Arbeiterschutz und Arbeitsrecht. Teil 1 Gesetz über die Beschäftigung Schwehrbeschädigter: Nebst den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen [Reprint 2021 ed.] 9783112604823, 9783112604816


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German Pages 408 [464] Year 1929

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Arbeiterschutz und Arbeitsrecht. Teil 1 Gesetz über die Beschäftigung Schwehrbeschädigter: Nebst den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen [Reprint 2021 ed.]
 9783112604823, 9783112604816

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Mehr als 230 Bünde umfaßt

die Guttentagsche Sammlung Deutscher ReichSund preußischer Gesetze Ausführliches Verzeichnis ist diesem Bande angefügt

Guttentagsche Sammlung Rr. 138 c. Deutscher Reichsgesetze. Rr. 188 c. Textausgaben mit Anmerkungen und Sachregister.

Arbeiterschutz und ArbeitSrecht 1. Auflage bearbeitet von

Dr. Adolf Günther. 2. Auflage

2. Teil:

Gesetz über die nebst den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen erläutert von

Dr. Richard Schneider, Archivar beim Reichstag

unter Mitwirkung von

Dr. Adolf Günther, ord. Professor an der Universität Innsbruck.

Berlin und Leipzig 1928.

Walter de Gruyter & Co. vormals (B. I. Göschen'sche Berlagshandlung — I. (Suttentag, Verlags« buchhandlung — Georg Reimer — Karl I. Trübner — Veit & Comp.

Vorwort. Als zweiter Teil der Neuauflage der als Band 138 a der Guttentagschen Sammlung erschienenen Zusammen­ stellung der seit November 1918 veröffentlichten Gesetze und Verordnungen über „Arbeiterschutz und Arbeitsrecht" wird hiermit die erläuterte Textausgabe des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vor­ gelegt. Der Kommentar bringt den gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung und berücksichtigt die Literatur und die Judikatur namentlich des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte bis in die neueste Zeit. Die umfassende Rechtsprechung und die eingehende wissenschaftliche Bear­ beitung, die das Schwerbeschädigtengesetz in den letzten Jahren erfahren hat, beweisen seine hohe Wirtschafts­ und sozialpolitische Bedeutung. Das im Gesetz behandelte schwierige Problem der nutzbringenden Verwendung der beschränkten Arbeitskraft hat an Aktualität bis heute nicht verloren. Aber auch von den mannigfaltigen Zweifels­ fragen, die bei der praktischen Anwendung des Gesetzes ausgetaucht und die zum Teil durch die keineswegs immer klare Fassung des Gesetzestextes verursacht sind, haben noch viele keine befriedigende Lösung gesunden. Zu ihrer Klärung beizutragen und so nicht nur dem Studium des Gesetzes, sondern auch den Bedürfnissen der Praxis bei seiner Auslegung zu dienen, hat der vorliegende Kommentar sich zum Ziele gesetzt. Hierbei sind sowohl die gerichtlichen Entscheidungen, wie sie hauptsächlich die in systematischer

Vorwort.

6

Anordnung von der Reichsarbeitsverwaltung herausgegebene

Sammlung enthält, als auch die mit bindender Kraft

Beschlüsse

ausgestatteten

des

Schwerbeschädigtenaus-

schusses bei der Reichsarbeitsverwaltung (jetzt Hauptstelle der Reichsanstall für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen­

versicherung) sowie die amtlichen Begründungen in aus­ giebigem

Maße

herangezogen

worden.

Ebenso

haben

die in Form von Rechtsauskünften auf Ersuchen von Be­ hörden oder großen Spitzenorganisationen der Arbeitgeber

und Arbeitnehmer erteilten einschlägigen Bescheide

des

Berücksichtigung

ge­

Reichsarbeitsministers

weitgehende

funden, denen nach einem Urteile des Reichsgerichts bei

verschiedenen gehaltener

Möglichkeiten

Gesetzesstellen

der

Auslegung

deshalb

der

zweifelhaft

Vorzug

einzu­

räumen ist, weil sie dem Willen des Gesetzgebers am meisten entsprechen.

Berlin, im Juli 1928.

Richard Schneider«

Inhaltsverzeichnis. Sette Einleitung. Geschichtliche Entwicklung des Schwerbeschädigten­ gesetzes .........................................................................................13

Inhalt des Gesetzes...................................................................... 28 A. Gesetzeseinleitung..................................................................28 B. Arbeitgeberbegriff..................................................................28 C. Arbeitsplätze . .......................................................................28 D. Begünstigter Personenkreis............................................ 30 E. Zweck des Gesetzes...................................................... F. Durchführung des Gesetzes und Überwachungs­ maßregeln ........................................................................ G. Beschwerde ................................................................... H. Besondere Befugnisse des Schwerbeschädigten­ ausschusses bet der Hauptfürsorgestelle (Fürsorgestelle)................................................................................. J. Entscheidung in grundsätzlichen Fragen .... K. Strafbestimmungen ...................................................... Rechtscharakter des Gesetzes............................................. Auswirkung des Gesetzes...................................................... Internationale Regelung der Arbeitsfürsorge für Schwerbeschädigte...............................................................

I. Abschnitt. Gesetz über die BeschLstigung Schwer­ beschädigter in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Januar 1923 (RGBl. S. 57) mit den bis zum 16. Juli 1927 erfolgten Änderungen . . . §

1.

Gesetzeseinleitung.

33

43 48

52 53 54 62 64

70

77

Allgemeine Bestim­

mung über die Verpflichtung zur Besetzung von Arbeitsplätzen mit Schwerbeschä­

digten

...............................................................

78

8

Inhaltsverzeichnis. Seite

§ L. Arbeitgeber und Arbeitsplätze................. 87 $ 3. Begriffsbeftimmung des Schwerbeschä­ digten ........................................................... 92 §§ 4, 5. Zahlenmäßige Einstellungspflicht ... 99 § 6. Befreiung von der Einstellungsverpflich­ tung, Nichtanrechnung von Arbeitsplätzen und Freihaltung bestimmter Arbeitsplätze 110 § 7. Zwangseinstellung .......................................120 5 8. Zuerkennung der Schwerbeschädigten­ eigenschaft durch Gleichstellung .... 134 § 9. Befreiung von der Einstellungsverpflich­ tung durch Überlassung von Siedlungs­ stellen ................................................................142 § 10. Kontrollmaßnahmen der Hauptfürsorge­ stelle und Verpflichtung des Arbeitgebers zur Betriebsumgestaltung .......................... 145 § 11. Durchführung des Gesetzes durch die Behörden............................................................ 151 § 12 Hilfeleistung bei der Durchführung des Gesetzes durch Betriebsvertretung und Vertrauensleute................................................ 159 § 13. Kündigungsbeschränkungen.......................... 168 § 14. Kündigungsschutz bei Ersatzeinstellung . 202 §§ 15,16. Kündigungsschutz bei Betriebsauf­ lösung (Betriebsstillegung) und Betriebs­ einschränkung ....................................................206 § 17.

Fortfall der Kündigungsbeschränkung bei vorübergehender oder versuchsweiser An­ nahme ............................................................... 216

§ 18. Bußfestsetzungsvorschriften ........................... 220 §19. Zeitwellige Entziehung der Gesetzesvorteile 230 § 20. Gleichstellung vor Festsetzung der Rente und Belassung des Schutzes nach Herab­ setzung der Rente 236

Inhaltsverzeichnis.

§ 21.

§ 22. § 23.

§ 24. § 25. § 26. § 27.

9

Seite Beschwerde (Instanz, Einlegung, Ver­ fahren) ............................................................ 238 Schwerbeschädigtenausschuß bei der Hauptfürsorgestelle .............................. 247 Schwerbeschadigtenausschuß bei der Haupt­ stelle der Reichsanstalt fürArbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. . . 254 Schwerbeschädigtenausschuß bei der Für­ sorgestelle ..................... 262 Ausführungsbestimmungen 263 Fortgefallen..................................................... 263 Übertragung der Aufgaben der Hauptfür­ sorgestellen und Fürsorgestellen auf andere Behörden ........................................................264

Verordnung zur Herabminderung der Personalaus­ gaben des Reichs (Personal-Abbau-Verordnung) vom 23. Oktober 1923 ...........................................

265

II. Abschnitt. Ansführungs- und Durchführungsbestim­ mungen .................................................................................267

Ausführungsverordnung zum Gesetz über die Be­ schäftigung Schwerbeschädigter vom 13. Februar 1924 ............................................................................

267

Anordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter im Bereich des Reichsarbeitsministeriums vom 8. Sep­ tember 1924 ...........................................................

271

III. Abschnitt. Gesetzliche Bestimmungen über die Für­ sorge für Schwerbeschädigte........................................... 276 Verordnung über die soziale Kriegsbeschädigtenund Kriegshinterbliebenenfürsorge vom 8. Fe­ bruar 1919 in der Fassung der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924

276

Inhaltsverzeichnis.

10

Seite Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Fe­ bruar 1924 in der Fassung des Abänderungsge­ setzes vom 8. Juni 1926 .......................................

280

Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Matz der öffentlichen Fürsorge vom 4. Dezember 1924

296

Verordnung zur Änderung der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Matz der öffentlichen Fürsorge vom 29. Mär- 1928 ..............................

306

Verzeichnis der mit der Durchführung der Aufgaben der Hauptfürsorgestelle beauftragten Behörden

309

314

IV. Abschnitt. Sonstige einschlägige Bestimmungen . . Anstellungsgrunds ätze vom 31. Juli 1926 unter Be­ rücksichtigung der Ergänzung vom 18. Juli 1927

314

Allgemeine Ausführungsanweisung zu den Anstellungsgrundsätzen vom 31. Juli 1926 unter Berücksichtigung der Ergänzung vom 18. Julil927

340

V. Abschnitt. Gesetz, betreffend den Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Republik Österreich in An­ gelegenheiten Kriegsbeschädigter und Kriegshinter­ bliebener vom 8. Mär- 1922 ..................................

364

VI. Abschnitt. Internationale Regelung der Arbeits­ fürsorge für Beschädigte................................................369 Vorschläge der Sachverständigen zur Frage der Arbeitsfürsorge für Beschädigte auf der Sach­ verständigenkonferenz in Genf 1923

Sachregister

369 375

Abkürzungen. A A. AG. ArbG. B.

— — — —

anderer Ansicht. Amtsgericht. Arbeitsgericht. Amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetze- über die Be­

schäftigung Schwerbeschädigter, Reichstagsdruck­ sache Nr. 5295 I. Wahlperiode 1920/22.

BenSH.Samml. — Entscheidungen

BGB.

BRG. Drs. ESchBG.

des

Reichsarbeitsgerichts

und der Landesarbeitsgerichte, herausgegeben von Flatow, Gerstel, Hueck, Nipperdey (Verlag Bensheimer). — Bürgerliches Gesetzbuch. — Betriebsrätegesetz. = Drucksache. — Entscheidungen -um Schwerbeschädigtengesetz (41. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt).

FSt. G. GG. GO.

= Fürsorgestelle. — Gesetz. — Gewerbegericht. — Gewerbeordnung für das Deutsche Reich.

HF St. IAR.

— Hauptfürsorgestelle. = Jahrbuch des Arbeitsrechts von Horniger-Schulz»

IW. KAR. KG.

Wehrle. — Juristische Wochenschrift. — Karten-Auskunftei de- Arbeitsrechts v. Kallee. — Kammergericht.

KfmG.

= Kaufmannsgericht.

LAG. LG.

— LandeSarbettSgericht. — Landgericht.

NB. NZA.

= Nationalversammlung. — Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht.

12

Abkürzungen.

OLG. RABl.

= Oberlandesgericht. = Reichsarbeitsblatt, amtlicher Teil.

RAG. — Reichsarbeitsgericht. RAMinister = Reichsarbeitsminister. RG. RGBl.

= Reichsgericht. = Reichsgesetzblatt, Teil I.

RTTrs. RB. RVG. RBO.

= = = —

SchA.

SchB. SchBG.

= Schwerbefchädigtenausschuß. — Schwerbeschädigter. = Schwerbeschädigtengesetz.

Sp. StGB. StPO.

= Spalte. = Strafgesetzbuch. — Strafprozeßordnung.

DP. ZPO.

— Wahlperiode. — ZivUprozeßordnung.

Reichstagsdrucksache. Reichsverfassung. Reichsversorgungsgesetz. Reichsversicherungsordnung.

Flatow, Betriebsrätegesetz 1927.

Fülling, Die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbeschädigter nach dem Gesetz vom 6. April 1920, Schriften des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Leipzig, Heft 1. KaSkel, Arbeitsrecht 1928. Knaak, Das Schwerbeschädigtengesetz 1928. Mebes, Das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter, 1924. Richter, Tas Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter, 1927. Schoppen, Das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschä­

digter, 1925. Weigert-Wölz, Das Gesetz über die Beschäftigung Schwer­ beschädigter, 1921.

Einleitung. Geschichtliche Entwicklung des SchwerbeschSdigtengesetzes. Die alsbald nach Ausbruch des Weltkrieges allgemein

erwachsende Erkenntnis, daß die reichsgesetzliche Versorgung der Kriegsbeschädigten und der Hinterbliebenen der Kriegs­

opfer nicht ausreichend sein würde und deshalb ihre Er­

gänzung in einer sozial bemessenen freiwilligen Fürsorge finden müsse, führte bereits in den ersten Tagen des Monats

August 1914 zur Gründung der „Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen".

Sie bezweckt

mit Hilfe eingesammelter Geldmittel den Familien, deren Existenz durch den Tod des Ernährers vernichtet oder doch mindestens stark erschüttert ist, den wirtschaftlichen Lebens­ kampf zu erleichtern, indem sie sowohl die Ausbildung

von Kriegerwitwen zu einem selbständigen Berufe als auch die Erziehung und berufliche Ausbildung der des Balers

und Erziehers beraubten Kinder ermöglicht und so in er­ heblichem Maße dazu beiträgt, die sittliche und wirtschaft­ liche Not, die der Krieg in beispiellosem Umfang mit sich

führte, zu lindern und erträglich zu gestalten.

Neben dieser lediglich der Familienfürsorge dienenden, in der Reichshauptstadt einsetzenden und sich bald über ganz Deutschland verbreitenden Wohlsahttseinrichtung ent­

standen im Frühjahr 1915 die landesmäßig eingerichteten Hauptsürsorgestellen

für

Kriegsbeschädigtenfür-

Einleitung.

14

sorge, die ebenfalls in den Händen der freien Wohlfahrt ruhten. Je langer der Krieg dauerte und je größer die Zahl

der Beschädigten wurde, desto mehr machte sich der Wunsch

nach einer einheitlichen Regelung der Fürsorge geltend,

insbesondere nach einer Zusammenfassung der inzwischen in allen Bundesstaaten gebildeten Hauptfürsorgeorganisationen. Aus Überzeugung von der Notwendigkeit eines einheitlichen Vorgehens schlossen sich am 16. September

1915 die Träger der bürgerlichen Kriegsbeschädigtensürsorge im

„Reichsausschuß

der

Kriegsbeschädigtensürsorge"

zu­

sammen, über dessen Gründung, Organisation und Tätig­ keit die von der Reichsregierung im Dezember 1917 heraus­ gegebene Denkschrift (RTDrs. Nr. 1214, 13. LegislaturPeriode, II. Session 1914/17, S. 281) folgende beachtens­

werte Ausführungen macht: „Obwohl dieser Stelle nicht die Befugnis zukommt, den bundesstaatlichen und provin­ ziellen Hauptsürsorgeorganifationen bindende Vorschriften

zu geben, ist es dem Reichsausschusse der Kriegsbeschädigten­ fürsorge und der von ihm in Berlin eingerichteten Reichs­ geschäftsstelle im Laufe einer zweijährigen Tätigkeit ge­

lungen, in allen wesentlichen Fragen ein gleichmäßiges

Arbeiten

der

abweichend

zusammengesetzten

organisationen herbeizusühren.

Fürsorge­

Dieser Erfolg ist vor allem

dem Umstand zu danken, daß die Vertreter der Haupt­ fürsorgeorganisationen bemüht waren, vorbildliche Einrich­ tungen einzelner Fürsorgestellen überall in Deutschland nachzubilden und in reger Wechselbeziehung die Erfahrungen der eigenen Arbeit unter sich auszutauschen.

Für die Vor­

beratung der auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigten­ fürsorge auftauchenden Fragen hat der Reichsausschuß zehn

Geschichtliche Entwicklung des Cchwerbeschädigtengesetzes.

15

Sonderausschüsse gebildet: für Gesetzgebung und Verord­

nung, für die Regelung der Geschästsbeziehungen der Für­

sorgeorganisationen zueinander und zu anderen (öffentlichen und privaten) Organisationen, für die Regelung der Kosten­

frage, für Zeitschrift und Presse, für Statistik, für Heil-

behandlung, für Berufsberatung und Berufsausbildung, für Arbeitsbeschaffung, für Ansiedlung und Wohnungs­

fürsorge und für Familienfürsorge.

In diesen Ausschüssen

sind nicht nur die Hauptfürsorgeorganisationen durch ihre

maßgebenden Mitarbeiter vertreten, es haben sich in ihnen

auch militärische und bürgerliche Behörden, Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus Handel und Gewerbe, Industrie und

Landwirtschaft,

Abordnungen

aller

Reichstagsparteien,

Ärzte und Vertreter größerer Wohlsahrtsverbände zu ge­

meinsamer Arbeit zusammengefunden. Ein Jahr nach seiner Gründung ist der Reichsausschuß der Kriegsbeschädigten­ fürsorge in der Tagung, die im August 1916 in Köln statt­ sand, vor die Öffentlichkeit getreten. Am 12. März 1917

sind ihm die Rechte einer Körperschaft des öffent­

lichen Rechts verliehen worden. An den Beratungen des Reichsarbeitsausschusses, des Vertretungsorgans des

Reichsausschusses

und

an

den

Sitzungen

der

Sonder­

ausschüsse nehmen je ein ständiger Beauftragter des Reichs­

amts des Innern (nunmehr des Reichswirtschaftsamts) und des preußischen Ministeriums des Innern teil.

Auch die

übrigen Reichs- und Staatsbehörden beteiligen sich an den Verhandlungen, soweit sie ihren Geschäftskreis berühren. Die Reichsgeschäftsstelle ist bemüht, die enge Fühlung der Organe der Kriegsbeschädigtensürsorge mit den bürger­ lichen und militärischen Zentralstellen, vor allem dem Justizund Bersorgungsdepartement und dem Sanitätsdeparte-

Einleitung.

16

ment des Kriegs Ministeriums sowie dem Kriegsamt aus­

So hat das Zusammenarbeiten mit der

rechtzuerhalten.

bürgerlichen Kriegsbeschädigtensürsorge auch in manchem Erlaß der Behörden, insbesondere in dem Erlaß des Kriegs­

amts vom 27. Dezember 1916, der sich mit der Heran­ ziehung der Kriegsbeschädigten zur Kriegswirt­ schaft besaßt, Ausdruck gesunden. Die Beschlüsse einzelner Sonderausschüsse, die besonders dazu geeignet waren, als

einheitliche Richtlinien für die praktische Fürsorgetätigkeit

zu

dienen,

hat

veröffentlicht.

der Reichsausschuß

in

Sonderschriften

Auf diesem Wege sind bisher die Leitsätze

für Berufsberatung und Berufsausbildung, die Grundsätze für die Durchführung der Kriegsbeschädigtenansiedlung und

die Leitsätze für die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Hauptfürsorgeorganisationen der Öffentlichkeit übergeben worden."

Während die Nationalstiftung, die ebenfalls eine Körper­ schaft des öffentlichen Rechts darstellt, hauptsächlich die Ansammlung von Geldern bezweckt, ist der Reichsausschuß

ein reiner Arbeitsausschuß, der es sich zur Aufgabe gemacht

hat, „auf dem Wege der Beratung und Anregung eine möglichst gleichmäßige Handhabung der Kriegsbeschädigten­ fürsorge in allen deutschen Ländern zu gewährleisten".

(Schweyer, Kriegsbeschädigtenfürsorge, 2. Jahrg., Heft Nr. 9,

S. 383.) Trotzdem weisen beide Körperschaften in ihren Zielen grundsätzliche Übereinstimmung auf, und das Haupt­ bindeglied bildet die beiden gemeinsame Familienfürsorge, allerdings mit dem Unterschiede, daß die Nationalstistung

hauptsächlich ihre Fürsorge der Schaffung einer geeigneten Erwerbstätigkeit für die Witwen der Gefallenen widmet,

während die sürsorgende Tätigkeit des Ausschusses sich vor

Geschichtliche Entwicklung des Scb^erbeschädigtengesetzes.

17

allem auf die Kriegsbeschädigten und auch auf ihre Frauen und Kinder erstreckt. Die Gleichh-'it der in Frage stehenden Probleme und der gesteckten Ziele, einerseits durch eine umfassende Fürsorge den Opfem des Krieges den Dank des Vaterlandes abzustatten, unD anderseits im Interesse der Allgemeinheit die durch den Krieg erschütterten Existenzen besonders der Beschädigten und der Hinterbliebenen der Gefallenen für das Wirtschaftsleben wieder brauchbar zu gestalten, haben von Anfang an zu einem ersprießlichen Zusammenwirken beider Körperschaften geführt. Als dann nach der Staatsumwälzung die Regierung weitverbreiteten Wünschen Rechnung tragend, die Kriegs­ beschädigtenfürsorge selbst in die Hand nahm — nach Art. 7 der Verfassung hat das Reich die Gesetzgebung über die Fürsorge für die Kriegsteilnehmer und ihre Hinter­ bliebenen —, wurde dem eigenen Verlangen der Kriegs­ beschädigten entsprechend und im Einverständnis mit der Nationalstistung auch die Kriegshinterbliebenenfürsorge in die reichsgesetzliche Regelung mit eingeschlossen, indem die Organisation und der Ausgabenkreis des Reichsausschusses durch die Verordnung über die soziale Kriegsbeschädigtenund die Kriegshinterbliebenensürsorge vom 8. Februar 1919 (RGBl. S. 187 — abgedruckt unten S. 270) gesetzlich be­ stimmt wurden. Hiernach wird die Fürsorge grundsätzlich vom Kreise übernommen, den Regierungen der Länder aber gleichzeitig die Errichtung von amtlichen „Haupt­ fürsorgestellen" zur'Pflicht gemacht. Auch wurde zur

schonenden Erhaltung bewährter Einrichtungen zum Ab­ druck gebracht, daß die Mitarbeit der freien Wohlfahrts­ pflege nicht eingeschränkt werden solle. Durch Verordnung über die Fürsorgevflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl. Schneider, Schwerbeschädigtengesett.

2

18

Einleitung.

S. 100 — abgedruckt unten S. 280), welche die verschiedenen

Arten der Fürsorge — kurz auch „Kriegsfolgenhilfe" ge­

nannt — zusammensaßt, werden die Kosten der Fürsorge den Ländern und Gemeinden zur Last gelegt.

Deshalb

muß es ihnen auch überlassen sein, Voraussetzung, Art und Maß der zu gewährenden Fürsorge im Rahmen der reichs­

rechtlichen Vorschriften selbst zu bestimmen. In Anpassung an diesen neuen Rechtszustand war auch

eine Änderung

der

Verordnung

vom 8. Februar 1919

(s. oben) erforderlich, sodaß § 1 Satz 1 jetzt bestimmt:

„Die

soziale Fürsorge für Kriegsbeschädigte und Kriegshinter­

bliebene wird von den Landes- und Bezirksfürsorgeverbänden nach Maßgabe der Grundsätze erfüllt, die die Reichsregierung

mit Zustimmung des Reichsrats aufstellt."

Im übrigen wurden bei der hohen Bedeutung, welche der Fürsorge für die unmittelbaren Kriegsopfer, die Kriegs­ beschädigten und Kriegshinterbliebenen zukommt, die Für­

sorgeeinrichtungen möglichst in ihrem bisherigen Zustand erhalten, und die alte Verordnung vom 8. Februar 1919 (s. oben) in Kraft belassen, soweit sich nicht notwendige

Änderungen in Angleichung an die Verordnung vom 13. Fe­ bruar 1924 ergaben (so in §§ 1, 2, 4, 11).

Außer diesen ausgedehnten sozialen Fürsorgemaßnahmen

dient eine ausgiebige Rentenversorgung zur Linderung der

Not der Kriegsbeschädigten und der Kriegshinterbliebenen.

Die Pflichten des Reiches gegenüber den in feinem Dienste beschädigten Militärpersonen regelt das sog. Versorgungs­ gesetz vom 12. Mai 1920 (RGBl. S. 989), welches mehr­ fach, zuletzt durch Gesetz vom 21. Dezember 1927 (RGBl.

S. 487) abgeändert und in der neuen Fassung vom 22. De­

zember 1927 (RGBl. S. 615) bekanntgegeben ist — daS

Geschichtliche Entwicklung des Schwerbeschädigtengesetzes.

19

Verfahren selbst findet nach den Vorschriften des Gesetzes

vom 20. März 1928 (RGBl. S. 71) statt —, während die

in der Wirtschaft (Industrie und Landwirtschaft) Beschädigten durch die Unfallversicherung geschützt sind. Die Versorgung bewegt sich bei beiden Kategorien von Beschädigten ungefähr im selben Rahmen: Heilbehandlung, Krankengeld, soziale

Fürsorge, Rente.

Auch die beste Rentenversorgung vermag jedoch den Beschädigten nicht den Segen einer geregelten Beschäfti­ gung zu ersetzen.

In gerechter Würdigung dieser Tat­

sache hatte bereits im Jahre 1917 die Reichsregierung die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung der Arbeitgeber

zur Einstellung Kriegsbeschädigter in Erwägung gezogen und zur Prüfung dieser wichtigen Frage den Reichsausschuß

der Kriegsbeschädigtenfürsorge im Juni 1917 ersucht, ein

Gutachten hierüber abzugeben.

Der Sonderausschuß a

— für Gesetzgebung und Verordnung (s. oben) — und ein

für diesen Zweck geblldeter Unterausschuß haben sich sodann eingehend mit dieser Frage befaßt.

Aus der Grundlage

eines ausführlichen Fragebogens nahmen die großen Arbeit­

geber-

und

Arbeitnehmerorganisationen

zu

der

Frage

Stellung, wobei sich die Arbeitnehmer im allgemeinen für den Einstellungszwang aussprachen, während sich die

Arbeitgeber gegen eine gesetzliche Verpflichtung wandten. Nach wiederholten Beratungen sprachen sich sowohl der Sonderausschuß a wie der ReichSarbettsausschuß mit nur

einer Stimme Mehrheit dafür aus, daß der Einstellungs­ zwang erst dann versucht werden soll, wenn alle anderen Mittel scheiterten, während in beiden Sitzungen die sehr starke Minderheit die sofortige Einführung de- Einstellungs­

zwanges für notwendig erachtete. Abgesehen von der Frage, 2*

20

Einleitung.

ob und wann der Einstellungszwang überhaupt eingesührt werden sott, hat der übrige Teil der Leitsätze, in dem insbesondere die Ausgestaltung des Einstellungszwanges für den Fall, daß er gesetzlich eingesührt wird, behandelt wird, die einstimmige Billigung des Sonderausschusses für Gesetz­ gebung und Verordnung und — am IG. Dezember 1917 — des Reichsarbeitsausschusses gesunden. („Die Kriegsbeschädigtensürsorge", 2. Jahrg., Heft Nr. 9, S. 386.) Da die Leitsätze für die spätere Gesetzgebung von grund­ legender Bedeutung geworden sind, seien sie nachstehend abgedruckt: „I. Die auf dem gesetzlichen Wege einzuführenden Ver­ günstigungen für Kriegsbeschädigte müssen von vornherein auf Schwerbeschädigte beschränkt bleiben. Für den Begriff der Schwerbeschädigten ist die Höhe des Prozent­ satzes der staatlich festgesetzten Rente zugrunde zu legen. II.

In erster Linie müssen die öffentlichen Betriebe nach Möglichkeit die Schwerbeschädigten unterbringen. Grund­ sätzlich müssen alle Stellen, die durch Schwerbeschädigte versehen werden können, auch diesen Vorbehalten bleiben. Bei Beurteilung der Frage, ob ein Schwerbeschädigter sich für eine Stelle eignet, muß weitgehendes Entgegenkommen herrschen. Innerhalb der Betriebe müssen durch geeignete Arbeits­ einrichtungen und Arbeitseinteilung Einstellungsmöglichkeiten für Schwerbeschädigte geschaffen werden: a) Bevorzugung der schwerbeschädigten Inhaber des Zivil­ versorgungsscheines vor den gesunden und leicht­ beschädigten;

Geschichtliche Entwicklung des Schwerbeschädigtengesetzes.

21

b) Bevorzugung der schwerbeschädigten Inhaber des An­ stellungsscheines vor den leichtbeschädigten; c) Bevorzugung der Schwerbeschädigten bei Besetzung der nichtbeamteten Stellen von Angestellten und Arbeitern vor Gesunden und Leichtbeschädigten. Alle vor ihrer Einberufung zum Heeresdienst bei Be­ hörden und öffentlichen Betrieben ständig beschäftigt ge­ wesenen Kriegsbeschädigten sind, sofern sie überhaupt ver­ wendbar sind und sich innerhalb festgesetzter Fristen melden, weiter zu beschäftigen.

III. 1. Eine gesetzliche Regelung der Einstellung Schwer­ beschädigter in Privatbetrieb nach Maßgabe eines be­ stimmten — je nach der Art des Betriebes verschiedenen — Prozentsatzes der Arbeitsstellen ist notwendig, falls auf anderem Wege eine ausreichende Arbeitsversorgung der Schwerbeschädigten in Privatbetrieben nicht zu erzielen ist. Zunächst ist daher der Weg der Freiwilligkeit einzu­ schlagen, der durch folgende Mittel zu unterstützen ist: Auf­ klärung der Arbeitgeber, Bestellung besonderer Betriebs­ beamter für die Zwecke der Kriegsbeschädigtensürsorge in jedem Großbetriebe, Schließung von Arbeitsgemeinschaften, Druck der Organisationen der Arbeitgeber auf etwaige ihrer Pflicht nicht nachkommende Mtglieder, Nichtberücksichti­ gung solcher Arbeitgeber bei Vergebung öffentlicher Arbeiten, Erklärung der Staatsregierung, daß sie gesetzlichen Zwang in Vorschlag bringen wird, wenn im Wege der Freiwillig­ keit nicht genug erreicht wird. Die gesetzliche Regelung ist auch erst dann möglich, wenn der zu bestimmende Prozentsatz sich mit einiger Sicherheit -so festlegen läßt, daß die Regelung praktisch durchführbar

Einleitung.

22

ist. DaS ist aber erst dann der Fall, wenn sich etwa die Zahl der Kriegsbeschädigten und der Schwerbeschädigten und

die Zahl der der Berechnung zugrunde zu legenden Arbeits­ stellen übersehen läßt.

2. Falls sich eine gesetzliche Regelung zur Einstellung

Schwerkriegsbeschädigter

in

Privatbetrieben

erforderlich

machen sollte, sind ihr folgende Gesichtspunkte zugrunde zu legen: Durch Gesetz ist der Grundsatz festzulegen, daß Betriebe mit

einer bestimmten Zahl von Angestellten oder Arbeitern eine

entsprechende Zahl Schwerbeschädigter beschäftigen müssen.

Die Berhältniszahlen sollen — der Aufnahmefähigkeit der einzelnen Betriebsgruppen und der Zahl der Erwerbs­ beschränkten entsprechend — nach Anhörung der Vertreter

der Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Vollzugsverord­ nung allgemein festgesetzt werden. Soweit die besonderen Verhältnisse es rechtfertigen,

sollen einzelnen Betrieben auf Antrag Abweichungen von der für ihre Betriebsgruppe festgesetzten Berhältniszahl

gestattet werden. Die Durchführung der Verpflichtung soll dadurch ge­ sichert werden, daß der Arbeitgeber für den Fall der Nicht­

beschäftigung zu fortlaufenden Abgaben verpflichtet wird,

es sei denn, daß er beweist, daß ihm die erforderliche Zahl der für seinen Betrieb geeigneten Kriegsbeschädigten nicht nachgewiesen werden kann oder er sonst ohne sein Ver­

schulden nicht in der Lage war, der Verbindlichkeit nach­

zukommen.

IV. Die Beschäftigung Schwerunsallverletzter steht der Be­

schäftigung Schwerkriegsbeschädigter gleich."

Geschichtliche Entwicklung deS Schwerbeschädigtengesetzes.

23

Akut wurde die Frage, als nach dem jähen Abbruch des Kriege- infolge der harten Waffenstillstandsbedingungen eine überstürzte Demobilmachung stattfand und in wenigen

Tagen Millionen

entlassener Heeresangehöriger in die

Heimat zurückströmten. Dadurch ttat eine rasch zunehmende

Arbeitslosigkeit

ein,

von

der am meisten

beschädigten betroffen zu werden drohten.

die

Kriegs­

Deshalb ließ

es sich das DemobilmachungSamt sehr angelegen sein, für

eine Beschäftigung der Kriegsbeschädigten in der heimischen Wittschast Sorge zu tragen.

Dies sollte im engsten Ver­

nehmen mit den für diesen Zweck eingerichteten bürgerlichen Stellen insbesondere mit dem „Reichsausschuß der Kriegs­

beschädigten" geschehen.

Die Notwendigkeit der raschen

und restlosen Unterbringung aller Kriegsbeschädigten fühtte

zur Verordnung über Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 9. Januar 1919 (RGBl. S. 28) nebst Änderungs­ verordnung vom 1. Februar 1919 (RGBl. S. 132) — siehe auch die Denkschrift des Reichsarbeitsministers vom 21.März 1919, S. 29 (Drs. der NB. Nr. 215). — Durch diese Ver­ ordnung wurden die Schwerunsallverletzten den Schwer­ kriegsbeschädigten gleichgesetzt, da ja für sie alle dieselbe Voraussetzung gegeben ist: eine im Dienste für die All­ gemeinheit erlittene Beschädigung.

Ob das Ziel der Unter­

bringung der Schwerbeschädigten ohne gesetzliche Zwangs­ maßnahmen im freien Spiel der wirtschafUichen Kräfte erreicht werden könne, war bereits, wie oben erwähnt,

schon lange vor dem Kriegsende eröttett worden.

Jetzt

stand als Ergebnis fest, daß sich in der schweren Krisis, in die das deutsche Wittschastsleben eingetreten war, -um

mindesten die Schwerbeschädigten nur auf dem Arbeits­ markt behaupten könnten, wenn sie durch besondere Maß-

24

Einleitung.

nahmen unterstützt würden. Dem Einstellungszwang wurde durch Verordnung vom 1. Februar 1919 (RGBl. S. 132) ein Kündigungsverbot eingefügt, das durch mehrere Ver­ ordnungen fristgemäß erneuert wurde. Da die Voraus­ setzung für die Durchführung dieser Maßnahmen infolge der anhaltenden Wirtschastskrisis fortdauerten, entschloß sich die Reichsregierung zur Vornahme einer endgültigen Regelung, indem sie mit Nr. 1750 der Drucksachen der Nationalversammlung den Entwurf eines Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter am 12. Dezember 1919 vorlegte. Das Gesetz wurde in der Sitzung der National­ versammlung vom 17. Januar 1920 dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen, von diesem in zwei Lesungen beraten und mit verhältnismäßig geringfügiger Änderung mit schriftlichem Bericht — Nr. 2422 der Drs. — bet National­ versammlung zurückgereicht, die den Entwurf in der 155. Sitzung vom 12. März 1920 in zweiter und dritter Beratung annahm. Das Gesetz wurde unter dem 6. April 1920 im Reichsgesetzblatt S. 458 veröffentlicht.

Der Wunsch, die bisher stets befristeten Kündigungs­ beschränkungen einmal endgültig zu regeln und gleichzeitig die praktischen Erfahrungen, die bei der Handhabung des Gesetzes gemacht worden waren, zu verwerten, einzelne im Gesetz selbst bereits enthaltene Gedanken weiterzubilden und die Vorschriften des Gesetzes mit den seit seinem Er­ lasse ergangenen neuen arbeitsrcchtlichen Bestimmungen in Einklang zu bringen, veranlaßte die Regierung zur Ein­ bringung einer Novelle, die dem Reichstag am 28. No­ vember 1922 zuging (Nr. 5295 der Drs., I W.P. 1920/22).

Die dem Entwurf beigesügte Begründung enthält folgende beachtenswerte Ausführung: „Als erstes von den

Geschichtliche Entwicklung des Schwerbeschädigtengesetzes.

25

am Weltkrieg beteiligten Ländern hat Deutschland den

Opfern des Krieges durch gesetzliche Maßnahmen ein bevor­ zugtes Recht aus Arbeit geschaffen.

Der Gedanke wurde

durch das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter

vom 6. April 1920 (RGBl. S. 458) verwirklicht, das an die Stelle einer bereits am 9. Januar 1919 erlassenen,

durch

zahlreiche

Nachtragsbestimmungen

mobilmachungsverordnung

(RGBl.

ergänzten

S. 28)

trat.

De-

Der

Schutz oes Gesetzes erstreckt sich auf die Schwerbeschädigten,

die eine Rente von 50 oder mehr v. H. der Bollrente be­ ziehen sowie auf Unfallbefchädigte, bei denen die gleichen

Voraussetzungen

vorliegen.

Anderen

Schwererwerbs­

beschränkten können unter bestimmten Voraussetzungen ge­

wisse Vergünstigungen des Gesetzes zuerkannt werden (§ 7 des Gesetzes).

§§ 4 und 5 des Gesetzes in Verbindung mit

den Verordnungen des Reichsarbeitsministers vom 21. April

1920 (RGBl. S. 591) und 21. Juli 1921 (RGBl. S. 947) verpflichten die öffentlichen und privaten Arbeitgeber, rund zwei v. H. ihrer Arbeitsplätze mit solchen Schwerbeschädigten zu besetzen.

Diese Bestimmungen haben bei ihrem Erlasse

lebhafte Besorgnisse sowohl bei den Arbeitgebern wie bei den Kriegsbeschädigten hervorgerusen. Während die Arbeit­

geber erklärten, die deutsche Wirtschaft werde eine so starke Belastung mit unproduktiven Kräften nicht ohne Schaden

ertragen

können,

erschien

den

Kriegsbeschädigten

der

Hundertsatz von zwei im Verhältnis zu der großen Zahl der

damals noch nicht untergebrachten Schwerbeschädigten viel

zu gering.

Das Ergebnis einer mehr als zweijährigen

praktischen Handhabung des Gesetzes hat jedoch bewiesen, daß der eingeschlagene Weg im allgemeinen der richtige

war, wenn auch nicht übersehen werden darf, daß sich in

Einleitung. diesem Zeitraum die allgemeinen BeschästigungSverhältnisse günstig entwickelt haben und daher die Durchführung

des Gesetze- mit den Schwierigkeiten, die in den Zeiten

einer wirtschaftlichen Krisis eintreten, nicht zu kämpfen

hatte. Bon den in Deutschland insgesamt etwa vorhandenen 250 000 Schwerkriegsbeschädigten und 100 000

Schwer-

unfallbeschädigten sind gegenwärtig nur noch etwa 17 000

außer Arbeit, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Hälfte von dieser Zahl wegen der Schwere ihrer Be­

schädigung zu dauernder Arbeit nicht mehr imstande ist. Den 9000 Schwerbeschädigten, für die hiernach noch Arbeits­

vermittlung erforderlich ist, stehen mindestens 22 000 offene, heute schon sestgestettte Stellen gegenüber, die von Arbeit­

gebern auf Grund der Vorschriften des Gesetzes mit Schwer­ beschädigten besetzt werden müssen.

Daß sich hier ein Aus­

gleich noch nicht hat schaffen lassen, liegt hauptsächlich an der Wohnungsnot, die es insbesondere auf dem Lande

und in stark industriellen Gegenden oft unmöglich macht, die für die Schwerbeschädigten vorhandenen Arbeitsmöglich­

keiten auszunutzen.

Wenn auch auf dieses Ergebnis die

günstige Entwicklung des Arbeitsmarktes während der letzten

Monate nicht ohne Einfluß gewesen ist, so ist doch das

Ergebnis der Arbeitssürsorge für die Schwerbeschädigten in erster Reihe aus das Schwerbeschädigtengesetz und seine Handhabung durch die Hauptfürsorgestellen für Kriegs­ beschädigte und Kriegshinterbliebene zurückzusühren. Dieses

Ergebnis ist um so höher zu bewerten, als die von Arbeit­ geberseite von dem Gesetze befürchteten Folgen für die deutsche Wirtschaft fast nirgends in die Erscheinung getreten

sind.

Da das Gesetz auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit

der Einstellung beruht und nur bei Böswilligkeit eine Zu-

Geschichtliche Entwicklung des CchwerbeschädigtengesetzeS.

27

Weisung von Schwerbeschädigten gegen den Willen des

Arbeitgebers vorgesehen ist, haben die Arbeitgeber vielfach selbst die ihnen für ihren Betrieb geeignet erscheinenden Schwerbeschädigten aussuchen können.

Sie sind hierbei

durch die Hauptfürsorgestellen wirksam unterstützt worden, die mit HÜfe einer sich allmählich entwickelnden Berufs­

beratung

und

auf

Grund

einer

immer

umfassenderen

Kenntnis der einzelnen Betriebsarten den Schwerbeschä­ digten die bestmögliche Ausnutzung der ihnen verbliebenen Fähigkeiten zu

sichern suchten.

So

sind

die

Schwer­

beschädigten zumeist auf Arbeitsplätze gestellt worden, die

sie trotz ihres Zustandes auszufüllen in der Lage waren. Der überwiegende Teil von ihnen bezieht die vollen Tarif­

löhne der gesunden Arbeiter. Wenn trotz dieses Ergebnisses der Entwurf eines Ge­ setzes zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes vor­

gelegt wird, so soll an dem grundlegenden Gedanken des Gesetzes nicht geändert werden." Wegen

der Änderung bzw.

Bestimmungen

sei

auf

die

Neueinfügung

Anmerkungen zu

einzelner

ent­

den

sprechenden Paragraphen hingewiesen. Der Reichstag überwies den Entwurf in der 277. Sitzung

vom 6. Dezember 1922 dem Sozialpolitischen Ausschuß, der

über ihn den Bericht RTDrs. Nr. 5404 erstattete.

Die

Novelle wurde vom Reichstag in der 283. Sitzung vom 15. Dezember 1922 in zweiter und dritter Beratung an­

genommen

und

durch

Gesetz

vom

23. Dezember

1922

(RGBl. S. 972) veröffentlicht. Die auf Grund des Att. II dieses Gesetzes vorzunehmende Neufassung wurde unter

dem 12. Januar 1923 (RGBl. S. 57) bekanntgegeben.

28

Einleitung.

Im Laufe der Zeit ist das Schwerbeschädigtengefetz ent­ sprechend den Bedürfnissen der Praxis und in Anpassung an jeweilige Rechts- und wirtschaftliche Verhältnisse noch mehrfach, zuletzt durch § 246 des Gesetzes über Arbeits­ vermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 (RGBl. S. 187) geändert worden. Vgl. hierzu die An­ merkung zur Gesetzesüberschrist S. 78. In Verbindung mit dem Gesetz gilt die Ausführungsverordnung vom 13. Fe­ bruar 1924 (RGBl. S. 73). Sie ist unten S. 267 abgedruckt.

Inhalt deS Gesetzes. A. GesetzeSeinleitnng (§ 1). Das Gesetz verpflichtet alle Arbeitgeber, nach Maßgabe seiner Bestimmungen auf den Arbeitsplätzen ihrer Betriebe ohne Rücksicht auf den Personalbedarf Schwerbeschädigte zu beschäftigen. Die jetzt geltende Fassung des § 1 beseitigt die bisher bestehende Rechtsunstcherheit, welche die Novelle von 1922 gezeitigt hatte. Er enthält keine für sich bestehende Einstellungsvorschrist, sondern dient lediglich als Präambel.

B. Arbeitgeberbegriss (§ 2). Arbeitgeber sind: 1. alle privaten Arbeitgeber d. h. sowohl Einzelpersonen und Personengesamtheiten als auch juristische Per­ sonen; 2. die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffent­ lichen Rechts.

C. Arbeitsplätze (88 2,5). Arbeitsplätze sind: 1. alle Arbeitsplätze, aus denen Arbeiter oder Angestellte im Sinne der §§ 11 und 12 des Betriebsrätegesetzes

Inhalt des Gesetzes.

29

vom 4. Februar 1920 (RGBl. S. 147) beschäftigt werden; 2. die Beamtenstellen. Durch die Einbeziehung dieser auf öffentlichem Rechte beruhenden Arbeitsplätze in den Geltungsbereich des Schwerbeschädigtengefetzes bleiben aber die besonderen, für ihre Besetzung geltenden Vor­ schriften und Grundsätze (Vorbildung, Reihenfolge, Wartezeit der Anwärter, Beförderung, Versetzung, Entlassung der Beamten) unberührt, doch sollen sie so gestaltet werden, daß sie die Einstellung Schwer­ beschädigter erleichtern. So bestimmt z. B. § 33 des Reichsversorgungsgesetzes vom 12. Mai 1920 (RGBl. S. 989) in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1927 (RGBl. S. 515):

„§ 33. Versorgungsberechtigte, deren Erwerbsfähigkeit infolge Dienstbeschädigung um mindestens 50 vom Hundert ge­ mindert ist (Schwerbeschädigte), erhalten auf besonderen Antrag neben der Rente einen Beamtenschein, wenn sie

1. infolge ihrer Beschädigung und unter Berücksichtigung der nach § 21 zu gewährenden beruflichen Ausbildung nachweislich außerstande sind, ihren vor dem Eintritt zum Militärdienste zuletzt ausgeübten oder einen anderen Beruf, der ihnen unter Berücksichtigung ihrer Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten billiger­ weise zugemutet werden kann, in wettbewerbsfähiger Weise aufzunehmen, und 2. nach ihrem gesamten Verhalten zum Beamten ge­ eignet erscheinen. Der Beamtenschein ist zu versagen, wenn ein Schwer­ beschädigter infolge nachgewiesener Geisteskrankheit, schweren

30

Einleitung.

Siechtums oder anderer schwerer Gebrechen eine Beamten­ stelle offenbar nicht wahrnehmen kann. Die Grundsätze für die Anstellung der Inhaber des Beamtenscheins erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats." Solche Anstellungsgrundsätze (Grundsätze für die An­ stellung der Inhaber eines Versorgungsscheines) hat der Reich-innenminister in der Fassung vom 31. Juli 1926 (RGBl. S. 435) erlassen. Sie sind abgeändert durch die vierte Ergänzung vom 18. Juli 1927 (RGBl. S. 222).

Zu den Anstellungsgrundsätzen ist die Mgemeine Aussührungsanweisung in der Fassung vom 31. Juli 1926 (RGBl. S. 445), abgeändert durch die dritte Ergänzung vom 18. Juli 1927 (RGBl. S. 223), ergangen. Ferner bestimmen die Gesetze über die Feststellung des Reichshaushaltsplans (so z. B. das Gesetz für das Rech­ nungsjahr 1928, vom 31. März 1928 — RGBl. Teil II S. 209 —), daß bei Einstellungen von Beamten und Beamtenanwärtern in erster Reihe neben Warlestandsbeamten und Bersorgungsanwärlern Schwerbeschädigte heranzu­ ziehen sind. v. Begünstigter Personenkreis (§§ 8, 8, 20).

I. Schwerbeschädigte. Dies sind die eigentlichen, kraft Gesetzes geschützten Personen. Sie müssen, um unter den Begriff „Schwerbeschädigter" zu fallen,

a) um mindestens 50 v. H. erwerbsbeschränkt sein. Erwerbsbeschränkung kann verursacht sein:

1. durch eine Dienstbeschädigung, 2. durch Unfall, 3. durch beide Ereignisse;

Die

Inhalt des Gesetzes.

31

b) Anspruch auf: 1. eine Pension,

2. eine Rente haben; c) dieser Anspruch muß ihnen aus Grund

1. des Reichsversorgungsgesetzes,

2. der vorangehenden Militärversorgungsgesetze, 3. von Gesetzen, die das Reichsversorgungsgesetz für

anwendbar erklären, 4. der reichsgesetzlichen Unfallversicherung, 5. des Unfallfürsorgegesetzes, 6. entsprechender landesrechtlicher Vorschriften zustehen.

Ii. Geschützte Personen minderen

Rechts.

Um

gewisse Härten, die sich bei der amtlichen Feststellung der Erwerbsbeschränkung und ihrer Ursachen und der damit

verbundenen Höhe der Rente ergeben können, auszugleichen und Personen, die in gleichem Maße wie die eigentlichen Schwerbeschädigten der öffentlichen Hilfe bei Erlangung einer Beschäftigung bedürfen, auf die aber die gesetzlich

geforderten Voraussetzungen nicht -utreffen, Hauptfürsorgestellen überlassen,

auch

Personen in den Schutz einzubeziehen.

andere

ist es den beschädigte

Dies geschieht kraft

Gleichstellung.

a) Diese Gleichstellung muß die Hauptsürsorgestelle vornehmen bei Blinden, sofern sie nicht schon unter Ziss. I

fallen und unter der Bedingung, daß sie 1. ohne Hilfe dieses Gesetze- sich einen geeigneten Arbeitsplatz zu verschaffen und zu erhalten außer­

stande sind, 2. durch

ihre

Einstellung

die

Unterbringung

Schwerbeschädigten nicht gefährden;

der

32

Einleitung.

b) Die Gleichstellung ist dem freien Ermessen der Hauptfürsorgcstellen, und zwar unter der gleichen Voraus­ setzung wie zu a 1 und 2 überlassen: 1. bei Personen, die um wenigstens 50 v. H. erwerbs­ beschränkt sind, bei denen aber die Voraussetzungen zu Zisf. I nicht vorliegen (sog. Schwererwerbs­ beschränkte), 2. bei Kriegs- und Unfallbeschädigten, die weniger als 50 v. H., aber mehr als 30 v. H. erwerbs­ beschränkt sind (sog. Minderbeschädigte);

III. Personen, die a) noch nicht oder b) nicht mehr zu den Schwerbeschädigten im Sinne des Gesetzes gehören. Zu a. Da oftmals das Rentenfestsetzungsversahren sehr lange Zeit in Anspruch nimmt, sollen den Kriegsbeschädigten (andere Beschädigte kommen also nicht in Frage) die Vor­ teile des Gesetzes nicht bis zum Abschluß des Verfahrens vorenthalten werden. Sie können deshalb schon vorher den Schwerbeschädigten gleichgestellt werden. Voraussetzung hierfür ist, daß 1. ein Rentenverfahren schwebt; 2. die Art der Kriegsbeschädigung eine Festsetzung der Erwerbsbeschränkung von mindestens 50 v. H. mit Bestimmtheit erwarten läßt.

Zu b. Um den Schwerbeschädigten, deren Erwerbs­ beschränkung bei einer erneuten Feststellung aus weniger als 50 v.H. herabgesetzt wird, Zeit zu lassen, sich eine andere Arbeitsgelegenheit zu verschaffen, kann ihnen der Schutz des Gesetzes für die Dauer eines Jahres nach Rechtskraft der neuen Entscheidung belassen werden.

Inhalt des Gesetzes.

33

Außerdem besteht für derartige Beschädigte die Möglich­

keit der weiteren Gleichstellung (II, b, 2), sofern ihre Er­ werbsbeschränkung noch mehr als 30 v. H. beträgt.

IV. Allgemeine Voraussetzung barkeit der Schutzvorschristen.

für

Anwend­

a) Unter den Schutz des Gesetzes fallen nur Deutsche, das

sind Personen, die die Staatsangehörigkeit in einem deutschen Lande oder die im Wege der Verleihung erworbene unmittelbare Reichsangehörigkeit besitzen. Der Fall der Reichsangehörigkeit kommt hier aber nicht in Frage.

Deutschstämmigkeit genügt nicht.

Ausländern sott der Schutz nur zuerkannt werden, wenn in ihrem Heimatlande deutschen Schwerbeschä­

digten gleiche Vergünstigung gewährt wird. Zwischen dem Deutschen Reiche und der Republik Österreich besteht ein Vertrag (abgedructt unten S. 364), nach dem die gewährleistete Gleichstellung der beiderseitigen Kriegsbeschädigten auch die Bevor­ zugung bei Einstellung in öffentliche und private Be­ triebe mit Ausnahme der öffentlichen Ämter nach

Maßgabe der Gesetze des Ausenthaltsstaates umfaßt. b) Den

Schwerbeschädigten

oder

den

Gleichgestellten

dürfen nicht im Wege des strafähnlichen Beschlusses

des

Schwerbeschädigtenausschusses

gemäß § 19 die

Vottelle des Gesetzes zeitwellig entzogen sein. Während der Zeit der Aberkennung befinden sich

die

betreffenden

Schwerbeschädigten

außerhalb

des

Schutzes.

E. Zweck des «esetzeS (88 4, 6, 6, 7,10,13). Der Gegenstand der Begünstigung, die den Schwer­ beschädigten durch das Gesetz gewährt wird, ist: Lchnetder, 3d)töerbefd)äbigtenfleieR.

3

Einleitung.

34

I. Arbeitsbeschaffung (durch Einstellungsverpflichtung).

II. Arbeitserhaltung (durch Kündigungsbeschränkung). I. Arbeitsbeschaffung. Schon früh hat sich bei uns die Erkenntnis durchgeseht,

daß der Not der Kriegs- und Unfallbeschädigten durch keine

wie immer geartete Unterstützung völlig abgeholfen, daß ihnen vielmehr ihre unglückliche Lage nur durch eine ge­

regelte Arbeit erträglich gestaltet werden kann, die es er­ möglicht,

die ihnen noch

verbliebene

Arbeitskraft aus-

zunützen und sie als schaffende Glieder dem Volkskörper zu erhalten. Da es den Schwerbeschädigten bei der herrschen­

den Erwerbslosigkeit schwer gelingen würde, im freien Spiel

der Kräfte aus dem Arbeitsmarkt sich zu behaupten, be­ stimmt das Gesetz, daß die Arbeitgeber sie beschäftigen

müssen.

Das wirtschaftliche Problem, Schwerbeschädigte unter­ zubringen, kann auf zweierlei Arten gelöst werden:

a) Im Wege des starren Systems.

Hierbei ist der Arbeit­

geber verpflichtet:

1. einen bestimmten Bruchteil seiner Arbeitsplätze

mit Schwerbeschädigten zu besetzen oder 2. Arbeitsplätze

bestimmter

Arten

oder

einzelne

Arbeitsplätze, die sich für Schwerbeschädigte vor­ zugsweise eignen, sreizuhalten.

b) Im Wege des beweglichen (unstarren) Systems, indem

der Arbeitgeber bei gleichzeitiger Meldung mehrerer gleich geeigneter Bewerber auf die gleiche Arbeitsstelle

schlechthin einen Schwerbeschädigten vorzuziehen hat. Zu a. Das Gesetz von 1920 vereinigte beide Formen in strengerer Art als die Novelle von 1922, indem § 4

Inhalt des Gesetzes.

35

dem öffentlichen Arbeitgeber und § 5 den Arbeitgebern zur Pflicht machte, nicht nur zahlenmäßig bestimmte Bruchteile ihrer Arbeitsplätze, sondern auch bestimmte Arten von Arbeitsplätzen mit Schwerbeschädigten zu be­ setzen bzw. für sie freizuhalten.

Der jetzige Rechtszustand sieht, entsprechend den Er­

fahrungen in der Praxis, für die öffentlichen Arbeitgeber

von der Bestimmung ab, bestimmte Arbeitsplätze frei­ zuhalten, und überläßt es nur dem freien Ermessen der

Hauptfürsorgestelle, anzuordnen, daß die privaten Arbeit­

geber ihrer Einstellungsverpflichtung durch Freihalten

bestimmter Arbeitsplätze zu genügen haben.

Bor ihrer

Entscheidung muß die Hauptfürsorgestelle den Arbeitgeber

und die Vertretung seiner Arbeitnehmer hören.

Hier­

durch soll die Zweckdienlichkeit der Anordnung und Wah­ rung der Interessen aller Beteiligten gesichert werden.

Zu b. Diese- System, das zu den größten Unzuträglichkeiten geführt und in der Praxis sich wenig bewährt hat, ist durch Abänderung des alten § 1, in dem es seine

Stütze hatte, beseitigt worden, so daß nur noch das starre System, und zwar grundsätzlich nur in der Form

der Besetzung bruchteilmäßig bestimmter Arbeitsplätze in

Geltung ist.

Dieser Bruchteil wird aber nicht durch das Gesetz selbst bestimmt,

sondern ist Ausführungsbestimmungen Vorbe­

halten, um den Hundertfatz den jewelligen wirtschaftlichen

Verhältnissen besser anpassen zu können. a) Für die Arbeitgeber öffentlichen Rechts setzt die Reichs­

regierung mit Zustimmung des Reichsrats den Bruch­

teil der mit Schwerbeschädigten zu besetzenden Arbeits­ plätze fest.

36

Einleitung.

b) Für die privaten Arbeitgeber ist hierzu der Reichs­ arbeitsminister ermächtigt. Will er aber den Bruchteil auf mehr als 2 v. H. sestsetzen, so bedarf er dazu der Zustimmung

1. des Reichsrats, 2. des Sozialpolitischen Ausschusses des Reichtags, 3. der vorherigen Anhörung des Vorläufigen Reichswirtschastsrats (§§ 4, 5). Entsprechend dieser Zuständigkeitsverteilung bestanden früher für die öffentlichen und privaten Arbeitgeber zwei be­ sondere Ausführungsverordnungen, die aber durch die nun­ mehr für beide Arten von Arbeitgebern gemeinsam erlassene Verordnung vom 13. Februar 1924 (RGBl. S. 73) abgelöst sind. Die Verordnung vom 13. Februar 1924 ist jedoch nicht aus Grund des Schwerbeschädigtengesetzes selbst, sondern des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (RGBl. S. 1179) von der Reichsregierung erlassen. Um bei der Durchführung der Anordnungen des Reichs­ arbeitsministers den privaten Arbeitgebern gewisse hip berechtigte Härten zu ersparen und etwaige, bei einer schematischen Anwendung sich ergebende Unzweckmäßig leiten zu vermeiden, läßt das Gesetz folgende Abweichungen von dem regelmäßigen Einstellungsmvdus zu: a) Es werden dem Reichsarbeitsminister folgende Be­ fugnisse eingeräumt: Er kann 1. seine Anordnungen aus einzelne Berussgruppen erstrecken, 2. einzelne Berufsgruppen hiervon ausschließen, 3. den Bruchteil für verschiedene Gruppen verschieden sestsetzen.

Inhalt des Gesetzes.

37

b) Die Hauptfürsorgestelle wird ermächtigt, 1. einzelne private Arbeitgeber von den durch die Anordnungen des Reichsarbeitsministers auf­ erlegten Verpflichtungen unter gewissen Bedin­ gungen ganz oder teilweise zu befreien, 2. den Arbeitgeber seine Verpflichtung dadurch er­ füllen zu lassen, daß er

a) Arbeitsplätze bestimmter Art, ß) bestimmte Arbeitsplätze freihält, y) Schwerbeschädigten Siedlungsstellen zu Eigen­ tum oder Pacht überläßt (§ 9).

Dies entspricht den sog. Ausgleichstaxen, wie sie z. B. in Österreich eingeführt sind, indem nämlich an Stelle der Pflichteinstellung für gewisse Betriebsgattungen oder auch für einzelne Betriebe, in denen die Einstellung entweder undurchführbar ist oder mit verhältnismäßigen Nachteilen, insbesondere aber mit Gefahr für Leben oder Gesundheit der Kriegsbeschädigten selbst verbunden ist, die Entrichtung einer Ausgleichstaxe vorgeschrieben ist. Diese Ausgleichs­ taxe hat keinen Strafcharakter, sondern stellt sich ebenfalls als eine Ablösung für die Befreiung von der Einstellungs­ pflicht dar (Internationales Arbeitsamt „Die Arbeits­ fürsorge für Schwerbeschädigte", Genf 1923, S. 89). Die Einstellung selbst ist dem freien Willen des Arbeit­ gebers überlassen. Zur Schonung der Wirtschaft, die durch dieses Gesetz ohne Zweifel sehr belastet wird, und zur Er­ haltung des Arbeitssriedens soll jeder Zwang nach Möglich­ keit vermieden werden. Der Arbeitgeber kann sich also die geeigneten Schwerbeschädigten selbst aussuchen, er kann die eingestellten auf den Arbeitsplätzen verwenden, auf denen sie am besten produktiv tätig sein können. Findet

Einleitung.

38

er keinen geeigneten beschädigten Arbeitnehmer, so kann er sich der Hilfe der amtlichen Fürsorgest^len bedienen,

die in diesem Falle reine BermittlungStätigkeit ausüben. Nur bei erwiesener Böswilligkeit des Arbeitgebers erfolgen

die Maßnahmen des Gesetzes.

Diese sind:

a) Die Zwangseinstellung selbst.

Dem säumigen Arbeit­

geber, der noch nicht die vorgeschriebene Anzahl Schwer­

beschädigter eingestellt hat, wird zunächst eine an­ gemessene Frist gestellt.

Nach ergebnislosem Ablauf

der Frist bestimmt die Hauptsürsorgestelle 1. die Schwerbeschädigten, die einzustellen sind;

2. der Zeitpunkt, zu dem sie einzustellen sind; 3. den Inhalt des Vertrags.

DaS Gesetz greift hiermit also in das privatrechlliche Arbeitsverhältnis ein.

b) Auferlegung einer Buße (s. unten S. 54). II. Arbeitserhaltung (Kündigung-beschränkung).

Die

Einstellungsverpflichtung des Arbeitgebers allein

würde dem Schwerbeschädigten nichts nützen, wenn ihm

wie jedem anderen gesunden Arbeitnehmer regelmäßig gekündigt werden könnte.

Die Sorge um Erlangung einer

Beschäftigung würde ihm nicht genommen sein, wenn ihm sein mühsam erlangter Arbeitsplatz nicht erhalten bliebe.

Zu diesem Zweck hat das Gesetz einen wirksamen Kündi­

gungsschutz eingesührt. Allerdings bezieht sich dieser Schutz nur auf eine reguläre Kündigung.

Die gesetzlichen Bestim­

mungen über eine fristlose Entlassung werden im all­ gemeinen nicht berührt.

a) Regelmäßige Kündigung.

1. Während sonst die Kündigung eine empfangs­

bedürftige einseitige Willenserllärung darstellt, die

Inhalt des Gesetzes.

39

ohne weiteres wirksam wird, wenn sie dem anderen zugeht, macht das Schwerbeschädigtengesetz die Wirkung der Kündigung der hierdurch geschützten Personen von der Zustimmung der Hauptfürsorge­ stelle abhängig, die grundsätzlich zu jeder Kündigung notwendig ist. Hierbei gilt folgendes: a) Die Kündigungsfrist, d. h. diejenige Frist, die zwischen der Erklärung der Kündigung und dem damit beabsichtigten Endtermin des Arbeitsverhältnisses liegt, läuft vom Tage der Absendung des Antrags.

ß) Sie beträgt mindestens vier Wochen. y) Die Einholung der Zustimmung ist an die Schriftform gebunden.

ö) Der Antrag muß entweder zugestellt oder sein Eingang durch eine Empfangsbescheinigung bestätigt werden. e) Im Falle der 'Zustellung gilt die Genehmi­

gung al- erteilt, falls sie nicht innerhalb vierzehn Tagen nach der Zustellung verweigert wird. ?) Im Falle der Erteilung einer Empfangs­ bescheinigung läuft diese Frist vom Tage nach der Erteilung. >/) Es bedarf unbedingt eines Bescheides über die Erteilung oder Ablehnung der Zustimmung seitens der Hauptfürsorgestelle; denn die Ent­ scheidung über eine Kündigung muß sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Schwer­ beschädigten zugestellt werden.

40

Einleitung. 2. Die Hauptsürsorgestelle ist bei ihrer Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung an folgende Vorschriften gebunden: a) Sie muß die Zustimmung zur Kündigung er­ teilen: aa) wenn dem Schwerbeschädigten ein an­ derer angemessener Arbeitsplatz gesichert ist (§ 13); ßß) bei Betrieben des Reichs, der Länder usw., die ausgelöst oder nicht nur vor­ übergehend wesentlich eingeschränkt werden, sofern noch mindestens drei Monate, von dem Tage der Kündigung an gerechnet, Lohn oder Gehalt gezahlt wird und die Zahl der im beschränkten Betriebe verbleibenden Schwerbeschä­ digten noch mindestens 5 v. H. aller Weiterbeschäftigten beträgt (§ 15); yy) bei privaten Betrieben, die nicht nur vorübergehend vollständig eingestellt oder wesentlich eingeschränkt werden, sofern Lohn oder Gehalt noch mindestens drei Monate weiter gezahlt wird (§ 16).

ß) Sie soll die Zustimmung nicht versagen, wenn der Arbeitgeber für den bisherigen einen anderen Schwerbeschädigten von ähnlicher Erwerbsbeschränkung einstellt und im übrigen seiner Einstellungspslicht genügt hat (§ 14). 3. Ausnahme. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn der Schwerbeschädigte ausdrücklich nur a) zur vorübergehenden Aushilfe,

Inhalt des Gesetzes.

41

ß) für einen vorübergehenden Zweck, y) versuchsweise eingestellt ist, sofern nicht das Beschästigungsverhältnis über drei Monate fortgesetzt wird. b) Fristlose Kündigung. 1. Da das Gesetz den Grundsatz verfolgt, den Schwer­ beschädigten nur insoweit zu schützen, daß er im Wettbewerb mit gesunden Arbeitnehmern nicht unterliegt, d. h. ihm einen geeigneten Arbeitsplatz zu verschaffen und ihm diesen unter normalen Verhältnissen zu erhalten, so läßt es die gesetzlichen Bestimmungen über die fristlose Kündigung un­ berührt. Es würde für den Arbeitgeber eine nicht tragbare Härte bedeuten, wollte man ihm zumuten, einen Beschädigten aus jeden Fall weiterzubeschäftigen, selbst wenn Gründe vor­ liegen, die ihn zu einer sofortigen Entlassung be­ rechtigen.

2. Ausnahme.

a) Während nach § 123 GO., zu den Gründen, aus denen gewerbliche Arbeiter ohne Aufkündi­ gung entlassen werden können, auch eine ab­ schreckende Krankheit gehört, besteht für die Schwerbeschädigten billigerweise die Be­ stimmung, daß, falls die Krankheit, die den Grund zur sofortigen Entlassung gibt, die Folge einer Kriegsbeschädigung ist, die Zu­ stimmung der Hauptsürsorgestellezur Kündigung erforderlich ist. ß) Eine weitere Milderung ist für die Fälle der fristlosen Kündigung aus Anlaß von Arbeits-

Einleitung.

42

kämpfen, d. h. von Streiks und Aussperrungen

vorgesehen. Der besonderen Lage der Schwer­ beschädigten im ArbeitS- und Betriebsverhältnis

Rechnung tragend, neutralisiert sie der Ge­ setzgeber während der Zeit des Arbeitskampses,

d. h. sie sollen sich weder aktiv am Streike be­ teiligen noch sollen sie gezwungen werden, Streikbrecherdienste zu verrichten.

endetem

Arbeitskamps

sind

weiteres wieder einzustellen.

sie

Nach be­

aber

ohne

Etwas anderes

ist es, wenn dem Schwerbeschädigten auch noch aus einem anderen Grunde vor Ausbruch oder während des Streiks fristlos gekündigt worden

ist, d. h. wenn sein Verhalten in dieser Zeit dem Arbeitgeber einen Grund zur fristlosen

Entlassung

gegeben

hat.

In diesem Falle

schützt ihn daS Gesetz nicht mehr. 3. Die Kündigungsbeschränkungen bzw. die Wieder-

einstellungsvorschristen gelten nicht für Vorstands­

mitglieder und gesetzliche Vertreter von juristischen Personen

und

von

Personengesamtheiten

des

öffentlichen und privaten Rechtes, ferner nicht für die Geschäftsführer und Betriebsleiter, soweit sie

zur selbständigen Einstellung oder Entlassung der übrigen im Betriebe oder in der Betriebsabteilung

beschäftigten Arbeitnehmer berechtigt sind oder

soweit ihnen Prokura oder Generalvollmacht er­

teilt ist. § 13 Abs. 4 (BRG. § 12 Abs. 2). Der Kündigungsschutz soll also nicht auch solchen Personen zuteil werden, die zwar dem Namen nach

noch als Arbeitnehmer gelten, die aber dem Arbeit-

Inhalt des Gesetzes.

43

gebet infolge ihrer Vertrauensstellung näher stehen als den übrigen Arbeitnehmern und deshalb in arbeitsrechtlicher

oder

wirtschaftsrechtlicher

Be­

ziehung soweit von der Arbeitnehmereigenschaft

auszuschließen sind. 4. Die

Reichs-

und

Landesbeamten,

die

ebenso

Kommunalbeamten (als mittelbare Landesbeamte) sowie die Reichsbahnbeamten und die Reichsbank­

beamten sind ebenfalls von den Bestimmungen über den Kündigungsschutz ausgenommen.

Aus

sie finden die besonderen, für sie erlassenen Vor­ schriften und Grundsätze Anwendung, die, wie § 2 ausdrücklich hervorhebt, durch dieses Gesetz

nicht beseitigt werden.

F. Durchführung deS Gesetze- und überwachnngsmaßregeln (88 10,11,12). I. Durchführungs- und Überwachungsorgane.

II. Hilfsorgane.

III. Allgemeine Vorschriften. IV. Besondere Vorschriften. V. Die Ausgaben der Hauptfürsorgestelle bei der Durch­

führung. VI. Die Aufgaben der Hauptsürsorgestellen bei der Über­ wachung. I. Durchführungs- und Überwachungsorgane. Die Durchführung und Überwachung liegt in erster Linie

den Hauptsürsorgestellen der Kriegsbeschädigten- und Kriegs-

hinterbliebenensürsorge

ob,

die

bereits

Ende

1916

als

Organisation der privaten Kriegsbeschädigtenfürsorge ge­ schaffen, später aber auf

Grund der Verordnung vom

44

Einleitung.

8. Februar 1919 (abgedruckt unten S. 276) reichsgesetzlich mit der Durchführung der sozialen Fürsorge für Kriegs­ beschädigte und Kriegshinterbliebene betraut worden find. Den Hauptsürsorgestellen sind die Fürsorgestellen unter­ stellt, denen die Fürsorge aus der unteren Stufe obliegt. Die Landeszentralbehörden können, nachdem durch Ver­ ordnung über die Fürsorgepslicht vom 13. Februar 1924 (abgedruckt unten S. 280) die gesamte öffentliche Wohlfahrts­ pflege neu geregelt und die Fürsorge für Schwerbeschädigte den Landesfürsorgeverbänden und den Bezirkssürsorgeverbänden übertragen worden ist, die den Hauptsürsorgestellen und Fürjorgestellen nach dem Schwerbeschädigtengesed obliegenden Ausgaben auch anderen Behörden über­ tragen. Auch die Arbeitsämter und Landarbeitsämter können mit der Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes betraut werden. Soweit es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt, liegt die eigentliche Durch­ führung den Trägern der Dienstaussicht ob, sie muß aber im Benehmen mit der Hauptfürsorgestelle erfolgen: auch hat diese das Recht, die Entscheidungen des Trägers der Dienstaufsicht durch die oberste Reichs- bzw. Landesbehörde korrigieren zu lassen.

II. Hilssorgane. Zur Unterstützung bei der Durchführung des Gesetzes dienen der Hauptfürsorgestelle a) die Arbeiter- und Angestelltenräte (bzw. der Betriebs­ rat), die sich um die Durchführung zu bemühen haben; b) der Vertrauensmann der Schwerbeschädigten. Er ist zu bestellen, sofern im Betriebe mindestens fünf schwer­ beschädigte Arbeitnehmer eingestellt sind, und soll tunlichst selbst ein Schwerbeschädigter sein;

Inhalt des Gesetzes.

45

c) der Beauftragte des Arbeitgebers. Er ist vom Arbeit­ geber zu bestellen und wirkt mit dem Vertrauensmann der Schwerbeschädigten zusammen. Beide dienen der Hauptsürjorgestelle als Vertrauensleute für den Betrieb.

III. Allgemeine Vorschriften. Um jeden unnützen Eingriff in die Rechte des Arbeit­ gebers zu vermeiden und die Einstellung des Schwer­ beschädigten möglichst reibungslos zu gestalten, sollen die Hauptfürsorgestellen erst eingreifen, wenn die Verpflich­ tungen aus dem Gesetze nicht durch freie Entschließung der Arbeitgeber erfüllt werden. Aber auch dann soll die Haupt­ fürsorgestelle sich erst mit den Vertretern der Arbeitgeber llnd Arbeitnehmer, mit den Organen der Gewerbe- und Bergaufsicht und den Arbeitsnachweisen verständigen.

IV. Besondere Vorschriften. Bei der Durchführung sollen die Interessen sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Dies geschieht am besten, wenn

1. die Beschädigten tunlichst in ihrem alten Beruf unter­ gebracht werden, da sie hierin am meisten zu leisten imstande sind; 2. einzelne Berussgruppen mit Schwerbeschädigten nicht überfüllt werden; 3. einzelne Arbeitgeber nicht allzu sehr durch Einstellungen überlastet werden. V. Die Ausgaben der Hauptfürsorgestelle bei der Durchführung. Die verschiedenen Befugnisse und Obliegenheiten der Hauptfürsorgestelle sind:

Einleitung.

46

a) Verleihung der Schwerbeschädigteneigenschaft kraft

Gleichstellung an 1. Friedensblinde,

2. Minderbeschädigte, 3. Schwererwerbsbeschränkte, 4. Kriegsbeschädigte, deren Rente noch nicht rechts­

kräftig festgestellt ist.

b) Belassung der Schwerbeschädigteneigenschaft bei Be­ schädigten, deren Rente erneut aus weniger als 50 v. H.

festgesetzt ist. c) Abgrenzung des Anwendungsgebietes des Gesetzes.

Die Hauptsürsorgestellen können: 1. einzelne private Arbeitgeber unter gewissen Vor­

aussetzungen und Bedingungen ganz oder teilweise von ihren Verpflichtungen befreien;

2. allgemein oder im einzelnen Falle bestimmen, daß nur

vorübergehend besetzte

Arbeitsplätze

sowie

einzelne Arten von Lehrstellen und einzelne Arten

von Stellen der Hausgewerbetreibenden nicht als

Arbeitsplätze mitzuzählen sind; 3. bestimmen, daß ein privater Arbeitgeber seiner

Verpflichtung dadurch nachkommt, daß er Arbeits­ plätze bestimmter Art oder einzelne bestimmte, für

Schwerbeschädigte

besonders

geeignete

Arbeits­

plätze sreihält; 4. als Ersatzleistung die Überlassung von Siedlungs-

stellen zulassen. d) Die allgemeine Fürsorge um Einstellung und Beschäftigung von Schwerbeschädigten.

Inhalt des Gesetzes.

47

e) Die Anwendung des Einstellungs-wangeS

bei Böswilligkeit des Arbeitgebers (Fristbestimmung, An­ drohung der Einstellung, Zwangseinstellung selbst, Be­

stimmung des Inhalts des Arbeitsvertrages). I) Handhabung des besonderen Kündigungs­ schutzes.

g) Einleitung des BußeverfahrenS.

h) Bornahme besonderer Maßnahmen. Um eine

tunlichst

große Anzahl Schwerbeschädigter

dauernd unterbringen zu können, kann der Arbeit­ geber verpflichtet werden, die Arbeitsräume, Betriebs­

vorrichtungen, Maschinen, Gerätschaften zu dem be­

sonderen Zwecke einzurichten und zu unterhalten und den ganzen Betrieb entsprechend zu regeln.

Zur Ver­

meidung von Härten kann die Hauptfürsorgestelle von diesen Verpflichtungen absehen, soweit ihre Durchführung

1. den Betrieb ernstlich gefährden würde;

2. mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre,

die dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden können; 3. staatliche

oder berussgenossenschaftliche

Arbeits­

schutzvorrichtungen verletzen würde.

VI. Die Aufgaben der Hauptsürsorgestelle

bei der Überwachung. Um sich die Unterlagen für die Durchführung deS Ge­ setzes zu verschaffen und die Befolgung der gesetzlichen Be­

stimmungen zu überwachen, werden der Hauptsürsorgestelle besondere Befugnisse verliehen.

Sie kann vom Arbeit­

geber verlangen, daß er ihr a) die im Interesse der Schwerbeschädigten nötigen Aus­ künfte erteilt;

48

Einleitung.

b) Einblick in den Betrieb gewährt. Bon dieser Befugnis soll die Hauptsürsorgestelle schonend Gebrauch machen. Bor allem dürfen bei den Besichtigungen, die überdies nur im Benehmen mit den Organen der Gewerbeund Bergaufsicht geschehen sollen, Betriebsgeheimnisse nicht verletzt werden. Eine Übertretung dieser Vorschrift ist entsprechend dem § 145a GO. als Vergehen mit Geldstrafe oder Gefängnis bedroht.

c) Außerdem ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Frei­ werden der den Schwerbeschädigten vorbehaltenen Posten der Hmlptfürsorgestelle mitzuteilen, damit diese in der Lage ist, für diese Stellen andere Schwer­ beschädigte vorzuschlagen.

G. Beschwerde (§§ 21, 22). I. Beschwerdeinstanzen. II. Zuständigkeit der Beschwerdeinstanzen.

III. Zusammensetzung des Schwerbeschädigtenausschusses bei der Hauptfürsorgestelle und Fürsorgestelle. IV. Form, Frist, Verfahren und Wirkung.

I. Beschwerdeinstanzen.

Vor dem 1. Januar 1923 (d. h. also vor dem Inkraft­ treten der Novelle) war für Streitigkeiten über die Ver­ pflichtungen aus dem Gesetz der Schlichtungsausschuß, der in der Verordnung vom 23. Dezember 1918 (RGBl. S.1456) vorgesehen ist, zuständig; in manchen Fällen hatte auch der Beirat der Hauptfürsorgestelle endgültig zu entscheiden, in anderen Fällen wiederum konnte gegen Anordnungen und Entscheidungen der Hauptsürsorgestellen der Reichs­ arbeitsminister angerusen werden.

49

Inhalt des Gesetzes.

Da einerseits sowohl von den Beschädigten wie von der Arbeitgeberseite aus immer wieder der Wunsch nach einer schnellen Entscheidung vorgetragen wurde, anderseits die Schlichtungsausschüsse wegen des oft verzögerten Ver­ fahrens und des Mangels einheitlicher Entscheidungen nicht voll befriedigt hatten, schuf die Novelle von 1922 als Beschwerdeinstanz den Schwerbeschädigte naus schuß. Dieser Ausschuß ist nach dem Porbilde der aus dem Beirat der Hauptsürsorgestelle (§ 6 der Verordnung vom 13. Fe­ bruar 1924 — abgedruckt S. 276 unten) bei den meisten Hauptfürsorgestellen entstandenen, besonderen Ausschüssen gebildet, die bei Fragen des Schwerbeschädigtengesetzes zuständig sind. Als Beschwerdeinstanzen kommen nach dem geltenden Recht in Frage: a) Der Schwerbeschädigte naus schuß bei der Hauptfürsorgestelle. Da die Durchführung des Gesetzes den Hauptfürsorge­ stellen obliegt, ist der Schwerbeschädigtenausschuß grund­ sätzlich bei der Hauptfürsorgestelle errichtet. b) Der Schwerbeschädigtenausschuß bei der Für­ sorgestelle. Für besondere Fälle ist die Möglichkeit einer Schaffung von abgezweigten Schwerbeschädigtenausschüssen am Sitze größerer Fürsorgestellen vorgesehen. c) Die oberste Reichsbehörde bzw. oberste Landesbehörde. Sie ist ebenfalls Beschwerdeinstanz, aber nur in be­ sonderen Fällen.

II. Zuständigkeit der Beschwerdeinstanzen. a) Beschädigtenaus schuß bei der Hauptfür­ sorge stelle. Der Ausschuß ist zuständig für Beschwerden

Lchneider, Lchwerbeschädigtengesetz.

4

50

Einleitung.

gegen Anordnungen und Entscheidungen, die die Hauptfür­

sorgestelle aus Grund der Vorschriften des Gesetzes trifft, also nur gegen die Berwaltungsakte der Hauptfürsorgestellen, die

der Erfüllung der besonderen öffentlich-rechtlichen Ver­

pflichtungen

Soweit

der

Arbeitgeber aus

dem

Streitigkeiten privatrechtlicher

Gesetze Natur

dienen.

dem

aus

Arbeitsvertrage (gleichgültig, ob zwangsweise oder frei­

willig abgeschlossen) entstehen, sind zur Entscheidung die

Arbeitsgerichte zuständig, denen eine materielle Nachprüfung der Entscheidungen der Hauptsürsorgestellen und Schwer-

beschadigtenausschüsse nicht zusteht.

Anderseits ist der Aus­

schuß nicht befugt, in die privatrechllichen Beziehungen des Schwerbeschädigten zum Arbeitgeber einzugreifen

nahme:

Bestimmung

des

Inhalts

des

(Aus­

zwangsweise

— § 7 — abgeschlossenen Arbeitsvertrages).

Die Entscheidung über privatrechlliche Ansprüche der

Vertragsparteien ist der Zuständigkeit deS Ausschusses ent­ zogen. Der

Schwerbeschädigtenausschuß entscheidet

als

Be­

schwerdestelle in zweiter und letzter Instanz, seine Be­ schlüsse find also endgültig, d. h. sie können nicht mehr an­ gefochten werden.

b) Beschädigtenausschuß

bei

der

Fürsorge­

stelle. Da dieser detachierte Ausschuß bei einer Fürsorgestelle gebildet wird, der gewisse an sich zur Zuständigkeit der Haupt­

fürsorgestelle gehörige Ausgaben übertragen

werden,

so

besitzt er dieselbe Zuständigkeit wie der Ausschuß bei der Hauptfürsorgestelle.

c) Oberste Reichs- bzw. oberste Landesbehörde. Sie ist zuständig bei Entscheidungen der Hauptsürsorgestelle,

welche die Kündigung eine- bei einer Behörde beschäf-

Inhalt des Gesetzes. tifltcn Schwerbeschädigten betreffen.

51 In Frage kommen

hierbei nur Arbeiter oder Angestellte, da mit der Entlassung

oder Pensionierung eines Beamten oder der Kündigung eines kündbar angestellten Beamten die Hauptfürforgestelle gar nicht besaßt ist.

Auch diese

Stellen entscheiden über die Beschwerde

endgültig.

III. Zusammensetzung der Schwerbeschädigten­

ausschüsse. a) Der Leiter der Hauptfürsorgestelle (Fürsorgestelle) ist

zugleich der Vorsitzende des Ausschusses.

Hierdurch wird

schon von vornherein eine gleichmäßige Behandlung der Streitfälle gesichert.

b) Die Zahl der Mtglieder des Ausschusses beträgt aus Grund der Personalabbauverordnung vom 27. Oktober 1923

(RGBl. S. 999 — abgedruckt unten S. 265) jetzt vier, von denen zwei Schwerbeschädigte und zwei Arbeitgeber sind. Die ausschlaggebende Stimme hat also der Vorsitzende.

IV. Form, Frist, Verfahren, Wirkung. a) Form. Die Beschwerde ist an keine Form gebunden,

sie braucht nicht als solche bezeichnet, auch nicht an den

SchwerbeschädigtenauSschuß gerichtet zu sein. b) Frist. Die Beschwerde ist im allgemeinen an keine Frist gebunden, sie kann eingelegt werden, so lange sie eine

Wirkungsmöglichkeit besitzt. Nur in dem Falle, daß die Ent­

scheidung der Hauptfürsorgestelle die Kündigung eines Schwerbeschädigten betrifft, ist eine Frist von einer Woche vorgeschrieben, um eine möglichst schnelle Klärung der Rechtslage herbeizusühren. Zur Erleichterung der Prüfung

des Fristenbeginns und -ablaufs ist bestimmt, daß Ent-

52

Einleitung.

scheidungen, die eine Kündigung betreffen, dem Schwer­

beschädigten und dem Arbeitgeber zuzustellen sind. c) Verfahren. Uber das Verfahren bestehen keinerlei Vorschriften.

Hat der Arbeitgeber Beschwerde eingelegt, so

sind Parteien einerseits der Arbeitgeber, anderseits die Haupt­ fürsorgestellen. Dagegen können Streitigkeiten -wischendem

Schwerbeschädigten und dem Arbeitgeber über die öffentlichrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers nicht vor dem Ausschuß ausgetragen werden, da der Schwerbeschädigte

aus die Erfüllung dieser Verpflichtungen des Arbeitgebers aus dem Gesetze keinen eigenen Rechtsanspruch hat. Der Beschwerdeführer hat keinen Rechtsanspruch darauf,

seine Beschwerde persönlich vorzutragen.

Die Entscheidung

über die Beschwerde ist an keine Form gebunden.

Zu­

stellung ist nicht vorgeschrieben. d) Wirkung.

Die

Beschwerde

hat

keine

auf-

schiebende Wirkung, es sei denn, daß der Schwerbeschädigtenausschuß es auf Antrag ausdrücklich anordnet; nur der Fall der Zwangseinstellung ist ausgenommen.

Hier hat

sowohl die Beschwerde gegen die Fristbestimmung (§7Abs.1) als auch gegen die Zuweisung (§7 Abs.2) aufschiebende

Wirkung.

Die angefochtene Maßregel wird also grundsätzlich nicht hinausgezögert.

Wird sie durch die Beschwerdeinstanz auf­

gehoben oder abgeändert, so hat die Aushebung oder Ab­

änderung keine rückwirkende Kraft. Ll. Besondere Befugnisse der Schwerbeschädigten-

anSschüsse bei der Hanptfürsorgestelle (Fürsorgestelle)

(88 12,19). Während der Schwerbeschädigtenausschuß bei der Haupt-

fürsorgestelle

(Fürsorgestelle)

als

Beschwerdeinstanz

in

Inhalt des Gesetzes.

53

zweiter und letzter Instanz zuständig ist, entscheidet er

als erste und letzte Instanz über a) den Antrag auf Erlöschen des Amtes eines Vertrauens­

mannes (§12 Abs. 6), b) die zeitweilige Aberkennung des Gesetzesschutzes ($ 19).

J. Entscheidung in grundsätzliche« Frage» (§§ 23, 24). a) Um eine einheitliche Durchführung des Gesetzes im

ganzen Reich zu ermöglichen, ist zur Entscheidung in grund­

sätzlichen Fragen, die sich bei der Anwendung des Gesetzes ergeben, als besondere Instanz der Schwerbeschädigten­ ausschuß bei der Hauptstelle der Reichsanstalt für Arbeits­

vermittlung

und

Arbeitslosenversicherung

(der

früheren

Reichsarbeitsverwaltung) errichtet. b) Er besteht aus elf Personen, dem Vorsitzenden und zehnMitgliedern; vertreten sind die Schwerkriegsbeschädigten,

die Schwerunfallbeschädigten (oder andere Erwerbs­ beschränkte), die Arbeitgeber, die Hauptfürsorgestellen und die Berufsgenossenschaften.

Außerdem gehören dem Aus­

schuß als Mitglieder zwei Juristen an, da es sich bei den Entscheidungen oftmals um solche, die Auslegung des Ge­ setzes betreffende Rechtsfragen handelt, deren Beantwortung

eine fachwissenschastliche Kenntnis voraussetzt.

c) Der Ausschuß ist keine Beschwerdeinstanz, die etwa im dritten Rechtszuge entscheidet.

Er befaßt sich auch nicht

mit Einzelsragen, sondern nur mit solchen, denen eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Er

entscheidet auch nicht unmittelbar in den vorgelegten Streit­

fragen; jedoch ist die von ihm vertretene Rechtsauffassung

von der Hauptsürsorgestelle ihrer Entscheidung zugrunde zu

legen.

Hierdurch wird eine gleichmäßige Anwendung des

Gesetzes in den einzelnen Landestellen sichergestellt.

Einleitung.

54

d) Der Ausschuß kann grundsätzlich nur vom Schwerbeschädigtenausschuß

der

Hauptfürsorgestelle

angerufen

werden; einzelne Interessenten, wie die Schwerbeschädigten,

die Arbeitgeber, die Gewerkschaften usw. sind hierzu nicht befugt.

Auch die Anrufung durch die Schwerbeschädigten­

ausschüsse bei den Fürsorgestellen ist nicht zulässig.

Diese

Ausschüsse können sich in grundsätzlichen Fragen an den Schwerbeschädigtenausschuß ihrer Hauptfürsorgestelle wen­

den, der in diesem Falle an die Stelle des Ausschusses bei der

Reichsanstalt

den Ausschuß

tritt,

und

der

seinerseits

wiederum

bei der Hauptstelle der Reichsanstalt an­

rufen kann. Der Ausschuß der Hauptsürsorgestelle kann den Ausschuß

bei der Hauptstelle der Reichsanstalt jederzeit nach freiem

Ermessen anrufen; er muß es unter Aussetzung seiner Entscheidung tun, falls der Vorsitzende oder drei Mitglieder

es verlangen, eine Bestimmung, die bei der jetzt nur vier

betragenden Zahl der Mitglieder gegenstandslos geworden ist. e) Nach erfolgter Entscheidung durch den Ausschuß bei

der Hauptstelle der Reichsanstalt braucht sich der Ausschuß bei der Hauptfürsorgestelle nicht weiter mit der Angelegen­ heit zu befassen, vielmehr kann die Hauptsürsorgestelle ihre

Entscheidung der Rechtsausfassung des Ausschusses bei der Reichsanstalt entsprechend selbst treffen.

K. Strafbestimmungen (88 18, 19). I. Gegen Arbeitgeber: Buße.

II. Gegen Schwerbeschädigte: zeitweilige Entziehung der Gesetzesvorteile.

I. Buße. Sowohl die Wesensbestimmung der Buße selbst als auch

die Beantwortung der damit zusammenhängenden Fragen

Inhalt des Gesetze-.

55

nach den materiellen und prozessualen Rechtsfolgen dieser BergeltungSmaßregel ist in Rechtsprechung und Schrifttum mit einander vollständig widersprechenden Resultaten erfolgt. Eine Lösung der sich ergebenden Kontroversen ist wohl nur aus der geschichtlichen Entwicklung der arbeitsrechtlichen Bußbestimmungen selbst zu erreichen. Bereits die Ver­ ordnung über die Beschäftigung Schwerbeschä­ digter vom 9. Januar 1919 (RGBl. ©. 28) — § 6 — und die Verordnung über die Einstellung, Entlassung und Ent­ lohnung der Angestellten während der Zeit der wirt­ schaftlichen Demobllmachung vom 24. Januar 1919 (RGBl. S. 100) — § 13 — hatten eine schuldhafte Gesetzesverletzung mit einer Buße bedroht, die von dem Schlichtungsausschuß festgesetzt, von dem zuständigen Demobilmachungskommissar (ein Rechtsbehelf war nicht vorgesehen) für vollstreckbar er­ klärt und wie eine Gemeindeabgabe beigetrieben wurde. In der Verordnung über die Einstellung und Entlassung von Arbeitern und Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 12. Februar 1920 (RGBl. S. 218) — diese Verordnung trat an Stelle der Verordnung vom 3. September 1919 (RGBl. S. 1500), die ihrerseits die Verordnung über die Einstellung, Entlassung und Entlohnung gewerblicher Arbeiter ^vom 4. Januar 1919 (RGBl. S. 8) und die obige Verordnung vom 24. Januar 1919 (RGBl. S. 100) ablöste — hat im § 20 die Bußbestimmung beibehalten. Die Verordnung über die Freimachung von Arbeitsstellen während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 25. April 1920 (RGBl. S. 708) *— diese Verordnung ändert die alte Verordnung vom 28. März 1919 (RGBl. S. 355) erheblich ab — belegt die Arbeitgeber, die schul dhaft ihre

56

Einleitung.

Erfätzeinstellungsverpflichtung verletzen, mit einer Geld­ buße (§ 16), die vorsätzlich gegen die sonstigen Vor­ schriften verstoßen, mit einer Gefängnis- evtl, einer Geldstrafe. Das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 6. April 1920 (RGBl. S. 457), das die obige Verordnung vom 9. Januar 1919 (RGBl. S. 28) aufhob, brachte in seinem § 14 die Bußbestimmung in einer der inzwischen gemachten Erfahrung angepaßten Vorschrift, die als Rechts­ mittel die Beschwerde zuläßt. Um einem Mißbrauch der Befugnis des Schlichtungsausschusses vorzubeugen, war bestimmt, daß eine Entscheidung über die Verhängung einer Buße nur aus Antrag der amtlichen Hauptfürsorgestelle ergehen und daß sie nur vollstreckbar sein sollte, wenn sie durch die höhere Verwaltungsbehörde für vollstreckbar erklärt wurde.

In der Begründung zu § 14 des Schwerbeschädigten­ gesetzes wurde ferner zum Ausdruck gebracht, daß die künftige Gestaltung des Arbeitsrechts die Möglichkeit zu einem richterlichen Jnstanzenzug gegen die Entscheidung des § 14 bringen werde (Drs. der NV. Nr. 1750 S. 12).

Diese angekündigte Absicht wollte der Gesetzgeber da­ durch verwirklichen, daß er die Arbeitsgerichte im Bußfestsetzungsverfahren für zuständig erklärte. Bereits nach dem Regierungsentwurs eines Hausgehilfen­ gesetzes (RABl. 1921 S. 809) ist für die Festsetzung einer Buße das Arbeitsgericht zuständig (§ 38). Die Begründung führt hierzu aus: „Die Sozialbuße, die sehr wirksam sein kann, ohne, wie vielfach die gerichtliche Strafe, insamierend zu wirken, hat in dem neueren Arbeitsrecht ihr Vorbild insbesondere in § 16 der Verordnung über die Freimachung von Arbeitsstellen während der Zeit der wirtschaftlichen

Inhalt des Gesetzes.

57

Demobilmachung vom 25. April 1920 (RGBl. S. 708), in § 20 Abs. 2 der Verordnung über die Einstellung und Ent­ lassung von Arbeitern und Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 12. Februar 1920 (RGBl. S. 218) und in § 14 des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 6.Aprlll920 (RGBl. S. 458) und dürfte in dem künftigen Arbeitsrecht zu weiterer Geltung gelangen." Im Referentenentwurf eines Arbeitsgerichtsgesetzes (RABl. 1923 S.385) lautet §4:

„Die Arbeitsgerichte sind ferner ausschließlich zuständig 1. für die Verhängung von Geldbußen in den Fällen:

a) des § 18 (= § 14 des Entwurfs) des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 6. April 1920 in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Januar 1923 (RGBl. S. 57); b) des § ... des Hausgehilfengesetzes vom (RGBl. S... .)." Die Begründung zu diesem § 4, in der zunächst die zur Begründung des § 38 Hausgehilfengesetzes gebrauchten Sätze (s. oben) zitiert werden, fügt noch hinzu: „Die Weiter­ bildung des Arbeitsrechts wird demgemäß dahin führen, daß leichtere Verstöße gegen arbeitsrechlliche Strafvor­ schriften ihres kriminellen Charakters in weitem Umfange entlleidet und mit Sozialbußen geahndet werden, so daß dem kriminellen Arbeitsstrafrechte nur schwerere Fälle ver­ bleiben; eine entsprechende Regelung ist unter anderem in den in Vorbereitung befindlichen Entwürfen eines Ge­ setzes über die Arbeitszeit in Krankenpslegeanstalten und eines Gesetzes betreffend die berufliche Ausbildung Jugend­ licher in Aussicht genommen. Hieraus ergibt sich die Ent­ wicklungsfähigkeit dieses Teiles der Zuständigkeit der Amts-

58

Einleitung.

gerichte." DaS BußfestfetzungSverfahren regelt sich im Entwurf.nach bestimmten, im einzelnen angeführten Bor­ schristen, über die die Begründung sagt: „Das Bußfest­ setzungsverfahren stellt sich als ein Sozialstrafverfahren dar, das gewisse Ähnlichkeit mit der Privatklage, namentlich in der Richtung aufweist, daß es nur auf Antrag gewisfer be­ teiligter oder in den einschlägigen Gesetzen bezeichneter Stellen eingeleitet wird. Demgemäß ervürt § 72 des Entwurf- grundsätzlich die Vorschriften der Strafprozeß­ ordnung über die Privatklage entsprechend anwendbar. Das besondere Wesen dieses Verfahrens als eines Sozial­ strafverfahrens kennzeichnet sich dadurch, daß nach § 72 die Staatsanwaltschaft von der Mitwirkung ausgeschlossen, daß ferner der Erlaß eines Borführungsbefehls oder eines Haft­ befehls gegen einen Beschuldigten nicht zulässig ist und die Vorschriften des § 230 Abs. 1 der Strafprozeßordnung, wonach sich der erschienene Angellagte aus der Verhandlung nicht entfernen darf, und der Vorsitzende geeignete Maß­ regeln treffen kann, um seine Entfernung zu verhindern, ihn auch während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen kann, keine Anwendung finden (§ 73 Abs. 1). Gegen abwesende Beschuldigte kann nach § 73 Abs. 2 trotzdem verhandelt und entschieden werden. Im übrigen geben die §§ 68 bis 71 des Entwurfs gewisse Vorschriften über die Stellung des Antrags. Dieser ist dem Beschuldigten unter Fristsetzung zur Erklärung mit­ zuteilen. Nach Eingang der Erklärung oder fruchtlosem Ablaufe der Frist wird ohne weiteres von dem Vorsitzenden ein möglichst naher Termin zur Verhandlung anberaumt (§ 71). Eine Einschränkung der Zulassung von Rechts­ anwälten findet im Bußfestsetzungsverfahren nicht statt,

Inhalt des Gesetzes.

59

um den Beschuldigten unter keinen Umständen in seiner Verteidigung zu beschränken.

Gegen

die

Urteile

der

Arbeitsgerichte

im

Bußfest-

setzungSverfahren ist die Berufung an das Landarbeitsgericht uneingeschränkt zugelassen (§ 86).

Auf das Verfahren über

die Berufung finden die Vorschriften der Strafprozeß­ ordnung über die Berufung in Privatklagesachen unter

Bezugnahme auf die in der Berufungsinstanz anwendbaren Vorschriften für das Bußfestsetzungsverfahren erster Instanz entsprechend Anwendung.

Die Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte im Buß-

festsetzungsverfahren sind endgültig.

Eine Revision ist hier

nicht vorgesehen, da es sich regelmäßig um rechtlich einfach

gelagerte Angelegenheiten handeln wird, die einer Nach­ prüfung durch das Reichsarbeitsgericht nicht bedürfen." Dieser angekündigten Absicht des Gesetzgebers entsprach

es, wenn in der Novelle zum Schwerbeschädigtengesetz im § 13 (jetzt § 18) für den Schlichtungsausschuß das Arbeits­

gericht eingesetzt und außerdem bis zur Bildung der Arbeitsgerichte als Übergangsvorschrift der jetzt fortgesallene

$ 26 wurde, der bestimmte: „Solange Arbeitsgerichte noch nicht bestehen, treten an ihre Stelle in den Fällen des § 18 die Schöffengerichte. Auf das Verfahren vor den Schöffen­

gerichten finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung. Der Antrag der Hauptfürsorge-

stelle ist bei dem Amtsanwalte zu stellen.

Die Buße kann

durch schriftlichen Strafbefehl des Amtsrichters ohne vor­

gängige Verhandlung festgesetzt werden, wenn der Anwalt schriftlich darauf anträgt." Im Regierungsentwurf des Arbeitsgerichtsgesetzes, wie

er dem Reichstage vorgelegt wurde, ist die Festsetzung der

Einleitung.

60

Buße und das Verfahren wieder den Arbeitsgerichten ent­ zogen: „Bon der Übertragung eines arbeitsrechtlichen Buß­ verfahrens an die

Arbeitsgerichtsbehörden, wie

es

der

Regierungsentwurs des Jahres 1923 vorfah, sieht der jetzt

Die Verhängung von Sozial­

vorliegende Entwurf ab.

bußen ist in der bisherigen Gesetzgebung nur im Gesetz über

die

Beschäftigung

Schwerbeschädigter

vorgesehen.

Nach diesem Gesetze wird die Buße zurzeit im schöffen­

gerichtlichen Verfahren verhängt. Hierbei soll es ver­ bleiben, da die Verhängung von Sozialbußen dem

Strafverfahren

näher

stehen

dürfte als der Recht­

sprechung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und der frei­ willigen Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Arbeitsrechts.

Deswegen sprechen dieselben Gründe, die oben gegen die Übertragung der Arbeitsstrassachen an die Arbeitsgerichts­

behörden dargelegt sind, auch gegen ihre Zuständigkeit für das Bußverfahren." Diese Gründe kennzeichnet der Entwurf mit den Worten: „Die Übertragung der Strafsachen

auf dem Gebiete des Arbeitswesens an die Arbeitsgerichts­

behörden ist erwogen worden.

Es handelt sich hierbei um

Zuwiderhandlungen gegen Strasvorschristen sozialer Art,

insbesondere

gegen

die

Strasvorschristen

der

Gewerbe­

ordnung, des Kinderschutzgesetzes, des Hausarbeitsgesetzes,

des Betriebsrätegesetzes und der Sozialversicherungsgesetze. Der Entwurf sieht von der Einbeziehung der Strafgerichts­ barkeit in Arbeitssachen in die allgemeine Arbeitsgerichts­ barkeit ab, denn einmal ist es fraglich, ob ein nach dem

Gedanken der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammengesetztes Gericht, wie es die Arbeits­

gerichtsbehörden sind, für die Ausübung der staatlichen Strafrechtspflege geeignet ist; anderseits könnte auch die

Inhalt des Gesetzes.

61

gleichzeitige Erledigung von Arbeitsstrafsachen dem Ver­ trauen, das die Mitglieder der Arbeilsgerichtsbehörden bei

den Parteien des Arbeitslebens genießen sollen, abträglich

werden (a. a. O. S. 46).

Hierdurch wurde die aus Grund

des § 114 AGG. erfolgte Änderung des § 18 und der Fort­

fall des § 26 des Schwerbeschädigtengesetzes notwendig."

Die Entwicklung der Gesetzgebung zeigt, daß der Gesetz­ geber die ursprüngliche Absicht, in der Buße eine besondere

Strafgattung auf dem Gebiete des Arbeitswesens und

hierfür ein besonderes Verfahren zu schaffen, wie es der

obengenannte Referentenentwurf des Arbeitsgerichtsgesetzes vorsah, aufgegeben und deshalb das Bußverfahren des

Schwerbeschädigtengesetzes

dauernd

Schöffengerichten übertragen hat.

den

ordentlichen

Es handelt sich bei

der Buße also um eine eigentliche Strafe, und zwar um

eine nicht kriminelle im Sinne des Artikels II der Verord­ nung

über

Bermögensstrafen

und

Bußen

vom

6. Februar 1924 (RGBl. S. 44), da bei ihrer Erwähnung

anläßlich gesetzgeberischer Bestimmungen vom Gesetzgeber stets betont worden ist, daß sie keinen kriminellen Charakter

habe und deshalb auch nicht infamierend wirken solle.

Darauf deutet auch der euphemistische Ausdruck „Buße" hin.

(Ausführlich ist das Problem der Buße u. a. in den

Aufsätzen von Bewer — RABl. 1923, Nichtamtlicher Teil,

S. 445 — und von Kühne — a. a. O. S. 448 — sowie in dem Beschlusse des OLG. Stuttgart vom 29. Februar 1924

— RABl. 1924 S. 464 — behandelt worden, ebenso in den Uttellen des Obersten Landesgerichtes München vom

24. September 1925 — Jur. Rundschau 1925 Nr. 1711 —, des Reichsgerichts vom 21. Januar 1926 — Strafsachen

Bd. 60 S. 59fs. — und des Kammergerichts vom 21. Ok-

62

Einleitung.

tobet 1926 und 13. Januar 1927 — ESchBG. S. 106s. —). S. im übrigen die Anmerkungen zu § 18.

II. Zeitweilige Entziehung des Gesetzesschutzes. Es ist bereits betont worden, daß das Gesetz den Schwer­ beschädigten nur insoweit schützt, als es ihm den Existenz­ kamps führen hilft, in dem er infolge seines körperlichen Gebrechens ohne staatliche Hilfe leichter als der gesunde Arbeitnehmer unterliegen würde; dagegen versagt es ihm den Schutz, sobald er selbst die Durchführung des Gesetzes vereitelt. Das Gesetz legt ihm eine gewisse Arbeitspflicht auf; er muß einen angemessenen Arbeitsplatz, der ihm angewiesen wird, annehmen und innebehalten, sofern nicht besondere Gründe zur Zurückweisung oder zum Verlassen vorhanden sind. Verstößt er schuldhaft gegen diese Be­ stimmungen, so kann ihm zeitweilig die Wohltat des Ge­ setzes entzogen werden. Das Verfahren, das natürlich erst eingeleitet werden wird, wenn alle Versuche der Hauptsürsorgestelle zu einer friedlichen Lösung erschöpft sind, ist an eine Reihe von Vorschriften gebunden, deren Nichtbefolgung den Beschluß ungültig machen. Die Maßregel kann wiederholt werden; auch kann die zeitweilige Aberkennung des Schutzes neben einer fristlosen Kündigung als Strafmaßregel erfolgen, wie auch gegen den Arbeitgeber, der seiner Verpflichtung nicht nachkommt, neben der Zwangseinstellung das Bußsestsetzungsverfahren an­ gewandt werden kann.

RechtscharaNer des Gesetzes. Das Schwerbeschädigtengesetz ist wie alle arbeitsrecht­ lichen Schutzgesetze öffentlich-rechtlicher Natur, d. h. die dem

Rechtscharatter des Gesetzes.

63

Arbeitgeber auferlegten Pflichten bestehen gegenüber dem

Staat und können einerseits erzwungen und ihre Verletzung mit Strafe geahndet werden, anderseits sind die Schwer­ beschädigten nicht

vertrages

auf

berechtigt,

die

bei Abschluß

des Arbeits­

öffentlichen Interesse

im

gegebenen

Schutzbestimmungen (Kündigungsbeschränkung) von vorn­

herein zu verzichten.

Die Verpflichtung zur Einstellung

besteht nicht einem einzelnen Schwerbeschädigten, sondern der Gesamtheit der Schwerbeschädigten gegenüber, und der einzelne schwerbeschädigte

Arbeitnehmer hat keinen

Rechtsanspruch auf Beschäftigung der Hauptfürsorgestelle

oder auf Einstellung einem Arbeitgeber gegenüber, es sei

denn,

daß er von der Hauptfürsorgestelle zwangsweise

eingestellt wird. Im Falle der Einstellung hat auch er jedoch

eine gewisse öffentlich-rechtliche Arbeitspflicht, bei

deren

Verletzung ihn als Strafe die zeitwellige Entziehung deS

Gesetzes treffen kann.

Mit dem Zeitpunkt der zwangs­

weisen Einstellung güt auch gleichzeitig der Arbeitsvertrag

als abgeschlossen,

sodaß

in diesem Falle der Gesetzgeber

in die Bertragsfreiheit des Arbeitgebers eingreift, indem er den Abschluß des Vertrages erzwingt und seinen Inhalt der freien Vereinbarung entzieht. (freiwillig

oder

zwangsweise

Erst mit Abschluß deS

abgeschlossenen)

Arbeits­

vertrages entstehen die privatrechtlichen Verpflichtungen

des Arbeitgebers gegen den einzelnen Schwerbeschädigten. Für Streitigkeiten aus diesem privatrechtlichen Verhältnis

sind die Arbeitsgerichte zuständig.

Die Überwachung dieser

privaten Vertragspflichten gehört nicht zu den Obliegen­ heiten der mit der Durchführung der öffenllich-rechtlichen

Vorschriften betrauten

amtlichen

Organe,

während

die

Gerichte anderseits nicht befugt sind, die obrigkeitlichen

64

Einleitung.

Maßnahmen dieser Stellen nachzuprüsen oder abzuändern. Die Bertragsfreiheit ist auch dadurch beschränkt, daß einem Schwerbeschädigten nur mit einer Frist von mindestens vier Wochen gekündigt werden kann, und daß die aus Anlaß eines Streiks oder einer Aussperrung entlassenen Schwerbeschädigten nach Beendigung des Arbeitskampfes wieder eingestellt werden müssen. Auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruht auch das Erfordernis der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu jeder ordentlichen Kündigung. Um die einem Schwer­ beschädigten gegenüber ausgesprochene Kündigung rechts­ wirksam zu gestalten, bedarf es der obrigkeitlichen Zu­ stimmung, indem also zu der das Arbeitsverhältnis aus­ sagenden Willenserklärung der öffentlich-rechtliche Akt der Hauptfürsorgestelle hinzutreten muß. Die Zustimmung kann sowohl vor dem Ausspruch der Kündigung (als Ein­ willigung) als auch nach demselben (als Genehmigung) erteilt werden. Ohne die Zustimmung, deren Erfordernis ohne Zweifel die denkbar größte Beschränkung des vertrags­ mäßigen Kündigungsrechts des Arbeitgebers bedeutet, ist die Kündigung unwirksam.

Auswirkung deS Gesetzes. Die zuständigen amtlichen Stellen versichern auch in letzter Zeit, daß sich das Schwerbeschädigtengesetz in seinen Ausgaben, Schwerbeschädigten Arbeit zu verschaffen und zu erhalten, bewährt habe. Der Reichsarbeitsminister hatte schon im Jahre 1922 anläßlich der ersten Beratung des Entwurfs der Novelle (277. Sitzung I. W.P. 1920/22, S. 9222) seine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, daß die beträchtlichen Bedenken, die anfangs die Vertreter

65

Auswirkung des Gesetzes.

der Wirtschaft gegen diese Gesetzgebung geäußert hätten, in erheblichem Maße geschwunden seien. Immerhin -eigen die äußerst zahlreichen, vor den zuständigen Verwaltungs­ stellen und den ordentlichen Gerichten ausgetragenen Streit­ fälle, die wohl nicht alle aus die infolge der technischen Struktur des Gesetzes zum Tell äußerst schwierig gestalteten, mit Problemen und Gegensätzen reich ausgestatteten Ge­ setzesbestimmungen zurückzuführen sind, daß ein großer Teil der Arbeitgeber die ihm durch Gesetz auferlegten, seine Bertragsfreiheit erheblich beschränkenden und seinen Betrieb wirtschaftlich belastenden Verpflichtungen nicht leicht trägt. Das darf uns nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, daß das Gesetz in seinem Anwendungsgebiet über den ursprünglichen Anlaß seiner Entstehung weit hinausgegangen ist, da zu den Schwerkriegsbeschädigten, an die man zuerst nur dachte, später auch noch die Schwer­ unfallbeschädigten und die gleichgestellten Beschädigten gekommen sind, so daß also mit einer Minderung der Zahl der unterzubringenden Personen überhaupt nicht zu rechnen ist, zumal Bestrebungen im Gange sind, in den Geltungs­ bereich noch andere Personen einzubeziehen und so die öffentliche Fürsorgepslicht durch eine erweiterte Einstellungs­ verpflichtung und Kündigungsbeschränkung möglichst zu ersetzen; so wird z. B. gefordert, die Arbeitgeber zu ver­ pflichten, auf je fünf beschäftigte Arbeiter (Angestellte) mindestens einen Arbeiter (Angestellten) im Alter von mehr als 50 (40) Jahren einzustellen (vgl. hierzu die Denkschrift des Reichsarbeitsministeriums vom 20. Dezember 1927 — RTDrs. Nr. 3852, III. W.P. 1924/27 —, wo auch das einschlägige Material, Gesetzentwürfe, Anträge, Erhebungen usw. abgedruckt ist). Anderseits gebieten Mitleid, Gerechtig3 ch neid er, Lchwerbeschädigtengesen.

a

Einleitung.

66

leitsgesühl und soziale Einsicht, den Opfern des Kriegeund der Wirtschaft nach Möglichkeit zu helfen; das geschieht

am besten durch ihre Versorgung mit Arbeit, soweit sie zur Leistung überhaupt noch imstande sind, da die Ver­ wendung ihrer noch verbliebenen Arbeitskraft sie von dem

Bewußtsein befreit, nur ein Objekt der Wohltätigkeit zu

sein.

Diesen Zweck hat das Gesetz auf jeden Fall erreicht;

es sichert die dauernde Beschäftigung einer verhältnismäßig großen Anzahl von Personen,

die ohne

seinen Schutz

ständiger oder mindestens oft wiederholter Arbeitslosigkeit

anheim fallen würden. Bei dieser weittragenden Wirkung

wird das Gesetz seine hohe Bedeutung in der Reihe der sozialen Gesetze auch in der Zukunft behalten.

Den äußeren Erfolg des Gesetzes kennzeichnen am besten die Zahlen der Statistik.

Nach der amtlichen Erhebung

vom 31. März 1927 waren von insgesamt rund 423 000

Schwerbeschädigten nur noch etwa 42 000 ohne Beschäfti­ gung. Hierunter fallen aber ungefähr 25000 Personen, die nach

der Art ihrer Beschädigung für eine Beschäftigung über­

haupt nicht in Frage kommen. Die Zahl der Kriegsbeschädigten betrug (nach dem Er­ gebnis der Zählung vom Oktober 1926 (RTDrs. Nr. 2894,

III. W.P. 1924/27) insgesamt rund 736 800, hiervon waren

in ihrer Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 v. H., aber

mindestens

30

v. H.

413100

herabgesetzt,

die

übrigen

323 700 waren um mehr als 50 v. H. erwerbsbeschränkt,

so daß die Zahl der Schwerunsallbeschädigten sich ouf etwa 100 000 beläuft.

Zu den Schwerbeschädigten im eigentlichen Sinne des Gesetzes treten noch die aus Grund von § 8 Gleichgestellten,

die einen Anteil von über 5 v. H. aller unter dem Schutze des

67

Auswirkung des Gesetzes.

Gesetzes stehenden

Personen ausmachen.

Gleichgestellten machen mehr

als

Unter diesen

ein Drittel

die

sog.

Friedensblinden aus. Während die Einstellung sowohl der Kriegs- als auch

der Friedensblinden keine große

Schwierigkeit bereitet,

sind die Epileptiker und die Tuberkulosen sehr schwer unter*

-ubringen.

Bgl. hierzu den auf amtlichem Material be-

ruhenden Aufsatz von Kamrat (RABl. 1928, Nichtamtl. Teil, S. 239), dem auch die folgenden Angaben entnommen

seien: „Überraschend gering ist dabei die Zahl derer, denen mit Zustimmung der Hauptfürsorgestellen oder nach Ent­ scheidung der obersten Reichs- oder

kündigt worden ist.

Landesbehörde ge­

In den einzelnen Vierteljahren der

genannten Zeitspanne schieden aus ihrer Arbeitsstelle aus

Eig. Kündigung bezw. Ausscheiden im Wege de» vergleich»

v. H.

v. H.

4. Vierteljahr 1926

29,21

0,52

59,69

10,58

1. Vierteljahr 1927

33,11

2,25

53,55

11,09

Fristlose

Entscheidung der obersten Reich». od.Lande»behürde 21 Abs. 3

v.H.

Entlassung

Kündigung durch den Arbeitgeber m it Zustimmung der H .F .S t.

durch:

v.H.

2. Vierteljahr 1927

22,44

0,70

65,78

11,08

3. Vierteljahr 1927

21,47

0,41

66,78

11,34”

Wie bereits in den von dem Reichsausschuß ausgestellten Grundsätzen (S. 20

oben)

gefordert

wurde, gehen die

Behörden und unter ihnen das Reichsarbeitsministerium

5*

68

Einleitung.

selbst bei der Einstellung Schwerbeschädigter vorbildlich voran; folgende zwei Bekanntmachungen des Reichsarbeits­ ministers geben darüber Aufschluß:

Der Reichsarbeilsminister. V A 2157/28. Berlin, den 21. März 1928. (RABl. 1928 S. 122.) Schwerbeschädigte im Bereich der Reichsbehörden.

Im Bereich der Reichsbehörden waren am 1. Januar 1928 von den Gesamtarbeitsplätzen mit Schwerbeschädigten besetzt: Auswärtiges Amt....................................... Reichsministerium des Innern................. Reichsfinanzministerium .......................... Reichswirtschaftsministerium..................... Reichsarbeitsmini sterium.......................... Reichsjustizministerium................. Reichswehrministerium (Heer)................. Reichswehrministerium (Marine) Reichspostministerium ..................... Reicksverkehrsministerium.......................... Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft........................................... Reichsministerium für die besetzten Gebiete Bureau des Reichspräsidenten................. Staatssekretär in der Reichskanzlei . Rechnungshof des Deutschen Reichs . . Deutsche Reichsbahngesellschast .... Reichsbank....................................................

2,18 3,35 4,34 2,34 10,54 3,32 3,02 2,26 4,80 1,74

v. „ „ „ „ „ ,, „ „ „

H. „ „ „ „ „ „ „ „ „

2,17 „ „ 2,97 2,22 " "

2,65 2,19 3,08 3,36

„ „ „ „

„ „ „ „

Die bei dem Reichsverlehrsministerium an dem gesetz­ lichen Einstellungssott von 2 v. H. fehlenden 0,26 v. H.

69

Auswirkung des Gesetzes.

werden durch Mehreinstellungen bei den für die Reichs­ waff erstraßenverwaltung tätigen Dienststellen der Länder ausgeglichen. Im Auftrage:

Dr. Ritter. Der Reichsarbeitsminister. I a 629/28 Berlin, den 1. März 1928. (RAM. 1928 S. 82.)

Schwerbeschädigte im Bereich deS ReichSarbeitSministerinmS. (Bgl. RAM. 1927 S. 169.)

Bei den Behörden meines Geschäftsbereichs find nach dem Stande vom 1. Januar 1928 10,54 v. H. der Gesamt­ arbeitsplätze mit Schwerbeschädigten beseht, und zwar im Bezirk der Landesfürsorgeverbände:

....

6,13 7,71 13,86 11,12

v. „ „ „

H. „ „ „

Ostpreußen.................................................. Mederfchlefien Oberschlefien Sachfen (Provinz) Schleswig-Holstein...................................... Hannover Hessen (Regierungsbezirk) Nassau Westfalen....................................................... Rheinprovinz Bayern . . .

9,74 9,30 9,77 12,67 7,72 9,42 11,31 18,08 6,87 14,71 14,04

„ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Berlin Brandenburg Pommern Grenzmark Posen-Westpreußen

70

Einleitung. Sachsen (Freistaat) 13,32 v. H. Württemberg........................................... 8,53 „ „ Baden 13,09 „ „ Thüringen 9,64 „ „ Hessen (Freistaat) 12,63 „ „ Hamburg 13,11 „ „ Mecklenburg-Schwerin 9,47 „ „ Oldenburg 11,24 „ „ Braunschweig 6,06 „ „

Anhalt....................................................... 7,23 „ „ Bon rund 8000 Beamtenstellen allein sind 8,52 „ v.„ H., Bremen 12,82 von rund 1300 Angestelltenstellen 26,66 v. H. mit Lübeck....................................................... 5,00Schwer „„ ­ beschädigten besetzt. Im Auftrage: Rettig.

Bei der Beurteilung dieser Zahlen darf nicht unberück­ sichtigt bleiben, daß es Behörden immerhin leichter ist, Erwerbsbeschränkte unterzubringen, als privaten Betrieben, für die das Moment der Wirtschaftlichkeit eine größere Rotte spielt.

Jutemattonale Regelung. Die Länge und die Art des Weltkrieges, der mit den wirksamsten Mitteln der fortgeschrittenen Technik und Wissenschaft geführt wurde, steigerte in allen Ländern die Zahl der bereits vorhandenen körperlich Beschädigten ins Unermeßliche. Die Gesamtzahl der Kriegsbeschädigten dürste mit mehr als zehn Millionen keine zu hoch gegriffene

Internationale Regelung der Arbcitsfürsorge.

71

sein. Daß unter diesen Umständen die Schwerbeschädigten­ fürsorge sehr bald nach Kriegsende ein internationales

Problem wurde, dessen baldige Lösung alle betelligten Staaten erstrebten, kann uns nicht wundernehmen.

Auch

hier sind es die privaten Interessenvertretungen gewesen, die die Initiative ergriffen haben.

Im September 1921

versammelten sich in Genf die Vertreter der führenden deutschen,

englischen,

französischen,

italienischen,

öster­

reichischen und polnischen Kriegsbeschädigtenverbände und richteten an das Internationale Arbeitsamt in Genf das

Ersuchen, die Prüfung der Fragen der Hellbehandlung und orthopädischen Versorgung, des internationalen Schutzes und der Arbeit-fürsorge in Angriff zu nehmen.

Die historische Entwicklung dieser Fürsorgemaßnahme, besonders

der

Arbeitsfürsorge

für

Beschädigte

im

Rahmen der internationalen Regelung ist niedergelegt in der vom Internationalen Arbeitsamt in Genf 1923 heraus­

gegebenen Schrift: „Die Arbeitssürsorge für Beschädigte", der noch die folgenden wichtigen Einzelheiten -um Teil wörtlich entnommen sind:

Nachdem zunächst auf Ermächtigung des Verwaltungs­ rats des Internationalen Arbeitsamts im März 1922 eine

Sachverständigenzusammenkunft zur Prüfung der Organi­ sation der Hellbehandlung und orthopädischen Versorgung

stattgefunden hatte und das Gutachten der Sachverständigen über diesen Tell der Fürsorge den betelligten Regierungen

zugeleitet war, wurden auf erneuten Wunsch der führenden Beschädigtenverbände auch die von ihnen zur Prüfung

der Fragen der Arbeitsfürsorge als Sachverständige be­

nannten Vertreter im April 1923 nach Genf berufen, um sie über diese Frage zu hören. Am 31. Juli, 1. und 2. August

72

Einleitung.

1923 hat dann die große Sachverständigenzusammenkunst stattgefunden. Tas Internationale Arbeitsamt legte den Sachver­ ständigen einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Frage vor. In dem Berichte an die Sachverständigen wurde der gesamte Fragenkomplex nach folgenden Gesichtspunkten eingehend erörtert:

1. Teil. Tie Arbeitssürsorge für Beschädigte im all­ gemeinen. „Die Arbeitssürsorge für die vielen Millionen von Be­ schädigten wird von zwei Gesichtspunkten beherrscht:

1. Durch Arbeit muß der Lebensunterhalt der über­ wiegenden Mehrheit der Beschädigten sichergestellt werden. Bor dem Kriege lebte die große Mehrheit der Beschädigten von ihrem Lohn; nachdem sie erwerbsunfähig geworden sind, erhalten die Beschädigten Versorgungsgenüsse, die in keinem Staat hoch genug sind, um auch nur den Schwer­ beschädigten die Fristung des Lebens zu ermöglichen. 2. Die Beschädigten sind aus dem von dem Gesetz des Angebotes und der Nachfrage beherrschten Arbeitsmarkt im Nachteil. Sie werden von den gesunden Arbeitern geschlagen, namentlich dann, wenn ihre Leistungsfähigkeit infolge ihrer Gesundheitsschädigung eine Einbuße erlitten hat. Der Arbeitgeber bevorzugt die Einstellung eines Vollerwerbssähigen, da er die Leistungsfähigkeit des In­ validen von vornherein als eine verminderte ansieht; überdies erscheint der Invalide den Gefahren eines Arbeits­ unfalles im höheren Maße ausgesetzt, wozu noch hinzu­ kommt, daß die Folgen von Arbeitsunsällen bei bereits früher Beschädigten mit Rücksicht aus die vorhandene Ge-

73

Internationale Regelung der Arbeitsfürsorge.

sundheitsschädigung schwererer Natur sein können.

Die

berufliche Leistungsfähigkeit des Beschädigten kann nicht

stets einwandfrei eingeschätzt werden; hieraus ergeben sich

bei der Feststellung der Entlohnung vielfach Streitigkeiten,

denen die Arbeitgeber aus dem Wege zu gehen wünschen. Endlich befinden sich die Beschädigten in einer schwierigen

Lage auch den gesunden Arbeitern gegenüber, die ihnen mit Zurückhaltung entgegentreten, zumal sie befürchten,

daß die Beschädigten mit Rücksicht auf ihre Rente geneigt sind, sich mit niedrigeren als den Tariflöhnen zufrieden

zu geben und auf diese Weise zu Lohndrückern werden. Zu all diesen Schwierigkeiten und Hemmnissen kommt noch hinzu, daß die Beschädigten in der Tat nur mit großer Mühe einen Arbeitsposten finden, und daß sie in Zeiten

von Arbeitslosigkeit schwerer getroffen sind als die anderen Arbeiter."

(S. 14/15 der oben angeführten Schrift.)

L. Teil.

Die Arbeitsfürsorge für Beschädigte durch

freiwillige Mitarbeit der Arbeitgeber. Der britische Reichs­ plan für die Unterbringung der Beschädigten. 3. Teil. beschäftigung.

Die Arbeitsfürsorge im Wege der Pflicht­ Die gesetzlichen Bestimmungen über die

Pflichtbeschästigung Beschädigter in Deutschland, Italien, Österreich und Polen; die französischen Gesetzanträge über

die Pflichtbeschästigung. Während England die Arbeitsfürsorge der freiwilligen Mitarbeit der Arbeitgeber überläßt, betonen die übrigen

beteiligten Staaten auf der Konferenz (Deutschland, Italien, Österreich und Polen), daß die Arbeitssürsorge besser int

Wege der Pflichtbeschäftigung zu lösen sei.

Der Bericht

gibt sodann den gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung der einzelnen Staaten unter Hervorhebung der Haupt-

74

Einleitung.

sächlichsten Momente analysierend wieder; hierbei wird der Stoff deS gesamten Gebietes, wie folgt, eingekeilt: a) Die begünstigten Personen. b) Der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Arbeitsfürsorge und die Bruchzahl der zu beschäftigenden Beschädigten. c) Die verwaltungsmäßige Organisation der Einstellung. d) Die Arbeitsbedingungen der Beschädigten; Entlohnung und Kündigungsschutzc) Durchführungs- und Überwachungsorgane; Beschwerde­ verfahren, Strafbestimmungen und Ausgleichstaxen. Dem Bericht sind noch als Anlagen beigefügt: I. Frankreich: Untersuchung über die Beschäftigung der Kriegsbeschädigten in den großen Industrie- und Handelsbetrieben (Bulletin des französischen Arbeitsministeriums 1923 Nr. 4, 5 und 6). II. Großbritannien: Die Organisation der Arbeits­ fürsorge für Kriegsbeschädigte (vorgelegt von Herrn I. R. I. Passmore, von der Umschulungs­ abteilung des Arbeitsministeriums in London). III. Italien: Die Organisation der Beschäftigungspflicht für Kriegsbeschädigte (vorgelegt von Herrn Candido Noaro, Abteilungsvorstand im Volkswirtschafts­ ministerium in Rom). IV. Deutsches Reich: Das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 6. April 1920 in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Januar 1923. V. Deutsches Reich: Verordnung vom 21. Juli 1921 über die Beschäftigung Schwerbeschädigter in privaten Betrieben.

Internationale Regelung der Arbeitsfürsorge.

75

VI. Verordnung vom 17. Mai 1920 zur Ausführung des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschä­ digter.

VII. Österreich: Gesetz vom 1. Oktober 1920 über die Einstellung und Beschäftigung Kriegsbeschädigter (Jnvalidenbeschäftigungsgesetz).

VIII. Polen: Art. 55 des Gesetzes vom 18. März 1921 betreffend die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. IN. Polen: Dekret vom 15. November 1921 über die Pflichtbeschästigung Schwerkriegsbeschädigter. X. Polen: Dekret vom 19. Dezember 1922 betreffend Abänderung des Dekretes vom 15. November 1921.

XI. Italien: Gesetz vom 21. August 1921 betreffend die Pflichtbeschästigung Kriegsbeschädigter in öffent­ lichen Verwaltungen und privaten Betrieben. XII. Italien: Dekret vom 29. Januar 1922 zur Durch­ führung des Gesetzes vom 21. August 1921 über die Pflichtbeschästigung Kriegsbeschädigter. XIII. Frankreich: Gesetzantrag über die Pflichtbeschästigung Kriegsbeschädigter, angenommen von der Depu­ tierlenkammer am 21. Juni 1923. XIV. Großbritannien: Gesetzantrag, betreffend die Unter­ bringung Kriegsbeschädigter, dem Unterhause am 10. Juni 1923 von Colonel Sir Raymond Greene vorgelegt.

Am Schlüsse der Verhandlungen — es sanden im ganzen sechs Sitzungen statt — erstatteten die Sachverständigen ihr Gutachten in Form von Vorschlägen, deren Wortlaut unten S. 369 abgedruckt ist, und von deren Wichtigkeit das

76

Einleitung.

Internationale Arbeitsamt überzeugend sagt: „DaS Inter­

nationale Arbeitsamt ist dessen sicher, daß die Gutachten der Sachverständigen für die Regierungen und Interessen­ verbände von besonderem Werte sein und ihnen die Aus­

nützung der in den einzelnen Staaten gemachten Erfah­

rungen ermöglichen werden." Für Deutschland dürste dies in vollem Umfange zutressen.

Gesetz über bie Beschäftigung Schwerbeschädigter? In der Fassung vom 12. Januar 1923 (RGBl. S. 57) mit Berücksichtigung der bis zum 16. Juli 1927 ergangenen Abänderungen. 1. Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 23. 12.1922 (RGBl. S. 972) hatte das ursprüngliche Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter v. 6.4.1920 (RGBl. S. 458) erhebliche Änderungen erfahren, auf die bei den einzelnen Stellen hingewiesen ist. Mit Rücksicht auf die zahlreichen Ab­ änderungen wurde der RA Minister durch Art. II Satz 2 des Gesetzes v. 23. 12. 22 ermächtigt, die neue vom 1. 1. 23 ab gültige Fassung des Gesetzes mit folgenden Paragraphenziffern bekanntzugeben. Das ist durch die Bekanntmachung vom 12. 1. 23 (RGBl. S. 57) geschehen. Im Laufe der Zeit ist das Gesetz wiederum mehrfach ge­ ändert worden und zwar: a) durch Art. 21 Ziff. VII und VIII (die Änderung Zifs. VIII ist bereits durch Art. II des zu c genannten Gesetzes wieder auf­ gehoben) der Verordnung zur Herabminderung der Personal­ ausgaben des Reichs (Personal-Abbau-Verordnung) v. 27. 10. 23 (RGBl. S. 999), b) durch § 33 der Verordnung über die Fürsorgepflicht v. 13. 2. 24 (RGBl. S. 100), c) durch Art. I des Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter und der PersonalAbbau-Verordnung v. 8. 7. 26 (RGBl. S. 398),

78

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

d) durch § 114 des Arbeitsgerichtsgesetzes v. 23. 12.26 (RGBl. S. 507), e) durch § 246 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung v. 16. 7. 27 (RGBl. S. 187). Der Text ist in der durch diese Änderungen her­ gestellten Fassung wiedergegeben.

§1. Alle' Arbeitgeber' find verpflichtet', di« Arbeits­ plätze' in ihren Betrieben" nach Mahgabr der folgenden Vorschriften mit Schwerbeschädigten* zu besetzen'. Entstehungsgeschichte.

§ 1, in Rechtsprechung und Literatur sehr oft behandelt, hat in den Entwicklungsjahren des Gesetzes zahlreiche Änderungen erfahren. Ursprünglich lautete er im Entwurf des Gesetze- v. 6. 4. 20 (Drs. der NB. Nr. 1750): „§ 1. Jeder Arbeitgeber, der einen Arbeitsplatz besetzen will, ist verpflichtet, einen Schwer­ beschädigten, der für diesen Arbeitsplatz in gleichem Maße geeignet ist, anderen Bewerbern vorzuziehen." In der 2. Lesung des Sozialpol. Ausschusses der National­ versammlung (Drs. der NB. Nr. 2422 S. 16) wurden die Worte „in gleichem Matze" gestrichen, indem betont wurde, datz kein Schwerbeschädigter in gleichem Matze einem Ge­ sunden gleichkommen könne.

Hinsichtlich der materiellen Bedeutung des § 1 sagt die Be­ gründung zum Entwurf (S. 8, 9): „ Darüber hinaus bringt der § 1 des Entwurfs den Grundgedanken des Gesetzes in seiner allgemeinsten Formulierung" und „der § 1 des Entwurfs er faßt im Gegensatz zu § 5 Abs. 1 nicht nur bestimmte ArbeitsPlätze, die vorzugsweise für Schwerbeschädigte geeignet sind, sondern jeden Arbeitsplatz, für den ein Schwerbeschädigter geeignet ist. Bei den ganz verschiedenartigen Wirkungen, die die einzelnen Beschädigungen auf die Arbeitsfähigkeit ausüben,

Gesetzes einteilung.

§ 1.

79

fällt somit ein sehr großer Teil aller Arbeitsplätze unter diese

Vorschrift. Deshalb konnte hier, ander- als eS im § 6 (Abs. 5) des Entwurf- geschieht, weder eine Meldepflicht für den Arbeit­ geber ausgesprochen werden, wenn nicht die Einheitlichkeit des Arbeitsnachweises gestört werden sollte, noch konnte eine Sperre über die Arbeitsplätze verhängt werden. Z 1 ist aber doch nicht nur ein leerer Programmsatz. Hinter ihm steht die Zwang-vorschrift de- § 14 (jetzt § 18) Abs. 1 des Entwurfs, nur gemildert durch den Abs. 2 des § 14, der den Arbeitgeber vor einer unverhältnismäßig starken Belastung in gewissem Umfange schützt."

Die Novelle vom 23. 12. 22. in der Fassung vom 12. 1. 23 versuchte die unklare Formulierung dieses Paragraphen, in dem eine selbständige, die zwingende Verpflichtung des Arbeit­ gebers zur Einstellung Schwerbeschädigter enthaltene Be­

stimmung erblickt wurde, zu beseitigen, indem sie ihn dahin änderte: „Jeder Arbeitgeber, der einen Arbeitsplatz besetzen will, ist verpflichtet, einen Schwerbeschädigten, der für diesen Arbeitsplatz geeignet ist, anderen Bewerbern nach Maßgabe der folgenden Vorschriften vorzuziehen" (RGBl. 1923 S. 58), und diese Änderung, wie folgt, begründete: „Als besonders wünschenswert hat e- sich herausgestellt, den Vollzug des Ge­ setzes dadurch zu erleichtern und zu sichern, daß die dem Arbeit­ geber obliegende Verpflichtung in einer Zweifel tunlichst aus­ schließenden Weise im Gesetz llar umrissen wird. Bisher war dies deshalb nicht der Fall, weil einmal § 1 dem Arbeitgeber eine ganz allgemeine, in der Praxis kaum durchführbare, zu

vielen Zweifeln und Unstimmigkeiten Anlaß gebende Ver­ pflichtung auferlegte, bei jeder Einstellung eines Arbeitnehmers einen für den Arbeitsplatz geeigneten Schwerbeschädigten anderen Bewerbern vorzuziehen. Weiterhin konnte der Reichsarbeitsminister und die Hauptfürsorgestelle den Arbeitgeber im Wege der Anordnung verpflichten, gewisse Arten von Arbeits­

plätzen seines Betriebes und einzelne bestimmte Arbeitsplätze den Schwerbeschädigten freizuhalten. Daneben galt die bereits

80

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

früher erwähnte, auf 5 6 des Gesetzes und den hierzu ergan­ genen Ausführungsbestimmungen des Reichsarbeilsministers be­ ruhende allgemeine Vorschrift, daß jeder Arbeitgeber 2 v. H. seiner Arbeitsplätze mit Schwerbeschädigten zu besetzen habe. Der vorliegende Entwurf faßt daher die Verpflichtung der öffentlichen Arbeitgeber in den §§ 2 und 4, die der privaten Arbeitgeber im § 5 erschöpfend zusammen" (B. S. 7), und ebenda S. 9: „Durch die vorgeschlagene Änderung wird aus­ gedrückt, daß § 1 lediglich den Charakter einer den Gesamtinhalt des Gesetzes umschreibenden Einleitung haben soll. Tie Be­ lange der Schwerbeschädigten werden hierdurch nicht beein­ trächtigt werden, da eine Verpflichtung in der allgemein ge­ hauenen Form des bisherigen § 1, wie bereits erwähnt, prak­ tisch kaum durchführbar gewesen ist. Der etwaige Verlust der wenigen Arbeitsplätze, die unter Berufung auf den bisherigen Wortlaut des § 1 besetzt werden konnten, wird voll ausgewogen durch die Beseitigung zahlreicher Zweifel und Streitigkeiten, die sich aus der bisherigen unNaren Fassung ergeben und die Durchführung des Gesetzes erschwert und verzögect haben."

Hierdurch wurde unzweideutig zum Ausdruck gebracht, daß § 1 eine Bestimmung ganz allgemeiner Natur sein und nicht mehr neben 8 4 ff. bestehen sollte. Trotzdem gingen sowohl in der Literatur als auch in der Judikatur die Ansichten bei Beant­

wortung der Frage auseinander, ob § 1 in der Fassung der No­ velle v. 12. 1. 23 noch einen besonderen Rechtssatz darstelle und die auf dem Gesetz beruhenden Einstellungsverpflichtungen nur mit seiner Verbindung wirksam seien oder nicht. So hatte z. B. das Reichsgericht in seinem oft zitierten Urteil v. 21. 1. 26 (teilweise abgedruckt im RABl. 1926 S. 65) entschieden, daß § 5 des Gesetzes erst dann in Frage käme, wenn der Grundsatz des § 1 anwendbar sei, daß nämlich der Arbeitgeber erst dann verpflichtet sei, geeignete Schwerbeschädigte in Beschäftigung zu nehmen, wenn und so oft er einen frei gewordenen alten oder einen neuen Arbeitsplatz besetzen wolle. Wegen der großen Wichtigkeit dieses höchstinstanzlichen Urteils wird die bedeutendste

Gesetzeseinleitung.

§ 1.

81

Stelle daraus abgedruckt: „§ 1 regelt also nicht mehr selbständig neben §§ 4 ff. die Einstellung Schwerbeschädigter, sondern gibt für diese nur die allgemeinen Richtlinien an. Auch in der neuen Fassung beruht das Gesetz auf dem Grundsatz der Freiwillig­ keit der Einstellung, nur bei Böswilligkeit ist eine Zuweisung von Schwerbeschädigten gegen den Willen des Arbeitgebers vorgesehen (Begründung S. 7). Dem Arbeitgeber ist regel­ mäßig nicht auferlegt, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen oder einen Arbeiter zu entlassen, um einen Schwerbeschädigten einstellen zu können. Es haben aber Arbeitgeber, die über 20 oder mehr Arbeitsplätze verfügen — für kleinere Betriebe besteht ohne weiteres überhaupt keine Verpflichtung, vgl. den Ausschutzbericht Bd. 375 der Reichstagsverhandlungen Akten­ stück Nr. 5372 S. 5835 und §§ 1, 2 Abs. 2 der Ausführungs­ verordnung zum SchBG. v. 13. 2. 24, RGBl. I, S. 73 — bis zur Erfüllung der in §1 der Ausf BO. bestimmten Pflichtzahl gemäß §§ 5, 1 des Gesetzes geeignete Schwerbeschädigte in Be­ schäftigung zu nehmen, wenn und so oft sie einen freigewordenen alten oder neuen Arbeitsplatz besetzen wollen.

Die Einstellungspflicht des privaten Arbeitgebers ist im § 5 des Gesetzes in Verbindung mit § 1 der Ausf VO. geregelt. Auf diese Bestimmung wird also im § 1 des Gesetzes in den Worten „nach Maßgabe der folgenden Vorschriften" vorzugsweise hingewiesen. Auf die Regelung nach § 5 erstreckt sich somit auch — als Teil der „den Gesamtinhalt des Gesetzes umschrei­ benden Einleitung" — der Grundsatz des § 1, daß zur Annahme von Schwerbeschädigten unter gewissen Voraussetzungen Arbeitgeber verpflichtet sind, die einen Arbeitsplatz be­

sehen wollen. Es ist hiernach die Auffassung der Strafkammer nicht zu be­

anstanden, daß ein privater Arbeitgeber — abgesehen vom Falle des Gesetzes — dann nicht mit einer Buße nach § 18 belegt werden kann, wenn er weder einen Schwerbeschädigten noch einen andern Arbeitnehmer einstellen will und eingestellt hat. Schneider, Schwerbeschädigtengesetz.

6

82

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

Auf einer unrichtigen Auslegung der Worte „einen Schwer­ beschädigten anderen Bewerbern vorzuziehen" — Z 1 des Ge­ setze- —, beruht es dagegen, wenn die Strafkammer meint, ein Verstoß gegen die Einstellungspflichten komme nur in Frage, wenn sich außer dem Schwerbeschädigten auch ein Gesunder beworben habe und dieser jenem vorgezogen worden sei. Jene

Worte bedeuten vielmehr unverkennbar: ein Schwerbeschädigter ist einzustellen und, falls andere Bewerber neben ihm auf­ treten, vor diesem zu bevorzugen." Entgegengesetzt hat da­ bayerische Oberste Landesgericht (Urteil v. 24. 9. 25 NZAR. 1926, S. 55) entschieden, daß nämlich die Einstellungspflicht ohne Rücksicht darauf besteht, ob überhaupt Plätze frei sind oder nicht. Diese Ansicht haben sowohl der RAMinister als auch die HF St. vertreten. Wegen der zu dieser Frage außerdem ergangenen Urteile siehe JAR. 1926 S. 314, ferner Sonder­ heft 41 zum RABl., KAR. Schwerbeschädigte, Beschäftigung II v. 10. 3. 26. Derselben Ansicht sind auch Kaskel (2. Auflage 1925, S. 69, Anm. 4) und Richter (S. 46). Jeden Zweifel über die richtige Auslegung und somit die schädliche Rechtsunsicherheit in dieser wichtigen Frage hat nunmehr der Reichstag durch Annahme des von der Sozialdemokratischen Partei eingebrachten Jnitiativgesetzes (RTDrs. Nr. 2244 III. WP. 1924/26) be­ seitigt, da- dem § 1 die gegenwärtige Fassung gibt. Der Berichterstatter führte zu dem Entwurf im Plenum (222. Sitz, der III. WP. 1924/26, S. 7783) aus: „Im engsten Zusammen­

hang mit dieser Novelle zum Reichsversorgungsgesetz steht die auf der Drs. 2523 vorgelegte Abänderung des Schwer­ beschädigtengesetzes. Im Ausschuß hat die Mehrheit der Parteien die Zustimmung zu der Novelle -um Reichsversorgungs­ gesetz davon abhängig gemacht, daß gleichzeitig das Gesetz über

die Beschäftigung Schwerbeschädigter eine Änderung erfahre. Diese- Gesetz hat durch eine Entscheidung des Reichsgerichts (d. L die oben zitierte) eine Auslegung erfahren, die seine An­ wendung zum mindesten ungemein erschwert. Die Regierung hat hierzu erklärt, daß sie sich ebenso wie bei Urteilen des Reichs-

Gesetzeseinleitung.

§ 1.

83

Versorgung-gerichtS selbstverständlich auch bei Urteilen des ReichSgerichtS nur ungern zu einer Änderung der au- der

Rechtsprechung sich ergebenden Rechtslage entschließe. Eie erkenne jedoch an, daß hier die Berhältnisse ähnlich liegen, wenn auch in umgekehrter Richtung, wie bei den vorher er­ wähnten Urteilen deS ReichSversorgungSgerichts." Es wird also" hier im Wege der Gesetzgebung die höchstinstanzliche Ent­ scheidung korrigiert, indem klar zum Ausdruck gebracht wird, daß § 1 lediglich die Präambel und nicht die allgemeine Vor­ aussetzung für die übrigen die Einstellungspflicht regelnden Be­

stimmungen darstellt. Für Zweifelsfragen bietet die neue Fasung jetzt keinen Raum mehr. 1. Alle — private und öffentliche (§ 2) Arbeitgeber. 2. Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinne als Gegen­

kontrahent des Arbeitnehmers (zum Unterschiede vom Unter­ nehmer als Träger wirtschaftlicher Rechtsverhältnisse) ist jeder, der einen Arbeitnehmer auf Grund eines Arbeitsvertrags zur Leistung von Arbeit gegen Entgelt anstellt. Ein privater Arbeit­ geber kann sowohl eine Einzelperson als auch eine juristische Person (z. B. der rechtsfähige Verein, die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung) oder eine Personengemeinschaft (z. B. die offene Handelgesellschaft) deS privaten Rechts sein. Die öffent­ lichen Arbeitgeber (Körperschaften, Stiftungen und Anstalten

deS öffentlichen Rechts) find dagegen nur juristische Personen. Auf alle Arbeitgeber, die keine Einzelpersonen sind, dürfte $ 14 BRG. anwendbar sein, der lautet: $ 14 „1. Ist der Arbeitgeber keine Einzelperson, so üben die

Rechte und Pflichten des Arbeitgebers nach diesem Gesetz auS: 1. bei den juristischen Personen und Personen­ gesamtheiten deS privaten Rechts die gesetzlichen Vertreter,

84

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

2. bei dem Reiche, den Ländern, den Gemeinde­ verbänden, den Gemeinden und den anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes die Vor­ stände der einzelnen Dienststellen nach Maßgabe der für das Reich und die hinsichtlich der Dienst­ verhältnisse der Arbeitnehmer seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften von der obersten Neichsbehörde, für die übrigen Körperschaften von der Landeszentralbehörde zu erlassenden Vorschriften. 2. Vertretung des Arbeitgebers durch Bevollmächtigte ist zulässig." 3. Die Verpflichtung besteht nicht dem einzelnen Schwer­ beschädigten gegenüber und ist nicht privatrechtlicher, sondern öffentlich-rechtlicher Natur, sie ist dem Staate gegenüber zu erfüllen und ist gesichert durch Zwang (§ 7) und Strafe (§ 18). 4. Ter Ausdruck „Arbeitsplätze" ist angewandt nicht im ur­ sprünglichen Sinne als Ort der Arbeitsleistung, sondern zur Be­ zeichnung jedes Platzes im Wirtschafts- und Berufsleben, der Gegenstand eines Arbeitsverhältnisses ist, das Wort Arbeits­ verhältnis im weitesten Sinne genommen (Weigert-Wölz S. 16). S. auch Anm. 5 zu § 5. 5. Hier in denkbar weitestem Umfange gebraucht, wie auch Kastel (S. 286) definiert: „Der Begriff des Betriebes im Sinne des Arbeitsverfassungsrechts bedeutet den Inbegriff der von einem Unternehmer (S. 66, Anm. 3) ausgehenden, nach seiner Absicht einem bestimmten Gesamtzweck dienenden Verrichtungen. Dieser Begriff ist also hier nicht nur, wie im sozialen Bersicherungsrecht, auf den technischen Teil eines Unternehmens im Gegensatz zum (kaufmännischen) Büro, noch auch, wie im Gewerberecht, auf ein wirtschaftliches Unternehmen im Gegensatz zur bloßen Verwaltung beschränkt, umfaßt viel­ mehr alle Verrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Art und ihren Gegenstand, soweit sie nur subjettiv durch die Person eines Unternehmers und objektiv durch den vom Unternehmer be-

Gesetzeseinleitung.

§ 1.

85

stimmten Zweck zusammengehalten werden. Maßgebend ist also lediglich der subjektive Wille des Unternehmers über die Zusammenfassung bestimmter Verrichtungen unter einheit­ lichem Zweck." Das Urteil des RG. v. 16. 2. 26 führt zum Be­ triebsbegriff aus: „Unter Betrieb i. £. des BRG. ist nicht das Geschäftsunternehmen in seinem äußeren Bestände, nicht die Betriebsanlage, sind auch nicht die in Tätigkeit befindlichen Maschinen oder die Gesamtheit der Betriebsmittel zu verstehen, vielmehr ist der Betrieb ein lebendiger Organismus, innerhalb dessen Unternehmer und Arbeiter zu einer Produktionsgemein­ schaft zusammengeschlossen sind und in gemeinsamer Tätigkeit demselben Ziele, der Erreichung eines möglichst hohen Standes und möglichster Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zustreben." (RABl. 1926, S. 193.) Als Betrieb gelten i. S. des BRG. (§ 9) alle Betriebe, Ge­ schäfte und Verwaltungen des öffentlichen und privaten Rechts, nicht als besondere Betriebe gelten Nebenbetriebe und Bestand­ teile eines Unternehmens, die durch die Betriebsleitung oder das Arbeitsverfahren miteinander verbunden sind, sofern sie sich innerhalb der gleichen Gemeinde oder wirtschaftlich zu­ sammenhängender, nahe beieinander liegender Gemeinden befinden. Vgl. auch die ausführlichen Anmerkungen zum Be­ griff „Betrieb" bei Flatow S. 51 ff. 6. Schwerbeschädigte = schwerbeschädigte Arbeitnehmer. Arbeitnehmer ist nach KaSkel (S. 66), „wer auf Grund eines Ver­ trages unselbständig und für Rechnung eines anderen berufs­ mäßig Lohnarbeit verrichtet." Auch das neue kollektive Arbeits­ recht weist nirgends diese entscheidenden Kriterien für den Arbeitnehmerbegriff auf, vielmehr werden in den einzelnen Gesetzen die verschiedenen Arten von Arbeitnehmern auf­ gezählt, auf welche die betr. Gesetze Anwendung finden. Tie Reichsverfassung spricht im Art. 160 und 165 von „Arbeitern und Angestellten", der Entwurf eines Allgemeinen Arbeits­ vertragsgesetzes (aufgestellt vom Arbeitsrechtsausschuß beim Reichsarbeitsministerium und abgedruckt RABl. 1923, S. 498ff.)

86

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

sagt in seinem § 2: „Arbeitnehmer sind Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge-, ebenso Z 2 des Entwurfs eine- Arbeitsschutzgesetzes (44. Sonderheft zum RABl.), der die öffentlichen Beamten und Beamtenanwärter ausdrücklich ausnimmt. Als erstes großes Gesetz auf dem Gebiete des Arbeitsrecht- weist daBRG. in § 10 eine gemeinsame Begriffsbestimmung des Arbeit­

nehmers auf:

„$ 10.

1. Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter

und Angestellte mit Ausnahme der Familienangehöri­ gen deS Arbeitgebers. 2. Nicht als Arbeitnehmer gelten 1. die öffentlichen Beamten und Beamtenanwärter,

2. Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerbe dient, sondern mehr durch Rücksichten der körperlichen Heilung, der Wieder­ eingewöhnung, der sittlichen Besserung oder Erziehung oder durch Beweggründe charitativer, religiöser, wissenschaftlicher oder künstlerischer Art 6estimmt wird." Daß mit dem Begriff des Arbeitnehmers eine gegen Ent­ gelt geleistete Arbeit verbunden ist, geht aus §8 11, 12 BRG. (abgedruckt S. 108 unten) hervor. Für das SchBG. ergibt sich im Zusammenhänge mit den im Gesetz selbst -ugelassenen Ausnahmen folgendes: a) Die Stellen, welche die Familienangehörigen des Arbeitgebers inne haben, zählen grundsätzlich nicht zu den Arbeitsplätzen (§ 10 BRG.). b) Auch die öffentlichen Beamten und Beamtenanwärter — diese nur, sofern sie eine Beamtenstelle bekleiden — sind in dem Sinne Arbeitnehmer, daß die von ihnen besetzten Stellen

al- Arbeitsplätze gelten ($ 2). c) Lehrlingsstellen rechnen grundsätzlich zu den Arbeits­ plätzen. Ist aber die Beschäftigung für den Arbeitgeber nicht

Arbeitgeber und Arbeitsplätze.

§ 2.

87

von wesentlichem Nutzen, so werden diese Stellen billigerweise als Arbeitsplätze nicht mitgezählt ($ 6 Abs. 2 Satz 3). d) Hausgewerbetreibende haben nur unter gewissen Voraussetzungen leinen Arbeitsplatz inne (§ 6 Abs. 2 Satz 3; $ 1 Abs. 2 der AusfVO. v. 12.2.24, abgedruckt unten S. 267). Grundsätzlich sind auch die von ihnen besetzten Stellen als Ar­ beitsplätze mitzuzählen. e) Die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer in sog. Saison­ betrieben sind gleichfalls grundsätzlich mitzuzählen. Ausnahmen kann die Hauptfürsorgestelle bewMgen (§ 6 Abs. 2). 7. Der eingestellte Schwerbeschädigte hat Anspruch auf Arbeit. Es würde dem Sinne des Gesetzes, daS den Schwerbeschädigten neben der Rentenversorgung den Segen eigner Arbeitstätigleit verschaffen will, durchaus widersprechen, wollte man dem Arbeitgeber gestatten, den Schwerbeschädigten zu entlohnen, ohne ihn auch entsprechend zu beschäftigen. Auch eine Kurzarbeit kommt nicht in Frage, eS sei denn, daß für alle Arbeitnehmer deS Betriebes eine verkürzte Arbeitszeit besteht. (Ebenso die Urtelle GG. Nürnberg v. 3.11. 24, LG. Elberfeld v. 30. 3. 25 und GG. BreSlau v. 25. 3. 26 — sämtlich ab gedruckt E SchB G. S. 38 — und Bescheid de- RAMinisterv. 28. 7. 21 — RABl. S.876 —; a. A. Urteil Lande-arbeit-gericht Duisburg v. 10. 11. 27 — NZA. 1928, Sp. 124). Anderbei den Voraussetzungen de- § 16, wonach -ei dauernder BetriebSfttllegung oder Betrieb-einschränkung der Schwerbeschädigte nur Anspruch auf Lohn, nicht aber auf Beschäftigung hat.

st

Arbeitgeber' im Sinne diese» Gesetze» find such' di« Körperschaften', Stiftungen' und Anfialten' de, öffent­ lichen Rechte», Arbeit»plStze' auch di« Leamtenftellen'. Sie besonderen Vorschriften und Grundsätze' über die Besetzung der Beamtenftellen, insbesondere über Vor­ bildung, Reihenfolge und Wartezeit der Anwärter siir

88

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

Beamtenstellen und über die Beförderung, Bersetzung und Entlassung der Beamten werden durch dieses Ersetz nicht beseitigt, find aber so zu gestalten', datz fie die Einstellung" Schwerbeschädigter erleichtern. Vorbemerkung.

§ 2, der im übrigen rein programmatischer Natur ist, enthält eine Art teilweiser Begriffsbestimmung des Arbeitgebers und des Arbeitsplatzes. Trotzdem im § 1 bereits die Verpflichtung aus diesem Gesetz allen Arbeitgebern auferlegt ist, werden hier die Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Be­ amtenstellen noch einmal ausdrücklich hervorgehoben. Die Körperschaften des öffentlichen Rechts sollen, wie die Begrün­ dung hervorhebt, in der Fürsorge für die Schwerbeschädigten vorbildlich für die privaten Arbeitgeber wirken. Auf der andern Seite liegt es nicht in der Absicht des Gesetzes, die Schwer­ beschädigten etwa allgemein in den öffentlichen Dienst über­ zuführen. Dem steht schon der Grundsatz im § 11 Abs. 2 ent­ gegen, nach dem jeder Schwerbeschädigte tunlichst seinem alten Beruf erhalten werden soll. Gerade aus den Kreisen der Kriegsbeschädigten ist betont worden, daß das bekannte Drängen nach Beamtenstellen sich vermindern wird, wenn ein wirksamer Einstellungs-wang den Schwerbeschädigten auch im freien Wirtschaftsleben die nötige Sicherheit gewährt. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Wettbewerbe zwischen den Rechten der Militäranwärter und der Fürsorge für die Schwerbeschädigten ergeben können, sollen außerhalb dieses Gesetzes durch eine Umgestaltung der Anstellungsgrundsätze (in Geltung sind jetzt die Anstellungsgrundsätze v. 31. 7. 26 — RGBl. S. 435 — mit der Vierten Ergänzung v. 18. 7. 27 — RGBl. S. 222 — und die Allgemeine Ausführungsanweisung dazu v. 31. 7. 26 — RGBl. S. 445 — mit der Dritten Er­ gänzung v. 18. 7. 27 — RGBl. S. 223 — abgedruckt unten S. 314) gelöst werden (RTDrs. Nr. 1750 S. 9).

Arbeitgeber und Arbeitsplätze. § 2.

89

Ursprünglich waren die Verpflichtungen auS dem Gesetz nicht auf Betriebe von einer gewissen Mindestgröße beschränkt, vielmehr galt als Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes auch der Arbeitgeber in einem einzelnen Arbeitsverhältnis. Für die privaten Arbeitgeber konnte diese Vorschrift jedoch ohne große Schwierigkeit und ohne Schädigung des Wirtschaftslebens

nicht angewandt werden. Diesen Verhältnissen trägt § 1 der Ausf B O. v. 13. 2. 24 (abgedruckt S. 267 unten) Rechnung, der die Einstellungspflicht eines Schwerbeschädigten von dem Vor­ handensein von über 20 Arbeitsplätzen abhängig macht; diese Beschränkung gilt aber nicht für die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, vielmehr kann hier die Aufsichtsbehörde auf Antrag der Hauptfürsorgestelle auch bei weniger als 20 Arbeit­ nehmern einen Arbeitsplatz für einen Schwerbeschädigten frei­ halten lassen. 1. Vgl. die Anm. 2 zu 8 1. 2. T. h. außer den privaten Arbeitgebern (§ 5). 3. § 4 sagt erläuternd: „Reich, Länder und andere Körper­ schaften", z. B. die Ministerien, Reichsämter, Reichsbank (§ 46 Abs. 6 des Bankgesetzes v. 30.8.24 — RGBl. H S. 235),

Deutsche Reichsbahn (§ 16 Abs. 4 des Gesetzes über die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft — Reichsbahngesetz — v. 30.8.24 — RGBl. II S. 272), Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die Gemeindebehörden, Kirchen­ gemeinden, Landarmenverbände, die Behörden der sozialen Versicherungsgerichtsbarkeit, Handelskammern, Handwerks­ kammern, Landwirtschaftskammern, Innungen, Deichverbände, Fischerei- und Waldgenossenschaften, also alle durch Gesetz und Organisation mit KorporationSrechten ausgestatteten Ein­ richtungen, auch die Religionsgesellschaften und Weltanschau­

ungsvereinigungen (Art 137 der Verfassung) sowie die Kranken­ kassen und Berufsgenossenschaften (§§ 225, 359, 623, 702 RBO.).

Vers ovgungsan wärt er brauchen die vier zuletzt genannten Einrichtungen ebensowenig wie die Reichsanstalt für Arbeits­ vermittlung und Arbeitslosenversicherung weder in Beamten-

90

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

stellen noch auf den im Wege des Privatdienstvertrages zu be­ setzenden Arbeitsplätzen einzustellen (§§ 4, 71 der Anstellungs­ grundsätze — abgedruckt S. 314 unten — und § 37 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom

16. 7. 27 — RGBl. S. 187).

4. Eingefügt durch die Novelle von 1922 (s. §1). „ Die Erwähnung der Stiftungen und Anstalten neben den Körper­ schaften deS öffentlichen Rechts entspricht dem Wortlaut des § 89 deS BGB. Der Zusatz ist vom Reichsrat beschlossen worden." (B. S. 9). Zu den Stiftungen gehört -. B. eine durch private Stiftung errichtete und unterhaltene öffentliche Schule, die dem öffent­ lichen Schulrecht untersteht. 5. Z. B. Universitäten, Akademie der Wissenschaft, Armenund Waisenhäuser, Museen, Hospitäler, Krankenpflegeanstalten. 6. S. die Anm. 6 zu 8 1. 7. Die Beamtenstellen gehören an sich nicht zu den Arbeits­ plätzen im üblichen arbeitsrechtlichen Sinne. Auch das BRG. schließt durch § 10 Ziff. 2, 1 die öffentlichen Beamten und Beamtenanwärter grundsätzlich von seinem Geltungsbereich auS; allerdings läßt eS in seinem § 13 zu, daß durch Verordnung

der Reichsregierung bei den öffentlichen Behörden und den Betrieben deS Reichs sowie bei den öffentlich-rechtlichen Körper­ schaften, die hinsichtlich der Dienstverhältnisse ihrer Beamten der Reichsaufsicht unterstehen, gewisse Gruppen von Beamten

und Beamtenanwärtern als Arbeiter oder Angestellte zu be­ trachten sind. Wie int BRG. vollzieht sich also auch im Schwerbeschädigtengesetz eine gegenseitige Annäherung des bisher scharf getrennten Arbeitsrechts (das auf privatrechtlicher Basis ruht) und deS Beamtenrechts (das rein öffentlich-rechtlichen Eharakter hat).

8. D. h. sowohl Vorschriften, die auf dem Gesetzes- oder BerordnungSwege erlassen sind, alS auch die einzelnen Geschäfts­ anweisungen und Geschäftsordnungen der Behörden.

Arbeitgeber und Arbeitsplätze,

g 2.

91

Daß diese Vorschriften und Grundsätze auch weiter in Gel­ tung bleiben, liegt im allgemeinen Interesse: soweit dies nicht verletzt wird, sind sie zur iedweden Erleichterung der Einstellung Schwerbeschädigter entsprechend zu ändern. S. auch Anm. 9. 9. Z. B. ist dies durch das Reichsversorgungsgesetz in der Fassung v. 22. 12. 27 (RGBl. S. 515) geschehen, dessen r 33 lautet:

Bersorgungsberechtigte,

4 33. deren

Erwerb-fähigkeit

infolge

Dienstbeschädigung um mindestens 50 v. H. gemindert ist (Schwerbeschädigte), erhalten auf besonderen Antrag neben der Rente einen Beamtenschein, wenn sie 1. infolge ihrer Beschädigung und unter Berücksichtigung der nach 5 21 zu gewährenden beruflichen AuSblldung nachweislich außerstande find, ihren vor dem Eintritt -um Militärdienst zuletzt ausgeübten oder einen andern Beruf, der ihnen unter Berücksichtigung ihrer LebenSverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten billigerweise -ugemutet werden kann, in wettbewerbsfähiger Weise aufzunehmen, und 2. nach ihrem gesamten Verhalten -um Beamten ge­ eignet erscheinen. Der Beamtenschein ist zu versagen, wenn ein Schwer­

beschädigter infolge nachgewiesener Geisteskrankheit, schweren Siechtum- oder anderer schwerer Gebrechen eine Beamten­ stelle offenbar nicht wahrnehmen kann. Die Grundsätze für die Anstellung der Inhaber de- Beamten­

schein- erläßt die Reich-regierung mit Zustimmung de- Reichs­ rat-.Wegen der Grundsätze für die Anstellung der Inhaber de- Beamtenscheins s. die Vorbemerkung Abs. 2. Da- Gesetz über die Feststellung de- Reich-Hau-Haltplan-

für da- Rechnungsjahr 1928 (RGBl. 1927 II S. 209) enthält in § 13 ebenfalls eine reich-rechtliche Vorschrift über die Ein­

stellung Schwerbeschädigter: »Bei Einstellungen von Beamten

92

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

und Beamtenanwärtern sind in erster Reihe geeignete Warte­ standsbeamte des Reichs, BersorgungsanwLrter und Schwer­ beschädigte heranzuziehen." 10. Die Besetzung von Beamtenstellen mit Schwerbeschä­ digten geschieht unabhängig von der Verpflichtung aus § 4 (in Verbindung mit §1 der Ausf V O. v. 13.2.24), der den öffentlichen Körperschaften vorschreibt, zahlenmäßig bestimmte Bruchteile (2 v. H.) ihrer Arbeitsplätze mit Schwer­ beschädigten zu besetzen. „Diese Verpflichtungen gehen den besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften vor." (WeigertWölz S. 21).

§ 3.

Schwerbeschädigte» im Sinne dieses Gesetzes find Deutsche5, die infolge einer Dienstbeschädigung5 oder durch5 Unfall5 oder beide Ereignisse5 nm wenigsten»' 50 vom Hundert in ihrer Erwerbsfähigkeit beschränkt find und auf Grund des Rrich»»ersorgnng»gesetzes5, der vorangehenden Militärversorgnngsgesetze' oder von Ge­ setzen, die da» Reichsversorgungsgesetz sSr anwendbar erklären»5, oder ans Grnnd der reichsgesetzlichen Unfallverstchernng»», de» Unfallfiirsorgegesetzes" vom 18. Juni 1901 (Reichsgesetzbl. 6.211) oder entsprechender landes­ rechtlicher Borschriften'5 Anspruch»5 auf eine Penfion»5 oder auf eine der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit entsprechende Rente haben. Der Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung de» Reichsrat» bestimmen, datz Nichtdeutschen'5 der Schutz diese» Gesetze» zuteil wird. Vorbemerkung. § 3, der die

Begriffsbestimmung deS Schwerbeschädigten

enthält, gibt die durch die Novelle v. 23. 12. 22 geschaffene Fassung wieder. „Die gegenüber dem alten Text vorgenom-

Begriffsbestimmung des Schwerbeschädigten. § 3,

93

menen Änderungen find vorwiegend redaktioneller Natur. Durch die neue Fassung wird klargestellt, daß zu den Schwer­ beschädigten auch Personen gehören, die auf Grund von Ge­ setzen, die das Reichsverforgungsgesetz für anwendbar er­ klären, eine Rente von wenigstens 50 v. H. der Vollrente beziehen. Neu hinzugefügt sind die Bestimmungen über Aus­ länder. Ahnen wird der Schutz des Gesetzes in der Regel nur dann zuzuerkennen sein, wenn in ihrem Heimatlande deut­ schen Schwerbeschädigten die gleiche Vergünstigung gewährt wird." (B. S. 9). Der Personenkreis, dem der Schutz des Gesetzes zugute kommen soll, muß möglichst eng gefaßt werden. „Denn die wirksame Durchführung des EinftellungszWangs ist ohne un­ erträgliche Belastung des Wirtschaftslebens nur möglich, wenn der Kreis der Personen, denen das Gesetz zugute kommen soll, streng beschränkt wird auf diejenigen Personengruppen, die seines Schutzes unbedingt bedürfen. Die Kriegsbeschädigten selbst haben den Einstellungszwang vielfach über den Kreis der Schwerbeschädigten hinaus erstrecken wollen, wie er durch die BO. v. 9. 1. 19 gezogen war. Ihren Wünschen kommt der § 3 des Entwurfs entgegen. Weiter darf das Gesetz nicht gehen." lDrs. der NB. Nr. 1750 S. 8). Den Einstellungszwang auch auf die Kriegshinterbliebenen auszudehnen, lehnt die Begrün­ dung ab, da sie auf dem Arbeitsmarkt nicht in gleichem Maße schutzbedürftig wie die Schwerbeschädigten seien. 1. Um unter diesen Begriff zu fallen, muß der Beschä­ digte 1. Reichsdeutscher, 2. a) infolge einer Dienstbeschädigung oder b) durch Unfall (d. h. durch Betriebsunfall im Sinne der Sozialversicherungsgesetze) oder c) durch beide Ereignisse um wenigsten- 50 v. H. erwerbsbeschränkt sein; 3. a) auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes, der vorangegangenen Bersorgungsgesetze oder von

94

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

Gesetzen,

die

da-

Reichsversorgung-gesetz

für

anwendbar erklären oder b) auf Grund der reich-gesetzlichen Unfallversiche­

rung, de- Unsallgesetze- oder entsprechender landesrechtlicher Vorschriften Anspruch auf a) eine Pension oder

ß) eine Rente haben. Ter SreiS der so geschützten Personen wird erweitert

1. durch § 3 Abs. 2: Nichtdeutschen kann unter gewissen Voraussetzungen ebenfalls der -utell werden,

Schutz de-

Gesetzes

2. durch §8:

a) der Schutz muß -uerkannt werden einem Blin­ den, wenn a) er nicht bereits durch § 3 geschützt ist,

ß) er sich ohne Hilfe des Gesetzes einen geeig­ neten Arbeitsplatz nicht -u verschaffen oder -u erhalten vermag, y) dadurch die Unterbringung der Schwer­ beschädigten ($ 3) nicht gefährdet wird. b) der Schutz kann zu erkannt werden a) anderen Personen, die um wenigsten50 v. H. erwerbsbeschränkt und nicht durch 5 3 bereit- geschützt sind (die sog. Schwer­

er werbsbeschränkten),

ß) Kriegs- und Unfallbeschädigten, die weniger als 50, aber mehr als 30 v. H. erwerbsbefchrankt sind (die sog. Minderbeschäbieten) unter denselben Voraussetzungen wie zu a, a—y.

Hierzu kommen noch gemäß 5 20 Kriegsbeschädigte und Schwerbeschädigte, die unter gewissen Voraussetzungen den Schutz de- Gesetze- genießen, obwohl sie noch nicht oder nicht mehr schwerbeschädigt im Sinne des Gesetzes sind.

Begriffsbestimmung des Schwerbeschädigten.

§ 3.

95

Schwerbeschädigte können, da im Gesetz nicht- anderes bestimmt ist, außer Männern auch Frauen und Jugendliche sein. 2. Deutscher ist, wer entweder die Staatsangehörigkeit in einem deutschen Lande (früher Bundesstaat) oder die unmittel­ bare Reichsangehörigkeit besitzt. Die Staatsangehörigkeit in einem Lande wird erworben: 1. durch Geburt, 2. durch Legitimation, 3. durch Eheschließung, 4. für einen Deutschen durch Aufnahme, 5. für einen Ausländer durch Einbürgerung (Naturalisation). 3. Nach § 2 des Reichsversorgungsgesetzes in der Fassung v. 22.12.27 (RGBl. S. 515) ist Dienstbeschädigung die ge­ sundheitsschädigende Einwirkung, die durch militärische Dienst­ verrichtungen oder durch einen während der Ausübung des Militärdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Dienstbeschädigung genügt die Wahrscheinlichkeit deS ur­ sächlichen Zusammenhangs. Eine vom Beschädigten absicht­ lich herbeigeführte gesundheitsschädigende Einwirkung gilt nicht als Dienstbeschädigung. Es macht also keinen Unterschied, ob die Dienstbeschädigung im Frieden oder im Kriege einge­ treten ist.

4. Durch Ausschußbeschluß statt „infolge eines Unfalles" in Anlehnung an den im Unfallversicherung-gesetze gebrauchten Ausdruck; infolge einer Dienstverletzung — wegen der Folgen einer Dienstverletzung, so § 1 deS Reichsversorgungsgesehes. 5. Hierunter versteht die R BO. (3. Buch, Unfallversicherung, in der neuen Fassung v. 9.1. 26 — RGBl S. 9) Unfälle bei Betrieben oder Tätigkeiten, die nach 5§ 537 bi- 542 der Versicherung unterliegen, also sog. Betriebsunfälle, die eine Körperverletzung oder Tötung zur Folge haben. Dem Ver­ letzten steht kein Anspruch auf Schadenersatz zu, wenn er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Der Schadenersatz kann

96

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

auch versagt werden, wenn der Unfall bei Begehen einer strafrechtlich abgeurteilten Handlung erfolgt ist. Nach § 547 der RBL. kann die Reichsregierung durch VL. die Unfallversicherung auf bestimmte Berufskrankheiten aus­ dehnen. Tas ist geschehen durch die BO. über Ausdehnung der Unfallversicherung auf gewerbliche Berufskrankheiten v. 12. 5. 25 (RGBl. S. 69). Also auch Personen, die hiernach eine Rente von minde­ stens 50 v. H. beziehen, gehören zu den Schwerbeschädigten im Sinne des § 3.

6. Hat jemand einen Unfall und eine Tienstbeschädigung erlitten, so sind die bei jedem der beiden Ereignisse festgestellten Prozentsätze der Erwerbsbeschränkung zusammenzurechnen. Der Verletzte kann auch mehrere Renten aus der Unfall­ versicherung beziehen; auch deren Hundertsätze sind zusammen­ zurechnen. Berücksichtigt muß auch die Rente werden, die gemäß § 616 RVO. abgegolten ist. 7. Also 50 v. H. und darüber. Nach §24 RVG. (s. oben) hat der Beschädigte schon dann Anspruch auf eine Rente, wenn infolge einer Tienstbeschädigung seine Erwerbsfähigkeit um wenigstens 25 v. H. gemindert oder seine körperliche Unver­ sehrtheit schwer beeinträchtigt ist, während er nach § 559a RVO., auch wenn er nur teilweise erwerbsunfähig ist, den Teil der Vollrente zu beanspruchen hat, der dem Maße der Einbuße an Erwerbsfähighkeit entspricht.

Eine Maximalgrenze sieht das Gesetz nicht vor, doch ist Voraussetzung, daß ein gewisser Grad von Erwerbsfähigkeit noch vorhanden ist. 8. D. h. des Gesetzes über die Versorgung der Militär­ personen und ihrer Hinterbliebenen bei Tienstbeschädigung in der Fassung v. 22. 12. 27 (RGBl. S. 515). 9. Das sind a) das Mannschaftsversorgungsgesetz v. 31. 5. 06 (RGBl. S. 593); b) das Lffizierspensionsgesetz v. 31. 5. 06

Begriffsbestimmung des Schwerbeschädigten. § 3.

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(RGBl. S. 565), abgeändert durch Gesetz v. 28. 7. 25 (Art. V) - RGBl. S. 165. 10. Tas Reichsverforgungsgefetz erNären für anwendbar: a) das Gesetz über die Schutzpolizei der Länder v. 17. 7. 22 (RGBl. S. 597), b) das Gesetz über die Versorgung der Polizeibeamten beim Reichswasserschutz v. 26. 2. 26 (RGBl. S. 149), c) das Altrentnergesetz in der Fassung v. 22. 12. 27 (RGBl. S. 531), d) das Wehrmachtversorgungsgesetz v. 19. 9. 25 (RGBl. S. 349), e) das Kinegspersonenschädengesetz in der Neufassung v. 22. 12. 27 (RGBl. S. 533). Das SchBG. findet auch Anwendung auf die nach dem Befatzungsperfonenschädengesetz (neue Fassung v. 12.4.27 — RGBl. S. 103) Entfchüdigungsberechtigten. 11. Die Unfallversicherung ist im 3. Buch der RBO. be­ handelt: neue Fassung v. 9. 1. 26 — RGBl. S. 9. Hierzu gehört auch die BO. v. 12. 5. 25 (RGBl. S. 69). S. Anm. 5. 12. Gemeint ist das Unfallfürsorgegesetz für Beamte und für Personen des Soldatenstandes, das aber nur noch für Be­ amte gilt, nachdem es durch das Dtannschaftsversorgungsgesetz und das Offizierspensionsgesetz (s. Anm. 9) für Personen des Soldatenstandes außer Kraft gesetzt worden ist (Gesetz v. 18. 6. 01 — RGBl. S. 211, mehrfach abgeändert, zuletzt durch BO. v. 12. 12. 23 — RGBl. S. 1183). Ter Entwurf eines neuen Nnfallfürforgegesehes für Reichs­ beamte liegt zurzeit dem Reichsrat vor. (Richter S. 41.) 13. Z. B. auf Grund von § 1034 RBO. für die landwirt­ schaftliche Unfallversicherung, so in Preußen das Gesetz v. 23. 7. 12 — GS. S. 12 — (Weigert-Wölz S. 26). 14. Es genügt also, daß der Verletzte einen Anspruch auf Rente oder Pension hat, er braucht sie tatsächlich gar nicht zu erhalten, auch kann die Rente durch Abfindung abgegolten fein; f. auch Anm. 6.

Schneider, Schtverbeschüdigtengesetz.

7

98

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

Wird eine Rente von mindestens 50 v. H. durch eine Ent­ scheidung rückwirkend festgesetzt, so dürfen auch alle Rechte aus der Schwerbeschädigteneigenschaft (z. B. Kündigungsschutz ge­ mäß 5 13) für die Zeit vor der betr. Entscheidung hergeleitet werden, da die Bewilligung der Rente nur rechtsfeststellende Bedeutung und daher auch ohne ausdrückliche Vorschrift rück­ wirkende Kraft hat. So auch Urteil KG. v. 21. 10. 22 — NZA. 1924, Sp. 58 —; a. 2L Richter, S. 42. Anders ist die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle zu bewerten, durch die eine Gleichstellung gemäß § 8 ausgesprochen wird. Sie hat konstitutive Kraft. Dgl. auch die Anm. 10 zu § 8, die Sinnt. 1, III zu § 13 und die Anm. 4 zu § 20. 15. Hierzu führt die Begründung (RT Drs. Nr. 5295 I. W P. 1920 S. 9) aus: „Während bei den Rentenempfängern die Rente in einem der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit entsprechenden Hundertsatz festgestellt wird, ist eine derartige Abstufung für Offiziere, die Pension auf Grund der dem Reichsversorgungsgesetze vorangehenden Militärversorgungsgesetz erhalten, nicht vorgesehen gewesen; ihre Pension bemißt sich nicht nach dem Grade der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit. ES muß daher bei diesen Offizieren von Fall zu Fall geprüft werden, ob ihnen nach dem festzustellenden Grade ihrer Beschädigung die Schwerbeschädigteneigenschaft zukommt." Ein Anspruch auf Pension besteht also nur nach dem Offizierspensionsgesetz (s. Anm. 9), während alle anderen Gesetze nur von Renten sprechen. 16. Den Ausländern wird nach der B. S. 9 der Schutz in der Regel nur dann zuzuerkennen sein, wenn in ihrem Heimat­ lande deutschen Schwerbeschädigten die gleiche Vergünstigung ge­ währt wird. Bisher hat eine Gleichstellung nur zugunsten Osterreich­ stattgefunden durch das Gesetz betr. den Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Republik Österreich in An­ gelegenheiten Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebener v. 8. 3. 22 (RGBl. S. 233), abgedruckt unten S. 364. Der

Zahlenmäßige Einstellungspflicht.

§§ 4, 5.

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Vertrag, der auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruht, schafft die gesetzliche Grundlage für die volle Anwendung deSchwerbeschädigtengesetzes auf österreichische Schwerkriegs­ beschädigte. Nicht vom Vertrage erfaßt wird die Einstellung in öffentliche Ämter. Von besonderer Bedeutung ist die gegen­

seitige Verpflichtung zur Leistung von Amtshilfe in Bersorgungs- und Fürsorgeangelegenheiten. (AuS der B. — RTDrs. Nr. 3499, I. WP. 1920/22 S. 7 —.)

8 4.

Die Reichsregierrlilg* ist ermächtigt, mit Zustim­ mung des Reichsrats anzuordnen, daß das Reich', die Länder und andere Körperschaften, Stiftungen und An­ stalten des öffentlichen Rechtes' zahlenmäßig bestimmte Bruchteile^ ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbeschädigten zu besetzen haben.

Die Landesregierung kann weitergehende Verpflich­ tungen', die das Land selbst übernimmt, auch anderen, ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechtes auserlegen. Vorbemerkung zu §§ 4 und 5 gemeinsam. §§ 4 und 5 regeln den Umfang der Verpflichtung zur Ein­ stellung Schwerbeschädigter.

Die Erfüllung der Verpflichtung ist in zwei Arten denkbar: entweder muß der Arbeitgeber bei Besetzung eines Arbeits­ platzes einen Schwerbeschädigten, der für diesen Arbeitsplatz geeignet ist, andern sich gleichzeitig meldenden Bewerbern vorziehen (5 1 des alten Gesetzes) — sog. unstarres oder beweg­ liche- System — (so KaSkel S. 105) oder der Arbeitgeber

besetzt einen bestimmten Bruchtell sämtlicher Arbeitsplätze bestimmter Art oder einzelne bestimmte Arbeitsplätze (§ 6) mit Schwerbeschädigten — sog. starre- System. Während

7*

100

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

das alte Gesetz beide Systeme vereinigte, hält die Novelle nur noch am „starren" System fest, da es sich in der Praxis am besten bewährt hat. Daß hierbei der Einstellungszwang nicht grundsätzlich auf bestimmte Bruchteile aller Arbeitsplätze beschränkt bleibt, sondern im Falle eines Bedürfnisses sich auch auf Arbeitsplätze bestimmter Art ober einzelner bestimmter Arbeitsplätze, die sich für Schwerbeschädigte vorzugsweise eignen, erstrecken kann, hat den Vorteil, daß der sehr verschieden­ artigen Aufnabmefähigkeit der einzelnen Berufsgruppen und der einzelnen Betriebe durchaus Rechnung getragen werden kann und die Schwerbeschädigten auf die Plätze gelangen, auf denen sie ihre Arbeitskraft am besten ausnutzen können. Aller­ dings haben die Hauptfürsorgestellen von ihrer Befugnis, bestimmte Arbeitsplätze freizuhalten, selten Gebrauch gemacht, und die bisherige Bestimmung, wonach der RAMinister be­ stimmte Arten von Arbeitsplätzen bei Behörden den Schwer­ beschädigten vorbehalten kann, ist durch die Novelle gestrichen, da sie bei der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse sich als praktisch undurchführbar erwiesen hat. (B. S. 9.) Vgl. auch die Denk­ schrift des RA.ministers über die Lage der älteren Ange­ stellten v. 20. 12. 27 (RTDrs. Nr. 3852, III. WP. 1924/27), wo die verschiedenen Systeme in Anlehnung an frühere amt­ liche Begründungen kritisch beleuchtet werden. §§ 4 und 5 enthalten nur die allgemeine Anordnung für die Arbeitgeber — § 4 für die öffentlichen, § 5 für die privaten Arbeitgeber —, daß sie einen zahlenmäßig bestimmten Bruch­ teil ihrer Arbeitsplätze mit Schwerkriegsbeschädigten zu besetzen haben. Der Bruchteil selbst ist, um den veränderlichen wirt­ schaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, nicht im Gesetz festgelegt, sondern wird, soweit es sich um öffentliche Arbeitgeber handelt, durch die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats, für die privaten Arbeitgeber durch den Reichs­ arbeitsminister bestimmt, der die Zustimmung des Reichsrats und des Sozialpolitischen Ausschusses des Reichstages einholen und auch den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat hören muß,

Zahlenmäßige Einstellungspflicht.

§§ 4, 5.

101

sofern er den Bruchteil auf mehr als 2 v. H. festsetzen will. Entsprechend den beiden Gruppen von Arbeitgebern bestanden früher zwei besondere Ausführungsverordnungen: für die öffentlichen Arbeitgeber die BO. v. 17.5.20 — RGBl. S. 978 —, für die privaten Arbeitgeber die BO. v. 21. 7. 21 — RGBl. S. 947 —, jetzt gilt für beide Arten die Ausfüh­ rungsverordnung v. 13. 2. 24 — RGBl. S. 73 — (abgedruckt S. 267 unten). Tiefe BL. ist aber nicht auf dem in §§4, 5 vor­ geschriebenen Wege, sondern auf Grund des Ermächtigungs­ gesetzes v. 8. 12. 23 — RGBl. G. 1179 —, das die Regierung im Hinblick auf die Not von Volk und Reich zur Vornahme be­ sonderer gesetzlicher Maßnahmen ermächtigte, erlassen worden, nachdem bestimmungsgemäß ein Ausschuß des Reichsrats und ein aus 15 Mitgliedern bestehender Ausschuß des Reichstags in vertraulicher Beratung gehört waren. §§ 1 und 2 der BO. v. 13. 2. 24, die den Umfang der Einstellung behandeln, lauten:

,.§ 1.

Ein Arbeitgeber, der über 20 bis einschließlich 50 Arbeits­ plätze verfügt, muß wenigstens einen Schwerbeschädigten, ein Arbeitgeber, der über mehr Arbeitsplätze verfügt, auf je 50 weitere Arbeitsplätze wenigstens einen weiteren Schwer­ beschädigten beschäftigen. Ein Uberschuß von 20 wird dabei vollen 50 gleichgerechnet.

Bei der Berechnung der Arbeitsplätze werden mehrere Betriebe, die ein Arbeitgeber im Bezirke der gleichen Haupt­ fürsorgestelle oder in den Bezirken benachbarter Hauptfürsorge­ stellen hat, zusammengerechnet. Das Nähere regeln hinsichtlich der Betriebe des Reichs der zuständige Reichsminister mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers, hinsichtlich der Be­ triebe der Länder die Laudesregierng, hinsichtlich der Betriebe anderer Körperschaften sowie der Stiftungen und Anstaltne des öffentlichen Rechtes die Aufsichtsbehörde im Benehmen mit der Hauptfürsorgestelle, hinsichtlich privater Betriebe die beteiligten Hauptfürsorgestellen. Bei Meinungsvcrschieden*

102

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

Seiten zwischen Hauptfürsorgestellen desselben Lande- ent­ scheidet die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Hauptfürsorge­ stellen verschiedener Länder der Reichsarbeitsminister."

Zu § 1. § 1 verbindet also die bisher für die Einstellungspflicht der Behörden maßgebende Vorschrift des § 1 der Ausführungs­ verordnung v. 17. 5. 20 mit § 1 der BL. über die Beschäftigung Schwerbeschädigter in privaten Betrieben v. 21. 7. 21. Es gelten danach also für beide Arten von Arbeitgebern dieselben Vorschriften. Gegenüber dem früheren Zustande besteht jetzt auch für die öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber die Verpflichtung, schon bei 20 Arbeitsplätzen einen Schwerbeschädigten einzustellen, während früher die Verpflichtung erst bei 25 Arbeitsplätzen begann. In der Praxis macht dies nichts aus, denn gerade die Behörden beschäftigen seither weit größere Hundertsätze von Schwerbeschädigten, als die privaten Arbeitgeber. Vgl. die Einleitung S. 68. „8 2.

Verfügt eine öffentlich-rechtliche Körperschaft über weniger als 20 Plätze, so kann auf Antrag der Hauptfürsorgestelle die Aufsichtsbehörde bestimmen, daß ein Arbeitsplatz für Schwer­ beschädigte vorzubehalten ist, wenn dieser Platz sich für Schwer­ beschädigte eignet und die Einstellung für den Arbeitgeber keine besondere Harte bedeutet. Für private Arbeitgeber, die im Bezirke der Hauptfürsorge­ stelle nicht über mindestens 20 Arbeitsplätze, im Deutschen Reiche aber über nrsgesamt 20 oder mehr Arbeitsplätze verfügen, kann die Hauptfürsorgestelle eine solche Anordnung treffen." Zu §2. Infolge Beseitigung der Vo.schrift des früheren § 1, wonach jeder Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Größe seines Betriebes gehalten war, bei Freiwerden einer Stelle einen sich meldenden geeigneten Schwerbeschädigten anderen Bewerbern vorzuziehen, stand zu befürchten, daß z. B. bei flehten Ge­ meinden, die meistens weniger als 20 Arbeitsplätze haben,

Zahlenmäßige Einstellungspflicht.

§§4, 6.

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Schwerbeschädigte, soweit es sich nicht um die nach den Anstel­ lungsgrundsätzen zu besetzenden Beamtenstellen handelt, über­ haupt nicht eingestellt würden, auch wenn eS sich um für sie

durchaus geeignete Arbeitsplätze (Nachtwächter, Gemeinde­ diener, Flurhüter usw.) handelt. Um diese Arbeitsplätze auch weiterhin Schwerbeschädigten zugänglich zu machen, ist Abs. 1

erlassen worden. Während nach § 1 allgemein eine Zusammenrechnung nur solcher Arbeitsplätze stattfindet, die im Bezirke der gleichen

Hauptfürsorgestelle oder in Bezirken benachbarter Haupt­ fürsorgestellen liegen, besagt die besondere Vorschrift de- § 2 Abs. 2, daß in privaten Betrieben beim Vorhandensein von weniger als 20 Arbeitsplätzen im Bezirke der Hauptfürsorge­ stelle sämtliche Arbeitsplätze desselben Arbeitgebers -usammen-urechnen sind, über die er im Deutschen Reiche verfügt. Liegen die Betriebe nicht im Bezirke der gleichen Haupt­ fürsorgestelle oder in den Bezirken der benachbarten Haupt­

fürsorgestellen, so sind die Arbeitsplätze nicht zusammenzu­ rechnen, sofern jeder Betrieb 20 oder mehr Arbeitsplätze aufweist. Besitzt also ein Arbeitgeber mehrere solcher zerstreut liegenden Betriebe, von denen jeder über 20 aber weniger als 50 Arbeitsplätze aufweist, so braucht er in jedem Betrieb nur einen Schwerbeschädigten einzustellen.

Nach dem Gesetz von 1920 war der private Arbeitgeber verpflichtet, bestimmte Arten von Arbeitsplätzen vorzugs­ weise für Schwerbeschädigte oder bestimmte Tlrten von Schwer­ beschädigten freizuhalten, ohne daß ifim diese Zahl der auf Anordnung der Hauptfürsorgestelle also besetzten Stellen auf den darüber hinaus vorn RA Minister zahlenmäßig bestimmten Bruchteil angerechnet zu werden brauchte, jetzt wird dagegen der Umfang der Verpflichtung privater Arbeitgeber nur durch die Ausführungsverordnung festgelegt; sie setzt einen zahlen­ mäßig bestimmten Bruchteil der Arbeitsplätze fest, die mit Schwerbeschädigten zu besetzen sind. Die Hauptfürsorgestelle

kann daneben lediglich noch ergänzend anordnen (gern.

104

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

§ 6), daß der Arbeitgeber seine Verpflichtung durch Freihaltung von Arbeitsplätzen, die für Schwerbeschädigte besonders ge­ eignet sind, zu erfüllen hat. (93. S. 8.) Werden diese Plätze mit Schwerbeschädigten besetzt, so sind sie auf den Bruchteil anzurechnen. Anderseits muß der Arbeitgeber auch dann seine Verpflichtung inhaltlich, d. h. dem zahlenmäßig bestimmten Bruchteil entsprechend erfüllen, wenn alle Arbeitsplätze bei ihm besetzt sind. Er muß in diesem Falle entweder einen Arbeits­ platz schaffen oder Entlassungen vornehmen und an die Stelle der Entlassenen Schwerbeschädigte einstellen. Sinkt dagegen die Arbeitnehmerzahl nach Durchführung der Einstellungsverpflichtung unter die für die Einstellung maßbebend gewesene Zahl, so wird das Arbeitsverhältnis der bereits eingestellten Schwerbeschädigten dadurch nicht berührt, es bleibt also der Kündigungsschutz gemäß § 13 bestehen. 1. Im Gegensatz zu § 5, wo der RA Minister die Bestimmung für den privaten Arbeitgeber treffen kann, hat verfassungs­ gemäß die Reichsregierung die Ausführungsverordnung zu erlassen, und, da es sich um Belange der Länder handelt, ist auch die Zustimmung des Reichsrats erforderlich. 2. In § 2 sind einzelne Körperschaften nicht aufgeführt; hier werden also das Reich und die Länder besonders genannt. 3. Während der RAMinister gemäß § 6 seine Anordnungen bezüglich der Durchführung des § 5 auf einzelne Berufsgruppen beschränken und einzelne Berufsgruppen hiervon aus­ schließen bzw. den Bruchteil verschieden festsetzen kann, be­ steht für die Behörden eine solche Möglichkeit der Be­ freiung auf Grund des Gesetzes nicht, ihnen hilft § 38 der An­ stellungsgrundsätze (abgedruckt unten S. 314), wonach mit Zu­ stimmung des Reichsministeriums des Innern und des Reichsarbeitsministeriums ganze Beamtengruppen von der Besetzung mit Schwerbeschädigten ausgenommen werden können (z. B. bei der Schutzpolizei oder der Forstverwaltung). 4. Wie schon die Vorbem. erwähnt, haben die Behörden weit mehr Hundertsätze ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbeschä-

Zahlenmäßige Einstellungspflicht. §§4, 5.

105

digten besetzt als die Betriebe der privaten Hand. So sind nach dem Stande v. 1. 1. 28 im Bereiche des Reichsarbeits­ ministeriums 10,54 v. H. der Gesamtarbeitsplätze mit Schwer­ beschädigten besetzt. Der Höchstsatz liegt im Bezirke des Landes­ fürsorgeverbandes Nassau vor. Er beträgt dort 18,08 v. H. — Von den Beamtenstellen allein sind 8,52 v. H. mit Schwer­ beschädigten besetzt, von rd. 1300 Angestellten im Bereiche des Ministeriums 26,66 v. H. schwerbeschädigt (RABl. 1928 S. 82). — Bei den übrigen Reichsbehörden schwantt der Hun­ dertsatz zwischen 2,17 und 4,80 (RABl. 1928 S. 122). 5. Während im übrigen der von der Reichsregierung zahlen­ mäßig bestimmte Bruchteil das Höchstmaß für die Einstellungs­ pflicht der öffentlichen Körperschaft darstellt, ist hiernach aus­ nahmsweise gestattet, daß die Länder den ihrer Aufsicht unter­ stellten öffentlichen Körperschaften ein höheres Einstellungssoll auferlegen, sofern sie in ihren eignen Betrieben und Verwal­ tungen einen entsprechend höheren Bruchteil Schwerbeschädigter einstellen.

8 5.

Der Reichsarbeitsminister bestimmt* den Bruchteil von Arbeitsplätzen, den jeder private Arbeitgeber mit Schwerbeschädigten zu besetzen hat. Will er den Bruch­ teil auf mehr als zwei vom Hundert festsetzen', so be­ darf er dazu der Zustimmung des Reichsrats und des Ausschusses' des Reichstags für soziale Angelegenheiten. Bor der Anordnung ist der vorläufige Reichswirtschaftsrat* zu hören. Als Arbeitsplätze find dabei alle Stellen zu zählen, auf denen Arbeiter und Angestellte im Sinne der §§ 11 und 12 des Betriebsrätegesetzes' vom 4. Februar 1920 lReichsgesetzbl. S. 147) beschäftigt werden'. 1. S. die Vorbemerkung und die Anm. zu § 4.

106

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

2. Während im Gesetz von 1920 der RA Minister den Bruch­ teil der von privaten Arbeitgebern mit Schwerbeschädigten zu besetzenden Arbeitsplätze von sich auS nach Anhörung des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats bestimmen konnte, ist jetzt für derartige Anordnungen, wenn ein höherer Hundertsatz als 2 v. H. festgesetzt werden soll, die Zustimmung des Reichsrats und die Anhörung des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats erforderlich. Die Mitwirkung dieser Körperschaften erscheint wegen der großen sozial- und wirtschaftspolitischen Bedeutung der Anordnungen gerechtfertigt. (B. S. 10.) 3. Daß die Zustimmung auch des Sozialpolitischen Aus­ schusses de- Reichstags einzuholen ist, hat erst der Ausschuß selbst beschlossen. (RTDrs. Nr. 5404 I. WP. 1920/22). 4. Der ReichSwirtschastsrat ist eine in der RB. vorgesehene Einrichtung. Sein Aufgabenkreis ist gem. Art. 165 Abs. 4 programmatisch, wie folgt, umrissen: „Sozialpolitische und wirtschaftliche Gesetzentwürfe von grundlegender Bedeutung sollen von der Reichsregierung vor ihrer Einbringung dem Reichswirtschaftsrate zur Begutachtung vorgelegt werden. Der Reichswirtschaftsrat hat das Recht, selbst solche Gesetzesvor­ lagen zu beantragen. Stimmt ihnen die Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem die Vorlage unter Darlegung ihres Stand­ punktes beim Reichstag einzubringen. Der Reichswirtschaftsrat kann die Vorlage durch eines seiner Mitglieder vor dem Reichs­ tag vertreten lassen." Das Gesetz über seine endgültige Gestaltung ist bisher nicht ergangen. Dem Reichstag liegt aber der „Entwurf eines Gesetzes über den ReichSwirtschastsrat und eines Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über den Reichswirtschaftsrat" zur Beschlußfassung vor. — RTDrs. Nr. 348, IV. WP. 1928. Durch BO. v. 4. 5. 20 (RGBl. S. 858) ist der Vorläufige ReichSwirtschastsrat geschaffen worden, dessen Arbeilsrahmen in Art. 11 der vorgenannten VO. festgelegt ist. (S. auch die ausführliche Denkschrift über die Tätigkeit und Würdigung der Arbeiten des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats, heraus-

Zahlenmäßige Einstellungspflicht.

§54,L

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gegeben von dem Bureaudirektor beim Borl. RWR. Dr. Hau­ schild, 1926.) 5. Hierzu führt die Begründung (S. 10) aus: „Die Vor­ schriften der # 11 und 12 de- Betriebsrategesetzes waren nach richtiger Auffassung bereit- bisher für die Begriffsbestimmung des Arbeitsplätze- nach dem Schwerbeschädigtengesetz maß­ gebend. Durch den Wortlaut des Entwurfs soll dies nochmals ausdrücklich festgelegt werden. Hiernach würden auch die Lehrstellen grundsätzlich als Arbeitsplätze mitzuzählen sein. Die Hauptsürsorgestellt kann sie jedoch gem. $ 5a ebenso wie die Stellen der Hausgewerbetreibenden aus besonderen Grün­

den von der Mitzählung auSschließen. Diese Regelung hat nicht die Zustimmung deS Vorläufigen ReichswirtschaftsratS ge­ sunden, der durch einen Zusatz zu § 5 Abs. 2 ausdrücklich fest­ gestellt wissen wA, daß die Lehrstellen grundsätzlich nicht als Arbeitsplätze zu gelten haben. Dagegen wM der Vorläufige Reichswirtschaftsrat die Hauptfürsorgestelle durch einen Zu» satz zu 8 5a ermächtigen, beim Borliegen besonderer Gründe die Lehrstellen mitzuzählen. Bei den Verhandlungen deS Vor­ läufigen Reichs Wirtschaft-rats ist für die dort vorgeschlagene Fassung von Arbeitgeberseite geltend gemacht worden, daß die AuSblldung von Lehrlingen bereits an sich eine Belastung für den Arbeitgeber bedeute, die nicht noch dadurch vergrößert

werden dürfe, daß man die Lehrstellen bei der Berechnung der Verpflichtung zur Einstellung von Schwerbeschädigten mit­

zähle. Dieser Begründung kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden, zumal da eine planmäßige Ausgestaltung des LehrwesenS im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse liegt. In ihrer praktischen Auswirkung besteht zwischen der Regie­ rungsvorlage und der Fassung deS ReichswirtschaftsratS kein sehr erheblicher Unterschied, da ja die Regierungsvorlage (also $ 6, Abs. 2 de- G.) die Hauptfürsorgestelle ermächtigt, von der

Mitzählung der Lehrstellen adzusehen."

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Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

§§ 11 und 12 BRG. geben eine Begriffsbestimmung des Arbeiters und Angestellten, während § 10 den Arbeitnehmer allgemein definiert. §§ 10—12 des BRG. lauten: ,.§ 10.

1. Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte mit Ausnahme der Familienangehö­ rigen des Arbeitgebers. 2. Nicht als Arbeitnehmer gelten 1. die öffentlichen Beamten und Beamtenanwärter, 2. Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerbe dient, sondern mehr durch Rücksichten der Heilung, der Wiedereingewöhnung, der sittlichen Besserung oder Erziehung oder durch Beweggründe charitativer, religiöser, wissen­ schaftlicher oder künstlerischer Art bestimmt wird. §11. 1. Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes sind die int Dienste anderer gegen Entgelt oder als Lehrlinge beschäftigten Personen mit Ausschluß der Angestellten. 2. Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes sind ferner die in der Gemeinde des Betriebes oder in wirtschaftlich mit ihr zusammenhängenden, nahe 6ti ihr liegenden Gemeinden wohnenden Hausgewerbetreibenden (§ 3), welche in der Hauptsache für denselben Betrieb ar­ beiten und selbst keine Arbeitnehmer beschäftigen. 3. Ist für diese ein besonderer Betriebsrat gern. § 3 zu errichten, so scheiden sie als Arbeitnehmer aus der Zahl der im Betriebe Beschäftigten aus. §12. 1. Angestellte im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, welche eine der im § 1 Abs. 1 des Bersicherungsgesetzes für Angestellte angeführten Beschäftigungen gegen Entgelt ausüben, auch wenn sie nicht versicherungs-

Zahlenmäßige Einstellungspflicht. §§4, 6.

109

pflichtig sind. Außerdem gelten als Angestellte die in einer geregelten Ausbildung zu einer dieser Be­ schäftigungen befindlichen Lehrlinge und die mit niederen oder lediglich mechanischen Dienstleistungen beschäftigten Bureauangestellten. 2. Nicht als Angestellte im Sinne dieses Gesetze- gelten die Vorstandsmitglieder und gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen und von Personengesamt­ heiten des öffentlichen und privaten Rechtes, ferner die Geschäftsführer und Betriebsleiter, foweit sie zur selbständigen Einstellung oder Entlassung der übrigen im Betriebe oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmer berechtigt sind oder soweit ihnen Prokura oder Generalvollmacht erteilt ist."

§ 1 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes v. 28. 5. 24 (RGBl. S. 563), auf den in § 12 BRG. Bezug genommen wird, lautet:

„§ 1. Für den Fall der Berufsunfähigkeit (§ 30) und des Alt er­ sönne zugunsten der Hinterbliebenen werden Angestellte nach den Vorschriften dieses Gesetzes versichert, insbesondere

1. Angestellte in leitender Stellung, 2. Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in einer ähnlich gehobenen oder höheren Stellung, 3. Bureauangestellte, soweit sie nicht ausschließlich mit Boten­ gängen, Reinigung, Ausräumung und ähnlichen Arbeiten beschäftigt werden, einschließlich der Bureaulehrlinge und Werkstattschreiber, 4. Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge, andere An­ gestellte für kaufmännische Dienste, auch wenn der Gegen­ stand des Unternehmens kein Handelsgewerbe ist, Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken, 5. Bühnenmitglieder und Musiker ohne Rücksicht auf den Kunstwert ihrer Leistungen,

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Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter.

6. Angestellte in Berufen der Erziehung, de- Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege,

7. aus der SchiffSbefahung deutscher Seefahrzeuge und aus der Besatzung von Fahrzeugen der Binnenschiffahrt Schiffsführer, Offiziere des Deck- und Maschinendienstes, Verwalter und Berwaltungsassistenten sowie die in einer ähnlich gehobenen oder höheren Stellung befindlichen Angestellten ohne Rücksicht auf ihre Vorbildung. Als deutscheS Seefahrzeug gllt jedes Fahrzeug, das unter deutscher Flagge fährt und ausschließlich oder vorzugs­ weise zur Seefahrt benutzt wird.-

6. Personen, die zwar in einer wirtschaftlichen, aber nicht in einem persönlichen AbhängigkeitSverhältniS zum Arbeitgeber stehen, zählen nicht zu den Arbeitnehmern im Sinne des G. Deshalb können z. D. Zeitungsausträger, die Zeitungen und Zeitschriften auf eigene Rechnung verkaufen, zu den Unter­ nehmern zählen. Sie fallen dann nicht unter den Schutz des G. Erhalten sie dagegen ein feste- Entgelt, sei es auch in Form einer Provision, und werden sie vom Arbeitgeber gegen Krank­ heit, Invalidität und Erwerbslosigkeit versichert, stehen sie mithin in einem BeschäftigungSverhältnis, so sind sie Arbeit­ nehmer im Sinne deS Schwerbeschädigtengesetzes. (Urteil LG. Dresden v. 12.1. 27, ESchBG. S. 34.)

§ 6. Der Reichsarbeitsminifter sann feine Anordnungen (§ 51) ans einzelne Berussgruppen' befchrinken; er kann einzelne Berufsgruppen hiervon ausschliehen und den Bruchteil sie verschiedene Berufsgruppen ver­ schieden feftsetzen. Die Hauptfirforgestelle« kann einzelne« private Ar­ beitgeber von den Verpflichtungen, die ihnen dnrch di« Anordnungen« de» Reichsarbeitsminifter» ausrrlegt

Befreiung von der EinsteNungsverpflichtung usw. § 6.

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find, ganz oder jnm Stil befreien', wenn es nach der besonderen Lage de» Falle» ersorderltch ist. Die vesreinng kann an Bedingungen' gekniipst werden, die der Förderung der Arbeit-fürsorge oder sonst der Schwer» beschädigtenfSrsorge dienen". Die Hauptfürsorgeftelle kann ferner allgemein" oder im einzelnen Falle au» be­ sonderen Gründen bestimmen, datz nur vorübergehend'" besetzte Arbeitsplätze" sowie einzelne Arten von Lehr­ stellen" und einzelne Arten von Stellen der Hans­ gewerbetreibenden" (Heimarbeiter") nicht al» Arbeits­ plätze mitzuzählen find. Der Reichsarbeitsminister und die Hauptsürsorgeftelle haben vor ihren Anordnungen die berufenen Ver­ tretungen" der Arbeitgeber und Arbeitnehmer au» den beteiligten Wirtschaftsgebieten zu hören.

Die Hauptsürsorgestelle kann nach Anhörung de» Arbeitgeber» und der Vertretung" seiner Arbeitnehmer auch anordnen, datz ein privater Arbeitgeber seine Ver­ pflichtungen" dadurch zu erfüllen hat, datz er Arbeits­ plätze bestimmter Art oder einzelne bestimmte Arbeits­ plätze, die fich für Schwerbeschädigte vorzugsweise eig­ nen, frei hält".

Werden Arbeitsplätze frei, die nach der Bestimmung de» Abf. 4 für Schwerbeschädigte freizuhalten find, so hat fie der Arbeitgeber unbeschadet sonst" vorgeschriebe­ ner Anzeigepflichten binnen 3 Tagen der Hauptfürsorge­ stelle anzuzeigen". Er darf fie erst besetzen, wenn die Hauptfürsogeftelle ihm binnen 10 Tagen" nach Ab­ sendung der Anzeige keine geeigneten Schwerbeschädig­ ten genannt hat. Diese Verpflichtung" besteht nicht,

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Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

soweit die Besetzung im Interesse des Betriebs nicht aufgeschoben werden kann. Vorbemerkung.

§ 6, im Entwurf zur Novelle von 1922 (RTTrs. Nr. 5295) als § 5a aufgeführt, war ursprünglich ein Teil der früheren §§ 5 und 6. Tie Änderungen sind in der Hauptsache nur redak­ tioneller Natur. Er behandelt in Abs. 1—3 die im Interesse der Wirtschaft notwendigen Einschränkungen, denen die gene­ relle, oft gewisse Härten nicht vermeidende Anordnung des RAMinisters aus § 5 unterliegt. Hierbei bestehen zwei ver­ schiedene Arten von Befugnissen: 1. Tie weitgehende des RA­ Ministers selbst: er kann a) den Einstellungszwang auf einzelne Gruppen beschränken; b) einzelne Gruppen hiervon ganz befreien; c) den Bruchteil für verschiedene Gruppen verschieden festsetzen (Abs. 1). 2. Die auf einzelne (eine Ausnahme hiervon enthält Abs. 2 Satz 3, s. Anm. 9) private Arbeitgeber beschränkte Befugnis der Hauptfürsorgestelle. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen: a) einzelne private Arbeitgeber von ihren Verpflichtungen ganz oder teilweise befreien; b) diese Befreiung an gewisse Bedingungen knüpfen; c) bestimmen, daß a) nur vorübergehend bestimmte Arbeitsplätze, fi) einzelne Arten von Lehrstellen, y) einzelne Arten von Stellen der Haus­ gewerbetreibenden nicht als Arbeitsplätze mitzuzählen sind (Abs. 2). Neben dieser Befugnis zur Befreiung von der Einstellungs­ pflicht ist der Hauptfürsorgestelle nach Abs. 4 und 5 die Er­ mächtigung erteilt, anzuordnen, daß ein privater Arbeitgeber seine Verpflichtungen dadurch zu erfüllen hat, daß er gewisse Arbeitsplätze freihält.

1. § 6 bezieht sich also nur auf private Arbeitgeber. Für Behörden usw. besteht eine solche Einschränkung der Einstellungs­ pflicht nach dem Gesetz nicht. Vgl. dazu die Anm. 3 zu § 4. 2. Einzelne Arbeitgeber (Abs. 2) kann der Reichsarbetts­ minister nicht befreien. Vgl. auch die Vorbemerkung.

Befreiung von der Einstellungsverpflichtung usw. § 6.

113

3. Tie Hauptfürsorgestellen der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge sind die hauptsächlichsten Träger des Schwerbeschädigtengesehes. Ein Verzeichnis der Hauptfür­ sorgestellen ist unten S. 309 abgedruckt. Im übrigen s.die Anm.5 zu § 11. Die Entscheidungen der Hauptfürsorgestelle, die sie gem. § 6 trifft, unterliegen der Beschwerde beim Schwerbeschädigten­ ausschuß (§ 21). Vgl. hierzu die Entscheidung des Schwer­ beschädigtenausschusses bei der Hauptstelle der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (dieser entscheidet gem. § 23 nur in grundsätzlichen Fragen) v. 30.4.25: „Eine Einwirkung der Hauptfürsorgestelle auf die Höhe der Verpflichtung zur Einstellung von Schwerbeschädigten kann nur nach § 6 Abs. 2 Schwerbeschädigtengesetz erfolgen, und nur, wenn eine solche auf § 6 Abs. 2 begründete Anordnung oder Entscheidung vorliegt, ist eine Beschwerde hiergegen nach § 21 Schwerbeschädigtengesetz gegeben. Im übrigen ergibt sich die Zahl der Schwerbeschädigten, die ein Arbeitgeber zu beschäf­ tigen hat, unmittelbar aus dem Schwerbeschädigtengesetz in Verbindung mit der nach § 5 durch den Reichsarbeitsminister erfolgten Bestimmung deS Bruchteils von Arbeitsplätzen, den jeder private Arbeitgeber mit Schwerbeschädigten zu besetzen hat. Da bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 2 Schwerbeschädigten­ gesetz die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Forderungen des Schwerbeschädigtenschutzes möglichst in billiger Weise ausge­ glichen werden sollen, so werden bei einer Beschwerde in der Regel Zahl und Art der Arbeitsplätze des Arbeitgebers zur Zeit der Beschwerdeentscheidung dieser zugrunde gelegt werden müssen. Zahl und Art der Arbeitsplätze zur Zeit der Entschei­ dung I. Instanz durch die Hauptfürsorgestelle können dem­ gegenüber eine Rolle spielen bei einem Butzeverfahren nach § 18, für das die Höhe der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zeit des Verstoßes wesentlich ist Im Bußeverfahren ist aber dem Gericht die Entscheidung auch insoweit vorbehalten, als es sich um die Feststellung der Höhe der Einstellungsverpflich-

Lchneider, schwerbeschädigtengesetz.

8

114

Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

tung handelt, wobei selbstverständlich rechtskräftige Anord­ nungen nach § 6 Abs. 2 als konstitutive BerwaltungSakte zu berücksichtigen sind.- (Abgedructt ESchBG. S. 114 und RABl. 1925, S. 243.) Die Bestimmungen über die Befugnisse der Hauptfürsorge­ stelle Abs. 2 Satz 2 und 3 sind durch die Novelle von 1922 ein­ gefügt mit folgender Begründung: „Eine Befreiung einzelner Arbeitgeber von ihren Verpflichtungen zur Einstellung Schwer­ beschädigter war bereits bisher möglich. Die Hauptfürsorge­ stellen haben jedoch von dieser Befugnis nur verhältnismäßig selten und hauptsächlich dann Gebrauch gemacht, wenn die Ein­ stellung Schwerbeschädigter wegen der technischen Eigen­ art deS Betriebs (Betriebe mit ausschließlich weiblichen Arbeits­ kräften, Konfektion, Putz usw.) oder wegen der Unmöglichkeit, den Schwerbeschädigten Unterkunft zu verschaffen, sich nicht durchführen ließ. Um die Inhaber solcher Betriebe durch die Befreiung nicht vor andern Arbeitgebern zu bevorzugen, er­ schein es gerechtfertigt, die Befreiung in derartigen Fällen an Bedingungen zu knüpfen. Solche Bedingungen sind z. B. Einstellung von Kriegerwitwen oder von Frauen Schwer­ beschädigter, Ausgabe von Heimarbeit an Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene, Vergebung von Aufträgen an Werk­ stätten für Kriegsbeschädigte und sonstige Erwerbsbeschränkte. Die Zahlung von Geldbeträgen, wie sie da- österreichische Schwerbeschädigtengesetz als RegeNeistung vorsieht, sollte nur dann gewählt werden, wenn dem Arbeitgeber die Beschaffung von Arbeitsgelegenheit irgendwelcher Art nicht möglich ist." (B. S. 10.) 4. Im Gegensatz zu ganzen Berufsgruppen (Abs. 1). Vgl. auch die Vorbemerkung. 5. D. h. die Bestimmungen des RAMinisterS sowohl bez. des gem. § 5 allgemein (durch Ausführungsverordnung) als auch hinsichtlich deS gem. § 6 Abs. 1 anderweitig festgesetzten Bruchteile- von Arbeitsplätzen. Abs. 2 gilt also neben Abs. 1. 6. S. die Anm. 8.

Befreiung von der Einstellungsverpflichtung usw.

§ 6.

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7. S. Anm. 3.

Die Nichterfüllung einer Befreiungsauflage ist strafbar, (Urteil OLG. Königsberg v. 15.8.24, NZA. 1925, Sp. 751.)

8. Beispiele s. Anm. 3.

9. Während die Hauptfürsorgestelle gem. Abs. 2 im übrigen nur einzelnen Arbeitgebern Erleichterungen bez. der Ein­ stellungspflicht gewähren kann, ist hier eine für den ganzen Bezirk der Hauptfürsorgestelle geltende Bestimmung zugelassen. 10. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um sog. Saison­ betriebe. Die in diesen Betrieben Beschäftigten gehören nach dem BRG. zu den in §§ 11 und 12 daselbst aufgeführten Arbeit­ nehmern, ihre Arbeitsplätze sind also grundsätzlich (s. Hl Anm. 6) mitzuzählen. Zur Vermeidung von Härten kann also die HF St. diese Arbeitsplätze bei der Bestimmung des Einstellungssolls außer Betracht lassen.

Bezüglich der Behandlung der Saisonbetriebe im Rahmen der Vorschrift des Abs. 2 hat der Schwerbeschädigtenausschuß bei der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen­ versicherung (s. Anm. 3) folgende sehr beachtliche Entschei­ dungen getroffen: a) Nr. 13 v. 30. 4. 25: „ Die Frage, in welcher Höhe die stets schwankende Arbeitnehmerzahl der Saison­ betriebe bei der Berechnung der Pflichtzahl der einzustellenden Schwerbeschädigten in Ansatz zu bringen ist, kann von der Haupt­ fürsorgestelle nach § 6 Abs. 2 Satz 3 Schwerbeschädigtengesetz entschieden werden. Dabei ist die Lage des einzelnen Falles zu berücksichtigen. Eine allgemeine Anweisung läßt sich infolge­ dessen nicht geben. Zweckmäßig wird es vielfach sein, einen Durchschnittssatz des Jahres zugrunde zu legen, sei es berechnet nach der Zahl der im Durchschnitt des Jahres beschäftigten Arbeitnehmer, sei es nach der Zahl der geleisteten Arbeitstage." (ESchBG. S. 116 und RABl. 1925, S. 243.) b) Nr. 17 v. 1./9.6.26: „Ist bei der Berechnung der durchschnittlichen Arbeitnehmerzahl eines Saisonbetriebes das letztvergangene Kalenderjahr oder der Zeitraum eines Jahres vom Zeitpunkt

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Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter,

der an den Arbeitgeber gerichteten Einstellungsaufforderung rückwärts gerechnet zugrunde zu legen? Wie bereits in der Entscheidung Nr. 13 des Schwerbeschädig­ tenausschusses bei der Reichsarbeitsverwaltung ausgeführt, kann die Frage nur für bestimmte Fälle entschieden werden, nicht aber allgemein. Zwar sind nach § 6 Abs. 2 Satz 3 Schwer­ beschädigtengesetz grundsätzlich auch vorübergehend besetzte Arbeitsplätze für die Berechnung der Pflichtzahl mitzuzählen, sofern nicht die Hauptfürsorgestelle ihre Nichtanrechnung be­ stimmt; doch ergibt sich aus der Verpflichtung der Hauptfürsorge­ stelle, ihre Maßnahmen in möglichstem Einllang mit dem Wirt­ schaftsleben und der Wirtschaftlichkeit des betroffenen Betriebezu treffen, daß sie die Anrechnung vornehmen muß, wenn dienach Lage der Sache gerechtfertigt ist. Die Hauptfürsorgestelle hat sich also zu bemühen, das günstigste Mittel zwischen Schwerbeschädigtenschutz und Wirtschaftlichkeit des Betriebes ausfindig zu machen. Aus diesen Gründen kommt dem Zeitraum, aus dem die Durchschnittszahl der Arbeitnehmer berechnet werden soll, nur beschränkte Bedeutung zu. Bei Betrieben, deren Periode jährlich wiederkehrt, wird es gleich sein, ob das Kalenderjahr, das Wirtschaftsjahr oder das letzte Jahr seit Einstellungsaufforderung zugrunde gelegt wird; bei Betrieben, deren Periode kürzer oder länger als ein Jahr ist, wird man den Zeitraum einer Periode zugrunde legen müssen." (ESchBG. S. 116 und RABl. 1926, S. 202.) c) Nr. 19 v. 1./9. 6. 26: „ Sind bei der Berechnung der durchschnittlichen Arbeitnehmerzahl eineSaisonbetriebes zur Feststellung einer Durchschnittspflichtzahl an Schwerbeschädigten bei Zugrundelegung der Gesamtzahl an Arbeitstagen oder -stunden berussübliche Ausfälle, z. B. durch Naturereignisse, in Betracht zu ziehen? Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 Schwerbeschädigtengesetz liegt es im freien Ermessen der Hauptfürsorgestelle, nichtständige Arbeits­ plätze bei der Berechnung der Pflichtzahl abzusetzen. Sie hat also bei der pflichtmäßigen Prüfung der gesamten Verhältnisse

Befreiung von der Einstellungsverpflichtung usw.

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