt auf kleinformatige Vergleichsgegenstände. Zahlreiche weitere Architekturen ließen sich anführen, wobei die Gemeinsamkeit all der Neu- und Umbenennungen klar ist: Die mit solcherlei Parallelisierungen bezeichneten Bauten rufen allesamt Assoziationen zu vergleichsweise weitaus kleineren Artefakten auf, die bei ihren Beschauer_innen mit Erinnerungsbildern aus der Alltagswelt verknüpft sind. Die tatsächlichen Referenzobjekte dieser Sprachbilder kommen auf diese Weise zumindest in der Fantasie als kleinmaßstäbliches Modell oder Vorbild infrage. In der Wahrnehmung werden übergroßen Baukörper in einen überblickbaren Maßstab zurechtgeschrumpft, um ihn optisch bewältigen zu kön6 | Unter dem Stichwort „Berolinismus“ ist auf der Internetplattform Wikipedia sogar ein eigener Artikel eingerichtet, der vor allem Bauten mit ihren angeblichen Volksmundbezeichnungen aufführt. Der Anteil moderner Gebäude ist hier dominierend. Vgl. https:// de.wikipedia.org/wiki/Berolinismus; Zugriff am 15.03.2018. 7 | Nach Plänen von Hugh Stubbins (mit Werner Düttmann) 1956/57 errichtet. 8 | Nach Plänen Egon Eiermanns, errichtet 1960/61. 9 | Nach Plänen u.a. Hermann Henselmann, errichtet 1965-69. 10 | Nach Plänen Axel Schultes und Charlotte Franks, errichtet 1997-2001.
Montagebauten und Riesenskulpturen
nen. Bauten der Moderne werden in diesen Fällen also nicht mehr innerhalb architektonischer und stilgeschichtlicher Kategorien erfasst oder beschrieben. Es werden vielmehr alltägliche Vorstellungsbilder und Artefakte als Vor-Bild und Modell angenommen. Mit dieser visuellen Nähe der Bauten zum Objekt geht in der Vielzahl der Fälle eine Wahrnehmung einher, die die Bauten als monolithisch fasst: Die Gebäude wirken wie ein Objekt, das weniger aus einer Vielzahl von Einzelteilen gemauert oder gefügt zu sein scheint, als vielmehr von je her in sich ganzheitlich und komplett gewesen sein muss. Der Architekturtheoretiker Adolf Max Vogt hat die Bauten der Nachkriegsmoderne zwar nicht wörtlich als monolithisch bezeichnet – mit seinem Begriff der „Gußarchitektur“ jedoch den gleichen Effekt beschrieben. Dieser resultierte für Vogt aus der Art der Bauproduktion: „Seit 1945 gilt […], daß Bauen kaum mehr ein Aufschichten oder Höhlen, sondern ein Guß-Prozeß geworden ist. Die drei dominierenden Materialien – Beton, Stahl, Glas – gehen alle aus Guß-Prozessen hervor, im Unterschied zu den Hau- oder Schneidematerialien Stein und Holz.“11 Gemäß dieses Arguments entstanden also Bauten ‚aus einem Guss‘, die sich mit ihrer monolithischen Gestalt deutlich von den Architekturen vorangegangener Jahrhunderte absetzten. Die in dieser Arbeit zunächst hypothetisch unterstellte Modellaffinität moderner Architekturen wäre, ausgehend von den hier rekapitulierten Beo bachtungen aus der Alltagswelt, unter anderem aus ihren formalästhetischen Eigenschaften heraus zu begründen. Diese sind allerdings als Ergebnis einer neuen Bau- und Raumauffassung zu verstehen, nicht als ästhetisches Ziel, aus dem ein eigener, an festen ästhetischen Merkmalen festzumachender Stil erwachsen könnte. Wenn moderne Bauten nach ihrer Fertigstellung aussehen wie die riesenhaften Ausführungen von ansonsten eher kleinen Objekten, kommen diese Objekte zumindest potentiell als Vorbilder – und damit eben als Modelle – für die jeweilige Architektur infrage und weisen auf diese Weise zurück auf die Ideenfindungsprozesse beim Entwerfen. Konkret: Beim Betrachten eines gebauten ‚Betonklotzes‘ erscheint dessen Entwurf und konzeptionelle Entwicklung aus einem kleinmaßstäblichen ‚Klotz‘ im Sinne eines Modells als sinnfällig beziehungsweise wird durch die Benennung so unterstellt. Dabei ist zunächst nachrangig, ob es sich im jeweiligen Einzelfall um ein immaterielles Ideenmodell als Vorbild für einen Entwurf handelt, das nicht realiter, sondern – wenn überhaupt – nur ‚im Kopf‘ der Architekt_innen existiert, oder ob konkret materielle Dinge tatsächlich angeordnet wurden im Sinne eines explizit als solchen konzipierten Modells. 11 | Adolf Max Vogt: Entwurf zu einer Architekturgeschichte 1940-1980. In: ders., Ulrike Jehle-Schulte Strathaus, Bruno Reichlich: Architektur 1940-1980. Frankfurt am Main/ Wien/Berlin 1980, S. 11-98, hier S. 21.
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Eine besondere visuelle Nähe von Architektur und kleinerem Objekt lässt sich allerdings nicht nur bei denjenigen Bauten beobachten, die als monoli thische Großformen oder als Gußarchitektur im Sinne Vogts konzipiert sind. Bereits deren Erscheinung hatte Vogt – unter anderem – anhand der Veränderungen bei den Baumaterialien und im Bauprozess seit 1945 erklärt. Eine ganz andere ästhetische Wirkung nachkriegsmoderner Bauten lässt sich ebenfalls aus einem aus der Art der Produktion heraus begründeten Feld ableiten: Sie speisen sich aus der Logik der Vorfertigung und führen zu einer der Gußarchitektur gleichsam entgegengesetzten Ästhetik. Die Maßstäblichkeiten veränderten sich durch die Praxis der Vorfertigung schon im Bauprozess grundlegend, wenn die Bauteile deutlich größer werden. Entsprechende ästhetische Einflüsse auf die fertiggestellten Bauten werden damit – ob gewollt oder ungewollt – unumgänglich. Vorfertigung und Standardisierung der Bauteile führten vor allem seit den späten 1950er Jahren zu einer „Elementierung“12 des Erscheinungsbildes von Architektur.13 So beobachtete der Architekturhistoriker Roman Hillmann gar eine genuine „Fertigteilästhetik“, die er als eine „Ästhetik der Gefügtheit aus Teilen“ beschreibt.14 Hillmann bezieht sich in seinen Ausführungen vor allem auf vorgefertigte Stahlbetonteile, schließt Fertigteile aus anderen Materialen wie etwa Stahl und Glas aber explizit in die Beobachtungen mit ein.15 Diese Ästhetik habe sich, aus ersten Ursprüngen in den 1920er Jahren herrührend, erst in den 1960er-Jahren voll entwickelt: „Diese Zeit zeichnete sich dadurch aus, dass Fertigteile nicht nur in vereinzelten Projekten und vorwiegend im Zweckbau, sondern vielfach und in diversen Baugattungen angewandt und bewusst gezeigt wurden.“16 Der Architekturhistoriker Christian Freigang hat darauf hingewiesen, dass sowohl die oben beschriebene monolithisch-plastische Betonarchitektur als auch die Fertigteil-Montage-Architektur ganz wesentlich zu einer eigenen Ästhetik der Moderne beitragen würden. Entsprechen grundlegend sei der gestalterische Unterschied zu klassisch geschichteten Bauten etwa aus kleinformatigen Backoder Natursteinen.17 12 | Gleiter, Jörg H.: Condicio architectonica. Zum Verhältnis von Philosophie und Architektur. In: Gleiter/Schwarte 2015, S. 39-57, hier S. 49. 13 | Vgl. dazu auch: Kenneth Frampton: Studies in tectonic Culture. The Poetics of Construction in nineteenth and twentieth century architecture. Cambridge, Mass. 1995. 14 | Roman Hillmann: Fertigteilästhetik – Die Entstehung eines eigenen Ausdrucks bei Bauten aus vorgefertigten Stahlbetonteilen. In: Adrian von Buttlar, Christoph Heuter (Hg.): denkmal!moderne. Architektur der 60er Jahre. Wiederentdeckung einer Epoche. Berlin 2007, S. 80-87, hier S. 84. 15 | Ebd., S. 80. 16 | Ebd. 17 | Freigang 2015, S. 15.
Montagebauten und Riesenskulpturen
Die hier bereits ausgeführten Überlegungen zur besonderen Wirkung moderner Architekturen, deren Baukörper – in ihrer Gänze – an monolithische Objekte erinnern, lässt sich demnach erweitern. Bauten, die der Fertigteil-Montage-Architektur zuzurechnen sind, rücken zunächst in die ästhetische Nähe derjenigen Architekturen, die der Architekturkritiker und -historiker Wolfgang Pehnt mit dem Schlagwort des „Zyklopenstils“ gefasst hat: Gemeint hat er damit Gebäude, die aus riesenhaften Steinquadern aufgeschichtet sind und entsprechend eine monumentale Wirkung entfalten, die somit ebenfalls einer gewohnten Maßstäblichkeit entrissen sind.18 Zwischen der hier gemeinten Montiertheit moderner Architekturen und Pehnts Zyklopenstil sind dennoch grundlegende Unterschiede zu benennen, die gleichzeitig die Besonderheiten der Fertigteil-Architektur nochmals deutlich machen: Während der Zyklopenstil dem Wunsch nach einer monumentalen Ästhetik geschuldet ist, ergibt sich der Eindruck der Montiertheit moderner Bauten vornehmlich aus produktionspragmatisch begründeten Auswirkungen der Vorfertigung, die eine genuin nicht-monumentale, additive Wirkung zeitigt. Ablesbar wird dadurch vielmehr eine architektonische Haltung oder Produktionsweise als ein tatsächlicher Stil. Zudem rekurrieren Bauten des Zyklopenstils ganz wesentlich auf dem traditionellen Prinzip der – scheinbar von einem Riesen ausgeführten – Schichtung, während die hier thematisierte Architektur auf demjenigen der Montage basiert. Die Montiertheit zahlreicher nachkriegsmoderner Bauten ergibt sich des Weiteren aus der Entwicklung und Verwendung neuer Baumaterialen. Neben den klassischen neuen Materialien der frühen Moderne – Beton, Eisen, Glas – wurden in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend auch Kunststoffe, Aluminium und immer größere Betonfertigteile verwendet, mit denen das traditionelle Bauprinzip der Schichtung zunehmend abgelöst wurde. Als großformatige und vorgefertigte Bauelemente wurden solcherlei Materialien auf der Baustelle lediglich montiert und blieben als Einzelelemente montierter Architektur erkennbar. Montierte Bauten weisen – vergleichbar mit den oben als objektähnlich beschriebenen Architekturen – ebenfalls eine besondere Nähe zur Kategorie des Architekturmodells auf. Dieses Phänomen rührt, wie beschrieben, wesentlich daher, dass die Gebäude auch nach ihrer Fertigstellung noch den Eindruck erwecken, als hätte ein Riese sie zusammengefügt. Die Nähe zum Modell beruht demnach weniger auf Gestalt und Ästhetik des fertiggestellten Gebäudes in seiner Gänze, als vielmehr aus der Ablesbarkeit eines montagehaften, also mit präfabrizierten Elementen operierenden Bauprozesses. Von Interesse ist 18 | Vgl.: Wolfgang Pehnt: Reformwille zur Macht. Der Palazzo Pitti und der Zyklopenstil (1995). In: ders. (Hg.): Die Regel und die Ausnahme. Essays zu Bauen, Planen und ähnlichem. Ostfildern-Ruit 2011, S. 65-74.
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Abb. 03: 1:1-Modell für die späteren Institutsbauten IA und IB der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 1963.
damit für die hier geführte Argumentation weniger die monolithische Großform des Baus als vielmehr der – nahsichtigere – Blick auf einzelne Bereiche seines Auf baus. Auf den Zusammenhang zwischen der Präfabrikation von Bauteilen auf der einen und dem Modell auf der anderen Seite hat der Architekturhistoriker Oliver Elser für die Architektur bereits der 1920er Jahre hingewiesen, also in Hinblick auf die Entstehungs- vor allem aber Erprobungszeit vorfabrizierter Baumaterialien im größeren Stil. Der Architekt Ernst May hatte zur Stuttgarter Werkbundausstellung 1927 ein Musterhaus errichten lassen, das zur Zeit der Ausstellung jedoch bewusst nicht fertiggestellt war, damit die großformatige Konstruktionsweise für die Besuchenden nachvollziehbar blieb. Hierzu Elser: „Das Haus ‚franst‘ an den Seiten aus, als habe der Riese, der dieses realgroße Modell errichtet, plötzlich die Lust verloren.“19 Halbfertige Häuser als riesenhafte Modelle aus riesenhaften Bauteilen hat es auch in der Folge der Stuttgarter Ausstellung immer wieder gegeben. So etwa mit der ‚Interbau 1957‘ im Berliner Hansaviertel, bei der ebenfalls einige Bauten bewusst nicht fertiggestellt waren, um die modulare und präfabrizierte Bauweise je eindrücklich und modellhaft vor Augen führen zu können. Zahlreiche Bauten der Nachkriegsmoderne ließen sich anführen, die ihre Entstehung aus dem 19 | Elser 2012, S. 15.
Montagebauten und Riesenskulpturen
Abb. 04: Institutsbauten IA und IB der Ruhr-Universität Bochum (Abriss 2016), bauzeitliche Aufnahme nach 1965.
Montageverfahren präfabrizierter Bauteile auch nach ihrer Fertigstellung noch ostentativ zur Schau stellen. Als Beispiel seien etwa die Institutsbauten der 1965 eröffneten Ruhr-Universität Bochum genannt. Die Neuartigkeit der Bauabläufe und deren Abhängigkeit von vorfabrizierten Bauelementen wurden öffentlichkeitswirksam propagiert und das „Baukastenprinzip“20 ganz bewusst auch in der Gestalt der dann fertiggestellten Bauten sichtbar belassen (Abb. 03, 04).21 Deutlich wird das Beschriebene auch bei Ludwig Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in Berlin, deren riesige Dachplatte – massenmedial inszeniert – innerhalb eines Tages am Stück aufgeständert wurde. Bis heute kann ihr Lasten als ein Bauteil auf wenigen Stützen als wesentliches architektonisches Thema des Baus angesehen werden und zeigt sich entsprechend ausgestellt. Im massenhaften Wohnungsbau in Tafelbauweise, bei so genannten Plattenbauten also, ist die beschriebene Montiertheit ebenfalls meist noch nach Fertigstellung der Bauten erkennbar und wirkt so wesentlich auf ihre Ästhetik und ihren Aussagegehalt. 20 | Kerstin Wittmann-Englert: Nachkriegsarchitektur neu bewertet. Das Beispiel RuhrUniversität. In: Richard Hoppe-Seiler/Cornelia Jöchner/Frank Schmitz (Hg.): Ruhr-Uni vers ität Bochum. Architekturvision der Nachkriegsmoderne. Berlin 2015, S. 89-98, hier S. 93. 21 | Vgl. hierzu auch: Olaf Gisbertz: Serie versus Unikat. Institutsgebäude und Hörsaal
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Abb. 05: Die Neubauten der Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirche in Berlin, nach Plänen von Egon Eiermann, Aufnahme 1961.
Eine Grenze zwischen der beschriebenen monolithischen Gussarchitektur in ästhetischer Nähe zum ‚kleinen‘ Objekt auf der einen und Fertigteil-Montage architekturen auf der anderen Seite lässt sich nicht immer trennscharf ziehen. Die Unterscheidung dient in der hiesigen Analyse in einem heuristischen Sinn vornehmlich dazu, Aspekte einer besonderen Modellhaftigkeit moderner Bauten auf mehreren Ebenen herauszustellen und beschreibbar zu machen. Beide dargelegten Phänomene können sogar innerhalb eines einzelnen Bauprojekts gleichermaßen zum Tragen kommen und einander in ihren Effekten verstärken. Deutlich wird dies etwa in Hinblick auf Egon Eiermanns Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, deren besondere Baukonstruktion auch bildlich in den Monografien über das Bauwerk stets dokumentiert wird (Abb. 05). Die Objekthaftigkeit von neuem Turm und Kirchenschiff beschrieb bereits ein zeitgenössischer Autor der ‚Bauwelt‘ im Jahr 1962: „Oktogon Ost. In: Hoppe-Sailer/Jöchner/Schmitz 2015, S. 239-246.
Montagebauten und Riesenskulpturen
[=Kirchenschiff, R.L.] und neuer Turm stehen da, als ob man sie jederzeit wegnehmen, verschieben und anders ordnen könnte: zwei bewegliche Modelle im Maßstab 1:1.“22 Die beiden Bauteile sind in dieser Betrachtung Modell ihrer selbst im originären Maßstab. An diese Beobachtung anschließend sind sie allerdings vor allem die großmaßstäbliche Umsetzung eines implizit mitgedachten, ‚kleinen‘ und damit wirklich handhabbaren Objekts, welches seinerseits tatsächlich in sich veränder- und verschiebbar wäre. Zwischen dem Eindruck, die einzelnen Baukörper seien verschiebbar, und der Wirklichkeit kommt es also zu einem Auseinanderdriften der Maßstäblichkeiten und damit zunächst zum visuellen Eindruck der oben beschriebenen, monolithischen Nähe zum ‚kleinen‘ Objekt. Die Neubauten der Berliner Gedächtniskirche sind allerdings ganz wesentlich auch als montiert zu beschreiben: Ihre Gestalt ist abhängig von der Präfabrikation ihrer Bauteile: In ein aus mächtigen Stahlträgern zusammengeschweißtes Stahlgerüst wurden im Jahr 1961 innerhalb kürzester Frist die großformatigen, industriell vorgefertigten Betonwabenelemente eingefügt. Diese wiederum tragen die – in einer Glaswerkstatt bei Chartres handwerklich vorgefertigten – Betonglaselemente, die für die Lichtinszenierung im Innenraum sorgen. Die insgesamt als Großobjekte wirkenden Neubauten der Gedächtniskirche basieren damit in ihrer Ästhetik bis heute ganz wesentlich auf einem Montageverfahren, bei dem die Baukörper ausgehend vom Großen (Stahlträger) weiterführend zum Kleinen (das einzelne Betonglasfeld) in- und aneinandergefügt wurden, ohne gänzlich miteinander zu verschmelzen. Wolfgang Pehnt hat diese Ästhetik speziell im Zusammenhang mit der Architektur Egon Eiermanns als eine des „Rühr’-mich-nicht-an“23 bezeichnet. Er hat sie als Ästhetik der Elementierung gesehen, bei der die einzelnen Bauteile in sich klar be- und entsprechend voneinander abgegrenzt bleiben. Die Beobachtung lässt sich natürlich auf zahlreiche andere Architekt_innen und Architekturen anwenden. So schreibt auch Pehnt: „Dieser Satz [von der Ästhetik des „Rühr’mich-nicht-an“; R.L.] kann überhaupt als ein Zauberspruch im Design der fünfziger Jahre gelten.“24 Eingedenk des konstanten Einsatzes von großformatigen Fertigteilen auch in den darauffolgenden Jahrzehnten lässt er sich – wie ausgeführt – auch auf die 1960er und 1970er Jahre anwenden. 22 | Ulrich Conrads: Die neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. In: Bauwelt 4/1962, S. 95-98, S. 97. 23 | Wolfgang Pehnt: Sechs Gründe, Eiermanns Werk zu lieben. Und einer es nicht zu tun. Notizen zu einem großen deutschen Architekten. In: Annemarie Jaeggi (Hg.): Egon Eiermann (1904-1970). Die Kontinuität der Moderne. Ostfildern-Ruit 2004, S. 17-29, hier S. 21. Und: Wolfgang Pehnt: Deutsche Architektur seit 1900. Ludwigsburg 2005, S. 303. 24 | Pehnt 2005, S. 303.
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Mit den beschriebenen Ästhetiken nachkriegsmoderner Bauten geht ein weiterer Aspekt einher, der anhand der Gedächtniskirche bereits aufgerufen wurde und insgesamt zahlreiche Bauten der Nachkriegsjahrzehnte charakterisiert: ihre scheinbare Unverbundenheit mit dem Grund. In zahlreichen Fällen wurden Baukörper – etwa auf v-förmigen Piloti oder andersartigen Stützen – aufgeständert. Noch häufiger ist zu beobachten, dass Bauten auf niedrigen Sockeln errichtet wurden, die hinter die Bauflucht zurücktreten. Hierdurch entsteht regelmäßig der Eindruck, die Baukörper als ganze oder einzelne Teile des Gebäudes würden über dem Grund schweben und seien entsprechend auch versetz- oder verschiebbar. Luftgeschosse, scheinbar schwebende Flug dächer und die optischen Auswirkungen von Schattenfugen als besonders häufig auftretende Charakteristika nachkriegsmoderner Architekturen tragen verstärkend zu einer solchen scheinbaren Dynamisierung von Gebäudeteilen als Riesenobjekte bei. Der Effekt der Unverbundenheit mit dem Grund ist ebenfalls in Hinblick auf die Berliner Gedächtniskirche beschrieben worden. Die ‚Bauwelt‘ schrieb im Jahr 1958, dass der alte, neoromanische Turm „laste[]“, während der Neubau „wie leicht hingesetzt schein[e].“25 Vier Jahre später und unmittelbar nach Fertigstellung der Kirche stand in der gleichen Zeitschrift noch anschaulicher: „Auf dieser Plattform stehen nun der alte Turm und das neue Bauwerk: der der Zeit entkleidete, aber fest gegründete Klotz von 1898 und der Kirchbau von 1961, bei dem sich […] der Architekt um die Gründung drückte.“26 Den hier beschriebenen Charakteristika von Bauten aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg kommt damit neben der ästhetischen auch eine genuin historisch-symbolische Komponente zu. Denn mit ihr geht eine deut liche Unterscheidung von architektonischen Konzepten etwa des Nationalsozia lismus, des sozialistischen Realismus der 1950er Jahre in der DDR, vor allem aber des Historismus im 19. Jahrhundert einher. Während jene Architekturen, oftmals explizit mit einem weitgehenden Ewigkeitsanspruch verbunden, ihre Monumentalität und damit verbundene erdenschwere Unverrückbarkeit ostentativ zur Schau stellten, zeichneten sich moderne Architekturen nur zu häufig durch ihre – wenn auch nur scheinbare – Zeitgebundenheit, Transparenz und Leichtigkeit aus.27 Vor allem in den Jahrzehnten direkt nach dem Krieg kam den neuen Bauten mit all ihren Implikationen von Leichtigkeit, Transparenz und entsprechender Anti-Monumentalität so auch eine zeichenhaft-politische Dimension zu. 25 | Ulrich Conrads: Ceterum… Zum Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. In: Bauwelt 8/1958, S. 171-175, hier S. 173. 26 | Conrads 1962, S. 97. 27 | Zum Ideal der räumlichen Mobilität und zeitlichen Gebundenheit in der Architektur der Nachkriegsjahrzehnte: Cornelia Escher: Zukunft entwerfen. Architektonische Kon-
Montagebauten und Riesenskulpturen
2.2 A rchitek tur und bildende K unst : D er B au als S kulp tur Die Beobachtung, wonach moderne, vor allem aber nachkriegsmoderne Bauten eine am handhabbaren und monolithischen Objekt geschulte oder montagehafte Ästhetik entwickelt haben, stützt sich vornehmlich auf die beobachtende Analyse der ausgeführten Bauten und der Wirkung auf ihre Betrachter_innen im alltäglichen Erleben. Hieran anschließend lässt sie sich auf einer kunst- und architekturhistorischen Ebene auch ideengeschichtlich und theoretisch fundieren durch die Beobachtung einer zunehmenden Nähe zwischen Architektur und bildender Kunst seit dem frühen 20. Jahrhundert. Moderne Bauten und gleichzeitig die entstehende Skulptur und Plastik sind in ihren konzeptuellen Ansätzen über weite Strecken als gemeinsames Phänomen zu denken.28 Diese Beobachtung soll im Folgenden gedanklich entwickelt und in Bezug gesetzt werden zur Frage nach dem Architekturmodell. Denn wenn sich Skulptur und Architektur auch immer stärker aufeinander zubewegten: als kategoriale Differenz zwischen beiden blieb in einem Großteil der Fälle die unterschiedliche Größe beziehungsweise Maßstäblichkeit. Das Architekturmodell stünde in diesem Sinne dazwischen: Wenn die Architektur ‚große‘ Skulptur beziehungsweise die Skulptur ‚kleine‘ Architektur ist, wäre das Architekturmodell Skulptur oder die Skulptur wäre Architekturmodell. In anderen Worten: Wenn moderne Architektur als skulptural begriffen wird, wird ihre kreativ-geistige sowie ihre real-physische Entwicklung aus dem Modell heraus nur umso sinnfälliger. Die theoriebasierten wie formalstilistischen Verbindungen zwischen Architektur und bildender Kunst sind in der kunsthistorischen Forschung vor allem für den Zeitraum seit Beginn der klassischen Avantgardebewegungen beschrieben worden. Nur beispielhaft sei dabei etwa auf die ‚Architektons‘ von Kazimir Malewitsch verwiesen, sowie das Modell für das ‚Denkmal zur III. Internationale‘ von Wladimir Tatlin oder dessen ‚Eck-Konterreliefs‘. Die jeweiligen Objekte lassen sich nur schwerlich einteilen in die Kategorien von Skulptur oder Architektur(modell). Ausgehend von zwei entgegengesetzten Polen nähern sich die Werke einander auf kategorialer Ebene an: Die Werke Malewitschs gelten unter anderem qua kunsthistorischer Tradierung als Skulpturen, wirken aber durch ihre Gestalt und die Benennung als ‚Architektons‘ wie zepte des GEAM (Groupe d’Études d’Architecture moderne) 1958-1963. Basel 2017. 28 | Die beiden Begriffe von Plastik und Skulptur werden im Folgenden synonym verwendet. Für die hier geführte Argumentation ist lediglich von Bedeutung, dass es sich bei den verhandelten Objekten um dreidimensionale wie raumgreifende Dinge handelt. Ob sie nach auf- oder abtragendem Prinzip entstanden sind, ist in den allermeisten Fällen nachrangig und wird ansonsten gesondert betont.
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Architekturmodelle. Tatlins Turm wiederum ist gemäß seiner ursprünglichen Funktionsbestimmung ein Modell. Als Objekt entwickelt es allerdings eine so eigenständige visuelle Präsenz, dass Rekonstruktionen des Turmmodells in Ausstellungen stets wie eine Skulptur präsentiert und als solche ganz selbstverständlich neben die Werke anderer, vornehmlich bildender Künstler_innen gestellt wurden und werden.29 Die hier beschriebene Entwicklung reicht damit mindestens bis in die Zeit der frühen Moderne zurück. Die Annäherung der beiden Gattungen von Kunst und Architektur wurde bereits in zeitgenössischen Beschreibungen thematisiert. Dabei wurde dieses Phänomen bemerkenswerterweise nicht als synchrone Entwicklung beschrieben, bei der beide Pole sich einander in gleicher Weise aufeinander zubewegen würden. Zumindest auf Seiten derer, die sich mit architektonischen Konzepten auseinandersetzten, wurde vielmehr eine eindimensionale Entwicklung, eine Bewegung nämlich speziell der Architektur in Richtung der bildenden Kunst teilweise schon beobachtet, teilweise noch eingefordert. Die bildende Kunst wurde in diesem Sinne als bereits weiter entwickelt und damit als vorbildhaft verstanden. Auch hier ging es allerdings weniger um eine stilistisch-ästhetische Orientierung an der Kunst, als vielmehr darum, die grundsätzliche Idee davon zu klären, wie architektonische Entwurfsprobleme idealerweise angegangen werden müssten. Der Architekt Wassili Luckhardt etwa hat die Entwicklung der Kunst, zumal der bildenden, im Jahr 1921 als Referenz für das Bauen ausgemacht und seine Beobachtungen als Forderung an den Nachwuchs formuliert: „Wer in den Ausstellungen sieht, worum Maler und Bildhauer ringen, fühlt trotz aller scheinbaren Verschiedenheit das gemeinsame Wollen zu einer neuen Gesinnung und einer neuen Form. Hier liegen auch für den jungen Architekten die Zeichen, die in die Zukunft weisen.“30 Einen ähnlichen Appell wie Luckhardt formulierte Anfang der 1940er Jahre auch der Architekturtheoretiker Siegfried Giedion. In ‚Space, Time and Architecture‘ hat er die zu erstrebende Annäherung der Architektur an die Skulptur im Sinne eines Desiderats beschrieben. So war noch in der deutschen Erstausgabe von 1965 zu lesen: „Der gewöhnliche Architekt weiß nicht, wie Vo29 | Zuletzt etwa im Jahr 2011 in der Ausstellung ‚Baumeister der Revolution. Sowje tische Kunst und Architektur 1915-1935‘ im Berliner Martin-Gropius-Bau oder – im gleichen Jahr – im Museum Tinguely in Basel in der Ausstellung ‚Tatlin. Neue Kunst für eine neue Welt‘. Vgl.: David Breuer, Peter Sondershausen (Hg.): Baumeister der Revolution. Sowjetische Kunst und Architektur 1915-1935. Ausst.-Kat., Essen 2011; Anderson, Richard; Szech, Anna (Hg.): Tatlin. Neue Kunst für eine neue Welt. Ostfildern 2013. 30 | Wassili Luckhardt: Vom Entwerfen. In: Akademie der Künste Berlin (Hg.): Brüder Luckhardt und Alfons Anker, Berliner Architekten der Moderne. Ausst.-Kat., Berlin 1990, S. 122. [Original: Stadtbaukunst alter und neuer Zeit, 1921, Heft 11.]
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lumen in den Raum gestellt werden sollen, und noch weniger versteht er, sie so zu modellerien, daß sie zu Beziehungswerten werden. Bildhauer andererseits haben die Sensibilität entwickelt. Was fehlt, ist die Brücke zwischen Bildhauer und Architekt.“31 Der Hintergrund dieser Forderung ist klar: Architektur, zumal – aus Giedions Sicht – gute Architektur, zeichnet sich durch ihre Nähe zur Skulptur und zur Modellierung aus. Architektur und Skulptur begegneten sich im 20. Jahrhundert freilich nicht immer so bewusst und programmatisch wie in diesen Fällen. Für den Großteil der architektonischen Konzepte ist die zunehmende Nähe zur Skulptur eher als eine allgemeine, ihre Wirkmacht vor allem implizit entfaltende Tendenz zu verstehen. So hielt Giedion ganz allgemein als Leitsatz seiner Ausführungen fest: „Die Architektur nähert sich der Plastik und die Plastik nähert sich der Architektur.“32 Auch der Schweizer Architekt Franz Füeg setzte für seine Gedanken über die ‚Grenzen und Stufen der Architektur‘ im Jahr 1960 ganz selbstverständlich das Einverständnis darüber voraus, dass „die Grenzen zwischen Architektur und Plastik verwischt werden“33: „Das Bauwerk ist zur Plastik geworden, zu einer begehbaren und nutzbaren Plastik.“34 Ähnlich Dietrich Clarenbach, ebenfalls zeitgenössisch im Jahr 1969: „In neuerer Zeit […] wurden die Grenzen zwischen Architektur und Plastik in besonders auffälliger Weise überschritten. Es entstanden Grenzfälle, bei denen sich die Erscheinungsformen ähneln, so daß bei Gebäuden von modellierten, bei Plastiken von konstruierten Gebilden gesprochen werden kann.“35 Zeitgenössische Strömungen im Kunstfeld hätten entsprechend, so Karen Moon, auch auf die Verwendung der Entwurfsmedien zurückgewirkt. „The trend towards abstraction [in der Architektur seit Beginn des 20. Jahrhunderts, R.L.] has positioned the model at an encreasingly elemental level in the creation of architecture, allowing it to convey the architect’s underlying vision in all its primal power.”36 Diese Beobachtung lässt sich sowohl auf die – weiter oben – als monolithisch beschriebene Architektur anwenden als auch auf die als montiert bezeichneten Bauten mit ihrer additiven Wirkung. Als Positiv-Beispiel für skulpturale Bauten nannte Giedion im Jahr 1965 die damals zehn Jahre alte 31 | Sigfried Giedion: Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition. Ravensburg 1965, S. 30 [engl. Orig. Space, Time and Architecture: The Growth of a New Tradition. Harvard 1941]. 32 | Ebd., S. 29. 33 | Franz Füeg: Grenzen und Stufen der Architektur. In: Bauen und Wohnen 9/1960, S. 306-312, hier S. 306. 34 | Ebd., S. 307. 35 | Dietrich Clarenbach: Grenzfälle zwischen Architektur und Plastik im 20. Jahrhundert. Dissertationsschrift. München 1969, S. 3. 36 | Moon 2005, S. 77.
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Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut in Ronchamp von Le Corbusier, die auch von zahlreichen anderen Kritikern und Fachleuten als Skulptur gesehen und beschrieben worden ist.37 Für den Bereich der elementhaltigen Architektur lässt sich etwa eine Verbindung zwischen den ‚Architektons‘ von Malewitsch und architektonisch-städtebaulichen Megastrukturen, wie sie für die 1960er Jahre typisch waren, anführen. Die Ruhr-Universität Bochum ist als Beispiel hierfür bereits angeführt worden, der Neubau der so genannten Rostund Silberlaube an der Freien Universität Berlin lässt sich hinzufügen und wird an späterer Stelle dieser Arbeit eingehender analysiert. Aus einer retrospektiven, also architekturhistorischen Perspektive heraus machte die Kunsthistorikerin Marie Theres Stauffer die Entwicklung der Architektur hin zur Skulptur zuletzt vor allem für den Zeitraum der Nachkriegsjahrzehnte explizit. Sie bezog sich dabei allerdings weniger auf die formalen Eigenschaften einzelner Architekturen als vielmehr auf die Dimension des Städtebaus: „Ab Mitte der fünfziger Jahre entstanden zunehmend Stadtentwürfe, die als skulpturale Großformen entstanden sind. Diese Tendenz intensivierte sich in den sechziger Jahren, um bis in die frühen siebziger Jahre anzuhalten.“38 Als Grund hierfür sieht sie neben der formalästhetischen und theoretischen Entwicklung architektonischer Konzepte auch die „Zersiedelung der Städte und den Verlust der Zentren“, auf die die Spätmoderne mit „visionären skulpturalen Großformen“ geantwortet habe.39 Mit der Ausstellung ,ArchiSkulptur‘ hat zuletzt das Museum Tinguely in Basel auf die Verschränkung von Architektur und Skulptur aufmerksam gemacht und dabei einen wesentlichen Fokus auf die 1950er bis 1970er Jahre gelegt.40 In diesem Zusammenhang hat der Kunsthistoriker Markus Brüderlin die 1950er Jahre beschrieben als das „grosse Zeitalter der versuchten Synthese von Architektur und Skulptur“ und die 1960er Jahre – großmaßstäblicher – als Jahrzehnt der „urbanen Utopien, in denen die Stadt Skulptur wird.“41 Eine Stadt beziehungsweise ein Einzelgebäude, das so programmatisch in die Nähe der Skulptur gedacht wird, muss freilich ‚skulptural‘ entwickelt werden und bezieht daraus seine sowohl theoriebasierte als auch pragmatisch motivierte Partnerschaft zum Modell. Wo die Architektur als großmaßstäbliche Skulptur gedacht wird, wird das Modell zur Basis der Formfindung. 37 | Clarenbach 1969, S. 61f. 38 | Marie Theres Stauffer: Die Stadt will Skulptur werden. Urbane Utopien und informelle Megaplastik. In: Markus Brüderlin (Hg.): ArchiSkulptur. Dialoge zwischen Architektur und Plastik vom 18. Jahrhundert bis heute. Ausst.-Kat., Basel 2004, S. 178-191. 39 | Stauffer 2004, S. 183. 40 | Brüderlin 2004. 41 | Markus Brüderlin: Einführung: ArchiSkulptur. In: Brüderlin 2004, S. 15-25. (=Brü derl in 2004a)
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Die Annäherung von Skulptur und Architektur lässt sich freilich nicht nur vom Standpunkt der Architektur her beobachten, sondern auch von demjenigen der bildenden Kunst. Die Architektur wäre aus dieser – gewisserweise umgedrehten – Perspektive weniger diejenige Kunstform, die Entwicklungen der bildenden Kunst nachgeholt hätte. Sondern eine, die ihrerseits ebenso das Potential hatte, Entwicklungen auch in die bildende Kunst hinein anzustoßen. So hat beispielsweise Carola Giedion-Welcker im Jahr 1955 den Raum, den sie als genuin architektonisches Motiv verstand, zum zentralen Thema der Skulptur im 20. Jahrhundert erklärt: „Man möchte annehmen, dass ein ‚plastisches Zeitalter‘ im Anzuge ist.“42 Und weiter: „Eine Welt von raumumflossenen, raumbezogenen Gebilden scheint in voller Entfaltung.“43 Ihre Aufzählung der wesentlichen Charakteristika zeitgenössischer Skulpturarbeiten liest sich wie eine Beschreibung der Architektur, vor allem aber des Architekturmodells im 20. Jahrhundert: „Mit einem bewussten Aufopfern alles Nebensächlichen beschränkt man sich zunächst darauf, die wenigen, reinen Ausdrucksmittel der plastischen Sphäre, die Gestaltung des Volumens im und durch den Raum herauszuschälen.“44 Die Verbindung zur Architektur macht Giedion-Welcker dabei selbst explizit, indem sie der Plastik einen „engeren Kontakt, […] zu den Kernproblemen der Architektur“ attestiert.45 Neben formalen Parallelen zwischen Architektur und Plastik hat der Kunsthistoriker Dietmar Rübel sich den Veränderungen im Verständnis von „Plastizität“ auch von der materiellen Seite her gewidmet und dabei speziell nach einer neuen Veränderlichkeit amorpher Stoffe in der Kunst des 20. Jahrhunderts gefragt. Er beobachtete für die Zeit vor allem seit den 1960er Jahren eine „‚formlose‘ Wendung der modernen Kunst, bei der das Liquide, das Amorphe, das Ephemere tradierte ästhetische Kategorien abschließt und zugleich überschreitet. Die Veränderlichkeit […] ist der Akteur dieser Kunst des Werdens.“46 Auch wenn Rübel diese Plastizität eher dem Kunstwerk an sich zuschreibt und damit an traditionellen Vorstellungen des in sich abgeschlossenen, also fertiggestellten Werks rührt, lassen sich einige seiner Beobachtungen auch auf den zielorientierten architektonischen Entwurfsprozess anwenden. Rübel bezieht bei seiner Beschreibung der Plastizität im 20. Jahrhundert den Bereich der Architektur nicht explizit mit ein, benennt aber einige Charakteristika der Plastik, die ebenso auf das architektonische Modell zutreffen. Ein Modell aus Ton 42 | Carola Giedion-Welcker: Plastik des XX. Jahrhunderts. Volumen und Raumgestaltung. Stuttgart 1955, S. XXII. 43 | Ebd., S. XXIV. 44 | Ebd., S. XIX. 45 | Ebd. 46 | Dietmar Rübel: Plastizität. Eine Kunstgeschichte des Veränderlichen. München 2012, S. 7.
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oder Plastilin ist – wie weiter unten ausgeführt wird – bestimmt durch seine „Plastizität, die zu Metamorphosen fähig ist“47, und bezieht nur daraus seine Daseinsberechtigung als Werkzeug zur Formfindung im architektonischen Entwurfsprozess. Rübel deutet die Liquidität, Plastizität und „Wandelbarkeit amorpher Materialmassen“ als „Metapher“ – „sowohl im Sinne der Verflüssigung als auch der Vernichtung bestehender Kategorien.“48 Gemeint sind damit sowohl traditionelle gesellschaftliche als auch künstlerische Kategorien, die mit der Moderne ins Wanken geraten sind. Diese „Metapher“ lässt sich freilich auch auf den Bereich des Architekturschaffens ausweiten. Mit dem – einem idealen Verständnis nach – voraussetzungslosen, im doppelten Wortsinn ‚flüssigen‘ Modellieren werden auch hier die als überkommen empfundenen Architekturund Entwurfskonzepte verabschiedet. Rübels Beobachtung lässt sich in Hinsicht auf das Architekturmodell sogar noch weiter strapazieren und auch auf diejenigen Modelle anwenden, die nicht aus flüssigen oder amorphen Materia lien heraus entstehen. Denn das Ephemere, das beständig Wandelbare wird auch beim Modellieren mit festen Materialen, etwa Klötzchen, Hölzern oder Würfeln, ausgenutzt. Rübels Beobachtungen zur Plastizität als „Metapher“ würden im Hinblick auf das Architekturmodell also weniger auf die konkrete Materialität des Modells zielen. Sie sind hier weitaus fruchtbarer anzuwenden, wenn der Begriff der Plastizität als Eigenschaft des Modellierens, also der ‚plastischen‘ Vorgänglichkeit innerhalb der Entwurfspraxis verstanden wird. Die hier angerissenen Ausführungen zu einer formalen Vorbildhaftigkeit sowohl von Objekten als auch Skulpturen für Bauten der Nachkriegsmoderne zielen freilich darauf, das Architekturmodell für die 1950er bis 1970er Jahre als prägendes Medium der Entwurfsgenese ins Feld zu führen. Eine sowohl künstlerische als auch architektonische Haltung, die Fragen von Allansichtigkeit, Volumenverteilung und Raumbildung in den Fokus stellt, ist zwangsläufig an dreidimensional-haptische Objekte gebunden. Gerade auch die beschriebene und von den Akteur_innen der Zeit eingeforderte Abwendung von einem festgelegten Betrachter_innenstandpunkt bei einer zu erstrebenden Gleichwertigkeit aller Dimensionen legt es nahe, dem Modell als allansichtigem Objekt in der unmittelbaren Gegenwart seiner Betrachter_innen den Vorzug zu geben vor der zeichnerisch-darstellenden Visualisierung künftiger Architekturen. Natürlich sind auch Unterschiede zu betonen zwischen künstlerischer Skulptur und architektonischem Modell. Anders als bei künstlerischen Arbeiten zielt das Herstellen eines konkret an ein bestimmtes Bauprojekt gebundenen Architekturmodells nicht auf das entstehende Artefakt selbst als Ergebnis eines künstlerisch-handwerklichen Schaffensprozesses. Wer ein Modell inner47 | Ebd., S. 8. 48 | Ebd., S. 12.
Montagebauten und Riesenskulpturen
halb eines Entwurfsprozesses formt, formt es nicht um dessen selbst willen. Modelle bilden vielmehr Zwischenstufen auf einem Weg hin zum eigentlichen Werk: dem jeweils für die Zukunft imaginierten, noch auszuführenden Bau. Sie sind deshalb auf ganz andere Weise in das prozesshafte Voranschreiten des kreativen Entwurfsvorgangs eingebunden. Auch im Folgenden werden die zu analysierenden Modelle deshalb weniger als Objekte oder Werke aus eigenem Recht verstanden, sondern vielmehr als materialisierte Zwischenstufen des Prozesses, mit dem sie unauflöslich verbunden sind. Der Fokus zielt im Folgenden also weniger auf die Beobachtung der Objekte als solche. Analysiert wird vielmehr ihr operatives Einwirken auf den Prozess des Entwerfens und die damit angestoßenen Wissens- und Erkenntnisprozesse im Austausch mit dem Modell-Artefakt. Der Versuch, Entwurfsprozesse der Nachkriegsmoderne entlang solcher Artefakte zu rekonstruieren, zielt dabei einerseits auf ein vertieftes Verständnis dieser architekturhistorisch als abgeschlossen verstandenen Epoche. Der Blick auf den Entwurfsvorgang als Prozess kann darüber hinaus einen Vorschlag dazu liefern, wie Entwurfsprozesse aus einer epistemologischen Perspektive heraus zu fassen sind. Vereinfacht formuliert: Wie geht ‚Entwerfen‘ überhaupt? Und welche Rolle spielen welche Entwurfsmedien, um zu welcher Art Ergebnisse gelangen zu können? Im folgenden Kapitel werden konkrete Modelle und Modellkonstellationen aus den 1950er bis 1970er Jahren vorgestellt, die sich vor allem bei Archivrecherchen aufspüren und rekapitulieren ließen.
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3. Das Entwurfsmodell
Für die theoretische Analyse von Rolle und Funktion des Architekturmodells als Artefakt sowie dessen Einbindung in die Tätigkeit des Modellierens ist es notwendig, nochmals den Begriff ‚Modell‘ in seiner Vieldeutigkeit zu klären und ein eindeutiges Begriffsverständnis für die vorliegende Argumentation zu definieren. Gemeint ist damit weder eine begriffsgeschichtliche Herleitung noch ein neuerlicher Überblick über bestehende Modelltheorien.1 Die folgenden Abschnitte zielen vielmehr darauf, zunächst das Entwurfsmodell in seiner Prozessgebundenheit und seiner Bindung etwa an andere Medien des Entwurfs zu fassen und zu definieren. Zunächst ist zu nochmals betonen, dass diejenigen Objekte, die in der vorliegenden Arbeit verhandelt werden, sich grundlegend von der Kategorie des Präsentationsmodells unterscheiden. Als Präsentationsmodell gelten im Anschluss an ein alltägliches Sprachverständnis diejenigen Objekte, die dazu dienen, einen weitgehend abgeschlossenen Entwurf vermeintlich vollständig gegenüber Dritten zu präsentieren. Damit sind für die vorliegende Untersuchung jene Modelle ausgeschlossen, die für Wettbewerbspräsentationen oder Veröffentlichungen in Publikationen gefertigt wurden. Solche Modelle beinhalten zwar ebenfalls nicht ‚alle‘ Informationen, die zur Ausführung eines Baukonzepts notwendig sind und zeigen nur selten den wirklich endgültigen Stand einer Planung. Sie markieren dennoch eine Zäsur innerhalb des Planungsprozesses, indem sie zumindest den Eindruck erwecken, als sei der jeweilige Entwurf potentiell auf die jeweils präsentierte Art und Weise umsetzbar. Die Daseinsberechtigung des Präsentationsmodells liegt gerade darin, zu suggerieren, dass keine Fragen mehr offen sind, dass der Entwurfsprozess abgeschlossen ist und die damit in Verbindung stehenden Fragen und Probleme also im Wesentlichen gelöst sind. Es bildet somit die Demarkationslinie zwischen dem eigentlichen Entwurfs- und dem – gegebenenfalls – daran anschließenden Ausführungsprozess. 1 | Hierzu sehr ausführlich und weiterhin aktuell die Einleitung von Reinhard Wendler in: Wendler 2013.
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Anders das Präsentationsmodell bezieht das Entwurfsmodell gemäß der für diese Untersuchung eingeführten Kategorisierung die besondere Wirkmacht aus seiner Unvollständigkeit. Wie der folgende Blick auf die Modellverwendung und -anwendung im 20. Jahrhundert zeigen wird, funktioniert das Entwurfsmodell ganz wesentlich durch seine eigene Veränderbarkeit und der internen Bezugnahme unterschiedlicher Modellierungsstadien aufeinander innerhalb eines Modellierungsvorgangs. Zudem steht das Entwurfsmodell meist im Zusammenhang einer ganzen Abfolge unterschiedlicher Modelle im Sinne einzelner, voneinander materialiter unabhängiger Artefakte. Das Entwurfsmodell, wie es sich in einem bestimmten Augenblick präsentiert, zeichnet sich also durch gleich mehrere Bezüge aus. Erstens: Bezüge zu anderen, vorhergehenden oder nachfolgenden Zuständen und Variationen seiner selbst; zweitens: Bezüge zu weiteren, im zeitlichen Vorfeld oder Nachgang entstehenden Modellen beziehungsweise Modell-Objekten und drittens: Bezüge zu anderen Medien des Entwerfens wie beispielsweise der Zeichnung oder der Perspektive. Dass Modelle bei der Analyse ihrer Funktionen und Wirkungsweisen niemals als Einzelobjekte zu begreifen sind, wird häufig übersehen, weil ein Großteil der bereits vorliegenden Modellstudien eher vom – gegebenenfalls erhaltenen – Objekt des Modells ausgehen, als die Prozesse in den Blick zu nehmen, in die es eingebettet war. Der Kunsthistoriker und Wissenstheoretiker Reinhard Wendler hat auf diesen Aspekt der Vielzahl unterschiedlicher, miteinander in Verbindung stehender Modelle hingewiesen: „In den klassischen Modell theorien des 20. Jahrhunderts spielt der Umstand so gut wie keine Rolle, dass in den weitaus meisten Modellierungen und Modellsituationen nicht eines, sondern mehrere bis viele Modelle gemeinsam zum Einsatz kommen.“2 Er hat hierfür den Begriff der „Modellierungssituation“ vorgeschlagen, innerhalb welcher dann „Wirkungsketten“ angestoßen würden.3 Nur in und durch diese Ketten würde der epistemische Mehrwert des einzelnen Modells fruchtbar. Die Produktivität des Architekturmodells für den Entwurf liegt einerseits in der Wandelbarkeit des jeweiligen Modells selbst als auch in der Verbindung mit anderen Medien. Diese Prozesse und Bindungen am konkreten Archiv material nachzuvollziehen ist Ziel der folgenden Ausführungen.
3.1 K NETMODELLE Entwurfsmodelle kommen in der Regel ganz zu Beginn des Entwurfsprozesses zum Einsatz. Ähnlich einer ersten Ideenskizze unterstützen und befördern sie den spontanen, kreativen Impuls der Entwerfenden. Gewisse Imagi2 | Wendler 2013, S. 119. 3 | Ebd., S. 85.
Das Entwur fsmodell
nationsleistungen werden sowohl zu Beginn der Entwurfshandlung durch das Modell bestimmt oder erst gar ermöglicht. Damit trägt das Modell im Austausch mit den Entwerfenden selbst aktiv dazu bei, erste, in der Regel sehr vage Einfälle zu konkretisieren oder überhaupt erst mit zu entwickeln. Nach dem ersten Entwicklungsschub in eben diesem frühen Entwurfsmodell und dem gleichzeitigen Festhalten und Verkörpern seiner Ergebnisse folgte die Weiterentwicklung des Entwurfs dann in weiteren Modellierungsprozessen und Artefakten. Das Entwurfsmodell ist Katalysator für teilweise nur sehr vage Entwurfsideen und das Medium ihrer Entwicklung. Den konkreten Nachweis für diese vielleicht zu verknappt beschriebene Entwurfspraxis zu erbringen fällt schwer. Wenn in den Nachlässen betreffender Architekten überhaupt Modelle oder Spuren von Modellen etwa in Form von Fotografien auffindbar sind, handelt es sich meist um perfekte Ausfüh rungen, etwa in Form von Präsentationsmodellen für Wettbewerbe. Über die Herkunft der Einfälle, Ideen und Erkenntnisse, die zu ihrer Entstehung geführt haben sowie deren Reifeprozess innerhalb der Entwurfsfindung sagen diese Objekte beziehungsweise ihre bildlichen Wiedergaben kaum mehr etwas aus. Sie weisen im Dienste eines größtmöglichen Erfolgs im Architekturwettbewerb und bestenfalls der dann folgenden Realisierung des Bauprojekts nach vorn. Die Bindung zum vorangegangenen Prozess der Entwurfsfindung ist beim Präsentationsmodell als dessen vorläufiges Endprodukt ebenso getilgt wie es auch bei fertig ausgeführten Architekturen in der Regel der Fall ist. Entwurfsmodelle im Sinne von Objekten, die im Vorfeld der Präsentation weitgehend vollständiger Entwürfe im Architekturbüro von den Planenden selbst gefertigt wurden, ließen sich im Rahmen der Recherche für diese Untersuchung in Archiven nicht mehr auffinden. In einigen Fällen geben Fotografien in Nachlässen jedoch Hinweise darauf, wie Architekt_innen am Modell gearbeitet haben. Dies trifft etwa auf Bauprojekte von Rolf Gutbrod, Carlfried Mutschler und Frei Otto, Heinz Buchmann und Paul Schneider-Esleben zu.
3.1.1 Rolf Gutbrod: Waldorfschule Stuttgart Das Festsaalgebäude der Waldorfschule Am Kräherwald in Stuttgart ist ein Paradebeispiel für eine skulptural-monolithische und in diesem Sinne ‚modellierte‘ Architektur. Der Stuttgarter Architekt Rolf Gutbrod (1910-1999) ist in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit dem Bau der dortigen Liederhalle bekannt geworden, die er gemeinsam mit Adolf Abel realisiert hat. Schon dieses Gebäude zeichnet sich durch eine besondere skulpturale Ausdifferenzierung der Baukörper aus. In den 1960er und 1970er Jahren hat Gutbrod vor allem Verwaltungsbauten im süddeutschen Raum und in Westberlin errichtet. Diese Bauten setzen sich vom damals üblichen, nüchternen Funktionalismus im Verwaltungsbau ab. Eine charakteristische Gemeinsamkeit der Entwürfe Gut-
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brods sind massige, komplex modellierte und damit sehr körperhaft wirkende Baudetails wie etwa Treppenläufe, einzelne Pfeiler oder Fassadenelemente. Gutbrod vermittelte damit schon früh zwischen der zurückhaltenden, wenig haptisch wirkenden Architektursprache der 1950er Jahre und dem massigen Brutalismus, der zahlreiche Strömungen der 1960er und 70er Jahre auszeichnet. Die zwischen 1963 und 19664 errichtete Aula der Stuttgarter Waldorfschule ist eine herausragende Vertreterin dieser – auch in anderen Bereichen um sich greifenden – plastisch-skulpturalen Architekturströmung der 1960er Jahre. Die Entwicklung einer solchen Gebäudeform aus einem frei formbaren Modellierungsmaterial wie Ton oder Plastilin5 liegt nahe. Die erhaltenen Fotografien aus dem Entwurfsprozess belegen tatsächlich, wie Gutbrod sich sowohl die äußere Gestalt als auch die innere Raumaufteilung des Baus anhand von plastischen Modellen vergegenwärtigt und seine Entwurfsgedanken an den jeweiligen Objekten weiterentwickelt hat (Abb. 06-09).6 Er hat zwar nicht die Aula selbst, mit dem Modell jedoch zumindest ihren kleinmaßstäblichen Vertreter im tatsächlichen Wortsinn modelliert. So sind im fotografischen Nachlass mindestens vier Modelle aus Ton oder Plastilin 7 nachweisbar, die zeigen, wie sich die äußere Gestalt des Gebäudekorpus in Schritten entwickelte und immer weiter konkretisierte. Die (von Gutbrod?) neben einem der Modellfotos handschriftlich angefügte Notiz „Voranfrage Projekt“8 zeigt, dass die in den Bildern gezeigten Modelle zu einem sehr frühen Zeitpunkt, ganz zu Beginn des Entwurfsprojekts gefertigt wurden. Da die einzelnen Modell-Fotografien 4 | saai Karlsruhe (Hg.): Das Werk des Architekten Rolf Gutbrod (=Notizen aus dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsr uhe 6). Karlsruhe 2000. https://www.saai.kit.edu/saai-pdf-bilder/saai6.pdf; Zugriff am 11.07.2018. 5 | Bei Plastilin handelt es sich um eine zumeist synthetisch hergestellte Knetmasse, die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt worden ist und im Unterschied zu Ton nur sehr langsam aushärtet. In seiner Form bleibt das Material deshalb über lange Zeit variabel. 6 | Siehe auch: Ralf Liptau: Selber kneten. Modellbasiertes Entwerfen zwischen Originalität und Nachbildung. In: Eva von Engelberg-Dockal, Markus Krajewski, Frederike Lausch (Hg.): Mimetische Praktiken in der neueren Architektur: Prozesse und Formen der Ähnlichkeitserzeugung, Heidelberg 2017, S. 132-143. 7 | Die genaue Bestimmung des Modellierungsmaterials ist anhand der Fotografien nicht möglich. Für die hier geführte Argumentation ist dies allerdings auch nicht notwendig. Im Sinne des ungestörten Textflusses wird in der Folge von Plastilin gesprochen, ohne dabei die Möglichkeit, dass es sich auch um Ton gehandelt haben könnte, zu negieren. 8 | saai Karlsruhe, Fotonachlass Gutbrod, Mappe „Aula Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, Modellfotos, Planfotos: 56“
Das Entwur fsmodell
nicht datiert sind, lässt sich die zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Entstehung nur mit Blick auf den Grad ihrer Verfeinerung und Konkretisierung logisch rekonstruieren. In der folgenden Analyse werden sie zur leichteren Verständlichkeit mit den Buchstaben A bis D markiert. Die fotografischen Aufnahmen von Modell A zeigen das Objekt in einem unvollendeten Zustand, in dem die Spuren der händischen, die Plastizität des Modellierungsmaterials nutzenden Bearbeitung noch deutlich sichtbar sind (Abb. 06). Während die Front des Gebäudekorpus weitgehend ausformuliert scheint und in die aus der Gebäudeflucht herausragende Geschosszone sogar die Umrisse eventueller Fensteröffnungen geritzt sind, verliert sich der Bau zur Rückseite hin in einen formlosen, nur in den ungefähren Gebäudeumriss gebrachten Korpus, dessen Oberflächen durch die Zufälligkeiten der händischen Bearbeitung bestimmt sind. In diesem sehr frühen Stadium des Entwurfs kam es offensichtlich zunächst darauf an, das ungefähre Volumen des Gebäudekorpus verfügbar zu machen als Träger für die Entwicklung einer Front- und Seitengestaltung. Die Rückseite des Baus war zu diesem Zeitpunkt ganz offensichtlich (noch) irrelevant. Ob am gleichen Modellobjekt im zeitlichen Anschluss an die fotografische Aufnahme weitergearbeitet wurde, ob etwa die Rückseite des Baus eine konkretere Ausformulierung erfahren hat, lässt sich anhand des vorhandenen Fotobestands nicht rekonstruieren. Unabhängig von seiner möglichen Weiterbearbeitung zeigt die fotogra fische Aufnahme des Modells dennoch, worin seine offensichtlichen Qualitäten für den Entwurfsprozess lagen: Im zumindest potentiellen Fließen des Modellierungsvorgangs. Der Vorstellung davon also, dass das Modell unzäh lige Male weiterbearbeitet oder umgeformt hätte werden können und die erhaltenen Aufnahmen nur mehr einen gerade in diesem Augenblick festgehaltenen Zustand zeigen. Modell B zeigt eine vor allem in der Dachpartie stark abgeänderte Variante des Entwurfs (Abb. 07). In der Materialität und entsprechend in der groben Formensprache ähnelt es zwar Modell A. Ein großer Unterschied in Hinblick auf die Bearbeitung besteht allerdings darin, dass hier das Modell – zumindest in grober Manier – vollständig durchgestaltet ist, es also keine völlig ungestalteten Bereiche gibt. Doch im Unterschied zu Modell A sind keine Details wie etwa die Umrisse der Fensteröffnungen modelliert. Modell B ist auf diese Weise sowohl konkreter als auch abstrakter als Modell A. Die Zielstellung dieser Formulierung war wohl schlichtweg eine andere: Hier scheint es weniger darum gegangen zu sein, eine bestimmte Ansicht des Baus möglichst weit zu entwickeln. Vielmehr lag der Fokus wohl darauf, den Gebäudekorpus in Gänze grob zu entwickeln und sich vor Augen zu stellen, um somit die einzelnen Gebäudebereiche auch in ihrer Wirkung untereinander und aufeinander entwickeln zu können. Insofern könnte Modell B auch zeitlich vor Modell A entstanden sein.
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Abb. 06: Entwurfsmodell A zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Aufnahme vor 1963.
Abb. 07: Entwurfsmodell B zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Aufnahme vor 1963.
Wieder anders bei Modell C (Abb. 08). Zunächst einmal hat sich die Gestalt des Baukörpers hier im Vergleich zu den Modellen A und B stark verändert: Während sich die Frontansicht bei den beiden vorhergehenden Varianten vor allem durch ein aus der Fassadenebene hervorspringendes Geschoss ausgezeichnet hat, erscheint die Front in dieser Version gänzlich eben, während nun vor allem die Seiten plastischer durchgestaltet sind. Worauf es im Sinne der hier durchgeführten Analyse aber vor allen Dingen ankommt, ist das Hinzutreten eines zweiten Materials: Während die Dachfläche in den beiden vorhergehenden Modellen weitgehend unbeachtet und kaum durchgestaltet war,
Das Entwur fsmodell
Abb. 08: Entwurfsmodell C zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Leichtholz, Aufnahme vor 1963.
Abb. 09: Entwurfsmodell D zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Leichtholz, Islandmoos, Aufn. vor 1963.
scheint der Fokus von Modell C zu einem großen Teil genau hierauf zu liegen. Mit dünnen Holzbrettern wurde hier die Wirkung einer unregelmäßig gebrochenen Bedachung getestet. Durch den Hinzutritt des Holzes als nur begrenzt veränderliches Material ändert sich (neben den gestalterischen Unterschieden zu Modell A und B) vor allem auch der Grad der Konkretisierung: In dem Moment, in dem das Holz hinzutritt, verliert auch der aus Ton oder Plastilin gefertigte Teil des Modells seinen Charakter der ständigen, unbegrenzten Veränderlichkeit. Der Architekt scheint zu diesem Zeitpunkt schon Entscheidungen (zumindest für mögliche Variationen des Entwurfs) getroffen zu haben, die
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nicht mehr unendlich umformbar waren, sondern die als Basis dienten für hierauf auf bauende, in der weiteren Folge zu treffende Entscheidungen. Überspitzt formuliert: In dem Moment, in dem der Gutbrod die Dachplatten für das Modell aus Holz zugesägt hat, musste der Gebäudekörper als dessen Träger konzeptionell realisiert und abgesichert sein. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil bei Modell C eine zweite Frage im Mittelpunkt gestanden hat, auf die es bei den Modellen A und B keinen Hinweis gibt: In einigen der Fotografien ist es eingebettet in ein Modell der Nachbarbebauung zu sehen. Es wurde also offensichtlich (auch) als Einsatzmodell gefertigt, mit dem die stadträumliche Einbindung des Neubaus entwickelt oder überprüft werden sollte. Noch deutlicher kommt dieser Aspekt bei Modell D zum Tragen (Abb. 09). Denn hier ist das – wiederum gestalterisch von den Modellen A bis C abweichende Modell – fest in dasjenige des umgebenden Stadtraums eingebettet. Während Modell C in diesen größeren Zusammenhang gebracht und jederzeit wieder aus dem größeren Modell herausgehoben werden konnte, scheint es bei Modell D zu einer regelrechten Verschmelzung von Gebäudemodell und dem Stadtraummodell gekommen zu sein. Das äußert sich nicht nur darin, dass einzelne Mauerelemente des Stadtraummodells ebenfalls mit Plastilin überformt und somit ganz konkret mit dem Gebäudemodell verbunden worden sind. Sondern dies zeigt sich auch darin, dass mit der Andeutung von Bäumen und Büschen aus Islandmoos eine ästhetische Zusammenfassung von Alt- und Neubau und damit das Aufscheinen der künftigen Wirklichkeit deutlich stärker forciert wurden. Bis zu diesem Punkt mussten bereits zahlreiche gestalterische Entscheidungen in Hinsicht auf den geplanten Neubau getroffen worden sein. Das Modell wäre demnach das letzte innerhalb der beschriebenen Modell-Kette, mit der die plastische Gestalt des Gebäudekorpus modelliert, entwickelt, verhandelt und schließlich entschieden wurde. Mit dem Blick auf die Fotografien lässt sich demnach rekonstruieren, dass die beschriebenen Modelle A bis D vornehmlich dazu dienten, sich aktiv in die Suche nach einer geeigneten Kubatur des zu planenden Baus einzubringen. Der in allen Fällen eher geringe Grad der Detaillierung zeigt, dass je nur ungefähre Vorstellungen einer architektonischen Gestalt in die Ausarbeitung des jeweiligen Modells ‚hereingegeben‘ wurden, bevor eben jene Vorstellungen und Ideen am und mit dem knetbaren Material konkretisiert und weiterent wickelt werden konnten. Die jeweiligen Modelle waren damit je nur in der Lage, bestimmte, auf Teilbereiche der Gestaltung bezogene Fragestellungen innerhalb des Entwurfsprozesses summarisch zu ‚beantworten‘, während sie gleichzeitig Fragen offenließen oder selbst erst formulierten. Modell A beispielsweise gab nicht die Antwort auf die Frage, wie die Fassadenabwicklung des Baus genau und an allen Seiten aussehen würde. Während es eine – nur grobe – Vorstellung da-
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von vermittelte, wie die Vorderseite des Gebäudes aussehen könnte, machte es zugleich deutlich, dass hier noch Verfeinerungen und Konkretisierungen notwendig wären, sollte die grobe Entwurfsidee weiterverfolgt werden. Noch deutlicher tritt dieser Affordanzcharakter des Modells freilich in Hinsicht auf die Rückseite hervor. In seinem unbearbeiteten Zustand manifestiert sich die Aufforderung, den Entwurf weiter zu entwickeln und die noch ausstehenden Lösungen für eben jenen Gebäudeteil zu erarbeiten. Das Modell fordert seine Erschaffer_innen durch seine Unfertigkeit zur Konkretisierung auf und tritt in diesem Sinne als materialisierte Frage auf. Anders als eine Skizze, bei der der Betrachter_innenstandpunkt stets eindeutig festgelegt ist und etwaige Leerstellen des Entwurfs auf diese Weise schlicht ausgeklammert werden können, fordert das Modell als erste auch räumliche Verdinglichung und Realisierung stets seine Ausformulierung und Komplettierung in allen drei Dimensionen und für jegliche Gebäudeansichten. Das Modell erscheint also einerseits als Vehikel für die Konkretisierung von zuvor nur vage gefassten und in das zu formende Objekt gegebene Ideen. Durch seine spezifischen Bedürfnisse und Erfordernisse als dreidimensionales Objekt firmiert es allerdings auch als Fragesteller und lenkt damit aktiv den Entwurfsprozess. Die Verwendung von Ton- beziehungsweise Plastilinmodellen ist im konkreten Fall des Stuttgarter Aulagebäudes von Rolf Gutbrod vielleicht überdeutlich zum leitenden Thema des Entwurfs erhoben worden. Schließlich bedingte die Art der Aufgabenstellung, vor allem aber der anthroposophische Ansatz der Auftraggebenden beziehungsweise der Aufgabenstellung eine besonders skulpturale Bauform, für die eine Entwicklung des Gebäudekörpers aus einer zu modellierenden Masse nur folgerichtig erscheint. Die – wohl von Beginn an vorgesehene – Errichtung des Gebäudes in Sichtbeton legte die Modellierung in Plastilin wohl auch aus materialästhetischer Sicht besonders nahe. Dennoch zeigt dieser – eventuelle – Extremfall, dass Gutbrod das Entwerfen und Modellieren seiner Bauten durch das Knetmodell zumindest als eine mögliche Arbeitspraxis unter anderen zu nutzen und anzuwenden wusste. Dass sie auch bei anderen Bauprojekten innerhalb seines Œuvres in diesem Maße zum Einsatz kam, ist zwar anhand des Nachlasses nicht nachweisbar. Unwahrscheinlich ist es deshalb keineswegs. Es lässt sich nur spekulativ annehmen, dass der Architekt seine Modelle speziell im Fall der Stuttgarter Aula fotografisch dokumentierte, um genau diese Art der Entwurfsentstehung gegenüber dem Auftraggeber als Argument nutzbar zu machen. Die Fotos wären in diesem Sinne Beleg für die Anwendung und praktischen Umsetzung der anthroposophischen (Architektur-)Theorie. Gut möglich also, dass Gutbrod diese Art der Modellierungs- und Entwurfspraxis in gleicher oder vergleichbarer Form auch für andere Bauprojekte nutzte und nur auf die fotografische Dokumentation ihrer Manifestationen verzichtete. Aufgrund der beschriebenen prekären Quellenlage in Hinblick auf Entwurfsmodelle muss dies allerdings Vermutung bleiben.
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Abb. 10: Entwurfsmodell zur Fassade der Universitätsbib liothek Köln, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Holzstäbchen, Aufnahmen im September 1960.
Die Indienstnahme unterschiedlicher Modellierungspraktiken und -materialien innerhalb eines Entwurfsprozesses lässt sich auch an einem weiteren Projekt Rolf Gutbrods nachvollziehen. In diesem Fall steht allerdings nicht der gesamte Gebäudekörper als Entwurfsziel im Fokus der Modellierung, sondern bestimmte gestalterische Details innerhalb eines ansonsten bereits feststehenden Baukonzepts. Für das zwischen 1964 und 19689 errichtete Universitätsforum in Köln, bestehend aus einer Universitätsbibliothek und einem Hörsaalgebäude, bediente sich der Architekt auf mannigfaltige Weise einer beinahe unüberschaubaren Menge von Modellen. An diesem Punkt der Untersuchung interessieren zunächst nur diejenigen Modell-Anordnungen, mit denen er die Gestaltung der Fensterflächen für die Universitätsbibliothek vorantrieb. 9 | Ulrich Krings: Rolf Gutbrods Bauten für die Universität zu Köln. Geschichte und aktuelle Denkmalschutz-Strategien. In: Klaus Jan Philipp (Hg.): Rolf Gutbrod: Bauen in
Das Entwur fsmodell
Abb. 11: Entwurfsmodell zur Fassade der Universitätsbib liothek Köln, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Holzstäbchen, Aufnahme im September 1960.
Im September 1960 führte das Büro Gutbrod „Modellversuche“10 für die Fassade des Lesesaals der Bibliothek durch, die als Fläche lediglich durch die Fensterrahmungen gestaltet ist. Für die Modellversuche wurden dünne Holzstäbchen verwendet, die in komplizierter Zueinandersetzung vor allem das unregelmäßig rhythmisierte Band im Mittelbereich der Fassadenfläche gestalten halfen (Abb. 10, 11). Obwohl die entsprechenden Modellfassaden auf drei verschiedenen Fotografien aus dem Nachlass auf den ersten Blick das gleiche Objekt zu zeigen scheinen, lassen sich bei näherer Betrachtung zumindest in Hinblick auf die beiden Außenansichten (Abb. 10) nur grobe Ähnlichkeiten, aber eben keine tatsächlichen Übereinstimmungen zwischen den jeweiligen Aufteilungen der Fensterflächen entdecken. Auch hier sind also mehrere Varianten entstanden – offenbar ebenfalls aus dem relativ freien, versuchsweisen Anordnen der kleinen Holzstäbchen. An der hier ausgeführten Gegenüberstellung der jeweiligen Möglichkeiten einer Fassadengestaltungen im Modell entweder mit Plastilin oder mit Holzstäbchen wird bereits deutlich, in welchem Ausmaß das Modellierungsmaterial Einfluss hat auf das jeweilige Entwurfsergebnis: Die Besonderheit des den Boomjahren der 1960er. Salzburg/Wien 2011 (=Philipp 2011a), S. 100-111, S. 101. 10 | So die maschinenschriftliche Benennung der zugehörigen Modellfotos.
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Plastilins liegt gerade darin, sich der Entwurfsidee absolut unterzuordnen und beinahe keine eigene formalen oder formbildenden Eigenschaften ins Spiel zu bringen, die den Entwurfsprozess beeinflussen oder in seinen potentiellen Ergebnissen einschränken könnten. Die Modellierung mit Holzstäbchen hingegen setzt gerade darauf, sich die je spezielle Gestalt und die Formeigenschaft des verwendeten Bauteils zunutze zu machen. So entschied sich Gutbrod bei der Gestaltung der Lesesaalfassade etwa dazu, ein Holz mit rechteckigem Querschnitt zu verwenden. Es erlaubte ihm, je nach Bedarf entweder die Breitoder die Schmalseite für die Flächenentwicklung seiner Fassade einzusetzen. Die speziellen formalen Eigenschaften des Holzes wurden hier also für die Entwurfsfindung genutzt, während beim Modellieren etwa in Plastilin zumeist gerade die Formlosigkeit das Hauptargument seiner Verwendung bildet. Diese Differenzierung wird an späterer Stelle mit der Beschreibung von Würfelmodellen weiter fortgesetzt.
3.1.2 Carlfried Mutschler: Saalbau Mannheim, Gemeindezentrum Mannheim-Sandhofen Um zu unterstreichen, dass es sich bei der beschriebenen Modellverwendung Rolf Gutbrods im frühen Entwurfsprozess nicht um die außergewöhnliche Arbeitspraxis einer Einzelperson handelt, werden mit dem Werk Carlfried Mutschlers vergleichbare Fallbeispiele angeführt. Der Mannheimer Architekt (1926-1999) hat beim modellbasierten Entwerfen seiner Architekturen in vielen Fällen auf die frei formbaren Materialien Ton und Plastilin gesetzt. Mutschler ist vor allem für die Realisierung der Mannheimer Multihalle im Jahr 1975 bekannt – der bis heute größten Holzgitterschalenkonstruktion der Welt, die er gemeinsam mit seinem Architektenkollegen Frei Otto konzipiert hat. Ansonsten hat Mutschler seit den frühen 1960er Jahren vor allem Sonderbauten, darunter vornehmlich Kirchen entworfen. Die Bestände in seinem Nachlass zeigen, dass das Modellieren mit Plastilin zur Erarbeitung seiner Entwürfe prägend für Mutschlers Arbeitspraxis gewesen sein muss. Anders als etwa bei seinem Kollegen Rolf Gutbrod lässt sich diese Herangehensweise allerdings kaum mit einer plastisch-körperlichen Architektursprache begründen. Gerade sein berühmtester Kirchenbau, die Mannheimer Pfingstbergkirche (1963), zeichnet sich eher durch einen immateriellen und aufgelösten Raumeindruck aus als durch eine haptische, massige Körperhaftigkeit. Mutschlers Arbeit mit dem Plastilin- oder Tonmodell lässt sich dennoch auch bei denjenigen Projekten nachweisen, die aus formaler und material ästhetischer Sicht gerade nicht an freies Kneten denken lassen. Das erste in Plastilin11 geformte Modell, das sich in seinem Nachlass finden lässt, bezieht 11 | Janke 1962, S. 18.
Das Entwur fsmodell
Abb. 12: Entwurfsmodell für das Projekt Saalbau im Rosen garten Mannheim (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Plastilin oder Ton, Aufnahme 1961.
Abb. 13: Präsentationsmodell für das Projekt Saalbau im Rosengarten Mannheim (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Holz, Aufnahme 1961.
sich auf die unrealisiert gebliebene Planung für einen Saalbau am Mannheimer Rosengarten aus dem Jahr 1961 (Abb. 12, 13). Von diesem Modell ist allerdings nur die fotografische Aufnahme des letztgültigen Zustands dokumentiert, so dass die sicherlich erfolgten Zwischenschritte, Verwerfungen und Umformungen innerhalb des Modellierungsprozesses heute anhand der Aufnahmen nicht mehr nachweisbar und somit nur aus dem abgebildeten Modell selbst zu schlussfolgern sind. Im Vergleich mit dem Gutbrod‘schen Modell für die Stuttgarter Aula fällt auf, dass Mutschler mit dem Mannheimer Saalbau eine Gebäudeform
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entwickelte, die eine Ausformulierung in Plastilin gerade nicht nahelegte. Die Gebäudegestalt im endgültigen Entwurf bezieht ihren Reiz im Wesent lichen aus klarkantigen, schmal geformten und unregelmäßig gegeneinander verschobenen Scheiben, die viel eher eine Modellierung etwa in Pappe oder Leichtholz nahegelegt hätte. Der Architekt beschrieb die Gestalt des Baus im Erläuterungsbericht für den Wettbewerb folgendermaßen: „Die Konzentration der Baumassen [wird] durch vertikale Schichtung und Staffelung der Raumfolge […] erreicht. […] Der vielgliedrige Innenraum ist nach außen durch die Reihung und Variation gleichartiger Bauelemente gefaßt.“12 Dass Mutschler sich trotz dieser additiven Ästhetik dennoch für Plastilin entschied, lässt vermuten, dass er sich die unendliche Formbarkeit und Veränderbarkeit dieses Materials zunutze machen wollte und sich entsprechend im Prozess der Modellierung zahlreiche Entscheidungen noch offen halten und am Objekt des Modells weiter entwickeln wollte. Die Formbarkeit des Materials wird dort zum eigentlichen und einzigen Argument seiner Anwendung, wo die Form des projektierten Gebäudes andere Materialien und Techniken nahelegt. So sind die unterschiedlichen Schritte und eventuellen Verwerfungen innerhalb des Entwurfsprozesses für den Mannheimer Bau zwar anhand der erhaltenen Modellfotografien nicht nachweisbar. Die Wahl des Modellierungsmaterials erklärt sich aber besonders im hier beschriebenen Fall einzig aus der Möglichkeit seiner ständigen Umformung. In diesem Sinne formulierte der Architekt Rolf Janke zeitgenössisch in seiner Schrift über den Modellbau speziell anhand des Mutschler-Modells für Mannheim: „Die Durchgestaltung von Gebäudeform und -ausdruck wird in vielen Fällen am besten am Plastilinmodell vorgenommen; es bildet die Vorstufe für das eigentliche Gebäudemodell und für die Ausarbeitung des Entwurfs.“13 Der Begriff der „Vorstufe“ unterstreicht dabei, dass Modelle dieser Art, vergleichbar mit frühen Skizzen, den Beginn eines architektonischen Entwurfsprozesses bilden können. Eine dem Rosengarten-Projekt vergleichbare Modellierungspraxis kam nur kurze Zeit später auch bei Carlfried Mutschlers ebenfalls unrealisiert gebliebener Planung für das evangelische Gemeindezentrum in Mannheim-Sandhofen im Jahr 1962 zum Tragen.14 In diesem Fall zeigen die Fotografien aus dem Nachlass sogar unterschiedliche Entwicklungs- beziehungsweise Bearbeitungsstufen der Plastilin-Modelle (Abb. 14-16).15 Für die formale Ausarbeitung der Baukörper hat er (mindestens) drei Modelle geschaffen, die hier 12 | saai Karlsruhe, Fotobestand Carlfried Mutschler, Mappe „Saalbau Rosengarten Mannheim“. 13 | Janke 1962, S. 18. 14 | Siehe auch Liptau 2017b sowie 2018a und 2018b. 15 | saai Karlsruhe, Fotobestand Carlfried Mutschler, Mappe „Evangelisches Gemeinde zentrum Mannheim-Sandhofen“.
Das Entwur fsmodell
Abb. 14: Entwurfsmodell A für das Projekt evangelisches Gemeindezentrum Mannheim-Sandhofen (nicht ausge führt), Carlfried Mutschler, Plastilin oder Ton, Aufnahme 1962.
mit den Bezeichnungen A bis C unterscheidbar gemacht werden. Die im Folgenden als chronologisch behauptete Reihung ist – wie schon diejenige von Gutbrods Waldorfschulen-Aula – nur mehr eine Annahme, die sich einzig aus der zunehmenden Detaillierung der Modelle ergibt. Auch im Falle Mutschlers sind die einzelnen Modelle und Modellstadien im Nachlass nicht nummeriert oder datiert. Die Variante A (Abb. 14) unterscheidet sich deutlich von den Varianten B (Abb. 15) und C (Abb. 16). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass A ein erstes Entwurfskonzept zeigt, das bald daraufhin weitgehend verworfen wurde. So sind bei B und C nicht nur Kirchenschiff und Gemeindehaus je insgesamt flacher und breiter ausgearbeitet. Auch der Kirchturm ist nun als Campanile ausgebildet, steht also unverbunden mit den übrigen Gebäudeteilen. Die Anordnung dieser unterschiedlichen Bauvolumen zueinander erscheint allerdings als eine Weiterentwicklung von Variante A. Während bei Modell B nur mehr die grobe Anordnung der Volumina mit ungefähren Gebäudeumrissen ausgeführt ist, orientiert sich Modell C zwar eng an dieser Gestaltung, ist insgesamt aber feiner ausgeführt und wirkt auf diese Weise weiter fortgeschritten in der Entwicklung des Entwurfs. Ähnlich wie im Fall der Stuttgarter Schulaula von Rolf Gutbrod lässt sich hier also die Entwicklung und Veränderung eines Entwurfs am Modell in unterschiedlichen Zwischenetappen nachweisen. Auch hier wurden sowohl die einzelnen Modell-Artefakte innerhalb des Entwurfsprozesses verändert als auch immer wieder neue Modelle geschaffen.
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Abb. 15: Entwurfsmodell B für das Projekt evangelisches Gemeindezentrum Mann heim-Sandhofen (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Plastilin oder Ton mit Holz stäbchen, Aufnahme 1962.
Abb. 16: Entwurfsmodell C für das Projekt evangelisches Gemeindezentrum Mannheim-Sandhofen (nicht ausge führt), Carlfried Mutschler, Plastilin oder Ton mit Holz stäbchen, Aufnahme 1962.
Das Entwur fsmodell
3.1.3 Josef Rikus/Heinz Buchmann: Kirche der katholischen Hochschulgemeinde Köln Einen besonderen Fall des produktiven Ineinandergreifens von Entwurfsmodell und architektonischer Projektierung stellt die Kirche der Katholischen Hochschulgemeinde in Köln dar, die Kirche Johannes XXIII.16 Der Entwurf für das bis 1968 entstandene Gebäude ging aus einer Arbeitsteilung zwischen dem Architekten Heinz Buchmann (1930-2004)17 und dem Bildhauer Josef Rikus hervor. Josef Rikus (1923-1989) war vor allem in Paderborn aktiv und hat dort seit den späten 1950er Jahren Reliefs und Skulpturen vornehmlich für den städtischen Außenraum geschaffen. Der Kirchenbau lässt sich in dieses Gesamtwerk als besonders großformative Intervention im öffentlichen Raum einordnen. Eine im Nachlass von Heinz Buchmann erhaltene Broschüre führt Rikus auf als verantwortlich für „Entwurf und Modell“, während Buchmann als Architekt genannt wird.18 Im Archiv sind zudem die Fotografien einer offenbar aus Ton geschaffenen Skulptur (Abb. 17) erhalten. Rikus war als Bildhauer also zuständig dafür, die künftige formale Gestalt der Kirche als Skulptur zu entwickeln. Das hieraus entstandene Artefakt wurde erst im Moment der Übergabe an den Architekten Buchmann endgültig in den Status eines Modells überführt, das es von nun an unter architektonischen Gesichtspunkten weiterzuentwickeln galt. Über eine Fotografie im Nachlass ist ein weiteres, eher architektonischstädtebaulich zu interpretierendes Modell nachweisbar, das ganz offensichtlich aus dem Büro Buchmanns stammt (Abb. 18) und ein Wettbewerbsmodell darstellen könnte. Als reines Massenmodell ausgeführt wird hier die Zueinanderordnung des Kirchenbaukörpers zu den ebenfalls zum Projekt gehörigen Wohn- und Bürobauten entwickelt und vorgeführt. Der Kirchenbau selbst ist dabei nur sehr kursorisch als grob gegliederte Baumasse angedeutet und weit weniger ausformuliert als die umgebenden Bauten. Der Kirchenbau bleibt damit innerhalb dieses Modell-Ensembles eine Art Leerstelle, dessen genaue Beplanung offensichtlich schon zu diesem Zeitpunkt in der Zuständigkeit des Bildhauers lag. Ein drittes nachweisbares Modell zeigt nun die Synthese der bildhaue rischen wie architektonischen Lösung. Das im Archiv erhaltene Foto zeigt ein – eindeutig als solches geschaffenes – Architekturmodell, das die wesent16 | Stadt Paderborn, Kunstverein Paderborn (Hg.): Josef Rikus. Skulpturen. Paderborn 1973, S. 50-55. 17 | Freundliche Auskunft Regina Wittmann (A:AI Dortmund) am 11.07.2018. 18 | O.N.: Die Kirche der Hochschulgemeinde in Köln. Broschüre. O.D., o.S. (im Bestand des A:AI der TU Dortmund).
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Abb. 17: Entwurfsmodell (Josef Rikus) für die katholische Hochschulkirche Johannes XXIII. in Köln, nach Plänen von Heinz Buchmann, Ton, Aufnahme um 1965.
Abb. 18: Wettbewerbsmodell (?) für den Baukomplex der katholischen Hochschulgemeinde Köln, nach Plänen von Heinz Buchmann, Aufnahme um 1965.
lichen Ideen und Konzepte der Architektur-Skulptur aufnimmt und in einen großmaßstäblich realisierbaren Baukörper transformiert (Abb. 19). Der Status unterschied zu Rikus’ Modell-Skulptur (Abb. 17) wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass dieses spätere, das ‚richtige‘ Modell über definierte Fensteröffnungen verfügt sowie Fensterrahmungen und Stützen aus Drahtstäben. Die Maßstäbe der drei unterschiedlichen Modelle sind anhand der Fotos nicht rekonstruierbar. Die passenden Größenverhältnisse vorausgesetzt wäre – gewisserweise als Gedankenspiel im Sinne der hier geführten Argumentation – zumindest vorstellbar, dass dieses ‚richtige‘ Modell der Kirche (Abb. 19) in
Das Entwur fsmodell
Abb. 19: Planungsmodell der katholischen Hochschul gemeinde Köln, Josef Rikus/Heinz Buchmann, evtl. Gips und Draht, Aufnahme vor 1968.
Abb. 20: Kirche der katholischen Hochschulgemeinde Köln, Josef Rikus/Heinz Buchmann, 1968, bauzeitliche Aufnahme, retuschierter Ausschnitt.
das städtebauliche Architekturmodell (Abb. 18) einsetzbar wäre, um die dort beschriebene Leerstelle zur Füllen. Künstlerisch-skulpturaler und architektonischer Zugriff kämen im dann vollständigen Modell zur Deckung und würden den Weg zur großmaßstäblichen Realisierung ebnen. Eine weitere Fotografie im Archivbestand zu Heinz Buchmann sei zu diesem Beispiel noch aufgeführt, um die Verzahnung von Architektur, Skulptur und Modell auch über die Fertigstellung der Kirche hinaus zu verdeutlichen. Die Aufnahme zeigt den fertiggestellten Kirchenbau (Abb. 20). Allerdings präsentiert er sich im Bild – durch schwärzende Retuschen – als nachträglich
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freigestellter Körper und ist damit nicht nur seiner realen Umgebung, sondern auch seiner Maßstäblichkeit beraubt. Auf den ersten Blick ist damit zunächst nicht festzustellen, ob es sich bei dem auf dem Bild dargestellten Artefakt um ein weiteres Modell oder die ausgeführte Kirche handelt. Lediglich eine kleine unauffällige Grasfläche in der rechten, unteren Bildecke zeigt, dass die tatsächliche Kirche hier abgebildet wird. Der fertiggestellte Bau wird damit gleichsam in den Status eines skulptural geformten Objekts ‚zurückgeholt‘ und die Architektur in ihrer dezidiert künstlerischen Gestalt, vor allem aber: Genese, öffentlichkeitswirksam propagiert. Die oben beschriebene Architekturauffassung der Moderne, wonach Bauten als monolithische Körper skulptural aufgefasst und entsprechend geformt wurden, wird anhand der zwischen Bildhauer und Architektur aufgeteilten Autorschaft der Kölner Kirche besonders auffällig. Die als Modell verstandene Plastik Buchmanns wird dabei zum Medium im Sinne eines Produzenten, Speichers und Vermittlers der zentralen Entwurfsideen.
3.1.4 Paul Schneider-Esleben: St. Rochus und St. Albertus Magnus, Düsseldorf Ähnlich wie die Kölner Kirche von Rikus und Buchmann sind auch die Entwürfe für Kirchenbauten entstanden, die der Architekt Paul Schneider-Esleben (1915-2005) schon gut 15 Jahre zuvor für seine Heimatstadt Düsseldorf entwickelt hatte. Schneider-Esleben hat die bundesdeutsche Architekturgeschichte vor allem in der Region in und um Düsseldorf seit Beginn der 1950er Jahre geprägt. Mit dem Bau der Haniel-Hochgarage (1950-52) und dem Mannesmann-Hochhaus in Düsseldorf (1954-1957, mit Egon Eiermann) knüpfte er zunächst an die Architektursprache der klassischen Moderne an. Mit dem Flughafen Köln-Bonn etwa fand er später auch Anschluss an brutalistische Strömungen der 1960er Jahre. Eine eher massige, körperhafte Architektursprache zeichnete bereits Schneider-Eslebens Kirchenbauten der 1950er Jahre aus. Diese gehen wesentlich auf die Arbeit mit Modellen zurück, die jeweils die Grundlage für den weiteren Planungsverlauf bildeten.19 Für seine katholische Kirche St. Rochus, die zwischen 1952 und 1955 errichtet worden ist, sind fotografische Aufnahmen von insgesamt acht Modellen erhalten, denen allerdings eine je sehr unterschiedliche Funktion zukam. Fünf der Modelle sind als tatsächliche Entwurfsmodelle zu deuten, die offensichtlich der Entwicklung des Baukörpers ganz zu Beginn des Entwurfsprozesses dienten (Abb. 21, 22). 19 | Ralf Liptau: Kneten und Probieren. Architekturmodelle in Entwurfsprozessen der Nachkriegsmoderne. In: Regine Heß (Hg.): Architektur und Akteure. Praxis und Öffentlichkeit in der Nachkriegsgesellschaft. Bielefeld 2018, S. 119-130.
Das Entwur fsmodell
Anhand der Modellfotografien lässt sich weder die genaue Genese der einzelnen Modelle noch deren konkrete Funktion im Entwurfsprozess genau bestimmen. Die Modelle sind ausnahmslos im fertigen Zustand fotografisch dokumentiert. Die Entstehung der Modelle selbst, sowie ihre Veränderungen und Variationen, sind also nicht mehr rekapitulierbar. Ihre Funktion und Bedeutung für den Entwurf kann daher nur aus der Materialität und Beschaffenheit der Modelle geschlossen werden und bleibt damit zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad spekulativ.20 Auf Abbildung 21 sind rechts zwei Entwurfsmodelle zu sehen, auf Abbil dung 22 rechts drei weitere. Diese insgesamt fünf Entwurfsmodelle waren, soweit anhand der Fotografien erkennbar, aus Plastilin geformt. Ihre Ausarbeitung ist – mit Ausnahme eines, noch heute erhaltenen Modells (Abb. 23) – allerdings so sauber, dass hier von einem spontanen Kneten und Formen nicht die Rede sein kann. Auch die Art der Aufnahme, die eher auf ein bewusstes Inszenieren der Modelle auf den professionell erstellten Bildern schließen lassen als auf das schnappschussartige Dokumentieren im Verlauf des Entwurfsprozesses, deuten darauf hin, dass die Modelle nicht der spontanen Ideenentfaltung dienten. Damit unterscheiden sich diese Plastilinmodelle wesentlich von den grob geformten Exemplaren, wie sie etwa für Entwurfsprojekte von Carlfried Mutschler, Rolf Gutbrod oder Josef Rikus nachweisbar waren. Selbst das heute im Architekturarchiv der Technischen Universität München noch erhaltene, scheinbar sehr grob gearbeitete Modell ist nicht so spontan und intuitiv entstanden, wie es scheint: Beim Blick auf die Unterseite zeigt sich, dass die drei Schalen des Gebäudekorpus im Vorfeld gefertigt und dann mit Hilfe einer weißen Knetmasse zusammengefügt worden sind (Abb. 24). Der Ring, der die drei Schalen am unteren Abschluss umfängt, ist aufwändig mit kleinen Nadeln am Modell befestigt. Der handwerkliche Aufwand, der also ganz offensichtlich allen fünf Modellen zugekommen ist, spricht gegen ein intuitives, spontanes Entwerfen und Entwickeln am Modell. Gleichzeitig wirken die Modelle noch grob und skizzenhaft genug, als dass die eigenhändige Ausarbeitung durch Schneider-Esleben wahrscheinlich erscheint. Hätte ein beauftragtes Modellbaubüro die Stücke gefertigt, würden sie zudem einheitlicher bzw. standardisierter wirken. Es scheint deshalb naheliegend, dass Schneider-Esleben jeweils nur grobe Vorstellungen von einer möglichen Gebäudeform hatte und sie je – selbst – am Modell entwickelt hat. Modell und Entwurfsidee wären in dieser Lesart gemeinsam ausgearbeitet worden – und zwar in einem sehr wörtlichen, also handwerklichen Sinne. Das besondere Potential des jeweiligen Modells läge damit weniger darin, ein spontanes Umformen, Umdenken und Revidieren 20 | Architekturarchiv der Technischen Universität München, Nachlass Schneider-Esleben, Sign.: schnee-24-1001.
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Abb. 21: Modelle für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, Aufnahme vor 1955.
Abb. 22: Modelle für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, Aufnahme vor 1955.
zu ermöglichen. Der Mehrwert des Modellierens für den Entwurf wäre vielmehr damit begründet, dass in vergleichsweise langsamer und bewusst ausgeführter Fleißarbeit die jeweilige Entwurfsidee in je einem Modell verfeinert und verfestigt worden wäre. Die fünf Modelle würden demnach untereinander weniger eine aufeinander bezogene Entwicklungskette bilden, die den generativen Charakter einer einzelnen, linearen Entwicklungslinie nachvollziehbar machen würde. Die Modelle erscheinen – jedes für sich genommen – vielmehr als das Ergebnis eines handwerklichen Formungsprozesses, das einen entwerferischen Vorstellungsprozess begleitet, stützt und so befördert.
Das Entwur fsmodell
Abb. 23: Modell für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, vor 1955, Aufnahme 2016.
Abb. 24: Modell für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, vor 1955, Aufnahme 2016.
Kurioserweise hat Schneider-Esleben selbst eine generative Reihung und Bezogenheit der Modelle aufeinander suggeriert, indem er sie auf den beiden im Archiv vorliegenden Fotografien in diesem Sinn abgebildet hat. Eine der Aufnahmen zeigt links, also am Beginn der Reihe, ein aus Papier geformtes Gebilde, das kaum identifizierbar ist (Abb. 21). Rechts daneben ist das grob geformte Modell einer historischen Kuppelkirche zu sehen. Weiter rechts schließen zwei der fünf Schneider-Esleben-Modelle für St. Rochus an. Sowohl von dem zunächst undefinierbaren Papiergebilde als auch vom Modell der Kuppelkirche liegen in der gleichen Mappe des Nachlasses auch Einzelbilder vor. Auf
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ihren Rückseiten steht, handschriftlich geschrieben: „Von Pfarrer Dohr selbstgebastelt als Martinslaterne“21 und „von Pfarrer Dohr selbstgebastelt“. Was die Reihung der Modelle auf dem Bild also suggerieren will, ist eine lineare Entwicklung der Kirchenform von Pfarrer Dohrs Martinslaterne als scheinbar erste Entwurfsidee bis hin zum fertigen Modell aus der Hand Paul Schneider-Eslebens. Genauso die zweite Fotografie (Abb. 22), die eine vergleichbare Reihung zeigt: links das Dohr’sche Kuppelkirchenmodell, rechts daneben ein – nicht weiter bestimmbares – Modell einer Apsis, gefolgt von drei der fünf Entwurfsmodelle aus der Hand Schneider-Eslebens.22 Auch hier könnte also ein Entwicklungsprozess gelesen werden, der mit dem Modell des Pfarrers beginnen und in einem gültigen Entwurf enden würde. Dass in beiden Fällen keine wirkliche generative Reihung abgebildet wird, wird schnell klar: Zunächst einmal ist innerhalb der zwei Reihen keine Weiterentwicklung des Entwurfs anhand der Modelle schlüssig zu erkennen. Die Modelle stehen eigenständig nebeneinander, an keiner Stelle wäre nachvollziehbar, welches Detail sich von links nach rechts im Bild verändern beziehungsweise entwickeln würde. Die Modelle unterscheiden sich zu sehr untereinander, um eine durchgehende Entwicklung sinnfällig zu machen. Zudem würden sich beide Reihen gleichsam gegenseitig widersprechen. Denn sie starten beide mit dem Modellvorbild des Pfarrers, um sich dann aber völlig unabhängig voneinander zu entwickeln: keines der Schneider-Esleben Modelle taucht sowohl in der einen als auch in der anderen Reihe auf. Es gäbe damit also zwei unabhängige Entstehungslinien des Entwurfs – was ausgeschlossen wäre, wenn die Modellreihen wirklich den realen Entwurfsverlauf abbilden sollten. Wenn die Modelle für die St. Rochus-Kirche also als Entwurfsmodelle verstanden werden, wenn ihnen ein generativer Anteil an der Entwicklung des Entwurfs zugesprochen wird, dann jedem für sich. Es handelt sich hier nicht um eine Modell-Kette, entlang der der Entwurf von Modell zu Modell variiert, verfeinert und somit gefestigt würde. Vielmehr kamen diese Qualitäten wohl der Arbeit an jedem einzelnen Modell zu. Im Sinne von Varianten diente ihre Nebeneinanderstellung später dazu, den ‚richtigen‘ also den weiter zu verfolgenden Entwurf auszuwählen. 21 | Peter-Heinrich Dohr war von 1947 bis 1971 Gemeindepfarrer in St. Rochus; mündliche Auskunft der zuständigen katholischen Pfarrgemeinde Heilige Dreifaltigkeit am 20.08.2016. 22 | In der Diskussion um das geeignete Verhältnis von (Architektur-)Tradition und Modernität setzten sich Bauherr und Architekt in der Planungsphase nachweislich mit der Wallfahrtskirche Kappl bei Waldsassen von Georg Dientzenhofer aus dem Jahr 1685 auseinander (Beygo 2015, S. 100). Das hier angeführte Kuppelmodell von Peter Dohrs scheint allerdings kein Modell dieses barocken Kirchbaus zu sein. Ob es einen
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Auch bei der Ausarbeitung des Entwurfs für die unrealisiert gebliebene Kirche St. Albertus Magnus in Düsseldorf griff Schneider-Esleben im Jahr 1965 auf Modelle zurück. Der Fotonachlass zeigt nicht nur, dass der Architekt offensichtlich lange an zwei sehr unterschiedlichen Konzeptionen festgehalten hat.23 Für eine der beiden Varianten ist zudem nachvollziehbar, wie sich das Konzept entlang mehrerer Modelle entwickelte. Zwei Modelle sind für diese Variante nachweisbar. Das erste Modell zeigt lediglich die Formung des Bauvolumens in seiner äußeren Gestalt als skulpturaler Baukörper (Abb. 25). Das zweite Modell, welches im Übrigen dann auch mit freistehenden Turm aufgenommen worden ist, präsentiert sich als Spiel von aneinandergelegten, spitz zulaufenden Schalen (Abb. 26). Aus dem monolithischen, massigen Ursprungsmodell ist im Verlauf des Entwurfs also die Konzeption eines freien Raums entstanden, der sich zwischen Schalen ergibt, die wie zufällig gegeneinandergestellt und sich gegenseitig stützend erscheinen. Auf der Rückseite einer der Fotografien dieses dann ausgearbeiteten Modells steht handschriftlich die Notiz: „St. Albertus Magnus V. (Endprojekt) […] 3 Betonschalen, aber unten alle verbunden. Wie sich 3 [sic!] öffnende Knospenblätter (Trinitätsgedanke).“24 Für das hier geführte Argument, wonach sich auch der Entwurf der Albertus-Magnus-Kirche wesentlich am und mit dem Modell entwickelt hat, ist diese Beschriftung von wesentlicher Bedeutung. Schließlich legt sie nahe, dass der eigentliche gedankliche Überbau, also die symbolische Aufladung des Entwurfs als formale Übersetzung des Trinitätsgedankens, sich erst spät im Verlauf des Entwurfsprozesses gebildet hat. Die andere Entwurfsvariante hätte diese Deutung überhaupt nicht zugelassen. Deutlich wird damit, dass Schneider-Esleben die Arbeit am Modell ganz zu Beginn des Entwurfsprozesses geleistet hat, zu einem Zeitpunkt, als sonst noch kaum Rahmenbedingungen für das Projekt gesetzt waren. Der inhaltlich-symbolische Überbau erfolgte erst nach der weitgehend abgeschlossenen Formgenese am Modell. Er folgte damit unmittelbar aus der Arbeit am Modell. Denn die zügig auf der Rückseite der Fotografie notierte Deutung der Baukörper-Form als aufgehende Blüte spricht dafür, dass Schneider-Esleben diesen Gedanken ganz unmittelbar aus der Betrachtung des Modells respektive der Modellfotografie entwickelt hat. Dem Modellieren als Tätigkeit sowie dem Modell als Gegenstand der Betrachtung wären damit auch hier ganz wesentliche Anteile an der – auch symbolischen – Entwicklung des Entwurfs zugekommen. Bezug zu einem konkreten Kirchenbau gibt, ist unklar. 23 | Architekturarchiv der Technischen Universität München, Nachlass Schneider-Esleben, Sign.: schnee-102-1000. 24 | Archiv des Architekturmuseums der TU München, Nachlass Schneider-Esleben, Sign.: schnee 102-1005.
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Abb. 25: Modell für das Projekt Kirche St. Albertus Magnus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, Aufnahme 1965.
Abb. 26: Modell für das Projekt Kirche St. Alber tus Magnus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, evtl. Gips, Aufnahme 1965.
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3.2 W ürfelmodelle Die Tätigkeit des entwerfenden Modellierens ist nicht an das Material des frei formbaren Plastilins gebunden. In der Einleitung dieser Arbeit ist bereits betont worden, dass der hier in Anschlag gebrachte Modellbegriff potentiell alle Formen material- oder gegenstandsbezogener Vorstellungsbildung umfasst. Die theoretischen Analysen und Ableitungen beziehen sich damit auf sämtliche Tätigkeiten, bei denen Materialien oder Artefakte zum Einsatz kommen, um Ideen und Erkenntnisse zu befördern und festzuhalten. Damit sind konkret auch Formationen gemeint, in denen Gegenstände wie Würfel oder Klötzchen, etwa aus Holz oder Styropor, versuchsweise aneinandergesetzt werden. Mit diesen Verfahren können Gebäudevolumina im Modell beliebig oft und lange umsortiert, beziehungsweise die so erarbeiteten Lösungen jeweils weiterentwickelt werden. Anders als bei den Beispielen zur Verwendung von Ton oder Plastilin muss hier allerdings weniger von Modellierungsmaterialien die Rede sein, sondern vielmehr von Modellierungselementen. Denn es handelt sich in den im Folgenden beschriebenen Phänomenen um Modellierungsverfahren, bei denen nicht das Material selbst verformt wird. Es entstehen im Unterschied zu den bisher beschriebenen Beispielen mit der Arbeit am Modell keine skulptural geformten, monolithischen Objekte, die als solche zum Ausgangspunkt und Vorbild für die weiteren Planungsschritte würden. Vielmehr geht es bei den im Folgenden beschriebenen Modellen um temporäre Element-Formationen, die in ihrer jeweiligen Form als Artefakt an sich konstant bleiben. Was sich hier von Modellvariante zu Modellvariante verändert, ist die Zusammensetzung der Würfel, nicht die Form der Würfel selbst. Wie bereits am Beispiel des Modells aus Holzstäbchen für Rolf Gutbrods Lesesaalfassade für die Kölner Universitätsbibliothek deutlich wurde, sind mit der Auswahl der Modell-Elemente stets schon im Vorfeld der Modellierung wesentliche Entscheidungen und Begrenzungen gesetzt: Die gewählten Elemente ermöglichen jeweils nur eine bestimmte Art der Bearbeitung und Veränderung. Im Prozess der Modellierung steht die Varianz der Anordnung mehrerer Teile zueinander im Mittelpunkt beziehungsweise deren räumliche Beziehung zueinander. Modellen dieser Art kommt genau deshalb ein besonders prekärer Status zu, was Dokumentation, Archivierung und rekonstruierende Auswertbarkeit angeht. Denn ihre Eigenschaft als nur temporäre Zusammensetzung mehrerer in sich formal stabiler Einheiten bedingte ganz offensichtlich, dass die jeweiligen Modelle eher als vergängliche Formation denn als eigenständiges Objekt angesehen wurden. Ihre Veränderlichkeit, Reversibilität und Unbeständigkeit liefen einer Dokumentation oder Archivierung genuin zuwider. Die versuchsweise Zusammenstellung mehrerer Artefakte und ihre beständige Transformation als Grundlage oder Bestandteil von Entwurfsprozessen der Nachkriegsmoderne sind heute dennoch an wenigen Beispielen noch konkret
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nachweisbar. In diesen Fällen wurden Modelle in unterschiedlichen Zuständen fotografisch dokumentiert, um diese Aufnahmen anschließend miteinander vergleichen zu können.
3.2.1 Bauabteilung Neue Heimat: Studienmodelle Anschauliche Beispiele für die hier als Element-Formationen beschriebenen Modellierungen liefern die Modelldokumentationen zu Arbeiten, die bei der Neuen Heimat in den 1960er und 1970er Jahren entstanden sind. Bei der Neuen Heimat handelte es sich um „die größte Wohnungsbaugesellschaft Europas“25 nach dem Zweiten Weltkrieg mit Sitz in Hamburg. Bereits 1926 gegründet, prägte sie vor allem in den 1960er und 1970er Jahren den Siedlungsbau in der Bundesrepublik Deutschland und verfügte in dieser Zeit über eine eigene Planungsabteilung, der als prominentestes Mitglied der aus Frankfurt am Main stammende Architekt und Stadtplaner Ernst May (1886-1970) angehörte.26 Zu den wichtigsten Siedlungen, die unter Federführung der ‚Neuen Heimat‘ entstanden sind, zählen die Neue Vahr Süd in Bremen (ab 1957), Karlshöhe (ab 1960) und Lohbrügge-Nord (ab 1962) in Hamburg, Bremerhaven-Leherheide (ab Beginn der 1960er-Jahre), München-Hasenbergl (ab 1965), Kiel-Mettenhof (ab 1965) und Ratingen-West (ab 1966). Anfang der 1980er Jahre wurde das Unternehmen nach einem Finanzskandal aufgelöst. Im Hamburgischen Architekturarchiv sind Ordner mit Modellfotografien zu zahlreichen Projekten der Neuen Heimat erhalten. Neben Planungen zu konkreten Siedlungen oder Einzelbauten sind hier auch Modelle nachweisbar, mit denen grundsätzliche Entwurfsstudien, etwa zu Fragen des Siedlungsbaus oder von Großprojekten, durchgeführt wurden. Die einzelnen Projekte sind hier lediglich mit je einem Schlagwort betitelt und im Regelfall datiert. 27 Vor allem für diejenigen Planungen, die nicht für ein konkretes Bauprojekt, sondern als allgemeine Studienarbeit entstanden sind, gibt es über diese Angaben hinaus keine Informationen. Auch die Namen der konkreten Verfasser_innen sind in diesen Fällen nicht zu identifizieren. Die Archivalien bieten dennoch 25 | Karl H. Hoffmann: Die Neue Heimat. http://www.architekturarchiv-web.de/portraets/neue-heimat/index.html; Zugriff am 16.03.2018; eine erste umfangreiche stadtbauhistorische Aufarbeitung leistet das Architekturmuseum der TU München im Jahr 2019. 26 | Ebd. 27 | Worauf sich die Datierung genau bezieht, ist unklar. Möglich ist, dass die Angabe den Tag der Modellversuche meint. Allerdings könnte damit auch der Tag bezeichnet sein, an dem die Fotografien in den Ordner geklebt wurden. Für die Analyse im Kontext dieser Arbeit ist das genaue Datum allerdings auch kaum relevant. Wichtig ist lediglich, dass die Arbeit an den Modellen im Jahr 1967 stattgefunden haben wird.
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anschauliche Beispiele dafür, wie in den Büros und Ateliers der Neuen Heimat prinzipiell gedacht und geplant wurde. Nachvollziehbar wird dies etwa am Studienprojekt „Wohndichte“, für das laut Beschriftung am 20. September 1967 Modelle aus Holzklötzchen in mehreren Varianten entstanden sind.28 Anhand der Fotografien lassen sich insgesamt acht unterschiedliche Varianten für die Anordnung von Wohnbauten nachweisen (Abb. 27-29). Allen gemein ist die Orientierung des gesamten Baukomplexes entlang einer länglichen horizontalen Achse, deren Funktion zunächst nicht genauer zu bestimmen ist. Denkbar ist, dass diese zentrale Achse einen Baukörper anzeigen sollte, der Gemeinschafts- und Erschließungsfunktionen gedient hätte. Demnach wären hier Ladenlokale, Kindertagesstätten oder ähnliches vorgesehen gewesen. Möglich ist auch, dass dieses Bauwerk als überbaute Straße oder als Tiefgarage vor allem infrastrukturellen Bedürfnissen des Quartiers hätte entsprechen sollen. Ziel der Modellvariation war offenbar das Finden einer idealen städtebaulichen Lösung, vor allem mit Blick auf eine größtmögliche Wohndichte, die unter anderem durch den Bau von Wohnhochhäusern erreicht werden sollte. Ausgehend von den übergeordneten Gemeinsamkeiten, die die Zugehörigkeit aller Varianten zu einer gemeinsamen Studienarbeit anzeigt, lassen sich die Varianten wesentlich in drei Gruppen einteilen. Diese Gruppen unterscheiden sich in der Gestalt und Kubatur der verwendeten Klötzchen-Elemente und damit freilich durch die Differenz in der Gestalt der daraus erarbeiteten Bauten.29 Die erste Gruppe, von der die Fotografien zwei unterschiedliche Zuständen zeigen (Variante 1,1; 1,2; Abb. 42 oben links, Abb. 43), ist wesentlich von der Idee der breit gelagerten, schlanken Hochhausscheibe geprägt. Auf einer vergleichsweise kleinteiligen und komplexen Sockelebene sind in beiden Varianten jeweils mehrere Teile auf unterschiedliche Weise angeordnet, die ganz offensichtlich solche Hochhausscheiben darstellen sollen. Da nur zwei Varianten fotografisch dokumentiert wurden, ist davon auszugehen, dass dieser Entwurfsweg relativ zügig verworfen wurde. Dafür spricht auch, dass schlichte kubische Hochhausscheiben als städtebauliches Konzept der 1950er Jahre bereits am Ende der 1960er Jahre in der Kritik standen. 28 | Unter dem Datum des 04.01.1968 finden sich ebenfalls Fotografien der Modellvarianten. Es handelt sich allerdings um die gleichen Varianten, die im Folgenden unter dem Datum des 20.09.1967 beschrieben werden. 29 | Die Einteilung in drei Gruppen ergibt sich nicht aus der Anordnung der Modellfotografien im Ordner des Archivs. Die dortige Anordnung der Bilder lässt keine nachvollziehbare bzw. sinnvolle Logik erkennen, sondern erscheint als weitgehend zufällig. Für die folgende Beschreibung wird die Bildfolge im Archivordner deshalb keine Rolle spielen.
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Abb. 27: Studienmodelle „Wohndichte“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf Grundplatte, 20.09.1967, Aufnahmen 1967.
Dem Stand der damaligen Zeit entspricht vielmehr die Variantengruppe 2, von der fünf unterschiedliche Modellzustände anhand der Fotografien heute noch nachweisbar sind (Varianten 2,1 bis 2,4; zu sehen auf Abb. 27 oben und mittig sowie auf Abb. 28 oben rechts, mittig und unten). Das städtebauliche Konzept fußt hier wesentlich auf der Idee der locker angeordneten Punkthochhäuser, die von vergleichsweise Flachen Terrassenhäusern ergänzt würden. Dieser Ansatz wurde offenbar intensiver verfolgt. Die Anordnung, Menge und Größe der Terrassenhäuser ist – mit Ausnahme der Variante 2,5 (Abb. 28 unten), bei der es leichte Änderungen gibt – zunächst bei allen Varianten gleich. Der Fokus richtete sich bei der Verschiebung und Umordnung der Klötzchen-Elemente
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Abb. 28: Studienmodelle „Wohndichte“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf Grundplatte, 20.09.1967, Aufnahmen 1967.
vielmehr auf die Höhe der insgesamt sechs Punkthochhäuser: Von Variante zu Variante wurden unterschiedliche Höhen der Häuser getestet und in ihrer jeweiligen Auswirkung auf die Gesamtanlage in den Blick genommen. Offenbar hielten die beteiligten Planer_innen es für notwendig, sich die jeweiligen Veränder ungen des Volumens und der Kubatur der komplexen Bauanlage immer wieder am dreidimensionalen Objekt des Modells vor Augen zu führen, um die Auswirkungen der jeweiligen Entwurfsentscheidungen wirklich nachvollziehen zu können und auf dieser Grundlage weiter zu verfahren. Ein Modell, das ebenfalls zum „Wohndichte“-Projekt gehört, ist im Archivbestand nur in einer Variante fotografisch dokumentiert (Abb. 27, unten). Hier
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Abb. 29: Studienmodelle „Wohndichte“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf Grundplatte, 20.09.1967, Aufnahme 1967.
scheint ein Konzept in Anschlag gebracht, bei dem die Baumassen über eine größere Fläche verteilt sind, allerdings ohne den Bau von Hochhäusern. Diese dritte Variante scheint wie die erste nicht priorisiert worden zu sein. Ein ganz ähnliches Prinzip der Variation mehrerer formal identischer Elemente wiederholten die Planer_innen der Neuen Heimat bei der Erarbeitung von „Standardgrundrissen“ im Jahr 1970 (Abb. 30-32). Modellfotografien aus dem Hamburgischen Architekturarchiv, die auf den 10. März datiert sind, zeigen auf zwei Aufnahmen die beiden Grundmodule des Modells (Abb. 30) und sieben unterschiedliche Varianten, in denen unterschiedlich viele dieser Ele-
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Abb. 30: Studienmodelle „Standardgrundrisse“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf karierter Grundplatte, 10.03.1970, Aufnahmen 1970.
mente zueinander angeordnet sind.30 Die Überschrift „Standardgrundrisse“ lässt darauf schließen, dass es auch hier – wie schon bei der „Wohndichte“ – nicht um den Entwurfsprozess im Rahmen eines konkreten Bauprojekts ging, sondern um die Erarbeitung grundlegender und damit allgemeingültiger Prinzipien.31 30 | Zur Bedeutung der Fotografie in Hinblick auf die Entwurfspraxis der Neuen Heimat vgl. Liptau 2017c. 31 | Der Begriff ‚Grundriss‘ ist im hier verhandelten Zusammenhang sicherlich ungünstig gewählt, da Gebäudekubaturen untersucht werden und auf dieser Grundlage
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Abb. 31: Studienmodelle „Standardgrundrisse“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf karierter Grundplatte, 10. 03.1970, Aufnahmen 1970.
Die Elemente, anhand derer die „Grundrisse“ variiert werden, sind nach einem standardisierten Prinzip einheitlich aufgebaut: Es gibt schlanke, sich über einer Quadratfläche entwickelnde Elemente, die für Versorgungsbauten – also Treppenhäuser, Aufzugsschächte, Leitungen und Rohre – zu stehen scheinen. Die eigentliche Nutzfläche des Baus scheint mit den breiteren Elementen angezeigt, die auf ebenfalls quadratischer Grundfläche meist als dreistöckig (im eventuell auch Funktionsabläufe und -zusammenhänge diskutiert werden konnten. Um Grundrisse in dem Sinne, dass die innere Anordnung von Räumen zueinander dargestellt würde, handelt es sich im vorliegenden Fall allerdings nicht.
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Abb. 32: Studienmodelle „Standardgrundrisse“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf karierter Grundplatte, 10.03. 1970, Aufnahmen 1970.
Einzelfall vier- oder fünfstöckig) dargestellt sind. Auf einem schmalen Sockel ruhend erscheinen sie als schwebend über dem Grund. Diese im Wesentlichen immer gleichen Elemente werden in den sieben Varianten in unterschiedlicher Stückzahl verwendet. Die Varianten 1 bis 6 (Abb. 30, mittig und unten, Abb. 31 oben) zeigen unterschiedliche Anordnungen von je vier oder sechs der breiten Elemente. Variante 7 zeigt – anhand von insgesamt sechs Fotografien – die Anordnung von ganzen 48 der breiten Elemente (Abb. 31, mittig und unten, Abb. 32). Deutlich wird damit, dass das mit dem Modell erarbeitete Prinzip Gültigkeit beanspruchen sollte sowohl für kleinere Baugruppen als auch für ganze Wohnanlagen, so genannte Teppichsiedlungen. Die auf beliebig große
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Erweiterbarkeit basierende Allgemeingültigkeit des Konzepts wird auch durch die Grundplatte angezeigt, auf der die Modelle allesamt angeordnet sind: Sie ist so gerastert, dass sich eine Karierung der Fläche ergibt. Ein Karo entspricht dabei der Grundfläche eines der schlanken Elemente. Die Möglichkeiten der modularen Variation und Erweiterbarkeit sind damit stets bestimmt durch die Ordnung der Karierung, die einem völlig freien Modellieren entgegensteht. Mit der Standardisierung der Elemente und ihrer Anordnung auf der Platte wird der Studiencharakter des Modellierungsprozesses demnach nochmals deutlich. Anders als bei frei formbaren Plastilinmodellen ging es hier nicht darum, ein skulptural-künstlerisches, einmaliges ‚Meisterwerk‘ zu schaffen. Die freie Anordnung der Elemente war zu jedem Zeitpunkt dadurch motiviert, objektivierbare, im Sinne der Funktion ideale Lösungen zu finden, die allgemeingültig anwendbar sein sollten. Der Bestand von Modellfotografien aus der Bauabteilung der Neuen Heimat zeigt damit insgesamt, dass hier ganz grundlegend an und mit Modellen nach neuartigen Lösungsmöglichkeiten vor allem für den städtebaulichen Maßstab gesucht wurde. Die Tatsache, dass sich die einzelnen Studienarbeiten nicht der Arbeit von konkreten, namentlich bekannten Personen zuordnen lässt, spricht dafür, dass es sich bei der erläuterten Praxis um eine allgemein etablierte Arbeitsweise gehandelt hat.
3.2.2 Justus Herrenberger: Schulzentrum Stöckheim Ein weiteres Beispiel für die Formation von Elementen zu Architekturmodellen zeigt die Dokumentation zur Planung des Schulzentrums Stöckheim nahe Braunschweig aus den Jahren 1973/74. Das Ensemble geht auf die gemeinsame Planung von Horst Beier, Günter Belling, Justus Herrenberger und Jörn Miehe zurück.32 Der Architekt Herrenberger (1920-2014) hat den Planungsprozess als Professor für Baukonstruktion an der Technischen Universität Braunschweig idealtypisch für Lehrzwecke dokumentiert und in einem Band für Lehrzwecke zusammengefasst. In Hinsicht auf Neubauten war Herrenberger vor allem theoretisch aktiv. Seine praktische Arbeit als Architekt bezog sich vor allem auf zahlreiche eher rekonstruierende Wiederauf bauprojekte in der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Braunschweiger Innenstadt. Der Dokumentationsband zum Schulzentrum Stöckheim erhellt demgemäß weniger die konkrete Arbeitshaltung Herrenbergers. Der Anspruch der 32 | Siehe die Dokumentation: Justus Herrenberger: Beitrag zur praxisbezogenen Entwurfsmethodik am Beispiel „Planungsprozeß Schulzentrum Stöckheim“ im Rahmen des Vertiefungswahlfaches „Einführung in den Hochbauentwurf für Bauingenieure“. Braunschweig 1974, o.S. SAIB TU Braunschweig, Nachlass Herrenberger, SAIB_G 51 II/17.140.
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Schrift lag bereits ursprünglich darin, ein allgemeingültiges Verfahren als beispielhaft zu beschreiben. Erhalten sind durch die Arbeit am Dokumenta tionsband nicht nur gut 124 Fotonegative, die Entwurfsmodelle in unterschiedlichen Zuständen zeigen (Abb. 33, 34).33 Erhalten ist auch die Schrift selbst, die Herrenberger für sein Seminar angefertigt hatte und in dem er am Beispiel dieses einen Planungsprozesses genau darlegt, welches Entwurfsmedium an welcher Stelle eines Prozesses zu welchem Zweck idealerweise zum Einsatz zu kommen hat.34 Für die hier durchgeführte Analyse ergibt sich damit die einzigartige Konstellation, dass sich nicht nur einzelne Modelle, respektive Modellzustände, rekonstruieren lassen. Darüber hinaus sind ihre Verortung und ihr Zweck vom Planer selbst schriftlich formuliert worden. Dass die Ausführungen Herrenbergers dabei als Quelle kritisch gelesen werden müssen, da sie einen sehr komplexen Entwurfsvorgang im Nachhinein in idealisierter Weise darstellen, ist selbstverständlich. Dennoch lässt sich aus der Kombination von Fotonegativen und Dokumentation die zentrale Rolle des Modells vor allem im frühen Stadium der Entwurfsfindung für das Stöckheimer Schulzentrum klar nachvollziehen. Herrenberger rekapituliert am Beispiel des Schulzentrums allgemeingültig den aus seiner Sicht idealen Planungsverlauf für komplexere Bauprojekte. Konkret führt er darin aus, dass nach einem ersten, groben Programm- und Literaturstudium zunächst der vorgesehene Bauplatz vor Ort zu besichtigen sei. Darauf habe die Analyse der vorhandenen städtebaulichen Struktur zu folgen sowie die Analyse des Baugrundstücks. Bereits zu diesem Zweck solle ein erstes Entwurfsmodell hergestellt werden, welches Herrenberger als „Arbeitsmodell“ bezeichnet: „Es empfiehlt sich, ein Arbeitsmodell anzufertigen, um die Gliederung der Baumassen und Außenräume, die Verkehrsführung und ganz besonders die städtebauliche Zielvorstellung klären zu können. Maßstab des Arbeitsmodelles 1:200, 1:500 oder 1:1000.“35 Hierzu solle man eine Lichtpause des Lageplans auf eine Platte kleben und darauf dann sowohl die Randbebauung als auch andere „entwurfsbeeinflussende Faktoren“ (Verkehrsströme, optische Blickrichtungen usw.) grob markieren. Mit zuvor zurechtgeschnittenen Styroporwürfeln sollen dann die Bauvolumina das erste Mal grob angeordnet werden. Den Zweck dieses Schritts beschreibt Herrenberger folgendermaßen: „Das Arbeitsmodell dient dazu, um [sic!] das Konzept für die gewünschte städtebauliche Zielvorstellung am Modell entwickeln zu können. Dazu wird es vorerst erforderlich sein, Baukörpervolumen und Freiflächen zu ermitteln.“36 Als „Zielvorstellung zur weiteren Bearbeitung“ ergebe sich aus diesem Schritt 33 | SAIB Nachlass Herrenberger, SAIB_G51_II_17. 34 | Herrenberger 1974, o. S. 35 | Ebd. 36 | Ebd.
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Abb. 33: Massenmodell zum Schulzentrum Stöckheim, nahe Braunschweig, Justus Herrenberger, eine von 124 Modellvarianten, 1974.
Folgendes: „a) Lage, Form und Gliederung der Baumassen; b) Lage, Form und Gliederung der Freiflächen; c) Gliederung der Außenräume; d) Einordnung in die vorhandene und geplante Nachbarschaft; e) Erschließung des Grund stückes, Verkehrsführung und Lage der Haupteingänge.“37 Bemerkenswert sind bei der Beschreibung dieses frühen Entwurfsschritts am Modell gleich zwei Aspekte: Zum Ersten die Tatsache, dass die Arbeit am Modell tatsächlich den ersten generativen Schritt am Beginn des Entwurfsprozesses bildete. Denn dieser ersten Modellierung waren in Herrenbergers Darstellung nur grobe Studien zu Bauaufgabe und Baugrundstück vorausgegangen; das Erste, was Architekt_innen demnach entwerferisch zu tun hätten, ist: Modellieren. Zum Zweiten fällt auf, dass Herrenberger in seinen ansonsten so präzisen Ausführungen mit keinem Wort darauf eingeht, wie genau und nach welchen Maßgaben das Zueinandersetzen der Bauvolumina zu erfolgen habe. Zwar schreibt er, dass „bei der Erarbeitung der städtebaulichen Zielvorstellungen […] in besonderem Maße die Fragen der Gestaltung zu beachten“38 seien. Eine genaue Handlungsanweisung, nach der diese Fragen zu beantworten seien, gibt er dabei aber nicht. Er schreibt lediglich: „Meistens bieten sich 37 | Ebd. 38 | Ebd.
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Abb. 34: Massenmodell zum Schulzentrum Stöckheim, nahe Braunschweig, Justus Herrenberger, eine von 124 Modellvarianten, 1974.
mehrere Lösungsmöglichkeiten an, und oft sind eine Vielzahl von Arbeitsmodellen und fotografischen Aufnahmen erforderlich, um die unterschiedlichen Konzepte nebeneinander vergleichen zu können.“39 Mit dem Blick auf seine Ausführung auf den in seiner Dokumentationsschrift abgedruckten Modellfotografien zeigt sich, dass der generative Anteil des Entwerfens zwangsläufig zur Hauptsache auf Intuition beruhen muss: Die konkrete Art und Weise, wie Formen und Volumen in diesem ersten Modell zueinandergesetzt werden, kann ganz offensichtlich nicht mit Regeln unterlegt werden. Welche der Variationsmöglichkeiten nach welchen Maßgaben (gestalterisch) zulässig sind, wird nicht erklärt. Dieses erste Modell erweist sich damit trotz aller scheinbar objektiven Auswertbarkeit zwangsläufig als intuitiv generiert. Problematisiert wird dieser Sachverhalt in der Dokumentation des Planungsprozesses allerdings nicht. Nach dieser ersten, eher tastenden Entwurfsrunde, hat eine zweite, ausgiebigere Etappe zu folgen. Auch diese beginnt zunächst mit einer eher rekapitulierenden Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe. Denn es folgte ein „Zweites und intensives Programmstudium.“40 Dabei würden „Funktionen 39 | Ebd. 40 | Ebd.
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und funktionelle Beziehungen“41 untersucht. „Grafisch-skizzenhafte Funktionsschemazeichnungen“ seien dabei anzufertigen, damit diese später die „zeichnerische Lösung der Aufgabe“ erleichtern würden.42 Zu klärende Faktoren seien an dieser Stelle beispielsweise „Größe und Zuschnitt der Bereiche“; „Raumhöhen und Geschoßhöhen“; „Belichtung“; „Klimatisierung“, „Lüftung“ und „optische Sichtbeziehungen.“43 Diese Faktoren seien anschließend zu übertragen in eine Funktionsschemazeichnung, um diese Abstraktion dann in das konkrete Raumprogramm zu übersetzen.“44 Hierfür sei zunächst ein zweidimensionaler Rasterplan anzufertigen. Gemeinsam mit den bis zu diesem Zeitpunkt erhobenen Daten und getroffenen Entscheidungen biete er die Basis dafür, das konkrete Raumprogramm an einem weiteren Modell zu konkretisieren. Herrenberger empfahl hierzu das Anfertigen von „Raumklötzchen“ (Abb. 35): „a) unter Berücksichtigung der Rastermaße wird das Raumprogramm auf Zeichenkarton übertragen […]; b) Jedem Funktionsbereich wird eine Farbe zugeordnet. Jeder Raum erhält entsprechend seiner Zugehörigkeit zum Funktionsbereich eine Farbmarkierung […]. c) Zeichenkarton mit Raumprogramm wird auf Schaumstoffplatte geklebt. d) Diese Platte wird mit dem Modellbaumesser zerschnitten. Jedes Klötzchen stellt einen Raum dar = ‚Raumklötzchen‘.“45
Der „Klötzchenentwurf“ entstehe dann dadurch, dass auf der Grundplatte die Raumklötzchen „funktionsgemäß zusammengefügt“ würden. „Diese Methode erlaubt in hervorragender Weise das Entwerfen mehrgeschossiger Gebäude […]. Die Geschosse können gestapelt und wieder abgehoben, sie können gegebenenfalls fotografisch festgehalten werden.“46 Auch hier lässt sich wieder die gleiche Beobachtung wie schon in Hinblick auf die erste Modellvariante treffen: Wie genau und nach welchen Maßstäben das „Zusammenfügen“ der Klötzchen zu funktionieren hatte, bleibt offen. Zwar war jedes einzelne Klötzchen im Vorfeld durch die farbliche Markierung mit gewissen Informationen versehen worden. Gewisse Zusammenstellungen der Klötzchen mögen dadurch auf Anhieb schon beim Zusammensetzen als mehr oder weniger sinnvoll erschienen sein. Dennoch blieb das prozessgebundene, variierbare und rekursive Stapeln und „wieder abheben“ der Klötzchen auch an dieser Stelle weitgehend intuitiv determiniert. Eine vom Anspruch her 41 | Ebd. 42 | Ebd. 43 | Ebd. 44 | Ebd. 45 | Ebd. 46 | Ebd.
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Abb. 35: Vorgefertigte „Raumklötzchen“ für Modellstudien, Justus Herrenberger, Aufnahme um 1974.
objektive Bewertung des Modells war auch hier nur überprüfend und erst im Nachgang möglich. Das für die weitere Entwicklung des Entwurfs ausgewählte Klötzchenmodell diente in Herrenbergers Beschreibung als Basis für eine maßstabsgerechte Skizze, die ihrerseits nur mehr die Vorlage für ein weiteres Modell bildete: „Über dem Rasterplan kann der Klötzchenentwurf skizzenhaft und trotzdem maßstäblich festgehalten werden. Die Entwurfsskizze wird in ein einfaches Massenmodell (z.B. Styropor) übertragen. Entwurfsidee und Entwurfsziele werden am Modell überprüft.“47 Für diese Überprüfung führt Herrenberger einen „Bewertungskatalog“ ins Feld, in dem „sämtliche erfaßbaren Entwurfskriterien […] tabellarisch zusammenzustellen“ seien.48 Diese Massenmodelle sind es, die Herrenberger ausführlich fotografisch dokumentiert hat und die den Schwerpunkt der heute erhaltenen 124 Aufnahmen in seinem Nachlass bilden. Der Großteil der Fotografien – 114 von 124 – sind lediglich als Negative (Abb. 33, 34) vorhanden. Ganz offensichtlich wurden sie also während der Arbeit am Modell zu Dokumentationszwecken gefertigt, im weiteren Verlauf aber weder im fortschreitenden Entwurfsprozess wirklich verwendet noch zu Lehr- oder Publikationszwecken herangezogen. Die Map47 | Ebd. 48 | Ebd.
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Abb. 36: Varianten des „Arbeitsmodells“ auf Basis von Fotografien, Justus Herren berger, Aufnahme um 1974.
pen mit den Negativen erwecken in ihrem sehr unberührten Zustand den Eindruck, als seien sie auch von Herrenberger nicht weiter beachtet worden. Im deutlichen Gegensatz dazu sind 31 Aufnahmen als Positive entwickelt und auf drei Gruppen von zweimal zehn und einmal elf Aufnahmen verteilt auf Papierbögen aufgeklebt worden. Eine der drei Gruppen ist von Herrenberger für die zitierte Dokumentationsschrift verwendet worden (Abb. 36). Es ist deshalb davon auszugehen, dass diese entwickelten Fotopositive insgesamt vornehmlich aus didaktischen Gründen in ihrer jeweiligen Form zusammengestellt wurden Der jeweiligen Zusammenstellung der Serien auf den Papierbögen käme damit das Potential zu, im Sinne Herrenbergers eine prototypische Veranschaulichung von Entwurfsalternativen zu zeigen, wie sie am Modell entwickelt werden können. Beispielhaft machte Herrenberger also durch seine Bildauswahl der Serien deutlich, wie stark sich die Modellzustände verändern können. Die Veränderung fand dabei innerhalb der Serien wesentlich auf zwei Ebenen statt – auf der architektonischen und auf der städtebaulichen Ebene. Denn von Modellzustand zu Modellzustand änderte sich einerseits die Kubatur der vorgesehenen Bauten. Andererseits änderte sich auch die Positionierung der Gebäudegruppen auf dem Baufeld. Speziell zum Stöckheimer Schulzentrum schrieb Herrenberger in seiner Dokumentation:
Das Entwur fsmodell „Es wurden zehn Lösungsmöglichkeiten untersucht, zeichnerisch und durch Massenmodell festgehalten. Aus dieser Lösungsreihe werden die fünf besseren und entwicklungsfähigen Entwurfskonzepte ausgewählt, überarbeitet und erneut mit Hilfe des Bewertungskataloges analysiert. Die drei besten Entwurfskonzepte wurden dem Bauherrn erläutert, eine Entscheidung gemeinsam mit dem Bauherrn getroffen.“49
Was der Architekt mit dieser Formulierung nochmals suggeriert, ist der Eindruck eines gänzlich rationalisier- und objektivierbaren Entwurfs-,Planungsund Entscheidungsprozesseses. In dessen Verlauf scheint aufgrund klar benennbarer Kriterien die eine, namentlich die beste Entwurfslösung aus einer Auswahl an Varianten herauszuarbeiten sein. Mit Blick sowohl auf den Planungsprozess als ganzen, besonders aber mit Fokus auf die Prozesse des Modellierens wird deutlich, dass der eigentliche, generative Anteil des Entwerfens auch hier weitgehend subjektiv und intuitiv abläuft. Die durch den Prozess entstehenden Varianten wurden gleichsam erst nachträglich so weit als möglich objektiviert.
3.3 D ie E pistemik des E nt wurfsmodells Die vorangegangene Rekapitulation von modellbegleiteten Entwurfsprozessen basiert im Wesentlichen auf heute noch erhaltenen Modellfotografien, da die Modelle selbst, wie erwähnt, im Regelfall nicht überliefert sind. Die fotografischen Aufnahmen ließen sich wiederum selbst als Entwurfsmedium eigenen Rechts analysieren, dessen Rolle weit über die eines bloßen Dokumentationsmittels hinausginge. Entsprechende Bilder dienten etwa dazu, die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Modellzustände zu gewährleisten und damit Entscheidungen über den Entwurf treffen zu können, Details des Modells überhaupt erst sichtbar zu machen, die Kommunikation über einzelne Entwurfsschritte zu gewährleisten oder die im dreidimensionalen Medium erarbeiteten Erkenntnisse im Zweidimensionalen weiterverarbeiten zu können. Der aktive Beitrag der Fotografie im Entwurfsprozess wäre im Zuge einer eingehenden medientheoretischen, epistemologischen und nicht zuletzt histo rischen Forschung freizulegen.50 Für den Zusammenhang der hier geführten 49 | Ebd. 50 | Bisherige Forschungsarbeiten zum Verhältnis von Fotografie und Architektur fokussieren vor allem die Rolle der Fotografie zur Präsentation bzw. Rezeption von Architektur. In Hinblick auf die Verwendung von Fotografien für den Entwurfszusammenhang werden fotografische Sammlungen in der Regel nur als Vorbildsammlungen thematisiert. Vgl. etwa: Rolf Sachsse: Bild und Bau. Zur Nutzung technischer Medien beim Entwerfen von Architektur. Wiesbaden, Braunschweig 1997; ders.: Eine kleine Geschichte
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Untersuchung wird dennoch versucht, ‚durch die Fotografien hindurch‘ die Rolle der Modelle als materielle Artefakte in den jeweiligen Entwurfsprozessen zu rekapitulieren, ohne den Aussagewert der Fotografien dabei strukturell mit zu verhandeln. Die Problematik der Quellenlage lässt vermuten, dass Modelle und Prozesse der Modellierung auch in zahlreichen weiteren, heute so nicht mehr rekonstruierbaren Entwurfsprozessen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Dennoch kann mit der hier durchgeführten Untersuchung keinesfalls den Anspruch verbunden sein, ein allgemeingültiges Konzept des architektonischen Entwerfens in der Nachkriegsmoderne zu liefern. Ein solcher Anspruch könnte allein deshalb nie überzeugen, weil sich Entwurfspraktiken natürlicherweise immer auch an persönlichen Gewohnheiten, Vorlieben, Bedürfnissen und Kompetenzen der jeweils Agierenden herausbilden. Mit den vorangegangenen Modellbeschreibungen wurden die heute noch rekonstruierbaren Fälle möglichst umfassend dargelegt und damit ein – wenn auch prägendes – Phänomen innerhalb der Nachkriegsmoderne beschrieben. Die Rekapitulation einzelner Entwurfsprozesse am Modell erlaubt, architektonische Praktiken zueinander ins Verhältnis zu setzen und auf gemeinsame grundlegende Strukturen hin zu befragen. Mit der Frage nach dem Modell in Entwurfsprozessen wird ein wesentlicher Aspekt im Gesamtzusammenhang des architektonischen Entwerfens der Nachkriegsmoderne sichtbar. Bei der Analyse der Fallbeispiele ist deutlich geworden, dass auch die Motivationen, die zum Modellieren führten, höchst unterschiedlich waren. Die Fragen, die die jeweiligen Entwerfenden am und mit dem Modell zu beantworten trachteten, beziehungsweise das Erkenntnisinteresse, das mit der Modellierung einherging, differieren von Fallbeispiel zu Fallbeispiel. Die Entwurfsarbeit am Modell konnte auf die Volumenverteilung des gesamten Baukörpers zielen, wie etwa bei den Kirchenplanungen Carlfried Mutschlers oder den Grundrissstudien der Bauabteilung der ‚Neuen Heimat‘. Der Fokus konnte sich ebenfalls auf einzelne Aspekte richten, etwa die Gestaltung eines bestimmten Fassadenabschnitts, wie bei Gutbrods Planungen für das Kölner Hörsaalgebäude sichtbar wurde. Die Analyse der Modelle zum Schulzentrum Justus Herrenbergers hat gezeigt, dass er die Modellierung nutzte, um einen idealen Funktionszusammenhang für seinen Baukomplex zunächst weitgehend intuitiv zu entwickeln und dann möglichst rational auszuwerten. Trotz der unterschiedlichen Erwartungen, die je an die Aussage- und Zeigepotentiale des Modells gestellt wurden, ähnelte sich die Arbeitsstruktur der jeweiligen Architektur-Modellierenden: Durch die wiederholte Arbeit der Architekturmodell-Fotografie. In: Elser, Oliver; Schmal, Peter Cachola (Hg.): Das Architekturmodell. Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie. Ausst.-Kat., DAM, Frankfurt am Main/Zürich 2012, S. 23-28.
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am Modell wurde der zum jeweiligen Zeitpunkt infrage stehende Entwurfsgedanke immer wieder zur Arbeitshypothese. Diese konnte im Verlauf ihrer räumlichen Umsetzung am Artefakt – und als beständige Reaktion auf diese Umsetzung – bestätigt, verändert, weiterentwickelt, korrigiert oder verworfen werden. Als „reflection in action“ hat der Philosoph und Stadtplaner Donald A. Schön solcherlei Phänomene bezeichnet und das architektonische Entwerfen in die Nähe des musikalischen Improvisierens sowie des Baseballspielens gerückt.51 Bei all diesen Tätigkeiten komme es wesentlich darauf an, dass die Agierenden auf die je gegebene Situation spontan, aber eben auch reflexiv beziehungsweise reflektierend reagierten. „Mit dem Reflexiven“, schreibt die Architekturtheoretikerin Margitta Buchert, „charakterisierte er [Schön] ein wissensbasiertes und gleichermaßen improvisatorisches Handeln bei komplexen Anforderungen in der Praxis mit dem Ziel der jeweils zufriedenstellenden projektbezogenen Lösungsfindung.“52 Ohne expliziten Bezug zu Schön interessiert sich Sabine Ammon für die gleiche Weise des Erkennens im Entwurf und bezeichnet es als „Wissen-im-Werden“.53 Dieses ziele „auf die Genese von Erkenntnissen, die vorläufigen Charakter haben und noch weiter zu prüfen sind; terminologisch werden diese Vorgänge häufig als Erlernen, Erkennen oder Verstehen gefasst.“54 Dem architektonischen Entwurfsmodell kommt entsprechend in den folgenden Ausführungen dieser Arbeit die Qualität zu, die Karin Krauthausen für das Notieren und Skizzieren beschrieben hat: Diese seien „Aufzeichnungspraktiken jenseits der Finalität.“55 Der Designtheoretiker Siegfried Gronert schreibt von „temporär gültigen Fortschritte[n]“ im Prozess des Entwerfens.56 Der offene Prozess des modellbegleiteten und modellbasierten Entwerfens bezieht seine besonderen Charakteristika also zunächst vornehmlich aus zeitlich beschränkten Gültigkeiten, die sich gegenseitig bedingen, ineinandergreifen und aufeinanderfolgen, um einen produktiven Möglichkeitsraum für die Entwurfsentstehung zu ermöglichen. 51 | Schön 1983, S. 55f. 52 | Margitta Buchert: Reflexives Entwerfen? Topologien eines Forschungsfeldes. In: dies. (Hg.): Reflexives Entwerfen. Entwerfen und Forschen in der Architektur. Berlin 2014. S. 24-49, hier S. 27. 53 | Ammon 2013a, S. 353. 54 | Ebd. 55 | Karin Krauthausen: Vom Nutzen des Notierens. Verfahren des Entwurfs. In: dies., Omar W. Nasim (Hg.): Notieren, Skizzieren. Schreiben und Zeichnen als Verfahren des Entwurfs. Zürich 2010, S. 7-26, hier S. 15. 56 | Siegfried Gronert: Design und Wissen. Erkenntnis, Modell, Projekt. In: Claudia Mareis, Christoph Windgätter (Hg.): Long lost Friends. Wechselbeziehungen zwischen Design-, Medien- und Wissenschaftsforschung. Zürich 2013, S. 119-132, hier S. 125.
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Auf bauend auf den konkreten Fallbeispielen wird der architektonische Entwurfsprozess in den folgenden Kapiteln als Wissens- und Erkenntnisprozess analysiert und auf die Rolle des Modells innerhalb dieser Prozesse zugespitzt. Die Ausweitung gängiger Wissenstheorien auf das Feld der architektonischen Produktion verspricht, grundlegende Strukturen des Entwerfens freizulegen und das Modell als Beförderer und Begleiter dieser Prozesse beschreiben zu können. Mit der Betonung der Prozessgebundenheit des Entwurfsmodells wird deutlich, dass das Interesse der folgenden Untersuchungen weniger auf die vom Modell ermöglichten Erkenntnisse selbst als vielmehr auf den Weg hin zur Erkenntnis gerichtet sein muss. Es geht zunächst also weniger um die Erkenntnis als Ergebnis eines Wissensprozesses, sondern um den Prozess selbst. Ganz im Sinne der Formulierung des Architekturwissenschaftlers Ignacio Farías: „Die Funktion von architektonischen Wissenspraktiken sollte […] nicht primär in Bezug auf den Moment des Erkenntnisses und Verstehens bestimmt werden, sondern auf den Schritt davor.“57 Die Entwicklung einer architekto nischen Wissenstheorie hat sich dem anzuschließen und sich an die „Rehabili tation des Entdeckungszusammenhangs“58 zu machen, indem sie Struktur und Funktion etwa des modellbegleiteten Entwerfens in den Blick nimmt. Bestehende wissenstheoretische Ansätze bieten hierfür eine geeignete Grundlage.
3.3.1 Implizites Wissen Gewinnbringend für die Analyse der mit dem Entwurfsmodell verbundenen Wissensprozesse ist das vom ungarisch-britischen Wissenstheoretiker und Chemiker Michael Polanyi entwickelte theoretische Konzept des „impliziten Wissens“.59 Es trägt, wenn das architektonische Entwurfsmodell als Medium verstanden wird, das zur Entstehung, Entwicklung und Explizierung von anfangs nur vagen Wissensbeständen und -vorgängen beiträgt. Der Begriff des ‚impliziten Wissens‘ umfasst nach Polanyi diejenigen geistigen wie körperlichen Fähigkeiten, die eine Person bei einer Tätigkeit mit zur Ausführung bringt, ohne sich diese selbst, ihre genaue Herkunft oder Herleitung bewusst zu machen oder sie sprachlich explizieren zu können. Der implizite Wissensvorgang lässt sich auch als ‚unbewusst‘ oder ‚nicht ins Bewusstsein überführbar‘, in gewissem Umfang auch als ‚nicht (gezielt) erlernbar‘ beschreiben. Was man implizit weiß, ist als Wissen oder Fähigkeit entweder einfach schon da, oder wird auf nicht beschreibbaren Wegen angeeignet. In jedem Fall ist es 57 | Ignacio Farías: Epistemische Dissonanz. Zur Vervielfältigung von Entwurfsalternativen in der Architektur. In: Froschauer/Ammon 2013, S. 77-107, hier S. 83. 58 | Rheinberger 2001 S. 27. 59 | Michael Polanyi: Personal Knowledge. Chicago 1964. (Polanyi 1964b); ders.: Implizites Wissen, Frankfurt am Main 1985.
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gerade nicht dasjenige Wissen, das sich, vereinfacht ausgedrückt, aus Büchern lernen und dann bewusst anwenden ließe. Implizite Wissensvorgänge bilden damit die stumme Basis für jegliche (intelligente) Handlung. Ursprünglich aus Polanyis eigenem Bereich der Naturwissenschaft heraus entwickelt, kann dieses Wissenskonzept auch für den Bereich der Architektur in Anspruch genommen werden: Im Zusammenhang der hier geführten Analyse helfen seine Ausführungen dabei, die an das Entwurfsmodell gebundenen Wissensprozesse ins Blickfeld zu rücken. Die folgenden Ausführungen zielen demnach darauf, die – idealistisch formuliert – ‚stumme Zwiesprache‘ zwischen entwerfendem Subjekt und Modell im frühen Entwurfsprozess analysieren zu können. Konkret also: danach zu fragen, welche besonderen Wissens- oder Erkenntnisprozesse in Gang gesetzt wurden, als sich etwa Rolf Gutbrod oder Carlfried Mutschler in den frühen 1960er Jahren daran machten, ihre Entwürfe aus einem Klumpen Ton heraus zu ‚erkneten‘. Oder wenn Architekt_innen wie diejenigen aus der Planungsabteilung der Neuen Heimat ihr Konzept für Wohnbebauungen aus dem versuchsweisen Aneinandersetzen von Holzwürfeln entwickeln. Das Modell steht bei dieser Analyse weniger als Artefakt an sich denn als prozessbegleitendes Medium im Fokus. Implizites Wissen ist dabei keine Wissensform, die sich in ein architektonisches Modell einfach übertragen beziehungsweise mit dem Modell nur abbilden ließe. Diese spezielle Form des Wissens steht damit der Vorstellung von prozessualem Können näher als dem Verständnis des – eher mit rein geistigen Fähigkeiten assoziierten – Wissens im Sinne von erlernbaren Wissensbestän den.60 In diesem Sinne lässt sie sich eher mit der Aktivität der praktischen, auch körperlich mitbestimmten Handlung als der einer reinen Reflektion zusammenbringen. Der englische Begriff des ‚tacit knowing‘ verschiebt die Betonung entsprechend von der Idee eines Bestands oder einer Ressource ‚impliziten Wissens‘ hin zur Tätigkeit des ‚implizit Wissens‘. Noch ohne diese Wissensprozesse als implizit zu benennen, hat Polanyi seine Beobachtungen bereits Ende der 1950er Jahre formuliert: „The aim of a skillful performance is achieved by the observance of a set of rules which are not known as such to the person following them.“61 Polanyi nannte schon hier das Beispiel des Fahrradfahrens, das er später immer wieder heranzog: „If I know how to ride a bicycle or how to swim, this does not mean that I can tell how to keep my balance on a bicycle or how to keep afloat when swimming.“62 Es geht ihm also wesentlich 60 | Georg Hans Neuweg: Implizites Wissen als Forschungsgegenstand. In: Felix Rauner (Hg.): Handbuch Berufsbildungsforschung. Bielefeld 2005, S. 581-588, hier S. 588. 61 | Michael Polanyi: Personal Knowledge. Towards a post-critical Philosophy. London 1958, S. 49. 62 | Michael Polanyi: The logic of tacit inference (1964). In: Marjorie Grene (Hg.): Knowing and being. Essays by Michael Polanyi. Chicago 1969, S. 138-158 (Polanyi 1964a), S. 141;
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um das Radfahren-Können, nicht um ein Radfahren-Wissen. Dieser Unterschied wird wesentlich, wenn in der Folge Charakteristika des architektonischen Modellierens entlang von Polanyis Konzept gelesen werden. Die Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen, die Polanyi getroffen hat, ist vom Wissenstheoretiker Günther Abel aktuell in ähnlicher Weise nochmals benannt und stellenweise konkret auf den Bereich des architektonischen Entwerfens angewendet worden. Abel unterscheidet zwischen theoretischem und praktischem Wissen, zwischen Knowing-That und Knowing-How: „Ersteres ist ein Tatsachen- und ein theoretisches Wissen, das ich in einer dass-Proposition sprachlich artikulieren und mitteilen kann. Letzteres dagegen ist ein praktisches und prozedurales Wissen, ein in Fähigkeiten, Fertigkeiten und Geschicklichkeiten bestehendes Können, das sich […] auf eigentümliche und scheinbar unergründliche Weise der propositionalen Artikulation und Analyse entzieht.“63
Abel greift dabei ebenfalls auf das Beispiel des Fahrradfahrers zurück, der sein praktisches Vermögen nicht sprachlich erläutern oder gedanklich durchexerzieren könne. Abgeleitet wird daraus die Unterscheidung zwischen Wissen im „weiten“ und „engen“ Sinn: „Der enge Begriff von Wissen meint Erkenntnis, die methodisch gewonnen, geordnet und an Wahrheit und Begründung gebunden ist. […] Der weite Begriff von Wissen meint zum einen die Fähigkeit, angemessen zu erfassen, wovon etwas (ein Satz oder ein Bild zum Beispiel) handelt, zum anderen den Bereich menschlichen prozeduralen und applikativen Könnens, wie dieses in erfolgreichen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Praktiken und Kompetenzen manifestiert ist.“64
Abel selbst hat diese Unterscheidung auf den Bereich des architektonischen Entwerfens übertragen: der enge Begriff von Wissen umfasse damit in etwa das, was Architekt_innen in ihrer Ausbildung lernen, der weite Begriff hingegen das, was an praktischem und an Erfahrungswissen hinzukomme und in die Entwurfstätigkeit integriert werde.65 Georg Hans Neuweg: Könnerschaft und implizites Wissen. Zur lehr- und lerntheoretischen Bedeutung der Erkenntnis und Wissenstheorie Michael Polanyis. Münster 1999, S. 4. 63 | Günther Abel: Knowing How. Eine scheinbar unergründliche Wissensform. In: Joa chim Bromand, Guido Kreis, Wolfram Hogrebe (Hg.): Was sich nicht sagen lässt. Das Nicht-Begriffliche in Wissenschaft, Kunst und Religion. Berlin 2010, S. 319-340, hier S. 320. 64 | Ebd., S. 321. 65 | Günther Abel: Different types of knowledge in architecture – Vortrag auf der Tagung
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Für die Beschreibung der speziellen Wissens- und Erkenntnisvorgänge beim architektonischen Modellieren ist vor allem Polanyis Fokussierung auf die Prozessgebundenheit impliziter Wissensvorgänge von Bedeutung. In der Rezeption seiner Epistemologie ist diese Prozesshaftigkeit immer wieder herausgestellt worden. Was Polanyi geliefert habe sei, so der Wissenstheoretiker Georg Hans Neuweg: „eine Theorie des Erkennens und Tuns, insbesondere des Verstehens und Lernens, sowie der Bewußtseinsvorgänge, die solche mentalen Akte begleiten. […] Wenn Polanyi von Wissen spricht, dann ist meistens der Akt des Wissens, ein Erkennen, Denken oder Wahrnehmen gemeint, ‚knowing‘ eher als ‚knowledge‘. Er ist kaum am Gedächtnis als Ort, an dem Wissen vermeintlich aufbewahrt wird, interessiert, sondern analysiert hauptsächlich die Dynamik menschlichen Wahrnehmens, Handelns und Denkens, Prozesse also.“66
Die Struktur des impliziten Wissens und dessen Anwendung und Ausführung erweisen sich als eng verknüpft auch mit dem architektonischen Entwerfen und kommen vor allem im Vorgang des Modellierens zum Tragen: Etwa beim ‚Erkneten‘ eines Entwurfs in Plastilin müssen weit mehr Ideen, Einfälle, Erkenntnisse und Fähigkeiten in ihn eingehen, als den jeweils Modellierenden bewusst sein könnten. Wäre dies nicht so, wären alle Vorgänge und Ergebnisse des Modellierens auch sprachlich oder schriftlich explizierbar, würde die Arbeit am und mit dem Modell überflüssig. So schreibt die Kulturwissenschaftlerin Susanne Hauser in Hinblick auf das architektonische Entwerfen insgesamt: „Nicht alle Entscheidungen werden auch erwogen und verhandelt. Entwürfe modellieren Situationen in mehr Hinsichten als explizit berücksichtigt werden.“67 In diesem Zusammenhang verwendet sie zwar nicht den Begriff des impliziten, sondern den des „nicht explizierten Erfahrungswissens.“68 Mit beiden Formulierungen scheinen die gleichen Phänomene benannt: Zwischenschritte, Entscheidungen oder Veränderungen, die den Entwurfsprozess in der Summe ausmachen, können höchstens im Nachhinein expliziert und beschrieben werden, nachdem sie während des Modellierungsprozesses über weite Strecken einfach ‚passiert‘ zu sein scheinen. Dies wurde bei der Analyse der Fallbeispiele anhand der Ausführungen Justus Herrenbergers besonders deutlich. Architektur Denken. Theorie und Philosophie der Architektur; veranstaltet von Jörg H. Gleiter und Ludger Schwarte am 29.05.2015 an der TU Berlin; vgl.: http://thinkingarchit ecture. architekturtheorie.tu-berlin.de/de/program_friday.html; Zugriff am 24.10. 2016. 66 | Neuweg 1999, S. 134-135. 67 | Hauser 2013, S. 364. 68 | Ebd., S. 364.
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Auf das gleiche Phänomen machte der Architekt und Architekturkritiker Philipp Johnson in Bezug auf die eigene entwerferische Praxis schon 1955 in einem Vortrag aufmerksam: „Der Künstler kann sich herkömmlicherweise nur schwer artikulieren […]. Mit seiner Begründung, warum er dieses und nicht jenes getan hat, versucht er im Nachhinein rein vernunftmäßig die Tatsache seiner blinden künstlerischen Entscheidung zu erklären.“69 Sein Begriff der „blinden künstlerischen Entscheidung“, die erst nachträglich und idealisiert erklärt werden könne, trifft den Kern dessen, was Polanyi als implizite Wissensvorgänge theoretisch beschrieben hat und fußt letztlich auf einem Gedankenbild, das bereits Immanuel Kant 1790 im Rahmen seiner ‚Kritik der Urtheilskraft‘ formuliert hat. In Paragraf 46 über das „Genie“ schreibt er, dass das (künstlerische) Genie: „wie es sein Produkt zustande bringe, selbst nicht beschreiben, oder wissenschaftlich anzeigen könne […] und daher der Urheber eines Produkts selbst nicht weiß, wie sich in ihm die Ideen dazu herbei finden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmäßig auszudenken, und anderen in solchen Vorschriften mitzuteilen, die sie in Stand setzen, gleichmäßige Produkte hervorzubringen.“70
Das Fotografieren der Entwurfsmodelle während des Prozesses, wie sie oben nachvollzogen wurde, führt das Prinzip der Unerklärbarkeit von Entscheidungsfindungen während des Entwurfsprozesses und der Idee einer nachträglichen Rekapitulation besonders nachvollziehbar vor Augen: Der Zweck der Aufnahmen lag in vielen Fällen ganz offensichtlich darin, Momentaufnahmen des „blinden“ künstlerischen Entscheidungsprozesses festzuhalten und damit genau die von Johnson beschriebene, nachgängige theoretische Reflektion zu ermöglichen, die während des Prozesses wenn nicht unmöglich, so doch wenigstens sehr hinderlich gewesen wäre. Eine Theorie, die den Charakter des Wissens oder Erkennens als prozessual und vorgängig beschreibt und die Idee einer nur teilweise bewusst steuerbaren, da implizit verlaufenden Wissens- und Erkenntnishandlung entwickelt, entspricht genau dem, was das Suchen, Entwickeln und Finden am architektonischen Modell ausmacht und von anderen Entwurfsstrategien unterscheidet. Dies gilt in gleich doppelter Hinsicht: Zunächst insofern, als dass durch die Handlung des Modellierens implizites Wissen eingebracht werden kann, wel69 | Philip Johnson: Stil und Internationaler Stil. Ansprache am Barnard College am 30. April 1955. In: ders. (Hg.): Texte zur Architektur. Stuttgart 1982 [engl. Orig. 1979], S. 43-49, hier S. 44. 70 | Immanuel Kant: Kritik der Urtheilskraft (1790); § 46: Schöne Kunst ist die Kunst des Genies. http://archiv-swv.de/pdf-bank/Kant,%20Immanuel%20-%20Kritik.der. Urteilsk raft.pdf; Zugriff am 11. 06. 2018.
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ches ansonsten nicht abgefragt werden könnte, obwohl die impliziten Grundlagen der Wissenshandlung schon vor Beginn des Modellierungsprozesses erworben worden, damit also latent vorhanden waren und potentiell nutzbar sind. Eben jenes Wissen – etwa in Gestalt von praktischer Erfahrung, Geschmacksfragen, kultureller Vorprägung oder dem, was gemeinhin als Intuition bezeichnet wird – setzt den (Er)Findungsprozess am und mit dem Modell in Gang und fließt in ihn hinein. Zweitens wird innerhalb der beschriebenen Wissenshandlung neues Wissen in Form von Erkenntnissen überhaupt erst produziert. Auch dieses neue Wissen bleibt unter Umständen zwar implizit, wird für den Fortgang des Entwurfsprozesses dennoch wesentlich sein. Diejenigen Reaktionen, die die modellierende Person auf die in Entstehung begriffene Gestalt ihres Modell-Objekts zeigt und in den weiteren Prozess einbringen, können insofern ebenfalls auf Erkenntnissen und Einfällen beruhen, die implizit ihre Wirkung entfalten. Ohne dabei selbst den Begriff des impliziten Wissens zu verwenden, beschrieb der Designtheoretiker Siegfried Gronert die gleichen Qualitäten einer Entwurfsarbeit am und mit dem Modell und verband das Entwerfen mit gestalterischer Forschung: „Das Modell ermöglicht spezifische Reflexionsprozesse in der Phase des Entwurfs und damit gestalterische Forschung in dem Sinne, dass das gegebene Wissen über Funktions- und Gestaltungsvorgänge angewandt und weiterentwickelt wird und somit ein nachvollziehbarer Fortschritt hinsichtlich der zu beantwortenden Fragestellung erkennbar wird.“71
Speziell der Umgang mit dem in Entstehung begriffenen Architekturmodell, seiner beständigen Veränderbarkeit und Revidierbarkeit befördern also, dass nur latent vorhandene Fertigkeiten und unbewusst angelegte Entwurfsgedanken oder -einfälle am und mit dem Modell innerhalb einer zeitlich gebundenen Weiterentwicklung expliziert oder überhaupt neu entwickelt werden können. Das Modell im Sinne eines in den Entwurfsprozess eingebundenen Versuchsobjekts ist demnach Geburtshelfer für Ideen, die ansonsten gegenüber Dritten unsagbar und in gleichem Ausmaß auch für Entwerfende selbst unreflektierbar oder erst gar nicht entwickelbar wären. Besonders deutlich wurde dies bereits am Beispiel von Carlfried Mutschlers Knetmodellen für das Gemeindezentrum in Mannheim-Sandhofen oder den Anordnungen von Justus Herrenberger, bei denen eine ganze Reihe von unterschiedlich stark variierten Objekten innerhalb eines, von impliziten Wissenshandlungen bestimmten, Entwurfsvorgangs entstanden sind. Die Tatsache, dass die Entwerfer die Modelle fotografisch dokumentiert haben, legt nahe, dass sie erst im Anschluss 71 | Gronert 2013, S. 125.
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an die Modellierung, beim Betrachten der Fotografien, gleichsam nachträglich ausführlich über das nachzudenken sich vorgenommen hatten, was sie zuvor innerhalb des impliziten Wissensvorgangs erknetet oder verschoben hatten. Das architektonische Entwerfen, so Susanne Hauser, werde traditionell und bis heute verstanden als „geheimnisvolle[r] Vorgang“, der nur unvollständig analysier-, auf- und erklärbar sei.72 Der Anthropologe Brian Moeran und der Designtheoretiker Bo T. Christensen bezeichnen dies Geheimnisvolle gar als eine Voraussetzung dafür, dass eine Tätigkeit oder ein Produkt überhaupt als kreativ wahrgenommen werden: „Much of the romantic feel of creativity comes closely from tying it to […] specialized, seemingly magical, processes, that bring it into being.“73 Und: „Creative work is often assumed to possess ‚ineff able qualities‘ that are seen to characterize Art, Literature, Music, and so on.“74 Kunstschaffende müssten in dieser Lesart also über irgendeine Art magisch anmutender und nicht erklärbarer, in jedem Fall außergewöhnlicher Fähigkeiten verfügen, um überhaupt ein Kunstwerk erschaffen beziehungsweise ein Artefakt in den Rang eines Kunstwerks erheben zu können. Aus diesem traditionellen Blick auf Künstler_innen als außergewöhnliche Wesen erwächst für die Philosophin und Architekturwissenschaftlerin Sabine Ammon eine Kritik an der bisherigen Entwurfsforschung. Deren Analysen von Entwurfsvorgängen seien einzuordnen im Bereich „zwischen Verklärung und Entzauberung.“75 Beide Haltungen stünden einem „tieferen Verständnis tatsächlicher Praktiken des Entwerfens entgegen.“76 Mit Polanyis Überlegungen zum Zusammenspiel von geistiger und ausführender Tätigkeit lassen sich die beiden Pole einerseits des Stillen und Geheimnisvollen, andererseits des strukturell Analysierbaren vereinen. Seine Theorie benennt die impliziten und damit begrifflich nicht fassbaren Bestandteile aller Handlungen als solche. Andererseits gibt sie auf grundsätzlicher Ebene Aufschluss über die Struktur intelligenten, zielgerichteten Handelns 72 | Hauser 2013, S. 365. Über die grundsätzliche Unmöglichkeit, Entwurfsvorgänge und die in ihnen zur Geltung kommenden Wissensbestände vollständig aufzuzählen und die Tätigkeit des Entwerfers damit zu „entmystifizieren“ sprach Hauser auch in ihrem Vortrag „Über den Umgang mit Ungewissheit. Theorien des Entwerfens in Architektur und Design“ im Rahmen der Ringvorlesung „Zwischenstopp“ des Graduiertenkollegs „Das Wissen der Künste“ an der Universität der Künste am 02.02.2015. 73 | Brian Moeran, Bo T. Christensen.: Introduction. In: dies. (Hg.): Exploring creativity. Evaluative practises in Innovation, Design and Arts. Cambridge 2013, S. 1-42, hier S. 7. 74 | Moeran, Christensen 2013a, S. 20. 75 | Sabine Ammon: Perspektiven architekturphilosophischer Entwurfsforschung. In: Jörg H. Gleiter, Ludger Schwarte (Hg.): Architektur und Philosophie. Bielefeld 2015, S. 185-195, hier S. 185. 76 | Ebd., S. 185.
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und damit auch über die des Suchens und Entwickelns architektonischer Lösungen beim Entwerfen – und in besonderer Weise beim Modellieren. Polanyis Ausführungen tragen insofern dazu bei, auf theoretisch-ideengeschichtlicher Ebene die in den modellbegleiteten Entwurfsprozess involvierten Gedanken- und Erkenntnisprozesse zu erhellen. Implizite Wissensvorgänge werden nicht nur dann in Gang gesetzt, wenn sich eine Person auf ihr Fahrrad setzt oder ins Schwimmbecken steigt. Sie kommen ganz wesentlich auch dann zur Wirkung, wenn sich Architekt_innen ans Entwickeln und Gestalten von Architekturmodellen machen. Um die Prozesshaftigkeit impliziter Wissens- oder Erkenntnisvorgänge weiter zu entwickeln und damit zugleich sein Verständnis von Wissen als Handlung zu betonen, hat Polanyi weitere Begrifflichkeiten eingeführt, die seine Theorie zu differenzieren helfen. Einen Grundzug des impliziten Wissens beziehungsweise Könnens als Handlung beschreibt Polanyi mit dessen spezifischer Charakteristik der „von-zu-“77 oder „von-auf-Struktur“78 innerhalb des Wissens- oder Erkenntnisprozesses. „Immer achten wir von etwas Fundierendem, das wir nicht als es selbst in den Blick nehmen, sondern instrumentell nutzen, auf etwas Fundiertes, dem unser eigentliches Interesse gilt.“79 Um innerhalb eines architektonischen Erkenntnisprozesses produktiv auf Neues hin fortschreiten zu können, müssen gewisse Teilaspekte des Erkenntnisinteresses gleichsam stumm als Vorbedingungen vorausgesetzt werden, um die Sicht auf das eigentliche Ziel der Wissenshandlung nicht zu verstellen. Sie wirken so zwar produktiv auf den Prozess ein, werden allerdings – bewusst oder unbewusst – ausgeblendet. Auch hier bietet sich das Beispiel von Radfahrer_innen an: Diese achten eben genau nicht auf ihre Fähigkeit, Balance zu halten, noch können sie ihre Tätigkeit physikalisch erklären. Sie setzen sie so lange stumm voraus, bis eine Störung eintritt; sie hinfallen und sich nach den Ursachen des Unfalls fragen. Ein wesenhafter Unterschied zwischen Polanyis Beispiel des Radfahrens und dem architektonischen Entwerfen (am Modell) besteht allerdings darin, dass das Entwerfen grundsätzlich auf der Notwendigkeit von Entscheidungen beruht. Während Radfahrende ihre Tätigkeit nur konstant und flüssig auszuführen brauchen, um nicht vom Rad zu fallen, ist der Entwurfsprozess, so die Formulierung Ignacio Farías’, „projektiv“80 und damit generativ. Aus ihm heraus entsteht Neues. Farías unterscheidet so das Entwerfen von anderen Wissensprozessen: „Es geht […] um die Schöpfung einer Welt und komposito rische Entscheidungen – nicht nur um Erkenntnisgewinnprozesse.“81 Die be77 | Grene 1969, S. X. 78 | Neuweg 1999, S. 137. 79 | Ebd. 80 | Farías 2013, S. 81. 81 | Ebd.
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sondere Struktur der Prozesshaftigkeit des architektonischen Entwerfens, das die Notwendigkeit der beständigen Entscheidungsfindung berücksichtigt, wird an späterer Stelle der Analyse und unter Rückgriff auf die Theorien Andrew Harrisons nochmal aufgegriffen. Trotz der notwendigen Differenzierung zwischen Polanyis Fallbeispielen und dem architektonischen Entwerfen sind seine Ausführungen zur von-aufStruktur gewinnbringend für die Entwurfsforschung. In Hinsicht auf das Modellieren wäre ein Beispiel für die von-auf-Struktur etwa, wenn die entwerfende Person die Gesamtausdehnung und -einteilung einer zu planenden Fassade zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb des Prozesses bereits entwickelt hat und für den weiteren Verlauf des Entwerfens voraussetzen kann. Sie kann sich dadurch etwa auf die Gestaltung eines einzelnen Fensters an einer bestimmten Stelle dieser Fassade zu konzentrieren. Dass dieses Fenster später wieder in den Gesamtzusammenhang der – nun wiederum zeitweise nur stumm vorausgesetzten – Abwicklung der Gesamtfassade gebracht werden muss, ist der entwerfenden Person dabei zwar klar. Ihr akutes Interesse wendet sich hiervon in diesem Moment allerdings ab und nimmt die konkrete Einzelfrage in den Fokus. Am Beispiel von Rolf Gutbrods Knetmodellen für die Stuttgarter Waldorf-Schulaula ist dies deutlich geworden: Bei einigen der Modelle, respektive Modellzustände, stand etwa die Gestaltung der Straßenseite im Vordergrund, während andere Teilbereiche wie etwa die Rückseite oder die Dachflächen (noch) nicht im Fokus standen. Bei späteren Modellen wiederum konzentrierte sich der Planer auf die Dachabwicklung, während er sich von der Vorderseite des Baus abgewandt hatte, weil er sie als gegeben voraussetzen und so sprichwörtlich auf ihr auf bauen konnte. Präzisiert werden die Ausführungen Polanyis mit ähnlichen Beobach tungen des Kunsttheoretikers und Medienwissenschaftlers Rudolf Arnheim: Für den beständigen Fokuswechsel im Verlauf intelligenter Handlungen hat er sich dem Vorstellungsbild eines Kindes bedient, das auf dem Weg zu einem Ziel scheinbar ziellos hin und her rennt, weil es sich unterwegs von unzähligen Dingen immer wieder ablenken lässt. Das Ziel hat das Kind dabei freilich stets vor Augen, wendet sich auf dem Weg dahin allerdings immer wieder anderen Einzelaspekten zu.82 Gemäß Polanyis von-auf-Struktur ergeben sich für jede Wissenshandlung also zwei Wissensbereiche, die Polanyi in seiner Analyse voneinander unterscheidet durch die Verwendung der Begriffe des Subsidiären und des Fokalen. Dabei sind die fokalen Aspekte eines Erkenntnisvorgangs diejenigen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit [awareness)
82 | Rudolf Arnheim: Anschauliches Denken. Zur Einheit von Bild und Begriff. Köln 1972 [[engl. Orig. 1969], S. 274.
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stehen. Die subsidiären Aspekte werden dabei stillschweigend vorausgesetzt.83 Ohne dass etwa eine forschende – oder entwerfende – Person die subsidiären Aktivitäten und Potentiale bewusst in ihre Tätigkeit einbringe, kämen sie stets dennoch zum Tragen, um das eigentlich verfolgte Ziel, das fokale Erkenntnis interesse zu erreichen. So paraphrasiert der Wissenstheoretiker Mikhael Dua die Ausführungen Polanyis: „Focal awareness is an awareness of an object as our focus of attention, while subsidiary awareness is an awareness of an object as a clue to another.“84 Die nur subsidiär vorhandenen Aspekte innerhalb eines Erkenntnisprozesses können Kenntnisse oder Fähigkeiten sein, über die das Subjekt nur latent verfügt und die es in den Erkenntnisprozess einbringt, ohne sich dessen vollständig bewusst zu sein. Die im Hintergrund stehenden, nur implizit zur Wirkung gelangenden Aspekte, Erkenntnisse oder Fähigkeiten würden eingebracht als „points of our own intuition, attitudes, skills, memories, and hunches.“85 Polanyi selbst spricht von „sustained efforts guided by exceptional gifts“, die in einen erfolgreichen Forschungs- oder Entdeckungsprozess einzubinden seien.86 Eine nähere Spezifizierung dieser „gifts“ liefert Polanyi in dieser Argumentation allerdings nicht. Er lässt offen, ob es sich dabei um einfach vorhandene, also gewisserweise angeborene Fähigkeiten einer Fachperson handelt, ob dieses Wissen als Erfahrungswissen verstanden werden kann oder ob die mit einem bestimmten besonderen Wissen verbundenen Fähigkeiten nicht doch auch explizit und bewusst im Vorfeld erlernbar sein könnten. Günter Abel ist in der bereits oben thematisierten Konzeptualisierung eines Knowing-How – welches Polanyis Idee vom impliziten Wissen weitgehend folgt – auf diesen Aspekt eingegangen. Knowing-How-Fähigkeiten seien „nicht einfach fertig angeborene Naturanlagen, sondern eben Fähigkeiten […] die erst erworben, ausgebildet und dann verbessert werden müssen.“87 Und über die Quelle dieses Erwerbs: „Fragt man […], wie ein Knowing-How erworben, gelernt und gelehrt wird, lautet die Antwort im Blick auf die meisten Fälle, dass dies vor allem durch Vormachen, Illustrieren, Beispiele geben, Einüben und Trainieren erfolgt.“88 Über ebenfalls weitgehend praktische Tätigkeiten also. Einiges spricht in diesem Sinne dafür, dass ein Teil auch der subsidiären Wissensbestände auf praktischem Erfahrungswissen und Intuition beruht,
83 | Michael Polanyi: Knowing and Being (1961). In: Grene 1969, S. 123-137. 84 | Mikhael Dua: Tacit Knowing. Michael Polanyi’s Exposition of Scientific Knowledge. München 2004, S. 52. 85 | Ebd., S. 7; eine ähnliche Aufzählung bereits bei Grene 1969, S. X. 86 | Polanyi 1964a, S. 139. 87 | Abel 2010, S. 322. 88 | Ebd., S. 328.
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ein weiterer Teil allerdings auch auf Informationen und Wissensbeständen, die potentiell explizier- und also erlernbar wären, im konkreten Entdeckungszusammenhang aber nicht bewusst reflektiert werden. Speziell dieser Aspekt in den Ausführungen Polanyis – die Idee einer von-auf-Struktur mit subsidiären und fokalen Wissensanteilen – ist für die Analyse des architektonischen Entwurfsmodells fruchtbar. Wie beschrieben, fordert die Ausformulierung und Weiterentwicklung einer Entwurfsidee am und mit dem Modell geradezu zwingend die Ausblendung zahlreicher Faktoren, die entweder bereits entschieden und damit als Teilproblem innerhalb des Entwurfsprozesses abgeschlossen, oder aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und somit temporär ausgeklammert sind. In einem solchen Fall würde und müsste die entwerfende Person also gewisse Kenntnisse – soweit möglich – sogar willentlich und aktiv ausklammern, um sie als Vorbedingung für das Erlangen neuer Einfälle und Erkenntnisse gleichsam stumm und in den Hintergrund tretend nutzen zu können. Erkennendes Handeln – beispielsweise Forschen, Experimentieren oder eben: Entwerfen – besteht demnach wesentlich darin, bestimmte Aspekte wie etwa physische Rahmenbedingungen oder bereits verfügbares Vorwissen als Teile eines Gesamtzusammenhangs auch aktiv auszublenden und sie damit rein implizit für das im Mittelpunkt stehende Forschungsinteresse zu verwenden. Konkret: Ein_e Architekt_in, die beispielsweise an einem Modell aus Plastilin die Großform eines Baukörpers formt und sucht, darf sich innerhalb dieses Prozesses nicht mit Gedanken etwa über kleinteilige Grundrissfragen innerhalb des Gebäudes aufhalten. Bewusst oder unbewusst muss die Person für jeden einzelnen Schritt innerhalb des Entwurfsprozesses die ‚fokalen‘ Erkenntnisziele ihrer Tätigkeit festlegen und die anderen, ‚subsidiären‘ Aspekte in Gestalt von schon beantworteten oder noch offenen Fragen temporär ausklammern, ohne sie allerdings dauerhaft zu vernachlässigen. Anhand der Modellfotografien, die in den vorangegangenen Kapiteln analysiert worden sind, wird das Konzept von fokalen und subsidiären Erkenntnisinteressen nochmals besonders deutlich. Die Fotografien geben in diesem Sinne sogar größeren Aufschluss als es materialiter erhaltene Modelle könnten: Denn die Art und Weise, welches Detail eines Modells fotografisch festgehalten wurde, aus welchem Blickwinkel, in welcher Umgebung oder mit welcher Art der Ausleuchtung es aufgenommen wurde, gibt bis heute Aufschluss darüber, welches fokale Erkenntnisinteresse die Planenden wann mit welchem Modell verfolgt haben. Polanyis Konzept des impliziten Wissens ermöglicht also, die Struktur eines Reagierens auf Material und Situation innerhalb von modellbegleiteten Entwurfsprozessen herauszuarbeiten. Deutlich wird dadurch, dass bereits im Vorfeld bestehendes (unbewusstes) Wissen und Können in den Prozess einfließen und gleichzeitig neues Wissen und Können (unbewusst) generiert und
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wieder eingebracht werden. Der Prozess ist dabei stets als ein generativer zu beschreiben, der zwar mit seinem beständigen Reagieren auf das Verhalten des Materials und Zwischenergebnisse des (ver-)suchenden Modellierens auf das ‚Schon-so-Sein‘ des Modells zurückblickt. Der Prozess ist dennoch stets wesentlich nach vorn, auf das Fortschreiten des Entwurfshandelns und dessen Ergebnis gerichtet.
3.3.2 Prozessgebundenheit Die besondere Betonung der Prozesshaftigkeit beziehungsweise Dynamik der Erkenntnisvorgänge im Entwurfszusammenhang berühren die Vorstellung davon, wie genau und in welcher Abfolge sich innerhalb des Modellierungsprozesses unterschiedliche gedankliche und händische Verrichtungen abwechseln oder ineinandergreifen. Bei der näheren Betrachtung der an materielle Objekte gebundenen Erkenntnisprozesse – etwa des architektonischen Entwerfens mit Modellen – erweist sich die alltägliche Vorstellung, wonach die einen solchen Vorgang involvierten Personen erst nachdenken und dann am Objekt handeln, als unzureichend. Die Hand würde demgemäß nur das ausführen, was zuvor im Kopf erdacht worden ist und damit den Kern der oben auf das Entwerfen bezogenen Theorie eines impliziten Wissens konterkarieren. „It may seem wholly natural to suppose […] that someone actually engaged in, absorbed in, and concentrating on a practical task, has either left the time for […] reflection behind him, or has no need of it“, beobachtete der englische Philosoph Andrew Harrison bei seiner Untersuchung „intelligenter Handlungen“ in den 1970er Jahren.89 Gemeint sind von ihm im Wesentlichen zielgerichtete Handlungen, die auf neue Erkenntnisse hinführen oder anderweitig als generativ zu bezeichnen wären. Harrison führte damit Beobachtungen weiter, die der britische Philosoph Gilbert Ryle bereits 1949 in seinem Hauptwerk ‚The concept of mind‘ (deutsch: Der Begriff des Geistes, 1969) formuliert hatte.90 Ryle hatte die Vorstellungen vom Aufeinanderfolgen geistiger und praktischer Tätigkeit als „Dogma vom Geist in der Maschine“91 und als „intellektualist ische Legende“92 abgeurteilt:
89 | Harrison 1978, S. 6. 90 | Ryle 1969. Obwohl Harrison seine spätere Argumentation zumindest in den Ausgangsbeobachtungen deutlich parallel zu Ryles Überlegungen führt, erwähnt er ihn in seinem gesamten Werk nur einmal kurz in der Einleitung, um zu behaupten, Ryle habe mit einer „anderen Strategie“ gearbeitet, was er aber nicht näher ausführt. Vgl. Harrison 1978, S. 12. 91 | Ryle 1969, S. 36. 92 | Ebd., S. 32.
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Architekturen bilden „Vorkämpfer dieser Legende sind geneigt, das Können an das Wissen mit Hilfe des Arguments anzugleichen, daß intelligentes Handeln das Einhalten von Regeln oder die Anwendung von Kriterien verlange. Es folgt, daß das Vorgehen, das als intelligent gekennzeichnet wird, ein vorheriges verstandesmäßiges Anerkennen dieser Regeln oder Kriterien voraussetzt; d.h. also, der Handelnde muß zuerst den innerlichen Vorgang durchmachen, sich selbst gewisse Sätze über das, was zu tun sei, als richtig einzugestehen […]; nur dann kann er diesen Diktaten gemäß handeln. Er muß zuerst auf sich einreden, bevor er zur Tat schreiten kann. […] Etwas tun und dabei seine Gedanken bei der Sache haben, die man tut, ist nach dieser Legende immer das Tun von zwei Dingen […]. Es ist zuerst ein bißchen Theorie und dann ein bißchen Praxis.“93
Weitgehend unbedeutend, ob im Vorfeld einer Handlung tatsächlich geistige Arbeit verrichtet worden ist, oder aber – diese Möglichkeit führt zumindest Harrison an – ganz auf sie verzichtet werden kann: Der von beiden Autoren kritisierte „Mythos“ geht davon aus, dass innerhalb des körperlichen oder händischen, des praktischen Ausführungsprozesses also, die geistige Reflexion keinen Platz findet. Sie bliebe zeitlich von ihm abgesetzt. Sowohl die hier bereits ausgeführten Überlegungen zur Prozesshaftigkeit bei der Anwendung impliziten Wissens (Polanyi) als auch die von Ryle und Harrison im weiteren Verlauf ihrer Schriften dargelegten Überlegungen und Beobachtung zielten freilich darauf, diese Vorstellung zu hinterfragen und letztlich zu widerlegen. Ohne sich explizit auf den architektonischen Bereich zu beziehen, lieferten sie damit, so die hier entwickelte These, wesentliche Elemente für eine theoretische Struktur des Entwerfens am Modell. Denn speziell auch in Hinsicht auf das architektonische Entwerfen greift gerade nicht die seit der Renaissance als Ideal etablierte Vorstellung, nach der Architekt_innen die Vision eines zu entwickelnden Bauwerks vollständig im Kopf aushandeln würden und daraufhin lediglich handwerklich ins Modell übertragen könnten. Das hiermit verbundene Ideal des ‚disegno‘ kritisiert auch die Designwissenschaftlerin Claudia Mareis in Hinblick auf seine Anwendung auf heutige Entwurfstheorien: „Obwohl das Konzept des Disegno seine Konjunktur im Kontext kunsttheoretischer Debatten des 16. Jahrhunderts hatte, wird er bis heute in Designtheorien aufgerufen, um damit das Primat der geistigen Ideen findung vor der materiellen Produktion zu verdeutlichen.“94 Für den Bereich der Architektur wendet sich Sabine Ammon gegen die „weitverbreitete Auffassung, Entwerfen sei die Wiedergabe einer mentalen Repräsentation: Zuerst käme die geistige oder theoretische Konzeption, anschließend die praktische Ausführung.“95 Sie folgert: „Sobald komplexere Aufgaben ins Spiel kommen 93 | Ebd. 94 | Claudia Mareis: Theorien des Designs. Zur Einführung. Hamburg 2014, S. 47. 95 | Ammon 2013b, S. 142.
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[…] wird erkennbar, dass der Vorgang des Aufzeichnens weit mehr ist als ein Ausleseinstrument, sondern selbst zum ‚Denkinstrument‘ wird – als Teil einer umfassenden Epistemologie des Entwerfens.“96 In die gleiche Richtung wiesen schon die Formulierungen Andrew Harrisons in den späten 1970er Jahren: „To work something out whether in words or in paper, paint on canvas, or in any other medium is in a very important sense to discover something.“97 Es geht also darum, am und mit dem Medium im Entwurf etwas zu entdecken oder zu entwickeln, das zuvor, ‚im Kopf‘ noch nicht da war. Gerade dadurch wird der Entwurfsvorgang zu einem generativen Prozess, aus dem Neues hervorgeht. Kreativ Entwerfende entdecken und entwickeln in diesem Fall etwas, von dem sie ‚vor dem geistigen Auge‘ zwar ein ungefähres Bild gehabt haben mögen, das im Prozess des materiellen Ausformulierens allerdings erst seine konkrete Gestalt gewinnen konnte. Diese Idee ist keinesfalls neu: Auf genau die gleiche Struktur des allmählichen Werdens eines Gedankens oder einer Idee noch während seiner oder ihrer Ausführung haben schon frühere Denker hingewiesen. Bekannt sind die Ausführungen zur Stegreifrede des römischen Rhetorikers Quintilian (35-100 n. d. Z.) und Heinrich von Kleists (1777-1811) Überlegungen über die „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.“98 In Hinsicht auf das Entwerfen von Sprache beschrieben sie genau diejenigen Prozesse, die hier nun im Zusammenhang mit architektonischen Entwurfsvorgängen in den analytischen Fokus gerückt werden. Das kreative Schaffen von Neuem geschieht genau nicht im Sinne eines Nacheinanders von Ausdenken und anschließendem Umsetzen, sondern im permanenten, ineinander verflochtenen und somit untrennbaren Austausch und Ineinanderfließen von Denken und Handeln, Handeln als Denken oder Denken als Handeln. Andrew Harrison führte seine Überlegungen zur Prozesshaftigkeit intelligenten Handelns am Beispiel des künstlerischen Schaffensprozesses aus und lieferte damit die wesentlichen Elemente, mit der die Vorstellung einer zeitlich voneinander absetzbaren Aufeinanderfolge von Denken und Handeln außer Kraft gesetzt wird. Im Kern formuliert er dabei, dass die infrage stehenden Prozesse stets durch einen Wechsel aus retrospektiver und prospektiver Betrachtung und Kontemplation geprägt sind. Die Darlegung einer solchen dop96 | Ebd. 97 | Harrison 1978, S. 121. 98 | Quintilianus, marcus Fabius: Ausbildung des Redners, Buch X, Kap. 7. In: Rahn, Helmut (Hg. und Übers.): Quintilianus, marcus Fabius, Ausbildung des Redners: zwölf Bücher, Bd. 2 (Buch VII-XII), Darmstadt 1975; Kleist, Heinrich von: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805). In: http://gutenberg.spiegel.de/buch/ uber-die-allmahliche-verfertigung-der-gedanken-beim-reden-589/1; letzter Zugriff am 17.08.2015.
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pelten Gerichtetheit intelligenter oder kreativer Findungsprozesse lässt sich besonders gewinnbringend auch auf das architektonische Modellieren und Entwerfen übertragen. Damit wird auch die Unterscheidung zum Beispiel des Fahrradfahrens, das Polanyi für sein Konzept des impliziten Wissens angeführt hatte, nochmal deutlich: Während das Fahrradfahren als Prozess linear nur nach vorn gerichtet ist, ist das (architektonische) Entwerfen von der Notwendigkeit geprägt, Entscheidungen zu treffen. Diese Notwendigkeit – und das macht den Ansatz Harrisons für die Analyse von Entwurfsprozessen so wertvoll – bringt das Phänomen der doppelten Gerichtetheit beinahe automatisch mit sich. Harrison hat sein Argument selbst in die Nähe des architektonischen Entwerfens gerückt, indem er es am Beispiel eines Sandburgen bauenden Kindes entwickelt hat: „His [des Kindes, R.L.] quite characteristic activity is to stop what he is doing from time to time and contemplate what he has done: what he is doing is watching something, a castle, a dam, a harbour, growing out of what he has done with the sand, new identities emerging from the changes produced in the materials.“99 Die Gerichtetheit der beschriebenen Tätigkeit ist somit einerseits als retrospektiv zu beschreiben: Ausgehend von den bereits entstandenen materiellen Gegebenheiten beschließt das Kind – hier als Stellvertreter der modellierend Entwerfenden – seine nächsten Handlungen, trifft die unmittelbar anstehenden gestalterischen Entscheidungen und setzt dann zur nächsten händischen Tätigkeit an. Es muss also innerhalb der beschriebenen Pausen zunächst zurück schauen, um von dort aus in einer dialogischen Situation mit der materiellen Realität auf die Zukunft schließen zu können. Gleichermaßen ergeht es laut Harrison einem Maler im Malprozess, wenn er reflektierend vor seinem Bild steht und entscheiden muss, wie es weitergeht. „How these choices are presented to him depends on his knowledge of whence he has come, not on where he intends to go. […] His understanding has to be directed back on what he has already done.“100 Aus der Praxis des architektonischen Entwerfens – und damit wohl seinen eigenen Erfahrungen heraus – beschrieb der Schweizer Architekt Franz Füeg im Jahr 1960 den gleichen Effekt: Architekt_innen kämen beim Entwerfen „nur mit dauerndem Modifizieren der gewonnenen Resultate“ weiter.101 Die entwerfende Person gehe also „nicht nur in einem stufenweisen Fortschreiten, sondern mit einem dauernden Rückschließen [Hervorhebung R.L.] auf das Ziel zu.“102 Dies gelte vor allem für die Architektur seiner Zeit, weil der kons99 | Harrison 1978, S. 15. 100 | Ebd., S. 138. 101 | Franz Füeg: Grenzen und Stufen der Architektur. In: Bauen und Wohnen 9/1960, S. 306-312, hier S. 308. 102 | Ebd.
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truktive Auf bau dort den Bau organisch in seiner Gesamtheit erfasse. Bei der „geringsten Veränderung eines Teiles“ stünde demnach sofort der Entwurf in seiner Gänze wieder infrage.103 Damit erweist sich die Vorstellung einer linearen Aufeinanderfolge von zunächst rein kognitiver ‚Denkhandlung‘ hin zur nur händischen Ausformulierung ihrer Ergebnisse von Neuem als zu simpel. Die besondere Qualität des Ansatzes Harrisons liegt allerdings darin, auch ein völliges Ineinanderfließen beider Tätigkeitsformen weiter auszudifferenzieren. Reinhard Wendler hat das Modellieren im kreativen Kontext beschrieben als „Dialog mit dem Material, die manuell-materiell-visuelle Formsuche, der dynamische Prozess der simultanen Objekt- und Vorstellungsbildung beim Handeln und Schauen.“104 Damit entspräche das Entwerfen am Modell durch die absolute Simultanität von Denken und äußerlichem Handeln weitgehend ununterscheidbar dem, was Polanyi als impliziten Wissensvorgang beim Fahrradfahren beschrieben hat. Die Ausführungen Harrisons zeigen hingegen, dass der als generativ anzusehende Erkenntnisprozess des Entwerfens eben nicht völlig simultan als geistige und händische Tätigkeit verläuft. Seine Besonderheit und die Unterscheidung zu anderen Formen intelligenten Handelns liegen vielmehr gerade darin, dass händische und geistige, implizite und entäußerte Wissensvorgänge zwar ständig potentiell in den Entwurfsprozess involviert sind. In ihrer jeweiligen Dominanz wechseln sie sich allerdings beständig ab, so dass die händische Modellierung wiederholt von Unterbrechungen des äußerlichen Tuns gekennzeichnet wird, um einen reflektierenden Blick zurück zu ermöglichen. Wenn Entwerfende modellieren, zirkulieren ihre – nicht immer zur Gänze ausformulierten Gedanken – um das, was die Hände tun. Wenn der Prozess unterbrochen wird, um das bereits Geschaffene zu betrachten, steht die retrospektive Kontemplation als Basis für eine dann anschließende, prospektive Vorstellungsbildung im Vordergrund. Auch die Designtheoretiker Brian Moeran und Bo T. Christensen beschreiben kreative Prozesse als in diesem Sinne getaktet: „Process […] tends to be characterized by fits and starts rather than by a smooth continuous flow.“105 Den Prozess von Denken und Handeln während des architektonischen Entwerfens am Modell als ausschließlich simultan verlaufend zu beschreiben schneidet die zumindest potentiell vorhandene Möglichkeit ab, wonach Entwerfende auch (!) unabhängig vom physischen Artefakt Denkleistungen vollbringen, die sie dann gleichsam nachträglich in das Modell einbringen. Gerade die Unterbrechung des kontinuierlichen Handlungs- und Wissensflusses und die damit entstehende doppelte Gerichtetheit solcher Tätigkeiten macht 103 | Ebd. 104 | Wendler 2013, 86. 105 | Moeran/Christensen 2013, S. 10.
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den produktiven, generativen Charakter des Entwerfens am Modell deutlich und zeigt die Unterschiede etwa zum Fahrradfahren auf. Damit Entwerfen zu Ergebnissen führt, sind Entscheidungsfindungen notwendig. Diese hängen (auch) davon ab, dass Polanyis implizite Wissensvorgänge immer wieder von Reflektionsmomenten unterbrochen werden. Ein Aspekt der hier verhandelten doppelten Gerichtetheit intelligenter und kreativer Handlung besteht also im retrospektiven Blick zurück auf den je zuvor geschaffenen Modellzustand. Den zweiten bildet der Blick nach vorn auf das jeweilige Ziel der Entwurfshandlung. Denn natürlich haben Maler_innen, Designer_innen oder Architekt_innen das Produkt ihres Handelns, auf das ihre Tätigkeit hinführen soll, grob ‚im Kopf‘. Architekt_innen, die mit Holzklötzchen die ideale Volumenverteilung etwa für ein Bürogebäude finden wollen, müssen die Eckdaten und Erfordernisse eben jenes Baus gedanklich präsent haben, um seine möglichen Lösungen auf ihre Verwertbarkeit hin abgleichen und so bemessen zu können. Das wurde beispielsweise deutlich beim Blick auf das Schulprojekt Justus Herrenbergers in Braunschweig oder die Studienarbeit zu Grundrisslösungen in der Planungsabteilung der ‚Neuen Heimat‘: Die kleinen Würfel, die sie jeweils weitgehend intuitiv aneinandersetzten, mussten zuvor zugeschnitten werden. Daran wird nachvollziehbar, dass gewisse Vorstellungen vom Bau und die an ihn gerichteten Anforderungen schon vor der Modellierung – implizit oder explizit – vorhanden sein mussten, um überhaupt wissen zu können, welche Art und Anzahl von Klötzchen in den Prozess des Modellierens eingebunden werden sollten. Solcherlei vorangehende Vorstellungen über einen Bau können am Anfang des Prozesses natürlich auch nur sehr vage sein. Harrison trifft diese Beobachtung am Beispiel von Maler_innen und/oder Schriftsteller_innen: „It is […] not true that the painter or the writer has no goals before him before he sets out on his project or as he continues with it. At least he wants to paint a picture, or to write a paper on a certain topic. [But] he necessarily cannot describe what the particular painting or paper will be like when it is finished.“106 Die vage Vorstellung dessen, was als Ergebnis am Ende eines Handlungsprozesses stehen soll, nennt Harrison „minimal ends“: „‘minimal‘ in that they offer a minimal account of what he [the painter or writer] is after.“107 Bezogen auf das architektonische Entwerfen geben die Beobachtungen Harrisons damit das Konzept eines Prozesses vor, in dem Einfälle und Reflektionen untrennbar sowohl mit dem imaginierten Ziel der Handlung verbunden sind als auch mit den Materialen, die – sich verändernd – in den Prozess eingebunden sind und ihrerseits maßgeblich auf ihn einwirken. Das Modell entwickelt sich demnach entlang der Vorstellung davon, wofür es stehen, was 106 | Harrison 1978, S. 122. 107 | Ebd., S. 123.
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es zeigen, für wen es wirken soll. Es entwickelt sich in seiner Gestalt allerdings auch immer wieder neu als Antwort auf sich selbst und seine Gestalt. Seine Eigenschaften und sein ‚Schon-so-Sein‘ geben dem entwerfenden Subjekt Anweisungen dafür, wie es weitergedacht und geformt werden will, um schließlich mit der ursprünglich vagen Vorstellung vom Endergebnis des Prozesses – im Erfolgsfall – zur Deckung zu kommen. Die Beobachtung des sich in iterativen Schleifen vollziehenden Findungsund Erfindungsprozess am Modell, bei dem Denken und Handeln immer wieder ineinandergreifen beziehungsweise über weite Strecken parallel zueinander und vor allem miteinander ablaufen, basiert wiederum wesentlich auf dem Konzept des impliziten Wissens nach Polanyi. Denn Handeln und Denken können nur dann gleichzeitig vonstattengehen, wenn das Denken – zumindest hauptsächlich – implizit mitläuft. Abgesehen von denjenigen Momenten, in denen die entwerfende Person buchstäblich einen Schritt vom Modellobjekt zurücktritt, um retrospektiv auf das von ihr Geschaffene zu schauen und ganz explizit und bewusst über ihre nächsten Schritte nachdenkt, verläuft der Großteil der produktiven Reflexion gleichzeitig mit der praktisch ausgeführten Handlung des Modellierens und wird sprachlich nicht expliziert. Die von Ryle und Harrison propagierte Zurückweisung der „intellektualistischen Legende“, also der Beobachtung, dass Denken und Handeln nicht zeitlich voneinander zu trennen sind, baut damit auf der Wissenstheorie impliziter Reflexionsvorgänge nach Polanyi auf. Sie schließt damit auch an das Konzept einer „reflec tion in action“ an, wie es von Donald A. Schön entwickelt worden ist.108
3.3.3 Das Modell als E xperimentalsystem Innerhalb eines zuvor festgelegten und abgegrenzten Möglichkeitsrahmens beim Entwickeln architektonischer Konzepte am Modell sind Rekursivitäten, Irreführungen und Widerstände nicht nur möglich. Bewusst in Kauf genommen oder gar erwünscht, bilden sie die besonderen Erkenntnismöglichkeiten, die speziell an das Modell gebunden sind. Das Entwerfen am und mit dem Modell rückt damit in die Nähe (natur-)wissenschaftlichen Forschungspraxis mit „Experimentalsystemen“, wie sie vor allem von Hans-Jörg Rheinberger beschrieben worden ist.109 Der Begriff setze, so der Wissenschaftstheoretiker in einer gemeinsamen Formulierung mit Michael Hagner, den Fokus auf die „Materialität der Forschung.“110 Genauer: 108 | Schön 1983. 109 | Rheinberger 2001. 110 | Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner: Experimentalsysteme. In: dies. (Hg.): Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften. 1850/1950. Berlin 1993, S. 7-27, hier S. 8.
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Der Vergleich von modellbasierten oder modellbegleiteten architektonischen Entwurfsverfahren mit solcherart wissenschaftlicher Experimentierpraktiken ist für die vorliegende Argumentation gewinnbringend. Mit dem Fokus auf das produktive Zusammenspiel von Subjekt und Artefakt sowie auf die Kritik einer wissenschaftstheoretischen „Reinheitsvorstellung“ können sowohl Parallelen als auch explizite Unterschiede zwischen dem wissenschaftlichen Finden und dem kreativen Erfinden aufgezeigt werden. Sichtbar werden damit Mechanismen und Besonderheiten des architektonischen Entwerfens mit dem Modell. Rheinbergers Argument geht im Wesentlichen davon aus, dass dem wissenschaftlichen Experimentieren mit oder an Artefakten und deren je nur teilweise vorhersehbaren Reaktionen auf die Tätigkeiten des forschenden Subjekts eine maßgebliche Bedeutung in der Geschichte der Wissenschaft zukomme. Diese sei in der zugehörigen Theorie nur zu häufig unterschätzt worden. Das Experiment werde traditionell missverstanden als eine Praxis des Beweisens, die dem theoretischen Erschließen zeitlich nachgeordnet sei. Hiermit trifft sich die Beobachtung Rheinbergers entfernt mit denen von Ryle und Harrison, die sich – wie beschrieben – ebenfalls gegen die Vorstellung wandten, nach der erst gedacht und dann gehandelt beziehungsweise eben experimentiert werde. Wissenschaftliche Theorien, ausschließlich ‚im Kopf‘ erdacht und hergeleitet, würden nach traditioneller Lesart lediglich im Nachgang in das Experiment entäußert und von diesem gleichsam nachgespielt. „Experimentalsysteme“, hält Rheinberger dagegen, „sind nicht Anordnungen zur Überprüfung und bestenfalls zur Erteilung von Antworten, sondern insbesondere zur Materialisierung von Fragen.“112 Sie seien demnach nicht dazu da, „Hypothesen […] entweder zu bestätigen oder zu widerlegen“; das am Objekt ausgeführte Experiment sei kein nachträglicher „Schiedsrichter“ im wissenschaftlichen Forschungsprozess.113 Entsprechend habe er Grund, zu behaupten, „daß epistemische Dinge […] ebensoviel Aufmerksamkeit verdienen, wie sie Generationen von Historikern den entkörperten Ideen gewidmet haben.“114 Anders als Ryle und Harrison geht es Rheinberger allerdings weniger darum, Denken und 111 | Ebd., S. 9. 112 | Rheinberger 2001, S. 25. 113 | Ebd., S. 24. 114 | Ebd., S. 16.
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prozessgebundenes Handeln gemeinsam ins Recht zu setzen, sondern das Denken und die Artefakte. Diese bezeichnet er als „Experimentalsysteme“, die in den Wissens- oder Erkenntnisprozess verwoben sind.115 Mit ihrem Fokus auf die epistemischen Vermögen von Artefakten und ihren Anordnungen sind Rheinbergers Überlegungen besonders fruchtbar zu machen für die Frage nach dem Beitrag zu Wissens- und Erkenntnisprozessen, die im architektonischen Entwurfsprozess mit der Arbeit am Modell angestoßen werden. Die Inbezugsetzung der Theorie Rheinbergers mit kreativen Schaffensbereichen ist nicht neu. Auch der Kunsthistoriker Reinhard Wendler hat die Ausführungen für seine Untersuchung von Modellen in Kunst und Wissenschaft aufgegriffen, indem er das Modell mit der Versuchsanordnung eines wissenschaftlichen Experiments gleichgesetzt und analysiert hat: Der Wert entsprechender Objektkonstellationen liege darin begründet, „etwas Unerwartetes ins Spiel zu bringen und so den Rahmen der durch bloßes Nachdenken abgedeckten Möglichkeiten zu erweitern.“116 Die Modelle „eröffnen neue, aber eben charakteristisch materielle Denkwege, auf denen eine Idee die aufgefassten Formen und Eigenschaften des Materials annimmt und sich dort, jenseits rein kognitiver Prozesse, weiterentwickelt.“117 Versuchsanordnung und Modell werden also gleichermaßen als Experimentalsysteme im Sinne Rheinbergers verhandelt, welche auf eigenen Denkwegen vor allem eigene Denkergebnisse zu liefern zumindest potentiell im Stande sind. In Bezug auf das architektonische Entwickeln und Erkennen am Objekt des Modells erscheint die von Rheinberger etablierte Dualität zwischen der – dann ja zurückgewiesenen – Schiedsrichterfunktion und derjenigen des prozessbegleitenden und -formenden Experimentalsystems allerdings als zu streng. Das architektonische Modell entwickelt seine besondere Nützlichkeit für den Entwurfsprozess gerade dadurch, dass es beide Vorstellungen in zeitlicher Abfolge gewisserweise abwechselnd und ineinander übergehend zu erfüllen vermag. Anlehnend an die bereits ausgeführten Beobachtungen Andrew Harrisons zur besonderen Prozessgebundenheit (Retrospektive/Prospektive) zeigt sich, dass entwerferische Ideen und Einfälle freilich im und durch das Wechselspiel zwischen gedanklicher und händischer, impliziter und entäußerter Tätigkeit generiert werden. Somit stehen sie einerseits im Einklang mit Rheinbergers Ausführungen. Andererseits kann das Architekturmodell, indem es gleichzeitig in jedem Augenblick innerhalb des Entwurfsvorgangs den jeweils aktuellen Stand der Entwicklung aufzeigt, sehr wohl auch die von Rheinberger zurückgewiesene Schiedsrichterfunktion einnehmen. Dann nämlich, wenn die Entwerfenden – etwa wie das oben von Harrison beschriebene Sandburgen 115 | Ebd., S. 25. 116 | Wendler 2013, S. 28. 117 | Ebd.
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bauende Kind – innehalten, den Modellierungsprozess unterbrechend einen Schritt zurücktreten und retrospektiv dasjenige betrachten, was zum jeweiligen Zeitpunkt bereits entwickelt und geschaffen worden ist. In diesen Augenblicken findet kein – in der Diktion Gilbert Ryles – „offenes Benehmen“118 statt, das sich den Entwerfenden etwa ansehen ließe. Sie reflektieren, während ihre Hände stillstehen. An diesem Punkt können bereits getroffene Überlegungen und Entscheidungen, die sich in der Gestalt des Modell-Artefakts manifestieren, weiterentwickelt oder verworfen werden. Das Modell als Schiedsrichter zeigt innerhalb dieser Reflektionsmomente, welche Ideen funktionieren – und welche nicht –, um darauf hin jeweils wieder als Begleiter innerhalb des Prozesses für weitere Entwicklungen zur Verfügung zu stehen. Dennoch, so soll hier gezeigt werden, gleichen sich das experimentelle Forschen und das kreative Entwerfen strukturell in wesentlichen Punkten. Die Betrachtung (natur-)wissenschaftlicher Experimentalpraktiken bleibt für die Analyse kreativer Entwurfsvorgänge also durchaus gewinnbringend. Denn in beiden Fällen geht es wesentlich um den – implizit – ‚gekonnten‘ und aktiv herbeigeführten Umgang mit Nicht-Wissen. Es gehe, so Rheinberger, bei der Betrachtung von wissenschaftlichen Experimenten um das „Primat der im Werden begriffenen wissenschaftlichen Erfahrung, bei der begriffliche Unbestimmtheit nicht defizitär, sondern handlungsbestimmend ist.“119 Das wissenschaftliche Experiment werde damit, so anschließend die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Karin Krauthausen, zum „tastenden Versuch – und gerade darin zum Garant der Entstehung und Entwicklung von Wissen. Seine Einrichtung zielt auf die Provokation eines Möglichkeitsraums, dessen Reglementierung nur gerade so weit gehen darf, dass Anschlüsse wahrscheinlich werden.“120 Innerhalb des Möglichkeitsraums regiert derweil das Nicht-Wissen beziehungsweise – auch – der Zufall. Die Tätigkeit des Entwerfens, die wie das Forschen ganz grundlegend und wesentlich dazu dient, Neues zu schaffen, ist auf diesen offenen Möglichkeits- oder Zufallsraum angewiesen. Alles, was innerhalb der Grenzen dieses Raumes liegt, bleibt also ganz bewusst im Unbewussten, um von der Experimentalanordnung oder dem Modell ausgefüllt, ausdefiniert und von Fragen in Aussagen verwandelt zu werden. Speziell in Hinsicht auf das kreative, modellbasierte Entwerfen schreibt auch Reinhard Wendler vom „Möglichkeitsraum“, dessen Rahmen durch die Materialität des Modells festgelegt werde, „innerhalb dessen die eingangs induzierte ‚Idee‘ sich am Material entwickelt und verformt und so ihre vermeintlich bloß kognitive Existenz unwiederbringlich aufgibt.“121 118 | Ryle 1969, S. 36. 119 | Rheinberger 2001, S. 26. 120 | Krauthausen 2010, S. 10. 121 | Wendler 2013, S. 31.
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Die Struktur dieses Vorgangs sowohl des Forschens als auch des architektonischen Entwerfens legt Parallelen mit anderen kreativen Tätigkeiten nahe, die ebenfalls auf die Generierung, Entwicklung und Materialisierung neuer Einfälle, Gedanken und Erkenntnisse ausgerichtet sind. Für Karin Krauthausen steht das im Sinne Rheinbergers beschriebene Experimentieren in struktureller Nähe zu den Tätigkeiten des Notierens und Skizzierens im Sinne eines auf einen Text oder ein Bild hinführenden Entwerfens. Die Tätigkeiten sieht sie als „Aufzeichnungspraxis jenseits der Finalität“122 und benennt damit freilich Eigenschaften, die sich ebenso auf das architektonische Entwurfsmodell beziehen lassen. Bezeichnenderweise verwendete der Münchener Architekt Otto Steidle in diesem Sinne tatsächlich den Begriff des „Skizzenmodells“, um damit Modelle zu benennen, die einer allerersten, noch kursorischen Entwurfsfindung und -entwicklung dienen.123 Von Karin Krauthausen wird das architektonische Modell nicht genannt, obwohl sie sich explizit auf die Ausführungen Rheinbergers bezieht und dieser eben hauptsächlich von der Rolle physischer Artefakte im Experimentalzusammenhang geschrieben hat. Dennoch kommt auch in ihrer Analyse das besondere Charakteristikum des Experimentierens und Entwerfens zur Sprache, namentlich die Notwendigkeit, vergleichsweise spontan und improvisatorisch auf das ‚Verhalten‘ des in den Prozess involvierten Artefakts reagieren zu können. „Die Virtuosität des Forschers [und Entwerfers!, R.L.] liegt in seiner Fähigkeit, mit dem notwendigen Unvorhersehbaren gekonnt umzugehen.“124 Mit dieser Beobachtung schließt sich der Bogen wiederum zum Prinzip des impliziten Wissens. Eine eindeutige Trennlinie zwischen – produktiv angewandtem – Nichtwissen und implizitem Wissen ist nicht eindeutig zu ziehen. Wesentlich für die Analyse des modellbasierten Entwerfens ist, dass beide Formen dieses ‚anderen‘ Wissens in den Prozess einbezogen sind und ihn wesentlich prägen.
3.3.4 Netzwerke und agencies Die Produktivität des Entwerfens erweist sich in der oben entwickelten Lesart als Qualität, die an das händische Tun der Entwerfenden gebunden ist und sich im zeitlichen Verlauf des Entwurfsprozesses entfaltet. Ablauf und Ziel dieses Prozesses basieren dabei zu einem Großteil – auch das wurde gezeigt – auf bereits zur Verfügung stehendem, impliziten Vermögen oder Können. Befördert wird gleichzeitig das Entstehen von neuem, sowohl impliziten als auch expli122 | Krauthausen 2010, S. 15. 123 | Otto Steidle: Vorweg erfahrene Wirklichkeit. In: Bauwelt 20/1994, S. 1108f, hier S. 1109. 124 | Krauthausen 2010, S. 12.
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ziten Erkennen, wenn der Entwurfsprozess als Wissensprozess gelesen wird. Mit den Ausführungen Hans-Jörg Rheinbergers zum wissenschaftlichen Experimentieren und der Rolle der hier involvierten Experimentalsysteme kam ein weiteres Charakteristikum hinzu. Die Frage nach dem Einfluss des phy sischen Artefakts auf die Entstehung von Wissen wird im Folgenden weiterverfolgt, um die Struktur des modellbegleiteten Entwerfens weiter auszuformulieren. Neben der Analyse auf wissenschaftstheoretischer Ebene (Rheinberger) zeigt auch ein soziologischer und anthropologischer Zugriff, dass das architektonische Entwerfen am Modell in besonderer Weise beeinflusst, gelenkt und bestimmt wird von dessen Eigenschaften als Material und physischem Ding. Das Modell ist physische Realität und damit Teil der ‚Welt‘, der das entwerfende Subjekt – scheinbar – gegenübersteht. Einzelne Charakteristika und die damit verbundenen Möglichkeiten von Modellierungsmaterialien wie etwa Plastilin oder Styroporklötzchen sind bereits angesprochen worden. Beschrieben wurden in diesem Zusammenhang etwa die Vorteile einer beinahe unbegrenzten Variabilität und Reversibilität. Damit waren allerdings nur solche Eigenschaften in den Fokus gerückt, mit denen das Modellierungsmaterial innerhalb des Entwurfsprozesses als weitgehend passiv erscheint. Das entstehende Artefakt des Modells erschien auf diese Weise über weite Strecken als derjenige Beteiligte, der sich mit seinen Eigenschaften maximal zurücknimmt, um dem entwerferischen Handeln der entwerfenden Subjekte maximale Freiheit einzuräumen. Diese Lesart muss ergänzt werden durch eine Analyse, die die aktive Rolle von Materialien und Materialeigenschaften sowie ihren Einfluss auf Verlauf und Ziel von Entwurfsprozessen weiter unterstreicht. Denn in den vorangegangenen Ausführungen wurde auch deutlich, dass der Verlauf eines Entwurfsprozesses wesentlich vom Reagieren auf das Modell abhängt und damit vom Reagieren auf das, was das physische Artefakt, das Material, zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigt oder ‚tut‘. Bezogen auf Designprozesse hat der bereits zitierte Donald A. Schön dieses Phänomen formuliert: „The situation ‚talks back‘ and he [the designer] responds to the situation‘s back-talk.“125 Der back-talk der Situation ist dabei natürlicher- und notwendigerweise an physische Materialien oder Artefakte gebunden. Diese rücken als produktive Akteure ins Blickfeld, die sich mit eigenem Einfluss in Entwurfsprozesse einbringen. In der hier geführten Analyse sind mit Materialien und Artefakten freilich Modelle in ihren unterschiedlichen Zuständen und jeweiligen konkreten Kontexten gemeint. Ganz in diesem Sinne unterstrichen zuletzt Lorenz Engell und Bernhard Siegert die aktive Rolle von Modellen in kreativen Entwurfsprozessen: „Modelle sind widerständig, sie entwickeln als Medien eine höchst eigene Agency, sie treten an die Stelle dessen, was sie repräsentieren und werden 125 | Schön 1983, S. 79.
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selbst zu modellierenden Akteuren.“126 Der Entwurfsprozess wird mit dieser Fokuserweiterung als eine Tätigkeit lesbar, die im Wesentlichen vom produktiven Zusammenspiel von Entwerfenden und Modell abhängt. Oder, in der Diktion des Wissenssoziologen Bruno Latour, vom Zusammenspiel von Akteur und Aktant beziehungsweise vom Zusammenspiel von ‚menschlichem‘ und ‚nicht-menschlichem‘ Akteur. Das Modell – beziehungsweise das Modellierungsmaterial – wird sich in den folgenden Ausführungen als Faktor innerhalb des Entwurfsprozesses zeigen, das gewisse Verläufe und Zwischen ergebnisse des Entwerfens nicht nur ermöglicht, sondern ganz wesentlich auch aktiv (mit) bedingt. Eine entsprechende Wissenstheorie, beziehungsweise Wissenssoziologie, ist seit den 1980er Jahren wesentlich geprägt worden von den Ausführungen Latours und seinem Konzept der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT). Bezogen vor allem auf naturwissenschaftliche Forschungszusammenhänge hat er damit versucht, genau jenes Zusammenspiel von menschlichen und nicht-mensch lichen Akteuren innerhalb von Wissensprozessen empirisch nachzuvollziehen und zu erklären. Wenn der architektonische Entwurfs- ebenfalls als Wissensprozess gelesen wird, sind weite Teile von Latours ANT nützlich, um den aktiven Beitrag des Modells und seiner physischen Realität im Entwurfsprozess in den Blick zu rücken. Grundlage für Latours ANT ist eine Kritik, die hier – mit einem leicht verändertem Ansatzpunkt – bereits referiert wurde: Gilbert Ryle und Andrew Harrison hatten das traditionelle wie idealisierte Dogma vom „Geist in der Maschine“ ebenfalls bereits problematisiert und das Zusammenspiel von geistigem und händischem Tun, von Denken und Handeln, propagiert.127 Auch für Latour ist die ontologische Trennung zwischen dem entwerfenden Subjekt als „Geist-im-Gefäß“128 und der ihm äußeren Objektwelt nicht haltbar. Dem Soziologen geht es in der Konsequenz allerdings weniger darum, vergleichbar mit Ryle und Harrison das Denken und Handeln als produktive Einheit zu etablieren. Vielmehr zielen Latours Ausführungen darauf, ein scheinbar objektives Denken oder Wissen in Verbindung zu setzen zur äußerlichen Natur. Es geht also weniger um Denken und Handeln als Prozess oder Tätigkeit, sondern vielmehr um das Denken in Interaktion mit der (physischen) Welt. Als genuinen Bestandteil einer „Verfassung der Moderne“ hat Latour die „moderne Trennung zwischen Natur und Gesellschaft“ beschrieben. Der An126 | Lorenz Engell, Bernhard Siegert (Hg.): Zeitschrift für Kunst und Medienforschung, 1/2012 (Schwerpunkt Entwerfen), Hamburg 2012, S. 8. 127 | Ryle 1949, S. 36; Harrison 1978, S. 6. 128 | Bruno Latour: „Glaubst Du an die Wirklichkeit?“ Aus den Schützengräben des Wissenschaftskriegs. In: ders.: Die Hoffnung der Pandora. Frankfurt am Main 2002, S. 7-36, hier S. 11.
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spruch auf ein objektives, rein kognitives Denken, Wissen und Verstehen hätte demnach gerade in dem Zeitrahmen seinen Höhepunkt erlangt, in den die hier untersuchten Modellierungsprozesse fallen.129 Für überzeugend hält Latour dieses Konzept allerdings für keinen Zeitpunkt innerhalb der Wissenschaftsgeschichte, wie schon allein der provozierende Titel seiner breit rezipierten Abhandlung „We have never been modern“ zeigt.130 André Belliger und David Krieger haben Latours Kritik paraphrasiert: „Die moderne Erkenntnistheorie reduziert die Wissenschaft auf eine rein kognitive Tätigkeit, die Manifestation der reinen Vernunft seitens eines methodologisch verallgemeinerten Erkenntnissubjekts.“131 Im modernen Wissenschaftsverständnis erscheine die maximale Loslösung von der physischen, der haptischen Welt geradezu als Voraussetzung für objektives Erkennen und Wissen. Diese Vorstellung von wissenschaftlichem Erkennen und Denken wird spätestens seit Latours Ausführungen zurückgewiesen. An anderer Stelle rekapituliert Latour im Rückblick auf seine Forschung der 1990er Jahre: „Fakten, fanden wir heraus, werden ganz klar fabriziert. Und der Realismus [das meint hier etwa: die Anerkennung der empirisch erfassten Realität, Anm. R.L.] tat einen weiteren Sprung nach vorne, als wir nicht mehr von Objekten und Objektivität sprachen, sondern von nichtmenschlichen Wesen, die durch das Laboratorium sozialisiert werden und mit denen Wissenschaftler und Ingenieure Eigenschaften austauschen.“132 Objekten in ihrem Status als nicht-menschliche Wesen beziehungsweise Akteure wird hier also ein aktiver Einfluss zugesprochen, der das Ideal einer von der Welt losgelösten, ‚reinen‘ und entsprechend objektiven menschlichen Kognitionsleistung infrage stellt. Latour weiter: „Der Realismus [s.o.] wurde sogar noch massiver, als die nicht-menschlichen Wesen ebenfalls eine Geschichte zu haben begannen und ihnen Flexibilität, Komplexität und Interpretationsvielfalt zugestanden wurden, die bislang den Menschen vorbehalten gewesen waren.“133 Auch Objekte sind also nicht objektiv. Entsprechend fassen Belliger und Krieger zusammen: „Methodologien, welche sinnvolles Handeln auf der einen und nicht intentionales Operieren natürlicher und quasi-natürlicher Objekte auf der anderen Seite voraussetzen, basieren auf einem epistemologischen und ontologischen Graben, dessen empirischer Nachweis schlichtweg fehlt. Das, was Bruno Latour die ‚Verfassung der Moderne‘ bzw. die ‚Übereinkunft der Moderne‘ nennt, die Aufteilung der Welt in isolierte Bereiche von 129 | Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen An throp ologie. Frankfurt am Main 2008 [franz. Original 1991], S. 22. 130 | Ebd. 131 | Belliger/Krieger 2006, S. 18. 132 | Latour 2002a, S. 25. 133 | Ebd., S. 26.
Das Entwur fsmodell Natur, Kultur, Psyche und Gott, ist unter der Last der ‚Quasi-Objekte‘ oder ‚Hybriden‘ zusammengebrochen. […] Es gibt nicht die Natur auf der einen und die Gesellschaft auf der anderen Seite.“134
Bezogen auf das modellbegleitete, architektonische Entwerfen bedeutet diese Folgerung, dass es nicht die physische Existenz und das Verhalten des Modellierungsmaterials auf der einen Seite gibt und die menschlichen Akteur_innen, die Entwerfenden, auf der anderen. Was für Latour aus seiner Kritik am modernen Wissenschaftsverständnis folgt, ist allerdings kein beliebiger Relativismus. Vielmehr plädiert er für die Anerkennung einer „epochalen Verschiebung von der Wissenschaft zur Forschung“ im Verlauf des 20. Jahrhunderts. 135 Latour beschreibt damit eine der auf das architektonische Entwerfen bezogenen Kernthesen dieser Arbeit: „Eine gewaltige Verschiebung findet statt, eine Verschiebung von der Wissenschaft zu etwas, das wir Forschung nennen könnten (oder Wissenschaft Nr. 2) […]. Wissenschaft besaß Gewißheit, Kühlheit, Reserviertheit, Objektivität, Distanz und Notwendigkeit, Forschung hingegen scheint all die entgegengesetzten Merkmale zu tragen: Sie ist ungewiß, mit offenem Ausgang, verwickelt in die niederen Probleme von Geld, Instrumenten und Know-how und kann nicht so leicht zwischen heiß und kalt, subjektiv und objektiv, menschlich und nicht-menschlich unterscheiden. Gedieh Wissenschaft am besten, wenn sie sich als vollständig vom Kollektiv abgeschnitten betrachtete, so läßt sich Forschung am besten verstehen als kollektives Experimentieren mit dem, was Menschen und nichtmenschliche Wesen zusammen verkraften oder zurückweisen können.“136
Für das architektonische Entwerfen bedeutet diese Verschiebung, dass sich der Entwurfsprozess – in seiner idealisierten Lesart – abwendet von der Vorstellung, nach der ein architektonisches Konzept auf Grundlage von bereits bestehendem, akademischen, kanonischen und historischem Wissen aufbaut, indem es dieses Wissen im Geiste (!) nur neu zu kombinieren bräuchte. Modellbasierte Entwurfsvorgänge basieren genau auf der Anerkennung und Beförderung jener Ungewissheit und jenem offenen Ausgang, den Latour als charakteristisch für das (wissenschaftliche) Forschen beschreibt. An der Kritik der tradierten ontologischen Trennung von Objekt- und Subjektwelt und der damit verbundenen Vorstellung eines rational denkenden, von der Welt losgelösten Wissenschafts-Subjekts setzten auch andere Wissenstheoretiker an. Zunächst sehr ähnlich wie Latour fragt auch der englische Anthropologe und Archäologe Lambros Malafouris: „Where does the mind stop 134 | Belliger/Krieger 2006, S. 16. 135 | Latour 2002a, S. 34. 136 | Ebd., S. 31.
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and the world begin?“137 Diese freilich rhetorische Frage zielt – mit explizitem Verweis auf Latours Moderne-Text von 1993 – zunächst auf die gleiche Beo bachtung: „It seems, that the purification project of modernity that habituated our minds to think and talk in terms of clean divisions and fixed categories blocks our path as we seek to shift the focus away from the isolated internal mind and the demarcated external material world towards their mutual constitution as an inseperable analytic unit.”138
Auch er setzt sich also gegen die saubere Trennung einer Objekt- von einer Subjektwelt ein. Malafouris’ Fokus liegt dabei allerdings weniger auf der Frage, wie die Objektwelt Einfluss auf ein Akteur-Netzwerk innerhalb von Wissensprozessen und -ergebnissen nehmen kann. Sondern vielmehr darauf, wie Materialien und Artefakte das Denken selbst beziehungsweise die kognitiven Fähigkeiten des Menschen prägen. Bezogen auf den architektonischen Entwurfsprozess bedeutet das: Was Malafouris interessiert, ist nicht der Einfluss des Modellierungsmaterials auf Verlauf und Ergebnis des Entwurfsvorgangs, sondern auf die Kognition der Entwerfenden: „Things mediate, actively shape, and constitue our ways of being in the world and of making sense of the world.”139 Dinge üben damit nicht nur aktiven Einfluss auf Erkenntnis-, Wissens- und Entwurfsprozesse aus, sondern auch auf uns als handelnde und denkende Subjekte. Malafouris’ Überlegungen zum produktiven Ineinandergreifen und zur gegenseitigen Bedingtheit von menschlichem (Denk-)Vermögen und seiner menschlichen und/oder nicht-menschlichen Umwelt hat er unter dem Label Material Engagement Theory (MET) entwickelt. So schreibt er: „A good deal of […] thinking happens in interaction of brain and body with the world. […] Thinking is interaction of brain and body with the world.“140 Innerhalb dieser Struktur kommen sowohl menschlichen als auch nicht-menschlichen Akteuren Potentiale und Rollen zu, die Malafouris – in Rückgriff auf die Termino logie Andrew Pickerings – als agency fasst. Besonders erhellend in Hinblick auf die Analyse des architektonischen Modellierens ist Malafouris’ Entwicklung der These einer material agency am Beispiel des Töpferns. So schreibt er: „I consider pottery making as a prototypical exemples and one of the best and diachronic models of active mind. […] I 137 | Malafouris, Lambros: The cognitive Basis of material Engagement. Where Brain, Body and Culture conflate. In: de Marrais/Gosden/Renfrew 2004, S. 53-62, hier S. 55. 138 | Ebd., S. 53. 139 | Lambros Malafouris: How things shape the mind. A theory of material engangement. Cambridge, Massachusetts u.a. 2013, S. 44. 140 | Malafouris 2013, S. 38.
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see the ways of potmaking as ways of thinking.“141 Seine Beobachtungen hierfür lassen sich wegen der großen Nähe zum Modellierungsmaterial – Plastilin oder gar Ton – besonders anschaulich parallel lesen zu den Eigenschaften, die Wissensprozessen beim Modellieren zukommen. Zunächst einmal beobachtet Malafouris bei Töpfernden ein sehr ähnliches Phänomen wie es Polanyi in Hinsicht auf das Schwimmen oder Fahrradfahren beschrieben hat: „They [die Töpfernden, R.L.] can do it but they don’t know how they do it or they simply lack the means to express or communicate this form of tacit knowledge.“142 Auf dieser Grundlage geht Malafouris von einer „reciprocality between the crafted and the crafter“143 aus. Mit der Frage nach der agency interessiert sich Mala fouris – anders als Polanyi – allerdings nicht so sehr dafür, welche Rolle der Prozess des Töpferns auf die Wissensgenese ausübt, beziehungsweise welche Art von Wissen überhaupt notwendig ist, um die Tätigkeit des Töpferns zu ermöglichen. Vielmehr setzt Malafouris den Fokus auf das Zusammenspiel von Subjekt und Artefakt, töpfernder Person und Ton. Die agency lasse sich – so ja auch Latour – weder der einen, der Subjektseite, noch der anderen, der Objektseite, vollständig zuschlagen: „While agency and intentionality may not be properties of things, they are not properties of humans either: they are the properties of material engagement, that is, of the grey zone where brain, body and culture conflate.“144 Die Parallelen zum architektonischen Entwerfen mit Modellen liegen auf der Hand. Sowohl Latour als auch Malafouris verschieben den Fokus auf die Rolle von Materialien und Artefakten, beziehungsweise die Rolle ‚der Welt‘ innerhalb von Tätigkeiten und Herstellungsprozessen, die sie damit als Wissens- und Erkenntnisprozesse herausstellen. Der genuine Einfluss des architektonischen Modellierens auf den Entwurfsprozess wird damit abermals sichtbar, nun allerdings mit konzentriertem Blick auf den Aspekt des Materiellen, des Physischen und Haptischen des Modells. Architektonisches Entwerfen am Modell unterscheidet sich von anderen Entwurfsmethoden demnach nicht nur durch seine besonders prozessgebundene Struktur, sondern wesentlich auch durch die Materialität, die physische Präsenz des Modells innerhalb des Prozesses und für den Prozess. Beziehungsweise genauer und nochmals in der Diktion Malafouris’: Das architektonische Entwerfen am Modell zeichnet sich auch aus durch die besondere – und nur durch die besonderen materiellen Eigenschaften des Modells zu habende – grey zone zwischen Kopf, Körper(n) und Kultur. 141 | Lambros Malafouris: At the Potter’s Wheel: An Argument for Material Agency. In: ders., Carl Knappet (Hg.): Material Agency. Towards a Non-Anthropocentric Approach. New York 2008, S. 19-36., S. 22. 142 | Malafouris 2008, S. 19f. 143 | Ebd., S. 20. 144 | Ebd., S. 22.
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Damit weist der Ansatz Malafouris’ für die hier geführte Argumentation über denjenigen Latours hinaus: Denn Malafouris’ grey zone besteht auch aus kulturellen Einflüssen, die in Latours Theorie in der Regel keine nennenswerte Rolle spielen. Auf diese Weise wird die kulturelle – und somit automatisch auch historische – Dimension von Wissensprozessen deutlich, wie sie hier anhand der Rolle des Modells speziell für die Zeit der Nachkriegsmoderne rekapituliert wird.
3.3.5 Entwerfen und Spiel Die Theorien Latours und Malafouris’ setzen beide am Interesse für wissenschaftliche Forschungszusammenhänge an, mit denen das architektonische Entwerfen hier weitgehend gleichgesetzt wurde. Die genuine Offenheit des Forschens und/oder Entwerfens, das mit den vorangegangenen Ausführungen betont worden ist, lässt sich allerdings ebenfalls in der Struktur einer scheinbar sehr gegensätzlichen Tätigkeit verorten – dem Spielen. Auch hier wird der Verlauf weitgehend durch die improvisierende Interaktion mit Materialien und Objekten der äußeren Welt bestimmt. Das offene architektonische Entwerfen mit dem Modell verortet sich damit gerade zwischen den Feldern des wissenschaftlichen Forschens und des scheinbar zweckfreien Spielens beziehungsweise Bastelns.145 Aus seiner eigenen praktischen Erfahrung heraus schrieb der Bauingenieur Walter Moest bereits 1947 in der ‚Neuen Bauwelt‘: „Wenn man sich Gedanken darüber macht, warum wohl unser Baumeisterberuf so schön ist und warum uns die Leidenschaft des Bauens so tief ergreift, so kommt der, der sich mit den Dingen der menschlichen Seele ein wenig befaßt hat, leicht auf die Idee, es liege wohl daran, daß unser Beruf der Tätigkeit so nahe kommt, die man die leidenschaftlichste nennen kann, die einem Menschen beschieden ist, dem Spiel des Kindes.“146
So forderte er seine Kolleg_innen dazu auf, architektonische Entwürfe mit Hilfe eines Steinbaukastens anzugehen: „Nehmt den Kasten selber in die Hand und ihr werdet sehen, was er euch für Phantasien entlockt.“147 Und er geht noch weiter, wenn er schreibt: „Wenn ich Professor wäre, mein erstes wäre, für die Lehrmittelsammlung einen großen Baukasten zu kaufen, und wehe dem Studenten, der sich nicht drum risse, mit ihm zu bauen! Er fiele mir sicher im Examen durch! Ja, ich würde ihn gar nicht erst annehmen!“148 145 | Hierzu ausführlich: Liptau 2018b. 146 | Walter Moest: Lob des Steinbaukastens. In: Neue Bauwelt 27/1947, S. 423. 147 | Ebd. 148 | Ebd.
Das Entwur fsmodell
Der Berliner Architekt und Hochschulprofessor Eduard Ludwig ist bereits zitiert worden mit seiner Forderung von 1949, Klötzchen-Baukästen in die Architekt_innenausbildung zu integrieren, um „ihre Phantasie zu wecken und ihren Spieltrieb zu nutzen.“149 Das Spiel als Teil der menschlichen Kultur war zu diesem Zeitpunkt auch auf theoretischer Ebene bereits analysiert worden. Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga hatte sich ab den 1930er Jahren mit dem „homo ludens“ und damit dem Spiel als eine der Grundlagen der Kultur befasst, seine zugehörige Schrift wird bis heute in den Kulturwissenschaften breit rezipiert. Huizinga führt das Spielerische in seiner Analyse als etwas an, das sich den klassischerweise beschriebenen Wesenseigenschaften des Menschen – der Vernunft und dem ‚Machen‘ – beiordnen oder gar zugrunde legen lässt.150 Auf zunächst ethymologischer Ebene leitet er die Besonderheit bzw. Ausgesonderheit des Spiels her: „Der Begriff Spiel bleibt ständig in merkwürdiger Weise abseits von allen übrigen Gedankenformen, in denen wir die Struktur des Geisteslebens und des Gemeinschaftslebens ausdrücken können.”151 Als unumgängliche Charakteristika des Spiels nennt er dessen Freiwilligkeit und „Charakter der Freiheit.“152 Und weiter: Die Handlung des Spiels laufe „in sich selbst ab und wird um der Befriedigung willen verrichtet, die in ihrer Verrichtung selbst liegt.“153 Neben einer „Kulturfunktion”154, die Huizinga dem Spiel sowohl für die Einzelperson als auch für die Gesellschaft zuschreibt, bleibt für seine Definition des Spielerischen damit unumgänglich, dass es keine unmittelbaren und konkreten, über sich selbst hinausweisenden Zwecke erfüllen darf. Huizinga konzentrierte sich in seinen Ausführungen allerdings vor allem auf Formen des Spiels, die er als „geistige Betätigung“155 (in der englischen, von Huizinga autorisierten Übersetzung sogar: „non-material activity“156) beschreibt, misst Artefakten und Materialien also keine wesentliche Bedeutung für das Spiel und die damit zusammenhängenden geistigen Tätigkeiten zu.
149 | Eduard Ludwig: Der Baukasten. Weisheit für die Jugend. In: Neue Baukunst 5/1949, S. 21. 150 | Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg 232013 S. 7. [Erstveröffentlichung: Homo Ludens. Proeve eener bepaling van het spel-element der cultuur. Haarlem 1938]. 151 | Ebd., S. 15. 152 | Ebd., S. 16. 153 | Ebd., S. 17. 154 | Ebd. 155 | Ebd., S. 15. 156 | Johan Huizinga: Homo Ludens. A study of the play-element in culture. London 1949, S. 6.
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Seit den 1960er Jahren, also genau in dem Zeitraum, die in der hiesigen Analyse im Fokus steht, stieg hingegen das Interesse am Materiellen – sowohl in der Kreativitäts- als auch in der Spieltheorie. Die strukturellen Gemeinsamkeit zwischen dem Spiel und dem (wissenschaftlichen) Erkennen-Wollen, wie es in den vorangegangenen Absätzen beschrieben worden ist, lässt sich vor allem in der Beziehung beider Tätigkeiten zum Materiellen und der Objektwelt festmachen: So wie „mind“ und „world“ in der Formulierung Malafouris’ beim Forschen ineinandergreifen und deshalb untrennbar miteinander agieren, so beschrieb der Hermeneutiker Hans-Georg Gadamer auch die besonderen Charakteristika des Spiels in seinem 1965 erschienen und breit rezipierten Band „Wahrheit und Methode“157. Gadamer betonte hier die dialogische Situation zwischen dem spielenden Subjekt und dessen Gegenüber, das sowohl andere Menschen als eben auch Dinge sein könnten: „Damit Spiel sei, muß zwar nicht ein anderer wirklich mitspielen, aber es muß ein anderes da sein, mit dem der Spielende spielt und das dem Zug des Spielers von sich aus mit einem Gegenzug antwortet.“158 Und er betont die aktive Rolle des ‚anderen‘, indem er dessen Rolle sogar als dominant, als „Primat“159 gegenüber dem spielenden Subjekt bezeichnet: „Der Reiz des Spieles, die Faszination, die es ausübt, besteht eben darin, daß das Spiel über den Spielenden Herr wird. Auch wenn es sich um Spiele handelt, in denen man selbstgestellte Aufgaben zu erfüllen sucht, ist es das Risiko, ob ‚es geht‘, ob es ‚gelingt‘, und ob es ‚wieder gelingt‘, was den Reiz des Spieles ausübt. Wer so versucht, ist in Wahrheit der Versuchte.“160
Später hat auf theoretischer Ebene auch Donald A. Schön für seine Ausführungen zur ‚reflection-in-action‘ das Beispiel des Baseball-Spielens bemüht und damit Parallelen zum Spiel aufgerufen.161 Damit vergleichbar sind auch Harrisons bereits angeführte Beschreibungen der Prozessgebundenheit kreativer Handlungen am Beispiel eines Sandburgen bauenden Kindes.162 Indem Forschen und Entwerfen mit der scheinbar zweckfreien, aber ebenfalls an Materialien und Dinge gebundenen Tätigkeit des Bastelns und Spielens in Verbindung gesetzt und nach strukturellen Parallelen gefragt wird, zeigt sich nochmals die Offenheit als wesentliche Eigenschaft und Qualität der beschriebenen Entwurfshandlungen. Speziell das modellbegleitete Entwerfen 157 | Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen 1965. 158 | Ebd., S. 101. 159 | Ebd. 160 | Ebd., S. 101f. 161 | Schön 1983, S. 54f. 162 | Harrison 1978, S. 15.
Das Entwur fsmodell
wird damit erkennbar als Tätigkeit, die aus der Spannung zwischen spiele rischer Versuchsfreude und ‚ernsthaftem‘ Erkenntnisinteresse ihre besonderen Potentiale zieht. Genau wie das offene Entwerfen am Modell ist also auch die Tätigkeit des Spielens geprägt von Rekursivitäten, von spontanen Entscheidungsfindungen und Improvisationen. Sowohl beim Spiel als auch beim Verstehen und Entwerfen mit Materialien und Dingen profitiert der menschliche Akteur entsprechend von derjenigen Aktivität, die Rudolf Arnheim als „wahrnehmungs mäßiges Denken“ beschrieben hat.163 Den Begriff verband er mit dem Appell, den Prozess des Wahrnehmens als Denk- und Erkenntnisleistung anzuerkennen und führte hierfür als Beispiel ebenfalls das kindliche Spiel beim Erfinden von Formen auf Zeichenpapier oder mit Knetmaterial an. Das Spiel – und das Entwerfen – werden somit auch in dieser Argumentation durch ihren jeweiligen dialogischen Charakter als Denk- beziehungsweise Erkenntnisvorgang beschrieben. Das „wahrnehmungsmäßige Denken“, das die sinnesmäßige Wahrnehmung und die geistige Reflexion als zeitgleich verlaufend und damit existentiell miteinander verknüpft benennt, lässt sich damit im Sinne Arnheims als wesentliche Grundlage auch für den Spiel- oder Entwurfsprozess der Erwachsenenwelt verstehen. Spielende – und sehr vergleichbar eben auch: Entwerfende – unterwerfen sich innerhalb eines gewissen, von ihnen selbst bestimmten Zeitrahmens den besonderen Gesetzlichkeiten und Einflüssen des Spiels, sie liefern sich seinen besonderen Bedingungen aus und wirken durch ihre eigene, oft nur implizit eingebrachte, Geistestätigkeit auf den Prozess ein. Ebenso wie beim Vergleich zwischen wissenschaftlichem Forschen und architektonischem Entwerfen müssen allerdings auch hier Unterschiede betont werden: Weitaus stärker als das freie Spiel ist der Entwurfsprozess vom Ende her determiniert. Nur dasjenige ‚Spiel‘ am Modell hat Berechtigung, welches zumindest potentiell am Ende des Prozesses die architektonische Lösung für eine im Vorfeld formulierte Aufgaben- oder Problemstellung zu liefern in der Lage zu sein scheint. Architektonisches Entwerfen steht zwischen den Polen von freiem Spiel und offenem Forschen.
163 | Arnheim 1972, S. 14.
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4. Das Prüfmodell
Ein beträchtlicher Teil der Modelle, die in Architekturnachlässen der 1950er bis 1970er Jahre nachweisbar sind, lässt sich mit der oben entwickelten Kategorie des Entwurfsmodells nicht adäquat fassen. Obwohl diese ‚anderen‘ Modelle ebenfalls im und für den Entwurfsprozess entstanden sind, sind grundlegend andere Ansprüche an sie gerichtet und strukturell andersartige Wissensprozesse mit ihnen verbunden: Im Folgenden werden unter dem hier erstmals vorgeschlagenen Begriff des ‚Prüfmodells‘ Objekte untersucht, die weniger der generativen Entwicklung von Entwurfsideen dienten. Prüfmodelle wurden im Wesentlichen gefertigt, um bereits bestehende Einfälle und Vorstellungen ein erstes Mal dreidimensional umzusetzen. Dabei wurden im Unterschied zum Entwurfsmodell im Regelfall schon anderweitig und je im Voraus entwickelten Ideen durch das Modell ein erstes Mal in der physischen Realität überprüf bar gemacht. Im Fokus standen dabei sowohl formale und ästhetische Aspekte des Entwurfs, als auch dynamische Prozesse innerhalb eines zeitlichen Verlaufs und unter wechselnden Bedingungen, die die Arbeit am Prüfmodell strukturell in die Nähe des Experiments und der Simulation rückt. Vergleichbar mit dem Entwurfsmodell fungiert das Prüfmodell zunächst ebenfalls als materialisierte Hypothese. Es dient also ebenfalls als Vorgriff auf bestimmte Eigenschaften und Funktionen eines Baus unter einer bestimmten Fragestellung – stets im Rückgriff auf die besonderen Potentiale des Modells als physisches Artefakt. Die Aussage- und Zeigepotentiale des Prüfmodells entfalten sich allerdings auf retrospektive Art und Weise und damit im Sinne einer ganz anderen Wissens- oder Erkenntnisstruktur: Anders als das Entwurfsmodell erzeugt, begleitet und befördert es nicht die einzelnen Entwurfsschritte, sondern zeigt auf, ob bestimmte bereits im Vorfeld der Modellrealisierung entstandene Ideen tragen werden. Die Unterscheidung von Entwurfs- und Prüfmodell, die hier getroffen wird, knüpft an vorhandene Untersuchungen zur Designforschung an. Für diesen Bereich haben Brian Moeran und Bo T. Christensen zuletzt „generative“ von
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„evaluativen“ Aspekten innerhalb von Kreativitätsprozessen unterschieden, um sie in ihrer Komplexität ausreichend fassen zu können.1 Die Designforschung habe sich, so ihre Kritik, in den vergangenen Jahren zu einseitig den generativen Aspekten gewidmet und die evaluativen Momente entsprechend vernachlässigt: „The overwhelming focus in generative processes in past research, at the expense of evaluation or exploration, seems unjustified since it does not matter whether someone generates five potentially creative ideas if they are not picked out for further development and brought to completion in the creative process. Creativity involves a heavy dose of both generative and evaluative practices.“2
Jegliche Form von Kreativität kann also nur dann zu einem Ergebnis führen, wenn den evaluativen Prozessen der eigentlichen Formfindung dann auch Praktiken der Auslese, der Überprüfung und Weiterentwicklung folgen. Die Analyse dieser Kreativitätsprozesse bedarf entsprechend einer ausgewogenen Gewichtung beider Aspekte. Für die hier folgende Analyse ist die These leitend, dass die Unterscheidung von Entwurfs- und Prüfmodell gleichsam die mediale Entsprechung darstellt zur Unterscheidung zwischen generativen und evaluativen Momenten in kreativen Schaffensprozessen. Das Entwurfsmodell auf der einen Seite ist eingebunden in sämtliche Prozesse, die der Generierung von Einfällen und Ideen dienen, während das Prüfmodell auf der anderen Seite den Praktiken der Evaluation dient. Die folgenden Ausführungen zum Prüfmodell folgen entsprechend der Forderung von Moeran und Christensen, die evaluativen Techniken bei der Analyse von kreativen Entwurfsprozessen angemessen zu beachten. Bei der getroffenen Unterscheidung zwischen Entwerfen und Prüfen handelt es sich freilich zunächst um eine heuristische: In der Realität besteht stets die Möglichkeit, dass ein Entwurfsmodell zum Prüfmodell wird oder das Prüfmodell zum Entwurfsmodell. Dennoch bleibt diese Unterscheidung notwendig und fruchtbar, weil sie ermöglicht, die vom jeweiligen Modell erwarteten Wissensleistungen freizulegen und zu analysieren. Im architekturtheoretischen Zusammenhang, zumal für das architektonische Entwerfen in der Nachkriegsmoderne, ist diese sehr grundlegende Unterscheidung von Modelltypen noch nicht getroffen beziehungsweise beschrieben worden. Anhand der folgenden Beispiele und den daran anschließenden theoretischen Analysen wird allerdings nachvollziehbar, wie essentiell eine solche strukturelle Unterscheidung ist, um Rolle und Funktion des Modells in der Nachkriegsmoderne erfassen zu können. 1 | Moeran/Christensen 2013, S. 7. 2 | Ebd., S. 7f.
Das Prüfmodell
Das folgende Kapitel bildet somit einen ersten Vorstoß dafür, eine Auswahl an Prüfmodellen mit den jeweils durch sie behandelten Fragen entlang konkret nachweisbarer Projekte aufzuzeigen und als Gruppe theoretisch zu fassen. Damit wird deutlich werden, dass das Prüfmodell auf ganz besondere Weise mit den Ansprüchen und Bedingungen der architektonischen Nachkriegsmoderne verknüpft ist. Mit der Beschreibung des Prüfmodells ergibt sich also nicht nur ein analytischer Mehrwert für architektonische Entwurfsprozesse. Das folgende Kapitel dient darüber hinaus auch dazu, ein architekturhistorisches Argument weiter zu entwickeln: Die Fokussierung auf Prüfmodelle in architektonischen Entwicklungsprozessen soll zeigen, dass gerade die Architektur der Nachkriegsmoderne nicht vollständig zu erfassen ist, wenn sie nur anhand der ausgeführten Bauten analysiert wird. Wesentliche Aspekte werden übersehen, wenn Forschende die Architektur der Zeit nur im Sinne einer ästhetisch dominierten Stilgeschichte erfassen und beschreiben. Mit dem Blick auf die Arbeit mit Prüfmodellen werden ganz grundlegende Charakteristika der Nachkriegsmoderne sichtbar, die weniger am fertigen Gebäude sichtbar sind als vielmehr im Planungsprozess ‚vor dem Bau‘ begründet liegen. Vor der Betrachtung der konkreten Fallbeispiele mag bereits vorweggenommen werden, dass das Prüfmodell in einer Vielzahl der Fälle denjenigen Moment innerhalb des Entwurfsprozesses markiert oder zumindest begleitet, an dem er ‚nach außen‘, also gegenüber Dritten geöffnet wird. Dies geschieht zum einen dadurch, dass das Prüfmodell – im Gegensatz zum oben beschriebenen Entwurfsmodell – nicht mehr zwingend von der eigentlich entwerfenden Person selbst geformt und gefertigt werden muss. In zahlreichen Fällen entstehen solcherlei Modelle durch Büromitarbeiter_innen oder externe Dienstleister_innen. Zum anderen zeigt sich diese Tatsache daran, dass Prüfmodelle oft dazu verwendet werden, um an und mit ihnen gemeinsam mit Bauherr_innen und anderen an der Planung Beteiligten zu debattieren – wenn auch (noch) nicht mit der breiten Öffentlichkeit. Wenn der Schritt von der Entwurfs- in die Realisierungsphase eines Bauprojekts als klare Grenze, als Zäsur, verstanden wird, handelt es sich beim Prüfmodell um eine Anordnung, die beständig um diese Linie kreist. Es kann damit grundsätzlich Bestandteil beider Teilbereiche sein und hier jeweils aktiven Einfluss auf Entscheidungsprozesse nehmen. Von der Kategorie des Präsentationsmodells bleibt das Prüfmodell dennoch unterschieden: Denn das Prüfmodell dient genuin dazu, bestimmte noch offene Fragen zu beantworten, während das Präsentationsmodell zumindest dem Anspruch nach in einer Phase der Planung entsteht, in der alle wesentlichen Fragen beantwortet sind und das entsprechende Gebäude also potentiell bereits realisierbar wäre. Das Präsentationsmodell entsteht in dieser Logik nach dem Prüfmodell. Reinhard Wendler hat auf eine weitere, wesentliche Differenz hingewiesen, die ein Präsentationsmodell von anderen, in Ar-
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beits- und Erkenntnisprozesse involvierten Modellen unterscheidet. Sie liege im „Kontext-, Rollen- und Bedeutungswechsel“ begründet, der entsteht, wenn ein Modell öffentlich gezeigt wird: mit dem Präsentationsmodell werde „ein exklusiver Kontext verlassen, der es bisher erlaubt hatte, das Modell in freiester Weise als Ort und Träger des Denkprozesses zu nutzen.“3 Dieser „exklusive Kontext“ wird mit dem Prüfmodell noch nicht verlassen. Präsentationsmodelle hingegen zeichnen sich gerade dadurch aus, Entwürfe öffentlich zu kommunizieren. Sie werden entsprechend nicht zur Weiterentwicklung von Entwurfsideen, also im Sinne Wendlers als „Ort und Träger des Denkprozesses“ verwendet. Zwar ist die Präsentation eines architektonischen Entwurfs ebenfalls eine Art Prüfung – eine Prüfung, bei der die öffentliche Akzeptanz des Gebäudes im Fokus steht. Für die hiesige Analyse werden solcherart Modelle dennoch ausgeschlossen, weil der jeweilige architektonische Entwurf zum Zeitpunkt der Präsentation jeweils in sich abgeschlossen ist und also aus sich selbst heraus keine offenen Fragen mehr produziert. Innerhalb dieser skizzierten Grenzen ist der Modellbegriff für die folgende Analyse des Prüfmodells allerdings bewusst sehr weit gefasst. Wie ausgewählte Beispiele zeigen werden, reicht der hier angesetzte Modellbegriff vom maß stabsgerecht vergrößerten Detailmodell über das verkleinerte Modell etwa einer Gebäudeanatomie oder von Fassadenausschnitten bis hin zu 1:1-Modellen. An einigen Stellen rührt die Kategorie des Modells dabei bereits an derjenigen des Prototyps, des Musters oder der Simulation. Entsprechend weit sind auch die Aussagequalitäten und -potentiale der unterschiedlichen Modelle und damit ihr jeweiliger Beitrag zum Entwurfsprozess zu verstehen. Sie treffen Aussagen etwa über die zu erwartenden Bewegungsströme und Raumfluchten innerhalb eines Baus, über konstruktive Details, über Lichtverhältnisse und akustische Bedingungen oder über Materialeigenschaften und deren zu erwartenden Verhaltensweisen. Sie werden also eingesetzt sowohl bei der Beantwortung formal-ästhetischer Fragen als auch in Hinblick auf dynamische, also durch das Modell zu simulierende Prozesse. Die Unterscheidung der Modelle gemäß ihren Aussagequalitäten und -potentiale liefert im Wesentlichen die Struktur des folgenden Kapitels, indem die Fallbeispiele entlang dieser Differenzierung aufgeteilt werden.
4.1 A natomie , H ülle , R aum Eine erste Gruppe von Prüfmodellen lässt sich anhand ihres Mehrwerts für den Entwurfsprozess zusammenfassen: Im Folgenden werden Modelle beschrieben, bei denen Stützenstellungen, Wandauf bauten, Raumfolgen und 3 | Wendler 2013, S. 110.
Das Prüfmodell
andere, im Kern formale Problemstellungen im Fokus standen. Diese Art von Modellen knüpfen mit ihren Eigenschaften und Potentialen an denjenigen des Entwurfsmodells an, weil mit ihnen vornehmlich ästhetische Ansätze überprüfbar gemacht wurden. Bei dieser Gruppe von Prüfmodellen ist es darum gegangen, sich bestimmte Aspekte eines Baus rekapitulierend vor Augen zu führen – und weniger darum, statische Verhältnisse tatsächlich anhand von Belastungsproben experimentell zu prüfen. Im Zentrum des Interesses stand bei den folgenden Beispielen das einzelne Gebäude in seinem inneren Auf bau, seiner räumlichen Wirkung oder seiner äußerlichen Erscheinung. Dennoch ist es im Umgang mit diesen Modellen ganz offenbar nicht darum gegangen, diese formalen Aspekte ein erstes Mal zu entwickeln, sondern darum, bereits entwickelte Ideen ein erstes Mal räumlich umzusetzen und auf diese Weise zu prüfen.
4.1.1 Egon Eiermann: Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin Der von 1959 bis 1961 errichtete Neubau der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche nach Plänen von Egon Eiermann ist an früherer Stelle dieser Arbeit bereits angeführt worden (Abb. 5). Er stand als prototypisches Beispiel für eine objekthaft-monolithische ebenso wie für eine montagehafte Moderne, die damit in gestalterischer Hinsicht als besonders modellaffin gedeutet wurde. In diesem Zusammenhang war etwa eine zeitgenössische Beschreibung aus der ‚Bauwelt‘ zitiert worden, die die ausgeführten Neubauten als – dem Anschein nach – „bewegliche Modelle im Maßstab 1:1“ betitelt hat.4 Für Egon Eiermann (1904-1970) und sein Œuvre hat die Berliner Gedächtniskirche gleich auf mehreren Ebenen besondere Bedeutung. Der Architekt, der zur Entstehungszeit der Kirche an der damaligen Technischen Hochschule in Karlsruhe als Professor lehrte, hatte in den 1930er und 1940er Jahren vor allem Einfamilienhäuser und einzelne Fabrikbauten errichtet. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hat er im Wesentlichen Verwaltungsbauten entworfen. Zu seinen wichtigsten Werken der frühen 1950er Jahre zählen etwa das Verwaltung- und Fabrikgebäude der CIBA AG in Wehr/Baden (1948-52), die Taschen tuchweberei in Blumberg/Baden (1949-51) und das Verwaltungsgebäude der Vereinigten Seidenwebereien in Krefeld (1950-1953). Internatio nal wurde dann vor allem der Ausstellungspavillon wahrgenommen, den Eiermann gemeinsam mit seinem Münchener Kollegen Sep Ruf für die Weltausstellung in Brüssel 1958 entworfen hatte. Ein weiteres wichtiges Projekt außerhalb der Bundesrepublik stellte später das Kanzleigebäude der Deutschen Botschaft in Washington D.C. dar, das nach Plänen Eiermanns von 1958 bis 1964 errichtet wurde. Die Verwaltungsbauten Eiermanns sind allesamt nüchtern und 4 | Conrads 1962, S. 97.
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Abb. 37: Wettbewerbsmodell zum Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahme 1957.
sachlich gehalten, sie sind geprägt durch eine geradezu technizistische und montagehafte Anmutung. Vor diesem Hintergrund muss ein Kirchengebäude zwangsläufig aus dem Gesamtwerk des Architekten herausstechen. Eiermanns prestigeträchtiges Berliner Projekt hatte innerhalb seines Gesamtwerks nur einen – ebenfalls breit rezipierten – Vorläufer: Gemeinsam mit dem Designer und Glaskünstler Hans Theo Baumann (1924-2016) hat er die von 1951-1953 errichtete Matthäuskirche in Pforzheim geplant. Das Projekt der Gedächtniskirche übertraf diesen ersten Sakralbau Eiermanns allerdings nicht nur in der Dimensionierung. Der Gedächtniskirche kam an ihrem herausgehobenen Ort inmitten der Berliner West-City auch eine besondere symbolische Bedeutung zu, die bei Eiermann ganz offensichtlich zu einem besonderen Innovationsdruck führte. Denn nicht nur die oben beschriebene Gestalt des ausgeführten Kirchengebäudes, sondern auch die Rekonstruktion und Analyse des vorangegan genen Planungsprozesses rückt das Projekt in besondere Nähe zum Modell – wenn auch auf ganz anderer Ebene. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche zeigt sich auch an dieser Stelle als prototypisches Beispiel, und zwar für die ausgiebige Verwendung von Modellen zur Überprüfung architektonischer Entwurfsideen. Aus der ersten Entwurfsphase der Kirche sind hauptsächlich Ideenskizzen Eiermanns überliefert. Entwurfsmodelle nach der oben entwickelten Definition sind für die Gedächtniskirche nicht nachweisbar. Im weite-
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ren Verlauf der Planung hat der Architekt allerdings sehr häufig auf Modelle zurückgegriffen, um die im Medium der Skizze entwickelten Ideen am drei dimensionalen Artefakt retrospektiv zu überprüfen. Modelle als planungsimmanente Werkzeuge haben auf diese Weise eminenten Einfluss auf die Konzeption und Realisierung der Kirche genommen. Die Analyse zeigt, dass Eiermann Fragen der Fassadengestaltung, der Raumgestaltung und der Lichtwirkung maßgeblich mit Hilfe unterschiedlicher Modelle entschied. In Hinblick auf die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche können an dieser Stelle nur die wichtigsten Modelle beziehungsweise Modell-Ketten vorgestellt werden, die allesamt unter der Kategorie des Prüfmodells verhandelt werden. Diejenigen Modelle, die etwa für den Wettbewerb gefertigt wurden und diejenigen, die in der öffentlichen Diskussion um Erhalt oder Abriss der alten Turmruine eine Rolle spielten, werden nicht eingehend behandelt. Sie sind primär der Kategorie des Präsentationsmodells zuzuordnen und deshalb für die konkrete Bauplanung nur von nur untergeordneter Bedeutung.
Fassadenmodelle Als Egon Eiermann den Wettbewerb um den Neubau der Gedächtniskirche im März 1957 gewann, war zunächst der Abriss der alten Turmruine geplant, sowie ein klassischer Longitudinalbau als neues Kirchenschiff (Abb. 37).5 In den darauffolgenden Monaten wurde darüber in der Öffentlichkeit heftig debattiert, so dass am Ende die Turmruine erhalten bleiben sollte und eine neue Planung auch für das Kirchenschiff nötig wurde.6 Die grobe Konzeption der Fassade, also ihre Flächenauflösung in kleinformatige Glasfelder, stand bereits zum Zeitpunkt des Wettbewerbs fest und änderte sich in formaler Hinsicht durch die Umplanung nur unwesentlich. Die Frage der technischen und konstruktiven Umsetzung war allerdings sowohl während des Wettbewerbs als auch bei den darauffolgenden Umplanungen noch gänzlich ungeklärt. In einem Brief an den damaligen Pfarrer der Gedächtniskirche, Günter Pohl, schrieb Eiermann direkt nach dem für ihn erfolgreich entschiedenen Wettbewerb im März 1957: „Ich bin mir angesichts der vielen Möglichkeiten, die bestehen, noch gar nicht im klaren [sic!], wie 5 | Der Neubau hätte somit sehr starke Ähnlichkeiten mit der nach Plänen von Eiermann in den Jahren 1951-53 in Pforzheim errichteten Matthäuskirche gehabt. Diese gilt unter anderem deshalb als geistiger Vorläufer der Berliner Kirche. 6 | Vgl. im Besonderen: „Der Kurier“ und „Der Tag“ vom 21.03.1957; „Spandauer Volksblatt“ vom 22.03.1957; „Tagesspiegel“ vom 28.03.1957; „FAZ“ vom 30.03.1957; „Der Telegraf“ vom 02.04.1957; „Welt der Arbeit“ (Köln) vom 21.02.1958; zusammen fassend auch: Sabine Baumann-Wilke: Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von Egon Eiermann in West-Berlin. Entstehung und Bedeutung. Dissertationsschrift. Berlin 1988, S. 64-66.
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Abb. 38: Modellvarianten der Wabenelemente für die Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahme zwischen 1957 und 1959.
die Wände aussehen könnten.“7 Die genaue Ausarbeitung der Wandelemente könnten „überhaupt erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden“, die Ausführung im Wettbewerbsmodell sei „auf keinen Fall als massstäblich oder gar materialmässig oder formal richtige Lösung“ zu verstehen, sie seien „weiter nichts als ein von den Modellmöglichkeiten her […] gegebenes Mittel.“8 Und noch einmal bekräftigend: „Wenn Sie das Modell betrachten, so lassen Sie sich bitte von diesen [die Außenwände bildenden, R.L.] Tonröhrchen nicht beeinflussen; sie waren das einzige Mittel, was wir fanden, um anzudeuten, dass hier aufgelockerte, wenn nicht gar gläserne Wände ihren Platz haben.“9 Noch im November des gleichen Jahres ging der Architekt davon aus, dass er die Wände in Holz würde ausführen lassen. Das Kirchenschiff solle „aus Holz, Stahl und Glas erstellt werden. Das Skelett aus Stahl übernimmt die statischen Funktionen. Die Aussenwände sollen aus grossen, mehrfach unterteilten Holzrahmen mit eingesetzten dicken farbigen Gläsern sein.“10 Während sich diese Vorhersage in Hinblick auf den tragenden Stahlrahmen bewahrheiten sollte, wurde die Ausfachung der Wände später bekanntermaßen mit Betonfertigteilen realisiert. 7 | Brief Eiermann an Pohl vom 22.03.1957, zitiert nach: Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau (Hg.): Egon Eiermann. Briefe des Architekten 1946-1970. Stuttgart 2009, S. 97. 8 | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau 2009, S. 96. 9 | Ebd., S. 97. 10 | Brief Eiermann an Baumann vom 20.11.1957, zitiert nach: Baumann-Wilke 1988, S. 87.
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Abb. 39-41 (von links): Weitere Modellvarianten der Wabenelemente für die KaiserWilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahmen zwischen 1957 und 1959.
Erst im Rahmen der Umplanung zugunsten der alten Turmruine entwickelte sich die Grundform des ‚Oktogons‘ für das neue Kirchenschiff. Für dessen detaillierte Gestaltung sind spätestens ab Ende 1957 Modelle gebaut worden. Hieran wurden etwa Gestaltung und Auf bau der Fassade in mehreren Variationen nachvollzieh- und überprüf bar gemacht. Die zugehörigen Modellfotografien sind nicht genau datiert, lassen sich aber anhand ihrer unterschiedlichen Detaillierung in eine logisch anzunehmende Reihenfolge bringen (Abb. 38). Die Rekapitulation der Planungsgeschichte lässt annehmen, dass die erhaltenen Modellfotografien nach November 1957 entstanden sind. Sie weisen bereits große Ähnlichkeiten zu den später ausgeführten Waben auf. Ihre Ausführung in Beton scheint zum Zeitpunkt der Modellanfertigung also schon festgestanden zu haben. Die Fassadenmodelle zeichnen sich durch eine vergleichbar große Variabilität in der Grobgestaltung aus. Auf der Abbildung sind vier unterschiedliche Lösungen für die Ausformung der Waben nebeneinandergestellt. Vor allem die drei linken Modelle weisen noch sehr große Unterschiede zueinander auf. Zu diesem Zeitpunkt der Planung scheint die Gestaltung der Waben also noch weitgehend offen gewesen zu sein, wobei sich die Lösung mit den beiden rechts im Bild sichtbaren Modellen freilich schon abzuzeichnen begann. Weitere Modellfotografien zeigen, dass die Modellwaben aus unterschiedlichen Winkeln be- und durchleuchtet wurden, um ihre Wirkung unter Lichteinfall zu testen (Abb. 39-41). Zu welchem Zeitpunkt diese Tests genau durchgeführt wurden und ob hierfür gesonderte Modelle gefertigt wurden, lässt sich anhand der Archivbestände nicht rekonstruieren. Sichtbar werden dadurch dennoch die besonderen Potentiale des Prüfmodells für den Planungsprozess:
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Abb. 42: Vergleichende Gegenüberstellung von Architekturzeichung und Modell zur Wabenfassade der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.
Während etwa in der Zeichnung die Durchlichtung der Betonwaben nur erdacht und in diesem Sinne hätte dargestellt werden können, wurde sie in der kleinmaßstäblichen Wirklichkeit des Modells als physischem Artefakt tatsächlich überprüf bar. Damit wird bereits an diesem Beispiel ein wesentlicher Mehrwert des Prüfmodells für den Entwurfsprozess deutlich: Zahlreiche Testverfahren sind nur am dreidimensionalen Artefakt des Modells möglich, weil dieses im Unterschied zu anderen Entwurfsmedien künftige Architekturen nicht darstellend vorwegnimmt, sondern selbst Artefakt ist. Hierauf hat auch der Architekt Rolf Janke in seiner Publikation zu Architekturmodellen im Jahr 1962 angespielt. Speziell am Beispiel der Eiermann’schen Wabenfassaden hat er durch die Gegenüberstellung mit der Planzeichnung die Vorteile des Modells beschrieben. Er zeigt auf einer Seite seines Buchs die Fotografie eines Wabenmodells und darunter die entsprechende Werkzeichnung (Abb. 42). Hierzu schreibt er: „Das Modell gewinnt seine besondere Bedeutung dort, wo gestalterische Details in drei Dimensionen geformt werden müssen. Wie der Vergleich zeigt, sind die Zusammenhänge am Modell spontan zu erfassen, während die Zeichnung ein kompliziertes Umdenken ins Räumliche erfordert.“11 Die besonderen Eigenschaften des Modells liegen etwa im Fall der Gedächtniskirchen-Waben 11 | Janke 1962, S. 13.
Das Prüfmodell
elemente also darin, dass das entsprechende Modell ein dreidimensionales Artefakt ist, das analog zum projektierten Baukörper aus unterschiedlichen Blickwinkeln und – mindestens – drei Dimensionen wahrgenommen werden, also ‚erfasst‘ werden kann. Dieser Mehrwert des Modells gegenüber der Zeichnung scheint für Janke selbst dann noch gegeben, wenn das Modell – wie im Falle seiner Publikation – nur fotografisch wiedergegeben ist. Er selbst geht darauf nicht explizit ein, hätte richtigerweise aber schreiben müssen, dass sein Vergleich die spontane Erfassbarkeit der Modellfotografie gegenüber der Zeichnung darstellt. Damit wird auch an dieser Stelle wieder die konstitutive Rolle der Fotografie im Umgang mit Architekturmodellen sichtbar. Sie zeigt sich auch an dieser Stelle nur implizit und wurde vom Architekten beziehungsweise Verfasser nicht explizit verhandelt. Der Charakter des Modells als Objekt ‚in der Welt‘ ist in der Folge für die Fassadengestaltung der Gedächtniskirche auch nach den beschriebenen kleinformatigen Modellen noch weiter genutzt worden. Prüfverfahren zur Durchleuchtung der Fassadenelemente wurden in der Folge weiter ausgebaut und in aufwändige Modellkonstruktionen im Maßstab 1:1 überführt. Bei diesen Tests war bereits der französische Glaskünstler Gabriel Loire beteiligt, mit dem Eiermann die Verglasung der Kirche gemeinsam konzipiert hat.12 Als absolut einzigartiges Zeugnis der Planungsphase hat sich bis heute im Garten der Glaswerkstatt bei Chartres ein Probebau aus Holz erhalten, dessen Wände für die Überprüfung der Lichtwirkung der Gläser dienten (Abb. 43, 44).13 Die 1960 gefertigten Probefelder14 konnten hier variabel eingesetzt, herausgenommen und neu geordnet werden. Vor allem aber war ihr Zusammenspiel mit wirklichem Tageslicht im richtigen Maßstab hier nachvollziehbar gemacht. Das Prüfmodell ist in diesem Beispiel also in die maximale Nähe zum dann auszuführenden Bau gerückt, um dessen (Licht-)Wirkung so genau wie nur möglich vorhersagen zu können. Anders als bei den zuerst vorgestellten Fassadenmodellen stand hier allerdings nicht die Formfrage der Betonwaben im Vordergrund, sondern die Wirkung der einzusetzenden Glasbausteine. Deshalb wurde beim Probebau ganz offensichtlich kein gesonderter Wert gelegt auf eine formale Entsprechung zwischen der 1:1-Modellanordnung und dem 12 | Zur Zusammenarbeit von Egon Eiermann und Gabriel Loire: Martin Germer: Grandioses Wagnis. Die blauen Glaswände der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin – ein Gemeinschaftswerk von Egon Eiermann und Gabriel Loire. In: Ralf Liptau, Thomas Erne (Hg.): Licht. Material und Idee im Kirchenbau der Moderne, Weimar 2017 (in Er s cheinung). 13 | Herzlichen Dank für den freundlichen Hinweis an Pfarrer Martin Germer, Berlin. 14 | Heidede Becker: Stadtbaukultur. Modelle, Workshops, Wettbewerbe. Verfahren über die Verständigung über die Gestaltung der Stadt. Bd. 1. Stuttgart/Berlin/Köln 2002, S. 127.
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Abb. 43-44 (von links): Probebau für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche bei Chartres, Gabriel Loire mit Egon Eiermann, 1960, Aufnahmen 2014.
zu planenden Gebäude. Es handelt sich damit weniger um ein Modell, bei dem Form und Gestalt nach- beziehungsweise vorgebildet wurden, sondern eher um eines, mit dem funktionelle Analogien erschlossen werden. Damit wird bereits hier ein Charakteristikum des Prüfmodells deutlich, das an späterer Stelle in Vergleich mit dem 1:1-Probebau zur Berliner ‚Rostlaube‘ vom Architektenteam Candilis/Josic/Woods/Schiedhelm gesetzt und im direkten Vergleich weiter analysiert wird.
Innenraummodelle Neben den Modellen zur Gestaltung der Außenwände sind im etwa gleichen Zeitabschnitt ab Anfang 1958 auch Modelle zur inneren Ausgestaltung des Oktogons gebaut und fotografiert worden. Für diesen Zusammenhang lassen sich mindestens drei Gruppen zusammengehöriger Modelle rekonstruieren. Die erste der drei Gruppen stammt vermutlich aus dem Jahr 1958. In einem Brief an Günter Pohl, dem damaligen Pfarrer der Gedächtniskirche, schrieb Eiermann am 27. Februar 1958: „Ich möchte Ihnen nur zwischendurch mit teilen, dass wir sehr schöne Lösungen für den Innenraum haben. […] Wir machen zunächst provisorische Modelle, weil auf andere Weise ein räumlicher Eindruck nicht zustandekommt.“15 Von welchen Modellen, beziehungsweise von welcher Modellgruppe Eiermann in seinem Brief an Pohl genau berichtet, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Zu einer Gruppierung zusammenfassen lassen sich in jedem Fall drei Modelle, die so von Eiermann gemeint sein könnten (Abb. 45-47). Präziser formuliert scheint es sich dabei um ein Modell des leeren Gebäudekörpers zu handeln, in das drei unterschiedliche Einsatzmo15 | Brief Eiermann an Pohl vom 27.02.1958, Briefnachlass Eiermann, saai Karlsr uhe.
Das Prüfmodell
delle gefügt werden konnten. Das Oktogon als umschließende Raumhülle war hier bereits entwickelt und somit nicht mehr im Interessensbereich dessen, was mit den Variationsmodellen erarbeitet – oder eben: überprüft – werden sollte. Im Oktogon-Modell wurden vielmehr unterschiedliche Möglichkeiten der Sitzanordnung getestet sowie unterschiedlich geformte Emporen. Warum Eiermann bei der Entscheidung darüber, wie der Innenraum zu gestalten sei, auf das Medium des Modells zurückgriff, beschrieb er im oben aufgeführten Briefzitat selbst: „Weil auf andere Weise ein räumlicher Eindruck nicht zustandekommt.“16 Offenbar traute Eiermann weder sich selbst noch dem Pfarrer als Vertreter der Bauherrenschaft zu, die dreidimensional-räumliche Wirkung des Kircheninneren anhand zweidimensionaler Zeichnungen imaginieren zu können. Interessanterweise waren es in der Regel dennoch nur fotografische Aufnahmen der Modelle, die Eiermann dem Pfarrer zukommen ließ. Nur in Ausnahmefällen wurden physische Modelle von Eiermanns Stuttgarter Büro nach Berlin geschickt. Genau wie schon von Rolf Janke formuliert, hielt auch Eiermann die zweidimensionale fotografische Wiedergabe eines dreidimensionalen Objekts also offenbar immer noch geeigneter für das Zustandekommen eines „räumlichen Eindrucks“17 als etwa eine perspektivische Zeichnung oder Skizze. Bei den beschriebenen Innenraummodellen ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Sitzreihen für die Gemeindemitglieder in drei rechteckigen Blöcken oder halbkreisförmig vor dem Altar anzuordnen seien. Entsprechend dieser Überlegungen variierte auch das Emporengeschoss, das einmal die Form des Oktogons aufnahm und weiterführte (Abb. 45) und einmal in Rundform angelegt war (Abb. 46). Im dritten Einsatzmodell wurde beinahe vollständig auf eine Empore verzichtet (Abb. 47). Aus dieser dritten Variante hätte die Möglichkeit resultiert, einen abstrahierten Baldachin über dem Altar anzuordnen, ohne dabei Blickachsen zu unterbrechen.18 Zudem wurde hier die Orgel – im Unterschied zu den beiden anderen Modellen – an einer der Seitenwände untergebracht und nicht gegenüber dem Altar. Im Wesentlichen ging es bei dieser Modellgruppe also weniger um die eigentlich gebaute Architektur der Kirche als vielmehr um die Möblierung, die Anordnung der – zumindest weitgehend – mobilen Objekte und die daraus entstehende Wirkung auf den Gesamtraum. Im Juni des gleichen Jahres 1958 erwähnte Eiermann in einem weiteren Brief an Pfarrer Pohl erneut die Arbeit an Modellen: „Die Modelle für den Innenraum sind in Arbeit […]. Sie sind erheblich größer als die letzten und zwar 16 | Ebd. 17 | Ebd. 18 | Auch dies erscheint als Reminiszenz der Pforzheimer Kirche, bei der der Altar von einer rechteckigen Dachplatte mit ausgelassenem Rund überdacht wird.
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Abb. 45-48 (von links): Innenraummodelle für die Kaiser-Wilhelm-GedächtnisKirche Berlin, Büro Egon Eiermann, Aufnahmen um 1958.
i. M. 1:50.“19 Auch hier lassen sich die Modellfotografien nicht eindeutig zuordnen. Es ist allerdings ein Innenraummodell nachweisbar, das deutlich detaillierter als die vorangegangenen Modelle ausgeführt ist und deshalb entsprechend größer gewesen sein könnte (Abb. 48). Zudem haben sich hier bereits die Anordnung der Stühle in der Form eines Kreissegments, die Anordnung der Orgel gegenüber des Altars und der Verzicht auf umlaufende Emporen durchgesetzt. Diese zunehmende Nähe zum dann ausgeführten Entwurf legt nahe, dass dieses Modell nicht nur größer war als die oben vorgestellten, sondern vor allem auch zu einem späteren Zeitpunkt im Entwurfsprozess entstanden ist und damit wahrscheinlich dasjenige, von dem im hier zitierten Brief Eiermanns die Rede ist. Für dieses Modell sind zwei unterschiedliche Emporen- beziehungsweise Orgellösungen dokumentiert. Sollte es sich also um das Modell vom Juni 1958 handeln, hätte die grobe Raumaufteilung und Möblierung zu diesem Zeitpunkt bereits festgestanden und das Modell hätte vornehmlich dazu gedient, die Wirkung unterschiedlicher Emporenlösungen auf den Raumeindruck zu überprüfen. War es bei den vorherigen Modellen also eher auf die Gestaltung des Gesamtraums gegangen, verschob sich der Fokus hier zunehmend auf Detailfragen. 19 | Brief Eiermann an Pohl vom 10.06.1958, Briefnachlass Eiermann, saai Karls ruh e.
Das Prüfmodell
Zu Beginn des Jahres 1959 setzten die Planer ihre Modellversuche vor allem in Hinblick auf die passende Platzierung der Orgelempore anhand der dritten Gruppe von Modellen weiter fort. Im März schrieb Eiermann an Pohl: „Beiliegend erhalten Sie 18 Fotos der beiden Modelle des Kirchenraumes.“20 Tatsächlich sind zwei – nun noch detailliertere – Modelle anhand der Fotografien nachweisbar (Abb. 49, 50). Zum ersten Mal sind die Außenwände des Kirchenschiffs nun in der für die Gedächtniskirche so charakteristischen Wabendurchbrechung dargestellt. In einem der beiden Modelle reichen die lichtdurchlässigen Waben beinahe bis an den Fußboden (Abb. 49), im anderen ist der dann auch realisierte, nicht durchlichtete Sockelbereich bereits zu erkennen. Die fotografischen Aufnahmen zeigen allerdings im Wesentlichen die unterschiedlichen Varianten der Orgelpositionierung und -gestaltung und sprechen daher für eine Zuordnung zu Eiermanns Brief vom März 1959. Die eigentliche Architektur, die Raumhülle, wird auch hier als gegeben vorausgesetzt und nicht thematisiert. Nur ein weiteres Innenraummodell ist für die Folge noch fotografisch dokumentiert. Es zeigt ebenfalls die Waben der Raumbegrenzung und die Orgel empore. Nun allerdings in einer solchen Detaillierung und damit so nah an 20 | Brief Eiermann an Pohl vom 24.03.1959, Briefnachlass Eiermann, saai Karls ruhe.
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Abb. 49-50 (von links): Innenraummodelle für die Kaiser-Wilhelm-GedächtnisKirche Berlin, Orgel, Büro Egon Eiermann, Aufnahmen um 1959.
der später tatsächlich realisierten Version, dass dies Modell ganz offensichtlich nicht mehr Teil des Planungsprozesses war, sondern dessen Ergebnisse als Präsentationsmodell nur mehr wiedergab. Eine Datierung dieser Aufnahme ist nicht möglich. Ausgehend von der hohen Perfektion könnte es allerdings etwa zeitgleich mit dem – ebenfalls weitgehend ‚perfekten‘ – Modell vom Außenbau entstanden sein, das ab Frühjahr 1959 in der Tagespresse veröffentlicht und später sogar auf Postkarten gedruckt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten die Prüfmodelle ihre Funktion erfüllt und die Planungen für den Innenraum wurden beendet.
4.1.2 Rolf Gutbrod: Uniforum Köln Für seine Planungen zum Universitätsforum Köln ließ auch der Architekt Rolf Gutbrod ab 1960 eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle anfertigen. Mit dem Aulagebäude für die Stuttgarter Waldorfschule Am Kräherwald ist anhand der Architektur Gutbrods schon im Kapitel zum Entwurfsmodell ein Projekt beschrieben worden. Seine expressive, streckenweise anthroposophisch geprägte Architektursprache steht formal in sehr deutlichem Gegensatz zu derjenigen Egon Eiermanns. Auch Gutbrod hat Verwaltungsbauten errichtet – etwa das ehemalige IBM-Gebäude am Berliner Ernst-Reuter-Platz (1960-1962) oder die Württembergische Bank in Stuttgart (1963-1968). Anders als Eiermann setzte
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er allerdings nicht auf einen montagehaften Technizismus, sondern auf plas tische, skulpturale und vergleichsweise wuchtige Bauelemente. Dass sich auch Projekte aus seinem Büro als Fallbeispiel für das Prüfmodell eignen und in Vergleich mit dem Eiermann’schen Kirchenprojekt setzen lassen, zeigt, dass die hier ausgeführte Kategorie des Prüfmodells nicht an eine bestimmte Architektursprache einzelner Architekturschaffender gebunden ist. Anhand des Planungsprozesses für die Kölner Universitätsbauten lassen sich die Beobachtungen zum Prüfmodell besonders dicht am Archivmaterial anstellen. Zum einen deshalb, weil die Modelle zu diesem Projekt in einer außergewöhnlichen Vielzahl fotografisch dokumentiert sind. Zum anderen – und das ist in dieser Ausführlichkeit wirklich ein Sonderfall – sind die einzelnen Modellfotografien auf den Monat genau schriftlich datiert. Damit lässt sich nicht nur die beeindruckende Menge an gefertigten Modellen quantitativ überschauen. Die Bilder lassen auch Rückschlüsse darüber zu, in welcher Reihenfolge sich der Architekt und sein Team innerhalb des Planungsprozesses welchen Entwurfsproblemen zuwandten. In der chronologischen Abfolge der Modellproduktionen lässt sich in erstaunlicher Klarheit ablesen, wie sich der Interessenfokus veränderte und wie die jeweils entwickelten Teillösungen dann Eingang in den weiter fortschreitenden Planungsprozess fanden. Rolf Gutbrods Kölner Universitätsforum besteht in seinem realisierten Zustand aus einem Hörsaalgebäude und der Universitätsbibliothek und wurde in den Jahren 1964 bis 1968 gegenüber dem Hauptgebäude von Adolf Abel aus den frühen 1930er Jahren errichtet.21 Zur Planung gehörte als dritter Bau ursprünglich auch ein Institutsgebäude (‚Philosophicum‘), das in den frühen 1970er Jahren allerdings vom Staatshochbauamt Nordrhein-Westfalen nach eigenen Plänen errichtet wurde.22 Die folgenden Ausführungen zum Uniforum beziehen sich deshalb ausschließlich auf das Hörsaal- und das Bibliotheks gebäude. Zur besseren Übersichtlichkeit wird die Darstellung der Planungsphase, die anhand des Archivnachlasses schwerpunktmäßig von 1960 bis 1962 nachvollziehbar ist 23, entsprechend der jeweiligen Planungsfokussierung rekapituliert. 21 | Krings, Ulrich: Rolf Gutbrods Bauten für die Universität zu Köln. Geschichte und aktuelle Denkmalschutz-Strategien. In: Klaus Jan Philipp (Hg.): Rolf Gutbrod: Bauen in den Boomjahren der 1960er. Salzburg/Wien 2011. (=Philipp 2011a), S. 100-111, hier S. 101. 22 | Ebd., S. 105. 23 | Nur eine Planzeichnung im Fotobestand ist auf das Jahr 1964 datiert (Mappe: Gutbrod 1961/62. Universitätsforum Köln, Vorentwurf Bibliothek, Kopien, Lichtpausen: 37), ansonsten endet die Dokumentation zumindest der modellbasierten Planungsphase mit einem letzten städtebaulichen Modell im September 1962 (Mappe: Gutbrod 1961/62. Universitätsforum Köln, Hörsaalgebäude und Bibliothek. Fotos 54).
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Decken, Böden, Wände Nach dem Zuschlag an das Büro Gutbrod machten sich die Entwerfenden im Sommer 1960 an die ersten Detailplanungen. So ist – gemäß der Fotobeschriftungen – aus dem Juli 1960 neben Schnitten und Grundrissen zum Hörsaalgebäude auch ein erstes, detaillierteres Modell zur Bibliothek über den Fotobestand des Archivs nachweisbar (Abb. 51). Es zeigt die grobe Kubatur des Baus, allerdings nicht als Massenmodell, sondern aufgelöst in Stützenstel lungen und mit den ersten Versuchen für ein stellenweise ‚aufgeklapptes‘ und damit lichtdurchlässiges Lesesaal-Dach. Auch in Hinblick auf das Erdgeschoss des gleichen Bauteils steht das Thema Dach, beziehungsweise Decke im Fokus: Ein weiteres Foto zeigt das entsprechende Teilmodell umgedreht auf dem Dach liegend mit der Betitelung „Untersicht der Pilzdecke“ (Abb. 52). An diesem Punkt der Planung gingen die Entwerfenden also das erste Mal ‚in‘ eines der geplanten Gebäude: Sie führten (sich) vor Augen, wie die Gebäudeteile einander zugeordnet und wie Geschossebenen und Stützen anzuordnen sein würden. Im umgedrehten Zustand wurde diese kleinmaßstäbliche Ausführung zu einem ersten veritablen Innenraummodell. Es zeigte, wie die neuartige plast ische Dachlösung dreidimensional – etwa bei Lichteinfall – wirksam sein könnte. Ein Effekt freilich, der das reale Objekt des Modells voraussetzte: solcherlei Überprüfung etwa im Medium der Zeichnung und deren eigener nur mehr dargestellten und somit bildgebundenen Wirklichkeit ist nicht möglich. In der Zeichnung können Effekte wie etwa der Schattenwurf von Zeichner_innen lediglich selbst imaginiert werden, indem sie den Lichteinfall aus einer Richtung festlegen und dann gemäß der bildimmanenten Logik selbst konstruieren. Das dreidimensionale Modell als Artefakt hingegen kann echten Lichtbedingungen ausgesetzt, sowie innerhalb dieser Prüfsituation bewegt und so in wechselnden Lichtverhältnissen beobachtet werden. Dieses Charakteristikum des Modells ist bereits in Hinsicht auf die Modelle zur Wabenfassade der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Egon Eiermanns ausgeführt worden. Die Reihe an Detailmodellen für das Kölner Uniforum, die sich einzelnen Gebäudeteilen oder Einzelaspekten dieser Teile widmen, um dreidimensionale Tiefenwirkungen, Schattenwurf und ähnliches zu testen, setzte sich in den darauffolgenden Wochen extensiv fort. Im August und September 1960 entstanden für das Bibliotheksgebäude mindestens fünf unterschiedliche Fassadenmodelle, für das Hörsaalgebäude mindestens drei.24 Im Folgenden kann nur eine Auswahl unter ihnen näher beschrieben werden. 24 | Eines der Modelle zur Fassade der Bibliothek wurde bereits in Kapitel 3 zu den Entwurfsmodellen diskutiert. Gemeint ist jenes Modell, bei der anhand der variierten Zueinandersetzung von kleinen Hölzchen die passende Rahmenanordnung der Fensterwand ermittelt wurde. Es entstand zeitgleich mit den Modellen, die hier als Prüfmodelle
Das Prüfmodell
Abb. 51: Modell für die Bibliothek des Universitätsforums in Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960.
Abb. 52: Modell für die Bibliothek des Universitätsforums in Köln, Büro Rolf Gutbrod, Detailaufnahme 1960.
Die Gestaltung der Magazinfassade innerhalb des Bibliothekskomplexes regte die Planenden offenbar ganz besonders dazu an, nach neuartigen Entwurfslösungen zu suchen. Ähnlich wie bei den plastisch gestalteten Kaufhausfassaden der Zeit (also vor allem der stilprägenden ‚Eiermann-Fassade‘) lag auch hier die Herausforderung darin, einen großen Baukörper ohne zu viel natürlichen Lichteinfall zu entwerfen und ihn dabei trotzdem so zu gestalten, dass er nach außen hin nicht zu unwirtlich und monoton wirken würde. Gutbrod griff hier auf eine Fassadenlösung zurück, die sich aus vorgefertigten, schießverhandelt werden, dennoch ging es in diesem Fall primär darum, eine Entwurfslösung zu finden, wobei die Modellanordnung weitgehend variabel gehalten wurde.
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Abb. 53: Fassadenmodell für die Bibliothek des Univer sitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960.
Abb. 54: Fassadenmodell für die Bibliothek des Univer sitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960.
schartenartigen Modulen ergab, durch die dann nur wenig, vor allem aber kein direktes Sonnenlicht einfallen würde. Um genau diesen Aspekt zu prüfen, wurde im September 1960 ein Fassadenmodell aus Leichtholz gebaut (Abb. 53, 54). Sein Zweck wird auch durch die Art der fotografischen Dokumentation bestätigt: Die Bilder zeigen das Modell, während es im einen Fall be-, im anderen Fall hinterleuchtet wurde. So wurde sowohl nachvollziehbar, wie das natürliche Licht bei Tag in das Gebäude fallen würde, als auch die Außenwirkung der Fassade bei Dunkelheit und bei künstlicher Beleuchtung im Innenraum. Zur Frage nach der Lichtdurchlässigkeit der Magazinfassade gehört noch ein weiteres Modell, nun im Maßstab 1:1. Ein Foto aus dem Nachlass zeigt, wie zwei Elemente der Fassade – als Prototyp oder Muster – im Freien platziert wur-
Das Prüfmodell
Abb. 55: Prototyp der Fassadenelemente für die Bibliothek des Universitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Auf nahme nach 1960.
den (Abb. 55). Offenbar wurde die Lichtwirkung hier bei realen Bedingungen und damit in größtmöglicher Nähe zur künftigen, gebauten Wirklichkeit nochmals getestet. Diese Aufnahme ist nicht datiert. Es ist davon auszugehen, dass die Probebauteile nicht im direkten zeitlichen Umfeld der entsprechenden kleinmaßstäblichen Modelle gefertigt wurden, sondern erst einige Zeit später. Neben der Durchleuchtung der 1:1-Elemente unter freiem Himmel mögen freilich auch andere Fragen, etwa nach der Farbwirkung, Materialität oder Ausführungsqualität das Anfertigen dieser Prototypen bedingt haben. Damit werden hier bereits Fragen nach dem Materialverhalten mit aufgerufen, die an späterer Stelle dieser Arbeit vor allem anhand der Modellversuche zur Berliner ‚Rostlaube‘ verhandelt werden.
Gebäudeanatomien und Überblicke Im November 1960 waren die Entscheidungen zur Fassadengestaltung der Bibliothek offensichtlich im Wesentlichen getroffen oder standen zumindest zeitweise nicht mehr im Fokus.25 Denn für diesen Monat sind Modelle doku mentiert, die ganz andere Aspekte des Baus vor Augen führen: die innere Erschließung und die Verteilung der Geschossebenen des Hörsaalgebäudes, gleichsam seine ‚Anatomie‘.
25 | Im „Bericht über die Tätigkeit des Ingenieurbüros Dr.-Ing. Walter für das Projekt Hörsaalgebäude“ vom 30.11.1961 ist für Juni 1961 vermerkt: „Büro Gutbrod untersucht die Fassadengestaltung (Mod elle usw.).“ Von diesen angeblich gefertigten Modellen sind allerdings keine Fotografien oder andere Spuren erhalten.
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Abb. 56: Modell zur Ermittlung der Stützenstellung im Hörsaalgebäude, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gut brod, Aufnahmen 1960.
Fotografisch dokumentiert sind zunächst zwei Variationsmodelle, die je mit der Unterschrift „Stützenstellung der Eingangshalle“ versehen sind (Abb. 56, 57). Sie zeigen, wie das Erdgeschoss mit dem ersten Obergeschoss verschaltet sein könnte, wie das Verhältnis von außenliegenden Bereichen und Innenräumen zueinander möglich ist und wie die vertikalen Stützen sowohl den Baukörper durchstoßen als auch untereinander verbunden sein könnten. Dabei ergeben sich zwischen den beiden Modellen nicht nur Variationen in der Stützenanzahl und -stellung, sondern auch wesentliche Unterschiede im Zuschnitt beziehungsweise Grundriss des ersten Obergeschosses. Für die Konstruktion der Treppenhalle hat das Büro Gutbrod gemäß einer erhaltenen, schriftlichen Dokumentation des zuarbeitenden Ingenieurbüros Dr.-Ing. Walter eine Ver-
Das Prüfmodell
Abb. 57: Modell zur Ermittlung der Stützenstellung im Hörsaalgebäude, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gut brod, Aufnahme 1960.
suchsreihe mit sieben Varianten in Modellform erstellt. Es ist anzunehmen, dass die beiden fotografierten Modelle zu eben dieser Reihe gehören.26 Diese Unsicherheit beziehungsweise Offenheit in Hinblick auf die innere Erschließung des Hörsaalzentrums erstaunt. Die Korrektheit der Bildunterschriften vorausgesetzt, entstand im gleichen Monat schließlich auch ein kompliziertes Gesamtmodell des Gebäudes, für das die grundlegende Planung der Eingangshalle hat abgeschlossen sein müssen (Abb. 58). Ob die beiden (beziehungsweise laut Ingenieurbüro: sieben) Variationsmodelle völlig unabhängig vom Gesamtmodell entstanden oder letztlich sogar in ihm verbaut wurden, lässt sich anhand der Fotografien im Nachlass nicht bestimmen. Das liegt nicht zuletzt an der erstaunlichen Komplexität des Gesamtmodells, das sich in mehrere Schichten und Teilmodelle zerlegen ließ und damit sowohl einen summarischen Überblick über den Baukomplex als auch kleinmaßstäbliche Ausführungen von Teilaspekten zu liefern imstande war. Anhand der Archiv-Fotografien ist nachvollziehbar, dass sich etwa der Bereich der Eingangshalle aus dem Gesamtmodell herauslösen und somit als in sich vollständiges Einzelmodell betrachten ließ (Abb. 59). Zudem war es möglich, ganze Geschossebenen vom Modell abzuheben. Deutlich wird dies beispielsweise im Bereich der beiden kleinen Hörsäle: Eine Fotografie zeigt den Einblick in die beiden Räume (Abb. 60), wohingegen diese bei der bereits angeführten Aufnahme (Abb. 58) abgenommen sind und so den Blick in die beiden darunter liegenden Seminarräume respektive eine offene Stützenstellung freigeben. 26 | Büro Gutbrod: Bericht über die Tätigkeit des Ingenieurbüros Dr.-Ing. Walter für das Projekt Hörsaalgebäude vom 30.11.1961, Briefnachlass Gutbrod, saai Karlsruhe.
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Abb. 58: Arbeitsmodell, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960.
Abb. 59: Teil des Arbeitsmodells, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960.
Eine weitere Fotografie – von der Seite aufgenommen – zeigt, dass auch Hörsaalüberdachungen für das Modell gefertigt wurden, so dass sich nach dem Zusammenfügen aller Teile ein beinahe ‚komplettes‘ Modell des Hörsaal gebäudes ergab. Die Vielschichtigkeit dieses Modells zeigt nicht zuletzt, wie komplex der eigentliche Bau des Kölner Hörsaalgebäudes in seiner inneren Raumaufteilung ist. Demgemäß ist leicht vorstellbar, dass auch die Planenden selbst auf das Modell angewiesen waren, um sich den Stand ihres Entwurfs in der kleinmaßstäblichen Realisierung vor Augen zu führen und nachvollziehbar zu machen. Wohl mit Blick auf solcherlei Baukomplexe schrieb der bereits zitierte Rolf Janke nur zwei Jahre nach der Gutbrod’schen Planung für Köln: „Modelle
Das Prüfmodell
Abb. 60: Teil des Arbeitsmodells, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960.
von Innenräumen sich vor allem dann nützlich, wenn man bei Großbauten das Ineinandergreifen von Funktionen analysieren will. […] Je größer ein Bauprojekt, je vielfältiger ein Raumprogramm ist, desto schwieriger wird es für den Bauherrn, einen Entwurf ins Dreidimensionale umzudenken.“27 Der von Janke beschriebene Vorteil des Modells gilt sicherlich nicht nur für Bauherr_ innen, sondern, wie auch an weiteren Beispielen noch deutlich werden wird, auch für die Planer_innen und Architekt_innen selbst.
Das Modell als Zusammenfassung Das oben beschriebene Gesamtmodell des Hörsaalgebäudes markierte innerhalb des Planungsprozesses für die Universitätsbauten ein erstes Abwenden von Detailfragen hin zur Gesamtschau. Es war schon hier nicht mehr um Detailfragen wie die Gestaltung einzelner Fassaden oder Decken gegangen, sondern um die Anatomie des gesamten Gebäudes. In einem weiteren, nun nicht mehr in Einzelbereiche zerlegbaren Modell, das auf Juli 1961 datiert ist, wurden nun die Ergebnisse der vorangegangenen Modellierungen zusammengetragen. Hiermit ist zum ersten Mal ein Präsentationsmodell entstanden, mit dem im Wesentlichen alle Aspekte der Planung vor Augen geführt wurden. Dass es sich hier nicht mehr um ein weiter veränderliches Arbeits- oder Entwurfsmodell handelte, zeigt auch die Tatsache, dass die Geländetopografie um das Modellgebäude herum ausformuliert war und sogar kleine Bäumchen aufgestellt wurden. Der Entwurfsprozess am Modell endete hier also mit der Fertigung des Präsentationsmodells. Es erfüllt damit diejenigen Aufgaben, die Rolf Janke mit dem Begriff des Ausführungsmodells beschrieben hat: „Im Ausführungs27 | Janke 1962, S. 70.
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modell schließlich fließen die Resultate aller Voruntersuchungen zusammen. Es ist im Idealfall das abstrahierte, kleinmaßstäbliche Abbild des später Gebauten.“28 Das gezeigte Modell der Universitätsbauten ist entsprechend auch das erste, das nachweislich durch Fotografien in der Tagespresse veröffentlicht wurde. Eben als fertiges Konzept, das in diesem Sinne den Entwurfsprozess abschloss.29 Der Blick auf die Chronologie der Modelle zeigt, wie Gutbrod und seine Mitarbeiter_innen bei der Planung des Uniforums vorgegangen sind: Vom Massenmodell für den Wettbewerb ausgehend wandten sie sich nach dem für sie positiven Wettbewerbsentscheid und zu Beginn der eigentlichen Entwurfs phase direkt Detailfragen wie etwa der nach der Fassadengestaltung zu. Sie planten also, wie die Außengrenzen der zu diesem Zeitpunkt bereits feststehenden Gebäudekubaturen zu gestalten sein würden. Diese Kuben wurden dann – nachdem ihre Außenansichten gewisserweise gesichert schienen – ausgehöhlt, in dem Sinne, dass nun die Konstruktion sowie die Verteilung und Zueinanderordnung der inneren Räumlichkeiten im Fokus der Planung standen. Auf einer sehr abstrakten Ebene lässt sich die Veränderung des jeweiligen Planungsinteresses also folgendermaßen beschreiben: Gutbrod und sein Team setzten die groben räumlichen Zusammenhänge für den Wettbewerb fest, bevor sie nach dem Wettbewerbsentscheid direkt auf der Ebene des Details neu einstiegen, um sich nach und nach wieder zum größeren Zusammenhang vorzuarbeiten. Interessant ist diese Beobachtung insbesondere deshalb, weil die Rekonstruktion der Planungen für die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gezeigt hat, dass Egon Eiermann sich in entgegengesetzter Richtung, vom Großen zum Kleinen vorgearbeitet hat. Deutlich wird daran abermals, dass Planungsprozesse unterschiedlich verlaufen, dass sie unter Umständen Rekursivitäten unterliegen und dass sie trotz der Verwendung des gleichen Entwurfsmediums weiterhin auch von persönlichen Vorlieben geprägt sind. Dass auch bei Rolf Gutbrod die Planungen parallel von Planzeichnungen, Grundrissen, Berechnungen und ähnlichem begleitet wurden, liegt auf der Hand und lässt sich anhand des Nachlasses auch stellenweise nachvollziehen. Dennoch, so sollte gezeigt werden, bestimmten die jeweiligen Modelle den Planungsverlauf an entscheidenden Stellen mit ihren eigenen Potentialen wesentlich mit und nahmen so entscheidenden Einfluss auch auf die eigentliche Gestalt des dann ausgeführten Baus.
28 | Ebd., S. 18. 29 | Kölnische Rundschau vom 04.02.1963, S. 3 und vom 05.02.1963.
Das Prüfmodell
4.1.3 Candilis/Josic/Woods/Schiedhelm: Rostlaube Berlin Der hier vorgeschlagenen Unterkategorisierung von Modellen, die zur Überprüfung von Entwurfsideen dienen, lassen sich auch diejenigen zufügen, die im Maßstab 1:1 gefertigt werden. Im Regelfall dienen sie der frühzeitigen Kontrolle von Funktionsweisen oder von Materialverhalten. Erste Beispiele für den Einsatz von 1:1-Modellen sind im vorangegangenen Kapitel bereits angeführt worden, so etwa der Versuchsbau zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche bei Chartres (Abb. 43, 44). In die gleiche Unterkategorie gehören auch die probeweisen Anfertigungen von Fassadenelementen im Sinne eines Prototyps, wie sie etwa für die Magazinfassade der Gutbrod’schen Universitätsbibliothek in Köln gefertigt wurden (Abb. 55). Sie standen am Ende einer Kette von Modellen zur Überprüfung von Entwurfsideen. In den vorangegangenen Analysen wurden sie entsprechend als Abschluss eben dieser Ketten gedeutet, dem kaum eigener epistemischer Gehalt zukam. 1:1-Modelle werden aus diesem Grund im Rahmen der vorliegenden Arbeit vergleichsweise knapp angeführt. Im Regelfall ist ihre Funktion tatsächlich ganz am Ende des Entwurfsprozesses angesiedelt. Ihre Aufgabe besteht demnach weniger darin, tatsächlich noch Einfluss auf den Entwurf zu nehmen als vielmehr darin, die bereits abgeschlossen entwickelte Entwurfsidee ein letztes Mal zu überprüfen und gegenüber Dritten als realisierbar zu kommunizieren. Ein weiteres Beispiel ist das 1:1-Modell eines Rasterelements für die Institutsbauten der Ruhr-Universität Bochum (Abb. 3). Auch dessen Zweck mag im Wesentlichen darin gelegen haben, das Konstruktionsprinzip Dritten gegenüber zu veranschaulichen. 1:1-Modelle grenzen damit nicht nur an die Kategorie des Prototyps, sondern ebenso an diejenige des Präsentationsmodells. Im Folgenden soll dennoch ein 1:1-Prüfmodell ausführlicher beschrieben werden, weil sich an ihm mehrere Aspekte aufzeigen lassen, die mit der Ausführung eines Modells im Maßstab der Bauausführung ermöglicht werden. Mit dem Versuchsbau zur so genannten Rostlaube der Freien Universität Berlin werden Aspekte der Überprüfung fassbar, die am Rande dessen liegen, was der in der vorliegenden Arbeit als Prüfmodell beschrieben wird. Der Neubau zur Unterbringung der geisteswissenschaftlichen Institute auf dem damaligen ‚Obstbaugelände‘ in Berlin-Dahlem ist von 1967-1973 nach Plänen der Architekten Georges Candilis (1913-1995), Alexis Josic (1921-2011) und Shadrach Woods (1923-1973) mit dem deutschen Kontaktarchitekten Manfred Schiedhelm (1934-2011) errichtet worden. Candilis, Josic und Woods führten seit 1955 und bis Ende der 1960er Jahre gemeinsam ein Architekturbüro in Paris. Als prominente Mitglieder des Team X, das aus den CIAM-Kongressen der frühen Nachkriegsjahre hervorgegangen war, waren die drei Architekten vor allem auch theoretische Wortführer in Sachen Urbanismus, Massenwohnungsbau und vorstädtischem Siedlungsbau. Bereits in den 1950er Jahren hatten Shad-
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rach Woods und Georges Candilis in Nordafrika gemeinsam Wohnbauten errichtet. Als Trio planten und realisierten sie dann in den frühen 1960er Jahren das vorstädtische Wohnquartier Le Mirail am Rande von Toulouse. Im Jahr 1963 nahmen sie außerdem am Wettbewerb für die Neubebauung des Frank furter Römerbergs teil, für den sie eine Teppichbebauung vorschlugen, also eine flächengreifende Gruppierung niedriger Wohnbauten, die sich zwischen der Bestandsbebauung scheinbar endlos hätte ausbreiten können. Diese Idee lag auch dem Konzept zugrunde, das die drei Architekten gemeinsam mit dem deutschen Kontaktkollegen Manfred Schiedhelm für den Neubau der geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Freien Universität Berlin 1963 vorschlugen. Mit dessen Realisierung erlangte das Architektenteam internationale Anerkennung. Die Besonderheit des in „ebener Teppichbebauung“30 ausgeführten Baus liegt in seiner Variabilität, die es ermöglichen sollte, die Raumstruktur innerhalb eines festen Tragwerks mit nur geringem Aufwand zu verändern und damit im Laufe der Zeit den je unterschiedlichen Bedürfnissen der wachsenden und sich wandelnden Hochschule anzupassen. Zudem ist der Bau so konzipiert, dass er beliebig in alle Richtungen erweiterbar ist. „Die Architekten“, so eine zeitgenössische Beschreibung, „trugen der Forderung nach einer ins Bauliche übersetzten Wandelbarkeit der Universität dadurch Rechnung, daß sie bewußt keine Architektur im üblichen oder bisherigen Sinne vorgesehen haben.“31 Die entsprechend neuartige Tragkonstruktion ist als Fertigteilsystem aus verschraubten Stahl- und Stahlbetonteilen vom französischen Architekten Jean Prouvé entwickelt worden.32 Auch für die Ausfachung der Wände mit vorgefertigten Elementen wurden bisher zu diesem Zweck noch nicht eingesetzte Materialien verwendet: Cor-Ten-Stahl erschien als besonders geeignet, weil dieser innerhalb von zwei Jahren selbsttätig eine schützende Rostschicht auf der Oberfläche ausbilden und damit eine wartungsfreie Außenhülle für den Neubau schaffen sollte.33 Innerhalb eines Ausschnitts aus der Tragstruktur ist
30 | Jürgen Nottmeyer: Freie Universität Berlin. Konstruktionswettbewerb für einen ersten Bauabschnitt der Erweiterungsbauten auf dem ‚Obstbaugelände“. In: Deutsche Bauzeitung 7/1967, S. 551-564, hier S. 551. 31 | Ebd. 32 | Uwe Köhler: Institutsbauten der Freien Universität Berlin. Bebauung des Obstbaugeländes in Berlin-Dahlem. Ein Zwischenbericht. In: Bauwelt 47/1968, S. 14991507, hier S. 1499; Eine geeignete Lösung für das Tragwerk hat das Architektenteam Candilis/Josic/Woods/Schiedhelm durch einen Konstruktionswettbewerb ermittelt. Die unterschiedlichen Vorschläge wurden ebenfalls anhand – kleinmaßstäblicher – Modelle vorgeführt und damit vergleichbar gemacht. Vgl. Nottmeyer 1967, S. 562. 33 | Köhler 1968, S. 1502.
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ab Oktober 196734, also rund sechs Wochen nach Baubeginn, ein Probebau errichtet worden, an dem die vorgesehenen „Ausbauarbeiten“35 an Dach und Fassade unter Realbedingungen überprüft werden sollten. Bezeichnenderweise spielt die Arbeit am 1:1-Modell in der 2008 von Karl Kiem veröffentlichten monografischen Studie zum Gebäude eine entsprechend prominente Rolle (Abb. 61). Die Wände dieses besonders aufwändigen 1:1-Modells wurden mit den Stahl-Fertigteilen ausgefacht, das Dach wurde entsprechend der Planungen für die ‚Rostlaube‘ mit Gräsern bepflanzt. Die Decke des Probebaus wurde von vier Stahlstützen in einem maximalen Abstand von 7,20 Metern getragen.36 Eine ebenfalls von Kiem veröffentlichte Fotografie aus dem Herbst 1967 zeigt den Probebau noch vor seiner Ausfachung mit Fassadenelementen und damit einen Ausschnitt aus der Trag struktur Prouvés (Abb. 62). Diese Ausführung erinnert in ihrer schlichten Ausschnitthaftigkeit und Nachvollziehbarkeit an die Darstellung der ‚Maison Domino‘, die 1914/15 von Le Corbusier als zweidimensionale Axonometrie vorgelegt worden war. Corbusier hat hier durch die Reduzierung eines Hauses auf Decke beziehungsweise Boden, Stützen und Treppen die Grundlage für das standardisierte und industrielle Bauen gelegt. Das von Jean Prouvé entwickelte Tragwerk für die Berliner ‚Rostlaube‘ lässt sich als konsequente Weiterführung dieses Konzepts verstehen, der Testbau von 1967 wäre demnach auch eine räumliche Ausformulierung der Corbusier’schen Zeichnung von 1914/15. Anders als die Axonometrie ist das Modell allerdings keine Darstellung, sondern ausformulierter, materialisierter und potentiell verbaubarer, ‚echter‘ Teil der Architektur. Die Tragkonstruktion ist mit dem noch unvollendeten Probe
34 | Hierzu finden sich widersprüchliche Angaben in der zugehörigen Literatur: In einem Dokumentationsbericht der FU Berlin wird der Baubeginn für den Probebau für Oktober 1967 angegeben; Karl Kiem unterschreibt die fotografischen Aufnahmen des Probebaus in seiner Monografie über die Rostlaube mit April und Mai 1968. Die Vegetation auf den Fotografien lässt allerdings darauf schließen, dass im Herbst mit der Errichtung des Probebaus begonnen wurde (zu Beginn der Errichtung ist nur wenig Laub an den Bäumen, nach der Fertigstellung sind die Bäume kahl). Es wird hier also davon ausgegangen, dass der Probebau tatsächlich schon im Herbst 1967 errichtet wurde. Das erscheint vor allem auch deshalb als sinnvoller, weil mit den Bauarbeiten für den ersten Bauabschnitt der Rostlaube bereits Ende August 1967 begonnen worden war. Vgl.: Presse- und Informationsamt der Freien Universität Berlin (Hg.): Bauliche Entwicklung der Freien Universität Berlin 1949-1971. Berlin 1971, S. 68; Karl Kiem: Die Freie Universität Berlin (1967-1973). Hochschulbau, Team-X-Ideale und tektonische Phan tasie, Weimar 2008, S. 219f.). 35 | Köhler 1968, S. 1499. 36 | Ebd., S. 1502.
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Abb. 61: 1:1-Probebau für die Rostlaube, Berlin, Candillis/Josic/Woods/Schiedhelm, Aufnahme 1967.
bau öffentlich sicht- und nachvollziehbar vor Augen geführt worden.37 Das Versuchsgebäude wurde später nicht in das Gebäude integriert, sondern nach Abschluss des ersten Bauabschnitts abgerissen. Es handelte sich dabei also wirklich um ein Modell, nicht um eine bloß vorgezogene Teilrealisierung des späteren Baus. Im Sinne der hier geführten Argumentation kommt es dennoch vor allem darauf an, dass der Probebau nicht nur dafür errichtet wurde, die zu erwartende Gestalt der Rostlaube – auch gegenüber Dritten – vorwegzunehmen und zu präsentieren. Wesentlicher Zweck war tatsächlich das forschende Überprüfen neuartiger Konstruktionsprinzipen und Fassadenmaterialien. Über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr38 konnte anhand des Probebaus getestet werden, wie sich die Bepflanzung auf dem Probebau entwickeln und welche klimatischen Verhältnisse sich im Innern des Baus entwickeln würden. In Ansätzen ließ sie auch vorhersehen, wie der erwünschte Rostungsprozess des Cor-Ten-Stahls vonstattengehen würde. Es entstand also ein Teil der völlig neuartigen Rostlaube, für die „bewußt keine Architektur im üblichen oder bis37 | Kiem 2008, S. 65. 38 | Rund ein Jahr nach Errichtung des Probebaus berichtete die Bauwelt noch davon, dass die Ausbauarbeiten „noch an einem Probebau überprüft“ würden. Vgl. Köhler 1968, S. 1499.
Das Prüfmodell
Abb. 62: 1:1-Probebau für die ‚Rostlaube‘, Berlin, Candillis/ Josic/Woods/Schiedhelm, Aufnahme 1967.
herigen Sinne“ vorgesehen war.39 Eine moderne Architektur also, die wegen ihrer programmatischen Vorbildlosigkeit, wie sie bereits in der Axonometrie Corbusiers zelebriert worden war, das modellbasierte Experiment im Sinne einer wirklichen Forschungsarbeit notwendig machte. Damit werden am Beispiel des Projekts Rostlaube Mehrwerte von 1:1-Modellen nachvollziehbar, wie sie bereits bei den Planungsprozessen von Rolf Gutbrod und Egon Eiermann angedeutet worden waren. In der Zusammenschau können anhand dieser Beispiele die wesentlichen Charakteristika solcher Modelle, vor allem aber auch deren Unterschiede untereinander beschrieben werden. Die Fassadenelemente zu Gutbrods Kölner Bibliothek, der Versuchsbau von Eiermann und Loire in Chartres, das Rastermodell zu den Bochumer Institutsgebäuden und der Versuchsbau zur Rostlaube teilen zunächst eine Gemeinsamkeit: Sie sind Ausschnitte aus dem projektierten Gebäude, beziehungsweise stellen solche Ausschnitte dar. Anders als kleinmaßstäbliche Modelle liegt ihre Qualität für die Planenden also weniger darin, einen summarischen Überblick über den Gesamtbau anzubieten, als vielmehr, sich Einzelbereiche des jeweiligen Baus oder Einzelaspekte der Planung vor Augen zu führen. Jenseits dieser Gemeinsamkeit lassen sich allerdings auch Unterschiede beschreiben: Der 1:1-Versuchsbau, den der französische Glaskünstler Gabriel Loire bei Chartres für die Berliner Gedächtniskirche hatte errichten lassen, diente zur Überprüfung des Lichteinfalls durch die Betonglaselemente und der dadurch im Innenraum entstehenden Lichtstimmung. Die Anordnung zielte also wesentlich darauf, einen Ausschnitt aus dem zu erwartenden Innenraum und 39 | Nottmeyer 1967, S. 551.
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seiner Lichtstimmung zu evozieren. Es ging demnach nicht um die modellhafte Anordnung als Artefakt an sich, sondern um diejenigen immateriellen Effekte, die es erzeugen würde. Insofern war es nur allzu stimmig, dass beim Aufbau der Wabenfassade in Frankreich nur diejenigen Stellen eine formale Übereinstimmung mit der tatsächlichen Fassadenplanung aufwiesen, die zur Herstellung des Lichteffekts hinter der Versuchswand nötig waren. Während die Betonglaselemente beinahe identisch mit den später in Berlin verbauten Elementen sind, ist deren Trägergerüst sowohl formalästhetisch als auch im Material – Holz – deutlich verschieden von den später in Berlin verwendeten Betonwabenelementen. Der Versuchsbau bei Chartres ist damit tatsächlich Modell im Sinne einer Versuchsanordnung und keinesfalls ein Prototyp. Er war zu keinem Zeitpunkt potentiell verbaubar im zu planenden Gebäude. Anders verhält es sich im Falle des Rasterelements für die Bochumer Institutsbauten, als auch bei Gutbrods Kölner Bibliotheksfassade und dem Probebau für die Berliner ‚Rostlaube‘: Bei ihnen war zumindest potentiell denkbar, dass genau jene Teile später auch im ausgeführten Gebäude verbaut worden wären. Sie standen damit offenbar ganz am Ende des Entwurfsprozesses, weil sie bereits maximal angenähert waren an den auszuführenden Bau. Sie waren damit bereits – potentiell – Bestandteil des zu planenden Gebäudes. Die für die jeweilige Fertigung solcher Teilstücke notwendigen entwerferischen Vorentscheidungen mussten zu diesem Zeitpunkt bereits so weit gediehen sein, dass im besten Fall im Nachgang der Modellanfertigung keine Änderungen am Planungskonzept mehr zu erfolgen hatten. Die Tatsache, dass 1:1-Modelle wie diejenigen der Projekte Gutbrod und Candilis/Josic/Woods/Schiedhelm bereits prototypische Ausführungen von Gebäudeelementen waren und diese nicht mehr darstellten, führt dazu, dass gleich mehrere Aussagepotentiale mit ihnen verknüpft waren oder zumindest sein konnten. Modelle dieser Art kamen nicht nur in Hinblick auf zu erwartende Lichtstimmungen zum Einsatz, sondern noch häufiger mit dem Ziel, Materialien unter wechselnden Witterungsverhältnissen und im Verlauf der Zeit zu testen. So beschrieb etwa der Architekt Günter Behnisch: „Jede Stufe unserer Arbeit hat ihre Modelle. […] Das letzte Modell in der langen Reihe ist dann sicher im Maßstab 1:1, am Bau dasjenige Muster, welches der Handwerker bringt und anhand dessen wir die Lösung an Ort und Stelle kontrollieren.“40 Für die Architektur der Nachkriegsmoderne spielten 1:1-Modelle eine besondere Rolle weniger in Hinblick auf eine ästhetische Vorwegnahme der geplanten Bauten in der stadträumlichen Realität. Vielmehr stand die Überprüfung von neuen Baumaterialien im Vordergrund sowie – damit verbunden – die Prüfung neuartiger statischer Lösungen. 40 | Günter Behnisch: Allmähliches Werden. In: Bauwelt 20/1994, S. 1104f, hier S. 1105.
Das Prüfmodell
4.2 Tr agwerk und S tatik In Hinblick auf die Entwicklung – und Überprüfung – neuartiger Baumateria lien und Konstruktionssysteme in der Zeit vor allem ab 1960 spielt das Prüfmodell eine besondere Rolle. In Fällen wie denen, die in der Folge analysiert werden, dienten die Modelle dazu, Baukonzepte ein erstes Mal physisch umzusetzen. Damit wurden deren Realisierbarkeit im großen Maßstab getestet beziehungsweise nachgewiesen. Prüfmodelle dieser Art hängen besonders eng mit der Innovationsfreudigkeit der Nachkriegsjahrzehnte zusammen, indem sie zahlreiche Entwicklungen einerseits beförderten und andererseits überhaupt erst ermöglichten.
4.2.1 Frei Otto: Weltausstellungs-Pavillon Montreal Die Bedeutung von Modellen für die Arbeit Frei Ottos (1925-2015) ist in der Architekturgeschichtsschreibung bereits mehrfach gewürdigt worden.41 Seine berühmtesten Bauten wie etwa der Pavillon für die Weltausstellung 1967 in Montreal (mit Rolf Gutbrod) oder die Dachkonstruktionen für die Olym pischen Spiele 1972 in München (mit Behnisch und Partner) wären ohne die Arbeit an und mit Modellen nicht zu entwerfen, geschweige denn zu realisieren gewesen. Auch die teilweise temporären Zeltbauten, die Frei Otto bereits seit den 1950er Jahren entworfen und realisiert hatte, seien, „Formen [gewesen], die nicht entworfen werden konnten.“42 Gemeint sind dabei etwa der Musik pavillon für die Bundesgartenschau in Kassel 1955 oder der Tanzbrunnen im Kölner Rheinpark für die dortige Bundesgartenschau von 1957 (Abb. 63). Auch deren zeltartige Dachformationen gehen sehr grundsätzlich auf Modellversuche – in diesem Fall mit Gummihäuten43 – zurück und sind in diesem Sinne als Vorläufer der Bauten von Montreal und München einzuordnen. 41 | Conrad Roland: Frei Otto – Spannweiten. Ideen und Versuche zum Leichtbau. Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1965; Philip Drew: Frei Otto. Form und Konstruktion. Stuttgart 1976; Christiane Weber: Frei Otto. Experimentelle Modelle. In: Elser/Schmal 2012, S. 45-50, hier S. 45. Die Modellverwendung Frei Ottos und seiner Mitarbeiter wurde regelmäßig auch von den Architekten selbst in der Schriftenreihe des Instituts für leichte Flächentragwerke (IL) ausführlich beschrieben. Zuletzt auch: Irene Meissner, Eberhard Möller: Frei Otto. Forschen, bauen, inspirieren. München 2015 sowie Georg Vrachliotis, Joachim Kleinmanns et al. (Hg.): Frei Otto. Denken in Modellen. Ausst.-Kat. Leipzig 2016. 42 | Drew 1976, S. 11. 43 | Klaus Bach (Red.): IL 18. Seifenblasen. Eine Forschungsarbeit des Instituts für leichte Flächentragwerke über Minimalflächen unter der Leitung von Frei Otto. Stuttgart 1988, S. 15.
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Abb. 63: Tanzbrunnen Köln, Frei Otto, 1957, Postkartenmotiv aus dem Jahr 1957.
Wenn solcherlei Formen als „nicht zu entwerfen“ beschrieben werden, ist dies natürlich eine rhetorische Überspitzung. Allein die Tatsache, dass die Zelte realisiert werden konnten, zeigt schließlich, dass es sehr wohl möglich gewesen sein muss, einen entsprechenden Entwurf zu erarbeiten und dann auch umzusetzen. Was ganz offensichtlich gemeint ist, ist das Entwerfen im Sinne des herkömmlichen Verständnisses: Also das Entwickeln einer architektonischen Form ‚im Kopf‘ und/oder in der Zeichnung, die Berechnung der Statik beziehungsweise dann die Präsentation oder Wiedergabe des Entwurfs in zweidimensionalen Medien. Seine Arbeit mit Modellen bezeichnete Frei Otto entsprechend als „Formentdeckungsprozesse“, und schrieb damit sowohl den Prozessen als auch den Modellanordnungen den wesentlichen Anteil an der Entwurfsfindung für seine Bauten zu.44 Modelle, so schreibt die Bauhistorikerin Christiane Weber, seien bei Otto „in allen Phasen des Entwurfs zum Einsatz“ gekommen.45 Sie halfen sowohl dabei, Architekturformen mit zu entwickeln, als auch, diese im Anschluss an die „Formentdeckung“ statisch zu überprüfen und somit für die großmaßstäbliche Realisierung vorzubereiten. Otto habe, so Weber, das Modell gebraucht, um „die Idee zu materialisieren.“46 Und dies, so ließe sich hinzufügen, sowohl im Sinne der Ideen-Generierung 44 | Ebd. 45 | Weber 2012, S. 45. 46 | Ebd.
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und -konkretisierung am Anfang des Entwurfsprozesses, als auch zu dem Zweck, die dann gefundenen Ideen zu überprüfen und in die großmaßstäb liche Realität umsetzbar zu machen.47 Die Umsetzbar- oder Anwendbarkeit der durch das Modell materialisierten Ideen und Erkenntnisse auf ein konkretes Bauprojekt spielte dabei zunächst nur eine sekundäre Rolle: Ottos Experimente waren auf die grundsätzliche Entwicklung der Architektur seiner Zeit ausgerichtet und bezogen sich entsprechend nur punktuell auf konkrete Bauvorhaben. So formulierte Otto rückblickend auf seine eigene Arbeitspraxis im Jahr 1988: „Ein Architekt, der mit seiner entwickelnden Arbeit erst anfängt, wenn er mit den Plänen für ein neues Gebäude beginnt, wird vom Zeitdruck überrollt. Die Ergebnisse kommen dann zu spät. Entwicklungen grundsätzlicher Art brauchen oft Jahre und Jahrzehnte. Diese können nicht auf ein bestimmtes Gebäude ausgerichtet sein und [müssen] auf die Architektur als Ganzes bezogen sein.“48
An der Technischen Hochschule Stuttgart wurde im Jahr 1964 – finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft – das ‚Institut für leichte Flächentragwerke‘ (IL) für Otto eingerichtet, der hier als Leiter neue Ansätze für die Architektur und Baukonstruktion entwickelte. Grundlegen für die in Stuttgart betriebene Forschungsarbeit war die architektonisch-konstruktive Indienstnahme von „Minimalflächen“.49 Es ging dabei also um die Entwicklung von (Dach-)Flächen, die aufgrund ihrer doppelt gekrümmten Form und der auf diese Weise gleichmäßig verteilten Oberflächenspannung in der Lage waren, bei minimalem Materialaufwand auch große Flächen stabil zu überspannen. Das am ‚IL‘ systematisch erforschte Prinzip wandte sich damit von traditionellen, auf die Grundsätze vom Tragen und Lasten beruhenden statischen Konzepten ab und suchte eine Architektur zu entwickeln, die rein auf der Basis von Zugkräften basierte. An der äußeren Hülle des Weltausstellungspavillons von 1967, der im Folgenden als ein prominentes Ergebnis dieses Ansatzes analysiert wird, lässt sich das Prinzip beispielhaft verdeutlichen. Denn eine Unterscheidung zwischen Wand (tragend) und Decke (lastend) ist bei diesem Bau nicht klar zu treffen – alle Bereiche des Dachs sind gleichermaßen in die 47 | Zur Übertragung des Entwurfswissens vom Modell zum Bau siehe: Ralf Liptau: Übersetzungen in die Architektur. Seifenhautmodelle von Frei Otto. In: Hillnhütter 2015, S. 24-32, sowie ders.: From Soap Suds to Construction: Frei Otto’s Design Practice as a Chain of References. In: Finke/Weltzien 2017, S. 121-136 (=Liptau 2017d). 48 | Klaus Bach, Berthold Burckhardt, Frei Otto: Seifenblasen. Einführung. In: Bach 1988, S. 10f., hier S. 11. 49 | Frei Otto: Selbstbildung. Physikalische und konstruktive Entstehungsprozesse in Architektur und Natur. Stuttgart 1984, S. 89.
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Konstruktion einbezogen und auf diese Weise gleichrangiger Bestandteil der mehrfach gekrümmten und dabei gleichmäßig gespannten Fläche. Um für die hier geführte Argumentation weiter fruchtbar – und mit der Praxis anderer Architekten vergleichbar – zu sein, wird die allgemeine Forschungs- und Arbeitspraxis Frei Ottos und seiner Mitarbeiter am ‚IL‘ in der folgenden Beschreibung lediglich als Basis mit verhandelt. Der Fokus der Ausführungen liegt vielmehr auf seiner Arbeit am einzelnen Bauprojekt. Otto wird in diesem Sinne also als praktisch an konkreten Projekten arbeitender Architekt verhandelt, obwohl dies seiner eigenen Selbstdarstellung als auf grundsätzlicher Ebene tätigem Forscher nicht gänzlich gerecht wird. Beispielhaft in den Blick genommen werden die Entwurfs- und Realisierungsschritte zum bundesdeutschen Weltausstellungspavillon für Montreal im Jahr 1967. Der Pavillon gilt als erste Ausführung der Prinzipien Ottos in den Ausmaßen eines größeren Bauwerks und wurde entsprechend breit rezipiert. Die bereits im Vorlauf der konkreten Bauprojekte grundsätzlich angestellten Überlegungen und ausgeführten Modell-Experimente kamen hier das erste Mal in einem größeren, und entsprechend sowohl zeitgenössisch als dann auch architekturhistorisch weit rezipierten, konkreten Zusammenhang zur Anwendung. „Der Anspruch dieses Gebäudes“, so die eigene Formulierung des Architekten, „war größer als das, was man üblicherweise unter schnell auf- und abgebauten Zelten versteht.“50 Er war also, so die implizite Aussage, auch größer als das, was Otto zu diesem Zeitpunkt von seinen bisherigen Leichtbau-Projekten her kannte. Für die hier durchgeführte Untersuchung kann mit dem MontrealPavillon ganz konkret nachvollzogen werden, auf welche Weise das Modell elementarer Bestandteil von Ottos architektonisch-konstruktiver Arbeit war, sofern es ihm um die Entwicklung konkreter Bauten ging. Für die ersten „Formentdeckungsprozesse“51 zur Dachkonstruktion des Pavillons brachten Otto und seine Mitarbeiter so genannte „Seifenhaut modelle“52 zur Anwendung: Seilschlaufen oder Drahtformationen wurden als entsprechend flexible oder feste Rahmen in flüssige Seifenlauge getaucht, so dass sich innerhalb des Rahmens beim Herausnehmen eine Seifenhaut bildete, die automatisch und unmittelbar die Form der gesuchten „Minimal fläche“53 einnahm beziehungsweise in diese Form „umsprang“ (Abb. 64).54 Damit war die weiter zu entwickelnde Form für die anvisierte Dachformation 50 | F.M. Sitte, G. Eisenberg G. (Red.): Expo ´67 Montreal – Deutscher Pavillon. Doku mentation über das Bauwerk. Düsseldorf 1967, S. 16. 51 | Frei Otto, Peter Stromeyer: Zelte. In: Deutsche Bauzeitung 7/1960, S. 352f, hier S. 352; Drew 1976, S. 12. 52 | Ausführlich hierzu: Bach 1988. 53 | Otto 1984, S. 89. 54 | Bach 1988, S. 351.
Das Prüfmodell
Abb. 64: Seifenhautmodell für den Welt ausstellungspavillon Montreal, Institut für leichte Flächentragwerke (Frei Otto), Aufnahme vor 1967.
vorgegeben. Ausgangspunkt dieser Experimente war das Wissen darum, dass Seifenhäute innerhalb eines geschlossenen Rahmens stets diejenige – nichtgeometrische, sondern mehrfach gekrümmte – Form annehmen, bei der die Oberflächen-Spannungskräfte gleichmäßig verteilt sind und die Fläche somit eine minimale Ausdehnung einnimmt, aber maximal belastbar ist.55 Es entstand damit also das Vorbild für die eine, beste Fläche innerhalb des vorgegebenen Rahmens: Besonders effektiv im Sinne von stabil bei zugleich minimalem Materialaufwand. Die Praxis Frei Ottos und seiner Mitarbeiter_innen entsprach damit weitgehend dem Prinzip, das Kinder fasziniert, wenn sie Pustefi x-Seifenblasen herstellen wollen und hierfür einen Ring in die Flüssigkeit tauchen, um ihn dann – mit gespannter Seifenhaut im Innern des Rings – wieder herauszuheben. Für einen Teilbereich56 des Montreal-Pavillons ist das Foto eines Seifenhautmodells samt Beschreibung in der Schriftenreihe des IL veröffentlicht 55 | Weber 2012, S. 46. 56 | Das beschriebene Seifenhautmodell mit nur einem Hochpunkt bildet lediglich einen Ausschnitt aus dem für Montreal tatsächlich vorgesehenen Pavillondach. Die spätere Konstruktion sollte schließlich – nicht nur maßstäblich vergrößert, sondern auch
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(Abb. 64).57 Das Modell war in seiner Gestalt keine kleinmaßstäbliche Visualisierung der damals vorgesehenen Dachkonstruktion, sondern verhandelte in seiner formalen Reduktion vielmehr das konstruktive Prinzip analog zum später weitaus komplexer realisierten Bau. Die Haut aus Seifenlauge spannte sich hier innerhalb eines geschlossenen Fadenrings auf. Dieser war entlang einer Kreisform an einzelnen, in regelmäßigen Abständen zueinander gesetzten Fixpunkten über einer festen Untergrundplatte fixiert. Zwischen den jeweiligen Punkten wurde der Faden entsprechend von der Spannung der Seifenhaut leicht nach innen gezogen, so dass auf dieser unteren Ebene ein entfernt an eine stilisierte Sonne erinnernder Grundriss entstand. Durch eine weitere Seilschlaufe, die an einer Seite in der Ebene fixiert und an der anderen senkrecht nach oben gezogen wurde, wurde die Seifenhaut in die Höhe entwickelt und nahm auf diese Weise etwa die Form eines umgedrehten Trichters an. Innerhalb der von den Planer_innen festgelegten und in den Fadenringen materialisierten Rahmenbedingungen lieferte die Seifenhaut damit das prinzipielle Vorbild für den Pavillon in Montreal: Die genaue Form für einen Teilbereich der Dachkonstruktion war durch das Modellexperiment ‚gefunden‘, wurde fotografisch abgebildet und auf diese Weise für die weiteren Schritte verwertbar gemacht.58 Hierin lag die besondere Herausforderung für die Planenden: Die am Seifenhaut gefundene Form musste schließlich in ‚echte‘ Architektur übertragbar gemacht werden, wenn die Experimente des ‚IL‘ überhaupt einen Sinn ergeben sollten. So beschrieb Otto: „Es ist äußerst schwierig, mit Selbstbildungsprozessen zum architektonischen Entwerfen zu kommen. Zwar führt das Experiment auf direktem Weg zur Form, […] aber eine Entwurfsarbeit kann nur unter Bezug auf die Komplexität einer Bauaufgabe und der Einbindung des Gebäudes in sein Umfeld und in die Gesellschaft gesehen werden.“59
Neben diesen weichen Faktoren ergab sich für die Planer_innen bei der Betrachtung und Analyse der Seifenhaut eine ganz konkrete Aufgabe: Die vorgeschlagene Form musste aus dem Medium des Seifenhautmodells herauskristallisiert und so überführbar gemacht werden in den großmaßstäblichen Bau. Hierfür wurden – neben fotografischen Abbildungsmethoden – ebenfalls in der Breitenentwicklung erheblich ausgedehnt – zwischen acht Hochpunkten aufgespannt werden. Eine frühe Modellstudie aus gespanntem Textilnetz zwischen Metallstäben, wohl aus dem Jahr 1964, macht deutlich, dass eine Konstruktion mit mehreren Hochpunkten wohl schon von Anfang an geplant war. 57 | Bach 1988, S. 147. 58 | Vgl. Liptau 2015, Liptau 2017d. 59 | Frei Otto (Hg.): Il 25, Form, Kraft, Masse. Experimente, Stuttgart 1990, S. 5.
Das Prüfmodell
Abb. 65: Vereinfachtes Messmodell zur statischen Vermessung und Überprüfung der ermittelten Dachform des Ausstellungspavillons von Montreal, Institut für leichte Flächentragwerke (Frei Otto), vor 1967, Aufnahme 2012.
Modelle angewandt, wie sich am Fallbeispiel Montreal rekapitulieren lässt. Der von Otto verwendete Begriff des „Experiments“ deutet bereits auf die Nähe seiner Arbeitsweise zum wissenschaftlichen Forschen hin. Das Verhältnis von architektonischem Entwerfen am Modell und dem (natur-)wissenschaftlichen Forschen wird im Folgenden anhand des Beispiels verdeutlicht und an späterer Stelle der Arbeit eingehender theoretisch analysiert. Otto und seine Mitarbeiter_innen führten die Arbeit an Modellen zur Ermittlung der optimalen Konstruktionsweise und -form nach den ersten Seifenhautmodellen zunächst in der gleichen, vereinfachten Gestalt mit nur einem Hochpunkt weiter: Sie fertigten ein – noch heute erhaltenes – Messmodell des Dachs aus Seilnetz und Draht, das zwischen mehreren Drahtfedern eingespannt wurde (Abb. 65). Die Markierung und Nummerierung einzelner, bestimmter Punkte der Dachfläche ermöglichte die Optimierung und gleichzeitige Überprüfung der Form sowie eine zahlenmäßig exakte Ermittlung der Seilkräfte.60 Das Messmodell wurde neben dieser Art der Auswertung schließlich auch fotografisch dokumentiert: Doppelt belichtet auf einem Bild – einmal ohne und einmal mit Krafteinwirkung – um die Verformung der Kon struktion nachvollziehen zu können. Dieses hier beschriebene Modell diente 60 | Weber 2012, S. 188.
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insofern nicht mehr der eigentlichen Ermittlung formaler Eigenschaften der Dachkonstruktion. Als erste nicht mehr liquide, kleinmaßstäbliche Realisierung der zuvor experimentell gefundenen Form diente es ganz konkret der Überprüfung der bis dato entwickelnden Ideen und damit der möglichst präzisen Vorhersage der statischen Eigenschaften und Verhaltensweisen des zu planenden Baus. In einem weiteren, dann vollständigen Modell – also einem mit acht Hochpunkten – wurden die Messungen in der Folge nochmals durchgeführt.61 Die Modell-Kette, bei der das Modell nur einen Hochpunkt aufgewiesen hatte, wurde allerdings weiter fortgesetzt: Ein 1:1-Versuchsmodell in der Form des ersten Seifenhautmodells ist in Stuttgart-Vaihingen errichtet worden. Versetzt auf das Gelände der TH Stuttgart diente es später zur Unterbringung des Instituts für leichte Flächentragwerke (IL) und ist dort bis heute erhalten. Das erste Modell aus Seifenhaut und dessen physikalisches Form(-findungs) verhalten blieb hier also über den gesamten Entwurfs- und Realisierungs prozess hinweg enges Vorbild. Für die Realisierung des Pavillons in Montreal wurde die am Modell ‚gefundene‘ Form ebenfalls verwendet und wie beschrieben weiterentwickelt. Insofern war das Seifenhautmodell also zweierlei: Lieferant einer architektonischen Form, die auf andere Weise nicht zu entwerfen – beziehungsweise eher: zu ermitteln – gewesen wäre. Und darüber hinaus Medium, um die ermittelte Form statisch zu überprüfen. Anders als bei den bisher unter der Kategorie des Entwurfsmodells verhandelten Modellen und Modellierungspraktiken ging es bei Frei Otto nicht um die Entwicklung einer architektonischen Form im Sinne eines ästhetischen Selbstzwecks. Die Versuche lieferten neben einer – durchaus auch in ästhetischer Hinsicht ansprechenden – Form auch allgemeingültige Erkenntnisse über die Statik gekrümmter Flächen sowie ihr Verhalten unter Kräfteeinfluss, die dann analog auch auf andere Architekturformen anwendbar waren. Also etwa auf das formal durchaus von den ersten Modellen abweichende Dach für Montreal und später auch für die Olympiabauten in München. Diese doppelte Funktion der Otto-Modelle wird in der Dokumentationsschrift zum Bau des Montreal-Pavillons ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Die Dachformationen seien in der Planung „einer rechnerischen Behandlung nur schwer zugänglich“ gewesen. Daher seien Modellanfertigungen notwendig gewesen, welche „sowohl zur Bestimmung der Gestalt des Bauwerks als auch statischen Zwecken“ gedient hätten.62 Auf Basis der gleichen Beobachtung formulierte der IL-Mitarbeiter Conrad Roland im Jahr 1965, also während der Planung zum Montreal-Pavillon: „Die Entwicklung der Konstruktionsformen am Modell unterscheidet sich wesent61 | Ebd., S. 49. 62 | Sitte/Eisenberg 1967, S. 16.
Das Prüfmodell
lich von der üblichen Methode des Entwerfens nach einer vorbestimmten Entwurfsidee. Die beste konstruktive Lösung soll sich auf experimentellen, am Anfang noch völlig offenen Wegen ‚fast von selbst entfalten‘.“63 Diese Bewertung der Modellversuche und ihre Verortung im Entwurfsprozess erscheinen allerdings als Idealisierung. Natürlich, so wurde gezeigt, spielten die Modelle eine grundlegende Rolle für die Formfindung und deren Umsetzbarmachung innerhalb des architektonischen Planungsprozesses. Dennoch wurde freilich allein mit der Entscheidung der Planenden, für ein bestimmtes Bauprojekt überhaupt ein bestimmtes Modell beziehungsweise Modellierungsverfahren zu verwenden, bereits eine wesentliche, eigene Entwurfsentscheidung getroffen. Durch die anschließende Festlegung des Rahmens für die Seifenhaut, bei der Entscheidung für eine bestimmte Rezeptur für die Seifenlösung, mit der Anwendung der Seilschlaufe und ähnlichen weiteren Eingriffen in den angeblich so offenen Entwurfsprozess beeinflussten die Planer_innen das zu erwartende Ergebnis natürlich wesentlich. Insofern ist davon auszugehen, dass sehr wohl eine – wenn auch nur grobe – Entwurfsidee bereits entwickelt war, bevor die Planenden mit ersten Modellversuchen begonnen haben. Damit wird deutlich, warum die konkret projektbezogenen Modellexperimente Frei Ottos hier im Zusammenhang mit der Kategorie des Prüfmodells – und nicht derjenigen des Entwurfsmodells – verhandelt werden: Die grund legende Idee des Architekten, eine bestimmte Methode des Modellexperiments für die Formfindung bei einer bestimmten Bauaufgabe zu verwenden, zeigt sich mit der hier durchgeführten Analyse als der eigentliche entwerferische Ausgangspunkt. Sie ist im Falle des Montreal-Pavillons schon gefasst gewesen, noch bevor das erste Modell überhaupt erstellt worden oder zur Anwendung gekommen ist. Die Anwendung sowohl des Seifenhautmodells als auch der darauffolgenden Messmodelle auf den konkreten Planungszusammenhang machten sie somit zu Prüfmodellen im hier ausgeführten Sinne. Insofern nämlich, als dass durch sie das allgemeine Architekturkonzept Ottos prüfend für den konkreten Bauzusammenhang anwendbar gemacht wurde. Die Modelle zeigten, ob und wie genau das Konzept der Minimalflächen-Konstruktion für Montreal funktionieren konnte.
4.2.2 Stefan Polónyi/Fritz und Christian Schaller: St. Paulus Neuss Ein weiteres anschauliches Beispiel für die Erstellung und Verwendung von Prüfmodellen liefert die Planungsgeschichte für das Faltwerk der Kirche St. Paulus in Neuss-Weckhoven (Abb. 66). Das zwischen 1966 und 1968 errichte63 | Conrad Roland: Frei Otto – Spannweiten. Ideen und Versuche zum Leichtbau, Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1965, S. 3.
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Abb. 66: Kirche St. Paulus Neuss-Weckhoven, Fritz und Christian Schaller/Stefan Polónyi, 1966-68, Aufnahme 2018.
te Kirchenschiff geht auf die Zusammenarbeit des Architekten Fritz Schaller mit dem Bauingenieur Stefan Polónyi zurück. Im Verlauf des Entwurfs hat zudem Fritz Schallers Sohn Christian zunehmend Einfluss auf die Gestalt des Kirchenschiffs und seiner Konstruktion genommen.64 Stefan Polónyi (*1930) war zum Zeitpunkt der Planungen gerade als Professor für Tragwerkslehre an die Technische Universität Berlin berufen worden und gründete dort ein ‚Institut für Modellstatik‘. Ihn trieb zu diesem Zeitpunkt die Frage um, wie die Kluft zwischen Architekt_innen auf der einen und Ingenieur_innen auf der anderen Seite zu überwinden sei. Seine Hauptkritik bestand darin, dass die Arbeitsaufteilung, wonach Architekt_innen zuerst eine Bauform entwerfen und die Ingenieur_innen dann die dazugehörige Statik errechnen, nicht mehr zeitgemäß sei. Die Rolle von Statiker_innen dürfe nicht nur darin liegen, für den architektonischen Entwurf einen konstruktiven Nachweis zu liefern, sondern müsse dazu dienen, gemeinsam mit Architekt_innen auch „Vorweise“ zu erarbeiten.65 In seiner eigenen praktischen 64 | Gespräch des Autors mit Stefan Polónyi und Christian Schaller am 11.06.2015 in Köln; Protokoll im Archiv des Autors. Die folgenden Ausführungen und Zitate zur Planungsgeschichte beziehen sich ebenfalls, sofern nicht anders angegeben, auf dieses Gespräch. 65 | Stefan Polónyi: Der Tragwerksentwurf (1986). In: Ders.: Mit zaghafter Konsequenz.
Das Prüfmodell
Arbeit, vor allem bei der Errichtung von Schalen- und Faltwerkkonstruktionen setzte er von Beginn der Planung auf den regen Austausch von Architekt_in und Ingenieur_in. Beispiele hierfür sind etwa die Zusammenarbeit von Po lóny i mit dem Architekten Joseph Lehmbrock bei der Kirche St. Suitbert in Essen-Überruhr (1963) und diejenige mit Fritz und Christian Schaller für St. Paulus in Neuss zwischen 1966 und 1968. Mit Fritz Schaller (1904-2002) fand Polónyi für Neuss einen Gegenpart, der im Kirchenbau zu diesem Zeitpunkt schon sehr erfahren war. Nachdem Schaller in der Zeit des Nationalsozialismus vor allem so genannte Thingstätten geplant hatte, war er seit 1950 vornehmlich für das Erzbistum Köln als Kirchenbauer tätig. Bis Ende der 1960er Jahre entwarf er in Köln und Umgebung über 25 katholische Kirchen.66 Gemeinsam mit seinem Sohn Christian (*1937), der auch maßgeblich am Tragwerk für die Neusser Kirche verantwortlich war, konzipierte er um 1970 zudem die Kölner Domplatte. Die Arbeit am Entwurf der Kirche St. Paulus in Neuss brachte also zwei etablierte Fachmänner auf ihrem jeweiligen Gebiet zusammen, die im Verlauf der Planung vom damals noch vergleichsweise jungen Christian Schaller und dessen frischem Studienwissen unterstützt wurden. Für die Analyse des Entwurfsprozesses sind im Wesentlichen zwei Modelle von Bedeutung: Ein erstes, von Christian Schaller angefertigtes, mit dem die grundsätzliche Realisierbarkeit des Kirchenschiffes als freitragende Konstruktion sowohl anschaulich gemacht als auch nachgewiesen werden sollte (Abb. 67). Ein weiteres Modell aus Plexiglas wurde am 1965 von Polónyi gegründeten Institut für Modellstatik an der TU Berlin gebaut (Abb. 68). Hiermit wurden die Zug- und Druckkräfte am geplanten Bau ermittelt und vermessen, um damit ebenfalls den Beweis für die Realisierbarkeit des Baus zu liefern. Die erste Modellanordnung, diejenige von Christian Schaller, hängt eng mit der speziellen Planungsgeschichte der Kirche zusammen. Der Vater, Fritz Schaller, hatte die Kirche in ihrer aufwändigen, kristallin anmutenden Faltkonstruktion und dem spektakulären Lichteinfall aus zwei Schalen konstruiert. Eine äußere Mantelschale aus Stahlbeton hätte hierbei auf Stützen und Gitterträgern geruht. Eine zweite, innen liegende Schale wäre unter die so stabilisierte Außenkonstruktion gehängt worden, das Tageslicht wäre direkt durch die Gitterträger in das Faltwerk gefallen.67 Schallers Sohn Christian war mit Blick auf die Planungen überzeugt davon, dass sich das Kirchenschiff auch stützenfrei und mit nur einer Schale konstruieren ließe. Vater Fritz hat seinem Aufsätze und Vorträge zum Tragwerksentwurf 1961-1987. Braunschweig/Wiesbaden 1987, S. 105-123, S. 106. 66 | Emanuel Gebauer: Fritz Schaller. Der Architekt und sein Beitrag zum Sakralbau im 20. Jahrhundert. Köln 2000. 67 | Christian Schaller im Gespräch am 11.06.2015.
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Abb. 67: Papiermodell für die Dachkonstruktion der Kirche St. Paulus NeussWeckhoven, Christian Schaller, Aufnahme um 1965.
Sohn daraufhin erlaubt, eine solche Konstruktion für die Kirche zu erarbeiten, allerdings unter der Bedingung, dass sowohl der Grundriss als auch die Lichtführung beibehalten würden. Wegen des zweifach konischen Grundrisses der Kirche musste jeder Dreigelenkbogen, also jede ‚Rippe‘ des Kirchenschiffs, einzeln konstruiert werden, weil sich je unterschiedliche Neigungen innerhalb der Bögen ergaben. Die rhomben- und dreieckförmigen Teilelemente der Dachkonstruktion hat Christian Schaller deshalb einzeln gezeichnet und ausgeschnitten. „Dann kam mein Vater und meinte: ‚Kleb‘ die Teile mal schön zu einem Modell zusammen. Ich will das sehen‘.“68 Das Modell diente damit zunächst zur Beweisführung gegenüber dem Vater. Und zwar wesentlich in Hinblick darauf, dass diese erste, kleinmaßstäbliche Ausführung der stützenfreien Planung auch wirklich und überhaupt trägt. Bewiesen wurde damit auch, dass die tatsäch liche Ausführung des Kirchenschiffs ebenfalls halten würde. Für eine ähnliche Beweisführung – also dafür, dass ein Faltwerk im Vergleich zu einer ungefalteten Konstruktion trägt – verwendete übrigens auch der Ingenieur der Kirche, Stefan Polónyi, gern Papiermodelle. Die Tragfähigkeit eines Faltwerks, so Polónyi, lasse sich „an einem Modell einfachster Art“ demonstrieren, nämlich „indem man ein Blatt Papier um die Längsachse biegt 68 | Ebd.
Das Prüfmodell
Abb. 68: Plexiglas-Messmodell für die Kirche St. Paulus Neuss-Weckhoven, Dokumentationsblatt des Instituts für Modellstatik (Stefan Polónyi), Aufnahme 1966.
und feststellt, daß die so erhaltene Form nicht stabil ist. Zerknittert man das Blatt jedoch vorher, so bleibt die Form erhalten.“69 Dieses ‚Modell einfachster Art‘ habe er seinen Studierenden in Vorlesungen wiederholt vorgeführt, um daran ein Grundprinzip der Statik anschaulich zu vermitteln. Das Papiermodell, das Christian Schaller für die Neusser Kirche fertigte, sollte darüber hinaus noch einem weiteren Zweck dienen. Darauf verweist Fritz Schallers zitierter Nachsatz „ich will das sehen“70 Das Modell diente offenbar auch dazu, die formal komplexe Raumhülle in ihrer dreidimensionalen 69 | Polónyi 1986, S. 114. 70 | Christian Schaller im Gespräch am 11.06.2015.
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Ausformulierung überhaupt erst „sichtbar“71 zu machen. An dieser Stelle sei nochmals auf die nur wenige Jahre vorher getätigte Formulierung des Architekten Rolf Janke hingewiesen, der in seiner Publikation über Architekturmodelle die Möglichkeiten der Zeichnung für viele Fälle als unzureichend beschrieben hatte: „Das Modell gewinnt seine besondere Bedeutung dort, wo gestalterische Details in drei Dimensionen geformt werden müssen. […] Die Zusammenhänge [sind] am Modell spontan zu erfassen, während die Zeichnung ein kompliziertes Umdenken ins Räumliche erfordert.“72 Eine solch skulpturale Raumstruktur wie die des Kirchenschiffs in Neuss war im Medium der Zeichnung offenbar nicht so darstellbar, dass man sie ‚sehen‘ – also in ihrer Gesamtwirkung erfassen – konnte und machte deshalb die räumliche Umsetzung im Modell notwendig. Die besonderen Potentiale des Modells hat Christian Schaller im Anschluss an den geglückten statischen Beweis weiter für die Planung des Kirchenschiffs genutzt: Mit Schnitten durch ein Modell im Maßstab 1:100 hat er die benötigten Flächenmaße für den auszuführenden Bau tatsächlich am Modell gemessen.73 Der immense Einfluss dieser Papiermodelle für den grundlegenden Entwurfs- und Beweisprozess lässt sich bis heute am Gebäude ablesen. Die Architekturhistorikerin Sonja Hnilica beschrieb zuletzt die Stahlbetonschale in ihrer Wirkung als „papierdünn.“74 Auch die Begriffe des Faltwerks oder der Faltung, die sowohl in den Beschreibungen Hnilicas,75 als auch in denen Po lónyis76 ganz selbstverständlich verwendet werden, verweisen auf den gedanklichen Ursprung der Konstruktion aus einem papiernen Modell heraus. Die Begriffe suggerieren, dass es ursprünglich eine ebene Betonfläche gegeben hätte, die, einem Papierbogen entsprechend, nachträglich gefaltet worden wäre. Dies ist natürlich nicht der Fall: Der Beton ist von vornherein in seine endgültige Form um die jeweilige Stahlbewährung herum gegossen – beziehungsweise bei vergleichbaren anderen Bauten: gespritzt – worden. Das Papiermodell, mit dem der junge Schaller sowohl den Beweis der Tragfähigkeit erbracht hatte als auch die Maße für die Betonschalung ermitteln konnte, sorgt 71 | Ebd. 72 | Janke 1962, S. 13. 73 | Christian Schaller im Gespräch am 11.06.2015. 74 | Sonja Hnilica: Stefan Polónyi. Architekt und Ingenieur. St. Paulus Neuss-Weckhoven. In: Hnilica/Jager/Sonne 2010, S. 218-225, hier S. 219; auch in: Sonja Hnilica: Tragwerk und Transzendenz. Kirchenbauten von Stefan Polónyi. In: Ursula Kleefisch-Jobst, Peter Köddermann, Katrin Lichtenstein u.a. (Hg.): Stefan Polónyi. Tragende Linien – Tragende Flächen. Ausst.-Kat., Stuttgart/London 2012, S. 58-67, hier S. 62. 75 | Hnilica 2010, S. 219; auch in: Hnilica 2012, S. 62. 76 | Polónyi 1986, S. 114.
Das Prüfmodell
damit bis zum heutigen Tag nicht nur für das Funktionieren der Konstruktion. Es wirkt auch auf die formalästhetische Wahrnehmung des nach wie vor als spektakulär empfundenen Faltwerks. Das zweite für den Planungsprozess bedeutsame Modell wurde 196677 im Berliner Institut für Modellstatik gebaut, welches Stefan Polónyi nach seiner Berufung als Professor an die TU Berlin und etwa zeitgleich mit dem Planungsbeginn für St. Paulus gegründet hatte (Abb. 68). Dieses Modell aus Plexiglas diente ebenfalls der Vermessung und Berechnung. Unter Zug- und Druckbeanspruchung wurden die Verformungen des Modells an etwa 400 Messstellen78 erhoben, um den Nachweis zu erbringen, dass die Konstruktion unter realen Bedingungen, etwa auch unter Schneelast, halten würde. Die gewünschte Form des Gebäudes war zum Zeitpunkt des Modellversuchs bereits vollständig entworfen und statisch errechnet. „Das Modell diente vor allem dazu, den Prüfingenieur zu besänftigen.“79 Polónyi selbst sei sich schon vorher sicher gewesen, „dass es in Ordnung ist.“80 Er war also überzeugt davon, dass die Statik auf Grundlage der Entwürfe aus dem Hause Schaller von ihm selbst bereits ohne Modell richtig berechnet worden sei. Der Nachweis, den Polónyi schließlich doch noch am Modell führte, zielte damit einerseits in Richtung der Bauabnahme, andererseits allerdings auch in Richtung seiner Studierenden und Kolleg_innen in Berlin. „Ich wollte damit auch zeigen, was ich mit dem neu gegründeten Institut machen kann.“81 Mit diesen Aussagen schränkt Polónyi den Einfluss seiner Modellversuche auf den Entwurf freilich zunächst ein. Die Kirche hätte demnach auch ohne die Versuche am Modell geplant und standsicher errichtet werden können. Demnach verbindet Polónyi mit dem Modell – zumindest nach eigenen An gaben – vorrangig didaktische Ziele. Ähnlich wie seine Modellvorführungen mit zerknittertem Papier dienten auch die aufwändigen Messversuche mit Plexiglasmodellen vornehmlich dazu, den bereits abgeschlossenen Versuch nochmals zu bestätigen. Gemäß der hier entwickelten Kategorie des Prüfmodells erfüllen die Modellversuche damit dennoch eine wichtige Funktion für den Entwurfsprozess. Wenn der Tragwerksplaner selbst zwar nach eigenen Angaben die Beweisführung nicht benötigte, um sich von der Richtigkeit seiner Planungen zu überzeugen, so erscheint die Überprüfung am Messmodell für andere – etwa den Prüfstatiker – nur umso bedeutender. Ein vergleichbares Modell aus Plexiglas hat Polónyi in seinem Berliner Ins titut wenige Jahre später auch für die doppelt gekrümmte Stahlbeton-Schale 77 | Hnilica 2010, S. 222f. 78 | Ebd., S. 222. 79 | Stefan Polónyi im Gespräch am 11.06.2015. 80 | Ebd. 81 | Ebd.
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der Trauerhalle in Obertiefenbach gefertigt. Der Bau ist in den Jahren 1968/69 in Zusammenarbeit mit dem Architekten Walter Neuhäusser errichtet worden, entsprechende fotografische Abbildungen befinden sich heute ebenfalls im Architekturarchiv der TU Dortmund.82 Die Modellversuche und -messungen, die am 1965 gegründeten Institut für Modellstatik durchgeführt wurden, sind in ihrer beschriebenen Bedeutung auf die Jahre der späten Nachkriegsmoderne beschränkt. Was dort unternommen wurde, sei, so Polónyi, „nur rund zehn Jahre lang interessant“83 gewesen. Mit dem zunehmenden Einsatz von Computern zur Berechnung und Überprüfung statischer Entwürfe seien die Modellversuche in der Bedeutungs losigkeit verschwunden. Aus der gleichen Beobachtung zur zunehmenden Bedeutung des Computers für den architektonischen Entwurf folgerte Polónyis Kollege Frei Otto hingegen etwas anderes. Noch im Jahr 2011 habe er gesagt, er „traue der reinen Rechnung nicht, wenn diese nicht am Modell überprüft werden kann.“84 Auch im Computerzeitalter wären Modellversuche demnach bei Otto bedeutsamer Bestandteil des Entwurfsprozesses geblieben. Unabhängig davon, welche Rolle solcherlei statische Prüfmodelle mit dem Aufkommen computerbasierter Rechenverfahren insgesamt noch einnehmen konnten: Für die Arbeitsweise von Architekten und Bauingenieuren wie Polónyi und Otto erscheinen sie ab den 1960er Jahren so neuartig wie unverzichtbar. Die mit und an diesen Modellen entwickelten Erkenntnisprozesse für den Entwurf erweisen sich damit als spezielles Charakteristikum der fortgeschrittenen Nachkriegsmoderne.
4.3 S tädtebauliche E inpassung Im einführenden Kapitel zum modernen Verständnis von Architektur als Körper im Raum ist bereits angeklungen, dass sich mit dem Modell nicht nur der einzelne, zuweilen skulptural verstandene Baukörper entwickeln ließ. Auch der städtebauliche Zusammenhang, in dem die einzelnen Baukörper zueinander in Beziehung zu setzen waren, wurde im Verständnis moderner Planer_ innen zunehmend zu einem Raum, der in drei Dimensionen zu entwickeln und zu überprüfen war. Um die Wirkung neuer Baukörper im bestehenden Stadtgefüge vorhersehen zu können, wurden in den Nachkriegsjahrzehnten zahlreiche Modelle zur ‚städtebaulichen Einpassung‘ gebaut. Heute werden die Aufgaben dieser Modelle (und ihrer fotografischen Aufnahmen) in der Regel von computergenerierten Renderings übernommen. 82 | Hnilica 2012, S. 62. 83 | Stefan Polónyi im Gespräch am 11.06.2015. 84 | Weber 2012, S. 50.
Das Prüfmodell
4.3.1 Paul Schneider-Esleben: Er weiterung Mannesmann-Konzernzentrale Düsseldorf Das Mannesmann-Hochaus, das in den Jahren 1956-1958 nach Plänen von Paul Schneider-Esleben und Egon Eiermann am Düsseldorfer Rheinufer errichtet worden ist, zählt zu den Inkunabeln westdeutscher Nachkriegsmoderne – auch deshalb, weil es sich zwar selbstbewusst, vor allem aber elegant in das bestehende Panorama am Ufer der Stadt einfügt. Neben der oben bereits beschriebenen Kirche St. Rochus in Düsseldorf zählt das Mannesmann-Hochhaus zu den Schlüsselwerken Schneider-Eslebens. Neben der selbstbewussten städtebaulichen Eingliederung des Baus besteht seine Bedeutung zudem darin, eines der ersten Verwaltungshochhäuser mit Vorhangfassade um einen Stahlskelettbau in der Bundesrepublik zu sein. Wenige Jahre nach Fertigstellung des Hochhauses plante Schneider-Esleben um 1970 eine Erweiterung des Neubaus, die den Baukomplex auf der gegenüberliegenden Seite der ursprünglichen Konzernzentrale (Peter Behrens, 1911) in direkter Nachbarschaft ergänzt hätte.85 Dieser Erweiterungsbau kam nicht zur Ausführung. Im Nachlass des Architekten sind allerdings zahlreiche Modellfotografien erhalten, die belegen, wie sorgfältig Schneider-Esleben die städtebauliche Einpassung seines Erweiterungsgebäudes variierte und prüfte – offenbar, um dem städtebaulich gelungenen Vorbild des ersten Hochhauses gerecht zu werden. Die Modellfotografien stellen ein besonders ausgiebiges Konvolut dar, anhand dessen die Funktion des Prüfmodells zum Zweck der städtebaulichen Einpassung dargestellt werden kann. Nachweisbar sind insgesamt 25 Varianten, mit denen sowohl unterschied liche Gebäudeformen als auch deren Positionierung im bestehenden Stadtraum überprüf bar gemacht werden sollten (Abb. 69-75). Die unterschiedlichen Gebäudemodelle sind allesamt als eingesetzte Baukörper in das immer gleiche städtebauliche Modell der bestehenden Bebauung fotografiert. Die städtebau liche Einbindung, die Wirkung des Baukörpers im Bestand, stand hier also ganz offensichtlich im Vordergrund, noch bevor irgendeine Entscheidung über die grobe Gestalt des Baukörpers selbst getroffen worden ist. Interessanterweise weisen die Varianten nicht einmal ein konstantes Bauvolumen auf. Es muss sich bei der Herstellung und Platzierung der Gebäudekörper im Stadtraummodell also noch um ein relativ freies Spiel mit den Volumina gehandelt haben, für das recht wenige Vorgaben respektive Begrenzungen gegolten haben. 85 | Eine genaue Datierung dieses Projekts ist nach dem aktuellen Forschungsstand nicht möglich. Die Planungen haben offenbar irgendwann zwischen 1969 und 1973 stattgefunden. Auskunft von Regine Heß (Architekturarchiv der Technischen Universität München) am 22.08.2016.
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Abb. 69: Modellvariante A für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
Die enorme Variationsfreude zwischen den fotografierten Modellen belegt, dass die Modellstudien am Beginn des Entwurfsprozesses zu verorten sind. Da die Bestandteile der Modelle allerdings keine quadratischen Holzklötzchen oder sonstige standardisierte Elemente sind, sondern im Vorfeld speziell für dieses Entwurfsprojekt gefertigt wurden, werden sie hier als Prüfmodelle analysiert. Anders als bei Entwurfsmodellen ging es hier nicht darum, mögliche Gebäudeformen überhaupt erst zu entwickeln. Denn die Frage, welche Gebäudeformen überhaupt in Frage kommen würden, musste vor dem Anfertigen der Modellteile bereits anderweitig geklärt worden sein, um dann deren städtebaulichen Auswirkungen im Modell nur mehr zu prüfen. Der Gebäudekorpus zeigt sich bei einigen der Modelle in unterschied lichen, sich in die Breite entwickelnde Terrassierungen und Abstufungen (sechs Varianten). Die anderen Modelle unterscheiden sich vor allem in der Art des jeweiligen Grundrisses, der als Variation von Kreisformen (vier Varianten), Quadraten (vier Varianten), Sechsecken (sieben Varianten), Dreiecken (eine Variante) oder einem dreiflügeligen Windrad (zwei Varianten) erscheint. Zudem wurde ein Massenmodell im gleichen städtebaulichen Modell abgelichtet, das in Ausführung und Form nicht in die Gruppe zu gehören scheint. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit und Übersichtlichkeit wird in der folgenden Beschreibung ausschließlich die Gruppe der sieben Varianten berücksichtigt, die auf sechseckigem Grundriss basiert. Diese Begrenzung ermöglicht dennoch, nachzuvollziehen, wie sich Schneider-Esleben die Möglichkeiten des Modells zur Überprüfung stadträumlicher Bezüge zunutze machte. Die Modellreihe, anhand der die Varianten eines Gebäudes auf sechs eckigem Grundriss durchgespielt wurden, besteht aus sieben heute noch nach-
Das Prüfmodell
Abb. 70: Modellvariante B für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
weisbaren Varianten. In der Folge werden die Varianten mit den Buchstaben A bis G bezeichnet. Damit soll nicht behauptet werden, dass die einzelnen Modelle entlang eines linearen Entstehungsprozesses aufeinander gefolgt wären, sich eine Variante also logisch aus der anderen entwickelt hätte. Die Tatsache, dass sämtliche Varianten in der gleichen Materialität ausgeführt sind und in das gleiche städtebauliche Modell eingefügt worden sind, spricht eher dafür, dass sie als tatsächliche Variationsmodelle gleichzeitig gefertigt und zum Zweck der Vergleichbarkeit zum gleichen Zeitpunkt innerhalb des Entwurfsprozesses fotografisch aufgenommen wurden. Die Varianten stehen also nicht nacheinander im zeitlichen Verlauf des Prozesses, sondern bilden gemeinsam einen Punkt innerhalb des Prozesses, in dem der Entwerfer verschiedene Varianten bildete, um sich schließlich zwischen ihnen – oder für eine ganz andere Möglichkeit – zu entscheiden. Die Modelle A (Abb. 69) und B (Abb. 70) zeigen die schlichteste Variante der Baukörperentwicklung auf sechseckigem Grundriss. Denn sie bestehen jeweils aus nur einem Korpus, der ohne wesentlich ausformulierte Basis auf dem Grund aufliegt. Variante A ist mit 18 Geschossen deutlich niedriger als Variante B mit 29 Normalgeschossen. Variante B ist auch insofern aufwän diger gestaltet, als dass der Baukörper vom Boden leicht abgehoben ist und der Abschluss des Turms oben mit einem mächtigen Attikageschoss ausgebildet ist. Während Variante A in ihrer Optik also potentiell beliebig nach oben erweiterbar erscheint, ist die Erscheinung von Variante B durch einen klaren Anfang und einen klaren Abschluss geprägt. Insofern wäre es auch möglich, dass Variante A die unvollständige Ausführung von Variante B darstellt.
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Abb. 71: Modellvariante C für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
Abb. 72: Modellvariante D für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
Variante C (Abb. 71) nimmt das Baukörpervolumen von Variante A auf. Möglich wäre sogar, dass das Modellelement von Variante A hier noch einmal zum Einsatz kam. Denn der Turmschaft der beschriebenen Variante A ist hier – in sich unverändert – auf eine Basis aufgesetzt. Dieser dreigeschossige Sockel bildet in etwa die Form eines Pfeils aus, dessen Spitze in Richtung des benachbarten Behrens-Baus (rechts) ausgerichtet ist. Auf der linken Seite schließt dieser Sockel an die Nachbarbebauung an und weist hier sogar nochmals eine kompakte, ebenfalls dreigeschossige Erhöhung auf, die damit die Traufhöhe des linkerhand gelegenen Nachbarbaus aufnimmt.
Das Prüfmodell
Abb. 73: Modellvariante E für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
Abb. 74: Modellvariante F für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
Scheinbar die gleiche Basis kommt bei Variante D (Abb. 72) zum Einsatz. Im Unterschied zu Variante C entwickelt sich auf ihr allerdings nicht ein einzelner, freistehender Turmschaft, sondern drei schmalere, die miteinander verbunden und in ihrer Höhe abgestuft sind. Der hintere Schaft ist am höchsten, der vordere am niedrigsten, so dass sich der Baukomplex sensibel von der bestehenden Bebauung am Rheinufer aus nach hinten in die Höhe entwickelt. Auch die Varianten E und F (Abb. 73, 74), welche sich auf den ersten Blick gleichen, zeichnen sich durch die Staffelung von drei miteinander verbundenen Türmen aus. Ihre Höhendifferenz untereinander ist allerdings stärker
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Abb. 75: Modellvariante G für die Erweiterung des Mannes mann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul SchneiderEsleben, Aufnahme um 1970.
ausgeprägt als bei Variante D. Eine noch wesentlichere Differenz zu Variante D besteht allerdings darin, dass die Varianten E und F ohne Basis ausformuliert sind – die Turmschäfte stehen hier ohne Übergang auf dem Grund. Variante E und F unterscheiden sich untereinander nur in der Gestalt des links befind lichen Nachbarbaus: Im Unterschied zu Variante E ist bei Variante F der rheinseitige, also vordere Flügel des Bestandsbaus verlängert, die Lücke zwischen Alt- und Neubau also minimiert. Die komplexeste Variante G besteht aus insgesamt vier schmalen Turmschäften, die auf einer etwa dreieckigen Basis angeordnet sind (Abb. 75). Die Basis schließt allerdings nicht an Bestandsbauten in der Nachbarschaft an. Diese Variante verbindet damit also den monolithischen Eindruck, der auch die Varianten A und B ausgezeichnet hatte, mit demjenigen der komplexen städtebaulichen Anpassung, welche bei den Varianten C bis F im Zentrum gestanden hatten. Auf Basis welchen Modells der Entwurf schließlich weiterentwickelt wurde, oder ob das Projekt bereits an dieser Stelle abgebrochen wurde, lässt sich anhand der Archivbestände nicht rekonstruieren. Deutlich wird anhand der Modelle dennoch, dass eine architektonische Konzeption, die den Bau als allansichtigen, skulpturalen Körper begreift, vor allem bei der komplexen Frage nach der stadträumlichen Wirkung auf das Modell zurückgreifen musste. Anders als in Fällen, bei denen mit einem Neubau lediglich der Blockrand entlang einer Straße durch eine flächig ausgebildete Hauptfassade weitergeführt oder geschlossen wird, galt es hier, sowohl den Neubau als komplexen, allansichtigen Körper als auch den Stadtraum als komplexes, vieldimensionales Gefüge unter Kontrolle zu bringen.
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4.3.2 Werner Düttmann: Ku’damm-Eck Mit der Planung Werner Düttmanns (1921-1983) zum Einkaufs- und Freizeitzentrum Ku’damm-Eck an der Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler (heute: Joachimsthaler) und Augsburger Straße aus den Jahren 1969 bis 1972 lässt sich in Hinblick auf die städtebauliche Einpassung an die Ausführungen zum Mannesmann-Hochhaus anschließen. Düttmann hat diesen Bau in seiner Zeit als Professor an der Technischen Universität Berlin und als Westberliner Senatsbaudirektor entworfen. Dem Architekten kommt im Bereich sowohl von Architektur als auch Städtebau eine absolute Schlüsselrolle im Westberlin der 1960er Jahre zu. So entwarf er nicht nur selber einige bis heute stadtbildprägenden Berliner Bauten und Anlagen wie etwa die Verkehrskanzel an der Kreuzung Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße (1955), die Einkaufs passagen am Hansaplatz mit Hansabibliothek (1957), die Mittelinsel des Ernst-Reuter-Platzes (1959/60), die Akademie der Künste am Hanseatenweg (1958-1960), das Brücke-Museum in Berlin-Dahlem (1964-1967), die Kreuz berger St. Agnes-Kirche (1964-1967) und zahlreiche Wohnbauten. Er war auch maßgeblich an der Planung der Internationalen Bauausstellung im Hansaviertel 1957 beteiligt sowie an den städtebaulichen Konzepten der Westberliner Trabantensiedlungen Märkisches Viertel (1963-74) und Gropiusstadt (1962-75). Für das 1998 wieder abgerissene Ku’damm-Eck, das zu seinem Spätwerk zählt, sind einige Modellfotografien in Düttmanns Nachlass erhalten. Die Aufnahmen zeigen, wie die Entwürfe für das Gebäude nicht nur als Einzelarchitekturen in Hinsicht auf ihrer Volumenverteilung anhand mehrerer Varianten überprüft und immer wieder verändert wurden (Abb. 76-78). Zentraler Fokus der Modellanordnungen war darüber hinaus die städtebauliche Einfügung in Hinblick auf die direkt angrenzenden Bauten entlang des Kurfürstendamms und der Augsburger Straße. Drei Modelle sind anhand von Fotografien im Nachlass Düttmanns nachweisbar, die für die hiesige Analyse mit A, B und C bezeichnet werden. Alle drei Modelle sind je von unterschiedlichen Blickpunkten aus aufgenommen worden. Dadurch wird deutlich, dass es Düttmann in Hinblick auf das Modell darauf ankam, die zu erwartende stadträumliche Wirkung des Baus aus möglichst vielen Perspektiven vorhersagen zu können. Modell A – wohl das früheste der drei – zeugt von einer wesentlich ande ren architektonischen Entwurfsidee, als sie bei den späteren Modellen und schließlich auch beim ausgeführten Bau zum Tragen kam: In dieser ersten Modellanordnung besteht der Komplex im Wesentlichen aus zahlreichen hoch rechteckigen Kuben aus Pappe, die auf schlanken Stützen ruhen (Abb. 76). So ergibt sich der Eindruck eines Konglomerats von mehreren Einzelbauten, die an der Straßenecke ‚zusammengeschoben‘ wurden. Zum Kurfürstendamm und zur Augsburger Straße, also an den Schmalseiten des Baus, hätte
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Abb. 76: Modellvariante A zur städtebaulichen Einpas sung des Ku‘damm-Ecks, Werner Düttmann, Aufnahme vor 1969.
Abb. 77: Modellvariante B zur städtebaulichen Einpas sung des Ku‘damm-Ecks, Werner Düttmann, Aufnahme vor 1969.
die Front demnach aus vier solcher Kuben bestanden, an der Joachimsthaler Straße, und damit in der Hauptansicht, wären sechs Kuben sichtbar gewesen. Ihre unterschiedliche Höhenausbildung hätte zu einem sehr differenzierten Ganzen geführt. Die Modellfotografie zeigt neben dem zu planenden Neubau und der Straßenführung auch, wie sich das Düttmann’sche Ku’damm-Eck zur Nachbarbebauung verhalten hätte. Denn auch die beiden angrenzenden Bauten sind in ihren groben Umrissen im Modell ausgeführt. Sichtbar wird so, dass die beiden unmittelbar an die Nachbarbauten angrenzenden Kuben des Neubaus die bestehende Traufhöhe je in nur minimalem Ausmaß überragt
Das Prüfmodell
Abb. 78: Modellvariante C zur städtebaulichen Einpas sung des Ku‘damm-Ecks, Werner Düttmann, Aufnahme vor 1969.
hätten. Der Neubau hätte also die übliche Berliner Traufhöhe der angrenzenden Nachbarbauten sowie ihre klassische Bauflucht entlang des Blockrands aufgenommen und zur Straßenecke hin durch die Staffelung der Kuben sowohl in der Höhe als auch in ihrem Abstand zur Straße spielerisch abgewandelt – und damit letztlich in eine lockere Gruppierung aufgelöst. An Modell A zeigt sich damit schon in dieser frühen Variante das beson dere Charakteristikum der geplanten Architektur: Düttmanns Anspruch lag offenbar darin, einen Bau zu schaffen, der einerseits deutlich modern und in dieser Hinsicht eben grundsätzlich andersartig als ein Großteil der umgebenden Bebauung zu sein hatte. Andererseits galt es freilich, an dieser eng bebauten und städtebaulich prominenten Stelle einen Neubau zu errichten, der dennoch einen Bezug auf seinen Ort und seine Nachbarn herstellen würde. Das Modell als Prüfwerkzeug erscheint als besonders geeignet, um diesen schmalen Grat zwischen behutsamer Einpassung und selbstbewusster Ab hebung des Neubaus zu testen. Dies belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass das beschriebene Modell – wie bereits angedeutet – aus mehreren Blickwinkeln fotografiert im Nachlass des Architekten erhalten ist. Es zeigt sich zweimal in Schrägsicht von oben mit der Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße im Vordergrund. Darüber hinaus auch zweimal in leichter Untersicht. Dabei ist das eine Mal der Übergang zur Nachbarbebauung am Kurfürstendamm, einmal derjenige zum angrenzenden Bau in der Augsburger Straße zu sehen. Ähnlich bei den beiden weiteren Modellen B und C, die sich untereinander sowohl in der Materialität als auch in der Gestaltung deutlich ähneln und insofern vom ersten, oben beschriebenen Modell abzugrenzen sind (Abb. 77, 78). Da diese beiden Modelle dem später ausgeführten Bau erheblich ähnlicher
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sind, ist davon auszugehen, dass sie später, also im bereits weiter fortgeschrittenen Entwurfsprozess entstanden sind. Die grundsätzliche Entwurfsidee, den Baukörper optisch in mehrere sowohl horizontal als auch vertikal gegeneinander verschobene Einzelkuben aufzulösen, ist auch hier weiterhin maßgeblich und bestimmt damit sowohl städtebaulich die Gestaltung der Straßenecke als auch den Übergang zu den Nachbarbauten. Im Unterschied zum ersten Modell zeigen die beiden anderen allerdings eine deutliche Verminderung in der Anzahl der Kuben. Bei Modell B gruppieren sich um einen turmartigen Baukörper im Hinter grund des Gebäudes drei Baukörper in unterschiedlicher Höhe und Größe. Zwei davon schließen jeweils an die Nachbarbebauung an, ein zentraler Kubus steht vergleichbar frei mit Ausrichtung seiner Hauptansicht auf die Kreuzung Joachimsthaler Straße/Kurfürstendamm. Bei der Variation dieses Konzepts, bei Modell C also, ist die Anzahl der Kuben um den ‚Turm‘ herum auf vier erhöht. Während auch hier zwei Baukörper direkt an die Nachbarbauten anschließen, stehen nun zwei Kuben ausgerichtet zur Ecke Ku’damm/Joachims thaler Straße. Beide Modelle B und C eint ihre Materialität und die damit evozierte Baukörper- und Fassadengestaltung, die sich deutlich von derjenigen des ersten Modells unterscheidet: Die vertikalen Kanten der Kuben sind hier rund ausgeführt. Im Modell wird diese Variation unterstrichen, indem die Außenwände der Kuben aus Wellpappe bestehen. Inwiefern die Pappe mit ihrer Oberflächen ästhetik auch auf eine vorgesehene Gestaltung der Fassaden am dann auszuführenden Bau hinweisen sollte, lässt sich nicht rekonstruieren. Vergleichbar mit dem ersten Modell wird auch hier die Objekthaftigkeit des Neubaus visuell evoziert, indem die Kuben als solche in sich geschlossen wirken und gegeneinander verschoben wurden. Gesteigert wird der Effekt im Unterschied zur ersten Variante durch das stützenfreie, scheinbare Schweben der Baukörper über dem Gehsteig. Waren die Kuben beim ersten Bau noch auf Stützen gestellt, bewegen sich die einzelnen Volumina nun scheinbar frei im Raum. Das Grundthema des Entwurfs, die spielerische Aufnahme und gleichzeitige Auflösung traditioneller Traufhöhen und Gebäudefluchten, wurde somit noch weiter gesteigert. Die einzelnen Baukörper – in ihren Ausmaßen je vergleichbar mit denen der Wohn- und Geschäftshäuser aus der Vorkriegsbeziehungsweise unmittelbaren Nachkriegszeit – traten nun nicht nur in der Bauflucht vor und zurück, sondern begannen, sich vom Boden abzulösen und in unterschiedlichen Höhenlagen frei zu schweben. Dabei handelt es sich um einen dreidimensional-räumlichen Eindruck beziehungsweise Effekt, der sich am Modell des Objekts besonders eindrücklich umsetzen und überprüfen ließ. Auch von diesen beiden Modellen sind je Fotografien erhalten, die sie sowohl in der Drauf- als auch in der leichten Untersicht von allen drei Straßen aus zeigen und damit wiederum den Anschluss an die Nachbarbauten thematisieren.
Das Prüfmodell
Die beiden Modelle B und C machen in ihrer grundsätzlichen Ähnlichkeit, vor allem aber durch die Unterschiedlichkeit im Detail den besonderen Mehrwert des Prüfmodells deutlich, der bereits angeklungen ist: Speziell in Fragen der städtebaulichen Eingliederung erscheint das dreidimensionale Modell als reales Objekt besonders dazu geeignet, stadträumliche Bezüge und Wirkungen räumlich erfahrbar zu machen. Am beschriebenen Projekt Düttmanns wird dies in gleich zweierlei Hinsicht besonders sinnfällig: Die besondere Lage des Baus an der Zusammenführung dreier Straßen machte es notwendig, einen Bau zu konzipieren, der von den unterschiedlichen Standpunkten aus – also ohne eine Hauptansicht – sowohl architektonisch als auch städtebaulich ‚funktionieren‘ würde. Dies überprüf bar zu machen, scheint demnach in besonderer Weise vom dreidimensionalen Modell-Objekt abhängig gewesen zu sein, um auch hier gleichsam mehrere Standpunkte zur Betrachtung des Modells einnehmen zu können. Darüber hinaus erscheint das Modell in diesem Fall auch in besonderem Maß begründet durch das gestalterisch-konzeptionelle Thema des Baus. Indem Düttmann am Zusammenschluss von Kurfürstendamm und Augsburger Straße Kuben etwa in der Größe der angrenzend stehenden Geschäftshäuser ‚in Bewegung‘ versetzte und zum Schweben brachte, machte er sowohl seinen Neubau als auch die Nachbarbauten zu den im Eingangskapitel beschriebenen, riesenhaften Objekten.86 Der ebenfalls oben ausgeführte Maßstabssprung beziehungsweise -bruch vollzieht sich hier zwischen dem Neubau und den direkt angrenzenden Bauten. Dass der Entwerfer dieses vergleichsweise freie Fluktuieren der Baukörper dann auch in – mindestens – zwei Varianten durchspielte, erscheint nur folgerichtig.
4.4 D ie E pistemik des P rüfmodells Das besondere Potential der Prüfmodelle hat sich bei der Beschreibung der Beispiele mehrfach gezeigt: Im Unterschied zu Entwurfsmodellen bildeten Prüfmodelle die ersten ausgeführten Realisierungen von bereits zuvor weitgehend zu Ende entwickelten Entwurfsideen. Diese Ideen wiederum wurden im Prüfmodell nicht einfach abgebildet, sondern in der physischen Realität ihrer Entwerfer_innen geschaffen. Genau daraus entspringt ihr qualitativer Mehrwert gegenüber bildgebundenen – und damit zwangsläufig abbildenden – Entwurfsmedien: Prüfmodelle agieren in und mit der Welt und beziehen daraus ihre sehr speziellen Erkenntnispotentiale für den Entwurf. 86 | Am ausgeführten Bau ist dieser Effekt – zumindest im Vergleich mit den Modellfotografien – deutlich abgeschwächt gewesen durch die horizontale Gliederung der Fassaden und die Trennung der im Modell monolithisch wirkenden Kuben mittels Fensterbändern.
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In der folgenden Analyse wird die Kategorie des Prüfmodells auf Basis der Fallbeispiele eingehender auf ihre strukturellen Eigenschaften hin untersucht. Im Fokus stehen dabei die besonderen Wissens- und Erkenntnispotentiale, die das Prüfmodell im und für den architektonischen Entwurfsprozess bereitzustellen vermochte. Vergleichbar mit der theoretischen Analyse des Entwurfsmodells in Kapitel 3.3 wird auch die Auswertung des Prüfmodells strukturiert durch Unterkapitel, die jeweils besondere Eigenschaften und Mehrwerte der Modellkategorie in den Fokus rücken. Wesentlich ist dabei die Beobachtung, wonach Prüfmodelle sowohl auf formale und ästhetische Aspekte der zu planenden Architektur bezogen sein können also auch auf dynamisch-funktionelle wie etwa Statik oder Materialverhalten. Die hiervon jeweils abhängenden, sich teilweise deutlich unterscheidenden Erkenntnisstrukturen werden entsprechend differenziert in den Blick genommen. Die Unterscheidung zwischen Entwurfs- und Prüfmodell, die die vorliegende Arbeit ganz wesentlich prägt, ist als eine heuristische zu denken, die es ermöglicht, die jeweils speziellen Eigenschaften, Bedingungen und Potentiale konzentriert in den Blick zu nehmen. Wie der Blick auf die Fallbeispiele gezeigt hat, lässt sich die Trennlinie zwischen Entwurfs- und Prüfmodell im rea len Einzelfall nicht immer eindeutig ziehen. Das folgende Kapitel ist deshalb auch insofern eng mit der obigen Analyse des Entwurfsmodells verknüpft, als dass das Entwurfsmodell stets als vergleichende Folie mitgedacht und stellenweise mitverhandelt wird. Damit können Überlappungen aufgezeigt werden, vor allem aber Unterschiede zwischen den beiden Modellkategorien herausgearbeitet und ihre jeweils spezifischen Eigenschaften und Potentiale nochmals betont werden. Die in den einzelnen Abschnitten beschriebenen Aspekte und Potentiale des Prüfmodells werden in der Folge argumentativ miteinander verknüpft. Die Reihenfolge der Beschreibung ist allerdings keineswegs so zu verstehen, dass bestimmte Eigenschaften, Potentiale oder mit dem Prüfmodell verknüpfte Phänomene linear und zwingend auf andere angewiesen wären oder zwangsläufig aus ihnen folgen würden.
4.4.1 Prozess/Artefakt Das Prüfmodell ist und handelt als physisch reales, haptisch greif bares Ding ‚in der Welt‘. Dieses wesentliche Merkmal, das das Modell von anderen, vornehmlich abbildenden Entwurfs- und Planungsmedien unterscheidet, ist in dieser Arbeit bereits mehrfach und für sämtliche Modelle betont worden. Die Realpräsenz des Prüfmodells kommt allerdings anders zum Tragen als diejenige des Entwurfsmodells, die oben beschrieben worden ist: Im Unterschied zum offenen, haptischen Zugriff auf das Entwurfsmodell innerhalb eines dialogischen Prozesses zwischen entwerfendem Subjekt und dem werdenden
Das Prüfmodell
Modell-Artefakt liegt das Wissens- und Erkenntnispotential des Prüfmodells vornehmlich in seinem Verhalten als Artefakt. Der epistemische Gehalt besteht im Agieren des Prüfmodells ‚in der Welt‘ und seinem Reagieren ‚auf die Welt‘. Die Rolle des Subjektes ist demnach wesentlich auf das Vorbereiten des Modellversuchs sowie dann das Beobachten und anschließende Auswerten dieses Verhaltens minimiert – ein händischer Zugriff findet während des Modellversuchs selbst in der Regel nicht statt. Diese Beobachtung hat nicht nur Auswirkungen auf die Struktur der Wissenshandlung, sondern auch auf seine zeitliche Verortung innerhalb des Modellierungsprozesses: Anders als beim Entwurfsmodell entstehen Erkenntnis und Wissen beim Prüfmodell weitaus weniger im Verlauf der Modellierung, also auf dem Weg hin zum fertigen Modell. Die Erkenntnispotentiale des Prüfmodells entfalten sich, nachdem das jeweilige Modell fertiggestellt ist mit Blick auf das, was das Modell – dann – ‚tut‘. „If doing“, schreibt die Architekturtheoretikerin Albena Yaneva, „is the active phase of model design, defined in terms of skilled action, and ability on execution, appreciating, perceiving and enjoying is the other phase.“87 Aus der Perspektive des modellierenden Subjekts bedeutet das also, dass es – gemeinsam mit dem werdenden Modell – zunächst selbst agiert, um dann als weitgehend passive_r Beobachter_in des fertiggestellten Modells zu fungieren. Während Yaneva die beiden Phasen des Tuns und des Beobachtens einem Modell zuschreibt, fußt die hier geführte Argumentation auf der Beobachtung, dass bei einem Großteil der Entwurfsprozesse mehrere Modelle – also erst Entwurfs- und dann Prüfmodelle – zum Einsatz kamen und die einzelnen Modelle auf diese Weise schwerpunktmäßig einer der beiden Phasen oder Kategorien zuzuordnen sind. Bei Entwurfs modellen kommt demnach dem Aspekt des händischen Tuns eine besondere Bedeutung zu, während das Prüfmodell vor allem darauf ausgelegt ist, beo bachtet zu werden. Aus genau dieser Unterscheidung, also der Verortung von Erkenntnis potentialen entweder im Prozess der Modellierung oder der Beobachtung des Modells als Artefakt, folgt die Tatsache, dass das Prüfmodell nicht zwangs läufig vom entwerfenden Subjekt selbst gefertigt werden muss. Wenn das Prüfmodell bereits im Voraus entwickelte Ideen nur mehr ein erstes Mal in die Realität umsetzt und so beobachtbar macht, kommt dem Fertigungsprozess des Modells selbst kaum epistemisches Potential zu. Das Herstellen des Modells, das eigentliche Modellieren also, kann aus diesem Grund delegiert werden. Erkenntnisse und Entscheidungen, die den Entwurfsprozess im weiteren Verlauf prägen, werden vielmehr auf Basis des fertigen Modells und dessen Beobachtung als Artefakt in der Welt getroffen. 87 | Albena Yaneva: The making of a building. A pragmatist approach to architecture. Oxford, Berlin, New York 2009, S. 137.
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4.4.2 Das Prüfmodell als Simulation Eine weitere Differenzierung zwischen Entwurfs- und Prüfmodell lässt sich anstellen in Hinsicht auf den Unterschied zwischen Form und Prozess. Während die obige Analyse den Erkenntnisort (während/nach der Modellent stehung) thematisiert hat, wird im Folgenden das Erkenntnisziel thematisiert. Die Grundannahme vorweg: Während mit dem Entwurfsmodell vornehmlich formale bzw. ästhetische Aspekte untersucht, analysiert und entwickelt werden konnten, können mit dem Prüfmodell sowohl Fragen in Bezug auf die Form beantwortet als auch dynamische Prozesse untersucht werden. Nachvollziehbar wird diese Differenzierung etwa durch den Blick auf Prüfmodelle wie die Innenraum-Varianten der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche oder diejenigen zur städtebaulichen Einpassung des Ku’damm-Ecks (formal-ästhetisch) im Unterschied zu den statischen, material- oder belichtungstechnischen Prüfmodellen, also etwa die Fassadenproben zur Gedächtnis-Kirche oder die sta tischen Messungen zur Neusser Kirche. Bei den formal-ästhetischen Prüfmodellen werden einzelne, mehrere oder unterschiedliche Modelle innerhalb der gleichen und weitgehend gleichbleibenden Wirklichkeit in den Blick genommen. Die Modelle selbst werden dabei in der Regel nicht mehr weiter behandelt oder verändert, sondern dienen lediglich als Zusammenfassung bisher entwickelter, gestalterischer Möglichkeiten und damit als Entscheidungsgrundlage für weiterhin zu treffende Entwicklungsschritte im Entwurf. Bei den dynamisch-prozessualen Prüfmodellen hingegen handelt es sich im Regelfall um je ein Artefakt, das im zeitlichen Verlauf bei wechselnden Außenbedingungen beobachtet wird. Diese Testverfahren mit dem Prüfmodell entsprechen damit strukturell über weite Strecken den Bedingungen der Simulation, wenn diese als „Methode zur Vorhersage“ begriffen wird.88 Der Philosoph Nils Röller beschreibt die Simulation als „Verstellung“: „Sie operiert nicht mit dem Wesentlichen, sondern mit stellvertretenden Zeichen, die allerdings als wahr ausgegeben werden und für wahr gehalten werden.“89 Das Prüfmodell wäre in dieser Lesart Zeichen bzw. Stellvertreter für den ausgeführten Bau, dessen Reaktion auf die Außenwelt beobachtet wird. Die Simulation sei demnach, so die Kunsthistorikerin Andrea Gleininger, „im Sinne einer dynamischen Modellbildung als Erkenntnisinstrument“ zu verstehen.90 Erkenntnis wird also produziert, indem dynamische Prozesse simuliert werden, die das 88 | Nils Röller: Scientia Media – Simulation zwischen den Kulturen. In: Gleininger/ Vrachliotis 2008, S. 51-62, hier S. 52. 89 | Ebd. 90 | Andrea Gleininger: Von Spiegeln, Wolken und platonischen Höhlen: mediene xperi mentelle Raumkonzepte im 20. Jahrhundert. In: Andrea Gleininger, Georg Vrachliotis
Das Prüfmodell
Modell selbst oder die äußere Umgebung betreffen. Das Äußere – ‚die Welt‘ –, in dem das Modell sich verhält, entsprechen dabei entweder realen Bedingungen oder ist selbst ebenfalls simuliert. So sind einige der beschriebenen Fallbeispiele unter künstlich herbeigeführten, dynamisierten und verdichteten äußeren Einflüssen in den Blick genommen worden: Etwa für das statische Messmodell Polónyis oder die Modelle Frei Ottos sind künstliche Belastungssituationen geschaffen worden, um die jeweilige Reaktion der Modelle beobachten und von ihrem Verhalten auf das zu erwartende Verhalten des Bauwerks schließen zu können. In einigen Fällen werden also auch die Außenbedingungen, die auf das Prüfmodell einwirkten, künstlich geschaffen, beziehungsweise simuliert. In anderen Fällen kommen die dynamisch-prozessualen Prüfmodelle unter realen Bedingungen zur Wirkung. Ein anschauliches Beispiel hierfür bilden Modellversuche im Freien, bei denen die Veränderungen der Lichtbedin gungen im Tagesverlauf unter Realbedingungen überprüft wurden. Verwiesen sei an dieser Stelle nochmals auf die aufwändigen 1:1-Fassadenmodelle zur Berliner Gedächtniskirche, die bei Chartres aufgebaut worden waren. Ähnliches gilt für den Probebau der Rostlaube der Freien Universität in Berlin. Der Status solcher Modelle als reale Artefakte in realer Materialität und realer Umgebung rückt sie freilich bereits in die besondere Nähe zu ausgeführten Bauten. Im Gegensatz zu frühen Entwurfsmodellen, vor allem aber im Gegensatz zu zeichnerischen Darstellungen trifft auf sie zu, was Roman Ingarden für ausgeführte Architekturen und deren – scheinbare – Veränderlichkeit beschrieben hat: „Es ist ein immer neues Antlitz desselben, in sich ‚objektiv‘ unveränderten, Werkes und eine neue Weise des Reagierens auf die Wandlungen seiner Umgebung. Indem wir das eine und selbe Werk […] in seinen verschiedenen Schicksalen und in verschiedenen Verwandlungen und Umständen betrachten, beginnen wir erst, in sein hinter all seinen Antlitzen und Verhaltungsweisen sich bergendes besonderes und einziges Wesen […] tiefer einzudringen.“91
Das Prüfmodell ist in diesen Fällen der Versuch, diese zentrale Eigenschaft von Architektur in einem sehr verdichteten Kontext zielgenau vorwegzunehmen. Mit dem Ansatz des Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlers Herbert A. Simon wird deutlich nachvollziehbar, wie die Variabilität sowohl des Modells als auch der jeweiligen Testumgebung Voraussetzung ist für die (Hg.): Simulation. Präsentationstechnik und Erkenntnisinstrument. Basel/Boston/Berlin 2008, S. 29-50, hier S. 43 (Gleininger 2008a). 91 | Ingarden 1962, S. 313.
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Schaffung neuer – künstlicher – Artefakte. Er hat bei seiner Beschreibung ei ner Wissenschaft vom Künstlichen auf diesen Aspekt der Interaktion zwischen künstlichem Ding (hier also: Modell) und Umwelt und dem sich daraus ergebenden Erkenntnismehrwert abgehoben, der sich schon bei Ingarden angedeutet hatte: „Wir wollen den funktionellen oder zweckgerichteten Aspekt künstlicher Dinge genauer betrachten. Zweckerfüllung oder Anpassung an ein Ziel [als wesentliche Ansprüche an künstliche Dinge, R.L.] vereint drei Komponenten: Den Zweck oder das Ziel selbst, die Beschaffenheit des Artefakts und die Umgebung, in der das Artefakt seine Leistung erbringt. [...] Ein Artefakt kann als die Begegnung – in der heutigen Terminologie: als ‚Schnittstelle‘ – zwischen einer ‚inneren‘ Umgebung, der Substanz und inneren Gliederung des Artefakts selbst, und einer ‚äußeren Umgebung‘, der Umwelt in der es operiert, gedacht werden. Wenn die innere Umgebung der äußeren angemessen ist oder umgekehrt, dann wird das Artefakt seinen Bestimmungszweck erfüllen.“92
Die äußere Wirklichkeit, also etwa die Bedingungen der Schwerkraft, können in dieser Logik mit Hilfe des Artefakts (hier: des Modells) in Einklang gebracht werden mit dem Ziel, das im hiesigen Fall etwa eine statisch haltbare Gebäudekonstruktion wäre. Simons Anpassung an ein Ziel, im architektonischen Kontext also die Entwicklung eines funktionierenden Entwurfs, ist demnach zu erreichen, indem alle drei Variablen zur Passung gebracht werden: Entweder muss sich das künstliche Ding – das Modell – innerhalb einer gegebenen Wirklichkeit verändern, um ein gegebenes Ziel zu erfüllen. Oder aber die Wirklichkeitsumgebung muss sich gleichsam um das Modell herum verändern. Dies wäre etwa bei einem statischen Messmodell der Fall, wenn unterschiedliche Belastungssituationen simuliert werden, um das immer gleiche Modell unter verschiedenen Bedingungen zu beobachten. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass das Ziel an Modell und Wirklichkeit angepasst wird. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn deutlich wird, dass mit den vorgesehenen Entwurfsideen das angestrebte Ziel gar nicht zu erreichen ist und in der Folge grundlegende Änderungen an der Planung – der Zielsetzung – vorgenommen werden müssen. Hiermit wird der Simulationscharakter des dynamischen Prüfmodells nochmals deutlich: Mit denjenigen Prüfmodellen, die hier beschrieben werden, wird vielmehr ein dynamischer Sachverhalt, eine Interaktion zwischen Modell um Umgebung simuliert, als dass das Modell formale Entsprechungen zum geplanten Bau erfüllen würde und damit zwangsläufig eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Modell und Bau bestehen müsste.
92 | Herbert A. Simon: Die Wissenschaft vom Künstlichen. 2. Auflage. Wien/New York 1981, S. 5-6.
Das Prüfmodell
Vor diesem Hintergrund ist den Ausführungen Georg Vrachliotis’ und Andrea Gleiningers deutlich zu widersprechen. Beide sehen die erkenntnistheoretische Nähe zwischen der Simulation und architektonischen Entwurfsprozessen bis zum Einsatz des Computers höchstens auf darstellender Ebene: „Während sich Simulation bislang [in der vordigitalen Zeit, R.L.] auf einen Darstellungs- und Präsentationsmodus bezog, verbindet sie nun Architektur mit den Naturwissenschaften und wird zu einem methodischen und strategischen Instrument, zu einem Erkenntniswerkzeug. Die Computersimulation unterscheidet sich ontologisch vom Spektrum der traditionellen Simulationsbegriffe in der Architektur. Sie ist nicht mehr nur Technik eines bildhaften Vortäuschens, sondern ganz im Sinne der modernen Naturwissenschaften technisches Instrument wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung.“93
Wie gezeigt wurde, sind es genau diese von den Autor_innen genannten Qualitäten, die das Wesen und den Mehrwert bereits des physischen Prüfmodells spätestens seit den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ausmachen.Der Simulationscharakter des Prüfmodells und die damit einhergehende Loslösung von einer zwingenden Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Modell und Bau zeigten sich auch bei der Betrachtung der Fallbeispiele. Einige der oben vorgestellten Modelle waren nicht die nur kleinmaßstäblichen und damit formal weitgehend identischen Entsprechungen der geplanten Architektur. In vielen Fällen stellten sie vielmehr Modellanordnungen dar, die durch Analogiebildung bestimmte Aspekte wie die zu erwartende Belichtung oder statische Fragen in den Fokus nahmen, ohne dabei zwangsläufig äußerlich-formale Übereinstimmungen mit der zu planenden Architektur aufzuweisen. Sie sahen eben nicht aus wie ihre Referenzarchitektur (das fertiggestellte Gebäude), die sie also darstellen würden, sondern simulierten nur bestimmte Aspekte oder anzunehmende ‚Verhaltensweisen‘. Gemäß der Unterscheidung, die Günter Abel zwischen Skalen- und Analogmodellen getroffen hat, kämen diesen Modellen die Eigenschaften des Analogmodells zu. Im Unterschied zu Skalenmodellen, die eine geometrische Form nachbilden würden, würden Analogmodelle die Struktur, beziehungsweise Funktionsweise eines Objekts wiedergeben.94 Abel greift damit auf eine Unterscheidung zurück, die der Mathematik- und Sprachphilosoph Max Black bereits 1962 getroffen hat, als er zwischen „scale models“ und „analgue models“ unterschieden hat: „Scale models […] rely markedly upon identity; their aim is to imitate the original.“95 Im Gegensatz dazu das „analogue model“: „The analogue model shares with its original not a set of 93 | Gleininger/Vrachliotis 2008, S. 8f. 94 | Abel 2008, S. 33. 95 | Max Black: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. New York 1962, S. 222.
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features or an identical proportionality of magnitudes but, more abstractly, the same structure or pattern of relationships.“96 Mark Morris hat ähnliche Charakteristika für die von ihm propagierte Kategorie des „laboratory models“ beschrieben: „Architectural models of a kind are often used in laboratory testing. […] The model does not need to be identical to the proposed building – this is not about accurate appearance, but replication of a building’s geometry and structure.“97 Nur einige Aspekte des Prüf- bzw. Labormodells – wie etwa Gebäudegeometrie und -struktur – werden also gezielt herausgegriffen, um sie in Analogie zum auszuführenden Bauwerk zu testen. Gemeint ist dabei etwa die Versuchsfassade für die Eiermann-Kirche in Chartres, die eine völlig andere Form und Materialität der Waben aufweist wie zu diesem Zeitpunkt bereits für den auszuführenden Bau vorgesehen. Oder die Plexiglas-Modelle Stefan Polónyis, die sich den Dachformen der zu planenden Architektur nur soweit annäherten, um für die statischen Berechnungen verwertbar zu sein. Eine formale Übereinstimmung, die auf optischer Ebene überzeugen könnte, war hier nicht oder höchstens von nachgeordnetem Interesse.
4.4.3 Das Prüfmodell als E xperiment Es wurde bereits deutlich, dass der epistemische Mehrwert, den das Prüfmodell in den Entwurfsprozess einbringt, dadurch entsteht, dass das Modell Aspekte aufzeigen und vorführen kann, die auf andere Weise nicht vorzustellen oder nachzuvollziehen wären. Der Arbeit mit dem Prüfmodell kommen damit Qualitäten zu, die über weite Strecken mit dem (natur-)wissenschaftlichen Experimentieren vergleichbar sind. Dieses hat spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine extreme Bedeutungssteigerung erfahren. So schreiben die Wissenschaftstheoretiker Hans-Jörg Rheinberger und Michael Hagener vom Experiment als dem „unbestrittenen, aber unterbestimmten Signum der neuzeitlichen Wissenschaften.“98 Deren Fachkollegen Ulrich Dirks und Eberhard Knobloch haben im Jahr 2008 ebenfalls darauf hingewiesen, dass das Experimentieren – speziell auch mit Modellen – vor allem seit dem 20. Jahrhundert in der Wissenschaft gestiegene Aufmerksamkeit erfahren hat. Diese Beobachtung haben die Autoren als Grundlage für ein neues Modellverständnis beschrieben: 96 | Black 1962, S. 223. 97 | Morris 2006, S. 93. 98 | Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner: Experimentalsysteme. In: dies. (Hg.): Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften. 1850/1950. Berlin 1993, S. 7-27, hier S. 8.
Das Prüfmodell „Die wachsende Einsicht, dass Modellen in den Wissenschaften keine bloß sekundäre Werkzeugfunktion, sondern eine fundamentale Rolle hinsichtlich des fortschreitenden Erkenntnisprozesses zukommt, ist schwerpunktartig eine Entwicklung im 20. Jahrhundert und geht seit einigen Jahrzehnten zunehmend mit einem sich vertiefenden und rasant ausweitenden, expliziten Diskurs um den Modellbegriff […] einher.“99
Spätestens mit den 2013 veröffentlichen Untersuchungen Reinhard Wendlers ist gezeigt worden, dass diese Funktionsbestimmung des Modells als aktiver Träger von Erkenntnisvorgängen auch für den architektonischen Bereich notwendig und lohnend ist. Wendler plädiert dafür, wissenschaftliche und kreative Modelle weniger in ihrer Differenz, als vielmehr in ihren Gemeinsamkeiten zu beschreiben. Er kritisiert die herkömmlichen Modelltheorien, nach denen „sich auf geradezu natürliche Weise die abbildenden Modelle zu den Wissenschaften, die vorbildenden Modelle hingegen zu den Künsten zu gesellen [scheinen]. […] Die Unterscheidung in Wissenschaften und Künste sowie in Modelle von etwas und Modelle für etwas liegen sich hier wechselseitig zugrunde und erhalten einander dadurch gegenseitig aufrecht. Mit dem Gefüge der Modelltypen und Modellierungskulturen hat diese Trennung letztlich wenig zu tun.“100
Daraus folgert Wendler: „Modelle bieten ein Spielfeld, auf dem die Grenzen zwischen Künsten und Wissenschaften, Denken und Handeln sowie Ästhetik und Episteme auf produktive Weise verunklärt werden können […]. Eine starre Klassifikation der Modelle geht an dem wesentlichen Punkt vorbei, dass eine der wichtigsten Rollen der Modelle gerade darin besteht, solche Aufteilungen vorübergehend aufzulösen oder produktiv zu verunklären.“101
Die Gemeinsamkeiten von künstlerisch-architektonischen und wissenschaftlichen Modellen werden auch von Eva Maria Froschauer und Sabine Ammon zunächst geteilt. Sie schreiben: „Wer nach der Verhältnisbestimmung von Wissenschaft und Entwerfen fragt, hat bereits eine wichtige Grundannahme getroffen: Das Entwerfen wird nicht nur als Vorgang begriffen, der neue Artefakte schafft, sondern es wird zugleich suggeriert, dass das Entwerfen auch als Erkenntnisprozess gesehen werden muss, der Wissen hervorbringt.“102
99 | Ulrich Dirks, Eberhard Knobloch (Hg.): Modelle. Frankfurt am Main 2008, S. 10. 100 | Wendler 2013, S. 164f. 101 | Ebd., S. 202f. 102 | Ammon/Froschauer 2013, S. 16.
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Die vorliegende Arbeit schließt sich dieser Annahme freilich vorbehaltlos an: Architektonisches Entwerfen ist Wissens- und Erkenntnishandlung – architektonisches Entwerfen mit Modellen entspricht damit in ganz wesentlichen Punkten wissenschaftlichem Forschen respektive Experimentieren. Dennoch müssen Unterschiede betont werden, die über die von Wendler zurückgewiesene Dichotomie von ‚Modell für‘ und ‚Modell von‘ hinausgehen. Während er sich vollständig gegen eine Differenzierung von kreativen (Architektur-)Modellen und experimentellen Wissenschaftsmodellen ausspricht, betont Sabine Ammon genau diese Differenzierung anhand eines ganz wesentlichen Unterschieds: Der grundsätzliche Unterschied liege in der „Reproduzierbarkeit der Ergebnisse versus einer Singularität der Ergebnisse.“103 So ziele das wissenschaftliche Experimentieren darauf: „unter gleichen Bedingungen die gleichen Ergebnisse hervorzurufen. […] Als wichtiger Nachweis der Richtigkeit empirischer Befunde zählt daher auch die Bestätigung der Ergebnisse durch andere Arbeitsgruppen. Für das Entwerfen dürfte es hingegen äußerst unwahrscheinlich sein, bei gleichen Ausgangsbedingungen die gleichen Ergebnisse zu erzielen.“104
Auch Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten beschreiben das wissenschaftliche Modell als „Mittel, um allgemeingültige Verhältnisse, Beziehungen, Strukturen – kurz: um Gesetze greif bar und begreif bar zu machen.“105 Bis zu einem gewissen Punkt mögen Allgemeingültigkeit und Wiederholbarkeit auch auf die Arbeit am Prüfmodell zutreffen. Dies ist vor allem bei denjenigen Prüfmodellen der Fall, die dynamische Prozesse simulieren. Denn ob sich eine statische Konstruktion im Modellversuch als stabil erweist oder nicht, wird unter gleichen Testbedingungen immer gleich sein. Auch das Materialverhalten wäre bei zwei Tests unter genau gleichen Rahmenbedingungen identisch. Ein wesentlicher Unterschied liegt dennoch im Interessenfokus: Während das wissenschaftliche Experiment sich auf Fragestellungen bezieht, die in der Welt bereits verankert sind und allgemeingültig gelöst werden sollen, bezieht sich die Arbeit am Modell immer auf einen in der Zukunft verorteten relativen Einzelfall. Die Modell-Versuchsanordnung im Institut von Stefan Polónyi beispielsweise wurde nicht aufgebaut, um allgemeingültige Erkenntnisse über Schwerkraft und Statik zu gewinnen – auch wenn dies vielleicht möglich gewesen wäre. Sie wurde einzig dafür aufgebaut, um zu prüfen, ob 103 | Ebd., S. 344. 104 | Ebd., S. 344f. 105 | Ingeborg Reichle, Steffen Siegel, Achim Spelten (Hg.): Visuelle Modelle. München 2008, S. 9.
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dieses eine, für die Zukunft vorgesehene Gebäude auf die vorgesehene Weise stabil zu konstruieren wäre. In Hinblick auf diejenigen Prüfmodelle, die hier mit formal-ästhetischer Zielsetzung aufgeführt wurden, wird die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und entwerferischen Modellen noch deutlicher. Denn etwa bei einer Reihe von Variationsmodellen zur städtebaulichen Eingliederung eines Neubaus ist kein verallgemeinerbares, wiederholbares Ergebnis zu erhoffen. Zwar mag es mit der Entwicklung einiger Planungsmethoden in den 1960er Jahren stellenweise genau dieses Bestreben gegeben haben, wonach bei ge gebenen Voraussetzungen und entlang objektiv-rationaler Entwurfsschritte am Ende das eine, wissenschaftlich ‚korrekte‘ architektonische Konzept entsteht. Dennoch wirken auf solcherart Fragestellungen innerhalb der architektonischen Planung so viele, von Fall zu Fall sich unterscheidende Aspekte ein, dass diese Bestrebungen vergleichsweise schnell zum Scheitern verurteilt waren. Ein paradigmatischer Fall hierfür ist das sehr schnelle Scheitern des ‚Design Methods Movements‘ Ende der 1960er Jahre, also einer vor allem US-amerikanischen Bewegung von Architekt_innen, die das Entwerfen streng verwissenschaftlichen und damit standardisieren wollten. So beschreibt Jesko Fezer bezogen auf die ersten Krisen der Bewegung: „Es waren [Ende der 1960er Jahre, R.L.] unerwartet Schwierigkeiten bei der Suche nach rationaleren Methoden des Entwerfens aufgetreten. Je genauer man ihren Gegenstand betrachtete und ihre Auswirkungen untersucht, umso klarer wurde, auf welch komplexe Weise der Prozess des Entwerfens in die Dynamiken politischer und sozialer Diskurse eingebunden war.“106
Neben dem Politischen und Sozialen spielen bei jedem Bauprojekt natürlich auch – von Fall zu Fall unterschiedliche – historische, stilistische, finanzielle, kulturelle, geographische, materielle usw. Faktoren eine erhebliche Rolle. Insofern überzeugt Ammon, wenn sie folgert: „Anstelle der Identifizierung allgemeingültiger Gesetzmäßigkeiten steht [beim architektonischen Entwerfen, R.L.] die Erarbeitung von maßgeschneiderten Einzellösungen im Vordergrund.“107 Eine weitere Differenzierung zwischen wissenschaftlichem Experimentieren und architektonischem Entwerfen kommt hinzu. Während zwar sowohl das architektonische als auch das wissenschaftliche Modell – teilweise eigen tätig und nicht steuerbar – neue Erkenntnisse produzieren und Forschende 106 | Jesko Fezer: A Non-Sentimental Argument. Die Krisen des Design Methods Move ment 1962-1972. In: Daniel Gethmann, Susanne Hauser (Hg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science. Bielefeld 2009, S. 287-304. 107 | Ammon 2013a, S. 345.
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wie Entwerfende zu Reaktionen zwingen, bleiben die von den Artefakten gelieferten Erkenntnisse und Ergebnisse in unterschiedlicher Weise bindend: Naturwissenschaftlich Forschende bekommen durch das involvierte episte mische Artefakt am Ende eines Experimentes eine Erkenntnis geliefert und sind damit weitgehend an eben jenes Ergebnis gebunden. Sie haben im Regelfall nicht die Möglichkeit, ein durch den Prozess des Experimentierens erhobenes oder gewonnenes Ergebnis zurückzuweisen. Die Versuchsanordnung kann etwas zeigen, das überrascht, das zu neuem Nachdenken zwingt, das die bisherige Arbeit zunichtemacht – und doch kommt die betreffende Person nicht umhin, sich genau damit künftig auseinanderzusetzen. Das Ergebnis des wissenschaftlich forschenden Umgangs mit Artefakten ist eine zwingende Aufforderung zu neuem Nachdenken und Handeln. Kreativ Entwerfende hingegen können von den Aussagen ihres Modells zwar ebenfalls überrascht werden. Sie können durch die Überprüfung am Modell ebenfalls vor Augen geführt bekommen, dass ein zuvor erdachter oder anvisierter Weg nicht funktioniert. Die Unvorhersehbarkeit, die damit einhergeht, dass das entwerfende Subjekt sich selbst und den Entwurfsprozess an das Modell und seine Eigentätigkeit ausliefert, steht allerdings stets verbunden mit der relativen Unverbindlichkeit der Ergebnisse. Diejenige Lösung, die das Modell präsentiert, kann jederzeit zurückgewiesen werden. Da Architekt_innen innerhalb des Entwurfsprozesses Neues schaffen, sind sie weit weniger als wissenschaftlich Forschende darauf angewiesen, ihre Ergebnisse in Einklang mit der schon bestehenden Realität zu bringen. Zwar sind auch sie an realitäts bezogene Rahmenbedingungen wie etwa die Größe eines Baugrundstückes, die lokale Bauordnung, die Gesetze der Statik, Kostenrahmen und ähnliches gebunden. Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens sind sie allerdings frei in ihren Entscheidungen dem Modell und dessen Vorschlägen gegenüber. Ein Modell, das nicht gefällt, das – etwa in gestalterischer Hinsicht – als unzureichend erscheint, kann einfach im Müll verschwinden und bleibt fortan höchstens als vage Erinnerung an einen nicht weiter beschrittenen Weg existent. Der Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Herbert A. Simon hat in seiner Untersuchung zu den „Wissenschaften vom Künstlichen“ die künstlichen von den natürlichen Dingen ebenfalls auf genau dieser Ebene unterschieden: „Die These besagt, daß gewisse Phänomene ‚künstlich‘ sind in einem sehr spezifischen Sinn: Sie sind nur deshalb, wie sie sind, weil ein System durch Zwecke oder Ziele in die Umgebung, in der es lebt, eingepaßt ist. Wenn natürliche Erscheinungen, in ihrer Bindung an die Naturgesetze, eine Aura von ‚Notwendigkeit‘ um sich haben, so zeigen künstliche Phänomene, in ihrer Verformbarkeit durch die Umwelt, eine Aura von ‚Unabhängigkeit‘.“108 108 | Simon 1981, S. VII.
Das Prüfmodell
Besonders deutlich wurde dies etwa beim Blick auf die unterschiedlichen Variationsmodelle zur Gestaltung des Innenraums der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche oder derjenigen für die Mannesmann-Erweiterung in Düsseldorf. Deren Sinn und Zweck bestand genau darin, bestimmte Entwurfsvarianten zurückzuweisen und in diesem Sinne nicht weiter zu berücksichtigen. Gerade dieser Akt des Auswählens, der bewussten Selektion und des Verwerfens ist es, was die Tätigkeit von Entwerfenden im Wesentlichen ausmacht. Sie können jederzeit neu ansetzen, während naturwissenschaftlich Forschende einmal erlangte, sich als schlüssig erwiesene Erkenntnisse niemals einfach übergehen können, wenn sie sauber arbeiten möchten. Das Offenlegen bestehender Realitäten und Sachverhalte ist wesentlich unfreier als das subjektabhängige Entwerfen.
4.4.4 Das Prüfmodell in Abgrenzung zum Entwurfsmodell Wie in den Fallbeispielen deutlich wurde, dienten Prüfmodelle an denjenigen Stellen innerhalb eines Entwurfsprozesses der Überprüfung und Beweisführung, wo herkömmliche Möglichkeiten der Vorstellung, Darstellung oder Berechnung an ihre Grenzen gerieten. Gründe dafür konnten in der Komplexität der Bauform oder in Fragen der Statik, Belichtung, Durchlüftung oder Ähnlichem liegen. Die Fragen, die an das jeweilige Prüfmodell gestellt wurden, waren demnach je schon im Vorfeld des Modellbaus eindeutig formuliert. Und die Antwortmöglichkeiten waren in diesen Fällen – anders als beim Entwurfsmodell – nicht mehr mannigfaltig und offen, sondern eindeutig. Etwa: Wird die Konstruktion halten? Ja – oder nein. Wird das Fassadenmaterial den festgesetzten Anforderungen gerecht? Ja – oder nein. Welche Entwurfsvariante soll gewählt werden? Diese – nicht jene. Überraschungen waren dabei zwar nicht ausgeschlossen. Sie waren aber – anders als beim Entwurfsprozess in seiner Offenheit – nicht mehr explizit vorgesehen beziehungsweise gar erwünscht. Das Prüfmodell entsprach demnach der Forderung, die Sabine Ammon allgemein für architektonische Entwürfe formuliert hat – die Forderung nach „Korrektheit“, die bereits „im Vorfeld der Ausführung [des eigentlichen Baus, R.L.] sicherzustellen“ sei.109 Ammon folgert daraus: „Im Entwerfen muss ein Wissen über den Entwurf erarbeitet werden, das die Umsetzung eines funktionierenden Bauwerks ermöglicht. Daher sind im Entwurfsprozess bereits vielfältige Überprüfungsmechanismen verankert, mit deren Hilfe sich richtige Vorannahmen in Abgrenzung zu unrichtigen, schlechten oder unsinnigen absondern lassen.“110
109 | Ammon 2013b, S. 153. 110 | Ebd.
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Manifestationsformen des Entwurfs – Skizzen, Zeichnungen oder eben Modelle – seien in diesem Sinne „Testumgebung und Testverfahren“, um neues Wissen im Entwurf zu erzeugen.111 Ammon beschreibt damit Eigenschaften und Potentiale von architektonischen Entwurfsmedien, die besonders auf Architekturmodelle – und in der hier entwickelten Differenzierung vornehmlich auf die Kategorie des Prüfmodells – zutreffen. Auch bei der Betrachtung der Fallbeispiele wurde deutlich, dass das Prüfmodell eben genau an denjenigen Stellen innerhalb des Entwurfsprozesses zum Einsatz kam, an denen besonderer Innovationsanspruch galt. In diesen Fällen waren sowohl die geistige Vorstellungskraft als auch herkömmliche Verfahren und Medien wie Zeichnungen oder Berechnungen nicht mehr ausreichend, um verlässlichen Vorhersagen zu treffen. Auch die theoretischen Wissensbestände und das aus Erfahrung gewonnenen Wissen reichten an diesen Stellen nicht aus. Der Philosoph und Soziologe Ignacio Farías bezeichnet Darstellungsmedien der Architektur als Mediatoren und schreibt ihnen als solche ebenfalls die Funktion von Testarrangements innerhalb des Entwurfsprozesses zu: „Diese Mediatoren sind von ihnen [den Architekt_innen, R.L.] geschaffen, um Erkenntnisse zu gewinnen, die von ihren kognitiven Erwartungen abweichen können. So fungieren sie auch als Tests, oder épreuves, um schon getroffene Entwurfsentscheidungen zu überprüfen.“112 Damit ist genau diejenige Qualität von Prüfmodellen beschrieben, die hier im Zentrum ihrer Analyse steht. Die Funktion des Prüfens ist dem Modell im architekturwissenschaft lichen Kontext bereits mehrfach zugeschrieben worden. Dabei sind die beiden grundlegend unterschiedlichen Prozesse des Entwickelns und des Prüfens, die hier mit der Differenzierung von Entwurfs- und Prüfmodell argumentiert wird, allerdings nie explizit dargelegt worden. Entweder wurde dem Modell in bisherigen Analysen weitgehend unreflektiert nur eine der beiden Funktionen zugeschrieben. So etwa bei Karen Moon in ihrer Schrift über architektonische Modelle im Jahr 2005: „Models are created by architects to ensure the validity of their designs and to test technical performance. […] However certain the calculations, however detailed the drawings, a model verifies the concept in a physical and substantive way.“113 Moon schreibt die Qualitäten des Versicherns und Testens also allen im Entwurfsprozess entstehenden Modellen zu und klammert dabei die generativen Potentiale, die oben zum Entwurfsmodell beschrieben wurden, weitgehend aus. In anderen architekturwissenschaftlichen Arbeiten wurden dem einzelnen Modell-Artefakt hingegen ununterschieden beide Funktionen – die des Entwickelns und die des Prüfens – zugeschrieben, ohne sie analytisch zu trennen. So beschrieb die US-amerikanische Archi111 | Ebd., S. 155. 112 | Farías 2013, S. 97. 113 | Moon 2005, S. 33.
Das Prüfmodell
tekturwissenschaftlerin Albena Yaneva: „Architects make assumptions, then build the model and test it, and by doing so they get an answer to their question.“114 Das von ihr skizzierte Nacheinander von „making assumptions“ und „building the model“ ist gemäß der hier geführten Argumentation als genuine Eigenschaft – nur – des Prüfmodells zu verstehen. Schließlich zeichnete sich das Entwurfsmodell, so wurde oben gezeigt, gerade dadurch aus, dass denken und modellieren zeitlich und strukturell zusammenfielen, also gerade nicht aufeinander folgten. Speziell – beziehungsweise: nur – dem Prüfmodell kam im Gegensatz dazu die Rolle zu, eindeutig auf konkrete Entwurfsfragen zu antworten. Der Designtheoretiker Siegfried Gronert bezeichnet die Arbeit am Modell innerhalb von Entwurfsprozessen als „gestalterische Forschung“, bei der bestehende Wissensbestände um explizit benennbares, neues Wissen ergänzt würden. Ohne sie explizit so zu bezeichnen beziehungsweise zu differenzieren, beschreibt auch er Potentiale, die vornehmlich dem Prüfmodell zukommen: „Das Modell ermöglicht spezifische Reflexionsprozesse in der Phase des Entwurfs und damit gestalterische Forschung in dem Sinne, dass das gegebene Wissen über Funktions- und Gestaltungsvorgänge angewandt und weiterentwickelt und somit ein nachvollziehbarer Fortschritt hinsichtlich der zu beantwortenden Fragestellung erkennbar wird.“115
Gronert geht in der Beschreibung der dem Modell vorbehaltenen Erkenntnis potentiale davon aus, dass eine zu beantwortende Fragestellung im Vorfeld explizit benennbar gewesen und der Fortschritt nach dem Modellversuch – ebenfalls explizit – nachvollziehbar sei. Er benennt damit Eigenschaften, die ausschließlich auf die Beispiele der Kategorie des Prüfmodells zutreffen. Während sich die Arbeit am und mit dem Entwurfsmodell also vornehmlich durch die stille Zwiesprache zwischen Entwerfer_in und Modell-Artefakt mit den dazugehörigen, wesenhaft offenen Wissens- und Erkenntnisvorgängen ausgezeichnet hat, war die Verwendung des Prüfmodells als Versuchsanordnung anders strukturiert. Das zeigt sich nicht zuletzt durch die veränderte Art der Vorbereitung: Nicht nur, dass es durch vorher anderweitig (etwa durch die Arbeit an Entwurfsmodellen) zu gewinnende Entwurfsideen gleichsam vorbereitet werden musste, um sich überhaupt auf etwas beziehen zu können und dieses überprüfen zu können. Wie beschrieben, gehörte zur Vorbereitung des Modellbaus auch Klarheit darüber, welche genaue Funktion dem jewei ligen Modell zugeschrieben werden sollte, welche noch zu klärende Frage es gleichsam zu beantworten hätte. 114 | Yaneva 2009, S. 143. 115 | Gronert 2013, S. 125.
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So klar und eindeutig die Forderungen und Erwartungen an das Prüfmodell waren, so klar war entsprechend auch die Auswertung des jeweiligen Modellversuchs. Es wurde durch einige der Fallbeispiele bereits deutlich, dass Prüfmodelle ganz wesentlich auch zum Austausch unter Kolleg_innen oder zur Beratung zwischen Planer_innen und Auftraggeber_innen genutzt wurden. Die Ergebnisse der Arbeit mit dem Prüfmodell wurden in solchen Fällen also auch sprachlich expliziert. Verwiesen sei hier etwa auf die Briefe Eiermanns an Pfarrer Pohl zur Gedächtniskirche, denen nachweisbar wiederholt Fotografien der Modelle beigelegt wurden. Der Architekt Stefan Behnisch berichtete aus der Arbeitspraxis seines Büros: „Das Architekturmodell […] ist sowohl ein Planungs- als auch ein Darstellungsmittel. Es dient der Arbeit am Büro, der Zusammenarbeit mit Fachplanern und der Information des Bauherrn. Man steht um das Modell herum, schaut hinein, verschiebt Teile, ergänzt einige […].“116 Damit zeichnet sich die Kategorie des Prüfmodells also auch durch ihre eigene Form der Nachbereitung aus: Durch die ganz konkrete, schriftliche oder mündliche Formulierung der am Modell gewonnenen Erkenntnisse wurde es überhaupt erst für den Planungsprozess von Nutzen. Die vom Modell gelieferten ‚Antworten‘ hatten also erörtert und als Grundlage für den weiteren Planungsprozess bestimmt zu werden. Diese Nachbereitung bestand im Regelfall ganz wesentlich aus der Kommunikation zwischen allen maßgeblich an der Planung Beteiligten und rührt damit bereits stellenweise an der Kategorie des Präsentationsmodells. Die Tatsache, dass im Vorfeld des Modellbaus Klarheit über das Erkenntnisinteresse – die Frage – herrschte, wird somit bestätigt durch die Tatsache, dass auch die gelieferten Ergebnisse des Modellversuchs – die Antworten – am Ende explizierbar sind.
4.4.5 Vergangene Notwendigkeit Die Analyse des Archivmaterials hat gezeigt, dass das Prüfmodell mit seinen Potentialen und Funktionen für den Entwurfsprozess in besonderem Maß an die architekturhistorische Epoche der Moderne, vor allem aber der Nachkriegsmoderne gebunden ist. Die oben thematisierte Verwendung des Entwurfsmodells zur Entwicklung architektonischer Konzepte hatte auf einer relativen Entscheidungsfreiheit basiert: Trotzdem der sprichwörtliche Griff zum Entwurfsmodell in vielen Fällen nahegelegen haben mag, stand es der entwerfenden Person doch stets frei, auch andere Entwurfswerkzeuge oder -medien, wie etwa die Skizze, zu verwenden. Die Einbeziehung des Entwurfsmodells beruhte damit letztlich immer auch auf subjektiven Entscheidungen, Selbstbildern 116 | Stefan Behnisch: Lob der Pappe. Modellbau im Architekturbüro. In: Baumeister 4/1992, S. 20f, hier S. 21.
Das Prüfmodell
und Vorlieben. Wie oben ebenfalls beschrieben, scheint die Verwendung des Entwurfsmodells in zahlreichen Fällen durch das zeitgenössische Selbstbild oder Ideal von Architekt_innen der Zeit motiviert gewesen sein. Das Prüfmodell hingegen stellte mit all seinen beschriebenen Potentialen vor allem in den von Experimentierfreude geprägten 1960er und 1970er Jahren oftmals eine unhintergehbare Notwendigkeit im Entwurfs- und Planungsprozess dar. Es wurde dort unverzichtbar, wo neuartige, bisher unerprobte Konstruktionsweisen und Baumaterialien zum Einsatz kamen. Materialien und Konstruktionen also, für die es in der Baugeschichte keine Vorläufer und damit keine praktischen Erfahrungen geben konnten. Der Züricher Architek turt heoretiker Adolf Max Vogt hat die architektonische Moderne vor allem der 1920er und 1930er Jahre charakterisiert durch ein „‚Vorne‘ sein wollen, das Gefühl des Bahnbrechertums, das Erspüren und risikoreiche Begehen unbegrenzten Terrains.“117 Diese Eigenschaften, das haben unter anderem die ausgeführten Fallbeispiele gezeigt, galten in mindestens dem gleichen Maß auch für die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. So wurden in den Jahrzehnten nach dem Krieg nicht nur neue Konstruktionsweisen und Baumaterialen erprobt und angewandt. Darüber hinaus ist auch der Bauablauf auf der Baustelle durch eine zunehmende Mechanisierung und Präfabrikation der Bau teile ganz grundlegend verändert worden. Ein konkretes Beispiel etwa für völlig neuartige Konstruktionsmethoden war die Konstruktion des Faltwerks aus Spannbeton für das Kirchenschiff von Polónyi/Schaller in Neuss, deren Tragfähigkeit im Vorfeld mit einem sta tischen Messmodell überprüft wurde. Ein gänzlich neuartiges und damit vorbildloses Baumaterial kam etwa mit dem Einsatz von Rost ansetzendem CorTen-Stahl beim Bau der Berliner Rostlaube zum Einsatz. Wie gezeigt wurde, sind das ‚Verhalten‘ dieses Materials unter realen Witterungsbedingungen sowie die Auswirkungen auf das Raumklima über Monate hinweg anhand eines Probebaus beobachtet und getestet worden. Auch für neuartige Wandauf bauten beispielsweise aus industriell vorgefertigten Betonelementen gab es in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erst wenige auswertbare Vorläufer. Daher mussten sie beispielsweise im Vorfeld der Errichtung der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche aufwändig an Modellen erprobt werden. Bei all diesen Prüfverfahren handelt es sich um dynamische Aspekte: So wurden also weniger formalästhetische Fragestellungen behandelt, sondern vielmehr darauf geachtet, was das Modell – als Simulation von Teilen des geplanten Bauwerks – innerhalb eines begrenzten Zeitabschnittes und in Reaktion auf wechselnde Außenbedingungen ‚tun‘ würde. Andere Prüfmodelle hingegen dienten der formalen, ästhetischen oder räumlichen Vorstellungsbildung. Auch dieser Aspekt ist in der Zeit der Nach117 | Vogt 1980, S. 27.
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kriegsmoderne in besonderem Maße relevant gewesen. Einerseits wegen der oben bereits beschrieben asymmetrischen, skulpturalen Allansicht der Baukörper, die einer ausreichend veranschaulichenden Darstellung in zweidimensionalen Bildverfahren entgegenlief, andererseits wegen der zunehmenden Dimensionierung zahlreicher Bau-Komplexe. Der Architekt Rolf Janke ist bereits zitiert worden mit seiner Feststellung von 1962, wonach die zunehmende Komplexität der zeitgenössischen Bauten die Vorstellungskraft auch der Fachleute übersteigen und somit also Modelle notwendig mache würden.118 Am Beispiel etwa der Pläne Paul Schneider-Eslebens für eine Erweiterung des Mannesmann-Komplexes in Düsseldorf, des Berliner Ku’damm-Ecks nach Plänen von Werner Düttmann oder des Kölner Hörsaalgebäudes von Rolf Gutbrod ist dieser Aspekt auch anhand der hier vorgestellten Fallbeispiele besonders deutlich geworden. Mit ihnen sind sowohl städtebaulich-formale – also den Außenbau betreffende Aspekte – in den Fokus gerückt als teilweise auch solche, die den inneren Raumauf bau oder die Raumabfolge eines Baus betreffen. Die Berliner Architektin Ursulina Schüler-Witte, die gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Schüler das 1979 eröffnete Internationale Congress Centrum Berlin (ICC) geplant hat, betonte im Gespräch ebenfalls die Bedeutung von Modellen zum „Kontrollieren“.119 Das ICC war seinerzeit das teuerste – und vor allem im Inneren eines der komplexesten – Gebäude Westberlins und der Bundesrepublik. Bei jedem Planungsschritt, so Schüler-Witte, seien Modelle in unterschiedlichen Maßstäben gefertigt worden für die „räumliche Kontrolle des Entwurfs.“120 Diese sei mit der einfachen Zeichnung nicht zuverlässig zu haben und erst heute teilweise auch durch Computerprogramme zu leisten: „Die in späteren Jahren mit den dann gegebenen Möglichkeiten der elektronischen Visualisierung waren z.B. durch gezeichnete Perspektiven nicht annähernd zu erreichen“, so die Architektin.121 Hiermit ist auch die architekturhistorische Relevanz des Prüfmodells betont. Mit dem Zitat von Schüler-Witte ist bereits angedeutet, dass die Verwendung des Prüfmodells in der beschriebenen Notwendigkeit sich mit der Nachkriegsmoderne auf einen vergleichsweise kurzen Zeitabschnitt beschränkte. So unhintergehbar sein Einsatz vornehmlich seit Beginn der 1960er Jahre aus den beschriebenen Gründen geworden war, so schnell waren einige der zugehörigen Verfahren des Vorwegnehmens und Überprüfens auch wieder überholt. Die Entwicklung des Computers lieferte nicht nur neue Möglichkeiten der Visualisierung. Das Prüfmodell wurde auch in denjenigen Verwendungszusammenhängen wieder verzichtbar, die hier als die dynamischen, 118 | Janke 1962, S. 39. 119 | Ursulina Schüler-Witte im Gespräch am 12.09.2016. 120 | Ebd. 121 | Ebd.
Das Prüfmodell
prozessgebundenen beschrieben worden sind: Zahlreiche der ‚Fragen‘, die zuvor an bestimmte Arten von Prüfmodellen gerichtet worden waren, konnten nun vergleichbar einfach am Computer durchgerechnet und damit wesentlich einfacher beantwortet werden. Vor allem statische Berechnungen und Überprüfungen wurden ab Beginn der 1970er Jahre zunehmend digital durchgeführt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nochmals an die Beschreibung des Bauingenieurs Stefan Polónyi, wonach die Arbeit in seinem 1965 an der TU Berlin gegründeten Institut für Modellstatik „nur rund zehn Jahre lang interessant“122 gewesen sei. Mit dem verstärkten Einsatz von Computern im Planungsprozess sei die Arbeit an solcher Art von Modellen sehr schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Den hier als Prüfmodell analysierten Artefakten kam damit in vielen Fällen eine beinahe tragische Ironie zu: Innerhalb eines sehr kurzen Zeitabschnitts vor allem in den 1960er und frühen 1970er Jahren waren sie Beförderer von absolut neuartigen und damit potentiell wegweisenden architektonischen Konzepten, nur um wenige Jahre später selbst als Medium weitgehend überholt zu sein. Diese enge zeitliche Bindung könnte ein Grund dafür sein, dass die mit dem Prüfmodell verbundenen Aussagepotentiale in der Forschung – zumal der architekturhistorischen Forschung – bisher kaum strukturell analysiert und beschrieben worden sind.
122 | Stefan Polónyi im Gespräch am 11.06.2015.
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5. Das Modell als materialisierte Theorie der Nachkriegsmoderne. Ein Resümee
Beim architektonischen Entwerfen am und mit dem Modell kommen die wesentlichen Charakteristika zahlreicher Wissenskonzepte zum Tragen, wenn der Entwurfs- als ein Erkenntnisvorgang verstanden wird. Aktiviert werden einerseits Wissensbestände, über die die Entwerfenden schon zu Beginn bewusst oder unbewusst verfügen. Andererseits werden durch den Umgang mit Modellen neue Erkenntnisse entweder im Prozess erarbeitet oder am Artefakt gewonnen. Diese Erkenntnisprozesse werden von zahlreiche Faktoren beeinflusst. So beobachteten Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Roland Meyer zunächst unabhängig vom konkreten Entwurfsmedium, dass „ästhetische, gestalterische und konzeptionelle Kompetenzen […] in die Entwürfe ein[fließen], auch in Auseinandersetzung mit sozialen und kulturellen Bedingungen und Zielen der Architektur, ohne dass darüber in der Regel ein bewusster Austausch stattfindet.“1 Sehr ähnlich die Formulierung von Jörg H. Gleiter, hier allerdings explizit im Zusammenhang mit dem Begriff „Wissen“: „Architektur entsteht […], wenn die verschiedenen Wissensformen, die die Architektur auszeichnen, wie Kontext, Material, und Konstruktion oder Körper, Atmosphäre und kulturelle Codes unter einer Idee in sinnfällige Beziehung zueinander gesetzt werden.“2 Dieser Liste ist die oft unausgesprochene Verarbeitung von architekturhistorischem Wissen hinzuzufügen, welches ebenfalls zwangsläufig Einfluss auf jedwede Planung hat. Bezogen auf die Designgeschichte haben Claudia Mareis und Christoph Windgätter auf die Notwendigkeit der Historisierung von Entwurfstheorien hingewiesen: „Design und design thinking werden […] in vielen Fällen als 1 | Susanne, Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer: Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Architekturwissenschaften. Band II: Zur Logistik des sozialen Raumes. Bielefeld 2013, S. 11. 2 | Gleiter 2015, S. 40f.
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überzeitliche, da zukunftsgerichtete […] Aktivitäten definiert – und entziehen sich dadurch einer kritischen Historisierung und Entmystifizierung ihrer Praktiken, Narrative und Akteure.“3 Sehr ähnlich das Argument von Lorenz Engell und Bernhard Siegert: „Statt das Entwerfen als fundamentalen Akt künstlerischen Schaffens zu begreifen und als anthropologische Konstante der Geschichte zu entziehen, wäre eben diese Konzeption als historisches Resultat von diskursiven, technischen und institutionellen Praktiken zu befragen.“4 Siegfried Gronert schlägt sogar eine konkrete Epocheneinteilung für die Designgeschichte vor, die die These der vorliegenden Arbeit für die Architektur untermauert: „Die historisch unterschiedlichen Möglichkeiten der theoretisch-praktischen Auseinandersetzung mit einer Gestaltung, die wir heute Design nennen, [lassen sich] als sukzessive Folge von drei Epochen darstellen. Die […] designtheoretische Epoche, die von der Sachlichkeit der Jahrhundertwende bis zum Ende der Guten Form reicht, kann als Epoche des Modells aufgefasst werden, denn ihr wesentliches Element ist die Gestaltung und Reflexion an Modellen […]. In der Zeit davor ist der Begriff des Designs in einer völlig anderen Sphäre angesiedelt. Seit der Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wird im disegno eine besondere wissenschaftliche Erkenntnis- und Ausdrucksmöglichkeit gesehen. […] In der dritten Epoche – seit dem Ende des 20. Jahrhunderts – kann Design in Verbindung mit dem Begriff des Projekts im Kontext einer sozialen, ergebnis orientierten Handlung angesiedelt werden, die verschiedene Möglichkeiten des Wissens im Entwurf beinhaltet.“5
Disegno – Modell – Projekt: Die Geschichte des Entwerfens und ihrer Wissensprozesse macht sich für Gronert zumindest in den ersten beiden Epochen an den verwendeten Medien fest. Das 20. Jahrhundert ist dabei dasjenige des Modells. Die hier durchgeführte Analyse hat gezeigt, dass nicht nur die Verwendung des Mediums selbst historisch bedingt ist. Darüber hinaus reflektieren diese Medien ihrerseits zwangsläufig und auf unterschiedliche Weise histo rische Konzepte. Für den Fall der Moderne ist deutlich geworden, dass diese Reflexion wesentlich im Sinne der bewussten Abgrenzung stattgefunden hat. In den Jahren und Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bruch mit dem direkt vorher Gewesenen gar zum Leitmotiv, indem das neue, feingliedrigtransparente Bauen vor allem in der Bundesrepublik der 1950er Jahre genauso wie die skulptural-brutalistische Architektur ab den 1960ern als ‚demokratisch‘ und somit in programmatischem Gegensatz zur Architektur der Nazizeit und als Wiederaufnahme der Klassischen Moderne kommuniziert wurde. 3 | Mareis/Windgätter 2013, S. 14. 4 | Engell/Siegert 2012, S. 5. 5 | Gronert 2013, S. 119f.
Resümee
In das architektonische Entwerfen fließen zwangsläufig historisch bedingte Selbstbilder mit ein und prägen sowohl die Wahl des Entwurfsmediums als auch den Umgang damit. Anders herum, und das ist eine Kernthese dieser Arbeit, generieren diese Medien und die daran gekoppelten Erkenntnisprozesse genau dieses historisch zu deutende Selbstbild aktiv mit. Für die Architektur der Nachkriegsmoderne liegt eine wesentliche Qualität des Modells in seiner Eigenschaft als physisches Artefakt. Der grundlegende Unterschied zu zweidimensionalen Darstellungsmöglichkeiten besteht also zunächst darin, dass es sich beim Modell gerade nicht um eine Praxis des Darstellens handelt, die auf eine rein visuelle Rezeption angelegt wäre. Das Modell ist, wie bereits anhand der Fallbeispiele sowie der theoretischen Auswer tungen deutlich wurde, selbst ein haptisch-dreidimensionales Artefakt, das in der unmittelbaren Umgebung der Erschaffer_innen und/oder Betrachter_innen verortet ist. Zur Betonung und Würdigung der unmittelbaren Präsenz des Modell-Artefakts im Gegensatz zur vornehmlich abbildenden Qualität etwa der zweidimensionalen Entwurfsskizze kann die Differenzierung fruchtbar gemacht werden, die Roman Ingarden Anfang der 1960er Jahre für das Verhältnis von Malerei und Architektur formuliert hat: „Der wesentliche Unterschied […] zwischen einem jeden architektonischen Kunstwerk und einem Bilde beruht darin, daß, während in der Malerei die Ansicht nur rekonstruiert ist und eine einzige für jeden dargestellten Gegenstand steht, es in der Architektur eine – im Prinzip unendliche – Mannigfaltigkeit von Ansichten […] gibt. Zugleich sind sie echte wahrnehmungsmäßige und nicht bloß rekonstruierte Ansichten.“6
Oder an anderer Stelle: „Die in der Mannigfaltigkeit von Ansichten sich selbst zeigende räumliche Gestalt des architektonischen Werkes ist nichts Dargestelltes, sondern etwas dem Betrachter Selbstgegenwärtiges.“7
Indem das Modell als dreidimensional-haptisches und nicht nur (rekons truktiv) darstellendes Medium verstanden wird, nähert es sich wesentlich der Architektur im Sinne Ingardens an. Die an das Artefakt des Modells gebundenen Wissensvorgänge sind im Verlauf der vorliegenden Arbeit dargelegt worden und werden hier zum Abschluss der Untersuchung weiter auf ihren sinnstiftenden Gehalt für die Architektur der Nachkriegsmoderne hin befragt. Ein weiterer Faktor verdient ebenfalls nochmalige Betonung: Der produk tive Austausch zwischen den Modellierenden und dem Modell bleibt, so wurde 6 | Ingarden 1962, S. 270. 7 | Ebd., S. 301.
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gezeigt, über weite Strecken nonverbal und wird nur sehr stellenweise bewusst reflektiert. In der Regel wird über den Modellierungsvorgang nur retrospektiv reflektiert. Erst in der Betrachtung eines aus stillem Experimentieren herausgegangenen und als stimmig bewerteten Modells können Entwerfende einige der besonderen Eigenschaften und Qualitäten ihres Modells sowie ihre eigenen, im Prozess implizit zur Geltung gelangten Einfälle rekonstruieren. Erst dieser Schritt ermöglicht es, die Ergebnisse des Prozesses auch in anderen Medien darzustellen oder sprachlich zu beschreiben. Dieser nachgeordnete Vorgang ist dann allerdings – im wesentlichen Unterschied zum Modellierungsprozess selbst – ein vornehmlich retrospektiver. Entwerfende, die die Grundüberlegungen zur Volumenverteilung eines Baukomplexes etwa im stetig veränderten Zueinandersetzen von Streichholzschachteln oder ähnlichem entwickelt haben, werden erst im Nachgang erklären können, warum sie zu welcher Art von Lösung gekommen sind und eben diese für die überzeugendste halten. In diesem Zusammenhang beobachtete auch der Wissenstheoretikers Georg Hans Neuweg: „Wir [ertappen] uns oft dabei, daß wir auf Anfrage vorgängig intuitives Urteilen und Handeln rationalisieren, einen Prozeß des Erwägens rekonstruieren, der so vorher gar nicht stattgefunden hat.“8 Dieser nachträgliche Rationalisierungsprozess findet bezogen auf Architekt_innen spätestens bei der Erläuterung ihres Entwurfs etwa gegenüber Kolleg_innen, den Bauherr_innen oder der Öffentlichkeit statt. Die Prozesshaftigkeit der Arbeit am Modell, das stille Befragen des Artefakts und der nur intuitiv mit ihm geführte Dialog wird auf diese Weise nur zu häufig ersetzt durch eben jene beschriebene, ‚falsche‘ Rekonstruktion eines eigenständigen und linear verlaufenden Denkprozesses, innerhalb dessen das Modell nur mehr eine dienende Werkzeugfunktion bekleiden würde. Im retrospektiven Blick auf den Entwurfsprozess schreiben die Entwerfer_innen in diesen Fällen die Autor_innenschaft auf diese Weise wieder sich selbst zu, ohne den aktiven und produktiven Beitrag des Entwurfsmediums in Anschlag zu bringen. Das mit der vorliegenden Arbeit entwickelte modellbasierte Entwurfs- und Wissenskonzept versteht Architekt_innen hingegen freilich nicht als Subjekte, deren tief im Unterbewussten verankerter und damit sprachlich nicht ausformulierbarer (Künstler_innen-)Genius sich in das Modell im Sinne einer Einbahnstraße nur entäußern würde. Das Modell bekleidet innerhalb der Entwurfsprozesse nicht die Rolle des passiven Werkzeugs zur Explizierung genialer Einfälle ansonsten hinreichend genialer Architekt_innen. Vielmehr besteht das besondere Potential des in Entstehung begriffenen Modell-Artefakts darin, sich aktiv und mit eigenen Potentialen in den Entwurfsprozess einzubringen. Die Frage nach dem Verständnis von Autor_innenschaft zeigt sich damit im behandelten Zeitraum als sehr komplex: Einerseits, so wurde dargestellt, 8 | Neuweg 1999, S. 6
Resümee
betonten die Akteur_innen ihre eigene Rolle als eigenständig Entwerfende, wenn sie die absolute Vorbildlosigkeit ihrer Entwurfshandlungen immer wieder herausstellten. Andererseits, so zeigte die Analyse der aktiven Rolle des Modells als Entwurfsmedium, bezogen die entwerfenden Personen wesentliche Erkenntnisse und Handlungsimpulse aus der ‚Zwiesprache‘ mit dem Medium, das damit zwangsläufig zum Co-Autor wurde. Moderne Architekt_innen, die Entwürfe scheinbar vorbildlos ‚aus sich selbst heraus‘ in einem kreativen Austauschprozess mit dem Medium, beziehungsweise in einem quasi-wissen schaftlichen Experimentalprozess erarbeiteten, unterscheiden sich damit deutlich von der traditionellen Idealvorstellung der autarken Künstlergenies. Mit diesen beiden Beobachtungen – der Eigenschaft des Modells als reales Artefakt und seinem aktiven Beitrag zur Wissensgenese – geht ein Bruch in den für den architektonischen Entwurfsprozess angewandten Wissensprak tiken einher. Dieser Bruch ist von tiefgreifender architekturhistorischer Bedeutung, weil sich an ihm ein genuin modernes Architekturverständnis ablesen lässt, das sich nicht nur an stilistischen Eigenschaften ausgeführter Bauten zeigt. Wenn die kulissenhafte Fassadenarchitektur des 19. Jahrhunderts – sehr vereinfacht ausgedrückt – wesentlich daraus resultierte, dass tradierte Stilformen akademisch korrekt im zweidimensionalen Medium der Skizze oder Zeichnung rekapituliert worden waren, veränderte sich mit der verstärkten Rolle des Modells in der Moderne nicht einfach nur das Aussehen der Bauten. Wie gezeigt wurde, entwickelten sich an der Arbeit mit dem Modell ganz andere Wissens- und Erkenntnisprozesse. Architekt_innen profitierten hier ganz bewusst davon, dass sie Teile ihrer eigenen „Handlungsmacht“ an das Modell „deligierten“.9 „This is the contrast“, so folgerte auch Mark Morris, „to the work arriving in a flash of insight [to the architect, R.L.] and being expressed perfectly the first time.“10 Wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, ist das Denken beziehungsweise Wissen, das während des Entwurfsprozesses zum Tragen kam und diesen leitend beeinflusst hat, wesentlich verknüpft sowohl mit der körperlich-haptischen Handlung am Modell, seiner Behandlung sowie mit dem Artefakt, dem Gegenstand des Modells selbst. Die Analysen der vorangegangenen Kapitel zu den Wissens- und Erkenntnisprozessen beim modellbasierten Entwerfen waren stets bezogen auf die eingangs dargelegte Beobachtung, wonach nachkriegsmoderne Bauten aussehen wie übergroße Objekte, Skulpturen oder eben: Modelle. Mit den dargelegten Fallbeispielen ist diese Modellaffinität einiger nachkriegsmoderner Bauten durch einen eher empirischen Zugang belegt worden, bevor Entwurfs- und Prüfmodelle je auf epistemologischer Ebene in den Fokus genommen worden sind. Zum Abschluss dieser Arbeit werden die ausgeführten Beobachtungs9 | Wendler 2013, S. 41. 10 | Morris 2006, S. 39.
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und Argumentationsstränge zusammengeführt vor dem Hintergrund einer genuin architekturhistorischen Analyse der Nachkriegsmoderne in Hinblick auf ihre – teilweise schon zeitgenössisch propagierten – Ideale. Auch Susanne Hauser hat darauf hingewiesen, dass es architektonischen Entwürfen unter anderem zukomme, das jeweilige „Selbstbild der beteiligten Akteure“11 zu reflektieren. Dieses Selbstbild wird hier anhand des modellbasierten Entwerfens architekturhistorisch für die Zeit der Nachkriegsmoderne verhandelt. Damit wird aufgezeigt, wie die Veränderungen in der Architektur zurückwirkten auf die hierfür notwendigen Medien ihres Entwurfs. Untrennbar hiermit verbunden ist allerdings auch der Einfluss in anderer, gleichsam entgegengesetzter Richtung: Die Verwendung gerade des haptisch-materiellen Modells beeinflusste ihrerseits die Organisiertheit und Gestalt der Bauten. Das Modell ist speziell für die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg somit zu fassen im Sinne eines Mediums, das den auch theoretischen und ideellen Ansprüchen der Zeit in besonderem Maße entsprochen zu haben scheint. Fruchtbar für die folgende Analyse ist der Ansatz des Architekturhistorikers Klaus Jan Philipp, Medien der Architekturdarstellung – in Rückgriff auf Erwin Panofsky12 – als „symbolische Form“ beziehungsweise „visualisierte Theorie“ bestimmter architekturhistorischer Zeitabschnitte zu beschreiben.13 Philipp stellt dabei fest, dass „der Zusammenhang zwischen Theorie und Art und Weise, wie Architektur dargestellt wird, nur selten thematisiert“ werde.14 Vielmehr habe man sich „dem Aspekt gewidmet, ob und wie Darstellungsverfahren in einem ursächlichen Zusammenhang zur Realisation stehen.“15 Die Verfahren wären in diesem Sinne vornehmlich im Hinblick auf ihre praktische oder pragmatische Verwertbarkeit für den konkreten Umsetzungs- beziehungs weise Bauprozess untersucht worden. Streng im Sinne ihrer funktionalen Einbindung gedacht, werde ihnen in der architekturtheoretischen Analyse tradi tionell nur wenig eigener Aussagegehalt zugeschrieben. Die vorliegende Analyse hat sich daran versucht, das Architekturmodell, seinen Status und seine Funktion in beide Richtungen anzubinden: Es wurde sowohl in seiner Verbindung zu zeitgenössisch je gültigen Architekturtheorien und -idealen in den Blick genommen als auch als pragmatisches Mittel auf dem Weg zur Realisierung architektonischer Entwürfe. Das Modell als Entwurfsund Darstellungsmedium verfügt stets über diese Doppelstruktur: In ihm 11 | Hauser 2013, S. 364. 12 | Philipp bezieht sich dabei auf Erwin Panofsky Aufsatz: Die Perspektive als symbolische Form. Vgl. Panofsky 1980, S. 99-167. 13 | So die Bestandteile des Titels bei einem Vortrag an der HafenCity Universität Hamburg im Februar 2008. Vgl. Philipp 2011b. 14 | Philipp 2011b, S. 7. 15 | Ebd.
Resümee
materialisieren sich je aktuelle Architekturtheorien und -ideale. Das Modell ist somit zu analysieren als allgemeiner „Indikator für ein Selbstverständnis zeitgenössischer Kultur.“16 Medien wie das Modell zeigen, so der Architekturhistoriker Jan Pieper, „Architektur außerhalb des Gebauten“ und verhandeln die jeweilige architektonische Idee „neben oder sogar vor dem realisierten Projekt.“17 Im konkreten Planungszusammenhang dient das Modell freilich stets auch dem tatsächlichen Fortkommen des Entwurfs und wirkt damit auf genuin praktischer Ebene. Die jeweilige Gewichtung des theoretisch-ideellen gegenüber dem praktisch-pragmatischen Anteil erweist sich als variabel von Situa tion zu Situation: Ein utopisch gedachtes Ideenmodell, in dem prototypisch und ohne konkreten Entwurfsauftrag eine Architekturauffassung verhandelt wird, ist stärker von einem theoretischen Zugriff geprägt als das Modell etwa für eine konkret projektierte Tiefgarage. Philipp bezeichnet das zeichnerischzweidimensionale Darstellungsverfahren der Axonometrie als „visualisierte Theorie“ der Avantgarde.18 In Anlehnung hieran und als – architekturhistorisch besehen – chronologische Fortsetzung steht das Modell in den 1950er bis 1970er Jahren als materialisierte Theorie der Nachkriegsmoderne im Folgenden zur Debatte. Mit dem Begriff des ‚Materialisierten‘ wird in diesem Zusammenhang nicht nur der aktive Akteursstatus des Modells im Entwurfsprozess betont, der – wie gezeigt – weit über ein nachträgliches Darstellen oder Visualisieren bereits anderweitig perfektionierter Entwurfsideen hinausgeht. Durch das Ersetzen des Begriffs ‚visualisiert‘ durch ‚materialisiert‘ wird zudem unterstrichen, dass das Modell als Artefakt in der unmittelbaren Gegenwart seiner Erschaffer_innen nicht nur visuelle Wahrnehmungsmodi ermöglicht, sondern auch haptische, die Statik betreffende, unter Umständen gar akustische. Das Selbstverständnis und Ideal nachkriegsmoderner Architekten und Architekturen lag – verallgemeinert, vereinfacht und überspitzt formuliert – darin, genuin Neues zu schaffen. Speziell in Abgrenzung zum damals so verhassten Historismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts, seit Anfang der 1950er Jahre aber auch in Ablehnung der auf ‚Nationalen Bautraditionen‘ fußenden Architektur der jungen DDR, betonten die Architekten der Bundesrepublik ihre Modernität, vor allem aber ihre Originalität und angebliche Voraussetzungslosigkeit.19 Die Architektur seiner Zeit, so formulierte der Architekt und 16 | Rübel 2012, S. 13. 17 | Jan Pieper: Architektur als Exponat. Skizze zu einer Vorgeschichte des Architekturmuseums. In: Kunstforum 38/1980, S. 15-33, hier S. 18. Pieper schreibt an dieser Stelle nicht ausschließlich von Modellen, sondern von jeglichen Medien der Architekturvermittlung (im Museum). Dennoch fassen seine Begrifflichkeiten die Charakteristiken des Modells besonders treffend. 18 | Philipp 2011b, S. 8. 19 | Einen Überblick zu diesem speziell in Hinblick auf die Diskussionen in Westdeutsch-
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Architekturhistoriker Jürgen Joedicke im Jahr 1960, habe sich abgesetzt von „Schablonen und Musterbüchern, von Stilformen und Formkategorien.“ Sie sei begründet auf einer „inneren Einstellung […] und nicht auf einen Formen kanon.“20 „Regeln und Rezepte“ würden die „schöpferische Entwicklung“ behindern, der Entwurf müsse demnach seine Grundlage „im Methodischen und nicht im Äußerlich-Formalen“ suchen.21 Auch im Umfeld des Bauingenieurs Stefan Polónyi und dessen Institut für Modellstatik ist das Ideal weitgehend vorbildloser Entwurfspraktiken betont worden. Die Architekturhistorikerin Gudrun Escher schrieb in einer Würdigung von Polónyis Arbeit: „Für Polónyi sind […] die Leistungen anderer nie Richtschnur für das eigene Denken, sondern im Gegenteil nur Anregung, das schon Gedachte in Frage zu stellen, selbst dann, wenn man letztlich zum selben Ergebnis kommt.“22 Und der Ingenieur Klaus Bollinger formulierte: „Es war […] seine besondere Haltung, die ihn zum Erfolg führte: Nämlich nicht in gewohnten Bahnen zu verharren, sondern die Dinge immer wieder neu zu denken und neu zu entwickeln, also im besten Sinne zunächst ‚naiv‘ an neue Herausforderungen heranzugehen.“23 Unabhängig davon, ob die konkrete Arbeitsweise Polónyis diesen zitierten Lobreden immer auch entsprochen haben mag: Deutlich wird an den Zitaten, welches die Richtschnur ist, an der angesehene Architekt_innen sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg idealerweise zu orientieren hatten. Christian Freigang beschreibt die Los lösung der Architektur „aus ihrer historischen Gewordenheit“ als besonderes Charakteristikum der Moderne. Dieses könne somit „in der Vorstellung eines kompletten, voraussetzungsfreien Neubeginns Befreiung von Tradition und Freiheit zu radikalen Lösungen proklamieren.“24 Besonders prägnant beschreibt ein Zitat Frei Ottos das Selbstbild der Architekturschaffenden seiner Zeit. In Hinsicht auf die Entwicklung seiner spektakulären Dachkonstruktionen formulierte er: „Für uns war die [architekturhisland nach dem Zweiten Weltkrieg lieferte Winfried Nerdinger. Vgl. Winfried Nerdinger: Wiederaufbau in Westdeutschland. Zwischen Rekonstruktion und Tabula rasa. In: Helmut Gebhard, Willibald Sauerländer (Hg.): Feindbild Geschichte. Positionen der Architektur und Kunst im 20. Jahrhundert. Göttingen 2007, S. 165-195, v.a. S. 169-172. 20 | Jürgen Joedicke: Für eine lebendige Baukunst… In: Bauen und Wohnen 9/1960, S. 303-305, hier S. 303. 21 | Joedicke 1960, S. 304. 22 | Gudrun Escher: Stefan Polónyi, Tragwerksplaner. In: Gunvar Blanck, Michael Kuhlemann, Björn (Red.): Stefan Polónyi. Baumeister im Ruhrgebiet. Mühlheim an der Ruhr 2010, S. 7-35, hier S. 11. 23 | Klaus Bollinger: Stefan Polónyi – Ingenieur, Lehrer, Denker. In: Kleefisch-Jobst/ Köddermann/Lichtenstein 2012, S. 10-13, hier S. 10. 24 | Freigang 2015, S. 48.
Resümee
torische, R.L.] Vorgeschichte nur dann interessant, wenn wir Ergebnisse, die wir völlig allein und vorbildlos erarbeiteten, in früheren Arbeiten anderer wiederentdeckten. […] Wir haben viele Ergebnisse gefunden, die nicht neu sind. Wir waren froh, sie bestätigt zu haben.“25 Das eigene Forschen, Finden und Entwerfen wird hier also als absolut originär beschrieben: Nicht nur diejenigen Ergebnisse und Erkenntnisse, die tatsächlich neu waren, wurden als eigene und eigenständig entwickelte eingeordnet. Sondern auch diejenigen, die es – ganz zufällig – vorher schon gegeben haben mochte, die hier allerdings höchstens dazu dienten, die eigenen, originären Erkenntnisse retrospektiv zu bestätigen. Ohne dies selbst an dieser Stelle explizit zu machen, berief Otto sich dabei auf Ludwig Mies van der Rohe, den er im Jahr 1951 in den USA besucht hatte. Vom Gespräch mit Mies berichtete Otto später in der ‚Neuen Bauwelt‘. Mies habe gesagt: „Ein Haus muß im Entwurf wachsen wie ein Baum – von sich selbst aus. Man könne am Anfang nie wissen, wie es am Ende aussehen werde, doch dann könne es nur diese und keine andere Form besitzen.“26 Die Architekt_innen der Nachkriegsjahrzehnte orientierten sich zwar ideengeschichtlich und teilweise auch formal- ästhetisch – vor allem gemäß ihrer Selbstdarstellung – an den Ideen der Klassischen Moderne der Vorkriegszeit und dem Vorbild der Kolleg_innen aus anderen ‚modernen‘ Ländern wie etwa den USA oder Nordeuropa. Dabei konnte es allerdings nicht um eine bloße Stil- oder Formübernahme gehen, wie sie zu der Zeit etwa den Architekt_innen des späten 19. Jahrhunderts vorgeworfen wurde. Vielmehr war das Ziel dasjenige, vage Ideen und Konzepte der als vorbildhaft empfundenen Architekturen zwar aufzunehmen, sie hiervon ausgehend aber dennoch selbstständig weiterzuentwickeln. Architektonische Stile als Bestandteil der Architekturgeschichte wurden in diesem Sinne von Philip Johnson folgendermaßen beschrieben: „Ein Stil ist nicht eine Reihe von Regeln oder Einschränkungen, wie manche meiner Kollegen zu denken scheinen. Ein Stil ist ein Klima, in dem man operieren kann, ein Sprungbrett, um sich weiter nach oben zu stoßen.“27 Und an anderer Stelle in noch deutlicherer Wortwahl: „Es ist unser Glück, daß wir auf dem Werk unserer geistigen Väter weiterbauen können. Natürlich hassen wir sie, wie alle geistigen Söhne ihre geistigen Väter hassen. Doch können wir sie weder ignorieren noch ihre Größe leugnen.“28 Die Aufga25 | Bach/Burckhardt/Otto 1988, S. 6. 26 | Frei Otto: Mies van der Rohe. Bericht einer Amerikafahrt von Frei Otto, Berlin. In: Neue Bauwelt 36/1951, S. 593f, hier S. 593. 27 | Philip Johnson: Stil und Internationaler Stil. Ansprache am Barnard College am 30. April 1955. In: ders.: Texte zur Architektur. Stuttgart 1982 [engl. Orig. 1979]. S. 43-49, hier S. 46. 28 | Philip Johnson: Die sieben Krücken der modernen Architektur. In: baukunst und werkform 2/1958, S. 109-112, hier S. 112.
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be sei deshalb, auf bauend auf dem bereits Geleisteten, „doch unseren eigenen Weg [zu] gehen, ohne von irgendeinem Stil eingeengt zu sein.“ Wenn die Architekten der 1950er und 1960er Jahre sich demgemäß zwar grundsätzlich an Vorbildern aus der frühen Moderne orientierten, so musste es doch unbedingt darum gehen, von dort ausgehend Eigenes und Neues zu schaffen. Das Selbstbild der nachkriegsmodernen Architekt_innen und der damit verbundene Anspruch, frei, neu und selbst zu entwerfen, fußen wesentlich auf einem am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden, grundlegenden Wandel in Hinblick auf die Frage, was Architektur überhaupt ist oder sein sollte. Spätestens mit August Schmarsows vielbeachtetem Aufsatz über das ‚Wesen der architektonischen Schöpfung‘29 von 1894 setzte dieser Wandel ein, mit dem die Architektur fortan zunehmend als „Praxis der Produktion von Raum“30 verstanden wurde, dessen Zentrum die raum-leibliche Erfahrung des Menschen in der Architektur bildet. Die Konzentration auf den Raum löste in diesem Sinne seit Ende des 19. Jahrhunderts nach und nach diejenige auf eine vornehmlich visuell geprägte Stilgeschichte ab. Auch Frank Lloyd Wright beschrieb in Hinblick auf seine um die Wende zum 20. Jahrhundert entstandenen Präriehäuser, dass „der Raum als solcher […] nun der wesentliche architektonische Ausdruck“ gewesen sei.31 Der Architekt Otto Ernst Schweizer hat 1957 „das Räumliche“ als „das einigende Gestaltungselement“ des Städtebaus benannt.32 Damit ist neben der allgemeinen Kritik an den ‚blinden‘ Stilübernahmen des Historismus auch die zunehmende Bedeutung des Raumes an sich als Grund anzuführen für die vehemente Zurückweisung traditioneller Architekturkonzepte in der Moderne. Architektur wurde demgemäß zunehmend als polyästhetische Erfahrung begriffen und der vornehmlich visuell geprägte – im Wortsinn – Blick auf die Architektur wurde entsprechend auf andere sinnliche Erfahrungsweisen ausgeweitet. Entsprechend betonte Schmarsow den polyästhetischen Charakter künstlerischen Schaffens: „Das Kunstwerk […] ist doch zunächst ein Werk von Menschenhand, d.h. es entsteht unter den Händen des Menschen und ihren helfenden Werkzeugen aus irgendeinem vorhandenen Material: es kann also nichts anderes sein als das Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen dem Menschen und dem Stoff, und zwar in erster Linie des gesamten dabei in Tätigkeit tretenden motorischen Apparates.“33 29 | August Schmarsow: Vom Wesen der architektonischen Schöpfung. Leipzig 1894. 30 | Gleiter/Schwarte 2015, S. 14. 31 | Frank Lloyd Wright: Schriften und Bauten. München/Wien 1963, S. 43. 32 | Otto Ernst Schweizer: Die architektonische Großform. Gebautes und Gedachtes. Karlsruhe 1957, S. 10. 33 | August Schmarsow: Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 9/1914, S. 66-95, hier S. 66.
Resümee
Das Architekturmodell nennt Schmarsow in diesem Zusammenhang nicht explizit. Dennoch treffen die in den vorangegangenen Kapiteln analysierten, vor allem auch den haptischen Zugriff auf das Modell-Artefakt beförderten Modellierungsprozesse genau den Kern dessen, was Schmarsow für die Wahrnehmung und Produktion von Architektur schon zu Beginn der Moderne einforderte. Eine sehr ähnliche Forderung ist bereits zitiert worden: Der Architekt Wassily Luckhardt hat nur wenige Jahre nach Schmarsow sein Ideal des architektonischen Entwerfens formuliert: „Man […] fange an, ganz von vorn, ganz unvermittelt und unbeeinflußt zu kneten.“34 Das Zitat Luckhardts lässt sich – ohne, dass beide explizit aufeinander Bezug genommen hätten – als praktische Folgerung aus den theoretischen Ausführungen Schmarsows interpretieren. Auch die Forderung nach Originalität und Authentizität, die für architektonische Entwürfe der Moderne bereits als wesentlich beschrieben worden sind und die ja auch bei Luckhardt mit der Idee des ganz unbeeinflussten Knetens schon aufgetaucht war, findet sich in den Ausführungen August Schmarsows. So fragte er suggestiv: „Beruht nicht unsere ganze sogenannte ‚moderne Wohnungskultur‘ auf unserer vorurteilslosen Bewertung, oder vielmehr auf dem Prinzip der Freiheit unserer architektonischen Raumgestaltung gegenüber allen vergangenen Stilen und ihrer größtenteils sakralen Formenwelt?“35 Hieraus lassen sich gleich zwei Ergebnisse für die gestiegene Bedeutung des Architekturmodells im 20. Jahrhundert ableiten. Zunächst einmal war das Modell im Gegensatz zur Zeichnung dazu in der Lage, neben visuellen auch haptische und akustische Zugriffe auf entstehende Architekturkonzepte zu ermöglichen. Wenn die raum-leibliche Erfahrung des Menschen in der Architektur an Bedeutung gewinnt, muss den Architekt_innen schon während des Entwurfsprozesses daran gelegen sein, ihr Konzept auf möglichst vielen sinnlichen Ebenen erfahrbar und damit vorhersehbar zu machen. Zweites geht mit der Abkehr von der Zeichnung die Abkehr von der festgelegten Perspektive einher. Ein im Modell verkörpertes Architekturkonzept kann aus sämtlichen Perspektiven betrachtet werden. Das Modell selbst kann gedreht werden, die Betrachtenden können sich um das Modell herumbewegen. Multiperspekti vische Architekturen und Stadtlandschaften, wie sie für die architektonische Moderne wesentlich sind, finden hierin ihre perfekte Entsprechung. Vornehmlich im Vergleich zur Perspektive oder Zeichnung erscheint das Modell als das ideale Entwurfsmedium, um diesen Anforderungen zu entsprechen. Denn das weitgehende freie und – wie beschrieben – auf implizite und teilweise spielerisch entäußerte Wissensformen zurückgreifende, händische Entwickeln eines Entwurfs ruft exakt diejenigen Vorstellungen von Kreativität und Originalität auf, die für das Selbstverständnis moderner Architekturschaf34 | Akademie der Künste 1990, S. 122. 35 | Schmarsow 1914, S. 74.
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fender als wesentlich erscheinen. Anders als die Zeichnung oder Perspektive eignet sich das Modell eben gerade nicht für Stilübernahmen, zum Abbilden und Nachzeichnen von kleinteiligem Fassadenschmuck oder ähnlichem. Wer seinen Entwurf aus dem Prozess des Modellierens heraus gewinnt, macht sich damit automatisch frei von jedem Verdacht, seine Einfälle abgeschrieben, abgemalt oder auf sonst eine Weise aus einer anderen – fremden oder alten – Quelle heraus reproduziert zu haben. Mit dem Modell, wie es in den vorangegangenen Kapiteln präsentiert wurde, wird nicht nachmodelliert. Das Modell steht für den Anspruch und die Idee, Neues zu schaffen. Zudem steht das Modell als haptisches Artefakt in besonderer Nähe zur Person, vor allem aber des tatsächlichen Körpers der Architekt_innen. Dies wurde oben bereits deutlich bei der analytischen Verschränkung von Denken und Handeln im Sinne von Harrison und Ryle. Erste Entwurfsmodelle, etwa wie diejenigen der Gutbord’schen Waldorfaula oder der Kirche Carlfried Mutschlers, verkörpern im tatsächlichen Wortsinn den händischen Zugriff, den Fingerabdruck der Entwerfenden und nehmen damit nicht nur eine besondere Originalität für sich in Anspruch sondern transportieren darüber hinaus eine enorme Authentizität. Dadurch, dass Architekt_innen in den Vorgang des Modellierens ihre eigene Körperlichkeit einbringen, werden sie als Autor_innen ihres Entwurfs umso ‚greif barer‘. Ihr Entwurf erhält damit eine besondere Unmittelbarkeit. Das geknetete Modell, so eine idealisierte Lesart, formt sich allein aus der voraussetzungslosen Zwiesprache zwischen den Architekt_innen und ihren Material. Dass diese abschließende, ideengeschichtliche Sicht auf den Umgang mit dem Architekturmodell insgesamt eine sehr idealisierte ist und damit unter dem Verdacht steht, eine mystifizierende ‚Selbsterzählung‘ der Moderne weiterzutreiben, ist offensichtlich. Dennoch soll die hier ausgeführte Lesart damit keinesfalls zurückgenommen oder abgeschwächt werden. Denn sie zeigt in ihrer idealisierten Überspitzung nur umso deutlicher auf, wie sinnfällig die Verwendung des Modells und das Modellieren als Tätigkeit für die Architekt_ innen der Nachkriegsmoderne aus deren eigenem Selbstbild heraus gewesen sein muss. Die hier erfolgte Beschreibung eben dieses Selbstbildes ist damit umso besser geeignet, die Rolle des Modells und der Modellierung als materia lisierte Theorie der Nachkriegsmoderne aufzuzeigen, indem sie stellenweise über die tatsächlichen Realitäten oder alltäglichen Arbeitspraktiken hinaus ein Ideal des architektonischen Entwerfens im besagten Zeitabschnitt rekapituliert. Die Moderne, so soll diese Arbeit zeigen, war tatsächlich kein nur ästhetisch fassbarer Stil. Die Fokussierung auf eine gänzlich andersartige Entwurfs leistung als Erkenntnisleistung zeigt, dass Architektur schon vor dem Bau gänzlich anders gedacht wurde. Deutlich wird damit, dass sich die Forcierung einer Architekturgeschichte des Entwerfens lohnt, um gängige, am ausgeführten Bau orientierte Geschichtsschreibungen ideengeschichtlich zu ergänzen.
6. Anhang
6.1 L iter atur - und Q uellenverzeichnis Abel, Günther: Knowing How. Eine scheinbar unergründliche Wissensform. In: Bromand/Kreis/Hogrebe 2010, S. 319-340. Abel, Günther: Epistemische Objekte – Was sind sie und was macht sie so wertvoll? In: Hingst/Liatsi 2008, S. 285-298. [Anonymus:] Die Kirche der Hochschulgemeinde in Köln. Broschüre. O.D., o.S; Kopie im Archiv des Verfassers. [Anonymus:] Alte Neuigkeiten. Zeitungsartikel und humoristische PresseZeichnungen zur Interbau/Hansaviertel 1957. Berlin 1957, o.S. Akademie der Künste Berlin (Hg.): Brüder Luckhardt und Alfons Anker, Berliner Architekten der Moderne. Ausst.-Kat., Berlin 1990. Ammon, Sabine; Hinterwaldner, Inge (Hg.): Bildlichkeit im Zeitalter der Modellierung. Operative Artefakte in Entwurfsprozessen der Architektur und des Ingenieurwesens. München u.a. 2016. Ammon, Sabine: Epistemische Bildstrategien in der Modellierung. Entwerfen von Architektur nach der digitalen Wende. In: Ammon/Hinterwaldner 2016, S. 191-220. Ammon, Sabine: Perspektiven architekturphilosophischer Entwurfsforschung. In: Gleiter/Schwarte 2015, S. 185-195. Ammon, Sabine: Wie Architektur entsteht. Entwerfen als epistemische Praxis. In: Ammon/Froschauer 2013, S. 337-361 (=Ammon 2013a). Ammon, Sabine: Entwerfen. Eine Epistemische Praxis. In: Mareis/Windgätter 2013, S. 133-155 (=Ammon 2013b). Ammon, Sabine; Froschauer, Eva-Maria (Hg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur. München u.a. 2013. Anderson, Richard; Szech, Anna (Hg.): Tatlin. Neue Kunst für eine neue Welt. Ostfildern 2013.
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6.3 A rchive A:AI | Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst NRW an der TU Dortmund Archiv der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde, Berlin Archiv des Architekturmuseums an der TU München Archiv des Deutschen Architekturmuseums DAM, Frankfurt am Main Baukunstarchiv der Akademie der Künste, Berlin Hamburgisches Architekturarchiv, Hamburg saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie KIT SAIB | Sammlung für Architektur und Ingenieurbau an der TU Braunschweig
6.4 A bbildungsverzeichnis Abbildung 01: Karikatur zum Bau des Berliner Hansaviertels, unbekannte Berliner Tageszeitung, zweite Hälfte 1950er Jahre, Quelle: [Anonymus] 1957, o.S. Abbildung 02: Postkarte des Berliner Hansaviertels, Aufnahme aus den 1960er Jahren, Quelle: Archiv des Verfassers. Abbildung 03: 1:1-Modell für die späteren Institutsbauten IA und IB der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 1963, Quelle: Universitätsarchiv Bochum, Dep. Staatl. Bauamt Bochum 02, Nr. 63.0214 Aufn. H. Lohoff, © Copyright Stadtarchiv Bochum. Abbildung 04: Institutsbauten IA und IB der Ruhr-Universität Bochum (Abriss 2016), bauzeitliche Aufnahme nach 1965, Quelle: Universitätsarchiv Bochum, Dep. Staatl. Bauamt Bochum 02, Nr. 74.0558, © Copyright Bauund Liegenschaftsbetrieb NRW.
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Abbildung 05: Die Neubauten der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, nach Plänen von Egon Eiermann, Aufnahme 1961, Quelle: Freireiss 1994, S. 30. Abbildung 06: Entwurfsmodell zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Aufnahme vor 1963, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 07: Entwurfsmodell zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Aufnahme vor 1963, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 08: Entwurfsmodell zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Leichtholz, Aufnahme vor 1963, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 09: Entwurfsmodell zur Aula der Waldorfschule Am Kräherwald, Stuttgart, nach Plänen von Rolf Gutbrod, Plastilin oder Ton, Leichtholz, Islandmoos, Aufnahme vor 1963, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 10: Entwurfsmodell zur Fassade der Universitätsbibliothek Köln nach Plänen von Rolf Gutbrod, Holzstäbchen, Aufnahmen im September 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 11: Entwurfsmodell zur Fassade der Universitätsbibliothek Köln nach Plänen von Rolf Gutbrod, Holzstäbchen, Aufnahme im September 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 12: Entwurfsmodell aus Plastilin oder Ton für das Projekt Saalbau im Rosengarten Mannheim (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Aufnahme 1961, Quelle: saai, Werkarchiv Carlfried Mutschler. Abbildung 13: Präsentationsmodell aus Holz für das Projekt Saalbau im Rosengarten Mannheim (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Aufnahme 1961, Quelle: saai, Werkarchiv Carlfried Mutschler. Abbildung 14: Entwurfsmodell A für das Projekt evangelisches Gemeindezen trum Mannheim-Sandhofen (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Plas tilin oder Ton, Aufnahme 1962. Quelle: saai, Werkarchiv Carlfried Mutschler. Abbildung 15: Entwurfsmodell B für das Projekt evangelisches Gemeindezen trum Mannheim-Sandhofen (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Plas tilin oder Ton mit Holzstäbchen, Aufnahme 1962, Quelle: saai, Werkarchiv Carlfried Mutschler. Abbildung 16: Entwurfsmodell C für das Projekt evangelisches Gemeindezen trum Mannheim-Sandhofen (nicht ausgeführt), Carlfried Mutschler, Plas tilin oder Ton mit Holzstäbchen, Aufnahme 1962, Quelle: saai, Werkarchiv Carlfried Mutschler. Abbildung 17: Entwurfsmodell (Josef Rikus) für die katholische Hochschulkirche Johannes XXIII. in Köln, nach Plänen von Heinz Buchmann, Ton, Auf nahme um 1965, Quelle: A:AI, Bestand Heinz Buchmann.
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Abbildung 18: Wettbewerbsmodell(?) für den Baukomplex der katholischen Hochschulgemeinde Köln, nach Plänen von Heinz Buchmann, Aufnahme um 1965, Quelle: A:AI, Bestand Heinz Buchmann. Abbildung 19: Planungsmodell der katholischen Hochschulgemeinde Köln, Josef Rikus/Heinz Buchmann, evtl. Gips und Draht, Aufnahme vor 1968, Quelle: A:AI, Bestand Heinz Buchmann. Abbildung 20: Kirche der katholischen Hochschulgemeinde Köln, Josef Rikus/ Heinz Buchmann, 1968, bauzeitliche Aufnahme, retuschierter Ausschnitt, Quelle: A:AI, Bestand Heinz Buchmann. Abbildung 21: Modelle für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, Aufnahme vor 1955, Quelle: Archiv des Archi tekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee 24-1036. Abbildung 22: Modelle für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, Aufnahme vor 1955, Quelle: Archiv des Archi tekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee 24-1037. Abbildung 23: Modell für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, vor 1955, Aufnahme 2016, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass SchneiderEsleben, schnee 24-2b. Abbildung 24: Modell für die katholische Kirche St. Rochus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, vor 1955, Aufnahme 2016, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass SchneiderEsleben, schnee 24-2i. Abbildung 25: Modell für das Projekt Kirche St. Albertus Magnus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, Plastilin, Aufnahme 1965, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass SchneiderEsleben, schnee 102-1003. Abbildung 26: Modell für das Projekt Kirche St. Albertus Magnus, Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben, evtl. Gips, Aufnahme 1965, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee 102-1005. Abbildung 27: Studienmodelle „Wohndichte“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf Grundplatte, 20. September 1967, Aufnahmen 1967, Quelle: Hamburgisches Architekturarchiv, Bestand Neue Heimat, Neue_ Heimat_FA_026_S_41. Abbildung 28: Studienmodelle „Wohndichte“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf Grundplatte, 20. September 1967, Aufnahmen 1967, Quelle: Hamburgisches Architekturarchiv, Bestand Neue Heimat, Neue_Heimat_FA_026_S_42.
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Abbildung 29: Studienmodelle „Wohndichte“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf Grundplatte, 20. September 1967, Aufnahmen 1967, Quelle: Hamburgisches Architekturarchiv, Bestand Neue Heimat, Neue_Heimat_FA_026_S_43. Abbildung 30: Studienmodelle „Standardgrundrisse“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf karierter Grundplatte, 10. März 1970, Auf nahmen 1970, Quelle: Hamburgisches Architekturarchiv, Bestand Neue Heimat, Neue_Heimat_FA_027_S_9. Abbildung 31: Studienmodelle „Standardgrundrisse“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf karierter Grundplatte, 10.03.1970, Aufnahmen 1970, Quelle: Hamburgisches Architekturarchiv, Bestand Neue Heimat, Neue_Heimat_FA_027_S_10. Abbildung 32: Studienmodelle „Standardgrundrisse“, Planungsabteilung Neue Heimat, Holzklötzchen auf karierter Grundplatte, 10.03.1970, Aufnahmen 1970, Quelle: Hamburgisches Architekturarchiv, Bestand Neue Heimat, Neue_Heimat_FA_027_S_11. Abbildung 33: Massenmodell zum Schulzentrum Stöckheim, nahe Braunschweig, Justus Herrenberger, eine von 124 Modellvarianten, 1974, Quelle: SAIB, Nachlass Herrenberger, SAIB_G51_ii_17_Negativ_Serie 3_ 2. Abbildung 34: Massenmodell zum Schulzentrum Stöckheim, nahe Braunschweig, Justus Herrenberger, eine von 124 Modellvarianten, 1974, Quelle: SAIB, Nachlass Herrenberger, SAIB_G51_ii_17_Negativ_Serie 3_ 3. Abbildung 35: Vorgefertigte „Raumklötzchen“ für Modellstudien, Justus Herrenberger, Aufnahme um 1974, Quelle: Herrenberger 1974. Abbildung 36: Varianten des „Arbeitsmodells“ auf Basis von Fotografien, Justus Herrenberger, Aufnahme um 1974, Quelle: Herrenberger 1974. Abbildung 37: Wettbewerbsmodell zum Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahme 1957, Quelle: saai, Werk archiv Egon Eiermann. Abbildung 38: Modellvarianten der Wabenelemente für die Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahme zwischen 1957 und 1959, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 39: Weitere Modellvarianten der Wabenelemente für die KaiserWilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahmen zwischen 1957 und 1959, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 40: Weitere Modellvarianten der Wabenelemente für die KaiserWilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahmen zwischen 1957 und 1959, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 41: Weitere Modellvarianten der Wabenelemente für die KaiserWilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Egon Eiermann, Aufnahmen zwischen 1957 und 1959, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann.
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Abbildung 42: Vergleichende Gegenüberstellung von Architekturzeichung und Modell zur Wabenfassade der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Quelle: Janke 1962, S. 13. Abbildung 43: Probebau für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche bei Chartres, Gabriel Loire mit Egon Eiermann, 1960, Aufnahmen 2014, Quelle: Privatarchiv Martin Germer. Abbildung 44: Probebau für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche bei Chartres, Gabriel Loire mit Egon Eiermann, 1960, Aufnahmen 2014, Quelle: Privatarchiv Martin Germer. Abbildung 45: Innenraummodell für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Büro Egon Eiermann, Aufnahme um 1958, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 46: Innenraummodell für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Büro Egon Eiermann, Aufnahme um 1958, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 47: Innenraummodell für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Büro Egon Eiermann, Aufnahme um 1958, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 48: Innenraummodell für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Büro Egon Eiermann, Aufnahme um 1958, Quelle: saai, Werkarchiv Egon Eiermann. Abbildung 49: Innenraummodell für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Orgel, Büro Egon Eiermann, Aufnahme um 1959, Quelle: saai, Werk archiv Egon Eiermann. Abbildung 50: Innenraummodell für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, Orgel, Büro Egon Eiermann, Aufnahme um 1959, Quelle: saai, Werk archiv Egon Eiermann. Abbildung 51: Modell für die Bibliothek des Universitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 52: Modell für die Bibliothek des Universitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Detailaufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 53: Fassadenmodell für die Bibliothek des Universitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 54: Fassadenmodell für die Bibliothek des Universitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 55: Prototyp der Fassadenelemente für die Bibliothek des Universitätsforums Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme nach 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 56: Modell zur Ermittlung der Stützenstellung im Hörsaalgebäude, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahmen 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod.
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Abbildung 57: Modell zur Ermittlung der Stützenstellung im Hörsaalgebäude, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 58: Arbeitsmodell, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 59: Teil des Arbeitsmodells, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 60: Teil des Arbeitsmodells, Universitätsforum Köln, Büro Rolf Gutbrod, Aufnahme 1960, Quelle: saai, Werkarchiv Rolf Gutbrod. Abbildung 61: 1:1-Probebau für die Rostlaube, Berlin, Candillis/Josic/Woods/ Schiedhelm, Aufnahme 1967, Quelle: Kiem 2008, S. 220. Abbildung 62: 1:1-Probebau für die Rostlaube, Berlin, Candillis/Josic/Woods/ Schiedhelm, Aufnahme 1967, Quelle: Kiem 2008, S. 219. Abbildung 63: Tanzbrunnen Köln, Frei Otto, 1957, Postkartenmotiv aus dem Jahr 1957, Quelle: Archiv des Amtes für Landschaftspflege und Grün flächen der Stadt Köln. Abbildung 64: Seifenhautmodell für den Weltausstellungspavillon Montreal, Institut für leichte Flächentragwerke (Frei Otto), Aufnahme vor 1967, Quelle: Bach 1988, S. 147. Abbildung 65: Vereinfachtes Messmodell zur statischen Vermessung und Überprüfung der ermittelten Dachform des Ausstellungspavillons von Montreal, Institut für leichte Flächentragwerke (Frei Otto), vor 1967, Aufnahme 2012, Quelle: Archiv des Deutschen Architekturmuseums DAM, Sammlung, Schenkung von Berthold Burkhardt, Aufnahme Hagen Stier, hagenstier.com. Abbildung 66: Kirche St. Paulus Neuss-Weckhoven, Fritz und Christian Schaller/Stefan Polónyi, 1966-68, Aufnahme 2018, Quelle: akg-images/Bild archiv Monheim. Abbildung 67: Papiermodell für die Dachkonstruktion der Kirche St. Paulus Neuss-Weckhoven, Christian Schaller, Aufnahme um 1965, Quelle: A:AI, Archiv IPP, Bestand Stefan Polónyi. Abbildung 68: Plexiglas-Messmodell für die Kirche St. Paulus Neuss-Weck hoven, Dokumentationsblatt des Instituts für Modellstatik (Stefan Polónyi), Aufnahme 1966, Quelle: A:AI, Archiv IPP, Bestand Stefan Polónyi. Abbildung 69: Modellvariante A für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1090. Abbildung 70: Modellvariante B für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1089.
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Abbildung 71: Modellvariante C für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1094. Abbildung 72: Modellvariante D für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1092. Abbildung 73: Modellvariante E für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1088. Abbildung 74: Modellvariante F für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1093. Abbildung 75: Modellvariante G für die Erweiterung des Mannesmann-Hochhauses in Düsseldorf, Büro Paul Schneider-Esleben, Aufnahme um 1970, Quelle: Archiv des Architekturmuseums an der TU München, Fotonachlass Schneider-Esleben, schnee-45-1091. Abbildung 76: Modellvariante A zur städtebaulichen Einpassung des Ku‘dammEcks, Werner Düttmann, Aufnahme vor 1969, Quelle: Baukunstarchiv der Akademie der Künste Berlin, Nachlass Düttmann, Düttmann 42 F. 42/6. Abbildung 77: Modellvariante B zur städtebaulichen Einpassung des Ku‘dammEcks, Werner Düttmann, Aufnahme vor 1969, Quelle: Baukunstarchiv der Akademie der Künste Berlin, Nachlass Düttmann, Düttmann 42 F. 42/7. Abbildung 78: Modellvariante C zur städtebaulichen Einpassung des Ku‘dammEcks, Werner Düttmann, Aufnahme vor 1969, Quelle: Baukunstarchiv der Akademie der Künste Berlin, Nachlass Düttmann, Düttmann 42F. 42/13.
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