Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich: Nebst den auf den Civilprozeß bezügl. Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen [6., verm. u. verb. Aufl. Reprint 2018] 9783111529059, 9783111160900


214 11 127MB

German Pages 1334 [1336] Year 1895

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Erklärung der wichtigsten Abkürzungen
Einleitung
Civilprozetzordnung
Erstes Buch. Allgemeine Bestimmungen
Zweites Buch. Verfahren in erster Instanz
Drittes Buch. Rechtsmittel
Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens
Fünftes Buch. Urkunden- und Wechselprozeß
Sechstes Buch. Ehesachen und Entiniindigmigssachen
Siebentes Buch. Mahnverfahren
Achtes Buch. Zwangsvollstreckung
Neuntes Buch. Aufgebotsverfahren
Zehntes Buch. Schiedsrichterliches Verfahren
Gesetz, betreffend die Einführung der Civilprozeßordnung
Gerichtsverfassnngsgesrtz
Einsührungsgesetz
Nachtrag
Sachregister
Recommend Papers

Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich: Nebst den auf den Civilprozeß bezügl. Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen [6., verm. u. verb. Aufl. Reprint 2018]
 9783111529059, 9783111160900

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Die

Kivitprozeßordnung für das

Deutsche Weich nebst

den mtf den Livilprozeß bezüglichen Sestimmungen des Gerichtsverfaffungsgefttzes und den Linführungsgesetzen erläutert von

Dr. I. Struckmann,

und

Wirklicher Geheimer Ober-Justizrath und Ober-LandeSgerichts-Präsident in Cöln.

Dr. R. Koch, Wirklicher Geheimer Rath, Präsident des ReichSbank-DirektoriumS.

Sechste, vermehrte und verbesserte Auflage.

Berlin SW.

48.

Wilhelmstraße 119/120.

I. Guttentag. Verlagsbuchhandlung. 1895.

Vorwort M ersten Äuflage.

Das Bedürfniß einer gemeinsamen Ordnung des. Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten war bereits zu einer Zeit, als noch der Deutsche Bund das jetzt geeinigte Deutschland lose verband, ein tief empfundenes und veranlaßte den Bundestag zur Niedersetzung einer Kommission in Hannover, welche freilich bei dem Fernbleiben Preußens von vornherein geringe Aussicht auf unmittelbar prak­ tischen Erfolg bot. Der Entwurf dieser Kommission und ein inzwischen in Preußen ausgearbeiteter Entwurf lagen den Berathungen der demnächst vom Bundesrathe des Norddeutschen Bundes berufenen Kommission zu Grunde. In dem aus beinahe dreijährigen Berathungen hervorgegangenen Entwürfe der Norddeutschen Prozeßkommission traten nicht minder, als in jenem der Kommission zu Hannover die im Schooße derselben waltenden Gegensätze der verschiedenen Rechtsgebiete, welche man in zahlreichen Kompromissen zu versöhnen gesucht hatte, deutlich zu Tage. Eine schärfere Ausprägung des diese Arbeiten beherrschenden Mündlichkeits­ oder richtiger Unmittelbarkeitsprinzips zeigt der sodann imspreußischen Justiz­ ministerium ausgearbeitete Entwurf. Wie dieser, im Wesentlichen auf dem Norddeutschen Entwürfe fußend, sich dessen Einzelarbeit in sorgfältiger Sichtung aneignete, so haben gerade die Einzelheiten in der demnächst vom Bundes­ rathe des Deutschen Reichs berufenen Sachverständigen-Kommission eine weitere Durchbildung erfahren. Der Kommissions-Entwurf ist wiederum in grundsätzlichen Punkten durch Beschlüsse des Bundesraths mehrfach modifizirt worden. In dieser neuen Gestalt wurde der Entwurf dem Reichstage vorgelegt, hierauf von der dazu erwählten Kommission des Reichstags im Ein­ zelnen durchberathen und bei grundsätzlicher Billigung mit manchen Aenderungen im Einzelnen angenommen — Vorgänge, welche noch in frischem Gedächtnisse sind. Der Hinweis auf diese Marksteine in der Geschichte der Civilprozeßordnung genügt, um in sprechender Weise ein Wort der „Allgemeinen Begrün­ dung" des letzten Entwurfs zu bestätigen: „Die Herstellung eines Reichsprozeß­ rechts für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ist ein Werk von außerordentlicher Schwierigkeit." Eine solche Entstehungsgeschichte und die dadurch bedingte Fülle der Materialien, noch mehr aber eine andere, innere Eigenschaft des Gesetzes, welche in derselben „Begründung" mit den Worten gekennzeichnet wird: „Die

IV

Vorwort.

neue Prozeßordnung erfordert einen Aufbau durch die Hand des Gesetzgebers vom Fundamente aus", erweisen die Nothwendigkeit eines Kommentars Verständniß der Civilprozeßordnung.

Zumal im Gebiete

für das

des Preußischen Rechts

wird das neue Gesetz mit seinen Prinzipien der Unmittelbarkeit und des selbständigen Prozeßbetriebs dem Praktiker zunächst fremdartig erscheinen und sich ihm nur durch eingehendes Studium erschließen.

Die Herausgeber, welche betn großen Werke seit

Jahren lebhaftes Interesse zugewendet haben und in dessen verschiedenen Stadien mehr oder weniger betheiligt gewesen sind, haben in dem vorliegenden Kommentar versucht, vor Allem dem Bedürfnisse der Praxis, mit besonderer Berücksichtigung jenes Rechtsgebiets genügen.

sowie

der gemeinrechtlichen Bezirke

innerhalb Preußens,

Der Schwerpunkt der Arbeit fällt daher nicht sowohl in

eine

zu

wissen­

schaftliche Ergrtzndung oder Beurtheilung der leitenden Grundsätze, wenngleich die Verbindung mit der Prozeßrechtswissenschaft nicht verabsäumt ist; unsere Ziele waren vielmehr die Sichtung und Verarbeitung der Materialien, insonderheit der ein­ schlagenden Stellen der Motive, jedoch unbeschadet unserer Selbständigkeit, ferner die Anknüpfung an das bestehende Recht und an die Praxis, namentlich in jenen Rechtsgebieten, der Nachweis

des Zusammenhangs

zerstreuter Bestimmungen,

die

Lösung naheliegender Zweifel, welche sich hauptsächlich bei Anwendung der Rechts­ regel „Reichsrecht geht vor Landrecht" zahlreich ergeben, kurz die Aufbietung aller Mittel zur

theoretisch-praktischen

Erläuterung

großen Schritt in das Leben noch vor sich hat.

eines Gesetzes,

welches

den

Erst der weitere Lebensweg des

Gesetzes wird auch unserem Kommentar, sofern er sich überhaupt

als

lebensfähig

erweist, reicheren Stoff zuführen. Abgesehen von dem Einführungsgesetze waren die den Civilprozeß

be­

treffenden Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und des zu diesem gehörigen Einführungsgesetzes, in ähnlicher Weise jedes für sich kommentirt, als unentbehrliche Ergänzung beizufügen. Eine kurzgefaßte historische Einleitung sowie ein ausführliches

Sach­

register sollen mit der letzten Lieferung ausgegeben werden. So mögen denn die deutschen Praktiker, für welche wir ein nützliches Hülfs­ mittel geschaffen zu haben hoffen, diesen Versuch mit Wohlwollen aufnehmen! Berlin im Februar 1877. Die Verfasser.

Vorwort jnr zweiten Auflage. Noch vor dem 1. Oktober 1879 hat sich Auflage unseres Kommentars ergeben.

die Nothwendigkeit einer

zweiten

Gesetzgebung und Wissenschaft sind inzwischen

vereint thätig gewesen, die mit jenem Tage anbrechende neue Periode der deutschen

Vorwort.

Rechtspflege weiter vorzubereiten.

V

Außer wichtigen Gesetzen, wie der Rechtsan­

waltsordnung, dem Gerichtskostengesetz u. s. w. waren daher die zahlreichen Kom­ mentare zur Civilprozeßordnung zu berücksichtigen, welche theils vollendet, theils ihrer Vollendung näher geführt worden sind. bereits begleitet die Civilprozeßordnung auf

Eine ganze Reihe von Streitfragen ihrem Wege in die Praxis.

Reben

zustimmenden Aeußerungen sind wir im Einzelnen mancher Polemik begegnet. Dem gegenüber haben wir nicht bloß an den

geeigneten Punkten Stellung

sondern uns zugleich bemüht, wo es nöthig erschien, in

genommen,

gedrängter Kürze

eine

Uebersicht der streitenden Lehrmeinungen zu geben, um für eigene Ansichten Stütz­ punkte durch Bezugnahme auf hervorragende Arbeiten Anderer zu gewinnen.

Roch

mehr als bisher haben wir auch an die ältere Prozeßrechtswissenschaft anzuknüpfen und so die vorgetragenen Sätze zu vertiefen gesucht.

In der Hauptsache aber stnd

wir der in der ersten Auflage befolgten Methode einer kurzen, hauptsächlich für die Praxis bestimmten Erläuterung treu geblieben.

Die Vielheit der Kommentare

rechtfertigt sich ja am besten durch die Verschiedenheit der möglichen Wege zu dem einen Ziel, die richtige Anwendung eines Gesetzes zu fördern, welches auf lange Zeit das Rechtsleben Deutschlands wesentlich, beeinflussen wird. Berlin im Februar 1879. Die Verfasser.

Vorwort zur sechsten Auflage.

Nachdem unser Kommentar bis zur sechsten Auflage vorgeschritten ist, dürfen wir ihn zu den wenigen zählen, welche sich in der deutschen Juristenwelt dauernd behauptet haben.

Wie er in der Praxis der Gerichte und Anwälte ein beliebtes

Hülfsmittel geblieben ist, so hat er in namentlich des Reichsgerichts stets gefunden.

der Rechtsprechung

der

höheren Gerichte,

aufmerksame, immer noch steigende Beachtung

Eine solche Arbeit durften wir nicht veralten lassen — eine Gefahr, der

gerade Kommentare besonders ausgesetzt sind.

Die Herausgabe einer neuen Auf­

lage war vielmehr um so nothweniger, als die Entwickelung des Civilprozeßrechts, vom Stillstand weit entfernt, inzwischen gerade in

den letzten Jahren durch

deutende, obschon noch unvollendete wissenschaftliche Werke wie

be­

die Systeme von

P lan ck und W ach, durch neue Auflagen anderer Kommentare sowie des Fitting'schen Lehrbuchs, durch zahlreiche Abhandlungen und besonders durch eine ungemein er­ giebige Rechtsprechung sehr gefördert worden ist. Material verarbeitet, Publikationen.

hat

somit

Jede neue Auflage, die dieses

einen erheblichen Vorsprung vor allen älteren

Wir sind nun bemüht gewesen, alles, was seit der vorletzten Auflage

VI

Vorwort.

in irgendwie beachtenswerthen Arbeiten erschienen ist, insbesondere aber die in den bekannten Sammlungen veröffentlichten Urtheile sorgsam zu sichten, und haben unsere eigenen Meinungen danach von Neuem geprüft und berichtigt. Beträchtlich ver­ mehrt sind daher die Literaturnachweise; auch manche unserer eigenen Ausführungen sind umfangreicher geworden. Trotzdem ist, da ältere Anführungen als entbehrlich weggelaffen sind und vieles gekürzt ist, der Raum im Ganzen nicht erheblich vergrößert. Bei unserer umfassenden Amtsthätigkeit ist uns die Hülfe einer jüngeren Kraft, des im Reichsjustizamte beschäftigten Gerichtsassesiors Dr. Struckmann, sehr willkommen gewesen, welcher wir neben der Sammlung und Bearbeitung eines Theils des neuen Stoffes manche werthvolle Anregung verdanken. Köln und Berlin im Mai 1895. Die Verfasser.

Inhalt. Einleitung

.

Seite I-XXVI

Civilprozeßor-nimg. Erstes Buch. Allgemeine Bestimmungen. Erster Abschnitt. Gerichte. Erster Titel. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte ....§§ 1-- 11 Seite 1— 11 Zweiter Titel. Gerichtsstand............................................................. 12-- 37 „ 11— 43 Dritter Titel. Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte „ 38-- 40 „ 44— 47 Vierter Titel. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen „ 41- - 49 „ 47— 54 Lwciter Abschnitt. Parteien. Erster Titel. Prozeßfähigkeil............................................................. 50-- 55 „ 54— 66 Zweiter %itel Streitgenossenschaft................................................. „ 56-- 60 „ 67- 74 Dritter Titel. Beiheiligung Dritter am Rechtsstreite ... „ Gi­ - 73 „ 75— 92 rierter Titel. Prozeßbevollmächtigte und Beistände .... „ 74-- 86 „ 93—108 Fünfter Titel. Prozeßkosten................................................................. „ 87--100 „ 109—129 Sechster Titel. Sicherheitsleistung.................................................. „ 101--105 „ 129—134 Siebenter Titel. Armenrecht......................................................„ 106- -118 „ 135-144 Iritter Abschnitt. Verfahren. Erster Titel. Mündliche Verhandlung......................................„ 119- -151 „ 144—185 Zweiter Titel. Zustellungen.................................................................„ 152 --190 „ 186-222 Dritter Titel. Ladungen, Termine und Fristen . . . . . „ 191--207 „ 223—238 Vierter Titel. Folgen der Versäumung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand........................................................................... „ 208--216 „ 238-247 Fünfter Titel. Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens „ 217--229 „ 248—263

Zweites Buch. Verfahren in erster Instanz. Erster Abschnitt. Verfahren vor den Landgerichten. Erster Titel. Verfahren bis zum Urtheil.................................„ 230 Zweiter Titel. Urtheil................................................................ „ 272Dritter Titel. Versäumnißurtheil.................................................„ 295 Vierter Titel. Vorbereitendes Verfahren in Rechnungssachen, Auseinandersetzungen und ähnlichen Prozessen............................. 313-

-271 294 -312

„ „ „

264—353 354—391 392—413

-319

w

414—421

VIII

Inhalt.

Fünfter Titel. Allgemeine Bestimmungen über die Beweis­ nahme ...................................................................................................§§ 320-335 Seite 422-435 Sechster Titel. Beweis durch Augenschein................................. „ 336—337 „ 435—437 Siebenter Titel. Zeugenbeweis.................................................... „ 338—366 „ 438—469 Achter Titel. Beweis durch Sachverständige............................. „ 367—379 „ 469—482 Neunter Titel. Beweis durch Urkunden.......................................„ 380—409 „ 483—514 Zehnter Titel. Beweis durch Eid........................................................... 410—439 „ 515—551 Elster Titel. Verfahren bei derAbnahme von Eiden . . . „ 440—446 „ 552-556 Zwölfter Titel. Sicherung des Beweises.................................. „ 447—455 „ 556—561 Zweiter Abschnitt. Verfahren vor den Amtsgerichten .... „ 456—471 „ 562—573 Drittes Buch. Rechtsmittel. Erster Abschnitt. Berufung........................................................................... Zweiter Abschnitt. Revision ................................................................ Dritter Abschnitt. Beschwerde......................................................................

472—506 507—529 530-540

„ „ „

574—618 619—648 649—664



665—681



682—701

568—592 „ „ 593—627 „

702—724 724—748

628—643 „

749—765

644—707 „

766—851

708—711 „ 712—728 „

851—861 862—881

729—754



882—917

755—757 758—768

„ „

918—921 922—930

769—779 „ 780—795 „ 796—822 „

930—949 950—959 960—994

Viertes Buch. Wiederaufnahme des Verfahrens..........................................................„

541—554

Fünftes Buch. Urkunden- und Wechselprozeß......................................................................

555—567

Sechstes Buch. Ehesachen und Entmündigungssachen. Erster Abschnitt. Verfahren in Ehesachen.........................................„ Zweiter Abschnitt. Verfahren in Entmündigungssachen . . . Siebentes Buch. Mahnverfahren.............................................................................................„ Achtes Buch. Zwangsvollstreckung. Erster Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen...................................„ Zweiter Abschnitt. Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen. Erster Titel. Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen. I. Allgemeine Bestimmungen................................................... ........ II. Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen.... „ III. Zwangsvollstreckung in Fordenmgen und andere Ver­ mögensrechte .................................................................................. Zweiter Titel. Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Ver­ mögen ......................................................................................................... Dritter Titel. Vertheilungsverfahren.............................................. ........ Dritter Abschnitt. Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Heraus­ gabe von Sachen und zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen ......................................................................„ Vierter Abschnitt. Offenbarungseid und Haft ................................... fünfter Abschnitt. Arrest und einstweilige Verfügungen . . . „

Inhalt.

IX

Neuntes Buch. Aufgebotsiierfahreil.................................................................. §§ 823—850 Seite 995—1020 Zehntes Buch. Schiedsrichterliches Berfahrcn......................................... „ 851—872 „ 1021—1042

Gesetz, betreffend die Einführung der Civttprozeßordnung

.

. §§

1— 23



1043—1072

1— 11 12— 21 22— 24 25— 57 58— 78 79— 99 100—118 119—124 125—141 142—153 154 155—156 157—169 170—185 186—193 194—200 201—204

„ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

1073—1085 1085—1104 1104—1111 1112—1115 1116—1131 1131—1133 1133—1151 1152—1154 1154—1161 1162—1163 1163—1164 1165—1167 1168-1182 1183—1192 1192—1196 1197—1203 1203—1207

Oerichtsverfassungsgesetz. Erster Titel. Richteramt.....................................................§§ Zweiter Titel. Gerichtsbarkeit..................................................„ Dritter Titel. Amtsgerichte........................................................ Vierter Titel. Schöffengerichte .................................................. Fünfter Titel. Landgerichte......................................................... Sechster Titel. Schwurgerichte............................................. „ Siebenter Titel. Kammern für Handelssachen....................„ Achter Titel. Oberlandesgerichte............................................. „ Neunter Titel. Reichsgericht..................................................„ Zehnter Titel. Staatsanwaltschaft.............................................. Elfter Titel. Gerichtsschreiber.......................................................... Zwölfter Titel. Zustellungs- und Vollstreckungsbeamte . . „ Dreizehnter Titel. Rechtshülfe................................................... .Vierzehnter Titel. Oeffentlichkeit und Sitzungspolizei . . . „ Fünfzehnter Titel. Gerichtssprache.............................................. Sechzehnter Titel. Berathung und Absümmung .... „ Siebenzehnter Titel. Gerichtsferien..............................................

Einführungsgesetz ZUM

Gerichtsversaffungsgesetze...........................................§§

1—22



1209—1224

Nachtrag........................................................................................................ ....... 1225-1240 Sachregister................................................................................................... „ 1241—1296

Erklärung der wichtigsten Abkürzungen. A. Unter dem Text. N. Entw. — Entwurf einer Civilprozeßordnung für den Norddeutschen Bund. Berlin 1870. Entw. I. — Entwurf einer deutschen Civilprozeßordnung nebst Begründung. Im Königl. Preuß. Justizministerium ausgearbeitet. Berlin 1871. Entw. II. — Entwurf einer Deutschen Civilprozeßordnung. Berlin 1872 (nach den Beschlüssen der Sachverständigen-Kommission). Entw. III. = Entwurf einer Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich. Berlin 1874 (nach den Beschlüssen des Bundesraths dem Reichstage vorgelegt). Mot. — Begründung des Entw. III (Drucksachen des Reichstags. II. Legislaturperiode. 2. Session 1874—1875. Zu Nr. 6) *). Prot. = Protokolle der Justizkommission des Deutschen Reichstags. Berlin 1876. Sitzung 161—174 — desgleichen **).

B. In den Anmerkungen: GBG. — Gerichtsverfassungsgesetz CPO. — Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich. StPO. — Strafprozeßordnung KO. — Konkursordnung ) EG. z. GBG. — Einführungsgesetz z. GBG. EG. z. CPO. = „ „ CPO. EG. z. StPO. = „ „ StPO. RAO. — Rechtsanwaltsordnung GKG. — Gerichtskostengesetz GO. f. GB. — Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher für das Deutsche Reich. GO. f. Z. u. S. — Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige GO. f. RA. — Gebührenordnung für Rechtsanwälte RTK. — Justiz-Kommission des Reichstags. HGB. = Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch. WO. — Allgemeine Deutsche Wechselordnung. StGB. — Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Preuß. AG. z. GBG. — Preußisches Ausführungsgesetz zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetz. Preuß. AG. z. CPO. — Preußisches Ausführungsgesetz zur Deutschen Civilprozeßordnung. N. E. = Entw. einer Civilprozeßordnung für den Norddeutschen Bund (s. oben unter A.). Nordd. Prot. = Protokolle der Norddeutschen Civilprozeß-Kommission. H. E. = Entw. einer allgem. Civilprozeßordn. f. d. Deutschen Staaten. Nach den von der Deutschen Civilprozeßkommission zu Hannover bei der zweiten und letzten Lesung gefaßten Beschlüssen. Hannover 1866. Hann. Prot. = Protokolle der Kommission.zu Hannover. P. E. = Entwurs einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für die Preuß. Staaten. Berlin 1864. Preuß. AGO. — Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten. Preuß. ALR. — Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Hann. PO. — Allgemeine bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover vom 8. No­ vember 1850. Bayer. PO. — Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern. München 1869. Württ. PO. — Civilprozeßordnung für das Königreich Württemberg vom 3. April 1666. Bad. PO. = Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Großherzogthum Baden vom 18. März 1864. Struckmann u. Koch, Preuß. AG. — I. Struckmann u. R. Koch, Die Preußischen Aus­ führungsgesetze zu den Reichsjustizgesetzen. Berlin 1879. I. Guttentag. Erg. Heft. — Ergänzungsheft. Berlin 1881. I. Guttentag. Die Hand- und Lehrbücher von Wach, Planck, Wetzell (3. Aufl.) und Renaud (2. Ausl.), Man dry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze. 3. Aufl. Freiburg 1885, Fitting, Der Reichs-Civilprozeß. 7. Aufl. Berlin 1890 (die 8. Aufl. ist ein un*) In den abgedruckten Stellen der Motive sind die Paragraphen des Entwurfs in diejenigen des Gesetzes umgewandelt. **) Die Prot, dieser letzten Sitzungen sind mit besonderen Seitenzahlen gedruckt.

veränderter Abdruck der 7.), Bolgi ano, Handbuch des Reichs-Civil-ProzeßrechtS, sowie die Kommentare zur Civilprozeßordnung (siehe unten S. XXXV, XXXVI) sind meistens lediglich nach den Namen ihrer Verfasser in den neuesten Auflagen angeführt; desgl. die Lehrbücher des Preuß. Privatrechts von Förster (Eccius) 6. Aust, und Dernburg Bd. 1 in 5., Bd. 2 in 4., Bd. 3 in 3. Aust. Die römischen Ziffern bezeichnen die Bände. Das Lehrbuch von Hellmann ist zum Unterschiede von dessen Kommentar bezeichnet als „Hellmann, Lehrb." unter Angabe der Seite. v. Holtzendorff, Rechtslexikon. 3. Aust. Leipzig 1881 — Rechtslex.".

Sammlungen von Rechtssprüchen. RG. — Entscheidungen des Reichsgerichts. Herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofs. Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen. Leipzig 1880 und ff. Verlag von Veit & Comp. RG. i. StrS. — Entscheidungen :c. (wie vor). Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. Leipzig 1880 u. ff. Verlag von Veit & Comp. Rechtspr. d. RG. i. StrS. — Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen. Her­ ausgegeben von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft. Bd. 1—10. München u. Leipzig 1879—1888. R. Oldenbourg. ROHG. — Entscheidungen des Bundes-, später Reichsoberhandelsgerichts. Herausgegeben von den Räthen des Gerichtshofs. Bd. 1—25. Stuttgart 1871—1880. Ferd. Enke (Bd. 1-8 in 2. Aust. 1872—1879). S. A. — I. A. Seuffert's Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den Deutschen Staaten. Herausgegeben von H. F. Schütt. München u. Leipzig. R. Olden­ bourg. Blum, Ann. = Annalen des Reichsgerichts. Sammt, aller wichtigen Entscheidungen u. s. w. Unter Mitwirkung von K. Braun herausgegeben von H. Blum. Leipzig 1880 u. ff. Blum, Urth. u. Ann. = Urtheile u. Annalen, herausgeg. v. Hans Blum. Berlin 1885, 1886. Mecke, Arch. = Archiv f. die civilrechtlichen Entsch. des Reichsgerichts für die gemeinrechtlichen 'Gebiete Deutschlands, herausgeg. von G. Fenner und H. Mecke. 3 Bde. Berlin 1880—1883. Entsch. d. OT. = Entscheidungen des Königl. Obertribunals, herausgegeben in amtlichem Auf­ träge von den Obertribunals-Mitgliedern (zuletzt Sonnenschmidt, Clauswitz u. Hahn). Bd. 1—83. Berlin. Carl Heymanns Verlag. Striethorst, Arch. — Archiv für Rechtfälle, die zur Entscheidung des K. Obertribunals gelangt sind. Herausgegeben u. red. von Th. Striethorst, Landgerichtürath. Bd. 1—100. Berlin. I. Guttentag.

Zeitschriften: Busch, Z. — Zeitschrift für Deutschen Civilprozeß. Herausgegeben von H. Busch, jetzt von M. Schultzenste in u. F. Vier haus. Berlin. Carl Heymann's Verlag. Civ. Arch. = Archiv für die civilistische Praxis. Jetzt herausgegeben von Franklin, Mandry, Mendt, Bülow, v. Kohlhaas. Frelburg i. B. u. Tübingen. I. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Gruchot — Beiträge zur Erläuterung des Deutschen (früher: des Preußischen) Rechts, in be­ sonderer Beziehung auf das Preußische Recht, mit Einschluß des Handels- und Wechsel­ rechts (früher mit dem Zusatze: durch Theorie und Praxis). Begriindet von Dr. I. A. Gruch ot. Jetzt herausgegeben von Rassow u. Küntzel. Berlin. Verlag von Franz Vahlen (früher Grote). 1857 u. ff. Bödiker, Mag. — Bödiker, Magazin für das deutsche Recht der Gegenwart. Bd. 1—8. 1881 u. ff. Hannover. Helwing'sche Verlagsbuchhandlung. Sächs. Arch. — Sächs. Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß. Herausgegeben von Ho ff mann u. Mulfert. Leipzig. Roßbergsche Hof-Buchhandlung. I. M. — Juristische Wochenschrift. Organ des Deutschen Anwalt-Vereins, herausgegeben von S. Haenle und I. Johannsen, später A. Lüntzel, dann M. Kempner. Berlin 1872 u. s. w. D. I. Ztg. — Deutsche Juristenzeitung. Herausgegeben von Fr. Wallmann. Charlottenburg 1877 u. s. w.

Einleitung. i.

Seit dem vierzehnten Jahrhundert war in Deutschland mit dem Eindringen der fremden Rechte an Stelle des alten öffentlichen und mündlichen Ver­ fahrens vor Volksgerichten (Schöffengerichten) *) unter dem Einflüsse der italieni­ schen Praxis ein dem kanonischen Prozesse nachgebildetes, heimliches und schriftliches Verfahren vor ständigen, zum Theil mit Rechtsgelehrten besetzten Gerichten in den Gerichtsgebrauch übergegangen12).3 4Auf dieser Grundlage beruhte namentlich das Verfahren bei dem im Jahre 1496 zum Schutze des gleichzeitig verkündeten ewigen Landfriedens errichteten Reichskammergerichts, welches, durch die Reichskammergerichtsordnungen positiv geregelt, wiederum das Vorbild für zahlreiche Landes-Prozeßordnungen, zumal des südlichen und westlichen Deutsch­ lands, wurde2). Richt bloß, um den immer lauter werdenden Klagen über die Langsamkeit des sich mühselig durch drei Instanzen hinschleppenden Prozesses zu begegnen, sondern auch vielfach angeregt und bestimmt durch die namentlich in Sachsen lebendige Opposition des einheimischen Rechts^), unternahm der Jüngste Reichsabschied (von 1654) eine umfassende Reform des Civilprozesses. Das Wichtigste war die Aufhebung der alten „Positionen" oder „Artikel" (§§. 34, 37) und die Verschärfung der sog. Eventualmaxime (§§. 37, 45 ff.). Auch hinsichtlich des Beweises wurden Bestimmungen getroffen, aus welchen die ge­ meinrechtliche Anerkennung des im sächsischen Prozesse ausgebildeten Beweisinter­ lokuts erwachsen ist. Diese Reformen bildeten den Ausgangspunkt einer neuen Entwickelung des Civilprozeßrechts. Bei aller logischen Folgerichtigkeit blieb jedoch das auf dem Jüngsten Reichsabschied fußende, von der Praxis und einer reichhaltigen Doktrin bis in die feinsten Einzelheiten ausgebildete, nunmehr rein schriftliche Verfahren äußerst langsam und schwerfällig und vermochte weitaus nicht, den Ansprüchen der Rechtsuchenden zu genügen5). Auch die partikulären Prozeßordnungen, welchen 1) Unger, D. altdeutsche Gerichtsverfassung. Göttingen 1842. Maurer, Gesch. des altdeutschen u. namentlich allbayrischen Gerichtsverfahrens. Heidelberg 1824. v. BethmannHollw eg, D. Civilprozeß des gern. Rechts in geschichtlicher Entwickelung. IV. Bonn 1868. V 1 (1871). Planck, D. deutsche Gerichtsverfahren im Mittelaller. Braunschweig 1879. I S. 123 ff., 133 ff. Schultze, Privatrecht u. Prozeß in ihrer Wechselbeziehung. Freiburg u. Tübingen 1883. I S. 97 ff. 2) Mittermaier im civ. Arch. 11 S. 124 ff. 3) Wetzell S. 6, 7; v. Bar in v. Holtzendorff, Encyklopädie der Rechtswissenschaft 5. Aufl. S. 782. 4) Wetzell S. 22 ff., v. Bar a. a. O. 5) Eine treffende kurze Kritik des gemeinrechtlichen Verfahrens s. bei Wach I S. 131 ff.

XIV

Einleitung.

fortan die gesetzliche Fortbildung des Civilprozesses zufiel^), suchten wohl im Einzelnen zu bessern, verharrten jedoch in allen wesentlichen Punkten bei den Grundgedanken des gemeinen schriftlichen Prozesses und konnten dessen Haupt­ mängeln somit nicht entgehen. Erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts zeigt sich mit dem allgemeinen Aufschwungs des geistigen Lebens in Deutschland auch auf diesem Gebiete eine frischere Bewegung, und es beginnt eine Reform­ periode, die erst jetzt ihren Abschluß gefunden hat. II.

Einen eigenthümlichen Weg schlug die Reform des Civilprozesses in Preußen ein. Friedrich der Große hatte darauf sogleich nach seinem Regierungsantritte sein Augenmerk gerichtet. Während aber das bald nach Ertheilung eines unbe­ dingten Privilegium de non appellando et evocando (ü. 31. Mai 1746) unterm 3. April 1748 als allgemeine Prozeßordnung für das ganze Land publizirte Projekt eines Codicis Fridericiani Pommeranici (von Cocceji) noch eine sehr nahe Verwandtschaft mit dem gemeinen Civilprozeßrecht ausweist^), liegt dem (von v. Carmer entworfenen) mittels Patents vom 26. April 1781 unter dem Titel „Corpus juris Fridericianum. Erstes Buch von der Prozeßordnung" publizirten Gesetze (das Civilrecht sollte das zweite Buch bilden) und der revidirten zweiten Ausgabe dieses Gesetzes, der Allgemeinen Gerichtsordnung vom 6. Juli 1793, ein von den Grundsätzen des gemeinen Prozeßrechts abweichendes Prinzip, die sog. Jnquisitionsmaxime, zu Grunde. Der Richter sollte, ohne an die Grund­ sätze von der Beweislast und an die Angaben der Parteien gebunden zu sein, von Amtswegen durch persönliches Verhandeln mit den Parteien oder deren Vertretern^) die materielle Wahrheit ermitteln. Der Versuch entsprach nicht den anfänglich hoch gespannten Erwartungen. Das Jnstruktionsverfabren der Allgemeinen Gerichtsordnung erwies sich bald als schleppend und haltlos e). Die Gesetzgebung der Jahre 1833 und 1846") knüpfte daher, zuerst zögernd auf sachlich beschränktem Gebiete, nachher allgemein, durch Einführung der Verhandlungs- und der Eoentualmaxime wieder an den gemeinen Prozeß an, näherte sich aber andererseits dem Grundsätze der Mündlichkeit, indem sie dem schrift­ lichen Vorverfahren eine mündliche Schlußverhandlung hinzufügte. Dieses Verfahren ist demnächst in den Jahren 1849, 1851 und 1867 auf gemeinrecht­ liche Gebiete ausgedehnt"). Die Grundzüge sind folgende"): 6) Linde, Lehrb. des gern. deutschen Civ.-Proz. 7. Ausl. Bonn 1850. § 29. 7) Vgl. C. F. Koch, Preuß. Civilprozeß. 2. Ausg. Berlin 1855. S. 81, 101 ff. Freilich sollte der Prozeß mit,einem mündlichen Vorverfahren vor dem Kollegium anfangen. 8) Der ursprüngliche Zwang zum persönlichen Erscheinen ist schon durch Verordnung v. 20. Sept. 1783 abgeschafft. 9) Vgl. Koch a. a. O. S. 106ff. Goetze, D. neueste Preuß. Civilprozeßgesetz vorn 21. Juli 1846. Berlin 1846. S. 17. Mot. z. CPO. (Entw. 111) S. 6. Abegg, Versuch einer Geschichte der Preuß. Civilprozeßgesetzgebung. Breslau 1848. 10) Verordn, v. 1. Juni 1833 (GS. S. 33) u. v. 21. Juli 1846 (GS. S. 291). 11) Verordn, v. 21. Juli 1849 (GS. S. 307), v. 30. April 1851 (GS. S. 188) u. v. 24. Juni 1867 (GS. S. 885). 12) Vgl. Mot. z. CPO. S. 12. Eine Kritik dieses Verfahrens s. das. S. 13—15. Ueber den Gegensatz zur reinen Mündlichkeit und gewisse Vorzüge beider Systeme s. auch Glaser,

Die Klage wird dem Gericht eingereicht, welches sie materiell und formell prüft. Ist nichts zu erinnern, so wird der Beklagte unter Benachrich­ tigung des Klägers zur Klagebeantwortung aufgefordert. Dieser kann nöthigenfalls noch Replik und Duplik folgen. Ist die Instruktion geschloffen, so erfolgt von Amtswegen Ladung beider Parteien in eine Sitzung des Gerichts. Hier giebt zunächst ein Mitglied eine Darstellung der Sachlage nach Maßgabe der Schriften bezw. Protokolle auf Grund eines schriftlichen Referats. Sodann werden beide Parteien zum Worte verstattet. Wie die Klage, so bestimmen auch die übrigen Schriften die Grenzen des Rechtsstreits. Thatsächliche Anführungen, die nicht in der dafür bestimmten Schrift enthalten sind, gehen für die Instanz verloren. Anführungen des Gegners und von ihm produzirte Urkunden, worüber in dem nächsten Schriftsätze bezw. Protokolle eine Erklärung nicht erfolgt, gelten als zugestanden bezw. anerkannt. Die Antretung der Beweise kann mit den betreffenden Anführungen ver­ bunden werden. Sie muß spätestens in der mündlichen Verhandlung geschehen, soweit es sich nicht um eine Eideszuschiebung oder solche Beweismittel handelt, die sich erst aus der stattgefundenen Beweisaufnahme ergeben haben. Rach erfolgter Beweisaufnahme, welche das Gericht ebenfalls von Amts­ wegen bewirkt, werden die Parteien aufs Reue in die Audienz geladen unter der (nur monitorischen) Verwarnung, daß angenommen werde, der Ausbleibende habe zur Unterstützung seiner Behauptungen und Anträge nichts mehr anzuführen. Die Entscheidung ergeht alsdann nach Lage der Akten. Dieselben Grundsätze beherrschen die oberen Instanzen. III. Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat auch der französische Prozeß des Code de procedure civile (1806) in Deutschland erheblichen Einfluß erlangt, da er, abgesehen von den Umständen seiner Einführung, manchen von Alters her überlieferten germanischen Rechtsgedanken enthält und bei allen Mängeln doch in wesentlichen Punkten die Haupt-Nachtheile des gemeinrechtlichen Verfahrens oermeibet1®); bis zum 1. Oktober 1879 ist er geltendes Recht in den links­ rheinischen Gebieten Preußens sowie in Elsaß-Lothringen und in Rheinheffen geblieben14). Er steht in engem Zusammenhange mit der eigenthümlichen Gerichts­ verfassung Kollegialisch gestaltete Gerichtshöfe (die ordentlichen Gerichte) be­ stehen nur in größeren Städten; daneben für Handelssachen ausschließlich mit Kaufleuten besetzte Handelsgerichte; im Uebrigen Friedensgerichte (Einzelrichter). Reben den Gerichten steht die Staatsanwaltschaft (öffentliches Ministerium) als Aufsichtsbehörde für die gesammte Rechtspflege. Ihr fällt die Korrespondenz Gesammelte kleinere Schriften. Wien 1868. II S. 295 ff.; Dernburg, Abhandlungen. Frankfurt a. M. 1849. S. 243 ff.; v. Holzschuher, D. Rechtsweg. Nürnberg 1831. 13) Vgl. Wach I S. 135 ff. 14) Auch die am 15. Dez. 1815 publizirte Handelsgerichtsordnung für Hamburg Art. 19 verordnet, datz die Sachen von den Parteien mündlich verhandelt werden, falls das Gericht nicht ein schriftliches Verfahren vorzieht (vgl. die Schrift: D. Errichtung des Handelsgerichts in Hamburg. Hamburg 1866). Ebenso wurde in der preuß. Provinz Posen durch die (später abgeschaffte) Verordn, v. 9. Febr. 1817 (GS. S. 37) ein im Wesentlichen mündliches Verfahren eingeführt.

XVI

Einleitung.

mit in- und ausländischen Behörden zu. Ihre Beamten müssen in jeder Sitzung des Gerichts gegenwärtig sein und darüber wachen, daß das Gesetz befolgt werde. Sie geben motivirte Gutachten ab und müssen in den vom Gesetze bezeichneten Fällen ihre Anträge stellen. Den Verkehr unter den Parteien besorgen theils die Anwälte, theils die Gerichtsvollzieher, selbständige Beamte, welchen auch die Vollstreckung der Urtbeile anheimfällt 18). Eine gerichtliche Prozeßleitung ist dem französtschen Prozesse unbekannt. An das Gericht gelangt eine Streitsache erst nach beendetem Schriftwechsel. „Wenn der Beklagte auf die vom Kläger ohne Mitwirkung des Gerichts an ihn gerichtete Aufforderung einen Anwalt bestellt hat, so können zwischen den Parteien Schriftsätze (defense, reponse) gewechselt werden, welche dem Gerichte fremd bleiben. Ist dieser Schriftwechsel erledigt oder als erledigt anzusehen, so hat der fleißigere Theil den Gegner in eine Gerichtssitzung Zu laden, welche nicht zur mündlichen Verhandlung, vielmehr nur zur Einleitung derselben bestimmt ist. Die Einleitung der mündlichen Verhandlung erfolgt aber dadurch, daß die Anwälte ihre motivirten Konklusionen (Gesuche und deren Begründung) verlesen und dieselben bei dem Gerichte hinterlegen. Die Anwälte können im Verlaufe der mündlichen Verhandlung ihre motivirten Konklusionen ändern, müssen aber die Abänderungen schriftlich zum Sitzungsprotokoll überreichen. Das Verlesen der motivirten Konklusionen ist ein sehr bedeutungsvoller Akt. Mit diesem Akte wird die Sache dergestalt kontradiktorisch, daß kein Versäumnißurtheil ergehen kann, auch wenn der Anwalt in der zur mündlichen Verhandlung der Sache bestimmten Sitzung nicht er­ scheint. Die Sache erscheint mit diesem Akte aber auch zur Entscheidung reif (en etat), so daß die Urtheilsfällung durch eine in der Zwischenzeit in der Person der Partei oder ihres Anwalts eintretende Aenderung nicht gehindert toirb10)."

So liegt in den conclusions motivees ein sehr starkes schriftliches Ele­ ment, durch welches die mündliche Verhandlung (xlaiäoirie) unter Umständen sogar entbehrlich gemacht werden tönn17). An die Konklusionen knüpft sich auch die mündliche Verhandlung, zu der jede Partei die andere demnächst zu laden berechtigt ist. Indessen wurden sie bei den meisten rheinischen Gerichten ohne die Begründung verlesen 18). Die Beweisaufnahme verliert im französischen Prozesse durch die sog. Formalisirung der Beweise (Beschränkung des Zeugenbeweises u. s. w.) an Be­ deutung. Wo eine Beweisaufnahme erforderlich wird, bildet sie einen getrennten Abschnitt des Prozesses, dessen Betrieb ebenfalls den Parteien anheimfällt. Dieser Abschnitt wird zwar durch ein nach Art des Urtheils mit Gründen versehenes Interlokut von dem vorangegangenen Verfahren getrennt19); es bindet aber weder das Gericht noch die Parteien; für Letztere gilt keine Eventualmaxime. 15) Ueber die Geschichte u. das Wesen der franz. Gerichtsverfassung s. Boitard, Legons de proc. civ. Ed. 12. Paris 1876. I p. 3 sqq.; Perrot, Verfassung, Zuständigkeit u. Ver­ fahren der Gerichte der preuß. Rheinprovinzen in bürg. Rechtssachen. Thl. 1. Trier 1842; Schlink, Komm, über die franz. Civ.-Proz.-Ordn. 2. Aufl. Bd. 1 Buch 1. Coblenz 1856. 16) So die Mot. z. CPO. S. 16. 17) Der Referent der belgischen Revisionskommission bezeugt, daß man sich in einfachen Sachen auf die Vorlesung der Konklusionen und die Hinterlegung der Manualakten (dossiers) statt der gesetzlich vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung des Streits zu beschränken pflege — s. Revue de droit intern. 1870 II p. 221. Vgl. auch Schlink a. a. O. Bd. 2 S. 558 in Verb. mit Bd. 1 S. 272 ff.; P. E. §§ 241, 341, 342; weniger scharf Bayer. PO. §§ 229 ff. 18) Vgl. Mot. z. CPO. S. 17. 19) Vgl. Mot. z. CPO. S. 33; Schlink a. st. O. Bd. 2 S. 351 ff.

XVII

Einleitung.

Nach erhobenem Beweise können die Parteien einander wieder zur mündlichen Verhandlung laden, auf welche das Urtheil ergeht22). Während man am Rhein im Ganzen von der Vortrefflichkeit der in Folge der französischen Awischenregierung überkommenen Einrichtungen überzeugt blieb, findet in Frankreich schon seit länger als 40 Jahren eine lebhafte Reformbewegung statt, welche freilich zu einer neuen Civilprozeßordnung noch nicht geführt tmt41). Eine scharfe Kritik des franz. Prozesses enthalten auch die Motive zur Genfer Prozeßordnung vom 29. September 181922) und die des Belgischen Entwurfs einer bürgerlichen Prozeßordnung22). In Deutschland fanden diese Vorgänge sorg­ fältige Beachtung (vgl. IV, V). IV. Mit betn Jahre 1850 beginnt, getragen von dem allgemeinen Verlangen nach Mündlichkeit und Oeffentlichkeit, eine Reihe von Partikulargesetzen, welche die Gedanken des französischen Prozesses vielfach in sich aufgenommen und mehr oder weniger mit denen des gemeinen Prozeßrechts zu verschmelzen gesucht haben"). Von besonderer Bedeutung ist die Bürgerliche Prozeßordnung des vor­ maligen Königreichs Hannover vom 8. November 185026), welche wiederum in manchen Punkten auf die Genfer Prozeßordnung als Quelle zurückweist. „In der Hannoverschen Prozeßordnung ist der Versuch gemacht worden, ein Verfahren herzustellen, welches auf den Grundlagen des gemeinen deutschen Prozesses das große freigestaltete Prozeßprinzip der Unmittelbarkeit der Verhandlung eines Rechtsstreits vor dem erkennenden Gerichte mit seinen Konsequenzen in sich aufnimmt. Fundamental--------ist, daß das Haupt­ verfahren in zwei Abschnitte zerfällt, von denen der erstere die Behauptungen der Parteien, der zweite den Beweis der bestrittenen Behauptungen zum Gegenstände hat; daß diese beiden Ab­ schnitte getrennt und gegen einander abgeschlossen werden durch eine richterliche Verfügung, in welcher nach Prüfung des von den Parteien vorgelegten Prozeßstoffs diesen eröffnet wird, was und von wem zu beweisen sei; daß diese richterliche Verfügung im Sinne des deutschen Prozeß­ rechts ein Urtheil ist, unabänderlich für die Instanz, in welcher sie erlassen ttmröe.26) 20) Vgl. Schlink a. a. O. Bd. 2 S. 368 ff., 460ff. 21) Unter den Reformschriftstellern sind namentlich zu nennen: Regnard, De Vorgani-

sation judiciaire et de la proc. civile en France. Paris 1855. Seligmann, Quelles son$. au point de vue juridique et au point de vue philosophique les reformes dont notre proc. civ. est susceptible? Reims 1855. Raymond Bordeaux, Philosophie de la proc. civile. Paris 1857. Vgl. ferner: De la reforme du Code de proc. civile etc. Paris 1868. S. auch Leonhardt, Zur Reform des Civilproz. in Deutschland. S. 85 ff.

Erster Beitrag.

Hannover

1865.

22) Beliot, Loi sur la proced. civ. du canton de Geneve. II. Edit. Paris 1837. 23) Allard, Rapport, exposant les motifs du Projet. Doc. pari. Session 1869/70. Tit 1 des Livre präliminaire (in 3 Kap. u. 56 Art.), von der sachlichen und örtlichen Zuständig­ keit in streitigen Rechtssachen handelnd, ist als Gesetz vom 25. März 1876 publizirt. Vgl. Bormans, Code de proc. Beige. Commentaire legislatif et doctr. 2. ed. Bruxelles 1877. Supplement. Bruxelles 1878. 24) Vgl. die Aufsätze v. Mittermaier im civ. Arch. 43—50; v. Arnold, D. Umge­ staltung des Civilproz. in Deutschland. Nürnberg 1663. 25) Vgl. Leonhardt, D. bürg. Prozeßordn, und deren Nebengesetze. 4. Aust. Han­ nover 1867. 26) Mot. z. CPO. S. 9. Struckmann u. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Aufl.

II

XVIII

Einleitung.

Das Verfahren leidet indessen an einer gewissen Zwiespältigkeit. Auf der einen Seite hat es die freien Formen des mündlichen Verfahrens in sich aufgenommen; auf der anderen Seite ist es vielfach in der Art des schriftlichen gebunben27). Die Schriftsätze, welche der mündlichen Verhandlung vorausgehen, haben eine lediglich vorbereitende Bedeutung. Was von deren Inhalt nicht mündlich vor­ getragen ist, darf nicht berücksichtigt werden, und alles mündlich Verhandelte ist zu berücksichtigen, auch wenn es nicht in den Schriftsätzen enthalten ist. Anderer­ seits ist die Eventualmaxime, welche innerhalb des ersten der beiden Prozeßab­ schnitte nicht gilt, im Verhältnisse des einen Abschnitts zum anderen streng festzuhalten, und die Versäumnißfolgen sind in beiden Abschnitten durchgreifend verschieden22). Der Prozeßbetrieb ist nicht in dem Umfange des französischen Prozesses den Anwälten und den Gerichtsvollziehern überlassen; vielmehr gelangt die Sache von vornherein durch Anberaumung eines Termins nach Erhebung der Klage in die Hände des Gerichts, und auch im Laufe des Prozesses wird vielfach durch Ansetzung der Termine von Amtswegen dafür Sorge getragen, daß — im Gegen­ satze zu dem französischen Desaisirungsprinzipe — die Sache möglichst beim Ge­ richte anhängig bleibe. Der Hannoversche Prozeß, welchem eine der französischen in vielen Punkten nachgebildete Gerichtsverfassung entspricht, erregte in Deutschland große Aufmerk­ samkeit22). Mehr gemeinrechtlichen Traditionen schließt sich die Braunschweigische Civilprozeßordnung vom 19. März 1850 an. Die mündliche Verhandlung hat hier, wie in dem Prozeßgesetze für Lübeck vom 28. April 1862, nur den Karakter einer bloßen Schlußverhandlung22). Ein der ersteren nahestehender Versuch, die Schriftlichkeit mit der Mündlichkeit zu verbinden, ist das Oldenburgische Prozeßgesetz vom 2. November 1857, welches im Vergleiche mit dem Hannoverschen Pro­ zesse das Gebiet der Schriftlichkeit erweitert"). Entschieden auf dem Mündlichkeits­ prinzip dagegen beruht die Badische Prozeßordnung vom 28. März 186 4 22). In Bremen, wo vorübergehend, wie in Hamburg, französisches Recht gegolten, in der Gerichtsordnung von 1820 aber nur die Privatladung sich erhalten hatte, wurde durch Verordnung vom 24. Mai 1864 ebenfalls die Mündlichkeit eingeführt. Auch die Württembergische Prozeßordnung vom 3. April 1868, die Oester­ reichischen Entwürfe (1861, 1867 und 18 76)23) und der (unvollendete) Großh. Hessische Entwurf (1867) sowie in manchen Punkten der K. Sächsische Entwurf (1864) sind Mündlichkeitsordnungen, deren nahe Beziehungen zu der bei ihrer Bearbeitung — allerdings theilweise nur als entferntere Quelle (s. unten V) 27) Vgl. Wach I S. 140. 28) Vgl. Mot. z. CPO. S. 16, 19 ff. 29) Vgl. cio. Arch. 33 S. 119 ff., 37 S. 442 ff., 43 S. 314 ff., 44 S. 100 ff., 341 ff., 45 S. 27 ff., 46 S. 48ff.; Planck in Krit. Vierteljahrsschr. IV S. 242 ff. 30) Vgl. Wach I S. 137 ff. 31) Vgl. die Vordem, in der Ausgabe mit Erläuterungen von Becker. Oldenburg 1859; Wach I S. 141. 32) Vgl. über die dortige Entwickelung v. Freydors, Erläut. der Prozeßordn. Heidelberg 1867. S. 62ff. u. Wach I S. 141 ff. 33) Den Letzteren vergleichen mit der CPO.: v. Bar in Grünhut, Zeiischr. f. d. Privatu. öff. R. d. Gegenwart IV S. 593 ff., v. Canstein, D. .rationellen Grundlagen des Civilprozesses n. f. w. Wien 1877, besonders S. 289 ff. Ein neuer, im Frühjahr 1893 veröffent­ lichter Entwurf hat d:e Mündlichkeit etwas eingeschränkt.

XIX

Einleitung.

— benutzten Hannoverschen Civilprozeßordnung nicht zu verkennen sind, während die Bayerische Civilprozeßordnung vom 29. April 1869 im Zusammenhange mit der Rechtsentwickelung in der Rheinpfalz und der Preußische Entwurf von 1864 (s. unten Y), wenigstens was die Gestaltung des Verfahrens anlangt, sich im Wesentlichen dem französischen Prozeße angeschloffen haben.

V. In die letzten Jahre des Deutschen Bundes fallen die offenbar durch das Gelingen des Handelsgesetzbuchs (wie früher der Wechselordnung) angeregten Be­ mühungen des Bundes für das Zustandekommen einer gemeinsamen Civilprozeßordnung3^). Auf den Antrag von zehn deutschen Regierungen vom 17. Dezember 1859 trat zufolge der Bundesbeschlüffe vom 6. Februar und 17. Juli 1862 am 15. Sep­ tember deff. I. zu Hannover eine Kommission36) behufs Ausarbeitung eines Entwurfs zusammen. Sie erledigte ihre Aufgabe kurz vor dem Zusammenbruche des Bundes. Die erste Lesung wurde am 25. Juli 1864 vollendet; die zweite (u. letzte) dauerte vom 17. Februar 1865 bis zum 24. März 1866. Die Han­ noversche Prozeßordnung hatte der Berathung als Leitfaden gedient. Ein Kar­ dinalpunkt derselben, das bindende Beweisinterlokut (f. oben IV), wurde indessen aufgegeben und dafür das System der sog. Beweisv erbindung (s. unten S. 327) angenommen. Im klebrigen wurden schließlich die Einleitungsformen der Hann. PO. gebilligt; auch die Eventualmaxime in gewiffer Ausdehnung und die richter­ liche Prozeßleitung bei anhängigen Sachen, überhaupt die wichtigsten Grundsätze der Hann. PO. sind, allerdings mehr oder weniger verändert, beibehalten.

Der Entwurf, der 689 Paragraphen enthält, verweist bei zahlreichen Punkten auf die Landesgesetzgebung und deutet damit aus die Unvollkommenheit einer nur internationalen Einigung hin33). 34) Näheres

bei Hellweg im du. Arch. 61 S. 75 ff. u. Wach I S. 144 ff.

35) In ihr waren vertreten: Oesterreich (Sektionschef Dr. Frhr. v. Rizy — zuletzt VicePräs. am ob. Gerichtshöfe, Wirkl. Geh. Rath — Vorsitzender f), Bayern (Oberstaatsanwalt v. Bomhard, später Just.-Min. f — Korreferent: in 2. Les. O.A.G.R. o. Pixis f), Sachsen (O.A.G.R. Dr. Tauchnitz — Korreferent f), Hannover (Oberjustizrath Dr. Leonhardt, der spätere K. Preuß. Staats-Mn.— Referent fi, später Obergerichtsrath Petersfen, jetzt Senatspräsident beim Reichsgerichte), Württemberg (O.Tr.R. Frhr. v. Sternenfels f, später O.J.R. Frhr. v. Holzfchuher f), Baden (K.G.Dir. Dr. v. Stößer, jetzt O.L.G.-Senatspräsident), Surf)essen (O.A.R. Dr. Büfs f), Großh. Hessen (Geh. R. Dr. Seitz f), Mecklenburg-Schwerin (J.K.Dir. v. Scheue, später L.G.Präsident t, später der jetzige Staatsrath v. Amsberg), Holstein u. Lauenburg (A.G.Präs. Dr. Preußer f, später O.A.R. Dr. Brinkmann f), Nassau (RegPräs. Winter -j), S.Meiningen (Oberstaatsanwalt Dr. Albrecht f, später A.G.Präs. Lieb­ mann t), Frankfurt (A.G.Präs. Dr. Nestle f). Als Sekretäre fungirten die O.G.Ass. Peterssen (s. oben) und Struckmann (der Mitverf. dieses Komm.). 36) Eniw. erster Lesung mit Genehmigung der Kommission herausgegeben von den Sekretären derselben G. R. Peterssen u. I. Struckmann. Hannover 1864; Entw. zweiter Lesung, mit Genehmigung der deutschen Bundesversammlung herausgegeben von dem Sekr. d.Komm. I. Struck­ mann.

Hannover 1866.

Die Protokolle sind seit 1862 zu Hannover in einer offiziellen,

jedoch nicht in den Buchhandel gelangten Ausgabe in 17 Bänden erschienen. Auszüge aus ihnen enthält: Winter, Erläuterungen zu d. Entw. einer allg. CPO. s. d. deutschen Bundesstaate». Wiesbaden 1867.

Kritiken des Entw. sind erschienen von Osterloh (Leipzig 1865), Nissen II*

XX

Einleitung.

Auf diesem, dem sog. Hannoverschen Entwurf, welcher mittelst Berichts vom 30. April 1866 der Bundesversammlung vorgelegt und von dieser durch Beschluß vom 19. Mai 1866 dem Ausschüsse für Errichtung eines Bundesgerichts über­ wiesen wurde, beruhen in den wesentlichsten Punkten die Badische und die Wü rtt emb e rgi sch e Civilprozeßordnung und der Hessische Entwurf (s. oben IV). In Preußen dagegen, welches sich bei der Kommission in Hannover nicht betheiligte, war man inzwischen selbständig vorgegangen. Schon durch den Allerh. Erlaß vom 25. Februar 1861 (Just MBl. S. 42) hatte der König die Revision des gestimmten Civilprozeßrechts behufs Ausarbeitung einer gemeinsamen, wo möglich, für ganz Deutschland geeigneten CPO. angeordnet. Das Ergebniß der Arbeiten einer zu diesem Zwecke berufenen Commission37) ist der im Jahre 1864 nebst Motiven veröffentlichte „Entwurf einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechts streitigkeiten für dem Preußischen Staat". Das System schließt sich, wie bereits bemerkt (IV), dem französischen Prozesse an, obwohl in allen Materien auch das deutsche und das preußische Recht sowie die deutsche und die preußische Rechtswiffenschaft sorgfältig benutzt und im Einzelnen zur Geltung gebracht worden sind. Die Grundgedanken des franz. Prozeffes aber, welche sich im Code de proc. (be­ sonders bezüglich des materiellen Prozeßrechts) nur in Umriffen angedeutet finden, sind hier mit großer Feinheit und Folgerichtigkeit entwickelt und durchgeführt. Ebendeshalb begegnete der Entwurf einer lebhaften Opposition, aber auch in vielen Punkten der Zustimmung33). Die politischen Ereignisse des Jahres 1866 drängten indessen zu einer an­ deren Lösung. VI. Das mit den politischen Einheitsbestrebungen in Deutschland von jeher verbundene Streben nach Einheit des Rechts gelangte sogleich bei der Gründung des Norddeutschen Bundes in Art. 4 Nr. 13 der Bundesverfassung zum Aus­ druck, wonach „die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Straf­ recht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren" der Be­ aufsichtigung Seitens des Bundes und der Gesetzgebung deffelben unterworfen wurden. Eine der ersten Aufgaben der Bundesgesetzgebung war die Reform des Civilprozeffes. Auf den Antrag Preußens vom 4. September 1867 wurde durch Beschluß des Bundesraths vom 2. Oktober und vom 10. Dezember 1867 zu diesem Zwecke eine Kommission berufen, deren Berathungen am 3. Januar 1868 in Berlin von dem Bundeskanzler eröffnet wurden und mit dem Ausbruche des französischen (Leipzig 1864), Meyersburg (Celle 1866), v. Bar (1867, 1868), Hinschius (1867) u. A. Vgl. auch Leouhardt, Zur Reform des Civilproz. in Deutschland. Zweiter Beitrag. Hannover 1865 u. Wach a. a. O. 37) Den Vorsitz führte der 2. Prüf. des Obertrib., Wirkt. Geh. Rath Dr. Bornemann f; Mitglieder waren: der spätere Wirkt. Geh. Rath Dr. Papef, Oberstaatsanwalt Dr. Oppenhofs -s und der spätere O.L.G.Präs. Dr. Kühne f. Als Schriftführer fungirten GAss. (später L.G. Direktor) Dr. Bornemann, u. GAss. (jetzt Justizrath u. Rechtsanwalt) Mako wer. 38) Vgl. Leonhardt, Reform. Zweiter Beitrag; v. Kräwel, Bedenken über das franz. Wesen rc. Leipzig 1865; Silberschlag in Preuh. Anw.-Ztg. 1865 Nr. 2, 6, 14, 43; v. Wilmowski das. Nr. 3 rc.; Eccius das. Nr. 22; R.Koch (hauptsächlich gegen v. Kräwel) in D. Ger.-Ztg. 1866 Nr. 12, 43 und in Schletter, Jahrb. Bd. 12 S. 134ff., auch in Gruchot, IX (1865) S. 191 ff. u. s. w. S. auch Hellweg a. a. O. S. 100 ff., Wach I S. 148, 149.

Krieges in der 390. Sitzung vom 20. Juli 1870 ihre Endschaft erreichten"). Aus derselben ist der „Entwurf einer Ci vilprozeß Ordnung für den Nord­ deutschen Bund" hervorgegangen, welcher zuerst bruchstückweise, dann auch im Ganzen veröffentlicht ist40). Als äußerer Leitfaden war der Hannoversche Entwurf „unter fortwährender und vollständiger Berücksichtigung der im Preuß. Entwürfe enthaltenen Bestim­ mungen" zu Grunde gelegt worden. Auch innerlich hat der Entwurf, wenn man ihn mit den oben erwähnten Gesetzen und Entwürfen vergleicht, am meisten Ver­ wandtschaft mit dem H. E. (V), wenngleich er sich in wichtigen Punkten, z. B. hinsichtlich der in beschränkterem Umfange beibehaltenen Eventualmaxime, der Bedeutung des Thatbestandes im Urtheil und des Sitzungsprotokolls, der Auffaffung des Rechtsmittels dritter Instanz (Nichtigkeitsbeschwerde) u. s. w., von ihm wesentlich unterscheidet. Zudem ist der Umfang des Nordd. Entw. fast doppelt so groß als der des H. E. (1178 Paragraphen gegen 689), theils weil die Regelung mehr ins Einzelne geht, theils weil die Vorbehalte für die Landes­ gesetzgebung auf das thunlichst kleinste Maß eingeschränkt sind. An den Nordd. Entw. hat sich eine überaus reichhaltige Literatur angeknüpft, in der er von den verschiedensten Standpunkten aus im Ganzen oder im Einzelnen bekämpft, andrerseits aber auch vertheidigt und mehr oder weniger bedingt zur Annahme als Gesetz empfohlen worden ist"). VII. Nach Beendigung des Krieges wurde die Civilprozeß-Reform, bei der gehört zu werden jetzt auch die süddeutschen Staaten Anspruch hatten, unverzüglich von neuem aufgenommen. Auf Grund des Art. 4 Nr. 13 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871, welcher die entsprechende Vor­ schrift der Verfassung des Norddeutschen Bundes (s. VI) wörtlich wiederholte"). 39) Vorsitzender: der K. Preuß. Staatsminister Dr. Leonhardt f und in dessen Behinderung der K. Preuß. Obertrib.-Vicepräs. Wirkt. Geh. Rath Dr. Grimm f. Mit­ glieder: O.Tr.R. Dr. Löwenberg f; Dr. Pape. später Wirkt. Geh. Rath, Referent f; O.A.G.R. Dr. Tauchnitz f; Geh. R. Dr. Seih f [an dessen Stelle später: Aull, jetzt L.G.Präs. a.D.j; v. Amsberg, jetzt Staatsrath in Schwerin; O.A.G.R. Prof. Dr. Endemann (jetzt in Bonn); O.G.Präs. Dr. Trieps (Braunschweig) i; Dr. Drechsler (Lübecks, jetzt Wirkt. Geh. Rath u. Sen.-Präs. des Reichsgerichts. Protokollführer: St.G.R. Koch (der Mitverf. dieses Komm.) und O.G.Ass. Droop (jetzt Wirkl. Geh. Rath). — Die Protokolle der Kommission (in 5 Bänden mit fortlaufenden Seitenzahlen) sind als Manuskript gedruckt (Berlin 1868—1870) und nicht im Buchhandel erschienen. 40) Berlin 1870. Verlag von R. v. Decker. 41) Vgl. z. B. die betreffenden Schriften von Osterloh (Leipzig 1870), Plathner (Berlin 1870), Scheller (Berlin 1870), Gab (Berlin 1870), v. Mittelstädt (Berlin 1870), Philipp- (Elberfeld 1869), Hagen (Bonn 1869), Merenberg (Berlin 1869), Fuchs (Breslau 1869) rc., die Gutachten in den Verh. des 9. D. Juristentags Bd. II S. ß—359, die Abh. von v. Wilmowski in Behrend, Zeitschr. f. D. Gesetzgeb. Bd. 3 S. 163ff., Levy das. Bd. 3 S. 501 ff, Korn das. Bd. 4 S. 175ff., v. Bar das. Bd. 5 S. 369ff., v. Kräwel das. Bd. 6 S. lff., 161 ff, Sabarth das. Bd. 6 S. 35ff., R. Koch das. Bd. 3 S. 480ff., 708 ff., Bd. 4 S. 16 ff., 150 ff.; von v. Kräw el in Gruchot 14 S. 1 ff., 161 ff., 641 ff., Silberschlag das. S. 14ff., Medem das. S. 18ff., 189 ff., 482ff. u.f.ra. S. auch Wach I S. 149,150. 42) RGBl. S. 63. Auch das Ges. vom 20. Dez. 1873 (RGBl. S. 379 — s. unten S. XXVIII a. E.) hat bezüglich des gerichtlichen Verfahrens nichts darin geändert.

XXII

Einleitung.

wurde dem Bundesrath bald Gelegenheit gegeben, sich mit dem Civilprozeßrecht zu beschäftigen. Jnr K. Preußischen Justizministerium nämlich war der Nord­ deutsche Entwurf (VI) einer Umarbeitung unterzogen worden. Der hieraus ent­ standene, im Jahre 1871 nebst Begründung veröffentlichte Entwurf („Entw. I") weicht in wichtigen Punkten von dem Nordd. Entw. ab; so namentlich hinsichtlich der Zulassung eines Verfahrens zur Berichtigung des Thatbestandes4"), der en­ geren Begrenzung des Eventualprinzips44) und in Verbindung hiermit einer Ab­ schwächung der Wirkungen des Beweisbeschlusses4"). endlich der Beseitigung der Berufung und Zulassung einer „Revision" und „Oberrevision"46). Soweit aber diese Grundsätze nicht in Frage kommen, sind die Bestimmungen des Nordd. Entw., wenngleich vielfach (zum Theil mit Rücksicht auf die in Aussicht genommene Ge­ richtsverfassung) in abgekürzter Gestalt, im Wesentlichen beibehalten worden. Durch Beschluß des Bundesraths vom 8. Mai 1871 wurde nun abermals „zur definitiven Feststellung des Entwurfs einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Deutsche Reich" eine Kommission von zehn Juristen berufen, welche ihren Berathungen jenen vom K. Preuß. Justizminister aufgestellten Entw. in Verbindung mit dem Nordd. Entw. und den sonstigen einschlägigen legis­ lativen Vorarbeiten zu Grunde legen sollte47). Sie berieth vom 7. September 1871 bis zum 7. März 1872. Das Ergebniß war: Die dem Justizministerialentwurse zu Grunde liegenden Grundsätze wurden von der Kommission im Wesent­ lichen angenommen; dagegen erfuhren die einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs ihrer Mehrzahl nack sowohl in sachlicher als auch in redaktioneller Beziehung Abänderungen4"). Der von der. Kommission aufgestellte Entwurf4") („Entw. II") gelangte sodann wieder in den Bundesrath und ist hier mehrfach geändert. Die wichtigsten Aenderungen bestehen in der Aufnahme der Zustellung durch die Post (vgl. CPO. §§ 176ff.) und in der Wiedereinführung der Berufung an Stelle der Revision als Rechtsmittel gegen die in erster Instanz erlassenen Urtheile der Landgerichte (und der Handelsgerichte). 43) Vgl. Begründung S. 222 ff. 44) Das. S. 225 ff. 45) Das. S. 231 ff. 46) Das. S. 238 ff., 245 ff. Ueber die Grundsätze des Entw. s. auch W ach I S. 151,152. 47) Vorsitzender: K. Preuß. Staatsminister Dr. Leonhardt t, in dessen Vertretung Dr. Schmitt, K. Bayer. App.G.R., jetzt Präs, des Obersten Landesgerichts. Mitglieder: Geh. O.J.R. Dr. Falk, der spätere K. Preuß. Kultusminister, jetzt O.L.G.Präs., Referent; O.Tr.R. v. Diepenbroick-Grüter, später Senats-Präs, des Kammergerichts (Berlin) f; App.G.R. (jetzt G.J.R ) Dr. Planck (Celle); R.A. Dr.Dorn, später G.J.R. u. R.A. beim Reichsgericht f; I R. (jetzt Geh. J.R. Dr.) v. Wilmowski; Geh. J.R. Abelen, später K. Sächs. Justizmin. f, mt dessen Stelle später K. Sächs. L.G.Präs. Klemm; K. Württ. O.Tr.R., jetzt O.L.G.Präs. v. Kohlhaas; Großh. Bad. Min.R. Dr. Gebhard; v. Amsberg (Referent nach Ausscheiden des Dr. Falk). Schriftführer: St.G.R. (später Senats-Präsident) Hägens (1) f u. Kr.G.R. (später Geh. Ob. Reg.R.) Polenz. 48) Vgl. „Begründung" Vorwort S. IIIff.; Mot. z. CPO. S. 4; Wach I S. 152, wo in Amn. 4 die durch diesen Entw. hervorgerufene Literatur angegeben ist. Eine erhebliche Aenderung bestand z. B. in der Erweiterung der Revision aus die Auslegung von Urkunden (§ 479). Gegen diese s. R. Koch in Behrend, Zeitschr. f. D. Gesetzgeb. Bd. 6 S. 73ff. 49) Als Entw. einer Deutschen CPO. nebst dem Entw. eines Eins.-Ges. mit „Begründung" veröffentlicht im Berlage der K. Geh. Ober-Hof-Buchdruckerei (R. v. Decker). Berlin 1872.

Einleitung.

XXIII

„In Folge davon ist für die erste Instanz eine Präklusion des Beklagten mit nachträg­ lichem Vorbringen und für die Berufungsinstanz eine Verweisung nachträglichen Vorbringens zum besonderen Verfahren eingeführt sowie die Zulässigkeit der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Endurtheile erweitert50)."

In dieser ihm durch die Beschlüsse des Bundesraths gegebenen Gestalt end­ lich wurde der Entwurf („Entw. III"), von einer „Begründung" begleitet51), mit den Entwürfen eines Gerichtsverfassungsgesetzes (s. unten VIII) und einer Straf­ prozeßordnung sowie der Einführungsgesetze zu diesen Gesetzen dem Reichstagein der Herbstsession von 1874 vorgelegt. Die allgemeine Berathung (erste Lesung) der Gesetzentwürfe fand in den Sitzungen vom 24. bis 27. November 1874 statt52). Nachdem sie an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen worden, erklärte sich der Reichstag auf Antrag des Abg. Dr. Lasker in der Sitzung vom 27. November 1874 bereit, einem Gesetze zuzustimmen, welches die Kommission ermächtigte, zwischen dieser und der nächsten Session des Reichstags ihre Berathungen behufs Vorbereitung der 2. Lesung fortzusetzen^). Diese Ermächtigung ist sodann durch das Gesetz, betreffend die geschäftliche Behandlung des GVG. u. s. w., vom 23. Dezember 1874 (RGBl. S. 195) ertheilt worden. Da die Be­ rathungen indessen bei dem Wiederzusammentritte des Reichstags am 29. Oktober 1875 noch nicht beendigt waren, so wurden die Mitglieder der Kommission (der sog. Reiche Justizkommission--- RTK.)^) zunächst durch Akklamation zu Mitgliedern einer nach § 24 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu bildenden Kommission gewählt und sodann die Befugnisse der Kommission durch Gesetz vom 1. Februar 1876 (RGBl. S. 15) nochmals verlängert*^). 50) So die Mot. z. CPO. S. 4. Vgl. auch Wach I S. 153. 51) Drucksachen des Reichstags Nr. 6. Hiernach wird in diesem Kommentar angeführt. Sämuuliche Entw. u. Mot. sind auch im Buchhandel erschienen. Berlin 1874 (bei Fr. Kortkamps). 52) Sten. Ber. des Reichstags 2. Legisl.-Per. 11. Sess. 1874/75 S. 275—363. 53) Sten. Ber. a. a. O. S. 363 und Nr. 64 der Drucksachen. 54) Sten. Ber. des Reichstags 2. Legisl.-Per. III. Sess. 1875/76 S. 13—16. 55) Die Komm. bestand aus folgenden Mitgliedern: Vorsitzender: Dr. Miquel, Oberbürgermeister (Osnabrück), jetzt Staats- u. Finanzminister; Stellvertreter desselben: Dr. v. Schwarze, General-Staatsanwalt (Dresden) j; Schriftführer: Eysoldt, Advokat -(Pirna), Dr. Mayer, Appellationsgerichtsrath (Augsburg) f, Dr. Struckmann, Obertribunals­ rath (Berlin), der Mitverf. dieses Komm., Thilo, Kreisgerichtsdirektor (Delitzsch) f. Fernere Mitglieder: Dr. Bähr, Obertrib.-Rath (Berlin) j, Becker, Oberappellationsger.-Rath, jetzt O.L.G.Präsident (Oldenburg), Bernards, Landger.-Rath (Düsseldorf) f, v. Forcade de Biaix, Obertrib.-Rath (Berlin) f, Gaupp, Kreisger.-Rath (Ellwangen), Prof. Dr. v. Gneist, jetzt Wirkl. Geh. R. (Berlin), Dr. Grimm, Rechtsanwalt, jetzt Ministerial-Präsident a. D. .(Karlsruhe), Hauck, Bezirksamtmann (Markt-Scheinfeld), Herz, Bezirksger.-Rath (Nürnberg), später L.G.Präsident j, v. Jagow, Wirkl. Geh. Rath, Oberpräsident (Potsdam) f, Klotz, Kreisger.-R. (Berlin) fr Krätzer, Appellalionsger.-Rath (Passau) f» &r. Laster, Rechts­ anwalt (Berlin) f, Dr. Lieber (Camberg), Dr. v. Marquardsen, Professor (Erlangen), v. Puttkamer, Appellationsgerichtsrath, jetzt Staatssekretär (Colmar), Pfafferott, Ober­ amtsrichter (Liebenburg) f, Reichensperger, Obertribunals-Rath (Berlin) 7, v. Schöning, Landrath (Pyritz), Dr. Völk, Rechtsanwalt (Augsburg) f, Dr. Wo lffs on, Advokat (Hamburg), Dr. Zinn, Direktor der Landirrenanstalt, Geh. Sanitätsrath (Eberswalde). — An Stelle des ausgeschiedenen Abg. Grimm, fungirte kurze Zeit der Abg. Dr. Blum (Heidelberg). — Als -Protokollführer waren beigeordnet: die Gerichts-Assessoren Sydow (jetzt Geh. Ober-Postrath)

XXIV

Einleitung.

Die Gesetzentwürfe sind von der Kommission in zwei Lesungen durchberathen. Ueber den Gang der Berathungen bemerkt der Bericht der RTK. z. GVG.: „Zuerst gelangten die CPO. und die StPO, sowie die auf die Handelsgerichte und das Verfahren vor denselben bezüglichen Theile des GVG. in erster Lesung zur Berathung. Die Komm, lehnte zwar die Handelsgerichte ab, trat jedoch auf den bezeugten Wunsch des Bundes­ raths für den Fall entgegengesetzter Beschlußfassung des Reichstags eventuell in die Detail­ berathung des auf das Verfahren vor den Handelsgerichten bezüglichen Theiles der CPO. ein50). Demnächst wurden die CPO. in zweiter Lesung und hiernach das GVG. und sämmt­ liche Einführungsgesetze in erster Lesung durchberathen. Nach Vollendung der Berathung der CPO. in zweiter Lesung wurde dieselbe noch einmal auf Grund der abgegebenen Erklärungen des Bundesraths sowie zur Beschlußfassung über die von einigen bayerischen Mitgliedern der Komm., welche bei der zweiten Lesung abwesend gewesen waren, gestellten Anträge wieder er­ öffnet, und gelangte erst dann die Berathung der CPO. zum Abschluß5?). Die zweite Lesung des GVG. und der StPO, sowie der Einf.-Gesetze erfolgte gleich­ falls, nachdem die Ergebnisse der ersten Lesung der Beschlußfassung des Bundesraths unter­ legen halten.-----------Die Kommission hat 160 Sitzungen gehalten. Die Berathung des GVG. und des EG. zu demselben hat einschließlich der eventuellen Berathung des handelsgerichtlichen Verfahrens in erster Lesung 36 Sitzungen, in zweiter Lesung 18 Sitzungen------- erfordert. Die Kommission ist versammelt gewesen am 26., 28., 30. und 31. Januar 1875, vom 26. April bis zum 10. Juli 1875, vom 1. September 1875 bis zum 19. Februar 1876 und vom 2. Mai bis zum 3. Juli 187 668). Die Redaktions-Kommission50) hat, soviel festgestellt worden, 85 Sitzungen gehabt. (cm dessen Stelle eine Zeit lang Kreisrichter, jetzt Reichsgerichtsrath Ege), Dr. L. Seuffert, jetzt Professor (an dessen Stelle später Ass. Mettenleiter), Dr. Schreber y. 56) Vgl. unten S. 1133 f. 57) Dieses Stadium ist später als „Revision der 2. Lesung" bezeichnet. 58) Als Vertreter des Deutschen Reichs und der Einzelstaaten nahmen an den Berathungen Theil: I. der CPO.: der Direktor im Reichskanzlerami, Wirkl. Geh. Ober-Reg.-Rath (jetzt Staatsrath) v. Amsberg, der Kais. Geh. Ober-Reg.-Rath Hanauer (später Wirkl. Geh.-R., Staatssekretär des Reichsjustizamts) f, der Kais. Geh. Reg.-Rath (jetzt Wirkl. G.O.J.R. u. O.L.G.Präsident) Dr. Hägens, K. Preuß. Geh. Ober-Justiz-Rath (jetzt Wirkl. Geh. Ob.J.R. u. O.L.G.Präsident) Dr. Kurlbaum II, K. Preuß. Oberstlieut. (jetzt komm. General) v. Blume, K. Bayer. App.-Ger.-Rath (später Reichsgerichtsrath) Dr. Hauser f, K. Württ. Min.-Ralh (jetzt Wirkl. Staatsrath) Heß, K. Württ. Ob.-Trib.-Rath (jetzt O.L.G.-Präsident) v. Kohlhaas, K. Sächs. Geh. Just.-Rath Held f; II. des GVG.: die zu 1 genannten Mitglieder des Reichskanzler­ amts; die K. Preuß. Geh. Ober-Just.-Räthe Dr. Kurlb aum IT, v. Oehlschläger (jetzt Wirkl. Geh. Rath u. Präsident des Reichsgerichts) und Schmidt f, K. Preuß. Geh Ob.-Reg.-Rath Dr. gor cf), K. Bayer. Min.-Ralh Los -f, die bereits genannten Dr. Hauser -f, Heß u. Held f, der Kais. Geh. Ob.-Post-Rath (jetzt Wirkl. Geh. Rath u. Unterstaatssekretär im Reichs­ postami) Dr. Fischer. Außerdem betheiligten sich der K. Preuß. Staats- und Justizminister Dr. Leonhardt f^und der K. Bayer. Staats- und Justizminister Dr. v. Fäustle f an ver­ schiedenen Sitzungen zu I und II. 59) Die Redaktions-Komm. bestand aus den Abg. Dr. B ähr, Becker, Dr. v. Schwarze, zu welchen in 2. Lesung noch die Abg. v. Forcade u. Klotz hinzutraten. An ihren Arbeiten nahmen regelmäßig die in der vorigen Anm. genannten Mitglieder des Reichskanzleramts sowie

Einleitung.

XXV

Nach Beendigung der zweiten Lesungen der Entwürfe beschloß die Komm., dem Reichstag über dieselben schriftliche Berichte erstatten zu lassen. Nach dem Beschluß der Komm., sollen diese Berichte jedoch keine erschöpfende und eingehende Begründung aller einzelnen Beschlüsse der Komm. enthalten, da diese in den gedruckten Protokollen niedergelegt ist60). Die Berichte sollen vielmehr nur eine erläuternde übersichtliche Darstellung der wichtigsten zur Erörterung gelangten Fragen und der wesentlichsten Differenzpunkte zwischen der Komm. und bem Bundesrath geben und dadurch das Verständniß der Ergebnisse der Berathungen dem Reichstage und dem deutschen Volke selbst erleichtern6').

Soweit der Komm.-Bericht zum GVG.

Die 23erid)te62) mit einer Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüssebb) wurden dem Reichstage bei Eröffnung der 4. Session Ende Oktober 1876 vor­ gelegt. Die ersteren waren zuvor in der Zeit vom 17. bis 28. Oktober (161. bis 166. Sitzung) endgültig festgestellt worden, wobei man gleichzeitig eine Anzahl redaktioneller Abänderungsanträge erledigt hatte"). Das Ergebniß dieser Beschlüsse, soweit sie neue Abänderungen enthielten, wurde in besonderen Nachträgen der erwähnten Zusammenstellung beigefügt. Wie der Komm.-Ber. zur CPO. bezeugt, „hat eine große Mehrheit der Kom­ mission allen wesentlichen, in sich zusammenhängenden und die Symmetrie des Ganzen bedingenden Bestimmungen zugestimmt, nicht bloß den Grundlagen, auf denen der Neubau des deutschen Civilprozeffes errichtet ist, sondern auch der Kon­ struktion des ganzen Gebäudes, seiner Einrichtung im Innern, den verschiedenen Arten des Verfahrens in erster Instanz, dem Verfahren in der Rechtsmittelinstanz u. s. w. bis zu dem den Prozeß abschließenden Vollstreckungsoerfahren". Nichtsdestoweniger waren von den 813 Paragraphen des Entwurfs 204, zum großen Theil allerdings nur in der Fassung, geändert, 27 gestrichen oder durch neue Paragraphen ersetzt und 44 Paragraphen hinzugefügt. Indessen be­ treffen alle diese Aenderungen, wie der Bericht (S. 17) bemerkt, doch nur Einzel­ heiten und verschwinden fast beim Blick auf das Ganze. Am Wichtigsten ist die Einführung einer Revisionssumme (§ 508), die Umgestaltung des Entmündi­ gungsverfahrens (§§ 693 ff.) und die Beseitigung der Handelsgerichte (>. unten). Von viel erheblicherer Bedeutung waren die Aenderungsvorschläge, welche die RTK. zu 77 der 166 Paragraphen des Entwurfs des GVG. formulirt hatte. Auch sollten zwei vollständige Titel über das Richteramt und über die Rechtsanwaltschaft (vgl. unten S. 1073 f.) neu aufgenommen werden. die Vertreter verschiedener Bundesregierungen Theil. — Hinsichtlich einzelner Fragen wareu noch besondere Subkommissionen thätig (vgl. z. B. unten S. 72b, 1133). 60) Vgl. unten X. 61) Als Berichterstatter wurden gewählt: 1. für das GVG. und das EG. zu diesem der Abg. Miguel, als Korref. und Stellvertreter der Abg. Hauck; 2. für die CPO. und das EG. zu ihr der Abg. Becker und als Korref. und Stellvertreter der Abg. v. Forcade de Biaix. 62) Drucksachen des Reichstags. 2. Legisl.-Periode IV. Sess. 1876 Nr. 8, 9. Der Ber. über die CPO. (18 Seiten) hebt nach einigen allgemeinen Bemerkungen nur kurz einige Haupt­ grundsätze und Vorschriften hervor, über welche vorzugsweise Meinungsverschiedenheit in der RTK. bestanden hatte, während der Ber. z. GVG. (82 Seiten) Titel für Titel einer Besprechung unterwirft. 63) Drucksachen Nr. 5, 6. 64) 6 zur CPO., 11 zum GVG. Vgl. Anl. A—C z. Prot, der 163. Sitzg.

XXVI

Einleitung.

Ueberdies wurden zu den Einführungs-Gesetzen Aenderungen und Er­ gänzungen beantragt. Die schon in der Sitzung des Reichstags vom 3. November 1876 seitens des K. Preuß. Justizministers angekündigte"") Gesammtübersicht der Bedenken des Bundesraths gegen die Anträge der NTK. wurde dem Reichstage durch Schreiben von demselben Tage mitgetheilt""). Nach längerer Erörterung beschloß der Reichstag am 7. dess. Mts. auf Antrag des Abg. Dr. Wehrenpfennig, sie der Justiz-Kommission, in welche die Abtheilungen die Mitglieder der RTK., nach­ dem deren Mandat erloschen war, aufs neue gewählt hatten"'), mit der Maß­ gabe zur Vorbereitung zu überweisen, daß die Kommission im Fortgange ihrer Berathung einzelne ihr überwiesene Fragen allch ohne vorgängige Entscheidung über dieselben zur Plenarberathung des Reichstags zu verstellen berechtigt sei""). Die Kommission erledigte ihre Aufgabe vom 8. bis zum 14. November 1876"") und beschloß eine Anzahl Aenderungen der Entwürfe. So wurden in Folge der Bedenken des Bundesraths zu der CPO. bei 7 Paragraphen, zum EG. z. CPO. bei 1 Paragraphen sachliche, und außerdeni noch 11 Fassungs-Aenderungen, zum GVG. 20 sachliche, zum EG. z. GVG. eine sachliche und außerdem 4 Fassungs­ Aenderungen vorgeschlagen7V). Die zweite Berathung über die Justizgesetze wurde hiernächst am 17. dess. Mts. im Reichstage mit der Frage wegen Einsetzung von Handelsgerichten eröffnet (vgl. unten S. 1133)"). In der folgenden Sitzung (v. 18. dess. Mts.) beschloß der Reichstag nach Aussetzung der Berathung über den einzigen Abänderungsvorschlag'") die Enblocannahme der CPO. nach den Kommissionsvorschlägen, und zwar, wie der Prä­ sident feststellte, „mit großer überwiegender Majorität, fast Einstimmigkeit"'"). Dagegen nahmen die Berathungen über das GVG. noch 6 Sitzungen (11.—16.) in Anspruch. Hauptgegenstände waren: die Voraussetzungen des Richteramts 0". unten S. 1073 ff.), die Gemeindegerichte (S. 1094s.), die Zulässigkeit des Rechts­ wegs (S- 1088 ff.), die Zuständigkeit der Amtsgerichte (S. 1104 ff.), die Zuziehung von Hülfsrichtern (S. 1122 ff.), die Gerichtssprache (S. 1192 ff.) u. s. w. Das Ergebniß war indessen überall die Aufrechterhaltung der Beschlüsse der Kommission'^), bei welchen es auch hinsichtlich der Einführungsgesetze j> B. in Bezug aus den Geltungstermin (S. 1209), die Verantwortlichkeit der Beamten (S. 1216 ff.) u. s. ro.] sein Bewenden behielt'"). Noch vor Beginn der dritten Lesung ging nun dem Reichstage ein Schreiben der Reichskanzlers vom 12. Dezember 1876 zu, wonach der Bundesrath zwar die zur CPO. und deren EG., nicht aber auch die zum GVG. und dessen EG. (sowie 65) ©len. Ber. des RT. 2. Legisl.-Per, IV. Sess. 1876 S. 16. 66) Drucksachen Nr. 22. 67) Sten. Ber. S. 30. 68) Sten. Ber. S. 53—62. 69) Prot, der 168.—174. Sitzung — ein jedes mit besonderen Seitenzahlen. 70) Drucksachen Nr. 35, 36. 71) Sten. Ber. S. 135—165. 72) Es war der Antrag auf Streichung des § 143 Abs. 1 der CPO., der jedoch später zurückgezogen wurde. 73) Sten. Ber. S. 167- 175. 74) Sten. Ber. S. 175-353. 75) Das. S. 357—392.

Einleitung.

XXVII

zur StPO.) gefaßten Beschlüsse annahm, sondern dort 5 und beim EG. 3 Punkte als schlechthin unannehmbar bezeichnete 76). Schon war überall die Besorgniß verbreitet, daß die Justizgesetze in entschei­ dender Stunde scheitern würden. Nach manchen Verhandlungen kam indessen zwischen dem Bundesrath und der Majorität des RT. eine Verständigung („Kom­ promiß") zu Stande, wonach jener verschiedene Bedenken ganz oder zum Theil aufgab, der RT. dagegen eine Reihe von Beschlüssen zweiter Lesung zurücknehmen oder modifiziren sollte. Die einzelnen Punkte wurden als Abänderungsantrag der Abgg. Miguel u. Gen. in den RT. gebracht77). Die am 18. Dezember 1876 begonnene dritte Berathung betraf zunächst das GVG. Namentlich führte die Frage wegen Gewährung von Gratifikationen und Remunerationen an Richter sowie die Frage wegen der Vertretung der Richter nochmals zu lebhafter Diskussion. Auch auf die Einschaltung des Titels über die Rechtsanwaltschaft und auf die Frage der Gerichtssprache kam man zurück. Ab­ gesehen von einer Abänderung der §§ 69 und 187 des GVG. (S. 1122 f., 1192 f.), wurden indessen überall die Kommissionsvorschläge mit den Kompromißanträgen angenommen78). In dem betreffenden EG. wurde den Kompromißanträgen gemäß der Geltungs­ termin von dem Erlasse der Gebührenordnung (vgl. EG. z. CPO. § 2) abhängig gemacht (S. 1043) und eine Aenderung des § 11 beschlossen (S. 1216)78). Die CPO. wurde abermals im Gänzen ohne Berathung angenommen, und ebenso gelangte das EG. z. CPO. mit einer dem § 1 des EG. z. GVG. ent­ sprechenden Abänderung zur Annahme8"). Bei der Gesammtabstimmung am 21. Dezember 1876 erfolgte die Annahme des GVG. und des EG. zu demselben nach Maßgabe der in dritter Berathung gefaßten Beschlüsse mit 194 Stimmen gegen 100 (mit Namensaufruf), die der StPO, mit Stimmenmehrheit. Die CPO. und das EG. z. CPO. sowie die gleich­ falls in einer Kommission von Sachverständigen vorbereitete, dem Reichstage zuerst im Januar, dann unverändert im November 1875 vorgelegte und in einer be­ sonderen Kommission durchberathene Konkursordnung8') wurden „mit ganz überwiegender Majorität, s a st Einstimmigkeit" angenommen82). Nachdem auch der Bundesrath alsbald durch Beschluß vom 22. Dezember 1876 seine Zustimmung ertheilt hatte, sind das GVG. und das EG. z. GVG. unterm 27. Januar 1877 in Nr. 4 des RGBl. (S. 41 ff.), die CPO. und das EG. z. CPO. unterm 30. Januar 1877 in (der am 19. Februar 1877 ausgege­ benen) Nr. 6 des RGBl. (S. 83 ff.) verkündet88). Eine Ergänzung des § 809 der CPO. enthält das Gesetz v. 30. April 1886 (RGBl. 130). 76) Drucksachen Nr. 115. 77) Drucksachen Nr. 138. Ueber die Geschichte und die innere Berechtigung des sog. Kom­ promisses vgl. Volk in Hirth, Annalen des Deutschen Reichs. Jahrgang 1877. S. 450 ff. Vgl. auch die Ansprache das. S. 444 ff. 78) Sten. Ber. S. 849—920. 79) Sten. Ber. S. 921-936. 80) Sten. Ber. S. 999, 1000. Vgl. auch Wach I S. 153—155. 81) Die äußere Entstehungsgeschichte der KO. s. in v. Sarwey, D. KO. für das D. Reich. 2. Aufl. Berlin 1882. S. XXXIII ff. 82) Sten. Ber. S. 1003, 1004. 83) Der Landesgefetzgebung blieben auf diesem Gebiete nur vereinzelte Gegen-

XXVIII

Einleitung.

Das GVS. ist abgeändert worden durch die Gesetze vom 17. März 1886 (RGBl. S. 61) [§ 137] und v. 5. April 1888 (RGBl. S. 133) [§§ 173 bis 176, 195]. Der § 12 des EG. z. GBG. ist aufgehoben worden durch Gesetz vom 12. Juni 1889 (RGBl. S. 95). Wir schließen diesen Abschnitt mit den denkwürdigen Worten, womit die Schluß-Thronrede des Kaisers die Bedeutung der Justizgesetze bezeichnete: „Durch die stattgehabte Verabschiedung der Justizgesetze ist die Sicher­ heit gegeben, daß in naher Zukunft die Rechtspflege in ganz Deutschland nach gleichen Normen gehandhabt, daß vor allen deutschen Gerichten nach denselben Vorschriften verfahren werden wird. Wir sind dadurch dem Ziel der nationalen Rechtseinheit wesentlich näher gerückt. Die gemeinsame Rechtsentwicklung aber wird in der Nation das Bewußt­ sein der Zusammengehörigkeit stärken und der politischen Einheit Deutsch­ lands einen inneren Halt geben, wie ihn keine frühere Periode unserer Geschichte anfroeift"84;. VIII. Ueber das Verhältniß des Gerichtsverfassungsgesetzes zur CPO. ist noch Folgendes zu bemerken: Während der Hannoversche Entwurf (s. oben V) sich hinsichtlich der Gerichtsverfaffung noch großer Zurückhaltung befleißigt hatte (vgl. §§ 2, 4, 5, 57 rc.), wurden dem Nordd. Entw. (VI), den veränderten politischen Verhältnissen ent­ sprechend, „Vorbemerkungen" vorausgeschickt, wonach der Entwurf auf der Vor­ aussetzung beruhte, daß die Gerichtsverfassung nach Maßgabe gewisser demnächst entwickelter Grundsätze einheitlich geregelt werde, welche in Verbindung mit den einschlagenden Bestimmungen des Entwurfs selbst (§§ 9—11, 15—21, 36 rc.) bereits manche Elemente des GVG., insonderheit der Tit. 2, 3, 5, 7—9, enthalten. Ueberdies war die Bahn selbständiger Reichsjustizeinrichtungen schon durch die Ein­ setzung des Bundes- (später Reichs-) Oberhandelsgerichts, dessen Zuständigkeit fort und fort erweitert wurde (s. unten S. 1214 Anm. 4), von oben herab beschritten. Der Ueberzeugung, daß die Reform des Civilprozesses ohne gleichzeitige reichs­ gesetzliche Regelung der Gerichtsverfassung unausführbar sei, gaben auch die seit dem Jahre 1869 fast alljährlich im Reichstag wiederholten und angenommenen Anträge wegen Aenderung des Art. 4 Nr. 13 der Verfassung Ausdruck, wonach die Gesetzgebungsgewalt des Bundes bezw. Reichs sich auf das gesammte bürger­ liche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren einschließlich der Gerichtsorganisation erstrecken sollte. Wenn gleichwohl bei der erneuten Einbringung des Antrags im Jahre 1873 und in dem diesem Antrage entsprechenden Ges. vom 20. Dezember 1873, betr. die Abänderung der Nr. 13 des Art. 4 der Verfassung des Deutschen Reichs stände überlassen (namentlich hinsichtlich der Zwangsvollstreckung). Dagegen waren von derselben solche Verfahrensarien den Vorschriften der CPO. gemäß zu gestalten, welche von der letzteren an sich nicht betroffen werden. Vgl. z. B. Preuß. AG. z. D. CPO. v. 24. März 1879 (GS. S. 281). 84) Sien. Ber. S. 1008. Ueber die äußere Geschichte der Justiz-Gesetze vgl. auch Ende­ mann in Hirth's Annalen 1869 Sp. 5 ff., 1870 Sp. 15 ff., 1872 Sp. 118 ff., 143 ff., 154 ff., 1873 Sp. 331 ff., 1874 Sp. 413 ff., 1875 Sp. 1202 ff., 1877 Sp. 646 ff., Sydow in Schmoller, Jahrb. f. Gesetzgebg. rc. VI (1882) S. 13 ff.

Einleitung.

XXIX

(RGBl. S. 379) die Gerichtsorganisation nicht mehr Erwähnung gefunden hat, so geschah dies nur, weil es als selbstverständlich galt, daß zur Ordnung des Verfahrens auch solche Anordnungen über die Gerichtsorganisation gehören, welche sich aus der Einrichtung des Verfahrens selbst als dessen naturgemäße und noth­ wendige Voraussetzung oder Ergänzung ergeben85). Inzwischen hatte der Bundesrath in seiner Sitzung vom 21. Februar 1870 beschlossen: den Bundeskanzler zu ersuchen, den Entwurf eines Bundesgesetzes, be­ treffend die Gerichtsverfassung und die gerichtlichen Institutionen aus­ arbeiten zu lassen. Diesem Ersuchen entsprechend ließ der Reichskanzler am 12. November 1873 dem Bundesrathe 1. den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Einführung des Gesetzes über die Verfassung der Gerichte im Deutschen Reiche für bürgerliche Rechts­ streitigkeiten und Strafsachen, nebst Begründung, 2. den Entwurf eines Gesetzes über die Verfassung der Gerichte im Deutschen Reiche für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen nebst Begründung zugehen. Nachdem beide Entwürfe zunächst im K. Preußischen Justizministerium, so­ dann im Bundesrath einer vollständigen! Umarbeitung Unterzügen worden waren, wurden der 16 Titel und 166 Paragraphen enthaltende Entwurf eines Gerichtsverfasiungsgesetzes und der 14 Paragraphen umfaffende Entwurf eines Einführungs­ gesetzes nebst ausführlicher Begründung, gleichzeitig mit den Entwürfen der CPO. und StPO., dem Reichstage vorgelegt und haben von da ab die Schicksale dieser Gesetze getheilt (s. oben VII). Der Entwurf des GVG. ist aus den Berathungen der RTK. und des Reichstags selbst um einen Titel (Tit. 1 — vgl. unten S. 1073 ff.) und 38 Paragraphen verstärkt hervorgegangen. Der Inhalt steht in enger Verbindung mit dem der Prozeßgesetze88). Zu den letzteren gehört auch die Konkursordnung nebst dem betreffenden Einf.Gesetze (s. oben S. XV). Wie diese Gesetze einander ergänzen, so dienen sie auch wechselseitig zur Auslegung. Das GVG. enthält die gemeinsamen Grundlagen für die drei Prozeßord­ nungen, indem es die staatlichen Organe für deren Anwendung bestimmt. Der Karakter der Bestimmungen des GVG. ist hauptsächlich der von Nor­ mativ-Vorschriften für die Landesgesetzgebung und Landesjustizverwaltung, da die Justizhoheit grundsätzlich den einzelnen Bundesstaaten verblieben ist. Nur die oberste Instanz, das Reichsgericht (Tit. 9) einschließlich der Staatsanwaltschaft bei diesem (§ 143 Nr. 1) und des betreffenden Unterpersonals (§§ 154, 155), ist Reichseinrichtung. Alle übrigen Gerichte sind Landesbehörden. Aus diesem Grunde hat das Gesetz gewiffermaßen nur fragmentarischen Karakter. Man hat die Justizhoheit der Bundesstaaten nur soweit beschränkt, als es nothwendig war, um die gemeinsamen Prozedurordnungen ins Leben zu rufen87). 85) Vgl. Mot. z. GVG. S. 1 u. die Rede des Abg. Meyer (Thorn) in RT.-Sitzung v. 25. Nov. 1874 (Sten. 58er. S. 320 ff.). S. auch v. Canstein, Grundlagen S. 141 ff.; John, D. Strafprozeßordnung I S. 5 ff. 86) Vgl. die Mot. z. GVG. S. 2. 87) Vgl. besonders die Rede des Staatsministers Dr. Leon Hardt bei der ersten Be­ rathung im RT. — Sten. 58er. d. RT. 2. Legisl.-Per. II. Seff. 1874/75 S. 276. Der Landes-

XXX

Einleitung.

Eine erhebliche Ergänzung dieses organisatorischen Theils des GVG. bildet die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 (RGBl. S. 177)88). Vgl. unten S. 92 f.z 1074. Die Tit. 13—17 des GVG. regeln das Verfahren, soweit dies für alle drei Prozeßordnungen gemeinsam geschehen konnte (vgl. unten S. 1168). IX. Die CPO. ist nicht auf dem Boden eines einzelnen der in Deutschland gel­ tenden Prozeßsysteme erwachsen. Im schärfsten Gegensatze steht sie zum gemeinen Civilprozesse und, obwohl in geringerem Maße, zu dem preußischen Prozeßrecht, schon weil ihr die bindende Bedeutung der Schriftsätze und (abgesehen von den sog. prozeßhindernden Einreden) das Eventualprinzip fremd sind. Vom ge­ meinen und hannoverschen Prozesse unterscheidet sie ferner die Abwesenheit des bindenden Beweisinterlokuts, von jenem auch der selbständige Prozeßbetrieb der Parteien. Von manchen wesentlichen Grundsätzen des fran­ zösischen Prozesses, wie der sog. Souveränetät der Gerichte, ist wenig, von an­ deren, wie der dem franz. Recht eigenthümlichen Behandlung des Geständnisses, der Beschränkung des Zeugenbeweises u. s. w., ist nichts in. ihr zu finden, während der Grundsatz des selbständigen Prozeßbetriebs nur in erheblich abgeschwächter Ge­ stalt aufgenommen ist. In manchen Punkten wiederum, insbesondere hinsichtlich des ganzen sog. materiellen Prozeßrechts, lehnt sich die CPO. an das gemeine und an das diesem verwandte preußische Recht an. Sie hat Gedanken aller jener Systeme in sich aufgenommen und zu einem eigenartigen Ganzen ausgebildet. Ein Hauptziel war die Rückkehr zu einer natürlicheren und einfacheren Gestalt des Verfahrens, die Abstreifung des Formalismus und der davon un­ zertrennlichen Beeinträchtigung des materiellen Rechts88). In Verbindung hiermit steht eine bedeutende Vermehrung des dispositiven Prozeßrechts88). An der Spitze der die CPO. beherrschenden Grundsätze steht das Münd­ lichkeitsprinzip. Ihm an Bedeutung nahe kommen die Beweisverbindung, die Beseitigung der Eventualmaxime, die freie Beweiswürdigung, der selbständige Prozeßbetrieb. Diese wie die übrigen Grundgedanken einzeln zu entwickeln, ist hier nicht der Ort81). Eine sich durch Klarheit sowie durch Knappheit der Form auszeichnende Darstellung derselben enthält die „Allgemeine Begründung" des Entwurfs, ins­ besondere in den §§ 4—1592). gesetzgebung verblieb hiernach noch eine ziemlich umfassende Thätigkeit auf diesem Gebiete. Bgl. z. B. das Preuß. AG. z. D. GVG. v. 2b. April 1878 (GS. S. 230). 88) Die äußere Geschichte d. RAO. s. bei Meyer, D. Rechtsanwaltsordnung. 2. Aufl. Berlin 1893. S. 1 ff.; Volk, D. Rechtsanwaltsordnung für das Deutsche Reich. Nördlingen 1879. S. 1 ff. S. auch Wach I S. 156 f. 89) „Alle wesentlichen Einrichtungen des neuen deutschen Prozesses sind geeignet, die Herrschaft des materiellen Rechts über das Prozeßrecht zu fördern" (Komm.-Ber. der RTK. z. CPO. S. 2). 90) Vgl. Bülow, Dispos. Civilprozeßrecht S. 22 f. 91) Vgl. darüber die Anmerkungen zur CPO. an den geeigneten Stellen. 92) Eine nach der „Allg. Begründung" zusammengestellte Uebersicht der Grundsätze s. bei Hellmann I S. 13 ff. Vgl. auch v. Bar, D. Deutsche Civilprozeßrecht S. 5 ff., Sybow a. a. O. S. 34 ff.

Einleitung.

XXXI

X. Die Mittel zur Auslegung der CPO. sind äußerst reichhaltig. Neben dem, was Wortlaut und Zusammenhang des Gesetzes und der übrigen Justiz­ gesetze, was Wissenschast und Praxis des Prozeßrechts bieten, kommen ganz be­ sonders die sog. Materialien in Betracht. Im weiteren Sinne gehören hierzu die zahlreichen bei der Abfassung berücksichtigten Prozeßgesetze und Entwürfe, unter welchen der Norddeutsche Entwurf und die betreffenden Berathungsproto­ kolle (VI) wegen der Zeit der Abfaffung und ihres bedeutenden Einflusses auf den Inhalt der CPO. besondere Beachtung beanspruchen dürfen. In engerem Sinne sind darunter die vielfach mit den Mot. der Entw. I u. II übereinstimmenden Motive („Begründung") des Entw. III der CPO., die Motive des Entw. zum GVG. u. der Entwürfe zu den beiden Einführungs-Gesetzen"b) und die Protokolle der RTK.*") zu verstehen; die Plenarberathungen des Reichstags haben sich nur auf wenige Punkte erstreckt (vgl. oben S. XXVI. ff.)66). Die Zulässigkeit der Benutzung von Gesetzgebungsverhandlungen als Hülfs­ mittel der Gesetzesauslegung ist bekanntlich streitig ”6). Neue Nahrung erhält diese Streitfrage aber gerade in der vorliegenden Anwendung durch die Aeußerungen, welche hinsichtlich der Motive int Reichstage und in der RTK. vom Regierungs­ tische aus gefallen sind. So bemerkte Staatsminister Dr. Leonhardt bei der ersten Berathung der Justizgesetze im Reichstage Folgendes: „Sämmtliche Gesetzentwürfe sind mit eingehenden Motiven begleitet. Ich hebe das hervor, um daran die Bemerkung zu knüpfen, daß die verbündeten Regierungen die Vertretung dieser Motive nicht übernehmen, weil eine Prüfung dieser Motive nicht einmal im Justizausschuß des Bundesraths, geschweige denn int Bundesrath stattgefunden hat, auch der Natur der Sache nach nicht wohl stattfinden konnte. Dieser Umstand dürfte jedoch für Ihre Berathung von besonderer Bedeutung kaum sein. Die Motive sind von Männern, welche den Arbeiten sehr nahe standen, mit ebensoviel Sorgfalt als Einsicht in die Verhältnisse geordnet worden; sie legen Ihnen die Mannigfaltigkeit der Rechtszustände dar, in welche die gesetzlichen Vorschriften resormirend ein93) Sie sind fortlaufend unter dem Texte bei jedem Paragraphen der Gesetze angeführt, und zwar nach den Drucksachen des RT. (2. Leg.-Per. II. Sess. 1874/75 Nr. 6), nicht nach der bei Kortkampf in Berlin erschienenen Privatausgabe. 94) Auch diese Prot, sind überall unter dem Texte angeführt, jedoch mit Ausnahme der­ jenigen Stellen, nach welchen bei der 2. Lesung oder deren Revision ein Paragraph ohne jede Bemerkung einfach angenommen ist. Auf die CPO. u. das EG. z. CPO. beziehen sich die Prot, der Sitzungen Nr. 5-36, 81—88, 93, 94, 121, 123 Theil 2, 125-129, 130 Th. 2, 132 Th. 2, 139 Th. 2, 158 Th. 2, 161—164, 167-169, 173; auf das GVG. u. das EG. z. GVG. die Prot, der Sitzungen Nr. 89-92, 95-103, 104 Th. 1,105—108, 109 Th. 1, 110—116, 117 Th. 1, 119, 120, 122 Th. 2, 123 Th. 1, 124, 131, 132 Th. 1, 133—138, 139 Th. 1, 140, 141, 142 Th. 2, 152 Th. 2, 155 Th. 2, 156 Th. 1, 158 Th. 2, 159 Th. 2, 3,160 Th. 1 u. 2, 161—164, 167, 169-174. Vgl. übrigens unten S. XXXIII Anm. 104. 95) Bei den betreffenden Stellen sind die Sien. Ber. des RT. unter dem Texte der Ge­ setze angeführt. 96) Eine Uebersicht der umfangreichen Literatur s. bei Seuffert S. XX Anm. *), Petersen in Hauser, Zeitschr. f. Reichs- und Landesrecht V (1881) S. 337 ff. Der Unterschied der verschiedenen Schattirungen ist im Ganzen nicht sehr bedeutend. In der Anwendung gestaltet sich die Benutzung der Vorarbeiten meistens in dem weiter unten auch von uns ver­ tretenen Sinne.

XXXII

Einleitung.

greifen sollen, sie entwickeln vom legislativen Standpunkte das Für und Wider in Betreff der einzelnen Vorschriften und Grundsätze, sowie zwischen Grundsätzen einerseits und einzelnen Folge­ sätzen andererseits. Ich glaube, m. H., daß diese Motive für Sie ein fast unentbehrliches Hilfs­ mittel sein werden, wenn Sie nämlich eine eingehende Prüfung der Gesetzentwürfe in einer verhältnismäßig nicht zu langen Zeit vornehmen wollen"^').

Hiermit im Wesentlichen übereinstimmend äußerte sich der Direktor im Reichs­ kanzleramte, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rath v. Amsberg in der RTK. auf die Inter­ pellation eines Abgeordneten00). Von einer bindenden Bedeutung der Vorarbeiten hinsichtlich der Auslegung kann freilich nicht die Rede sein. Der Wille derer, welche an dem Zustandekommen des Gesetzes mit gewirkt haben, ist nicht gleichbedeutend mit dem Willen des Gesetz­ gebers (im konstitutionellen Staate: der gesetzgebenden Faktoren), und selbst von diesem reißt stch, wie Th öl bemerft"), das Gesetz durch die Publikation los. („Auf dieser Selbständigkeit beruht es, daß das Gesetz einsichtiger sein kann, als die Gesetzgeber.)" Aber die Vorarbeiten nehmen doch unter allen Auslegungs­ mitteln die erste Stelle ein, weil sie in einem unmittelbaren, grundlegenden Verhältniffe zum Gesetze sieben100). Zu dem rein wissenschaftlichen tritt bei ihnen ein starkes historisches Element der Auslegung. Alles dies gilt auch hinsichtlich der hier in Betracht kommmenden Gruppen von Vorarbeiten. Als Regierungs-Motive im gewöhnlichen Sinne können allerdings die oben erwähnten „Begründungen" nicht, oder doch nur in eingeschränktem Maße angesehen werden. Die Verfassung des Deutschen Reichs bereitet der Abfassung von solchen Motiven, zumal bei Gesetzentwürfen von dem Umfange der Justizgesetze, ganz besondere Schwierigkeiten, da eine Abstimmung im Bundesrathe über den In­ halt der Motive zu den dem Reichstage vorzulegenden Gesetzentwürfen nicht wohl denkbar ist. Alles, was gegen die Zuverlässigkeit von Motiven überhaupt zu sagen ist, spricht daher in noch höherem Grade gegen Motive der vorliegenden Art. Gleichwohl geht die Bedeutung der Mot. z. CPO. materiell weit über die einer bloßen „Privatarbeit" 101) hinaus. Denn sie find immerhin in der Werk­ stätte des Gesetzes gleichzeitig und im Zusammenhange mit der Abfassung des Entwurfs oder doch unmittelbar nachher entstanden und von Kundigen in emi97) Sten. «et. der RT. 2. Leg.-Per. II. Sess. 1874/75 S, 275, 276. 98) Sitzung der RTK. v. 10. Mai 1875 — Prot. S. 138, 139. 99) Thöl, Gins. in das D. Privatrecht § 60 S. 150. Vgl. auch v. Hahn, Komm. z. HGB. 3. Ausl. Eint. § 19 S. LXII ff. In noch schärferer Weise wird dieser Gesichtspunkt betont von Thibaut, Schasfrath, Schlesinger, Meyer in Gruchot 23 S. 1 ff., auch von Wach I S. 559 ff., 282 ff., der nicht einmal eine Vermuthung der Wahrheit hier gellen lassen will, u. A. 100) Goldschmidt, Handb. des HR. 2. Ausl. I S. 314. Etwas weiter gehen v. Mohl, Wächter u. A. Gegen Meyer a. a. O. wendet sich hauptsächlich Petersen a. et. O. S. 348 ff., ferner Deutschmann in Gruchot 24 S. 805 ff. u. Hellmann, Lehrb. S. 25. S. auch Dernburg I § 17, S. 34, Förster (Eccius) I § 12 u. die bei Petersen a. a. O. S. 366 2lmn.**) zitirten Entsch. des RG. u. ROHG., ferner RG. IX S. 76, 404, XXII S. 143 u. im Preuß. JMBl. 1886 S. 169 (vereinigte Civilsenate). 101) So der Abg. Lasker im RT. — Sten. «er. a. a. O. S. 282. Vgl. dagegen Endemann 1 S. 29 ff., Wach I S. 263 Anm. 17, 283 ff., welcher die Mot. aber nur als „Vorbereitung des Gesetzes" beachtet wissen will.

XXXIII

Einleitung.

nentem Sinne, welche an den Vorberathungen theilgenommen haben oder sonst amtlich Jahre hindurch mit der Sache befaßt waren, ausgearbeitet. Ihr innerer wissenschaftlicher Werth ist ferner ein sehr erheblicher 102). Ueberdies bleibt die Thatsache von Bedeutung, daß die Motive unter Zustimmung des Bundesraths mit den Gesetzentwürfen selbst dem Reichstage überliefert, und daß sie während der Berathungen in der RTK. im Einzelnen stets als wirkliche „Motive" im ge­ wöhnlichen Sinne ohne Widerspruch der Regierungsvertreter behandelt worden sind, also immerhin auch äußerlich einen offiziellen Karakter bewahrt haben. Unter diesen Umständen haben sie nicht bloß durch die Benutzung bei der Be­ rathung im RT. und in der RTK. — welche auch Staatsminister Leonhardt für zulässig erklärte — ihren Zweck erfüllt, sondern werden auch fort und fort für die Auslegung das erste und werthvollste Hülfsmittel bilden, sobald Wortlaut und Zusammenhang einer Gesetzesvorschrift Zweifel übrig lassen. Namentlich wird dies da gelten müssen, • wo die RTK. und der Reichstag ohne Diskusston die Vorlage genehmigt haben, da man im Ganzen davon ausgehen darf, daß dies im Sinne der Mot. geschehen sei. Auch nach der negativen Seite hin werden die Mot. häufig zur Auffindung des richtigen Sinnes beitragen, also zur Begründung eines arg. e contrario, oder wenn es sich um eine nach den Mot. als selbstverständlich oder als ungeeignet nicht aufgenommene Bestimmung handelt103). In ähnlicher Weise dienen die Protokolle der RTK. der Auslegung der Justizgesetze. Bei denjenigen Bestimmungen, welche aus der Initiative der RTK. hervorgegangen sind, vertreten sie oft geradezu die Stelle von Motiven. Das­ selbe gilt von Aenderungen, Zusätzen, Streichungen (f. oben S. XXIV, XXV). Aber auch da, wo Bestimmungen der Entwürfe ganz unverändert geblieben sind, tragen die Diskussionen der RTK., wie sie durch die Protokolle in authentischer Weise wiedergegeben roerben104), zur Klarstellung des Sinnes des Gesetzes häufig in sehr beachtenswerther Weise bei. Allerdings ist nicht jede Aeußerung eines Kommissionsmitgliedes oder Regierungs-Kommifiars über die Bedeutung einer Bestimmung, namentlich über die maßgebenden Grundsätze, wenn sie ohne Widerspruch anderer Mitglieder bezw. Regierungs-Kommissarien blieb, als für die Auslegung maßgebend zu betrachten. Dagegen ist es sehr bedeutungsvoll, wenn solchen Aeußerungen ausdrücklich von den Regierungs-Kommifsarien oder von anderen Mitgliedern der RTK. ohne Widerspruch zugestimmt wurde, zumal wenn darauf hin irgend eine Aenderung des Entwurfs erfolgt ist. Noch schlagender ist häufig (jedoch keineswegs immer) die Verwerfung von Verbesserungsanträgen. Alles kommt darauf an, zu ermitteln, inwieweit durch die Protokolle ein Ein102) Vgl. Siebenhaar, Vorwort S. 2. 103) Vgl. Petersen S. 5 u. o. a. O. S. 367—369. Warum die Mol. hier in geringerem Grade von Gewicht sein sollen (f. G oldschmidt a. a. £>.'), ist nicht abzusehen. 104) Die Protokolle wurden nach ihrer Fertigstellung, wie der Vorsitzende der RTK. im RT. bemerkte, den Komm.-Mitgliedern zur Revision ihrer Ausführungen zugänglich gemacht. Erst nach erfolgter Revision wurden sie gedruckt und den Mitgliedern der RTK., allen Mit­ gliedern des RT. sowie den Bundesregierungen übersandt. Von einer anitlichen Veröffentlichung glaubte die RTK. sowohl aus sachlichen wie aus formellen Gründen absehen zu müssen (vgl. Sten. 58er. d. RTK. 2. Leg -Per. III. Session 1875/76 S. 13). Indessen sind die Verhandlungen der RTK. von Hahn, D. gef. Mater, zu den Reichsjustizgesetzen (unten S. XXXVIII) veröffentlicht. Angeführt sind die Protokolle in dem Kommentar nach der amtlichen Ausgabe. Die Seitenzahlen laufen bei der CPO. bis S. 771, bei dem GVG. bis S. 776 (160. Sitzg.). Die Prot, der Sitzungen 161—174 sind ein jedes mit besonderen Seitenzahlen gedruckt.

Struckmonnu. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Stuft.

III

XXXIV

Einleitung.

Verständniß aller Faktoren festgestellt rotrb105). In besonderem Maße ist dies da der Fall, wo ein solches Einverständniß der RTK. unter ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung der Regierungsvertreter förmlich zu Protokoll gegeben wurde. Eine von den Protokollführern ausgearbeitete Zusammenstellung dieser (uneigentlich) sog. „authentischen Interpretationen""8) von Kommissions­ beschlüssen ist der RTK. in der 164. Sitzung vom 20. Oktober 1876 vorgelegt und von ihr ausdrücklich genehmigt"8). Hinsichtlich der Redaktions-Kommission (f. oben S. XII) ist noch zu bemerken, daß deren Anträge fortlaufend gedruckt den übrigen Mitgliedern zuge­ stellt wurden. Erfolgte kein Widerspruch gegen die Richtigkeit, so galten sie als genehmigt, während im anderen Falle ein Plenarbeschluß der Kommission über die streitige Frage herbeigeführt routbe108). Nicht immer also geben die Protokolle über die bei Gelegenheit der Redaktion erfolgten, freilich meistens wenig bedeut­ samen Aenderungen früherer Beschlüsse Auskunft. XI. Von der älteren prozeßrechtlichen Literatur sind, abgesehen von zahlreichen Monographien, Abhandlungen, Sammlungen von Entscheidungen u. dgl. nt., in dem Kommentar hauptsächlich benutzt: a) die gemeinrechtlichen Kompendien von Wetzell, Renaud und Ende­ mann"8), b) für den Preußischen Prozeß das Lehrbuch von C. F. Koch und dessen Kommentar zur Prozeßordnung (Allg. Ger.-Ordn. Th. I)1"), c) hinsichtlich der Hann. PO. der Kommentar von Leonhardt11J), d) für das Rheinische Recht der Kommentar von Sch link"8). 105) Vgl. Petersen S. 5 u. Endemann I S. 31 ff. (auch in Busch, Z. IV S. 194 ff.), wo diese Fragen mit besonderer Gründlichkeit erörtert sind. Gegen eine zu weit gehende Schätzung aon Aeußerungen der Reg.-Vertreter (als „authentische Interpretation") und Kommissionsmitglieder vgl. Wach I S. 263 ff. 106) Ueber die Mißverständlichkeit dieser Bezeichnung f. Wach I S. 265. Eine Klassifikation der verschiedenen Bestandtheile der Materialien nach ihrem Auslcgungswerth ist sehr schwer durchführbar. (Vgl. auch Wach I S. 284.) 107) Anlagen J u. K zum Prot, der 164. Sitzg. (s. das. S. 1, 5 -10). Dieselben wurden auf Beschluß der RTK. gedruckt und unter die Mitglieder des RT. vertheilt. (Gaupp S. XXXI will dieser förmlichen Genehmigung keine besondere Bedeutung beimeffen, ebenso Hellmann, Lehrb. S. 25.) 108) Vgl. Komm.-Ber. z. GVG. S. 2. 109) Dr. Georg Wilh. Wetzell, System des ordentl. Civilprozeffes. Dritte Aust. Leipzig 1878. Verlag von Beruh. Tauchnitz. Dr. Achilles Renaud, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Civilprozeßrechts mit Rücksicht aus die neueren Civilprozeßgesetzgebungen. Der ordentl. Prozeß. Zweite Aust. Leipzig u. Heidelberg 1873. C. F. Winter. Dr. W. Endemann, D. Deutsche Civilprozeßrecht. Heidelberg 1867, 1868. Bangel u. Schmitt. 110) Dr. C. F. Koch, D. Preußische Civilprozeß. Zweite Ausgabe. Berlin 1855. I. Guttentag. Ders., Prozeßordnung nach ihrer heutigen Geltung. Sechste Aufl. Berlin 1871. I. Guttentag. 111) S. oben Anm. 25. 112) Vgl. oben Anm. 15.

Einleitung.

XXXV

Auch an die CPO- und das GVG. mit den Eins--Gesetzen hat sich eine reichhaltige Literatur angeschloffen118). Eine große Zahl von Bearbeitungen hat die ÄommenUrfotm114) gewählt. Hierunter sind zu nennen: Dr. E. Siebenhaar, Vice-Präsident a. D., Kommentar zur Deutschen Civil­ prozeßordnung. Leipzig 1877. Fues' Verlag (R. Reisland). Dr. Julius Petersen, Senats-Präs, (jetzt Reichsgerichtsrath), D. Civilprozeßord. f. das Deutsche Reich nebst Einf.-Ges. Erläutert. 2. Ausg. Lahr 1883. Moritz Schauenburg. (3. Ausl, im Erscheinen.) Dr. W. En bemann, D. Deutsche Civilprozeß. Berlin 1878, 1879. 3 Bde. Weidmann'sche Buchhandlung. D. Justizgesetzgebung des D. Reichs. I. Abtheilung, III. Civilprozeßordnung Kommentar von Dr. v. Sarwey, K. Württ. Staatsrath (jetzt Staats­ minister). Berlin 1878/79. 2 Thle. Carl Heymanns Verlag116). Dr. Lothar Seuffert, o. ö. Prof, der Rechte, Civilprozeßordnung f. das D. Reich nebst dem EG. v. 30. Jan. 1877. Erläutert. 6. Ausl. München 1893. C. H. Beck. (7. Aufl. im Erscheinen.) Dr. G. v. Wilmowski, Geh. Justizrath, u. M. Levy, Justizrath, RA. beim Kammerg. z. Berlin, CPO. u. GVG. f. das D. Reich nebst den Einf.Gesetzen. Mit Kommentar in Anmerkungen. 6. Aufl. Berlin 1892. F. Wahlen. (7. Aufl. im Erscheinen.)

Dr. E. T. Puchelt, Reichs-Oberhandelsgerichts- (später Reichsgerichts-)Rath, D. Civilprozeßordnung f. das D. Reich. Leipzig 1877/78 2 Bde. Roßberg. Dr. Fried. Hellmann, Civilprozeßordnung f. das D. Reich nebst Einführungs­ gesetzen. Erläutert. 3 Abtheilungen. Erlangen 1877/1878. Palm u. Enke. Otto Kleiner, K. bayer. Landgerichtspräsident. Kommentar zur CPO. f. das D. Reich. Würzburg 1878—1881. 3 Bde. A. Stüber. W. Hartmann, K. Preuß. Obertribunalsrath (später Reichsgerichtsrath), D. Civilprozeßgesetze des D. Reichs. Als Komm. in Anmerkungen für den prost. Gebrauch bearbeitet. Berlin 1879. Carl Heymanns Verlag. Uebel, K. bayer. Llppell-Ger.-Rath, Komm. derCivilprozeßordn. f. das D.Reich u. des EG. hierzu. Bamberg 1877/1878. 2 Bde. Büchner. D. Reichscivilprozeßordnung, die bezüglichen Bestimmungen des GVG. u. der Einf.-Gesetze. Rach den Vorarbeiten des weil. Oberger.-Direktor R. Nei­ necke herausgegeben vom Oberger.-Rath (später Landgerichtsrath) A. 93 ö bis er. Hannover 1877. Helwingsche Hofbuchhandlung.

Dr. L. Gaupp, D. Civilprozeßordnung für das D. Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfaffungsgesetzes und den Einführungsgesetzen. 2. Aufl. 1890/1892. Freiburg i. B. Akad. Verlagsbuchh. v. I. C. B. Mohr (Paul Siebeck). L. Frhr. v. Bülow, Landgerichtspräsident, D. Civilprozeßordnung und ihre Nebengesetze. 2. Aufl. Hannover 1882. Hahn'sche Buchhandlung. Dr. A. Förster, Amtsrichter, D. CPO. f. das D. Reich nebst Einf.-Ges. unter bes. Berücksichtigung des Preuß. 2189t. erläutert. Grünberg 1884/1888. Friedr. Weiß Rachf. 113) Wegen der Anführung s. oben „Erklärung der wichtigsten Abkürzungen" unter B. 114) Ueber die Kommentarien-Literatur vgl. Wach I S. 177 ff. 115) Das Mahnverfahren und das Zwangsvollstreckungsverfahren sind vom Kreisrichter Ege bearbeitet.

XXXVI

Einleitung.

Neincke, Reichsgerichtsrath, D. Deutsche Civilprozeßordnung. Für das Studium und die Praxis erläutert. 2. Aufl. Berlin 1893. H. W. Müller. Zur Einführung in die CPO. dienten Vorträge und knapp gehaltene systematische Bearbeitungen. Hiervon sind die bemerkenswerthestenDr. Adolf Wach, Prof, der Rechte, Vorträge über die Reichs-CPO. Bonn 1879. Ad. Marcus. Dr. Herrn. Fitting, ord. Prof, der Rechte, Zur Einführung in die Reichs­ gerichtsverfassung und den Reichs-Civilprozeß. 5 Vorträge. 2. Abdruck Berlin 1879. I. Guttentag. v. Wilmowski u. Levy, Zur prakt. Anwendung der Deutschen CPO. Vor­ träge. Berlin 1879. Wernz, D. Deutsche CPO. Eine Einleitung in die Grundzüge der neuen CPO. Nördlingen 1877 (bes. Abdruck aus Hausers Zeitschr. III S. 333 ff.). Dr. Herm. Fitting, ord. Prof, der Rechte, D. Reichs-Civilprozeß. 8. Aufl. (unveränderter Abdruck der 7. Aufl. v. 1890). Berlin 1893. I. Guttentag. Dr. L. v. Bar, Geh. Justizrath u. Prof., D. Deutsche Civilprozeßrecht mit Rücksicht aus die Justizgesetze des D. Reichs in den Grundzügen systema­ tisch dargestellt. Leipzig 1880. Duncker u. Humblot. Hervorzuheben sind ferner: Dr. Birkmeyer, ord. Prof., Grundriß u. Materialien z. Vorlesungen über den ordentlichen Civilprozeß (als Manuskript gedruckt). Herm. Meyer, OLGRath, Anleitung z. Prozeßpraxis nach der CPO. v. 30. Jan. 1877 in Beispielen an Rechtsfällen. 3. Aufl. Berlin 1893. Fr. Bahlen. Willenbücher, Grundriß des Prozeß- u. Zwangsvollstreckungsverfahrens. Berlin 1889. H. W. Müller. Dr. Hellwig. Civilrechtsfälle. Freiburg 1891. I. C. B. Mohr. Dr. I. Köhler, Prozeß als Rechtsverhältniß. Mannheim 1888. I. Bensheimer. Ders., Prozeßrecht!. Forschungen. Berlin 1889. H. W. Müller. Ders., Civilprozeffuale Rechtsaufgaben. Jena 1893. G. Fischer. Ders., Gesammelte Beiträge zum Civilprozeß. Berlin 1894. Carl Hey­ manns Verlag. (Sammlung von Aufsätzen, die zun, größten Theil schon früher veröffentlicht sind.) Eine ausführliche vergleichende Darstellung des alten und neuen Prozeßrechts hinsichtlich der Hauptlehren enthält: Dr. Karl Bolgiano, o. ö. Prof., Handbuch des Reichs-Civil-Prozeßrechts auf rationellen Grundlagen mit vergleichender Darstellung des gemeinen Deut­ schen Civilprozeffes. Allgemeiner Theil. Stuttgart 1879. gerb. Enke. Zu den Versuchen einer systematischen Bearbeitung gehören auch: Warmuth, Handbuch des Deutschen Civilprozeßrechts. Erster Band, den allgemeinen Theil enthaltend. Straßburg i/E. 1881. Heinrich u. Schmittner. Schmidt, Lehrbuch des Preuß. Rechts und Prozesses. Supplementband. Theil I. D. jetzige Civilprozeßrecht, bearbeitet von Meves. Breslau 1880. Meves, D. Civilprozeßordnung und die Zwangsvollstreckung in das unbe­ wegliche Vermögen nach jetzt geltendem preußischen Recht. Breslau 1881. Maruschke u. Berendt. Rintelen, D. Civilprozeß. Systematisch bearbeitet für die ordentlichen

Einleitung.

XXXVII

Gerichte des Preuß. Staates und für das Reichsgericht. Berlin 1891. Otto Liebmann. Den Uebergang zu den großen, allen wissenschaftlichen Anforderungen ent­ sprechenden, aber noch unvollendeten systematischen Darstellungen des geltenden Civilprozeßrechts von Dr. Adolf Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozeßrechts. Band I. Leipzig 1885. Duncker u. Humblot. und Jul. Wilh. Planck, Lehrb. des Deutschen Civilprozeßrechts. Band I. Allg. Theil. Nördlingen 1887. Band II. Abth. 1. 1891 (dazu Seuffert in Busch, Z. XI S. 189 ff.). C. H. Beck'sche Buchhandlung. bildet: Fr. Hell mann, Lehrbuch des Deutschen Civilprozeßrechts für den akad. u. prost. Gebrauch. 1—3. Abth. München 1886. Th. Ackermann, welches viele treffliche Ausführungen enthält, aber die historische Seite (absichtlich) allzusehr vernachlässigt. Ein wichtiges Hülfsmittel für die Erkenntniß und Anwendung der CPO. bilden auch die Zeitschriften. Der Entwickelung des neuen Civilprozesses ganz besonders gewidmet ist die mit großem Geschick redigirte „Zeitschrift für Deutschen Civilprozeß" von H. Busch, jetzt herausgegeben von M. Schultzenstein, Oberverwaltungsgerichtsrath und F. Vierhaus, Geh. Oberjustizrath und vortragendem Rath im Königl. Preuß. Justizministerium. Werthvolle Arbeiten in Bezug auf das neue Civilprozeßrecht enthalten anch die neueren Bände des „Archivs für die civilistische Praxis", der „Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts" von Rassow u. Küntzel (früher Gruchot), der „Kritischen Vierteljahrsschrift" von Brinz u. Pözl (jetzt Bechmann, Hellmann, Maurer, Seydel, Ullmann), das „Magazin für das Deutsche Recht der Gegenwart" von Bödiker (eingegangen), die Juristische Wochenschrift, Organ des Deutschen Anwaltsvereins (herausgegeben von Hänle u. Johannsen, später Lüntzel, dann M. Kempner), die Deutsche Juristenzeitung (von Fr. Wallmann) (ein­ gegangen), Böhm, Zeitschr. f. internationales Privat- u. Strafrecht, das Säch­ sische Archiv für Bürgert. Recht und Prozeß und andere Zeitschriften"^). Hierzu treten die zahlreichen Sammlungen von Rechtssprüchen, namentlich von Entscheidungen des Reichsgerichts und der Oberlandesgerichte117). Zu nennen ist auch das „Lexikon der Civilprozeß- und Konkursgesetzgebung des Deutschen Reichs, zusammengestellt von Dr. W. v. Melle, Rechtsanwalt" (Hamburg 1879. Otto Meißner), welches in alphabetischer Ordnung die ein­ schlagenden Vorschriften sehr übersichtlich gruppirt. Das Gerichtsverfassungsgesetz behandeln außer einem Theil der vor­ stehenden Kommentare (Endemann, v. Wilmowski u. Levy, v. Bülow rc.) u. A.: 116) Vgl. Wach I S. 180 Sinnt. 34. 117) Vgl. oben „Erklärung der wichtigsten Abkürzungen" u. Wach I S. 182 Sinnt. 35. Zu nennen sind noch: Scherer, D. Entscheidungen des RG. und des bayer. ob.LG. z. CPO. Leipzig 1893. Roßbergsche Hof-Buchhandlung; Fuchsberger, Entscheidungen des RG. u. s. w. z. CPO. Gießen 1889. 1894. Emil Roth; Hergenhahn u. Otto Eccius, Rechtsprechung der höheren und höchsten Gerichtshöfe über Prozeßbevollmächtigte und Rechtsanwälte. Hannover 1894. Helwingsche Verlagsbuchhandlung.

XXXVIII

Einleitung.

Ad. Keller, Appell.-Ger.-Rath, D. Gerichtsverfaffungsgesetz f. das D. Reich. Für den prakt. Gebrauch erläutert. Lahr 1877. Moritz Schauenburg. Th. Hauck, Bez.-Amtmann, GVG. f. das D. Reich nebst dem Einf.-Ges. Rördlingen 1879. C. H. Beck'sche Buchhandlung. D. Justizgesetzgebung des Deutschen Reichs. I. Abtheilung. IV. D. Gerichts­ verfassungsgesetz. Kommentar von G. Thilo, K. Preuß. Kreisgerichtsdirektor (später Landgerichtspräsident). Berlin 1878/79. Carl Hrymann's Verlag. Dr. E. Löwe, Senatspräsident beim Reichsgericht, D. Strafprozeßordnung f. das D. Reich nebst dem Gerichtsversassungsgesetz und den das Strafverfahren betreffenden Bestimmungen der übrigen Reichsgeseee. Mit Kommentar. 8. Anst. Berlin 1894. I. ©uttentog.118) Dr. F. O. v. Schwarze, Komm, zu der D. Strafprozeßordnung u. zu den auf dieselbe bez. Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes. Leipzig 1877. Fues' Verlag (R. Reisland)"8). Turn au, Kammergerichtsrath (jetzt Reichsgerichtsrath), D. Justizverfassung in Preußen nach Reichs- und Landesrecht. Erster Theil (erste Hälfte). Berlin u. Leipzig 1882. I. Guttentag. Rintelen, Gerichtsverfassung u. Gerichtsverwaltung, systematisch bearbeitet für die ordentlichen Gerichte des Preuß. Staats. 2. Auflage. Paderborn 1889. Ferdinand Schöningh. Eine vollständige Sammlung der Materialien enthält: D. gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen. Auf Veranlaffung des Kais. Reichsjustizamts herausgegeben von C. Hahn, Geh. Ober-Justizrath, Senatspräs. des Kammergerichts. ' 4 Bde. Berlin 1879—1881. R. v. Decker's Verlag. Eine zweite Auflage ist nach dem Tode Hahn's von E. Stegemann besorgt. Die beiden ersten Bände beziehen sich auf das GVG., die CPO. und die Einf.-Gesetze zu denselben. Die Justizreform, soweit sie sich auf Gerichtsverfassung und Civilprozeß bezieht, behandelt auch die Abh. von Sydow a. a. O. (s. oben Anm. 84). Eine Zusammenstellung der Literatur über den neuen Civilprozeß (bis Mitte 1881) giebt Birkmeyer in der Mecklenb. Zeitschr. für Rechtspflege und Rechtswissenschaft I Heft 2 (auch als Separatabdruck erschienen) und (bis Nov. 1883) in Gruchot 28 S. 179ff. (ebenfalls im Separatabdruck erschienen), sowie in dem auf S. XXXVI angeführten Grundrisse, ferner einen Literaturbericht über den Civilprozeß seit Mitte 1884 bis Mitte 1886 Fischer im eit). Arch. 70 S. 321 ff. Die in juristischen Zeitschriften (bis Mitte 1886) erschienenen Ab Handlungen stellt zusammen Seligsohn in Busch, Zeitschr. f. D. Civilprozeß VIII S. 383 ff., X S. 532 ff. Periodische Literaturübersichten giebt jetzt Kl einfetter in dieser Zeitschrift. Eine jährliche Uebersicht über die in Zeitschriften er­ schienenen Abhandlungen und über die veröffentlichten Urtheile enthalten die Jahr­ bücher der neuesten Rechtsprechung zur CPO. u. zum GVG., herausgegeben von Freudenthal (Berlin, Siemenroth u. Worms), bis jetzt 2 Bde. 1893/94 1J8) Die Erläuterung des GVG. ist darin auf die mehr oder weniger das Strafver­ fahren betreffenden Bestimmungen beschränkt. 119) Auch hier werden nur die auf das Strafverfahren bezüglichen Bestimmungen erläutert.

Civilprozetzordnung für das Deutsche Ueid). Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen rc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: Erstes Buch.

Allgemeine Bestimmungen. Erster Abschnitt.

Gerichte. Erster Titel.

Sachliche Inständigkeit der Gerichte.

§ 1. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte wird durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt. N. Entw. - Entw. I. 8 1. Entw. II. § 1. Entw. III. § 1. Mot. S. 48. Prot. S. 4. Erster Titel.

Literatur: Wach I § 28 ff.; P lanck I § 6 ff.; Fitting § 12; H ellmann, Lehrb. § 12 ff.; vgl. unten Anm. 2. 1) Die „sachliche Zuständigkeit" bildet den Gegensatz zur örtlichen Zuständigkeit (Tit. 2). Nach der „Zuständigkeit" überhaupt bestimmt sich der „gesetzliche Richter" des Rechts­ streits (GVG.' § 16). Während aber die „sachliche Zuständigkeit" aus allgemeinen Kategorieen der Sachen beruht, nach welchen sich die Vertheilung unter die verschiedenen Arten der Gerichte regelt, richtet sich die „örtliche Zuständigkeit" („der Gerichtsstand") nach Merkmalen des einzelnen Falls, wonach das eine oder andere der an sich gleichartigen und nur nach dem örtlichen Bezirk gegen einander abgegrenzten Gerichte zur Entscheidung berufen ist (vgl. Planck I S. 25). Beide Arten von Zuständigkeit unterliegen in gewissem Maße der Vereinbarung (Tit. 3). Ueber beiden steht der Begriff der G eri ch tsbarkeit (GVG. Tit. 2). Vgl. EPO. § 247 Nr. 1, 2. 2) Eine eigenthümliche Auffassung der Zuständigkeitsordnung sucht Fitting (civ. Arch. 63 S. 245, Busch, Z. VI S. 338 ff. u. Lehrb. S. 47 ff., 68 ff.) dahin zu begründen, daß jedes ordentliche Gericht erster Instanz für jede Klage zuständig sei, was nur zwei Ausnahmen erleide, die eine mit Rücksicht auf die Interessen des Beklagten, indem es Letzterem häufig gestaltet sei, Struckmann u. Koch, Civilprozcßordnung. 6. Aufl.

1

2

Erstes Buch.

Allgein. Bestimmungen.

Erster Abschnitt.

Gerichte.

§ 2.

§ 2. Insoweit nach dem Gesetze über die Gerichtsverfassung die Zuständigkeit der Gerichte von dem Werthe des Streitgegenstandes abhängt, kommen die nach­ folgenden Vorschriften zur Anwendung. N. Entw. § 18. Entw I. § 2. Entw.

II.

§ 2. Entw.

III.

§ 2. Mot. S. 48

Prot. S. 4.

die Einlassung auf die Klage abzulehnen („bedingte Unzuständigkeit"), die andere mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse, indem in gewissen Fällen bestimmte Gerichte mit Ausschluß der anderen für zuständig erklärt seien („unbedingte Unzuständigkeit"). Der ganze Bau der CPO. ist jedoch mit dieser Ausfassung unvereinbar. Dieselbe ist erschöpfend widerlegt von RG. I S. 443 u. Wach in Gruchot 24 S. 704, 723 ff., 729 f. Vgl. Birkmeyer: Das gegenseitige Ver­ hältniß der §§ 38 ff. und 247 Z. 1 u. Abs. 3. der REPO., Rostock 1881, S. 5, 27 ff. u. in Busch, Z. VII S. 473 ff.; Bülow: Dispositives Civilprozeßrecht, im civ. Arch. 64 (auch in bes. Abdruck) S. 32; Wie ding im Rechtslex. IIIS. 1472 ff.; Renaud in Busch, Z. V S. 28 ff., 44; Vierhaus das. S. 73; Francke das. S. 473; Just im civ. Arch. 68 S. 286 ff.; A. Förster S. 69; Hellmann, Lehrb. S. 138 ff. Für Fitting erklärt sich Schwalbach im civ. Arch. 64 S. 258 Anm. 4, jedoch (wie v. Amsberg das. 65 S. 61 mit Recht bemerkt) ohne neue Stützpunkte zu bieten. 3) Abgesehen von § 1 enthält der vorliegende Titel nur die Bestimmungen über die Fest­ setzung des Werths des Streitgegenstandes (§§ 2—9) und einige Vorschriften zur thunlichsten Verhütung widersprechender Entscheidungen verschiedener Gerichte über die Frage der sachlichen Zuständigkeit bezüglich eines und desselben Rechtsstreits (§§ 10, 11).

§1 1) Der Begriff der sachlichen Zuständigkeit hat auch für die übrigen Justizgesetze — KO. u. StPO. — Bedeutung. Die dahin gehörigen Regeln sind daher grundsätzlich in das GVG. aufgenommen. 2) Im Civilprozesse sind entweder die Amtsgerichte oder die Landgerichte, in den höheren Instanzen die Landgerichte oder die Oberlandesgerichte bezw. dasReichsgericht oder ein oberstes Landesgericht zuständig. Vgl. GVG. §§ 23, 24, 70, 71, 123, 135, 158, 160, EG. z. GVG. § 8. Grundsätzlich nicht unter den Begriff der sachlichen Zuständigkeit, sondern in das Gebiet der inneren Geschäftsvertheilung fallen die von den Kammern für Handels­ sachen handelnden Bestimmungen; vgl. GVG. §§ 101 — 108. 3) Die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit finden sich nicht nur in dem GVG., sondern auch in der CPO., namentlich für die Zwangsvollstreckung (vgl. z. B. §§ 448, 568, 571, 594, 606, 617, 620. 624, 626, 629, 684, 755, 799, 820, 834), sowie in anderen Reichsgesetzen. S. KO. §§ 64, 134, 152, 202, 208; GVG. § 70 Anm. 5. 4) Die sachliche Zuständigkeit ist (wie die örtliche) zuweilen eine ausschließliche (vgl. § 40 Anm. 2). §

2.

Literalur zu §§ 2—9: I. Schmidt: Der Werth des Streitgegenstandes u. s. w. Leipzig 1884, dazu Tränkner in Krit. Vierteljahrsschr. XXVI S. 716 ff.; Rittmann: Der Werth des Streitgegenstandes, Straßburg 1891; Wach I § 31, dazu Birkmeyer in Meckl. Zeitschr. VI S. 196 ff.; Planck 1 § 10; Gerlach in Gruchot 31 S. 44 ff. 1) „der Gerichte" — nämlich der Amisgerichte und der Landgerichte. Die ersteren sind in der Regel zuständig bei „Klagen über vermögensrechtliche Ansprüche, deren Gegen­ stand an Geld oder Geldeswerth die Summe von dreihundert Mark nicht übersteigt"; indessen sind den Amtsgerichten sowohl als den Landgerichten gewisse Sachen ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes zugewiesen (GVG. §§ 23, 70). 2) „die nachfolgenden Vorschriften" — d. h. die §§3-9; dieselben sind auch in den Fällen der §§ 508 Abs. 2 und 649 Nr. 4 sowie nach GKG. § 9 bezw. GO. f. RA. § 10 für den Ansatz der Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren maßgebend. Vgl. auch § 92 Abs. 3.

Erster Titel.

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte.

§ 3.

3

§ 3. Der Werth des Streitgegenstandes wird von dem Gerichte nach freiem Ermessen festgesetzt; dasselbe kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amtswegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sach­ verständige anordnen. N. Ent«. §12. Ent«. I. § 3. Ent«. II. § 3

Ent« III. § 3. Mot. S. 49. Prot. S. 4

8 3. 1) Streitgegenstand in dem vorliegenden Sinne ist der durch die Klage oder Widerklage zur richterlichen Entscheidung gebrachte Anspruch (vgl. §§ 136, 137 Anm. 2), welcher aber nicht mit dem „materiellen Rechtsverhältniß, über welches die Parteien streiten" (Löning in Busch, Z. IV S. 7 Anm. 5), noch auch mit dem Leistungsgegcnstand (s. dagegen Wach I S. 369, Planck I S. 260 ff.; gegen Wach vgl. aber Birkmeyer a. a. O.) identisch ist. Vgl. auch GVG. § 23 Nr. I. In anderer Beziehung gehören freilich auch die Gegenforderung und der Kostenpunkt zum Streitgegenstände (vgl. Schollmeyer: D. Zwischenstreit unter d. Part. I. Berlin, 1880. S. 9 ff.; ders.: D. Kompensationseinrede im D. REP. Berlin 1884. S. 25 f.; Wach I S. 370 Anm. 7; unrichtig hinsichtlich der Gegenansprüche des Be­ klagten Muskat in Busch, Z. XII S. 344). Auf das, was der Gegner einräumt oder was der Kläger bezw. Widerkläger in den Gründen oder dem Antrage von vornherein als Gegen­ leistung oder Belastung oder bloß qualitative Einschränkung anbietet oder zugiebt, kommt es nicht an (vgl. §§ 8, 9, RG. III S. 392, V S. 4u8 u. in I. W. 1886 S. 38, 71,1889 S. 499 Nr. 1, 1891 S. 466 Nr. 2, Endemann I S. 226, Wach 1 S. 373 ff., 381, PlanckI S. 38 f., Wilm. Levy Anm. 1). Zu weit geht daher I. Schmidt a. a. O.. wenn er den Werth des Streitgegenstandes nach der Differenz zwischen dem Vermögen des Klägers ohne den Anspruch und dem Vermögen mit dem Anspruch, also nach dem Vermögens-Interesse bestimmen will. Dieses Interesse kann Hemer, aber oft auch weit größer sein als der Streitgegenstand. Wird freilich nur um einen Mehrbetrag gestritten (wie in Enteignungsprozessen — RG. IV S. 386), so ist nur dieser der Streitgegenstand. (S. auch Tränkner a. a. O., Wach I S. 366 ff.) Bringt ferner der Kläger selbst von vornhein eine Gegenforderung des Be­ klagten kompensationsweise in Abzug, so bildet nur der in der Klage verlangte Ueberschuß den Streitgegenstand. (Gaupp I S. 20 Anm. 5, RG. in I. W. 1887 S. 37. A.M. WachI S. 374). Die Klageschrift sol l den Werth des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Streitgegenstandes angeben, wenn die Zuständigkeit von diesem Werthe abhängt (§ 230 Abs. 3). Vgl. § 516 Abs. 3, GKG. § 14, GO. f. RA. § 86. Es ist Sache des Beklagten, bei der münd­ lichen Verhandlung vor der Verhandlung der Hauptsache mittels prozeßhindernder Einrede die Unzuständigkeit wegen höheren oder minderen Werths geltend zu machen (§§ 39, 247, 467); im amtsgerichtlichen Verfahren hat ihn jedoch der Richter auf die sachliche Unzuständigkeit auf­ merksam zu machen (§ 465 Abs. 2). Richterliche Entscheidung tritt nur ein, wenn der Werth streitig ist. So namentlich auch, wenn der Kläger ausbleibt und der Beklagte den von diesem zu Grunde gelegten Werth bestreitet (§ 295 Anm. 3 a. E.). Wird gegen den ausgebliebenen Beklagten die Erlassung eines Versäumnißurtheils beantragt, so gelten die thatsächlichen An­ gaben des Klägers über den Werth, wenn sie in der mündlichen Verhandlung wiederholt werden als zugestanden (vgl. § 296 Anm. 2, 3); zu einer richterlichen Werthsbestimmung ist also hier nur dann Veranlassung, wenn die klägerischen Angaben den Werth nicht genau ergeben oder auf einer unrichtigen rechtlichen Grundlage beruhen. (Vgl. auch § 39 Anm. 2, Endemann I S. 225, Gaupp I S. 21 u. A. Weiter gehend Wilm. Levy Anm. 1 S. 26.) Die Entscheidung ergeht in den Gründen des die Zuständigkeit bejahenden oder vernei­ nenden Urtheils und kann nur mit diesem angefochten werden. 2) Die Festsetzung erfolgt „nach freiem Ermessen" (wie in den Fällen der §§ 104, 260, 801, 805, 807; 817) auf Grund einer beantragten Beweisaufnahme oder ohne solche. 1*

4

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt.

Gerichte.

§ 4.

§ 4. Für die Werlhsberechnung ist der Zeitpunkt der Erhebung der Klage entscheidend; Früchte, Nutzungen, Zinsen, Schäden und Kosten bleiben unberück-' sichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacbt werden. N. Entw. § 13. Entw. I. § 4. Entw. II. § 4. Enttv. III. § 4. Mot. S. 49. Prot. S. 4. (Übe in Busch, Z. VI S. 4M ff.). Wie überhaupt (§ 135), so kann das Gericht auch hier von Amtswegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige an­ ordnen. Vgl. §§ 6—9; GKG. § 17. Auch der Berufungsrichter hat diese Besugniß (§ 487): Bei negativen Feststellungsklagen kommt es auf den Werth des Anspruchs an, dessen sich der Beklagte berühmt hat (RG. in S. A. 39 Nr. 343 u. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 373). Bei Ansprüchen aus gegenseitigen Verträgen bestimmt sich der Werth nach der geforderten Leistung ohne Abzug der Gegenleistung (vgl. oben Anm. 1, § 8, RG. V S. 408. A. M. Schmidt a. a. O. S. 76 ff.). Es würde sonst an einem Werthe des Streitgegenstandes öfters ganz fehlen. Vgl. ferner im einzelnen z. B. RG. II S. 403, III S. 390 (unten § 7 Anm. 2), III S. 96, 390, XV S. 434, XVI S. 333, XXII S. 411, 425, XXIV S. 372 (verein. Civilsen.; unten § 9 Anm. 2) u. in I. W. 1889 S. 283 Nr. 1, 1890 S. 7 Nr. 1, 1889 S. 429 Nr. 1; vgl. KO. §§ 136, 58 f., 62 f. u. unten §§ 8, 9, 508. 3) „Werth" — Es entscheidet der nach allgemeinen Grundsätzen zu beurtheilende Werth des Streitgegenstandes (vgl. W a ch I S. 382 f.), nicht das Interesse (z. B. die geforderte Schadens­ ersatzsumme bei Klagen auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht, nicht das etwa besonders ab­ zuschätzende Interesse an dieser Feststellung; vgl. NG. im NAnz. 1885 bes. Beil. 5 S. 265). Ein anderer als der gemeine Werth sz. B. bei Handelswaaren der Markt- oder Börsenpreis (HGB. Art. 353)], also der „Werth der besonderen Vorliebe" oder der „außerordentliche Werth" (Preuß. ALR. I 2 §§ 114, 115) ist in der Regel nicht, sondern nur dann zu berücksichtigen, wenn die besondere Lage des Falles es rechtfertigt. „Ein anderer Werth wird nur ausnahmsweise zur Berücksichtigung kommen können, wenn nach dem Inhalte der Klage der Affectionswerth beansprucht wird oder wenn der Streitgegenstand aus besonderen sachlichen Verhältnissen für eine der Parteien einen höheren als den gemeinen Werth hat." (Mot.) Das „freie Ermessen" des Richters soll hier wie für schwer abzuschätzende (sog. „unschätz­ bare") Gegenstände den richtigen Weg finden. Es kann aber nur der besondere Werth in Betracht kommen, welchen die Sache für den Kläger hat (Ausnahme in § 7), da der Anspruch des Klägers, nicht die Verpflichtung des Beklagten das entscheidende ist (vgl. § 4 „Zeitpunkt der Erhebung der Klage", § 5 „mehrere Ansprüche"; Wach I S. 376 ff., Gaupp I S. 22 N. 12. A.M. Wilm. Levy Anm. 1'; vgl. auch Birkmeyer a. a. O. S. 203 f.). Die Möglichkeit, daß der Streitgegenstand überhaupt nicht abzuschätzen sei (ALR. I 2 § 119; HE. § 6), ist nicht anerkannt (Nordd. Prot. S. 86). Es ist vielmehr stillschweigend voraus­ gesetzt, daß der Gegenstand eines jeden vermögensrechtlichen Anspruchs sich in Gelde abschätzen lasse. (So auch RG. X S. 322.) Positive Bestimmungen hinsichtlich der Kosten bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen enthält GKG. § 10. Bei Geltendmachung von Theilen eines Anspruchs kann immer nur der Werth des Theils entscheiden, auch wenn er nicht individualisirt ist. (Vgl. Wach IS. 371 Anm. 10, Linckelmann in Busch, Z. XVII S. 451. A.M. Zitelmann das. VIII S. 276 f., Muskat das. XII S. 335 ff.) 4) Die Festsetzung ist auch für die Berechnung der Gerichts- und Rechtsanwalts­ gebühren maßgebend (GKG. § 15, GO. f. RA. § 11). Eventuell erfolgt zu diesem Zwecke eine besondere (gebührenfrete) Festsetzung (GKG. § 16), gegen welche auch seitens der Staats­ kasse Beschwerde zulässig ist (RG. in Gruchot 28 S. 1178).

§ 4. 1) Wann die Klage als erhoben gilt, bestimmen die §§ 230, 254, 460, 461, 471. Wegen des Mahnverfahrens s. §§ 633, 635, 636.

Erster Titel.

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte.

§ 4.

5

2) Eine spätere Verminderung des Streitgegenstandes ändert nichts in der Zu­ ständigkeit des Landgerichts (§ 235 Nr. 2, RG. in I. W. 1893 S. 126), während durch Erweiterung desselben (nicht durch bloße Erhöhung seines Werths; vgl. ob. L. G. f. Bayern in S. A. 43 Nr. 242, RG. im NAnz. 1889 bes. Beil. 3 S. 241) — §§ 210 Nr. 2, 3; 253; 254 — die Unzuständigkeit des Amtsgerichts herbeigeführt werden kann (§ 467). Aus das Ver­ halten des Beklagten im Prozesse kommt es nicht an (vgl. § 3 Anm. 1). 3) „Früchte, Nutzungen" u. s. w. (die Aufzählung giebt nicht bloß Beispiele und läßt keine ausdehnende Anwendung zu — vgl. RG. XIII S. 396) bleiben schlechthin — auch be­ züglich der Zeit vor Erhebung der Klage — außer Betracht (der Einfachheit der Berechnung wegen), abweichend vom bisherigen Preuß. Rechte, dessen Terminologie (ALR. I 2 § HO, I 7 §§ 189 ff., I 9 § 220, AGO. I 23 §§ 58 ff.) gleichwohl gewählt ist Der Grundsatz gilt auch bei Prioritätsstreitigkeiten (s. RG. IV S. 367, XVIII S. 373) und in Arrestprozessen (RG. XXVI S. 412). Der Begriff der „Früchte" u. s. w. bestimmt sich nach dem .'betreffenden bürgerlichen Rechte (vgl. z. B. Windscheid, Pand. I §§ 143 f.). „Nutzungen" ist der weitere Begriff, welcher Früchte und Zinsen mitumfaßt (vgl. auch § 9, A. Förster S. 10 ff.). Unter „Zinsen" sind gesetzmäßige wie vertragsmäßige zu verstehen (Nordd. Prot. S. 80). „Schäden" bezeichnen Ansprüche auf Schadensersatz einschließlich des entgangenen Gewinns („Interesse" — vgl. z. B. Preuß. ALR. I 5 §§ 286, 287, I 6 §§ 1—7) aus einem mit der Hauptsache zusammenhängenden Grunde. Auch eine Konventionalstrafe gehört hierher, wenn sie neben der Hauptsache eingeklagt wird, z. B. im Falle des Preuß. ALR. I 5 § 295. (Vgl. Petersen § 4 II 3, Wach I S. 385 Anm. 35 u. A.; s. auch ROHG. 16 S. 397. A.M. Sarwey I S. 19). Eigentliche Prozeßschäden (Preuß. AGO. I 23 §§ 59, 60) sind da­ gegen nicht hierher zu rechnen. „51 osten" — nicht bloß die des anhängigen Prozesses, sondern auch alle außerhalb des letzteren entstandenen Kosten, welche zur Rechtsverfolgung bezw. Vertheidigung aufgewandt sind, z. B. Stempel, Porto u. s. w. (Vgl. Wach I S. 385 Anm. 52, Endemann I S. 228, Petersen § 4 II 4 u. A. A.M. Puchelt I S. 104.) Futterkosten (bei der redhibitorischen Klage) gehören weder zu den Kosten noch zu den Schäden (RG. XIII S. 396). Wegen der Nebenforderungen in Wechselsachen vgl. § 508 Anm. 3. Auch wenn die Nebenforderungen mehr als 300 Mark betragen, der Werth des Haupt­ anspruchs aber diese Summe nicht übersteigt, ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht aus­ geschlossen, obschon das Gegentheil gilt, wenn sie selbständig verfolgt werden. Abweichend hinsichtlich der Gebühren GKG. § 13 (GO. f. RA. § 10). 4) „wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden" — d. f). neben einer anderen (Haupt-) Forderung, von welcher sie abhängig sind (vgl. RG. in S. A. 43 Nr. 241, Wach I S. 384 Anm. 14, Planck I S. 39); auch im Konkurse (RG. VII S. 326). Ob sich die Nebenforderungen auf ein Versprechen als Klagegrund stützen, ist unerheblich (OLG. Hamburg in S. A. 39 Nr. 242). Treten sie allein auf oder nicht als Nebensache, sondern als Bestandtheile oder Zubehörungen der.Hauptsache — z. B. rückständige Zinsen einer bezahlten Schuld neben dem Kapitalrest (Förster Anm. 2 S. 10, RG. m Gruchot 31 S. 1141. A.M. Gaupp I S. 25), verlegte Zinsen bei der actio mandati contraria (Petersen.§ 4 III 4), rückständige Bezüge neben dem Recht auf künftige Bezüge (RG- XIX S. 416 — verein. Civils.), Füllerungskosten neben dem Ansprüche auf Rücknahme des Thiers (RG. XIII S. 396. A.M. Gau pp I S. 25, Wilm. Levy Anm. 2), Kosten eines Vorprozesses gegen den Schuldner, welche vom Cessionar gegen den Cedenten neben dem Ansprüche auf Rückzahlung der Valuta geltend gemacht werden (RG. VIII S. 365, X S. 345; andere Fälle s. RG. XII S. 258 u. in I. W. 1892 S. 460 Nr. 1) —, so müssen sie bei der Werthsberechnung berücksichtigt werden (vgl. § 5 Anm. 2). Ebenso bilden nach Wegfall des Hauptanspruches die übrig bleibenden

li

Erstes Buch.

Allgern. Bestimmungen.

Erster Abschnitt.

Gerichte.

§ 5.

§ 5. Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche werden zusammen­ gerechnet; eine Zusammenrechnung des Gegenstandes der Klage und der Wider­ klage findet nicht statt. N. Entw. § 14. Entw. I. § 5. Entw. II. § 5. Entw. III. § 5. Mot. S. 50, 80. Prot. S. 4, 12. Nebenforderungen, bezw. die dann vorhandenen Kosten, über welche weiter verhandelt wird, den für die Werthsberechnung maßgebenden Streitgegenstand, während die weiteren Kostensich als Nebenforderung charakterisiren (s. RG. in I. W. 1890 S. 24 Nr. 2, OLG. Jena in S. A. 42 Nr. 148, OLG. Hamburg das. 43 Nr. 295; vgl. RG. das. 43 Nr. 308). Andererseits bleibt für die Werthsberechnung der Anspruch auf Rechnungslegung, wenn er neben dem Kapitalanspruche lediglich zwecks Klarlegung des Zinsanspruches erhoben wird, außer Berücksichtigung (RG. XXIX S. 395). Vgl. § 508 Anm. 3. § 5. 1) Die Zusammenrechnung gilt für die sog. subjektive wie für die objektive Klagen­ häufung (§§ 56, 57, 232). Wie die Mot. hervorheben, kommt es auch nicht darauf an, ob die Ansprüche auf demselben Grunde oder auf verschiedenen Gründen beruhen. Bei Geltend­ machung einer Solidar- oder Korreal-Verbindlichkeit, z. B. aus einem Wechsel, wird der Gegen­ stand aber nicht durch die Zahl der Beklagten vervielfacht (Petersen § 5 Nr. 1 a. E., OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 47h, D. I. Ztg. 1883 S. 565, Wach I S. 381). Ansprüche, welche ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes der amtsgerichtlichen Zuständigkeit unterliegen, sind von der Zusammenrechnung ausgeschlossen. Das Amtsgericht bleibt also zu­ ständig, auch wenn bei Verbindung eines Anspruchs aus GVG. § 23 Nr. 2 und eines Anspruchs unter 300 Mark der Gesammtwerth 300 Mark übersteigt. Vgl. § 232 Anm. 2. Das richterliche Trennungs- und Verbindungsrecht (§§ 136, 138) hat auf die Anwendung des § 5 keinen Einfluß. Denn für die Zuständigkeit entscheidet der Zeitpunkt der Erhebung der Klage (§ 3 Anm. J, § 4 Anm. 1, 2; § 235 Nr. 2). Von dem Zeitpunkte der Verbindung an aber werden die richterlich verbundenen Sachen auch hinsichtlich der Werthsberechnung, z. B. in Betreff der Revisibilität und der Gerichtskosten, so behandelt, als wären sie schon in der Klage verbunden gewesen (s. § 138 Anm. 2, § 503 Anm. 3. Bei der sog. sukzessiven Klagenhäufung (§ 232 Anm. 7) 'findet eine Zusammenrechnung so wenig statt, wie bei der Forderung derselben Sache aus mehreren unabhängig neben ein­ ander stehenden Klaggründen oder bei der Häufung eines Prinzipalen und eines akzessorischen Anspruchs, z. B. der persönlichen und der Pfandklage, oder bei Verbindung einer Prinzipalen und einer eventuellen Klage. In letzterem Falle entscheidet der mehrwerthige Anspruch (RG. in S. A. 43 Nr. 147); dasselbe gilt bei alternativen Anträgen, wenn Kläger sich die Wahl vorbehält (vgl. Wilm. Levy § 3 Anm. 1 S. 25, Wach I S. 380). Hat der Beklagte die Wahl, so entscheidet der minderwerthige Anspruch (RG. in S. A. 46 Nr. 70), ohne Rücksicht darauf, daß etwa möglicherweise in Folge Untergangs des minderwerthigen Leistungs­ gegenstandes der Beklagte den höherwerthigen zu geben hat (Wach I S. 380, Wilm. LevyZ3 Anm. 1 S. 25. A.M. Gaupp I S. 20, Seuffert § 3 Anm. 1). Eine facultas alternativa bleibt bei der Werthsbestimmung unberücksichtigt (s. RG. XX S. 199). Eine Zusammen­ rechnung findet bei alternativen Anträgen nicht statt (A.M. Zitelmann in Busch, Z. VIII S. 277). 2) Zu diesem § hat die RTK. konstatirt (vgl. Einl. Nr. X a. E.),^ daß unter „An­ sprüchen" hier nur diejenigen Ansprüche im weiteren Sinne zu verstehen seien, welche selb­ ständig, nicht auch diejenigen, welche akzessorisch gellend gemacht werden. Die Zusammen­ rechnung erstreckt sich also nicht auf Nebenforderungen an Früchten u. s. w. (§ 4). — Ueber den Begriff „Anspruch" vgl. im Uebrigen §§ 136, 137 Anm. 2. 3) Mehrere in einer Widerklage (§ 33) (nicht in mehreren selbständigen Widerklagen einzelner Streitgenossen oder in mehreren nacheinander erhobenen Widerklagen desselben Be-

Erster Titel.

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte.

§ 6.

7

§ 6. Der Werth des Streitgegenstandes wird bestimmt: durch den Werth einer Sache, wenn deren Besitz, und durch den Betrag einer Forderung, wenn deren Sicherstellung oder ein Pfandrecht Gegenstand des Streits ist. Hat der Gegenstand des Pfandrechts einen geringeren Werth, so ist dieser maßgebend. N. Entw. 8 12 Z. 1, 2, 3. Entw. I. § 6. Entw. II. § 6. Entw. III. 8 6. Mot. S. 50. Prot. S. 4. klagten — s. Wilm. Levy Anm. 1, Loening in Busch, Z. IV S. 105) geltend gemachte Ansprüche unterliegen der Zusammenrechnung. Dagegen bleiben Klage und Widerklage getrennt. Die letztere ist hier aus Zweckmäßigkeilsgründen wie eine Einrede behandelt. sDa § 5 sich auf den negativen Satz beschränkt, daß der Gegenstand der Widerklage dem der Klage nicht hinzu­ gerechnet werde, so ist der Einwurf Loening's a. a. O. S. 24 Anm. 18 nicht verständlich. Daß für die sachliche Zuständigkeit die Widerklage nichtsdestoweniger von Bedeutung ist, ergiebt sich anderweit (vgl. §§ 33 Anm. 5, 467 Anm. 1, 2).] Abweichend hinsichtlich der Gebühren GKG. § 11 Abs. 1 (GO. f. RA. § 10).

§§ 6

9.

Die §§ 6—9 normiren das „freie Ermessen" für gewisse besonders häufige und zweifelhafte Fälle. Die Verletzung begründet die Revision (vgl. Seuffert § 6 Anm. 1, Petersen S. 10, jetzt auch Gaupp 1 S. 27). Anleitungen für die Berechnung des Streit­ gegenstandes bei Klagen, welche Geld zum Gegenstände haben, giebt Siebenhaar S. 38—43. Vgl. auch Wach I S. 390 ff. § 6. 1) „durch den Werth einer Sache, wenn deren Besitz" — im weitesten Sinne sA.M. gegenüber fast allen Komm. Wach I S. 386, welcher § 6 auf die eigentlichen Besitz­ klagen beschränkt, da bei Klagen, welche auf ein dingliches oder persönliches Recht gestützt seien, der „Besitz" nicht „Gegenstand des Streits" sei; er ist solches aber insofern, als er vom Kläger unter Widerspruch des Beklagten verlangt wirdj, also in allen Fällen, in welchen die Heraus­ gabe einer körperlichen Sache gefordert wird, z. B. mittels der rei vindicatio (RG. in I. W. 1893 S. 73), Publiciana in rem actio oder einer persönlichen Traditions- oder Restitutions­ klage, z. B. Klage auf Pachtrückgewähr (OLG. B raun sch wei g in S. A. 37 Nr. 246), oder auf Rückgabe einer geliehenen Sache (RO. in I. W. 1881 S. 4), oder auch auf Einräumung der Detention (z. B. Klage des Leihers gegen den Verleiher; vgl. A. Förster Anm. 1. A.M. Sarwey I S. 21). Auch die Klagen aus „unvollständigem Besitz" (Preuß. ALR. I, 7 § 6, -§ 170) gehören hierher, wenn der Anspruch auf die Herausgabe der Sache oder die Ausübung (den „Besitz") des Rechts gerichtet ist. Letzteres gilt auch bei solchen Rechten, „die von dem Besitze einer körperlichen Sache nicht abhängen" (das. §§ 78 ff.). (Vgl. A. Förster Anm. 1.) Bei bloßen Besitz störungs klagen ist nicht der Besitz Streitgegenstand (Gaupp I S. 27; vgl. über die Negatorienklage § 7 Anm. 2); auch nicht bei Ansprüchen auf Exhibition oder Edition; bei diesen entscheidet lediglich freies Ermessen (§ 3), welches aber selbstverständlich in dem Werth des Rechts, dem die Klage dienen soll, ihr Maximum erreich: (Wach I S. 390); ebenso bei Ansprüchen auf Herausgabe von Geschäftsbüchern (RG. IV S. 403), von Wechseln (RG. in Gruchot 29 S. 418) oder anderen Wertpapieren (vgl. auch RG. in S. A. 44 Nr. 136. A.M. Gaupp I S. 28, welcher mit Unrecht das Werthpapier und das Recht aus dem Papiere gleichstellt). Auch bei Klagen des Verkäufers auf Entgegennahme der Auflassung ist § 6 unanwendbar (RG. in Gruchot 34 S. 1138). 2) „einer Forderung, wenn — ein Pfandrecht" — d. h. der Forderung, welche durch das Pfandrecht verstärkt ist (N. E. § 12 Nr. 2). — Bei Berechnung des Werths der Forderung bleiben Zinsen und Kosten als Nebenforderungen unberücksichtigt (RG. XXVI S. 412 u. in I. W. 1893 S. 382, oben § 4 Anm. 3; vgl. jedoch auch G a upp I S. 24, 26). Bei Bestimmung des Werths des Gegenstandes des Pfandrechts kommen Belastungen, welche den in Aussicht stehenden materiellen Erfolg hindern, nicht in Betracht (RG. XXII S. 388. A.M. Seuffert Anm. 5).

8

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt.

Gerichte.

§ 7.

§ 7. Der Werth einer Grunddienstbarkeit wird durch den Werth, welchen dieselbe für das herrschende Grundstück hat, und wenn der Betrag, um welchen sich der Werth des dienenden Grundstücks durch die Dienstbarkeit mindert, größer ist, durch diesen Betrag bestimmt. N. Enttv. 8 12 Z. 4. Entw. I. § 7. Etttrv. II. § 7. Entw. III. § 7. Mot. S. 50. Prot. S. 4. — Hierher gehört auch die Klage auf Löschung einer Hypothek oder Grundschuld (f. Preuß. Ges. v. 5. Mai 1872 § 63 — GS. S. 433), mag sie unter § 25 fallen oder nicht (f. § 25 Anm. 1), ferner der Widerspruch gegen eine nach art. 2169 0. civ. erlassene Aufforderung (NG. X S. 344). Wird die Pfandrechtsklage mit der persönlichen Klage verbunden (s. z. B. § 26), so kann gleichfalls nur der Betrag der Forderung maßgebend sein. (Vgl. auch G aupp l S. 28, Seuffert Anm. 4 u. A. Schwankend Endemann I S. 232. A.M. Sarwey I S. 21, Hellmann 1 S. 56). Bei Kautionshypotheken entscheidet der eingetragene Höchst­ betrag (NG. in Gruchot 36 S. 1195). Bei der Exekutions-Intervention (§ 690) ist die Befreiung der Sache von dem Pfändungspfandrecht Streitgegenstand, § 6 also unmittelbar anzuwenden (NG. X S. 393 und in I. W. 1891 S. 131, Wach I S. 387 Anm. 58; vgl. auch OLG. C ö ln in Busch, Z. VII (E. 94, welches mit Unrecht stets den Pfandwerth ent­ scheiden läßt). Nur zur entsprechenden Anwendung eignet sich § 6 bei PrioritätsStreitigkeiten. Hier kommt es auf die geringere der beiden konkurrirenden Forderungen an bezw. auf den verfügbaren Gegenstand, falls letzterer einen noch geringeren Werth hat (vgl. KO. § 136, GO. f. RA. § 39 Abs. 2, RG. IV S. 365, Wach I S. 357 Anm. 58). Bei Klagen auf Eintragung eines fide ikommissarischen Erbrechts in das Grundbuch ist § 6 gleichfalls entsprechend anwendbar (NG. in I. W. 1891 S. 329 Nr. 20). Bei Anfechtungs­ klagen (KO. §§ 22 ff., RGes. v. 21. Juli 1879) entscheidet der Werth der beizutreibenden Forderung, sofern nicht der Vermögensgegenstand, welcher zur Befriedigung dienen soll, einen geringeren Werth hat (NG. VII S. 393, Wach I S. 376). Bei Geltendmachung eines Reten­ tionsrechts findet § 6 auf das Verhältniß der retinalen Leistung zu derjenigen Leistung, wegen welcher retinirt wird, keine Anwendung (vgl. NG. XII S. 155 u. in I. W. 1893 S. 382. A.M. 33nnfen: Das gesetzl. Pfand- u. Zurückbehaltungsrecht. Rostock 1884, S. 36, Wach I S. 387). Bei einstweiligen Verfügungen und Arresten richtet sich der Streitwerth nicht schlechthin nach dem der Hauptsache, vielmehr ist grundsätzlich § 3 anwendbar (NG. in J.W. 1689 S. 39 Nr. 1; vgl. XV S. 434).

§ 7. 1) „Grunddienstbarkeit" — Real-Servitut, Grundgerechtigkeit (Preuß. ALR. I 22 § 12) einschließlich der „gesetzlichen Servituten" aus dem Nachbarrecht (s. das. I 8 §§ 123 f., Entsch. d. O. T. 68 S. 121). Die vermeintliche Unschützbarkeit der Grundgerechtigkeit ist also nicht anerkannt (vgl. § 3 Anm. 3). Auf die Partei-Stellung kommt es nicht an; der Grund­ satz gilt für die negatorische wie für die konfessorische Klage, für erstere selbstverständlich nur, sofern schon in der Klage (§ 4) hervortritt, daß die Freiheit von der Grunddienstbarkeit den Streitgegenstand bildet (vgl. Nordd. Prot. S. 87). (Ebenso fast alle Komm. A.M. Siebenhaar S. 45; weniger bestimmt Endemann I S. 233.) Auch persönliche Klagen, deren Gegenstand eine Grunddienstbarkeit ist, sind nicht ausgeschlossen (vgl. § 6 Anm. 1); wohl aber Klagen wegen Personal-Servituten oder anderer dinglichen Rechte sowie wegen Re al­ lasten (vgl. § 9). (A.M. in letzterer Beziehung Petersen tz 7 Nr. 1, Wach I S. 387 Anm. 61 will § 7 auf Neallasten wie auf gesetzliche Servituten analog anwenden; RG. XXIX S. 406 wendet § 7 entsprechend auf Baubeschränkungen eines Grundstücks an, die auf einem persönlichen Rechte beruhen ^bedenklich, weil § 7 eine Ausnahme von dem Satze ist, daß der Werth des Streitgegenstandes vom Standpunkte des Klägers, nicht von dem des Beklagten aus zu berechnen ist; § 3 Anm. 3]). Wegen einstweiliger Verfügungen s. §. 6 Anm. 2 a. E.

Erster Titel.

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte.

§§ 8, 9.

9

§ 8. Ist das Bestehen oder die Dauer eines Pacht- oder Miethverhältnisses streitig, so ist der Betrag des auf die gesanunte streitige Zeit fallenden Zinses und, wenn der fünfundzwanzigfache Betrag des einjährigen Zinses geringer ist, dieser Betrag für die Werthsberechnung entscheidend. N. Entw. 8 12 3 5.

Entw. I. § 8. Entw. IL § 8. Entw. III. § 8. Mot. S. 50. Prot. S. 4.

§ 9. Der Werth des Rechts auf wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen wird nach dem Werthe des einjährigen Bezugs berechnet und zwar: auf den zwolfundeinhalbfachen Betrag, wenn der künftige Wegfall des Bezugsrechts gewiß, die Zeit des Wegfalls aber ungewiß ist; auf den fünfundzwanzigfachen Betrag, bei unbeschränkter oder bestimmter Dauer des Bezugsrechts. Bei bestimmter Dauer des Bezugsrechts ist der Gesammtbetrag der künftigen Bezüge maßgebend, wenn er der geringere ist. N. Entw. § 12 3 6.

Entw. I § 9. Entw. II. § 9. Entw. III. § 9. Mot. S. 50.

2) Wird negatorisch wegen einer Eigenthumsstörung geklagt,

Prot. S. 4.

welche sich nach der Klage

nicht als Ausübung einer Grunddienstbarkeit darstellt, so ist § 7 nicht anwendbar, sondern der Richter schätzt nach freiem Ermessen (§ 3) das Interesse des Klägers an Beseitigung des Eingriffs des Beklagten (RG. III S. 390). §

8.

1) „das Bestehen oder die Dauer" — hauptsächlich, aber nicht allein die hierauf gerichtete Feststellungsklage (§§ 231, 253). Nur diese rechnen hierher: 9t(9. XXVI ©. 431 u. im D. RAnz. 1890 bes. Beil. 6 S.54d, Hellmann I S. 60, JI S. 16, Wach I S. 388, Warmüth in Busch, Z. V S. 501 ff., A. Förster Anm. 1 u. A.

Indessen wird auch in dem Falle, wenn sogleich

auf Räumung oder auf Auflösung des Vertrags (z. B. art. 1184 C. civ.) geklagt wird, häufig, wenn auch nur in den Gründen des Urtheils, über Dauer bzw. Bestehen des Vertrages entschieden; der Ausdruck „Ist — streitig" setzt nicht voraus, daß das Bestehen oder die Dauer des Verhält­ nisses unmittelbar, wie bei Feststellungsklagen, „den Streitgegenstand" (vgl. z. B. § 2, 3) bildet, und der Grund, wie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes weisen auf diese weitergehende Aus­ legung hin (f. Gaupp I S. 30, Wilm. Levy Anm. 8, auch NG. XVII S. 376). Auch Klagen des Miethers auf Ueberlassung der Miethsache können daher unter § 8 fallen (Endemann I S. 234. A.M. früh. Anst.) Wäre § 8 bei Räumungsklagen nicht anwendbar, so würde übrigens nicht § 3, sondern § 6 Platz greifen, was zu großen Härten führen kann. Auch bei Klagen auf Räumung auf Grund einer Kündigung, deren Wirksamkeit bestritten wird, findet § 8 Anwendung (A.M. NG. XVII S. 376 und in S. A. 43 Nr. 296). S. übrigens GVG. § 23 Nr. 2 Abs. I. Die „streitige Zeit" geht bei kündbaren Verträgen nur bis zu dem Zeitpunkte, zu welchem der Vertrag beliebig gekündigt werden kann (NG. in S. A. 42 Nr. 322).

2) „Zinses" — Der Ausdruck bedeutet nicht ausschließlich Geld (s. Preuß. ALR. I 21 § 264, Endemann I S. 234, Sarwey I S. 23), schließt aber die Dienstmierhe aus (RG. IV S. 399, Hellmann I S. 61 Anm. 4 u. 11, Wach I S. 39! u. A.). Ist die Dauer des Verhältnisses unbestimmt, so ist das Ermessen frei; nur darf der sünfundzwanzigsache Betrag des Jahreszinses nicht überschritten werden; s. jedoch Anm. 1 Abs. 2. Die Gegenleistung kommt nicht in Betracht (s. § 3 Anm. 1, 2). 3) § 8 findet keine Anwendung bei Prozessen zwischen mehreren Pächtern oder zwischen einem Pächter und dessen Rechtsnachfolger (Rassow in Gruchot 33 S. 838.

A.M. Gaupp

I S. 30). § 9. 1) Auf den landesgesetztich sehr verschiedenen Ablösungs werth kommt es nicht an.

2) „des Rechts auf wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen" — gleichviel

10

Erstes Buch.

Allgern. Bestimmungen.

Erster Abschnitt.

Gerichte.

§ 10.

§ 10. Das Urtheil eines Landgerichts kann nicht aus dem Grunde ange­ fochten werden, weil die Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet gewesen sei. N. Entw. § 19. Entw. I. § 10.

Entw. II. § 10. Entw. III. § 10.

Mot. D. 51. Prot. S. 4, 495-497.

ob aus dinglichem oder obligatorischem Nechtsverhältniß (Wach I S. 389), z. B. Zehnten, Dienste u. s. w.; Renten' aus Alimenten- oder Entschädigungsklagen, z. B. auf Grund des Haftpflichtgesetzes (Petersen § 9 Nr. 4) u. s. w. Wesentliche Voraussetzung ist dabei die Bestrittenheit des Rechts selbst. Die Nutzungen (§ 4 Anm. 3) oder Leistungen müssen zwar wiederkehren, aber nicht gerade regelmäßig (periodisch) — wie nach Bayer. PO. Art. 5, Württ. PO. Art. 21 Nr. 3. Die Zeitabschnitte und die Größe können verschieden sein. Der Werth des einjährigen Bezugs wird meist ermittelt werden können, wenngleich vielleicht nur durch Aufstellen einer Durchschnittsrechnung. (Vgl. auch Sarwey I S. 24, Endemann I S. 235. A. M. Seuffert Anm. 2, Hell mann I S. 62 Anm. 3; zu eng in der Begründung auch RG. in S. A. 43 Nr. 62). Gegenstand der Schätzung sind nur die bei Erhebung der Klage noch nicht fällig gewesenen („künftigen") Bezüge. Wird mit dem Rechte auf diese ein Anspruch auf Rückstände geltend gemacht, so ist dieser nicht Nebenforderung im Sinne des § 4 (NG. sver. Civils.) XIX S. 416); die nach der Klagerhebung fällig werdenden Bezüge sind jedoch bei der Frage nach dem Vorhandensein der Revisionssumme nicht neben dem nach Z 9 zu berechnenden Kapital selbständig zu berechnen (NG. XXIII S. 359 u. in I. W. 1891 S. 221 Nr. 1). Ist nicht das Recht selbst, sondern nur eine einzelne Nutzung oder Leistung oder eine begrenzte Mehrheit von solchen streitig, so ist § 9 unanwendbar. § 9 bezieht sich auch nicht auf Leistungen von nur einstweiligem, vorübergehenden!, ihrer Natur nach voraussichtlich nicht länger als 12^sjährigem Bestände, insbes. nicht auf einstweilige Verfügungen nach § 584 CPO.; es greift vielmehr § 3 Platz (RG. XXIV S. 373 sverein. Civilsen.j. A.M. RG. XVI S. 333). Vgl. KO. § 63. '3) „wenn — ungewiß ist" — z. B. eine lebenslängliche Leibrente, eine auf ein be­ stimmtes höheres Lebensalter eingeschränkte i Alimentenforderung (OLG. Kiel in S. A. 41 Nr. 58). 4) „bei unbeschränkter Dauer" — z. B. subjektiv dingliche Reallasten.

§ io. 1) Die Bevorzugung der Landgerichte, zu welchen auch die Kammern für Handels­ sachen gehören (GVG. §§ 70, 100 ff.; vgl. GVG. § 107), beruht nach den Mot. darauf, daß die Rechtsprechung des Kollegialgerichts als die vermuthlich bessere gilt. Ebenso StPO. § 269. Vorausgesetzt ist nach dem Wortlaute des Gesetzes, daß das Landgericht sich für sachlich zuständig erklärt hat, sei es durch Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede (§ 247 Nr. 1, NG. in Gruchot, 33 S. 1131), oder ohne solche (NG. XI S. 432), sei es durch Zwischenurtheil (§ 248) oder (ausdrücklich oder stillschweigend) im Endurtheil (so auch Wach I S. 363 Anm. 10, Planck I S. 37 Anm. 44. A.M. wegen des Zwischenuriheils A. Förster Anm. 3 u. in Betreff der Einrede überhaupt v. Bülow Anm. 1). Nach RG. XXIII S. 429 u. in I. W. 1893 S. 73 ist § 10 aber auch auf Urtheile des Oberlandesgerichts anwendbar, falls die Zuständigkeit des Landgerichts von letzterem verneint, vom Oberlandesgericht aber bejaht ist (A.M. Wilm. Levy Anm. 1). 2) „angefochten" — d. h. durch Rechtsmittel. Der Einspruch ist unbeschränkt, da er einer Begründung überhaupt nicht bedarf (vgl. §§ 305, 307). (So auch Endemann I S. 236, Gaupp I S. 32, Seuffert Anm. 3 u. A. A.M. Sarwey I S. 24.) Vgl. § 36 Anm. 7. Ob die Anfechtung auf den Werth des Streitgegenstandes (GVG. § 23 Nr. 1) oder auf GVG. § 23 Nr. 2 gegründet wird, ist nach der allgemeinen Fassung und den Mot. zu § 2 unerheblich. (So auch RG. IX S. 350, XI S. 432, RAnz. 1885 bes. Beil. 5 S. 252, I. W. 1889 S. 303, Bolgiano in Busch Z. I S. 67, Osterloh das. III S. 64, Wach I S. 362 u. A. A.M. Sieben haar S. 47, v. Bülow Anm. 1.) § 10 ist mithin auch im Falle des 8 778 Abs. 2

Erster Titel.

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte.

§ 11.

11

§ 11. Ist die Unzuständigkeit eines Gerichts auf Grund der Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte rechtskräftig ausgesprochen, so ist diese Entscheidung für das Gericht bindend, bei welchem die Sache später an­ hängig wird. N. Entw. 8 18- Entw. I. § 11. Entw. II. § 11. Entw. III. § 11 Zweiter Titel.

Mot. S. 51. Prot. S. 7.

Gerichtsstand.

§ 12. Das Gericht, bei welchem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, ist für alle gegen dieselbe zu erhebenden Klagen zuständig, sofern nicht für eine Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist. N. Entw. § 41, 74. Entw. I. 8 12. Entw. II. 8 12. Entw. III. 8 12. Mot. S. 52. Prot. S. 7. anwendbar (RG XIII S. 367. A.M. Gaupp I S. 32, Planck a. a. O.). Dagegen bezieht sich § 10 nicht auf solche Vollstreckungshandlungen (Beschlüsse), für welche das Landgericht überhaupt keine Zuständigkeit hat (vgl. § 684; RG. in I. W. 1889 S. 287 Nr. 14), mithin auch nicht auf den Fall, wenn der Arrest von einem Amtsgerichte angeordnet, die Widerspruchs­ klage (§ 804) aber vor einem Landgerichte erhoben wurde (RG. XVIII S. 374, Fitting § 13 N. 19). 3) § 10 bezieht sich nicht aus die Anfechtung wegen örtlicher Unzuständigkeit.

§ 11. 1) „Ist die Unzuständigkeit — rechtskräftig ausgesprochen"—sei es von einem Landgericht oder von einem Amtsgericht, in Folge prozeßhindernder Einrede (§§ 247 ff., 465), bezw. eines nach § 467 gestellten Antrags, oder in Ermangelung zulässiger Vereinbarung (§§ 38 ff.) von Amtswegen, und zwar mit formeller Rechtskraft (§ 645 Anm. 1, § 293 Anm. 1). „so ist — anhängig wird" — also für jedes (ordentliche) Gericht ohne Ein­ schränkung. Ein negativer Kompetenz-Konflikt (§ 36 Nr. 6) ist hiernach auf diesem Gebiete (zwischen einem Amts- und einem Landgericht) bei Beachtung des § 11 unmöglich, soweit es sich um denselben Kompetenzgrund handelt. Weiter zu gehen und die Unzuständigkeits­ erklärung schlechthin für bindend zu erklären, ohne Rücksicht darauf, welche von den Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit jener Entscheidung zu Grunde liegt, ist nicht die Absicht gewesen, wie die Worte der Mot. „sich — aus demselben Grunde rechts­ kräftig für sachlich unzuständig erklären" ergeben. (Vgl. auch Endemann 1 S. 238, Gaupp I S. 33, v. Bülow Anm. 1, 2, A. Förster Anm. Id, anscheinend auch RG. XVII S. 383. A.M. Petersen § 11 Nr. 3, Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert Anm. 1.) Die Redaktion („auf Grund der Bestimmungen") ist freilich nicht ganz deutlich. Ebensowenig ist die Entscheidung für die Frage der Zulässigkeil der Revision nach § 509 Nr. 2 bindend (RG. a. a. O. u. in Gruchot 31 S. 1138). Wegen des Verhältnisses der Kammern für Handelssachen und der Civilkammern der Landgerichte unter einander sind die besonderen Bestimmungen des GVG. §§ 103—107 maßgebend. 2) Auf Antrag des Klägers ist mit der Unzuständigkeilserklärung des Landgerichts zugleich die Verweisung vor ein bestimmtes Amtsgericht des Bezirks auszusprechen (§ 249) und umgekehrt (§§ 466, 467); der Rechtsstreit gilt dann bei dem Amtsgericht bezw. Landgericht als anhängig. Bindend im Sinne des § 11 aber ist nur die Erklärung der sachlichen Unzuständigkeit. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit des später angerufenen Gerichts bleibt unberührt. 3) Ueber das Verhältniß der ordentlichen Gerichte zu den besonderen Gerichten s. zu GVG. § 13; RGes. betr. die Gewerbegerichte v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) §§ 5, 26; Preuß. G. betr. die Kgl. Gewerbegerichte in d. Rheinprov. v. 11. Juli 1891 (GS. S. 311) § 1.

12

Erstes Buch.

Mgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt.

Gerichte.

§ 12.

Zweiter Titel. Literatur: Planck I § 12 ff., Wach I § 33 ff. 1) Der vorliegende Titel handelt von der örtlichen Zuständigkeit der Gerichte (tigL die allg. Bem. z. Tit. 1 u. GVG. § 16 Sinnt. 2), jedoch ohne Vollständigkeit. Neben dem „all­ gemeinen Gerichtsstände" (§§ 12—20) und den besonderen Gerichtsständen dieses Titels (§§ 21 - 34) kennt die CPO. noch zahlreiche besondere Gerichtsstände (§§ 61, 253, 547, 566, 568, 594, 606, 617, 621, 624, 629, 660, 667, 684, 686, 687, 690, 704, 705, 710, 729, 755, 759, 765, 774, 775, 778, 780, 799, 823, 834, 839, 871). Auch sind die reichsrechtlich bestehenden Gerichtsstände, da die betreffenden Vorschriften dem Prozeßrecht angehören, durch die CPO. nicht berührt (EG. 'z. CPO. §§ 13, 15 Nr. 2). Vgl. z. B. die Zitate § 19 Anm. 2; s. ferner HGB. Art. 190a, 222, 310, 315, 325, 342, 455, 475, 476, RGes. betr. d. Erwerbsu. Wirthschaftsgenossensch. v. 1. Mai 1689 §§ 49, 105, 107, RGes. betr. die Gesellsch. mit beschr. Haftung v. 20. April 1892 §§ 61, 62 (RGBl. S. 477), Rayon-Ges. v. 21. Dezbr. 1871 § 42 Abs. 2 (RGBl. S. 459), Reichsbeamtenges. v. 31. März 1873 § 21, Kriegsleistungsges. v. 13. Juni 1873 § 34 (RGBl. S. 129), Markenschutzges. v. 30. Nov. 1874 § 20 Nr. 1 (RGBl. S. 143), KO. §§ 64, 134 Abs. 2, 152, 202, 208. Für gewisse Fälle ist die Regelung des Gerichts­ standes den Landesgesetzen vorbehalten (§§ 823 Abs. 2, 837 Abs. 2; EG. z. CPO. §§ 11, 15 Nr. 2). Die Feststellungsklagen (§ 231) folgen dem Gerichtsstände der Klagen aus denl betreffenden Rechtsverhältniß (vgl. § 29, NG. XIII S. 387). In § 35 wird das Verhältniß mehrerer zuständigen Gerichte zu einander, in den §§ 36, 37 für gewisse Fälle die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das höhere Gericht geordnet. Wegen der ausschließlichen Gerichtsstände f. § 12 Anm. 1. 2) Tit. 2 betrifft nur den gesetzlichen Gerichtsstand; über den vereinbarten s. Tit. 3. 3) In Betreff des privilegirten Gerichtsstandes s. § 12 Anm. 2; hinsichtlich der Aus­ länder s. § 12 Anm. 3. 4) Die zur Begründung des Gerichtsstandes dienenden Thatsachen hat der Kläger nöthigenfalls zu beweisen. Jedoch braucht er diejenigen kompetenzbegründenden Thatsachen, welche zu­ gleich nothwendige Thalbestandsmerkmale des Anspruches selbst sind, so daß ihre Aenderung im Laufe des Prozesses die Einrede der Klagänderung begründet, nicht zu beweisen. Es genügt z. B. bei dem Gerichtsstand des § 29 der Beweis, daß, wenn der Vertrag geschlossen wäre, er int Bezirke des angegangenen Gerichts zu erfüllen sein würde; der Vertragsschluß selbst bedarf nicht des Beweises MG. XXIX S. 371 n. in I. W. 1893 S. 422 - auch XIII S. 425 (Gerichtsstand des § 32), III S. 382 —, P. Mayer in Busch, Z. XIV S. 241 ff., Seuffert § 29 Anm. 6; s. auch Petersen in Gruchot 37 S. 1 ff., Stein das. 28 S. 433 ff.; vgl. § 32 Anm. 5. A. M. Köhler in Krit. Vierteljahrsschr. N. F. III S. 395 ff., cm. Arch. 70 S. 212 ff. Theilweise abweichend RG. VII S. 310, in I. W. 1892 S. 204 Nr. 1, 1889 S. 304 Nr. 3 und in Gruchot 36 S. 705. S. auch Gaupp I S. 35, 70, Wilm. Levy Anm. 8 vor § 12]. Durch etwaige Mängel der Beweisantretung oder der Schlüssigkeit der Behauptungen, aus denen die thatsächliche Grundlage für den Gerichtsstand gefolgert werden soll, wird die Zuständigkeitsfrage nicht berührt (NG. in I. W. 1890 S. 402 Nr. 2; vgl. ob. LG. f. Bayern in S. A. 46 Nr. 131). Soweit es sich um die Vorschriften über den ausschließlichen Gerichtsstand handelt, kommt § 577 zur entsprechenden Anwendung.

8 12. 1) Die Definition des allgemeinen Gerichtsstandes („Gerichtsunterworfenheit der Person" — Wach I S. 398) enthält die Sätze: a) der Gerichtsstand ist. da, wo der Beklagte Recht nehmen muß (actor sequitur forum rei); b) der allgemeine Gerichtsstand gilt für alle Klagen, konkurrirt.also auch mit den besonderen Gerichtsständen, wie diese untereinander, soweit sie nicht

Zweiter Titel.

§ 13. bestimmt.

Gerichtsstand.

§ 13.

13

Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch den Wohnsitz

N. Enttv. §§ 42, 73, 75. Guttu. I. § 13. E»tw. II. § 13. Guttu. III. § 13. Mot. S. 53. Prot. S. 7, 8. als ausschließliche bezeichnet sind (vgL § 35). Letzteres ist in der CPO., abgesehen von der Zwangsvollstreckung (§ 707), nur in beschränktem Maße geschehen (§§ 25, 547, 568, 594, 606, 617, 620, 621, 624, 626, 629, 839). Vgl. § 38 Anm. 3, Wach I S. 511 ff., KO. §§ 64, 134, 152, 202, 208, HGB. Art. 190a, 222, Genossensch.-Ges. §§ 49, 105, 107, NGes. betr. die Gesellsch. m. beschr. Haftung §§ 61, 62; s. auch RGes. betr. die Gewerbegerichte v. 29. Juli 1890 § 5, internationales Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr v. 14. Okt. 1690 (RGBl. 1892 S. 793) Art. 53; vgl. Art. 27 das. hinsichtlich der ausschließlichen Gerichtsbarkeit. Ueber die Wirkungen der Ausschließlichkeit s. auch §§ 33 Abs. 2, 40 Abs. 2. Sie kann eine relative in dem Sinne sein, daß zwischen einigen Gerichten die Wahl frei steht, andere aber ausgeschlossen sind (vgl. z. B. §§ 799, 568, im Falle der Ehemann mehrere Wohnsitze hat u. s. w.). (A.M. Hellmann, Lehrb. S. 142.) 2) Einen privilegirten Gerichtsstand kennt die CPO. nicht. Nur das EG. z. CPO. § 5 enthält einen allgemeinen Vorbehalt von abweichenden Vorschriften der Hausverfassungen oder der Landesgesetze für die Landesherren, die Mitglieder der landesherrlichen Familien sowie der Fürstlichen Familie Hohenzollern. Nach dem Preuß. Ges. v. 26. April 1851 Art. III (GS. S. 183) haben die Mitglieder der Königlichen sowie der genannten Fürstlichen Familie ihren persönlichen Gerichtsstand bei dem mit dem Kammergericht verbundenen Geheimen Justizrath. Unter entsprechender Anwendung dieser Bestimmung ist der letztere nach dem Preuß. AG. z. GVG. § 18 nunmehr auch bei dem Oberlandesgericht zu Berlin („Kammer­ gericht") gebildet worden. Ueber Revisionen und Beschwerden gegen die von dem Geheimen Justizrath als Oberlandesgericht erlassenen Entscheidungen entscheidet das Reichsgericht (Verordn, v. 26. Sept. Iö79 § 2 — RGBl. S. 287). Wegen der übrigen Landesherren s. Kleiner I S. 109 ff., Seuffert Anm. 4 vor §12, Gaupp I S. 35. 3) Die Bestimmungen über den Gerichtsstand gelten für Ausländer wie für Inländer, d. h. Angehörige des Deutschen Reichs — s. Reichsverfass. Art. 3, Ges. v. 1. Juni 1870 (BGBl. S. 355) — gleichviel, ob es sich um den allgemeinen oder um einen besonderen Gerichts­ stand handelt. Eine Ausnahme gilt nur hinsichtlich der Ausländer, welche im Jnlande als Exterritoriale leben (s. GVG. §§ 18—21 u. die Anm. dazu, insbes. § 20 Anm. 2). Ueber den Fiskus außerdeutscher Staaten s. § 20 Anm. 4, § 24 Anm. 2. Vgl. auch § 13 Anm. 2.

§ 13. 1) Die Mot. gehen davon aus, daß der prozeßrechtliche Wohnsitz mit dem civilrechtlichen Wohnsitz (nicht dem politischen Wohnsitz oder dem sog. Unterstützungswohnsitz) identisch sei, und daß der Begriff sowie die Voraussetzungen der Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes sich nach dem bürgerlichen Recht bestimmen; es bedürfe somit einer ausdrücklichen Be­ stimmung (wie im N. E. § 42) nicht, daß, insofern Jemand nach bürgerlichem Recht an mehreren Orten Wohnsitz habe, der allgemeine Gerichtsstand dieser Person an jedem der mehreren Orte begründet sei. Die Komm. des Nordd. Bundes war dagegen grundsätzlich anderer Meinung, indem sie in der hier allein in Frage stehenden prozessualischen Beziehung lediglich den natürlichen und thatsächen Begriff des Wohnsitzes voraussetzte (s. Nordd. Prot. S. 12, 30). Das Rechtsverhältniß des Wohnsitzes gehört aber in der That dem materiellen Recht an. (So auch RG. XXII S. 385 u. XXX S. 347, Planck I S. 53 N. 9. A.M. Wach I S. 400 ff., welcher in der CPO. selbst einen festen Begriff des Wohnsitzes „in An­ sehung des Gerichtsstandes" gegeben erachtet.) Ueber den Begriff des Wohnsitzes herrscht übrigens auch nach den verschiedenen bürgerlichen Rechten kaum noch Streit bezw. Rechtsverschiedenheit. Man versteht allgemein unter (bürgerlichem) Wohnsitz den Ort, an welchem Jemand seinen wirklichen Aufenthalt in der Absicht genommen hat, diesen Ort zum dauernden Mittelpunkt

14

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte.

§ 14.

§ 14. Militärpersonen haben in Ansehung des Gerichtsstandes ihren Wohn­ sitz am Garnisonorte. Diese Bestimmung findet auf diejenigen Militärpersonen, welche nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder welche selbständig einen Wohnsitz nicht begründen können, keine Anwendung. N. Etttw. 8 45. Entw. I. § 15. Entw. II. § 14. Enttv. III. § 14. Mot. S. 54. Prot. S. 8. seiner Wirksamkeit zu machen (vgl. Eint. z. ALR. §§ 23 ff., AGO. I 2 §§ 9 ff., C. civ. art. 102, 103;v. Savigny, Syst. d. RR. Bd. 8 S. 58, Windscheid, Pand. I § 36, Wetzell S. 489, Dernburg I § 27, Förster (Eccius) I § 11 N. 7, Endemann I S. 246, RG. XV S. 365, in D. I. Ztg. VIII S. 566 u. in I. W. 1892 S. 506; Entw. I e. b. G. B. § 34 ff. nebst Motiven). Zu dem Entschlüsse, an einem bestimmten Orte zu wohnen, muh also der Aufenthalt, wenn auch nicht die dauernde Niederlassung hinzukommen (RG. in S. A. 40 Nr. 7 u. in I. W. 1890 S. 201, Wach I S. 402 Anm. 13). Bei Handlungsunfähigen kommt es hinsichtlich des Entschlusses auf den gesetzlichen Vertreter an. (Vgl. in Betreff des domicilium necessarium §§ 14—17 und Anm., in Betreff der Ehefrauen und Kinder § 17, der Bevor­ mundeten und Gefangenen § 17 Anm. 5). Im Einzelnen freilich, z. B. hinsichtlich der Mög­ lichkeit eines doppelten Wohnsitzes, der Fähigkeit zur Begründung, der Aufhebung eines Wohnsitzes re., bestehen manche Verschiedenheiten nach bürgerlichem Recht, welche die CPO. unberührt gelassen hat. (Vgl. auch Renand S. 74 Anm. 6, Planck I S. 53 Anm. 9. A.M. Wach a. a. O., auch Gaupp I S. 37 Nr. 6.) 2) Ein Antrag, hinzuzufügen: „wenn sie einen solchen im Deutschen Reich besitzt", ist zwar von der RTK. abgelehnt. Indessen crgiebt die Natur der Sache (trotz der Bemerkung in den Mot., daß hier, wie in § 18, kein Unterschied zwischen ausländischem und inländischem Wohnsitze gemacht sei) jenen Zusatz für den vorliegenden Paragraphen (anders als in den §§ 17, 18), wenigstens so weit es sich um positive Normirung des Gerichtsstandes handelt, als selbstverständlich, da hier nur Normen für die Zuständigkeit der inländischen Gerichte gegeben werden sollen und können. Die Fortbildung des internationalen Rechts liegt eben darin, daß über den allgemeinen Gerichtsstand dessen, der nur im Auslande einen Wohnsitz hat, sei er Deutscher oder Ausländer, keine Bestimmung getroffen wird. Wo eine solche Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, mag das ausländische Recht bestimmen; im Deutschen Reich hat sie keinen allgemeinen Gerichtsstand. (Zustimmend Endemann I S. 247 Anm. 7, A. Förster Anm. 3, Seuffert Anm. 2, Fitting § 14 N. 1.) Vgl. § 24. Ausnahmen: §§ 568, 594, 617, 705, 729, 780. In den meisten Fällen werden die besonderen Gerichts­ stände des Vertrags, der belegenen Sache und namentlich des Vermögens genügen, einen Aus­ länder auch im Jnlande vor Gericht zu ziehen. (A.M. Krause: Zur Lehre v. Gerichtsstände nach d. Entwurf d. CPO. Berlin 1873. S. 66 ff.; vgl. auch Wach I S. 400 Anm. 4, Scherer in Busch, Z. V S. 481.) S. auch Markenschutzges. v. 30. Nov. 1874 § 20 Nr. 1 (RGBl. S. J 43), Patentges. in d. Fassung d. Ges. v. 7. April 1891 § 12 (RGBl. S. 79), Gebrauchsmusterges. v. 1. Juni lö9l § 13 (RGBl. S. 291).

88 14-17. Diese Paragraphen behandeln den sog. nothwendigen Gerichtsstand (domicilium necessarium), d. h. solche Fälle, „in denen der den Gerichtsstand begründende Wohnsitz nicht frei gewählt, sondern durch Berus oder Amt bestimmt ist" (Mot.). Die Bestimmungen sind aber nicht erschöpfend; auch der nach bürg. Recht etwa bestehende gesetzliche Wohnsitz begründet den Gerichtsstand des Wohnsitzes (§ 13), soweit nicht in den §§ 14—17 besondere Vorschriften gegeben sind; insbes. begründet der gesetzliche Wohnsitz des Beamten für ihn den allgemeinen Gerichtsstand (RG. XXII S. 385, Seuffert § 13 Anm. 1. A.M. Wach I S. 405, auch Gaupp I S. 38: vgl. Wetzell S. 491). Nach preuß. Recht (AGO. I 2 § 11, ALR. II 10 § 92) entsteht der

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§§ 15, 16.

15

§ 15. Als Wohnsitz der Militärpersonen, welche zu einem Truppenteile gehören, der im Deutschen Reich keinen Garnisonort hat, gilt in Ansehung des Gerichtsstandes der letzte deutsche Garnisonort des Truppenteils. 91. Ent«. § 46. @nt«. I § 16. Ent«. II. § 15. Ent«. III. § 16. Slot. S. 54. Prot. S. 8,102,131, 641, 642.

§ 16. Deutsche, welche das Recht der Exterritorialität genießen, sowie die im Auslande angestellten Beamten des Reichs oder eines Bundesstaates behalten gesetzliche Wohnsitz des Beamten am Amtssitze aber nicht durch die Einstellung, sondern erst durch die Niederlassung MG- in Gruchot 34 (5. 1141); anders nach C. civ. art. 107 (RG. XXII S. 385). — Hinsichtlich der Rechtsanwälte s. RAO. § 18. Der besondere Gerichtsstand für Neichsbeamte nach § J54 des R.Beamtenges. v. 31. März 1873 ist bestehen geblieben (EG. z. CPO. § 13 Abs. 1).

§ 14. 1) „Militärpersonen" sind die in § 38 d. R.Mil.Ges. v. 2. Mai 1874 (RGBl. S. 174) unter A, nicht die unter ö und C aufgeführten Personen; es sind „die Personen des Soldatenstandes und die Militärbeamten, welche zum Heere oder zur Marine gehören" (Mil.StGB. v. 20. Juni 1872 § 4). Wie Abs. 2 ergiebt, sind aber nur selbständige Berufssoldaten gemeint. (Vgl. über Militärpersonen im Sinne der Reichsgesetzgebung Hecker in Goltdammer, Arch. f. Strafr. 31 S. 81 ff., speziell über Offiziere zur Disposition das. S. 395 ff.; s. auch Laband: Staatsrecht d. Deutschen Reiches 2. Ausl. II § 104 ff. u. unten § 343 Anm. 2.) Ein Verzeichniß der Militär­ personen enthüll die Anlage d. Mil.StGB. (RGBl. 1872 S. 204), sowie Anl. A. des Reichs­ gesetzes v. 3. August 1878 (RGBl. S. 244): über die Klasseneintheilung der Militärbeamten s. Verordn, v. 29. Juni 1880 (RGBl. S. 169 ff.). Ueber Offiziere ä la suite vgl. NG. in S. A. 36 Nr. 233 (die Gründe stützen sich nur aus die Umstände des speziellen Falls). Von den dem aktiven Heere und der aktiven Marine angehörenden Militärpersonen sprechen die §§ 673, 793; s. auch §§ 158, 343. Die §§ 14 und 21 Abs. 2 entsprechen bau § 39 Abs. 2 des R.Mil.Ges. 2) Auf „in Ansehung des Gerichtsstandes" liegt der Nachdruck. Vgl. auch §§ 15—17. Für Statussragen u. dgl. m. sollte nichts bestimmt werden (s. Prot. S. 8). 3) Abs. 2: „nur zur Erfüllung der Wehrp flich t dienen" — sei es als ein- oderdreijährige Freiwillige oder in Folge der regelmäßigen Einberufung oder der späteren Einberufung aus dem Beurlaubtenstande. — „selbständig einen Wohnsitz nicht begründen können" — d. h. Minder­ jährige und andere Verfügungsunfähige. Das Nähere bestimmt das bürgerliche Recht (s. § 13 Anm. 1). Für die Militärpersonen des Abs. 2 gilt neben dem allgemeinen Gerichtsstand der §§ 13, 17 Abs. 2, 18 ein besonderer Gerichtsstand (§ 21 Abs. 2). 4) Die ständige Verwendung eines Militärs außerhalb des eigentlichen Garnisonorts be­ gründet keinen allgemeinen Gerichtsstand.

§ 15. Die Regel des § 15 gilt nur, soweit nicht l an des gesetzliche Ausnahmen bestehen. (Vgl. EG. z. CPO. § 13 Anm. 3.) Sie erstreckt sich jedoch nach der allgemeinen Fassung auch auf die in § 14 Abs. 2 bezeichneten Militärpersonen, für welche sonst der Gerichtsstand des § 21 im Jnlande nicht vorhanden sein würde (vgl. Endemann I S. 250. A.M. Petersen § 15 Nr. 3, Wilm. Levy, Seusfert, v. Bülow Anm. 1, Fitting im civ. Arch. 61 S. 403, Wach I S. 407 Anm. 37, welcher Letztere überdies im Gegensatz zu den Ersteren § 21 Abs. 2 nicht auf den „letzten deutschen Garnisonort" ausdehnt).

§ 16. 1) „Deutsche, welche das Recht der Exterritorialität genießen" — z. B. Ge­ sandte des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats im Auslande, Gesandte eines Bundesstaats

16

Erstes Buch.

Nllgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte. § 17.

in Ansehung des Gerichtsstandes den Wohnsitz, welchen sie in dem Heimathstaate hatten. In Ermangelung eines solchen Wohnsitzes gilt die Hauptstadt des Heimathstaates als ihr Wohnsitz. Ist die Hauptstadt in mehrere Gerichts bezirke ge­ theilt, so wird der als Wohnsitz geltende Bezirk im Wege der Justizverwaltung durch allgemeine Anordnung bestimmt. Auf Wahlkonsuln finden diese Bestiminungen keine Anwendung. N. Entw. z 47. Guttu. I. § 17. Guttu. II § 16. Entw. III. § 16. Mot. 5. 64. Prot. S. 8, 506.

§ 17. Die Ehefrau theilt in Ansehung des Gerichtsstandes den Wohnsitz des Ehemannes, sofern nicht auf immerwährende Trennung von Tisch und Bett erkannt ist. Eheliche und diesen gleichgestellte Kinder theilen in Ansehung des Gerichts­ standes den Wohnsitz des Vaters, uneheliche den Wohnsitz der Mutter. Sie be­ halten diesen Wohnsitz, bis sie denselben in rechtsgültiger Weise aufgeben. N. Entw. § 50, 51. Entw. I. § 13. Entw. II § 17. Entw. III. § 17. Mot. S. 54. Prot. S. 8, 506. bei einem anderen, nichtpreußische Mitglieder des Bundesraths (Reichsverfass. Art. 10). Nurfür diese Exterritorialen ist hiernach ein allgemeiner Gerichtsstand im letzten Wohnsitz innerhalb des H e iniathsst aats, d. h. des Staats, wo der Gesandte staatsangehörig ist (s.Ges.v. 1. Juni 1870), bestimmt. Vgl. GVG. §§ 18, 19, 21. Den besonderen Gerichtsständen (§§ 21 ff.) sind sie, wie die Exterritorialen überhaupt, abgesehen von dem ausschließlich dinglichen, nicht unterworfen. Vgl. GVG. § 20 Anm. 2. 2) „die im Auslande angestellten Beamten des Reichs oder eines Bun­ de sstaats" — Bezüglich des Gerichtsstandes der Beamten überhaupt enthält die CPO. teilte Bestimmung (). Anm. zu §§ 14—17). Nur da, wo der „dienstliche Wohnsitz" eines deutschen Beamten sich im Auslande befindet (z. B. Berufskonsuln im Auslande, Zoll­ vereinsbevollmächtigte in Luxemburg) ist positiv, wie in § 21 d. Reichsbeamteuges. v. 31. März 1873 hinsichtlich der Reichsbeamten, der letzte heimathliche Wohnsitz für maßgebend erklärt. Den besonderen Gerichtsständen sind die in § 16 bezeichneten Beamten nicht minder unterworfen als andere Beamte. Auch von der Reichskonsulargerichtsbarkeit (). GVG. § 13 Anm. 6) sind sie nicht ausgenommen (s. R.Beamtenges. § 22). Inwiefern sie den ausländischen Gerichten unterworfen sind, bestimmt sich nach dem ausländischen Rechte (Gaupp I S. 40). 3) Für beide Kategorien des Abs. 1 gilt subsidiär die Hauptstadt desHeimathsstaats als Wohnsitz. In Ermangelung eines Heimathsstaats ist nach dem neben §16 für Reichsbeamte in Geltung verbliebenen § 21 d. R.Beamtenges. der Gerichtsstand vor dem Stadtgerichte zu Berlin begründet, an dessen Stelle das nach § 2 des Preuß. Ges. v. 4. März 1878 (GS. S. 109) errichtete Landgericht (l) für den Stadtbezirk Berlin bezw. das nach § 1 der Verordn, v. 26. Juli 1878 (GS. S. 275) errichtete Amtsgericht I getreten sind (vgl. auch Preuß. AG. z. GVG. §§ 26 Abs. 1, 41). (So auch Wach I S. 408 Änm. 40, Seuffert Anm. 2. A.M. Hellmann I S. 86; A. Förster Anm. 2.) 4) Abs. 2: Im Gegensatz zu den Berufskonsuln (Anm. 2) sind die in Abs. 1 ent­ haltenen positiven Bestimmungen hinsichtlich der Wahl konsuln (s. §§ 9 ff. des Konsulats-Ges. v.° 8. Nov. 1867) nicht anwendbar. Der Gerichtsstand der letzteren bestimmt sich also nach den allgemeinen Grundsätzen. Ueber die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln s. GVG. § 21.

§ 17. 1) § 17 behandelt die Fälle des abgeleiteten (akzessorischen) Gerichtsstandes. Derselbe wird nur durch den Wohnsitz des Ehemannes bezw. Vaters bezw. der Mutter bestimmt. Als solcher gilt auch das domicilium necessarium der §§ 14—16, nicht der Aufenthaltsort in den Fällen der §§ 18, 21, wie die (von der Vorkommission abweichend von N. E. u. E. I

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§ 17.

17

gewählte) Reihenfolge dieser Paragraphen ergiebt. (So auch Seuffert Anm. 1, Wach IS. 407, Hellmann, Lehrb. S. 99 u. A. A.M. Endemann I S. 256.) 2) So lange die Ehe besteht, ist der Wohnsitz des Ehemannes unbedingt maßgebend, auch wenn die Frau nach dem bürgerlichen Recht einen selbständigen Wohnsitz zu begründen vermag. Es kommt (nach den Mot. S. 55) auch nicht darauf an, ob der Wohnsitz des Ehe­ mannes im Jnlande liegt. Die im Jnlande wohnende Frau eines im Auslande wohnenden Mannes hat also im Jnlande keinen allgemeinen Gerichtsstand, selbst dann nicht, wenn dies nach dem ausländischen Rechte möglich wäre. — Für Ehesachen s. § 568. Nur die gerichtlich erkannte immerwährende Trennung (Separation de corps, sepa­ ratio quoad thorum et mensam) beteiligt, wie die Trennung der Ehe durch den Tod oder Scheidung (separatio quoad vinculum, Trennung, divorce), die Abhängigkeit des Gerichts­ standes. (Die immerwährende Trennung ist zwar aufgehoben (Ges. v. 6. Febr. 1875 § 77 — RGBl. S. 23), kommt aber doch wegen älterer Fälle sowie wegen ausländischer Urtheile in Betracht (NG. XI S. 30).] Alsdann tritt der gewöhnliche Begriff des Wohnsitzes (oder Auf­ enthaltsorts — § 18) in Funktion, gleichwie in den Fällen, wenn und solange der Ehemann keinen Wohnsitz hat. Eine in anderer Weise zu Stande gekommene, wenngleich erlaubte Tren­ nung hat nicht die gleiche Wirkung. (So auch Hellmann, Lehrb. S. 94. A.M. Dern bürg III § 21 Anm. 9.) Auch eine in nichtiger Ehe lebende Frau muß, so lange die Nichtigkeit nicht durch Urtheil gemäß §§ 585 ff. ausgesprochen ist, den Wohnsitz ihres Ehemannes anerkennen, da sie die Nich­ tigkeit nicht im Zwischenverfahren einredeweise geltend machen kann (vgl. § 588 Anm. 1. A. M. Hellmann, Lehrb. S. 97); anders bei nur scheinbarer, in Wahrheit nicht existent ge­ wordener Ehe (unten § 588 Anm. 3). Der Gerichtsstand der Ehefrau wird nicht (wie bei den Kindern — Abs. 2) bis zur Neu­ begründung eines anderen Wohnsitzes (oder Aufenthalts) als fortdauernd fingirt (Nordd. Prot. S. 31). Hat der Ehemann also den Wohnsitz aufgegeben, ohne einen neuen zu begründen, so tritt § 17 außer Anwendung. Hieraus folgt aber nicht, daß die Ehefrau ihren bisherigen Wohn­ sitz so lange behält, als sie nicht genöthigt ist, dem Ehemann zu folgen, und dieser nicht einen neuen Wohnsitz begründet hat (so Wach I S. 411), noch auch (wie Puchelt I S. 109 und Sarwey I S. 38 annehmen), daß die Ehefrau alsdann selbständig einen neuen Wohnsitz be­ gründen kann; vielmehr bestimmt sich letzteres nach dem bürgerlichen Recht. Ist sie nach diesem hierzu rechtlich nicht befähigt, so wird ihr allgemeiner Gerichtsstand nach § 18 durch ihren Aufenthaltsort bestimmt. (So auch Seuffert Anm. 3, Hellmann Lehrb. S. 97, Pjlanckl S. 56.) Zur Aushilfe dient § 24. 3) Abs. 2: Welche Kinder als den ehelichen gleichgestellt gelten (z. B. ob anerkannte un­ eheliche Kinder, Putativkinder re.), beantwortet sich nach dem bürgerlichen Rechn 4) „in rechtsgültiger Weise aufgeben" — sei es nach erlangter Verfügungs­ fähigkeit oder schon vorher mit väterlicher oder vormundschaftlicher Genehmigung. Bis dahin dauert der Gerichtsstand auch nach dem Tode des Vaters bezw. der Mutter noch fort, wie in 2. Lesung der RTK. konstatirt ist; ebenso dauert er fort, wenn der Vater bezw. die Mutter den bisherigen Wohnsitz aufgeben, einen neuen aber nicht begründen. 5) Ein abgeleiteter Gerichtsstand für Bevormundete oder unter Pflegschaft (Kuratel) Stehende (N. E. § 52) ist nicht aufgenommen. Es bleibt jedoch für diejenigen unter ihnen, welche nicht unter den § 17 fallen, ihr nach bürgerlichem Recht etwa bestehender abgeleiteter Wohnsitz (z. B. der abgeleitete Wohnsitz eines großjährigen Bevormundeten, der den Wohnsitz des Vaters rechtsgiltig aufgegeben hat, nach C. civ. art. 108) auch in Ansehung des Gerichts­ standes maßgebend (Seuffert Anm. 6; vgl. Wilm. Levy § 13 Anm. 1, Petersen §]17 I 4, Sarwey I S. 40. A.M. früh. Ausl., Wach I S. 405, 409, Gaupp I S. 42). Auch über den Gerichtsstand der Dienstboten und der Sträflinge ist, abgesehen von § 21 u. § 18, nichts Struckmann u. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Ausl.

2

18

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen. Erster Abschnitt. Gerichte. §§ 18, 19.

§ 18. Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, welche keinen Wohnsitz hat, wird durch den Aufenthaltsort im Deutschen Reich und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt. N. Entw. § 43, 44, 73. Entw. I. § 14. Entw. II. § 18. Guttu. III. § 18. Mot. S. 53, 55. Prot. S. 8.

§ 19. Der allgemeine Gerichtsstand der Gemeinden, der Korporationen, sowie derjenigen Gesellschaften, Genossenschaften oder anderen Personenvereine und derjenigen Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen, welche als solche verklagt werden können, wird durch den Sitz derselben bestimmt. Als Sitz gilt, wenn nicht ein anderes erhellt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird. * Gewerkschaften haben den allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gerichte, in dessen Bezirke das Bergwerk liegt, Behörden, wenn sie als solche verklagt werden können, bei dem Gerichte ihres Amtssitzes. Neben dem durch die Vorschriften dieses Paragraphen bestimmten Gerichts­ stände ist ein durch Statut oder in anderer Weise besonders geregelter Gerichts­ stand zulässig. N. Entw. § 48. Entw. I. § 18. Entw. II. § 19. Entw. III. § 19

Mot. S. 56. Prot. S. 8, 9, 648.

bestimmt. Nach dem Begriff des Wohnsitzes (f. § 13 Anm. 1) ist ein Wohnsitz der letzteren am Orte des Strafvollzugs nicht anzunehmen (s. NG. in Gruchot 29 S. 117, OLG. Hamburg in S. A. 43 Nr. 5, Wach I S. 409, Planck I S. 54, Gaupp I S. 38 u. A. A.M. Sarwey 1 S. 40). Für diejenigen Dienstboten, welche nicht unter § 17 fallen, bleibt auch hin­ sichtlich des Gerichtsstandes C. civ. art. 109 neben § 21 CPO. bestehen. § 18.

1) Dieser — subsidiäre — Gerichtsstand des inländischen Anfenthaltsorts, eventuell des letzten Wohnsitzes kommt nur dann zur Geltung, wenn der Beklagte überhaupt keinen Wohnsitz, weder im Jnlande noch im Auslande, hat (Mot. S. 53), also ttiemals gegenüber den fingirten Gerichtsständen der §§ 15, 16. Auch in Betreff des subsidiär maßgebenden letzten Wohnsitzes soll zwischen Inland und Ausland nicht unterschieden werden. Indessen hat die deutsche CPO. keine Macht, wenn der letzte Wohnsitz im Auslande ist. ein ausländisches Gericht in dasselbe bindender Weise für zuständig zu erklären; die Bestimmung ist also in diesem Falle nur von negativer Bedeutung (vgl. § 13 Anm. 2, Krause a. a. O.). Der Kläger hat die Voraussetztingen des § 18 positiv näher darzulegen und erforderlichen­ falls nachzuweisen; es bedarf aber nur des Nachweises, daß ein Wohnsitz des Beklagten auf sach­ gemäßem Wege nicht zu ermitteln, sowie — hinsichtlich des Gerichtsstandes des letzten Wohn­ sitzes — daß ein inländischer Aufenthaltsort „nicht bekannt", d. h. auf die attgegebene Weise nicht zu ermitteln ist, und daß der Beklagte seilten letzten bekannten Wohnsitz im Bezirke des angerufenen Gerichts gehabt hat (NG. XXVII 8. 400; Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy Anm. 3, 4. A.M. Petersen § 18 Nr. 4). S. oben Tit. 2 Anm. 4. 2) Es kommt nicht auf die Dauer des Aufenthalts an, sondern es genügt (anders als in § 21 und in StPO. § 8: „gewöhnlichen Aufenthaltsort") jeder Aufenthalt (auch ein un­ freiwilliger — NG. in S. A. 48 Nr. 133), sofern derselbe nur ausreicht, um dem Beklagten die Klage (persönlich oder durch Ersatzzustellung, wenn nur während seines Aufenthalts — Gaupp I S. 44) zuzustellen. „Aufenthaltsort" ist daher nicht mit „residence“ des sranz. Rechts gleichbedeutend. § 19. 1) Statt des viel bestrittenen Begriffs der „juristischen Person" ist ein anderes Merkmal entscheidend, die sog. Part ei fähig keil (auch „Gerichtsstandsfähigkeil" oder „Gerichtsfähigkeit" — vgl. z. B. Renan d, R. d. Kommanditges. S. 106), d. h. die Fähigkeit, aktiv und passiv Subjekt des Prozesses zu sein (vgl. RG. XII S. 398 u. in I. W. 1893 S. 352, Wach I S. 519 ff., welcher jedoch zwischen formeller und materieller Parteisähigkeit uitterscheidet und

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§ 19.

19

aus dem Vorhandensein der ersteren, nicht die der letzteren folgert; vgl. Planck I § 43 S. 209 ff.), hier also die, als Gesammtheit verklagt zu werden. Gemeinden und Korporationen (vgl. z. B. ALR. II 6 §§ 25 ff., Verf.-Urk. v. 31. Jan. 1850 Art. 31) steht dieselbe ohne Weiteres zu. Im Uebrigen beantwortet sich die Frage, welche Gesellschaften u. s. w. „als solche verklagt werden können" ((. auch § 157), nach den Vorschriften des bürger­ lichen Rechts. »Vgl. Mandry § 12 ff., Nosin, D. Recht der öff. Genossenschaft. Freiburg i. B. 1886. Gierte, D. Genossenschaftstheorie u. d. Deutsche Rechtssprechung. Berlin 1887; auch Turnau, Grundbuch-O., 5 Aust. Paderborn 1892 II § 25 ff.] Von Gesellschaften, Genossenschaften und anderen Personenvercinen gehören reichsrechtlich hierher die offenen Handelsgesellschaften, die Kommanditgesellschaften und die Aktien­ gesellschaften (HGB. Art. 111, 164, 213), die eingetragenen Genossenschaften (Genossensch.-Ges. v. 1. Mai 1889 § 17), die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (RGes. v. 20. April 1892 § 13), die deutschen Kolonialgesellschaften (Ges. v. 15. März 1888 Art. II — RGBl. 3. 71), die (neuen) Innungen (Gewerbeord. § 99), die Jnnungsverbände nach Maßgabe des § 104h d. Gew.-O. (Ges. v. 23. April 1886 — RGBl. S. 125), die Berufsgenossenschaften (Unfallversicherungsges. v. 6. Juli 1884 § 9, und die ausdehnenden Gesetze v. 5. Mai 1886 § 13 — RGBl. S. 132, v. 11. Juli 1887 § 12 — RGB. S. 287, v. 13. Juli 1887 § 16 — RGBl. S. 321, gewisse Versicherungsanstalten (RGes. betr. die Invalid.- u. Altersversich. v. 22. Juni 1889 8 44). Auch ausländischen Aktiengesellschaften (und anderen jur. Personen), welche nach ihrem Heimathsrecht Parteifähigkett besitzen, ist dieselbe im Jnlande nicht abzusprechen (s. NGVI S. 134, Renaud, Aktiengesellsch. 2. Aufl. S. 191 ff., Gruchot 21 S. 617, Behrend, Lehrb. des HR. 1881/92 I S. 446, 451, v. Bar, Theorie u. Prax. d. internat. Priv.-R., 2. Aufl. II 3. 303 ff., ROHG. XXII 3. 147; s. hinsichtlich Großbritanniens Deklaration v. 27. März 1874 in Goldschmidt, Z. f. HR. XX S. 132, hinsichtlich Italiens Centralbl. f. d. D. Reich I. Jahrg. Nr. 37, hinsichtlich Rußlands Bekanntm. d. Reichskanzlers v. 22. Aug. 1885 das. XIII. Jahrg. Nr. 35 - Preuß. Just. MBl. 1885 3. 337, hinsichtlich Oesterreich-Ungarns Art. 19 Abs. 5 des Handels- u. ZottvertragS mit Deutschland v. 6. Dez. 1891 — RGBl. 1892 3. 3. Vgl. über die Zulassung ausländ, jur. Personen zur Prozeß­ führung im Jnlande u. die diesbezügl. Verträge des D. Reiches Böhm, Handb. d. Rechtshülfe­ verfahrens. Erlangen 1886 S. 62 ff.; vgl. unten § 51 Anm. 4. Wegen der Gegenseitigkeitsgesellschaften s. ROHG. 18 S. 398. Selbst reine Privatvereine sind nach heutigem gemeinen Recht, ohne daß die Personen der einzelnen Mitglieder in Betracht gezogen würden, als Prozeßparteien zuzulassen (RG. IV S. 155, VII S. 164, OLG. Dresden in 3. A. 43 Nr. 19, ob.LG. f. Bayern das. 44 Nr. 178; vgl. OLG. Cassel das. 48 Nr. 25, Stobbe: D. Privatrecht I § 52 Anm. 6, § 61 Nr. 4), und zwar ohne Rücksicht auf eine korporative Organisation des Vereins (RG. VIII S. 121). Auch erlaubte Privatgesellschaften des preuß. Rechts (ALR. II 6 § 11 ff.) hat das RG. als Prozeßparteien zugelassen (NG. in Gruchot 27 3. 964 u. in I. W. 1890 3. 418; vgl. auch RG. in Gruchot 31 3. 734; ROHG. 18 3. 398 ff., Förster (Eceius) IV § 281 Anm. 30, Nosin in Gruchot 27 3. 128 ff. Dagegen mit Rücksicht auf ALR. II 6 § 13: Dernburg I § 59, A. Förster Anm. 1 c, 3. 32). Für das rHein. Recht ist die Parteifähigkeit der Privatvereine weder gesetzlich noch durch die Rechtssprechung anerkannt. »Vgl. Zachariae I § 52; Crome, Attgem. Theil d. franz. Civ.-R. Mannheim 1892 § 17 3. 168; RG. XVIII 3. 346 u. in Puchelt, Z. f. franz. Civ.-R. XXIII 3. 48 ff., OLG. Köln im Rhein. Arch. 76 I 3. 79, 85 I 3. 36, Rhein. App.G. das. 15 I 3. 101; 33 I 3. 55; 67 I 3. 117; abweichend 59 1 3. 175, 177.] Statutarische Bestimmungen, daß die Gesellschaft vor Gericht durch ihren Vorstand vertreten werde, können eine nicht vorhandene Parteifähigkeit nicht herstellen. Anstalten, welche als solche verklagt werden können, sind reichsrechtlich: die eingeschriebenen 2*

20

Erstes Buch.

Allgein. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte. § 19.

Hülfskassen (Ges. v. 7. April 1876 § 5 in der Fass. b. Ges. v. 1. Juni 1884 — RGBl. S. 54), die Orts-, Betriebs- (Fabrik-) und Bau-Krankenkassen (Ges. v. 15. Juni 1883 in d. Fass. d. Ges. v. 10. April 1892. §§ 25, 64, 72 — RGBl. S. 379). Eine parteisähige „Vermögensmasse" ist gemeinrechtlich die ruhende Erbschaft (Wind­ scheid, Pand. I §49 Anm. 1, § 57. III § 531, Planck I § 43 S. 211; s. unten § 693 Anm. 2). In der juristischen Persönlichkeit, wo dieselbe nach bürgerlichem Recht ausdrücklich verliehen bezw. anerkannt ist — z. B. in Betreff des Reichs (Ges. v. 25. Mai 1873 §§ 1, 12 (RGBl. S. 113)], der Reichsbank (Bankgesetz §§ 12, 38; Rosin a. a. O. S. 50 f.), gewisser gewerblicher Hülsskassen (Gew.-O. § 140 Abs. 2); vgl. M andry S. 121 ff. — ist übrigens stets auch die Parteifähigkeit von selbst enthalten. Dasselbe gilt von der Verleihung (Ertheilung) der „Korporalionsrechte" (s. z. B. Gew.-O. § 94 Abs. 5). 2) „durch den Sitz derselben" - Der „Sitz" ist der (dem Wohnsitz physischer Personen analoge) örtliche Mittelpunkt der Geschäfte (Wetzell S. 490). Derselbe ist häufig positiv durch Gesetz (z. B. Bankges. § 12 „Hauptsitz") oder Vertrag bezw. Statut bestimmt; vgl. HGB. Art. 86 Nr. 2, 151 Nr. 3, 175 Nr. 2, 209 Nr. 1; Genossensch.-Ges. § 6 Nr. 1, § 12 Nr. 1, § 85 Abs. 2, Gew.-O. § 98 a Nr. 1, Hülfskassen-Ges. v. 7. April 1876 (1. Juni 1884) § 3 Nr. 1, Unfallversich.-Ges. v. 6. Juli 1884 § 17 Nr. 1, § 21 Nr. 1, NGes. v. 5. Mai 1886 § 22 Nr. 1, NGes. v. 11. Juli 1887 § 12, NGes. v. 13. Juli 1887 § 24 Nr. 1, NGes. v. 20. April 1892 § 3 Nr. 1, § 70 Abs. 2. Die Bestimmung darf freilich nicht ganz willkürlich und im Widerspruch mit jenem Begriffe geschehen (s. Hellmann I S. 98). Für Fälle, wo es zweifelhaft bleibt, welcher Ort als „Sitz" zu betrachten („wenn nicht ein Anderes er­ hellt"), trifft der letzte Satz von Abs. 1 Bestimmung (aber auch nur für diese; daß der im Handels- bezw. Genossenschafts-Register eingetragene Sitz von dem der Verwaltung abweicht, begründet keinen doppelten Sitz). (A.M. Dernburg II § 217 N. 21. S. dagegen NOHG. 21 S. 36, Behrend a. a. O. S. 710 Nr. 10). Einzelne Merkmale bei kaufmännischen Geschäften s. in Endemann, Handb. d. D. Handels-, See- ii. Wechselt'. Leipzig 1881. S. 184 s. Vgl. auch § 36 Anm. 4 u. Behrend a. a. O. S. 225, welcher jedoch für den Gerichtsstand am „Sitze" der Handelsgesellschaft den § 22 (nicht § 19) anführt. (Vgl. dagegen Entsch. d. OT. 71 S. 98). Die in Anm. 1 angeführten reichsg ese tzlichen Vorschriften, welche sich auch auf den Ge­ richtsstand der Gesellschaften rc. beziehen, bleiben nach EG. z. EPO. § 13 an sich unberührt; dies gilt insbesondere von den Vorschriften hinsichtlich der Fortdauer solcher Gerichtsstände nach Auf­ lösung der Gesellschaft n\; vgl. Genossensch.-Ges. § 85. Wegen der hierauf bezüglichen landes­ gesetzlichen Bestimmungen s. EG. z. EPO. § 15 Nr. 2. 3) Abs. 2: Die Bestimmung über den Gerichtsstand der Gewerkschaften ist aus § 9 des Preuß. Berg-Ges. v. 24. Juni 1865 entnommen. Wenn das Grubenfeld sich über mehrere Gerichtsbezirte erstreckt, so neigte man bereits in Preußen dahin, bei allen diesen Gerichten den Gerichtsstand als begründet anzusehen (Koch, Allg. Berggesetz S. 173). Das Gleiche ist nach d. EPO. anzunehmen (s. auch Endemann I S. 258 Anm. 12, A. Förster § 19 Anm. 4, Wach I S. 405 Anm. 27, Brassert, Komm. z. Allg. Bergg. 1888 § 96 3. 290, Klostermann, Komm. 4. Ausl. § 96 Anm. 214. A.M. v. Bülow Anm. 3, Seussert Anm. 3, welche § 36 Nr. 2 anwenden). 4) Ob Behörden als solche verklagt werden können (vgl. § 157 Abs. 2), wurde in der RTK. bezweifelt. Es kommt auf das Landesrecht an. Daß die Behörden als solche nach manchen Partikularrechten parteifähig sind, wurde schon in der Nordd. Komm. konstatirt (Nordd. Prot. S. 28). Anders in Preußen sNG. XXIII 8. 261 (vgl. II 8. 392), Dernburg I § 57 Anm. 3; s. § 20 Anm. 3; vgl. aber auch RG. XIII S. 331]. Behörden, welche Kor­ porationen mit selbständiger privatrechtlicher Persönlichkeit, z. B. Universitäten, vertreten (Wach I S. 406 Anm. 29), gehören nicht hierher, weil die Korporation die eigentliche Partei ist.

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§ 20.

21

§ 20. Der allgemeine Gerichtsstand des Fiskus wird durch den Sitz der Behörde bestimmt, welche berufen ist, den Fiskus in dem Rechtsstreite zu vertreten. N. Entw. 8 49. Enttv. I. § 19. Entw. II. 8 20. Entw. III. § 20. Mot. S. 56. Prot. S. 9, 506, 507.

5) A b s. 3 lautete in den Entwürfen dahin: „Die Bestimmungen dieses Paragraphen kommen nicht zur Anwendung, wenn der Gerichtsstand durch Statut oder in anderer Weise besonders geregelt ist." Dem Antrag auf Streichung wurde entgegengesetzt, daß namentlich für ausländische Versicherungsgesellschaften ein Bedürfniß bestehe, mittels der Konzessionsurkunde einen allgemeinen Gerichtsstand im Jnlande zu schaffen. Schließlich erklärte sich die RTK. für die vorliegende, die Subsidiarität der Bestimmungen des 1. und 2. Abs. minder scharf hervor­ hebende Fassung. Das „Neben" ist freilich undeutlich. Sachlich aber sollte nichts geändert werden. Ter statutarisch re. bestimmte Gerichtsstand darf also auch dem Gerichtsstände der Abs. 1 ii. 2 vorgehen (Petersen § 20 III, Endemann I S. 258 f., Brinkmann, Die Be­ gründ. d. Klagen I S. 65 Anm. 7. A.M. Wach 1 S. 404 Anm. 23, Fitting S. 60 N. 13, Gaupp I S. 47, Köhler in Gruchot 31 S. 350 f., Brendel das. 33 S. 239 u. A.), und zwar wird dies auch für Handelsgesellschaften, Genossenschaften re. zulässig sein, da § 19 die in Anm. 1 angeführten reichsgesetzlichen Bestimmungen, wenngleich nicht absorbirt, doch er­ gänzt. Vgl. Anm. 2 a. E. S. ferner RG. in S. A. 45 Nr. 273. 6) Ueber die Berücksichtigung des Mangels der Parteifähigkeit von Amtswegen s. Anm. 2 vor § 50. §

20.

Literatur: Fritze, Zusammenstellung der Behörden, welche den preuß. Landesfistus und d. D. Reichsfiskus im Prozesse zu vertreten befugt sind. Berlin 1891. Pfizer in Gruchot 34 S. 854 ff. 1) „Fiskus" ist der Staat als Subjekt von Vermögensrechten, in dieser Hinsicht also ebensowohl das Reich fvgl. Reincke in Gruchot 23 S. 481 ff., Laband, Staatsrecht 2. Aufl. II §112, Förster (Eccius) IV § 283 Anm. 20 ff., Dernburg I §57. A.M. v. Müller­ in Krit. Vierteljahrschr. 25 S. 149 ff., welcher das Vorhandensein eines Reichsfiskus bestreitet] wie die einzelnen Bundesstaaten. Anwendungen des in § 20 enthaltenen Grundsatzes be­ züglich des Reichsfiskus s. in: Flößerei-Ges. v. 1. Juni 1870 § 2 (BGBl. S. 312), Mil.Pensions-Ges. v. 27. Juni 1871 § 116 (RGBl. S. 275), Postges. vom 28. Okt. 1871 § 13 (RGBl. S. 347), Reichsbeamtcn-Ges. v. 31. März 1873 §§ 151, 153. Abweichend Rayon-Ges. r>. 21. Dez. 1871 § 42 (RGBl. S. 459). Auf den betreffenden Bundesstaat verweisen: Ges. v. 25. Mai 1873 § 1 Abs. 3 (RGBl. S. 113), Kriegsleistungs-Ges. v. 13. Juni 1873 § 34 (RGBl. S. 129). Alle diese Bestimmungen sind unberührt geblieben (EG. z. CPO. § 13 Anm. 2). Hinsichtlich der Reichsbank vgl. Bankges. §§ 12, 38. Mit Unrecht spricht von einem „Fiskus" der Provinzialverbände Seuffert Anm. 3; diese fallen unter § 19. Wegen ihrer Vertretung s. preuß. Ges. v. 29. Juni 1875 § 90 (GS. S. 352). 2) Ein Antrag in der RTK. wollte den Begriff des „Fiskus" auflösen in „Deutsches Reich oder ein Bundesstaat" und als 2. Abs. aufnehmen: „Als zur Vertretung berufen gilt, insofern die Gesetze nicht ein Anderes bestimmen, diejenige Behörde, welche in erster Instanz zu dem Rechtsstreite Veranlassung gegeben hat." Beide Theile des Antrags wurden jedoch abgelehnt. Welche Behörde also zur Vertretung berufen ist, entscheidet sich nach Reichs-bezw. Landesrecht (vgl. § 50 Anm. 2). S. z. B. die Anm. 1 angef. Reichsgesetze. Soweit keine solche Sonderbestimmungen (Gesetze oder Verwaltungsverordnungen — Fritze a. ci. O. S. 153) be­ stehen, hat das Reich am Sitz der obersten Reichsbehörde, also in Berlin Recht zu nehmen, und wird durch den Reichskanzler oder einen gesetzlichen Stellvertreter desselben (Ges. v. 17. März 1878 — RGBl. S. 7) vertreten fvgl. Prot. S. 9, 506, 507, 709, Labayd a. a. O. S. 849, Förster (Eccius) a. a. O. Anm. 22, Fritze S. 160, NG. XI S. 93 u. in Gruchot 31 S. 1139]. Der Militärfiskus ist, von Bayern abgesehen, Reichsfiskus. Er wird, soweit nicht Sonder­ bestimmungen bestehen, durch die Kontingentsverwaltungen und zwar in Preußen durch die

22

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte. § 20.

Korpsintendanturen vertreten (RVerf. Art. 62, 63, NG XX S. 148, XXIV 0. 36, XV 0.37, v. Weinrich in Gruchvt 33 0. 160 ff., 182, Fritze a. a. O. 0. 170 ff.; vgl. Laband a. a. O. 0. 849). In Angelegenheiten, die nicht einer einzelnen Kontillgentsverwaltung unterfallen, wird der Reichsmilitärfiskus, soweit nicht ©onderbestimmungen bestehen, nicht durch den Preuß. Kriegsminister (so ©euffert Anm. 2, v. Weinrich a. a. £>.), sonderrr durch den Reichskanzler vertreten (so auch NG- VIII 0. 1 in einem die Festung Ulm betr. Falle. Auf einer anderen Auffassung hinsichtlich der Festungen im Bereiche der preuß. Militärverwaltung beruht der Allerh. Erl. v. 30. April 1887 nebst Ausf.-Bestimm. v. 17. Aug. 1887, betr. d. Erwerbung unbew. 0achen f. d. Reich im Bereiche d. Preuß. Mil.-Verwaltung (JMBl. 0. 211). Jedenfalls dürfte in den gemeinsamen Militär-Angelegenheiten der Reichskanzler neben dem preuß. Kriegsministerium zur Vertretung des Reichsfiskus befugt sein (vgl. auch NG- XX 0.157, Laband n. a. O. 0. 847). Die Ausdehnung der Vertretungsbefugniß der Kommandantur (Rayon-Ges. v. 21. Dez. 1871 § 42) auf alle Festungsnngelegenheiten (v. Weinrich, 0eufsert a. a. O.) ist bedenklich. In Preußen vertritt den Fiskus iu der Regel die Bezirksregierung (s. Jnstr. v. 20. Oft. 1817 § 14 — G0. 0. 248), jetzt auch in der Provinz Hannover — s. Ges. über die allg. Landesverwaltung v. 30. Juli 1883 §§ 25, 155 (G0. 0. 195), Kreisordn. v. 6. Mai 1884 (G0. 0. 181), Verordn, v. 3. Novbr. 1884 (G0. 0. 349). Wegen der bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten, welche Angelegenheitell der Justizverwaltung betreffen s. Ges. v. 14. März 1885 (G0. 0. 65) u. Allg. Vers. d. Just.-Min. v. 23. März 1885 (JMBl. 0. 119), v. 24. dess. Mts. (das. 0. 121) u. v. 22. Dez. 1886 ldas. 0. 340). — In Reichsstempelsachen ist zur Vertretung des Landesfiskus (dies ist der richtige Beklagte — NG XI 0. 65, 96) diejenige Provinzial-0teuerdirektion berufen, welche den 0tempel eingefordert hat (NG. in Gruchvt 28 0. 988; vgl. NG XI 0.96, Fritze 0.80). Vgl. hinsichtlich der Prvvinzial-0teuerdirektionen auch NG. XXV 0. 247. — Nach der mittels Allerh. Erl. v. 24. Nov. 1879 genehmigten „Organisation der 0taatseisenbahnverwaltung" (Min.-Bl. s. d. i. V. 1880 0. 84) sind die Eiscnbahndirektionen, innerhalb der zur Zuställdigkeit der Betriebsämter gehörigen Angelegen­ heiten (insbes. bei Entschädigungsklagen aus dem Haftpflichtgesetz) dagegen nur diese zur pro­ zessualischen Vertretung des Fiskus befugt (NG- V 0. 427, VIII ©. 403, Just.-MBl. 1883 0. 8, 0. A. 37 Nr. 66). Vgl. das Verzeichn!ß im preuß. JMBl. 1885 0. 134, 1891 0.99, 1892 0. 139, 196, 288, 309. Bei Klagen der Eisenbahnbeamten über vermögensrechtliche Ansprüche aus ihrem Dienstverhältnisse vertreten die Direktionen den FiSkuS (Ges. v. 24. Mai 1861 — G0. 0. 241, NG. XXVII 0. 252). Vgl. Fritze a. a. O. 0. 137 ff. Hinsichtlich anderer Bundesstaaten vgl. Hellmann 1 0. 102 ff. u. Lehrb. 0. 101, Kleiner I 0. 149 ff., Gaupp I 0. 149 f., 0euffert Anm. 3, Neumann, Börsensteuergesetz. Berlin 1885, 0. 51. Die einzelnen fiskalischen 0tationen sind auch in prozeßrechtlicher Beziehung nicht als ge­ trennte Rechtssubjekte anzusehen (NG. II 0. 392, VIII 0. 228; Entsch. d. OT. 20 0. 19, Fritze a. a. O. 0. 3; vgl. auch NG im D.RAnz. bes. Beil. 1888 Nr. 5 0. 499 ff. a. E. sUnfallversicher-ungj). 3) Klagen, mit welchen eine Befreiung von einer durch eine polizeiliche Verfügung auf­ erlegten Verpflichtung auf Grund des § 2 des preuß. Ges. v. 11. Mai 1842 über die Zulässig­ keit des Rechtsweges (G0. 0. 192) geltend gemacht wird, sind nicht gegen den regelmäßigen Vertreter des Fiskus, sondern gegen die Behörde (als Vertreterin des 0taates) zu richten, von welcher die betreffende polizeiliche Verfügung erlassen ist (NG. VIII 0. 226, XV 0. 145; vgl. § 19 Anm. 4). Vgl. auch § 3 des preuß. Ges. v. 24. Mai 1861, betr. die Erweit. d. Rechtsweges (G0. 0. 241). 4) § 20 ist auf den Fiskus außerdeutscher 0taaten nicht anwendbar. (Urth. d. Preuß. Gerichtsh. z. Entsch. d. Komp. Konst, v. 14. Jan. 1882, Droop in Gmchot 26 0. 303.)

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§ 21.

23

§ 21. Wenn Personen an einem Orte unter Verhältnissen, welche ihrer Natur nach auf einen Aufenthalt von längerer Dauer Hinweisen, insbesondere als Dienstboten, Hand- und Fabrikarbeiter, Gewerbegehülfen, Studirende, Schüler oder Lehrlinge sich aufhalten, so ist das Gericht des Aufenthaltsorts für alle Klagen zuständig, welche gegen diese Personen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche er­ hoben werden. Diese Bestimmung findet auf Militärpersonen, welche nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder welche selbständig einen Wohnsitz nicht begründen können, in der Art Anwendung, daß an die Stelle des Gerichts des Aufenthaltsorts das Gericht des Garnisonorts tritt. N. Entw. 8 53. 507. 508.

Entw. I. § 30.

Enttv. II. § 31.

Entw. III. § 31.

Mot. S. 56, 57.

Prot. B. 9,

Vgl. noch über die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte gegenüber ausländischen Staaten D. Bar, Theorie u. Prax. d. internat. Privatr., 2. Aust. Hannover 1889 II S. 660 ff., Gut­ achten der Berl. Jvr.-Fakultät in Böhm, Z. f. internat. Privat- u. Straf-R. III S. 275 ff., Seuffert vor § 12 Anm. 5, unten vor § 796 Anm. 5 u. GVG. §§ 18—21 Amn. 3.

§ 21, 22. Tie §§ 21, 22 bilden den Uebergänz zu den besonderen Gerichtsständen, mit welchen sie vielfach konturriren, und zu denen sie im weiteren Sinne selbst gehören (vgl. oben S. 12, Wach I S. 415). Sie sind als sachlich begründet beibehalten.

§ 21. 1) Tiefer mit dem allgemeinen Gerichtsstände des § 13 elektiv konkun'irende Gerichts­ stand des dauernden Aufenthaltsorts (Theilwohnsitz— Planck I S. 58 Anm. 2; Quasi­ domizil; gegen diesen Ausdruck Wach I S. 416) steht den: formn domicilii am nächsten. Er stammt nach den Mot. (s. auch Planck I S. 59 Anm. 3) aus dem Preuß. Recht (Kab.-£. v. 4. Juli 1832 — GS. S. 175), während ihn WachI S. 415 Anm. 3 auf einen älteren deutschrechtlichen Gebrauch zurückführt. £b die betreffende Person Inländer oder Ausländer ist, macht auch hier keinen Unterschied. — Qb ein Verhältniß auf einen Aufenthalt von längerer Dauer hinweist, d. h. einen solchen zunächst erwarten läßt, hat das Gericht nach den Umständen zu würdigen, der Begriff ist eben ein rein thatsächlicher; auch Sträflinge gehören hierher (vgl. § 17 Anm. 5, OLG. Celle in S. A. 40 Nr. 148. A.M. Planckl S. 59, welcher den Eintritt in ein den im Gesetze als Beispiel genannten ähnliches Verhältniß als allgemeines Erforderniß aufstellt; s. dagegen RG. in I. W. 1893 S. 265). £b der Aufenthalt wirklich lange gedauert hat, ist unerheblich (RG. XXX S. 326). Indessen muß die Zustellung der Klage jedenfalls noch an dem Aufenthaltsorte möglich sein; vgl. § 18 Anm. 2. — Auf die Prozeßfähigkeit (§§ 50 ff.) hat der Gerichtsstand des § 21 keinen Einfluß. Die Klagen in letzterem können auch gegen einen gesetzlichen Vertreter gerichtet werden, gleichviel wo dieser wohnt. Vgl. Anm. 4. 2) „vermögensrechtlicher Ansprüche" — Dieser Begriff ist ein technischer und von erheblicher Bedeutung (vgl. auch §§ 24, 40, 508, 649 Nr. 4, EG. z. CP£. t§ 5, GVG. § 23 Nr. 1). Es sind darunter solche Ansprüche (vgl. über diesen Begriff §§ 136, 137 Anm. 2) zu verstehen, deren Gegenstand ein vermögensrechtlicher ist (Dernburg I § 37), d. h. Geld oder Geldeswerth (s. v. Savigny, Syst. d. RR. I S. 375 ff.), also hauptsächlich An­ sprüche aus dem Gebiete des Sachen- und Forderungsrechts (vgl. Windscheid, Pand. I § 42), auch des Erbrechts (s. Sarwey 1 S. 15, Wach I S. 352, 415). — Auf den Grund des Anspruchs kommt es nicht an. Auch die aus deiy Familienrecht abgeleiteten Vermögens­ ansprüche gehören hierher. Den Gegensatz bilden die nicht in Geld aufzulösenden Ansprüche, welche lediglich Rechtsverhältnisse der Person betreffen, also namentlich Status- und Ehe­ sachen („Familien- oder Standesverhältnisse, Ehrenrechte, Ehegelöbnisse oder Ehesachen" —

24

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte. § 22.

§ 22. Hat Jemand zum Betriebe einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung, von welcher aus unmittelbar Geschäfte ge­ schloffen werden, so können gegen ihn alle Klagen, welche auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben, bei dem Gerichte des Orts erhoben werden, wo die Niederlaffung sich befindet. Der Gerichtsstand der Niederlaffung ist auch für Klagen gegen Personen begründet, welche ein mit Wohn- und Wirthschaftsgebäuden versehenes Gut als Eigenthümer, Nutznießer oder Pächter bewirthschaften, soweit diese Klagen die auf die Bewirthschastung des Guts sich beziehenden Rechtsverhältnisse betreffen. N. Enttv. § 54. Entw. I. § 21. Entw. II. § 22. Entw. III. § 22. Mot. S. 57. Prot. S. 9. Preuß. Verordn, vom 14. Dez. 1833 § 1 [ÖS. 8. 302]). Vgl. z. B. §§ 568, 592, 593, 605, 620, 624, 626. — VermögenSrechtliche Ansprüche sind auch die Ansprüche aus Gesinde- und anderen Dienstverhältnissen sowie aus außerehelicher Schwängerung. Insofern in der gegen den außerehelichen Schwängerer angestellten Silage die Feststellung des Vaterschaftsverhält­ nisses nach Maßgabe des geltenden Civilrechts (]. z. B. Preuß. Ges. v. 24. April 1854 § J 9 — G8. 8. 103) nur als Grundlage vermögensrechtlicher Ansprüche (auf Alimentation u. Erb­ recht) begehrt wird, fällt dieselbe demnach unter § 21. [So der Reg.-Vertreter in der RTK. — Prot. 8. 50, 508; Seuffert Anm. 2, Endemann I 8. 80, Gaupp 1 8. 52, Renaud in Busch Z. V 8. 52 f., Wach I 8. 356, 417 Anm. 1 u. A. A.M. Puchelt I 8. 154. Lediglich den Klageantrag lassen entscheiden: Sarwey I 8. 14 f., Wilm. Levy Anm. 3.] Auf den Ort der Entstehung des Anspruchs kommt es nicht an. 3) Für die in Abs. 2 bezeichneten Militärpersonen tritt an Stelle des ''Aufenthalts­ orts, aber nur, wie in Abs. 1, bei einem auf längere Dauer hinweisenden dienstlichen Verhält­ nisse lso auch Wilm. Levy Anm. 4. A.M. Gaupp I 8. 53) der Garnisonort, welcher mit jenem nicht nothwendig zusannnenfällt (vgl. § 14 Anm. 4), eventuell der letzte deutsche Garnisonort (vgl. § 15 Anm.). 4) Eine gewisse Ergänzung dieses besonderen Gerichtsstandes liegt in der nach § 55 Abs. 2 zulässigen Ernennung eines besonderen Vertreters (Litisturators) für dergleichen nicht prozeßfähige Personen, wenn sie in jenem Gerichtsstände verklagt werden sollen. §

22.

Vgl. KO. § 208, HGB. Art. 455, 475. 1) Auch dein Gerichtsstände der Niederlassung, welcher, wie die meisten übrige:: be­ sonderen Gerichtsstände, mit dem allgemeinen Gerichtsstände tvnturrirt, häufig auch mit anderen besonderen, z. B. des Vertrages, liegt der Gesichtspunkt eines QuasidvmizilS zu Grunde. (Gegen diesen Ausdruck, inhalts dessen für einen gewissen Kreis von Beziehungen in der Nieder­ lassung ein Domizil der Person nachgebildet wird, mit Unrecht 81ein in Gruchot 28 8. 428 ff. u. Wach I 8. 424.) Eine besondere Parteifähigkeit oder Prozeßfähigkeit der Niederlassung ist damit nicht anerkannt. (Vgl. R. Koch in Busch, Arch. f. HR. XVII 8. CXXIX, Krause a. a. O. 8. 61 ff.) 2) Nur solche Niederlassungen gehören hierher, welche einen dauernden geschäftlichen Mittelpunkt bilden (vgl. Wach I 8. 425 ff., NG. XXX 8. 379), z. B. die Handels-Hauptund -Zweig-Niederlassung (HGB. Art. 21, 86—89, 152—156, 179, 212; vgl. Brendel in Gruchot 33 8. 213 ff.), von denen übrigens die letztere einen zweiten „Sitz" und mithin den Gerichtsstand des § 19 nicht begründet (ROHG. 17 8. 319; vgl. auch 8. A. 34 Nr. 239, Renaud, Recht d. Kommanditges. 8. 355, Wolfs in Endcmann's Handb. d. D. H.-, W.u. 8.-R. I 8. 837 ff., Brendel a. a. O. 8. 219). So die Reichsbankhauptstellen und Reichsbankstellen (für dieselben bewendet es bei § 38 Abs. 3 d. Bankges. v. 14. März 1875), nicht die Reichsbanknebenstellen (Agenturen k. — s. das. § 37). Eisenbahn-Stationen, selbst Haupt­ stationen bilden regelmäßig keine Niederlassung (NG. II 8. 386, Vierhaus in Busch, Z. V

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§ 23.

25

§ 23. Das Gericht, bei welchem Gemeinden, Korporationen, Gesellschaften, Genossenschaften oder andere Personenvereine den allgemeinen Gerichtsstand haben, ist für die Klagen zuständig, welche von denselben gegen ihre Mitglieder als solche oder von den Mietgliedern in dieser Eigenschaft gegen einander erhoben werden. N. Entw. § 55. Entw. I. § 22. Entw. II. § 23. Entw. III. 8 23.

Mot. S. 57, 58. Prot. S. 9.

8. 61, OLG. Dresden das. VI 8. 477, Petersen § 22 II 1, Brendel n. a. O. 8. 227), wohl aber Eisenbahn-Betriebsämter (vgl. § 20 Anm. 2), Haupt- und Generalagenturen von Versicherungsgesellschaften (Ludwig in Busch, Arch. f. HR. XLVI 8. 25 ff. A.M. Brendel a. a. O. 8. 229). Es kommt darauf an, daß die Organe der Niederlassung Geschäfte, und zwar nicht nur nebensächliche, selbst unmittelbar abschließen, nicht bloß vermitteln (RG. VII 8. 324 Anm. 1, Endemann I S. 269; Behrend HR. I 8.224, Brendel et. et. O. 8.215 u. A.), nicht aber darauf, daß die Niederlassung vorschriftsmäßig in das Handelsregister ein­ getragen ist. Der Gerichtsstand gilt nur für solche Klagen, welche auf den Geschäftsbetrieb der Nieder­ lassung Bezug haben, aber in dieser Beschränkung nicht bloß für Klagen aus Verträgen, welche von der Niederlassung aus geschlossen werden, sondern auch für Klagen aus Verträgen, die mit Rücksicht auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung geschlossen werden (RG. XXIII S. 428), für Klagen des Geschäftsführers der Niederlassung gegen den Geschäftsherrn (ob.LG. f. Bayern in 8. A. 40 Nr. 238), ferner auch für andere Klagen als aus Verträgen, z. B. aus Beschädigungen durch den Geschäftsbetrieb auf Grund des Haftpflichtgesetzes oder der lex Aquilia. (So auch RG- XXIII 8. 428 u. XXX S. 328, Brendel a. a. O. S. 234, Peter in Gruchot 24 8. 401, Wach 1 8. 428 u. A. A. M. Hellmann, Lehrb. 8. 107.) Er dauert nicht länger als die Niederlassung selbst („Hat", nämlich zur Zeit der Erhebung der Klage — RG in I. W. 1889 8. 452 Nr. 2). Ob die Klage gegen die Niederlassung gerichtet werden darf („gegen ihn"), und ob diese zur selbständigen Vertretung im Prozesse befugt ist, richtet sich nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts (vgl. § 19 Anm. 1), bezw. soweit es auf eine Vollmacht ankommt, nach den §§ 74 ff. 3) Abs. 2 hebt die l and Wirth schaftli che Niederlassung besonders hervor. Auch hier liegt der gleiche Gedanke wie tut Abs. 1 zu Grunde, und fomnteit daher nicht bloß Klagen aus Verträgen in Betracht. Die Klage auf Nückgewähr des Pachtguts fällt nicht unter diesen Gerichtsstand, sondern unter den des Vertrags (Gaupp 18. 55. A.M. Wach I 8. 429 Anm. 35). 4) „Eigenthümer, Nutznießer oder Pächter" nicht bloßer Verwalter. — „bewirthschaften" — Dies Erforderniß gilt auch für den Eigenthümer, trifft aber auch dann zu, wenn ein Verwalter die Wirthschaft leitet (s. Petersen § 22 III 2, Hell­ mann Lehrb. 8. 107). „Bewirthschaften" bedeutet für eigne Rechnung bewirthschaften.

§ 23 1) Ein besonderer Gerichtsstand der Mitglieder der in § 19 bezeichneten P ers one nnereilte für 8treitigkeiten aus dem gesellschaftlichen bezw. genossenschaftlichen Verhältnisse, vorausgesetzt, daß der Verein oder ein anderes Mitglied als Kläger auftritt. 2) „Das Gericht — Gerichtsstand haben" — Der Gerichtsstand des § 23 ist also an die Dauer des in § 19 bestimmten Gerichtsstandes gebunden. — „allgemeinen Gerichtsstand" — d. h. nach der allgemeinen Fassung nicht bloß, den gesetzlichen, sondern auch den nach § 19 Abs. 3 statutarisch bestimmten. (So auch Seitffert, Wilm. Levy Anm. 1, Wach I 8. 462 Anm. 62, Hellmann, Lehrb. 8. 108. A.M. Fitting im ein. Arch. 61 8. 405, der sich mit Unrecht auf die Mot. beruft,. Petersen § 23 Nr. 1.)

26

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte. § 24.

§ 24. Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, welche im Deutschen Reich keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirke sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch ge­ nommene Gegenstand befindet. Bei Forderungen gilt als der Ort, wo das Ver­ mögen sich befindet, der Wohnsitz des Schuldners und, wenn für die Forderung eine Sache zur Sicherheit hastet, auch der Ort, wo die Sache sich befindet. N. Guttu. §§ 67, 73. Guttu. I. § 23.

Guttu. II. § 24.

Guttu. III. § 24. Mot. S. 58.

Prot. S. 9,10.

— „gegen ihre Mitglieder — einander" — Daß die Beklagten noch zur Zeit der Erhebung der Klage Mitglieder sind, ist nicht nothwendig [). NG III 3. 385 ldazu VierHaus in Busch Z. V 3. 63 f.), Dernburg I § 270 Anm. 1 u. A. A.M. Planck I 3. 61, weil der Gerichtsstand dem Vorbilde des Gerichtsstandes des Wohnsitzes folge, Kleiner I 3. 164]. Unter § 23 fallen z. B. Klagen einer Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit auf Zahlung der Prämie (]*. NG a. a. O. u. IV 3. 394, Hellmann, Lehrb. 3. 108, Wach I 3. 462 Anm. 60. A.M. Petersen § 23 Nr. 3 u. A. hinsichtlich fester Prämien). Hinsichtlich der Klage gegen den Vorstand, die Beamten als solche zc. kommt nicht § 23, sondern § 31 zur Anwendung; der geschäftsführende Theilhaber der offenen Handelsgesellschaft ist aber nicht Beamter (3eufsert Anm. 4); er kann wegen seiner Geschäftsführung im Gerichts­ stände des § 23, aber auch, da er ein „Verwalter" ist, in demjenigen des § 31 belangt werden. Andrerseits fällt auch die Auflösungsklage unter § 23; ebenso die Ausschließungsklage. Vgl. übrigens § 61 des Ges., betr. die Gesellschaften mit beschr. Haftung. § 24.

1) Dieser Gerichtsstand ersetzt den des Arrestes (Wetzell 3. 503 ff.). Anwendungen: §§ 705, 729. (Vgl. Krause a. a. O. 3. 24 ff., 66 ff., Wach I 3. 418 ff. („Gerichtsstand des Vermögens"), Planck I 3. 61 ff.] Er gilt auch für Klagen der Ausländer (§12 Anm. 3, RG. XIV 3. 408, XVI 3. 392, ob.LG. f. Bayern in 3. A. 41 Nr. 219). 2) „eine Person" — sei es physische oder juristische; bei letzterer umfaßt „Wohnsitz" den „3itz" im 3inne des § 19. Auf Klagen gegen Regierungen außerdeutscher 3taaten ist jedoch aus völkerrechtlichen Gründen § 24 nicht anzuwenden (vgl. § 20 Anm. 4, insbes. das dort angef. Urtheil, Droop a. a. O. 3. 289 ff., des. 302, GVG. §§ 18—21 Anm. 3.) — „vermögensrechtlicher Ansprüche" — vgl. § 21 Anm. 2. — „im Deutschen Reiche" — die 3chutzgebiete sind nicht Theile desselben (Vierhaus in Busch, Z. XIV 3. 207). — „keinen Wohnsitz" — Der Gerichtsstand deS (deutschen) Wohnsitzes (§§ 13—17) schließt den des § 24 aus. Dagegen konkurrirt letzterer mit dem Gerichtsstand des § 18 und des § 22 (RG. XXVII 3. 421). 3) „Vermögen desselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand" — gleichviel ob der Beklagte Inländer oder Ausländer, und ob im Auslande Konkurs gegen ihn eröffnet ist (vgl. KO. § 207, NG im D.RAnz. 1885 bes. Beil. 5 3. 204, 211, RG. 1 3. 435, VI 3. 400 u. dazu 3chmidt (Celle) in Busch Z. VI 3. 1 ff., RG. XIV 3. 412, XVI 3. 391), selbst wenn nach dortigem Recht das gesammte Vermögen als im „Eigenthum" deS Konkursverwalters stehend behandelt wird (RG. XIV 3. 405). Unerheblich ist es auch, ob der Klagegegenstand oder das Vermögen in Immobilien oder Mobilien besteht; für letztere ist der Gerichtsstand des § 24 gewissermaßen ein Ersatz des dinglichen Gerichts­ standes (§§ 25 ff.). (Vgl. RG. I 3. 435.) Eine Forderung des Beklagten, welche mit dem Bestehen des Klaganspruchs begrifflich nicht zu vereinigen ist, genügt nicht (RG. III 3. 381, Wach I 3. 423); ebensowenig eine solche, welche nach bent Klagevortrag durch Kompensation erloschen ist (RG. VII 3. 309, C. civ. art. 1290), nicht bloß erlöschen kann (RG. VII 3. 325). Vgl. auch RG. XXVII 3. 393. Das Vermögen (über den Begriff s. W a ch I 3. 419 ff.: „3umme der geldwerthen Züchte") repräsentirt den 3chuldner. Ob der Anspruch ein dinglicher

Zweiter Xitel.

Gerichtsstand.

§ 25.

27

§ 25. Für Klagen, durch welche das Eigenthum, eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend geinacht wird, für Grenzscheidungs-, Theilungs- und Besitzklagen ist, sofern es sich um unbewegliche Sachen handelt, das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirke die Sache belegen ist. Bei den eine Grunddienstbarkeit oder eine Neallast betreffenden Klagen ist die Lage des dienenden oder belasteten Grundstücks entscheidend. N. Ent«. §§ 56, 58. Gut#). I § 24. Entw. II. § 25. Entw. III. § 25. Mot. S. 58, 59. Prot. ®. 1«. ober persönlicher, ist unerheblich. Ebensowenig kommt darauf an, ob in die betreffenden Vermögensstücke die Vollstreckung zulässig ist (NG. IV 8. 408, VI S. 400 fauch VII S. 325], Gaupp I 8. 58, Wilm. Levy Anm. 3 u. A. A.M. Petersen § 24 Nr. 4, Planck I S. 63, Seuffert in Busch, Z. XI 8. 194). Dagegen muß andrerseits der Gegenstand ver­ möge seiner naturgemäßen Bestimmung als Vermögensbestandtheil erscheinen, was bei Hand­ akten eines Anwalts in der Regel nicht der Fall ist (NG XXIV 8. 414), ebensowenig bei den unentbehrlichen Kleidungsstücken am Leibe des 8chuldners (A.M. Bark hausen in Busch, Z. X 8. 394 ff.). Unerheblich ist es auch, ob die Existenz der Voraussetzungen des § 24 durch Arglist des Klägers herbeigeführt ist (RG. XVI 8. 393 u. in Gruchot 36 8. 1198). — Vgl. noch 8 12 Abs. 1 des Patentges. v. 7. April 1891 (RGBl. 8. 79) u. § 13 Abs. 2 des Gebrauchsmusterges. v. 1. Juni 1891 (RGBl. 8. 290), Köhler in Busch's Arch. f. H. u. W. R. Bd. 47 8. 339 ff. 4) „befindet" — d. h. zur Zeit der Erhebung der Klage (§ 4 Anm. 1, NG. VII 8. 325), nicht der Ueberreichung des Zustellungsgesuchs, welcher nach 8 190 gewisse Wirkungen zukommen (NG- I 8. 435). Daß das Vermögen bezw. der Gegenstand durch Arrestschlag gesichert sei, ist nicht erforder­ lich. Vgl. §§ 804, 805 Anm. 1. Ebensowenig ist die Vollstreckbarkeit auf jene Dinge einge­ schränkt. Entgegengesetzte Anträge sind von der RTK. abgelehnt. 5) 8atz 2 entscheidet in der Praxis hervorgetretene 8treitfragen. Vgl. § 730 Anm. 2. Ob die 8ache dem 8chuldner oder einer dritten Person gehört, ist nach der Fassung der Be­ stimmung unerheblich. Bei Werthpapieren, die einen Börsen- oder Marktpreis haben, ist, da sie nach §8 722 ff. als 8achen gelten, der Ort, wo sich das Papier befindet, maßgebend (Wach I 8. 422). Anders bei bloßen Beweisurkunden. 6) Die Beweis last (hinsichtlich der Erfordernisse des § 24) liegt dem Kläger ob (NG. III 8. 381, Vierh aus in Busch, Z. V 8. 64 f.; oben Tit. 2. Anm. 4, § 18 Anm. 1). 7) Der Gerichtsstand aus HGB. Art. 310, 315 ist durch § 24 nicht berührt (EG. z. CPO. § 13). Vgl. auch die im § 13 EG. z. CPO. Anm. 2 a. E. angef. Gesetze.

88 25-27. Die 88 25—27 handeln vom dinglichen Gerichtsstände (Gerichtsstand der gelegenen 8ache), der sich gemäß der älteren deutschen Auffassung auf unbewegliche 8achen beschränkt (s. Renaud 8. 83). Vgl. §§ 755, 839 Abs. 2. Für die in § 25 bezeichneten Klagen ist er (wie nach der im kan. R. bestätigten älteren deutschen Rechtsanficht — Wetzell S. 501, Wach I 8. 435, Planck 1 8. 64) ein ausschließlicher (zur Sicherung der Anwendung des örtlichen Rechts — s. Hann. Prot. I S. 437 ff.). Vgl. §§ 12 Anm. 1, 40 Abs. 2. Daß auch das Reich diesen besonderen Gerichtsständen unterliegt, ist in der RTK. ausdrücklich anerkannt. — Erweiterungen des dinglichen Gerichtsstandes, jedoch ohne Ausschließlichkeit, auf persönliche Klagen enthalten die §§ 26, 27.

§ 25. 1) Für Klagen — geltend gemacht wird" — also rei vindicatio, Publiciana in rem actio, alle konfessorischen, negatorischen und Hypothekar-Klagen (vgl. § 26; NG. in I. W. 1889 S. 304) einschließlich der hierher gehörigen positiven und negativen Feststellungsklagen (§ 231; s. Wach I S. 439, Planck I S. 64 ff.; RG XIII 8. 386 —Feststellung des nutz-

28

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Erster Abschnitt. Gerichte. § 25.

baren Eigenthums mit Fideikommisse nach preuß. R.; dsgl. nach gein. R.: NG. XXI S. 409; vgl. XXV S. 391, OLG. Stuttgart in S. A. 41 Nr. 118). Auch der Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Reallast (Abs. 2, § 26), über Eigenthum einer Hypothek oder über Eintragung des Nießbrauchsrechts an einer Hypothek (s. Entsch. d. £X. 53 S. 312, 315) gehört hierher, ebenso die Klage des Muthers gegen die seiner Beleihung entgegenstehenden Ansprüche Dritter (RG. XXI S. 225, Preuß Allg. Bergg. § 23, dazu Brasserl, Kommentar. Bonn 1888 S. 117, Gruchot 33 S. 463), dagegen nicht persönliche Klagen auf Übertragung des Eigen­ thums oder dinglicher Rechte oder auf Begründung dinglicher Rechte (Wach 1 S. 439 f., NG. in S. A. 44 Nr. 214; Dgl. auch NG. in Gruchot 36 S. 1201). Klagen auf Herauszahlung der ungercchtfertigterweise erhobenen, zur Jmmobiliarmasse gehörigen Brandentschädigungsgelder fallen nicht unter § 25 (NG. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 106). Ueber Hand- und Spann­ dienste s. ob.LG. f. Bayern in S. A. 46 Nr. 57. Ueber Inzidentklagen s. § 253 Anm. 2. Mit der Klage auf Löschung einer Hypothek oder Grundschuld wird nach preuß. Recht, abgesehen von den Fällen, in welche die dingliche Haftung ohne Löschung erlischt (z. B. Eig.Erw.-Ges. vom 5. Mai 1872 § 42, Eintritt einer auslösenden Bedingung — D ernburg, Preuß. Hyp.-R. II § 41 S. 309 f.) nicht die „Freiheit von einer dinglichen Belastung", sondern ein Anspruch auf Befreittng geltend gemacht (Eig.-E.-Ges. § 57); aus diesem Gesichtspunkte kann daher die Löschungsklage, von jenen Ausnahmefällen abgesehen, nicht dem § 25 EPO. unterstellt werden. Wird mit der Klage eine persönliche Verpflichtung des Klägers gegenüber dem Beklagten auf Löschung der an sich rechlsgiltigen Hypothek gellend gemacht, z. B bei der Klage des Eigenthümers gegen den von ihm bezahlten Gläubiger, so ist daher § 25 nicht anwend­ bar. Wird dagegen von dem Eigenthüiner oder einem nacheingetragenen Gläubiger die Löschung der Hypothek begehrt, weil sie nicht'rechtsbeständig, z. B. die Eintragungsbewilligung nichtig sei, oder die Kautionshypothek gegenstandslos geworden sei, so macht der Eigenthümer sein Eigen­ thum (actio negatoria), der nacheingetragene Gläubiger sein dingliches Recht zum Zwecke der Abwehr des in der Eintragung liegenden Eingriffs geltend, uttd es greift ntithin § 25 Platz. [£f> übrigens der nacheingetragene Gläubiger zur Anstellung der Löschungsklage berechtigt ist, ist hier nicht zu erörtern; s. NG. XX S. 403, 407, Dernburg a. a. C. § 40]. Vgl. Dernburg a. a. O. § 41 S. 312 f.; Förster (Eccius) III § 181 N. 14, 15; RG. XVIII S. 265,'Voß in Jahrb. f. Dogm. XXIII S. 66 ff. Die Ansicht, daß § 25 auch auf die auf einer persönlichen Verpflichtung beruhenden Löschungsklagen Anwendung finde svgl. Seuffert Anm. 2c, Hellmann Lehrb. S. 119, Wach I S. 441 ff. Sarwey I S. 60 ff., 'NG. XV S. 386 (sächs. R.), XX S. 403 (weint. R.), in S. A. 46 Nr. 56 (preuß. R.), 41 Nr. 220 (sächs. R.) u. in I. W. 1890 S. 255], ist aus § 26 nicht zu begründen, da hier nur von den im dinglichen Gerichtsstände zu erhebenden, nicht nothwendig von allen Löschungsklagen die Rede ist. Aber auch nach der Ansicht des NG. fallen Klagen gegen Dritte (int Gegensatz zum Gläubiger) auf Erfüllung einer persönlichen Verpflichtung zur Herbeiführung der Löschung nicht unter § 25 (RG. XXV S. 384), ebenso auch nicht Klagen, welche die Löschung nur vorbereiten sollen (NG. XXIII S. 339). Unter „Grenzscheidungsklagen" ist auch das Grenzerneuerungsverfahren (Preuß. ALR. I 17 §§ 383 ff.) mitbegriffen (vgl. Dernburg 1 § 216. A.M. Seuffert Anm. 26). Unter „Theilungsklagen" sind nur solche zu verstehen, welche eine einzelne unbewegliche Sache betreffen (actio communi dividundo). Solche giebt es auch nach preuß. Recht (s. Wilm. Levy Anm. 4. A.M. A. Förster Anm. 3e, Seuffert Anm. 2e). Wegen Erbtheilungsklcgen s. § 28, wegen Theilung des Gesellschafts- u. s. w. Verntögens s. § 23. „Besitzklagen" sind nach der Absicht des Gesetzes ebensowohl die sog. interdicta adipiscendae possessionis, soweit sie eine einzelne unbewegliche Sache zum Gegenstände haben, als die eigentlichen possessorischen Rechtsmittel, welche § 232 Abs. 2 allein im Auge hat s]Nordd. Prot. S. 47, Mot. S. 59, Wilm. Levy Anm. 5, Förster (Eccius) III §162 Note 28. A.M. Fitting im civ. Arch. 61 S. 421]. Für letztere ist die Lage desjenigen Grundstücks entscheidend, gegen welches die Störung bezw. Entsetzung verübt ist (Nordd. Prot. S. 47).

Zweiter Titel.

Gerichtsstand.

§ 26.

29

§ 26. In dem dinglichen Gerichtsstände kann mit der hypothekarischen Klage die Schuldklage, mit der Klage auf Löschung einer Hypothek die Klage auf Be­ freiung von der persönlichen Verbindlichkeit, mit der Klage auf Anerkennung einer Reallast die Klage auf rückständige Leistungen erhoben werden, wenn die verbundenen Klagen gegen denselben Beklagten gerichtet sind. N. Entw. § 59. guttu. I. § 25. guttu. II. § 26. guttu. III. § 26. Mot. S. 58, 59. Prot. S. 10. In der AuSschließlichkeit des dinglichen Gerichtsstandes (f. § 40 Anm. 2) wird nichts dadurch geändert, daß eine der hier bezeichneten Singularklagen mit einer der in § 28 bezeich­ neten Klagen zusammenfällt (Nordd. Prot. S. 46, 52). Andererseits umfaßt aber der Gerichts­ stand der Erbschaft auch die in der Erbschaft enthaltenen unbeweglichen Sachen (ebendas. S. 52, Mot. S. 60). Es kommt also immer darauf an, ob nach dem Klageanträge und seiner Be­ gründung eine Entscheidung über das Erbrecht bezw. Vermächtnißrecht verlangt wird. Eine Ausnahme s. in § 28 Anm. 2. stVgl. auch Schultze in Krit. Vierteljahrsschr. XVIII. S. 224 ff., Seuffert § 28 Anm. 2, Petersen § 25 II 1, Sarwey 1 S. 55 ff.] 2) „um unbewegliche Sachen" — Der Begriff bestimmt sich nach dem bürgerlichen Recht. sA.M. gegenüber der allgem. Meinung (RG. XXI S. 411) Wach 1 S. 436, welcher den Begriff — ähnlich wie den des Wohnsitzes (vgl. § 13 Anm. 1) — für die Lehre vom Gerichtsstände aus der CPO. selbst bestimmen will, obwohl diese dafür nur ungenügende Anhaltspunkte in den §§ 25, 27 bietet und für die Zwangsvollstreckung in § 757 Abs. 2 die Bestimmung des Begriffs ausdrücklich dem Landesrecht überläßt.] Zubehörungen unterfallen dem § 25, wenn sie mit der Hauptsache geltend geinacht werden (OLG. Stuttgart in S. A. 41 Nr. 118) oder nach bürg. Recht als unbewegliche Sache gelten (vgl. Nordd. Prot. S. 47). „in dessen Bezirke die Sache belegen ist" — Liegt sie in verschiedenen Bezirken, so tritt Bestimmung nach § 36 Nr. 4 ein. 3) A b s. 2 entscheidet eine in Preußen aufgetretene Streitfrage (Just.-Min.-Bl. 1840 S. 146) im Sinne des gern. R. (vgl. auch Hann. PO. § 8). Er ist auf s. g. gesetzliche Servituten analog anzuwenden (W a ch I S. 439 Anm. 17, 443). . 4) Der Gerichtsstand des § 25 gilt auch für Exterritoriale (GVG. 20). § 26. 1) § 26 enthält für gewisse Fälle des inneren Zusammenhanges Ausnahmen von der Regel, daß eine persönliche Klage mit der unter § 25 fallenden Klage im dinglichen Gerichts­ stände nicht verbunden werden kann, wenn der Richter der belegenen Sache nicht aus einem anderen Grunde auch für sie zuständig ist (§ 232 Anm. 2). Letzteres ist jedoch der Fall hin­ sichtlich derjenigen Nebensorderungen, welche nach bürg. Recht als Theil der Hauptsache gelten, z. B. die causa rei bei der rei vindicatio; bezüglich ihrer bedarf es somit keiner Ausnahme­ bestimmung; s. § 25 Anm. 2. 2) „kann — erhoben werden" — Die Verbindung ist nur fakultativ. Der Gerichts­ stand des § 26 gilt daher nicht für Exterritoriale. — „mit der hypothekarischen Klage die Schuldklage" — (Vgl. darüber Krech u. Fischer: D. Preuß. Ges. üb. d. Zwangsvollstr. in d. unbew. Vermögen v. 13. Juli 1883 S. 136 ff.). Dies ist nicht auf eine „Grundschuld, welche neben eine persönliche Schuld tritt" (vgl. Eig.-Erw.-Ges. v. 5. Mai 1872 § 52 Abs. 2), auszudehnen (wie Dernburg I § 341 Anm. 3 u. A. Förster Anm. 2 meinen); beide sind durchaus selbständig. „aus Löschung einer Hypothek" — Vgl. § 25 Anm. 1. Auch hier steht die zur Sicherung eines persönlichen Rechts dienende Grundschuld der Hypothek nicht gleich. „wenn — gerichtet sind" — Diese Beschränkung bezweckt die Vermeidung einer das Verfahren verwirrenden Klagenhäusung. Die Schuldklage darf also nicht mit der Klage gegen den dritten Besitzer des Pfandes verbunden werden.

30

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen. Erster Abschnitt. Gerichte.

§§ 27, 28.

§ 27. In dem dinglichen Gerichtsstände können persönliche Klagen, welche gegen den Eigenthümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache als solchen gerichtet werden, sowie Klagen wegen Beschädigung eines Grundstücks oder in Betreff der Entschädigung wegen Enteignung eines Grundstücks erhoben werden. 91. Gntw. §§ 57, 68. Ent«. I § 26. Ent«. II. § 27. Ent«. III. § 27. Mot. S. 58, 59. Prot. S. 10

§ 28. Klagen, welche Erbrechte, Ansprüche aus Vermächtniffen oder sonstigen Verfügungen auf den Todesfall oder die Theilung der Erbschaft zum Gegenstände haben, können vor dem Gerichte erhoben werden, bei welchem der Erblasier zur Zeit seines Todes den allgemeinen Gerichtsstand gehabt hat. In dem Gerichtsstände der Erbschaft können auch Klagen der Nachlaßgläubiger aus Ansprüchen an den Erblasser oder die Erben als solche erhoben werden, wenn sich der Nachlaß noch ganz oder theilweise im Bezirke des Gerichts befindet, oder wenn mehrere Erben vorhanden sind und der Nachlaß noch nicht getheilt ist. 91. Ent«. § 60. Ent«. I. § 27. Ent«. II. § 28. Ent«. III. § 28

Mot. 6 ff., Ende­ mann I S. 489, Fitting § 47 N. 21 u. A.), während umgekehrt die Verweisung eines solchen einzelnen Rechtsbehelfs in einen besonderen Prozeß nicht zulässig ist (NG. in S. A. 40 Nr. 155). Die Trennung mit jener stärkeren Wirkung (§ 136) wird nur in seltenen Fällen erforderlich sein, da in der Regel die Erlassung eines Theilurtheils (§§ 273, 274) bezw. die Trennung der Verhandlungen (§ J37) genügt. Im Falle des § 136 wird die proz essualische Verbindung der Ansprüche in der Art vollständig aufgehoben, als obste von vornherein in getrennten Prozessen gellend gemacht wären (abweich. Fitting § 47 N. 17). Es sind mit­ hin auch völlig getrennte Prozeßakten anzulegen. Die Klage (bezw. Widerklage) braucht jedoch der fortdauernden Rechtshängigkeit wegen (s. § 136 Anm. 5) nicht wiederholt zu werden. (So auch Schollmeyer, Kompens.-Einrede S. 16 f., Hellmann, Lehrb. S. 302, Wex S. 252; vgl. RG. in I. W. 1888 S. 177.) In dem Trennungsbeschlusse hat das Gericht zugleich zu bestimmen, welcher Prozeß in dem bereits angesetzten Termin zu verhandeln sei; zu dem anderen Prozesse haben, sofern nicht auch hierfür das Gericht sofort den Termin ansetzt, die Parteien in Gemäßheit des § 191 zu laden (nicht, wie Fischer in Gruchot 25 S. 638 Anm. 18 annimmt, gemäß § 230 mit Wahrung der Einlassungsfrist). Auch ist wegen der fortdauernden Rechtshängigkeit der Trennungsbeschluß ohne Einfluß auf die Zuständigkeit des Gerichts (vgl. § 235 Abs. 2 Ziff. 2, § 5 Anm. 1). Wegen der Nevisionssumme vgl. § 508 Anm. 3. 2) Die Unterscheidung von „Ansprüchen" (§ 136), „selbständigen Angriffs- und Vertheidigungsmitteln" (§ 137) und „Zwischenzeiten" (Z 275) ist in der CPO. bedeutungsvoll. a) Der Ausdruck „Anspruch" ist vorzugsweise durch Wind scheid (Pand. I §§ 43, 44; ders., Die Actio des Röm. Civ.-R. S. 5 ff.) in die Rechtssprache eingeführt. Er versteht darunter „die vom Rechte anerkannte Befugniß, von einem Anderen etwas §u verlangen" und fügt hinzu: „Der Anspruch ist keine besondere Art des Rechts; der Anspruch ist eine Funktion des Rechts. Der Anspruch ist das Recht in seiner Richtung auf die Unterwerfung menschlichen Willens." (Lediglich mit „subjektives Recht. Berechtigung" identifizirt dagegen den Begriff des Anspruchs Löning in Busch, Z. IV S. 183 ff.) Daher umfaßt der Ausdruck nicht bloß Forderungen, auch nicht bloß das Gebiet des Vermögensrechts („vermögensrechtliche Ansprüche"; vgl. § 21 Anm. 2), sondern erstreckt sich auf alle im Civilprozesse verfolgbaren Rechte (vgl. §§ 61, 102 Nr. 5, 745, 796). Windscheid entfernt aus dem Begriffe das Merkmal der Rechts­ verletzung (ebenso Kroll, Klage u. Einrede S. 27, 232 ff.). In dieser Beziehung ist jedoch die CPO. seiner Ternrinologie nicht gefolgt, abgesehen von denjenigen Stellen, wo sie den An­ spruch als Vollstreckungsgegenstand oder als Voraussetzung des Arrestes (§§ 745—748, 751—753, 796, 800) behandelt. Sie denkt sich (freilich ohne ganz feste Terminologie — s. Rocholl in Busch, Z. VIII S. 356, Förster (Eceins) I § 50 Anm. 8) den „Anspruch" vielmehr regel­ mäßig als den letzten unmittelbaren Gegenstand der Rechtsverfolgung und demzufolge des Urtheils. Er ist das (in der Regel) aus einer (behaupteten) Verletzung hervorgegangene, an den Gegner gestellte Verlangen, welches mittels des Rechtsstreits verwirklicht werden soll und sich in der Sachbitte (dem Antrage) ausdrückt (vgl. §§ 5, 21 Abs. 1, 24, 28 Abs. 2, 33, 40 Abs. 2, 57, 61, 69, 73 Abs. 3, 77, 79 Abs. 1, 102 Nr. 5, 103, 136—138, 146 Nr. 1, 230 Nr. 2, 232, 236 Abs. 1, 254, 273, 276-278, 292, 293, 313, 318 Abs. 2, 319 Abs. 2, 467,

Erster Titel.

Mündliche Verhandlung.

§ 136.

169

491 Abs. 2, 499, 500 Nr. 3, 503 Abs. 2, 508 Abs. 1, 509 Nr. 2, 555, 560, 562, 563, 565, 628ff., 672, 686, 704). [©. v. Savigny, Syst. d. R. R. V S. 4 ff., Hellmann I S. 436 und in Jahrb. f. Dogm. 31 S. 129 ff., Eisele das. S. 385 ff., Planck I S. 412 ff., II S. 4ff., Hinschius im Rechtslex. I S. 110, Freu denstein, Rechtskraft S. 69 Anm. 2, Schollmeyer, Zwischenstreit S. 10, Lippmann im civ. Arch. 65 S. 425 ff., Hoffmann in Gruchot 27 S. 193 ff., Leonhard in Busch, Z. XV S. 327 ff., Crome, Allg. Theil des sranz. Civ.-R. § 41, Entw. I d. bürg. GB. § 154. Gegen Windscheid vgl. auch Thon: Rechtsnorm u. subj. R. Weimar 1878. S. 257, Plosz: Beitr. z. Theorie des Klagerechts S. 49 ff.) Selbstverständ­ lich ist damit nicht (wie Wach, Vortr. S. 15 meint) die Identität von Anspruch und Petitum behauptet. Letzteres ist eben nur der Ausdruck des Anspruchs, die Folgerung, welche die Partei aus dem Ansprüche als Obersatz zieht. (Vgl. auch Schollmeyer a. a. O. S. 10ff., Plosz a. a. O. S. 1 ff., welcher das Klagerecht als (publizistisches) Prozeßbegründungsrecht bezeichnet (s. dagegen Baron in Krit. Vierteljahrsschr. XXIV S. 317), Wach I S. 14 ff., 293 ff., nach welchem das Wort „Anspruch" in der CPO. in der dreifachen Bedeutung als „civiles, befrie­ digungsbedürftiges Recht", „Beanspruchtes" oder „Petitum" und „Rechtsschutzanspruch" sich findet (vgl. über letzteren Levy in Gruchot 35 S. 156ff., Fischer in Busch, Z. X S. 428; s. auch Wach, Feststellungsanspruch. Leipzig 1889), Fitting S. 159, welcher zwischen dem privaten „Anspruch" gegenüber dem Gegner und dem öffentlichrechtlichen „Anrechte" gegenüber dem Ge­ richte unterscheidet.) Die Stufenfolge bei der Klage ist: Klagegrund, Anspruch, Antrag (st § 230 Anm. 4). Ob ein Anspruch auch ohne vorausgegangene Rechtsverletzung möglich ist, ist Sache des materiellen Rechts (s. §§ 89 Anm. 1, 231 Anm. 6, Endemann I S. 483, Förster (Eccius) I § 50 Anm. 25; vgl. jedoch Plüsz a. a. O. S. 38 Anm. 36, welcher nach dem heutigen Rechtsbewußrsein die Rechtsverletzung als Erforderniß der Klage gänzlich verwirfst und hiergegen Wetzell § 16 S. 150 ff.). Der Anspruch ist nicht nothwendig auf eine Leistung (oder Unterlassung) des Gegners ge­ richtet; er kann auch darin bestehen, daß ein Rechtsverhältniß oder dessen Nichtbestehen oder die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde festgestellt werde (§§ 29, 231, 253). Der Begriff des Anspruchs ist kein prozeßrechtlicher; er gehört dem materiellen Recht an. Der Anspruch bildet den materiellen Stoff des Prozesses. Die Form, in welcher er „geltend gemacht" („erhoben") wird, ist regelmäßig die Klage einschließlich der Präjudizial-Jnzidentklage (§§ 230 ff.) oder (für „Gegenansprüche" ein­ schließlich der „Gegenforderungen") die Widerklage einschließlich der Präjudizial-Jnzidentwiderklage (§§ 33, 136 Abs. 2, 251 Abs. 1, 253, 293 Abs. 1). Indessen gehört hierher auch (wegen der'daran geknüpften Wirkungen) die Geltendmachung einer „Gegenforderung" durch Ein­ rede zum Zwecke der Kompensation (vgl. §§ 136 Abs. 2, 235 Anm. 1, 3; 254, 274, 293 Abs. 2, 491 Abs. 2; s. auch § 5 b. Anfecht.-Gesetzes — Erhebung des Anfechtungsanspruchs durch Einrede). ^Zustimmend Gaupp I S. 289, Fitting S. 159, 162 f., der aber S. 316 ff. in der Gleichstellung der Kompensationseinrede und der Widerklage zu weit geht, und jetzt' auch Schollmeyer, Die Kompensationseinrede S. 5 ff. Letzterer begründet ausführlich die Ansichst daß jene Einrede kein bloßes Vertheidigungsmittel, sondern eine „unentwickelte Widerklage" sei; ähnlich Osann, Beitr. z. Behandlung d. Komp. Einr. in d. D. CPO. Darmstadt 1885 S. 21 ff., 30 ff. Diese Konstruktion, auf die Schollmeyer in Gruchot 31 S. 247 selbst kein erhebliches Gewicht mehr legt, hat jedoch manche Bedenken. Vgl. auch Endemann I S. 483, Hinschius im Rechtslex. II. s. v. „Gegenforderung", Freudenstein a. a. O. S. 69 Anm. 2, S. 202 ff.; vgl. ferner noch RG. VIII S. 364, XV S. 421. AM. Petersen § 136 III 3 u. (insbes. gegen Schollmeyer) in Gruchot 30 S. 1 ff., v. Canstein in Busch, Z. I S. 327 Anm. 96, welcher irrigerweise auch andere Einreden hierherziehen will, Seuffert in Krit. Vierteljahrsschrist XXVII S. 472 ff., Fischer im cito. Arch. 70 S. 341 ff. u. A.) Besondere Formen der Geltendmachung von „Ansprüchen" s. in §§ 98 Abs. 2, 100, 628 ff., 672.

170

Erstes Buch.

Allgem. Bestimmungen.

Dritter Abschnitt.

Verfahren.

§ 136.

b) Von den „Ansprüchen" wesentlich verschieden sind die zur Begründung bezw. Be­ kämpfung der Ansprüche dienenden einzelnen Rechtsbehelfe, welche die CPO., obschon in schwankendem Sprachgebrauch, unter dem Namen „Angriffs- und Vertheidigungsmittel" zusammenfaßt (§ 33, 64, 65, 91, 95, 251, 252, 315 Abs. 1, 319 Abs. 2, 491 Abs. 1, 502 Abs. 1, 503 Abs. 1). Der Begriff umschließt an sich alles, was die Parteien zur Durchführung ihrer Absichten anführen, also Klagegründe (auch den eventuellen im Verhältnisse zum Prin­ cipalen — RG. fver. Civilsen.] XXVII S. 390 f.; vgl. ferner Petersen in Busch, Z. XVI S. 495 ff. u. unten § 232 Anm. 7), Einreden, Repliken. Dupliken, selbst die — an sich einen eigenen Rechtsstreit bildende (vgl. Löning in Busch, Z. IV S. 22 ff., Schollmeyer Zwischenstreit S. 47, 49) — Widerklage in Folge ihrer eigenthümlichen prozessualischen Behand­ lung, aber auch bloße Thatsachen, Beweismittel und Beweiseinre den (vgl. §§ 64, 65, 491 Abs. 1), obwohl die Beweismittel und Beweiseinreden zuweilen besonders neben den „Angriffs­ und Vertheidigungsmitteln" genannt werden (§§ 251, 252 im Vergleich mit §§ 255, 256, 315 Nr. 3, 319 Abs. 2); zuweilen werden selbst Rechtsmittel darunter begriffen (s. § 65 Anm. 3). fVgl. auch Hinschius im Rechtslex. I s v. „Angriffs- und Vertheidigungsmittel", Osterloh in Busch, Z. III S. 47, H. Meyer das. VII S. 303, Lippmann a. a. O. S. 426, Wach I S. 289 ff., Gaupp I S. 290, Fitting S. 163 f.; abweichend Schollmeyer, Zwischenstreit S. 21 ff., Planck I S. 413 N. 36, der die prozeßhindernden Einreden nicht zu den Ver­ theidigungsmitteln rechnet, Wilm. Levy § 137 Anm. 1.] Die Angriffs- und Vertheidigungsmittel (jedoch mit Ausnahme des Klagegrundes) bilden das bewegliche Element des Prozesses, wie die Ansprüche dessen festen Stoff (§§ 251, 491). Unter den Angriffs- und Vertheidigungsmitteln sind besonders hervorgehoben die „selb­ ständigen Angriffs- und Vertheidigungsmittel". Die in § 137 gewählten Beispiele zeigen, daß darunter Anführungen von einer gewissen Geschlossenheit verstanden sind (im Gegensatz der sog. Hülfsthatsachen des N. E. § 394), welche eine besondere, von dem übrigen Prozeßstoffe unabhängige rechtliche Wirkung, sei es für den Anspruch des Anführenden oder gegenüber dem gegnerischen Ansprüche, zu äußern bestimmt sind (vgl. Planck I S. 415). Es gehören dahin z. B. die Sachlegitimation oder andere Präjudizialpunkte (Nordd. Prot. S. 297, Planck I S. 528, II S. 113b, Brückner in Busch, Z. V S. 420, auch NG. XI S. 317 a. E. A.M. Hoffmann a. a. O. S. 199), aber auch der Einwand der Zahlung, des Ver­ zichts (vgl. § 262), sowie mehrere auf denselben Anspruch bezügliche Klagegründe bezw. Er­ werbsgründe. In diesen Fällen ist die Selbständigkeit der Art, daß der daraus entstehende Streitpunkt sich zwar nicht, wie einzelne Ansprüche, zu einem getrennten Prozesse (§ 136), wohl aber zu einer getrennten Verhandlung (§ 137) und zur Entscheidung durch Z wischenurtheil (§§ 275, 426) eignet. Ebendeshalb tritt der — seinem Wesen nach nur relative — Begriff in einen gewissen Gegensatz zur Klage und Widerklage, über welche nur durch Endurtheil zu entscheiden ist. ^Wesentlich übereinstimmend: Endemann I S. 484 ff., Sarwey I S. 231 f., Wach 1 S. 291 ff. u. Vortr. S. 32, 88, Fitting S. 163 f., Hinschius die Ansicht

312

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 247.

Filting's (tz 55 N.5, 11), daß mit der Einrede der Unzulässigkeil des Rechtsweges „alles gellend gemacht werden könne, was seinem Wesen nach als Prozeßhinderniß, d. h. als Mangel einer Prozeßvoraussetzung erscheine" (z. B. ein wesentlicher formeller Mangel der Klageschrift).) 6) Nr. 3: vgl. § 235 Nr. 1. Ist die Rechtshängigkeit nach der Klagerhebung fortgefallen, so ist die Einrede nicht mehr begründet (vgl. RG. in I. W. 1888 S. 12 Nr. 17, Wilm. Levy Anm. 4). — Wegen der Anwallsgebühr vgl. RG. in I. W. 1892 S. 206 Nr. 10. 7) Nr. 4: vgl. §§ 102—105. 8) Nr. 5: vgl. § 243 Abs. 4 u. Anm. 7. Voraussetzung der Nr. 5 ist, daß der Beklagte von dem Kläger die Erstattung der Kosten unter Klarlegung des zu erstattenden Kostenbetrags fordert (RG. VI S. 359. A.M. Jmmler in Busch, Z. VIII S. 291 ff. Gegen diesen spricht, daß von einer „erforderlichen" Erstattung der Kosten nur die Rede sein kann, wenn Beklagter die Erstattung verlangt und seine Rechnung genau spezifizirt). Eine Frist zur Erstattung der Kosten darf das Prozeßgericht dem Kläger nicht gewähren (vgl. Planck II S. 138 N. 44. A.M. arg. § 105 Fitting § 57 N. 17). — Der in allgemeiner Gütergemeinschaft lebende Ehemann kann seiner Ehefrau gegenüber die Einrede des § 247 Nr. 5 jedenfalls dann nicht gellend machen, wenn die Ehefrau kein Sondergut hat (RG. XXXI S. 421). 9) Nr. 6: Die Vorschrift bezieht sich nur auf § 50 (RG. XIII S. 331). Auch die mangelnde besondere Ermächtigung zur Prozeßführung hätte folgerichtiger Weise hierher gehört (vgl. § 54 Anm. 1 S. 65, Osterloh a. a. O. S. 82 ff., Gaupp I S. 497 u. Wilm. Levy Anm. 4). Da sie indessen hier nicht, wie in §§ 50, 52, 54, aufgeführt ist, so ist das Gegentheil anzu­ nehmen. Dasselbe gilt von der „Einrede der mangelnden Bevollmächtigung zum Prozesse" (vgl. § 84). Ein Antrag, letztere hier aufzunehmen, ist von der RTK. abgelehnt. Ebensowenig gehört die Einrede mangelnder Parteifähigkeit hierher (s. Anm. 2 vor § 50 S. 55), oder die Einrede, daß im Anwallsprozesse der Kläger nicht durch einen zugelassenen Anwalt vertreten sei (vgl. Hellmann, Lehrb. S. 430).

10) Die Einrede der nicht ordnungsmäßigen Ladung (P. E. Z 313, H. E. § 243) hat mit Rücksicht auf die noch weiter gehende Vorschrift des § 267, die Einrede der noch laufenden Ueber* legungs- und Jnventarisationsfrist (§ 217 Anm. 2, C. de proc. art. 174, Preuß. Verordn, v. 21. Juli 1846 § 5, P. E. § 333) wegen ihrer materiellrechtlichen Natur keine Aufnahme gefunden. Ein Antrag, „die Einrede der unzulässigen Klagenverbindung oder der unzulässigen Widerklage­ erhebung" hinzuzufügen, ist von der RTK. abgelehnt. Hinsichtlich der Benennung deK Auktors vgl. § 73 Anm. 3. Dieselbe begründet übrigens niemals den Antrag auf Abweisung der Klage, sondern zunächst nur auf Vertagung (vgl. Fitting § 55 N. 6, auch Petersen in Busch, Z. II S. 172, III S. 206 f., Osterloh das. III S. 88 ff.) Die exceptio plurium litisconsortium (vgl. §§ 57 Anm. 4, 59 Anm. 2 a. E.) gehört nicht hierher, da sie materiellrechtlicher Natur ist (vgl. Anm. 3, Sarw ey I S. 370, Eccius in Gruchot 23 S. 737 Anm. Ir Petersen §§ 247, 248 I 2 u. a. a. O. II S. 170, Schwalbach S. 410, Osterloh S. 92 f. u. A.; s. auch ROHG. 24 S. 354 ff. A.M. Bolgiano a. a. O. I S. 49, Fittin g im civ. Arch. 61 S. 434). Wegen der gemeinrechtlichen exceptio spolii vgl. § 232 Anm. 5 Abs. 1 a. E. Eine besondere prozeßhindernde Einrede wegen nicht geleisteter Sicherheit haben die Art. 190 a. Abs. 3, 222, 223 Abs. 2 HGB. geschaffen (vgl. OLG. Braunschweig in S. A. 44 Nr. 58, OLG. Hamburg das. 48 Nr. 216). 11) Abs. 3: „Einreden, auf welche der Beklagte wirksam nicht verzichten kann" (vgl. Fitting in Busch, Z. XI S. 10 ff.) sind die im Abs. 2 unter Nr. 2 (RG. XVII S. 176) und 6 (vgl. § 54 Abs. 1) aufgeführten Einreden und die unter Nr. 1 aufgeführte in­ soweit, als eine Vereinbarung der Parteien über die Zuständigkeit nach § 40 Abs. 2 nicht zu­ lässig ist. Verzichtbar ist selbstverständlich auch jede Einrede, welche durch bloße Versäumung Verloren geht. Das Kennzeichen ist die dispositive Normirung (vgl. Bülow: Dispos. Civil-

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 248.

313

§ 248. Ueber prozeßhindernde Einreden ist besonders zu verhandeln und durch Urtheil zu entscheiden, wenn der Beklagte auf Grund derselben die Ver­ handlung zur Hauptsache verweigert, oder wenn das Gericht auf Antrag oder von Amtswegen die abgesonderte Verhandlung anordnet. Das Urtheil, durch welches die prozeßhindernde Einrede verworfen wird, ist in Betreff der Rechtsmittel als Endurtheil anzusehen; das Gericht kann jedoch auf Antrag anordnen, daß zur Hauptsache zu verhandeln sei. 91. Entw. §§ 413, 414. Prot. 5. 80.

ernte. I. § 226.

Ent«. II. 8 234.

Enttv. III. § 239.

Mot.

193, 19»

prozeßr. S. 95 ff.). Den Gegensatz bilden die Voraussetzungen, deren Mangel der Richler von Amiswegen berücksichtigen muß (vgl. Birkmeyer in Busch, Z. VII S. 173 ff., A. Förster Anm. 5a, Planck I S. 286 ff.). Indessen steht dem Beklagten aus Grund jener unverzichtbaren Einreden, wenn sie nachträglich geltend gemacht werden, nicht das Recht zu, die Fortsetzung der Verhandlung zur Hauptsache zu verweigern (Osterloh 6. 56 f. A.M. Fitting § 57 N. 11, Planck II § 91 bei N. 42). Die zweite Alternative des Abs. 3 betrifft Restitutionsfälle. Vgl. §§ 44 Abs. 4, 210, 267 Abs. 2, 490 Abs. 1, 491 Abs. 2. Sie bezieht sich aus beide in Abs. 1 enthaltenen Gebote (Übe a. a. O. S. 101 ff.). Ohne Restitutionsgrund kann die verspätete Einrede auch mit Ein­ willigung des Klägers nicht nachgeholt werden, da der § 247 nicht nur des letzteren, sondern das öffentliche Interesse wahren soll (vgl. Seusfert Anm. 11. A.M. Gaupp I S. 499, Wilm. Levy Anm. 5, Wach im civ. Arch. 64 S. 212) — S. auch § 103 Anm. 1. Wegen der An­ wendbarkeit in Fällen des § 39 vgl. die dortige Anm. 12) Die Frage, ob den Kläger oder den Beklagten hinsichtlich der prozeßhindernden Ein­ reden die Beweis last trifft, läßt sich nicht allgemein beantworten (vgl. Bülow, Prozeßvorauss. S. 12, Nessel S. 63); der Ausdruck „prozeßhindernde Einrede" darf nicht zu der Annahme verleiten, als ob es sich dabei immer um eine wahre Einrede, d. h. um selbständige vom Be­ klagten zu beweisende Thatsachen handle, durch welche das an sich begründete Recht des Klägers auf Verhandlung und Entscheidung der Hauptsache aufgehoben werde (vgl. Planck II S. 60, auch Gaupp I S. 496, Osterloh a. a. O. S. 61, Bolgiano in Busch, Z. I S. 69. A.M. Wetzell §14 N. 95 S. 136. Auch Dernburg I S. 276 hält den Beklagten stets für beweis­ pflichtig). Vgl. hinsichtlich der Einrede Nr. 6 das oben § 54 Anm 1 S. 63 s. Gesagte, hin­ sichtlich der Einrede Nr. 1 Planck II S. 64 Nr. 2. Der Umstand, daß es sich um eine von Amtswegen zu'berücksichtigende prozeßhindernde Einrede handelt, hebt die Beweislast der einen oder anderen Partei nicht auf, wenn auch das Gericht innerhalb gewisser Grenzen unabhängig von dem Beweisantritt der beweispflichtigen Partei Beweise zu erheben berechtigt und verpflichtet ist (vgl. § 54 Anm. 1 S. 63, §§ 323, 324 Anm. 2 a. E. A.M. Birkmeyer a. a. O. S. 457 ff.,, 222 ff., Seusfert Anm. 10). 13) Wegen des Vorbringens prozeßhindernder Einreden int amtsgerichtlichen Verfahren s. § 465, in der Berufungsinstanz § 490, in der Revisionsinstanz § 529, im Urkundenprozesse § 557. Ueber den Einwand, daß eine bei der Kammer für Handelssachen angebrachte Klage vor die Civilkammer gehöre, oder umgekehrt, vgl. GVG. § 103 ff. 14) Ueber die Kosten kann in dem etwa ergehenden Zwischenuriheile entschieden werden (vgl. §§ 87 Anm. 1, 91 Anm. 2, RG- XIII S. 413). Wegen der Gebühren s. GKG. § 20 Nr. 1 u. Abs. 2, GO. f. RA. § 20, NG. in Gruchot 27 S. 1138.

8 248. 1) Abs. 1: Die CPO. stellt die gesonderte Verhandlung und Entscheidung ber prozeßhindernden Einreden nicht als unbedingtes Gebot auf, sondern schreibt sie nur unter der Voraussetzung vor, daß entweder der Beklagte die Verhandlung zur Hauptsache verweigert, oder das Gericht die abgesonderte Verhandlung anordnet, a) Der Beklagte hat das aus--

314

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 248.

nahmslose Recht, die getrennte Verhandlung und Entscheidung der prozeßhindernden Einreden herbeizuführen, nicht aber die Verpflichtung. Die Verhandlung zur Hauptsache kann er nicht bloß in der mündlichen Verhandlung, sondern auch in den vorbereitenden Schriftsätzen verweigern, letzteres mit der Bedeutung, daß ihm aus der Beschränkung der letzteren auf die prozeßhindernden Einreden bezüglich der Kosten kein Nachtheil erwachsen kann (vgl. Bo lgiano a. a. O. I S. 58ff., Wilm. Levy Anm. 1, Löning a. a. O. 6. 176 Anm. 238 u. A. A.M. Osterloh a. a. O. S. 54ff., Petersen in Busch, Z. III S. 219 ff.). Glaubhaftmachung der Einreden ist nicht erforderlich, b) Macht der Beklagte von dem Rechte keinen Gebrauch, ver­ bindet vielmehr mit den prozeßhindernden Einreden die eventuelle Verhandlung zur Hauptsache, so kann das Gericht nach seinem Ermessen (durch Beschluß) dennoch die getrennte Verhand­ lung und Entscheidung anordnen, und zwar nicht nur auf Antrag einer der Parteien, sondern auch von Amiswegen, und zwar schon, ehe der Beklagte überhaupt zur Verhandlung das Wort ergriffen hat (vgl. § 275 Anm. 4). Den einmal erlassenen Trennungsbeschluß kann das Gericht nicht wieder aufheben, da nach dem Wortlaute des § 248 im Falle getrennter Verhandlung auch getrennte Entscheidung erfolgen muß und § 141 hier daher keine Anwendung findet (Wilm. Levy Anm. 2, Planck II S. 74. A.M. Seuffert Anm. 1). Wegen der Berufungs­ instanz f. § 490 Abs. 2. Ordnet das Gericht ungeachtet der Verweigerung des Beklagten die Verhandlung zur Hauptsache mit Unrecht an und leistet der Beklagte dem Folge, so liegt hierin nicht der Verzicht auf die prozeßhindernde Einrede (RG. im D. RAnz. 1884 bes. Beil. 7 S. 6). Unter Umständen macht die Entscheidung über die prozeßhindernde Einrede zugleich die Feststellung des Streitstoffs in der Hauptsache nothwendig (vgl. Anm. 4 vor § 12 S. 12). In der für eine prozeßhindernde Einrede angeordneten abgesonderte Verhandlung können weitere prozeßhindernde Einreden nicht vorgebracht werden (RG. V S. 423). 2) Abs. 2: Daß das Urtheil, durch welches eine prozeßhindernde Einrede für begründet erkannt und demgemäß die Klage abgewiesen wird (Wetzell S. 142 will ausschließlich die Formel „wie sie angebracht worden ist" anwenden; f. aber Sarwey I S. 372, Osterloh a. a. O. S. 62, Gaupp u. A.), ein Endurtheil ist, ergießt sich von selbst aus § 272 Abs. 1 (s. auch Seuffert in Busch, Z. VII S. 7 ff.). Dasselbe geht indessen, da es nur eine absolutin ab instantia enthält, der Natur der Sache nach nur in beschränktem Sinne in Rechtskraft über, nämlich insoweit, daß die Entscheidung über die in Frage stehende prozeßhindernde Einrede auch gegenüber einer neuen unter den gleichen Verhältnissen angestellten Klage wirkt svgl. Gaupp I S. 501, Barazetti a. a. O. S. 30 ff., Schwalbach a. a. O. S. 428 ff., Förster (Eccius) I § 55 N. 17, Schultze, Privatrecht u. Proz. S. 346 f., Planck I S. 270 f., Rocholl, Rechts­ fälle I S. 48 ff. A.M. Seuffert § 293 Anm. 8, Hellmann, Lehrb. S. 340]. Wird aus­ nahmsweise (s. § 247 Nr. 4, Art. 190a, 223 HGB. — RG XXIV S. 431) in Folge der die prozeß­ hindernde Einrede für begründet erklärenden Entscheidung die Klage nicht abgewiesen, so findet gegen jene Entscheidung, die ein gewöhnliches Zwischenurtheil ist, Berufung nicht statt (OLG. Braunschweig u. Hamburg in S. A. 44 Nr. 56 u. 223). Das Urtheil, durch welches eine prozeßhindernde Einrede verworfen wird, ist an sich gleichfalls nur ein Zwischenurtheil (§ 275) und würde mithin auch in Ansehung der Rechts­ mittel wie ein Zwischenurtheil zu behandeln sein, wenn nicht der Abs. 2 des § 248 es in dieser Beziehung dem Endurtheile gleichstellte. Die Folge davon ist, daß gegen dasselbe nach § 472 die Berufung und eventuell weiter die Revision stattfindet, während es als Zwischenurtheil nicht sofort, sondern erst mit der demnächstigen Endentscheidung in der Hauptsache würde angefochten werden können. (Vgl. auch § 11 Anm. 1, § 500 Nr. 2.) Die selbständige Anfechtbarkeit tritt aber nur dann ein, wenn über die prozeßhindernde Einrede auch eine abgesonderte Verhand­ lung stattgefunden hat (RG- XV S. 398, XI S. 389, in S. A. 45 Nr. 48, in I. W. 1888 S. 164, 1889 S. 138, 1893 S. 537, Planck II S. 134 N. 15 u. A. A.M. Wilm. Levy Anm. 4). Dieser Satz ist der Abänderung durch Parteivereinbarung entzogen (RG. in I. W.

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 248.

315

1893 0. 537 f.). Andererseits greift die selbständige Anfechtbarkeit aber auch in den Fällen Platz, in welchen eine Einrede, die nicht prozeßhindernd ist (z. B. die des Schiedsvertrages), als prozeß­ hindernd im Sinne einer der in § 247 Nr. 1—ß aufgeführten Einreden (z. B. der Unzulässigkeil des Rechtsweges) vom Beklagten vorgeschützt ist (RG. XVI S. 335 — auch XVII S. 417 —, in I. W. 1888 S. 240 u. in Gruchot 30 S. 731. A.M. Planck II S. 73 N. 39), ebenso auch wohl in Fällen, in welchen das Gericht eine Einrede, die weder prozeßhindernd ist, noch vom Beklagten als solche vorgebracht worden ist, als prozeßhindernd behandelt hat (vgl. auch RG. in Gruchot 30 S. 734. A.M. Hagemann in Busch, Z. XII S. 350 ff.). Vgl. § 276 Anm. 3, § 425 Sinnt. 1. Ueber die Frage, ob bezüglich einer prozeßhindernden Einrede ein Versäumnißurtheil zu­ lässig sei, vgl. §§ 275 Anm. 1 b, 312 Anm. 3. 3) Der zweite Satz des Abs. 2 ertheilt zur Vermeidung von Prozeßverschleppungen dem Ge­ richte die Besugniß, ungeachtet der dem Beklagten gegen das Erkenntniß sofort zustehenden Rechts­ mittel die Verhandlung zur Hauptsache (durch Beschluß) anzuordnen, jedoch nur auf Antrag einer der Parteien, welcher vor oder nach Erlaß des Urtheils (A.M. Fitting in Busch, Z. XIV S. 239 f.) gestellt werden kann, und über welchen — nöthigenfalls nach Ladung des Gegners (Planck I S. 515 N. 80, II S. 137) — mündlich zu verhandeln ist (A.M. in letzterer Hinsicht Breitn er in Bödiker, Mag. V S. 308 Anm. 1; s. dagegen RG. in I. W. 1890 S. 47 Nr. 6). Macht das Gericht von dieser Besugniß Gebrauch, und ergreift der Beklagte ein Rechtsmittel, so ist der Rechtsstreit in zwei Instanzen zugleich anhängig. Vgl. auch § 276 Anm. 3. Der die sofortige Verhandlung zur Hauptsache anordnende Beschluß ist durch Beschwerde nicht an­ fechtbar (vgl. § 530), auch nicht aus dem Umwege eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens (RG. in I. W. 1890 S. 47 Nr. 7). (Fitting a. a. O. S. 233 ff. u. § 57 N. 16 erblickt in dem zweiten Satze des 916f. 2 eine Ausnahme von der im ersten Satze ausgesprochenen selbständigen Anfechtbarkeit des Urtheils; hierdurch beseitigt er zwar die unten in Sinnt. 4 erörterten Schwierig­ keiten, tritt aber in Widerspruch mit den Mot., den Erklärungen des Reg.-Vertreters und mit dem Wortlaute des Gesetzes, da die Anordnung der Verhandlung zur Hauptsache mit der selb­ ständigen Anfechtbarkeit des Zwischenurtheils an sich wohl vereinbar ist.] — Die Besugniß, schon vor Slbgabe des Urtheils über die prozeßhindernden Einreden die Einlassung des Beklagten auf die Hauptsache anzuordnen (P. E. § 334, N. E. § 415), hat das Gericht nicht. Vgl. Sinnt 1. 4) Der Richter, welcher von der Besugniß des Abs. 2 Gebrauch gemacht hat, darf nicht nach § 139 Aussetzung des Verfahrens anordnen (vgl. RG. III 0. 403, Keyßner in Goldschmidt, Zeitschr. f. HR. XXVII S. 327), ebensowenig aber auch den Beschluß, durch welchen die Verhandlung zur Hauptsache angeordnet ist, wieder aufheben (Sl.M. Seuffert Anm. 4). Wird bei der weiteren Verhandlung das Urtheil in der Hauptsache gefällt, ehe das Urtheil über die prozeßhindernde Einrede unanfechtbar gewordett ist, so folgt aus dem Verhältnisse dieser beiden Urtheile mit Nothwendigkeit, daß trotzdem jenes, welches nur als vorbehaltlich der endgültigen Entscheidung über die prozeßhindernde Einrede erlassen angesehen werden kann, nicht in materielle Rechtskraft übergeht, bevor über diese Einrede gleichfalls rechtkräftig entschieden ist. (So auch RG. V S. 422 ff., XV S. 348, OLG. Rostock in S. A. 45 Nr. 141, Gaupp I S. 503, v. Bülow (Halle) in Gruchot 25 S. 852 ff., Hellmann, Lehrb. S. 429, Planck I S. 484, II S. 137, Stein, Uri. u. W. Proz. S. 337 f., Troll, Versäumnißurtheil S. 62, H. Meyer in Busch, Z. IX S. 342, Seuffert Anm. 4, auch Haas in Gruchot 34 S. 358ff.; s. § 276 Anm. 3. A.M. v. Bülow Sinnt. 2, Hönemann in Gruchot 25 S. 858ff., Endemann II S. 154 f., Osterloh a. a. O. S. 65, 9L Förster Anm. 4, welche zur Verhütung der Rechtskraft des Urtheils in der Hauptsache eine Slnfechtung desselben auf Grund der prozeßhindernden Einrede für nothwendig erachten, obwohl letztere bereits den Gegenstand eines be­ sonderen Rechtsmittels bildet, sowie Eceius in Gruchot 27 S. 476ff. u. Oppenheim das. S. 1 ff., welche in solchem Falle ein Endurtheil in der Hauptsache gar nicht zulassen wollen, sondern nur ein Zwischenurtheil, und zwar Ersterer über das der Klage zu Grunde liegende

316

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 249.

§ 249. Wird die Unzuständigkeit des Gerichts auf Grund der Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte ausgesprochen, so ist zugleich auf Antrag des Klägers der Rechtsstreit an ein bestimmtes Amtsgericht des Bezirks zu verweisen. Ist das Urtheil rechtskräftig, so gilt der Rechtsstreit als bei dem Amts­ gerichte anhängig. N. Entw. - Entw. I u. II. - Entw. III. - Mot. - Prot. S. 7, 15, 80, 81, 499. Rechtsverhältnis Letzterer behufs Feststellung der betreffenden Thatsachen.^ Jedenfalls ist es übrigens räthlich (nicht aber nothwendig — A.M. $3Um. Levy Anm. 5), dem bedingten Karakter des Endurtheils in demselben durch einen Vorbehalt Ausdruck zu geben. Anders ver­ hält es sich wegen der Natur des Versäumnißurtheils, wenn das Urtheil in der Hauptsache ein Versäumnißurtheil ist (vgl. RG. XIV S. 343, OLG. Rostock in S. A. 45 Nr. 141, Gaupp a. a. O., unten §§ 275 Anm. 3, 276 Anm. 4, 297 Anm. 3, 307 Anm. 2. A.M. Troll, Seuffert a. a. O.. Planck II S. 137).

§ 249 Literatur: Koeßler im civ. Arch. 73 S. 245ff. 1) Der von der RTK. aufgenommene § 249 ergänzt den § 11 und vereinfacht das Ver­ fahren für diejenigen Fälle, in denen sich das Landgericht für (sachlich) unzuständig erklärt. Das Amtsgericht, vor welches die Verweisung erfolgt, ist nach § 11 an diese Entscheidung ge­ bunden, welche wegen des Eintritts der Rechtskraft (Abs. 2) als Endurtheil anzusehen ist (Seuffert in Busch, Z. VII S. 11). Selbstverständlich hat sich das verweisende Landgericht nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zu richten; sind mehrere Amtsgerichte zu­ ständig, so muß der Kläger in seinem Antrage ein bestimmtes Amtsgericht bezeichnen, und die Verweisung an das von ihm bezeichnete Gericht erfolgen (vgl. § 35, S euffert Anm. 2, Petersen § 249 Nr. 2, Fitting § 57 N. 20 f. u. A. A.M. Sarwey I S. 374). Ueber die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts kann zwar bereits vor dem Landgericht verhandelt werden (A.M. Gaupp I S. 504, Wilm. Levy S. 418); die Entscheidung des letzteren aber ist in dieser Beziehung für das Amtsgericht nicht bindend (§11 Anm. 2, Petersen, Sarwey, Fitting a. a. O. u. A. A.M. anscheinend Endemann II S. 46f.). „des Bezirks" — Eine Verweisung an ein Amtsgericht eines anderen Landgerichts­ bezirks ist nicht zulässig. Fehlt daher neben der sachlichen auch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts, so kann nur eine einfache Unzuständigkeitserklärung erfolgen. Das Gleiche gilt, wenn der Kläger die Verweisung vor ein örtlich nicht zuständiges Amtsgericht beantragt hat und der Gegner der Zuständigkeit widerspricht (vgl. auch Petersen § 249 Nr. 1. A.M. Hellmann II S. 57 f.). — Der Verweisungsantrag kann als prozessualer Antrag auch noch in der Berufungs- und Revisionsinstanz gestellt werden (vgl. § 491 Abs. 2, Gaupp I S. 504 u. A.). Ist er im Urtheil übergangen, so findet § 292, der nur von „Ansprüchen" handelt, keine Anwendung (Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy a. a. O. A.M. Gaupp I S. 505). Vgl. noch § 466, GVG. §§ 102 ff. 2) Abs. 2: „anhängig" — d. h. es wird nach eingetretener Rechtskraft des Verweisungsurtheils so angesehen, als ob die Sache von vornherein beim Amtsgerichte, und zwar bei diesem Amtsgerichte anhängig gewesen wäre. Die Wirkungen der Rechtshängigkeit (§§ 235 ff.), welche mit Erhebung der Klage beim Landgerichte eingetreten sind, bleiben mithin bestehen. Auch bedarf es nicht einer neuen Anbringung der Klage bei dem Amtsgerichte; jedoch hat eine der Parteien die andere nach Maßgabe der §§ 191 ff. zu laden. Die Kosten des Verfahrens beim Landgerichte werden jedoch (arg. e contrario aus § 467 Abs. 2) nicht als Theil der beim Amtsgerichte erwachsenen Kosten behandelt, sondern fallen nach allgemeinen Grundsätzen (§ 87) dem beim Landgerichte abgewiesenen Kläger zur Last. (Vgl. § 466 Abs. 2, Seuffert Anm. 3 u. A. A.M. Kleiner II S. 78.) In der That liegt auch

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§§ 250, 251.

317

§ 250. Nach Erledigung der prozeßhindernden Einreden kann das Gericht in Prozessen, welche die Richtigkeit einer Rechnung, eine Vermögensauseinander­ setzung oder ähnliche Verhältnisse zum Gegenstände haben, unter Vertagung der mündlichen Verhandlung ein vorbereitendes Verfahren anordnen. 91. Entw. § 742. (tust». I § 227. Entw. II § 235. Entw. in. § 240. Mol, 3.195, 239. Prot. S. 81.

§ 251. Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden, Widerklage, Repliken u. s. w.) können bis zum Schluffe derjenigen mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, geltend gemacht werden. Das Gericht kann, wenn durch das nachträgliche Vorbringen eines Angriffs­ oder Vertheidigungsmittels die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird, der obsiegenden Partei, welche nach freier richterlicher Ueberzeugung im Stande war, das Angriffs- oder Vertheidigungsmittel zeitiger geltend zu machen, die Prozeß­ kosten ganz oder theilweise auferlegen. 91. Entw. § 416. Entw. I. § 228. 205. Prot. «. 81- 89, 543.

Entw. II. § 236.

Entw. III. § 241. Mot. S. 25-36,196-198,

der wesentliche Unterschied zwischen den Fällen des § 467 und denen der §§ 249, 466 vor, daß in jenen der Kläger das an sich zuständige Gericht angerufen hat, in diesen nicht.

§ 250. 1) „vorbereitendes Verfahren" — vgl. §§ 313—319. S. auch § 469. Selbst­ verständlich kann dasselbe nur, wenn alle Voraussetzungen des § 313 vorliegen (vgl. das. Anm. 1), angeordnet werden. Da es sich nur auf die Hauptsache, niemals auf die prozeßhindernden Ein­ reden beziehen kann (Hann. Prot. XVI S. 6053 f.), so ist die Anordnung erst nach Erledigung dieser Einreden zulässig uud bildet stets einen Theil der Verhandlung zur Hauptsache. Deshalb ist aber noch nicht der bloße Antrag des Beklagten auf Anordnung eines vorbereitenden Ver­ fahrens ein Verhandeln zur Hauptsache im Sinne des § 247 (vgl. Birkmeyer, Rechtsfälle S. 109 N. 9 u. A. A.M. Gaupp I S. 506). 2) Die Anordnung kann auf Antrag oder von Amtswegen erfolgen (Mot. S. 238 a. E.), sich auf das Ganze oder auf einzelne Ansprüche oder Theile beziehen; sie ist nur in einem Ver­ handlungstermine zulässig, in diesem aber bis zum Schlüsse der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache. Die mündliche Verhandlung wird bis nach Beendigung des vorbereitenden Ver­ fahrens vertagt (vgl. § 317).

§§ 251-258. Literatur: Wetzell S. 911 ff., 964ff.; Albrecht, Die Ausdehnung des Eventualprinzipsim gern. Civilproz., 1837; Planck, Lehre v. d. Beweisurtheil, 1848, S. 228 ff., 364 ff., 388 ff., Hann. Prot. VI S. 1754 ff., X S. 3127 ff., XIV S. 5216 ff.; Verhandl. des 2. D. Jur.-Tags I S. 3 ff., 36 ff., 66 ff., des 9. D. Jur.-Tags II S. 9 ff., 78 ff., 180 ff., 221 ff., III S. 271 ff., 335 ff.; Leonhardt, Zur Reform d. Civilproz. I S. 7—56, II S. 37 ff., Hannover 1865; G. Planck in d. Preuß. Jahrb. Bd. 31 (1873) S. 174 ff.; Rospatt, Vor­ schläge z. Aenderung d. Entw. e. deutschen CPO., Elberfeld 1875, S. 32 ff.; Meisner, Noch ein Wort in letzter Stunde, Berlin 1875, S. 31 ff.; Verhandl. des 2. D. Anwallstags, Berlin 1871; Wach in Krit. Vierteljahrsschr. XIV S. 597 ff., XV S. 347 ff.; v. Canstein, Grund­ lagen S. 202 ff., 245 ff.; v. Bar, Recht u. Beweis S. 61 ff., 98 ff., ders. in Behrend, Zeitschr. II S. 220 ff., v. Bülow in Gruchot 22 S. 106 ff., 698 ff.; Bolgiano S. 52 ff. 1) Die in den §§ 251, 255—258 enthaltenen Grundsätze, vor allen die Beseitigung der Eventualmaxime (Anm. 2), die Beweisverbindung (Anm. 3), die lediglich prozeß­ leitende Natur des Beweisbeschlusses (Anm. 4 u. 5), gehören zu den entscheidendsten für die Konstruktion des ganzen Verfahrens (vgl. Planck I § 82, II § 108). 2) Indem die §§ 251, 256 die Geltendmachung von Angriffs-und Bertheidigungsmitteln (vgl. §§ 136, 137 Anm. 2), von Beweismitteln und Beweiseinreden bis zum Schluffe der-

318

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 251.

jenigen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, zulassen, heben sie die Even­ tualmaxime (Grundsatz der Konzentration der Rechtsbehelse) auf (). jedoch auch Planck II S. 66, 68), welche sowohl int gemeinrechtlichen und im neueren preußischen Prozesse (Verordn, v. 1. Juni 1833 § 11, Instruktion v. 14. Juli 1833 § 29) wie — in beschränkter Weise freilich — in den meisten neueren Gesetzgebungen (z. B. Hann. bürg. PO. § 204, Württ. PO. Art. 348, 349, Bad. PO. § 343, H. E. § 245) herrscht. „Den Parteien steht es frei, Rechtsbehelse jeder Art, insbesondere Einreden, Repliken, Dupliken, Widerklagen und Beweise, wie beim Beginne, so auch im ganzen weiteren Verlaufe einer bestimmten mündlichen Verhandlung vorzubringen. Dieser Gedanke hat, von Ausnahmen abgesehen, in allen Gesetzeswerken, welche auf Mündlichkeit des Verfahrens in der einen oder anderen Gestalt beruhen, Geltung, obwohl er in dem C. de proc civ. und den ihm folgenden Gesetzeswerken, ja selbst in der Bürgerl. PO. f. d. Königreich Bayern, keinen besonderen Ausdruck gefunden hat. Dieses ist erklärlich, weil die sog. Eventualmaxime dem schriftlichen Verfahren ihre Entstehung und ihre weitere Entwickelung verdankt. In diesem ist das Bedürfniß der Konzentration der Rechtsbehelse immer lebhafter empfunden worden, nicht aber im mündlichen Ver­ fahren, weil letzteres schon wegen des gleichzeitigen Verhandelns der Parteien eine solche Beweglichkeit hat, daß ein Verbessern oder Nachholen besondere Schwierigkeiten nicht darbietet.------- Daneben darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß eine Partei, welche mit dem Vorbringen zögert, dieses auf die Gefahr hin thut, durch das Urtheil mit weiteren Rechtsbehelfen sich ausgeschlossen zu sehen, da das Gericht auf die Möglichkeit eines noch zulässigen weiteren Vorbringens keine Rücksicht zu nehmen hat. Dieses Moment muß sich um so wirksamer erweisen, als das mündliche Verfahren dahin führt, Theilurtheile und Zwischenurtheile für geboten zu erachten, die Erlassung solcher Urtheile aber die Folge hat, daß Rechtsbehelfe irgend welcher Art, die den erledigten Rechtsstoff betreffen, nicht nachgeholt werden können. Jedenfalls ist es nicht erforderlich, das Korrektiv gegen die befürchteten Mißbräuche in der Beibehaltung der Eventualmaxime zu suchen." (Mot.) Die CPO. hat folgewetse als Mittel gegen diese Mißbräuche die Vorschrift des § 252 (vgl. auch §§ 339, 398) und des § 251 Abs. 2 aufgenommen. Gegen die im N. E. angenommene Unterscheidung sog. Hälfst hat fachen wendet sich folgende Bemerkung: „Eine neue Nechtsentwickelung in dieser Lehre hat der Norddeutsche Entwurf da­ durch anzubahnen versucht, daß er zwischen selbständigen Angriffs- und Vertheidigungs­ mitteln einerseits und Thatsachen, welche zur näheren Begründung eines selbständigen Angriffs- oder Vertheidigungsmittels dienen, andererseits unterscheidet und die letzteren sog. Hülfsthatsachen in einem weiteren Umfange als die ersteren zulassen will. Die neue Unterscheidung ist schon begrifflich, jedenfalls aber praktisch nicht durchführbar. Auch ist es unnatürlich, daß der Entwurf das Nachbringen sog. Hülfsthatsachen ge­ stattet, nicht aber die nachträgliche Angabe von Beweismitteln für das doch zulässige neue Vorbringen." (Mot. S. 28.) Die Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung (vgl. § 119 Anm. 5) ist somit in der CPO. streng festgehalten. Das Gesetz setzt innerhalb des Hauptversahrens keinen Abschnitt (Zäsur) fest. Nur das Gericht kann vermöge des Trennungsrechts (§ 137) nach freiem Ermessen das Verfahren in verschiedene Abschnitte zerlegen. Vgl. § J37 Anm. 1. Wegen des Vorverfahrens s. § 247 Anm. 1. 3) Indem der § 255 jeder Partei die Verpflichtung auferlegt, vor Erlaß einer richter­ lichen Verfügung unter Bezeichnung der Beweismittel, deren sie sich zum Nachweise oder zur Widerlegung thatsächlicher Behauptungen bedienen will, den Beweis anzutreten, führt er das schon in § 121 Nr. 5 zur Anerkennung gelangte System der Beweisverbindung für die mündliche Verhandlung ein. „Ein durch den Grundsatz der Beweisverbindung beherrschtes, schriftliches oder mündliches Verfahren unterscheidet sich seiner Anlage nach ganz wesentlich von dem Verfahren des gemeinen deutschen Prozeßrechts. Die Beweise treten mit den Behaup­ tungen in gleiche Linie; wie diese anzuführen, so sind jene anzubieten; das Gesetz,

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 251.

319

nicht das Gericht, sagt den Parteien, was von ihnen behufs Durchführung ihrer An­ sprüche zu beweisen sei, und, wer von ihnen dieses zu beweisen habe, wie das Gesetz, nicht das Gericht die Parteien darüber belehrt, welche Behauptungen sie zur Be­ gründung ihrer Ansprüche und zur Widerlegung der gegnerischen Ansprüche vorzu­ bringen haben. Demgemäß ist der Beweisbeschluß nichts anderes, als eine Verfügung, welche die Aufnahme bestimmter angebotener Beweise zuläßt; er enthält keine Beweis­ auflage, keine Aufforderung an die Parteien, nachträglich den Beweis von Thatsachen anzutreten, welche das Gericht für erheblich hält, die Parteien aber für unerheblich erachtet haben, keine Regelung der Beweislast. Die Nothwendigkeit und das Bedürf­ niß, die Beweislast zu regeln, wird prinzipiell nicht berührt, wohl aber wird dieses Bedürfniß im Hinblick auf das Ergebniß geführter und nicht geführter Beweise in sehr vielen Fällen praktisch sich gar nicht geltend machen." (Mot.) Vgl. hierzu § 255 Anm. 4, §§ 323, 324 Anm. 2. 4) Der Ausdruck „Beweisbeschluß" in § 257 weist darauf hin, daß die richterliche Verfügung, durch welche die Aufnahme des Beweises angeordnet wird, die Natur einer prozeß­ leitenden Verfügung, nicht eines Urtheils hat (s. § 324). Weil aber der Beweisbeschluß nur diese Natur hat, bildet die Beweisaufnahme einen Theil des Verfahrens bis zum Urtheil, nicht, wie im gemeinrechtlichen Prozesse und in der Hann. PO., den Gegenstand eines ab­ gesonderten Verfahreils, welches sich als völlig getrennter Abschnitt an das Verfahren bis zum Beweisinterlokut (das sog. erste Verfahren) anschließt. So wenig der Beweisbeschluß bindend für den Richter ist, ebensowenig bindet er aber auch die Parteien; diese können— abweichend von dem H. E. und N. E. — ungeachtet eines solchen neue Rechtsbehclfe (Angriffs- und Ver­ theidigung^ wie Beweismittel) vorbringen; die Eveutualnlaxime ist auch in dieser Richtung beseitigt, da die mündliche Verhandlung nicht schon mit dem Beweisbeschluß, sondern erst mit dem Endurthcil schließt (vgl. Annl. 2). 5) Obwohl demnach der Beweisbeschluß eine mit bestimmten rechtlichen Folgen verknüpfte feste Grenze innerhalb des Hauptverfahrens (vgl. § 247 Anm. 1) nicht bildet, theilt er doch dasselbe im regelmäßigen Laufe der Dinge in zwei Theile. In den Theil vor Erlaß des Beweisbeschlusses fällt darnach, wie die Mot. hervorheben: a) die Behauptung der Thatsachen, auf welche die Parteien ihre Angriffs- und Vertheidigungsmittel stützen (§ 251), b) die An­ tretung des Beweises unter Bezeichnung der einzelnen Beweismittel, deren sich die Parteien zum Nachweise oder zur Widerlegung thatsächlicher Behauptungen bedienen wollen (§ 255), c) das Vorbringen der Beweisemreden (§ 256), d) die Erklärungen über die thatsächlichen Behaup­ tungen, Beweismittel und Beweiseinreden des Gegners (§§ 129, 255), e) die Stellung der Anträge (§ 269), f) die weitere Verhandlung über die thatsächlichen Behauptungen und über die Zulässigkeil der Beweismittel, g) Zwischenstreitigkeiten, wie das Editionsverfahren (§ 389 ff.) und das Echtheitsverfahren in Betreff vorgelegter Urkunden (§§ 402 ff.), so lange nicht Zeugen oder Sachverständige zu vernehmen sind. In den zweiten Theil fällt die Beweisaufnahme und die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht (§ 335). In dieser können aber dem Obigen nach die regelmäßig in den ersten Theil fallenden Handlungen von Neuem vorkommen. 6) Ein in der RTK. gestellter Antrag, welcher bezweckte, in wesentlicher Uebereinstimmung mit dem H. E. (§§ 245, 246) die Eventualmaxime beizubehalten und durch den Beweisbeschluß, ohne ihn für den Richter bindend zu machen, eine Zäsur im Hauptverfahren herbeizuführen, wurde nach lebhafter Debatte abgelehnt.

§ 251. 1) „Angriffs- und Vertheidigungsmittel" bilden hier den Gegensatz zu den „Be­ weismitteln und Beweiseinreden" (§ 256; vgl. §§ 136, 137 Anm. 2b). Zu ihnen ge­ hören Einreden, Widerklage, Repliken, Dupliken u. s. w., überhaupt die zum Angriffe oder zur Vertheidigung dienenden thatsächlichen Behauptungen (vgl. § 137), auch das Bestreiten einer Thatsache (H. Meyer in Busch, Z. VII S. 309).

320, Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. §251.

„Einreden" — Ueber Begriff und Arten s. v. Savigny, System des R.R. V S. 150'ff., Windscheid, Pand. 1 § 47, Wetzell § 17, Planck I S. 406, II S. 44ff., Fittrng S. 15b ff., 816ff., Förster (Eccius) I § 53, Dernburg I § 127, Kroll, Klage n. Einrede S. 254 ff., Eck 8. v. „Einrede" im Rechtslex. I S. 649 ff. u. die dort angef. Literatur. Vgl. auch RG. VII S. 46. Wegen der Kompensationseinrede s. Schollmeyer, Kompens. S. 71. — Unter den Begriff der Einreden fallen hier auch alle prozessualischen Einwendungen des Beklagten, selbst solche, zu deren Rechtfertigung es einer Bezugnahme aus selbständige That­ sachen nicht bedarf, und welche auch von Amtswegen zu beachten sind, dagegen nicht die prozeß­ hindernden Einreden (§ 247), wenngleich sie zu den Einreden im weiteren Sinne gehören. — Inwieweit Einreden von Amtswegen gellend zu machen, s. Förster (Eccius) I § 53 S. 271 f., § 57 S. 328 (Einrede der Verjährung), Dernburg I S. 276, 389 (Verjährung), RG. II S. 74 (kaufmännisches Retentionsrecht). „Repliken" — stehen zu den Einreden in demselben Verhältniß wie letztere zur Klage. Auch die K-lagegründe gehören an sich zu den Angriffsmitteln, fallen aber nicht unter den §251, weil die Klage schon vor der mündlichen Verhandlung erhoben sein muß und nicht beliebig geändert werden kann. Zwischen den Angriffs- und Vertheidigungsmitteln und ben zu ihrer Begründung dienenden Thatsachen wird nicht unterschieden. Vgl. §§ 136, 137 Anm. 2. 2) Die Widerklage (§ 33) ist. weil sie sich aus einen anderen Anspruch bezieht als die Klage, nicht eigentlich ein Angriffs- oder Vertheidigungsmittel (vgl. §§ 136, 137 Anm. 2) gegenüber der Klage. (So auch Löning in Busch, Z. IV S. 22 ff.; vgl. A. Förster Anm. 4, Seussert Anm. 2 u. A. Dagegen Hellmann. Lehrb. (5. 442 ff.; vgl. auch Lippmann im ciu. Arch. 65 S. 437ff.) Sie wird aber in § 251 zu den Angriffsmitteln gezählt, weil sie hinsichtlich der Prozedurformen wie eine Einrede behandelt wird und gleich einer solchen von der Eventualmaxime befreit ist (vgl. Anm. 3). Ihre sonstige Natur als Klage bleibt dabei unberührt (s. Lösn in g a. a. O. S. 28, Schollmeyer, Zwischenstreit S. 47, ders., Kompens. S. 90f., Petersen §§251 I 2 u. A.). Eine andere Art der Geltendmachung (ohne processus simultaneus — vgl. Löning a. a. O. S. 147 ff.) ist nicht zulässig (s. Mot. S. 189, 205; § 33 Anm. 1, Löning a. a. O. S. 9 ff.). Die sog. uneigentliche (nach Preuß. AGO. I 19 §§ 9 ff. „eigentliche") Widerklage ist der CPO. nicht bekannt. — Wegen des erforderlichen Zus am menHangs s. § 33 Anm. 2. Wegen der Fälle, in welchen die Widerklage unzulässig ist, s. § 33 Anm. 4. Aus der Bestimmung, daß die Widerklage gleich der Einrede in der mündlichen Ver­ handlung geltend zu machen ist (vgl. §§ 128, 269, 469 ff.), geht hervor, daß die besonderen Vorschriften über die Erhebung der Klage, die Klageschrift, die Einlassungssrist und die Ktagebeantwortungssrist (§§ 230, 233, 234, 244) ans die Widerklage keine Anwendung finden (Mot. S. 205,N. E. § 206). Im Uebrigen gelten für sie die Vorschriften über die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch Schriftsätze. Wie die übrigen Angriffs- und Vertheidigungs­ mittel des Beklagten, so kann die Klagebeantwortung (§ 244) auch die Wiederklage auf­ nehmen. Von dieser Auffassung gehen auch die Mot. aus: „Der Entwurf konnte sich, nachdem durch die §§ 33, 558, 575, 587, 608 der Umfang der Zulässigkeit der Erhebung einer Widerklage im Gerichtsstände der Klage festgestellt war, aus einige wenige Vorschriften über die Behandlung der Widerklage beschränken. Dahin gehören die Bestimmungen des § 251 über die Bestimmung des Zeitpunktes, bis zu welchem eine Widerklage gestattet ist, des § 254 über den Eintritt der Rechtshängigkeit, des § 312 über das Versäumnißurtheil — aus den beiden letzten Vorschriften ergiebt sich, inwieweit die für die Klage geltenden Bestimmungen auf die Widerklage entsprechende Anwendung finden — und der §§ 137 und 273 über die Trennung der Verhandlung und Entscheidung der Widerklage vor der Verhandlung und Entscheidung der Klage."

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 252.

321

§ 252* Vertheidigungsmittel, welche von dem Beklagten nachträglich vor­ gebracht werden, können auf Antrag zurückgewiesen werden, wenn durch deren Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde, und das GeDem Inhalt nach unterliegt die Widerklage dagegen den Erfordernissen der Klage (vgl. § 230 Anm. 4—6, § 255; s. Löning a. a. O. S. 18ff., 131); ungeachtet der äußerlichen Einheit ist inhaltlich ein doppelter Rechtsstreit vorhanden. Die Selbständigkeit der Widerklage im Gegensatz zur Einrede zeigt sich außer in § 254 und in dem Versäumnißverfahren auch bei der Zurücknahme der Klage (§ 243 Anm. 6) und in der Möglichkeit einer rechtskräftigen Entscheidung (§ 293 Anm. 3). Vgl. auch § 252 Anm. 1, ferner §§ 253, 476, GVG. § 102 ff. Bezüglich der prozeßhindernden Einreden s. § 247 Anm. 1 a. E. Die Personen der Widerklage müssen selbstverständlich dieselben sein, wie die der Vor­ klage (s. § 33 Anm. 1, Löning a. a. O. S. 64ff., insbes. hinsichtlich der Streitgenossen, Intervenienten u. s. w. das. S. 74 ff.). 3) „bis zum Schlüsse — Urtheil ergeht" —mithin, wenn eine mündliche Verhand­ lung in mehreren Terminen stattgefunden hat, bis zum Schluffe des letzten Termins; wenn sie durch eine Beweisaufnahme unterbrochen ist, bis zum Schluffe des Termins, in welchem sie nach geschehener Beweisaufnahme fortgesetzt wird (vgl. §§ 90 Anm. 2, 127 Anm. 3, 142 Anm. 1, 251—258 Anm. 2). Der Ausdruck „U rtheil" umfaßt aber andererseits alle Urtheile (§§ 272—276), insbesondere auch die Zwischenurtheile (§ 275). Da nun nach § 289 die in End- und Zwischenurtheilen enthaltene Entscheidung das Gericht bindet, so dürfen die Parteien ungeachtet des § 251 auf den durch ein End- (Theil-) .oder Zwischenurtheil erledigten Prozeßstoff nicht zurückkommen; für diesen Prozeßstoff ist eben die Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, bereits ge­ schlossen. Auch eine neue Widerklage kann auf den Zusammenhang mit dem durch Theil­ urtheil erledigten Prozeßstoff nicht mehr gestützt werden (ob.LG. s. Bayern in S. A. 39 Nr. 147), ebenso auch nicht auf den Zusammenhang mit einem durch Zwischenurtheil bereits zurückgewiesenen Angriffs- oder Vertheidigungsmittel (vgl. auch Gaupp I S. 510; abweich, früh. Aufl., Löning a. a. O. S. 128). Vgl. § 33 Anm. 2 S. 38, § 252 Anm. 1. 4) Der Abs. 2 bezweckt, einen Schutz gegen Mißbräuche des nachträglichen Vorbringens von Angriffs- und Vertheidigungsmitteln zu gewähren. Was „nachträglich" ist, hat der Richter auch im einzelnen Falle nach freier Ueberzeugung zu beurtheilen (vgl. Mot. S. 27). Die Unterlassung der Mittheilung durch vorbereitenden Schriftsatz allein macht das Verlangen nicht zu einem „nachträglichen" (Wilm. Levy Anm. 5). Vgl. jedoch § 120 Anm. 2. Der Begriff fällt keineswegs mit „nach Erlaß des Beweisbeschlusses" zusammen, obwohl dieses ein Hauptfall ist. Denn eine Verschleppung des Prozesses durch verspätetes Vorbringen kann auch in Fällen vorkommen, in welchen der Erlaß eines Beweisbeschluffes gar nicht erforderlich gewesen ist. (Vgl. § 252 Anm. 3, Wach, Vortr. S. 28 („später als redlich"), Ude in Busch, Z. X S. 95ff.]. Die Absicht der Verzögerung oder grobe Nachlässigkeit ist hier nicht, wie in § 252, erforderlich, ebensowenig ein Antrag (vgl. § 279 Abs. 2). — Zu den Kosten gehören vor allem auch die einer neuen Beweisanordnung (vgl. GKG. § 48 u. Mot. dazu S. 66, RG. in S. A. 43 Nr. 293); die Verurteilung braucht sich nicht auf die durch Verzögerung entstandenen Kosten zu beschränken (vgl. H. Meyer in Busch, Z. VII S. 310, OLG. Stuttgart das. VIII S. 512 u. A.).

§ 252. 1) Der § 252 giebt ein Schutzmittel gegen die aus der Beseitigung der Eventualmaxime zu besorgenden Mißbräuche (vgl. §§ 251—258 Anm. 2). Dasselbe lehnt sich an einen Grundsatz der rhein.-franz. Praxis, den der sog. Souveränität der Gerichte, an. (Vgl. Zink, Er­ mittelung des Sachverhalts S. 157 ff., 193 ff., v. Bar, Recht u. Beweis S. 67 ff., Leonhardl, Struckmann u. Koch, Civilprozcßordnung. 6. Aufl. 21

322

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz.

Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 253.

richt die Ueberzeugung gewinnt, daß der Beklagte in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit die Vertheidigungsmittel nicht früher vorgebracht hat. N. Entw. 8 160. Entw. I. u. II. Entw. III. § 242. Mot S. 27, 206. Prot. S. 89, 90.

§ 253. Bis zum Schluffe derjenigen mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klagantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, daß ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältniß, von dessen Bestehen oder Nicht­ bestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Theile abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde. N. Entw. § 196. Entw. I. 8 230. Entw. II. 8 237. Entw. 111. 8 243. 227. Prot. S. 90, 106-108.

Mot. S. 188,189, 205, 206,

Zur Reform I S. 43, v. Canstein, Grundlagen S. 248ff., Nissen in Krit. Vierteljahrsschr. VIII S. 28.] — Nach § 252 ist jedoch nur die Zurückweisung von Vertheidigungsmilleln des Beklagten (vgl. §§ 136, 137 Anm. 2b Abs. 1) zulässig; ein Antrag, eine gleiche Be­ stimmung bezüglich der Angriffs- und Vertheidigungsmittel überhaupt zu treffen, ist von der RTK. abgelehnt worden. Daher ist wohl eine Zurückweisung der Kompensationscinrede (vgl. Schollmeyer, Kompens. S. 75 ff.), nicht aber der Widerklage einschließlich der Jnzidentwiderklage (A.M. Schollmeyer ci. a. O. S. 77 Anm. 2) aus Grund des § 252 zulässig; in dieser Beziehung gewähren die §§ 136 Abs. 2 und 273 Abhülfe gegen Ver­ schleppungen (vgl. Seuffert Anm. 1; abweich. Lippmann in Busch, Z. XIII S. 91 ff. S. übrigens auch § 251 Anm. 3). Ebensowenig ist eine Zurückweisung von Repliken des Klägers statthaft. In Bezug auf Beweismittel wird dem Gerichte die Befugniß in be­ schränktem Umfange in den §§ 339, 398 ertheilt. Der Natur der Sache nach bezieht sich § 252 nicht auf die von Amtswegen zu berücksichtigenden Punkte. 2) Unter den „Beklagten" ist auch der „Widerbeklagte" rücksichtlich der Widerklage zu verstehen (Mot. S. 27, 311, Prot. S. 89). 3) Ueber den Begriff „nachträglich" vgl. § 251 Anm. 4. Den Beweis dafür, ob ein Vertheidigungsmittel etwa bereits früher vorgebracht worden sei, kann der Richter sowohl aus seiner Erinnerung wie aus anderen ihm zu Gebote stehenden Quellen, z. B. Protokollen, sonstigen Aufzeichnungen u. s. w., schöpfen (Prot. S. 90). 4) Die Zurückweisung setzt dreierlei voraus: a) einen Antrag des Gegners (über welchen nach allgemeinen Grundsätzen der Beklagte zuhören ist), b) in objektiver Hinsicht, daß durch die Zulassung des Vertheidigungsmittels eine Prozeßverschleppung eingetreten sein würde, c) in subjektiver Hinsicht entweder die Absicht des Beklagten, durch verspätetes Vorbringen den Prozeß zu verschleppen, oder grobe Nachlässigkeit desselben bei nicht zeitigem Vorbringen. Sie erfolgt durch das Urtheil (End- oder Zwischenurtheil). Ein besonderer Beschluß (A. Förster Anm. 3) hat keinen Sinn und unterliegt keinenfalls der Beschwerde (s. auch Fitting § 57 N. 37, Petersen § 252 III 2, 28Um. Levy Anm. 3 u. A.). Die Zurückweisung hat den Verlust des Vertheidigungsmittels nur für die Instanz zur Folge, da dasselbe — unbeschadet der Vorschrift des § 491 Abs. 2 (vgl. RG. XXXI S. 363) — in der Berufungsinstanz von neuem gellend gemacht werden kann. In einem neuen Prozesse kann die Einrede selbstverständlich nur dann geltend gemacht werden, wenn sie (wie die der Kompensation) nach bürgerlichem Recht bezw. den Grundsätzen der Rechtskraft (§ 293 Anm. 3, 4) dazu geeignet ist. 5) Wegen der Berufungsinstanz s. §§ 502, 503, wegen der Ehesachen § 583.

§ 253. 1) Die Vorschrift steht in enger Verbindung mit den §§ 231 und 293. Das Gesetz schlägt einen Mittelweg zwischen der Theorie v. Savigny's über die Rechtskraft der sog. Elemente

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 253.

323

des Urtheils und der preuß.-sranz. Praxis ein, indem es (im Anschluß an N. E. § 196) durch die hier geregelte Jnz ident-Feststellungsklage (Mot. S. 227) oder Zwischen feststellungsklage (Fitting § 76 N. 1 1) die Möglichkeit gewährt, über ein im Lause des Prozesses streitig, aber nicht rechtshängig gewordenes Nechtsverhältniß, welches für die Entscheidung präjudiziell ist, über welches aber an sich nur in den Entscheidungsgründen oder durch Zwischenurtheil (§ 275) entschieden werden könnte, eine der Rechtskraft fähige Entscheidung zu erwirken. Während also nach jener Theorie lediglich das Gesetz — nach Maßgabe der zwischen dem streitigen Rechtsverhältnisse und dem praktischen letzten Resultate des Rechtsstreits obwaltenden logischen Beziehung — bestimmt, was mit einer über den Bereich des Prozesses hinaus­ reichenden Rechtskraft entschieden werden soll, läßt die CPO. in dieser Hinsicht den Willen der Parteien bestimmend wirken. Es genügt aber nicht, daß die Absicht, gewisse Präjudizialpunkte mit entscheiden zu lassen, überhaupt erkennbar sei; sondern dieselbe muß — abgesehen von § 293 Abs. 2 — gerade in der in § 253 bestimmten Form in die Erscheinung getreten sein. 2) „Bis zum Schlüsse — ergeht" — vgl. §§ 251 Anm. 3, 491 Anm. 6. Die Inzident-Feststellungsklage ist in Betreff der prozessualen Geltendmachung und des Zeit­ punkts, bis zu welchem ihre Erhebung gestattet ist, nach § 254 auch bezüglich der Rechtshängig­ keit der Widerklage gleichgestellt (s. § 33 Anm. 3. A.M. Lippmann im eiv. Arch. 65 S. 358 ff., 396 ff. (vgl. auch das. 71 S. 331 ff., 359 ff.], welcher weder hinsichtlich der Wider­ klage noch hinsichtlich der in Folge einer Einrede erhobenen Inzidentfeststellungsklage Rechts­ hängigkeit eintreten läßt; L öning in Busch, Z. IV S. 14 ff., 55 bestreitet mit Unrecht jeden Unterschied von der gewöhnlichen Widerklage; s. dagegen Wen dt im eiv. Arch. 70 S. 39 Anm. 4). Wegen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch Schriftsätze gelten die allgemeinen Be­ stimmungen. — Vgl. auch § 251 Anm. 2, 3, § 245. Auf die örtliche Zuständigkeit kommt es nicht an, da § 253 für die vorliegenden Klagen einen besonderen Gerichtsstand — des inneren Zusammenhangs bezw. der Widerklage — be­ gründet, und zwar ohne zu unterscheiden, ob etwa ein anderer, ausschließlicher Gerichtsstand des streitigen Rechtsverhältnisses (§ 12 Anm. 1) besteht. Freilich ist nicht ausdrücklich von „Gerichtsstand" und „Zuständigkeit" die Rede. Dies spricht aber gerade dafür, daß diese Be­ dingung nicht gestellt ist. (Abweichend Seuffert Anm. 4, Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp I S. 513 f., Löning a. a. O. S. 17 ff., 99 (s. jedoch das. S. 63), Petersen § 254 Nr. 2 (unter Aufgabe der von ihm in Busch, Z. II S. 195 ff. vertheidigten Ansicht), v. Bülow Anm. 3, Wach im eiv. Arch. 62 S. 401 ff. u. Handb. I S. 488ff., Fitting § 76 N. 12, Planck I S. 72 Anm. 22, S. 77, Sarwey I S. 38t, A. Förster Anm. 4, (s. auch Ende­ mann II S. 59), welche in dem Falle eines anderen ausschließlichen Gerichtsstandes die Inzidentfeststellungsklage wegen Unzuständigkeit von Amtswegen abweisen wollen; s. dagegen Baron in Busch, Z. I S. 36 ff., Bolgiano S. 133 Anm. 2, Lippmann hn eiv. Arch. 71 S. 339 ff., Kroll, Klage u. Einrede S. 62, Hellmann II S. 72 ff. u. Lehrb. S. 143 ff., wo namentlich hervorgehoben wird, daß alsdann der Satz für die Präjudizialwiderklage ganz über­ flüssig sein würde. Haltlos ist der Unterschied, welchen Schollmeher, Zwischenstreit S. 34 hier zwischen „Erhebung" und „Verhandlung" machen will (s. auch Löning a. a. O. S. 101 Anm. 130).] — Ein Gericht, welches für die Klage örtlich nicht zuständig ist, wird durch Er­ hebung einer Inzidentfeststellungsklage nach § 253 nicht zuständig (RG. in Gruchot 36 S. 1197). Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit trifft § 467 besondere Vorsorge. In den um­ gekehrten Fällen ist das Landgericht auch für die an sich nicht dahin gehörige Inzidentfest­ stellungsklage zuständig. Vgl auch GVG. § 105. 3) „der Kläger durch Erweiterung des Klagantrags" —(Präjudizial-Jnzidentklage), wenngleich in blos negativer Richtung, z. B. durch den Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens einer zur Aufrechnung gebrachten Gegenforderung in ganzer, den Klaganspruch 21*

324

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn.

Verf. v. d. Landgerichten. § 253.

übersteigender Höhe (wie in der RTK. konstatirt wurde) [so auch Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp I S. 513. A.M. in letzterer Hinsicht Löning a. a. O. S. 51, Kroll a. a. O. S. 62, A. Förster Anm. 2, weil der zur Kompensation nicht verwendete Ueberschuß nicht präjudiziell sei; vgl. jedoch unten Anm. 5], oder in Bezug auf ein anderes Rechtsverhältniß, welches durch die Vertheidigung des Beklagten oder durch dessen Widerklage hervorgezogen ist und sich aus dem ursprünglichen Klaggrund nicht ergiebt. Erweiterung ist hier nicht im Sinne des § 240 Nr. 2 zu verstehen. 4) „der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage" — ^Präjudizial-Jnzidentwiderklage). Der Intervenient ist dazu auch im Falle des § 66 nicht befugt (s. §§ 64 Anm. 1, 66 Anm. 2). 5) „ein im Laufe des Prozesses — abhängt" — Das präjudizielle Verhältniß des streitigen Jnzidentpunkts, z. B. der Hauptschuld zu den eingeklagten Zinsen, der Reallast zu den eingeklagten Rückständen re. (s. § 139),, ersetzt das Erforderniß des rechtlichen Interesses (§ 231). [Vgl. auch § 33 Anm. 2, RG. IX?©. 339, in I. W. 1887 S. 38 Nr. 5, OLG. Jena u. Hamburg in S. A. 43 Nr. 64 u. 65, OLG. Oldenburg das. 46 Nr. 61, Förster (Eeeius) I 8 48 S. 235.] Hiermit soll nichts anderes gesagt sein, als daß bei dem Vor­ handensein der Erfordernisse des § 253 ein rechtliches Interesse nicht weiter nachzuweisen ist (s. Löning a. a. O. S. 15 f.), während das bloße Interesse an alsbaldiger Feststellung als aktive Legitimation nicht genügt (s. Löning a. a. O. S. 66 Anm. 77). Die Präjudizialität muß nicht nur behauptet, sondern wirklich vorhanden sein (Wilm. Levy Anm. 1). § 253 ist auch auf das Verhältniß des Ganzen zum Theil anwendbar, z. B. wenn ein Theil der Forde­ rung eingeklagt und im Wege der Widerklage die Feststellung der ganzen Forderung verlangt wird (RG. in I. W. 1893 S. 306, auch Wach I S. 373. A.M. Muskat in Busch, Z. XII S. 339 ff., Linckelmann das. XVII S. 454 f., Planck II § 87 N. 35), sowie in dem oben Anm. 3 angeführten Falle der Präjudizial-Jnzidentklage. (So auch Prot. S. 90, Endemann II S. 57 ff., Wilm. Levy Anm. 1, Schwalb ach in Gruchot 26 S. 517 Anm. 2. A.M. Löning a. a. O. S. 51 Anm. 51, S. 55 ff.). Andererseits ist Präjudizialität nicht gleichbedeutend mit „Identität" (vgl. § 231 Anm. 12). Die Beweislast regelt sich lediglich nach materiellem Recht (RG. IX S. 337). Der Ausdruck „Rechtsverhältnis weist darauf hin, daß hier nicht auch die Echtheit oder Unechtheil einer Urkunde (wie in § 231) Gegenstand der Feststellung sein darf. (A.M. Gaupp I S. 511.) Das Rechtsverhältniß muß Gegenstand eines bürgerlichen Rechtsstreites sein können. Vgl. § 231 Anm. 3. Der Jnzidentfeststellungsantrag muß sich ferner zu der Prozeßart eignen, in welcher der Hauptprozeß geführt wird (Seuffert Anm. 5). Hört die Präjudizialität auf in Folge der Wendung, welche der Prozeß nimmt, z. B. weil die Hauptklage zurückgenommen oder wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs abgewiesen wird, so erledigt sich auch die (immer nur eventuell angestellte) Präjudizial-Jnzidentklage oder -Widerklage (vgl. Schollmeyer, Kompens. S. 30f.). War die Präjudizialklage nicht als Inzidentklage nach § 253, sondern als Feststellungsklage nach § 231 angestellt, so ist sie vom Verlaus des Hauptprozesses unabhängig, und auch die Präjudizialwiderklage wird, wenn sie nicht als InzidentWiderklage nach § 253, vielmehr als Feststellungswiderklage nach §§ 231 und 33 erhoben wird, wenigstens durch die Zurücknahme der Haupiklage nicht berührt (vgl. § 33 Anm. 3).

6) „durch richterliche Entscheidung" — Die Entscheidung ist in die Urtheilsformel (§ 284 Anm. 5) aufzunehmen und unterliegt der materiellen Rechtskraft (vgl. § 293 Anm. 2). Sie kann nur mittels Endurtheils, nicht mittels Zwischenuriheils ergehen, da es sich nicht bloß um selbständige Angriffs- und Vertheidigungsmittel oder um einen Zwischenstreit handelt (vgl. § 275, Kroll a. a. O. S. 63, Wilm. Levy Anm. 3. A.M. Schollmeyer. Zwischenstreit S. 26 ff.).

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil. .§§ 254, 255.

325

§ 254. Die Rechtshängigkeit eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs tritt mit dem Zeitpunkte ein, in welchem der Anspruch in der münd­ lichen Verhandlung geltend gemacht wird. 91. Stift». § 207. Ent«. I. § 229. Ens«. II. 5 238. Ent«. III. § 241. Mot. S. 189. Prot. S. 90.

§ 255. Jede Partei hat unter Bezeichnung der Beweismittel, deren sie sich zum Nachweise oder zur Widerlegung thatsächlicher Behauptungen bedienen will, den Beweis anzutreten und über die von der Gegenpartei angegebenen Beweis­ mittel sich zu erklären. In Betreff der einzelnen Beweismittel wird die Beweisantretung und die Erklärung auf dieselbe durch die Vorschriften des sechsten bis zehnten Titels be­ stimmt. 91. Ent«, z 466. Ent«. I. § 231. Ent«. II. § 239. Ent«. III. § 245. Mot. S. 25-36, 195-204. Prot. S. 90.

§ 254. 1) Ueber Rechtshängigkeit vgl. § *235, § 253 Anm. 2. 2) „erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs" — im Gegensatze zur Klage (§ 235 Abs. 1), also — außer den durch Klagverbesserung im Sinne des § 240 Nr. 2 u. 3 (RG. in I. W. 189 J S. 146) oder zulässige Klagänderung geltend gemachten Ansprüchen — Widerklage, Präjudizial-Jnzidentklage und Präjudizial-Jnzidentwiderklage, nicht bloße Einreden mit Ausnahme des einredeweise auf Grund des Ansechtungsges. v. 21. Juli 1879 geltend ge­ machten Anfechtungsanspruchs (vgl. RG. im D. RAnz. 1891 bes Beil. 3 S. 254) und der durch Kompensationseinrede geltend gemachten Gegenforderung (vgl. §§ 235 Anm. 1, 293 Abs. 2). Auch auf die im Wege der Replik geltend gemachte Anfechtung (RG. in I. W. 1891 S. 393, 572) muß § 254 Anwendung finden. — Ueber die Erhebung der Ansprüche in Abwesenheit des Gegners vgl. § 296 Anm. 6. Wird die Klageverbesserung oderKlagänderung in einem Nachtrag zur Klageschrift aufgenommen, so tritt die Rechtshängigkeit nur dann schon mit der Zustellung desselben ein, wenn die Klage­ schrift den formellen Anforderungen des § 230 nicht entsprach und daher erst der Nachtrag den Prozeß ordnungsgemäß in „Lauf" setzte. sVgl. § 230 Anm. 8, auch Planck II S. 125 f., der jedoch die Rechtshängigkeit auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift zurückwirken läßt. Abweichend Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp I S. 515.]

§ 255. Vgl. die allg. Bern, zu den §§ 251—258. Literatur über das Beweisrccht: Heusler, Die Grundlagen d. Beweisrechts, im civ. Arch. 62 S. 209 ff., dazu Köhler in Krit. Vierteljahrsschr. XXII S. 471 ff.; Wendt, Beweis u. Beweismittel, im civ. Arch. 63 S. 254ff., v. Canstein, Die Grundlagen d. Beweisrechts, in Busch, Z. II S. 297ff., Ude das. VI S. 432ff., Wach, Vortr. S. 148ff., Hellmann, Lehrb. S. 461 ff., Planck II §§ 106 ff., Fitting § 59 ff., Stein, Privates Wissen des Richters, Leipzig 1893. Vgl. über d. Verhältniß z. StPO. John, StPO. Erlangen 1881. I S. 11 ff., 460 ff. 1) Die Beweisantretung (richtiger: das Beweiserbieten) und die Erklärung über die gegnerischen Beweismittel erfolgt, gleichwie die Aufstellung der thatsächlichen Behaup­ tungen und die Erklärung über die gegnerischen Behauptungen, vor Erlaß des Beweis­ beschlusses (vgl. auch § 121 Nr. 5); der besondere, auf Grund des vorgängigen Beweisinterlokuts stattfindende Beweisantretungstermin des gemeinrechtlichen Prozesses und der Hann. PO. (§ 215) fällt damit fort (Planck, Beweisurtheil S. 368 ff.). „hat anzutreten — und sich zu erklären" — Die Nachtheile der Nichtbefolgung der erstgedachten Anweisung bestimmen sich nach der Beweislast (Beweispflicht), also nach

326

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn.

Verf. v. d. Landgerichten. § 255.

dem materiellen Recht (§§ 323, 324 Anm. 2). Die Folgen der Nichterklärung über die gegmerischen Beweismittel bestehen in dem Verluste der Beweiseinreden gemäß § 256 Anm. 2. 2) Die Beweisverbindung beschränkt sich nicht blos, wie nach franz. Recht, auf '-die Angabe der Beweismittel der Art nach (Zeugen, Sachverständige, Urkunden u. s. w.), so daß die individuelle Bezeichnung der Beweismittel dem Beweisaufnahmeversahren vorbehalten blerbt, sondern es ist in Uebereinstimmung mit Preuß. AGO. I 5 § 5 Abs. 2, P. E. §§ 307 ff., H. E. § 280, N. E. § 466 die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel vorgeschrieben. (Vgl. auch Hann. Prot. VI S. 1843, 1846, Petersen in Busch, Z. IV S. 314ff.] „Mit vollem Rechte ist darauf hingewiesen, daß der große Vorzug der Beweis­ verbindung darin besteht, daß die Parteien genöthigt werden, auch die mittelbar er­ heblichen Thatsachen vorzubringen, daß dieser Vortheil aber aufgegeben werde, wenn man die Beweisverbindung auf die Angabe der Beweismittel der Art nach reduz>ire. Abgesehen hiervon hat die Bestimmung des bayerischen Rechts nur für ein Verfahren Bedeutung, welches, wie der französische Prozeß, durch Beschränkung des Zeugen­ beweises den Urkundenbeweis in den Vordergrund drängt" u. s. w. (Mot. S. 198.) „Beweismittel" sind die äußeren Mittel oder Werkzeuge — Personen oder Sachen, vermöge welcher dem Richter in der Vergangenheit liegende Thatsachen vorgeführt werden. Im Gegensatz dazu versteht man unter Beweisgründen die Thatsachen, aus denen auf den Beweissatz zu schließen ist, z. B. außergerichtliches Geständniß (tigL §§ 261—263 Anm. 3), und die sog. Indizien (vgl. Anm. 6, § 259 Anm. 1); dieselben müssen selbst wieder durch Beweismittel bewiesen werden. Beweismittel und Beweisgründe zusammen bilden den Gegenstand des materiellen Beweisrechts. Ueber die Terminologie herrscht indessen kein Einverständniß. 3) Eine Aufforderung zur Bezeichnung der Beweismittel für den Fall, daß von dem Gerichte Thatsachen für erheblich erachtet werden, rücksichtlich welcher von der beweispflichtigen Partei ein Beweis nicht angetreten ist (Württ. PO. Art. 415, Bayer. PO. Art. 328 u. s. tu.), hat die CPO. in folgerichtiger Durchführung des Systems der Beweisverbindung nicht eingeführt. Bis zu einem gewissen Grade bietet aber das Fragerecht des Vorsitzenden (§ 130 Abs. 1), ver­ möge dessen derselbe auf die Bezeichnung der Beweismittel hinzuwirken hat, einen Ersatz für das durch die Aufforderung des Gerichts bezweckte Hülfsmittel gegen die mit der Beweisverbindung für das materielle Recht der Parteien verbundenen Gefahren. sVgl. Hann. Prot. VIII S. 2658—2669, XIV S. 5244—5266; Schmitt, Bayer. Civilproz. II S. 169 f. S. auch § 130 Anm. 2, §§ 323, 324 Anm. 3, §§ 133, 134.] 4) Die CPO. hat, abgesehen von § 16 Nr. 1 EG. z. CPO., den gemeinrechtlichen Aus­ druck „Gegenbeweis" vermieden und statt dessen die Ausdrücke „Widerlegung thatsäch­ licher Behauptungen (vgl. auch §§ 121 Nr. 5, 324 Nr. 3) oder „Beweis d es Gegen­ theils (§§ 153 Abs. 2, 41J, 428, 429) gewählt (vgl. Fitting § 60 N. 5). Vgl. auch §§ 380 Abs. 2, 383 Abs. 2. „Mit der Beweisverbindung des Entwurfs ist der Begriff des Gegenbeweises im gemeinrechtlichen Sinne unvereinbar. Dieser Begriff hat nur Bedeutung und Be­ rechtigung in einem Verfahren, welches das Beweisinterlokut des gern. Rechts oder der Hann. PO. adoptirt hat; nur in einem solchen Verfahren kann einer Beweis­ führung formell eine Gegenbeweisführung entgegentreten, nur in einem solchen Verfahren ist eine Theorie der Gegenbeweisführung/ wie sie sich im gern. Prozeßrechte entwickelt hat, möglich und angebracht. Werden mit der Aufstellung der Behaup­ tungen die Beweise angetreten, und werden Beweise angetreten, ohne daß entschieden wird, wem die Beweislast obliegt, so läßt sich zwar die Richtung der Beweisführung — ob ein Beweismittel zum Nachweise oder zur Widerlegung einer thatsächlichen Behauptung dienen soll — unterscheiden, allein darin liegt bekanntlich das Wesen des Gegensatzes zwischen Beweis und Gegenbeweis nicht. Nach dem System des Entwurfs wird der Beweis nicht auferlegt, es kann sonach der Gegenbeweis nicht stillschweigend vorbehalten sein; für die Behauptung wie für die Gegenbehauptung muß der Beweis von den Parteien von vornherein angetreten werden; den einen, wie den anderen muß der Richter durch den Beweisbeschluß zugelassen haben, wenn er über-

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 255.

327

Haupt zur Aufnahme lammen soll. und wenn auch schon bei Zulassung der Beweise der Richter sich klar zu machen haben wird, was aus dem Nachweise oder der Wider­ legung einer thatsächlichen Behauptung für die Entscheidung folgt, so kommt doch die Beweispflicht der einen oder anderen Partei als solche erst in Frage, wenn das Resultat des erhobenen Beweises gezogen wird und sich dabei herausstellt, daß nichts erwiesen sei; daraus folgt, daß eine Beweisführung der nicht beweispflichtigen Partei nicht ausgeschlossen ist, wenn auch die beweispflichtige Partei Beweis nicht angetreten hat; die Frage, ob und was bewiesen ist, tritt in den Vordergrund." (Mot. S. 196f.) Die letztere Bemerkung der Mot. ist indessen ungenau. Denn wenn hinsichtlich einer Thatsache nur die nicht beweispflichtige Partei Beweis angetreten hat, so hat das Gericht ohne Beweisaufnahme gegen die beweispflichtige Partei durch Urtheil zu erkennen, soweit nicht die §§ 135, 260, 437 Platz greifen. sVgl. § 412 Anm., Seuffert Anm. 3 a. E., Planck II S. 174, Bolgiano in BM, Z. XVIII S. 3.37 f. A.M. Fitting S. 372.] Nur bei den Don Amtswegen zu berücksichtigenden Punkten wird das Gericht auch die von der nicht beweis­ pflichtigen Partei eingetretenen Beweise zu erheben haben (vgl. § 54 Anm. 1 S. 64). sS. gegen die Mot. auch Bolgiano S. 505, im civ. Arch. 59 S. 205 ff., in Busch, Z. XI S. 241 ff.; vgl. auch dessen Ges. Abhandl. S. 102 ff. S. sernerWach, Vortr. S. 159, Planck^II S. 172f.] Der materielle Begriff des Gegenbeweises bleibt unberührt. Die Regel „reprobatio reprobationis non datur“ hat, obwohl an den materiellen Grundsätzen der Beweislast nichts geändert ist (vgl. §§ 323, 324 Anm. 2), keine Bedeutung mehr, weil sie nur einen Ausfluß der Eventual­ maxime bildet, und der Satz, daß dem angegriffenen Theile das letzte Wort gebührt, durch die Zulassung neuer Beweismittel gegen die zur Widerlegung bestimmten Beweismittel nicht verletzt wird, indem ja der angegriffene Theil seinerseits an der Widerlegung der neuen Beweismittel nicht gehindert ist (vgl. Planck II S. 173 N. 20. A.M. Bolgiano S. 520, im ein. Arch. 59 S. 213 u. in Busch, Z. XI S. 247 ff.). Bezieht man jene Regel nicht auf die Reihenfolge der Beweise, so ist es freilich in der Natur der Sache begründet, daß die Gegenbeweisführung gegen einen Gegenbeweis, der nicht etwa blos ein sog. indirekter, d. h. Hauptbeweis von Einreden, ist, mitder Führung des Hauptbeweises zusammenfällt. Vgl. noch §§ 323, 324 Anm. 1, 2. 5) Die CPO. hebt in den Tit. 6—10, auf welche der Abs. 2 des § 255 Bezug nimmt, nur die wichtigsten Beweismittel hervor (Augenschein, Zeugen, Sachverständige, Urkunden, Eid); die Zulässigkeit anderer Beweismittel (z. B. Kerbholz) ist dadurch aber, wie die Mot. ausdrücklich bemerken, nicht ausgeschlossen. Vgl. Anm. 2 und § 259. 6) Die Bestimmung (Württ. PO. Art. 406; vgl. auch Bayer. PO. Art. 326), daß streitige Thatsachen unmittelbar oder mittelbar durch die Erweisung solcher Thatsachen bewiesen oder widerlegt werden können, aus welchen sich die Wahrheit, bezw. Unwahrheit der zu beweisenden Thatsachen mittels Schlußfolgerungen ergiebt, ist, theils als selbstverständlich, theils als leicht dem Mißverständmß ausgesetzt, weggelassen worden. „Mit der Beweisverbindung des Entwurfs ist der Begriff des künstlichen Be­ weises — oder richtiger der künstlichen Beweisführung — iml Sinne der ge­ meinrechtlichen Theorie unvereinbar. Denn sollen mit der Ausstellung der Thatsachen zugleich die Beweise eingetreten werden, so müssen die Thatsachen so konkret vorgelegt werden, wie die Benutzung der Beweise es erfordert. Daraus folgt, daß sich die Parteien nicht darauf beschränken können, die unmittelbar erheblichen Thatsachen zu benutzen, vielmehr verpflichtet sind, auch die mittelbar erheblichen Thatsachen sofort in der Verhandlung vor Erlaß des Beweisbeschlusses vorzubringen. Dadurch wird der Richter in den Stand gesetzt, die von der Partei gezogenen Schlußfolgerungen prüfen und die angebotenen Beweise sofort verwerfen zu können, wenn er sich von der Richtigkeit der Schlußfolgerungen nicht zu überzeugen vermag. Dieser Vortheil, die Vermeidung nutzloser Beweisführungen, würde aufgegeben werden, wenn in dem Beweisbeschlusse nicht die mittelbar erhebliche Thatsache, sondern, der gemeinrecht­ lichen Theorie entsprechend, die unmittelbar erhebliche Thatsache zum Beweise verstellt und die Auflösung des letzteren in künstlichen Beweis nach Erlaß des Beweisbeschlusses gestattet würde." (Mot. S. 199.)

328

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 256.

§ 256. Beweismittel und Beweiseinreden können bis zum Schluffe der­ jenigen mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, geltend gemacht werden. Auf das nachträgliche Vorbringen von Beweismitteln und Beweiseinreden findet die Vorschrift des §. 251 Abs. 2 entsprechende Anwendung. N. Entw. Prot. S. 90.

Entw. I. § 233.

Entw. II. § 240.

Entw. III. § 246.

Mot. S. 25-36, 195-198.

(Vgl. auch Hann. Prot. XV S. 5577—5581; v. Canstein a. a. O. S. 31 ff., 46, Planck I S. 407 ff., Stein a. a. O. S. 34 ff.; s. jedoch Bolgiano S. 496, Hellmann, Lehrb. S. 481 ff.) Dieser Grundsatz gilt insbesondere auch hinsichtlich der sog. Rechtsvermuthungen (EG. z. CPO. § 16 Nr. 1, CPO. § 259 Anm. 3); d. h. die die Vermuthung begründenden Umstände müssen rechtzeitig (sogleich mit dem Beweissatze) unter Betveis gestellt werden. Anders im gemeinrechtlichen Prozesse (Bolgiano, Ges. Abh. S. 209ff.). Der Gegenbeweis folgt den Regeln der CPO. [9t®. in Gruchot 25 S. 1110]. 7) Die Vorschriften der Landesgesetze, welche in Ansehung gewisser Rechtsverhältnisse einzelne Arten von Beweismitteln ausschließen oder nur unter Beschränkungen zulassen/ treten nach § 14 Nr. 2 EG. z. CPO. außer ftraft (s. das. Anm. 4). Auch durch Vertrag können Beschränkungen in der Zulässigkeil der Beweismittel nicht eingeführt werden. Ebensowenig können die Parteien sich außergerichtlich zu prozessualischem Nichtbestreiten oder Nichtbehaupten wirksam verpflichten (sog. Beweisvertrag). [Vgl. Bülow, Dispos. Civilproz.-R. S. 65 ff., Wendt im civ. Arch. 63 S. 297 ff., Wach das. 64 S. 218 ff., Westerburg in Gruchot 26 S. 461 f., Köhler das. 31 S. 301 ff., sowie die allg. Bem. z. d. §§ 261—263, § 259 Anm. 5.]

§ 256. Vgl. die allg. Bem. zu §§ 251—258, § 251 Anm. 3 u. 4; GKG. § 48. 1) Der § 256 geht in folgerichtiger Durchführung der Beweisverbindung und der Aus­ hebung der Eventualmaxime völlig parallel mit § 251. 2) „Beweismittel" — vgl. § 255 Anm. 2. „Beweiseinreden" — Eine Begriffsbestimmung enthält d. CPO. nicht. Der H. E. § 285 besinnt sie als „selbständige, thatsächliche, gegen die Zulässigkeit, die rechtliche Wirksamkeit oder die Glaubwürdigkeit eines Beweismittels gerichtete Einwendungen". Aehnlich N. E. § 475, Fitting § 57 N. 27. Mit dem Wegfall der Eventualmaxime hat der Begriff kein erhebliches praktisches Interesse mehr. Bei Anwendung des Abs. 2 werden aber Einreden, welche nicht auf neuen Thatsachen beruhen, außer Betracht bleiben. 3) Darüber, wie innerhalb des nach Abs. 1 dafür freigelassenen Zeitraums die Verbindung der Beweise mit den Behauptungen erfolgen soll, — ob insbesondere im Laufe oder am Schluffe der Verhandlungen — hat die CPO. keine Anweisung ertheilt. „Jeder gesetzliche Formalismus, welcher den natürlichen Gang des Prozesses be­ einträchtigen und den Parteien oder dem Gerichte die Hände binden könnte, erscheint ' verwerflich; richtet man zwischen der Angabe der Behauptungen und der Beweise eine Schranke auf, so nimmt man dex mündlichen Verhandlung die Beweglichkeit und Lebendigkeit, welche einen Hauptvorzug derselben bilden. In verwickelteren Fällen mag es angemessen sein, daß der Beweis erst am Schluffe der Verhandlung an­ getreten werde, und daß zu dem Behufe eine kurze Wiederholung der aufgestellten streitigen Thatsachen stattfinde; in den die überwiegende Mehrzahl bildenden ein­ fachen Fällen wird ein derartiges--------Verfahren zu überflüssigen Wiederholungen führen." (Mot. S. 197.) Es hängt Alles vom Ermessen der Parteien bezw. des Gerichtes oder dessen Vorsitzenden (§ 127,. 130) ab. (Vgl. auch Hann. Prot. XIV S. 5247 f., Nordd. Prot. S. 641 f.)

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§§ 257, 258.

329

§ 257. Die Beweisaufnahme und die Anordnung eines besonderen Beweis­ aufnahmeverfahrens durch Beweisbeschluß wird durch die Vorschriften des fünften bis elften Titels bestimmt. N. Entw. - Entw. I § 232. Entw. II. § 241. Entw. III. 8 247. Mot. S. 204, 205. Prot. S. 90.

§ 258. Ueber das Ergebniß der Beweisaufnahme haben die Parteien unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln. Ist die Beweisaufnahme nicht vor dem Prozeßgericht erfolgt, so haben die Parteien das Ergebniß derselben auf Grund der Beweisverhandlungen vorzu­ tragen. N. Entw. 88 491, 492. Entw. I. 8 234. Prot. S. 90, 91.

Entw. II. 8 242.

Entw. III. 8 248.

Mot. S. 204, 205.

4) Abs. 2: Vgl. § 251 Anm. 4, §§ 339, 398, GKG. § 48. 5) Ueber die Zulassung nachträglich vorgebrachter Beweismittel, insbesondere neuer Zeugen kann nur nach vorgängiger mündlicher Verhandlung vom Prozeßgerichte ein Beschluß gefaßt werden. Ein beauftragter oder ersuchter Richter ist zur Zulassung nicht befugt, selbst nicht, wenn beide Parteien einverstanden sind (Petersen in Busch, Z. IV S. 314 ff.).

8 257. Vgl. die allg. Bem. zu §§ 251—258, ferner § 324. 1) Ein besonderes Be Weisaufnahme verfahren und mithin auch ein Beweisbeschluß ist nicht erforderlich, wenn in der mündlichen Verhandlung erhebliche und des Beweises be­ dürftige (vgl. § 264) Thatsachen überhaupt nicht streitig sind, oder wenn das Gericht bereits aus den mündlichen Parteiverhandlungen seine Ueberzeugung gewonnen hat (§ 259), oder wenn die Beweisaufnahme sofort, d. h. in demselben Termine, in welchem der Beweis angetreten wird, er­ folgen kann (z. B. bei gestellten Zeugen), und das Gericht die sofortige Beweisaufnahme für angemessen erachtet (vgl. § 323). Wegen der Gebühren s. GKG. § 18 Nr. 2 sowie §§ 22 in d. Fass. v. 29. Juni 1881, GO. f. RA. §§ 13 Nr. 4, 43. Vgl. §§ 323, 324 Anm. 6. 2) Da die CPO. fest abgegrenzte Abschnitte innerhalb des Hauptverfahrens nicht kennt, so kann im Laufe desselben Prozesses, auch abgesehen von einer gerichtsseitig angeordneten Trennung, die Anordnung eines Beweisaufnahmeverfahrens wiederholt vorkommen.

§ 258. Vgl. die allg. Bem. zu §§ 251—258. 1) Das Beweisaufnahmeverfahren erscheint nach der CPO. als ein Zwischenfall, welcher den regelmäßigen Verlaus des Prozesses hemmt. Ist die Beweisaufnahme beendet, so kehrt die Sache zur Sitzung zurück; die frliher unterbrochene mündliche Verhandlung ist, durch das Ergebniß der Beweisaufnahme vervollständigt, fortzusetzen (§ 335), und auf Grund dieser fortgesetzten Verhandlung ergeht das Urtheil. Dieser auch in den Mot. vertretenen Auffassung in Verbindung mit den Grundsätzen des mündlichen Verfahrens entspricht es, daß nach § 258 Abs. 1 die Parteien über das Ergebniß der Beweisaufnahme unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln haben. Strenggenommen müßte diese Darlegung alle erheb­ lichen, bei der früheren Verhandlung aufgestellten thatsächlichen Behauptungen umfassen („Ein­ heit", „Uniheilbarkeil" der mündlichen Verhandlung); sofern aber ein Wechsel in dem Richter­ personal nicht eingetreten und die frühere Verhandlung dem Gedächtnisse der Richter nicht ent­ schwunden ist, reicht es aus, wenn bei der Darlegung auf die ftühere Verhandlung Bezug ge­ nommen wird, und eine früher vorgebrachte, nicht wiederholte Behauptung einer Partei (Ein­ rede li. s. w.) kann alsdann nicht ohne Weiteres unberücksichtigt bleiben; vielmehr ist es die Aufgabe des richterlichen Fragerechts, den darüber etwa bestehenden Zweifel zu heben (A.M. ob.LG. f. Bayern in S. A. 36 Nr. 172). sUebereinstimmend Planck I S. 190f., Fitting

330

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn.

Vers. v. d. Landgerichten. § 258.

§ 48, Gaupp I S. 264 f., 507, Seuffert § 1J9 Anin. 4 c, Koffka in Gruchot 31 S. 199f.; vgl. auch Vierhaus in Busch, Q. II S. 379, v. Bülow das. IV S. 339 f., Schultzenstein in Gruchot 27 S. 294 ff., 91®. XIV S. 344. A.M. Wach, Vortr. S. 6 ff., civilpr. Enquete S. 89 ff., Birkmeyer, Grundriß S. 149 ff., 211ff., Hellmann, Lehrb. S. 354, Wilm. Levy S. 204, welche eine Bezugnahme auf die früheren Verhandlungen für entbehrlich halten: ebenso anscheinend H. Meyer in Gruchot 28 S. 707 ff., 31 S. 838.] Die Terminologie des N. E. (§§ 474, 490 u. f. w.), welcher zwischen „Hauptverhandlung" und „Schlußverhandlung" unter­ scheidet und unter ersterer die mündliche Verhandlung bis zum Beweisbeschlusie, unter letzterer die mündliche Verhandlung über das Ergebniß der Beweisaufnahme und den sich daran an­ schließenden Streilstoff versteht, paßt nicht für das System der CPO., welche den Schwerpunkt des Ganzen in die letzte Verhandlung legt und alle früheren Termine nur als präparatorische ansieht (vgl. Mot. S. 34). Mit dieser Bedeutung der letzten Verhandlung steht es weder im Widerspruch, daß die Parteien durch die in einer früheren Verhandlung erklärten Verzichte, Anerkenntnisse, Geständnisse gebunden bleiben (vgl. auch hinsichtlich der Eideserklärungen § 417 ff.), noch auch, daß das Gericht eine in der früheren Verhandlung gemachte Wahrnehmung bei der Beweiswürdigung berücksichtigen darf (Planck I S. 191, Seuffert a. a. O., Gaupp I S. 265, Schultzenstein a. a. O. S. 297). — Vgl. auch § 90 Anm. 2, § 206. Wegen der kommissarischen Beweisaufnahme vgl. Anm. 3. 2) Erfolgt die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgerichte, so ist der Beweisaufnahmetermin zugleich für die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt (§ 335 Abs. 1); erfolgt die Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter (§§ 337, 340, 370, 399, 441), so greift § 335 Abs. 2 Platz. Wegen der Gebühren s. GO. f. RA. § 17. Die hier bestimmte erhöhte Verhandlungs­ gebühr tritt jedoch nur ein, wenn ein besonderes Beweisaufnahmeverfahren (§§ 257, 323) vorausgegangen ist (NG. im D. RAnz. 1883 bes. Beil. 10 S. 1). 3) Abs. 2: Im Einklänge mit H. E. § 304 und N. E. § 491 haben die Parteien — nicht, wie nach Hann. PO. § 236, Württ. PO. Art. 441 ein Berichterstatter — das Ergebniß der Beweisaufnahme vorzutragen, wobei sie das aufgenommene Protokoll benutzen können (§ 146 Nr. 3 u. 4). Die Möglichkeit, daß eine Partei das Ergebniß unvollständig oder unrichlig vorträgt, birgt schon deshalb nur eine geringe Gefahr in sich, weil in der Regel der Gegner ein Interesse an der Vervollständigung und Berichtigung haben wird. Nötigenfalls hat der Vorsitzende in Gemäßheit des § 127 Abs. 3 (oder auch ein Beisitzer nach §130 Abs. 3) die Vervollständigung und Berichtigung, eventuell nach Wiedereröffnung der Verhandlung (§ 142), zu veranlassen (N. E. § 492 Abs. 2, Nordd. Prot. S. 670—673; vgl. §§ 385 Anm. 2, 488 Anm. 1). Ein Antrag, dies — wie in § 488 Abs. 2 — hier auszusprechen, ist von der RTK. als selbstverständlich abgelehnt worden. Hat aber auch jenes Mittel keinen Erfolg, so bleibt — soweit es sich nicht um von Amtswegen zu beachtende Punkte handelt — lediglich der Parteivortrag maßgebend. (A.M. Wach, Vortr. S. 6 ff., welcher die kommissarische Beweis­ aufnahme auch unabhängig vom Parteivortrage berücksichtigt wissen will; desgl. v. Kries in Zeitschr. s. d. ges. Strasrechtswissensch. VIS. 114, 118 ff. Vgl. jedoch § 488 Anm. 2, 91®. IV S. 379, Seuffert Anm. 3, Endemann II S. 69 f., Gaupp I S. 521, Petersen §§ 257, 258 II 2, Wilm. Levy Anm. 3, Hellmann, Lehrb. S. 201, 506, Planck I S. 181 ff., 188 u. A. Die Praxis ist verschieden; vgl. Wach, Enquete S. 83 ff.) Der Vorsitzende ist auch befugt, die Anwälte zur wörtlichen Verlesung einzelner Theile der Beweisverhandlungen zu veranlassen (A.M. Koffka in Gruchot 25 S. 281). — Ist eine der Parteien nicht erschienen, so finden — abweichend von H. E. § 305 und N. E. § 491 Abs. 1 — die allgemeinen Vor­ schriften über das Versäumnißverfahren Anwendung (§ 297). Bleiben beide aus, so ruht das Verfahren (§ 228 Abs. 2).

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 259.

331

§ 259. Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesammten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Ueberzeugung zu entscheiden, ob eine thatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urtheile sind die Gründe anzugeben, welche für die richterliche Ueberzeugung leitend gewesen sind. An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden. N. Entw. § 455. Eillrv. I. 8 235. Entw. II. 8 244. S. 91, 92.

Entw. III. 8 249. Mot. S. 206-208. Prot.

4) Ein Vortrag des Ergebnisses der Beweisaufnahme findet in dem Falle, daß letztere vor dem Prozeßgerichte selbst erfolgt ist, in der Regel nicht statt. Wenn sich aber die Fortsetzung der Verhandlung nicht sofort an die Beweisaufnahme angeschlossen hat und in dem späteren Termine entweder ein Wechsel im Richterpersonal eingetreten oder das Ergebniß der Beweisaufnahme dem Gedächtnisse der Richter entschwunden ist, so haben die Parteien in analoger Anwendung des Abs. 2 das Ergebniß der Beweisaufnahme vorzutragen. Eine Wieder­ holung der Beweisaufnahme ist nur erforderlich, wenn das Ergebniß der Beweisaufnahme nicht zu Protokoll festgestellt ist (vgl. § 147, RG. XIV S. 379, 383, Planck I S. 182 R. 39), oder das Gericht ausnahmsweise den bloßen Vortrag nicht für ausreichend erachtet. (Vgl. RG. VI S. 194, v. Wersebe in Busch, Z. I S. 432 ff., Gaupp, Seuffert, Wilm. Levy, A. Förster, Hellmann, Lehrb. S. 506 ff., Planck I S. 182 97. 40, die Praxis der meisten Gerichte nach Wach, Enquete S. 104. 91.907. früh. Aust., Fisch er in Gruchot 24 S. 851 Anm. 12, Petersen §§ 257, 258 II 1, v. Kräwel in Busch, Z. II S. 402 ff., Fitting § 62 97. 26). 5) Auch der Inhalt der Urkunden sowie vonVorprozeßakten ist, soweit er zur Beweis­ führung benutzt werden soll, mündlich vorzutragen (§§ 119, 128 Abs. 2 u. 3, 259 Anm. 1, 385 Anm. 2).

8 259. 1) Indem die CPO. hier den Grundsatz der freien Beweis Würdigung verkündet, bringt sie eine seit Jahrzehnten allseitig angebahnte Rechtsentwickelung zum Abschluß (vgl. von preuß. Gesetzen die Verordn, über d. Verf. in Ehesachen v. 28. Juni 1844 § 39, KO. v. 8. Mai 1855 § 111, Anfecht.-Ges. v. 9. Mai 1855 § 17, Hann. Ges. v. 2. Juli 1861 § 8, ferner Bayer. PO. Art. 345, Wurtt. PO. Art. 443, H. E. § 306, P. E. § 421, N. E. § 455, Nordd. Prot. S. 679—682, 745, 746, Ges. üb. d. Urheberrecht :c. v. 11. Juni 1870 § 29 (RGBl. S. 339), Haftpflichtges. v. 7. Juni 1871 § 6 (RGBl. S. 207), Rayon-Ges. v. 21. Dez. 1871 § 42 (RGBl. S. 459), R.-Beamten-Ges. v. 31. März 1873 § 144 (RGBl. S. 61), Markenschutzges. v. 30. Nov. 1874 § 16 (RGBl. S. 143), Ges., betr. d. Urheberrecht an Werken d. bild. Künste, v. 9. Jan. 1876 § 16 Abs. 1 (RGBl. S. 4), Ges., betr. d. Schutz d. Photogr., v. 10. Jan. 1876 § 9 (RGBl. S. 8), Ges., betr. d. Urheberrecht an Mustern rc., v. 11. Jan. 1876 § 14 (RGBl. S. 11). Vgl. auch Planck II S. 163ff., 176ff. u. in Krit. Vierteljahrsschrift I V S. 248 ff., Verh. des 6. D. Juristentags II S. 278, 284 u. des 9. D. Jur.-T. II S. 221 ff., v. Can stein, Grundlagen S. 72 ff. u. in Busch, Z. II S. 355 ff., Ude das. VI S. 419 ff., L. Seuffert, Ueber richterl. Ermessen. Gießen 1880. S. 10, Stein, Priv. Wissen des Richters S. 32 ff.] Eine nothwendige 'Folge war es, den Grundsatz, daß der Richter die Thalfrage frei zu würdigen habe, auf den gesammten Inhalt derVerhandlungen (vgl. RG. in Gruchot 29 S. 1083, 34 S. 959) auszudehnen, da sich, insbesondere bei künstlichem (Indizien-) Beweise, die sich aus den Parteierklärungen ergebenden Umstände (vgl. RG. in I. W. 1891 S. 486 f.) von denjenigen, welche durch eine Beweisaufnahme erbracht werden, nicht sondern lassen Mot., Nordd. Prot. S. 745 f., RG. XI S. 425 (Beweis der Eheschließung durch Indizien)]. Daher spricht § 259 von einer „etwaigen" Beweisaufnahme (vgl. RG. in I. W. 1888 S. 342 Nr. 5,

332

Zweites Buch. Vers, in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. b. Landgerichten. § 259.

OLG. Karlsruhe in Busch, Z. III S. 491 ff., Fuld in Gruchot 29 S. 328ff.).

ob.LG. f. Bayern in S. A. 40 Nr. 316,

„Indem der Richter auch das Ergebniß der Sachverhandlung nach freier Ueber­ zeugung zu würdigen hat, ist ihm Me Befugniß gegeben, eine bestrittene Thatsache auf Grund des Ergebnisses der gesummten Sachverhandlung mittels Schlußfolgerung aus anderen unbestrittenen Thatsachen und dem gesummten Sachverhalt — ohne weitere Beweiserhebung — als wahr anzunehmen." (Mot.) Indessen darf der Richter, wenngleich er auf Grund des Ergebnisses der mündlichen Ver­ handlung (oder auch einer bereits erfolgten Beweisaufnahme) die Ueberzeugung von der Wahr.heit oder Unwahrheit einer Thatsache gewonnen hat, dennoch entgegenstehende Beweiserbieten nur dann ablehnen, wenn selbst der dem Beweisführer denkbar günstigste Ausfall der Beweisaufnahme seine Ueberzeugung nicht zu zerstören vermöchte svgl. SeuffertAnm. 2, Wilm. Levy Anm. 1, G aupp I S.523, Planck II S. 179, Stein, Priv.Wissen d.Richters S. 98f.,RG.XVS.335 (auch IV S. 86), RG. in I. W. 1888 S. 10 Nr. 8,1891 S. 306, in S. A. 42 Nr. 67, in Gruchot 31 S. 74 f., 32 S. 1186. Zu weit geht Wernz in Hauser, Zeitschr. f. Reichs- u. Landesrecht III S. 362]. Die Gründe für seine Ueberzeugung und für die Unmöglichkeit ihrer Beeinflussung durch die entgegenstehenden Beweiserbieten hat er im Urtheil anzugeben (vgl. Anm. 2, auch NG. IV S. 2t 2). Sind die Beweiserbieten erheblich und die Beweismittel nicht unglaubwürdig (z. B. nicht Ehegatten oder nahe Verwandte der Parteien; vgl. RG. in Fenner u. Mecke, Arch. III S. 372, 440, in I. W. 1893 S. 346), so darf eine Beweisaufnahme nicht abgelehnt werden. (Vgl. auch RG. V S. 429, in Gruchot 28 S. 1155, 35 S. 969, in I. W. 1891 S. 199 Nr. 6, 307 Nr. 9, 352, Wach, Vortr. S. 161, Ude a. a. O. S. 443 ff.). Jedenfalls kann die bloße Wahrscheinlichkeit eines erfolglosen Ausfalls der beantragten Beweisaufnahme nicht zur Ab­ lehnung derselben berechtigen (RG. IV S. 377, dessen Gründe von Vierhaus in Busch, Z. V S. 85 mit Unrecht bemängelt werden, ferner VI S. 197 a. E., in Gruchot 30 S. 1028, 1034, 1121, 37 S. 748, in S. A. 42 Nr. 67). Der Inhalt von Vorprozeß- oder Strafakten, insbes. von Zeugenvernehmungsprolokollen (auch unbeeidigter Zeugen — RG. in I. W. 1887 S. 95, 1893 S. 538), kann, wenn mündlich vorgetragen, vom Richter als Urkundenbeweis be­ rücksichtigt werden, ohne daß es einer neuen Beweisaufnahme bedarf (vgl. RG. XV S. 342, in S. A. 38 Nr. 354, 41 Nr. 230, in I. W. 1888 S. 9 Nr. 5, S. 67 Nr. 7, 1891 S. 120 Nr. 5, 1893 S. 15, im Preuß. JMBl. 1889 S. 73, ob.LG. f. Bayern in S. A. 43 Nr. 303, 45 Nr. 144). Beantragt indessen eine Partei die Vernehmung der betreffenden Personen als Zeugen, so darf das Gericht nicht zum Nachtheile der Partei die Vernehmung ablehnen und auf Grund der Vorakten, welche nur einen minderwerthigen Ersatzbcweis darstellen, das Urtheil erlassen (s. RG. IV S. 378, XV S. 335, in I. W. 1888 S. 383, 1891 S. 120 Nr. 5, S. 272, 486, in Gruchot 37 S. 137; s. jedoch auch das. 30 S. 160; vgl. auch Planck II S. 179 s.). Eine besondere, aus der Natur der Eideszuschiebung als eines eventuellen Beweismittels sich ergebende Bestimmung enthält § 411. Ueber den Gebrauch des richterlichen Eides s. § 437 Anm. 4. Auf Kombinationen und Fiktionen, welche in dem Ergebnisse der Verhandlungen keine Grundlage haben, darf der Richter seine Entscheidung nicht stützen (vgl. RG. in Gruchot 29 S. 1081). Ueber den Gegensatz von freier Ueberzeugung und absoluter Gewißheit.s. RG. XV S. 338, Fitting § 59 N. 10, 18, Planck II S. 164 f., Glaser, Handb. d. StP. I S. 360. Daß § 259 nicht immer zu einer positiven Ueberzeugung von Wahr oder Unwahr führen müsse, zeigt Bähr in Jahrb. f. Dogm. 25 S. 394ff. Die Benennung eines verdächtigen Zeugen enthält noch keinen Verzicht auf die Ver­ dächtigkeit seiner Aussage (RG. in S. A. 43 Nr. 233).

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 259.

333

Ueber Verletzung des § 259 als Revisionsgrund s. RG? IV S. 212, VI S. 170 (auch XIX S. 229), ferner in Busch, Z. V S. 287ff. it. dagegen Möller das. S. 290ff., ferner RG. in Gruchot 26 S. 1160, 28 S. 258 f., 438, 1155, 29 S. 1088, 31 S. 74 f., 913, in S. A. 41 Nr. 302, im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 2 S. 68. Vgl. auch Rocholl in Busch, Z. X S. 332 ff., sowie § 260 Anm. 2 a. E. 2) Abs. 1: Satz 2 soll eine sorgfältige Abwägung der für die Ueberzeugung des Richters leitenden Gründe (vgl. § 284 Anm. 4) sichern. Der Ausführung des Abg. Herz, welcher die Vorschrift für unausführbar erklärte und durch eine andere Bestimmung, wonach nur die für die rechtliche Beurtheilung des Falles leitenden Gründe anzugeben seien, zu ersetzen be­ antragte, trat die RTK. nicht bei. (Vgl. auch RG- VI S. 170, VIII S. 14, in S. A. 37 Nr. 257, im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 2 S. 68, in Gruchot 27 S. 933, 1094, 28 S. 1138, 29 S. 1004, in I. W. 1888 S. 342 Nr. 6, Ude a. a. O. S. 439.) Es kann aber die Angabe der Beweismittel, aus denen der Richter die Ueberzeugung gewonnen hat, ohne weitere Aus­ führung genügen (vgl. RG. in Gruchot 26 S. 116!). 3) Abs. 2: Der Grundsatz der freien richterlichen Würdigung bedarf gewisser Ein­ schränkungen, zunächst bezüglich einzelner Beweismittel, welche, wie Urkunden (§§ 380—383) und Eid (§§ 428, 429, 437, 439), neben dem Beweiswerth auch andere bindende Elemente in sich tragen, zu denen aber die Sachverständigen (wie in der RTK. konstatirt wurde) nicht gehören. Sodann sind solche Einschränkungen auch in anderen Bestimmungen der CPO. enthalten (§§ 150, 181 Abs. 2, 185 Abs. 2, 285, 403 Abs. 2, 405 Abs. 2), insbesondere in den Vorschriften über die Beweisaufnahme MG. IV S. 375, VIII S. 406, 325, IX S. 323, X S. 415, XIII S. 421, XIV S. 379, 363, XV S. 342, XVII S. 425 (Eindruck eines Zeugen auf den Vorderrichter oder den beauftragten oder ersuchten Richter; vgl. RG. in Gruchot 32 S. 415), in I. W. 1887 S. 38, 1889 S. 402, 1892 S. 361 (Nichtbeeidigung von Zeugen), in Gruchot 28 S. 1150, 29 S. 1080, 33 S. 1172, in S. A. 48 Nr. 70 (sachverständige Untersuchung nur einiger Collis unter vielen — § 146 Abs. 2 Nr. 3, §§ 148, 356, § 385 Anm. 2). Außerdem sind zu erwähnen die Bestimmungen, welche als Folge der Versäumung einer Prozeßhandlung das Gericht verpflichten, Thatsachen als wahr anzunehmen (§§ 129 Abs. 2, 217 Abs. 4, 220, 221, 296 Abs. 1, 316 Abs. 2, 392, 404 Abs. 3). Wegen des Geständnisses und der Offenkundigkeit s. §§ 261-264. Aber nur solche „gesetzliche Beweisregeln", d. h. Vorschriften über bte Zulässigkeit und die Wirkungen der Beweise sind aufrechterhalten, welche „dieses Gesetz" (die CPO.) ent­ hält. Die Landesrechte werden hierdurch in bedeutendem Umfange abgeändert. Vgl. EG. z. CPO. § 14 Nr. 2, 3. Insbesondere fallen damit eine große Anzahl sogen, halber Rechtsvermuthungen (Nr. 3 a. a. O.), an welchen namentlich das Preuß. ALR. reich ist (s. R. Koch in Gruchot 13 S. 321 ff.), ebenso die Vorschrift des Preuß. ALR. II2 § 6 (RG. im D. RAnz. 1881 Nr. 75). Wegen ALR. I 4 § 53 f. RG. VIII S. 254 u. im Preuß. JMBl. 1884 S. 10 ff., bes. S. 14. Reine Rechtsvermuthungen (praesumtiones Juris), ferner sog. praesumtiones Juris et de jure oder Fiktionen dagegen bleiben nach Z 16 Nr. 1 EG. z. CPO. ebenso unberührt, wie die gleichfalls dem bürgerlichen Recht angehörigen Vorschriften über die Beweiskraft der in § 16 Nr. 2 das. bezeichneten Erklärungen. (Vgl. auch §§ 323, 324 Anm. 2; § 17 Abs. 2 EG. z. CPO., Bülow im civ. Arch. 62 S. 1 ff., Wach I S. 127, 205, ob. LG. f. Bayern in S. A. 41 Nr. 3.) Rechtsvermuthungen der CPO. selbst s. in den §§ 153 Abs. 2, 402, 405 Abs. 2. Aufgehoben sind die Vorschriften über die bindende Kraft des straf gerichtlich en Urtheils für den Civilrichter (EG. z. CPO. § 14 Nr. 1). Reichsgesetzliche Beweisregeln sind zwar, wie das reichsgesetzliche Prozeßrecht über­ haupt, grundsätzlich unberührt gelassen; indessen sind die wichtigsten Vorschriften dieser Art aus-

334

Zweites Buch. Vers. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 260.

§ 26V. Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei, und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Ueberzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amtswegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann anordnen, daß der Beweisführer den Schaden oder das Interesse eidlich schätze. In diesem Falle hat das Gericht zugleich den Betrag zu bestimmen, welchen die eidliche Schätzung nicht über­ steigen darf. Die Vorschriften über den Schätzungseid werden aufgehoben. N. Entw. § 457. S. 92.

Entw. I. § 236.

Enltv. II. 8 245.

Entw. III. § 250.

Mot. S. 208 -210. Prot.

drücklich aufgehoben (s. EG. z. CPO. § 13 Nr. 2, 3, 5 Sinnt. 1 u. 2 u. § 17). Dieser Aufhebung hätte es nicht bedurft, wenn § 259 Abs. 2 („dieses Gesetz") alle reichsrechtlichen Beweis­ regeln beseitigte (wie En de mann II S. 72 meint) und nicht eben durch EG. z. CPO. § 13 Abs. 1 modifizirt würde. Soweit im Civilprozesse das O fsizialv erfahren herrscht, fallen zwar nicht alle Beweis­ regeln weg (so Birkmeyer in Busch, Z. VII S. 220 ff., 453 ff., Hellmanu, Lehrb. S. 604), wohl aber diejenigen, welche, wie z. B. die Zulässigkeit und die Folgen des zugeschobenen Eides (s. Birkmeyer a. a. O. S. 466 ff.), auf dem freien Verfüqungsrechte der Parteien be­ ruhen. Vgl. §§ 54 Anm. 1 S. 63 f., 324 Aum. 2 a. E., 577, 611, 624.

4) Die aufgehobenen Beweisregeln werden auch fernerhin als „goldene Ersahrungssätze" (Mot.) Beachtung verdienen. 5) Ebensowenig wie durch Landesgesetzgebung können auch durch Statut oder Vertrag dem Richter Beweisregeln mit bindender Wirkung vorgeschrieben werden: insbesondere können die Parteien über das Ergebniß der Beweisaufnahme nicht paktiren (NG. im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 8 S. 393 ff., Planck I S. 298, 333). Allerdings kann mittelbar durch Ver­ einbarung die Beweissrage berührt werden, z. B. durch Ernennung sog. Arbitratoren (vgl. RG. II S. 311, VI S. 190, 201, XXIV S. 358, Bülow, Dispos. Civilproz.-R. S. 63 Anm. 39, Sarwey I S. 399, Seufsert § 260 Anm. 4, Wach im ein. Arch. 64 S. 225 Aum. 16. S. auch Weismann das. 72 S. 269 ff.); nicht unzulässig ist ferner die Vereinbarung, daß be­ stimmte rechtliche Folgen (z. B. die Verpflichtung der Versicherungsgesellschaft zum Schadens­ ersatz) nur eintreten sollen, wenn die zu Grunde liegenden Thatsachen durch die vorher be­ stimmten Beweismittel (außerhalb des Prozesses) festgestellt werden (RG. XX S. 402, OLG. Hamburg in S. A. 44 Nr. 59, Prot. S. 92). Vgl. §§ 255 Anm. 7, 260 Anm. 8, 851 Anm. 2. 8 260. 1) Der „Nothstand des Schädenprozeffes" in Deutschland, verglichen mit der Freiheit und Beweglichkeit französischer Gerichte, war lange ein Gegenstand gerechter Klage (s. die unter jenem Titel i. I. 1865 erschienene Monographie von Lehmann). Weitergehend als einzelne Partikular-Gesetze [§cmn. PO. § 238, Württ. PO. Art. 444, Bayer. PO. Art. 330 u. A.] war bereits reichsgesetzlich für gewisse Schadensersatz-Ansprüche nicht bloß die Frage nach der Höhe des Schadens, sondern auch die Frage, ob ein Schaden entstanden sei, richterlichem Ermessen überlassen (HGB. Art. 27, Nachdrucksges. v. 11. Juni 1870 § 19 (BGBl. S. 339), Markenschutzges. v. 30. Nov. 1874 § 16 (RGBl. S. 143); enger wieder: Haftpflichtges. v. 7. Juni 1871 §§ 6, 7 (RGBl. S. 207)]. Diesen mit dem franz. Rechte, dem N. E. und dem Votum des 6. D. Juristentags (Verhandl. II S. 267) übereinstimmenden, über den Grundsatz des § 259 in Bezug aus die freie richterliche Würdigung hinausgehenden Vorschriften hat sich die CPO. hauptsächlich aus praktischen Gründen (s. Anm. 2) angeschlossen (vgl. auch

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 260.

335

Übe in Busch, Z. VI S. 451 ff., Hell mann, Lehrb. S. 593 ff.). — Wegen mancher Bedenken s. Wach in Krit. Vierteljahrsschr. XIV S. 359 ff., XV S. 343 ff.; vgl. auch L. Seuffert a. a. O. S. 11, Dernburg II §§ 75, 298 Anm. 28. Letzterer will den Grundsatz auch auf das sog. Schmerzensgeld ausdehnen (II § 296 Anm. 7. A.M. Förster (Eccius) II § 151 Anm. 33).

2) „ob ein Schaden entstanden fei" — Die Frage nach dem Bestehen des Schadens ist von der nach der Höhe häufig nicht zu trennen. Die erstere begreift auch den ursächlichen Zusammenhang zwischen der rech:swidrigen Handlung und dem eingetretenen Schaden in sich, während die Frage nach der Verpflichtung zum Schadensersätze oder zur Jnteresseleistung durch § 260 nicht berührt wird (Nordd. Prot. S. 686; vgl. aucki RG. XXIV S. 361 a. E.). „Die Thatsachen, auf welche diese Verpflichtung gegründet wird, sind wie die sonstigen bestrittenen Thatsachen zu beweisen. Dagegen unterliegt die Frage, ob der Kausalnexus vorhanden sei, dem freien Ermessen des Gerichts." (Mot.) Das freie Ermessen — dieses ist im § 260 mit dem Worte „freie Ueberzeugung" ge­ meint — besteht namentlich darin, daß, wenn auch das Bestehen des Schadens, der Kausalzusammen­ hang und die Höhe des Schadens durch die Verhandlung nicht bis zur vollen Ueberzeugung des Richters dargethan ist, dieser trotzdem den Schaden festsetzen darf, sei es ohne Weiteres, sei es nach zuvoriger Beweisaufnahme, Anhörung Sachverständiger oder Eidesauflage an den Beweisführer (vgl. unten Anm. 6, 7), und zwar ohne daß — abweichend von § 259 — eine Angabe von Gründen für die Festsetzuug erforderlich ist. sVgl. RG. VI S. 356, VII S. 368, IX S. 416, X S. 64 (wornach der Kausalzusammenhang vom Richter auch darauf gestützt werden darf, daß bei Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln der Schaden in der Regel nicht eingetreten wäre; vgl. RG. I S. 274 a. E.), S. 77, XIX S. 436, in Gruchot 28 S. 259, 36 S. 1230, in I. W. 1887 S. 482; 1886 S. 193, 1893 S. 15 (wornach § 260 auch Anwen­ dung findet, wenn lediglich die Frage des Kausalzusammenhangs zu entscheiden ist), RG. XXXI S. 88 (wornach auch hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts des schädigenden Ereignisses die freie Würdigung des Gerichts Platz greift), Ude a. a. O. S. 459 ff., Seuffert Anm. 2, A. Förster Anm. 2, Förster (Eccius) I § 106 Anm. 66. S. auch Birkmeyer: Ueber Ursachenbegriff u. Kausalzusammenhang im Strafrecht, Rostock 1885, S. 25, 83 ff. Theilweise abweichend Dernburg II § 75 Anm. 5, Fitting § 59 N. 27, der die Abweichung von § 259 darin erblickt, daß das Gericht auch solche Umstände berücksichtigen könne, welche ihm nicht durch die Verhandlung bekannt geworden sind — „alle Umstände".) — Nichtanwendung oder falsche An­ wendung des § 260 kann die Revision begründen (RG. VI S. 357, XVIII S. 339, XXV S. 78 u. ö.; s. aber auch VI S. 198, XIII S. 264, in I. W. 1890 S. 202. Abweichend Rocholl in Busch, Z. X S. 338ff.) Wegen der Trennung des Urtheils über den Grund der Forderung von der Liquidation des Betrags s. § 276 Anm. 1—4, OLG. Braunschweig in S. A. 37 Nr. 181, RG. X S. 175, 353, 413, 418; XII S. 355, XIII S. 435.

3) „oder ein zu ersetzendes Interesse" — Dieser Ausdruck ergiebt, daß nicht bloß die Fälle eines damnum injuria datum, sondern auch die einer Vertrags-Kulpa (Unmöglichkeit der Leistung) [vgL Nordd. Prot. S. 686, 806, RG. in I. W. 1888 S. 10, 1891 S. 76) und die eines sonstigen zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignisses unter § 260 fallen. Immerhin aber bildet der Eintritt einer „schädigenden" Thatsache die Voraussetzung, wie aus der ersten Kopulative „ob ein Schaden entstanden sei" hervorgeht; bloße Nichterfüllung einer Obligation genügt nicht ohne Weiteres (RG. VIII S. 224 u. in I. W. 1891 S. 246). Auf Prozesse über die Höhe der Entschädigungssumme im Enteignungsverfahren findet § 260 nicht Anwendung (RG. XII S. 402; abweichend Seuffert Anm. 1; vgl. auch RG. in I. W. 1888 S. 119, 1887 S. 288).

336

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 260.

4) Bei der ihm eingeräumten freien Stellung darf der Richter wegen mangelnder S übst anti irung des Schadens die Ersatzforderung nicht abweisen: nöthigenfalls hat er vom Fragerechte (§ 130) Gebrauch zu machen (vgl. RG. X S. 78, 405, XXV S. 78, in Gruchot 28 S. 1060, 30 S. 1122, in S. A. 47 Nr. 233, 48 Nr. 29, in I. W. 1888 S. 68), es sei denn, daß sich gar kein Anhaltspunkt zu einer Erfolg versprechenden Ausübung des Fragerechts findet (vgl. NG. VII S. 368, in I. W. 1888 S. 10 Nr. 10). — Ueber das Erforderniß der Bestimmt­ heit des Antrags bei Schadensersatzklagen s. § 230 Anm. 6 S. 271. 5) „unter Würdigung aller Umstände" — d. h. der Umstände des besondern Falles (RG. in Gruchot 32 S. 421) — auch der geringfügigeren (RG. in I. W. 1890 S. 178 Nr. 5) — wie aller Eventualitäten. Der Richter sollte in den Stand gesetzt werden, unter Benutzung seiner Lebenserfahrung die Sachlage im Ganzen und Großen zu würdigen (Nordd. Prot. S. 683). Dabel darf er aber nicht ungesetzliche Rechtsvermuthungen aufstellen (RG VIII S. 167 u. in I. W. 1888 S. 282, nicht entgegenstehend X S. 141, auch nicht XXI S. 92, wo nur eine thatsächliche Erleichterung in der Beweislast zugestanden wird). Eine genaue Bezifferung der einzelnen Schadensfaktoren ist nicht nothwendig (RG. in I. W. 1893 S. 346). 6) „Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme" — Das Gericht kann also auch ohne Beweisaufnahme festsetzen (vgl. RG. VI S. 198 u. in I. W. 1886 S. 269), muß indessen die Beweisanträge vor ihrer Ablehnung würdigen und, daß solches geschehen, mit Gründen belegen (RG. in I. W. 1891 S. 6, 1893 S. 15). Eine Beweisaufnahme darf es nur verordnen, wenn unb soweit dieselbe beantragt ist. Daß die Begutachtung durch Sach­ verständige von Amiswegen angeordnet werden kann, entspricht dem § 135. Vgl. auch § 3.

7) Die bestehenden Vorschriften über das sog. juramentum in liiern (Schätzungs-, Würderungseid) — über das Recht einer Partei, zur eidlichen Schätzung des Schadens oder des Interesses zugelassen zu werden — vgl. z. B. Tit. D. de in liiern jurando (12, 3); Cod. 5, 53 de in lit. jur., Preuß. AGO. I 22 §§ 9—12, Hann. PO. §§ 302 ff., C. civ. art. 1369; v. Savigny, System d. R. R. V S. 123 ff. Beil. XII; Wetzell S. 273; Wind­ scheid, Pand. I § 133 Nr. 2b — sind als unverträglich mit dem Grundsatz des § 260 durch Abs. 2 beseitigt. Dagegen ist dem Gerichte die Befugniß beigelegt, dem Beweisführer einen Eid über den Betrag des Schadens oder des Interesses aufzuerlegen. Von dieser Befugniß wird nur dann Gebrauch zu machen sein, wenn das Gericht auf Grund der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht im Stande ist, sich eine Ueberzeugung in jener Be­ ziehung zu bilden (vgl. Fitting § 59 N. 30). Der Eid ist eine Unterart des richterlichen Eides (§ 437) und ist nach den von diesem geltenden Grundsätzen zu beurtheilen (A.M. Fitting a. d. £)., der wegen des Ausdrucks „anordnen" den Eid durch Beweisbeschluß auferlegen will). Er ist nicht als Wahrheitseid (vgl. OLG. Cassel in S. A. 48 Nr. 217), sondern dahin zu leisten, daß der Schaden (das Interesse) nach der Ueberzeugung des Schwörenden sich bis zu betn von ihm angegebenen Betrage belaufe (Nordd. Prot. S. 1047—1050). Eine nähere thatsächliche Begründung der Schätzung ist in dem Eide nicht zu verlangen (RG. in S. A. 46 Nr. 141). Die Vorschrift, daß das Gericht einen Höchstbetrag zu bestimmen hat, entspricht dem C. civ. art. 1369 (f. auch Hann. PO. § 303 Abs. 2). Wegen Minderung der normirten Summe gilt § 431 (vgl. § 439). Die Folgen der Eidesweigerung sind in dem bedingten Endurtheile festzusetzen (vgl. §§ 439 Abs. 3, 427). Das richterliche Schätzungsrecht kann nach der Eidesweigerung nicht wieder in Kraft treten, da das Gegentheil der unter Eid gestellten Thatsache als bewiesen gilt (s. Seufsert Anm. 2, Sarwey I S. 399, Petersen § 260 Nr. 2, Ude a. a. O. S. 461 ff.). Materiellrechtliche Vorschriften, durch welche das Forderungsrecht des Beschädigten beschränkt wird, z. B. L. un. Cod. de sent. (7, 47), sind nicht ausgehoben (NG. IV S. 181, X S. 193), desgl. nicht ALR. § 660 I 11 (RG. XXIII S. 200) oder C. civ. art. 1374 Abs. 2.

Erster Titel.

Verfahren bis zum Urtheil.

§ 261.

§ 261. Die von einer Partei behaupteten Thatsachen bedürfen keines Beweises, als sie im Laufe des Rechtsstreits von dem Gegner mündlichen Verhandlung oder zum Protokolle eines beauftragten oder Richters zugestanden sind. Zur Wirksamkeit des gerichtlichen Geständnisses ist dessen Annahme forderlich. N. Gntto. 8 458. S. 92.

Glitt*. I. § 237.

Glitt*. II. § 246.

Glitt*, III. § 251.

337

insoweit bei einer ersuchten nicht er­

Mot. S. 210, 211.

Prot.

8) Entgegenstehende vertragsmäßige oder statutarische Festsetzungen, welche sich un­ mittelbar auf die Beweisfrage richten, sind nicht bindend (vgl. §§ 255 Anm. 7, Dernburg II § 75 III, OLG. Kiel in S. A. 41 Nr. 56 a. ., welches wegen der Einseitigkeit des Ver­ zichts den Grundsatz der Mündlichkeit nach § 119 nicht für anwendbar erachtet; vgl. § 364 Anm. 1). — Daß das Gericht den Beweisbeschluß überhaupt nicht oder nicht vollständig aus­ zuführen genöthigt ist, folgt schon aus der Natur des Beweisbeschlusses als einer prozeßleitenden und mithin (§ 289 Anm. 1) jederzeit abänderlichen Verfügung. Vgl. auch § 331. Indessen ist die Aenderung nicht ohne neue mündliche, nötigenfalls von AmtSwegen zu veranlassende Verhandlung zulässig. Selbstverständlich können die Parteien gemeinschaftlich die Aussetzung der weiteren Beweisaufnahme auch durch eine Vorstellung beim Gericht verlangen, indem sie gleichzeitig zur neuen mündlichen Verhandlung nach § 335 Abs. 2 laden, sofern der Termin dazu noch nicht ansteht (vgl. auch A. Förster Anm. 1).

§§ 326—335. 1) Das Gesetz sieht die Erledigung des Beweisbeschlusses — abweichend vom franz. Rechte, nach welchem es zur Weiterbetreibung der Sache nach Verkündung des Beweisbeschlusses stets eines besonderen Antrags der fleißigeren Partei bedarf (Desaisirungsprinzip) —als einen Gegen­ stand der Ofsizialthätigkeit des Gerichts an und erspart dadurch den Parteien Zeit, Mühe und Kosten. Es tritt dieses namentlich in den §§ 326, 327, 328, 331—333, 335 Abs. 2 hervor. (Vgl. auch Fischer m Gruchot 25 S. 657 ff.] — Die Ladung der Zeugen und Sachverständigen erfolgt von Amiswegen (§§ 342, 367). Dagegen ist es Sache des Beweisführers, die erforder­ lichen Sachen herbeizuschaffen oder dem Gerichte zugänglich zu machen, mit Ausnahme der in § 397 bezeichneten Urkunden (vgl. Planck II S. 186). — Ueber das aufzunehmende Protokoll s. §§ 145—149, 151. 2) Die Parteien sind in den in Frage stehenden Fällen (§§ 326 Abs. 2, 327, 331 Abs. 2, 333, 335 Abs. 2) von Amt sw egen von der Zeit und dem Orte des Termins (durch Zustellung) zu benachrichtigen, soweit dies nicht schon in dem verkündeten Beschlusse geschehen

Fünfter Titel.

Allgemeine Bestimmungen über die Beweisaufnahme.

§§ 327, 328.

429

§ 827. Soll die Beweisaufnahme durch ein anderes Gericht erfolgen, so ist das Ersuchungsschreiben von dem Vorsitzenden zu erlassen. Die auf die Beweisaufnahme sich beziehenden Verhandlungen werden in Ur­ schrift von dem ersuchten Richter dem Gerichtsschreiber des Prozeßgerichts über­ sendet, welcher die Parteien von dem Eingänge benachrichtigt. N. Entw. 8 481. Entw. I. § 302. Entw. II. 8 311. Entw. III. 8 317. Mot. S. 245. Prot. S. 125.

§ 828. Soll die Beweisaufnahme im Ausland erfolgen, so hat der Vor­ sitzende die zuständige Behörde, um Aufnahme des Beweises zu ersuchen. Kann die Beweisaufnahme durch einen Reichskonsul erfolgen, so ist das Er­ suchen an diesen zu richten. N. Entw. 8 482. Entw. I. 8 303. Entw. II. 8 311. Entw. III 8 317. Mot. S. 245. Prot. S. 125.

ist (§§ 195, 294 Abs. 3). Nur im Falle des § 329 Abs. 4 (vgl. auch § 452) ist der Beweis­ führer zur Benachrichtigung verpflichtet. Der Mangel der rechtzeitigen Benachrichtigung einer Partei hat die Unbenutzbarkeit der in ihrer Abwesenheit erfolgten Beweisaufnahme zur Folge, weil die Partei dadurch in wesentlichen Rechten beeinträchtigt ist (vgl. §§ 332, 362); die §§ 329, 454 enthalten nur zwei, den Grundsatz bestätigende Ausnahmen (RG. VI S. 351). sVgl. auch Busch, Z. XVII S. 95 ff.] Der Mangel ist aber nach § 267 heilbar.

§ 326. 1) Abs. 1: „durch d en Vorsitz end en" — d. h. hier, wie in ZZ 327, 328, der betreffenden Kammer (GVG. §§ 59, 61), nicht durch den Vorstand des Prozeßgerichts. „der Termin zur Beweisaufnahme bestimmt" — Mit Unrecht schließt Endemann in Busch, Z. IV S. 221 hieraus, daß eigentlich dem Prozeßgericht (oder dem Vorsitzenden) auch die Terminsbestimmung bei dem ersuchten Richter zustehe. 2) Abs. 2: Die Terminsb estimmung wird den Parteien durch Zustellung des betreffenden Beschlusses (mit Ladung) bekannt gemacht (vgl. §§ 191 Anm. 2c, 314 Anm. 3).

§ 327. 1) Abs. 1: „anderes Gericht" — nämlich im Jnlande (vgl. § 320 Anm. 2); von ausländischen Gerichten handeln die §§ 328, 329. — Ueber die Verpflichtung des in­ ländischen Gerichts s. GVG. §§ 157, 159 ff. 2) Abs. 2: Für die Benachrichtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. 3) Wegen Ansatzes der Gebühren und Auslagen des ersuchten Gerichts s. für Preußen § 28 d. AG. z. D. GKG. u. s. w. v. 10. März 1879 (GS. S. 149).

§ 328. 1) Abs. 1: „Ausland" — Als solches sind hier — wie bei den Zustellungen (vgl. §§ 182—185 Anm.) — auch die deutschen Schutzgebiete anzusehen (Gaupp I S. 648 N. 2, Wilm. Levy Anm. 1; zweifelhaft Seuffert § 327 Anm. J). S. Ges. v. 17. April 1886 in d. Fass. v. 19. März 1888 (RGBl. S. 75) § 2, Allg. Verfügung d. Preuß. Just. Min. v. 1. Mai 1891 (JMBl. S. 129), Busch, Z. XIV S. 206 ff., 213 f. „zuständige Behörde" — d. h. diejenige, welche nach der Gerichtsverfassung des fremden Staats solche Ersuchungsschreiben zu erledigen oder deren Erledigung zu veranlassen hat" (Mot.); vgl. § 182. Wegen des Verhältnisses des D. Reichs zur Schweiz s. § 182 Anm. 1. Wegen Egypten s. Ges. v. 30. März 1874 (RGBl. S. 23), Verordn, v. 23. Dezbr. 1875 (RGBl. S. 381) u. Ges. v. 5. Juni 1880 (RGBl. S. 145). In Preußen sind wegen der zu ersuchenden ausländischen Behörden zahlreiche (im JustizMin.-Bl. veröffentlichte) Anweisungen erlassen, welche, soweit sie noch Gültigkeit haben, in der Allg. Verfügung v. 20. Mai 1887 (JMBl. S. 139) zusammengefaßt sind; vgl. außerdem für

430

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz.

Erst. Abschn.

Vers. v. d. Landgerichten. § 329.

§ 329 Wird eine ausländische Behörde ersucht, den Beweis aufzunehmen, so kann des Gericht anordnen, daß der Beweissührer das Ersuchungsschreiben zu besorgen und die Erledigung des Ersuchens zu betreiben habe. Das ■ Gericht kann sich auf die Anordnung beschränken, daß der Beweisführer eine den Gesetzen des fremden Staates entsprechende öffentliche Urkunde über die Beweisaufnahme beizubringen habe. In beiden Fällen ist in dem Beweisbeschluffe eine Frist zu bestimmen, binnen welcher von dem Beweisführer die Urkunde auf der Gerichtsschreiberei niederzu­ legen ist. Nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist kann die Urkunde nur benutzt werden, wenn dadurch das Verfahren nicht verzögert wird. Der Beweisführer hat den Gegner, wenn möglich, von dem Orte und der Zeit der Beweisaufnahme so zeitig in Kenntniß zu setzen, daß derselbe seine Rechte in geeigneter Weise wahrzunehmen vermag. Ist die Benachrichtigung unterblieben, so hat das Gericht zu ermessen, ob und inwieweit der Beweisführer zur Benutzung der Beweisverhandlung berechtigt sei. 91. Ent«. §§ 487, 488. Prot. S. 125.

Ent«. I. § 804.

Ent«. II § 313.

Ent«. III. § 319.

M«t. S. 845, 846.

den Verkehr mit Nußland Allg. Verf. v. 31. Juli 1893 (JMBl. S. 260). Vgl. auch JMBl. 1893 S. 124. Die G esandten sind hier ausgeschlossen (anders in § 182), soweit sie nicht nach § 5 d. Ges. über die Konsulargerichtsbarkeit v. 10. Juli 1879 (RGBl. S. 197) ermächtigt sind. In Ermangelung entgegenstehender Bestimmungen in Staatsverträgen hat sich der Vorsitzende durch die höheren Justizbehörden an das Auswärtige Amt des Deutschen Reichs zu wenden. (Vgl. Wilm. Levy Anm. 1.) 2) Abs. 2: „Reichskonsul" — Die Beweisaufnahme durch einen solchen bildet die Regel. Indessen bedarf es nach dem Gesetz, betr. die Organisation der Bundeskonsulate u. s. w., v. 8. Nov. 1867 § 20 (BGBl. S. 137) zur Abhörung der Zeugen und Abnahme von Eiden einer Ermächtigung des Reichskanzlers, wenn dem Konsul nicht in dem betreffenden Lande nach Herkommen oder Staatsverträgen eine noch weiter gehende Gerichtsbarkeit zusteht (vgl. §§ 1, 5, 48 d. Ges. üb. d. Konsulargerichtsb. v. 10. Juli 1879). Die Reichskonsuln haben die Bestim­ mungen der CPO. über das amlsgerichtliche Verfahren zur Anwendung zu bringen (§§ 12, 14, 15 das.). Wegen der Kosten s. § 44 das. — Zur Rechtfertigung des Ersuchens an den Reichs­ konsul genügt es, wenn die Partei den Zeugen als Angehörigen oder Schutzgenossen des Reichs bezeichnet (RG in I. W. 1887 S. 67, Wilm. Levy S. 536). 3) Die Entscheidung darüber, ob im einzelnen Falle das Ersuchen an den Reichskonsul oder an die ausländische Behörde zu richten sei, steht nach Inhalt des § 328 ungeachtet der in § 329 Abs. 1 dem Gericht übertragenen besonderen Befugniß (§ 320 bezieht sich gar nicht auf ausländische Gerichte) dem Vorsitzenden zu (Kleiner II S. 266. A.M. Endemann II S. 190, Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp I S. 647 u. A.). § 329. 1) Das Gericht kann — auch von Amtswegen — wenn es sich um eine nicht durch einen Reichskonsul vorzunehmende Beweisaufnahme im Auslande handelt, von der Regel des § 328 abweichen und eine der in § 329 Abs. 1 u. 2 gedachten Anordnungen treffen.' Obwohl lediglich das Ermessen des Gerichts entscheidet, empfiehlt es sich doch nur dann, von der Befugniß des § 329 Gebrauch zu machen, wenn dem regelmäßigen Wege besondere Bedenken entgegen­ stehen. Dahin gehören nach den Mot. Fälle, in denen es, wie z. B. bei einer Beweisaufnahme in entfernten und unkultivirten Ländern, ungewiß ist, ob oder wo eine zur Erledigung des Ersuchungsschreibens zuständige Behörde besteht, während es dem Beweisführer vielleicht möglich

Fünfter Titel.

Allgemeime Bestimmungen über die Beweisaufnahme.

§§ 330, 331.

431

§ 330. Der beauftragte oder ersuchte Richter ist ermächtigt, falls sich später Gründe ergeben, welche die Beweisaufnahme durch ein anderes Gericht sachgemäß erscheinen lassen, dieses Gericht um die Aufnahme des Beweises zu ersuchen. Die Parteien sind von dieser Verfügung in Kenntniß zu setzen. N. Entw» 88 480, 481. Entw. I. 8 305. Entw. II. 8 314. Entw. III. 8 320. S. 125.

Mot. S. 245.

Prot.

§ 331. Erhebt sich bei der Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter ein Streit, von dessen Erledigung die Fortsetzung der Beweis­ aufnahme abhängig und zu dessen Entscheidung der Richter nicht berechtigt ist, so erfolgt die Erledigung durch das Prozeßgericht. Der Termin zur mündlichen Verhandlung über den Zwischenstreit ist von Ämtswegen zu bestimmen und den Parteien bekannt zu machen. N. Entw. 8 483. Entw. I. 8 306. Entw. II. 8 315. Entw. III. 8 321. Mot. S. 245. Prot. S. 125.

ist, durch Vermittelung von kaufmännischen Geschäftsfreunden oder auf anderen Wegen die Beweisaufnahme zu erwirken, oder Fälle, in denen nach den ausländischen Gesetzen bei den dortigen Behörden (z. B. in Holland) die Beweisaufnahme vom Beweisführer selbst betrieben werden muß (vgl. Hann. Prot. VII S. 2215, 2302 ff., Voigt, Arch. f. HR. Bd. 4 Heft 4 S. 492, Preuß. JMBl. 1866 S. 182 u. Allg. Verf. v. 20. Mai 1887 (JMBl. S. 139] Nr. 22). 2) Der Abs. 3 beruht auf dem Grundsätze des § 321. Vgl. § 321 Anm. 2 u. 3. 3) Abs. 4: vgl. § 454. Die Benachrichtigung ist auch hier (vgl. §§ 327 Anm. 2, 330 Anm. 2) an keine Form gebunden und kann unmittelbar durch die ausländische Behörde ge­ schehen. Bei seinem Ermessen wird das Gericht namentlich auch darauf Rücksicht nehmen müssen, ob die Benachrichtigung rechtzeitig hätte erfolgen können (vgl. RG. II S. 371, Hellmann II S. 212 f. u. A.). Ueber die Benutzbarkeit kann nur nach mündlicher Verhandlung — durch Zwischen- oder Endurtheil — entschieden werden. 4) Der fernere Verhandlungstermin wird nach der Regel des § 191 nur auf Antrag be­ stimmt (vgl. § 396 Anm. 3, Fischer in Gruchot 25 S. 676, Seuffert Anm. 2; abweich. Planck I S. 395 N. 31).

§ 330. 1) Hierher gehört vor allem der Fall, daß ein Zeuge der Annahme des ersuchenden Gerichts zuwider in dem Bezirke des ersuchten Gerichts sich nicht aufhält. 2) „in Kenntniß zu setzen" — vgl. §§ 327 Anm. 2, 329 Anm. 3. (Hellmann II S. 213 verlangt mit Unrecht eine Zustellung; s. dagegen § 156 Anm. 3, Petersen 88 330, 331 Nr. 1, Fitting in Busch, Z. X S. 8 Anm. 24, S. 9 Anm. 27 u. A.) 3) Das nachersuchte „andere" Gericht, welches nur ein inländisches sein darf (vgl. § 320 Anm. 2), darf das Ersuchen nur unter den Voraussetzungen des § 159 GVG. ablehnen (Gaupp I S. 650, Seuffert Anm. 3, OLG. Colmar in Busch, Z. VII S. 92 f. A.M. Sarwey I S. 488).

§ 33t 1) Abs. 1: „ein Streit — nicht berechtigt ist" — z. B. über die Rechtmäßigkeit der Zeugnißverweigerung (§§ 352, 354 Abs. 2), über die Anordnung eines neuen Gutachtens (§ 377). Fälle, in denen der mit der Beweisaufnahme betraute Richter ausnahmsweise berechtigt ist, die Entscheidung selbst zu treffen, s. in §§ 207, 365, 371 Abs. 4 (vgl. Hann. PO. § 30, H. E. § 295). Außerdem kann derselbe selbstverständlich die zur Ausführung des Auftrags erforderlichen Anordnungen, z. B. Ladungen, vornehmen und die hierauf bezüglichen Streitig­ keiten, soweit sie der dem Prozeßgerichte vorbehaltenen Sachentscheidung nicht vorgreifen, ent­ scheiden (Gaupp I S. 650f., Wilm. Levy Anm. 1, Hellmann, Lehrb. S. 151; vgl. auch

432

Zweites Buch. Verf.'in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 332.

§ 382. Erscheint eine Partei oder erscheinen beide Parteien in dem Termine zur Beweisaufnahme nicht, so ist die Beweisaufnahme gleichwohl insoweit zu be­ wirken, als dies nach Lage der Sache geschehen kann.Eine nachträgliche Beweisaufnahme oder eine Vervollständigung der Beweis­ aufnahme ist bis zum Schluffe derjenigen mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, auf Antrag anzuordnen, wenn das Verfahren dadurch nicht verzögert wird oder wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie ohne ihr Verschulden außer Stande gewesen sei, in dem früheren Termine zu erscheinen, und im Falle des Antrags auf Vervollständigung, daß durch ihr Nichterscheinen eine wesentliche Unvollständigkeit der Beweisaufnahme veranlaßt sei. 91. E»tw. § 484. S. 125, 126.

@11 ho.

I. § 307.

Glitte. II. § 316. Glitte. III § 322.

Mol. 6. 245, 246

Prot.

NG. XIII S. 399 ii. Wach I S. 331 f.; beschränkter: Seuffert Anm. 1, A. Förster Anm. 1 a. E., Petersen §§ 330, 331 Nr. 2). 2) Abs. 2 bezieht sich nicht auf alle Streitigkeiten, die sich bei der Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter unter den Parteien erheben, sondern nur auf den eigent­ lichen Zwischenstreit, welcher durch Zwischenurtheil erledigt werden kann (§ 275 Anm. 1, 2). Es gehören also nicht hierher solche Streitpunkte, welche, wie über Ablehnung eines Sach­ verständigen (§ 371 Abs. 3—5), durch Beschluß zu erledigen sind (Schollmeyer, Zwischen­ streit S. 68, 81 ff.. Faull, Zwischenstreit S. 37, A. Förster Anm. 2. Vgl. auch Kleiner II S. 268). Die Besonderheit liegt in dem Verlassen des Grundsatzes des Parieibetriebs (f. Schollmeyer a. a. O. S. 91). „bekannt zu machen" — Die Zustellung (§ 294 Abs. 3) ersetzt die Ladung. (Vgl. 88191 Anm. 2c a. E., 317 Anm.; abweichend Sarwey IS. 489.) Eine Ladung durch Ver­ kündung (Puchelt II S. 160) kann hier nicht vorkommen. Zu den „Parteien" gehören, wenn der Zwischenstreit mit Dritten stattfindet (vgl. 8 119 Anm. 4 a), auch die Dritten, z. B. Zeugen. § 332. 1) § 332 handelt von der Versäumniß der Parteien bei der Beweisaufnahme (s. 8 322). Er ist von dem Grundsatz beherrscht, daß der Termin zur Beweisaufnahme als solcher kein Termin zur mündlichen Verhandlung ist (vgl. 8 119 Anm. 4 a, 228 Anm. 3). Die Strenge des gern, und des franz. Rechts, wonach die betreibungspflichtige Partei in dem Termine noch­ mals Anträge zu stellen hat, widrigenfalls die Beweisaufnahme unterbleibt, ist verlassen, um unnöthige Verzögerungen zu vermeiden. 8 332 bezieht sich übrigens, wie schon die allgemeine Fassung ergiebt — mit welcher auch der Ausdruck „zugleich" in 8 335 Abs. 1 übereinstimmt (vgl. 8 335 Anm. 2) — und in der RTK. von dem Vertreter der Reichsregierung ausdrücklich bestätigt ist, nicht bloß auf die Beweis­ aufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter, sondern auch auf diejenige vor dem Prozeßgerich 1. Die Mot. (S. 345) enthalten freilich einen anscheinend (daß sie „nur" die Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter zum Gegenstand haben, wie Endemann in Busch, Z. IV S. 232 bemerkt, sagen sie übrigens nicht) von der entgegengesetzten Ansicht ausgehenden Satz, während die Mot. zu den entsprechenden 88 301—310 d. Entw. I nur aussprechen, daß diese Paragraphen namentlich Bestimmungen über die Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter sowie über die Beweisaufnahme im Auslande enthalten. Allerdings ist nach 8 335 der Termin, in welchem die Beweisaufnahme stattfindet, alsdann zugleich zur mündlichen Verhandlung bestimmt, und es kann mithin, wenn in dem­ selben nur eine Partei erscheint, diese gegen den nicht erschienenen Gegner ein Versäumnißurtheil beantragen (88 295, 296). Allein gleichwohl ist es auch in diesem Falle von Bedeutung,

Fünfter Titel.

Allgemeine Bestimmungen über die Beweisaufnahme.

§ 332.

433

datz zunächst in Gemäßheit des § 332 Abs. 1 die Beweisaufnahme erfolgen muß; denn einestheils kann die säumige Partei möglicherweise noch während der Beweisaufnahme erscheinen und dadurch dem Antrage auf Erlaß eines Versäumnißurtheils, der sich nur auf die nachfolgende mündliche Verhandlung bezieht, zeitig zuvorkommen, und anderntheils bleibt die Beweisaufnahme für den Fall, daß die Folgen des Versäumnißurtheils demnächst durch Einspruch wieder beseitigt werden, von Bedeutung, und den Zeugen und Sachverständigen wird die Belästigung erspart, später wieder zu erscheinen (vgl. Nordd. Prot. S. 664, woraus deutlich hervorgeht, daß schon die Nordd. Prozeßkommission von derselben Auffassung ausgegangen ist, welche sodann in die späteren Entwürfe überging, wiewohl allerdings nach Beseitigung der Eventualmaxime die Fort­ setzung der mündlichen Verhandlung eine viel größere Bedeutung gewonnen hat, als die Schluß­ verhandlung des N. E.; s. § 258 Anm. 1). ^Zustimmend NG. I S. 238, Petersen §§ 332, 333 Nr. 1, Fitting §§ 62 N. 20, 78 N. 1, Planck II § 109 N. 37, Hellmann, Lehrb. S. 504, Seuffert Anm. 1, § 297 Anm. 4, Gaupp I S. 652, Wach, Vortr. S. 122ff., Troll, Versäumnißurth. S. 18ff., Barkhausen in Gruchot 27 ©. 804ff. A.M. H. Meyer das. 22 S. 509 u. in Busch, Z. IX S. 330, Fischer in Gruchot 24 S. 839 ff., der unter Beru­ fung auf die Natur des Beweisbeschlusses als einer jederzeit abänderlichen prozeßleitenden Ver­ fügung (vgl. § 325 Anm.) dem Prozeßgericht in einem unter § 335 Abs. 1 fallenden Termin die Befugniß beilegt, die Erledigung des Beweisbeschlusses auszusetzen (dies ist nur bei sach­ licher Unerheblichkeit zu rechtfertigen; so auch Bark hausen a. a. O. S. 805; vgl. Fitting § 62 N. 23, aber auch Seuffert § 335 Anm. 1), und vor allem Ende mann in Busch, Z. IV S. 191 ff., welcher besonders unter Bezugnahme auf Abs. 2 und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes die Anwendbarkeit des § 332 auf die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht über­ haupt bestreitet; Letzterem tritt Br et ln er in Bödiker, Mag. I S. 331 ff. bei.) Indessen kann die erschienene Partei auf die von ihr selbst vorgeschlagenen Zeugen, mögen sie erschienen sein oder nicht, verzichten (vgl. § 364) und sodann ein Versäumnißurtheil beantragen (vgl. Barkhausen a. a. O. S. 810, Fitting a. a. O., Troll a. a. O. S. 20). Bleiben beide Parteien aus, so ruht nach bewirkter Beweisaufnahme das Verfahren (§ 228 Anm. 2), falls der Termin sogleich gemäß § 335 zur Fortsetzung der mündlichen Ver­ handlung anstand. (So auch Wach, Vortr. S. 123.) Ein Gleiches gilt unter der letzteren Voraussetzung, wenn nach bewirkter Beweisaufnahme die erschienene Partei gegen die nicht er­ schienene weder ein Versäumnißurtheil noch Vertagung beantragt. 2) Selbstverständlich ist, daß die Beweisaufnahme nur stattfinden kann, wenn die nicht erschienene Partei von dem Termine, soweit es erforderlich (§§ 326—335 Anm. 2, 326 Anm. 2), benachrichtigt worden war (P. E. § 407; vgl. auch RG. VI S. 350, Fischer a. a. O. S. 845, Neubauer in Busch, Z. XVII S. 98). Die Benachrichtigung muß von der betreibenden Partei nachgewiesen werden. 3) „als dies nach Lage der Sache geschehen kann" — z. B. insofern nicht über die Identität der zu vernehmenden Zeugen oder des zu besichtigenden Gegenstandes Zweifel be­ stehen (Hann. PO. § 240), oder wenn die Beweisaufnahme von einer Handlung des Beweis­ führers, z. B. der Vorlegung einer Urkunde, Vorzeigung einer Sache, Anzeige einer Oertlichkeit, Ableistung eines Eides abhängig ist. Vgl. §§ 326—335 Anm. 1, 336 Anm. 2. „Soweit das Ausbleiben der Partei die Beweisaufnahme verhindert, z. B. wenn dieselbe von einer dem Beweisführer obliegenden Handlung abhängig ist, trifft die Partei die allgemeine Folge der Versäumung einer Prozeßhandlung (vgl. §§ 208, 209; Bayer. PO. Art. 340, Hann. Prot. VII S. 2114 ff., Nordd. Prot. S. 665)." (Mot.) Soweit das Ausbleiben einer Partei die Beweisaufnahme hindert, kann, falls Letztere vor dem Prozeßgerichte erfolgen sollte, gegen die nicht erschienene Partei sofort ein Versäumnißurtheil beantragt werden. Die mündliche Verhandlung tritt ein, sobald die Unmöglichkeit der Tt ruckmann u. Ko ch. Civilprozeßordnung. 6. Auft. 28

434

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. §§ 333,334.'

§ 333. Wird ein neuer Termin zur Beweisaufnahme oder zur Fortsetzung derselben erforderlich, so ist dieser Termin, auch wenn der Beweisführer oder beide Parteien in dem früheren Termine nicht erschienen waren, von Amtswegen zu bestimmen. N. Entw. § 485. Entw. I. 8 308. Entw. II. § 317. Entw. III. § 323. Mot. S. 245. Prot. S. 126.

§ 334. Entspricht die von einer ausländischen Behörde vorgenommene Be­ weisaufnahme den für das Prozeßgericht geltenden Gesetzen, so kann daraus, daß Beweisaufnahme festgestellt ist (vgl. jedoch § 430 Anm. 3). Wird aber die Beweisaufnahme durch einen ohne Mitwirkung der nicht erschienenen Partei noch zu beseitigenden Umstand ge­ hindert, z. B. durch die Nichtladung oder das Nichterscheinen eines Zeugen, so muß — abgesehen von einem zulässigen Verzicht der erschienenen Partei (vgl. Anm. 1) oder einer Verwirkung nach § 321 Anm. 2 — nach § 333 zunächst ein neuer Termin zur Beweisaufnahme anberaumt werden, ehe ein Antrag auf Erlaß des Versäumnißurtheils zulässig ist (vgl. auch Gaupp I S. 652, 655, Seuffert § 335 Anm. J, Wach, Vortr. S. 123, Birkmeyer, Z. Lehre v. Versäumnißurth. S. 49 ff., Troll a. a. O. A.M. Wilm. Levy § 335 Anm. 1, Barkhausen a. a. O. S. 808 ff., Fischer a. a. O. S. 853, Letzterer wiederum unter Berufung auf die Abänderlichkeit des Beweisbeschlusses). 4) Der Abs. 2 handelt von der „nachträglichen Beweisaufnahme" und der „Ver­ vollständigung der Beweisaufnahme" in den Fällen des Abs. 1 sowie von den Voraus­ setzungen, unter welchen eine purgatio morae eintritt. Ueber einen derartigen Antrag ist nach Lage der Sache vom Prozeßgerichte nach mündlicher Verhandlung — durch Zwischenurtheil oder im Endurtheil oder, wenn kein Streit über die Zulässigkeit des Antrags besteht, durch Beweisbeschluß — zu entscheiden, und zwar auch dann, wenn er noch vor Abgabe der Verhand­ lungen an das Prozeßgericht bei dem ersuchten oder beauftragten Richter gestellt wird (vgl. Wilm. Levy Anm. 3, Seuffert Anm. 3, Petersen §§ 332, 333 Nr. 2, A. Förster Anm. 4). Die Zuständigkeit des ersuchten oder beauftragten Richters hat mit der Beweisaufnahme bezw. der vergeblichen Anordnung derselben ihr Ende erreicht. (A.M. Hellmann II S. 195.) „bis zum Schlüsse — Urtheil ergeht" — vgl. § 251 Anm. 3. „wenn — nicht verzögert wird" — vgl. §§ 321, 329 Abs. 3, 339. „oder wenn die Partei--------erscheinen" — also beim Vorhandensein eines restitutionsähnlichen Grundes (vgl. § 209 Anm. 3). Beim Antrage auf Vervollständigung muß jedoch als zweite Voraussetzung hinzukommen, „daß------- veranlaßt sei". Wegen der Berufungsinstanz s. § 491.

§ 333. 1) „Wird — erforderlich" — z. B. falls der Termin zur Vernehmung aller Zeugen nicht ausreicht, oder die Zeugen nicht erschienen sind, in letzterem Falle auch dann, wenn beide Parteien gleichfalls entblieben sind; § 228 greift nicht Platz. sVgl. § 228 Anm. 4, Wach, Vortr. S. 123, Hellmann, Lehrb. S. 504, Gaupp 1 S. 653 u. A. A.M. Endemann in Busch, Z. IV S. 221, Fischer a. a. O. S. 852 ff. u. Br et ln er a. a. O. S. 333, welcher im Zusammenhang mit seiner einschränkenden Auffassung des § 332 (vgl. das. Anm. 2) den § 333 sogar ausschließlich auf die Beweisaufnahme vor dem beauftragten und ersuchten Richter bezieht.) 2) Ausgebliebene Parteien können durch Verkündung des Termins wirksam benachrichtigt werden (vgl. §§ 195, 283, §§ 326—335 Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 1 u. A.).

8 334. Der § 334 entspricht allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die örtliche Geltung der Prozeß­ gesetze, sowie dem Art. 85 Satz 2 d. WO. (vgl. auch Hann. PO. §231, Bayer. PO. Art. 335, Württ. PO. Art. 435, H. E. § 298, Wach I S. 220, 222, 252. A.M. v. Bar, Internat. Privatrecht, 2. Aust. S. 374). Die Gültigkeit der Beweisaufnahme, welche den betreffenden

Sechster Titel.

Beweis durch Augenschein.

§§ 335, 336.

43.5

sie nach den ausländischen Gesetzen mangelhaft ist, kein Einwand entnommen werden. N. Om«». § 489. Ent«. I. § 309. Ent«. 11. § 318. Ent«. III. § 324. Mot. S. 246. Prot. S. 126.

§ 835. Erfolgt die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgerichte, so ist der Termin, in welchem die Beweisaufnahme stattfindet, zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt. In dem Beweisbeschlusse, welcher anordnet, daß die Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen solle, kann zugleich der Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Prozeßgerichte bestimmt werden. Ist dies nicht geschehen, so wird nach Beendigung der Beweisaufnahme dieser Termin von Amtswegen bestimmt und den Parteien bekannt gemacht. N. Ent«. S 490. Ent«. I. § 310. Ent«. II. § 319. Ent«. III. z 326. Mot. @. 245. Prot. S. 126.

Sechster Titel, ßerotls durch Augenschein.

§ 336. Die Antretung des Beweises durch Augenschein erfolgt durch die Bezeichnung des Gegenstandes des Augenscheins und durch die Angabe der zu be­ weisenden Thatsachen. 9t. Ent«. § 494. «nt«. I. § 311. Kilt«. II. § 321. «nt«. III. § 326. Mot.

246, 247. Prot. @. 126.

ausländischen Gesetzen entspricht, wird stillschweigend vorausgesetzt (locus regit actum). Dies gilt insbesondere auch von dem Verfahren bei der Abnahme von Eiden [vgl. §§ 442—446, RG. II S. 371 (RG. XIII S. 400 handelt nicht von der Form der Beweisaufnahme). A.M. Planck I S. 19]. Ueber Beweisaufnahme inländischer Gerichte auf Ersuchen ausländischer Behörden s. Gaupp I S. 654 Nr. III, Wach I S. 253, Bülow im du. Arch. 64 S. 51 ff., desgl. aus Ersuchen von Privaten s. Allg. Verfügung d. Preuß. Justizmin. v. 24. Okt. 1884 (JMBl. S. 245).

§ 335. 1) Vgl. §§ 258 Anm. 1, 2, 295 Anm. 1, 296 Anm. 1. 2) Abs. 1: „stattfindet" — nicht nothwendig „stattgefunden hat"; denn sie kann z. B. durch Verzicht entbehrlich werden (vgl. Endemann a. a. O. S. 237 ff., Barkhausen a. a. O. S. 810 ff. A M. Hellmann, Lehrb. S. 619). Wegen der Fälle des Nichterscheinens vgl. § 332 Anm. 1—3. — Ob die Beweisaufnahme nicht an der Gerichtsstelle stattsindet, ist un­ erheblich (Wilm. Levy Anm. 1 a. E., G aupp I S. 387. A.M. Kleiner II S. 273 f.). „ist — bestimmt" — mithin kraft Gesetzes; einer besonderen richterlichen Be­ stimmung bedarf es nicht. Dagegen ist es zulässig, den Termin (z. B. wegen Weitläufigkeit der Beweisaufnahme) ausdrücklich auf die Beweisaufnahme oder auf einen Theil derselben zu beschränken (Wach, Vortr. S. 122, Hellmann, Lehrb. S. 507 f., Planck II § 109 N. 51. A.M. Fischer a. a. O. S. 844, Seuffert Anm. 1, Gaupp I S. 655. Zweifelhaft Bark­ hausen a. a. O. S. 812). „zugleich" — Der Ausdruck weist darauf hin, daß die Beweisaufnahme nicht einen Theil der mündlichen Verhandlung bildet. 3) Abs. 2: „kann" — d. h. es hängt von dem Ermessendes Vorsitzenden des Prozeßgerichts ab, welches namentlich zu berücksichtigen haben wird, ob sich der Zeitpunkt der Erledigung der Beweisaufnahme im Voraus mit einiger Sicherheit überblicken läßt (§ 127). „wird bestimmt" — d. h. von dem Vorsitzenden des Prozeßgerichts. 4) „bekannt gemacht" — Die Zustellung des Beschlusses (s. 8 294 Abs. 3) enthält sach­ lich eine Ladung; vgl. § 191 Anm. 2c a. E., § 331 Anm. 3.

§ 336. Literatur: v. Wev eld, Z. Lehre v. Augenschein im CP. München 1877, Köhler in Kril. Bierteljahrsschr. XXII S. 471 ff., v. Canstein in Busch, Z. II S. 326 ff., Langenbeck das. 28*

436

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 336.

S. 485 ff., H eusler im civ. Arch. 62 S. 237 ff., 258 ff., Wendl das. 63 S. 265 ff., 305 ff., John, Komm. z. StPO. I S. 494 ff., Wach, Vorlr. S. 56 ff., 149 ff., Hellmann, Lehrb. S. 554 ff., Planck II § 121, Fitting § 63. 1) „Die Antretung des Beweises. durch Augenschein" — vgl. § 255. Der Augenschein, d. h. die unmittelbare richterliche Wahrnehmung streitiger Thatsachen (nicht gerade des Streitgegenstandes), ist hiermit unter die Beweismittel eingereiht (so auch Wendt a. a. O., Planck II S. 262), während ihn z. B. Wetzell S. 188 Anm. 1 (s. auch Endemann II S. 198, He'usler a. a. O., Gaupp I S. 656 u. A.), wie Notorietät, Vermuthungen und ge­ richtliches Geständniß, als eines derjenigen Mittel bezeichnet, welche den Beweis unnöthig machen. ^Hauptsächlich gegen Heusler wendet sich Wach, Vorlr. S. 149 ff., welcher das „Augenscheinsobjekt", nicht den Augenschein als Beweismittel ansieht (s. auch dens. in Krit. Vierteljahrsschr. XIV S. 335 u. Köhler das. XXII S. 471 ff., John, Hellmann a. a. O., D. Kries in d. Zeitschr. f. d. ges. Str.RWiss. VI S. 145 ff.). Für Heusler (wenngleich aus anderen Gründen) s. v. Canstein a. a. £).] Wegen der Einnahme des Augenscheins von Amts wegen vgl. § 135. Wann das Gericht diese anzuordnen, wann es dagegen Beweisantretung nach § 336 abzuwarten habe, ist freilich nicht gesagt (was Heusler a. a. O. S. 266 ff. rügt). Dasselbe ist daher in jener Be­ ziehung nur durch die Verhandlungsmaxime beschränkt. In der Regel wird es von der Besugniß des § 135 nur dann Gebrauch machen, wenn ihm nach seiner Meinung das richtige Verständniß unbestrittener oder bewiesener Thatsachen ohne Einnahme des Augenscheins mangelt (s. g. Jnsormationsaugenschein). Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, daß dieser Weg von Amiswegen zur Aufklärung streitiger Thatsachen ergriffen wird. Hierin eben äußert sich die eigenthümliche Stellung des Richters gegenüber dem vorliegenden Beweismittel. (Vgl. besonders Wen dt a. a. O., Wilm. Levy Anm. 1, Seuffcrt § 135 Anm. 1, Hellmann, Lehrb. S. 556. A.M. Langenbeck a. a. O.) Der Augenschein erstreckt sich auf alle Wahrnehmungen der fünf äußeren Sinne (Sarwey I S. 491, Fitting S. 382 u. A. Vgl. auch v. Weveld S. 44—46.). Nicht bloß Sachen jeder Art, sondern auch Menschen können Gegenstand des Augenscheins sein (vgl. v. Kries S. 147, Planck II § 106 N. 42). Rücksichtlich der Vorlegung und Einsicht von Urkunden gelten die besonderen Vorschriften des Tit. 9. Ueber Einnahme des Augenscheins zur Sicherung des Beweises s. § 447. 2) Die Frage, ob der Besitzer der Sache die Einnahme des Augenscheins zu gestatten habe, hatten die Mot. ungeachtet der von Wach in Krit. Vierteljahrsschrift XV S. 346 f., hervorgehobenen Bedenken (s. auch v. Weveld a. a. O.) einer besonderen Regelung nicht für bedürftig. Sie bemerken: „Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Parteien verpflichtet sind, den ihrer Verfügungsgewalt unterliegenden Streitgegenstand dem Richter zum Zwecke der Augenscheinseinnahme vorzuweisen (vgl. Demelius, die Exhibitionspflicht S. 262, 263); befindet sich aber die in Augenschein zu nehmende Sache in dem Besitze eines Dritten, so wird dieser von den Parteien eventuell im Wege der Klage zur Gestattung der Augenscheinseinnahme anzuhalten sein, sofern ein hierauf gerichteter Anspruch be­ gründet ist." Gerade diese Stelle der Mot. veranlaßte in der RTK. die Stellung des Antrags, in dem § 336 auszusprechen, daß die civilrechtlichen Vorschriften über die Verpflichtung zum Vorzeigen einer Sache durch den § 336 nicht berührt würden. Nachdem jedoch seitens des Regierungs-Vertreters erwidert worden war, daß es ferngelegen habe, in die materiell-rechtlichen Bestimmungen über die Exhibition einzugreifen, wurde der Antrag zurückgezogen. (Vgl. über das materielle Recht Windscheid, Pand. II § 474 u. zur Praxis des gem. Rechts Planck II S. 264, OLG.

Sechster Titel.

Beweis durch Augenschein.

§ 337.

437

§ 337. Das Prozeßgericht kann anordnen, daß bei der Einnahme des Augen­ scheins ein oder mehrere Sachverständige zuzuziehen seien. Es kann einem Mitglieds des Prozeßgerichls oder einem anderen Gerichte die Einnahme des Augenscheins übertragen, auch die Ernennung der zuzuziehenden Sachverständigen überlassen. N. Entw. 8 495. Entw. I § 321. Entw. II. 8 322. Entw. III. 8 327. Mot. S. 246, 247. Prot. S. 126.

Hamburg in S. A. 46 Nr. 193; Förster (Eccius) III § 180, Dernburg II § 235 Anm. 9; Entw. I e. b. GB. §§ 774—776.) [6. ferner Köhler, Prozeßrecht!. Forschungen. Abhandl. 3.] Eine aus dem Justizhoheitsrecht entspringende, der Zeugnißpflicht analoge allgemeine Ver­ pflichtung Dritter zur Vorweisung behufs Einnahme des Augenscheins (auf Antrag oder von Amiswegen) besteht nicht. Es kommt vielmehr lediglich das bürgerliche Recht zur Anwendung; die Verurtheilung des Dritten zur Vorweisung kann nur in einem besonderen Prozesse erstritten werden (Wilm. Levy Anm. 3, Petersen §§ 336, 337 Nr. 3, Endemann II S. J99, Fitting S. 384, Planck II S. 262 ff., v. Weveld S. 45 ff., 63, Köhler, Patentrecht S. 493 u. A. Auf richterliches Ermessen verweist Siebenhaar S. 375, auf entsprechende Anwendung des § 394 Uebel I S. 316 Anm. 5). Daß der Beweisführer, wenn er im Besitze ist, die Sache bei Verlust des Beweis­ mittels vorlegen, bezw. wenn die Sache zur Vorlegung nicht geeignet ist, die Augenscheins­ einnahme gestatten muß, und die Ladung (§ 332) insofern hier peremtorisch wirkt, wenngleich direkter Zwang ausgeschlossen ist, versteht sich nach den §§ 208, 209 von selbst. Vgl. § 332 Anm. 3. (Vgl. Sarwey I S. 492, Gaupp I S. 657f., Fitting a. a. O. u. A. A.M. Endemann a. a. O.) Befindet sich die Sache im Besitz des Gegners, so finden hinsichtlich des Verfahrens die §§ 133—135 entsprechende Anwendung (v. W eveld a. a. O. S. 43 u. A.). Zwangsmaßregeln sind also — abgesehen davon, daß der Beweisführer nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts in einem besonderen Prozeß auf Gestattung der Augenscheinseinnahme Klage erheben kann; vgl. auch § 321 — nicht gestattet, die Folgen der Weigerung indessen nach § 259 frei zu würdigen. (S. auch Seuffert, Petersen, Fitting, Gaupp, Sarwey, Wilm. Levy a. a. O. u. A.; ROHG. 20 S. 62, 23 S. 308; Planck II S. 265 hält eine entsprechende Anwendung der §§ 387—392 für zulässig.) Wer die Identität des vorgezeigten Gegenstandes zu beweisen hat, richtet sich nach den allgemeinen Regeln über die Beweislast. (Vgl. Gaupp I S. 658.) Einen Streit über dieselbe kann nur das Prozeß ge richt entscheiden. 3) Wegen des Kostenvorschusses s. GKG. §§ 79, 81 Abs. 1.

8 337. Vgl. § 135 Abs. 1 u. 2. 1) Abs. 1: Die Besichtigung nur durch Sachverständige ist kein Augenschein (A.M. an­ scheinend Wen dt a. a. O. S. 306f.). Dagegen verändert die bloße Zuziehung von Sach­ verständigen nicht den Karakter des Augenscheins (A.M. v. Canstein a. a. O. S. 330). 2) Abs. 2 enthält eine Modifikation der Regel des § 320 Abs. 1 Satz 1. „kann" — z. B. wenn die Einnahme des Augenscheins nicht an der Gerichtsstelle erfolgen kann (§ 196 Abs. 1). Die fakultative Fassung soll ausdrücken, daß der Augenscheinsbeweis auch durch das ganze Prozeßgericht erhoben werden kann. Wegen der Einnahme des Augen­ scheins außerhalb des Gerichtsbezirks s. GVG. § 167. Wegen der Ernennung der Sach­ verständigen vgl. §§ 369, 370. „anderen Gerichte" — vgl. § 320 Anm. 2. 3) Andere Vorschriften über das Verfahren sind, abgesehen von der Feststellung des Er­ gebnisses zu Protokoll (§ 146 Nr. 4), nicht gegeben. Es kommen also lediglich die allgemeinen Bestimmungen der §§ 321 ff. zur Anwendung.

438 Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 33^. Siebenter Titel. JeugenbewelK.

§ 338. Die Antretung des Zeugenbeweises erfolgt durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Thatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. N. Entw. § 497. Entw. I. 8 313. Entw. II § 323. Entw. III. § 328. Mot. S.217. Prot. S. 126.

Siebenter Titel. Literatur: Planck II §§ 110—112, Fitting § 64, Hellmann, Lehrb. §§ 82—84, Pfizer in Busch, Z. XIV S. 293 ff.; vgl. auch Neubauer in Busch, Z. XIX S. 136 ff., des. 148 ff. 1) Die Begriffe „Zeugenbeweis, Zeuge, Zeugniß" sind als allgemein bekannte in der CPO. nicht ausdrücklich definirt. Das Karakteristische dieses Beweismittels besteht in der Mittheilung eigener Wahrnehmungen über streitige Thatsachen seitens dritter, nicht als Partei betheitigter Personen (vgl. §§ 338, 357, 358 Nr. 4, 361, 379; Metzelt S. 206, Planck II S. 193), womit freilich testes de auditu nicht unbedingt ausgeschlossen sind (s. Heusler im.civ. Arch. 62 S. 278 ff., v. Canstein in Busch, Z. II S. 333 ff. Von einer willkürlichen, dem Grundsätze der freien Beweiswürdigung und insbesondere dem § 358 Ziff. 1 widersprechenden Beschränkung des Begriffs geht Pfizer a. a. O. aus). Eine Partei kann daher in demselben Prozesse nicht zugleich Zeuge sein, auch nicht in den vom gesetzlichen Vertreter geführten Prozessen (z. B. nach RG. XII S. 188 nicht der Haussohn in dem vom Hausvater geführten Adventizien-Prozeß; s. ferner NG. in Gruchot 29 S. 1080) oder bezüglich der besonderen, für einen anderen Streitgenossen allein in Betracht kommenden Thatsachen (vgl. RG. XXIX S. 370, OLG. Celle in S. A. 48 Nr. 134 — den daraus entstehenden Nachtheilen für die Streitgenossen kann durch §§ 136, 437, 438 svgl. auch § 259] abgeholfen werden; OLG. Celle a. a. £).), ebensowenig der gesetzliche Vertreter einer Partei in demselben Prozesse, z. B. Vormund, Vorsteher einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft (vgl. in letzterer Hinsicht §§ 435, 436, RG. II S. 400 u. in S. A. 37 Nr. 163, 40 Nr. 252, in Gruchot 31 S. 446, Wach I S. 593, Busch, Z. III S. 494 ff., V S. 94 f.) oder der vertretungs­ berechtigte Gesellschafter oder Liquidator bei der offenen Handelsgesellschaft (vgl. §§ 59 Anm. 2, 358 Anm. 5, 436 Anm. 1). Anders derProzeßbevollmächtigte (f. § 350 Anm. 2) und die ausgeschiedene Partei (vgl. z. B. §§ 72, 73 Abs. 4, 236 Abs. 2) sowie der aus­ geschiedene gesetzliche Vertreter. (So auch RG. XIII S. 416, XXIX S. 370, ob.LG. f. Bayern in S. A. 38 Nr. 352.) Die ausgeschiedene Partei kann sogar, auch wenn sie noch jetzt beim Ausgange des Prozesses betheiligt ist, nachträglich beeidigt werden (RG. XIII S. 416). Umgekehrt kann auch die früher rechtsgültig abgegebene Zeugenaussage einer Person, welche später durch Rechtsnachfolge Partei im Prozesse wird, berücksichtigt werden (RG. XXIX S. 343). Sehr streitig ist die Zulässigkeil des Zeugnisses des Gemeinschuldners in Prozessen des Konkursverwalters. Sie hängt davon ab, ob Letzterer als gesetzlicher Vertreter des Gemein­ schuldners anzusehen ist. Da dies nach dem in § 51 Anm. 5 Gesagten nicht der Fall ist, so kann der Gemeinschuldner als Zeuge vernommen werden (RG. XXIX S. 29, in I. W. 1891 S. 179 u. öfter; vgl. § 51 a. a. O.; s. aber auch RG. II S. 24, in I. W. 1885 S. 212 ff.). Nebenintervenienten, welche nach § 66 als Streitgenossen gelten, können nicht Zeugen fern (RG. XX S. 393, in S. A. 46 Nr. 289 u. in I. W. 1891 S. 129, Seuffert Anm. 1 zu Tit. 7, Petersen § 358 Nr. 4, Wilm. Levy § 358 Anm. 4, Gaupp I S. 660). Andere Nebenintervenienten können als Zeugen vernommen werden, desgleichen Litisdenunziaten und Nominalen, fallen aber unter § 358 Nr. 4. (So auch RG. XX S. 390, Wilm. Levy, Gaupp, Seuffert a. a. O. A.M. Francke, Nebenparteien S. 109, Hellmann, Lehrb. S. 509, welche dieselben überhaupt nicht als Zeugen zulassen wollen.) Vgl. § 358 Anm. 5. Der Hauptintervenient (§ 61) kann in dem Prozesse, in welchem er intervenirt, Zeuge sein.

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 336.

439

Die Vernehmung eines unzulässigen Zeugen kann nicht nach § 267 geheilt werden, weil es sich um eine die rechtlichen Grundlagen des Civilprozesses betreffende Vorschrift handelt (RG. in I. W. 1891 S. 130). Ueber den Unterschied der Zeugen von Sachverständigen s. d. allg. Bem. z. Tit. 8. 2) Von der Beweisantretung durch Zeugen handeln die §§ 338, 339, von der Ladung der Zeugen §§ 342—344, von den Folgen des Ausbleibens §§ 345, 346, von der Ver­ weigerung des Zeugnisses §§ 348—355, von der Beeidigung bezw. unbeeidigten Ver­ nehmung §§ 356—358. Die Vernehmung selbst betreffen die §§ 340, 344, 359—363. Wegen der Ergänzung des Zeugenbeweises durch richterlichen Eid s. §§ 437 ff. 3) In Preußen finden nach § 4 d. AG. z. CPO. die §§ 341, 325, 347—350, 355—357, 359- 363 in bürgerlichen Rechtsstreitigkeilen, welche zu der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit nicht gehören, entsprechende Anwendung. 8 338. 1) „Die Antretung------- erfolgt" — Der Satz enthält die Anwendung einer all­ gemeinen Regel (vgl. § 255), keine Ausnahmevorschrift (wie v. Canstein a. a. O. S. 353 meint). Allerdings kennt die CPO. keine nur informatorische Vernehmung von Zeugen von Amts wegen; damit würde die Verhandlungsmaxime (s. § 130 Anm. 2) völlig verlassen sein. Wie die Zulässigkeit des Zeugenbeweises an sich (§ 255 Anm. 7), so unterliegt auch die Zahl der zu vernehmenden Zeugen keiner Beschränkung. Die mehr oder weniger willkür­ lichen Bestimmungen in C. de proc. art. 281, Preuß. AGO. I 23 § 23 Nr. 4, P. E. § 481 re. sind durch den allgemeinen Grundsatz des § 87 Abs. 1 ersetzt. 2) „durch — soll" — vgl. Z 324 Nr. 1. § 338 Beseitigt die obligatorischen Beweis­ artikel und Fragestücke des gemeinrechtlichen Prozesses und entspricht den Vorschriften der Preuß. AGO. I 10 § 169, des C. de proc. art. 252 und der bedeutendsten Entwürfe. Die selbstverständliche Bestimmung des N. E. § 497, daß die Thatsachen so bestimmt zu be­ zeichnen seien, daß die Vernehmung der Zeugen sachgemäß bewirkt werden könne und der Gegner in den Stand gesetzt werde, seine Rechte wahrzunehmen, ist nach den Mot. als praktisch werthlos nicht aufgenommen. Das erforderliche Maß der Spezialisirung des Beweissatzes bestimmt sich nach der Beschaffenheit des Falles (vgl. RG. in S. A. 47 Nr. 71, ob.LG. f. Bayern das. Nr. 232, Neubauer in Busch, Z. XIX S. 136ff.). Allgemein verständliche Rechtsbegrisfe (z. B. Kauf, Darlehn, Kenntniß von der Zahlungseinstellung u. s. w.) brauchen in der Regel nicht aufgelöst zu werden (s. RG. in I. W. 1889 S. 324; vgl. auch Stein, Priv. Wissen S. 9ff., Seuffert Anm. 2, A. Förster Anm. 2b u. A.; vgl. 261—263 Anm. 2, 410 Anm. 1, jedoch auch RG. in I. W. 1893 S. 560). Zur Benennung gehört auch die Angabe des Wohnorts (vgl. § 342). — Der Antrag auf Vernehmung von Zeugen zu dem Zwecke, die Thatsachen zu ermitteln, die zur Begründung der Klage oder Einrede dienen sollen, ist keine Beweisantretung (RG. in I. W. 1892 S. 13). 3) Der in der Praxis nicht selten vorkommende Antrag auf Einholung einer (amtlichen) Auskunft öffentlicher Behörden als Beweismittel ist der CPO. nicht bekannt und fällt jedenfalls nicht unter die Regeln des Zeugenbeweises. Das Gericht wird daher die beantragte Einholung ablehnen dürfen. Vgl. § 397 Abs. 2. Wird die Auskunft eingeholt und ertheilt, so fällt sie unter die Regeln des Urkundenbeweises. Die Verpstichtung der Behörde zur Aus­ kunftserlheilung richtet sich nach den betreffenden Landesgesetzen oder Verwaltungsvorschriften. Vgl. jedoch GVG. § 157. (Vgl. Endemann II S. 201, Gaupp I S. 660 a. E., Wilm. Levh Anm. 1.)

440

Zweites Buch. Vers, in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 339.

§ 339. Die Vernehmung neuer Zeugen, welche nach Erlassung eines Be­ weisbeschlusses bezüglich der in demselben bezeichneten streitigen Thatsachen benannt werden, ist auf Antrag zurückzuweisen, wenn durch die Vernehmung die Erledi­ gung des Rechtsstreits verzögert werden würde und das Gericht die Ueberzeugung gewinnt, daß die Partei in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit die Zeugen nicht früher benannt hat. N. Entw. - Entw. I. - Entw. II. § 324. Entw. III. 8 829. Mot. S. 248. Prot. S. 126.

§ 839. 1) Unter denselben Voraussetzungen, unter denen das Gericht von dem Beklagten nachträglich vorgebrachte Vertheidigungsmittel jeder Art zurückweisen darf (§ 25‘2), läßt die CPO. den Ausschluß — jedoch nicht bloß gegenüber dem Beklagten, sondern auch gegenüber dem Kläger — bezüglich verspäteter Zeugen und in Händen Dritter befindlicher Urkunden eintreten (§§ 339, 367, 398). Nur in diesem Umfange ist die Regel des § 256 Abs. 1 (abgesehen von Abs. 2 das.) eingeschränkt, da von anderen Beweismitteln eine erheb­ liche Prozeßverschleppung nicht zu besorgen ist. Hinsichtlich der Sachverständigen (aus welche § 339 nach § 367 nicht unanwendbar sein würde) wird die Anwendung des § 339 (s. Sarwey I S. 494, Hellmann II S. 258 u. Lehrb. S. 566, RG VII S. 392 a. E.) durch die Offizialstellung des Richters in der Regel erübrigt werden (s. d. allg. Bem. z. Tlt. 8, § M67 Anm. 1, Seuffert § 367 Anm. 7, Obermeyer, die Lehre v. d. Sachverst. im CP. München 1880 S. 95 Anm. 15). Ueberhaupt kommt § 339 bei den von Amtswegen zu berück­ sichtigenden Punkten nicht oder doch nicht unbedingt zur Anwendung (vgl. Birkmeyer in Busch, Z. VII S. 448 f.). 2) „neuer" — Den Gegensatz bilden die bereits für denselben Beweissatz von einer der Parteien (dem Beweisführer oder dessen Gegner) benannten Zeugen. Vgl. § 364 Anm. 1. Neu sind also auch nicht solche Zeugen, welche zwar von der Partei bereits früher benannt, aber in dem Beweisbeschlusse nicht berücksichtigt worden sind. „Für den Begriff der Neuheit des Zeugen ist es entscheidend, ob derselbe für den betreffenden Beweissatz schon früher benannt war, während es außer Betracht bleibt, ob der Zeuge über andere streitige Thatsachen im Prozesse schon vorgeschlagen und vernommen ist oder nicht." (Mot.) „bezüglich der in demselben bezeichneten streitigen Thatsachen" — Die Zurückweisung ist also namentlich unanwendbar auf den Zeugenbeweis, welcher zum Beweise von Thatsachen angetreten wird, die erst nach Erlassung des Beweisbeschlusfes geltend gemacht worden sind. 3) „wenn — verzögert werden würde" — Die Vorschrift bleibt also außer An­ wendung : „wenn der Beweissührer im Verhandlungstermine die neuen Zeugen zur Vernehmung gestellt oder wenn aus anderen Gründen in jenem Termine das Urtheil nicht erlassen, sondern weitere Beweisaufnahme beschlossen werden müßte, welche in gleichem Maße wie die fragliche Zeugenvernehmung das Verfahren verzögert." (Mot.)

4) Fehlt eines der Erfordernisse — der Antrag des Prozeßgegners, die Verzögerung oder die Ueberzeugung von dem dolus oder der culpa lata des Beweisführers — so kann die Ver­ nehmung der neuen Zeugen nicht abgelehnt werden. Andererseits ist beim Zusammentreffen aller Erfordernisse die Zurückweisung nicht wie in § 252 fakultativ, sondern der Prozeßgegner hat ein Recht darauf („ist auf Antrag zurückzuweisen"). Ueber den Antrag entscheidet das Prvzeßgericht (nicht der beauftragte oder ersuchte Richter) nach mündlicher Verhandlung durch Zwischenurtheil (s. § 275 Anm. 1 b) oder in den Gründen des Endurtheils (Seuffert Anm. 1, Sarwey I S. 495, Gaupp I S. 663,

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 340.

441

§ 340. Die Aufnahme des Zeugenbeweises kann einem Mitglieds des Prozeß­ gerichts oder tinem anderen Gericht übertragen werden: 1. wenn zur Ausmittelung der Wahrheit die Vernehmung des Zeugen an Ort und Stelle dienlich erscheint; 2. wenn die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht erheblichen Schwierig­ keiten unterliegen würde; 3. wenn der Zeuge verhindert ist, vor dem Prozeßgerichte zu erscheinen; 4. wenn der Zeuge in großer Entfernung von dein Sitze des Prozeßgerichts

sich aufhält. Die Landesherren imb die Mitglieder der landesherrlichen Familien sowie die Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern sind durch ein Mitglied des Prozeßgerichts oder durch ein anderes Gericht in ihrer Wohnung zu vernehmen. N. Entw. §§ 499. Entw. I. § 314. Entw. II. § 325. Entw. III. § 330. S. 126, 668 -675, 680.

Mot. S. 248, 249.

Prot.

Petersen §§ 338, 339 Nr. 2d u. in Busch, Z. IV S. 318 it. 21. A.M. Endemann a. a. O., welcher die Zurückweisung durch Beschluß geschehen läßt). Ist ein Antrag auf Zurückweisung nicht gestellt, so erfolgt die Anordnung durch Beweisbeschluß. 5) § 339 gilt (gemäß der Regel des § 485) auch in der Berufungsinstanz (anders § 252; vgl. das. Anm. 5 u. § 502). Die in erster Instanz aus Grund desselben zurückgewiesenen Beweismittel können dagegen in der Berufungsinstanz nachgeholt werden.

8 340. 1) Die Regel des § 320 gilt auch für den Zeugenbeweis. Sie ist gerade hier mit Rücksicht auf § 259 von besonderer Bedeutung und wird in ihrer Anwendung durch § 147 sehr erleichtert. — Wegen der Form der Uebertragung s. § 320 Anm. 1. 2) Abs. 1: Nur wenn eine der in Nr. 1—4 gestatteten Ausnahmen klar vorliegt, ist von der fraglichen Befugniß Gebrauch zu machen. (Anders § 337 Abs. 2.) Der Beschluß ist nicht anfechtbar (vgl. § 320 Anm. 3). Eine andere Ausnahme s. in § 347. „anderen Gericht" — vgl. § 320 Anm. 2. Wegen der Kosten s. GVG. §§ 165, 166, GKG. § 79 Nr. 5. 3) Nr. 1: Auch in diesem Falle behält das „kann" seine Bedeutung. Es ist nicht aus­ geschlossen, daß das ganze Prozeßgericht sich zur Vernehmung der Zeugen an Ort und Stelle begiebt. Vgl. §§ 196 Abs. 1, 337 Anm. 2. 4) Nr. 2: „erheblichen Schwierigkeiten" — d. h. solchen, welche in der Art der Beweisaufnahme liegen, z. B. wenn eine sehr umständliche und zeitraubende Vorlegung von Akten, Büchern rc. zur Information des Zeugen erforderlich ist, nicht solchen, welche durch die Geschäftsverhältnisse des Gerichts bedingt werden (wie in der RTK. festgestellt ist — Prot. S. 126; anders die (oft nothgedrungene) Praxis vieler Gerichte (vgl. Wach, D. civilproz. Enquete S. 121 ff.)]. Auch ist es absichtlich vermieden, ausdrücklich als erhebliche Schwierigkeit (mit dem H. E. und N. E.) den Umstand hervorzuheben, daß die unmittelbare Beweisaufnahme (z. B. wegen großer Anzahl der Zeugen) sehr zeitraubend sein würde. Es kommt auf das sachlich begründete Ermessen des Gerichts an. Bloße Unzweckmäßigkeil genügt nicht. (Der Antrag, die Nr. 2 zu fassen: „wenn die Beweisaufnahme wegen ihrer Beschaffenheit nicht zweck­ mäßig vor dem Prozeßgerichte zu erheben sein würde", ist von der RTK. bei Revision der zweiten Lesung abgelehnt.) 5) Nr. 3: „verhindert" — z. B. durch Krankheit, Gebrechlichkeit. Vorübergehende Verhinderung, z. B. durch Amisgeschäfte, ist in der Regel kein ausreichender Grund. Vgl. § 196 Abs. 1. Daß Amtsgeschäfte, abgesehen von § 347, überhaupt kein Hinderungsgrund seien (Sarwey I S. 497), geht zu weit. (Vgl. Gaupp I S. 664 u. A.)

442

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 341.

§ 841. Oeffentliche Beamte, auch wenn sie nicht mehr im Dienste sind, dürfen über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit be­ zieht, als Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde oder der ihnen zuletzt vorgesetzt gewesenen Dienstbehörde vernommen werden. Für den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaisers, für die Minister der Ge­ nehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Senate der freien Hansestädte der Genehmigung des Senats. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn die Ablegung des Zeuguisies dem Wohle des Reichs oder eines Bundesstaates Nachtheil bereiten würde. Die Genehmigung ist durch das Prozeßgericht einzuholen und dem Zeugen bekannt zu machen. N. Entw. - Entw. I. 11. II. -

Gatts». III. - Mot. - Prot. S. 127, 128, 671, 675-678.

6) Nr. 4: „in großer Entfernung" — Welche Entfernung als groß anzusehen, unterliegt (wie nach C. de proc. art. 255, 1035) dem Ermessen des Gerichts im einzelnen Falle; es wird dabei hauptsächlich auch das Verhältniß der Reisekosten des Zeugen zu dem Werthe des Gegenstandes seiner Aussage zu beachten sein. 7) Abs. 2: vgl. § 196 Abs. 2, EG. z. CPO. § 5.

8 341. 1) Die Bestimmung ist bei Revision der zweiten Lesung von der RTK. auf den Vorschlag der Regierungen eingeschaltet, um das öffentliche Interesse an der Wahrung des Amtsgeheim­ nisses besser zu schützen, als dies durch § 348 Nr. 5 oder durch dienst-pragmatische Bestimmungen, wie § 12 Abs. 2 d. RBeamten-Ges. v. 31. März 1873, geschehen kann, und um gleichzeitig die Uebereinstimmung mit StPO. § 53 herzustellen. „Oöffentliche Beamte" — ist gleichbedeutend mit „Beamte" in §§ 715 Nr. 6, 7, 749 Nr. 8, 791. Vgl. § 715 Anm. 7 u. EG. z. GVG. § 11 Anm. 5. Indessen sind die in § 715 besonders genannten Notare hier milbegriffen, sofern sie, wie in Preußen, nach Landes­ recht Beamte sind (vgl. StGB. § 359, Wilm. Levy Anm. 1, Petersen § 341 Nr. 2, Gaupp 1 S. 666, Seusfert Anm. 2). Auf eine weitere Ausdehnung des Begriffs (vgl. Endemann II S. 208 f.) ist aus § 350 Abs. 2 nicht zu schließen. Rechtsanwälte sind nach der RAO. nicht Beamte. Enger ist der Begriff „Staatsbeamte" in GVG. § 70 Abs. 3. — Nach § 6 der Schiedsmannsordn. v. 29. März 1879 (GS. S. 321) gehören in Preußen auch die Schiedsmänner hierher svgl. auch Turn au, Die Justizverfass, in Preußen II S. 392 Anm. 3 u. Allg. Vers. d. Just.-M. v. 1. Nov. 1880 (JMBl. S. 248)].

2) Abs. 2: Die Prüfung der Frage, ob Gründe zur Versagung der Genehmigung vor­ liegen, gebührt der Natur der Sache nach dem Kaiser, dem Landesherrn, dem Senat oder der vorgesetzten Dienstbehörde, nicht dem Gerichte (vgl. Entsch. d. NG. in Str. S. VII S. 74; Rechtspr. d. RG in Str. S. IX. S. 123). Ebendeshalb braucht dem Prozeßgerichte nicht mitgetheilt zu werden, worin der zu besorgende Nachtheil besteht. Die Vorschrift ist nicht auf den Fall aus­ zudehnen, wenn in einem Prozesse, in welchem der Fiskus selbst Partei ist, der letztere durch die Aussage des Beamten benachtheiligt werden würde — wie in der RTK. von allen Seiten anerkannt ist. 3) Abs. 3: „durch das Prozeßgericht" — Die Einholung erfolgt von Amtswegen ohne Rücksicht darauf, ob der Beamte das Zeugniß verweigert. Ist das Gericht nicht in der Lage, zu beurtheilen, ob die fraglichen Umstände unter das Gebot der Amtsverschwiegenheit fallen, so wird es am sichersten Auskunft durch Anfrage bei der vorgesetzten Dienstbehörde er­ langen (vgl. für Preußen Allg. Verf. d. IM. v. 24. Mai 1886 — JMBl. S. 137). Der Beamte kann selbstverständlich den Mangel der Genehmigung in dem geordneten Wege (§§ 351 ff.)

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 342.

443

§ 342. Die Ladung der Zeugen ist von dem Gerichtsschreiber unter Bezug­ nahme auf den Beweisbeschluß auszufertigen und von Amtswegen zuzustellen. Die Ladung muß enthalten: 1. die Bezeichnung der Parteien; 2. die Thatsachen, über welche die Vernehmung erfolgen soll; 3. die Anweisung, zur Ablegung des Zeugniffes bei Vermeidung der durch das Gesetz angedrohten Strafen in dem nach Zeit und Ort zu bezeichnen­ den Termine zu erscheinen. N. Entw. 88 500, 501. S. 126.

Entw. I. 8 315.

Entw. II. 8 326

Entw. III. § 331.

Mot. S. 249.

Prot.

gellend machen (vgl. § 348 Anm. 2). Ob das Prozeßgericht sich in dem Falle Abs. 1 Satz 2 unmittelbar oder durch seine vorgesetzte Dienstbehörde an den Kaiser oder den Landesherrn bezm. Senat zu wenden hat, ist Sache der Pragmatik des Justizdienstes. Wird die Genehmigung er­ theilt, so können noch § 348 Nr. 5 und das. Abs. 3 zur Anwendung kommen. Dem Prozeß­ gerichte steht im Falle der Versagung eine Beschwerde nicht zu; ob der Partei, hängt von dem Staatsrecht des Staates ab, dem die Dienstbehörde angehört (Petersen § 341 Nr. 1, Seusfert Anm. 3, Gaupp I S. 665 n. A. A.M. Sarwey I S. 498, welcher umgekehrt dem Prozeßgericht ein Beschwerderecht giebt). 4) Ueber die Vergütung für öffentliche Beamte s. GO. f. Z. u. S. § 14.

§ 342. 1) Abs. 1 entspricht dem für die Beweisaufnahme gellenden Grundsätze des OffizialBetriebs, namentlich auch hinsichtlich der Zustellung einer Ausfertigung (f. § 156 Anm. 2, Fitting 8 64 N. 7 u. in Busch, Z. X S. 9 Anm. 28; vgl. auch §§ 191 Anm. 2, 354 Abs 2). Der Gerichtsschreiber des ladenden Gerichts, nicht nothwendig des Prozeßgerichts (A.M. nur Uebel I S. 321), übergiebt die von chm ausgefertigte Ladung einem Gerichtsvollzieher oder in entsprechender Anwendung des § 179 der Post (Seuffert § 179 Anm. 3, Sarwey I S. 499, Endemann II S. 210, Gaupp I S. 666, A. Förster Anm. 1. A.M. Petersen §§ 342—344 Nr. 2, Hellmann II S. 225, Wilm. Levy Anm. 1, welche die unmittelbare Beauftragung der Post durch den Gerichtsschreiber nicht für zulässig hallen) zur Zustellung (§§ 154, 155, 175—179). Oeffentliche Zustellung ist unstalthafl (Wilm. Levy, Gaupp a. a. O. u. A. A.M. Petersen a. a. O.). Wohl aber kommen die Vorschriften über die Er­ satzzustellung (§§ 166—169) auch in Betreff der Zeugen zur Anwendung. Das bloße Erbieten der Partei, den Zeugen zu gestellen oder die Zustellung zu besorgen, macht die gerichtliche Ladung nicht entbehrlich (wie Entw. I §§ 315, 319 wollte). Eine analoge Anwendung des § 195 auf die Ladung von Zeugen zur Fortsetzung der Vernehmung ist zu­ lässig, sofern die Vorschriften der Nr. 3 dabei beobachtet werden (vgl. Wilm. Levy Anm. 4, Fitting § 64 N. 8). 2) Abs. 2 stellt den Inhalt der Ladung fest. Bedeutungsvoll ist das „muß". Fehlt etwas, so braucht der Zeuge die Ladung nicht zu beachten (vgl. auch § 345 — „ordnungs­ mäßig"; Heilbut im cito. Arch. 69 S. 399f.). Indessen sind die Mängel verzichtbar (vgl. § 267). 8) Nr. 2: Diese Vorschrift (vgl. § 338) stimmt nicht mit dem gemeinen Rechte, wohl aber mit der Preuß. AGO. I 10 § 171 („im Allgemeinen"), C. de proc. art. 260, Bayer. PO. Art. 409, Württ. PO. Art. 471 und den bedeutendsten Entwürfen überein. Sie gewährt dem Zeugen die Mittel zur Vorbereitung für das abzulegende Zeugniß durch Schärfung seiner Er­ innerung und Einsicht etwaiger Notizen und beugt der sonst oft unvermeidlichen Vereitelung der Beweistermine vor. 4) Nr. 3: Die „Anweisung" ertheilt der Gerichtsschreiber namens des ladenden Gerichts (s. Anm. 1). Die „durch das Gesetz angedrohten Strafen" bedürfen keiner

444

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 343.

§ 343. Die Ladung einer dem aktiven Heere oder der aktiven Marine an­ gehörenden Person des Soldatenstandes als Zeuge erfolgt durch Ersuchen der Militärbehörde. N. Entw. - Entw. I. II. II. - Enltv. III § 332. Mot. S. 249, 250. Prot. S. 126. näheren Bezeichnung; nicht einmal die Bezugnahme auf § 345 (Siebenhaar S. 381) wird nothwendig sein, obschon sie zweckmäßig ist (Petersen ci. ci. £)., Gaupp I S. 667). Vgl. StPO. § 48 Abs. J. Daß der Zeuge im Bezirke eines anderen Gerichts wohnt, entbindet ihn nicht von Befolgung der Anweisung und bedingt nicht die Vermittelung seines persönlichenRichters (N. E. § 503). Jedes deutsche Gericht hat in dieser Beziehung „Gerichtszwang." § 40 Abs. 2 des Rechtshülfeges. v. 21. Juni 1869 ist aufgehoben (s. GVG. § 161 u. allg. Bem. z. GVG. Tit. 13 unter 3; vgl. auch oben S. 223 f. Anm. 2 zu Tit. 3): Auch bezüglich der Beamten gilt keine Ausnahme (wegen Benachrichtigung der vor­ gesetzten Dienstbehörde s. § 347 Anm. 9), wohl aber bezüglich des Soldaten st andes nach § 343. 5) Ausländ er, welche im Jnlande sich aushalten, können — mit Ausnahme der Exterritorialen (vgl. auch v. Bar, Internat. Priv. R. 2. Aufl. II S. 642) — ebenfalls un­ mittelbar geladen werden, dagegen nicht Personen (Inländer oder Ausländers welche im Aus­ lande wohnen; ihre Vernehmung erfolgt, abgesehen von besonderen Staatsverträgen, nach Maßgabe des § 328 (S euffert Anm. 5e, Wi lm. Levy Anm. 5, Gaupp I S. 667). Wegen der Vernehmung von Exterritorialen (GVG. §§ 18 Anm. 5, 19, 21) ist nichts bestimmt. Hinsichtlich der deutschen wird nach § 183 zu verfahren, aber auch hinsichtlich nicht deut scher Exterritorialen wird die Vermittelung des Reichskanzlers bezw. des betreffenden Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten zu erbitten sein (N. E. §§ 534, 53\ Nordd. Prot. S. 748—750), falls der Exterritoriale nicht im voraus erklärt, erscheinen zu wollen. (So auch Wilm. Levy Anm. 5, während Gaupp a. a. O., Seuffert Anm. 5a u. A. Förster Anm. 6 die zuständige Behörde des fremden Staates, in welchem der ausländische Exterritoriale seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, unmittelbar um die Ladung ersuchen wollen.)

8 343. 1) Der Grund der Ausnahme von § 342 liegt nach den Mot. „in dem eigenthümlichen Karakter des militärischen Dienstverhältnisses. Da die dienst­ liche Abkömmlichkeit dieser Militärpersonen nur durch die militärischen Vorgesetzten beurtheilt und herbeigeführt werden kann, so ist deren Vermittelung unentbehrlich, um im allseitigen Interesse Kollisionen zwischen den verschiedenen Verpflichtungen jener als Zeugen zu ladenden Militärpersonen auszuschließen." Vgl. auch §§ 158, 184 u. StPO. § 48 Abs. 2. 2) „dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörenden Person des Soldatenstandes" — Darunter fallen (abweichend von § 158, wo nur von Unteroffizieren und Gemeinen die Rede) auch die Offiziere. Im Uebrigen f. §§ 14 Anm. 1, 158 Anm. 2. Die zum aktiven Heere gehörigen Militärbeamten (dieselben sind „Militärpersonen") und die Civilbeamten der Militärverwaltung gehören nicht dem „Soldatenstande" an (vgl. Anlage z. Mil.StGB. v. 20. Juni 1872 (RGBl. S. 174) u. Beil. 1 d. Ges. v. 3. August 1878 (RGBl. S. 243)], fallen also nicht unter § 343. Vgl. auch §§ 699, 749 Nr. 5; anders: §§ 14, 15, 21, 345 Abs. 4, 355 Abs. 4, 374 Abs. 3, 673, 749 Nr. 6, 785 Nr. 2, 793. Das Gensdarmeriekorps gehört nicht zum aktiven Heere, da § 38 d. RMil.Ges. v. 2. Mai 1874 die Mitglieder desselben nicht zu den Personen des aktiven Heeres rechnet (Seuffert Anm. 1, Petersen §§ 342—344 II 1. Fuchs in Goltdammer. Arch. f. Str.R. 28 S. 196; vgl. jedoch preuß. OT. in Oppenhoff, Rechtspr. d. OT. 19 S. 14 ff.). Wegen Be-

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 344.

445

§ 344. Das Gericht kann die Ladung davon abhängig machen, daß der Beweisführer einen Vorschuß zur Deckung der Staatskasse wegen der durch die Vernehmung des Zeugen erwachsenden Auslagen hinterlegt. Erfolgt die Hinterlegung nicht binnen der bestimmten Frist, so unterbleibt die Ladung, wenn die Hinterlegung nicht so zeitig nachgeholt wird, daß die Ver­ nehmung ohne Verzögerung des Verfahrens erfolgen kann. N. Entw. §§ 509, 510. S. 126, 131.

Entw. I. § 316.

Entw. II. § 327. Entw. III. § 333. Mot. S. 250.

Prot.

nachrichtigung der vorgesetzten Civildienstbehörde s. d. Allg. Verf. des Preuß. Justizmin. v. 29. Juli'1880 (JMBl. S. 186).

3) „Die Ladung — erfolgt durch Ersuchen der Militärbehörde" — Eine Ladung nach § 342 wird somit überhaupt nicht ausgefertigt. Ob das Ersuchungsschreiben von dem Gerichtsschreiber (Endemann II S. 212, ©eilmann II S. 227, Sarwey II S. 501 u. A.) oder von dem Vorsitzenden des Prozeßgerichts bezw. dem beauftragten oder ersuchten Richter (Seusfert Anm. 3, Petersen §§ 342—344 II 3, GauppI S. 668 u. A.) zu erlassen ist, ist nicht ganz deutlich. Da es sich nicht bloß um Ausfertigung einer Ladung (§ 312) handelt, sondern um Ersuchen einer Rechtshülfe (vgl. GVG. § 158 Anm. 1), sowie mit Rücksicht auf die Analogie der §§ 185, 699 Abs. 1, 793 erscheint die zweite Alternative als bfe richtige. Vgl. auch Allg. Verf. d. Preuß. Justizmin. v. 31. Okt. 1881 Nr. 1 (JMBl. S. 257). Das Ersuchungsschreiben hat zwar die Bezeichnung der Parteien und des Gegenstandes der Vernehmung (§ 342 Abs. 2 Nr. 1 u. 2), aber nicht die Anweisung sdas. Nr. 3) zu enthalten. Letztere (die Paritionsordre) zu ertheilen (nicht bloß die Zustellung der Ladung zu be­ wirken), ist Sache der Militärbehörde. (Anders bei der Zwangsvollstreckung — § 673: „An­ zeige.") Hiermit erst ist die Ladung beendet (Prot. S. 302). Vgl. Anh. §§ 54, 55 z. Preuß. AGO. 17 8 19, Kab.-O. v. 22. März 1827 (GS. S. 31). Die Bestimmung gilt auch für die im Auslande oder bei einem mobilen Truppentheil be­ findlichen Personen des Soldatenstandes. 4) Im Einverständniß mit dem Reichs-Justizamt sind von dem Preuß., Bayer., Württ. u. Sächs. Kriegsminister für den Bereich der bezüglichen Heereskontingente sowie von dem Chef der Kais. Admiralität für den Bereich der Kais. Marine zur Feststellung des Begriffs „Militär­ behörde" in § 343 genaue Bestimmungen erlassen (Centr.-Bl. f. d. D. Reich 1880 Nr. 26; s. auch Preuß. JMBl. 1880 S. 156). 5) Wegen der Folgen des Ausbleibens oder der Weigerung s. §§ 345 Abs. 4, 355 Abs. 4. § 344. 1) Abs. 1: „Das Gericht" — Ob dies wörtlich und einschränkend einzulegen, also nur das Prozeßgericht, nicht der beauftragte oder ersuchte Richter zu der Vorschubforderung befugt sein soll, ist streitig. Für die gleiche Befugniß des Letzteren (Sarwey I S. 502) spricht, daß die Veranlassung sich oft erst bei der Ausführung des Auftrags oder Ersuchens ergeben kann. Indessen ist es doch bedenklich, den § 365 auf die Befugniß des § 344 auszudehnen, welche die Ausführung des Beweisbeschlusses ganz vereiteln kann. (Vgl. auch Petersen §§ 342—344 III, A. Förster Anm. 1 a, Gaupp I S. 669, Seusfert Anm. 1, Busch, Z. V S. 446ff., OLG. Nürnberg das. VI S. 129, OLG. Hamburg in S. A. 37 Nr. 317, OLG. Dresden in D. I. Ztg. 1885 S. 633 u. A.) Vgl. GVG. § 165. „kann abhängig machen" — nur fakultativ, weil sonst das Verfahren bei zweifellos vermögenden Parteien ohne Grund Aufenthalt erleiden würde (Mot.). Das Gericht kann jedoch nach seinem Ermessen auch bei anderen Personen von einem Vorschuß Abstand nehmen (OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 503). Beim Eintreten einer anderen,Prozeßpartei aus

446

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 345.

§ 345. Ein ordnungsmäßig geladener Zeuge, welcher nicht erscheint, ist, ohne daß es eines Antrags bedarf, in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten sowie zu einer Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu sechs Wochen zu verurtheilen. Grund des § 237 ist auf Antrag von Neuem zu prüfen, ob gegenüber dieser von § 344 Ge­ brauch zu machen sei (RG. XXI S. 398). Unanwendbar ist § 344 auf Personen, welche das Armenrecht genießen (§§ 107 Nr. 1, 111). Vgl. GKG. § 3. Der Beschluß, in welchem die Summe und die Frist zu bestimmen ist, kann nur vor der Ladung (s. Abs. 2), wenngleich nach dem Beweisbeschlusse, erlassen werden; im letzteren Falle ist er von Amtswegen zuzustellen (§ 294 Abs. 3). Derselbe setzt zwar eine vorgängige mündliche Verhandlung zur Hauptsache voraus; indessen ist es nicht erforderlich, daß bei Gelegenheit der­ selben auch besonders über die Auflage eines Vorschusses verhandelt wurde; der Natur der Sache nach kann das Gericht den Beschluß auch von Amtswegen erlassen, weil er zur Sicherung der Staatskasse dienen soll. Der Beschluß unterliegt daher, falls er ein entgegenstehendes Gesuch einer Partei zurückweist, nach § 530 der Beschwerde (vgl. auch Sächs. Ann. III S. 257, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Seuffert Anm. 2 n. E.). 2) „zur Deckung der Staatskasse" — denn diese hat den Zeugen zu entschädigen (§ 366, GO. f. Z. u. S. § 17 Abs. 2). Auch der Zeuge selbst kann unter Umständen einen Vorschuß fordern (GBG. § 166 Abs. 3). „wegen — Auslagen" — vgl. GKG. §§ 79 Nr. 4, 5, 84. Die Bestimmung des § 84 ist zwar nicht bloß fakultativ; indessen kann die Vornahme der Handlung, abgesehen von § 344, nur im Falle des § 85 Abs. 5 versagt werden. Verschieden davon ist der Gebührenvorschub' welcher für jede Instanz zu zahlen ist (GKG. §§ 81 ff.).Im Falle des § 85 Abs. 5 kann nach Zahlung des Vorschusses der Antrag auf Ladung der Zeugen bis zum Schluffe der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden (vgl. Seuffert Anm. 1 a. E.). „hinterlegt" — d. h. bei der mit Erhebung.bezw. Ladung der Gerichtskosten beauftragten Amtsstelle, von welcher seiner Zeit der Zeuge befriedigt wird (s. § 366 Anm. 2). 3) Abs. 2 entspricht dem § 321. Aus welchem Grunde die Frist versäumt wurde, ist gleichgültig (vgl. RG. VII S. 391 u. in I. W. 1893 S. 157). Nach Ablauf der Frist, welche übrigens nach § 202 verlängert werden kann, erfolgt die Ladung nur, sofern dadurch das Ver­ fahren nicht verzögert wird (vgl. RG. VII S. 391). Dagegen ist die Benutzung des Beweis­ mittels, sofern sie ohne Ladung (im Falle der Sistirung des Zeugen) erfolgen kann, nicht aus­ geschlossen, ebensowenig in der Berufungsinstanz (OLG. Braun schweig in S. A. 41 Nr. 239). 4) § 344 findet nach § 367 auch auf den Beweis durch Sachverständige entsprechende Anwendung (RG. VII S. 390, Hellmann II S. 267 u. Lehrb. S. 566, Petersen §§ 367, 368 Nr. 1 a. E., A. Förster Anm. 5, Seuffert § 367 Anm. u. A.). Die Folge der Nicht­ erlegung des Vorschusses ist jedoch nur, daß die im Beweisbeschlusse bezeichneten Sachverstän­ digen nicht geladen werden, wogegen ein Antrag auf Vernehmung anderer Sachverständiger oder Zuziehung solcher von Amiswegen nicht ausgeschlossen ist (RG. a. a. O.). Bei einer Zu­ ziehung Sachverständiger von Amtswegen findet dagegen trotz § 135 Abs. 2 der § 344 keine Anwendung (vgl. § 135 Anm. 2). §

345.

Literatur: Fr. Abegg, Zeugnißpflicht u. Zeugnißzwang nach den d. RProzeßordnungen. Siraßburg 1885, Köhler in Krit. Vierteljahrsschr. XXII S. 479 ff., Preger im Arch. f. off. R. VII S. 365ff., Friedländer, Gerichtssaal 46 S. 417 (Busch, Z. XVIII S. 428), Laband, Staatsrecht d. D. Reichs, 2. Aufl. II § 90.

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 345.

447

Im Falle wiederholten Ausbleibens kann die Strafe noch einmal erkannt, auch die zwangsweise Vorführung des Zeugen angeordnet werden. Gegen diese Beschlüsse findet die Beschwerde statt. Die Festsetzung und die Vollstreckung der Strafe gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson erfolgt auf Ersuchen durch das Militärgericht, die Vorführung einer solchen Person durch Ersuchen der Militärbehörde. N. Entw. § 504. Enttt». I § 317. S. 126, 127, 131, 148, 149, 678, 679.

Ellttv. II. § 328.

Enttv. III. § 334.

Mot. S. 250-252.

Prot.

Vgl. StPO. § 50 u. die Literatur dazu. 1) Abs. 1: Die Zeugnißpflicht wurzelt im öffentlichen Rechte (vgl. §§ 348—355 Anm. 2). Ein Strafantrag der Partei wegen des Ausbleibens ist daher nicht erfordert, wohl aber zulässig (RG. in Gruchot 35 S. 1193); selbst gegen den Antrag tritt die Strafe ein (Puchelt II S. 176 Anm. 2). Die Strafe ist eine „Ordnungsstrafe" (StGB. § 138 Abs. 3), also disziplinärer Natur. (So auch Seuffert Anm. I, Geyer, Strafprozeßrecht I S. 512, John, Komm. z. StPO. I S. 83 ff., 538 ff. u. A. A.M. v. Lilienthal im Rechtslex. III S. 1421 f., Hellmann, Lehrb. S. 515 ff., welche eine Deliktsstrafe — wegen Verletzung der Erscheinungspflicht — annehmen. Abegg S. 30 f. hält für die zwiespältige Natur der „Strafe" in Abs. 1 u. 2, § 355 Abs. 1, welche gewisse Merkmale der Strafe und des Zwanges in sich vereinige, den Ausdruck „Zwangsstrase" für den bezeichnendsten.) Die RTK. hat daher der Inkongruenz mit den §§ 28, 29 StGB, keine Bedeutung beigemessen. Daß die eventuelle Freiheitsstrafe sofort bei Verhängung der Geldstrafe festgestellt wird, beruht auf Rücksichten der Einfachheit. Wegen Vollstreckung der Geldstrafe kommen die Vorschriften des Buch 8 Abschn. 2 zur Anwendung (StPO. § 495). Die Strafe der Haft besteht in einfacher Freiheitsentziehung (StGB. § 18). Auf dieselbe kommen die §§ 785—794 nicht zur ent­ sprechenden Anwendung (vgl. d. allg. Bem. z. diesen §§ u. GVG. §§ 178, 179 Anm. 3), viel­ mehr die Bestimmungen der StPO, über Vollstreckung von Freiheitsstrafen (vgl. § 3 Abs. 1 EG. z. StPO.). Von einer anderen Haft, bei welcher ersteres allerdings der Fall ist, redet im Falle der Zeugniß-Weigerung § 355 Abs. 2. „ordnungsmäßig geladener" — vgl. §§ 342, 343. Eine Ladungsfrist (§ 194) ist nicht vorgeschrieben; über die Rechtzeitigkeit der Ladung entscheidet daher das richterliche Ermessen. Späteres Erscheinen wendet die Folgen des Ungehorsams nicht (wie im Falle des § 197) ab. Vgl. jedoch § 346 Abs. 1. „welcher nicht erscheint" - nämlich beim Aufruf der Sache (§ 197 Abs. 1 u. Anm. 1), mag auch der Termin noch nicht geschlossen sein, wenn der Zeuge nachträglich erscheint (abweich. Seuffert Anm. 3, Gaupp I S. 671). Indessen ist ein Ermessen, ob der Zeuge nicht dennoch zu vernehmen und nicht als säumig zu betrachten ist, in diesem Falle nicht unstatthaft. sSo auch Wilm. Levy Anm. 1.] Wer sich nachträglich unbefugt entfernt oder nach § 144 entfernt wird, wird als nicht erschienen behandelt. (So auch Hellmann II S. 229 u. Lehrb. S. 517, Glaser, Handb. d. Strafproz. 1 S. 485 Anm. 4, John a. a. O. S. 536, Gaupp a. a. O. u. A. A.M. Endemann II S. 214, der § 355 anwenden will, u. Geyer a. a. O. S. 513 Anm. 4.) Die Folgen der Zeugnißweigerung (8 353) können daneben vorkommen (s. Prot. S. 129). 2) Abs. 2: Die Aenderung des Entwurfs „die Strafe verdoppelt" in „die Strafe noch einmal erkannt" beruht auf einem von der RTK. angenommenen Vorschlage des Abg. Reichensperger, die Worte „die Strafe verdoppelt" zu streichen. Ueber das in Abs. 1 be­ stimmte Maximum darf also auch in diesem Falle nicht hinausgegangen, und ebensowenig darf, wenn bei Zeuge nochnrals ausbleibt, die Strafe zum dritten Mal erkannt werden. (So auch Endemann II S. 215 Anm. 6, Sarwey L S. 504, Seuffert Anm. 4, Gaupp II a. a. O.,

448

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn.

Verf. v. d. Landgerichten. § 346.

§ 346. Die Verurteilung in Strafe und Kosten unterbleibt, wenn das Ausbleiben des Zeugen genügend entschuldigt ist. Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wieder aufgehoben. Die Anzeigen und Gesuche des Zeugen können schriftlich oder zum Protokolle des Gerichtsschreibers oder mündlich in dem zur Vernehmung bestimmten neuen Termine angebracht werden. N. Entw. 8 505. S. 127.

Enttv. L § 318.

Entw. II. § 329.

Entw. III. § 335. Mot. S. 250-252

Prot.

Planck II § 111 N. 87, 88, Fitting S. 389 u. A. A.M. Petersen §§ 345, 346 I 2, Hellmann II S. 231 f., 23Um. Levy Anm. 6 u. A., welche, entgegen der Entstehungs­ geschichte und dem Wortlaute des Abs. 2, bei jedem wiederholten Ausbleiben eine neue Strafe für zulässig erachten). Das „kann" ist übrigens insofern undeutlich, als nach der Absicht der Aenderung das Erkennen auf die Strafe nicht fakultativ, sondern obligatorisch ist (). auch Petersen, Sarwey, Planck a. a. O. u. A.). Die zur Erzwingung des Zeugnisses bestimmte Vorführung ist gleichfalls nicht von einem Antrage des Beweissührers abhängig (wie vergeblich in der NTK. beantragt wurde). Die Vorführung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher (s. GO. f. GV. § 9 Abs. 1). Die Kosten (s. Abs. 1) sind dem Zeugen in jedem Wiederholungsfälle aufzuerlegen. 3) Abs. 3: Der Beschluß (Abs. 1 u. 2) wird von dem Prozeßgericht bezw. dem beauf­ tragten oder ersuchten Richter (§ 365) sogleich bei der Verhandlung, in welcher der Zeuge aus­ geblieben ist, oder auch nachher ohne mündliche Verhandlung gefaßt (§ 119 Anm. 4 a) und von Amtswegen zugestellt (§§ 294 Abs. 3, 671 Abs. 1; Sarwey I S. 503 f., Gaupp I S. 672). Anhörung des Zeugen (zur Verantwortung) ist nicht erforderlich (vgl. § 346 Abs. 2). — Die Beschwerde (nicht die „sofortige Beschwerde", wie in § 352) hat in diesem Falle auf­ schiebende Wirkung (§ 535 Abs. 1). Weil die Partei ein Interesse an der Verurtheilung des Zeugen hat, so steht auch ihr gegen den die beantragte Verurtheilung ablehnenden Beschluß die Beschwerde zu (vgl. auch NG. in S. A. 46 Nr. 144, Seuffert Anm. 1; s. aber auch Planck II 8 111 N. 63. Vgl. ferner § 352 Anm. 2). Aus dem gleichen Grunde ist ein nicht ver­ kündeter, die Verurtheilung eines Zeugen betreffender Beschluß auch ihr zuzustellen (Seuffert a. a. £).). — Das Verfahren ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 8). Vgl. jedoch GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 6. 4) Abs. 4 ist eine Folge des § 343 und des fortbestehenden besonderen Militärgerichts­ standes in Strafsachen (namentlich bezüglich der subsidiären Haft). Daß nicht bloß die Vollstreckung, sondern auch die Festsetzung der Strafe gegen Militärpersonen (nicht bloß gegen Personen des Soldatenstandes wie in § 343) dem Militärgericht anheimfällt, soll eine doppelte Bestrafung derselben Handlung (aus § 845 und wegen Ungehorsams gegen den militärischen Befehl — s. Mil.StGB. § 92) verhüten. Vgl. §§ 355 Abs. 4, 374 Abs. 3, auch StPO. §§ 50 Abs. 4, 69 Abs. 6, 77 Abs. 4, NMil.Ges. v. 2. Mai 1874 § 39. . Das Ersuchungsschreiben ist von dem Vorsitzenden des Prozeßgerichts bezw. dem beauf­ tragten oder ersuchten Richter zu erlassen (vgl. § 343 Anm. 3). Wegen der Vollstreckung s. §§ 673, 699. 5) Ueber den Begriff „Militärbehörde" in § 345 enthält die in § 343 Anm. 4 er­ wähnte Bekanntmachung genaue Bestimmungen. 6) Entsprechende Anwendung der §§ 345, 346 gegen nicht erschienene Parteien in Ehe­ sachen verordnet § 579 Abs. 3.

§ 346. Vgl. StPO. § 50. 1) Abs. 1: Eine weitere Folge des dem § 345 zu Grunde liegenden Grundsatzes ist es, daß nur unter der in Satz 1 bezeichneten Voraussetzung die Verurtheilung des ungehorsamen

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 347.

449

§ 347. Der Reichskanzler, die Minister eines Bundesstaates, die Mitglieder der Senate der freien Hansestädte, die Vorstände der obersten Reichsbehörden und die Vorstände der Ministerien sind an ihrem Amtssitze oder, wenn sie sich außer­ halb desselben aufhalten, an ihrem Aufenthaltsorte zu vernehmen. Die Mitglieder des Bundesraths sind während ihres Aufenthalts am Sitze des Bundesraths an diesem Sitze, die Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung während der Sitzungsperiode und ihres Aufenthalts am Orte der Versammlung an diesem Orte zu vernehmen. Zu einer Abweichung von den vorstehenden Bestimmungen bedarf es: in Betreff des Reichskanzlers der Genehmigung des Kaisers, in Betreff der Minister und der Mitglieder des Bundesraths der Geneh­ migung des Landesherrn, in Betreff der Mitglieder der Senate der freien Hansestädte der Genehmi­ gung des Senats, in Betreff der übrigen vorbezeichneten Beamten der Genehmigung ihres unmittelbaren Vorgesetzten, in Betreff der Mitglieder einer gesetzgebenden Versammlung der Genehmi­ gung der letzteren. N. Entw. - Entw. I u. II. - Entw. III. - Mot. - Prot. S. 679-682, 747. Zeugen unterbleibt.

Das Vorhandensein eines Weigerungsgrundes ist kein genügender Grund,

wenn der Zeuge nicht der Vorschrift des § 351 Abs. 1 entspricht (Planck II H 111 N. 82).

Ebenso

ist es an sich unerheblich, ob der Beweisführer auf die Vernehmung nachträglich verzichtet, oder ob diese aus anderen Gründen nicht erforderlich ist (Mot., N. E. § 405 Abs. 2; vgl. Ende­ mann II S. 2J6 u. A.), wodurch jedoch nicht ausgeschlossen ist, daß das Gericht auf der­ gleichen Umstände bei Prüfung der Entschuldigung nach ihrer subjektiven Seite Rücksicht nimmt (Siebenhaar S. 384, Sarwey 1 S. 506).

Einen genügenden Entschuldigüngsgrund s. da­

gegen in GVG. § 166 Anm. 3 a. E. Glaubhaftmachung ist nicht erfordert, aber der Natur der Sache nach nothwendig (Planck II § 111 N. 29 arg. §§ 202 Abs. 2, 205 Abs. 2).

Wegen Bestrafung unwahrer Be­

hauptungen s. StGB. § 138. In Satz 2 wird neben der Beschwerde (§ 345 Abs. 3) ein zweiter bequemer Weg zur Wiederaufhebung der getroffenen Anordnungen eröffnet. Die Wiederaufhebung der An­ ordnungen des beauftragten oder ersuchten Richters steht sowohl diesem als auch dem Prozeß­ gericht zu. Ob auch die Verurtheilung in die Kosten wieder aufzuheben ist, wird davon ab­ hängen, ob der Zeuge sich vor dem Termine hätte entschuldigen können. (Vgl. auch Sarwey I S. 506, Wilm. Levy Anm. 2 u. A.

Gegen theilweise Aufhebung: v. Lilienthal im

Rechtslex. III S. 1422, A. Förster Anm. 2.)

Der Beschluß ist von Amtswegen zuzustellen

(vgl. § 345 Anm. 3). 2) Abs. 2: In

dem Zwischenverfahren gegen den Zeugen gilt kein Anwaltszwang.

Dasselbe ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 8).

Vgl. jedoch GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29

Nr. 6.

§

347.

Vgl. StPO. § 49. 1) Die Bestimmung ist bei Revision der zweiten Lesung in der RTK. von den Regierungen beantragt, um Kollisionen der Erscheinungspflicht mit den Anforderungen des öffentlichen Dienstes vorzubeugen und die betreffenden Beamten vor den Schwankungen des richterlichen Ermessens (§ 340) sicherzustellen.

Die RTK. erklärte sich schließlich nach Aufnahme des § 49 der StPO,

für die Aufnahme der gleichen Bestimmung in die CPO. Struckmann u. Koch, Civilprozcßordnung. 6. Aufl.

Im Reichstage nochmals beanstandet, 29

450

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn.

Verf. v. d. Landgerichten. § 347.

wurde der angeführte § 49 gleichwohl aufrecht erhalten und § 347 der CPO. demzufolge nicht weiter angefochten (Sten. Ber. des RT. Sitzung v. 28. Nov. 1876 S. 417—425).

2) Abs. 1: „Reichskanzler" — Demselben steht hier der allgemeine Stellvertreter (Vizekanzler) gleich [bgt. Ges. v. 17. März 1878 § 2 (RGBl. S. 7)]. „V or st an de der obersten Reichsbehörden" — Hierher gehören nach dem der Verordn, v. 23. Nov. 1874 angehängten Verzeichnisse unter I (RGBl. S. 136) der Präsident des Reichskanzleramis, jetzt Staatssekretär des Innern [f. Erlaß v. 24. Dez. 1879 (RGBl. S. 321)], der Staatssekretär im auswärtigen Amte, der preuß., der sächs. und der württ. Kriegsminister, der Chef der Kais. Admiralität, jetzt Staatssekretär des Reichsmarineamis (Erl. v. 30. März 1889 (RGBl. S. 47)], der Präsident des Reichseisenbahnamis. Hinzugetreten sind: der Präsident des Reichsbank-Direktoriums (Verordn, v. 19. Dez. 1875 (RGBl. S. 378)] und der General-Postmeister (Verordn, v. 22. Dez. 1875 (RGBl. S. 379)], jetzt Staatssekretär des Reichs­ postamts (Allerh. Erlaß v. 23. Febr. 1880 (RGBl. S. 25)]. In gleicher Stellung befinden sich: der Staatssekretär des Reichsjustizamts, der Präsident des Reichsgerichts (GVG. §§ 125 ff. (A.M. Sarwey I S. 507)], der Chef des Reichsamts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen (Allerh. Erl. v. 27. Mai 1878 (RGBl. 1879 S. 193)], der Statthalter und der Staatssekretär von Elsaß-Lothringen (Ges. v. 4. Juli 1879 §§ 1, 4 (RGBl. S. 165), Verordn, v. 23. Juli 1879 (das. S. 282)], der Staatssekretär des Reichsschatzamis, nicht die Vorstünde des Gesundheits­ amts, des Reichsamts für das Heimathswesen und des Patentamts, welche sämmtlich ebenso, wie der Präsident des Reichsversicherungsamis und der Direktor der Normal-Aichungs-Kommission, unter dem Reichsamt des Innern stehen. (Gaupp 1 S. 674 u. A.) 3) „Vorstände der Ministerien" — In manchen Bundesstaaten giebt es nur einen wirklichen Minister oder Staatssekretär und für die übrigen Ressorts bloße Ministerialvorstände unter den verschiedensten Titeln (Präsident, Staatsrath, Geh. Rath, Unter-Staats­ sekretär 2c.). Diese, nicht aber (wie Voitus, StPO. S. 113 u. in Goltdammer, Arch. 29 S. 1 ff. meint) die Vorstände der Abtheilungen der einzelnen Ministerien (Unter-Staatssekretäre, Ministerial-Direktoren) sind hier gemeint. (Uebereinstimmend Löwe, StPO. 6. Aust. § 49 Anm. 7, Geyer, Strafprozeßrecht I S. 268 u. A.) 4) „wenn sie sich außerhalb desselben aufhalten" — gleichviel, ob zu amtlichen oder anderen Zwecken, z. B. der Erholung wegen. 5) „sind zu vernehmen" — also unbedingt, auch ohne einen auf diesen Ort der Vernehmung gerichteten Antrag. Bei Verletzung der Vorschrift wird § 351 entsprechend anzu­ wenden sein. Ein Verzicht des Zeugen auf das ihm nach § 347 zustehende Recht ist jedoch zulässig (so auch Petersen § 347 Nr. 4). 0) Unter „Amtssitz" und „Aufenthaltsort" ist nicht die Wohnung, sondern der Ort (Stadt rc.) zu verstehen, wo der Beamte seinen dienstlichen Wohnsitz hat (vgl. RBeamten-Ges. §§ 21, 22, 40 rc.) bezw. sich aufhält. Das Gericht bezw. der beauftragte Richter braucht sich also nicht etwa zu dem Zeugen zu begeben; sondern die Ladung erfolgt an die Gerichtsstelle -oder in deren Ermangelung an eine von dem Gerichte bezw. dem beauftragten Richter be­ zeichnete andere Stelle. 7) Abs. 2: „während ihres Aufenthalts am Sitze des Bundesraths" — gleichviel ob der Bundesrath versammelt ist. „während der Sitzungsperiode und während ihres Aufenthalts am Orte der Versammlung" — Beide Voraussetzungen müssen zusammentreffen, wie in der RTK. konstatirt ist. Wegen der Bedeutung von „Sitz" und „Ort" s. Anm. 6. 8) Abs. 3: Wer die Genehmigung einzuholen hat, ist nicht gesagt. Es wird dazu ebensowohl der Zeuge als der Beweissührer berechtigt sein. Dem Gerichte liegt, wie aus dem Gegensatze zu § 341 Abs. 3 folgen dürfte, die Einholung nicht ob. (Petersen § 347 Nr. 4,

§ 1. 2. 3.

348. Zur Verweigerung des Zeugniffes sind berechtigt: der Verlobte einer Partei; der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; diejenigen, welche mit einer Partei in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden, oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert sind, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht; 4. Geistliche in Ansehung desjenigen, was ihnen bei der Ausübung der Seel­ sorge anvertraut ist; 5. Personen, welchen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Thatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch die Natur derselben oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Thatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht. Die unter Nr. 1—3 bezeichneten Personen sind vor der Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugniffes zu belehren. Die Vernehmung der Nr. 4, 5 bezeichneten Personen ist, auch wenn das Zeugniß nicht verweigert wird, auf Thatsachen nicht zu richten, in Ansehung welcher erhellt, daß ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein Zeugniß nicht abgelegt werden kann. 91. Enlw. § 612. S. 127. 128.

Entw. I. § 321.

Ent«. H. § 330.

Enkw. III. § 336.

Mot. ®. 251, 252.

Prot.

Puchelt II S. 178. A.M. Kleiner II S. 301, SB Um. Lebt, Anm. 5, Ganpp I S. 675, A. Förster Anm. 6 u. A.) Indessen läßt sich die Berechtigung des Prozeßgerichts oder des beauftragten oder ersuchten Richters, die Genehmigung einzuholen, nicht bestreiten. (Vgl. Seufferl Anm. 4, Endemann II S. 218, Petersen a. a. O. u. A) Wegen des Begriffs „unmittelbarer Vorgesetzter" vgl. bezüglich der Reichsbeamten das in Anm. 2 angeführte Verzeichniß unter IV jotoie die das. angef. Verordn, v. 19. Dez. 1875 § 2, IV. 9) Wegen der Benachrichtigung der vorgesetzten Dienstbehörde, wenn ein unmittelbarer Staatsbeamter als Sachverständiger oder außerhalb seines Wohnorts als Zeuge geladen wird, s. die allg. Vers. des preuß. Justizmin. v. 17. Mai 1883 u. 13. März 1884 (JMBl. S. 155, bezw. S. 54).

§§ 348—355. 1) Die CPO. hat die gemeinrechtliche Unterscheidung von untüchtigen (inhabiles), ver­ dächtigen (suspecti) und unverdächtigen oder „klassischen" Zeugen (omni exceptione majores) — vgl. Wetzell S. 206 ff. — nicht aufgenommen. Ebenso verwirft sie die Unter­ scheidung des stanz. Rechts zwischen untüchtigen und auf Antrag des Prozeßgegners verwerf­ lichen Zeugen. Daß Personen, welche zur Mittheilung ihrer Wahrnehmungen unfähig sind oder zu der Zeit, zu welcher die zu bekundenden Thatsachen von ihnen wahrgenommen sein sollen, zur Wahrnehmung derselben unfähig waren, von Amiswegen zu verwerfen sind (N. E. § 498 Nr. 1, H. E. § 228), ist als selbstverständlich übergangen. Im Uebrigen geht die CPO. nach den Mot. davon aus, „daß alle dergleichen Beschränkungen bei richtiger Regelung der Zeugnißpflicht einerseits entbehrlich und andererseits mit dem Grundsätze der freien Beweiswürdigung nicht vereinbar sind, auch dem Richter eine wichtige Quelle zur Erforschung der materiellen Wahrheit entziehen würden (Planck in Krit. Viertelsahrsschr. IV S. 252)" und „kehrt damit im Wesentlichen auf den Standpunkt des röm. Rechts zur Zeit der klassischen Jurisprudenz zurück [L. 3 D. de testibus (22, 5)]." Indessen ist nach § 161 StGB, bei jeder Verurtheilung wegen Meineides (mit Ausnahme gewisser Fälle) auf die dauernde Unfähig­ keit des Verurtheilten, als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, zu 29*

452

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 348.

erkennen. Vgl. überhaupt wegen der unbeeidigt zu vernehmenden Zeugen § 358. Bedingt zeugnißunfähig sind öffentliche Beamte nach § 341. — Ueber die nach allgemein menschlicher Erfahrung den Beweiswerth einer Zeugenaussage hauptsächlich bedingenden Um­ stände s. Planck II S. 193 ff. 2) Als selbstverständlich ist auch eine Bestimmung über die allgemeine Zeugnißpflicht (Preuß. AGO. I 10 § 170, Württ. PO. Art. 464, Hann. PO. § 251) nicht aufgenommen (vgl. die bei § 343 angef. Literatur u. Planck II § 111). Dagegen werden eingehende Bestimmungen über die Ausnahmen getroffen. Die materiellen Vorschriften enthalten die §§ 348—350; von dem Verfahren und den Strafen handeln die §§ 351—355. „Die Weigerungsgründe des § 348 beruhen auf einem persönlichen Verhält­ nisse zwischen dem Zeugen und einer Partei, welches int Falle der Nr. 1—3 allgemein und im Falle der Nr. 4, 5 in Beziehung auf den Gegenstand des Zeugnisses speziell besteht, während die Weigerungsgründe des § 349 durch die mög­ liche Rückwirkung der Aussagen des Zeugen auf seine und seiner Ange­ hörigen Verhältnisse motivirt werden. Der § 350 schränkt aus besonderen Gründen die in den vorhergehenden Bestimmungen nachgelassenen Ausnahmen von der Zeugnißpflicht wieder ein." (Mot.)

§ 348. Vgl. StPO. §§ 51, 52. 1) Abs. 1: Die Nr. 1—3 enthalten die meisten Fälle der verwerflichen Zeugen der älteren Prozeßgesetze (vgl. z. B. Preuß. AGO. I 10 § 228). Liegt eines der in Nr. 1—3 auf­ geführten Verhältnisse hinsichtlich eines Streitgenossen vor, so besteht das Recht der Zeugniß­ verweigerung gegenüber allen (Wilm. Levy § 58 Anm. 1, Gaupp I S. 142; vgl. Anm. 1 vor § 338). Zu Nr. 1 vgl. § 41 Anm. 4. Als „Verlobte" sind hier, wie namentlich der Grund des Gesetzes ergiebt, nicht bloß diejenigen anzusehen, welche ein nach Civilrecht gültiges Verlöbniß eingegangen sind (ein solches besteht nach manchen Rechten gar nicht), sondern alle, welche sich gegenseitig ein ernstlich gemeintes, auf Verheirathung abzielendes Eheversprechen gegeben haben. (So auch Petersen §§ 348—350 II 1, Wilm. Levy Anm. 2, Seusfert Anm. 2, A. Förster Anm. 3a, Rechtspr. d. NG. in Str. S. VI S. 51, 57, Entsch. d. RG. in Str. S. X S. 117. A.M. Sarwey I S. 510, Puchelt II S. 182 u. A., welche ein rechtlich gültiges Verlöbniß voraussetzen.) Ein bloßes Liebesverhältniß, namentlich ein ehebrecherisches, genügt aller­ dings nicht (Rechtspr. d. RG. in Str. S. II S. 182, VI S. 52 f.). Nr. 2 u. 3 entsprechen dem § 41 Nr. 2, 3; vgl. das. Anm. 4, 5. Das Recht der Weigerung besteht auch bei gleicher Verwandtschaft mit beiden Parteien. Vgl. §§ 349 Nr. 1, 2, 350 Abs. 1, 358 Nr. 3. „SchWägerschaft" — Diese hat hier als fortdauernd zu gelten, auch wenn die das Ver­ hältniß begründende Ehe durch den Tod eines der Ehegatten gelöst und dasselbe in Folge dessen nach civilrechtlichen Vorschriften aufgehoben ist (Rechtspr. d. RG. in Str. S. III S. 278, VI S. 56). Sie liegt auch vor, wenn die Verwandtschaft des Zeugen zur Partei auf unehelicher Geburt beruht (Rechtspr. d. RG. in Str. S. VIII S. 439). Nr. 4 schützt das Beichtsiegel (A.M. Siebenhaar S. 386 f., welcher statt des hier ge­ statteten Weigerungsrechts auf die im kan. R. und in den bürgerlichen Gesetzen, z. B. Preuß. ALR. II 11 §§ 80, 81, 82, enthaltene Verpflichtung des Geistlichen zum Verschweigen des ihm in der Beichte Anvertrauten verweist; vgl. übrigens Abs. 3, § 350 Anm. 3) und die geist­ liche Amtsverschwiegenheit hinsichtlich der „Seelsorge" überhaupt, entbindet aber nicht von der Zeugnißpflicht über eigene Mittheilungen des Geistlichen (RG. in S. A. 39 Nr. 58) oder über

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 348.

453

Mittheilungen, die dem Geistlichen mit Rücksicht auf ein nichtgeistliches Nebenamt gemacht sind (Petersen §§ 348—350 III 2). Als „Geistliche" gelten die Religionsdiener aller staatlich anerkannten (nur diese wollen Seusfert Anm. 5, Löwe StPO. § 52 9t. 6 berücksichtigen; s. dagegen Gaupp I S. 676, Wilm. Levy Anm. 4) oder zugelassenen religiösen Gemein­ schaften, welche eine Seelsorge ausüben (vgl. StGB. §§ 130a, 174 Nr. 1, 181 Nr. 2, 196, 338 2c). Ausnahmen s. in § 350 Abs. 2. 2) Nr. 5: Hierher gehören vor allem die Reichsbeamten (Ges. v. 31. März 1873 § 11) und anderen öffentlichen Beamten (s. § 341 Anm. 1), bezüglich deren zunächst in Frage kommt, ob die Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde zn ihrer Vernehmung von Amtswegen einzuholen ist, und ob dieselbe ertheilt wird (§ 341), ohne daß das Weigerungsrecht hiervon unbedingt abhängt. Auf Privatbeamte, z. B. von Aktiengesellschaften, ist der Begriff „Amt" ebenfalls anwendbar. Ferner fallen unter Nr. 5 insbesondere „Rechtsanwälte (RG. XXX S. 382, in S. A. 43 Nr. 235, tu I. W. 1893 S. 347 — gemeinschaftlicher Vertrauens­ mann, S. 559), Advokaten, Notare (RG. XXX S. 355, in I. W. 1894 S. 119), Vertheidiger in Strafsachen, Aerzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie die Gehülfen dieser Personen" (StGB. § 300), Handelsmäkler (HGB. Art. 69 Nr. 5), Schöffen und Geschworene (GVG. § 200) rc. Wegen der Schiedsmänner in Preußen s. § 341 Anm. 1 a. E. Daß das Zeugniß von Beamten auch dann verweigert werden muß, wenn das Dienstverhältniß inzwischen aufgelöst ist (vgl. § 341 u. RBeamtenges. § 12 Abs. 2), bedurfte bei der allgemeinen Fassung der Nr. 5 keiner besonderen Hervorhebung (vgl. Mot. S. 252). „die Natur derselben" — Dahin gehört der Anwalt hinsichtlich der Instruktion (OLG. Frankfurt in S. A. 48 Nr. 148), nicht aber der Inhaber eines Auskunftsbüreaus in Betreff der ihm über die Kreditwürdigkeit von Geschäftsleuten anvertrauten Thatsachen oder in Betreff der Quelle, aus welcher er seine Kunde geschöpft hat (OLG. Hamburg in S. A. 37 Nr. 162). „gesetzliche Vorschrift" — ist jede Rechtsnorm des Reichs- oder Landesrechts (EG. z. CPO. § 12). Eine bloß vertragsmäßig übernommene oder gar nur stillschweigend vorausgesetzte Verpflichtung zur Verschwiegenheit, z. B. bei einem Privatdiener, Freunde u. s. w. (s. Seusfert Anm. 6), genügt nicht (Sarwey I S. 511, Köhler in Krit. Vierteljahrsschr. XXII S. 483 ff.). „Verpflichtung zur Verschwiegenheit" — Dahin gehören nur amtlich anvertraute, nach der Natur des Gegenstandes oder nach besonderer Vorschrift geheimzuhaltende Thatsachen, da­ gegen nicht andere gelegentliche freiwillige Mittheilungen (vgl. auch Planck II § 111 N. 40). Unter Nr. 5 fallen auch Wahrnehmungen, welche die dort genannten Personen in der Vertrauensstellung gemacht haben (Seusfert Anm. 6 a. E., Gaupp I S. 677). Den Mitgliedern des Reichstags steht wegen der in Ausübung ihres Berufs gethanen Aeußerungen ein Recht der Zeugnißverweigerung auf Grund des Art. 30 d. D. RVerf. nicht zu (Lewald im Gerichtssaal 39 S. 54 ff., Mittelstädt in Preuß. Jahrb. 1886 S. 557, Gaupp I S. 677. A.M. Fuld im Gerichtssaal 35 S. 535 ff. u. in Hirth's Annal. Jahrg. 1888 S. 6). 8) Abs. 2: vgl. StGB. § 157 Nr. 2. Die Belehrung ist zu Protokoll festzustellen; § 150 greift aber nicht Platz. Eine Belehrung vor jeder Vernehmung (§ 363, StPO. § 51 Abs. 2) ist nicht erforderlich (Sarwey I S. 511, Seusfert Anm. 7. A.M. Kleiner II S. 304). Die Vorschrift ist nur instruktionell (Endemann II S. 299, Gaupp I S. 677 u. A. A.M. A. Förster Anm. 4; vgl. auch RG. in Str. S. II S. 192, IX S. 384). Der Verzicht auf die Weigerung kann aber jederzeit widerrufen werden (OLG. Hamburg in S. A. 42 Nr. 70), was aber die Benutzung der bis dahin gemachten Aussage nicht ausschließt; desgleichen die Weigerung selbst (vgl. § 351 Anm. 4). 4) Der Abs. 3 macht Verbote, wie sie z. B. Bayer. PO. Art. 400, Württ. PO. Art. 467, Hann. PO. § 252 enthalten, entbehrlich. Einem Streichungs-Anträge gegenüber erläuterte den

454

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. b. d. Landgerichten.

§ 349.

§ 349.

Das Zeugniß kann verweigert werden:

1. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einer Person, zu welcher derselbe in einem der im §. 348 Nr. 1—3 bezeichneten Verhält­ nisse steht, einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde; 2. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einem der im §. 348 Nr. 1—3 bezeichneten Angehörigen desselben zur Unehre gereichen oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde; 3. über Fragen, welche der Zeuge nicht würde beantworten können, ohne ein Kunst- oder Gewerbegeheimniß zu offenbaren. N. Entw. 8 613. S. 128.

Entw. I. 8 322.

Entw. II. 8 331.

Entw. III. 8 337.

Mot. S. 252, 253.

Prot.

Abs. 3 in der RTK. der Vertreter der Reichsregierung dahin: Abs. 1 Nr. 5 begreife sehr ver­ schiedene Personen, welche oft nicht die Tragweite ihrer Verpflichtungen gegen den Staat über­ sehen würden; wenn nun der Richter aus ihren Erklärungen entnehme, daß sie im Begriff seien, ihre Pflicht zur Verschwiegenheit zu verletzen, so solle er eingreifen und sich nicht zum Mit­ schuldigen an dem Bruche des Amtsgeheimnisses machen (vgl. Planck II S. 206). Noch weiter geht das Ueberwachungsrecht des Gerichts in § 341.

8 349. 1) Der § 349 zählt im Gegensatz zu § 348 die objektiven Gründe auf, aus denen das Zeugniß verweigert werden kann. Der Zweck ist die Verhütung von Meineiden in Fällen, wo die Gefahr eines solchen besonders nahe liegt, sowie die Sicherung des Familienfriedens. Eine vorherige Belehrung ist für diese Fälle nicht vorgeschrieben. 2) Nr. 1: Nicht jede entfernte Möglichkeit einer Benachtheiligung reicht hin, auch nicht eine unmittelbare Beiheiligung am Ausgange des Rechtsstreits (vgl. § 358 Abs. 1 Nr. 4), sondern es muß ein unmittelbarer vermögensrechtlicher Schade (s. z. B. Preuß. ALR. I 6 §§ 2, 3) von der Beantwortung der Frage zu erwarten sein. Wenn in Folge der Aussage des Zeugen diejenige Partei, welcher er regreßpflichtig ist, unterliegt und zahlen muß, so erleidet er keinen Schaden, sondern erfüllt nur eine rechtliche Verpflichtung (NG. in S. A. 47 Nr. 168 u. in I. W. 1893 S. 560). Wegen der Ausnahmen von Nr. 1 f. § 350 Abs. 1. 3) Nr. 2: Vgl. StPO. § 54, Pr. AGO. 110 § 180 Nr. 3, Hann. PO. § 253 Nr. 3 u. s. w., Wetzell S. 215 f. „zur Unehre gereichen" — Der Entw. hatte den stärkeren Ausdruck „Schande". Zur Anwendung der Nr. 2 genügt, wenn die zu machende Aussage den Schluß auf ein unehren­ haftes Handeln gestaltet (RG. in I. W. 1887 S. 415). „die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen" — eine Folge des im Strafprozesse geltenden Grundsatzes, daß der Angesch uldigte nicht zur Aussage gezwungen wird, und auch ein Zwang, gegen nahe Angehörige auszusagen, nicht stattfindet. Beispiel: Busch, Z. III S. 158 ff. Nach Lage der Sache kann sich dies über den Umfang einzelner Fragen hinaus auf das ganze Zeugniß erstrecken. Ueber eine solche Sachlage, sowie über das Vorhandensein der Gefahr entscheidet das Ermessen des Richters (Rechtspr. d. RG. in Str. S. II S.' 305). Daß die Beantwortung mit Nothwendigkeit die wirkliche Bestrafung nach sich ziehe, ist nicht erforderlich (RG. XXIII S. 134, Planck II § 111 N. 54). Die stra fgerichtliche Verfolgung umfaßt nicht die disziplinarische (vgl. RBeamtenges. v. 31. März 1873 §§ 77, 78). Bezüglich dieser fragt es sich also, ob die Beantwortung der Frage dem Zeugen zur Unehre gereichen würde (vgl. StGB. § 157 Nr. 1). 4) Nr. 3: Es kommt nicht darauf an, ob es sich um ein eigenes Geheimniß oder um ein solches des Arbeitgebers handelt (vgl. Nordd. Prot. S. 729). Oft wird schon Nr. 1 aus­ reichen, um das Zeugniß abzulehnen.

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

456

§ 350.

§ 350. In den Fällen des §. 348 Nr. 1—3 und des §. 349 Nr. 1 darf der Zeuge das Zeugniß nicht verweigern: 1. über die Errichtung und den Inhalt eines Rechtsgeschäfts, bei deffen Er­ richtung er als Zeuge zugezogen war; 2. über Geburten, Verheirathungen oder Sterbefälle von Familiengliedern; 3. über Thatsachen, welche die durch das Familienverhältniß bedingten Ver­ mögensangelegenheiten betreffen; 4. über diejenigen auf das streitige Rechtsverhältniß sich beziehenden Hand­ lungen, welche von ihm selbst als Rechtsvorgänger oder Vertreter einer Partei vorgenommen sein sollen. Die im §. 348 Nr. 4, 5 bezeichneten Personen dürfen das Zeugniß nicht ver­ weigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. N. Entw. § 514. S. 128, 548-550.

Entw. I. § 323.

Entw. II. 8 332.

Entw. III. § 338.

Mot. S. 253.

Prot.

8 350. 1) Abs. 1: Unter Nr. 1 fällt der Sollennitätszeuge, aber auch jeder andere Beweiszeuge (vgl. für Preuß. R. Förster (Ec eins) 1 § 40 S. 194), nicht der instrumentirende Beamte, für welchen die §§ 341, 348 Nr. 5 gelten. (A.M. anscheinend Ende mann II S. 222. Vgl. Köhler a. a. O. S. 485.) Schriftliche Errichtung und Mitunterschrift des Zeugen sind nicht erforderlich (Seuffert Anm. 1, Sarwey 1 S. 513. A.M. Siebenhaar S. 389). Nr. 3: „durch das Familienverhältniß bedingten Vermögensangelegen­ heiten" — d. h. die auf das Familien- und Erbrecht bezüglichen Familienangelegenheiten, z. B. erbrechtliche Ansprüche, Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht (vgl. RG. in I. W. 1886 S. 147 u. im D. RAnz. 1887 bes. Beil. 1 S. 57) oder aus antizipirter Erbfolge (RG. in S. A. 45 Nr. 52), Alimentationsansprüche re., nicht reine Statussachen oder gar Forderungen, welche zufällig von Familienangehörigen oder gegen solche erhoben werden (vgl. § 21 Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 3, Seuffert Anm. 3, ob.LG. f. Bayern in S. A. 43 Nr. 236, OLG. Olden­ burg das. 47 Nr. 72). Vgl. auch Neubauer in Busch, Z. XIX S. 161 f.). 2) Die Bestimmung unter Nr. 4 ist ein Bedürfniß, weil die Eideszuschiebung bezw. -Zurückschiebung an Dritte nicht stattfindet (§ 414). An sich sind die hier bezeichneten Personen, sofern sie beim Ausgange des Rechtsstreits nicht unmittelbar betheiligt sind (§ 358 Nr. 4), nicht unfähig, eidlich als Zeugen vernommen zu werden. Es gelten nur die gewöhnlichen Aus­ nahmen der §§ 348, 349, von welchen hier wiederum eine Ausnahme gemacht wird. Die Zeugnißpflicht dieser Personen ist also noch ausgedehnter als die anderer. „Handlungen" — nicht auch Wahrnehmungen. „RechtsVorgänger" ist auch der mittelbare; „Vertreter" ist der Bevollmächtigte, Ge­ schäftsführer, Bote und der gewesene (vgl. Anm. 1 vor § 338) gesetzliche Vertreter. Ueber die Bedeutung jener Ausdrücke vgl. auch §§ 172 Anm. 1, 210 Anm. 2, 410 Anm. 2. Auch die Ehefrau gehört hierher als Rechtsvorgängerin ihres Ehemanns rücksichtlich des Dotalguts (RG. XIII S. 417). „Vertreter" sind auch (vertretungsberechtigte) Gesellschafter und Liquidatoren einer offenen Handelsgesellschaft (s. §§ 59 Anm. 2, 358 Anm. 5), sowie Vorstandsmitglieder des beklagten Vereins (RG- in I. W. 1892 S. 180 Nr. 4). Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Sinn und Zweck auch auf solche Handlungen, welche der „Rechtsvorgänger" schon vor der Sukzession vorgenommen hat (OLG. Celle in S. A. 36 Nr. 307, Schmidt in Busch, Z. IV S. 386 ff.). Vgl. noch Neubauer a. a. O. S. 162. Welche Partei den Zeugen benannt hat, ist unerheblich. 3) Abs. 2: Ein Antrag, die Zahl 4 zu streichen, da nach den Anschauungen der katholi­ schen Kirche ein Geistlicher von der Bewahrung des Beichtgeheimnisses von Niemandem wirksam entbunden werden könne, wurde in der RTK. zurückgezogen, nachdem seitens des Reg.-Ver-

456

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 351.

§ 851. Der Zeuge, welcher das Zeugniß verweigert, hat vor dem zu seiner Vernehmung bestimmten Termine schriftlich oder zum Protokolle des Gerichtsschrei­ bers oder in diesem Termine die Thatsachen, auf welche er die Weigerung gründet, anzugeben und glaubhaft zu machen. Zur Glaubhaftmachung genügt in den Fällen des §. 348 Nr. 4, 5 die mit Berufung auf einen geleisteten Diensteid abgegebene Versicherung. Hat der Zeuge seine Weigerung schriftlich oder zum Protokolle des Gerichts­ schreibers erklärt, so ist er nicht verpflichtet, in dem zu seiner Vernehmung be­ stimmten Termine zu erscheinen. Von dem Eingänge einer Erklärung des Zeugen oder von der Aufnahme einer solchen zum Protokolle hat der Gerichtsschreiber die Parteien zu benachrichtigen. !». Ent«. § 511. @. 128, 129.

Ent«. I. § 320.

Ent«. II. § 333.

Ent«. III. § 339.

Mat. S. 253.

Prot.

treters bemerkt worden war, daß eine Entbindung nur dann, wenn sie nach dem für den einzelnen Fall zur Anwendung kommenden objektiven Rechte wirksam ertheilt sei, berücksichtigt werden könne, und daß hiernach auch die Zulässigkeit einer Entbindung von der Wahrung des Beichtgeheimnisses zu beurtheilen sein werde; „entbunden" heißt also wirksam entbunden. Der Richter hat diese Rechtsfrage zu prüfen. (A.M. Endemann II S. 223, nach welchem es nur auf die Thatsache der Entbindung ankommt.) Auch nach protestantischem Kirchenrecht ist, abgesehen von gewissen Fällen, eine solche Entbindung in der Regel nicht zulässig (vgl. § 348 Anm. 1; Preuß. ALR. II 11 §§ 80—82; Sarw ey I S. 514, Gaupp I S. 680, Seuffert Anm. 5). Für öffentliche Beamte erfolgt die Entbindung durch Erklärung der vorgesetzten Dienst­ behörde (§ 341), für Notare durch Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde und Ein­ willigung derjenigen Betheiligten, denen gegenüber die Pflicht zur Verschwiegenheit zu beobachten ist (RG. XXX S. 355), für Handelsmäkler durch Bewilligung der Parteien (HGB. Art. 69) u. s. tu. § 351. Literatur zu §§ 351—355: Mey er in Busch, Z. XVII S. 459 ff.; vgl. auch Neubauer das. XIX S. 163 ff. 1) Abs. 1: „vor dem — Termine" — „schriftlich oder zum Protokolle des Gerichts schreib er s" — eine erhebliche Erleichterung für den Zeugen, welcher also nicht zu er­ scheinen braucht (Abs. 3). Der Gerichtsschreiber ist der des Prozeßgerichts bezw. des beauftragten oder ersuchten Richters. „oder in diesem Termine" — hier mündlich. Unwahre Behauptungen sind strafbar (StGB. § 138). 2) Abs. 2 bildet eine Abweichung von § 266 (vgl. das. Anm. 2), welcher im Uebrigen auch hier Anwendung findet. Vgl. § 357 Anm. 5. — Die bloße Versicherung des Zeugen an Eidesstatt ist nicht genügend. Vgl. StPO. § 55, StGB. § 155 Nr. 3. „genügt" — Der Zeuge darf also andere Mittel vorziehen. 3) Abs. 4: Hierdurch wird der Fortgang des Verfahrens gefördert. Erkennt nämlich „der Beweisführer den Weigerungsgrund des Zeugen an, so ist durch den Verzicht der Partei auf das Zeugniß der Zwischenfall erledigt" (vgl. § 352 Anm. 1 a. E.). Andernfalls entsteht zwischen der Partei und dem Zeugen ein Zwischenstreit (s. Mot.; vgl. §§ 352—354 u. 275 Anm. 1). Eine Form der Benachrichtigung ist nicht vorgeschrieben. 4) Die Weigerung kann jederzeit zurückgenommen werden (vgl. StPO. § 51 Abs. 2 Satz 2, OLG. Oldenburg in S. A. 43 N. 63, Seuffert § 348 Anm. 7, Tränkner in Busch, Z. X S. 145. A.M. Ab egg a. a. O. S. 19). Andererseits kann der zur Zeugnißverweigerung be-

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 352.

457

§ 352. Ueber die Rechtmähigkeit der Weigerung wird von dem Prozeßge­ richte nach Anhörung der Parteien entschieden. Der Zeuge ist nicht verpflichtet, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Gegen das Zwischenurtheil findet sofortige Beschwerde statt. N. Entw. § 515. Entw. I. 8 324. Eutw. II. § 334. Entw. III. § 340. Mot. S. 253. Prot. S. 129.

rechtigte Zeuge auch noch nach seiner Vernehmung den assertorischen Zeugeneid verweigern (vgl. § 358, StPO. § 57 Abs. 2, RG. in S. A. 45 Nr. 227, Tränkner a. a. O. S. 146).' §

352.

1) § 352 hat, wie § 353, den regelmäßigen Fall im Auge, daß die Vernehmung vor­ dem Prozeßgerichte erfolgen sollte (§ 320), ein besonderer Termin zur Verhandlung des Zwischen­ streits also nicht erst anzuberaumen ist. (Anders im Falle des § 354.) Der Termin ist zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt (§ 335). § 352 Abs. 2 setzt voraus, daß der Zeuge erscheint. § 353, daß er nicht erscheint. Für den Zeugen besteht nicht nur kein Anwaltszwang (Abs. 2), sondern er ist überhaupt nicht genöthigt, mündlich zu verhandeln, da seine schriftlichen oder protokollarischen Anführungen von Amtswegen vorgetragen werden (§ 353). Ein Versäumnlßverfahren findet also gegen ihn nicht statt. Vgl. § 312 Anm. 1. Der Streit bewegt sich in erster Reihe zwischen dem Zeugen und dem Prozeßgericht wegen einer dem letzteren geschuldeten Leistung (Planck II S. 207); vgl. § 345 Anm. 1. Den Parteien wird nur Ge­ legenheit gegeben, sich zu äußern („nach Anhörung"). Machen sie davon Gebrauch, so ge­ winnt der Streit zugleich den Karakter eines Zwischenstreits zwischen dem Zeugen und den Parteien (vgl. RG. XIII S. 414, XX S. 380, XXVIII S. 439, Planck a. a. O.). Die Entscheidung durch Zwischenurtheil (Abs. 3; vgl. § 275 Anm. 1 b i. A.) erfolgt ohne Rücksicht darauf, ob von irgend einer Seite eine Erklärung abgegeben wird, und folglich auch gegen die Parteien niemals als Versäumnißurtheil. (Vgl. Planck II S. 209, G aupp I S. 682 f. u. A.) Sie wird dadurch erübrigt, daß der Beweisführer den Weigerungsgrund als richtig anerkennt (RG. in I. W. 1886 S. 194). Vgl. jedoch § 364 (Planck II 8 111 N. 65). 2) Abs. 8: vgl. §§ 540 u. 68 Anm. 1. Die Beschwerde steht dem Zeugen und, wenn die Weigerung für begründet erklärt wird, dem Beweisführer zu; der Gegner hat das Beschwerderecht nur unter den Voraussetzungen des § 364 (RG. XX S. 378 u. in Gruchot 34 S. 751, Seuffert Anm. 2, Gaupp I S. 683, Planck II § 111 N. 48, Meyer a. a. O. S. 464). Erst nach Rechtskraft des Zwischenurtheils (s. §§ 355 Abs. 1, 645) wird das Verfahren gegen den Zeugen und der Rechtsstreit selbst, soweit er von diesem Verfahren abhängig ist, fort­ gesetzt (vgl. Gaupp I S. 683, auch RG. XIII S. 413). Im Endurtheile darf auch eine die Weigerung für begründet erklärende Entscheidung nicht getroffen werden, weil dadurch der Be­ weisführer benachtheiligt wird (RG. a. a. £).). Die Parteien, welchen allein die Rechtskraft bekannt ist, haben einander in regelmäßiger Weise nach Maßgabe des H 191 zu laden. Dies gilt auch dann, wenn.die Weigerung für unbegründet erklärt ist; zu dem von dem Vor­ sitzenden anzuberaumenden Termine ist alsdann der Zeuge von Amtswegen zu laden. (So auch Gaupp I S. 683, anscheinend auch Planck II § 111 N. 93 u. I § 70 N. 18. A.M. Wilm. Levy Anm. 3, Petersen §§ 351—354 Nr. 6, Seuffert Anm. 3, Fitting § 64 N. 39, Meyer a. a. O. S. 461 f., nach welchen, weil der Offizialbetrieb das Beweisverfahren über­ haupt beherrsche, auch die Parteien von Amtswegen zu laden sind, nachdem eine von ihnen den Eintritt der Rechtskraft nachgewiesen hat.) Weigert der Zeuge auch in diesem Termin das Zeugniß, so wird gegen ihn nach § 355 verfahren. 3) Ueber die Kosten des Zwischenstreits vgl. § 91 Anm. 3. Das nicht muthwillig ver­ anlaßte Verfahren ist gebührenfrei (GKG. § 47 Abs. 1 Nr. 7 u. Abs. 2). Vgl. jedoch GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1 u. 29 Nr. 6.

458

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. §§ 353, 354.

§ 353. Hat der Zeuge seine Weigerung schriftlich oder zum Protokolle des Gerichtsschreibers erklärt und ist er in dein Termine nicht erschienen, so hat auf Grund seiner Erklärungen ein Mitglied des Prozeßgerichts Bericht zu erstatten. N. Entw. 8 515. Entw. I. 8 324. Entw. II. 8 325. Entw. III. 8 341.

Mot. S. 253. Prot. S. 129.

§ 354. Erfolgt die Weigerung vor einem beauftragten oder ersuchten Richter, so sind die Erklärungen des Zeugen, wenn sie nicht schriftlich oder zum Protokolle des Gerichtsschreibers abgegeben sind, nebst den Erklärungen der Parteien in das Protokoll aufzunehmen. Zur mündlichen Verhandlung vor dem Prozeßgerichte werden der Zeuge und die Parteien von Amtswegen geladen. Auf Grund der von dem Zeugen und den Parteien abgegebenen Erklärungen hat ein Mitglied des Prozeßgerichts Bericht zu erstatten. Nach dem Vortrage des Berichterstatters können der Zeuge und die Parteien zur Begründung ihrer Anträge das Wort nehmen; neue Thatsachen oder Beweismittel dürfen nicht geltend ge­ macht werden. N. Entw. 8 515. Entw. I. 8 324. Entw. II 8 336. Entw. III. 8 342. Mot. 3. 253. Prot. S. 129.

§ 353. Vgl. §§ 351 Abs. 3, 352, 354 Abs. 3. § 352 Abs. 1 u. 3 gelten auch hier. Erscheint der Zeuge, so liegt ihm der mündliche Vortrag des Weigerungsgrundes ob; in­ dessen wird doch, wenn er den Vortrag ablehnt, nichts übrig bleiben, als § 353 ebenfalls an­ zuwenden (Sarwey I S. 517).

§ 354. 1) Die dem N. E. § 515 entlehnten Bestimmungen sollen praktischen Unzuträglichkeiten vorbeugen, welche namentlich dann entstehen würden, wenn der an seinem vielleicht sehr ent­ fernten Wohnorte zu vernehmende Zeuge demnächst behufs Erledigung des Streits über die Zeugnißweigerung vor dem Prozeßgerichte erscheinen müßte (Nordd. Prot. S. 732 f.). Das Verfahren hat den Karakter des schriftlichen Verfahrens mit mündlicher Schlußverhandlung (ähnlich wie in § 319). Die schriftliche Seite ist jedoch überwiegend (Abs. 3). 2) Abs. 1: Die Form der Weigerung ist die des § 351; insbesondere gilt auch hier der Abs. 3 das. Der beauftragte oder ersuchte Richter hat nur die Aufgabe, die Erklärungen des (erschienenen) Zeugen und der Parteien in das (d. h. sein) Protokoll aufzunehmen.

3) Abs. 2: „vor dem Prozeßgerichte" — Nur diesem gebührt die Entscheidung, nach § 352 Abs. 1; daher der besondere Termin. Vgl. § 191 Anm. 2. Gegen das Zwischenurtheil ist nur sofortige Beschwerde zulässig. Ein Versäumnißverfahren gegen den Zeugen oder die Parteien findet auch hier nicht statt. Vgl. § 352 Anm. 2. Der bei der mündlichen Ver­ handlung erschienene Zeuge hat keinen Anspruch auf Ersatz der Reisekosten nach d. GO. f. Z. u. S., weil er nur zur (nicht einmal nothwendigen) Wahrnehmung seines Rechts als Partei im Zwischen­ streit (vgl. § 352 Anm. 2) geladen ist (RG. XXVIII S. 437, Meyer a. a. O. S. 463, 469 a. E.). 4) Abs. 3: In der mündlichen (Schluß-) Verhandlung gilt strenge Eventualmaxime („nette Thatsachen oder Beweismittel dürfen nicht geltend gemacht werden"), und der mündliche Vortrag ist überhaupt fakultativ („können"). Dagegen ist eine neue rechtliche Begründung nicht ausgeschlossen (RG. in I. W. 1889 S. 169). Auch sind nach § 533 in der Beschwerdeinstanz neue Thatsachen und Beweismittel zulässig (Meyer a. a. O. S. 468). 5) Sobald die Rechtskraft des Zwischenurtheils nachgewiesen ist (§ 355 Abs. 1), geht, wenn die Weigerung verworfen ist, die Sache an den beauftragten oder ersuchten Richter zurück, welcher den Zeugen von neuem ladet (s. § 352 Anm. 2).

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 355.

459

§ 355. Wird das Zeugniß oder die Eidesleistung ohne Angabe eines Grundes oder, nachdem der vorgeschützte Grund rechtskräftig für unerheblich erklärt ist, verweigert, so ist der Zeuge, ohne daß es eines Antrags bedarf, in die durch die Weigerung verursachten Kosten sowie zu einer Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu sechs Wochen zu verurtheilen. Im Falle wiederholter Weigerung ist auf Antrag zur Erzwingung des Zeug­ nisses die Haft anzuordnen, jedoch nicht über den Zeitpunkt der Beendigung des Prozesses in der Instanz hinaus. Die Vorschriften über die Haft im Zwangsvoll­ streckungsverfahren finden entsprechende Anwendung. Gegen diese Beschlüsse findet die Beschwerde statt. Die Festsetzung und die Vollstreckung der Strafe gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson erfolgt auf Ersuchen durch das Militärgericht. N. Entw. 8$ 517, 518. Entw. I. 8 325. Entw. II. 8 337. Prot. S. 129, 13JU 132. 164. Sitzg. S. 1, 9.

Entw. III. § 343.

Mot. S. 253, 254.

§ 355. Vgl. StPO. § 69. 1) Abs. 1: Während § 345 von den Folgen des Nichterscheinens handelt, setzt § 355 eine Weigerung des (freitotHig oder vorgefübrt) erschienenen Zeugen voraus. „das Zeugniß" — überhaupt oder bezüglich einzelner Fragen. „die Eidesleistung" — Die Weigerung der Ableistung des Zeugeneides (§§ 356, 358) steht der Zeugnißweigerung gleich. Vgl. aber § 351 Anm. 4 a. E. Ob der Zeuge bereits nach § 345 wegen Nichterscheinens bestraft und nach Abs. 2 das. zwangsweise vorgeführt ist, ist für die Anwendung der vorliegenden Strafbestimmung auch nach der von den Reg.-Vertretern in der RTK. gegebenen Erläuterung unerheblich. „ohne Angabe eines Grundes" — vgl. § 351 Abs. 1. In diesem Falle tritt die Bestrafung nach Abs. 1 sofort (ohne Zwischenurtheil — §§ 352, 354) ein. „nachdem der vorgeschützte Grund — erklärt ist" — vgl. §§ 352—354.

Die

Anwendung des Abs. 1 ist in diesem Falle von einer nochmaligen Ladung der Zeugen und abermaligen Weigerung abhängig.

Vgl. § 352 Anm. 2. — Voraussetzung ist ferner, daß der

vorgeschützte Grund rechtskräftig abgewiesen ist.

Hiernach sind neue Gründe, gleichviel ob

sie neu entstanden oder bekannt geworden sind oder nicht, geeignet, von neuem die Weigerung und das Verfahren der §§ 352—354 zu begründen (Wilm. Levy Anm. 3, Seuffert Anm. 2, A. Förster Anm. 1 c, jetzt auch Gaupp I S. 686; vgl. auch RG. in I. W. 1889 S. 169. A.M. Planck II § 111 N. 94, welcher unter Berufung auf § 354 Abs. 3 a. E. im Vergleich mit § 319 Abs. 2 jeden neu nachgetragenen Weigerungsgrund dem rechtskräftig für unerheblich erklärten gleichstellt, andererseits früh. Aust., Kleiner II S. 326, v. Bülow Anm. 1, Petersen § 355 N. 2, welche nur neu entstandene oder bekannt gewordene Gründe zulassen wollen). 2) Abs. 2: „Im Falle wiederholter Weigerung" — d. h. der nach Ver­ hängung einer Strafe aus Abs. 1 — einerlei ob die Strafe schon vollstreckt ist oder nicht (Seuffert Anm. 3 u. A.) — abermals geladene und (freiwillig oder vorgeführt) er­ schienene Zeuge muß sich nochmals ohne Angabe eines Grundes oder unter Berufung auf den rechtskräftig verworfenen Grund auszusagen oder zu schwören geweigert haben. neuen Gründe s. Anm. 1.]

sWegen der

Ob der Zeuge wegen Nichterscheinens bestraft und vorgeführt ist, ist

auch hier unerheblich. 3) „auf Antrag" — Diese Abweichung von dem leitenden Grundsätze (Abs. 1) be­ ruht auf der Schwere der Zwangsmaßregel; auch ist der Antrag der Partei wegen ihrer Ver­ bindlichkeit zur Vorauszahlung der Hastkosten (§ 792) erforderlich. Abs. 4, 621 Abs. 3.

Eine Ausnahme s. in §§ 597

Zum Antrage ist auch der Gegner berechtigt (vgl. § 364).

460

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn.

Verf. v. d. Landgerichten. § 356.

§ 356. Jeder Zeuge ist einzeln und vor seiner Vernehmung zu beeidigen; die Beeidigung kann jedoch aus besonderen Gründen, namentlich wenn Bedenken gegen ihre Zulässigkeit obwalten, bis nach Abschluß der Vernehmung ausgesetzt werden. Die Parteien können auf die Beeidigung verzichten. N. Entw. § 521. Entw. I. § 326. S. 132-136, 683-685.

Entw. II. 8 338.

Entw. III. 8 344.

Mot. S. 254, 255. Prot.

Die „Haft" hat hier den Karakter der executio ad faciendum (vgl. § 774, 782; daher die Anwendung der §§ 785 ff.). Nach § 794 dauert die Hast längstens 6 Monate; indessen wird sie selbstverständlich schon früher beendet, wenn das Zeugniß von dem Zeugen nachträglich abgelegt oder auf dasselbe verzichtet wird (N. E. § 518), außerdem aber auch mit dem Ende der betreffenden Instanz, weil damit der Grund aushört („jedoch nicht-------hinaus"). Ein Theilurtheil oder auch ein Zwischenuriheil, durch welches der spezielle Streitstoff, über welchen der Zeuge vernommen werden soll, seine Erledigung gefunden hat, steht hierin einem die ganze Instanz beendigenden Endurtheile gleich (v. Bülow a. a. 0., Planck II S. 210 f.). Kommt es in der späteren Instanz wiederum auf das Zeugniß an, so kann der Zeuge bei abermaliger Weigerung von neuem verhaftet werden (Nordd. Prot. S. 815); indessen darf die Zwangshaft in allen Instanzen zusammengenommen nicht über 6 Monate dauern, falls nicht etwa das Zeugniß über einen anderen Punkt in Anspruch genommen und verweigert ist — wie ein Reg.-Vertreter in der RTK. auf Anfrage erläuternd bemerkte. Die Strafe des Abs. 1 darf nicht noch einmal erkannt werden; den Zeugen treffen aber die durch die wiederholte Weigerung verursachten Kosten (vgl. § 345 Anm. 2). 4) Abs. 3: Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (§ 535). Vgl. § 345 Abs. 3. 5) Abs. 4: vgl. § 345 Anm. 4. — „die Strafe" — nicht die Zwangshaft des Abs. 2, welche vom Civilgericht festgesetzt wird (wie die RTK. ausdrücklich festgestellt hat). Wegen Vollstreckung der letzteren vgl. § 793. 6) Die Frage, ob und in welchem Umfange der Zeuge dem Beweisführer zum Schadens­ ersätze verbunden ist, überläßt die CPO. dem Civilrechte (vgl. Striethorst, Arch. 73 S. 148, Planck II § 111 N. 8, Siebenhaar S. 393 Anm.*). Die landesrechtliche Fiktion oder Ver­ muthung, daß der Zeuge den Beweissatz wirklich bekundet haben würde (Preuß. AGO. I 10 § 186, Hann. PO. § 262 k.), widerstrebt dem Grundsätze der freien Beweiswürdigung (§ 259) und ist als beseitigt zu betrachten. 7) Wegen des beauftragten und ersuchten Richters vgl. § 365. 8) Das Verfahren des § 355 ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 8). Vgl. jedoch GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 6. Hinsichtlich der Verhaftung s. GO. f. GV. § 9. §

356.

Vgl. StPO. §§ 58, 60, RGes. betr. die Gewerbeger. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) § 44. 1) Die Entwürfe hatten sich ganz allgemein für die im röm. und kan. Rechte, in der älteren deutschen Reichsgesetzgebung (Kammergerichts-Ordn. v. 1577 Tit. 77), dem C. de proc. art. 262 sowie dem engl.-amerikan. Rechte vorgeschriebene, in den meisten neueren deutschen Gesetzgebungen und Entwürfen beibehaltene promissorische Form des Zeugeneides (Beeidigung vor der Vernehmung, Voreid) entschieden. In der RTK. wurde jedoch von mehreren Seiten die im Gebiete des preuß. Rechts (AGO. I 10 § 202 u. Verordn, v. 1844, 1849, 1867), im Königreich Sachsen (Ges. v. 30. Dez. 1861 § 18) und in Braunschweig (PO. § 79) übliche assertorische Form (Beeidigung nach der Vernehmung, Nacheid) vertheidigt und schließlich ein in § 356 zum Ausdruck gekommener Antrag (des Abg. v. Schwarze) angenommen, welcher „diesen Bedenken gerecht zu werden, andrerseits aber dem Entwurf thunlichst entgegenzukommen" suchte. Die Beeidigung vor der Vernehmung ist demnach die Regel. Daß sie bei jedem

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 357.

461

§ 357. Der vor der Vernehmung zu leistende Eid lautet: daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde; der nach der Vernehmung zu leistende Eid lautet: daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt, nichts ver­ schwiegen und nichts hinzugesetzt habe. N. Entw. 8 521. Entw. I. 8 326. S. 135, 550, 551, 683-685.

Entw. II. § 338.

Entw. III. 8 344.

Mot. S. 254-256.

Prot.

Zeugen besonders („einzeln") erfolgt, beruht auf einem Antrage in der RTK., welcher die bei gleichzeitiger Vereidigung mehrerer eintretende Abschwächung des feierlichen Eindrucks des Eides verhüten soll.

Auch bei nachträglicher Beeidigung ist die kollektive Form nicht zulässig,

obgleich nicht ausdrücklich

ausgeschlossen (Seuffert Anm.

1, Hellmann II S. 246 f.,

Petersen §§ 356, 357 Nr. 2 u. A.). 2) „aus besonderen Gründen, namentlich wenn Bedenken gegen ihre Zu­ lässigkeit obwalten" — Dergleichen Umstände (vgl. § 358) werden sich häufig erst aus der General-Vernehmung (§ 360) ergeben.

Der Richter ist daher (wie der Reg.-Vertreter in

der RTK. hervorhob) selbstverständlich genöthigt, sich vor der Vereidigung zunächst die persön­ lichen und die allgemeinen Zeugenfragen beantworten zu lassen, sie aber nach der Vereidigung zu wiederholen (vgl. § 357 Anm. 1 a. E., § 360 Anm. 4, v. Schwarze, Komm. z. StPO. S. 193 Nr. 3). Nur die assertorische Form ist anwendbar in den Fällen des § 358 Nr. 3 u. 4 (s. Abs. 2 das.).

3) Wegen der Strafbarkeit des Meineides vgl. StGB. §§ 154 ff. 4) Abs. 2: Ueber die Beeidigung als Regel vgl. § 358 Anm. 1; s. auch Neubauer in Busch, Z. XIX S. 157 ff.

Die Verzichtbarkeit entspricht dem Verfügungsrecht der Parteien;

Ausnahmen daher in Ehe- und Entmündigungssachen (§§ 577 Abs. 1, 611 Abs. 1, 620, 624, 626) und folgerecht auch wegen aller von Amtswegen zu berücksichtigenden Punkte (vgl. Birk­ meyer in Busch, Z. VII S. 394 ff.). Ein Antrag, dem Gerichte die Besugniß beizulegen, den Zeugen des Verzichts ungeachtet dennoch zu beeidigen, ist von der RTK. abgelehnt. darf ohne Verzicht die Vereidigung nicht unterbleiben. in Busch, Z. V S. 372 ff.

Vgl. § 358 Anm. 1.

A.M. Voitus, Kontrov. I S. 295.)

Andrerseits

(So auch Ha äse

Der Verzicht kann auch still­

schweigend durch Unterlassung der Rüge der Nichtbeeidigung erfolgen, ist jedoch nicht anzunehmen, wenn die Beeidigung in Folge eines Gerichtsbeschlusses unterblieben ist (vgl. RG. XVII S. 380, in Gruchot 28 S. 1150, 30 S. 1134, in S. A. 42 Nr. 164, 47 Nr. 166, 48 Nr. 149, in I. W. 1894 S. 82 Nr. 11; s. auch § 375 Anm. 1. A.M. Fitting in Busch, Z. XI S. 7). Die Parteien können auch auf die Beeidigung lediglich für die erste Instanz verzichten (RG. in I. W. 1893 S. 306). Die freie Beweiswürdigung (§ 259) bleibt unberührt; das Gericht ist nicht verpflichtet, der Aussage eines Zeugen, auf dessen Beeidigung verzichtet ist, die gleiche Beweis­ kraft wie einer beeidigten beizulegen, kann es aber thun (vgl. noch § 259 Anm. 3 i. A.). (So auch Birkmeyer a. a. O. S. 396f., Seuffert Anm. 2, Gaupp I S. 689.) — Der Verzicht ist im Protokolle festzustellen. Bloß schriftlicher Verzicht genügt nicht (A.M. Kleiner II S. 323). — Eine Spezialvollmacht ist auch hier nicht erforderlich (wie der Reg.-Vertreter auf An­ frage in der RTK. anerkannte); vgl. § 77 Anm. 2.

Ueber die Benutzung der in einem früheren

Prozesse, wenn auch unbeeidigt abgelegten Zeugenaussagen vgl. § 259 Anm. 1 S. 332.

5) Wegen Beeidigung der Zeugen vor den Gewerbegerichten s. Ges. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) § 44. § 357. Vgl. StPO. § 61. 1) Die Norm des promissorischen Eides entspricht dem N. E. „vor der Vernehmung" — d. h. vor den Generalfragen (8 360).

(So auch RG. in

462

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 358.

§ 358. Unbeeidigt sind zu vernehmen: 1. Personen, welche zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Ver­ standesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine ge­ nügende Vorstellung haben; 2. Personen, welche nach den Bestimmungen der Strafgesetze unfähig sind, als Zeugen eidlich vernommen zu werden; 3. die nach §. 348 Nr. 1—3 und §. 349 Nr. 1, 2 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, sofern sie von diesem Rechte keinen Ge­ brauch machen, die im §. 349 Nr. 1, 2 bezeichneten Personen jedoch nur dann, wenn sie lediglich über solche Thatsachen vorgeschlagen sind, auf welche sich das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses bezieht; 4. Personen, welche bei dem Ausgange des Rechtsstreits unmittelbar betheiligt sind. Das Prozeßgericht kann die nachträgliche Beeidigung der unter den beiden letzten Nummern bezeichneten Personen anordnen. N. Entw. 88 522, 523. Entw. I. 8 327. Prot. S. 135, 136, 551, 552.

Entw. II. 8 329.

Entw. III. 8 345.

Mot. S. 255-257.

Sir. S. III S. 79.) Vgl. jedoch § 356 Anm. 2. Die Vereidigung erfolgt, wie die Vernehmung, im Beisein der Parteien (vgl. §§ 322, 362). 2) Die Norm des assertorischen Eides wurde in Folge des Beschlusses zu § 356 hin­ zugefügt. 3) Im Falle theil weiser Zeugnißverweigerung (vgl. § 350) kann selbstverständlich ein entsprechender Vorbehalt in die Eidesnorm aufgenommen werden (wie § 1 d. Preuß. Verordn, v. 28. Juni 1844 ausdrücklich vorschreibt). Indessen ist derselbe keinesfalls erforderlich. (Vgl. Gaupp I S. 690 u. A.) 4) Das Verfahren bei der Abnahme von Zeugeneiden bestimmt sich nach den §§ 440—446. Vgl. StPO. § 63. 5) Auch die Landesherren (vgl. § 440 Anm. 2) sind von der persönlichen Ableistung des gewöhnlichen Zeugeneides nicht befreit. Ebenso haben Be am te den gewöhnlichen Zeugeneib zu leisten. Die Berufung ans den Diensteid genügt nicht (anders § 351 Abs. 2). Indessen können sich die Parteien damit begnügen (s. § 356 Abs. 2, Endemann II S. 252). — Wegen der Mennoniten 2C. vgl. § 446. 6) Wird ein Zeuge nochmals vernommen, sei es in derselben oder in einer folgenden Instanz, so hat er nicht abermals den Zeugeneid zu leisten, sondern es genügt nach § 363 Abs. 3 die Berufung aus den früher geleisteten Eid. (Vgl. StPO. § 66 Abs. 2; Gaupp I S. 690, 696, Haase in Busch, Z. V S. 377 ff. u. A. A.M. rücksichtlich der Berufungsinstanz Bünger das. IV S. 369 Anm. 4; § 485, auf welchen Letzterer sich beruft, steht aber nicht entgegen, weil die Sondervorschrift des § 363 Abs. 3 vorgeht.) Vgl. StGB. § 155 Nr. 2.

§ 358. Vgl. d. allg. Bem. z. Tit. 7 unter 1, StPO. § 56. 1) „Als angemessene Beschränkung des Prinzips der freien Beweiswürdigung setzt der Entwurf als Regel voraus, daß die Zeugen eidlich vernommen werden. Die Erwägung, daß das Verfahren im Civilprozcsse vorwiegend durch die Rechte der Privatparteien bestimmt und ihnen eine formelle Garantie für die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen geschuldet wird, verbietet es, die Beeidigung der Zeugen aus­ schließlich dem Ermessen des Gerichts zu überlassen." (Mot.) Eine Gesetzesverletzung liegt daher vor, wenn der Richter seine Ueberzeugung aus die nicht eidliche Aussage einer der nicht unter § 358 fallenden Personen gründet, ohne zuvor wenigstens

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 358.

463

den Versuch der Beeidigung gemacht zu haben (RG VIII S. 406, X S. 415, XIII S. 416, XV S. 342, in Gruchot 28 S. 1149, 1150, 29 S. 1098, 34 S. 977, in I. W. 1892 S. 361 u. in D. I. Ztg. 1885 S. 430, Hellmann, Lehrb. S. 510). „Die unbeeidigte Vernehmung von Zeugen gestaltet der Entw. in den Fällen des § 358 und überweist im Interesse der Ermittelung materieller Wahrheit die Würdigung des Werths unbeeidigter Zeugenaussagen gleich dem gesammten Beweismaterial der freien Würdigung des Richters." (Mot.) Vgl. Nordd. Prot. S. 740f., Planck II S. 200f. Die unbeeidigte Vernehmung („informationis causa“) ist obligatorisch („sind zu vernehmen") und von Amtswegen zu beachten. Streiten die Parteien über das Vorhandensein der Voraussetzungen, so entscheidet das Prozeßgericht (§ 331) durch Zwischenurtheil oder in den Gründen des Endurtheils (vgl. §§ 275 Anm. 1 b, 331 Anm. 2). Nur in den Füllen unter Nr. 3 und 4 kann nach Abs. 2 durch das Prozeßgericht (nicht durch den beauftragten oder ersuchten Richter) „nachträglich" die Beeidigung angeordnet werden, wenn sie nach richterlicher Würdigung auf das Ergebniß der Beweisaufnahme von Einfluß ist. Ein etwaiger Streit über die nachträgliche Beeidigung ist gleichfalls (auf Grund mündlicher Verhandlung — OLG. Dresden in S. A. 43 Nr. 68, Gaupp I S. 691 u. A. A.M. RG. in I. W. 1887 S. 270) durch Zwischenurtheil oder in den Gründen des Endurtheils zu entscheiden. Die Würdigung unterliegt der Revision nicht (vgl. die oben ang. Urth. d. RG-, ferner RG. in Gruchot 27 S. 1102), wohl aber die Nicht­ beachtung des Satzes, daß die nachträgliche Beeidigung geschehen kann (RG- VIII S. 409). 2) Ein Antrag, zu bestimmen: „Das Gericht ist befugt, den Antrag auf Vernehmung einer nach § 358 nur un­ beeidigt zu vernehmenden Person zurückzuweisen, weil es nach den Umständen des Falles annimmt, daß der Aussage dieser Person ein Einfluß auf die richterliche Ueberzeugung nicht beizulegen sein würde" (vgl. N. E. § 524 u. Entw. 1 § 328) wollte der Ueberhäufung des Gerichts mit Anträgen auf Vernehmung von Eltern, Geschwistern rc. vorbeugen, wurde jedoch von der RTK. abgelehnt (vgl. § 437 Anm. 4). Das Gericht darf also die Vernehmung solcher Zeugen nur unter denselben Voraussetzungen ablehnen, wie bei Zeugen überhaupt (vgl. § 259 Anm. 1 S. 332, RG- in Gruchot 29 S. 1100, 37 S. 1162). 3) Nr. 1: Abweichend vom gern., preuß. und franz. Rechte, aber in Uebereinstimmung mit den PO. von Hann. § 252 Nr. 3, Bayern Art. 418, Württ. Art. 485 rc. beginnt die Eidesmündigkeit mit dem vollendeten 16. Jahre (vgl. auch StPO. § 56), obgleich die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit erst mit dem vollendeten 18. Jahre eintritt (StGB. §§ 56, 57). Dem Eidesunmündigen stehen solche Personen gleich, denen wegen Unreife oder Schwäche des Verstandes das Bewußtsein von der Bedeutung des Eides abgeht, was vom Richter im einzelnen Falle zu prüfen ist. 4) Nr. 2: „der Strafgesetze" — z. B. StGB. § 161 Abs. 1, aber auch älterer oderausländischer Gesetze (vgl. Wetzell S. 212, Seuffert Anm. 3, Petersen § 358 II 2; Sarwey I S. 524, Wilm. Levy Anm. 2, A. Förster Anm. 3. A.M. Endemann II S. 234, welcher Nr. 2 nur auf StGB. § 161 Abs. 1 bezieht; ebenso Hellmann II S. 249f.; vgl. auch Gaupp I S. 692 II u. A.). 4 a) Nr. 3: Vorausgesetzt ist, daß § 350 nicht zutrifft (so auch RG. in S. A. 47 Nr. 73, in I. W. 1889 S. 402, 1891 S. 179,413, 1893 S. 17). „lediglich über solche Thatsachen" — War der Zeuge über mehrere Thatsachen vor­ geschlagen und bezieht sich das Recht zur Zeugnißweigerung nur auf einen Theil derselben, so ist er auf den übrigen Theil seiner Aussage zu beeidigen (RG. XXIII S. 134). Vgl. § 357 Änm. 3. 5) Nr. 4: „unmittelbar betheiligt" — d. h. solche, „deren Rechts- oder Pflichten­ kreis in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Streitverhältnisse steht und durch den Ausgang

464

Zweites Buch. Vers. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. §§ 359, 360.

§ 359. Jeder Zeuge ist einzeln und in Abwesenheit der später abzuhörenden Zeugen zu vernehmen. Zeugen, deren Aussagen sich widersprechen, können einander gegenüber gestellt werden. 91. Entw. §8 525, 630. Ent«. I. § 329. Etttw. II. § 340. Eilt«,. III. § 346. S. 136.

Blot. S. 255. Prot.

§ 360. Die Vernehmung beginnt damit, daß der Zeuge über Vornamen und Zunamen, Alter, Religionsbekenntniß, Stand ober Gewerbe und Wohnort befragt wird. Erforderlichenfalls sind ihm Fragen über solche Umstände, welche seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Beziehungen zu den Parteien vorzulegen. 91. Entw. § 526.

Entw. I. 330.

Entw. II. 8 341.

Entw. III. 8 347.

Mot. S. 255, 256.

Prot.

des Rechtsstreits beeinflußt wird" (RG. VIII S. 406 ff., XVII S. 405, XX S. 393 u. in I. W. 1893 S. 267, 426, Planck II S. 195), also nicht bloß solche, welche am Rechtsstreite betheiligt sind, oder für oder gegen welche die in dem Rechtsstreit ergehende Entscheidung formelle Rechtskraft schafft, sondern auch andere, auf deren Rechtsverhältnisse der Aus gang des Rechtsstreits unmittelbar einwirkt. Beispiele: Nebenintervenienten, welche nicht nach § 66 als Streitgenosfen gelten, Litisdenunziaten, Nominalen (§ 73), Bürgen, von der Ver­ tretung ausgeschlossene Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft (vgl. § 41 Anm. 3 u. hin­ sichtlich der off.HGesellschaft § 59 Anm. 2, Eccius in Goldschmidt, Zeitschr. f. HR. 32 S. 17), nicht aber bloße Unterhändler, Agenten u. dergl. oder Personen, welche möglicherweise ein that­ sächliches Interesse am Ausgange des Rechtsstreits haben (RG. VIII S. 41J, in S. A. 42 Nr. 259, in I. W. 1885 S. 242, 1893 S. 18 u. in Gruchot 29 S. 1098, 1100). Ueber diese Fragen sowie wegen des Gemeinschuldners in Prozessen des Konkursverwalters vgl. auch Anm. 1 vor § 3*8, § 350 Anm. 2, Neubauer in Busch, Z. XIX S. 148 ff. u. Thiele im civ. Arch. 82 S. 42 f. Häufig werden die Fälle unter Nr. 4 rmd unter § 349 Nr. 1 zu­ sammenfallen (vgl. Anm. 2 daselbst); s. jedoch RG. in S. A. 47 Nr. 168. 7) Abs. 2: Vgl. Anm. 1, RG. in I. W. 1887 S. 95, OLG. Hamburg in S. A. 42 Nr. 70; über das Recht der nachträglichen Eidesverweigerung s. § 355 Anm. 1.

§ 859. Vgl. StPO. § 58. 1) Abs. 1 entspricht dem bisherigen Prozeßrecht (Wetz ell S. 216, Koch, Preuß. Civilproz. S. 465 re.). Die Parteien dürfen zugegen sein (vgl. §§ 322, 362). „der später abzuhörenden" —Selbstverständlich kann auch ein früher vernommener Zeuge zum Abtreten während einer späteren Vernehmung veranlaßt werden. 2) Abs. 2: Die dem gemeinrechtlichen Prozesse wegen der schriftlichen Beweisartikel un­ bekannte, auch von Amtswegen zulässige Gegenüberstellung („Konfrontation") steht mit der Verhandlungsmaxime nicht im Widerspruch, da die letztere den Richter in der sach­ gemäßen Benutzung der vorgeführten Beweismittel nicht beschränkt, und fördert die Erforschung der materiellen Wahrheit. Vgl. § 363 Anm. 1.

§ 860. Vgl. StPO. § 67. 1) „Relig ionsbekenntniß" — Vgl. §§ 443, 446. 2) „Erforderlichenfalls" — also nicht unbedingt (wie nach'.Preuß. AGO. 110 § 190, C. de proc. art. 262, Hann. PO. § 266 u. s. w.). (So auch RG. in Str. S. III S. 100.] 3) „in der vorliegenden Sache" — Es handelt sich also um Umstände, welche auf Beziehungen zu dem einzelnen Falle beruhen; vgl. z. B. §§ 348 Nr. 1—3, 349 Nr. 1, 2, 350 Nr. 4, 358 Nr. 3, 4. Von einer kasuistischen Aufzählung ist abgesehen.

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§§ 361, 362.

465

§ 361. Der Zeuge ist zu veranlassen, dasjenige, was ihm von dem Gegen­ stände seiner Vernehmung bekannt ist, im Zusammenhange anzugeben. Zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage, sowie zur Erfor­ schung des Grundes, auf welchem die Wissenschaft des Zeugen beruht, sind nöthigenfalls weitere Fragen zu stellen. Der Vorsitzende hat jedem Mitgliede des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen. 81. §§ 686, 527. Entw. I. § 331. @. 136-139.

Entw. II. § 342.

Gut«. III. S 348.

Mot. @. 266. »tot.

§ 362. Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vor4) Wie die Mot. bemerken, erstreckt sich der Zeugeneid selbstverständlich auch auf die Beanlwortung der hier in Rede stehenden Fragen, „und um jede zulässige Vereinfachung des Ver­ fahrens zu begünstigen, ist die in der preuß. Kab.-O. v. 5. Okt. 1846 (JMBl. 183) be­ stimmte jedesmalige Hinweisung auf diese Tragweite des Zeugeneides als entbehrlich übergangen (Nordd. Prot. S. 742)/' Die Vorlegung der Personalfragen muß daher, wenn sie schon vor der Ableistung des Eides erfolgt ist — was vielfach zweckmäßig oder sogar nothwendig erscheint (s. § 356 Anm. 2) — im Falle des Voreides nach dessen Ableistung wiederholt werden (Rechtspr. d. RG. in Str. S. VI S. 68). Dies gilt auch von den in Satz 2 erwähnten Fragen (ebenda S. 739). § 361. Vgl. StPO. § 68. 1) Wie § 360 die sog. Vernehmung ad generalia, so regelt § 361 die Vernehmung zur Hauptsache. Im Gegensatz zum sog. artikulirten Verhör soll der Zeuge eine zusammen­ hängende Darstellung geben, selbstverständlich dem Karakter des mündlichen Verfahrens gemäß grundsätzlich ohne Benutzung einer Niederschrift (C. de proc. art. 271, Württ. PO. Art. 489 2c.), was indessen nicht ausschließt, daß der Zeuge die Vollständigkeit seiner Aussage nach etwaigen Notizen kontrolirt und Zahlenangaben u. dgl. auch abliest (Gaupp I S. 694, Seuffert Anm. 2). Die Erzählung kann vollends nicht ersetzt werden durch Uebergabe eines Schriftstückes (RG. XVI S. 116, Planck II § 112 N. 21). Eine nachträglich eingereichte schriftliche Erklärung darf nicht berücksichtigt werden (RG. in Gruchot 33 S. 1172), kann aber zur wiederholten Vernehmung des Zeugen (§ 363) Anlaß geben. — Die Erzählung hat sich auch auf andere als die bei der Beweisantretung (§ 338) ausdrücklich bezeichneten erheblichen Thatsachen zu erstrecken, sofern dieselben mit jenen in Zusammenhang stehen (vgl. auch Fitting § 64 N. 3). Zur Erläuterung und Ergänzung dient das in Uebereinstimmung mit § 130 geregelte Fragerecht (Abs. 2, 3). Auch § 131 kommt hier zur Anwendung. Wenngleich der Vorsitzende nicht die gesammte Sachleitung, also auch nicht die Leitung der Zeugenvernehmung bezw. Be­ fragung der Zeugen überhaupt einem Gerichtsmitgliede, etwa dem Referenten, überlassen darf, so wird doch nichts entgegenstehen, daß dies (zu seiner Entlastung) hinsichtlich einzelner Zeugen geschieht. (Vgl. § 130 Anm. 7, GVG. § 68 Anm. 1, Sarwey 1 S. 526, Gaupp I S. 277, 694, Hellmann II S. 253.) Wegen der Proto kollirung der Aussagen vgl. §§ 146 Nr. 3, 147, 148, 151 u. RG. in Str. S. V S. 352. 2) Abs. 3: vgl. StPO. § 239 Abs. 1. Das Fragerecht der beisitzenden Richter ist dem Vorsitzenden gegenüber völlig frei und unbeschränkt (Rechtspr. d. RG. in Str. S. VI S. 350).

§ 362. 1) Der von dem Rechte der Parteien und ihrer Vertreter auf Stellung von Fragen an den Zeugen handelnde § 362 hat in der RTK. mehrfach eine Umgestaltung erfahren. Struckmann u. Koch, Civilprozebordnung. 6. Stuft. 30

466

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz.

Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 363.

legen zu lassen, welche sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. Der Vorsitzende kann den Parteien gestalten, und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten. Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht. N. Entw. 8 528. Entw. I. § 332. Entw. II. 8 343. Entw. III. 8 349. Mot. S. 256. Prot. S. 139, 140, 685. 686. 168. Sitzung S. 3.

§ 363. Das Prozeßgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Ver­ nehmung eines Zeugen anordnen. Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Prozeßgericht die nachträgliche Vernehmung des Zeugen über diese Frage anordnen. Das sog. „Kreuzverhör" (s. StPO. §§ 238, 240) ist durch § 362 in den Civilprozeß nicht eingeführt. Die Regel bleibt immer die Befragung durch den Vorsitzenden („vorlegen zu lassen"), der auch stets durch sachliche Zwischensragen interveniren kann, und von dem immer das Wort erbeten werden muß („auf Verlangen zu gestatten"). Nur einzelne direkte Fragen sollen die Anwälte und die Parteien thun dürfen. Die Anwälte haben hierauf ein Recht, auch im Parieiprozesse; die Parteien selbst einschließlich der gesetzlichen Vertreter, der Bevollmächtigten und Beistände, welche nicht Rechtsanwälte sind, können nur Anträge darauf stellen und zwar vor einem Kollegialgerichte auch nur in Gegenwart ihres Anwalts. Anders StPO. §§ 239, 240. ^Zweifelhaft ist, ob dem in Ehe- oder Entmündigungssachen mitwirkenden Staatsanwalt, auch wenn er nicht Partei ist, die Rechte des Abs. 1, 2 zustehen. Gaupp I S. 694 u. Wilm. Levy Anm. 2 verneinen dies und gestatten ihm nur, Anträge auf Vorlegung von Fragen zu stellen; Fitting § 64 N. 52 stellt ihn — wohl mit Recht wegen der ihm in § 569 zugewiesenen Stellung — den Anwälten gleich. Vgl. § 569 Anm. 3.] 2) „w elche — erachten" — Es wird also in der Regel jede nach dem Ermessen der Partei sachdienliche, wenngleich nach Ansicht des Gerichts unerhebliche Frage zu gestalten sein. Denn, wie der Abg. v. Schwarze in der RTK. bemerkte, der Prozeß ist erst dann gehörig instruirt, wenn beide Parteien, was sie für wesentlich halten, vorgebracht haben. Ebendeshalb hat bei entstehenden Zweifeln, die von jedem bei der Verhandlung Beiheiligten angeregt werden können (vgl. § 131 Anm. 5), nach Abs. 3 das Gericht zu entscheiden. Unzulässig sind z. B. Fragen, welche sich nicht auf den Beweissatz beziehen oder überhaupt nicht auf Thatsachen (vgl. auch Planck II § 112 N. 26), ferner solche, welche verboten sind (§§ 341, 348 Abs. 3), oder deren Beantwortung der Zeuge mit Recht bereits verweigert hat (s. § 349). 3) Abs. 3: Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die Beschwerde unzulässig, weil keiner der Fälle des § 530 vorliegt (OLG. Jena in S. A. 39 Nr. 155). Die Entscheidung muß wohl als Beschluß angesehen werden, da sie zunächst nur die Sachleitung betrifft (vgl. Seufsert Anm. 4, Wilm. Levy Anm. 3, oben § 131 Anm. 6. A.M. früh. Aust., RG. in S. A. 44 Nr. 287 sZwischenurtheilj). Vgl. § 131 Anm. 6. 4) Die Bestimmung gilt in modifizirter Art auch für den beauftragten oder er­ suchten Richter (vgl. §§ 363 Abs. 2, 365 Anm. 3). §

363.

1) Abs. 1: „Das Prozeßgericht" — aber auch der beauftragte oder ersuchte Richter (§ 365). „nach seinem Ermessen" — Außer den Fällen, wenn die Vernehmung nicht ordnungs­ mäßig oder nicht vollständig gewesen ist, oder die Aussage an Unbestimmtheit oder Zweideutigkeit leidet, oder der Zeuge selbst die Ergänzung oder Berichtigung seiner Aussage für nöthig erklärt

Siebenter Titel.

Zeugenbeweis.

§ 364.

467

Bei der wiederholten oder der nachträglichen Vernehmung kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen. N. Entw. 8 531. Entw. I. 8 333. Entw. II. § 344. Entw. III. § 350. Mot. S. 257. Prot. S. 140. 163. Sitzuna S. 1 «. Anl. 0.

§ 364. Die Partei kann auf einen Zeugen, welchen sie vorgeschlagen hat, verzichten, der Gegner kann aber verlangen, daß der erschienene Zeuge vernommen und, wenn die Vernehmung bereits begonnen hat, daß dieselbe fortgesetzt werde. N. Entw. § 532. Entw. I. 8- 334. Entw. II. § 345. Entw. HL § 351. Mot. S. 257. Prot. S. 140. (Hann. PO. § 270 2c.; s. auch RG- in Gruchot 33 S. 1172), oder die Gegenüberstellung nöthig wird (§ 359 Abs. 2), kann die „wiederholte Vernehmung" auch erforderlich werden, wenn die Besetzung des Gerichts gewechselt hat oder sonst durch Zeitablauf die Aussage nicht mehr genügend im Gedächnisse der Richter steht und die Aussage nicht protokollirt worden ist (vgl. Mot., oben § 258 Anm. 4). — Der Abs. 1 setzt übrigens eine ordnungsmäßig in demselben Prozesse erfolgte erste Vernehmung voraus (RG. in I. W. 1888 S. 363, 1893 S. 59; vgl. § 259 Anm. 1 S. 332, Neubauer in Busch, Z. XIX S. 145 f.). „anordnen" — nach mündlicher Verhandlung durch Beschluß. 2) Abs. 2 handelt von der „nachträglichen" Vernehmung, welche also gleichfalls von Amtswegen wie auf Antrag angeordnet werden kann, und entspricht dem Grundsatz des § 539. 3) Für die wiederholte („nochmalige" — § 365) Vernehmung gelten die Vorschriften der §§ 359—362; ebenso für die nachträgliche Vernehmung (des Abs. 2) mit der Maßgabe, daß die letztere sich nur auf die verweigerte Frage erstreckt („über diese Frage"), falls die Antwort nicht eine wiederholte Vernehmung nöthig macht.

4) Abs. 3: vgl. § 357 Anm. 6. Die jetzige Fassung des Abs. 3 ist von der RTK. an die Stelle der Fassung „Bei------- Vernehmung genügt statt der Beeidigung die Berufung auf den geleisteten Eid" gesetzt worden, um klar zu stellen, daß eS nicht im Ermessen des Zeugen, sondern in dem des Gerichts liege, ob die-Berufung auf den geleisteten Eid stattfinden soll. Vgl. auch StPO. § 66. Die Versicherung braucht nicht mit den Worten des Gesetzes zu erfolgen; es genügt jede Versicherung der Wahrheit auf den geleisteten Eid (Rechtspr. d. RG. i. StrS. II S. 704, VI S. 34). Dagegen ist die bloße Hinweisung des Richters auf den früher ge­ leisteten Eid nicht ausreichend (RG. i. StrS. III S. 100, Rechtspr. d. RG. i. StrS. II S. 624). Der Mangel ist jedoch nach § 267 heilbar (RG- IX S. 377, XVII S. 380, «ßland II § HO N. 78). Auf den assertorischen Eid kann eine promissorische, auf den promissorischen eine assertorische Versicherung folgen (RG. i. StrS. VI S. 145. A.M. anscheinend OLG. Hamburg in S. A. 48 Nr. 293). 8 364. 1) In einem Verfahren mit freier Beweiswürdigung ohne Eventualmaxime, ohne das Inter­ lokut, die Beweisantretung und die Beweisfristen des alten Prozesses hat die sog. Gemein­ schaftlichkeit der Beweismittel (Wetzell S. 252 Anm. 4, Renaud S. 412 ff., Bolgiano Ges.Abh. S. 253 ff., Planck I S. 253) keinen Sinn (M o t.). Sie ist denn auch grund­ sätzlich beseitigt. „Die Aufnahme der Beweise geschieht auf Vorschlag des Beweisführers; es unter­ liegt daher, solange der Beweis noch nicht erhoben ist, dessen freier Disposition, auf den angebotenen Beweis zu verzichten; da aber der Gegner nicht gehindert ist, sich seinerseits der aufgegebenen Beweismittel zu bedienen, so ver­ einfacht und beschleunigt es das Verfahren, wenn der § 364 bestimmt, daß der Gegner, wenn der Verzicht auf den vorgeschlagenen Zeugen im Vernehmungstermin,er­ folgt, die Vernehmung des erschienenen Zeugen oder, wenn die Vernehmung bereits

468

Zweites Buch. Vers, in erst. Instanz. Erst. Abschn. Vers. v. d. Landgerichten. § 365.

§ 365. Der mit der Beweisaufnahme betraute Richter ist ermächtigt, im Falle des Nichterscheinens oder der Zeugnißverweigerung die gesetzlichen Verfügungen zu treffen, auch dieselben, soweit dieses überhaupt zulässig ist, selbst nach Er­ ledigung des Auftrags wieder aufzuheben, über die Zulässigkeit einer dem Zeugen vorgelegten Frage vorläufig zu entscheiden und die nochmalige Vernehmung eines Zeugen vorzunehmen. N.

Entw. § 533. Entw. I. § 335. Entw. II. 8 346. Entw. III. § 352. Mot, - Prot. S. 140. begonnen hat, die Fortsetzung derselben verlangen kann, und es macht in dieser Be­ ziehung keinen Unterschied, ob der Vernehmungstermin vor dem Prozeßgerichte oder vor einem beauftragten oder ersuchten Richter anberaumt war." (Mot.)

Die Vorschrift „der Gegner — werde" beruht somit lediglich auf Zweckmäßigkeitsrücksichten. (A.M. zum Theil Siebenhaar S. 398, dessen Ausführungen den Grundsatz des § 259 nicht genügend berücksichtigen. Vgl. auch Puchelt II S. 198, v. Canstein, Grund­ lagenS. 12 Anm. 8, v. Weveld, Augenschein S. 46 Anm. 2.) Vgl. § 364. Der Verzicht, welcher einer Annahme seitens des Gegners nicht bedarf und daher auch in dessen Abwesenheit erfolgen kann (vgl. § 332 Anm. 1), kann auch im Termine vor dem ersuchten oder beauftragten Richter erfolgen. Ob er schon vor dem Termine erklärt war, ist für die Befugniß des Gegners gleichgültig, wenn der Zeuge dessenungeachtet seiner Verpflichtung gemäß im Termine erscheint. Das Gericht kann nur in Gemäßheit des in § 325 Anm. Gesagten auf Grund mündlicher Verhandlung die Ladung des Zeugen unterlassen. (Vgl. auch Gau pp I S. 697, Sarwey I S. 529.) Der Gegner ist, auch wenn er von der Befugniß des § 364 keinen Gebrauch macht, doch noch immer in der Lage, einen von der anderen Seite fallen gelassenen Zeugen seinerseits zur Abhörung zu bringen (Prot. S. 140). Letzterer ist kein neuer Zeuge im Sinne des § 339 (Wilm. Levy Anm. 2 u. A. A.M. Uebel I S. 342 Anm. 2). In der Berufungsinstanz kann der Zeuge, auf welchen in erster Instanz verzichtet worden ist, von neuem vorgeschlagen werden. In erster Instanz können der abermaligen Benennung seitens des Verzichtenden die §§ 256 Abs. 2, 339 entgegengesetzt werden (vgl. Endemann II S. 240, Gaupp, Sarwey a. a. O. u. A.). 2) Ein Verzicht nach erfolgter Vernehmung kann auch beim Einverständnisse beider Parteien dem Gericht nicht die ihm nach § 259 zustehende Befugniß entziehen, das Ergebniß der Beweis­ aufnahme als gerichtskundig zu benutzen (vgl. Hann. Prot. S. 2125 ff., Gaupp I S. 698, Wilm. Levy Anm. 1; s. auch § 259 Anm. 5), vorbehaltlich selbstverständlich des Rechts der Parteien, nicht bewiesene Thatsachen oder das Gegentheil bewiesener Thatsachen zuzugestehen.

§ 365. 1) Die Bestimmung erledigt den Zweifel, ob gewisse Befugnisse des beweiserhebenden Gerichts auch dem „mit der Beweisaufnahme betrauten", d. h. dem beauftragten oder ersuchten Richter (§§ 326—328, 330, 340) zustehen (vgl. N. E. § 533, StPO. § 69 Abs. 3). Es sind dies namentlich die Befugnisse zur Erzwingung des Zeugnisses durch Strafen und Vorführung bezw. Haft (§§ 345, 355), da der Zwang zur Ausführung des Auftrags gehört. Ueber die Rechtmäßigkeit der Weigerung hat er nicht zu entscheiden (§§ 352 Abs. 1, 354). 2) „gesetzlichen Verfügungen zu treffen" — vgl. §§ 294 Anm. 1, 345 ff., 355; nicht bloß Anordnungen des Prozeßgerichts auszuführen (Wilm. Levy Anm. 1). „selbst nach Erledigung des Auftrags wiederaufzuheben" — vgl. § 346. 3) „über die Zulässigkeit einer — Frage vorläufig zu entscheiden" —mag die Frage von dem Richter oder einer Partei oder deren Anwalt gestellt sein. Vgl. § 362 Abs. 1, 2. Die endgültige Entscheidung gebührt dem Prozeßgerichte (§ 363 Abs. 2). Läßt der beauftragte oder ersuchte Richter die Frage zu, aber verweigert der Zeuge die Antwort unter Berufung auf einen Zeugnißverweigerungsgrund, so darf die Frage nicht weiter gestellt werden (§ 351). Ein Gleiches gilt aber nicht, wenn der Gegner die Entscheidung des Prozeßgerichts

Achter Titel.

Beweis durch Sachverständige.

§§ 366, 367.

469

§ 866. Jeder Zeuge hat nach Maßgabe der Gebührenordnung auf Ent­ schädigung für Zeitversäumniß und, wenn sein Erscheinen eine Reise erforderlich macht, auf Erstattung der Kosten Anspruch, welche durch die Reise und den Aufent­ halt am Orte der Vernehmung verursacht werden. srt. Entw. §§ 607, 508.

S. 140.

ent». I. § 336. ent». II. 9 347. ent». III. § 353. »tot. S. 257. Prot.

Achter Titel, fimzb durch Sachverständige.

§ 367. Auf den Beweis durch Sachverständige finden die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechende Anwendung, insoweit nicht in den nach­ folgenden Paragraphen abweichende Bestimmungen enthalten sind. N. Entw. § 536. Entw. I. § 337. Entw. II. § 348. S. 140.

Entw. III. § 354. Mot. S. 257, 258.

Prot.

verlangt. (So auch Endemann II S. 241, Gaupp I S. 699, Wilm. Levy Anm. 2, A. Förster Anm. lc, Seuffert Anm. d u. Petersen § 365 Nr. 2. A.M. Hellmann II S. 256 unter Berufung auf § 331, der jedoch die Sistirung der Beweisaufnahme nur dann vorschreibt, wenn der beauftragte oder ersuchte Richter zur Entscheidung nicht berechtigt ist, während diesem nach § 365 die vorläufige Entscheidung zusteht. Zu der Unterscheidung Sarwey's I S. 531, ob die Zulässigkeil aus einem Grunde beanstandet wird, der den Zeugen zur Weigerung berechtigen würde, oder aus einem anderen Grunde, liegt kein Anhalt im Gesetz vor. Auch in anderen Fällen verbleibt dem Prozeßgericht die endgültige Entscheidung, event, über den Werth der Beantwortung einer unzulässiger Weise gestellten Frage.) 4) „und die nochmalige — vorzunehmen" — vgl. § 363. 5) Der N. E. § 533 Nr. 3, 6 führt noch die Festsetzung und Einziehung der Vergütung des Zeugen und die Gegenüberstellung mehrerer Zeugen auf. Die letztere Befugniß ist nach § 359 Abs. 2 selbstverständlich. Wegen der ersteren vgl. § 366 Anm. 2. 6) Ueber die Beschwerde gegen Verfügungen des beauftragten oder ersuchten Richters vgl. § 539. Gegen die in Gemäßheit des § 539 nachgesuchte Entscheidung des Prozeßgerichts über die Zulässigkeit einer Frage findet Beschwerde nicht statt (vgl. § 362 Anm. 3 vbd. mit § 539 Anm. 3, RG. in S. A. 44 Nr. 287). § 366. Vgl. StPO. § 70. 1) Eine ergänzende Bestimmung s. in GVG. § 166 Abs. 1, 2. 2) Die Ausführung des § 366 enthält die GO. f. Z. u. S. v. 30. Juni 1878 (ergänzt durch Ges. v. 11. Juli 1890), welche gewisse Minimal- und Maximalsätze bestimmt und die Festsetzung dem Gerichte bezw. dem Richter überweist, vor welchem die Verhandlung statt­ findet (vorbehaltlich der Beschwerde), was eine vorläufige Berechnung durch den Gerichts­ schreiber nicht ausschließt (s. für Preußen allg. Vers. v. 15. Juni 1883 — JMBl. S. 190). — Die Gebühren werden nur auf Verlangen gewährt. Der Anspruch ist binnen drei Monaten bei dem zuständigen Gericht anzubringen. Die Gebühr wird vorbehaltlich der Erstattungspflicht der Parteien aus der Staatskasse bezahlt (vgl. GKG. § 79 Nr. 4), und zwar aus der Kasse des vernehmenden Gerichts bezw. einer anderen öffentlichen Kasse am Orte der Vernehmung (vgl. OLG. Nürnberg in Busch, Z. VI S. 130). Wegen des Vorschusses s. § 344, GVG. § 166 Abs. 3. Auf den Vorschuß durch die Partei hat der Zeuge nicht.zu warten (vgl. OLG. Nürnberg in S. A. 39 Nr. 152).

Achter Titel. Literatur: Die ältere Literatur s. bei Walther im civ. Arch. 26 S. 104ff. Aus neuerer Zeit: Wach in Krit. Vierteljahrsschr. XIV S. 333 ff. u. Vortr. S. 57 ff., M. Obermeyer,

470 Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz.

Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. § 366.

Die Lehre v. d. Sachverständigen im CP. München J880 u. dazu v. Völderndorff in Krit. Vierteljahrsschr. XXIII S. 364ff., Birkmeyer im Rechtslex. III S. 512 ff. s. a. „Sach­ verständige", v. Canstein in Busch, Z. II S. 328 ff., Langend eck das. IV S. 489 ff., Heusler im civ. Arch. 62 S. 243 ff., Wendt das. 63 S. 269 ff., Endemann, Lehrb. S. 731 ff., Hell­ mann Lehrb. S. 559 ff., Planck II § 122, Fitting § 65, Stein, D. private Wissen d. Richters S. 54 ff., John, Komm. z. StPO. I S. 514 ff., Glaser, Handb. des Strafproz. I S. 670 ff. 1) Gemeinrechtlich besteht schon seit den Glossatoren eine lebhaft verhandelte Streitftage, ob die Sachverständigen als Richter bezw. Gehülfen des Richters oder als Beweismittel, nämlich als Zeugen anzusehen sind. Unter den neuesten Prozessualisten verwirft Wetzell S. 528 ff. (nach dem Vorgang Gönn er's) am entschiedensten die von Manchen be­ liebte Unterscheidung wahrnehmender und urtheilender Sachverständigen (so z. B. Renaud S. 314, 426, 680ff.) und sieht in den Sachverständigen „Hülssorgane" („Ge­ hülfen") des Richters mit urtheilender Funktion, also „keine eigentlichen Beweismittel". (Aehnlich Endemann.) Auch Heusler und Wendt verweisen die Sachverständigen ganz aus dem Gebiete des Beweises. Einzelne ältere Partikularrechte behandeln sie lediglich als Zeugen. (Vgl. Obermeyer S. 43 f., namentlich S. 54 ff., 71 ff., welcher selbst sich für eine „verbesserte Beweismitteltheorie" erklärt.) Nur Zeugen sieht in den Sachverständigen noch heute v. Canstein S. 328 ff.; ähnlich v. Bar, Das deutsche CPRecht S. 49, in v. Holtzendorff, Encykl. 5. Aust. S. 813 („Zeugen besonderer Qualifikation"), John das. S. 1010 u. v. Völderndorff a. q. £).]. Bald der einen, bald der anderen Auffassung folgte das preuß. Prozeßrecht (AGO. I 9 § 38, 10 § 59, 13 § 10 Nr. 7, 44 § 48; Anh. §§ 102—104) und die darauf gegründete Praxis (vgl. R. Koch in Hinschius, Preuß. Anwalts-Ztg. 1866 Nr. 46 f.). Der C. de proc. art. 362 ff. steht mehr aus dem Standpunkte der Gehülsen-Theorie. Das HGB., welches Sach­ verständige in bedeutendem Umfange, namentlich wo es sich um Preis- oder Werthverhältnisse handelt, verwendet (vgl. z. B. Art. 57, 162, 254, 348, 365, 407, 499, 522, 573, 609, 614, 711 ff.), trifft keine grundsätzliche Entscheidung (s. R. Koch in Busch, Arch. f. HR. XVII S. CXL1V ff.; vgl. ROHG. 5 S. 142). Andere von Sachverständigen handelnde Reichsgesetze s. bei Seussert Anm. 4 vor § 367, Hellmann II S. 259, Gaupp I S. 703. Auf die Haltung der neueren Prozeßordnungen und Entwürfe sind die Ansichten der neueren ge­ meinrechtlichen Schriftsteller von Einfluß gewesen. Wenngleich indessen oft die Ansicht, daß die Sachverständigen Gehülfen des Richters seien, als die richtige betont wird (vgl. Mot. z. P. E. S. 114, Nord. Prot. S. 753), so erscheint der Sachverständigen-Beweis doch überall praktisch als eine dem Zeugenbeweise analoge Art des Beweises, wobei nur in Beziehung auf die Zuziehung von Sachverständigen überhaupt, ferner auf Auswahl und Zahl der Sach­ verständigen dem Gerichte weitgehende Befugnisse eingeräumt sind (Bayer. PO. Art. 433 ff., Württ. PO. Art. 500 ff., Bad. PO. §§ 491-494, H. E. §§ 351 ff., P. E. §§ 501 ff., N. E. §§ 536 ff.). 2) Was die CPO. anlangt, so stellen sich die Mot. vollständig aus den Standpunkt der neueren Gehülfen-Theorie (namentlich Wetzell's): „Zur Beurtheilung streitiger Parteib eh auptungen, können besondere Kenntnisse er­ forderlich sein, deren Besitz nur durch eine auf dieselbe gerichtete spezielle wissenschaft­ liche Thätigkeit, durch technische oder gewerbemäßige Uebung erlangt werden kann, und welche daher dem Richter regelmäßig nicht beiwohnt. In solchen Fällen ist der Richter thatsächlich genöthigt, sich des Beiraths solcher Personen zu bedienen, welche jene Kenntnisse besitzen. Die Sachverständigen sind Gehülfen des Richters, indem sie demselben ein auf besondere Sachkenntnisse gestütztes Gutachten über feststehende oder als feststehend angenommene Thatsachen erstatten und — auch wenn sie bei Einnahme des Augenscheins als wahrnehmende oder darstellende Sachverständige fungirten — ein zur Vorbereitung der richterlichen Entscheidung dienendes Urtheil abgeben. Dieses

Achter Titel.

Beweis durch Sachverständige.

§ 367.

471

Prmzip ist in Verbindung mit dem Grundsätze der freien Beweiswürdigung für die Vorschriften des Entw. über den Sachverständigenbeweis maßgebend gewesen." Mit aller Schärfe wird hier die Gleichartigkeit der Aufgabe des Sachverständigen mit der des Richters hervorgehoben, als deren Bestandtheil sie gewissermaßen erscheint. Wenn das Gesetz dennoch von einem „Beweis durch Sachverständige" spricht und die Begutachtung durch Sachverständige als einen Abschnitt der Beweisaufnahme behandelt, so betrifft dies doch im Wesentlichen nur die formelle Prozedur (in den §§ 3, 260 wird die Begutachtung durch Sachverständige der „Beweisaufnahme" gegenüber gestellt). Die Regelung der einzelnen strei­ tigen Punkte, welche das praktische Interesse der Streitfrage bilden, ist überall im Sinne der Gehülfentheorie erfolgt (vgl. z. B. §§ 369—371, 377). sSo auch RG. in Gruchot 27 S. 1104, in I. W. 1891 S. 271, Seuffert Anrn. 2 vor § 367, Petersen S. 584, Oberweyer S. 92 ff. u. A.. A.M. Hellmann, Lehrb. S. 559 ff., Planck II S. 268 f., 271 u. Birk­ meyer S. 515, welche letzteren den Unterschied zwischen wahrnehmenden und urtheilenden Sachverständigen aufrecht erhalten.^ Von Anwendung der Begriffe „Beweis", „Beweismittel" (f. §§ 324 Nr. 2, 449 Nr. 3) kann somit hier nur in einem modifizirten Sinne, etwa wie bezüglich der fremden Rechte rc. (§ 265), die Rede sein. Eine Verpflichtung zum Beweisgntritt (formelle Beweislast — vgl. § 54 Anm. 1 S. 63 a. E., 64) besteht rücksichtlich der durch Sachverständige aufzuklärenden Punkte nur, soweit dem Gerichte die Kenntniß nicht bereits beiwohnt oder nicht von ihm anderweit erreicht wird (s. § 368 Anm. 2). Auch ohne jeden Partei-Antrag kann und muß nach seinem pflichtmäßigen Ermessen das Gericht von Amts wegen Sachverständige vernehmen (s. §§ 3, 135, 260, 337, 407) und Aeußerungen nicht vernommener Sachverständigen als Hülfsmittel zur Würdigung abgegebener Gutachten be­ nutzen (vgl. § 367 Anm. 3). In Entmündigungssachen wegen Geisteskrankheit ist es zur Ver­ nehmung von Amtswegen, mit Ausnahme bestimmter Fälle, sogar unbedingt verpflichtet (§§ 598, 599, 612). Im Uebrigen kann das Gericht allerdings nach seinem Ermessen auch eine Anregung der Parteien (s. § 368 Anm. 1) abwarten; aber niemals ist es dazu durch die Natur des „Sachverständigen-Beweises" genöthigt. Die Verhandlungsmaxime bleibt hier gänzlich außer Betracht (s. Obermeyer S. 93, Langenbeck a. a. O., s. auch Stein a. a. O. S. 95f. A.M- Birkmeyer hinsichtlich der „wahrnehmenden Sachverständigen"). Zum Schutze der Parteien dienen namentlich die §§ 369 Abs. 3,4, 371 sowie das Recht, den Inhalt des Gut­ achtens anzufechten (§§ 258, 259, 377).

§ 367. 1) Obschon „auf den Beweis durch Sachverständige die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechende Anwendung finden" (s. d. Uebersicht bei Seuffert Anm., Sarwey 1 S. 532; vgl. auch StPO. § 72), sa bedingt doch der Grundsatz (s. Anm. 2 vor § 367) zahlreiche Abweichungen von den für jene Beweisart wie für die Be­ weismittel überhaupt geltenden Bestimmungen. Diese Abweichungen enthalten die §§ 368—378. Unanwendbar ist auch § 339 (vgl. Mot. S. 248, § 339 Anm. 1. A.M. Wilm. Levy Anm. 1); ebenso § 359 (s. § 376 Anm. 3), nicht § 344 (vgl. § 344 Anm. 4) und § 364, vorbehaltlich der Desugniß des Gerichts, trotz des Verzichts der Partei nach § 135 den Sachverständigen zu hören (A.M. Seuffert Anm.). Die sog. sachverständigen Zeugen werden wie gewöhnliche Zeugen behandelt (§ 379). sVgl. auch Wach a. a. O. S. 336 ff.] 2) Die Bestimmungen des vorliegenden Titels gelten auch für die von Amts wegen veranlaßte Begutachtung durch Sachverständige (§ 135 Abs. 2). § 344 ist alsdann hier un-anwendbar (vgl. § 344 Anm. 4 a. E.). 3) Sachverständige Aeußerungen von Personen, welche im Prozesse nicht als Sachverständige zugezogen sind, können zwar nicht als Beweismittel, wohl aber als Hülfsmittel bei freier Würdigung der Gutachten nach § 259 benutzt werden (RG. IX S. 380).

472

Zweites Buch. Verf. in erst. Instanz. Erst. Abschn. Verf. v. d. Landgerichten. §§ 368, 369.

§ 368. Die Antretung des Beweises erfolgt durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte. 91. e»tw. § 537. Ent«. I. § 338. Ent«. II. § 349. ent«. III. § 355. Mot. S. 25S. Prot. S. 140.

§ 369. Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestim­ mung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozeßgericht. Dasselbe kann sich auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken. Es kann an Stelle der zuerst ernannten Sachverständigen andere ernennen. § 368. 1) Die „Antretung des Beweises" (§§ 255, 338), soweit von einer solchen hier die Rede sein kann (vgl. d. allg. Bem.), ist auf die „Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte", also gewissermaßen auf die Angabe des Beweissatzes (vgl. §§ 324 Nr. 1, 342 9fr. 2), welche hier freilich der Natur dieses Beweismittels nach von geringerer Bedeutung ist, als beim Zeugenbeweise (vgl. Heusler a. a. O. S. 268 ff.), und die Bezeichnung der allgemeinen Art von Beweismitteln, deren Erhebung der Beweisführer beantragt, beschränkt. Ein gleich­ zeitiger Vorschlag der Personen ist nicht ausgeschlossen. Im übrigen vgl. wegen deren Auswahl § 369. — Ist der den Sachverständigen zu unterbreitende Stoff an Besichtigungs­ gegenständen oder an zu beurtheilenden Thatsachen noch nicht aktenmäßig, so ist zwar auch hierfür der Beweis anzutreten; dabei handelt es sich aber stets (abw. Planck II S. 280 „keineswegs immer") um eine Verbindung von Beweis durch Augenschein, Urkunden u. s. w. mit dem Sachverständigenbeweise. 2) Ob das Gericht die beantragte Vernehmung von Sachverständigen, wenn es sich selbst die erforderliche Sachkunde beimißt, ablehnen darf, ist nicht bestimmt. Die Mot. erklären die Aufnahme einer bezüglichen Vorschrift für theils entbehrlich, theils bedenklich; die Spezial­ vorschriften des § 407 („geeignetenfalls") und GVG. § 118 widersprächen nicht, erstere nicht, weil der Richter hier selbst Sachverständiger, letztere nicht, weil das Gericht in diesem Falle zum Theil mit sachkundigen Personen aus dem Handelsstande besetzt sei. Die Be­ jahung der Frage ergiebt sich aus der grundsätzlichen Behandlung der Sachverständigen als Gehülfen des Richters. (Uebereinstimmend: RG. in I. W. 1891 S. 271 (s. auch RG XXV S. 55), Seuffert S. 477, Wilm. Levy S. 578f., Petersen §§ 367, 368 Anm. 1, A. Förster Anm. 4, Endemann II S. 533, Gaupp I S. 702, Heusler a. a. O. .]

2) Die Entwürfe 1 u. II hatten die Berufung nur gegen die Endurtheile der Amts­ gerichte beibehalten, gegen die erstinstanzlichen Endurtheile der Kollegia lg erichle aber ausgeschlossen und statt der Berufung ein — mit einer einzigen, die Auslegung der Urkunden betreffenden Ausnahme — auf die rechtliche Beurtheilung des Rechtsstreits beschränktes Rechtsmittel, eine revisio in jure, gewährt. Ein Beschluß des Bundesraths stellte jedoch im Entwurf III — in Uebereinstimmung mit fast sämmtlichen Gesetzgebungen — die Berufung auch gegen die erstinstanzlichen Urtheile der Kollegialgerichte wieder her und wurde auch von der NM. ausrecht erhalten. sVgl. über diese Frage, und zwar für die Abschaffung der Berufung: Mot. z. Entw. 1 S. 238 ff., Mot. z. Entw. II S. 42 ff., 403 ff., v. Bar in d. Zeitschr. s. Rechtspflege in Preußen II (1868) S. 213 ff., in Behrend, Zeitschr. f. d. deutsche Gesetzgebung VI (1872) S. 260ff. u. in „Recht und Beweis" S. 81 ff., 230ff., G. Planck in d. Preuß. Jahrb. Bd. 31 (1873) S. 174 ff. u. 335 ff., Meyer, Bemerkungen z. CPO., Berlin 1867, Levy, Die zweite Instanz in bürgert. Rechtsstreitigkeiten, Berlin 1871, G aupp, Gutachten in Verhandl. des 9. D. Jur.-Tags II S. 262 Anm. 60 (nur bedingungsweise), Groddeck, Gutachten das. S. 201 ff.; gegen: Bähr, Das Rechtsmittel zweiter Instanz im deutschen CP., Jena 1871, R. Koch in Behrend, Zeitschr. VII S. 71 ff., v. Kräwel das. VIII S. 625, 632, Stahl im cito. Arch. 56 S. 173 ff., Nissen in Krit. Vierteljahrsschr. VIII S. 76 ff., Platner, Die neue Konstruktion des Prozesses, Berlin 1873, Wach in Krit. Vierteljahrsschr. XV S. 88 ff., 351 ff., v. Canstein, Grundlagen S. 105ff. Vgl. außerdem Verhandl. des 9. D. Jur.-Tags III S. 275 ff., 335 ff., Gutachten über den im Preuß. Justizminist, ausgearbeiteten Entw. einer d. CPO., auf Veranlassung des deutschen Anwaltstages erstattet, Berlin 1871, (zwei Gutachten für, zwei gegen), Verhandl. des 2. D. Anwaltstages, Berlin 1871, S. 80 ff., Komm.-Ber. d. RTK. z. CPO. S. 7-11.] 3j Wie im preuß. und regelmäßig im Hann. Prozesse — aber abweichend vom gern. und franz. Rechte — findet die Berufung nur gegen Endurtheile statt, von denen regelmäßig nur eines in jeden: RechtSzuge ergeht. Die Anfechtung des Endurtheils ergreift alle ihm vorausgegangenen Akte des Gerichts. Diesen wichtigen Grundsatz drücket: die §§ 472, 473 aus. Vgl. Mot. z. P. E. 3. 138 ff. 4) DaS Verfahren in der Berufungsinstanz ben:ht, dem Karakter der Beruftmg als eines neuen JudiziurnS entsprechend, auf wesentlich denselben Grundsätzen wie das Verfahren erster Instanz (vgl. § 485); es wird insbesondere gleich diesen: von den: Mündlichkeits­ prinzip beherrscht.

576

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 472.

Die Gerichtsgebühren der ersten Instanz werden auch für die Berufungsinstanz er­ hoben; jedoch erhöhen sich die Gebührensätze (vgl. GKG. § 8) mit ein Viertheil (GKG. § 49), nicht auch die Anwalts gebühren, welche dieselben bleiben. 5) Die Landgerichte sind die Berufungsgerichte in den vor den Antts ge richten (GVG. § 71), die Oberland esgerichte in den vor den Landgerichten, wenngleich in Folge einer Prorogation (§ 38), verhandelten Rechtsstreitigkeiten (GVG. § 123 Nr. 1). 6) Die §§ 472—476 betreffen die Zulässigkeit der Berufung, die §§ 477—481 die Einlegung, die §§ 482, 483 die Anschließung, § 484 die Beantwortung, die §§ 485 bis 503 das Verfahren vor dem Berufungsgerichte, § 504 das Versäumnißverfahren; §§ 505, 506 enthalten einige Einzelvorschristen. § 472. 1) Den Begriff des Endurtheils s. in den §§ 272—274; es gehören dahin auch das Theilurthcil (§§ 273, 274), das Ergänzungsurtheil (§ 292 — s. das. Anm. 5) und das ausnahmsweise zulässige Präjudizialurtheil (§§ 248, 276, 562) sowie die bei Verzicht und Anerkenntniß ergehenden Urtheile (§§ 277, 278), endlich zahlreiche im Arrest-Verfahren oder in dem einstweilige Verfügungen betreffenden Verfahren ergehende Entscheidungen (§§ 802, 805—807,815), nicht aber das gewöhnliche Zwischenurtheil (§ 275), auch nicht dasjenige, welches im Falle des Todes einer Partei die bestrittene Eigenschaft als Rechtsnachfolger und deren Verpflichtuirg zur Aufnahme des Rechtsstreits bejaht (vgl. oben S. 252 i. A. — A.M. Fitting § 81 N. 3, § 31 N. 2), auch nicht das Versäumnißzwischenurtheil des § 430 (vgl. § 474 Anm. 5). Vgl. die Anm. zu den §§ 272 ff., insbes. auch § 272 Anm. 2. Die Ausnahmen bezüglich des Verf äumnißurtheils s. in § 474, des Ausschlußurtheils in § 834 u. des Schiedsspruchs in § 866. 2) Die Anfechtung eines erlassenen Theilurtheils durch Berufung darf nicht bis zur Anfechtung des letzten Urtheils der Instanz aufgeschoben werden. Vgl. §§ 273 Anm. 1, 293 Anm. 3 S. .187 a. E. Auch die Anfechtbarkeit des Pr äjudizial urth eils unterliegt keinem Aufschub, jedoch kann in den Fällen der §§ 248, 276 das Gericht anordnen, daß ungeachtet des sofort Platz greifenden Rechtsmittels die Einlassung auf die Hauptsache bezw. die Verhand­ lung über den Betrag des Anspruchs erfolge. Vgl. §§ 246 Anm. 3, 276 Anm. 3. 3) Dem Endurtheile stehen ferner hinsichtlich der Zulässigkeit der Rechtsmittel gleich die bedingten Endurtheile (§§ 425 Abs. J, 439 Abs. 3), durch welche auf einen zugeschobenen oder richterlichen Eid erkannt wird, und zwar auch wenn inkorrekter Weise nur die eine Alter­ native entschieden ist (vgl. § 425 Anm. 1 S. 532, § 427 Anm. 1), sowie (abweich, v. d. Preuß. Verordn, v. 14. Dez. 1833 § 7 — GS. S. 302) dasjenige E ndurthcil, welches den Eintritt der in einem bedingten E ndurtheile ausgedrückten Folgen ausspricht (§ 427 Abs. 2). — Hinsichtlich der Entscheidung über den Kostenpunkt s. § 94. 4) Die Zulässigkeit der Berufung ist von einer Berufungs- oder Beschwerdesumme nicht abhängig. Es gilt vielinehr — abweichend von dem neueren gemeinrechtl. und dem preuß. Prozesse, dem rhein.-franz. Rechte und den meisten neueren Gesetzgebungen — der Grundsatz des röm. und kanon. Rechts [L. 20 Cod. (7, 62); vgl. auch c. 20 X de app. (2, 28), Wetzell S. 710] „et in majoribus et in minoribus causis appcllandi facultas est“. Vgl. Ges. über d. Konsulargerichtsbarkeit v. 10. Juli 1879 § 18 u. dazu RG. XIII S. 409, Ges. betr. die Rechtsverhältnisse in den D. Schutzgebieten v. 16. April 1886 (RGBl. S. 75) in der Fass. v. 19. März 1888 (RGBl. S. 75) § 2 u. die dazu erlass, kais. Verordn. (JMBl. 1891 S. 129). Anders das Ges., betr. die Gewerbegerichte v. 29. Juli 1890 § 55 (RGBl. S. 141). 5) Unbedingt berechtigt zur Einlegung der Berufung sind nur die Hauptparteien und deren Gesammtrechtsnachfolger (vgl. v. Kries a. a. O. S. 31 ff.). Wegen der Sonder-

Erster Abschnitt.

Berufung.

§ 473.

577

§ 478. Der Beurtheilung des Berufungsgerichts unterliegen auch diejenigen Entscheidungen, welche dem Endurtheile vorausgegangen sind, sofern nicht dieselben nach den Vorschriften dieses Gesetzes unanfechtbar oder mit der Beschwerde an­ fechtbar sind. N. Entw. § 769. Entw. I. § 430. Entw. IL § 447. Enttv. III. § 453. Mot. S. 298. Prot S. 231. rechtsnachfolger s. §§ 236, 237. Die Vorschrift des C. civ. art. 1166 bleibt unberührt (Hell­ mann II S. 385, Petersen §§ 472—474 IV 2, Seuffert Anin. 2 a; vgl. Zach ariä II § 312 a. E.). Jeder Streit genösse kann für sich Berufung einlegen, und ebenso kann einzelnen Streitgenosscn gegenüber Berufung eingelegt werden (vgl. § 58 Anm. 1); sie wirkt nur denjenigen Streitgenossen gegenüber, gegen welche sie eingelegt ist (vgl. ob.LG. f. Bayern in S. A. 49 N. 120). Wegen der nothwendigen Streitgenossenschaft gilt aber auch hier der Grundsatz des § 59 (s. das. Anm. 4 u. daneben Seuffert § 472 Anm. 2a, Gaupp II S. 7, Fitting S. 535). Eine eigenthümliche Unterscheidung macht Siebenhaar S. 478. Hinsichtlich der Nebenintervenienten s. §§ 63 Anm. 3, 64 Anm. 1. Abgesehen hiervon timten Dritte, welche an dem Verfahren erster Instanz nicht formell betheiligt waren, niemals Berufung einlegen (s. RG. in Gruchot 30 S. 442, in I. W. 1890 S. 111, Gaupp II S. 6; vgl. auch § 230 Anm. 3 Abs. 2), sondern höchstens noch in der Berufungsinstanz der Hauptpartei, wenn diese das Rechtsmittel ergriffen hat, sich nach § 63 anschließen (Endemann II S. 398 f., S euffert Anm. 2 b, Fitting a. a. O.). 6) Die Berufung ist das einzige Rechtsmittel gegen die Endurtheile erster Instanz (vgl. jedoch § 473). Mittels ihrer kann eine uneingeschränkte Prüfung der erstrichterlichen Entscheidung in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung herbeigeführt werden (§§ 487, 488, 491, 493, 498, 499; s. d. allg. Bem. zu diesem Abschn. unter 1).

§ 473. 1) Da nach § 472 die Berufung nur gegen Endurtheile stattfindet, so ist noch eine Be­ stimmung rücksichtlich derjenigen Entscheidungen nöthig, welche deut Endurtheile vorausgegangen sind und nach der Sprache der CPO. (ߧ 146 Nr. 5, 292) entweder in Urtheilen (insbesondere Zwischenurtheilen, §§ 275, 426 Abs. 2; vgl. RG. XXVII S. 358, in S. A. 47 Nr. 297), Beschlüssen (vgl. z. B. §§ 141 Anm. 1, 203 Anm. 3, 323) oder Verfügungen bestehen können. Diese Bestimmung trifft der § 473 dahin, daß diese Entscheidungen in der Regel mittels der Berufung gegen das Endurtheil anfechtbar sind. Hierin liegt das Prinzip der Konzentration der Berufung. Vgl. Anm. 3 vor § 472. Hann. PO. § 394 und H. E. § 570 bezeichnen diese Anfechtbarkeit der Vorentscheidungen bei Gelegenheit der Verhandlung über die Berufung gegen das Endurtheil als vorbehaltene Berufung im Gegensatze zu der Berufung gegen das Endurtheil selbst, die als sofortige bezw. selbständige Berufung bezeichnet wird. (Vgl. Leonhardt, Die Lehre v. d. Berufung, Hannover 1855 S. 13 ff.; d ers. im N. Mag. f. Hann. R. Bd. 8 S. 89 ff., 245 ff., Hann. Prot. X S. 3552 ff., XII S. 4310 ff., XVII S. 6521 ff., 6606 ff., Mot. z. P. E. S. 141.) Die CPO. hat zwar im Einklänge mit dem N. E. diese Ausdrucksweise nicht angenommen, steht aber in der Sache selbst kauf dem nämlichen Standpunkte. 2) Einer formellen Anfechtung der vorausgegangenen Entscheidungen bedarf es nicht, vielmehr genügt die Anfechtung des Endurtheils (vgl. § 479 Abs. 2 Nr. 1), um den Berufungsrichter zum Herrn der Sache auch bezüglich der Vorentscheidungen zu machen. Diese erscheinen als ein Theil der Gründe des Endurtheils, insbesondere auch in Beziehung auf die Erlangung der Rechtskraft (§ 293 Anm. 3). Vorzugsweise, um hierüber keinen Zweifel zu lassen, ist der Ausdruck „vorbehaltene Berufung" vermieden worden. (Vgl. RG. V S. 347.) 3) Als Ausnahmen von der Anfechtbarkeit der Vorentscheidungen mittels der Berufung stellt § 473 zwei Gruppen hin: die gänzliche Unanfechtbar keil der Entscheidung und die Anfechtbarkeit mittels der Beschwerde. Fälle der ersteren Art s. in den §§ 37 Abs. 2, Str u ckinann u. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Aufl 37

578

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 474.

§ 474. Ein Versäumnißurtheil kann von der Partei, gegen welche es er­ laffen ist, mit der Berufung nicht angefochten werden. Ein Versäumnißurtheil, gegen welches der Einspruch an sich nicht statthaft ist, unterliegt der Berufung insoweit, als dieselbe darauf gestützt wird, daß der Fall der Versäumung nicht vorgelegen habe. 91. Entw. § 771. 232, 558.

Entw. I § 431. Entw. II. § 448. Entw. III. § 454. Mot. S. 299. Prot. S. 231,

46 Abs. 2, 118, 143 Abs. 3, 160 Abs. 1, 203 Abs. 3, 242, 290 Abs. 3, 291 Abs. 4, 320 Abs. 2, 371 Abs. 5, 451 Abs. 2, 496 Abs. 2, 625 Abs. 2, 631 Abs. 3, 647 Abs. 2, 656 Abs. 3, 689, 690 Abs. 3, GVG. § 107. Die Fälle der zweiten Art s. in § 530 Anm. 1. „Daß diejenigen Vorentscheidungen, welche dem Rechtsmittel der Beschwerde unter­ liegen, von der Anfechtung mit der Berufung ausgeschlossen sind, ist ein Hauptzweck der Zulassung der Beschwerde" (Mot.). Zu diesen Vorentscheidungen gehören auch Beschlüsse, welche äußerlich mit dem Endurtheile verbunden sind, der Natur der Sache nach aber ihm vorausgehen müssen und an sich der Beschwerde unterliegen, wie z. B. nach § 118 in Betreff der Entziehung des Armenrechts (A.M. ob.LG. f. Bayern in S. A. 39 Nr. 260, welches Berufung zuläßt); vgl. § 301 Anm. 1. Anders, wenn die bezüglichen Entscheidungen in dem Endurtheil als Bestandtheil der Entscheidungsgründe ergehen (Sarwey I S. 655 Anm. 4, Puchelt II S. 314). Vgl. § 229 Anm. 3 a. E. Selbstverständlich unterliegen außerdem diejenigen dem Endurtheile vorausgegangenen Zwischenurtheile der Berufung mit dem Endurtheil nicht weiter, welche in Betreff der Rechts­ mittel als Endurtheile anzusehen sind (§§ 248 Abs. 2, 276 Abs. 2, 562 Abs. 3). (Vgl. § 248 Anm. 2, 276 Anm. 1; NG. V S. 422, XVI S. 352, in Gruchot 30 S. 1117; Fitting S. 323, Osterloh in Busch, Z. III S. 63 f., Gaupp 11 S. 9, Petersen § 472 Nr. 2, Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1 u. A. A.M. Puchelt II S. 314.] Wegen der Versäumnißzwischenurtheile s. § 474 Anm. 4. 4) Ist von dem Gerichte erster Instanz eine Entscheidung erlassen, welche nach der auch äußerlich erkennbaren Absicht des Gerichts ein Endurtheil oder ein selbständig anfechtbares Zwischenurtheil im Sinne der §§ 248 Abs. 2, 276 Abs. 2, 562 Abs. 2 sein soll, so ist gegen diese Entscheidung die Berufung auch dann zulässig, wenn die Entscheidung nicht als Endurtheil oder selbständig anfechtbares Zwischenurtheil hätte erlassen werden dürfen, oder wenn sie ihrem Inhalte oder ihrer Form nach den Erfordernissen eines Endurtheils nicht ent­ spricht. Aus der Anwendung äußerer Förmlichkeiten eines Urtheils ist dabei nicht nothwendig auf die Absicht der Erlassung eines Urtheils zu schließen (f. RG XXXII S. 379). (Vgl. RG. VI S. 421, 429, VII S. 427 (verein. Civilsen.), VIII S. 363, XII S. 363, XIII S. 404, XVIII S. 361, in I. W. 1887 S. 493, 1888 S. 11, 1890 S. 112, 1892 S. 93, Planck T S. 462, Gaupp II S. 5 a. E., Wilm. Levy § 472 Anm. 2. A.M. RG. V S. 350 (vgl. I S. 427), Hagemann in Busch, Z. XIIS. 401, Brettner in Bödiker, Mag. V S. 299 ff. S. noch §§ 248 Anm. 2, 276 Anm. 3, 425 Anm. 1, 474 Anm. 1 a. E., 507 Anm. 1, RG in Fenner u. Mecke, Arch. III S. 157.] Andererseits aber wird gegen eine Entscheidung, welche sachlich ein Endurtheil ist, die Berufung nicht nur dann für zulässig erachtet werden müssen, wenn das Gericht erster Instanz durch ein bloßes Versehen im Ausdrucke die Entscheidung äußerlich als Zwischenurtheil oder Beschluß erlassen hat (vgl. RG. in I. W. 1889 S. 130, 1891 S. 412, OLG. Marienwerder in S. A. 49 Nr. 197; vgl. auch RG. XV S. 392, 413, XVI S. 286), sondern auch dann, wenn das Gericht sich der Be­ deutung der Entscheidung als eines Urtheils nicht bewußt gewesen ist (vgl. Planck I S. 483). §

474.

Literatur: Troll, Versäumnißurtheil §§ 50 ff. 1) Abs. 1: Die CPO. folgt hier im Anschlüsse an N. E. § 771 dem in der gemein­ rechtlichen Praxis (vgl. Wetzell S. 708 ff., Renaud S. 426) freilich vielfach abgeschwächten

Erster Abschnitt.

Berufung.

§ 474.

579

Grundsätze des röm. Rechts „contumax non appellat“ [L. 73 § 3 D. de jud. (5, 1), L. 1 Cod. quor. app. non rec (7, 65)], indem sie davon ausgeht, daß bei der unbeschränkten Zulassung des Einspruchs gegen Versäumnißurtheile kein Bedürfniß für die Gestattung der Be­ rufung vorhanden sei. Auf dem gerade entgegengesetzten Standpunkte stehen das franz. Recht (C. de proc. art. 443) und die diesem sich anschließenden Gesetzgebungen (Bayer. PO. Art. 69 t, P. E. § 643), welche neben dem Einsprüche die Berufung, wie gegen ein kontradik­ torisches Urtheil, zulassen und dadurch der Partei die Möglichkeit gewähren, unter Durchbrechung des Jnstanzenzuges die eigentliche Verhandlung der Sache sofort in die zweite Instanz zu ver­ legen, was die CPO. grundsätzlich vermeidet (§ 500). Einen Mittelweg schlagen diejenigen Gesetzgebungen ein, welche, wie die Preuß. Verordn, (für gemeinrechtliche Gebiete) v. 21. Juli 1849 § 47 Abs. 2 und v. 24. Juni 1867 § 49 Abs. 2, Hann. PO. § 166, Bad. PO. § 1109 u. s. w., die Berufung gegen ein Versäumnißurtheil alsdann gestalten, wenn die Folgen, die aus den für zugestanden angenommenen Thatsachen gezogen sind, als unrichtig angefochten werden, und welche somit der Berufung in diesem Falle den Karakter der Revision verleihen (Mot. z. P. E. S. 158). Von der RTK. sind die den letzteren Standpunkt vertretenden Anträge abgelehnt worden. 2) „gegen welche es erlassen ist" — sei es Kläger oder Beklagter (§§ 295, 296), und zwar auch dann, wenn er zum Verhandlungstermine nicht geladen war: denn wiewohl hier der Fall der Versäumung nicht vorliegt, so ist doch der Einspruch nicht unstatthaft svgl. Abs. 2; RG. in Gruchot 25 S. 1111]. Die Partei, welche das Versäumnißurtheil beantragt hat, kann dasselbe mit der Berufung anfechten. Hiernach hat der Kläger, soweit das Urtheil im Falle des § 296 Abs. 2 die Abweisung der Klage ausgesprochen hat (vgl. § 296 Anm. 4), nicht den Einspruch, sondern die Berufung. Alsdann stehen, da das Urtheil nicht auf der Versäumung beruht, sondern von dieser ganz unabhängig ist, nach den allgemeinen Grundsätzen (s. §§ 491, 493) dem Beklagten vor dem Berufungsgerichte alle Vertheidigungsmittel gerade so zu, als ob er bereits in erster Instanz erschienen wäre, ohne daß es des Einspruchs bedarf. (So Seuffert Anm. 1, Sarwey I S. 656, Wilm. Levy Anm. 1, Petersen § 474 Nr. 1, Gaupp II S. 10, Troll S. 241 f., v. Kries a. a. O. S. 162ff., Hellmann, Lehrb. S. 673ff., OLG. Karlsruhe in S. A. 39 Nr. 151. A.M. Wach, Bortr. S. 202 ff., v. Bülow Anm. 2, Köhler, Prozeß als Rechtsverh. S. 65 ff. u. Forsch. S. 61.) Vgl. auch §§ 491 Anm. 1, 500 Anm. 6. (Es ist nicht ersichtlich, weshalb B olgiano S. 467 Anm. * aus diesen Bemerkungen schließt, daß das Urtheil — dem abgewiesenen Kläger gegenüber — für ein Versäumnißurtheil gehalten werde.) Ist das Urtheil für den Kläger theilweise abweisend, theilweise obsieglich, so steht gegen den abweisenden Theil dem Kläger die Berufung, gegen den zusprechenden dem Be­ klagten der Einspruch zu. Ueber die prozessualische Behandlung dieses Falles s. § 486. 3) Der Abs. 2 enthält eine Einschränkung des Abs. 1 unter einer doppelten Voraussetzung: a) daß ein Versttumnißurtheil vorliegt, gegen welches der Einspruch an sich nicht statthaft ist; b) daß die Berufung darauf gestützt wird, daß der Fall der Versäumung nicht vor­ gelegen habe. Der Ausdruck unter a ist von der RTK. an die Stelle von „ein dem Einsprüche nicht unter­ liegendes Versäumnißurtheil" gerade zu dem Zwecke gesetzt worden, um jeden Zweifel darüber zu beseitigen, daß nur ein Versäumnißurtheil, welches dem Einspruch überhaupt nicht unterliegt, unter den Abs. 2 fällt. Ein Urtheil, welches durch den Einspruch nur wegen Ablaufs der Einspruchsfrist nicht mehr angefochten werden kann, wird daher durch den Abs. 2 nicht be­ troffen, weil in einem solchen Falle der Einspruch an sich statthaft war (vgl. ß 306 Anm. 2, Endemann II S. 401 u. A. A.M. Sieben haar S. 4dl). Aber auch in Fällen, in welchen der Einspruch an sich unstatthaft ist (vgl. §§ 310, 216 Abs. 2), ist der einzige Berufungsgrund der, daß der Richter mit Unrecht einen Fall der Ver37*

680

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 475.

§ 475. Die Wirksamkeit eines nach Erlassung des Urtheils erklärten Ver­ zichts auf das Recht der Berufung ist nicht davon abhängig, daß der Gegner die Verzichtleistung angenommen hat. N. Entw. 8 778. Entw. I. § 438. S. 838, 333.

Entw. II. § 449.

Entw. III. § 455.

Mot. S. 899, 300. Prot.

säumung angenommen habe (z. B. wenn das Versäumnißurtheil aus den Gründen des § 300 hätte zurückgewiesen werden müssen, wenn das Gericht unzuständig war u. s. w.). Eine Aufzählung solcher Fälle s. bei Seuffert Anm. 2, Troll S. 228 u. Schwalb ach in Gruchot 26 S. 2 ff., welcher irrthümlich annimmt, daß wir auch diejenigen Fälle des § 300 Nr. 1 hierher rechnen, wo wirklich — nach dem in zweiter Instanz erbrachten Nachweise — Versäumung vorliegt und nur in dem betreffenden Termine erster Instanz vom Gegner nicht nachgewiesen werden konnte. Kein Berufungsgrund ist es, daß die erste Instanz nach § 302 hätte vertagen sollen (Troll S. 229, Gaupp II S. 11. A.M. Fitting § 79 N. 16). Die Zulassung der Berufung gegen ein Versäuinnihurtheil in dieser doppelten Beschränkung enthält keinen Widerspruch mit dem dem Abs. 1 zu Grunde liegenden Gedanken, weil gegen eine unrichtige Annahme des Vorhandenseins einer Versäumung ein Rechtsbehelf gegeben werden muß, mittels des Einspruchs aber in diesen Fällen nicht geholfen werden kann. Wegen der Gebühren s. GKG. § 26 Abs. 1 Nr. 6 u. Abs. 2, GO. f. RA. § 20. 4) Bezieht sich der Fall des § 474 Abs. 2 auf einen Zwischenstreit (§ 312 Abs. 2), so findet nach § 473 die Berufung gegen das Zwischenurtheil erst mit derjenigen gegen das Endurtheil statt (RG. XIII S. 397; vgl. § 430 Anm. 3, auch RG. in I. W. 1891 S. 89). Dabei unterliegt auch, wie aus der allgemeinen Fassung und aus dem Prinzip des (hinter den §§ 472, 473 stehenden) § 474 folgt und durch die geringere Kraft der kontradiktorischen Zwischenuriheile nicht widerlegt wird, das Versäumnißzwischenurtheil der Beurtheilung des Berufungs­ gerichts nicht allgemein, sondern nur in der Beschränkung des § 474 Abs. 2. (So Seuffert Anm. 3, Gaupp II S. 10, Wach, Vortr. S. 187 ff., Troll S. 248 ff., Faull, Zwischenstreit S. 71, Fitting § 81 N. 7 u. A. A.M. P etersen 88 472—474 II, Wilm. Levy Anm. 3, v. Kries a. a. O. S. 167 ff., Hellmann, Lehrb. S. 694, Barazetti a. a. O. S. 27, Müller in Busch, Z. IV S. 323 ff., H. Meyer das. IX S. 351.) Vgl. auch die Mot. in 8 312 Anm. 3.

§ 475. Literatur: Planck I 88 57, 60. 1) Die Vorschrift des 8 475 bezieht sich nur auf einen nach Erlassung (&. h. Beschlußfassung und Verkündung) des Urtheils, aber — im Gegensatze zur Zurücknahme — vor Erhebung der Berufung erklärten Verzicht. Auch ist dabei nur an einen Verzicht gedacht, der gegenüber dem Gerichte oder dem Gegner erklärt wird (Mot., Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp II S. 12, Seuffert Anm. 2, Planck I S. 312 u. A. A.M. Barazetti a. a. O. S. 71 ff., v. Kries a. a. O. S. 58). Allerdings hat ein dem Beauftragten des Gegners, z. B. einem mit der Zu­ stellung betrauten Gerichtsvollzieher, gegenüber erklärter Verzicht eine gleiche Wirkung (vgl. auch Hellmann II S. 391). Der Annahme des Gegners bedarf es nicht (Nordd. Prot. S. 1489). Vgl. auch 88 261 Abs. 2. 311, 529, 742. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben (Planck a. a. O. will 8 476 Abs. 2 entsprechend anwenden). Anwaltszwang besteht für die Verzichterklärung nicht (ob.LG. f. Bayern in S. A. 37 Nr. 161, Seuffert Anm. 2 u. A.). Darüber, ob die Verzichtleistung die formelle Rechtskraft des Urtheils zur Folge hat, s. 8 645 Anm. 1. Zurücknahme auf Grund eines Uebereinkommens der Parreien ist nach bürgerlichem Rechte zu beurtheilen (ob.LG. f. Bayern in S. A. 39 Nr. 64). Ueber die Befugniß des Verzichtenden zur Anschlußberufung vgl. 8 482 Abs. 1. 2) Die Bestimmung der Entwürfe (als Abs. 2): „Die Verzichtleistung kann auch durch Handlungen erfolgen, aus welchen die Absicht hervorgeht, das Urtheil nicht anfechten zu wollen"

Erster Abschnitt.

Berufung.

§ 476.

581

§ 476. Die Zurücknahme der Berufung ist ohne Einwilligung des Berufungs­ beklagten nur bis zum Beginne der mündlichen Verhandlung des Berufungsbe­ klagten zulässig. Die Zurücknah,ne erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Zustellung eines Schriftsatzes. Abschrift desselben ist sofort nach erfolgter Zustellung auf der Gerichtsschreiberei niederzulegen. Die Zurücknahme hat den Verlust des Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Auf Antrag des Gegners sind diese Wirkungen durch Urtheil auszusprechen. 9t. Entw. § 773. Ent«. I. § 433. Ent«. II. § 450. Ent«. III. § 456. Stet. S. 300. Prot. @. 233. ist von der RTK. gestrichen worden, nachdem man bemerkt hatte, sie sei nicht praktisch, da es denkbar sei, daß über die Frage, ob die Berufung durch konkludente Handlungen zurückgenommen worden sei, ein neuer (Streit entstände. Hieraus dürfte zu entnehmen sein, daß die Kommission die vorgeschlagene Bestimmung nicht etwa als selbstverständlich, sondern aus sachlichen Bedenken abgelehnt hat, und daß mithin unter Verzicht im Sinne dieses Paragraphen nur ein aus­ drücklicher Verzicht verstanden merben kann, zumal da auch sonst prozessuale Erklärungen nicht immer stillschweigend erfolgen können (RG. XVI S. 346, in I. W. 1888 S. 12, Wilm. Levy Anm. 3, Seuffert a. n. O., Hellmann II S. 391 f., Sarwe y I S. 658, Gaupp II S. 13, v. Bülow Anm. 1, Petersen §475 Nr. 2, Barazetti a. a. O. S. 72, Endemann II S. 402, welcher jedoch auch einen aus einer ausdrücklichen Erklärung gefolgerten indirekten Verzicht zulassen will; vgl. auch RG- V S. 384 u. in I. W. 1886 S. 73. A. M. Sieben­ haar S. 482 Anm.***, v. Kries a. a. O. S. 58 ff., Köhler.in Gruchot 31 S. 285 N. 12, Troll a. a. O. S. 203, Planck 1 S. 312 a. E., Fitting § 81 N. 14, Hellmann, Lehrb. S. 645 ff.). Es sind also namentlich die Bestimmungen des franz. Rechts über das acquiescement als beseitigt anzusehen. 3) Indem die CPO. über den Verzicht auf die Berufung vor Erlassung des Urtheils keine Bestimmung aufgenommen hat (anders N. E. § 772, welcher eine solche Verzichtleistung völlig ausschließt), überläßt sie die Beurtheilung der Gültigkeit desselben lediglich dem bürgerlichen Rechte (vgl. L. 1 § 3 D. a quib. app. [49, 2], L. 5 § 6 Cod. de temp. app. [7, 63], Wetzell S. 706 Anm. 19, Renaud S. 462, Wach im civ. Arch. 64 S. 243 Anm. 30, Schwalbach das. S. 291 ff., Köhler a. a. O. S. 285 ff. u. A., auch RG. XX S. 399. A.M. Fitting § 81 bei N. 14, der vor Erlaß des Urtheils einen vom Gegner angenommenen Verzicht ohne Rücksicht auf das bürg. Recht für wirksam erachtet). Nach gem. Recht ist die Gültigkeit zu be­ jahen; ebenso nach preuß. Recht (vgl. Präj. d. OTr. 1549 — Präj. S. I S. 230), nach sächs. Recht (RG. in S. A. 43 Nr. 309) und nach C. de proc. art. 7, 0. de comm art. 639 Nr. 2; vgl. C* de proc. art. 1010 u. RG. in I. W. 1893 S. 252 Nr. 8). — S. übrigens auch § 311 Anm. 4) Daß die Berufung gegen ein bereits erlassenes Urtheil durch Vertrag unter den Parteien ausgeschlossen luerben kann, erklären die Mot. für einen selbstverständlichen, nicht in die CPO. gehörenden Saß.

8 476. Literatur: Möller in Gruchot 26 S. 182 ff., Schultzenstein das. S. 229 ff., Birkmeyer, Rechtsfälle S. 1 ff. u. dazu L. Seuffert in Krit. Vierteljahrsschr. 27 S. 477 ff., Planck I § 60. 1) Abs. 1: Die hier ausgesprochene, dem Z 243 Abs. 1 entsprechende Beschränkung der Zurücknahme der Berufung steht im engsten Zusammenhange mit der dem Beklagten in weitem Umfange gestatteten (§ 482), jedoch andererseits wiederum von der Hauptberufung abhän­ gigen (§ 483 Abs. 1) Anschlußberufung. (Vgl. v. Kries a. a. O. S. 60.) Ein Antrag, die Zurücknahme „bis zum Erlaß des Endurtheils" zuzulassen, wurde von der RTK. abgelehnt.

582

Drilles Buch.

Rechtsmittel.

§ 476.

Mit Einwilligung des Berufungsbeklagten kann die Berufung bis zur Beendigung der Berufungsinstanz, ohne Einwilligung nur bis zum Beginne der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten — als solche ist hier eine Verhandlung über die bloße Zulässigkeit der Berufung nicht anzusehen (vgl. § 243 Abs. 1 „zur Hauptsache" u. dazu das. Anm. 4; Planck I S. 314 N. 16, Fitting § 81 N. 24, Seufsert Anm. 3b) — zurückgenommen werden. (Näheres s. bei Schultzenstein a. a. O., Planck I S. 314 f.; vgl. auch über die Zurück­ nahme der Berufung nach Einlegung des Einspruchs OLG. Cassel in Busch, Z. XIII S. 385 u. dagegen Seufsert Anm. 3 a.) Eine Beschränkung der (schriftlichen) Berufungsanträge ist keine (theilweise) Zurücknahme der Berufung, weil die wirkliche Stellung der Anträge erst in der mündlichen Verhandlung erfolgt (RG. VII S. 370 u. im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 5 S. 254). Vgl. auch § 480 Anm. 2. 2) Abs. 2: Die hier gegebenen Vorschriften entsprechen den Vorschriften des § 243 Abs. 2 über die Form der Zurücknahme der Klage (vgl. Planck IS. 312, ob.LG. f. Bayern in S.A.48 Nr. 156). 3) Abs. 3: Die Wirkung ist stärker als die der Zurücknahme der Klage (§ 243 Abs. 3, 4); sie ist nämlich die des prozessualen Verzichts (§ 475). Vgl. § 645 Anm. 1. Das Rechts­ mittel kann daher auch innerhalb der Nothfrist selbst mit Einwilligung des Gegners nicht wieder aufgenommen werden („Verlust des Rechtsmittels"), und das Gericht hat nach dem Grundsätze des § 497 von Amtswegen einem dahingehenden Versuche der Parteien entgegen­ zutreten. [. II. § 480.

E»!w. III. § 488. Mot. S. 318-322.

Prot.

Wirksamkeit hat, als ein in Geltung stehendes anzuerkennen. (A.M. RG. V S. 417 — s. auch I. W. 1889 S. 286 — hauptsächlich wegen des Wortes „Geltungsbereich", welches sich auch auf die zeitlichen Grenzen beziehe, sowie aus praktischen Gründen auch Petersen §§ 511—514 Nr. 4, Nocholl a. a. O. S. 305.) 7) Der Verletzung des Gesetzes ist die bloßer Gesellschaftsstatuten oder anderer Ver­ tragsurkunden, selbst wenn sie in Gesetzblättern veröffentlicht sind, nicht gleichgestellt. Vgl. § 543 Nr. 7a. (S. auch Seuffert § 512 Anm. 1 c, Gaupp II S. 83 N. 11, Wilm. Levy Anm. 4, Endemann II S. 457, ROHG. 4 S. 58, 7 S. 270, 9 S. 130, 10 S. 327,13 S. 119, 17 S. 110; vgl. RG. I S. 338, XVI S. 371, in S. A. 36 Nr. 309, in Gruchot 30 S. 1142 u. in I. W. 1886 S. 73, ob.LG. f. Bayern inS.A. 38 Nr. 363, Johow u. Küntzel, Jahrb. d. Entsch. d. Kammergerichts II S. 10. Vgl. jedoch wegen des Reglements der Feuer­ sozietäten für Berlin und Breslau RG. XIII S. 215, XXVIII S. 300.) Auch das Eisen­ betriebsreglement bildet keine Rechtsnorm (ROHG. 19 S. 184; vgl. RG. in I. W. 1886 S. 167. A.M. anscheinend ROHG. 6 S. 276 u. RG- in Gruchot 30 S. 1075). W egen unrichtiger Auslegung von Urkunden und von Urtheilen s. § 512 Anm. 7. 8) Fernere Voraussetzung für die Revision ist, daß die Entscheidung selbst auf einer Verletzung des Gesetzes — und zwar einer nach § 511 geeigneten — beruht. Es genügt nicht, daß objektiv das Recht verletzt ist, sondern es muß auch ein Kausalzusammenhang der Ver­ letzung mit dem beschwerenden Theile der Entscheidung bestehen, also ein subjektives Parteirecht verletzt sein (vgl. § 526). „Nicht eine aus den Entscheidungsgründen sich ergebende, sondern nur eine durch die Entscheidung begangene Verletzung des Gesetzes kann den Erfolg der Revision begründen. Die Nichtanwendung einer zutreffenden Rechtsnorm ist im allerweitesten Sinne eine Gesetzesverletzung. Es ist nicht erforderlich, daß die Norm in den Entscheidungsgründen als nicht zutreffend bezeichnet ist; sie ist verletzt, wenn sie auf das festgestellte Sachverhältniß hätte angewendet werden müssen. Die Nichtanwendung oder unrichtige Anwen­ dung einer Rechtsnorm auf das festgestellte Sachverhältniß sind andrerseits zur Begrün­ dung der Revision nicht geeignet, wenn andere thatsächliche oder rechtliche Gründe aus dem festgestellten Sachverhältnisse zu derselben Entscheidung geführt haben würden. Ebenso ist die Verletzung einer Rechtsnorm bei Feststellung des Sachverhältnisses für die Begründung der Revision unerheblich, wenn das zu berichtigende Sachverhältniß bei Anwendung der zutreffenden Rechtsnorm zu einer anderen als der erlassenen Entschei­ dung nicht geführt haben würde. Hiernach kann nur eine Würdigung der ganzen Sache, wie sie von den Parteien vorgetragen ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urtheils führen (§ 526)." (Mot.) Vgl. jedoch § 513. (S. auch Wach, Vortr. S. 212, v. Kries a. a. O. S. 296 ff., Rocholl a. a. O. S. 291 ff., der (mit Recht) die theilweise weitergehende Rechtsprechung des RG. bekämpft.^ Andererseits ist es nicht erforderlich, daß die angefochtene Entscheidung ausschließlich auf einer Verletzung eines nach § 511 geeigneten Gesetzes beruht; es genügt, daß sie darauf milberuht, also ohne die Verletzung nicht in der angefochtenen Weise ergehen konnte (vgl. auch RG. III S. 205, Endemann II S. 455, Gaupp II S. 84 u. A.).

§ 512. Vgl. StPO. § 376 Abs. 2, EG. z. CPO. §. 12, Wach, Handb. I § 15 (5. 185 ff. 1) Die Mot. sagen: „Der Ausdruck „Rechtsnorm" ist gewählt, um einerseits die Annahme auszuschließen, daß die Revision, wie die Nichtigkeitsbeschwerde des preußischen Rechts, auf die Ver­ letzung von Rechtsgrundsätzen habe beschränkt sein sollen, und andererseits klar zu 40*

628

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 512.

stellen, daß es für die Revision gleichgültig ist, ob die verletzte Norm in einem Gesetze ausdrücklich ausgesprochen ist, oder'ob sie sich aus dem Sinne und Zusammen­ hange desselben ergiebt. Gleichgültig ist ferner für die Revision die Quelle, der Ent­ stehungsgrund der verletzten Rechtsnorm. Zur Verhütung restriktiver Auslegung des Wortes „Gesetz" bestimmt der § 12 des EG., daß im Sinne der CPO. jede Rechts­ norm als Gesetz gelte, also auch das Gewohnheitsrecht. Bei demselben ist nur die thatsächliche Ermittelung häufig komplizirter als bei dem geschriebenen Rechte, obwohl es Gewohnheitsrechte giebt, deren allgemein bekannte Existenz gar nicht mehr in Frage ge­ zogen wird. Ueberall aber handelt es sich nicht um die thatsächliche Würdigung des Rechtsstreits, sondern um die Erkenntniß des abstrakten Rechts, und nur jene ist dem Revisionsrichter entzogen. Von diesen Gesichtspunkten aus kann man auch nicht einen Unterschied machen, ob bei der Rüge der Verletzung eines Gewohnheitsrechts der An­ griff gegen thatsächliche Feststellungen oder gegen juristische Würdigungen, welche beide zur Feststellung des bestehenden Rechts dienen sollen, sich richtet (Mot. zum P. E. S. 164)." Eine gleiche Definition von „Gesetz" findet sich im EG. z. StPO. § 7 und int EG.

z. KO. § 2. Unter den Begriff des Gesetzes fallen daher auch die in Staatsverträgen enthaltenen Rechtssätze (RG. II S. 110, XXVI S. 118) sowie Verordnungen, welche nach dem öffent­ lichen Rechte des Reichs bezw. des einzelnen Bundesstaates Gesetzeskraft haben, dagegen nicht in die Gesetzsammlung nicht aufgenommene Kabinetsorders (RG. XVI S. 212) oder bloße Ausführungsbestimmungen und Reglements der Behörden. (Vgl. ROHG. 19 S. 184, RG. in I. W. 1892 S. 56, in S. A. 39 Nr. 161, ob.LG. f. Bayern das. Nr. 265. S. jedoch in Betreff der auf Grund von Gesetzen, z. B. d. preuß. Ges. v. 11. März 1850, erlassenen Polizei­ verordnungen RG. in S. A. 38 Nr. 187, welches den Satz ausstellt, daß eine Rechtsnorm auch durch eine Verfügung einer Verwaltungsbehörde begründet werden könne, sowie Wilm. Levy § 511 Anm. 4.] 2) Wegen des Gewohnheitsrechts vgl. § 511 Anm. 3, 4 a. E. u. § 524 Anm. 3 a. E. Handelt es sich um den Beweis desselben (§ 265), so hat der Nevisionsrichter eine freiere Stellung als bezüglich eigentlicher Thatsachen. Er kann daher auch neue ihm von den Parteien dargebotene Mittel zur Ermittelung des Gewohnheitsrechtes benutzen (s. Kleiner II S. 575) und aus den festgestellten Thatsachen selbständige Folgerungen bezüglich des Gewohnheitsrechtes ziehen (RG. VI S. 226, VII S. 235, Wilm. Levy a. a. O., Fitting § 82 92. 36. Abw. RG. V S. 361, zweifelhaft Sonnenschmidt a. a. O. S. 445 f.). Vgl. § 265 Anm. 3. a. E.

3) Handelsgebräuche (GVG. § 118) unterliegen der Beurtheilung des Revisionsrichters insoweit, als sie Handelsgewohnheitsrechtssätze sind (vgl. Laband in Goldschmidt, Zeitschr. f. HR. 17 S. 466 ff., Keyßner das. 25 S. 503, ROHG. 6 S. 868 ff., 11 S. 243, 12 S. 287, RG. in S. A. 36 Nr. 173). 4) Der § 512 macht auch keinen Unterschied zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht und beschränkt nicht, wie die Nichtigkeitsbeschwerde des preußischen Rechts, bei dem Prozeßrechte die Revision auf wesentliche Prozeßvorschriften. Vgl. übrigens Anm. 6 und §§ 513, 521. 5) „nicht oder nicht richtig angewendet" — Die verschiedenen Richtungen, in welchen die Revision begründet werden kann, bezeichnet § 516. Es macht keinen Unterschied, ob der Richter in der Existenz oder in dem Inhalte der Rechtsnorm geirrt hat, und ob der Irrthum ausgesprochen ist oder nicht. Den praktisch wichtigsten Fall bildet, wie die Mot. hervorheben, die unrichtige Subsumtion der Thatsachen unter das Gesetz — die Ge­ setzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das (ohne Gesetzesverletzung — f. § 516 Nr. 3) festgestellte Sachverhältniß (§ 528 Nr. 1). Ein Zusatz zum § 512: „Insbesondere ist jede unrichttge rechtliche Beurtheilung der von den Parteien zur Begründung ihrer Angriffs- und Vertheidigungsmittel vorgebrachten oder der als er­ wiesen angenommenen Thatsachen als Verletzung des Gesetzes anzusehen"

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 512.

629

ist weggelassen worden, theils weil aus den Bestimmungen über die Revision sowie aus der Konstruktion dieses Rechtsmittels klar hervorgehe, daß jede unrichtige Subsumtion von That­ sachen unter das Gesetz den Gegenstand der Anfechtung durch die Revision bilden könne, theils, weil durch den Zusatz kein Anhaltspunkt für die Frage gegeben werde, was Rechtsfrage und was Thatfrage sei. Hiernach ist es keinem Zweifel unterworfen, daß die Subsumtion insoweit der Revision unterliegt, als dabei eine unrichtige rechtliche Beurtheilung des von den Parteien behaupteten oder als erwiesen angenommenen Sachverhältnisses vorgekommen ist; die Schwierig­ keit liegt nur darin, in dem einzelnen Falle zu unterscheiden, ob der Irrthum die thatsächliche oder die rechtliche Beurtheilung betrifft. Die Formalisirung der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde wird in den Mot. entschieden gemißbilligt; es heißt in dieser Beziehung: „Dem Entwurf ist die Trennung der Rechtsfrage in zwei Gebiete „„konkrete und abstrakte Beurtheilung"" und die Ausschließung der ersteren von dem Arbitrium des höheren Richters fremd. Der Prüfung und Entscheidung des Revisionsgerichts unter­ liegt z. B. unbedenklich die Frage, ob bei der Subsumtion der gerichtlich festgestellten Thatsachen unter den Rechtsbegriff „„Besitz"" „„culpa“M u. s. w. von dem Berufungs­ gerichte gefehlt sei; an die in der Berufungsinstanz gerichtlich festgestellten Thatsachen ist das Revisionsgericht gebunden, nicht an die rechtlichen Konklusionen, welche das Berufungsgericht aus denselben gezogen hat." Vgl. über den Begriff der Rechtsfrage und That frage: Stahl im civ. Arch. 56 S. 157 ff., 212 ff., 67 S. 94 ff., und in Goltdammer, Arch. f. StrN. 24 S. 171 ff., v. Savigny, Syst. d. RR. III S. 327 ff., Bähr, Das Rechtsmittel zweiter Instanz u. s. w. § 4, Wach in Krit. Vierteljahrsschr. XV S. 92ff. und Vortr. S. 209, Becker in den Verh. d. 10. D. Juristentags I S. 46 ff., Siebenhaar S. 509, Endemann II S. 459, Gaupp II S. 83 c, 88, Wilm. Levy § 511 Anm. 4 S. 740, Fitting § 82 N. 18, 19, Hellmann, Lehrb. S. 744 ff., Stein, Privates Wissen S. 118 ff., Erythropel a. a. O. S. 119 ff., Wach, Die That- u. Rechtsfrage im CP. Ein Borlrag. Berlin 1881 (Separatabdruck aus d. I. W.) u. die-von Letzterem angef. zahlreichen Urtheile des RG., ferner RG. VI, S. 151, VIII S. 159, XI S. 413 (Ehetrennungsgründe betr.), XVI S. 121, in I. W. 1889 S. 256 Nr. 5, ob.LG. f. Bayern in S. A. 40 Nr. 323, 47 Nr. 246 (culpa betr.). 6) Bon einer Gesetzesverletzung wird selbstverständlich — namentlich auch bezüglich des Prozeßrechts — dann nicht die Rede sein können, wenn die Norm eine solche war, welche dem konkreten (freien) Ermessen des Gerichts Spielraum gestaltete, und wenn lediglich behauptet wird, daß von diesem Ermessen ein unsachgemäßer Gebrauch gemacht worden sei (vgl. Ude in Busch, Z. VI S. 451 ff., RG. in I. W. 1894 S. 194 Nr. 6, ob.LG. f. Bayern in S. A. 42 Nr. 98). Dasselbe gilt von Vorschriften, die nur von instruktioneller Bedeutung sind, oder die dem Richter nur eine Befugniß ertheilen, sofern nicht behauptet wird, daß der. Richter die Grenzen der Instruktion oder der Befugniß überschritten oder die letztere irrthümlich für zwingend gehalten habe oder umgekehrt sich der Befugniß überhaupt nicht bewußt gewesen sei. (Vgl. Seuffert Anm. Id, Gaupp II S. 82, Hellmann II S. 414 u. A.; vgl. auch RG. VI S. 198, Wach, Die That- u. Rechtsfrage S. 18 ff. A.M. Sonnenschmidt a. a. O. S. 454, der u. A. auch eine unrichtige Anwendung der rein fakultativen Vorschriften der §§ 132 bis 143 zur Begründung der Revision für geeignet hält.) Andererseits liegt eine Gesetzesverletzung vor, wenn aus einer konkreten, die gesetzlichen Merkmale an sich nicht deckenden Thatsache ein Schluß auf eine andere, zu den gesetzlichen Merkmalen gehörende Thatsache nicht gezogen worden ist, obwohl derselbe nach bestehenden Rechtsgrundsätzen nothwendig gezogen werden mußte. Dasselbe gilt, wenn umgekehrt aus einer konkreten Thatsache ein Schluß auf eine den gesetzlichen Merkmalen entsprechende That­ sache gezogen worden ist, welcher nach bestehenden Rechtsgrundsätzen unter keinen Umständen gezogen werden durfte. Sobald aber in derartigen Fällen für das richterliche Ermessen ein, wenn auch noch so geringer, Spielraum nach den begleitenden Umständen übrig bleibt — z. B.

Drittes Buch.

630 § 513.

Eine

Entscheidung

ist

Rechtsmittel. stets

als

§ 513.

auf

einer Verletzung des Gesetzes

beruhend anzusehen: 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;

2. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, welcher von der Ausübung des Nichteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hinderniß mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist; 3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich derselbe wegen Besorgniß der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war; 4. wenn das Gericht seine Zuständigkeit oder Unzuständigkeit mit Unrecht an­ genommen hat; 5. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze ver­ treten war, sofern sie nicht die Prozeßsührung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat; bei rein thatsächlichen Schlußfolgerungen (aus Indizien) aus die unmittelbar erhebliche Thatsache (Gaupp II S. 89 i. A., Stahl im civ. Arch. 67 S. 113 ff.) — ist der Irrthum nur ein that­ sächlicher, der Revision nicht unterliegender.

Dagegen liegt wiederum eine rechtsirrthümliche

Subsumtion vor, ivenn die festgestellten konkreten Thatsachen als den Begriff der gesetzlichen Merk­ male ausfüllend vom Jnstanzrichter erachtet werden, in Wirklichkeit aber nur einzelne Merk­ male dieses Begriffs oder nur einzelne Indizien für das Zutreffen desselben enthalten (Stahl a. a. £. S. 101 ff.). 7) Ueber Revision wegen unrichtiger Auslegung einer Urkunde s. RG. I S. 328, 340, II S. 123, 379, III S. 109, 425, VI S. 237, 412, VIII S. 190, IX S. 177, 231, X S. 107, XII S. 19, 27 (sehr weitgehend), XIV S. 117, XVI S. 121 in S. A. 36 Nr. 311, 37 Nr. 168, 38 Nr. 75, bei Stahl a. a. £. S. 120ff.

Sie ist insbesondere zulässig

bei

rechtsirrthümlicher Anwendung der Regeln über Auslegung der Rechtsgeschäfte, oder wenn die Auslegung auf Verletzung anderer revisibler Rechtsnormen, z. B. hinsichtlich der Elemente des in Frage kommenden Rechtsgeschäfts, zurückzuführen ist (vgl. auch Sonnenschmidt a. a. £. S. 446, Seuffert § 511 Anm. 5, Gaupp II S. 83 N. 16, Eryth ropel in Gruchot 25 S. 292 ff., der namentlich auf die Verletzung der Beweisregeln der §§ 380, 381 hinweist, u. Wach, Die That- und Rechtsfrage S. 20 ff.; weiter geht Slein, Privates Wissen S. 127 ff.). Den Urkunden stehen in dieser Hinsicht andere Erklärungen, Geständnisse, Anträge u. s. w. gleich (Wach a. a. £. S. 27; abweichend RG. in S. A. 43 Nr. 243).

Dagegen ist der Revisionsrichter

an die Auslegung des Berusungsrichters von den in der Sache früher (in demselben Prozesse oder einem Vorprozesse) ergangenen Urtheilen nicht gebunden (RG. VII S. 351, XIII S. 404, Hellmann, Lehrb. S. 745 ff., Gaupp II S. 83 N. 13).

Die Grenze der rechtsirrthümlichen

und der thatsächlichen Auslegung ist allerdings ziemlich schwankend (vgl. Vierhaus in Busch, Z. V S. 107 ff., Stahl a. a. £. S. 144 ff. u. Rocholl a. a. £., der die Revision mehr ein­ schränkt, während einen dieselbe grundsätzlich in viel weiterem Umfange zulassenden Standpunkt Bolze in Busch, Z. XIV S. 415 ff. vertritt). 8) Die §§ 512, 513 finden für Preußen nach § 52 des AG. z. GVG. auf das zufolge § 40 das. in den durch dieses Gesetz den Amtsgerichten zugewiesenen Angelegenheiten gegebene Rechtsmittel der weiteren Beschwerde entsprechende Anwendung.

8 513. Vgl. StPO. § 377 und die Kommentare dazu. 1) Die Beantwortung der Frage, ob die Entscheidung auf der Verletzung einer Prozeß­ vorschrift (§ 512 Anm. 4) beruhe (§ 511 Anm. 8), ist schwierig, weil der Zusammenhang

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 513.

631

6. wenn die Entscheidunq auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei welcher die Vorschriften über die Oeffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; 7. wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. N. Entw. 8 854. Entw. I. § 462. S. 264, 265.

Enttv. II. § 481.

Entw. III. § 489.

Mot. S. 322-324. Prot.

einer solchen Verletzung mit dem beschwerenden Theile der Entscheidung häufig schwer zu erkennen ist oder sich nur im Gebiete von Vermuthungen bewegt. Dieselbe wird indessen nicht nur durch die §§ 267, 521, sondern auch wesentlich durch § 513 erleichtert. Auf die Anwendung der hier aufgezählten Prozeßvorschriften haben die Parteien ein unbedingtes Recht, so daß der ursächliche Zusammenhang nicht weiter untersucht wird. Das Gesetz fin g irt gewissermaßen, daß durch die Verletzung der Prozeßvorschrift die angefochtene Entscheidung selbst herbeigeführt worden sei. Es handelt sich in ihnen allen um Verletzungen, welche die Grundlagen des Verfahrens berühren; in ihnen soll „der Zweifel, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Urtheile und der Gesetzesverletzung vorhanden ist, gelöst werden. Daß der Zusammenhang „„stets^" anzunehmen sein soll, sichert gegen die Annahme, als würden durch Aufzählung dieser Fülle andere Fälle, in denen die Entscheidung auf der Verletzung eines Prvzeßgesetzes beruht, von der Revision ausgeschlossen. Der Versuch einer Parallele zwischen dem § 513 und der Beschränkung der Nichtigkeitsbeschwerde nach preuß. Recht auf die Verletzung bestimmter als wesentlich anerkannter Prozeßvorschriften ist daher als verfehlt zurückzuweisen" (Mot.). In den übrigen Fällen wird der Richter nach der konkreten Sachlage zu prüfen haben, ob die Entscheidung auf der Verletzung der Prozeßvorschrift beruht. (Die Behauptung von v. Kries S. 302, daß diese Entscheidung bei allen den äußeren Gang des Verfahrens betreffenden Vorschriften stets negativ ausfallen müsse, geht zu weit.) 2) Nr. 1: Die Besetzung der Gerichte regelt das GVG. bezüglich der Fähigkeit zum Richteramte im Allgemeinen bezw. zu gewissen Nichterämtern in den §§ 2—5, 10, 11, 109—114, 127; bezüglich der Zahl der Richter in den §§ 22, 77, 109, 124, 139, 140; bezüglich der Bildung der Kammern bezw. Senate in den §§ 59, 62, 64, 66, 120, 121, 132, 133; bezüglich der Vertretung durch Hülssnchter in den §§ 69, 122, 134 (vgl. in dieser Hinsicht RG. i. Str.S. III S. 241 f.); bezüglich des Vorsitzes in den §§ 61, 65, 121, 133 (vgl. in letzterer Hinsicht Rechtspr. d. RG. i. Str.S. I S. 414, X S. 432); § 194 Abs. 1 stellt außerdem den Grundsatz auf, daß bei Entscheidungen Richter nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken dürfen. Die Verletzung einer dieser Vorschriften (A.M. bez. GVG. §§ 2—5 Planck I S. 114; dagegen L. Seuffert in Busch, Z. XI S. 195) fällt mithin unter Nr. 1 (vgl. jedoch wegen der theilweise nur reglementarischen Vorschriften der §§ 61—63, 65 u. 66 des GVG. mit Bezug auf StPO. § 377 Nr. 1 Rechtspr. d. RG in Str.S. I S. 726, II S. 173, 338, RG. in Str.S. III S. 8, sowie in Civilsachen RG. in S. A. 42 Nr. 146 u. in Gruchot 33 S. 449, Gaupp 11 S. 90 N. 5; s. aber auch RG. in Str.S. XX S. 385), ebenso aber auch ein Verstoß gegen § 280 der CPO. Vgl. noch § 542 Nr. 1 und Anm. 3 das. Uebrigens kann dieser Mangel in der Revisionsinstanz nur bezüglich des Berufungs­ gerichts neu gerügt werden (vgl. § 510 Anm., RG. VI S. 194). Wegen des Falls, daß eine zum Richteramt überhaupt nicht berufene Person das Urtheil erlassen hat, s. § 542 Anm. 4. Zweifelhaft ist, ob zur „Besetzung" auch der Gerichtsschreiber gehört. Dafür scheint zu sprechen, daß derselbe nach den §§ 145 Nr. 2, 149 Abs. 1, 151 (vgl. auch StPO. § 225) bei allen Verhandlungen zugezogen werden muß, und daß hier die Mot. nicht, wie bei den Nr. 2, 3, die Nichtausdehnung auf den Gerichtsschreiber hervorheben. Dagegen kommt aber entscheidend in Betracht, daß das Wort „Besetzung" im GVG. §§ 77, 124, 140, 194 ff. stets nur von den Richtern gebraucht worden ist. (So auch Wilm. Levy Anm. 2 a. E., Seuffert Anm. 2,

632

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 513.

Endemann II S. 461 Anm. 2, Gaupp II S. 90, Planck I S. 129, Fitting § 82 N. 29 u. A. A.M. Kleiner II S. 579, Hellmann II S. 448 u. Lehrb. S. 736.) 3) Nr. 2; „bei der Entscheidung------- mitgewirkt" — Die Verkündung des Urtheils und der Beweisaufnahme als solche kommt nicht in Betracht (vgl. NG. XXVI S. 383 u. § 41 Anm. 8). „von d er Ausübung des Richter amt s kraft Gesetzes ausgeschlossen" — Die Fälle bestimmt § 41. — Die Ausnahme („sofern nicht" u. s. w.) ist durch § 510 geboten, weil gegen den ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß nach § 46 Abs. 2 die sofortige Beschwerde stattfindet. — Auf den Gerichtsschreiber bezieht sich trotz Z 49 die Nr. 2 sowenig, wie die Nr. 3. (So auch Mot., Endemann II S. 461 Anm. 2, Fitting § 82 N. 30 u. A.) 4) Nr. 3: vgl. § 42. Der Beschluß, durch welchen das Ablehnungsgesuch für unb egründet erklärt war, kann ebenfalls nur mittels der sofortigen Beschwerde angefochten werden (s. Anm. 3). Vgl. noch § 542 Nr. 3. 5) Nr. 4: vgl. §§ 247 Nr. 1, 509. Die „Zuständigkeit" bezw. „Unzuständigkeit" ist hier in dem weiteren Sinne genommen, in welchem sie nicht bloß die sachliche oder örtliche Unzuständigkeit (vgl. §§ 1, 12 rc.), sondern auch die Zulässigkeit bezw. Unzulässigkeil des Rechtsweges mit umfaßt, also auch Fälle, in denen nicht die Zuständigkeit bezw. Un­ zuständigkeit eines bestimmten Gerichts, sondern der Gerichte überhaupt behauptet wird (§ 528 Nr. 2). (Ebenso Sarwey I S. 698, Petersen §§ 511—513 IV 4, Fitting § 55 N. 5, Birkmeyer in Busch, Z. VII S. 176 2C. A.M. v. Bülow Anm. 6, Gaupp II S. 91, Wilm. Levy Anm. 5. Uebrigens hebt Seuffert Anm. 5 mit Recht hervor, daß die Frage müßig sei, da jede Verletzung der Vorschriften über die Zulässigkeit des Rechtsweges nothwendig für das Urtheil kausal fei.] Nicht hierher gehört das Verhältniß der Kammer für Handelssachen zu der Civilkammer (RG. in Gruchot 37 S. 766). 6) Nr. 5: „nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten" —gleichviel, ob gar nicht oder durch eine nicht berechtigte Person, ob unter Verletzung prozessualischer oder eivilrechtlicher Vorschriften. Hierher gehören die Vorschriften über die gesetzlichen Vertreter (§§ 50—55) und die Prozeßbevollmächtigten (§§ 74—85); vgl. §§ 50 Anm. 2, 54 Anm. 1, 2, 84 Anm. 1—5, 159 Anm. 2 a. E. „ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt" — vgl. §§ 54 Anm. 1 S. 63, 85 Abs. 2, 542 Nr. 6. Der Mangel kann nicht bloß von der nicht gehörig vertretenen Partei selbst, sondern auch von deren Gegner geltend gemacht werden, welcher ein Interesse daran hat, eine Nichtigkeitsklage zu verrneiden (Petersen § 54 I 4 a. E., §§ 511—513 IV 5, Gaupp II S. 92, Seuffert Anm. 6 a. E., v. Kries a. a. O. S. 309, Barazetti a. a. O. S. 47 Anm. 92, Ulbricht im civ. Arch. 78 S. 82 u. A. A.M. Bolgiano S. 120). Freilich kann dieser nicht die Ge­ nehmigung hindern. An einer dem § 549 Abs. 3 entsprechenden Bestimmung über den Beginn der Revisions­ frist (bei Versäumnißurtheilen der Einspruchsfrist) für die nicht oder nicht gehörig vertretene Partei fehlt es hier. Daraus folgt aber nicht, daß für diese Frist die Zustellung des Urtheils an den falschen Vertreter maßgebend wäre. Vielmehr kann die nicht vertretene Partei das Berufungsuriheil dem Gegner zustellen ohne Rücksicht darauf, ob an den falschen Vertreter schon früher eine Zustellung erfolgt war, und es läuft dann für sie von dieser Zustellung an die Frist des § 514. Vgl. Mot. S. 342. (So auch Gaupp II S. 92 i. A., Ulbricht a. a. O. S. 90 f.) Die Verletzung des Grundsatzes des wechselseitigen Gehörs (vgl. §§ 119 Anm. 4, 203 Anm. 1) gehört nicht hierher. Der Ausdruck „nicht nach Vorschrift des Gesetzes v er treten war" weist nur auf das Bertretungsv erh ältniß, nicht auf sonstige prozessualische Normen hin, insbesondere nicht auf eine ordnungswidrige Ladung. (So auch Endemann II S. 243, Seuffert Anm. 6d, Wilm. Levy Anm. 6 u. A.; vgl. auch RG. VII S. 361.)

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 513.

633

7) Nr. 6: Die Vorschriften über die Oeffentlichkeit des Verfahrens enthält das GVG. in den §§ 170—176 in d. Fassung d. R.Ges. v. 5. April J888. Die Nr. 6 greift Platz, wenn die Oeffentlichkeit jenen Vorschriften zuwider, also in den Fällen, in welchen die Oeffentlichkeit geboten oder verboten, nicht bloß der Ausschluß derselben (wie in§§ 172 Abs. 1,173, 174 Abs. 2) gestattet ist, bei der Verhandlung der Sache oder der Verkündung des Urtheils svgl. Mot. S. 324, RG. XVI S. 393, Nechtspr. d. RG. i. Str.S. I S. 298 u. v. Kries a. a. O. S. 234 Anm. 123, Wilm. Levy Anm. 8] ausgeschlossen bezw. bei der Verhandlung der Sache nicht ausgeschlossen war. (A.M. in letzterer Hinsicht bezüglich des gleichlautenden § 377 Nr. 5 der StPO. Nechtspr. d. RG. i. Str.S. I S. 324, 652. Der Wortlaut des Gesetzes steht jedoch dieser Ansicht nicht zur Seite, und die Mot. stellen ausdrücklich beide Fälle gleich: „Bei der Zulassung oder Ausschließung der Oeffentlichkeit stehen nicht minder rechtliche Verstöße in Frage." (Ebenso RG. in S. A. 39'Nr. 162, Seuffert Anm. 7, Petersen §§ 511—513 IV 6, Gaupp II S. 92, v. Kries ci. a. O. S. 234 u. 21.).] Die Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit ist derjenigen des Grundsatzes der Oeffentlichkeit hier nicht gleichgestellt. Verstöße gegen jenen Grundsatz sind daher nach den all­ gemeinen Regeln der §§ 511, 512 zu beurtheilen. Vgl. § 501, 516 Anin. 5 a. E., Gaupp II S. 92 N. 19. 8) Nr. 7: Die Fassung ist nach den Mot. im Gegensatz zu der des N. E. § 854 Nr. 5 (vgl. auch H. E. § 609 Nr. 16): „wenn das Urtheil keine Entscheidungsgründe enthält" gewählt worden, weil die letztere Fassung nicht den Fall deckt, in welchem zwar das Urtheil als Ganzes Entscheidungsgründe hat, nicht aber der anzugreifende Theil der Entscheidung. Es kommt also lediglich darauf an, ob der anzugreifende Theil der Entscheidung mit Entscheidungsgründen versehen ist. Auf den Mangel von Entscheidungsgründen zu einer nicht angegriffenen Entscheidung kann daher die Revision bezüglich der übrigen Entscheidungen ebensowenig gestützt werden wie andererseits der Mangel von Entscheidungsgründen zu der angegriffenen Entscheidung durch das Vorhandensein von Entscheidungsgründen zu anderen Entscheidungen ersetzt wird. In der RTK. herrschte über diese Bedeutung der Nr. 7 allgemeines Einverständniß, und ein Antrag, welcher dieses durch die Fassung: „wenn der angegriffene Entscheidungsgrund nicht mit Gründen versehen ist" ausdrücken wollte, wurde lediglich aus redaktionellen Gründen abgelehnt. Demnach müssen insbesondere nicht nur alle Einsprüche (§§ 136, 293), sondern auch alle selbständigen Angriffs- und Vertheidigungsmittel (§§ 137, 275) in den Gründen berücksichtigt werden (vgl. RG. III S. 368, VI S. 138, VII S. 78, VIII S. 341, IX S. 239, X S. 88, in S. A. 36 Nr. 312), auch die der vorausgegangenen Entscheidungen, auf denen das Urtheil beruht (§ 473), selbst wenn sie, wie z. B. Beschlüsse, für sich betrachtet keiner Begründung bedürfen (RG. in I. W. 1893 S. 128), und zwar so, daß klar erhellt, ob ihre Würdigung thatsächlicher oder rechtlicher Natur ist (vgl. Anm. 9 a. E.); desgleichen ist in Betreff der Beweisftage eine Begründung erforderlich (vgl. § 259 Anm. 2, RG. III S. 388, IV S. 212, VI S. 170, VIII S. 15, X S. 124, XIX S. 377, XXI S. 241, XXII S. 381, XXIV S. 107, in S. A. 37 Nr. 257 u. in Gruchot 26 S. 1175, 27 S. 259, 28 S. 1161; s. auch Vierhaus in Busch, Z. V S. 109 f. u. RG. i. Str.S. III S. 147), ohne daß es jedoch nothwendig wäre, die zur Führung eines künstlichen Beweises angeführten Thatsachen einzeln im Urtheile zu würdigen (RG. II Civils. v. 29. Nov. 1892 — 221/1892). Dagegen brauchen klare Rechtssätze nicht näher begründet zu werden (RG. in S. A. 38 Nr. 180). 9) Die materielle Unrichtigkeit der Gründe begründet selbstverständlich niemals eine Nichtigkeit auf Grund der Nr. 7. Wohl aber wird der Revisionsrichter zu prüfen haben, ob die hinzugefügten Gründe in Wirklichkeit Gründe sind oder nur eine nichtssagende Floskel, welche gebraucht wurde, um der Vorschrift der Nr. 7 formell Genüge zu leisten, die rechtliche Ansicht aber, auf welcher die Entscheidung beruht, den Blicken des Revisionsrichters zu entziehen, ob namentlich die Gründe es unklar lassen, ob die Entscheidung auf thatsächlichen oder rechtlichen

634

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§§ 514, 515.

§ 514. Die Nevisionsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Nothfrist und beginnt mit der Zustellung des Urtheils. Die Revision kann gleichzeitig mit der Zustellung des Urtheils eingelegt werden. Die Einlegung vor Zustellung des Urtheils ist wirkungslos. N. Entw. 88 836, 837. S. 265.

Entw. I. § 464. Entw. II. 8 482. Entw. III. 8 490. Mot. S. 314. Prot.

§ 515. Die Einlegung der Revision erfolgt durch Zustellung eines Schrift­ satzes. Derselbe muß enthalten: Gesichtspunkten beruht. (Vgl. RG. II S. 226, III S. 388, X S. 29, in I. W. 1894 S. 172, Seuffer 1 Anm. 8, Endemann II S. 464, Hellinann II S. 450 u. Lehrb. S. 737, Peters en §§ 5J1—513 IV 7, G aupp II S. 93, Erythropel in Busch, Z. III S. 121 ff. u. in Gruchot 25 S. 298 f., Wach, Die That- u. Rechtsfrage S. 22, Stahl im civ. Arch. 67 S. 128 ff., Roch oll a. a. O. S. 326 (gegen die weitgehende Rechtssprechung des RG.). Sehrweit geht RG. in D. I. Zig. 1884 S. 431. Wegen unverständlicher Gründe s. noch RG. in Gr-uchot 26 S. 1178). Wegen Bezugnahme auf die Gründe des Vorderrichters vgl. §'505 Anm. 2 u. ob.LG. f. Bayern in S. A. 49 Nr. 219. Der Revisionsgrund unter Nr. 7 greift auch in den nach nicht revisibeln Gesetzen zu ent­ scheidenden Streitfällen Platz (RG. VIII S. 341).

10) Auf den Thatbestand kann die Nr. 7 nicht bezogen werden. Dagegen sprechen die Wortfassung („mit Gründen"), welche mit dem Ausdruck „Entscheidungsgränden" (§§ 282, 284 Nr. 4, 526) offenbar gleichbedeutend ist und, wie dieser, den Gegensatz zum „Thatbestand" (§§ 284 Nr. 5, 285, 291, 292) bildet, die Mot. (vgl. Anm. 8) und die Entstehungsgeschichte der Bestimmung. Die Quelle der letzteren ist das franz. Recht; der Nichtigkeitsgrund be5 defaut de motifs aber kann sich schon deshalb nicht auf den Mangel des Thatbestandes beziehen, weil die „Qualitäten" dort nicht von dem Gerichte, sondern von den Parteien angefertigt werden. Auch würde eine derartige Ausdehnung bei einer strengen Durchführung der Nr. 7 zu großen praktischen Unzuträglichkeilen führen, weil vielfach auf das Materielle des Sachverhältnisses zurückgegangen werden müßte. sSo auch Hellmann II S. 450. A.M. Puchelt II S. 365 Anm. 16, der sich darauf beruft, daß der Thatbestand die thatsächliche Grundlage für die rechtliche Beurtheilung des Falles bildet. Hieraus folgt aber nicht, daß er auch einen Theil der Motive (Gründe), d. h. der richterlichen Erwägung, ausmacht, ftir welche er vielmehr nur die gegebene Unterlage ist. Nur nach § 516 Nr. 3 bezw. § 524, wenn nämlich die Entscheidung auf dem Mangel beruht (s. § 516 Anm. 6—9), ist hier die Möglichkeit der Revision gegeben. (Vgl. auch Endemann II S. 464, 468, Petersen a. a. O., Seuffert Anm. 8e, Gaupp II S. 93 f., v. Bülow (Halle) in Busch, Z. IVS. 337, Bähr, Urth. d. RG. S. 230 ff., Planck 1 Z 77 S. 464, Fitting § 82 N. 35, Wengler, D. Thatbestand S. 19 Anm. 16 (etwas abweichend), RG- II S. 143, 401, 421, IV S. 185, 428, 431, VI S. 350, VIII S. 7, X S. 74, in S. A. 36 Nr. 85, 304, in I. W. 1888 S. 328 Nr. 3, bei Wengler a. a. O. S. 23 ff. u. in D. I. Ztg. 1885 S. 121; s. auch Vierhaus in Busch, Z. V S. 88).] Vgl. § 284 Anm. 3 S. 373 a. E. 11) In den Fällen Nr. 1—3, 5 findet auch die Nichtigkeitsklage (§ 542) statt, in den Fällen 1, 3 jedoch nur, wenn die Nichtigkeit nicht mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte. 88 514, 515. 1) Die Vorschriften der §§ 514, 515 entsprechen vollständig denjenigen der §§ 477, 479 in Betreff der Berufung (vgl. daher §§ 477 Anm. 1—5, 479 Anm. 1—5). § 478 findet keine Anwendung auf die Revision, da er nirgends angeführt ist. (So auch Puchelt II S. 369,

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 516.

635

1. die Bezeichnung des Urtheils, gegen welches die Revision gerichtet wird; 2. die Erklärung, daß gegen dieses Urtheil die Revision eingelegt werde; 3. die Ladung des Revisionsbeklagten vor das Revisionsgericht zur münd­ lichen Verhandlung über die Revision. N. Entw. § 839. Enno. I. § 465. Entw. II. § 483. Entw. III. § 491. Mot. S. 314. Prot. S. 265.

§ 516. Die allgemeinen Bestimmungen über die vorbereitenden Schriftsätze finden auch auf die Revisionsschrift Anwendung. Als vorbereitender Schriftsatz soll die Revisionsschrift insbesondere die Er­ klärung, inwieweit das Urtheil angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Revisionsanträge), und zur Begründung der Revisionsanträge enthalten: 1. insoweit die Revision darauf gestützt wird, daß eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet sei, die Bezeichnung der Rechtsnorm; 2. insoweit die Revision darauf gestützt wird, daß das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Thatsachen, welche den Mangel ergeben; 3. insoweit die Revision darauf gestützt wird, daß unter Verletzung des Ge­ setzes Thatsachen festgestellt, übergangen oder als vorgebracht angenommen seien, die Bezeichnung dieser Thatsachen. In der Revisionsschrift soll ferner der Werth des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes angegeben werden, wenn die Zu­ lässigkeit der Revision von diesem Werthe abhängt. N. Entw. §§ 839-841. Prot. S. 265-267.

Entw. I. 8 466.

Entw. II § 484. Entw. III. § 492.

Mot. S. 314, 324.

der jedoch S. 354 das Gegentheil sagt, u. A.; für entsprechende Anwendung Ende mann II S. 464.) Wegen der obersten Landesgerichte vgl. E. G. z. CPO. §§ 7, 8. 2) § 514 Abs. 2 bezieht sich nur auf die Zustellung durch die Parteien; bei der Zustellung von Amiswegen läuft die Frist für jede der Parteien von der an sie bewirkten Zustellung. Vgl. § 198 Anm. 3. Auf die Befolgung von § 514 Abs. 2 Satz 2 kann von dem Gegner gültig nicht verzichtet werden (vgl. § 529, RG. X S. 400). 8 516. Vgl. StPO. § 384, in welcher aber die schriftlichen Revisionsanträge, abweichend von der CPO., eine maßgebende Bedeutung haben. 1) Der Abs. 1 entspricht vollständig dem § 480 Abs. 1. Vgl. noch die Anm. zu §§ 120, 121, 230 Abs. 3. 2) Abs. 2: Die Revisionsaniräge (Beschwerden) haben — gleich den Berufungsanträgen (§ 480 Abs. 2) — nur v orbereitende Natur und können bei der mündlichen Verhandlung beliebig erweitert und verändert werden (vgl. § 480 Anm. 2, RG. XVI S. 344). Eine Folge davon ist, daß das Vorhandensein der Revisionssumme sich erst bei der mündlichen Verhandlung bestimmt (vgl. § 508 Anm. 3). 3) Im Abs. 2 werden ferner die verschiedenen Richtungen angegeben, nach welchen die Begründung der Revisionsantrüge erfolgen kann. Was in dieser Beziehung die Revisions­ schrift enthalten soll, hat gleichfalls nur vorbereitende Natur. 4) Die Verletzungen des materiellen Rechts fallen vorzugsweise unter Nr. 1. Ueber „Rechtsnorm" vgl. § 512. Auch die Angabe der verletzten Rechtsnorm ist kein unentbehrliches Erforderniß der Revisionsschrift. Vgl. Prot. S. 265, § 524 Anm. 5. „nicht oder nicht richtig angewendet" — vgl. § 512 Anm. 5.

636

Drilles Buch.

Rechlsmitlel. § 516.

5) Die Nr. 2 betrifft die Verletzungen des Prozeßrechts. In diesen Fällen sollen außer der verletzten Rechtsnorm — die nach Nr. 1 auch hier anzugeben ist, indem ohne eine Rechts­ verletzung der Fall einer Revision überhaupt nicht vorliegt — die Th atsachen angegeben werden, aus denen der Mangel des Verfahrens hervorgeht (vgl. Erythropel in Busch, Z. III S. 106, Stahl im civ. Arch. 67 S. 130 ff.). Diese Angabe hat zugleich die Bedeutung, daß^ that­ sächlich eine Gesetzesverletzung, welche das Verfahren betrifft, ausdrücklich gerügt werden muß. Hierfür spricht die Rücksicht auf die Vorschriften der §§ 267, 521. Von den gleichen Anschauungen gehen die Mot. S. 317 aus: „Es genügt der Vortrag des Sach Verhältnisses mit dem darauf gestützten Antrage, um jede wirklich vorliegende Gesetzesverletzung zur Entscheidung des Richters zu bringen: eine bestimmte Formulirung der angeblich verletzten Rechtsnormen ist nicht erforderlich. Deshalb ist es nur thatsächlich richtig, zu sagen, daß die Gesetzes­ verletzung, welche die Aufhebung des Urtheils begründet, von der Partei gerügt wird. Rechtlich ist die Aufhebung des Urtheils von einer ausdrücklichen Rüge ebenso unabhängig, wie es die Zurückweisung der Revision von einer besseren Begründung des angefochtenen Urtheils durch den Revisionsbeklagten ist, immer vorausgesetzt den Vortrag des Sachverhältnisses durch die Parteien. Eine Einschränkung dieser Grundsätze liegt nicht darin, daß Verletzungen von Vorschriften des Verfahrens der ausdrücklichen Rüge bedürfen, wenn das Revisionsgericht faktisch in die Lage gesetzt werden soll, dieselben zu berück­ sichtigen. Dies hat vielmehr seinen Grund in der vorgesehenen Heilung (§ 521) und außerdem darin, daß manche Verletzungen dieser Art durch Thatsachen begründet werden müssen, welche nur zum Nachweise der Verletzung Bedeutung haben und ohne die Rüge der Verletzung nicht verständlich sind." (Mot. S. 317.) (Vgl. Seuffert § 522 Anm. 2, Hellmann, Lehrb. S. 749, 760, v. Bülow §§ 515, 516 Anm. 1, Gaupp II S. 95 a. E.. Wach, Vortr. S. 213; s. auch Prot. S. 270. A.M. Erythropel a. a. O. S. 125 ff., v. Kries a. a. O. S. 298 Anm. 155, S. 301 ff., 350, 353, nach deren Ansicht die Revision ganz den Karakter eines zwischen den Parteien zu verhandelnden Streits verliert.) Vgl. auch § 524 Anm. 2—4. Ob der Mangel auf einer irrthümlichen rechtlichen Auffassung oder auf einem bloßen Uebersehen seitens des Richters beruht, ist gleichgültig. Die Verletzung der Prozeßvorschrift als solche genügt (so auch Stahl a. a. O. S. 131 ff.). Es gehören hierher insbesondere auch Fälle, in denen der Grundsatz der Mündlichkeit (§ 119) verletzt ist. 6) Die Nr. 3 bezieht sich auf Fälle, in denen die Verletzung die an sich dem Revisions­ richter entzogene Feststellung des Sachverhältnisses betrifft, aus dem Grunde aber zur Zuständigkeit des Revisionsrichters erwächst, weil behauptet wird, daß in Bezug auf die Fest­ stellung ein Gesetz — materielles oder prozessualisches — verletzt sei. In diesen Fällen sind die Thatsachen zu bezeichnen, welche nach der Behauptung des Revisionsklägers gesetzwidrig festgestellt, (bei der Feststellung) übergangen oder als von den Parteien vor­ gebracht angenommen sein sollen (vgl. Erythropel a. a. O. S. 107 ff., Wach, Die That- u. Rechtsfrage S. 21, Roch oll a. a. O. S. 322). Vgl. oben Anm. 5 u. § 524 Anm. 4. 7) „festgestellt" — z. B. durch unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung der Grund­ sätze über die Beweislast (vgl. z. B. NG. XII S. 121) oder einer bindenden Beweisregcl bezw. einer Rechtsvermuthung, oder wenn die Feststellung sich darauf gründet, daß ein gesetzliches Präjudiz nicht oder nicht richtig angewendet ist. Auch neg ative Feststellungen fallen hierunter. 8) „übergangen" — d. h. wenn eine vorgebrachte Thatsache bei der Feststellung des Sachverhältnisses nicht berücksichtigt (erwähnt, angeführt) worden ist (s. g. Omissionen). Auch hier wird, wie in dem in Anm. 7 erörterten Falle, vorausgesetzt, daß das Uebergehen „Hirter Verletzung des Gesetz es" geschehen sei (vgl. z. B. §§ 270, 315, 470). Die Uebergehung im Thatbestände verletzt nur dann das Gesetz, wenn sie mit dem Sitzungsprotokoll in Widerspruch steht (vgl. §§ 285 Anm. 1, 524 Anm. 2; NG. IX S. 366, Gaupp II S. 100). In allen sonstigen Fällen bleibt nur das Berichtigungsverfahren (§ 291). Für den Thatbestand

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§§ 517, 518.

637

§ 517. In Betreff der Frist, welche zwischen der Zustellung der Revisionsschrist und dem Termine zur mündlichen Verhandlung liegen muß, finden die Vorsckriften des §. 234 entsprechende Anwendung. 91. Entw. I 843. Entw. I. § 467. Entw. II § 486. Entw. III. § 493. Mot. - Prot. S. 269.

§ 518. Der Revisionsbeklagte kann sich der Revision anschließen. Auf diese Anschließung finden die Vorschriften über die Anschließung des Berufungsbeklagten an die Berufung entsprechende Anwendung. 91. Entw. -

Entw. I. § 468. Entw. II. § 486.

Entw. III. § 494.

Mot. S. 314. Prot. S. 269.

des Berufungsurtheils gilt hier, abgesehen von § 505, nichts anderes als für den des ersten Urtheils (A.M. v. Kräwel in Busch, Z. VI S. 183 ff.). Vgl. Sinnt. 10. Die Thatsachen sind in der Revisionsschrift zu bezeichnen und in der mündlichen Verhandlung zu wiederholen; nöthigenfalls ist auch das Vorbringen zu beweisen (vgl. § 524 Sinnt. 2, 4). Erfolg kann die Rüge einer solchen Gesetzesverletzung nach § 511 nur dann haben, wenn die Entscheidung auf derselben beruht; das Uebergehen einer rechtlich unerheblichen Thatsache vermag deshalb niemals die Revision zu begründen. Vgl. auch § 513 Anm. 10. Nicht unter Nr. 3, sondern unter Nr. 1 (bezw. § 513 Nr. 7) gehört der Fall, wenn eine festgestellte Thatsache (selbstverständlich nur eine rechtlich erhebliche) in dem Urtheile nicht gewürdigt oder eine (erhebliche und) nach dem Thatbestände bestrittene Thatsache als rechtlich unerheblich nicht zum Gegenstände der Feststellung gemacht ist. In diesen Fällen ist das Ver­ sehen nicht bei der Feststellung begangen, sondern betrifft die Anwendung der Rechtsnorm auf das festgestellte bezw. festzustellende Sachverhältniß. Einer Angabe solcher übersehenen That­ sachen bedarf es daher nicht; vielmehr hat der Revisionsrichter auch ohne dieselbe die Rechts­ verletzung zu beachten (vgl. auch Erythropel a. a. O. S. 109 ff. A.M. bezüglich des letzteren Falles v. Kries a. a. O. S. 341 f., Rvcholl a. a. O. S. 332 Anm. 33). 9) „als vorgebracht angenommen" — d. h. wenn in der Feststellung des Sachverhältniffes Thatsachen als vorgebracht bezeichnet sind, welche nicht vorgebracht sind, wenn z. B. im Thatbestände des Urtheils eine Thatsache als bestritten angeführt ist, während sich aus dem Sitzungsprotokolle (§ 285) deren Zugeständniß ergießt oder umgekehrt. (Vgl. § 524 Anm. 2; s. auch NG. in Gruchot 28 S. 1144.) 10) Ein Antrag, unter Streichung der Nr. 3 in § 516 dem § 513 hinzuzusetzen: ,,6a) wenn die Entscheidung in klarem Widerspruch mit dem festgestellten Inhalt der Verhandlungen vorgebrachte Thatsachen übergeht oder nicht vorgebrachte Thatsachen unterstellt," wurde von der RTK. abgelehnt, weil er ohne genügenden Grund die Gesetzesverletzungen bei Feststellung des Thatbestandes zu absoluten Gesetzesverletzungen (§ 513) erhebe, und die­ jenigen Fälle nicht decke, in welchen eine Thatsache, die überhaupt nicht festzustellen gewesen wäre, festgestellt worden sei (Sinnt. 9). 11) Abs. 3: Der von der Redaktionskommission der RTK. in Folge des § 508, ins­ besondere des Abs. 3 das. hinzugefügte Abs. 3 entspricht dem Abs. 3 des § 230; die Vorschrift ist, wie dort, nur instruktioneller Natur. Vgl. § 508 Anm. 3.

§ 518. 1) „die Vorschriften-------Berufung" — vgl. 88 482, 483. Auch beim Ausbleiben des Revisionsklägers ist die Slnschließung zulässig (vgl. 8 482 Anm. 2, RG. VIII S. 380). 2) Die Slnschließung ist durch das Vorhandensein der Revisionssumme für die Anschließungsbeschwerde so wenig bedingt, wie durch die Jnnehaltung der Revisionsfrist. Letzteres folgt unmittelbar aus 8 482 Abs. 1, ersteres aus einer analogen Anwendung jener Bestimmung, welcher der Gedanke zu Grunde liegt, daß die Geltendmachung der Anschließung von der Zu­ lässigkeit der Berufung (Revision) für den Berusungs-(Revisions-)Beklagten völlig unabhängig

638

Drilles Buch.

Rechtsmittel.

§§ 519-521.

§ 519. Der Revisionsbeklagte hat dem Revisionskläger die Beantwortung der Revision innerhalb der ersten zwei Drittheile der Zeit, welche zwischen der Zustellung der Revisionsschrift und dem Termine zur mündlichen Verhandlung liegt, mittels vorbereitenden Schriftsatzes zustellen zu lassen. Der Schriftsatz soll insbesondere die Anträge und im Falle der Anschließung deren Begründung nach Vorschrift des §. 516 enthalten. N. Entw. 8 845 Abs. 1. Entw. I. § 469. Entw. II. § 487. Entw. III. 8 495. Mot. S. 384. Prot. S. 269.

§ 520. Auf das weitere Verfahren finden die in erster Instanz für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, soweit nicht Abweichungen aus den Bestimmungen dieses Abschnitts sich ergeben. N. Entw. 8 845 Abs. 2. Entw. I. § 477. Entw. II. 8 488. Entw. III. 8 496. Mot. S. 314. Prot. S. 269.

§ 521. Die Verletzung einer das Verfahren der Berufungsinstanz betreffen­ den Vorschrift kann in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, wenn in Gemäßheit der Bestimmung des §. 267 die Partei das Rügerecht bereits in der Berufungsinstanz verloren hat. N. Entw. — Entw. I. - Entw. II. 8 489. Entw. III. 8 497. Mot. — Prot. S. 269. sein soll. So auch gemeinrechtlich, wenn rücksichtlich der Adhäsion die summa appellabilis nicht vorhanden ist (Wetzell S. 753, Renaud S. 561). ^Zustimmend: Hellmann II S. 454/ Gaupp II S. 97, Seufsert Anm. 2 u. 91.] 3) Wird aber die Revision zurückgenommen oder als unzulässig (§ 497) verworfen, so verliert eine Anschließung, bei welcher der Gegenstand der Beschwerde die Revisionssumme nicht erreicht, nach der Regel des § 483 Abs. 1 ihre Wirkung selbst dann, wenn der Revisionsbeklagte sich innerhalb der Revisionsfrist der Revision angeschlossen hat (Abs. 2); denn als selbständige Revision muß sie wegen der mangelnden Summe für unzulässig erachtet werden. (Ebenso Wilm. Levy Anm. 1, Endemann II S. 470, Sarwey I S. 702 u. A.: vgl. auch RG XIII S. 433.) Andererseits ist an eine selbständig aufrecht zu erhaltende Anschlußrevision eine Anschließung des Revisionsklägers zulässig (RG. XVII S. 46; vgl. § 482 Anm. 3). Da durch die Einlegung der Revision der gesammte Rechtsstreit seiner rechtlichen Seite nach zur Entscheidung des Revisionsgerichts erwächst, so kann der Revisionsbeklagte auch ohne Anschließung in seinen Anträgen die Verletzung anderer Gesetze als der Revisionskläger rügen, sofern er damit nur die Aufrechterhaltung, nicht die Aufhebung des Berufungs­ uriheils erzielen will. 4) Die §§. 511—513 finden selbstverständlich auch auf die Anschlußrevision Anwendung (v. Kries a. a. O. S. 326). 5) Wegen der Kosten der Anschließung im Falle der Zurückweisung der Revision s. RG. VII S. 343.

§ 519. § 519 entspricht dem § 484. nur eine vorbereitende Natur.

Auch die Anschließungsbe sch werden (Abs. 2) haben

§ 520. Vgl. § 485 und vor § 507 Anm. 3. Die Abweichungen finden sich in §§ 521—529 und GVG. § 137 in d. Fassung d. RG. v. 17. März 1886. Wegen des Versäumnißverfahrens s. § 529 Anm. 3.

8 521. Vgl. §§ 267, 492 — „b ereits in der Berufungsinstanz verloren" — sei es nach § 492, weil die Rüge in erster Instanz unterlassen ist, oder nach §§ 267, 485 wegen

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§§ 522—524.

639

§ 522. Der Prüfung des Nevisionsgerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. N. Entw. 8 847 Abs. 1. Entw. I § 472. Entw. II. § 490. S. 269.

Entw. III. § 498.

Mot. S. 317. Prot.

§ 523. Ein nicht oder nicht unbedingt für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urtheil des Berufungsgerichts ist, insoweit dasselbe durch die Revistonsanträge nicht angefochten wird, auf den im Laufe der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag von dem Revisionsgerichte für vorläufig vollstreckbar zu erklären. N. Entw. § 796. Entw. I. 8 473. Entw. II. 8 491. Entw. III. 8 499. Mot. S. 324. Prot. S. 269.

§ 524. Für die Entscheidung des Nevisionsgerichts sind die in dem an­ gefochtenen Urtheile gerichtlich festgestellten Thatsachen maßgebend. Außer denselben können nur die im §. 516 Nr. 2, 3 erwähnten Thatsachen berücksichtigt werden. N. Entw. 8 847 Abs. 2. Entw. I. 8 471. Entw. II. 8 492. Entw. III. 8 500. Prot. S. 269, 270.

Mot. S. 324, 325.

Versäumung der Rüge in der Berufungsinstanz selbst. Auf eine in der Revisionsinstanz selbst begangene Verletzung des Prozeßrechts findet § 267 gemäß § 520 Anwendung.

§ 522. Vgl. StPO. § 392. 1) Der § 522 entspricht der Bestimmung des § 487 rücksichtlich der Berufung. Unter „Anträgen" sind auch hier nach allgemeinen Grundsätzen die in der mündlichen Ver­ handlung gestellten Anträge zu verstehen (vgl. § 516 Abs. 2). Diese bilden die Grenzen für die Prüfung des Revisionsgerichts und auch hier gilt demnach der in § 498 für die Berufungs­ instanz ausdrücklich ausgesprochene Satz, daß ohne Anschlußrevision nicht zu Ungunsten des Nevisionsklägers entschieden werden darf. Eine reformatio in pejus liegt aber nicht darin, daß das Revisionsgericht eine Sache, welche das Berufungsgericht irrthümlich an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen hat, an das Berufungsgericht verweist (RG. XIV S. 357, XXII S. 392). fS. auch Seuffert Anm. 1, 2, Wilm. Levy Anm. 1 it. A. A.M. S onnenschmidt a. a. O. S. 469. Vgl. im Uebrigen §§ 487 Anm. 1 u. 524 Anm. 2—5.] 2) Die Regel des § 522 gilt nicht auch für den Berufungsrichter, wenn der Revisions­ richter das Urtheil gänzlich aufgehoben und die Sache an denselben nach § 528 zur anderw eiten Verhandlung' und Entscheidung zurückverwiesen hat. Eine relative Rechtskraft, wie bei der Nichtigkeitsbeschwerde des preuß. Rechts (Striethorst, Arch. 80 S. 21), ist mit der Natur der Revision nicht vereinbar. Vielmehr ist, soweit nicht § 528 Abs. 2 eine Schranke bildet oder einzelne Theile des Urtheils oder vorausgegangene rechtskräftige Zwischenentscheidungen von der Aufhebung unberührt geblieben sind, die Beurtheilung der Sache eben so frei wie bei der Verhandlung der ersten Berufung (vgl. § 528 Anm. 2, 3, RG XII S. 408, XXVI S. 410, im D. RAnz. 1885 tief. Beil. 2 S. 80, Erythropel a. a. O. S. 129 Anm. 4, Seuffert § 528 Anm. 2 d u. e, Wilm. Levy § 528 Anm. 3). Die §§ 251--258 greifen daher von neuem Platz.

§ 523. Vgl. § 496.

8 524. Vgl. StPO. § 392. 1) Da die thatsächliche Würdigung von der Ausgabe des Revisionsgerichts ausgeschlossen ist (vgl. § 511 Anm. J), so ergiebt sich von selbst, daß für letzteres bei seiner Entscheidung das in dem Berufungsurtheile festgestellte Sachverhältniß — nicht die daraus gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen; vgl. § 512 Anm. 5, die Urtheile bei Seuffert Anm. 1 — maßgebend sein muß, und daß mithin auch die Parteien bei Begründung oder

640

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 524.

Bekämpfung der Revision von diesem Sachverhältnisse als von etwas Feststehendem auszu­ gehen haben. „Das in dem angefochtenen Urtheil festgestellte Sachverhttltniß umfaßt sowohl alle Vorgänge des Verfahrens, das Vorbringen oder Nichtvorbringen der Parteien und die Erhebung der Beweise, als auch die dem Rechtsstreite selbst zu Grunde liegenden Thatsachen, wie sie sich nach der Würdigung des Richters darstellen." (Mot.) Das Sachverhältniß geht rücksichtlich des mündlichen Parteivorbringens nur aus dem Thatbestände des Urtheils hervor (vgl. Anm. 2, §§ 285, 505, Goldenring in Busch, Z. XIV S. 70), welchen der Revisionsrichter auszulegen berufen ist (vgl. RG II S. 143), und welcher daher bei der mündlichen Verhandlung verlesen werden muß; rücksichtlich der sonstigen Thatsachen, z. B. der Aussagen der Zeugen und Sachverständigen, des Inhalts von Urkunden sowie der prozessualischen Vorgänge, kommen auch sonstige Feststellungen in Betracht (§§ 284 Anm. 3, 285 Anm. 1; vgl. auch § 504 Anm. 3 u. Fitting § 82 N. 18), rücksichtlich der thatsächlichen Würdigung des Ergebnisses der Beweisführung auch die Entscheidungsgründe (Streich in Gruchot 25 S. 248, Möller das. 26 S. 192 ff., Planck I S. 461; vgl. RG. V S. 122, 361; Wilm. Levy Anm. 1, Endemann II S. 473]. Von dieser Regel (§ 524 Satz 1) muß aber der Natur der Sache nach alsdann eine Aus­ nahme gemacht werden, wenn sich die Revision gerade darauf stützt, daß in Bezug auf das Verfahren (§ 516 Nr. 2) oder in Bezug auf die Feststellung des Sach Verhältnisses (§ 516 Nr. 3) eine Gesetzesverletzung vorgekommen sei, weil diese Verletzung sich sonst in manchen Fällen nicht würde feststellen lassen. Deshalb wird insoweit auch die Berücksichtigung, d. h. Erörterung und Feststellung, anderer Thatsachen zugelassen (§ 524 Satz 2). „Die Erörterung und Feststellung der zulässigen neuen Thatsachen muß dem Nevisionsgerichte zustehen, da dasselbe andererseits die Begründung der Revision nicht würde prüfen können." (Mot.) (So auch Gaupp II S. 100, Seufsert Anm. 2, Stein, Priv. Wissen S. 104 f. u. A. A.M. Erythropel a. a. O. S. 108 ff., der gegen den Wortlaut und die Mot. des Gesetzes, worin die Fälle unter Nr. 2 und 3 des § 516 völlig gleichgestellt werden, mit Rücksicht auf das System der Revision und insbesondere die Bestimmung des § 528 nur in Fällen der Nr. 2 eine Beweiserhebung in der Revisionsinstanz selbst gestalten will. Mit Recht hebt übrigens Stahl a. a. O. S. 131 Anm. 36 hervor, daß die Nr. 3, welche sich auch auf die Verletzung materieller Normen — nämlich der civilrechtlichen Vermuthungen und der Regeln über Aus­ legung von Willenserklärungen — bezieht, hier selbstverständlich nur in Betreff der Verletzung prozessualer Normen in Betracht kommt.) Vgl. § 516 Anm. 5—7. 2) Zu den hiernach zu berücksichtigenden Thatsachen gehören auch solche, deren Feststellung in dem Thatbestände dem Gesetze zuwider unterlassen worden ist (vgl. § 516 Anm. 8). Jedoch setzt dies — abgesehen von der Erheblichkeit der Rüge für den endlichen Erfolg — die Nachw eisb arkeit der Uebergehung voraus. Nur das Sitzungsprotokoll ist in dieser Beziehung als Beweismittel gegen den Inhalt des Th atbestandes geeignet (§ 285). Hierüber bemerken die Mot.: „In dieser Beziehung kommt in Betracht, daß nach § 285 der Thatbestand des Urtheils rücksichtlich des mündlichen Parteivorbringens Beweis liefert, und daß dieser Beweis nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden kann. Läßt sich daher auf Grund des Sitzungsprotokolls nicht beweisen, daß eine in den Thatbestand nicht aufgenommene Thatsache in der mündlichen Verhandlung vorgetragen sei, so kann die Anfechtung des Urtheils auf eine Omission nur gestützt werden/ wenn der That­ bestand auf Grund des § 291 rektifizirt, also in Folge des gestellten Berichtigungs­ antrages festgestellt tvorden ist, daß die Partei die betreffende Thatsache in der mündlichen Verhandlung vorgebracht habe. Ausgeschlossen sind hiernach für die Revisionsinstanz nur alle neuen, die Sache selbst betreffenden thatsächlichen Anführungen und jeder Angriff gegen die rein thatsächliche Würdigung der Sache durch den ersten Richter." Wegen Mangels des Thatbestandes s. § 513 Anm. 10.

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 525.

641

§ 525. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach §.511 nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend. N. Entw. - Entw. I. 8 479. Entw. II. § 498 Abs. 3. Glitt». III. 8 501. Mot. S. 320-322. Prot. S. 270, 711.

3) Das Vorbringen solcher Thatsachen, welche sich nicht auf den Rechtsstreit selbst, sondern auf die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Revision beziehen, wie z. B. die Behauptung der nicht gehörigen Zustellung des Berusungsurtheils oder der Revisionsschrift, des Nichtvorhandenseins der Revisionssumme, wird durch § 524 überhaupt nicht berührt. In dieser Beziehung tritt nach den §§ 497, 529 eine Prüfung des Revisionsgerichts von Amtswegen ein (RG. XI S. 401, X V S. 410). Auch folgt aus der Verpflichtung des Richters zur amtlichen Prüfung gewisser sonstiger der Parieivereinbarung nicht unterliegenden Punkte, z. B. unverzichtbarer Prozeßvoraussetzungen, daß bei dieser Prüfung das Revisionsgericht auch neu vorgebrachte Thatsachen zu beachten hat (vgl. RG. in S. A. 47 Nr. 245, XXVII S. 187, § 529 Anm. 2. A.M. RG. IX S. 366, auch Wach, die That- u. Rechtsfrage S. 12. Vgl. noch Löwe, Komm. z. StPO. § 376 Anm. 2b, 5b). 4) Daß die im Satz 2 gedachten Thatsachen bei der mündlichen Verhandlung über die Revision vorgebracht werden müssen, wenn sie berücksichtigt werden sollen, folgt aus allge­ meinen Grundsätzen und ist in der RTK. von dem Reg.-Vertreter ausdrücklich bestätigt worben (vgl. § 516 Anm. 5). Selbstverständlich kann das Revisionsgericht über die in Rede stehenden Thatsachen die nöthigen Erhebungen entweder selbst anstellen oder durch ein anderes Gericht anstellen lassen. Auch rücksichtlich des Beweises gelten die allgemeinen Grundsätze. 5) Anders als mit den Thatsachen verhält es sich mit den Rechtsnormen. Diese hat das Revisionsgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, gleichviel ob sie von dem Revisions­ kläger angeführt sind oder nicht. Bei Verletzung von Normen des materiellen Rechts, sofern dieselben nicht unter Z 516 Nr. 3 fallen, ist daher eine weitere Begründung der Revisionsanträge (§ 522) überhaupt nicht wesentlich; es genügt die Bemerkung, daß Nichtanwendung oder nicht richtige Anwendung eines Gesetzes vorliege, nebst dem Vortrage des Sachverhältnisses und dem darauf gestützten Antrage, um jede wirklich vorliegende Rechtsverletzung zur Entscheidung des Richters zu bringen. Desgleichen kann, wenn die Revisionsbeschwerde auf die Verletzung einer bestimmten Rechtsnorm gestützt wird, das Revisionsgericht jedoch zwar nicht diese, wohl aber eine andere Rechtsnorm für verletzt erachtet, der Beschwerde wegen dieser Gesetzesverletzung statt gegeben werden. Diese aus der freien Gestaltung der Revision (vgl. § 516 Anm. 4) mit Nothwendigkeit folgende, auch in den Mot. (S. 317) deutlich hervorgehobene Auffassung ist in der RTK. von dem Reg.-Vertreter als die richtige bestätigt worden. § 525 1) Die Vorschrift ist eine Folge des § 511 (vgl. § 511 Anm. 3—7). „Die Frage, ob z. B. das Reichsrecht oder das gern. Recht richtig zur Anwendung gebracht sei, ist der Kognition des Revisionsgerichts nicht bloß dann zu unterstellen, wenn die Anwendbarkeit der reichsgesetzlichen oder gemeinrechtlichen Norm an sich ' unstreitig und streitig nur der Inhalt dieser jedenfalls in Anwendung zu bringenden Rechtsnorm ist, sondern zur Kompetenz des Revisionsgerichts gehören auch die Fragen, welche durch den Konflikt des Reichsrechts oder gem. Rechts oder des partikularen Rechts entstehen. Hat also z. B. das Berufungsgericht ange­ nommen, daß das Reichsrecht eine partikulare Rechtsnorm nicht aufgehoben habe, und diese Rechtsnorm demgemäß seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, so hat das Revisionsgericht festzustellen, ob die Konklusion des Berufungsgerichts als zutreffend angesehen werden kann. Dasselbe gilt, wenn z. B. das Berufungsgericht zu dem Ergebnisse gelangt, daß das Partikularrecht eine Rechtsnorm des gem. Rechts beseitigt habe und deswegen diese Rechtsnorm für unanwendbar erklärt. Hieraus folgt: Durch § 525 hat nur ausgesprochen werden sollen, daß, wenn die in dem konkreten Falle zur Anwendung zu bringende Rechtsnorm dem der Revision nicht unterliegenden Struckmann u. Koch, Clvilprozeßordnung. 6. Aufl. 41

642

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§§ 526, 527.

§ 526. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen. 8L Eutw. § 860. S. 270«

Entw. I. 8 474.

Entw. II. 8 493.

Ent«. III. 8 SOS.

Mot. S. 316, 317.

Prot.

§ 527. Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das ange­ fochtene Urtheil aufzuheben. partikularen Rechte entnommen werden muß, die Entscheidung des Berufungsgerichts über Bestehen und Inhalt der betreffenden Rechtsnorm für das Revisionsgericht maßgebend sei (vgl. John in Behrend, Zeitschr. f. d. deutsche Gesetzgebung VII S. 189 ff.)." sMot.) sNach Puchelt II S. 374 trifft diese Ausführung nur soweit zu, als es sich um Reichs­ gesetze handelt. S. jedoch Petersen §§ 524, 525 II, Seuffert Anm. 3, v. Kries a. a. O. S. 331 ff., Fels a. a. O. S. 84 ff., Hellmann, Lehrb. S. 732 ff. u. A.j Beispiele s. in RG. III S. 28, V S. 212, 361, 372, VI S. 393, X S. 124 u. im sächs. Arch. I S. 408. 2) „das Bestehen und der Inhalt von Gesetzen" — Zweifelhaft ist, ob und in wie weit dies auch die Folgerungen in sich begreift, welche aus dem Gesetze mittels Aus­ legung gezogen werden. Allgemein nimmt solches an RG. in S. A. 36 Nr. 86 (Entscheidung über die Zugehörigkeit eines Rechtssatzes zum formellen Prozeßrecht), während andere Entsch. d. RG. (II S. 69, VI S. 395, X S. 123, XV S. 20) (wohl mit Recht) sich für die Ver­ neinung aussprechen, wenn die Entscheidung aus dem Partikularrechte mit Hülfe allgemeiner (revisibler) Rechtss ätze abgeleitet ist (vgl. auch § 511 Anm. 4 S. 625, Wilm. Levy Anm. 1 a. E., Hellmann, Lehrb. S. 750, jedoch auch Weismann in Busch, Z. IX S. 183). Auch lokale Gewohnheitsrechte gehören hierher (s. RG. III S. 150, V S. 135). Die Entscheidung ist jedoch anfechtbar, wenn sie auf der Verletzung der in § 511 erwähnten Gesetze beruht (RG. im D. RAnz. 1882 bes. Beil. 10 S. 4). 3) „nach § 511" — Auf Grund des H 6 d. E. G. z. CPO. steht dem § 511 auch hier § 1 der Verordn, v. 28. Sept. 1879 (RGBl. S. 299) gleich (vgl. § 511 Anm. 4); ein innerer Grund, hier einen Unterschied zu machen, liegt nicht vor (Wilm. Levy Anm. 1 u. A. A.M. Hellmann, Lehrb. S. 749 f., 758).

§ 526. Die Bestimmung ist lediglich ein Ausfluß des Satzes, daß eine Revision nur dann begründet ist, wenn die Entscheidung selbst, d. h. der in materielle Rechtskraft übergehende Inhalt des Urtheils (s. § 293), aus einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 511 Anm. 8). Darnach ist es unzulässig, wegen Unrichtigkeit eines Entscheidungsgrundes oder auch der thatsächlichen Feststellung (Z 516 Nr. 2, 3) das angefochtene Urtheil aufzuheben, sodann aber in der Sache dessen Ent­ scheidung aufrecht zu erhalten. Vgl. auch § 293 Anm. 2, Endemann II S. 476, Petersen § 526 Anm., Gaupp II S. 103 u. A. Beispiele s. in RG. IV S. 404, V S. 175, 415, XI S. 242, XVIII S. 27, 380, 400, XX S. 354, XXX S. 82, 109 u. s. w. § 526 ist nicht anwendbar» wenn eine „unzulässige" Revision (§ 509) irrthümlich als „unbegründet" zurückgewiesen ist; denn diese Entscheidung ist nicht „richtig" und ihre Abänderung kann für beide Parteien ein sachliches Interesse haben (vgl. Gaupp II S. 78, Wilm. Levy Anm. 1 a. E. A.M. RG. V S. 415).

§ 527. Vgl. StPO. § 393. 1) Die CPO. steht zwar nicht auf dem grundsätzlichen Standpunkte des stanz. Rechts, daß es Aufgabe des Kassationshofes nur sei, das gesetzwidrige Urtheil aufzuheben (zu vernichten), nicht aber, den Parteien in der Sache Recht zu sprechen (vgl. vor § 507 Anm. 1 a. E.); allein

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 528.

643

Erfolgt die Aufhebung des Urtheils wegen eines Mangels des Verfahrens, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel be­ troffen wird. N. Entw. § 848. Entw. I. 8 475. S. 270.

Enlw. II. 8 494.

Entw. III. 8 503.

Mot. S. 325, 326.

Prot.

§ 528. Im Falle der Aufhebung des Urtheils ist die Sache zur ander­ weiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dasselbe hat die rechtliche Beurtheilung, welche der Aufhebung zu Grunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden: 1. wenn die Aufhebung des Urtheils nur wegen Gesetzesverletzung bei An­ wendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältniß erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist; 2. wenn die Aufhebung des Urtheils wegen Unzuständigkeit des Gerichts oder wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs erfolgt. Kommt in den Fällen der Nr. 1 und 2 für die in der Sache selbst zu er­ lassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach §. 511 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückver­ wiesen werden. N. Entw. 88 849, 852. Entw. I. 8 476. 327. Prot. S. 270-272, 707-709.

Entw. II. 8 495.

Entw. HL 8 504.

Mot. S. 314, 326,

die als Regel aufgestellte Ausschließung der thatsächlichen Würdigung von der Thätigkeit des Revisionsgerichts macht es letzterem in vielen Fällen zur Unmöglichkeit, eine Entscheidung in der Sache selbst — in demselben Umfange, wie bei der Berufung (§§ 499, 500) — zu treffen. Der § 527 behandelt nun zunächst jenen negativen Theil der Entscheidung, weil der­ selbe stets vorkommen muß, während § 528 sich auf den positiven Theil bezieht, welcher unter besonderen Umständen zugleich vom Revifionsgerichte selbst zu erledigen ist. 2) Abs. 1: „Insoweit — erachtet wird" — Die Aufhebung trifft, wie die Mot. hervorheben, nicht nothwendig das ganze Urtheil dem Streitgegenstände nach, sondern nur den­ jenigen Theil desselben, welcher auf Verletzung des Gesetzes beruht, desgleichen nicht nothwendig die dem angefochtenen Urtheile vorausgegangenen Entscheidungen (§ 510) oder die in dem an­ gefochtenen Urtheile enthaltenen Entscheidungen über selbständige Angriffs- oder Verth eidigungsmittel (vgl. auch Vierhaus in Busch, Z. VI S. 236 ff.). Insoweit eine Aufhebung deS an­ gefochtenen Urtheils nicht stattfindet, ist die Revision zurückzuweisen (vgl. RG: X S. 433, Seuffert § 528 Anm. 2 d). Sofern dies nicht in der Urtheilsformel geschieht, ist in zweiter Instanz von neuem zu verhandeln; eine bloße Zurückweisung in den Gründen genügt nicht (RG. im P. RAnz, 1885 bes. Beil. 2 S. 8J). 3) Der Abs. 2 entspricht der Bestimmung des § 501 in Betreff der Berufung; das Er­ messen des Revisionsrichters ist jedoch eingeschränkter als das des Berufungsrichters („ist — aufzuheben" statt „kann unter Aufhebung rc."). Das Verfahren ist hier nur das der Berufungsinstanz (vgl. §§ 501 Anm. 4, 510 Anm. u. v. Kries a. a. O. S. 336 ff.).

§ 528. Vgl. StPO. 88 394, 398 Abs. 1. 1) Der § 528 handelt von der Entscheidung, welche an die Stelle der aufzu­ hebenden zu treten hat (vgl. § 527 Anm. 1). Der Abs. 1 stellt das, was wegen der von der Aufgabe des Revisionsgerichts ausgeschlossenen thatsächlichen Würdigung häufig eintreten muß — nämlich die Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung — an die Spitze; der Abs. 3 dagegen zählt die Fälle auf, in denen das Revisionsgericht selbst in der Sache entscheiden muß. 41*

644

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 528.

2) Abs. 1: „zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung" — In wie weit anderweil zu verhandeln und zu entscheiden ist, richtet sich nach der Tragweite der Aufhe­ bung (§ 527 Anm. 2 u. 3; s. auch RG. in S. A. 46 Nr. 68). Soweit die Aufhebung erfolgt ist, muß der Streitgegenstand vor dem Berufungsgerichte — selbst bei gleicher Besetzung desselben wie früher — in den durch die Anträge bestimmten Grenzen (§ 487) von neuem ver­ handelt und durchaus frei geprüft werden (RG. VI S. 374, XII S. 408, in S. A. 37 Nr. 271, 48 Nr. 225,in Fenneru. Mecke, Arch.III Nr. 19 u.in I. W. 1893 S. 157, Vierhaus in Busch, Z. VI S. 237 ff.). Ist das Verfahren nicht aufgehoben, so kann das Berufungsgericht bei Fällung des neuen Urtheils die frühere Beweisaufnahme mit zu Grunde legen, ist aber andererseits an einer neuen Beweisaufnahme grundsätzlich nicht gehindert (vgl. Anm. 3). Eine relative Rechtskraft tritt nicht ein (vgl. § 522 Anm. 2). Auch eine bei der ersten Verhandlung nicht erhobene Anschlußberufung ist daher bei der anderweiten Verhandlung zulässig (RG. XII S. 408, XXV S. 309, in S. A. 38 Nr. 280, in Gruchot 34 S. 754, ob.LG. f. Bayern in S. A.46 Nr. 231; Struckmann in Busch, Z. VI S. 404 ff., Wilm. Lev y Anm. 3, Seuffert Anm. 2e, Hellmann, Lehrb. S. 754. A.M. Vierhaus a. a. O. S. 249 ff. in Folge seiner Auffassung von dem Verhältniß der anderweiten Verhandlung zu betn Revisions­ uriheil (vgl. Anm. 3)]. „an das Berufungsgericht" — d. h. an dasselbe Gericht und zwar an denselben Senat des Gerichts, welcher das Urtheil in der Berufungsinstanz gesprochen hat. Ein Beschluß der RTK., daß die Zurückverweisung an einen anderen Senat als an denjenigen, welcher erkannt habe, erfolgen könne (vgl. Württ. PO. Art. 750, P. E. § 680, H. E. § 623, N. E. § 849), wurde später wieder aufgehoben. Die Zurückverweisung an ein anderes Gericht oder an einen anderen Senat desselben Gerichts ist mithin unzulässig. Auch die Zurückverweisung an das Gericht erster Instanz ist ausgeschlossen, selbst in Fällen, in welchen der die Revision begründende Mangel des Verfahrens schon in erster Instanz seinen Ursprung hatte und das Berufungsgericht die darauf gestützte Berufung zurückgewiesen hatte. Erst das Berufungsgericht, an welches die Sache zunächst zurückgeht, ist nach stattgehabter münd­ licher Verhandlung in der Lage, die Sachk in Gemäßheit der §§ 500, 501 an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen. (Ebenso Endemann II S. 479, 483 a. E., Sarwey I S. 709, Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 104f. u. A. A.M. Brettner in Bödiker, Mag. V S. 304, Seuffert, Anm. 1 a E.) Anders, wenn nach Abs. 3 in der Sache selbst zu ent­ scheiden ist (s. Anm. 4). 3) Abs. 2: Entgegen dem Standpunkte des franz. Kassationsrekurses (vgl. auch Bayer. PO. Art. 820) bindet die CPO. das Berufungsgericht bei der von ihm zu erlassenden weiteren Entscheidung (einschließlich der vorausgehenden Verhandlung — s. Vierhaus a. a. O. S. 240) an die rechtliche Beurtheilung des Revisionsgerichts — auch wenn letzteres in seiner späteren Rechtssprechung davon abgegangen ist; s. RG. in Gruchot 34 S. 1166—, jedoch nur insoweit, als diese „der Aufhebung zu Grunde gelegt ist". Erfolgte daher die Auf­ hebung wegen eines Mangels des Verfahrens, so sind in dem neuen Verfahren die der Auf­ hebung zu Grunde gelegten Rechtsansichten des Revisionsgerichts zu befolgen (s. z. B. RG. VI S. 353, VIII S. 414; vgl. auch Stein, Privates Wissen S. 113 ff.); erfolgte sie wegen Unrichtigkeit der Entscheidung, so sind die Rechtsgrundsätze, aus denen die Aufhebung beruhte (einschließlich der etwa geschehenen Subsumtion der Thatsachen unter die Rechtsnorm; f. § 512 Anm. 5, RG. VII S. 144. Gaupp II S. 106), der neuen Entscheidung zu Grunde zu legen. An Rechtsgrundsätze dagegen, welche in den Entscheidungsgründen des Revisionsurtheils -ausgesprochen werden, auf denen aber die Entscheidung selbst nicht beruht, ist das Berufungs.gericht nicht gebunden. (Vgl. RG. VI S. 374, XII S. 408, XXVI S. 410 u. in S. A. 42 Rr. 333, 48 Nr. 225, Vierhaus a. a. O. S. 234, Seuffert Anm. 2 c.) Ueberhaupt ist im Uebrigen die weitere Verhandlung vor dem Berufungsgerichte ebenso frei wie früher. (Vgl. Anm. 2 i. A.)

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 528.

645

„Soweit nicht Zwischenurtheile entgegenstehen, welche durch die Aufhebung nicht be­ troffen sind, ist keine Partei in dem Vorbringen neuer Thatsachen oder in der Antretung neuer Beweise behindert" (Mot.). Das Gericht hat sich eine freie Ueberzeugung über den gesammten Sachverhalt (§ 259) zu verschaffen, auch § 284 zu beobachten (RG. in Gruchot 29 S. 1122). Dasselbe ist nicht an seine eigenen früheren Feststellungen, Beweiswürdigungen, Nechtsansichten gebunden; auch in diesem Sinne besteht keine relative Rechtskraft zu Gunsten des in der Nevisionsinstanz siegen­ den Theils (RG. XII S. 408, XXVI S. 410) — anders als im früheren preuß. Prozesse (Striethorst, Arch. 80 S. 2!). Der Ausdruck „rechtliche Beurtheilung" ist nach den Mot. statt „Rechtsnorm" (P.E. § 683, N. E. § 852 Nr. 3), „Rechtsansicht" (Bayer. PO. Art. 820) oder „Rechtsgrundsätze" sPreuß. Dekl. v. 6. April 1839 Art. 11 Abs. 3 (GS. S. 126) u. Ges. v. 20. März 1854 § 3 (GS. S. 115), Hann. PO. § 440 Abs. 2, Mürtt. PO. Art. 750 Abs. 4, H. E. § 623 Abs. 3] gewählt worden, um das Gesetz gegen die Gefahr einer zu engen Auslegung und Anwendung sicher zu stellen (s. RG. in I. W. 1893 S. 198).

Vgl. auch StPO. § 398 Abs. 1.

Der Grundsatz des Abs. 2 ist nicht (wie Vierhaus a. a. O. S. 217ff., 6es. 228ff. und Seuffert das. VII S. 54 ff. annehmen) darauf zurückzuführen, daß das weitere Verfahren vor dem Berufungsgerichte noch einen Theil der Revisionsinstanz bilde, das Revisionsuriheil und das nachfolgende Urtheil des Berufungsgerichts zusammen erst die Entscheidung auf die Revision geben.

Dies ist schon deshalb unmöglich, weil gegen das zweite Urtheil des Berufungsgerichts

wiederum die Revision zulässig ist, diese aber doch nicht als Theil der ersten Revision angesehen werden kann. Auch widerspricht es der hergebrachten, in der CPO. beibehaltenen Terminologie, nach Zurückverweisung der Sache „zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht" noch von der Fortdauer der Revisionsinstanz zu reden. (Vgl. auch RG. VIII S. 436, XII S. 408, Schultzenstein in Gruchot 27 S. 301 a. E., Wilm. Levy Anm. 3.)

Der Grundsatz des Abs. 2 erklärt sich vielmehr, worauf auch allein die Mot. hinweisen,

ausschließlich und hinreichend aus dem Grundsätze der Rechtskraft, welcher hier gegenüber dem § 293 eine positive Erweiterung erfahren hat, indem sich dieselbe sogar auf bloße Rechtssätze, welche zwischen den Parteien festgestellt sind, erstreckt. Vom legislatorischen Standpunkte aber ist vor allem das Ansehn des höchsten Gerichts und die rasche Erledigung der Prozesse maßgebend. (Vgl. Struckmann a. a. O. S. 391 ff., Wach, Vortr. S. 215, Petersen §§ 527, 528 II, Gaupp II S. 105 N. 5, das. IX S. 360, Breitn er Revisionsgrund

(RG.

Selig söhn in Busch, Z. VIII S. 316 Anm. 50, a. a. O.

S. 303 ff. u. A.)

Eine Verletzung

H. Meyer

des Abs. 2

ist

in Gruchot 28 S. 1121).

Auch das Revisionsgericht selbst ist — auch wenn es inzwischen in anderen Sachen von dem Rechtsgrundsatze abgewichen ist (vgl. Anm. 3 i. A.) — an seine Entscheidung gebunden, sobald die Sache in Folge neuer Revision an dasselbe zur Entscheidung zurückgelangt; denn die zurückverweisende Entscheidung ist ein — und zwar, da ein weiteres Rechtsmittel nicht stattfindet — rechtskräftiges Urtheil (vgl. § 500 Anm. 1, Seuffert Anm. 2 f, Wilm. Levy Anm. 3 i. A., Fitting § 82 N. 74.

A.M. Vierhaus a. a. O. S. 230), und es findet

mithin § 289 Anwendung. Wenn bei derselben die Urtheilsformel auch nur auf Aufhebung des zweitinstanzlichen Urtheils und Zurückverweisung lautet, so ist der eigentliche Sinn doch der, daß dem neuen Urtheile die in den Gründen enthaltene rechtliche Beurtheilung zu Grunde gelegt werden soll, und diese Entscheidung muß nach § 289 auch für das entscheidende Gericht selbst bindend sein.

sVgl. auch Striethorst, Arch. 64 S. 247 u. Entsch. d. preuß. O.T. 77 S. 116,

Rechtspr. d. RG. i. Str.S. IV S. 302, ROHG. 12 S. 266, 14 S. 308, Gaupp II S. 105 N. 9, 106 a. E., Struckmann a. a. O. S. 400 Anm. 7, Seuffert a. a. O. S. 57 Anm. 54, Vierhaus a. a. O. S. 257 (freilich mit anderer Begründung). A.M. Hellmann in I. W. 1882 S. 213 ff. u. Lehrb. S. 755].

646

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 528.

4) Abs. 3: In den hier angeführten Fällen ist das Revisionsgericht verpflichtet, in der Sache selbst zu entscheiden, ein Beweis, daß die CPO. grundsätzlich die Entscheidung durch das Revisionsgericht will und die Zurückverweisung an das Berufungsgericht nur da gestattet, wo sie wegen des Ausschlusses der thatsächlichen Würdigung von der Thätigkeit des Revisionsgerichts geboten ist. „Ein Endurtheil in der Sache selbst kann das Revisionsgericht, wenn es sich um die unrichtige Subsumtion von Thatsachen unter das Gesetz handelt, in Gemäßheit des § 528 Abs. 2 Nr. 1 nur dann erlassen, wenn ihm für dasselbe alle thatsächlichen Grundlagen durch das angefochtene Urtheil gegeben sind, also nur dann, wenn das festgestellte Sachverhältniß ein sofortiges Urtheil gestattet. Es kann allerdings Fälle geben, in welchen die Ergänzung der Feststellungen durch Einfügung einer als omittirt nachgewiesenen Thatsache wenig bedenklich erscheinen mag, weil nur eine thatsächliche Auffassung derselben möglich zu sein scheint. Jedoch unter anderen Umständen kann selbst die Einführung einer unbestrittenen und nicht bloß zu dem Gange des Verfahrens, sondern zu den Umständen des streitigen Falls gehörige Thatsache ein weites Feld thatsächlicher Würdigung eröffnen, z. B. wenn die bezügliche Thatsache nicht unmittelbar und selbständig von Einfluß auf die Ent­ scheidung ist. Eine gesetzliche Sonderung der verschiedenen Fälle zu versuchen, würde zu einer verwirrenden Kasuistik führen. Daß das Revisionsgericht Thatsachen, welche nach dem festgestellten Sachverhältnisse streitig sind, nicht selbst festzustellen hat, ergiebt sich aus den angenommenen Grundsätzen von selbst." (Mot. S. 327.) Eine Zurückverweisung muß demnach erfolgen, wenn bet unrichtiger Subsumtion der Thatsachen unter das Gesetz (§§ 516 Nr. 1, 528 Abs. 3 Nr. 1) das in dem Berufungsurtheil festgestellte Sachverhältniß nach Ansicht des Revifionsgerichts als Grundlage für das Endurtheil noch nicht ausreicht, wenn z. B. die Berufung mit Unrecht als unzulässig verworfen ist, oder wenn — abgesehen von den Fällen der Nr. 2 des Abs. 3 — das Verfahren oder die Feststellung des Sachverhältnisses mit Erfolg angegriffen worden ist (§ 516 Nr. 2 u. 3) und mithin zunächst eine Erneuerung des Verfahrens bezw. eine erneuerte Feststellung des Sachverhältnisses erfolgen muß. Vgl. unten Anm. 5. Insbesondere muß in den in § 500 hervorgehobenen Fällen stets eine Zurückverweisung erfolgen, weil die erforderliche thatsächliche Feststellung mangelt. „Die im § 500 für das Urtheil des Benrfungsgerichts aufgestellten Beschränkungen der Entscheidung ergeben sich für das Urtheil des Revifionsgerichts von selbst" (Mot.). Ueber die Frage, wie weit der Revisionsrichter auf Grund des Inhalts einer Urkunde selbst erkennen kann, vgl. Erythropel in Gruchot 25 S. 300 f., RG. II S. 379, oben § 512 Anm. 7. „Zur Entscheidung reif" ist die Sache nur, wenn ein unbedingtes Endurtheil (nicht bloß ein bedingtes) erlassen werden kann (Seuffert Anm. 3, Petersen §§ 527, 528 III 2, Gaupp II S. 107 N. 20, Wilm. Levy Anm. 5, Fitting § 82 N. 75. A.M. Endemann II S. 481). Andererseits tritt diese Voraussetzung auch ein, wenn die Sache zu einer Entscheidung, durch welche die Zurückverweisung in die erste Instanz nach §§ 500, 501 ausgesprochen wird, reif ist, wenn z. B. eine vom Berufungsgerichte für begründet erkannte prozeßhindernde Ein­ rede der Unzuständigkeit, welche den alleinigen Gegenstand der Verhandlung gebildet hat, vom Nevisionsgerichte verworfen ist. Alsdann hat das Revisionsgericht bei Aufhebung des Berufungs­ urtheils zugleich in der Sache (zu unterscheiden von „Hauptsache") die spruchreife Entscheidung zu erlassen, daß nach § 500 Nr.^ die Sache an das Gericht erster Instanz zurück zu verweisen sei (RG. V S. 93, XXIII S. 429, Gaupp II S. 105, 107, 108, Seuffert Anm. 1 a. E., Hellmann, Lehrbuch S. 757, Fitting § 82 N. 75; vgl. auch RG XXII S. 404, „wenn der Mangel die Zurückverweisung der Sache in die erste Instanz unabweislich macht", u. XXI S. 394, sowie v. Kries a. a. O. S. 346 ff.).

Zweiter Abschnitt.

Revision.

§ 529.

647

§ 529. Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnißurtheile, über die Verzichtleistung auf das Rechtsmittel und die 5) In den Fällen der Nr. 2 des Abs. 3 handelt es sich zwar um einen Mangel des Verfahrens: aber die Enthaltung des Revisionsgerichts von der zu erlassenden, die Klage abweisenden Entscheidung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht würde keinen Zweck haben, da die anzuwendenden Rechtsnormen jede thatsächliche Erörterung ausschließen (Mot.). Eine Verweisung des bei einem unzuständigen Gerichte erhobenen Rechtsstreits vor ein zuständiges (Bayer. PO. Art. 815; vgl. auch StPO. § 395) ist nicht zulässig; sie würde unter Umständen der Wahl des Klägers unter mehreren zuständigen Gerichten vorgreifen können. Die Fälle, in welchen die Aufhebung erfolgt, weil das Berufungsgericht sich mit Unrecht für unzuständig oder den Rechtsweg mit Unrecht für unzulässig hält, gehören nicht unter die Nr. 2; in diesen Fällen sind noch häufig zur Hauptsache thatsächliche Feststellungen nothwendig. Vgl. Anm. 4. Andere Prozeßvoraussetzungen hier den in Nr. 2 ausdrücklich genannten gleichzustellen, er­ scheint zwar bei der Fassung der Nr. 2 nicht ganz unbedenklich, dürfte aber doch das Richtige sein; denn die Nr. 2 enthält nur eine Anwendung des in Nr. 1 aufgestellten Grundsatzes, und eine Zurückverweisung würde wie beim Mangel der Zuständigkeit oder der Zulässigkeit des Rechts­ weges ebenso beim Fehlen anderer Prozeßvoraussetzungen zwecklos sein (vgl. Se uff er t Anm. 4, Ganpp II S. 108, Wilm. Levy Anm. 7, Hellmann, Lehrb. S. 758, auch RG II S. 398. Abw. früh. Aufl., Wach, Vortr. S. 214. Petersen §§ 527, 528 III 2. S. auch v. Kries a. a. O. S. 347). 6) Vor dem Revisionsgerichte ist das Verfahren behufs Aufhebung des Urtheils von dem Verfahren behufs Entscheidung in der Sache selbst nicht getrennt. „Es giebt", wie die Mot. treffend bemerken, „nur ein Verfahren. Der Ausschluß thatsächlicher Anführungen be­ steht auch hierbei fort; es bedarf nicht einmal einer weiteren Erörterung der Sache, da ohne vollständige Prüfung derselben auch die Aufhebung des Urtheils nicht erfolgen kann." 7) Der Abs. 4 enthält nur eine Folge der Vorschrift des § 511. Die Entwürfe halten — noch folgerichtiger — die Zurückverweisung im Falle des Abs. 4 geboten. Die RTK. beschloß jedoch, die Zurückverweisung zu einer fakultativen („kann") zu machen (vgl. RG. XXV S. 26), weil in manchen Fällen die Anwendung von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann, für das Revisionsgericht ohne alle Schwierigkeit ist und durch die sofortige Entscheidung in der Sache selbst den Parteien Zeit und Kosten erspart werden. 8) Ein Antrag, daß im Falle der Zurückverweisung der Sache die Berurtheilung des einen oder des anderen Theils in die Kosten der Revisionsinstanz von dem endlichen Ausgange des Prozesses abhängig zu machen sei, wurde von der RTK. abgelehnt, nachdem von den Reg.Bertretern darauf hingewiesen war, daß der Zweck des Antragstellers bereits durch die Vorschrift des § 92 erreicht sei. Dieser Hinweis ist allerdings nicht zutreffend, da § 92 Abs. 1 (die Abs. 2 u. 3 beziehen sich auf Spezialfälle) nur den Fall der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels, also des Unterliegens des Revisionsklägers behandelt. Allein aus dem allgemeinen Grundsätze des § 87 Abs. 1 ergiebt sich, daß nach dem Inhalte des abgelehnten Antrags zu verfahren ist. Eine so­ fortige Entscheidung des Kostenpunkts ist nur für die Ende nt sch eidung erforderlich (§ 292 Abs. 1). [äBgl. § 92 Anm. I Abs. 2, Gaupp II S. 108f., Wilm. Levy § 529 Anm.8 u. Seuffert Anm. 7.] — Vgl. übrigens hinsichtlich der Kosten der Revisionsinstanz auch § 92 Abs. 3. Hinsichtlich der Gebühren bildet bei einer Zurückverweisung das weitere Verfahren mit dem früheren Verfahren vor dem Gerichte unterer Instanz eine Instanz (GKG. §§31, 28; vgl. auch GO. f. RA. § 26). § 529. 1) Während nach § 520 auch auf die Revisionsinstanz im Allgemeinen die in erster Instanz für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechende An-

648

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 529.

Zurücknahme desselben, über die Vertagung der mündlichen Verhandlung, über die Verhandlung prozeßhindernder Einreden, über die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels, über den Vortrag der Parteien bei der mündlichen Verhandlung und über die Einforderung und Zurücksendung der Prozeßakten finden auf die Revision entsprechende Anwendung. N. Entw. 8 853. Eutw. I. § 477. S. 272.

Entw. II. § 496. Entw. III. § 505. Mot. S. 327, 328. Prot.

Wendung finden, zählt § 529 die für die Berufung geltenden besonderen, durch die eigen­ thümliche Natur eines Rechtsmittelsverfahrens bedingten Vorschriften auf, welche, wie in der Berufungsinstanz, neben jenen allgemeinen Bestimmungen oder anstatt derselben zur Anwendung kommen. 2) „Anfechtbarkeit der V ersäumnißurthei le" — vgl. §§ 474, 482 Abs. 2; RG. in I. W. 1886 S. 115 Nr. 8. „Verzichtleistung auf das Rechtsmittel und die Z urü cknahme desselben" — vgl. §§ 475, 476; RG. V S. 384. Ist der Nevisionskläger, welcher die Revision zurück­ genommen hat, in dem Verhandlungstermin nicht erschienen, so ist derselbe auf Antrag des Revisionsbeklagten durch Versäumnißurtheil der Revision für verlustig zu erklären (NG. VI S. 430; vgl. §§ 243 Anm. 5, 476 Anm. 3), falls die Revision form- und fristgerecht eingelegt ist (A.M. in letzterer Hinsicht Wilm. Levy § 476 Anm. 4; vgl. jedoch oben §§ 476 Anm. 3, 504 Anm. 2). „Vertagung der mündlichen Verhandlung" — vgl. § 486. „Verhandlung prozeßhindernder Einreden" — vgl. § 490. Neu vorgeschützt werden können in der Revisionsinstanz — abgesehen von den nicht verzichtbaren Einreden — nur prozeßhindernde Einreden, welche in dieser Instanz neu entstanden sind. Dies ist aber nur möglich bei der Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten (§ 247 Nr. 4). Andere Einreden kann der Revisionsbeklagte, auch wenn er glaubhaft macht, daß er ohne sein Ver­ schulden außer Stande gewesen sei, sie in den früheren Instanzen geltend zu machen (vgl. § 490 Abs. 1), doch nicht vorbringen, weil in der Nichtberücksichtigung der damals nicht geltend gemachten eine Gesetzesverletzung nicht liegt. Nicht verzichtbare Einreden dagegen können auch in der Revisionsinstanz neu vorgebracht werden, weil in ihrer Nichtbeachtung die Verletzung, einer Prozeßrechtsnorm liegt. Soweit hiernach prozeßhindernde Einreden überhaupt neu vor­ geschützt werden können, sind zu deren Begründung nach §§ 516 Nr. 2, 3, 524 auch neue Thatsachen zulässig. (Vgl. Seuffert Anm. 5, Gau pp II S. 110, Wilm. Levy § 524 Anm. 2, Fitting § 82 N. 24, oben § 524 Anm. 3.) „Prüfung der Zulässigkeil des Rechtsmittels" — vgl. § 497. Als Besonder­ heiten der Revision treten hier hinzu die Revisionssumme (§ 508) bezw. die dieselbe ver­ tretenden Voraussetzungen (§ 509) und ein Gesetz, dessen Verletzung Gegenstand einer Revisions­ beschwerde bilden kann (§ 511). Auch diese Voraussetzungen hat das Gericht von Amiswegen zu prüfen (vgl. § 524 Anm. 3). „Vortrag der Parteien bei der mündlichen Verhandlung" — vgl. § 488. „Einforderung und Zurücksendung der Prozeßakten" — vgl. § 506. 3) Ueber das Versäumnißverfahren in der Revisionsinstanz äußern die Mot.: „Ueber dasselbe sind besondere Vorschriften nicht gegeben, weil die entsprechend an­ zuwendenden Vorschriften der ersten Instanz ausreichen. Die Versäumung der münd­ lichen Verhandlung durch den Revisionskläger rechtfertigt den Antrag auf Zurück­ weisung des Rechtsmittels. Im Falle der Versäumung des Revisionsbeklagten sind' die zulässigen neuen Anführungen des Revisionsklägers als zugestanden anzunehmen, und, soweit dadurch nicht das in dem angefochtenen Urtheile festgestellte Sachverhältniß. alterirt wird, dieses der Entscheidung zu Grunde zu legen. Es ist dabei wie in der Berufungsinstanz der Gesichtspunkt maßgebend, daß das vorhandene Urtheil als Gegenstand des Angriffs auch Gegenstand der Verhandlung ist und daher dem Säumigen schützt."

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 530.

649

Dritter Abschnitt.

Beschwerde. § 530. Das Rechtsmittel der Beschwerde findet in den in diesem Gesetze besonders hervorgehobenen Fällen und gegen solche eine vorgängige mündliche Ver­ handlung nicht erfordernde Entscheidungen statt, durch welche ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen -ist. N. Eilt«. § 814. Ent«. I. § 480. Ent«. II. § 499. Ent«. III. § 506.

Mot. S. 329. Prot. 8.272.

Der von dem Versäumnißverfahren in der Berufungsinstanz handelnde § 504 ist hiernach in § 529 nicht angeführt, weil der Abs. 1 nichts von dem Verfahren erster Instanz Abweichendes enthält, der Abs. 2 aber in dem die Beweisaufnahme betreffenden Schlußsätze nicht auf die Revisionsinstanz paßt [bettn — abgesehen von dem Falle des § 524 Satz 2 — findet in der Revisionsinstanz eine Beweisaufnahme nicht statt]. Es kommt also in Gemäßheit des § 520 lediglich § 296 zur entsprechenden Anwendung. Zunächst hat freilich in jedem Falle das Revisionsgericht von Amtswegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu prüfen (f. oben u. RG. in S. A. 49 Nr. 221), und wenn hierbei ein nicht zu heilender Mangel hervortritt, die Revision durch Endurtheil — welches kein Versäumnißurtheil ist — als unzulässig zu verwerfen (vgl. Fitting § 82 S. 587). Wegen des zulässigen neuen Vorbringens s. § 516 Nr. 2, 3, § 524. [Mit Unrecht bekämpft v. Kries a. a. O. S. 349 ff. diese Konstruktion des Versäumnißverfahrens in der Revisions­ instanz, indem er bestreitet, daß der Verlust des Anspruchs in erster Instanz dem Verlust des Rechtsmittels beim Ausbleiben des Revisionsklägers entspreche (vgl. auch § 504 Anm. 1), und indem er für den Fall des Ausbleibens des Beklagten wegen der angeblichen Verpflichtung des Gerichts, alle Fehler von Amtswegen zu prüfen (vgl. dagegen Hellmann, Lehrb. S. 759 ff.; s. auch § 516 Anm. 5), ein jedes Versäumnißverfahren für überflüssig erachtet. Vgl. RG. III S. 196, Gaupp II S. 110, Wilm. Levy § 520 Anm. 1, H. Meyer in Busch, Z. IX S. 361, welcher mit Recht hervorhebt, daß die neuen Thatsachen nicht so allgemein gehalten werden dürfen wie die Gründe des § 513, welcher aber mit Unrecht das nach dem Revisionsantrage erkennende Urtheil — das den Revisionsantrag als nach dem festgestellten Sachverhältniß als ungerechtfertigt zurückweisende Urtheil ist nach § 296 Abs. 2 niemals ein Versäumniß­ urtheil — nur dann als ein Versäumnißurtheil ansieht, wenn es auf der Annahme des Zu­ geständnisses zulässiger neuer Thatsachen beruht.] Die Anschlußrevision ist, wenn der Revisionsbeklagte ausbleibt, zurückzuweisen. Bleibt der Revisionsklüger aus, so gilt für die thatsächlichen Anführungen des Anschließenden dasselbe, was für diejenigen des Revisionsklägers beim Ausbleiben des Revisionsbeklagten gilt (Sarwey I S. 711, Gaupp II S. 111). 4) Der von der RTK. eingefügte § 505 ist zwar in § 529 nicht angeführt; derselbe findet aber sowohl seiner Wortfassung wie seinem Grunde nach offenbar gleichfalls auf die Revisions­ instanz Anwendung. (Ebenso Puchelt II S. 349 Anm. 1.)

Dritter Abschnitt. Mot. S. 39, 328. Literatur: Wach, Vortr. S. 99 ff., v. Kries, Die Rechtsmittel u. s. w. S. 376 ff., Barazetti, Die Rechtsmittel der Berufung u. der Beschwerde S. 192 ff., Hellmann, Lehrb. S. 760 ff. 1) Gegenüber den Rechtsmitteln der Berufung und der Revision, welche zur Anfechtung der nach verhandeltem Rechtsstreite zwischen den Parteien ergangenen Endurtheile dienen, ist die Beschwerde von einer mehr untergeordneten, nebensächlichen Bedeutung und wird dem­ entsprechend in einfacheren Formen verhandelt. Sie tritt an die Stelle der gemeinrechtlichen einfachen Querel und der Zwischenappellation (vgl. Wach, Vortr. S. 181).

(550

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 530.

„Wenn die übrigen auf mündlicher Prozedur beruhenden Rechtsmittel, ihrer ganzen Konstruktion nach, nur solche richterliche Entscheidungen zum Gegenstände haben, welche nach vorgängiger mündlicher Verhandlung im Verhältniß der einen Partei zur andern erfolgte sachliche Entscheidungen enthalten, so fallen dem Gebiete der Beschwerde Ent­ scheidungen anheim, welche entweder eine mündliche Verhandlung nicht voraus­ setzen oder einen Streit zwischen den Parteien und dritten Personen bezielen oder eine sachliche Entscheidung nicht enthalten. Nur ganz ausnahmsweise sind Entscheidungen, auf welche diese Kriterien nicht passen, dem Rechtsmittel der Be­ schwerde unterworfen, weil die untergeordnete Bedeutung der Entscheidungen die An­ wendung der einfacheren Prozeßformen rechtfertigt." (Mot. S. 39.) „Das--------Rechtsmittel der Beschwerde dient dem doppelten Zwecke, das System der Rechtsmittel zu ergänzen und durch Ausscheiden nebensächlicher Streitpunkte den Stoff des Rechtsstreits für die übrigen Rechtsmittel und damit das Verfahren selbst zu vereinfachen. Da die Rechtsmittel der Berufung und Revision nur zur Anfechtung der nach verhandeltem Rechtsstreite unter den Parteien ergehenden Endurtheile bestimmt sind, so bedarf es eines weiteren Rechtsmittels für die Fälle, in welchem ohne Endurtheil die Einleitung oder Fortsetzung eines Verfahrens versagt oder aufgehalten wird, ferner für die Fälle, in welchem nur noch die Ausführung eines Endurtheils in Frage steht, endlich für die Entscheidungen, welche Personen außer den Prozeßparteien betreffen." (Mot. S. 328.) 2) Wo die Beschwerde als Mittel der Anfechtung einer Entscheidung zugelassen worden, ist jedes andere Rechtsmittel ausgeschlossen (§§ 473, 510). Aus diesem Grunde ist die Beschwerde gegen die Entscheidung solcher untergeordneten Streitpunkte zugelassen, deren entgegengesetzte Entscheidung, obwohl von nur mittelbarem Einfluß auf die Entscheidung der Hauptsache, doch ein neues Verfahren in derselben bedingen würde, so daß der Aufschub der endgültigen Ent­ scheidung störend einwirken müßte (vgl. z. B. §§ 46, 229, 371 Abs. 5). Von dem Beschwerde-Verfahren handeln die §§ 531—539. Besondere Vorschriften gellen für die Beschwerde an die obersten Landesgerichte (EG. z. CPO. § 7 Abs. 5). 3) Eine besondere Art ist die sofortige Beschwerde (§ 540) mit Präklusivfrist.

§ 530. 1) Abweichend von den meisten neueren Gesetzgebungen, zählt die CPO. weder die Fälle, in denen die Beschwerde statthaft ist, im Zusammenhange auf (vgl. H. E. § 600, N. E. §§ 814, 815), noch ordnet sie dieselben nach Gruppen der Zulässigkeit (Hann. PO. § 453, Bayer. PO. Art. 738), spricht vielmehr die Zulässigkeit an den betreffenden Orten des Gesetzes aus (vgl. §§ 46, 49, 68, 97, 99, 118, 126, 229, 290, 301, 345, 352, 355, 367, 371, 374, 579, 604, 619, 621, 701, 813 Abs. 4, 815, 829) und stellt als einzige allgemeine Kategorie auf: „solche eine vorgängige mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen, durch welche ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen ist." Die Formel „das Verfahren betreffend" ist ohne Bedeutung (vgl. Fitting in Busch, Z. VII S. 243 ff.); das Entscheidende ist, daß es sich um Zurückweisung eines Gesuchs (§ 37 Anm. 1) handelt. ^Beispiele: Zurückweisung des Gesuchs um Bestimmung des zuständigen Gerichts (§ 37 Anm. 3), um Anberaumung eines Termins durch den Vorsitzenden (§§ 193, 233), um Beweisaufnahme zum ewigen Gedächtniß (§ 451), Zurückweisung des Arrestgesuchs durch Beschluß (§ 602) u. s. w.j Ob in diesen Fällen eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, ist gleichgültig. Da — abgesehen von dieser letzteren Kategorie — die Beschwerde nur in den durch die CPO. be­ stimmten Fällen stattfindet, so ist sie z. B. nicht zu dem Zwecke zulässig, um das Gericht zu veranlassen, das Urtheil seinem verkündeten Inhalt gemäß abzufassen (s. RG. V S. 375: vgl. auch RG im D. RAnz. 1886 bes. Beil. 3 S. 167). Ebensowenig findet Beschwerde gegen einen Beschluß statt, durch welchen das Beschwerdegericht das Gericht, welches das Arrestgesuch zurück­ gewiesen hat, anweist, Arrest zu erkennen (RG. XIV S. 391), ferner nicht wegen Unterbleibens eines Beschlusses auf Vornahme einer Handlung von Amtswegen, z. B. Nichterhebung der Gebühr nach § 48 des GKG. (RG. in I. W. 1894 S. 17 Nr. 39; vgl. auch OLG. Cöln

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 530.

651

im Rhein. Arch. 86, 1 S. 172) oder Nichtverlängerung einer Frist voll Amtswegen (RG in S. A. 41 Nr. 75), auch nicht, weil das Gericht dem Beschwerdeführer in der Begründung der Entscheidung einen Vorwurf gemacht hat (OLG. Hamburg in S. A. 48 Nr. 157). Wegen der Verlegung eines Termins oder der Vertagung einer Verhandlung s. §§ 205 Anm. 2, 206 Anm. 3 u. RG. in I. W. 1890 S. 332 Nr. 3. 2) Beschwerden wegen Justizverweigerung und Justizverzögerung unterliegen nicht dem in der CPO. geregelten Beschwerdeverfahren (vgl. z. B. Hann. PO. § 457, Bad. PO. § 1157); ihre Regelung ist Sache der Landesgesetzgebung. (In Preußen werden nach AG. z. GVG. § 85 Beschwerden, welche den Geschäftsbetrieb und Verzögerungen be­ treffen, im Aufsicht sw ege erledigt; wem das Recht der Aussicht zusteht, bestimmen die §§ 78, 79, 81, 83 baf.] S. auch hinsichtlich der Vorstände der Anwaltskammern RAO. § 59. Ein Antrag, daß auf derartige Beschwerden das im Jnstanzenzuge vorgesetzte Gericht entscheiden solle, wurde von der RTK. abgelehnt, nachdem von dem Reg.-Bertreter geltend gemacht war, daß der Antrag in das Gebiet der Oberaufsicht und der Disziplin über die Gerichte hineingreife (Prot, z. GVG. S. 144—148). Hinsichtlich Elsaß-Lothringens (code penal Art. 185) vgl. RG. XXIV S. 408. Wegen Justiz Verweigerungen („verweigerte oder gehemmte Rechts­ pflege") findet übrigens nach der Reichsverf. Art. 77 auch eine Beschwerde an den Bundesrath statt, wenn in dem betreffenden Bundesstaate „auf gesetzlicheu Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann". Auch unterliegen solche einzelne Akte der Justizverweigerung, welche als prozessualische Verfügungen erscheinen, z. B. die Verweigerung einer Termins­ ansetzung (§ 193), die Aussetzung einer Verhandlung (§ 229), der Beschwerde des § 530 (Gaupp II S. 113). 8) Dagegen werden auf Grund anderer reichsgesetzlicher Vorschriften folgende Be­ schwerden „nach Maßgabe ber §§ 531—538" bezw. „nach Maßgabe der CPO." behandelt: a) im GKG.: gegen den Ansatz von Gebühren oder Auslagen der Gerichte (§ 4) — und zwar nicht bloß bezüglich der Höhe angesetzter Gebühren oder der Nothwendig­ keit angesetzter Auslagen, sondern auch bezüglich der Zahlungspflicht, d. h. aller Fälle, in denen durch Erinnerung, event. Beschwerde -geltend gemacht wird, daß Kosten unter Verletzung der Normen des Gerichtskostengesetzes, namentlich auch der Abschnitte 6 und 7, angesetzt seien (RG (verein. Civilsen.) XVI S. 291 ff. A M. RG. im Preuß. IM Bl. 1883 S. 358], gegen Entscheidungen über die Werthsberechnung bei Gebühren (§§ 16, 17), gegen Festsetzung besonderer Gebühren (§§ 47 Abs. 3, 48 Abs. 2; vgl. Preuß. AG. z. GKG. § 6); b) in der GO. f. Z. u. S.: gegen Festsetzung der Gebühren für Zeugen und Sach­ verständige (§ 17); c) in der GO. f. GB.: gegen den Ansatz von Gebühren und Auslagen der Gerichts­ vollzieher (§ 22); d) in der RAO.: gegen Entscheidungen, durch welche die Beiordnung eines Rechts­ anwalts abgelehnt und die Auswahl des beizuordnenden Rechtsanwalts getroffen wird (§§ N, 36); e) in der GO. f. RA.: (des Rechtsanwalts) gegen den in § 16 d. GKG. bezeichneten Beschluß (§ 12). Vgl. ferner RGes., betreffend die Gewerdegerichte v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) § 55. Wegen der Konsulargerichte und der Gerichte in den Schutzgebieten vgl. die in § 472 Anm. 4 nachgewiesenen Gesetze und Verordnungen. Wegen der „Beschwerde" der Staatsanwaltschaft über unrichtigen Gerichtskostenansatz s. d. Allg. Berf. des preuß. Just.-Min. v. 26. Febr. 1885 (JMBl. S. 90).

652

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 531.

§ 531. Ueber die Beschwerde entscheidet das im Jnstanzenzuge zunächst höhere Gericht. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts findet, soweit nicht in der­ selben ein neuer selbständiger Beschwerdegrund enthalten ist, eine weitere Beschwerde nicht statt. 91. Still». SS 817-819. Pr«t. S. 272, 622, 623.

Entw. I. § 481.

Entw. II. 8 500. Entw. III. 8 607.

Mot. S. 329, 880.

4) Außerdem kennen die Reichsjustizgesetze — abgesehen von der nach der StPO, zu be­ handelnden Beschwerde (vgl. auch RAO. §§ 69, 89) — eine „Beschwerde", auf welche die Vorschriften dieses Titels keine oder höchstens entsprechende Anwendung finden, nämlich wegen Ablehnung oder Gewährung der Rechtshülfe (vgl. GVG. §§ 159, 160 u. § 160 Anm. 3), wegen Handhabung der Sitzungspolizei (GVG. § 183 Anm. 2) und wegen des Geschäftsbetriebes der Anwallskammern (RAO. §§ 58, 59). Wegen GVG. § 175 Abs. 2 (Fass. v. 5. Apr. 1888) s. die Anm. das. Gegen die Entscheidungen im Konkurs­ verfahren findet regelmäßig die sofortige Beschwerde (§ 540) statt (KO. § 66 Abs. 3). 5) Landesgesetzlich finden die Bestimmungen des vorliegenden Titels vielfach auf schwerden in anderen Angelegenheiten Anwendung; vgl. z. B. für Preußen: AG. z. EPO. §§ 5, 6, 28, 29, Hinterlegungsordnung §§ 86, 91, AG. z. KO. § 31 Wegen der Beschwerden in den durch das AG. z. GVG. (§§ 25, 32) den Amtsgerichten zugewiesenen Angelegenheiten vgl. § 40 das. 6) Wegen der sofortigen Beschwerde nach Reichs- und Landesgesetzen s. noch § 540 Anm. 1. § 531. 1) A b s. 1: Für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte sind die Land­ gerichte (GVG. § 71), gegen Entscheidungen der Landgerichte die Oberlandesgcrichte (GVG. § 123 Nr. 4), gegen Entscheidungen der Oberlandesgcrichte das Reichsgericht (GVG. § 135 Nr. 2) bezw. das oberste Landesgericht (EG. z. GVG. §8 Abs. 1) zuständig. Ueber die Be­ schwerde wegen Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters sowie des Gerichtsschreibers s. § 539. 2) Auf die Zulässigkeit sonstiger Rechtsmittel in der Sache selbst kommt es nicht an. „Die Beschwerde ist zugelassen ohne Rücksicht darauf, ob in der Sache selbst ein Rechtsmittel (Berufung oder Revision) statthaft ist. Wird daher in der Berufungs­ instanz eine Entscheidung erlassen, gegen welche nach § 530 Beschwerde eingelegt werden kann, so wird die Geltendmachung derselben nicht dadurch gehindert, daß das von dem Berufungsgericht erlassene Endurtheil durch ein Rechtsmittel nicht weiter anfechtbar ist. Für diese Konstruktion war die Erwägung maßgebend, daß vielfach Zweckmäßigkeilsgründe dahin geführt haben, dem Amtsgerichte oder dem Land­ gerichte als Berufungsgericht Entscheidungen zu übertragen, welche — wie z. B. bei Ablehnung eines Richters — von vornherein einem höheren Gerichte hätten überwiesen werden sollen, oder für welche — wie z. B. bei dem Verfahren gegen Zeugen und Sachverständige — von vornherein die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts hätte bestimmt werden müssen." (Mot.) 3) Abs. 2: Von der „weiteren Beschwerde" des Abs. 2 handeln v. Völderndorff in Busch, Z. I S. 17 ff., Brettner das. S. 247 ff., Fitting das. II S. 284 ff., Schmidt das. III S. 20ff., v. Kries a. a. O. S. 388ff., Barazetti a. a. O. S. 217ff., Hellmann, Lehrb. S. 763 ff. Ueber die Praxis des RG. s. Vierhaus in Busch, Z. V S. 110 ff. Die Voraussetzung ist nicht (wie nach Preuß. Verord. v. 2. Jan. 1849 § 35; s. auch N. E., P. E. § 703, Bayer. PO. Art. 759 und unten Anm. 6) eine Verletzung des Gesetzes, sondern das Vorhandensein eines „neuen selbständigen Beschwerdegrundes". Ein solcher liegt für den Gegner oder den sonst Beiheiligten (z. B. Zeugen, Neben­ intervenienten) darin, daß der Beschwerde stattgegeben wird. sSo auch im Anschluß an die

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 531.

653

Mot. S. 330: RG. I S. 224, 230, II S. 414, IV S. 362, VS. 432, in I. W. 1889 S. 19 Nr. 10, fast alle Komm., v. Völderndorff a. a. O. S. 22, Fitting a. a. O. S. 284 ff. A.M. Kleiner II S. 607 wegen der in den Mot. enthaltenen Anführung von Württ. PO. Art. 777 u. H. E. § 608 (vgl. dagegen Gaupp II S. 116 N. 4), v. Kries a. a. O. S. 395, wonach „n e u" ein Punkt nicht sein könne, der schon von den Parteien zur Sprache gebracht sei, sowie Hellmann a. a. O., der in diesem Falle die Selbständigkeit der Beschwerde bestreitet] Dabei wird aber vorausgesetzt, daß gegen die in zweiter Instanz getroffene Ent­ scheidung, auch wenn sie in erster Instanz getroffen wäre, überhaupt eine Beschwerde zulässig ist (s. z. B. §§ 46 Abs. 2, 118), indem es sonst an einem selbständigen Beschwerdegrunde fehlt (vgl. RG. XXXI S. 411, in S. A. 49 Nr. 132, Seuffert Anm. 2c, Petersen § 531 Nr. 2b u. 21.); nur aus besonderen Gründen erleidet dieser Satz insofern eine Ausnahme, als gegen den einen Berichtigungsbeschluß aufhebenden Beschwerdebescheid trotz § 290 Abs. 3 Satz 1 die weitere Beschwerde zulässig ist (s. RG. XXX S. 323, oben § 290 Anm. 5). Für den Beschwerdeführer kann ein neuer selbständiger Grund niemalL in der Zurückweisung der Beschwerde an sich liegen, wohl aber darin, daß der Richter in dem Beschwerdeverfahren eine Handlung vorgenommen oder unterlassen (z. B. wesentliche Formen des Verfahrens außer Acht gelassen) oder eine Entscheidung getroffen hat, welche für Ersteren Grund zu einer selbständigen Beschwerde bildet. In dem letzteren Falle steht daher auch dem Beschwerdeführer selbst die weitere Beschwerde zu [ößs. Prot. z. KO. S. 78 u. RG. 1 S. 233]. Hierher gehört insbesondere der Fall, wenn die Beschwerde als unzulässig (§ 537) verworfen wird, weil alsdann eine solche, vorgängige mündliche Verhandlung nicht er­ fordernde Entscheidung vorliegt, durch welche ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen ist (§ 530), oder wenn die erste Instanz aus sachlichen Gründen, die zweite wegen Unzuständig­ keit des Gerichts erster Instanz abweist, oder umgekehrt. (Vgl. auch RG. I S. 431, IV S. 362, XII S. 357, 394, XIV S. 387, in I. W. 1891 S. 272, in S. A. 47 Nr. 75, im D. RAnz. 1885 des. Beil. 3 S. 111, 6 S. 298 u. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 309, II S. 209 sowie (verein. Civilsenate) im Preuß. Just. Min. Bl. 1886 S. 165, ©euffert Anm. 2a, Petersen § 531 Nr. 2a, Gaupp II S. 116, Wilm. Levy Anm. 2, Brettner a. a. O. S. 252, v. Kries a. a. O. S. 397, Schmidt a. a. O. S. 20 sowie OLG. Celle u. München das. S. 157, OLG. Cassel in Busch, Z. XIV S. 149, OLG. Kiel in S. A. 41 Nr. 313, ob.LG. f. Bayern in S. A. 45 Nr. 148 u. s. w. A.M. Fitting a. a. O. S. 286, 290f.] Hierher gehört ferner der Fall, daß die unterlassene Prüfung der Beschwerde Grund zu weiterer Beschwerde giebt, vorausgesetzt, daß ein solches Uebersehen sich aus dem Zusammenhange ergiebt, insbes. die Annahme ausgeschlossen ist, daß das Nebergehen in den Gründen auf einer stillschweigenden Billigung der angefochtenen Entscheidung beruhe (RG- XVIII S. 425, XXX S. 438). Um­ gekehrt entzieht aber die Billigung des Inhalts der angefochtenen Entscheidung dem in der Verwerfung der Beschwerde als unzulässig enthaltenen neuen Beschwerdegrunde die Eigen­ schaft der Selbständigkeit und macht damit die weitere Beschwerde unzulässig (RG- V S. 431 u. in S. A. 37 Nr. 272). Neu ist eine Beschwerde auch nicht, wenn dem Antrage des Beschwerde­ führers auf Grund der ersten Beschwerde theilweise entsprochen war (RG. IV S. 361, XIV S. 321 u. in S. A. 41 Nr. 76, Seuffert a. a. O.). In einer von der Begründung der Entscheidung erster Instanz abweichenden ver­ schiedenen materiellen (rechtlichen oder thatsächlichen) Begründung der aus die Beschwerde er­ gangenen ablehnenden Entscheidung liegt kein neuer (selbständiger) Beschwerdegrund, da es nur aus die Entscheidung selbst ankommt. Vgl. § 536 Anm. 3. (Aehnlich v. Völderindorff a. a. O. S. 24f., Seuffert Anm. 2b, Petersen a. a. £)., Hellmann II S. 648, Fitting § 83 N. 15 u. et. a. O. S. 290, Schmidt a. a. O. S. 22 u. Brettner a. a. O. S. 250ff.; vgl. auch Endemann 11 S. 491, RG- XIV S.. 388, in I. W. 1893 S. 349 u. in D. I. Ztg. X S. 171, ob.LG. f. Bayern in S. A. 42 Nr. 169.) Die weitere Beschwerde ist also.

654

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 531.

auch nicht zulässig, wenn das Beschwerdegericht die auf neue Thatsachen gestützte Beschwerde verworfen hat [so auch RG. I S. 223, IV S. 358, XVII S. 373, in S. A. 46 Nr. 72, in I. W. 1888 S. 110 ii. in Blum, Urth. u. Ann. II S. 284, OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 509], vorausgesetzt, daß der Partei nicht die Prüfung der neu vorgebrachten Thatsachen oder Beweismittel versagt worden ist. Dagegen ist sie zulässig, wenn die beiden Entscheidungen zwar dem äußeren Anscheine nach identisch sind, in Wirklichkeit aber die eine ihrer Konsequenzen halber die Lage des Beschwerdeführers ungünstiger gestaltet (RG. XIII S. 325 u. in Gruchot 29 S. 1127) oder eine dem Beschwerdeführer ungünstigere Wirkung hat herbeiführen wollen als die andere (RG. XVI S. 318, XXI S. 331, XXXII S. 56 in I. W. 1894 S. 14), ebenso bei völligem Uebergehen ausdrücklich gellend gemachter Beschwerdegründe (RG. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 309) oder beim Mißverstehen des Beschwerdevortrags (RG. in I. W. 1894 S. 18,1). Die Mot. heben hervor, daß die Vorschriften des Abs. 2 der Ausschließung der Revision gegen gleichlautende Urtheile der beiden unteren Instanzen entspreche. Zwar ist diese Analogie in Folge der von der RTK. beschlossenen Abänderung des § 507 weggefallen (s. § 508 Anm. 1), trotzdem aber der § 531 unverändert beibehalten. (Vgl. auch Hann. PO. § 456, H. E. § 608, Württ. PO. Art. 777.) Jener treffende Gedanke der Mot. bleibt daher für die Auslegung be­ deutsam. Auf eine Beschwerd esumme (§ 508) kommt es nicht an (Prot. S. 272), ebenso­ wenig darauf, ob die Beschwerde nur partikuläres Recht (vgl. § 511) betrifft. Die weitere Beschwerde ist kein besonderes Rechtsmittel, sondern, wie schon aus der Fassung des Abs. 2 „eine" (nicht „die") „weitere Beschwerde" hervorgeht, nur die Beschwerde in der Richtung gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts. Voraussetzungen, Folgen und Vor­ schriften sind daher im Allgemeinen dieselben wie bei der ersten Beschwerde (vgl. Anm. 2, §§ 552 Anm. 7, 533 Anm., 535 Anm. 3, Fitting a. a. O. S. 285, v. Kries a. a. O. S. 393 ff.). 4) Zweifelhaft ist, ob gegen die Entscheidung über die weitere Beschwerde, sofern noch ein höheres Gericht vorhanden ist, beim Vorhandensein eines selbständigen neuen Beschwerde­ grundes, also z. B. gegen die Wiederherstellung des erstrichterlichen Beschlusses seitens des Be­ schwerdegerichts aus weitere Beschwerde, noch wiederum eine weitere Beschwerde stattfindet. Der Wortlaut des Abs. 2 schließt bei seiner negativen Fassung dies nicht aus, und auch der Umstand, daß die CPO. sonst eine vierte Instanz nirgends kennt, dürfte bei der eigen­ thümlichen Gestaltung dieses Rechtsmittels (vgl. die Mot. in Anm. 2) nicht entgegenstehen; zudem gehen die Mot. z. KO. S. 295 geradezu von der Zulässigkeit aus. (So auch RG. I S. 230, 233, IV S. 360, Seuffert Anm. 2d, Petersen § 531 Nr. 2a u. 2b a. E., Wilm. Levy Anm. 3, Hellmann II S. 468 f., Fitting §83 N. 16 u. a. a. O. S. 295. A.M. Brettner a. a. O. S. 247 ff. u. in Busch, Z. V S. 492 ff., S. 8, v. Kries a. a. O. S. 398—400, der mit Unrecht auf die Analogie der hier ganz andere Bestimmungen ent­ haltenden StPO, verweist, und theilweise Hellmann, Lehrb. S. 767.] Indessen ist „neu" ein Beschwerdegrund nicht, welcher überhaupt in einer .früheren Instanz schon einmal vorhanden war; es kommt also nicht daraus an, ob die „duae conformes“ unmittelbar aufeinander folgen (s. Hellmann, Fitting a. a. O., RG. II S. 413, IV S. 363, im D. RAnz. 1884 6es. Beil. 1 S. 10, in S. A..37 Nr. 27, in I. W. 1891 S. 248, ob.LG. f. Bayern in S. A. 35 Nr. 326, 42 Nr. 169). 5) § 531 Abs. 2 findet auch auf Beschwerden in Gemäßheit des § 4 Abs. 2 GKG. An­ wendung (RG. VI S. 410. A.M. Kammergericht Berlin in Johow u. Küntzel, Jahrb. 1 S. 161, welches aber später von der Ansicht abgegangen ist (vgl. das. III S. 202 Anm.*)]. 6) Für Preußen findet ein Rechtsmittel der weiteren Beschwerde in erheblich größerem Umfange wegen Gesetzesverletzung (als eine Art Revision; vgl. § 512 Anm. 7) nach §40 des AG. z. GBG. gegen die Entscheidungen der Landgerichte als Beschwerdegerichte in den­ jenigen Sachen statt, welche durch das gedachte Gesetz, den Amtsgerichten zugewiesen sind (vgl. §§ 25—32 das.), also nicht unter die CPO. fallen. Für die Verhandlung und Entscheidung

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 532.

656

§ 532. Die Beschwerde wird bei dem Gericht eingelegt, von welchem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist; sie kann-in dringenden Fällen auch bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden. Die Einlegung erfolgt durch Einreichung einer Beschwerdeschrist; die Ein­ legung kann auch durch Erklärung zum Protokolle des Gerichtsschreibers erfolgen, wenn der Rechtsstreit bei einem Amtsgericht anhängig ist oder anhängig war, wenn die Beschwerde das Armenrecht betrifft oder von einem Zeugen oder Sachverstän­ digen erhoben wird. N. Entw. 88 882, 823. Entw. I. 8 482. Entw. II. 8 501. S. 272.

Enttv. III. 8 508.

Mot. S. 380.

Prot.

über dieses Rechtsmittel ist nach § 51 das. das Kammergericht zu Berlin ausschließlich zu­ ständig, jedoch vorbehaltlich der Vorschriften des § 56. (Vgl. GVG. § 123 Anm. 5, s. auch Hinterleg.-O. §91.)

§ 532. Vgl. StPO. § 348. 1) Abs. 1: Die Einlegung der Beschwerde bei dem angegriffenen Gerichte ist nach den Mot. mit Rücksicht auf die Befugniß desselben, der Beschwerde abzuhelfen (§ 534), vor­ geschrieben. Vgl. übrigens auch § 535 Abs. 2. Vorgängige Zustellung der angefochtenen Ent­ scheidung ist nicht erforderlich (vgl. § 540 Anm. 2). 2) „dessen Vorsitzenden" — Dieser wird als Vertreter des Gerichts kraft Gesetzes angesehen und deshalb seine Entscheidung wie die des Gerichts selbst behandelt (vgl. §§ 534, 535, 538). Anders nach § 539 beim ersuchten und beauftragten Richter. Für die abweichende Behandlung ist nach den Mot. (S. 332) die Rücksicht auf die Autorität des Vorsitzenden gegen­ über den übrigen Mitgliedern des Gerichts maßgebend gewesen. Die §§ 131, 362 Abs. 3 ent­ halten keine Ausnahmen, „weil hier das Gericht als Kollegium nach Außen auftritt und sich die Grundlagen für die Urtheilsfindung muß beschaffen können, also nicht einzelne von dem Vorsitzenden in seiner Amtssphäre allein überwiesenen Gebieten getroffene Verfügungen in Frage stehen" (Mot.). Vgl. §§ 131 Anm. 1, 2, 666 Anm. 3, 668 Anm. 3, 669 Anm. 4. 3) „in dringendeu Fällen" — z. B. um eine im Zuge befindliche Zwangsvollstreckung abzuwenden (vgl. RG. XII S. 354). Ob ein dringender Fall vorliegt, hat zunächst der Be­ schwerdeführer selbst zu beurtheilen; das Beschwerdegericht aber kann, wenn es diese Ansicht nicht theilt, entweder Bericht des angegriffenen Gerichts einfordern oder auch dem Beschwerde­ führer sofort aufgeben, die Beschwerde der Regel gemäß bei dem angegriffenen Gerichte ein­ zulegen (vgl. noch § 540 Abs. 2). ^Zustimmend: Seuffert Anm. 1, Gaupp II S. 119, OLG. München in Busch, Z. III S. 146 u. 21.] Nicht jeder Fall, in welchem es sich.um Erlaß einer einstweiligen Verfügung handelt, ist ein „dringender" (vgl. §§ 816 Abs. 2, 820 Abs. 1, RG. in Blum, Urth. u. Ann. U S. 209). 4) Abs. 2: Die Beschwerdeschrist ist, weil für das Beschwerdegericht, also für ein Kollegialgericht, bestimmt, nach der allgemeinen Vorschrift des § 74 Abs. 1 eine Anwalts­ schrift (Mot., N. E. § 823 Abs. 2, Nordd. Prot. S. 1560), mag auch für das abgewiesene Gesuch erster Instanz kein Anwaltszwang bestanden haben (vgl. RG. in I. W. 1891 S. 90 Nr. 8). Ebendeshalb muß sie — abgesehen von den Ausnahmefällen — von einem Anwälte (RG. XXXI S. 375; § 193 Anm. 3) und zwar von einem bei dem Beschwerdegerichte zugelassenen Rechtsanwälte unterzeichnet sein; wenn das Reichsgericht Beschwerdegericht ist, also von einem der bei diesem zugelassenen Rechtsanwälte. Wird jedoch die Beschwerdeschrift bei dem Gerichte, von welchem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, eingelegt, so bedarf es der Unterschrift eines bei diesem zugelassenen Anwalts. (So auch RG. I S. 431 (Plenum), VII S. 403, XIV S. 30 u. in Gruchot 26 S. 1146;

656

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 532.

Gaupp II S. 120 unter Berufung auf Nordd. Prot. S. 1560, Seuffert Anm. 2, Wilm. Lev Anm. 6, Petersen §§ 531, 533 Nr. 2, Hellmann, Lehrb. S. 768. Vgl. auch GO. f. RA. § 41 Abs. 2. A.M. frühere Aufl., NG. in S. A. 35 Nr. 250, Vierhaus a. a. O. S. 113, Herzog, in Bödiker, Mag. I S. 175, Barazetti a. a. O. S. 257 rc.) In den besonderen Fällen, in welchen nach der Bestimmung des Abs. 2 die Einlegung durch Erklärung zum Protokolle des Gerichtsschreibers erfolgen kann (wenngleich nicht erfolgt ist), findet nach dem Grundsätze des § 74 Abs. 2 auch rücksichtlich der Beschwerde­ schrift (einschließlich der weiteren Beschwerde) Anwaltszwang nicht statt. Die Mot. sind in dieser Hinsicht nicht ganz korrekt. (So auch die meisten Kommentare, RG. III S. 372, VI S. 392, XII S. 354, Vierhaus a. a. O. S. 113, Willenbücher a. a. O. S. 41. A.M. Herzog a. a. O. S. 172 ff., Rintelen in Busch, Z. XII S. 201 ff., welche die Privat­ schrift ganz ausschließen; s. auch RG. in I. W. 1893 S. 268.) „Protokoll des Gerichtsschreibers" — Demselben steht das Sitzungsprotokoll nicht gleich (RG. in I. W. 1893 S. 158, Seuffert Anm. 2, Gaupp II S. 121. A.M. Wilm. Levy Anm. 4, OLG. Stuttgart in S. A. 40 Nr. 75); indessen kann die Beschwerdeschrift im Verhandlungstermin überreicht werden (RG. XXIX S. 341). „anhängig war" — d. h. in erster Instanz. Die Bestimmung trifft also zu, wenn eine amtsgerichtliche Sache in der Berufungsinstanz schwebt (Endemann II S. 493, Gaupp II S. 121 u. A. A.M. v. Kries a. a. O. S. 71, der 'verkennt, daß die Eigenschaft einer Sache als einer amtsgerichtlichen ihrer präsumtiv geringeren Bedeutung wegen auch für die höhere Instanz leichtere Formen rechtfertigt, und seinerseits die Worte auf den Fall bezieht, in welchem nach Beendigung des Verfahrens vor dem Amtsgerichte die Sache in der Zwangsvollstreckung liegt, einen Fall, in welchem die Sache bei dem Amtsgerichte anhängig ist. Aehnlich Kleiner II S. 611). — Hierhin gehört auch eine Beschwerde im Zwangsvollstreckungs­ verfahren (falls nicht ausnahmsweise das Landgericht in erster Instanz für die Zwangsvollstreckung zuständig ist — § 775, NG in I. W. 1892 S. 15), bezw. in einem die Rechtshülfe betreffen­ den Verfahren, welches als besonderer bei einem Amtsgerichte anhängiger Rechtsstreit anzusehen ist, überhaupt jede Beschwerde gegen eine in erster Instanz von einem Amtsgerichte ergangene Verfügung (RG. XII S. 354). — Nach § 55 Abs. 3 d. Ges. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) kann die Einlegung der Beschwerde zum Protokoll des Gerichtsschreibers auch dann erfolgen, wenn der Rechtsstreit vor einem Gewerbegericht anhängig ist oder war. Ueberhanpt (d. h. auch für die etwaige mündliche Verhandlung; vgl. § 536 Anm. 1) ausgeschlossen ist der Anwaltszwang in den in § 352 Abs. 2 und im GKG. §§ 4, 16, 47 Abs. 2, 48, in GO. f. GV. § 22 n. GO. f. Z. n. S. 8 17 u. in RAO. § 35 (vgl. RG. VI S. 392) hervorgehobenen Fällen, nicht aber bei Beschwerden nach § 12 d. GO. f. RA. (vgl. RG- X S. 374). Auch auf Beschwerden gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse der Kollegialgerichte (§ 98) ist die Ausnahme nicht auszudehnen (vgl. § 98 Anm. 2, RG in Gruchor 26 S. 1146). 5) Im Uebrigen unterliegt die Beschwerdeschrift keinen Formvorschriften. Bestimmungen über den Inhalt, wie bei der Berufung und Revision in den §§ 479, 480, 515, 516, finden sich in der CPO. nicht. Der Inhalt muß sich nach dem Zwecke der Beschwerde im einzelnen Falle richten (vgl. auch v. Kries a. a. O. S. 400). Ein Antrag oder eine Begründung ist nicht wesentlich (vgl. auch §§ 479, 515); fehlt ein Antrag, so gilt im Zweifel die Verfügung oder der Beschluß in dem ganzen den früheren Anträgen des Beschwerdeführers zuwiderlaufenden Umfange für angefochten (RG. XXIV S. 395, in S. A. 42 Nr. 267). Demgemäß ist denn auch bei der sofortigen Beschwerde selbst nach Ablauf der Nothfrist eine Ausdehnung der Beschwerde über die Anträge der Beschwerdefrist hinaus zulässig (RG. int Rhein. Arch. 82, 2 S. 97; vgl. Gaupp II S. 125 bei N. 8). Eine Beschwerde ohne Begründung läuft freilich Gefahr, zurückgewiesen zu werden, ohne daß das Beschwerdegericht die Gründe des Beschwerdeführers kennt (Seuffert Anm. 3).

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§§ 533, 534.

667

§ 533. Die Beschwerde kann auf neue Thatsachen und Beweise gestützt werden. N. Entw. - Entw. I. 8 483. Entw. II. § 502. Entw. III. 8 609. Mot. S. 330. Prot. S. 272.

§ 534. Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung an­ gefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie derselben abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde vor Ablauf einer Woche dem Beschwerdegerichte vorzulegen. N. Entw. 88 824, 825. Entw. I. 8 484. Entw. IL 8 503. Entw. III. 8 610. Mot. S. 330. Prot. S. 272. 6) Die Wirksamkeit eines Verzichts aus die Beschwerde wird (ohne entsprechende An­ wendung des § 475) lediglich nach allgemeinen Grundsätzen zu beurtheilen sein. Die Zurück­ nahme der Beschwerde ist auch ohne Einwilligung des Gegners jederzeit zulässig; sie erfolgt durch Mittheilung eines Schriftsatzes oder in der mündlichen Verhandlung. (Vgl. Wilm. Levy Anm. 6 a. E., Hellmann, Lehrb. S. 670; N. E. § 831 verweist dagegen auf die Be­ stimmungen über die Berufung.) Eine Anschließung an die Beschwerde giebt es nicht. 7) § 532 findet auch auf die weitere Beschwerde Anwendung (vgl. § 531 Anm. 3 a. E.). 8) Ist ein Beschluß als unzulässig zurückgewiesen, weil der Vertreter des Beschwerde­ führers zur Einlegung nicht befugt war, so hat das Beschwerdegericht über eine frist- und form­ gerecht eingelegte neue Beschwerde materiell zu entscheiden (NG. in Gruchot 36 S. 717).

8 583. Die Beschwerde ersetzt die Berufung. Vgl. § 491 Abs. 1. Der § 533 gilt auch von der weiteren und der sofortigen Beschwerde (§§ 531 Abs. 2, 540; vgl. RG. VIII S. 338). Die neuen Thatsachen und Beweise sind in der Beschwerdeschrift geltend zu machen, können aber auch noch bei der etwaigen mündlichen Verhandlung oder einer späteren schriftlichen Er­ klärung (§ 536) gellend gemacht werden (vgl. Wilm. Levy § 536 Anm. 2g). Auch der Gegner kann zur Widerlegung Neuheiten vorbringen, wenn er zu einer Gegenerklärung auf­ gefordert wird (§ 536 Anm. 1).

8 534. Vgl. StPO. § 348. 1) Durch die nur für die Fälle der sofortigen Beschwerde (§ 540 Abs. 3) ausgeschlossene Besugniß des angegriffenen Gerichts bezw. Vorsitzenden, der Beschwerde abzuhelfen, sei eS auf Grund erneuter Erwägung, sei es auf Grund neuer Thatsachen oder Beweismittel (§ 533), nimmt die Beschwerde sachlich zugleich den Karakter einer Gegenvorstellung an. Die Gegen­ vorstellung als „besonderes" Rechtsmittel (P. E. § 705, Bayer. PO. Art. 755 ff.) kennt die CPO. nicht (Nordd. Prot. S. 1551). Für die Zurücknahme der Verfügung ist die Beobachtung besonderer Formen nicht vorgeschrieben. Eine vorherige Anhörung des Gegners oder des sonst Betheiligten ist nicht vorgeschrieben, dürfte aber, sofern die Beschwerde auf neue Thatsachen oder Beweise gestützt wird und ein Gegner oder sonst Betheiligter überhaupt vorhanden ist, nach allgemeinen Grundsätzen geboten sein (vgl. § 536 Anm. 1). Gegen die abhelfende Entscheidung kann der Gegner Beschwerde einlegen, sofern er nach § 530 überhaupt ein Beschwerderecht hat. (Ueber die Zulässigkeit der Abänderung von Beschlüssen auch ohne eingelegte Beschwerde vgl. Planck 1 S. 475ff.) 2) Bei Vorlegung der Beschwerde kann der angegriffene Richter in geeigneten Fällen seine Bemerkungen hinzufügen; auf Aufforderung des Beschwerdegerichts ist er zur Ertheilung weiterer thatsächlicher Auskunft verpflichtet (Nordd. Prot. S. 1556 s.). Auch hat er ohne be­ sondere Aufforderung erforderlichenfalls die Prozeßakten einzureichen. Ist dieses nicht geschehen, so kann das Beschwerdegericht dieselben unmittelbar oder nach Analogie des § 506 durch den Gerichtsschreiber einfordern. Ueber Auskunftsertheilung zwischen verschiedenen Gerichten vgl. noch im allgemeinen Anm. 7 vor GVG. § 157. — Der zweite Satz des § 534 gilt auch für die sofortige Beschwerde. Struckmann u. Koch, Civilprozehordnung. 6. Aufl.

Drittes Buch.

658

Rechtsmittel.

§§ 535, 536.

§ 535. Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen eine der in den §§. 345, 355, 374, 579, 619 erwähnten Entscheidungen gerichtet ist. Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann anordnen, daß die Vollziehung derselben auszusetzen sei. Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlaffen; es kann insbesondere anordnen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen sei. N. Entw. 88 826, 827. S. 272, 273, 713.

Entw. I. 8 485.

Entw. II. 8 504.

Entw. III. 8 511. Mot. S. 331. Prot.

§ 536. Die Entscheidung über die Beschwerde kann ohne vorgängige münd­ liche Verhandlung erfolgen. Ordnet das Gericht eine schriftliche Erklärung an, so tarm dieselbe in den Fällen, in welchen die Beschwerde zum Protokolle des Gerichtsschreibers eingelegt werden darf, zum Protokolle des Gerichtsschreibers abgegeben werden. N. Entw. 8 828. Entw. I. § 486. Entw. II. 8 505. Entw. III. 8 512. Mot. S. 331. Prot. S. 273.

§ 535. Vgl. StPO. § 349. 1) Abs. 1: Als Regel gilt die sofortige Vollstreckbarkeil der der Beschwerde unterliegenden Entscheidungen. Die Ausnahmen beziehen sich auf Strafverfügungen und Zwangsmaßregeln (gegen Zeugen, Sachverständige und die im ehegerichtlichen Verfahren nicht erschienene Partei), aus deren sofortiger Vollstreckung ein unwiederbringlicher Nachtheil erwachsen kann (vgl. noch GVG. § 183). In diesen Ausnahmefällen, welche zu den Fällen der sofortigen Beschwerde (§ 540) nicht gehören, ist zwar die Beschwerde ungeachtet ihrer Suspensivkraft an eine Nothfrist nicht gebunden; allein da mit der Vollstreckung der Strafverfügungen und Zwangsmaßregeln bis zum Zeitpunkte der Erhebung der Beschwerde vorgegangen werden kann (§ 702 Nr. 3), so ist wohl kaum zu besorgen, daß die Anfechtung jener Verfügungen häufig erst lange nach ihrem Erlaß erfolgen werde. Die Festsetzung einer Nothfrist in diesen Fällen (H.E. § 602 Abs. 1, N. E. § 820 Abs. 1) ist im Interesse der Zeugen und Sachverständigen unterlassen. Eine zur Zeit der Anfechtung bereits eingeleitete Zwangsvollstreckung ist durch Beschluß einzu­ stellen. Der Gerichtsvollzieher hat kein Recht zu eigenmächtiger Einstellung (Gaupp II S. 123). 2) Abs. 2: „k a n n" — nämlich abgesehen von den im Abs. 1 gedachten Ausnahmefällen, in welchen die Vollziehung ausgesetzt werden muß. Umgekehrt ist die Befugniß, in den im Abs. 1 bezeichneten Ausnahmefällen die sofortige Vollziehung anzuordnen, nicht ertheilt. 8) Die hier über die Suspensivkraft gegebenen Bestimmungen gellen auch von der weiteren Beschwerde (§ 531 Abs. 2). sSo auch Gaupp II S. 124 u. A. A.M. Breitn er a. a. O. S. 253.] 4) Der Abs. 3 handelt im Gegensatz zum Abs. 2 von der Befugniß des Beschwerdegerichts. Diese bezieht sich nicht bloß auf die Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung (wie im Abs. 2), sondern überhaupt auf einstweilige Anordnungen — nicht gleichbedeutend mit „einstweiligen Verfügungen" im Sinne der §§ 814 ff. (vgl. §§ 814—820 Anm. 3; Peters in Gruchot 29 S. 356 f.) —, zu denen z. B. auch eine Aussetzung des Prozeßverfahrens in der Hauptsache gehören kann. 5) Die Anordnungen in den Fällen der Abs. 2 und 3 können auch von Amtswegen erfolgen (Endemann II S. 496 f.).

§ 536. 1) Der § 536 handelt nur von der Thätigkeit des Beschwerdegerichts (Gaupp II S. 126), nicht auch (wie Endemann II S. 497 wenigstens theilweise anzunehmen scheint;

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 538.

659

s. auch Fitting § 83 N. 49) zugleich von derjenigen des Gerichts, dessen Entscheidung an­ gefochten ist, wenn es nach § 534 der Beschwerde abhelfen will. (Daß vor letzterem eine mündliche Verhandlung nicht möglich ist, nimmt auch Endemann II S. 498 an; ebenso Petersen § 534 Anm., G aupp et. a. O. A.M. Seuffert § 534 Anm. 1.) Das Beschwerdegericht ist befugt, aber nicht verpflichtet, vor der Entscheidung den Gegner oder den sonst Betheiligten (Zeugen u. s. w.), sei es mündlich oder schriftlich (vgl. Abs. 2), in gleichzeitiger kontradiktorischer Verhandlung oder in Abwesenheit des Beschwerdeftihrers zu hören. (Letztere Art des Gehörs, welche allerdings nicht zu einer eigentlichen mündlichen Ver­ handlung führt, will Hellmann II S. 472 nicht zulassen; vgl. jedoch Petersen §§ 536—538 Nr. 1, Sarwey I 6.717 Anm. 1, Fitting § 83 N. 49.) S. auch 8 119 Anm. 4d. Erfolgt eine Anhörung nicht, so ist auf Grund des gesummten Akteninhalts zu entscheiden (RG. in I. W. 1889 S. 169 Nr. 10). Eine vorherige Anhörung des Gegners oder sonst Betheiligten ist zwar selbst dann nicht vorgeschrieben, wenn sich die Beschwerde auf neue Thatsachen oder Beweise stützt, dürfte aber in diesem Falle nach allgemeinen Grundsätzen geboten sein, sofern ein Gegner oder sonst Betheiligter überhaupt vorhanden ist (vgl. § 534 Anm. 1; s. auch KG. Berlin in Busch, Z. XIII S. 396, wonach dem Beschwerdeführer nach erfolgter Beweisaufnahme Ge­ legenheit zur Aeußerung zu geben ist). Mündliche Verhandlung wird nur in seltenen Fällen, wenn verwickelte Thatsachen noch streitig sind, anzuwenden sein. Für dieselbeherrscht An walts zw an g mit Ausnahme der in § 532 Anm. 4 Abs. 5 hervorgehobenen Fälle. fWilm. Levy Anm. 2d wollen auch diese Ausnahmen nicht gelten lassen; vgl. dagegen Gaupp II S. 124, Kleines II S. 615; andererseits verwirft Petersen a. a. O. den Anwaltszwang für die mündliche Verhandlung stets, wenn nach § 532 Abs. 2 die Einlegung der Beschwerde auch durch Erklärung zum Protokolle des Gerichtsschreibers erfolgen kann, und Seuffert Anm. 1 wenigstens dann, wenn der Rechts­ streit in erster Instanz bei einem Amtsgerichte anhängig ist oder war; vgl. aber § 98 Anm. 2, Krech u. Fischer, d. Preuß. Ges., betr. die Zwangsvollstreckung in d. unbew. Vermögen S. 478.] Den Termin wird das Gericht alsdann sogleich von Amiswegen zu bestimmen haben (so auch Wilm. Levy Anm. 2a; zweifelhaft Endemann II 6.497). Wegen der Ladung s. § 119 Anm. 4b. Die Entscheidung ist nicht als Urtheil anfechtbar. Ein Versäumnißv erfahren ist auch bei mündlicher Verhandlung nicht denkbar, weil das Versäumnißurtheil eine vorgängige obligatorische mündliche Verhandlung voraussetzt (vgl. § 312 Anm. 4). Das Gericht entscheidet beim Ausbleiben einer Partei nach Lage des Falls nach freiem Ermessen. Beim Ausbleiben beider Parteien ruht nach § 228 Abs. 2 das Verfahren (oben 6. 148 a. E.), jedoch unbeschadet der Befugniß des Gerichts, auch ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (Wilm. Levy Anm. 2b). Ueber die Verkündung bezw. Zustellung der Entscheidungen vgl. § 294 Abs. 1 und 3. Letztere erfolgt von Amtswegen. Vgl. auch § 538 Anm. 2. 2) Abs. 2: „Ordnet — an" — zweckmäßiger Weise unter Bestimmung einer Frist, nach deren Ablauf ohne weiteres entschieden werden kann. „in den Fällen — eingelegt werden darf" — vgl. § 532 Abs. 2. In diesen Fällen ist mithin nach § 74 Abs. 2 der Anwaltszwang auch dann ausgeschlossen, wenn die Er­ klärung nicht zu Protokoll des Gerichtsschreibers abgegeben wird (vgl. § 532 Anm. 4). Außer der Anordnung einer schriftlichen Erklärung kann das Beschwerdegericht auch sonstige Ermittelungen (vgl. §§ 132—135) anstellen, insbesondere Beweis erheben. Auch die Eideszuschiebung sowie der richterliche Eid sind — unbeschadet des § 266 — zulässig. Die Anordnung des Eides erfolgt durch Beschluß (vgl. § 426 Anm. 1, OLG. Dresden in 6. A. 46 Nr. 78, Seuffert Anm. 1. A.M. Gaupp II 6. 125). 3) Wie angemessen es auch ist, daß die Entscheidung mit Gründen versehen wird (der N. E. schrieb dies ausdrücklich vor; vgl. § 294 Anm. 3), so kann doch ein Mangel in dieser 42*

660

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§§ 537, 538.

§ 587. Das Beschwerdegericht hat von Amtswegen zu prüfen, ob die Be­ schwerde an sich statthast und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sei. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. N. Entw. 8 831. Entw. 1.8 487. Entw. II. 8 506. Entw. III. 8 513. Mot.- Prot. S. 273, 711, 712.

§ 588. Erachtet das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet, so kann es demjenigen Gericht oder Vorsitzenden, von welchem die beschwerende Ent­ scheidung erlaffen war, die erforderliche Anordnung übertragen. N. Entw. 8 829. Entw. I. 8 488.

Entw. II. 8 507. Entw. III. 8 514. Mot. S. 331.

Prot. S. 273.

Hinsicht an sich keinen Grund zu einer weiteren Beschwerde geben. Denn die Bestimmung des § 284 Nr. 4 bezieht sich nur auf Urtheile, während die Entscheidung über die Beschwerde im Wege des Beschlusses (§ 294) erfolgt, und nach allgemeinen Grundsätzen liegt ein Grund zu einer Beschwerde nur in einer unrichtigen Entscheidung, nicht in einer mangelhaften oder fehlenden Begründung derselben. Indessen kann bei mangelnden Gründen das Beschwerdegericht von seiner Befugniß, weitere thatsächliche Auskunft zu verlangen (§ '534 Anm. 2), Gebrauch machen, und diese Auskunft unter Umständen dahin führen, daß die Entscheidung selbst sich als eine unrichtige herausstellt (vgl. § 531 Anm. 3 a. E.; s. auch Seuffert, Petersen a. a £>., Wilm. Levy Anm. 2g, RG. in I. W. 1891 S. 199).

§ 537. Vgl. §§ 306, 497, 529. — Die Prüfung in Betreff der Frist beschränkt sich selbstverständlich aus die sofortige Beschwerde, weil nur diese an eine Frist gebunden ist. Wegen der weiteren Beschwerde, wenn die Beschwerde als unzulässig verworfen wird, vgl. § 531 Anm. 3.

§ 538. 1) Wird die Beschwerde zurückgewiesen, so ist damit das ganze Beschwerdeverfahren von selbst erledigt. Wird sie aber für begründet erachtet, so kann das Beschwerdegericht nach seinem Ermessen die alsdann erforderlich werdende neue Anordnung entweder selbst treffen oder dem angegriffenen Gerichte bezw. Vorsitzenden überlassen (Württ. PO. Art. 776, N. E. § 829; vgl. Nordd. Prot. S. 1561, RG- XXIX S. 398; anders P. E. § 710 u. Mot. dazu S. 181); in letzterem Falle greift selbstverständlich der Grundsatz des § 528 Abs. 2 Platz (vgl. auch § 500 Anm. 1, Seuffert Anm.). Besteht die weitere Beschwerde darin, daß das angegriffene Gericht eine Beschwerde wider das untergeordnete Gericht für unzulässig erklärt hat, so wird das über die (weitere) Beschwerde entscheidende Gericht, wenn es dieselbe für be­ gründet erachtet, zweckmäßig lediglich den die Unzulässigkeit aufhebenden Beschluß aufheben, die Entscheidung über das Begründetsein der Beschwerde aber dem ihm Nachgeordneten Gerichte überlassen (Seuffert Anm., RG. XVI S. 323; abweichend RG. XIV S. 387, nach welchem dieses Verfahren nothwendig ist; s. auch Wilm. Levy Anm. 1). 2) Die CPO. enthält keine Bestimmung darüber (vgl. Hann. PO. § 456 Abs. 2, H. E. § 607), ob die Mittheilung (Zustellung) der über die Beschwerde ergangenen — zurückweisenden wie stattgebenden — Entscheidung an die Parteien, und zwar stets an beide (vgl. § 294 Anm. 5), durch das Beschwerdegericht selbst oder durch das angegriffene Gericht zu erfolgen habe. Hiernach wird anzunehmen sein, daß darüber das Beschwerdegericht nach Lage des einzelnen Falls zu bestimmen hat. (So auch Nordd. Prot. S. 1559 f., Kleiner II S. 615; dagegen halten Gaupp II S. 126, Wilm. Levy § 536 Anm. 2h u. Petersen §§ 536—538 Nr. 3 a. E. nur ersteres für zulässig.) Ist jedoch über die Beschwerde im kontradiktorischen Verfahren verhandelt, so muß nach dem allgemeinen Grundsätze des § 294 Abs. 1 der Beschluß stets vom Beschwerdegericht selbst verkündet werden.

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 539.

661

§ 539. Wird die Aenderung einer Entscheidung des beauftragten oder er­ suchten Richters oder des Gerichtsschreibers verlangt, so ist die Entscheidung des Prozeßgerichts nachzusuchen. Die Beschwerde findet gegen die Entscheidung des Prozeßgerichts statt. Die Bestimmung des ersten Absatzes gilt auch für das Reichsgericht. 91. Entw. § 830. 6. 273.

Entw. I. § 489.

Entw. II. § 508.

Ent«, m. § 615.

Mot. T. 332, 333.

Prot.

Auch über die Art der Rücksendung der Akten an das angegriffene Gericht fehlt es an einer Bestimmung. Da indessen die Vorlegung der Beschwerde, mit welcher regelmäßig die Einsendung der Prozeßakten oder des betreffenden Theils derselben verbunden ist (vgl. § 534 Anm. 2), von Gericht zu Gericht erfolgt (§ 534), so wird auch die Rücksendung von Gericht zu Gericht unter Mittheilung der Entscheidung erfolgen können; daneben ist jedoch auch An­ wendung des § 506 Abs. 2 statthaft (vgl. § 506 Anm. 5). 3) Wegen der Kosten ist, wenn die Beschwerde begründet ist, der § 87, wenn sie un­ begründet ist, der § 92 Abs. 1 maßgebend. (Näheres s. bei Altvater im civ. Arch. 63 S. 431 ff.; vgl. auch § 92 Anm. 1 a. E., Seuffert Anm. a. E.) Wegen der Gebühren s. GKG. § 45 ii. GO. f. RA. § 41. § 539. Vgl. StPO. § 348 Abs. 3. 1) Der Stellung des beauftragten oder ersuchten Richters, welcher lediglich über­ tragene Rechte des Gerichts auszuüben hat (§ 331; vgl. Wach I S. 328ff.) und nur ausnahms­ weise befugt ist, selbständig Entscheidungen zu treffen (§§ 207, 330, 365), entspricht es, wie die Mot. hervorheben, daß die Partei, welche die Aenderung einer Anordnung des ersuchten oder beauftragten Richters verlangt, zunächst die Entscheidung des Prozeßgerichts nachzusuchen hat, und daß erst gegen letztere die Beschwerde stattfindet (Hann. PO. § 455 Abs. 2, N. E. § 830; vgl. Nordd. Prot. S. 1562 f.; anders P. E. § 702); vgl. §§ 532 Anm. 2, 363 Abs. 2. Der beauftragte oder ersuchte Richter (sowie der Gerichtsschreiber) kann übrigens, da seine Ver­ fügungen (vgl. § 294 Anm. 1, 3) nicht dem Grundsätze des § 289 unterliegen, seine beschwerende Verfügung selbst abändern und dadurch das Gesuch erledigen (Seuffert Anm. 2). Für die Nachsuchung der Entscheidung des Prozeßgerichts ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben (abgesehen von § 540 Abs. 4). Dieselbe unterliegt daher den allgemeinen Regeln über die betreffenden Prozeßhandlungen, insbesondere in Betreff des Anwaltszwanges. Letzterer ist demnach nur ausgeschlossen (§ 74 Abs. 2), wenn das Prozeßgericht selbst ein Amtsgericht ist; die weiteren Ausnahmen des § 532 Abs. 2 gellen nur rücksichtlich der Beschwerde. (So auch Hellmann II S. 475, Petersen § 539 Nr. 1, Gaupp II S. 128 a. E., 129, Wilm. Levy Anm. 3 u. A. A.M. Seuffert Anm. 2, Kleiner II S. 618.) Aus § 74 Abs. 2 folgt jedoch, daß das Abänderungsgesuch in der Verhandlung vor dem beauftragten oder ersuchten Richter stets ohne Anwalt vorgebracht werden kann (so auch Seuffert a. a. £).). Auf die Entscheidung des Prozeßgerichts findet § 536 Abs. 1 entsprechende Anwendung. (So auch Hellmann a. a. O. u. im Ergebniß Seuffert a. a. O. Nicht entgegenstehend RG. in S. A. 44 Nr. 287; denn die Abänderung der auf Grund des § 363 Abs. 2 vbd. mit § 365 erlassenen „vorläufigen" Entscheidung des beauftragten oder ersuchten Richters ist etwas beson­ deres und hat, wie Seuffert a. a. O. in anderem Zusammenhange mit Recht bemerkt, mit § 539 nichts zu thun. A.M. Petersen, Wilm. Levy a. a. O., Gaupp II S. 129, die unter Umständen mündliche Verhandlung für erforderlich halten.) Da das Abänderungsgesuch keine Beschwerde ist, vielmehr den allgemeineren Zweck ver­ folgt, Ueberschreitungen des ertheilten Auftrags aufzuheben, so ist dasselbe auch zulässig, wenn gegen die Entscheidungen, falls sie vom Prozeßgerichte erlassen wären, die Beschwerde unzulässig

662

Drittes Buch.

Rechtsmittel.

§ 540.

§ 540. Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Bestimmungen. Die Beschwerde ist binnen einet; Nothfrist von zwei Wochen, welche mit der Zustellung, in den Fällen der §§. 301 und 829 Abs. 3 mit der Verkündung der Entscheidung beginnt, einzulegen. Die Einlegung bei dem Beschwerdegerichte ge­ nügt zur Wahrung der Nothfrist, auch wenn der Fall für dringlich nicht erachtet wird. Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann die Beschwerde auch nach Ablauf der Nothfrist innerhalb der für diese Klagen geltenden Nothfristen erhoben werden. Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angegriffenen Verfügung nicht befugt. In den Fällen des §. 539 muß auf dem für die Einlegung der Beschwerde vorgeschriebenen Wege die Entscheidung des Prozeßgerichts binnen der Nothfrist nachgesucht werden. Das Prozeßgericht hat das Gesuch, wenn es demselben nicht entsprechen will, dem Beschwerdegerichte vorzulegen. N. Entw. §8 820, 824 Abs. 2. Entw. I. 8 490. Entw. II. § 509. 333. Prot. S. 273.

Entw. III. § 516.

Mot. S. 332,

sein würde (Petersen, Gaupp et. a. £>.; vgl. auch Abs. 3. A.M. Seufsert a. a. O., Puchelt Is S. 388). Die vom Prozeßgerichte erlassene Entscheidung ist aber stets nur nach § 530 anfechtbar. 2) Der Gerich ts schreib er ist mit dem beauftragten oder ersuchten Richter auf gleiche Linie gestellt, weil auch er lediglich als Beauftragter des Gerichts handelt und eine Abänderung seiner Anordnungen (vgl. z. B. §§ 271, 646, 662, 663, 669, 705) durch das letztere auf dem kürzesten und einfachsten Wege herbeigeführt werden kann. Wegen der Beschwerde gegen Handlungen, welche der Gerichtsschreiber auf Anord­ nung des Vorsitzenden vorgenommen hat, vgl. §§ 666 Anm. 3, 669 Anm. 4. 3) Abs. 2: Die Beschwerde ist nicht die weitere Beschwerde, weshalb die Beschränkung des § 531 Abs. 2 nicht Platz greift (NG. IX S. 384). Die Bestimmung des Abs. 2 findet auf das Reichsgericht keine Anwendung, weil gegen eine Entscheidung des Reichsgerichts überhaupt keine Beschwerde zulässig ist. Darüber, daß die Beschwerde nicht eventuell mit der Nachsuchung der Entscheidung des Prozeßgerichts verbunden werden kann, s. § 540 Anm. 6. 4) Der Abs. 3 ist von der RTK. beigefügt, um außer Zweifel zu stellen, daß ungeachtet der Unzulässigkeit der Beschwerde der Abs. 1 auch für das Reichsgericht Geltung hat. 5) Wegen der Gebühren s. GKG. § 45 Abs. 2 u. GO. f. RA. § 41. — Auf die in § 17 Abs. 3 der GO. f. Z. u. S. zugelassene Beschwerde findet § 539 keine Anwendung (RG. XVII S. 352, Seuffert Anm. 6 u. A.); die Beschwerde gegen eine Entscheidung des er­ suchten Richters geht an die diesem (nicht dem ersuchenden Richter) vorgesetzte Instanz (RG. in I. W. 1888 S. 167). 8 540. Vgl. StPO. § 353. 1) Die CPO. hat — abweichend von Hann. PO. § 455 — für die Erhebung der Be­ schwerde im Allgemeinen eine Frist nicht vorgeschrieben. Eine Ausnahme tritt nur ein in den Fällen der sofortigen Beschwerde. Diese ist kein besonderes Rechtsmittel, sondern nur eine für gewisse Fälle vorgesehene Abart des einen Rechtsmittels der Beschwerde (vgl. RG. XV S. 431). Die Fälle finden sich aufgeführt in den §§ 46, 49, 371 (Zurückweisung der Ablehnung einer Gerichtspcrson oder eines Sachverständigen), §§ 68, 126, 352, 367 (Entscheidung eines Zwischenteils einer Partei mit einem Nebenintervenienten, dem Anwälte des Gegners, einem Zeugen oder Sachverständigen), § 97 (Verurteilung eines Gerichtsschreibers, gesetzlichen

Dritter Abschnitt.

Beschwerde.

§ 540.

663

Vertreters u. s. w. in die Prozeßkosten), § 99 (Kostenfestsetzungsbeschluß), § 229 (ablehnende Entscheidung auf ein Gesuch um Aussetzung des Verfahrens), § 290 (Berichtigung des Urtheils), § 301 (Versagung des Versäumnißurtheils), §§ 604, 619, 621 (Beschlüsse, durch welche eine Entmündigung abgelehnt bezw. deren Wiederaufhebung verfügt wird), § 639 (Zurückweisung des Gesuchs um einen Vollstreckungsbefehl im Mahnverfahren), §§ 813 Abs. 4, 815 (Entscheidung, durch welche ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung aufgehoben wird), § 701 (Beschlüsse, welche im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung erlassen werden können), § 829 (Versagung oder beschränkte Zulassung des Ausschlußuriheils im Aufgebotsverfahren). Außerdem findet nach KO. § 66 Abs. 3 gegen die Entscheidungen int Konkursverfahren die sofortige Beschwerde statt; ebenso nach § 174 das. gegen den Beschluß, durch welchen ein Zwangs­ vergleich bestätigt oder verworfen ist. Allen diesen Fällen ist, wie die Mot. hervorheben, gemeinsam, daß die anzugreifenden Entscheidungen auf Rechte des Gegners oder eines Dritten einwirken und daher einer Rechtskraft fähig erscheinen, deren baldiger Eintritt für den ungestörten Fortgang des Verfahrens und für das entgegenstehende Interesse der Betheiligten nothwendig ist. Weitere Fälle der sofortigen Beschwerde s. noch in §§ 78, 105 Abs. 2 d. Genoss.-Ges. v. 1. Mai 1889. Für Preußen findet nach § 28 d. AG. z. CPO. die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung statt, durch welche das Handelsgericht nach Art. 5 d. EG. z. HGB. v. 24. Juni 1861 (GS. S. 449) die Betheiligten zur Befolgung der gesetzlichen Anordnungen über die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister u. s. w. anhält, desgleichen nach § 29 das. gegen die Bestätigung der Dispache; ferner nach §§ 9, 25 des Ges., betr. die Zwangsvollstr. in das unbew. Vermögen, v. 4 März 1879 (GS. S. 102) gegen die bei der Ausführung einer Vollstreckungsmaßregel den Gerichten zustehenden Entscheidungen sowie gegen Entscheidungen im Rangordnungsverfahren, ferner nach § 86 d. Ges., betr. die Zwangsvollstr. in d. unbew. Vermögen, v. 13. Juli 1883 gegen das Urtheil über Ertheilung oder Versagung des Zu­ schlags u. s. w. 2) Abs. 2: Die Frist ist eine Nothfrist (vgl. §§ 201, 202, 211, 228). Ihr Lauf be­ ginnt nach dem Vorbilde der übrigen Rechtsmittelfristen (§§ 477, 514) in der Regel — auch bei verkündeten Beschlüssen (RG. in I. W. 1889 S. 138) — mit der Zustellung, ausnahms­ weise mit der Verkündung. Er beginnt nicht, wenn dem § 294 Abs. 3 zuwider die Zustellung auf Betreiben einer Partei, nicht von Amiswegen, stattgefunden hat (RG. III S. 375 u. im D. RAnz. 1883 bes. Beil. 10 S. 9, Gaupp II S. 130; vgl. §§ 267 Anm. 7, 477 Anm. 3, aber auch § 582 Anm. 1. A.M. Vierhuus in Busch, Z. V S. 115 f., Fitting das. X S. 15, Seuffert Anm. 2). Eine analoge Anwendung der Vorschrift der §§ 477, 514 (Abs. 2 Satz 2), daß die Einlegung vor Zustellung des Urtheils wirkungslos sei, findet jedoch so wenig hier wie beim Einspruch statt (vgl. § 304 Anm. 1; RG. XXIX S. 341, in S. A. 39 Nr. 266, Schmidt in Busch, Z. IV S. 390ff. u. OLG. Celle das., H. Meyer das. VII S. 71 ff., Francke in Bödiker, Mag. II S. 210ff., Schultze, V. d. proz. Zeitbestimmungen S. 47 Anm. 1, Hell­ mann, Lehrb. S. 769, Seuffert Anm. 2, Barazetti, Rechtsmittel S. 275 (dieser jedoch mit der willkürlichen Einschränkung, daß die ordnungsmäßige Zustellung wenigstens nach Ein­ legung der Beschwerde erfolgt sei) u. A. A.M. OLG. Dresden in Busch, Z. VII S. 106, Meyer (Stettin) in Gruchot 27 S. 839, Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 131 N. 10]. In Betreff der Ausnahme bemerken die Mot.: „Die für die Fälle der §§ 301 u. 829 ausnahmsweise vorgeschriebene Berechnung der Frist von der Verkündung statt von der Zustellung an soll sicherstellen, daß der Zweck erreicht werde, welchen die Anordnung einer sofortigen Beschwerde in den erwähnten Fällen verfolgt. Ein Gegner, welcher die Beschwerdeschrift durch Zustellung der Entscheidung in Lauf setzt, wird oder kann in jenen Fällen nicht vorhanden sein. Die Erledigung der in Betracht kommenden Fragen würde daher im Widersprüche

664

Drilles Buch.

Rechtsmittel.

§ 540.

mit der Zulassung einer sofortigen Beschwerde der Willkür der beschwerten Partei anheimgegeben sein und beliebig hinausgezogen werden können." (Mot.) Vgl. noch § 105 Abs. 2 d. Genoss.-Ges., § 55 d. Ges., betr. d. Gewerbegerichte v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141). 3) „Die Einlegung bei dem Beschwerdegericht — erachtet wird" — Hierin liegt eine Modifikation des § 532 Abs. 1 Satz 2, welche dazu dient, eine für den Beschwerde­ führer gefährliche Unsicherheit über die Wahrung der Nothsrist durch Einlegung der Beschwerde beim Beschwerdegerichte zu beseitigen (Nordd. Prot. S. 1557). 4) „Liegen die Erfordernisse — erhoben werden" — Diese Bestimmung verfolgt den Zweck, die nur als außerordentliche Rechtsbehelfe dienenden Nichtigkeits- und Restitutionsklagen (§§ 541 ff.) möglichst zu Gunsten der weit einfacheren Beschwerde zu beschränken. Die für diese Klagen gellenden Nothfristen sind in § 549 bestimmt. Vgl. § 541 Anm. 3, 4. 5) Abs. 3: Die Abweichung von § 534 beruht darauf, daß die hier fraglichen Entschei­ dungen der Rechtskraft fähig sind und die sofortige Beschwerde hier den Ersatz für die Berufung bildet. In Folge dieser Auffassung ist die betreffende Verfügung nicht bloß — wofür die Worte „durch Beschwerde angegriffenen" sprechen würden, wenn sie dispositiver Natur wären — von dem Zeitpunkte an, in welchem sie angegriffen ist, sondern überhaupt nach der Verkündung oder Zustellung unabänderlich. (So auch die Mot.: „Bezüglich des Beschwerde­ gegenstandes hat die Thätigkeit des Jnstanzgerichts mit Erlaß der angegriffenen Verfügung ihr Ende erreicht fNordd. Prot. S. 1552, 1648]," OLG. Oldenburg in S. A. 48 Nr. 147, Altvater im civ. Arch. 64 S. 408 ff., Petersen § 540 Nr. 1, Wilm. Levy Anm. 6 u. A. A.M. Wach, Vortr. S. 97, Gaupp 11 S. 131, Seuffert Anm. 3, Hellmann, Lehrb. S. 325, 770, Planck 1 § 79 N. 27 u. A.) Die Entscheidungen der §§ 68,126, 352 find zudem schon als Zwischenurtheile nach § 289 unabänderlich. (Vgl. auch StPO. § 348 Abs. 2 u. Mot. dazu S. 211 sowie Löwe, Komm. z. StPO. § 353 Anm. 8, 9.) 6) Der Abs. 4 (vgl. Neubauer in Busch, Z. XVI S. 139 ff.) hat, wie die Mot. be­ merken, eine deklarative Bedeutung für die Berechnung der Nothsrist einer sofortigen Beschwerde, welche gegen Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Gerichtsschreibers gerichtet ist. Die Entscheidung des Prozeßgerichts muß — abweichend von der Regel des § 539 (vgl §♦ 539 Anm. 1) — auf dem für die Einlegung der Beschwerde vorgeschriebenen Wege (vgl. § 532 Abs. 2) nachgesucht werden; die Nothsrist läuft von der Zustellung der Entscheidung des beauftragten Richters bezw. des Genchtsschreibers (Gaupp II S. 132, Seuffert Anm. 4; s. auch NG. IX S. 386, XXV S. 390). Die Beschwerde kann aber auch vor der Zustellung der Entscheidung eingelegt werden. Das abgekürzte Verfahren des Abs. 4 ist auf die Fälle der einfachen Beschwerde nicht an­ wendbar; es kann daher in diesen Fällen die Beschwerde nicht eventuell mit der Nachsuchung der Entscheidung des Prozeßgerichts verbunden, sondern erst nach Erlaß der Entscheidung des Prozeßgerichts eingelegt werden (vgl. RG. XXV S. 387, Seuffert § 532 Anm. 4 a. E.). 7) Soweit der § 540 nicht Abweichungen enthält, finden die allgemeinen Bestimmungen über die Beschwerde (§§ 530—539) auch auf die sofortige Beschwerde Anwendung. Auch die weitere Beschwerde kann nach der Lage des Falls als sofortige vorkommen.

Viertes Buch.

Wiederaufnahme Le? Verfahren?. § 541. Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurtheil ge­ schloffenen Verfahrens kann durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen. Werden beide Klagen von derselben Partei oder von verschiedenen Parteien erhoben, so ist die Verhandlung und Entscheidung über die Restitutionsklage bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage auszusetzen. N. Entw. Prot. S. 275.

Entw. I. 8 491.

Entw. II. § 510.

Entw. III. § 517.

Mot. S. 38, 39, 333, 334.

Viertes Buch. 1) Die CPO. hat im Anschluß an den P. E. §§ 686, 687 (vgl. auch N. E. §§ 856, 878) unter dem Ausdrucke „Wiederaufnahme des Verfahrens" oder „Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurtheil geschlossenen Verfahrens" (§ 541 Abs. 1; vgl. auch StPO. §§ 399,402) zwei Rechtsbehelfe, dieNichtigkeitsklage und die Restitutions­ klage, zusammengefaßt, obwohl die Fälle, welche durch den einen oder durch den anderen Rechtsbehelf getroffen werden, innerlich von einander verschieden sind. Die Nichtigkeits klage trifft Fälle sog. absoluter unheilbarer Nichtigkeit, Fälle, wie sie im gern. Rechte durch die querela insanabilis nullitatis (Wetzell S. 797 ff., Ren aud S. 572), im preuß. Recht (AGO. I 16 §§ 2 ff., Verordn, vom 14. Dez. 1833 § 26) durch die Nullitätsklage, in vielen neueren Gesetzgebungen (vgl. z. B. Hann. PO. § 431) durch die Nichtigkeitsbeschwerde berücksichtigt wurden; die Restitutionsklage dagegen Fälle, in welchen aus Rücksichten der Billigkeit die Anfechtung rechtskräftiger Urtheile gestattet ist, Fälle also, für welche im ge­ meinen Rechte die in integrum restitutio adversus rem judicatam [Tit. Cod. (2, 27) si adversus, Wetzell S. 698ff., Renaud S. 602], im preuß. Rechte die Restitutionsklage (AGO. I 16 §§ 12 ff.), im franz. Rechte die — übrigens auch Fälle der Nichtigkeit umfassende — requete civile (C. de proc. art. 480), in den meisten neueren Gesetzgebungen (Hann. PO. § 444, Württ. PO. Art. 753, H. E. § 626) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen rechtskräftige Urtheile (Wiederaufnahme des Verfahrens gegen rechtskräftige Urtheile, Wiederaufnahmeklage) bestimmt waren. Der Grund der Zusammenfassung ist der, daß beide Rechtsbehelfe gegen rechts­ kräftige Endurtheile gerichtet sind und prozessualisch fast durchweg denselben Grund­ sätzen folgen. sDie innere Verwandtschaft beider hebt hervor Schwalbach im civ. Arch. 63 S. 122ff.; indem er andererseits auf die innere Verschiedenheit des Nichtigkeilsfalles in § 542 Nr. 4 und der Fälle Nr. 1—3 das. hinweist, leugnet er einen begrifflichen Unterschied der beiden in Rede stehenden Klagen. Vgl. auch Bülow das. 64 S. 35, v. Kries, Rechts­ mittel S. 466 ff. u. andrerseits Köhler in Krit. Vierteljahrsschr. XXII S. 494, ferner Seuffert vor § 541 Anm. 1, Gaupp II S. 134, Wilm. Levy vor § 541, Fitting § 84 i. A. u. Hellmann, Lehrb. S. 772ff., welche mit Recht geltend machen, daß die ersteren Klagen auf Verstöße gegen Prozeßrechtsnormen, ohne Rücksicht auf die materielle Gerechtigkeit des Urtheils, die letzteren umgekehrt auf Verstöße gegen das materielle Recht sich beziehen.]

666

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 541.

2) § 541 enthält die gemeinschaftlichen Grundregeln für beide Klagen, Z542 be­ handelt die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage, Me §§ 543—546 die der Restrtuti aus­ klage; § 547 regelt für beide Klagen die Zuständigkeit, die §§ 548—554 das Verfahren. 3) Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist für alle Prozeßarten zulässig; auf Schieds­ sprüche findet sie aber keine Anwendung; für deren Aushebung ist in den §§ 867, 870, 871 eine besondere Klage eingeführt. 4) Ein Verzicht auf die Nichtigkeits- und Restitutionsklage (sei es ein einseitiger oder ein vereinbarter) ist vor Erlassung des anzufechtenden Urtheils überhaupt nicht und nach Erlassung desselben nur insoweit zulässig, als der geltendzumachende Nichtigkeits- oder Anfechtungs­ grund dem Verzichtenden bekannt ist, weil jener Verzicht sowohl wie ein Verzicht auf unbe­ kannte Wiederaufnahmegründe gegen zwingendes öffentliches Recht verstoßen würde, wogegen die Verzichtbarkeit bekannter Gründe schon aus der Festsetzung der Frist für die Geltendmachung in § 549 folgt (Seuffert vor § 541 Anm. 2, Gaupp II S. 134 f. u. A.). Auf die Er­ klärung des Verzichts finden die Grundsätze über den Verzicht auf Rechtsmittel (vgl. § 475 Anm. 2) entsprechende Anwendung (Planck! S. 316, Fitting § 84 92. 5, Seuffert, Gaupp a. a. O0. 5) Ueber die Wirkungen der Aufhebung eines rechtskräftigen Urtheils (z. B. bei Wiederverheirathung eines geschiedenen Ehegatten), insbesondere darüber, ob die Aufhebung ex tune oder ex nunc erfolgt, entscheidet das bürgerliche Recht. Vgl. noch § 613 Abs. 2. § 541. 1) Der Anspruch auf Wiederaufnahme kann nur durch Klage, nicht auch durch Einrede oder Replik geltend gemacht werden (Endemann II S. 505, (Seuffert § 542 Anm. 6 OLG. Hamburg in S. A. 48 Nr. 136), ebensowenig mittels der Feststellungsklage des § 231 (Gaupp II S. 133). Die Klage kann niemals von einer unselbständigen Nebenpartei erhoben werden; dagegen steht letzterer der Beitritt zu der erhobenen Klage nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 63 ff.) offen (vgl. Francke, Die Nebenparteien u. s. w. S. 7, Fitting § 84 N. 8). Wegen der Prozeßvollmacht s. § 77. 2) Abweichend von dem gern., preuß. und franz. Rechte sowie von den meisten neueren Gesetzgebungen, wonach die der Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechenden Rechtsbehelfe zu den (und zwar meistens zu den außerordentlichen) Rechtsmitteln gerechnet werden, behandelt die CPO. weder die Nichtigkeitsklage noch die Restitutionsklage als Rechtsmittel (vgl. die allg. Bem. z. dritten Buch). 3) Da ein rechtskräftiges (§ 645) Endurtheil (vgl. § 272 Anm. 2) die Voraussetzung beider Rechtsbehelfe bildet, so finden dieselben gegen Entscheidungen, welche der Anfechtung mittels der Beschwerde unterliegen, nicht statt. Ist die einfache Beschwerde zulässig, so kann von dieser zu jeder Zeit Gebrauch gemacht werden (§ 540 Anm. 1); greift die sofortige Beschwerde Platz, so wird durch Verlängerung der Nothfrist für diese Beschwerde geholfen (§ 540 Abs. 2 a. E.). Mit Unrecht erklärt Siebenhaar S. 526 ein Urtheil für nicht der Rechtskraft fähig, welches ein sachlich unzuständiges Gericht in einem Falle erlassen hat, wo die Prorogation nach § 40 Abs. 2 ausgeschlossen ist. Ein derartiges Urtheil besteht als solches, wie jedes andere unrichtige Urtheil, und muß als Urtheil behandelt werden. Eine absolute Nichtigkeit desselben ist der CPO. unbekannt. Vgl. § 542 Anm. 1 a. E. Anders in dem § 542 Anm. 4 erwähnten Falle. S. auch Endemann II S. 300, Gaupp II S. 133, Förster (Eccius) I §§ 55, 56, Schwalbach a. a. O. S. 124ff. u. S. 604ff., Bülow a. a. O. S. 34.] „geschlossenen" — Hierdurch wird die Klage gegen ein bedingtes Endurtheil nicht ausgeschlossen, da es gegen ein solches einen andern Rechtsbehelf zur Wiederaufhebung nicht giebt. Vgl. auch §§ 432, 433, 439 Abs. 2 u. EG. z. CPO. § 19 Anm. 1 (Gaupp II S. 135,

Viertes Buch.

§ 542.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 542.

667

Die Nichtigkeitsklage findet statt:

1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; 2. wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, welcher von der Ausübung des Richteramts kraft des Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hinderniß mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechts­ mittels ohne Erfolg geltend gemacht ist; 3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich derselbe wegen Besorgniß der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war; 4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze ver­ treten war, sofern sie nicht die Prozeßführung ausdrücklich oder still­ schweigend genehmigt hat. In den Fällen Nr. 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte. N. Entw. S. 275, 276.

Entw. I. § 492.

Entw. II. § 511.

Eutw. III. § 518.

Mol. S. 334, 335.

Prot.

Seuffert Anm. 1 u. 21.). Wegen der Restitution gegen Läuterungsurtheile s. § 553 Anin. 3 cu E. Gegen Beschlüsse und Zwischenuriheile findet eine selbständige Wiederaufnahme nicht statt (vgl. § 546); ob gegen Zwischenurtheile, welche in Ansehung der Rechtsmittel den Endurtheilen gleichgestellt sind (§§ 248, 276, 502, 562), ist zweifelhaft, da nach der Ter­ minologie der CPO. die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu den Rechtsmitteln gehört. Für die Bejahung dürfte aber sprechen, daß derartige Urtheile, wenn sie von der höheren Instanz erlassen sind, nicht unter § 546 fallen, sowie der Umstand, daß §§ 541 ff. dem P. E. nachgebildet sind, welcher die Wiederaufnahme zu den „Rechlsmilteln" rechnet. (So auch Wilm. Levy Anm. 2, P etersen § 541 Nr. 1, Seuffert Anm. 1, St ein, Urk. u. Wechselprozeß S. 297 f. u. A.) 4) Abs. 2: Die Restitutionsklage soll zurücktreten, weil sie in ihrer Wirkung-—wenigstens thatsächlich in der Regel — nicht so weit reicht wie die Nichtigkeitsklage und durch die letztere gegenstandslos werden kann. (Vgl. Mot., auch Gaupp II S. 136, Wilm. Levy Anm. 5. A.M. theilweise Schwalbach a. a. O. S. 123.) Die Aussetzung muß von Llmtswegen nach mündlicher Verhandlung erfolgen. Gegen den Beschluß findet nach § 229 Beschwerde statt.

§ 542. Literatur: Skedl, Die Nichtigkeitsbeschwerde in geschichtlicher Entwickelung, Leipzig 1886, u. in Grünhut, Zeitschr. XIV S. 81 ff. 1) Im Interesse der durch die Rechtssicherheit geforderten möglichsten Aufrechterhaltung rechtskräftiger Urtheile ist die Nichtigkeitsklage auf wenige scharf begrenzte Fälle der Verletzung wesentlicher prozessualischer Normen beschränkt. Die Fälle unter Nr. 1 und 3 sowie der Abs. 2 sind von der RTK. hinzugefttgt worden. Nach manchen Gesetzgebungen ist in allen diesen Fällen (so Hann. PO. § 431, H. E. § 609), nach anderen in einem Theil dieser Fälle (so Preuß. AGO. I 16 § 2, Preuß. Verordn, v. 14. Dez. 1833 § 5) nur das devolutive Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde zulässig. In der CPO. ist außer der Revision die Nichtigkeitsklage gegeben, um auch die Anfechtbarkeit der in letzter Instanz ergangenen Urtheile beim Vorhandensein eines der Nichtigkeitsgründe unter Nr. 1—4 zu ermöglichen, und um die Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe von der Wahrung der Rechtsmittelfristen unabhängig zu machen (vgl. § 549). Wegen des Inhalts der Entscheidung (z. B. weil das Gericht gegen verbietende Gesetze entschieden hat) findet niemals eine Nichtigkeitsklage statt. Das betreffende Urtheil wird ungeachtet

668

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 542.

der Gesetzwidrigkeit seines Inhalts unanfechtbar und wie jedes andere Urtheil vollstreckbar. Eine Nichtigkeit ipso jure (s. Siebenhaar S. 524 Anm. **, Hellmann, Lehrb. S. 772) kennt die CPO. nicht (vgl. § 541 Anm. 3). 2) Nr. 1: vgl. § 513 Nr. 1. 3) Nr. 2: vgl. § 513 Nr. 2. Die dort fehlenden Worte „oder Rechtsmittels" sind hier von der RTK. beigefügt worden, um die Nichtigkeitsklage auch für die Fälle auszuschließen, in welchen das Hinderniß bereits den Gegenstand einer im Wege der Berufung oder Revision ohne Erfolg gellend gemachten Beschwerde gebildet hatte. „ohne Erfolg" — d. h. bis zur rechtskräftigen Zurückweisung (Mot. S. 335, Prot. S. 276). 4) Der Fall, daß eine zum Richteramt überhaupt nicht berufene Person das Urtheil erlassen hat (vgl. Preuß. AGO. I 16 § 2), gehört nicht hierher. „In diesem Falle liegt materiell ein Urtheil nicht vor und bedarf es zu dessen Beseitigung weder der Einlegung eines Rechtsmittels noch der Wiederaufnahme des Verfahrens. Würde versucht, das Urtheil z. B. im Wege der Zwangsvollstreckung zur Geltung zu bringen, so muß der Einwand, daß ein Urtheil überhaupt nicht vorliege [vgl. Erk. des preuß. Obertrib. v. 27. Juni 1861 (Striethorst, Arch. Bd. 42 S. 218)], Erfolg haben" (M o t.). (Vgl. auch Köhler in Krit. Viertelsahrsschr. XXII S. 493 Anm. **, Fitting § 84 N. 9, Gaupp II S. 133, 137 N. 2, Seuffert Anm. 1.) 5) Nr. 3: vgl. § 513 Nr. 3. 6) Nr. 4: vgl. § 54 Anm. 2, 3, §§ 513 Nr. 5, 867 Nr. 3 und wegen der Frist § 549 Anm. 4; s. auch Planck I S. 217 III, S. 240 Z. 5. Der Mangel in der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung, in welcher das Versäumnißurtheil ergangen ist, gehört nicht hierher (RG. VII S. 361, dessen Gründe Gaupp II S. 137 N. 9 mit Recht beanstandet). Die Bemerkung der Mot.: „Ob der Mangel der Vertretung im Prozesse geltend gemacht worden oder nicht, ist unter allen Umständen ohne Einfluß, da jedenfalls die Partei hierbei nicht vertreten gewesen ist," kann nur den Fall betreffen, wenn der Mangel nicht von der Partei selbst oder deren wirklichem Vertreter gellend gemacht ist (Puchelt II S. 394). Die Genehmigung, welche auch außergerichtlich erfolgen kann (s. Gaupp II S. 138), steht auch dem klagenden Gegner entgegen (A.M. Puchelt a. a. O.; vgl. dagegen Petersen § 542 Nr. 4, Wilm. Levy Anm. 4, Se uffert Anm. 4 u. A.). Der Einwand der mangelnden Aktiv- und Passivlegitimation zur Sache gehört nicht hierher (vgl. § 230 Anm. 4), ebensowenig der der Verletzung des Grundsatzes des wechselseitigen Gehörs. (Vgl. § 513 Anm. 6, Eccius in Gruchot 23 S. 737 Anm. 1, v. Bülow Anm. 5, Seuffert Anm. 4 u. A. A.M. Fitting im civ. Arch. 61 S. 436.)

7) Abs. 2: Derselbe entspricht der subsidiären Natur der Nichtigkeitsklage (vgl. Anm. 1 u. § 540 Anm. 4). Die beschwerte Partei muß also in den Fällen Nr. 1, 3 (nicht auch 2, 4) das Rechtsmittel gebrauchen, wenn ihr ein solches offen steht Thut sie es nicht, so wird der Mangel geheilt, auch lneim er ein solcher ist, auf welchen wirksam nicht verzichtet werden kann. Kenntniß des Anfechtungsgrundes, welche übrigens kaunl fehlen kann, ist vorausgesetzt („geltend gemacht werden konnte"; vgl. § 549 Abs. 2). [So auch Hellmann II S. 481 f., Endemann II S. 507, Seuffert Anm. 5, Gaupp II S. 138, v. Kries a. a. O. S. 473 ff. u. A. A.M. in letzterer Hinsicht Petersen § 542 Nr. 5, Snrwey I S. 725, Wilm. Levy Anm. 5.] Die Frage, ob unter dem „Rechtsmittel" hier ausnahmsweise, wie im EG. z. CPO. § 19, auch der Einspruch milbegriffen sei, ist ungeachtet der dafür sprechenden inneren Gründe doch bei der bestimmten technischen Bedeutung des Ausdrucks (s. oben S. 574) zu verneinen. (S. auch Wilm. Levy, Petersen a. a. O., Endemann II S. 507, Seuffert Anm. 5 u. A.)

Viertes Buch.

§ 548.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 543.

669

Die Restitutionsklage findet statt:

1. wenn der Gegner durch Leistung eines Parteieides, auf welche das Urtheil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eides­ pflicht schuldig gemacht hat; 2. wenn eine Urkunde, auf welche das Urtheil gegründet ist, fälschlich an­ gefertigt oder verfälscht war; 3. wenn durch Beeidigung eines Zeugnisies oder eines Gutachtens, auf welche das Urtheil gegründet ist, der Zeuge oder der Sachverständige sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; 4. wenn das Urtheil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Handlung erwirkt ist, welche mit einer iin Wege des gerichtlichen Straf­ verfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist; 5. wenn ein Richter bei dem Urtheile mitgewirkt hat, welcher sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat, sofern diese Verletzung mit einer im Wege des gericht­ lichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist; 6. wenn ein strafgerichtliches Urtheil, auf welches das Urtheil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urtheil aufgehoben ist; 7. wenn die Partei a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urtheil, oder b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, welche eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Diese Bestimmung kommt in dem unter b bezeichneten Falle nicht zur Anwendung, wenn das angefochtene Urtheil darauf beruht, daß auf Grund einer Eidesleistung des Gegners die betreffende Thatsache oder deren Gegen­ theil für bewiesen erachtet ist. 91. Ent«. § 856. Entw. I. § 493. Ent«. II. § 612. Ent«. III. § 619. «. 276-278.

Stint. S. 336-837. Prot.

8 643. Vgl. StPO. §§ 399, 402. 1) Der § 543 zählt die Fälle der Restitutionsklage aus. Die Fälle Nr. 1—5 setzen sämmtlich eine strafbare Handlung voraus, auf welche das (Civil-)Urtheil gegründet ist. Bon einem bedingten Ansprüche, zu dessen Sicherung Arrest nach § 796 zulässig wäre, ist in diesen Fällen nicht die Rede (f. OLG. Augsburg in Busch, Z. IV S. 435). Die Fälle 6, 7 betreffen Neuheiten, derentwegen eine nochmalige Prüfung angezeigt ist. — Eine gewisse Ähn­ lichkeit mit der Restitutionsklage haben auch die Fälle der §§ 432, 433. 2) Nr. 1: Der Ausdruck „Parteieid" umfaßt den zugeschobenen (§§ 410ff.) wie den richterlichen Eid (§§ 437 ff.), den Wahrheitseid (§ 424 Abs. 1) wie den Ueberzeugungseid (§ 424 Abs. 2 und 3). Auch der Editionseid (§ 391), die eidliche Versicherung zur Glaubhaftmachung (§ 266) und der Offenbarungseid (§§ 711, 769) fallen darunter. (Vgl. Seuffert Anm. 2, Petersen § 543 12, Sarwey I S. 727 u. A. A.M. rücksichtlich des Editionseides Sieben haar S. 530, rücksichtlich des Offenbarungseides Wilm. Levy Anm. 2, Seuffert Anm. 2, Petersen a. a. £)., weil auf dessen Leistung kein Urtheil gegründet werden könne.) Diese Eide gehören zu den „Eiden der Parteien" (Mot. S. 336) im Gegensatze zu den „Eiden der Zeugen und Gutachter". Vgl. auch § 611 Anm. 2. „gegründet ist" — Es kommt nur darauf an, daß der Eid als ganzes betn (Civil-) Urtheil zu Grunde liegt; zwischen den einzelnen Sätzen des Eides ist alsdann bei Prüfung der

670

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 543.

Frage der Verletzung der Eidespflicht nicht zu unterscheiden (RG XIV S. 324). (Vgl. OLG. Nürnberg in Busch, Z. XVIII S. 264.] Ueber die Wirkung der Anfechtung eines Läuterungsurtheils (§ 427 Abs. 2) aus diesem Grunde vgl. § 553 Anm. 3 a. E. In Uebereinstimmung mit den meisten neueren Gesetzgebungen (vgl. Hann. Prot. XI S. 3927) ist hier (wie im Falle der Nr. 3) die fahrlässige Verletzung der Eidespflicht (§ 163 StGB.) der vorsätzlichen (§§ 153—156, 158, 159 das.) gleichgestellt. Vgl. auch § 428 Abs. 2 in Verbindung mit § 422 Anm. 2. (Enger Endemann II S. 511, Gaupp II S. 140.) Der Partei steht der gesetzliche Vertreter auch hier gleich (vgl. § 50 Anm. 2), ebenso der Nebenintervenient (Wilm. Levy Anm. 2, Seuffert, Sarwey a. a. O. u. A.) und der Dritte unter den Voraussetzungen des § 415 (Gaupp, Seuffert ci. a. O. u. A. A.M. be­ züglich des Letzteren Kleiner II S. 627). 3) Nr. 2: „fälschlich angefertigt oder verfälscht" — vgl. StGB. §§ 267—269, 271. Auch hier kommt es auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Urtheil und der Fälschung an („gegründet ist"). Es ist aber nach der — abweichend von Nr. 1 — allgemein gehaltenen Fassung (vgl. auch Nr. 3) gleichgültig, ob eine der Parteien oder ein Dritter die Urkunde fälschlich angefertigt oder verfälscht hatte. (Wilm. Levy Anm. 3, Seuffert Anm. 3, Endemann II S. 512, Petersen § 543 I 3, v. Kries a. a. O. S. 477 Anm. 260 u. A. A.M. mit Bezugnahme auf L. 2. 3. Cod. si ex fals. instr. (7, 58) Siebenhaar S. 530. Das preuß. Recht gewährte in diesem Falle wie bei Nr. 3 die Nullitätsklage („ex falsa causa“ — AGO. I 16 § 2 Nr. 1, RG. I S. 225).] 4) Nr. 3: vgl. Anm. 2. Die meisten Gesetzgebungen verlangen hier eine vorsätzliche Verletzung. Die Nr. 3 trifft auch auf beeidigte Dolmetscher zu. War das Zeugniß oder Gutachten unbeeidigt (vgl. § 356 Abs. 2), so findet die Nr. 3, welche Verletzung der Eidespflicht und nach § 544 rechtskräftige Verurteilung des Be­ treffenden voraussetzt, nicht Anwendung (Prot. S. 276). 5) Nr. 4: vgl. C. de proc. art. 480 Nr. 1 (s’il y a eu dol personnel). Hierher ge­ hören die Fälle der §§ 160, 240 (Nöthigung des Gegners zum Geständnis Verzicht u. dgl.) 263, 266, 354, 356 StGB. „Vertreter" — d. h. nur der gesetzliche Vertreter und der Prozeßbevollmächtigte, nicht „Vertreter" in dem weiteren Sinne des § 410. „gerichtlichen Strafverfahrens" — Eine Bestrafung int Wege des Disziplinar­ verfahrens genügt hier so wenig wie im Falle der Nr. 5. 6) Nr. 5: vgl. Anm. 5 et. E. Hierher gehören die Fälle der §§ 334, 336 StGB., ohne daß es in letzterem Falle (wie Siebenhaar S. 531 meint) auf eine Bestechung ankommt. — Der ursächliche Zusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und dem Urtheile bildet auch in Nr. 5 den Grund der Gewährung der Restitution (Anm. d); dieser Zusammenhang wird aber nach den Mot. stets als vorhanden angenommen, wenn der Richter in Beziehung auf den Rechtsstreit sich der in Nr. 5 näher karakterisirten Verletzung seiner Amtspflichten überhaupt schuldig gemacht hat. „gegen die Partei" — Ein Vergehen (z. B. eine Bestechung) im Interesse des Restitutionsklägers begründet für diesen die Wiederaufnahme nicht. Ob die Gegenpartei bei dem Vergehen betheiligt ist oder solches allein einem Dritten zur Last fällt, ist gleichgültig (Hann. Prot. XI S. 3936 f.) Daß der bestrafte Richter bei der Entscheidung über die Restitutionsklage nicht mitwirken darf, erachten die Mot. trotz § 547 Abs. 1 mit Recht für selbstverständlich. 7) Nr. 6: Obgleich das strafgerichtliche Urtheil für den Civilrichter bindende Kraft nicht hat (EG. z. CPO. § 14 Nr. 1), so ist doch, wie die Mot. hervorheben, der im Strafverfahren erfolgten Restitution wenigstens die Bedeutung für das Civilverfahren beigelegt, daß in Anlaß derselben auch eine Wiederaufnahme des letzteren eintreten soll, sofern das Civilurtheil auf das

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 543.

671

strafgerichtliche Urtheil gegründet war. Ob letztere Voraussetzung (vgl. ob.LG. f. Bayern in S. A. 47 Nr. 298) vorhanden, hat — wie in den Fällen Nr. 1—3 — der über die Restitutionsklage entscheidende Richter nach Lage des einzelnen Falles zu prüfen (vgl. RG. in I. W. 1891 S. 309). Ob die strafgerichtlichen Urtheile inländische oder ausländische sind, ist bei der hier eintretenden freien Beweiswürdigung (EG. z. CPO. § 14 Nr. 1) gleichgültig; vgl. § 544 Anm. 1. „ein strafgerichtliches Urtheil" — gleichviel, ob es schon rechtskräftig war, als das Civilurtheil darauf gegründet wurde (was allerdings die Regel bilden wird), oder nicht. „ein anderes rechtskräftig gewordenes Urtheil" — Das aufhebende (Straf-) Urtheil muß, wenn es für die Restitutionsklage in Civilsachen in Betracht kommen soll, rechts­ kräftig sein. In der Regel wird es auf Grund einer Wiederaufnahme (StPO. §§ 399 ff.) im Strafverfahren erlassen sein; es ist aber auch als ein im Wege der Berufung oder Revision ergangenes denkbar, wenn früher der Civilrichter sein Urtheil auf ein noch nicht rechtskräftiges Strafurtheil gegründet hatte (vgl. Endemann II S. 514, Petersen § 543 II, Gaupp II S. 141 a. E.). 8) Die Nr. 7 regelt die restitutio propter noviter reperta (oder auch ex capite novomm). Die CPO. läßt dieselbe im Anschluß an das gern. Recht (Wetzell S. 687, Renan d S. 612 ff.), das preuß. Recht (AGO. I 16 §§ 17 ff.) und die meisten neueren Gesetz­ gebungen (Hann. P. O. § 444, Bayer. PO. Art. 761 rc.), aber im Gegensatz zum franz. Rechte (C. de proc. art. 480 Nr. 10) ohne Rücksicht auf einen Dolus des Gegners zu. Die Auffindung u. s. w. ist von dem Wiederaufnahmekläger zu beweisen. (Ueber den Widerspruch zwischen diesem Restitutionsrecht und § 191 d. Entw. I e. bürg. GB. s Bülow, Absolute Rechts­ kraft des Urtheils. Freiburg i. B. u. Leipzig 1894 S. 146 ff.) 9) Nr. 7a: Zu den Urkunden werden auch in derselben Sache erlassene, früher rechtskräftig gewordene Urtheile gezählt. Das Auffinden eines solchen hat, wenn es dem zuletzt ergangenen Urtheile nach § 293 entgegensteht, für denjenigen, dem es günstig ist, eine ähnliche Bedeutung, wie das Auffinden einer sonstigen ihm günstigen Urkunde; auf jenes kann er nunmehr die exceptio rei judicatae, wie auf diese die neue Einrede aus dem Ver­ trage ü. s. w. stützen. Daraus, ob die Thatsache, welche durch den Vertrag bezw. das Urtheil bewiesen wird, in dem Rechtsstreite vorgebracht ist, kommt es nach der allgemeinen Fassung nicht an (vgl. Nordd. Prot. S. 1611, Sarwey I S. 728f., Wilm. LevyAnm. 13, Seuffert Anm. 8, Petersen § 543 III 1. A.M. Gaupp II S. 145 N. 25, Kleiner II S. 632 Anm. 11), ebensowenig darauf, ob das Urtheil die ganze Sache oder nur einen Theil, ins­ besondere ein in dem angefochtenen Urtheile nur als Präjudizialpunkt in Betracht kommendes Verhältniß betrifft (Seuffert'Anm. 8, Hellmann, Lehrb. S. 776 u. A.). (Ueber d. Ver­ hältniß eines inländischen zum kollidirenden ausländischen Urtheile s. Köhler in Busch, Z. X S. 469 f.; vgl. auch §§ 235 Anm. 3 a. E., 661 Anm. 10.) (Andere Gesetze (z. B. Hann. PO. § 431 Nr. 9) behandeln diesen Fall als Nichtigkeitsgrund (vgl. Hann. Prot. X S. 3733 ff., 3813 ff., XI S. 3938). (S. auch § 511 Anm. 8).] Nr. 7b: „Urkunde" — Darunter fällt nicht ein wissenschaftliches Werk (RG. in D. I. Ztg. 1884 S. 144). „zu benutzen in den Stand gesetzt wird" — Daß die Partei über den Inhalt der Urkunde schon früher Zeugenbeweis hätte antreten können, steht der Restitutionsklage nicht ent­ gegen (RG. XXXII S. 370; vgl. auch RG. XVI S. 395). „welche eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde" — sei es allein oder in Verbindung mit dem im früheren Verfahren Vorgebrachten (RG. VII S. 319, XVI S. 438), wogegen es nicht genügt, wenn die Urkunden nur in Verbindung mit anderen neuen Beweismitteln, z. B. Zeugen, erheblich sind (RG. XIV S. 329, in I. W. 1894 S. 35 Nr. 113). Der über die Restitution entscheidende Richter hat also zu prüfen, ob die

672

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 544.

§ 544. In den Fällen des vorhergehenden Paragraphen Nr. 1—5 findet die Restitutionsklage nur statt, wenn wegen der strafbaren Handlung eine rechts­ kräftige Verurtheilung ergangen ist, oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen, als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. Der Beweis der Thatsachen, welche die Reftitutionsklage begründen, kann durch Eideszuschiebung nicht geführt werden. 91. Ent«. § 856. Ent«. I. § 494 S. 278, 279.

Ent«. II. § 513.

Ent«. III. § 520.

Siet. @. 337, 338.

Prot.

Urkunde in diesem Grade erheblich ist. Nach der Fassung „welche — würde" und nach der Stellung dieser Worte unter b kann dieser beschränkende Zusatz auf die litt, a nicht mil­ bezogen werden. (So auch Petersen § 543 III 1, Gaupp II S. 142 bei N. 19. A.M. Endemann II S. 515, Puchelt II S. 397.) Die Echtheit der neuen Urkunde sowie die Zeit ihrer Ausstellung — als Bestandtheile der Urkunde selbst — können jedoch auch^ mit anderen neuen Beweismitteln dargethan werden (RG. XVI S. 436). 10) Der Ab s. 2 der Nr. 7b hat darin seinen Grund, daß der durch Eidesleistung geführte Beweis nur durch Restitution gemäß Nr. 1 angefochten werden kann (§ 428 Abs. 2). Der Satz bezieht sich seiner allgemeinen Fassung nach gleich der Nr. 1 auch auf den richterlichen Eid (Wilm. Levy Anm. 15, Gaupp II S. 143 i. A.). 11) Weder das Entdecken neuer Thatsachen (Hann. PO. § 444, Württ. PO. Art. 753; vgl. auch OLG. Dresden in Busch, Z. VII S. 107) noch das Ermitteln neuer Zeugen (Preuß. AGO. I 16 § 26, Württ. PO. Art. 753) ist dem Auffinden neuer Urkunden gleichgestellt. 12) Die Restitution Minderjähriger oder diesen gleichstehender Personen (Wetzell S. 621 ff., Renaud S. 607ff., Preuß. AGO. I 16 § 12 Nr. 1, Hann. PO. § 444 Nr. 6) wegen Versäumnisse ihrer Vertreter bei Wahrnehmung ihrer Rechte hat keine Aufnahme gefunden (§ 210 Abs. 1). Vgl. Hann. Prot. IX S. 3940 f. ; Preuß. Ges. v. 12. Juli 1875 § 9. 8 544. Vgl. StPO. § 404. 1) „Wenn die im Strafverfahren erfolgende Verurtheilung wegen einer der als Restitutionsgrund dienenden strafbaren Handlungen für den Richter im Civilverfahren auch nicht bindend ist, so kann doch ohne Inkonsequenz die außerordentliche RechtsHülse der Restitution von einer solchen Verurtheilung der Regel nach abhängig gemacht werden. Denn unter allen Umständen ist es ein unerwünschter Zustand, daß im Civilverfahren über eine strafbare Handlung gestritten wird, zu deren Feststellung das zunächst dafür bestimmte Strafverfahren nicht ausreicht. Auch ist die dem Civilrichter nach dem strafgerichtlichen Urtheile belassene.Freiheit der Beurtheilung eine mehr prinzipielle als thatsächliche, und ein Auseinandergehen der Urtheile kann nur unter besonderen Umständen erwartet werden." (Mot.) Ein Antrag auf Aufnahme des Satzes, daß durch das rechtskräftige Strasurtheil voller Beweis der strafbaren Handlung begründet werde, wurde von der RTK. abgelehnt (vgl. § 14 Nr. 1 des EG. z. CPO.). Der Civilrichter hat also auch hier über die materielle Beweiskraft des Strafurtheils nach freiem Ermessen zu urtheilen. Die „rechtskräftige Verurtheilung" braucht bei der allgemeinen Fassung (im Gegen­ satze z. B. von § 617 Abs. 2; vgl. auch § 660, § 543 Anm. 7) und der in allen Fällen ein­ tretenden freien Beweiswürdigung (EG. z. CPO. § 14 Nr. 1) nicht nothwendig von einem deutschen Gerichte erfolgt zu sein. (So auch Seuffert Anm. 1, Endemann II S. 517, Petersen §§ 542 I 1, 544 Nr. 2 u. A. A.M.' Wilm. Levy Anm. 1.) 2) „aus anderen Gründen" — z. B. Abwesenheit, Tod, Verjährung, später eingetretene Unzurechnungsfähigkeit u. s. w., nicht aber mangelnder Beweis für die Zurechnungsfähigkeit zur Zeit der strafbaren Handlung (OLG. Nürnberg in Busch, Z. XVIII S. 263). „nicht erfolgen kann" — Diese Unmöglichkeit muß also feststehen.

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§§ 545, 546.

673

§ 545. Die Restitutionsklage ist nur zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung oder mittels Anschließung an eine Berufung geltend zu machen. N. Entw. 8 857. Entw. I. 8 495. Entw. II. 8 514. Enttv. III. 8 521. Mot. S. 338. Prot. S. 279.

§ 546. Mit den Klagen können Anfechtungsgründe, durch welche eine dem angefochtenen Urtheile vorausgegangene Entscheidung derselben oder einer unteren Instanz betroffen wird, geltend gemacht werden, sofern das angefochtene Urtheil auf dieser Entscheidung beruht. N. Entw. 8 859. Eniw. I. 8 496. 3. 279.

Entw. II. § 515.

Entw. III. 8 522. Mot. S. 338, 339.

Prot.

3} A b s. 2: Eid es zu schiebung ist (wegen der Osfizialprüfung; vgl. § 552; s. auch §130 Anm. 4) weder über die Thatsache der rechtskräftigen Verurteilung noch in den Ausnahme­ fällen, in welchen eine rechtskräftige Verurteilung nicht die Voraussetzung bildet, über die straf­ bare Handlung selbst und über die Gründe, aus welchen die Einleitung oder Durchführung des Strafverfahrens nicht hat erfolgen können, noch auch in den Fällen des § 543 Nr. 5—7 über den Grund der Restitution überhaupt zulässig. (Vgl. RG. XIV S. 332.) Auch ein Ge­ st ä n d n i ß des Restitutionsgruudes ist (wie nach N. E.) ausgeschlossen (vgl. § 552 Anm. 1. A.M. ansch. Gaupp II S. 143f.; vgl. jedoch das. II S. 154 i. A.); dagegen nicht die Auf­ erlegung eines richterlichen Eides (RG. XIV S. 328; vgl. auch § 428 Anm. 3).

§ 545. 1) Die Bestimmung, welche der Klage einen ganz subsidiären Karakter verleiht, betrifft nur die Resti tutionsklage, nicht die Nichtigkeitsklage, bei welcher die Partei den ihr entstandenen Nachtheil, der hier unmittelbar in der Erlassung des angefochtenen Urtheils besteht, nicht verschuldet haben kann (§ 549). Vgl. aber §§ 542 Abs. 2, 549. S. auch § 686 Abs. 2. 2) Die Voraussetzungen der Zulässigkeit sind von Amtswegen zu prüfen (vgl. § 552). 3) „ohne ihr Verschulden" — d. h. jedes Verschulden (vgl. RG. in Gruchot 32 S. 732 u. in I. W. 1892 S. 238, 1894 S. 400). Der Restitutionskläger hat den Mangel des Verschuldens nachzuweisen (ebenda). „in dem früheren Verfahren--------geltend zu machen" — vgl. RG. XIV S. 324 (Nachverfahren des § 562), XVI S. 419. Durch Revision kann nach der Natur dieses Rechtsmittels ein Restitutionsgrund niemals geltend gemacht werden (vgl. RG. XI S. 367).

8 546. 1) Der § 546 bezieht sich, wie auch die §§ 547—554, auf bei de Klagen; er hat seine Analogie in den §§ 473 und 510 und behandelt Fälle, in denen eine dem Endurtheile vorausgegangene Entscheidung — soweit eine solche nicht nach § 541 selbständig mittels Klage angefochten werden kann (vgl. §§ 541 Anm. 3, 553 Anm. 3) — smithin ein gewöhn­ liches Zwischenurtheil (§ 275) oder eine nur mittels der Beschwerde oder überhaupt nicht'selb­ ständig anfechtbare Entscheidung (§ 530)] den Anlaß zur Anfechtung giebt.

2) „derselben oder einer unteren Instanz" — Die Mot. sagen: „Die Beschränkung auf Anfechtungsgründe, welche Entscheidungen derselben oder einer unteren Instanz betreffen, ist nothwendig, weil in den höheren Instanzen Urtheile ergehen können, welche keine Entscheidung in der Sache selbst geben, aber doch für das demnächst in der unteren Instanz ergehende Urtheil maßgebend sind, so daß dieses auf denselben beruht. In diesem Falle ist, wenn der Anfechtungsgrund das Urtheil höherer Instanz betrifft, die Anfechtung unmittelbar gegen dieses und nicht gegen das in der Sache selbst ergangene Urtheil der unteren Instanz zu richten, welches letztere dann durch die Aufhebung des ersteren milbettoffen wird." Struckmann u. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Aust. 43

674

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 547.

§ 547. Für die Klagen ist ausschließlich zuständig: das Gericht, welches in erster Instanz erkannt hat; wenn das angefochtene Urtheil oder auch nur eines von mehreren angefochtenen Urtheilen von dem Berufungsgericht erlaffen wurde, oder wenn ein in der Revisionsinstanz erlaffenes Urtheil auf Grund des §. 543 Nr. 1—3, 6, 7 angefochten wird, das Berufungsgericht; wenn ein in der Revisions­ instanz erlaffenes Urtheil auf Grund der §§. 542, 543 Nr. 4, 5 angefochten wird, das Revisionsgericht. Sind die Klagen gegen einen Bollstreckungsbefehl gerichtet, so gehören sie ausschließlich vor das Amtsgericht, welches den Befehl erlassen hat; wenn der Anspruch nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehört, vor das für den Rechts­ streit über den Anspruch zuständige Gericht. N. Entw. § 860. S. 279.

Entw. I. § 497.

Entw. II. § 516.

Entw. III. § 523.

Mot. S. 339, 340. Prot.

3) „beruht" — vgl. §§ 511, 513, 526. Das Erfordernis des ursächlichen Zu­ sammenhangs zwischen dem angefochtenen Endurtheil und den vorausgegangenen Entscheidungen geht in Betreff der Restitutionsgründe schon aus den Bestimmungen des § 543 hervor. In Betreff ber Nichtigkeilsgründe mußte es noch besonders ausgesprochen werden. „Es wird von Bedeutung, wenn eine vorausgegangene Entscheidung in Folge veränderter Lage der Sache oder unveränderter Auffassung derselben oder durch die erneuerte Verhandlung der Sache in der Berufungsinstanz ihre Bedeutung verloren hat" (Mot.). § 547.

Vgl. StPO. § 407. 1) Abweichend von dem preuß. Recht und einigen neueren Prozeßordnungen (z. B. Hann. PO. § 446), wonach die Restitutions- bezw. Nichtigkeitsklagen als selbständige Klagen erscheinen und demnach unbedingt in die erste Instanz verwiesen werden, aber in wesentlicher Ueberein­ stimmung mit den meisten neueren Gesetzgebungen, befolgt die CPO. den Grundsatz, daß diese Klagen in der Regel bei demjenigen Gerichte erhoben werden müssen, welches das aufzuhebende Urtheil erlassen hat. Vgl. Hann. Prot. XI S. 3947—3949, NG. irr S. A. 47 Nr. 172, OLG. Hamburg das. 41 Nr. 251 (das Berufungsgericht hat in der Sache abändernd bezw. bestätigend erkannt). Unerheblich ist dabei, ob das Urtheil des Berufungs­ gerichts ein Versäumniß- oder ein kontradiktorisches Urtheil ist (NG. a. a. £).). Nur zw ei Aus­ nahmen werden gemacht: a) Wenn sowohl das Urtheil erster Instanz wie das Berufungsurtheil mittels einer der Klagen angefochten werden — was vorkommen kann, wenn die Berufung aus prozessualischen Gründen verworfen oder nach Aufhebung des ersten Urtheils die Sache nach §§ 500, 501 in die erste Instanz zurückverwiesen ist und mithin die Urtheile beider Instanzen als für sich selbständige Entscheidungen über verschiedene Gegenstände selbständig anfechtbar sind —, so zieht zur Verhütung gleichzeitiger Ver­ handlung der Wiederaufnahme in zwei Instanzen im Falle der Anfechtung beider Urtheile die Berufungsinstanz beide Klagen an sich. b) Diejenigen Nestitutionsgründe, welche eine bestimmte Ergänzung oder Berichtigung des Sach Verhältnisses bezwecken (§ 543 Nr. 1—3, 6, 7), müssen, wenn sie gegen ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urtheil gellend gemacht werden, bei dem Berufungsgerichte angebracht werden. Der Grund liegt darin, daß das Re­ visionsurtheil, auch wenn es eine Entscheidung in der Sache selbst giebt, doch die Entscheidung des Berufungsgerichts über die rein thatsächlichen Fragen des Rechts­ streits unberührt läßt, und daß mit diesen thatsächlichen Fragen die oben erwähnten Nestitutionsgründe in untrennbarem Zusammenhange stehen. Dagegen zieht die

Viertes Buch.

Wiederaufnahme des Verfahrens. § 548.

675

§ 548. Auf die Erhebung der Klagen und das weitere Verfahren finden die allgemeinen Vorschriften entsprechende Anwendung, sofern nicht aus den Be­ stimmungen dieses Gesetzes sich eine Abweichung ergiebt. 91. ßna& Kläger im Urkunden­ prozesse abzuweisen" oder „angebrachtermaßen" oder „wie angebracht" oder wört­ lich, wie im Gesetze, „daß die Klage als in der gewählten Prozeßart" (bezw. im Urkundenprozesse) „unstatthaft abzuweisen"^ Nur jene prozessualische Frage wird

Fünftes Buch.

Urkunden- und Wechselprozeß.

§ 561.

693

§ 561. Einwendungen des Beklagten sind, wenn der dem Beklagten ob­ liegende Beweis derselben nicht mit den im Urkundenprozesse zulässigen Beweis­ mitteln angetreten oder mit solchen Beweismitteln nicht vollständig geführt ist, als im Urkundenprozesse unstatthaft zurückzuweisen. N. Entw. - Entw. I. - Enttv. II. § 530. Entw. III. § 537. Mot. S. 353, 354

Prot. S. 281.

hier mit einer der Rechtskraft fähigen Wirkung entschieden, ähnlich wie bei der Abweisung auf Grund anderer prozeßhindernden Einreden (§ 248 Anm. 2; OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 501, Petersen §§ 560—563 II 2 u. A.).

Der Kläger kann also im ordentlichen Verfahren

und (unter anderer Begründung) selbst im Ilrkundenprozesse (Endemann II S. 549, Hell­ mann II S. 521, Gaupp II S. 180 u. A. von neuem klagen. Stein S. 301 ff).

Anhängig

4) „Einwendungen — haft sind" — vgl. § 561.

A.M. Sarwey IIS. 12, Kleiner II S. 664)

bleibt der Hauptstreit in diesem Falle nicht (vgl. welche

-------------im

Urkundenprozesse unstatt­

Sind die Einwendungen materiell begründet und in einer im Urkundenprozesse statthaften Weise erwiesen, so ist die Klage ungeachtet der Zweifel, die der Ausdruck „selbst wenn" im Abs. 2 erregen kann,

nach Abs. 1 endgültig abzuweisen,

auch

wenn die Klage als nicht im

Urkundenprozesse statthaft sich darstellt (Gaupp II S. 177, Wilm. Levy Anm. 2, Seuffert Anm. 11).

A.M. OLG. Hamburg in S. A. 48 Nr. 226.

Vgl. Anm. 2 i. A.).

5) Ueber Anerkenntnis des Beklagten und Verzicht des Klägers im Urkundenprozesse s. Stein S. 182 ff., unten § 562 Anm. 1. 6) In Betreff der Unzulässigkeit des richterlichen Eides s. § 558 Anm. 5.

§

561.

1) Der vorliegende Fall läuft mit dem des § 560 Abs. 2 parallel.

Kann der Beklagte

nicht den formellen Anforderungen des Urkundenprozesses hinsichtlich des Beweises genügen (§ 558 Abs. 2, 3), so wird er in diesem mit seinen „Einwendungen" (Einreden jeder Art im weitesten Sinne, z. B. auch die Behauptung der Fälschung einer vorgelegten Urkunde, und Dupliken), so weit dieselben eines Beweises überhaupt bedürfen (s. Nordd. Prot. S. 1094), nicht gehört. Der Ausdruck (statt „Einreden" wie Entw. I hatte) ist hier wie in § 560 absicht­ lich gewählt, um alle Entgegnungen des Beklagten zu umfassen (Wilm. Levy § 560 Anm. 1, Endemann II S. 548, Seuffert Anm. 1, Gaupp II S. 181 u. A.). „Die im Urkundenprozesse vom Beklagten erhobenen Einwendungen und Dupliken gelten, weil das Hauptrecht des Klägers in lite, für den ganzen Prozeß erhoben; im Stadium des Urkundenstreits aber ist Beklagter hinsichtlich derselben auf Urkunden und Eideszuschiebung beschränkt. Vermag er sie auf diese Weise nicht oder nicht vollständig zu erweisen, so folgt daraus noch nichts für die wirkliche Grundlosigkeit derselben; sie können deshalb auch nur in diesem Verfahren, d. h. provisorisch, zurück­ gewiesen und in dem sich anschließenden ordeutlichen Verfahren vom Beklagten wieder aufgenommen werden." (Mot.) 2) Die Zurückweisung erfolgt nur in den Gründen; eine Zurückweisung in dem Tenor des Urtheils ist wenigstens nicht korrekt (vgl. § 293 Anm. 4; so auch Seuffert Anm. 2, Sarwey II S. 14 Anm. 2, v. Bülow Anm. 6, Gaupp II S. 181. A.M. Hellmann II S. 522, Endemann II S. 550). Hat Beklagter nicht andere durchgreifende Einwendungen, und ist die Klage begründet und im Urkundenprozesse statthaft, so ergeht eine Berurtheilung des Beklagten nach § 562. 3) Eine Zurückweisung von Repliken als unstatthaft (Hann. PO. § 484 Abs. 3) findet nicht statt; in Bezug auf prozessualisch unzulässige Repliken finden vielmehr lediglich die Vor­ schriften des § 560 Abs. 2 Anwendung (vgl. das. Anm. 2).

694

Fünftes Buch.

Urkunden- und Wechselprozeß.

§ 562.

§ 562. Dem Beklagten, welcher dem geltend gemachten Ansprüche wider­ sprochen hat, ist in allen Fällen, in denen er verurtheilt wird, die Ausführung seiner Rechte vorzubehalten. Enthält das Urtheil keinen Vorbehalt, so kann die Ergänzung des Urtheils nach Vorschrift des §. 292 beantragt werden. Das Urtheil, welches unter Vorbehalt der Rechte ergeht, ist in Betreff der Rechtsmittel und der Zwangsvollstreckung als Endurtheil anzusehen. 91. Ent«. §§ 682, 683. Prot. S. 281.

Entw. I. § 513.

Entw. II. § 531.

Entw. III. § 538.

M-t. S. 354, 355.

§ 662. Aehnlich § 502; über die Unterschiede vgl. Stein 6. 217ff. 1) Abs. 1: „welcher — widersprochen hat" — Hierunter sind nicht bloß die Fälle des § 561, sondern auch diejenigen begriffen, in denen die Einwendungen materiell hinfällig befunden worden sind — eine Folge der Beschränkung des Gehörs im Urkundenprozesse. Es gehört dahin selbst der Fall, wenn der Beklagte sich dem Klag an trag c im Urkundenprozejsse zwar unterwirft, weil er denselben in zulässiger Weise nicht zu bekämpfen vermag, aber den Anspruch bestreitet. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Klage im Allgemeinen oder auf Grund von bestimmten Einreden widersprochen ist (9Z. E. § 682 Abs. 2). In allen diesen Fällen ist noch Raum für den Hauptstrcit. (So auch Seuffert Sinnt. 1, Endemann H S. 551 f., Stein S. 214ff., OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 51J, OLG. Nürnberg das. IX S. 483 u. St.) Ausgeschlossen dagegen sind die Fälle des Slnerkenntnisses und der Versäumung. Die bent Anerkenntnisse gemäß ergehende Verurtheilung (§ 278) sowie das bei Vorhandensein der Erfordernisse des Urkundenprozesses (§ 560 Sinnt. 2) ergehende Versäumnißurtheil erledigt den Rechtsstreit endgültig mit allen Wirkungen eines im ordentlichen Verfahren erlassenen Urtheils, da hier von einer Beschränkung der Vertheidigung nicht die Rede ist. Den Be­ klagten trifft in diesem Falle „die Annahme des Verzichts aus jede Vertheidigung gegen das Beweismatertal des Klägers und das in judicium deduzirte Hauptrecht" (Mot. S. 349). (Vgl. auch Gaupp II S. 182, Wach a. a. O. und gegen denselben Puchelt II S. 417, Stein S. 232ff.] Der Vorbehalt kann auch in zweiter Instanz noch ausgesprochen werden (vgl. Sydo w a. a. O. S. 514, Brettner in Busch, Z. III S. 347). 2) Der ausdrückliche Vorbehalt ist das sichere Kennzeichen der beschränkten Wirkung der im Urkundenprozesse ergehenden Verurtheilung. Fehlt derselbe, so „kann" der Beklagte die Ergänzung verlangen (Abs. 2), wenn er es nicht vorzieht, die Entscheidung durch Rechtsmittel anzufechten (RS. X S. 347 u. in I. W. 1888 S. 287 Nr. 4), welcher letztere Weg allein übrig bleibt, wenn die Ergänzung nicht oder nicht mehr zu erlangen ist (vgl. N. E. §§ 682 Abs. 3, 684). (So RG. X S. 348, Endemann II S. 552, Petersen §§ 560—563 III 1, Sarwey II S. 15, Gaupp a. a. O., Wilm. Levy Anm. 2, Seuffert Anm. 2, Sydow a. a. O. S. 513 ff., Brettner in Bödiker, Mag. V S. 298, Planck I S- 480 R. 21 in Verbindung mit S. 412 R. 23, Stein S. 216. Vgl. auch Mot. S. 354. A.M. Hellmann II S. 523, Kleiner II S. 668, welche nur die Ergänzung zulassen wollen.] Der Vorbehalt schützt nicht bloß die bereits im Urkundenprozesse erhobenen Einwendungen, sondern ist in Folge der §§ 251, 256 in Verbindung mit § 563 Abs. 1 ein allgemeiner (so auch RG. XIV S. 105, OLG. Celle in S. 21. 36 Nr. 168); der Beklagte hat also keine Veranlassung, Einwendungen, welche nach § 561 unstatthaft sind, dennoch bereits im Urkundenprozesse geltend zu machen. Das Urtheil schafft materielle Rechtskraft für den Umfang des Vorbehalts und für die Begrenzung des nachfolgenden ordentlichen Prozesses (RG. in S. St. 37 Nr. 349), z. B. für die bereits im Urkundenprozesse als rechtlich unbegründet

Fünftes Buch.

Urkunden- und Wechselprozeß.

§ 563.

695

§ 563. Wird dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbehalten, so bleibt der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren anhängig. Insoweit sich in diesem Verfahren ergiebt, daß der klagend geltend gemachte Anspruch unbegründet war, ist das frühere Urtheil aufzuheben, der Kläger mit dem Ansprüche abzuweisen und zur vollen oder theilweisen Erstattung der ver­ ursachten Kosten, sowie auf Antrag zur Erstattung des von dem Beklagten auf Grund des Urtheils Gezahlten oder Geleisteten zu verurtheilen. Erscheint in diesem Verfahren eine Partei nicht, so finden die Vorschriften über das Versäumnißurtheil entsprechende Anwendung. N. Entw. 88 685, 686. Prot. S. 281.

Entw. I. 8 514.

Entw. II. 8 632. Entw. III. 8 539.

Mot. S. 354, 355.

verworfenen Einreden (RG. in I. W. 1892 S. 429 Nr. 11, OLG. Karlsruhe in S. A. 37 Nr. 350; OLG. Kiel das. 41 Nr. 79, OLG. Marienwerder das. 48 Nr. 228, Dernburg l § 139 Anm. 9). Vgl. § 563 Anm. 2. 3) Eines Antrags des Beklagten, den Vorbehalt auszusprechen, bedarf es nicht; letzterer ist von Amtswegen in das Urtheil aufzunehmen („ist in allen Fällen vorzubehalten"). 4) Abs. 3: „in Betreff der Rechtsmittel" — Es sind also die gewöhnlichen Rechts­ mittel zulässig. „In der höheren Instanz setzen sich selbstredend die Eigenthümlichkeiten des Urkundenprozesses, wie sie für die erste Instanz gelten (§§ 557 ff.), fort (vgl. Württ. PO. Art. 868)" (Mot.). Nach Ablauf der Rechtsmiltelfrist erlangt das Urtheil formelle Rechtskraft und wird end­ gültig vollstreckbar (RG. in I. W. 1886 S. 73, 1889 S. 231, 1893 S. 486 Nr. 5, Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy Anm. 3, Fitting § 76 N. J. A.M. in letzterer Hinsicht Stein S. 271 ff., welcher den aus dem erstinstanzlichen Vorbehaltsuriheile entspringenden Vollstreckungs­ anspruch für doppelt resolutiv bedingt erachtet; vgl. auch RG. XII S. 222). „und der Zwangsvollstreckung" — vgl. § 648 Nr. 4. Die Zwangsvollstreckung wird durch die Fortsetzung des Hauptstreits nicht gehemmt. Sie ist solange zulässig, als nicht ein auf Wiederaushebung des im Urkundenprozesse erlassenen Urtheils erkennendes Urtheil voll­ streckbar geworden ist. Nur bezüglich dieser Wirkungen ist das Urtheil „als Endurtheil anzusehen". Im Uebrigen gilt es betreffs der materiell entschiedenen Punkte nur als Zwischenuriheil (s. d. allg. Bem. z. 5. Buch unter3, § 563 Anm. 2, Seuffert § 563 Anm. 1 d. A.M. Brettner a. a. O. S. 295, welcher es für ein Endurtheil unter einer Resolutivbedingung erklärt), und, soweit der Vorbehalt reicht, nicht einmal als solches (s. § 563 Abs. 2). Vgl. §§ 272—275 Anm. 2, 275 Anm. 1—3, 276 Anm. 1. Wegen des Kostenpunktes im Vorbehaltsurtheile s. Planck I S. 386 u. oben §§ 502, 503 Anm. 4. Es ist zweckmäßig, aber nicht nothwendig (so Planck I S. 386, Stein S. 359f.), in dem Borbehaltsurtheil auf Grund des § 91 über die Kosten des Urkundenprozesses zu ent­ scheiden. Vgl. § 87 Anm. 1, Wilm. Levy § 563 Anm. 2. Wegen der Kostenentscheidung im Endurlheile s. § 563 Anm. 4. § 563. Aehnlich § 503. 1) Abs. 1: Indem sich der Urkundenprozeß ohne Veränderung der Parteirollen unmittelbar in den ordentlichen Prozeß fortsetzt, hat die CPO. die auch im preuß. Mandats­ prozesse noch beibehaltene Scheidung in zwei selbständige Prozesse — den einen, die Verfolgung der causa executiva, den anderen (das separatum) die der causa principalis (des Hauptrechts) betreffend — aufgegeben. Die Folgen des Grundsatzes sind sehr bedeutend:

693

Fünftes Buch.

Urkunden- und Wechselprozeß.

§ 563.

„Dem Bekla gten wird dadurch nicht nur jede Einrede gewahrt, deren Basis sich zur selbständigen Klage nicht eignet, und ihm geschäftlich die Erhebung einer beson­ deren Klage erspart; es wird ihm zugleich der Vortheil der Parteistellung erhalten, so daß er bis zum Endurtheil unbeschränkt Vertheidigungsmittel vorbringen kann, während bei der Formulirung eines Einwandes als Klage dieser Klagegrund ohne Einführung erheblicher Unregelmäßigkeiten keiner Aenderung fähig sein würde, die Anstellung mehrerer Klagen hinter einander aber schwerlich gestattet werden könnte. Dem Kläger dagegen giebt die fortdauernde Anhängigkeil des Rechtsstreits das Mittel, denselben definitiv zum Austrage zu bringen und sich die Rechtskraft zu ver­ schaffen" (Mot.). Vgl. auch d. allg. Bem. z. 5. Buch unter 3. Das Landgericht bleibt nach § 235 Abs. 2 Nr. 2 auch in dem Falle zuständig, wenn im Urkundenprozesse der Streit bis zu dreihundert Mark herabgesunken ist. Ebenso verbleibt die Sache bei der Kammer für Handelssachen, auch wenn der Rechtsstreit, welcher sich aus dem Wechselprozesse entspinnt, nicht vor dieselbe gehört (Stein S. 318). Der im Urkunden Prozesse festgestellte Streitwerth bleibt auch für den Nach­ prozeß trotz inzwischen eingetretener Werthminderung maßgebend (ob.LG. f. Bayern in S. A. 49 Nr. 64; s. auch RG. XXIII S. 350). Ist der Vorbehalt erst in der Berufungs­ instanz ausgesprochen, so bleibt auch der Rechtsstreit in der Berufungsinstanz anhängig (vgl. OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 507, Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert § 562 Anm. 4). Eine Zurückverweisung an das Gericht erster Instanz (vgl. § 500 Z. 4) ist unzulässig (NG. XXIX S. 368 u. in S. A. 49 Nr. 134). Vgl. § 500 Anm. 5. 2) Kasuistischer Bestimmungen über dasjenige, was in dem fortgesetzten Verfahren (Nachverfahren) zulässig oder nicht zulässig ist (vgl. N. E. § 685 Abs. 2), hat sich die CPO. enthalten. Der Grundsatz des Abs. 1 ergiebt von selbst, daß ein neuer Klagegrund nicht zulässig ist (RG. XI S. 4), und daß andrerseits alle Erklärungen im Urkundenprozesse für das an­ gehängte ordentliche Verfahren in gleicher Weise fortwirken wie im ordentlichen Prozesse, z. B. auch die ausdrücklich verweigerte Erklärung über die Echtheit einer Privaturkunde, die Ver­ weigerung und vollends die Leistung des Eides (vgl. RG. XIII S. 399, XIV S. 219, XVIII 'S. 380 u. in S. A. 42 Nr. 171, oben § 428 Anm. 1), letztere jedoch vorbehaltlich der Anfechtung wegen Verletzung der Eidespflicht (RG. XIV S. 322). Einwendungen, welche im Urkunden­ prozesse als rechtlich unbegründet verworfen sind, können in dem nachfolgenden Verfahren nicht wiederholt noch besser begründet werden (vgl. § 562 Anm. 2). Dagegen dürfen Ein­ wendungen, welche nur wegen mangelnden Beweises verworfen sind, mit neuen Be­ weisen unterstützt und ebenso neue Einwendungen unbeschränkt erhoben werden (s. auch RG. XIV S. 105, 323 li. in I. W. 1893 S. 491 [compensation judiciaire mit illiquiden Gegenforderungen nach rhein. Rechtj, und ebenso wirken Rechtsnachtheile, welche wegen Unterlassung einer Prozeßhandlung, z. B. von Erklärungen auf Thatsachen, Urkunden oder Eide (vgl. §§ 129, 404, 468, 417, 420), bis zum Schluffe der mündlichen Verhandlung eingetreten sind, nicht fort (Seuffert Anm. 1 c, Hellmann, Lehrb. S. 942, Stein S. 320 ff., Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 186. A.M. früh. Aufl. auf Grund der wenig klaren Mot.). Ueberhaupt ist das im Urkundenprozesse erlassene Urtheil insoweit unanfechtbar, als es nicht auf der jenem Verfahren eigenthümlichen Beschränkung beruht. (Vgl. allg. Bem. z. 5. Buch unter 2; § 559 Anm. 1; RG in Gruchot 26 S. 811 u. in Fermer u. Mecke, Arch. III Nr. 66, OLG. Bamberg in Busch, Z. IV S. 466 ff., ROHG. 2 S. 338 ff.; Nordd. Prot. S. 1095—1097.) Umgekehrt können Einreden, über welche im ordentlichen Verfahren rechts­ kräftig erkannt ist, in der Berufungsinstanz des Urkundenprozesses nicht mehr geltend gemacht werden (RG. in S. A. 40 Nr. 76). In Betreff des Eides kann sich der Kläger die Befuguiß des § 418 erhalten, wenn er nach § 559 vom Urkundenprozesse absteht. Der Beklagte hilft sich, indem er (vor der Eidesweigerung) auf die Geltendmachung des Widerspruchs im Urkundenprozesse verzichtet und sich

Fünftes Buch.

Urkunden- und Wechselprozeß.

§ 563.

697

auf den allgemeinen Widerspruch beschränkt (§ 562 Anm. 1; s. Wilm. Levy Anm. 1, Hellmann II S. 517 f., Wieding a. a. O. S. 979). Hinsichtlich des Wechselprozesses vgl. auch § 565 Anm. 3 a. E.

3) Auch hier ist bei der neuen Ladung, welche beiden Theilen freisteht, eine neue Ein­ lassungsfrist nicht erforderlich (vgl. § 559 Anm. 3). Dies gilt namentlich auch, wenn im Wechselprozesse geklagt ist (vgl. § 567), und zwar auch bei Abstandnahme des Klägers vom Wechselprozesse. (So auch v. Bülow § 567 Anm. 2. A.M. Sydow a. a. O. S. 493 f.) Der Beklagte muß sich durch Bertagungsanträge gegen Nachtheile zu schützen suchen. Das Gericht darf auch nicht die weitere Verhandlung auf Grund des § 139 bis zur endlichen Erledigung des Urkundenprozesses aussetzen (Stein S. 336 ff. A.M. Wilm. Levy Anm. 1). Vgl. auch RG. XV S. 348 ff. 4) Abs. 2: „zur vollen oder theilweisen Erstattung der verursachten Kosten" — Die Kosten des Urkundenprozesses werden dem Kläger nur dann aufzuerlegen sein, wenn Beklagter das neue Vorbringen nicht schon im Urkuudenprozesse geltend machen konnte. Die allgemeinen Grundsätze der §§ 87 ff. sind auch hier entscheidend. (Vgl. §§ 92 Abs. 2, 251 Abs. 2. Ebenso Endemaun II S. 556, Petersen §§ 560—563 III 4, Gaupp II S. 118 f A.M. Wilm. Levy Anm. 2, Kleiner II S. 671 f., Sarwey II S. 18.) Hinsichtlich der Gebühren gilt das ordentliche Verfahren als besonderer Rechtsstreit (GKG. § 33, GO. f. RA. § 28). 5) „sowie entf Antrag — Geleisteten" — sei es freiwillig oder int Wege der Zwangsvollstreckung. Prozessualisch enthält der Antrag eine Widerklage (so auch W ach, Vortr. S. 227; abw. Stein S. 330 ff.). Voller Schadensersatz — auch Verzugszinsen von dem auf Grund des Urtheils Gezahlten (A.M. Stein S. 332) — kann nur in besonderem Verfahren verlangt werden, zumal wenn das Verfahren nicht mehr in erster Instanz schwebt. (So auch RG. XXI S. 404, Gaupp II S. 187, Seuffert Anm. 2, Petersen a. a. O., Förster (Eccius) I S. 304 Anm. 7 u. A. A.M. Dernburg I 8 439 Anm. II, Wach, Vortr. S. 226 ff.) Auch Rückzahlung des an Zahlungsstatt Gezahlten kann nur im besonderen Verfahren begehrt werden (OLG. Celle in S. A. 48 Nr. 158). Vgl. § 655 Abs. 2 u. § 503 Anm. 4. Die Voraussetzungen des Schadensanspruchs richten sich auch hier nach bürg. Recht (vgl. Planck I S. 372, Stein S. 334, unten § 805 Anm 1). Unterliegt der Beklagte mit den vorbehaltenen Rechten, so ist entweder das im Urkunden­ prozeß erlassene Urtheil zu bestätigen oder der Beklagte mit der vorbehaltenen Ausführung seiner Rechte zurückzuweisen. 6) Abs. 3: Die Vorschrift gilt gegen beide Theile (§§ 295, 296). Das Versäumnißurtheil „ergeht ohne Rücksicht auf etwaige Erklärungen seitens der säumigen Partei im Urkunden­ prozesse und ohne Rücksicht aus das bereits erlassene Urtheil, da, wie festzuhalten, immer noch über die vom Kläger erhobene Klage definitiv zu erkennen ist" (Mot. S. 349). Eine fernere Folge des letzteren Grundsatzes ist es, daß auch solche im Urkundenprozeffe erlassene Entschei­ dungen, wodurch Einwendungen für unbegründet erklärt sind (§ 563 Anm. 2), durch das im ordentlichen Verfahren ergehende Versäumnißurtheil ebenso beseitigt werden können, wie sonstigeZwischenuriheile (vgl. §§ 297 Anm. 3, 562 Anm. 4; s. auch H. Meyer in Busch, Z. IX S. 345); theilweise abw. Stein S. 327, 340 ff.). Dagegen ist der Fall, daß das thatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers den Klagantrag nicht rechtfertigte (§ 296 Abs. 2), hier gegen­ standslos, weil die Verurtheilung im Urkundenprozesse bei Nichtschlüssigkeit der Klage nicht hätte erfolgen können, und für die Frage der Schlüssigkeit der Klage das im Urkundenprozeffe er­ gangene Urtheil nach § 289 bindend ist (s. auch Seuffert Anm. 3). Ueber das Versäumnißverfahren im Urkundenprozesse s. §§ 560 Anm. 2, 562 Anm. 1.

698

Fünftes Buch.

Urkunden- und Wechselprozeß.

§ 564. Anwendung.

Die Vorschriften der §§. 502, 503 finden im Urkundenprozesse keine

91. Ent». - eil hu. I. „. II. - Entw. III. § 640.

§§ 564, 565.

Mot. S. 355. Prot. S. 281.

§ 565. Werden im Urkundenprozesse Ansprüche aus Wechseln im Sinne der Wechselordnung geltend gemacht (Wechselprozeß), so kommen die nachfolgenden besonderen Vorschriften zur Anwendung. N. Entw. 8 687. .); er bedarf daher keiner Vollmacht (vgl. §§ 76 Anm. 1, 620 Anm. 2, RG, Wilm. Levy a. a. O. A.M. Seuffert, Gaupp a. a. O., A. Förster Anm. 3). Derselbe kann auch für die Berufungs­ instanz einen Bevollmächtigten bestellen; dagegen ist die Beiordnung eines Anwalts als Vertreters gemäß § 609 für die Berufungsinstanz unzulässig (RG. a. a. O.; vgl. ob.LG. f. Bayern in S. A. 48 Nr. 159). Die Beiordnung ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 9). 2) Auf den von dem Entmündigten selbst bestellten Rechtsanwalt finden die allge­ meinen Grundsätze Anwendung. Der Entmündigte ist demselben gegenüber zur Zahlung der gesetzlichen Gebühren verpflichtet (Sarwey II S. 57, Hellmann II S. 569 u. Lehrb. S. 909, Petersen § 609 Anm., Gaupp a. a. O. u. A.). Eine vertragsmäßige Erhöhung ist nur gültig, wenn demnächst der Entmündigungsbeschluß aufgehoben wird (vgl. GO. f. RA. § 93 Abs. 1; Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Daude S. 73). Auch der beigeordnete Anwalt hat dem Entmündigten gegenüber, sofern Letzterem nicht das Armenrecht bewilligt ist, Anspruch auf die gesetzlichen Gebühren (Seuffert, Petersen a. a. O. li. A.). Eine vertragsmäßige Erhöhung ist aber hier unbedingt ausgeschlossen. 8 610. 1) Wenngleich das amtsgerichtliche Verfahren keinen Theil des Prozeßverfahrens bildet, so liefert es doch die nothwendige Grundlage für das letztere. Die Ergebnisse desselben müssen daher auch bei der mündlichen Verhandlung über die Anfechtungsklage in ähnlicher Weise vor­ getragen und benutzt werden, wie in der Berufungsinstanz die Ergebnisse des Verfahrens der ersten Instanz (vgl. § 488). Soweit sie sich nicht aus der Ausfertigung des Beschlusses ergeben, werden die Akten des Amtsgerichts einzusehen und zu diesem Behuf einzufordern sein. (Vgl. Gaupp II S. 245, Daude S. 79.) Daneben sind jedoch neue Thatsachen und Beweismittel unbeschränkt zulässig, aber nicht, wie in Ehesachen (§ 581), von Amtswegen heranzuziehen (s. Planck I § 73 Anm. 12). 2) Ein Richter, welcher den Entmündigungsbeschluß erlassen oder bei der die Entmündigung aussprechenden Entscheidung über die Beschwerde mitgewirkt hat, kann trotzdem an der Entschei­ dung über die Anfechtungsklage mitwirken, weil die erste Entscheidung nicht in einer früheren Instanz ergangen, und dieser Fall nicht, wie der der Anfechtung einer schiedsrichterlichen Entscheidung, in 8 41 9fr. 6 ausdrücklich erwähnt ist. Auch hat die RTK. einen Antrag auf Ausschließung der Mitglieder des Beschwerdegerichts abgelehnt (Prot. S. 463). Nur § 42

Zweiter Abschnitt.

Verfahren in Entmündigungssachen.

§§ 611—613.

739

§ 611. Die Vorschriften der §§. 577, 578 finden entsprechende Anwendung. Der Parteieid ist ausgeschlossen. N. Entw. - Entw. I. § 546 Abs. 2. S. 373. Prot. S. 463.

Entw. IL § 565 Abs. 2.

Entw. III. § 574 Abs. 2.

Mot.

§ 612. Die Bestimmungen der §§. 598, 599 finden in dem Verfahren über die Anfechtungsklage entsprechende Anwendung. Von der Vernehmung Sachverständiger darf das Gericht Abstand nehmen, wenn es das vor dem Amtsgericht abgegebene Gutachten für genügend erachtet. N. Entw. § 1116. Entw. I- § 547. Entw. II. §§ 566, 567. Entw. III. §§ 575, 576. Mot. S. 373. Prot. S. 463, 464.

§ 613 Wird die Anfechtungsklage für begründet erachtet, so ist der die Entmündigung aussprechende Beschluß aufzuheben. Die Aufhebung tritt erst mit der Rechtskraft des Urtheils in Wirksamkeit. Auf Antrag können jedoch zum Schutze der Person oder des Vermögens des Entmündigten einstweilige Verfügungen nach Maßgabe der §§. 815—822 getroffen werden. kann helfen. (EbensoSeuffert Anm. 2, Sarwey II S. 58, Endemann III S. 59, Petersen §§ 610—612 I 3, Gaupp a. a.O., Wilm. Levy Anm. 3 u. A.)

§ 611. 1) Abs. 1: Die Gründe sind dieselben, wie für das Verfahren in Ehesachen (vgl. Birk­ meyer in Busch, Z. VII S. 206 ff., 211, 377 ff., 453 ff.). Der Satz gilt schon vermöge des Offizialprinzips (§ 597) auch für das amlsgerichtliche Entmündigungsverfahren. In Bezug auf § 578 gestaltet sich, da im Gegensatz zu §§ 577 Abs. 2 u. 578 Abs. 4 auch der richterliche Eid ausgeschlossen ist, die „entsprechende Anwendung" so, daß von einem Versäumnißverfahren nie die Rede sein wird (vgl. Birkmeyer S. 425 ff., Hellmann, Lehrb. S. 909). Anders beim Ausbleiben des Klägers (s. Gaupp II S. 246, Fitting § 89 N. 31). In Bezug auf § 577 Abs. 2 ist die „entsprechende Anwendung" rücksichtlich der Editionsanträge dahin zu verstehen, daß solche völlig ausgeschlossen sind, wie der Entw. III in den §§ 554 Abs. 2 und 574 Abs. 2 klar aussprach. (Vgl. Seuffert Anm. 1, Sarwey II S. 59, Hellmann II S. 574 u. Lehrb. S. 910, Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 245, Fitting § 89 N. 30 u. A. A.M. Puchelt II S. 454 Anm. 3, Endemann III S. 59 f., welcher Letztere jedoch den Editionseid ausschließt.) — Ueber die Folgen unterbliebener Erklärungen s. RG. in Gruchot 30 S. 1163. 2) Abs. 2: Wegen des Begriffs „Parteieid" vgl. § 543 Nr. 1 u. Anm. 2. Eine ab­ weichende Bestimmung enthält § 577 Abs. 2.

8 612. 1) Die etwa noch nöthige Vernehmung des Entmündigten soll, wie von dem Abg. Zinn ohne Widerspruch in der RTK. konstatirt wurde, regelmäßig am Orte seines Aufenthalts, nicht am Sitze des Gerichts geschehen; sie kann nicht bloß durch einen ersuchten (§ 598 Abs. 2), sondern auch durch einen beauftragten Richter erfolgen (Endemann III S. 60, Wilm. Levy Anm. 1 u. A.). 2) Ueber den Ausschluß der Oeffentlichkeit in dem Prozeßverfahren vgl. GVG. § 172 Abs. 1.

§ 613. 1) Der § 613 ist von der RTK. aufgenommen worden, um Zweifel über die Wirkungen eines in Folge einer Anfechtungsklage die Entmündigung aufhebenden Urtheils — namentlich tut Gegensatze zu einem auf einen Wiederaufhebungsantrag (§ 616) ergangenen aufhebenden Beschluß — zu beseitigen.

740

Sechstes Buch.

Ehesachen und Entmündigungssachen.

§ 613.

Die Aufhebung hat zur Folge, daß die Gültigkeit der bisherigen Handlungen des Entmündigten auf Grund des Beschlusses, welcher die Entmündigung aus­ gesprochen hatte, nicht in Frage gestellt werden kann. Auf die Gültigkeit der bis­ herigen Handlungen des bestellten oder gesetzlichen Vormundes hat die Aufhebung keinen Einfluß. N. Entw. - Entw. I. u. II. - Entw. III. — Mot. — Prot. S. 455-462, 464, 560, 561. 2) Abs. 1: Der erste Satz schließt sich an die Bestimmung des § 603 Abs. 2 an, wonach der die Entmündigung aussprechende Beschluß ohne Rücksicht auf die Anfechtungsklage sofort ins Leben tritt; der zweite Satz entspricht der allgemeinen Regel des § 644 über die Voll­ streckbarkeil der Urtheile und schließt zugleich die vorläufige Vollstreckbarkeil aus; der dritte Satz giebt einen geeigneten Ersatz für die vorläufige Vollstreckbarkeit. 3) Abs. 2: Die Handlungen des Entmündigten, welche in die Zeit von der Mittheilung des die Entmündigung aussprechenden (amtsgerichtlichen) Beschlusses an die Vormundschafts­ behörde bis zur Rechtskraft des auf die Anfechtungsklage den Beschluß aufhebenden rechtskräftigen Urtheils fallen, sind freilich an sich formell ungültig; trotzdem werden sie in Gemäßheit des § 613 Abs. 2 als materiell gültig angesehen, weil durch die Aufhebung des Entmündigungs­ beschlusses dargethan ist, daß die Entmündigung überhaupt nicht hätte ausgesprochen werden sollen und zu einer Beschränkung der Handlungsfähigkeit kein Grund vorlag, und weil Dritte, welche auf Rechtsgeschäfte mit einem Entmündigten ungeachtet des Entmündigungsbeschlusses sich eingelassen haben, über eine Aufrechterhaltung dieser Rechtsgeschäfte sich nicht beschweren können (mithin Wirkung ex tune). Dies schließt jedoch für Rechtsgebiete, wie das des gern. Rechts, in denen die Handlungsunfähigkeit mit der Thatsache der Geisteskrankheit eintritt, nicht aus, daß eine einzelne in der Zwischenzeit vorgenommene Handlung wegen Geisteskrank­ heit für ungültig erklärt wird, sofern letztere für die Zeit der Handlung behauptet und im Prozeßwege nachgewiesen wird (vgl. § 593 Anm. 2 a. E., Mandry S. 39, Daude S. 87). Auf der andern Seite müssen aber auch Handlungen, welche der bestellte oder gesetzliche Vormund des Entmündigten in der oben bezeichneten Zwischenzeit vorgenommen hat, ungeachtet der von dem Prozeßgerichte nachher gemißbilligten Entmündigung aufrecht erhalten werden, weil der -Vormund zur Vornahme befugt war, und die Interessen Dritter, welche in gutem Glauben auf dessen Befugnisse sich mit ihm eingelassen haben, auf das schwerste beeinträchtigt werden würden, wenn es in der Macht des mit Unrecht Entmündigten läge, jene Handlungen als un­ gültig anzufechten (mithin Wirkung ex nunc). Wegen entsprechender Anwendung des Abs. 2 auf die Fälle vorläufiger Vormundschaft im Sinne des § 1737 s. § 71 Abs. 2 d. Entw. I e. b. GB. (Entw. II § 89) u. Mot. I S. 150 f. .4) Wird der Entmündigungsbeschluß in Folge eines Antrags auf Wiederaufhebung vom Amtsgerichte wieder aufgehoben (§ 616), so liegt in der Wiederaufhebung — welche viel­ leicht erst Jahre nachher erfolgt — nicht die Erklärung, daß die Entmündigung mit Unrecht ausgesprochen worden, sondern nur, daß sie bei der gegenwärtigen Sachlage wegen veränderter Umstände nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Die Folge davon ist, daß die Handlungen, welche der Entmündigte von der Entmündigung an vorgenommen hat, sämmtlich ungeachtet der späteren Wiederaufhebung ungültig bleiben (vgl. auch Mandry S. 40). Ein Gleiches gilt, wenn die Aufhebung der Entmündigung nach Ablehnung eines Wiederaufhebungsantrags im Wege der Wiederaufhebungsklage durchgesetzt worden ist (§ 620 Abs. 4). Die bisherigen Handlungen des Vormunds bleiben selbstverständlich auch hier, wie im Falle des § 613, gültig. 5) Im Uebrigen bestimmen sich die rechtlichen Wirkungen der Entmündigung nach den Vorschriften der Landesgesetzgebung (vgl. die allg. Bem. zu diesem Abschn. unter 1, Mandry S. 35, Gaupp II S. 247). Ein Antrag, welcher dieses ausdrücklich hervorheben wollte, wurde zurückgezogen, nachdem der Regierungsvertreter den Inhalt als selbstverständlich bezeichnet hatte

Zweiter Abschnitt.

Verfahren in Entmündigungssachen.

§§ 614—616.

741

§ 614. Unterliegt der Staatsanwalt, so ist die Staatskaffe zur Erstattung der dem obsiegenden Gegner erwachsenen Kosten in Gemäßheit der Bestimmungen des fünften Titels des zweiten Abschnitts des ersten Buchs zu verurtheilen. Ist die Klage von dem Staatsanwalt erhoben, so hat die Staatskasse in allen Fällen die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 91. Entw. — Entw. I. § 646 Abs. 2. Entw. II. § 665 Abs. 2. Entw. III. § 674 Abs. 2. Mot. ®. 373. Prot. 6. 464.

§ 615. Das Prozeßgericht Hai der Vormundschaftsbehörde und dem Amts­ gerichte von jedem in der Sache erlassenen Endurtheile Mittheilung zu machen. N. Entw. § 1119. S. 464.

Entw. I. 8 649.

Entw. II. § 569.

Entw. Hl. § 578.

Mot. S. 373, 374. Prot.

§ 616. Die Wiederaufhebung der Entmündigung erfolgt auf Antrag des Entmündigten oder seines Vormundes oder des Staatsanwalts durch Beschluß des Amtsgerichts. N. Entw. § 1122. Entw. I. 8 559. Entw. II. 8 570. Entw. III. 8 579. Mot. S. 374. Prot. S. 464.

(Prot. S. 721). Grundsätze.^

sNicht unbedenklich sind die von Siebenhaar S. 587 aufgestellten allgemeinen

§

614.

1) Abs. 1: vgl. § 591. „Unterliegt der Staatsanwalt" - sei es als Beklagter oder als Kläger. 2) Abs. 2: Dringt der Staatsanwalt mit der Anfechtungsklage durch, so würde es un­ gerecht sein, seinem Gegner — dem durch seinen Vormund vertretenen Entmündigten — die Kosten zur Last zu legen. Zu diesen Kosten gehören nach § 87 auch die des Gegners. Der Abs. 2 bezieht sich jedoch nicht auf den Fall eines von dem Vormunde des Ent­ mündigten ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels, auf welchen Fall vielmehr § 92 Anwendung findet. (So auch Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp II S. 248 u. A. A.M. Endemann III S. 63, Hell mann, Lehrb. S. 910. Abweichend auch Sarwey II S. 61 Anm. 2.) Vgl. auch § 604 Anm. 4. 3) „in allen Fällen" — nämlich auch im Falle des Obsiegens (im Gegensatze zum Abs. 1). Siegt der Staatsanwalt als Beklagter ob, so hat der Kläger nach § 87 alle Kosten des Rechtsstreits zu tragen; § 614 bestimmt für diesen Fall überhaupt nicht. (Vgl. auch Gaupp a. a. O. u. A.)

8 615. „Prozeßgericht" ist auch das Berufungs- und das Revisionsgericht. (So auch Daude S. 83 Anm. 24, Seuffert Anm., Gaupp a. a. O. u. A. A.M. Endemann III S. 63, welcher darunter hier nur das Landgericht versteht.) Im Gegensatz zu § 603 ist der Vormund­ schaftsbehörde auch von einem Endurtheile Mittheilung zu machen, welches die Entmündigung ablehnt. Die Rechtskraft des Urtheils festzustellen, bleibt der Vormundschaftsbehörde bezw. dem Amtsgerichte (wegen 8 627) überlassen. Ueber den Ausdruck „Mittheilung" vgl. §§ 156 Anm. 3, 603 Anm. 2 et. E.

8 616. Vgl. die allgem. Bem. zu diesem Abschnitt unter 1 und § 613 Anm. 4. 1) Die Entwürfe schlugen vor, daß die Wiederaufhebung der Entmündigung auf Grund eines neuen Prozeßverfahrens vor dem Landgerichte durch Urtheil stattfinden solle (vgl. C. de proc. art. 896, C. civ. art. 512, 514, Württ. PO. Art. 875, Nordd. Prot. 2222). Die CPO. hat (in Uebereinsttmmung mit ihren abweichenden Grundsätzen über Entmündigung) die Wieder­ aufhebung im Offizialverfahren durch Beschluß des Amtsgerichts angeordnet. 2) Zum Schutze des Entmündigten ist auch dem Staatsanwalte das Antragsrecht ge­ währt (vgl. § 605 Abs. 2); die nach § 595 Abs. 1 zum Antrag auf Entmündigung berechtigten

742

Sechstes Buch.

Ehesachen und Entmündigungssachen.

§§ 617—619.

§ 617. Für die Wiederaufhebung der Entmündigung ist das Amtsgericht ausschließlich zuständig, bei welchem der Entmündigte seinen allgemeinen Gerichts­ stand hat. Ist der Entmündigte ein Deutscher und hat er seinen Wohnsitz nur im Auslande, so kann der Antrag bei dem Amtsgerichte seines letzten Wohnsitzes im Deutschen Reiche gestellt werden, sofern die Entmündigung von einem deutschen Gericht ausgesprochen ist. Die Bestimmungen der §§. 596—599 finden entsprechende Anwendung. N. Entw. § 1122. Entw. I. § 550. Entw. II. § 570. Entw. III. § 579. Mot. S. 374. Prot. S. 464.

§ 618. Die Kosten des Verfahrens sind von dem Entmündigten, wenn das Verfahren von dem Staatsanwalt ohne Erfolg beantragt ist, von der Staatskasse zu tragen. N. Entw. - Entw. I. u. II. - Entw. III. - Mot. — Prot. S. 404.

§ 619. Der über die Wiederaufhebung der Entmündigung zu erlassende Beschluß ist dem Antragsteller und im Falle der Wiederaufhebung dem Ent­ mündigten sowie dem Staatsanwalts von Amtswegen zuzustellen. Gegen den Beschluß, durch welchen die Entmündigung aufgehoben wird, steht dem Staatsanwalts die sofortige Beschwerde zu. Personen besitzen dasselbe nicht, mit alleiniger Ausnahme des Vormundes, unter welchem übrigens in § 616 wie in § 605 Abs. 2 vorzugsweise der in Folge der Entmündigung ernannte (bezw. der gesetzliche) Vormund (oder Kurator) verstanden ist. 3) Die Wiederaufhebung kann jederzeit beantragt werden; der Antrag ist weder, wie bei der Anfechtungsklage (§ 605), an eine Frist gebunden, noch während der Zeit, während welcher die Frist zur Anfechtungsklage noch läuft, unzulässig. Auch kann die Wiederaufhebung selbst­ verständlich zu wiederholten Malen nachgesucht und der Antrag jederzeit zurückgenommen werden. Nach dem Tode des Entmündigten ist jedoch weder ein Antrag noch eine Klage (§ 620) auf Wiederaufhebung möglich (Seuffert Anm. 4, Petersen §§ 616—619 Nr. 1, Gaupp II S. 249 u. die übrigen Komm. — anders als im Falle des § 605). 4) Wegen Ausschlusses der Oeffentlichkeit s. GVG. § 172 Abs. 1. 8 617. 1) Abs. 1 entspricht dem § 594 Abs. 1; Abs. 2 dem Abs. 2 das. Letzterer knüpft aber den Gerichtsstand weiter an die Voraussetzung, daß ein deutsches Gericht die Entmündigung ausgesprochen hat. 2) Abs. 3: vgl. Daude S. 90 ff. Die entsprechende Anwendung des § 599 wird dahin zu verstehen sein, daß eine Aufhebung der Entmündigung nicht ohne zuvorige Anhörung mindestens eines Sachverständigen geschehen darf. Dagegen darf der Antrag auf Wieder­ aufhebung auch ohne solche Anhörung zurückgewiesen werden, was bei offenbar frivolen und häufig wiederkehrenden Anträgen nothwendig ist. (S. auch Seuffert Anm. 3, Sarwey IIS. 63 Anm. 3, Hellmann II S. 578 u. Lehrb. S. 911, Wilm. Levy Anm. 3, Daude S. 94, Petersen §§ 616—619 Nr. 2, Gaupp II S. 250 u. A. A.M. Kleiner II S. 731, Ende­ mann III S. 65.) § 618. Vgl. § 601 Abs. 1. Wegen der Gebühren s. GKG. § 34 Nr. 1 (in der Fassung der Nov. v. 29. Juni 1881). § 619. 1) Abs. 1: vgl. §§ 602, 603, von denen jedoch in mehreren Punkten abgewichen ist. 2) Abs. 2: Die RTK. beschloß bei Revision der zweiten Lesung, wegen der Wichtigkeit der in Frage stehenden Interessen dem Staatsanwalte — nicht auch denjenigen Personen, welche

Zweiter Abschnitt.

Verfahren in Entmündigungssachen.

§ 620.

743

Die rechtskräftig erfolgte Wiederaufhebung ist der Vormundschaftsbehörde mitzutheilen. N. Giltst). — Guttu* I. II. II. - Guttu. III. - Mot. - Prot. S. 464, 712, 713.

§ 620. Wird der Antrag auf Wiederaufhebung von dem Amtsgericht ab­ gelehnt, so kann dieselbe im Wege der Klage beantragt werden. Zur Erhebung der Klage ist der dem Entmündigten bestellte Vormund und der Staatsanwalt befugt. Will der Vormund die Klage nicht erheben, so kann der Vorsitzende des Prozeßgerichts dem Entmündigten einen Rechtsanwalt als Vertreter beiordnen. Auf das Verfahren finden die Vorschriften der §§. 606—615 entsprechende Anwendung. N. Guttu. § 1123. 6. 464, 465.

Guttu. I. § 651.

Guttu. II. § 571.

Guttu. III. § 580.

Mot. S. 374.

Prot.

die Entmündigung beantragt halten (vgl. § 604) — ein Beschwerderecht einzuräumen. Die „sofortige Beschwerde" (§ 540) steht ihm selbst dann zu, wenn er in erster Instanz die Wiederaufhebung beantragt hat (vgl. § 589 Anm. 2). Nach § 535 hat diese Beschwerde auf­ schiebende Wirkung. 3) Die Vorschrift des Abs. 3 entspricht derjenigen des § 603 Abs. 1. „rechtskräftig" — also erst nach unbenutztem Ablauf der Beschwerdefiist oder nach Er­ ledigung der Beschwerde, indem die Wirkungen des Wiederaufhebungsbeschlusses — abweichend von § 603 Abs. 2 — nach allgemeinen Grundsätzen erst mit der Rechtskraft eintreten.

§ 020. 1) Die Klage auf Wiederaufhebung der Entmündigung entspricht völlig der Klage auf Anfechtung der Entmündigung; sie beruht wie diese auf dem Gedanken, daß in den­ jenigen Fällen, in welchen der Beschluß des Amtsgerichts, gleichviel aus welchen (materiellen oder nur formellen) Gründen, zu Ungunsten des Entmündigten ausgefallen ist, ihm zum Schutze seiner bürgerlichen Selbständigkeit die Möglichkeit eines prozessualischen Verfahrens mit dessen strengen Formen gewährt werden müsse, während in denjenigen Fällen, in welchen zu seinen Gunsten entschieden worden, eine Beschwerde (§§ 604, 619) genüge. — Eine Konkurrenz der Beschwerde mit der Klage findet auch hier nicht statt; dagegen ist der Kläger hier an eine Frist nicht gebunden. Die Beschwerde ist jedoch nach § 530 zulässig, wenn das Amtsgericht den Antrag auf Einleitung des Verfahrens zwecks Wiederaufhebung der Entmündigung aus formellen Gründen, z. B. wegen örtlicher Unzuständigkeit, abgelehnt hat (OLG. Jena in S. A. 46 Nr. 148, Wilm. Levy § 619 Anm. 4). Abweichend von der Anfechtungsklage (vgl. § 605 Anm. 1) kann — und wird sogar in der Regel — die Klage auf Wiederaufhebung durch Gründe gerechtfertigt werden, welche zur Zeit des Erlasses des Entmündigungsbeschlusses noch nicht vorlagen. Ob sie in dem amtsgerichtlichen Wiederaufhebungsversahren bereits geltend gemacht sind, ist unerheblich. 2) Erhebt der Vormund oder ein Rechtsanwalt als Vertreter des Entmündigten (Abs. 3) die Klage, so ist dieselbe gegen den Staatsanwalt zu richten (§ 607 Abs. 1); wird sie von dem Staatsanwalt erhoben, so muß sie gegen den Vormund des Entmündigten als dessen Vertreter gerichtet werden (§ 607 Abs. 2); Letzterer wird gleichsam deshalb verklagt, weil er es unterlassen hat, seiner Pflicht, die Klage zu erheben, nachzukommen. Der Entmündigte selbst kann — abweichend von § 605 Abs. 2 — als prozeßunfähig nicht klagen bezw. einen Rechtsanwalt bestellen (A.M. nur Puchelt II S. 459), sondern sich lediglich nach Abs. 3 einen Rechtsanwalt als Vertreter beiordnen lassen. Derbeigeordnete Rechtsanwalt nimmt die Stellung eines gesetzlichen Vertreters im Prozesse (curator ad hoc)

744

Sechstes Buch.

Ehesachen und Entmündigungssachen.

§ 621.

§ 621. Eine Person kann für einen Verschwender nur durch Beschluß des Amtsgerichts erklärt werden. Der Beschluß wird nur auf Antrag erlaffen. Auf das Verfahren finden die Vorschriften der §§. 594, 595 Abs. 1, der §§. 596, 597 Abs. 1, 4 und des §. 604 entsprechende Anwendung. Eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft findet nicht statt. N. Entw. 88 1109-1112. Entw. L 88 540-543. Mot. S. 369-372. Prot. S. 465, 466.

Entw. II. 88 559-662.

Entw. III. 88 568-571.

ein und bedarf daher (wie der Vertreter im Falle des § 55) keiner Vollmacht des Entmündigten. (So auch RG. XXI S. 369, Seuffert Anm. 2, Gaupp II S. 652, Wach I S. 588, Hellmann, Lehrb. S. 912, Petersen §§ 616—619 Nr. 2 u. A.; vgl. § 609 Anm. 1). Die Beiordnung liegt — abweichend von § 609 — im Ermessen des Gerichtsvorsitzenden („kann"). Gegen die Versagung findet nach § 530 Beschwerde statt, weil ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen ist. (So auch Seuffert, Gaupp a. a. £)., Sarwey II S. 65, Endemann III S. 68, Wach I S. 539 Anm. 20 u. A. A.M. Hellmann II S. 579 u. Lehrb. S. 912, Kleiner II S. 735.) Vgl. auch §§ 609 Anm. 2, 626 Abs. 2. Der bei­ geordnete Vertreter kann für die Berufungsinstanz einen Prozeßbevollmächtigten bestellen; dagegen ist die Beiordnung eines Vertreters für dieselbe gemäß § 620 Abs. 3 unzulässig (RG. XXI S. 371). Vgl. § 609 Anm. 1. 8) Wegen Ausschlusses der Oeffentlichkeit s. GVG. § 172 Abs. 1. Wegen der Gerichtsgebühren s. GKG. §§ 20 Nr. 1, 47 Nr. 9, wegen der Gebühren des beigeordneten Rechtsanwalts § 609 Anm. 2.

4) Abs. 4: § 609 ist durch Abs. 3 ersetzt, § 613 Abs. 2 als materiellrechtlichen Inhalts nicht anwendbar (s. § 613 Anm. 4, Petersen §§ 616—619 Nr. 3. Seuffert Anm. 3, Daube S. 101 f. u. A.). §§ 621—627. Diese Paragraphen handeln von dem Entmündigungsverfahren gegen Verschwender. — Das Verfahren schließt sich im Wesentlichen dem Entmündigungsverfahren wegen Geisteskrankheit an. Die hauptsächlichsten Unterschiede bestehen in dem fast gänzlichen Ausschluß der Mitwirkung der Staatsanwaltschaft, dem Wegfall der obligatorischen Zuziehung von Sachverständigen, der Nichtanfechtbarkeit des Beschlusses, durch welchen die Entmündigung aufgehoben wird, und einer anderen Regelung des Kostenpunkts.

§ 621. Literatur: Mandry S. 95 ff., Uebel in Busch, Z. VIII S. 470 ff., Arnold in I. W. 1880 S. 109 ff., Hellmann, Lehrb. S. 912 ff., Ulting in Bl. f. RA. (s. oben S. 725). 1) Abs. 1 u. 2: vgl. §§ 593 Anm. 2 u. 3, 595 Anm. 5. Den Begriff des Verschwenders bestimmt das bürgerliche Recht; vgl. z. B. Preuß. ALR. I 1 § 30, Sächs. bürg. GB. § 1987, wegen des gem. Rechts L. 1 pr. D. de curat. (27, 10), L. 12 § 2 D. de tut. (26, 5) u. Windscheid, Pand. I § 71 Nr. 5, II § 446 Anm. 4, RG. VII S. 349 u. die dort in Anm. 1 angef. Literatur, RG. XXI S. 167, OLG. Cassel in S. A. 47 Nr. 205, wegen des stanz. Rechts, welches eine eigentliche Entmündigung wegen Verschwendung nicht kennt, C. civ. art. 513—515, Zachariae I § 139 Nr. 5, wegen des preuß. Rechts Dernburg I § 76, Förster-Eccius I § 19g (vgl. d. allg. Bem. zu diesem Abschn. unter 3 c, Mot. z. Entw. I d. b. GB. I S. 62 ff.). Manche Rechtsnachtheile sind schon Folge verschwenderischen Lebenswandels ohne Entmündigung (vgl. z. B. Preuß. ALR. II 1 §§ 62, 711; II 2 § 420).

Zweiter Abschnitt.

Verfahren in Entmündigungssachen.

§§ 622, 623.

745

§ 622. Die Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens sind, wenn die Ent­ mündigung erfolgt, von dem Entmündigten, anderenfalls von dein Antragsteller zu tragen. N. Entw. — Entw. I. u. II. — Entw. III. - Mot. — Prot. S. 466, 467.

§ 623. Der über die Entmündigung zu erlaffende Beschluß ist dem Antrag­ steller und dem zu Entmündigenden von Amtswegen zuzustellen. Der die Entmündigung aussprechende Beschluß tritt mit der Zustellung an den Entmündigten in Wirksamkeit. Der Vormundschaftsbehörde ist ein solcher Beschluß von Amtswegen mitzutheilen. N. Entw. § 1119. S. 467.

Entw. I. § 549.

Entw. II. § 569.

Entw. III. § 577.

Mot- S. 373, 374.

Prot.

2) Abs. 3: § 600 ist nicht angeführt, dürste aber trotzdem entsprechende Anwendung finden (vgl. Mandry S. 97, Bahr in Krit. Vierteljahrsschr. XXV S. 546. Das von Letzterem an­ geführte Urtheil d. RG. I S. 107 betrifft übrigens die Zeit vor Geltung der CPO.). 3) Landesgesetzliche Bestimmungen (z. B. in Bayern, Württemberg), wonach dem Ent­ mündigungsverfahren wegen Verschwendung ein polizeiliches Vorverfahren oder eine Er­ mahnung des Verschwenders vorausgehen muß, sind, weil prozessualer Natur, abgeschafft (E. G. z. CPO. § 14 Abs. 1, Württ. AG. z. CPO. Art. 17, Prot. S. 466). sVgl. auch Siebenhaar S. 593, Endemann III S. 69, Gaupp II S. 253, Seuffert Anm. 1, Utting Bl. f. RA. 52 S. 18ff., 35ff., Daude S. 119, Mandry S. 96 Anm. 4. A.M. ob.LG. f. Bayern in S. A. 38 Nr. 138, Sarwey II S. 66, §§ 621—623 I 1, Hellmann II S. 580 u. Lehrb. S. 913 u. A., welche die staglichen Bestimmungen als materiell-rechtliche Voraus­ setzungen der Entmündigung ansehen.) S. übrigens EG. z. CPO. § 10. 4) Abs. 4: Die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft ist wegen Mangels des öffentlichen Interesse von der RTK. beseitigt. Vgl. jedoch §§ 624 Abs. 3, 626 Abs. 3. 5) Die Oeffenllichkeit ist hier nach GVG. § 172 Abs. 2 nicht ausgeschlossen (vgl. GVG. § 172 Anm. 4).

§ 622. Abweichend § 601. — Die Subkommission hatte eine andere Bestimmung vorgeschlagen. Der Beschluß der RTK. beruht auf § 87 (s. auch Gaupp II S. 254. Abw. Busch, Z. XX S. 171). Wegen der endlichen Tragung der Kosten s. § 624 Anm. 4.

§ 623. 1) Vgl. §§ 602, 603. — Im Gegensatz zu § 603, aber im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen ist der Beschluß dem Entmündigten selbst zuzustellen. Die Gründe, welche in § 603 eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen bedingen, treffen hier nicht zu. Daneben ist jedoch eine fakultative Zustellung an einen besonderen Bevollmächtigten nicht aus­ geschlossen, wiewohl § 162 nicht Anwendung findet, weil das amtsgerichtliche Entmündigungs­ verfahren keinen Rechtsstreit bildet (Gaupp II S. 255 N. 1, Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Sprenger im civ. Arch. 73 S. 256ff.). — Ebenso entspricht es allgemeinen Grundsätzen, daß der die Entmündigung aussprechende Beschluß mit der Zustellung an den Entmündigten in Wirksamkeit tritt, und daß mit diesem Zeitpunkte die Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage beginnt (§ 624 Abs. 2). 2) Dagegen bestimmen die Wirkungen der Entmündigung sich auch hier — wie im Falle des § 603 (vgl. § 603 Anm. 6) — nach bürgerlichem Recht. Soweit es nach diesem hinsichtlich der Handlungsunfähigkeit des Verschwenders auf den Zeitpunkt der Entmündigung ankommt, tritt dieselbe jetzt mit der Zustellung des Entmündigungsbeschlusses an den Entmündigten ein. Wird sie aber nach Civilrecht (gutgläubigen) Dritten gegenüber an einen sp äteren Zeit­ punkt, z. B. den der Veröffentlichung, geknüpft (vgl. z. B. Preuß. ALR. I 5 § 15), so

746

Sechstes Buch.

Ehesachen und Entmündigungssachen.

§ 624.

§ 624. Der die Entmündigung aussprechende Beschluß kann binnen der Frist eines Monats von dem Entmündigten im Wege der Klage angefochten werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Beschlusses an den Entmündigten. Die Klage ist gegen denjenigen, welcher die Entmündigung beantragt hatte, falls aber dieser verstorben, oder sein Aufenthalt unbekannt oder tut Auslande ist, gegen den Staatsanwalt zu richten. Auf das Verfahren finden die Vorschriften der §§. 606, 608, 610, 611, 613—615 entsprechende Anwendung. N. Entw. — Entw. I. n. II. — Entw. III. - Mot. — Prot. S. 467. bleiben diese Vorschriften unberührt. (So auch Gau pp II S. 255, Petersen §§ 621—623 III 2, H ellmann II S. 581, Sarwey II S. 67, Förster (Ec eins) 1 § 26 Anm. 6, S. 141, Daube S. 130f. A.M. Endemann III S. 70f., v. Bülow Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 2, Seufferl Anm. 2, A. Förster Anm. 3, Brettner in Gruchot 25 S. 322, Köhler das. 30 S. 571, Ulting Bl. f. RA. 53 S. 49 ff., Mandry S. 97 Anm. 9, OL.G Hamm in Busch, Z. VII S. 546, welche derartige Vorschriften durch § 623 Abs. 2 allgemein für aufgehoben erachten, Siebenhaar S. 594, welcher umgekehrt den Beschluß Dritten gegen­ über in der Regel erst von der in § 627 vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachung an wirksam werden läßt. Auch Dernburg I § 76 S. 157 läßt die Entmündigungserklärung gegenüber Dritten erst vom Tage der Bekanntmachung an wirken, bezeichnet jedoch das. Anm. 14 die an sich nach dem Civilrecht zu entscheidende Frage als zweifelhaft.] Anderer­ seits beurtheilt sich auch nach Civilrecht, inwiefern die vor der Entmündigung vorgenommenen Rechtshandlungen angefochten werden können (s. z. B. Preuß. ALR. I 5 § 16, Petersen a. a. £).; vgl. auch § 593 Anm. 2 a. E.). Der Verschwender ist prozeßunfühig oder wenigstens nur in beschränktem Umfange prozeßfähig (§ 51 Abs. 1). Wegen seiner Eide vgl. § 435 Abs. 2. Der Richter kann auch während des Verfahrens zur Verhütung weiteren Vermögens­ verfalls einstweilige Verfügungen treffen (vgl. EG. z. CPO. § 16 Q. 4, Preuß. AGO. I 38 §§ 20, 21, Dernburg a. a. O. Anm. 12), aber keinen Pfleger bestellen (vorläufig entmündigen). sA.M. Brettner in Gruchot 25 S. 322.] § 624. 1) Vgl. §§ 605 und 607. — Dader entmündigte Verschwender im Stande ist, sein Interesse selbst wahrzunehmen, so ist — abweichend von § 605 Abs. 2 — ihm all ein das Recht zur Erhebung der Anfechtungsklage eingeräumt. Wegen Fortsetzung der Klage durch die Erben gilt das § 605 Anm. 4 Gesagte. (A.M. Dernburg I § 76 Anm. 11, welcher mit dem Tode des angeblichen Verschwenders die Sache für erledigt erachtet; s. auch Förster-Eccius I Z 19 S. 102.) Eine selbständige Klagerhebung nach dem Tode des Entmündigten kann nicht stattfinden, weil hier nur der Entmündigte die Klage anstellen kann. (A.M. Brinkmann, Begründung der Klagen II S. 592 Anm. 3 be­ züglich der Erben des Entmündigten.) Die Beiordnung bezw. Bestellung eines Rechtsanwalts findet hier nur nach RAO. § 33 statt (vgl. § 609 Anm. 1 u. 2). 2) Abs. 2: vgl. §§ 605 Abs. 3 und 623 Anm. 1. 3) Abs. 3: „falls ab er — im Auslande ist" — In denhier hervorgehobenen Fällen würde es für den Entmündigten regelmäßig mit großen Weitläufigkeiten und Kosten ver­ bunden sein, die Klage gegen denjenigen, welcher die Entmündigung beantragt hatte, bezw. gegen dessen Erben zu richten; an die Stelle desselben ist daher der Staatsanwalt gesetzt, gleichsam als Vertreter des Amtsgerichts, dessen im Offizialverfahren ergangener Beschluß angefochten wird. Vgl. § 626 Abs. 3.

Zweiter Abschnitt.

Verfahren in Entmündigungssachen.

§§ 625—627.

747

§ 625. Die Wiederaufhebung der Entmündigung erfolgt auf Antrag des Entmündigten oder seines Vormundes unter entsprechender Anwendung der Vor­ schriften der §§. 616—619. Eine Anfechtung des Beschlusses, durch welchen die Entmündigung aufgehoben wird, findet nicht statt. N. Entw. — Entw. I. u. II. — Errtw. III. — Mot. — Prot. S. 467, 713.

§ 626. Wird der Antrag auf Wiederaufhebung von dem Amtsgericht ab­ gelehnt, so kann dieselbe im Wege der Klage beantragt werden. Zur Erhebung der Klage ist der Vormund des Entmündigten befugt. Will dieser die Klage nicht erheben, so kann der Vorsitzende des Prozeßgerichts dem Entmündigten einen Rechtsanwalt als Vertreter beiordnen. Die Klage ist gegen denjenigen, welcher die Entmündigung beantragt hatte, falls aber dieser verstorben, oder sein Aufenthalt unbekannt oder im Auslande ist, gegen den Staatsanwalt zu richten. Auf das Verfahren finden die Vorschriften der §§. 606, 608, 610, 611, 614, 615 entsprechende Anwendung. N. Entw. § 1123. Entw. I. 8 551. Entw. II. § 571. Entw. III. 8 580. Mot. S. 374. Prot. S. 467.

§ 627. Die Entmündigung einer Person wegen Verschwendung, sowie die Wiederaufhebung einer solchen Entmündigung ist von dem Amtsgericht öffentlich bekannt zu machen. N. Entw. 88 1120, 1121. Entw. I. it. II. - Entw. m. - Mot. - Prot. S. 467, 468.

4) Abs. 4: Das in § 605 Anm. 2 wegen der Rechtsmittel Gesagte gilt auch hier. Nach dem deutlichen Wortlaute des Abs. 4 findet auch der — seinem Inhalte nach zudem hier völlig passende — Abs. 2 des § 613 entsprechende Anwendung (Gaupp 11 S. 256, Wilm. Levy Anm. 3, Förster (Eccius) 1 § 26 Anm. 7. A.M. Endemann III S. 72). Auf Grund des in diesem Prozesse ergangenen, den Gegner zur Kostentragung verurtheilenden Urtheils sind auch die Kosten zu erstatten, die im amtsgerichtlichen Verfahren erwachsen und zunächst dem Entmündigten auferlegt sind (OLG. Cassel in Busch, Z. XV S. 419). Wegen der Gebühren s. GKG. § 20 Nr. 1.

8 625. Vgl. für Preußen ALR. 15 § 17 (welcher als aufgehoben anzusehen ist; s. v. Bü lo w Anm 1, Wilm. Levy Anm. 2, Seuffert Anm. 1. A.M. anscheinend Förster (Eccius) I § 26 Anm. 7], VO. v. 5. Juli 1875 § 84. Durch den von § 619 Abs. 2 abweichenden Abs. 2, zufolge dessen der Beschluß sofort mit der Erlassung in Wirksamkeit tritt, ist ein erneuerter Antrag auf Entmündigung wegen Rückfalls in den früheren Zustand selbstverständlich nicht ausgeschlossen (Wilm. Levy a. a. O.).

§ 626. Vgl. § 609 Anm. 1 u. 2, § 620 Abs. 3 u. 4, sowie Anm. 2 u. 3, § 624, GKG. § 20 Nr. 1, § 47 Nr. 9. Von dem im Abs. 4 nicht erwähnten § 613 ergeben sich die drei ersten Sätze aus allgemeinen Grundsätzen; die übrigen Vorschriften sind unanwendbar (vgl. auch § 620 Anm. 4, Wilm. Levy Anm. 3, Daude S. 142f.). Die Oeffentlichkeit ist hier durch GVG. § 172 Abs. 1 nicht ausgeschlossen. Vgl. § 621 Anm. 4.

§ 627. 1) Die Bestimmung ist von der RTK. aufgenommen worden.

Die Art der öffentlichen Bekanntmachung richtet sich nach landesgesetzlichen Vorschriften (z. B. Preuß. AGO. I 38 §§ 26,

748

Sechstes Buch.

Ehesachen und Entmündigungssachen.

§ 627.

34) oder, wo solche fehlen, nach dem Ermessen des Gerichts. (So auch Seuffert Anm., Gaupp II S. 258, Wilm. Levy Anm. 1, Sarwey II S. 69, Petersen H 627 Anm. u.A. A.M. Puchelt II S. 464 Anm. 3, welcher § 187 für analog anwendbar erklärt.) Ueber die Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung im Verhältnisse zu Dritten s. § 623 Anm. 2 u. Mot. z. Entw. I d. b. GB. S. 419. Die gemeinrechtliche Streitfrage (Windscheid, Pand. I § 71 Anm. 9 b) über die Wirkungen der Veröffentlichung ist weder durch § 623 Abs. 2 noch durch § 627 entschieden. „Wiederaushebung" umfaßt auch die Aufhebung durch Urtheil (§§ 624, 613). 2) Die nach manchen Landesgesetzen (z. B. Preuß. BO. v. 5. Juli 1875 § 85) vor­ geschriebene öffentliche Bekanntmachung durch das Vormundschaftsgericht wird durch die nach § 627 erlassene Bekanntmachung seitens des die Entmündigung beschließenden oder wieder­ aufhebenden Amtsgerichts weder erübrigt noch beeinflußt (s. Anton, Vormundschaftsordn. 2. Aust. 1879 S. 171, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Brettner in Grmchot 25 S. 322).

Siebentes Buch.

Mahnverfahren. § 628. Wegen eines Anspruchs, welcher die Zahlung einer bestimmten Geld­ summe oder die Leistung einer bestimmten Quantität anderer vertretbarer Sachen oder Werthpapiere zum Gegenstände hat, ist auf Gesuch des Gläubigers ein be­ dingter Zahlungsbefehl zu erlassen. Das Mahnverfahren findet nicht statt, wenn nach Inhalt des Gesuchs die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erfolgten Gegenleistung ab­ hängig ist oder wenn die Zustellung des Zahlungsbefehls im Auslande oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen müßte. N. Enlw. § 750. Prot. S. 315-319.

Entw. I. § 552.

Errttv. II. § 572.

Errttv. III. § 581.

Mot. S. 377, 380, 381.

Siebentes Buch.

Mol. S. 375—379.

Prot. S. 315-319.

Literatur: Drechsler im civ. Arch. 62 S. 419 ff., Go l den ring in Busch, Z. IS. 449 ff., Schreyer, D. Zahlungsbefehl. Berlin 1879, auch in Gruchot 22 S. 177 ff., Peters, Die geschästl. Behandlung des Mahnverf. Berlin 1889 (dazu Kleinfell er in Krit. Vierteljahrsschr. 35 S. 241 ff.), Skedl, D. Mahnverfahren. Leipzig 1891 (dazu Gruchot 36 S. 488), Hellmann, Lehrb. S. 924 ff., Fitting § 87, Köhler, Forschungen S. 130 ff. Vgl. unten Anm. 1 a. E. 1) Das Mahnverfahren, welches sich in verschiedenen Gestalten in fast allen deutschen Prozeßgesetzgebungen findet, ist dazu bestimmt, unbestrittene Ansprüche auf dem kürzesten und am wenigsten kostspieligen Wege zu erledigen. Das Wesen desselben besteht darin, daß auf ein­ seitiges Gesuch des Gläubigers ein bedingter Zahlungsbefehl erlassen wird, welcher unter Umständen in ein rechtskräftiges Urtheil übergeht, nämlich in Ermangelung rechtzeitigen Widerspruchs (wodurch der Zahlungsbefehl seine Kraft verliert — § 635) die Kraft eines für vorläufig vollstreckbar erklärten, auf Versäumung erlassenen Endurtheils erlangen kann (§§ 639, 640, 702 Nr. 4, 704 in Verbindung mit §§ 293, 303—311, 474). Die CPO. weicht in dieser Beziehung von den Hann. Gesetzen v. 27. Juli 1852 u. 31. März 1859, wonach die Vollstreck­ barkeitserklärung des als einfache gerichtliche Mahnung mehr dem Gebiete der unstreitigen als der streitigen Gerichtsbarkeit zufallenden Zahlungsbefehls nur Vollstreckbarkeit, nicht materielle Rechtskraft gewährt (s. Leonhardt, BPO. S. 628ff.), wesentlich ab und nähert sich mehr dem sogenannten Bagatellmandatsprozeß des preuß. Rechts (Verordn, v. 21. Juli 1846 § 28, v. 21. Juli 1849 § 4, v. 21. Juni 1867 § 4) sowie den Vorschriften des württ. Ges. v. 13. November 1855 Art. 6, der Bayer. PO. Art. 553 ff., des österr. Ges. v. 27. April 1873 § 15 2C. Das Mahnverfahren gehört danach zur ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit (GVG. § 12), wenngleich § 638 erst nach erhobenem Widersprüche gegen den Zahlungsbefehl von einem „entstehenden Rechtsstreit" redet. „Nur die Wirkung einer judikatmäßigen Feststellung des Anspruchs mit allen Wirkungen der Rechtskraft kann das Bedürfniß ganz befriedigen. In Uebereinstim-

750

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 628.

inung mit dem N. E. § 763 (Nordd. Prot. S. 1036, 1187) hat der Entwurf es daher geradezu ausgesprochen, daß das Mahnverfahren in seinem Endergebnisse zu einer definitiven (rechtskräftigen), nicht bloß provisorischen (vollstreckbaren) Entscheidung über den Anspruch führt (§ 640)"------- ---------------------------------------------------------„Auf der anderen Seite hielt der Entwurf im Widersprüche mit dem bisherigen preuß. Rechte dafür, daß die Kondemnation nicht bereits in dem Zahlungsbefehle erfolgen, sondern auf vorherigen Antrag durch einen besonderen richterlichen Akt aus­ gesprochen werden müsse, welcher materiell das Urtheil enthält, formell aber in dem einfachen Atteste der Vollstreckbarkeil sich darauf beschränkt, zu konstatiren, daß der Fall eingetreten ist, für welche im Zahlungsbefehl die Zwangsvollstreckung angedroht worden. Bei dieser Konstruktion des Verfahrens, welche der Entwurf mit allen übrigen Gesetzeswerken — ausschließlich der preuß. Verordn., des sächs. Entw. und des österr. Ges. v. 27. April 1873 — theilt, wird einerseits das Bedenkliche ver­ mieden, das Verfahren mit einem, wenn auch bedingten, Endurtheile zu beginnen und die Feststellung der Existenz der Bedingung dem Gerichtsschreiber oder selbstän­ digen Vollstreckungsbeamten zu überlassen, zum Andern der Anschluß an die Grund­ sätze des gemeinrechtlichen Prozesses über die Purifizirung des mandatum cum clau­ sula und die accusatio contumaciae erreicht, vorzugsweise aber die Kongruenz mit denjenigen Vorschriften des Entwurfs gewahrt, wonach die totale Versäumung und der daraus resultirende, die ganze Sache ergreifende Versäumungsnachtheil nur auf Antrag und durch den Richter auszusprechen ist (§§ 209, 296, 299)." (M o 1.) jDavid u. v. Zoeller in Puchelt, Zeitschr. f. franz. Civ. R., XI S. 526 bezw. XII S. 185 ff. rechnen das Mahnverfahren nicht zur streitigen Gerichtsbarkeit im Sinne des 0. civ. art. 2J23; gegen Letzteren s. Petersen das. XIII S. 385 ff. und gegen diesen abermals v. Zoeller, Der Vollstreckungsbefehl im Mahnverfahren u. s. w. Zweibrücken 1881. S. 9 ff. Vgl. auch v. Völderndorff in Krit. Vierteljahrsschr. XXIII S. 268 ff. — Skedl sieht das Mahnverfahren mit Unrecht als eine besondere Einleitungsform der Zwangsvollstreckung an; s. dagegen Pollak in Busch, Z. XIX S. 126 ff.]

2) Das Mahnverfahren gehört zwar zur (sachlich ausschließlichen) Zuständigkeit der Amts­ gerichte (§§ 629, 640) und unterliegt somit nicht dem Anwaltszwange (§ 74), ist aber nicht, wie früher in Preußen, Bayern u. s. w., auf Gegenstände, welche der Zuständigkeit des Einzelrichters unterliegen, beschränkt. 3) Als eine für die Regelung des Verfahrens erhebliche Folgerung aus dem Grund­ gedanken des Mahnverfahrens, „einfache, weil unbestrittene Verhältnisse einfach zu be­ handeln", heben die Mot. u. A. hervor: „Im Mahnverfahren ist kein Raum für eine Verhandlung, die vorkommenden Prozeßhandlungen (Zustellungen re.) geschehen nach den allgemeinen Grundsätzen. Die §§ 628—643 setzen die Einführung eines Mahnregisters voraus." und fügen hinzu: „Dasselbe bildet die Gerichtsakten über sämmtliche Mahnverfahren bei den Ge­ richten, und die gerichtlichen Verfügungen konzentriren sich auf das dem Gläubiger zuzufertigende Original des Zahlungsbefehls. Die erforderlichen Anordnungen rein geschäftlicher Natur in Betreff der Einrichtung des Mahnregisters sind Sache der Justizverwaltung." Vgl. Bayer. PO. Art. 568. Die Bestimmungen über das ordentliche Verfahren vor den Landbezw. Amtsgerichten (Zweites Buch) sind nicht einmal subsidiär für anwendbar erklärt, was aber eine entsprechende Anwendung nicht unbedingt ausschließt (vgl. Wach I S. 279). Der Aus­ druck „Mahnregister" kommt übrigens im Texte des Gesetzes nicht vor. Vgl. wegen dessen Einrichtung in Preußen d. Gesch.-Ordn. f. d. Gerichtsschr. d. Amtsgerichte vom 1. Aug. 1879 § 22 (Anlage 1 z. JMBl. Nr. 32 von 1879 S. 13, 30 f.). 4) Auf das Mahnverfahren sind die Ferien ohne Einfluß (GVG. § 204). 5) Wegen der Gebühren s. GKG. § 37 (in der Fassung des Ges. v. 29. Juni 1881), GO. f. RA. § 38.

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 628.

751

§ 628. 1) Abs. 1: „Wegen eines Anspruchs — zum Gegenstände hat" — Die gleichen Erfordernisse gelten im Urkundenprozesse (§ 555 Anm. 1). Auch hinsichtlich der alternativen Forderungen besteht kein Unterschied zwischen beiden Prozeßarten (vgl. Wilm. Levy Anm. 1, Endemann III S. 78, Gaup p II S. 261, Petersen §§ 628, 629 Nr. 1 u. A. A.M. Siebenhaar S. 598, Sarwey II S. 73 n. A.). Wie der Urkundenprozeß, ist das Mahn­ verfahren nicht auf persönliche Forderungen noch überhaupt nach dem Ent st ehungsg runde oder nach der Höhe des Streitgegensiandes beschränkt (vgl. die allg. Bem. unter 2). Es ist daher z. B. nicht untauglich für die Hypothekarklage nach preuß. Recht (vgl. Mot. S. 377, Nordd. Prot. S. 1195 f., Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 2, Petersen, Gaupp a. a. O. A.M. Goldenring S. 461); die Androhung der Zwangsvollstreckung und die Vollstreckbarkeitserklärung ist hier auf das verpfändete Grundstück zu richten. Auch für die nach GVG. § 70 zur ausschließlichen Zuständigkeit der Landgerichte gehörigen Ansprüche ist das Mahnverfahren zulässig (RG. XXIV S. 198). Für Wechselansprüche ist es zulässig, aber wegen der Länge der Widerspruchsfrist wenig geeignet. „Liquidität" ist nicht erforderlich (A.M. Uebel II S. 115), wohl aber Fälligkeit (s. § 631 Anm. 1). Vom Urkundenprozesse abweichende Anforderungen enthalten Abs. 2 u. § 631 Abs. 2. 2) „ist auf Gesuch — zu erlassen" — Der Gläubiger hat (wie beim Urkunden­ prozesse) die Wahl zwischen dem ordentlichen Prozesse und dem Mahnverfahren. Er weiß am besten zu beurtheilen, ob er auf Widerspruch zu rechnen hat, und ob die Wahl des Mahn­ verfahrens daher nur verzögernd wirken würde. Da ein Widerspruch indessen immerhin möglich bleibt, wird sich eine Verurtheilung des Klägers in die Kosten nach § 87, weil er ohne Grund den kostspieligen Weg des ordentlichen Prozesses gewählt habe, nur selten begründen lassen. Gleichwohl sind dergleichen Fälle, z. B. bei Wiederholung gleichartiger Ansprüche, möglich, und ebenso kann unter Umständen ein Einschreiten gegen den Anwalt im ehrengerichtlichen Verfahren gerechtfertigt sein (vgl. auch Gaupp II S. 260, Seuffert Anm. 2 vor § 628 u. A. A.M. Goldenring S. 454, Wilm. Levy Anm. 3). Hinsichtlich des umgekehrten Falles s. § 638 Anm. 1. Die Erlassung des (nur durch die Zulassung des Widerspruchs binnen 2 Wochen — §§ 632, 634) bedingten Zahlungsbefehls erfolgt auf einseitiges „Gesuch" (§ 630) nach vorgängiger Offizialprüfung (vgl. § 631), aber ohne Anhörung des Schuldners. Des Nachweises einer Vollmacht bedarf es nicht (§ 643). 3) Abs. 2: „wenn — Gegenleistung abhängig ist" — Hierdurch werden (wegen der ihnen gewissermaßen anhaftenden Vermuthung des Streitigwerdens) Ansprüche aus zwei­ seitigen Rechtsverhältnissen zwar nicht ganz, aber doch soweit ausgeschlossen, als die Vor­ leistung nach Inhalt des Gesuchs noch nicht geschehen ist. Auch wenn also an sich nach den Grundsätzen des Civilrechts mit dem Anbieten zur Leistung auf Erfüllung Zug um Zug geklagt werden könnte, so kann doch (abweichend vom Urkundenprozesse — f. § 555 Anm. 2) ein Zahlungsbefehl mit dieser Beschränkung nicht erlassen werden (Nordd. Prot. S. 1196,1254). Daß die Vorleistung erfolgt — nicht bloß angeboten — ist, muß sich aus dem Gesuche er­ geben („nach Inhalt des Gesuchs"), d. h. das Gesuch muß die Behauptung enthalten, daß die Vorleistung geschehen sei; ein Beweis ist nicht erforderlich (Sarwey II S. 73, Wilm. Levy Anm. 5, Seuffert Anm. 2, Hellmann, Lehrb. S. 925 u. A.). Die Mot. gebrauchen den Ausdruck: „die geschehene Vorleistung ersichtlich machen". Wenn übrigens auch der Ausdruck „Gegenleistung" nicht bloß auf zweiseitige Verträge, von denen die Mot. alleinreden, sich bezieht, so trifft das Erforderniß der Abhängigkeit von einer solchen doch keinesfalls für das Gebiet der bloßen actiones contrariae zu (welche Siebenhaar S. 599 hierher rechnet), weil es sich hier um Gegenleistungen des Klägers handelt, welche der Leistung des Schuldners nach­ zufolgen haben oder erst bei der Zwangsvollstreckung in Frage kommen, wie z. B. Rückgabe

752

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 629.

§ 629. Die Zahlungsbefehle werden von den Amtsgerichten erlassen. Ausschließlich zuständig ist das Amtsgericht, bei welchem der allgemeine persön­ liche Gerichtsstand oder der dingliche Gerichtsstand für die im ordentlichen Ver­ fahren erhobene Klage begründet sein würde, wenn die Amtsgerichte in erster Instanz sachlich unbeschränkt zuständig wären. N.Entw. 8 751. Entw. 1.8 553. Entw. II. 8 573. (guttu. III. 8 532. Mot. S. 381. Prot. S. 316-320.

des Schuldscheins, Löschung der Hypothek u. s. w. sSo auch Wilm. Levy, Seuffert a. a. O., Pelersen §§ 628, 629 Nr. 2, Gaupp II S. 262, Fitting § 87 SÄ. 5 u. 91.] Hat nach Inhalt des Gesuchs der Schuldner vorzuleisten, so findet 91bf. 2 keine Anwendung. 4) „ober wenn — müßte" — Diese Beschränkung beruht auf Rücksichten der Ver­ einfachung. Die beiden ausgeschlossenen 91rten der Zustellung (§§ 182—189) würden nicht nur eine hier unangemessene Weitläufigkeit der 91kte selbst, sondern auch eine 91enderung der gewöhn­ lichen Widerspruchsfrist erfordern. Stellt sich die Nothwendigkeit einer solchen Zustellung erst nach Erlaß des Zahlungsbefehls heraus, so kann das Mahnverfahren nicht fortgesetzt werden (Petersen §§ 628, 629 Nr. 8, Wilm. Levy Anm. 6, Seuffert, Gaupp a. a. O., Skedl S. 462. 91.M. Endemann III S. 82). — Andere Beschränkungen enthält § 631. 5) Die Verbindung mehrerer Ansprüche gegen denselben Schuldner in einem Gesuche und in einem Zahlungsbefehle (vgl. § 232) ist nicht ausgeschlossen. Ein 91ntrag, die Zulässigkeit (in einem Abs. 3) ausdrücklich festzusetzen, ist jedoch von der RTK. abgelehnt, nachdem der Zusatz von dem Reg.-Vertreter und von anderer Seite als selbstverständlich bezeichnet worden war. Vgl. §§ 631 Anm. 2, 635 Anm. 1. Auch eine subjektive Häufung auf Grund der §§ 58, 59 (A.M. Hellmann, Lehrb. S. 926, welcher von den Voraussetzungen der Slreitgenossenschaft absehen will; vgl. dagegen Seuffert 91nm. 3, Skedl S. 453 ff. u. 91.) ist zulässig (vgl. Preuß. Gesch.-Ordn. s. d. Gerichtsschr. d. Amtsg. §22 Abs. 8). sA.M. Siebenhaar S. 600, v. Bülow Anm. 2.] 6) Wenn der Zahlungsbefehl erlassen wird, obwohl es an einer der Voraussetzungen des § 628 fehlt, so hat der Schuldner nur das Widerspruchsrecht (§ 634); macht er hiervon keinen Gebrauch, so ist nach § 639 der Vollstreckungsbefehl auf Gesuch des Gläubigers zu erlassen.

8 629. 1) 91 bs. 4 erklärt die Amtsgerichte für sachlich allein zuständig zur Erlassung des Zahlungsbefehls — ohne Rücksicht auf Höhe und Beschaffenheit des 9lnspruchs — vgl. d. allg. 33ent. unter 2. 2) Abs. 2 bestimmt, welches Amtsgericht im einzelnen Falle zuständig ist. „der allgemeine persönliche Gerichtsstand" — ist der allgemeine Gerichtsstand der §§ 42—20. Die besonderen Gerichtsstände einschließlich derer der §§ 21 u. 22 sind aus­ schlössen (s. fast alle Komm. A.M. Siebenhaar S. 600). Nach den Entwürfen sollten lediglich die allgemeinen Regeln über die örtliche Zuständigkeit maßgebend sein. Die jetzige Gestalt hat die Vorschrift durch die RTK. erhalten, in welcher hervorgehoben wurde, daß die Rücksicht auf den Schuldner die fragliche Beschränkung erfordere und ein Bedürfniß zu weiterer Ausdehnung der Zuständigkeit nicht bestehe. Die Anwendung der §§ 36, 37, 41—48 ist für das Mahnverfahren nicht ausgeschlossen (vgl. Goldenring S. 462ff., Wilm. Levy Anm. 4. A.M. RG. XXVII S. 404 hinsichtlich des § 36 Nr. 3, weil kein „Rechtsstreit" vorliege). 3) Ist der dingliche Gerichtsstand begründet, oder würde er begründet sein, wenn die Amtsgerichte in erster Instanz sachlich unbeschränkt zuständig wären (vgl. § 2 Anm. 1; GBG. §§ 23, 70), so kann in diesem der Zahlungsbefehl erlassen werden. Die Ausschließlichkeit des dinglichen Gerichtsstandes (so: Fitting § 87 N. 2, G olden ring S. 462) kann aber — abgesehen von der hypothekarischen Klage des preuß. Rechts (vgl. § 628 Anm. 4) —

Siebentes Buch.

§ 630.

Mahnverfahren.

§ 630.

753

Das Gesuch muß enthalten:

1. die Bezeichnung der Parteien nach Namen, Stand oder Gewerbe und Wohnort; 2. die Bezeichnung des Gerichts; 3. die bestimmte Angabe des Betrags oder Gegenstandes und des Grundes des Anspruchs; 4. das Gesuch um Erlassung des Zahlungsbefehls. N. Entw. § 752. Elitw. I. § 554. Entw. II. § 574. Entw. III. 8 583. Mot. S. 381. Prot. S. 320. hier schwerlich zur Geltung kommen, da die von § 25 betroffenen Ansprüche im Uebrigen nach •§ 628 nicht Gegenstand des Mahnverfahrens sein können.

In den Fällen der §§ 26 und 27

konkurrirt auch für das Mahnverfahren der dingliche Gerichtsstand elektiv mit dem allgemeinen Gerichtsstände.

(Vgl. auch Petersen §§ 628, 629 Nr. 4, Hellm an n II S. 588, v. Bülow

Anm. 2, Seuffert, Gau pp, Wilm. Levy a. a. O. u. A.

Unbeschränkte Konkurrenz des

dinglichen mit dem persönlichen Gerichtsstände behauptet mit Unrecht Kleiner II S. 742; s. auch Sarwey II S. 75.) 4) Die richterliche Prüfung erstreckt sich auch auf die Zuständigkeit (f. § 631 Anm. 1). Hat ein unzuständiges Gericht den Zahlungsbefehl erlassen, so kann Beklagter nach erhobenem Widerspruch (§ 634) bezw. Einspruch (§ 640) den Einwand der Unzuständigkeit erheben (Sieben­ haar S. 600 hält mit Unrecht den Zahlungsbefehl ipso jure für nichtig).

§ 630. 1) Das Gesuch (§ 628) kann mün dlich (vgl. § 642) oder schriftlich ohne Anwaltszwang (f. d. allg. Bem. unter 2) bei dem Amtsgerichte angebracht werden. Im ersteren Falle bedarf es keines Protokolls (vgl. Preuß. Gesch.-Ordn. s. d. Gerichtsschr. d. Amisger. § 22 Abs. 2).

Die

kategorischen („muß") Erfordernisse desselben entsprechen denen der Klage (§ 230) und stehen in Verbindung mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit (§ 633); vgl. auch § 632. (Die von Puchelt II S. 467 gerügte Unvereinbarkeit mit den §§ 642, 643 ist nicht erfindlich. Vgl. auch Sarwey II S. 75, Siebenhaar S. 601, Wilm. Levy Anm. 1 u. A. Preuß. Gesch.-Ordn. a. a. O. Abs. 3.) 2) Nr. 1: „der Parteien" — wie in § 230 Nr. 1, nur dieser, nicht auch, wie in § 121 Nr. 1, ihrer gesetzlichen Vertreter. Nr. 3: Unter „Betrag", nämlich der Geldsumme (§ 628), sind auch die Nebenansprüche an Zinsen, Kosten u. s. w. (vgl. § 4) begriffen; dieselben sind also gleichfalls bestimmt anzugeben, wie der Reg.-Vertreter in der RTK. auf Anfrage bestätigte. Sie sind ein „Theil" des Anspruchs im Sinne des § 635. Hinsichtlich der Zinsen s. § 632 Anm. 5. „Gegenstandes" — nämlich der anderen vertretbaren Sachen oder Werthpapiere (§ 628). „Grund des Anspruchs" ist auch hier identisch mit „Klagegrund" (vgl. § 230 Anm. 4). Die Zeit der Entstehung des Anspruchs braucht nicht nothwendig (wie nach Bad. PO. § 639 rc.) angegeben zu werden (Mot.). Inwiefern dieselbe zur gehörigen Jndividualisirung des Klage­ grundes gehört, ist Sache des einzelnes Falles. sS. auch v. Kräwel in Busch, Z. III S. 475f., Petersen §§ 630, 631 Nr. 1 u. A. A. M. Siebenhaar S. 601.] Zum Grunde des An­ spruchs gehört auch die Aktivlegitimation (Siebenhaar S. 607, Gaupp II S. 264 rc.).

3) Nr. 4: Diese Sachbitte ist entscheidend für die Ausübung des Wahlrechts (vgl. § 628 Anm. 2).

4) Ausländer haben vor Erlaß des Zahlungsbefehls Gerichtskostenvorschuß zu bestellen (GKG. § 85). § 160 findet keine Anwendung, da es an den Voraussetzungen des § 161 Abs. 1 (gerichtliche Verhandlung oder Schriftsatz) fehlt (Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy § 631 Anm 1, Gaupp II S. 265). Struckmann u. Koch, Civilprozebordnung. 6. Aufl.

Siebentes Buch.

754

Mahnverfahren.

§ 631.

§ 631. Entspricht das Gesuch nicht den Bestimmungen der vorstehenden Paragraphen oder ergiebt sich aus dem Inhalte des Gesuchs, daß der Anspruch überhaupt oder zur Zeit nicht begründet ist, so wird dasselbe zurückgewiesen. Das Gesuch ist auch dann zurückzuweisen, wenn der Zahlungsbefehl nur in Ansehung eines Theils des Anspruchs nicht erlaffen werden kann. Eine Anfechtung der zurückweisenden Verfügung findet nicht statt. N. Entw. § 753. S. 320.

Entw. I. § 555.

Entw. II. 8 575.

§

Entw. III 8 584.

Mot. S. 381, 382. Prot.

631.

1) Abs. 1: Die richterliche Offizi alprüfung (vgl. § 628 Anm. 2) erstreckt sich — abgesehen von den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen (Seuffert Anm. 1, A. Förster Anm. 1, Goldenring S. 464, Hellmann, Lehrb. S. 927, Skedl S. 113, 152 ff. A.M. Wilm. Levy Anm. 1, G aupp 11 S. 265, welche deren Osfizialprüsung ausschließen, obgleich Buch 1 und mithin auch u. A. die §§ 50, 54, aus das Mahnverfahren Anwendung finden) — aus die formalen Bedingungen des Mahnverfahrens einschließlich der Zuständigkeit (vgl. § 629 Anm. 4), über welche bei Bezeichnung des Beklagten oder des Klagegrundes die nöthigen Angaben, jedoch ohne Beweisantretung, zu machen sind, und der sonstigen Erfordernisse des Gesuchs, überdies aber auf die materielle Begründung des Anspruchs nach Maßgabe des Gesuchs. Die Abweisung per decretum, wie sie im schriftlichen Prozesse stattfindet, ist hier im vollen Umfange aufrecht­ erhalten. Sie findet statt, auch wenn der Anspruch nur verfrüht (bedingt oder noch nicht fällig — „zurZeit nichtbegründe 1") ist. Zur Aufkündigung noch nicht fälliger Forderungen (Preuß. AGO. I 28 § 4 Nr. 1, § 7, Bad. PO. § 639 Nr. 2) kann das Mahnverfahren nicht gebraucht werden. (Vgl. auch Petersen §§ 630, 631 Nr. 2, Hellmann II S. 586 Anm. 1, Herbst in Gruchot 26 S. 370 Anm. 20. A.M. Puchelt II S. 469 f.) Die zurückweisende „Verfügung", in welcher die Gründe kurz zu bezeichnen sind, ist dem Gläubiger von Amtswegen mitzulheilen. (S. auch Preuß. Gesch.-Ordn. f. d. Gerichtsschr. d. Amtsger. § 22 Abs. 4, Gaupp II S. 266.) Die Zustellung (welche z. B. Petersen §§ 630, 631 Nr. 3 fordert) ist nicht vorgeschrieben (vgl. § 633 Anm. 1). Eine mündliche Zurückweisung (Endemann III S. 88, Seuffert Anm. 1 b, Gaupp ci. a. O.) dürfte aber trotz der Unanfechtbarkeit der Verfügung nicht genügen. 2) Abs. 2: „eines Theils des Anspruchs" — z. B. einer Nebenforderung (vgl. § 635 Anm. 1). „Die Entscheidung kann------- nicht theilweise nach dem Antrage und theilweise unter Zurückweisung des Antrags ausfallen. Durch eine theilweise Zurückweisung würde der Anspruch unter Umständen in zwei Prozesse zersplittern — deren einer durch das Mahnverfahren, der andere durch den ordentlichen Prozeß ohne Garantie für ein übereinstimmendes Resultat getrieben würde — bei gewissen Nebenforderungen sogar die weitere Verfolgung derselben gehindert werden (vgl. Preuß. ALN. I 11 §§ 815 ff.)." (Mot.) Anders, wenn mehrere Ansprüche (vgl. § 273) in einem Gesuche verbunden sind (§ 628 Anm. 5). Hier ist es vollkommen zulässig (wie auch die Mot. anerkennen) wegen eines Anspruchs den Zahlungsbefehl zu erlassen und das Gesuch wegen anderer Ansprüche zurückzuweisen. Die Gebühren werden nur nach dem Werthe des Theils berechnet (GKG. § 37 Abs. 2).

3) Abs. 3: Die Anfechtung der Zurückweisung ist ausgeschlossen, weil die letztere einen Streit unter den Parteien erwarten läßt, und dem Gläubiger der Weg der Klage immerhin offen bleibt (vgl. Hann. Prot. IX S. 3364 ff.). Ein vervollständigtes Gesuch ist als ein neues zu behandeln (s. auch Preuß. Gesch.-Ordn. a. a. O. Abs. 6).

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 632.

755

§ 632. Der Zahlungsbefehl enthält die im §. 630 Nr. 1—3 bezeichneten Erfordernisse des Gesuchs und außerdem den Befehl an den Schuldner, binnen einer vom Tage der Zustellung laufenden Frist von zwei Wochen bei Vermeidung sofortiger Zwangsvollstreckung den Gläubiger wegen des Anspruchs nebst den dem Betrage nach zu bezeichnenden Kosten des Verfahrens und den geforderten Zinsen zu befriedigen oder bei dem Gerichte Widerspruch zu erheben. N. Entw. § 754. Entlv. I. § 556. @titln. II. § 676. S. 320, 321.

@nttn. III. § 585.

Mol. S. 382, 383. Prot.

§ 632. 1) Der Inhalt des Zahlungsbefehls schließt sich dem des Gesuchs an; schon mit Rücksicht auf § 633. Ein Beispiel s. bei H. Meyer S. 178. Wegen genauer Bezeichnung der Parteien s. Allg. Vers. d. preuß. Just.-Min. v. 17. Dez. 1883 [JMBl. S. 363). Auch wenn auf einer Seite oder auf beiden Seiten mehrere Personen zusammengefaßt sind, ist nur ein Zahlungsbefehl zu erlassen (s. Preuß. Gesch.-Ordn. § 22 Abs. 8). Wegen der Zeit der Er­ lassung findet § 193 entsprechende Anwendung. 2) „binnen einer — Frist von zwei Wochen" — ungefähr die Hälfte der gewöhn­ lichen Einlassungsfrist (8 234). Die Abkürzung der Frist (vgl. die preuß. Verordn, u. N. E.) ist nicht ausdrücklich gestattet, also, da die Frist eine gesetzliche, nicht zulässig (vgl. § 202 Abs. 2 a. E.). Die Mot. weisen darauf hin, daß für schleunige Fälle bei Anwendung der 88 204, 459, 567, 650 das ordentliche Verfahren ausreiche (vgl. die allg. Bem. zum 5. Buch unter 1). Dagegen kann der Schuldner nach Erlassung des Zahlungsbefehls vor Ablauf der Frist rechtsgültig auf Erhebung des Widerspruchs verzichten (OLG. D arm stad t in S. A. 38 Nr. 77). Ebensowenig darf der Richter nach 8 202 Abs. 2 auf Antrag des einen oder anderen Theils die Frist verlängern (Endemann III S. 90, Petersen 88 632, 633 Nr. 3, Gaupp II S. 267 u. A. A.M. Puchelt II S. 469, der mit Unrecht die Zustimmung des Beklagten präsumirt). Die Frist verlängert sich jedoch von selbst nach Maßgabe des 8 634 Abs. 1. Die Frist ist keine Nothfrist (vgl. 88 19t Anm. 2, 201 Anm. 4; GVG. 8 204). Es ist also keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig. Vgl. übrigens 88 640, 641. 8) „bei Vermei düng sofortiger Zwangsvollstreckung" — Diese Androhung „mahnt", wie die Mot. bemerken, „den Schuldner am eindringlichsten und so verständlich, daß er nicht erst Rechtsbelehrung zu suchen braucht, an die Folgen des Fristablaufs und steht nicht im Widersprüche mit dem Umstande, daß, bevor die Zwangsvollstreckung beginnen kann, noch das Urtheil in Gestalt des Vollstreckungsbefehls dazwischen treten muß", da letzterer ohne sachliche Prüfung ergehe. 4) „nebst den — Kosten" — Diese Angabe ist erforderlich, damit alle weiteren Ver­ handlungen (Kostenfestsetzungsverfahren; vgl. 88 98 ff.) erspart werden (vgl. 8 639 Anm. 4). Die Gebühren betragen 2*/io *1 4 der 5 vollen Gebühr. Die gerichtlichen (Gerichtsgebühr und Schreib­ gebühr) sind, wie gewöhnlich, von dem Gläubiger vorzuschießen (GKG. 88 37 [in der Fassung v. 29. Juni 1881], 39, 81). Zu den Kosten gehört auch die Gebühr für die Zustellung (vgl. 8 633 Anm. 1, GO. f. GV. 88 2 [in der Fassung vom 29. Juni 1881], 13). Daß auch die Anwaltskosten (s. GO. f. RA. 8 38) stets zu erstatten sind, ergiebt § 87 Abs. 2. Auch sie können, gleichwie die Gebühren anderer Prozeßbevollmächtigten, sogleich in den Zah­ lungsbefehl aufgenommen werden. (So auch Wilm. Levy Anm. 3, Petersen 88 632, 633 Nr. 1 u. A.) Wegen der Kosten des Vollstreckungsbefehls, in welchem auch die Berechnung der schon in den Zahlungsbefehl gehörenden Kosten nachgeholt werden kann, s. 8 639.

5) „und den geforderten Zinsen" — Diese sind nach dem Anfangstermine und dem Zinsfüße festzustellen; der Endtermin ist nur dann anzugeben, wenn derselbe nicht mit dem Tage der Zahlung des Kapitals zusammenfällt.

756

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 633.

§ 633. Mit der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner treten die Wirkungen der Rechtshängigkeit ein. N. Entw. § 755. S. 321.

Entw. L 557.

Enltv. II. § 577.

Entw. HI. § 586.

Mot. S. 382, 383.

Prot.

6) Enthält der Zahlungsbefehl einen offenbaren Irrthum (§ 290 Anm. 1), so ist die Be­ richtigung durch das Gericht nicht ausgeschlossen (s. KG. Berlin in Busch, Z. XV S. 74 it. dazu Schultzenstein das. S. 75 ff., Wilm. Levy Anm. 5, Seuffert Anm. 2; vgl. oben § 294 Anm. 3. A.M. Gaupp II S. 268 N. 4). 7) Wegen des Todes des Gläubigers oder Schuldners vor Zustellung des Zahlungs­ befehls s. Seuffert Anm. 2 a. E., nach Zustellung s. § 633 Anm. 3.

§ 683. 1) Der Gläubiger erhält keine besondere Benachrichtigung (wie nach Preuß. Verordn, v. 21. Juli 1846 § 28 2C.). Es ist seine Sache, sich den ausgefertigten Zahlungsbefehl (die Urschrift) auf der Gerichtsschreiberei abzuholen (wie die zur Terminsbestimmung eingereichte Klage — vgl. § 193 Anm. 1), sofern er nicht die Uebersendung durch die Post ausdrücklich gewünscht hat. sVgl. auch Petersen §§ 632, 633 Nr. 3, Seuffert Anm. 1, Hellmann II S. 590, v. Bülow Anm. 2, Gaupp II S. 268, Wilm. Levy Anm. 1, Goldenring S. 475, Petersen (Hamburg) in Busch, Z. VII S. 418 ff., Fitting das. X S. 12 Anm. 36 u. A. S. noch Preuß. Gesch.-Ordn. § 22 Abs. 4. Eine Zustellung von Amiswegen (Ende­ mann III S. 91, Kleiner II S. 747, Sarwey II S. 78) läßt sich aus § 294 Abs. 3 nicht begründen, da diese Bestimmung für das Mahnverfahren nirgends eingeführt ist und dahin führen müßte, auch dem Schuldner von Amiswegen zustellen zu lassen, was überdies den Mot. geradezu widerspricht.] Der Gläubiger hat sodann, wie auch die Mot. ausdrücklich hervor­ heben, nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 152, 154 ff.) im Parteibetriebe die Zustellung einerbeglaubigten Abschrift des Zahlungsbefehls ohne das Gesuch (§ 642; anders Bayer. PO. Art. 557) an den Schuldner zu bewirken. Nach § 152 kann der Gläubiger aber auch sogleich bei Einreichung des Gesuchs um Er­ lassung des Zahlungsbefehls den Gerichtsschreiber mit der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner beauftragen; ja dies ist, wenn der Gläubiger sich die Zustellung nicht vor­ behält. nach § 154 zu vermuthen. In diesem Falle bedarf es einer vorherigen Mittheilung des Zahlungsbefehls an den Gläubiger nicht. Letzterer erhält ihn mit der Zustellungsurkunde' durch den Gerichtsvollzieher (§ 173). fSo auch Puchelt II S. 470, v. Bülow, Seuffert a. a. O., Golden ring S. 476 u. A. Gegen Anwendbarkeit des § 154 Skedl S. 161.] Der Wiedereinreichung des Zahlungsbefehls bedarf es zur Erlassung des Vollstreckungs­ befehls (§ 639 Abs. 1 Satz 2).

2) Da der Zahlungsbefehl den wesentlichen Inhalt des Gesuchs in sich aufnimnlt (§ 632), so enthält die Zustellung des Zahlungsbefehls der Sache nach die der Klage und begründet somit die Rechtshängigkeit (vgl. §§ 230 Anm. 1, 235 Anm. 1, 239 Anm. 1, 460, 461 Abs. 2, Entw. I d. b. GB. § 170 Abs. 2 Nr. 1, Entw. II § 175 Abs. 2 Nr. 1), insbesondere auch den Eintritt der Ver­ jährung (RG. XVII S. 281, XXIV S. 195). Dies ist auch dann unbedenklich, wenn das Gesuch nur mündlich angebracht ist, da dessen Inhalt dennoch durch das Mahnregister (s. d. allg. Bem. z. 7. Buch unter 3) und den Zahlungsbefehl festgestellt wird. Die Wirkung auf die prozessualen Folgen der Rechtshängigkeit zu beschränken (Aschrott in Gruchot 28 S. 644 u. A.), ist kein genügender Grund (s. § 239). Eine andere Frage ist es, ob zu den materiellen Wirkungen die Unterbrechung der Verjährung gehört (was Aschrott mit Unrecht verneint). (Vgl. § 637 Anm. 1, Hellmann, Lehrb. S. 929, Bolze im civ. Arch. 68 S. 1 ff.] Wegen der Widerklage s. § 636 Anm. 3. Wegen Unterbrechung der Wechselverjährung durch Zustellung eines Zah­ lungsbefehls s. E. G. z. CPO. § 13 Anm. 9.

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 634.

757

§ 634. Der Schuldner kann gegen den Anspruch oder einen Theil desselben Widerspruch erheben, so lange der Vollstreckungsbefehl nicht verfügt ist. Das Gericht hat den Gläubiger von dem rechtzeitig erhobenen Widerspruche in Kenntniß zu setzen und dem Schuldner auf Verlangen eine Bescheinigung darüber zu ertheilen, daß er rechtzeitig Widerspruch erhoben habe. Einer Zurückweisung des nicht rechtzeitig erhobenen Widerspruchs bedarf es nicht. N. Entw. §§ 756, 757. Prot. S. 316, 321- 327.

Entw. I. § 558.

Entw. II. § 578.

(glitte. III. § 587.

Mot. S. 383, 384.

Vor eingetretener Rechtskraft des Vollstreckungsbefehls bezw. bis zum Beginn der auf er­ hobenen Widerspruch oder Einspruch (§§ 634, 640) anberaumten mündlichen Verhandlung (vgl. 8 636) kann nach allgemeinen Grundsätzen (§ 243) das Gesuch ohne Einwilligung des Beklagten durch Zustellung eines Schriftsatzes zurückgenommen und damit die eingetretene Rechts­ hängigkeit wiederum beseitigt werden. (Ebenso Petersen §§ 632, 633 Nr. 4 a. E., Seufsert Anm. 2, Sarwey II S. 78, Gaupp II S. 269, Schwalbach im civ. Arch. 64 S. 272, Skedl S. 120 u. A.) Fälle einer stillschweigenden (fingirten) Zurücknahme s. in den §§ 637, 640, 641. 3) Die Bestimmungen über Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens (§§ 217 ff.) finden auch auf das Mahnverfahren Anwendung, mag der Unterbrechungsgrund auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners liegen, nicht minder die über Aufnahme des Verfahrens, wie­ wohl die Ladung des Rechtsnachfolgers zur Aufnahme für das Mahnverfahren nicht recht paßt. (So auch Goldenring S. 467, Wilm. Levy § 632 Anm. 2, Seuffert Anm. 3, Skedl S. 150. A.M. Gaupp II S. 269, welcher die Vorschriften über die Unterbrechung erst nach Erhebung des Widerspruchs anwenden will, und Hachenburg in Ann. d. bad. Gerichte 54 S. 235ff., welcher ein Verfahren zur Feststellung der Rechtsnachfolge nach Analogie der 88 217, 227 für zutreffend erachtet und zwar in der Weise, daß an Stelle der Ladung und der Zustellung eines Schriftsatzes an den Gegner ein Antrag beim Gericht und ein Gerichts­ beschluß tritt.) Vgl. 8 639 Anm. 4. S. auch Anm. 3 vor 8 217. § 634. 1) Abs. 1: Die Erhebung des Widerspruchs ist formlos (8 642). Es genügt die schrift­ liche oder mündliche (z. B. am ordentlichen Gerichtstage vorgetragene — 8 461) Erklärung, daß Widerspruch gegen den Anspruch oder einen Theil desselben erhoben werde; eine Begründung ist nutzlos. Sie kann persönlich oder durch einen Vertreter (ohne Vollmacht; vgl. 8 643) angebracht werden. Daß die Widerspruchserklärung nicht dem Gegner zuzustellen ist, sondern bei dem Amtsgericht angebracht werden muß, ergiebt, abgesehen von den Mot., welche daraus hin­ weisen, daß das Gericht ja über die Vollstreckbarkeit zu befinden habe, die Vorschrift.des 8 632 („bei dem Gerichte") und der Inhalt des Abs. 2. (Ebenso Petersen 8§ 634—638 I 2, Endemann II S. 92 it. A. A.M. Puchelt II S. 472.) Die Gerichtsschreiberei gilt auch in dieser Beziehung als Organ des Gerichts. Ein Protokoll wird in der Regel nicht aufgenommen (Preuß. Gesch.Ordn. 8 22 Abs. 2). Dagegen erfolgt die Eintragung des rechtzeitigen Widerspruchs in das Mahnregister. — Auf den Widerspruch kann wirksam verzichtet werden (OLG. Darmstadt in S. A. 38 Nr. 77). Wegen der Zurücknahme s. 8 635 Anm. 3. 2) „so lange der Vollstreckungsbefehl nicht verfügt ist" — Der Ablauf der Frist (8 632) allein wirkt noch nicht präklusivisch (anders nach den preuß. Verordn.), sondern i$, muß hierzu noch die aus Antrag des Klägers erlassene Vollstreckbarkeitserklärung ;§ 639) — nicht bloß der Antrag auf solche — hinzutreten. Die Versäumung der Frist kann rlso in ihren Folgen durch einfache Nachbringung des Widerspruchs beseitigt werden, so lange iodj vollkommen res Integra ist. Dieses System hängt mit der Zulassung des Einspruchs nach z 640 zusammen; vgl. auch 8 209 Anm. 2.

758

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 635.

§ 6B5. Durch die rechtzeitige Erhebung des Widerspruchs gegen den An­ spruch oder einen Theil desselben verliert der Zahlungsbefehl seine Kraft. Tie Wirkungen der Rechtshängigkeit bleiben bestehen. 91. Entw. § 758. ent». I. § 559. S. 324.

Entw. II. § 679.

enllo III. § 588.

Mot. S. 383, 384.

Prot.

Auf die Zustellung des Vollstreckungsbefehls kommt es hier nicht an („verfügt"). Es entscheidet die Unterschrift des Amtsrichters (§ 286 Abs. 1). pögt. auch Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 270, Seuffert Anm. 1, Fitting in Busch, Z. X S. 5 Anm. 14 u. A. A.M. Planck 1 S. 510, der auch hier den Zeitpunkt der Aushändigung an den Gläubiger entscheiden lässt.] Anders im Falle des § 640 (vgl. § 640 Anm. 1). Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbefehl (§ 640) ist schon vor der Zustellung des letzteren zulässig (s. § 304 Anm. 1). 3) Abs. 2: Die Bestimmung beruht hauptsächlich darauf, daß das Verfahren nicht ex officio in den Prozeß hinübergeleitet wird (vgl. §§ 639, 640). Der Gläubiger braucht sich somit nicht zur Einsicht des Widerspruchs oder des Nachweises desselben auf die Gerichtsschreiberei zu begeben (wie nach Bayer. PO. Art. 558). Er kann abwarten, bis ihm seitens des Gerichts Nachricht zugeht. Die Benachrichtigung erfolgt durch ein von Amtswegen zuzustellendes Schreiben (deS Gerichtsschreibers — s. Preuß. Gesch.-Ordn. § 22 Abs. 3), wozu Formulare be­ nutzt werden können, während die Bescheinigung an den Schuldner nur auf (schriftliches oder mündliches) Verlangen von dem Amtsgerichte (nach d. Preuß. Gesch.-Ordn. a. a. O. dem Gerichtsschreiber) ertheilt wird. Gegen die Versagung ist Beschwerde nach § 530 zulässig. Abschrift des Widerspruchs wird nicht mitgetheilt (§ 642).

4) Abs. 3: Die Erlassung und Mittheilung eines zurückweisenden Bescheides ist ent­ behrlich, weil sie in der Zustellung des Vollstreckungsbefehls enthalten ist (Hann. Prot. IX S. 3317, 3319). § 635. 1) „oder einen Theil desselben" — vgl. § 631 Abs. 2. Auch hier liegt die Sache anders, wenn der Zahlungsbefehl wegen mehrerer selbständigen Ansprüche erlassen ist. In diesem Falle verliert er durch den Widerspruch gegen einen Anspruch nicht seine Kraft bezüglich der übrigen (Bayer. PO. Art. 560; anders Nordd. Prot. S. 1207); ebenso bei subjektiver Klagenhäufung, wenn nur von einem Schuldner oder gegen den Anspruch eines Gläubigers Widerspruch erhoben wird — sofern nicht der Fall des § 59 vorliegt. Dagegen fällt es unter § 635, wenn gegen die mitgefordcrten Zinsen allein Widerspruch erhoben wird, da unter „An­ spruch" hier der Anspruch in seiner Totalität einschließlich der Nebenansprüche (§ 630 Anm. 2) zu verstehen ist (wie der Reg.-Vertreter in der RTK. bemerkte). 2) Durch Satz 2 wird Satz 1 erheblich beschränkt. „Nur die Wirkungen der Rechtshängigkeit (§§ 235 ff., 239) können und müssen bestehen bleibeu, da das Aufhören der Rechtshängigkeit in Folge willkürlichen Wider­ spruchs die Anwendbarkeit des Verfahrens, insbesondere zur schleunigen Unterbrechung einer drohenden Verjährung aufs Höchste beeinträchtigen würde (Bayer. PO. Art. 559, Bad. PO. § 643, H. E. § 503, Hann. Prot. XVI S. 6080 ff., N. E. § 758)" (Mot.). lieber die weitere prozessualische Gestaltung vgl. §§ 636, 637. 3) Die Zurücknahme des Widerspruchs ist unwirksam; denn dieser beendet das Mahn­ verfahren und ist mit dem Einspruch und den Rechtsmitteln nicht zu vergleichen (s. Gaupp II S. 271, Wilm. Levy Anm. 3, Fitting § 87 N. 27. A.M. Hellmann II S. 595, Seuffert Anm. 3, A. Förster Anm. 3).

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§§ 636, 637.

759

§ 636. Gehört eine wegen des Anspruchs zu erhebende Klage vor die Amts­ gerichte, so wird, wenn rechtzeitig Widerspruch erhoben ist, die Klage als mit der Zustellung des Zahlungsbefehls bei betn Amtsgericht erhoben angesehen, welches den Befehl erlaffen hat. Jede Partei kann den Gegner zur mündlichen Verhandlung laden; die Ladungs­ frist beträgt mindestens drei Tage. N. Entw. 8 759. Entlv. I. § 560. Entw. II. § 580. Entw. III. § 689. Mat. S. 383, 384. Prot. €. 816, 321-324.

§ 637. Gehört eine wegen des Anspruchs zu erhebende Klage vor die Land­ gerichte, so erlöschen die Wirkungen der Rechtshängigkeit, wenn nicht binnen einer § 636. 1) Das Verfahren nach rechtzeitig erhobenem Widerspruch ist verschieden, je nachdem die Sache nach allgemeinen Grundsätzen (f. § 1 Anm. 1) vor die Amtsgerichte oder vor die Landgerichte gehört. Indem ersteren Falle (GVG. § 23) bleibt der Prozeß bei demselben Amtsgerichte, welches den Zahlungsbefehl erlassen hat, anhängig. Auf den zweiten Fall bezieht sich § 637. Hierin kann durch Vereinbarung nichts geändert werden (s. RG. XXV S. 400, Gaupp II S. 272, Wilm. Levy Anm. 2. A.M. Seuffert Anm. 1, A. Förster Anm. 2, Jastrow in Busch, Z. VII S. 556 ff.). War das Amtsgericht zur Erlassung des Zahlungs­ befehls nicht nach § 629 Abs. 2 zuständig, so kann der Beklagte in dem Nachverfahren den Einwand der Unzuständigkeit erheben — von Amtswegen ist die Zuständigkeit für die Ver­ handlung der Klage nicht zu prüfen —; dagegen kommt es nicht darauf an, ob die Voraus­ setzungen der Zuständigkeit zur Zeit des Widerspruchs nicht mehr vorliegen, wie es andererseits nicht genügt, wenn das Gericht zwar nach den §§ 12 ff., aber nicht nach § 629 Abs. 2 zu­ ständig war. Das Mahnverfahren geht somit unmittelbar in das ordentliche Verfahren (§§ 456 ff.) über. Der Zahlungsbefehl ersetzt hier die Klage und bildet die Grundlage für das weitere Verfahren. Der Gläubiger ist nun auch nicht mehr befugt, einseitig die Klage zu ändern (§ 235 Nr. 3). Wegen des Klagegrundes s. § 630 Anm. 2. (Vgl. Schwalbach im civ. Arch. 64 S. 281, Schultzenstein in Busch, Z. XV S. 79, Petersen §§ 634—638 III 2, Seuffert § 637 Anm. 7d u. A.) 2) Abs. 2: Die Bestimmung ersetzt den im Zahlungsbefehle fehlenden Bestandtheil der Klage (§ 230 Nr. 3) und sichert die Durchführung des Abs. 1, indem es danach auch ohne Zuthun des Gläubigers zum Verhandlungstermine kommen kann. Dasselbe Ergebniß würde allerdings auch dann erreicht, wenn das Gericht von Amtswegen lüde (vgl. z. B. Hann. Ges. § 5 Abs. 2). Wie sich indessen bereits die Entwürfe aus Zweckmäßigkeilsgründen (vgl. Hann. Prot. IX S. 3316 ff., 3345 ff., XVI S. 6071 ff.) und in Uebereinstimmung mit dem Grundsätze des § 191 für die Parteiladung entschieden haben, so hat auch die RTK. Anträge, wonach unter Streichung von §§ 637, 638 Abs. 2 die Sache in allen Fällen bei dem in Abs. 1 bezeichneten Amtsgerichte verhandelt werden, und dieses den Verhandlungstermin bestimmen, der Gerichtsschreiber aber für die Zustellung der Terminsverfügung sorgen sollte, abgelehnt. Die dreitägige Ladungsfrist entspricht den §§ 194, 459. Ladet keine Partei, so ruht das Verfahren (vgl. § 228). 3) Beklagter kann nunmehr auch eine Widerklage anstellen, im Falle des § 637 erst nach erhobener Klage (s. Nordd. Prot. S. 1198). Vorher ist dies trotz §§ 633 und 235 nicht möglich, weil eine eigentliche Klage (§ 33) nicht vorhanden ist (vgl. Seuffert § 633 Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 4). §

637.

1) Zur Vermeidung geschäftlicher Schwierigkeiten, ferner behufs Sicherung einer gründ­ licheren Vorbereitung, endlich mit Rücksicht auf den Anwaltszwang ist hier in den zur Zuständig-

760

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 638.

sechsmonatigen Frist, welche von dem Tage der Benachrichtigung von der Erhebung des Widerspruchs läuft, die Klage bei dem zuständigen Gericht erhoben wird. 91. Ent«. § 760. @. 316, 324.

Ent«. I. § 661.

Ent«. II. § 681.

Ent«. III. § 690.

Mot. S. 383-385.

Prot.

§ 638. Die Kosten des Mahnverfahrens sind im Falle der rechtzeitigen Er­ hebung des Widerspruchs als ein Theil der Kosten des entstehenden Rechtsstreits anzusehen. Wird im Falle des §. 637 die Klage nicht binnen der bestimmten Frist er­ hoben, so hat der Gläubiger die Kosten des Mahnverfahrens zu tragen. N. Ent«. § 761. Ent«. L § 662. Ent«. II. § 682. Ent«. HI. § 691. Mot. - Prot. @. 316, 324. feit der Landgerichte gehörigen Sachen (GVG. § 70) — abweichend von § 636 — die Erhebung einer förmlichen Klage bei dem nach allgemeinen Grundsätzen zu­ ständigen Gerichte erfordert; der Kläger kann also auch einen der in den §§ 21—23, 28 ff. bezeichneten Gerichtsstände wählen (vgl. OLG. Nürnberg in Busch, Z. IX S. 482); auch der vereinbarte Gerichtsstand (§§ 38ff.) ist nicht ausgeschlossen. Eine Veränderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände nach der Zustellung des Zahlungsbefehls kommt aber nicht in Betracht (§§ 235 Nr. 2, 635; vgl. RG. XXV S. 398, XXX S. 366 u. in I. W. 1892 S. 362, Seuffert Anm. 6, 7, Petersen §§ 634-638 III 2, Hellmann II S. 593 u. Lehrb. S. 930, Fitting § 87 N. 33 u. A.). Während ferner für die Zulässigkeit der in § 636 Abs. 2 bezeichneten Ladung eine Frist nicht bestimmt ist, wird die Erhebung der in § 637 gedachten Klage an eine besondere sechs­ monatige Verjährungsfrist — von der in § 634 Abs. 2 vorgeschriebenen Benachrichtigung ab laufend — geknüpft, mit deren Ablauf die Wirkungen der Rechtshängigkeit erlöschen (eine Art peremtion d’instance; vgl. § 228 Anm. 6). S. auch §§ 640, 641. Ueber die Bedeutung des Erlöschens vgl. §§ 243 Anm. 6, 638 Abs. 2. Dasselbe umfaßt auch die civilrechtlichen Wir­ kungen der Rechtshängigkeit, insbesondere die Unterbrechung der Verjährung (vgl. §§ 239, 633 Anm. 1; OLG. Braunschweig in S. A. 42 Nr. 339, OLG. Cassel das. 48 Nr. 2, Golden­ ring S. 479, Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert Anm. 2, Gaupp II S. 276, Hellmann, Lehrb. S. 929, Förster (Eccius) I Z 57 S. 323 u. A.; s. auch Entw. 1 d. b. GB. § 172, II § 179. A.M. Schwalb ach im eil). Arch. 64 S. 270, Dernburg I § 168 Anm. 18, Asch rott in Gruchot 28 S. 618 ff., 649 ff.). Während des Laufs der Frist bleiben alle, nicht bloß die eivilrechtlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen (Sarwey II S. 81 f., Gaupp II S. 275 u. A.). Die Frist wird nach § 201 durch die Gerichtsferien gehemmt (OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 513, Alexander-Katz das. VII S. 507 Anm. 23, Schwalbach im eiv. Arch. 66 S. 266, Fitting § 87 N. 32. A.M. Wilm. Levy Anm. 2 u. GVG. § 204 Anm. 1, Schultze, V. d. Prozess. Zeitbestimmungen S. 63, weil die Frist zum Mahn­ verfahren gehöre [tigL GVG. § 204]). 2) Wird innerhalb der Frist bei einem unzuständigen Gerichte geklagt, kommt aber der Prozeß daselbst dennoch (vermöge Versäumung, Verzichts u. s. w.) nach Ablauf der Frist zu Stande, so treten die Wirkungen der Rechtshängigkeit erst mit der wirklichen Klagerhebung ein (s. Sch w alb ach a. a. O. S. 270 f., Ende mann III S. 96 f. A.M. Birkmeyer in Busch, Z. V S. 165). 3) Die Klage kann in Gemäßheit der §§ 555, 556 auch im Urkundenprozeß erhoben werden (vgl. Fitting § 87 N. 33).

§ 638. 1) Die Bestimmung des Abs. 1 ist von besonderer Bedeutung im Falle des § 637, da hier ein formell gesonderter Prozeß vorliegt. Es wird alsdann über die Kosten des Mahn­ verfahrens und des Rechtsstreits zusammen nach § 87 entschieden. Dazu bedarf es keines be­ sonderen Antrags, und die Verurtheilung in die Kosten des Prozesses umfaßt von selbst die des

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 639.

761

§ 639. Der Zahlungsbefehl ist nach Ablauf der darin bestimmten Frist auf Gesuch des Gläubigers für vorläufig vollstreckbar zu erklären, sofern nicht vor der Vollstreckbarkeitserklärung von dem Schuldner Widerspruch erhoben ist. Die Vollstreckbarkeitserklärung erfolgt durch einen auf den Zahlungsbefehl zu setzenden Vollstreckungsbefehl. In den Vollstreckungsbefehl sind die von dem Gläubiger zu berechnenden Kosten des bisherigen Verfahrens aufzunehmen. Gegen den Beschluß, durch welchen das Gesuch des Gläubigers zurückgewiesen wird, findet sofortige Beschwerde statt. N. Entw. § 762. Entrv. I. § 563. Errttv. II. § 583. Entw. 1IL § 592. Mot. S. 378, 379, 385, 386. Prot. S. 324.

Mahnverfahrens, so daß letztere im Kostenfestsetzungsversahren (§ 98) mitliquidirt werden können. (So auch OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 536, KG. Berlin das. XIV S. .328, Petersen §§ 634—638 III 3, Gau pp II S. 276 u. A.) Konnte Kläger von vornherein Streit erwarten, so werden ihm in Anwendung des § 87 die Kosten des Mahnverfahrens zur Last zu legen sein (umgekehrt wie in dem § 628 Anm. 2 berührten Falle). Zu den Kosten des Mahnverfahrens gehören auch die des Widerspruchs. Ist nur wegen eines Theils des Anspruchs Klage er­ hoben, so bilden nur die auf diesen Theil fallenden Kosten des Mahnverfahrens einen Theil der Kosten des entstehenden Rechtsstreits (KG. Berlin in Busch, Z. XV S. 519). (Line Berufung gegen ein Urtheil, welches lediglich über die Kosten des Mahnverfahrens entscheidet, ist, mag § 636 oder § 637 zur Anwendung kommen, nach § 94 unzulässig (RG. XXX S. 364). 2) Abs. 2 erscheint gewissermaßen nur als eine Anwendung jenes Grundsatzes (s. Anm. 1} in Verbindung mit § 243 Abs. 3. Der Schuldner kann zur Erwirkung eines vollstreckbaren Titels (§ 98) einen Zahlungsbefehl nachsuchen oder den Gläubiger vor das Amtsgericht nach § 636 laden (s. Gaupp a. a. O., Seuffert Anm. 2 u. A.). 3) Wegen der Gerichtsgebühren s. GKG. § 37 (Abs. 3 in der Fassung der Novelle v. 29. Juni 1881), wegen der Anwaltsgebühren GO. f. NA. § 38.

§ 639. 1) Abs. 1: Vgl. die Anm. 1 vor § 628. Das bedingte Urtheil, welches in dem erst nach­ sachlicher Prüfung ergehenden (§ 631 Anm. 1) Zahlungsbefehl enthalten ist, bedarf gewisser­ maßen noch der Purifizirung. Diese gewährt die von demselben Gerichte, welches den Zahlungs­ befehl erlassen hat, ohne mündliche Verhandlung zu erlassende Vollstreckbarkeitserklärung. Dieselbe darf nicht aus dem Grunde versagt werden, weil der Richter jetzt den Anspruch für sachlich unbegründet oder die Voraussetzungen des Mahnverfahrens nicht für vorhanden erachtet. Die richterliche Prüfung beschränkt sich vielmehr, wie die Mot. hervorheben, auf die Feststellung der formellen Voraussetzungen für den Erlaß des Urtheils — der Zustellung des Zahlungs­ befehls und des unterbliebenen Widerspruchs — von denen die erste durch die Zustellungsurkunde, die letzte durch das Mahnregister nachgewiesen wird. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ifi jedoch nach allgemeinen Grundsätzen auch noch bei Erlaß des Vollstreckungsbefehls zu prüfen (Jastrow in Busch, Z. XI S. 324 ff., Gaupp II S. 277, Wilm. Levy Anm. 2, Fitting S. 641. A.M. Seuffert Anm. 5a, Goldenring S.488, Skedl S. 133). Vgl. auch § 643. 2) „nach Ablauf der darin bestimmten Frist — Widerspruch erhoben ist" — vgl. §§ 632 Anm. 2, 634 Anm. 2. 3) „auf Gesuch des Gläubigers" — Dieser muß sich also von neuem an das Gericht wenden. Das Gesuch ist formlos (§ 642). Ein Vertreter bedarf aber der Vollmacht (anders als in den in § 643 bezeichneten Fällen). Mit dem Gesuche hat der Gläubiger die Ausfertigung des Zahlungsbefehls, mit der Zustellungsurkunde verbunden (§ 173), einzureichen. Das Gesuch wird dem Schuldner nicht mitgetheilt (§ 642). Letzterer wird überhaupt nicht mehr gehört. Ein vor Ablauf der Frist gestelltes Gesuch ist nicht zu beachten.

762

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 639.

4) Der Inh alt der Vollstreckbarkeitserklärung, welche sachlich ein Urtheil ist (vgl. Anm. 1), besteht darin, daß der Zahlungsbefehl vorläufig vollstreckbar sei (vgl. § 644; Aus­ nahme in § 657). Darnach ist eine Vollstreckbarkeitserklärung nur bezüglich des in den Zahlungs­ befehl nach § 632 aufgenommenen „Anspruchs nebst den dem Betrage nach zu bezeichnenden Kosten des Verfahrens und den geforderten Zinsen" und lediglich in Verbindung damit auch bezüglich weiterer Kosten zulässig, wogegen sie wegen letzterer allein nicht erlassen werden kann (Jastro w in Busch, Z. IX S. 401 ff. A.M. die dort mitgetheilten Urtheile). Ueber die Frage der Zulässigkeit mehrerer Bollstreckungsbefehle über Theile des Anspruchs in einem Mahnverfahren s. Busch, Z. XX S. 172 f. (nicht unbedenklich). — Der Form nach ergeht die Vollstreckbarkeitserklärung als ein auf die Ausfertigung des Zahlungsbefehls gesetztes Dekret („Vollstreckungsbefehl" — § 702 Nr. 4), wodurch gleichzeitig, mit Ausnahme des Falls, wenn nach Erlassung des letzteren eine Nechtsnachfolge eingetreten ist, die besondere „Vollstreckungsktausel" (§§ 662, 663) entbehrlich wird (Z 704 Abs. 1). Ist inzwischen eine Nechtsnachfolge eingetreten, so finden die Vorschriften über die Auf­ nahme eines unterbrochenen Verfahrens (§ 227) auch hier Anwendung (vgl. § 633 Anm. 3; Seuffert Anm. 3 u. 4, Wilm. Levy Anm. 3, Jastrow in Busch, Z. VII S. 560. A.M. Petersen §§ 639 —641 I 2, Sarwey II S. 83 Anm. 3, Hellmann II S. 595, Gaupp II S. 278, welche den Erlaß eines neuen Zahlungsbefehls für nothwendig halten; Golden­ ring S. 488, welcher die §§ 665—667 für anwendbar erachtet). Das Nähere darüber, wie die Ertheilung des Vollstreckungsbefehls aktenmäßig konstatirt wird, bestimmen die Vorschriften über das Mahnregister (vgl. Anm. 3 vor § 628). 5) Satz 3 setzt voraus, daß der Schuldner die Kosten des Mahnverfahrens zu tragen hat, was dem § 87 entspricht. Er macht das Festsetzungsverfahren (§ 98) entbehrlich. Vgl. § 632 Anm. 4, GKG. § 86. ö) Der Vollstreckungsbefehl ist von dem Gläubiger in derselben Weise auszunehmen und ihm bekannt zu machen, wie der Zahlungsbefehl; eine Zustellung von Amtswegen findet nicht statt (vgl. § 633 Anm. 1). (So auch Seuffert Anm. 6, Petersen §§ 639—641 I 2, Gaupp II S. 279, Wilm. Levy Anm. 3 u. A. A.M. Sarwey II S. 83 Anm. 2, Ende­ mann III S. 100, Hellmann, Lehrb. S. 932 u. 91] Die den Vollstreckungsbefehl ab­ lehnende Verfügung, welche nebst Gründen ebenfalls auf den Zahlungsbefehl gesetzt werden kann (Bayer. PO. Art. 562 Abs. 1), ist dem Gläubiger von Amts wegen zuzustellen (§ 294 Abs. 3; anders als in dem Falle § 631 Anm. 1), da hier die sofortige Beschwerde statt­ findet (Abs. 2), welche durch Zustellung in Lauf gesetzt werden muß. sSo auch Seuffert Anm. 7, Gaupp, Hellmann a. a. O., Fitting § 87 N. 41 u. A.) Die Zustellung des Vollstreckungsbefehls an den Schuldner bewirken zu lassen, ist nach allgemeinen Grundsätzen (§ 288) Sache des Gläubigers. Jedoch kann auch hier der Gläubiger sogleich bei Einreichung des Gesuchs um Vollstreckbarkeitserklärung den Gerichts­ schreiber ausdrücklich oder stillschweigend mit der Zustellung des Vollstreckungsbefehls be­ auftragen (vgl. § 633 Anm. 1, Seuffert Anm. 6. Abw. Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp II S. 279, die § 154 für unanwendbar halten). Die Zustellungsarten der §§ 187 ff. sind hier nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig mit der Zustellung kann die Vollstreckung beginnen (§ 671 Anm. 1). Wegen der Einwendungen, welche den Anspruch selbst betreffen, s. § 704 Abs. 2. 7) Abs. 2: Anders als in § 631 Abs. 3 ist hier eine Anfechtung der zurückweisenden Ver­ fügung gestattet — und zwar, da die Verweigerung nicht bloß sachlich die Verweigerung der Urtheilsfällung (vgl. §§ 300, 301), sondern auch die der Vollstreckungsklausel enthält, in Uebereinstimmung mit § 701 in Gestalt der sofortigen Beschwerde (§ 540). Wegen der Wirkung der Zurückweisung vgl. § 641 Satz 2. Ist die Zurückweisung nur „zur Zeit" er­ folgt, weil die Zustellung fehlte, oder die Frist nicht abgelaufen war, so ist auch eine einfache Erneuerung des Gesuchs nach Beseitigung des Hindernisses möglich (Wilm. Levy Anm. 2,

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 64V.

763

§ 640. Der Vollstreckungsbefehl steht einem für vorläufig vollstreckbar er­ klärten auf Versäumniß erlassenen Endurtheile gleich. Gegen denselben findet der Einspruch nach den Vorschriften der §§. 303—311 statt. Gehört der Anspruch nicht vor die Amtsgerichte, so wird bei dem Amtsgerichte nur darüber verhandelt und entschieden, ob der Einspruch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sei. Die im §. 637 bestimmte Frist beginnt in diesem Falle mit der Rechtskraft des Urtheils, durch welches der Einspruch für zulässig erklärt ist. N. Entw. § 763. Entw. I. 8 564. Entw. IL § 584. Entw. III. § 593. Mot. S. 378, 379, 386. Prot. S. 316, 324-327.

Seuffert Anm. 7, Pelersen §§ 639—641 I 3, Allvater im civ. Arch. 64 S. 417 u. A. A.M. Hellmann II S. 595). Vgl. § 641 Anm. 2. 8) Hat der Gläubiger den Zahlungsbefehl verloren, so muß er, um einen vollstreckbaren Titel zu erlangen, unter Zurücknahme des früheren Gesuchs den Erlaß eines neuen Zahlungs­ befehls beantragen; dies gilt auch, wenn der Vollstreckungsbefehl bereits ertheilt war (vgl. Cwiklinski in Gruchot 25 S. 685 ff.).

§ 640. 1) Dem Zwecke des Mahnverfahrens entsprechend, ist der Vollstreckungsbefehl als Endurtheil behandelt, und zwar, da er wesentlich auf Versäumung der Gelegenheit zur Verthei­ digung beruht, als Versäumnißurtheil (vgl. Anm. 1 vor § 628). Hieran knüpft sich nicht bloß die Zulassung der Zwangsvollstreckung (vorläufige Vollstreckbarkeit), welche schon in § 639 enthalten ist, sondern namentlich auch die Wirkung der materiellen und formellen Rechtskraft. Der Verkündung des Versäumnißurtheils steht die Aushändigung des Vollstreckungsbesehls an den Gläubiger (nicht die Zustellung an den Schuldner) insofern gleich, als von diesem Zeitpunkt an das Gericht nicht mehr abändern kann (Planck I § 79 S. 470, § 83 N. 48). Ein Widerspruch des Schuldners darf aber schon vom Zeitpunkte der Verfügung des Zahlungsbefehls an nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. § 634 Anm. 2). Ueber die (zu bejahende) Frage, ob der Bollstreckungsbefehl gerichtliche Hypothek nach C. civ. art. 2123 begründe, s. die oben S. 750 angef. Abhandlungen u. Pelersen §§ 639—641 II 1 a. E.; so auch Bad. AG. z. CPO. § 26. Nach preuß. Recht wird nur eine Vormerkung eingetragen (§ 7 d. Ges. v. 13. Juli 1883). Im Sinne des § 2 des Preuß. AG. z. GVG. v. 24. April 1878 (Urtheilsfällung; Besugniß der Referendare) steht aber der Vollstreckungs­ befehl dem Urtheile nicht gleich (NG. XXIX S. 225). Die Frage, ob die Rechtskraft schon mit dem Zeitpunkte der Erlassung des Voll­ streckungsbefehls oder erst nach Ablauf einer bestimmten Frist, von diesem Zeit­ punkte ab gerechnet, eintreten soll, hängt wiederum mit derjenigen zusammen, welche Rechts­ behelfe gegen den Vollstreckungsbefehl gestaltet werden. Die CPO. hat sich in dieser Beziehung in Uebereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Versäumnißverfahrens (vgl. auch N. E. § 760, Bad. PO. § 642 rc. — anders Entw. I, Hann. Ges. §§ 7, 10 re.) gegen den sofortigen Eintritt der Rechtskraft und für das gewöhnliche Mittel des Einspruchs entschieden. — Ein Vertreter bedarf der Vollmacht (anders in den Fällen des § 643). Berufung (von Revision kann nicht die Rede sein) gegen den Vollstreckungsbefehl ist nicht zulässig (§ 474), wohl aber die Nichtigkeits- und Nestitutionsklage (§ 547 Abs. 2). 2) Nach Satz 3 ist der Einspruch, wenn der Anspruch nicht vor die Amts­ gerichte gehört, gleichwohl bei dem Amtsgerichte, nicht, wie nach den Entw., bei dem zuständigen Landgerichte einzulegen (vgl. N. E. § 763). In der RTK. wurde dafür geltend gemacht, daß es nicht selten zweifelhaft sein werde, ob eine Sache zum Amts- oder zum Landgerichte gehöre, und daß derjenige, welcher aus Irrthum den Einspruch bei dem unrechten Gerichte ein­ lege, seines Rechtes verlustig gehe, eine Ueberschreitung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit aber nicht eintrete, da das Amtsgericht in der Sache selbst nicht erkenne. Eine Folge ist der Schluß­ satz des § 640 (vgl. Anm. 3).

764

siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§ 641.

§ 641. Wird in dem Falle, wenn Widerspruch nicht erhoben ist, die Er­ lassung des Vollstreckungsbefehls nicht binnen einer sechsmonatigen Frist, welche 3) Ueber den Einspruch ist. wenn der Anspruch vor das Landgericht gehört, in gewöhnlicher Weise vor dem Amtsgerichte mündlich zu verhandeln und zu erkennen: die Ladung hat sich aber auf die Verhandlung über Zulässigkeit des Einspruchs zu beschränken. Gegen das Urtheil des Amtsgerichts ist die Berufung zulässig, auch wenn der Einspruch für zulässig erklärt wird, also eigentlich nur ein Zwischenurtheil vorliegt (f. § 640 et. E.: „Rech tskraft"; vgl. Seuffert Anm. 5, Sarwey II S. 85 Anm. 3a, Petersen §§ 639—641 II 3, Wilm. Levy Anm. 2, Endemann III S. 102, Gaupp II S. 280ff. u. A.). Der für zulässig erklärte Einspruch hat die gewöhnliche Wirkung (§ 307). Das Amts­ gericht hat daher (wie N. E. § 763 ausdrücklich verordnet) den Vollstreckungsbefehl auszuhebe.n, und mit Verkündung des Aufhebungsurtheils hört nach § 655 auch die vorläufige Vollstreck­ barkeit auf (vgl. § 308 Satz 2, Goldenring S. 494, Seusf ert Anm. 5, Petersen §§ 639-641 II 1, D. I. Zig. 1883 S. 535 ff., RG. in Gruchot 32 S. 739 f. u. A.; Wilm. Levy Anm. 2, auch Gaupp II S. 282, Skedl S. 141 halten den Vollstreckungsbefehl für ipso jure beseitigt]. — Der Einspruch enthält aber zugleich den (noch zulässigen) Wider­ spruch gegen den Zahlungsbefehl. „Dem Entwurf liegt der Gedanke zu Grunde, daß der Einspruch gegen den Voll­ streckungsbefehl den Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl enthält. Wird daher der Einspruch zulässig befunden, so ist in Anwendung der Vorschrift des § 307 anzu­ nehmen, daß der Widerspruch rechtzeitig erhoben sei, daß mithin der Zahlungsbefehl seine Kraft verloren (§ 635) habe (Hann. Prot. IX S. 3365, 3367, 3368)" (M o t.). (Vgl. auch RG. in I. W. 1886 S. 270.] Die Folge dieses Grundsatzes ist, daß nunmehr für das weitere Verfahren die §§ 636—639 zur Anwendung kommen. Da aber in diesem Falle eine Benachrichtigung von Erhebung des Widerspruchs überhaupt nicht ergangen ist, so mußte (in Satz 4) ein anderer Anfangstermin für die in § 637 bestimmte Frist vorgeschrieben werden. Es ist eine Folge des zu Satz 3 gefaßten Beschlusses, daß dieser Anfangstermin sich an den Eintritt der Rechtskraft des Urtheils knüpft, welches den Widerspruch ersetzt. Der Zeit­ punkt der Rechtskraft bestimmt sich in gewöhnlicher Weise; es kommt also darauf an, ob die Berufungsfrist abgelaufen ist (vgl. §§ 472, 477, 645). 4) Gehört der Anspruch vor das Amtsgericht, so ist der Gläubiger zur münd­ lichen Verhandlung über die Hauptsache zu laden (§ 305 Nr. 3). Die Verhandlung er­ streckt sich auf die Zulässigkeit des Einspruchs und die Hauptsache, sofern nicht eine Trennung beschlossen wird. Das Zwischenurtheil, welches den Einspruch zuläßt, ist — abweichend von dem Falle in Anm. 3 — erst mit dem Endurtheil in der Hauptsache anfechtbar, und erst mit diesem kann daher der Vollstreckungsbefehl aufgehoben werden. Auch die vorläufige Voll­ streckbarkeit dauert daher bis zu diesem Zeitpunkte, wie im gewöhnlichen Verfahren (§§ 655, 691), fort; ein Schluß aus der abweichenden Behandlung im Falle landgerichtlicher Zuständig­ keit ist nicht zulässig. (So auch Seuffert Anm. 4, 6, Gaupp II S. 280ff., Endemann III S. 102, Sarwey II S. 86, D. I. Ztg. 1883 S. 445 ff., 664 ff. A.M. Petersen a. a. O., D. I. Ztg. 1883 S. 383 ff., 535 ff., welche die Aufhebung des Vollstreckungsbefehls und mithin der vorläufigen Vollstreckbarkeit auch hier an die Zulässigkeitserklärung des Ein­ spruchs knüpfen.] 5) Wegen einstweiliger Einstellung der Zwangsvollstreckung in Folge des Ein­ spruchs finden, soweit nicht schon mit der Zulässigkeitserklärung des Einspruchs die vorläufige Vollstreckbarkeitausgehoben wird (vgl. Anm. 3), die §§ 647, 657 Anwendung. (So auch Seuffert Anm. 6, Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 280 u. A.] § 641. 1) „Das Erlöschen des Zahlungsbefehls in allen seinen Wirkungen mit dem Ablauf von sechs Monaten dient dazu, im Interesse des Beklagten wie der Gerichte das ganze

Siebentes Buch.

Mahnverfahren.

§§ 642, 643.

765

mit Ablauf der im Zahlungsbefehle bestimmten Frist beginnt, nachgesucht, so ver­ liert der Zahlungsbefehl dergestalt seine Kraft, daß auch die Wirkungen der Rechts­ hängigkeit erlöschen. Dasselbe gilt, wenn die Erlaffung des Vollstreckungsbefehls rechtzeitig nachgesucht ist, das Gesuch aber zurückgewiesen wird. N. Entw. 8 764. Entw. I. § 665. Entw. II. § 585. Entw. III. § 594. Mot. S. 386. Prot. S. 327.

§ 642. Das Gesuch um Erlaffung eines Zahlungsbefehls oder eines Voll­ streckungsbefehls, sowie die Erhebung eines Widerspruchs werden der anderen Partei abschriftlich nicht mitgetheilt; im Falle ihrer mündlichen Anbringung ist die Aufnahme eines Protokolls nicht erforderlich. N. Entw. 8 765. Entw. I. 8 566. Entw. II. 8 586. Entw. III, 8 595. Mot. S. 386. Prot. S. 327.

§ 643. Des Nachweises einer Vollmacht bedarf es nicht, wenn für den Gläubiger die Erlassung eines Zahlungsbefehls nachgesucht oder für den Schuldner Widerspruch gegen einen Zahlungsbefehl erhoben wird. N. Entw. 8 766. Entw. I. 8 567. Entw. II. 8 587. Entw. III. 8 596. Mot. S. 386. Prot. S. 327. Verfahren zum Abschlüsse zu drängen. Der Kläger, welcher so lange Zeit verstreichen läßt, ohne die Sache weiter zu betreiben, mag, wenn sie nicht erledigt ist, von vorn anfangen (vgl Hann. Ges. § 6, Bayer. PO. Art. 567 u. s. w.)" (Mot.). Vgl. § 632 Anm. 2. Der erlassene — wenngleich nicht zugestellte — Vollstreckungsbefehl unterliegt keiner besonderen Verjährungsfrist. Die Wirkungen der Versäumung sind dieselben wie in den Fällen der §§ 637, 640. Vgl. § 637 Anm. 1. 2) Satz 2: In diesem Falle läuft keine besondere Frist. Die in Satz 1 bestimmte Wirkung tritt vielmehr sogleich mit der definitiven Zurückweisung des Gesuchs ein, d. h. mit der Zurück­ weisung der eingelegten sofortigen Beschwerde oder mit dem Ablauf der betreffenden Nothfrist (vgl. § 639 Abs. 2). „Ist das Gesuch zurückgewiesen und die Frist für die sofortige Beschwerde verstrichen, so ergiebt sich der Wegfall aller Wirkungen des Mahnverfahrens von selbst." (Mot.) Die Bestimmung bezieht sich nur auf den Fall, daß kein Widerspruch erhoben ist, dafür den Fall des erhobenen Widerspruchs die §§ 635, 636 Platz greifen. Aber auch in jenem Falle kann eine definitive Zurückweisung vorkommen, z. B. wenn das Gericht sich für unzuständig erklärt (§ 639 Anm. 1 a. E.) oder in der irrthümlichen Ansicht, daß Widerspruch erhoben sei, den Vollstreckungsbesehl verweigert. (Vgl. Sarwey II S. 87, Endemann III S. 104, Petersen §§ 639—641 III, Wilm. Levy Anm. 3, Hellmann II S. 598, Seuffert Anm. 2, Gaupp II S. 283, Altvater int civ. Arch. 64 S. 417, Fitting § 87 N. 42 u. 91.) Vgl. auch § 639 Anm. 7. 3) Die Wirkung des Ablaufs der Frist kann auch durch Anstellung einer Klage beim Gerichte des Mahnverfahrens nicht gehindert werden (vgl. S ch w a l b a ch im civ. Arch. 64 S. 272, 273).

§ 642. Die abschriftliche Mittheilung der hier bezeichneten Gesuche (vgl. §§ 628 Anm. 2, 630, 639 Anm. 3) ist nicht erforderlich, da dieselben sich in den erlassenen Befehlen wiederfinden, die des Widerspruchs nicht, da dessen Inhalt, abgesehen von der Thatsache des Widerspruchs, gleichgültig ist (§ 634 Abs. 2). Der rein mündlichen Form entspricht es, daß auch ein Protokoll nicht aufgenommen wird (vgl. Preuß. Gesch.-Ordn. f. d. Gerichtsschr. d. Amtsg. 8 22 Abs. 2).

8 643. Für das Gesuch um Erlassung des Vollstreckungsbefehls (§ 639 Anm. 3) und für den Einspruch (§ 640) ist Vollmacht erforderlich — die einzigen Fälle innerhalb des eigent­ lichen Mahnverfahrens. Der Mangel der Vollmacht ist von Amtswegen zu berücksichtigen (§ 84 Abs. 2).

Achtes Buch. Zwangsvollstreckung Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen. § 644. Die Zwangsvollstreckung findet statt aus Endurtheilen, welche rechts­ kräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt sind. Urtheile in Ehesachen dürfen nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. N. Entw. 88 883, 1108. Enlw. I. § 568. 392, 393. Prot. S. 327-330.

Entw. II. § 588.

Entw. III. § 597.

Mot. S. 387, 338,

Achtes Buch. Literatur: Eckstein, Die Zwangsvollstreckung der D. CPO. Berlin 1879 (populäre Darstellung), Bunsen, Die Lehre v. b. ZV. auf Grund der D. Justizgesetze. Wismar 1885, Falkmann, Die ZV. Berlin 1888. Vgl auch Gaupp, Die ZV. u. das Mahnverfahren (Separat ab druck aus dessen Kommentar, 1. Aust.), Hinschius s. v. Zwangsvollstreckung im Rechtslex. III S. 1489 ff., Wach, Vortr. S. 217 ff., Hellmann, Lehrb. S. 796 ff., Fitting §§ 90 ff., Dernburg I § 364 a, II §§ 107—110, Förster (Eccius) I § 56. Ueber die rechtliche Natur der Zwangsvollstreckung s. besonders Schultze, Privatrecht u. Prozeß S. 57 ff. Vgl. auch Kroll, Klage u. Einr. S. 318 ff., Köhler, Prozeß als Rechtsverhältniß S. 113 ff. 1) Dieses Buch behandelt die Zwangsvollstreckung (Vollstreckungsverfahren, Hülfsvollstreckung, Exekution). Schon der Name weist darauf hin, daß dabei nur von einer er­ zwungenen, nicht von einer freiwilligen Vollstreckung die Rede ist. Ebenso ergiebt die Aufnahme in die CPO., daß hier nur das gerichtliche Vollstreckungsverfahren, nicht die administrative Exekution und die von den Gerichten oder den gerichtlichen Beamten den Verwaltungsbehörden zu leistende Rechtshülfe hat geregelt werden sollen. In Bezug auf die letztere behält es bei den landesgesetzlichen Vorschriften sein Bewenden (Mot. S. 392, N. E. § 932). Hinsichtlich Preußens behält das AG. z. CPO. § 14 Abs. 2 die anderweile Regelung des Verfahrens der Zwangs­ vollstreckung wegen Geldforderungen aus Entscheidungen oder Anordnungen der Verwaltungs­ behörden, Verwaltungsgerichte oder Auseinandersetzungsbehörden Königlicher Verordnung vor. Diese Regelung ist erfolgt durch die K. Verordn, v. 7. Sept. 1879, betr. das Verwaltungs­ zwangsverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen (GS. S. 591). Wegen der Vollstreckung außerhalb Preußens vgl. RG. VI S. 230. — Auf die Gewerbegerichte finden nach § 56 Abs. 4 des Ges. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) die Vorschriften des achten Buches der CPO. (mit geringen Aenderungen) Anwendung. 2) Von den fünf Abschnitten dieses Buches enthält der erste die allgemeinen Be­ stimmungen; der zweite, dritte und vierte umfassen die einzelnen Vollstreckungs­ arten, und der fünfte behandelt im Anschlüsse an die Bestimmungen über die Befriedigung eines Anspruchs diejenigen über die Sicherung eines solchen im Wege der Zwangsvollstreckung

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 644.

767

(Arrest und einstweilige Verfügungen), welche in den meisten Gesetzgebungswerken, z. B. Preuß. AGO., Hann. PO., Bayer. PO., P. E., H. E., N. E. u. s. w.. unter den außerordent­ lichen Prozeßarten behandelt werden (vgl. oben S. 682).

Erster Abschnitt. 1) In den allgemeinen Bestimmungen wird zunächst die Zwangsvollstreckung aus dem Urtheil als dem regelmäßigen und erheblichsten Titel behandelt (§§ 644—701); daran schließen sich die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung aus anderen Titeln (§§ 702—706), und den Schluß macht in § 707 ein allgemeiner Satz über die Ausschließlichkeit der in diesem Buche angeordneten Gerichtsstände. Die von der Vollstreckung auf Grund eines Urtheils handelnden Paragraphen wiederum bestimmen zuvörderst, welche Urtheile vollstreckbar sind (§§ 644—66J); die HZ 662 -673 regeln die Formen, unter welchen ein an sich vollstreckbares Urtheil zum Vollzüge gelangen kann; die §§ 674—683 ordnen die Rechte und Pflichten der Gerichtsvollzieher als der­ jenigen Beamten, welchen regelmäßig die Betreibung der Zwangsvollstreckung obliegt; § 684 handelt von der Zuständigkeit der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerich 1e; die §§ 685 — 690 regeln die Thätigkeit dieser Gerichte sowie des Prozeßgerichts bei Einwendungen des Schuldners oder Dritter gegen die Zwangsvollstreckung, und die §§ 691—701 enthalten allgemeine Vor­ schriften der mannigfachsten Art. 2) Dem Zwangsvollstreckungsverfahren der CPO. liegt — im Gegensatze zum gemeinrecht­ lichen und zum altpreußischcn Prozesse, in welchem die Leitung der ganzen Vollstreckung in den Händen des Gerichts ruht — der Grundsatz des unmittelbaren Prozeßbetriebs durch die Parteien zu Grunde, ohne daß jedoch dieser Grundsatz mit der gleichen Strenge und bis in die äußerste Konsequenz durchgeführt wäre, wie im franz. Prozesse. Demgemäß ist gleich den Zustellungen (vgl. oben S. 186 ff.) auch die Zwangsvollstreckung grundsätzlich aus dem un­ mittelbaren Bereiche richterlicher Thätigkeit ausgeschieden und besonderen Beamten (Gerichts­ vollziehern) übertragen, welche im Auftrage der Parteien zu handeln haben (vgl. § 674 Anm. 1); die Mitwirkung der Gerichte tritt nur als Ausnahme ein, insbesondere bei einzelnen Voll­ streckungsarten, deren Durchführung mit größeren Schwierigkeiten und Verwickelungen verknüpft ist (Vollstreckung in Forderungen und ähnliche Vermögensrechte, in unbewegliches Vermögen, zur Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen), bei dem Vertheilungsverfahren, bei der Vollstreckung im Auslande oder mittels militärischer Hülfe und bei Streitigkeiten, welche zwischen den Parteien unter einander sowie mit Dritten innerhalb des Vollstreckungsverfahrens sich erheben. Für diese Gestaltung ist außer den allgemeinen für den unmittelbaren Prozeßbetrieb durch die Parteien sprechenden Gründen hauptsächlich die Rücksicht auf eine rasche und energische Vollstreckung maßgebend gewesen. „Die bisherige gerichtliche Androhung, Erkennung und Leitung der Exekution vom Prozeßgericht aus, welches als Mittelpunkt des Verfahrens unter allen Umständen erst schriftlich'und zwar bei jedem Exekutionsakte, bei jedem Uebergange von einer Exekutions(irt zur anderen von Neuem angegangen werden und fernen. Vollstreckungsauftrag ertheilen oder gar ein Ersuchen an andere Gerichte erlassen mußte — dazu die Kommuni­ kationen zwischen Gericht und Exekutor verweitläufigten die Prozedur ungemein. Bei der eigentlichen Ausführung der Vollstreckung war gleichwohl die Leitung des Gerichts kaum bemerklich, die Selbständigkeit des Vollstreckungsbeamten dagegen trotz der Leitung eine große" (Mot. S. 389). Uebrigens ist — auch abgesehen von der Mitwirkung der Gerichte — die Befugniß der Gerichtsvollzieher im Zwangsvollstreckungsverfahren eine vielfach beschränkte. Im wesentlichen liegt ihnen nur die formelle Leitung des Verfahrens ob (vgl. §§ 674 ff.), während die Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung ihnen entzogen und Sache der Gerichts­ schreiber, ausnahmsweise unter Mitwirkung des Vorsitzenden, ist (§§ 646, 662 ff.). fVgl. auch Wach IS. 322 ff.)

768

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 644.

B) Soweit die Gerichte mitwirken, ist — in fernerer Abweichung vom gem. und vom preuß. Prozesse — das Prozeßgericht als einheitlicher Mittelpunkt aufgegeben, indem die CPO. jene Thätigkeiten — abgesehen von der Entscheidung der eigentlichen Streitigkeiten, die je nach ihrer verschiedenen Natur von verschiedenen Gerichten zu erledigen find (vgl. z. B. §§ 668, 685—690, 704, 705, 710; s. §§ 685—689 Anm. 1) - einem Vollstreckungs­ gerichte zuweist, welches grundsätzlich dasjenige Amtsgericht ist, in dessen Bezirk das Voll­ streckungsverfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat, und welches nur zufällig mit den: Prozeßgerichte zusammenfällt. Auch hierfür ist die Rücksicht auf eine einfache und rasche Voll­ streckung, die von dem leichter zugänglichen und beweglichen Amtsgerichte zu erwarten, maß­ gebend gewesen. Innerhalb des Deutschen Reichs bedarf es zum Zwecke der Vollstreckung keiner RechtsHülse (GVG. § 161). 4) Die Ausdrücke „Gläubiger" und „Schuldner" bedeuten Exekutionssucher und Exequende ohne Rücksicht auf den Ursprung des Verhältnisses. 5) Bestimmte Voll st reckungs grade sind nicht aufgestellt (§ 674 Anm. 3). 6) Die Ferien sind auf das Zwangsvollstreckungsverfahren ohne Einfluß (GVG. § 204). 7) Ueber sog. Vollstreckungsverträge, d. h. Verträge zwischen den Parteien, welche das Vollstreckungsverfahren ausschließen oder abändern, s. Köhler in Gruchot 31 S. 311 ff. § 644. 1) Nur Endurtheile (§ 272 Anm. 2) — seien es kontradiktorische oder Versäumnißurtheile, seien es Theilurtheile (§ 273) oder Urtheile, welche die Sache ihrem ganzen quantitativen Umfange nach beendigen — sind als Titel zur Zwangsvollstreckung geeignet, während Zwischen­ uriheile (§ 275) als bloßes vorbereitendes Material flir die Endentscheidung hinsichtlich der Zwangsvollstreckung nicht in Frage kommen. Auch das eine prozeßhindernde Einrede nach § 248 Abs. 2 verwerfende Zwischenurtheil ist, wenn es über die Kosten entscheidet, rücksichtlich dieser als Endurtheil anzusehen (vgl. § 98 Anm. 1 Abs. 1 a. E.). Selbstverständlich kommen nur solche Endurtheile für die Zwangsvollstreckung in Betracht, welche ihrer Natur nach einer Vollstreckung fähig sind, eine Eigenschaft, welche u. A. hinsichtlich der durch Eid bedingten (§ 425) oder nur die Verpflichtung zum Schadensersatz oder dergl. aussprechenden (§ 276) Endurtheile nicht zutrifft (vgl. auch Nordd. Prot. S. 1950), ebensowenig riicksichtlich der auf eine Feststellungs­ klage ergangenen Urtheile (vgl. § 231 Anm. 10). Dagegen sind die nach §§ 502, 562 unter Vorbehalt erlassenen Urtheile ausdrücklich auch in Betreff der Zwangsvollstreckung als Endurtheile bezeichnet. — Zur Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Urtheil oder aus einem Schieds­ sprüche bedarf es eines besonderen Vollstreckungsurtheils (§§ 666, 868). Wegen anderer exekutorischer Titel s. §§ 702, 706 itefcft Anm. 2) In Uebereinstimmung mit dem gem. (vgl. Wetzell S. 600) und dem preuß. Rechte (AGO. I 24 § 2) sowie den meisten neueren Gesetzgebungen (Hann. PO. §§ 162, 408, 528, P. E. § 946, H. E. § 645, N. E. § 883), aber abweichend von dem stanz. Recht (und theilweise der Bayer. PO. Art. 827), wonach die Zwangsvollstreckung aus einem Urtheil in der Regel schon vor dem Ablaufe der für die ordentlichen Rechtsmittel des Einspruchs und der Berufung gewährten Nothfristen stattfindet und durch deren wirkliche Einlegung nur in ihrem Fortgange gehemmt wird, setzt die CPO. für die Zulässigkeil der Zwangsvollstreckung als Regel ein rechtskräftiges Urtheil voraus. 3) Ausnahmsweise läßt die CPO. die Vollstreckung auch auf Grund nicht rechtskräftiger Urtheile zu, wenn sie für vorläufig vollstreckbar erklärt sind. Die Fälle der vorläufigen Vollstreckbarkeit und die prozessualische Behandlung derselben werden in den §§ 648—659 geregelt. Vgl. auch §§ 496, 523, StPO. § 122. Einem für vorläufig vollstreckbar erklärten, auf Ver­ säumung ergangenen Endurtheile steht der Vollstreckungsbefehl im Mahnverfahren gleich (§§ 640, 702 Nr. 4).

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 615.

769

§ 645. Die Rechtskraft der Urtheile tritt vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels oder des zulässigen Einspruchs bestimmten Frist nicht ein. Der Eintritt der Rechtskraft wird durch rechtzeitige Einlegung des Rechts­ mittels oder des Einspruchs gehemmt. N. Entw. 88 443, 780, 844. Prot. S. 331-334.

Entw. I. 8 569.

Entw. II. 8 589.

Entw. III. 8 598.

Mot. S. 393.

Uebrigens ist die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Urtheils unter Umständen auch bei solchen Urtheilen auszusprechen, welche einer Zwangsvollstreckung nicht fähig sind, z. B. bei Feststellungsklagen in den Fällen des § 648 Nr. 1—3 oder bei Klagabweisungen in den Fällen der Nr. 2—5 das. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat hier die Bedeutung, daß das Urtheil sofort die Verhältnisse der Parteien zu einander regelt (vgl. RG. XVI S. 420, XXV S. 377, OLG. Hamburg in S. A. 48 Nr. 160, Busch, Z. XIV S. 265, Wilm. Le vy § 618 Anm. 1). 4) Die Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt durch das Prozeßgericht bei Erlassung des Urtheils.

5) Abs. 2: „in Ehesachen" — vgl. § 568. Urtheile, durch welche die Einwilligung zur Eheschließung ergänzt wird (§ 32 des Ges. über die Beurk. des Personenstandes u. s. w. v. 6. Febr. 1875), sind zwar nach der Terminologie des § 568 als Urtheile in Ehesachen nicht anzusehen; eine vorläufige Vollstreckbarkeit findet aber bei ihnen nach § 779 nicht statt (vgl. § 779 Anm. 1). Andere Fälle, in welchen eine Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit unzulässig ist, s. in den §§ 613 Abs. 1, 620, 624. Vgl. auch §§ 425 Abs. 2, 426 Abs. 2, 439, 658, 781, Bankges. v. 14. März 1875 § 51 Abs. 1. Sie ist auch unzulässig, wenn, wie in manchen Polizebedingungen, ausgemacht ist, daß die zu zahlende Entschädigungssumme erst eine gewisse Zeit nach Rechtskraft des Urtheils fällig werde (KG. Berlin in D. I. Ztg. 1883 S. 216). 6) Die Vollstreckbarkeit eines Urtheils ist nicht auf eine bestimmte Zeit beschränkt. Die entgegenstehenden Bestimmungen einzelner Landesgesetze über die sog. Exekutionsverjährung (vgl. z. B. Preuß. AGO. I 24 § 3, Anh. § 148, 0. de proc. art. 156, C.' de comm. art. 643, Hann. PO. § 536) sind aufgehoben. Dagegen sind die Bestimmungen über die Verjährbarkeit des vollstreckbaren Anspruchs (z. B. ALR. I 9 §§ 558—560) unberührt geblieben (vgl. Förster-Eccius I § 57 (5. 325).

§ 645. 1) Der § 645 erläutert den Sinn der (formellen) Rechtskraft dahin, daß sie nach Ablauf der Frist für jedes Rechtsmittel (vgl. Anm. 3) bezw. bei Versäumnißurlheiten für den Einspruch (vgl. Anm. 4) eintritt. (Vgl. Wach I S. 229 ff.) Eine Rückbeziebung auf den Zeitpunkt des bestätigten oder nicht angefochtenen Erkenntnisses, wie sie nach preuß. Prozeß­ rechte von Manchen angenommen wurde (s. jedoch Entsch. d. OT. 79 S. 237, Bachmann in Gruchot 25 S. 205 ff.), findet also nicht mehr statt (vgl. Förster-Eccius I § 55 Anm. 7, Dernburg 1 § 134 S. 292 f.). Die materiellrechtlichen Bestimmungen des Preuß. ALR. II1 §§ 769—771 bleiben unberührt. Dem Ablauf der Rechtsmittel- bezw. der Einspruchsfrist steht nach allgemeinen Grund­ sätzen der Verzicht auf das Rechtsmittel bezw. den Einspruch sowie die Zur-ücknahme gleich (§§ 311, 475, 476, 529); die Fassung des § 645 steht wegen des Worts „zulässigen" nicht entgegen. (Ebenso Petersen §§ 644, 645 Nr. 2 a. E., Seuffert Anm. 4, Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp 11 S. 293, Falkmann S. 9, Planck I S. 313 a. E. u. A. A.M. Schwalb ach im civ. Arch. 64 S. 286 ff., Troll, Versäumnisurtheil S. 208.) Solange jedoch der Gegner des Verzichtenden das Rechtsmittel noch einlegen kann, tritt die Rechtskraft nicht ein, weil den: Verzichtenden noch die Anschließung an das Rechtsmittel des Gegners offen steht (§ 482 Anm. 2). Struckmann u. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Aust.

770

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 646.

§ 646. Zeugnisse über die Rechtskraft der Urtheile sind auf Grund der Prozeßakten vom Gerichtsschreiber erster Instanz und, so lange der Rechtsstreit in einer höheren Instanz anhängig ist, von dem Gerichtsschreiber dieser Instanz zu ertheilen. Insoweit die Ertheilung des Zeugniffes davon abhängt, daß gegen das Ur­ theil ein Rechtsmittel nicht eingelegt ist, genügt ein Zeugniß des Gerichtsschreibers des für das Rechtsmittel zuständigen Gerichts, das innerhalb der Nothfrist ein Schriftsatz zum Zwecke der Terminsbestimmung nicht eingereicht sei. N. Entw. 8 402. Prot. S. 334.

Entw. I. 88 570, 582.

Entw- II. 8 590.

Entw. III. 8 599.

Mot. S. 393, 394.

2) „zulässigen" — Ein Urtheil, gegen welches ein Rechtsmittel oder der Einspruch überhaupt nicht zulässig ist, z. B. ein Urtheil des Landgerichts als Berufungs­ gericht in einer amtsgerichtlichen (kontradiktorischen) Sache oder ein Urtheil des Reichs­ gerichts, geht sofort nach seiner Verkündung in Rechtskraft über. (Vgl. Endemann III S. 112 f., Gaupp II S. 292, Schwalbach a. a. O. S. 280 Anm. 34, F örster-Ec cius I § 55 Anm. 4, 5 u. A. A.M. Puchelt II S. 483, welcher eine gerichtliche Entscheidung über die Unstatthaftigkeit des eingelegten Rechtsmittels verlangt, und Dernburg I § 134 Anm. 4, welcher unter Berufung auf das bisherige preuß. Recht auch hier eine Zustellung erfordert; s. jedoch RG. in I. W. 1894 S. 584 Nr. 45.) Vgl. auch §§ 646 Anm. 5, 283 Abs. 2, 655 Abs. 1. Ein vom Oberlandesgericht in der Berufungsinstanz erlassenes Urtheil, welches vermögensrechtliche Ansprüche zum Gegenstände hat, deren Betrag 1500 Mark nicht übersteigt, geht nicht sofort in Rechtskraft über, da unter Umständen die Revision auf Grund des § 509 noch möglich ist (vgl. RG. VI S. 380, VIII S. 356 und gegen dieses Urtheil Roch oll in Busch, Z. X S. 298; s. aber auch RG. XIII S. 355 u.. dazu Gaupp II S. 292 N. 8). 3) „Rechtsmittels" — d. h. Berufung oder Revision. Die Beschwerde, welche zwar gleichfalls zu den Rechtsmitteln gehört (vgl. die allg. Bem. zum dritteu Buch unter 1) findet gegen Endurtheile nicht statt (§ 530). Die Zulässigkeit der Berufung oder der Revision hemmt die Rechtskraft des Urtheils bis zum Ablaufe der Rechtsmiltelfrist, ohue daß es anderer Voraussetzungen bedarf. 4) „Einspruchs" — Ein Versäum ni Huriheil, gegen welches in der Regel ein Rechtsmittel nicht statthaft ist (§§ 474 Abs. 1, 529), unterliegt in diesen Regelfällen der Rechts­ kraft nach unbenutztem Ablauf der Einspruchsfrist (§ 304), welche kürzer ist als die Rechtsmittelfrist (§§ 477, 514). Soweit aber ein Versäumnißurtheil nicht dem Einsprüche (§ 310), wohl aber — wenngleich nur in beschränktem Maße — einem Rechtsmittel (§ 474 Abs. 2, § 529) unterliegt, tritt die Rechtskraft erst nach unbenutztem Ablaufe der Rechtsmittelfrist ein. 5) Die Vollstreckbarkeil eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urtheils wird durch rechtzeitige Einlegung eines Rechtsmittels oder des Einspruchs nicht gehemmt. Vgl. §§ 648—659 Anm. 1. 6) Wegen der Möglichkeit der Anschtußberufuug (§ 482) und Anschlußrevision (§ 518) hemmt die rechtzeitige Einlegung eines Rechtsmittels den Eintritt der Rechtskraft auch hin­ sichtlich des der Gegenpartei ungünstigen Theils der Entscheidung und wegen der Möglichkeit der Erweiterung des Rechtsmittels in der mündlichen Verhandlung (§§ 480, 516) den Eintritt der Rechtskraft nicht bloß des angegriffenen Theils, sondern des ganzen Urtheils. 7) Ein in nicht gehöriger Form [§§ 479, 515 (304)] eingelegtes Rechtsmittel hemmt dennoch die Rechtskraft, bis es als unzulässig verworfen ist (Gaupp II S. 293, Wilm. Levy Anm. 4).

8 646. 1) Die Feststellung der Rechtskraft eines Urtheils ist vor allem — wenigstens als Regel (§ 644 Anm. 2) — behufs Vollstreckung desselben erforderlich (§ 662). Dagegen bedarf es dazu

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 646.

771

keines „Zeugnisses über die Rechtskraft", wenngleich der um die Erlheilung der Voll­ streckungsklausel angegangene Gerichtsschreiber das in § 646 Abs. 2 vorgesehene Zeugniß er­ fordern darf. Wohl aber werden dergleichen Zeugnisse zu anderen Zwecken gebraucht, z. B. zur Zwangsvollstreckung im Auslande, ferner zur Rückforderung geleisteter Sicherheiten, mit Rücksicht auf die aus der erfolgten Feststellung von Rechtsverhältnissen (§ 231) abzuleitenden Folgen, für Statusverhältnisse, Amortisation von Urkunden, Eintragungen im Grund- und Hypotheken­ buche u. s. w. sVgl. § 757 Anm. 5, Preuß. Ges. v. 5. Mai 1872, §§ 3,14, 19 Nr. 2, 53; Grund­ buchordn. § 94 Nr. 2, 4; Achilles (Strecker), D. preuß. Ges. über Grundeig. u. Hypotheken­ recht 2C. 4. Ausg. S. 41 ff., 103 a. E., 127, 133 ff., 251 f., 262, 420; Bahlmann, Preuß. Grundbuchrecht 3. Ausg. S. 34 Anm. 5, Nordd. Prot. S. 2008.] Von diesen handelt § 646. 2) Die Feststellung der Rechtskraft ist — abweichend von dem gern. und preuß. Rechte, wonach das Gericht die Vollstreckung verfügt, aber im Einklänge mit Hann. PO. § 529 — der Einfachheit wegen dem Gerichts schreib er übertragen worden (vgl. jedoch § 666 u. Bank­ gesetz § 51). Wegen der Gerichtsschreiberg ehülfen vgl. Preuß. Ges., betr. die Dienst­ verhältnisse der Gerichtsschreiber, v. 6. März 1879 § 5 Abs. 2 (GS. S. 99). 3) In der Regel hat der Gerichtsschreiber erster Instanz die Rechtskraft festzustellen, auch wenn der Rechtsstreit in höheren Instanzen anhängig gewesen ist; nur so lange dieser in einer höheren Instanz noch schwebt, hat der Gerichtsschreiber dieser höheren Instanz rücksichtlich der gleichwohl in Rechtskraft übergegangenen Theile eines Urtheils (§ 273) die Feststellung vorzunehmen. 4) „der Urtheile" — in entsprechender Anwendung auch über die Rechtskraft der un­ anfechtbaren oder nur mit Beschwerde anfechtbaren Beschlüsse (91®. XXV7 S. 387, Schultzenstein in Busch, Z. XVI S. 157 ff.). „auf Grund der Prozeßakten" — Da die Rechtskraft auf Grund der Akten (vgl. § 271 Anm. 1) in Verbindung mit den vom Exekutionssucher vorzulegenden Urkunden über die Zustellung des Urtheils festgestellt werden kann, ist die Führung eines Rechtsmittelsoder Vollstreckungsregisters (C. de proc. art. 163, 549, Hann. PO. §§ 374, 413, H. E. § 652, P. E. §§ 608 ff., 962 ff.) nicht vorgeschrieben. „in einer höheren Instanz anhängig" — Anhängig im Sinne des § 646 ist der Rechtsstreit bei demjenigen Gerichte, bei welchem sich die Prozeßakten befinden (vgl. Fit­ ting § 77 N. 12, Gau pp II S. 294 u. 91.). Daher ist schon von der Einreichung des Be­ rufungsschriftsatzes auf der Gerichtsschreiberei, nicht erst von der Zustellung desselben an der Gerichtsschreiber des Berufungsgerichts zuständig (s. § 505); ist doch auch der erstere Zeitpunkt nach Abs. 2 für die Ertheilung der Rechtskrastsbescheinigung von wesentlicher, wiewohl nicht allein maßgebender Bedeutung (vgl. 9lnm. 5 a. E., RG. IX S. 387, Seuffert Anm. 2). Jedenfalls tritt die Anhängigkeit mit der in Folge der Einreichung nothwendig werdenden ersten Handlung des Gerichts bezw. des Vorsitzenden, nämlich der 9lnberaumung des Termins, ein („anhängig" ist verschieden von „rechtshängig" im Sinne des § 235). Vgl. noch §§ 249 Abs. 2, 466 Abs. 2, 467 Abs. 2. (A.M. Hellmann, Lehrb. S. 800, Falkmann S. 12 — erst von der Zustellung an.) Der Gerichtsschreiber der höheren Instanz bleibt auch nach Verkündung des Urtheils zuständig, so lange die Akten behufs Abfassung des Urtheils u. s. w. noch in der höheren Instanz verbleiben müssen (KG. Berlin in Busch, Z. XI S. 104ff. A.M. Marcus das.). Seine Zuständigkeit hört daher auch mit der Zurücknahme des Rechtsmittels nicht ohne Weiteres auf (RG. in I. W. 1889 S. 325; Busch, Z. XVI S. 544; abw. RG. in S. A. 36 Nr. 313). Das Ausbleiben beider Parteien im Verhandlungstermine beseitigt die 9lnhängigkeit nicht (A.M. Schneider im civ. Arch. 64 S. 425; vgl. § 506 Anm. 4). Auch wenn nur gegen einen Streitgenossen ein Rechtsmittel eingelegt ist, gilt der Prozeß als in höherer Instanz anhängig (RG. in S. A. 36 Nr. 87); ebenso wenn nur ein Theil der Klage noch in der höheren Instanz schwebt (RG. XVIII S. 424).

77 2

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 646.

5) Abs. 2: Ueber die Voraussetzungen der Feststellung der Rechtskraft sagen die Mot.: „Sie erfolgt selbstverständlich auch bei Einlegung unzulässiger Rechtsmittel oder verspäteter Einlegung eines Rechtsmittels und kann, wenn ein solches überhaupt zu­ lässig war, nur auf Grund der weiteren Feststellung erfolgen, daß das Rechtsmittel nicht eingelegt ist. Hierfür ist ebenso wie bei dem Einsprüche die rechtzeitige Ein­ reichung des Schriftsatzes zum Zwecke der Terminsbestimmung der Art von ent­ scheidender Bedeutung, daß, wenn diese nicht erfolgt ist, auch das Rechtsmittel nicht eingelegt sein kann. Es soll demnach in jedem Falle ein desfallsiges Zeugniß des Gerichtsschreibers des für das Rechtsmittel zuständigen Gerichts genügen. Der angegangene Gerichtsschreiber braucht einen solchen Nachweis indessen nur, wenn er Zweifel hegt, ob etwa ein Rechtsmittel eingelegt fei; er ist auch auf diesen einen Weg des Nachweises nicht beschränkt. Unter Umständen wird schon der Ablauf der Rechts­ mittelsrist in Verbindung mit der Nichteinforderung der Akten in die höhere Instanz (§§ 506, 529), ein nachgewiesener Verzicht u. s. w. ihm die zur Ertheilung des Attestes nothwendige Ueberzeugung gewähren. Bei seiner ununterbrochenen geschäftlichen Ver­ bindung mit dem Vorsitzenden des Gerichts wird er sich in zweifelhaften Fällen leicht mit diesem in Einvernehmen setzen können (vgl. Nordd. Prot. S. 1973 f.)." Hiernach hat der Gerichtsschreiber, welchem ein Gesuch um Ertheilung des Zeugnisses vor­ liegt, auch zu prüfen, ob das Rechtsmittel überhaupt zulässig und rechtzeitig eingelegt ist (nicht auch, ob es formgerecht eingelegt und insbesondere die Zustellung ordnungsmäßig ist — vgl. Gaupp II S. 297, Wilm. Levy Anm. 5. A.M. Falkmann S. 12 N. 7, Haas in Gruchot 30 S. 838, Seuffert Anm. 3 a. E.), und, wenn er hierbei zu einem negativen Ergebnisse gelangt, das in Abs. 2 a. E. bezeichnete Zeugniß zu ertheilen. Für diese Auffassung sprechen auch die Worte „innerhalb der Nothfrist". (Ebenso Wilm. Levy Anm. 4, Petersen § 646 Nr. 2, Seuffert Anm. 3 a. E., Falkmann S. 12 u. A.; s. auch Schwalbach a. a. O. S. 280 Anm. 34. A.M. Siebenhaar S. 612 f., welcher — wie Puchelt II S. 483 — mit Unrecht auf die §§ 497, 529 sich bezieht, aus denen sich nur ergießt, daß die schließliche Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels dem Gerichte der höheren Instanz zukommt.) Vgl. auch § 645 Anm. 2 und RG in S. A. 38 Nr. 191. Ob die Partei des Zeugnisses bedürfe, hat der Gerichtsschreiber nicht zu prüfen (RG- XXX S. 336). Der Gerichtsschreiber des für das Rechtsmittel zuständigen Gerichts hat nur festzustellen, ob innerhalb der Nothfrist ein Schriftsatz zum Zwecke der Terminsbestimmung eingereicht ist, und auf Grund dieser Feststellung hat der Gerichtsschreiber, welchem die Ertheilung des Zeug­ nisses obliegt, die weitere Prüfung vorzunehmen (vgl. auch RG. in I. W. 1888 S. 395). Letzterer kann zwar statt jener Feststellung sich auch anderer Nachweise bedienen, darf diese aber, wie die Mot. hervorheben, nur mit der größten Vorsicht anwenden. (So auch Endemann III S. 115, Hellmann III S. 8 f. u. A.) Falls der Berufungskläger nach Einreichung der Berusungsschrist diese dem Gegner nicht zustellt, vielmehr die Sache ruhen läßt, so ist zwar der Gerichtsschreiber (der höheren Instanz — vgl. Anm. 4) ungeachtet der Terminsansetzung befugt, die Rechtskraftbescheinigung zu ertheilen, sofern er (z. B. auf Grund des eigenen Geständnisses des Berufungsklägers) die Ueberzeugung gewinnt, daß Letzterer innerhalb der Rechtsmittelfrist dem Gegner die Berufungsbezw. Revisionsschrift nicht zugestellt habe (vgl. Scherer in Busch, Z. V S. 489f.); aber dieser Nachweis wird ohne kontradiktorisches Verfahren mit dem Berufungskläger, in welchem dieser die ordnungsmäßige Erhebung des Rechtsmittels nachzuweisen hat, in der Regel schwer zu erlangen sein, und der Gerichtsschreiber daher die Ertheilung des Rechtskraftzeugnisses ablehnen müssen. Dem Gegner des Berufungsklägers bleibt dann nur übrig, die Entscheidung des Gerichts, dem der Gerichtsschreiber angehört, nachzusuchen (vgl. Anm. 6); dieses kann dann nötigenfalls mündliche Verhandlung anordnen (§ 536) und auf Grund derselben entscheiden. sVgl. Seuffert Anm. 3, Gaupp II S. 96, Hellmann S. 802, Fitting §76 N. 21, Falk mann S. 15, S. A. 39 S. 365. Das von Breitn er in Busch, Z. III S. 333 empfohlene Mittel, daß

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 647.

773

§ 647. Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wieder­ aufnahme des Verfahrens beantragt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen ein­ gestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde, und daß die erfolgten Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Ein­ stellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachtheil bringen würde Die Entscheidung kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. N. Eni«. §§ 294, 868. Prot. ©. 334.

Ent«. I. § 571.

Ent«. II § 591.

Ent«. III § 60».

Mot. @. 394, 395.

der Gerichtsschreiber auf Grund des § 134 die Handaktcn des Schuldners einfordert, dürfte deshalb nicht durchgreifen, weil nur das Gericht zur Einforderung berechtigt ist. Ebensowenig dürfte, wie v. Lang im cm. Arch. 76 S. 272 annimmt, der Gerichtsschreiber berechtigt sein, dem in erster Instanz Unterlegenen eine Frist für den Nachweis zu setzen, daß die Rechtskraft durch Einlegung der Berufung gehemmt sei, widrigenfalls er die Vollstreckungsklausel ertheilen werde. Der in den früh. Aust. n. von Kleiner III S. 11, sowie in der Anm. in S. A. 39 Nr. 268 S. 365 vorgeschlagene Weg, daß der Gegner des Berufungsklügers diesen vor das Berufungsgericht laden und nach Analogie des § 497 erkennen läßt, daß die Berufung nicht in der gesetzlichen Form eingelegt sei, erscheint deshalb nicht gangbar, weil das Berufungsgericht, falls die Einlegung der Berufung von keiner Seite behauptet wird, nicht thätig werden kann (Gaupp a. a. O.; vgl. auch RG XXI S. 375). Das Verfahren erster Instanz aber (welches Wilm. Levy Anm. 5 behufs akzessorischer Entscheidung über die Frage der Rechtskraft neu eröffnen bezw. fortsetzen wollen; vgl. auch Busch, Z. XVI S. 315 f.y ist mit dem Endurtheil, abgesehen von §§ 667, 686, beendet (vgl. auch RG. IX S. 387 a. (5.).] Von dem Zeitpunkte an, in welchem der Gerichtsschreiber der höheren Instanz zur Ertheilung des Zeugnisses über die Rechtskraft (Abs. 1) zuständig ist (vgl. Anm. 4), ist er nicht mehr zur Ausstellung des Zeugnisses des Abs. 2 verpflichtet (NG. IX S. 386). 6) Wegen Verweigerung des Zeugnisses der Rechtskraft findet nach den §§ 530, 539 Anrufung der Entscheidung des Prozeßgerichrs, eventuell Beschwerde statt. Letztere ist nicht die sofortige (§§ 540, 701), da die Ertheilung des Zeugnisses nicht in nothwendiger Beziehung zur Zwangsvollstreckung steht (vgl. Wilm. Levy Anm. 5 a. E., Seuffert Anm. 5, RG. XXV S. 387. A.M. Petersen § 646 Nr. 4, Falkmann S. 15. Vgl. auch RG. IX S. 386). 7) Hinsichtlich der Gebühren s. GKG. § 47 Nr. 16 (in der Fassung v. 29. Juni 1881); GO. f. RA. §§ 24, 35.

8 647. 1) Abs. 1: „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" — vgl. §§ 211 ff. „Wiederaufnahme des Verfahrens" — vgl. §§ 541 ff. „Wird" - „beantragt" — Die Zustellung des Wiedereinsetzungsschristsatzes muß dem Gerichte nachgewiesen werden (vgl. § 657 Anm. 1). 2) „kann" — Der Aufschub der Zwangsvollstreckung ist nur fakultativ. (A.M. Heil6nt im eiv. Arch. 69 S. 426). „Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Ver­ fahrens durch die Ntchtigkeils- oder Restitutionsklage setzen ihrer Natur nach einen vollständig abgeschlossenen Rechtsstreit voraus und sind deshalb nicht geeignet, ohne Weiteres den Aufschub der Zwangsvollstreckung zu bewirken. Bei diesen AnfechtungsMitteln kann nur in Frage kommen, ob trotz der Rechtskraft aus besonderen Gründen die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung stattzufinden habe. Selbst die bereits erfolgten Vollstreckungsmaßregeln wieder aufzuheben, muß unter Um-

774

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 647.

ständen gestattet sein. Da aber in diesem Falle dem Gläubiger wohlerworbene Rechte erwachsen sind, welche je nach dem Modus der stattgehabten Vollstreckung eine sehr materielle Tragweite haben können (vgl. § 709 u. et.), so darf die Aufhebung nur gegen volle, den ganzen Umfang der Forderung des Gläubigers deckende Sicher­ heitsleistung angeordnet werden" (Mot.). „aus Antrag" — Derselbe unterliegt, wenn er einen Anwaltsprozeß betrifft, dem An­ waltszwange nach § 74 (Wilm. Levy Anm. 5 u. A. A.M. Hellmann III S. 10). „anordnen" — vgl. über die Natur dieser Anordnungen §§ 535 Anm. 4, 668 Anm. 4. „einstw eilen eingestellt" — Dies kann auch in der Weise geschehen, daß nach dem Einstellungsbeschlusse zwar einzelne Zwangsvollstreckungshandlungen, z. B. die Versteigerung, noch vorgenommen werden, aber eine Auszahlung des Erlöses an die Gläubiger (vgl. § 720) nicht stattfinden darf. Vgl. §§ 668 Abs. 2, 685 Abs. 1, 688 Abs. 1, 690 Abs. 3, 691, 692; RG. VII S. 3.18. S. noch Busch, Z. XIX S. 451 ff. Die Anordnung der Einstellung ist statthast, sobald die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung durch das Vorhandensein eines vollstreckbaren Urtheils gegeben ist (RG. XXX11 S. 393). — Die vom Schuldner zu leistende Sicherheit haftet dem Gläubiger nicht nur für den Schaden, der ihm dadurch erwächst, daß er das Urtheil nicht sofort vollstrecken lassen kann, sondern überhaupt für dasjenige, wozu der Schuldner in der für vorläufig vollstreckbar erklärten Entscheidung verurtheilt ist, insofern und insoweit diese Entscheidung demnächst bestehen bleibt (RG. XXV S. 374). „nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde" — oder nur gegen Leistung einer höheren Sicherheit (RG. XXVII S. 364). „die erfolgten Vollstreckungsmaßregeln — aufzuheben" — vgl. §§ 668 Anm. 4, 690 Abs. 3, 692. Diese Anordnung ist nicht mehr zulässig, wenn die Zwangsvollstreckung bereits beendigt, z. B. ihr Gegenstand bereits dem Gläubiger ausgeantwortet ist (RG. XXIII S. 336). „gegen Sicherheitsleistung" — Diese ist hier stets nöthig; der zweite Satz des Abs. 1 bezieht sich auf diesen Fall nicht. Wegen der Art der Sicherheitsleistung s. Anm. 4. 3) „das Gericht" — d. h. dasjenige, welches über die Anfechtung selbst zu entscheiden hat; deren voraussichtlicher Erfolg ist bei der Frage nach der Einstellung der Vollstreckung u. s. tu. wesentlich zu berücksichtigen. 4) Die Art der Sicherheitsleistung bestimmt § 101, wie sich auch aus den Mot. zu diesem Paragraphen ergiebt. Die Hinterlegung eines Streitgegenstandes, welcher nicht in baarem Gelde oder in Werthpapieren besteht, ist hiernach nicht zulässig, obgleich die Mot. bemerken: „Die Zulassung der Hinterlegung des Streitgegenstandes durch den Schuldner war nicht besonders zu erwähnen, da sie nur eine Art der sowohl vom Schuldner als dem Gläubiger zu leistenden Sicherheit darstellt," also die Hinterlegung ganz unbeschränkt zuzulassen scheinen. Anders in den Fällen der §§ 652 Abs. 2, 6o9, 691 Nr. 3, 716 Abs. 2, 738. (Ebenso RG- X S. 316, Seuffert Anm. 1 a, Gaupp II S. 298f., Wilm. Levy Anm. 6, Petersen ß 647 Nr. 3 u. A. A.M. Sarwey II S. 97.) Soweit das Gericht jedoch auch ohne Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung einstellen kann, ist es auch befugt, die Einstellung von der Hinterlegung des Streitgegenstandes abhängig zu machen (vgl. Seuffert Anm. 1 b). 6) Ueber die Rechtsverhältnisse an der Sicherheit s. § 709 Anm. 6. 6) Abs. 2: Wegen der Zustellung s. § 294. Bezüglich der Unanfechtbarkeit des Beschlusses bemerken die Mot.: „Die Gestaltung einer Anfechtung der Entscheidung über Einstellung u. s. w. der Vollstreckung könnte der Entscheidung in der Hauptsache präjudiziren und erscheint deshalb unzweckmäßig. Da die Einstellung nur eine einstweilige ist, so kann sowohl das Jnstanzgericht, als im Lause einer höheren Instanz das Gericht dieser Instanz jederzeit eine andere Anordnung erlassen; damit ist dem Bedürfnisse einer Aenderung der ersten Entscheidung genügt."

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 648.

775

§ 648. Auch ohne Antrag sind für vorläufig vollstreckbar zu erklären: 1. Urtheile, welche auf Grund eines Anerkenntnisses eine Verurtheilung aus­ sprechen (§. 278); 2. Urtheile, welche den Eintritt der in einem bedingten Endurtheile ausge­ drückten Folgen aussprechen; 3. ein zweites oder ferneres in derselben Instanz gegen dieselbe Partei zur Hauptsache erlassenes Versäumnißurtheil; 4. Urtheile, welche im Urkunden- oder Wechselprozesse erlassen werden; 5. Urtheile, durch welche Arreste oder einstweilige Verfügungen aufgehoben werden; 6. Urtheile, welche die Verpflichtung zur Entrichtung von Alimenten aus­ sprechen, soweit die Alimente für die Zeit nach der Erhebung der Klage und für das diesem Zeitpunkte vorausgehende letzte Vierteljahr zu ent­ richten sind. N. Entw. § 884. Entw. L § 572. Entrv. II. § 592. Entw. III. § 601. Mot. S. 388, 395-397, 399. Prot. S. 334-339, 562, 563, 725-731.

Nach der — nicht unbedenklichen (f. SB Um. Lev y Anm. 10; vgl. auch § 320 Anm. 3) — Rechtsprechung des RG. soll jedoch eine Anfechtung des Beschlusses in derRücksicht, ob die Voraussetzungen des § 647 vorliegen, nicht ausgeschlossen sein (RG- XXV S. 402, XXVII S. 364, XXXII S. 394, in Gruchot 31 S. 103, in I. SB. 1892 S. 95, 370, 1893 S. 540, im D. RAnz. 1890 bes. Beil. S. 204. S. auch RG. in I. SB. 1892 S. 57). 7) Eine entsprechende Anwendung des § 647 enthält § 667. — Auf einstweilige Verfügungen (§§ 814 ff.) findenihrer Natur nach die §§ 647, 657 keine Anwendung (RG. in I. SB. 1887 S. 313, 1893 S. 540). Vgl. auch §§ 657 Anm. 2, 818. 8) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 35 Nr. 1, 39 (beide in der Fass. v. 29. Juni 1881), GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 4.

§§ 648—659. 1) Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat in der CPO. nicht die Bedeutung, wie im stanz. Recht, daß erst der demnächstige Angriff eines Urtheils dessen Vollstreckbarkeit hemmt (vgl. § 645 Anm. 5), sondern die einer ausnahmsweise eintretenden Vollstreckbarkeil von Urtheilen im Gegensatze zu der regelmäßig erst mit der Rechtskraft eintretenden Vollstreckbarkeit. Aber auch in dieser Gestalt bildet sie ein starkes Gegengewicht gegen die unbegrenzte Berufungs­ fähigkeit aller Urtheile erster Instanz (vgl. Brettner in Busch, Z. I S. 236, Wach, Vortr. S. 220 ff.). 2) In Betreff der prozessualen Behandlung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ist dagegen die CPO. — abweichend vom gern. Rechte, wonach das Urtheil selbst über seine etwaige provisorische Vollstreckungsfähigkeit sich nicht ausspricht, vielmehr erst nachträglich in Folge eines Vollstreckungsgesuchs von dem Vollstreckungsrichter geprüft wird, ob der Fall einer Aus­ nahme vorliegt — dem in die Prozeßordnungen von Hannover, Bayern, Württemberg und in die neueren Entwürfe übergegangenen Systeme des stanz. Rechts gefolgt, wonach der Rechts­ streit selbst sich auf die vorläufige Vollstreckbarkeit mit erstreckt und dieser Streit daher auch bei Verhandlung und Entscheidung der Hauptsache zum Austrage zu bringen ist (§§ 653, 654; vgl. RG. XX S. 423). Wird letztere auf Versäumniß entschieden, so bildet mithin auch die Vollstreckbarkeitserklärung einen Theil des Versäumnißurtheils und ist gleich diesem durch Einspruch und nur im Falle des § 474 durch Berufung anfechtbar. Ueber die Schadensersatzpflicht des Klägers im Falle späterer Aufhebung des Urtheils s. §§ 655 Anm. 4, 563 Anm. 5, 805 Anm. 1. 3) Die §§ 648—650 handeln von den Fällen der vorläufigen Vollstreckbarkeit. § 648 Lählt diejenigen Fälle auf, in welchen die vorläufige Vollstreckbarkeit regelmäßig und zwar

776

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 648.

kraft Gesetzes eintritt; § 649 bezeichnet diejenigen, in welchen sie gleichfalls regelmäßig, aber nur auf Antrag Platz greift, und § 650 behandelt die Voraussetzungen, unter welchen auch in anderen Fällen ausnahmsweise und nur auf Antrag die vorläufige Vollstreck­ barkeit auszusprechen ist. — Sämmtliche Paragraphen haben für Urtheile erster und zweiter Instanz (für die letzteren, insoweit sie noch der Revision unterliegen), mithin der Amts-, der Land- und der Oberlandesgerichte Bedeutung. Eine Ausnahme von den Vorschristen der §§ 648 bis 650 zu Gunsten des Schuldners enthält § 651. Milderungen des Grundsatzes zu Gunsten des Schuldners enthalten einerseits § 658, andererseits die §§ 652 Abs. 2, 659, 738 (vgl. Hellwig, D. Verpfändung u. Pfändung von Forderungen S. 117 ff.).

4) Die CPO. hat für Urtheile in Handelssachen und für Urtheile, die auf Besitzklagen erlassen werden, — abweichend von N. E. §§ 886, 884 Nr. 1; vgl. auch C. de proc. art. 439 — besondere Bestimmungen nicht ausgenommen; es ist daher, soweit der § 649 Nr. 4 nicht zutrifft, gemäß § 650 im einzelnen Falle zu prüfen, ob ein schwer zu ersetzender oder schwer zu ermittelnder Nachtheil vorliegt, und dabei selbstverständlich auf die Natur des kauf­ männischen Verkehrs und auf den Zweck der Besitzklagen Rücksicht zu nehmen. Wegen der Urtheile der Gewerbegerichte s. Ges. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) § 56; vgl. auch § 72 das. S. ferner Genoss.-Ges. v. 1. Mai 1889 §§ 99, 101, 107. 5) Eine Vorschrift, daß die vorläufige Vollstreckbarkeit sich nicht auf die Prozeß kosten erstrecke und wegen dieser nicht erkannt werden dürfe (Hann. PO. § 409 Abs. 3, Württ. PO. Art. 684 Abs. 4, H. E. § 646 Abs. 3), findet sich in der CPO. nicht; es gilt daher rücksichtlich der Prozeßkosten an sich keine Besonderheit. Soweit mithin nicht ausdrücklich die Verurtheilung in der Hauptsache Voraussetzung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ist, wie in den Fällen § 648 Nr. 1, 6 und § 650, kann auch ein in der Hauptsache der Zwangsvollstreckung nicht unterliegendes, z. B. den Kläger abweisendes Urtheil der Prozeßkosten halber für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. sVgl. Sarwey II S. 99 f., Petersen §§ 648—50 I 4, Gaupp II S. 301, Just im ein. Arch. 68 S. 126 ff., Fitting § 91 N. 4, Hellm ann, Lehrb. S. 808. A.M. Hallbauer in Gruchot 27 S. 14 ff. (welcher aus den Gesetzesmaterialien, die allerdings das Interesse des Klägers in den Vordergrund stellen, herzuleiten sucht, daß der Be­ klagte keinen Anspruch aus die Wohlthat habe), Seuffert § 648 Anm. 3b (insbes. deshalb, weil bei Verurtheilung des Klägers in die Prozeßkosten der Kostenanspruch ein selbständiger sei, und ein praktisches Bedürfniß hier nicht bestehe; ersteres ist aber kein Grund, abgesehen von § 648 Nr. 1 u. 6» und letzteres ist nicht zuzugeben; die Eigenthümlichkeit der Sache ergreift hier den Kostenpunkt mit), Siebenhaar S. 614 Anm. * (der jede vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Prozeßkosten verwirft). Vgl. Nordd. Prot. S. 1964, 2100.] Selbstverständlich bedarf es aber, um von dem Urtheile für die Zwangsvollstreckung Gebrauch machen zu können, zunächst der Fest­ setzung nach § 98 Abs. 2. Wegen § 649 Nr. 4 s. das. Anm. 4. 6) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 26 Nr. 7, 28, GO. f. RA. §§ 29 Nr. 4, 30 Nr. 2.

8 648. 1) „Auch ohne Antrag" — im Gegensatz zu den §§ 649—652. Vgl. übrigens §651. 2) Nr. J: vgl. § 278 Anm. 1. Inwiefern Anerkenntnißurtheile, welche auf eine Fest­ stellungsklage (§231) ergehen, die vorläufige Vollstreckbarkeit begründen, s. § 644 Anm. 3 a. E.,. auch § 231 Anm. 10. Wegen des Kostenpunkts ist vorläufige Vollstreckbarkeit im eigentlichen Sinne zulässig. (Vgl. §§ 648—659 Anm. 5.) 3) Nr. 2: vgl. § 427 Abs. 2. Das bedingte Endurtheil selbst ist niemals vorläufig voll­ streckbar (vgl. §§ 425 Anm. 2, 644 Anm. 1, 5). 4) Nr. 3: vgl. § 645 Anm. 4. Die Bestimmung bezieht sich nicht bloß auf VersäumnißUrtheile, welche auf einen gegen ein Versäumnißurtheil erhobenen Einspruch ergangen sind (vgl.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 648.

7 77

§ 310), sondern auf jedes in der nämlichen Instanz gegen dieselbe Partei zur Hauptsache (also nicht auch in etwaigen Zwischenstreitigkeiten) erlassene Versäumnißurtheil. Wenn also ein Versäumnißurtheil erlassen war, so ist z. B. auch ein in Bezug auf den anderen Theil des Anspruchs in derselben Instanz später erlassenes Versäumnißurtheil vorläufig voll­ streckbar. Demnach liegt in der Nr. 3 zugleich ein wesentliches Schutzmittel gegen die weitgehende Zulässigkeit des Einspruchs (vgl. § 310 Anm. 1 b). Auch das im Falle des § 640 ergehende verurtheilende Versäumnißurtheil gehört hierher (s. H. Meyer in Gruchot 22 S. 282 u. A.). 5) Nr. 4: vgl. §§ 555 ff., 565 ff. Der Zweck des Verfahrens bedingt hier die vorläufige Vollstreckbarkeit, auch wenn das Urtheil unter Vorbehalt der Rechte des Beklagten ergangen ist (vgl. § 562 Abs. 3 u. Anm. 4). 6) Nr. 5: vgl. §§ 805—807, 815, RG. XVIII S. 287, XXV S. 403, § 657 Anm. 2. „Alle Urtheile, durch welche Arreste aufgehoben werden (§§ 805—807), sollen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden; es sind darunter auch diejenigen Urtheile zu verstehen, welche eine Abänderung des Arrestes zu Gunsten des Schuldners enthalten. Erst hiermit wird die Reihe der den Schuldner gegen die Nachtheile einer antizipirten Zwangsvollstreckung schützenden Maßregeln vollständig. — — — — — — „Als Regel muß es auch hier gelten, daß dem Schuldner in keinem Augenblick die Möglichkeit entzogen werden darf, die Entscheidung über den Anest zu fördern; die Rechtsmittelfrist würde ihn, wie die dem Gläubiger gelassene Frist zur Erhebung der Arrestklage, fesseln. Als Regel kann auch wie bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urtheils nicht die Fortdauer der vorläufigen Maßregel des Arrestes nach dessen Aufhebung durch ein, wenn auch nicht rechtskräftiges Urtheil gellen; nicht die sofortige Aushebung des Arrestes, sondern die Fortdauer desselben muß durch besondere Um­ stände gerechtfertigt werden." (M o t. S. 454 f.) Das aufhebende Urtheil tritt schon mit der Verkündung (nicht erst mit der Zustellung) in Kraft (RG. XXXII S. 421). Vgl. auch § 654 Abs. 1. Ein Beschluß nach § 813 bezw. § 818, durch welchen ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung aufgehoben wird, fällt nicht unter § 648 Nr. 5, sondern unter § 702 Nr. 3. Entscheidungen, durch welche Arreste oder einstweilige Verfügungen angeordnet bezw. erlassen werden, sind nach ihrer Natur bezw. nach anderweilen Bestimmungen vollstreckbar (vgl. §§ 809 Anm. 2, 817 Anm. 1 a. E.). 7) Nr. 6: Der Grund der vorläufigen Vollstreckbarkeit liegt für die laufenden Alimente, gleichviel ob gesetzliche (§ 749 Nr. 2) oder vertragsmäßige, in der Natur dieser Verpflichtung. Andere laufende Leistungen, z. B. Pensionen, auch die auf Grund des Reichshaftpflichtgesetzes v. 7. Juni 1871 zuerkannten Renten sind nicht als „Alimente" im Sinne der Nr. 6 anzusehen. (So auch RG. I S. 231 u. in S. A. 40 Nr. 207, 42 Nr. 118, OT. Berlin das. 35 Nr. 128, NOHG. 22 S. 281, Eger, Komm. z. Haftpflichtges. S. 304, Gaupp II S. 302, Petersen §§ 648—650 II 5, Endemann III S. 119 Anm. 4; vgl. Mot. z. Entw. e. b. GB. Bd. II S. 788, Förster (Eceins) 11 § 151 Anm. 19b. Die Ersatzforderung im Falle der Tödtung (§ 3 Nr. 1 das.) rechnen hierher: Mandry S. 451, Seuffert Anm. 8, Siege­ mann im civ. Arch. 68 S. 28 ff., Schanze das. 69 S. 252. A.M. auch Kräwel in Bödiker, Mag. IV S. 73.] (Vgl. Preuß. AGO. I 14 § 6 Nr. 1, 0. de proc. art. 135 Nr. 7, Wind­ scheid, Pand. II § 475 Anm. 10, 11, Dernburg II § 297 Anm. 9.) „s oweit — zu entrichten sind" — Diese Begriffsbestimmung der laufenden Alimente (s. auch § 749 Abs. 4) hängt mit der gesetzlichen Vorauszahlung der Alimentenschulb zusammen. Vgl. Preuß. ALR. I 16 §§ 61—63. Die Nr. 4—6 gelten für Versäumniß- wie für konlradiktorische Urtheile. 8) Ist die vorläufige Vollstreckbarkeitserklärung unterlassen, so kann nach § 654 durch eine Ergänzung des Urtheils (§ 292) geholfen werden. Eine vorläufige Vollstreckbarkeitserklärung hat in den Fällen des §618 selbstverständlich zu unterbleiben, wenn das Urtheil mit der Ver­ kündung schon rechtskräftig wird (vgl. § 645 Anm. 2).

778

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 649.

§ 649. Urtheile sind auf Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn sie betreffen: 1. Streitiukeiten zwischen Vermiethern und Miethern von Wohnungs- und anderen Räumen wegen Ueberlaffung, Benutzung und Räumung derselben sowie wegen Zurückhaltung der vom Miether in die Miethsräume eingeb>achten Sachen; 2. Streitigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, zwischen Arbeitgebern und Arbeitern hinsichtlich des Dienst- und Arbeitsverhältniffes, sowie die im §. 108 der Gewerbeordnung bezeichneten Streitigkeiten, insofern dieselben während der Dauer des Dienst-, Arbeits- oder Lehroerhältnisses entstehen; 3. Streitigkeiten zwischen Reisenden und Wirthen, Fuhrleuten, Schiffern. Flößern oder Auc Wanderungsexpedienten in den Einschiffungshäfen, welche über Wirthszechen, Fuhrlohn, Ueberfahrtsgelder, Beförderung der Reifenden und ihrer Habe und über Verlust und Beschädigung der letzteren, sowie Streitig­ keiten zwischen Reisenden und Handwerkern, welche aus Anlaß der Reise entstanden sind; 4. andere vermögensrechtliche Ansprüche, sofern der Gegenstand der Verurtheilung an Geld oder Geldeswerth die Summe von 300 Mark nicht übersteigt; in Betreff des Werthes des Gegenstandes kominen die Vorschriften der §§. 3 9 zur Anwendung. 91. E»tw. § 884. E»>w. I s 672. Entw. II. § 692. Eittw. III. § 601. ®. 339, 663, 725-731, 745, 746. Pro«. 168. Sinn. 6. 8-13.

SRot. C. 297, 396. Prot.

8 64». 1) Die Entwürfe hatten die Urtheile der Amtsgerichte überhaupt, und zwar ohne Antrag, für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Bestimmung fand jedoch in der RTK. lebhaften Widerspruch, und es wurde anfänglich beschlossen, die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht nur von einem Antrage abhängig zu machen, sondern auch auf die in § 649 Nr. 1—3 hervorgehobenen Fälle zu beschränken. Später aber wurde auf Grund von Anträgen der Abgg. Struckmann und v. Putt kam er die Nr. 4 des § 619 hinzugefügt, und außerdem beschlossen, die hier an­ geordnete vorläufige Vollstreckbarkeit auf die Urtheile der Landgerichte auszudehnen. Wegen der Rechtzeitigkeit des Antrags s. § 653, wegen Anwendbarkeit des § 269 s. §. 653 Anm. 2.

2) Die unter Nr. 1—3 aufgeführten Streitigkeiten stimmen vollständig mit den drei ersten Gruppen derjenigen Streitigkeiten überein, welche nach GVG. § 23 Nr. 2 ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehören. Vgl. die Anm. z. GVG. § 23. Die in diesen Streitigkeiten erlassenen Urtheile unterliegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit, gleichviel ob der Gegenstand der Verurtheilung die Summe von 300 Mk. nicht übersteigt oder darüber hinausgeht. Sind sie, was nach den §§ 38—40 zulässig, vermöge Vereinbarung der Parteien ausnahmsweise bei einem Landgerichte anhängig gemacht worden,-'so unterliegt auch das Urtheil des Landgerichts der vorläufigen Vollstreckbarkeil und ebenso das Urtheil des Oberlandesgerichts in der Berufungsinstanz. Bei Nr. 1—3 spricht der allgemeine Ausdruck „Streitigkeiten" dafür, daß auch die klag ab weisenden Urtheile bezüglich der Prozeßkosten der vorläufigen Vollstreckbarkeit unter­ liegen; Entstehungsgeschichte und Grund des Gesetzes können dagegen nicht in Betracht kommen. (So auch Gaupp II S. 304, Wilm. Levy Anm. 4, Just im civ. Arch. 68 S. 126ff., Auerbach in Gruchot 29 S. 623ff. A. M. Hallbauer das. 27 S. 24f., Seuffert §648 Anm. 3.) Vgl. §§ 648, 649 Anm. 5. Anders unten im Falle der Nr. 4. 3) Die nicht unter Nr. 4—3 aufgeführten Streitigkeiten wegen Vieh Mängel, wegen Wildschäden, sowie über Ansprüche aus einem außerehelichen Beischlafe (GVG. § 23

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 650.

779

§ 650. Urtheile sind auf Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Aussetzung der Vollstreckung dem Gläu­ biger einen schwer zu ersetzenden oder einen schwer zu ermittelnden Nachtheil bringen würde, oder wenn sich der Gläubiger erbietet, vor der Vollstreckung Sicherheit zu leisten. N. Entw. § 885. S. 339.

Entw. I. § 573.

Entw. II. § 593.

Enltv. III. § 602.

Mot. S. 397-399. Prot.

Nr. 2 Abs. 4—6) unterliegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit nur insoweit, als bei ihnen der Gegenstand der Verurtheilung an Geld oder Geldeswerth die Summe von 300 Mark nicht übersteigt oder einer der in § 648 oder in § 650 aufgeführten Gründe zutrifft. Bei dem Aufgebotsversahren (GVG. § 23 Nr. 2 a. E.) kann seiner ganzen Natur nach von einer vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht die Rede sein. 4) Nr. 4: „vermögensrechtliche An sprüche" — vgl. § 21 Sinnt. 2, Auerbach in Gruchot 29 S. 615 ff. „der Gegenstand der Verurtheilung" — Bei Berechnung des Werths kommt es mithin nicht auf den Zeitpunkt der Klagerhebung, wie nach § 4, sondern auf den Zeitpunkt des Urtheils an; die vorläufige Vollstreckbarkeil tritt ein, wenn der dem Gläubiger im Urtheile — auch in einem Theilurtheile — zuerkannte Theil des Streitgegenstandes die Summe von 300 Mark an Geld oder Geldeswerth nicht übersteigt (Prot. S. 745). Dagegen kann ein zu einem Betrage von mehr als 300 Mark verurtheilendes Urtheil nicht theilweise, ttämlich soweit der Gegenstand der Verurtheilung 300 Mark nicht übersteigt, für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (Gaupp II S. 304 u. A.). Vorstehendes gilt auch bei der ob­ jektiven und subjektiven Klagenhäufung (Siebenhaar S. 618 u. A. A.M. für den Fall einer passiv-subjektiven Klagenhäufung Gaupp II S. 304, Seuffert Anm. 3, Wilm. Lev y Anm. 4; s. aber Nr. 4 Satz 2 vbd. mit § 5); desgl. von der Widerklage. Werden dagegen die unter Nr. 1— 3 aufgeführten Streitigkeiten mit anderen, welche der vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht unterliegen, verbunden und in demselben Urtheil entschieden, so ist die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit für jeden Anspruch getrennt zu prüfen. Hinsichtlich derKosten kann, wenn in der Hauptsache eine Verurtheilung nicht erfolgt, auf Grund der Nr. 4 auf die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht erkannt werden. Dagegen spricht der Ausdruck „Gegenstand der Verurtheilung", welcher, wie der ganze Zusammenhang der Nr. 4 und die Bezugnahme auf § 4 ergiebt, auf die Prozeßkosten nicht bezogen werden kann, sowie der Grund und die Entstehungsgeschichte des § 649 (vgl. §§ 648—659 Anm. 5). sS. OLG. Cassel in S. A. 44 Nr. 290, OLG. Hamburg das. 47 Nr. 78, Wilm. Levy Anm. 4, Seuffert § 648 Anm. 3, Gaupp II S. 304, Hellmann, Lehrb. S. 808 f., Fitting § 91 N. 13, Hallbauer a. a. O. S. 14 ff. A.M. OLG. Kiel in S. A. 47 Nr. 300, Bo oft in Wengler, Arch. 1881 S. 321 ff., Auerbach a. a. O. S. 615 ff., 627 ff., Just a. a. O. S. 123 ff.]

§ 650. Literatur: Oertmann, D. rechtl. Natur d. Prozeßkautionen aus §§ 650, 652 CPO., im civ. Arch. 79 S. 244 ff., Seligsohn in Gruchot 34 S. 333. 1) „Urtheile" — kontradiktorische wie Versäumnißurtheile, Urtheile erster wie Urtheile zweiter Instanz. Vgl. §§ 648—659 Anm. 3, 649 Anm. 2. 2) „sind —zu erklären" - Wird der Antrag vom Gläubiger zeitig (§ 653) gestellt, und ist eine der in § 650 bezeichneten Voraussetzungen gegeben, so muß die vorläufige Vollstreck­ barkeit ausgesprochen werden. Vgl. § 654. B) „glaubhaft gemacht wird — bringen würde" — Eine Sicherheitsleistung (wie z. B. Hann. PO. § 409 Abs. 2) braucht in diesem Falle nicht nothwendig vom Gläubiger gefordert zu werden. Vgl. jedoch § 652 Anm. 1. Beim Ausbleiben des Schuldners sind die

780

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 651, 652.

§ 651. Wird glaubhaft gemacht, daß die Vollstreckung des Urtheils dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachtheil bringen würde, so ist in den Fällen des §. 648 auf Antrag des Schuldners auszusprechen, daß dasselbe nicht vor­ läufig vollstreckbar sei; in den Fällen der §§. 649, 660 ist der Antrag des Gläu­ bigers zurückzuweisen. N. Entw. § 887. Entw. I. § 574. Entw. II. § 594. Entw. III. 8 603. Mot. S. 898. Prot. S. 339.

§ 652. Das Gericht kann auf Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit von einer vorgängigen Sicherheitsleistung abhängig machen. Das Gericht hat auf Antrag dem Schuldner nachzulassen, durch Sicherheits­ leistung oder durch Hinterlegung die Vollstreckung abzuwenden, wenn nicht der Gläubiger sich erbietet, vor der Vollstreckung Sicherheit zu leisten. N. Entw. 8 888. Entw. 1.8 574. Entw. II. 8 594. Entw. III. 8 604. Mot. S. 398. Prot. S. 339-3 »1.

ihm rechtzeitig mitgetheilten auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 650 sich beziehenden thatsächlichen Behauptungen für zugestanden zu erachten (s. Seuffert § 653 Aum. 2. A.M. Tränkner a. a. O. S. 269, Troll, Vers.-Urth. S. 57, 91). Vgl. § 653 Anm. 2. Im Gegensatze zum § 651 („nicht zu ersetzenden Nachtheil") genügt hier ein schwer zu ersetzender oder schwer zu ermittelnder Nachtheil (z. B. bei einer ferneren un­ befugten Benutzung einer Firma oder eines Waarenzeichens). 4) „wenn sich der Gläubiger erbietet — Sicherheit zu leisten" — eine .,cautio de eventualiter restituendo‘‘ (vgl. Planck 1 S. 369 f.). Hierdurch ist jedem Gläubiger, der ein ihm günstiges Urtheil erwirkt hat, ein Mittel gegeben, zu einer vorläufigen Voll­ streckbarkeit zu gelangen. — Ueber die Art der Sicherheitsleistung s. § 647 Anm. 4, über die Form der Festsetzung der Art der Sicherheitsleistung s. § 101 Anm. 6 ci. E. Die Höhe ist unter Berücksichtigung der Hauptsumme nebst Zinsen und kosten vom Gericht im Urtheile (RG. in I. W. 1887 S. 474), wenn auch nur in relativer Fassung („in Höhe des beizu­ treibenden Betrages" — Gaupp IE S. 305), festzusetzen (s. auch Planck I S. 371 et. E., 372); der Gläubiger braucht einen bestimmten Betrag nicht anzubieten. Der festgesetzte Be­ trag ist auch für die Vollstreckbarkeit des Kostensestsetzungsbeschlusses maßgebend (v. Bruch hausen in Busch, Z. XV S. 402, Gaupp II S. 304, Wilm. Levy Anm. 3). Wegen der Vollstreckung eines Urtheils, in welchem dem Gläubiger eine Sicherheitsleistung auferlegt ist, vgl. § 672 Abs. 2. Ueber die Rechtsverhältnisse an der Sicherheit vgl. § 709 Anm. 6. 5) Der § 650 findet auf den Schuldner, welcher die Verurteilung des Gläubigers (Klägers) in die Prozeßkosten erwirkt hat, keine Anwendung, weil derselbe vor der Verurteilung des Letzteren nicht als „Gläubiger" bezeichnet werden kann, wohl aber auf den Widerkläger. (S. Seuffert § 648 Anm. 3, Fitting § 91 N. 14, Hallbauer ci. ci. O. S. 26. A.M. in ersterer Hinsicht Just a. a. O. S. 131, Auerbach a. a. O. S. 625.) Vgl. §§ 648—659 Anm. 5.

§ 651. Der § 651 stellt (neben dem § 652) das Interesse des Schuldners gegenüber den Vor­ schriften der §§ 648—650 sicher, schränkt aber diese Sicherstellung in die engsten Grenzen ein („nicht zu ersetzenden Nachtheil"). Vgl. übrigens § 652 Anm. 1 u. 2. Auf die Fälle der §§ 496 u. 523 findet § 651 keine Anwendung. Wegen der Ergänzung s. § 654 Anm. 2.

§ 652. 1) Abs. 1 bezieht sich auf alle Fälle, in welchen die vorläufige Vollstreckbarkeil (an sich ohne vorgängige Sicherheitsleistung) ausgesprochen wird (Mot., N. E.: Wilm. Levy Anm. 1 u. A. A.M. Siebenhaar S. 119, der ihn nur auf die Fälle des § 648 bezieht). Er­ handelt von einer seitens des Gläubigers zu bewirkenden Sicherheitsleistung; ob eine solche

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmnngen.

§ 653.

781

§ 653. Die in den §§. 649—652 erwähnten Anträge sind vor dem Schluffe der mündlichen Verhandlung zu stellen, auf welche das Urtheil ergeht. 91. @nlto. § 889. Entw. I. § 673 Abs. 2. Entw. II. § 693 «bs. 2. Entw. III. § 605. Mot. S. 388, 399. Prot. @. 841, 342, 725 - 731. zu verlangen sei, hängt lediglich vom Ermessen des Gerichts ab („kann"). Ein Zwang zur Erfüllung der Bedingung findet nicht statt; der Nachweis der geleisteten Sicherheit ist vielmehr nur eine Voraussetzung zur Erreichung der vorläufigen Vollstreckbarkeit (Bülow im civ. Arch. 62 S. 68). In den Fällen des § 651 kann auch nicht mit der Maßgabe des § 652 auf vor­ läufige Vollstreckbarkeit erkannt werden. Ueber die Art und Höhe der Sicherheitsleistung vgl. §§ 647 Anm. 4, 650 Anm. 4, über den Nachweis derselben § 672 Abs. 2, über die Rechtsverhältnisse an der Sicherheit § 709 Anm. 6. Wegen der etwaigen Ergänzung des Urtheils s. § 654 Anm. 2. 2) Der gleichfalls auf alle Fälle der vorläufigen Vollstreckbarkeit sich beziehende Abs. 2 handelt von der dem Schuldner obliegenden Sicherheitsleistung (eine Art cautio judicatum solvi; vgl. Planck I S. 370 f.) oder Hinterlegung (nämlich des Streitgegenstandes). Diese muß („hat") auf rechtzeitigen Antrag zum Zwecke der Abwendung der Vollstreckung dem Schuldner vom Gerichte gestattet werden, sofern nicht der Gläubiger seinerseits vor dem Schlüsse der mündlichen Verhandlung (Gaupp II S. 307 u. A.) sich zur Sicherheitsleistung erbietet (vgl. §§ 653, 654). In dem letzteren Falle betrachtet das Gesetz das Interesse des Gläubigers, sich die Verfügung über den Streitgegenstand zu verschaffen, als das überwiegende. Selbst­ verständlich vermag übrigens der Gläubiger mit seinem Verlangen nicht durchzudringen, wenn die Voraussetzungen des § 651 vorhanden sind. „Denn in diesem Falle muß das Interesse des Schuldners als das stärkere den Ausschlag geben, so daß das Erbieten des Gläubigers zur Sicherheitsleistung zurück­ gewiesen und von der vorläufigen Vollstreckbarkeit Umgang genommen werden muß, sei es gegen oder ohne Sicherheitsleistung des Schuldners (vgl. Nordd. Prot. S. 1962, 1963)." (Mot.). 3) Der Schuldner hat im Falle des Abs. 2 die Wahl zwischen Hinterlegung des Streitgegenstandes, welche bei Gericht oder einer anderen landesgesetzlich zur Annahme von Depositen bestimmten Stelle (vgl. § 101 Anm. 3) zu geschehen hat, und Sicherheitsleistung (§ 101). Eine Frist ist nicht bestimmt. Die Vollstreckbarkeil wird erst durch die — vom Schuldner durch eine öffentliche Urkunde nachzuweisende (§ 691 Nr. 3) — thatsächliche Sicherheitsleistung oder Hinterlegung gehemmt; bis dahin kann der Gläubiger auf Grund des für vorläufig voll­ streckbar erklärten Urtheils mit der Vollstreckung vorgehen (s. Levy in Gruchot 36 S. 54; vgl. § 691 Anm. 3, § 692). Wegen des Einflusses einer nach Abs. 2 erlassenen Anordnung auf die bereits erfolgte Pfändung vgl. § 659, 738, wegen der civilrechtlichen Wirkungen der Hinterlegung und der Sicherheitsleistung § 709 Anm. 6.

4) Auf die Fälle der §§. 496 u. 523 findet § 652 keine Anwendung; jene Vorschriften lauten ganz unbedingt. Auf die vollstreckbaren Schuldtitel des § 702 Nr. 3, insbesondere die Kostenfestsetzungsbeschlüsse findet Abs. 2 entsprechende Anwendung (RG. in I. W. 1890 S. 41, 360, Gaupp II S. 307 bei N. 4). § 653. Vgl. §§ 648-659 Anm. 2. 1) Treten erst nach dem Schluffe der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht (sei es vor oder nach Einlegung der Berufung), Gründe für die vorläufige Vollstreckbar­ keil ein, so ist durch einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung zu helfen (vgl. auch Nordd. Prot. S. 1960) oder der Antrag auf vorläufige Vollstreckbarkeit in der Berufungsinstanz nach-

782

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 654.

§ 654. Ist der Antrag, das Urtheil für vorläufig vollstreckbar zu erklären, übergangen oder ist in Fällen, in welchen ein Urtheil ohne Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist, eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht erfolgt, so kommen wegen Ergänzung des Urtheils die Vorschriften des §. 292 zur Anwendung. N. Entw. 8 811. Entw. I. § 576. S. 341, 342, 725-731.

Entw. II. § 595.

Entw. III. § 605.

Mot. S. 388, 399.

Prot.

zuholen. Die Stellung des Antrags in der Berufungsinstanz ist sowohl in Bezug auf die Vollstreckbarkeit des Urtheils erster Instanz, wie in Bezug auf die Vollstreckbarkeit des Berufungsurtheils zulässig, da dieser Antrag keinen neuen „Anspruch" (§ 491 Abs. 2) enthält (vgl. OLG. Kiel in S. A. 39 Nr. 269, Neub auer in Busch, Z. XVII S. 480ff., Seuffert Anm. 1, Gaupp II S. 308, Fitting § 91 N. 23 u. A.; f. auch RG. in I. W. 1889 S. 286 Nr. 13. A.M. OLG. Celle in S. A. 37 Nr.165, KG. Berlin das45 Nr. 150, OLG. Jena das. 46 Nr. 74. S. noch § 656 Anm. 1). Durch einen nachträg­ lichen Beschluß kann die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht angeordnet werden (vgl. RG- XX S. 423, §§ 648—659 Anm. 2). Wohl aber ist es nach dem in § 489 Anm. 2 Gesagten für zulässig zu erachten, die Berufung nur zu dem Zwecke einzulegen, um den in erster Instanz nicht gestellten Antrag aus vorläufige Vollstreckbarkeit nachzuholen, obgleich in der Regel ein Interesse an solchem Verfahren nicht vorliegen wird (s. § 656 Anm. 2 ci. E.); anders im Falle des § 654. Auch im Wege der Anschlußberufung kann der Antrag nachgeholt werden (OLG. Kiel a. a. O.). Selbst in der Revisionsinstanz ist die Nachholung des Antrags nicht unbedingt unzulässig, wie die Mot. annehmen (Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert Anm. 1, Gaupp II S. 308, Peters en §§ 653, 654 Nr. 2. A.M. Sarwey II S. 106, Endemann III S. 126, v. Bülow Anm. 3). 2) Die in den §§ 649—652 erwähnten Anträge sind nicht nur prozessualen (die Prozeßleitung betreffenden) Inhalts, sondern beziehen sich auch aus einen Theil der Entscheidung selbst (vgl. §§ 648—659 Anm. 2, RG. XX S. 423, in I. W. 1889 S. 286) und fallen daher unter die §§ 269 und 300 Nr. 3 (Gaupp II S. 308 a. E., Wilm. Levy Anm. 1, Petersen §§ 653, 654 Nr. 2 u. §§ 300—302 I 3 a. E., Fitting in Busch, Z. VII S. 240s. u. Lehrb. § 57 N. 3, §. 78 N. 35, § 91 N. 21, 22, jetzt auch Seuffert Anm. 2. A.M. 5. Aufl., Hell­ mann, Lehrb. S. 807, Brettner in Busch, Z. I S. 237, Trankner das. VII S. 257 ff., Fischer im civ. Arch. 70 S. 345, D. I. Ztg. 1884 S. 441, Troll, Vers.-Urth. S. 57). Vgl. §§ 269 Anm. 1, 300 Anm. 4. 3) Ueber die vorläufige Vollstreckbarkeit des durch Rechtsmittel nicht angefochtenen Theils der Entscheidung vgl. §§ 496, 523.

§ 654. 1) Ist im Falle des § 654 die Frist des § 292 versäumt, so kann ein Rechtsmittel ledig­ lich zwecks Ergänzung nicht eingelegt werden (vgl. § 292 Anm. 5 a. E., Hellmann III S. 17, Lehrb. S. 807, Seuffert Anm. 1, Gaupp II S. 310; Wilm. Levy Anm. 1 lassen Rechts­ mittel wegen der Unterlassung der von Amtswegen auszusprechenden vorläufigen Vollstreckbarkeit zu; Petersen §§ 653, 654 Nr. 2 ohne diese Beschränkung). Vgl. auch § 653 Anm. 1. 2) Auf die in den §§ 651, 652 erwähnten Anträge ist § 654 zwar nicht ausdrücklich ausgedehnt. Der innere Grund trifft hier aber ebenfalls zu. (So auch Sarw ey II S. 107, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Seuffert Anm. 2, Hellmann, Lehrb. S. 808, Endemann III S. 126 f., Gaupp II S. 306, 310, Kleiner III S. 23, welche für diese Fälle nur Rechts­ mittel bezw. Einspruch zulassen wollen.) 3) Im Falle der Versäumniß einer Partei kommen die §§ 295, 296 zur Anwendung (vgl. § 650 Anm. 3, Gaupp a. a. O. A.M. Troll a. a. O. S. 9t). — Im Falle der Ergänzung des Urtheils kommt § 478 zur Anwendung (vgl. OLG. Hamburg in S. A. 41 Nr. 243).

Erster Abschnitt.

Allgemeine ^Bestimmungen.

§ 655.

783

§ 655. Die vorläufige Vollstreckbarkeit tritt mit der Verkündung eines Ur­ theils, welches die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitser­ klärung aufhebt oder abändert, insoweit außer Kraft, als die Aufhebung oder Ab­ änderung erfolgt. Soweit ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urtheil aufgehoben oder ab­ geändert wird, ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem auf Grund des Urtheils Gezahlten oder Geleisteten zu verurtheilen. N. Etttw. 8 890. Guttu. 1.8 575. Guttu. II. 8 596. Guttu. III. 8 607. Mot. S. 399. Prot. S. 343, 344.

§ 655. 1) Abs. 1: Ein dieser Vorschrift entsprechendes Urtheil hebt, sobald es verkündet, obschon noch nicht rechtskräftig ist, ohne Weiteres die vorläufige Vollstreckbarkeil auf; einer vollstreckbaren Ausfertigung (§ 662) desselben bedarf es so wenig wie einer vorläufigen Vollstreckbarkeits­ erklärung, wohl aber der Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung (§ 691 Nr. 1). Vgl. auch § 692. 2) Ein Urtheil, welches die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder abändert, kann entweder in der Berufungsinstanz oder, wenn das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urtheil ein Versäurnnißurtheil war, auf erhobenen Einspruch ergehen. In der Nevisionsinstanz hat ein solches Urtheil nur insoweit besondere Bedeutung, als es nach Abs. 1 auch ohne Zustellung in Wirksamkeit tritt (vgl. § 671 Abs. 1). 3) „die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung" — Letztere bildet, obwohl sie der ersteren hier entgegengesetzt wird, doch nach den §§ 653, 654 einen Theil des Urtheils und unterliegt daher auch denselben Rechtsbehelfen, wie die Entscheidung in der Hauptsache (vgl. jedoch § 656 Abs. 3). 4) Der Abs. 2 ist von der RTK. aufgenommen worden. Die dem § 563 Abs. 2 ent­ sprechende Bestimmung bezweckt, in dem betreffenden Falle die Anstellung einer besonderen Klage von Seiten des Beklagten entbehrlich zu machen, bezieht sich aber so wenig, wie die Vorschrift des § 563, aus den durch die Vollstreckung dem Beklagten etwa außerdem erwachsenen Schaden (vgl. RG. VIII S. 21) oder auf die Zinsen der gezahlten Summe (RG. XXI S. 404, OLG. Jena in S. A. 41 Nr. 254. A.M. Marcus in Gruchot 35 S. 231 ff., Gaupp II S. 312); solche Ansprüche sind vielmehr in einem besonderen Prozesse einzuklagen. (Vgl. NG. XI S. 416, 420, in Gruchot 31 S. 970, Förster (Eccius) I Anh. z. §§ 55, 56 Anrn. 7, Entsch. d. preuß. OT. 31 S. 9. Hiergegen vom legislatorischen Standpunkte aus Wach, Vortr. S. 226 ff.) Die Voraussetzungen des Schadensanspruchs gehören dem materiellen Rechte an (vgl. darüber RG. VIII S. 21, XI S. 415, 420, XIII S. 301, XXX S. 418, in I. W. 1887 S. 68, Planck I S. 372, Wach I S. 192 N. 5, Stein, Urk. u. WP. S. 334 ff., Dernburg II § 295 Anrn. 8, Förster (Eccius) I § 90 S. 547f., Mot. z. Entw. I e. b. GB. Bd. II S. 848). Vgl. §§ 563 Anrn. 5, 805 Anrn. 1 a. E. Andrerseits ist unter dem „auf Grund des Urtheils Gezahlten oder Geleisteten" nicht nur dasjenige, was zwangsweise, sondern auch das, was freiwillig zur Erfüllung des Urtheils gezahlt oder geleistet ist, zu ver­ stehen (RG. XXV S. 426). „aufgehoben" — Das Urtheil selbst, nicht nur die Erklärung der vorläufigen Voll­ streckbarkeit muß aufgehoben werden, damit § 655 Abs. 2 Anwendung finden kann (RG. XXV S. 425, XXIII S. 337 a. E.). Nicht erforderlich ist aber, daß das aufhebende Urtheil zugleich die Klage endgültig abweist; vielmehr genügt z. B., daß an Stelle des unbedingten Urtheils ein bedingtes gesetzt oder die Sache in die frühere Instanz zurückverwiesen wird (vgl. RG. XII S. 359 u. dazu § 499 Anrn. 4 a. E., RG- in S. A. 49 Nr. 137, in I. W. 1893 S. 486, OLG. Marienwerder in S. A. 48 Nr. 161. Abw. Gaupp II S. 311 a. E., Seuffert Anrn. 2). Ueber die Frage der Verurtheilung findet kontradiktorische Verhandlung nach allgemeinen Grundsätzen statt. Der Antrag muß, wie aus der Fassung des Abs. 2 („Soweit — ab ge-

784

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 656.

§ 656. In der Berufungsinstanz ist über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf Antrag vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Die Bestimmung des §. 486 über die Vertagung der mündlichen Verhand­ lung findet in diesem Falle keine Anwendung. Eine Anfechtung der in der Berufungsinstanz über die vorläufige Vollstreck­ barkeit erlassenen Entscheidung findet nicht statt. N. Entw. § 892. Entw. I. § 577. Entw. II. 8 597. Entw. III. 8 608. Mot. S. 399, 400. Prot. S. 344.

ändert wird, ist — zu v erurtheilen) und aus der Natur der Sache sich ergiebt, in der Verhandlung, auf welche das Urtheil über Aufhebung des für vorläufig vollstreckbar erklärten Urtheils ergeht, gestellt werden (Seuffert Anm. 2, Sarwey II S. 108 u. A.; vgl. auch RG. in S. A. 47 Nr. 247. A. M. OLG. Hamburg in S. A. 39 Nr. 68, welches mit Unrecht ein arg. e contr. aus § 653 geltend macht, u. Endemann III S. 127). Die Verurtheilung zur Erstattung kann durch Kompensationseinreden oder sonstige Einwendungen nicht abgewendet werden (RG. in I. W. 1894 S. 518). Der Antrag ist nicht nur bei der Einspruchsverhandlung und in der Berusuugsinstanz, sondern auch in der Revisionsinstanz zulässig; im Falle der Aufhebung des Berufungsurtheils ist die Sache nach § 528 an das Berufungsgericht zurückzuweisen. (So auch RG. XXVII S. 44, Busch, Z. XIII S. 408, Hellmann III S. 18 u. Lehrb. S. 806, Gaupp II S. 311 u. A. A.M. Sarwey a. a O.) 5) Das auf Grund des Abs. 2 erlassene Urtheil unterliegt, da rücksichtlich desselben be^ sondere Bestimmungen (wie in Abs. 1) nicht getroffen sind, in Betreff der Vollstreckbarkeit (§ 644), der Nothwendigkeit der vollstreckbaren Ansfertigung (§ 662), der Zustellung (§ 671 Abs. 1) und der Zulässigkeit der Rechtsmittel den allgemeinen Vorschriften (vgl. auch RG. in I. W. 1893 S. 308 (bez. § 644), SB Um. Levy Anm. 2, v. Bülow Anm. 4); § 656 Abs. 3 findet keine Anwendung (RG. XXV S. 424, in I. W. 1893 S. 486). 6) Der Abs. 2 findet auf die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung (§§ 807, 815) nicht entsprechende Anwendung (NG. XXI S. 380), wohl aber auf die Aufhebung des Vollstreckungsbefehls (§ 640). [@. OLG. Cvln im Rhein. Arch. 86 I S. 153.] 7) In dem eine mündliche Verhandlung nicht erfordernden Kostenfestsetzungsverfahren gezahlte Kosten auf Grund analoger Anwendung des § 655 zurückzufordern, ist nicht zulässig (RG. i. S. A. 47 Nr. 47, Busch, Z. XIII S. 309, Seuffert Anm. 3; vgl. § 99 Anm. 4 a. E. A.M. Gaupp II S. 312 a. E.). 8) Bei Berechnung der Revisionssumme ist der Betrag des nach Abs. 2 Erstatteten ohne Einfluß (vgl. § 508 Anm. 3 d a. E.).

§ 656. 1) Die Bestimmung des Abs. 1, welcher, wie die Mot. und die Verhandlungen der RTK. klar ergeben, sich nur auf den Fall bezieht, daß die Vollstreckbarkeit Gegenstand eines Rechts­ mittels in der Berufungsinstanz bildet (nicht auch auf den, daß sie daselbst zuerst beantragt wird, wie v. Kräwel in Busch, Z. IV S. 272 ff., Neubauer das. XVII S. 480 ff., Wi lm. Levy Anm. 1 und OLG. Kiel in S. A. 39 Nr. 269 annehmen; vgl. § 653 Anm. 1), hat in dem Interesse seinen Grund, welches die Parteien an der raschen Entscheidung der Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit haben. 2) Die Entwürfe enthielten hinter „Vollstreckbarkeil" noch den Zwischensatz „sofern dieselbe nicht den alleinigen Gegenstand der Verhandlung bildet", um auszudrücken, daß die Vollstreckbarkeit auch abgesehen von der Hauptsache einen selbständigen Gegenstand für die Rechtsmittel bilden könne. Dieser Satz ist zwar von der RTK. gestrichen, dadurch aber an dem Sinne des § 656 nichts geändert worden. Denn da der Antrag auf vorläufige Vollstreckbarkeit, gleich den Anträgen zur Hauptsache, einen Gegenstand kontradiktorischer Verhandlung und Ent­ scheidung bildet (§§ 648—659 Anm. 2), so ist eine auf jenen Antrag ergangene Entscheidung

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 657.

785

§ 657. Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urtheil der Einspruch oder ein Rechtsmittel eingelegt, so finden die Vorschriften des §. 647 ent­ sprechende Anwendung. N. Entw. — Entw. I. § 571. Entw. II. § 598. Entw. III. § 609. Mot. S. 394, 395. Prot. S. 344.

nach allgemeinen Grundsätzen über die Berufung (§ 499) auch insoweit der Berufung unter­ worfen, als sie nicht ausdrücklich von der Anfechtbarkeit ausgeschlossen ist (vgl. z. B. Bayer. PO. Art. 701, SBüitt. PO. Art. 686). Eine derartige beschränkende Bestimmung aber findet sich nirgends; ein auf eine solche Beschränkung gerichteter Antrag wurde nach erfolgter Streichung jenes Zwischensatzes zurückgezogen. Mit dieser Auffassung stimmt offenbar auch die Ansicht des Reg.-Vertreters v. Amsberg überein, welcher sich mit der Streichung des Satzes einverstanden erklärte, weil er überflüssig sei. (Vgl. Nordd. Prot. S. 1960 f., Fitting § 91 9t. 24, Wach, Vortr. S. 224 ff., Wilm. Levy Anm. 1 u. A., auch RG. XXV S. 424.) In der Regel wird nun freilich ein Interesse nicht vorliegen, die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit zum alleinigen Gegenstände des Rechtsmittels zu machen. Allein es lassen sich doch derartige Fälle denken, z. B. bei einem Gläubiger, der ein in der Hauptsache ihm günstiges Urtheil erwirkt hat, welches aber nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt ist (vgl. N. E. § 892), oder bei einem Schuldner, der die Frage der Vollstreckbarkeil möglichst rasch (vgl. §§ 204, 481) zur Entscheidung zu bringen, für die Hauptsache aber noch längere Zeit zur Ueberlegung und Vorbereitung zu behalten wünscht. (Vgl. auch Wach a. a. O.) 3) Das Berufungsgericht hat die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach allen Richtungen frei nach den Umständen des Falles zu prüfen, ohne an die Auffassung des ersten Richters in Betreff der Hauptsache oder in Betreff der besonderen Voraussetzungen der vorläufigen Vollstreckbarkeit irgendwie gebunden zu sein (Mot.; anders Nordd. Prot. S. 1961). Es kann insbesondere die Vollstreckbarkeit aufheben, wiewohl es die Beschwerde des Schuldners in der Hauptsache für unbegründet erachtet. 4) Der Abs. 2 ist eine Folge der Möglichkeit, in der Berufungsinstanz über die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit allein und vorab zu verhandeln. 5) Der A b s. 3 schließt die Revision aus, weil ihre Zulassung der Vergänglichkeit des Interesse der Parteien an diesem Streitgegenstände nicht entsprechen würde (Mot.). Der Abs. 3 bezieht sich — im Gegensatz zu den Abs. 1 und 2 — auch auf Fälle, in welchen über die Vollstreckbarkeit in der Berufungsinstanz zum ersten Male entschieden worden ist. Außer der allgemeinen Fassung des Textes spricht dafür insbesondere auch der aus den Mot. ersichtliche Zweck der Bestimmung (Endemann 111 S. 129, Petersen §§ 655—657 II 4, Seuffert Anm. 4 u. A. A.M. Hellmann III S. 19 f.). Die Entscheidung des § 655 Abs. 2 wird durch Abs. 3 nicht betroffen (s. §. 655 Anm. 5).

8 657. 1) Der § 657 handelt nur von einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvoll­ streckung, ehe über die Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit in der Berufungsinstanz nach § 656 entschieden ist (A.M. v. Kräwel in Busch, Z. IV S. 273, der zu unrichtigen Schluß­ folgerungen bezüglich der angeblich ungünstigen Lage des Schuldners gelangt), und schreibt des­ halb eine mündliche Verhandlung nicht vor (RG. in I. W. 1889 S. 286). Die Einlegung, d. h. die Zustellung, muß dem Gerichte nachgewiesen werden. Die bloße Einreichung des Schriftsatzes zur Terminsbestimmung genügt nicht (Wilm. Levy § 247 Anm. 3, Falkmann S. 146. A.M. Peters in Gruchot 29 S. 653ff.), sofern nicht gleichzeitig in anderen als Anwaltsprozessen die Vermittelung des Gerichtsschreibers zur Zustellung in Anspruch genommen wird (vgl. Wilm. Levy Anm. 1). Dagegen ist der Nachweis der Zustellung des angefochtenen Urtheils nicht erforderlich (NG. in I. W. 1892 S. 95). ©trucfmann u. Koch, Civilproächordnung. 6. Aufl.

786

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 658.

§ 658. Ist auf Bewirkung einer Eintragung im Grund- oder Hypotheken­ buche erkannt, so darf das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urtheil nur in der Weise vollzogen werden, daß die Eintragung in der zur Sicherstellung eines An­ spruchs auf Eintragung vorgeschriebenen Form (Vormerkung, Protestation, arrestatorische Verfügung, Dispositionsbeschränkung u. s. w.) erfolgt. N. Ent«. - Ent«. I. u. II. - Ent«. III. - Mot. — Prot. E. 327-330, 412, 413.

2) „ein für vorläufig vollstreckbar erklär les Urtheil" — Einem solchen steht nach § 640 der Vollstreckungsbefehl gleich. Auch ein vorläufig vollstreckbares Urtheil auf Aufhebung des Arrestes (§ 648 Nr. 5) fällt darunter (RG. XXV S. 401), nicht aber ein Arrestbefehl oder eine einstweilige Verfügung, da diese nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt sind (RG. in I. W. 1887 S. 312, 1894 S. 14, OLG. Cöln im Rhein. Arch. 86 1 S. 145, § 647 Anm. 7). Vgl. im Uebrigen § 647 Anm. 2—6.

3) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 35 Nr. 1 (in der Fass. v. 29. Juni 1881), 39 Abs. 1, GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 4. 8 658. 1) Der von der RTK. aufgenommene § 658 bezweckt, denjenigen, gegen den das vor­ läufig vollstreckbare Urtheil gerichtet ist, gegen die Folgen eines Nechtserwerbes durch gutgläubige Dritte zu schützen. Er bezieht sich aber nur auf den Fall, wo auf die Eintragung un­ mittelbar erkannt ist, nicht auch auf die Fälle, in denen das Urtheil nur einen Titel zu einer Eintragung giebt (§ 757 Abs. 2); ob in den letzteren Fällen eine vorläufige oder endgültige Eintragung erfolgt, entscheiden die Landesgesetze.

2) „Eintragung" — darunter ist hier auch eine Löschung zu verstehen. „die Eintragung — erfolgt" — Die Eintragung selbst wird nicht verhindert; aber sie erfolgt in einer Weise, welche jeden Dritten deutlich erkennen läßt, daß sie nur eine vorläufige ist, und daß auf Grund derselben ein sicheres Recht nicht erworben werden kann. Wie diese vorläufige Eintragung später in eine endgültige zu verwandeln bezw. zu löschen ist, bestimmen die Landesgesetze; vgl. z. B. Preuß. Grundb.-O. § 89 und hinsichtlich der Löschung den analog anzuwendenden § 19 t>. AG. z. CPO.

3) „Vorm erkung, Protestation------- u. s. w." — verschiedene Ausdrücke für die Eintragung zur Sicherstellung in den verschiedenen deutschen Grundbuch- und Hypothekensystemen. Vgl. z. B. für Preußen: Ges. f. Neuvorpommern u. Rügen v. 21. März 1868 § 52 (GS. S. 293) („Protestation"); f. d. landrechtl. Gebiet: Ges. v. 5.' Mai 1872 §§ 8, 16, 22, 70 (GS. S. 433), Grundb.-O. v. 5. Mai 1872 §§ 88, 119, 121 (GS. S. 446); Ges. v. 26. Mai 1873 f. Neuvorpommern u. Rügen § 20 (GS. S. 229); Ges. v. 28. Mai 1873 f. Hannover §§ 3, 44 (GS. S. 253); Ges. üb. d. Zwangsvollstr. in d. unbew. Verm. v. 13. Juli 1883 §§ 7, 126 (GS. S. 131) u. a. (sämmtlich: „Vormerkung"). Ob zur Eintragung das Ersuchen einer Be­ hörde (vgl. § 698 — z. B. des Prozeßrichters nach dem preuß. Ges. v. 5. Mai 1872 §§ 8, 16, 22, 60,70; AG. z. CPO. §18) erforderlich, oder ob sie unmittelbar bei der Hypothekenbehörde nachzusuchen ist, bestimmen die Landesgesetze. (Vgl. Achilles (Strecker), D. preuß. Ges. üb. Grundeig. rc. 4. Aufl. S. 286 ff., Bahlmann, Preuß. Grundbuchrecht. 3. Aust. S. 299 ff., Kindel in Gruchot 24 S. 303 ff.) Für Bayern s. Hypoth.-Ges. §§ 27—30, für Sachsen Bürg. GB. §§ 404—407. Eine Anwendung des § 658 enthält § 9 Abs. 1 des Preuß. Ges., betr. die Zwangs­ vollstr. in d. unbew. Herrn, v. 4. März 1879 (GS. S. 102). Vgl. auch AG. z. CPO. § 17. AG. z. KO. § 2.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§§ 659, 660.

787

§ 659. Ist in Gemäßheit des §. 652 Abs. 2 dem Schuldner nachgelassen, durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung die Vollstreckung abzuwenden, so ist gepfändetes Geld oder der Erlös gepfändeter Gegenstände zu hinterlegen. N. Entw. - Entw. I. u. II. — Entw. III. - Mot. -

Prot. S. 368-370.

_ § 660. Aus dem Urtheil eines ausländischen Gerichts findet die Zwangs­ vollstreckung nur statt, wenn ihre Zulässigkeit durch ein Vollstreckungsurtheil aus­ gesprochen ist. Für die Klage auf Erlassung desselben ist das Amtsgericht oder Landgericht, bei welchem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, und in Erman­ gelung eines solchen das Amtsgericht oder Landgericht zuständig, bei welchem in Gemäßheit des §. 24 gegen den Schuldner Klage erhoben werden kann. N. Entw. § 896, 897. Prot. S. 344.

Entw. I. 8 578.

Entw. II. 8 599.

Entw. III. § 610. Mot. S. 400-403.

§ 659. Der von der NTK. aufgenommene § 659 enthält eine Ausnahme von der Regel der §§ 716, 720, wonach gepfändetes Geld und der'Erlös aus gepfändeten Gegenständen an den Gläubiger abzuliefern ist. Diese Ausnahme beruht auf der Analogie des § 652 Abs. 2, welcher freilich von der Abwendung der Vollstreckung aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Urtheil handelt, während hier vorausgesetzt ist, daß der Schuldner die Bedingung nicht erfüllt hat, und es deshalb zur Zwangsvollstreckung kommt. Hat der Gläubiger Sicherheit geleistet, so ist zur Anwendung des § 659 kein Raum. Auch auf die Fälle der §§ 647 Abs. 1, 657, 668 Abs. 2, 685 Abs. 1, 688 Abs. 1 und 690 Abs. 3 ist § 659 nicht auszudehnen. Vgl. auch §§ 738, 716 Abs. 2, 720. Wegen der Wirkungen der Hinterlegung vgl. § 709 Anm. 6.

§ 660. Literatur zu §§ 660, 661: Francke in Busch, Z. VIII S. 1 ff., 529 ff., Rintelen das. IX S. 191 ff., 457 ff., Köhler das. X S. 449 ff., Heidecker das. XVIII S. 453 ff., Wach I S. 223 ff. ii. Vortr. S. 228 ff., Hellmann, Lehrb. S. 809 ff., Fitting § 91 III, Böhm, Hdb. des Rechtshülfeverfahrens (1886) I S. 165 ff., K eyßner im Journal du droit Internat, prive IX S. 1 ff., Keyßner u. Beauchet das. X S. 239 ff., v. Bar, Theorie u. Praxis d. internal. Privat-R. 2. Aust. II S. 461 ff., D ers., Lehrb. d. internat. Privat- u. Strafrechts (1892) S. 168ff., 167 ff. (dazu Oetker in Busch, Z. XIX S. 488 ff.), Zettel, Hdb. des intern. Privat- u. Straf-R. (insbes. mit Rücksicht auf Oesterreich) [1893]. 1) Die CPO. unterstellt, indem sie das Urtheil für einen vollstreckbaren Schuldtitel erklärt, ein inländisches Urtheil. Alle deutschen (ordentlichen) Gerichte sind aber im Verhältnisse zu einander inländische: ihre vollstreckbaren Urtheile sind im ganzen Reiche vollstreckbar (GVG. §§ 157, 161). Auch die Urtheile der Konsulargerichte und der Gerichte in den Schutz­ gebieten sind in Deutschland vollstreckbar (vgl. Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1, Busch, Z. XIV S. 201, 208, 214 N. 7). [Ueber die Vollstreckung der in Deutschland erlassenen Urtheile in den Schutzgebieten s. § 700 Anm., über die Vollstreckung ausländischer Urtheile in den Konsulargerichtsbezirken Francke S. 121 ff.] Den Urtheilen ausländischer, d. h. nicht deutscher, Gerichte ist eine gleiche Vollstreckbarkeit nicht eingeräumt, wie auch völkerrechtlich ein Anspruch auf Vollstreckung richterlicher Urtheile über die Grenzen desjenigen Staates hinaus, dessen Gerichte dieselben erlassen haben, nicht besteht (vgl. Wach I S. 224); ihre Vollstreckbar­ keit ist vielmehr, gleichviel ob das Urtheil vor oder nach dem 1. Oktober 1879 erlassen ist (RG IX S. 368 u. in I. W. 1885 S. 250, 1891 S. 223), an besondere formelle unb materielle Voraussetzungen geknüpft; von den ersteren handelt § 660, von den letzteren § 661. Hiernach richtet sich auch die materielle Rechtskraft ausländischer Urtheile (§ 661 Anm. 10).

788

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 660.

Unter „Urtheil" ist hier nicht bloß ein Urtheil im Sinne der EPO., sondern eine jede Entscheidung eines ausländischen Gerichts zu verstehen, die einen Rechtsstreit auf Grund eines beiden Parteien Gehör gebenden Verfahrens endgültig erledigt (RG XVI S. 428, XXVII S. 414 (Zahlungsauftrag bezw. Zahlbefehl des österr. Rechts), Francke S. 30 ff. u. A. A.M. OLG. Dresden in S. A. 42 Nr. 79, Hellm an n, Lehrb. S. 811 u. in Ärit. Vierteljahrsschr. XXVIII S. 237); insbesondere ist es auch gleichgültig, ob das Urtheil zu Vollstreckungs­ handlungen Anlaß giebt (vgl. § 644 Anm. 1; s. auch Fitting § 91 N. 32 a. E. A.M. Seuffert Anm. 2, Wach I S. 227, anscheinend auch RG. IX S. 372). Dagegen beziehen sich die §§ 660, 661 auf andere vollstreckbare Schuldtitel als gerichtliche Urtheile überhaupt nicht (Francke S. 19 f.), insbesondere nicht auf Urtheile der Verwaltungsgerichte oder ausländische Schiedssprüche (RG. XXX S. 368, v. Bar, Theorie ?c. II S. 467, Francke S. 28 ff.; vgl. § 868 Anm. 1. Nach d. ob.LG. f. Bayern in S. A. 46 Nr. 75 ist aber das Börsenschieds­ gericht in Triest ein Staatsgericht). Aus den Ausdrücken „Urtheil" und „Entscheidung" (§ 661 Abs. 1) folgt ferner, daß richterliche Zwangsvollstreckungsmaßregeln hier nicht in Frage kommen, z. B. Anordnung der Haft behufs Erfüllung der obligatio ad faciendum, Sequestrationsmaßregeln, Anordnung des Arrestes oder einstweiliger Verfügungen (s. Wach I S. 228, v. Bar a. a. O. S. 477, 23Um. Levy Anm. 1. A.M. in letzterer Hinsicht Francke S. 33), ebensowenig rein prozessualische Anordnungen, z. B. des Erscheinens einer Partei, der Vorführung eines Zeugen (Wach a. a. £).). Vgl. auch § 661 Anm. 13. Andererseits ist als vollstreckbares Urtheil nicht bloß eine Ent­ scheidung in der Hauptsache, sondern auch solche über die kosten anzusehen (RG. IX S. 374, Wach a. a. O.). Vgl. § 661 Anm. 1. 2) A b s. 1: F o rm elle Voraussetzung ist Aussprechen der Vollstreckbarkeit durch ein Vollstreckungsurtheil eines inländischen Gerichts. Eine Vollstreckbarkeitserklärung auf einseitigen Antrag des Gläubigers (Hann. PO. § 534) genügt nicht. Selbst wenn früher ncirt) Staatsverträgen ein einfaches Ersuchen genügte, ist nunmehr ein Vollstreckungsurtheil er­ forderlich (Prot. S. 446), da dies mit der ganzen Gerichtsverfassung, insonderheit der Gestalt des Zwangsvollstreckungswesens (s. oben S. 767) untrennbar zusammenhängt. (Vgl. § 661 Anm. 11, Endemann III S. 133, Wilm. Levy § 661 Anm. 7 a. E., Seuffert Anm. 2, Wach I S. 237 ff., Francke S 65 ff., auch Lab and, Staatsrecht, 2. Aust. I S. 668 f., v. Bar, Theorie re. I S. 145. A.M. Gaupp II S. 319 unter Berufung auf RG. XXIV S. 12, XXVI S. 128. Vgl. noch über Art. 18 Abs. 4 der gusatzkonvention zum Franks. Frieden v. 11. Dez. 1871 (RGBl. 1872 S. 20), Petersen in d. jur. Zeitschr. f. Els.-Lothr. VI S. 324 ff., Roßhirt, Bad. Ann. 47 S. 377 ff., Francke S. 67 ff.) Neben der Klage auf Erlassung des Vollstreckungsurtheils ist, da die §§ 660, 661 die Zwangsvollstreckung aus ausländischen Urtheilen erschöpfend regeln wollen, eine Klage auf Erlaß der Urtheilsobligation oder auf Verurtheilung zur Zahlung nach Maßgabe des aus­ ländischen Urtheils (eigentliche actio judicati) nicht zulässig (RG. XVI S. 4SI, in I. W. 1885 S. 250, Fitting § 91 N. 35. A.M. RG. VIII S. 387, IX S. 374). 3) Abs. 2: „Klage auf Erlassung desselben" — Die Klage (eine eigenthümliche Form der actio judicati — s. jedoch auch Gaupp II S. 322) ist nach den allgemeinen Vor­ schriften zu erheben und weiter zu verhandeln. Sie ist auch als Widerklage zulässig (vgl. § 667 Anm. 1), jedoch wegen der Ausschließlichkeil des Gerichtsstandes (s. Anm. 5) nur beim Gerichte des Abs. 2; andererseits können ihr gegenüber unter den Voraussetzungen des § 38 Widerklagen erhoben werden (Francke S. 98 ff.). Urkundenprozeß findet nicht statt, da der Gegenstand ein anderer ist (vgl. Anm. 4). — Wegen der Anstellung durch Rechtsnachfolger s. § 661 Anm. 2. Gegen das Urtheil stehen den Parteien nach allgemeinen Grundsätzen die Rechtsmittel oder der Einspruch zu. Spricht es die Vollstreckbarkeit aus, so ist es gleichwohl nicht sofort

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 661.

789

§ 661. Das Vollstreckungsuriheil ist ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu erlassen. Dasselbe ist nicht zu erlassen: L wenn das Urtheil des ausländischen Gerichte nach dem für dieses Gericht geltenden Rechte die Rechtskraft noch nicht erlangt hat; 2. wenn durch die Vollstreckung eine Handlung erzwungen werden würde, welche nach dem Rechte des über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung urtheilenden deutschen Richters nicht erzwungen werden darf; vollstreckbar, sondern gemäß § 644 erst nach Eintritt der Rechtskraft, sofern es nicht nach Maß­ gabe der ZK 648 ff. für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist. (Vgl. auch Francke S. 7 ff., 32 ff, 9b.) Wegen der Vollstreckungsklausel s. § 662 Anm. 2, wegen der Gerichtsferien GVG. K 204 Anm. 2. 4) „Amtsgericht oder Landgericht" — je nachdem der Gegenstand des Rechtsstreits zur. amtsgerichtlichen oder zur landgerichtlichen Zuständigkeit gehört (GVG. KK 23, 70). Als Gegenstand des Rechtsstreits erscheint hier aber nicht der Gegenstand der ursprünglichen Klage, sondern der der Verurtheilung, soweit daraus die Vollstreckung begehrt wird; dieser ist mithin auch fiir die Berechnung des Werths maßgebend. Wegen letzterer s. §§ 3—9; es kommt auf den Zeitpunkt der Erhebung der Vollstreckungsklage an. Da es sich eben nur um die Vollstreckung handelt, so gehört die Klage, obwohl das Urtheil Novation nicht begründet, bei den in GVG. § 23 bezeichneten Nechtsstreitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurtheilnng, wegen dessen die Vollstreckung verlangt wird, 300 Mark übersteigt, zur Zuständigkeit der Land­ gerichte. (So auch Hell mann III S. 23 f. u. Lehrb. S. 40, Wilm. Levy Anm. 3, Endeiii einn III S. 132, Seuffert Anm. 4, Fitting § 91 N. 34 u. A. A.M. Sarwey II S. 113 Anm. 3, F r an cke S. 92 f.) Vor die Kammern für Handelssachen gehören niemals Vollstreckungsklagen (so alle Komm. u. folgewidriger Weise auch Francke S. 94 f.). Vgl. auch § 765 Anm. 5. Anders § 871. 5) „all g ein einen G erichtsstan d" — vgl. §§ 12—20. „bei welchem — — erhoben werden kann" — Dieser Gerichtsstand des § 24 kann nur auf vermögensrechtliche Ansprüche Anwendung finden. Es genügen daher aber auch Forderungen eines im Auslande wohnhaften Gläubigers an einen im Jnlande wohnhaften Schuldner (vgl. § 661 Anm. 10; Wilm. Levy Anm. 5. A.M. Endemann III S. 133). Der Gerichtsstand des § 660 Abs. 2 ist ein ausschließlicher (§§ 707, 40 Abs. 2; vgl. Francke S. 108; s. auch § 661 Anm. 3). 6) Ueber die Vollstreckung der Entscheidungen außerdeutscher Rheinschifffahrts­ gerichte bezw. Elbzollgerichte in Preußen s. Preuß. Ges., betr. die Rheinschifffahrtsgerichte, v. 8. Marz 1879 § J2 (GS. S. 129) und Ges., betr. die Elbzollgerichte, v. 9. März 1879 § 9 (GS. S. 132). Wegen des internet. Frachtverkehrs s. § 661 Anm. 14. 7) Wegen der Gebühren s. GKG. § 26 Nr. 8, GS. f. NA. § 20. § 061. 1) Abs. 1: Im Gegensatze zum franz. Rechte (0. civ. art. 2123, 2128, C. de proc. art.

546; vgl. auch Bayer. PO. Art. 824), wonach der Schuldner bei der Verhandlung über die Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Urtheils die Sache selbst zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung bringen kann, aber im Anschlüsse an die meisten deutschen Prozeßordnungen (Preuß. AGO. I 24 § 30, Hann. PO. §§ 29, 533 re.) und an die neueren internationalen Anschauungen stellt die CPO. in § 661 den Grundsatz an die Spitze, daß auch Urtheile ausländischer Gerichte im Jnlande als Urtheile anzuerkennen sind und mithin ihrem Inhalte nach einer erneuerten Prüfung nicht unterliegen, und läßt von diesem Grundsätze

790

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 661.

3. wenn nach dem Rechte des über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung urtheilenden deutschen Richters die Gerichte desjenigen Staates nicht, zu­ ständig waren, welchem das ausländische Gericht angehört; 4. wenn der verurtheilte Schuldner ein Deutscher ist und sich auf den Prozeß nicht eingelassen hat, sofern die den Prozeß einleitende Ladung oder Ver­ fügung ihm weder in dem Staate des Prozeßgerichts in Person noch durch Gewährung der Rechtshülfe im Deutschen Reiche zugestellt ist; K. wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. N. (bitte). § 898. Entte). I. § 579. Etetw. II 8 600. S. 344—347, 446-449, 469, 563, 564.

E,Ittel. III. 8 611.

Mot. S. 400-403. Prot.

in Abs. 2 nur bestimmte Ausnahmen zu. Vorausgesetzt ist, daß das Urtheil in einem bürger­ lichen Rechtsstreit erlassen ist (EG. z. CPO. § 3, GVG. § 13). Vgl. § 660 Anm. 1. 2) „ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung" — „Dem inländischen Richter steht keine Kognition über die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung (vgl. Wetzell 2. Aust. S. 420 ff., Mot. z. P. E. S. 246 Nr. 1), also auch keine Kognition darüber zu, ob bei Abfassung dieses Er­ kenntnisses die materiellen Gesetze dieses Staates berücksichtigt sind oder nicht. Selbst auf die Frage, ob etwa gebietende oder verbietende Gesetze seines Staates bei Findung des Urtheils verletzt lvorden sind, darf der inländische Richter nicht eingehen (vgi. Nürnb. Kommiff.-Ber. S. 22, 23)" (Mot.). Hiernach sind nur solche Einwendungen zulässig, welche an sich gegen einen vollstreck­ baren Anspruch erhoben werden können (vgl. v. Bar, Theorie 2C. II S. 521). (S. auch Hann. Prot. XI S. 4088 ff., 4103 ff., 4870, 4912]. Die nach Erlaß der Entscheidung ent­ standenen Einwendungen gegen den Anspruch (s. § 686) sind bei Abgabe des Vollstreckungs­ urtheils zu prüfen. Das das Vollstreckungsuitheil erlassende Gericht ist nicht Vollstreckungsgericht int Gegensatze zum Prozeßgericht, sondern selbst Prozeßgericht für den Vollstreckungs­ anspruch. Auch ist eine Prüfung jener Einwendungen ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der früheren Entscheidung stets möglich (wenngleich nicht immer leicht). sSo auch RG. XIII S. 347 u. in I. W. 1886 S. 195, Wach, Vortr. S. 231 ff. u. Handb. I S. 225 Anm. 18, Planck 1 S. HO Anm. 51, Gaupp II S. 223, Hellmann III S. 27 f. u. Lehrb. S. 831, Fitting § 91 N. 37, Francke S. 12ff., 81 ff., 95, Seusfert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1 u. A. Vgl. auch v. Bar a. a. O. S. 493 ff. A.M. Petersen §§ 660, 661 II 1, OLG. Dresden im du. Arch. 68 S. 403, Tränkner das. S. 397 ff., Rintelen S. 191 ff.; Sarwey II S. 115 Anm. 2 verlangt besondere Feststellungsklage.] Ein Gleiches gilt hinsichtlich der Prüfung der nach Erlaß der Entscheidung eingetretenen Rechtsnachfolge (§§ 6t>.\ 6u7, 687). fSo auch die obigen Schriftsteller, insbesondere v. Bar a. a. O. S. 497 u. außerdem Rintelen S. 211 ff., Schultze, Vollstreckbarkeil der Schuldtitel S. 13, Köhler in Busch, Z. XII S. 122, ferner RG. IX S. 368, XIII S. 349. A.M. Petersen a. a. O. u. A.]

3) Abs. 2: „ist nicht zu erlassen" — Die unbedingte Fassung weistdarauf hin, daß die unter Nr. 1—5 hervorgehobenen Umstände auch von Amtswegen zu berücksichtigen sind (Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 324, OLG. Cöln int Rhein. Arch. 86 1 S. 52, Francke S. 77 ff. u. A.; vgl. auch RG. in I. W. 1886 S. 115. A.M. hinsichtlich der Nr. 1, 3, 4 Seuffert Anm. 2; s. auch v. Bar a. a. O. S. 533 ff). Den Kläger trifft die Beweislast in Gemäßheit des in §§ 130 Anm. 4, 54 Anm. 1 Gesagten; Geständnisse des Beklagten binden daher das Gericht nicht (A.M. in letzterer Hinsicht Gaupp, Wilm. Levy a. a. O., Francke S. 79). Doch wird das Gericht sich in Ermangelung besonderer Umstände in thatsächlicher Beziehung mit den Erklärungen und Beweismitteln der Parteien begnügen. Die in Abs. 2 auf­ geführten Hinderungsgründe sind ausschließliche (vgl. Rintelen S. 191 ff.). Nr. 1: Diese zur Vermeidung von Verwickelungen getroffene Bestimmung hat besonders denjenigen Gesetzgebungen gegenüber Bedeutung, nach welchen die Rechtskraft des Urtheils zur

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 661.

791

Vollstreckbarkeit nicht erforderlich ist; sie gilt auch bei Vollstreckungen gegen die Angehörigen des betreffenden fremden Staats. Ist das Urtheil nur für vorläufig vollstreckbar erklärt, so kann das Vollstreckungsurtheil nicht erlassen werden. Dies gilt namentlich auch von Urtheilen im summarischen Prozesse nach Art des § 562. (So Wach I S. 230, Planck I S. 105, RG. in I. W. 1886 S. 270 Nr. 15, Seuffert § 660 Anm. 3. A.M. Francke S. 33.) — Die Rechtskraft ist nach den Prozeßgesetzen des Auslandes zu beurtheilen (vgl. Francke S. 32 ff., Wach I S. 229 ff.). 4) Nr. 2: Vgl. § 159 d. GVG., § 37 des Rechtshülfegesetzes ö. 21. Juni 1869 (BGBl. S. 305) und Mot. z. P. E. S. 244. Die Worte „nicht erzwungen werden darf" sind von der RTK. statt „verboten ist" gesetzt worden. Vgl. dagegen § 867 Nr. 2. Welche Hand­ lungen nicht erzwungen werden können, bestimmt das diesseitige bürgerliche Recht. Es ge­ hören dahin beispielsweise die Vollziehung einer Ehe (s. § 774 Abs. 2), unsittliche Handlungen, Leistungen öffentlichrechtlicher Natur u. s. w. Der Umstand, daß das Urtheil auf einem nach in­ ländischen Gesetzen unklagbaren oder selbst verbotenen Geschäfte, z. B. Spiel, beruht, genügt an sich nicht; die Erzwingung der Handlung als solche muß verboten, die Zweckbestimmung muß eine unsittliche sein. (So Seuffert Anm. 4, Endemann III S. 482, Petersen §§ £>60, 661 II 3, Sarwey II S. 116, v. Bar a. a. O. S. 481 u. A.) [lieber Urtheile auf ein non facere vgl. Köhler in Busch, Z. X S. 449 ff. u. in gef. Beitr. S. 559 ff., dagegen Heidecker in Busch, Z. XVIII S. 460 ff., über ausländ. Urtheile, betr. einen inländ. Staatsakt Köhler in Busch, Z. X S. 456 u. gef. Beitr. S. 565, Heidecker a. a. O. S. 463.] 5) Nr. 3: Der Grundsatz beruht darauf, daß nur in dem inländischen Prozeß­ rechte die Grundlage für die Anerkennung der ausländischen Gerichtsbarkeit gefunden werden kann (vgl. Preuß. AGO. I 24 § 30, Mot. z. P. E. S. 244, Metzelt S. 516, Bülow, Disposition CPRecht S. 51 ff., Wach I S. 231 ff.; vgl. auch NG. in I. W. 1891 S. 334 Nr. 10, CPO. § 24 betreffend). Zu den Vorschriften des inländischen Rechts, nach welchen der inländische Richter die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung zu beurtheilen hat, gehören auch diejenigen über die Prorogation (§§ 38—40; RG. VII S. 408, Gaupp I S. 91; abw. Planck I Z 21 N. 23). Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist nicht.zu prüfen (s. Seuffert Anm. 5 a. A.M. Rintelen S. 462 f.), ebensowenig die sachliche Zuständigkeit (s. Seuffert Anm. 5b, Wach I S. 230 ff., Rintelen S. 465 u. A.), da die Nr. 3 nach den Mot. und der Entstehungsgeschichte nur die örtliche Zuständigkeit betrifft. 6) Nach der Fassung „die Gerichte desjenigen Staats" u. s. w. und den Mot. scheint es nicht darauf anzukommen, ob gerade das Gericht, welches erkannt hat, nach dem in­ ländischen Rechte zuständig war, wenn nur irgend ein Gericht des auswärtigen Staates darnach zuständig gewesen ist. (So RG. im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 4 S. 185, Wach, Bortr. S. 230 ii. Handb. I S. 231 ff., bes. Anm. 36, Francke S. 36ff., Köhler in Busch, Z. X S. 472, v. Bar a. a. O. S. 424, Fitting § 91 N. 41, Seuffert Anm. 5c, Hellmann, Lehrb. S. 811.) Indessen ist die Beschränkung doch in jenem engeren Sinne gemeint. (S. RG. XXVII S. 409, Wilm. Levy Anm. 5, Petersen §§ 660, 661 II 4, Endemann III S. 135, Gaupp II S. 326 f., v. Bülow Anm. 4, Planck I 8 27 N. 13, Böhm S. 174, OLG. Hamburg in S. A. 41 Nr. 154.) In der RTK. hatte nämlich der Abg. Bähr beantragt, die Nr. 3 dahin zu fassen: „wenn die thatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen der Zuständigkeit der letzteren nach den Grundsätzen des, Deutschen Rechts bemessen, nicht vorhanden waren", um, worauf auch schon die Mot. hinweisen, zum Ausdruck zu bringen, daß der deutsche Richter die Zuständigkeit des ausländischen Richters nicht bloß in abstracto zu prüfen, sondern auch zu untersuchen habe, ob der Richter in concreto zuständig gewesen sei. Der Antrag

792

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 661.

wurde, nachdem der Reg.-Vertreter ihn als den Intentionen des Entwurfs entsprechend bezeichnet hatte (vgl. Mot. S. 402), der Redaktionskommission überwiesen. Diese nahm ihn zwar au3 redaktionellen Gründen nicht an, gab aber folgende von dem Reg.-Vertreter und der gesammten Kommission gebilligte Erklärung über den Sinn der Nr. 3 zu Protokoll (Prot. S. 469): „daß der deutsche Richter die Zuständigkeit des auswärtigen Gerichts nicht allein aus dem Gesichtspunkte zu prüfen habe, ob der auswärtige Richter die richtigen, dem deutschen Rechte entsprechenden Grundsätze über Zuständigkeit angewendet habe, sondern ob auch die Thatsachen, auf welche diese Grundsätze angewendet werden, die Zuständigkeit des auswärtigen Gerichts zu begründen geeignet und erwiesen seien." Die vorstehende Auslegung der Nr. 3 ist auch innerlich begründet, da es sich nicht bloß um Abwendung von Eingriffen in die Deutsche Gerichtsbarkeit, sondern auch um den Schutz deutscher Reichsangehöriger gegen Uebergriffe ausländischer Gerichte handelt (Rintelen S. 457ff.). Jedenfalls hat der inländische Richter auch die thatsächlichen Feststellungen, aus welchen die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts (oder nach der Ansicht Seuffert's diejenige irgend eines ausländischen Gerichts) begründet wird, zu prüfen. Es können also auch neue Be­ hauptungen in dieser Beziehung angeführt werden (vgl. Nordd. Prot. S. 1979, Scufsert Anm. 5 u. A.). Ein anderer Grundsatz gilt bei Versäumnißurtheilen inländischer Gerichte (vgl. § 296 Anm. 3). 7) Nr. 4: Die hier gegebenen, auf Versäumnißurthcile bezüglichen Vorschriften hängen mit den Grundsätzen unter Nr. 3 eng zusaunnen. „ein Deutscher ist" — Es kommt darauf an, ob er zur Zeit der Einleitung des aus­ ländischen Prozesses ein Deutscher war (RG. XVI S. 430. Abweichend Francke S. 39). Der Wohnsitz ist nicht von Erheblichkeit. „sich nicht — eingelassen hat" — d. h. bei Versäumnißurtheilen gegen den Schuldner. In dem Vorbringen prozeßhindernder Einreden liegt schon eine Einlassung (s. auch Wach 1 S. 233 Anm. 42, v.' Bar a. a. O. S. 475, RG. in I. W. 1891 S. 272 Nr. 8). „die den Prozeß einleitende Ladung oder Verfügung" — je nachdem nach dem Prozeßrechte des ausländischen Staates die Einleitung des Prozesses durch eine Handlung von Seilen des Klägers oder durch richterliche Verfügung erfolgt. Auf spätere Znstellungen kommt es nicht an. Auch muß die Ladung oder Verfügung dem Verurtheilten selbst (nicht etwa dem Rechtsrorgänger) zugestellt sein. 8) weder in beut Staate des Prozeßgerichts in Person noch durch Gewäh­ rung der Rechts hülfe im Deutschen Reiche" — Im Ausland e genügt hiernach nicht die sog. Ersatzzustellung (s. §§ 166—169; s. jedoch auch Heidecker a. a. £. S. 484), welche bei der Zustellung im Deutschen Reiche durch Rechtshülfe zulässig ist; ebensotvcnig die öffentliche Zustellung (§§ 186 ff.); wogegen Zustellungen nach Art der §§ 157—164 auch im Auslande ausreichen. (Vgl. Wach I S. 234, Fitting § 91 N. 42.) Inwiefern den aus­ wärtigen Gerichten bezw. auswärtigen Klägern zu dem in Rede stehenden Zwecke Rechtshülfe zu gewähren sei, ist nicht bestimmt. Auf Anfrage in der NTK. erklärte der Reg.-Vertreter, es bestehe hier allerdings eine Lücke, die deshalb nicht ausgefüllt sei, weil man der Neichsregierung bei Regelung dieser Frage durch internationale Verträge habe freie Hand bewahren wollen. Einstweilen entscheidet sich also die Frage nach dem in den einzelnen deutschen Staaten bisher geltenden Rechte bezw. nach deren Staatsverträgen. Ueber die Form der im Wege der Rechts­ hülfe erfolgenden Zustellung s. OLG. Nürnberg in Busch, Z. XV S. 520, aber auch ob.LG. f: Bayern in S. A. 41 Nr. 315. Vgl. ferner Urth. deff. Gerichts in S. A. 46 Nr. 75. 9) Die Nr. 5 (vgl. Francke S. 46 ff.) ist auf Antrag des Abg. Struckmann von der RTK. hinzugefügt worden, um im Interesse der deutschen Staatsangehörigen den Grundsatz der

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 661.

793

Gegenseitigkeit der Nechtshülfe allen ausländischen Staaten gegenüber gesetzlich festzustellen und dadurch zu bewirken, daß ausländische Staaten sich zur Gewährung der Nechtshülfe gegentiber deutschen Urtheilen und zum Abschlüsse von Staatsverträgen veranlaßt finden (vgl. auch Hann. PO. § 29, Württ. PO. Art. 11, Bad. PO. § 843, Oldenb. PO. Art. 337, NOHG. 21 S. 11). Ein anderer Grundsatz, von welchem nach den Mot. anscheinend auch die Entwürfe zur CPO. ausgingen, befolgt der § 4 der KO., indem er die Anwendung eines Vergeltung srechts (Retorsion) gegen die Angehörigen eines ausländischen Staats von der Anordnung des Reichskanzlers unter Zustimmung des Bundesraths abhängig macht (vgl. darüber Mot. z. KO. S. 31 u. Prot, der KO.-Komm. S. 89); die RTK. war aber der Ansicht, daß bei Voll­ streckung ausländischer Urtheile eine von den Umständen des einzelnen Falls und der jeweiligen polittschen Lage unabhängige gesetzliche Regelung vorzuziehen sei. 10) „Gegenseitigkeit — verbürgt" — Dies ist, wie in der RTK. konstatirt wurde, nicht bloß dann der Fall, wenn die Gegenseitigkeit durch Staatsveitrag zugesichert oder durch Gesetz des ausländischen Staats außer Zweifel gestellt ist, sondern auch, wenn in der minder feierlichen Form von Deklarationen die gegenseitige Vollstreckung der Urtheile zu­ gesagt ist, oder wenn die auswärtigen Gerichte nach ständiger Uebung thatsächlich die deutschen Urtheile vollstrecken. (Vgl. auch § 106 Anm. 4, StGB. §§ 102, 103, Ges., betr. die Unzulässigkeit der Pfändung v. Eisenbahnbetriebsmitteln, v. 3. Mai 1886 (s. § 715 Anm. 10) Abs. 3; RG. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 123. Eine Rechtsnorm (EG. § 12) verlangen RG. VII S. 409 u. in S. A. 37 Nr. 276 sowie Francke S. 70, Seu fsert Anm. 7 d, Hellmann III S. 26 u. Lehrb. S. 812. Vgl. jedoch Anm. 12.) Andererseits ist erforderlich, daß das vorhandene Gesetz thatsächlich befolgt wird (RG. in S. A. 44 Nr. 67). Die Frage nach der Verbürgung der Gegenseitigkeit unterliegt in der Regel der Nachprüfung des Nevisionsrichters nicht (s. RG. in I. W. 1891 S. 335). In dem Begriffe der „Gegenseitigkeit" liegt, daß auch die Voraussetzungen, unter welchen der auswärtige Staat die deutschen Urtheile vollstreckt, die gleichen sein müssen oder doch wenigstens nicht wesentlich strenger sein dürfen. (Vgl. auch RG. VII S. 407 N. 2, Gaupp II S. 329 f., Seuffert Anm. 7a, Sarwey lI S. 118 Anm. 9, Wilm. Levy Anm. 7, Petersen §§ 660, 661 II 6, Heidecker et. a. O. S. 485 ff. A.M. Hellmann, Lehrb. S. 812 ff., Francke S. 46 ff., bes. 60 ff., welcher es für gleichgültig erachtet, wie der ausländische Staat die Zuständigkeit für die Entscheidung über Anträge auf Vollstreckung deutscher Civilrechtssprüche ordne, aber selbst keine festen Merkmale für die Gegenseitigkeit angiebt, Wach 1 S. 234 ff, nach welchem nur Gleichheit der materiellen Voraussetzung der Vollstreckbarkeit erfordert wird, und für letztere nicht allein- die Zuständigkeitsnonnen des § 660 Abs. 2, sondern auch die Voraussetzungen des § 661 Nr. 1—4 bedeutungslos sind.j Es genügt z. B. der Umstand, daß ein auswärtiger Staat überhaupt deutsche Urtheile, ohne ihre Gesetzmäßigkeit nach allen Rich­ tungen hin einer erneuerten Prüfung zu unterziehen, vollstreckt, nicht, nm die Vollstreckung eines auf Grund des Gerichtsstandes des Vertrags erlassenen ausländischen Urtheils zu er­ wirken, wenn der auswärtige Staat diesen Gerichtsstand in Bezug auf Urtheile deutscher Gerichte nicht anerkennt. Vielmehr wird in jedem einzelnen Falle zu untersuchen sein, ob ein auswärtiger Staat ein unter wesentlich gleichen Voraussetzungen ergangenes Urtheil des angegangenen deutschen Gerichts vollstrecken würde. Ob das ausländische Urtheil zwischen Ausländern oder zwischen einem Ausländer oder einem Inländer oder auch zwischen Inländern erlassen worden, ist nach dem Wortlaute des Gesetzes und nach dem dem letzteren zu Grunde liegenden Gedanken gleichgültig. (So auch RG. VIII S. 388, Gaupp II S. 330 u. A. A.M. Siebenhaar S. 626.) Parallel mit der Vollstreckungsfähigkeit eines ausländischen Urtheils geht die Anerkennung seiner materiellen Rechtskraft (vgl. Wach I S. 225 ff., RG. XVI S. 435), sowie die Einrede der Rechtshängigkeit (RG. in S. A. 47 Nr. 296, in I. W. 1893 S. 350, Heidecker

794

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 66J.

S. 469ff., Wach I S. 246 ff.; vgl. ROHG. 8 S. 167, 20 S. 418). Muß die Vollstreckung verweigert werden, so kann mithin über dasselbe Rechtsverhältniß, über welches im Auslande bereits entschieden ist, von inländischen Gerichten (deren Zuständigkeit vorausgesetzt), ohne daß der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache zulässig ist, entschieden werden. (Seuffert Anm. 8, Wilm. Levy Anm. 7 a. E., Wach I S. 226, Köhler, gef. Beitr. S. 562. A.M. hinsichtlich der exc. rei jud. Richard, Die exc. rei jud. aus einem ausl. Urtheile in D. Zeitschr. f. int. Pr.- u. Slrafrechtlll S. 10ff., 36 (f. jedoch auch das. III S. 420), Sieben­ haar S. 626, Gaupp II S. 333 f., v. Bar a. a. O. S. 421.] Auch für abweisende Urtheile, welche ja immer eine der Vollstreckung fähige Entscheidung wegen der Kosten enthalten, gilt der gleiche Grundsatz; der Wortlaut des Gesetzes steht nicht entgegen, und die Folgerichtig­ keit, wenn auch nicht die Rechtsnothwendigkeit, spricht dafür. (So auch NG. VIII S. 385, Wach, Seuffert a. a. O., Koh ler in Busch, Z. X S. 464 ff, Heidecker a. a. O. S. 458 ff. Abweichend Francke S. 112 ff., v. Bar, Gaupp a. a. O.) Daß ein Vollstreckungsurtheil erlassen worden, ist zur Begründung der Einrede der Rechtskraft aus einem ausländischen Urtheile nicht erforderlich (s. Heidecker a. a. O. S. 465 ff., Köhler in Grünhut, Zeitschr. XIV S. 27 u. gef. Beitr. S. 561, Seuffert § 661 Anm. 8 i. A., Wach I S. 225 Nr. 16. A.M. anscheineud NG. XVI S. 421 ff. (in den Gründen)j. Der Umfang der Rechtskraft eines in Deutschland der Anerkennung fähigen ausländischen Urtheils bestimmt sich grundsätzlich nach ausländischem Rechte (v. Bar a. a. O. S. 459 ff. A.M. Francke S. 119 ff.), kann aber nie größer werden, als der eines entsprechenden deutschen Urtheils (Heidecker S. 458 f.). 11) Staatsvertrüge, durch welche die Gegenseitigkeit verbürgt ist, sind nicht bloß die vom Deutschen Reiche abgeschlossenen (welche zur Zeit noch fehlen), sondern auch solche, welche ein Bundesstaat mit einem ausländischen Staate abgeschlossen hat. So z. B. zwischen Oesterreich einerseits und Preußen, Bayern, Sachsen andererseits, Frankreich und Baden rc. Die Ansicht, daß Rechtshülfeverträge auf dem Gebiete des Civilprozesses zwischen einzelnen deutschen Bundesstaaten und dem Auslande durch § 14 Abs. 1 des EG. z. CPO. aufgehoben seien (Hellmann IIt S. 27; anders Lehrb. S. 813), ist nicht haltbar, da in § 14 Abs. 1 a. et. O. unter Landesgesetzen nicht auch Staatsverträge zu verstehen sind. Die Aeußerung des Reg.-Vertreters in der RTK. (Prot. S. 446) bezieht sich nur auf die unbedingte Nothwendigkeit, ausländischen Urtheilen im Wege des inländischen Vollstreckungsurtheils die Vollstreckbarkeit zu verschaffen, nicht auf die materiellen Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit. (Vgl. § 660 Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 7, Petersen §§ 660. 661 Nr. 6, v. Bülow Anm. 6, Francke S. 64ff., Wach I S. 237, 238 Anm. 57 u. A.] Darnach ist es allerdings möglich, daß ein auswärtiges Urtheil von gleichem Inhalt in dem einen deutschen Staate zur Vollstreckung gelangen kann, in dem anderen nicht, weil in dem einen die Voraussetzung der Nr. 5 zutrifft, in dem anderen nicht. (Vgl. Francke S. 64 ff.) 12) Ob im einzelnen Falle das Erforderniß der Verbürgung der Gegenseitigkeit vor­ handen ist, hat das für die Vollstreckbarkeitserklärung zuständige Gericht (§ 660) ebenso zu beurtheilen, wie das Vorhandensein der übrigen Erfordernisse; der Kläger hat den Beweis nöthigenfalls zu liefern (NG. VI S. 372, Francke S. 79, Wach I S. 238), jedoch nur im Sinne des § 265 (vgl. Seuffert Anm. 7a, Gaupp II S. 324 bei N. 15). Die Beurtheilung kann wegen Unbekanntschaft mit dem in Betracht kommenden, auf das Verhältniß zum Aus­ lande bezüglichen Material für den Richter mit Schwierigkeiten verbunden sein; derselbe wird in geeigneten Fällen bei den vorgesetzten Justizverwaltungsbehörden oder bei den mit Leitung der auswärtigen Angelegenheiten betrauten Behörden sich Auskunft zu verschaffen haben (vgl. Hann. PO. § 29). Verbürgt ist hiernach die Gegenseitigkeit gegenüber Oesterreich (vgl. RG. in S. A. 39 Nr. 171 u. im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 4 S. 185 Z. 5, OLG. Dresden u. ob.GH. zu Wien in S. A. 41 Nr. 153, ob.LG. f. Bay ern das. 46 Nr. 75, Tränkner im civ. Arch. 68 S. 402,

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 662.

795

§ 662. Die Zwangsvollstreckung erfolgt auf Grund einer mit der Voll­ streckungsklausel versehenen Ausfertigung des Urtheils (vollstreckbare Ausfertigung). Die vollstreckbare Ausfertigung wird von dem Gerichtsschreiber des Gerichts erster Instanz und, wenn der Rechtsstreit bei einem höheren Gericht anhängig ist, von dem Gerichtsschreiber dieses Gerichts ertheilt. N. Entte. 88 899, 900. Enlte. I. § 580. Prot. S. 347-350, 564, 565.

Entte. II. § 601.

Glitte. III. § 612.

Mot. S. 403, 404.

Settel S. 187 ff., D. JZtg. 1883 S. 325, 431, Ztschr. f. intern. Pr.- u. Str.-R. IV S. 80, 186, 386, S. A. 37 Nr. 79), Italien, Spanien und einzelnen schweizer Kantonen (vgl. Busch, Z. XV S. 90), nicht gegenüber Ungarn (s. RG. in S. A. 44 Nr. 67 u. in I. W. 1891 S. 335, Zettel S. 188, Ztschr. f. intern. Pr.- u. Str.-R. II S. 90, III S. 335, 365; s. noch hinsichtlich der Ehe­ scheidungsurtheile Heidecker S. 487), Frankreich (anders jedoch zwischen Baden und ElsaßLothringen einerseits und Frankreich andererseits), England (s. RG. VI S. 373, VII S. 406), Rußland (vgl. RG. XXVI S. 130 n. in I. W. 1884 S. 299; Ostseeprovinzen: OLG. Karls­ ruhe in S. A. 37 Nr. 277; dagegen Engelmann, D. Zwangsvollstr. answärt, richlerl. Urtheile in Rußland. 1884. S. 5 ff. u. theilweise auch Francke S. 72 ff.), Schweden und Norwegen (RG. VIII S. 385). (Näheres s. bei Wach I S. 239 ff., Francke S. 46 ff., 532 ff., Wilm. Levy Anm. 7, Seusfert Anm. 7c, Gaupp II S. 331 f., Köppers in der in § 104 angef. Schrift. Vgl. ferner für Dänemark Ztschr. f. intern. Pr.- u. Str.-R. I S. 58, II S. 174, für die Schweiz das. 1 S. 60, 93, II S. 188, 502, für Italien das. 1 S. 233, Norwegen I S. 255, für Frankreich II S. 524, IV S. 407, für Liechtenstein II S. 195, Portugal II S. 500, Bulgarien IV S. 195, für die Vereinigten Staaten von Amerika ROHG. 21 S. 14, RG. VII S. 406, für das Verhältniß zu den russischen Gerichten Centralbl. f. d. D. Reich 1883 S. 136, 181, Preuß. JMBl. 1883 S. 49, 192, 1887 S. 149 f.] Die Versagung in einzelnen Fällen (z. B. in den sog. Coupon-Prozessen) ist nicht entscheidend (RG. in Blum, Urth. u. Anm. I S. 203).

13) Die CPO. hat die Frage nicht entschieden, ob der inländische Richter einen dem dies­ seitigen Rechte nicht entsprechenden ausländischen Vollstreckungsmodus ausführen soll (Mot. S. 403 i. A.). Die Unzulässigkeit, soweit nicht Staatsverträge etwas anderes bestimmen, folgt aber daraus, daß der Richter nach allgemeinen Grundsätzen nur das Prozeßrecht seines Landes anzuwenden hat. (Zustimmend Hellmann III S. 23, Francke S. 18,23.) Vgl. oben Anm. 1, Nechtshülsegesetz v. 21. Juni 1869 § 7, Mot. z. P. E. S. 244 f. 14) Vgl. Art. 56 des Internat. Übereinkommens über den Eisenbahnfracht­ verkehr v. 14. Oft. 1890 (RGBl. 1892 S. 793). § 662.

1) Der Umstand, daß die Ausführung der Zwangsvollstreckung nicht in den Händen des Prozeßgerichts liegt, sondern selbständigen Vollstreckungsbeamten (Gerichtsvollziehern) über­ tragen ist (§ 674), führt dazu, eine bestimmte Form der Ausfertigung des Urtheils zur Voraus­ setzung des Vorgehens des Gerichtsvollziehers zu machen (Mot.). Diese Form ist die voll­ streckbare Ausser ti g un g, d. h. die mit einem bestimmten Vermerk, der sog. Vollstreckungs­ klausel (§ 663), versehene Ausfertigung. Sie wird vom Gerichtsschreiber — aus Grund selbständiger Prüfung (vgl. RG. in I. W. 1891 S. 414 Nr. 17)— ertheilt, weil dieser nach § 646 Abs. 1 die Rechtskraft, die regelmäßige Grundlage der Vollstreckbarkeit, festzustellen hat, und weil die Vollstreckbarkeit eines nicht rechtskräftigen Urtheils einer dieselbe aussprechenden Er­ klärung des Gerichts bedarf (§ 644 Anm. 4), es sich also in der Regel bei Ertheilung dieser Ausfertigung mehr um eine Beurkundung als um eine Entscheidung handelt. Eine Modifikation dieses Satzes s. in § 666, eine Abweichung int Bankgesetze § 51. Bei der Allgemeinheit der Fassung des § 662 ist übrigens die vollstreckbare Ausfertigung auch da zum Beginne der

796

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 602.

Zwangsvollstreckung erforderlich, wo die letztere ausnahmsweise vom Prozeß- oder Voll­ streckungsgericht angeordnet wird (Drache in Busch, Z. III S. 296 ff. u. A.). Vgl. auch § 671 Abs. 1. Wegen der Gerichtsschreibergehülfen vgl. für Preußen Ges., betr. die Dienst­ verhältnisse der Gerichtsschreiber, v. 8. März 1879 § 5 Abs. 2 (GS. S. 99). 2) Die Vollstreckungsklausel ist auch bei für vorläufig vollstreckbar erklärten Urtheilen (§§ 648—659), bei Vollstreckungsurtheilen (§ 660), bei allen übngen Zwangsvollstreckungstiteln (§§ 702, 703) — bei Vollstreckungsbefehlen, Arrestbefehlen und einstweiligen Verfügungen nur im Falle nachher eingetretener Rechtsnachfolge (§§ 704 Abs. 1, 815) — und bei Schiedssprüchen (§ 868) erforderlich. Vgl. auch §§ 152 Abs. 2, 179, Genoss.-Ges. v. 1. Mai 1889 § 102. Die Klausel ist bei den Vollstreckungsurtheilen des § 660 auf die Ausfertigung dieser zu setzen, da §§ 662 ff. nur von inländischen Urtheilen handeln und eine „Ausfertigung" des ausländischen Urtheils überhaupt nicht vorzuliegen braucht (Francke a. a. £. S. 10 ff, Wilm. Levy § 660 Anm. 3 ci. E., Seuffert § 660 Anm. 4 a. E., Gaupp II S. 321, 335. A.M. Petersen §§ 662, 663 Nr. 4). Ebenso bei Schiedssprüchen (§ 868). Eine Form für das Gesuch um Ertheilung der Klausel ist nicht vorgeschrieben; Anwaltszwang besteht nicht (§ 74 Abs. 2; vgl. OLG. Jena in S. A. 38 Nr. 63). Die Legitimation eines Bevollmächtigten ist vom Gerichtsschreiber von Amtswegeu zu prüfen. 3) Der § 662, wie überhaupt Buch 8 der EPO., findet nach Ansicht des NG. (NG. 1 S. 233; s. auch Petersen §§ 662, 663 Nr. 1„ Gaupp II S. 335, Seuffert Anm. 5 vor § 644) gemäß StPO. § 495 auch auf eine auf Betreiben der Staatsanwaltschaft nach § 495 der StPO, erfolgende Vollstreckung einer Vermögensstrafe (oder Buße) Anwendung, so daß der Gerichtsvollzieher den: Schuldner gegenüber zur Vornahme der Zwangsvollstreckung nicht lediglich durch den Auftrag der Staatsanwaltschaft, sondern nur durch den Besitz der voll­ streckbaren Ausfertigung (§ 676) legitimirt ist; es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob der § 495 st. st. £\ diese weittragende Bedeutung hat und nicht vielnrehr nur für die Art und Weise der Vollstreckung selbst — im Gegensatze zu den formellen Voraussetzungen — die Vor­ schriften der EPO. einführen will (s. Löwe, Komm. z. StPO. 8. Anst. § 495 Anm. 3, Iastrow in Gvltdammer, Arch. f. Strafrecht Bd. 33 S. 29 ff., der freilich dem NG. näher steht, Preuß. Gesch.-A. f. d. GB. § 108 Abs. 2, 3, Hamb. Jnstrukt. f. d. GV. § 83 Abs. 2, 3). Wegen der deutschen Schutzgebiete s. £ 674 Anm. 5.

4) Abs. 2 entspricht dem § 646 Abs. 1 (vgl. das. Anm. 4). Ist der Rechtsstreit in zwei Instanzen zugleich anhängig (vgl. §§ 502, 503, 562, 563), so ist nach dem Wortlaute des § 662 Abs. 2 der Gerichtsschreiber der höheren Instanz zuständig (Brettner in Busch, Z. III S. 330, NG. XVIII S. 424). Im Wiederaufnahmeverfahren ist,' auch wenn dasselbe in einer höheren Instanz anhängig gemacht war (vgl. § 547), nach deren Beendigung der Gerichts­ schreiber des früheren Prozeßgerichts erster Instanz zuständig (NG. in Gruchot 27 S. 1118). Wegen einer Veränderung der Gerichtsbezirke s. Busch, Z. X VIII S. 521. Wegen vollstreckbarer Urkunden s. § 705 Abs. 1. Wegen schiedsmünnischer Vergleiche und Vergleiche in Feldpolizeisachen s. Preuß. Schiedsmannsordn. § 32, AG. z. EPO. § 12. 5) In Bezug auf die Versagung der vollstreckbaren Ausfertigung gilt das zu § 646 Anm. 6 Gesagte; die Beschwerde ist hier aber die sofortige (§ 701; vgl. Seuffert Anm. 3 u. A. Abweichend NG. XXXI S. 410; s. § 669 Anm. 4). Wegen Einwendungen des Schuldners gegen die Ertheilung s. § 668. Wegen ihrer Ertheilung in den Gerichtsferien s. GVG. § 202 Anm. 1. 6) Die Entscheidung ist (abgesehen von § 666) gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 15 in der Fass. v. 29. Juni 1881); vgl. jedoch GO. f. RA. §§ 24, 35.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§§ 663, 664.

797

§ 663. Die Vollstreckungsklausel: „Vorstehende Ausfertigung wird dem u. s. w. (Bezeichnung der Partei) zum Zwecke der Zwangsvollstreckung ertheilt." ist der Ausfertigung des Urtheils am Schluffe beizufügen, von dem Gerichtsschreiber zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen. N. Entw. § 901. Entw. I. § 581. Enlw. II. § 602. Entw. III. § 613.

Mot. S. 404. Prot. S. 350.

§ 664. Von Urtheilen, deren Vollstreckung nach ihrem Inhalte von dem durch den Gläubiger zu beweisenden Eintritt einer anderen Thatsache als einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung abhängt, darf eine vollstreckbare Ausfertigung nur ertheilt werden, wenn der Beweis durch öffentliche Urkunden geführt wird. N. Entw. § 904. S. 350, 351.

Entw. 1. § 583.

Entw. II § 603. Entw. III. § 644. Mot. 2. 404, 405.

Prot.

§ 663. 1)

„Die Form der Vollstreckungsklausel ist nur in ihren wesentlichen Theilen vor­ geschrieben, durch welche sie die vollstreckbare Ausfertigung als solche kennzeichnet und die möglicherweise an verschiedene Parteien zu ertheilenden Ausfertigungen von ein­ ander unterscheidet. In diesen Rahmen können alle für den einzelnen Fall noch er­ forderlichen Zusätze eingefügt werden. Dahin gehört z. B. die Beschränkung auf einen Theil des Streitgegenstandes, die Bezeichnung des Rechtsnachfolgers der einen oder der anderen Partei, für oder gegen welche die Vollstreckung stattfinden soll, die Konstatirung der Notorietät (§ 665 Abs. 2), die Bezeichnung der produzirten öffentlichen Urkunden (§ 665 Abs. 1) oder des in concreto vorliegenden Rechtsnachsolgerverhältnisses (Erbe, Zedent u. s. w.), die Beschränkung der Vollstreckung auf Sicherheits­ leistung, die Bezeichnung der Vollstreckung als einer vorläufigen oder definitiven, falls ein solcher Unterschied von Bedeutung ist" (Mot.).

Auch die Bezeichnung des etwa nach § 694 bestellten Kurators gehört hierher. Statt der obigen Worte können auch gleichbedeutende gewählt werden. 2) Die vollstreckbare Ausfertigung wird auch ertheilt, wenn auf Grund des Urtheils Voll­ streckungshandlungen nicht vorzunehmen sind is. § 779, NG XVI S. 421).

88 664, 665. 1) Den §§ 664, 665 liegt der Gedanke zu Grunde, daß die nach § 674 mit der Zwangs­ vollstreckung beauftragten Gerichtsvollzieher diese nur auf Grund eines unbedingt voll­ streckbaren und nach allen Richtungen hin bestimmten Urtheils vornehmen sollen (§ 671), so daß sie selbst eine materielle Prüfung der Vollstreckbarkeit nicht mehr anzustellen haben. (Anders Hann. PO. §§ 529, 543; noch weiter gehen srauz. N. u. Bayer. PO.) Ist daher die Vollstreckung dem Inhalte des Urtheils nach von dem Eintritte einer durch den Gläu­ biger zu beweisenden Thatsache ^Bedingung) abhängig, so darf — abgesehen von dem Falle, wo die Thatsache in einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung besteht — die Vollstrcckungstlausel von dem Gerichtsschreiber vor Eintritt dieser Thatsache über­ haupt nicht ertheilt werden und auch dann nur, wenn der Beweis durch öffentliche Ur­ kunden geführt wird. Ist ferner in der Person des Gläubigers oder Schuldners nach Erlaß des zu vollstreckenden Urtheils (gleichviel ob vor oder nach Ertheilung einer vollstreckbaren Ausfertigung) eine Rechtsnachfolge eingetreten, so kann das Urtheil gegen den Rechtsnachfolger nicht eher vollstreckt werden, als bis eine auf den Namen des Rechtsnach­ folgers lautende Ausfertigung von dem Gerichtsschreiber ertheilt worden ist, und diese Aus­ fertigung darf wiederum nur ertheilt werden, wenn die Rechtsnachfolge entweder durch öffent­ liche Urkunden nachgewiesen wird oder offenkundig ist. Ist nach den §§ 664, 665 die Ertheilung der vollstreckbaren Ausfertigung nicht zulässig, so muß (ex judicato) geklagt werden (vgl. § 667). — Mit den §§ 664, 665 in unmittelbarem Zusammenhange fleht der

798

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 665.

§ 665. Eine vollstreckbare Ausfertigung kann für den Rechtsnachfolger des in dem Urtheile bezeichneten Gläubigers sowie gegen die allgemeinen Rechtsnach­ folger des in dem Urtheile bezeichneten Schuldners und unter Berückstchtigung der §§. 236, 238 gegen denjenigen Rechtsnachfolger dieses Schuldners ertheilt werden, an welchen die in Streit befangene Sache während der Rechtshängigkeit oder nach § 671, in welchem die erforderliche Anweisung für den Gerichtsvollzieher, wie in den §§ 664, 665 für den Gerichtsschreiber bezw. Gerichtsvorsitzenden (§ 666) enthalten ist. Die Bedingungen des § 671 müssen erfüllt sein, ehe die Vollstreckung aus der nach §§ 664, 665 ertheilten voll­ streckbaren Ausfertigung beginnen kann. 2) Wegen der Gebühren in den Fällen der §§ 664—666 s. GKG. § 38 Nr. 2 (in der Fass. v. 29. Juni 1881), 39 Abs. 1; GO. f. NA. §§ 24, 35.

§ 664. 1) Von dem Falle, in welchem die Vollstreckung von einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung abhängt, handelt § 672 Abs. 2; von dem gleichfalls nicht nach § 664 zu behandelnden Falle, daß die Vollstreckung vom Eintritt eines bestimmten Kalendertages abhängt, § 672 Abs. 1. Urtheile, welche eine Leistung Zug um Zug betreffen, fallen ebenso­ wenig unter § 664 (vgl. § 672 Anm. 2), wohl aber solche, welche die Leistung von einer Vor­ leistung des Gläubigers abhängig machen. Wegen alternativer Leistungen und wegen der Verbindung einer Prinzipal- und einer Eventualleistung s. § 672 Anm. 3. 2) „von dem Gläubiger zu beweisenden" — Darnach wird angenommen werden müssen, daß der § 664 keine Anwendung findet auf Urtheile und Verträge (§ 702 Nr. 5) mit der Verfalls- oder kassatorischen Klausel, worin für den Fall der Nichtzahlung des be­ dungenen Zinses oder einer bedungenen Rate die Fälligkeit des ganzen Kapitals vorgesehen ist. Da hier der Schuldner für beweispflichtig zu erachten ist, so wird dem Gläubiger sofort die Vollstreckungsklausel auf das Ganze zu ertheilen und der Schuldner auf den Weg des § 686 gewiesen sein (vgl. Köhler int eil). Arch. 80 S. 184 ff., Wengler. Arch. N. F. II S. 772, Dernburg I § 128 Anm. 8, auch Wilm. Levy Anm. 2. A.M. KG. Berlin in Busch, Z. XV S. 522; Wengler, Arch. N. F. 1 S. 150, Gaupp II S. 337, welche den Gläubiger für beweispflichtig ansehen, G elpcke in Busch, Z. XVI S. 290 ff., der zwar den Schuldner für beweispflichtig und daher § 664 für unanwendbar hält, aber den Gläubiger auf § 667 ver­ weist, Förster (Eecius) I § 107 Anm. 29, der zwar gleichfalls im allg. den Schuldner für beweispflichtig hält, aber annimmt, daß der § 664 für die bedingenden Thatsachen dem Gläu­ biger schlechthin die Beweislast auferlege; ähnlich Falkmann S. 34f.). Uebrigens kann die Vertragsauslegung im einzelnen Falle auch dahin führen, dem Gläubiger die Beweislast auf­ zuerlegen. — Vgl. hinsichtlich der Urtheile auf Zahlung von Alimenten Gerlach in Busch, Z. XVIII S. 396 ff. „öffentliche Urkunden" — vgl. §§ 380ff. Eine nur hinsichtlich der Unterschriften öffentlich beglaubigte Privaturkunde genügt nicht (RG. XIII S. 330. A.M. Wilm. Levy Anm. 2). Von dem Antragsteller kann behufs Führung des Beweises auch der Vorsitzende um die Heranziehung von Urkunden nach § 397 ersucht werden. (A.M. Gaupp II S. 339, der nur den Beweis durch Vorlegung von Urkunden zulassen will.)

§ 665. Literatur: Schultze, D. Vollstreckbarkeit der Schuldtitel für u. gegen d. Rechtsnachfolger, Breslau 1891 (dazu Frank in Busch, Z. XVII S. 503 ff. u. Levy in Gruchot 37 S. 177 ff.), Falkmann S. 38 ff. — S. auch Mot. z. Art. 11 § 665 d. Entw. I. e. Eins. G. z. b. GB., Mot. z. Entw. I 93t). 1 S. 381.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 665.

799

Beendigung des Rechtsstreits veräußert ist, sofern die Rechtsnachfolge bei dem Gericht offenkundig ist oder durch öffentliche Urkunden nachgewiesen wird. Ist die Rechtsnachfolge bei dem Gericht offenkundig, so ist dies in der Voll­ streckungsklausel zu erwähnen. N. Entw. 8 905. Entw. I. § 584. S. 351, 713.

Entw. II. § 604.

Entw. III. § 615.

Mot. S. 404, 405.

Prot.

1) Abs. 1: Als Rechtsnachfolger (vgl. über diesen Begriff Mot. z. Entw. I e. b. GB. I S. 271) kommt auf Seiten des Gläubigers sowohl der besondere wie der all­ gemeine Rechtsnachfolger (als solcher ist partikularrechtlich auch der Nachfolger aus der ehelichen Gütergemeinschaft anzusehen; s. auch Entw. II e. b. GB. § 1310 Anm. u. Busch, Z. XIX S. 458 f.) ohne Unterschied in Betracht, auf Seiten des Schuldners nur der allgemeine Rechtsnachfolger unbeschränkt, der besondere Rechtsnachfolger dagegen nur insoweit, als nach den Vorschriften der §§ 236 und 238 ungeachtet der Veräußerung der in Streit befangenen Sache die Entscheidung auch gegen den Rechtsnachfolger vollstreckbar ist (vgl. §§ 236 Anm. 3, 6; 238 Anm. 1; RG. im D. RAnz. 1887 bes. Beil. 1 S. 22, Jäckel, D. Zwangsvollstreckungs­ ordn. in Immobilien. 2. Aufl. Berlin 1885. S. 108ff., Krech u. Fischer, Zwangsvollstr. in d. unbewegt. Berm. 3. Aufl. Berlin 1894. S. 62 f.). „Die Veräußerung nach Beendigung des Prozesses ist ausdrücklich der durante lite erfolgten hinsichtlich der Zulässigkeit der Exekution gleichgestellt, womit ein in Preußen zweifelhaft gewordener Satz fixirt wird (vgl. Entsch. d. OTr. 61 S. 415)" (Mot.). Wegen Veräußerung des Pfandgrundstücks nach erhobener hypothekarischer Klage s. Dernburg I §§ 132, 347, Wilm. Levy Anm. 5; wegen fideikommiffarischer Substitution s. Krech u. Fischer a. a. O. S. 44. Ein Wechsel in der gesetzlichen Vertretung oder der Eintritt oder Wegfall einer solchen fällt nicht unter § 665. 2) „in dem Urtheile bezeichneten" — Aus diesen Worten ist nicht zu folgern, daß es sich nur um eine nach Erlaß des Urtheils eingetretene Rechtsnachfolge handelt. Denn nach § 236 hat eine im Laufe des Prozesses erfolgende Veräußerung oder Zession auf den Prozeß keinen Einfluß (vgl. § 236 Anm. 3), und eine Unterbrechung des Verfahrens tritt (abgesehen von den Fällen der ZZ 218 ff.) nur im Falle des Todes einer Partei ein (vgl. §§ 217 Anm. 1, 226 Abs. 3, 693 Anm. 1) und auch hier nicht immer (§ 223). (So auch RG. VII S. 332, XX S. 423, Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert Anm. 2, Gaupp II S. 339, Endemann III S. 142 u. 91.] Ist die Rechtsnachfolge schon vor Beginn des Prozesses eingetreten, so kann dem Rechtsnachfolger nicht nach §§ 665, 667 die Vollstreckungsklausel er­ theilt werden (OLG. Hamburg in S. 9t. 48 Nr. 162); der Rechtsnachfolger muß in besonderem Prozesse seine Rechte gegen den Rechtsvorgänger oder gegen dessen Prozeßgegner verfolgen. Hatte beim Eintritt der Rechtsnachfolge die Zwangsvollstteckung bereits begonnen, so greift § 693 Platz. Der Erwerber eines Handelsgeschäfts (HGB. Art. 22, 23) ist, auch wenn die 9lktiven und Passiven auf ihn übergehen (s. ROHG. 1 S. 66; 2 S. 55, 143; 8 S. 383; 12 S. 159; 16 S. 271; 21 S. 283; RG. II S. 55, VIII S. 64, XV S. 53, in S.A. 49 Nr. 168; vgl. auch v. Hahn, Komm. 3. Aufl. IS. 109 f., Staub, Komm. zum HGB. 9lrt. 22, 113, Behrend, Lehrb. d. HR. I S. 207 ff., v. Völderndorff in Endemann, Handb. d. D. Handels-, See- u. W.-R. 1 S. 190 f.. Gar eis, HR. 4. Aufl. S. 72, 75, Bähr, Urtheile d. RG. S. 92 ff.), nicht allgemeiner, sondern besonderer Rechtsnachfolger. 9luf die Vollstreckung des gegen eine offene Handelsgesellschaft erlassenen Erkennt­ nisses ist der spätere Eintritt neuer Gesellschafter sowie die Einleitung der Liquidation ohne Einfluß (HGB. 9lrt. 113). Die Vollstreckbarkeit gegen die Gesellschafter setzt aber die Verurtheilung derselben für ihre Person (das. Art. 112) voraus [f. § 59 Anm. 2; ROHG.

800

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 666.

§ 666. In den Fällen der §§. 664, 665 darf die vollstreckbare Ausfertigung nur auf Anordnung des Vorsitzenden ertheilt werden. Vor der Entscheidung kann der Schuldner gehört werden. Die Anordnung ist in der Vollstreckungsklausel zu erwähnen. N. Entw. - Entw. I. u. II. - Enttv. III. -

Mot. - Prot. S. 347-350, 564, 565.

6 S. 416, 9 S. 16, 20 S. 180, 21 S. 130, NG. in S. A. 36 Nr. 57, in Gruchot 34 S. 1222, in I. W. 1894 S. 426, OLG. Dresden in S. A. 43 Nr. 200, OLG. Braunsch weig das. 48 Nr. 275, Lästig in Endeinann, Handb. I S. 394, Renand, Kommanditges. 8. 401 f., v. Hahn a. a. O. S. 404 ff., Behren d a. a. O. S. 527, Seufsert Amn. 3, Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 340 a. E., Eccius in Goldschmidt, Zeitschr. f. HR. 32 S. 13 ff. u. in Gruchot 36 S. 900 f., G areiS a. a. O. S. 162 ff, Gierte, D. Genoss.-Theorie u. d. D. Rechtsprechung 8. 595 ff., Dernburg II § 221 N. 21. Vgl. auch NG. III 8. 58, 339, XIII S. 96. A.M. Römer, Abhandl. 1877. S. 149 ff., Siebenhaar S. 529, Wach I S. 525. ff. u. in Verhdl. des 19. T. Jur.-T. II S. 69 ff., der für Jndividualeinreden der einzelnen Gesellschafter § 686 für anwendbar erklärt). Der Verwalter des Konkurses über das Vermögen des Gläubigers oder Schuldners ist nach dem in § 51 Anm. 5 Gesagten einem Rechtsnachfolger gleichzustellen. Ebenso ist im Falle des § 13 d. Aufecht.-Ges. der Konkursverwalter als Rechtsnachfolger des Anfechtungs­ gläubigers zu behandeln (NG. XXX S. 67). Ueber den Testomen tsvollstrecke r s. § 51 Anm. 5, Köhler, ges. Beitrüge S. 347, aber auch Schultze S. 33. Wegen Vollstreckung des gegen eine Ehefrau gerichteten Urtheils in das Vermögen des Eheutannes s. § 51 Anm. 2, NG. X S. 276, in S. A. 46 Nr. 76, Falkma n u in Gruchot 35 S. 488 ff., Krech u. Fischer a. a. O. S. 39 ff., 107 ff.. Eutw. II e. b. GB. §§ 1307 Anm., 1310 Anm., 1338 Anm., 1372 Anm. Vgl. auch § 671 Anm. 2 Abs. 2. Im Falle des § 73 Abs. 4 ist die Bollstreckungsklausel gegen den ursprünglichen Beklagten unter analoger Anwendung der §§ 665, 666 zu ertheilen (Wach a. a. O. S. 73, Stegemann in Busch, Z. XVII S. 367, Seuffert § 73 Anm. 5. A.M. Schultze S. 5. Vgl. auch Frank S. 505). Wegen des Falles der Ueberweisung einer Forderung zur Einziehung s. § 736 Anm. 1 a. E.; über die Zession einer Forderung nach bereits ertheilter vollstreckbarer Ausfertigung s. Köhler, ges. Beitr. S. 360ff. 3) Der Gerichtsvollzieher hat sich lediglich nach der Vvllstreckungsklausel zu richten: „Ist in der angegebenen Weise die Vollstreckbarkeit für oder gegen einen Rechts­ nachfolger festgestellt, so darf nicht das bloße Bestreiten der Rechtsnachfolge durch den Schuldner den Gerichtsvollzieher zur Einstellung der Zwangsvollstreckung veranlassen; er ist durch die Vollstreckungsklausel gedeckt und hat, sofern keiner der Fälle des § 691 vorliegt, mit der Vollstreckung fortzuschreiten, bis auf gegenteilige Anordnung. Dem Schuldner bleibt nur die Anfechtung der Vollstreckbarkeit in dem durch die §§ 668, 685, 687 vorgezeichneten Wege". (M or.) 4) Abs. 2: „offenkundig" — vgl. § 264. „öffentliche Urkunden" — vgl. § 664 Anm. 2.

8 660. 1) Dem von der NTK. aufgenommenen § 666 liegt der Gedanke zu Grunde, daß in den Fällen der §§ 664, 665 die Entscheidung über die Zulässigkeit der Ertheilung der vollstreckbaren Ausfertigung wegen der dabei in Betracht kommenden Rechtsfragen oft mit Schwierigkeiten ver­ bunden sei und daher dem Gerichtsschreiber allein nicht anvertraut werden dürfe. Dem Vor­ sitzenden, nicht dem Gerichte (und zwar dem Vorsitzenden der Abtheilung, welcher der betreffende

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 666.

801

Gerichtsschreiber angehört), ist die Entscheidung hauptsächlich zur Vermeidung von Verzögerungen übertragen worden. In der Fassung schließt sich § 666 wesentlich dem § 669 an, der überhaupt als Vorbild gedient hat. 2) Der Gläubiger hat sich auch in diesen Fällen gemäß § 662 an den Gerichtsschreiber zu wenden, und Letzterer, sofern er nicht die Ertheilung sofort versagt (nach Sarwey II S. 124 Anm. 1 kann auch die Versagung niemals ohne Anordnung des Vorsitzenden geschehen; vgl. dagegen Seuffert Anm. 1, Hellm ann III S. 33 u. Lehrb. ©.818 u. A.), hat die Anordnung des Vorsitzenden von Amiswegen zu erwirken. Ob und in welcher Form (mündlich oder schrift­ lich) der Schuldner vorher gehört werden soll, hängt vom Ermessen des Vorsitzenden, nicht des Gerichtsschreibers ab. Vgl. § 669 Abs. 2. 3) Der Abs. 3 ist ausgenommen, um auszudrücken, daß die Anordnung des Vorsitzenden nicht bloß ein Jnternum des Gerichts, sondern eine wesentliche Voraussetzung der Vollstreckbarkeit sei. Aus diesem Grunde ist auch sowohl in den Fällen des § 666 wie in denen des § 669 die Anordn ring des V o rsitz enden als die eigentliche Verfügung anzusehen, gegen welche sich der Angriff eines Gläubigers oder Schuldners, der die Versagung bezw. Ertheilung der Vollstreckungs­ klausel oder einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung anfechten will, zu richten hat; der Gerichts­ schreiber erscheint hier nur als das ausführende Organ des Vorsitzenden. Hieraus folgt weiter, daß sowohl gegen die die Versagung wie gegen die die Ertheilung aussprechende Anordnung die Beschwerde — und zwar nach § 701 die sofortige Beschwerde — in Gemäßheit der §§ 531, 532 an das im In sta nzenzuge zunächst höh ere Gericht, nicht an das Gericht, von dessen Vorsitzendem die Entscheidung getroffen ist, gehen muß (vgl. §§ 131 Anm. 2, 532 Anm. 2, 539 Anm. 2). Dieses Ergebniß steht hinsichtlich der Versagung und der Ertheilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen mit dem Inhalt des § 669, welcher besondere Vorschriften hierüber nicht enthält, und hinsichtlich der Versagung der V ollstreckungsklausel mit dem Inhalt des in dieser Beziehung allein in Betracht kommenden § 666 in vollem Einklang. Da­ gegen scheinen hinsichtlich der Ertheilung der Vollstreckungsklausel jener Auf­ fassung der Wortlaut des § 668 sowie die Verhandlungen der RTK., welche zu der Aufnahme des § 666 geführt haben, entgegenzustehen. Nach der ganz allgemein gehaltenen Fassung des § 668 nämlich hat es den Anschein, als ob dieser Paragraph sich nicht allein auf diejenigen regelmäßigen Fälle, in welchen der Gerichtsschreiber ohne Mitwirkung des Vorsitzenden die Vollstreckungsklausel ertheilt, sondern auch auf die Fälle des § 666 beziehen solle. Wäre dies richtig, so würde gegen die die Ertheilung der Vollstreckungsklausel aussprechende Anordnung des Vorsitzenden überhaupt keine Beschwerde, vielmehr nur eine Einwendung zulässig, und letztere nicht bei dem im Jnstanzenzuge vorgesetzten, sondern bei demjenigen Gerichte, welchem der Vorsitzende angehört, geltend zu machen sein (ähnlich wie in dem Falle des § 822 in Ver­ bindung mit §§ 804, 815). Diese Folge aber würde dem die CPO. im Allgemeinen be­ herrschenden Grundsätze von der Stellung des Vorsitzenden zum Gerichte (vgl. §§ 131 Anm. 1,2; 532 Anm. 2; Mot. zu § 539) widersprechen und zugleich dazu führen, daß der Einklang einestheils zwischen den §§ 666 und 669 und anderntheils innerhalb des § 666 zwischen den Fällen, in welchen durch die Anordnung des Vorsitzenden die Vollstreckungsklausel versagt, und denjenigen, in welchen sie ertheilt worden ist, gestört würde. Es könnte dieser Auffassung deshalb nur dann beigetreten werden, wenn eine andere Auslegung desZ 668 nicht möglich wäre. Die Mög­ lichkeit aber ergiebt sich aus der Erwägung, daß die Entwürfe bei § 668 nur Fälle, in welchen der Gerichtsschreiber selbständig die Vollstreckungsklausel ertheilt, vor Augen hatten, und daß, wenngleich bei der Einschaltung des § 666 einzelne Mitglieder der RTK. davon ausgegangen sein mögen, daß § 668 auch auf die durch § 666 getroffenen Fälle Anwendung finde, doch deren Auffassung für die Auslegung des (zudem in der zweiten Lesung veränderten) § 668 nicht maß­ gebend sein kann, wenn derselben aus dem Zusammenhange des Gesetzes entscheidende Gründe entgegentreten. Deshalb dürfte die Ansicht, daß § 668 sich auf die Fälle des § 666 gar nicht Struckmann u. Koch, Civilprozesrordnung. 6. Aufl.

51

802

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 667, 668.

§ 667. Kann der nach den §§. 664, 665 erforderliche Nachweis durch öffentliche Urkunden nicht geführt werden, so hat der Kläger bei dem Prozeßgericht erster Instanz aus dem Urtheil auf Erlheilung der Vollstreckungsklausel Klage zu erheben. N. Entw. — Entw. I. § 585. Entw. II. § 605. Entw. III. § 616. Mot. S. 405. Prot. S. 851.

§ 668. Ueber Einwendungen des Schuldners, welche die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel betreffen, entscheidet das Gericht, von dessen Gerichtsschreiber die Vollstreckungsklausel ertheilt ist. Die Entscheidung kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen. beziehe, den Vorzug verdienen. Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, dieses in § 668 deutlich auszudrücken, zumal auch aus den Mot. zu § 668 (s. das. Anm. 2) sowie daraus Zweifel abgeleitet werden können, daß § 687 a. E. lediglich auf § 668 verweist. sUebereinstimmend Puchelt II S. 502 u. Brettner in Busch, Z. III S. 334f. A.M. rücksichtlich der Versagung und der Erlheilung der Vollstreckungsklausel: Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1, Petersen §§ 664—666 Nr. 3, v. Bülow Anm. 3, Endemann III S. 144, Gaupp IIS. 341 f., Hellmann III S. 32 ff. u. Lehrb. S. 818, Fitting § 92 N. 11 a. E., Planck I § 36 N. 30, § 80 N. 45, Falkmann S. 91, RG. XX S. 375 (s. auch RG. in I. W. 1894 S. 575 Nr. 12), OLG. Cassel in S. A. 47 Nr. 249, OLG. Hamburg das. 48 Nr. 230, rücksichtlich der Erlheilung in den Fällen der §§ 664, 665 (nicht 669): Sarwey II S. 124 Anm. 3, Wach, Vortr. S. 243, Kleiner III S. 45.] 4) Die Beschwerde (nicht Berufung) ist auch zulässig, ioenn für die Entscheidung die Ur­ iheilsform gewählt wird (RG. im D. RAnz. 1880 bes. Beil. 15 S. 5). § 607. 1) Das Verfahren bildet zwar sachlich eine Fortsetzung des früheren Rechtsstreits, ist aber formell als neuer Prozeß zu behandeln, auch hinsichtlich der Kosten (Prot. S. 351). In diesem Prozesse ist selbstverständlich das in dem früheren Rechtsstreite erlassene Urtheil die rechts­ kräftige Grundlage; die Klage ist eine actio judicati. Sie kann auch als Widerklage erhoben werden (RG. in I. W. 1888 S. 329, § 660 Anm. 3). Nach Entw. I e. b. GB. § 170, II § 175 unterbricht sie die Verjährung. Die Klage ist im Gebiete des Preuß. ALR. bei ungetheiltem Nachlaß gegen sämmtliche Rechtsnachfolger zu richten (RG. XXVIII S. 399). Neue, den Anspruch selbst betreffende Einreden, z. B. Zahlung, Kompensation usw., können nur insoweit berücksichtigt werden, als § 686 Abs. 2 es zuläßt. [6o RG. in I. W. 1894 S. 454, Gaupp II S. 343, Wilm. Levy Anm. 1, Petersen § 667 Nr. 2, Seuffert Anm. 3, Fitting 8 92 N. 9 u. A.; vgl. OLG. Kiel in S. A. 47 Nr. 248. A.M. Siebenhaar S. 630. Hell mann III S. 35 u. Lehrb. S. 828 sowie Rintelen in Busch, Z. IX S. 205 anderer­ seits wollen nicht einmal die. Einwendungen nach Maßgabe des § 686 Abs. 2 zulassen, ebenso Köhler im civ. Arch. 72 S. 34, der die Klage nur als eine Konstatirungsklage bezüglich einer bestimmten Rechtsbeziehung betrachtet; vgl. auch dens., Ges. Beiträge S. 353.] Sind sie aber trotz ihrer Zulässigkeit nicht angebracht, so können sie noch im Wege der Klage (§ 686) gellend gemacht werden (RG. XI S. 434). Vgl. § 668 Anm. 2. Statt „Kläger" müßte es heißen „Gläubiger" (vgl. d. Anm. 4 z. Abschn. 1 — oben S. 768). Wegen der Zuständigkeit vgl. § 707, KO. § 152 Abs. 3, Genoss. Ges. v. 1. Mai 1889 § 102. 2) Wegen der Gebühren s. GKG. § 26 Nr. 8, GO. f. RA. § 20.

§ 668. Ueber die verschiedenen Gruppen von Einwendungen gegen die Zwangsvollstreckung s. die Bem. zu §§ 685—689. 1) Der § 668 behandelt nur solche Fälle, in denen die Vollstreckungsklausel ertheilt ist; in den Fällen, in denen sie versagt ist, findet nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 530,

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 668.

803

Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fort­ zusetzen sei. N. Entw. §§ 912, 913. Entw. I. § 586. S. 351.

Entw. II. § 606. Enttv. III. 8 617.

Mot. S. 407. Prot.

701 die sofortige Beschwerde statt, welche nach § 539 gleichfalls an das Prozeßgericht geht. Der praktische Unterschied zwischen einer solchen Beschwerde und der Einwendung des § 668, die auch eine Art der Beschwerde darstellt (vgl. die Mot. in Anm. 2), ist der, daß erstere an eine Frist gebunden ist, letztere nicht. 2) Abs. 1: Ueber die Natur der Einwendungen wider die Zulässigkeil der Vollstreckungs­ klausel in den Fällen der §§ 668 und 687 äußern die Mot.: „Die Einwendungen gegen die Ertheilung der Vollstreckungsklausel (§§ 668, 687) können den Eintritt der Rechtskraft bestreiten oder sich mit Rücksicht auf die §§ 664, 665 auf die Behauptung gründen, daß eine der formellen gesetzlichen Voraussetzungen bei Ertheiluug der Vollstreckungsklausel nicht vorhanden gewesen, daß z. B. die Succession seitens des Gläubigers nicht durch eine öffentliche Urkunde erwiesen oder notorisch sei (vgl. Hann. Prot. XI S. 4204 ff., 4213, 4219 ff.); sie können aber auch materieller Natur sein und ungeachtet des formell gehörig ge­ führten Nachweises die Annahme als irrig angreifen, daß eine Rechtsnachfolge statt­ gefunden habe bezw. die bedingte Thatsache eingetreten sei. In jedem Falle kann der Schuldner die Entscheidung über diese Einwendungen nach Art einer Besch werde über das Verfahren des Gerichtsschreibers (§ 539) bei demjenigen Gerichte extrahiren, dessen Gerichtsschreiber die Vollstreckungsklausel ertheilt hat." In deu ersteren wie in den letzteren Fällen wird auf dem in § 668 vorgezeichneten Wege nur über die Frage entschieden, ob die Vollstreckungsklausel aufrecht zu erhallen sei oder nicht. Daneben steht aber für die letzteren Fälle — nicht auch für die ersteren (Falkmann S. 93, Wilm. Levy Anm. 2 u. A. Vgl. auch für die Einwendungen nach § 685 das. Anm. 1. A.M., gegen den Wortlaut des § 687 uud den offenbaren Zweck, den Streit über die formellen Voraussetzungen in dem einfachen Wege der Beschwerde endgültig zu er­ ledigen, KG. Berlin in Busch, Z. XIV S. 156) — dem Schuldner noch der in § 687 an­ gegebene Weg offen, im kontradiktorischen Verfahren vor dem Prozeßgerichte erster Instanz eine materielle Entscheidung über die Rechtsnachfolge oder die bestrittene Existenz der Bedingung herbeizuführen. Einer derartigen Entscheidung gegenüber hat eine zuvor im Wege des § 668 ergangene gerichtliche Entscheidung nur provisorische Bedeutung (vgl. Hann. Prot. XI S. 4203—4251), während eine vom Gläubiger auf Grund des § 667 erwirkte günstige rechtskräftige Entscheidung einer Klage des Schuldners aus § 687 entgegensteht. 3) „das Gericht — ertheilt ist" — nach § 662 Abs. 2 in der Regel das Prozeß­ gericht erster, ausnahmsweise dasjenige einer höheren Instanz. Je nachdem das fragliche Gericht ein Kollegialgericht oder ein Amtsgericht ist, findet Anwaltszwang statt oder nicht (§ 74). (So auch Gaupp II S. 345 u. d. meist. Komm. A.M. Endemann III S. 147 u. v. Bülow Ann.j Gegen die gerichtliche Entscheidung findet nach § 701 sofortige Beschwerde statt. Ueber die Ertheilung der Vollstreckungsklausel auf Anordnung des Vorsitzenden in den Fällen der §§ 664, 665 vgl. § 666 Anm. 3. 4) Abs. 2: Da das Gericht der Sache nach die Stellung eines Beschwerdegerichts hat, entspricht der Abs. 2 den Vorschriften des § 535. Ueber die Natur der mit einer „einstweiligen Verfügung" im Sinne der §§ 814ff. nicht zu verwechselnden „Anordnung" vgl. §§ 535 Anm. 4, 814—820 Anm. 3. Ueber Einstellung oder Fortsetzung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung vgl. §§ 647, 657; s. auch Rechtshülfeges. § 9. Die bereits erfolgten Vollstreckungsmaßregeln dürfen nicht aufgehoben werden. (Anders nach §§ 647, 657, 688 Abs. 1, 690 Abs. 3.) Vgl. auch § 685 Abs. 1. Die Anordnung wird gemäß § 691 Nr. 2 vollzogen; sie bedarf keiner Vollstreckungsklausel.

804

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 669, 670.

§ 669. Eine weitere vollstreckbare Ausfertigung darf derselben Partei, sofern nicht die zuerst ertheilte Ausfertigung zurückgegeben wird, nur auf Anordnung des Vorsitzenden ertheilt werden. Vor der Entscheidung, kann der Schuldner gehört werden. Der Gerichtsschreiber hat von der Ertheilung der weiteren Ausfertigung, wenn die Entscheidung, durch welche dieselbe angeordnet wird, nicht verkündet ist, den Gegner in Kenntniß zu setzen. Die weitere Ausfertigung ist als solche unter Erwähnung der Entscheidung ausdrücklich zu bezeichen. 91. Entw. § 906. Elltw. I. § 587. 6. 351.

Entw. II. § 607.

Entw. III. § 618.

Mo«. @. 405, 406. Prot.

§ 670. Vor der Aushändigung einer vollstreckbaren Ausfertigung ist auf der Urschrift des Urtheils zu bemerken, für welche Partei und zu welcher Zeit die Ausfertigung ertheilt ist. 91. Ent«. § 907.

Ent«. I. § 588.

Entw. II. § 608.

Entw. III. § 619. «Blos. S. 406. Pro«. S. 351.

5) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 38 Nr. 2 (in der Fass. v. 29. Juni 1881), 39 Abs. 1 ; GO. f. RA. §§ 24, 35.

§ 609. 1) Die hier gegebenen Vorschriften dienen zur Sicherung des Schuldners gegen wiederholte Zwangsvollstreckungen auf Grund desselben Urtheils. Die Gründe, aus denen eine weitere vollstreckbare Ausfertigung ertheilt werden darf, unterliegen dem vernünftigen Ermessen des Vorsitzenden — z. B. Verlust der ersten Ausfertigung (Hann. PO. § 530 Abs. 2), Wegfall einer in der ersten Klausel enthaltenen Beschränkung (§ 664), die Rücksicht aus die Nothwendig­ keit der Zwangsvollstreckung an verschiedenen Orten, insbesondere auch gegen verschiedene Schuldner (Mot.); s. noch § 736 Anm. 5. (Wegen des Vorhandenseins mehrerer Gläubiger s. Köhler im civ. Arch. 72 S. 22, Gaupp II S. 346.) 2) Der Einfachheit der Sache wegen ist auch hier die Entscheidung dem Vorsitzenden übertragen, von dessen Ermessen („kann") es abhängt, ob und in welcher Form der Gegner gehört werden soll. Vgl. § 666 Anm. 2. In allen nicht unbedenklichen Fällen wird der Vor­ sitzende den Schuldner hören (Mot.). 3) Abs. 3 u. 4 schützen gegen den Mißbrauch für den Fall, daß der Gläubiger in Folge der Ertheilung einer weiteren Ausfertigung mehrere Ausfertigungen in Händen hat. — Die Entscheidung wird „verkündet", wenn der Anordnung eine mündliche Verhandlung voraus­ gegangen ist (§ 294 Abs. 1); in allen anderen Fällen ist sie von Amiswegen zuzustellen (§ 294 Abs. 3). Uebrigens genügt auch eine formlose Mittheilung („in Kenntniß zu setzen").

4) Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden, durch welche die Ertheilung der weiteren Ausfertigung angeordnet oder versagt wird, ist nach § 701 die sofortige (A.M. RG. XXXI S. 410) Beschwerde zulässig, welche nach §§ 531, 532 an das im Jnstanzenzuge zunächst höhere Gericht geht. Vgl. § 666 Anm. 3. sSo auch Kleiner III S. 52, Möller in Busch, Z. V S. 297 ff. A.M. Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1, Hellmann III S. 38, Petersen §§ 669, 670 Nr. 2, Fitting § 92 N. 14 u. A., welche auch hier sich für eine Provokation an das Gericht, dessen Vorsitzender die Anordnung getroffen hat, aussprechen.) 5) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 38 Nr. 2 (in der Fass. v. 29. Juni 1881), 39 Abs. J, GO. f. RA. §§ 24, 32.

§ 670. Die Bemerkung ist eine Obliegenheit des Gerichtsschreibers (Mot. S. 406). §§ 286, 288, 294.

Vgl. auch

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§671.

805

§ 671. Die Zwangsvollstreckung darf nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen welche sie stattfinden soll, in dem Urtheil oder in der demselben beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urtheil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Hängt die Vollstreckung eines Urtheils seinem Inhalte nach von dem durch den Gläubiger zu beweisenden Eintritt einer Thatsache ab oder handelt es sich um die Vollstreckung eines Urtheils für die Rechtsnachfolger des in demselben bezeichneten Gläubigers oder gegen die Rechtsnachfolger des in demselben bezeich­ neten Schuldners, so muß außer dem zu vollstreckenden Urtheil auch die demselben beigefügte Vollstreckungsklausel und, sofern die Vollstreckungsklausel auf Grund öffentlicher Urkunden erlheilt ist, auch eine Abschrift dieser Urkunden vor Beginn der Zwangsvollstreckung zugestellt sein oder gleichzeitig mit Beginn derselben zu­ gestellt werden. N. Entw. - Entw. I. § 593. 410, 411. Prot. S. 351.

Entw. II § 609.

Entw. III § 620.

Mot. S. 390, 391, 404, 405,

8 671. Vgl. die allg. Bem. zu §§ 664, 665, Falkmann S. 45ff. 1) Abs. 1: Der § 671 gilt — gleich den §§ 672, 673 —, da er sich unter den allgemeinen Bestimmungen findet, für alle Arten der Zwangsvollstreckung (vgl. § 662 Anm. 1), jedoch seit der neuen Fassung des § 809 mit der das. in Abs. 3 für Arreste und einstweilige Verfügungen gemachten Ausnahme. „beginnen" — Der § 671 soll nach einer Bemerkung des Reg.-Vertreters in der RTK. nur die Erfordernisse für den Beginn der Zwangsvollstreckung regeln; für die Fortsetzung derselben sollen die Vorschriften der §§ 693, 694 maßgebend sein. Indessen sind letztere nicht erschöpfend; sie betreffen insbesondere nicht den Eintritt einer Rechtsnachfolge auf der Gläubigerseite nach Beginn der Zwangsvollstreckung, und es kommt daher auch in solchem Falle § 671 Abs. 2 zur Anwendung (©euffert Anm. 1, Gaupp II S. 348 N. 5. A.M. Wilm. Levy Anm. 4); vgl. ferner § 693 Anm. 1 a. E. Der Zeitpunkt des Beginns ist derjenige, in welchem der Gerichtsvollzieher, der nach § 674 dle Zwangsvollstreckung in der Regel zu bewirken hat, zuerst thätig wird (vgl. z. B. §§ 712 Abs. 1, 732, 769 Abs. 1, 771), bezw. für die Ausnahmefälle (z. B. §§ 729, 754, 755) das Vollstreckungsgericht den Beschlagnahmebeschluß erläßt. (Vgl. Voß in Bödiker, Mag. II S. 134ff., 144ff., Wilm. Levy § 693 Anm 1, NG. XII S. 381, jetzt auch ©euffert § 686 Anm. 3c. Vgl. § 730 Anm. 2. A.M. für die Pfändung von Forderungen ©euffert in Busch, Z. III S. 353: die Vollstreckung beginne erst mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Dritten.) Im Falle des § 775 wird durch die Strafandrohung die Zwangs­ vollstreckung noch nicht eröffnet (vgl. § 775 Anm. 3, RG. XX S. 385). § 671 bezieht sich überhaupt nicht auf die Wirksamkeit derjenigen Urtheile, bei denen eine Zwangsvollstreckung zunächst nicht in Frage steht, z. B. solcher, durch welche die Ermächtigung des Klägers zu einer Handlung zurückgezogen wird (vgl. auch § 644 Anm. 1); diese werden, falls sie (wie z. B. einstweilige Verfügungen) vorläufig vollstreckbar sind, schon mit der Verkündigung wirksam (RG. XXXII S. 421). Andere als die in den §§ 671—678 hervorgehobenen Gründe, welche den Beginn der Zwangsvollstreckung hemmen, find nicht zu berücksichtigen. Ueber die Aufhebung der Moratorien u. s. w. s. EG. z. CPO. § 14 Nr. 4.

2) „in dem Urtheile — namentlich bezeichnet sind" — Der Gerichtsvoll­ zieher soll nicht darüber befinden, ob die Personen, gegen welche das Urtheil lautet, und die­ jenigen, gegen welche die Zwangsvollstreckung beantragt wird, identisch sind, sofern nicht die keimen übereinstimmen. - Die Vorschrift gilt namentlich in den Fällen des § 665 und zwar auch

806

Achtes Buch-

Zwangsvollstreckung.

8 67J.

dann, wenn der verstorbene Gläubiger durch einen Prozeßbevollmächtigten ((. § 82) vertreten war (OLG. Dresden in S. A. 43 Nr. 313). Wegen der ZWangsvollstreckung gegen Eheleute s. die Nachweisungen in § 665 Amn. 2 S. 800. Nach Landesrecht kann das gemeinschaftliche Vermögen als Vermögen des Ehemannes zu behandeln und daher die Zwangsvollstreckung in dasselbe auf Grund eines nur gegen ihn lautenden Vollstreckungstitels zulässig sein (vgl. Mot. z. Entw. I e. b. GB. H 1360, Seuffert Anm. 2, Gaupp II ©. 349, ob.LG. f. Bayern in S. A. 46 Nr. 296). Dadurch, daß ein nicht im Urtheile bezeichneter Dritter sich dem siegreichen Kläger gegen­ über vertragsmäßig verpflichtet, die Zwangsvollstreckung in seine (des Dritten) Sachen zu dulden, wird die Zwangsvollstreckung in diese Sachen nicht zulässig (NG. in Gruchot 36 S. 889 ff., in I. W. 1891 S. 199).

3) „das Urtheil" — d. h. in Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift (vgl. § 156 Anm. 2). Die Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung ist nur in den Fällen des Abs. 2 erforderlich (vgl. OLG. Jena in S. A. 39 Nr. 270). „bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird" — Die Zustellung dient dazu, dem Schuldner von dem vollstreckbaren Titel vor Beginn der Zwangsvollstreckung Kenntniß zu geben und ihm so die Möglichkeit zur Erhebung von Einwänden und zur Herbei­ führung der Einstellung der Vollstreckung zu verschaffen. Sie erfüllt demnach wenigstens theilweise den Zweck des abgeschafften Be friedigungsgebots (Zahlungsgebot, monitorischer Zahlungsbefehl, Vollstreckungsgebot, execntoriales) und hat daher — namentlich anch bei richterlichen Beschlüssen, welche zur Vollstreckbarkeit der Klausel nicht bedürfen — einen zwingenden Karakter zum Schutze des Schuldners („darf nur"); ein Verstoß gegen dieselbe macht die Vollstreckung ungültig (vgl. RG. VI S. 388, VIII S. 429, XI S. 402, XIV S. 336, XXVI S. 390, in I. W. 1877 S. 313). Auch eine nachträgliche Zustellung kann die vorangegangenen Pfändungshandlungen nicht gültig machen (RG. XX S. 433, in I. W. 1888 S. 424. A.M. für das Verhältniß zwischen Gläubiger und Schuldner, nicht aber für das zwischen konkurrirenden Gläubigern RG. XXV S. 368, in I. W. 1882 S. 166, 1884 S. 49, 1893 S. 199. Vgl. auch Heilb ut im ein. Arch. 69 S. 394, 421; Gruchot 33 S. 147 u. Neukamp das. 35 S. 569 ff.). Der Beweis der Zustellung kann auch auf andere Weise als durch die Zustellungsurkunde erbracht werden (NG. in I. W. 1890 S. 372). Vgl. § 173 Anm. 3. Die Zustellung muß an den Prozeßbevollmächtigten erfolgen (vgl. § 162 Anm. 2). Die Zustellung an den Schuldner selbst ist ungenügend (s. Wilm. Levy Anm. 3, Seuffert Anm. 3, Falkmann S. 46, OLG. Dresden in Busch. Z. VII S. 109, Kühning das. VIII S. 519 ff.; I. W. 1888 S. 222; s. auch Nechtspr. d. RG. in Sir. S. IX S. 519). Einer Wiederholung der Zustellung des Urtheils bedarf es aber für die Fälle des Abs. 2 nicht, wenn dasselbe dem darin bezeichneten Schuldner bereits gehörig zugestellt war. Es genügt auch, daß der Schuldner dem Gläubiger das Urtheil hat zustellen lassen (Planck I S. 470 N. 35, Senffert Anm. 3, Gaupp II S. 350. A.M. Falkmann S. 46). Vgl. § 198 Abs. 2. „gleichzeitig" — Der Ausdruck ist nicht im striktesten Sinne aufzufassen; auch Hand­ lungen, welche Zug um Zug erfolgen, können für gleichzeitig erachtet werden, selbst wenn eine meßbare Zeit zwischen ihnen vergeht.

4) Der Abs. 2 handelt von den Fällen der §§ 664, 665. Eine Zustellung der Voll­ streckungsklausel und einer Abschrift der öffentlichen Urkunden (s. § 664 Anm. 2) ist für diese Fälle aus denselben Gründen geboten, wie die Zustellung des Urtheils selbst für alle Fälle (vgl. NG. XX S. 433). Vgl. auch § 672 Abs. 2,

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestiminungen.

§ 672.

807

§ 672. Ist die Geltendmachung des Anspruchs von dem Eintritt eines Ka­ lendertages abhängig, so darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn der Kalendertag abgelaufen ist. Hängt die Vollstreckung von einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheits­ leistung ab, so darf der Beginn der Zwangsvollstreckung nur erfolgen, wenn die Sicherheitsleistung durch eine öffentliche Urkunde nachgewiesen und eine Abschrift dieser Urkunde bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. 91. Entw. S. 377. 378.

Entw. l. § 593.

Entw. II. § 610. Ent«. III § 621. Mot. S. 404, 406, 411. Prot.

8 672. 1) Den Eintritt des Kalendertages — sei es unmittelbar oder mittelbar nach Ablauf einer bestimmten Frist (vgl. Schneider im civ. Arch. 66 S. 283) — (z. B. bei der Kündignngsklage — vgl. §§ 231 Anm. 11, 555 An in. 1, Dernburg I § 124 Anm. 8) sowie den Nachweis der Sicherheitsleistung hat der Gerichtsvollzieher selbst zu be­ urtheilen; die Vollstreckungsklausel ist mithin, abweichend von den Fällen der §§ 664, 665, ohne Rücksicht auf jene Umstände vom Gerichtsschreiber zu ertheilen. Vgl. § 664 Anm. 1. „darf — nur" — Auch die Vorschriften des § 672 haben zwingenden Karakter. (Vgl. § 671 Anm. 3, RG. XXV S. 368, OLG. Cöln im Rhein. Arch. 83 I S. 67.) Einer Zustellung der Vollstreckungsklausel nach § 671 Abs 2 i. A. bedarf es neben der in § 672 Abs. 2 angeordneten besonderen Zustellung nicht (OLG. Celle in S. A. 48 Nr. 231, Preuß. Gesch. Anw. f. d. GV. § 55 Ziff. 4 b). Ueber das Verhältniß des § 672 Abs. 2 zu H 809 Abs. 3 f. § 801 Anm. 2 a. E. 2) Die CPO. enthält keine Bestimmung über die Vollstreckung von Urtheilen oder Schuldtiteln, welche eine Leistung Zug um Zug betreffen. Die Mot. bemerken: „Die Rechte beider Parteien bestimmen sich nach Civilrecht, und die Erfahrung lehrt, daß besondere Schwierigkeiten hierbei auch durch die Selbständigkeit der Gerichts­ vollzieher nicht erwachsen. Hervorzuheben bleibt nur, daß derartige Fälle nicht unter die Bestimmung des § 664 fallen, die Erlheilung der Vollstreckungsklausel mithin nicht versagt werden kann, weil der Gläubiger seinerseits nicht vorgeleistet hat. Ein Antrag des Abg. Bahr dahin: „Hängt die Vollstreckung von einer dem Gegner ob­ liegenden Gegenleistung ab, so darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, nachdem der Schuldner unter Angebot der Gegenleistung aufgefordert worden ist, Zahlung zu leisten. Auch muß für den Fall der Durchführung der Zwangsvollstreckung die Gegenleistung dem Gegner zur Ver­ fügung gestellt bleiben" — wurde von der RTK. abgelehnt, da wegen der Mannigfaltigkeit der hier in Betracht kommenden Fälle eine Lösung durch eine allgemeine prozessuale Vorschrift nicht möglich sei. Es ist darnach alles der Beurtheilung des Gerichtsvollziehers, bezw. des auf die Einwendungen einer der Parteien nach § 685 bezw. § 686 (s. § 686 Anm. 1) eintretenden Gerichts im einzelnen Falle überlassen. Der Gerichtsvollzieher darf gegen Leistung von seiner Seite vollstrecken. (Vgl. Prot. S. 350 f., Wilm. Levy § 664 Anm. J, Seuffert § 664 Anm. 2. Sarwey II S. 131, v. Bülow § 664 Anm. 3, A. Förster § 664 Anm. 3, Kleiner III S. 56, Gaupp II S. 338, Falkmann S. 36, Eccius in Gruchot 23 S. 739ff., Dernburg II § 46 N. 7, Brettner in Busch, Z. III S. 331, RG. im D. RAnz. 1880 bes. Beil. 15 S. 5, in I. 28. 1887 S. 203, 1889 S. 479, OLG. Jena in S. A. 37 Nr. 278; OLG. Dresden das. 42 Nr. 340, Entw. I e. b. GB. § 365, II § 273. A.M. Fitting § 92 N. 6 u. im civ. Arch. 61 S. 436, Wach, Bortr. S. 236, Weis mann, FeststeÜungsklage S. 127, Hellmann III S. 30 ff. it. Lehrb. S. 819, Köhler im civ. Arch. 72 S. 28 ff., welche auf Grund des Wortlauts des § 664 und der Tendenz des Gesetzes, den Gerichts­ vollzieher jeder materiellen Prüfung des Urtheils zu entheben, sowie auf Grund des § 779 die Ansicht vertreten, daß eine Verurtheilung zur Leistung gegen eine Gegenleistung unter die Regel Les § 664 falle.)

808

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 673, 674.

§ 673. Gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson darf die Zwangsvollstreckung erst beginnen, nachdem von derselben die vorgesetzte Militärbehörde Anzeige erhalten hat. Dem Gläubiger ist auf Verlangen der Empfang der Anzeige von der Militär­ behörde zu bescheinigen. 91. Entw. - Entw l. u. II. - Entw. III. § 622.

Mot. @. 891, 411.

Prot. S. 353, 377 - 383, 665.

§ 674. Die Zwangsvollstreckung erfolgt, soweit sie nicht den Gerichten zu­ gewiesen ist, durch Gerichtsvollzieher, welche dieselbe im Auftrage des Gläubigers zu bewirken haben. Der Gläubiger kann wegen Ertheilung des Auftrags zur Zwangsvollstreckung die Mitwirkung des Gerichtsschreibers in Anspruch nehmen. Der von dem Ge­ richtsschreiber beauftragte Gerichtsvollzieher gilt als von dem Gläubiger beauftragt. 91. Entw. §§ 908, 961. Prot. S. 353.

Entw. I. § 689.

Ent«. II. § 611. Ent«. III § 633. Mot. S. 388, 389, 411.

3) Bei alternativen Leistungen muß, wenn dem Gläubiger nicht ausdrücklich die Wahl gelassen ist, dem Schuldner bis zur Befriedigung des Gläubigers gestattet werden, sich durch die Leistung jeder der Alternativen zu befreien, wiewohl der Gläubiger bei der Nichterklärung des Schuldners zunächst die Befugniß hat, jede der Alternativen zur Zwangs­ vollstreckung zu bringen. (Levy in Gruchot 36 S. 43 ff., W i lm. L ev y § 671 Anm. 4, S euffert § 769 Anm 1, G aupp II S. 409 f., Förster (Ecci us) I § 65 a. E. Vgl. auch RG. VIII S. 353 f., XII S. 186 f., XXVII S. 332, in I. W. 1885 S. 333, Entw. I e. b. GB. § 210, II § 221. A.M. Dernburg II § 29 N. 17, der, falls der Schuldner sich weigert, zu wählen, das Wahlrecht auf ben Gläubiger übergehen läßt; ebenso Köhler im civ. Arch. 80 S. 285.) Die Einwendung des Schuldners, daß er gewählt und erfüllt habe, ist nach § 686 zu erledigen (RG. XXVII S. 384; vgl. § 686 Anm. I). S. auch sächs. Arch. I S. 283. Die Vollstreckungs­ klausel hat sich, mag der Gläubiger oder der Schuldner die Wahl haben, auf beide Leistungen zu beziehen, § 664 findet keine Anwendung (Levy a. a. £.); das Gleiche gilt für den Fall der Verbindung einer Prinzipal- und einer Eventualleistrmg (Levy a. a. O. S. 36 ff.). § 673. 1) Statt des Erfordernisses einer „Paritionsordre" der Militärbehörde sPreuß. Kab.-Ordre v. 4. Juni u. v. 8. Sept. 1822 (GS. S. 209), Entw. III] hat die RTK. die Durchführung der Zwangsvollstreckung von den: Willen der Militärbehörde unabhängig gemacht und nur im Interesse der militärischen Ordnung eine Anzeige an die vorgesetzte Militärbehörde vor­ geschrieben (auch bei der Zwangsvollstreckung in Grundstücke — s. Prot. S. 378). Anders in den Fällen der §§ 313, 345 Abs. 4, 355 Abs. 4, 374 Abs. 3, 793; vgl. auch § 699 (Zwangs­ vollstreckung in Kasernen). Vgl. R.-Mil.-Ges. v. 2. Mai 1874 § 45. 2) Die Anzeige ist Bedingung des Beginns (s. § 671 Anm. 1) der Zwangsvoll­ streckung (vgl. Preuß. Gesch.A. f. d. GB. § 55 Nr. 3). Sie kann von dem Gerichtsvollzieher, dem Gläubiger oder dem Gerichte erstattet werden (vgl. Seuffert Anm. 2, Gaupp II S. 351). Der Nachweis der erfolgten Anzeige kann auch auf andere Weise als durch die Empfangs­ bescheinigung (Abs. 2) geführt werden. Eine Frist braucht zwischen der Benachrichtigung und dem Beginne der Zwangsvollstreckung nicht zu liegen. 3) „eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militär­ person" — vgl. §§ 14 Anm. 1, 158 Anm. 2, 343 Anm. 2. 4) „vorgesetzte Militärbehörde" — vgl. § 343 Anm. 4. § 674. 1) Abs. 1: vgl. die allg. Bem. zu diesem Abschnitt unter 2 sowie zum Buch 1 Abschn. 3 Tit. 2 und § 152 Anm. 2 u. 3; über die Dienst- und Geschäftsverhältnisse der Gerichts-

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 674.

809

Vollzieher vgl. GVG. § 155, über die Fälle, in denen der Gerichtsvollzieher kraft Gesetzes von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist, § 156 das. Tie Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers ist eine doppelte. Auf der einen Seite ist er Beauftragter des Gläubigers. Das Gesetz hebt ausdrücklich hervor, daß die Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung im Auftrage des Gläubigers bewirken. Es ist dies eine der Folgen des Parteibetriebes (s. oben S. 767). „Aus der Selbständigkeit ihrer Stellung dem Gerichte gegenüber folgt ihre Stellung als Beauftragte der Gläubiger, welche ihre Thätigkeit in Anspruch nehmen. Lediglich zur geschäftlichen Erleichterung, nicht zur Veränderung des Rechtsverhältnisses dient die zugelassene Mitwirkung des Gerichtsschreibers — —. Der Umfang der aus dem Auf­ träge fließenden Befugnisse des Gerichtsvollziehers ist, analog derjenigen des Prozeßbevollmächtigten (§§ 77, 79), mit Berücksichtigung der veränderten Sachlage bestimmt." (Mot. S. 411.) In erster Linie ist hiernach für das Verhältniß zum Gläubiger sowohl wie zum Schuldner und zu Dritten (s. §§ 676, 716, 720) das Auftragsverhältniß maßgebend. Dessen ungeachtet ist der Gerichtsvollzieher zugleich öffentlicher Vollstreckungs-Beamter. Als „Beamter" be­ zeichnet ihn ausdrücklich GVG. § 155. Vgl. auch StGB. § 113. Aber er folgt nur dem Ge­ setze und den diesem nicht widersprechenden Weisungen seines Machtgebers. Das Gericht hat ihn nur zu beaufsichtigen und in den seiner Entscheidung gesetzlich vorbehaltenen Fällen (§§ 685 ff.) zu berichtigen, nicht zu leiten (s. Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 46). [SSgl. auch RG. IX S. 361, XVI S. 396 (verein. Civilst), XVIII S. 390, XX S. 389, OLG. Dresden im eil). Arch. 68 S. 415, OLG. Hamburg in S. A. 37 Nr. 358, Wach, Vortr. S. 239 u. Handb. I S. 317 ff., 322 ff., Wilm. Levy Anm. 3, Seusfert Anm. 1, A. Förster I S. 252, Sarwey IIS. 132. Gaupp II S. 352 st, Falkmann S. 65, Dernburg II tz 298 Anm. 30, Schultze, Privatr. u. Proz. I S. 70 (dazu Seuffert in Busch, Z. VIII S. 190), ders., V. d. proz. Zeitbestimmungen S. 7, Man dry S. 341 Anm. 18, Rudolph in Jahrb. st Dogm. XX S. 382 ff., Jastrow im civ. Arch. 68 S. 358 ff. (f. auch Kahn das. 70 S. 431), Kühne in Gruchot 23 S. 504, Hahn das. 31 S. 330 ff., v. Welck das. 36 (5.497 ff. u. A. A.M. Planck I S. 136 (dazu Seusfert in Busch, Z. XI S. 196), welcher trotz der historischen Entwickelung des Instituts und im Widerspruch mit den angeführten Vorschriften der CPO. den Gerichts­ vollziehern die Rechtsstellung des Mandatars gänzlich abspricht und sie lediglich als Träger staatlicher Befugnisse behandelt. Auf gleicher Seite stehen jedoch Bunsen, Zwangsvollstreckung S. 123ff., Nessel in Gruchot 28 S. 97ff., Voß das. 23 S. 240ff. it. im civ. Arch. 66 S. 160ff., v. Schrutka-Rechtenstamm in Grünhut, Ztschr. XIII S. 567 ff., XVI S. 673 ff.. Hell­ mann. Bl. f. R.Anwend. 53 S. 273 ff., 290 ff., 305 ff., Riehl in Busch, Z. XVII S. 36, teilweise RG. X S. 233; vgl. auch Förster (Eceius) II § 141 Anm. 17, § 154 Anm. 3.] Dieser Auffassung entsprechend haftet der Gerichtsvollzieher für den aus Pflichtvernachlüssigungen (Handlungen oder Unterlassungen) erwachsenen Schaden gegenüber dem Gläubiger nach den Regeln des Auftrags, nicht nach den Grundsätzen über Haftung der Beamten (vgl. z. B. Preuß. ALR. II 10 § 91). [.). 2) In Betreff der Namens-Aktien und anderer Papiere, welche gleichfalls durch In­ dossament übertragen werden können, aber keine Forderungs-Papiere sind (vgl. § 722 Anm 1), gelten die §§ 722, 723. (So auch Gaupp II S. 460, Wilm. Levy a. a. O.) 3) Wegen der Gebühr des Gerichtsvollziehers s. GO. f. GV. § 4 (in der neueren Fassung).

8 733. 1) Nach den Mot. folgt dieser Grundsatz aus demjenigen des § 709 Abs. 3. Die Gehalls­ forderung 2C. (s. § 749) ist als ein Ganzes aufzufassen, welches sich nur hinsichtlich der Er­ füllung in Raten spaltet. Fälligkeit der Forderung ist nicht Voraussetzung der Pfänd­ barkeit (Z 743). Die Pfändung ergreift deshalb folgerichtig die Substanz des Rechts, nicht bloß die einzelne fällige Leistung, vorausgesetzt, daß das Rechtsverhältniß, aus welchem die periodischen Leistungen entspringen, im Wesentlichen dasselbe bleibt (vgl. § 734). 2) „Das Pfandrecht" — vgl. § 730 Anm. 1. „einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung" — z. B. vertragsmäßige Alimente, Altentheils-Bczüge, Leibrenten, die fortlaufenden Bezüge aus Reallasten u. s. w. (Bedenken werden erhoben in Busch, Z. XIX S. 468 Anm. 1.) Es kommt immer darauf an, ob die Forderung als eine einheitliche aufzufassen ist (vgl. auch Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 461, Petersen §§ 733, 734 Nr. 1 2C.). Unter dieser Voraussetzung gehören hierher auch Pacht- und Micthforderungen sowie die aus einem bestehenden „Engagement" als Agent eines Handlungshauses gegen letzteres erwachsenden Ansprüche auf Spesen, Provision, Antheil am Gewinn u. s. w. (s. NG. im D. NAnz. 1891 bes. Beil. 2

S. 201). 8 734. 1) Abs. 1: „Diensteinkommens" — Was hierunter zu verstehen, s. in § 749 Abs. 1 Nr. 6, 8. Indessen gehört hierher auch das Einkommen aus einem dauernden Privatdienstverhältnisse („Dienstbezüge" — § 749 Abs. 3).

890

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 735, 736.

Tiefe Bestimmung findet auf den Fall der Aenderung des Dienstherr» keine Anwendung. N. Entw. § 1011. Entw. I. § 661. Gülle. II. § 669. «litte. III. § 682. Mot. S. 433. Prot. S. 398.

§ 735 Bor der Pfändung ist der Schuldner über das Pfändungsgesuch nicht zu hören. N. Glitte. § 993. Glitte. I. § 648. Glitte. II § 670. Glitte. III. § 68$. Mot. 3. 433. Pro». S. 398.

§ 736. Die gepfändete Geldforderung ist dem Gläubiger nach seiner Wahl zur Einziehung oder an Zahlungsstalt zu>n Nennwerthe zu überweisen. Im letzteren Falle geht die Forderung auf den Gläubiger mit der Wirkung über, daß derselbe, soweit die Forderung besteht, wegen seiner Forderung au den Schuldner als befriedigt anzusehen ist. Die Bestimmungen des §. 730 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. 91. Glitte. §§ 991, 1006. Entw. I- § 649. Glitte. II. § 671. Prot. S. 398.

Entw. III. S. 684. Mot. 6. 433, 434.

„Versetzung — Gehaltserhöhung" - Es sind dies Beispiele einer bloßen Modi­ fikation des fortbestehenden Verhältnisses, auf welchem dem Wesen nach die Forderung beruht (vgl. § 733 Anm. 1). Auch für diesen Satz, durch welchen manche Zweifel beseitigt worden, beziehen sich die Mot. aus § 709 Abs. 3. Ebendarunter ist der Fall der Pensionirung zu begreifen; denn die Pension, wenngleich in § 749 Abs. 1 Nr. 8 neben dem „Diensteinkommen" besonders genannt, ist ein sich an denselben Dienst knüpfendes Einkommen (s. auch Petersen §§ 733, 734 Nr. 2, Sarwey II©. 215, Senfs ert Anm., Wilm. Levy Anm. 1, G aupp II S. 462 ii. A.). Nicht minder gehört umgekehrt hierher die Wlederanstellung eines in den Ruhe­ stand Getretenen. 2) Abs. 2: „Aenderung des Dienstherrn" — d. h. desjenigen, der das Dienst­ einkommen zu zahlen verpflichtet ist. Hier liegt nicht mehr Identität des Verhältnisses vor, da die Person des Drittschuldners eine andere ist. Der Begriff paßt auch auf den Uebertritt aus dem Dienste eines Bundesstaats in den des Reichs, aus dem Reichs- oder Staatsdienst in den Kommunaldienst und umgekehrt. 8 735. Auch bei der Zwangsvollstreckung in Forderungen ist hiernach die Verhandlung mit dein Schuldner für entbehrlich erklärt, weil es bedenklich erschien, Vorschriften aufzunehmen, welche ihm die Möglichkeit lassen, vor der Ausführung der Pfändung über die Forderung zu verfügen. Damit ist, wie die Mot. bemerken, nicht verboten, den Schuldner in geeigneten Fällen dennoch (nach der Pfändung) vor der Ueberweisung zu hören. Vgl. § 736 Anm. 2.

§ 786. 1) Wie in § 730 Abs. 1 von negativen, so ist hier von positiven Wirkungen des richter­ lichen Pfandrechts an Forderungen die Rede. Durch einen besonderen richterlichen Akt (die „Ueberweisung") wird nämlich (in Anlehnung an die Vorschriften des preuß. Rechts — s. Anm. 3) die Legitimation des Gläubigers zur Einziehung der gepfändeten Forderung her­ gestellt frucht bloß „konstatirt", wie Hellwig S. 115 ff. (s. auch S euffert Anm. 5, Ruhstrat a. a. O. S. 470ff.) im Widerspiuch mit dem klaren Inhalte der §§ 736 Abs. 2, 737, den Mot. und der geschichtlichen Entwickelung des Instituts scharfsinnig auszuführen sucht. Vgl. auch Mandry S. 343, 362 ff., Gaupp II S. 463 N. 2.] „Durch die Fassung des Entwurfs ist die der Veräußerung körperlicher Sachen ent­ sprechende Ueberweisung der gepfändeten Forderung von dem Akte der Pfändung ge­ trennt gehalten, um letzteren ohne Einschränkung bei der Lehre vom Arreste (§ 810) verwerthen zu können. Der Sache nach brauchen beide Akte nicht getrennt zu ge­ schehen. Die Ueberweisung als Akt der Zwangsvollstreckung entspricht der gemein­ rechtlichen Gestattung der actio utilis zur Einklagung einer verpfändeten Forderung.

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldsorderungen.

§ 736.

891

Es ist jedoch vermieden, dem Akte die Natur eines bestimmten Rechtsgeschäfts bei­ zulegen und das aus demselben entstehende Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner anders, als in seinen Wirkungen zu bezeichnen." (Mot.) Ohne die Ueberweisung darf der Drittschuldner nicht — an den Gerichtsvollzieher oder an den Gläubiger — zahlen. (A.M. Siebenhaar S. 681.) Anders in den Fällen der §§ 745-747. Wie das formlose Ueberweisungsgesuch mit dem Pfändungsgesuche (Z 730 Anm. 2) verbunden sein kann, so kann auch der Ueberweisungsbeschlu ß mit den in § 730 Abs. 1 be­ zeichneten Verboten verbunden werden, bleibt aber doch innerlich seiner positiven Bedeutung nach von jenen getrennt. Die Pfändung bildet stets die Voraussetzung der Ueberweisung, so daß die Ueberweisung nicht vor der Zustellung des Verbotes an den Drittschuldner wirksam werden kann (vgl. unten Anm. 8, Fitting § 101 N. 20, auch Wilm. Levy Anm. 1 S. 1001). Im Falle des § 732 muß die Pfändung sogar zeitlich vorangehen. (Vgl. übrigens RG in Gruchot 34 S. 1172, und Busch, Z. XV S. 448.) 2) Eine vorgüngige Anhörung des Schuldners ist auch hier (vgl. § 735) nicht er­ fordert; sie würde zu Weiterungen fuhren, die mit der Gefahr doppelter Zahlung in keinem Verhältnisse stehen, zumal da der von der Pfändung benachrichtigte Schuldner seine Ein­ wendungen sofort vorbringen kann (Prot. S. 398). Sie ist aber nicht ausgeschlossen (vgl. § 735 Anm.). 3) Die Ueberweisung geschieht nach der Wahl des Gläubigers, entweder „zur Einziehung" sder Ueberweisung mit den Rechten „eines „Assignatars" bezw. Ertheilung der Ermächtigung zur Einklagung nach den Preuß. Ges. v. 4. Juli 1822 (GS. S. 178) und v. 20. März 1854 (GS. S. 115) entsprechend] oder „an Zahlungsstatt zum Nennwerthe" [cm Stelle der Zession nach § 6 des Preuß. Ges. v. 4. Juli 1822]. Jene gewährt die einfache Einhebungs-Berechtigung einschließlich des Klagerechts (Z 737, 740), wobei von der unpassenden Analogie der Assignalion ganz abzusehen ist; der Gläubiger handelt als procurator in rem suam. während der Schuldner im übrigen Gläubiger bleibt. (Vgl. RG. XVIII S. 398, XX S. 421, XXI S. 360, XXVII S. 294, XXIX S. 339, OLG. Celle in S. A. 43 Nr. 249; s. auch RG. in I. W. 1894 S. 322 Nr. 37; vgl. ferner Francke in Busch, Z. V S. 212, Wilm. Levy Anm. 1, Mandry S. 362, Hellmann, Lehrb. S. 872, Fitting § 101 N. 17, Förster (Eceins) I § 95 a. E., Dernburg II § 52 Anm. 13, § 107 Anm. 8 u. A. S. noch Stegemann in Busch, Z. XVII S. 329, 343 ff. A.M. Hellwig a. a. O. S. 106 ff.) Nur soweit dabei materielle Befriedigung erreicht wird, ist Tilgung der zur Zwangsvollstreckung stehenden Forderung die Folge. Zedirt der Gläubiger sein Recht aus der Ueberweisung (vgl. Entsch. d. preuß. OT. 4 S. 225), so kommt es darauf an, inwieweit der Z essi o nar materielle Befriedigung erlangt. Zu Nachlässen, Stundungsverträgen, Vergleichen mit Wirkung gegen den Schuldner (§ 77 kann hier nicht entscheiden) oder einseitiger Annahme eines Zwangsvergleichs im Konkurse, überhaupt zu Verfügungen über die Forderung ist der Gläubiger nicht befugt (vgl. RG. XVIII S. 398, XXI S. 366, ob.LG. f. Bayern in Busch, Z. IV S. 427 ff., OLG. Hamburg in S. A. 38 Nr. 79, Wilm. Levy a. a. O., Kroll, Klage u. Einr. S. 184). Dagegen kann er, da seine Stellung als procurator in rem suam eine Rechtsnachfolge für den Prozeß begründet, gemäß § 665 nach der Entscheidung des Prozesses eine auf seinen Namen lautende vollstreckbare Ausfertigung verlangen (RG. XX S. 423, Falkmann S. 274 u. in Busch, Z. XV S. 510 ff., Seufsert Anm. 2b, Gaupp II S. 465, Wilm. Levy § 665 Anm. 1 a. E. A.M. Krihning in Busch, Z. XV S. 92. Vgl. auch ob.LG. f. Bayern in S. A. 47 Nr. 272), unter den Voraussetzungen des § 231 auf Feststellung klagen (vgl. § 730 Anm. 7) und vor der Fälligkeit der Forderung gegen den Drittschuldner Arrest erwirken oder die Hinterlegung der Forderung beantragen (RG. XXVII S. 294, Ruhstrat et. a. O. S. 463 ff., Seufsert a. a. O. u. A.).

892

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 736.

Auch ist er zur Anmeldung der Forderung im Konkurse des Drittschuldners berechtigt. (Ueber das Stimmrecht im Konkurse s. Köhler in Busch, Z. X S. 207 ff., u. ob.LG. f. Bayern in 3. A. 36. Nr. 248.) Für schuldhaftes Verhalten bei der Beitreibung (vgl. § 740 Anm. 2), insbesondere Verzögerung (§ 741) ist er dem Schuldner haftbar. Andererseits kann er jederzeit auf die Einziehung verzichten (§ 742). Dem Schuldner verbleibt das Recht, seine Forderung unbeschadet der Rechte des Pfandgläubigers zu übertragen (RG. XXI S. 366, Falkmann S. 171), gegen den Drittschuldner unter den Voraussetzungen des § 231 auf Feststellung zu klagen und Hinterlegung des Betrags zu beantragen (vgl. § 730 Anm. 7). Im klebrigen hat der Schuldner kein Klagerecht neben dem Gläubiger (vgl. § 741 Anm. 2). Diese Wirkung („zur Einziehung") ist die regelmäßige und wird im Zweifel als gewollt anzunehmen sein. (Zustimmend 33 rettn er in Busch, Z. 111 S. 337, Wilm. Levy st. a. £>. u. A.) Will dagegen der Gläubiger die stärkere Wirkung der Ueberweisung an Zahlungsstatt, so muß er dies deutlich im Ueberweisungsgesuch ausdrücken. Der gerichtliche Beschluß (vgl. Abs. 3) hat die eine oder die andere Wirkung bestimmt auszusprechen. Die Verpflichtung zur Streitverkündung ist beiden Arten gemeinsam (§ 740). Bei Ueberweisung einer in Streit befangenen Forderung findet § 236 Anwendung (vgl. § 236 Anm. 2).

4) Die Ueberweisung an Zahlungsstatt [f. Windscheid, Pand. II § 342 Anm. 15, Förster (Eceins) I § 93 S. 615, Dernbürg II § 82 S. 200, § 107 Anm. 8, Hellwig S. 203 ff., Mandry S. 362 ff.] erfolgt stets nur „zum Nenn werthe" der überwiesenen Forderung. „Gütliche Ueber ein hm ft der Parteien über andere Maßregeln wird dadurch nicht ausgeschlossen (Mot.). Für G e l d r e n t e n besteht kein (Kapitals-) Nennwerth. Eine Uebereignung zum Ab­ lösungswerthe (Preuß. Ges. v. 4. Juli 1822 § 10) wird aber nach § 743 nicht unzulässig sein. Es können übrigens auch die einzelnen fällig werdenden Raten zum Nennwerth über­ wiesen werden. Die Ueberweisung an Zahlungsstatt ist unzulässig in den Fällen der §§ 738, 745 bezw. 748. Die nur vorläufige Vollstreckbarkeit des Schuldtitels steht ihr aber nicht entgegen. 5) Der Gläubiger wird durch die Ueberweisung an Zahlungsstatt (rechtmäßiges) Subjekt (Eigenthümer, Gläubiger) der überwiesenen Forderung. Er kann sie sogleich in be­ liebiger Weise verwerthen, sie früher oder später beitreiben, kurz ganz nach seinem Willen darüber verfügen wie der Zessionar einer abgetretenen Forderung. Ob rückständige Zinsen, die der Gläubiger sich nicht übereignen lassen will, ausdrücklich vorzubehalten sind (Preuß. Ges. v. 4. Juli 1822 § 8), bestimmt sich nach der Lage des einzelnen Falles und dem bürgerlichen Rechte. Die sofortige befreiende Wirkung dieser Art der Uebeuveisung auf die zur Zwangs­ vollstreckung stehende Forderung wird in Abs. 2 besonders hervorgehoben. Sie tritt aber nur ein, „soweit die" (überwiesene) „Forderung besteht"; d. h. der Schuldner haftet ge­ wissermaßen (ohne daß eine Regreßklage erforderlich wäre, worüber Sieben haar S. 681 Anm. * das Civilrecht entscheiden lassen will) für das Bestehen (die Verität) (vgl. Präj. des preuß. OT. 2012 v. 26. April 1848 (Präj.-Samml. I S. 345)]. Soweit die Forderung nicht besteht, bleibt die zur Zwangsvollstreckung stehende Forderung ungetilgt; der Gläubiger kann also ein anderes Vollstreckungsmittel wählen (Seufsert Anm. 3 u. § 740 Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 2, Puchelt II S. 587, Gaupp II S. 466, Hellwig S. 208, Mandry S. 365 f., Petersen §§ 736—738 III a. E. A.M. Sarwey II S. 218, der den Gläubiger auf den Eviktionsanspruch an den Schuldner verweist). Wegen Ertheilung der erforderlichen neuen vollstreckbaren Ausfertigung des Urtheils s. § 669. Dem Schuldner bleibt überlassen.

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 736.

893

das Bestehen im Wege der Klage nach § 686 geltend zu machen. Erleichtert wird diese „Einwendung" durch die obligatorische Streitverkündung (g 740). Eine Haftung für die Güte (Bonität, Exigibilität) (vgl. Preuß. ALN. I 11 §§ 427 ff.] findet hier nicht statt. Daher ist § 741 auf die Ueberweisung zur Einziehung beschränkt. 6) Sowohl bei der Ueberweisung §ur Einziehung wie bei derjenigen an Zahlungs­ statt kann der Drittschuldner dem Gläubiger alle Einwendungen entgegensetzen, welche ihm gegen den Schuldner bis zur Pfändung (§ 730 Abs. 3) rechtsgültig entstanden sind, auch die Einrede aus CPO. § 247 Z. 5 (NG. XXXIII S. 359). Bei beiden Arten der Ueber­ weisung äußert der Glaube des Grundbuchs (vgl. z. B. Preuß. Ges. v. 5. Mai 1872 § 38 Abs. 2) seine Wirkung dahin, daß der Gläubiger sich auf seinen guten Glauben an die Grund- (und Hypotheken-) Buchs-Einträge insoweit berufen kann, als dieses nach Landesrecht einem Zessionär gestattet ist. (Vgl. NG. X S. 253, XXIX S. 244, in Gruchot 28 S. 1105, 33 S. 1183, in d. Annalen X S. 188, im Preuß. JMBl. 1891 S. 51, AchillesStrecker, D. preuß. Ges. über Grundeig. re. (4. Aufl. 1894) S. 208, G eilin in Johow u. Küntzel, Jahrb. IV S. 354 ff., Wilm. Levy Anm. 1 S. 1001 i. A. A.M. für den Fall der Ueber­ weisung zur Einziehung NG. VII S. 238, VIII S. 377 (s. auch NG. in S. A. 38 Nr. 2ö7), Seuffert Anm. 2c, 3, Gaupp II S. 465 a. E., 467 N. 36, Sarwey II S. 217, Petersen §§ 736—738 II.] Hinsichtlich der Einreden bei Wechseln u. s. w. s. § 737 Anm. 1. Ueber die Eintragung einer Ueberweisung an Zahlungsstatt in das Grundbuch vgl. z. B. Preuß. Grundbuchordn. v. 5. Mai 1872 § 87 (s. § 737 Anm. 3). Die Ueberweisung zur Einziehung wird — abgesehen von der Pfändung (§ 731) — nach preuß. Recht nicht be­ sonders eingetragen (vgl. Achilles-Strecker a. a. O. S. 409). 7) Als selbstverständlich für beide Arten der Ueberweisung betrachten es die Mot., daß der Gläubiger, wenn die Ueberweisung sich nicht auf den ganzen Nennwerth der Forderung erstreckt, das Vorzugsrecht vor dem Ueberreste beanspruchen kann (Preuß. Ges. v. 4. Juli 1822 § 7, Nordd. Prot. S. 2039 f.). Allerdings kann der Gläubiger jeden beliebigen Theil der Forderung zum Gegenstände der Zwangsvollstreckung machen; aber er wird diesen Theil in dem Ueberweisungsgesuche bezeichnen, also jenes Vorzugsrecht ausdrücklich beanspruchen müssen; dasselbe ist demgemäß auch in dem Ueberweisungsbeschluß auszudrücken. (So auch Sarwey II S. 219, Petersen §§ 736—738 I, Gaupp II S. 465, Wilm. Levy Anm. 1 (zumal für die Ueberweisung von Hypothekenantheilen an Zahlungsstatt), Mandry S. 364 f.] 8) A b s. 3 verdankt seine von den Entw. abweichende Fassung der Redaktions-Kommission der RTK. (vgl. § 730 Anm. 4); s. auch Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 90 Abs. 6. Der § 730 Abs. 3 ist nicht analog anzuwenden sowohl wegen des argumentum e con­ trario, als wegen der bestimmten Vorschrift des § 737 Abs. 1, wonach die Ueberweisung, d. h. der sie aussprechende richterliche Beschluß, die Erklärung des Schuldners, durch welche eine vertragsmäßige Ueberweisung vollendet wird, ersetzt (vgl. Windscheid, Pand. II § 330). Die Kenntniß des Drittschuldners, insbesondere die Zustellung an ihn ist hier so unerheblich wie bei einer vertragsmäßigen datio in solutum; desgleichen die Kenntniß des Schuldners. Ebensowenig, wie auf die Zustellung an sie, kommt es auf die förmliche Zustellung an den Gläubiger an, welche überhaupt nur im Falle der Zurückweisung des Gesuchs (wegen §§ 540 Abs. 2, 701) erforderlich ist (vgl. § 730 Anm. 2). Die Ueberweisung wird mit der Mittheilung (Aushändigung) des Beschlusses an den Gläubiger perfekt. (So auch Seuffert Anm. 4, Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp II S. 463, Petersen §§ 736—738 III, H. Meyer, D. Zustellung der Beschlüsse u. s. w. S. 56, Mandry S. 364, Hellwig S. 205 Anm. 413, v. Bülow Anm. 6, der jedoch die Wirkung auf den Tag des Erlasses zurückbeziehr. A.M. Sarwey II S. 219, Kleiner III S. 164, welche die Zustellung an den Gläubiger ent­ scheiden lassen, ii. Hellmann III S. 102, nach welchem es auf die Zustellung an den Dritt­ schuldner ankommt.] Sind der Pfändungs- und der Ueberweisungsbeschluß in einem Beschlusse

894

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 737.

§ 787. Die Überweisung ersetzt die förmlichen Erklärungen des Schuldners, von welchen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Berechtigung zur Einziehung der Forderung abhängig ist. Der Schuldner ist verpflichtet, dem Gläubiger die über die Forderung vor­ handenen Urkunden herauszugeben. Die Herausgabe kann von dem Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung erwirkt werden. N. Ent«. §| 996-998. Ent«. I. § 650. Ent«. II. § 672. E»t«. III § 685. S. 399, 400.

Mo«. S. 434. Prot.

verbunden, so kann aber die Wirkung der Ueberweisung erst mit der Pfändung, d. i. der Zu­ stellung an den Drittschuldner (§ 730 Abs. 3) eintreten — „die gepfändete Forderung ist . . . zu überweisen" (Fitting § 101 Anm. 29, Hellinann III S. 102 u. oben Anm. 1). § 737. 1) Abs. 1: „Die Ueberweisung" — sei es zur Einziehung oder an Zahlungssiatt. „ersetzt — abhängig ist" — Die richterliche Verfügung tritt an die Stelle der Ver­ fügung des Schuldners (vgl. § 736 Anm. 8). Der Nachdruck liegt auf den „förmlichen Erklärungen" (vgl. Hellwig S. 116). Unter diesen, welche (wie alle anderen Erklärungen des Schuldners) durch die Ueberweisung ersetzt werden, ist namentlich die Cessi o n zu verstehen, nicht das (Voll-)Jndossament, welches nach WO. Art. 82 u. HGB. Art. 303 Abs. 2 dem Gläubiger die Rechte des Schuldners unabhängig von allen Einreden des Drittschuldners aus der Person des Schuldners übertragen würde, und dessen Wirkungen mithin über die bloße „Berechtigung zur Einziehung" hinausgehen. Die in den Entwürfen enthaltenen Worte „insbesondere das Indossament des Schuldners" hinter „abhängig ist" sind aus dem ange­ gebenen Grunde von der RTK. gestrichen. Vgl. §§ 722—724, 743. Wird der Ueberweisungsbeschluß auf den Wechsel gesetzt, was zwar nicht nothwendig ist (s. Skonietzki in Gruchot 29 S. 236 Anm. 44), aber sich in allen Fällen empfiehlt, so wird er ganz wie ein Prokuralndossament (WO. Art. 17) wirken (vgl. auch RG. in I. W. 1883 S. 275, Slebenhaar S. 682 s., Sarwey II S. 220, Petersen §§ 736—738 IV 1, Wilm. Levy Anm. 1 u. § 736 Anm. 1 a. E., Gaupp II S. 468. A.M. Endemann III S. 251). Ueber die Zulässigkeit der Ueberweisung eines von Gegenleistungen abhängigen Forderungsrechts (§ 743) s. RG. VI S. 377; vgl. auch ROHG. 12 S. 77 u. die dort in Anm. ** angef. * § * * Literatur. * §§ 2) Abs. 2: „eine nothwendige Ergänzung der Vollstreckung" (Mot.). Vgl. Preuß. AGO. I 24 § 101, Hann. PO. § 555. Die Pflicht zur Herausgabe liegt auch vor, wenn nur ein Theil der Forderung überwiesen ist; jedoch hat der Gläubiger alsdann die Verpflichtung, die Urkunden nach gemachtem Gebrauch an den Schuldner zurückzugeben (RG. XXI S. 368). Die Urkunden als Zubehör der Forderung (vgl. Entsch. d. preuß. OT. 74 S. 37, Striethorst, Arch. 70 S. 312, 93 S. 142, RG. XVI S. 170, Entw. I e. b. GB. § 1109 Abs. 1, Enlw. II § 867; s. auch RG in Str.S. XXIV S. 162) sind auf Antrag des Gläubigers in dem Ueberweisungsbeschlusse, welcher als Vollstreckungstitel für diese Zwangsvollstreckung genügt (so auch RG. XXI S. 364 u. in I. W. 1888 S. 438 Nr 3, OLG. Braunschweig in S. A. 41 Nr. 317, Wilm. Levy Anm. 2 u. A. A.M. Endemann III S. 252), oder nachträglich in einem besonderen, nach § 702 Nr. 3 vollstreckbaren Beschlusse zu bezeichnen, wenn die Zwangsvollstreckung zulässig sein soll (vgl. auch Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 91 Abs. 2). Auf die „Zwangsvoll streckung" finden die Vorschriften des § 769 Anwendung. Gegen einen dritten Inhaber der Urkunde muß erst auf Grund des Beschlusses auf Herausgabe geklagt werden (vgl. §§ 745 ff., H ellmann III S. 105 u. Lehrb. S. 873 u. 91.); eine besondere Pfändung und Ueberweisung des 9lnspruchs auf Herausgabe ist nicht erforderlich (vgl. RG. XXI S. 364).

Zweiter Abschnitt

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§§ 738, 739.

895

§ 738. Ist in Gemäßheit des §. 652 Abs. 2 dem Schuldner nachgelassen, durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung die Vollstreckung abzuwenden, so findet die Ueberweisung gepfändeter Geldforderungen nur zur Einziehung und nur mit der Wirkung statt, daß der Drittschuldner den Schuldbetrag hinterlege. N. Entw. - Entw. I. u. II. - Er,Iw. III. -

Mot. - Prot. S. 368-370.

§ 739. Auf Verlangen des Gläubigers hat der Drittschuldner binnen zwei Wochen, von der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an gerechnet, dem Gläubiger zu erklären: 1. ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkenne und Zahlung zu leisten bereit sei; 2. ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung machen; 3. ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet sei. Die Aufforderung zur Abgabe dieser Erklärungen muß in die Zustellungsurkunde aufgenommen werden. Der Drittschuldner haftet dem Gläubiger für den aus der Nichterfüllung seiner Verpflichtung entstehenden Schaden. Die Erklärungen des Drittschuldners können bei Zustellung des Pfändungs­ beschlusses oder innerhalb der im ersten Absätze bestimmten Frist an den Gerichts­ vollzieher erfolgen. Im ersteren Falle sind dieselben in die Zustellungsurkunde aufzunehmen und von dem Drittschuldner zu unterschreiben. N. Entw. § 1002. Entw. I. § 653. Entw. II § 673. Entw. III. § 686. Mot. S. 434, 435. Prot. S. 400. 3) Nach

beut Preuß. AG. z. EPO. § 16 Abs. 2

ersetzt die Ueberweisung

einer im

Grund- oder Hypothekenbuch eingetragenen Geldforderung an Zahlungsstatt die Bewilligung des Schuldners zur Eintragung der Abtretung. — Wegen des Reichsschuldbuchs und des preuß. Staatsschuldbuchs s. § 722 Anm. 1.

§ 738. 1) Die Bestimmung ist von der RTK. ztim Schutze des Schuldners eingeschaltet.

Die

Zwangsvollstreckung wird hier nur darauf gerichtet, dem Gläubiger die Sicherheit zu gewähren, nicht auf seine endliche Befriedigung, weil er vielleicht später zur Rückerstattung nicht im Stande ist. Vgl. §§ 059, 716 Abs. 2, 720. 2) „nur zur Einziehung — hinterlege" — Die Ueberweisung an Zahlungsstatt (§ 736) findet hier nicht statt. Die Zahlung kann ferner bei der Einziehung oder Einklagung nur zur Hinterlegung verlangt werden. auszudrücken.

Vgl. § 659.

Diese Einschränkung ist in dem Ueberweisungsbeschluß

Die Wirkung der Hinterlegung bestimmt sich nach dem bürgerlichen

Rechte (vgl. § 709 Anm. 6).

§ 739. Literatur: Förster im eiv. Arch. 75 S. 140 ff. 1) A b s. 1: Zur Vermeidung unnützer Prozesse ist hier auf der Grundlage der allgemeinen Zeugnißpflicht eine Verpflichtung des Drittschuldners zur AuskunftsertHeilung eingeführt, die den Gläubiger über die Rechtslage der gepfändeten Forderung unterrichten und ihm die Unterlagen für sein ferneres Verhalten (vgl. §§ 736, 740—743) an die Hand geben soll. 2) „von der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an gerechnet" — nämlich von der Zustellung an den Drittschuldner (§ 730 Abs. 3). Vgl. Abs. 2. 3) Nr. 1: Das Anerkenntniß hat nicht die Wirkung eines gerichtlichen Geständnisses oder Anerkenntnisses (§§ 261, 278, 648 Nr. 1). beurtheilen.

Seine Wirkung ist nach bürgerlichem Rechte zu

Ist nach diesem ein Zahlungsversprechen ein selbständiger Verpflichtungsgrund, so

ist der Drittschuldner daraus zur Zahlung verbunden und kann nicht nachträglich die Einrede der Kompensation aus einer ihm gegen den Schuldner des Gläubigers zustehenden Gegen­ forderung gebrauchen (NG. XXIX S. 337). Eine von ihm ertheilte unrichtige Auskunft (über

896

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 740.

§ 740. Der Gläubiger, welcher die Forderung einklagt ist verpflichtet, dem Schuldner gerichtlich den Streit zu verkünden, sofern nicht eine Zustellung im Ausland oder eine öffentliche Zustellung erforderlich wird. N. Enlw. 8 1005. Etttw. 1-8 655. Entw. II. 8 674. Entw. III. 8 687. Mot. S. 435. Prot. S. 401,407.

die Tilgung der gepfändeten Forderung) braucht er übrigens in dem Prozesse des Gläubigers gegen ihn nicht als wahr gelten zu lassen (NG- in I. W. 1888 S. 288 Nr. 9). Nr. 2: Die Bestimmung ist von der NTK. hinzugefügt. Der Gläubiger hat ein Interesse, zu wissen, ob Personen vorhanden sind, gegen welche er unter Umständen (vgl. § 72) direkt auftreten muß. Ein früherer Zessionar geht ihm nach allgemeinen Grundsätzen vor (RG. in S. A. 37 Nr. 107). Nr. 3: Ist dies der Fall, so gehen die „anderen Gläubiger" ihm vor. Vgl. §§ 730 Anm. 1, 750ff., 810 Anm. 2. Es ist alsdann lediglich seine Sache, die geeigneten Schritte zu thun, um seine Zuziehung zu dem auf die ältere Pfändung veranlaßten Verfahren, soweit solches noch schwebt, zu erwirken (NG. in I. W. 1891 S. 390). 4) Abs. 2: In Satz 1 wird die Form bestimmt, in welcher das „Verlangen des Gläubigers" (Abs. 1) sich kundzugeben hat. Der Gläubiger hat den Gerichtsvollzieher bezw. den Genchtsschreiber entsprechend zu unterrichten, welcher letztere weiter den Gerichtsvollzieher unterrichtet. Der Gerichtsvollzieher hat die Aufforderung bei Zustellung des Pfändungsbeschlusses zu erlassen und dies in der Zustellungsurkunde zu bemerken. Der Postbote darf die Auf­ forderung nicht erlassen; auch genügt es nicht, daß vom Gerichtsvollzieher die Aufforderung in das Ersuchen an die Post (§ 177) aufgenommen wird; vielmehr ist hier die Zustellung durch die Post überhaupt uuanwendbar. (S. Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 90 Abs. 1. Vgl. auch Wilm. Levy Anm. 1, Seussert Anm. 2, Petersen §§ 739—742 I 1 it. 91.) Bei der Zu­ stellung im Ausland erfolgt die Aufforderung durch Vermittelung des Gerichtsvorsitzenden (vgl. §§ 182, 185; Puchelt II S. 590, Dorendorf, Arrest S. 96). Bestellt die ausländische Behörde die Aufforderung nicht, weil sie dazu nicht verpflichtet ist, so ist die Aufforderung freilich unwirksam (vgl. Gaupp II S. 469 f., Seussert a. a. £).). Wegen der öfsentlichen Zustellung s. § 730 Anm. 6. 5) Der in Satz 2 an die Nichterklärung auf die gemäß Satz 1 — nicht aber in anderer Weise — erlassene Aufforderung (Förster a. a. O. S. 153 f., Wilm. Levy Anm. 4, Seussert Anm. 2. A.M. Petersen §§ 739—742 I 1) geknüpfte Rechtsnachtheil ist milder als der des C. de proc, art. 577, welcher die Feststellung der Schuld androht. Der Schaden wird vorzugsweise in den Kosten eines unnützer Weise angestrengten Prozesses bestehen, kann aber auch weiter gehen, z. B. wenn der Gläubiger von anderen Zwangsvollstreckungsmitteln abgesehen hat. 6) Abs. 3: Die Benutzung der Zustellungsurkunde empfiehlt sich schon der Kostenersparniß wegen. Erfolgt die Erklärung nachträglich, wenngleich innerhalb der Frist des Abs. 1 (nach deren Ablauf der Gerichtsvollzieher zur Entgegennahme der Erklärung nicht mehr verpflichtet ist), so muß der Drittschuldner auch dem Gerichtsvollzieher, welcher alsdann die Zustellung an den Gläubiger besorgt, die Gebühr hierfür entrichten. Uebrigens ist nicht ausgeschlossen, daß der Drittschuldner statt des Gerichtsvollziehers die Vermittelung des Gerichtsschreibers nach § 152 Abs. 2 in Anspruch nimmt oder den: Gläubiger die Erklärung unmittelbar durch die Post oder durch einen Boten innerhalb der zweiwöchigen Frist übermittelt, wobei er sich freilich Zweifeln an der Authentizität aussetzt. (So auch Petersen §§ 739—742 I 2, Wilm. Levy Anm. 6, En de mann 111 S. 245 rc.) Eine bloß mündliche Erklärung wird aber nicht genügen (Gaupp II S. 470, Petersen a. a. O. A.M. Kleiner III S. 168). Für die Aufnahme der Erklärungen (s. Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 90 Abs. 2) selbst werden dem Gerichtsvoll­ zieher Schreibgebühren vergütet (GO. f. GV. § 14 Nr. 3). §

740.

lj „Der Gläubiger — einklagt" — sei es nach Ueberweisung an Zahlungsstatt oder nur zur Einziehung. Auch bei jener hat der Schuldner an der Zuziehung ein Interesse, weil er für das Bestehen der Schuld haftet.

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 741.

897

§ 741. Der Gläubiger, welcher die Beitreibung einer ihm zur Einziehung überwiesenen Forderung verzögert, haftet dem Schuldner für den daraus ent­ stehenden Schaden. 91. (Bntle. § 1000. S. 401, 40Ü.

entw. I. § 651.

Entw. II. § 675.

EntI». III. § 688.

Mat. 6. 435.

Prot.

2) „ist verpfli chtet — Streit zu verkünden" — vgl. 8 69 ff. Ueber die Folgen der Unterlassung ist auch hier nichts bestimmt. Sie ergeben sich aus dem Zwecke der Streit­ verkündung (vgl. §§ 65, 71). Der Gläubiger setzt sich — wie der Käufer bei der Unterlassung im Falle der Eviktion — der exceptio mali processus seitens des Schuldners aus, welche ihm hier bei Fortsetzung der Zwangsvollstreckung entgegengestellt werden kann und nach Maßgabe des § 686 in der Form der Klage auf Schadensersatz, z. B. (bei der Ueberweisung zur Ein­ ziehung) behufs Kompensation mit der zur Vollstreckung stehenden Forderung (vgl. § 741 Anm 1), bezw. (bei der Ueberweisung an Zahlungsstatt) als Geltendmachung der trotz der Abweisung der Klage erfolgten Befriedigung des Gläubigers, eventuell als condictio indebiti auftritt (s. § 736 Anm. 5, Seuffert Anm. 2, Sarwey II S. 224, Hellmann III S. 107, Gaupp II S. 471 f., Kleiner III S. 171 f. u. A.). Der Drittschuldner kann aus der Unterlassung keinen Einwand ableiten (vgl. Präj. des preuß. OT. 2525 v. 8. Juni 1854 (Entsch. 28 S. 219), Gaupp II S. 472]. 3) „sofern nicht — erforderlich wird" — Wegen der Schwierigkeiten der gericht­ lichen Streitverkündung in diesen Fällen ist der Gläubiger von der betreffenden Berpstichtung entbunden (vgl. 88 182—169). Indessen kann dies doch nur die Folge haben, daß die Nachtheile unterlassener Streitverkündung dem Gläubiger nicht entgegengesetzt werden können, nicht aber die, daß die positiven Wirkungen der geschehenen Streitverkündung eintreten, der Gläubiger also für schlechte Prozeßführung nicht einzustehen hat. Daher wurde es auch in der RTK. be­ stritten, daß das Urtheil in den betreffenden Fällen dem Schuldner gegenüber präjudizire; der Vertreter der Reichsregierung bejahte freilich die Frage, da der Gläubiger alles gethan habe, was das Gesetz vorschreibt. Vgl. 8 730 Anm. 5. (So Puchelt II S. 591, Hellmann III S. 108, Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert Anm. 2 a. E., jetzt auch Gaupp II S. 472, Fitting 8 101 N. 23. A.M. Petersen 88 739—742 II 2, Sarwey II S. 225, Kleiner III S. 172.)

4) In dem Prozesse handelt der Kläger nach eigenem pflichtmttßigen Ermessen (vgl. 8 741 Anm. 1). Die Stellung des beitretenden Schuldners ist die des Nebenintervenienten (8 71). Da das ergehende Urtheil aber dem Schuldner (als eigentlichem Subjekte der Forderung bezw. als Rechtsvorgänger) gegenüber materiell wirksam ist (Hann. PO. 8 556 Abs. 5, Petersen, Fitting a. a. O., Gaupp II S. 472. A.M. Siebenhaar S. 635), so ist dieser als Streit­ genosse des Gläubigers zu behandeln (vgl. 8 66 Anm. 1). Vgl. auch 8 741 Anm. 2 u. 8 753. Zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich ist der klagende Gläubiger bei bloßer Ueber­ weisung zur Einziehung nicht befugt (8 736 Anm. 3, Petersen 88 736—738 II a. E., Dorendorf, Arrest.S. 117. A.M. Puchelt II S. 586). 5) Hinsichtlich der Kosten, welche zu denen der Zwangsvollstreckung (8 697) gehören, entscheidet der Grundsatz des 8 87. (So auch Sarwey II S. 224, Gaupp II S. 471, Wilm. Levy 8 742 Anm. 2 u. A. A.M. Siebenhaar S. 685, Endemann III S. 256, die dem Gläubiger die Kosten des verlorenen Prozesses oder der fruchtlosen Zwangsvollstreckung in jedem Falle zur Last legen wollen.) Vgl. 88 697 Anm. 1, 742 Anm. 1. §

741.

1) Die CPO. hebt hier eine einzelne Folge der Stellung des Gläubigers, welchem eine Forderung „zur Einziehung" überwiesen ist, als procurator in rem suam und der ihm in dieser Stellung obliegenden Sorgfalt hervor. Wie er für die Folgen einer arglistigen oder fahrStruckmann u. Koch, Civilprozehordnung. 6. Aufl. 57

898

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 742, 743.

§ 742. Der Gläubiger kann auf die durch Pfändung und Ueberweisung zur Einziehung erworbenen Rechte unbeschadet seines Anspruchs verzichten. Die Verzichtleistung erfolgt durch eine dem Schuldner zuzustellende Erklärung. Die Erklärung ist auch dem Drittschuldner zuzustellen. N. Enttv. § 1001. Entw. I. § 652. Hntw. II. § 676. Errttv. III. § 689. Mot. S. 435. Prot. S. 402.

§ 743. Ist die gepfändete Forderung eine bedingte oder eine betagte, oder ist ihre Einziehung wegen der Abhängigkeit von einer Gegenleistung oder aus lässigen Prozeßführung würde haften müssen, soweit der Schuldner dabei nicht selbst in culpa ist (vgl. § 740 Anrn. 2; s. auch ROHG. 21 S. 38), so haftet er auch für die Folgen einer (schuldbaren) Verzögerung des Prozesses einschließlich der Zwangsvollstreckung („Bei­ treibung") (Bad. PO. § 913; s. auch RG. in S. A. 37 Nr. 304) und einschließlich der außer­ gerichtlichen Maßregeln, z. B. Präsentation und Protestation eines Wechsels. Das preuß. Recht gelangte zu demselben Ergebnisse durch Bezeichnung des Gläubigers als Assignatar (§ 736 Anm. 3; vgl. ALR. I 16 § 286, Nordd. Prot. S. 2044). (Legislatorische Einwendungen gegen § 741 erhebt Hellwig S. 242 ff. — nicht ohne Belangs Der Anspruch aus § 741 kann einerneuen Zwangsvollstreckung gegenüber als Kompensationseinwand nach § 686 mittels Klage geltend gemacht werden. Vgl. § 740 Anm. 2. Wegen der Ueberweisung an Zahlungsstatt s. § 736 Anm. 5. 2) Der Schuldner hat neben dem Gläubiger kein eigenes Klagerecht. In der RTK. herrschte darüber Meinungsverschiedenheit. Indessen ist ein Antrag, statt § 74t zu setzen: „Ist dem Gläubiger eine Forderung zur Einziehung überwiesen, so steht dem Schuldner ein selbständiges Klagerecht gegen den Drittschuldner auf Bezahlung des schuldigen Betrages an den Gläubiger oder auf Hinterlegung zu", von der RTK. abgelehnt. Dem Drittschuldner kann nicht zugemuthet werden. wegen desselben Anspruchs zwei Prozesse zu führen. Vgl. § 740 Anm. 4. — Ebensowenig kann der Schuldner den Gläubiger zur Einklagung nöthigen (vgl. auch Siebenhaar S. 685). Ob die Pfandklage und die Klage gegen den Bürgen von selbst mit überwiesen sind, ist nicht allgemein zu bejahen (s. Sarwey II S. 225, Kleiner III S. 163), sondern beant­ wortet sich nach dem bürgerlichen Rechte.

§ 742. 1) Da die Ueberweisung zur Einziehung nicht wie die Ueberweisung an Zahlungsstatt eine sofortige Befriedigung des Gläubigers enthält, so kann.Letzterer (wie auch die Mot. her­ vorheben) dieses wie jedes andere Vollstreckungsmittel jederzeit fallen lassen, um zu einem anderen überzugehen. Auch ein Verzicht auf die Ueberweisung unter Aufrechterhaltung der durch die Pfändung begründeten Rechte ist zulässig. (So auch Wilm. Levy Anm. 2 a. E. A.M. Seuffert Anm. 1.) Inwieweit der verzichtende Gläubiger die Kosten zu tragen hat, beant­ wortet sich, wie die Mot. gleichfalls bemerken, nach § 87. (So auch RG. XV S. 409, Seuffert Anm. 3, Sarw ey II S. 227, Wilm. Levy Anm. 2 u. A. A.M. Siebenhaar S. 686.) Vgl. §§ 697 Anm. 1, 740 Anm. 5. 2) „durch eine dem Schuldner zuzustellende Erklärung" — Diese muß hier­ nach schriftlich sein. Einer Rückübertragung des Rechts aus der Ueberweisung bedarf es nicht (vgl. Nordd. Prot. S. 2044), ebensowenig einer Aushebung des Pfändungsbeschlusses durch Ge­ richtsbeschluß; letztere ist aber zulässig und zur Vermeidung von Streitigkeiten unter Umständen zweckmäßig (s. RG- in S. A. 48 Nr. 75). Anders als in § 730 Abs. 3 ist hier die Zu­ stellung an den Schuldner (vgl. §§ 152 ff.) der entscheidende Akt. Die Benachrichtigung des Drittschuldners (Satz 3) ist nur instruktionell (s. auch Wilm. Levy Anm. 3).

8 743. 1) Forderungen der hier bezeichneten Art, z. B. Forderungen aus zweiseitigen Verträgen vor erfolgter Vorleistung oder Gegenleistung, sind an sich zur Ueberweisung geeignet (anders

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldsorderungen.

§ 743.

899

anderen Gründen mit Schwierigkeiten verbunden, so kann das Gericht auf Antrag an Stelle der Ueberweisung eine andere Art der Verwerthung anordnen. Vor dem Beschlusse, durch welchen dem Antrage stattgegeben wird, ist der Gegner zu hören, sofern nicht eine Zustellung im Ausland oder eine öffentliche Zustellung erforderlich wird. N. Entw. § 1003. S. 402, 572.

Entw. I. 8 654.

Entw. II. § 677.

Entw. III. § 690.

Mot. S. 435.

Prot.

§ 1 des in § 749 Nr. 1 angeführten Reichsgesetzes, ein Grundsatz, der jedoch in § 4 Nr. 1 u. 4 das. eingeschränkt wird; vgl. auch § 628 Abs. 2), was nach den Landesrechten nicht unstreitig war. Wegen der sich dabei ergebenden Schwierigkeiten der Einziehung kann jedoch das Vollstreckungsgericht, ähnlich wie nach § 726, auf Antrag eine andere Art der Ver­ werthung anordnen. 2) Abs. 1: „die gepfändete" — von der Redaktionskommission der RTK. statt „die zur Einziehung überwiesene" gesetzt. Die Anordnung kann also schon vor der Ueberweisung zur Einziehung geschehen, aber auch nachher. (Ohne Grund fordert Puchelt II S. 594 vor­ gängigen Verzicht auf die durch die Ueberweisung erlangten Rechte.) Nach der Ueberweisung an Zahlungsstatt ist sie nicht mehr zulässig. Auch ist sie unzulässig in den Fällen des § 722, weil dort eine Ueberweisung nicht stattfindet. „aus anderen Gründen" — Die Schwierigkeit braucht nicht nothwendig in der Be­ schaffenheit der Forderung ihren Grund zu haben, sondern kann auch in nachfolgenden zufälligen Umständen liegen, z. B. dem Konkurse des Drittschuldners. „auf Antrag" — sei es des Gläubigers, welcher an sich sofortige Befriedigung beanspruchen darf, oder des Schuldners. Der bloße Arrestgläubiger ist zu dem Antrage nicht befugt (vgl. § 810 Anm. 2). „eine andere Art der Verwerthung" — z. B. Verkauf zum marktgängigen Preise (vgl. Nordd. Prot. S. 2045, Hellwig S. 209 f., Mandry S. 343), was namentlich in den Fällen des § 732, z. B. für börsengängige (sog. „erste") Wechsel, insbesondere auf das Aus­ land, - empfehlenswerth sein kann, da diese einen Börsenkurs haben, ferner Diskontirung des Wechsels, Versteigerung an den Meistbietenden nach Analogie der §§ 716 ff. (Preuß. KO. § 275, Bad. PO. § 915). Vgl. auch § 754 u. KO. § 121 Nr. 2. Eine Zwangsvollstreckung durch Vorrechtseinräumung ist auf Grund des § 743 nicht zu­ lässig (RG. XXV S. 409). Ebensowenig kann das Gericht anordnen, daß eine nur theilweise gepfändete Forderung in vollem Betrage versteigert werde (RG. in Gruchot 37 S. 422). Die Ausführung wird dem Gerichtsvollzieher zu übertragen sein (wegen der Gebühr s. GO. f. GV. § 7); jedoch kann das Vollstreckungsgericht auch eine andere Person bestimmen (vgl. § 726, Sarwey II S. 228, Siebenhaar S. 687, Gaupp II S. 474 u. A.). 3) Abs. 2 handelt nur von dem dem Antrage stattgebenden Beschlusse; vor Ab-weisung des Beschlusses bedarf es des Gehörs des Gegners nicht. „der Gegner" — d. h. der Gläubiger bezw. Schuldner, nicht der Drittschuldner. Münd­ liche Verhandlung ist nicht erforderlich. Der nicht verkündete Beschluß ist den Parteien von Amiswegen zuzustellen, nach erfolgter Ueberweisung zur Einziehung .auch dem Drittschuldner. Vgl. § 742 Satz 3. (S. auch Gaupp a. a. O., Wilm. Levy Anm. 4. A.M. v. Bülow Anm. 3.) Wegen der sofortigen Beschwerde s. § 701. „sofern — wird" — Wegen dieser Ausnahmen vgl. §§ 730 Abs. 2, 740. Wie im Falle des § 740 ist hier, wenn die Zustellung im Ausland erfolgen müßte, auch eine Auf­ gabe zur Post (wie nach § 730 Abs. 2) nicht erforderlich.

900

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 744.

§ 744. Schon vor der Pfändung kann der Gläubiger auf Grund eines vollstreckbaren Schuldtitels durch den Gerichtsvollzieher dem Drittschuldner und dem Schuldner die Benachrichtigung, daß die Pfändung bevorstehe, zustellen lassen mit der Aufforderung an den Drittschuldner, nicht an den Schuldner zu zahlen, und mit der Aufforderung an den Schuldner, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere der Einziehung derselben zu enthalten. Die Benachrichtigung an den Drittschuldner hat die Wirkung eines Arrestes (§. 810), sofern die Pfändung der Forderung innerhalb drei Wochen bewirkt wird. Die Frist beginnt mit dem Tage, an welchem die Benachrichtigung zugestellt ist. N. Entw. 8 1004. Entw. I. — Entw. II. 8 678. Entw. III. 8 691. Mot. S. 435. Prot. S. 402.

§ 744. 1) Die Vorschrift ist dazu bestimmt, die für den Gläubiger mit der Nothwendigkeit einer gerichtlichen Pfändung verbundenen Nachtheile zu mindern. Weil sich der Pfändungsbeschluß, welcher auch zur Vollziehung des Sicherheitsarrestes erforderlich ist (§ 810), und seine Zustellung (§ 730 Abs. 2, 3) möglicherweise verzögert, wird hier (nach dem Vorgänge des N. E.) eine vor­ läufige Privatpfändung (durch den Gerichtsvollzieher) mit den Wirkungen des Sicherheits­ arrestes gestaltet. Die rechtzeitig nachgeholte gerichtliche Pfändung wirkt alsdann ex tune (vgl. § 810 Abs. 1, RG. XVII S. 331, XXVI S. 427). Bei der Privatpsändung kommt § 739 noch nicht zur Anwendung. 2) Abs. 1: „Schon vor der Pfändung" — z. B. sogleich, wenn der Gerichts­ vollzieher bei der Mobiliarpfändung (§ 712) Papiere über Forderungen vorfindet, oder wenn der Schuldner selbst das Vorhandensein von Aktivsorderungen anzeigt. Die Benachrichtigung setzt, weil sie die Zwangsvollstreckung nur vorbereitet („schon vor der Pfändung"), die Zu­ stellung des § 671, durch welche leicht eine zweckwidrige Verzögerung verursacht werden könnte, nicht voraus (Francke in Busch, Z. X S. 118 ff., OLG. Celle in S. A. 49 Nr. 223, Wyszomirski in Gruchot 32 S. 790, Falkmann S. 253, Gaupp II S. 475. A.M. Fitting § 101 N. 3, ©euffert Anm. 1, Schönfeld, D. Gerichtsvollzieher S.130, Ra ddatz in Gruchot 37 S. 671 ff., Linckelmann in Busch, Z. XX S. 177). „auf Grund eines vollstreckbaren Schuldtitels" — Diese Worte find von der RTK. eingeschaltet, obwohl sie der Reg.-Vertreter für selbstverständlich erklärte. Vgl. §§ 644, 702, 703, 706. Ob darunter auch „Arrestbefehle" (§§ 808, 809) fallen, welche in §§ 648, 702 u. 703 unter den vollstreckbaren Schuldtiteln nicht aufgeführt find (vgl. § 648 Anm. 6 a. E.), ist zweifelhaft. Die Aeußerung v. Amsberg's in der RTK. (Prot. S. 402) spricht für die Verneinung. Indessen verdient die bejahende Ansicht doch den Vorzug, da der Arrest­ befehl ganz allgemein gehalten sein kann und die davon nothwendig getrennte Pfändung (Voll­ ziehung) möglicherweise erst später nachfolgt (vgl. § 808 Anm. 1). (So auch RG VIII S. 433, Petersen § 744 Nr. 1, Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 475, Seuffert Anm. 1 Francke in Bödiker, Mag. 11 S. 151, Merkel, Arrest u. einstw. Vers. S. 162f., Hellwig S. 123 Anm. 245, Peters, Girrest u. einstw. Vers. S. 52 u. A. A.M. Tränkner in Busch, Z. VI S. 204f.; vgl. auch Sarwey II S. 229 Anm. 1.] Der Gerichtsvollzieher hat nicht zu prüfen, ob dem Auftraggeber ein vollstreckbarer Titel zur Seite steht (f. Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 93, Raddatz a. a. O. S. 677 u. A.); ist dies nicht der Fall, so tritt die in Abs. 2 Lezeichnete Wirkung nicht ein. Die „Benachrichtigung" muß die Forderung bezeichnen. Sie ist mit der „Auf­ forderung" an den Drittschuldner zu verbinden (vgl. RG. in I. W. 1893 S. 541), welchem beglaubigte Abschrift des Schriftstücks zu übergeben ist (§ 156). Der Inh alt der in Abs. 1 vorgesehenen Aufforderungen ist derselbe, wie der des ge­ richtlichen Arrest- und Untersagungsgebots (§ 730 Abs. 1). Bei den in § 732 bezeichneten .Papieren wird freilich die Wirkung der Pfändung nur bei gleichzeitiger Wegnahme des Papiers

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 745.

901

§ 745. Die Zwangsvollstreckung in Ansprüche, welche die Herausgabe oder Leistung körperlicher Sachen zlim Gegenstände haben, erfolgt nach den Vorschriften der §§. 730—744 unter Berücksichtigung der nachfolgenden Bestimmungen. 91. Eni«. § 1007. S. 403.

Entw. I. 8 656.

Eittw. II. § 659.

Ent«. III. § 692.

Mot. @. 436.

Prot.

durch den Gerichtsvollzieher zu erreichen sein; § 744 ist also hier überhaupt bedeutungslos (vgl. Sarwey IIS. 229, Puchelt II S. 595, Seuffert Anin. 4, Hellwig S. 123 u. 91. A.M. $efersen § 744 Nr. 2, Wilin. Levy Anin. 2, Gaupp II S. 476 N. 15). 3) Abs. 2: Die Worte „an den Drittschuldner" sind von der Redaktionskommission der RTK. hinzugefügt; sie stehen im Einklänge mit § 730 Abs. 3 (EG. z. KO. § 15 Nr. 1). Erforderlich ist förmliche Zustellung (vgl. auch Planck I S. 142 N. 64). Die „Benach­ richtigung" mit der „Aufforderung" an den Schuldner ist nur instruktionell; sie kann nachfolgen oder auch ganz unterbleiben. (So auch RG. VIII S. 417.) Für die „W irkung eines Arrestes (§ 810)", d. h. eines durch Psändung vollzogenen Arrestes (s. RG. XXVI S. 427), ist die „Benachrichtigung" an den Drittschuldner allein entscheidend. Ja, es ist nicht einmal dem Gerichtsvollzieher oder Gerichtsschreiber (wie in § 730 Abs. 2) eine direkte Verpflichtung in Betreff jener Zustellung an den Schuldner auferlegt (vgl. jedoch Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 93). In Folge dessen konnten in Satz 2 die Worte „bem Drittschuldner" hinter „Benachrichtigung" als selbstverständlich gestrichen werden. Dagegen ist die Aufforderung an den Drittschuldner neben der Benachrichtigung für die Wirksamkeit der vorläufigen Psändung wesentlich (RG. in S. A. 49 Nr. 222). Die Zustellung an Jemanden, der erst nachträglich Drittschuldner wird, wird durch den letzteren Umstand nicht zu einer gültigen (RG. in S. A. 48 Nr. 165). Die dreiwöchentliche Frist, binnen welcher die gerichtliche Pfändung (§ 730) nachgeholt werden muß, ist präklusivisch. Eine Verlängerung oder Abkürzung nach § 202 Abs. 2 ist nicht zulässig (s. auch Wilm. Levy Anm. 4 it. A.). Da übrigens in den Fällen, in denen ein Arrestbefehl (s. Anm. 2) den Schuldtitel bildet, für die Pfändung die zweiwöchentliche Frist des § 809 Abs. 2 gewahrt werden muß, so ergiebt sich für diese Fälle eine thatsächliche Verkürzung der Frist des § 744 Abs. 2 (Gaupp II S. 475 N. 8, S. 579 N. 9, Hellmann in I. W. 1890 S. 139. A.M. OLG. Posen in Busch, Z. XIII S. 414, ob.LG. f. Bayern in S. A. 46 Nr. 149; vgl. auch Wilm. Levy Anm. 3a, Seuffert § 809 Anm. 2). Ist die Frist fruchtlos verstrichen, so erlöschen alle Wirkungen der „Benachrichtigung" von selbst (§§ 208, 209). [93g!. auch Gaupp II S. 476. A.M. Endemann III S. 261 in Betreff des Drittschuldners.^ Bricht Konkurs innerhalb der Frist aus und ist deshalb die Einzelpfändung nicht mehr möglich, so wird dadurch in jener erlöschenden Wirkung nichts geändert. (So auch Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy Anm. 4, Küntzel in Gruchot 28 S. 279. A.M. v. Bölderndorff in Busch, Z. VI S. 168 ff.) Ein Gleiches gilt nach Veröffentlichung eines gemäß § 98 der KO. erlassenen allgemeinen Veräußerungsverbots (RG. XXVI S. 425).

§ 745. Literatur zu den §§ 745—748: Dorendorf, Arrest S. 102ff. 1) „die Herausgabe oder Leistung körperlicher Sachen" — beweglicher oder unbeweglicher, zum Unterschiede von Rechten (unkörperlichen Sachen — § 754) und von „Geld" (§§ 730—744), sofern dies nicht etwa als species beansprucht wird, wie bei einem abgesondert aufbewahrten und in natura herauszugebenden Gelddepositum, welches ohne Schwierigkeit nach §§ 746, 716 Abs. 2 zu behandeln ist (vgl. Preuß. ALR. I 14 § 84, 15 §§ 45, 46, Gaupp II S. 477 i. A., Wilm. Levy Anm. 1 u. A.). Anders die bloße Sortenschuld; diese bleibt Geldschuld (vgl. 716 Anm. 2. A.M. anscheinend Kleiner III S. 179). „Herausgabe"

902

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 746.

§ 746. Bei der Pfändung eines Anspruchs, welcher eine bewegliche körper­ liche Sache betrifft, ist anzuordnen, daß die Sache an einen vom Gläubiger zu beauftragenden Gerichtsvollzieher herauszugeben sei. Auf die Verwerthung der Sache finden die Vorschriften über die Verwerthung gepfändeter Sachen Anwendung. N. Entw. 8 1008. Entw. I. § 657. Enttv. II. § 680. Entw. III. § 693. Mot. S. 436. Prot. S. 403. deutet auf individuell bestimmte (§ 769), „Leistung " auf generisch bestimmte Sachen (§ 770), z. B. naturale Prästationen. Selbstverständlich muß es sich um ein dare, tradere oder restituere, nicht bloß um ein exhibere oder edere handeln. Ob die Sachen dem Schuldner „eigenthümlich gehören" (vgl. Preuß. Ges. v. 20. März 1854 § 18), ist unerheblich. Vgl. übrigens § 754. Ist der Dritte, welcher Sachen des Schuldners im Gewahrsam hat, zur Herausgabe nicht bereit, so bleibt eben nur die Pfändung nach § 745 übrig (vgl. § 713; RG XIV S. 365 u. in I. W. 1889 S. 365, OLG. München in Busch, Z. III S. 166). Ueber die Pfändung von Sachen einer thatsächlich getrennten Ehefrau seitens der Gläubiger des Ehemanns s. Dernburg III § 27 Anm. 4. 2) Die „Ansprüche" (§§ 136, 137 Anm. 2 a) der hier bezeichneten Art, gleichviel, ob obligatorischen oder dinglichen Ursprungs, haben hinsichtlich der Zwangsvollstreckung die Eigenthümlichkeit, daß ihre Einziehung nicht unmittelbar zur Befriedigung des Gläubigers führen kann. An die Pfändung, mit welcher hier stets die positive Anordnung der Herausgabe an einen Gerichtsvollzieher oder Sequester verbunden ist (vgl. §§ 746, 747), schließt sich daher nach freiwilliger oder erzwungener Befolgung der Anordnung die weitere Zwangsvollstreckung in den Gegenstand des Anspruchs. Vgl. auch § 772. 8) „der nachfolgenden Bestimmungen" — nämlich der §§ 746—748, 751—753. - Wegen Anwendung der §§ 743, 746 s. RG. VI S. 377. Ueber die Aufhebung der Bestimmungen des Preuß. ALR. I 20 §§ 290ff. s. Förster (Eccius) III § 192 a, S. 472 f., Dernburg I § 361 Anm. 13. 4) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 35 Nr. 2, 39 (beide in der neueren Fassung); GO. f. RA. §§ 23 Nr. 2, 31.

§ 746. Literatur: Francke in Busch, Z. X S. 109 ff., Falkmann S. 177 ff. 1) Abs. 1: Die Anordnung, welche zur Vollstreckung in den Gegenstand des Anspruchs führt (vgl. § 745 Anm. 2), ist von dem Vollstreckungsgericht (§ 729 Abs. 2) an den Dritt­ schuldner zu erlassen und diesem wie dem Schuldner nach § 730 Abs. 2, 3 zuzustellen. Der vom Gläubiger zu beauftragende Gerichtsvollzieher braucht in der Anordnung noch nicht be­ zeichnet zu sein. Der Auftrag kann mit dem Auftrage zur Zustellung (§ 730 Abs. 2) verbunden oder auch noch später besonders ertheilt werden (vgl. § 751 Anm. 2). Solange dies nicht ge­ schehen, ist nicht actio nata (Anm. 3). Ist für mehrere Gläubiger gepfändet, so ersetzt unter Umständen gerichtliche Ernennung den Auftrag (§ 751 Abs. 1). Der Gerichtsvollzieher Iritt, was die Empfangslegitimation betrifft, an Stelle des Schuldners (§§ 675, 716 A6s. 2). An sich ist der Gegenstand des Anspruchs nicht ohne Weiteres vermöge der Pfändung des Anspruchs (Puchelt II S. 597) dem Pfandrechte des Gläubigers unterworfen. Welches Recht er an dem Gegenstände hat, bestimmt sich nach bürgerlichem Recht und entscheidet sich erst mit der freiwilligen oder erzwungenen (s. Anm. 2) Herausgabe. Nach gem. u. preuß. Recht ent­ steht damit ein Pfandrecht an der Sache (vgl. Windscheid I § 239 Anm. 12, Preuß. ALR. I 20 § 290). (So auch RG. XIII S. 343, XXV S. 187, Wilm. Levy Anm. 2, Seuffert Anm. 2, Mandry S. 343, Kleiner III S. 180, Rassow in Gruchot 29 S. 136, Falkmann S. 179. Abweichend Hellwig S. 197, welcher auch die Sachen nicht in das Pfandrecht,

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 747.

903

§ 747. Bei Pfändung eines Anspruchs, welcher eine unbewegliche Sache betrifft, ist anzuordnen, daß die Sache an einen auf Antrag des Gläubigers vom Amtsgerichte der belegenen Sache zu bestellenden Sequester herauszugeben sei. Die Zwangsvollstreckung in die herausgegebene Sache wird nach den für die Zwangsvollstreckung in unbewegliche Sachen geltenden Vorschriften bewirkt. N. Entw. 8 1009. Entw. I. § 658. Entw. II. § 681. Entw. III. § 694. Mot. S. 436. Prot. S. 403. sondern in das Eigenthum des Gläubigers übergehen läßt (S. 202).] Freilich bestimmt sich die Rangordnung nach dem Zeitpunkte der Pfändung (f. § 751 Abs. 2; vgl. auch Preuß. AG. z. CPO. § 17 Abs. 2; Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 92 Abs. 5; Sarwey II S. 231, Gaupp II S. 478, Hellwig S. 198 u. A.); sonstigen Pfandrechten aber, die vor der Heraus­ gabe erworben waren, geht jenes Pfandrecht nicht vor (RG. XIII S. 343). Bei Ansprüchen aus indossablen Papieren (Konnossementen u. s. w.) ist die An­ ordnung nur wirksam, wenn die Besitznahme des Papiers erfolgt ist (§ 732). Sie kann aber auch schon vor dieser erlassen und zugestellt werden und bedarf keines besonderen Antrags (vgl. auch Wilm. Levy a. a. O., Hellmann III S. 112. A.M. Seuffert Anm. 1, Gaupp II S. 477 N. 2). 2) Genügt der Drittschuldner der Ausforderung nicht, was der Gerichtsvollzieher zu Pro­ tokoll festzustellen hat, so kann sich der Gläubiger den Anspruch zur Einziehung (vgl. § 748) nach § 736 überweisen lassen, falls er dies noch nicht bei der Pfändung gethan hat, und (nach § 740) auf Ablieferung nach Maßgabe des § 746 klagen (RG. XXV S. 187, Hellmann III S. 113, Petersen §§ 745-748 II 2, Dernburg II § 212 Anm. 27 u. A.; s. auch Preuß. Gesch.-A. f. d. GB. § 92 Abs. 2). Aber die gerichtliche Ueberweisung ist nicht der einzige Weg; selbstverständlich genügen auch andere Rechtsgeschäfte nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts (s. OLG. Karlsruhe in S. A. 40 Nr. 329). Ansprüche Dritter an die herausgegebene Sache sind von diesen im Wege des § 690 bezw. § 710 gellend zu machen (vgl. Wilm. Levy Anm. 2 a. E.). Wegen Pfändung des Anspruchs auf Herausgabe einer dem Schuldner und einem Dritten gemeinschaftlich gehörenden Sache s. RG. XIII S. 176; vgl. auch § 712 Anm. 2. Wegen der Gebühren s. GO. f. GB. § 5. 3) Abs. 2: „Auf die Verwerthung der Sache" — nach erfolgter Herausgabe an ben Gerichtsvollzieher oder Wegnahme durch den Letzteren gemäß §§ 769 Abs. 1, 770. „die Vorschriften über die Verwerthung gepfändeter Sachen" — nämlich die §§ 716—726. § 754 gehört nicht (wie Puchelt II S. 598 meint) hierher. Der Gerichts­ vollzieher verfährt so, als wenn er die Sache selbst ab gepfändet hätte. sDie Bestimmung entscheidet gegen die Konstruktton Hellwig's (s. Anm. 1).]

§ 747. 1) Auch Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung unbeweglicher Sachen sind nicht (wie nach Bayer. PO. Art. 966) von der Pfändung ausgeschlossen, und zwar selbst wenn sie nach Landesrecht (z. B. C. civ. art. 526) zum unbeweglichen Vermögen gehören (s. Seuffert Anm. 3, Petersen §§ 745—748 III a. E., Gaupp II S. 479, Wilm. Levy Anm. 4). Die Pfändung geschieht nach Analogie des § 746 durch das Vollstreckungsgericht mit dem Unterschiede, daß die Herausgabe an einen „Sequester" zu erfolgen hat. Vgl. auch § 756. „Bei Ernennung des Sequesters — beginnt bereits die Zuständigkeit des Amts­ gerichts der belegenen Sache für die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (§ 755 Abs. 1)" (Mot.). Der Gläubiger hat sich mit der beglaubigten Abschrift des Pfändungsbeschlusses (§ 730 Anm. 2), welcher die Anordnung (§ 747) enthält, an das Amtsgericht der belegenen Sache zu wenden und den die Ernennung enthaltenden Beschluß des letzteren dem- mit der Zustellung

904

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 748, 749.

§ 748. Eine Ueberweisung der im §. 745 bezeichneten Ansprüche an Zahlungs­ statt ist unzulässig. N. Entw. — Eniw. I. § 659. Entw. II. § 682. Entw. III. § 695. Mot. S. 436. Prot. S. 463.

§ 749. Der Pfändung sind nicht unterworfen: 1. der Arbeits- oder Dienstlohn nach den Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 21. Juni 1869 (Bundes-Gesetzbl. 1869 S. 242 und 1871 S. 63); 2. die auf gesetzlicher Vorschrift beruhenden Alimentenforderungen; 3. die fortlaufenden Einkünfte, welche ein Schuldner aus Stiftungen oder sonst auf Grund der Fürsorge und Freigebigkeit eines Dritten bezieht, in­ soweit d-r Schuldner zur Bestreitung des nothdürftigen Unterhalts für sich, seine Ehefrau und seine noch unversorgten Kinder dieser Einkünfte bedarf; 4. die aus Kranken-, Lülfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knapp­ schaftskassen und Kaffen der Knappschaftsvereine zu beziehenden Hebungen ; 5. der Sold und die Jnvalidenpension der Unteroffiziere und der Soldaten; 6. das Diensteinkommen der Militärpersonen, welche zu einem mobilen Truppentheil oder zur Besatzung eines in Dienst gestellten Kriegsfahrzeuges gehören; 7. die Pensionen der Wittwen und Waisen und die denselben aus Wittwenund Waisenkassen zukommenden Bezüge, die Erziehungsgelder und die Studienstipendien, sowie die Pension invalider Arbeiter; 8. das Diensteinkommen der Offiziere, Militärärzte und Deckoffiziere, der Beamten, der Geistlichen und der Lehrer an öffentlichen Unterrichtsanstalten; Beauftragten Gerichtsvollzieher bezw. Gerichtsschreiber (§ 730 Abs. 2) zu übergeben; vgl. § 752 Anm. 2. 2) Inwieweit die Pfändung einer Forderung der hier bezeichneten Art in das Hypo­ thekenbuch (Grundbuch) einzutragen ist, bestimmt sich, wie auch die Mot. hervorheben, nach den Landesgesetzen (§ 731). In Preußen findet eine solche Eintragung an sich nicht statt. Vgl. aber § 17 Abs. 1 d. Preuß. AG. z. CPO., sowie §§ 6 ff. d. Ges. v. 13. Juli 1883, betr. die Zwangsvollstr. in d. unbew. Verm. Wegen Vollziehung des Arrestes in unbewegliches Ver­ mögen s. § 811. 3) Abs. 2: „in die herausgegebene Sache" — mag die Herausgabe ohne Weiteres oder nach erfolgter Ueberweisung und Ausklagung des Anspruchs im Wege der Zwangsvoll­ streckung nach § 771 erfolgt fein.* „nach den für die Zwangsvollstreckung in unbewegliche Sachen geltenden Vorschriften" — also nach den Landesgesetzen (§ 757), z. B. dem preuß. Ges. v. 13. Juli 1883. § 743 ist demnach nicht anwendbar. § 748. Der Satz folgt aus der Natur dieser Ansprüche (vgl. § 745 Anm. 2), für welche ein Nennwerth (§ 736 Abs. 1) nicht vorhanden ist, wie auch die Mot. hervorheben. Wegen der. Ueberweisung zur Einziehung s. §§ 746 Anm. 2, 747 Anm. 3. § 749. Vgl. § 715. 1) „Die hier aufgestellten Beschränkungen beruhen wie die Beschränkungen derPfändung körperlicher Sachen (§ 715), theils auf einer billigen Rücksichtnahme gegen den Schuldner, theils auf dem öffentlichen Interesse und entsprechen im Wesentlichen, den bestehenden ^Bestimmungen (vgl. Preuß. AGO. Anh. §§ 160—167, KO. § 134, Bergges. v. 24. Juni 1865 § 173, Ges., betr. die gewerbl. Unterstützungskassen v. 3. April 1854 § 4, Bayer. PO. Art. 967—970, C. de proc. art. 581 rc.)". (Mo t.>

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 749.

905

die Pension dieser Personen nach deren Versetzung in einstweiligen oder dauernden Ruhestand, sowie der nach ihrem Tode den Hinterbliebenen zu gewährende Sterbe- oder Gnadengehalt. Uebersteigen in den Fällen Nr. 7 und 8 das Diensteinkommen, die Pension oder die sonstigen Bezüge die Summe von fünfzehnhundert Mark für das Jahr, so ist der dritte Theil des Mehrbetrags der Pfändung unterworfen. Der Gehalt und die Dienstbezüge der im Privatdienste dauernd angestellten Personen (§. 4 Nr. 4 des Reichsgesetzes vom 21. Juni 1869) sind nur soweit der Pfändung unterworfen, als der Gesammtbetrag die Summe von fünfzehnhundert Mark für das Jahr übersteigt. In den Fällen der beiden vorhergehenden Absätze ist die Pfändung ohne Rücksicht auf den Betrag zulässig, wenn sie zur Befriedigung der Ehefrau und der ehelichen Kinder des Schuldners wegen solcher Alimente beantragt wird, welche für die Zeit nach Erhebung der Klage und für das diesem Zeitpunkte voraus­ gehende letzte Vierteljahr zu entrichten sind. Die Einkünfte, welche zur Bestreitung eines Dienstaufwandes bestimmt sind, und der Servis der Offiziere, Militärärzte und Militärbeamten sind weder der Pfändung unterworfen noch bei der Ermittelung, ob und zu welchem Betrage ein Tiensteinkommen der Pfändung unterliege, zu berechnen. N. Entw. S 1010. (guttu. I. § 660. S. 403-406, 683, 718, 719.

(guttu. II. § 683.

(guttu. III. § 696.

Mot. S. 436.

Prot.

Andere parlikularrechtliche Ausnahmen sz. B. bezüglich des Arbeitsverdienstes der Sträf­ linge — Preuß. Kab.-O. v. 28. Dez. 1840 (GS. 1841 S. 52)] sind beseitigt (vgl. jedoch auch Falkmann S. 235 N. 1 u. Müller, Preuß. Justizverwaltung II S. 1548ff.). Dagegen giebt es Forderungen, die ihrer Natur nach nicht übertragbar sind und eben deshalb auch nicht gepfändet werden können, z. B. die sog. actiones vindictam spirantes (vgl. Hellwig S. 75 ff.). Auch künftige Ansprüche unterliegen nicht der Pfändung (OLG. Karlsruhe in S. A. 40 Nr. 329). Wegen Pfändung alternativer Forderungen (auf Altentheils-Leistungen) mit Wahlrecht des Gläubigers, insbesondere wenn nur eine der Alternativen übertragbar iftr vgl. OLG. Hamburg in S. A. 41 Nr. 318. Wegen der Ansprüche, welche nur vorbehaltlich des Rechts Dritter der Pfändung unterliegen, z. B. das väterliche Nießbrauchsrecht an den Adventitiengütern oder das ehemännliche Nießbrauchsrecht, s. OLG. Braun schweig in S. A. 47 Nr. 119, OLG. Cassel das. 48 Nr. 40, ob.LG. f. Bayern das. 50 Nr. 22,' Falkmann S. 223 ff. sDie Beschränkung der Pfändbarkeit des Nießbrauchsrechts durch die Rechte der Kinder kann der Vater im eigenen Namen (nach § 685) geltend machen; ebenso können die Kinder oder ihr Vertreter die Beschränkung gellend machen (OLG. Braun schweig a. a. £).).] Vgl. Entw. I e. b. GB. §§ 1534, 1535 nebst Mot., Entw. II § 1549 Anm. Die Beschränkungen des § 749 können, weil sie dem öffentlichen Recht angehören, in ihrer Anwendung weder ganz noch zum Theile durch Vertrag ausgeschlossen werden. Vgl. § 715 Anm 12. (So auch Seusfert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1, Falkmann S. 243; ein­ geschränkter Petersen § 749 Nr. 1, Dorendorf, Arrest S. 107.) Sie sind von Amtswegen zu berücksichtigen; kommt es aber zum Streit, so hat derjenige das Vorhandensein der Voraus­ setzungen nachzuweisen, der sich auf die Beschränkung beruft (RG. in S. A. 44 Nr. 70). Streitig­ keiten sind im Wege des § 685 zu entscheiden (RG. XVI S. 319; vgl. § 685 Anm. 1). Hinsichtlich der Zulässigkeil einer freiwilligen Abtretung solcher Forderungen s. unten Anm. 11. 2) Abs. 1. Nr. 1: Das Ges. v. 21. Juni 1869, dessen prozeßrechtliche Vorschriften nach § 13 d. EG. z. CPO. schon an sich durch die CPO. nicht berührt werden, wird hier ausdrück­ lich aufrecht erhallen. Abänderungen desselben enthalten Abs. 3 u. 4.

906

Achtes Buch.

Zw an gsv ollstreck un g.

§ 749.

[23egen ber Geschichte dieses Gesetzes vgl. R. Koch, Ueber die Zulässigkeit der Beschlag­ nahme von Arbeits- u. Dienstlöhnen (Berlin 1869), dessen Gutachten in den Verh. d. 7. D. Juristentages I S. 100 ff., das von Otto das. S. 181 ff.; die Verh. das. II S. 81 ff., 259 ff., Hopf, D. Verkümmerung der Arbeits- u. Dienstlöhne (Gotha 1868), Bezold, D. Beschlag­ nahme u. s. w. 1875; s. auch Falkm ann S. 236 N. 2.] Das Gesetz verwirft zwar in § 1 die schon früher von Manchen (z. B. Schlesinger) bestrittene Zulässigkeit der Beschlagnahme noch unverdienten bezw. noch nicht fälligen Lohnes, erkennt sie jedoch grundsätzlich (wenigstens indirekt) an, indem es das Verbot aus solche Arbeits- und Dienstverhältnisse, welche die Erwerbsthätigkeit des Vergütungsberechtigten voll­ ständig oder hauptsächlich in Anspruch. nehmen, beschränkt, und ferner nicht bloß „den Gehalt nnd die Dienstbezüge der öffentlichen Beamten", sondern auch den „Gehalt und die Dienst­ bezüge der im Privatdienste dauernd angestellten Personen" in gewissen Grenzen von der An­ wendung des Gesetzes ausnimmt. Vgl. auch §§ 733, 734, 743, Nordd. Prot. S. 2046. Als „dauernd" gilt ein bindend auf mindestens ein Jahr oder gegen dreimonatliche Kündigung eingegangenes Dienstverhältniß (§ 4 Nr. 4 des angef. Ges.). Soweit hiernach ein Arbeits- oder Dienstlohn, eine „Gehaltsforderung" oder ein „Diensteinkommen" der Pfändung unterliegen, kommen die §§ 729 ff. gleichmäßig zur Anwendung (vgl. auch Rechtspr. d. RG. i. Str.S. I V S. 376). Auf Nebenbeschäftigungen ist § 1 nicht anwendbar (s. ROHG. 24 S. 363), ebenso­ wenig auf bloße Akkord-Verhältnisse (OLG. Stuttgart in Busch, Z. VII S. 111). Ueber Pfändbarkeit einer zur Abfindung von Ansprüchen auf Arbeitslohn vereinbarten Vergleichs­ summe s. OLG. H-amburg in S. A. 42 Nr. 173. — Auch der bezahlte Lohn darf am Tage der Auszahlung nicht gepfändet werden (OLG. Stuttgart in S. A. 49 Nr. 224; vgl. -auch Busch, Z. XII S. 161; s. jedoch auch Gaupp II S. 481 N. 5). Die Vorschriften des § 4 Nr. 2, 3 des angef. Gesetzes (hinsichtlich der Staatssteuern u. s. w.) bleiben unberührtNr. 1 u. 4 das. sind durch § 749 Nr. 8 und Abs. 3, 4 ersetzt, bezw. modisizirt. (Vgl. Man dry S. 209 ff., Gaupp II S. 483.) 3) Nr. 2: Die Beschränkung liegt in der Natur der Sache (s. Renaud S. 499, Schanze im civ. Arch. 69 S. 262). Hierher gehören nur die auf Gesetz beruhenden Alimentenforderun gen (auch die der unehelichen Kinder und der geschiedenen Ehefrau nach Preuß. Recht), nicht die auf Grund des Haftpflichtgesetzes zu zahlenden Renten (vgl. § 648 Anm. 7) und Ebensowenig das vertragsmäßige Leibgedinge und Altentheil (OLG. Braun schweig in S. A. 38 Nr. 288, 40 Nr. 22, OLG. Hamburg das. 41 Nr. 318). (Weiter geht C. de proc. art. 581.) Wegen der Entschädigungsforderungen auf Grund des Unfallversicherungs-Ges. v. 6. Juli 1884 ^RGBl. S. 69) s. § 68 das.; vgl. auch d. Ges. über die Ausdehnung der Unfall- u. Kranken­ versicherung v. 28. Mai 1885 (RGBl. S. 159) § 1 u. ö. 5. Mai 1886 (RGBl. S. 132) § 73, v. 11. Juli 1887 (RGBl. S. 287) § 38, v. 13. Juli 1887 (RGBl. S. 329) § 76, d. Ges., betr. die Jnvaliditäts- u. Altersversicherung v. 22. Juni 1889 (RGBl. S. 97) § 40. 4) Nr. 3: Das sog. beneficium competentiae de jure tertii (Preuß. KO. § 434, P. E. § 1087 Nr. 5, Mandry S. 373). Beispiele s. in RG. XI S. 373, XII S. 383, im Preuß. JMBl. 1886 S. 54 u. in Gruchot 34 S. 1176 [e. z. Fideikommiß gehörige Rente^j, Busch, Z. III S. 160, VI S. 524. Bereits erhobenes Geld fällt nicht unter Nr. 3 (s. OLG. Bam­ berg in Busch, Z. VI S. 147 ff., Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 481 N. 5 u. A.). „nothdürftigen Unterhalts" — im Gegensatze zu standesgemäßem Unterhalt (s. -Preuß. ALR. II 2 §§ 251—253, 3 § 15; RG. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 140, in Gruchot 32 -S. 741, 34 S. 1181, OLG. C ass el in S. A. 49 Nr. 67). Die gesetzliche Alimentationspflicht Anderer und die eigene Erwerbsfähigkeit des Schuldners sind bei der Bedürftigkeitsfrage außer Betracht zu lassen (RG. XII S. 383 u. in Gruchot 32 S. 741). Die Schlußworte des Ent­ wurfs „und nicht im Stande ist, diesen Unterhalt auf eine seinen Verhältnissen angemessene Dlrt selbst zu erwerben" wurden in der RTK. als unbillig angefochten und von der letzteren

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 749.

907

gestrichen. Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners in der Zeit nach der Pfändung sind bei der Frage der Bedürftigkeit des Schuldners zu berücksichtigen (RG. in Gruchot 34 S. 1176). Inwieweit Bestimmungen Dritter eine Forderung der Pfändung entziehen können (C. civ. art. 1981, C. de proc. art. 581, Bad. PO. § 917, Mecklenb. Exek.-Ges. § 27), hängt, wie die Mot. bemerken, davon ab, welche Rechte aus diesen Bestimmungen ein Dritter außer dem Schuldner herleiten kann (f. auch NG. in Blum, Urth. u. Ann. I S. 139). Es bleiben somit namentlich Bestimmungen des bürgerlichen Rechts unberührt, wonach Zuwendungen in weiterem Umfange durch den Zuwendenden für unangreifbar erklärt werden können (f. z. B. Preuß. ALR. II 2 §§ 424, 425, 429, Nordd. Prot. S. 2051, Entsch. d. preuß. OT. 71 S. 300, RG. I S. 175, XI S. 373, XIV S. 478; vgl. jedoch auch RG. XXV S. 292, in S. A. 40 Nr. 213). sVgl. auch Seuffert Anm. 4, Petersen § 749 Nr. 2, Endemann HI S. 269f., Gaupp II S. 484, Wilm. Levy Anm. 1, Falkmann S. 224 N. 3, 240 u. A. A.M. Hellmann III S. 116, der in der mitgetheilten Stelle der Mot. nur den Hinweis auf § 690 findet. Vgl. auch Lobe in I. W. 1890 S. 174 ff. Wegen der Lebens­ versicherung s. Scherer in Jahrb. f. Dogm. XX S. 150ff., Verh. d. 16. D. Juristentages I S. 141 ff., 200ff. (Gutachten von Malß u. Elster), II S. 101 ff., 356ff. (Referate von Mayer u. Leonhard).) 6) Nr. 4: vgl. Ges. über die eingeschriebenen Hülfskaffen v. 7. April 1876 in der Fassung v. 1. Juni 1884 (RGBl. S. 54) § 10, Krankenversicherungs-Ges. in der Fassung v. 10. April 1892 (RGBl. S. 417) § 56 Abs. 2, Preuß. Bergges. v. 24. Juni 1865 §§ 171—173, Bayer. Bergges. v. 20. März 1869 Art. 173—175, Württemb. Bergges. v. 7. Okt. 1874 Art. 157—159. Ob die Bezüge so hoch sind, daß sie den Karakter einer Lebensversicherung annehmen (s. Nordd. Prot. S. 2051), ist unerheblich. (A.M. Kleiner III S. 185.) Wegen der Unfallversicherungs­ gesetze u. des Jnval.- u. Altersvers.-Ges. vgl. Anm. 3. 6) Nr. 5: Zu Nr. 5, 6, 7 s. Steidle int civ. Arch. 77 S. 154 ff. „Sold" — gleichbedeutend mit Diensteinkommen. Auch die „Dienstprämie" des Unter­ offiziers (Allerch. KO. v. 28. März 1891 — Pkt. 10) fällt darunter (Ges. v. 22. Mai 1893 (RGBl. S. 171) Art. 18 Abs. 3]. Vgl. § 715 Anm. 8. „Jnvalidenpension" — vgl. Ges. v. 27. Juni 1871 §§ 64 ff. (RGBl. S. 275 ff.). Sie umfaßt auch die „Pensionszulagen" [§§ 71 ff. das., Ges. v. 4. April 1874 §§ 10 ff. (RGBl. S. 25) u. v. 22. Mai 1893 Art. 18 Abs. 2]; vgl. Nordd. Prot. S. 2050. „Unteroffiziere" — vgl. § 158 Anm. 2. „Sold aten" — d. h. „Gemeine" (s. das.). 7) Nr. 6: „Militärpersonen" — vgl. § 14 Anm. 1. „zu einem mobilen — Kriegsfahrzeuges" — vgl. § 184 Anm. 1. 8) Nr. 7, 8: vgl. Abs. 2-5. „Bei Bestimmung des der Pfändung nicht unterliegenden Theils der in Nr. 7, 8 bezeichneten Einkünfte entspricht das Prinzip, einen bestimmten Betrag desselben ganz frei zu lassen, dem § 4 Nr. 4 des Reichsges. v. 21. Juni 1869. Gegen die maß­ gebenden Rücksichten müssen auch alle Umstände, welche in dem Grunde der beizu­ treibenden Forderung, Alimentationspflicht (C. de proc. art. 582, Bayer. PO. Art. 968, Bad. PO. § 917, Preuß. AGO. Anh. § 168) oder unerlaubte Handlung (Preuß. AGO. Anh. § 169), liegen, zurücktreten". (Mot.) 9) Nr. 7: „Pensionen der Wittwen und Waisen" re. — Dazu gebört namentlich das Wittwen- und Waisengeld (vgl. für die Reichsbeamten, welche ihr Gehalt re. aus der Reichs­ kaffe beziehen, Ges. v. 20. April 1881 § 17 (RGBl. S. 85) u. Ges. v. 21. April 1886 (RGBl. S. 80), ausgedehnt auf die Reichsbankbeamten durch Verordn, v. 8. Juni 1881 (RGBl. S. 117) u. Verordn, v. 20. Juni 1886 (RGBl. S. 203)]; ferner die Leistungen an Wittwen und Waisen nach d. Ges. v. 27. Juni 1871 (RGBl. S. 275) §§ 39 ff. u. v. 17. Juni 1887 (RGBl. S. 237)

908

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 749.

§ 19; für Preußen s. Ges., betr. die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten, v. 20. Mai 1882 (GS. S. 298). 10) Nr. 8: „Diensteinkommen" — d. h. alles das, was dem Beamten rc. in baarem Gelde oder in natura als Vergütung für seine Dienste dauernd gewährt werden muß („Gehalt", „Besoldung"), einschließlich der „Wohnungsgeldzuschüsse" (OLG. Cöln im Rhein. Arch. 85 I S. 189) und „Miethsentschädigungen" sGes. v. 30. Juni 1873 (RGBl. S. 166); Verordn, v. 30. Juni 1873 (das. S. 169), v. 3. Febr. 1874 (das. S. 13) u. v. 23. Dez. 1875 (das. S. 380); Preuß. Ges. v. 12. Mai 1873 (GS. S. 209)]. Wegen der Ehrenzulage für die Inhaber des Eisernen Kreuzes s. Ges. v. 2. Juni 1878 § 3 (RGBl. S. 99). Der „Servis" gehört nicht hierher, sondern unter Abs. 5. Ein Antrag, einzuschalten: „Tagegelder und ähnliche Ersatzleistungen, welche Personen für die Ausübung eines öffentlichen Berufs zu beziehen haben", wodurch auch die Diäten der Landtagsmitglieder, Geschwornen rc. betroffen sein würden, ist von der RTK. abgelehnt worden. -Ob das Diensteinkommen in der Form von sog. (fixirteu und unfixirten) Diäten bezogen wird, macht indessen keinen Unterschied (vgl. v. Kamptz, Jahrb. Bd. 50 S. 115, Müller, Preuß. Justizverwaltung S. 673). Nicht hierher gehören dagegen Vergütungen für einzelne vorübergehende Leistungen. Wegen der zur Bestreitung von Dienstaufwand bestimmten Einkünfte vgl. Anm. 14. „Offiziere" — vgl. § 715 Anm. 6. Wegen Pfändung des Diensteinkommens von Offizieren vgl. § 730 Anm. 8. „Militärärzte und Deckoffiziere" — vgl. § 715 Anm. 6 u. 8. „Beamten" — vgl. § 715 Anm. 7. Auch hier gehören nach der widerspruchslosen Aeußerung von Gneist in der RTK. (vgl.- auch Nordd. Prot. S. 2049) nicht zu den Beamten die in § 715 Nr. 6 neben Letzteren besonders genannten Rechtsanwälte und Notare. Indessen kommt es für die Notare freilich auf das Landesrecht an. Sind sie hiernach Beamte (vgl. auch § 341 Anm. 1, StGB. § 359), und beziehen sie ein festes Dienst­ einkommen, so genießt letzteres auch den Schutz des § 749. (Vgl. auch NG. in I. W. 1886 S. 79, Wilm. Levy Anm. 10, Petersen § 749 Nr. 7, Seuffert Anm. 9, Gaupp II S. 485 li. A. Abw. Endemann III S. 27t, Kleiner III S. 186 Anm. 12 a. E.] Auch Hofbeamte gehören in Preußen hierher, sofern sie in wirklichem Dienst und festen Lohnver­ hältnissen bei dem Königl. Hofstaat oder den Prinzl. Hofstaaten sich befinden (Müller a. a. O. S. 673). Der Theil des Diensteinkommens, welcher für die Wittwen- und Waisengeld-Beiträge ein­ zubehalten ist, ist weder der Psändung unterworfen noch bei der Ermittelung, ob und zu welchem Betrage die Bezüge der Pfändung unterliegen (s. Abs. 2), zu berechnen (Ges. v. 20. April 1881 § 4; s. auch Verordn, v. 8. Juni 1881 u. Ges. v. 5. März 1888, sowie Preuß. Ges. v. 20. Mai 1882 u. v. 28. März 1888, RG. in I. W. 1884 S. 227, 228). Auch die Beiträge zur preußischen Allg. Wittwenverpflegungsanstalt sind mit Rücksicht auf d. Kab.-Ordre v. 29. Mai 1834 (GS. S. 70) außer den 1500 Mark des Abs. 2 von dem Diensteinkommen in Abzug zu bringen, ehe der pfändbare Betrag zu berechnen ist (RG. in Blum, Urth. u. Anm. 1 S. 66). „Geistl ich en und d er Lehrer an öffentlichen Unterrichtsanstalt en" — vgl. § 715 Anm. 7. „die Pension" — Hierunter fällt, wie das Wort „einstweiligen" ergiebt, auch das „Warlegeld" bei Versetzung in den einstweiligen Ruhestand — vgl. Reichsbeamtengesetz §§ 24 ff.; für Preußen: Verordn, v. 14. Juni und 24. Okt. 1848 (GS. S. 153, 338), Ges. vom 21. Juli 1852 § 87 (GS. S. 405), Verordn, v. 23. Sept. 1867 (GS. S. 1619), AG. z. GBG. §§ 99, 101—105, Verordn, v. 7. Sept. 1879 § 51 (GS. S. 591), Allg. Verf. des Just. Min. v. 2. März 1882 (JMBl. S. 43).

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 749.

909

„sowie der nach ihrem Tode — Gnadengehall" — d. h. dasjenige, was den Hinterbliebenen (Wittwe, Kinder:c.) als solchen, nicht als Erben, außer den in Nr. 7 erwähnten Pensionen und abgesehen von dem seitens des Verstorbenen noch verdienten Gehalte, zu zahlen ist, z. B. das sog. „Gnadenguartal" bezw. der „Gnadenmonat" — vgl. Reichsbeamtenges. §§ 7, 69; und für Preußen Kab.-Ordre v. 15. Nov. 1819 (GS. 1820 S. 45), Ges. v. 6. Febr. 1881 §§ 2, 3 (GS. S. 17). 11) Die Bestimmungen der Reichs- und der Landesgesetze über die Zulässigkeit einerfrei willigen Abtretung oder Verpfändung des Gehalts 2C. (vgl. Reichsbeamten-Ges. § 6, Reichsrnililär-Ges. § 45, Lohnarrest-Ges. § 2, Hnlsskassen-Ges. v. 7. April 1876 § 10, Anh. § 163 z. Preuß. AGO. 1 24 § 108 rc.) bleiben unberührt (vgl. Nordd. Prot. S. 2023, 2050, § 715 Anm. 11; Hellwig S. 76). In dem Verbote der Pfändung nach § 749 liegt nicht von selbst das Verbot einer freiwilligen Abtretung. sRG. IV (5.142 u. A. A.M. Mandry S. 209, 212, 215 ff., Dernburg II § 109 Anm. 9, Lab and, Staatsr. d. D. Reichs 2. Aust. I S. 479; vgl. auch Entw. I e. b. GB. § 296, Entw. II § 344.] In Betreff des Wittwenu. Waisengeldes s. d. Ges. v. 20. April 1881 § 17 (s. auch Verordn, v. 8. Juni 1881) u. v. 17. Juni 1887 § 19 sowie Preuß. Ges. v. 20. Mai 1882 § 17. Wegen des Anspruchs auf Unterstützung aus Krankenkassen und wegen der Ansprüche auf Grund der Unfallversicherungs­ gesetze sowie des Invaliden- u. Altersversorgungsges. s. d. oben in Anm. 3 u. 5 angef. gesetzl. Bestimmungen. — Hinsichtlich der Unzulässigkeit der Kompensation mit einem der Pfändung nicht unterworfenen Pensionsbezuge vgl. C. civ. art. 1293 Ziff. 3, ob.LG. f. Bayern in S. A. 39 Nr. 95, Dernburg II § 109 Anm. 5, Mandry S. 216, Busch, Z. XVIII S. 295 f.; s. auch Entw. I e. b. GB. § 289, Entw. II § 339. A.M. NG. XXI S. 187, ob.LG. f. Bayern in S. A. 43 Nr. 107. 12) Abs. 3: vgl. Anm. 2. Die Bestimmung, deren materielle Berechtigung aus § 4 Nr. 4 des Lohnarrest-Ges. abgeleitet wurde, ist von der RTK. eingeschaltet. Indessen ist der Beirag (der Uebereinstimmung mit Abs. 2 halber) auf 1500 Mark erweitert. Im Uebrigen bleibt jene Vorschrift namentlich auch hinsichtlich des Begriffs „dauernd" maßgebend. Freilich besteht noch der Unterschied gegenüber den öffentlichen Beamten, daß bei Privatbeamten ber­ gan ze Mehrbetrag pfändbar ist. 13) Abs. 4: Die Ausnahmen der Abs. 2 u. 3 werden hier zu Gunsten der laufenden Alimente beschränkt (vgl. § 648 Nr. 6), jedoch nur, soweit sie der Ehefrau und den ehe­ lichen Kindern --- denen die durch nachfolgende Ehe legitimirten und im K. Sachsen auch die Brautkinder (OLG. Dresden im sächs. Arch. III S. HO) gleichstehen — zukommen (also enger als nach d. Lohnarrest-Ges. ß 4 Nr. 3 — s. jedoch auch S. A^ 35 Nr. 173), in dieser Ausdehnung aber auch (anders als nach § 4 Nr. 3 a. a. O.), wenn sie auf Vertrag oder Testa­ ment beruhen (Dernburg III § 45 Anm. 45 u. A.). Vgl. auch Unfallversicherungs-Ges. v. 6. Juli 1884 § 68 u. die Übrigen in Anm. 3 u. 5 ang. Gesetze. Auf die geschiedene Ehe­ frau und auf die weiteren Deszendenten (Enkel u. s. w.) findet die Vorschrift keine Anwendung (RG. III S. 15, KG. Berlin in S. A. 44 Nr. 150, Wilm. Levy Anm. 14, Seuffert Anm. 11, Petersen § 749 Nr. 2 et. E., Endemann III S. 273, Schanze a. a. O. S. 364, Mandry S. 214 Anm. 14). Auch das weniger als 1500 Mk. betragende Einkommen darf wegen der Alimente gepfändet werden (Busch, Z. XII S. 273). Andere Gläubiger haben nicht das Recht, den zuerst nach Abs. 4 pfändenden privilegirten Gläubiger auf den Ueberrest des Gehalts über den pfändbaren Theil zu verweisen (KG. Berlin in Busch, Z. XVII S. 166). 14) Abs. 5: „zur Bestreitung eines Dienstaufwandes" — z. B. Umzugskosten bei Versetzungen, Reisekosten und Tagegelder bei Dienstreisen, Tafelgelder u. dgl. m. — Der „Servis" ist verschieden von dem Wo^hnungsgeldzuschusse; vgl. Reichs-Verfass. Art. 61, Verordn, v. 7. Nov. 1867 (Preuß. Allg. Reg. v. 17. März 1810), Ges. v. 30. Juni 1873 § 3 (RGBl. S. 166).

910

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 750.

§ 750. Ist eine Geldforderung für mehrere Gläubiger gepfändet, so ist der Drittschuldner berechtigt und auf Verlangen eines Gläubigers, welchem die Forderung überwiesen wurde, verpflichtet, unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der ihm zugestellten Beschlüsse an das Amtsgericht, dessen Beschluß ihm zuerst zu­ gestellt ist, den Schuldbetrag zu hinterlegen. N. Eulw. § 1012. Prot. S. 406.

Entw. I. 8 662.

Entw. II. § 684. Enttv. III. § 697.

Mot. S. 436, 437.

„Militärbeamten" — vgl. das Verzeichniß der „Militärpersonen" (RGBl. 1872 S. 204), den Servislarif Beil. I d. Ges. v. 3. Aug. 1878 (RGBl. S. 1243), und die Klassen­ eintheilung in Anl. z. Verordn, v. 29. Juni 1880 (RGBl. S. 169). Die „Civilbeamten der Militärverwaltung" (Reichs-Mil.-Ges. v. 2. Mai 1874 § 38 C) gehören nicht hierher. Vgl. § 343 Anm. 2. 15) Hinsichtlich der Pfändbarkeit von „Kautionen" und „Depositalgeldern" sind besondere Beschränkungen nicht aufgenommen (vgl. Nordd. Prot. S. 2055 f.). „Ueber Kautionen (Bayer. PO. Art. 969, Mecklenb. Exek.-Ordn. § 28) braucht ebensowenig wie über andere Forderungen mit gegenseitiger Verpflichtung, von welchen sie nicht losgelöst werden können, Bestimmung getroffen zu werden." (Mot.) Die Pfändung ist zulässig, kann aber bei Kautionen erst nach Erledigung der Verpflich­ tungen wirksam werden, für welche sie hasten. (Vgl. § 730 Anm. 4, Preuß. Hinterlegungsordn, v. 14. März 1879 § 24, Dorendorf, Arrest S. 108, Falkmann S. 228 N. lb.] Diese Bemerkungen treffen auch auf Feuerversicherungsgeld er zu, welche nach Landesgesetzen, Statuten oder Polizen nur unter der Bedingung des Wiederaufbaues des ab­ gebrannten Gebäudes auszuzahlen sind. Nach allgemeinen Grundsätzen sind solche Ansprüche keineswegs unpfändbar (s. §§ 743 Anm. 1, 745 Anm. 1). [©o auch Hellmann III S. 118, Seuffert Anm. 4 a. E., Wilm. Levy Anm. 1, Petersen § 749 Nr. 2 a. E. u. A.) 16) Der § 749 hat auch für das Konkursverfahren Bedeutung (KO. § 1 Abs. 1). 17) Nach Art. 23 des internal. Uebereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr v. 14. Okt. 1890 (RGBl. 1892 S. 793) können aus dem internat. Transporte herrührende Forde­ rungen der Eisenbahnen unter einander, wenn die schuldnerische Eisenbahn einem andern Staate angehört, als die forderungsberechtigte, nicht mit Arrest belegt oder gepfändet werden, außer in dem Falle, wenn der Arrest oder die Pfändung auf Grund einer Entscheidung der Gerichte des Staats erfolgt, dem die forderungsberechtigte Eisenbahn angehört. Vgl. § 715 Anm. 10.

88 750-753. Literatur: Hellwig, Verpfändung u. Pfändung von Forderungen S. 210 ff., D orendorf, Arrest S. 111 ff. 1) Eine Verwickelung entsteht trotz § 709, wenn ein und derselbe Anspruch für mehrere Glaubiger gepfändet ist. (Wegen der Formen s. §§ 730 Anm. 1, 732 Anm. 1.) Diesen (in den §§ 727, 728 für die Pfändung körperlicher Sachen geregelten Fall) ordnen die vor­ liegenden Bestimmungen, § 750 für Geldfordernngen, § 751 für Ansprüche, welche eine bewegliche, § 752 für solche, welche eine unbewegliche Sache, betreffen; eine gemein­ same Bestimmung enthält § 753. Dem Drittschuldner, welcher nicht ohne Gefahr sich mit einem einzelnen der pfändenden Gläubiger einlassen kann, ist weder die Verpflichtung zu prüfen^ wer der bestberechtigte sei (vgl. auch § 72), noch die Berechnung der betheiligten Forderungen — behufs Ermittelung, ob die Schuld zur Deckung der Ansprüche aller pfändenden Gläubiger ausreiche (N. E. § 1012) — auferlegt (s. RG. in I. W. 1893 S. 199). Die Verwickelung ist einfach durch das Recht und die auf Verlangen eintretende, nach § 753 erzwingbare Pflicht zur Hinterlegung oder Herausgabe an den Gerichtsvollzieher oder Sequester gelöst, an welche sich ein Vertheilungsverfahren (§§ 758 ff.), eventuell nach Umwandlung der herausgegebeneu Sache in Geld, anschließt.

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 751.

911

§ 751. Ist ein Anspruch, welcher eine bewegliche körperliche Sache betrifft, für mehrere Gläubiger gepfändet, so ist der Drittschuldner berechtigt und auf Verlangen eines Gläubigers, welchem der Anspruch überwiesen wurde, verpflichtet, die Sache unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der ihm zu2) Die Verpflichtung zur Hinterlegung 2c. tritt selbstverständlich nur unter denselben Voraussetzungen ein, unter denen die Verpflichtung zur Zahlung rc. besteht, also z. B. erst nach Eintritt der Bedingung, Fälligkeit rc. 3) Das „Verlangen eines Gläubigers" (§§ 750—752) wird sich in Form einer unmittelbar an den Drittschuldner gerichteten (formlosen) Aufforderung äußern, die der Gläu­ biger ihm des Beweises wegen in gewöhnlicher Weise zuzustellen hat. Nur die Ueberweisung (§§ 736, 745), nicht die bloße Pfändung gewährt einem Gläubiger das Recht, die Hinterlegung zu verlangen. Sobald die Aufforderung erfolgt ist, darf der Drittschuldner nicht mehr an den Erstberechtigten zahlen. Wegen der Klageberechtigung des Gläubigers s. § 753. 4) Wegen des Verfahrens bei der Hinterlegung s. für Preußen Hinter­ legungsordn. §§ 18, 19. Zu den Fällen, in welchen nach § 74 eine Dringlichkeit stets als vorhanden anzusehen und daher die vorläufige Verwahrung bei den Amtsgerichten gestattet ist, gehören die vorliegenden nicht. Vgl. § 728 Anm. 4.

8 750. 1) „für mehrere Gläubiger gepfändet" — sei es gleichzeitig oder nach einander. § 751 behandelt diese Fälle getrennt in Abs. 2 und 3. „unter Anzeige der Sachlage" — d. h. unter näherer Angabe seiner Schuld und der bei ihm vorgenommenen Pfändungen (vgl. § 728 Abs. 2). Die Anzeige muß in dem Hinterlegungsgesuche, wenn die Zulassung zur Hinterlegung nach den betreffenden Landesgesetzen von einem Befehle des Gerichts abhängt, sonst in demjenigen Schriftsätze, mit welchem die Be­ schlüsse (§§ 730 Abs. 2, 736 Abs. 3) überreicht werden, erfolgen. Verweigert das Gericht die Annahme der Anzeige, so hat der Drittschuldner die sofortige Beschwerde (§ 701, RG. in I. W. 1893 S. 199). Die gleichzeitige Anzeige an alle Gläubiger (Puchelt II S. 607) ist nicht vorgeschrieben. 2) „das Amtsgericht — zugestellt ist" — vgl. § 729. Bei doppeltem allge­ meinen Gerichtsstände (vgl. § 13 Anm. 1) können hinsichtlich der Pfändung mehrere Amts­ gerichte konkur-riren (vgl. § 729 Anm. 2). 3) „zu hinterlegen" — Die Hinterlegung hat für den Drittschuldner, dessen materielle Verpflichtung durch den § 750 beeinflußt wird, die — übrigens auch nach gem. u. preuß. bürg. Rechte (vgl. Windscheid II § 347 Z. 3, ALR. I 16 § 213) eintretende — Wirkung der Be­ freiung. [. aucf) Wilm. Levy Anm. 2, Puchelt II S. 606, Petersen 750—753 Nr. 2 u. in Gruchot 25 S. 551 Anm. 15, Gaupp II S. 488, Endemann III S. 275, Falkmann S. 177. A.M. früh. Aufl. u. Sarwey II S. 238, die — wie im Falle des § 72 (oben S. 90), der jedoch anders liegt — nur das bürg. Recht entscheiden taffen]. Vgl. auch § 709 Anm. 6. Nach der Hinterlegung bildet (nach der Preuß. Hinterlegungsordn. v. 14. März 1879 §§ 7, 8) nur der etwaige Anspruch des Schuldners auf Zurückzahlung eines der hinter­ legten Summe gleichen Betrages einen Gegenstand der Pfändung. 4) Bei den in § 732 bezeichneten Papieren muß der Schuldner die Präsentation abwarten und ist zur Hinterlegung nur gegen Rückgabe des Wechsels rc. verpflichtet. (Vgl. auch Puch elt, Wilm. Levy, Gaupp a. a. O.)

8 751. 1) Abs. 1: „unter Anzeige der Sachlage" — nämlich an den Gerichtsvollzieher (s. § 750 Anm. 1).

Ä12

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 752.

gestellten Beschlüsse dem Gerichtsvollzieher herauszugeben, welcher nach dem ihm zuerst zugestellten Beschlusse zur Empfangnahme der Sache ermächtigt ist. Hat der Gläubiger einen solchen Gerichtsvollzieher nicht bezeichnet, so erfolgt dessen Ernennung auf Antrag des Drittschuldners von dem Amtsgerichte des Orts- wo die Sache herauszugeben ist. Ist der Erlös zur Deckung der Forderungen nicht ausreichend und verlangt der Gläubiger, für welchen die zweite oder eine spätere Pfändung erfolgt ist, ohne Zustimmung der übrigen betheiligten Gläubiger eine andere Vertheilung als nach der Reihenfolge der Pfändungen, so hat der Gerichtsvollzieher die Sachlage unter Hinterlegung des Erlöses dem Amtsgericht anzuzeigen, dessen Beschluß dem Dritt­ schuldner zuerst zugestellt ist. Dieser Anzeige sind die auf das Verfahren sich beziehenden Schriftstücke beizufügen. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn die Pfändung für mehrere Gläubiger gleichzeitig bewirkt ist. N. Entw. 8 1013. Entw. 1.8 663. Entw. II. § 685. (gnito. III. § 698. Mot. S. 436. 437. Prst. S. 406.

§ 752. Betrifft der Anspruch eine unbewegliche Sache, so ist der Dritt­ schuldner berechtigt und auf Verlangen eines Gläubigers, welchem der Anspruch „dem Gerichtsvollzieher — ermächtigt ist" — vgl. § 746 Anm. 1. 2) „Hat — nicht bezeichnet" — nämlich weder in dem Pfändungsgesuche noch bis zur Zustellung des zweiten Beschlusses. Wegen der Konkurrenz anderer Gläubiger darf sich der Drittschuldner hier nicht passiv verhalten, sondern muß, um der Klage zu entgehen, die Initia­ tive behufs Ernennung des Gerichtsvollziehers ergreifen. (So auch Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 489. A.M. Dorendorf a. a. O. S. 112, welcher eine Pflicht zur Herausgabe an die Voraussetzung knüpft, daß der Gläubiger einen Gerichtsvollzieher zur Empfangnahme be­ zeichnet hat.) 3) „von d em Amtsgerichte des Orts —herauszugeben ist" — also nicht von dem Vollstreckungsgerichte (§ 729 Abs. 2), sondern von dem Amtsgericht am Orte der Erfüllung des gepfändeten Anspruchs, welcher nicht nothwendig mit dem Orte, wo die Sache liegt, zu­ sammenfällt (vgl. §§ 24, 25, 29). Die Bestimmung ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 3); s. jedoch GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 6. 4) Abs. 2: „Ist der Erlös-------nicht ausreichend" — nämlich nach bewirkter Ver­ werthung (vgl. § 746 Abs. 2 vbd. mit § 728 Abs. 2). Ist der Erlös ausreichend oder wird von keiner Seite eine andere Vertheilung als nach der Reihenfolge der Pfändungen beansprucht (vgl. § 709 Abs. 3), so nimmt der Gerichtsvollzieher selbst die Vertheilung vor. Anderenfalls tritt das Vertheilungsverfahren nach §§ 758 ff. ein. „dessen Beschluß------- zuerst zugestellt ist — Meistens werden sämmtliche Be­ schlüsse von demselben Amtsgerichte zugestellt sein; die Konkurrenz mehrerer Amtsgerichte ist eine Ausnahme (vgl. §§ 729 Anm. 2, 750 Anm. 2). 6) „die auf das Verfahren sich beziehend en Schriftstücke" — nämlich Pfändungsbeschlüffe, Zustellungsurkunden, Aufträge, Ernennungen u. s. w. 6) Abs. 3 setzt gleichzeitige Zustellung der Pfändungsbeschlüsse an den DrittschuldnerVoraus (vgl. § 730 Abs. 3). S. auch § 728 Abs. 3. Dies wird freilich nur dann möglich sein, wenn ein und derselbe Gerichtsvollzieher zustellt, was sich mit Abs. 1 ii. § 746 Abs. 1 sehr wohl verträgt (A.M. anscheinend Endemann III S. 277). Der Gerichtsvollzieher hat hier bezüglich der Hinterlegung zwischen den mehreren in Frage kommenden Amtsgerichten die Wahl. 7) Wegen der Gebühren des Gerichtsvollziehers s. GO. f. GV. § 5.

§ 752. 1) „an d en vom Amtsgerichte der belegenen Sache ernannten" — nämlich den auf Antrag des Gläubigers ernannten Sequester (§ 747 Abs. 1).

Zlveiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 753.

913

überwiesen wurde, verpflichtet, die Sache unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der ihm zugestellten Beschlüffe an den von dem Amtsgerichte der belegenen Sache ernannten oder auf seinen Antrag zu ernennenden Sequester herauszugeben. 91. Entw. § 1014. glitte. I. § 664. glitte. II. § 686. gehe. III. § 699. M«t. S. 436, 437. Prot. ®. 406.

§ 758. Jeder Gläubiger, welchem der Anspruch überwiesen wurde, ist be­ rechtigt, gegen den Drittschuldner Klage auf Erfüllung der nach den Bestimmungen der §§. 750—752 diesem obliegenden Verpflichtungen zu erheben. Jeder Gläubiger, für welchen der Anspruch gepfändet ist, kann sich dem Kläger in jeder Lage des Rechtsstreits als Streitgenoffe anschließen. Der Drittschuldner hat die Gläubiger, welche die Klage nicht erhoben und dem Kläger sich nicht angeschlossen haben, zum Termine zur mündlichen Ver­ handlung zu laden. Die Entscheidung, welche in dem Rechtsstreite über den in der Klage erhobenen Anspruch erlaffen wird, ist für und gegen sämmtliche Gläubiger wirksam. Gegen einen Gläubiger, welcher nicht zum Termine zur mündlichen Ver­ handlung geladen ist, obgleich er von dem Drittschuldner hätte geladen werden sollen, kann der Drittschuldner sich auf die ihm günstige Entscheidung nicht berufen. 91. glitte. § 1015. ®. 406-408.

glitte. I. § 665.

gntle. II. § 687.

gntle. III. § 700.

Met ®. 437.

Pror.

2) „ober auf seinen Antrag zu ernennenden Sequester" — Die Ernennung auf Antrag des Drittschuldners erfolgt in ähnlicher Art, wie nach § 747 Abs. 1, sofern bei der Zustellung des ersten Pfändungsbeschlusses der Sequester noch nicht namentlich bezeichnet ist. Der Sequester steht in einem privatrechtlich obligatorischen Verhältnisse zum Gericht als Auftrag­ geber (OLG. Dresden in S. A. 38 Nr. 80). Die Bestellung geschieht gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 3); s. jedoch GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 6. 3) Wegen der Verwerthung und Vertheilung vgl. § 747 Abs. 2. Für die Anwelldung des § 752 ist es unerheblich, ob der Anspruch selbst zu den beweglichen oder zu den un­ beweglichen Sachen gehört. 4) Nach § 17 Abs. 2 des Preuß. AG. z. CPO. hat der Sequester die Eintragung der Forderungen in der durch die Zeit der Pfändungen bestimmten Reihenfolge zu beantragen; wenn ein Gläubiger eine andere Reihenfolge verlangt, oder die Zeit der Pfändungen nicht erhellt, zu gleichen Rechten unter den: miteinzutragenden Vorbehalt einer anderweiten Feststellung ihres Ranges unter einander. Vgl. § 747 Anm. 2. § 753. 1) Abs. 1: Die Gläubiger, welchen der Anspruch überwiesen ist (§§ 736, 748), sind nicht (wie nach Preuß. KO. § 365) genöthigt, gemeinschaftlich zu klagen; jeder von ihnen kann vielmehr früher oder später allein klagen, ohne die anderen (wie nach N. E. § 1015) beiladen zu müssen, und zwar mit der Wirkung, daß der Anspruch für alle — abgesehen von Abs. 5 — rechtshängig wird. (Ebenso Seuffert Anm. 2, Sarwey II S. 241, Hellmann III S. 121, Petersen §§ 750—753 Nr. 4, Wilm. Levy Anm. 3, Hellwig S. 224ff. A.M. Puchelt II S. 609, der auf das richterliche Verbindungsrecht bezw. die exc. plur. litiscons. verweist. Vgl. Abs. 4.) Selbstverständlich präjudizirt Klage und Urtheil auch solchen Gläubigern, welche noch nicht einmal gepfändet haben (was Endemann 111 S. 279 bezweifelt); es ist damit ebenso, als wenn der Schuldner selbst geklagt hätte (s. Gaupp II S. 491 u. A.) Klagen mehrere Gläubiger gemeinschaftlich, so sind sie Slreitgenossen nach § 59 (vgl. Hellmann, Lehrb. S. 877 u. A.). Auf den Fall der Klage eines Forderungsberechtigten selbst findet § 753 Struckmann u. Koch, Civilprozehordnung. 6. Aufl. 58

914

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 753.

keine Anwendung (RG. in Gruchot 29 S. 1055). Hinsichtlich des Gerichtsstandes gilt nichts besonderes. „berechtigt" — Macht er von diesem Rechte keinen Gebrauch, so kommt auch hier § 741 zur Anwendung. „Klage auf Erfüllung — Verpflichtungen" — d. h. die gewöhnliche Klage aus dem Ansprüche mit den sich aus den §§ 750—752 ergebenden Modalitäten. Der Dritt­ schuldner kann selbstverständlich auch gegen die Rechtsgültigkeil der Pfändung und Über­ weisung Einwendungen erheben (ob.LG. f. Bayern in S. A. 46 Nr. 149; vgl. Anm. 4). Dem Schuldner ist nach § 740 der Streit zu verkünden. Hinsichtlich der Prozeßführung s. § 740 Anm. 4.

2) Der A b s. 2 enthält eine Anwendung der §§ 63, 66. Es ist nicht erforderlich, daß der beitretende Gläubiger bereits eine Ueber Weisung (8 736), also ein eigenes Klagerecht erlangt hat; die bloße-Pfändung (§ 730) — auch die bloße Arrestpfändung — genügt. Daß er dessenungeachtet nach Abs. 2 als Streitgenosse, nicht als gewöhnlicher Nebenintervenient gilt, entspricht der Natur der Sache. Die Anschließung erfolgt, da nichts besonderes (wie in § 67) bestimmt ist, in der mündlichen Verhandlung; ein etwaiger Schriftsatz ist nur vorbereitender Natur (s. Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy Anm. 2, Hellmann, Lehrb. S. 876. A.M. v. Canstein in Busch, Z. VIII S. 236, Hellwig S. 225). 8) Der Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 bildet den Schwerpunkt des Paragraphen. Den Rechten jedes Gläubigers auf Erfüllung (Abs. 1), wie dem Ansprüche des Drittschuldners, seine Lage nicht durch die mehrfache Pfändung verschlechtert zu sehen, ist dadurch genügt, daß hier die Hauptpflicht zum Betriebe des Prozesses auf den Drittschuldner frucht, wie nach N. E. § 1015 Abs. 1 (vgl. Nordd. Prot. S. 2053 f.), auf den klagenden Gläubigers gewälzt wird. Der Drittschuldner, welcher, wie die Mot. bemerken, nach §§ 730 Abs. 3, 736 Abs. 3, 715 alle betheiligten Gläubiger kennen kann und muß, hat diese — und zwar auch diejenigen, für welche der Anspruch nur gepfändet ist (s. Anm. 2) —, sofern sie sich nicht freiwillig nach Abs. 2 angeschlossen haben, durch Beiladung zur Theilnahme an dem auf Gefahr aller geführten Pro­ zesse aufzufordern (vgl. §§ 56, 57 Anm. 5). Diese Verpflichtung ist auch dann nicht (wie nach § 740) ausgeschlossen, wenn eine Zustellung im Ausland oder eine öffentliche Zustellung er­ forderlich ist, und sie bezieht sich nach den Mot. auch auf solche Gläubiger, für welche die Forderung nur mit Arrest belegt ist, und welche deshalb ein Recht zur Klage nicht haben. Bei der Ladung ist die Ladungsfrist (§§ 194, 201) zu beobachten. Die Geladenen gellen, wenn sie dem Kläger beitreten, als Sireitgen offen (vgl. Anm. 1, 2). Tritt ein Geladener nicht bei, so wird ein Versäumnißurtheil nicht erlassen; es genügt Abs. 4. 4) Abs. 4 enthält einen der Fälle, in welchen die Rechtskraft sich über die Hauptparteien hinauserstreckt (§ 66 Anm. 1). „Die Wirksamkeit der Entscheidung für alle betheiligten Gläubiger verhütet unnütze Wiederholungen desselben Prozesses und beeinträchtigt nicht den Drittschuldner, weil dieser wegen jener Wirkung auch solche Einwendungen vorbringen kann, welche ihm nur gegen einzelne Gläubiger zustehen" (Mot.). Danach werden, wenigstens was den Anspruch selbst betrifft, die verschiedenen Ueberweisungen in einen Prozeß zusammengezogen. Erfüllt der Drittschuldner die ihm in Abs. 3 auferlegte Pflicht, so ist er einer ferneren Klage wegen desselben Anspruchs nicht ausgesetzt. Aber ebenso kann auch jeder pfändende Gläubiger, mag er an dem Prozesse theilgenommen haben oder nicht, die Rechte aus dem Urtheil auf Grund des zugestellten Pfändungsbeschlusses — auch ohne besondere Ueberweisung — für sich gellend machen. Die „Wirksamkeit" schließt auch die „Vollstreckbarkeit" (wie in § 236 Abs. 3), jedoch nur unter den gewöhnlichen Voraussetzungen des § 671 Abs. 1, in sich. Selbstverständlich reicht die Wirksamkeit des Urtheils nicht über

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 754.

915

§ 754. Auf die Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte, welche nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind, finden die vorstehenden Bestimmungen entsprechende Anwendung. Ist ein Drittschuldner nicht vorhanden, so ist die Pfändung mit dem Zeit­ punkt als bewirkt anzusehen, in welchem dem Schuldner das Gebot, sich jeder Verfügung über das Recht zu enthalten, zugestellt ist. Das Gericht kann bei der Zwangsvollstreckung in Rechte, welche nur in An­ sehung der Ausübung veräußerlich sind, besondere Anordnungen erlaffen. Es kann insbesondere bei der Zwangsvollstreckung in Nutzungsrechte eine Verwaltung an­ den Theil des Anspruchs hinaus, bezüglich dessen eine Verurtheilung erfolgt ist (s. RG. in Gruchot 24 S. 1087). Bei der Zulässigkeit von Einwendungen aus der Person jedes einzelnen Gläu­ bigers, mit welchem der Drittschuldner in Folge der Ueberweisung vor der Aufforderung zur Hinterlegung (§§ 750—753 Anm. 3) wirksam paktirt haben kann (§ 736 Anm. 3), können aber dessenungeachtet verschiedene Entscheidungen in Betreff der Existenz oder des Betrages der einge­ klagten Forderung im Verhältnisse des Drittschuldners zu den einzelnen Gläubigern ergehen, da die durch eine frühere Pfändung erworbenen Rechte (s. § 709 Abs. 3) nicht durch derartige, nur dem später pfändenden Gläubiger gegenüber begründete Einwendungen beeinträchtigt werden dürfen. Nachdem aber das Verlangen der Hinterlegung gestellt worden (§ 750), kann auch der Erstpfändende nicht mehr gültig über die Forderung verfügen. (Vgl. auchPuchelt IIS. 610, Seuffert Anm. 5, Wilm. Levy Anm. 4, Gaupp II S. 492 f., Sarwey II S. 241, Hellwig S. 219 ff. A.M. Hellmann III S. 122 f., der die Berücksichtigung des Rang­ verhältnisses lediglich dem Vertheilungsverfahren überlassen will, aber nicht beachtet, daß letzteres, wenn die Klage zurückgewiesen ist, keinen Gegenstand mehr hat.) Im klebrigen kann stets im schließlichen Ergebnisse nur eine einheitliche Entscheidung, insonderheit hinsichtlich der Vertheilung (Auszahlung), erlassen werden. Bei verschiedenartigem Verhalten der theilnehmenden Gläubiger werden also die §§ 59, 391, 434 anzuwenden sein. Vgl. auch § 261 Anm. 3. Ein Antrag, welcher, von der entgegengesetzten Auffassung ausgehend, vorschlug, statt Abs. 4 u. 5 zu setzen: „Gläubiger, welche dieser Ladung ungeachtet in dem Verfahren nicht auftreten, müssen die zu Gunsten des Drittschuldners ergehende Entscheidung auch wider sich gellen lassen", ist von der RTK. abgelehnt. 6) Der A b s. 5 bildet die einzige Ausnahme von dem Grundsätze des Abs. 4. Hat der Drittschuldner die ihm in Abs. 3 auferlegte Pflicht nicht erfüllt, so konimt ihm in dem Ver­ hältnisse zu dem betreffenden Gläubiger die ergangene günstige Entscheidung nicht zu statten. Dagegen ist die dem Drittschuldner ungünstige Entscheidung auch in jenem Falle für den Gläubiger wirksam. 6) Selbstverständlich ist die über den Anspruch ergehende Entscheidung auch für und gegen den Schuldner wirksam (vgl. § 740 Anm. 2 u. 4), was in der RTK. für den Fall der unter­ bliebenen Streitverkündung von einer Seite bestritten wurde. (Ebenso Wilm. Levy Anm. 5, Seuffert Anm. 7, Petersen §§ 750—753 Nr. 4, Gaupp II S. 493, Dorendorf, Arrest S. 116 u. A. A.M. Siebenhaar S. 685f., Endemann III S. 279.)

§ 754. 1) Abs. 1: „in andere Vermögensrechte — sind" - d. h. alle nicht unter die §§ 730ff., 745 ff. fallenden Rechte des beweglichen Vermögens, welche nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts wenigstens in Ansehung der Ausübung veräußerlich sind (vgl. Abs. 3; OLG. Jena in S. A. 39 Nr. 276). Hierunter fallen namentlich:

916

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 754.

ordnen. In diesem Falle wird die Pfändung durch Uebergabe der zu benutzenden Sache an den Verwalter bewirkt, sofern sie nicht durch Zustellung des Beschlusses bereits vorher bewirkt ist. Ist die Veräußerung des Rechts selbst zulässig, so kann auch diese Veräußerung von dem Gericht angeordnet werden. N. Entw. 8 1017. Entw. L § 666. Entw. II. § 689. Entw. IIL 8 701. Mot. -

Prot. S. 408.

a) Antheilsrechte an einer ungeteilten Vermög ens masse, z. B. einer Erbschaft (vgl. RG. IX S. 365, im D. R.Anz. 1891 bes. Beil. 2 S. 121, OLG. Frankfurt in S. A. 44 Nr. 71), dem Gesellschaftsvermögen (vgl. Nordd. Prot. S. 2056). Indessen gellen in dieser Be­ ziehung mancherlei Beschränkungen; vgl. z. B. für Handelsgesellschaften HGB. Art. 119, 126, 169, für Genossenschaften §§ 64, 67 Abs. 1, 69, 70 des Genoss. Ges. v. 1. Mai 1889. In der Regel wird der Gläubiger nur aus dem Umweg einer Ueberweisung des Anspruchs auf Aus­ einandersetzung an die Substanz des Antheils selbst gelangen können (vgl. v. Rönne, Erg. 5. Ausg. Bd. 3 S. 433 f.). Jedenfalls gilt nach franz. Recht eine solche Antheilspfändung nicht als Pfändung einzelner Nachlaßforderungen (RG- IX S. 364; vgl. auch OLG. Cöln u. LG. Straßbnrg in Busch, Z. VII S. 112, OLG. Cöln im Rhein. Arch. 84 I S. 155); ebenso nach preuß. Rechte (Plen. Beschl. d. OT. in Entsch. 35 S. 352, Förster (Eccius) III § 182 Anm. 68, D ernburg III § 238, § 239 Anm. II, Dorendorf, Arrest S. 118, Krech u. Fischer 3. Ausl. S. 36 a. E.). Anders nach gern. Rechte, nach welchem die Antheile der Miterben an den einzelnen Bestandtheilen der Erbschaft kraft Gesetzes der Erbguote entsprechen. Wegen der Zulässigkeit der Pfändung ideeller Theile von Mobilien nach § 754 vgl. § 712 Anm. 2. Ob das Recht des Notherben bezw. Pflichttheilsberechtigten Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein kann, hängt davon ab, ob es von dem bürgerlichen Recht als von der Person des Berechtigten auch hinsichtlich der Ausübung unzertrennlich behandelt wird. FürPreußen wird die Frage vom OT. (Entsch. 49 S. 207, 56 S. 250 ff., Striethorst, Arch. 46 S. 335, 92 S. 316), Hanow (in D. Ger.-Zeitg. N. F. II S. 78ff.), Bauer (in Behrend, Zeitschr. f. d. D. Gesetzg. VII (5. 39ff.), Zitelmann (in Gruchot 20 S. 370ff.), Dernburg III § 207 Anm. 6 2C. verneint, von Gruchot, Erbrecht III S. 213, Paris (in D. Ger.Zeitg. 1865 S. 71 ff.), Schultzenstein, Beitr. z. Lehre v. Pflichttheilsrecht, Berlin 1878, S. 178 ff., R. Koch (in D. Ger.-Zeitg. 1864 S. 43 ff., 1866 S. 102, das. N. F. II 1867 S. 322 ff., Preuß. Anw.-Zeitg. 1866 Sp. 638 ff.), Förster (Eccius) I § 21 Anm. 25, IV Z 248 Anm. 142 bejaht. Wegen des gem. Rechts s. Windscheid, Pand. Il § 359 Anm. 6, III § 585 Anm. 8, Kleiner III S. 198, Gaupp II S. 494 N. 3, Seusfert Anm. 1. Das ob.LG. f. Bayern in S. A. 40 Nr. 298 verneint mit Recht die Zulässigkeit der Pfän­ dung des Pflichttheils an dem Nachlaß einer noch lebenden Person. Vgl. Enltv. I e. b. GB. § 1992 Abs. 2 nebst Mot. Ebenso hängt es von dem bürgerlichen Recht ab, ob der Antheil eines Gewerken (Kux) nach den Regeln der §§ 729 ff. oder nach den von den Werthpapieren handelnden Vor­ schriften (§§ 722 ff.) zu pfänden ist. Vgl. in letzterem Sinne z. B. Preuß. Bergges. v. 24. Juni 1865 § 109, Dernburg I § 269 Anm. 7. b) Gewerbeberechtigungen, z. B. die in Gew.-O. §48 bezeichneten Real-Gewerbeberechtigungen, aber auch das Urheberrecht an Schriftwerken rc. (Ges. v. 11. Juni 1870),Werken der bildenden Künste (Ges. v. 9. Jan. 1876), Photographieen (Ges. v. 10. Jan. 1876), Mustern und Modellen (Ges. v. 11. Jan. 1876), Gebrauchsmustern (Ges. v. 1. Juni 1891), soweit dieses überhaupt der Zwangsvollstreckung unterliegt (vgl. darüber Stobbe, Deutsch. Privatr. III S. 46 Anm. 9, 10, Dambach, Urheberrecht S. 36ff., Klostermann, Urheberrecht S. 26, 142). Dasselbe gilt von dem Patentrechte (Ges. v. 7. April 1891). fVgl. hierüber ROHG. 22 S. 333, Stobbe a. a. O. S. 47, Bekker, Pand. §25 S. 83, Köhler, Patentrecht S. 168 ff.

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 754.

917

und über die Frage, wo das Patentrecht eines Ausländers im Jnlande sich befindet (§§ 24, 729 CPO.), d ens., gef. Beiträge S. 516 ff. u. in Busch Arch. s. HR. 47 S. 339 ff., sowie jetzt § 12 des Patentges. (neuer Fassung).]

(S. auch Gaupp II S. 495, Seuffert Anm. 1 d,

Hellmann III S. 124, Puchelt II S. 603: „nicht unbedingt".) c) Nutzungsrechte Vermögen gehören,

z. B.

(vgl. Abs. 3) jeder Art,

soweit

sie

nicht zum unbeweglichen

Nießbrauch (vgl. KO. § 1 Abs. 2, Entsch.

des preuß. OT. 60

S. 367, Sächs. bürg. GB. §§ 496, 497, 1683, 1820), Rechte des Vasallen und Fideikommißbesitzers, Wohnungsrechte (v. Rönne, Erg. a. a. O. S. 455), Pachtrechte (vgl. das.) 2C. — vgl.

RG. in Gruchot 31 S. 952, Dernburg III § 30 S. 96, Renaud S. 496, 498, Nordd. Prot. S. 2056.

Beim Nießbrauche kommt die Beschränkung

des § 749 Nr. 3 in Betracht

(RG. XI S. 373).

Familienrechtliche Beschränkungen werden bald im Wege des § 685, bald nach § 690 (wenn es sich um ein die Veräußerung hinderndes Recht handelt) geltend zu machen sein (vgl. Hüppner im civ. Arch. 70 S. 443 ff., OLG. Braunschweig in S. A. 47 Nr. 119, oben §§ 690 Anm. 2, 749 Anm. 1). d) Hypotheken und Grundschulden des Eigenthümers am eigenen Grundstücke (Preuß. Eig.-E.-Ges. v. 5. Mai 1872 §§ 27, 64-66 (vgl. RG. IX S. 319). Das Recht zur Führung der Firma ist nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung (HGB. Art. 22, 23, RG. in S. A. 38 Nr. 330), ebensowenig höchstpersönliche Rechte, wie das Recht des Auszüglers auf Wohnung und Beköstigung im Hause des Sohnes (OLG. Jena, Celle u. Hamburg das. 39 Nr. 276, 41 Nr. 32, 318; vgl. jedoch auch RG. in S. A. 46 Nr. 241) oder der Anspruch der zum Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen gehörigen Bahnen auf Ueberweisung ihrer Guthaben durch die Generalsaldirungskasse des Vereins (RG. XV S. 5). Eine Ueberweisung an Zahlungsstatt zum Nennwerth § 754 fallenden Vermögensrechten nicht möglich

ist in der Regel bei

den unter

(vgl. auch Mandry S. 343, Wilm. Levy

Anm. 2). 2) Abs. 2 tritt an die Stelle von § 730 Abs. 2. Wegen der Arrestpfändung s. §. 803 Anm. 1, Dorendorf a. ci. O. S. 119 ff., bes. Anm. 427, Gaupp II S. 496 N. 19, 3) Abs. 3: „nur in Ansehung der Ausübung" — vgl. Anm. lc u. Abs. 4. Dem Gericht ist hier — abgesehen von 8 743 — ausdrücklich noch die Befugniß zu „besonderen Anordnungen" je nach Lage der Sache beigelegt. Ein Beispiel bildet die Verwaltung der dem Nutzungsrecht unterliegenden Sache (vgl. Bayer. PO. Art. 968); die Zwangsvollstreckung nähert sich alsdann der in § 747 vorgeschriebenen Prozedur. Die Detention der Sache wird dem Schuldner oder dem zur Herausgabe bereiten Dritten entzogen und diese an den vom Voll­ streckungsgerichte bezw. bei Grundstücken vom Amtsgerichte der belegenen Sache ernannten Ver­ walter herausgegeben (s. Fitting § 104 N. 5). Geht die durch den Gerichtsvollzieher gegen den Schuldner zu erzwingende Uebergabe der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Dritt­ schuldner (wo

ein solcher vorhanden)

bezw.

den Schuldner (Abs. 2) voran, so beginnen die

Wirkungen der Pfändung (anders als in § 747) von dieser Uebergabe.

Der Verwalter, welchem

auch eine angemessene Vergütung ausgesetzt werden kann, hat unter der Pflicht der Rechnungs­ legung die gezogenen Früchte regelmäßig an den Gläubiger abzuliefern. Uebrigens ist der Ver­ walter Beauftragter des Gerichts, welches auch die Geschäftsführung und Rechnungslegung zu überwachen hat (vgl. § 752 Anm. 2). — Das Gericht kann aber auch einen anderen Modus, z. B. Verpachtung an den Meistbietenden, wählen (vgl. Wetzell S. 641 ff., Renaud S. 496, Gaupp II S. 496 u. A.). Der Gläubiger hat freilich auf alle solche besonderen Maßregeln kein Recht. Auch die „andere Art der Verwerthung" (8 743) auf Antrag des Gläubigers zu bestimmen, ist Sache richterlichen Ermessens. Ist für mehrere Gläubiger gepfändet, so ist mit dem Reinerträge nach Analogie von 3 751 Abs. 2, 3, event. 8§ 758 ff., zu verfahren.

Achtes Buch.

918

Zweiter Titel.

Zwangsvollstreckung.

§ 755.

Iwang-vollstreckung in Las unbewegliche Vermögen.

§ 755. Für die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück ist als Vollstreckungs­ gericht das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirke das Grundstück belegen ist. Die Zwangsvollstreckung wird von diesem Gericht auf Antrag angeordnet. N. Entw. § 1018, 1019. S. 408.

Entw. I. § 667. Entw. II. § 689. Entw. III. § 702. Mot. S. 438. Prot.

4) Abs. 4: „die Veräußerung des Rechts selbst" — im Gegensatze zu: „nur in Ansehung der Ausübung" (Abs. 3). Welche Rechte darunter fallen, beurtheilt sich nach bürger­ lichem Rechte (vgl. Preuß. ALR. I 17 §§ 60, 63, 64 2c.). Die Veräußerung ist nach Analogie der Veräußerung beweglicher Pfänder (§§ 716 ff.) zu bewirken. Indessen unterliegt auch hier die Wahl der zweckmäßigsten Art der Verwerthung dem Ermessen des Vollstreckungsgerichts (vgl. § 743 Anm. 1), gegen dessen Entscheidung Gegenvorstellung (§ 685), eventuell sofortige Beschwerde stattfindet (§ 701). 5) Hinsichtlich der Gebühren s. §§ 729—754 Anm. 2. Die Ausführung der Zwangs­ vollstreckung durch Verwaltung (Abs. 2) bildet nach § 32 d. GO. f. RA. eine besondere Instanz der Zwangsvollstreckung (s. § 23 Nr. 2 das.). Vgl. auch GKG. § 39. Zweiter Titel. 1) Während der N. E. und der Entw. I wenigstens die Z wangsverwaltung (Admini­ stration, Sequestration) einheitlich zu regeln suchten, hat die CPO., wie schon die späteren Ent­ würfe, das ganze Gebiet der Zwangsvollstreckung (wegen Geldforderungen — vgl. § 771; mit Unrecht geht weiter Siebenhaar S. 694) in das unbewegliche Vermögen wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem Eigenthums- und Hypothekenrechte grundsätz­ lich der Landesgesetzgebung überlassen (§ 757 — vgl. auch §§ 747, 811; KO. §39) und sich nur auf einige wenige, die Zuständigkeit und die Befugnisse des Gerichts betreffende Vor­ schriften beschränkt. Die allgemeinen Bestimmungen des ersten Abschnitts (§§ 644 bis 707), sowie die allgemeinen Bestimmungen der CPO. überhaupt, soweit letztere nicht durch besondere, für die Zwangsvollstreckung gegebene Vorschriften ausgeschlossen sind (vgl. auch RG. in Gruchot 25 S. 430, Hellmann III S. 127, Seuffert Anm. 1 z. Tit. 2, Petersen §§ 755—757 Nr. 1, Wilm. Levy § 757 Anm. 1, Hauser i. s. Zeitschr. IV S. 41, Kurl bäum, D. preuß. Subhastationsordn. v. 19. März 1869 ?c., Stuttgart 1879, S. 3, Jäckel, D. Zwangsvollstreckungsordn. rc. in Jmmob. 2. Ausl. S. 1, Krech u. Fischer, D. Preuß. Ges., betr. die Zwangsvollstreckung in das unbew. Verm., v. 13. Juli 1883, 3. Aust. S. 19 f., 28ff.), kommen auch bei der vorliegenden Art der Zwangsvollstreckung zur Anwendung (so auch RG. III S. 374) und dürfen landesgesetzlich nur insoweit geändert werden, als der Vorbehalt der Landesgesetzgebung — ausdrücklich oder stillschweigend — reicht; im letzteren Falle (s. z. B. be­ züglich der Zustellungen § 4 des Preuß. Ges. v. 13. Juli 1883) treten sie wenigstens als subsidiäre ein. Die Grenze ist bei dem stillschweigenden Vorbehalt oft schwer zu finden; als ent­ scheidend wird anzusehen sein, daß alle Handlungen, vom Beginne der eigentlichen Zwangsvoll­ streckung (§ 671) an, d. h. alle Handlungen, die das eigentliche Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen, dem Vorbehalt unterliegen. (Vgl. auch Krech u. Fischer a. a. O. S. 29 f., Ring in Busch, Z. VII S. 566 ff., Wach, Handb. I S. 200 N. 28. Theilweise abweichend: Schneider, Zur Einführung der Subhastationsordn. v. 13. Juli 1883 in d. Hann. Praxis, Hannover 1884, c. v. 5. Mai 1872 §§ 43 ff. (GS. S. 433). Die Zwangsvollstreckung steht zuweilen den Kreditinstituten zu (das. § 71). Die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen ist nicht davon abhängig, daß die Zwangs­ vollstreckung in das bewegliche Vermögen ohne Erfolg stattgefunden hat. Die bloße Pfändung der Früchte auf dem Halme gehört zur Mobiliarexekution (§§ 714, 725). Im Uebrigen fällt auch die Vollstreckung in das Zubehör mit dem Immobile unter § 757 (s. Rechtspr. d. RG. in Str.S. IV S. 370, Puchelt II S. 614, Wilm. Levy Anm. 2. A.M. Sieben haar S. 694 Anm. *). Vgl. §§ 710 Sinnt. 2 a. E., 714, 715 Nr. 3, 5, KO. § 39, Preuß. Ges. v. 13. Juli 1883 § 206 in Verb. mit § 1 Abs. 2. Eine gesonderte Mobiliarexekution ist bezüglich solcher beweglicher Perlinenzen zulässig, welche vom Immobile getrennt sind oder ohne Zerstörung getrennt werden können, jedoch nur insoweit, als die Landesgesetzgebnng dies nicht sür unzulässig erklärt (Wilm. Levy Anm. 1, S. 1029). Vgl. über das Preuß. Recht in dieser Hinsicht Wilm. Levy S. 1030. 2) „einschließlich des — Aufgebots- un d Verl heilungsverfahre ns" — z. B. das sog. Aufgebot der Realberechtiglen bei der Zwangsversteigerung (Preuß. Ges. v. 13. Juli 188 J § 40 Nr. 8, 9), das Vertheilungsverfahren bei derselben, welches mit einem Aufgebote von Spezialmassen verbunden sein kann (das. §§ 104 ff., 133 ff.). Vgl. Anm. 7. Die §§ 824 ff. finden dabei an sich keine Anwendung; indessen haben sie in Preußen durch §§ 16, 19 d. Ges. v. 4. März 1879 und § 135 d. Ges. v. 13. Juli 1883 theilweise Anwendung erhalten. (Vgl. Kurl bäum a. a. O. S. 49 s., 70, Jäckel a. a. O. S. 460.) 3) „bestimmt sich nach den Landesgesetzen" — Dies gilt von allen dahin ein­ schlagenden Fragen formellen und materiellen Inhalts, soweit nicht die §§ 644—707 (wegen § 701 f. auch OLG. Dresden in Busch, Z. VII S. 113) und rücksichtlich der Zwangsvoll­ streckung in Grundstücke die §§ 755, 756 entgegenstehen. Es gehören dahin z. B. auch die Fragen, wie das Eigenthum des Schuldners nachzuweisen ist (Preuß. Ges. v. 13. Juli 1883 § 14), inwiefern und mit welchem Zeitpunkte durch die Verwaltung u. s. w. ein Pfandrecht entsteht (vgl. N. E. § 1027), und inwiefern die Realgläubiger bei der Zwangsvollstreckung zuzuziehen sind (vgl. das. §§ 1030, 1031), sowie die Regelung der Befriedigung der Lehn-^ Stammguts- oder Familienfideikommiß-Gläubiger (vgl. KO. § 45). Für Preußen s. Gef. v. 13. Juli 1883, Eigenthumserwerbsgesetz v. 5. Mai 1872 §§ 43—47, Rhein. Subhast.-Ordn. v. 1. Aug. 1822, Ges. v. 4. März 1879, §§ 17, 25, Ges. v. 12. April 1888. Ein Verzeichniß. der übrigen in Betracht kommenden Landesgesetze s. bei Wilm. Levy Anm. 1, Seusfert Anm. 1 u. in den Mot. zu dem in Anm. 2 vor § 755 a. E. angef. Entw. Wegen Bayern s. Lippmann in Busch, Z. IX S. 651 ff. 4) Abs. 2: „welche Sachen und Rechte — zum unbeweglichen Vermögen. gehören" - vgl. § 754 Abs. 1, KO. § 39. Vgl. für Preußen § 1 d. Ges. v. 13. Juli 1883. 5) „inwiefern der Gläubiger — bewirken ist" — (Urtheils-, Arresthypothek)Hinsichtlich des preuß. Rechts vgl. Eig.-Ges. v. 5. Mai 1872 §§ 19 Nr. 3, 22 Abs. 2, Grundb.Ordn. §§ 35, 41 ff., AG. z. CPO. §§ 18, 19, Gef. v. 4. März 1879 § 22, Ges. v. 13. Juli 1883 §§ 6—12, 188, 189, 206, 207, 211 (s. auch Krech u. Fischer a. a. O. S. 94ff., Hinrichs, Studien aus dem Gebiete des preuß. Hypothekenrechts u. dazu Schollmeyer in Gruchot 29 S. 432 ff.). — Da die Eintragung nicht schon nach Reichsrecht eine Vollstreckungs­ maßregel ist, so war die Landesgesetzgebung, mag man die Eintragung landesgesetzlich als Vollstreckungsmaßreg.el ansehen oder nicht, an die Vorschriften der §§ 672 Abs. 2, 684 nicht gebunden (vgl. Jäckel a. a. O. S. 39 ff., Krech u. Fischer a. a. O. S. 96, Ring in Busche Z. VII S. 566 ff.).

922

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

Dritter Titel.

§ 758.

Vertheilungsverfahren.

§ 758. Das Vertheilungsverfahren tritt ein, wenn bei der Zwangsvoll­ streckung in das bewegliche Vermögen ein Geldbetrag hinterlegt ist, welcher zur Befriedigung der betheiliglen Gläubiger nicht hinreicht. N. Entw. 81038. Entw. 1-8 679. Guttu. II. § 692. Entw. Hl. 8 705. Mot. S. 438-440. Prot. S. 408.

Der Name „Hypothekenbuch" begreift auch Grundbücher, Hypothekenregistcr u. dgl. Bücher ähnlicher Bestimmung in sich (f. Nordd. Prot. S. 2096). 6) Abs. 3 wahrt, unter Modifikation des Abs. 1, zunächst die Anwendung der CPO. überhaupt in den bei der Zwangsvollstreckung entstehenden Spezialprozessen (vgl. z. B. Preuß. Ges. v. 13. Juli J 883 §§113, 114). Das besondere Zuschlags- und Beschwerde­ verfahren (vgl. das. §§ 81 ff.) wird dadurch nicht berührt. Vgl. auch EG. z. CPO. § 15 Abs. 2. Wegen der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidungen preußischer Gerichte betreffs des Zu­ schlags s. noch NG. III S. 372.

7) Durch den Schlußsatz des Abs. 3 werden auf „Vertheilungsstreitigkeiten" die Bestimmungen des dritten Titels insoweit für anwendbar erklärt, als sie sich in den §§ 765 bis 768 finden, d. h. soweit sie sich auf Spezialprozeffe beziehen, die bei Gelegenheit des Bertheilungsverfahrens über die Richtigkeit oder das Vorrecht einer Forderung entstehen. Die §§ 758—764 finden dagegen bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen keine Anwendung; die entsprechenden Vorschriften der Landesgesetze sind vielmehr unverändert auf­ recht erhalten. § 113 Abs. 2 d. Preuß. Ges. v. 13. Juli 1883 bestimmt jedoch ausdrücklich: „Die Verhandlung, die Erledigung erhobener Widersprüche und die Ausführung des Planes erfolgen unter entsprechender Anwendung der Vorschriften der §§ 762 bis 768 der Civitprozeßordnung." Abs. 6 das. schützt die Rechte der Gläubiger auf Ausführung des Planes. 8) Die Gebühren des Gerichts wie des Rechtsanwalts richten sich nach den Landes­ gesetzen. Vgl. GO. f. RA. § 31 Abs. 2.

Dritter Titel. Literatur: Schönfeld, Das Vertheilungsverfahren, Berlin 1887; Falkmann S. 284ff., Köhler im eil). Arch. 80 S. 164ff., Fitting § 105. 1) Das Vertheilungsverfahren — welches freilich nach Einführung des Pfändungs­ pfandrechts (§ 709) seltener geworden ist — beruht auf der Erwägung, daß weder dem Ge­ richtsvollzieher noch dem Drittschuldner die Uebernahme der Gefahr einer unrichtigen Vertheilung der durch die Zwangsvollstreckung erzielten Geldbeträge unter mehrere betheiligte Gläubiger zugemuthet werden darf. Im Gegensatze zum franz. Rechtes, de proc. art. 656 ff.; s. auch Bayer. PO. Art. 942, 993, 1025) hat die CPO., dem gem. und dem preuß. Rechte, namentlich aber dem N. E. folgend (vgl. auch Hann. PO. §§ 595 ff., Mot. z. P. E. S. 264, Nordd. Prot. S. 2075 ff.), für die VerIheilung ein Offizialverfahren eingeführt. „Hat nämlich die Zwangsvollstreckung bereits zur Hinterlegung eines Geldbetrags geführt, so wird ohne Weiteres angenommen, daß die betheiligten Gläubiger die Fort­ setzung der Vollstreckung wollen. Der Grund, daß die Partei ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen habe, trifft hier nicht zu, weil sie ihre Geschäfte nicht würde be­ treiben können, ohne zugleich für alle Gläubiger zu handeln. Von den Betheiligten ist aber keiner in der Lage, die übrigen Betheiligten kennen zu müssen oder gar die thatsächlichen Unterlagen für die Vertheilung beschaffen zu können. Die Einzigen, welche das erforderliche Material in Händen haben, sind bei der Pfändung oder Ver­ steigerung körperlicher Sachen der Gerichtsvollzieher und bei der Pfändung einer

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 759.

923

§ 759. Das zuständige Amtsgericht (§§. 728, 750—752) hat nach Ein­ gang der Anzeige über die Sachlage an jeden der betheiligten Gläubiger die Auf­ forderung zu erlassen, binnen zwei Wochen eine Berechnung der Forderung an Kapital, Zinsen, Kosten und sonstigen Nebenforderungen einzureichen. N. Entw. § 1039. Entw. I. § 680. Entw. II. § 693. Entw. III. § 706. Mot. S. 439, 440. Prot. S. 408. Forderung der Drittschuldner. Beide haben aber kein Interesse an dem Betriebe des Vertheilungsverfahrens und daher nur die Pflicht zur Anzeige der Sachlage bei Hinterlegung der zu vertheilenden Summe." (Mot.) 2) Wegen der Gebühren s. GKG. § 42, GO. f. NA. § 39.

§ 758. 1)

Die Fälle der hier in Frage kommenden Hinterlegung

den §§ 728, 750, 751 aufgeführt (vgl. § 759).

des Geldbetrages sind in

In dem Falle des § 659 ist ein Vertheilungs­

verfahren nicht erforderlich, da hier nur der Schuldner konkurrirt.

§ 752 kommt gemäß

§ 757 Abs. 3 rücksichtlich der §§ 765—768 in Betracht, aber auch nur wegen dieser (vgl. § 747 Abs. 2; § 757 Abs. 1, 2, § 758 Anm. 3; s. jedoch auch § 757 Anm. 7). 2)

Die

„beteiligten Gläubiger"

sind nur solche,

welche entweder im Wege der

Zwangsvollstreckung oder des Vollstreckungs- oder Sicherheitsarrestes eine (und zwar selbstverständlich formell gültige — OLG. Cöln im Rhein. Arch. 83 I S. 70) Pfändung be­ wirkt haben — die Arrestgläubiger stehen nach § 810 den Vollstreckungsgläubigern gleich; die Ueberweisung der Forderung bildet keine Voraussetzung der Betheiligung (vgl. § 760 Anm. 4; s. auch RG. in Gruchot 27 S. 1120, Petersen § 758 Nr. 1, Wilm. Levy S. 1031 IV, G aupp II S. 502 u: A. A.M. Sarwey II S. 248) —, nicht auch andere Gläubiger, wie z. B. diejenigen, welche ein gesetzliches oder vertragsmäßiges Pfandrecht beanspruchen (s. § 710 Anm. 3), oder die Intervenienten des § 690, selbst wenn sie ihren Anspruch auf den Erlös richten (s. das. Anm. 3).

Es geht dies aus dem Zusammenhange dieses Titels mit den in § 759

ausdrücklich bezogenen §§ 728, 750—752 deutlich hervor und ist in der RTK. gegenüber er­ hobenen Zweifeln von den Reg.-Vertretern ausdrücklich erklärt worden (Prot. S. 409 f.). Die­ jenigen, welche nur ein Pfand- oder Vorzugsrecht besitzen, haben ihren Anspruch auf vorzugs­ weise Befriedigung aus dem Erlös im Wege der Klage zufolge § 710 (nicht wie in der RTK. irrthümlich seitens eines Reg.-Vertreters bemerkt wurde, nach § 690) geltend zu machen. (So auch OLG. Cöln a. a. •£>., Seuffert Anm. 1 a, Gaupp II S. 502, Sarwey II S. 247, Petersen § 758 Nr. 2, Endemann III S. 287, Hellmann III S. 130, Falk­ mann S. 141 u. A.; vgl. § 710 Anm. 3.) Den Arrestgläubigern stehen Gläubiger, welche den Drittschuldner gemäß § 744 von dem Bevorstehen der Pfändung benachrichtigt haben, während

der dreiwöchigen Frist des § 744 Abs. 2 gleich (Seuffert, Petersen a. a. O.,

Fitting § 105 N. 1 u. A.). Wegen der Zulässigkeit einer Anschlußpfändung vgl. § 728 Anm. 5. 3) Der dritte Titel bezieht sich ausschließlich auf die Zwangsvollstreckung in das beweg­ liche Vermögen (§ 758); die §§ 765—768 finden jedoch auf Vertheilungsstreitigkeilen bei Ge­ legenheit der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen entsprechende Anwendung. Vgl. § 757 Anm. 7.

§ 759. 1) Die Anführung des § 752 beruht auf einem Redaktionsversehen, da nach § 747 Abs. 2 die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in unbewegliche Sachen maßgebend sind (vgl. Wilm. Levy Anm. 1, Sarwey II S. 249, Wach I S. 267 Anm. 2).

Eine nochmalige

Anmeldung der betheiligten Gläubiger bei Vermeidung des Ausschlusses (vgl. z. B. C. de proc. art. 659 ff., Hann. PO. § 597, Bayer. PO. Art. 944) wird nicht gefordert.

924

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 760.

§ 760. Nach Ablauf der zweiwöchigen Fristen wird von dem Gericht ein Theilungsplan angefertigt. Der Betrag der Kosten des Verfahrens ist von dem Bestände der Masse vorweg in Abzug zu bringen. Die Forderung eines Gläubigers, welcher bis zur Anfertigung des Theilungs­ plans der an ihn gerichteten Aufforderung nicht nachgekommen ist, wird nach der Anzeige und deren Unterlagen berechnet. Eine nachträgliche Ergänzung der Forderung findet nicht statt. 91. Entw. §§ 1040, 1041. ernt». I. § 681. ISnhe. II. § 694. Entw. III. § 707. Mot. S. 440. Prot. S. 408.

„da die Zwangsvollstreckung bereits Rechte begründet hat, welche auf diese Weise nicht aus­ geschlossen werden können" (Mot.). Vielmehr wird den Gläubigern nur Gelegenheit gegeben, ihre Nebenforderungen, insbesondere an Kosten der Vollstreckung, aufzustellen, überhaupt die Summe ihrer Forderung mit Rücksicht auf Zinsen, Kosten und etwaige Abschlagszahlungen genau anzugeben, und hierauf allein bezieht sich der Ausschluß (§ 760 Abs. 3). Voraus­ gesetzt ist jedoch, daß die Pfändung sich auch auf die Nebenforderungen erstreckt hat. Im Vertheilungsverfahren ist, abgesehen von den Vollstreckungskosten, eine Ergänzung nicht zulässig. Wegen der übrigen Kosten vgl. § 760 Anm. 3. Die Berechnung kann schriftlich oder zu Pro­ tokoll des Gerichtsschreibers eingereicht werden. Die „Anzeige" ist die des hinterlegenden Gerichtsvollziehers oder Drittschuldners (§§ 728, 750, 751). Vgl. auch § 760 Anm. 1. „beteiligten Gläubig er" — vgl. § 758 Anm. 2. Die „Aufforderung" ist von Amtswegen zuzustellen (§ 294 Abs. 3). [6o auch Seuffert Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp II S. 503, Hellmann, Lehrb. S. 878. A.M. Hellmann III S. 130.) „binnen zwei Wochen" — Erst die Anfertigung des Theilungsplans aber wirkt aus­ schließend (). § 760 Abs. 3). 2) Der Lauf der Zinsen wird durch die Eröffnung des Vertheilungsverfahrens nicht gehemmt. 3) Eine Anzeige des etwa beanspruchten Vorrechts kann zweckmäßig sein, ist aber nicht nothwendig, weil ein Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung vom Gerichte von Amtswegen zu beachten ist. Vgl. § 760 Anm. 2. § 760. 1) Der Theilungsplan wird auf Grund der eingereichten Berechnung und der von dem Gerichtsvollzieher oder Drittschuldner gemachten Anzeige sowie deren Unterlagen (d. h. Ur­ theil oder sonstiger Schuldtitel mit der Vollstreckungsklausel) ohne sachliche Prüfung der An­ sprüche (Gaupp II S. 504 bei N. J, Seuffert Anm. 2. A.M. ansch. Wilm. Levy Anm. 1) von dem Amtsrichter aufgestellt; eine mündliche Verhandlung findet vor der Aufstellung nicht statt. Die Ausstellung dient zur Erleichterung der nachfolgenden Verhandlung über die Vertheilung (§ 761); die äußere Art und Weise der Aufstellung bleibt dem Ermessen des Richters überlassen. 2) In materieller Beziehung entscheiden die §§ 709, 728, 750, 751. Es kommt also im Allgemeinen auf die Reihenfolge der Pfändungen an, sofern nicht eines der in § 709 Abs. 2 bezeichneten besonderen Vorrechte vorliegt. Ein bloßes privilegium exigendi nach KO. § 54 kommt nicht in Betracht. Vgl. § 709 Anm. 4 a. E. 3) Abs. 2: „der Kosten des Verfahrens" --- d. h. der gemeinschaftlichen Kosten, z. B. der Hinterlegung des Theilungsplans u. s. w.; vgl. KO. § 51, Mot. z. GKG. S. 101. Die Kosten, welche den einzelnen Gläubigern durch ihre Theilnahme an dem Ver-

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 761.

925

§ 761. Das Gericht hat zur Erklärung über den Theilungsplan sowie zur Ausführung der Vertheilung einen Termin zu bestimmen. Der Theilungsplan muß spätestens drei Tage vor dem Termine auf der Gerichtsschreiberei zur Ein­ sicht der Betheiligten niedergelegt werden. Die Ladung des Schuldners zu dem Termin ist nicht erforderlich, wenn sie durch Zustellung im Ausland oder durch öffentliche Zustellung erfolgen müßte. 91. Entlv. § 1048. Entw. I. § 682. ®. 408 -410.

E,I«W. IL § 695.

Ent«. XII. § 708-

Mot. «. 440.

Prot.

theilungsverfahren erwachsen, gehören nicht hierher; sie eignen sich überhaupt nicht zum Ansätze (vgl. KO. § 56 Nr. 2; s. auch ob.LG. f. Bayern in S. A. 39 Nr. 338, Sarwey II S. 252. A.M. Wilm. Levy § 759 Anm. 3, Seuffert § 759 Anm. 3, v. Bülow Anm. 2, Gaupp II S. 505, Petersen §§ 759—763 II, Fitting § 105 N. 6, Falkm ann S. 286 N. 5, welche vermöge e. arg. e. contr. aus KO. § 56 N. 2 diese Kosten nach § 759 berücksichtigen wollen); die früher (in dem Zwangsvollstreckungsverfahren) erwachsenen Kosten (§ 697) sind mit anzu­ setzen (§ 759, KO. § 55) und zwar mit dem Range der Hauptforderung, soweit ihnen dasselbe Vorzugsrecht (Anm. 2) wie dieser zusteht, andernfalls, oder wenn die Hauptforderung selbst kein Vorzugsrecht genießt, ohne Vorzugsrecht oder nur mit dem etwa durch die Reihenfolge der Pfändung begründeten (Gaupp a. a. O.).

4) Wenn sich unter den betheiligten Gläubigern Arrestgläubiger befinden, so kann, so­ lange deren Forderung noch nicht rechtskräftig feststeht, ein unbedingt zur Geltung kommender Vertheilungsplan nicht angefertigt werden. Der Amtsrichter hat jedoch in den Plan auch die noch nicht feststehenden Forderungen für den Fall der Feststellung aufzunehnren, zugleich aber darin den anderen Fall, daß die Forderung, zu deren Gunsten Arrest stattfindet, ausfällt, zu berücksichtigen (vgl. Prot. S. 409). Eine Aushändigung des Betrages an die Arrestgläubiger findet jedoch vor Feststellung ihrer Forderungen nicht statt. 5) Abs. 3: Der Rechtsnachtheil ist ein ganz unbedingter und kann auch durch Wieder­ einsetzung in den vorigen Stand nicht entkräftet werden (vgl. §§ 208, 209, 211 vbd. mit § 204).

8 761. 1) Abs. 1: Die Bestimmung des Termins und die Ladung erfolgt, der Natur des Ver­ theilungsverfahrens als eines Offizialverfahrens entsprechend, von Amtswegen. Die vor­ herige Niederlegung des Theilungsplanes auf der Gerichtsschreiberei soll die rechtzeitige Abgabe der Erklärung im Termin und die thunlichste Erledigung sämmtlicher Streitpunkte in diesem ermöglichen. Die Unterlassung der rechtzeitigen Niederlegung rechtfertigt für jeden Beiheiligten einen Antrag auf Verlegung des Vertheilungstermius („muß"; vgl. Sarwey II S. 253 Anm. 2, En de mann III S. 391), nicht aber eine Anfechtung des Verfahrens von Seilen eines Betheiligten, welcher in diesem Termin ausgeblieben ist oder einen Verlegungsantrag nicht gestellt hat. (So auch Petersen §§ 759—760 III 2, Wilm. Levy Anm. 2, Gaupp II S. 505 u. A.; abw. Fitting § 105 N. 8 arg. § 300 Nr. 3.) Selbstverständlich muß die Theilungsmasse herbeigeschafft und nöthigenfalls wieder hinterlegt werden (Wilm. Levy Anm. 1).

2) Abs. 2: vgl. §§ 740, 743. Abgesehen von den Ausnahmefällen des Abs. 2 muß der Schuldner stets geladen werden. 3) Die Ladung der Gläubiger (s. N. E. § 1042) muß, wie sich aus allgemeinen Grund­ sätzen und aus der für den Schuldner in Abs. 2 gemachten Ausnahme ergiebt, stets erfolgen. Für den Gläubiger wie für den Schuldner muß die dreitägige Ladungsfrist des § 194 eingehalten werden (s. Fitting § 105 N. 7 u. A.). 4) In Preußen finden die §§ 761—768 auf die Verhandlung über die Dispache ent­ sprechende Anwendung (AG. z. CPO. § 29).

Achtes Buch,

926

Zwangsvollstreckung.

§§ 762—764.

§ 762. Wird in dem Termin ein Widerspruch gegen den Plan nicht erhoben, so ist dieser zur Ausführung zu bringen. Erfolgt ein Widerspruch, so hat sich jeder bei demselben betheiligte Gläubiger sofort zu erklären. Wird der Wider­ spruch von den Betheiligten als begründet anerkannt oder kommt anderweit eine Einigung zu Stande, so ist der Plan demgemäß zu berichtigen. Wenn ein Wider­ spruch sich nicht erledigt, so erfolgt die Ausführung des Plans insoweit, als der Plan durch den Widerspruch nicht betroffen wird. N. Eniw. § 1043. Entw. I. § 683. Entw. II. § 696. Entw. III. § 709. Mot. S. 440. Pro». @. 410. § 763. Gegen einen Gläubiger, welcher in dem Termine weder erschienen ist noch vor dem Termine bei dem Gerichte Widerspruch erhoben hat, wird an­ genommen, daß er mit der Ausführung des Plans einverstanden sei. Ist ein in dem Termine nicht erschienener Gläubiger bei dem Widerspruche betheiligt, welchen ein anderer Gläubiger erhoben hat, so wird angenommen, daß er diesen Widerspruch nicht als begründet anerkenne. N. Entw. 81044. Entw. I. § 684. Entw. II. § 697. Entw. HI. § 710. Mot. S. 440. Prot. S. 410. § 764. Der widersprechende Gläubiger muß ohne vorherige Aufforderung binnen einer Frist von einem Monate, welche mit dem Terminstage beginnt, dem

8 762. 1) Außer dem im Termin erhobenen Widerspruche muß, wie § 763 erg Lebt, auch ein vor dem Termine bei dem Gerichte (schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers) Widerspruch berücksichtigt werden. „den

Betheiligten"



erhobener

Vgl. Nordd. Prot. S. 2082 u. Mot. d. h.

bei

dem

Widerspruche

Betheiligten,

nämlich

denjenigen, deren Forderung durch den Widerspruch berührt wird, nicht „allen betheiligten Gläubigern" im Sinne der §§ 758, 759. Die Berichtigung hat sogleich im Termine zu geschehen.

2) „sich nicht erledigt" — d. h. in gütlichem Wege dadurch, daß der Wider­ spruch von den Betheiligten als begründet anerkannt wird, oder anderweit eine Einigung zu Stande kommt. Bleibt ein Streit bestehen, so muß in Gemäßheit des § 764 verfahren werden, und der Plan wird insoweit einstweilen nicht ausgeführt.

)

3 Von einem Widerspruche des Schuldners ist hier nicht die Rede. Ein solcher ist, soweit er zulässig, nach §§ 685, 701 oder im Wege der Klage geltend zu machen (§§ 686, 687, 765 Anm. 2; vgl. auch Kurl bäum, D. preuß. Subh.-Ordn. rc. S. 75 ff.). Zu selb­ ständigen Einwendungen gegen die Rangordnung ist der Schuldner überhaupt nicht legitimirt (vgl. Wilm. Levy Anm. 2,

Seuffert Anm. 3, Sarwey II S. 254 Anm. 2, Petersen

§§ 759-763 IV u. A.).

8 763. Nach Inhalt des § 763 und nach Analogie des § 298 steht dem nicht erschienenen Gläubiger in Betreff des Rechtsnachtheils ein Gläubiger gleich, welcher im Termine zwar er­ schienen ist, aber Widerspruch nicht erhebt oder einem Widerspruche, bei welchem er betheiligt ist, sich nicht anschließt (vgl. RG. XXVI S. 424 i. A.).

Als „beiheiligt" ist jeder Gläubiger

anzusehen, dessen Befriedigung beeinträchtigt werden kann, wenn der Widerspruch begründet ist (vgl. §§ 762 Anm. 1, 764).

8 764. 1) A b s. 1: Jeder einzelne Widerspruch ist in besonderem Prozesse zu erledigen (vgl. Nordd. Prot. S. 2081 f.); dagegen sind in dem einzelnen Prozesse die mehreren „betheiligten Gläubiger" als Streitgenossen zu behandeln. sonderen Prozesse zulässig.

Auch ist nach § 138 eine Verbindung der be­

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§ 765.

927

Gerichte nachweisen, daß er gegen die beteiligten Gläubiger Klage erhoben habe. Nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist wird die Ausführung des Plans ohne Rück­ sicht auf den Widerspruch angeordnet. Die Befugniß des Gläubigers, welcher dem Plane widersprochen hat, ein besseres Recht gegen den Gläubiger, welcher einen Geldbetrag nach dem Plane erhalten hat, im Wege der Klage geltend zu machen, wird durch die Versäumung der Frist und durch die Ausführung des Plans nicht ausgeschlossen. N. Entw. 8 1045. Entw. I. § 685.. Enttv. II. § 698. Entw. III. § 711. M-t. S. 440. Prot. S. 410.

§ 765.

Die Klage ist bei dem Vertheilungsgericht und, wenn der Streit-

2) Die Frist ist eine präklusive (vgl. NG. in I. W. 1888 S. 209), aber keine Nothfrist (§ 201 Abs. 3). Wegen Verlängerung ober Abkürzung der (gesetzlichen) Frist gilt § 202, wegen der Gerichtsferien GVG. § 204. 3) Die Frist beginnt auch für den Gläubiger, der nur schriftlich vor dem Terminstage Widerspruch erhoben hat, mit dem Terminstage (Nordd. Prot. S. 2083). 4) „nachw eisen" — durch die Zustellungsurkunde oder sonst. Der Nachweis muß noch innerhalb der Frist geführt werden, letztere wird durch die Thatsache der Erhebung allein nicht gewahrt. Nach Ablauf der Frist hat der Amtsrichter von Amtswegen zur Aussührung des Vertheilungsplans zu schreiten. Im Uebrigen behält der erhobene Widerspruch nach Abs. 2 seine Kraft (Köhler im civ. Arch. 80 S. 182). „gegen die beteiligten Gläubiger" — vgl. §§ 76*2 Anm. 1, 763 Anm. Der Schuldner ist nicht mit zu verklagen. 5) Der Abs. 2 stellt außer Zweifel, daß den materiellen Rechten der wider­ sprechenden Gläubiger durch Versäumung der Frist und durch Ausführung des Plans nicht geschadet wird. Der verletzte Gläubiger, welcher widersprochen hat, kann also nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts kondiziren. (So auch OLG. Cöln in Busch. Z. VII S. 113, Grisebach das. IX S. 270. Vgl. auch RG. in I. W. 1892 S. 50, OLG. Cöln im Rhein. Arch. 88 I S. 36 u. §§ 690 Anm. 3 a. E., 710 Anm. 3 a. E.) Auch kann dem verletzten Gläubiger unter Umständen eine actio doli zustehen (RG. in S. A. 47 Nr. 83). Für diese Klagen ist die Zuständigkeit nach § 765 nicht maßgebend (vgl. § 765 Anm 1). Der nicht erschienene Gläubiger ist nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 763 Abs. 1 als einwilligend anzusehen, also auch hier dem wider sprechenden- nicht gleichzustellen (vgl. Wilm. Levy Anm. 4, Gaupp II S. 509 f. bei N. 10 u. 11, Falkmann S. 291, OLG. Bamberg in Busch, Z. VI S. 139 ff., Jäckel a. a. O. S. 390, Köhler a. a. O. S. 175. A.M. Seuffert Anm. 2, Krech u. Fischer, a. a. O. S. 373, Hellmann, Lehrb. S. 880, OLG. Stuttgart in S. A. 42 N. 81 u. RG. das. 47 Nr. 83, weil nicht anzunehmen sei, daß die CPO. über das Vertheilungsverfahren hinaus schwer­ wiegende Nachtheile in nur indirekter Form habe androhen wollen, und weil die Bestimmung des Abs. 2 nur die besondere Bestimmung des Abs. 1 im Auge habe; vgl. jedoch auch RG. XXVI S. 424 a. E. u. in I. W. 1890 S. 290). Die actio doli steht auch dem nichterschienenen Gläubiger zu (Köhler a. a. O. S. 176 f.). — Wegen Vertheilung unter einer Voraussetzung s. Köhler a. a. O. S. 177, RG. in Bad. Ann. 58 S. 296. 6) Für Preußen finden nach § 113 des Ges. v. 13. Juli 1883 die Vorschriften des § 764 auch auf die bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen entstehenden Ver­ theilungsstreitigkeiten Anwendung (s. § 757 Anm. 7). Dieselben sind auf Ansprüche der Real­ gläubiger, des Extrahenten der Zwangsversteigerung und des Schuldners begrenzt (vgl. RG. in Gruchot 30 S. 1176 ff.). Vgl. auch §22 Abs. 2 des preuß. Ges. v. 18. April 1887 wegen des rheinischen Jmmobiliarvertheilungsverfahrens. 8 765. 1) Die Klage des § 765 setzt ein noch schwebendes Verth eilungsverfahren voraus (§ 764 Abs. 1) und bezieht sich nicht auf die Kondiktion wegen unrichtiger Vertheilung (vgl. § 764

928

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 765.

gegenständ zur Zuständigkeit der Amtsgerichte nicht gehört, bei dem Landgerichte zu erheben, in dessen Bezirke das Vertheilungsgericht seinen Sitz hat. Das Landgericht ist für sämmtliche Klagen zuständig, wenn seine Zuständigkeit nach dem Inhalte der erhobenen und in dem Termine nicht zur Erledigung ge­ langten Widersprüche auch nur in Betreff einer Klage begründet ist, sofern nicht die sämmtlichen beteiligten Gläubiger vereinbaren, daß das Vertheilungsgericht über alle Widersprüche entscheiden solle. N. Entw. 81046. Entw. 1-8 686. Entw. II. 8 699. Entw. III. 8 712. Mot. S. 440. Prot. S. 410.

Anm. 5, RG. XXI S. 357 u. in Gruchot 29 S. 121, Fitting § 105 N. 18 u. im civ. Arch. 61 S. 437, Griseb ach a. a. O. S. 269, Sarwey II S. 259, Gaupp II S. 510 N. 2, Wilm. Levy Anm. 2 u. A. A.M. Entern ann III S. 295). Sie hat die Natur einer Anfechtungsklag e wider eine vorläufige Feststellung; vgl. §§ 605, 620, 624, 626, 834,867. „Derjenige Gläubiger, welcher dem aufgestellten Vertheilungsplane widerspricht, hat die Rolle des Klägers zu übernehmen, da dessen Gegner die dem Gerichte bei Auf­ stellung des Planes vorliegenden Urkunden aus ihrer Seite haben". (Mot) Sie bildet einen Zwischenstreit int Zwangsvollstreckungsverfahren (vgl. § 77, OLG. Ham­ burg in S. A. 39 Nr. 277; s. auch Köhler a. a. O. S. 172 a. E.). 2) Die Klage kann sich nicht nur auf die Priorität, sondern auch auf den Bestand (die Verität) einer betheiligten Forderung beziehen. Während allerdings seitens des Schuldners Einwendungen gegen den Inhalt des zu vollstreckenden Urtheils, z. B. aus Grnnd später er­ folgter Zahlung, vor dem Prozeßgerichte znr Erledignng zu bringen sind (vgl. §8 686, 705, 762 Anm. 3, Nordd. Prot. S. 2079 s.), kann sich jeder Gläubiger auch dadnrch einen besseren Platz zu verschaffen suchen, daß er die Gültigkeit (den Bestand) einer ihm vorgehenden oder gleichstehenden Forderung angreift, sei es aus Grund von Einwendungen, die an sich dem Schuldner zustehen, oder mittels der Paullianischen Anfechtung (s. Anf.-Ges. t>. 21. Juli 1879 § 2). Nur so sind Kollusionen zwischen dem Schuldner und den einzelnen Gläubigern zu vermeiden, insbesondere bei Arrestgläubigern, welche der Schuldner vielleicht absichtlich nicht zur Klage nach § 806 nöthigt. (Vgl. RG. XXVII S. 304 u. in Gruchot 30 S. 869, Senfserl § 764 Anm. 1, Hellmann III S. 133 u. Lehrb. S. 879, Gaupp II S. 508 f., Wilm. Levy § 764 Anm. 1, Petersen §§ 764—768 I 1, Krech u. Fischer a. a. O. S. 374, Jäckel, Anfechtungsrecht S. 176 ff., Köhler a. a. O. S. 169 ff., OLG. Hamburg in S. A. 39 Nr. 277. A.M. Puchelt II S. 627 Anm. 6, Sarwey II S. 256 ff., Roch oll in Busch, Z. VIII S. 416, Brinkmann, Begründung der Klagen II S. 617 Anm. 2 u. bei Arrest­ gläubigern Kleiner III S. 211. In der Nordd. Prozeßkommission wurde die Frage nach beiden Seilen hin erörtert, blieb aber unentschieden (Nordd. Prot. a. a. O.). Auch die Mot. ergeben keinen Stützpunkt; dagegen sprechen für die erstere Ansicht die Mot. zum Ansechtungsges. v. 2!. Juli 1879 S. 15 sowie §§ 18 bezw. 113, 114 der Preuß. Ges. v. 4. März 1879 u. v. 13. Juli 1883, betr. die Zwangsvollstr. in d. unbew. Vermögen. Vgl. auch KO. § 132.] Auch die Frage, ob die Forderung gerade demjenigen Gläubiger zusteht, welcher die Anweisung erhalten hat (Aktivlegitimation), ist im Vertheilungsverfahren zu prüfen (RG. XXVII S. 304. A.M. für das Vertheilungsverfahren der preuß. Snbhastationsordnungen v. 1869 u. 1883 RG. XV S. 221 u. in Gruchot 30 S. 1014).

3) Der Gerichtsstand gemäß Abs. 1 und 2 ist nach § 707 ein ausschließlicher. Vgl. jedoch Anm. 5. a. E. — Ein Streit zwischen einem beiheiligten Gläubiger und einem Dutten, welcher dessen Antheil aus der Vertheilung pfänden ließ, gehört nicht vor das in § 7fö be­ zeichnete Gericht (ob.LG. f. Bayern in S. A. 44 Nr. 73). 4) Abs. 1: Wegen des Zusammenhangs der Klage mit beut ganzen Vertheilungsversthren bildet die Zuständigkeit des Bertheilungsgerichts (f. § 759) die Regel, welche jedoch wiederum mit Rücksicht auf die beschränkte sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte Ausnchmen

Zweiter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen.

§§ 766, 767.

929

§ 766 In dem Urtheile, durch welches über einen erhobenen Widerspruch entschieden wird, ist zugleich zu bestimmen, an welche Gläubiger und in welchen Beträgen der streitige Theil der Masse auszuzahlen sei. Wird dies nicht für an­ gemessen erachtet, so ist die Anfertigung eines neuen Plans und ein anderweites Vertheilungsverfahren in dem Urtheile anzuordnen. N. Entw. 1047. Entw. I. § 687. Entw. II. § 700. Entw. III. § 713. Mot. - Prot. S. 410.

§ 767. Das Versäumnißurtheil gegen einen widersprechenden Gläubiger ist dahin zu erlassen, daß der Widerspruch als zurückgenommen anzusehen sei. 91. Entw. § 1048. Entw. I. § 688. Entw. II. § 701. Entw. III. § 714. Mot. - Prot. @. 410. erleidet. Eine Analogie s. in § 710. Die einmal begründete Zuständigkeit fällt nach § 2d5 Nr. 2 nicht deshalb fort, weil der Gläubiger es unterlassen hat, dem Vertheilungsgerichte den Nachweis der Klagerhebung zu erbringen (RG. in S. A. 49 Nr. 68). „Streitgegenstand" — d. h. hier del Betrag, dessen andere Vertheilung von einer Seite beantragt wird. (So auch OLG. Darmstadl in S. A. 42 Nr. 174, Petersen §§ 764—768 II i. A. u. A.; vgl. RG. IV S. 365, oben § 6 Anm. 2.)

5) Abs. 2 erklärt sich aus dem Bestreben, eine möglichst rasche und einheitliche Entschei­ dung aller Widersprüche herbeizuführen. Der Schlußsatz „sofern -- entscheiden solle" enthält eine Beschränkung des Grundsatzes der Ausschlteßlichkeit des Gerichtsstandes. Eine still­ schweigende Vereinbarung kann nicht stattfinden (§ 39). Der Schuldner hat kein Wider­ spruchsrecht (Kleiner III S. 213). Die Kammern für Handelssachen sind niemals zuständig, weil durch die Klage niemals einer der in § 101 des GVG. bezeichneten Ansprüche geltend gemacht wird (s. auch Seuffert Anm. 2, Ende mann III S. 296 Anm. 4, Gaupp II S. 511 u. A. A.M. Puchelt II S. 627 Anm. 7). Vgl. auch § 660 Anm. 4. 6) Das Verfahren ist das regelmäßige mit den in §§ 766, 767 enthaltenen Be­ sonderheiten.

8 766. 1) Das Vertheilungsgericht ist im Falle des zweiten Satzes an die rechtliche Auffassung des Urtheils gebunden (s. Fitting § 105 N. 20).

2) Die Streichung des zweiten Satzes wurde von der RTK. abgelehnt, nachdem von dem Reg.-Berlreter bemerkt worden war, die Trennung des Vertheilungsverfahrens vom Urtheile sei hauptsächlich mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Berufung im Falle der Abweisung des Wider­ spruchs zugelassen; das Berufungsgericht, welches ein den Widerspruch abweisendes Urtheil ab­ ändere, solle nicht nothwendig mit dem ganzen Vertheilungsverfahren belastet werden. 3) Wird die Anfertigung eines neuen Plans und ein anderweites Vertheilungsverfahren angeordnet, so finden die §§ 760—765 von neuem Anwendung. Ein Widerspruch kann jedoch nicht auf Gründe gestützt werden, mit welchen der betreffende Gläubiger in dem früheren Vertheiluugsverfahren rechtskräftig zurückgewiesen oder ausgeschlossen ist (RG. XXVI S. 420).

§ 767. 1) Vgl. § 295. Die in § 767 enthaltene Modifikation dieser allgemeinen Vorschrift- steht mit § 768 in innerer Verbindung. Vgl. Nordd. Prot. S. 2082. Der Einspruch gegen das Versäumnißurtheil ist nach der allgemeinen Regel des § 303 zulässig. 2) „als zurückgenommen" — Dem Kläger steht mithin auch nicht mehr eine Klage nach £ 764 Abs. 2 zu (vgl. Petersen §§ 764-768 III 3, Fitting § 105 N. 22 u. A.). ©trucfntann u. Koch, Civilprozeßordmrng. 6. SlufL

59

930

Achtes Buch. Zwangsvollstreckung. §§ 768, 769.

§ 768. Auf Grund des erlassenen Urtheils wird die Auszahlung oder das anderweite Vertheilungsverfahren von dem Vertheilungsgericht angeordnet. N. Entw. § 1049. Entw. I. § 689. Entw. II. § 102. Guttu. III. § 715. Mot. - Prot.

410.

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen und zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen. § 769. Hat der Schuldner eine bewegliche Sache oder von bestimmten be­ weglichen Sachen eine Quantität herauszugeben, so sind dieselben von dem Ge­ richtsvollzieher ihm wegzunehmen und dem Gläubiger zu übergeben. Wird die herauszugebende Sache nicht vorgefunden, so ist der Schuldner verpflichtet, auf Antrag des Gläubigers den Offenbarungseid dahin zu leisten: daß er die Sache nicht besitze, auch nicht wisse, wo die Sache sich beftnde. Das Gericht kann eine der Lage der Sache entsprechende Aenderung der vor­ stehenden Eidesnorm beschließen. 91. Guttu. § 1051. Entw. I. § 691. S. 410 - 412, 445, 446, 572- 581.

Entw. II. § 703.

Guttu. III. § 716.

Mol. S. 441.

Prot.

8 768. Ob das Eine oder das Andere angeordnet wird, entscheidet sich nach dem Inhalte des Ur­ theils (§ 766). Die Anordnung von Seiten des Vertheilungsgerichts ergeht zwar von Amts­ wegen, jedoch immer erst nach Rechtskraft des Urtheils, welche von den Parteien nachzuweisen ist (vgl. § 645). Von einer vorläufigen Vollstreckbarkeit kann hier nicht die Rede sein. (So auch Wilm. Levy Anm. 1, Seuffert Anm. u. A.)

Dritter Abschnitt. 1) Der dritte Abschnitt behandelt — im Gegensave zum zweiten — die Zwangsvoll­ streckung, soweit sie nicht zur Befriedigung von Geldfordernngen dient (sog. Realexekution). Die §§ 769 -772 betreffen die Erwirkung der Herausgabe und der Leistung von Sachen (die Überschrift des Abschnitts ist unvollständig), und zwar §§ 769, 770 von beweglichen ^entweder mehr oder weniger individuell (§ 769) oder nur generisch bestimmten, vertretbaren (§ 770)J, § 771 von unbeweglichen Sachen und bewohnten Schiffen, während § 772 den Fall behandelt, wenn die Sache sich im Gewahrsam eines Dritten befindet; die §§ 773—777, 779 betreffen die Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen. Eine gemeinsame Bestimmung enthält § 778. In der erstgedachten Gruppe von Fällen findet ein unmittel­ barer Zwang statt. In den Fällen der §§ 773ff. dagegen ist zwar nicht minder die wirk­ liche Erfüllung das Ziel der Zwangsvollstreckung; der Zwang gegen den Schuldner ist aber mehr oder minder beschränkt und wird meistens nur auf mittelbarem Wege durchgeführt. 2) Die bei einer Zwangsvollstreckung auf Grund dieses Abschnitts bei einer Mehrheit von Gläubigern oder Schuldnern sowie gegen einen gesetzlichen Vertreter entstehenden Fragen lösen sich nach allgemeinen Grundsätzen und nach der Beschaffenheit des einzelnen Falles (vgl. Endemann III S. 303 f., Gaupp II S. 514 f.). 8 769. 1) Abs. 1: „Hat — herauszugeben" — gemeint sind erstens dingliche oder Per­ sönliche Ansprüche auf Herausgabe (dare, tradere, restituere, edere, exhibere) einer einzelnen oder mehrerer individuell 6estimm teil beweglichen Sachen (species) — nicht auch auf

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung 2c.

§ 769.

931

Herausgabe eines ideellen Antheils an solchen — und zweitens Ansprache aus Herausgabe einer Quantität von an sich vertretbaren, jedoch durch die in dem Urtheil enthaltene Be­ schränkung nrehr oder weniger, obschon nicht vollständig, individualisirten beweglichen Sacherr, z. B. 20 Sack von dem auf dem Lager des Beklagten befindlichen Java-Kaffee oder die Hälfte dieses Kaffees (f. Prot. S. 572, 605). Diese Ansprüche bilden den Gegensatz zu den Ansprüchen aus Leistung von vertretbaren Sachen oder Wertpapieren in den Fällen des § 770 (f. das. Anm. 1 u. 2). Sowohl bei den Ansprüchen der ersten als bei denen der zweiten Art unterstellt das Urtheil (im Gegensatze zu § 772) stets, daß die Sachen sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Dagegen dürfte es nicht nothwendig sein, daß das Urtheil gerade auf Herausgabe der Sachen an den Gläubiger geht (vgl. Anm. 1 vor § 708; § 770 Anm. 2, Köhler im civ. Arch. 80 S. 296ff. Abw. Kipp, D. Verurteilung z. Abgabe v. Willens­ erklärungen u. s. w., 1892, S. 150). „von dem Gerichtsvollzieher - übergeben" — Der Gerichtsvollzieher hat bei der Wegnahnre nach den §§ 678 ff. zu verfahren (vgl. auch Preuß. Gesch.-A. s. d. GV. § 94). Bestreitet der Schuldner die Identität der von dem Gerichtsvollzieher weggenommenen Sachen, so hat er die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts anzurufen (§ 685). Abgesehen hiervon wird der Schuldner durch die Wegnahme von der Verpflichtung aus dem Urtheile befreit. War das Urtheil auf Eigenthumsübertragung gerichtet, so macht der Gerichtsvollzieher durch Wegnahme der Sache (nicht erst durch ihre Uebergabe — vgl. §§ 716, 720, Kipp a. a. £. S. 76 f., Falkmann S. 295, Förster (Eccius) III § 157 N. 44, Gaupp II S. 516, Wilm. Levy Anm. 3; vgl. Entw. I e. b. GB. § 875, Entw. II § 845. A.M. Seuffert Anm. 2, Kahn int civ. Arch. 70 S. 436, Voß das. 71 S. 24J, v. Schrutka-Rechten stamm in Busch, Z. XI S. 163 ff., Dernburg I § 238 Stff. 5] den Gläubiger regelmäßig, nämlich insofern der Schuldner selbst Eigenthümer war, zum Eigenthümer. (Vgl. auch Windscheid, Pand. I § 173 Anm. 5, Wetzell S. 647 Anm. 82.) Die Wegnahme durch den Gerichts­ vollzieher ersetzt die Tradition und die Uebereignungserklärnng des Schuldners (vgl. §§ 716, 720). Der § 779 kommt nicht zur Anwendung; ein rechtskräftiges Urtheil ist daher nicht erforderlich, vielmehr genügt ein vorläufig vollstreckbares. Denn die §§ 769—772 regeln die Zwangsvollstreckung wegen Herausgabe von Sachen erschöpfend; § 779 gilt nur für reine Willens­ erklärungen (Kipp a. a. O. S. 49, 70, 76 f.; vgl. die oben angef. Schriftsteller. A.M., wenigstens für den Entw. e. b. GB., die Prot. 2. Les. zu § 875 Entw. I; vgl. § 845 Entw. II; s. auch Cosack in Better u. Fischer, Beitr. Heft 13 S. 24 f., Fischer das. Heft 6 S. 45 a. E., 46, Rieß, Gutachten aus d. Anwaltstande S. 635 f.). Soweit für die freiwillige Uebergabe' der Satz „Hand muß Hand wahren" gilt (vgl. z. B. HGB. Art. 306, C. civ. art. 2279), greift dieser Satz auch hier ein, da die Wegnahme der herauszugebenden Sache die Uebergabe durch den Schuldner vertritt, wogegen die Pfändung nach § 709 Abs. 2 die Wirkung der Verpfändung nur gegenüber den übrigen Gläubigern (nicht gegenüber deut Eigenthümer) hat (vgl. § 690 Anm. 2). S. auch Seuffert Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 3 a. E., Gaupp II S. 516, Fitting § 108 N. 2, Entw. I e. b. GB. § 877, Entw. II § 846. A.M. v. Schrutka-Rechtenstamm in Busch, Z. XI S. 161 f, 165 ff.] Ueber die Zwangsvollstreckung aus disjunktiv-vollstreckbaren Schuldtiteln, insbesondere auf alternative Leistungen s. Levy in Gruchot 36 S. 31 ff. u. oben § 672 Anm. 3. 2) In den Fällen der zweiten Art hat der Gerichtsvollzieher statt des Schuldners die Ausscheidung aus dem größeren Ganzen (z. B. aus der im Urtheil erwähnten Schiffs­ ladung) vorzunehmen. Auch wenn nur ein Theil der zugesprochenen Quantität vorgefunden, wird, ist andererseits selbstverständlich die Wegnahme zulässig (vgl. Endemann III S. 308): 3) Abs. 2: Der Offenbarungseid (f. § 711) ist nöthig, weil das Interesse nichts immer in Gelde nachweislich ist, sowie mit Rücksicht aus Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (vgl. Preuß. AGO. I 24 § 56, Hann. PO. § 547). Die vorgeschriebene Norm enthält todter. 59*

932

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 770.

§ 770. Hat der Schuldner eine bestimmte Quantität vertretbarer Sachen oder Werthpapiere zu leisten, so findet die Vorschrift des §. 769 Abs. 1 ent­ sprechende Anwendung. N. Entw. § 1051. Gntni. I. § 691. Entw. II. - Entw. III. - Mot. - Prot. S. 561, 562, 572-581, 604 -606.

einen prom issorischen Theil noch die (born N. E. aufgenommene) eidliche Ablehnung einer (nach StGB. § 288 strafbaren) Beiseiteschaffung (s. auch § 711 Anm. 3). Sie schließt, wie die Mot. hervorheben, nicht die Verpflichtung des Schuldners aus, alles, was ihm über den Ver­ bleib der Sache bekannt ist, anzugeben. Der Richter wird ihn in. dieser Beziehung vor der Eidesleistung zu belehren haben (§ 442), damit sich hinter dem „nicht wisse" nicht Irrthümer oder Mentalreservationen verbergen. (Vgl. § 391 Anm. 2, Krech in Gruchot 26 S. 230 ff.) Auch im Falle der Anzeige erledigt sich die Verpflichtung des Schuldners erst mit der wirklichen Leistung des Eides. Ergeben sich Anzeichen, daß der Leistung des Eides ungeachtet die Sache dennoch vorhanden ist, so darf das Gericht auf Antrag des Gläubigers causa cognita eine nochmalige Leistung des Eides fordern, wie in der Nordd.-Proz.-Komm. als selbstverständlich galt (Nordd. Prot. S. 2058) und die Mot. (S. 445) anerkennen. (S. auch Petersen §§ 769—772 T 4 ci. E., Krech a. a. O. S. 232 u. A.) Ueber das Verfahren und die eventuelle Haft s. §§ 780 ff. „auf Antrag des Gläubigers" — Der Antrag äußert sich nur in der Ladung zur Leistung des Offenbarungseides (§ 781). Eine Entscheidung des Prozeßgerichts oder des Vollstreckungsgerichls braucht nicht voranzugehen (s. Krech a. a. O. S. 235 ff.). Der Gläubiger kann auch statt des Offenbarungseides sofort das Interesse fordern (s. Falkmann S. 314). 4) Abs. 3: Diese, wörtlich mit § 391 Abs. 2 übereinstimmende, Vorschrift ist von der RTK. eingeschaltet. 5) Nachdem von der RTK. ein Antrag, in dem Schlußsätze des Entw.: „Die Verpflichtung des Schuldners zur Eidesleistung erlischt durch Leistung des Interesse" vor „Interesse" einzu­ schalten: „geforderten oder zuerkannten", angenommen worden war, wurden in Folge von Bedenken der Redaktions-Kommission sowohl dieser Antrag als der ganze Schlußsatz abgelehnt, über dessen Sinn und materielle Berechtigung mannichsache Zweifel obwalteten. Die Frage regelt sich somit nach bürgerlichem Recht. Es kommt im allgemeinen darauf an, in welchem Sinne die Leistung angenommen ist, ob mit oder ohne Vorbehalt des Anspruchs auf die Sache selbst. (Vgl. Nordd. Prot. S. 2058s., Seuffert Anm. 3, Sarwey II S. 263, Petersen §§ 769—772 I 5, Hellmann III S. 137, Gaupp II S. 517 u. A.) 6) Ist der Offenbarungseid geleistet, so bleibt dem Gläubiger nur noch der Anspruch auf Leistung des Interesse (§ 778). Anschaffung durch einen Dritten oder Zwang durch Strafen findet nicht statt (§ 773 Abs. 3). 7) Für Ansprüche auf Herausgabe von Personen ist § 769 entsprechend anzuwenden, wie der Reg.-Vertreter in der RTK. bestätigte (Prot. S. 414). Es würde hier sonst ganz an einer Vorschrift mangeln. (Zustimmend: OLG. Hamburg u. Frankfurt in S. A. 46 Nr. 152, Petersen §§ 769—772 I 3, Seuffert Anm. 1 a. E., Hellmann III S. 136, Gaupp II S. 516 f., Wach I S. 275 Anm. 14, Fitting § 108 N. 1, Francke, Offen­ barungseid S. 13 ff. u. A.; vgl. auch Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 96. A.M. OLG. Darmstadt in S. A. 38 Nr. 195, OLG. Stuttgart das. Nr. 289, Wilm. Levy Anm. 2, Ende­ mann III S. 304 Anm. 1, 317 Anm. 4, Köhler a. a. O. S. 245 f. (vgl. auch Schultzen­ stein in Busch, Z. XVI S. 173), welche die §§ 773, 774 anwenden wollen.) 8) Wegen der Gebühren des Gerichtsvollziehers s. GO. f. GV. § G.

8 770

.

1) Während der N. E. und Entw. I durch eine weitere Fassung des jetzigen § 769 („eine bestimmte Quantität beweglicher Sachen") auch den Fall zu decken scheinen, wenn es sich tun

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung rc.

§ 770.

933

nur generisch bestimmte vertretbare Sachen handelt (vgl. auch P. E. § 1035 u. dessen Mot. S. 255; Nordd. Prot. S. 2057 s.), wurde jene Vorschrift in den späteren Entwürfen auf bestimmte bewegliche Sachen beschränkt (s. § 769 Anm. J). Nachdem in der RTK. auf die dadurch hervortretende Lücke aufmerksam gemacht worden war, wurde schließlich die Aufnahme des § 770 beschlossen (Prot. S. 561 f., 572 ff., 604 ff.). 2) „Hat der Schuldner e|tne 6 estimintu Quantität vertre tbarer Sachen oder Werth Papiere zu leisten" — Diese Bezeichnung der durch § 770 betroffenen An­ sprüche schließt sich dem Ges. v. 29. Mai 1866 (BGBl. S. 237) an. sVgl. auch §§ 555, 628, 702 Nr. 5; Windscheid, Pand. I § 142.] Der Ausdruck „leisten" im Gegensatze von „herausgeben" (§ 769 Anm. 1) deutet an, daß, wie hier unterstellt wird, das Urtheil ohne Rücksicht auf solche Sachen ergangen ist, welche sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Es werden daher namentlich Lieferungsansprüche betroffen, wonach der Schuldner zur Anschaffung von Sachen der betreffenden Art verpflichtet ist (vgl. HGB. Art. 271 Nr. 2, 338). Ein unmittelbarer Zwang zur Anschaffung ist freilich auf Grund des § 770 nicht möglich (vgl. Anm. 4). Ob sich thatsächlich Sachen der bestimmten, vom Schuldner zu liefernden Art in seinem Gewahrsam vorfinden [ugL Plenar-Präj. des preuß. OT. Nr. 1755 (Entsch. 13 S. 57)], ist erst von dem Gerichtsvollzieher, nöthigenfalls unter Zuziehung von Sachverständigen, zu prüfen. Das Verfahren des Gerichtsvollziehers richtet sich nach § 769 Abs. 1. (S. auch Preuß. Gesch.-A.'f. d. GV. § 94 Abs. 3). Wegen etwaiger Versehen kann jeder Theil das Vollstreckungs­ gericht nach § 685 anrufen. Gegen die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung wird der Schuldner sich unter Umständen nach § 686 schützen. „eine bestimmte Quantität vertretbarer Sachen oder Werthpapiere" — vgl. § 555 Anm. 1. Es ist nicht gerade eine Mehrheit von Sachen erforderlich. Die Sachen und Werthpapiere müssen objektiv vertretbar sein. d. h., wie in der RTK. ohne Widerspruch bemerkt wurde, im Verkehre nach Maß, Gewicht oder Zahl bestimmt werden (vgl. Entw. I e. b. GB. § 779, Entw. II § 77 c). Allerdings wird es hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 770 immer darauf ankommen, ob das Urtheil (oder der sonstige vollstreckbare Titel) die zu leistende Sache als eine solche behandelt hat, welche durch andere derselben Gattung vertreten werden kann. Auch in dieser Beziehung wird stets das Urtheil rc. maßgebend sein müssen. Insofern fällt die generische Obligation, das legatum generis u. s. w. unter § 770. (Vgl. Fitting § 108 Anm. 8 sowie im civ. Arch. 61 S. 438, der aber den § 770 schlechthin auch bei nicht vertret­ baren, der Gattung nach bestimmten Sachen anwenden will, da für diese Sachen sonst nur § 778 bleibt; s. dagegen Gau pp II S. 518, Kipp a. a. O. S. 76 u. A.) S. übrigens § 773 Anm. 5. Bei der Verurteilung zur Sicherheitsleistung mittels Hinterlegung oder Verpfändung einer bestimmten Art von Werthpapieren dürfte § 770 zur Anwendung kommen (vgl. § 769 Anm. 1 Abs. 1 a. E., sowie Anm. 1 vor § 708; vgl. auch Entw. I e. b. GB. § 1175 Abs. 2 vbd. mit § 875, Entw. II § 1114 Abs. 1 Satz 2 vbd. mit § 845. A.M. hinsichtlich der Hinterlegung Kipp S. 148 ff.). Ist dagegen der Schuldner nur schlechthin zur Sicherheitsleistung verurtheilt, so wird § 773 Anwendung finden müssen (vgl. RG. XIX S. 207; s. auch NG. XIII S. 339, in I. W. 1881 S. 156, Fitting § 108 N. 15, Kipp ci. a. £>., Busch, Z. XVII S. 158 f.). 8) Abs. 1 des § 769 findet nur entsprechende Anwendung, d. h. wenn der Schuldner Sachen, zu deren Leistung er verurtheilt ist, besitzt (nämlich zur Zeit der Zwangsvoll­ streckung). Da nur jener für anwendbar erklärt ist, so sind die vom Offenbarungseide handeln­ den Absätze 2 und 3 des § 769 nicht anwendbar. Dies ist um so unzweifelhafter, als der von dem entgegengesetzten Standpunkt ausgehende Antrag der Mehrheit der Redaktions-Komutission der RTK. abgelehnt worden ist (Prot. S. 604 ff.).

4) Finden sich Sachen der in Rede stehenden Art nicht, so bleibt dem Gläubiger nur der Anspruch ans Leistung des Interesse (§ 778). Auch hier giebt es keinen weiteren Zwang

934

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 77J.

§ 771. Hat der Schuldner eine unbewegliche Sache oder ein bewohntes Schiff herauszugeben, zu überlassen oder zu räumen, so hat der Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitze zu setzen und den Gläubiger in den Besitz einzu­ weisen. Bewegliche Sachen, welche nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, werden von dem Gerichtsvollzieher weggeschafft und dem Schuldner oder, wenn dieser abwesend ist, einem Bevollmächtigten desselben oder einer zur Familie des Schuldners gehörigen oder in dieser Familie dienenden erwachsenen Person über­ geben oder zur Verfügung gestellt. Ist weder der Schuldner noch eine der bezeichneten Personen anwesend, so hat der Gerichtsvollzieher die Sachen auf Kosten des Schuldners in das Pfand­ lokal zu schaffen oder anderweit in Verwahrung zu bringen. Verzögert der Schuldner die Abforderung, so kann das Vollstreckungsgericht den Verkauf der Sachen und die Hinterlegung des Erlöses anordnen. N. Entw. 8 1052. Entw. I § 692. Entw. II. § 704. Entw. III. § 717. Mot. S. 441. Prot. S. 412. 164. Sitzg. Anlage K. S. 10.

({. §§ 769 9111111. 6, 773 Anm. 5). Indessen kann unter Umständen strafrechtliche Ahndung eintreten (StGB. § 329). 5) § 770 enthält keine Aenderung des materiellen preuß. Rechts, wenngleich dieses die Lieferungsvertrüge unter den „Verträgen über Handlungen" aufführt (ALR. I 11 §§ 981 ff.). § 771.

1) Abs. 1: § 771 handelt vvn der Vollstreckung der Urtheile auf Herausgabe, Ueberlassung oder Räumung einer unbeweglichen Sache (vgl. z. B. GVG. § 23 Nr. 2) oder eines bewohnten Schiffs einschließlich der Schiffsmühlen (Nordd. Prot. S. 2059). Ob die Herausgabe rc. behufs Einräumung des Eigenthums, Besitzes oder Gewahrsams erfolgen soll, ob der Anspruch dinglicher oder persönlicher Natur ist, ist unerheblich (Seuffert Anm. 1, Sarwev II S. 264 u. A. A.M. Siebenhaar S. 705). Der Begriff „unbewegliche Sache" bestimmt sich nach dem bürgerlichen Rechte; da indessen (körperlicher) Besitz des Schuldners vorausgesetzt ist, so sind nur Grundstücke im eigentlichen Sinne gemeint; bei un­ körperlichen Immobilien sind die §§ 773 ff. anzuwenden (Gaupp II S. 519, Wilm. Levy Anm. 1 u. A.). Auf einzelne Theile einer unbeweglichen Sache findet § 771 insoweit An­ wendung, als an dem Theile körperlicher Besitz möglich ist (z. B. auf Räumung einzelner Zimmer), dagegen nicht auf Einweisung in ideelle Theile. Bewegliche Sachen können als Zubehör unter Abs. 1 fallen (vgl. Nordd. Prot. S. 2059). Nähere Anweisungen, wie der Gerichtsvollzieher bei der Räumung und Einweisung zu verfahren hat, können die Reglements enthalten (vgl. Preuß. Gesch.-A. f. d. GB. § 95 Abs. 1—3). Eine Leitung durch eine Gerichtsperson (s. AGO. 1 24 §§ 59, 60) wird jedoch nach § 674 nicht angeordnet werden können. Hinsichtlich der Gebühren des Gerichtsvollziehers s. GO. s. GV. § 8 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2. 2) Abs. 2—4: Diese Vorschriften beziehen sich auf bewegliche Sachen (des Schuldners oder Dritter), welche nicht, wie Pertinenzstücke des Grundstücks oder Schiffs, Gegenstand der Zwangsvollstreckung nach Abs. 1 sind (vgl. AGO. I 24 § 60, Hann. PO. § 548, Bayer. PO. Art. 801 rc.). Ist der Schuldner oder ein Vertreter desselben anwesend, so ist der Gerichts­ vollzieher zur Fürsorge für die herausgeschafften Sachen nicht verpflichtet (Nordd. Prot. S. 2059 f.). Als Vertreter gelten aber nur die in Abs. 2 bezeichneten Personen. Daß die zur Familie des Schuldners gehörige oder in dieser dienende erwachsene Person Hausgenosse des Schuldners sei, ist nicht nothwendig (s. auch § 679 Anm. 1; anders § 166).

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung rc.

§ 772.

935

§ 772. Befindet sich eine herauszugebende Sache im Gewahrsam eines Dritten, so ist dem Gläubiger auf dessen Antrag der Anspruch des Schuldners auf Herausgabe der Sache nach den Vorschriften zu überweisen, welche die Pfän­ dung einer Geldforderung betreffen. N. Entw. § 1053. Guttu. 1.8 693. Guttu. II. 8 705. Guttu. III. 8 718. Mot. S. 441. Prot. S. 412.

„in das Pfandlokal" — vgl. Preuß. GVO. § 33, Gesch.-A. s. d. GV. § 68. sWegen des Verhältnisses des Pfand- und Zurückbehaltungsrechts des Vermiethers an den eingebrachten Sachen zu § 771 s. NG. in I. W. 1894 S. 200.] Weitere Vorschriften können, wie auch die Mot. hervorheben, den Gerichtsvollziehern durch die Reglements ertheilt werden (vgl. Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 95 Abs. 4--7). 3) Abs. 4: Die Mot. sagen zwar: „Der endliche Verlauf der von dem Gerichtsvollzieher untergebrachten Mobilien im Falle verzögerter Abforderung ist zur Abwicklung der Sache unentbehrlich. Die nöthigen Anträge sind von dem Verwahrer zu stellen, da der Gerichtsvollzieher, nach­ dem er in Vertretung des Schuldners die Unterbringung ausgeführt hat, aus dem Verfahren ausscheidet." In der RTK. ist jedoch authentisch konstatirt, daß ein Antrag zu der Anordnung des Verkaufs überhaupt nicht erforderlich ist. Die Anordnung kann somit, ser es von Amis­ wegen oder auf Antrag des Verwahrers oder einer anderen Person, welche ein Interesse dabei hat, getroffen werden. (Vgl. auch Seuffert Anm. 4, Petersen §§ 769—772 II 3, Sarwey II S. 266 ii. A.) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 35 Nr. 2, 39 (beide in der neueren Fassung); GO. f. RA. § 23 Nr. 2. § 772. 1) Wenn nicht ausnahmsweise (vgl. §§ 73 Abs. 4, 665, 713 Anm. 2) unmittelbare Zwangsvollstreckung gegen den Dritten zulässig ist, so kann die (bewegliche oder unbewegliche) Sache, welche den Gegenstand des Urtheils bildet, in dem fremden Gewahrsam, da in diesen die Zwangsvollstreckung nicht ohne Weiteres eindringen darf (vgl. §§ 710 Anm. 2, 712 Anm. 2) nur mittels Pfändung des Anspruchs auf Herausgabe erreicht werden. Die Fassung ist nicht genau. Der Ueberweisung muß auch hier die Pfändung vorangehen (vgl. §§ 730, 736. A.M. Hellmann, Lehrb. S. 883), und nicht die Vorschriften von der Pfändung einer Geldforderung allein, sondern die von der Pfändung und Ueberweisung einer Geldforderung (also die §§ 729—731, 735—742) sind anzuwenden. Die Ueberweisung an Zahlungsstatt sowie die §§ 743, 744 sind unanwendbar; ebenso die §§ 745-748, 751—753, weil sie Pfändung wegen einer Geldforderung voraussetzen. Die Herausgabe erfolgt an den Gläubiger selbst, nicht an den Gerichtsvollzieher oder Sequester. (Vgl. auch Seuffert Anm. 2, Petersen §§ 769—772 III, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. hinsichtlich der §§ 745 ff. Sarwey ll S. 267, Puch elt II. S. 634 f.) Voraussetzung der Wirksamkeit der Ueberweisung ist selbstverständlich, daß ein solcher An­ spruch des Schuldners besteht. Ist dies nicht der Fall, so bleibt dem Gläubiger nur der Anspruch auf das Interesse (§ 778). Vgl. § 773 Abs. 3. „eines Dritten" — Ein solcher ist im Verhältnisse zum Vermiether auch der Astermiether, nicht aber die Familie und das Gesinde des Miethers (vgl. Linkelmann in Busch, Z. XIV S. 333 ff., § 712 Anm. 2). 2) Die Bestimmung beschränkt sich aus den Fall, wenn nach Bestimmung des Urtheils eine (bewegliche oder unbewegliche) Sache herauszugeben ist (§§ 769 Anm. 1, 771 Anm. 1). Eine entsprechende Anwendung auf die anderen Fälle des §771 rechtfertigt sich aus der Gleich­ heit des Grundes. Dagegen paßt die Bestimmung nicht auf die Leistung vertretbarer Sachen (§ 770), weil die Anwendbarkeit des § 770 voraussetzt, daß die zu leistenden Sachen sich im

936

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 773.

§ 773. Erfüllt der Schuldner die Verpflichtung nicht, eine Handlung vor­ zunehmen, deren Vornahme durch einen Dritten erfolgen kann, so ist der Gläubiger von dem Prozeßgericht erster Instanz auf Antrag zu ermächtigen, auf Kosten des Schuldners die Handlung vornehmen zu lassen. Der Gläubiger kann zugleich beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu verurtheilen, welche durch die Vornahme der Handlung entstehen werden, unbeschadet des Rechts auf eine Nachforderung, wenn die Vornahme der Handlung einen größeren Kostenaufwand verursacht. Auf die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe oder Leistung von Sachen finden die vorstehenden Bestimmungen keine Anwendung. N. Entw. 81054. Enttv. I. § 694. S. 413, 573, 580-583, 604-606.

Entw. II. § 706.

Entw. III. § 719. Mot. S. 442, 443. Prot.

Gewahrsam des Schuldners befinden (s. § 770 Anm. 3). (Zustimmend Gaupp II S. 521, Petersen, Sarwey, Wilm. Levy a. a. O. u. A. A.M. Puchelt II S. 635.]

§§ 773 -779. Literatur: Köhler im civ. Arch. 80 S. 230 ff., Kipp. D. Verurtheilung zur Abgabe von Willenserklärungen u. zu Rechtshandlungen, in der Festgabe der Kieler Jur.-Fak. für Jhering, 1892, Falkmann, Zwangsvollstr. S. 299 ff., Fitting § 108 II, III. 1) Im Gegensatze zum röm. Recht und der freilich durch manche Ausnahmen durchbrochenen Regel des franz. Rechts [L. 13 § 1 D. de re jud. (42. 1); C. civ. art. 1142—1144; C. de proc. art. 551, 552] stellt die CPO. die auch in der gemeinrechtlichen Praxis (s. Wetzell S. 649 f., Renaud S. 511 ff.) angenommene Zulässigkeit des direkten Zwangs bei allen aus ein Handeln oder auf ein Unterlassen oder Dulden (facere oder non facere) gerichteten Verpflichtungen als Regel auf (vgl. die allg. Bem. zum dritten Abschn.). „Dem Schuldner soll nicht das Recht eingeräumt werden, durch Unterlassen der Erfüllung und noch mehr durch fortgesetztes positives Handeln gegen die Verpflich­ tung den Gläubiger auf die Forderung des Interesse zu beschränken, welche wegen der Insolvenz des Schuldners oder wegen der Unschützbarkeit des Gegenstandes vielleicht ganz illusorisch ist. Berücksichtigt ist nur, daß ein Zwang gegen den Schuldner nicht stattfinden soll. wenn dasselbe Ziel auf anderem Wege zu erreichen bleibt; daß der Zwang gegen die Person des Schuldners nicht anwendbar ist, wenn die auszuführende Handlung noch mehr voraussetzt, als den Willen des Schuldners; und daß endlich ein sicherer Erfolg des Zwanges nicht erwartet, der Zwang selbst daher nicht ohne Schranken angewandt werden darf." (Mot.) Hiernach unterscheidet die CPO.: Handlungen, deren Vornahme durch einen Dritten erfolgen kann (§ 773); solche, deren Vornahme nicht durch einen Dritten erfolgen kann, aber ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt (§ 774); Unterlassen und Dulden (§ 775). Nur bei den beiden letzten Gruppen wendet sich der Zwang gegen die Person (s. Anm. 2). Wegen der Willenserklärungen s. § 779. 2) Die V o llst reckn ngsmittel sind je nach den betreffenden Fällen Vornahme der Handlung durch einen — vom Gläubiger auszuwählenden — Dritten (§ 773) und Zwang durch Strafe (§§ 774, 775), in allen Fällen unbeschadet des Anspruchs auf Leistung des Interesse (§ 778), während Willenserklärungen ohne Weiteres als abgegeben gelten (§ 779). Ueber das Verhältniß dieser Vorschriften zu den bisherigen Landesrechten hinsichtlich dev Leistung des Interesse vgl. §§ 774 Anm. 3, 778 Anm. 1. 3) Abgesehen von §§ 777, 779, bedarf es nach der Natur der Vollstreckungsmittel (Anm. 2) überall einer Mitwirkung des Gerichts, welches die Zulässigkeit der Maßregeln zu prüfen und das Urtheil gewissermaßen zu ergänzen hat. Die Entscheidung ist dem Prozeßgericht übelwiesen, da sie wesentlich auf einer fortgesetzten Beurtheilung des Hauptrechts-

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung rc.

§ 773.

937

strertes beruht (§§ 773 Abs. 1, 774 Abs. 1, 775 Abs. 1, 2). Ueber das Verfahren s. § 776. Im Falle des § 778 Abs. 2 ist eine förmliche Klage bei dem Prozeßgericht erster Instanz erforderlich. 4) Wegen der Anwendbarkeit der §§ 773—777 auf die Vollziehung einstweiliger Ver­ fügungen s. Dorendorf, Arrest S. 159 ff. 5) Für das Verfahren vor deu Gewerbegerickten enthält der § 51 h. Ges. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) besondere Vorschriften über die Zwangsvollstreckung bei Verurteilung zu einer Handlung. 6) Bisher unerörtert gebliebene Streitpunkte in Betreff der Verpflichtung selbst können nicht gemäß §§ 773 ff. erledigt werden. Vielmehr hat der Schuldner, welcher die nachträgliche Vornahme der Handlung (Erfüllung) behauptet, nach § 686 Klage zu erheben, und der Gläubiger kann so lange mit der Vollstreckung vorgehen, bis der Beklagte auf Grund des § 686 die Einstellung erwirkt (vgl. hierüber RG- XXI S. 377, XXIII S. 364, XXVII S. 385, in S. A. 47 Nr. 81, in I. W. 1887 S. 353, 1888 S. 424, 1891 S. 148, 1892 S. 15, 161,. 1893 S. 184, 1895 S. 43, OLG. H amburg in S. A. 43 Nr. 251, OLG. M arienwerder das S. 48 Nr. 76, OLG. Cassel in Busch, Z. XIII S. 420, XV S. 526 a. E., vgl. auch H. Meyer das. XV S. 488).- Ausstellungen des Gläubigers gegen die Art der Erfüllung oder desSchuldners gegen den Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung sind nach §§ 773 ff. von: Voll­ streckungsrichter zu erledigen (f. NG. XXIII S. 364, Fitting § 108 N. 16, oben § 685 Anm. 1 i. A.); insbesondere muß der Gläubiger bei einer Zwangsvollstreckung aus einem Urtheile, das zu wiederholten Leistungen verurtheilt, beim Bestreiten des Schuldners, daß der Wiederholungsfall gegeben sei, dem Vollstreckungsrichter solches nachweisen (RG- XXVI S. 392). Ist aber die Verpflichtung des Schuldners in dem Zwangsvollstreckungstitel nicht in genügend bestimmter Weise bezeichnet, so muß die nähere Bezeichnung in einem neuen, selb­ ständigen Prozesse herbeigeführt werden (OLG. Braunschweig in S. A. 47 Nr. 253 — Vergleich auf „Wiederherstellung der Mauer an ihrer früheren Stelle"; weder der Vergleich noch die Vorverhandlungen geben einen Anhalt, wo diese Stelle ist). Es ist Thatfrage, ob ein neuer Prozeß zur Erläuterung des Titels erforderlich sei, oder ob vollstreckt werden könneunter Verweisung des Schuldners auf den Weg des § 686. Vgl. auch §§ 290 Anm. 6, 680 Anm. 1. (Th eil weise abweichend Köhler S. 259 Anm. 1, S. 264 ff.) 7) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 27 Nr. 2, 39 Abs. 1; GO. f. RA. §§ 33, 34. § 773. 1) Abs. 1: „Erfüllt — vor zunehmen" — Ein vorgängiges besonderes Mandat mit Leistungsfrist ist nicht erforderlich (s. Nordd. Prot. S. 2062 f.; §§ 671 Anm. 3, 774 Anm. 2. A.M. Köhler S. 251). „eine Handlung, deren Vornahme durch einen Dritten erfolgen kann" — Welche Handlungen (dies im Gegensatze zu den Fällen der §§ 708 ff., 769, 770, 773 Abs. 3^ 775) hierher zu rechnen sind, ist der Natur der Sache nach im einzelnen Fall oft zweifelhaft. Es können nur sozusagen fungible (vertretbare) Handlungen, d. h. solche gemeint sein, deren Verrichtung nicht an die Person des Verpflichteten geknüpft, bei deren Verrichtung vielmehr diePerson des Handelnden gleichgültig ist (vgl. Entsch. des preuß. OT. 50 S. 176, Entw. I e. b. GB. § 226, Entw. II § 227). Die Handlung braucht nicht gerade in mechanischen Ver­ richtungen, z. B. Beseitigung von Bauten (opus factum diruere) — vgl. C. civ. art. 1143,. Bayer. PO. Art. 865, P. E. § 1037, Nordd. Prot. S. 2060, NG. XV S. 343 — zu bestehenAuch die Verbindlichkeit, den Kläger von gewissen Forderungen Dritter zu befreien (s. NG. XVIII S. 435 (Bürgschaft^, OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 525) oder eine Hypotheken­ post eines Dritten zur Löschung zu bringen (vgl. RG- XXI S. 377, XXII1 S. 364, in Gruchvt 33 S. 126, § 774 Anm. 2; s. jedoch andererseits NG. XXXI S. 412, wo der An-

938

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 773.

sprach des Gläubigers nicht in einer bestimmten Summe, sondern in einer lebenslänglichen Rente besteht — hier bleibt nur der Weg des § 778. A.M. Köhler S. 297 ff. —; s. ferner RG. in I. W. 1893 S. 562 Nr. 17, 1894 ©.315, 455), läßt sich sehr wohl durch einen Dritten erfüllen (f. auch v. Bülow Anm. 4, Petersen §§ 773—775 II 2, Köhler S. 298 u. A.), aber nicht die Verpflichtung zur Rechnungslegung; letztere fällt unter § 774 (f. das. Anm. 1, Wilm. Lev y Anm. 2, Gau pp II S. 522); ebenso die Verpflichtung des Erben zur Legung des Nachlaßinventars (RG- in Gruchot 27 S. 1126, Dernburg III § 245 Anm. 26). Zur Eintragung in das Hypothekenbuch, wenn das Urtheil unmittelbar auf diese oder aus die Bewilligung gerichtet ist, bedarf es nicht erst der Anwendung des § 773 (vgl. § 779 Anm. 1). Ueberhaupt fallen Rechtshandlungen mir insoweit unter den § 773, als sie nicht unter § 779 fallen und als die Handlung ohne Vollmacht oder Einwilligung des Schuldners von einem Dritten vorgenommen werden kann. Kann die Handlung von einem Dritten nur auf Grund einer Vollmacht des Schuldners vorgenommen werden, so greift nicht § 773, sondern § 774 Platz; denn die Ermächtigung des § 773 setzt voraus, daß die Handlung von einem Dritten vorgenommen werden kann; diese Ermächtigung kann daher nicht selbst erst die Vollmacht er­ setzen. § 774, nicht 773 kommt daher zur Anwendung bei Urtheilen zur Unterzeichnung eines Wechsels (s. § 779 Anm. 1 S. 949), zur Klagerhebung (A.M. OLG. Cassel in Busch, Z. XV S. 526), zur Veranstaltung einer Ausspielung (A.M. Waag in Jahrb. f. Dogm. 21 S. 407), zur Theilung (OLG. Jena in Busch, Z. VII S. 114) oder zur Versteigerung einer gemein­ schaftlichen Sache (vgl. einen Fall in S. A. 38 Nr. 324). [8. Kipp S. 133 ff., Seuffert Anm. 2, Köhler S. 272ff., 290 und das in anderer Beziehung, weil es den § 779 in dem betreffenden Falle nicht für anwendbar hielt, allerdings nicht zutreffende Urtheil des RG. bei Kipp 8. 94 ff. (s. § 779 Anm. 1 S. 949); vgl. auch OLG. Kiel in S. A. 39 Nr. 278, NG. IX S. 317, XXIV S. 378. Abw. beiläufig NG. in Gruchot 33 S. 127, Gaupp II 8. 534 a. (£.] Wegen der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung s. § 770 Anm. 2 a. E. 2) „so ist — zu ermächtigen" — Ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen diesem Bollstreckungsmittel und dem des § 774 findet nicht statt. Die Vornahme durch einen Dritten (oder durch den Gläubiger) ist, abgesehen von der Forderung des Interesse, das ausschließlich zulässige Mittel (Hellmann III S. 141). Vgl. jedoch § 774 Anm. 1 Abs. 2, 8. 940. Das­ selbe unterscheidet sich von der Forderung des Interesse durch den Zwang gegen den Schuldner, die Vornahme der Handlung zu dulden (vgl. § 777). Auch Abs. 2 enthält einen Unterschied. In dem Urtheile selbst, welches die Verpflichtung ausspricht, kann die Ermächtigung, die bereits den Beginn der Zwangsvollstreckung enthält, nicht ertheilt werden (vgl. §§ 774 Anm. 2, 775 Anm. 3. A.M. für den Fall des Urtheils Köhler 8. 252, während er annimmt, daß der vollstreckbare Vergleich keine Exekution in sich enthalten könne — 8. 287). Ist das Prozeßgericht ein Landgericht, so unterliegt der Antrag dem Anwallszwange (§ 74; vgl. § 776 Anm. 1). Der Schuldner muß gehört tverden (§ 776). In dem Falle des § 702 Nr. 2, wo es an einem Prozeßgericht erster Instanz mangelt, hat das Amtsgericht, vor dem der Vergleich geschlossen ist. die Ermächtigung zu ertheilen (Wilm. Levy Anm. 3, Gaupp II S. 513 bei N. 24, Seuffert Anm. 1, Hellmann, Lehrb. 8. 885, Falkmann 8. 302 N. 3, Kipp 8. 129; Fitting § 108 N. 17 verweist zugleich auf das vorgesetzte Landgericht, falls der Anspruch nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehört. A.M., nämlich für das Vollstreckungsgericht (§ 684 Abs. 2), früh. Aufl., Sarwey II 8. 269). Bei einst­ weiligen Verfügungen ist das für die Hauptsache in erster Instanz zuständige Gericht (§ 821) auch dann Prozeßgericht erster Instanz, wenn die Verfügung vom Berufungsgericht erlassen ist (OLG. Braunschweig in Busch, Z. VII 8. 115) und im Falle des § 820 das dort bezeichnete Amtsgericht (s. Seuffert a. a. O.). Uebrigens ist die Zuständigkeit eine ausschließliche (§ 707).

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung

2c.

§ 774.

939

§ 774. Kann eine Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden, so ist, roerm sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, auf AnEine besondere Art der Vollstreckung s. im Bankges. §§ öl—53 (vgl. E. G. z. CPO. § 13). 8) Die Zuziehung eines Gerichtsvollziehers zur Verhütung von Gewaltthätigkeiten ist nicht

ausgeschlossen,

aber nicht immer nothwendig und ausführbar.

Nach § 777 steht sie

dem Gläubiger zu. Dem Gerichtsvollzieher bleibt überlassen, nach den Umständen des Falles die Anwesenheit der Polizei oder unter Vermittelung des Vollstreckungsgerichts militärische Hülfe nachzusuchen. (Vgl. auch GO. f. GV. Gaupp II S. 524 et. E.)

§ 8 Abs. 1 Nr. 2; preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 97;

4) Abs. 2: Literatur: Lämm ert in Busch, Z. XVII S. 156 ff. Die Verpflichtung des Schuldners, die Kosten der Vollstreckung zu tragen, ist keine Besonderheit dieses Vollstreckungsmittels (vgl. §§ 697,708). Eigenthümlich ist nur, daß hier eine gerichtliche Verurtheilung zur Vorauszahlung der Kosten erfolgt (vgl. RG. XVIII S. 436). Eine förmliche Klage ist ebensowenig nöthig als mündliche Verhandlung, sondern nur Gehör des Schuldners (§ 776). Die Entscheidung, gegen welche die sofortige Beschwerde statt­ findet (vgl. RG. XXIII S. 364, § 776 Anm. 3), ist vorläufig vollstreckbar (s. §§ 701, 702 Nr. 3, 535 Abs. 1). sVgl. Meili in Goldschmidt, Zeitschr. s. H. R. XXIV S. 382 f.] Die vorausgezahlte Summe geht in das Eigenthum des Gläubigers über, welcher bei der Verwendung nicht als Stellvertreter des Schuldners handelt, was freilich weder im Fall eines größeren Kostenaufwandes eine Nachforderung wie im umgekehrten Fall eine Verpflichtung zur theilweisen Rückzahlung des Vorschusses ausschließt (RG.. im D. RAnz. 1883 bes. Beil. 10 S. 7, Seuffert Anm. 4, Falkmann S. 303). Dem Gerichte gegenüber hat der Gläubiger die baaren Auslagen vorzuschießen (GKG. § 84 Abs. 1).

Im Uebrigen vgl. wegen der Gebühren GKG. §§ 27 Nr. 2, 39 Abs. 1;

GO. f. RA. §§ 23 Nr. 2, 31, 33 Abs. 2. Die Höhe der Kosten bestimmt das Gericht vorläufig nach seinem Ermessen. Schuldner sie nicht, so lassen.

kann der Gläubiger sie im Wege

Zahlt der

der Zwangsvollstreckung beitreiben

Die etwa entstandenen Mehrkosten — oder, wenn keine Vorausbezahlung stattgefunden

hat. die überhaupt entstandenen Kosten — kann der Gläubiger nach § 697 einziehen, wiewohl eine besondere Klage auf Erstattung des Mehraufwandes (vgl. auch RG- XVIII S. 430) oder eine Festsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren (vgl. § 697 Anm. 1, S. 839 et. E.) nicht aus­ geschlossen ist (s. Gaupp II S. 524, Wilm. Levp Anm. 5. Bedenken gegen die Anwendbar­ keit des § 697 äußert Lämmert a. et. O.).

Dagegen kann die Erstattung

des zuviel

ge­

forderten Betrages im Falle des Nichlverbrauchs (vgl. oben) nur im gewöhnlichen Klagewege gefordert werden. Selbstverständlich kann der Schuldner auch die bereits von einem Dritten begonnene Vornahme durch eigene Vornahme der Handlung abwenden, bleibt aber für die bereits aufgewandten Kosten des Dritten verhaftet (Endemann 111 S. 319, Gaupp II S. 524 bei N. 31). 5) Abs. 3 ist von der RTK. als weitere Folge des § 770 hinzugefügt. Darnach ist nicht nur in den Fällen der §§ 769, 771, 772, sondern auch in denen des § 770 einschließlich des Falles, wenn es sich um die Lieferung einer Quantität vertretbarer beweglicher Sachen handelt, die nur der Gattung nach bestimmt find und sich nicht int Besitze des Schuldners vor­ finden, nicht die executio ad faciendum, sondern nur die Jnteressesorderung zulässig (f. § 770 Anm. 4; vgl. auch RG in D. J.-Ztg. 1884 S. 686). § 774. 1) Abs. 1: Die Voraussetzung ist eine doppelte: daß die Handlung nicht von einem Dritten vorgenommen werden kann (s. § 773 Anm. 1), und daß sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt.

Von einer näheren Bestimmung der hiernach zu

unterscheidenden (nicht zahlreichen) Fälle ist abgesehen.

940

Achtes Buch,

Zwangsvollstreckung,

§ 774.

trag von dem Prozeßgericht erster Instanz zu erkennen, daß der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Geldstrafen bis zum Gesammtbetrage von fünf­ zehnhundert Mark oder durch Haft anzuhalten sei. Diese Bestimmung kommt im Falle der Verurtheilung zur Eingehung einer Ehe nicht und im Falle der Verurtheilung zur Herstellung des ehelichen Lebens nur insoweit zur Anwendung, als die Landesgesetze die Erzwingung der Herstellung des ehelichen Lebens für zulässig erklären. 91. EnIW. § 1055. Guttu. I. § 695. EnIW. II. § 707. Guttu. III. § 720. Mot. S. 443, 444. Prot. @. 413-416. „Es läßt sich nur sagen, daß ebensowenig die Aufwendung von Geldmitteln, wie die Anwendung irgend einer besonderen Fähigkeit als ausschließlich von dem Willendes Schuldners abhängig angesehen werden kann. Sind Geldmittel erforderlich, so ist die Herbeischaffnng derselben, wenn sie der Gläubiger nicht vorschießt, Gegenstand der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen. Sind besondere Fähigkeiten bei der Handlung anzuwenden, so wird sich nie mit Gewißheit feststellen lassen, daß der Schuldner sie hat; er wird den Mangel derselben durch ungenügende Ausführung der erzwungenen Handlung darthun. Es werden endlich durch § 779 Abs. 1 der Zwangsvollstreckung noch die Fälle gänzlich entzogen, in denen der Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung verurtheilt ist, da in Stelle der Erklärung das rechts­ kräftige Urtheil gilt. Der Zwang zur Erklärung würde den Gläubiger nur aufhallen und den Schuldner ohne Noth belästigen. Für die Zwangsvollstreckung des § 774 bleiben, abgesehen von Fällen, in denen zur Erfüllung der dem Schuldner ob­ liegenden Verpflichtung civilrechtlich ein unmittelbarer Zwang vorgeschrieben ist — Seemannsordnung v. 27. Dez. d 872 § 29, Preuß. Gesindeordnung v. 8. Nov. 1810 §§ 51, 167, v. 11. April 1845 (f. Neuvorpommern) §§ 45, 161, v. 19. April 1849 (f. d. Nheinprov.) §§ 16, 42 — namentlich Judikate, welche auf Ableistung des civilrechtlich gebotenen Offenbarungseides (EG. z. CPO. § 16 Nr. 8) oder auf Er­ lheilung einer Auskunft, insbesondere auf Rechnungslegung gerichtet sind." (Mot.) Vgl. Nordd. Prot. S. 2063 f. Es gehören hierher u. A. die Rechnungslegung (NG. VII S. 358, VIII S. 336, OLG. Stuttgart in S. A. 46 Nr. 245, OLG. Marienwerder das. 48 Nr. 76, KG. Berlin in Busch, Z. XVII S. 497, Köhler S. 246 f.; vgl. § 773 Anm. 1), Legung eines Inventars (vgl. § 773 Anm. 1), Ausstellung einer kaufmännischen Bilanz (NG. in I. W. 1888 S. 136 Nr. 8), unter Umständen Herbeischaffung einer Erbbescheinigung (KG. Berlin in Busch, Z. XVI S. 161; vgl. zu diesem Beschluß aber auch Kipp S. 66), Auskunstsertheilung, Ausstellung eines Zeugnisses (vgl. § 779 Anm. 1 S. 949). Vgl. auch RG. XIV S. 248 (Verkauf mit Spezifikation). Wegen der Abgabe einer förmlichen Willens­ erklärung s. § 779 Anm. 1. Wegen des civilrechtlich gebotenen Offenbarnngseidcs s. vor § 780 Anm. 2; wegen des prozessualen Ofsenbarungseides s. §§ 780—784. Nicht hierher gehört die Löschung einer zu Gunsten eines Dritten bestehenden Hypothekenpost (s. Preuß. JMBl. 1840 S. 171, OLG. Dresden in Wengler, Arch. 1882 S. 169, 171; vgl. § 773 Anm. 1) oder das Gebot des Austritts aus einem Konkurrenzgeschäfte, in das Jemand nicht eintreten durfte (dies fällt unter § 775 — s. OLG. Stuttgart in S. A. 43 Nr. 77 —, nicht nur unter § 778, wie Köhler S. 291, 295 annimmt) oder die Ausübung eines Wahlrechts (NG. VIII S. 353, XII S. 184; vgl. §§ 672 Anm. 3, 779 Anm. 1). Ist die Handlung, wenngleich zufolge Nachlässigkeit des Schuldners, thatsächlich (vgl. R G VIII S. 336, in I. W. 1892 S. 507, KG. Berlin in Busch, Z. XVII S. 496) nicht aus­ schließlich von dessen Willen abhängig (z. B. bei einer geistigen schöpferischen Thätigkeit), oder stellt sich nach der Verurtheilung die Erzwingung der Handlung als unmöglich heraus (RG. XXXI S. 412), so bleibt nur die Jnteresseforderung (§ 776). Jedoch wird (mit Köhler S. 249 ff.) bei schöpferischen Leistungen dem Gläubiger gestaltet werden müssen, sich mit einer Ersatzleistung durch einen gleichwerthigen Dritten nach § 773 zu begnügen, wie denn überhaupt bei der Frage, ob eine vertretbare (§ 773) oder eine nicht vertretbare Handlung (§ 774) vorliegt, auf die Aeußerung des Gläubigers Rücksicht zu nehmen ist (s. Wilm. Levy S. 1044 a. E.).

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung rc.

§ 774.

941

Auf die Herausgabe oder Leistung von Sachen findet auch § 774, obschon es an einer ausdrücklichen Bestimmung wie in § 773 Abs. 3 fehlt, nach seiner systematischen Stellung und den Worten „Handlung" und „wenn — abhängt" keine Anwendung. (Vgl. auch OLG. Jena in Busch, Z. VII S. 114.) Ebensowenig ist § 774 anwendbar, wenn zur Vornahme XIII S. 339; der Handlung weitere Mittel, z. B. Geld, Pfänder oder Bürgen gehören s. über dieses Urtbeil auch Kipp a. a. O S. 79 f.). Vgl. aber Anm. 6.

2) Der auf Vornahme der Handlung selbst gerichtete Zwang durch Geldstrafen oder Haft geschieht, „damit nicht der Schuldner durch seinen bösen Willen allein das Recht des Gläubigers vereiteln kann" (Mot.). Insoweit steht der Personalar-rest auch mit dem Grund­ sätze des Ges. v. 29. Mai 1868 (BGBl. S. 237) nicht tut Widersprüche, da dieses Gesetz Fälle betrifft, in denen die Erfüllung nicht oder doch nicht ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt. Hinsichtlich des Sicherheits-Personalarrestes s. § 798 Anm. 1. Die „H a f t" des § 774 hat eine andere Bedeutung als die „Strafe der Haft" in § 775. Vgl. unten Anm. 4. „Die Weigerung einer vorzunehmenden Handlung kann überhaupt nur einmal durch Zwang überwunden werden, sodaß dieser in seiner Gesammtheit das zulässige Maß nicht übersteigen darf. Die Haft ist in diesem Falle überhaupt nicht Strafe, sondern direktes Zwangsmittel, steht als solches neben der Androhung und Festsetzung von Geldstrafen zur Wahl und wird, einmal angeordnet, ohne Weiteres bis zu der zulässigen Dauer fortgesetzt" (Mot.). Weil Geldstrafe und Haft hier Zwangsmittel sind, können sie — abweichend von § 775 Abs. 2 (vgl. § 775 Anm. 3) — nicht gleichzeitig mit der Verurteilung zur Handlung an­ gedroht werden (OLG. Hamburg in S. A. 48 Nr. 234. A.M. Köhler S. 152. Vgl. §§ 773 Anm. 2, 775 Anin. 3). Das Wahlrecht zwischen Geldstrafe und Haft gebührt nach der Fassung des Abs. 1 dem Gerichte, nicht dem Gläubiger, dessen Antrag beide umfaßt. (So OLG. Marienwerder in S. A. 48 Nr. 75, OLG. Breslau das. 49 Nr. 138, Sarwey II S. 271, Gaupp II S. 526 bei N. 22, Endemann III S. 322. A.M. Seuffert Anm. 2 a. E., Wilm. Levy Anm. 2 i. A., Fitting § 108 N. 23, Hellmann III S. 142 u. Lehrb. S. 885, Falk­ mann S. 307 f., v. Bülow Anm. 2, der sich mit Unrecht auf die Mot. beruft.) Eine Strafandrohung (vgl. § 775 Abs. 2) braucht nicht voranzugehen (Seuffert Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 3 li. A.; vgl. § 773 Anm. 1. A.M. Siebenhaar S. 709, Köhler S. 251 f.). Ist sie ergangen, so wird der Schuldner dadurch, daß er gegen sie keinen Widerspruch erhoben hat, nicht des Rechts verlustig, mittels Beschwerde gegen die Einziehung der Strafe die Unzulässig­ keit der Art der Zwangsvollstreckung geltend zu machen (RG. XXIV S. 378; vgl. auch § 775 Anm. 3). Wegen des Verfahrens s. § 776. Mit der Entscheidung, daß der Schuldner durch Haft anzuhalten sei, ist zugleich ein Haftbefehl zu erlassen (§ 789). Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 27 Nr. 2, 39, GO. f. RA. § 34.

3) Das Maß der Geldstrafe bestimmt das Gericht. Die Vollstreckung ^geschieht von Amiswegen, weil die Geldstrafe der Staatskasse verfallen ist (so auch Seuffert Anm. 2, v. Bülow Anm. 4, Falkmann S. 308 u. A. A.M. OLG. Dresden in Busch, Z. VII S. 115, Wilm. Levy Anm. 3, Köhler S. 255 s., weil die Geldstrafe nur einen Zwangskarakter im Interesse des Gläubigers habe), nach den Vorschriften des zweiten Abschnitts (s. StPO. § 495). Die Geldstrafe kann wiederholt werden. Sämmtliche verhängten Geldstrafen dürfen aber den Betrag von 1500 Mark nicht übersteigen. Die Beitreibung der Geldstrafe hat nicht deshalb zu unterbleiben, weil der Schuldner nach der Verurtheilung zu derselben die Handlung vor­ genommen hat (Falkmann S. 308. A.M. Wilm. Levy, OLG. Dresden a. a. O., Köhler S. 256, 258, anscheinend nach der Begründung auch RG. XXIV S. 384; die Entscheidung selbst betrifft nur den Fall, daß die Strafe angedroht,, aber noch nicht festgesetzt ist). Sind

942

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 774.

die Geldstrafen erschöpft, so bleibt noch die Anwendung der Haft in voller Dauer zulässig (f. RG. VII S. 358, Seuffert. Wilm. Levy a. a. £>/, Wach I S. 276 Anm. 21, Köhler S. 257 u. A. A.M. Kleiner III S. 226, v. Bülow). Die Geldstrafen gebühren, wie gewöhnlich, dem Fis kn s. Gin Antrag, in den Fällen der §§ 774, 775 auf Antrag des Gläubigers statt der Strafe auch eine an den Gläubiger zu er­ legende Buße bis zu 1500 Mark zuzulassen, ist von der NM. verworfen.

4) Im Unvermögens falle können die erkannten Geldstrafen in Ermangelung einer dahin gehenden Bestimmung in die entsprechende Ha ft strafe (StGB. §§ 28, 29, StPO. § 491, Nordd. Prot. S. 2064) nicht umgewandelt werden, zumal da es sich hier nur um ein Zwangsmittel, nicht um eine Kriminalstrafe handelt. (So auch Hellmann III S. 142 u. Lehrb. S. 885. v. Bülow Anm. 3, Seuffert, Wilm. Levh a. a. O., Gaupp 11 S. 527, Kleiner III S. 226, Helmkamp f in Busch, Z. X S. 121 ff., Ko hl er S. 258, Falkmann S. 308; vgl. auch NG. VII S. 360 n. ROHG. 13 S. 160ff. A.M. früh. Aust., Puchelt II S. 644, Sarwey II S. 272, Endemann III S. 323.) Statt der Geldstrafe kann aber auch von vornherein aus Haft erkannt werden, für welche die §§ 785 ff. anzuwenden sind. Eine bestimmte Dauer wird in diesem Falle nicht festgesetzt (s. oben Anm. 2). Der Gläubiger hat die Bollziehuug unter Vorauszahlung der Kosten (§ 792) zu betreiben (bei bezw. nach Zustellung des Urtheils — § 671 Abs. 1). Die Haft darf aber in ihrer Gesonnn theil die Dauer von 6 Monaten nicht überschreiten (§ 794). 5) Für Militärpersonen gelten außer §§ 785 Nr. 2, 786 Nr. 2, 793 keine Besonder­ heiten. Abgesehen hiervon findet also (anders als nach §§ 345 Abs. 4, 355 Abs. 4, 874 Abs. 3) eine Mitwirkung des Militärgerichts nicht statt. 6) Kann der Schuldner die Handlung ohne Aufwendung tioit K osten nicht vornehmen und sind diese von ihtn nicht zu erlangen, so hat der Gläubiger behufs Anwendung des § 774 zunächst die Kosten vorzuschießen (Nordd. Prot. S. 2064; vgl. Anm. 1 a. E.). Ein Verfahren wie nach § 773 findet nicht statt. Der Schuldner kann zur Erstattung nur in be­ sonderem Prozesse gezwungen werden. (Vgl. auch Wilm. Levy Anm. 1.) 7) Abs. 2: Eine Ausnahme bildet hier wie in § 779 Abs. 2 die Verurteilung zur Ein­ gehung einer Ehe. (Vgl. Preuß. ALR. II, 1 § 125, Entsch. d. preuß. OT. 56 S. 195, Striethorst, Arch. 66 S. 128.) „Dem materiellen Rechte und also den Landesgesetzgebungen (N. E. § 1055) ge­ hört die Frage der Zulassung des Zwanges nicht, wenigstens nicht ausschließlich an. Mit welchen Mitteln ein Urtheil zur Ausführung zu bringen sei, ist wesentlich eine prozessualische Frage, und die Versagung des direkten Zwanges zur Eheschließung zerstört auch nicht die Wirkung des vorausgegangenen Urtheils, welches durch Liqui­ dation des Interesse wenigstens mittelbar ausgeführt werden kann. Der Zwang zur Eheschließung widerspricht dem Wesen der Ehe durchaus; es war daher über den in § 774 Abs. 2 und m § 16 Nr. 5 des EG. gezogenen Vorbehalt für die Landes­ rechte nicht hinauszugehen." (Mot.) Der Vorbehalt bezieht sich nicht auf den Zwang zur Eingehung einer Ehe. In dieser Beziehung sind vielmehr die Landesrechte schlechthin abgeändert, während ein Zwang zur Zah­ lung einer Entschädigung wegen Weigerung der Vollziehung der Ehe nicht ausgeschlossen ist (OLG. Jena in S. A. 39 Nr. 215; Entw. I e. b. GB. § 1227 nebst Mot., Entw. II § 1203; s. auch NG. in I. W. 1889 S. 42). Dagegen findet die Erzwingung der Herstellung des ehelichen Lebens (s. oben S. 703 Anm. 5, § 568 Anm. 4) nach Maßgabe der Landes­ gesetze (vgl. S. A. 3 Nr. 67, 20 Nr. 230, LG. Cassel in Busch, Z. XII S. 276, OLG. Cassel in S. A. 47 Nr. 37, v. Scheurl, Eherecht § 250, S. 259, bez. des rhein. Rechts Rhein. Arch. 83 I S. 60 u. Köhler S. 244 f.; s. ferner Entw. I e. Eins. Ges. z. BGB. Art. 11 §774, Mot. Bd. IV S. 109 ff.) — wohin auch das Gewohnheitsrecht zu rechnen ist (NG. in I. W. 1888

Dritter Abschnitt

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung 2c.

§ 775.

943

§ 775. Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozeßgericht erster Instanz zu einer Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder zur Strafe der Haft bis zu sechs Monaten zu verurtheilen. Das Maß der Gesanlmtstrafe darf zwei Jahre Haft nicht übersteigen. Der Verurtheilung muß eine Strafandrohung vorausgehen, welche, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urtheile nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozeßgericht erster Instanz erlassen wird. Auch kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Bestellung einer Sicherheit für den durch fernere Zuwiderhandlung entstehenden Schaden auf be­ stimmte Zeit verurtheilt werden. N. Entw. § 1056. Entw. I. § 696. Entw. II. § 708. S. 414-416, 719, 720.

Entw. III. 8 721.

Mot. S. 443, 444.

Prot.

S. 36 Nr. 7) — statt, sei es durch die in Abs. 1 gedachten Mittel, sei es durch die nach bürger­ lichem Rechte gestatteten gerichtlichen Rückkehr- und Aufnahmebefehle oder die als Vorbedingung einer

Ehescheidung

anzuordnenden Zwangsmaßregeln (EG. z. CPO. § 16 Nr. 6).

Ist das

Recht des ersuchenden und des ersuchten Richters verschieden, so kommt hierbei das letztere zur Anwendung (OLG. Naumburg u. v. Kräwel in Bödiker, Mag. I S. 114). 8) Gemäß §§ 774 und 775 dürfte auch im Gebiete des rhein.-franz. Rechts trotz des art. 1142 des C. civ. die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Handlungen oder Unter­ lassungen in demselben Umfange zulässig sein wie in den übrigen Theilen des Reichs. In der RTK. wurden zwar hiergegen von einer Seite Zweifel erhoben, die dort ihre Lösung nicht ge­ funden haben; allein, obwohl die betreffende Bestimnlung sich im bürgert. Gesetzbuche befindet, gehört sie doch ihrem Wesen nach ebenso wie die entsprechende Vorschrift des röm. Rechts in

L. 13 § 1 D. de re jud. (42, 1) dem Prozeßrecht an.

Tenn sie hat schwerlich den Sinn, daß der Schuldner nach Inhalt der Obligation von vornherein das Wahlrecht haben solle zwischen

dem Thun und der Leistung des Schadensersatzes oder sogar zu einem Thun überhaupt nicht verurtheilt werden dürfe.

Ihre Bedeutung ist vielmehr die,

daß der Schuldner, wenn er

nicht freiwillig die Obligation wirklich erfüllt, gerichtlich nur zur Leistung des Schadensersatzes gezwungen werden könne. Hierfür sprechen die Entstehung der Vorschrift aus dem röm. Rechte, die Ausdrücke ,,se resout;< und „en cas d’inexecution“. (Dies ist auch die Ansicht neuerer Schriftsteller, wie Demolombe 11. Laurent, sowie des Kassationshoss zu Paris.) Jedenfalls aber kann es nach den Mot. zu den §§ 773—776 (S. 442), welche den Grundsatz der CPO. gegenüber demjenigen des röm. und des franz. Rechts, unter ausdrücklicher Hervorhebung des art. 1142 a. a. O., rechtfertigen, nicht zweifelhaft sein, daß es in der Absicht gelegen hat, den ersteren Grundsatz in ganz Deutschland einzuführen, und die RTK. hat eine enlgegenstehertde Absicht keineswegs kundgegeben. erleiden,

Die Rechtscinheit würde in der That einen erheblichen Bruch

wenn in diesem wichtigen Punkt entgegengesetzte Grundsätze in den verschiedenen Ge­

bieten Deutschlands zur Geltung kämen. (Vgl. auch Seuffert vor § 769 Anm. 2, Sarwey II S. 268 f., Petersen §§ 773-775 I 2, Endemann III S. 299 f., Hellmann III S. 145, Gaupp II S. 514 bei N. 4 u. 5, Wilm. Levy § 778 Anm. 1 a. E., Falkmann S. 300, Köhler S. 235 ff., bes. 239, Krell in Heinsheimer, Zeitschr. s. franz. Civilrecht 19 S. 160 ff. u. A. A.M. Puchelt II S. 641. Vgl. auch NG. in I. W. 1885 S. 65 Nr. 2.)

§ 775. Literatur: H. Meyer in Busch, 3.XV S. 477 ff., Falk manu, Zwangsvollstreckung S. 309 ff. 1) Bei den Urtheilen auf Unterlassung oder Duldung, abgesehen von dem Falle des 8 777, läßt sich zwar, wie die Preuß. AGO. I 24 § 54 sich ausdrückt „die Exekution im eigentlichen Verstände nicht denken"; sie werden aber mittelbar, ähnlich wie nach § 774, durch

944

Ächtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 775.

Geldstrafen oder Haft erzwungen, falls bei Urtheilen auf Duldung der Gläubiger nicht den Weg des § 777 vorzieht. Die Pflicht zur Unterlassung kann nicht bloß aus einer dinglichen, sondern auch aus einem obligatorischen Verhältniß entspringen; inwieweit eine solche Ver­ pflichtung zulässig ist, insbesondere ein Verbot, mit Dritten Rechtshandlungen vorzunehmen, entscheidet sich nach bürgerlichem Rechte (vgl. Köhler S. 292 ff.). Ein Unterlassungszwang nach § 775 ist nicht schon dann zulässig, wenn der Schuldner sich durch ein Thun in die Un­ möglichkeit versetzen würde, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen; hier kann nur gegebenenfalls der Arrest oder eine einstweilige Verfügung helfen (s. Köhler S. 292, NG. in S. A. 47 Nr. 21). Auch aus dem Begriffe der negatorischen Klage und der Eigenthumsstörung folgt nicht ohne Weiteres die Anwendbarkeit des § 775 (s. NG XV S. 343). Die in den Umständen begründete Un­ bestimmtheit des in dem Urtheil erlassenen Verbots verursacht für die Zwangsvollstreckung nach § 775 oft große Schwierigkeiten (s. z. B. OLG. Braunschweig in S. A. 40 Nr. 279, Köhler S. 285 f.; vgl. §§ 773—779 Anm. 6). Bei Urtheilen, die eine Verpflichtung des Schuldners nur feststellen (nach § 231), ist § 775 nicht anwendbar (s. RG. in Gruchot 36 S. 893. A.M. Wach, Feststellungsanspruch S. 40). — Selbstverständlich muß der Gläubiger die Zuwiderhandlung nachweisen (s. OLG. Dresden in S. A. 46 Nr. 78, Seuffert Anm. 3). — Wegen Unterlassungen im Auslande s. Köhler in Busch, Z. X S. 449 ff. 2) Bezüglich des Maßes der Geldstrafe sowie deren Vollstreckung und Umwand­ lung in Haft gilt hier dasselbe, wie im Falle des § 774 (s. das. Anm. 3, 4). Die „Strafe der Haft", welche sogleich statt der Geldstrafe erkannt werden kann, hat hier nicht den Karakter der „Haft" als Zwangsmittel, sondern einer wirklichen Strafe (wie in den Fällen der §§ 345 Abs. 1, 355 Äbs. 1). Die Vollstreckung geschieht von Amtswegen wie die anderer Freiheits­ strafen (StPO. § 463) ohne Anwendung der §§ 785 ff. (Vgl. die allg. Bem. z. d. §§ 765 bis 794, Seuffert Anm. 2 a. E., Wilm. Leoy Anm. 1, auch Köhler S. 254 u. Recht des Markenschutzes S. 375 f. u. A. A.M. Hell mann III S. 143c u. Lehrb. S. 887). Das Wahlrecht zwischen Geldstrafe und Haftstrafe (vgl. § 774 Anm. 2), nicht bloß die Bemessung, gebührt denl Gerichte (so hier auch Wilm. Levy, Seuffert a. a. O., Gaupp II S. 530 N. 8, Sarwey II S. 273, Fitting § 108 N. 29. A.M. auch hier Hellmann III S. 143 u. Lehrb. S. 888, Falkmann S. 310). Wegen des Verfahrens s. § 776. Die Geldstrafe wie die Haft kann (abweichend von § 774) hier „wegen einer jeden Zuwiderhandlung", also lviederholt int vollen zulässigen Umfang erkannt werden. „Die Strafen haben jedoch für die beiden Hauptfälle, Handlungen und Unter­ lassungen, nach deren Natur eine sehr verschiedene Bedeutung. Die Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen, ist eine fortdauernde, und der Zwang kann nur als Repression durch Ausführung der angedrohten Strafe in jedem Falle des Zuwider­ handelns wirken; die Strafe kann daher in jedent einzelnen Falle das überhaupt zulässige Maß erreichen, sowie in jedem einzelnen Falle eine Jnteresseforderung be­ gründet ist" (Mot.). Die RTK. hat jedoch zur Verhütung maßloser Strafen die in dem Schlußsätze des Abs. 1 enthaltene Beschränkung der Haft hinzugefügt. Die Beschränkung gründet sich auf § 74 StGB., setzt also, wie ausdrücklich in der RTK. festgestellt ist, voraus, daß mehrere (real) konkurrirende Zuwiderhandlungen gleichzeitig zu bestrafen sind. Selbstverständlich gilt dies, wie der Antragsteller hervorhob, auch dann, wenn die wegen der früheren Zuwiderhandlung erkannte Strafe noch nicht verbüßt oder verjährt oder erlassen ist (StGB. § 79). Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 27 Nr. 2, 39 Abs. 1, GO. f. RA. §§ 23 Nr. 2, 33 Abs. 2, 3. 8) Abs. 2: Die obligatorische („muß") Strafandrohung gegen die Partei ist eine in der Natur der Sache begründete Eigenthümlichkeit des § 775 (vgl. § 209 Anm. 1). Sie setzt eine Zuwiderhandlung gegen das Urtheil nicht voraus (s. RG. XX S. 385, Gaupp II S. 530,

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung rc.

§ 776.

945

§ 776. Die in Gemäßheit der §§. 773—775 zu erlassenden Entscheidungen können ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen. Vor der Entscheidung ist der Schuldner zu hören. N. Entw. 88 1054-1056. Entw. I. 88 694-697. Entw. II. 8 709. Entw. III. 8 722. Mot. S. 444, 445. Prot. S. 416, 417.

Seuffert Anm. 2, Wilm. Levy Anin. 3, Falkmann S. 311, OLG. Nürnberg in Busch, Z. VI S. 132. A.M. Kerkb off in Bödiker, Mag. III S. 215 ff.), auch nicht die vorherige Zustellung des Urtheils nach § 671, weil sie noch nicht Beginn der Zwangsvollstreckung ist (s. RG. XX S. 385, Falkmann S. 311 u. A.; vgl. § 671 Anm. 1. A.M. H. Meyer (5.479); sie braucht nicht in jedem Falle wiederholt zu werden (Endemann III S. 325, Gaupp, Seuffert a. a. O.). Auch braucht sie nicht eine bestimmte Strafe nach Art und Größe zu enthalten (Endemann, Gaupp a. a. O., Hellmann, Lehrb. S. 888, Fitting § 108 N. 27 u. A. A.M. Wilm. Levy, Seuffert a. a. O., Sarwey II S. 273); enthält sie aber eine bestimmte Strafe, so darf über diese hinaus nicht erkannt werden. Gegen die Strafandrohung ist, eben weil sie nicht schon Beginn der Zwangsvollstreckung ist, auch eine Beschwerde nach § 701 nicht zulässig; sie kann vielmehr nur mit der Straffestsetzung angefochten werden (A.M. H. Meyer S. 478 ff. Vgl. auch NG. X V S. 343). Die Strafandrohung wirkt auch gegen den allgemeinen Rechtsnachfolger (vgl. Seuffert Anm. 2; s. auch Busch, Z. XVII S. 167 ff. A.M. Köhler S. 265). „wenn sie--------enthalten ist" — entsprechend der gemeinrechtlichen Praxis (vgl. Wetzell § 50 Anm. 94, ROHG. 21 S. 222, 24 S. 233). Vgl. auch Preuß. ALR. I, 7 § 251 (welcher durch § 775 hiernach eine Einschränkung erleidet). — Der Anspruch auf Schutz gegen künftige Störung kann übrigens auch mittels selbständiger Klage (actio negatoria) verfolgt werden (NG in I. W. 1889 S. 515). Die in einem gerichtlichen Vergleiche für den Fall der Zuwiderhandlung festgesetzte Geldstrafe hat nicht die Bedeutung und Wirkung einer Strafandrohung im Sinne des § 775 (OLG. Dresden in S. A. 42 Nr. 341; vgl. auch Seuffert Anm. 5, Köhler S. 287). 4) Abs. 3: Die Bestimmung ist von der RTK. hinzugefügt worden. Der Ausdruck „Schaden" umfaßt auch die dem Gläubiger erwachsenden Kosten, wie der Reg.-Vertreter in der RTK. hervorhob, nicht aber die dem Fiskus gebührende Strafe. Die Auferlegung der Sicherheilsbestellung ist übrigens nur fakultativ („kann"). Sie kann nicht mit der Strafandrohung, sondern erst in einer verurtheilenden Entscheidung (Abs. 1) erfolgen („fernere"). sSo auch Endemann III S. 326, Gaupp II S. 531, H. Meyer S. 491, Falkmann S. 311 i. 21.] Wegen der Sicherheitsmittel s. § 101. Wegen des Ver­ fahrens s. § 776. 6) Wegen der Anwendung des § 775 im Gebiete des rheinisch-franz. Rechts s. §- 774 Anm. 8. §

776.

1) Die Entscheidungen (Beschlüsse, nicht Urtheile, auch wenn im einzelnen Fall eine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist — s. §§ 294 Anm. 1, 312 Anm. 4, RG. XVIII S. 320, XXXII S. 379, ob.LG. f. Bayern in S. A. 41 Nr. 255; abw. früh. Aufl.) des Prozeßgerichts in den Fällen der §§ 773 Abs. 1, 2, 774 Abs. 1, 775 Abs. 1—3 (vgl. §§ 773 bis 779 Anm. 3) dürfen sich von der in dem zu vollstreckenden Urtheil enthaltenen unabänder­ lichen Grundlage nicht entfernen und bedürfen deshalb, wie die Mot. bemerken, nicht der vor­ gängigen mündlichen Verhandlung (vgl. § 119 Anm. 4). Die Anhörung des Schuldners ist jedoch nach Satz 2 obligatorisch, „weil fast durchweg für die Entscheidung Thatsachen in Betracht kommen werden, über welche eine Verhandlung noch nicht stattgefunden hat" (Mot.). Die Strafandrohung ist jedoch keine Entscheidung und kann daher, wenn sie nachträg­ lich beantragt wird, ohne vorherige Anhörung des Schuldners erfolgen (Breitner in Bödiker, St ruck mann u. Koch, Civilprozcßordnung. 6. Aufl. 60

946

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 777, 778.

§ 777. Leistet der Schuldner Widerstand gegen die Vornahme einer Hand­ lung, welche er nach den Bestimmungen der §§. 773, 775 zu dulden hat, so kann der Gläubiger zur Beseitigung des Widerstandes einen Gerichtsvollzieher zu­ ziehen, welcher nach den Bestimmungen des §. 678 Abs. 3 zu verfahren hat. N. Entw. § 1057. Ent«. I. § 697. Ent«. II. § 710. Ent«. III. 723. Mot. S. 445. Pro,. ®. 417.

§ 778. Durch die Bestimmungen dieses Abschnitts wird das Recht des Gläubigers nicht berührt, die Leistung des Interesse zu verlangen. Den Anspruch auf Leistung des Interesse hat der Gläubiger im Wege der Klage bei dem.Prozeßgericht erster Instanz geltend zu machen. 91. Entw. § 1058. Entw. I. § 698. Entw. II. § 714. Entw. III. § 734. Mol ®. 446. Pro,. ®. 417,418. Mag. IV S. 287. A.M. Kerkhoff, das. III S. 215, OLG. Naumburg in Busch, Z. XVIII S. 265). Dagegen bedarf es vor der Verurtheilung in die angedrohte Geldstrafe oder Haft auch in den Fällen des § 774 der Anhörung des Schuldners, weil die Verurtheilung eine Entscheidung im Sinne des § 776 enthält (A.M. Fitting § 108 N. 23). Wird eine münd­ liche Verhandlung angeordnet, was lediglich Sache richterlichen Ermessens ist („können"), so kommen hinsichtlich der Ladung die Grundsätze des Parteibetriebs zur Anwendung. Vgl. § 119 Anm. 4 S. 148, § 124 Anm. 4. (So auch Endemann III S. 326, H. Meyer, D. Zu­ stellung der Beschlüsse u. s. w. S. 58 u. in Busch, Z. XV S. 489, Fischer in Gruchot 25 S. 647 ff. A.M. Gaupp II S. 532, Ho sfm ann in Gruchot 24 S. 739 ff., die von Amts­ wegen laden wollen; vgl. auch ob.LG. f. Bayern a. a. O.) Wegen des Versäumnißurtheils s. § 312 Anm. 4, wegen der Beweisbeschlüsse s. § 426 Anm. 1, OLG. Dresden in S. A. 46 Nr. 78 u. abweichend ob.LG. f. Bayern a. a. O., Meyer in Busch, Z. XV S. 490, teil­ weise auch Sprenger im civ. Arch. 81 S. 262 ff. Die an das Landgericht gerichteten Anträge müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein (RG. in I. W. 1893 S. 501, 502). 2) Je nachdem in den Fällen der §§ 773—775 die Vollstreckung der Haft oder der Geld­ strafe vom Gläubiger oder von Amiswegen zu betreiben ist, muß auch die nach § 671 erforder­ liche Zustellung der betreffenden Entscheidung (vgl. § 671 Anm. 1) im Aufträge des Gläubigers oder von Amtswegen erfolgen (vgl. auch H. Meyer, D. Zustellung u. s. w. S. 59 f. in Büschs Z. XV S. 491). Entscheidungen ohne vorgängige mündliche Verhandlung sind nach § 294 Abs. 3 von Amtswegen zuzustellen. Die Zustellung der Entscheidung erfolgt an den Prozeß­ bevollmächtigten erster Instanz (§§ 162 f.; vgl. RG in Gruchot 37 S. 425). 3) Gegen die in § 776 bezeichneten Entscheidungen — nicht gegen die Strafandrohung (vgl. Anm. 1, § 775 Anm. 3) — findet die sofortige Beschwerde statt (§ 701), selbst wenn die Entscheidung in der Form eines Urtheils — aber ohne die Absicht, ein Urtheil zu erlassen — ergangen ist (vgl. RG. XXXII S. 379, XVIII S. 360, OLG. Braunschweig in S. A. 43 Nr. 79, § 473 Anm. 4). Sie sind also ohne Weiteres vollstreckbar (§ 702 Nr. 3).

§ 777. 1) Der Gläubiger darf den Widerstand des Schuldners nicht selbst mit Gewalt brechen (vgl. StGB. § 240). Wo ein solcher ihm entgegentritt, ist die Zuziehung des Gerichtsvollziehers unentbehrlich. Nachdem dies in der RTK. konstatirt worden war, wurde ein Antrag, statt „kann" zu setzen: „hat", zurückgezogen. Das Brechen des Widerstandes dient dazu, im Falle des § 773 mittelbar, im Falle des § 775 dagegen unmittelbar (vgl. § 775 Anm. 1) das in Frage stehende Urtheil zur Vollziehung zu bringen. Näheres über die Thätigkeit des Gerichtsvollziehers s. in Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 97. 2) Wegen der Gebühren des Gerichtsvollziehers s. GO. f. GV. § 8 Abs. Nr. 2.

§ 778. 1) Die §8 769—777 enthalten keine Bestimmung darüber, inwiefern der Gläubiger bei ausbleibender Erfüllung (nicht bloß eines facere, sondern jeder Judikatsobligation) sein

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung rc.

§ 778.

947

Interesse liquidiren kann. § 778 Abs. 1 hält die darüber (jetzt oder künftig) gellenden gesetzlichen Bestimmungen aufrecht („nicht berührt"). „Das Recht des Gläubigers, statt der wirklichen Erfüllung einer Verpflichtung sein Interesse zu fordern, wird durch die Bestimmungen dieses Abschnitts weder ausgeschlossen noch begründet. Die Grundsätze darüber, unter welchen Voraus­ setzungen der Gläubiger zu der Jnteressesorderung Übergehen, insbesondere die Naturalcrfüllung der Verpflichtung zurückweisen kann, und ob derselbe an den Uebergana zur Jnteressesorderung gebunden ist, gehören dem materiellen Rechte an (vgl. HGB. Art. 356)." (Mot.) Es fragt sich also, inwiefern und von welchem Zeitpunkt an der Gläubiger nach bürger­ lichem Recht (oder nach Reichsprozeßrecht — EG. z. CPO. § 13 Abs. 1) ein Recht hat, die Leistung des Interesse zu verlangen (Beispiele: RG. X S. 176 — Unmöglichkeit der Erfüllung eines Kaufkontrakts; NG. XXII S. 255 - nicht erzwingbare Handlung; RG. in I. W. 1894 S. 428 Nr. 27 — Ausführung einer Oper; RG. das. 1887 S. 94; OLG. Kiel in S. A. 41 Nr. 156 — Vornahme einer Handlung; OLG. Karlsruhe in Busch, Z. III S. 506 — per­ sönliche Arbeit; Striethorst, Arch. 52 S. 311 — Befreiung von Schulden; das. 71 S. 223 — Löschung von Hypotheken; s. auch Mandry S. 282 Anm. 50 u. über die Verurtheilung zur Uebertragung des Eigenthums an einer nicht mehr im Eigenthume des Schuldners stehenden Sache RG. X S. 420, XXVII S. 321, in I. W. 1893 S. 351, 430, im Rhein. Arch. 78 III S. 7, OLG. Cöln das. 86 I S. 190, Scherer in der Ztschr. f. franz. Civ.-R. 23 S. 155 ff.). Vgl. auch Entw. I e. b. GB. §§ 243, 369 u. Mot. II S. 53 f., Entw. II §§ 239, 276. In­ dessen ist es häufig nicht leicht, zu bestimmen, ob eine einschlagende Vorschrift dem bürgerlichen oder dem Prozeßrechte des Landes angehört. Jedenfalls ist § 9 der preuß. Verordn, v. 4. März 1834 mit seinem Wahlrechte zwischen der Jnteressesorderung und den verschiedenen Voll­ streckungsmitteln prozessualen Inhalts und daher als beseitigt anzusehen. (A.M. Dernburg I § 125 Anm. 9; unentschieden RG. XXII S. 256.) Dasselbe gilt auch von dem da­ selbst ausdrücklich gestatteten jus variandi. Ob ein solches stattfindet, beantwortet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Hierbei wird man davon ausgehen können, daß die Forderung des Interesse als ein Versuch, die Befriedigung zu erlangen, anzusehen ist, die ursprüngliche Leistung also mindestens (vgl. Windscheid, Pand. I § 193 Anm. 12, Hellmann, Lehrb. S. 888) dann gefordert werden kann, wenn das Interesse noch nicht gezahlt ist (vgl. Nordd. Prot. S. 2059), wie auch die Mot. für den Fall des § 769 anerkennen (abw. Entw. c. b. GB. a. a. O.); die bloße Verurtheilung zur Zahlung des Interesse bewirkt — wenigstens nach preuß. Recht — keine Novation. Vgl. § 769 Anm. 5. (S. auch En bemann III S. 329, Gaupp II S. 533, Wilm. Levy Anm. 1, Falkmann S. 314.) 2) Abs. 2 enthält eine prozessuale Bestimmung hinsichtlich der Geltendmachung der Jnteressesorderung. Letztere bildet einen neuen Prozeß („im Wege der Klage"), für welchen das Prozeßgericht erster Instanz, d. h. das, welches das Urtheil erster Instanz in der Hauptsache erlassen hat, wegen des materiellen Zusammenhanges mit der Hauptsache ausschließlich (§ 707) zuständig ist (sodaß es auch auf den Werth des Streitgegenstandes nicht weiter ankommt; s. RG. XIII S. 367, XIV S. 203, Seuffert Anm. 2, Planck I S. 99 Anm. 22 u. A.). Vgl. § 10. Der Prozeß ist in den gewöhnlichen Formen mündlich zu verhandeln. — Auch eine mit der Verurtheilung zur Leistung verbundene eventuelle Verurtheilung zur Leistung des Interesse ist zulässig (vgl. § 232 Anm. 7, S. 285 a. E., 286; s. auch § 51 d. Ges. betr. die Gew.-Gerichte v. 29. Juli 1890. A.M. Seuffert Anm. 2). Der Abs. 2 erleidet, wie schon die Stellung des § 778 in diesem Abschnitt ergiebt, nur dann Anwendung, wenn bereits ein vollstreckbarer Titel im Sinne der §§ 769 ff. vorliegt, nicht aber, wenn der Gläubiger von vornherein auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung klagt, noch weniger, wenn einer Klage auf Schadensersatz eine Klage auf wirkliche Leistung nachfolgt. In diesen Fällen gelten die allgemeinen Regeln über die Zuständigkeit (Gaupp II S. 533 et. E. 60*

948

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 779.

§ 779. Ist der Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung verurtheilt, so gilt die Erklärung als abgegeben, sobald das Urtheil die Rechtskraft erlangt hat. Ist die Willenserklärung von einer Gegenleistung abhängig gemacht, so tritt diese Wirkung ein, sobald nach den Bestimmungen der §§. 664, 666 eine voll­ streckbare Ausfertigung des rechtskräftigen Urtheils ertheilt ist. Die Vorschrift des ersten Absatzes kommt im Falle der Verurtheilung zur Eingehung einer Ehe nicht zur Anwendung. N. Entw. 8 1059. Entw. L § 699. Entw. II. § 712. Entrv. Hl. § 725. Mot. S. 443, 444. Prot. S. 418, 419, 720. Wilm. Levy Anm. 2). Auch wird durch den Abs. 2 nicht ausgeschlossen, daß ein auf Ver­ tragserfüllung belangter Beklagter zur Abwendung des gegen ihn erhobenen Anspruchs seine aus demselben Vertragsverhältniß entspringende Jnteresseforderung geltend macht (RG in I. W. 1886 S. 165 Nr. 10).

§ 779. Literatur: Köhler im cito. Arch. 80 S. 267ff., die zu §§ 773—779 angeführte Schrift von Kipp, Falkmann S. 312f. 1) Nach dem Vorgänge der preuß. Hypothekengesetzgebung fGes. v. 24. Mai 1853 § 32 (GS. S. 521), v. 21. März 1868 § 96 (für Neuvorpommern und Rügen) (GS. S. 293), v. 5. Mai 1872 §§ 3, 19 Nr. 2, 53, 65 Abs. 2 (GS. S. 433 ff.), Grundbuchordn. v. gleichen Tage §§ 53, 85, 94 Nr. 2 (GS. S. 446); vgl. auch Entw. I e. b. GB. § 833, Entw. II § 817 2lnm.J ist von dem Zwange zur Abgabe einer Willenserklärung gänzlich abgesehen, da der Zwang, wie die Mot. bemerken, den Gläubiger nur aufhalten und den Schuldner ohne Noth belästigen würde. Das rechtskräftige Urtheil — auch das Vollstreckungsurtheil der §§ 660, 868 (vgl. RG. XVI S. 420 ff.. Kipp S. 129 ff.; s. ferner Köhler S. 277 ff., 287 ff.), nicht aber schon das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urtheil und ebensowenig andere vollstreckbare Schuldtitel, z. B. Vergleiche (s. Gaupp II S. 534, Wilm. Levy Anm. J, Fitting § 97 N. 5 u. A. A.M. Kipp S. 115 ff., 126 ff.; Köhler S. 281 ff., 287 ff. will auf Grund des vorläufig vollstreckbaren Urtheils und des Vergleichs einen die Willenserklärung ersetzenden Vollstreckungsbeschluß nach § 776 erlassen) — tritt an Stelle der Erklärung (vgl. Bülow, Dispos. Civilprozeßrecht S. 79 Anm. 48) und erübrigt eine Zwangsvollstreckung (s. auch Wach 1 S. 12, Kohler S. 267 ff.). Die vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigt nicht einen Zwang nach Maßgabe der §§ 773, 774, da nach den Mot. hier der direkte Zwang überhaupt ausgeschlossen sein soll; sie hat daher nur insofern Bedeutung, als auf Grund derselben eine Vormerkung im Hypotheken- oder Grundbuche nach Maßgabe des § 658 zulässig ist. (So auch OLG. Dresden im Sächs. Arch. I S. 815, Gaupp II S. 535, Wilm. Levy Anm. 2 a. E.; vgl. auch RG. XXV S. 379.) Gleichgültig ist, ob die Erklärung mündlich oder schriftlich oder in einer anderen Form, z. B. vor einer Behörde, in einer öffentlichen Urkunde abgegeben werden soll (vgl. Kipp S. 87 ff., Seusfert Anm. 1, Gaupp II S. 534; z. Th. abw. Wilm. Levy Anm. 1, ferner das bei Kipp S. 94 sowie in Heuser's Annalen 28 S. 133 ff. und in den Annalen des RG. VIII S. 509 mitgetheilte Urtheil des RG-, OLG. Kiel in S. A. 39 Nr. 278). § 779 spricht ganz allgemein davon, daß die Willenserklärung als abgegeben gelte. Setzt die Willenserklärung daher zu ihrer Wirksamkeit eine bestimmte Form voraus, z. B. wenn nach bürg. Recht das Eigenthum an unbeweglichen Sachen nur durch notariellen Vertrag übertragen werden kann, so muß auch diese Form durch das Urtheil ersetzt werden; Form und Erklärung sind unzertrennlich. Dies trifft freilich nicht zu, wenn die Form nur zum Beweise dient, z. B. wenn der Beklagte zur Ausstellung einer schriftlichen Vollmacht verurtheilt und nach dem bürg. Recht auch eine mündlich ertheilte Vollmacht wirksam ist. Indessen muß doch arg. a majori ad minus auch Hier die Willenserklärung als in der im Urtheile bezeichneten Form abgegeben angesehen

Dritter Abschnitt.

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung re.

§ 779.

949

werden; ein Zwang zur Ausstellung schriftlicher Vollmacht nach § 774 wäre weitläufig und überflüssig (vgl. auch Köhler S. 294). Die im Preuß. ALR. I 5 § 123 verordnete richterliche Ergänzung der Unterschrift ist daher nicht mehr erforderlich. Anders im Falle des § 124 das., sofern der ausländische Richter das deutsche Prozeßrecht nicht berücksichtigt; hier kann dem Kläger das Recht auf wirkliche Aus­ stellung der Urkunde nicht entzogen werden; es findet daher § 774 Anwendung. (A.M. Kipp S. 101 ff.) Das Urtheil ersetzt aber nur die Erklärung des Beklagten (Schuldners), nicht die des Gläubigers. Ist daher der Beklagte zum Abschluß eines notariellen Vertrages verurtheilt, so muß der Kläger noch mit dem rechtskräftigen Urtheile seinerseits vor dem Notar erscheinen und den Vertragsabschluß erklären (RG- XXXI S. 359 u. in I. W. 1893 S. 200, Golden­ ring in Jur. Zisch, f. Els.-Lothr. 16 S. 137ff., 17 S. 90ff., Kipp S. 89). Bei Verurteilung des Beklagten zur Abgabe einer Willenserklärung gegenüber Dritten sind nur die §§ 774, 778 anwendbar, nicht der § 779 (Seuffert Anm. 1); denn es fehlt nicht nur an einem Verfahren, um den Dritten verbindlich von dem Urtheil in Kenntniß zu fetzen (Kipp S. 82), sondern es kann auch das Urtheil nicht in die Rechtsverhältnisse Dritter eingreifen (Köhler S. 296 ff.). Ist dagegen der Beklagte verurtheilt, einen Antrag auf Eintragung oder Löschung bei einer Registerbehörde u. dgl. zu stellen, so dürfte der Antrag des Beklagten durch das Urtheil ersetzt werden und der Kläger befugt sein, auf Grund des Urtheils seinerseits den Antrag zu stellen. Denn der Antrag bei der Registerbehörde ruft keine materiellen Wirkungen gegen­ über der Behörde hervor, vielmehr ist die Mitwirkung der Registerbehörde nur Formsache (vgl. Köhler S. 285. A.M. Kipp S. 83 f.; vgl. auch Schanze im Sächs. Arch. III S. 137 ff.). Keine Anwendung findet der § 779 aber bei der Verurteilung zur Ausstellung oder Unterzeichnung von Wechseln und ähnlichen Papieren, bei denen das thatsächliche Vorhanden­ sein der Urkunde Ersorderniß für die Geltendmachung von Rechten ist (Kipp S. 99 ff., Seuffert Anm. 1 u. A.; vgl. Köhler S. 270). Solche Urtheile find nach § 774 (nicht nach § 773) zu vollstrecken (s. § 773 Anm. 1 S. 938). Beispiele von Willenserklärungen, die unter § 779 fallen, find Zession, Löschungs­ bewilligung, Ausstellung einer Quittung — nicht aber die Ausstellung eines Zeugnisses, da ein Zeugniß keine Willenserklärung ist (A.M. bei Zeugnissen von bestimmtem Inhalte Kipp § 684 Abs. 3 ist hier nicht anwendbar. Die dort erwähnten „Entscheidungen" sind anderer Art (vgl. § 684 Anm. 3). Der Gläubiger wird eventuell die Voraussetzungen der §§ 711, 769 durch Vorlegung der be­ treffenden Urkunden nachweisen müssen. Die bloße Weigerung der Leistung ohne ein Be­ streiten der Verpflichtung zur Leistung bedingt noch keine Entscheidung (vgl. § 782). Durch das Urtheil wird nicht bloß der wirklich gellend gemachte Widerspruch beseitigt, sondern bei entsprechender Anwendung des § 686 alle Einwendungen, tvelche damals der Schuldner-

Vierter Abschnitt.

Offenbarungseid und Haft.

§ 782.

953

§ 782. Gegen den Schuldner, welcher in dem zur Leistung des Offen­ barungseides bestimmten Termine nicht erscheint oder die Leistung des Eides ohne Grund verweigert, hat das Gericht zur Erzwingung der Eidesleistung auf Antrag die Haft anzuordnen. N. Entw. 8 1035 Abs. 1. Guttu. I. § 701 Abs. 1. Guttu. II. § 715. Guttu. III. 8 728. Mot. S. 445. Prot. S. 420.

gegen die Leistung des Eides hat geltend machen tonnen (so auch Fried land er a. a. O. S. 611. A.M. KG. Berlin das. S. 606 u. in S. A. 49 Nr. 69). Anders ausdrücklich § 355 Abs. 1 (s. das. Anm. I). Es besteht kein Grund, die Verhandlung nicht sofort stattfinden, sondern dazu von neuem besonders laden zu lassen. (So auch Friedländer a. a. O. S. 591. A.M. Francke, J-ust, Hellmann, H. Meyer in Busch, Z. IX S. 345 f.) Einwendungen gegen den Anspruch selbst können nur im Wege des § 686 (behufs einst­ weiliger Einstellung des Verfahrens über den Offenbarungseid nach § 688) gellend gemacht werden (s. RG. in I. W. 1890 S. 30, Seuffert Anm. 3b, Francke S. 88 u. A.), müssen aber, wenn der Schuldnerdeshalb seine Verpflichtung zur Eidesleistung bestreitet, durch Urtheil nach § 781 als formell unzulässig zurückgewiesen werden (OLG. Hamburg in S. A. 47 Nr. 174, Sächs. Arch. IV S. 750). Auch das Vollstreckungsgericht kann in diesem Falle, wenn der Rechtsstreit anhängig ist, nach § 139 die Verhandlung aussetzen (vgl. Seuffert Anm. 3b). 3) „dem Gerichte" — d. h. dem in 8 780 bezeichneten Amtsgerichte (A.M. Sarwey II S. 280 f.). „Die Eidesleistung erfolgt" — nach den Vorschriften der §§ 440—446. Zur Eides­ leistung hat der Gläubiger in diesem Falle wiederum zu laden. „erst nach dem Eintritt der Rechtskraft" — Gegen das Urtheil steht beiden Theilen die Berufung zu, nicht die sofortige Beschwerde, da § 701 hier nicht zutrifft, [©o auch RG. X S. 411, Seuffert Anm. 3 b, Puchelt II S. 650, Sarwey II S. 279 f., Gaupp II S. 538, Drache S. 328, Fitting § 109 N. 7 u. A. A.M. Wilm. Levy Anm. 3, Ueb el II S. 264, Krech S. 251 ff. (weil das Urtheil kein „Endurtheil" sei), Mugdan a. a. O., Endemann III S. 335.] Vgl. § 425 Abs. 2. Verzichtet der Schuldner auf das Rechtsmittel, so kann, wie in der RTK. festgestellt wurde, die Eidesleistung sofort erfolgen. 4) Bleibt der Gläubiger aus, so kann der Schuldner nicht nach § 782 zur Eidesleistung gezwungen werden, vielmehr ist auf seinen Antrag der Antrag auf Leistung des Offenbarungs­ eides durch Versäumnißurtheil abzuweisen, gegen welches der Einspruch zulässig ist (§§ 295, 303, 312 Abs. 2). [©o auch Fitting § 109 S. 778 a. E., Seuffert Anm. 5, Sarwey a. a. O., Gaupp II S. 540, Fischer S. 348, H. Meyer in Busch, Z. IX S. 347 u. A. A.M. OLG. Hamburg in S. A. 40 Nr. 331, Petersen a. a. O., Schönfeld a. a. O. S. 23, Fried­ länder a. a. O. S. 579 Anm. 14, 594, Wilm. Levy Anm. 1 (welche event, nach § 781 Abs. 2 bezw. § 782 verfahren wollen); ähnlich Kleiner III S. 338, Krech S. 259, Just S. 342 ff., Drache S. 321 ff., Francke S. 72 ff.] Ist der Schuldner aber zur Leistung des Eides bereit, so steht ihr nichts entgegen, sofern ein von Amtswegen zu beachtendes Hinderniß (s. Anm. 2 i. A.) nicht vorliegt (vgl. auch Gaupp, Seuffert a. a. £).). Wegen des Ausbleibens des Schuldners s. § 782. 6) Die Kosten des Verfahrens fallen unter die §§ 87, 697; es muß aber, wie bei ge­ richtlichen Zwischenstreitigkeiten, eine Entscheidung und Festsetzung durch das Gericht erfolgen (vgl. § 697 Anm. 1). Wegen der Gebühren s. GKG. § 35 Nr. 2, § 39 (beide in der neueren Fassung) und oben § 780 Anm. 5.

§ 782. 1) „nicht erscheint" — oder nicht verhandelt. Bloßer schriftlicher Widerspruch ist nicht zu berücksichtigen (s. Friedländer a. a. O. S. 595). A.M. H. Meyer in Busch, Z. XIX S. 477; s. auch Lewinsohn das. XIV S. 96 ff.).

954

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 783.

§ 783. Der verhaftete Schuldner kann zu jeder Zeit bei dem Amtsgerichte des Hastorts beantragen, ihn: den Eid abzunehmen. Dem Antrag ist ohne Verzug stattzugeben. Nach Leistung des Eides wird der Schuldner aus der Haft entlasten und der Gläubiger hiervon in Kenntniß gesetzt. N. Entw, § 1036. Entw. I. § 702. Entw. II. § 716. Entw. III. 8 729. Mot. S. 445. Prot. S. 420. „oder die Leistung des Eides ohne Grund verweigert" — Als verweigernd gilt auch, wer die Vorlage des Bermögensverzeichnisses ablehnt (vgl. § 781 Anm. 2, Hell­ mann III S. 150, Gaupp II S. 538 i. A.). „ohne Grund" — d. h. ohne seine Verpflichtung zu bestreiten, oder nach rechtskräftiger VerUrtheilung zur Leistung des Eides (Friedländer a. a. O. S. 612); ob der Schuldner einen anderen Grund angiebt, ist unerheblich (vgl. § 781 Anm. 2). Selbstverständlich hat das Gericht, soweit es nicht durch ein die Verpflichtung zur Eidesleistung aussprechendes Urtheil dieser Prüfung enthoben ist, von Amiswegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Offenbarungs­ eides svgl. z. B. § 671, auch § 795 (s. OLG. Dresden im civ. Arch. 70 S. 158)] vorliegen und im Verueinungsfalle den Antrag trotz Nichterscheinens des Schuldners zurückzuweisen (vgl. § 781 Anm. 1, 2). Ein Versäumnißurth eil gegen den Schuldner wird (abweichend von § 430) nicht erlassen; es giebt also auch keinen Einspruch. „das Gericht" — vgl. §§ 780, 781. Der Sache nach ist die Erzwingung der Eides­ leistung durch Hast hier nur eine Anwendung des Grundsatzes des § 774. Wegen des Sicher­ heilsarrestes s. § 798 Anm. 1. 2) „auf Antrag" — Dieser ist im Termine zu stellen [so auch Gaupp II S. 540, Francke S. 74ff., H. Meyer S. 346, Drache S. 315, Hellmann, Lehrb. S. 855 u. A. A.M. Krech S. 268, Wilm. Levy Anm. 2 u. § 781 Anm. 2 a. E., Just S. 354, Schön­ feld a. a. O. S. 29 Anm. 44, bes. unter Bezugnahme auf GKG. § 43 („spätestens im Termine gestellten Antrage"), Friedländer S. 596 ff.]. Bleiben beide Theile aus, so ruht das Verfahren nach § 228 (Gaupp II S. 539, Francke a. a. O., Hellmann, Lehrb. S. 655 u. A. A.M. Krech a.a.O., Mugdan S. 274, Just S. 354, 357 unter d). „die H aft" — Geldstrafe ist auch im Falle des § 769 nicht zulässig. Der Hast unter­ liegt auch der gesetzliche Vertreter. „anzuordnen" — durch Beschluß unter Erlassung des Haftbefehls (8 789). Berufung ist nicht zulässig, weil ein Endurtheil nicht vorliegt (vgl. § 472), wohl aber sofortige Beschwerde (vgl. § 701), da es in den Fällen des § 782 zu einer mündlichen Verhandlung überhaupt nicht kommt. Dies gilt auch von dem abweisenden Beschlusse (s. Anm. 1). (So OLG. Hamburg in S. A. 40 Nr. 331, Gaupp II S. 540, Sarwey II S. 282, Wilm. Levy Anm. 2, Fitting S. 779, Krech S. 270 [gegen den abweisenden Beschluß will dieser jedoch nur ein­ fache Beschwerde zulassen], Petersen §§ 780—784 II 2, Seuff ert Anm. 3c. A.M. Puchelt II S. 651, Kleiner III S. 238f.). Die Dauer der Haft wird in dem Beschlusse nicht beftimmt. Nach Anordnung der Hast kann diese — abgesehen von § 783 und dem dort in Anm. 1 Gesagten — nicht mehr durch den Schuldner abgewendet werden (s. OLG. Cö ln im Rhein. Arch. 88 I S. 5, Krech S. 271 f., Seuff ert § 783 Anm. 2 gegen Fischer in Gruchot 25 S. 637, Francke S. 83 u. Schönfeld a. a. O. S. 26, 28 Anm. 43). 3) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 35 Nr. 2, 39 (beide in der neueren Fassung), 43 und oben § 780 Anm. 5.

8 783. 1) „Der verhaftete Schuldner" — Auch der nicht verhaftete Schuldner wird, da er an der Fortsetzung des eingeleiteten Verfahrens ein Interesse hat, den Gläubiger zu einem Termine laden können — aber nur int Gerichtsstände des § 780 (vgl. Friedländer a. a. O.

Vierter Abschnitt.

Offenbarungseid und Haft.

§§ 784, 785.

955

§ 784. Ein Schuldner, welcher den im §. 711 erwähnten Offenbarungseid geleistet hat, ist zur nochmaligen Leistung des Eides auch einem anderen Gläubiger gegenüber nur verpflichtet, wenn glaubhaft gemacht wird, daß er später Vermögen erworben habe. N. Entw. § 1037. Entw. I. § 703. Entw. II. § 717. giltst). III. § 730. Mol. @. 445. Prot. S. 420.

§ 785. Die Haft ist unstatthaft: 1. gegen Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung während der Sitzungsperiode, sofern nicht die Versammlung die Vollstreckung genehmigt; 2. gegen Militärpersonen, welche zu einem mobilen Truppentheil oder zur Besatzung eines in Dienst gestellten Kriegsfahrzeuges gehören; 3. gegen den Schiffer, die Schiffsmannschaft und alle übrigen auf einem Seeschiff angestellten Personen, wenn das Schiff zum Abgehen fertig (segel­ fertig) ist. 91. Entw. § 1061. giltst). I § 704. guttu. II § 718. giltst). III. § 731. Mot. S. 446. Prot. S. 420, 421. S. 600, Schönfeld a. et. O. S. 28) —, um den Offenbarungseid zu leisten und dadurch die Verhaftung von sich abzuwenden; bis zur Leistung kann freilich der Gläubiger den Haftbefehl noch vollstrecken lassen. sA.M. Seuffert Anm. 2, Gau pp II S. 540.] „dem Amtsgerichte des Haftorts" — nicht nothwendig dem des § 780. 2) „ohne Verzug" — Die Eidesleistung erfolgt ohne zuvorige Ladung oder Benach­ richtigung des Gläubigers, wie auch aus Abs. 2 hervorgeht (s. auch Friedländer a. a. O. u. A. A.M. Francke S. 85). Ueber die Eidesleistung ist ein Protokoll aufzunehmen (vgl. Seuffert Anm. 1). 3) Abs. 2: Die Benachrichtigung ist formlos und geschieht von Amtswegen durch das in Abs. 1 bezeichnete Gericht.

§ 784. 1) Der Grund der Vorschrift liegt darin, daß der in § 711 erwähnte Offenbarungseid das ganze Vermögen umfaßt. (Anders der Offenbarungseid des § 769, dessen Wiederholung daher nicht ausgeschlossen ist; so auch außer allen Komm. Wach I S. 271.) Die Vorschrift setzt eine ordnungsmäßige Ableistung des Eides (Vorlage des Vermögensverzeichnisses u. s. w.) voraus. Vgl. auch § 795. Der § 784 findet auf den Schuldner, welcher den Offenbarungseid des § 115 der KO. geleistet hat, keine Anwendung, da der letztere Eid nur das zur Konkurs­ masse gehörige Vermögen umfaßt (Friedländ er in Gruchot 33 S. 588 u. A. Z. Th. abw. Wilm. Levy Anm. 1). 2) „später" — d. h. nach Vorlegung des Vermögensverzeichniffes. Auch derselbe (betreibende) Glättbiger kann alsdann die nochmalige Eidesleistung fordern. Es müssen aber für den neuen Antrag zugleich die Erfordernisse des §711 vorliegen (Gaupp II S. 541 N. 2. A.M. Friedländer a. a. O. S. 588 Anm. 21). 3) Die Vorschrift des § 784 ist öffentlichen Rechtens und daher von Amtswegen zu be­ achten (Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Gaupp II S. 541 N. 3, Levin­ sohn in Busch, Z. XIV S. 108). Ist aber der Schuldner rechtskräftig zur Ableistung des Offen­ barungseides verurtheilt, so kann die ftühere Eidesleistung nicht mehr nachträglich berücksichtigt werden (vgl. § 781 Anm. 2, Friedländer et. et. O. S. 611. A.M. KG. Berlin in S. A. 49 Nr. 69). Die Glaubhaftmachung des späteren — eine Zwangsvollstreckung lohnenden (Sächs. Arch. III S. 802) — Vermögenserwerbes liegt dem Gläubiger ob.

§§ 785-794. Die §§ 785 -794 enthalten allgemeine Bestimmungen über die Haft im Vollstreckungs­ verfahren.

Achtes Buch.

956

Zwangsvollstreckung.

§ 786.

§ 786. Die Haft wird unterbrochen: 1. gegen Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung

für die

„Die Hast ist in Ausführung des dem Reichsges. v. 29. Mai 1868 zum Grunde liegenden Gedankens auf die Fälle des Zwanges zu einer Handlung beschränkt, welche durch einen Dritten nicht vorgenommen werden kann (§ 774). Der Zwang zur Leistung des Offenbarungseides (§ 782) ist nur eine besondere Anwendung dieses Grundsatzes." (Mot.) Besonders auszusprechen, daß die Zwangsvollstreckung durch Hast in anderen Fällen nicht stattfindet (N. E. § 1060), ist nicht für nothwendig erachtet.

Insoweit durch die Hast

die Zahlung einer Geldsumme oder die Leistung einer Quantität vertretbarer Sachen oder Werth­ papiere erzwungen werden soll, ist sie bereits durch Ges. v. 29. Mai 1868 (BGBl. S. 237) auf­ gehoben worden. Ueber die Natur der Haft s. § 790 Anm. 2.

Daß die in den Mot. nicht erwähnte

„Strafe der Haft" des § 775 (ebenso wie in den Fällen der §§ 345 Abs. 1, 355 Abs. 1) sich nicht nach den §§ 785 ff. regelt, ergiebt sich aus deren Karakter als Strafe (f. § 775 Anm. 2).

Die systematische Stellung des § 775 im achten Buche, worauf sich die entgegen­

gesetzte Ansicht stützt sPuchelt II S. 656, Uebel II S. 266, Hellmann III S. 143, Ende­ mann III S. 333, Kleiner III S. 241 (welche Letzteren die §§ 785 ff. auf alle Fälle an­ wenden, „in denen nach der CPO. Haft erkannt worden ist")], kann dem gegenüber nicht wesentlich in Betracht kommen, obschon jene Ansicht auch in der RTK. (Prot. 420 f.) ohne Widerspruch geäußert worden ist.

sUebereinstimmend: Fitting § 110 N. 13, Sarwey II

S. 284,

Petersen, allg. Bem. z. Abschn. 4,

Anm. 2,

Wilm. Levy vor § 780 Anm., Merkel, Arrest S. 8 Anm. 2; vgl. auch Preuß.

Gaupp II S. 536, Seuffert vor § 780

Gesch.-A. f. d. GB. § 100 Abs. 2.] Die Vorschriften über die Haft im Zwangsvollstreckungsverfahren finden nach § 355 Abs. 2 auf die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses entsprechende Anwendung (Preuß. Gesch.-A. f. d. GB. § 100 Abs. 1), und ebenso richtet sich nach den §§ 785—794 die Voll­ ziehung des persönlichen Sicherheitsarrestes, wenn sie durch Hast erfolgt (§ 812). Wegen der Haft im Konkurse s. KO. § 93 Abs. 2 u. § 115. Ist die Partei nicht prozeßfähig, so unterliegt nur der gesetzliche Vertreter der Hast.

§ 785. 1) Der § 765 enthält Befreiungen von der Hast im öffentlichen Interesse.

Sie hindern

nur die Vollstreckung (§§ 790, 793), nicht die Anordnung der Haft und die Erlassung des Haftbefehls (Seuffert Anm. 1, Wilm. Levy Anm. 2, EndemannIII S. 338 Anm. 1 u. A.; s. auch Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 98 Abs. 3).

Wegen

der Gebühren des Gerichtsvoll­

ziehers in diesem Falle s. GO. f. GV. § 9 Abs. 2. 2) Nr. 1: „Mitglieder einer deutschen gesetzgeb enden Versammlung" — vgl. § 347, Reichsverfassung Art. 31, Preuß. Verfassungsurkunde Art. 84. 3) Nr. 2: „Militärpersonen" — vgl. § 14 Anm. 1. — „mobilen Truppen­ teil", „in Dienst gestellten Kriegsfahrzeuges" — vgl. §§ 184 Anm. 1, 699 Anm. 2. Gegen andere Militärpersonen,

welche nicht in diesen Verhältnissen stehen, ist Haft zulässig.

Vgl. § 793.

4) Nr. 3: Die Befreiung der Besatzung eines segelfertigen .Schiffs (selbstverständlich auch Dampfschiffs) von der Schuldhaft enthält bereits das HGB. Art. 445, 446 Abs. 3. Auf Flußschiffe bezieht sich die Bestimmung nicht.

8 786. 1) Nr. 1: vgl. Reichsverfassung Art. 31. 2) Nr. 2: vgl. § 785 Anm. 3. Die Unterbrechung wird in diesem Falle von Amiswegen

Vierter Abschnitt.

Offenbarungseid und Haft.

§§ 787—789.

957

Dauer der Sitzungsperiode, wenn die Versammlung die Freilaffung verlangt; 2. gegen Mililärpersonen, welche zu einem mobilen Truppentheil oder auf ein in Dienst gestelltes Kriegsfahrzeug einberufen werden, für die Dauer dieser Verhältnisse. N. Entw. § 1062. Entw. I. § 706. Entw. II. § 719. Entlv. III. § 732. Mot. S. 446. Prot. S. 421.

§ 787. Gegen einen Schuldner, dessen Gesundheit durch die Vollstreckung der Haft einer nahen und erheblichen Gefahr ausgesetzt wird, darf, so lange dieser Zustand dauert, die Haft nicht vollstreckt werden. N. Entw. - Entw. I. - Entw. II. § 720. Entw. III. § 733. Mot. S. 446. Prot. S. 421.

§ 788. Die Haft wird in einem Raume vollstreckt, in welchem nicht zu­ gleich Untersuchungs- oder Strafgefangene sich befinden. N. Entw. 1063. Entw. I. u. II. - Entw. III. - Mot. S. 446. Prot. S. 421.

§ 789. Das Gericht hat bei Anordnung der Haft einen Haftbefehl zu er­ lassen, in welchem der Gläubiger, der Schuldner und der Grund der Verhaftung zu bezeichnen sind. N. Entw. § 1064. Entw. I. § 706. Entw. II. 8 721. Entw. III. § 734. Mot. S. 446. Prot. S. 421.

durch das Amtsgericht des Hastorts anzuordnen sein; vgl. §§ 783 Abs. 1, 792, 794 (S euffert Anm. A.M. Gaupp II S. 542 a. E., welcher einen Antrag der Militärbehörde oder des Verhafteten verlangt); auch kann der Verhaftete sie (nach § 685) fordern. Der Gläubiger ist nicht zu hören.

§ 787. 1) Es ist dieses die einzige Beschränkung der Zulässigkeit der Haft aus Rücksicht auf die Person des Schuldners. Nöthigenfalls wird ein Gutachten von Sachverständigen einzu­ holen sein. (Vgl. Bayer. PO. Art. 1146, P. E. § 1098 Nr. 6.) 2) „nicht vollstreckt" — Die Anordnung und der Erlaß des Haftbefehls sind nicht unzulässig (vgl. § 785 Anm. 1). Hat die Haft schon begonnen, so ist sie zu unterbrechen. Die Entscheidung hat zunächst der Gerichtsvollzieher (§ 790), eventuell das Gericht (§ 685; s. auch Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 98 Abs. 3, 4, Bayer. Bek. v. 30. Sept. 1879, die Ausführung der Zwangsvollstreckung betr. re., § 72, Württ. Dienstanw. f. d. GV. § 100 Abs. 2 Nr. 2; abw. Bad. Dienstanw. f. d. GV. § 118). Vgl. auch GO. f. GV. § 9 Abs. 2. 3) „so lange dieser Zustand dauert" — Hört er auf, so kann der Vollzug des Haftbefehls ohne Weiteres fortgesetzt werden.

§ 788. Der Raum darf an sich (wie das Gebäude) auch zum Gefängnisse für Untersuchungs­ oder Strafgefangene dienen; aber in demselben Raume dürfe» sich solche nicht gleichzeitig befinden. (Vgl. auch Seuffert Anm. 2 u. A.). Indessen ist ein Verzicht auf diese (häufig eine Einzelhaft bedingende) Beschränkung nicht ausgeschlossen (s. Endemann III S. 340, Wilm. Levy Anm. 1).

§ 789. 1) „Das Gericht" — ist dasjenige, welches die Haft anzuordnen hat, mithin im Falle des § 774 das Prozeßgericht erster Instanz, im Falle des § 782 das Amtsgericht des Wohnorts bezw. Aufenthaltsorts des Schuldners, im Falle des § 355 Abs. 2 das Prozeßgericht bezw. der beauftragte oder ersuchte Richter (§ 365), im Falle des § 812 das Arrestgericht. 2) Der Haftbefehl ist gewissermaßen die Vollmacht des Gerichtsvollziehers (8 790). Ein besonderer Antrag des Gläubigers ist nicht erforderlich; im Falle des § 782 genügt namentlich der im § 782 vorausgesetzte Antrag (s. auch Gaupp II S. 544. A.M. Puchelt 11 S. 657). Vgl. § 790 Anm. 1.

958

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§§ 790—792.

§ 790. Die Verhaftung des Schuldners erfolgt durch einen Gerichtsvollzieher. Der Haftbefehl muß bei der Verhaftung dem Schuldner vorgezeigt und auf Be­ gehren abschriftlich mitgetheilt werden. N. (Snttt). § 1065. Entw. I. § 707. Entw. II. § 722. Entw. III. § 736. Mot. S. 446. Prot. S. 421.

§ 791. Vor der Verhaftung eines Beamten, eines Geistlichen oder eines Lehrers an öffentlichen Unterrichtsanstalten ist der vorgesetzten Dienstbehörde von dem Gerichtsvollzieher Anzeige zu machen. Die Verhaftung darf erst erfolgen, nachdem die vorgesetzte Behörde für die dienstliche Vertretung des Schuldners ge­ sorgt hat. Die Behörde ist verpflichtet, ohne Verzug die erforderlichen Anordnungen zu treffen und den Gerichtsvollzieher hiervon in Kenntniß zu setzen. 91. Entw. § 1066. Entw. I. § 708. Entw. II. § 723. Entw. III. § 736. Mot. S. 446. Prot. ®. 421.

§ 792. Der Gläubiger hat die Kosten, welche durch die Haft entstehen, einschließlich der Verpflegungskosten von Monat zu Monat vorauszuzahlen. Die Aufnahme des Schuldners in das Gefängniß ist unstatthaft, wenn nicht mindestens für einen Monat die Zahlung geleistet ist. Wird die Zahlung nicht spätestens bis „Der — Haftbefehl bildet wie die vollstreckbare Ausfertigung des Schuldtitels die formelle Grundlage der Vollstreckung und muß schon aus diesem Grunde, damit die von dem Schuldner zu erzwingende Leistung ersichtlich bleibt, den Grund der Ver­ haftung enthalten und bei der Verhaftung selbst vorgezeigt werden." (Mot.) Der Gerichtsvollzieher hat sich jedoch auch die vollstreckbare Ausfertigung des Schuldtitels aushändigen zu lassen (vgl. § 671, Preuß.-Gesch.-A. f. d. GV. § 98 Abs. 2).

§ 790. 1) Der Gerichtsvollzieher ist nach allgemeinen Grundsätzen (§ 674) vom Gläubiger zu be­ auftragen. Seine Thätigkeit ist innerhalb der gesetzlichen Schranken eine selbständige; indessen bleibt, wie die Mot. besonders hervorheben, das von ihm bei der Verhaftung einzuhaltende Verfahren (neben den §§ 678, 679, 681) instruktionellen Vorschriften vorbehalten; vgl. z. B. Preuß. Gesch.-A. f. d. GV. § 98; wegen der „Nachverhaftung" eines bereits zum Zwecke der Zwangsvollstreckung verhafteten Schuldners s. das. § 99. — Wegen der Gebühren s. GO. st GV. § 9 Abs. 1. 2) Die Haft ist nur Zwangsmittel, nicht Strafe. Sie besteht in einfacher Freiheitsent­ ziehung (s. § 774 Anm. 2, 4). „Daß die Haft nur in Entziehung der Freiheit besteht, versteht sich nach § 18 Abs. 2 d. StGB, von selbst. Im Uebrigen müssen die näheren Bestimmungen der Ausführung sich wesentlich den örtlichen Verhältnissen anschließen". (Mot.)

§ 791. 1) Die Vorschriften des § 791 sind im öffentlichen Interesse gegeben. 2) „Beamten, Geistlichen, Lehrers an öffentlichen Unterrichts anstallen" — vgl. § 715 Anm. 7. 3) „der vorgesetzten Dienstbehörde" — Die vorgesetzten Dienstbehörden der ver­ schiedenen Arten der Reichsbeamten sind durch die Kais. Verordn, v. 23. Nov. 1874 (RGBl. S. 135) bestimmt; vgl. auch Verordn, v. 19. Dez. 1875 § 2 (RGBl. S. 378). Rücksichtlich der Beamten der Einzelstaaten, der Geistlichen und der Lehrer entscheidet das Landesrecht.

§ 792. 1) Für die Vorauszahlung der Haftkosten ist der Zeitraum von 1 Monat festgesetzt, um den Schuldner vor zu leichtfertigem Gebrauche der Haft zu schützen. Die Hastkosten gchören zu den Vollstreckungskosten (§ 697), und zwar zu den baaren Auslagen des Gerichts, und be­ stimmen sich nach Maßgabe der für die Strafhaft geltenden landesgesetzlichen Vorschriften (MG. § 79 Nr. 8). Wegen der Erstattung s. § 697.

Vierter Abschnitt.

Offenbarungseid und Haft.

§§ 793—795.

959

zum Mittage des letzten Tages erneuert, für welchen sie geleistet ist, so wird der Schuldner von Amtswegen aus der Hast entlassen. Gegen den Schuldner, welcher aus diesem Grunde oder ohne sein Zuthun auf Antrag des Gläubigers entlassen ist, findet auf Antrag desselben Gläubigers eine Erneuerung der Hast nicht statt. N. Entw. 8 1067. Entw. I. § 709. Enltv. II. 8 724. S. 421, 583.

Entw. III. 8 737.

Mot. S. 446, 447. Prot.

§ 793. Soll die Haft gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson vollstreckt werden, so hat das Gericht die vorgesetzte Militärbehörde um die Vollstreckung zu ersuchen. N. Entw. 8 1068. Entw. I. 8 710. Entw. II. 8 725. Entw. III. 8 738. Mot. S. 446. Prot. S. 421.

§ 794. Die Haft darf die Dauer von sechs Monaten nicht übersteigen. Nach Ablauf der sechs Monate wird der Schuldner von Amtswegen aus der Haft entlassen. N. Entw. 8 1069. Entw. I. 8 711.

Entw. II. 8 726. Entw. III. 8 739. Mot. S. 447. Prot. S. 421.

§ 795. Ein Schuldner, gegen welchen wegen Verweigerung des im §. 711 erwähnten Offenbarungseides eine Haft von sechs Monaten vollstreckt ist, kann Das Armenrecht entbindet von der Vorauszahlung (s. § 107 Anm. 3; vgl. noch Puchelt

II S. 659, Gaupp II S. 545, Falkmann S. 337, Fitting § 110 N. 17, Friedländer n. a. O. S. 602, Hergenhahn im civ. Arch. 80 S. 301 ff. u. A. A.M. Francke S. 5, Dorendorf, Arrest S. 136). Die Erlassung des Haftbefehls darf von der Vorauszahlung nicht abhängig gemacht werden. Ob der Vorschuß rechtzeitig geleistet und erneuert ist, beurtheilt zunächst der Gerichts­ vollzieher, sodann die Gefängnißverwaltung (Gaupp a. a. O., Wilm. Levy Anm. 1 a. E., H ellmann, Lehrb. S. 858 u. 91.). 2) „aus diesem Grunde oder ohne sein Zuthun" —d. h. wegen Nichterneuerung des Vorschusses oder wegen einer ohne Zustimmung des Schuldners vom Gläubiger beantragten Unterbrechung der Haft, welche leicht zu Chikanen von Seilen des Gläubigers führen könnte, wenn eine Erneuerung der Haft zulässig wäre. Ist der Schuldner aus anderen Gründen ent­ lassen, so ist die Erneuerung der Haft unbeschränkt. 3) „auf Antrag desselben Gläubigers" — d. h. zugleich auf Grund desselben vollstreckbaren Titels (Gaupp II S. 546, Petersen a. a. O., Wilm. Levy Anm. 2 u. 91.). Auch der Rechtsnachfolger unterliegt der Beschränkung. „Erneuerung der Haft" — d. h. Wiederverhaftung aus demselben Grunde. Entsteht ein neuer Haftgrund (vgl. z. B. § 784), so kann auch von demselben Gläubiger eine Wieder­ holung der Verhaftung beim Gerichte beantragt werden (vgl. Prot. S. 583).

§ 793. 1) Die Vorschrift ist zur Wahrung dienstlicher Interessen gegeben. Vgl. auch § 699 Abs. 1. Nur die Vollstreckung, nicht die Anordnung der Haft gebührt der Militärbehörde (vgl. § 355 Anm. 5). Das Ersuchen setzt nach allgemeinen Grundsätzen einen 9lntrag des Gläubigers voraus (s. auch Puchelt II S. 662, Gaupp II S. 546. A.M. Kleiner III S. 249); es erfolgt durch das Gericht, welches die Haft angeordnet hat. Gehört die Militär­ person einem mobilen Truppentheil oder einem in Dienst gestellten Kriegsfahrzeug an, so greift § 785 Nr. 2 Platz. 2) Ueber die Begriffe „aktives Heer" und „aktive Marine"- vgl. § 158 Anm. 2. Wegen der „Vorgesetz len Militärbehörde" vgl. § 343 Anm. 4. 3) Die Mitwirkung des Gerichts ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 13).

§§ 794, 795. Die in den §§ 794, 795 enthaltenen Beschränkungen der Haft sind theils durch Rücksichten der Menschlichkeit, theils durch die Erwägung geboten, daß von einer weiteren Haft ein Erfolg sich

960

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 796.

auch auf Antrag eines anderen Gläubigers von neuem zur Leistung dieses Eides durch Haft nur angehalten werden, wenn glaubhaft gemacht wird, daß der Schuldner später Vermögen erworben habe. 91. Entw. S1037. Entw. I. § 712. E»tw. II. § 727. gut». III. § 740. Mot. S. 447. Prot. 6. 421.

Muster Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen. § 796. Der Arrest findet zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen wegen einer Geldforderung oder wegen eines Anspruchs statt, welcher in eine Geldforderung übergehen kann. Die Zuläsfigkeit des Arrestes wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß der An­ spruch ein betagter ist. 91. Entw. 5 692. S. 428-425.

gnti». I. § 713.

Entw. II. § 728.

Entw. III. § 741. Mot. S. 448, 449. Prot.

nicht erwarten läßt. § 794 bezieht sich nur auf ein und denselben Gläubiger und auf dieselbe Leistung. Anders § 795, welcher mit § 784 übereinstimmt. Selbstverständlich kann im Falle des § 794 der Gläubiger auch früher die Entlassung herbeiführen. Auch § 795 ist von Amtswegen zu beachten (ugL § 784 Anm. 3).

Fünfter Abschnitt. Mot.

S. 447, 448.

Literatur: Merkel, Ueber Arrest u. einstweilige Verfügungen nach dem gellenden D. Prozeßrecht. Halle 1880. D orend orf, Arrest u. einstw. Vers. nach den Vorschriften der D. CPO. Breslau 1884. Peters, D. Arrest u. die einstw. Verf. nach Preuß. Rechte. Berlin 1884. Werner,- Das Recht des Arrestes im Civilprozesse, unter bes. Berücksichtigung des bayer. Jmnrobiliararrestes syst, dargestellt. Erlangen 1884. Fitting FZ 111 —113, Hellmann, Lehrb. S. 944 ff., Dernburg I §§ 146, 147, v. Bar, D. D. Civilprozeßrecht. Leipzig 1880. ©.76 ff., Wieding im Rechtslex. I S. 154 ff., Meibom, D. Jmmobiliararrest im Geltungsbereiche der CPO., im civ. Arch. 72 S. 331 ff. Ueber älteres Recht: Wach, D. Arrestprozeß in geschichtl. Entwickelung I (1868) § 15; ©tret), Lehre von den Arresten u. s. w. Berlin 1859. S. lff, 9 ff. 1) Ueber den Unterschied von Arrest und einstweiliger Verfügung bemerken die Mot.: „Der Arrest dient zur Sicherung von Werthen, zur Sicherung der Zwangs­ vollstreckung wegen einer Geldsorderung (§ 796), die einstweilige Verfügung zur Sicherung einer Jndivid nalleistung (§ 814) oder zur Regelung eines einst­ weiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältniß (§ 819). Die Unterscheidung schließt sich derjenigen des zweiten und dritten Abschnitts dieses Buchs im Wesentlichen an und findet in dieser und in der Verschiedenheit der durch die Sicherung verfolgten Zwecke ihre Rechtfertigung (vgl. N. E. §§ 692, 729, 740; Nordd. Prot. S. 1214, 1240,1242)." (Vgl. auch RG. in S. A. 43 Nr. 253 u. in Gruchot 32 S. 743 u. unten §§ 814—820 Anm. 1.) Der Arrest entspricht im Allgemeinen dem zweiten, die einstweilige Verfügung dem dritten Abschnitte dieses Buchs (vgl. jedoch § 796 Anm. 2). Indessen wird die einstweilige Verfügung nicht durch die in dem letzteren behandelten Fälle erschöpft (vgl. z. B. §§ 584, 613, EG. z. CPO. § 16 Nr. 4, 6). Der Arrest ist stets, die einstweilige Verfügung in der Mehr­ zahl der Fälle eine antizipirte Zwangsvollstreckung, welche aus Grund eines summa­ rischen Verfahrens (vgl. oben S. 682 unter 2) angeordnet wird, aber nicht zur Befriedigung,

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 796.

961

sondern nur zur Sicherstellung des Gläubigers führt (vgl. RG. XXXIII S. 418, im D. RAnz. 1890 bes. Beil. 4 S. 850 u. in I. W. 1892 S. 311). Uebrigens ist hier nur von dem „Sicherheitsarreste" (vgl. § 798) oder „Sicherungsarrefle" fvgl. Ges. v. 29. Mai 1868 § 2 (BGBl. S. 237)], einem durch Gerichtsgebrauch entstandenen und durch die Reichs­ gesetzgebung des 16. Jahrhunderts bestätigten Institute, die Rede; über den Vollstreckungs­ arrest („Pfändung") s. § 708 ff. — Wenn sich eine gerichtliche Anordnung als „Arrestbeseht" (vgl. § 803) bezeichnet, während sie ihrem Inhalte nach eine einstweilige Verfügung ist, so steht diese falsche Bezeichnung der Gültigkeit der Anordnung nicht entgegen (RG- v. 20. Sepr. 1884 — D. RAnz. Nr. 262; vgl. auch § 473 Anm. 4). 2) Die §§ 796—798 bestimmen die Voraussetzungen des Arrestes; §§ 799—803 handeln von der Anordnung des Arrestes, §§ 804, 805 von dem Wider spruch gegen den Arrestbeschluß, §§ 806, 807 von der Aufhebung, §§ 808—812 von der Vollziehung des Arrestes, § 813 von der Aufhebung des vollzogenen Arrestes. §§ 814 und 819 be­ stimmen die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung, §§ 815—818 das Ver­ fahren. Gemeinsame Vorschriften enthalten die §§ 821, 822. Vgl. auch § 648 Nr. 5. 3) Die Arrestsachen und die eine einstweilige Verfügung betreffenden Sachen sind nach GVG. § 202 Nr. 2 Ferien fachen. 4) Ueber den „offenen Arrest" im Falle des Konkurses s. KO. §§ 102 ff., 108 ff. 5) Ueber die völkerrechtliche Unzulässigkeit des Arrestes gegen fremde (außer­ deutsche) Staaten s. Droop in Gruchot 26 S. 289 ff. und das das. S. 297 ff. mitgetheilte Urth. des preuß. Gerichtshofs z. Entsch. d. Kompetenzkonflikte v. 14. Jan. 1882. Gegen letzteres bestreitet Hellmann, Lehrb. S. 948, daß die Reichsjustizgesetze nur mit Vorbehalt des Völker­ rechts angewendet werden dürften. Vgl. auch Dorendorf S. 8 Anm. 26, Böhm, Handb. des Rechtshülfeverfahrens. Erlangen 1886. S. 202 ff., v. Bar, Theorie u. Praxis des internat. Priv.- u. Str.-R. II S. 661 ff., 677 ff., Zeitschr. f. internat. Priv.- u. Str.-R. II S. 97, 159, 241, Busch, Z. XVII S. 242; vgl. § 20 Anm. 4. — Anders der Arrest gegen fremde Fürsten; dieser ist in Preußen geregelt durch die Anh. §§ 201—204 zu AGO. I, 29 § 90. 6) Die Bestimmungen der CPO. über die Vollziehung und die Wirkungen des ding­ lichen Arrestes finden auch auf die nach der StPO, zulässige Beschlagnahme einzelner zum Ver­ mögen des Angeschuldigten gehörigen Gegenstände Anwendung (StPO. §§ 325, 480, StGB'. §§ 93, 140). 7) Ueber den Arrest und die einstweiligen Verfügungen im Verfahren vor den Gewerbe­ gerichten s. Ges. v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) § 56 Abs. 4. 8) Ueber die Vormerkung wegen eines Geldanspruchs nach preuß. Recht s. Thiele in Gruchot 37 S. 640 ff. § 796.

1) Abs. 1: „zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das — Vermögen" — Dies ist der einzige Zweck des Arrestes; vgl. d. allg. Bem. und d. §§ 797, 798. § 2 des Ges. v. 29. Mai 1868 ließ auch die gesetzlichen Vorschriften unberührt, welche den Personalarrest gestatten, um die Einleitung oder Fortsetzung des Prozeßverfahrens zu sichern; diese Arten des Sicherungsarrestes sind indessen theils durch die Beseitigung des Arrestsorums und den dasselbe ersetzenden Gerichtsstand (vgl. § 24 Anm. 1), theils durch die Konstruktion des Verfahrens entbehrlich geworden und der CPO. nicht bekannt. Auch zur Sicherung der Vollstreckung von Urtheilen ausländischer Gerichte ist der Arrest zulässig (vgl. Kleiner III S. 256). 2) „oder wegen eines Anspruchs — kann" — Hierdurch wird der Umfang des Arrestes auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche (s. § 21 Anm. 2) erweitert, auch auf solche, bei denen die Vollstreckung nach §§ 774, 775 erfolgt, da bei ihnen die Möglichkeit des Uebergehens in eine Jnteresseforderung stets vorhanden ist (vgl. § 778). Will der Gläubiger St ruck mann u. Koch. Civilprozeßordnung. 6. Aufl. 61

962

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 797.

§ 797. Der dingliche Arrest findet statt, wenn zu besorgen ist, daß ohne desien Verhängung die Vollstreckung des Urtheils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. sich die Jndividualleistung selbst sichern, so wird er'nach den §§ 814 ff. vorgehen müssen; will er sich dagegen mit der Sicherung der eventuellen Jnteresseforderung begnügen, so ist dazu der Arrest das geeignete Mittel (vgl. auch RG. in Gruchot 32 S. 743). 3) Abs. 2: Die Zulässigkeit des Arrestes bei betagten Ansprüchen entspricht den neueren Prozeßgesetzen und Entwürfen. Die Voraussetzungen sind keine anderen als bei bereits fälligen Ansprüchen, also auch nicht die Substantiirung eines Anspruchs aus Sicherheits­ bestellung, und ebensowenig ist es erforderlich, daß die Gefahr (§§ 797, 798) eine sehr dringende sei (wie nach Württ. PO. Art. 821, H. E. § 519), wenngleich die Frage, ob Gefahr vorliegt, bei betagten Ansprüchen der Natur der Sache nach einer anderen Beurtheilung unterliegen wird. 4) Die b edingten Ansprüche sind weder den betagten gleichgestellt (wie in Württ. PO. Art. 821, P. E. § 800, H. E. § 519, N. E.) noch ausdrücklich ausgeschlossen (wie mit einer Beschränkung in Bayer. PO. Art. 605), ersteres nicht, um nicht mit den verschiedenen Be­ stimmungen des bürgerlichen Rechts hinsichtlich der Wirkungen suspensiv bedingter Rechts­ geschäfte in Kollision zu gerathen, letzteres nicht, weil unter Umständen der Arrest auch für bedingte Ansprüche zugelassen werden muß. Nesolutiv bedingte Ansprüche stehen hinsichtlich der Zulässigkeit des Arrestes den unbedingten gleich. Zweifel bestehen nur hinsichtlich der aufschiebenden Bedingungen während des Schwedens. „Denn soweit nach den Vorschriften des materiellen Rechts pendente conditione Sicherheit für den Fall der Realisirung der durch den bedingten Anspruch eröffneten Aussicht verlangt werden kann (vgl. für das gem. Recht Windscheid, Lehrbuch d. Pandektenrechts 3. Aust. Bd. I S. 223; Brinz, Lehrb. d. Pand. Abth. II S. 1478 f.) oder mit der Begründung des bedingten Anspruchs zugleich ein Anspruch auf Er­ haltung desselben für den Fall des Eintritts der Bedingung entstanden ist (vgl. für das preuß. Recht ALR. I 14 § 5), muß zur Sicherung des Kautionsanspruchs oder des Anspruchs auf Erhaltung des bedingten Rechts der Arrest zugelassen werden; diese Ansprüche stehen einem unbedingten Ansprüche gleich." (Mot.) Der Anspruch auf Sicherstellung ober auf Erhaltung ist somit, sofern er nach bürgerlichem Rechte besteht, als ein besonderer Anspruch aufgefaßt, welcher für sich verwirklicht werden kann. Dieser, nicht der suspensiv bedingte Anspruch ist es, welcher unmittelbar durch den Arrest ge­ schützt wird (vgl. Nordd. Prot. S. 1106). sS. auch RG. in I. W. 1890 S. 402, Wilm. Levy Anm. 4, Seuffert Anm. 4, Petersen §§ 796—798 I 3, Sarw ey II S. 291, Gaupp II S. 551, Merkel S. 33, Dorendorf S. 2 f., Peters S. 4, Hellmann, Lehrb. S. 945 u. A.; vgl. auch Entw. I e. b. GB. § 133 Abs. 1 nebst Mot. u. Entw. e. EG. z. Entw. II Art. 11 z. CPO. § 796. Abw. Endemann III S. 351, Brinkmann, Begründung der Klagen II S. 566 Anm. 9; vgl. auch Prot. S. 434f., Wach in Krit. Vierteljahrsschr. XV S. 374 f.]. Vgl. noch C. civ. art. 1180 (dazu Z achariä-Crome I § 130 N. 13, II § 282 N. 21 u. die dort angef., nach denen der bedingt berechtigte keinen Arrest anlegen kann), Sächs. BGB. § 871. Ob der Anspruch auf promissorische oder Realkaution gerichtet ist, ist unerheblich (s. Gaupp a. a. O. A.M. Merkel S. 35). 5) Soweit der Zweck des Arrestes bereits durch anderweite Sicherheitsmittel, z. B. Pfand, Bürgschaft, auch Arrest erreicht ist, findet Arrest nicht statt. (Vgl. auch RG. VIII S. 358, Merkel S. 37.) Ob das Retentionsrecht in dieser Beziehung genügt, entscheidet sich nach Lage des Falles. (Vgl. Petersen §§ 796—798 1 1, Gaupp II S. 551 N. 17.)

§ 797. 1) § 797 handelt von den Voraussetzungen des Arrestes auf (unbewegliche oder bewegliche) Sachen einschließlich der Forderungen und anderer Vermögensrechte („dinglicher Arrest",

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 797.

963

Als ein zureichender Arrestgrund ist es anzusehen, wenn das Urtheil im Aus­ lande vollstreckt werden müßte. N. Entw. § 693. Entw. I. 8 714. Entw. II. § 729. Entw. III. 8 742. Mot. S. 449. Prot. S. 425.

Realarrest). Wegen der zulässigen Gegenstände s. § 808 Anm. 1, Merkel S. 60ff. Als einziger „Arrestgründ" (causa arresti) gilt die Besorgniß der Vereitelung oder wesentlichen Er­ schwerung der Zwangsvollstreckung, sei es durch den Schuldner selbst oder durch einen un­ berechtigten Dritten oder auch durch äußere und zufällige Umstände. Letztere müssen jedoch in der Zukunft liegen; eine in der Vergangenheit liegende Thatsache (z. B. ein Brand) kann nur insofern in Betracht kommen, als sie die Besorgniß einer künftigen Vereitelung der Zwangs­ vollstreckung erweckt (RG. in I. W. 1890 S. 113 Nr. 10). Aus die Absicht der Vereitelung oder Erschwerung kommt es nicht an, weshalb auch gegen Willensunfähige oder in ihrer Hand­ lungsfähigkeit beschränkte Personen, sofern objektiv eine Vereitelung u. s. w. zu besorgen ist, ein Arrest zulässig erscheint (theilweise abweichend Hellmann, Lehrb. S. 947). Die Auf­ zählung von Beispielen ^Verschwendung oder verdächtige Veräußerung des Vermögens, Flucht oder Verdacht der Flucht, unstäter Aufenthalt des Schuldners, der die Beitreibung der Forderung wesentlich erschwert (RG. in I. W. 1893 S. 384), bevorstehende Theilung der Erb­ schaft (s. § 28 Abs. 2) u. s. w. — vgl. Hann. PO. § 508, Württ. PO. Art. 822 :c.] ist, abgesehen von Abs. 2, vermieden, um der freien Beurtheilung des Gerichts keine Fesseln anzulegen. sVgl. auch StGB. §§ 93, 140; StPO. §§ 325, 480; Merkel S. 50 ff., Dorendorf S. 4, 10 Anm. 35 a.] Die Voraussetzung liegt nicht vor, wenn wegen der nämlichen Forderung von dem nämlichen Gläubiger schon bei einem anderen Gericht Arrest erwirkt ist (RG. VIII S. 358; vgl. § 235 Anm. 1 a. E.). Da der Zweck des Arrestes nicht in der Erlangung eines Vorzugsrechts vor den übrigen Gläubigern besteht, so ist die Vermögenszerrüttung des Schuldners und die drohende Konkurrenz anderer Gläubiger ohne Hinzutritt besonderer Umstände kein genügender Arrestgrund (RG. III S. 395, 416, OLG. München in Busch, Z. III S. 162, OLG. Dresden das. VI S. 528 f., Puchelt das. III S. 3 ff., Vierhaus das. V S. 120 f., Barkhausen in Gruchot 26 S. 526 ff., OLG. Karlsruhe in S. A. 38 Nr. 83, Celle das. 40 Nr. 80, HellmanU, Lehrb. S. 947, Seuffert Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 2 u. A.). „des Urtheils" — mag es auch noch nicht erwirkt sein. Ein Gleiches gilt analog auch hinsichtlich anderer vollstreckbarer Titel (§ 702). sSo auch Merkel S. 31, Hellmann, Lehrb. S. 946 u. A.) 2) Abs. 2: Dieser Fall ist besonders hervorgehoben, weil er in den einzelnen deutschen Rechtsgebieten „verschieden geregelt ist und deshalb die Gefahr besteht, daß er auch demnächst verschieden beurtheilt werden wird" (Mot.). Es kommt nicht darauf an, ob der Schuldner Ausländer ist (Entsch. d. preuß. OT. 35 S. 464), oder der Gläubiger, sondern darauf, ob die Vollstreckung des Urtheils nur im Auslande (wozu auch die Schutzgebiete gehören — Busch, Z. XIV S. 207, Seuffert Anm. 3) erfolgen kann, gleichviel ob im Wege der Rechts­ hülfe, oder weil der Schuldner nur im Auslande verklagt werden kann (s. N. E. § 693, OLG. Braunschweig in S. A. 45 Nr. 63). Der Satz der Mot.: „Gleichgültig ist es, ob im Auslande Rechtshülfe gewährt wird oder nicht, es sei denn, daß die Gewährung der Rechtshülfe durch Staatsverträge verbürgt ist" rief in der RTK. die Bemerkung hervor, daß die am Schluffe angedeutete Ausnahme im Gesetze selbst nicht zum Ausdrucke gebracht sei. Diese Bemerkung ist durch die Erwiderung des Reg.-Vertreters, daß dies hinsichtlich der Wirkungen von Staatsverträgen nirgends im Gesetze geschehen sei, nicht widerlegt. Die vor Einführung der CPO. abgeschlossenen StaatsVerträge des fraglichen Inhalts sind durch § 797 Abs. 2 aufgehoben. sSo auch Seuffert Anm. 3, Wilm. Levy Anm. 3, Endemann III S. 354, Hellmann, Lehrb. S. 946, Petersen §§ 796—798 II ci. E., Puchelt II S. 667 u. A. A.M. Siebenhaar S. 721 61*

964

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 798.

§ 798. Der persönliche Sicherheitsarrest findet nur statt, wenn er erforderlich ist, um die gefährdete Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners zu sichern. N. Entw. 8 694. Entw. I. 8 715. Entw. II. 8 730. Entw. III. 8 743. Mot. S. 449, 450. Prot. S. 425 -427.

und Uebel II S. 271, welche den Mot. beitreten, Gaupp verträge bestehen lassen will, die den vorliegenden Arrestgrund kann nur durch einen vom Deutschen Reiche, nicht von geschlossenen Staatsvertrag herbeigeführt werden. 3) Der § 12 der prenß. AGO. I 29 ist durch § 797 u. in Gruchot 34 S. 947). §

II S. 553, welcher solche Staats­ direkt ausschließen.) Jene Wirkung einem einzelnen Bundesstaat ab­ aufgehoben (RG XXVI S. 400

798.

1) Der hier erwähnte Fall des persönlichen Sicherheitsarrestes (Personalarrestes) ist aus § 2 des Ges. v. 29. Mai 1868 allein übrig geblieben; vgl. § 796 Anm. 1 (s. auch KO. §§ 93, 98). Die Voraussetzungen sind, wie in ROHG. 6 S. 7 f. und in den Mot. ent­ wickelt wird: 1. daß der Schuldner solche Vermögensobjekte besitzt, in welche die Exekution vollstreckt werden kann oder wird vollstreckt werden können, 2. daß Umstände obwalten, welche die Vollstreckung oder den Erfolg der Exekution in diese Vermögensobjekte verhindern oder die Verhinderung besorgen lassen („gefähr­ dete Zwangsvollstreckung") — der Vollzug des dinglichen Arrestes steht in dieser Hinsicht der Zwangsvollstreckung nicht gleich; vgl. D. J.-Ztg. 1883 S. 106 — und 3. daß diese Hindernisse durch Inhaftnahme des Schuldners beseitigt werden können (vgl. auch ROHG. 5 S. 351, 10 S. 134 ff., 13 S. 156). So kann der Personalarrest z. B. erforderlich sein, um die Zwangsvollstreckung in das Vermögen durch Leistung des Offenbarungseides (§§ 711, 782) zu sichern (N. E. § 694 Abs. 1). Anders, wenn die Zwangsvollstreckung sich unmittelbar gegen die Person richtet vf. § 796 Anm. 1). Ein Arrestgrund ist es ferner, wenn der Schuldner verdächtig ist, sein im Inlande befindliches Vermögen ins Ausland schaffen zu wollen; „in diesem Falle ist die Haft eine zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das Ver­ mögen erforderliche Maßregel — eine Sicherungsmaßregel, welche in gleicher Weise in anderen Fällen einer drohenden Verbringung des nicht sofort durch die Zwangs­ vollstreckung zu ergreifenden Vermögens zulässig sein kann" (Mot.). Nach § 2 des angef. Gesetzes war der Personalarrest auch dann zulässig, wenn es sich darum handelt, den Schuldner zu nöthigen, im Auslande befindliche Deckungsmittel herbeizuschaffen (vgl. OAG. Lübeck in Kierulff, Sammt. II S. 866 ff. u. in S. A. 24 Nr. 291, ROHG. 10 S. 147). Gerade hiergegen erklären sich jedoch die Mot.: „In dieser Anwendung unterscheidet sich die Hast rechtlich nicht von dem Schuldarrest in seiner Funktion als Exekutionsmittel zur Erzwingung einer Zahlung, so daß die bei Berathung des Reichsges. vom 29. Mai 1868 geäußerte Besorgniß, es werde dadurch indirekt die beseitigte Schuldhaft wieder eingeführt werden, nicht un­ gerechtfertigt erscheint. Der Entwurf will durch die Fassung zum Ausdruck bringen, daß der persönliche Sicherungsarrest — von dem Falle der Erzwingung der Mani­ festation abgesehen — nur zulässig ist, wenn die Gefahr besteht, daß der Schuldner seine persönliche Freiheit zur Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Zwangs­ vollstreckung benutzen werde. Damit ist die weitere Verwendung des Personalarrestes zu dem Zwecke, um den Schuldner zur Herbeischaffung auswärts befindlicher Deckungsmittel zu bestimmen, ausgeschlossen." Gleichwohl unterschied sich die Fassung der drei Entwürfe von der des betreffenden Satzes in dem Reichsgesetze nur durch das Wort „Zwangsvollstreckung" statt „Exekution" und durch Las Erforderniß der Zahlungsfähigkeit des Schuldners (s. Anm. 3). Der schon in der RTK.

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 799.

965

§ 799. Für die Anordnung des Arrestes ist sowohl das Gericht der Haupt­ sache als das Amtsgericht zuständig, in desien Bezirke der mit Arrest zu belegende Gegenstand oder die in ihrer persönlichen Freiheit zu beschränkende Person sich befindet. 91. Ent«. § 702. Ent«. I. § 716. Ent« II. i 731. Ent«, in § 744. Mot. S. 450, 451. Prot.

427.

geäußerte Zweifel, ob die beabsichtigte Beschränkung zum Ausdrucke gebracht fei, ist daher berechtigt. Die Frage ist jedoch im Sinne der Mot. zu entscheiden. (Vgl. Wilm. Levy Anm. 2 a. E., Sarwey II S. 293 f., Endemann III S. 356, Seusfert Anm. 1, Petersen §§ 796—798 III 2, Gaupp II S. 554f., Hellmann, Lehrb. S. 948, Fitting § 112 N. 4, Merkel S. 9ff. u. A. A.M. Puchelt II S. 669.) Der im Ausland eröffnete Konkurs schließt den persönlichen Sicherheitsarrest nicht aus (vgl. KO. § 207, Siebenhaar S. 721, Gaupp II S. 554 u. A.). 2) Das Wort „erforderlich" drückt aus, daß der persönliche Sicherheitsarrest nur zu­ lässig ist, wenn die Vollstreckung durch einen dinglichen Arrest nicht gesichert werden kann (vgl. auch Hann. PO. § 505, Württ. PO. Art. 823 u. s. w.). Der persönliche Arrest kann auch neben dem dinglichen angeordnet werden. 3) Die Fassung des Entwurfs „eines zahlungsfähigen Schuldners" wurde in der RTK. von mehreren Seiten angefochten und in „des Schuldners" abgeändert. Das Erforderniß der Zahlungsfähigkeit ist hiernach nicht besonders hervorgehoben und bedarf also namentlich nicht der Glaubhaftmachung (§ 800 Abs. 2). Indessen muß doch immer erhellen, daß die Zwangsvollstreckung in das Vermögen möglich und nur in dem Falle, daß der Schuldner nicht in Haft genommen werde, gefährdet sei. (Vgl. auch Sarwey II S. 294, Gaupp II S. 554, Merkel S. 57ff.) 4) Der persönliche Sicherheitsarrest besteht in Freiheitsbeschränkung, nicht nothwendig in Haft des Schuldners. Ueber die geltenden Beschränkungen s. die Anm. zu § 812, Merkel S. 73 ff. § 799. 1) Der § 799 enthält eine Verbindung sachlicher und örtlicher Zuständigkeit (s. § 1 Anm. 3). Neben dem „Gericht der Hauptsache", d. h. dem zur Entscheidung über die Geldforderung oder den Anspruch (§ 796 Abs. 1) in erster Instanz, z. B. nach § 24 (vgl. RG. VII S. 322 ff.), berufenen Gericht — ohne Rücksicht auf die Anhängigkeit (RG. IV S. 405, VII S. 323, XXXI S. 372; vgl. auch unten § 821 Anm. 2) —, eventuell, wenn der Rechtsstreit bereits in der Berufungsinstanz anhängig ist, dem betreffenden Berufungsgerichte (§ 821), konkurrirt als „Arrestgericht", d. h. als das Gericht, welches den Arrest anordnet (§§ 806, 810, 812) — mißverständlich ist die Bemängelung Hellmann's III S. 169 u. Merkel's S. 198 Amn. 6; der Ausdruck ist ein gemeinsamer und gilt auch für das Gericht der Hauptsache; s. auch Gaupp II S. 556 — elektiv (§ 35) das Amtsgericht, in dessen Bezirke der Arrestgegenstand (die Sachen einschließlich der Forderungen oder die Person) sich befindet (vgl. § 24 Anm. 3—5, RG. im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 6 S. 299), und zwar ohne Rücksicht auf das schwankende Erforderniß größerer oder geringerer Dringlichkeit. Anderen Gerichten gegen­ über ist der Gerichtsstand ein ausschließlicher (§ 707). Ueber die Befugniß des Vorsitzenden in dringenden Fällen s. § 822. Ist die Hauptsache noch nicht anhängig gemacht, so hat der Gläubiger zwischen mehreren zuständigen Gerichten (und dem in Abs. 1 bezeichneten Amtsgerichte) die Wahl (vgl. § 821 Anm. 2, RG. IV S. 407, VII S. 322, Seusfert Anm., Petersen §§ 799—803 Nr. 1, Gaupp II S. 556 u. A.; s. auch die Mot. zu §§ 798 u. 816. A.M. Endemann III S. 357f., Sarwey II S. 295, Kleiner III S. 260). 2) Die Vollmacht für den Hauptprozeß genügt auch für das Arrestverfahren (§ 78); aber nicht umgekehrt.

966

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 800.

§ 800. Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrags oder des Geldwerths sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. Das Gesuch kann vor dein Gerichtsschreiber zu Protokoll erklärt werden. N. Ent«. §§ 700, 703, 704. Ent«. I. § 717. Ent«. II. § 732. Ent«. III. § 745. Mot. ©. 461,452. Prot. S. 427. 8) Die Zuständigkeit des Arrestgerichts erstreckt sich auf die Vollziehung des Arrestes mittels Pfändung von Forderungen re. (§§ 729, 754, 810 Abs. 2), auf das Widerspruchsverfahren (§ 804 Anm. 1), auf die zuweilen nöthige Klage auf Erlheilung der Vollstreckungsklausel (vgl. §§ 704 Abs. 3, 809 Anm. 1), auf die Anordnung im Falle des § 806 Abs. 1. (Vgl. Merkel S. 198 ff.) Wegen Pfändung von Forderungen im Auslande vgl. § 730 Anm. 3, 6. Ausnahmsweise ist das Vollstreckungsgericht zuständig im Falle des § 810 Abs. 3. Ueber die Zuständigkeit hin­ sichtlich der Aushebung des Arrestes s. §§ 806 Abs. 2, 807, 813. lieber den Einfluß des Arrestgesuchs auf die Anhängigkeil der Hauptsache vgl. § 235 Anm. 1 a. E. §

800.

1) „Das Gesuch" — nämlich das an den zuständigen Richter (ß 799) gerichtete „Gesuch" (vgl. § 37 Anm. 1) um Anordnung des Arrestes („Arrestgesuch" nach Preuß. AGO. I 29 §§ 31,35). Auf dessen Form bezieht sich Abs. 3, während Abs. 1 u. 2 den Inhalt betreffen. (Vgl. Schollmeyer, Zwischenstreit S. 71.) 2) Die Erfordernisse des Abs. 1 sind zwar nur instruktionell („soll"). Ohne Be­ zeichnung des Anspruchs und des Arrestgrundes ist indessen den kategorischen Erfordernissen des Abs. 2 (vgl. N. E. §§ 700 Abs. 1, 703) nicht zu genügen und das Gesuch überhaupt nicht zu substantiiren. Gleichwohl ist der Ausdruck „muß" — wie der Reg.-Vertreter in der RTK. hervorhob — zu scharf erschienen, indem man annahm, daß der Richter ein nicht allen An­ forderungen entsprechendes Gesuch nicht zurückweisen solle, sondern die Verbesserung in der mündlichen Verhandlung anordnen könne. Die Bezeichnung des Arrestgrundes insbesondere, welche in der Angabe der die betreffende Besorgniß oder Gefahr (§§ 797, 798) begründenden konkreten Umstände des Falles zu bestehen hat, kann in der mündlichen Verhandlung (§§ 802, 804, 805) vervollständigt und verbessert werden (s. RG. V S. 364 ff., Fitting § 112 N. 14, Gaupp II S. 557 a. E. it. A.; vgl. auch RG. XXIV S. 372). Hierbei ist eine Unter­ scheidung zwischen Thatsachen, die bei der Arresteinlage schon vorhanden, jedoch in dem Gesuche nicht vorgebracht worden, und solchen, die erst später eingetreten sind, nicht gerechtfertigt (RG- in S. A. 47 Nr. 175, Hergenhahn in Busch, Z. XVIII S. 350 f.; vgl. auch § 804 Anm. 1, 2). Ueberhaupt hat das Gericht den Anforderungen des § 800 gegenüber eine sehr freie Stellung (vgl. § 801 Abs. 2). Der Anspruch ist nicht bloß durch Angabe des Schuldgrundes (der causa debendi) zu individualisiren, sondern auch durch Angabe des Geldbetrages oder (wenn der Inhalt nicht in einer Geldsumme besteht) des Geldwerths näher zu bestimmen (vgl. § 230 Nr. 2, 630 Nr. 3), was wiederum für den nach § 803 festzustellenden Geldbetrag von Bedeutung ist. 8) Die Angabe des Gegenstandes des Arrestes ist nicht vorgeschrieben. Nothwendig ist sie zur Erwirkung des persönlichen Arrestes sowie im Falle der Erwirkung des Arrestes bei einem anderen Gericht als. dem der Hauptsache wegen der besonderen Voraussetzungen, dort der betreffenden Arrestart, hier der Zuständigkeit des Amtsgerichts (vgl. §§ 798, 799). „In allen anderen Fällen braucht der Gegenstand des Arrestes nicht angegeben zu werden, der Arrestbefehl begründet vielmehr, wenn er für den dinglichen Arrest unbeschränkt erlassen wird, die Vollziehung in alle Vermögensstücke des Schuldners und nur im Interesse des Gläubigers liegt es, die dem Gegenstände nach erforderliche Mitwirkung des Gerichts zur Vollziehung unter Bezeichnung des Gegenstandes sofort in Anspruch zu nehmen." (Mot.)

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 801.

967

§ 801. Die Entscheidung kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen. Das Gericht kann, auch wenn der Anspruch oder der Arrestgrund nicht glaub­ haft gemacht ist, den Arrest anordnen, sofern wegen der dem Gegner drohenden Ein Gesuch um „Arrest" schlechthin ist also dahin zu verstehen, daß dinglicher Arrest nachgesucht wird (f. Fitting § 112 Anm. 13, Gaupp II S. 559 i. A., Merkel S. 136). Demgemäß braucht auch der Arrestbefehl nicht den Gegenstand zu bezeichnen (vgl. RG. IX S. 321 u. in Gruchot 29 S. J140, 34 S. 941), und es gilt in dieser Beziehung auch keine Ausnahme für die Pfändung von Forderungen (Dorendorf S. 92 Anm. 70, Gaupp II S. 559 N. 16, Seuffert § 802 Anm. 4 u. A. A.M. Seuffert in Busch, Z. III S. 355f.). Jedoch muß der nicht vom Gerichte der Hauptsache verhängte Arrest die Beschränkung auf die im Gerichtsbezirke gelegenen Sachen enthalten. Vgl. §§ 808—810. 4) Abs. 2: Das Erforderniß der Glaubhaftmachung, welche zur Begründung des Gesuchs gehört (NG. XXXIII S. 419), entspricht der gemeinrechtlich hier meistens als aus­ reichend gellenden Bescheinigung (Wetzell S. 304 Anm. 18a, Renaud S. 266). Mehr als jene Glaubhaftmachung wird' auch in dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Arrestes (§§ 802, 805) zur Rechtfertigung nicht erfordert, und zwar so wenig in Betreff des Anspruchs .). Es können auch Einreden gegen den Arrestgrund oder Thatsachen zur Aufrechthaltung des Arrestes geltend gemacht werden, die erst nach Anordnung des Arrestes entstanden sind (RG. XXVII S. 426, in S. A. 47 Nr. 175). Vgl. § 800 Anm. 2, 4. In die Entscheidung über den Anspruch selbst hat sich das Arrestgericht aber nur soweit einzulassen, als es sich um das Erforderniß der Glaubhaftmachung handelt, gleich­ viel ob die Hauptsache bereits anhängig ist oder nicht (vgl. RG. XXVII S. 427). „Denn nur der Arrest als solcher ist Gegenstand des Streits; zur Feststellung des Anspruchs ist das Gericht durch den Arrestantrag nicht berufen (vgl. Mot. z. Württ. Entw. Art. 834)." (Mot.) Die Entscheidung im Arrestprozeß ist daher für die Entscheidung in der Hauptsache nicht maßgebend. Einwendungen, welche den Hauptanspruch betreffen, sind zwar an sich nicht unzulässig, auch wenn sie erst nach Anordnung des Arrestes entstanden sind (RG. XXVII S. 427); bei ihrer thatsächlichen Prüfung kommt es aber wegen der nothwendigen Gleichheit der Parieirechte gleichfalls nur auf die Glaubhaftmachung an (RG. et. a. O. A.M. Hergenhahn in Busch, Z. XVIII S. 360 ff.; s. dagegen H. Meyer im civ. Arch. 81 S. 284 ff. u. in Busch, Z. XIX S. 478), und die Beweisführung ist an die Schranken des § 266 auch hier gebunden (RG. in 1. W. 1882 S. 54, 1889 S. 108, 1891 S. 391, OLG. Dresden in Busch, Z. VII S. 116, Hergenhahn et. a. O. S. 365 ff., Wilm. Levy S. 1077). Vgl. § 800 Anm. 2, 4. Z 253 kommt bei dem Widerspruchsverfahren nicht zur Anwendung (s. Mot.). Ueber die Frage der Zulässigkeit einer Widerklage im Arrestverfahren s. noch Hergen Hahn S. 351 et. E., Gaupp II S. 569 i. A., RG. in I. W. 1888 S. 271 (im verneinenden Sinne), andererseits Löning in Busch, Z. IV S. 34, 124. 3) Abs. 3: Der „Widerspruch" hat, wie regelmäßig die Beschwerde (§ 535), keine aufschiebende Wirkung. Hierzu bedarf es der Hinterlegung (§ 803).

8 805. 1) Abs. 1: „über die Rechtmäßigkeit des Arrestes" — d. h. daß der Arrest ganz oder theilweise zu bestätigen, abzuändern oder aufzuheben (vgl. Abs. 2). „durch Endurtheil" — also nach mündlicher Verhandlung, für welche die allgemeinen Grundsätze gelten (s. § 804 Anm. 1), insbesondere auch der Anwaltszwang. Gegen das Urtheil finden Berufung, Revision (vgl. RG. V S. 430 u. in Gruchot 27 2. 861) und bei Versäumung der Einspruch statt (§ 802 Anm. 1; s. RG in Gruchot 30 2.1181, v. Kräwel in Busch, Z. II S. 397 ff.). In der Berufungsinstanz ist ein neuer Widerspruch gegen den bisher nicht an­ gefochtenen Theil des Arrestbefehls nicht zulässig (RG- in S. A. 46 Nr. 79 u. in I. W. 1890 S. 373, Gaupp II 2. 570 i. A.). Das Urtheil ist auch der materiellen Rechtskraft fähig (RG. in Fenner u. Mecke, Arch. III 2. 180). Ueber das Versäumnißverfahren s. Merkel 2. 193, 2 euffert 88 802, 803 Anm. 1 II e, 8§ 804, 805 Anm. 3 et. E., RG. XX 2. 360.

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 806.

976

§ 806. Ist die Hauptsache nicht anhängig, so hat das Arrestgericht auf Antrag ohne vorgängige mündliche Verhandlung anzuordnen, daß die Partei, welche den Arrestbefehl erwirkt hat, binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben habe. Wird dieser Anordnung nicht Folge geleistet, so ist auf Antrag die Aufhebung des Arrestes durch Endurtheil auszusprechen. N. Entw. 88 709, 712. Entw. L 8 723. Entw. II. 8 738. S. 429.

Entw. III. § 751.

Mot. S. 454.

Prot.

Wegen der Aufhebungsgrü nde und deren Glaubhaftmachung s. § 804 Anm. 1, 2. Ueber die Entschädigungspflicht des Gläubigers, hinsichtlich welcher es bei den Be­ stimmungen des bürgerlichen Rechts bewendet svgl. § 801 Anm. 3, Preuß. ALR. I 6 §§ 36, 37, 132—138, Nordd. Prot. S. 1176 f., Briegleb, Einl. in d. summ. Proz. S. 307, Merkel S. 185 ff., Fittin g 8 112 N. 17, GauppII S. 561, ob.LG. f. Bayern in S. A. 44 Nr. 252, RG. VII S. 374, XVI S. 328 u. in Gruchot 30 S. 1185, welches in Ueberein­ stimmung mit dem OT. (Entsch. d. preuß. OT. 49 S. 11) u. dem ROHG. 21 S. 70 nach Preuß. Rechte die Pflicht nur int Falle des Verschuldens annimmt, ebenso wie RG. XIII S. 301 u. in I. W. 1887 S. 218 nach franz. Recht und RG- XXVI S. 204, OLG. Celle, Kiel u. Darmstadt in S. A. 38 Nr. 290, 40 Nr. 20, 42 Nr. 288 nach gern. Recht. (A.M. Planck I S. 372 Anm. 37 u. Henrici in Gruchot 32 S. 163 ff.); s. für Hamb. Recht RG. XIX S. 433, S. A. 47 Nr. 3; vgl. ferner für das preuß. Recht Dernburg II § 295 Anm. 7, Wolfs in Gruchot 38 S. 115 ff. u. dagegen Förster (Eccius)I § 90 S. 548; s. auch Mot. z. Entw. I e. b. GB. Bd. II S. 757 u. Entw. II § 763 Anm. (Art. 11 d. EG.), Kahane in Grünhut, Zeitschr. XIX S. 99 ff., v. Schrutka-Rechten stamm das. XXI (5.182 ff.], wird nicht (wie nach Bayer. PO. Art. 636, Bad. PO. § 615) mitentschieden. (A.M. Merkel S. 188.) Hinsichtlich der Kosten der Vollziehung eines aufgehobenen Arrestes findet § 697 Abs. 2 Anwendung (s. das. Anm. 2). 2) Abs. 2: Der materielle Gehalt dieser Vorschrift liegt in dem Spielraume, der quantitativ wie qualitativ dem richterlichen Ermessen gewährt wird. Die Zulässigkeit der (vollständigen oder theilweisen) Bestätigung gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers entspricht den §§ 652 Abs. 1, 668 Abs. 2, 688, 689, 801 Abs. 2, die der Abänderung oder Aufhebung gegen Sicher­ heitsleistung des Gläubigers oder des Schuldners (letzteres hält Merkel S. 155 f. mit Unrecht für unzulässig) den §§ 652 Abs. 2, 668 Abs. 2, 688—690 Abs. 3, 807. Vgl. § 803 Anm. 2, RG. in I. W. 1889 S. 42 Nr. 8. Die Anbringung eines neuen Arrestgesuchs wegen veränderter Umstände ist nach Analogie des § 807 nicht ausgeschlossen (vgl. auch N. E. § 717). 3) Wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit des den Arrest aufhebenden oder be­ schränkenden oder von einer Sicherheitsleistung des Gläubigers abhängig machenden Urtheils gilt § 648 Nr. 5 (s. das. Anm. 6). Indessen kommen auch die §§ 651—653 zur Anwendung (vgl. Mot., Merkel S. 156s., Seuffert Anm. 4 u. A.). Das bestätigende Urtheil ändert selbstverständlich nichts in der Vollstreckbarkeit des Arrestbefehls (s. § 809 Anm. 4). Bei Vor­ legung des den Arrest aufhebenden oder beschränkenden Urtheils ist die Vollziehung des Arrestes einzustellen (§§ 691 Nr. 1, 692, 808). 4) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 26 Abs. 1 Nr. 9, 28, GO. f. RA. § 20.

§ 806. 1) Die Arrestsache hat sachlich stets die Natur eines Jnzidentpunkts. Die CPO. gewährt daher dem Schuldner das Recht, falls die Hauptsache noch nicht anhängig ist, die Erhebung der Klage in der Hauptsache zu erwirken. Selbstverständlich besteht hierfür nur dann ein Be­ dürfniß, wenn der Schuldner nicht inzwischen in Folge der Vollziehung des Arrestes gezahlt

976

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 807.

§ 807. Auch nach der Bestätigung des Arrestes kann wegen veränderter Umstände, insbesondere wegen Erledigung des Arrestgrundes oder auf Grund des Hai. (Die Sicherheilsbestellung schließt das Interesse des Schuldners an alsbaldiger Entscheidung der Hauptsache nicht aus.) Daher ergeht die betreffende richterliche Anordnung nur „auf Antrag". Bei betagten oder bedingten Ansprüchen (§ 796 Abs. 2) kann vor Eintritt des Termins oder der Bedingung in der Regel nur Anstellung der Feststellungsklage (§ 231) verlangt werden (vgl. Sarwey II S. 305f., Gaupp II S. 573 i. A. u. A., obenß 231 Anm. 11). Ueber die Anhängigkeit vgl. § 821 Anm. 3. Der Antrag unterliegt, wenn er an ein Kollegialgericht gerichtet ist, nach § 74 dem An walls­ zwange. Die Anordnung erfolgt, mag der Arrest durch Endurtheil oder Beschluß angeordnet sein, seitens des „Arrestgerichts" (welches den Arrest angeordnet hat — vgl. § 799 Anm. 3) ohne mündliche Verhandlung (also durch Beschluß), wenngleich die Anhörung des Gegners auch hier nicht ausgeschlossen ist (vgl. § 801 Anm. 1). Wegen der Zustellung s. § 294 Abs. 3. Die Frist bestimmt sich nach richterlichem Ermessen. Sie kann auf Antrag abgekürzt oder verlängert werden (s. §§ 202, 203). Da sie zum Arrestverfahren gehört, wird sie durch die Ferien nicht gehemmt. Der Gläubiger hat kein Rechtsmittel, der Schuldner gegen die Versagung oder auch gegen die Festsetzung einer zu langen Frist einfache Beschwerde (§ 530). (Vgl. § 802 Anm. 1, RG.X V1 S. 366 und in Gruchot 30 S. 1149, OLG. Hamburg in S. A. 39 Nr. 174, OLG. Gellem Busch, Z. III S. 19, Merkel S. 151,177, Wilm. Levy Anm. 1, Gaupp II S. 572, Seusfert Anm. 3, Fitting § 112 N. 36 u. A. A.M. Hellmann III S. 168, v. Bülow § 802 Anm. 4, welche sofortige Beschwerde (§ 701) zulassen, obwohl es sich hier um Anordnung, nicht um Vollziehung des Arrestes (vgl. § 808) handelt und in § 813 Abs. 4 die besondere Beschwerde für einen einzelnen Fall ausdrücklich zugelassen ist.] Die Klage kann beim Vorhandensein mehrerer Gerichtsstände in jedem Gerichtsstand erhoben werden (RG. XIII S. 365, Seuffert § 821 Anm. 1. A.M. Wilm. Levy § 821 Anm. 1, die in dem Antrag auf Arrest oder einstweilige Verfügung die Ausübung des Wahlrechts auch für die Hauptsache erblicken). — Auch die Klage bei einem Schiedsgerichte kann hier gemeint sein (NG. XXXI S. 370), nicht aber ein bloßer Zahlungsbefehl, der nicht „Klage" ist (s. Seuffert Anm. 4. Abw. Gaupp II S. 572 a. E.). 2) Abs. 2: Der Rechtsnachtheilist die Aufhebung des Arrestes, welche gleichfalls nur auf Antrag des Schuldners von dem Arrestgericht ausgesprochen wird (vgl. Preuß. AGO. 1 29 § 74). Da erworbene Rechte des Gläubigers in Frage stehen, kann die Aufhebung des Arrestes nur auf Grund mündlicher Verhandlung durch Endurtheil erfolgen. Der Schuldner hat nach § 191 zu laden: die Ladung vor ein Kollegialgericht unterliegt dem Anwaltszwang. Ist das Urtheil ein Versäumnißurtheil (vgl. Seuffert Anm. 5, H. Meyer in Busch, Z. IX S. 378 ff.), so ist der Einspruch unbeschränkt zulässig (anders Entw. I § 723 Abs. 3, H. E. § 532). Bei Aushebung des Anestes ist der Gläubiger in die Kosten des Arrestverfahrens ein­ schließlich der durch die Vollziehung des Arrestes entstandenen zu verurtheilen (RG. VII S. 376 0. E.; vgl. §§ 802 Anm. 2, 808 Anm. 1). Wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit vgl. § 648 Nr. 5. 3) So lange die Verhandlung über den Antrag nicht geschlossen ist, kann der Nachtheil noch durch Anstellung der Klage abgewendet werden (s. § 209 Abs. 2, Wilm. Levy Anm. 2, Endemann III S. 370, Gaupp K S. 573, Seuffert Anm. 5 u. A. A.M. Hell­ mann III S. 169). 4) Wegen der Gebühren im Falle des Abs. 2 s. GKG. §§ 26 Abs. 1 Nr. 9, 28, GO. f. RA. § 20.

§ 807. Literatur: Barkhausen in Gruchot 26 S. 532 ff., Hölscher in Busch, Z. VI S. 210 ff., Herbst das. VII S. 519 ff., Möller das. X S. 498 ff.

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 807.

977

Erbietens zu einer nach freiem Ermessen zu bestimmenden Sicherheitsleistung die Aufhebung des Arrestes beantragt werden. Die Entscheidung ist durch Endurtheil zu erlassen; sie erfolgt durch das Gericht, welches den Arrest angeordnet hat, und, wenn die Hauptsache anhängig ist, durch das Gericht der Hauptsache. N. Entw. § 715. Entw. I. § 724. Entw. II. § 739. Entw. III. § 752. Mot. S. 454, 455. Prot. S. 429.

1) Abs. 1: Die freie, durch die Natur des Arrestes als einer vorläufigen Sicherheitsmaßregel gebotene Stellung des Richters (vgl. § 805 Anin. 2) zeigt sich auch nach der Be­ stätigung im Widerspruchsverfahren (§§ 804, 805). „Wegen verän derter Um st ände", d. h. in diesem Falle solcher, welche sich erst nach der Bestätigung ereignet haben (nur diese läßt zu Möller S. 504 ff.; s. dagegen NG. XXIV S. 368 u. in I. W. 1891 S. 10, G aup p II S. 574 N. 4, Seuffer 1 Anm. 3 a. E.) oder doch dem Schuldner erst nach der Bestätigung bekannt geworden sind, kann stets die Aufhebung des Arrestes oder die Umwandelung der Sicherheit in eine andere beantragt werden. Als Beispiel der ersteren („insbesondere") gilt die Erledigung des Arrestgrundes (vgl. §§ 797, 798). Auch die Abweisung des Arrest­ klägers in der Hauptsache gehört hierher (Mot.). Sie erledigt zwar nothwendig den Arrest (vgl. § 810 Anm. 2), aber nur mit Hülfe des hier vorgeschriebenen Verfahrens, welches mit dem in der Hauptsache verbunden werden kann: der Standpunkt des Richters ist hier insofern ein anderer als bei Anordnung des Arrestes (vgl. § 804 Anm. 2). Dagegen ist die Er­ öffnung des Konkurses allein keine genügende Veränderung der Umstände; das Arrest­ pfandrecht wäre sonst fast ganz bedeutungslos (vgl. § 797 Anm. 1). sSo auch H öls ch er S. 207 ff., Se uffert Anm. 3 u. A. A.M. Barkhausen S. 532ff., v. Wilmowski, KO. § 22 Anm. 4; vgl. auch RG. VI S. 435, Merkel S. 206.] Was von der Bestätigung (§ 805) vorgeschrieben ist („auch"), gilt auch bezüglich der durch Widerspruch nicht angegriffenen oder von vornherein durch Urtheil erfolgten Anordnung (vgl. § 802 Abs 1). Auch diese versteht sich nur „rebus sic stantibus“ und kann im Wege des § 807 angegriffen werden. War Widerspruch nicht erhoben oder ist das Urtheil, welches den durch Beschluß angeordneten Arrest bestätigt oder den Arrest angeordnet hat, noch mit Berufung anfechtbar, so können die veränderten Umstände aber nicht nur mittels des § 807, sondern auch durch Erhebung des Widerspruches oder durch Berufung geltend gemacht werden. (Vgl. OLG. Braunschweig in S. A. 43 Nr. 81, Seuffert Anm. 2, Sarwey II S. 307, Endemann III S. 371, Gaupp IIS. 563 f., 574 N. 3, Wilm. Levy Anm. 1, Herbst S. 519 ff. u. A. A.M. Möller S. 507 ff.) 2) „auf Grund des Erbietens —- Sicherheitsleistung" — Der Parallelismus der Sicherheitsleistung und des Arrestes ist ein durchgehender (vgl. §§ 801 Abs. 2, 805 Abs. 2). Selbstverständlich kann auch der Arrestkläger wechseln und eine Umwandelung oder Ergänzung der in dem Arreste gebotenen Sicherheit beantragen (§ 796; vgl. auch § 104 Abs. 3). S. noch § 803 Anm. 2. „Beantragt werden" — Der Antrag kann nur vom Arrestbeklagten gestellt werden, nach § 236 Abs. 2 auch nicht vom Zessionar der arrestirten Forderung (OLG. Stettin in S. A. 39 Nr. 280, Gaupp II S. 575). Auch der Gläubiger kann die Aufhebung des Arrest­ befehls nicht beantragen, vielmehr nur auf die Vollziehung verzichten -(s. Gaupp II S. 575 N. 15, Seuffert Anm. 6. Abw. OLG. Hamburg in S. A. 45 Nr. 65; vgl. RG. XV S. 406). Vgl. § 813 Anm. 2 a. E. und hinsichtlich des Verzichts auf die Vollziehung auch § 742 Anm. 2.

3) A bs. 2: Aus demselben Grunde wie nach § 806 Abs. 2 kann die Entscheidung nur durch Endurtheil erfolgen, auch wenn der Arrest durch Beschluß angeordnet war (RG. in Gruchot 30 S. 1173, OLG. Dresden in S. A. 43 Nr. 80, Herbst a. a. O., SeuffertAnm.5). Struckmann u. Koch, Civilprozeßordnung. 6. Aufl. 62

978

Achtes Buch.

Zwangsvollstreckung.

§ 808.

§ 808. Auf die Vollziehung des Arrestes finden die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechende Anwendung, soweit nicht die nachfolgenden Paragraphen abweichende Bestimmungen enthalten. N. Entw. § 719. Enttv. I. § 725. Entw. II. § 740. Entw. III. 8 763. Mot. S. 455. Prot. S. 489. Ist die Hauptsache noch nicht oder nicht mehr anhängig, so hat der Beklagte, welcher hier als Kläger auftritt und deshalb beweispflichtig ist (vgl. RG- XX S. 380, OLG. Breslau in Busch, Z. XIX S. 478, Seuffert Anm. 5), den Arrestkläger nach allgemeinen Grundsätzen zur mündlichen Verhandlung vor das Arrestgericht (§ 799) zu laden (vgl. § 806 Anm. 2). Auch ein Versäumnißurtheil ist zulässig (vgl. H. Meyer in Busch, Z. IX S. 348, RG. XX S. 380, §§ 805 Anm. 1, 806 Anm. 2). Wegen der Widerklage gilt das in § 804 Anm. 2 Gesagte. Ist die Hauptsache anhängig, so kann der Antrag auf Aufhebung in der Verhandlung über die Hauptsache gestellt werden (vgl. auch Barkhausen S. 533, Gaupp II S. 576), und das Gericht ist in der Lage — wie die Mot. hinzufügen — die Aufhebung des Arrestes sofort auszusprechen (vgl. § 648 Nr. 5) oder in Anwendung der Vorschriften über die ausnahms­ weise erfolgende Versagung der vorläufigen Vollstreckbarkeit die Aufhebung von der Rechtskraft des den Hauptanspruch abweisenden Urtheils abhängig zu machen. Letztere Befugniß ist allerdings unbedenklich; ein solcher Ausspruch ist indessen mit der Abweisung des Antrags gleich­ bedeutend (s. Anm. 1). Im Uebrigen s. §§ 651 ff. — Die Verbindung mit der anhängigen Hauptsache ist nicht nothwendig. Die Sache kann getrennt von der Hauptsache, obwohl (ab­ weichend von § 799) nur bei dem.Gerichte der Hauptsache (§ 821), verhandelt und entschieden werden, wenn die Parteien bezw. das Gericht die Trennung vorziehen (§§ 136, 138). Als „Gericht der Hauptsache" kann nie ein Schiedsgericht gelten, bei dem der Prozeß anhängig ist (vgl. § 806 Anm. 1 a. E.), weil die Zuständigkeit der Schiedsgerichte sich auf das Zwangsvollstreckungsverfahren nicht erstreckt. (So auch RG. XXXI S. 375; vergl. auch RG. XXX S. 319, Köhler in Gruchot 31 S. 310 Anm. 64, Gaupp II S. 599, Seufsert § 821 Anm. 2.] 4) Wegen der Gebühren s. GKG. §§ 26 Abs. 1 Nr. 9, 28 GO. f. RA. § 20.

§ 808. 1) Die „Vollziehung des Arrestes" (zu der die Zustellung des Arrestbefehls nicht ge­ hört — ob.LG. f. Bayern in S. A. 49 Nr. 70) ist die Ausführung der Anordnung des Arrestes (des Arrestbesehls). Die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Zwangs­ vollstreckung als Regel ergiebt sich aus der Natur des Arrestes (s. d. allg. Bem. z. 5. Abschn.). Sie bezieht sich sowohl auf die Form und die Voraussetzungen der Vollziehung als auf die hinsichtlich des Gegenstandes geltenden Beschränkungen (vgl. z. B. §§ 690 sRG. in I. W. 1890 S. 275], 715, 749 sRG. in Gruchot 34 S. 1179], 785, 786, ferner §§712, 713), ebenso auf die einstweilige Einstellung der Vollziehung (§§ 647, 690; vgl. RG- in I. W. 1894 S. 279; wegen des § 657 s. § 645 Anm. 7) und auf die Kosten (§ 697 Abs. 2; s. § 697 Anm. 2; theilweise abw. Wolfs in Gruchot 38 S. 121). Reichsgesetzliche Be­ stimmungen, wonach gewisse Gegenstände nicht mit Arrest belegt werden können svgl. z. B. HGB. Art. 119, 120, 169, 446; Post-Ges. v. 28. Okt. 1871 § 20 (RGBl. S. 347)], bleiben daneben bestehen (EG. z. CPO. § 13), während die zahlreichen land es gesetzlichen Be­ schränkungen (vgl. z. B. Koch, Proz.-Ordn. S. 809 ff., Strey a. a. O. S. 63 ff.) beseitigt sind. Bezüglich des Personalarrestes vgl. auch § 812. Der Arrestbefehl (§ 802), welcher den Gegenstand des Arrestes nicht zu bezeichnen braucht, sondern sich mit der Anordnung des dinglichen Arrestes im Allgemeinen begnügen kann (vgl. §§ 800 Anm. 3, 803 Anm. 1), und das unter Umständen zu seiner Vollziehung zu erlassende Gebot können zwar gleichzeitig in derselben Urkunde erlassen und zugestellt werden (vgl. ob.LG. f. Bayern a. a. O.); es muß jedoch der Wille des Richters, zugleich mit der Anordnung

Fünfter Abschnitt.

Arrest und einstweilige Verfügungen.

§ 809.

979

§ 809. Arrestbefehle bedürfen der Vollstreckungsklausel nur in betn Falle, wenn nach Erlassung der Befehle eine Rechtsnachfolge auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners eingetreten ist. Die Vollziehtlng des Arrestbefehls ist unstatthaft, wenn seit betn Tage, an welchem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch derselbe ergingt zugestellt ist, zwei Wochen verstrichen sind.

Die Vollziehung ist vor der Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner zulässig. Sie ist jedoch ohne Wirkung, wenn die Zustellung nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und vor Ablauf der für diese im vorher­ gehenden Absätze bestimmten Frist erfolgt. 9t. Ent». § 719. ent». I. § 726. Ent». II. § 711 Ent». III. § 754. Mot. S. 455. Prot. S. 429. das zur wirklichen Pfändung erforderliche Gebot erlassen zu wollen, zu klarem Ausdrucke gelangt sein (RG. IX S. 819; vgl. auch RG. im D. RAnz. 1885 bes. Beil. 6 S. 297). Während des Konkurses finden Arreste so wenig wie Zwangsvollstreckungen statt (KO. § 11). 2) „soweit — enthalten" — nämlich die §§ 809—813. Sie beruhen meistenteils auf dem besonderen Zwecke des Arrestes (s. d. allg. Bem.). 3) Ueber die Gebühren in den Fällen der §§ 808—813 s. GO. f. RA. §§ 23 Nr. 1 ii. 2, 31, 36, RG. VIII S. 400. § 809. 1) Abs. 1 stimmt mit § 704 Abs.1 überein. Der Arrestbesehl enthält, wie der Voll­ streckungsbefehl, bereits alle wesentlichen Bestandtheile der Vollstreckungsklausel (§ 663). Hin­ sichtlich des Ausnahmcfalles („wenn nach" u. s. w.) kommen die §§ 666, 667 zur An­ wendung. 2) Abs. 2: Diese Beschränkung der Vollstreckbarkeil auf eine kurze gesetzliche Frist (vgl. §§ 200, 201 Abs. 2, GVG. §§ 202 Nr. 2, 204) soll nach den Mot. die Vollziehung des Arrestes unter vielleicht ganz veränderten Verhältnissen verhüten. Vgl. auch § 641. Sie ist von den Vollstreckungsorganen von Amiswegen zu beachten. Durch den bloßen Auftrag an den Gerichtsvollzieher wird die Frist nicht gewahrt (RG. XXVI S. 397, Gaupp II S. 579, Wilm. Levy Anm. 4). „verkündet oder — zugestellt" — je nachdem der Arrest durch Endurtheil oder durch Beschluß angeordnet ist; vgl. § 802 Anm. 2. Hat der Arrestrichter die Zustellung des Arrest­ befehls an den Arrestsucher versäumt und der Letztere, nachdem er in formloser Weise in den Besitzgelangt ist, die Zustellung an den Arrestbeklagten veranlaßt, so läuft die zweiwöchige Frist von dieser Zustellung an, da ein Verzicht des Arrestklägers auf die Zustellung an seine Person an­ zunehmen ist (RG. in S. A. 45 Nr. 66; s. auch RG. XI S. 414, § 802 Anm. 3). 3) Behufs Vollziehung muß der Arrestsucher eine Ausfertigung des Arrestbefehls in Händen haben (f. § 662). 4) Die Vollziehung des Arrestes kann sofort erfolgen (wie N. E. § 719 Abs. 1 ausdrücklich, verordnet). Dies ergiebt sich hinsichtlich aller Arrestbefehle (auch der den Arrestbefehl ent­ haltenden Endurtheile) aus Natur und Zweck des Arrestes. Die Frist des Abs. 2 hätte sonst keinen Sinn, und ebenso unterstellt § 803 (s. auch § 804 Abs. 3) offenbar, daß bis zur Hinterlegung die Vollziehung unbeschränkt zulässig ist. (Vgl. auch RG. in I. W. 1887. S. 312 Nr. 6, OLG. Dresden in Wengler, Arch. III S. 596, Seuffert §§ 801 „ 802 Anm. 1 IIg, Sarwey II S. 299, Fitting § 112 N. 43, Merkel S. 160, Gautztz II S. 578 a. E. u. A.) Ueberdies ist ein Antrag, die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen körperlichen Sachen erst eine Woche nach Zustellung des den Arrest anordnendem Beschlusses an den Schuldner zu gestatten, von der RTK. abgelehnt.

980

Achtes Büch.

Zwangsvollstreckung.

§ 809.

5) Ist der Arrestbefehl wegen Versäumniß der zweiwöchigen Frist hinfällig geworden, so ist der Arrestbeklagte berechtigt, gegen die verspätete Vollstreckung sich der Hülfe des § 685 zu bedienen oder den Arrestbefehl mittels Klage (wegen der durch den Fristablauf eingetretenen Veränderung der Umstände; vgl. Gaupp II S. 580, Köhler, Forschungen S. 144. A.M. Seuffert Anm. 2) und auch noch in der Rechtsmittelinstanz durch Urtheil aufheben zulassen (OLG. Cöln im Rhein. Arch. 86 1 S. 212; vgl. auch RG- XXVI S. 399). Die nach Abs. 2 eingetretene Unwirksamkeit des Arrestes (vgl. RG. XXVI S. 399) hindert aber nicht die Erneuerung des Arrestgesuchs (Seuffert Anm. 2, ob.LG. f. Bayern in S. A. 37 Nr. 175). Der Abs. 2 findet trotz § 811 auch auf die Vollziehung des Arrestes in unbewegliches Vermögen Anwendung, weil § 809 die Voraussetzungen für die Vollziehung feststellt (RG. XXVI S. 396). Vgl. § 811 Anm. 1. Wegen der Anwendbarkeit der Frist des Abs. 2 auf einstweiligeVerfügungen f. § 815 Anm. 1. Wegen des Beginnes der Vollziehung des Arrestes bei Anträgen auf Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch s. Thiele in Gruchot 37 S. 804. 6) Der Abs. 3 fehlte in der CPO. und ist dem § 809 durch Ges. v. 30. April 1886, betr. die Ergänzung des § 809 der CPO. (RGBl. S. 130) hinzugefügt worden. Anlaß zu diesem Gesetze gaben die vielen Zweifel über das Verhältniß des bisherigen § 809 zu der Vorschrift des § 671 Abs. 1, wonach die Zwangsvollstreckung nur beginnen darf, wenn das Urtheil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird, und insbesondere über die Schwierig­ keiten, die daraus entstanden, daß nach der herrschenden Ansicht (vgl. RG. VI S. 388, VIII S. 429, XI S. 402) die Arrestvollziehung nicht beginnen durfte, bevor gemäß der §§ 671 Abs. 1, 808 der Arrestbefehl dem Schuldner zugestellt war. sVgl. hierüber Seuffert Anm. 3 u. in Busch, Z. III S. 357 ff., Voß in Bödiker, Mag. II S. 131 ff. u. im ein. Arch. 70 S. 130 ff., Fran cke in Bödiker, Mag. II S. 148 ff., Kuhn in Gruchot 27 S. 683 ff., Hage­ mann das. 29 S. 379 ff., Tr änkner in Busch, Z. VIS. 194 ff., Petersen (Hamburg) das. VIII S. 425 ff., Jastrow das. IX S. 422 ff., Beschorner in I. W. 1883 S. 65, WachI S. 272 ff., Fitting, D. Entbehrlichkeit der beabsichtigten Novelle z. CPO., Berlin 1886, u. 9L] Der Entwurf des Bundesraths schlug zur Lösung dieser Schwierigkeiten als Abs. 3 des § 809 folgende Bestimmung vor: „An Stelle der Zustellung des Arreflbefehls an den Schuldner (§ 671) genügt es, wenn die Post um Bewirkung der Zustellung ersucht (§§ 177, 179), oder, sofern eine Zu­ stellung mittelst Ersuchens anderer Behörden oder Beamten oder eine öffentliche Zustellung erforderlich ist, das Gesuch um die Zustellung (§ 190) überreicht ist." 141) §§ 72, 79, Krankenversicherungsgesetz in der Fass. v. 10. April 1892 (RGBl. S. 417) §§ 58, 65, 72 Abs. 3, 4, 73 Abs. 1, 76, 76c Abs. 2; Ges. v. 21. Dez. 1871 über die Beschränkungen des Grund­ eigenthums in der Umgebung von Festungen (RGBl. S. 459) § 41; Reichsbeamtenges. §§ 134 ff., 150 in der Fass, des Ges. v. 25. Mai 1887 (RGBl. S. 194), Straudungsordn. v. 17. Mai 1874 (RGBl. S. 73) §§ 36—39 u. dazu RG. III S. 140, V S. 89, VII S. 64, RG- im D. RAnz.' 1882 6es. Beil. 7 ®. 8; § 33 d. Ges., betr. d. Erhebung v. Reichsstempelabgaben, ind. Fass. v.27. April 1894 (RGBl. S.381); für Preußen vgl. z. B. Ges. v. ll.Mai 1842 § 5 (GS. S. 192), Ges. v. 28. Febr. 1843 § 7 (GS. S. 41), Feld- u. Forstpolizeigesetz v. 1. April 1880 § 83 (GS. S. 225), Pensionsges. in d. Fassung d. Ges. v. 30. April 1884 (GS. S. 126) § 23, Wildschadengesetz v. 11. Juli 1891 (GS. S. 307) §§ 9, 10, 19 u. s. w.]. (Vgl. über derartige Vorentscheidungen noch unten §§14 Anm. 4, 17 Anm. 3, Hauser a. a. O. IV 5. 58 ff., 244 ff., 308 ff., V S. 1 ff., Turnau a. a. O. IS. 110—114, Brinkmann, Be­ gründung der Klagen I S. 46 ff.. Wach I S. 113 Z. 1 a.) Auch die in den Reichsgesetzen oder Landesgesetzen zugelassene Beitreibung im Ver­ waltungswege bleibt unberührt (vgl. oben S. 766, Postges. v. 28. Okt. 1871 § 25 (RGBl. S. 347)]. 4) „Verwaltungsbehörd en" — Ueber den Begriff s. RG. XXIII S. 344 u. in I. W. 1895 S. 4. Verwaltungsbehörden, denen nach Reichsrecht bürgerliche Rechtsstreitigfeiten in der einen oder anderen Bedeutung (s. Anm. 3) überwiesen worden, sind z. B.: a. die „Jnnungsbehörden" im Falle des § 100e der Gewerbeordnung in Verbind, mit § 76 Abs. 2 des Ges., betr. die Gewerbegerichte v. 29. Juli 1690 (RGBl. S. 141), b. die „Militärverwaltungsbehörden" in den Fällen der §§ 114, 115 des Ges. v. 27. Juni 1871 (RGBl. S. 275), c. die „Postanstalten" in Bezug auf die exekutivische Beitreibung unbezahlt gebliebener Beträge an Personengeld u. s. w. nach § 25 des Postges. v. 28. Okt. 1871, (1. die „höheren Civilverwaltungsbehörden" im Falle des § 41 des Rayonges. v. 21. Dez. 1871, e. die in den §§ 134, 150 (in der Fass. v. 25. Mai 1887 — RGBl. S. 194), 155 des Reichsbeamtengesetzes v. 31. März 1873 bezeichneten Behörden, f. die von dem Bundesrathe für die Festsetzung der Vergütung von Kriegsleistungen nach § 33 des Ges. über die Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873 (RGBl. S. 129) zu bestimmenden Behörden, g. die Strandämter bezw. deren Aufsichtsbehörden in den Fällen der §§ 29, 30, 38, 40 der Strandungsordn. v. 17. Mai 1874 (RGBl. S. 73),

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 13.

1091

h. die zur Feststellung der Schäden und Vergütung nach § 14 des Ges. über Natural­ leistungen im Frieden v. 13. Febr. 1875 (RGBl. S. 52) zuständigen Behörden. Vgl. auch § 7 des Ges. über die Aufhebung der Portofreiheiten v. 5. Juni 1869 (BGBl. S. 141) und § 2 des Ges. über die Abgaben von der Flößerei v. 1. Juni 1870 (BGBl. S. 312). Wegen Preußen s. Ges. v. 30. Juli 1883 (GS. S. 195) u. s. w. 5) „oder Verwaltungsgerichten" — Der Entwurf enthielt statt dessen die Worte „einschließlich der Verwaltungsgerichte". Die RTK. hat diese Worte abgeändert, um nicht die Ansicht reichsgesetzlich zu sanktioniren, als ob die Verwaltungsgerichte zu den Verwaltungs­ behörden gehören. Ob dieses der Fall, bestimmt sich nach der den Verwaltungsgerichten in dem Organismus des einzelnen Staats zugewiesenen Stellung. (Vgl. Zorn, Kritische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit in Schultzenstein u. Keil, Verwaltungsarchiv II S. 74 ff., v. Stengel das. III S. 177 ff.] Auch nach Reichsrecht bestehen Verwaltungsgerichte. Die Mot. (S. 32) heben als solche „Behörden, die aus der Grenze zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden stehen, zuweilen als Gerichte bezeichnet werden, aber ihrem Wesen nach den Verwaltungsbehörden beizuzählen sind", z. B. das Bundesamt für das Heimathwescn [©es. v. 6. Juni 1870 §§ 42 ff. (BGBl. S. 368)] und die See mann sä ml er [Seemannsordn. v. 27. Dez. 1872 §§ 10ö, 106 (RGBl. S. 409 ff.)] hervor. Außerdem gehören dahin: das verstärkte Reichseisenbahnami [Ges. v. 27. Juni 1873 § 5 Nr. 4 (RGBl. S. 164)], das Patentamt [Patentges. v. 7. April 1891 (RGBl. S. 79)], insoweit es über die Erklärung der Nichtigkeit und über die Zurücknahme der Patente entscheidet (§§ 13, 14, 28—31 des cmgef. Ges.), die Seeämter und das Ober­ seeamt [©es., öetr. die Untersuchung von Seeunfällen, v. 27. Juli 1877 (RGBl. S. 549)], endlich das Reichs versicherungsamt (vgl. H änel, Deutsches Staatsrecht I S. 760), sowie die Schiedsgerichte der Unfallversicherungsgesetze v. 6. Juli 1884 (RGBl. S. 69) §§ 68, 89 u. s. w. (vgl. CPO. § 749 Anm. 3) u. des Jnvaliditäts- u. Altersversicherungs-Ges. v. 22. Juni 1889 (RGBl. S. 97) §§ 70 ff., soweit sie hiernach über gewisse Streitigkeiten entscheiden; vgl. noch Verordn, v. 1. u. 20. Dez. 1890 (RGBl. S. 193 u. 209). [Wach I S. 65 8 7 Anm. 3 faßt diese Schiedsgerichte als eigentliche Schiedsgerichte, Wi lm. Lev y Anm. 4 (s. auch Seusfert, EPO. vor § 851 Anm. Id, Laband, Staatsr. d. D. Reichs 2. Aust. I S. 350) als reichsgesetzlich bestellte besondere Gerichte auf; vgl. auch Vierhaus in Busch, Z. XI S. 155ff., XV S. 543.] Wegen der Streitigkeiten auf Grund des Krankenversicherungsges. in der Fassung v. 10. April 1892 (RGBl. S. 417) s. §§ 53a, 57b, 58 das. Die Reich srayonkommission (Ges. v. 21. Dez. 1871 §§ 29, 41), welche Laband a. a. O. I S. 401 u. Zorn, Staatsrecht d. Deutschen Reichs I S. 224 hierher rechnen, dürfte als ein Veiwaltungsgericht nicht anzusehen sein. Vgl. oben Anm. 4d. Für Preußen gehören dahin namentlich die durch die Kreisordn. v. 13. Dez. 1872 (GS. S. 661) und das Ges. v. 3. Juli 1875 (GS. S. 375) eingeführten Verwaltungsgerichte. S. auch d. Ges. v. 26. Juli 1876 (GS. S. 297), v. 26. Juli 1880 §§ 7, 62 (GS. S. 291), v. 2. Aug. 1880 (GS. S. 315), v. 30. Juli 1883 (GS. S. 187) u. hinsichtlich der Zuständig­ keit vor allem das Ges. v. 1. Aug. 1883 (GS. S. 237), außerdem Ges. v. 27. April 1885 (GS. S. 127) u. dazu Verordn, v. 12. Sept. 1885 (GS. S. 333). [Vgl. Turnau a. a. O. S. 114 ff., v. Rönne a. a. O. S. 489 ff. u. v. Brauch!tsch (Studt u. Braunbehrens), D. neuen Preuß. Verwaltungsgesetze 12. Aust. 1892.] Wegen der Kompetenzkonfliktsgerichtshöfe vgl. unten § 17. 6) „reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt" — Hierher gehören, abgesehen von einzelnen Anwendungen der in Anm. 5 cmgef. Gesetze, für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten: 1. die Prisengerichte [vgl. Ges., betr. die Prisengerichtsbarkeit v. 3. Mai 1884 (RGBl. S. 49), sowie die Verordn, v. 15. Febr. 1889, betr. die Ausübung der Prisengerichts-

1092

Gerichtsverfassungsgsetz.

§ 13.

Barfeit aus Anlaß der ostafrikanischen Blokade (RGBl. S. 5); s. jedoch auch Vierhaus in Busch, Z. XIV S. 538 Anin. 7 u. Wilm. Levy Anm. 3, die die Prisengerichte zu den Verwaltungsgerichten rechnen]. Vgl. auch Art. XL1X der Generalakte der Brüsseler Antisklaverei-Konferenz nebst Deklaration v. 2. Juli 1890 (RGBl. >892 S. 605) u. K. Verordn., betr. Ausführungsbestimmungen z. d. Generalakte v. 17. Febr. 1893 ((RGBl. 1893 S. 13) ii. hierzu Busch, Z. XIX S. 361]; 2. die Gewerbegerichte (Ges. v. 29. Juli 1890 — RGBl. S. 141). (Ueber deren Zu­ ständigkeit s. J.W. 1891 S. 266 ff., Dungs in Busch, Z. XV S. 450 ff. u. Vierhaus das. S. 544 ff.] Die Konsuln bezw. Konsulargerichte (vgl. Gesetz über die Konsulargerichrsbarkeit v. 10. Juli 1879 (RGBl. S. 197) u. darüber Turnau II S. 227 ff.; s. auch Laband a. a. O. S. 376 ff.], welche die früh. Aust, auch zu den reichsgesetzlichen besonderen Gerichten zählten, sind wohl richtiger als die ordentlichen Gerichte in den deutschen Konsulargerichtsbezirken aufzufassen, weil sie vom Deutschen Reiche für die regelmäßige Ausübung der Gerichtsbarkeit in ihren Gebieten, nicht für besondere Zwecke neben den ordentlichen (deutschen) Gerichten be­ stellt sind. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Gerichte in den deutschen Schutzgebieten. (So auch Vierhaus in Busch, Z. XIV S. 207 i. A., Wilm. Levy Anm. 1 a.) Wegen der letzteren Gerichte vgl. Ges. v. 17. April 1886, betr. die Rechtsverhältnisse der deulschen Schutz­ gebiete (RGBl. S. 75) §§ 2, 3, die Abänderung dieses Ges. durch Ges. v. 15. März 1888 (RGBl. S. 71) u. jetzige Fassung d. ganzen Ges. v. 19. März 1888 (RGBl. S. 75) §§ 2, 3; ferner Verordn, v. 5. Juni 1886 (RGBl. S. 187) u. 13. Juli 1888 (RGBl. S. 221) (s. das Schutzgebiet der Neu-Guinea-Kompagnie], Verordn, v. 13. Septbr. 1886 (RGBl. S. 291) u. 7. Febr. 1890 (RGBl. S. 55) [f. d. Marschall-, Brown- u. Providence-Jnseln], Verordn, v. 11. Jan. 1887 (RGBl. S.4) [f. d. Salomons-Jnseln], Verordn, v. 18. Nov. 1887 (RGBl; S. 527) u. 1. Jan. 1891 (RGBl. S. 1) (für Deutsch-Ostasrika], Verordn, v. 10. Aug. 1890 (RGBl. S. 171) (für Südwestafrika], Verordn, v. 2. Juli 1888 (RGBl. S. 211) (s. Kamerun u. Togo]. Vgl. auch allg. Vers. d. Preuß. J.-M. v. 1. Mai 1891 (JMBl. S. 129) u. G. Meyer, D. staatsrechtl. Stellung der deutschen Schutzgebiete. Leipzig 1888 S. 195 ff. Die Militärgerichte (EG. z. GVG. § 7) sind nur für Strafsachen reichsgesetzlich bestellt.

7) „oder zugelassen sind" — nämlich durch frühere Neichsgesetze, mithin außer den­ jenigen, welche durch § 14 dieses Gesetzes zugelassen werden. Zu ersteren gehören z. B. die Auditeure, soweit ihnen ausnahmsweise bürgerliche Rechtsstreitigkeiten übertragen werden können (Reichsmilitärges. v. 2. Mai 1874 § 39 Abs. 3 (RGBl. S. 45), EG. z. CPO. § 13 Anm. 3 u. für Preußen AG. z. GVG. § 111], ferner die „Austräge" der Standesherren (EG. z. GVG. § 7) sowie die besonderen Gerichte, namentlich auch Austrägalgerichte, für die Mitglieder der landesherrlichen Familien und der Fürstl. Familie Hohenzollern (EG. z. GVG. § 5). Selbstverständlich ist die Einrichtung solcher Gerichte in Staaten, in welchen sie bisher nicht errichtet waren, auch für die Zukunft gestattet (vgl. § 14 Anm. 11, EG. z. GVG. § 3 Anm. 1). Soweit eine solche Einrichtung nicht erfolgt oder später wieder aufgehoben wird, gehören die betreffenden Sachen, wie die Mot. hervorheben, nach der allgemeinen Regel vor die ordentlichen Gerichte, ohne daß es einer besonderen landesgesetzlichen Bestimmung hierüber bedarf. 8) Bezüglich des Verfahrens vor den besonderen Gerichten vgl. EG. z. GVG. § 3, EG. z. CPO. § 3 Abs. 2; bezüglich der Möglichkeit, einem bestimmten ordentlichen Gerichte oder einer Abtheilung eines solchen zugleich die Funktionen eines besonderen Gerichts zu übertragen, vgl. EG. z. GVG. § 3. Die Urtheile der besonderen Gerichte sind im ganzen D. Reiche wie die der ordentlichen vollstreckbar (vgl. Wach I S. 251).

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 14.

1093

§ 14. Als besondere Gerichte werden zugelassen: 1. die aus Staatsverträgen beruhenden Nheinschifffahrts- und Elbzollgerichte; 2. Gerichte, welchen die Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei der Ablösung von Gerechtigkeiten oder Reallasten, bei Separationen, Kon­ solidationen, Verkoppelungen, gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzungen und dergleichen obliegt; 3. Gemeindegerichte, insoweit denselben die Entscheidung über vermögensrecht­ liche Ansprüche obliegt, deren Gegenstand in Geld oder Geldeswerth die Summe von sechzig Mark nicht übersteigt, jedoch mit der Maßgabe, daß gegen die Entscheidung der Gemeindegerichte innerhalb einer gesetzlich zu bestimmenden Frist sowohl dem Kläger wie dem Beklagten die Berufung auf den ordentlichen Rechtsweg zusteht, und daß der Gerichtsbarkeit des Gemeindegerichts, als Kläger oder Beklagter, nur Personen unterworfen werden dürfen, welche in der Gemeinde den Wohnsitz, eine Niederlassung oder im Sinne der §§. 18, 21 der Civilprozeßordnung den Aufenthalt haben; 4. Gewerbegerichte. Enlw. 8 3. Mot. S. 27, 33—35. Prot. S. 121-130, 577-582; 169. Titza. S.12-15. Komm.'Ber. S. 16, 17. Sien. Brr. II. LegiSl.Per. 4. Seff. S. 190-204.

9) In Betreff des Verhältnisses der ordentlichen Gerich tsbar keil zur Sonder­ gerichts barkeit vgl. die zutreffenden Bemerkungen bei Löwe a. a. O. S. 34 Anm. 15. Die ordentlichen Gerichte entscheiden grundsätzlich — im Gegensatze zum Standpunkte des sranz. Rechts — auch über die dem öffentlichen Rechte angehörenden Vorfragen, welche bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vorkommen. (Vgl. Hauser a. a. O. IV S. 257 ff., Wach I S. 86 ff.) S. auch EG. z. CPO. § 14 Nr. 1 it. CPO. § 139 Anm. 2. 10) Durch Privatverträge kann — abgesehen von den Schiedsgerichten (CPO. §§ 851 ff.) — die Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten den ordentlichen Gerichten nicht entzogen und umgekehrt nicht beigelegt werden (vgl. NOHG. 21 S. 81, RG. II S. 311, VIII S. 350, 399, XI S. 66, Entsch. d. preuß. OT. 77 S. 90, 93, Wach I S. 100; s. jedoch Planck I S. 29 a. E.). S. auch oben S. 145 Anm. 2. 11) Ueber die Prüfung der Zulässigkeit des Rechts weges vgl. CPO. § 247 Nr. 2 u. das. Anm. 5, 11.

8 14 Vgl. Pfafferoth, Jahrb. IV. Jahrg. S. 16 ff., v. Stengel, Wörterbuch, 2. Er­ gänzungsband. 1) „zugelassen" — vgl. § 13 Anm. 7 u. 6, Hellmann, Lehrb. § 12 II S. 63ff., Wach I S. 36 unter i. Nr. 1: Die Nheinschifffahrts- und Elbzollgerichte sind ausrecht erhallen, weil sie auf Staatsverlrägen beruhen und einen internationalen Karakter haben, die ersteren wegen der Betheiligung der Niederlande, die letzteren wegen der Betheiligung Oesterreichs. Die Weserzoll- und Neckarschifffahrtegerichte, bei denen kein außerdeutscher Staat beiheiligt ist, sind aufgehoben. Nach der revidirten Rheinschifffahrtsakte v. 17. Oft. 1868 Art. 33—38 (Preuß. GS. v. 1869 S. 798) urtheilen die Rheinschifffahrtsgerichte in Preußen svgl. Ges. v. 8. März 1879 (GS. S. 129)] — abgesehen von gewissen Strafsachen — in Civilsachen (nach den Vorschriften über das Verfahren in den zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten — § 7 das.) über Klagen wegen Zahlung der Lootsen-, Krähn-, Wage-, Hafen- und Bollwerksgebühren und ihres Betrages, wegen der von Privatpersonen vor­ genommenen Hemmung des Leinpfades, wegen der Beschädigungen, welche Schiffer und Flößer

1094

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 14.

während der Fahrt und beim Anlanden verursacht haben, und wegen der den Eigenthümern der Zugpferde beim Herausziehen der Schiffe zur Last gelegten Beschädigungen von Grund­ eigenthum. Gegen das Urtheil erster Instanz kann entweder bei der Centralkommission in Mannheim oder bei dem betreffenden Obergerichte des Landes, in welchem das Urtheil ergangen ist, Berufung eingelegt werden. (Vgl. Turnau a. a. O. II S. 333 ff.) — Wegen Bayern s. Hauser a. a. O. S. 36 Anm. 17. Die auf Grund der Elbschifffahrtsakte v. 23. Juni 1821 Art. 26 (Preuß. GS. 1822 S. 10) und der Additionalakte v. 13. April 1844 § 47 (Preuß. GS. S. 458) bestehenden Elbzollgerichte — nach der im Jahre 1870 erfolgten Aufhebung der Elbzölle ein wenig paffender Name — haben eine ähnliche Zuständigkeit. In Preußen ist das Verfahren neu geregelt durch Ges. v. 9. März 1879 (GS. S. 132). (Vgl. Turnau et. a. O. II S. 842 ff.; s. auch v. Rönne, Erg. 5. Ausg. III S. 696.] 2) Nr. 2: Zu den hier bezeichneten Gerichten (sog. agrarischen Gerichten) gehören für Preußen die Generalkommissionen für Landeskullursachen bezw. die landwirthschaftlichen Spruch­ kollegien bei den Regierungen als Gerichte erster Instanz und das Revisionskollegium für Landeskultursachen (nach dem Ges., betr. das Verfahren in Auseinandersetzungsangelegenheiten, v. 18. Februar 1880 § 2 (GS. S. 59) „Ober-Landeskulturgericht" genannt], als Gericht zweiter Instanz. Für die dritte Instanz, in welcher früher das Obertribunal entschied, ist durch § 1 der Kais. Verordn., betr. die Uebenragung preußischer Rechtssachen auf das Reichsgericht, vom 26. Sept. 1879 (RGBl. S. 287) die Entscheidung dem Reichsgericht übertragen. Vgl. § 3 Abs. 2 des EG. z. GVG., § 19 des Preuß. AG. Aehnliche Einrichtungen bestehen im tiönigr. Sachsen. Großherz. Hessen und manchen andern deutschen Staaten. „Die Einrichtung der besonderen agrarischen Gerichte ist durch die Erwägung ver­ anlaßt, daß die denselben zugewiesenen Sachen ein strikt prozessualisches Verfahren nicht dulden, und daß es dabei vielfach auf landwirtschaftliche imb technische Kenntnisse ankommt, welche bei den Richtern nicht vorausgesetzt werden fömien. Das Eigen­ thümliche des Verfahrens bei den in Rede stehenden Angelegenheiten besteht vornehm­ lich darin, daß für den einen oder anderen Theil ein landesgesetzlich geordneter Zwang besteht, sich auf Verhandlungen einzulassen, die doch wieder den Charakter vertrags­ mäßiger Akte behalten, und daß die Entscheidung der vorkommenden Rechtsstreitigkeiten die vertragsmäßigen Feststellungen theils vorzubehalten, theils zu ergänzen hat." (Mot.)

3) Nr. 3: In der NTK. war die Nr. 3, welche nach dem Entwurf lautete: „(Gemeindegerichte, insoweit — obliegt", gestrichen worden; der Reichstag stellte sie aber in zweiter Lesung unter Beifügung des Satzes: „jedoch mit der Maßgabe — den Aufenth alt haben" wieder her. Derartige Gemeindegerichte bestanden in Württemberg bei Streitgegenständen bis zum Werthe von 30 Gulden in Gemeinden 1. Klasse, von 20 Gulden in Gemeinden 2. Klasse und von 15 Gulden in Gemeinden 3. Klasse, in Baden bei Streitgegenständen bis zum Werthe von 24 Gulden in Städten, von 5 Gulden in Landgemeinden. 4) „jedoch mit der Maßgabe -- die Berufung auf den ordentlichen Rechts­ weg zusteht" — Durch diesen Zusatz hat die Gerichtsbarkeit der Gemeindebehörden einen ganz anderen Karakter erhallen, als ihr nach dem Entwürfe, welcher dem Vorbild in Württemberg gefolgt war, zustehen sollte. Nach dem Entwürfe war es eine eigentliche Gerichtsbarkeit; die Gemeinderichter traten in den fraglichen Bagatellsachen an die Stelle der Amtsgerichte. Nach dem Zusätze aber trägt die Entscheidung der Gemeindegerichte nur den Karakter einer Vor­ entscheidung an sich, gegen die jeder der Parteien die Berufung aus den ordentlichen Rechtsweg, d. h. an das nach allgemeinen Grundsätzen zuständige Amtsgericht, zusteht, welches nunmehr- nach den Vorschriften der CPO. ein — wiederum der Berufung an das Landgericht unterliegendes — Urtheil zu fällen hat. Dem Wesen nach handelt es sich hier mithin

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 14.

1095

untern zwan gsweises Sühneverfahren vor den Gemeindebehörden, welches dem Prozeß­ verfahren vorauszugehen hat; der Vorbehalt für die Landesgesetzgebung gehört daher eigentlich nicht an diese Stelle, sondern, in das EG. z. CPO. sVgl. auch Gaupp I S. 8 Nr. VIII; Zorn, Staatsrecht d. D. Reichs II S. 381 legt mit Unrecht den Gemeindegerichten den Karakter von Schiedsgerichten bei; dagegen spricht gerade die Zulässigkeit des Anrufens der ordentlichen Gerichtes In der RTK. sowohl wie im Reichstag ist die Frage erörtert worden, ob es überhaupt eines Vorbehalts für die Landesgesetzgebung bezüglich der Einführung eines obligatorischen Sühneverfahrens bedürfe, und ob aus der Aufnahme dieses einzelnen Vorbehalts per argumen­ tum e contrario zu folgern sein würde, daß andere Arten von Vorentscheidungen in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeiten, wie sie z. B. in Preußen und anderen Staaten vielfach bestehen, unter­ sagt seien. Der erste Theil der Frage ist zwar zu bejahen, weil ein obligatorisches Sühne­ verfahren mit den Vorschriften der CPO., die nur ein freiwilliges Sühneverfahren kennt und in ihren Motiven ein zwangsweises Sühneverfahren als völlig verwerflich zurückweist (vgl. CPO. § 471 Anm. 3; s. auch N. E. § 3), in Widerspruch steht, und weil der § 13 des GVG. nur Fälle vor Augen hat. in welchen die Entscheidung von bürgerlichen Nechtsstreitigkeiten ihrer inneren Natur wegen ganz oder bezüglich einzelner (Präjudizial- oder Inzident-) Fragen Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten überwiesen wird (vgl. auch Hauser a. a. O. IV S. 28 Anm. 3). Dagegen ist der zweite Theil der Frage zu verneinen, theils, weil der § 2 des EG. z. GVG. sowohl seiner allgemeinen Fassung wie den Mot. nach (vgl. § 13 Anm. 3) auf administrative Vorentscheidungen milbezogen werden muß, theils weil das arg. e contrario jedenfalls wesentlich dadurch abgeschwächt ist, daß ein Kommissar des Bundesraths gegen dasselbe, ohne nachher Widerspruch gefunden zu haben (Sten. Ber. S. 198), ja sogar unter persönlicher Zustimmung des Berichterstatters (a. a. O. S. 202) ausdrücklich int voraus protestirt hat. 5) „innerhalb einer gesetzlich zu bestimmenden Frist" — Diese ist durch Landesgesetz festzustellen. Hat innerhalb der Frist keine der Parteien den Prozeß beim Amts­ gericht anhängig gemacht, so wird die Entscheidung der Gemeindebehörde vollstreckbar. Durch Landesgesetz ist auch zu bestimmen, ob das ordentliche Gericht von Amtswegen oder nur auf Antrag zu prüfen hat, ob das Gemeindegericht vorher angerufen ist (E n d e m a n n I S. 66). Im Zweifel wird jedoch Ersteres anzunehmen sein (vgl. Me § 17 Anm. 3 angeführten Urtheile d. ««.). 6) „und das der Gerichtsbarkeit — Aufenthalt haben" — Die Gerichtsbarkeit (richtiger Sühnebefugniß) des Gemeindegerichts ist mithin eine ganz örtliche. „Wohnsitz" — vgl. CPO. §§ 12—17. „Niederlassung" — vgl. CPO. § 22, KO. § 208 Abs. 1. 7) „Gewerbegerichte" — Diese sind sämmtlich durch § 80 des Ges., betr. die Gewerbe­ gerichte v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141) mit dem 1. April 1892 aufgehoben, sofern nicht bis zu diesem Zeitpunkt ihre Zusammensetzung den Bestimmungen des § 12 Abs. 1 u. 2 entspricht. Dem Wortlaute nach bezieht sich § 80 zwar nur auf die derzeit bestehenden Gewerbegerichte (z. B. in der preuß. Nheinprovinz auf Grund des Ges. v. 7. Aug. 1846 sGS. S. 403], in Elsaß-Lothringen die conseils de prud’hommes ^Dekrete v. 11. Juni 1809, 3. Aug. 1810 u. 5. Sept. 1811]); da aber das Reichsgesetz v. 29. Juli 1890 die ganze Materie der Gewerbe­ gerichte einheitlich geordnet hat, so muß man nothwendig annehmen, daß auch in Zukunft andere Gewerbegerichte nicht zugelassen werden sollen. S. auch § 81 das. (So auch Wilm. Levy Anm. 5. Abw. Mugdan, Komm. z. Reichsges. v. 29. Juli 1890. Berlin 1890.) Eine Um­ gestaltung auf Grund des § 80 a. a. O. haben die Gewerbegerichte in der preuß. Rheinprovinz erfahren durch Ges. v. 11. Juli 1891 (GS. S. 311). Vgl. noch RG. in I. W. 1894 S. 508.

1096

Gerichtsverfaffungsgesetz.

§ 15.

§ 15. Die Gerichte sind Staatsgerichte. Die Privatgerichtsbarkeit ist aufgehoben; an ihre Stelle tritt die Gerichts­ barkeit desjenigen Bundesstaates, in welchem sie ausgeübt wurde. Präsentationen für Anstellungen bei den Gerichten finden nicht statt. Die Ausübung einer geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung. Dies gilt insbesondere bei Ehe- und Verlöbnißsachen. Errtw. § 4. Mot. S. 46 -53. Prot. S. 131-142, 588. II. Leglsl.-Per. 4. Seff. 1876 S. 207-210, 888, 889.

Komm.'Der. S. 17-20.

Stell. Ber.

8) In den Fällen der Nr. 2 und 3 bleiben nicht nur die dort bezeichneten besonderen Ge­ richte, soweit sie gegenwärtig bestehen, in Wirksamkeit, sondern die Landesgesetzgebung hat auch die Befugniß, sie, wo sie überhaupt noch nicht bestehen, neu einzurichten, oder wo sie nicht mit der vollen zulässigen Zuständigkeit bestehen, mit einer erweiterten Zuständigkeit auszustatten (vgl. EG. z. GVG. § 3 Anrn. 1). 9) Die in dem Entw. unter Nr. 5, 6 ausgeführten Forst- und Feld rüge gerichte und Polizei rügegerichte für Uebertretungen, welche nur mit Geldstrafe von höchstens sechzig Mark oder Haft von höchstens 14 Tagen bedroht sind, sind von der RTK. gestrichen worden. 10) Aus der Bestimmung, daß nur die ausgezählten besonderen Gerichte zugelassen sind, ergiebt sich, wie die Mot. mit Recht bemerken, von selbst die Aufhebung aller übrigen besonderen Gerichte, jedoch nur in Bezug auf die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit, wogegen alle in den Landesgesetzgebungen zu den „besonderen Gerichten" gezählten Behörden, denen bezw. soweit ihnen Angelegenheiten der Administrativjustiz oder der nicht streitigen Gerichtsbarkeit über­ tragen sind, unberührt bleiben. Zu den insoweit aufgehobenen Gerichten gehören insbesondere die Universitätsgerichte (vgl. Stein, D. akademische Gerichtsbarkeit in Deutschland. Leipzig 1891) und die Berg gerichte. Für Preußen ist durch § 13 des AG. z. GVG. die den Universitätsgerichten zustehende Gerichtsbarkeit auch in nicht streitigen Rechtsangelegenheiten aufgehoben worden. Hinsichtlich der den Universitätsgerichten verbliebenen akademischen Disziplin vgl. das Ges., betr. die Rechts­ verhältnisse der Studirenden u. s. w., v. 29. Mai 1879 (GS. S. 389, Turn au a. a. O. I S. 142 ff., II S. 87 ff.). 11) Die Ansicht Endein ann's ([ S. 64 u. 196), daß nur die zur Zeit des Geltungsbeginns des GVG. bestehenden besonderen Gerichte geduldet würden, nicht aber in Zukunft Gerichte dieser Art in erster Instanz durch die Landesgesetzgebung eingeführt werden dürften, widerspricht der allgemein gehaltenen Fassung („werden zugelassen"), den zu § 3 des EG. z. GVG. abgedruckten Motiven und den Verhandlungen der RTK., von welcher ein die Gewerbe­ gerichte betreffender, von dem Standpunkte E.'s ausgehender Antrag abgelehnt wurde — Prot. S. 125 ff. (Rücksichtlich der Gemeindegerichte ist die Zulässigkeit der Neueinführung auch im Reichs­ tag anerkannt — Sten. Ber. v. 18. Nov. 1876 S. 202.) Auch würde diese Ansicht zu großen praktischen Schwierigkeiten führen, weil bei jeder Abänderung der betreffenden Landesgesetze leicht Zweifel über die Zulässigkeit entstehen könnten. (Uebereinstimmend v. Rönne, Staatsrecht d. D. Reichs II S. 23, Turnau 1 S. 124 Anm. 13, Wilm. Levy Anm. 1, Planck I S. 38.)

8 15. 1) Den Hauptgrundsatz stellt der Abs. 1 auf; die Abs. 2 und 3 enthalten nur Folgen. „Staatsgerichte" — d. h. Gerichte, die lediglich im Aufträge und Namen des Staats Recht sprechen. In diesem Sinne sind nicht nur die Gerichte der einzelnen Bundes­ staaten (einschließlich des Reichslandes Elsaß-Lothringen), sondern auch das Reichsgericht ein Staatsgericht. (Vgl. Prot. S. 139, La band et. a. O. S. 361, v. Rönne a. a. O. S. 30.) 2) Abs. 2: „Privatgerichtsbarkeit" — welche als standesherrliche Gerichts­ barkeit und als städtische und ritterschaftliche Patrimonialgerichtsbarkeit bisher

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 16.

1097

§ 16. Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte werden hiervon nicht berührt. Entw. § 5. Mol S. 53-55. Prot

142, 143, 582, 583.

noch bestanden hat, erstere nach Aufhebung der Gerichtsbarkeit des Herzogs von Aremberg in Preußen (vgl. GS. 1875 S. 327) nur noch im Königreich Sachsen für das Fürstl. und Grast. Haus SÄönburg in den sog. fünf „Nezeßherrschafteu" (vgl. hierüber Bischof, Betrachtungen zu tz 4 u. § 5 des Entw. z. RGVG. Graz 1875, der in Uebereinstimmung mit den bisherigen Inhabern dieser Gerichtsbarkeit sie als eine staatliche auffaßt. A.M. mit Recht Heffter, D. Sonderrechte der souveränen u. der mediatisirten vormals reichsständischen Häuser Deutsch­ lands. 1871, v. Rönne a. a. £>.); letztere in den beiden Mecklenburg und den beiden Lippe. Die Frage der Gewährung einer Entschädigung für Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit ist der Landesgesetzgebung vorbehalten. 3) Da sich das GVG. überhaupt nicht die Regelung der nicht streitigen Gerichtsbarkeit zur Aufgabe gestellt hat (EG. z. GVG. § 2), bezieht sich darauf auch der Abs. 2 nicht. Es bleibt also z. B. die auf das Gebiet der nicht streitigen Gerichtsbarkeit beschränkte Hausgerichts­ barkeit der Fürsten von Thurn und Taxis in Bayern (Bayer. Ges. v. 29. April 1869) unver­ ändert bestehen (Mot. S. 47). (Vgl. Hauser a. a. O. IV S. 30 Anm. 7.] Für Preußen hält § 27 des AG. z. GVG. den den Häuptern und Mitgliedern der früher reichsständischen Familien eingeräumten Gerichtsstand in Angelegenheiten der nicht streitigen Gerichtsbarkeit aus­ drücklich aufrecht. 4) „Präsentalionsrechte" — mögen sie einen patrimonialen Karakter an sich tragen, wie z. B. in Preußen die Präsentationsrechte der Fürsten von Wied und Solms-Braunfels und der Grafen zu Stolberg zu einer Anzahl von Kreisrichterstellen, oder auf dem inneren Staatsrechte der einzelnen Bundesstaaten beruhen, wie z. B. die Präsentationsrechte der Stände der Mecklenburgischen Großherzogthümer für gewisse Stellen ant Oberappellationsgerichte zu Rostock, an den Justizkanzleien und am Kriminalkollegium, und das Präsentationsrecht der Abgeordneteuversammluug des Herzogthums Braunschweig zu zwei Rathsstellen am Obergerichte zu Wolfenbüttel. Alle Ernennungen sollen in Zukunft in den Einzelstaaten ausschließlich von der Staatsregierung ausgehen (vgl. § 6 Anm. 1). Ueber die Ernennung der Mitglieder des Reichs­ gerichts vgl. § 127 Abs. 1. 5) A b s. 3 bestätigt nur, was nach § 76 des Ges. über die Beurkundung des Personen­ standes u. s. w. v. 6. Febr. 1875 (RGBl. S. 23) bereits bestehendes Recht war. Ein Antrag, den Absatz als überflüssig zu streichen, ist von der RTK. hauptsächlich deshalb abgelehnt worden, weil man es für wünschenswerth hielt, an dieser Stelle die Aufhebung der nicht staatlichen Gerichtsbarkeit vollständig zu regeln. Die geistliche Gerichtsbarkeit, soweit sie sich auf rein geistliche Angelegenheiten (im Gegen­ satze zu „weltlichen") beschränkt, bleibt unberührt. 6) Der § 15 bezieht sich an sich zwar nur auf die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit, wirkt aber von selbst auch aus die nicht streitige, sofern diese (wie z. B. in Preußen) den ordent­ lichen Gerichten übertragen ist (vgl. Mot. z. Preuß. AG. S. 1). § 16. Vgl. Preuß. Verf.-Urk. Art. 7. 1) Der erste Satz hat die doppelte Bedeutung, der Staatsverwaltung sowohl wie der Landesgesetzgebung die Möglichkeit zu entziehen, an Stelle des ein für alle Mal durch das Gesetz bestimmten Gerichts ein anderes einzurichten. „Die durch das Reich bestimmte Ordnung der Gerichte darf nur reichsgesetzlich, nicht mehr staatsgesetzlich verrückt werden" (Mot.).

1098

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 17.

§ 17. Die Gerichte entscheiden über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Die Landesgesetzgebung kann jedoch die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des Rechtswegs besonderen Behörden nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen übertragen: 1. Die Mitglieder werden für die Dauer des zur Zeit ihrer Ernennung von ihnen bekleideten Amts ober, falls sie zu dieser Zeit ein Amt nicht be­ kleiden, auf Lebenszeit ernannt. Eine Enthebung vom Amte kann nur unter denselben Voraussetzungen wie bei den Mitgliedern des Reichsgerichts stattfinden. 2. Mindestens die Hälfte der Mitglieder muß dem Reichsgerichte oder dem obersten Landesgerichte oder einem Oberlandesgerichte angehören. Bei Entscheidungen dürfen Mitglieder nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl 2) Der zweite Satz will auch verhindern, daß von den gesetzlich bestehenden Gerichten ein anderes für den einzelnen Fall Recht spreche, als dasjenige, welches für diesen einzelnen Fall das gesetzlich berufene ist. Die delegirte und mandirte Gerichtsbarkeit des gern. Rechts ist damit be­ seitigt (vgl. Planck IS. 99). Wer im einzelnen Falle der „gesetzliche Richter" ist, bestimmen die hauptsächlich int GVG. (§§ 23, 24, 70, 101; vgl. auch CPO. §§ 1-11 u. s. tu.) gegebenen Normen über die sachliche und die in der CPO. (z. B. §§ 12—37, 61, f»47 u. s. w.-. vgl. die allg. Bem. z. ersten Buch zweiten Titel) enthaltenen Normen über die örtliche Zuständigkeit. „entzogen werden" — Dieses trifft auf solche Parteien nicht zu, welche sich frei­ willig einem anderen Richter, als dem nach allgemeinen Zuständigkeilsnormen zuständigen unterwerfen (CPO. §§ 38—40). Ebensowenig kann in den Fällen des § 36 der CPO. von einer solchen Entziehung die Rede sein, weil dort das zunächst höhere Gericht auf Grund dieses Gesetzes den zuständigen Richter bestimmt, oder in den Fällen, wo nach den Bestimmungen über Stellvertretung (vgl. z. B. GVG. §§ 10, 62, 69, 122) ein Stellvertreter an die Stelle des regelntäßigen Richters tritt, weil ersterer gleichfalls als „gesetzlicher Richter" betrachtet werden muß. (Vgl. auch v. Schwarze S. 16, Hauck S. 39, v. Rönne, Staatsr. d. D. Reichs II, 2 S. 32, Planck I S. 23 u. A.) Ueber den Gerichtsstand in landesherrlichen Ehesachen vgl. RG. XII S. 431. Wegen der Aktenversend ung vgl. § 12 Anm. 7. 3) Der dritte Satz hat vor allem die Bestimmung des Art. 68 der Reichsverfassung über die Errichtung von Kriegsgerichten für den Fall der Erklärung des Kriegszustandes (vgl. jedoch Bündnißvertrag mit Bayern v. 23. Nov. 1870 III § 5 (BGBl. 1871 S. 9)] vor Augen, darüber hinaus aber'auch die laudesgesetzlichen Vorschriften, insbesondere von ElsaßLothringen, welche, abgesehen von dem letztgedachten Falle, die Errichtung von Kriegsgerichten oder Standrechten gestatten. Vgl. auch Reichspreßgesetz v. 7. Mai 1874 § 30. sDas Nähere s. bei Keller S. 27 Anm. 3 u. Löwe, Sirasprozeßordnung S. 36 f.] Vgl. für Preußen noch § HO des AG. z. GVG. Für die CPO. hat der Satz keine Bedeutung. §

17»

1) Der § 17 ist, nachdem weitergehende Anträge, welche besondere Behörden zur Ent­ scheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs nur in dem Verhältnisse zwischen den Gerichten einerseits und den Verwaltungsgerichten (nicht auch den Verwaltungsbehörden) andererseits zulassen wollten, abgelehnt worden waren, von der RTK. auf Antrag des Abg. Lasker mit einigen vom Abg. Struckmann vorgeschlagenen Aenderungen angenommen und vom Reichstag ungeachtet des anfänglichen Widerspruchs der Bundesregierungen aufrecht erhalten worden.

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 17.

1099

mitwirken. Diese Anzahl muß eine ungerade sein und mindestens fünf betragen. 3. Das Verfahren ist gesetzlich zu regeln. Die Entscheidung erfolgt in öffent­ licher Sitzung nach Ladung der Parteien. 4. Sofern die Zulässigkeit des Rechtswegs durch rechtskräftiges Urtheil des Gerichts feststeht, ohne daß zuvor auf die Entscheidung der besonderen Behörde angetragen war, bleibt die Entscheidung des Gerichts maßgebend. Entw. - Mot. - Prot. S. 481-493, 583-586. Komm-Der. S. 14-16. Sten. Ber. II. Leglsl.-Per. 4. Seff. S. 210—222.

2) Als Regel stellt § 17 im Abs. I den dem deutschen Rechte entsprechenden (S. A. 21 Nr. 79, 24 Nr. 38, 27 Nr. 174, NG. int D. NAnz. 1884 bes. Beil. 3 S. 11, Zachariä, Deutsches Staatsrecht II §§ 147—149, wo auch die sehr zahlreiche Literatur über diese Frage sich angegeben findet, Wach 1 S. 100), aber von den neueren deutschen Landesgesetzgebungen (vgl. für Preußen v. Rönne, Preuß. Staatsrecht I S. 519 ff., Schulze, Preuß. Staatsrecht II S. 380 ff., 856 ff.) unter Einfluß des franz. Rechts und der verwickelten Verhältnisse der Verwaltung vielfach verlassenen Grundsatz an die Spitze, daß die Gerichte über die Zulässig­ keit des Rechtswegs selbst entscheiden oder mit anderen Worten, ihre Zuständigkeit ohne Ein­ wirkung einer dritten Behörde m allen Rechtsstreitigkeiten selbst bestimmen sollen (selbstverständlich auf Grund des bestehenden materiellen Rechts). Dieser Grundsatz wird auch gegenüber den Reichsbehörden (sowie den Landesbehörden, soweit sie als Organe der Reichsverwaltung thätig sind) unverändert aufrecht erhalten. Wie bisher die Gerichte Kompetenzstreitigkeiten mit Verwaltungsbehörden (und Verwaltungsgerichten) des Reichs selbständig zu entscheiden hatten, da den Reichsbehörden die Besugniß zur Erhebung von Kompetenzkonflikten nirgends beigelegt ist, so ist solches auch ferner der Fall. (Vgl. Prot. 5. 483—485, Wach I S. 104.) Die in der RTK. geäußerte Ansicht, daß überall, wo Reichsrecht in Frage komme, also auch da, wo das Reichsrecht von den L and es Verwaltungs­ behörden angewendet werde, die Erhebung des Kompetenzkonflikts unzulässig sei, wurde von anderer Seite mit Recht bekämpft, da bei dieser Frage nicht das materielle Recht, sondern die Eigenschaft der Behörden, zwischen denen der Streit besteht, das Entscheidende ist. (Vgl. noch Wach I S. 104 Anm. 72.) Dagegen wird von dem Grundsatz im Abs. 2 eine weitgreifende Ausnahme zu Gunsten der Landesgesetzgebung — die sich selbstverständlich nur auf das Verhältniß der Gerichte zu den Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten des eigenen Landes, nicht des Reichs erstrecken kann — zugelassen. Die fernere Zulässigkeit der in Abs. 2 erwähnten besonderen Behörden [§. B. Staatsrath, Kompetenzkonflikts-Hof, Kompetenzkonflikts-Senat u. s. to.] ist jedoch davon abhängig, daß die unter Nr. 1—4 hervorgehobenen Voraussetzungen (Normativ­ bestimmungen) in Bezug auf die Zusammensetzung dieser Behörden und auf das Verfahren vor ihnen erfüllt sind. Die betreffenden Behörden in den einzelnen Staaten sind mithin nur insofern bestehen geblieben, als auf sie jene Voraussetzungen sämmtlich zutreffen, entgegen­ gesetztenfalls sind diese Behörden mit dem Inkrafttreten des GBG. fortgefallen, wenn nicht in­ zwischen die erforderliche Veränderung ihrer Einrichtung oder ihres Verfahrens getroffen ist. Ueber die Einführung dieser Veränderung durch landesherrliche Verordnung s. EG. z. GVG. § 17 Abs. 2. Für Preußen s. d. Verordn., betr. die Kompetenzkonflikte re. v. 1. Aug. 1879 GS. S. 573), u. über das von den Gerichten zu beobachtende Verfahren JMBl. 1888 S. 4 ff., Turnau a. a. O. II S. 132, v. Rönne a. a. O. S. 524ff.; für Bayern, Sachsen, Württemberg, Hessen vgl. Sarwey a. a. O. S. 683; für Elsaß-Lothringen s. auch RG. V S. 48, XXIV S. 408. Nach § 17 Abs. 1 des EG. z. GVG. kann die Verhandlung und Entscheidung der in § 17 Abs. 2 des GVG. bezeichneten Streitigkeiten unter gewissen Voraussetzungen — statt besonderen Landesbehörden — dem Reichsgerichte zugewiesen werden.

1100

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 17.

3) „Zulässigkeit des Rechtswegs" — vgl. CPO. §§ 247 Abs. 2 Nr. 2, 509 Nr. 1, 513 Nr. 4, 528 Abs. 3 Nr. 2, auch GVG. § 13 Anm. 4. Die Gerichte haben die Zulässigkeit des. Rechtswegs von Amts wegen zu prüfen (vgl. CPO. § 247 Anm. 11; RG- XVII S. 176, XXII S. 4, OLG. Hamburg in S. A. 37 Nr. 156), dürfen auch nicht die Frage nach der Zulässigkeit des Rechtsweges unentschieden lassen und unter der Voraussetzung der Zulässigkeit in der.Sache selbst ein Urtheil fällen (RG. in I. W. 1887 S. 61). Auch wenn der Rechts­ weg nur nach einer von einer Verwaltungsbehörde getroffenen Vorentscheidung zulässig ist (vgl. §§ 13 Anm. 3, 14 Anm. 4), muß, sofern — was regelmäßig der Fall sein wird — die betreffende Vorschrift dem öffentlichen Rechte angehört, von Amtswegen geprüft werden, ob eine solche Vorentscheidung vorausgegangen (ROHG. 21 S. 16, RG. II S. 63, RG- im D. RAnz. 1882 bes. Beil. 7 S. 8), sowie ob die für die Anfechtung festgesetzte Frist gewahrt ist (vgl. auch RG. in I. W. 1890 S. 295 Nr. 5). Vgl. auch Anm. 7 a. E. Der § 17 hat vorwiegend für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten Bedeutung. In Strafsachen wird ein Streit zwischen Gericht und Verwaltung über Zulässigkeit des Rechts­ wegs selten vorkommen. (Vgl. Löwe, Strafprozeßordn. S. 38.) Nicht hierher gehören die besonderen Voraussetzungen der strafrechtlichen oder civilrecht­ lichen Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Ausübung oder in Veran­ lassung der Ausübung ihres Amts vorgenommenen Handlungen; von diesen handelt § 11 des CG. z. GVG. 4) Nr. 1: „Enthebung" — vgl. §§ 128—131. Theils enger, theils weiter ist der Ausdruck in § 8 (vgl. das. Anm. 6, 9, 12). 5) Nr. 2: „obersten Landesgerichte" — vgl. EG. z. GVG. § 8. „Bei Entscheidungen — mitwirken" — vgl. § 194 Abs. 1. Enthalten die betreffen­ den Landesgesetze nichts, so ist lediglich die Normativbestimmung in Satz 3 maßgebend. Daß auch im Einzelsalle mindestens die Hälfte der Mitwirkenden aus richterlichen Beamten bestehen müsse, ist nicht gesagt (vgl. auch Preuß. Verordn, v. 1. Aug. 1879 §§ 2, 3). 6) Nr. 3: Wo das Verfahren nach den in der Nr. 3 aufgestellten Grundsätzen bereits geregelt ist, ist eine weitere Regelung selbstverständlich nicht nothwendig. Der Nachdruck liegt auf „gesetzlich". Die künftige Regelung im Verordnungsweg ist ausgeschlossen. Vgl. jedoch EG. z. GVG. § 17 Abs. 2 und oben Anm. 2. „nach Ladung der Parteien" — Sind die Parteien auf die Ladung nicht erschienen, so kann in ihrer Abwesenheit erkannt werden (Prot. S. 586).

7) Nr. 4: Hiernach sind die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte genöthigt, den (positiven) Kompetenzkonflikt vor rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu erheben (vgl. auch § 4 der Preuß. Verordn, v. 1. August 1879), und es ist durch die Vorschrift, daß die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts maßgebend bleibt, ein Ersatz dafür gewährt, daß in vielen Staaten (z. B. Preußen) die Gerichte gegenüber den Verwaltungsbehörden einen Kompetenzkonflikt nicht erheben können (vgl. §§ 4, 5 der anges. Verordn., Erk. d. preuß. OT. u. 11. April 1876 im Rhein. Arch. 67 II S. 74; s. auch Wach I S. 100, ferner Schulze a. a. O. S. 383 u. dagegen Sarwey a. a. O. S. 680). Dagegen ist bei der allgemeinen Fassung des Abs. 2 (vgl. auch Preuß. Verordn. § 4 Abs. 2) vor rechts­ kräftiger Entscheidung des Reichsgerichts auch noch in der Revisionsinstanz die Erhebung des Kompetenzkonflikts zulässig (so auch Turn au a. a. O. S. 133 Anm. 6. A.M. Wach I S. 102 ff.). „durch rechtskräftiges Urtheil — feststeht" — Dies ist nicht bloß dann der Fall, wenn der ganze Rechtsstreit durch Endurtheil erledigt ist (CPO. § 272), sondern auch, wenn die als prozeßhindernde Einrede gellend gemachte Einrede der Unzulässigkeil des Rechtswegs rechtskräftig verworfen worden ist (CPO. §248 Anm. 2). Vgl. auch § 4 Abs. 2

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 18.

1101

§ 18. Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Sind diese Personen Staatsangehörige eines der Bundesstaaten, so sind sie nur insofern von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, als der Staat, dem sie'angehören, sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat. Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesstaate beglaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Bundesraths, welche nicht von demjenigen Staate, abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Bundesrath seinen Sitz hat. Entw. § 6. Mot. S. 55-57. Prot. S. 148

der nngef. preuß. Verordn. Ein rechtskräftiges Theilurtheil (CPO. §§ 273, 274) schließt die Erhebung des Kompetenzkonflikts nur hinsichtlich des Anspruchs, über den entschieden ist, aus. Die Nr. 4 bezieht sich nur auf die Fälle des positiven Kompetenzkonflikts („Zulässig­ keil des Rechtswegs — 7eststeht"); hat sich (bei sog. negativen Kompetenzkonflikten) das Gericht rechtskräftig für seine Unzuständigkeit entschieden, so kann die Verwaltungs­ behörde trotzdem seine Zuständigkeit bei der besonderen Behörde behaupten. (Vgl. Keller S. 31 Anm. 10, Hauck S. 41 Anm. 2, Thilo S. 41, Turnau ci. a. O. I S. 136, Wilm. Levy Anm. 4. A.M. Wach I S. 101 Anm. 64, S. 102 sowie anscheinend Endemann I S. 72.) Durch die Entscheidung der besonderen Behörde, daß der Rechtsweg zulässig sei, ist die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht in der Art festgestellt, daß eine Entscheidung des Gerichts über diese Frage ausgeschlossen wäre (RG. XI S. 391, Wilm. Levy a. a. O. A.M. Wach IS. 105 Anm. 76). Für Preußen vgl. wegen des negativen Kompetenzkonflikts § 21 der Verordnung vom 1. August 1879. 8) Da sich die Vorschriften des GVG. überhaupt nur auf die ordentliche Gerichtsbarkeit beziehen, so findet § 17 auf das Verhältniß zwischen besonderen Gerichten (z. B. Auseinander­ setzungsbehörden) und Verwaltungsbehörden und die zwischen ihnen eintretenden Kompetenz­ konflikte keine Anwendung, ebensowenig auf Kompetenzstreitigkeiten zwischen Verwaltungsgerichten oder Verwaltungsbehörden svgl. für Preußen Ges. über d. allgem. Landesverwaltting v. 30. Juli 1883 §§ 113, 154 (GS. S. 195)] oder zwischen ordentlichen und besonderen Gerichten. (So auch Löwe a. a. O. S. 38, Turnau a. a. £. I S. 133 Anm. 7, Wilm. Levy Anm. 3. A.M. Keller S. 30.) Endlich betrifft der § 17 nicht die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den bürgerlichen Gerichten und den Militärgerichten (vgl. EG. z. GBG. § 7), weil es sich bei diesen Streitigkeiten nicht um die Zulässigkeil des Rechtswegs, sondern um den Gerichts­ stand handelt. Die zur Erledigung derartiger Streitigkeiten in manchen Einzelstaaten bestehen­ den besonderen Behörden bleiben mithin unberührt. (So-auch Thilo S. 27 Anm. 15. A.M. Keller S. 30 Anm. 4 a.) 9) Wegen der Gebühren s. GKG. § 26 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2, GO. f. RA. § 20.

88 18-21. 1) Die §§ 18—21 handeln von den sog. Exterritorialen, d. h. denjenigen Personen, welche der inländischen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen sind, obwohl sie sich innerhalb des Deutschen Reichs aufhalten und mithin nach allgemeinen Grundsätzen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit unter der inländischen Gerichtsbarkeit stehen würden. Vgl. auch N. E. § 5. „Die Gerichtsbarkeit der deutschen Gerichte erstreckt sich auf alle Personen, welche sich innerhalb des Deutschen Reiches aufhalten, ohne Unterschied ob dieselben dem Staate des Prozeßgerichts, einem anderen Bundesstaate oder einem ausländischen

1102

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 18.

Staate angehören. Hiervon sind nur die durch völkerrechtliche Grundsätze und die durch die Reichsverfassung gebotenen Ausnahmen zu machen." (Mot.) Die Wohnung der Exterritorialen gilt nicht als Ausland (vgl. RG. i. StrS. III S. 70, Zorn, Reichsstaatsrecht II S. 462\ Die Exterritorialen behalten bezüglich der Gerichts­ zuständigkeit ihren Wohnsitz im Heimathslande (RG- in Gruchot 32 S. 1166). sJm Uebrigen s. bezüglich der Exterritorialität: Hesst er, D. Europ. Völkerrecht. 5. Ausg. S. 373 ff.; v. Bar, D. internat. Privat- u. Strafrecht. 2. Aust. II S. 621 ff., Zorn a. a. O. S. 460 ff., Böhm, Handb. des Rechtshülseversahrens u. s. w., Erlangen 1886, S. 38 ff., Hellmann, Lehrb. S. 89 ff.]

2) Ueber den Gerichtsstand der Deutschen, welche das Recht der Exterritorialität ge­ nießen, vgl. für den Civilprozeß CPO. § 16. Ueber Zustellungen an sie s. das. § 183; über ihre Vernehmung als Zeugen das. § 342 Anm. 5. 3) Ebenso wie das Gesandschastspersonal fremder Staaten (§§ 18, 19) sind auch die fremden Landesherren (für sich) und die fremden S taa ten selbst von der inländischen Gerichtsbarkeit in der Regel befreit (vgl. oben S. 961, Anm. 5, Planck 1 S. 45, KG. Berlin in S. A. 50 Nr. 49, Urth. des bayerischen Gerichtshofes f. Komp -Konflikte v. 5. März 1885 in Hirth u. Seydel, Annalen 1885 S. 325 ff., Begründung zu dem dem Reichstage vorgelegten Gesetzentwürfe, Drucks, d. RT. 1884/85 Nr. 114. A.M. Seuffert in Busch, Z.XIS. 192 ff.); s. auch CPO. §20 Anm. 4. Dies gilt jedoch nicht von den deutschen Staaten und Landesherren wegen der Einheitlichkeit des deutschen Nechtsgebietes (Seuffert a. a. O. A.M. Thudichum in Hirth u. Seydel a. a. O. S. 320 f. u. theilweise Plan ck a. a. O.). Ueber die Sonderstellung der Letzteren s. EG. z. GVG. § 5. Sonstige Exem ti onen von den Vorschriften des GVG. und der CPO. über die ordent­ liche streitige Gerichtsbarkeit finden nicht weiter statt; insbesondere ist der privilegirte Ge­ richtsstand der Standesherren und vormals Reichsunmittelbaren (Deutsche Bundesakte Art. 14 Nr. 3) sowie derjenige anderer schriftsässiger Personen aufgehoben. Auch -für diese Personen geben allein die Vorschriften der Prozeßordnungen über den Gerichtsstand in Verbindung mit den Bestimmungen des GVG. über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Norm dafür, vor welchem Gerichte der Gerichtsstand im einzelnen Falle begründet ist. (Vgl. Mot. S. 56 f., v. Rönne, Staatsrecht d. D. Reichs II 2 S. 34.) § 18.

1) Abs. 1: Der erste Satz giebt einen allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grund­ satz wieder. „Um eine möglicherweise nicht erschöpfende Aufzählung der Botschafter, Gesandten. Minister-Residenten, Geschäftsträger, Legations-Sekretäre und Attaches zu vermeiden, bedient sich das Gesetz des Ausdrucks: Chefs und Mitglieder der bei dem Reiche beglaubigten Missionen" (Mot.). 2) Zur Begründung des zweiten Satzes sagen die Mot.: „Nach der Ansicht der Völkerrechtslehrer — — sind diplomatische Personen, wenn sie in einem dauernden Unterthanenverhältnisse zu demjenigen Staate stehen, bei welchem sie beglaubigt sind, nur insoweit von dessen Gerichtsbarkeit befreit, als dieser Staat sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat. Im Verhältnisse zum Deutschen Reiche muß die Reichsangehörigkeit als entscheidend angesehen werden." 3) Abs. 2: Der erste Satz bezieht sich sowohl auf die diplomatischen Personen, welche eine auswärtige Macht bei einem einzelnen Bundesstaate beglaubigt hat, wie auf diejenigen, welche von beni einen Bundesstaate bei dem andern beglaubigt sind.

4) Der zweite Satz des Abs. 2 ist eine Folge des Art. 10 der Reichsverfassung, wonach es „dem Kaiser obliegt, den Mitgliedern des Bundesraths diplomatischen Schutz zu gewähren." Die Anwendbarkeit der Bestimmung ist nicht auf die Zeit beschränkt, während deren die Mit-

Zweiter Titel.

Gerichtsbarkeit.

§§ 19—21.

1103

§ 19. Auf die Familienglieder, das Geschäftspersonal der im §. 18 er­ wähnten Personen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung. Entw. 8 7. Mot. S. 55. Prot. S. 148.

§ 20. Durch die Bestimmungen der §§. 18, 19 werden die Vorschriften über den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nicht berührt. Entw. 8 8. Mot. S. 56. Prot. S. 148.

§ 21. Die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln sind der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit glieder des Bundesraths als solche in Berlin anwesend sind (vgl. auch v. Rönne a. a. £>. S. SS Anm. 5, Löwe a. a. O. S. 39 Anm. 6). 5) Ueber die Tragweite des § 18 bemerken die Mot. (S. 56): „Aus dem Satze, daß die diplomatischen Personen u. s. w. der inländischen Gerichts­ barkeit nicht unterworfen sind, ergiebt sich nicht nur, daß sie im Inland nicht gegen ihren Willen verklagt werden können, sondern ebenso, daß Zustellungen an sie nach den Grundsätzen von Zustellungen im Auslande zu bewirken sind, und daß gegen sie ein Zwang, sich als Auskunftsperson vernehmen zu lassen, durch inländische Gerichte nicht zu üben ist." Vgl. CPO. §§ 183 Anm. 1, 342 Anm. 5, Vers. d. Preuß. IM. v. 20. Jan. 1893 (JMBl. S. 37), Wilm. Levy Anm. 2.

§ 10. 1) Auch der Inhalt des § 19 entspricht allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen. 2) „Familienglieder" sind nicht bloß Ehefrau und Kinder (CPO. Z 17), sondern alle in der Familiengemeinschaft lebenden Personen im Gegensatz auch zu dem „Geschäftspersonal" und den „Bediensteten". Vgl. CPO. §§ 166, 169, 679, 771 Anm. 2. „Der Ausdruck ,,„B edien stete"" ist gewählt, um außer den Dienstboten auch solche Personen zu bezeichnen, welche als Lehrer, Haushofmeister und dergl. im Dienste der Gesandten u. s. w. stehen" (Mot.) Vgl. auch § 20 Anm. 6.

§ 20. 1) Die Vorschriften über den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeilen s. in CPO. § 25. Ihre Geltung entspricht feststehenden Grundsätzen des Völkerrechts. 2) Abgesehen von dem ausschließlichen dinglichen Gerichtsstände, sind alle besonderen Gerichtsstände (vgl. S. 12), mögen sie nun ausschließliche sein oder nicht, durch die Exterritorialität ebenso ausgeschlossen, wie der allgemeine Gerichtsstand. Es folgt dies schon aus der allgemeinen Fassung des § 18 Abs. 1 und ist in der RTK. von dem Reg.-Vertreter ausdrücklich erklärt worden. Ausgeschlossen ist namentlich auch der Gerichtsstand der Widerklage (Löning in Busch, Z. IV S. 71 Anm. 86. A.M. Kleiner I S. 218, Wilm. Levy § 18 Anm. 2 a. E., Turn au a. a. O. I S. 139 Anm. 8, welche mit Unrecht eine Unterwerfung des klagenden Exterritorialen unter das Gericht des Inlandes annehmen, während er doch das betreffende Gericht nur in der Absicht angerufen hat, sein Recht gegen den Inländer zu erlangen, und in der Regel in dieser Beziehung nicht einmal eine Wahl hat). §

21.

1) Die Exterritorialität erstreckt sich regelmäßig nicht auf die Konsuln. „Die Bestimmung, daß die Konsuln, gleichviel, ob Berufs- oder Wahlkonsuln, im Prinzip als diplomatische Personen nicht anerkannt werden, soweit nicht vertragsmäßig andere Bestimmungen getroffen sind, ist allgemein anerkannten Rechtens" (Mot.). Vgl. CPO. § 16 Abs. 2; s. auch RG in StrS. XVII S. 51.

Gerichtsverfassungsgesetz.

1104

§ 22.

anderen Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der in­ ländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind. Entw. 8 9. Mot. S. 56. Prot. S. 148.

Dritter Titel.

Amtsgerichte.

§ 22. Den Amtsgerichten stehen Einzelrichter vor. Ist ein Amtsgericht mit mehreren Richtern besetzt, so wird einem derselben 2) „Verträgen" — Konsularverträge (in denen übrigens nur eine sehr beschränkte Exterritorialität der Konsuln vereinbart ist) hat das Deutsche Reich abgeschlossen mit den Ver­ einigten Staaten von Amerika om 1J. Dez. 1871 (RGBl. 1872 S. 95), mit den Niederlanden am 11. Januar 1872 (RGBl. 1872 S. 67), mit Spanien eint **'■ (RGBl. 1872 S. 211), ., fx, V-« 3)cj. 1868 m,t Stalten am 721.^ 1872

Z'5)©55s. 1869 ©. 113\

S. 145 ff.), mit Griechenland mit

»✓ c 26. 9Zoti. a on a zcofticvx< < q^e ,872 s. 134), mit-, rv> Rntzland am -TW1874 (RGBl. 1875

's»2

(RGBl. 1882 S. 101), mit Serbien am

1883 (RGBl. S. 62). Vgl. auch Freundschafts-, Handels-, Schifffahrts- u. Konsularvertrag mit dem Königreich der Hawaiischen Inseln v. ^ ^pt 1879 (RGBl. 1880 S. 121) Art. X ff.. mit b. Republik Guatemala v. ^ Honduras v.

l2'Tr

^ (RGBl. 1888 S. 237) Art. 21 ff., mit d. Republik

^ (RGBl. 1888 S. 262) Art. 21 ff., Meistbegünstignngsvertrag mit

Paraguay v. 21. Juli 1887 (RGBl. 1888 S. 178), die Freundschafts-, Handels- und Schiff­ fahrts-Verträge mit dein Freistaat Costa-Rica v.

(RGBl. 1877 S. 13) Art. XXVI ff.,

mit Japan v. 20. Febr. 1869 (BGBl. 1870 S. 1) Art. 2, mit der Republik Liberia v. 31. Okt. 1867 (BGBl. 1868 S. 197) Art. 7, mit Mexiko v. 5. Dez. 1882 (RGBl. 1883 S. 247) Art. 22, mit dem Freistaate Salvador v. 13. Juni 1870 (RGBl. 1872 S. 377) Art. XXII ff., verlängert durch Konvention v. 12. Jan. 1888 (RGBl. 1889 S. 191), Freundschafts-, Handels- u. Schiff­ fahrts-Vertrag mit Persien v. 11. Juni 1873 (RGBl. 1873 S. 351) Art. 3, 13 ff.. Zusatzkonvention zu dem dentsch-chines. Freundschafts-, Schifffahrts- u. Handesvertrage v. 2. Sept. 1861 v. 31. März 1880 (RGBl. 1881 S. 261) Art. 2, Konvention mit Madagaskar v. 15. Mai 1883 (RGBl. 1885 S. 166) Art. II, mit Marokko v. 3. Juli 1880 (RGBl. 1881 S. 103), Handels-, Freundschafts- u. Schifffahrts-Vertrag mit dem Königr. Korea v. 26. Nov. 1883 (RGBl. 1884 S. 221) Art. II, Handels-, Schifffahrts- u. Konsular-Vertrag mit d. Dominikanischen Republik v. 30. Januar 1885 iRGBl. 1886 S. 3) Art. XXI, Freundschafts- u. Handels-Vertrag mit der Südafrikanischen Republik v. 22. Januar 1885 (RGBl. 1886 S. 209) Art. 8 ff., Freundschafts-, Handels- und Schifffahrts-Vertrag mit dem Sultan v. Zanzibar v. 20. Dez. 1885 (RGBl. 1886 S. 261) Art. III, XVI ff., Freundschaftsvertrag mit Tonga v. 1. Nov. 1876 (RGBl. 1877 (5. 517) Art. VII, IX, mit dem Freistaat Ecuador v. 28. März 1887 (RGBl. 1888 S. 136) Art. II, Handels- u. Zollvertrag mit Oesterreich-Ungarn v. 6. Dez. 1891 (RGBl. 1892 S. 3) Art. 20, 21, Handelsvertrag mit Egypten v. 19. Juli 1892 (RGBl. 1893 S. 17) Art. 14, 16, 19—21, Freundschafts-, Handels- u. Schifffahrtsvertrag mit d. Freistaate Columbien v. 12. April 1894 (RGBl. S. 471) Art. 21, Handels- u. Schifffahrtsvertrag mit d. Oriental. Republik Uruguay v. 1. Juni 1894 (RGBl. S. 505) Art. 5. Aeltere Verträge einzelner Deutscher Staaten mit Belgien, Dänemark, Schweden und Norwegen und Siam s. bei v. Posch inger, D. Kon­ sularverträge. Berlin 1892 S. 2, 37, 146, 148. Dritter Titel. 1) § 22 bestimmt das Wesen und die Einrichtung der Amtsgerichte; die §§ 23, 24 handeln von ihrer Zuständigkeit.

Dritter Titel.

Amtsgerichte.

§ 22.

von der Landesjustizverwaltung die allgemeine Dienstaufsicht übertragen. Amtsrichter erledigt die ihm obliegenden Geschäfte als Einzelrichter.

1105

Jeder

E» gehens eröffnet ist. das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter zur Folge haben kann;

Vierter Titel.

Schöffengerichte.

§§ 33-39.

1113

3. Personen, welche in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind. § 33. Zn dem Amte eines Schöffen sollen nicht berufen werden: 1. Personen, welche zur Zeit der Aufstellung der Urliste dos dreißigste Lebensjahr noch nicht vollendet hoben; 2. Personen, welche zur Zeit der Aufstellung der Urliste den Wohnsitz in der Ge­ meinde noch nicht zwei volle Jahre hoben; 3. Personen, welche für sich oder ihre Familie Armenuuterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen oder in den drei letzten Jahren, von Aufstellung der Urliste zurückgerechnet, empfangen haben; 4. Personen, welche wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen zu dem Amte nicht geeignet sind: 5. Dienstboten. § 1. 2. 3. 4.

34. Zn dem Amte eines Schöffen sollen ferner nicht berufen werden: Minister: Mitglieder der Senate der freien Hansestädte; Reichsbeamte, welche jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden können: Staatsbeamte, welche auf Grund der Landesgesetze jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden können; ö. richterliche Beamte und Beamte der Staatsanwaltschaft; 6. gerichtliche und polizeiliche Vollstreckungsbeamte; 7. Religionsdiener; 8. Volksschullehrer; 9. dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärpersonen. Die Laudesgesetze können außer den vorbezeichneten Beamten höhere Verwaltungs­ beamte bezeichnen, welche zu dem Amte eines Schöffen nicht berufen werden sollen. § 35. Die Berufung zum Amte eines Schöffen dürfen ablehnen: 1. Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung; 2. Personen, welche im letzten Geschäftsjahre die Verpflichtung eines Geschworenen, oder an wenigstens fünf Sitzuugstagen die Verpflichtung eines Schöffen erfüllt haben; 3. Aerzte; 4. Apotheker, welche keine Gehülfen haben; o. Personen, welche das fünfundsechzigste Lebensjahr zur Zeit der Aufstellung der Urliste vollendet haben oder dasselbe bis zum Ablaufe des Geschäftsjahres voll­ enden würden; 6. Personen, welche glaubhaft macheu, daß sie den mit der Ausübung des Amts verbundenen Aufwand zu tragen nicht vermögen. § 36. Der Vorsteher einer jeden Gemeinde oder eines landesgesetzlich der Gemeinde gleichstehenden Verbandes hat alljährlich ein Verzeichniß der in der Gemeinde wohnhaften Personen, welche zu dem Schöffenamte berufen werden können, aufzustellen (Urliste). Die Urliste ist in der Gemeinde eine Woche lang zu Jedermanns Einsicht auszu­ legen. Der Zeitpunkt der Auslegung ist vorher öffentlich bekannt zu machen. § 37. Gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Urliste kann innerhalb der einwöchigen Frist schriftlich oder zu Protokoll Einsprache erhoben werden. § 38. Der Gemeindevorsteher sendet die Urliste nebst den erhobenen Einsprachen und den ihm erforderlich erscheinenden Bemerkungen an den Amtsrichter des Bezirks. Wird nach Abseudung der Urliste die Berichtigung derselben erforderlich, so hat der Gemeindevorsteher hiervon beni Amtsrichter Anzeige zu machen. § 39. Der Amtsrichter stellt die Urlisten des Bezirks zusammen und bereitet den Beschluß iiber die Einsprachen gegen dieselben vor. Er hat die Beachtung der Vorschriften des §. 36 Abs. 2 zu prüfen und die Abstellung etwaiger Mängel zu veranlassen.

1114

Gerichtsverfassungsgesetz.

§§ 40—49.

§ 40. Bei dem Amtsgerichte tritt alljährlich ein Ausschuß zusammen. Der Ausschuß besteht aus dem Amtsrichter als Vorsitzenden und einem von der Landesregierung zu bestimmenden Staatsverwaltungsbeamten, sowie sieben Vertrauens­ männern als Beisitzern. Die Vertrauensmänner werden aus den Einwohnern des Amtsgerichtsbezirks gewählt. Die Wahl erfolgt nach näherer Bestimmung der Laudesgesetze durch die Vertretungen der Kreise, Aemter, Gemeinden oder dergleichen Verbände; wenn solche Vertretungen nicht vorhanden sind, durch den Amtsrichter. Letzterer hat die Vertrauensmänner vornehmlich aus den Vorstehern der vorbezeichneten Verbünde zu wählen. Zur Beschlußfähigkeit des Ausschusses genügt die Anwesenheit des Vorsitzenden, des Staatsverwaltungsbeamten und dreier Vertrauensmänner. Der Ausschuß faßt seine Beschlüsse nach der absoluten Mehrheit der Stimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet die (Stimme des Vorsitzenden. § 4L Der Ausschuß entscheidet über die gegen die Urliste erhobenen Einsprachen. Die Entscheidungen sind zu Protokoll zu vermerken. Beschwerde findet nicht statt. § 42. Aus der berichtigten Urliste wählt der Ausschuß für das nächste Geschäftsjahr: 1. die erforderliche Zahl von Schöffen; 2. die erforderliche Zahl derjenigen Personen, welche in der von dem Ausschüsse fest­ zusetzenden Reihenfolge an die Stelle wegfallender Schöffen treten (Hülfsschöffen). Die Wahl ist ans Personen zu richten, welche am Sitze des Amtsgerichts oder in dessen nächster Umgebung wohnen. § 43. Die für jedes Amtsgericht erforderliche Zahl von Hauptschöffeu und Hülfs­ schöffen wird durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. Die Bestimmung der Zahl der Hauptschöffen erfolgt in der Art. daß voraussichtlich Jeder höchstens zu fünf ordentlichen Sitzungstagen im Jahre herangezogen wird. § 44. Die Namen der erwählten Hauptschöffen und Hülfsschöffen werden bei jedem Amtsgerichte in gesonderte Verzeichnisse aufgenommen (Jahreslisten). § 45. Die Tage der ordentlichen Sitzungen des Schöffengerichts werden für das ganze Jahr im voraus festgestellt. Die Reihenfolge, in welcher die Hauptschöffen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen des Jahres Theil nehmen, wird durch Ausloosung in öffentlicher Sitzung des Amtsgerichts bestimmt. Das Loos zieht der Amtsrichter. Ueber die Ausloosung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll aufgenommen. § 46. Der Amtsrichter setzt die Schöffen von ihrer Ausloosung und von den Sitzungstagen. an welchen sie in Thätigkeit zu treten haben, unter Hinweis auf die gesetz­ lichen Folgen des Ausbleibens in Kenntniß. In gleicher Weise werden die im Laufe des Geschäftsjahres einzuberufenden Schöffen benachrichtigt. § 47. Eine Aenderung in der bestimmten Reihenfolge kann auf übereinstimmenden Antrag der betheiligten Schöffen von dem Amtsrichter bewilligt werden, sofern die in den betreffenden Sitzungen zu verhandelnden Sachen noch nicht bestimmt sind. Der Antrag und die Bewilligung sind aktenkundig zu machen. § 48. Wenn die Geschäfte die Anberaumung außerordentlicher Sitzungen erforderlich machen, so werden die einzuberufenden Schöffen vor dem Sitznngstage in Gemäßheit des §. 45 ausgeloost. Erscheint dies wegen Dringlichkeit unthunlicb, so erfolgt die Ausloosung durch den Amtsrichter lediglich aus der Zahl der am Sitze des Gerichts wohnenden Hülfsschöffen. Die Umstände, welche den Amtsrichter hierzu veranlaßt haben, sind aktenkundig zu machen. § 49. Wird zu einzelnen Sitzungen die Zuziehung anderer als der zunächst be­ rufenen Schöffen erforderlich, so erfolgt dieselbe aus der Zahl der Hülfsschöffen nach der Reihenfolge der Jahresliste.

Vierter Titel.

Schöffengerichte.

§§ 50—57.

1115

Würde durch die Berufung der letzteren eine Vertagung der Verhandlung oder eine erhebliche Verzögerung ihres Beginnes nothwendig, so sind die nicht am Sitze des Gerichts wohnenden Hülfsschöffen zu übergehen. § 50. Erstreckt sich die Dauer einer Sitzung über die Zeit hinaus, für welche der Schöffe zunächst einberufen ist, so hat er bis zur Beendigung der Sitzung seine Amts­ thätigkeit fortzusetzen. § 51. Die Beeidigung der Schöffen erfolgt bei ihrer ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung. Sie gilt für die Dauer des Geschäftsjahres. Der Vorsitzende richtet an die zu Beeidigenden die Worte: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Schöffen getreulich zu erfüllen und Ihre (Stimmen nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben." Die Schöffen leisten den Eid, indem Jeder einzeln die Worte spricht: „ich schwöre es. so wahr mir Gott helfe." Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben. Ist ein Schöffe Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Betheuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, so wird die Abgabe einer Erklärung unter der Betheuerungsformel dieser Religionsgesellschaft der Eidesleistung gleich geachtet. Ueber die Beeidigung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll aufgenommen. § 52. Wenn die Unfähigkeit einer als Schöffe in die Jahresliste aufgenommenen Person eintritt oder bekannt wird. so ist der Name derselben von der Liste zu streichen. Ein Schöffe, hinsichtlich dessen nach seiner Aufnahme in die Jahresliste andere Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorhandensein eine Berufung zum Schöffenamte nicht erfolgen soll, ist zur Dienstleistung ferner nicht heranzuziehen. Die Entscheidung erfolgt durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staatsanwalt­ schaft und des betheiligten Schöffen. Beschwerde findet nicht statt. § 53. Ablehnungsgründe sind nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb einer Woche, nachdem der betheiligte Schöffe von seiner Einberufung in Kenntnis; gesetzt worden ist, von demselben geltend gemacht werden. Fällt ihre Entstehung oder Bekanntwerdung in eine spätere Zeit, so ist die Frist erst von diesem Zeitpunkte zu berechnen. Der Amtsrichter entscheidet über das Gesuch nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. Beschwerde findet nicht statt. § 54. Der Amtsrichter kann einen Schöffen auf dessen Antrag wegen eingetretener Hinderuugsgründe von der Dienstleistung au bestimmten Sitzungstagen entbinden. Die Entbindung des Schöffen von der Dienstleistung kann davon abhängig gemacht werden, daß ein anderer für das Dienstjahr bestimmter Schöffe für ihn eintritt. Der Antrag und die Bewilligung sind aktenkundig zu machen. § 55. Die Schöffen und die Vertrauensmänner des Ausschusses erhalten Vergütung der Reisekosten. § 56. Schöffen und Vertrauensmänner des Ausschusses, welche ohne genügende Entschuldigung zu den Sitzungen nickt rechtzeitig sich einfinden oder ihren Obliegenheiten in anderer Weise sich entziehen, sind zu einer Ordnungsstrafe von fünf bis zu eintausend Mark, sowie in die verursachten Kosten zu verurtheileu. Die Berurtbeilung wird durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staatsanwalt­ schaft ausgesprochen Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so kann die Verurtheilung ganz oder theilweise zurückgenommen werden. Gegen die Entscheidungen findet Beschwerde von Seiten des Verurtheilten nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. § 57. Bis zu welchem Tage die Urlisten aufzustellen und dem Amtsrichter ein­ zureichen sind, der Ausschuß zu berufen und die Auslosung der Schöffen zu bewirken ist, wird durch die Landesjnstizverwaltnng bestimmt.

Gerichtsverfassungsgesetz.

1116

Fünfter Titel.

§§ 58—61.

Landgerichte.

§ 58. Die Landgerichte werden mit einem Präsidenten und der erforder­ lichen Anzahl von Direktoren und Mitgliedern besetzt. Entw. § 46. Mot. ©. 92. Prot. S. 335-347, 501, 502, 627-633. Kornm.-Ber. S. 38-42. ©teil. Ber. II. Legisl.Per. 2. ©eff ©. 286 ff.; 4. ©eff. ©. 239.

§ 59.

Bei den Landgerichten werden Civil- und Strafkammern gebildet.

Entw. § 47. Mot. ©. 92. Prot. S. 335-347, 501, 502, 627-633.

§ 60. Bei den Landgerichten sind Untersuchungsrichter nach Bedürfniß zu bestellen. Die Bestellung erfolgt durch die Landesjustizverwaltung auf die Dauer eines Ge­ schäftsjahres.

§ 61. Den Vorsitz im Plenum führt der Präsident, den Vorsitz in den Kammern führen der Präsident und die Direktoren. Vor Beginn des GeschäftsFünftcr Titel. 1) Die §§ 58—69 handeln von der Besetzung der Landgerichte und der Bildung der einzelnen Abtheilungen innerhalb dieser Gerichte, die §§ 70, 71 von der Zuständigkeit der Land­ gerichte in Civilsachen, die §§ 71—76 von ihrer Zuständigkeit in Strafsachen. Die Sitze und die Bezirke der Landgerichte, die Zahlen der Gerichtseingesessenen und die Namen der Richter und Staatsanwaltes, in dem Verzeichnisse bei Pfafferoth, Jahrb. 4. Jahrg. 1895 S. 72 ff. 2) Für Preußen vgl. AG. z. GVG. §§ 37—43. Die Sitze und Bezirke der Land­ gerichte sind durch §§ 2, 3 des Ges. v. 4. März 1878 (GS. S. 109) bestimmt. Nachträglich sind jedoch Aenderungen eingetreten in Folge der Errichtung der Landgerichte in Memel (Ges. v. 12. Febr. 1884 — GS. S. 63) und in Bochum (Ges. v. 3. April 1888 — GS. S. 51). Vgl. oben § 12 Anm. 5.

8 58. 1) Die Besetzung geschieht burcf) die landesgesetzlich dazu befugte Stelle, jedoch stets auf Lebenszeit (vgl. § 6 Anm. 1). Der Präsident steht dem ganzen Gerichte, die Direktoren stehen den einzelnen Kammern vor (vgl. § 61 Satz 1). Ueber besondere Befugnisse des Präsidenten vgl. §§ 61, 63, 64, 66, 83 Abs. 2, 89 Abs. 2, 91; CPO. § 27t Abs. 2 und für Preußen AG. z. GVG. §§ 38, 41, 43, 77, 78, 80. 2) In Preußen führen nach § 8 des AG. z. GVG. die Mitglieder der Landgerichte den Amtstitel „Landrichter". Einem Theile von ihnen kann nach den Allerh. Erlassen v. 11. Aug. 1879 u. v. 21. Nov. 1888 (s. d. allg. Bem. z. Tit. 3 unter 2) durch die Ernennung zum „Landgerichtsrath" persönlich ein höherer Amtskarakter mit dem Range der Räthe vierter Klasse verliehen werden.

8 59. Literatur: Westerburg in Gruchot 29 S. 810 ff. Die Bildung dieser beiden Arten von Kammern bei je dem Landgericht ist obligatorisch (vgl. auch §§ 120, 132). Wegen der Kammern für Handelssachen, welche zu den Civilkammern im weiteren Sinne gehören (vgl. § 70), s. § 100. Die einzelnen Kammern sind die eigentlichen Träger der Civil- bezw. Strafrechtspflege (vgl. Wach I S. 324 Anm. 2). Die Zahl der Civil- und der Strafkannnern für jedes einzelne Landgericht zu bestimmen, bleibt den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Vgl. für Preußen d. Allg. Verfügungen des Just.-Min. v. 28. Juli 1879 §§ 2-5 (JMBl. S. 209), v. 16. Nov. 1879 § 2 (JMBl. S. 454) u. v. 25. Sept. 1880 (JMBl. S. 221).

8 01-69. Die §§ 61—69 sind von der RTK. auf Anregung des Abg. Lasker eingeschaltet und in der Gestalt, welche sie dort schließlich erhielten, vom Reichstag und vom Bundesrathe mit un-

Fünfter Titel

Landgerichte.

§ 61.

1117

jahres bestimmt der Präsident die Kammer, welcher er sich anschließt. Ueber die Vertheilung des Vorsitzes in den übrigen Kammern entscheiden der Präsident und die Direktoren nach Stimmenmehrheit; im Falle der Stimmengleichheit giebt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Entw. Mot. Prot. S. 335-347, 501-505, 616, 617, 627-633; 169. Sitzg. S. 19-23. 170. Sitzg. S. 1-4. Komm.Ber. S. 39-41. Sten. Ber. II.- Legsil.-Per. 4. Seff. 1876 S. 239.

erheblichen Aenderungen angenommen worden. Der Entwurf enthielt über die in diesen Para­ graphen geregelten Materien keinerlei Bestimmungen; nach den Mot. (0/92) sollte es „der Justizhoheit des Staats, welcher das Landgericht einrichtet, überlassen bleiben, die näheren Grund­ sätze über die Bildung der Kammern und die Vertheilung der Mitglieder des Gerichts in den­ selben festzustellen, insbesondere darüber Bestimmung zu treffen, ob die Mitglieder für längere oder kürzere Perioden dieser oder jener Kammer zuzutheilen sind, wer die Zutheilung vorzu­ nehmen hat, ob ein Mitglied mehreren Kammern angehören kann, ob die Anstellung besonderer Direktoren erforderlich ist, in welcher Weise Vertretungen zu ordnen sind." Zweck der Einschaltung ist gewesen, diesem freien Schalten des Landesrechts entgegenzutreten, insbesondere im Interesse der Unabhängigkeit der Rechtspflege zu verhüten, daß nach dem Landesrechte die Zusammensetzung der einzelnen Kammern, die Uebertragung des Vorsitzes in ihnen, die Zuweisung der Geschäfte an sie, die Zuziehung von Hülfsrichtern dem freien Belieben der Justizverwaltung überlassen werde. §

61.

1) Der § 6l erhielt seine gegenwärtige Fassung auf Antrag des Abg. Gneist durch einen in dritter Lesung gefaßten Beschluß der RTK. 2) Nach dem Inhalte des § 61 ist es erforderlich, daß — abgesehen von Behinderungsfällen (Z 65) — jede Kammer entweder den Präsidenten oder einen Direktor zum Vorsitzenden hat: das (z. B. in Preußen früher übliche) Institut der Abiheilungsdirigenten und DeputationsVorsitzenden, d. h. der mit dem Vorsitze beauftragten Mitglieder, ist nicht mehr zulässig, da die anfänglich beschlossene Bestimmung, daß auch ein von der Landesjustizverwaltung ständig zum Vorsitzenden berufenes Mitglied des Gerichts den Vorsitz in den Kammern führen könne, in zweiter Lesung gestrichen worden ist (Prot. S. 627, 633). (So auch Rechtsspr. d. RG. i. StrS. X S. 432, Entsch. i. StrS. XVIII S. 9, Hauck S. 100, 38Um. Levy Anm. 2. A.M. Westerburg a. a. O. S. 812 ff., gegen den nicht bloß die Verhandlungen der RTK., sondern auch der klare und bestimmte Wortlaut des Gesetzes „führt" und ein arg. 6 contr. aus den §§ 78 Abs. 2 u. 109 Abs. 1 spricht. Die Hinzusügung des Worts „nur" in den § 61 Satz 1 würde gegen die einfachsten Regeln der Redaktion verstoßen haben. Die praktische Schwierigkeit der Durchführung der Vorschrift des § 61 Satz 1 kann nur dazu führen, daß der Vorsitzende sich gemäß § 65 Abs. 1 häufig vertreten läßt.) 3) „im Plenum" — Das Plenum des Landgerichts (sowie des Oberlandesgerichts) wird sonst weder in dem GVG. noch in den Prozeßordnungen erwähnt und hat keinerlei pro­ zessuale Bedeutung. Dagegen kann es für die nach dem Landesrechte sich bestimmenden Justizverwaltungs- und sonstigen Geschäfte (z. B. Disziplinarsachen) eine erhebliche Bedeutung gewinnen. 4) „Vor Beginn des Geschäftsjahres" — Der Beginn ist reichsgesetzlich nicht fest­ gestellt und richtet sich mithin nach dem Landesrecht. In Preußen fällt das Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahre zusammen (vgl. Allg. Vers. v. 28.Juli 1879 § 1 —JMBl. S. 209). Wegen des Reichsgerichts s. Geschästsordn. v. 8. April 1880 § 25 (vgl. unten § 141). 6) „welcher er sich anschließt" — d. h. der Präsident wählt zunächst die Kammer, in der er selbst den Vorsitz führen will; nicht aber kann er sich den übrigen Kammern als ein­ faches Mitglied anschließen; die Vertheilung der ständigen Mitglieder der Kammern erfolgt vielmehr lediglich nach Maßgabe des § 62, wobei nur an die Richter mit Ausschluß des Prä­ sidenten und der Direktoren gedacht ist. (A.M. bezüglich des Präsidenten Turn au a. a. O. 1

1118

Gerichtsverfasfungsgesetz.

§ 62.

§ 62. Vor Beginn des Geschäftsjahres werden auf die Dauer desselben die Geschäfte unter die Kammern derselben Art vertheilt und die ständigen Mitglieder der einzelnen Kammern sowie für den Fall ihrer Verhinderung die regelmäßigen Vertreter bestimmt. Jeder Richter kann zum Mitglieds mehrerer Kammern be­ stimmt werden. Die getroffene Anordnung kann im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen eingetretener Ueberlastung einer Kammer oder in Folge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Gerichts erforderlich wird. Entw. — Mot. Prot. S. 335-347, 501-505, 616, 617, 627-638; 169. Sitza. S. 19-23, 170. Sitzg. S. 1-4. Komm.-Ber. S. 39-41. Sten. Ber. 4. Scss. S. 239.

S. 325 Sinnt. 6.) Ein Landgerichtsdirektor kann aber Beisitzer im Schwurgerichte sein (NG. in StrS. III S. 3JO) und, wenn er int einzelnen Falle am Vorsitz in der Civilkammer ver­ hindert ist, auch als Beisitzer mitwirken (vgl. § 65 An in. 1). 6) „entscheiden der Präsident und die Direktoren" — Das älteste Mitglied (§ 63 Abs. 2) wirkt bei Verkeilung des Vorsitzes nicht mit. 7) Die gleichzeitige Uebertragnng des Vorsitzes in mehreren Kammern an den Präsidenten oder einen Direktor ist nicht ausgeschlossen, da eine ausdrückliche Vorschrift nicht entgegensteht und die Verhandlungen der RTK. aus eine dahin gehende Absicht nicht schließen lassen. Der Gebrauch der Einzahl „die Kammer" im zweiten Satze beweist nichts, weil hierbei nur an den regelmäßigen Fall gedacht ist, und ebensowenig läßt sich ans § 62 Abs. 1 Satz 2 ein arg. e contrario entnehmen. (So auch Ende mann I S. 91, W ilm. Levy Sinnt. 4, Löwe, StPO. S. 74 Sinnt. 3, Turnau a. a. O. I S. 325 Sinnt. 5, Preuß. Allg. Vers. v. 28. Juli 1879 § 3. AM. Hauck S. 99 ff., Lab and, Staatsrecht d. D. Reichs, 2. Slufl. II S. 398 Sinnt. 3.) Dagegen ist die Ernennung zweier Direktoren für eine Kammer oder eines Direktors neben dem Präsidenten für dieselbe Kammer unzulässig, wie sich schon aus § 65 ergiebt.

8) Ist die Präsidenten- oder eine Direktor-Stelle zur Zeit einer Bertheilung des Vorsitzes unbesetzt, so erfolgt die Bestimmung darüber, in welcher Kammer weder der Präsident noch einer der Direktoren den Vorsitz führen soll, gleichfalls nach Maßgabe des § 61; in dieser Kammer führt alsdann das älteste Mitglied in Gemäßheit des § 65 den Vorsitz. (Wenn Hauck S. 101 bemerkt, die Landesjustizverwaltung habe die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß zur Zeit der Bertheilung alle Präsidenten- und Direktoren-Stellen besetzt seien, so ist das an sich nicht unrichtig, aber nicht immer durchführbar.)

8 62. 1) Der § 62 wurde in seiner jetzigen Gestalt in dritter Lesung der RTK. auf Vorschlag des Slbg. Strnckmann angenommen. Der Slb s. 1 stellt die Regel auf, daß sowohl die Vertheilung der Geschäfte wie des Personals unter die einzelnen Kammern auf die Dauer des Geschäftsjahres erfolgen soll; der Slbs. 2 bestimmt die Voraussetzungen, unter welchen von dieser Regel ausnahmsweise abgewichen werden darf. Vorschläge auf Festsetzung näherer Normen, nach denen die Bertheilung der Geschäfte und des Personals zu erfolgen habe (z. B. Bertheilung der Geschäfte nach Buchstaben, der Mitglieder nach einem Tttrnus u. s. w.), wurden von der RTK. verworfen. Das Präsidium hat somit in diesen Beziehungen freie Hand. Sluch ist nicht vorgeschrieben, die Mitglieder vorher nach ihren Wünschen zu bestagen. Die Beachtung gewisser Gesichtspunkte wird vom Preuß. Justizminister in der Verf. v. 12. Okt. 1882 (JMBl. S. 306) empfohlen. Hinsichtlich der ersten Einrichtung und des ersten Geschäftsjahres vgl. EG. z. GVG. § 20 Abs. 1, Preuß. Allg. Verf. v. 28. Juli 1879 §§ 2—5 (JMBl. S. 209).

Fünfter Titel.

Landgerichte.

§ 62.

1119

2) Abs. 1: „Vor Beginn des Geschäftsjahres" — vgl. § 61 An in. 4. „Kammern derselben Art" — d. h. Civil- bezw. Strafkammern. Die Vertheilung der Geschäfte zwischen Civilkammern einerseits und Strafkammern andererseits ergiebt sich auf Grund der Prozeßordnungen von selbst. „der einzelnen Kammern" — d. h. der Civil- und der Strafkammern. 3) Die „ständigen Mitglieder der einzelnen Kammern" sind nicht gleich­ bedeutend mit den ständigen Mitgliedern des Gerichts, sondern bilden den Gegensaß zu den „regelmäßigen Vertretern". Zu ständigen Mitgliedern der einzelnen Kammern wie zu regelmäßigen Vertretern können auch die gemäß § 69 berufenen Hülfsrichter bestellt werden. Vgl. § 69 Anm. 7. Ständige Mitglieder können in größerer Anzahl, als zur Besetzung im einzelnen Falle gehört (§ 77), für eine einzelne Kammer bestimmt werden. Für den unter ihnen alsdann nothwendig eintretenden Wechsel in den Sitzungen der einzelnen Kammer sind allgemeine Vorschriften nicht gegeben. Eine desfallsige Festsetzung seitens des Präsidiums ist daher nicht erforderlich. (So auch Turn au a. a. O. I S. 330 Anm. 7; vgl. Verfügung des Präsidiums d. Reichsgerichts in Annalen d. RG. III S. 128. A.M. Keller S. 93 Anm. 4, Wilm. Levy Anm. 1.) Die regelmäßigen Vertreter sind zwar als Vertreter der einzelnen Mitglieder gedacht (vgl. § 66), können aber zugleich als Vertreter mehrerer oder auch aller Mitglieder einer Kammer bestellt werden. (Uebereinstimmend Thilo S. 99 Anm. 3, Turn au a. a. O. I S. 332 Anm. 10; vgl. auch Keller S. 84 Anm. 5, Hauck S. 105.) „für denFall ihrer V erhinderung" — Ob eine solche vorliegt, ist Sache der Geschäftsleilung und entzieht sich der Anfechtung im Prozeßwege (RG. in S. A. 42 Nr. 146). 4) „meh rer er Kammern" — also auch einer Civil- und einer Strafkammer. Derselbe Richter kann auch ständiges Mitglied mehrerer Kammern sein (RG. in StrS. XXV S. 391). 5) Mehrere Kammern derselben Art (mehrere Civilkammern oder mehrere Straf­ kammern) stehen zu einander nicht im Verhältnisse verschiedener Gerichte. Auf die Behauptung, daß nach der vorgenommenen Geschäftsvertheilung eine Sache von einer andern Kammer der­ selben Art hätte entschieden werden müssen, kann daher niemals die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts gegründet werden. (So auch RG. in S. A. 35 Nr. 323, 44 Nr. 210, S chultzenstein in Busch, Z. XV S. 75 f.) Dagegen kann darauf an sich eine Revision wegen Verletzung des § 62 des GVG. gestützt werden; das Revisionsgericht wird indessen nach den Umständen des Falls zu prüfen haben, ob die Entscheidung auf dieser Gesetzesverletzung wirklich beruhe (s. CPO. §§ 511 Anm. 8, 513 Anm. 2). Vgl. §§ 67, 103 ff. 6) Abs. 2: „im Laufe des Geschäftsjahres" — bildet den Gegensatz zu „Vor Beginn des Geschäftsjahres" im Abs. 1. Eine eingetretene Ueberlastung kann nicht bloß eine andere Vertheilung der Geschäfte, sondern auch eine andere Vertheilung des Personals und umgekehrt ein Wechsel oder eine dauernde Verhinderung einzelner Gerichtsmitglieder nicht bloß eine andere Vertheilung der Mitglieder, sondern auch der Geschäfte zur Folge haben. Die früheren Beschlüsse, nach welchen in dieser Beziehung ein Unterschied gemacht wurde, sind gerade zum Zwecke der Beseitigung dieses Unterschiedes von der RTK. durch die jetzige Fassung des Abs. 2 ersetzt worden. Die im Laufe des Geschäftsjahres neu ernannten Mitglieder treten nicht ohne Weiteres an die Stelle ihrer Vorgänger in den Kammern, sondern müssen durch das Präsidium einer Kammer nach § 62 zugetheilt werden. „dauernder Verhinderung" — Darunter kann auch eine zeitweise, in ihrer Dauer feststellbare Verhinderung, z. B. längerer Urlaub, verstanden werden (RG. in StrS. XX S. 385). Die Frage, ob eine dauernde Verhinderung vorliegt, unterliegt in rechtlicher Beziehung der Nachprüfung der Revisionsinstanz (RG. a. a. O.). 7) Wegen der nicht ständigen Richter (Gerichisassessoren) s. § 69 und Preuß. AG. z. GVG. § 5. 8) Wegen der Folgen der Verletzung der Vorschriften des § 62 s. CPO. § 513 Anm. 2.

1120

Gerichtsversassungsgesetz.

§§ 63—64.

§ 63. Die im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Anordnungen erfolgen durch das Präsidium. Das Präsidium wird durch den Präsidenten als Vorsitzenden, die Direktoren und das dem Dienstalter nach, bei gleichem Dienstalter das der Geburt nach älteste Mitglied gebildet. Das Präsidium entscheidet nach Stimmenmehrheit; im Falle der Stimmengleichheit giebt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Entw. - Mot. Prot. S. 385 • 347, 501-505, 616, 617, 627-638; 169. Sitzn- ®. 19-23, 170. Sitzg. S. 1—4. Komm.-Ber. S. 39-41. Sten. Ber. 4. Sess. S. 239.

§ 64. Der Präsident kann bestimmen, daß einzelne Untersuchungen von dem Untersuchungsrichter, dessen Bestellung mit dem Ablaufe des Geschäftsjahres erlischt, zu Ende geführt werden, sowie daß in einzelnen Sachen, in welchen während des Geschäftsjahres eine Verhandlung bereits stattgefunden hat, die Kammer in ihrer früheren Zusammensetzung auch nach Ablauf des Geschäftsjahres verhandle und entscheide. Enlw. - Mot. - Prot. S. 502, 505, 617, 638-640.

8 63. 1) Der § 63 bestimmt das Organ, welches die int § 62 — sowohl im Abs. 1 wie im Abs. 2 — bezeichneten Anordnungen zn treffen hat. Die Gestaltung dieses Organs führte in der RTK. zu lebhaften Erörterungen; die schließlich angenommene Regelung beruht im Wesent­ lichen auf Anträgen der Abg. Struckmann und Marquardsen. 2) „Präsidium" — ist die technische Bezeichnung für das durch den Präsidenten als Vorsitzenden, die Direktoren und das älteste Gerichtsmitglied gebildete Kollegium; der Präsident und die Direktoren allein werden niemals „Präsidium" genannt (vgl. § 61). Welches Mitglied das dem Dien st alt er nach älteste ist (ob beispielsweise das zuerst als Richter überhaupt oder das zuerst bei dem Landgericht angestellte), bestimmt sich nach den in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Vorschriften. Vgl. oben § 7 Anm. 5. Die Ueberweisung eines Richters an eine Kammer durch den Landgerichtspräsidenten unter Vorbehalt der Genehmigung des Präsidiums ist unzulässig (RG. in StrS. XXIII S. 167).

3) Unter „StimmenMehrheit" wird hier, obwohl es nicht, wie in § 198 Abs. 1, ausdrücklich gesagt ist, eine absolute Mehrheit zn verstehen sein (vgl. auch CPO. § 864). Eine Lösung für den Fall, daß solche nicht erreicht wird, ist jedoch — abgesehen vom Falle der Stimmengleichheit — nicht vorgesehen. Ein Ersatz der fehlenden Mitglieder des Präsidiums durch Stellvertreter ist, abgesehen von § 65 Abs. 2, nicht angeordnet (vgl. Turn au a. a. O. I S. 334 Anm. 3). „Stimmenglei chh eit" — gleichviel, ob sie daher rührt, daß das Präsidium aus einergeraden Zahl von Personen besteht, oder daher, daß von dem aus einer ungeraden Zahl be­ stehenden Präsidium int einzelnen Fall ein oder mehrere Mitglieder fehlen.

8 64. 1) § 64 enthält im Interesse der Geschäftserleichterung eine Ausnahme von der Regel des § 62 Abs. I. 2) „eine Verhandlung bereits stattgefunden hat" — Es genügt nicht, wie nach den Beschlüssen erster Lesung, daß eine Verhandlung bereits anberaumt war. 3) „in ihrer früheren Zusammensetzung" —Die ganze Zusammensetzung muß dieselbe sein wie früher; es ist nicht zulässig, wenn in Bezug auf mehrere Mitglieder ein Wechsel stattgefunden hat, nur ein einzelnes Mitglied in dem neuen Geschäftsjahre zuzuziehen.

Fünfter Titel.

Landgerichte.

§§ 65, 66.

1121

§ 65. Im Falle der Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden führt den Vorsitz in der Kammer dasjenige Mitglied der Kammer, welches dein Dienstalter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach das älteste ist. Der Präsident wird in seinen übrigen durch dieses Gesetz bestimmten Geschäften durch denjenigen Direktor vertreten, welcher dem Dienstalter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach der älteste ist. Entw. - Mot. - Prot. S. 336-347, 501-605, 640, 641.

§ 66. Im Falle der Verhinderung des regelmäßigen Vertreters eines Mit­ gliedes wird ein zeitweiliger Vertreter durch den Präsidenten bestimmt. Entw. - Mot. - Prot. S. 336, 347, 501-505.

§ 65. 1) Abs. 1: „Mitglied der Kammer — älteste ist" — Hierunter ist das älteste ständige Mitglied, nicht auch ein lediglich als Stellvertreter eingetretenes Mitglied zu verstehen (RG- i. StrS. I S. 238, Rechtspr. d. RG. i. StrS. II S. 414). Ist auch dieses Mitglied verhindert, so hat selbstverständlich das nächstälteste Mitglied der Kammer den Vorsitz zu über­ nehmen (RG. in StrS. XXIII S. 100, XXV S. 390. A.M. Wilm. Levy Anm. 1, Turn au a. a. O. Anm. 3). Nur ein wirkliches Mitglied des Landgerichts, nicht auch ein Hülfsrichter, selbst wenn er zum ständigen Mitgliede der Kammer bestellt ist, ist aber zur Uebernahme des Vorsitzes befähigt (RG. i. StrS. XVIII S. 307, Rechtspr. X S. 736. A.M. — nicht ohne gute Gründe — Wolfs in Gruchot 37 S. 492 ff.). Nicht ausgeschlossen ist, daß der an der Führung des Vorsitzes Verhinderte als Beisitzer an der Sitzung theilnimmt (RG. i. StrS. X S. 318, XVIII S. 302, XXIII S. 100). „dem Dienstalter nach" — vgl. § 63 Anm. 2. Tritt die Verhinderung im Lause einer Verhandlung ein, und ist ein Ergänzungsrichter zugezogen (§ 194 Abs. 2), so kommt es nicht darauf an, ob der nächstälteste Richter durch ein anderes Mitglied derselben Kammer, welches aber an der Verhandlung nicht theilgenommen hat, im Dienst- event. Lebensalter übertroffen wird (s. Löwe a. a. O. S. 76 Anm. 4. A.M. Turnau a. a. O. I S. 338 Anm. 6). 2) Abs. 2: „in seinen übrigen durch dieses Gesetz bestimmten Geschäften" — z. B. dem Vorsitz im Plenum (§ 61), der Bestimmung der richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts (§ 83 Abs. 2) u. s. tu. Die Worte „durch dieses Gesetz" sind eingeschaltet, weil hier bezüglich der Vertretung in solchen Geschäften, welche dem Präsidenten auf Grund anderer Gesetze oder Verordnungen, z. B. Vortnundschaftsordnungen, Disziplinargesetze re., übertragen sind, nichts hat bestimmt werden sollen (Prot. S. 640 f.). Wegen der Vertretung in diesen Geschäften s. für Preußen Rechtspr. d. RG. i. StrS. II S. 686, Vierhaus in Gruchot 27 S. 670.

8 66. 1) „des regelmäßigen Vertreters" — vgl. §§ 62, 65. 2) „eines Mitgliedes" — hier im weiteren Sinne mit Einschluß des Vorsitzenden (vgl. §§ 77, 124, 140), indem § 66 seiner Stellung und seinem Zwecke nach nicht bloß zur Ergänzung des § 62, sondern auch des § 65 dient (RG. XVI S. 415, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Turnau a. a. O. I S. 337 Anm. 4, 339 Anm. 2). Auch der „zeitweilige Vertreter" kann aus den ständigen Mitgliedern des Gerichts oder aus den in § 69 bezeichneten Vertretern genommen werden. Ob der Verhinderungsfall begründet war, und ob die Einberufung des Vertreters der festgestellten Reihenfolge entsprach, bildet nicht Gegenstand der Prüfung des erkennenden Gerichts und der Revisionsinstanz (Rechtspr. d. RG. i. StrS. I S. 726, II S. 173, 338, RG. i. StrS. II S. 51, 195, 311, III S. 9, 241, XXIII S. 169 a. E., auch XXV S. 390, Turnau a. a. 0.1 S. 340 Anm. 4. Theilweise abweichend John, Strafprozeßordnung I S. 291 ff.). St ruck mann u. Koch, Civilprozehordnung. 6. Stuss.

1122

Gerichtsverfaffungsgesetz.

§§ 67—69.

§ 67. Die Bestimmungen der §§. 61—66 finden auf die Kammern für Handelssachen keine Anwendung. Enttv. — Mot. — Prot. S. 641.

§ 68. Innerhalb der Kammer vertheilt der Vorsitzende die Geschäfte auf die Mitglieder. Entw. - Mo«. - Prot. S. 336, 346, 347, 602, 605-609, 617, 641-643; 170. Sitz». S. 5 -7.

§ 69. Soweit die Vertretung eines Mitgliedes nicht durch ein Mitglied desselben Gerichts möglich ist, erfolgt die Anordnung derselben auf den Antrag des Präsidiuins durch die Landesjustizverwaltung. 3) § 66 bezieht sich auch auf Schwurgerichte, bei einerseits nach GVG. § 83 die Be­ setzung des Schwurgerichts — vom Vorsitzenden abgesehen — dem Landgerichtsprüsidenten über­ lassen ist, und andererseits die Mitwirkung beim Schwurgerichte zur ordentlichen Geschäfts­ aufgabe der Mitglieder des Landgerichts gemacht ist (NG im Preuß. JMBl. 1894 S. 325).

§ 67. 1) In Bezug auf die Kammern für Handelssachen (vgl. den siebenten Titel) sind über die in den §§ 61—66 geregelten Gegenstände die erforderlichen Bestimmungen von den einzelnen Bundesstaaten zu treffen. 2) Nach dem Preuß. AG. z. GVG. § 46 werden die Vorsitzenden der Kammern für Handels­ sachen „mindestens auf die Dauer eines Geschäftsjahres durch den Justizminister bestimmt." Durch Z 4 d. Allg. Verf. d. Just.-Min., betr. die Errichtung der Kammern für Handelssachen, v. 26. Juli 1879 (JMBl. S. 210) ist aber die Ernennung dem Präsidenten des Landgerichts delegirt. (Vgl. über die Zulässigkeit dieser Delegation Küntzel in Gruchot 24 S. 612 u. Turnau a. a. O. I S. 487.)

8 68. 1) Der § 68 bezieht sich nur auf diejenigen Geschäfte, welche nach den Prozeßordnungen von den beisitzenden Richtern zu erledigen sind (z. B. Berichterstattung, Abfassung der Urtheile, Beweisaufnahme u. s. tu.). 2) Anträge, wonach dem Vorsitzenden auch die Befugniß zustehen sollte, die Leitung der Verhandlung für einzelne Sachen den Gerichtsmitgliedern zu übertragen, wurden von der RTK. zwar anfänglich trotz des Widerspruchs der Reg.-Vertreter angenommen, später in­ dessen abgelehnt (vgl. CPO. § 130 Anm. 7). Nach dem Gange der Verhandlungen in der RTK., namentlich da auch Vorschläge, nach welchen durch die Geschäftsordnung des Gerichts oder durch die Landesjustizverwaltung sollte zugelassen werden können, daß der Vorsitzende die Leitung der Verhandlung für einzelne Sachen den Gerichtsmitgliedern übertrage, verworfen wurden, ist anzunehmen, daß die Mehrheit der RTK. im Einverständnisse mit dem Bundesrathe davon ausging, daß eine Uebertragung der Leitung der ganzen Verhandlung auf ein Gerichts­ milglied überhaupt unzulässig sei. Eine derartige Uebertragung kann daher auch nicht durch Landesrecht in irgend welcher Form eingeführt werden. (Ebenso Keller S. 82 Anm. 3, Thilo S. 104, Gaupp I S. 277, Sarwey I S. 218, Wilm. Levy Anm. 1 u. CPO. § 127 Anm. 1, v. Bülow § 127 Anm. 3, Turnau a. a. O. I S. 341 u. A. A.M. Ende­ mann I S. 467.) Indessen ist nicht ausgeschlossen, daß der Vorsitzende einzelne Befugnisse (z. B. die Ausübung des Fragerechts, die Vernehmung von Zeugen rc.) einem der Beisitzer überträgt (Prot. z. CPO. S. 52, 53, 137, CPO. § 361 Anm, Erklärung d. Reg.-Vertreters in d. 170. Sitzg. S. 5).

§ 69. 1) Der § 69 beruht auf einem von der RTK. ungeachtet des Widerspruchs der Regierungen angenommenen Antrage des Abg. Laster, erhielt aber seine jetzige Fassung im Wesentlichen durch einen vom Reichstag in dritter Lesung angenommenen Verbesserungsantrag der Abg.

Fünfter Titel.

Landgerichte.

§ 69.

1123

Die Beiordnung eines nicht ständigen Richters darf, wenn sie auf eine be­ stimmte Zeit erfolgte, vor Ablauf dieser Zeit, wenn sie auf unbestimmte Zeit er­ folgte, so lange das Bedürfniß, durch welches sie veranlaßt wurde, fortdauert, nicht widerrufen werden. Ist mit der Vertretung eine Entschädigung verbunden, so ist diese für die ganze Dauer im voraus festzustellen. Unberührt bleiben diejenigen landesgesetzlichen Bestimmungen, nach welchen richterliche Geschäfte nur von ständig angestellten Richtern wahrgenommen werden können, sowie diejenigen, welche die Vertretung durch ständig angestellte Richter regeln. Entw. - Mot. - Prot. S. 336, 347-349, 502, 505, 617, 644-651; 170. Sitzg. S. 7-9. Brr. st. st. O. S. 239 -248, 895-902.

Sten.

Miquel und Gen-. Der Zweck ist, Sorge dafür zu tragen, daß die Vertretung der Mitglieder der Landgerichte durch Personen, welche nicht ständig angestellte Richter sind (Gerichts­ assessoren) möglichst eingeschränkt und für die Dauer der Vertretung die Unabhängigkeit dieser Personen möglichst gesichert werde. 2) Die Anwendbarkeit des § 69 beschränkt sich auf die Landgerichte. Für die Oberlandesgerichte enthält § 122, für das Reichsgericht § 134 die entsprechende Bestimmung. Für die Amtsgerichte sind keinerlei Bestimmungen über die Vertretung gegeben. Vgl. § 10 Anm. 1, 2. 8) Der Abs. 1 enthält den doppelten Grundsatz, daß die Vertretung eines Mitgliedes des Landgerichts in der Regel durch Mitglieder desselben Gerichts erfolgen soll — selbst­ verständlich nach Maßgabe der §§ 62, 66 —, und daß, wo eine Vertretung durch eine nicht demselben Gericht angehörende Person erforderlich wird, die Anordnung der Vertretung zwar Sache der Landesjustizverwaltung (§ 8 Anm. 14) ist, diese jedoch nur auf Antrag des Präsidiums thätig werden kann. Ohne einen derartigen Antrag darf daher weder ein ständig angestellter noch ein nicht ständiger Richter zur Vertretung an ein Landgericht gesandt werden. Hinsichtlich der ständig angestellten Richter, z. B. der Anltsrichter des Landgerichtsbezirks, gilt dieses jedoch nach dem Schlußworte des Abs. 3 [,,fotote — — regeln"; vgl. auch die Aeußerungen des Abg. Grimm in der RTK. (Prot. S. 649) und des Abg. Lasker im Plenum des Reichstags (Sien. Ber. a. a. O. S. 895)] nur insoweit, als nicht Landesgesetze (z. B. Preuß. AG. z. GVG. § 36 Abs. 2 — f. unten Anm. 8, Mecklenb. Verordn, v. 17. Mai 1879 § 18) ein Anderes bestimmen. (So auch Wilm. Levy Anm. 2, Tnrnau ci. ci. O. I S. 346 Anm. 7. A.M. Hauck S. 107.) Der Ausdryck „Vertretung" umfaßt nicht nur die vollständige Stellvertretung, sondern auch die Vertretung in einzelnen Geschäften, mithin die bloße Hülfeleistung (z. B. wegen Ge­ schäftsüberhäufung), dagegen nicht die un selb st än dig e Beschäftigung (vgl. Mot. zu 8 3 d. Preuß. AG.). Es geht dieses schon aus der gleichen Bedeutung des Worts „Vertreter" in den 88 62, 66 hervor und entspricht allein dem Zwecke des 8 69. Ferner bezieht sich der 8 69 nicht nur auf die Vertretung eines bestimmten Mitgliedes, sondern auch auf die „Beiordnung" eines Hülfsrichters aus anderen Gründen, z. B. wegen allgemeiner Geschästsüberhäusung der Kammer (s. Anm. 7). Die Vertretung eines Mitgliedes durch einen der Kammer nicht zugetheilten Richter, welcher die Vertretung freiwillig und ohne Mitwirkung der hierfür gesetzlich bestimmten Organe der Justizverwaltung übernommen hat, verstößt gegen die Grundsätze der 8§ 62-69 und kann auch von der Landesgesetzgebung (vgl. Abs. 3) nicht gutgeheißen werden (Rechtspr. d. RG. i. StrS. VII S. 41). Ueber das „Präsidium" vgl. 8 63 Abs. 2. 4) Der Abs. 2 bezieht sich — wie durch die jetzige Fassung völlig klargestellt ist (Sten. Ber. S. 895) — nicht auf die Vertretung durch ständig angestellte Richter.

1124

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 69.

Ein nur beim Amtsgerichte zum Hülfsrichter bestellter Gerichtsassessor kann vom Land­ gerichtspräsidenten nicht zur Wahrnehmung eines richterlichen Geschäfts bei dem Landgerichte zugezogen werden (NG. i. StrS. XXII S. 134, 169). Durch Abs. 2 wird nicht ausgeschlossen, daß ein Gerichtsassessor einem Landgerichte lediglich zu seiner ferneren Ausbildung zugewiesen wird. Er hat alsdann nicht die Rechte eines Hülfsrichters. (Vgl. auch Keller S. 84 Anm. 9, S. 90 Anm. 10.) Für Preußen vgl. in dieser Hinsicht AG. z. GVG. § 3 (s. oben § 10 Anm. 2), wonach die Gerichtsassessoren den Gerichten nicht zu ihrer Ausbildung, sondern zur Beschäftigung überwiesen werden (vgl. § 195 Anm. 1). 5) Ob die Beiordnung auf bestimmte Zeit oder für die Dauer des Bedürfnisses, durch welche sie veranlaßt wird (z. B. Krankheit eines Mitgliedes, Abwesenheit im Landtag u. s. w.), erfolgen soll, hängt nicht vom Antrage des Präsidiums, sondern lediglich vom Ermessen der Landesjustizverwaltung ab. Ob bei dem Antrage des Präsidiums oder bei der Abordnung der Landesjustizverwaltung noch andere Gründe als die Annahme eines Bedürfnisses mitgewirkt haben, ist für die Gesetzlichkeit des Verfahrens gleichgültig, und ob das Bedürfniß einer Bei­ ordnung wirklich vorhanden, unterliegt nicht der Prüfung der Revisionsinstanz (NG. i. StrS. III S. 232, XXIII S. 119, Rechtspr. II S. 508). — Mit Zustimmung des betreffenden nicht ständigen Richters kann, wie allseitig in der RTK. anerkannt wurde und zudem aus der jetzigen Fassung („darf — nicht widerrufen werden") deutlicher hervorgeht, als aus der früheren („ist unwiderruflich"), die Beiordnung auch vorher widerrufen werden. 6) Die Frage, ob für derartige Vertretungen eine Entschädigung überhaupt 511 gewähren sei, bestimmt sich nach Landesrecht (Rechtspr. d. NG. i. StrS. II S. 80). Wird aber eine solche — sei es auf Grund gesetzlicher Vorschrift oder freiwilliger Bewilligung von Seiten der Justizverwaltung — gewährt, so soll sie im voraus und für die ganze Dauer der Beiordnung gewährt werdem Dadurch ist selbstverständlich, wie auch in der RTK. festgestellt wurde, nicht ausgeschlossen, daß dem Vertreter vor Ablauf der Vertretung ein etatsmäßiges Gehalt oder eine inzwischen eintretende allgemeine Erhöhung der Diäten zu Gute kommen kann (Prot. S. 644, 649). 7) Auch der nicht ständige Richter, welcher einem Landgerichte beigeordnet ist, muß, wie schon der Ausdruck „Richter" ergiebt, die Fähigkeit zum Richteramte besitzen (Keller S. 88 Anm. 3). Er muß gemäß § 62 einer Kammer zugetheilt und kann nicht — abgesehen von den Fällen des § 66 — vom Präsidenten, geschweige denn von der Landesjustizverwaltung, beliebig bald hier bald dort, nach Bedürfniß oder Willkür zur Mitwirkung bei Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (oder Strafsachen) verwendet werden (s. die Erklärungen des Abg. Las k er in den Sien. Ber. S. 898 und des Staatsministers Leon Hardt S. 900; vgl. auch RG. in StrS. XXIII S. 120, 167). Die gemäß § 69 berufenen Hülfsrichter werden, mögen sie ständige Richter (Amtsrichter) oder nicht ständige Richter (Gerichtsaffessoren) sein, nicht nur zu regelmäßigen Vertretern der ständigen Mitglieder einer Kammer, sondern auch selbst zu ständigen Mitgliedern bestellt werden können. Denn der § 69 bezieht sich nicht nur auf die „Vertretung" eines bestimmten Gerichtsmitgliedes durch einen Hülfsrichter, sondern auch auf die Beiordnung eines Hülfsrichters aus anderen Gründen, z. B. wegen allgemeiner Geschäftsüberhäusung. In den dem § 69 zu Grunde liegenden Beschlüssen war neben der „Vertretung eines Mitgliedes" ausdrücklich von der „zeitweiligen Wahrnehmung einer Richterstelle" die Rede, und es ist nicht ersichtlich, daß man in dieser Beziehung von den früheren Beschlüssen hat abweichen wollen (s. die Ent­ stehungsgeschichte bei Turn au a. a. O. I S. 342 f.), wie denn ja auch jetzt noch in § 69 Abs. 2 Satz 1 von „Beiordnung" gesprochen wird. (Vgl. die Ausführungen in der Entsch. des RG. in StrS. XIII S. 120, wo anscheinend die als „Hülfsrichter beigeordneten" Assessoren im Gegensatze zu dem als „Vertreter eines zum Oberlandesgerichte einberufenen Landgerichtsraths" bestellten Amtsrichter einer Strafkammer als st ä n d i g e Mitglieder über-

Fünfter Titel.

Landgerichte.

§ 70.

1125

§ 70. Vor die Civilkammern, einschließlich der Kammern für Handelssachen, gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche nicht den Amtsgerichten zu­ gewiesen sind. Die Landgerichte sind ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig: 1. für die Ansprüche, welche auf Grund des Gesetzes vom 1. Juni 1870 über die Abgaben von der Flößerei oder auf Grund des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873 gegen den Reichsfiskus erhoben werden; 2. für die Ansprüche gegen Reichsbeamte wegen Ueberschreitung ihrer amt­ lichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshand­ lungen. wiesen waren, ferner RG. in StrS. XVIII S. 307, wo es einerseits vom RG. nicht gerügt wird, daß der Kammer Gerichtsassessoren als ständige Mitglieder beigeordnet waren, während andererseits gesagt wird, daß die §§ 58—68, also auch der § 62, sich nur auf die wirklichen Mitglieder des Landgerichts bezögen (?), endlich RG in StrS. XXII S. 169, wonach der § 69 sich auch auf die allgemeine Beiordnung eines Hülfsrichters, nicht nur aus die Vertretung eines bestimmten Mitgliedes bezieht; s. auch Löwe, Anm. 11, oben § 65 Anm. 1.

StPO. S. 77 Anm. 2, Keller GVG. § 69

A.M. Turna u a. a. O. 1 S. 331 Anm. 9, nach welchem nicht

ständige Mitglieder des Gerichts weder zu ständigen Mitgliedern einer Kammer noch zu regelmäßigen Vertretern dieser Mitglieder im Sinne des § 62 ernannt werden können). Die Fassung des § 69 ist freilich nicht recht deutlich. 8) Nach dem ersten Theile des Abs. 3 bleiben landesgesetzliche

Einrichtungen (wie

z. B. in Bayern liitb Baden) bestehen, nach welchen nicht ständige Richter überhaupt nicht zur Aushülfe bei Kollegialgerichten herangezogen werden können. Der zweite Theil („sowie diejenigen" re.) ist vom Reichstage beigefügt worden, um klar zu stellen, daß sich der Abs. 2 auf die Vertretung durch ständig angestellte Richter nicht bezieht und auch der Abs. 1 nur insoweit, als landesgesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen (vgl. Anm. 3). Für Preußen verordnet in letzterer Beziehung wegen der Vertretung durch Amtsrichter 8 38 des AG. z. GVG.: „Die Amtsrichter sind verpflichtet, bei dem Landgerichte,

in dessen Bezirk sie an­

gestellt sind, die Vertretung eines Richters für einzelne Sitzungen oder Geschäfte zu übernehmen. Die Einberufung der Vertreter erfolgt durch den Präsidenten des Landgerichts nach einer jährlich vor Beginn des Geschäftsjahres durch das Präsidium des Land­ gerichts festzusetzenden Reihenfolge. Für Einberufungen,

welche während der Gerichtsferien erfolgen, ist die für das

Geschäftsjahr festgestellte Reihenfolge nicht maßgebend. Die Einberufung ist nur dann statthaft, wenn die Vertretung des verhinderten Mitgliedes durch ein Mitglied des Landgerichts nicht möglich ist." Vgl. RG. in StrS. XXVI S. 94. Wegen Bayern s. Hauck S. 106.

Wegen Baden:

EG. v. 3. März 1879 § 12 (GBl. S. 110) u. RG. in StrS. II S. 311. §

70.

1) Abs. 1: Die Gerichtsgewalt der Landgerichte bildet die Regel, die der Amtsgerichte die Ausnahme (vgl. §§ 23, 24, 59; N. E. § 10). „Kammern für Handelssachen" — vgl. den siebenten Titel.

2) Der Abs. 2 enthält Ausnahmen von der Ausnahme (vgl. Anm. 1), welche sich insofern an bisheriges Reichsrecht anschließen, als nach dem letzteren über die hier bezeichneten Ansprüche

1126

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 70.

Der Landesgesetzgebung bleibt überlassen, Ansprüche der Staatsbeamten gegen den Staat aus ihrem Dienstverhältnisse, Ansprüche gegen den Staat wegen Ver­ fügungen der Verwaltungsbehörden, wegen Verschuldung von Staatsbeamten und wegen Aufhebung von Privilegien, Ansprüche gegen Beamte wegen Neberschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshand­ lungen, sowie Ansprüche in Betreff öffentlicher Abgaben ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes den Landgerichten ausschließlich zuzuweisen. Entw. 8 50. Mot. S. 93-95. Prot. S. 360, 361, 617-620.

ohne Rücksicht auf den Werth des Gegenstandes in letzter Instanz das Reichs-Oberhandels­ gericht zu entscheiden hatte. Vgl. § 2 des Ges. v. 1. Juni 1870 (BGBl. S. 313), §§ 152—151 des Ges. v. 31. März 1873 (RGBl. S. 61). Die Nr. 2 ist von der RTK. hinzugefügt worden (vgl. auch Wach I S. 357 Anm. 23, S. 365). Maßgebend für die Aufnahme des Abs. 2 ist die Erwägung gewesen, daß die in ihm erwähnten Ansprüche sämmtlich neben der privatrechtlichen eine staatsrechtliche Seite haben (vgl. § 11 des EG. z. GVG.), und daß daher selbst bei unbedeutenden Vermögensgegenständen eine gleichmäßige Entscheidung der Rechtsfrage be­ sonders wünschenswerth erscheint. Gleichgültig ist es daher, ob der Beamte gegen den Fiskus klagt oder der Letztere gegen den Beamten eine Klage auf Rückzahlung erhobenen Gehalts anstellt (RG. im D. RAnz. 1882 bes. Beil. 3 S. 2; s. auch unten S. 1128 i. A.). Wegen dieses öffentlich-recht­ lichen Interesse ist auch die Zuständigkeit der Landgerichte zu einer ausschließlichen gemacht, mithin die Prorogation auf ein Amtsgericht ausgeschlossen (CPO. § 40 Abs. 2) und die Revision ohne Rücksicht auf das Vorhandensein der Revisionssumme zulässig (CPO. § 509 Nr. 2). Nach dem Grunde des Gesetzes und dem Ausdruck „Ansprüche" ist für die Zulässigkeit der Revision nicht die rechtliche Natur des eingeklagten Anspruchs, wie sie sich bei richtiger Beurtheilung darstellt, sondern der Umstand maßgebend, daß der Anspruch thatsächlich als ein im Sinne des § 70 bezeichneter erhoben wird (A.M. Just im civ. Arch. 68 S. 381). — Zinsansprüche, die als Folge des — inzwischen weggefallenen — Hauplanspruchs noch geltend gemacht werden, sind wie der Hanptanspruch zu behandeln (RG. XXIX S. 237). 3) Die prvzeßrechtlichen Bestimmungen des § 152 Abs. 1 des Reichsbeamtengesetzes sind freilich nicht ausdrücklich aufgehoben und bleiben mithin nach § 13 Abs. 1 des EG. z. CPO. an sich bestehen; sie haben aber durch den in § 70 Abs. 2 des GVG. aufgestellten Grundsatz in Verbindung mit der in der CPO. erfolgten gemeinsamen Regelung der Rechtsmittel und der Aufnahme des § 509 Nr. 2 a. a. O. ihre praktische Bedeutung verloren. Dagegen sind die Vorschriften der §§ 150, 151, 153 und 154 Abs. 1 das. fortdauernd von praktischem Werth, und auch die Bestimmungen der §§ 152 Abs. 2 und 154 Abs. 2 haben, soweit sie sich auf die Zuständigkeit des Reichs-Oberhandelsgerichts beziehen, mit Rücksicht auf § 8 Abs. 2 des EG. z. GVG. Bedeutung behalten. 4) Ueber die materielle Seite der Ansprüche, welche auf Grund des Reichsbeamten­ gesetzes gegen den Reichsfiskus erhoben werden (§§ 144, 149, 153 das.), vgl. La band, Staatsrecht des D. Reichs 2. Aust. I S. 472 ff., über die Ansprüche gegen Reichsbeamte wegen Neberschreitung u. s. w. (§ 154 a. a. O.) das. S. 447 ff. Indessen dürste dieser dort (S. 458) den Begriff „Neberschreitung Ihrer amtlichen Befugnisse" zu eng auffassen. Dieser Begriff ist nicht gleichbedeutend mit einer formellen Kompetenzüberschreitung, sondern umfaßt, wie namentlich aus dem Gegensatze „pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen" hervorgeht, alle Fälle, in denen der Beamte durch pflichtwidriges Handeln einen Schaden zu­ gefügt hat. Denn, auch wenn er innerhalb einer gesetzlichen Zuständigkeit, aber mit Ver­ letzung der erforderlichen Sorgfalt handelt, hat er eine materiell gesetzwidrige Handlung begangen und mithin seine amtlichen Befugnisse überschritten. (Zustimmend Wilm. Levy Anm. 4, RG. in Gruchot 28 S. 463.) Zuzugeben ist allerdings, daß der Ausdruck „Neberschreitung" nicht glücklich gewählt ist. Von der RTK. ist er im Gegensatze zu dem Antrage: Ansprüche

Fünfter Titel.

Landgerichte.

§ 70.

1127

— aus Handlungen, welche sie in Ausübung ihres Amtes oder in Veranlassung der Aus­ übung ihres Amtes vorgenommen haben," hauptsächlich deshalb beibehalten worden, um die Uebereinstimmung mit dem bestehenden Rechte nicht in Frage zu stellen. (S. auch Hauser in s. Zeitschr. IV S. 281.) „Reichsb eamte" — Ihnen steht hier gleich der (nach C. civ. art. 1384) für ihr Ver­ schulden verantwortliche Reichsfiskus (RG. im Rhein. Arch. 78 III S. 194). — Ob der Beamte inzwischen aus dem Reichsdienste geschieden ist, ist gleichgültig (RG. XXXIII S. 244). 5) Nach § 33 des Reichsstempelgesetzes in d. Fass, des Ges. v. 27. April 1894 (RGBl. S. 381) sind in Rechtsstreitigkeilen, betr. die Verpflichtung zur Entrichtung der in diesem Gesetze festgestellten Abgaben, die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Werth des Streit­ gegenstandes zuständig: dgl. nach Art. 190a u. 222 HGB. bei Klagen wegen Anfechtung der Beschlüsse der Generalversammlung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder einer Aktien­ gesellschaft (vgl. dazu RG. in S. A. 42 Nr. 311), nach § 49 d. Genossensch.-Ges. v. 1. Mai 1889 bei Klagen wegen Anfechtung der Beschlüsse einer Generalversammlung einer Genossenschaft, nach §§ 61, 62 d. Ges., Betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, v. 20. April 1892 bei Klagen auf Auflösung der Gesellschaft, soweit sie nicht zur verwaltungsgerichtlichen Zuständig­ keit gehören. 6) Der Abs. 3, welcher für die Landesgesetzgebung einen Vorbehalt gestattet, beruht auf ähnlichen Erwägungen wie der Abs. 2. Die Worte „Ansprüche gegen Beamte — Amtshandlungen" sind aus Antrag des Abg. v. Puttkamer im Einklänge mit Nr. 2 im Abs. 2 von der RTK. hinzugefügt worden. Andere Ansprüche als die int Abs. 3 bezeichneten darf die Landesgesetzgebung nicht, unter Abweichung von den Regeln der §§ 23, 24 des GBG., den Landgerichten zuweisen. Von der Befugniß des Abs. 3 haben alle Bundesstaaten mit Ausnahme von Oldenburg Gebrauch gemacht (s. Pfafferoth, Jahrb. 1895 S. 8). Ein Verzeichniß der betreffenden Landes­ gesetze giebt Hellmann, Lehrb. S. 76. Für Preußen hat in Ausführung des Vorbehalts des Abs. 3 und im wesentlichen An­ schluß an das frühere Recht (vgl. Anm. 7) § 39 des AG. z. GVG. bestimmt: „Die Landgerichte sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig: 1) für die Ansprüche der Staatsbeamten gegen den Landesfiskus aus ihrem Dienstver­ hältnisse ; 2) für die Ansprüche gegen den Landesfiskus wegen Verschuldung von Staatsbeamten; 3) für die Ansprüche gegen öffentliche Beamte wegen Ueberschreitung ihrer amtlichen Be­ fugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen; 4) für die Ansprüche gegen den Landesfiskus in Betreff der Verpflichtung zur Entrichtung einer Erbschaftssteuer, eines Werthstempels oder eines nicht nach dem Betrage des Gegenstandes zu bemessenden Vertragsstempels. Die Vorschriften über die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsweges ftir diese Ansprüche bleiben unberührt." Es ist mithin von der Befugniß des § 70 Abs. 3 nur rücksichtlich der Ansprüche gegen den Staat wegen Aufhebung von Privilegien und wegen Verfügungen der Verwaltungsbehörden kein Gebrauch gemacht worden. Nach den Mot. wird in diesen Fällen das öffentliche Interesse durch die Zulässigkeit der Erhebung des Kompetenz-Konflikts und durch die einheitliche Recht­ sprechung des Gerichtshofes für die Entscheidung der Kompetenz-Konflikte in ausreichendem Maße gewahrt. 7) „Ansprüche der Staatsbeamten gegen den Staat aus ihrem Dienst­ verhältnisse" — vgl. Preuß. Ges., betr. die Erweiterung des Rechtsweges, v. 24. Mai 1861 §§ 1, 4 (GS. S. 241). Nur vermögensrechtliche Ansprüche sind gemeint, wie in §§ 144,

1128

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 70.

149, 154 des Reichsbeamtengesetzes. Zweifelhaft ist, ob auch die Ansprüche der Hinter­ bliebenen der Staatsbeamten darunter fallen. Die Analogie ans § 149 a. a. O., sowie die Entstehungsgeschichte und der Grund des Gesetzes sprechen dafür, der Wortlaut (vgl. auch § 1 des Preuß. Ges. v. 24. Mai 1861) dagegen. Ersteres dürfte von überwiegender Bedeutung sein (vgl. RG. XIV S. 366, XXXII S. 119, Thilo S. 108 Anm. 5, Turn au a. a. O. I S. 355 Anm. 2. A.M. früh. Ausl., Keller S. 93 Anm. 10, Wilm. Levy Anm. 6). Auf die Parieirolle kommt es nicht an, so daß die Vorschriften auch im Falle der Kondiktion des Fiskus gegen den Beamten Platz greifen (RG. XXXLT S. 121, in I. W. 1882 S. 76; s. auch oben Anm. 2 und S. 1088 ci. E.). — Wegen des sächs. Rechts s. RG. in I. W. 1893 S. 381. Ansprüche von Militarpersonen gegen den Reichsfiskns ans dem Reichsmilitärpensions­ gesetze gehören so wenig hierher wie unter § 70 Abs. 2 Nr. 1 (RG. XXXIII S. 409, in I. W. 1895 S. 62 u. 181. A.M. RG. XXXII S. 120 wegen Gleichheit des Grundes mit den Fällen des Preuß. AG. § 39 Nr. 1). „Ansprüche gegen den Staat wegen Verfügungen der Verwaltungsbehör­ den" — also ohne Rücksicht auf den Inhalt. „Die allgemein gehaltene Fassung trifft auch diejenigen Ansprüche solcher Art, welche keine Entsch ädigungsansprüche sind. In Hamburg können z. B. auch solche Ansprüche, welche direkt die Aufhebung einer Verfügung der Verwaltungsbehörde bezwecken, im Rechtswege verfolgt werden." (Mot.) Vgl. für Preußen: Kab.-O. v. 4. Dez. 1831 (GS. S. 255), Ges. v. 11. Mai 1842 (GS. S. 192), Ges. v. 24. Mai 1861 (GS. S. 241). S. auch RG. in S. A. 43 Nr. 194 (Hamburg). Eine Stadt steht dem Staate nicht gleich (RG- in I. W. 1893 S. 341). „wegen Verschuldung von Staatsbeamten" — Hierher gehören die Klagen gegen den Staat in solchen Fällen, in welchen er für die Handlungen seiner Beamten verantwortlich ist; vgl. z. B. Preuß. Grundbuchordn. v. 5. Mai 1872 § 29 Abs. 2 (GS. S. 446), Sieb enhaar, Sächs. Privatrecht S. 718 Anm. 2. Auf Staatsbeamte, die nur als privatrechtliche Ver­ treter des Fiskus handeln, bezieht sich die Bestimmung nicht (RG. XVIII S. 168, XXIX S. 420, in S. A. 45 Nr. 214, in I. W. 1887 S. 92). „wegen Aufhebung von Privilegien" — vgl. Windscheid, Pand. I § 136, Preuß. ALR. Eint. §§ 70—72, Preuß. Berggesetz § 157 u. s. w. „Ansprüche gegen Beamte — Amtshandlungen" — vgl. EG. z. GVG. § 11, Bayer. PO. Art. 5 Nr. 4, Württ. PO. Art. 20, Preuß. Ges. v. 11. Mai 1842 § 6. Ueber den Begriff „Beamte" vgl. CPO. § 715 Anm. 7. Zu ihnen dürften hier aber auch die in CPO. § 715 9Zr. 6 besonders genannten Notare zu zählen sein (RG. in Gruchot 33 S. 457, Wilm. Levy Anm. 10, Turnau a. a. O. I S. 356 Anm. 3; vgl. noch CPO. § 341 Anm. 1), desgl. die Gerichtsvollzieher (RG. XVII S. 332, im Rhein. Arch. 80 III S. 23, in I. W. 1888 S. 418, Freih. v. Welck in Gruchot 36 S. 552f., Riehl in Busch, Z. XVII S. 35 ff.),, jedoch nicht für Fälle, in denen es sich lediglich um einen Anspruch aus dem zivilrecht­ lichen Auftragsverhältniß (z. B. Rückzahlung eines Vorschußrestes) handelt, bei welchem ein öffentlich-rechtliches Interesse nicht vorliegt (RG. XX S. 388, XXXII S. 372, in Gruchot 35 S. 1197, in I. W. 1891 S. 89); vgl. auch CPO. § 674 Anm. 1. Wegen der Gemeinde­ vorsteher vgl. RG. in I. W. 1891 S. 67. Dagegen fallen auch hier nur „öffentliche", nicht Privat-Beamte darunter. „Ansprüche in Betreff öffentlicher Abgaben" — gleichviel ob die Abgaben durch Landesgesetz eingeführt oder solche Reichsabgaben sind, welche auf Gmnd der Normen des Reichsrechts durch Behörden oder Beamte des einzelnen Bundesstaats erhoben werden (RG. XI S. 77). Vgl. für Preußen: ALR. II 14 §§ 79ff., Ges. v. 24. Mai 1861 §§ 11, 13, Ver­ ordn. v. 16. Sept. 1867 Art. 1—V (GS. S. 1515), Ges., betr. die Erbschaftssteuer v. 30. Mai 1873 § 40 (GS. S. 329); für Bayern Ausf.-G. Art. 26 Z. 6 (s. ob.LG. f. Bayern in (5.

Fünfter Titel.

Landgerichte.

§§ 71—73.

1129

§ 71. Die Civilkammern sind die Berufungs- und Beschwerdegerichte in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Entw. 8 51. Mo'. S. 95. Prot. S. 361.

§ 72. Die Strafkammern sind zuständig für diejenigen die Voruntersuchung und deren Ergebnisse betreffenden Entscheidungen, welche nach den Vorschriften der Straf­ prozeßordnung von dem Gerichte zu erlassen sind; sie entscheiden über Beschwerden gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und des Amtsrichters, sowie gegen Entscheidungen der Schöffengerichte. Die Bestimmungen über die Zuständigkeit des Reichsgerichts werden hierdurch nicht berührt. Die Strafkammern erledigen außerdem die in der Strafprozeßordnung den Land­ gerichten zugewiesenen Geschäfte. § 73. Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte zuständig: 1. für die Vergehen, welche nicht zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehören; 2. für diejenigen Verbrechen, welche mit Zuchthaus von höchstens fünf Jahren, allein oder in Verbindung mit anderen Strafen bedroht sind. Diese Bestimmung findet nicht Anwendung in den Fällen der §§. 86, 100 und 106 des Straf­ gesetzbuchs; 3. für die Verbrechen der Personen, welche zur Zeit der That das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten; 4. für das Verbrechen der Unzucht im Falle des §. 176 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs; 5. für die Verbrechen des Diebstahls in den Fällen der §§. 243 und 244 des Strafgesetzbuchs; 6. für das Verbrechen der Hehlerei in den Fällen der §§. 260 und 261 des Straf­ gesetzbuchs; 7. für das Verbrechen des Betruges im Falle des §. 264 des Strafgesetzbuchs. 91.. 41 Nr. 312). Der Ausdruck „öffentliche Abgaben" umfaßt nicht bloß die an den Staat, sondern die überhaupt an öffentlich-rechtliche Verbände (Kommunalverbände, Gemeinden, Kirchen, Schulen u. s. w.) zu entrichtenden 9lbgaben (RG. in I. W. 1890 S. 40, 78), ebenso Forderungen der Staatskasse an Gebühren aus Geschäften der freiwilligen Gerichtsbarkeit (RG. XXI S. 46), überhaupt an Gebühren (RG. XXVIII S. 86). 8) Bezüglich der Kosten der Revisionsinstanz in den unter § 70 fallenden Rechtsstreitigkeiten vgl. CPO. § 92 Abs. 3. 9) Abgesehen von den hier in § 70 Abs. 2 aufgeführten Sachen sind die Landgerichte nach den Vorschriften der CPO. noch zuständig, und zwar ausschließlich: in Ehe­ sachen (§ 568), für die Anfechtungs- und Wiederaufhebungsklage in Entmündigungssachen (§§ 606, 620, 624, 626), endlich, jedoch nicht ausschließlich, für die 9lnfechtungsklage im Aufgebotsverfahren (§ 831). 10) Für Pr eußen regeln die §§ 40, 41 des AG. z. GVG. die Zuständigkeit der Land­ gerichte in denjenigen 9lngelegenheiten, welche nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören. Diese 9lngelegenheiten werden nach § 42 von den Civilkammern erledigt. (Vgl. Turn au a. a. O. I S. 385 ff.)

8 71. 1) Ueber die Berufung vgl. CPO. §§ 472—506; über die Beschwerde das. §§ 530 bis 540, KO. §§ 66, 101, 174. Auch über Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Gewerbegerichte entscheiden die Civilkammern der Landgerichte (Ges. üb. d. Gewerbegerichte v. 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141] § 55). Hinsichtlich der Rechtsmittel in den § 70 Anm. 10 bezeichneten Angelegenheiten s. Preuß. 9lG. z. GVG. § 40. Ausnahmen bezüglich der „Be­ schwerde" s. im GVG. §§ 160, 183. 2) „Civilkammern" — nicht die Kammern für Handelssachen; vgl. § 101 Anm. 3. Vgl. für Preußen noch AG. z. GVG. §§ 40, 42.

1130

.

Gerichlsversassungsgesetz.

§§ 74—76.

§ 74. Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte ausschließlich zuständig: 1. für Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz vom 25. Oktober 1867, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe rc.; 2. für die nach Artikel 206, 249 und 249a des Gesetzes vom 11. Juni 1870, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften strafbaren Hand­ lungen;

3. für Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen der §§. 1, 2 und 3 des Gesetzes vom 8. Juni 1871, betreffend die Jnhaberpapiere mit Prämien; 4. für die nach §. 67 und §. 69 des Gesetzes vom 6. Februar 1875, betreffend die Beurkundung des Personenstandes rc., strafbaren Handlungen; 5. für die nach §. 59 des Bankgesetzes vom 14. März 1875 strafbaren Handlungen. § 75. Die Strafkammer kann bei Eröffnung des Hauptverfahrens wegen der Vergehen: 1. des Widerstandes gegen die Staatsgewalt in den Fällen der §§. 113, 114, 117 Abs. 1 und des §. 120 des Strafgesetzbuchs; 2. wider die öffentliche Ordnung in den Fällen des §. 123 Abs. 3 und des §. 137 des Strafgesetzbuchs; 3. wider die Sittlichkeit im Falle des §. 183 des Strafgesetzbuchs; 4. der Beleidigung und der Körperverletzung in den Fällen der nur auf Antrag eintretenden Verfolgung; 5. der Körperverletzung im Falle des §. 223 a des Strafgesetzbuchs; 6. des Diebstahls im Falle des §. 242 des Strafgesetzbuchs; 7. der Unterschlagung im Falle des §. 246 des Strafgesetzbuchs; 8. der Begünstigung; 9. der Hehlerei in den Fällen des §. 258 Nr. 1 und des §. 259 des Strafgesetz­ buchs; 10. des Betruges im Falle des §. 263 des Strafgesetzbuchs; 11. des strafbaren Eigennutzes in den Fällen der §§. 288 und 298 des Straf­ gesetzbuchs ; 12. der Sachbeschädigung in den Fällen der §§. 303 und 304 des Strafgesetzbuchs und 13. wegen der gemeingefährlichen Vergeben in den Fällen des §. 327 Abs. 1 und des §. 328 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs; ferner 14. wegen derjenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnisstrafe von höchstens sechs Monaten oder Geldstrafe von höchstens eintausendfünfhundert Mark, allein oder in Verbindung mit einander oder in Verbindung mit Einziehung bedroht sind, mit Ausnahme der in den §§. 128, 271, 296 a, 301, 331 und 347 des Straf­ gesetzbuchs und der im §. 74 dieses Gesetzes bezeichneten Vergehen; sowie 15. wegen solcher Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, deren Strafe in dem mehrfachen Betrage einer hinterzogenen Abgabe oder einer anderen Leistung besteht: auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Verhandlung und Entscheidung dem Schöffen­ gerichte, soweit dieses nicht schon zuständig ist, überweisen, wenn nach den Umständen des Falles anzunehmen ist, daß wegen des Vergehens auf keine andere und höhere Strafe, als auf die im §. 27 Nr. 2 bezeichnete und auf keine höhere Buße als sechs­ hundert Mark zu erkenne:: sein werde. Beschwerde findet nicht statt. Hat im Falle der Nr. 15 die Verwaltungsbehörde die öffentliche Klage erhoben, so steht ihr der Antrag auf Ueberweisung an das Schöffengericht in gleicher Weise wie der Staatsanwaltschaft zu. § 76. Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urtheile der Schöffengerichte.

Sechster Titel.

Schwurgerichte.

§§ 77—86.

1131

§ 77. Die Kammern entscheiden in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Die Strafkammern sind in der Hauptverhandlung mit fünf Mitgliedern, in der Berufungsinstanz bei Uebertretungen und in den Fällen der Privatklage aber mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden zu besetzen. Entw 8 57. Mot. S. 100. Prot. S. 372-374

§ 78. Durch Anordnung der Landesjustizverwaltnng kann wegen großer Ent­ fernung des Landgerichtssitzes bei einem Amtsgerichte für den Bezirk eines ober mehrerer Amtsgerichte eine Strafkammer gebildet und derselben für diesen Bezirk die gesammte Thätig­ keit der Strafkammer des Landgerichts oder ein Theil dieser Thätigkeit zugewiesen werden. Die Besetzung einer solchen Strafkammer erfolgt mi§ Mitgliedern des Landgerichts oder Amtsrichtern des Bezirks, für welchen die Kammer gebildet wird. Der Vorsitzende wird ständig, die Amtsrichter werden auf die Dauer des Geschäftsjahres durch die Landesjustizverwaltung berufen, die übrigen Mitglieder werden nach Maßgabe des §. 62 durch das Präsidium des Landgerichts bezeichnet. Sechster Titel.

Schwurgerichte.

§ 79. Für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen treten bei den Landgerichten periodisch Schwurgerichte zusammen. § 80. Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern oder des Reichsgerichts gehören. § 81. Die Schwurgerichte bestehen aus drei richterlichen Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden und aus zwölf zur Entscheidung der Schuldfrage berufenen Geschworenen. § 82. Die Entscheidungen, welche nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder der Strafprozeßordnung von dem erkennenden Gerichte zu erlassen sind, erfolgen in den bei den Schwurgerichten anhängigen Sachen durch die richterlichen Mitglieder des Schwur­ gerichts. Werden diese Entscheidungen außerhalb der Dauer der Sitzungsperiode er­ forderlich, so erfolgen sie durch die Strafkammern der Landgerichte. § 83. Der Vorsitzende des Schwurgerichts wird für jede Sitzungsperiode von dem Präsidenten des Oberlaudesgerichts ernannt. Die Ernennung erfolgt aus der Zahl der Mitglieder des Oberlandesgerichts oder der zu dem Bezirke des Oberlandesgerichts gehörigen Landgerichte. Der Stellvertreter des Vorsitzenden und die übrigen richterlichen Mitglieder werden von dem Präsidenten des Landgerichts aus der Zabl der Mitglieder des Landgerichts bestimmt. So lange die Ernennung des Vorsitzenden nicht erfolgt ist, erledigt der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts die in der Strafprozeßordnung dem Vorsitzenden des Gerichts zugewiesenen Geschäfte. § 84. Das Amt eines Geschworenen ist ein Ehrenamt. Dasselbe kann nur von einem Deutschen versehen werden. § 85. Die Urliste für die Auswahl der Schöffen dient zugleich als Urliste für die Auswahl der Geschworenen. Die Vorschriften der §§. 32—35 über die Berufung zum Schöffenamte finden auch auf das Geschworenenamt Anwendung. § 86. Die Zahl der für jedes Schwurgericht erforderlichen Geschworenen und die Vertheilung dieser Zahl auf die einzelnen Amtsgerichtsbezirke wird durch die Landes­ justizverwaltung bestimmt. 8 77. Die Civilkammern entscheiden ausnahmslos in der Besetzung von drei Mitgliedern. Nach § 194 Abs. 1 ist eine Mitwirkung einer größeren Zahl bei Entscheidungen (nach Abs. 2 nicht auch bei Verhandlungen) unzulässig.

1132

Gerichtsverfassungsgesetz.

§§ 87—97.

§ 87. Der alljährlich bei beut Amtsgerichte für die Wahl der Schöffen zusammen­ tretende Ausschub (§. 40) hat gleichzeitig diejenigen Personen aus der Urliste auszu­ wählen, welche er zu Geschworenen für das nächste Geschäftsjahr vorschlägt. Die Vor­ schläge sind nach dem dreifachen Betrage der auf den Amtsgerichtsbezirk vertheilten Zahl der Geschworenen zu bemessen. § 88. Die Namen der zu Geschworenen vorgeschlagenen Personen werden in ein Verzeichniß aufgenommen (Vorschlagsliste). § 89. Die Vorschlagsliste wird nebst den Einsprachen, welche sich auf die in die­ selbe aufgenommenen Personen beziehen, dem Präsidenten des Landgerichts übersendet. Der Präsident bestimmt eine Sitzung des Landgerichts, an welcher fünf Mitglieder mit Einschluß des Präsidenten und der Direktoren tbeilnehmen. Das Landgericht ent­ scheidet endgültig über die Einsprachen und wählt sodann aus der Vorschlagsliste die für das Schwurgericht bestimmte Zahl von Hauptgeschworenen und Hülfsgeschworenen. Als Hülfsgeschworene sind solche Personen zu wählen, welche an dem Sitzungsorte des Schwurgerichts oder in dessen nächster Umgebung wohtten. § 90. Die Namen der Jabreslisten aufgenommen.

Haupr- und

Hülfsgeschworenen

werden in

gesonderte

§ 91. Spätestens zwei Wochen vor Beginn der Sitzungen des Schwurgerichts werden in öffentlicher Sitzung des Landgerichts, an welcher der Präsident und zwei Mitglieder theilnehmen, in Gegenwart der Staatsanwaltschaft dreißig Hauptgeschworene ausgeloost. Das Loos wird von dem Präsidenten gezogen. Auf Geschworene, welche in einer früheren Sitzungsperiode desselben Geschäfts­ jahres ihre Verpflichtung erfüllt haben, erstreckt die Ausloosung sich nur dann, wenn dies von ihnen beantragt wird. Ueber die Ausloosung wird von dem Gerichtssckreiber ein Protokoll ausgenommen. § 92. Das Landgericht übersendet das Verzeichniß der ausgeloosten Hauptge­ schworenen (Spruchliste) beni ernannten Vorsitzenden des Schwurgerichts. § 93. Die in der Spruchliste verzeichneten Geschworenen werden auf Anordnung des für das Schwurgericht ernannten Vorsitzenden zur Eröffttungssitzung des Schwur­ gerichts unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens geladen. Zwischen der Zustellung der Ladung und der Eröffnungssitzung soll thunlichst die Frist von einer Woche, jedoch mindestens von drei Tagen liegen. § 94. Ueber die von Geschworenen geltend gemachten Ablehnungs- und Hinderungs­ gründe erfolgt die Entscheidung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch die richter­ lichen Mitglieder und. so lauge das Schwurgericht uicht zusammengetreten ist, durch den ernannten Vorsitzenden des Schwurgerichts. Beschwerde findet nicht statt. An Stelle der wegfallenden Geschworenen hat der Vorsitzende, wenn es noch ge­ schehet! kann, aus der Jahreslisle durch Ausloosung andere Geschworene auf die Spruch­ liste zu bringen und deren Ladung anzuordnen. Ueber die Ausloosung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll aufgenommen. § 95. Erstreckt sich eine Sitzungsperiode des Schwurgerichts über den Endtermin des Geschäftsjahres hinaus, so bleibet! die Geschworenen, welche zu derselben einberufen sind, bis zum Schluffe der Sitzungen zur Mitwirkung verpflichtet. § 96. Die Bestimmungen der §§. 55, 56 finden auch auf Geschworene Anwendung. Die im §. 56 bezeichneten Entscheidungen werden in Bezug auf Geschworene von den richterlichen Mitgliedern des Schwurgerichts erlassen. § 97. Niemand soll für dasselbe Geschäftsjahr als Geschworener und als Schöffe bestimmt werden. Ist dies dennoch geschehen, oder ist Jemand für dasselbe Geschäftsjahr in mehreren Bezirken zu diesen Aemtern bestimmt worden, so hat der Einberufene dasjenige Amt zu übernehmen, zu welchem er zuerst einberufen wird.

Sechster Titel. Schwurger. §§ 98, 99. Siebenter Titel. Kammern f. Handelssachen. § 100.

1133

§ 98. Die Strafkammer des Landgerichts kann bestimmen, daß einzelne Sitzungen des Schwurgerichts nicht am Sitze des Landgerichts, sondern an einem anderen Orte innerhalb des Schwurgerichtsbezirks abzuhalten seien. In diesem Falle wird für diese Sitzungen von dem Landgerichte eine besondere Liste von Hülfsgeschworenen gebildet. § 99. Die Landesjustizverwaltung kann bestimmen, daß die Bezirke mehrerer Landgerichte zu einem Schwurgerichtsbezirke zusammengelegt und die Sitzungen des Schwurgerichts bei einem der Landgerichte abgehalten werden. In diesem Falle hat das Landgericht, bei welchem die Sitzungen des Schwur­ gerichts abgehalten werden, und der Präsident desselben die ihnen in den §§. 82—98 zugewiesenen Geschäfte für den Umfang des Schwurgerichtsbezirks wahrzunehmen. Die Mitglieder des Schwurgerichts mit Einschluß des Stellvertreters des Vor­ sitzenden können aus der Zahl der Mitglieder der im Bezirke des Schwurgerichts be­ legeneu Landgerichte bestimmt werden. Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 100. Soweit die Landesjustizverwaltung ein Bedürfniß als vorhanden annimmt, können bei den Landgerichten für deren Bezirke oder für örtlich ab­ gegrenzte Theile derselben Kammern für Handelssachen gebildet werden. Solche Kammern können ihren Sitz innerhalb des Landgerichtsbezirks auch an Orten haben, an welchen das Landgericht seinen Sitz nicht hat. Guttu. §§ 1, 81. Mot. S. 116-119. Prot. S. 95-119, 513-525.

Siebenter Titel. Ueber die Entstehungsgeschichte und die Materialien vgl. Mot. S. 111—116, Prot. z. EPO. S. 2-4, 471—477, Prot. z. GVG. S. 95—119, 513-525, Komm.-Ber. S. 9—13, 45. Sten. Ber. d. RT. II. Leg.-Per. 4. Sitzg. 1876. S. 135—163. Die reichhaltige Literatur über „Handelsgerichte" s. bei Voigtel, Uebersicht der Lit. des Handelsrechts S. 196 ff. Ueber die Vorschriften der CPO. vgl. Keyßner in Goldschmidt, Zeitschr. f. H.R. XXV S. 449 ff., Turnau, D. Justizverfassung in Preußen I S. 429 ff., v. Canstein, Grundlagen S. 153 ff., Wach I S. 197, 358 ff., 364 ff., Planck I S. 42 ff., Fitting § 13 B. Ueber die Geschichte der Handelsgerichte s. Silberschmidt, D. Entstehung des D. Handelsgerichts. Leipzig 1894. 1) Nach dem Entwürfe waren die „Handelsgerichte" als eine besondere Art der ordentlichenGerichte mit erheblich w eilerer Zuständigkeit gedacht. Schon in der 5. Sitzung der RTK. erhob sich jedoch gegen diese hauptsächlich nach franz. Muster in vielen Theilen Deutsch­ lands aufgenommene Einrichtung eine scharfe Gegnerschaft, welche zunächst zu einer vollstän­ digen Beseitigung der von den Handelsgerichten handelnden Bestimmungen aus den Ent­ würfen der CPO. und des GVG. führte. Auch die noch bei der ersten Lesung des GVG. ge­ stellten Vermittelungsanträge, welche theils auf dem Standpunkte der jetzigen Bestimmungen des GVG. standen, theils entweder in Handelssachen oder in noch weiterem Umfange die Zu­ ziehung sachkundiger Beisitzer mit berat h end er Stimme bezweckten, erlangten nicht die Mehrheit der RTK. Auf Wunsch des Bundesraths wurde indessen für den Fall, daß der Reichstag mit jenen Beschlüssen nicht einverstanden sein sollte, die Materie von den Handelsgerichten im Ein­ zelnen nach den Vorschlägen einer Subkommission dnrchberathen. Bei der zweiten Lesung des GVG. erklärte sich sodann nach Erörterung zahlreicher Petitionen die RTK. unter nochmaliger Verwerfung des Systems des Entwurfs auf Antrag des Abg. Becker für das jetzige System besonderer, mit den Landgerichten organisch verbundener „Kammern für Handels­ sachen", welches schließlich nach abermaliger Anfechtung seitens der Anhänger der besonderen Handelsgerichtsbarkeit auch vom Reichstage gebilligt wurde.

1134

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 100.

2) . Die Hauptvorzüge des angenommenen Systems, welches an ähnliche Einrichtungen in Württemberg und anderen Staaten erinnert, erblickte der Antragsteller in dem innigeren An­ schlüsse des Verfahrens in Handelsprozessen an das Verfahren vor dem Landgericht und in der Erleichterung des Uebergangs von dem einen Verfahren in das andere, in der Verminderung und Abkürzung von Zuständigkeitsstreitigkeiten, in der Erweiterung des Wahlrechts der Parteien und in der Konzentrirung der handelsrichterlichen Rechtsprechung auf die eigentlichen Handelsplätze 3) Die „Kammern für Handelssachen" sind hiernach nur eine Abart der Civil­ kam m e r n der Landgerichte mit besonderer sachlicher Zuständigkeit im Sinne einer gesetz­ lichen Geschäftsvertheilung innerhalb desselben Gerichts erster Instanz svgl. §§ 59, 70 Abs. 1, 103—107, CPO. § 1 Anm. 2; Wernz in Hauser, Zeitschr. f. Reichs- u. Landesrecht III S. 343 (Zugehörigkeit"), Hauser das. III S. 391, Keller S. 126, Petersen in Busch, Z. II S. 205f., Keyßner a. a. O. S. 455, Wach I S. 358, 367f.]. Die Thätigkeit der Kammern für Handelssachen bildet stets die Ausnahme; sie tritt nur ein, soweit sie in den gesetzlichen Fällen von einer der Parteien beansprucht wird (s. §§ 102—104); bei Konkurrenz von Klage und Widerklage ist überdies nothwendig, daß die Kammern für Handelssachen für beide zuständig ist (§§ 103 Abs. 2, 104 Abs. 2, 105). (Vgl. auch Baron in Busch, Z. I S. 42ff.] Ein besonderes Verfahren besteht, abgesehen von der in § 102 Abs. 1 bestimmten Einlassungsfrist und den §§ 103 ff., für die Kammern für Handelssachen nicht; sie sind daher in der CPO. überhaupt nicht erwähnt. Auch hinsichtlich des Anwaltszwangs und des Systems der Rechtsmittel findet sich, abgesehen von § 107 Satz 1, nicht die mindeste Abweichung. Vgl. Prot. z. CPO. S. 739—741. Die Bestimmungen des vorliegenden Titels beziehen sich lediglich auf die Bildung und Zusammensetzung der Kammern für Handelssachen (§§ 100, 109, 110), ihre Zuständigkeit (§§ 101—108) und die Stellung der sachkundigen Beisitzer („Handelsrichter") (§§ 111—117). Einige Besonderheiten finden sich zerstreut in den §§ 11, 67, 118, 199. 4) Bei den höheren Gerichten find ähnliche Einrichtungen nicht getroffen. Die Berufung und die Beschwerde von den Kammern für Handelssachen gehen an das Oberlandesgericht, und bei diesem wiebei dem Reichsgericht entscheiden die Civilsenate in ihrer gewöhnlichen Zusammensetzung. 5) Die bestehenden besonderen Handelsgerichte, z. B. in Bayern, Sachsen, den Hanse­ städten, sind mit der neuen Organisation unverträglich und mit dem Inkrafttreten des GVG. fortgefallen. In Preußen sind durch das AG. z. GVG. § 12 Nr. 2, 3 aufgehoben: die Kommerz- und Admiralitätskollegien sowie die Handelsgerichte im Bezirke des Appellationsgerichtshofs zu Cöln. §

100.

1) Nach § 100 besteht nicht nothwendig für jeden Ort eine Kammer für Handelssachen. Die Bildung solcher Kammern hängt vielmehr von dem Bedürfnisse nach Ermessen der Landesjustizverwaltung ab. Diese darf andrerseits auch mehrere solcher Kammern bei einem Landgericht einrichten, deren Zuständigkeit jedenfalls dann, wenn sie an verschiedenen Orten ihren Sitz haben (vgl. Anm. 3), mit der Wirkung örtlich abgegrenzt werden kann, daß im Verhältnisse der mehreren Kammern für Handelssachen unter einander (nicht im Verhältnisse zu den Civilkammern) die §§ 12, 247, 248 der CPO. zur Anwendung kommen (RG. XXIII S. 371). Eine sachliche Abgrenzung der Geschäfte unter die mehreren Kammern hat nur die Bedeutung einer inneren Geschäftsvertheiluug (vgl. auch RG. in I. W. 1889 S. 83). Das Ermessen der Landesjustizverwaltung tritt auch an Stelle der §§ 61—66, soweit nicht Landes­ gesetze (s. z. B. Preuß. AG. z. GVG. § 47) eingreifen (vgl. §§ 67, 109 Anm. 2). 2) Die Bezirke der Kammern für Handelssachen und der Landgerichte, zu denen sie gehören, decken sich in der Regel vollständig. Der der ersteren darf niemals über den des Landgerichts hinausreichen; wohl aber darf er kleiner sein, wenn das Bedürfniß nach Ansicht

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 101.

1135

§ 101. Vor die Kammern für Handelssachen gehören nach Maßgabe der folgenden Vorschriften diejenigen den Landgerichten in erster Instanz zugewiesenen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch die Klage ein Anspruch: 1. gegen einen Kaufmann (Art. 4 des Handelsgesetzbuchs) aus Geschäften, welche auf Seiten beider Kontrahenten Handelsgeschäfte (Art. 271—276 des Handelsgesetzbuchs) sind; 2. aus einem Wechsel im Sinne der Wechselordnung; 3. aus einem der nachstehend bezeichneten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird: a) aus dem Rechtsverhältnisse zwischen den Mitgliedern einer Handels­ gesellschaft, zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber eines Handelsgewerbes, zwischen den Theilnehmern einer Vereinigung zu ein­ zelnen Handelsgeschäften oder einer Vereinigung zum Handelsbetriebe (Art. 10 des Handelsgesetzbuchs), sowohl während des Bestehens als nach Auflösung des geschäftlichen Verhältnisses, sowie aus dem Rechts­ verhältnisse zwischen den Liquidatoren oder den Vorstehern einer Handels­ gesellschaft und der Gesellschaft oder den Mitgliedern der Gesellschaft; b) aus dem Rechtsverhältnisse, welches das Recht zum Gebrauche der Handelsfirma betrifft; der Justizverwaltung nur für einen örtlich abgegrenzten Theil des Landgerichtsbezirks, etwa für den Bezirk eines oder mehrerer Amtsgerichte (vgl. § 78), hervortritt. 8) Abs. 2: Der Sitz der Kammer für Handelssachen ist in der Regel der des Land­ gerichts und muß stets innerhalb des Landgerichtsbezirks liegen; er braucht aber nicht noth­ wendig mit dem Sitze des Landgerichts zusammenzufallen, sondern kann z. B. mit dem eines zum Landgerichtsbezirke gehörigen Amtsgerichts identisch sein (f. § 110). Auch in diesem Falle ist die Kammer indessen eine Abtheilung des Landgerichts („bei den Landgerichten" — Abs. 1). Daneben kann auch am Sitze des Landgerichts eine Kammer sür Handelssachen bestehen. Wegen der Geschästsvertheilung s. § 109 Anm. 2. Eine nach Abs. 2 errichtete Kammer ist im Sinne der RAO. als besonderes Gericht an­ zusehen (RAO. §§ 8, 9). 4) Für Preußen s. die zur Ausführung des § 100 erlassenen Allg. Vers, des Just.Min. v. 26. Juli 1879 (JMBl. S. 210), 20. Sept. 1881 (JMBl. S. 187), 1. Ott. 1881 (das. S. 242), 15. Febr. 1882 (das. S. 26), 4. Jan. 1883 (JMBl. S. 6), 24. Juni 1885 (JMBl. S. 225), 30. Juli 1888 (JMBl. S. 182), 30. Dez. 1891 (JMBl. 1892 S. 3), 10. 3uni, 13. Juni, 18. Juli 1892 (JMBl. S. 195, 273), 17. u. 24. Juli 1893 (JMBl. S. 191, 192), 26. u. 28. Juni, 22. u. 23. Juli. 5. u. 18. Dez. 1894 (JMBl. S. 173, 174, 252, 253, 341 u. 357), Turnau a. a. O. S. 437 ff. Vgl. im übrigen Keyßner a. a. O. S. 455ff., Pfafferoth, Jührb., 4. Jahrg. 1895 S. 72 ff., 210 ff. (im ganzen Reiche 73 Kammern, davon 12 nicht am Sitze des Landgerichts).

§ 101. 1) Die Quelle der in § 101 enthaltenen Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit (vgl. d. allg. Bein, unter 3) der Kammern für Handelssachen ist der die Zuständigkeit des Reichs-Oberhandelsgerichts regelnde § 13 des Ges. v. 12. Juni 1869 (BGBl. S. 201), dessen Inhalt im Einzelnen freilich erheblich geändert ist. Der Begriff der hier jenen Kammern über­ wiesenen „Handelssachen" ist enger als der (im HGB. nicht definirte) gleiche materiell­ rechtliche Begriff in Art. 1 d. HGB. und Art. 2 d. Preuß. EG. z. HGB. sVgl. auch Gold­ schmidt, Handb. d. HR. 2. Aust/1 § 43a S. 470ff., Behrend, Lehrb. d. HR. I S. 67 ff., Endemann, Handb. d. D. Handels-, See- und Wechselrechts I S. 95.] Wegen Erläuterung der in § 101 zahlreich vorkommenden handelsrechtlichen Begriffe ist in erster Linie aus die reiche handelsrechtliche Literatur zu verweisen. Vgl. auch CPO. §§ 660 Anm. 4 a. E., 871 Anm. 1.

1136

Gerichtsverfassungsgesetz.

§101.

c) aus den Rechtsverhältnissen, welche sich auf den Schutz der Marken, Muster und Modelle beziehen; d) aus dem Rechtsverhältnisse, welches durch die Veräußerung eines be­ stehenden Handelsgeschäfts zwischen den Kontrahenten entsteht; e) aus dein Rechtsverhältnisse zwischen dem Prokuristen, dein Handlungs­ bevollmächtigten oder Handlungsgehülfen und dem Eigenthümer der Handelsniederlassung, sowie aus dem Rechtsverhältnisse zwischen einer dritten Person und demjenigen, welcher ihr als Prokurist oder Hand­ lungsbevollmächtigter aus einem Handelsgeschäfte haftet (Art. 55 des Handelsgesetzbuchs); f) aus dem Rechtsverhältnisse, welches aus den Berufsgeschäften des Handelsmäklers im Sinne des Handelsgesetzbuchs zwischen diesem und den Parteien entsteht; g) aus den Rechtsverhältnissen des Seerechts, insbesondere aus denjenigen, welche auf die Rhederei, die Rechte und Pflichten des Rheders, des Korrespondentrheders und der Schiffsbesatzung, auf die Bodmerei und die Haverei, auf den Schadensersatz im Falle des Zusammenstoßens von Schiffen, auf die Bergung und Hülfeleistung in Seenoth und auf die Ansprüche der Schiffsgläubiger sich beziehen. 91. OBntte. § 15. Entw, § 83. Mot. S. 121-128. Prot. ,. «PO. S. 475 -494.

Prot. S. 625 -530.

2) „nach Maßgabe der folgenden Vorschriften" — ein redaktioneller Zusatz der RTK., welcher auf die §§ 102—108 hinweist. Auch das Reichsstempelgesetz § 33 in der Fassung v. 27. April 1894 (RGBl. S. 381) enthält noch eine Zuständigkeitsbestimmung. Wegen des Verfahrens nach HGB. Art. 348, 365, 407 vgl. EG. z. CPO. § 13 Abs. 4. 3) „den Landgerichten in erster Instanz zugewiesenen" — vgl. § 70. Dieser Zusatz der RTK. steht im Einklänge mit der von dem Entw. abweichenden grundsätzlichen Auf­ fassung, wonach die Kammern für Handelssachen den Landgerichten organisch eingefügt sind (s. d. allg. Bem. z. diesem Tit.). Zugleich wird dadurch vermieden, daß geringfügige Handels­ sachen in Folge der Zuständigkeit von Kollegialgerichten in erster Instanz schließlich ihren Weg bis zum Reichsgericht nehmen. In den den Amtsgerichten zugewiesenen Sachen (§ 23), auch wenn sie nach Nr. 1—3 Handelssachen sind, entscheiden daher die Amtsgerichte und in der Berufungs- und Beschwerdeinstanz die gewöhnlichen Civilkammern der Land­ gerichte (§§ 71 ff.). Soweit die Prorogation in Civilsachen zulässig (CPO. §§ 38—40), ist sie es auch in Handelssachen. Nur die Wahl der Handelskammer (statt der Civilkammer) ist durch die §§ 102 ff. beschränkt. „bürgerlichen Rechtsstreitigleiten" — vgl. § 13 Anm. 1. 4) „durch die Klage" — Lediglich auf diese kommt es an (s. § 102 Abs. 1). In­ dessen kann doch ausnahmsweise durch Erweiterung des Klagantrags, Widerklage oder In­ zidentfeststellungsklage nachträglich eine Sache von dem Amtsgerichte weg an die Kammer für Handelssachen gezogen werden (§ 102 Abs. 2); anders bei bloßen Kompensationseinreden, Repliken it. dgl. Die Kammer für Handelssachen hat auch die Befugnisse und Verrichtungen, welche nach der CPO. dem Prozeßgericht erster Instanz oder dem Gerichte der Hauptsache zufallen (vgl. CPO. §§ 109, 225, 331, 354, 369, 539, 686—689, 799, 807, 816, 821); namentlich hat sie auch Arreste und einstweilige Verfügungen anzuordnen, wenn sie tu der Hauptsache zuständig ist. (Die Ansicht, daß die Hauptsache bereits anhängig sein' oder doch gleichzeitig anhängig ge­ macht werden müsse (s. Keyßner a. a. O. S. 478 Anm. 106 a, Wilm. Levy Anm. 4), ist nicht haltbar; vgl. auch Turnau a. a. O. S. 445 Anm. 8, OLG. Naumburg in Zeitschr. d. Anwaltökammer das. 1895 S. 19.] Dagegen ist sie nicht zuständig für die dem Vollstreckungs­ gericht überwiesenen Entscheidungen (Wilm. Levy a. a. O.).

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 101.

1137

o) Nr. 1: „gegen einen Kausmann (Art. 4 des Handelsgesetzbuchs)"

Diese

Worte, welche sich schon im Entw. u. in dem Ges. v. 12. Juni 1869 finden, machen die Zu­ ständigkeit von der Kausmannseigenschaft des Beklagten

abhängig.

Es kommt darauf an,

daß der letztere zur Zeit der Erhebung der Klage Kaufmann ist; ob er es zur Zeit der Entstehung der Verbindlichkeit war (Württ. PO. Art. 9 Nr. 1), ist unerheblich. Gegen einen gewesenen Kaufmann darf nach Nr. 1 ebensowenig bei der Kammer für Handels­ sachen geklagt werden, als gegen den Rechtsnachfolger eines Kaufmanns. (Uebereinstimmend Keller S. 140, Endemann I S. 106, Wilm. Levy Anm. 6, Turnau a. a. O. S. 447 Anm. 11, 12,

Keyßner a. a. O. S. 475.

Anders bezüglich der Zuständigkeit des früheren

ROHG.: ROHG. 13 S. 351, 15 S. 16, 17 S. 168, 19 S. 37.)

Hiervon gilt auch dann keine

Ausnahme, wenn die Rechtsnachfolge auf einem Handelsgeschäfte beruht.

Ein Antrag, in diesem

Falle die Zuständigkeit fortdauern zu lassen, ist zwar bei der eventuellen Berathung (s. d. allg. Bem.) von der RTK. angenommen, in zweiter Lesung aber nicht wiederholt. Werden mehrere Personen, von welchen nicht jede Kaufmann ist, als Streitgenossen verklagt, so gehört der Streit vor die Civilkammer. Ein entgegenstehender Antrag ist von der RTK. abgelehnt (Prot. S. 740, 746).

sVgl. auch Keller S. 140 f., Wilm. Levy a. a. O.,

Keyßner a. a. O. S. 472.] Uebrigens ist nach § 36 CPO. nur das zuständige Gericht zu bestimmen (Wilm. Levy Anm. 4 a. E.). Wegen der objektiven Klagenhäujung vgl. § 103 Anm. 1. Auch Klagen gegen den Konkursverwalter im Konkurse eines Kaufmanns sind nicht hierher zu rechnen, sofern nicht das Handelsgeschäft durch den Konkursverwalter fortgeführt wird und -es sich um eine hieraus erwachsende Verbindlichkeit handelt (s. Behrend a. a. O. S. 100 Anm. 12, Turnau a. a. O. S. 451 Anm. 14, Wilm. Levy Anm. 6; vgl. auch CPO. § 51 Anm. 5. Nicht zur Bedingung gemacht ist es, daß der Beklagte in das Handelsregister ein­ getragen sei.

Vgl. aber § 104 Abs. 1 Anm. 2.

Als „Kaufmann" im Sinne von Nr. 1 gelten (s. jedoch § 104 Anm. 2) auch die sog. Minderkausleute des Art. 10 d. HGB. (vgl. RG. i. StrS. IV S. 109, Turnau a. a. O» S. 448 Anm. 11, Keyßner a. a. O. S. 471; s. auch ROHG. 7 S. 238); ferner, wie die Mot. als selbstverständlich betrachten, auch solche (physische und juristische) Personen, welche das Gesetz den Kaufleuten gleichstellt (HGB. Art. 5, 6 in Verb. mit Art. 174, 208, Genossen­ schafts-Ges. v.

1. Mai 1889 § 17 Abs. 2, Ges., betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haf­

tung, v. 20. April 1892 § 13 Abs. 3]. Während der Liquidation einer Handelsgesellschaft rc. dauert die Kaufmannseigenschaft fort (ROHG. 19 S. 38, 23 S. 144, Keyßner a. a. O. S. 475. A.M. Staub, HBG. Art. 144 § 1). Von Am tswegen darf die Sache deshalb, weil der Beklagte nicht Kaufmann ist, nicht vor die Civilkammer verwiesen werden (§ 103 Abs. 2). 6) „aus Geschäften, welche auf Seiten beider Kontrahenteu Handels­ geschäfte (Art. 271—276 des Handelsgesetzbuchs) sind" — Der Entw. enthält start dessen nach dem Vorbilde des Ges. v. 12. Juni 1869 die Worte „aus dessen Handelsgeschäften" neben der gleichen Anführung.

Während aber die Subkommission (s. d. allg. Bem. unter 1) auch

auf Seilen des Klägers die Kaufmannseigenschaft erfordern wollte, empfahl der Abg. Wolffson, das Merkmal objektiver zu fassen und in die Eigenschaft des Geschäfts als

eines zwei­

seitigen Handelsgeschäfts zu verlegen. Seine Vorschläge erhielten in der jetzigen Fassung trotz des Widerspruchs des Reg.-Vertreters die Mehrheit der RTK. und wurden auch vom Reichs­ tag einem Antrag auf Herstellung des Entwurfs gegenüber ausrecht erhalten (Sten. Ber. a. a. O. S. 164 f.), während ein anderer Antrag, vor „gegen einen K aufm an n" einzuschalten: „von einem Kaufmann", von der RTK. abgelehnt wurde. St ruck mann u. Koch. Civilprozeßordnung. 6. Aufl.

Der Zweck war vorzugsweise die mate72

1138

Gerichlsverfassungsgesetz.

§ 101.

rteile Beschaffenheit des Rechtsverhältnisses als eines aus dem eigentlichen Handels­ verkehr entstandenen entscheiden zu lassen (vgl. auch N. E. § 15 Nr. 1). Das Gesetz entfernt sich danach von dem freilich eben nur für das materielle Recht maßgebenden Gedanken des Art. 277 HGB. (f. ROHG. 15©. 390) und beschränkt die Zustän­ digkeit der Kammern für Handelssachen, wenngleich es die Kaufmannseigenschast des Klägers nicht besonders erfordert, im Wesentlichen doch, abgesehen von den absoluten Handelsgeschäften des Art. 271, auf Geschäfte unter Kaufleuten aus dem Gebiete der Art. 272—274 d. HGB., da hier die Eigenschaft des Geschäfts als Handelsgeschäft von dem Gewerbebetriebe des Unternehmers abhängt. Streitigkeiten der Kaufleute mit nicht kaufmännischen Produzenten und Konsumenten, Magen der Nichtkausleute gegen Fabrikanten, Spediteure, Kommissionäre u. dgl. m. sind ausgeschlossen. (Vgl. auch Hauck S. 143.) „beider Kontrahenten" — Daß die Kontrahenten gerade mit den Parteien identisch seien, ist nicht nothwendig (Keller S. 141, Endemann I S. 104 u. A.). Gleichgültig ist auch, ob die Eigenschaft als Handelsgeschäft für beide Kontrahenten auf demselben Grunde be­ ruht. Streiten Rechtsnachfolger der ursprünglichen Kontrahenten, so kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsnachfolge sich auf ein beiderseitiges Handelsgeschäft gründet (vgl. Keyßner a. a. O. S. 774 Anm. 93, Keller S. 140 Anm. 36, Turn an a. a. O. S. 453 Anm. 16 u. 91.). 7) Nr. 2: Die Vorschrift stimmt mit den Wünschen des Deutschen Handelstags und fast allen früheren deutschen Gesetzgebungen (s. auch ß 13 Nr. 2 d. Ges. vom 12. Juni 1869) sowie dem franz. Recht überein. Auf die Kaufmannseigenschaft der Parteien und den handelsgeschäft­ lichen Ursprung des Wechsels kommt es nicht an. „aus einem Wechsel im Sinne der Wechselordnung" — Die Worte haben hier keine andere Bedeutung als in CPO. § 565 (s. das. Anm. 2). (Indessen rechnen die Bereiche­ rungsklage aus Art. 83 d. CPO. hierher Thilo S. 156, Turnau a. a. O. S. 462 u. 91.] Kaufmännische Anweisungen im Sinne der betreffenden Partikulargesetze, z. B. des Sächs. Ges. v. 7. Juni 1849, oder die in Art. 302—304 d. HGB bezeichneten Papiere stehen hier den Wechseln nicht gleich. Ob im Wechselprozesse (CPO. § 565 ff.), im Urkundenprozesse oder im ordentlichen Ver­ fahren geklagt wird, ist unerheblich 8) Die Nr. 3 führt eine Reihe von Rechtsverhältnissen auf, die nicht nothwendig auf einem Handelsgeschäfte (Nr. 1) beruhen, aber, wie die Mot. bemerken, so ausschließlich dem Gebiete des Handels angehören und so eng mit dem Betriebe des Handelsgewerbes zusammen­ hängen, daß ihre unbedingte Ueberweisuug an die Handelsgerichte (jetzt Kammern für Handels­ sachen) Bedürfniß ist, wenn auch im Einzelnen die Voraussetzung, daß der Beklagte Kaufmann ist, nicht zutrifft. Der Inhalt der Nr. 3 ist, abgesehen von c, aus § 13 Nr. 3 des Ges. v. 12. Juni 1869 und diese wiederum aus dem Preuß. EG. z. HGB. 91rt. 2 Nr. 2—7, 47 Nr. 3 entnommen (s. auch N. E. § 15 Nr. 3). 9) a: „einer Handelsgesellschaft" — Eine Kommanditgesellschaft aus 91 hielt sowie eine Aktiengesellschaft gelten als Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegen­ stand des Unternehmens nicht in Handelsgeschäften besteht (HGB. 9lrt. 174, 208), ebenso eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (vgl. Anm. 5 a. E.). Nicht eingetragene Genossen­ schaften gehören nicht hierher; betreiben sie ein Handelsgewerbe und haben sie eine selbständige Rechtspersönlichkeit, so sind sie Kaufleute, aber nicht Handelsgesellschaften. Die einge­ tragenen Genossenschaften gelten zwar immer als Kaufleute, aber gleichfalls nicht als Handelsgesellschaften. (Vgl. Endemann I S. 108 Anm. 1 a, Parisius-Crüger, Genoss.-Ges. S. 101. A.M. Keller S. 142, Wilm. Levy Anm. 9; Turnau a. a. O. S. 463 unterscheidet, ob die Genossenschaft ein Handelsgewerbe betreibt) „zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber eines Handels­ gewerbes" — vgl. HGB. Art. 250—265.

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 101.

1139

„zwischen den Teilnehmern einer Vereinigung zu einzelnen Handels­ geschäften" — die sog. a conto meta-Geschäfte (Partizipationsgesellschaft); vgl. HGB. Art. 266—270. „oder einer Vereinigung zum Handelsbetriebe (Art. 10 des Handels­ gesetzbuchs)" — d. h. einer solchen, welche keine Handelsgesellschaft bildet (HGB. Art. 10 Abs. 2). „sowohl — Verhältnisses" — Diese Worte beziehen sich auf alle unter a vor­ angehend bezeichneten Rechtsverhältnisse. Vgl. HGB. Art. 144, 172, 244. Die Dauer der Li­ quidation kommt hier nicht in Betracht. Hierher gehören auch Streitigkeiten nach HGB. Art. 133 Abs. 2 über die Frage, durch wen die Liquidation zu bewirken sei, während die Zuständigkeit des Gerichts der freiwilligen Gerichtsbarkeit höchstens dann eintritt, wenn kein Streit obwaltet (RG. XIII S. 105; gegen jede Zuständigkeit des Gerichts der freiw. Gerichtsbarkeit Staub, HGB. Art. 133 § 6). „Vorstehern einer Handelsgesellschaft" — Diese kommen nur bei der Aktien­ gesellschaft vor. Vgl. HGB. Art. 227 ff. 10) b: vgl. HGB. Art. 15 ff., besonders Art. 27. c: Die von der RTK. eingeschaltete Vorschrift steht im Einklänge mit den Ges. v. 30. Nov. 1874 (RGBl. S. 143) (vgl. jetzt Ges. zum Schutze der Waarenbezeichnungen v. 12. Mai 1894 u. Mot. zu § 19 des Entw. dieses Gesetzes — Drucks, d. RT. 1893/94 Nr. 70 —, wonach es nicht für erforderlich erachtet wurde, die Entscheidungen in erster Instanz im Sinne des § 101 GBG. den Kammern für Handelssachen zuzuweisen, da „der Ausdruck „„Marke"" im § 101 Nr. 3c GVG. im weiteren Sinne zu verstehen ist und nach der Auffassung des Entwurfs mit dem Begriffe „„Waarenbezeichnung"" zusammenfällt") u. v. 11. Jan. 1876 (RGBl. S. 11). Die Erweiterungen, welche § 13 des Ges. v. 12. Juni 1869 durch zahlreiche andere Reichsgesetze, z. B. Ges. über das Urheberrecht v. 11. Juni 1870 § 52 (BGBl. S. 339), Haftpflichtgesetz v. 7. Juni 1871 § 10 (RGBl. S. 207), Bankgesetz v. 14. März 1875 § 50 (RGBl. S. 177), Patentgesetz v. 25. Mai 1877 § 37 (RGBl. S. 501) — jetzt v. 7. April 1891 § 38 (RGBl. S. 79) — u. s. w., erfahren hat, sind durch das GVG. hier nicht berücksichigt, weil sie nicht vorwiegend dem Gebiete des Handels angehören (vgl. Anm. 1). d: vgl. HGB. Art. 22, 23. Die Vorschrift trifft auch dann zu, wenn Rechtsnachfolger streiten (A.M. Keller S. 144, Turn au a. a. O. S. 464). Vermiethung ist keine Veräußerung (A.M. Keller a. a. £).; vgl. auch Behrend I § 28 S. 135 a. E.). 11) e: vgl. HGB. Art. 41-65. „zwischen dem Prokuristen — und dem Eig enthümer der Handelsnieder­ lassung" — Durch diese Worte wird im Gegensatze zu den folgenden das innere Verhältniß des Handelsgeschäfts (der Niederlassung) getroffen. „zwischen einer dritten Person" — Diese braucht nicht nothwendig Kaufmann zu sein, wie die RTK. bei der eventuellen Berathung beschlossen hatte. f: „Handelsmäkler im Sinne des Handelsgesetzbuchs" — vgl. HGB. Art. 66—68, 84. Für Privatmäkler kann § 101 Nr. 1 (wegen HGB. Art. 272 Nr. 4) anwendbar sein. „zwischen diesem und den Parteien" — vgl. das. Art. 80—83. g: vgl. HGB. Art. 432 ff., Seemannsordn. v. 27. Dez. 1872 (RGBl. S. 409), Strandungs­ ordn. v. 17. Mai 1874 §§ 39, 44 (RGBl. S. 73), GVG. §§ 109 Abs. 3; 114. „insbesondere" — Die hier aufgeführten Fälle sind nur Beispiele. Die Ver­ hältnisse der Flußschiffahrt gehören jedoch nicht hierher und ebensowenig Ansprüche aus Versicherungen als solche (Mot. S. 128). Vgl. jedoch Entw. e. Ges., betr. die privatrechtl. Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Drucks, d. RT. 1894/95 Nr. 81) § 138. 12) Meß- und Marktsachen (CPO. § 30) als solche gehören nicht vor die Kammer für Handelssachen (anders N. E. § 15 Nr. 4).

1140

Gerichtsversassungsgesetz.

§ 102.

§ 102. Die Verhandlung des Rechtsstreits erfolgt vor der Kammer für Handelssachen, wenn der Kläger dies in der Klageschrift beantragt hat. Die Einlassungsfrist (§. 234 Satz 1 der Civilprozeßordnung) beträgt mindestens zwei Wochen. In den Fällen der §§. 466, 467 der Civilprozeßordnung hat der Kläger den Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen in der münd­ lichen Verhandlung vor dem Amtsgerichte zu stellen. Entw. - Mot. - Prot. z. CPO. 5. 600, 501. Prot. ;. GVG. S. 531, 533, 534.

13) § 101 gilt auch für die Hauptintervention (§ 108). Hinsichtlich der Neben­ intervention macht die Anhängigkeit bei der Kammer für Handelssachen keinen Unterschied (f. Keyßner a. a. O. S. 478ff.). 14) Die Landesgesetze dürfen die Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeiten nicht (wie nach § 13 des Ges. v. 12. Juni 1869) ausdehnen, auch nicht auf Zwangsversteigerungen (Entw. § 84. S. auch Turnau a. a. O. S. 443, Wilm. Levy Anm. 1. A.M. Endemann I S. 111 Anm. 40). Wegen der Aufgebotsfachen s. CPO. § 823 Anm. 2. 15) Außerhalb des Gebiets der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit (s. EG. z. GVG. § 4) sind die Kammern für Handelssachen in Preußen nicht zuständig. Die Führung des Han­ delsregister 2c. und andere durch das HGB. re. den Handelsgerichten übertragene Geschäfte sind durch § 25 d. AG. z. GVG. den Amtsgerichten überwiesen. Vgl. auch EG. z. CPO. § 13 Abs. 4. § 102. Literatur: Wach I S. 364ff., Planck I S. 42. 1) Abs. 1 Satz d u. Abs. 2 handeln von den Voraussetzungen, unter welchen auf Antrag des Klägers (oder Widerklägers) eine Sache bei den Kammern für Handelssachen verhandelt werden kann. Danach hängt es stets von dem Kläger ab, ob er eine an sich vor die Kammer für Handelssachen gehörige Sache nicht dennoch bei der Civi lkammer belassen will. In Er­ mangelung besonderen Antrags bewendet es bei der Zuständigkeit der letzteren. In beschränkter Weise kann aber auch der Beklagte die Verweisung an die Kammer für Handelssachen herbei­ führen (§ 104). Umgekehrt ist, wenn in einer nicht unter § 101 fallenden Sache bei der Kammer für Handelssachen geklagt wird, das Gericht auch von Amtswegen zur Ver­ weisung an die Civilkammer befugt (§§ 103, 105). Eine nothwendige Besonderheit im Falle des Abs. 1 ist es, daß in der Klageschrift die Wahl ausgeübt werden muß (vgl. CPO. § 230 Nr. 3), damit der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen den Termin anberaumen kann (CPO. § 193). Ist die Klage bei der Kammer für Handelssachen anhängig, so bedarf es für die Widerklage keiner ausdrücklichen Erklärung des Widerklägers. Wegen des Falles, wo die Widerklage nicht vor die Kammer für Handelssachen gehört, s. § 105 Abs. 1. Wegen der Wahl seitens des Beklagten vgl. §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1, 105 Abs. 1, 106. Die Vorschriften stehen in gewisser Verwandtschaft mit den §§ 38, 39 d. CPO. In den Fällen des Abs. 2 (Verweisung des Rechtsstreits seitens des nach §§ 466, 467 für unzuständig erklärten Amtsgerichts an das Landgericht) muß der Kläger oder Widerkläger sich schon vor dem Amtsgericht erklären und zwar, statt in der Klageschrift, in der münd­ lichen Verhandlung — bei Vermeidung der Zuständigkeit der Civilkammer; das Amts­ gericht verweist, wenn die Klage und die Widerklage (s. §§ 103 Abs. 2, 104 Abs. 2) unter § 101 fallen, alsdann dem Antrag entsprechend die Sache sogleich an die Kammer für Handels­ sachen, vor welche hierauf behufs Fortsetzung der Sache ohne neue Klage zu laden ist (s. auch Entw. III z. CPO. § 448 Abs. 3; Hauser a. a. O. S. 409, Hauck S. 146, Keller

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 103.

1141

§ 103. Wird vor der Kammer für Handelssachen eine vor dieselbe nicht gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Civilkammer zu verweisen. Gehört die Klage oder die im Falle des §. 467 der Civilprozeßordnung er­ hobene Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist diese auch von Amtswegen befugt, den Rechtsstreit an die Civilkammer zu ver­ weisen, so lange nicht eine Verhandlung zur Hauptsache erfolgt und auf dieselbe ein Beschluß verkündet ist. Die Verweisung von Amtswegen kann nicht aus dem Grunde erfolgen, daß der Beklagte nicht Kaufmann ist. Entw. - Mot. - Prot. S. 680, 631. S. 146, Wil rn. Levy Anin. 4, welche Letzteren jedoch lediglich den Antrag des Klägers oder des Widerklägers maßgebend sein lassen. A.M. Turn au a. a. O. S. 469, der nur an das Land­ gerich t verweisen will). Diese Verweisung ist jedoch nur im Verhältnisse zum Landgerichte, nicht zur Civilkammer bindend (§ 104 Anm. 3). Vgl. auch CPO. §§ 33 Anm. 5, 249 Anm. 2, 466 Anm. 2, 467 Anm. 3. Der Amtsrichter hat den Beklagten oder Widerbeklagten vor dessen Verhandlung zur Hauptsache auf die amtsgerichtliche Unzuständigkeit aufmerksam zu machen (CPO. § 465 Abs. 2). 2) „Die Einlassungsfrist — zwei Wochen" — anstatt einen Monat. Die Be­ stimmung ist von der NTK. hinzugefügt, um die nöthige Beschleunigung in den Handels­ sachen über 300 Mark herbeizuführen. Für Meß- und Marktsachen, sowie wenn die Zu­ stellung im Auslande vorzunehmen ist. bewendet es dagegen bei der Regel (CPO. § 234 Satz 2 u. Abs. 2).

§§ 103-107. 1) Die von der RTK. eingeschalteten §§ 103 — 107 handeln von der, sei es wegen Un­ zuständigkeit oder wegen nachträglicher Ausdehnung des Rechtsstreits erfolgenden Verweisung des Rechtsstreits an die zuständige Civilkammer oder Kammerfür Handelssachen. Letztere (nicht die Civilkammer) ist dazu in der Regel auch von Amiswegen befugt; die freiwillige Prorogation (auch eine ausdrückliche Vereinbarung — vgl. Wach I S. 368, Planck I S. 43), wenn man diesen Ausdruck hier anwenden darf, ist also insoweit beschränkt. Wegen der Vortheile der Verweisung (anstatt bloß negativer Un­ zuständigkeitserklärung) s. CPO. § 249 Anm. 1. Selbstverständlich wird die Rechtshängig­ keit mit ihren Folgen durch die Zuweisung an eine andere Kammer nicht berührt (vgl. Wernz in Hauser, Zeitschr. a. a. O. S. 344). §§ 103, 105 betreffen die Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen, § 104 die Verhandlung vor der Civilkammer; die §§ 106, 107 enthalten gemeinsame Vor­ schriften. Die Bestimmungen weichen — abgesehen von einigen Besonderheiten — von den allge­ meinen Vorschriften über die exceptio fori (vgl. §§ 247—249, 465—467 d. CPO.) haupt­ sächlich insofern ab, als es sich hier nicht um die Zuständigkeit oder Unzuständigkeit eines besonderen Gerichts, sondern um die Zuständigkeit einzelner Abtheilungen innerhalb desselben Gerichts handelt, welche durch eine einmalige Entscheidung endgültig ge­ regelt wird (§ 107). sVgl. auch Wach I S. 358, Planck a. a. O, Petersen in Busch, Z. H 204 ff.] 2) Die Verhandlung und Entscheidung über die Zuständigkeit der Kammer für Handels­ sachen (§§ 103—106) ist gebührenfrei (GKG. § 47 Nr. 3); vgl. jedoch GO. s. NA. §§ 23 Nr. 1, 29 Nr. 6.

8 103. 1) Abs. 1: „eine vor dieselbe nicht gehörige Klage zur Verhandlung ge­ bracht" — sei es nach § 102 Abs. 1 oder in Folge von Verweisung nach § 102 Abs. 2. Es

1142

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 103.

kommt darauf an, daß der Anspruch den Erfordernissen des § 101 Nr. 1—3 entspricht. Auch im Wege der objektiven Klagenhäufung (CPO. § 232) darf ein nicht unter eine dieser Kategorieen fallender Anspruch nicht vor die Kammer für Handelssachen gezogen werden (eine besondere Vorschrift, wie in § 14 d. Ges. v. 12. Juni 1869, fehlt). Selbst dann ist die Zu­ ständigkeit der letzteren ausgeschlossen, wenn einer von mehreren Klagegründen sich nicht dafür eignet (s. Wach 1 S. 359, Turnau a. a. O. S. 474 Anm. 8, Wilm. Levy Anm. 1 u. § 104 Anm. J). Wegen der subjektiven Klagenhäufung s. § 101 Anm. 5 S. 1137. Gehört die Klage vor die Kammer für Handelssachen, so ist der Antrag des Beklagten auf Verweisung vor die Civilkammer selbst dann zu verwerfen, wenn der Kläger dem Antrage zustimmt (Wilm. Levy a. a. £).). Wegen der int § 15 des Ges. v. 12. Juni 1869 berührten besonderen Fälle entscheiden ebenfalls lediglich die allgemeinen Grundsätze (vgl. CPO. §§ 685—690, 799, 805 ff.). Soweit danach das Prozeßgericht erster Instanz oder das Arrestgericht für zuständig erklärt ist und die Kammer für Handelssachen in erster Instanz erkannt oder den Arrestbefehl erlassen hat, bleibt diese auch für die weitere Verhandlung und Entscheidung zuständig. In Betreff anderer zweifelhafter Fälle (der Widerklage, Hauptintervention u. s. w.) vgl. §§ 105, 108. Wegen der Verbindung s. CPO. § 138 Anm. 1 a. E. 2) „auf Antrag des Beklagten" — Der Antrag entspricht der „Einrede der Un­ zuständigkeit des Gerichts"; er folgt an sich den allgemeinen Vorschriften (s. d. allg. $8ent. zu §§ 103—107); vgl. aber §§ 106, 107. Wird der Einwand von dem Gegner nicht erhoben, so tritt, abgesehen von Abs. 2 und § 105 Abs. 2, gleichsam eine stillschweigende Prorogation ein (vgl. CPO. § 39 Anm. 1). Der Kläger kann die Verweisung nicht verlangen, sofern es sich nicht um im Laufe des Prozesses erhobene Klagen handelt (vgl. Wach I S. 367). B) Abs. 2: Die Bestimmung entspricht dem (in Folge der Beseitigung der Handelsgerichte gestrichenen) Abs. 2 des § 38 d. Entw. III d. CPO. Die darin enthaltene Ausnahme von der regelmäßigen Zulässigkeit einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung über die „Zuständigkeit" der Kammer für Handelssachen (vgl. CPO. § 38) wird in den Mot. jenes Entw., wie folgt, begründet: „Die Organisation und die auf bestimmte Nechtsstreitigkeiten beschränkte Kompetenz der Handelsgerichte läßt es gerechtfertigt erscheinen, daß sie in einem einzelnen Falle eine gesetzlich nicht zu ihrer Zuständigkeit gehörende Streitsache ungeachtet des uberelnstimmenden Willens der Parteien, dieselbe vor den Handelsgerichten zu verhandeln, von sich abweisen dürfen. Im Interesse der Parteien ist aber eine solche Abweisung nur so lange für statthaft erklärt, als nicht eine mündliche Verhandlung zur Haupt­ sache erfolgt und auf dieselbe ein Beschluß verkündet ist. Die Verhandlung und Entscheidung von prozeßhindernden Einreden beseitigt die Befugniß zur Abweisung noch nicht, da das Handelsgericht vielfach erst durch die Verhandlung zur Hauptsache in die Lage versetzt werben wird, mit Sicherheit beurtheilen zu können, ob die Sache zu seiner Kompetenz gehört oder nicht. Ebensowenig genügt ein Vertagungsbeschluß, um dem Handelsgerichte die Beftrgniß zur Abweisung zu entziehen; denn nur aus einem auf die Verhandlung zur Hauptsache selbst erlassenen Beschlusse läßt sich ent­ nehmen, daß das Handelsgericht die Sache angenommen lirtb auf sein Widerspruchsrecht verzichtet habe."

4) „die im Falle — erhobene Widerklage" — nämlich vor dem Amtsgerichte, welches die Sache sodann an die Kammer für Handelssachen verwiesen hat (s. § 102 Anm. 1. A.M. Endemann I S. 113, der jede vor der Kammer für Handelssachen erhobene Widerklage für gemeint hält). Es findet also eine doppelte Verweisung statt. (Vgl. Lüning in Busch, Z. IV S. 117.) Dies wird auch entsprechend dann anzuwenden sein, wenn eine solche Verweisung in den beiden anderen Fällen des § 467 d. CPO. erfolgt ist (CPO. §§ 240 Nr. 2, 3; 253). Wegen anderer Widerklagen s. § 105.

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 104.

1143

§ 104. Wird vor der Civilkammer eine vor die Kammer für Handelssachen gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Kammer für Handelssachen zu verweisen. Ein Beklagter, welcher nicht in das Handelsregister eingetragen ist, kann den Antrag nicht darauf stützen, daß er Kaufmann ist. Der Antrag ist zurückzuweisen, wenn die im Falle des §. 467 der Civilprozeßordnung erhobene Widerklage als Klage vor die Kammer für Handelssachen nicht gehören würde. Zu einer Verweisung von Amtswegen ist die Civilkammer nicht befugt. Die Civilkammer ist zur Verwerfung des Antrags auch dann befugt, wenn der Kläger demselben zugestimmt hat. Entw. - Mot. - Prot. j. CPO. S. 484. Prot. ,. GVG. @. 531, 532. „befugt" — nicht verpflichtet, wie im Falle des Abs. 1. Der abweichenden Auslegung Hausers a. a. O. S. 391 ff., dem Baron a. a. O. S. 44f. Beitritt, steht der erkennbare Gegensatz von „ist befugt" zu „ist zu verweisen" (Abs. 1) entgegen. (So auch Endemann I S. 113, Wilm. Levy Anm. 3, Löning a. a. O. S. 116, Renaud in Busch, Z. V S. 51, Wernz in Hauser, Zeitschrift III S. 344, Wach I S. 367 u. im civ. Arch. 62 S. 403, Planck I S. 43 f. u. A.) Für den Gebrauch der Befngniß wird die größere oder geringere Bedeutung der einen oder der anderen Sache entscheidend sein. Vgl. §§ 104 Abs. 4, 105 Abs. 2. „zur Haupt)'ache" — nicht „zur Sache", wie im § 106 (vgl. das. Anm. 1). Mit dieser Beschränkung ist die Verweisung auch im Versäumnißverfahren (jedoch nicht mehr nach Erlaß des Versaumnißurtheils") möglich. sS. auch Wilm. Levy Anm. 5 a. E., Endemann I S. 113 f., Renaud a. a. O. S. 52 u. A. Turn au a. a. O. S. 472 f. will die Verweisung noch nach eingelegtem Einsprüche zulassen; indessen macht die Zurückversetzung (CPO. § 307) das Versäumnißurtheil nicht ungeschehen.^ Besondere Kosten können nicht verursacht werden, da der Rechtsstreit bei demselben Ge­ richte bleibt, wie der Reg.-Vertreter in der RTK. bemerkte. Vgl. auch d. allg. Bem. zu den §§ 103—107 a. E. ii. CPO. § 467 Abs. 2 sowie GKG. § 30. 5) Satz 2 des Abs. 2 enthält eine den Grundsatz des § 101 Nr. 1 einigermaßen mildernde Ausnahme von der Verweisungsbefugniß des Gerichts. Sie bezieht sich ausschließlich auf die Fragenach der Kaufmannseigenschaft des Beklagten (bezw. Widerbeklagten), soweit diese allein in Frage kommt; wo sie nur mittelbar für die Eigenschaft als Handelsgeschäft maßgebend ist, ist das Gericht nicht beschränkt (vgl. §§ 101 Anm. 5, 104 Abs. 1 Satz 2.) sSo auch Endemann I S. 114, Wilm. Levy Anm. 6, Keller S. 147 Anm. 3, Turn au a. a. O. S. 473 Anm. 7.] §

104.

1) Der § 104 behandelt den umgekehrten Fall im Vergleiche mit § 103, nämlich alle Fälle ber Verweisung durch die Civilkammer. Der Hauptunterschied liegt in der Unzulässigkeit der Verweisung von Amts wegen (Abs. 3). 2) Abs. 1: Satz 1 entspricht dem § 103 Abs. 1. - Der Beklagte kann danach, wenn der Kläger die Handelssache bei der Civilkammer anhängig gemacht hat (vgl. § 102 Anm. 1), die Verweisung vor die Kammer für Handelssachen verlangen, aber nicht der Kläger als Wider­ beklagter (Wilm. Levy Anm. 3, Wach I S. 366. A.M. Hauck S. 146). Satz 2 wurde schon bei der eventuellen Berathung (s. d. allg. Bem. z. Tit. 7) von der RTK. angenommen. Er enthält, umgekehrt wie § 103 Abs. 2 Satz 2, eine Verschärfung des % 101 Nr. 1, wodurch namentlich die Minderkaufleute des HGB. Art. 10 von der Zuständig­ keit der Kammern für Handelssachen mittelbar in gewissem Maße ferngehalten werden (vgl. § 101 Anm. 5). Auch das Zugeständniß des Klägers kann den Mangel nicht ersetzen (s. Keller

1144

Gerichtsverfassungsgesetz.

§ 105.

§ 105. Wird in einem bei der Kammer für Handelssachen anhängigen Rechtsstreite die Klage in Gemäßheit des §. 253 der Civilprozeßordnung durch den Antrag auf Feststellung eines Rechtsverhältnisies erweitert oder eine Wider­ klage erhoben und gehört die erweiterte Klage oder die Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Gegners an die Civilkammer zu verweisen. Unter der Beschränkung des §. 103 Abs. 2 ist die Kammer zu der Ver­ weisung auch von Amtswegen befugt. Diese Befugniß tritt auch dann ein, wenn durch eine Klagänderung ein Anspruch geltend gemacht wird, welcher nicht vor die Kammer für Handelssachen gehört. Ent«. — Mat. — Prot. S. 533. Prot. ,. CPO. S. 501 -504.

S. 148, Turnau et. a. O. S. 478 Anm. 7). [Ueber den Einfluß der Nichteinlragung in den verschiedenen Bundesstaaten s. Keyßner a. a. O. S. 485 ff.] 3) A bs. 2: Die Bestimmung, welche ein Beispiel der Zurückweisung des in Abs. 1 be­ zeichneten Antrags enthält, ist erst von der Redaktions-Komm. der RTK. hinzugefügt. „die im Falle — Wi derklage" — Auch hier ist die schon vor dem Amtsgericht erhobene gewöhnliche Widerklage (§ 33) oder Präjudizial-Jnzidentwiderklage (§ 253) gemeint (s. § 103 Anm. 4). Die Widerklage soll in diesem Falle fürdie Zuständigkeit derCivil­ kammer entscheiden, auch wenn für die Hauptklage Abs. 1 zutrifft (s. d. allg. Bem. z. Tit. 7 unter 3, Keller S. 148, Endem annI ©.115). Ueber den Fall, wenn erst vor der Civil­ kammer die (handelsrechtliche) Widerklage erhoben wird, fehlt es an einer Bestimmung. In­ dessen muß hier derselbe Grundsatz gelten (s. Löning a. a. O. S. 117f., Turnau a. a. O. S. 476 Anm. 3, Wilm. Levy §§ 102 Anm. 2, 104 Anm. 3). Das Verweisungsurtheil des Amtsgerichts entscheidet in keinem Falle über die Zuständig­ keit der einen oder anderen Kammer (§§ 102 Anm. 1, 103 Anm. 4; Hauser a. a.O. ©. 409). 4) Abs. 3. Für die Civilkammer gilt — abweichend von §§ 103 Abs. 2, 105 Abs. 2 — der Grundsatz freier Vereinbarung, wie in § 38 d. CPO., weil ihre „sachliche Zuständigkeit" nicht wie die der Kammer fürHandelssachen eine beschränkte ist. Vgl. auch Anm. 5. 5) Abs. 4 steht mit dem Grundsatz im Einklänge, daß für die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nicht lediglich die Vereinbarung der Parteien entscheiden soll (vgl. §§ 103 Abs. 2, 105 Abs. 2), ein Grundsatz, der sonst leicht mit Hülfe des § 107 umgangen werden könnte, ©elbstverständlich ist nicht an eine willkürliche Verwerfung gedacht (wie der Abg. Goldschmidt im Reichstage meinte, dessen Antrag auf Streichung des Abs. 4 abgelehnt wurde — ©ten. 93er. a. a. O. ©. 295—298). [Vgl. §105 Anm. 3, Keller ©. 144, Hauck ©. 160 Anm. 4.] Vielmehr kommt es lediglich darauf an, ob der Antrag nach Abs. 1 bezw. Abs. 2 begründet ist. Ist der Verweisungsantrag hiernach zurückzuweisen, so muß dies auch geschehen, wenngleich der Kläger ihm zugestimmt hat (vgl. Wilm. Levy Anm. 5, Turnau a. a. O.). Nur dies ist durch „auch dann befugt" ausgedrückt (anders in § 103 Abs. 2).

.

8 105

1) § 105 faßt im Gegensatze zu § 103 den Fall ins Auge, wo nachträglich in einem bei der Kammer für Handelssachen anhängigen Rechtsstreite die Zugehörigkeit vor diese beseitigt wird. Der Entw. III d. CPO. § 448 Abs. 1, 2 schlug hierfür einen andern Weg ein, indem er, von dem Falle der Widerklage ganz absehend, im Falle des § 253 d. CPO. den Antrag auf Feststellung eines nicht zur handelsgerichtlichen Zuständigkeit gehörigen Rechtsverhältnisses­ auf Antrag oder von Amtswegen zurückweisen ließ. Während noch bei der eventuellen Berathung ein entsprechender Antrag der Subkommission (s. d. allg. Bem. zu diesem Titel) von der RTK. angenommen worden war, erklärte sich diese demnächst für den § 105 in feiner jetzigen Gestalt.

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 106.

1145

§ 106. Der Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an eine andere Kammer ist nur vor der Verhandlung des Antragstellers zur Sache zulässig. Ueber den Antrag ist vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Entw. — Mot. — Prot. S. 530 -532.

2) Abs. 1: Durch diese Bestimmung wird zunächst das Recht der Parteien auf die Inzi­ dentfeststellungsklage gewahrt, welches der Entw. verletzte, und zugleich der in letzterem nicht in demselben Maße berücksichtigte Fall der gewöhnlichen Widerklage (CPO. § 33) in gleicher Weise behandelt. Denn der Ausdruck „eine Widerklage" umfaßt sowohl diese als die des § 253 d. CPO. Hierher gehört z. B. der Fall, wenn der Beklagte sich nicht darauf beschränkt, die Aktivlegitimation des Klägers zu bestreiten, sondern sein eigenes Erbrecht fest­ gestellt zu sehen wünscht (wie in der RTK. von dem Reg.-Vertreter Hauser entwickelt wurde). Auf eine bloße Gegenforderung ist die Bestimmung nicht auszudehnen (A.M. Schollmeyer, Kompensationseinrede S. 49). Auf den höheren oder geringeren W er th der einen oder der anderen Sache kommt es nicht an (anders § 14 d. Ges. v. 12. Juni 1869). Für die Zuständigkeit der Civilkammer ent­ scheidet vielmehr lediglich der Umstand, daß die Kammer für Handelssachen für die er­ weiterte Klage oder die Widerklage nach § 101 nicht zuständig ist. Die gewöhnliche Klagänderung (CPO. §§ 235 Nr. 3, 240, 241) ist hier nicht, wie in Abs. 2, besonders erwähnt. Es versteht sich von selbst, daß sie ebenso wie die hier hervor­ gehobene Erweiterung der Klage zu behandeln ist. Vgl. CPO. § 467 Abs. 1. (Uebereinstimmend Endemann I S. 117, Keller S. 150, Hauck S. 146, Wilm. Levy Anm. 6.) 3) Abs. 2: Abgesehen von dem Antrage des Gegners (Abs. 1), hat das Gericht die Be­ fugn iß, wie in § 103 Abs. 2, die Verweisung auch von Amts wegen auszusprechen. Vgl. § 103 Anm. 4. „unter der Beschränkung des § 103 Abs. 2" — d. h. der im Satz 1 a. E. und int Satz 2 das. enthaltenen beiden Beschränkungen („solange nicht — nicht Kaufmann ist"); vgl. das. Anm. 4, 5. Satz 2 stellt außer Zweifel, daß die Befugniß auch bei gewöhnlicher (zulässiger) Klagänderung, nicht bloß bei der Inzidentfeststellungsklage, stattfindet (s. Anm. 2). Die Parteien würden es sonst vollkommen in der Hand haben, durch vereinbarte Klagänderung in jedem Falle die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen herbeizuführen. 4) Für die Anwendung des § 105 ist es unerheblich, ob schon vor der Anbringung der Widerklage u. s. w. eine Verweisung an die Kammer für Handelssachen stattgefunden hat; § 107 wird hierdurch nicht berührt (vgl. Hauck S. 147, Turnau a. a. O. S. 480).

8 106. 1) Abs. 1 enthält eine gemeinsame Vorschrift für die Fälle der §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1, 105 Abs. 1. „zur Sache" — umfaßt im Gegensatze zu dem Ausdrucke „zur Hauptsache" (vgl. § 103 Abs. 2, CPO. §§ 243, 247, 465, 490, 557) die prozeßhindernden Einreden mit; der An­ trag auf Verweisung muß mithin vor der Verhandlung über die prozeßhindernden Einreden gestellt werden und unterscheidet sich auch insofern von der (gewöhnlichen) Einrede der Un­ zuständigkeit. Vgl. CPO. §§ 43 Anm. 2, 247 Anm. 1, 298 Anm. 1, auch RG. in I. W. 1891 S. 465. Wegen der Verweisung von Amtswegen, welche noch in einem späteren Zeitpunkte des Verfahrens zulässig ist, s. §§ 103 Anm. 4, 105 Anm. 3. 2) Abs. 2: Die Vorschrift ist kategorisch (anders CPO. § 248). Ein besonderer Antrag auf Präjudizialentscheidung ist nicht erforderlich. Die Entscheidung erfolgt im Falle eines Zwischenstreits durch Zwischenurtheil (CPO. § 275 Anm. lb), sonst durch Beschluß (das. § 294

1146

Gerichtsverfassungsgesetz.

§§ 107, 108.

§ 107. Gegen die Entscheidung über Verweisung eines Rechtsstreits an die Civilkammer oder an die Kammer für Handelssachen findet kein Rechtsmittel statt. Erfolgt die Verweisung an eine andere Kammer, so ist diese Entscheidung für die Kammer, an welche der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend. Der Termin zur weiteren mündlichen Verhandlung wird von Amtswegen bestimmt und den Parteien bekannt gemacht. Entw. - Mot. - Prot. S. 530-532. Prot. z. CPO. S. 488-484.

§ 108. Bei der Kammer für Handelssachen kann ein Anspruch in Gemäß­ heit des §. 61 der Civilprozeßordnung nur dann geltend gemacht werden, wenn der Rechtsstreit nach den Bestimmungen des §. 101 vor die Kammer für Handels­ sachen gehört. Entw. - Mot. - Prot. S. 533.

Anm. 1) [nnd) Planck II 6. 151 N. 31 immer durch Zwischenurtheil; vgl. CPO. § 275 Anrn. lb] und bedarf nur der Verkündung, nicht der Zustellung (A.M. Keller S. 151 f. im Falle des § 100 Abs. 2). Die Abweisung von der betreffenden Kammer ist mit der Verweisung an die andere gleichbedeutend (vgl. OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 537).

8 107. 1) § 107 enthält gemeinsame Vorschriften für alle Fälle der §§ 103—105, betrifft mit­ hin sowohl die seitens der Civilkammer oder der Kammer für Handelssachen (nicht auch des Amtsgerichts) von Amiswegen beschlossene Verweisung als diejenige, welche auf Antrag erfolgt. Eine „Entscheidung über Verweisung" ist auch die Ablehnung eines Verweisungs­ antrags. Ist dagegen die Verweisung in Fällen, wo sie von Amtswegen hätte erfolgen können, einfach unterlassen, so ist eine Anfechtung schon wegen eingetretener Präklusion, aber auch des­ halb unzulässig, weil es sich nur um eine Befugniß der Kammer handelt (s. §§ 103 Abs. 2, 105 Abs. 2, 106; Endemann I S. 113, 119; vgl. auch Hauser a. a. O. S. 393, Turnau a. a. O. S. 481 u. A.). 2) Satz 1, welcher die Nachtheile von Kompetenzzweifeln abschwächen soll, war schon bei der eventuellen Berathung (s. d. allg. Bern. z. Tit. 7 unter 1) von der RTK. gebilligt. Aus­ geschlossen sind nur die Rechtsmittel (Berufung, Beschwerde), nicht der Einspruch; indessen ist letzterer nur dann denkbar, wenn unter Ablehnung der Verweisung ein Versäumnißurtheil in der Sache selbst erlassen ist (vgl. § 307, Wilm. Levy Anm. 1). 3) Der Grundsatz des Satz 2 hat die gleiche Tendenz wie Satz 1 und ist in CPO. § 11 zur Geltung gebracht. Einer besonderen Bestimmung, daß der Rechtsstreit als anhängig (bei der zuständigen Kammer) gelte (vgl. CPO. §§ 249 Anm. 2, 466 Abs. 2, 467 Abs. 2), be­ darf es hier nicht, da es sich um verschiedene Kammern desselben Gerichts handelt. Der Grundsatz gilt übrigens nicht für die Verweisung im Falle des § 102 Abs. 2 (s. §§ 102 Anm. 1, 104 Anm. 3). 4) Satz 3: Während nach allgemeinen Grundsätzen die betreibende Partei zu einem neuen Termine zu laden haben würde (CPO. §§ 193, 249 Anrn. 2, 466 Anm. 2), soll hier die Be­ stimmung und Bekanntmachung des Termins von Amts wegen erfolgen, wie in dem Falle des EG. z. CPO. § 7 Abs. 3 (vgl. CPO. § 191 Anm. 2c S. 225). Die Bestimmung ist Sache des Vorsitzenden der zuständigen Kammer, welchem von dem Vorsitzenden der verweisenden Kammer die Verweisung mitzutheilen ist (nicht des Landgerichts.-Präsidenten). Daher ist von der RTK. der Satz „hat der Präsident zu bestimmen rc." entsprechend geändert.

§ 108. 1) Der von der RTK. aufgenommene § 108 beschränkt den § 61 d. CPO. insofern, als die Kammer für Handelssachen nur dann mit der Hauptintervention befaßt werden darf,

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 109.

1147

§ 109. Die Kammern für Handelssachen entscheiden in der Besetzung mit einem Mitgliede des Landgerichts als Vorsitzenden und zwei Handelsrichtern. Sämmtliche Mitglieder der Kammer für Handelssachen haben gleiches Stimmrecht. In Streitigkeiten, welche sich auf das Rechtsverhältniß zwischen Rheder oder Schiffer und Schiffsmannschaft beziehen, kann die Entscheidung durch den Vor­ sitzenden allein erfolgen. Entw. 8 92. Mot. S. 137-139. Prot. S. 532. Prot. z. CPO. S. 495.

wenn diese nach § 101 vor jene Kammer gehört. (Vgl. Hellmann I S. 225f.) In dem Falle des § 101 Nr. 1 müssen also beide Parteien des Hauptprozesses Kaufleute sein. Der Hauptintervenient kann sich indessen auch an die Civilkammer des Landgerichts wenden, bei dessen Kammer für Handelssachen der Rechtsstreit anhängig ist (vgl. Planck I S. 43 Anm. 13). Für die Klage des § 690 CPO. reichen die allgemeinen Grundsätze (§ 101) aus. 2) Auch für die Fälle des § 103 gellen die §§ 102—107.

8 109. 1) Das Gesetz beschränkt sich auf die Feststellung der Zahl der in jedem Falle entschei­ denden Richter und des Verhältnisses der dabei theilnehmenden kaufmännischen und rechtsverständigen Richter. 2) Abs. 1: Die Dreizahl entspricht dem § 77 Satz 1. Daß, abweichend vom franz. Rechte, nicht ausschließlich Kaufleute, sondern zwei Kaufleute unter dem Vorsitze eines rechtsgelehrten Richters entscheiden, stimmt mit der Mehrzahl der deutschen Gesetzgebungen überein (s. d. Uebersicht in den Mot.). Der Vorsitzende — in der Regel ein Mitglied des Landgerichts, ausnahmsweise (§ 110) ein Amtsrichter — hat alle Befugnisse, welche GVG. u. CPO. in die Hände eines Vorsitzenden legen (vgl. z. B. GVG. § 68, CPO. §§ 127, 130, 131 rc.). Wegen Ernennung des Vor­ sitzenden in Preußen s. § 67 Anm. 2, in Elsaß-Lothringen AG. v. 4. Nov. 1878 § 19 u. Ausf.-Verordn. des Reichskanzlers v. 13. Juni 1879 §§8—13 (GBl. S. 161); für die übrigen Bundesstaaten s. Keyßner a. a. O. S. 455 ff. Selbstverständlich kann die Landesjustizverwaltung mehr als zwei Handelsrichter und eine angemessene Zahl von Stellvertretern bei einem Landgericht anstellen und einen Stell­ vertreter des Vorsitzenden aus den Mitgliedern des Landgerichts bezw. den Amtsrichtern er­ nennen. Vgl. f. Preußen die Allg. Verf. d. Just.-Min. v. 26. Juli 1879 § 3 (JMBl. S. 210). Sind mehrere Kammern für Handelssachen bei einem Landgericht eingerichtet, so wird die Landesjustizverwaltung auch die Vertheilung der Geschäfte unter sie.regeln müssen, da die §§ 61—66 nicht anwendbar sind (§ 67). Vgl. § 100 Anm. 1, 3. Inwieweit die Landesjustizverwaltung die Vertheilung ihren Organen, z. B. dem Landgerichts-Präsidenten, delegiren will, unterliegt ihrem Ermessen. (Vgl. die angef. Allg. Verf. § 5.) 3) Abs. 2 enthält eine Anwendung des § 116 auf die Abstimmungen. Zu den „Mit­ gliedern" gehört auch der Vorsitzende. Die Handelsrichter haben während der Verhandlungen auch sonst alle Rechte der Beisitzer eines Kollegiums (Mot.); vgl. z. B. CPO. §§ 130 Abs. 3, 131, 149 Abs. 2 2C. 4) Abs. 3: Während § 104 der Seemannsordn. v. 27. Dez. 1872 (RGBl. S. 409) nur den Sühneversuch betrifft, handelt es sich hier um eine Entscheidung nach § 101 Nr. 3g. Wie die Reg.-Vertreter wiederholt bemerkten, hängt die Zuziehung der Handelsrichter in jedem der einschlagenden Fälle von dem Ermessen des Vorsitzenden ab. „Die Bestimmung . . . trägt einem praktischen Bedürfnisse Rechnung. Die er­ wähnten Streitigkeiten sind bei einfacher Sachlage oft sehr dringlicher Natur, z. B. bei Segelfertigkeit eines Schiffes, Abreise der Mannschaft u. s. w. Die Handelsrichter werden in solchen Fällen nicht schnell genug herbeigeschafft werden können." (Mot.)

1148

Gerichtsversassungsgesetz.

§§ 110—112.

§ 110. Im Falle des §. 100 Abs. 2 kann ein Amtsrichter Vorsitzender der Kammer für Handelssachen sein. Entw. § 82. Mot. S. 119-121. Prot. -

§ 111.

Das Amt der Handelsrichter ist ein Ehrenamt.

Entw. § 85. Mot. S. 129. Prot. S. 532. Prot. z. CPO. S. 494.

§ 112. Die Handelsrichter werden auf gutachtlichen Vorschlag des zur Ver­ tretung des Handelsstandes berufenen Organs für die Dauer von drei Jahren ernannt; eine wiederholte Ernennung ist nicht ausgeschlossen. Entw. 8 86. Mot. S. 129 -134. Prot. S. 532. Prot. z. CPO. S. 494.

Auf das Verfahren vor dem Vorsitzenden kommen die §§ 230 ff., nicht die §§ 456 ff. CPO. zur Anwendung (f. auch Turn au a. ci. O. S. 485, SS Um. L ev y Anm. 2). Es gilt daher auch Anwaltszwang. Ueber Berufungen und Beschwerden entscheidet das Oberlandesgericht. Vgl. d. allg. Bem. z. Tit. 7 unter 3.

8 ho. Vgl. §§ 78 Abs. 2, 100 Anm. 3. Die Bestimmung des betreffenden Amtsrichters ist Sache der Landesjustizverwaltung. Vgl. § 22. Er kann aus sämmtlichen Atutsrichlern des Landgerichtsbezirks entnommen werden. (S. auch Turn au a. a. O. S. 486. A.M. Thilo S. 165, der die Auswahl auf die Amtsrichter eint Sitze der Kammer beschränkt.) In seinen Beziehungen als Vorsitzender der Kammer für Handelssachen unterliegt der Amtsrichter jedoch den allgemeinen Vorschriften für Landgerichte. Für Preußen s. AG. z. GVG. § 46 (oben § 67 Anm. 2). § Hl

Der Satz stimmt mit § 31 Satz 1 überein und hat zur Folge, daß das Amt unent­ geltlich verwaltet wird. Auch Reisekosten werden (anders als nach §§ 55, 96) nicht ver­ gütet (Mot.). Der ständige Karakter des Amts unterscheidet die Handelsrichter von den Schöffen. Ihm „entspricht ihre Ernennung, die längere Dauer von Jahren, für welche diese wirksam ist, die vollständige Ausrüstung mit den Rechten und Pflichten des Richteramis in Bezug auf ihr Amt" (Mot.). Vgl. §§ 112-117.

§ 112. 1) Das Gesetz verwirft das nach dem Vorbilde des älteren sranz. Rechts im größten Theile Deutschlands geltende Wahlsystem und hält an der Ernennung durch die Träger der Justizhoheit fest. Die Landesgesetzgebung bestimmt, inwiefern die Ernennung an Stelle des Staatsoberhaupts durch den Justizminister rc. erfolgen kann. In Preußen werden die Handels­ richter vom Könige ernannt (AG. z. GVG. § 7). So auch nach d. Bayer. AG. z. GVG. Art. 1 ii. Württ. AG. z. GVG. Art. 21. Vgl. oben § 6 Anm. 1. Ein Unterschied im Vergleiche mit den rechtsverständigen Richtern liegt in dem Erforderniß eines gutachtlichen Vorschlags der Organe des Handelsstandes. Die nähere Fest­ stellung, welches Organ die Vorschläge zu machen hat, und in welcher Art dies geschieht, ist landesgesetzlicher Regelung überlassen. Wo schon jetzt dergleichen Organe vorhanden futb, z. B. in Preußen die Handelskammern und kaufmännischen Korporationen h. (Ges. v. 24. Febr. 1870 GS. S. 134), sind diese zu den fraglichen Vorschlägen berufen. Dementsprechend enthält die näheren Bestimmungen für Preußen d. Allg. Verf. der Minister der Justiz und für Handel rc. v. 26. Juli 1879 (JMBl. S. 211). Die Annahme des Amts ist, abweichend von dem der Schöffen (§ 35), nach Reichsrecht nicht obligatorisch. Indessen bleibt es der Landesgesetzgebung unbenommen, diesen Zwang (wie in Hamburg nach § 77 des AG. z. GVG. u. in Bremen) für ihren Bereich einzuführen.

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§ 1J3.

1149

§ 113. Zum Handelsrichter kann jeder Deutsche ernannt werden, welcher als Kaufmann oder als Vorstand einer Aktiengesellschaft in das Handelsregister eingetragen oder eingetragen gewesen ist, das dreißigste Lebensjahr vollendet hat und in dem Bezirke der Kammer für Handelssachen wohnt. Personen, welche in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind, können nicht zu Handelsrichtern ernannt werden. Entw. § 87. anet. S. 129-186. »rot. S. 682. »rot. ,. CPO. g. 494. Die Landesgesetzgebung oder die Landesjustizverwaltung hat allgemeine Anordnung zu treffen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Handelsrichter zu den Sitzungen heranzuziehen sind (s. Keller S. 155, Endemann I S. 122). Für Preußen f. § 5 Abs. 2, 3 d. Allg. Vers. d. Just.-Min. v. 26. Juli 1879 (JMBl. S. 210). 2) „für die Dauer von drei Jahren" — zum Unterschiede von § 6. Die Dauer berechnet sich von der Zeit des Eintritts (vgl. Brem. Ges. v. 4. Nov. 1882 — GBl. S. 137), nicht nach dem gerichtlichen Geschäftsjahre (Kalenderjahre). Wegen der Zeit der Neuwahl s. für Preußen § 4 d. angef. Allg. Verf. 3) „eine wiederholte Ernennung ist nicht ausgeschlossen" — abweichend vom franz. und dem früheren brem. und Hamb. Recht; die wiederholte Ernennung setzt selbst­ verständlich den erneuten Vorschlag des zur Vertretung des Handelsstandes berufenen Organs voraus (Mot.). 8 113. 1) Die Bestimmungen über die Voraussetzungen der Ernennung zum Handelsrichter schließen sich an das bestehende Recht an. Von dem Erfordernisse einer bestimmten Dauer des Geschäftsbetriebs ist abgesehen. 2) „jeder Deutsche" — vgl. Art. 3 Abs. 1 der Reichsverf., Ges. v. 1. Juni 1870 § 1 (BGBl. S. 355). Bestimmungen der Landesgesetze, wonach der Handelsrichter dem betreffenden Bundesstaat angehören muß, sind hierrnit beseitigt (Mot.). Es genügt der Wohnsitz in dem Bezirke (s. CPO. § 13 Anm. 1). „als Kaufmann oder als Borstand einer Aktiengesellschaft" — also nicht Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte oder Beamte von Handelsgesellschaften, wie nach d. EG. z. Bayer. PO. Art. 127 Nr. J, oder Vorstände von Genossenschaften, Grubenvorstände u. dgl., wohl aber die offenen Gesellschafter sowie die persönlich haftenden Gesellschafter von Kommandit­ gesellschaften (so auch Endemann I S. 123, Turn au et. a. O. S. 491 Anm. 3; vgl. Behrend, Lehrb. d. HR. I S. 105). sAuch die Kommanditisten einer einfachen Kommanditgesellschaft werden von mancher Seite — indessen wohl mit Unrecht — für Kaufleute erachtet.) „in das Handelsregister eingetragen" — also nicht die Minderkaufleute des Art. 10 d. HGB. „oder eingetragen gewesen" — Die Zulassung ehemaliger Kaufleute rc. ist mit Rücksicht auf die in Frankreich gemachten Vortheilhaften Erfahrungen erfolgt. 3) Abs. 2 entspricht dem § 32 Nr. 3. „in Folge gerichtlicher Anordnung" — z. B. der Entmündigung, des Konkurses u. s. w. Vertragsmäßige Beschränkungen sind nicht genügend. „über ihr Vermögen" — d. h. im Ganzen, nicht bloß über einzelne Verinögensslücke (z. B. in Folge eines Arrestes). „Daß Personen, welche in Folge strafgerich'tlicher Verurtheilung zur Be­ kleidung von Aemtern nicht befähigt sind, auch nicht zu Handelsrichtern ernannt werden können, versteht sich von selbst (§§ 31, 33—35 des StGB.)." (Mol.)

1150

Gerichtsverfassungsgesetz.

§§ 114—116.

§ 114. An Seeplätzen können Handelsrichter auch aus dem Kreise der Schifffahrtskundigen ernannt werden. Entw. 8 68. Mot. S. 136. Prot. S. 532, 533. Prot. z. CPO. S. 494.

§ 115. Die Handelsrichter sind vor ihrem Amtsantritte auf die Erfüllung der Obliegenheiten des ihnen übertragenen Amts eidlich zu verpflichten. Entw. § 89. Mot. S. 136. Prot. S. 533. Prot. z. CPO. S. 494.

§ 116. Die Handelsrichter haben während der Dauer ihres Amts in Be> ziehung auf dasselbe alle Rechte und Pflichten richterlicher Beamten. Entw. § 90. Mot. S. 136, 137. Prot. S. 533. Prot. z. CPO. S. 494.

§ 114. 1) Eigentliche Seegerichte oder besondere Kammern für Seesachen kennt das GVG. nicht (vgl. § 101 Nr. 3 g). Wegen der Untersuchung von Strandungsfällen durch die Strandämter s. Strandungsordn. v. 17. Mai 1874 (RGBl. S. 73). Die vorliegende Bestimmung, die den § 113 insoweit abändert, soll aber die Möglichkeit bieten, in Civilsachen, in welchen es sich um seerechtliche Fragen handelt, neben den Rhedern (welche meist, aber nicht noth­ wendig (z. B. nicht die Eigenthümer bloßer Schleppschiffe oder die Eigenthümer zur See­ fischerei dienender Schiffe, falls die letzteren überhaupt zu den Rhedern gehören — vgl. Gareis-Fuchsberger, HGB. S. 884ff.) „Kaufleute" sind) auch andere Sachverständige zu der Rechtsprechung heranzuziehen. Die Entscheidung darüber, inwieweit dies geschehen soll, fällt nicht ausschließlich der Landesgesetzgebung anheim. Sie kann vielmehr auch durch die im Wege der Justizverwaltung erfolgende Ernennung von dergleichen Personen ohne voran­ gegangene mehr oder weniger allgemeine landesgesetzliche Ermächtigung bewirkt werden. (Zu­ stimmend Turn au a. a. O. S. 492 Anm. 1.) An sich sind die nach § 114 ernannten Handelsrichter zur Mitwirkung in allen vor die Kammer gehörigen Sachen befugt. 2) „An Seeplätzen" — Auf diese ist die Ausnahme beschränkt. Es kommt auf den Sitz der Kammer (§ 100), nicht auf den Wohnsitz der Schifffahrtskundigen an. „Schifffahrtskundig en" — Der Ausdruck ist absichtlich etwas weiter gewählt, als der im Entw. enthaltene „Schiffer oder gewesene Schiffer" (vgl. Seemannsordn. §§ 2, 3). Es werden also auch Steuerleute und andere Techniker berufen werden können. 8 115. Vgl. § 3 des Reichsbeamtengesetzes v. 31. März 1873. Die Norm des Eides und die Art der Beeidigung zu bestimmen, bleibt den Landesgesetzen überlassen. Für Preußen s. Allg. Berf. d. Just.-Min. v. 29. Mai 1884 (JMBl. S. 108).

§

116.

1) Obwohl § 11 die Handelsrichter von der Anwendung der §§ 2—8 aufnimmt, ist hier doch der wichtige staatsrechtliche Grundsatz ausgesprochen, daß die Handelsrichter alle Rechte und Pflichten richterlicher Beamten in Betreff ihres Amtes haben. Sie sind also auch Staatsbeamte. (Vgl. auch Lab and, Staatsr. d. D. Reichs 2. Ausi. II S. 452. A.M. Keyßner a. a. O. S. 468 Anm. 66, Turn au a. a. O. S. 494 Anm. 7.) Ob jedoch die von diesen oder den Richtern handelnden Vorschriften spezieller Landesgesetze auf sie anwendbar sind, ist jedesmal zu prüfen. Die Worte „während der Dauer ihres Amts" enthalten eine Einschränkung, da für ehrenvoll entlassene Staatsbeamte die Ehren- und Vermögensrechte, welche das Amt ge­ währt, sonst in gewissem Maße fortdauern. Auch die §§ 41—48 d. CPO. sind auf die Handelsrichter anwendbar (s. d. allg. Bem. dazu unter 3 — oben S. 48).

Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

§§ 117, 118.

1151

§ 117. Ein Handelsrichter ist seines Amts zu entheben, wenn er eine der für die Ernennung erforderlichen Eigenschaften nachträglich verliert. Die Enthebung erfolgt durch den ersten Civilsenat des Oberlandesgerichts nach Anhörung des Betheiligten. Ent«. § 91. M«t. S. 137. Pro». S. 633. Prot.

CPO. S. 495.

§ 118. Ueber Gegenstände, zu deren Beurtheilung eine kaufmännische Be­ gutachtung genügt, sowie über das Bestehen voir Handelsgebräuchen kann die Kammer für Handelssachen auf Grund eigener Sachkunde und Wissenschaft ent­ scheiden. Entw. — Mot. — Prot. S. 534. 2) Eine Folge des Grundsatzes ist, daß auch die Disziplinarvorschriften, soweit dies bei der Natur des Amts möglich, auf die Handelsrichter anzuwenden sind, wenngleich diese andrerseits nicht den reichsrechtlichen Schutz des § 8 genießen. Wie die Mot. mit Recht hervor­ heben, sind sie jenen Disziplinarvorschriften (s. § 8 Anm. 5) auch hinsichtlich ihres außeramtlichen Verhaltens unterworfen. Wegen der dienstlichen Aufsicht in Preußen s. AG. z. GVG. § 78. — Nach d. H amb. AG. v. 28. April 1879 Art. 77 unterliegen die Handelsrichter den §§ 56, 96 d. GVG., falls sie sich den Obliegenheiten ihres Amts entziehen. Die in § 56 be­ zeichneten Entscheidungen erläßt das Präsidium des Landgerichts. § 117. § 117 ermöglicht es, in dem vorausgesetzten Falle (s. z. B. § 113 — nicht auch in den Fällen der §§ 58ff. d. Ges. v. 7. Mai 1851, wie Thilo S. 170 Anm. 1 will; vgl. auch Wilm. Levy Anm. 1) „ohne weitläufiges Verfahren" den Handelsrichter seines Amtes zu „entheben" (s. § 8 Anm. 12). Abs. 2 bestimmt nur die Behörde (vgl. §§ 119, 120) und daß der Handelsrichter vorher zu hören ist. Das weitere bleibt der Landesgesetzgebung oder reglementarischer Anordnung überlassen. Ein Rechtsmittel gegen die Enthebung ist nicht ge­ geben. Beantragt der Handelsrichter selbst seine Enthebung, so kann sie nur durch dasjenige Organ erfolgen, welchem landesgesetzlich die Ernennung zusteht. (Mot.) Vgl. § 112 Anm. 1. § 118. 1) Der § 118 entspricht dem § 451 des Entw. III d. CPO. Die Vorschrift dient zur Vereinfachung des Verfahrens und stimmt mit vielen neueren Gesetzen und Entwürfen überein (z. B. Bayer. PO. Art. 513, HGO. f. Bremen §§ 53, 54, P. E. § 930, H. E. § 369, N. E. § 671 2C.). Sie enthält nur die Anwendung eines allgemeinen Grundsatzes (vgl. CPO. § 368 Anm. 2, Dernburg 1 § 117 Anm. 7). Beispiele s. bei Keyßner a. a. O. S. 488 Anm. 144, der den Gegensatz zur Notorietät (§ 264 CPO.) mit Recht hervorhebt. (Vgl. auch OLG. Dresden in Busch, Z. VI S. 538.) Die „eigene Sachkunde und Wissenschaft" kann dem Vorsitzenden durch die Handelsrichter vermittelt werden. Selbstverständlich bleibt es, wie in der RTK. festgestellt wurde, dem Gerichte unbenommen, über Gegenstände der bezeichneten Art auch ein Gutachten anderer Sachverständigen einzuholen. Vgl. CPO. §§ 135, 367 Anm. 2. Der höhere Richter kann von einer Beweisaufnahme über die Gegenstände des § 118 ebenfalls absehen, wenn er den (keineswegs unanfechtbaren) Ausspruch der Kammer für Handelssachen nicht anzweifelt (s. RG. II S. 383, X S. 92). 2) „Handelsgebräuchen" — seien es Handelsgewohnheitsrechtssätze (vgl. CPO. § 265) oder faktische Gebräuche. (Vgl. RG. in I. W. 1894 S. 20 Nr. 52, Behrend, Lehrb. d. HR. I S. 78ff., Endemann in s. Handb. d. H.-, See- u. WR. 1 S.41 ff.) Warum das Handels­ gewohnheitsrecht, abweichend von Art. 1 d. HGB., hier ausgeschlossen sein soll (so Turn au a. a. O. S. 495 Anm. 2, Wilm. Levy Anm. 1), ist nicht abzusehen. Erst in der Revisions­ instanz tritt eine Abweichung hervor (s. CPO. § 512 Anm. 3, Behrend a. et. O. S. 84).

Gerichtsverfassungsgeseh.

1152

§§ 119—122.

Achter Titel. Gbrrlandesgerichtr.

§ 119. Die Oberlandesgerichte werden mit einem Präsidenten und der er­ forderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räthen besetzt. Ent«. § 93. M«t. S. 140. Prot. S. 389.

§ 120.

Bei den Oberlandesgerichten werden Civil- und Strafsenate gebildet.

Ent«. S 94. Mot. S. 140. Prot. S. 389.

§ 121. Die Bestimmungen der §§. 61—68 finden mit der Maßgabe An­ wendung, daß zu dem Präsidium stets die beiden ältesten Mitglieder des Gerichts zuzuziehen sind. Ent«. - Mot. - Prot. @. 389, 390.

§ 122. werden.

Zu Hülfsrichtern dürfen nur ständig angestellte Richter berufen

Entw. — Mot. — Prot. S. 389, 390.

Achter Titel. 1)

„Die Oberlandesgerichte sind, wie die Gerichte erster Instanz, von dem Entwurf als Gerichte gedacht, welche der Landesjustizhoheit ihre Entstehung verdanken, von den Landesjustizverwaltungen gebildet und nach ihrer näheren Einrichtung bestimmt werden." (Mot.) Die §§ J21, 122 sind von der RTK. eingeschaltet. Eine Uebersicht der 28 Deutschen Oberlandesgerichte mit vielen statistischen Angaben s. bei Pfafferoth, Jahrb. d. D. Gerichtsverfassung 4. Jahrg. 1895 S. 72 ff. 2) Die innerhalb des Bezirks eines Oberlandesgerichts zugelassenen Rechtsanwälte bilden eine Anwaltskammer, die ihren Sitz am Orte des Gerichts hat (RAO. § 41). 3) Vgl. für Preußen AG. z. GVG. §§ 47—57. Die Sitze und Bezirke der Ober­ landesgerichte sind durch §§ 1 u. 3 des Ges. v. 4. März 1878 (GS. S. 109) bestimmt.

88 119, 120. Die §§ 119, 120 entsprechen den §§ 58, 59.

Vgl. die Anm. daselbst.

8 121. Vgl. die Anm. zu den §§ 61-68; s. auch § 133 u. EG. z. GVG. § 20 Abs. J. „die beiden ältesten" — statt des ältesten in § 63 Abs. 2. Es kommt auf das Dienstalter, bei gleichem Dienstaller auf das Lebensalter an. § 69 ist nicht angezogen und findet daher keine Anwendung; einen Ersatz dafür bildet § 122.

§ 122. Vgl. § 10 Anm. 1 sowie §§ 69, 134. xFür Preußen bestimmt hinsichtlich der Bestellung der Amtsrichter und Landrichter zu Hülfsrichtern § 48 des AG. z. GVG., entsprechend dem § 38 in Betreff der Landgerichte: „Die Amtsrichter und die Landrichter sind verpflichtet, bei dem Oberlandesgerichte, in dessen Bezirk sie angestellt sind, die Vertretung eines Richters für einzelne Sitzungen oder Geschäfte zu übernehmen. Die Einberufung der Vertreter erfolgt durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts nach einer jährlich vor Beginn des Geschäftsjahres durch das Präsidium des Ober­ landesgerichts festzusetzenden Reihenfolge. Für Einberufungen, welche während der Gerichtsferien erfolgen, ist die für das Geschäftsjahr festgestellte Reihenfolge nicht maßgebend. Die Einberufung ist nur dann statthaft, wenn die Vertretung des verhinderten Mitgliedes durch ein Mitglied des Oberlandesgerichts nicht möglich ist."

Achter Titel.

Oberlandesgerichte.

§ 123.

1153

§ 128. Die Oberlandesgerichte sind zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel: 1. der Berufung gegen die Endurtheile der Landgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten; 2. der Revision gegen Urtheile der Strafkammern in der Berufungsinstanz; 3. der Revision gegen Urtheile der Strafkammern in erster Instanz, sofern die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird; 4. der Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten; 5. der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen erster Instanz, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammer begründet ist, und gegen Ent­ scheidungen der Strafkammern in der Beschwerdeinstanz und Berufungs­ instanz. Entw. § 95. Mot. S. 140, 141. Prot. S. 389.

§ 123. 1) Die Oberlandesgerichte sind im Civilprozesse ausschließlich Gerichte zweiter Instanz. Vgl. jedoch § 117 Abs. 2. 2) Nr. 1: vgl. CPO. §§ 472—506. „der Lan dgerichte" — sei es der Civilkammern oder der Kammern für Handelssachen. Die Berufung gegen die Endurtheile der Amtsgerichte geht an die Landgerichte (§ 71). 3) Nr. 4: vgl. CPO. §§ 530—540. Die Beschwerde umfaßt auch die „weitere Beschwerde" (CPO. § 531 Abs. 2). S. auch Preuß. AG. z. GVG. §§ 40 Abs. 2, 51-56 (unten Anm. 6). Die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte geht an die Landgerichte (§ 71) mit Ausnahme der Fälle des § 160 und des § 183 Abs. 3. 4) Außerdem sind die Oberlandesgerichte nach reichsgesetzlichen Vorschriften zuständig: a) bei Bestimmung des zuständigen Gerichts (CPO. §§ 36, 45; StPO. §§ 4, 12—15, 19, 27); [b) bei Anträgen auf gerichtliche Entscheidung wegen Nichterhebung der öffentlichen Klage durch die Staatsanwaltschaft (StPO. § 170);] c) bei Beschwerden über Ablehnung oder Gewährung der Rechtshülfe (GVG. § 160); d) bei Beschwerden über eine Ordnungsstrafe in den Fällen der §§ 179, 180, 182 des GVG.; [d) bei Beschwerden irrt ehrengerichtlichen Verfahren gegen Rechtsanwälte (RAO. § 89);] [f) für Aufhebung gesetzwidriger Beschlüsse oder Wahlen der Anwaltskammer oder des Vorstandes (RAO. § 59 Abs. 1);] g) für die Enthebung eines Handelsrichters von seinem Amte (GVG. § 117). Auch steht dem Präsldenten des Oberlandesgerichts die Aufsicht über den Geschäfts­ betrieb des Vorstandes der Anwaltskammer zu, sowie die Entscheidung über Beschwerden, welche diesen Geschäftsbetrieb betreffen (RAO. § 59 Abs. 1). 5) In Preußen gehören nach § 49 des AG. z. GVG. außerdem noch zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte: 1. alle Angelegenheiten, für welche bisher die Appellationsgerichte als Gerichte erster Instanz zuständig waren, vorbehaltlich der in dem § 29 des AG. enthaltenen Vorschriften; 2. die bisher zür Zuständigkeit des Kreisgerichts in Ratzeburg gehörenden Familienfideikommißsachen; 3. die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel in den Angelegen­ heiten, welche nach den Vorschriften des AG. in erster Instanz zur Zuständigkeit der Land­ gerichte gehören. (Eine vollständige Aufzählung dieser Angelegenheiten s. in den Mot. z. Entw. d. AG. S. 61—63.) Außerdem erfolgt die Enthebung eines Schiedsmanns von seinem Struck mann u. Koch, Civilprozcßordnung. 6. Ruft. 73

Gerichtsverfassungsgesetz. §§ 124, 125.

1154

§ 124. Die Senate der Oberlandesgerichte entscheiden in der Besetzung von fünf Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Enlw. § 96. Mot. S. 141. Prot. S. 390.

Neunter Titel.

§ 125.

Nrichsgericht.

Der Sitz des Reichsgerichts wird durch Gesetz bestimmt.

Entw. 8 97. Mot. S. 143. Prot. S. 390, 391, 668.

Amte durch den ersten Civilsenat des Oberlandesgerichts (Schiedsmannsordn. v. 29. März 1879 § 9). Dem Präsidenten des Oberlandesgerichts steht ferner das Recht der Aufsicht hinsichtlich oieses Gerichts wie der Gerichte des Bezirks zu. (Vgl. § 78 Abs. 1 Nr. 2.) S. auch § 48 Abs. 2 das., Mg. Vers. d. Just.-Min. v. 10. Sept. 1879 (JMBl. S. 340). Wegen Bayern s. AG. z. GVG. v. 23. Febr. 1879 Art. 36 ff., Hauser a. a. O. S. 32ff. Anm. 11, wegen Sachsen AG. v. 1. März 1879 §§ 8 ff., wegen Württemberg AG. v. 24. Jan. 1879 Art. 14 ff. u. s. w. 6) Wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zu Berlin (Kammergerichts) vgl. §§ 50, 51 des Preuß. AG. z. GVG. u. § 6 Abs. 2 des AG. z. D. GKG. Vgl. auch CPO. § 531 Anm. 4. 7) Nach § 57 des Preuß. AG. z. GVG. werden sämmtliche in diesem Gesetze den Oberlandesgerichten zugewiesenen Angelegenheiten von den Civilsenaten erledigt.

8 124

.

Vgl. §§ 77, 140 li. 194. Auch in Handelssachen entscheiden nach §§ 119, 124 die Oberlandesgerichte in derselben Besetzung wie in anderen Sachen, ohne Zuziehung von Handels­ richtern (Mot.).

Neunter Titel. 1) Die §§ 125—131 handeln von der Bildung des Reichsgerichts im Allgemeinei und den Dienstverhältnissen seiner Mitglieder, die §§ 132—134 von der Bildung der Senati, die §§ 135—138 von der Zuständigkeit des Reichsgerichts szu § 136 vgl. jetzt noch Ges. gegm den Verrath militärischer Geheimnisse v. 3. Juli 1893 (RGBl. S. 205) § 12], die §§ 139, 140 von der Besetzung des Plenums und der Senate, der § 14 i von dem Geschäftsgänge. Ueber die Organisation der Staatsanwaltschaft beim Reichsgerichte s. §§ 143, 148 —150, über die Gerichtsschreiberei und die Gerichtsvollzieher §§ 154, 155, über die Rech tsanwälte RAO. §§ 98—102 (vgl. auch GO. f. RA. § 52). Ueberg angsbestirnmungen s. im EG. z. GVG. §§ 14—17, 19, 20 Abs. 2. lieber Gebührenfreiheit im Verfahren vor dem Reichsgerichte s. GKG. § 98 Abs. 1 u. 3u. Verordn, v. 24. Dez. 1883 (RGBl. 1884 S. 1). Wegen Einziehung und Verrechnung der für die Geschäfte des Reichs­ gerichts in Ansatz kommenden Kosten s. Dienstanweisung des Bundesraths v. 8. Juli 1879 (Centralblatt f. d. D. Reich S. 473, Preuß. JMBl. 1884 S. 253) nebst Abänderungen v. 14. Juli 1887 (Eentralblatt S. 309, Preuß. JMBl. S. 206). Vgl. auch d. Geschäftsordn. f. d. Reichsgericht § 22 (s. unten § 141 Anm. 3). 2) Daß der für das Reichsgericht erforderliche Aufwand aus der Rjeichskasse besritten wird und die für die Geschäfte des Reichsgerichts zu berechnenden Kosten zur Reichskasse fließen (vgl. §§ 5, 22 Abs. 2 des Ges. v. 12. Juni 1869 (BGBl. üb ertragen werden" — Die erfolgte Uebertragung kann von der Landesgesetzgebung wieder zurückgenommen werden (vgl. GVG. § 14 91 mit. 11). (Zustimmend Wilm. Levy Anm. 1, Hellmann, Lehrb. S. 67. A.M. Endemann I S. 196.] „nach anderen — Zuständigkeitsnormen" — d. h. Normen für die sachliche Zuständigkeit; denn nur diese finden sich im GVG. Nach § 3 Abs. 2 des EG. z. CPO. können aber auch die Vorschriften der CPO. über die örtliche Zuständigkeit abgeändert werden, da der Ausdruck „Verfahren" alle prozessualen Vorschriften umfaßt. (So auch Ende­ mann I S. 198, Thilo S. 278 Anm. 3 u. A.) Die Uebertragung nach anderen Zuständigkeils­ normen darf auch eintreten, wenn ein von den Prozeßordnungen abweichendes Verfahren (EG. z. CPO. § 3, EG. z. StPO. § 3) nicht eingeführt wird. (So auch Hauser in s. Z. IV S. 36 Anm. 18, Thilo a. a. O., Wilm. Levy Anm. 1 a. E. A.M. Keller S. 242, der sich mit Unrecht auf die Mot. [f. oben] beruft. Letztere heben nur diesen Fall als zwingenden Grund besonders hervor.) In Bezug auf andere Materien des GVG. darf im Falle des Abs. I eine Aenderung nicht eintreten. 2) Abs. 2: Die Landesgesetzgebung allein kann die hier vorgesehene Uebertragung an das Reichsgericht nicht vornehmen. Ob bei dem „Antrag des Bundesstaates" die Landesgesetzgebung mitzuwirken hat, bestimmt sich nach dem inneren Staatsrechte des einzelnen Bundesstaats. In der RTK. (Prot. S. 434) ist festgestellt worden, daß die Frage, ob dem Reiche

1210

Einsührungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze. § 3.

gegenüber der Antrag des einzelnen Bundesstaats rechtswirksam sei, ohne Rücksicht darauf, ob die Regierung nach dem Verfassungsrecht ihres Landes der Mitwirkung der Landesvertretung bedarf, hier nicht hat entschieden werden sollen. 3),.in den vorerwähnten Sachen" — d. h. in denjenigen bürgerlichen Rechtsstreitig­ keiten (und Strafsachen), für welche die zugelassenen Sondergerichte entweder wirklich bestellt, oder welche zwar den ordentlichen Landesgerichten, aber in Gemäßheit des Abs. 1 Satz 2 nach anderen als den durch das GVG. vorgeschriebenen Zuständigkeitsnormeu oder in Gemäßheit des § 3 Abs. 2 der CPO. unter Anordnung eines abweichenden Verfahrens überwiesen sind. Die Ansicht, daß nur Sachen der ersteren Art (in denen die Sondergerichte wirklich bestellt sind) unter den Abs. 2 fallen, Sachen der letzteren Art dagegen gleich denjenigen, welche nicht allein den ordentlichen Landesgerichten belassen sind, sondern auch nach den regelmäßigen Zu­ ständigkeitsnormen und im ordentlichen Verfahren abgeurtheilt werden, schon kraft Gesetzes, und ohne daß es einer Kaiserlichen Verordnung bedarf, in letzter Instanz an das Reichsgericht ge­ hören (Löwe, StPO. S. 6), durste nicht haltbar sein. Sie widerspricht nicht allein den Mot., in welchen es heißt: „Hervorzuheben ist, daß die Bestimmung in Abs. 2 dieses Paragraphen keine Anwendung findet, wenn die Landesgesetzgebung von der Ermächtigung in Be­ treff solcher Sachen, für welche besondere Gerichte zugelassen sind, Ausnahme­ bestimmungen zu treffen, nicht Gebrauch macht. Werden solche Sachen den ordentlichen Gerichten belassen und auch besondere Vorschriften über das Verfahren und über die Zuständigkeit der Landesgerichte nicht getroffen, so finden auf solche Sachen die Bestimmungen des GVG. und der Prozeßordnungen in vollem Umfange Anwendung und das Reichsgericht bildet die letzte Instanz, ohne daß es einer Kaiserlichen Verordnung hierüber bedarf", sondern sie steht auch mit dem Wortlaute des Gesetzes nicht im Einklänge, da die Worte „in den vorerwähnten Sachen" nur auf die Worte in Abs. 1 „in bürgerlichen Rechts­ streit gkeiten und Strafsachen, für welche besondere Gerichte zugelassen sind", sich beziehen können, während die hier vertretene Ansicht dem Wortlaute keinenfalls in höherem Maße Gewalt anthut, als jene. Auch ist es für das Reichsgericht keineswegs eine unmögliche oder auch nur besonders schwierige Aufgabe, im einzelnen Falle zur Feststellung seiner Zu­ ständigkeit die Vorprüfung vorzunehmen, ob etwa in dem betreffenden Staate für die Sachen der vorliegenden Art besondere Vorschriften über das Verfahren u. s. w. ergangen seien. (Ebenso: Keller S. 242 Anm. 3, Endemann I S. 199, Thilo S. 279 Anm. 6, Wilm. Levy Anm. 2.) Das Reichsgericht entscheidet selbstverständlich in den ihm übertragenen Sachen nach den Normen der CPO. (Hauck S. 224 Anm. 3), soweit nicht landesgesetzlich etwas Anderes be­ stimmt ist (Abs. 3). Damit ist jedoch der Landesgesetzgebung nicht die — im Abs. 3 nur für das Verfahren vor den ordentlichen Landesgerichten gegebene — Befugniß ertheilt, auch 'die speziell das Reichsgericht, insbesondere dessen Zuständigkeit betreffenden Bestimmungen zu ändern (Wilm. Levy Anm. 2, Schneider in Gruchot 25 S. 688ff.; zweifelhaft Ende­ mann I S. 199). Die Uebertragung hat stattgefunden durch die in Nr. 33 des RGBl, von 1879 (S. 287ff.) enthaltenen Verordnungen: Nach den §§ 1, 2 der Verordn., betr. die Uebertragung preußischer Rechtssachen auf das Reichsgericht, v. 26. Sept. 1879 (RGBl. S. 287) ist dem Reichsgerichte die Gerichtsbarkeit letzter Instanz, soweit sie bisher dem Obertribunal zu Berlin zustand, übertragen worden in den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche nach preuß. Gesetzen in erster Instanz zur Zuständigkeit der Generalkommissionen und der ihre Stelle vertretenden Spruchkollegien gehören, oder auf welche das preuß. Ges. v. 19. Mai 1851 (GS. S. 383) An­ wendung findet süber das Verfahren in diesen Sachen vgl. §§ 67—80 des preuß. Ges. v. 18. Febr. 1880 (GS. S. 59)] und in den zur Zuständigkeit des Geheimen Justizraths ge-

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze.

§ 4.

1211

§ 4. Durch die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Zu­ ständigkeit der Behörden wird die Landesgesetzgebung nicht, gehindert, den betreffenden Landesbehörden jede andere Art der Gerichtsbarkeit, sowie Geschäfte der Justiz­ verwaltung zu übertragen. Andere Gegenstände der Verwaltung dürfen den ordent­ lichen Gerichten nicht übertragen werden. Entw. 8 4. Mot. S. 210. Pcot. S. 434-437. hörigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (vgl. CPO. § 12 dl um. 2). Die übrigen Verord­ nungen betreffen hessische Rechtssachen, ferner gewisse Prozesse des Fürsten zu Waldeck und der Mitglieder des Fürstlichen Hauses; endlich ist die früher dem preuß. Lbertribunal zustehende Gerichtsbarkeit letzter Instanz in sachsen-meiningenschen, anhaltischen, scbwarzburgsondershausenschen, schwarzburg-rudolstädtschen, waldeckschen und schaumburg-lippeschen Rechtssachen dem Reichsgericht übertragen. Nach dem.Ges. v. 14. März 1881 (RGBl. S. 37) entscheidet ferner das Reichsgericht in den vereinigten Civilsenaten gewisse Streitfragen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft der freien und Hansestadt Hamburg. Vgl. GVG. § 135 Anm. 2. (Vgl. die Uebersicht in Pfaffe roth, Jahrb. d. D. (Gerichts­ verfassung. Jahrgang 1886 S. 13 ff.) 4) Abs. 3 bezieht sich — im Gegensatze zum Abs. 1 — auf diejenigen Sachen, für welche zwar keine Sondergerichte gestattet sind, wohl aber ein besonderes Verfahren vor den ordentlichen Gerichten. „Dahin zählen z. B. die Aufgebotssachen, die Streitigkeiten, welche eine Zwangsenteignung betreffen, und das erbschaftliche Liquidalionsverfahren (EG. z. CPO. §§ 11, 15). Auch in Betreff dieser Sachen ist zu berücksichtigen, daß die Zuständig­ keilsnormen, welche das GVG. aussteNt, int Zusammenhange mit den Vorschriften der Prozeßordnungen stehen und die Anwendbarkeit dieser Normen auf Sachen, welche nach einem abweichenden Verfahren behandelt lverden, nicht zu übersehen ist. Der Entwurf gestattet daher der Landesgesetzgebnng, die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für diese Sachen nach besonderen Normen zu regeln." (Mot.) 5) Ueber die Anwendbarkeit des GVG. auf die durch die Neichsprozeßordnungen nicht betroffenen Geschäfte der ordentlichen Gerichte vgl. unten §§ 14, 15, 18 und Sydow im civ. Arch. 65 S. 321 ff.

§ 4. 1)

„Die Bestimmung in § 4 ist eine Konsequenz davon, daß das GVG. nur die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit regelt und sich der Frage gegenüber, ob und welche Geschäfte sonst noch den Justizbehörden zu übertragen sind, indifferent verhält. Der Entwurf beschränkt jedoch die Verwaltungsangelegenheiten, welche den im GVG. geordneten Landesbehörden, d. h. den ordentlichen Gerichten und der Staatsanwaltschaft, übertragen werden können, auf Geschäfte der Justiz­ verwaltung und bringt hierdurch für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit den Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung zum besonderen Ausdruck. Durch die Bestimmung des Entwurfs ist übrigens nicht ausgeschlossen, daß auch andere Verwaltungssachen zwar nicht den Justizbehörden als solchen, wohl aber Mitgliedern dieser Behörden ausnahmsweise übertragen werden können" (Mot.). 2) „jede andere Art der Gerichtsbarkeit" — d. h., da das GVG. nur die ordentliche streitige regelt (vgl. § 2), jede Art der nicht streitigen Gerichtsbarkeit sowie der streitig en S ond erg erichtsbarkei t. „Geschäfte der Justizverwaltung" — mithin nicht sonstige Berwaltungsgeschäfte (vgl. Satz 2 und die Mot. in Anm. 1). Eine Begriffsbestimmung der Justizverwaltungs­ geschäfte ist in dem GVG. nicht gegeben. Nach dent regelmäßigen Sprachgebrauche (vgl. Hauser a. a. O. IV S. 49) werden darunter alle Geschäfte zu verstehen sein, welche, ohne in das Gebiet der eigentlichen Gerichtsbarkeit (streitigen oder nicht streitigen) zu fallen, zur Hand­ habung der Rechtspflege erforderlich sind, mithin auch rein äußerliche, wie die Aufsicht über die Justizgebäude, die Anschaffung des nothwendigen Inventars, der Schreibmaterialien u. s. w.

1212

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze. § 5.

§ 5. In Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern finden die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes nur insoweit Anwendung, als nicht besondere Vorschriften der Hausverfassungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten. Entw. 8 5. Mot. S. 210, 211. Prot. S. 437-440.

(Vgl. auch Prot. S. 437). Die nähere Bestimmung fällt der Landesgesetzgebung anheim (s. Planck I S. 33). 3) Auch den Oberlandesgerichten können Geschäfte nicht streitiger Gerichtsbarkeit, z. B. Lehns- und Fideikommißsachen, übertragen werden. Vgl. z. B. Preuß. AG. z. GVG. § 49 Nr. 1, 2. Ein. entgegenstehender Antrag ist von der NTK. abgelehnt worden. 4) Der zweite Satz, zu dessen Gunsten der beantragte abstraktere Satz „Die Rechtspflege wird von der Verwaltung getrennt" zurückgezogen wurde, ist von der NTK. angenommen worden, um dem bereits in den Mot. zur Anerkennung gelangten Grundsätze der Trennung der Justiz von der Verwaltung einen deutlichen Ausdruck zu geben. Auch durch diesen Satz ist, wie die Worte „den ordentlichen Gerichten" klar ergeben, und der Antragsteller, ohne Widerspruch zu finden, ausdrücklich erklärt hat, nicht ausgeschlossen, datz einzelnen Richterbeamten ausnahmsweise auch andere Verwaltungssachen übertragen werden. Ob und wie weit solches zulässig ist, richtet sich mithin — abgesehen von den Mitgliedern des Reichsgerichts, auf welche § 16 des Reichsbeamtengesetzes v. 31. März 1873 (RGBl. S. 61) Anwendung findet — lediglich nach dem Rechte des einzelnen Landes. Vgl. GVG. § 7 Anm. 2. 5) In Preußen ist von der Befugniß, den Gerichten (und Staatsanwaltschaften) andere Arten der Gerichtsbarkeit sowie Geschäfte der Justizverwaltung zu übertragen, ein ausgiebiger Gebrauch gemacht worden. Bezüglich der anderen Arten der Gerichtsbarkeit vgl. GVG. §§ 24 Anm. 3, 70 Anm. 3, 123 Anm. 5, 6. Die Geschäfte der Justizverwaltung regelt das AG. z. GVG. im zwölften Titel: „Justizverwaltung"; die Vorstände der Gerichte und der Staatsanwaltschaften find nach näherer Bestimmung des Justizministers dessen Organe bei den Geschäften der Justizverwaltung.

8 5

.

1) Der § 5 entspricht dem § 5 des EG. z. CPO. (und dem § 4 des EG. z. StPO.). Die Bedeutung liegt hauptsächlich in der Son dergerichtsbarkeit und dem privilegirten Gerichtsstände für die Landesherren u. s. w. Ueber die Aufhebung von hierher gegehörigen Beschränkungen des Rechtswegs vgl. EG. z. CPO. § 5 Anm. 2. 2) Die Fassung des § 5 ergiebt, wie auch die Mot. hervorheben, daß nicht nur die be­ stehenden besonderen Vorschriften aufrecht erhalten bleiben, sondern auch neue Bestimmungen in dieser Beziehung getroffen werden können. Ob es bei neuen hausgesetzlichen Bestimmungen dieser Art der Mitwirkung der Landesvertretung bedarf, richtet sich nach dem inneren Staats­ rechte des betreffenden Landes (Prot. S. 4-10). 3) Der Vorbehalt des § 5 bezieht sich überhaupt nur auf deutsche Landesherren und deren Familien und sichert auch diesen, wie die Mot. ausdrücklich bemerken, ihre Privilegien nur im eigenen Lande. (Vgl. GVG. §§ 18—21 Anm. 3, CPO. § 12 Anm. 2, EG. z. CPO. § 5 Anm. 1, mXIl S. 428, Planck I (B. 45, Thilo S. 282, Gaupp, CPO. II S. 662, Wilm. Levy Anm. 1 u. A. A.M. Wach I S. 413 f., Lab and, Staatsr. des D. Reichs 2. Aufl. Il S. 358, Thudichum in Hirth u. Seydel, Ann. 1885 S. 320 ff., welche die Wirksamkeit der Dabehaltenen Rechtsquellen aus das ganze Reich ausdehnen wollen.) 4) „Der Fürstlichen Familie Ho-Henzollern ist durch den Accessionsvertrag vom 7. Dez. 1849, welcher durch das Preuß. Gesetz v. 12. März 1850 bestätigt ist, der bisherige Rang und eine ihren verwandtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen zum Königl. Preuß. Hofe entsprechende bevorzugte Stellung zugesichert. In den seit jener

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze. §§ 6—8.

1213

§ 6. Unberührt bleiben die bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften über die Zu­ ständigkeit der Schwurgerichte für die durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen.

§ 7. Die Militärgerichtsbarkeit, sowie das landesgesetzlich den Standes­ herren gewährte Recht auf Austräge werden durch das Gerichtsverfassungsgesetz nicht berührt. Entw. § 6. Mot. S. 211, 212. Prot. S. 440, 441.

§ 8. Durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen und Beschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem obersten Landesgerichte zugewiesen werden. Diese Vorschrift findet jedoch auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, welche zur Zuständigkeit des Reichs-Oberhandelsgerichts gehören oder durch besondere Reichs­ gesetze dem Reichsgerichte zugewiesen werden, keine Anwendung. Entw. § 7. Mot. S. 24-26, 212. Prot. S. 447-464.

Zeit ergangenen Preuß. Gesetzen, welche die Privilegien der landesherrlichen Familie aufrecht erhalten, ist neben den Mitgliedern der landesherrlichen Familie des Fürstenbanses Hohenzollern noch besonders gedacht (z. B. Ges. v. 26. April 1851 Art. III, Verordn, v. 26. Jnni 1867 über die Gerichtsverfassung in Schleswig-Holstein § 7, in Hessen § 26 und in Nassau § 25). Dem entsprechend hat der Entwurf die be­ absichtigte Aufrechterhaltung der für die Fürstl. Familie Hohenzollern bestehenden Exemtionen besonders zum Ausdruck gebracht." (Mot.). Vgl. v. Rönne, Staatsr. der Preuß. Mon., 4. Aufl. 11 S. 279 ff., dessen Staatsr. des D. R. 2. Aufl. II 2 S. 21 Anm. 4. 5) Der privilegirte Gerichtsstand der Standesherren in Sachen der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit ist aufgehoben (GVG. §§ 18-21 Anm. 3, CPO. § 12 Anm. 2, EG. z. CPO. § 5 Anm. 3). Wegen ihres Rechts auf Aus träge vgl. jedoch § 7 Anm. 2. § 7. 1) Die Militärgerichtsbarkeit bezieht sich nach § 39 Abs. 1 des Reichsmilitärgesetzes v. 2. Mai 1874 (RGBl. S. 45) auf bürg. Rechtsstreitigkeiten nicht. Wegen Aufrechthaltung einzelner auf den M o b i l m a ch u n g s f a l l sich beziehenden landesgesetzlichen Vorschriften (§ 39 Abs. 3 das.) vgl. EG. z. CPO. § 13 Anm. 3. Vgl. für Preußen noch AG. z. GVG.

§§ HO, 111. ' 2) Das Recht der Stand es Herren, d. h. der Häupter der Familien der mittelbar gewordenen, vormals reichsständischen deutschen Reichsfürsten und Grafen (vgl. v. Rönne, Staatsrecht d. D. Reichs 2. Aufl. II 2 S. 22 Anm. 2), auf Austräge beschränkt sich, wo es landesgesetzlich besteht, auf S traf fachen (vgl. Deutsche Bundesakte v. 18. Juni 1815 Art. XIV). Neu eingeführt oder erweitert werden darf dieses Recht nicht, da nur das landesgesetzlich ge­ währte Recht unberührt bleiben soll. In Bezug auf Preußen vgl. Ges. v. 10. Juni 1854 (GS. S. 363), Verordn, v. 12. Nov. 1855 §§ 1-3 (GS. S. 688), Instruktion v. 30. Mai 1820 § 17 (GS. S. 81).

8 8. 1) Der §8 bezieht sich nur auf bürgerliche Nechtsstreitigkeiten (vgl. auch GVG. § 160 Anm. 1). Er findet nach § 1 des Ges. v. 11. April 1877 über den Sitz des Reichs­ gerichts (RGBl. S. 415) auf das Königreich Sachsen keine Anwendung. 2) Abs. 1: „Durch die Gesetzgebung" — also nur durch ein unter Zustimmung sämmtlicher gesetzgebender Faktoren des betreffenden Bundesstaates zu Stande gekommenes Gesetz kann die Zuweisung der im Abs. 1 bezeichneten Revisionen und Beschwerden an ein oberstes Landesgericht herbeigeführt werden. Kommt ein solches Gesetz nicht zu Stande, so bleibt es bei der Regel des § 135 des GVG.

1214

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze

Nur Bayern hat von dieser Befugniß Gebrauch gemacht.

§ 8.

Vgl. das Bayer. AG. z. GBG.

v. 23. Febr. 1879 Art. 42 ff. (Gesetz- und Berordnungsbl. S. 273) und 1879 (JMBl. S. 112).

Verordn, v. 2. April

Das bayerische oberste Landesgericht entscheidet auch über die weitere

Beschwerde in Sachen der nichtstreiligen Rechtspflege nach Maßgabe der Art. 62—67 des AG. z. CPO. u. KO. u. s. w.

3) Abs. 2 enthält eine wesentliche Beschränkung des Abs. 1. Auf den Unterschied von dem Grundsätze des § oll der CPO. weisen die Mot. mit den Worten bin (S. 25): „Durch die weitere Vorschrift (des Abs. 2) wird die prinzipielle Zuständigkeit des Reichsgerichts in Fragen des Reichsrechts gewahrt, wenigstens insoweit, als nicht eine Modifikation des Prinzips im Interesse der Rechtspflege unabweisbar ist. Nach der CPO. (§ 511) ist für die Zulässigkeit der Revision die Art der verletzten Rechtsnorm maßgebend. Dieses Kriterium mußte für die Abgrenzung der Zu­ ständigkeit des Reichsgerichts und der obersten Landgerichtshöfe fallen gelassen werden, da die Entscheidung der meisten Rechtsfälle nur unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Bestimmungen der Reichsgesetze und des im betreffenden Falle sonst zur An­ wendung konunenden Rechts möglich ist und ein Auseinanderreiben zusammenhängender und zusammengehöriger Fragen für die Entwickelung und Anwendung sowohl der Reichsgesetze als der Landrechtssysteme von den nachtheiligsten Folgen sein würde. In dem EG. § 8 Abs. 2 wird daher das Kriterium für die Scheidung der Kompetenz in die Rechtssache gelegt und die Bestimmung getroffen, daß alle Sachen, welche zur Zeit schon zur Zuständigkeit des Oberhandelsgerichts gehören oder durch besondere zukünftige Reichsgesetze deut Reichsgerichte zugewiesen werden, dem Reichsgerichte verbleiben.' Freilich kann auf diesem Wege die Einheit der Anwendung der Reichsprozeßgesetze möglicher Weise Eintrag erleiden. Indessen ist zu erwägen, daß die Rechtseinheit ihre Bedeutung doch zunächst in dem materiellen Rechte hat, daß für die einheitliche An­ wendung des Reichsprozeßrechts die Rechtswissenschaft die wesentlichsten Dienste zu leisten vermag, und daß der Vortheil vorerst und bis durch das künftige Reichscivilgesetzbuch eine größere Klarheit für die vorliegende Frage gewonnen sein wird, das oberste Reichsgericht nicht über die Gebühr zu belasten und dadurch seiner großen Aufgabe und Bedeutung nicht zu entfremden, höher anzuschlagen ist, als der, auch in Bezug auf das Prozeßrecht die Einheit der Rechtsprechung schon jetzt ausschließlich durch das Reichsgericht vermitteln zu lassen.

4) „gehören" — d. h. zur Zeit des Uebergangs des Reichs-Oberhandelsgerichts an das Reichsgericht, wie ein Reg.-Bertreter auf Anfrage in der RTK. erklärte, mithin einschließlich derjenigen Sachen, welche auf Grund landesgesetzlicher Bestimmungen (vgl. §13 Abs. 2 des Ges. v. 12. Juni 1869, betr. die Errichtung eines obersten Gerichtshofes in Handelssachen (BGBl. S. 201)] derzeit zur Zuständigkeit des Reichs-Oberhandelsgerichts gehörten. Die gesetzlichen Bestimmungen, welche die Zuständigkeit des Reichs-Oberhandelsgerichts in bürgerlichen Rechts st reitigkeiten geregelt haben, sind außer bent Gesetze über die Er­ richtung des Bundes-Oberhandelsgerichts selbst folgende: Ges. v. 12. Juni 1869 §§ 13—15; Ges. v. 1. Juni 1870 über die Abgaben tum der Flößerei § 2 (BGBl. S. 313); Ges. v. 11. Juni 1870, betr. das Urheberrecht an Schriftwerken u. s. w., § 32 (BGBl. S. 339); Ges. v. 22. April 1871, betr. die Einführung Norddeutscher Bundesgesetze in Bayern, § 3 (RGBl. S. 88); Haftpflichtges. v. 7. Juni 1871 § 10 (RGBl. S. 209); Ges. v. 14. Juni 1871, betr. die Bestellung des Bundes-Oberhandelsgerichts zum obersten Gerichtshof für Elsaß-Lothringen (RGBl. S. 315); Reichsbeamtenges.

v. 31. März 1873 §§ 152, 153

(RGBl. S. 89);

Strandungsordnung v.

17. Mai 1874 § 44 (RGBl. S. 82); Ges. v. 30. Nov. 1874 über den Markenschutz § 19 (RGBl. S. 143), jetzt Ges. z. Schutz der Waarenbezeichnungen v. 12. Mai 1894 § 21 (RGBl. S. 441); Bankges. v. 14. März 1875 § 50 (RGBl. S. 177); Ges. v. 9. Jan. 1876, betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, § 16 (RGBl. S. 4); Ges. v. 10. Jan. 1876, betr. den Schutz der Photographien gegen unbefugte Nachbildung, § 9 (RGBl. S. 8); Ges. v. 11. Jan. 1876, betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen, § 14 (RGBl. S. 11); Patent-

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze. §§ 9, 10.

1215

§ 9. Durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehörenden Revisionen und Beschwerden in Strafsachen ausschließlich einem der mehreren Oberlandesgerichte zugewiesen werden. Eutw. § 8. Mot. L. 812. Prot. S. 411-44«, 759 - 752.

§ 10. Die allgemeinen, sowie die in den §§. 126, 132, 133, 134, 137, 139, 140, 183 Abs. 1 enthaltenen besonderen Vorschriften des Gerichtsverfafsungsgesetzes finden auf die obersten Landesgerichte als Behörden der ordentlichen strei­ tigen Gerichtsbarkeit entsprechende Anwendung. Entw. § 9. Mot. S. 212. Prot. S. 464

gesetz v. 25. Mai 1877 §§ 32, 37 (RGBl. S. 501), jetzt Patentges. v. 7. April 1891 § 38 (RGBl. S. 79). „durch besondere Reichs gesetze" — nicht durch Kaiserliche Verordnung (§§ 1, 3 Abs. 2, 15, 17); vgl. GVG. § 135 Anm. 2, Ges. v. 16. Juni 1879 § 1 (RGBl. S. 157). Hier einschlagende Reichsgesetze sind nutzer dem schon genannten Patentgesetz und dem Gesetze zum Schutze der Waarenbezeichnungen das Genoss.-Ges. v. 1. Mai 1889 (RGBl. S. 55) § 146, Ges., belr. d. Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 20. April 1892 (RGBl. S. 477) § 13 Abs. 2 in Verbindung mit HGB. Art. 5, Ges., betr. den Schutz v. Gebrauchsmustern v. 1. Juni 1891 (RGBl. S. 290) § 12, Reichsstempelges. in der Fass. v. 27. April 1894 (RGBl. S. 381) § 33; vgl. Entw. des Binnenschifffahrtsges. (Drucks, des RT. 1894/95 Nr. 81) § 138. 5) Ist in Folge einer Klugenbäufung oder einer Widerklage über eine der im Abs. 1 und eine der im Abs. 2 bezeichneten Rechtsstreitigkeiten durch ein Erkenntniß zu entscheiden, so ist nach dem die Zuständigkeit des ROHG. bestimmenden und deshalb nach Abs. 2 auch hier maßgebenden § 14 des Ges. v. 12. Juni 1869 der höhere Werth der einen oder anderen Sache für die Zuständigkeit maßgebend (Puchelt II S. 779).

8 v. Im Gegensatze zum § 8 bezieht sich § 9 nur auf Strafsachen, nachdem eine auf handels­ gerichtliche Sachen bezüglicher Satz des Entw. in Wegfall gekommen ist.

8 io. 1)

„Der Vorbehalt des § 8 darf keine weitere Tragweite haben, als im Interesse der einheitlichen Rechtsprechung in dem betreffenden Bundesstaate nothwendig ist. Die Ein­ heit des Verfahrens für das ganze Reich muß gewahrt bleiben, und es muß aus­ gesprochen werden, daß die mit dem Verfahren im engsten Zusammenhange stehenden Vorschriften des GVG. und die besonderen, das Reichsgericht betreffenden Vorschriften, soweit dieselben in Betracht kommen können, auf die obersten Landesgerichte als Be­ hörden der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit entsprechende Anwendung finden." (Mot.) 2) Die „allgemeinen V o r s ch r i f t e n des G V G." sind die in den Tit. 1, 2, 11—17 enthaltenen Bestimmungen, welche sich zur Anwendung für alle ordentlichen Gerichte eignen; die besonders angeführten Paragraphen sind solche, welche sich speziell auf das Reichs­ gericht beziehen. 3) Daß die Vorschriften der CPO. auf das Verfahren vor den obersten Landesgerichten Anwendung finden, folgt aus § 3 Abs. 1 des EG. z. CPO., da die obersten Landesgerichte, soweit sie an die Stelle des Reichsgerichts treten, nach ausdrücklicher Bestimmung des § 10 Behörden der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind. Die wenigen Einschränkungen s. im EG. z. CPO. §§ 7, 8.

1216

Einführungsgesetz zum Gerichlsverfassungsgesetze.

§ 11.

§ 11. Die landesgesetzlichen Bestimmungen, durch welche die strafrechtliche oder civilrechtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Ausübung oder in Veranlaffung der Ausübung ihres Amts vorgenommenen Handlungen an be­ sondere Voraussetzungen gebunden ist, treten außer Kraft. Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, durch welche die Ver­ folgung der Beamten entweder im Falle des Verlangens einer vorgesetzten Be­ hörde oder unbedingt an die Vorentscheidung einer besonderen Behörde gebunden ist, mit der Maßgabe: 1. daß die Vorentscheidung auf die Feststellung beschränkt ist, ob der Beamte sich einer Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht habe; 2. daß in den Bundesstaaten, in welchen ein oberster Verwaltungsgerichtshof besteht, die Vorentscheidung biefetn, in den anderen Bundesstaaten dem Reichsgerichte zusteht. Entw. d. EG. z. StrPO. § 6 Nr. 2. Mot. z. StrPO. S. 267. Prot. z. StrPO. S. 760-766, 1110,

1111. Komm-Ber. z. GVE. 6. 79, 80. Sten. Ber. II. Legisl.-Per. 4. Sess. 1876 S. 851, 852, 862, 870, 878-880, 925-986.

§ 11. 1) Statt der im Entw. d. EG. z. StPO. § 6 enthaltenen Bestimmung: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Bestimmungen: 2) über die Voraussetzungen, unter welchen die Strafverfolgung öffentlicher Beclmten wegen der in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung ihres Amts vorgenommenen Handlungen stattfindet." beschloß die RTK., nachstehenden Paragraphen in das EG. z. GVG. aufzunehmen: „Die landesgesetzlichen Bestimmungen, durch welche die Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Ausübung oder in Veranlaffung der Ausübung ihres Amts vorgenommenen Handlungen im Wege des Straf- oder Civilprozesses an besondere Voraussetzungen ge­ bunden ist, treten außer Kraft", und der Reichstag nahm ihn unverändert an, gab ihm aber in dritter Lesung in Folge des sog. „Kompromisses" die jetzige Gestalt. 2) § 11 richtet sich gegen die früher in Bayern, Baden, Rheinhessen und Elsaß-Lothringen bestehende, aus dem franz. Rechte stammende Einrichtung, wonach die Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Ausübung oder in Veranlaffung der Ausübung ihres Amts vor­ genommenen Handlungen in größerem oder geringerem Umfange an die vorgängige Ge­ nehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde geknüpft ist, sowie gegen das preuß. Ges. v. 13. Febr. 1854, belr. die Konflikte bei gerichtlichen Verfolgungen wegen Amts- und Dienst­ handlungen (GS. S. 86), welches der vorgesetzten Behörde eines Beamten, gegen den wegen einer in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amts vorgenommenen Handlung oder wegen Unterlassung einer Amtshandlung eine gerichtliche Verfolgung im Wege des Civiloder Strafprozesses eingeleitet worden ist, die Befugniß beilegt, den Konflikt bei dem Gerichtshöfe zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte zu erheben, und diesen Gerichtshof ermächtigt, den Rechtsweg gegen den Beamten für unzulässig zu erklären, wenn er befindet, daß dem Beamten eine zur gerichtlichen Verfolgung geeignete Ueber­ schreitung seiner Amtsbefugnisse oder Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung nicht zur Last falle. sBgl. über dieses Gesetz: v. Rönne, Preuß. Staatsrecht 4. Ausl. I S. 524 Anm. 4, 111.(5. 571 ff.; Schulze, Preuß. Staatsr. II § 275 S. 852ff.; R. Koch in Gruchot 5 S. 249ff. u. in der (anonym erschienenen) Schrift: Ueber die Befugniß der ordentlichen Gerichte zur straf- u. civilrechtl. Verfolgung v. Staatsbeamten re. Berlin 1868; Oppenhoff, D. Preuß. Gesetze über die Ressort-Verhältnisse zwischen den Gerichten u. den Verwaltungsbehörden.

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze.

§ 11.

1217

Berlin 1863 S. 526ff.; F. Hagens in Schering, Archiv II S. 315ff.; Stieve in Behrend, Zeitschr. Bd. 3 S. 45ff.; Lasker in den Deutschen Jahrbüchern Bd. 1 (1861) 0/26ff.; Hauser in s. Zeitschr. V S. 1 ff.] Wegen Bayern f. besonders Lippmann in Hirth u. Seydel, Annalen des D. Reichs 1885 S. 421 ff. S. auch über die Verfolgbarkeit der Beamten Freund in Laband u. Stoerck, Arch. I S. 386ff. Die Vorschrift des § 11 gilt auch für die gegen den Staat selbst aus' C. civ. art. 1384 erhobenen Klagen (RG. V S. 48). 3) Reichs gesetzliche Bestimmungen des fraglichen Inhalts bestehen nicht; vielmehr ist nach § 13 des Reichsbeamtengesetzes jeder Reichsb eamte für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich (f. auch Hauser a. a. O. S. 29f.). Die Reichsbehörden können also namentlich nicht den „Konflikt" im Sinne des in Anm. 2 angef. Gesetzes erheben (Entsch. des preuß. Ob. Verw.-Ger. Bd. 11 S. 403). sVgl. hinsichtlich des Reichsversicherungsamis noch Hilfe in Gruchot 35 S. 800.] 4) Der Abs. 1 stellt als Grundsatz auf, daß die landesgesetzlichen Bestimmungen, welche die strafrechtliche oder civilrechtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen ihrer Amts­ handlungen an besondere Voraussetzungen knüpfen, außer Kraft treten, der Abs. 2 läßt aber ausnahmsweise die Vorentscheidung einer besvnderen Behörde als besondere Voraussetzung zu, wenn die unter den Nr. 1 und 2 ausgeführten beiden Bedingungen, von denen die eine materieller, die andere organisatorischer Natur ist, erfüllt werden. Demgemäß konnten sowohl die in Bayern, Baden usw., wie die in Preußen bestehenden Einrichtungen mit den in den Nr. 1 und 2 enthaltenen beiden Beschränkungen aufrecht erhallen bleiben. In Preußen ist ein dem Landtag in der Session 1878/79 vorgelegtes Gesetz über diesen Gegen­ stand nicht zu Stande gekommen und demnach in Gemäßheit der Nr. 2 die Entscheidung ohne Weiteres aus den daselbst bestehenden obersten Verwaltungsgerichtshof (das Oberverwaltungsgericht) übergegangen. Eine prozeßhindernde Einrede (CPO. § 247 Nr. 2) kann auf das Fehlen der Vor­ entscheidung, wie in anderen Fällen, in welchen die Zuständigkeit des Gerichts an sich nicht fraglich, aber durch die Vorentscheidung einer anderen Behörde bedingt ist (vgl. GBG. §§ 13 Anm. 3, 14 Anm. 4), von dem betreffenden Beamten gestützt werden (vgl. auch HauckS. 228, Hauser a. a. O. S. 30, Wilm. Levy Anm. 3), jedoch erst, nachdem dessen vorgesetzte Behörde die Vorentscheidung bei dem obersten Verwaltungsgerichtshose bzw. beim Reichsgerichte beantragt hat. Wegen der Aussetzung durch das Gericht vgl. CPO. § 139.

5) Abs. 1: „strafrechtliche oder civilrechtliche" — d. h. im Wege des Strasvder Civilprozesses; eine disziplinarische Verfolgung kommt der Natur der Sache nach hier nicht in Frage. „öffentlicher Beamten" — vgl. CPO. §§ 341, 373, StPO. §§ 53, 76; gleich­ bedeutend mit „Beamten" im Sinne der §§ 715 Nr. 7/ 749 Nr. 8, 791 der CPO. und des § 70 des GVG. Ueber den Begriff vgl.' CPO. §§ 341 Anm. 1, 715 Anm. 7, 749 Anm. 10, Endemann I S. 206, II S. 208. Geistliche gehören nicht hierher (s. Entsch. d. preuß. OVG. Bd. 8 S. 390 ff.). Eine besondere Begriffsbestimmung der „öffentlichen Beamten" für den vor­ liegenden Zweck enthält § 6 der in Anm. 8 angef. Mecklenb. Verordn. „wegen der — Handlungen" — vgl. GVG. § 70 Abs. 2, § 1 des preuß. Konflikt­ gesetzes; s. auch §§ 130a, 340, 342 des StGB. Unter „Handlungen" fallen hier auch Unter­ lassungen einer Amtshandlung, welche im Abs. 2 Nr. 1, GVG. § 70 Abs. 2 und in § 1 des gedachten preuß. Gesetzes besonders aufgeführt sind. „besondere Voraussetzungen" — d. h. Voraussetzungen, welche der Verfolgung öffentlicher Beamten wegen Amtshandlungen nach positiven Gesetzesbestimmungen eigenthümlich sind (wie z. B. die vorgängige Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde oder eine aus InterStruck mann *u. Koch, Civilprozehordnung. 6. Ausl. 77

1218

Einsührungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze.

§ 11.

venlion der letzteren eintretende Vorentscheidung einer besonderen Behörde). In Preußen be­ stehen, abgesehen von dem angef. Gesetze von 1854, dergleichen Vorschriften für den Civilprozeß nicht. Insbesondere enthält § 6 des Ges. v. 11. Mai 1842 (GS. S. 192) eine solche Vorschrift nicht. (Vgl. auch RG. in I. W. 1887 S. 270, Schulze a. a. O. S. 377f., v. Rönne a. a. O. S. 509 Anm. 2, Wilm Levy Anm. 2 a. E. A.M. Erk. d. Kompelenzkonflikrhofs v. 26. Nov. 1854 (JMBl. S. 23) und v. 8 Febr. 1862 (JMBl. S. 216), Oppenhoff a. a. O. S. 360 Anm. 131 u. S. 526 Anm. 1. Iastrow in Gruchot 30 S. 332 ff. legt zwar den ß 6 a. a. O. in gleichem Sinne wie die Letzteren aus, hält aber das Erfordernis der vor­ gängigen Aufhebung der Verfügung durch die vorgesetzte Dienstbehörde für aufgehoben und die entgegenstehende Vorschrift des § 131 des Ges. v. 30. Juli 1883 (GS. S. 195) für rechtsungültig.) Aufgehoben ist auch die — nur für den Strafprozeß in Betracht kommende — Nr. 6 der Allerh. Kab.-O. v. 14. Mai 1825 (GS. S. 140), betr. die Schulzucht in den Provinzen, wo das All­ gemeine Landrecht noch nicht eingeführt ist (RG- V S. 794). Allgemeine Bestimmungen über die Zulässigkeit des Rechtswegs, über den Begriff einer Justiz- oder Verwaltungssache it. dgl. werden durch § 11 Abs. 1 nicht berührt. Vgl. GBG. § 17 Anm. 3. Hierher gehört auch die Frage, inwiefern die Gerichte zur Entscheidung der Vorfrage über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts zuständig sind, insbesondere nach § 6 des preuß. Ges. v. 11 Mai 1842. (Vgl. RG. XVIII S. 123, XX S. 295, Entsch. d. Preuß. OVG. VIII S. 413, Hauser a. a. O. IV S. 281 ff., 303ff., Sarw ey, D. öffentliche Recht u. d. Berwaltungsrechtspflege S. 309, Wach I S. 130 Anm. 90. A.M. Iastrow a. a. O.) 6) A b s. 2: „Unberührt bleiben" — Nur die zur Zeit des Inkraft­ tretens des GBG. bestehenden desfallsigen Vorschriften werden aufrecht erhalten, selbst­ verständlich mit der Befugniß der betreffenden Bundesstaaten, rücksichtlich ihrer, jedoch unter Beobachtung der in den Nr. 1 und 2 enthaltenen Beschränkungen, Aenderungen eintreten zu lassen. Dagegen dürfen solche Vorschriften in denjenigen Bundesstaaten, in welchen sie bisher nicht bestanden, auch mit den in Nr. 1 und 2 getroffenen Maßgaben nicht neu eingeführt werden. (So auch v. Rönne, Staatsrechr des D. Reichs II 2 S. 28. A.M. Zorn, Staatsrecht des D. Reichs II S. 413, Wach I S. 202f. N. 32, Wilm Levy Anm. 3.) Vgl. unter Anm. 8. „die Verfolgung" — sei es die straf- oder die civilrechtliche. Für die strasgerichtliche Verfolgung ist in Bayern das Erforderniß einer Vorentscheidung (des Verwaltungsgerichtshofs) durch das AG. z. StPO. v. 18. Aug. 1879 beseitigt. (Für die civilrechlliche Verfolgung tiememt das Ersorderniß OLG. München bei Lippmann a. a. O.