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German Pages 140 [144] Year 1995
Hans-Jürgen Goertz
Antiklerikalismus und Reformation
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HANS-JÜRGEN GOERTZ
Antiklerikalismus und Reformation Sozialgeschichtliche Untersuchungen
Mit 11 Abbildungen
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VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
HANS-JÜRGEN GOERTZ
Geboren 1937, Studium der Theologie, Anglistik, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Hamburg, Göttingen und Tübingen. Auslandsstudium am Tabor College in Hillsboro, Kansas, USA.
1964 Promotion zum Dr.
theol. an der Universität Göttingen. Vikar und Pastor an der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona (1963-1969). Wissenschaftlicher Assistent am Ökumenischen Institut der Universität Heidelberg (1969-1972). Habilitandenstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1972-1974). Wissenschaftlicher Oberrat (1974-1982) und seit 1982 Professor am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Hamburg. Gastprofessor im Sommersemester 1986 an der Universität Bern. Buchveröffentlichungen: Innere und äußere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers (1967); Geist und Wirklichkeit. Eine Studie zur Pneumatologie Erich Schaeders (1980); Die Täufer (1980, 2. Aufl. 1988); Pfaffenhaß und groß Geschrei. Reformatorische Bewegungen in Deutschland (1987); Thomas Müntzer. Mystiker, Apokalyptiker, Revolutionär (1989; engl. 1993, jap. 1995); Religiöse Bewegungen in der frühen Neuzeit (1993). Herausgegeben u.a.: Umstrittenes Täufertum (1975, 2. Aufl. 1977), Radikale Reformatoren (1978; engl. 1982), Thomas Müntzer (gemeinsam mit A. Friesen, 1978), Alles gehört allen (1984). Umschlagabbildung: Lukas Cranach, Der Papst stürzt in die Hölle, Holzschnitt 1521
(Ausschnitt)
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Goertz, Hans-Jürgen: Antiklerikalismus und Reformation: Sozialgeschichtliche Untersuchungen / Hans-Jürgen Goertz. — Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995
(Kleine Vandenhoeck-Reihe
1571)
ISBN 3-525-33595-4 NE: GT Kleine Vandenhoeck-Reihe
1571
© 1995 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. — Printed in Germany. — Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlag: Hans-Dieter Ullrich Satz: Schwarz auf Weiß, Magdeburg
Druck und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen
Inhalt
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Antiklerikalismus und Reformation. Ein sozialgeschichtliches Erklärungsmodell .................0.00.
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»Wie gantz vorwyrrett, bodenloß ding das geystlich weßen ist«. Geistliche rebellieren gegen ihren Stand....................
21
II. Adel versus Klerus. Antiklerikale Polemik in Flugschriften DESASTER I EREREIE SAUER in
45
IV. Weder Knecht noch Herr — nur Brüder. Antiklerikalismus der aufstandischen Bauet. A. HARRIS EERRINE
63
V.
»Bannwerfer des Antichrist« und »Hetzhunde des Teufels«. Die antiklerikale Spitze der reformatorischen EHRIHODARANGEN Bi RENÄER RT A 13
VI. Zucht und Ordnung in nonkonformistischer Manier. Kleruskritik, Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung in
den Bewegundende Täufer. EERUIDERTECHWRE AUT TRUE
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JAMES M. STAYER
»... drey fincken in eim vogelhuß loben Got mer mit frolicheit, dann hundert münch in eim closter ...« Heinrich von Kettenbach
Vorwort
Antiklerikale Äußerungen und Handlungen lassen sich in der Reformationszeit
unter Geistlichen, Adligen,
Bürgern und Bauern
be-
obachten: immer wieder schrille Töne und aufsehenerregende Tumulte. Waren das Nebengeräusche oder brachte sich darin der Erneuerungswille von Kirche und Gesellschaft ganz ursprünglich zum Ausdruck? Wie der Begriff »Antiklerikalismus« zu verstehen ist, wird im ersten Kapitel erklärt. Die weiteren Kapitel gehen diesem Phänomen in einigen Ständen bzw. gesellschaftlichen Schichten nach. Diese Untersuchungen sind nach dem Erscheinen meines Buches über Pfaffenhaß und groß Geschrei (München 1987) aus unterschiedlichen Anlässen entstanden und nehmen die Einwände und Anregungen auf, die mich danach erreichten. Die abschließende Betrachtung bündelt die Einsichten, die hoffentlich dazu beitragen werden, die aktuelle Diskussion um die Einheitlichkeit und Vielgestaltigkeit der Reformation in Deutschland zu fördern. Um das Lesen dieser Untersuchungen zu erleichtern, bin ich dem Rat meines Verlegers gefolgt, dem ich auch sonst für mancherlei Verbesserungsvorschläge dankbar bin, und habe die meisten frühneuhochdeutschen Zitate dem modernen Sprachgebrauch angeglichen. Ich widme dieses Buch James M. Stayer, dem Kollegen an der Queen’s University in Kingston, Kanada, zum 60. Geburtstag. Seit zwanzig Jahren haben wir in der Täufer- und Müntzerforschung besonders eng zusammengearbeitet und sind darüber zu Freunden geworden — unter Historikern auf umstrittenen Forschungsfeldern keine Selbstverständlichkeit. Hamburg im Herbst 1994
.
Hans-Jürgen Goertz
Digitized by the Internet Archive in 2023 with funding from Kahle/Austin Foundation
https://archive.org/details/antiklerikalismu0000goer
I. Antiklerikalismus und Reformation Ein sozialgeschichtliches Erklärungsmodell
Hoch zu Roß prescht ein Ritter über eine mittelalterliche Stadt hinweg, und ein Heer von Landsknechten folgt ihm. Lanzen werden in alle Richtungen geschleudert, ein Angriffsziel ist nicht in Sicht, aber eine Säule wurde umgerissen und stürzt ins Bodenlose, Steine fliegen durch die Luft, Kreuze und Monstranzen
fallen herunter. Hier
erscheint neben einem Würfelspiel eine Rute am Himmel, ein Zeichen drohender Strafe, dort ein Geißlerriemen, eine Aufforderung zur Buße, und anderswo eine Dornenkrone mit den Marterwerkzeugen von Golgatha — heraldisch angeordnet wie die Insignien der Macht. In Wirklichkeit symbolisieren sie das Leid, das herrscht. Krieg ist am Himmel ausgebrochen, und die Sonne bleibt im Zenit stehen, voller Entsetzen starrt sie auf das Geschehen. Alles ist ohne Zusammenhang und Hintergrund, Surrealismus avant la lettre. Vor der Stadt kommen Menschen in den Wassern einer Sintflut um, ein Bauer wurde im Wald erhängt, ein anderer bereitet seinen Selbstmord vor, Leichen sind aufeinandergehäuft, eine Mutter hält ihr Kind im Arm, regungslos sitzt sie da, das Kind wird nicht überleben, so sieht es aus. Diese Figuration erinnert an Madonna mit Kind und an eine Pietä zugleich — mitten im Sterben vor der Stadt. Möglicherweise ist diese Szene auch ganz anders zu sehen: Eine Mutter legt selber Hand an ihr Kind, weil es keine Chancen hat, in dieser Welt
des Elends zu überleben. Der Ritter ist ein Reiter der Apokalypse. Krieg, Schrecken und Tod überall, im Himmel genauso wie auf Erden. Die Welt ist aus den Fugen geraten, ihr Ende ist nahe. Das ist die Botschaft eines Holzschnitts aus der Neuen Auslegung der seltsamen Wunderzeichen, die Josef Grünpeck 1507 veröffentlicht hat.' Solche Bilder, die den Verfall der herkömmlichen Ordnung illustrieren häufen sich um 1500. Sie bringen Ängste und Sehnsüchte zum Ausdruck, sie sind Diagnose der Zeit und Vision einer besseren 7
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Das Ende der Welt ist nahe. Aus »Ein newe außlegung. Der seltsamen wunderzaichen vnd wunderpürden, so ein zeyther in reich, als vorpoten des Almächtigen Gottes« von Joseph Grünpeck. Titelholzschnitt, 1507
Welt. In dieser Situation bietet sich den Holzschneidern kein Sujet für ihre Agitationskunst mehr an als die Vertreter des geistlichen Standes. Die traditionellen Hüter der Ordnung sind selber in Unordnung geraten — und zwar auf eine dramatische, furchterregende Weise. Sie haben sich verwandelt. Der Papst erscheint als monströse Zwittergestalt, teils Esel, teils Hure, teils schuppiges Tier, teils Greif-
vogel. Er ist nicht mehr der Stellvertreter Christi auf Erden, sondern der Antichrist, der im innersten Heiligtum der Christenheit sitzt. So wird er in einigen Holzschnittvarianten als Papstesel zu Rom dargestellt.? Besonders eindrucksvoll ist auch ein anderes Bild, das während
des Hussitensturms von einer siebenköpfigen Bestie in Prag entstand: ein riesiger Insektenleib umschließt die kirchlichen Würdenträger und hält den Papst, Kardinäle und Bischöfe gefangen. Auf einem anderen Bild wird diese Bestie von einem frommen Mann in den Rachen der Hölle gestoßen. Der Papst ist hier nicht gefangen, er hat sich vielmehr in den Leib der Bestie hinein selber aufgelöst — eine Verwandlung, die beängstigend-kafkaeske Züge trägt.’ Die bedrohliche Veränderung der Welt deutet sich in der perversen Verwandlung der Leiber an. Noch ein anderer Aspekt ist bemerkenswert. Frauen überfallen Kardinäle, Bischöfe, Priester und Mönche, sie schlagen mit Dreschflegeln auf sie ein, mit Forken und mit Stangen, sie schütten Wasser über sie, und Kinder werfen mit Steinen auf die Kleriker, die bereits am Boden liegen. Das ist ein recht einseitiger Kampf auf einer Waldlichtung, der für die Geistlichen schlecht ausgeht. Was für ein Klerus ist das, der sich vom schwachen Geschlecht zusammenschlagen läßt? Alles ist außer Rand und Band, irgendwie verdreht, wollte Lucas Cranach d. Ä. in seiner Handzeichnung aus den späteren Jahren der Reformation (1537) sagen.* Vielleicht wollte er auch etwas Frauenfeindliches andeuten: Frauen sind offensichtlich nur stark, wenn Männer schwach sind, Geistliche beim Müßiggang im Wald haben offensichtlich etwas Weibisches an sich. Eine »verkehrte Welt« wird aufziehen, wie sie auf dem Holzschnitt aus einem anderen Traktat Grünpecks in Erscheinung trat, wo »Trübsale, Angst und Not« alle
Stände in Mitleidenschaft ziehen werden: Bauern werden die Messe am Altar zelebrieren, während Adlige und Mönche den Acker im
Schweiße ihres Angesichts bestellen werden.” Die Kirche wird auf den Kopf gestellt werden und mit ihr die Ordnung der Stände. Das ist
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wohlgemerkt nicht eine Beschreibung der Gegenwart, es ist vorerst nur die schreckliche Vision zukünftiger Zeiten. Aber solche Bilder sind ambivalent. Einerseits klagen sie über die Verhältnisse, die einreißen könnten, und andererseits nähren sie den Traum von der ausgleichenden Gerechtigkeit auf Erden. Der Klerus ist zum Gespött der Leute geworden, zur Zielscheibe der Kritik und zum Gegenstand von Aggressionen, die sich in verbalem Radikalismus, Tumulten und Handgreiflichkeiten, gelegentlich auch im Mord an Priestern, Mönchen und Bischöfen entluden. Es stellt sich die Frage: War der Antiklerikalismus eine tumultuarische Begleiterscheinung des reformatorischen Geschehens, der nicht zuviel Bedeutung beigemessen werden sollte, oder war er eine Kraft,
die der Reformation von Grund auf Gestalt verlieh und Richtung wies?
Der Begriff Nach dem Begriff »Antiklerikalismus« werden wir in den meisten Enzyklopädien vergeblich suchen. Wir finden ihn nicht in der Protestantischen Realenzyklopädie, nicht in Religion in Geschichte und Gegenwart, auch nicht in der neuen Theologischen Realenzyklopädie. Wo er doch auftaucht, wie in der Encyclopedia Britannica beispielsweise, bezieht er sich kaum auf die geistlichen Verhältnisse im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, sondern auf Spannungen zwischen Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Und trotzdem wird dieser Begriff im Augenblick stark ins Gespräch gebracht, um ihn für die Deutung gerade vormoderner Zeiten zu empfehlen. Im Jahr 1990 fand an der University of Arizona eine internationale Konferenz statt, die ihren Niederschlag in einer voluminösen Vortragssammlung gefunden hat: Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe (1992)°. Wer wirklich glaubte, Antiklerikalismus habe vor der Reformation und für die Reformation keine nennenswerte Rolle gespielt, wird jetzt eines Besseren belehrt. Soviele Quellen, Aspekte und Einsichten sind zusammengetragen worden, daß die These Robert M. Kingdons von der »anticlerical revolution« in Genf, die 1974 veröffentlicht wurde, und mein Buch über Pfaffenhaß und groß Geschrei von 1987, das dem Entstehungsimpuls reformatorischer Bewegungen im Antiklerikalismus nachging, nicht 10
mehr
so einsam
dastehen wie bisher.” Ob
in England
oder in
Deutschland, in Italien oder Frankreich, in den Niederlanden oder Mähren, überall war ein manifester oder latenter Antiklerikalismus am Werk. Das Problem ist nicht mehr, die Existenz des Antiklerikalismus nachzuweisen, sondern herauszufinden, wie die Animosität
gegen den Klerus genau ausgesehen, welche Ursachen und welche Bedeutung sie für das Entstehen reformatorischer Prozesse gehabt habe. Antiklerikalismus ist ein Begriff, der nicht schon im 12. und 13. Jahrhundert entstanden war, wie die Encyclopedia Britannica behauptet, sondern erst im 19. Jahrhundert: in den Auseinandersetzungen um den politischen und kulturellen Einfluß, den der römisch-katholische Klerus im gesellschaftlichen Leben zahlreicher europäischer Staaten immer noch ausübte.® Wo der Antiklerikalismus sich schließlich mit atheistischer Religionskritik verband, wurde er nicht nur zu einer energischen Kampfansage an die Hierarchie der Kirche, sondern ebenso zu einem Angriff auf die religiösen Inhalte, die der Klerus vertrat. Es ging um eine Überwindung von Kirche und Religion überhaupt. »Priesterbetrug« (d’Holbach), »Opium des Volkes« (Marx) und »Gott ist tot« (Nietzsche) waren die Losungen, die ein religionsfeindliches Klima erzeugten, das besonders den Klerus in Mitleidenschaft zog und zum Gegenstand politisch-publizistischer Polemik, auch in kulturhistorischer Sicht, werden ließ. In Frankreich war das Buch des vielgelesenen Publizisten Emile Faguet mit dem Titel Z’Anticlericalisme 1905 erschienen und in Deutschland 1923 das zweibändige Werk Wider die Pfaffenherrschaft aus der Feder Emil Rosenows, der in sozialdemokratischem Geist schrieb. Bedenkt man den Ursprung dieses Begriffs, wird durchaus verständlich, daß zahlreiche Historiker und Theologen unwirsch reagierten, als dieser Begriff ihnen zur Interpretation spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Verhältnisse zugemutet wurde. In der Reformationszeit beispielsweise ging es nicht darum, klerikale Einflüsse aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen, die Religion in den Bereich des Privaten zu verbannen oder aus dem Bewußtsein der Menschen zu entfernen. Damals wurde vielmehr Kritik an den Amtsträgern der Kirche aus dem Bedürfnis ursprünglicher Religiosität geübt. Der Ansatz war also ein anderer. Der Klerus wurde verspottet und beschimpft, bedroht und tätlich angegriffen, weil er seine Amts1a
pflichten vernachlässigt und ein moralisches Ärgernis auf das andere gehäuft hatte. Der geistliche Stand war »ganz unachtsam« geworden, hatte Martin Luther in seiner Adelsschrift von 1520 geschrieben.’ Das Vertrauen der Laien in die heilsvermittelnde Kraft der Priester war erschüttert und schlug in ein aggressives Mißtrauen gegenüber dem Klerus allgemein um. Mit dem Antiklerikalismusbegriff hat es eine seltsame Bewandtnis. Kaum war er entstanden, war er auch schon ein Anachronismus.
Sehr viel besser als mit den Verhältnissen der Moderne korrespondierte er nämlich mit den besonderen Problemen einer ständischen Ordnung, denn es ging hier nicht um Kritik an einer Institution, sondern an den Trägern von Herrschaft und Macht, nicht nur geistlicher, sondern auch weltlicher Art. Der Klerus war der »erste« Stand in der Herrschaftspyramide des späten Mittelalters. Dieser personalrechtliche Zug der ständischen Ordnung stand in Frage. Also noch einmal: Antiklerikalismus ist Angriff auf geistliche Personen, die sich von dem Ideal derjenigen weit entfernt hatten, die berufen waren, für das Heil der Menschen zu sorgen. In diesem Sinne beginnt dieser Begriff auch in die Untersuchungen zur Reformation in Deutschland einzudringen. Hier macht er einen Sinn.
Antiklerikalismus vor der Reformation Seit dem Gottesfrieden des 11. Jahrhunderts hat sich allmählich eine Trennung von Klerikern und Laien ausgebildet und im Codex Juris Canonici seit dem 12. Jahrhundert ihre rechtliche Verbindlichkeit erlangt: Die einen sind berufen, die Kirche zu führen und die anderen verpflichtet, sich dieser Führung anzuvertrauen.'® Was sie von-
einander trennte, war das Sakrament der Weihe, das den Priester mit dem character indelebilis ausstattete. Er wurde gegenüber dem Laien auf eine höhere Stufe der Partizipation am göttlichen Sein geho-
ben und dadurch befähigt, das Opfer Christi in der Messe zu wiederholen. Allein der Geistliche und nicht der Laie lebte im Stande der »Vollkommenheit«. Zunächst mag das Miteinander des geistlichen und des weltlichen Standes unproblematisch gewesen sein. Im Zuge der Ketzer- und Armutsbewegungen des späten Mittelalters kam es jedoch bald zu Spannungen zwischen diesen Ständen auf breiter Ebene. Walter von der Vogelweide klagte über die Not, die entstan12
den war, als sich »begunden zu zweien, pfaffen unde leien« (als sich Pfaffen und Laien miteinander zu entzweien begannen).'!' Johannes Tauler war längst nicht mehr davon überzeugt, daß jeder Priester vollkommen sei, und meinte, daß in »geistiger Weise« jeder Mensch,
auch eine Frau, das priesterliche Opfer darbringen könne.'? Antiklerikale Feindseligkeit strömen die Schriften William Langlands, John Wycliffs und Geoffrey Chaucers in England aus, von antiklerikaler Agitation sind die Aufstände von 1381 und 1450 gekennzeichnet, besonders stark auch die Hussitenkriege. In den Schriften Brigittas von Schweden, im Defensor Pacis des Marsilius von Padua, in der Reformatio Sigismundi, mit blutrünstigen Metaphern im Oberrheinischen Revolutionär genauso wie in den apokalyptischen Bußrufen Girolamo Savonarolas und den Reformpredigten Geiler von Kaysersbergs,
überall
ist hier ein vehementer
Antiklerikalismus
am
Werk. Im Narrenschiff Sebastian Brants, in den astrologischen Traktaten und in den Schriften der Humanisten, überall kommt es zu Kla-
gen über die Geistlichen aller Ränge, über die episkopalen Spitzen der Hierarchie genau wie über die »gemeine Pfaffheit«; nicht nur zu Klagen, sondern teilweise zu heftigen Angriffen, nicht nur bei gelehrten Autoren, der heftigste war Ulrich von Hutten, der einen »Pfaffenkrieg« eröffnet hatte, sondern auch beim »gemeinen Mann«, ebenso in den Amtsstuben der Städte, in Flugschriften des niederen Adels, in den Kanzleien der Landesherren und auf den
Reichstagen. Das antiklerikale Thema ist auch in literarischen Werken und in der bildenden Kunst angeschlagen worden, in volkstümlichen Liedern,
Schwänken,
Exempla,
Spottversen und Märchen.
Schließlich läßt sich der anschwellende Antiklerikalismus an der Bedeutungsgeschichte des Begriffs »Pfaffe« ablesen. Zunächst bezeichnete er den Weltgeistlichen im Sinne eines terminus technicus,
mit Luther, so das Grimmsche Wörterbuch, habe dieser Begriff dann einen pejorativen Klang angenommen: der nachlässige Pfaffe, der verachtet und gehaßt wird." Der Antiklerikalismus ist auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen:
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l. auf das moralische Fehlverhalten derjenigen, die von ihrem Selbstverständnis her die Repräsentanten christlicher Vollkommenheit sind;
2. auf die Privilegien der rechtlichen Immunität, auf die Befreiung von den Steuern und die Aufsicht über Schulen und Spitäler; die 13
Bürger fühlten sich herausgefordert, daß die Geistlichen trotz ihrer Immunität die Vorzüge der Stadt genossen und in Anspruch nahmen; 3. auf die Freistellung von Kriegs-, Wehr- und Wachdiensten; 4. auf die wirtschaftliche Betätigung (Kreditgeschäfte, Bierausschank, Weinhandel, Weberei), die sich zu einer Belastung und Konkurrenz des Handwerks entwickelt hatten; 5, auf die kirchliche Gerichtsbarkeit, die sich zunehmend
auch
mit weltlichen Angelegenheiten befaßte und sich mit geistlichen Sanktionen, Bann, Interdikt, Exkommunikation durchzusetzen versuchte, während die Geistlichkeit sich den weltlichen Gerichten ent-
z08; 6. auf Pfründenhäufung, Bettelei, Erbschleicherei, luxuriöse Le-
bensführung, Fiskalisierung kirchlicher Dienstleistungen und Vernachlässigung der Amtspflichten. Die Ursachen sind also moralischer, spirituell-ekklesiologischer, fiskalischer, wirtschaftlicher und kultureller Art; und die antiklerikale Auflehnung der Laien, von den Fürsten bis zu den Bürgern und Bauern, deutet darauf hin, wie inten-
siv und beherrschend die kirchliche Hierarchie in die spätmittelalterliche Lebenswelt der Menschen eingedrungen war, so sehr, daß man zusammenfassend den Herrschaftsdruck, der vom Klerus ausging, zur eigentlichen Ursache des Antiklerikalismus erklären könnte.'* Aus den antiklerikalen Reaktionen kann allerdings nicht unbedingt geschlossen werden, daß der Klerus tatsächlich so verkommen gewesen sei. Oft handelte es sich um stilisierte Argumente und ritualisierte Formen des Protests, auch um provozierende Agitation. Doch die zahlreichen Belege, die in verschiedenen Regionen und
Städten ähnliche Klagen und Reaktionsweisen zum Ausdruck bringen,'” zeigen deutlich, daß die Proteste gegen den Klerus nicht ganz aus der Luft gegriffen, sondern in konkreter Erfahrung begründet waren. Eine genaue Analyse der Visitationsberichte, die noch in den Anfängen steckt, könnte uns mehr Aufschluß über den Zustand des Klerus geben. Auf dem Weg zum Ausbau landesherrlicher Territorien und im Zuge des voranschreitenden Kommunalismus in der Stadt und auf dem Lande erwies sich der Klerus mit seinen Standesprivilegien und seinen hierarchisch-herrschaftlichen Verhaltensformen als ein Hindernis. Es waren jedoch nicht nur die Spannungen zwischen dem Klerus und den Laien, die den Antiklerikalismus hervorbrach-
ten, auch die Spannungen zwischen Mönchen und Weltgeistlichen, der sogenannte Antifraternalismus,'° sowie die Auseinandersetzun14
gen um die Observanz der Ordensregeln trugen dazu bei, daß die Kritik am Klerus wuchs und mit zusätzlichen Argumenten versorgt wurde, wie überhaupt in erster Linie Kleriker es waren, die den Laien ihre Sprache liehen und zu Protagonisten antiklerikaler Artikulation wurden. Dieser antiklerikale Befund widerspricht nicht der Beobachtung, daß die allgemeine Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in besonders hoher Blüte stand. Mehr als zuvor wurden Messen gestiftet, Prädikaturen
eingerichtet, Altäre und Kirchenräume
kunstvoll
ausgestattet, Prozessionen und Wallfahrten veranstaltet, Reliquien gesammelt und zur Schau gestellt, Ablaßkampagnen durchgeführt, Bruderschaften gegründet und die Verehrung der Heiligen intensiviert. Bernd Moeller hat diese Ausdrucksformen der Frömmigkeit um 1500 beschrieben und den Eindruck vermittelt, als hätten die Menschen sich mit »Leidenschaft und Inbrunst« in einen religiösen
Leistungsrausch um das Heil ihrer Seele gestürzt. Nicht übersehen werden darf allerdings, daß sich diese Laienaktivität nicht nur in Formen existentieller Betroffenheit äußerte, sondern ebenso die Nei-
gung zu ritueller Routine und magischer Beschwörung verstärkte. Deutlich herausgestellt wurde aber, daß die zunehmende Intensität der Laienfrömmigkeit nicht »unbedingt kritiklose Anerkennung des Überlegenheits- und Führungsanspruchs der kirchlichen Amtsträger« bedeutete. So wenig das Kirchenvolk nämlich in der Lage war, auf die Heilsvermittlung durch den Klerus zu verzichten, so sehr nahm das »Verantwortungsgefühl der Laien für die kirchliche Ordnung deutlich zu«,'” allerdings nicht in der Weise, daß sie ihre gesteigerten Frömmigkeitsaktivitäten mit der Amtsführung des Klerus in Einklang brachten, sondern in ihnen das Motiv fanden, den Klerus am Ideal des homo religiosus zu messen und sich aus Sorge um ihr Heil teilweise recht offensiv und rabiat gegen die Geistlichkeit zu wenden, die sie im Stich zu lassen schien. Die Sorge um das Heil mag die tief in der Existenz der Menschen wurzelnde Ursache für den Pfaffenhaß gewesen sein. Das war sicherlich kein »prinzipieller Antiklerikalismus«,'® der sich in Kirchenfeindschaft artıkuliert hätte, wohl aber ein Antiklerikalismus, der um eine grundsätzliche Re-
form von Klerus und Kirche besorgt war. Das war ein Antiklerikalismus, der das Ziel hatte, den Klerus nicht abzuschaffen, sondern in einer besseren Form zu erhalten.
Reformatorischer Antiklerikalismus Alle Formen des spätmittelalterlichen Protests waren auch in der Reformationszeit präsent. Allerdings wurde der Klerus jetzt einer weitaus radikaleren Kritik ausgesetzt; sie mündete in die Forderung, den klerikalen »Stand« ganz und gar abzuschaffen. Es fällt auf, daß überall dort, wo reformatorische
Prozesse
in
Gang kamen, antiklerikale Äußerungen und Tumulte in Erscheinung traten. Hier und da tauchten entlaufene Mönche auf und predigten »lutherisch«, nicht nur in Kirchen und Kapellen, sondern auch unter freiem Himmel, auf Märkten und Plätzen, in Gassen und Winkeln, in Mühlhausen beispielsweise auf dem Stein, auf dem sonst neues Bier
ausgerufen wurde. In den Quellen wird nur selten erwähnt, daß über die Rechtfertigung des Sünders sola gratia, wohl aber, daß gegen den Papst, gegen Priester und Ordensleute gepredigt worden sei. Die antiklerikale Äußerung wird zu einem Erkennungszeichen für reformatorische Predigt und Propaganda in den Flugschriften. Beide sorgten dafür, daß die Fronten klar heraustraten. Hier stehen »wir« und dort »die anderen«, moralisch betrachtet, hier die Guten und
dort die Bösen, apokalyptisch überhöht, hier die Auserwählten und dort die Verdammten. Der Weg vom Antiklerikalismus zur Apokalyptik war nicht weit. Es war auch nicht weit vom Wort zur Tat. Bereits in Wittenberg haben 1521 Studenten, Frauen und Mädchen altgläubige Priester bei der Messe vor dem Altar mit blitzenden Messern unter den Gewändern in Angst und Schrecken versetzt, im Augustinerkloster gingen Kultgeräte und Gestühl zu Bruch.'? Überall haben sich solche Szenen ereignet. Gottesdienste wurden gestört, Bilder gestürmt, Klöster zerstört. Die Phantasie antiklerikaler Agitation kannte keine Grenzen. In Braunschweig beispielsweise hat ein Priester am Ostertag 1527 die Kanzel betreten und nach »altgläubiger Art« gepredigt. Doch dies wurde von den Zuhörern nicht hingenommen: »als er nun den Aristoteles nannte, saß ein Schuster... unterm Turm, stand auf
und sprach seinen Nachbarn... und begehrte von ihm, ihm die Wächter-Glocke läuten zu helfen. Als der ihn fragte, was das bedeuten sollte, sagte der Schuster: der Prediger nennt wieder den Aristoteles, denselben aber wollen wir vertreiben und nicht mehr in dieser Kirche dulden. Als nun die Glocke geläutet und eine Meuterei unter der phantastischen Predigt in der Kirche entstanden war, wurde der Prie-
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ster verzagt, stieg von der Kanzel herunter, ging und kam nicht wieder.« Mehr wird nicht berichtet, dieser Begebenheit »die Änderung der Religion« Der Rat der Stadt hatte auf Drängen der Bürger
zur Kirche hinaus nur noch, daß mit angefangen habe. nach dem »reinen
Wort Gottes« nachgegeben.?? Hier wurde ein direkter Zusammenhang zwischen antiklerikaler Agitation und Reformation hergestellt. Auch sonst ist zu beobachten, daß Predigtstörung, Kapellensturm, Zehntverweigerung und Klerikerbeschimpfung dazu eingesetzt wurden, reformerische Prozesse in Gang zu setzen: vor dem Bauernkrieg, im Bauernkrieg 1525 und nach dem Bauernkrieg. An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob im Antiklerikalismus nicht die Ätiologie der Reformation zu suchen sei. Sollte der Antiklerikalismus tatsächlich auf die Ursprungssituation der Reformation verweisen, müßte er mehr als eine tumultuari-
sche Randerscheinung, mehr als polarisierender Agitationsimpuls, auch mehr als taktisches Mittel zur Einleitung reformatorischer Prozesse, er müßte Reformation selbst gewesen sein, bildlich gesprochen: er müßte nicht nur ein altes Gebäude niederreißen, sondern
auch ein neues aufrichten. Und das ist tatsächlich der Fall. Dieser positive Zug kommt in der Losung vom »Priestertum aller Gläubigen« zum Ausdruck, die mit der Adelsschrift Luthers im Volke zu kursieren begann. Der Priester verführt nicht nur die Laien zur Werkgerechtigkeit, er ist selber, von der Definition seines Standes her, ein
Instrument der Werkgerechtigkeit und als solches hinfällig geworden. Die Losung vom allgemeinen Priestertum wurde begierig aufgenommen und setzte Kräfte ursprünglicher Religiosität und tatkräftigen Erneuerungshandelns frei. Im Aufstand gegen den falschen homo religiosus kam der wahre homo religiosus wieder zum Vorschein. Im Wechsel vom Priester zum Laien zeigte sich der Ursprung der Reformation. Dieser Wechsel ist für die obrigkeitliche genauso wie für die radikale Reformation in der Vielfalt ihrer Erscheinungen charakteristisch. Der klerikale Stand war eines der wichtigsten Schlüsselprobleme der Zeit. An ihm entzündeten sich die Wittenberger Unruhen, an der geistlichen Herrschaft zu Trier entbrannte der Aufstand der Reichsritter um Franz von Sickingen, auf die Uneinsichtigkeit und Renitenz von Priestern und Chorherren wurde mit Störungen von Predig-
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ten und Messen, mit tätlichen Angriffen und mit Brandschatzung der »Pfaffenhäuser« reagiert, gegen die ausbeuterischen Klosterherren standen die Bauern auf. Immer schroffer behandelten weltliche Obrigkeiten in Stadt und Land die Geistlichen, die sich in Konflikten mit der Bevölkerung an sie wandten. Überall wurden Klagen laut, daß die Kleriker sich ihres Lebens nicht mehr sicher seien. Die antiklerikale Situation hatte sich in den frühen Jahren der Reformation zugespitzt. Doch ohne die schleichende Zerrüttung des Verhältnisses von Klerus und Laien im Laufe des späten Mittelalters, in dem Verhaltensweisen und Muster zur Rezeption biblischer, antiautoritärer Worte erlernt und eingeübt wurden, ist die plötzliche Durchschlagskraft des reformatorischen Antiklerikalismus nicht zu erklären.?'
Zum Erklärungsmodell Der Antiklerikalismus bietet sich als ein Modell an, mit dessen Hilfe sich das Reformationsgeschehen in seiner Durchsetzungsart erklären ließe, da sich in ihm geistliche, politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte des reformatorischen Geschehens miteinander verbinden, er darüber hinaus auch Dynamik und Duktus entscheidend
bestimmt, in dem reformatorische Prozesse verlaufen und Bewegungen entstehen. Erklärungskraft hat nicht ein einziger Aspekt für dieses komplexe Geschehen, sondern nur die Verschränkung der Aspekte. Hier läßt sich die integrative Betrachtungsweise nutzen, die in der Sozialgeschichte ausgebildet wurde. l. Der Antiklerikalismus, d.h. die Situation, in der sich verschiedene Formen des Kampfes gegen den Klerus herausgebildet haben, ist der »Sitz im Leben« für reformatorisches Denken und Handeln. Er gibt ihnen Form und Richtung, nicht eigentlich den Inhalt. Die reformatorische Erkenntnis ist nicht vom Himmel gefallen, sondern
hat sich in einer ganz bestimmten Situation eingestellt, in einer Situation, in der das Verhalten des Klerus zu einem Problem geworden war. »Sitz im Leben« ist ein Begriff aus der Formgeschichte und bringt zum Ausdruck, daß die Bemühungen um die Erneuerung der Christenheit damals in Beziehung zum Problem des Klerus gesetzt wurden. Das gilt für die Entstehung zahlreicher reformatorischer Gedanken, besonders aber für ihre Rezeption in allen Schichten der Ge18
sellschaft. Daß reformatorische Gedanken Standesgrenzen durchbrachen, lag nicht einfach an der allgemeinen, alle Menschen von Grund auf erfassenden Überzeugungskraft dieser Gedanken selbst, sondern viel eher daran, daß der Klerus im Laufe der Geschichte zum Vermittler eines universal angebotenen Heils geworden war und zugleich einen Standesegoismus ausgeprägt hatte, der für alle anderen Stände zum Problem geworden war. Antiklerikale Gesten in Wort und Tat mobilisierten Sympathie und Engagement für die Bemühungen um eine Erneuerung der Christenheit. Die weltlichen Obrigkeiten nahmen solche Ideen in ihre Kirchenpolitik auf, noch ursprünglicher ließ sich der »gemeine Mann« von diesen Ideen erfassen. Er bildete reformatorische Bewegungen aus und sorgte dafür, daß die reformatorischen Losungen auch wirklich Gestalt annahmen. Brüderliche Gemeinschaft war im Begriff, sich gegen klerikale Herrschaft durchzusetzen. Ohne die antiklerikal motivierten Bewegungen des »gemeinen Mannes« wäre die Reformation eine Idee geblieben. 2. Mit dem formgeschichtlichen Begriff vom »Sitz im Leben« ist nicht gemeint, daß im Antiklerikalismus eine Ursache für das Reformationsgeschehen gefunden werden könne. Die Ursachen sind mannigfaltig und reichen historisch oft weit hinter die konkrete antiklerikale Auseinandersetzungssituation zurück. Aber in dieser Situation wirkten sie sich spezifisch aus. Diese Situation regulierte, welche Ideen, Stimmungen und Probleme eine Chance erhielten, zu historischer Wirkung zu gelangen. Apokalyptik, Mystik, Spiritualismus, Sakramentskritik, kommunalistische Ambitionen und landesherrliche Kirchenpolitik beispielsweise erhielten in dieser Situation eine besondere Plausibilität und eine neue Chance, sich Geltung zu ver-
schaffen. 3. In diesem Erklärungsmodell findet die gesamtgesellschaftliche Relevanz der reformatorischen Grundidee eine angemessene Berücksichtigung. Es wird deutlich, wie die Reformation aus den Schwierigkeiten der ständischen Gesellschaftsordnung erwachsen ist. Der Angriff auf den ersten Stand sollte nicht ohne Wirkung auf das gesamte Standesgefüge bleiben. So wird die Reformation zu einem Geschehen in einem Prozeß, in dem die Ständeordnung allmäh-
lich überwunden wurde: zwischen spätem Mittelalter und Französischer Revolution. Reformatorischer Antiklerikalismus war also ein Angriff auf die geltende Ordnung und stellte, zumindest im Hinblick 19
auf die Standschaft des Klerus, einen radikalen Bruch mit dieser Ordnung dar. Er war revolutionär. Für die Einschätzung der verschiedenen reformatorischen Bewegungen ergibt sich daraus eine wichtige Konsequenz: Es geht nicht mehr an, das reformatorische Geschehen als einen Radikalisierungsprozeß darzustellen: von der gemäßigten Reformation Luthers und Zwinglis zur radikalen Reformation Thomas Müntzers, der aufständischen Bauern und der Täufer. Radikal war zunächst vielmehr jeder Erneuerungsversuch, der in der antiklerikalen Situation Gestalt anzunehmen begann. Allerdings wurde die Radikalität zunehmend zum Problem. Einige steckten zurück, andere hielten durch, nach und nach veränderte die Radikalität auch ihr Gesicht oder brach in sich zusammen. Die reformatorische Idee vom allgemeinen Priestertum, die im bewußten Gegensatz zur Werkgerechtigkeit entwickelt wurde, hatte die Situation des spätmittelalterlichen Antiklerikalismus radikalisiert. Diese Radikalität hatte sich zwar nicht auf allen Gebieten, neben dem klerikalen etwa auch dem obrigkeitlichen, durchgesetzt, ihre ursprüngliche Wirkung muß aber doch so intensiv gewesen sein, daß selbst in der gemäßigten Reformation noch das Ziel erreicht wurde, den Stand des Klerus abzuschaffen und einen entscheiden-
den Schritt von der Kleriker- zur Laienkultur zurückzulegen: Mönche und Nonnen haben ihre Klöster verlassen, Priester sind Bürger geworden, der Klerus hat seine Standschaft in den Landtagen verloren,
geistliche
Herrschaften
sind
säkularisiert
worden,
und
die
Macht des Papstes war gebrochen. Bereits von ihrem historischen Verlauf her dürfte es sich nahelegen, die Durchsetzung der Reformation von ihren antiklerikalen Zügen her zu deuten.
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I. »Wie gantz vorwyrrett, bodenloß ding das geystlich weßen ist«. Geistliche rebellieren gegen ihren Stand
Laien gegen Geistliche In den Weihnachtstagen 1523 hatten einige Bürger den Priester zu St. Blasius durch die Straßen gejagt, waren ins Pfarrhaus eingedrungen, Frauen, Mädchen und Männer, und hatten mitgenommen, was sich ihnen »an Essen und Trinken« bot.' Diese Szene ereignete sich in Mühlhausen am Harz, nachdem sich der Priester an der Untermarktkirche geweigert hatte, einen evangelisch predigenden Geistli-
chen an der Kilianskapelle einzustellen. Nichts konnte die aufgebrachte Menge mehr zurückhalten, ihren Unmut über die desolaten kirchlichen und sozialen Zustände an diesem Priester auszulassen und ihn, wie einer anderen Quelle zu entnehmen ist, mit Messern zu bedrohen, während er am Altar die Wandlung von Brot und Wein
vollzog. Der Priester wähnte sich in Lebensgefahr und verkroch sich in der Sakristei. Erst am Abend konnte ihn der Bürgermeister im Schutze der Dunkelheit nach Hause geleiten, einen Tag später verließ er die Stadt.? Bereits frühere Vorfälle hatten zu der Klage geführt, daß die Geistlichen hier »mit großer Verfolgung« belästigt würden.’ Offensichtlich waren die Predigten entlaufener Mönche, die sich gegen Priester und Herren des Deutschen Ordens gewandt hatten,* auf fruchtbaren Boden gefallen. Ähnliche Szenen ereigneten sich auch in zahlreichen anderen Städten. In Erfurt wurden 1521 die Häuser der Geistlichen geplündert und verwüstet, hier war geradezu ein »Pfaffensturm« über die Stadt hinweggebraust: »haec prima Lutheranorum adversus clericos seditio.«° In Nürnberg mußten an Fronleichnam 1523 Soldaten aufgeboten werden, um den Klerus vor drohenden Angriffen aus der Gemeinde zu schützen. Sogar Stadtknechte hatten die Geistlichen
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verhöhnt und beschimpft. Dennoch war es dem Rat hier gelungen, die antiklerikalen Ausschreitungen in Schach zu halten, anderswo kam es dagegen zu spektakuläreren Tumulten, zu einer eigentümlichen Mischung aus Wutausbruch und Reformverlangen.’ Gefährlich wurde es für Kleriker auch auf dem Lande. In das Kloster von Ittingen drangen Bauern ein und entkleideten einen Mönch auf entwürdigende Weise. Sie rissen ihm die Kutte vom Leib und stellten ihn unter höhnischem Gelächter bloß, bis sich ein reformgesinnter Prädikant seiner erbarmte und ihm den eigenen Mantel überwarf.® Auch Nonnen mußten sich mancher Zudringlichkeiten erwehren: »... und die Klosterfrauen wissen so wenig wie eine Gans, was sie auf Latein beten, denn sie verstehen es nicht.«° Das dürfte noch die harmloseste
Anzüglichkeit gewesen sein. Darüber hinaus kursierten Gerüchte von Ausschweifungen und Verstößen gegen das Keuschheitsgelübde. Wilhelm Reublin hatte sich beispielsweise in seinen Predigten auf der Zürcher Landschaft über masturbierende Nonnen lustig gemacht.'° Im Bauernkrieg wurden unzählige Klöster geplündert, in Brand gesteckt und zerstört. Der Klerus hatte sich den Zorn des Volkes zugezogen, der durch die reformatorische Propaganda nicht nur kräftig geschürt, sondern auch systematisch dafür eingesetzt worden war, reformerische Prozesse voranzutreiben. So hat der Erfurter Rat das »Pfaffenstürmen« in der Stadt geschickt gelenkt, um seine steuerrechtlichen Forderungen an die Geistlichkeit durchzusetzen;'' und so hat Ulrich Zwingli die Predigtstörungen seiner Anhänger geduldet und genutzt, sich gelegentlich sogar selber daran beteiligt, um den Rat Zürichs zu Verhandlungen über die Einführung der Reformation zu bewegen.'? Das geschah übrigens in einer Zeit, da Martin Luther bereits dazu übergegangen war, vor solchen Ausschreitungen zu warnen. In seiner Schrift Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung (1522) versuchte der Wittenberger Reformator, das antiklerikale Mütlein, das er selber erhitzt hatte, wieder zu
kühlen.'” Doch es half nichts. Wo die evangelischen Prediger sich eine Anhängerschaft schufen und soziale Bewegungen für die Reformation entstanden, kam es immer wieder zu antiklerikalen Aktionen,
ob in Hersfeld, Hamburg oder Stralsund, in Augsburg, Kitzingen oder Colmar, überall gehörte der Antiklerikalismus
zum
Szenario
des frühen reformatorischen Aufbruchs. In dieser Form der Agitation sahen die Laien eine Möglichkeit, sich am Gang der Reformation zu
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beteiligen, selber Hand anzulegen,
sich den verhaßten Pfaffen zu
verweigern und sie davonzujagen. So fand die Losung vom »Priestertum aller Gläubigen« ihre handfeste Konsequenz. Wenn man beobachtet, wie bewußt diese Tumulte eingesetzt wurden,'* um Zeichen zu setzen und Verhandlungen in Gang zu bringen, ja, daß sie oft mit List und Überlegung, auch zur richtigen Zeit und im Interesse der Reformatoren inszeniert wurden, legt sich die Frage nahe, welchen Anteil eigentlich Geistliche daran hatten, solche Affekte wachzurufen und Stimmungen gegen den altgläubigen Klerus zu schüren, ob das antiklerikale Engagement nicht vielleicht zutiefst in reformatorischer Theologie verwurzelt war. In Mühlhausen beispielsweise war dem bereits beschriebenen Vorfall folgendes vorausgegangen: Ein entlaufener Mönch war mit einer großen Volksmenge in die Kapelle eingedrungen, hatte dem Priester den Kelch aus der Hand gerissen und danach an viele Männer und Frauen das Abendmahl »auf die lutherische Weise« verteilt.'” Man kann das Problem also auch auf die Spitze treiben und fragen, ob der Antiklerikalismus nicht geradezu ein Erzeugnis der Kleriker selbst gewesen sei — wie das Argument vom »Priestertum aller Gläubigen« zweifellos auch und erst allmählich auf das Volk übergegriffen hat. Man könnte natürlich auch fragen, ob es nicht ganz anders gewesen sei, nämlich so, daß die theologischen Gelehrten mit ihrem Argument auf den Begriff brachten, was im Volk auf unbegriffene Weise schon zum Ausdruck drängte: die Kluft zwischen Geistlichen und Laien zu überwinden und sich eine eigene, vom Priester unverstellte Nähe zu Gott zu erkämpfen. Schließlich wäre noch eine dritte Variante zu erwägen: Die evangelische Predigt rief den Widerstand der altgläubigen Kleriker hervor, den sich wiederum das Volk nicht mehr gefallen ließ und in trotziger Gebärde zu brechen versuchte. Für alle Varianten lassen sich Beispiele finden, eines ist jedoch klar: in den Antiklerikalismus waren Geistliche genauso verwickelt wie Laien. Oft waren die Geistlichen sogar tonangebend, und aufs ganze gesehen gaben sie dem Antiklerikalismus der frühen Reformationszeit ein besonderes Gepräge. 2 Im Antiklerikalismus geht es um Kritik an Personen, freilich mit der Besonderheit, daß diese Personen in höchstem Grade die Kirche
repräsentieren, die sich ja selber als klerikale Hierarchie definiert. Insofern trifft die Kritik am Klerus auch die Kirche, wie umgekehrt besonders die Laien ihre Kritik an der kirchlichen Institution als Kri23
tik an ihren Amtsträgern vorbringen. Im Papst, im Bischof und im Priester tritt den Laien die Kirche entgegen. Wohl vermittelt der Klerus das Heil, doch wirft sein Fehlverhalten in den Augen der Laien bereits vor der Reformation auch dunkle Schatten auf die Kirche und ist für ihren desolaten Zustand verantwortlich. Eine ursprüngliche und vitale Reaktion auf diesen Zustand ist nicht Kirchenkritik, als ob man eine neue Kirche forderte, sondern Kritik am geistlichen Stand: Eine solche Kritik hat ein sichtbares, angreifbares Ziel — vor allem
für das Volk, das sich nicht mit theologischen Lehrsätzen und anonymen kirchlichen Strukturen auseinandersetzen kann, wohl aber mit
Personen, die ihm täglich begegnen. Der Antiklerikalismus
hat viele Gesichter, je nachdem,
ob der
Papst, die Bischöfe, Kanoniker.und Prälaten (die hohe Geistlichkeit) oder die Weltgeistlichen (die »gemeyne Pfaffheit«), Nonnen und Mönche im Visier der Kritik stehen. Die Gesichter wechseln auch, je nachdem, wer die Kritik äußert und in welchen Lebensbereichen die
Kleriker den Menschen begegnen: ob dem Bauern, der sich über die drückenden kirchlichen Lasten (Zehnt und Zins) und die mangelhafte kirchliche Versorgung beklagt, dem Handwerker, der unter der gewerblichen Konkurrenz der Klöster leidet, dem Mitglied des Rates, der den Klerus besteuern und in den Bürgerverband der Stadt eingliedern möchte, dem Bürger, der die rechtliche Immunität der Geistlichen nicht mehr zu dulden bereit ist, oder dem Angehörigen der Reichsstände, die sich mit den Gravamina nationis germaniae gegen den Geldabfluß nach Rom zur Wehr setzen. In diese Ausdrucksvielfalt ist der Antiklerikalismus der Kleriker eingebettet. Auch wenn er hier isoliert wird, ist und bleibt er auf das
allgemeine antiklerikale Milieu der Zeit bezogen. Im folgenden soll die Aufmerksamkeit nur auf drei Aspekte gelenkt werden: Der klerikale Antiklerikalismus polarisiert die Fronten der kirchlichen und politischen Auseinandersetzung, leitet zu spektakulären Aktionen an und ist im Zentrum des reformatorischen Denkens verankert.
Kleriker gegen Kleriker Solange Kleriker und Laien friedlich miteinander umgingen, war die Verschiedenheit der beiden Stände eine Selbstverständlichkeit.'° Sobald aber Spannungen auftraten und die Laien an der Integrität und
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Führungskraft des Klerus zu zweifeln begannen, konnte sich die festgeschriebene Andersartigkeit der Geistlichen zu einem Antagonismus auswachsen, der die Christenheit belasten mußte. Die Reak-
tion der Laien wechselte im Laufe der Zeit. Man wandte sich vom Klerus ab und rief Bewegungen ins Leben, die bald häretisiert wurden. Oder es hagelte Kritik, der Klerus wurde verspottet, beschimpft und ihm auch sonst hart zugesetzt, obwohl die Laien auf seine heilsvermittelnde Tätigkeit angewiesen waren. Sie konnten aber auch die Intensität ihrer Frömmigkeit steigern, um auf diese Weise den defizienten Modus geistlicher Versorgung zu kompensieren.'’ Im Extremfall war es sogar möglich, den Klerus ganz zu verdrängen und seinen Platz selbst einzunehmen. Genau das geschah mit der reformatorischen Losung vom »Priestertum aller Gläubigen«. Man war nicht mehr auf Priester, Bischof und Papst angewiesen. »Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, daß es zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei.«'® Luther schränkte zwar ein, daß es nicht jedem gezieme, ein solches Amt auszuüben, aber grundsätzlich
meinte er doch, daß der Auftrag, geistliche Aufgaben wahrzunehmen, nicht in der klerikalen Hierarchie, sondern in der Taufgnade verankert sei, die jedem Christen zuteil werde. Was zunächst also ins
Auge fällt, ist eine Polarisierung von Klerikern und Laien. Ob sie vor der Reformationszeit schon auf breiter Front stattgefunden hatte oder nicht, mag dahingestellt bleiben; hier geht es zunächst einmal nur darum, den Anteil herauszuarbeiten, den verschiedene Reforma-
toren, selbst klerikaler Herkunft, an dieser Polarisierung hatten.
Die frühen Schriften Martin Luthers sind ein wahrer Steinbruch für antiklerikales Vokabular, selbst Aufrufe zu blutrünstigem Vorgehen gegen Priester und Mönche fehlen nicht.'” Der Kampf gegen den Ablaß, mit dem die »römischen
Heuchler«
sich bereicherten,
die
Auseinandersetzungen mit dem Antichrist zu Rom und die Aufnahme der reichsständischen Gravamina in seine Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) haben ihm reichlich Anlaß zu antiklerikalen Invektiven gegeben, und diese haben ihre Wirkung im Volke nicht verfehlt. Sie gehörten zum festen Bestandteil der Bewegungen, die in zahlreichen Städten entstanden, um Reformen voranzutreiben und herbeizufüh-
ren. Schon in der Psalmenvorlesung (1513/15) hatte Luther den Kle-
rus gelegentlich kritisiert: »Der erzürnte Gott läßt zu, daß diese Stän25
de heute vergeblich und ohne Wirkung sind, weil sie dem bösen Denken so anheimgegeben sind, daß sie alles, was ihres Amtes ist, nicht tun, das aber tun, was ihnen nicht geziemt«.?° Mit aller Vorsicht betritt er hier für sich selber zeit- und sozialkritisches Neuland, so
daß er meint, sich gegen mögliche Mißverständnisse noch schützen zu müssen: »Nicht daß man gegen sie wüten und zürnen soll, sie lästern und herabsetzen, denn das hat keinen Erfolg (Hes. 9.11ff.), sondern man soll Schmerz und Mitleid empfinden, sich der Kirche in ihnen erbarmen und für sie beten«.?! Schärfer und ausfallender wird die Kritik schon in der Römerbriefvorlesung (1515/16). »Dummköpfe«, »Untaugliche«, »Unwürdige«, »weitschweifige kleine Schwätzer« werden von Bischöfen und Ordensleuten auf die Kanzeln geschickt, »Satansknechte und Diener der alten Schlange«. Er beobachtet auch in einer von Martin Brecht ausdrücklich als antiklerikal qualifizierten längeren Scholie zu Röm. 13 die Animosität gegen den Klerus im Volke, verbindet aber mit seinen kritischen ÄuBerungen die ernste Bitte, »daß niemand
es mir nachtun möge in
dem, was ich aus Schmerz und Pflichtgefühl sage, wie die Anwendung der Lehre, die man lehrt, auf das jetzige Leben für das Verständnis sehr förderlich ist, und zugleich auch deshalb, weil ich mein
Lehramt mit apostolischer Autorität ausübe, Es ist meine Pflicht, das anzuprangern, was, wie ich sehe, nicht in rechter Weise geschieht, auch wenn es sich auf höherer Ebene abspielt«*. Die Hemmungen, gegen den Klerus zu agieren, fallen erst, als Luther selbst dem Ketzerverdacht und einem Ketzerprozeß ausgesetzt wird. In seinen Vorlesungen waren Ketzer und Schismatiker die Feinde der Christenheit, jetzt werden es Päpste, Prälaten und Priester. Dieser Wandel fällt übrigens in eine Zeit, in der Luther aufgrund neuer Erfahrungen die Polemik gegen die Feinde der Kirche auch
von den Juden auf die klerikale Hierarchie der Kirche verlagerte.” Zu Beginn der Adelsschrift sagte Luther unüberhörbar deutlich, daß der geistliche Stand versagt habe und nur noch der Laienstand in der Lage sei, der Christenheit zu helfen.?* Im Zentrum des Angriffs auf den Klerus steht der Papst. Er ist der »Zerstörer der Christenheit«; zunächst noch heißt es, er »sollt schier der Widerchrist sein«,
doch dann wird Luther deutlich: der Papst ist der »Antichrist«, der in des »Teufels Nest zu Rom« regiert.?° Aber der Papst ist es nicht allein, der diesem vernichtenden Urteil anheimfällt. Ins Visier genommen werden »der Papst und die seinen«, oder wie es in einer ironi-
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schen Wendung heißt: »Darum, laß nur frisch einhergehen, es sei Papst, Bischof, Pfaffe, Mönch oder Gelehrte, als seien sie das rechte Volk, das die Wahrheit verfolgen soll, wie sie es allzeit getan haben.«° Die »erste Mauer der Romanisten«, die Luther zum Einsturz
bringen wollte, war die Unterscheidung, die zwischen Priester- und Laienstand vorgenommen worden war.’ Die Adelsschrift hat die Emotionen nicht nur gegen den Papst, sondern auch gegen den Klerus allgemein geschürt und damit im Volk die Schleusen wohl endgültig geöffnet, aus denen sich Hohn und Spott, Klage und Angriff, aufgestaute Aggressionen gegen Bischöfe, Priester und Mönche in breitem Strom ergossen. Nicht nur Aversionen und Affekte gegen den Klerus wurden so verstärkt, sondern auch das Gefühl wurde genährt, daß der eigentliche Sachwalter der Kirche das einfache gläubige Volk sei: »Ja, es kommt häufiger vor, daß ein häusliches und
schlichtes Werk einer Magd oder eines Knechtes Gott wohlgefälliger ist als alle Fasten und Werke eines Ordensmannes und Priesters — wegen des fehlenden Glaubens. Weil demnach die Gelübde heutzutage wahrscheinlich nur zur Prahlerei und zur Anmaßung wegen der Werke dienen, steht zu befürchten, daß es nirgends weniger Glauben, weniger von der Kirche gibt als eben bei Priestern, Mönchen, Bischöfen, und daß sie rechte Heiden und Heuchler sind, die sich für die Kirche oder für das Herz der Kirche, ebenso für Geistliche und
Leiter der Kirche halten, obwohl sie doch nichts weniger als das sind«.?® Das wurde im Volk begierig aufgenommen. Erasmus erklärte dem
sächsischen
Kurfürsten,
Luther habe zwei unverzeihliche
Sünden begangen, nämlich dem Papst an die Krone und den Mönchen an die Bäuche gegriffen; und Pirkheimer gestand, er sei zunächst »gut lutherisch« gewesen, denn er habe gehofft, die »römische Büberei, desgleichen der Mönche und Pfaffen Schalkheit sollte gebessert werden«.”” Wenn die Humanisten in den antiklerikalen Angriffen die eigentliche Stoßkraft Luthers erblickten, um wieviel mehr wird das im einfachen Volk, das er geistlich aufgewertet hatte, der Fall gewesen sein. Gerhard Zschäbitz hat zu Recht festgestellt: »Der theologisch-akademische Rahmen der Wittenberger »Schule« war geborsten. Die Volksmassen waren für Luther in Aktion getreten«.°° Gesprengt hat diesen Rahmen das antirömische und in einem weiteren Sinne antiklerikale Argument, das ein tiefsitzendes Ressentiment des Volkes gegenüber dem Klerus, besonders gegenüber den Mönchen, zu selbstbewußter Agitation wandelte. 27
Besonders folgenreich waren die Angriffe, die Luther gegen das Mönchtum führte. Hier zeigt sich die »umstürzende Wirkung der Reformation« besonders deutlich.”' 1521 verfaßte er den grundlegenden Traktat De votis monasticis iudicium, der zahlreichen Klosterleuten das gute Gewissen gab, ihre Gelübde brechen und ihre Orden verlassen zu dürfen. Für eine breitere Aufnahme seiner Kritik an des »Teufels Schlammpfützen und Hurenhäuser«°? sorgte dann allerdings die deutsche Paraphrase dieses Traktates, die er in der Epiphaniaspredigt der Kirchenpostille von 1522 vorlegte. Darauf und auf den »Katalog antiklerikaler Ausstellungen«, einem wahren Lasterkatalog mit ausführlichen Beispielen und Begründungen, wie sie eindringlicher und massiver gar nicht hätten ausfallen können, hat zuletzt Hans-Christoph Rublack hingewiesen. Er zeigt, daß sowohl die theologische Begründung der Mönchskritik als auch — und das besonders — die antiklerikalen Ausfälle im Rezeptionsprozeß aufgenommen und unterstrichen wurden.’ »Also haben wir, was Herodes
und Christus anbetrifft, zwei geistliche Regimente, das eine ungläubig, das andere gläubig.«°* Die Polarisierung von Klerus und Laienstand — Rublack beobachtet sogar eine »aggressiv-antiklerikale und antimonastische« Einstellung des Reformators?° — ist nicht nur beiläufiger, sondern grundsätzlicher Natur. »Sie (die Klosterleute) sind
es, durch deren Werke des Antichrists Reich befestigt wird.«® Die Polarisierung wurde auch von anderen gefördert. So haben Franz Günther und Thomas Müntzer sich 1519 in Jüterbog auf antiklerikale Weise mit den Franziskanermönchen angelegt, und Sylvius Egranus und Müntzer 1520/21 den Streit mit den Bettelmönchen in Zwickau gesucht.°’” Das Prager Manifest (1521) ist ein antiklerikal aufgeladenes Dokument, in dem Müntzer die endzeitliche Scheidung zwischen den verdammten Pfaffen und den Auserwählten ankündigt.”® Deutlicher konnte nicht vor Augen geführt werden, wie konsequent der Kampf gegen den Klerus in den endzeitlichen Kampf gegen den Antichrist eingemündet war. Auf andere Weise brachte Simon Reuter, dessen klerikale Herkunft wahrscheinlich, aber nicht ganz erwiesen ist, die Polarisierung
zum Ausdruck. In seiner Flugschrift Wider die Baalspfaffen (1523) äußerte er sich so: »Wir wollen kurtzum diesen großen Haufen der so sorgfältigen Pfaffen bei Judas, dem Gottesverräter, als eine Partei stehen lassen. Und wir, als die andere Partei, wollen diesen geachten,
getrewen Knaben mit dem evangelio durchdringen und frei ins Herz
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hineinsehen.«°? Judas Ischarioth wird zum »advocat und wortreder« der klerikalen Partei, die sich keine Gelegenheit entgehen läßt, die
Laien hinters Licht zu führen und aus dem Marien- und Heiligenkult reichlich Kapital zu schlagen. Der klerikalen Partei steht die evangelische gegenüber, die das alles durchschaut. In schroffer Antithetik nimmt auch der ehemalige Dominikaner Jacob Strauß während seiner frühen Hinwendung zur Reformation im tirolischen Hall die Fronten ins Visier: auf der einen Seite stehen die semiklösterlichen Bruderschaften, in denen sich Elemente genossenschaftlichen Zusammenlebens mit Elementen klerikaler Herrschaft mischten: erfunden und aufgerichtet von fehlgeleiteten Priestern und Mönchen; und auf der anderen Seite steht die »große Bruderschaft«, die Christus lehrt und anführt. Gemeint ist damit nicht die ecclesia invisibilis, sondern entweder die konkrete gottesdienstliche Versammlung oder die kommunale Lebensgemeinschaft, in der alles nach »brüderlicher Liebe« zu ordnen ist: Klerikale Herrschaft hier, brüderliche Gemein-
schaft dort. Auch Ulrich Zwingli äußerte sich in seinen Auslegen und Gründe der Schlußreden (1523) eindeutig gegen den klerikalen »Stand«, der sich »wegen der Kutten, der Absonderung, des Mißbrauches der Reichtümer und der Gewalt« gegen Gott gestellt hat.*' Der Herrschaftsanspruch des Klerus wird energisch bestritten. Wo das geschieht, sind die Fronten klar, und die Reformation kann sich in Be-
wegung setzen. Mit besonderer Wucht bricht das antiklerikale Argument im Traktat vom Hirten (Predigt auf der Zweiten Zürcher Disputation im Oktober 1523, im Druck 1524) hervor. Hier entwikkelt Zwingli das Bild des reformierten »Hirten« gegen das Bild vom »falschen«, auf Eigennutz bedachten »Hirten« der römischen Kirche. »Die wahre Gottes- und Menschenerkenntnis nicht richtig lehren und predigen, weil sie die Ehre von Gott auf das Geschöpf ziehen,
das
macht
den
falschen
Hirten
aus,
daraus
resultiert
die
Hirtenfratze des Eigennutzes. Darum mußte Reformation sein und mit ihr die Prägung eines ganz neuen Amtsverständnisses und Pfarrerbildes.«* Hinzu kommt bei Zwingli noch sein abschätziges Urteil über das Klosterwesen und die Heiligenverehrung. So war allen Zürcher Bürgern bald deutlich geworden, daß ein Päpstler sich zum Reformator gewandelt und das antiklerikale Argument zum Kernargument seiner Reformation gemacht hatte. An der Herrschsucht des Klerus entzündete sich auch die beißen-
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de, satirisch vorgetragene Kritik Eberlin von Günzburgs. »So haben alle Pfaffen soviel Witz wie ihre Vorfahren, die Affen«, spottete der entlaufene Barfüßermönch, »die äffische Art hängt ihnen noch an, sie wollen gern Leute nachahmen, aber es steht ihnen übel an, wie einem Affen menschliche Gebärde. Die Pfaffen wollten sich zu den Fürsten und dem Adel gesellen und durch sie erhöht werden, und das ist ihnen wohl gelungen, wie man zu dieser Zeit sieht.«* Auch bei Eberlin von Günzburg, der das antiklerikale Argument in seinen verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich einsetzte,** ist das nicht nur ein beiläufiger Einfall, wenn der Klerus als Objekt des Angriffs so stark herausgestellt wird, auch dieser Autor ist davon überzeugt, daß sich zwei »Parteien« gegenüberstehen: die Päpstlichen und die Evangelischen.“ Das sind nur einige Beispiele; im Grunde beteiligten sich alle ehemaligen Kleriker, die auf die Seite der Reformation getreten waren,
an dem beschriebenen Prozeß der Polarisierung: von Martin Bucer, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Caspar von Schwenckfeld und Sebastian Franck über die schweizerischen und oberdeutschen Täufer bis zu den täuferischen Führungsgestalten in den Niederlanden. Hatte Bucer einst die »Apostel des Antichrists« den »Aposteln Christi« gegenübergestellt, so stellte Menno Simons später auf besonders kontrastreiche Weise die Merkmale der »Ecclesia Antichristi« den Merkmalen der »Ecclesia Christi« gegenüber. Er brauchte geradezu eine negative Ekklesiologie, um eine positive entwickeln und mit Überzeugung darstellen zu können.“ Die Polarisierung von Klerikern und Laien wurde konsequent betrieben. Sie wurde auch von Laien aufgenommen und verbreitet. Bild und Gegenbild ist das Kompositionsprinzip des Passional Christi und Antichristi, mit dem Lucas Cranach eine große Wirkung erzielte. Sebald Beham griff das Motiv von den beiden Kirchen, der Kirche Christi und der Kirche Antichristi, in einem Holzschnitt auf, und Niklas Manuel Deutsch
ließ 1523 sein Fastnachtsspiel vom Papst und seinem Gegensatz in Bern aufführen.*’ Bild und Gegenbild, Stück und Gegenstück: das waren die wichtigsten Mittel, die eingesetzt wurden, um die Polari-
sierung voranzutreiben, Mittel, die vor allem in den Flugschriften zur Wirkung kamen.
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Vom Wort zur Tat Die Polarisierung von Klerikern und Laien bedeutete mehr als nur die Klarstellung der Fronten im Kampf um die Erneuerung der Christenheit. Wer polarisierte, sorgte im Grunde auch dafür, daß etwas passierte. Wenn Vorwürfe dermaßen scharf und unerbittlich formuliert werden, tragen sie nicht nur dazu bei, Gedanken und Empfindungen zu klären, sie drängen zur Tat und provozieren gelegentlich
auch Gewalt. Den entscheidenden Anstoß zur Flucht vieler Mönche und Nonnen aus den Klöstern hat Luther vor seiner Schrift De votis monasticis iudicium gegeben,” doch mit dieser schließlich die Fluchtbewegung verstärkt. Er hat zahlreichen Ordensleuten geraten, ihren Oberen den Gehorsam aufzukündigen, die Gelübde zu brechen und ihr Leben neu zu gestalten. Die Polarisierung zeigte erste Früchte. Es wurde sogar den Eltern empfohlen, ihre Kinder aus den Klöstern zu holen.” Möglicherweise hatte Luther drei Torgauer Bürger angestiftet, Nonnen aus einem benachbarten Zisterzienserinnenkloster zu befreien. Er beherbergte einige vorübergehend in seinem Wittenberger Kloster und verteidigte die Befreiungstat mit der Schrift Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen (1523): »da man aus Klöstern laufen helfen und raten soll, daß dieselben herausgerissen, geführt, gestohlen und geraubt werden, wie man kann, unangesehen, ob tausend Eide und Gelübde geschworen worden sind.«°° Welche dramatischen Folgen Aufrufe zum Verlassen der Klöster haben konnten, zeigt ein Bericht der Äbtissin Caritas Pirckheimer. Sie schildert, wie 1525 einige Bürgerinnen in das Nürnberger Klarakloster eindrangen, um die dort untergebrachten Töchter gegen ihren Willen heimzuführen. Wie »die grimmigen Wölfe und Wölfinnen« seien sie in das Kloster eingefallen und unter die »herzelichen Schäflein« gefahren.°' In einem Brief schrieb sie: »daß sie sich die Augen fast ausgeweint habe, als man ihr die Kinder mit Gewalt geholt habe. Und besonders nahe ist ihr dabei gegangen, daß die Mütter so gewalttätig vorgegangen sind«.”” Die Frauen haben ihr Ziel mit agitatorischer Penetranz erreicht. Gewöhnlich wird Verweigerung eine Folge der Polarisierung gewesen sein: Die Weigerung, an der Messe teilzunehmen oder die vom Klerus verordneten Gebote zu befolgen, beispielsweise die Oh-
renbeichte abzulegen oder das Fastengebot einzuhalten. An man34
chen Orten wuchs sich das Fastenbrechen regelrecht zu einer kalkulierten Provokation der altgläubigen Geistlichkeit aus, ebenso die Weigerung, den Zehnten an die Klöster abzuführen.”” Provoziert hat die altgläubigen Kleriker auch der Angriff auf den Zölibat der Priester. Für die Priesterehe hatte sich Karlstadt bereits 1521 in seiner Schrift Daß die Priester Eheweiber nehmen mögen und sollen eingesetzt. Danach folgten andere. Der erste Kleriker, der heiratete, war
Bartholomäus Bernhardi, der Propst zu Kemberg. An Luther selbst konnte man erleben, daß der Übergang von Verweigerung zu demonstrativer Agitation fließend war. Wenn er mit Studenten und Kollegen der Wittenberger Universität vor das Elstertor zog und die Bannandrohungsbulle samt Codex Juris Canonici in die Flammen eines eilig errichteten Scheiterhaufens warf, war das sicherlich als ein antiklerikaler Akt verstanden worden: despektierlich gegenüber der Autorität des Papstes und der gesamten Hierarchie der römischen Kirche. Die Verweigerung des Gehorsams hatte einen sichtbaren Ausdruck gefunden. Das Buch des Antichrists wurde verworfen, das Buch Christi dagegen in Ehren gehalten. Die Polarisierung der Fronten hatte unmittelbare Folgen für das Verhalten und Handeln vieler Menschen. Die Autorität des altgläubigen Klerus war untergraben und auch der letzte Rest an Ehrfurcht, die man ihm noch entgegenbrachte, endgültig dahin. Der Klerus wurde verlacht und verspottet, beschimpft und tätlich angegriffen, häufiger als in der Zeit vor der Reformation. Bevor es allerdings zu dem äußersten Schritt kam, zur Gewalt gegen Personen, wurden zunächst oft nur »Sachen« angegriffen. So haben die scheidenden Mönche die Kapelle im Wittenberger Augustinerkloster verwüstet und Bürger an zahlreichen anderen Orten Bilder gestürmt, Klöster geplündert oder Kapellen in Brand gesteckt. Der Zauber, der auf dem Ritus der Kirche lag, war gebrochen. Die Bilder, die Sakramente und die geistlichen Personen wurden entzaubert.’°* War der Bann dieses Zaubers erst einmal gebrochen, bedurfte es keiner Priester mehr. Nichts sollte mehr, wie Müntzer schrieb, »unter dem Hütlein«
gespielt werden.” Die Priester erhielten einen letzten Stoß. Wo es zu Angriffen auf geistliche Personen kam, ging es gelegentlich mit seltsamer Logik zu: Im Anschluß an einen Gottesdienst in Zwickau, am Stephanstag, jagten Gottesdienstbesucher einen altgläubigen Priester, der Müntzer schon vorher denunziert hatte und jetzt wohl neues Belastungsmaterial suchte oder seinen Kollegen herausfordern woll2
te, aus der Kirche und bewarfen ihn mit Kot und Steinen. Offensichtlich aufgebracht über die frevelhafte Steinigung des Apostels durch die gottlosen Heiden — davon wird an diesem Tag die Rede gewesen sein — gewahrten sie einen Gottlosen im eigenen Haus und nahmen Rache an ihm auf eben dieselbe Weise. Ob Müntzer dazu aufgefordert hatte oder ob das ein Akt spontaner Aktualisierung eines biblischen Berichts war, die sich den Gottesdienstbesuchern von
alleine nahelegte, läßt sich nicht mehr ausmachen. Auf jeden Fall zeigt dieser Vorfall, wie sehr das Wort zur Tat drängte — auf eine geradezu ritualisierte Art und Weise. Der biblische Bericht wurde auf die Gegenwart übertragen und dramatisiert. Ähnliche Vergegenwärtigungen gab es auch sonst: Täufer, die aus Zürich verbannt worden waren, schüttelten den Staub von ihren Füs-
sen und verfluchten die Stadt (Matth. 10,14). Kurz vor Fastnacht ritt ein Priester auf einem Esel in die Kirche zu Eilenburg ein, wie Jesus einst in Jerusalem eingezogen war (Joh. 12,15). Die Gemeinde war überrascht, kehrte dem Altar den Rücken und wandte sich dem Imitator Jesu zu. Offensichtlich sollte mit dieser Aktion zum Ausdruck gebracht werden, daß Jesus Christus nicht in den eucharistischen Elementen der Messe zur Gemeinde käme, sondern ganz anders: in aller Demut auf dem Rücken einer Eselin. Der Gottessohn zieht in schlichter Alltäglichkeit ein und ist nicht präsent in geheimnisvollen klerikalen Kulthandlungen.°’ Reformationsgeschichte wurde zur Heilsgeschichte stilisiert. Die Erinnerung an die Heilsgeschichte und ihre Dramatisierung in der Gegenwart setzten antiklerikal-reformatorische Energien frei. Es gab jedoch nicht nur gleitende Übergänge vom Wort zur Tat. Tätliche Aggressionen wurden nachträglich auch von Reformatoren gerechtfertigt, was wiederum zu neuen Aggressionen ermutigte oder anstiftete: Das Wort wurde gewollt zur Tat. Das geschah beispielsweise mit Karlstadts Schrift Von Abtuung der Bilder (1522), in Zwinglis Von Erkiesen und Freiheit der Speisen (1522) und den Hinweisen der Täufer auf biblische Muster, mit denen sie ihren Auftrag zu missionarischer Predigt in Gassen, Winkeln und auf Plätzen begründeten. Sie wähnten sich in den Fußstapfen der Apostel und biblischer Sendboten. Nicht die Weihe, auch nicht die Übertragung ei-
nes Amtes, sondern das Bewußtsein, in der Nachfolge Christi und der Apostel zu stehen, war für sie entscheidend. In die Rolle Judiths schlüpfte Hille Feicken, die aus dem belagerten Münster auszog, um 33
den Fürstbischof zu ermorden.°® Mit dem König David identifizierte sich David Joris von Delft. Auf biblische Vorbilder konnte man sich auch berufen, wenn es galt, den neuen Umgang mit den Sakramenten zu begründen. Das Abendmahl wurde nicht mehr vor dem Altar aus der Hand des Priesters empfangen, sondern man reichte einander Brot und Wein bei Tisch; und nicht mehr Säuglinge wurden zur Taufe vor den Priester getragen, sondern man taufte Erwachsene, die ihren Glauben bekannten, in Privathäusern, am Fluß oder am See: antiklerikale Zeichen, die von biblischer Lektüre angeregt worden waren. Verabscheut wurden die »pfäffischen Bräuche des Antichrist«, restituiert wurden die »Bräuche der Apostel«.” Diese Beispiele, die sich mühelos vermehren ließen, haben gezeigt, daß die verbale Polarisierung von Klerikern und Laien nicht in sich ruhte, sondern eine Dynamik entfaltete, die auf konkrete Verän-
derungen drängte. Kaum ein Ort, an dem evangelische Prediger das Wort ergriffen, der nicht auch Schauplatz antiklerikaler Aktionen gewesen wäre. So war in kurzer Zeit ein Klima entstanden, das den altgläubigen Klerus nicht nur mehr und mehr ins Gerede brachte — es ließe sich geradezu von einer antiklerikalen »Öffentlichkeit«° sprechen — sondern zugleich für eine Mobilisierung von Bewegungen sorgte, die zum Kampf für eine Erneuerung der Christenheit antraten. Der Antiklerikalismus war ein wichtiges Scharnier, das den Übergang des reformatorischen Wortes zu reformatorischer Tat ermöglichte. Ist die Reformation nicht nur ein theologisches, ist sie vor allem und zuerst, auch um ein theologisches sein zu können, ein gesellschaftliches Phänomen, dann hat der Antiklerikalismus entschei-
dend dazu beigetragen, daß die Reformation überhaupt eine historische Gestalt hat annehmen können.
Antiklerikalismus und Theologie In der Epiphaniaspredigt aus der Kirchenpostille von 1522 hat Luther gezeigt, »wie gantz vorwyrrett, bodenloß ding das geystlich weßen ist«.°' Damit hat er nicht nur ein theologisches Urteil über den Klerus allgemein gefällt, sondern zugleich seine eigene monastische Vergangenheit aufgearbeitet. Der Angriff auf den Klerus war auch — und vielleicht sogar zuerst - eine Abrechnung mit der eigenen, nun-
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mehr überwundenen falschen Lebensorientierung, ein Angriff auf die anstrengende, auszehrende Leistungsfrömmigkeit. Im Unterschied zum Antiklerikalismus, der die Laien erfaßt hatte, erwuchs
dieser Antiklerikalismus nicht aus der Erfahrung mit anderen Klerikern, versoffenen und liederlichen Klosterbrüdern, sondern aus dem Entsetzen über das eigene Fehlverhalten vor Gott und den Menschen. Er war das Produkt einer schmerzvollen, aber heilbringenden Metamorphose: »dahin haben mich meine Versuchungen ge-
bracht«.°” Dieser Antiklerikalismus hatte wie die Theologie Luthers überhaupt, einen existentiellen Beweggrund - allerdings nicht unberührt von den Klagen und Angriffen, denen der Klerus allgemein ausgesetzt war.
Wenn Karlstadt sein klerikales Ornat gegen den grauen Wams des Bauern eintauschte und als »Bruder Andres« aufs Land zog, war das mehr als nur ein antiklerikaler Affront gegen diejenigen, die weiterhin ihren geistlichen Habitus zur Schau stellten. Es war ein Akt, in dem er sich vom Image des Klerikers befreite und sich in einer neuen Umgebung als ein anderer erfuhr: als der »neue Laie« und als Bruder unter Brüdern. Das war seine Art, aus einem existentiellen Bedürfnis
heraus sein Leben neu zu ordnen.‘ Mit besonderer Emphase richtete auch Balthasar Hubmaier, einst renommierter Wallfahrtsprediger zur »Schönen Maria« in Regensburg, den antiklerikalen Vorwurf gegen sein eigenes Vorleben in der alten Kirche: »Ich bekenne aufrichtig, daß ich gegen den Himmel und gegen Gott gesündigt habe, nicht allein mit meinem sündigen Leben, das ich in aller Hoffart, Hurerei und weltlicher Üppigkeit bei euch entgegen der Lehre Christi geführt habe, sondern auch mit falscher, unbegründeter und gottloser Lehre, in der ich euch unterwiesen, gespeist und geweihet habe außerhalb des Wortes Gottes, vor allem, wie ich mich wohl noch erinnere, daß ich viel unnützen Tand von der Kindertaufe, Vigilien, Jahrtagen, Fegefeuer, Messen, Götzen, Glocken, Läuten, Orgeln, Pfeifen, Ablaß, Prozessionen, Bruder-
schaften, von Opfern, Singen und Brummen gesagt habe.«°* Die wichtigsten antiklerikalen Angriffsziele sind hier vereint: Unmoralisches Verhalten, falsche Theologie und veräußerlichtes Ritual. Ähnlich äußerte sich später auch Menno Simons: »Ich dachte über mein eigenes unreines, fleischliches Leben nach, sowie über meine heuch-
lerische Lehre und Abgötterei, die ich täglich zum Schein ohne innere Neigung meiner Seele zuwider trieb.«°° Die »alte Kreatur« wird 35
von der »neuen Kreatur« abgelöst. Der Antiklerikalismus ist Erinnerung an eine grundlegende biographische Zäsur, an Buße und Umkehr. Die existentielle Verankerung des Antiklerikalismus erklärt das besondere Engagement, mit dem ehemalige Kleriker an einer »Besserung des Lebens« und einer Erneuerung der Christenheit wirkten. Engagiert waren die Laien auch. Doch die Schärfe, die Unerbittlichkeit, der verbale Einfallsreichtum und die theologische Tiefe, die ehemalige Kleriker dem Antiklerikalismus gaben, wurde von den Laien kaum erreicht. Zum Schluß soll noch kurz auf die theologische Verarbeitung des Antiklerikalismus eingegangen werden — und zwar bei Luther, Müntzer und Michael Sattler. 1. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Antiklerikalis-
mus bei Martin Luther aus dem Zentrum seiner reformatorischen Theologie erwuchs. Die Gerechtigkeit, die Gott dem Menschen zueignet, setzt jede Vermittlung des Heils durch den Priester außer Kraft. Christus ist der Priester, der sich für das Heil des Menschen
geopfert hat, so daß weitere Opfer nicht mehr vonnöten sind.‘ Auf dieses christologische Argument, das bereits in der Hebräerbriefvorlesung von 1517/18 anklingt,’ laufen alle anderen Begründungen zu, die Luther im einzelnen anführt, um seinen Angriff auf den Papst,
die Priester und Mönche zu untermauern: der wahre Priester hier und die falschen Priester dort. Unter dem Gesichtspunkt, daß der Antiklerikalismus theologisch zentral verankert ist, erklärt sich, warum Luther nicht darauf verzichten konnte, den Klerus öffentlich zu diskriminieren. »Sie sagen viel, daß man der Geistlichen schonen soll, sie nicht schelten und strafen, sondern sie ehren und entschuldigen.
Ja, wenn sie nur für sich sehr bösartig wären und allein sich selber verdürben, wollte ich auch wohl schweigen! Aber ihr Regiment verdirbt alle Welt. Wer dazu schweigt und nicht Leib und Leben daran wagt, der ist kein rechter Christ, liebt auch nicht die Seligkeit seines Nächsten wie seine eigene. Könnte ich nur die Seelen aus ihrem Höllenrachen reißen, wollte ich sie wohl mäßiger schelten.«°® Die
Werkgerechtigkeit der Klosterleute widerstreitet der Gerechtigkeit des Glaubens. Unter dem Gesichtspunkt der zentralen Verankerung läßt sich aber auch erklären, warum Luther so tief erschrak, als er vor allem nach dem Erfurter Pfaffensturm 1521 zu erkennen meinte, daß die antiklerikale Agitation in Aufruhr und Empörung enden würde.
So konnte er ebenfalls vom Zentrum seiner reformatorischen Theo36
logie her, der Glaubensgerechtigkeit, vor der praktischen Konsequenz des Antiklerikalismus warnen. Die Werke, die eine Erneuerung herbeizwingen sollen, werden verworfen. Das hatte er schon in seiner Erfurter Predigt auf der Durchreise nach Worms gesagt, und so wiederholte er es in seiner Treuen Vermahnung von 1522.% Er wandte sich zwar gegen antiklerikale Handgreiflichkeiten, jedoch nicht gegen eine antiklerikale Grundhaltung. Dem leiblichen wird der .»geistliche Aufruhr«, die Predigt des Evangeliums gegen den Klerus, gegenübergestellt.’”° Luther hat sich allerdings die Chance nicht entgehen lassen, seine »schwärmerischen« Mitläufer und Gegner ihrerseits einer »neuen Möncherei« zu bezichtigen und den theologischen Fehler, Gesetz und Evangelium nicht voneinander unterscheiden zu können, den er dem altgläubigen Klerus vorwarf, nun auch
Thomas Müntzer und den aufständischen Bauern vorzuwerfen. Sein berüchtigter Aufruf, die Bauern zu morden, und seine Empfehlung, die Täufer als Aufrührer mit dem Tode zu bestrafen, werden bald
folgen. Es ist, als ob er seinen antiklerikalen Affekt auf seine neuen Gegner verlagert habe. Der Pfaffenhaß wurde zum Schwärmerhaß. Für Laien war die Bedachtsamkeit Luthers freilich schwer zu verstehen. Ihnen drängte sich die praktische Konsequenz der verbalen Agitation vielmehr übermächtig auf; scharfsinnige theologische Argumente wollten ihnen nicht in den Kopf. Für sie war Luther tatsächlich der keulenschwingende Hercules Germanicus, wie er auf dem Holzschnitt Hans Holbeins des Jüngeren (1522) Aristoteles, Thomas von Aquin, Duns Scotus und andere erledigt hatte, auch dabei war, einen Mönch zu erschlagen. Den Papst hatte er bereits gefesselt und an seiner eigenen Nase — wie eine Trophäe — aufgehängt. Luthers Selbstverständnis entsprach dieser Holzschnitt nicht — allenfalls in einem sehr übertragenen Sinn.’' Auch konnte ihn die Kritik an dem martialischen Draufgänger, die in diesem Holzschnitt eventuell auf Anregung des Erasmus von Rotterdam zum Ausdruck gebracht wurde, nicht eigentlich treffen. Luther vertraute vielmehr darauf, daß der Glaube den frommen Schein, den der Klerus auf verführerische Weise um sich verbreitete, zunichte machen und der
Klerus unter dem Eindruck der evangelischen Predigt ohne menschliches Zutun bald ganz verschwinden werde.’ Luther setzte auf den Plausiblitätsverlust und die allenfalls obrigkeitlich verordnete Auflösung des ersten Standes. Seine antiklerikale Grundhaltung hatte er damit aber nicht aufgegeben. 37
In dieser Auseinandersetzung wird für viele zunehmend deutlich, daß seine Reformation, so kräftig der Schlag gegen Rom und den Klerus auch geführt wurde und so heftig die Papstkritik gerade noch beim späten Luther sein wird, nicht darauf angewiesen war, theolo-
gisch ständig aus der Kampfstellung gegen den Klerus bedacht zu werden, vielleicht auch deshalb nicht, weil der Einfluß des altgläubigen Klerus in den Städten schnell zu schwinden begann und die Klöster bald verlassen wurden. Je stärker die Theologie nun, nach der großen Schlacht gegen Rom, für das allgemeine Volk expliziert wird, um so mehr können die antiklerikalen Argumente in den Hintergrund und die Grundstrukturen des neuen Rechtfertigungsverständnisses bzw. der Zwei-Reiche-Lehre in den Vordergrund treten. Der Antiklerikalismus
wird als ein Argument unter vielen, aber nicht
mehr als das Argument, wie es wohl zunächst geschah, wahrgenommen, obwohl er als Kampfinstrument im Durchsetzungsprozeß der Reformation Luthers immer noch Verwendung findet. So wird es nützlich sein, grundsätzlich zwischen den Absichten Luthers und seinen Wirkungen im Volk zu unterscheiden. »Gewiß er träumte nicht davon, den äußeren und formalen Mißständen der Kirche ab-
helfen zu können; oder besser gesagt, er träumte davon nur nebensächlich; das war in seinen Augen eine sekundäre Aufgabe, die sich, sobald das Ziel erreicht wäre, von selbst erledigen würde«’”°. Auf diese Weise hat Lucien Febvre die Absichten Luthers sicherlich richtig dargestellt; im Volke aber wurde die Nebensache oft mit der »Sache Luthers« selbst identifiziert. 2. Auf seine Weise verankerte auch Thomas Müntzer den Antiklerikalismus im Zentrum seines theologischen Denkens. Bereits 1521 in Prag bekannte er, sich von Jugend an mit besonderem Fleiß um die Erkenntnis
bemüht
zu haben,
»wie
der heilige; unüberwindliche
Christenglaube gegründet« sei. Doch davon habe noch kein »pechgesalbter Pfaffe« und »geistscheinender Mönch« gesprochen. Die Geistlichen haben versagt und niemanden auf rechte Weise zur »Übung des Glaubens« angeleitet.’”* In der antiklerikalen Auseinandersetzungssituation hat Müntzer mystisches Gedankengut aufgenommen, um aus ihm den Widerpart zum Priester aufzubauen: den vom göttlichen Geist ergriffenen und in die »Ordnung Gottes« zurückgeführten Laien.”® Über geistliche Autorität verfügt nicht mehr der Priester, sondern nur noch der Laie, der das Werk Gottes in sei-
nem Inneren durchlitten hat, nach schmerzvoller Reinigung mit gött38
lichem Geist erfüllt ist und jetzt darangehen kann, im Einvernehmen mit dem Schöpfer die Herrschaft in dieser Welt zu übernehmen. Der Auserwählte, bewußt als Widerpart zum verdammten Priester konzipiert, ist im Grunde der Inhalt der Müntzerschen Theologie. Der Aufbau dieser Theologie folgt dem antiklerikalen Kampfstil von Bild und Gegenbild, Typ und Gegentyp. Doch nicht nur die mystische Tradition, sondern auch die apokalyptische Zeitstimmung nutzte Müntzer, um die antiklerikale Auseinandersetzung seiner Tage zu deuten und voranzutreiben — so sehr, daß bald auch die Wittenberger Reformatoren und die weltlichen Fürsten der klerikalen Front zugeschlagen und dem Gericht Gottes überliefert wurden. So erklärt sich aus der antiklerikalen Situation mancherlei: die laizistische, extrem auf die religiöse Subjektivität ausgerichtete Theologie, die scharfen Dualismen, die Gottlosen und Verdammten auf der einen Seite, die Laien und Auserwählten auf der anderen, und der revolutionäre Versuch, die Herrschaft über diese Welt für die Auserwählten zu er-
kämpfen. Ihm ging es um das »rechte Priestertum«, zu dem die »ganze Welt« nur ungern »hilft«’°: die unvermittelte, allein vom göttlichen Geist bestimmte Stellung des Menschen zu Gott — mit allen Konsequenzen für die gesamte Christenheit, d.h. für Kirche und Gesellschaft, ja für den Zustand der Welt insgesamt. Wolfgang Ullmann meinte: »Es ist der Kampf darum, daß Reformation nur eine Veränderung im Gesamtzustand der Christenheit meinen kann und nicht lediglich die Emanzipation der Laienwelt von der Bevormundung durch den Klerus.«’’ Ullmann hat Recht, aber nur, wenn man sieht, daß dieser Kampf bei der Überwindung des Klerus ansetzt und von der Aversion gegen den Klerus seine Dynamik und Richtung erhält. Auch den Laien ist Schuld an dem Zustand zu geben, daß die »ganze christliche Gemeinde einen stummen Gott anbetet«, das sieht Münt-
zer sehr genau, aber er sieht auch, »wie jetzt die Christenheit durch die bösewichtischen Schriftgelehrten geworden ist« und daß es das »rechte Priestertum« ist, um das gestritten werden muß. Müntzer hat den Antiklerikalismus zu einem theologisch begründeten Reformprogramm ausgestaltet. Das gilt auch für seine Gottesdienst- und Liturgiereform. Gerhard Brendler hat die einzelnen Aspekte dieses Reformwerks kürzlich von einem antiklerikalen Impuls her beschrieben, der in Müntzer wirksam gewesen sei, der »Beseitigung der Barrieren zwischen Priester und Volk«.’* Beides verbindet Müntzer miteinander: den antiklerikalen Impuls mit Korrekturen an Ritus 39
und Formelwerk, ebenso mit der Verdeutschung von biblischen Texten und überliefertem Liedgut aus dem Geist der Mystik. Die Verankerung des Antiklerikalismus in seiner Theologie, die im Traditionsgefälle der Mystik steht, ist unübersehbar. 3, Michael Sattler, einst Prior des Benediktinerklosters St. Peter stieß zum frühen Täufertum, nachdem aufständi-
im Schwarzwald,
sche Bauern sein Kloster gestürmt und die Mönche vertrieben hatten.”” Später beschrieb er die Gründe für seinen Klosteraustritt so: »Als mich Gott berief, sein Wort zu bezeugen, und als ich Paulus las,
dazu auch den unchristlichen, gefährlichen Stand, in dem ich gewesen, betrachtete, und ansah der Mönche und Pfaffen Pracht, Hoffart, Wucher und große Hurerei, da bekehrte ich mich und nahm nach
dem Befehl Gottes ein Weib. Denn Paulus hat wohl davon geweissagt (1. Tim. 4,3.ff.): Es wird in den letzten Tagen geschehen, daß man wird verbieten die Ehe und die Speisen, die Gott geschaffen hat,
sie mit Danksagung zu gebrauchen.«®° Ob es die Lektüre der Heiligen Schrift war, die ihm die Augen für seinen monastischen Irrweg geöffnet hatte, oder der allgemeine antiklerikale Furor um ihn herum, ist nicht mehr zu entscheiden.
Höchstwahrscheinlich
wird es
beides gewesen sein. Viel ist von Sattler nicht überliefert worden. Er gilt aber als Verfasser der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim 1527. Dort waren Täufer zusammengekommen, die einen neuen Weg aus der Krise suchten, in die sie durch die Niederschlagung der Bauernunruhen geraten waren, und eine Lösung in einem konsequenten Separatismus anstrebten. Sie wollten sich von allem trennen, »was nicht
mit unserem Gott und mit Christus vereinigt ist«. Gemeint waren »alle päpstlich und widerpäpstlichen Werke und Gottesdienste, Versammlungen, Kirchenbesuche«, also der Kultus des altgläubigen Klerus ebenso wie die Predigten der reformierten Geistlichkeit. Gemeint waren auch liederliches Leben in Schankstuben und Wirtshäusern, ebenso Bündnisse und Verträge des Unglaubens«.' Was im einzelnen damit auch gemeint gewesen sein mag, die Täufer richteten einen rigorosen Dualismus auf. Sie wähnten sich in der »Vollkommenheit Christi«, alle anderen standen ihrer Meinung nach »außer-
halb« dieser Vollkommenheit.” Nicht der Klerus, der die Vollkommenheit, wie auch Luther meinte, für sich reklamierte, sondern die getauften Brüder, die in den »Gehorsam des Glaubens« getreten sind, stehen in der »Vollkommenheit Christi«. Nicht das »Sündern«,
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das Zwingli sonderung« gang Capito ten Sattlers
am monastischen Klerus kritisierte, wohl aber die »Abder Brüder war gottgewollt. Hier zeigt sich, daß Wolfnicht auf dem falschen Wege war, als er an den Aktivitäden »Anfang einer neuen Möncherei« wahrzunehmen
glaubte.®* Arnold Snyder hat auf den Zusammenhang von benediktinischer Klosterregel und täuferischem Separatismus hingewiesen. Dieser Zusammenhang zeigt sich nicht nur in der Bedeutung, die der Taufe als dem Eingangstor in eine neue Gemeinschaft, analog zum Mönchsgelübde, beigelegt wurde. Er zeigt sich auch im moralischen Rigorismus und im Gemeinschaftsverständnis.°®° Wichtig ist der freiwillige Zusammenschluß der Brüder, die sich der Banngewalt unterwerfen und aus ihrer Mitte heraus einen »Hirten« wählen, der sie geistlich führt und erbaut, aber nicht aus ihrer Gemeinschaft heraus-
ragt oder ihr gegenübertritt, sondern in sie eingebunden bleibt.°° Die Gemeinden waren wichtiger als die Gemeindeleiter. Das war eine Konsequenz, die sich aus dem antiklerikalen Entstehungsimpuls ergab, eine radikale Form des »Priestertums aller Gläubigen«. Ein ähnlicher Dualismus, wie er in Schleitheim entwickelt wurde, stellte
sich auch im niederländischen bzw. niederdeutschen Täufertum nach der Niederschlagung des Täuferreichs zu Münster ein. Doch hier wurde nicht der Gemeinschaftscharakter betont, sondern die prophetische, charismatische Führungskraft der Ältesten. Man sprach deshalb von einer »Ältestenoligarchie«, die sich an die Stelle der altgläubigen Hierarchie gesetzt hatte.°’ So konnte sich der antiklerikale Entstehungsimpuls des Täufertums auf unterschiedliche Weise auswirken: Auf der einen Seite stärkte er die Laien, und auf
der anderen Seite bildete er ein elitäres Führungscharisma aus. Zu einer eigentümlichen Synthese beider Aspekte kam es in der Anfangszeit vorübergehend unter den Hutterern in Mähren. Hier war es zur Gründung von laizistischen Gütergemeinschaften, klösterlichem Leben in manchen Zügen nachempfunden, unter charismatischer Herrschaft gekommen.*®
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Varianten antiklerikalen Verhaltens Der Antiklerikalismus war das gemeinsame Anliegen der Reformatoren und der Bewegungen, die sie ins Leben riefen oder die mit Hilfe ihrer Impulse aus eigener Initiative entstanden waren. Unterschiedlich
war
die Art und Weise,
wie dieser Antiklerikalismus
theologisch begründet wurde, unterschiedlich waren auch die Intensität, die er annahm, und die Konsequenz, zu der er führte. Luther
vertrat einen gemäßigten, gewaltsame Ausbrüche korrigierenden Antiklerikalismus, Müntzer einen radikalen oder konsequent revolutionären. Michael Sattler entwickelte einen friedfertigen Antiklerikalismus, der sich allerdings nicht so den politischen Normen fügte, wie es bei Luther nach den Anfangsjahren der Fall sein sollte. Alle haben sie daran gearbeitet, nicht nur einzelne Mißstände zu beseitigen, sondern die Herrschaft des altgläubigen Klerus zu brechen und diesen Stand insgesamt aufzulösen. Das unterschied den reformatorischen Antiklerikalismus vom Antiklerikalismus des späten Mittelalters. Sie haben auch daran gearbeitet, den schleichenden Funktionsverlust der Priester, der mit der Tendenz zur Entzauberung der zeremoniellen Religiosität und der Verinnerlichung oder Vergeistigung der Frömmigkeit einherging, aufzufangen und die selbstzerstörerische Kraft dieses Verlusts in Bahnen zu lenken, die zu einer Er-
neuerung der gesamten Christenheit führte. Das war ein Prozeß, der bereits vor der Reformation begann, durch sie aber eine neue Wende und auf vielfältige Weise die entscheidende Durchschlagekraft erhielt. Der vorreformatorische Antiklerikalismus war nicht das »Pulverfaß«, an das Luther, tatkräftig wie er war, nur noch die Lunte zu legen brauchte, um die mittelalterliche Kirche in die Luft zu sprengen.®? Ganz und gar nicht. Der vorreformatorische Antiklerikalismus wurde von Luther und zahlreichen Mitkämpfern aufgenommen, theologisch verarbeitet und überboten. Aus ihm war etwas Neues entstanden. Wirklich verändernd wirkte nicht der vorreformatorische, sondern der reformatorische Antiklerikalismus: Eine Mischung aus sozialer Erfahrung, kollektiven Verhaltensmustern und theologischer Einsicht. Die sich bereits im späten Mittelalter herausbildende »Diastase«°° von Klerus und Laienvolk war eine Quelle für das zunehmend allergische Verhalten der Laien gegen die Geistlichen aller Art. Geiler
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von Kaysersberg sprach vom Pfaffenhaß,?' und dieses Verhalten kann durchaus mit dem Begriff des »Antiklerikalismus« charakterisiert werden. Es muß ja nicht sogleich das Ziel dieser Antihaltung gewesen sein, Kirche und Klerus ganz abzuschaffen. Innerhalb eines religiösen Denkens, das sich den Heilsbesitz nur innerhalb und nicht außerhalb der Kirche vorstellen, aber dennoch teilweise recht de-
spektierlich mit dem Klerus umgehen konnte, obwohl der Laie auf seine vermittelnde Hilfe angewiesen, ja, vielleicht sogar weil er auf sie angewiesen war, macht der Begriff »Antiklerikalismus« durchaus einen Sinn. Hier hilft eine Bemerkung weiter, die Paul Veyne kürzlich über die geschichtswissenschaftliche Verwendung von Begriffen in die geschichtstheoretische Diskussion eingeführt hat: »Historische Begriffe sind (also) keine Begriffe, die diesen Namen verdienen. Sie sind keine Komplexe notwendig miteinander verbundener Elemente, sondern eher zusammengesetzte Vorstellungen, die zwar die Illusion begrifflicher Erkenntnis vermitteln, in Wirklichkeit jedoch so etwas wie generische Bilder sind.«°? In diesem Sinne wäre auch der Begriff »Antiklerikalismus« zu verwenden: Vorstellungen von einem langen Kampf der Laien gegen den Klerus, verdeckt hier, offen da, Kritik, Spott und Beschimpfung hier, aggressive Agitation oder Handgreiflichkeit da. Oft stand dahinter nur die Absicht, sich von dem aufgestauten Unmut zu befreien oder Priester und Ordensleute auf diese Weise zur Besinnung zu rufen. Oft war es die Angst um das eigene Heil, die heftige Reaktionen gegen die Geistlichkeit auslöste oder die Flucht in übersteigerte Aktivität als einzigen Ausweg offenließ; und
schließlich
war
es die Forderung,
den nutzlosen,
aber
schädlichen Stand ganz abzuschaffen. Historisch den größten Erfolg hatte die Bewegung im Zeichen des gemäßigten Antiklerikalismus. Sie führte zur Auflösung der Klöster und der geistlichen Fürstentümer, sie leitete auch die Säkularisierung des Kirchenguts ein und löste den geistlichen »Stand« auf. Ihr ursprüngliches Ziel, das »Priestertum aller Gläubigen« im biblischen Sinne durchzusetzen, hat diese Bewegung aber nicht erreicht. Schließlich wurde die Kirche ganz und gar dem obrigkeitlichen Regiment unterstellt, das an Ruhe und Ordnung interessiert war. Den Laien war bald eine geistliche Elite zugewachsen, die zwar ihre Standesautonomie aufgegeben und zu einem anderen Selbstverständnis gefunden hatte als der römische Klerus, in mancherlei Hin-
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sicht aber doch in die alten Strukturen zurückgefallen war. Die Laien wurden weiterhin geführt, bald auch diszipliniert und um die im antiklerikalen Kampf erprobten Möglichkeiten gebracht, das religiöse und streckenweise auch politische Leben selber aus den Reserven an ursprünglicher Moralität heraus aktiv zu gestalten, Reserven, die in diesem Kampf aktiviert worden waren.
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III. Adel versus Klerus Antiklerikale Polemik in Flugschriften des Adels
1520 rief Martin Luther den Adel auf, sich an der Erneuerung der
Kirche in Deutschland zu beteiligen und die Rolle der alleinigen Ordnungsmacht in der Christenheit zu übernehmen: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung.' Der geistliche Stand habe versagt und sei darüber hinaus auch theologisch überhaupt nicht legitimiert, Funktionen einer obrigkeitlichen Autorität auszuüben. Angesprochen wurden der Kaiser und vor allem die Landesfürsten. Daran bestehen überhaupt keine Zweifel. Luther habe in erster Linie das Modell des »relativ geschlossenen Landesstaates« vor Augen gestanden, erläuterte Volker Press, »so daß mit dem Adel hier nur der hohe Adel gemeint war.«? War es wirklich »nur« der hohe Adel, und sollte nicht auch der niedere Adel
angesprochen werden? Zuletzt hat Victor Thiessen darauf hingewiesen, daß Luther im Briefwechsel mit Angehörigen des niederen Adels stand, während er an der Adelsschrift arbeitete.” Ulrich von
Hutten, Franz von Sickingen und Silvester von Schaumburg beispielsweise hatten ihm ihre Solidarität bekundet und ihm Schutz und Hilfe im Kampf gegen Rom angeboten. So ist kaum anzunehmen, daß er ausgerechnet diese Personen ausgeschlossen haben sollte, als er sich anschickte, um den Adel zu werben. Außerdem war Luther
bestens darüber informiert, welchen Spielraum der niedere Adel gegenüber der übergeordneten Obrigkeit hatte, im eigenen Herrschaftsbereich über das Patronatsrecht zugunsten einer kirchlichen Erneuerung zu handeln.
Hugo von
Einsiedel, zu dem Luther ein
freundschaftliches Verhältnis unterhielt, war ein solches Beispiel. Er war sowohl dem ernestinischen Kurfürsten als auch dem albertinischen Herzog zu Sachsen lehnspflichtig, ließ sich von letzterem aber nicht einen antireformatorischen Kurs in seinen albertinischen Besitzungen aufdrängen.* 45
Abgesehen von den Territorialherren, die auf den Reichstagen mit der Causa Lutheri konfrontiert wurden und die Probleme der Gravamina nationis germaniae gegen die Kurie zu Rom im Zusammenhang mit landesherrlicher Kirchenpolitik, Reformationspropaganda und reformatorischen Bewegungen berieten,° begannen sich sehr früh also auch schon Angehörige des Adels unterhalb der landesherrlichen Ebene für die Reformation zu interessieren. Gerade an Franz von Sickingen wird deutlich, daß er nicht nur ein politisches Interesse mit der Reformation verband, sondern schon vor dem Aufstand
gegen den Erzbischof zu Trier (1523) darangegangen war, die kirchlichen Verhältnisse in seinem Herrschaftsgebiet, besonders auf der
Ebernburg und in Landstuhl, zu erneuern.° Andere Beispiele sind Caspar von Schwenckfeld in Liegnitz und Ulrich von Dornum in Ostfriesland. Soweit jetzt schon zu erkennen ist, beginnt sich der Eindruck eines Reformationstyps herauszubilden, den man eine »Junkerreformation« nennen könnte, ein Begriff, den R.E. MacLaughlin für die frühreformatorische Tätigkeit Caspar von Schwenckfelds in
Schlesien geprägt hat.’ Auf das Konzept einer Junkerreformation soll hier nicht weiter eingegangen werden. Das wird Victor Thiessen in aller Ausführlichkeit tun. Mir geht es hier nur darum herauszufinden,
in welchem
Maße und mit welcher Absicht antiklerikale Invektiven und Argumente im Adel aufgegriffen wurden. Dabei soll das Augenmerk auf einen begrenzten Quellenbestand gelenkt werden: auf Flugschriften, dıe von Adelspersonen, Männern und Frauen, verfaßt wurden.
Von Romkritik zum »Pfaffenkrieg« Ein Exponent unter den Adligen, die zur Feder griffen und sich in den Flugschriftenkrieg um die Erneuerung der Christenheit einschalteten, war Ulrich von Hutten. Der humanistisch gebildete Literat war allerdings in vielfacher Weise aus seinem adligen Stand herausge-
wachsen. An Willibald Pirckheimer schrieb er 1518 den berühmten Brief, in dem er Rechenschaft über das Verhältnis von adliger Herkunft und literarischer Ambition ablegte: »Glaube nicht, daß ich mit einer Ahnengalerie oder meinem Familienerbe zufrieden bin, viel-
mehr möchte ich beides noch für meine Nachwelt erhöhen.« Sein Habitus als Literat war ihm wichtiger als seine adlige Herkunft. 46
Hutten sparte nicht mit Kritik an seinen Standesgenossen, er monierte vielmehr die mangelhafte Bildung und den Standesdünkel in Adelskreisen.” Und doch ist es nicht abwegig, ihn an die Spitze der adligen Flugschriftenpolemik allgemein zu stellen, denn er bewegte sich in den sozialen Beziehungen seines Standes und argumentierte aus einem Erfahrungsschatz heraus, über den nur Adlige verfügen konnten. Außerdem war er derjenige, dem man es besonders zutraute, den Kaiser, die Fürsten und den Adel, »die großen Häupter«, wie
der unbekannte Herausgeber seiner ins Deutsche übertragenen Klagschriften schrieb, auf die Seite der Reformation zu ziehen.'® Mit Franz von Sickingen war ihm das bereits gelungen. Überzeugend gewirkt haben muß er auch auf Hartmut von Cronberg, einen Mitstreiter Sickingens. 1512 war Hutten erstmals nach Italien gereist, um seine Studien in Pavia fortzusetzen. Hier war er auch in die militärischen Auseinandersetzungen geraten, die zwischen Kaiser, Papst und Franz I. von Frankreich ausgetragen wurden, und hier festigte sich sein Entschluß, mit Entschiedenheit auf die Seite des Kaisers zu treten und
mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, den Papst und seine »Kurtisanen« zu bekämpfen. Vollends bestärkt wurde er in seiner antirömischen Haltung, als er sich während einer zweiten Italienreise 1516 in Rom aufhielt, bevor er seine Studien schließlich in Bolo-
gna fortsetzte. Er sah den Reichtum und den Prunk, der in Rom entfaltet wurde, und klagte in einem der acht Epigramme, in denen er sich den Ärger über den Ablaß von der Seele schrieb, den der »Krämer Julius« (Papst Julius II.) erlassen hatte, »welcher den Himmel verkauft, den er doch selbst nicht besitzt.«'' Er entrüstete sich darüber, wieviel Geld nach Rom geleitet, dort gehortet und verbraucht wurde. Offensichtlich stand er unter dem Einfluß der Beratungen, die unter den deutschen Reichsständen über die Gravamina nationis germaniae geführt wurden, wenn er den Geldabfluß nach Rom zur nationalen Katastrophe erklärte. Was er den Gravamina hinzufügte, war allerdings die Klage über die soziale Konsequenz dieses volkswirtschaftlichen Verlusts: »In Rom ist alles käuflich. Das ist die Stadt um deretwillen wir in Deutschland in Hader und Unfrieden leben, um deretwillen wir uns das Geschwärm der Mönche und die Grausamkeiten der Inquisition gefallen lassen. Das ist die Stadt, wohin deutsches Blut und deutsches Geld in Strömen fließen, das ist die
Stadt, die uns arm gemacht hat und immer ärmer machen wird. Die
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Herrschaften in Rom sitzen auf den Tränen der deutschen Bauern und lachen über des Deutschen Blödigkeit.«'? Antipäpstliche und antimonastische Affekte machen sich hier Luft und münden in eine harsche Sozialkritik. Einen Höhepunkt findet diese Romkritik, die genau betrachtet nicht Kritik an der kirchlichen Institution, sondern am Verhalten ihrer Amtsträger ist, im Vadiscus oder der Dreifaltigkeit Roms. Die deutsche Fassung dieses Dialogs ist nach der Parteinahme für Martin Luther 1520 entstanden und 1521 gemeinsam mit anderen Dialogen in dem Gesprächbüchlin veröffentlicht worden. Auf dem Titelblatt trägt es einen von Hans Baldung Grien gestalteten Holzschnitt voller antiklerikaler Militanz: Eine Rittertruppe attackiert mit ihren Lanzen eine lamentierende, aber bereits eingeschüchterte Gruppe von Klerikern: den Papst, Bischöfe, Kardinäle und Prälaten. In diesem Dialog ist, wie Hans Rueb bemerkte, »bereits alles enthalten, was er
in den kommenden drei Jahren an antiklerikaler Programmatik entwickeln wird«.' Diese Programmatik ist das Herzstück seiner Polemik, ja, fortan das Herzstück seines Sinnens und Trachtens
über-
haupt. Selbst sein deutsches Nationalbewußtsein hat hier seine Wurzeln. Barbara Könneker hat darauf hingewiesen, daß Huttens Beschreibung der Deutschen entscheidend vom Gegenbild bestimmt wird, das er von den Römern, dem Papst und dem Klerus, gezeichnet hat, genauer noch: das Bild von den Deutschen ist »auf dieses Gegenbild hin entworfen«.'* Im Mittelpunkt stehen die Angriffe auf den Papst, von dem nichts mehr für eine Reform der Christenheit zu erwarten ist. Er muß bekämpft werden. Die Klag und Vormahnung gegen dem übermässigen unchristlichen Gewalt des Papsts zu Rom (1520) ist nicht die letzte Schrift, in der Hutten mit dem Papst, aber auch mit dem Papsttum allgemein ins Gericht ging. Besonders deutlich offenbart Eine trewe Warnung die politische Dimension der Papstkritik bereits in ihrem Untertitel: »wie die bäpst wider die teutschen Kayser gewest... Item: das die Kayser allwegen gewalt die Bäpst auff und abzusetzen
gehabt, und wie solche durch Betrug Bonifacii III. auf die Bäpst kummen biß auf Joannem 12.«'° Hutten setzt noch auf den Kaiser und läßt keinen Zweifel daran, daß die Frage der Reformation nur in einem politischen, ja, militärischen Machtkampf entschieden wer-
den könne. Doch nicht der Papst allein, sondern auch die »Pfaffen« werden
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als eine Belastung für die deutsche Nation empfunden. Der Antipapalismus mündet in einen rabiaten Antiklerikalismus ein. Bischöfe, Priester und Mönche verfallen heftiger Kritik. »Sie sind völlig unbrauchbar in der Gemeinde, sie dienen der Fresserei, dem Schlaf und
der Unkeuschheit« (...), Sie schlemmen, prassen, buhlen und haben Schmeichler bei sich (...) und sind durch böse Anreizung weibisch geworden (...), leben wie die unvernünftigen Tiere.«'° In seinem Ur-
teil kommen die Pfaffen zunächst nicht viel besser weg als die Päpste. Die gesamte Hierarchie der Kirche hat ihre ursprüngliche Bestimmung ins Gegenteil verkehrt. Papst- und Pfaffenkritik werden auf eindrucksvolle Weise in der Klag und Vormahnung gegen dem übermässigen unchristlichen Gewalt des Papsts zu Rom und der ungeistlichen Geistlichen (1520) miteinander verbunden. Beide hängen aufs engste miteinander zusammen. Hat Hutten sich schließlich dazu durchgerungen, den Glauben an die Reformfähigkeit des Papsttums aufzugeben, konnte er über den Klerus allgemein milder urteilen. In einem Brief an Friedrich den Weisen (1520) entwickelte er geradezu einen Reformplan: Man solle die Einkünfte der Geistlichen senken, »damit sie ein mäßiges, nüchternes Leben führen mögen.« Man solle auch ihre Zahl verringern, »aus Hundert einen bleiben lassen.«!’ Daraus geht hervor, daß er dem niederen Klerus, wenn
die Obrigkeit nur seine Lebensbedingungen änderte, noch eine Selbsterneuerung zutraute, die den miserablen Zustand der Christenheit zum Guten wenden könnte. Die Zahl der Priester sollte schrumpfen, und die Moral dieses Standes sollte gehoben werden. Doch ganz und gar abgeschafft werden sollten die Mönchsorden. So zeigt es sich, daß Huttens Kleruskritik teilweise noch spätmittelalterlich-humanistischen Reformvorstellungen verhaftet ist. Der Klerus wird an seinem Idealbild gemessen. Sofern er sich reformieren ließe, könnte er noch zum Segen der Menschheit wirken. Hajo Holborn hat darauf hingewiesen, daß Hutten sehr wohl unter dem Eindruck der
Anschauung vom Priestertum aller Gläubigen gestanden habe, die Luther in seiner Adelsschrift vorgetragen hatte. Letztlich aber habe der Humanist die Trennung von Geistlichen und Laien doch nicht
überwunden. '* So radikal seine Anwürfe, ja, Verbalinjurien gegen den Klerus sind, vor allem gegen den Papst und gegen die Mönche, bleibt Hutten grundsätzlich in den Bahnen einer humanistischen, reformorientierten Ständekritik. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er Lu-
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thers Hinweis auf den Antichrist zu Rom nur gelegentlich und dann auch nur zögerlich und indirekt genutzt hat, wie er es in seinem Brief an den Kurfürsten von Sachsen getan hat.'? Er wollte seine Papstkritik nicht auf die Spitze treiben, letztlich wohl auch nicht, um den Kaiser nicht zu verprellen. Luther schreibt zwar, daß das Amt des Papstes nichts anderes sein solle, »als täglich weinen und beten für die Christenheit, und ein Exempel wahrer Demut abgeben«,? er meint es aber nicht so, daß der Papst, den er einen Antichrist nennt,
sich auch wirklich noch ändern könne. Luther formuliert kein neues Amtsverständnis des Papstes.?' Dieser Satz drückt keine Hoffnung auf Besserung aus, sondern dient nur als Kontrast, der zeigen soll,
wie tief der Papst gefallen sei. Der Antichrist läßt sich nicht bekehren. Das wird Luther gewußt haben, als er zur traditionellen Anti-
christvorstellung griff, um seinen Kampf gegen Rom auf die Spitze zu treiben. Der Antichrist läßt sich ebenso wenig bekehren, wie es in der Macht des Menschen steht, sich vor Gott zu rechtfertigen. Die moralisch geäußerte Kritik am Papst ist einem theologisch begründeten Angriff auf den Papst gewichen. Bei diesen Einstellungen blieb Hutten auch, als er zunehmend selber in Bedrängnis geraten war und den Schutz Franz von Sickingens auf der Ebernburg suchte. Dort verstärkte er seinen Einfluß auf den mächtigen Ritter und gab ihm das gute Gewissen, die Fehde gegen den Erzbischof von Trier zu führen. Darüber hinaus eröffnete er mit militärischen Attacken gegen geistliche Herren hier und da im Herbst 1521 einen »Pfaffenkrieg« auf eigene Faust. Der Kaiser hatte sich den hochfliegenden Plänen Huttens versagt, den römischen Klerus und die Fürsten auszuschalten, ein Reich, das nur vom Kaiser und vom Adel regiert würde, aufzubauen und auf diese Weise die Christenheit zu erneuern. Franz von Sickingen war im Kampf mit den Truppen, die Trier zur Hilfe geeilt waren, umgekommen, und Hutten war allein geblieben. Sein Pfaffenkrieg war gescheitert, bevor er so recht begonnen hatte, mit ihm auch seine »antiklerikale Programmatik«, die zwischen verbaler Radikalität und militärischer Agitation schwankte. Für Hutten war der Antiklerikalismus das »Vehikel«, das ihm half, sich den reformatorischen Einsichten Luthers -zu nähern, zugleich verstellte er ihm aber auch die Möglichkeit, den Wittenberger Reformator in seiner theologischen Tiefe zu verstehen. Wenn es sinnvoll ist, zwischen einem vorreformatorischen und einem reformatori-
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schen Antiklerikalismus zu unterscheiden, einem Antiklerikalismus,
der mit der Reformfähigkeit des Klerus rechnete, und einem Antiklerikalismus, der die Abschaffung des ersten Standes im Schilde führte, dann stand Hutten noch im Bann vorreformatorischer Reformvorstellungen — zumindest in der grundsätzlichen Billigung eines ständisch gefaßten Dualismus von Geistlichen und Laien und in der Bereitschaft, dem Klerus eine Chance zur Erneuerung einzuräumen. Im Urteil über den Papst, seine »Kurtisanen« und die Mönche stand er aber bereits auf der Seite des reformatorischen Antiklerikalismus. Moralischer Appell und politische Aktion sollten zu einer Reform von Kirche und Reich führen. Abgesehen davon, daß Hutten nicht theologisch ausgebildet worden war, zeigt sich in seinen Flugschriften sehr deutlich, wie stark er nicht nur im humanistischen Denken,
sondern auch in den politischen Erfahrungen und Vorstellungen seiner adlıgen Herkunft verankert war und gar nicht auf die Idee kommen konnte, einem theologischen Argument die Wirkung zuzutrauen, die Luther freigesetzt hatte. Und doch war Ulrich von Hutten der Adlige, der sich mit seiner antiklerikalen Programmatik am intensivsten in den Dienst der Reformationspropaganda gestellt hatte. Zu Ulrich von Huttens antiklerikaler Programmatik muß nachgetragen werden, daß sie nicht in einer direkt zugreifenden propagandistischen bzw. polemischen Sprache, sondern in literarischer Form,
also bewußt stilisiert, artikuliert wurde: in der literarischen Gattung der Satire. Vor allem gilt das für die Epigramme und Dialoge, aber auch die Klagschriften sind teilweise satirisch konzipiert. So erklären sich die verzerrten und übertriebenen Charakterisierungen_des Klerus, die Unerbittlichkeit, mit der polarisiert wird, die Aggressivität, mit der verunglimpft und angegriffen wird, aber auch das sicherlich überspannte moralische Urteil, das den Abfall des Klerus von
seiner ursprünglichen Bestimmung auf geradezu dramatische Weise anprangert und die Geistlichen zur Umkehr aufruft. Alle Attribute, die Barbara Könneker der Satire im 16. Jahrhundert zuschreibt, kommen hier zum Zuge.” Hutten löste ein, was Friedrich Schiller später zur Satire angemerkt hat: »In der Satire wird der Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideal zum Gegenstand gemacht; die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt.«?° Der Klerus war der ideale Gegenstand der Satire, wie die Satire sich umgekehrt als die ideale literarische Form für den antiklerikalen Kampf anbot: Satire in ihrer polemisch-aggressiven 31
Form. Zweck dieser Satire war, gesellschaftliche Kritik an allgemeinen Mißständen in personifizierter Gestalt zu äußern und die Adressaten zur Tat zu mobilisieren, um die Mißstände abstellen zu helfen. Beides lag in der Absicht Huttens. Die satirische Form entspricht dem Befund, daß Hutten im grundsätzlichen Typ des spätmittelalterlichen, reformerischen Antiklerikalismus befangen blieb und die radikale Konsequenz Luthers, den geistlichen Stand ganz und gar abzuschaffen, nicht mitvollzog.
Sendschreiben eines frommen Ritters an Kaiser, Papst und alle Stände Zum Freundeskreis Franz von Sickingens auf der Ebernburg gehörte neben Ulrich von Hutten, Martin Bucer, Johannes Oecolampad, Jo-
hann Caspar Aquila und Johannes Schwebel auch Hartmut von Cronberg, ein Vetter des Reichsritters. Er war schon früh zu einem Sympathisanten Martin Luthers geworden und war, wie die übrigen Freunde auch, von dem Ausgang des Wormser Reichstags tief enttäuscht. Er reagierte darauf aber nicht mit Resignation, sondern mit literarischer Aktivität. Er verfaßte Sendschreiben an den Kaiser, an
Franz von Sickingen, an seinen Vetter Walter von Cronberg, Hauskomtur des Deutschen Ordens in Frankfurt-Sachsenhausen, an Papst Leo X. Das waren nicht private Briefe, sondern Flugschriften, die 1521 in Straßburg und Wittenberg gedruckt wurden und sich in die allgemeine Auseinandersetzung um den Gang der Reformation einschalteten.?* Weitere Sendschreiben folgten an die Bettelorden, das Reichsregiment und »alle Stände«. Hartmut von Cronberg hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß der Kaiser sich vom Papst trennen und für Martin Luther einsetzen würde, den »wahren Knecht Gottes«, der die Menschen »zu dem
wahren Brunnen Christum Jesum geführt hat«.”° Behutsam spricht der Ritter den jungen Kaiser an und fordert ihn auf, sich der Gnade
Gottes zu öffnen und »mit der kindlichen Furcht zu Gott in Gottes Wegen zu wandeln«.?° Nicht politisch, sondern seelsorgerlich spricht er den Kaiser an und weist ihn darauf hin, daß er sich die Zuneigung seines Volkes nur erhalten werde, wenn
er sich von menschlicher
Furcht befreien läßt. »Alsdann liebt und fürchtet das Volk seinen 52
Herren, so es sieht, daß er Gott fürchtet, und soviel weiter der Herr
von Gott abweicht, soviel weiter weicht das Volk von dem Herrn. Darum, wo du die Furcht Gottes annehmen würdest, so verlörest du
alle andere Furcht der Menschen und Teufel, und erlangst also wahrhaftig den überhohen Titel und würdest sein unüberwindlich, durchlaucht, großmächtig, so du ein wahrhafter Christ bist.«?’ So sei es die Aufgabe des Kaisers, nicht nur das Volk zu dem »seligen Brunnen« zu führen, auf den Luther hingewiesen habe, sondern auch den »Papst und die Seinen«, allerdings nicht behutsam und sanft, son-
dern in brutaler Ehrlichkeit: »Demselbigen kannst du auf Grund der heiligen Schrift anzeigen, daß er wahrhaftig ein Vikar des Teufels und Antichrists ist und daß wahrhaftig die päpstlichen Gesetze, so durch die Menschen ihrem Kopf nach erdacht und gesetzt sind, keinen guten Grund haben und daß solches nichts anders denn eine stinkende faule Pfütze ist des Teufels.«® Hier greift Hartmut von Cronberg auf die Antichristvorstellung zurück, die er in Luthers Adelsschrift fand, und nutzte sie als Grundgerüst seiner Argumentation: Christus hier und der Antichrist dort. Dieser Dualismus beherrscht fortan sein Denken. Doch eine Nuance ist bemerkenswert.
Der Papst wird hier nicht mit dem Antichrist identifiziert; er wird nur der »Vikar des Teufels und Antichrists« genannt. Das ist bedeutsam. Auf diese Weise wird noch an der Hoffnung auf die Reformfähigkeit des Papstes und seines Anhangs festgehalten und die Möglichkeit offengehalten, selbst noch den ärgsten Feind des christlichen Glaubens »aus brüderlicher Liebe« zu Christus zu führen.” Hierin kommt eine evangelische Gesinnung zum Ausdruck, die auch von dem Eingeständnis unterstützt wird, daß die Laien selber nicht schuldlos daran seien, daß sich die Herrschaft des Antichrist in der Christenheit verbreiten konnte. In diesem Argument wird Hartmut von Cronberg vielleicht noch die letzte Chance gesehen haben, den Kaiser nicht zu verprellen, sondern ihn für den Weg Luthers zur Erneuerung der Christenheit zu gewinnen. »Wenn der Papst mit den Seinen nicht ganz vom Teufel und Gott besessen ist, so magst du sie leicht von dem Teufel reißen und auf den Weg zu Christus führen und damit dem Papst und den Seinen die höchste brüderliche Liebe beweisen.« Unerbittlich wird der Kampf erst, wenn der Papst und sein Anhang sich dieser barmherzigen Absicht versagen: »so hast du von Gott die Gewalt und bist es auch schuldig, mit aller deiner Macht gegen ihn und die Seinen zu handeln als gegen abtrünnige Ketzer und Antichri-
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sten.«°° Zum Antichrist wird der Papst erst in seinem Widerstand gegen die liebevolle Absicht, ihn zur Umkehr zu bewegen. Er grenzt sich mit seinem »Antichristus-Anhang« selber aus und gibt dem Kaiser das gute Gewissen, ihn zu vernichten.
Im Sendbrief an Franz von Sickingen wiederholten sich die Argumente gegen den Papst. Deutlicher kommt hier allerdings zum Ausdruck, daß der Papst als der »Statthalter des Teufels« der Antichrist selber sei.’' Deutlicher wird auch, daß es nicht nur um einen antipa-
palen, sondern auch um einen antiklerikalen Kampf geht. Im Visier ist der Papst, genauso aber sind es die »geistlichen Fürsten mit ihren Klöstern und Pfaffen«, der »Papst, Bischöfe und die man geistlich nennt«,’? also auch Bischöfe, Priester und Mönche. Gemeint ist die
gesamte klerikale Hierarchie. Schließlich ist Hartmut von Cronberg dem frühen Luther gefolgt, wenn er das Wort Gottes als die Waffe bezeichnet, die das Regiment des Antichrist zerstören wird. Andererseits verwischt der Ritter den Unterschied zwischen der geistlichen und weltlichen Funktion, die dem Kaiser im Reformationsgeschehen zugemutet wird. Er soll nicht nur Raum für die Verkündigung des göttlichen Wortes unter seinem Volk schaffen, sondern den Papst »von dem Teufel reißen und auf den Weg Christi führen«, ja, nicht nur den Papst, sondern auch das Volk — eine Aufgabe, die aus der geistlichen Zurüstung des Kaisers abgeleitet wird. Luther hatte sorgsamer formuliert und darauf geachtet, geistliche und weltliche Funktionen nicht miteinander zu vermischen. Nimmt man die Formulierungen Cronbergs wörtlich und nicht metaphorisch, zeigen sie, wie schwierig es war, Luther nicht mißzuverstehen. In diesem Sendschreiben sind Linien angelegt, die überraschenderweise von Luther weg und zu Müntzer hinführen werden. Hartmut von Cronberg sieht in Luther den »anderen Daniel«, der die weltliche Obrigkeit berät, in
der sogenannten Fürstenpredigt (1524) empfiehlt Müntzer sich der kursächsischen Obrigkeit, die er zum Kampf gegen die Feinde der göttlichen Ordnung gewinnen will, als der »neue Daniei«.? Den Fürsten wird geraten, geistliche Führungsfunkticnen zu übernehmen. Um 1521 herrscht noch Wildwuchs im Lager der Reformation. Auf brüderliche Weise, wie bereits im Sendschreiben an den Kaiser angedeutet, wirbt Hartmut von Cronberg noch 1521 um Papst Leo X. Er läßt zwar keinen Zweifel daran, daß der Papst sich vom
»Teufelsgestank«, dem »teuflischen geistlichen Titel«, auch der »Hoffart des äußerlichen Geprängs mit den teuflischen Menschen-
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gesetzen«°* trennen müsse und daß das Papsttum, das weltliche Reich des Teufels, bald vergehen werde, aber er gibt ihm auch zu verstehen, daß seine Chance noch nicht dahin sei, das »Amt eines rechten Hirten«°° zu übernehmen, auf weltliche Herrschaft zu ver-
zichten und allein das Wort Gottes zu predigen. Hartmut von Cronberg hat seine antiklerikale Programmatik, die seine literarische Tätigkeit ganz und gar beherrscht, seelsorgerlich zum Ausdruck gebracht und ihr, anders als Ulrich von Hutten, die Aggressivität genommen. Nach dem Reichsritteraufstand hat er sich in einer Christlichen Schrift und Vermahnung an alle Stände (1523) und in einem Persönlich Fuerbringen fuer das Hochlöbliche Keyerliche Regiment zu Nürnberg (1523) darauf konzentriert, die Säkularisation der geistlichen Fürstentümer zu rechtfertigen und Argumente gegen die Standschaft des Klerus vorzutragen. Jedermann wird aufgefordert, dem »vermeinten geistlichen Stand« den Gehorsam zu versagen.?‘ Die Güter der Geistlichen sollten den christlichen Gemeinden zufallen und auf diese Weise dem allgemeinen Nutzen zugeführt werden. Niemand soll sich auf eigennützige Weise daran bereichern. Hier wird ein Argument aufgegriffen, das bereits die spätmittelalterliche Sozialkritik bestimmt hatte und bald auch im Bauernkrieg eine Rolle
spielen wird.?’ Und niemand soll das Ziel aus dem Auge verlieren, »Nachdruck zur Brechung der feindlichen Spitze zu entfalten«, ganz reformatorisch begründet: »da wir doch sehen und befinden, wie gewaltig das Wort Gottes durchbricht und der feindliche Hauf ganz zertrennt wird und zurückweicht vor der Kraft des allerhöchsten und ewig bleibenden Gotteswortes, durch welches wir den Sieg behalten werden zu unserem ewigen Heil.«°® Was Hans Baldung Grien in dem Holzschnitt zur erwähnten Hutten-Schrift in einem martialischen Bild zur Darstellung brachte, findet bei Hartmut von Cronberg einen geistlichen Ausdruck. Er war ein frommer Ritter.
Die Adelsopposition gegen den Klerus wächst Auch Franz von Sickingen hat sich publizistisch geäußert und in seinem Sendschreiben an Dieter von Handschuhsheim (1522) schützend vor Martin Luther gestellt. Ganz gesichert ist die Autorschaft des von Johannes Schwebel eingeleiteten und herausgegebenen Schreibens allerdings nicht, bedeutsam ist aber, daß es im Namen 55
des Reichsritters und sicherlich auch mit dessen Einverständnis veröffentlicht wurde.’’ Die Absicht, die diesem Schreiben zugrundeliegt, war offensichtlich das Bemühen, den Verwandten aus der Nähe
Heidelbergs auf die Seite der Reformation zu ziehen, zumindest aber seine eigene proreformatorische Parteinahme zu rechtfertigen. Ähnliches hatte ja bereits Hartmut von Cronberg mit dem Sendschreiben an seinen ordensritterlichen Vetter versucht, so daß sich die Vermu-
tung nahelegt, die Ebernburg-Runde habe sich vorgenommen, die verwandtschaftlich-ständischen Beziehungen für eine schnelle Verbreitung der Reformation zu nutzen. Die Werbeabsicht unter Verwandten erklärt vielleicht auch, warum das Sendschreiben Franz von Sickingens nicht die antiklerikale Kampfstimmung atmet, die auf der Ebernburg vorherrschte, wie die antiklerikale Programmatik Ulrich von Huttens und Hartmut von Cronbergs gezeigt hat. Franz von Sickingen wollte nur die Bedenken über einige Äußerungen Luthers zerstreuen. Er erörterte das Abendmahl in beiderlei Gestalt,
die Reform der Meßliturgie, die Aufforderung, das Ordensgelübde zu brechen und die Priesterehe einzugehen, die Kritik an der Heili-
genverehrung und das Problem des Bildersturms.*' Er erwähnt zwar die »vermeintlichen Geistlichen« und den »Schein der angenommenen Geistlichkeit«, doch es fehlt der aggressive Auseinandersetzungston, den man von ihm erwartet hätte. Daraus zu schließen, der Antiklerikalismus habe ihn nicht eigentlich bewegt, wäre aber alles andere als sachgemäß. Er spricht immerhin von der »menschlichen, erdichteten und angenommenen Art und Absonderung der Ordnung Christi«, von »Abfall, Nachteil und Schaden« der Altgläubigen, von
den »eigenmächtig angenommenen Eigenschaften, Sekten und Meinungen, Absonderungen der Kleidung«, von der »Teilung oder Trennung brüderlicher Gemeinschaft«. Genauer und ausführlicher wollte er sich auf diese »Laster« jedoch nicht einlassen, da sie »breit am Tage« lägen.*' Diese Anzüglichkeiten, nicht so effektvoll vorgetragen, wie Hutten und Cronberg es getan haben, fügen sich in das allgemeine ritterschaftliche Klima von Kleruskritik und Pfaffenhaß ein. Sie hätten zum Bild des Reichsritters von der Ebernburg gepaßt, wie es kurz vorher im Neukarsthans (1521) gezeichnet worden war, der Martin Bucer zugeschrieben wird.” In dieser Dialogflugschrift zwischen einem Bauern und einem Ritter wird Franz von Sickingen von der ersten bis zur letzten Zeile als besonnener, aber auch entschiedener Pfaffenfeind
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dargestellt, der nach und nach die relevanten Argumente gegen den Klerus vorbringt, die bereits in Umlauf waren, sogar, daß der Papst der Antichrist sei.*” Man kann sich kaum vorstellen, daß der Autor dieser Flugschrift, der zur Entourage des Reichsritters gehörte, den Herr, Freund und Mitstreiter ganz und gar verzeichnet habe. Schließlich war die Fehde gegen den Erzbischof von Trier nur die militärische Konsequenz, die Franz von Sickingen und die »Brüderliche Vereinigung« der Reichsritter aus der allgemeinen antiklerikalen Stimmung und Programmatik zogen. Sie wollten den geistlichen Fürstentümern ein Ende bereiten. Damit hat sich die Serie adliger Flugschriften in der Frühzeit der Reformation nicht erschöpft. Zur Feder griffen noch andere: Hans Landschat
von Steinach, Jacob Schenk von
Stauffenberg, Johann
von Schwarzenberg und Adam von Schaumberg, um nur diese zu nennen, ebenso adlige Damen wie Argula von Grumbach, Ursula von Muensterberg und Florentina von Oberweimar.* Sie haben ihr Engagement für die Reformation ausführlich begründet oder für die Unterstützung der Reformation geworben, sie haben das rigorose Vorgehen altgläubiger Autoritäten, wie der klerikalen Gelehrten der Universität Ingolstadt gegen einen jungen »lutherischen« Magister, scharf kritisiert (A. v. Grumbach) oder den Austritt aus dem Kloster gerechtfertigt (U. v. Muensterberg, F. v. Oberweimar) bzw. den Bruch des Klostergelübdes durch die Tochter öffentlich verteidigt (Schwarzenberg). Nicht ungewöhnlich war, daß ihre Flugschriften von reformatorischen Theologen eingeleitet oder herausgegeben wurden. Andreas Osiander führte A. v. Grumbach und J. von Schwarzenberg ein, und Luther brachte das Rechtfertigungsschreiben F. v. Oberweimars mit einem Vorwort an die Öffentlichkeit, wie J. Schwebel das Sendschreiben F. v. Sickingens eingeleitet und herausgegeben hatte. So
suchten diese Adligen die Nähe der Reformatoren und verstärkten publizistisch die Front gegen die Altgläubigen. A. v. Grumbachs Schriften waren weitverbreitet und werden ihre Wirkung, besonders
auch in adligen Kreisen, nicht verfehlt haben.“ Kein gutes Haar wird an den Geistlichen gelassen. »Schau, was tun unsere Mönche, Nonnen, unserer Pfaffenstand Frommes in der Kirche, sie heulen und
plerren, daß man deshalb in den Häusern und auf den Gassen nichts hört.«*° Sobald der Klerus im Visier ist - und gegen seine Macht und seinen Einfluß mußte sich die Reformation durchsetzen —, werden
antiklerikale Töne angeschlagen, gelegentlich nebenher, oft gezielt
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und programmatisch, beispielsweise im Laienspiegel Adam von Schaumbergs (1522). Wie diese summarischen Hinweise zeigen, ist eine Untersuchung der adligen Flugschriften, wie Victor Thiessen sie plant, längst überfällig.
Gericht über den Klerus in Ostfriesland Noch im ersten Reformationsjahrzehnt bildete sich auf der Burg des ostfriesischen Junkers Ulrich von Dornum in Oldersum eine Analogie zur Ebernburg heraus: ein Stützpunkt für die Reformationspropaganda in Ostfriesland und eine Zufluchtsstätte für Reformatoren, allerdings auch für solche, die einen radikalen Weg der Erneuerung beschritten. Andreas Karlstadt war in Oldersum eingekehrt, ebenfalls Melchior
Hoffman,
und
schließlich
fand
dort höchstwahr-
scheinlich auch Menno Simons mit einem kleinen Haufen seiner Glaubensgenossen vorübergehend Unterschlupf.” Ulrich von Dornum war ein Häuptling, der schon früh eine eigenwillige, von seinem gräflichen Landesherrn unabhängige Reformationspolitik betrieb. Im Juni 1526 hatten altgläubige Priester und Mönche in Jemgum, einem Ort links der Ems, gegen die reformatorischen Umtriebe auf der anderen Seite des Flusses demonstriert. Sie schickten den Prior Doktor Laurens Laurensen aus Groningen auf die Kanzel, der aller-
dings von Gegnern gestört wurde. Seiner Polemik antwortete einen Tag später Hinrich Arnoldi, der aus Oldersum geschickt worden war und auf freiem Feld predigte. Auch er wurde gestört, dieses Mal von Altgläubigen, die unablässig die Glocken läuteten. Predigt und Gegenpredigt: es war zu einem heftigen Schlagabtausch gekommen, der schließlich zu einer Disputation auf der Burg in Oldersum unter dem Vorsitz des Junkers führte. Wortführer der Altgläubigen war wieder D. Laurens Laurensen, obwohl er sich lieber in der Rolle des Schiedsrichters als des Disputanten gesehen hätte. Wortführer der Neuerer war Magister Jürgen Aportanus, Prediger in Emden. Um die Bedeutung, die diesem Religionsgespräch in Ostfriesland beigemessen wurde, zu unterstreichen, nahm es Ulrich von Dornum selber in die Hand, das Protokoll zu schreiben und für den Druck in Wittenberg, beim Drucker der Schriften Karlstadts, zu sorgen. Er wollte Gerüchten entgegentreten, die von Altgläubigen über den Verlauf
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der Disputation in die Welt gesetzt worden waren, und er wollte darauf aufmerksam machen, daß auch an der Nordseeküste Schlacht für die Reformation geschlagen worden sei.
eine
Disputiert wurde, zum Kummer der Altgläubigen in deutscher Sprache, über die Mittlerschaft zwischen Gott und Mensch, über die Rechtfertigung »ohne Zutun der Werke« und über die Veränderung der Kirchenbräuche. Die theologische Argumentation war nicht eben originell. Es waren die üblichen Argumente, die von der Reformationspropaganda auch sonst schon zu Gehör gebracht worden waren. Was an diesem Protokoll aber bemerkenswert ist, ist die Art und Weise, wie ein Adliger seine Parteinahme für die Sache der Reformation versteht und zum Ausdruck bringt. Er begnügt sich nicht damit, den Verlauf der Disputation als einen Siegeszug der reformgesinnten Gesprächsteilnehmer darzustellen, sondern nutzt jede Gelegenheit, vor allem in der Einleitung und im Epilog zur Disputation, die Altgläubigen zu verunglimpfen und auf geradezu satirisch-parodistische Weise mit Hohn und Spott zu überziehen. Über die Versammlung der Altgläubigen in Jemgum schreibt er bereits eingangs: »An diesem Ort pflegt sich alljährlich am Veitstage (15. Juni) ein großer Gestank geistlicher Leute einzustellen, in denen der Heilige Geist mit Macht wirket, nämlich der Geist, der aus der Biertonne
bläst. Darum vermögen sie unzählige Seelen zu erlösen, mehr als Tropfen in ein großes Faß gehen.«“® So abgrundtief verhaßt sind ihm die Kleriker, daß er überhaupt nicht auf die Idee kommt, die Söhne des Grafen, denen diese Schrift gewidmet ist, könnten an der Seriosität der Auseinandersetzung eventuell ernsthafte Zweifel hegen. Laurensen wurde als Leviathan, als Ungeheuer, das aus dem Dollart hervorgekrochen war, eingeführt, als Schlange, die aus dem Paradies
vertrieben worden war. Vielleicht kannte man auch in Ostfriesland die Satire gegen Murner, die den Titel trug »Murnerus Leviathan« (1521): Luther triumphiert über den giftspeienden Drachen, der sich in seinem Streben nach irdischem Reichtum verzehrt.” Das ist eine Metapher — wie die babylonische Hure oder der große rote Drache mit den sieben Häuptern aus der Offenbarung des Johannes — für den Antichrist, der am Ende der Tage erscheinen wird, auch
in Oldersum wurde der Streit mit den Altgläubigen zum apokalyptischen Kampf stilisiert, zum Drama, das mit der teuflischen Schlange
im Paradies begann und mit dem Weltgericht enden wird. Laurensen ist eine Figur in diesem Drama, »Christi Feind« und des »Teufels
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Freund«, der das Wort Gottes verdreht und den Antichrist an die Stel-
le Christi setzen will: »Er haßt und verfolgt, verleugnet und zertritt die Wahrheit mit seiner Lügenhaftigkeit, mit giftiger Natterzunge, wann und wo er immer kann, heimlich und offenbar.«°° Nichts Gutes wird an ihm gelassen. Der Berichterstatter gibt zu erkennen, daß er von dem Streit zwischen Luther und Erasmus weiß, und schlägt den Prior aus Groningen denjenigen zu, die den von der Schlange aktivierten »freien Willen« einsetzen, um sich das Heil mit ihren eigenen Werken zu sichern.°' So verwendet der Berichterstatter die reformatorische Rechtfertigungslehre, um zu zeigen, worauf das Teufelsund Antichristdrama hinausläuft. Nicht nur der Prior, sondern auch die Mönche allgemein werden zu Geschöpfen des Teufels (ein antiklerikaler Topos, der überall kursierte): »Die Möncherei ist ein teuflisch-vermessener Stand, von Lucifer eingesetzt, von Adam übernommen und vom Papst-Antichrist bestätigt und besiegelt.« Mönche wurden zum »Schlangengezücht, das in den Ecken der Welt herumkriecht, sich windet und schindet und nach nichts trachtet, als Erde zu fressen und Bauch und Kisten
zu füllen.«°? Unermeßlich ist der Reichtum biblischer Namen für das Böse, auf die zurückgegriffen wird und die auf effektvolle Weise genutzt werden, um die Gegner aus dem Feld zu schlagen. Nicht genug damit, ebenso effektiv werden die Mönche darüber hinaus noch ironisiert. Sie verkriechen sich in den Winkeln, heißt es, vermum-
men sich mit Kappen und schminken sich, so daß man sie kaum wiedererkennt. »Hätte Adam schon solche Toilettengeheimnisse gekannt, unser Herrgott hätte ihn im Garten Eden gewiß nicht wiedererkannt.«° Ironisiert wird auch der Mitstreiter des Wortführers, er wird zum Dr. Übelso promoviert und Meister Babbeler. »Er sprang hervor aus seiner Kanzel und tat einen Griff in die Schrift, wie die Säue in dem Trog tun und lief mit schmutzigen Füßen davon, um alles zu besudeln und umzustoßen, was ihm in den Weg kam.«‘*
Das alles ist kämpferisch und unterhaltsam zugleich, ganz nach dem Geschmack adliger Geselligkeit. Auch das reicht noch nicht. Zum Schluß bietet der Berichterstatter noch einmal alles auf, um den »Kaufhandel des Antichrist« zu
Rom mit kräftigen Worten vorzuführen: Er »richtet sich gegen Gott, Natur und Mensch (...). Dieser Laden ist voll von Unrat, voll Unverschämtheit und Unversöhnlichkeit, Mißbrauch, Hurerei, Ehebrecherei, Buhlerei, schonungslosem
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Sengen und Brennen, Würgen und
Vergiften und anderer teuflischer Dinge, schließlich: Untergang und Verdammnis.«°° So wird das Religionsgespräch letztlich zum Gericht über den Klerus, der Junker zum Richter und Vollstrecker des
Urteils zugleich. Eine faire Chance hatten die Altgläubigen in dieser Disputation nicht. Sie standen, bevor die Disputation begann, schon auf verlorenem Posten. Man wird den Eindruck nicht los, daß die satirisch kon-
zipierte Kleruskritik, die sich bei Ulrich von Hutten beispielsweise als literarische, d.h. auch übertragene Form von Gesellschaftskritik zu erkennen gab, hier direkt zur Anwendung gebracht wird, es sei denn, daß der Junker überhaupt nicht die Absicht hatte, das Religionsgespräch wirklich zu protokollieren, sondern von vornherein nur literarisch-propagandistisch zu verarbeiten. So fällt ein eigentümliches Licht auf die einzig überlieferte Druckschrift aus den Anfängen der Reformation in Ostfriesland. Bemerkenswert ist nicht nur die Ausdauer, mit der die Kleriker in
der Einleitung und im Schlußteil angegriffen und abgeurteilt werden, sondern auch die Hartnäckigkeit, mit der im Protokoll der einzelnen Disputationsthemen selber keine Gelegenheit ausgelassen wird, um zu antiklerikalen Beschimpfungen auszuholen. Das zeigt eines sehr deutlich: Der Antiklerikalismus ist nicht ein Thema neben anderen Themen; er ist das Thema in anderen Themen - eine Beobachtung, die sich bei der Untersuchung zahlreicher anderer Flugschriften aus den frühen Jahren der Reformation wiederholt.”
Flexibilität des Antiklerikalismus
z
Die adligen Flugschriftenautoren reihten sich in den allgemeinen Antiklerikalismus ein, wie er in den frühen Jahren der Reformation virulent war. Die Vorwürfe liederlicher Amtsführung, der Verbrei-
tung eines falschen geistlichen Scheins, des Eigennutzes und Geizes standen im Vordergrund und waren allen Autoren gemeinsam. Einige hatten es nicht aufgegeben, an eine »Besserung« des geistlichen Standes zu glauben, andere hatten diesen Glauben bereits aufgegeben und die Reihen mit den radikaler denkenden Reformatoren eng geschlossen, die den spätmittelalterlichen Antiklerikalismus auf die Spitze getrieben hatten und daran arbeiteten, den geistlichen Stand ganz und gar abzuschaffen. 61
Die Argumente, die diese Autoren ins Feld führten, waren sich in vielem sehr ähnlich — und doch hat jeder Autor ihnen eine besondere Note verliehen. Hutten hat anders geschrieben als Cronberg und Sickingen anders als Ulrich von Dornum. Was sich bereits im Antiklerikalismus der Kleriker gezeigt hatte, wiederholte sich auch hier: Die antiklerikale Atmosphäre bestimmte grundsätzlich das reformatorische Denken und Handeln des Adels, ließ aber genügend Spielraum, Züge individueller Aneignung und Ausgestaltung reformatorischer Ideen zur Entfaltung bringen zu können. Und doch ähnelten die Grundargumente einander sehr, so daß die soziale Differenzierung keine wesentliche Rolle spielte, weder im Stand des Adels selbst noch in seinen Beziehungen zum Lager der Reformatoren. Wie sich noch zeigen wird, kann sogar der »gemeine Mann« ähnliche Argumentationsmuster wie die Rede von der »Besserung« des Klerus, von Eigennutz und gemeinem Nutzen, vom geldgierigen Egoismus der Bettelmönche etc., ausbilden, auf ähnlich stereotype
Weise auch biblische Lasterkataloge und Metaphern nutzen. Das Argument vom gemeinen Nutzen konnte dem Adel, der um den Machterhalt
in seinen Herrschaften
bemüht
war, ebenso
nützlich
sein wie dem »gemeinen Mann«, der sich für eine genossenschaftlich organisierte Gemeindereformation einsetzte. Die Vorstellung von einer »brüderlichen Vereinigung« konnte im Aufruhr der Reichsritter um Franz von Sickingen ebenso eine Rolle spielen wie in den Haufen der aufständischen Bauern. In seiner sozialen Flexibilität erwies sich der Antiklerikalismus als ein probates Mittel, Kritik an einer immer noch mehr oder weniger klerikal dominierten bzw. begründeten Ständeordnung zu üben oder die Ständeordnung als Ordnung von Macht und Herrschaft zu überwinden.
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IV. Weder Knecht noch Herr — nur Brüder Antiklerikalismus der aufständischen Bauern
Bäuerliche Kritik am Klerus In der Welt der spätmittelalterlichen Bauern war die Kirche auf vielfältige Weise präsent. Priester, Kapläne und Vikare lasen die Messe und nahmen die Beichte ab, tauften die Neugeborenen und beerdigten die Toten. Prediger ermahnten die Gläubigen und riefen zur Buße auf. Bettelmönche fielen — manchmal scharenweise — in die Dörfer ein und klopften an die Türen der Bauern. Regelmäßig zogen die Dorfgenossen mit den Geistlichen durch die Feldmark und erbaten den Segen für Vieh, Saat und Ernte. So intensiv der Priester auch mit den Bauern verkehrte, er war kein Dorfgenosse und in der Stadt kein
Bürger. Als Herr war er nicht nur geistlich, sondern auch sozial ausgesondert und herausgehoben. In den Augen der Bauern erschien er, wie der Grundherr, als Repräsentant derjenigen Herrschaftsform, die zur genossenschaftlich organisierten Dorfgemeinde in einem offenen oder verborgenen Gegensatz stand. Besonders schwer lastete diese Herrschaft auf den Bauern, die in Klosterwirtschaften lebten,
vor allem auf Hörigen und Leibeigenen. Äbte, Vögte und Mönche begegneten den »Gotteshausleuten« oft mit unerbittlicher Strenge und nutzten ihre geistliche Sanktionsgewalt, um wirtschaftliche Forderungen durchzusetzen: Frondienste, Abgaben und den Kirchenzehnt. Ebenso litten die Bauern unter Dom- und Chorherren, die ihre
Ländereien vor den Städten hatten und Abgaben und Steuern rigoros eintreiben ließen. Oftmals überschnitten sich die Forderungen mit Sondersteuern und Gebühren, die von Bischöfen direkt erhoben wurden, um Diözesanschulden zu tilgen und Verbindlichkeiten in Rom zu begleichen. Henry J. Cohn hat Beispiele einer besonders harten Besteuerungspraxis
von Bischöfen,
Domherren
und Äbten
zusammengestellt und die verzweifelte Lage geschildert, in der Bauern ihr Leben fristen mußten.
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Auch sonst gingen Geistliche, vor allem aus dem niederen Klerus, recht ungeistlichen Geschäften nach und traten als Schreiber, Steuer-
eintreiber und Notare in das Leben der Bauern — nicht immer auf die angenehmste Weise.” Kurzum, das Verhältnis zwischen Geistlichen und Laien war im Laufe des späten Mittelalters zu einem spannungsvollen Miteinander geworden. Oft wurde über Mängel in der geistlichen Versorgung geklagt. Wochenlang waren die Dörfer geistlich verwaist, vor allem, wenn sie nur über eine Kapelle verfügten oder der Weg in entlegene Gegenden zur Winterzeit beschwerlich wurde. Kein Priester kam. Unter diesen Umständen wird verständlich, warum die Bauern, deren kommunales Selbstbewußtsein erheblich gewachsen war, jetzt selber dafür eintraten, Priester und Pfarrer an das
Land zu binden, kommunale Patronatsrechte zu erlangen und die Kirche ins Dorf zu holen.’ Noch fehlen sozialgeschichtliche Untersuchungen zur geistlichen Situation auf dem Lande, ein Mangel, der mit den unübersichtlichen, schwer faßbaren rechtlichen und organisatorischen Verhältnissen zusammenhängt, so daß bisher kein genaues Bild von den Erfahrungen der Bauern mit dem Klerus entstehen konnte. Eines ist aber bereits sichtbar geworden: Nicht nur in der Stadt, wo engere Beziehungen zwischen Geistlichen und Laien existierten, sondern auch auf dem Land war zwischen Klerikern und Laien eine Spannung entstanden, »die in der rechtlichen und wirtschaftlichen Konkretisierung bzw. Praktizierung des spätmittelalterlichen Selbstverständnisses gründete.«* Und nicht nur in der Stadt, sondern auch
auf dem Lande regte sich der »gemeine Mann«, um sich für die Bedürfnisse seiner Religiosität die geistlichen Verhältnisse zu schaffen, die
seiner
Situation,
seinem
Habitus
und
seinem
kommunalen
Selbstverständnis entsprachen — bis zur Konsequenz, alle geistlichen Herrschaftsverhältnisse zu brechen und durch genossenschaftliche zu ersetzen.’ Sobald es in dieser Situation zu konkreten Spannungen zwischen dem Klerus und dem »gemeinen Mann« kam, entluden sie sich gewöhnlich in antiklerikalem Streit. Der »gemeine Mann« haßte die Herrschaftsallüren der Äbte und Priester, die den ursprünglichen Dienstcharakter ihres Amtes ins gerade Gegenteil verkehrt hatten. Vor allem aber begehrte er auf, weil geistliche »Herrschaft« ihm die Möglichkeiten nahm, das göttliche Heil prinzipiell in seinen eigenen Lebenszusammenhängen zu erfahren und zu bewähren. 64
Der Zusammenhang von Antiklerikalismus und Bauernkrieg ist von Henry J. Cohn auf aspektreiche Weise herausgearbeitet und mit zahlreichen, teilweise auch nur archivalisch faßbaren Beispielen belegt worden. Seine Untersuchung ist bahnbrechend und hat gezeigt, daß der Antiklerikalismus ein »Bindeglied« zwischen den wirtschaftlichen Beschwerden der Bauern und der Anziehungskraft ist, die reformatorische Losungen auf die Bauern ausgeübt haben. Der wirtschaftlich motivierte Antiklerikalismus war es, der Bauern,
Bürger und Bergknappen anregte, gewisse Ideen der Reformatoren aufzugreifen und für ihre Zwecke zu verwenden, vor allem das Schriftprinzip und das Pfarrerwahlrecht der Gemeinde. Mit dieser Untersuchung fällt neues Licht auf das Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg. Spätmittelalterlicher Antiklerikalismus und reformatorische Losungen gingen eine Verbindung ein, die das Herrschaftsgefüge auf dem Lande bedrohte und schließlich sprengte. Der Bauernkrieg läßt sich weder aus spontan und vorsätzlich entstellend aufgenommenen Gedanken der Reformatoren erklären, noch aus Traditionen und Impulsen, die im innersten Kern nichts mit der Reformation zu tun hatten, sondern aus der Verbindung, die der spätmittelalterliche ökonomisch verwurzelte Antiklerikalismus mit Anregungen aus dem Lehrgebäude der Reformatoren, vorab Luthers und Zwinglis einging. Diese Deutung ist von beeindruckender Geschlossenheit, allerdings wirft sie zwei Fragen auf, denen jetzt nachgegangen werden muß: Ist es wirklich nur der ökonomisch enggeführte Antiklerikalismus, der hier im Vordergrund stand, oder nicht
doch ein weiterer Begriff von Antiklerikalismus, der in Anschlag zu bringen wäre? Die andere Frage ist: Hat sich der Antiklerikalismus nicht unter dem Eindruck der beginnenden Reformation selber verändert, so daß er in dieser veränderten, radikal vertieften bzw. zugespitzten Gestalt im Bauernkrieg wirksam geworden ist.
Brüderliche Lebensgemeinschaft Gewöhnlich wird der Zusammenhang
zwischen Reformation und
Bauernkrieg in der Berufung der Bauern auf das Göttliche Recht gesehen. Die einen sehen in ihm den Höhepunkt eines revolutionären Prozesses, der mit dem Thesenanschlag Martin Luthers 1517 begonnen hatte und über eine gemäßigte Volksbewegung konsequent zu 65
einem Volksaufstand geführt wurde; die anderen weisen auf den Mißbrauch der evangelischen Einsicht in die Freiheit eines Christenmenschen und den rechten Gebrauch der Heiligen Schrift hin und beurteilen das vor allem politisch motivierte Aufbegehren der Bauern als »tiefe Zäsur« oder als Gefährdung der Reformation, als ein
opus alienum, nicht als Reformation selbst.‘ Peter Blickle faßte das Kapitel über »Biblizismus contra Feudalismus« in seinem Bauernkriegsbuch so zusammen: »Ohne Göttliches Recht ... wäre die Revolution in dieser Form nicht möglich gewesen«.’ Das ist richtig und zeigt, wie hoch der Anteil der Reformation am Bauernkrieg tatsächlich war, denn das Göttliche Recht wurde als die Heilige Schrift verstanden, in der die göttliche Gerechtigkeit ihren Ausdruck gefunden hatte. Mit der Berufung auf das Göttliche Recht hat der Bauernkrieg einen Charakter angenommen, der ihn nach Blickle grundsätzlich von den Aufständen des späten Mittelalters unterschied. Erst mit dem Göttlichen Recht haben die Bauern ein Instrument gefunden, das ihre Forderungen legitimierte und die rechtliche und politische Argumentation innerhalb des grundherrlichen Verhältnisses auf revolutionäre Weise durchbrach. Folgerichtig werden die Zwölf Artikel nicht mehr als gemäßigter Ausdruck bäuerlichen Aufbegehrens verstanden, sondern als ein radikales Dokument, das die Neugestaltung der Gesellschaft im Auge hatte. Es wird in den Zwölf Artikeln zwar nicht von Göttlichem Recht gesprochen, wohl aber der Schriftbeweis für alle Forderungen der Bauern
geführt. Die Bibel wird zu einem Gesetzbuch;
sie ist
die »götliche Juristrey«,® mit deren Hilfe Recht und Unrecht herrschaftlicher Forderung und bäuerlicher Beschwerde erwiesen werden. Mußten die streitenden Parteien sich vorher auf die Suche nach dem Alten Recht begeben, so galt es nun, die Bibel nach dem Willen
Gottes zu durchforschen und das irdische Leben mit dem Göfttlichen Recht zu konfrontieren. Doch wird der Sachverhalt nur so verstanden, als ob die Bauern jetzt eine alte Rechtspraxis und Rechtsnorm durch eine neue ersetzten, dann kommt noch nicht das vitale Inter-
esse zum Vorschein, das sie am Göttlichen Recht hatten. Es ging ihnen um mehr als nur um das Recht, das etwas legitimierte. Sie wollten das Recht in Einklang mit dem Leben wissen, das ihnen das Evangelium zu führen auferlegte. Das Leben ist umfassender als das Recht. Wer sich entscheidet, »das Evangelium zu hören und demgemäß zu leben«, wie es in der Präambel der Zwölf Artikel
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heißt, kann nur gelten lassen, was diesem Evangelium nicht zuwiderläuft, und kann nur fordern, was »nach Laut und Inhalt des
göttlichen Worts« geboten ist.” Die Bauern entdecken also nicht so sehr ein neues Recht, jedenfalls ist das nicht das Primäre, sie setzen sich vielmehr dafür ein, daß das Leben, von dem das Evange-
lium zeugt, in dieser Welt verwirklicht wird. Was diesem Leben im Wege steht, muß beseitigt werden. So versteht die Bauernschaft sich im Grunde als eine wahrhaft »christliche Vereinigung« oder »Bruderschaft«,!° deren Leben sich auf musterhafte Weise von dem bishe-
rigen Leben der Christenheit unterscheidet und abhebt. Hier hat die Hierarchie, die klerikale Herrschaft ausübt, keinen Platz mehr. Das kommt in der Präambel der Zwölf Artikel zum Ausdruck, deutlicher noch in den Salzburger Artikeln vom Mai/Juni 1525. Diese Forderungen werden von einer »christelichen ersamen Gmeinde« erhoben und darüber hinaus in bewußt antiklerikaler Manier vorgetragen, so daß sich darin ein geradezu alternatives ekklesiologisches Selbstverständnis ausdrückt: »Zum ersten zeigen wir an, und es ist wahr, auch allenthalben unverborgen, wie durch die Antichristlichen, die sich geistlich nennen oder sich aufs höchste versteigen und das arme Volk mit ihrer Simonei, Betrügerei und Wüterei unterdrückt und leider die evangelische Wahrheit nicht allein zurückhalten und verdekken (...) und mit Konzilien, auch ihrem Geldmetz, dem Dekret, vermischt und der wahrhaftigen Schrift damit ein Tuch vor die Augen gehenkt haben, auch den Weg der evangelischen Erkenntnis versperrt und verschlossen, auch verboten haben, daß kein Laie vom
Evangelium reden noch handeln, das auch nicht in der Schrift haben soll.«!' Nicht die klerikale Hierarchie, sondern die bäuerliche Lebensgemeinschaft, die sich um die Heilige Schrift bildet, repräsentiert die
wahre Kirche. So erklären die Dorfmeister in Wendelstein in dem häufig zitierten Dokument dem Pfarrer, den der Markgraf 1524 eıingesetzt hat: »Erstlich, so werden wir dich nicht als Herrn, sondern
allein als einen Knecht und Diener der Gemeinde anerkennen, der du
nicht uns, sondern wir dir zu gebieten haben, und befehlen dir demnach, daß du uns das Evangelium und Wort Gottes lauter und klar nach der Wahrheit, mit Menschenlehre unvermischt und unbefleckt, treu verkündigst.« Mit diesen Worten, bemerkt Gerhard Pfeiffer, ha-
ben die Bauern das bisherige kirchliche Gemeindeverständnis als klerikale »Herrschaftsorganisation« abgelehnt.'? 67
Aus diesem ekklesiologischen Selbstverständnis ergibt sich folgerichtig das Begehren, »das man uns das Wort Gottes verkündigt und was das Evangelium ausweist«.'” Von dem Ruf nach evangelıischen Predigern, auch der Solidarisierung mit verfolgten und gefangengesetzten Prädikanten zur Forderung der freien Pfarrerwahl in den Gemeinden ist es nur ein kleiner Schritt. Dieser Pfarrerwahlartikel, wie er landauf und landab an erster Stelle in den bäuerlichen Beschwerden erscheint, ist nicht ein Artikel, der die eigentlichen
wirtschaftlichen
Sorgen der Bauern verdrängt hätte, sondern
Artikel, mit dem, wirtschaftliche
Sorgen eingeschlossen,
um
ein das
Lebens- und Selbstgestaltungsrecht der bäuerlichen Gemeinschaft überhaupt gekämpft wurde. Die Bauern haben also nicht ein reformatorisches Anliegen in ihre weltlichen Forderungen zusätzlich aufgenommen, sondern ihr Existenzrecht in einer erneuerten kirchlichen Lebensgemeinschaft entdeckt. Dazu gehört die Weigerung, den Zehnten an Kirchen, Klöster, Stifte und Herrschaften abzuführen, da
diese Abgabe der wahren Kirche ja doch nicht zugute käme; genauso wie die Auflehnung gegen die Leibeigenschaft, denn in einer christlichen Gemeinschaft darf es keine sozialen Abhängigkeiten und Unfreiheiten geben; und dazu gehört der Widerstand gegen alles, was das Leben der bäuerlichen Gemeinschaft belastet und bedroht. Beschwerden und Forderungen, die schon früher artikuliert worden waren, fügen sich mühelos ein. In diesem neuen ekklesiologischen Zusammenhalt der Bauern erhält das Göttliche Recht seine besondere Bedeutung. Es dient nicht nur als Kampfinstrument gegen die Rechtsauslegung der Grundherren oder als neue Legitimation der bäuerlichen Forderungen, vielmehr dient es als Aufbaugesetz einer Gemeinschaft, die dem Willen Gottes nachgestaltet wird, wie einst das Alte Recht das Gesetz der grundherrschaftlichen Lebensgemeinschaft war. So stößt im Bauernkrieg nicht allein Recht auf Recht; es entsteht vielmehr eine neue Gemeinschaft, die sich der klerikalen und grundherrschaftlichen, die Bauern belastenden Herrschaft widersetzt. »Hier ist weder Knecht noch Herr, wir sind allzumal einer
in Christo ja also einer, Eph., daß je einer des anderen Glied sein soll, aus uns allen einen Leib unter dem Haupt Jesu Christo zu machen.«'* Auf diese Weise hat sich die Losung vom Priestertum aller Gläubigen unter den Bauern Ausdruck verschafft. Es kommt nicht zu einer Entfesselung des religiösen Individualismus, sondern zur bewußten Einbindung der Individuen in eine restrukturierte Gemeinschaft. Die
68
Losung vom Priestertum aller Gläubigen wurde kommunal rezipiert. Die neue Gemeinschaft ist das eigentlich Revolutionäre, wodurch die Leibherrschaft abgeschafft und auf Dauer das Gefüge der Gesellschaft, das auf einer abgestuften Wertung der Stände beruhte, gesprengt worden wäre.'? Das Göttliche Recht ist auch ein Reservoir an Maximen, die das
Verhalten und Handeln der Bauern jetzt schon leiten. Die Bauern sprechen die Herrschenden, den Adel und den Klerus als Brüder an,
sie überreden Grafen und Ritter, alle Standesprivilegien aufzugeben, die Adelsprädikate abzulegen und in die brüderlichen Vereinigungen einzutreten. Im brüderlichen Verband, wird ihnen versichert, könnten sie weiterhin obrigkeitliche Ämter wahrnehmen. Geistliche Grundherren werden nicht zum Beitritt überredet, da ihnen überhaupt keine weltlichen Ämter mehr angetragen werden dürfen. Willkommen waren im bäuerlichen Lager nur niedere Kleriker, die das Evangelium in reformatorischem Sinne predigten und sich der kommunalen Lebensordnung des »gemeinen Mannes« einfügten.'° Einerseits war das »Gebrudere«, über das die Herren sich gelegentlich mokierten, ein provokativer Akt, andererseits auch ein Zeichen dafür, wie ernst es den Bauern war, eine universale Alternative zur bestehenden Gesellschaft zu errichten und dazu aufzufordern, »der gemeinen Bauernschaft mit Leib, Leben, Ehren und Gut als christlichen Brüdern beizustehen«.'’ Es ging ihnen nicht nur um eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und politischen Lage, sondern viel
umgreifender um die »Neue Wandlung eines christlichen Lebens«, wie es Hans Hergots Flugschrift auf pointierte Weise im Titel beschrieb. Das Göttliche Recht bestimmte das Handeln der Bauernhaufen nach außen, es regulierte auch das Verhalten im Inneren. Die neue Gemeinschaft verlangte Regeln der Brüderlichkeit, z. B. einander zu helfen, Streit nicht vor obrigkeitlichen Gerichten auszutragen, zum Evangelium zu stehen und diejenigen auszuschließen, die sich dieser neuen Ordnung widersetzten. Dem geistlichen Bann entsprach der »weltliche Bann«. Die neue Gemeinschaft war congregatio (nach innen) und segregatio (nach außen) zugleich. Wie die römische Kirche die Erlangung des Heils exklusiv an die klerikale Hierarchie band, so erwartete der Bauer das Heil ausschließlich in der Kirche, die ihre brüderliche Grundordnung wiederentdeckt hatte. In der Ständepyramide des Mittelalters rangierten die Bauern 69
ganz unten. Ihre Funktion bestand darin, die oberen Stände in harter und entbehrungsvoller Arbeit zu ernähren. Der bäuerliche Stand war der Nährstand, der Adel der Wehrstand und der Klerus der Lehrstand.
Während Papst und Kaiser, Könige, Fürsten, Bischöfe und Kardinäle,
Kaufleute,
Handwerker
und
Priester
in den
weitausladen-
den Zweigen eines üppigen Ständebaums — abgestuft, aber einträchtlich — beieinander sitzen, arbeiten die Bauern niedergedrückt und zerschunden im Wurzelwerk. So stellte der Petrarca-Meister die ständisch gegliederte Gesellschaft seiner Tage in einem Holzschnitt dar — allerdings ließ er sich auch nicht die Gelegenheit zu einem satirisch-utopischen, kritisch fordernden oder warnenden Zusatz nehmen: ganz oben in den luftigen Wipfeln des Baumes tauchten die Bauern wieder auf. Hier durften sie musizieren und sich ausruhen. Auf diese Weise erhöht, sollte oder wird es den Bauern irgendwann einmal wirklich gut gehen. Sie werden »obenauf« sein.'® Was dieser Holzschnitt andeutete, die Umkehr der ständischen Verhältnisse, wurde im Bauernkriegsgeschehen zur Realität. Henry J. Cohn hat neuerlich Beispiele von Szenen zusammengestellt, in denen Bauern nicht nur Klöster stürmten und Ordensleute vertrieben, sondern sich
selber auch in die geistlich-weltlichen Funktionen der Klosterherrschaft einwiesen und das Ritual des klösterlichen Lebens auf parodistische Weise nachvollzogen.'” Hier nur ein Beispiel einer solchen Szene: »Die possierlichste Figur während dieser wutvollen Raubgeschichte machte ein elender zweispänniger Söldner von Suntheim, ein Mann, der in der hohen Einbildung wenige seinesgleichen fand. Dieser trat mit Genehmigung seiner rohen Gefolgschaft plötzlich als regierender Herr und Abt auf, nahm die Abteizimmer ein, wählte sich
eine gleichschrötige, zahlreiche Dienerschaft, hing sich die Abteischlüssel an seinen wohlbeschnallten ledernen Söldnergurt, forderte alle Abend die Schlüssel der Klosterpforten aufs Zimmer, trug sich alltäglich zur Schau und Verehrung mit einem starren Kopfe und Auge in den Klostergebäuden in Begleitung seiner Kammerknechte umher, hielt sich eine auserlesene starkgliedrige Leibwache, bot allen ankommenden Standesgenossen, welche ihm den Hof machten,
seine Huld und Gnade in vollen Schüsseln und vollen Trinkbechern an, und schmauste mit ihnen bis in die späte Nacht so lange, bis seine Unwürdige Gnaden vollgefüttert und ebensowohl bezecht, des Kammerdienstes benötigte und durch mehrere Hände zur Nachtruhe befördert wurde.?° Die Bauern setzten antiherrschaftliche Zeichen und 70
meinten es ernst damit, die ständische Ordnung auf den Kopf zu stellen und außer Kraft zu setzen.
Ohne Antiklerikalismus kein Bauernkrieg Diese Entwicklung im bäuerlichen Bereich wurde zweifellos von den reformatorischen Einsichten und Parolen in Gang gesetzt, die natürlich an ein großes Protest- und Widerstandspotential unter der ländlichen Bevölkerung, vor allem an ein kommunales Selbstverständnis,
das
sich allmählich
auf dem
Lande
ausgebildet
hatte,
anknüpfen konnten.?' Günther Franz hat auf das mobilisierende Wirken der reformgesinnten Prediger in den Aufstandsgebieten hingewiesen.” Aus der evangelischen Verkündigung haben die Bauern vor allem den scharfen, ja vernichtenden Angriff auf den Klerus und die Befreiung der Gläubigen aus der klerikalen Bevormundung herausgehört. Besonders den Äbten und Prälaten in den geistlichen Grundherrschaften hat die reformatorische Kritik jedes Recht auf weltliche Herrschaft und weltliche Geschäfte bestritten und die Bauern zu heftigen, antiklerikal aufgeladenen Reaktionen herausgefordert. Sehr viele Klöster wurden gestürmt, Mönche und Nonnen vertrieben.”? Andererseits ist das hohe moralische Selbstwertgefühl, das mit dem Antiklerikalismus verbunden war und aus dem Gegensatz vom schlechten Priester und frommen Laien lebte, möglicherweise der Grund dafür, daß die Bauern sich zügelloser Gewalt gegen Personen enthielten und erst zum Schwert griffen, als sie auf militärische Gewalt gestoßen waren. In der Frontstellung gegen den Klerus erhielt die evangelische Auffassung vom Priestertum aller Gläubigen eine besondere Plausibilität. War der Klerus nicht allein ein geistlicher, sondern zugleich ein gesellschaftlicher Stand, so begriffen die Bauern sich in Reaktion darauf ebenfalls als geistliche und gesellschaftliche Kraft. Dieses antiklerikale Reformverständnis bezog sich auf den gesamten Lebensbereich und rief in den Bauern das Bewußtsein einer gesamtgesellschaftlichen Alternative hervor. Luther hat sich bereits in seiner Ermahnung zum Frieden auf die Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben energisch gegen die Bauern gewandt, weil sie das Evangelium oder das Göttliche Recht für ıhren Widerstand gegen die Obrigkeit mißbraucht hätten. Er hat sie ihrerseits beim Wort genommen, eine »christliche Rotte oder Vereini#1
gung« sein zu wollen, und ihnen in antiklerikaler Umkehrlogik vorgeworfen, »wider Christus und sein Recht, wider Lehre und Exem-
pel« zu sein und im Namen des Evangeliums wider das Evangelium zu handeln.?* Genauer hätte er das Selbsverständnis der Bauern gar nicht treffen und in die frühe antiklerikale Frontstellung einordnen können: »Denn ich sehe das wohl, daß der Teufel, so er mich bisher
nicht hat durch den Papst umbringen können, sucht er mich durch die blutdürstigen Mordpropheten und Rottengeister, die unter euch sind, zu vertilgen und aufzufressen.«” Luther hat nicht seine anfänglichen theologischen Intentionen aufgegeben, sondern sich nur von dem Reformationsprozeß getrennt, wie er auf dem Lande mit revolutionärer Konsequenz ablief. Die Bauern haben sich der Reformation zugewandt, weil die handfeste Kritik am Klerus mit ihrer religiösen Sehnsucht nach unverstellter Frömmigkeit und ihrem Unmut über die wirtschaftliche und soziale Bedrückung korrespondierte und in dieser krisenhaften Situation auf bessere Zeiten hoffen ließ. Henry J. Cohn hat in dem bereits erwähnten Aufsatz über Anticlericalism in the German Peasants’ War 1525 den Antiklerikalismus als eine wichtige Brücke zwischen Reformation und Bauernkrieg begriffen.?* Das scheint mir nur richtig zu sein, wenn der Antiklerikalismus als die Form verstanden wird, in der die Reformation ihre
Verwirklichung unter den Bauern gefunden hatte. Offensichtlich hat Cohn es aber, wie an anderer Stelle zu lesen ist, ein wenig anders
gemeint: »Es ist im wesentlichen der wirtschaftliche Antiklerikalismus des gemeinen Mannes in Stadt und Land gewesen, der für die reformatorischen Lehren den fruchtbaren Nährboden für die Reformation abgegeben und damit zu einem allgemeinen Bauernkrieg geführt hat.«?’ Sicherlich war der Antiklerikalismus ein Nährboden für die Reformation, aber grundsätzlich war er wohl, durch reformatorische Schriften und Predigten belebt und geschärft, die Form, in der die Reformation aufgenommen wurde. Der wirtschaftlich motivierte Antiklerikalismus wurde vertieft (es ging jetzt um die Abschaffung des Klerus, nicht mehr darum, ihm etwas Milde abzutrotzen) und erweitert: Für die Bauern waren Antiklerikalismus und Reformation identisch. Diese Vorstellung tauchte bereits in der altgläubigen Polemik gegen Luther nach der Niederlage der Bauern auf. Ihm wurde vorgeworfen, sicherlich mit verzerrenden, verkürzenden und einseitigen 22
Argumenten, aber doch nicht ohne Grund, daß sein Angriff auf den Klerus es gewesen sei, der den Bauernkrieg entfesselt habe. Der Klerus hat die reformatorische Predigt Luthers auf seinen eigenen Stand bezogen und auf seine Weise nicht zu Unrecht auf den inneren Zusammenhang von Antiklerikalismus, Reformation und Bauernkrieg hingewiesen. Ein Beispiel aus der Antwort auf Luthers Schrift »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern« von Johannes Cochläus genügt: »Haben wir nicht auch Evangelium in unser Kirche, ja, es schmeckt aber dem gemeinen Mann nicht so gut wıe das deinige. Dann dein Evangelium will alle Ding frei haben, will vom Papst und den Bischöfen ungestraft und nicht geurteilt werden, will auf christliche Ordnung in Fasten, Beichten, Beten und guten Werken nichts halten, will die gesalbten Pfaffen und Mönche vertilgen, will Stifte und Klöster zerstören, will Kelch und Meßgewand verschmelzen, die Messe abtun, die Bilder zerhauen, den Zehnten und die Renten der Geistlichen in den gemeinen Nutzen der Laien überführen, etc. (...) Hätten aber alle dein falsches und ketzerisches Evangelium streng und hart mit Ernst verboten, (...) so wären soviele falsche evangelische Brüder und Bauern nicht entstanden und nun erschlagen worden.«°® Vom Reformationsverständnis her, das mit dem Antiklerikalismus zusammenfällt, besteht jedoch keine Schwierigkeit, den Angriff auf Äbte, Prälaten und weltlichen Adel in gleicher Weise und unabhängig voneinander zu führen, denn »mit der kirchlichen Autorität war für ihn (den Bauern) auch die weltliche zusammengebrochen«,” vor allem dann, wenn die weltliche Obrigkeit sich der Bitte um evangelische Verkündigung widersetzte und zum Schirmherrn des alten Glaubens aufwarf. Unter dem Gesichtspunkt des Antiklerikalismus muß ein innerer Zusammenhang zwischen Reformation und Bauernkrieg angenommen werden. Der Bauernkrieg war zwar eine »tiefe«, aber eine von der Reformation selbst erzeugte »Zäsur« in ihrer eigenen Entwicklung, anders formuliert: der Bauernkrieg zeigte sich als
eine Reformation, die den Reformatoren nicht recht war und sich vom Gang der von ihnen gewünschten Reformation unterschied. Der Bauernkrieg läßt sich tatsächlich als eine »Glaubensrevolte« begreifen, aber nicht in dem Sinn, daß er vor allem und zuerst ein religiöser Aufstand im Gegensatz zu einer sozialen Revolution gewesen wäre. Selbst die nicht »vom Glauben abgedeckte Entwicklung im Programm und Vorgehen der Bauern« ist nicht vom »religiösen Faktor« 73
zu trennen.’ Das zeigt der Zusammenhang von Antiklerikalismus und Bauernkrieg sehr deutlich. Religiöser Aufstand und soziale Revolution verschmolzen in der Erfahrung und dem antiklerikal-ekklesiologischen Selbstverständnis der Bauern, das hinter allen aufständischen Aktionen stand, zu einer Einheit. Die krisenhafte Situation wirtschaftlichen und sozialen Drucks, der auf der ländlichen Bevöl-
kerung lastete und dessen Ursachen sozialhistorisch erklärt werden müssen, ließ die Bauern, wie Cohn gezeigt hat, besonders auf die
antiklerikalen Angriffe der reformatorischen Verkündigung achten. In der antiklerikalen Argumentation fanden sie ein Muster dafür, wie sie auch mit den weltlichen Problemen und Autoritäten fertig werden konnten. So hörten sie die reformatorische Botschaft als eine biblisch begründete Aufforderung, den gesamten Lebensbereich in eine brüderliche Ordnung umzugestalten. Die Revolution des gemeinen Mannes war der grandiose Versuch, die Reformation auf dem Lande in der Sozialgestalt der Brüderlichkeit zu verwirklichen.
74
V. »Bannwerfer des Antichrist« und »Hetzhunde des Teufels« Die antiklerikale Spitze der reformatorischen Bildpropaganda
Der Streit um die Reform der Christenheit wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit mancherlei Mitteln ausgetragen: mit Disputation und Predigt, gelehrtem Traktat und volkstümlicher Flugschrift, mit Bildersturm und Klosterkrieg. Oft wurden Gottesdienste gestört und römische Rituale in karnevalesk-parodistischer Manier ad absurdum geführt.' Sakramente wurden geschändet, Priester tätlich angegriffen und aus Dörfern und Städten vertrieben. In diesen Streit mischten sich auch die bildenden Künstler ein. Sie stellten Holzschnitte,
Kupferstiche,
Handzeichnungen
und
Tafelbilder
in
den Dienst der Reformation und, weniger häufig, in den Dienst antireformatorischer Polemik. Den Zusammenhang von bildender Kunst und Reformation hat in letzter Zeit Carl C. Christensen noch einmal auf umfassende Weise erörtert? und die Bildpropaganda im engeren Sinn hat vor allem Robert W. Scribner in seinem Buch For the Sake of Simple Folk untersucht und aus der Sicht des Historikers in Beziehung zum reformatorischen Geschehen gesetzt. Aus der Fülle der Sujets und Motive tritt eines besonders hervor: der geistliche Stand in der Mannigfaltigkeit seiner Personifikationen: Papst, Kardinäle, Bischöfe, Prälaten, Priester, Mönche und Nonnen. Noch nie zuvor waren sie so zahlreich ins Bild gerückt und nur selten so despektierlich dargestellt worden. Da fährt der Papst unter dem Fastnachtsgetöse seines Anhangs zur Hölle (Sebald Beham);* und an anderer Stelle erscheint er als monströse Zwittergestalt, teils Esel, teils Hure, teils schuppiges Tier, teils Greifvogel (in der Flugschrift Papstesel zu Rom).” Das eine Mal hockt der Papst oben auf dem Dachfirst, Mönche dringen wie Diebe und Räuber
2)
durch die Luken und Fenster in den »Schafstall Christi« ein (Joh. 10), ein Kardinal und ein Bischof zeigen dem »gemeinen Mann« den Weg übers Dach, während Christus in der offenen Tür steht, neben ihm Petrus mit dem Schlüssel in der Hand, und den richtigen Weg in den Stall seiner Schafe weist. Die Schafherde weidet unterdessen noch - im Hintergrund der Szene liebevoll ausgestaltet — wohlgeordnet und dicht aneinandergedrängt um das Kreuz auf Golgatha (Barthel Beham). Fazit: der Klerus ist kein guter Hirte, das ist Chri-
stus allein.° Das andere Mal werden Mönche und Priester mitsamt ihren Konkubinen wie Jagdwild von Teufeln in den Rachen der Hölle getrieben, wo der Papst bereits in einer Ecke sitzt und einem Teufel die Beichte abnimmt (Erhard Schoen); bei Niklaus Manuel Deutsch wird ein Mönch, der als Ablaßkrämer über Land gezogen war, von aufgebrachten Bauern gefesselt, hochgebunden und zur Rede gestellt.’ Ein verarmter Bauer, angetrieben von einem alten, ausgemergelten und abgerissenen Weib (Paupertas), zwingt einen Mönch, der von schönen, lasterhaften Frauen (Zuxuria, Superbia, Avaritia), Personifikationen der Todsünden, gegängelt oder zurückgehalten wird, das Bibelbuch zu küssen oder zu schlucken. Das Fazit hier: Der Kleriker wird vom Laien belehrt (Sebaid Beham).® Das Thema Frauen und Kleriker hat noch andere Aspekte: So überwältigen zwei Frauen einen Mönch und schlagen fürchterlich auf ihn ein (Urs Graf).’ Der Betrachter wird im Unklaren darüber gelassen, ob diese Frauen Dirnen oder Bürgerinnen sind. Für Papst, Mönch und Ritter stehen die Sterne nicht gerade günstig; der Papst wird durch das Schwert eines Landsknechts gerichtet, der Ritter ist vor einem flegelschwingenden Bauern auf der Flucht, und der Mönch wird von einem Handwerker
geschlagen (Erhard Schoen).'° Auf dem Titelbild zu Ulrich von Huttens Gesprächbüchlein (1521), von Hans Baldung Grien graphisch gestaltet, rücken Ritter und Landsknechte mit spitzen Lanzen gegen den Papst und seinen klerikalen Anhang vor und drängen sie zurück.'' Vor dem Weltenrichter teilt sich die Menschheit in die falschen und die wahren Christen. Die falschen Christen sind Geistliche und alle diejenigen, die am falschen Glauben verdienen, Glockengießer, Maler, Goldschmiede,
Kerzenzieher, Fischer, Kon-
kubinen usw. Angeführt werden sie von einem geistlichen Ankläger, der eine Schriftrolle in der Hand hält und dem Anführer der wahren Christen mit rechthaberisch gebietender Geste entgegentritt. Die fal-
76
schen Christen klagen Luther an, der sie um ihren Verdienst gebracht habe. Der Anführer der wahren Christen ist der Wittenberger Reformator, der die Heilige Schrift bei sich trägt und mit dem Finger auf ihren Inhalt weist. Hinter ihm sammeln sich einfache Leute: ein Bauer, der sich von ihm gut vertreten weiß, Handwerker und einige Frauen sind zu erkennen. Beide Gruppen stehen sich wie in einer Disputation gegenüber, über deren Ausgang der Weltenrichter bereits entschieden hat: sein Zepter neigt sich zur Seite der wahren Christen. Der Kontrast ist deutlich: der Klerus mit seiner Klientel hier, der Reformator mit dem »gemeinen Mann«
dort, Verdammte
hier,
Erwählte dort (Sebald Beham).'? Der Historiker, der sich dem Zusammenhang von bildender Kunst und Reformation zuwendet, betritt einen Boden, der ihm nicht allein
gehört. Er muß sich ihn mit Kunsthistorikern teilen. Solange er nur die Situation und das Milieu beschreibt, in dem Kunst entstand, auch die näheren Bedingungen, unter denen Künstler arbeiteten und ihre Erzeugnisse feilboten, geht er seinem Handwerk unbekümmert nach. Sobald aber die Bilder, das Schnitzwerk und die Skulpturen selber analysiert werden müssen, um zu erfahren, wie die Künstler ihre Zeit wahrnahmen und verarbeiteten, stößt er an die Grenzen sei-
ner Kompetenz. Hier kann ihm nur der Kunsthistoriker weiterhelfen. Er allein hat es gelernt, die Zeichen genau zu deuten und die Sprache zu verstehen, die Bilder sprechen, auch zu erkennen, wo der Augen-
schein endet und der Hintersinn beginnt. Selbst herauszubekommen, welche historische Realität in das Bild eingearbeitet worden sein mag und was künstlerisch aufgenommenem Traditionsgut entspringt, dessen Motive ein überlieferungsgeschichtliches Eigenleben unabhängig vom Verwendungszweck in einer bestimmten Situation führen, ist für einen Historiker nicht leicht. Will der Historiker über sein vorhin naiv beschriebenes Arbeitsfeld hinausgehen und den historischen
»Dokumentensinn«
eines Bildes nutzen, um
sich
die Basis seiner Quellen zu verbreitern, muß er in ein intensives Gespräch mit den Kunsthistorikern eintreten und über das komplizierte methodologisch geschliffene Instrumentarium einer »historischen
Bildkunde« verfügen, das bisher nur wenige zu handhaben verstehen." Um das Bild, das in der Reformationszeit vom Klerus gezeichnet wurde, beschreiben zu können, ist es nicht unbedingt notwendig, das
steinige Terrain einer »historischen Bildkunde« bis in die letzten 27
Winkel und Ecken auszuschreiten. Ganz aber dürfen ihre methodologischen Einsichten doch nicht übergangen werden, denn die Werke der bildenden Künstler erschließen sich nicht schon dem bloßen Auge allein. Sie sind oft mehrdeutig, der Künstler hat gelegentlich etwas anderes zum Ausdruck bringen wollen, als seine Zeitgenossen in seinen Bildern sahen, schließlich steckt auch noch mehr und ande-
res in den Bildern, als vom Künstler intendiert wurde. Sie tragen überindividuellen Charakter und werden zu einer »Artikulation der Gesellschaft«. Die Frage nach dem Klerusbild ist aber nicht so kompliziert, als daß hier das ganze Instrumentarium der »historischen Bildkunde« angewandt werden müßte. Oft genügt schon, um die von Rainer Wohlfeil im Anschluß an Erwin Panofsky herausgestellten und teilweise erweiterten bzw. veränderten Arbeitsschritte zu nennen,!* eine vorikonographische Beschreibung, in der herausgestellt wird, was dargestellt und, in diesem Fall, wie der Klerus ins Bild
gebracht wurde. Wo sich das Klerusbild jedoch nicht sogleich eindeutig genug erschließt, sind ikonographisch-historische Analysen vonnöten. Sie decken die Mehrschichtigkeit der Bildaussagen auf, ihre Verwurzelung in Bildtraditionen, Bildprogrammen und literarischem Schaffen beispielsweise, ebenso in den historischen Bedingungen, unter denen ein Bild entstand, und geben Auskunft darüber, welche Einsichten die Künstler über den Klerus vermitteln wollten oder was an den Bildern von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde, was hauptsächlich und was nur nebenher.
Schließlich, um auf
den dritten Arbeitsschritt ikonologisch-geschichtswissenschaftlicher Gesamtdeutung einzugehen, dürfte es von Anfang an klar sein, daß mich die Frage danach besonders bewegt, welche Bedeutung das in der Graphik jener Zeit erscheinende Klerusbild für den Durchsetzungsprozeß und den Charakter der Reformation hatte, wie sie heute konzipiert werden. Das sind die Fragen, die sich hier vor allem stellen: Was soll den Zeitgenossen auf den ersten Blick mitgeteilt werden und was sollen sie sehen lernen? Werden auch anderswo dokumentierte Tendenzen aufgenommen oder wird etwas Eigenes und Neues ins Bild gebracht? Auf unser konkretes Thema bezogen heißt das: Was erfahren wir über den Klerus, wie wurde er gesehen und wie sollte er gesehen werden? Insgesamt: Wie stellten sich die Künstler auf die Reformation ein und welche Rolle spielte ihr Klerusbild in den Auseinandersetzungen um die Erneuerung der Christenheit?
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Eine ambivalente Situation Carl C. Christensen hat im ersten Kapitel seines bereits erwähnten Buchs auf eindrucksvolle Weise herausgearbeitet, wie intensiv Bilder mit der Frömmigkeit des ausgehenden Mittelalters verwoben werden. Sie dienten der Belehrung, der Erbauung und Veranschaulichung religiöser Inhalte, auch wurden sie zu Objekten der Verehrung, ja, der Anbetung. Obwohl zahlreiche Stimmen davor warnten, den Bildern numinose Kraft beizulegen, war es nicht möglich, die Tendenz zu einem geradezu »abgöttischen« Umgang mit Altarbildern aufzuhalten. Die heilsvermittelnde Funktion, die die Jungfrau Maria und die Heiligen wahrnahmen, wurde auch auf die Bilder, die
diese darstellten, übertragen. Sowohl die Begegnung mit solchen Bildern als auch die Stiftung solcher Bilder wurden in der Regel als Werke angesehen, welche die Menschen dem ewigen Heil näherbringen konnten.'° Je stärker sich das Stiftungswesen entwickelte und der Bedarf an künstlerischer Ausgestaltung der Altäre und Gotteshäuser wuchs, um so intensiver wurde die berufliche Existenz der
bildenden Künstler in die allgemeine Leistungsfrömmigkeit eingebunden.'® Diese Situation wandelte sich schlagartig, als Angriffe auf die Leistungsfrömmigkeit laut wurden und die Gemüter der Laien erregten. In kurzer Zeit war der Bann gebrochen, der vom Ablaß ausging, in ebenso kurzer Zeit erlahmte das Stiftungswesen, als deutlich wurde, daß die vermittelnde Kraft der Heiligen keine biblische Rechtfertigung besaß und der Heiligenkult zusammenbrach; und als die Kritik auch die Messe erfaßte, ja, diese sogar ganz abgeschafft wurde, bestand kein Bedarf mehr für die Bilder im Gottesdienst. In dieser Zeit faßte Lucas Cranach der Ältere, der an der kirchlichen
Auftragskunst und als Künstler am Hof des sächsischen Kurfürsten gut verdient hatte, den weisen Entschluß, seine außerkünstlerischen
Unternehmungen in Wittenberg auszuweiten und die Grundlage seiner bürgerlichen Existenz zu verbreitern. Er stieg zu einem bedeutenden Unternehmer auf und wurde zu einem reichen Bürger dieser Stadt.'” Mancher Künstler, um es nicht zu allgemein zu sagen, hatte be-
gonnen, den Niedergang einer Epoche blühender kirchlicher Kultur am eigenen Leibe zu erfahren, und war gezwungen, sich auf diese Situation einzustellen. Vollends alarmiert wurden die Künstler, als
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die Kunde von den ersten Bilderstürmen um 1521/22 durch die Lande drang und eine Serie weiterer Stürme auslöste.'* Für die Künstler war das in der Tat eine bedrohliche Situation. Ihre Lage war besonders verzwickt, weil sie zu einem guten Teil die Kritik, die von den Reformatoren an der Kirche und ihrer Hierarchie geäußert wurde,
begrüßten. Das galt besonders für die Künstler, die unter dem beflügelnden Eindruck von Renaissance und Humanismus standen und daran interessiert waren, den klerikalen Einfluß aus dem kulturellen
Leben zu verdrängen. So schrieb Willibald Pirckheimer, daß er und Dürer anfangs lutherisch gewesen seien, weil sie hofften, die »Römisch Puberei deßgleich der münch und pfaffen schalkheyt« würden gebessert.'” Und als Dürer auf seiner Reise durch die Niederlande von dem angeblichen Mord an Luther nach dem Wormser Reichstag erfuhr, erschrak er sehr und stimmte seine »Lutherklage« an. Für den Tod des Wittenbergers machte er nicht etwa den Kaiser oder die weltlichen Reichsstände verantwortlich, sondern »Papst, Pfaffen und Mönche«, die auch sonst manchen Gotteszeugen auf dem Gewissen hätten.?? Erasmus von Rotterdam, Ulrich von Hutten und Martin Luther waren für viele Künstler Hoffnungsträger im Kampf um die Erneuerung der Christenheit. Doch nicht nur im Hinblick auf die allgemeinen Zustände in der Kirche und im Reich, vielmehr auch, was die eigene Frömmigkeit betraf, empfanden sie Luthers Angriff auf den zwanghaften Charakter der bisherigen praxis pietatis als eine Befreiung. An Georg Spalatin schrieb Dürer, wie sehr der Wittenberger Reformator ihm die tiefsitzenden Ängste um das Heil seiner Seele genommen habe." Dürer bewegte sich im humanistisch-reformatorischen Milieu Nürnbergs, er unterhielt auch Beziehungen zu Humanisten auswärts, zu den Reformatoren in Wittenberg und zum Hof des sächsischen Kurfürsten. Er nahm auf, was in diesem Milieu diskutiert wurde und sich mehr oder weniger bruchlos in die eigene, schon vor der Reformation kirchenkritische Gedankenwelt einfügte. Er exponierte sich aber nicht. Weder Karlstadts noch Zwinglis bilderfeindliche und sakramentarische Positionen fanden seine Zustimmung. Im Streit der Meinungen nahm er eine mittlere, aber grundsätzlich noch proevan-
gelische Position ein.” Deutlicher auf die lutherische Seite war ar Cranach mit seiner Werkstatt in Wittenberg getreten, mehr und anders als Dürer stellte er sich auch der reformatorischen Propaganda zur Verfügung. Mit dem 80
Fuhrwagen Karlstadts (1519) und dem Passional Christi und Antichristi (1521) begann der lutherische Bilderkampf.?° Noch entscheidender engagierten sich für die Reformation Barthel und Sebald Beham und Georg Pencz in Nürnberg. Verkehrte Dürer mit Ratsherren und Gelehrten, standen diese Künstler dem »gemeinen Mann« näher. Sie sympathisierten auch mit theologischen Positionen, zwinglischen und karlstadtischen, auch bäuerlichen und prototäuferischen,
die unter dem »gemeinen Mann« auf Resonanz gestoßen waren. Schließlich wurden die »gottlosen Maler« angeklagt, vor Gericht gestellt und aus der Stadt gewiesen, mit ihnen auch Hans Denck, der Schulrektor zu St. Sebald und spätere Täufer: ein frühes Beispiel für radikale Nonkonformität der Künstler und Intellektuellen in Deutschland.”* Diese Maler fanden eine Bildersprache, die auf Kampf gegen die Hierarchie der römischen Kirche eingestellt war. Eine radikale Position nahmen auch Jörg Ratgeb, Tilman Riemenschneider und Matthias Grünewald ein. Sie waren in den Aufstand der Bauern verwickelt. Ratgeb überlebte den Bauernkrieg nicht, er wurde in Pforzheim gevierteilt.°° Riemenschneider, der als Ratsherr mit dabei war, den Bauern das Stadttor Würzburgs zu öffnen, wurde
gefoltert und an den Händen verletzt; er war fortan unfähig, seinen künstlerischen Beruf auszuüben. Die Parteinahme für die Reformation, vor allem für ihre radikaleren Tendenzen, war mit einem großen Risiko verbunden.”° Auf die tendenzielle Bilderfeindlichkeit haben die Künstler unterschiedlich reagiert. Dürer hat darauf hingewiesen, daß die Bilder an sich nicht Objekte der Verehrung und Anbetung gewesen und, da Adiaphora, keineswegs unvereinbar mit der Erneuerung der Christenheit seien. Mochte er anfangs auch irritiert gewesen sein, bald konnte er »in der lutherischen Form der Reformation und bei ihren Nürnberger Predigern nach 1525 keinen Angriff auf seine Kunst mehr finden.«2’ Nicht nur als Mensch, sondern auch als Künstler fühlte er sich im reformatorischen Milieu zu Hause. Anders verarbeitete Erhard Schoen, ein Schüler Dürers, dieses Problem. Er schuf einen Holzschnitt, der einen Bildersturm darstellte. Diese Darstellung, die von Max Geisberg auf 1530 datiert wurde,
vielleicht aber schon früher entstanden war, trägt den Titel AKlagrede der armen verfolgten Götzen und Tempelpilder.°* Damit wollte er vielleicht zum Ausdruck bringen — und die beigefügten Verse unterstreichen diese Absicht —, daß nicht die Bilder, sondern nur die Men-
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schen an der Zerstörung der kirchlichen Kunst Schuld trügen. Die Menschen waren es, die den Bildern eine numinose Kraft beigelegt hätten, sie steckte nicht in den Bildern selbst. So war dieser Holzschnitt nicht eine Verurteilung der Bilderstürmer. die Bilder, die ihre Klage anstimmten, willigten vielmehr in ihr Schicksal durchaus ein: »Das wider Gott wie man thut sagen/ Man wöli abgötterey verjagen/ wir sind zufrieden überauß/ Got wöll dz rechter ernst werd drauß/ So wöllen wir die ersten sein/ Und willig tragen diese pein«. Nicht der Bildersturm sollte verurteilt werden, sondern die Einstellung, die Menschen zu ihm einnahmen. Darauf weist eine kleine Szene am oberen rechten Rand des Holzschnitts hin. Ein wohlhabender Bürger, der sich über den Bildersturm entrüstet, disputiert mit einem Bilderstürmer und weist mit langem Finger auf einen Splitter im Auge des angeblichen Übeltäters. Den überdimensional großen Balken in seinem eigenen Auge nimmt er indessen nicht wahr. Diese Szene ist eine Anspielung von Lukas 6,42 und läßt einen Rückschluß auf die Einstellung des Künstlers zum ganzen Problem des Bildersturms zu. Es wird nicht über das desolate Schicksal der Bilder geklagt, die Vernichtung zahlreicher Kunstwerke, sondern über die Scheinheiligkeit derjenigen, die die Bilder zu Kultobjekten instrumentalisiert haben, daran nichts ändern wollen und so tun, als hätten sie mit dem Sturm
auf die Bilder nichts zu schaffen. Dagegen wendet sich der Text: »Ir selb habt vns zu götzen gmacht/ Von denen wir jetzt sind verlacht«. Nicht die Bilderstürmer, sondern die Götzendiener sind die eigentliche Ursache des Bildersturms. Das ist eine eindeutige Haltung. Schoen rechtfertigt nicht die Bilderstürmer, meint vielmehr, daß gegenüber der Entrüstung über die Stürmer der Bildersturm selbst eine Bagatelle sei. Der Splitter ist kleiner als der Balken. Die bilderstürmerische Tendenz der reformatorischen Propaganda hatte keine nachhaltige Wirkung auf die Künstler. Doch was ihnen den Weg in das reformatorische Lager erleichtert hatte, war nicht nur die existentielle Betroffenheit und die Kritik am Klerus oder den Mißständen in der Kirche, ganz entscheidend war wohl auch, daß die reformatorische Propaganda sich von Anfang an eines neuen Kommunikationsmediums bediente, der Flugschriften und der Flugblätter, und daß in diesem Medium auch die bildenden Künstler eine Chance sahen, mitgestaltend in die avantgardistische Bewegungsvielfalt der Reformation einzuschwenken. Im Klima von Renaissance und Humanismus hatten viele Künstler bereits eine vargumen-
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tative« Bildsprache mit neuen Inhalten und Formen entwickelt. Für die nächste Zeit war es im reformatorischen Einzugsbereich nicht mehr das Tafelbild als Objekt der Andacht, Verehrung und Meditation, das im Vordergrund des künstlerischen Schaffens stand, sondern
der Holzschnitt und der Kupferstich mit ihren polemischen Akzenten: Bildpropaganda und künstlerische Agitation.
Kontraste und Gegenbilder In einer Situation, die von scharfen Auseinandersetzungen geprägt ist, wırd das Bild zur Waffe, die auf entscheidende Weise in den Mei-
nungskampf des Tages eingreift. Einerseits trägt das Bild dazu bei, die Fronten der Auseinandersetzung eindeutig zu bestimmen (nur gelegentlich bleibt alles in der Schwebe wie im Hercules Germanicus Holbeins),?” und andererseits hilft es, die Mißstände aufzudekken, die behoben werden müssen. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. In der dreizehnteiligen Holzschnittfolge Passional Christi und Antichristi führt Lucas Cranach d.Ä. den Zeitgenossen vor Augen, wie weit die Christenheit sich von ihrem Ursprung entfernt habe. Er zeigt, wie es jetzt ist und wie es einst war. Unter dem Eindruck des sola scriptura, das sehr schnell auf weite Akzeptanz gestoßen war, bieten sich ihm Szenen aus den Evangelien besonders an, um den Kontrast zur Gegenwart augenfällig zu machen. Wem es noch nicht klar war, dem mußte es spätestens beim Betrachten der Kontrastbilder wie Schuppen von den Augen fallen, so eindeutig war die Botschaft dieser Bilder. Zusätzlich wurde ihr Inhalt noch in einem begleitenden Text, den Philipp Melanchthon verfaßt hatte, erläutert und für den Meinungskampf in Sprache umgesetzt.” Einst hatte Jesus die Wechsler und Händler aus dem Tempel zu Jerusalem gepeitscht; jetzt werden die Ablaßgelder zuhauf in den Petersdom zu Rom gebracht, vor dem Papst gestapelt und gehortet. Einst kniete Jesus vor seinen Jüngern und wusch ihnen die staubigen Füße; jetzt thront der Papst auf seinem Heiligen Stuhl und läßt sich in einer Huldigungsszene von Kaiser, Königen und Fürsten die Füße küssen. Einst ritt Jesus in aller Demut und Friedfertigkeit auf einem Esel in Jerusalem ein, jetzt reitet der Papst hoch zu Roß in militärischem Aufzug aus der Stadt. Einst versagte Jesus sich den Juden, die
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ihm die Königswürde antrugen; jetzt beruft der Papst sich auf die Konstantinische Schenkung und läßt sich die Krone aufsetzen, unter der geistliche und weltliche Macht vereint sind. Zinst wurde Jesus in einer Marterszene die Dornenkrone von den Henkersknechten aufgesetzt; jetzt wird der Papst in einer weihevollen Zeremonie mit der Tiara gekrönt. Solche Gegenüberstellungen mußten das Entsetzen und den Abscheu der Zeitgenossen gegenüber dem Papst wachrufen; und es wurde kein Zweifel daran gelassen, daß es letztlich nicht um den Gegensatz zwischen Christus und seinem Stellvertreter auf Erden ging, sondern um den Kampf zwischen Christus und Antichrist. Der Papst bzw. das Papsttum war der Antichrist. Das drückt der Titel dieser Bildfolge aus, das bringt auch das letzte Bildpaar auf unmißverständliche Weise zum Ausdruck. Einst war Jesus nach seinem Erdenleben gen Himmel aufgestiegen; jetzt stürzt der Papst, mit den apokalyptischen Symbolen des Antichrist versehen, kopfüber in die auflodernden Flammen
der Hölle. Der Kontrast, der zunächst eine
moralisch qualifizierte Note trug, wächst sich schließlich zu einem kosmologischen Drama von unumkehrbarer Folgerichtigkeit aus. Die Fronten des reformatorischen Kampfes sind klar: Christus hier und der Antichrist dort; und der Ausgang dieses Kampfes ist ebenso klar. Der Antichrist wird untergehen, so wahr Christus auferstanden 1st.
Neue Einsichten hat Cranach nicht in die Auseinandersetzung um die Reformation eingebracht. Wohl hat er visualisiert, was an reformatorischer Wortpropaganda bereits die Runde machte: das vorbildliche Leben Jesu, die Kritik an der Lebensweise und Politik des Papstes, die Identifikation des Papstes bzw. des Papsttums mit dem Antichrist. Gegenüber der Wortpropaganda, in der eine Argumentation auf nuancierte Weise entwickelt werden kann, läßt diese sich im Bild nur recht holzschnittartig aufnehmen. Im Passional ist es erstens das Mittel des Kontrastes, mit dessen Hilfe die Fronten klar vor Augen geführt werden; zweitens wird der Streit personalisiert: hier Jesus, dort Papst. Und drittens wird der Betrachter dieser Bildfolge aufgerufen, Partei zu ergreifen. Cranach setzt zwar das pädagogische Mittel ein, den Betrachter selber urteilen zu lassen, doch im Grunde bleibt diesem keine wirkliche Wahl: entweder er entscheidet sich für Christus oder für den Antichrist, d.h. für sein Heil oder gegen sein
Heil. Sich sowohl für Christus als auch für den Papst zu entscheiden, behutsam abwägend und abgeklärt urteilend, ist unmöglich. Eines 84
hat Cranach aber dem Wittenberger Reformator doch voraus: Er erkennt eher als Luther »die Bedeutung und Schlagkraft polemischer
Darstellungen«.°! Robert Scribner hat darauf hingewiesen, daß die skizzierte Bildkonzeption Cranachs noch bis ins 17. Jahrhundert nachgewirkt habe.”” Das ist richtig, doch ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger ist die Feststellung, daß Cranach nicht der Erfinder dieser Art der Bildpropaganda war. Vorgeformt wurde sein Passional vielmehr schon in den Hussitenkämpfen des vorausgegangenen Jahrhunderts. Darüber hat in letzter Zeit ausführlich Horst Bredekamp in Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution (1975) berichtet. Er beobachtet, wie eine »neue Bildkultur von unten« entsteht, und beschreibt den Prozeß, wie ein neues Genre, »spätmittelalterliche Agitationskunst«, das Licht der Öffentlichkeit erblickt: »Während sich die Kirchenopposition in erster Linie durch das Wort, in freier Predigt (wenn möglich in der Landessprache) und durch Musik, in polemischen Volksliedern, artikuliert hatte, bemächtigte sie sich seit dem frühen 15. Jahrhundert in Böhmen auch des bisher nicht beachteten Mediums des Bildes. In der vorrevolutionären Situation bis 1419 wurde die Kritik in Agitationsbilder umgesetzt, die offenbar starke Verbreitung und viel Aufmerksamkeit fanden.«°° Ein wichtiges Motiv war der Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel. Schon hier sind die inhaltlichen und bildnerischen Akzente so gesetzt worden, wie im Passional Cranachs:
»Gegensatzpaare und Darstellungen der Urgemeinschaft einerseits und der Geschichte der Kirchenhierarchie andererseits bildeten die Substanz dieser Bildpropaganda.«°* Hinzu tritt auch die apokalyptische Überhöhung der zeitgenössischen Fronten. Der Kirchenkampf ist die Schlacht aller Zeiten am Ende der Tage. Ob Cranach von solchen Darstellungen wußte (Bredekamp kommt auf das Passional aus der Reformationszeit nicht zu sprechen), oder ob er ähnliche Kontrastbilder selber erfand, ist nicht mehr auszumachen. Wahrscheinlich jedoch ist, daß er Bildideen von
Luther empfing und daß sich in einer ähnlichen Situation eine analoge Bildschöpfung ereignete: Bildagitation, die sich gegen die Verantwortlichen in der römischen Kirche richtete. Betrachtet man das Passional Cranachs aus der Perspektive der hussitischen Bildagitation, verstärkt sich der Eindruck, daß die antiklerikale Stoßrichtung
nicht neben anderen Aspekten des bildnerischen Ausdrucks bedeut85
sam ist, sondern daß sie der Akzent ist, der alle anderen Themen, das
moralische, herrschaftliche, kriegerische und religiöse Thema,?® umschließt. Die Verknüpfung von Antichrist und römischer Hierarchie ist besonders eng und unauflösbar. Das Passional Cranachs fand eine weite Verbreitung und hat der reformatorischen Bildpropaganda den Weg gewiesen. Sieht man das vorliegende Bildmaterial auch nur flüchtig durch, drängen sich die bereits beobachteten Kennzeichen auf: Personalisierung der Fronten, moralische Entrüstung über das Fehlverhalten des Klerus, Kodierung sozialer Erfahrung und apokalyptische Scheidung der Gei-
ster. In zahlreichen Darstellungen bleibt der Papst im Zentrum der Kritik. Er kämpft wie ein Ritter im Turnier hoch zu Roß mit einer Lanze gegen Christus, der auf einem Esel dahergeritten kommt und statt einer Lanze das Kreuz in der Hand hält (Titelblatt zu Verhör und acta vor dem Byschoff von Meyssen, 1522).°° Hier wird der Kontrast, der im Passional in der Form von zwei getrennten Darstellungen als Bild und Gegenbild präsentiert wurde, in einem einzigen Bild gestaltet. Das geschieht auch in dem Titelblatt der Flugschrift Vom alten und nüen Gott, Glauben und Ler (1521).”’ Links beherrscht der Papst als Antichrist die Szene: ein Ungeheuer trägt die Tiara, die von teuflischen Dämonen umflogen wird, in einer Hand hält das Untier den Schlüssel Petri und in der anderen das Schwert, getragen wird der Papst von Aristoteles und Kirchenlehrern. In der Mitte des rechten Bildteils erscheint wesentlich kleiner und bescheidener der auferstandene Christus, über ihm die Taube als Symbol des Heiligen Geistes und darüber der himmlische Vater. Christus segnet das Volk, rechts unten steht offensichtlich Luther am Rande des Bildes und weist mit seinem Finger auf den Auferstandenen. Auf der einen Seite ist die Heilige Trinität versammelt, auf der anderen der Antichrist mit seinem unseligen Anhang. Die Entrüstung über den Papst kann auch noch anders dargestellt werden. So erscheint der Papst als monströser Esel, ein Motiv, das noch in den vierziger Jahren fortgebildet wird; ein Esel wird von anderen Eseln mit einer Tiara voller Kot gekrönt; der Papst reitet auf einer Sau (1545), er enthüllt sich als die abscheuliche Gestalt des Antichrist, so die Holzschnitte, die Papst Alexander VI. darstellen;”® oder der Papst wird, allerdings auch schon recht spät, als »wilder Mann« zur Darstellung gebracht (1545).°° Schließlich erscheint der Papst gar nicht mehr selber, son-
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dern nur das Symbol seiner Herrschaft, die Tiara. Einmal wird sie
dem apokalyptischen Untier aus dem Abgrund, das andere Mal der babylonischen Hure aufgesetzt. Das geschieht besonders in den Illustrationen zur Apokalypse des Johannes (1522). Diese Darstellungen sind so konzipiert, daß der Kontrast durch die Entrüstung, die diese Bilder auslösen, zwischen Bild und Betrachter hergestellt wird. Unverkennbar ist jedoch auch, daß diese Illustrationen von der Faszination durch das Böse diktiert sein können. Doch beherrschend ist, wo immer der Papst ins Bild kommt, das Motiv, durch Kontrast die Ablehnungsfront gegen die römische Kirche zu fördern und zu verstärken. Aber es bleibt nicht dabei, die Front nur gegen den Papst aufzurichten, Front wurde gegen den Klerus insgesamt gemacht. Im Himmel- und Höllenwagen, den Cranach im Auftrag Karlstadts geschaffen hat, fährt ein Mönch als Prototyp des scholastischen Gelehrten, der an der Lehre von der Willensfreiheit festhält, mit anderen Genos-
sen zur Hölle (1519),*' in der bereits erwähnten Jagdszene werden die Mönche und Priester mit ihren Konkubinen in den Rachen der Hölle getrieben, in dem der Papst bereits sitzt (s. Anm. 6), im Triumph der Wahrheit (1524) wird der Papst, am Hirtenstab zu erkennen, mit der ganzen Klerisei von Ulrich von Hutten gefangengeführt.*? »Das Bapstum mit seynen gliedern« wurde von Lucas Cranach d.Ä. und in einer anderen Ausgabe von Sebald Beham illustriert und von Luther mit einem Vor- und Nachwort versehen (1526). Weniger in den Illustrationen als viel mehr in den beigegebenen Versen werden die Kleriker verspottet und verlacht.* Diese Beispiele genügen. Sie zeigen, daß es in der künstlerischen Reformationspropaganda nicht nur um eine antipäpstliche Bildargumentation geht, sondern um eine antiklerikale. Angegriffen wird der geistliche Stand, der die Kirche repräsentiert. Das zeigt sich nicht nur im Bild,
sondern gelegentlich auch im Text, der den Illustrationen beigefügt wurde. Auf Golgatha erscheint am Kreuz zur Rechten Christi der gute Schächer, der die wahre Kirche symbolisiert, und zur Linken der Papst als der böse Schächer, der die falsche Kirche symbolisiert.
Doch interessant ist nicht nur das Bild, sondern auch der beigefügte Text., der sich im Schlußteil wie an den Papst so auch an Mönche, Pfaffen und Nonnen wendet: »O Du Arger Babst/ was hastu gethan das du Gott sein Son/ hast so
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vervolgen lan. Das mustu in der Hellen/ Leiden grosse pein/ Lucifers Geselle/ Mustu Ewig sein/ Ha ha ha ha ha ha ha ha ha. O ir Mönch vnd Pfaffen/ Was habt jr gethan/ Gott wolt jr alle affen/ kein Christen leben lan/ des müst jr Ewig Brennen’ Ins helichen Fewrs glut/ mit Belzebubes Engeln/ Leiden grosse not/ Ha ha ha ha. © Nonnen und Begynen/ Was habt jr gethan/ In eines Engels scheine/ Betriegt jr alle man/ Das müst jr all des Teuffels/ Mit Leib vnd Seele sein/ der Kom auch bald vnd eilends/ Vnd für euch alle hin/ Ha ha ha.«* Vom Kreuz hat der Papst nichts verstanden; anders als für den reuigen Schächer ist für ihn Christus umsonst gestorben, mehr noch: nicht die Sünde der Menschen allgemein hat Jesus ans Kreuz gebracht, sondern das Fehlverhalten des Klerus. Besonders eindrucks-
voll wird das in der Neuen Passion Christi von Peter Flötner dargestellt (um 1535). Jesus muß die Leidensstationen noch einmal durchlaufen — allerdings sind es dieses Mal nicht die jüdischen und römischen Autoritäten, die ihn malträtieren, sondern der Papst mit seinen klerikalen Helfern. Tröstlich ist, daß Jesus am Ende dennoch
aufersteht. Deutlicher kann man kaum auf die antiklerikale Spitze der Bildpropaganda gestoßen werden.
Zur sozialen Kritik am Klerus Neben den Kontrastbildern gibt es eine Reihe anderer Illustrationen, die als Angriffe auf den geistlichen Stand gedacht sind und einzelne Schwächen oder Mängel verschiedener Kleriker aufs Korn nehmen. Recht bekannt ist der Holzschnitt, der einen Mönch mit einer Bauerstochter am Tisch eines Wirtshauses zeigt. Der Mönch will dieses Mädchen, das ihm offensichtlich zugetan ist, ihren Eltern (auf der rechten Seite des Bildes) als Konkubine abkaufen. Mit einer spendablen Geste streckt er dem Bauern einen großen Taler entgegen. Obwohl der arme Bauer dieses Geld gut gebrauchen könnte, ist er entsetzt und zieht das Schwert gegen den Mönch. Die Bauersfrau wendet sich unter Tränen von diesem Geschehen ab. Für sie ist die
Tochter bereits verloren. Im Rücken des Mönchs steht ein älterer Mönch, vielleicht ein Prior oder Abt, der den Dingen seinen Lauf
lassen muß. Auf dem Spruchband, das ihm zugeordnet ist, steht: 88
»Der sach muß ich tragen still, doch ist es mit meinem will.«* Gegen die sexuelle Begehrlichkeit, die der Mönch sich etwas kosten läßt,
nicht nur Geld, sondern auch den Bruch des Keuschheitsgelübdes, ist nichts auszurichten. Der Klosterobere resigniert, und dem Bauern bleibt das Schwert in der Scheide stecken, die Bäuerin wendet sich
weinend ab. Die Freuden des einen sind die Leiden des anderen. Der Klerus bedrängt und bedrückt die Laien. Makaber ist das Titelbild zu Pamphilius Gegenbachs Todtenfresser von 1522. Da ist der Papst mit hohen Würdenträgern, einer Nonne und einer Konkubine zu einem Festmahl versammelt, und sie tun sich an einem Toten gütlich, den sie nach und nach verzehren. Links im Bild spielt der Teufel auf einer Fidel zum Festschmaus auf, im Vordergrund diskutieren Bürger mit einem Kleriker, neben ihnen kniet ein Bettler, der auf die Reste wartet, die vom Tische des hohen
Klerus fallen. Mit diesem Holzschnitt soll zum Ausdruck gebracht werden, auf welche kannibalische Weise der Klerus mit dem Ablaß,
den Totenfeiern und Absolutionen Gewinn aus den Toten schlägt.’ Ekel und Abscheu vor dem Klerus sollen erregt werden, ebenfalls vor einem Papst, der die »Schafe« bis auf die Haut scheren läßt, während die weltlichen Herren einfach durch die Finger sehen.“ Auf einem Holzschnitt wird links im Bild ein Münzmeister gefragt, wohin eigentlich das Geld gehe, das so reichlich geprägt werde. Die Antwort wird sogleich gegeben: Rechts im Bild erscheinen ein Kardinal und ein Ablaßhändler hoch zu Roß und bieten den Ablaß feil. Dieser Holzschnitt aus dem Jahre 1530 illustriert, was im Aufbruch der Reformation die Geister stark bewegte: der Geldabfluß nach Rom.*” Neben den Gravamina nationis germaniae kommt einem sofort die Flugschrift Eberlin von Günzburgs Mich wundert, daß kein Geld im Land ist (1523) in den Sinn. So steckt in diesen Darstellungen nicht nur moralische, sondern auch eine gehörige Portion sozialer Kritik. Das läßt sich auch an den Titelbildern Sebald Behams zu den Prosadialogen des Hans Sachs beobachten, beispielsweise in der Disputation zwischen einem Chorherrn und Schuhmacher (1524). »Da ist der sein geistliches Amt nur oberflächlich ausübende, dafür aber auf gut Essen und Trinken, Brett- und Kartenspiel erpichte Chorherr, der, wie naiv-frivol selbst ausplaudert, seine »horas< eben vabgedroschen«, d.h. die Stundenge-
bete mechanisch abgeleiert hat, und der auch in der Bibel nur ungenügend Bescheid weiß. Mit ihm diskutiert der für die evangelische 89
Sache eintretende Schuhmacher, ein einfacher Handwerker von lauterem, ehrbarem Charakter, der mit seiner Bibelfestigkeit den nur auf
Nichtstun und Bequemlichkeit bedachten Kleriker und Verteidiger der römischen Kirche beschämt und überwindet.«° So hat Herbert Zschelletzschky das Titelblatt beschrieben, wobei die Beschreibung sich mehr auf den Dialogtext als auf den bloßen Holzschnitt stützt. Zu sehen ist nur, wie ein Laie mit einem Geistlichen vor seinem Haus
spricht, in der Tür neben dem Chorherrn steht seine Konkubine, »welche mit abweisender Miene und Armhaltung ihrem Herrn beisteht«.°! Der feiste, wohlhabende Chorherr, der den Schuster mit erhobenem Zeigefinger belehrt, darf beim Betrachter nicht mit Sympathie rechnen, anders der kräftige, hochaufragende, bescheiden wirkende Handwerker. Er übergibt dem Chorherrn ein Paar Pantoffeln, die bei ihm bestellt worden waren. Zschelletschky nennt diese Pantoffeln »Sinnbilder der geistigen Schlafmützigkeit«.”” Sie sind, in der humanistischen Tradition der Weiberfeindlichkeit gesehen, darüber hinaus auch eine Anspielung auf die angebliche Entwürdigung des Mannes durch die Frau. Der Chorherr ist alles andere als ein Herr, er ist ein Pantoffelheld. Die Aussage dieses Holzschnittes ist eindeutig: Der Kleriker ist nicht gerade ein nützliches und reputierliches Glied der menschlichen Gesellschaft. Eigentlich müßte alles einmal ganz anders werden. Der Klerus müßte arbeiten und der »gemeine Mann« dürfte beten. So stellt ein anderer Holzschnitt das Verhältnis zwischen Priestern und den Bauern einfach auf den Kopf. Die Bauern zelebrieren die Messe, und die Priester bestellen im Schweiße ihres Angesichts den Acker.” Dieser Holzschnitt nutzt die Vorstellung von der »verkehrten Welt«, um Kritik am geistlichen Stand zum Ausdruck zu bringen und davor zu warnen, daß in Wahrheit die gegenwärtige Welt durch den Müßiggang und die Nutzlosigkeit des Klerus in Unordnung geraten könnte. Sexuelle Begehrlichkeit, Wohlleben, Pflichtvergessenheit, Nutzlosigkeit — all das auf Kosten der Laien. Das ist die »Botschaft«, die diese Bilder vermitteln. Sie geben die antiklerikale Kritik wieder, die in der mündlichen und schriftlichen Reformationspropaganda landauf und landab geäußert wurde. Neues fügen sie dieser Kritik jedoch nicht hinzu. Wie es überhaupt schwieriger ist, mit künstlerischen Mitteln die Ursachen des Antiklerikalismus zu artikulieren, als zur Polarisierung der Fronten und zur Ablehnung des Klerus beizutra-
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gen. Sie schaffen nicht neue Einsichten, die über die theologischen Grunderkenntnisse der Reformatoren hinausführen, sie verstärken
aber und multiplizieren die Wortpropaganda für die Reformation. Elfriede Starke geht sogar noch einen Schritt weiter: »Luthers polemische Schriften hätten ohne Cranachs Illustrationen sicher nicht die gleiche Schlagkraft gehabt, und die ab 1529 von Cranach d.Ä. und später seinem Sohn Lucas d.J. mehrfach ins Bild gesetzte Rechtfertigungslehre mag manchem so zugänglicher geworden sein, als wenn er sie ausschließlich durch das gesprochene oder geschriebene Wort aufgenommen hätte.«C* Das Bild hat aber nicht nur für eine wirkungsvolle Aufnahme des reformatorischen Wortes gesorgt, sondern auch dafür, daß sich die Einstellung der Laien zur kirchlichen Hierarchie durchschlagend änderte. Mehr als Worte sind offensichtlich Bilder in der Lage, die emotionalen Bindungen an den Klerus, die jahrhundertelang durch Bild und anschauliche Repräsentanz im Ritual gestiftet und gefestigt worden waren, wieder zu zerstören und durch neue zu ersetzen. Mar-
tin Warnke schreibt: »Eine Gefühlsbindung aber, so glaubte man, wird vornehmlich durch Bilder gestiftet, durch Augeneindrücke, die sich der Seele einprägen und dort nicht leicht neutralisiert werden können. Wenn man also die emotive Verankerung des Papsttums beim Glaubensvolk treffen wollte, mußte man Gegenbilder schaffen,
welche dem Seelenhaushalt der Gläubigen neue Affekte, gleichsam Ersatzgefühle zuführen.«°° Deutlicher kann die Bedeutung der Bildpropaganda für die Durchsetzung der Reformation unter dem Laienvolk nicht beschrieben werden.
Stilisierung und Agitation Mehr als sprachliche Metaphern vermitteln Bilder den Eindruck, als würden sie die Realität, in der sich die Betrachter bewegen, abbilden oder, wenn nicht ihre Realität, so doch ein Geschehen, das denkbar
sei oder dessen Zeugen sie werden könnten. Trifft das auch für die reformatorische Bildpropaganda zu, soweit sie den Klerus ins Auge faßt? Davon kann zunächst überhaupt keine Rede sein. Die Bilder sind in der Regel auf eine geradezu übertriebene Weise stilisiert, die antichristlichen Attribute des Papstes genauso wie die teilweise perversen Züge, die den Mönchen und Priestern beigelegt werden. Ein-
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mal sind es die zahlreichen Anzüglichkeiten, feister Bauch, geiler Blick, raffgierige Gesten, reicher Ornat, die den Kleriker entstellen und zur Karikatur werden lassen; und zum andern sind es die Verän-
derungen ihrer Gestalt, die sie sich gefallen lassen müssen: Papst Leo X. erschien als Löwe, der die Zunge fletscht, Thomas Murner als Katze, Johannes Eck als Schwein (Luther zog Dr. Eck zu »Dreck« zusammen), Hieronymus Emser als Ziegenbock und Jacob Lemp als Hund.’ So ohne weiteres erschloß sich diese Animalisierung der Reformationsfeinde nicht dem einfachen Betrachter. Er mußte sich in der Reformationspolemik auskennen, um dieses anzügliche Bild verstehen zu können.°’ Am weitesten in diese Richtung geht die Darstellung eines Mönchs als monströs mißgestaltetes Kalb.°® Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Bildpropaganda sich aller erdenklichen Mittel bedient hat, den Klerus auf unvorteilhafte
und wenig schmeichelhafte, auf geradezu abschreckende und diskriminierende Weise zur Anschauung zu bringen. Das geschah, nicht unbewußt oder verstohlen, sondern ganz bewußt. Man wollte überzeichnen und karikieren, verzerren, entstellen und satirische Mittel
zum Einsatz bringen. Man wollte gar nicht die Realität abbilden, sondern zeigen, was eigentlich dahinter steckt, was mit den Zeitge-
nossen geschieht und wohin sich ihre Welt wirklich bewegt. Hinter dem Kampf mit dem Klerus vollzog sich der apokalyptische Kampf zwischen Christus und Antichrist. Die täglichen Auseinandersetzungen mit dem Papst, mit Kardinälen, Prälaten, Ordensleuten und Weltgeistlichen waren nur Zeichen, so sah man es, die auf dieses
große, letzte kosmische Drama deuteten, das über alle hereingebrochen war. Heiko A. Oberman hat seinem Buch über Martin Luther
den Untertitel gegeben: »Mensch zwischen Gott und Teufel«.°? Dieser Titel kann verallgemeinert werden: Diesen Kampf wollten die Künstler darstellen. Gleichzeitig wollten sie ihre Zeitgenossen aufrufen, sich zu entscheiden und in dieser letzten Schlacht auf die richtige Seite zu stellen. Deutlicher, als die Wortpropaganda zu erkennen gibt, trägt der Antiklerikalismus, der die Bildpropaganda bestimmt, einen apokalyptischen Akzent. Dieser bildhafte Antiklerikalismus bringt damit nichts neues in die Propaganda ein, verstärkt aber mit visuellen Mitteln diesen Akzent und schleift das Verständnis für das apokalyptische Drama, das sich vor aller Augen vollzieht, ins Bewußtsein der Zeitgenossen geradezu ein. Ob der Klerus tatsächlich so korrupt, liederlich, herrschaftsbeses-
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sen und geldgierig war, wie er in diesen Illustrationen erscheint, darüber geben die Bilder keine direkte Auskunft. Man kann vom Bild nicht ohne weiteres auf die Wirklichkeit schließen. Das eine ist aber deutlich: real ist der Angriff auf den Klerus, der Antiklerikalismus. Die Frage, ob die Mißstände im geistlichen Stand herbeigeredet und herbeigezeichnet wurden oder ob die Zustände tatsächlich so horrend waren, kann nicht von einer Analyse der Bildaussagen entschieden werden. Zur Klärung dieser Frage müssen andere Quellen herangezogen werden. Offensichtlich aber ist, daß die Bildpropaganda das Auseinandersetzungsmuster von Predigt und Flugschrift übernommen und in ihr Medium übertragen hat; und ebenso offensichtlich
ist, daß zahlreiche Zeitgenossen sich davon angesprochen fühlten und auf die Seite der Reformatoren getreten waren. Man könnte sagen: Was in diesen Bildern dargestellt wurde war den Zeitgenossen nicht fremd. So sahen sie es auch, vielleicht nicht immer so deutlich und massiv, aber im Ansatz doch so ähnlich. Nur so läßt sich der
publizistische Erfolg der Bilder oder der von Künstlern illustrierten Flugschriften und -blätter erklären. Diese Bilder waren interessant, und sie waren in der Lage, Anhänger für die Reformation zu mobilisieren, sie waren für Künstler und Drucker, wie die reformatorischen Flugschriften allgemein, auch ein gutes Geschäft. Sie spielten also für die Entstehung und den Zusammenhalt reformatorischer Bewegungen eine bedeutsame Rolle. So könnte man sagen: Wenn die Bilder schon nicht die Realität genau und unvoreingenommen wiedergeben, so haben sie doch dazu beigetragen, eine neue Realität zu schaffen: eine Öffentlichkeit und eine Bewegung für die Erneuerung der Christenheit. : Die Bildpropaganda konnte sich der Agitation für die Reformation so erfolgreich zur Verfügung stellen, weil sie mit den zahlreichen und pittoresken Figuren des Klerus dankenswerte Objekte für die bildnerische Gestaltung vorfand, dankbare Objekte auch für Witz und Satire. Nichts wäre für die Künstler ungeeigneter gewesen, als Kritik an den abstrakten Strukturen der Kirche zu üben. Zum Antiklerikalismus und nicht zu allgemeiner Kirchenkritik haben die reformatorischen Kräfte sich entschlossen, weil das ekklesiologische, über die Hierarchie formulierte Selbstverständnis der Altgläubigen es nahelegte und weil der Angriff auf die Kleriker es erlaubte, Prozesse der Erneuerung in Gang zu setzen, ohne von vornherein ein kirchliches Schisma zu riskieren. Die Separation und Bekämpfung
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des Klerus gestatteten es, das urtümliche Laienelement der Kirche zu stärken und vollends zum Zuge zu bringen. Es ging zunächst nicht um eine neue, sondern nur um eine aus dem Geist des Laien-
tums erneuerte Kirche. Diese theologische Nuance, die für die reformatorischen Bemühungen der Anfangszeit äußerst wichtig war, hätte nicht zur Wirkung gebracht werden können, wenn man nicht die Chance gehabt hätte, einer Kleruskritik vor einer allgemeinen Kirchenkritik den Vorzug zu geben. Diese theologische Nuance wurde auch von der Bildpropaganda aufgenommen und zur Geltung gebracht: einmal, indem die römische Kirche in der Regel als eine Ansammlung von Klerikern dargestellt wurde, unter denen die Laien fehlten; und schließlich, indem der augenfällige Unterschied zwischen der falschen und der wahren Kirche in den meisten Fällen als unterschiedlich strukturierte Gruppierung von Prädikanten bzw. Priestern und andächtig zuhörenden bzw. vom Rosenkranz und Ablaß abgelenkten Laien in ein und demselben Kirchenraum kenntlich
gemacht wurde.‘ So erwies sich der Antiklerikalismus als das wohl wichtigste Motiv für viele bildenden Künstler, sich auf die Seite der Reformation zu schlagen. Sie brauchten vor der tendenziellen Bilderfeindlichkeit in den reformatorischen Bewegungen nicht zurückzuschrecken. Sie fanden vielmehr eine Atmosphäre vor, die sie zu neuen Bildschöpfungen anregte, auch zu einem neuen Genre der Bildproduktion: zur Bildagitation. Ein erheblicher Teil der Reformationsgraphik konzentriert sich auf den Klerus - in polemischer und satirischer Absicht. In zahlreichen Bildern kommen freilich auch andere Reformationsthemen zur Darstellung, Gesetz und Gnade beispielsweise, Taufe, bürgerliches
Leben und hagiographische Verehrung Martin Luthers.°! Der Angriff auf den Klerus beherrscht jedoch die Bildproduktion und rechtfertigt es, von einer antiklerikalen Spitze der Bildpropaganda zu sprechen. Diese Spitze bringt es auch mit sich, daß die sich anbahnende Differenzierung im reformatorischen Lager hier weniger deutlich zum Ausdruck kommt als in der Wortpropaganda und den innerevangelischen Streitschriften, die um 1523 einzusetzen beginnen. Solange der Angriff auf die altgläubige Hierarchie im Zentrum des künstlerischen Schaffens steht, wird mehr das Gemeinsame als das Trennende betont. So besteht der besondere Beitrag der künstlerischen Propaganda in der Mobilisierung und Festigung reformatorischer Bewegung. Sie hilft, neue Einsichten dem Bewußtsein der Zeitgenossen
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einzuprägen und in die Tat umzusetzen. Darüber hinaus haben die Künstler die Hoffnung auf einen siegreichen Ausgang der angestrebten Erneuerung wachgehalten. Nirgendwo kommt das sinnfälliger zum Ausdruck als in der anonymen Graphik vom Schicksalsrad, an das sich der Papst mit seinem Anhang klammert, von dem alle aber,
sobald der Augustinermönch Martin Luther die Kurbel an der Achse weiterdreht, aus höchster Höhe mit unaufhaltsamer Notwendigkeit in die bereitstehenden Spieße des »gemeinen Mannes« stürzen wer-
den.”
Abb. 1: Sebald Beham: Satire auf das üppige Mönchtum, Holzschnitt 1521
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Abb. 2: Lukas Cranach: Jesus vertreibt die Wechsler aus dem Tempel, Holzschnitt 1521
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Abb. 3: Lukas Cranach: Der Papst kassiert Ablaßgelder im Petersdom, Holzschnitt 1521
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Abb. 5: Lukas Cranach: Der Papst stürzt in die Hölle, Holzschnitt 1521
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Abb. 10: Sebald Beham: Disputation zwischen einem Chorherrn und Schuhmacher, Titelholzschnitt zu einem Prosadialog von Hans Sachs, 1530
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VI. Zucht und Ordnung in nonkonformistischer Manier Kleruskritik, Kirchenzucht und Sozialdiziplinierung in den Bewegungen der Täufer
Der Zusammenhang von Kleruskritik und Kirchenzucht, der sich in der Reformationszeit auf besonders intensive Weise herausgebildet und im »Zeitalter der Konfessionalisierung« zur Sozialdisziplinierung erweitert hat,' wurzelte in den spätmittelalterlichen Spannungen zwischen Geistlichen und Laien. Dem liederlichen, korrupten, unaufrichtigen »Pfaffen« wurde der ordentliche, gottesfürchtige und ehrliche Laie gegenübergestellt. Prototyp des »homo spiritualis« bzw. des »vollkommenen« Menschen war nicht mehr der Geistliche,
sondern der Laie: »alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied«, schrieb Luther in der Adelsschrift: »Daß aber der Papst oder Bischof selbst, Platten macht, ordiniert, weihet, sich anders als Laien kleidet, kann einen Gleisner und
Ölgötzen machen, macht aber nimmermehr einen Christen oder geistlichen Menschen.«? Kirchenzucht gründete in dem Bemühen, den »christlichen Stand« zu bessern. Kirchenzucht und Kleruskritik hingen miteinander zusammen, ja Kleruskritik bzw. die Forderung, den klerikalen Stand zu beseitigen, war ein Akt der Kirchenzucht. Dieser Zusammenhang tritt zunächst nicht immer so deutlich in Erscheinung, vor allem nicht im engeren Wirkungsbereich Luthers selbst, wo die institutionelle Einführung des Kirchenzuchtverfahrens noch eine Weile auf sich warten ließ, aber er zeigt sich für die Reformation insgesamt besonders eindrucksvoll in der Retrospektive. So erklärte Martin Bucer 1549 das Scheitern der Reformation in Straßburg damit, daß ihr die notwendige Kirchenzucht von Anfang an gefehlt habe.” Deutlicher konnte der Zusammenhang von Reformation und Kirchenzucht nicht gesehen werden. Die antiklerikale Agitation war also eine frühe Form, dem Auftrag nachzukommen,
103
die Kirche zu reinigen, für Zucht und Ordnung zu sorgen. Zunächst war das eine wildwachsende, eine phantasievoll-experimentelle Form, die den Klerus im Visier hatte, dann wurde sie institutionali-
siert und auf das Kirchenvolk ausgedehnt. In der zwinglischen und täuferischen Reformation gelang das schon früh mit der Einführung der Ehe- bzw. Chorherrengerichte einerseits und der Praxis der »Regel Christi« (Bann) andererseits. In der lutherischen Reformation kam es erst später zu Kirchenzuchtordnungen und obrigkeitlich-
kirchlichen Zuchtverfahren.*
Antiklerikale Impulse im Täufertum Nach dem Erlöschen der kommunal-revolutionären Bewegungen des »gemeinen Mannes« um 1525 trat der antiklerikale Impuls besonders deutlich in den Bewegungen der Täufer in Erscheinung. Dieser Impuls wirkte sich in dem sich polygenetisch entfaltenden Täufertum zwar unterschiedlich aus,> das eine Mal mehr heilsindivi-
dualistisch (Nachfolge Christi: der schlechte Priester — der fromme Laie), das andere Mal mehr kollektivistisch (Gemeinde »ohne Flekken und Runzeln«: die Kirche des Antichrist — die Kirche Christi), ist aber als ein Phänomen zu beobachten, das im Täufertum die Reform-
absichten grundsätzlich prägte. Täufer störten Predigten, warfen Kruzifixe um, stürmten Bilder, verbrannten Bücher, verspotteten Priester, mieden die offiziellen Gottesdienste, gestalteten ihr Abendmahl antizeremonial, ebenso die Taufe: ohne Priester, ohne Ornat, ohne Kerzen, ohne Silbergerät,
ohne Monstranz und Kelch. In Waldshut wurde der Taufstein aus der Kirche gerissen, im Rhein versenkt und durch einen Milchkübel ersetzt, aus dem Wasser reichlich geschöpft werden konnte — für dreihundert Waldshuter Täuflinge an Ostern 1525.° Nichts sollte mehr mystifiziert werden.’ Nicht nur Täufer, sondern auch Täuferinnen beteiligten sich an antiklerikaler Agitation.° Die einfachen Brüder und Schwestern waren gegen die Herrschaft der Priester besonders allergisch. Sie wollten dienen und helfen. Die Religiosität der Alltäglichkeit zerstörte die kultische Welt des Priesters. Laienkultur im weitesten Sinn des Wortes war im Begriff, sich gegen Priesterkultur durchzusetzen. Priesterkultur wird hier im Sinne von klerikaler Präsenz und Dominanz in allen kirchlichen, gesellschaftlichen und ob-
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rigkeitlichen Bereichen verstanden. Wenn Thomas Brady davon sprach, daß tatsächlich alles aufgeboten worden sei, die Macht (power) des Klerus zu schwächen, dann beschreibt er genau den Vorgang, den ich mit dem Antagonismus von Laienkultur und Klerikerkultur gemeint habe.” Antiklerikalismus ist die Agitationsweise, in der dieser Antagonismus ausgetragen wurde. Unter den Täufern ist die Losung vom »Priestertum aller Gläubigen« auf besonders konsequente Weise verwirklicht worden. Laien begannen zu predigen, zu taufen und Abendmahl miteinander zu feiern — Männer und gelegentlich auch Frauen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß es hauptsächlich ehemalige Kleriker waren, Mönche
und Priester, die das Wort
führten und ein laizistisches
Frömmigkeitsideal zum Leitbild erhoben. Sie maßen den altgläubigen Klerus an diesem Leitbild, sie kehrten es aber auch kritisch gegen ihr eigenes klerikales Vorleben und gaben dem Antiklerikalismus auf diese Weise eine besonders affektgeladene Note.! Hier hatte möglicherweise aufgestauter Selbsthaß ein Ventil gefunden und dazu beigetragen, dem Täufertum den Charakter existentieller Betroffenheit und rigorosen Eifers aufzuprägen. Im Täufertum ist eine ausgesprochene Ethisierung des christlichen Glaubens zu beobachten. Nicht die Rechtfertigung des Sünders steht im Mittelpunkt der täuferischen Anschauungen, sondern die »Besserung des Lebens«, sowohl des individuellen als auch des kollektiven Lebens. Diese Ethisierung des Glaubens kann als direkte Umkehrung des weitgehend aus ethischen Urteilen bestehenden negativen Klerusbildes gedeutet werden. Der Tugendkatalog ist die Umkehrung des Lasterkatalogs, die notae ecclesiae Christi sind die Umkehrung der notae ecclesiae Antichristi.'' Einen besonders starken Akzent erhielt diese Umkehrung in der Praxis der Kirchenzucht bzw. in der Bannpraxis der Täufer. Diese Praxis wurde geradezu in den Rang einer nota ecclesiae gehoben. Eine Kirche, der dieses Merkmal fehlte, war in den Augen der Täufer
keine Kirche. So gab Balthasar Hubmaier seinem Traktat Von der brüderlichen Strafe (1527) folgenden Untertitel bei: »Wo die nicht ist, da ist gewißlich khain Kirch, ob schon der Wassertauff vnd das Nachtmal Cristij daselbs gehalten werden.«'* Im Gegensatz zur herrschaftlich-klerikal ausgeübten Banngewalt des altgläubigen Klerus wurde der Bann auf brüderliche Weise nach der sogenannten Regel Christi (Matth. 18) zur Anwendung gebracht, »auf daß die christli105
chen Menschen in ihrem angefangenen, neuen und christlichen Leben fortfahren und verharren und nicht wie eine wüste Sau in die Kotlache der Sünde, auch nicht in den Zorn Gottes wieder zurückfallen.«'? Erst nach dreimaliger Ermahnung unter Brüdern sollten die Uneinsichtigen sich vor der Gemeinde verantworten, gestraft bzw. bei Renitenz aus der Gemeinde ausgeschlossen werden (Bann). Brüder ermahnten und halfen einander, ein besseres Leben zu führen. Wer sich taufen ließ, willigte mit seinem Taufgelübde ein, sich einer Gemeinschaft einzufügen, die eine »Besserung des Lebens« anstrebte, und wer sich der Ordnung widersetzte, die der Besserung des Lebens dienen sollte, wurde gestraft oder aus der Gemeinschaft ausgestoßen: Ehemeidung, Verweigerung des Grußes, Preisgabe der Familie, Verlust aller Bekanntschaften. Zu lange, meinte Hubmaier, sei der Bann nicht so befolgt, wie Christus ihn eingesetzt habe, und die Banngewalt sei mißbraucht worden: »Das weiß ich wohl, daß unsere Päpste, Bischöfe, Mönche, Nonnen und Meßpfaffen ganz und gar eine Tyrannei (...) aus diesem heilsamen Bann gemacht, ihn auch in allen zeitlichen Sachen so hart und streng geführt haben, daß bisher Kaiser, König; Fürsten, Herren und die Menschen sich vor die-
sem unsichtbaren Schwert gefürchtet haben (...). Ja um fünf Schilling Haselnuß, da muß von Stund an das unsichtbare Luftschwert ihres Banns, das sie an die Stelle des christlichen Banns gestellt haben, auf den Predigtstuhl und ohne Unterlaß an jedem Feiertag hauen, schlagen, stechen, würgen, verfluchen, schiessen, läuten, steini-
gen, vermaledeien.«'* Gegen den tyrannischen Gebrauch des Bannes durch den Klerus wird der brüderliche Gebrauch der Strafe und des Banns nach der »Regel Christi« gestellt, einzig und allein um dem Sünder mit Liebe zu begegnen und ihn vor ewiger Verdammnis zu retten: »Da sieht man abermals sehr genau, daß die Strafe und der Bann nicht aus Haß angewandt werden, auch niemand zum Nachteil
gereicht, sondern aus christlicher Liebe und zum Nutzen des Sünders, auf daß er von seinen Sünden lasse und seine Seele und Leib
mitsamt dem Geist behalten werde.«'® Die Straf- und Bannpraxis ist als Beistand konzipiert worden, den Brüder einander gewähren; sie
ist Merkmal und Funktion einer brüderlich verfaßten Gemeinschaft — das ganze Gegenteil zur hierarchisch verfaßten Kirche des römischen Klerus und zur herrschaftlichen Ausübung der priesterlichen Banngewalt.'° Bei Hubmaier ist der Zusammenhang von Kleruskritik und Kirchenzucht überhaupt nicht zu übersehen. 106
Der Bann war zunächst ein Instrument zur Reinigung der Kirche von ihrem »gottlosen Wesen« und zur Abgrenzung der neuen Gemeinschaft von der »antichristlichen« Kirche. Er wurde dann auch,
bereits mit den Schleitheimer Artikeln 1527 (Art. 2)'’, ein Instrument zur Selbstreinigung der neuen Gemeinschaft, im mittel- und oberdeutschen Täufertum einer Gemeinschaft derer, die das Weltgericht ohne Schaden überstehen würden, bei den schweizerischen und niederländischen Täufern einer Gemeinschaft, die sich als Gemeinde
»ohne Flecken und Runzeln« verstand. Je mehr der äußere Anlaß zu antiklerikaler Agitation und Argumentation nun in den Hintergrund trat, die Züchtigung des Klerus, um so deutlicher trat die innergemeindlich geübte Zucht in den Vordergrund und um so rigoroser wurde sie gehandhabt. Der Affekt gegen den antichristlichen Klerus wurde gegen die »Gottlosen« in den eigenen Reihen gewendet. Das äußere Feindbild wurde in ein inneres Feindbild überführt. In den Niederlanden und in Ostfriesland war ein regelrechter Streit um die rigorose Anwendung des Banns ausgebrochen. Menno Simons mußte sich einer rigorosen Bannpraxis beugen, um nicht zu riskieren, selbst gebannt zu werden; und von Emden wird berichtet, daß ein Gemeindeältester alle Gemeindeglieder gebannt habe und mit seiner Frau alleine übrig geblieben sei.'®
Gemeindezucht als Sozialdisziplinierung In der Zeit, in der die Täufer die Chance erhielten, ihre Gemeinden
unter dem relativen Schutz der Obrigkeiten zu festigen und auszubauen, setzte ein Prozeß ein, den man als Übergang der Kirchen-
zucht in eine binnengeleitete Sozialdisziplinierung bezeichnen könnte: ein Übergang in nachreformatorischer Zeit. Unter binnengeleiteter Sozialdisziplinierung ist der Druck zu verstehen, der von den Gemeinden auf ihre Mitglieder ausgeübt wurde, um Lehr- und Verhaltenskonformität in den eigenen Reihen zu erreichen. Binnengeleitet ist diese Sozialdisziplinierung auch; weil die Gemeinde in vorauseilendem Gehorsam den. Disziplinerwartungen der Obrigkeit entspricht, mit dem Ziel; den Stand der Gemeinden in Staat und Gesellschaft zu festigen.'” Wer aus der religiösen Gemeinschaft ausgestoßen wurde, wurde ebenso aus dem sozialen Verband ausgeschieden, in dem
auch das verwandtschaftliche
und berufliche
Leben
107
seine existenzsichernde Ordnung gefunden hatte. Auf diese Weise konnten die späteren Täufer die Aggressivität ihrer Kleruskritik, die bald auch in einer Obrigkeitskritik ihre Fortsetzung gefunden hatte, entschärfen und sich als eine für die Obrigkeiten nützliche Gemeinschaft empfehlen bzw. sich in Gewerbe, Handel und Landwirtschaft innovativ betätigen. Gerritt Roosen beispielsweise, Reeder, Fabrikant und Ältester der Gemeinde von Altona und Hamburg, hielt zwar an dem klassischen Beleg für täuferischen Widerstand fest, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen (Apg. 4, 19), betonte aber zugleich, daß man die Obrigkeiten als Diener Gottes betrachten
und mit ihnen auf friedliche Weise auskommen müsse.?° Die Aufsicht, die die Gemeindeglieder über die Lebensführung eines jeden Glaubensgenossen führten, war ihre Art von Sozialdisziplinierung. Sie brauchten sich nicht von den Obrigkeiten disziplinieren zu lassen, sondern disziplinierten sich selbst. Sie erzogen sich gegenseitig zu stillen, frommen, arbeitsamen, der Obrigkeit gegenüber loyalen Untertanen mit wirtschaftlichem Erfolg. Die Gemeinden hatten das Missionierungsverbot akzeptiert, verzichteten zunächst auf eigene Gotteshäuser und rekrutierten sich aus dem eigenen biologischen Nachwuchs. Außenheiraten waren untersagt, Geschäftspartner durften in der Regel nur Glaubensgenossen sein. Eine festgeordnete, sich selbst disziplinierende Lebensgemeinschaft war entstanden. Das war konfessionalisiertes Täufertum. Es ist ein paradoxer Befund, daß das Täufertum, das bis zu seiner
öffentlichen Duldung im 17. und 18. Jahrhundert den strengen Sanktionen obrigkeitlicher Sozialdisziplinierung ausgesetzt war, wie sie sich als Instrument staatlicher und gesellschaftlicher Neuordnung im Zeitalter der Konfessionalisierung herausgebildet hatte,?! selber eine konsequente Verbindung von Reformation, Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung hergestellt hatte: im Ansatz sogar vor der Zeit. Auf den sozialdisziplinierenden Fremdzwang reagierten die Täufer und ihre mennonitischen Nachfahren bald mit Selbstzwang — in abgestufter Form, je nachdem, wie stark der Druck war, der von der welt-
lichen Obrigkeit und der landeskirchlichen Geistlichkeit ausgeübt wurde. Die Täufer haben einen frühreformatorischen Impuls, nämlich die Reformation als Kirchenzucht durchzuführen und die Gemeinden nach der »Regel Christi« zu gestalten, durchgehalten, allerdings nicht immer in der Weise neutestamentlicher Barmherzigkeit und
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Nächstenliebe, sondern oft in gesetzlicher Strenge und Unerbittlich-
keit. Gleichzeitig haben die täuferischen Nachfahren die Kirchenzucht in eine Form von Sozialdisziplinierung überführt, die es ihnen ermöglichte, sich die innere, antiklerikal entworfene Gemeinschaftsstruktur des Nonkonformismus der Reformationszeit zu bewahren,
auch erfolgreich gegen die Polemik der Landeskirchen durchzuhalten, dem Nonkonformismus aber nach außen hin die Aggressivität der Klerus- und Obrigkeitskritik zu nehmen - im Grunde ein Widerspruch in sich selbst, der von den Gemeindegliedern allerdings als solcher nicht empfunden wurde. Man könnte das Ergebnis »conforming nonconformity« nennen.” Im Prozeß der Bekenntnisbildung, der im 17. Jahrhundert in den Niederlanden einsetzte und sich auch auf die nordwestdeutschen, nord- und ostdeutschen Gemeinden auswirkte, wurde viel Wert darauf gelegt, die typischen Merkmale der Täufer noch einmal ins Be-
wußtsein zu rufen: Glaubenstaufe, Eidesverweigerung, Bann und Meidung, Wehrlosigkeit. Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis ist das Dordrechter Bekenntnis von 1532. Diese Merkmale wurden auch in der Praxis beachtet, sie hatten aber den herausfordernden
Bekenntnis- und Zeugnischarakter eingebüßt, der ihnen im täuferischen Aufbruch eigen war.?” Der Grund dafür ist nicht darin zu suchen, daß die weltlichen Obrigkeiten toleranter geworden waren, sondern vor allem und zuerst darin, daß die Funktion dieser Merkmale auf die Selbsterhaltung der eigenen Gemeinschaft einge-
schränkt und jeder Anspruch auf universale Geltung rigoros auf die geduldete Sonderform christlicher Lebensgestaltung zurückgestutzt worden war. Die Nachfahren der Täufer glaubten mit dem täuferischen Separatismus in Einklang zu sein, ohne bemerken zu wollen,
daß sie diesem seine Aggressivität genommen hatten. »Conforming nonconformity« heißt also, daß Merkmale der Nonkonformität formal beibehalten wurden, in der konfessionellen »Landschaft« des 17. und 18. Jahrhunderts sogar immer noch »Fremdkörper« darstellten, aber ihren ursprünglichen Charakter verloren hatten, der es rechtfertigte, die Täufer zu den Nonkonformisten des 16. Jahrhunderts zu zählen.
Im niederländischen Täufertum waren die größten Gruppierungen entstanden: die Waterländer, Friesen und Flamen. Das Dordrechter
Bekenntnis war ein Dokument, das unter den älteren und jüngeren flämischen Mennonitengemeinden ausgehandelt worden war. Die 109
Flamen waren in die nördlichen Niederlande geflüchtet und stellten dort eine starke Gruppe unter den Mennoniten dar. Tonangebend waren flämische Flüchtlinge und ihre Nachfahren beispielsweise auch in Altona, in Danzig und in Elbing. Es gab auch zahlreiche flämische Gemeinden in den Dörfern der Weichselniederung. Sie legten Wert darauf, ihr täuferisches Erbe zu bewahren, aber sich doch den Erfordernissen ihrer Umgebung im 17. Jahrhundert so anzupassen, daß sie keine obrigkeitlichen Eingriffe mehr in ihr gemeindliches Leben zu befürchten brauchten. Das beste Beispiel für diesen flämischen Anpassungs- und Abgrenzungskurs in Altona war Gerritt Roosen. In den flämisch ausgerichteten Gemeinden, ebenso in den Gemeinden friesischer Herkunft, gab es einen engen Zusammen-
hang zwischen Bekenntnisbindung und Kirchenzucht. Die rigorose Bannpraxis war längst einer gemäßigteren Handhabung der Kirchenzucht gewichen, die Kirchenzucht war aber nicht aufgegeben worden. Die Flamen und Friesen setzten auf den schlichten Biblizismus der Täufer und vergegenwärtigten sich den Geist ihrer Vorfahren, indem sie ihren religiösen Inhalt bekenntnismäßig fixierten und die Erinnerung an das Martyrıum der Väter wachhielten (Märtyrerspiegel, 1660). Sie pflegten eine schlichte, moralisch integre, biblizistisch ausgerichtete Religiosität. Die genaue Handhabung und das Ausmaß der Zuchtverfahren sind noch nicht erforscht worden, wich-
tiger als diese Verfahren ist wohl der Konformitätsdruck, der von der Mehrheit der Gemeindeglieder ausgeübt wurde und dem sich auch Eigenwilligere widerstandlos unterwarfen, so daß die Gemeindeglieder in der Regel überhaupt nicht in die Lage kamen, sich »brüderlicher Strafe«, Bann oder Meidung aussetzen zu müssen. Auf schleichende Weise hatte die Kirchenzucht sich in eine von der Gemeinde geübte Sozialdisziplinierung verwandelt, die die gesamte Existenz der Gemeindeglieder formte und reglementierte; ohne daß die Gemeindeglieder das als einen Fremdzwang empfunden hätten. Die mennonitische Gemeindedisziplin muß später nach außen hin so vorbildlich gewirkt haben, daß die Obrigkeit in Altona zwei Mennoniten, die mit Lutheranern in Streit auf offener Straße geraten waren, nicht selber in Gewahrsam nahm und aburteilte, sondern der Diszi-
plinargewalt der mennonitischen Gemeinde zuführte.* Besonders aufgeschlossen verhielten sich die waterländischen Gemeinden, die sich den Anforderungen der »Moderne« öffneten und bereit waren, den täuferischen Biblizismus gegen eine »freisinnige« Religiosität 110
einzutauschen. In diesen Gemeinden, die allmählich ihr täuferisches
Profil verloren und im 18. Jahrhundert teilweise in der allgemeinen Gesellschaft der Niederlande aufgegangen waren, wurde das Erbe der Täufer zunächst genauso gepflegt wie bei den Flamen und Friesen, jener anderen großen Gruppe unter den Taufgesinnten bzw. Mennoniten, nur daß jeweils andere Akzente gesetzt wurden. Die Waterländer und ihre freisinnigen Nachfahren knüpften an den Spiritualismus im Täufertum an und betonten die Affinität zwischen täuferischem Geist und dem Geist rationalistischer Subjektivität und Moralität. Diese Täufer waren nicht bereit, sich einem kollektiv geltenden
Bekenntnis und einer Gemeindezuchtordnung zu unterwerfen. So waren im niederländischen Täufertum zwei Prinzipien aufeinandergestoßen: kollektive Hilfsbereitschaft und freisinnige Selbstverantwortung des einzelnen. Das Beispiel der Waterländer zeigt, daß offensichtlich nur die Mennoniten die besondere Existenz ihrer Gemeinden bewahren konnten, die sich mit Hilfe ihrer traditionelleren Einstellungen, wenn schon nicht die ursprüngliche Nonkonformität, so doch wenigstens die Erinnerung daran bewahrt haben. »Conforming nonconformity« ist also so etwas wie Garant der Gruppenkohärenz gewesen. Druck auf die religiöse Sonderexistenz der Mennoniten wurde vor allem von den Landeskirchen ausgeübt. Sie trugen dazu bei, daß die angefeindete Gruppe stets um ihre doktrinäre und konfessionelle Identität bemüht war, und die Mennoniten erfuhren nach und nach, daß die religiöse Gruppenkohärenz und identität ihnen nützlich waren, um auf wirtschaftlichem Gebiet er-
folgreich sein zu können.?°
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»Conforming nonconformity« Was Heinz Schilling für calvinistische Exulantengemeinden herausgearbeitet hat, daß sich in ihnen ein von weltlicher Obrigkeit unabhängiges Konzept von Sozialdisziplinierung entwickelt habe,” findet unter den Täufern und. Mennoniten eine Entsprechung — allerdings mit einer bemerkenswerten Abweichung: Die Täufer und ihre Nachfahren haben subjektiv gemeint, ihre Praxis der Sozialdisziplinierung autonom aus dem Geist ihrer nonkonformistischen Religiosität entwickelt zu haben, objektiv haben sie die Ordnungsvor-
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stellungen der Obrigkeiten internalisiert bzw. adaptiert. Dazu nur einige Beispiele: 1. Das anfängliche Verbot, eigene Gotteshäuser zu errichten, brauchte nicht als obrigkeitlich verordnete Einschränkung empfunden zu werden. Es konnte als Erinnerung an die täuferische Maxime verstanden werden, Gott nicht in Tempeln aus Stein, sondern im Herzen zu verehren; es konnte auch an die versteckten Ver-
sammlungsstätten und -häuser der Täufer erinnern, die einst auf der Hut vor den Nachstellungen obrigkeitlicher Büttel sein mußten. Die ererbte Aversion gegen die »Mauerkirchen« (Sebastian Franck) half ihnen, das obrigkeitliche Gotteshausverbot nicht als Ärgernis oder Ehrabschneidung zu werten. Das erste »Bethaus« wurde 1590 in EIbing gebaut, es verbarg sich hinter der Fassade eines Bürgerhauses. In Friedrichstadt an der Eider wurde der Versammlungsraum der Mennoniten in einem Nebentrakt der »Alten Münze« eingerichtet: 2. Erwartet wurde von den konfessionellen Außenseitern unauffälliges Verhalten in der Öffentlichkeit, Arbeitsamkeit und Gewerbefleiß. Auch diese Erwartung brauchte nicht zu bedrücken, denn gerade darin sahen die Mennoniten
Verhaltensweisen,
die bereits die
Täufer ausgebildet hatten: nach den Turbulenzen des Anfangs, so meinte man, hätten die Täufer sich als die »Stillen im Lande« erwiesen und in ihre Forderung nach einem Christentum der Tat auch das berufliche Leben einbezogen. 3. Die Mennoniten in Altona und Hamburg hielten an dem Grundsatz der Wehrlosigkeit fest und weigerten sich, ihre Schiffe mit Kanonen auszurüsten. Um sie jedoch vor Piraterie und Kriegshandlungen zu schützen und den wehrhaften Ruf der Hansestädte nicht zu schädigen, gaben die menonitischen Reeder — wenn sie nicht selber doch zu militärischer Selbstverteidigung übergegangen waren - ihre Schiffe in die Obhut obrigkeitlich organisierter bewaffneter Konvois oder ließen ihre Güter auf fremden Schiffen transportieren.’ Die Mennoniten hatten nicht das Gefühl, einen täuferischen Grundsatz preisgegeben zu haben, im Gegenteil, sie meinten, die täuferische Abgrenzung von den verwerflichen Händeln der Welt unter den Bedingungen ihrer Umwelt mit Hilfe der Obrigkeit aufrechterhalten zu haben. 4. Besonders eigentümlich reagierten die Mennoniten auf das Verbot der Proslytenmacherei, mit dem das Verbot verbunden war, mit Andersgläubi-
gen die Ehe einzugehen. Die Mennoniten empfanden dieses Verbot nicht als Einschränkung des missionarischen Auftrags, den ihre täuferischen Vorfahren so ernst genommen hatten, sondern als GelegenLI2
heit, das Reinheitsgebot (Bann und Meidung) durch die eigene Ächtung und das Untersagen von Außenheiraten um so intensiver zu befolgen und die konfessionelle Identität nicht zu gefährden. 5. Nach einer langen Periode der Verfolgung konnten die Mennoniten aufatmen, als die Obrigkeiten dazu übergegangen waren, eine relative Toleranzpolitik gegenüber religiösen Außenseitern bzw. Dissidenten zu praktizieren. Das bedeutete, daß die Mennoniten ihren Argwohn oder ihre Animosität gegenüber den Obrigkeiten aufgaben und in ihnen die treuen und fürsorglichen Diener Gottes zu sehen begannen. Darin sahen die Mennoniten keine Abkehr von der Einstellung der Täufer gegenüber den Obrigkeiten. Denn nicht die Diener Gottes waren den Täufern ein Problem,
sondern lediglich die
Obrigkeiten, die diejenigen verfolgten, die den Weg der Nachfolge Christi konsequent beschreiten wollten. Da die Mennoniten jetzt obrigkeitlich privilegiert und beschützt wurden, war jeder Grund entfallen, ihnen mit Feindseligkeit zu begegnen. Die Mennoniten hatten die Obrigkeiten erhalten, die die Täufer sich einst gewünscht hatten. Diese Beispiele zeigen, wie sich allmählich, von den Betroffenen kaum bemerkt, eine Veränderung ursprünglicher Nonkonformität unter den täuferischen Nachfahren vollzog und zu einer »conforming nonconformity« führte. Subjektiv fühlten sie sich weiterhin in Übereinstimmung mit ihrem konfessionellen Erbe, wurden darauf auch von der theologischen Polemik der Landeskirchlichen Geistlichkeit, die über die reine Lehre wachte, immer wieder aufs neue
festgelegt; objektiv hatten sie aber den Forderungen ihrer politischen und wirtschaftlichen Umwelt nachgegeben. Nur so war es damals offensichtlich möglich, sich den konfessionellen Bestand zu erhalten. Die Art und Weise, in der die Mennoniten sich selber
disziplinierten, ist im Ergebnis ambivalent, denn sowohl von der Genese als auch vom Inhalt her sind subjektiver und objektiver Aspekt nicht kongruent, sie überschneiden sich vielmehr. Zwischen beiden hat sich ein Bereich gebildet, der zwischen religiöser Autonomie und obrigkeitlicher Abhängigkeit schillert. Selbst bei äußerster Anstrengung war es im.16. und 17. Jahrhundert nicht möglich, Kirche auf autonome, aus eigenem Recht hergeleitete Weise am Leben zu erhalten. Eine »Freikirche«, die diesen Namen verdient hätte,
hatte damals keine Chance. Andererseits sind die Täufer und ihre mennonitischen Nachfahren, vor allem die Täufer, ein Hinweis dar-
113
auf, daß keine Herrschaft in der Lage war, religiöse, politische und soziale Disziplin so durchzusetzen, daß sie nicht auch zu durchbrechen bzw. zu verändern und auf eigenwillige Weise zu adaptieren gewesen wäre.
114
Schlußbetrachtung
Der Antiklerikalismus hatte um 1500 im Heiligen römischen Reich deutscher Nation weite Verbreitung gefunden und der Reformation den Weg geebnet. Das trifft auf den wirtschaftlich motivierten Antiklerikalismus
zu, der dem Unmut
von Handwerkern
und Bauern
über die privilegierte Gewerbetätigkeit der Klöster und die rigiden Abgabeforderungen in den geistlichen Grundherrschaften entsprungen war, ebenso der Sorge geistlich nicht ausreichend betreut zu werden. Das trifft auch auf die Kritik humanistischer Kreise an der geistigen und moralischen Verwahrlosung des Klerus zu, ebenfalls auf die reichsständische Politik gegen den Geldabfluß nach Rom, wie sie in den Gravamina nationis germaniae artikuliert wurde. Daran konnten reformatorische Bemühungen anknüpfen. Intensität und Breitenwirkung erhielt der Antiklerikalismus aber erst durch die Kritik am Ablaßwesen, der Hofhaltung des Papstes und an dem »unnützen« Stand des Klerus allgemein. Luther hatte die Herrschaft des Klerus in der Kirche zwar aus theologischen Gründen und auf theologische Weise angegriffen, sein Angriff hatte den Autoritätsverfall der geistlichen Hierarchie aber nicht nur im kirchlichen, sondern auch im sozialen Bereich beschleunigt und dessen Stellung innerhalb der Ständegesellschaft erschüttert. Der kirchlich und gesellschaftlich angeschlagene Zustand des Klerus, ob dieser Zustand nun auf selbstverschuldete Mängel zurückging oder auf propagandistischen Rufmord, mußte den Angriff auf breiter Front dann geradezu herausfordern, zumal er mit einem
neuerwachten Selbstbewußtsein der Laien und dem Versuch städtischer und territorialer Obrigkeiten einherging, die geistliche Jurisdiktion in die eigenen Hände zu nehmen. In diesen Angriff mischten sich religiöse, politische, soziale und wirtschaftliche Motive, so daß es kaum möglich ist, den Antiklerikalismus der Reformationszeit auf einzelne Ursachen und Motive zurückzuführen. In ihm wirkte das ganze Unmuts- und Auflehnungspotential, wie es sich in den verschiedenen Bereichen angesammelt hatte, zusammen. Zu diesem 115
Potential gehörte nicht nur die Unzufriedenheit mit dem Klerus im geistlichen Sinn, hier floß vielmehr alles ein, was auf den verschie-
densten Ebenen — vom politischen Traktat bis zur astrologischen Prophetie — über die Jahrhunderte hin an papst- und kleruskritischer Äußerung hervorgebracht worden war. Antiklerikalismus muß sehr weit gefaßt werden, und doch formiert er sich zu einer zielbewußten,
gesellschaftlich höchst wirksamen Kraft: zu einem Angriff auf die ständische Ordnung, die dem Klerus einen hervorragenden Platz in der Skala sozialer Repräsentanz eingeräumt hatte. So wird der Antiklerikalismus
zum Ausdruck
eines Prozesses, der in immer deut-
licheren Schritten zu einer »Entklerikalisierung« der Gesellschaft führte. Zu unterscheiden sind allerdings verschiedene Wirkweisen des Antiklerikalismus. Er konnte als Kampfinstrument benutzt werden, um reformatorische Prozesse in Gang zu bringen, und das vor allem in den Städten. So entstand aus Kritik, Beschimpfung, Tumult, Gerücht, Rufmord und mancherlei Handgreiflichkeiten gegen Kleriker eine »reformatorische Öffentlichkeit«, die ein Klima schuf, in dem die Aufmerksamkeit für reformatorische Ideen wuchs und erneuernde Prozesse schnell in Gang kamen. Unter der Aufsicht der Reformatoren konnte der Antiklerikalismus, wie in Wittenberg und Zürich, kanalisiert und in einen ruhigen, mit der Obrigkeit teilweise abgestimmten und von ihr durchgesetzten Reformationsprozeß überführt werden. Er konnte auch dazu dienen, Zeichen eines neuen religiösen Lebensstils zu setzen, einer stärker im Alltäglichen verwurzelten Laienaktivität, oder die Affekte so stark besetzen, daß jeder Wider-
stand, der sich reformerischem Denken und Handeln in den Weg stellte, antiklerikal eingeschätzt und mit antiklerikalen Mitteln angegriffen wurde. So erklärt sich, wie der antiklerikale Affekt von geistlichen Herrschaftsträgern auf weltliche übertragen werden konnte, sobald diese sich den allgemeinen Erneuerungsbemühungen versagten oder in den Weg stellten. Der Antiklerikalismus war auch das Einfallstor für oppositionelle Geistesströmungen vergangener Zeiten. Er bestimmte vielfach die Art und Weise, wie das Gedankengut aus der mittelalterlichen Mystik und Apokalyptik, Argumente und Auseinandersetzungsrituale aus den Hussitenstürmen und Ketzerbewegungen von Thomas Müntzer und seinen Anhängern aufgenommen wurden. Eine ähnlich formgebende Wirkung der antiklerikalen Situation ist auch für das 116
Täufertum allgemein zu beobachten, nur daß hier teilweise andere Traditionen, neue Motive und Erfahrungen eine Rolle spielten, wie ja die kämpferische Bewegung von ihrem Gegner mitgeprägt wird und ihre eigene Heftigkeit, Farbe und gedankliche Ausprägung erhält. Besonders scharf und hartnäckig war der täuferische Antiklerikalismus in Österreich und in den Niederlanden; hier mußte er — meist als Pionier reformatorischer Bewegungen überhaupt — gegen das enge Bündnis von römischer Kirche und habsburgischer Herrschaft ankämpfen, das zu den drastischsten Mitteln griff, um non-
konformistische Kräfte abzuwehren und auszumerzen. Wieder anders wirkte der Antiklerikalismus unter den Bauern. Hier prägte er auch das Denken und Handeln ganz grundsätzlich, er war, meine ich, aber noch mehr, in seiner signifikanten Verschmelzung mit den kommunalen Bestrebungen nämlich geradezu das Medium, in dem die Reformation auf dem Lande Gestalt annahm. So sehr es stimmt, daß
die Reformation ein »urban event« (A. Dickens) war, so wenig darf bei aller stadtgeschichtlichen Forschung vergessen werden, daß die Reformation, wenn auch in anderer Gestalt, mit erstaunlicher Brei-
tenwirkung und gesellschaftlicher Sprengkraft in den meisten Fällen auf dem Lande sogar früher als in der Stadt Gestalt anzunehmen begann: als antiklerikal-kommunale Lebensgemeinschaft. Sie wurde zweifellos von Prädikanten aus der Stadt aufs Land getragen und fiel dort auf einen besonders aufnahmebereiten Boden. Die Reformation auf dem Lande war nicht die Reformation, die Luther vorschwebte, aber sie war Reformation, in der lutherische Impulse, vor allem aber
zwinglische wirksam waren. Sie nahm Gestalt an in der »Gemeindereformation«, und ihre Durchsetzungsform war zunächst die »Revolution des gemeinen Mannes« bzw. die »revolutionäre« Agitationsform des »gemeinen Mannes«. Mit der Niederlage der Bauern wurde auch die Reformation auf dem Lande zerschlagen; hier konnte sie erst wieder im Zuge landesherrlicher bzw. stadtterritorialer Kirchenpolitik eingeführt werden, eine Reformation, die ihren ursprünglichen Kampfgeist eingebüßt hatte und kaum mehr mit laizistischen Initiativen selbstbewußter Lebensgestaltung rechnen konnte. Dreierlei ist dem Antiklerikalismus eigen: Erstens vermag er dem »Wildwuchs der Reformation« eine gewisse Einheit zu geben: nicht eine Einheit ihrer konkreten Inhalte, sondern eine Einheit der Situation, die ihren Einfluß darauf ausübte, wie bestimmte
Gedanken,
Worte und Handlungen entstehen und ihre Wirkung entfalten konn117
ten. Die antiklerikale Situation war der »Sitz im Leben«, nicht die Ursache der Reformation. Nach ihren Ursachen muß vielmehr in den Kräften, Tendenzen, Einflüssen und Reizen gesucht werden, die in dieser Situation wirksam waren. Allenfalls in dieser vermittelndvermittelten Form kann das antiklerikale Milieu auch zu den Ursachen gezählt werden. Eine Erneuerung von Kirche und Christenheit konnte der gemeine Mann sich in den frühen Jahren der Reformation offensichtlich nur vorstellen, wenn Wege gefunden wurden, den Klerus der alten Kirche zu entmachten und abzuschaffen, eine Vorstellung, die auf der Ebene der Herrschaftselite eine Entsprechung aufwies. Zweitens vereinigen sich im Antiklerikalismus Wort und Geste,
Zeichen und Agitation, die in einer »oral culture« eine große Kraft entfalten. Menschen zu überzeugen, mitzureißen und mit einer neuen Laienidentität durch Teilnahme an bedeutendem Geschehen auszustatten, sie für Bewegungen zu mobilisieren und sie auf ein Agitationsziel auszurichten. Drittens war er aber auch in seiner Eigenschaft, Religiöses und Soziales miteinander zu verknüpfen, in der Lage, den jeweils besonderen religiösen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konstellationen in Städten, Territorien und Grundherrschaften gerecht zu werden und eine differenzierte Ausgestaltung antiklerikaler Bewegungen zuzulassen. Der Antiklerikalismus reduziert nicht die Vielfalt reformatorischer Agitations- und Bewegungsformen, sondern begründet sie geradezu. So erklären sich auch auf recht ungezwungene Weise strukturelle Ähnlichkeiten un-
ter diesen Bewegungen, ohne gleich immer genetische Abhängigkeiten annehmen zu müssen, warum Müntzer beispielsweise in den mitteldeutschen Bauernhaufen Resonanz fand oder das Täufertum in einigen Gegenden der Ostschweiz zu einer Massenbewegung im Zuge der bäuerlichen Erhebungen wurde, auch warum das Täufertum sich gelegentlich zu einer Bewegung wandelte, die bäuerliche Anliegen unter veränderten Umständen in veränderter Gestalt fortleben ließ. Es ist also möglich, diese Bewegungen zu einem » Aufstand gegen die Priester« zusammenzufassen, aber nicht als einen konsistenten und stringent ablaufenden Revolutionsprozeß mit dem Ziel, einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht zu politischer und sozialer Herrschaft zu verhelfen, sondern in dem Sinn, daß verschiede-
ne antiklerikale Bewegungen »von unten« und politische Aktivitäten »von oben« mit unterschiedlichen Motiven, Erfahrungen, sozialen Zusammensetzungen und religiösen Gedanken in eine ähn118
liche Richtung wirkten: die Erneuerung der Christenheit durch Beseitigung des Klerus zu erreichen. So läßt sich von verschiedenen antiklerikal-reformatorischen Bewegungen und antiklerikalen politischen Bemühungen sprechen, die einer zwar nicht eindeutig feststehenden, aber im Tageskampf doch deutlich genug wahrgenommenen Mitte entspringen, sich überlagern, berühren, gegenseitig anregen und vorantreiben, sich unabhängig voneinander bewegen, auch einander bekämpfen und ablösen.
119
Anmerkungen
Antiklerikalismus und Reformation —
Holzschnitt aus Joseph Grünpeck, Eine newe außlegung 1507, aus: Paul Russell, Lay Theology in the Reformation. Popular Pamphleteers in Southwest Germany 1521-1525, Cambridge 1986, 47.
2 Martin Luther, Werke, Weimar 1883ff., 11, 357 (fortan: WA). (05)
Horst Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution. Frankfurt/M.
1975, 310,
328 4 Lucas Cranach d.Ä., Frauen überfallen Geistliche, Handzeichnung um 1540, in: J. Rosenberg, Die Zeichnungen Lukas Cranachs d.Ä., Berlin 1960, Nr. 38 und 39; vgl. Konrad Hoffmann, Cranachs Zeichnungen »Frauen überfallen Geistliche«, in: Zeitschrift der deutschen Kunstwissenschaft, Bd. 26, 1972, 3-14. nn
Holzschnitt aus Joseph Grünpeck, Ein spiegel der natürlichen himmlischen vnd prophetischen sehungen aller trübsalen, angst vnd not, Nürnberg 1508 (Panzer 608). Zur Deutung: Robert W. Scribner, For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. Cambridge 1981, 169 (im Sinne einer utopischen Vision); Ninna Jorgensen, Bauer, Narr und Pfaffe. Prototypische Figuren und ihre Funktion in der Reformationsliteratur, Leiden 1988. 36, 114 £f., 173. Heike Talkenberger,
Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten astrologischer Flugschriften 1488-1528, Tübingen 1990, 131 f£. 6 Peter Dykema und Heiko A. Oberman (Hg.), Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden 1993. 7 Robert Kingdon, Was the Protestant Reformation a Revolution? In: Problems and Issues of European Reanissance and Reformation History, hg. vonR. Kingdon, Minneapolis 1974, 56-76; Hans-Jürgen Goertz, Pfaffen-
haß und groß Geschrei. Die reformatorischen Bewegungen in Deutschland, 1517-1529. München 1987. 8 Encyclopedia Britannica, Bd. 1, 15. Aufl. 1988, 450. 9 Luther, WA 6, 404-465 (An den christlichen Adel deutscher Nation von
des christlichen Standes Besserung). Eine andere Interpretationsrichtung
verfolgt Bernd Moeller, Klerus und Antiklerikalismus in Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von 1520, in: Dykema/Oberman, Anticlericalism, 353-365.
120
Anmerkungen zu Seite 12-15
10 Corpus Juris Canonici, C. 12, q. 1, c. 7, hg. von Emil Friedberg, Graz 1959ER. 11 Zit. nach Ferdinand Maurer, Die politischen Lieder Walthers von der Vogelweide; Tübingen 1954, 19. 12 Johannes Tauler, Predigten. Vollständige Ausgabe, hg. von Georg Hofmann, Freiburg, Basel, Wien 1961, 326.
13 Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1961, Bd. 7, 1584. Dietrich Kurze hat auf das geringe Ansehen des niederen Klerus im Spätmittelalter hingewiesen (nach einer fingierten Epistola aus dem Jahr 1475 »gelte er nicht mehr als der Henker oder Abdecker, was ein geflügeltes Wort gewesen zu sein scheint«). Weiter schreibt er zum allgemeinen Niedergang des klerikalen Sozialprestiges: »Gleichwohl glaube ich nicht, daß die Verachtung des Klerus, die in der polemischen Literatur nur noch von der Verachtung des Mönchtums übertroffen wurde, allzu wörtlich genommen werden darf. Gerade in der schärfsten Kritik schwingt als enttäuschte Hoffnung das Ansehen, das man dem Priester gerne entbieten möchte« (Dietrich Kurze, Der niedere Klerus in der sozialen Welt des
späten Mittelalters, in: K. Schulz (Hg.), Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Festschrift für Herbert Helbig, Köln und Wien 1976, 296 f. 14 Vgl. Robert Scribner, Antiklerikalismus in Deutschland um 1500, in F. Seibt und W. Eberhard (Hg.), Europa um 1500, Integrationsprozesse im Widerstreit. Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, Stuttgart
1987, 368-382. 15 Vg. Anton Störmann, Die städtischen Gravamina gegen den Klerus am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit, Münster 1916;
Joseph Lortz, Zur Problematik der kirchlichen Mißstände im Spätmittelalter, in: Trierer theologische Zeitschrift 58, 1949, 1-26, 212-227, 257-
279, 347-357. Vgl. auch auswahlweise: Rolf Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt. Augsburg 1971; Olaf Mörke, Rat und Bürger in der Reformation. Soziale Gruppen und kirchlicher Wandel in den welfischen Hansestädten Lüneburg, Braunschweig und Göttingen. Hildesheim
1983; Bernd-Ulrich Hergemüller, »Pfaffen-
kriege« im spätmittelalterlichen Hanseraum.
Quellen und Studien zu
Braunschweig, Osnabrück, Lüneburg und Rostock. Köln 1989; Francis
Rapp, Reformes et reformation ä Strasbourg. Eglise et societ@ dans la diocese de Strasbourg (1450-1525). Paris 1974; Ulman Weiss, Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und die Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Weimar 1988. 16 Geoffrey L. Dipple. Woe unto you Stomachpreachers, Cheesebeggars and Hypocrites: Antifraternalism and Reformation Anticlericalism, Ph. D. Diss., Queen’s University, Kingston, Kanada, 1991. 7 Bernd Moeller, Frömmigkeit um 1500, in: Archiv für Reformationsgeschichte 56, 1965, 22 f.
121
Anmerkungen zu Seite 15-22 Michael Borgolte, Die mittelalterliche Kirche, Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 17, München 1992, 58.
19 Nikolaus Müller (Hg.), Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt, 2. Aufl. Leipzig 1911; Hans-Jürgen Goertz, Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit, Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 20, München 1993, 8. 20 Zit. nach K. Jürgens, Die Reformation in der Stadt Braunschweig von den Anfängen bis zur Annahme der Kirchenordnung, in: Die Reformation in der Stadt Braunschweig. Festschrift 1529-1978, hg. vom Stadtkirchenverband Braunschweig, Braunschweig 1978, 37. Diesen Hinweis verdanke ich Usha Marie Govil, Antiklerikalismus: Ein Erklärungsansatz für die Entstehung und frühe Entwicklung reformatorischer Bewegungen in Deutschland. Magisterarbeit, Universität Hamburg 1993, 90 f.
21 Anderer Meinung ist Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation. Bearbeitete Neuausgabe. Berlin 1987, S. 75; vgl. dazu: Hans-Jürgen Goertz, Noch einmal: Reichsstadt und Reformation. Eine Auseinandersetzung mit Bernd Moeller, in: Zeitschrift für historische Forschung, Bd. 16, 1989,
221-225.
II. »Wie gantz vorwyrrett, bodenloß ding das geystlich weßen ist«. —
Reinhard Jordan (Hg.), Chronik der Stadt Mühlhausen/Thür., Mühlhausen 1900, 175; vgl. auch Walter Peter Fuchs (Hg.), Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland, Bd. 2, Jena 1942, 23 f. Jordan, Chronik, 176.
Felician Gess (Hg.), Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, Bd. 1, Leipzig 1905, 546. Jordan, Chronik, 166.
Ulman Weiss, Das Erfurter Pfaffenstürmen
1521: Haec prima Luther-
anorum adversos Clericos seditio..., in: Jahrbuch für die Geschichte des Feudalismus, 3, 1979, 233-279; Zitat aus: P. Lange, Chronicon Nurnburgense, in: J.B. Mencken, Scriptores rerum Germanicarum, Bd. 1, Leipzig 1726, 65, zitiert aus: Ulman Weiss, Die frommen Bürger von Erfurt. Die
Stadt und ihre Kirche im späten Mittelalter und in der Reformationszeit, Weimar 1988, 126.
Heinrich Richard Schmidt, Reichsstädte. Reich und Reformation. Korporative Religionspolitik 1521-1529/30, Stuttgart 1986, 52. Vgl. Bob Scribner, Anticlericalism and the Cities, in: Dykema/Oberman (Hg.), Anticlericalism, 147-166. Peter Kamber, Die Reformation auf der Zürcher Landschaft am Beispiel des Dorfes Marthalen. Fallstudie zur Struktur bäuerlicher Reformation, in:
122
Anmerkungen zu Seite 22-28
Zugänge zur bäuerlichen Reformation, hg. von P. Blickle, Bauer und Reformation 1, Zürich 1987, 108, Anm. 68.
A. Laube u.a. (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518-1524), Bd. 1, Berlin 1983, (Sebastian Liker, Eine heilsame Ermahnung an die Einwohner von Horb, 252-264), 257, vgl. auch Gess, Akten
und Briefe, 1, 122, 546. Emil Egli (Hg.), Actensammlung zur Zürcher Reformation in den Jahren 1519-1533, Zürich 1879, 137. Weiss, Die frommen Bürger, 127 £.
Heinold Fast, Reformation durch Provokation. Predigtstörungen in den ersten Jahren der Reformation in der Schweiz, in: Umstrittenes Täufertum
1525-1975. Neue Forschungen, hg. von H.-J. Goertz, 2. Aufl. Göttingen 1977, 85-89. Martin Luther, WA 8, 673-687. Robert Scribner, Ritual and Reformation, in: ders., Popular Culture and
Popular Movements in Reformation Germany, London und Ronceverte 1987, 103-122, hat auf die geradezu ritualisierte
Form antiklerikaler Agi-
tation mit zahlreichen Beispielen hingewiesen. Fuchs, Akten, Bd. 2, 24. Vgl. Georges Duby, Die Laien und der Gottesfrieden, in: ders., Wirklichkeit und höfischer Traum. Zur Kultur des Mittelalters. Berlin 1986, 121.
Bernd Moeller, Frömmigkeit, 5-31. Luther, WA 6, 408. Luther, WA 6, 347. Luther, WA 5, 170; zit. n. K. Aland (Hg.), Luther Deutsch, Die Werke
Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart. Stuttgart und Göttingen 1969, Bd. 1,41. WA 5, 418; Luther Deutsch, Bd. 1, 68.
WA 56, 454; 479; Luther Deutsch, 240; 248; WA 56, 480, Luther Deutsch, 248. Martin Brecht, Antiklerikalismus beim jungen Luther, in: Dykema/Oberman, Anticlericalism, 347 ff. Vgl. T. Rasmussen, Inimici Ecclesiae. Das ekklesiologische Feindbild in
Luthers »Dictata«. Leiden 1989. Luther, WA 6, 404. Luther, WA 6, 423, 434, 453. Luther, WA 6, 469. Luther, WA 6, 407.
Luther, WA 6, 541, Luther Deutsch, Bd. 2, 215 (Von der babylonischen
Gefangenschaft der Kirche). Gerhard Zschäbitz, Martin Luther. Größe und Grenze. Teil 1, Berlin (Ost) 1967, 125 und 192. Zschäbitz, Luther, 130. Bernhard Lohse, Luthers Kritik am Mönchtum, in: Evangelische Theologie 20, 1960, 413. Luther, WA 8, 325.
123
Anmerkungen zu Seite 28-31
Hans-Christoph Rublack, Zur Rezeption von Luthers De votis monasticis iudicium, in: Reformation und Revolution, hg. von R. Postel und F. Kopitzsch, Stuttgart 1989, 224-237, bes. 233 ff.
Luther, WA 10, I, 625. Rublack, Rezeption, 230.
WA 8, 329. Gerhard Brendler (Hg.), Der Lutheraner Müntzer. Erster Bericht über sein Auftreten in Jüterbog. Verfaßt von Franziskanern anno 1519, Berlin 1989. Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, hg. von G. Franz, Gütersloh 1968, 491-511.
41
Simon Reuter, Wider die Baalspfaffen, in: A. Laube u.a. (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518-1524), Bd. 2, Berlin 1983, 793: Ein Kurtz christenlich untherricht von dem besondern erdichten pruderschafften denen von hal im inthal von doctor Jacob Straus tzu gesant, in dem der leichtlich vernemen magst, wie unchristenlich in denen bruderschafften wider got und den nechsten geirt wirt (1522), Hans-Joachim Köhler (Hg.), Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts (1501-1530) auf Mikrofiche, Zug 1978-1987, 171/469, unpag. 2, 3. Vgl. Christoph Wiebe, Die Stellung des Jacob Strauß innerhalb der reformatorischen Bewegung, unveröffentl. Fakultätsexamensarbeit, Heidelberg 1988, 56. Ulrich Zwingli, Auslegen und Gründe der Schlußreden, in: Laube, Flugschriften 2; 876 (Artikel 34).
42 Hans Schott, Nit furchten ist der Harnisch. Pfarramt und Pfarrerbild bei Huldrych Zwingli. In: Reformiertes Erbe, hg. von H.A. Oberman u.a., Bd.
43
1, Zürich 1992, 380. Eberlin von Günzburg, Mich wundert, dass kein Geld im Land ist, in:
Laube, Flugschriften 2, 1127 £. Geofrey L. Dipple, Woe unto you Stomachpreachers, Cheesebeggars and Hypocrites: Antifraternalism and Reformation Anticlericalism, Ph.D. Diss., Queen’s University, Kingston, Kanada, 1991. 45 Laube, Flugschriften 2, 1133. 46 Martin Bucer, Dass sich selbst niemand, sondern anderen leben soll, in:
44
Laube, Flugschriften 2, 914; Hans-Jürgen Goertz, Der fremde Menno Si-
mons. Antiklerikale Argumentation im Werk eines melchioritischen Täufers, in: Mennonitische Geschichtsblätter 42, 1989, 36.
47 Luther, WA 9, (677), 701-715; Herbert Zschelletzschky, Die »drei gottlosen Maler«. Sebald Beham, Barthel Beham und Georg Pencz, Historische
Grundlagen und ikonologische Probleme ihrer Graphik zur Reformationsund Bauernkriegszeit. Leipzig 1975, 230-235. Peter Pfrunder, Pfaffen, Ketzer, Totenfresser. Fastnachtskultur der Reformationszeit. Die Berner
Spiele von Nikolaus Manuel. Zürich 1989.
i
48 Helmar Junghans, Die Ausbreitung der Reformation in Sachsen. Festgabe zum 450jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, hg. von H. Junghans, Berlin 1989, 41.
124
Anmerkungen zu Seite 31-37 49 Luther, WA 10, 1, 641. 50 Luther, WA 11, 390 f. Vgl. Heinz-Meinhold Stamm, Luthers Stellung zum Ordensleben, Wiesbaden 1980, 61 £. 5 N Caritas Pirckheimer, Quellensammlung, Bd. 2. Die »Denkwürdigkeiten« der Caritas Pirckheimer (aus den Jahren 1524-1528), hg. von E. Iserloh, Landshut 1960, 80; Beschreibung gewaltsamer Aktionen, 83. 2 Caritas Pirckheimer, Ein Lebensbild aus der Zeit der Reformation, eingeleitet von E. Iserloh, Münster
1980, 166; vgl. Gerhard Pfeiffer (Hg.),
Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte, Nürnberg 1968, 430,
452. 33 Fast, Reformation durch Provokation, 86; J.M. Stayer, Anfänge des Täufertums im reformierten Kongregationalismus der Schweiz, in: Goertz, Umstrittenes Täufertum, 27-33.
54 Vgl. zur magischen Religiosität allgemein: Keith Thomas, Religion and the Decline of the Magic. Studies in Popular Beliefs in 16th and 17th Century England, London 1971. Thomas Müntzer, Schriften, 208.
Hans-Jürgen Goertz, Thomas Müntzer. Mystiker, Apokalyptiker, Revolutionär. München 1989, 62 £.
Fritz Blanke, Die Propheten von Zollikon (1525). Eine vergessene Szene aus der Täufergeschichte, in: Mennonitische Geschichtsblätter 9, 1952,
2-10; Gess, Akten, I, 294, Nr. 321 (21. März 1922). Marion Kobelt-Groch, Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen. Frankfurt/M. 1993, 64-132. Leonhard von Muralt und Walter Schmid (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 1, Zürich, Zürich 1950, 16.
Zu Reformation und »Öffentlichkeit« s. Rainer Wohlfeil, Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation, München 1982, 123-133.
Luther, WA 10, 1, 700. Luther, WATR 1, Nr. 352.
=
Vgl. Ulrich Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein von Karlstadt: sein Leben, seine Herkunft und seine innere Entwicklung, in: Andreas Bodenstein von Karlstadt 1480-1541. Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, hg. von W. Merklein, Karlstadt 1980, 5-58. Balthasar Hubmaier, Schriften, hg. von G. Westin und T. Bergsten, Gütersloh 1962, 108; vgl. Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung, 2. Aufl. München 1988, 43-75, bes. 47-51. Heinold Fast, Der linke Flügel der Reformation, Bremen 1962, 154 f. Luther, WA 10, 1, 720. Martin Brecht, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483-1521,
Stuttgart 1983, 217. Luther, WA, 10, 1, 665 f.
Luther, WA 7, 803-813; WA 8, 670-687. Luther, WA 8, 683.
125
Anmerkungen zu Seite 37-45 Vgl. Werner Hoffmann (Hg.), Luther und die Folgen für die Kunst, München 1983, 158 £. WA 10, 1, 666, 672. Lucien Febvre, Martin Luther. Religion und Schicksal. Frankfurt/M. 1976, 49. Thomas Müntzer, Schriften, Thomas Müntzer, Schriften, Thomas Müntzer, Schriften, Wolfgang Ullmann, Thomas
491, 495. 496. 295. Müntzer — Christ, Reformator, Revolutionär.
Sein Lebensweg in den Veränderungen der Reformationszeit. In: epd Dokumentation, Kirche im Sozialismus. Texte aus der DDR, Nr. 35, Frank-
furt/M. 1989, 3. Gerhard Brendler, Thomas Müntzer. Geist und Faust. Berlin 1989, 95. C. Arnold Snyder, The Life and Thought of Michael Sattler, Scottdale, Penn., 1984 (kritisch dazu: Klaus Deppermann, Michael Sattler. Radikaler Reformator, Pazifist, Märtyrer. In: ders., Protestantische Profile von Luther bis Francke, Göttingen 1992, 48-64). Otto Clemen, Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, Bd. 2,
Leipzig 1908, 228 £.; zit. n. H. Fast, Der linke Flügel, 74. Heinold Fast (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2: Ostschweiz, Zürich 1973, 30; zit. n. ders., Der linke Flügel, 64 f. Fast, Der linke Flügel, 66. Lohse, Luthers Kritik am Mönchtum, 413. Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 7: Elsaß 1: Straßburg 1522-1532, hg. von M. Krebs und H.-G. Rott, Gütersloh 1959, 82. Snyder, Sattler, 179 ff., 184 ff.
Fast, Der linke Flügel, 64. Christoph Bornhäuser, Leben und Lehre Menno Simons’. Ein Kampf um das Fundament des Glaubens. Neukirchen 1973, 104-112.
Werner O. Packull, Rereading Anabaptist Beginnings, Winnipeg 1991. Moeller, Die Rezeption Luthers, 60. Moeller, Frömmigkeit, 29.
Johann Geiler von Kaysersberg, Die Emeis. Dis ist das buch von der Omeissen vnnd auch Herr der Könnig ich diente gern, Straßburg 1516, 28
b. Paul Veyne, Geschichtsschreibung — und was sie nicht ist, Frankfurt/M. 1990, 96.
III: Adel versus Klerus Luther, WA 6, 404 ff. Volker Press, Martin Luther und die sozialen Kräfte seiner Zeit, in: E.
DD
Iserloh und G. Müller (Hg.), Martin Luther und die politische Welt, 200. Victor Thiessen. Junkerreformation, unveröffentl. Konzept zur Vorberei-
126
Anmerkungen zu Seite 45-52 tung einer Dissertation an der Queen’s University, Kingston, Kanada. Dem Vf. danke ich für wertvolle Hinweise. Elisabeth Werl, Die Familie von Einsiedel auf Gnandstein während der
Reformationszeit in ihren Beziehungen zu Luther, Spalatin und Melanchthon, in: Herbergen der Christenheit, Jahrbuch für deutsche Kirchenge191
schichte 9, 1973/74, 47-64. Bruno Gebhardt, Die Gravamina der Deutschen Nation gegen den römischen Hof. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Reformation. 2. Aufl. Breslau 1885. — Heinz Scheible, Die Gravamina, Luther und der Wormser Reichstag 1521. In: Ebernburg-Hefte 5, 1971, 58-74; Hans-Christoph Rublack, Gravamina und Reformation, in: I. Batori (Hg.), Städtische Gesellschaft und Reformation. Kleine Schriften 2, Stuttgart 1980, 292-313
(zum Reichstag in Speyer 1526). Heinrich Seitz, Franz von Sickingen und die reformatorische Bewegung, in: Ebernburg-Hefte 2, 1968, 19-28. Vgl. auch Volker Press, Ein Ritter zwischen Rebellion und Reformation, in: Ebernburg-Hefte 17, 1983.
R. Emmet MacLaughlin, Caspar Schwenckfeld. Reluctant Radical. Yale 1986, 19. Ulrich von Hutten, Deutsche Schriften, hg. von P. Ukena, München 1970,
332. Ebd., 332 f. Ebd., 164. Zit.nach Franz Rueb, Ulrich von Hutten. Ein radikaler Intellektueller im 16. Jahrhundert. Berlin 1981, 71.
Ebd., 72. Ebd. 119. Barbara Könneker, Germanenideologie und die Anfänge deutschen Nationalbewußtseins in der Publizistik Ulrichs von Hutten; in: Ulrich von Hut-
ten. Ritter, Humanist, Publizist 1488-1523. Katalog der Ausstellung des Landes Hessen anläßlich des 500. Geburtstages, bearb. von Peter Laub, Schlüchtern 1988, 286.
Ulrich von Huttens Schriften, hg. von E. Böcking, Bd. V, Leipzig 1861, 363-384). Hutten, Deutsche Schriften, 153 f. Ebd., 194. Hajo Holborn, Ulrich von Hutten, Göttingen 1968, 178. Hutten, Deutsche Schriften, 196. Luther, WA 6, 415. Hans-Christoph Rublack, Gravamina und Reformation, 302.
Barbara Könneker, Satire im’16. Jahrhundert. Epoche, Werke, Wirkung. München 1991, 22-33. Friedrich Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung (1796). Schillers Werke, Bd. 20 I, Weimar 1962, 442f.
Eduard Kück, Hartmut von Cronberg. Die Schriften. Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Nr. 134-156. Flug-
127
Anmerkungen zu Seite 52-57 schriften der Reformationszeit XIV, hg. von. A. Klammt. Görlitz 1923. Zitiert wird nach: Helmut Bode, Hartmut XII. von Cronberg. Reichsritter der Reformationszeit Frankfurt/M. 1937. Ebd., 122. Ebd., 120 ff. Ebd., 122. Ebd., 123. Ebd., 124. Ebd., 124. Ebd., 128. Ebd., 128. Ebd., 131. Ebd., 146. Ebd., 148. Ebd., 278. Vgl. Winfried Eberhard, »Gemeiner Nutzen« als oppositionelle Leitvorstellung im Spätmittelalter, in: Renovatio et Reformatio: wider das Bild vom »finsteren« Mittelalter. Festschrift f. Ludwig Hödl, hg. von M. Gerwing und G. Ruppert, Münster 1984, 196 f. - Winfried Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz. Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft. In: Historische Zeitschrift 243, 1986.
38 Bode, Cronberg, 279. Ulrich Oelschläger, Der Sendbrief Franz von Sickingens an seinen Verwandten
Dieter von
Handschuhsheim,
in: Ebernburg-Hefte
4, 1970,
71-85 (Text: 77-85). 40 Ebd., 76.
Ebd., 81. 42 Martin Bucer, Deutsche Schriften, hg. von R. Stupperich, Bd. 1, Gütersloh 1960, 379-495. Zur Interpretation der Verfasserfrage neuerdings: Siegfried Bräuer, Bucer und der Neukarsthans. in: Martin Bucer and Sixteenth Century Europe. Actes de Colloque de Strasbourg (1991), hg. von Chr. Krieger und M. Lienhard, Leiden 1993, 103-127. Für das antikleri-
kale Thema ist folgender Ergebnissatz besonders wichtig: »Weder die theologische Selbstdarstellung noch die Verteidigung gegen Anwürfe von Seiten der kirchlichen Tradition waren vorrangige Anliegen, sondern die Kritik an der korrumpierten Geistlichkeit alter Prägung und der Appell an den Adel, sich dem gottgewollten Gericht an dieser Geistlichkeit zur Verfügung zu stellen, um so den Weg für eine Reformation der Kirche freizumachen« (126).
43 Bucer, Schriften 441. 44 Diese Schriften sind bei H.-J. Köhler u.a. (Hg.), Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts
1501-1530, Mikrofiche, Zug 1978 f£., zu finden. F. v.
Oberweimar, Unterricht der erbarn vnd tugentsamen Jungfrawen Florentina von obern weymar, wie sie aus dem kloster durch Gottis hilff komen ist, 1524, in: Luther, WA
128
15, 89-94: Luthers Vorwort:
86-88. Weitere
Anmerkungen zu Seite 57-66
adlige Autoren finden sich in Karl Schottenloher, Flugschriften der Ritterschaftsbewegungen des Jahres 1521, 1929. Silke Halbach, Argula von Grumbach als Verfasserin reformatorischer Flugschriften, Frankfurt/M. 1992, 104 £.
J.S. Stauffenberg, Köhler, MF 385, Aij 3. Susanne Woelk, Häuptlingsreformation versus Grafenreformation. Eigenkirchenwesen und territorialstaatliche Kirchenpolitik in Ostfriesland. Magisterarbeit an der Universität Hamburg 1994, 54-69. Ulrich von Dornum, Disputation zu Oldersum in der Grafschaft Ostfriesland, 1526, abgedruckt in: Gerhard Ohling, Junker Ulrich von Dornum. Ein Häutplingsleben in der Zeitenwende. Aurich 1955, 113. Ebd., 112 f. Paul Merker, Der Verfasser des Eccius Dedolatus und anderer Reformationsdialoge, Halle 1923, 32-49.
Disputation, 116.
Ebd’#112; Ebd., 140, 115. Ebd., 142. Ebd., 121. Ebd., 143. Vgl. Hans-Jürgen Goertz, Pfaffenhaß, 101-118.
IV. Weder Knecht noch Herr - nur Brüder Henry J. Cohn, Anticlericalism in the German Peasants’ War 1525, in: Past and Present 83, 1979, 3-31.
Dietrich Kurze, Der niedere Klerus in der sozialen Welt des späteren Mittelalters, in: K. Schulz (Hg.), Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialge-
w
schichte des Mittelalters. Festschrift f. Herbert Helbig, Köln und Wien 1976, 298. £ Vgl. Rosi Fuhrmann, Die Kirche im Dorf. Kommunale Initiativen zur Organisation von Seelsorge vor der Reformation. In: Peter Blickle und Peter Bierbrauer (Hg.), Zugänge zur bäuerlichen Reformation, Bauer und Reformation 1, Zürich 1987, 147-186. Kurze, Der niedere Klerus, 301. Henry J. Cohn, Anticlericalism, 3-31.
Max Steinmetz, Die dritte Etappe der frühbürgerlichen Revolution. Der deutsche Bauernkrieg 1524 bis 1526. In: R. Wohlfeil (Hg.), Der Bauernkrieg 1524-1526. Bauernkrieg und Reformation. München 1975, 65-85; Walther Peter Fuchs, Der Bauernkrieg, in: R. Wohlfeil (Hg.), Bauernkrieg,
60 (51-64). SI
Peter Blickle, Die Revolution von 1525, 3. Aufl. München 1993, 149.
An die Versammlung Gemayner Bawerschafft, in: Horst Buszello, Der deutsche Bauernkrieg von 1525 als politische Bewegung. Berlin 1969, 157 u.ö.
129
Anmerkungen zu Seite 67-74 Günther Franz (Hg.), Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, Darm-
stadt 1963, 175, 169. Christliche Vereinigung: ebd., 193, 197 f., 235; Bruderschaft: 232, 233,
348. Ebd., 297. Gerhard Pfeiffer, Das Verhältnis von politischer und kirchlicher Gemeinde in den deutschen Reichsstädten, in: W.P. Fuchs (Hg.), Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, Stuttgart 1966, 79 £. Franz, Quellen, 154.
An die Versammlung Gemayner Bawerschafft, 157. Vgl. Peter Blickle, Revolution, 235.
Justus Maurer, Prediger im Bauernkrieg, Stuttgart 1979. Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland, Bd. 1, hg. von Otto Merx, Leipzig 1923, Neudruck: Aalen 1964, Nr. 291, 222 ff.
Abgebildet in: Max Steinmetz, Adolf Laube und Günter Vogler, Illustrierte Geschichte der frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1975, 219.
Henry J. Cohn, Changing Places: Peasants and Clergy 1525, in: Dykema/ Oberman, Anticlericalism, 545-557. Günther Franz (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg 1525, Berlin 1926, 87, s.
Cohn, Changing Places, 550. Peter Blickle, Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil. 2. Aufl., München 1987. Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 10. Aufl., Darmstadt 1975.
Vgl. Cohn, Anticlericalism; ebenso Cohn, Changing Places; vgl. auch Rudolf Endres, Zur sozioökonomischen Lage und sozialpsychischen Einstellung des »Gemeinen Mannes«. Der Kloster- und Burgensturm in Franken 1525. In: H.-U. Wehler (Hg.), Der Deutsche Bauernkrieg 1524-1526, Göttingen 1975, 61-78. Luther, WA 18, 301, 312 und 316. Luther, WA 18, 316. Cohn, Anticlericalism, 3.
Henry J. Cohn, Reformatorische
Bewegung und Antiklerikalismus in Deutschland und England, in: W. Mommsen u.a. (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland, Stuttgart 1979, 322. Adolf Laube u.a. (Hg.), Flugschriften der Bauernkriegszeit, Berlin 1975, 385.
29 G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 89; Cohn, Anticlericalism, 30. 30 Heiko A. Oberman, Tumultus rusticorum. Vom »Klosterkrieg« zum Fürstensieg. Beobachtungen zum Bauernkrieg unter besonderer Berücksichtigung zeitgenössischer Beurteilungen. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85, 1974, 172. k
130
Anmerkungen zu Seite 75-76
V. »Bannwerfer des Antichrist« und »Hetzhunde des Teufels« jan
Robert W. Scribner, Ritual and Reformation, in: ders.: Popular Culture and Popular Movements in Reformation Germany, London and Ronceverte 1987, 103-122. Carl C. Christensen, Art and the Reformation in Germany, Athens, Ohio,
w
EN
1979. Robert W. Scribner, For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformatio, Cambridge 1981. Sebald Beham, Die Höllenfahrt des römischen Klerus, Holzschnitt in zwei
Teilen 1524, in: Max Geisberg, Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des XV]. Jahrhunderts, München 1923-1930, Neuausgabe:
The German Single-Leaf Woodeut:
1500-1550, revised and edited by
Walter L. Strauss, 4 Bde., New York 1974 (fortan: Geisberg-Strauss), Bd.
an
1, G. 224. — Zu Flugschriften s. Hans-Joachim Köhler u.a. (Hg.), Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts (1501-1530) auf Mirkofiche, Zug/ Schweiz 1978 ff. (fortan: Köhler FS). Anonymer Holzschnitt zu Philipp Melanchthon und Martin Luther, Deu-
tung der zwo grewlichen Figuren Bapstesel zu Rom und Mönchskalb zu freyberg in Meyssen funden, 1523, in: Martin Luther, Werke, Weimar 1883, 11, 357. Barthel Beham, Christus im Schafstall, Geisberg-Strauss, Bd. 1, 162-1; vgl. auch Sebald Behams Holzschnitt von 1524, Geisberg-Strauss, G. 221: Christus steht in der Tür des Schafstalls und winkt den »gemeinen Mann« hinein, während Mönche und Priester die Schindeln vom Dach abdecken und von oben einzusteigen versuchen. Erhard Schoen, Jagd auf Mönche und Pfaffen, Holzschnitt um 1525, Geis-
berg-Strauss, Bd. 2, G. 632. — Niklaus Manuel Deutsch: Bauern hängen einen Ablaßkrämer, Federzeichnung 1525, in: Niklaus Manuel Deutsch, Maler -- Dichter — Staatsmann, hg. vom Kunstmuseum Bern 1979, Nr.
130, Kat. Nr. 338, 505 £. Sebald Beham, Satire auf das üppige Mönchtum, Holzschnitt 1521, Geisberg-Strauss, Bd. 1, G. 225 (Abb. 1). Urs Graf, Frauen traktieren Mönch, Zeichnung 1521, in: Konrad Hoffmann, Cranachs Zeichnungen »Frauen überfallen Geistliche«, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Bd. 26, 1972, 3-14. Heinrich Röttinger, Erhard Schoen und Niklas Stör, der Pseudo-Schoen.
Zwei Untersuchungen zur Geschichte des alten Nürnberger Holzschnittes, Straßburg 1925, S. 205, Nr. 307; vgl. Scribner, 126, Abb. 95. Vgl. neuer-
dings Heike Talkenberger, Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten astrologischer Flugschriften 1488-1528. Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 26, Tübingen 1990, 238, Anm. 230.
131
Anmerkungen zu Seite 76-80 11 Hans Baldung Grien, Titelholzschnitt zu Ulrich von Huttens Gesprächsbüchlein, 1521, Köhler FS 1038.
12 Sebald Beham, Luther und die Handwerker, Holzschnitt um 1524, Geisberg-Strauss, Bd. 1, G. 222 (mit Text von Hans Sachs). Dazu: Herbert Zschelletzschky, Die »drei gottlosen Maler« von Nürnberg. Sebald Beham, Barthel Beham und Georg Pencz. Historische Grundlagen und ikonologische Probleme ihrer Graphik zu Reformations- und Bauernkriegs-
zeit. Leipzig 1975, 230-235. Anders deutet diesen Holzschnitt Ausstellungskatalog: Werner Hoffmann (Hg.), Luther und die Folgen die Kunst, München 1982, S. 129 (fortan: W. Hoffmann). Hier wird Inhalt des Holzschnitts zu sehr auf das Problem der Kunstfeindlichkeit Reformation eingeschränkt. Rainer Wohlfeil, Das Bild als Geschichtsquelle,
in: Historische
der für der der
Zeit-
schrift, Bd. 243, 1986, 91-100. Rainer Wohlfeil, Methodische Reflexionen zur »Historischen Bildkun-
de«, in: Historische Bldkunde. Probleme — Wege — Beispiele, hg. v. Brigitte Tolkemitt und Rainer Wohlfeil, Berlin 1991,17-36; Zitat v. Aby War-
burg, 33. — Ein wenig Dispens von einer zu komplizierten Methodologie gewährt auch die Tendenz in der Reformationszeit selbst, den Bildern Texte einzuverleiben oder beizugeben, um die Bildaussagen zu verdeutlichen, d.h. die Bilder von der ihnen oft anhaftenden Vieldeutigkeit zu befreien; vgl. Peter-Klaus Schuster Abstraktion, Agitation und Einfühlung. Formen protestantischer Kunst im 16. Jahrhundert, in: W. Hoffmann, 122. Der Begriff »Artikulation der Gesellschaft« wird bei Wohlfeil, 20, zitiert; er stammt von Oskar Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Die Auslegung von Bildern, Darmstadt 3. Aufl. 1988, 70. Carl C. Christensen, Art and Reformation,
13-41; vgl. auch Gerhard Ja-
ritz, Zur Funktion des religiösen Bildes in der spätmittelalterlichen Gesellschaft, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde, Jg. 10, H. 1, 1988,
8-13. Dieser Aspekt spiegelt sich im S. Behams Holzschnitt »Luther und die Handwerker« wider (s. Anm. 12). Ernst Ullmann, Lucas Cranach der Ältere - Bürger und Hofmaler, in: ders. (Hg.): Kunst und Reformation, Leipzig 1982, 41-51. Werner Schade, Die Malerfamilie Cranach, Dresden 1974. Erwin Iserloh, Bildfeindlichkeit des Nominalismus und Bildersturm im
16. Jahrhundert, in: W. Heinen (Hg.), Bild Wort - Symbol in der Theologie, Würzburg
1969, 119-138; Margarete Stirm, Die Bilderfrage in der
Reformation, Gütersloh 1977. Martin Warnke (Hg.): Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks, München
1973; Bob Scribner und Martin
Warnke (Hg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 1990.
19 Hans Rupprich (Hg.), Dürer. Schriftlicher Nachlaß I-III. Berlin 1966, Bd. 1, 285, 115-119. 20 Ebd., Bd. I, 171, 106 £., 73-77.
132
Anmerkungen zu Seite 80-85 21 Ebd., Bd. I, 86, 19-23. 22 Gottfried Seebaß, Dürers Stellung in der reformatorischen Bewgung, in: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers am 21. Mai 1971. Nürnberg 1971, 101-131 (hier auch kritische Verarbeitung der umfangreichen Literatur zum Verhältnis Dürers zur Reformation). 23 Lucas Cranach, »Fuhrwagen« des Andreas Carlstadt, Holzschnitt, 1519, Geisberg-Strauss, Bd. 2, G. 612; Lucas Cranach, Passional Christi und Antichristi, WA 9 (677), 701-715, Faks. der Bilder im Anhang 811ff
(Abb. 2 und 3, 4 und 5). Hildegard Schnabel (Hg.), Lukas Cranach d.Ä., Passional Christi und Antichristi, Holzschnittzyklus, Faks. Druck, Berlin 1972; Hermann Grisar und Franz Heege, Luthers Kampfbilder, Bd. 1: Pas-
sional Christi und Antichristi: Eröffnung des Bilderkampfes (1521). Freiburg i.Br. 1921. Vgl. auch Konrad Hoffmann, Das Bild als Kritik, in: Werner Busch (Hg.): Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, Bd. II, München und Zürich 1987, 520-523.
Herbert Zschelletzschky, in: Ausstellungskatalog »Lukas Cranach«, Weimar 1972, 139-147; Konrad Hoffmann, Typologie, Exemplarik und reformatorische Bildsatire, in: Josef Nolte u.a. (Hg.), Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, Stuttgart 1978, 189-210.
24 Herbert Zschelletzschky, Die »drei gottlosen Maler«, 1975. 25 Wilhelm Fraenger, Jörg Ratgeb. Ein Maler und Märtyer aus dem Bauernkrieg. Dresden 1972. 26 Ernst Ullmann, Bauernkrieg — Bildersturm — bildende Kunst, in: ders. (Hg.), Kunst und Reformation, S. 76-86; auch Nachwort des Herausgebers, 150-158.
27 Gottfried Seebaß, Dürers Stellung, 126 f. Zu den Bildern als Adiaphora äußerte sich Luther bereits in der Römerbriefvorlesung 1515/16: WA 56, 493 f., vgl. Elfriede Starke, Luthers Beziehungen zu Kunst und Künstlern,
in: Helmar Junghans (Hg.), Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zum 500. Geburtstag. Berlin (Ost) 1983, 531. 28 Erhard Schoen (zugeschrieben), Klagrede der armen verfolgten Götzen vnd Tempelpilder, Holzschnitt um 1530 (mit Text von Hans Sachs), in: Geisberg-Strauss, Bd. 3, G. 1145. Eine andere Deutung gibt diesem Holzschnitt der Ausstellungskatalog: W. Hoffmann, 126; m. E. ist übersehen worden, nach dem »Splitter« zu suchen; dadurch ist der reiche Bürger auf die falsche Seite geraten. Zur Deutung: Konrad Hoffmann, Das Bild als Kritik, 524-527.
WA 9 (677), 701-714 (Abb. 2 und 3,4 und 5; Anm. 22). Elfriede Starke, Luthers Beziehungen, 534. Scribner, 157. Horst Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution, Frankfurt/M. 1975, 309. Ebd., 310.
133
Anmerkungen zu Seite 86-87 35 Bredekamp (311) weist auf eine Flugschrift Hans Schwalbs aus dem Jahre 1521 hin: »Über viel missbreuch Christliches lebens und darin begriffen kürtzlich von Johannes Hussen«. Der Titel ist nicht korrekt bei K. Chytil, Antikrist v neutäch a im£ni stradeveku a hüsitsk& abyazne& antithese, Prag 1918, auf den Bredekamp sich bezieht. Gemeint ist wohl die bekannte Flugschrift: Beklagung eines Laien, genannt Hans Schwalb, über viel Mißbräuche christlichen Lebens (in: Adolf Laube u.a., (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung, Bd. 1, Berlin 1983, 63-74, dort
auch Hinweise auf weitere Lit.). Ob Cranach diese Schrift schon kannte, als er das Passional schuf oder ob Schwalb und Cranach auf andere Quellen unabhängig voneinander zurückgegriffen haben, ist nicht auszumachen. Schwalb berichtet übrigens nur vom Einzug Jesu in Jerusalem und dem Gegenbild in Prag. - Zum Aspekt der Agitation in der Kunst der Reformation: Peter-Klaus Schuster, Abstraktion, Agitation und Einfüh-
lung, 117-122. — Zu den Bildideen, die Luther lieferte: Herbert Zschelletzschky: »Die Zeit zu reden ist gekommen...« Luthers Gravamina im Spiegel zeitgenössischer Graphik, in: Günter Vogler u.a. (Hg.), Martin Luther. Leben — Werk — Wirkung. Berlin (Ost) 1983, 121-145. 36 Verhör und Acta vor dem Byschoff von Meyssen, Wittenberg 1522, Köhler FS 231; vgl. Scribner, 61 £.
37 Vom alten und nüen Gott, Holzschnitt 1521, Köhler FS 1474; vgl. E. Kuck (Hg.), Judas Nazarei, Vom alten und neuen Gott, Glauben und Lehre, Halle 1896; Scribner, 69 ff.
38 WA 11, 357 (Papstesel); Lucas Cranach d.Ä.: Abbildung des Papsttums mit Spottversen Luthers, Holzschnitt 1545: WA 54 (346), 361-373; Holzschnitt von Cranach d.Ä., der Eselskönig und sein Gefolge, 1528: WA 26,
538 (A) zu Luther: Eine neue Fabel Aesopi, neulich verdeutscht gefunden: vom Löwen und Esel. Scribner, 135.
Die intensivierte Papstpolemik in der Graphik der vierziger Jahre erklärte sich aus Luthers Einstellung zum Papst: Hubert Kirchner, Luther und das
Papsttum, in: Helmar Junghans (Hg.), a.a.O., 441-456. Vgl. auch Hermann Grisar und Franz Heege, a.a.O., Bd. 4: Die Abbildung des Papst-
tums und andere Kampfbilder in Flugblättern 1528-1545, Freiburg i.Br. 1923. 39 Melchior Lorck, Der Papst als Wilder Mann, Radierung nach 1545; W. Hoffmann, 161. Zuvor war Luther schon in der antireformatorischen Polemik als »Wilder Mann« dargestellt worden (Martin Luther Biceps, Titelholzschnitt zu Johannes Cochlaeus, Antilogia contra Lutheri, 1529, W. Hoffmann, 160).
40 Lucas Cranach, Johannes mißt den Tempel Gottes, Holzschnitt zur Apokalypse (11,1-8), in: Biblia/ das ist/ die gantze/ Heilige Schrift Deutsch. Mart. Luth. Wittemberg 1534; zu Apok. 17 s. ebenfalls Cranachs ApokaIypsezyklus zur Septemberbibel von 1522; vgl. W. Hoffmann, 171-183. 4 jean Lucas Cranach: »Fuhrwagen« des Andreas Carlstadt, Holzschnitt 1519, in: Geisberg-Strauss, Bd. 2, G. 612; dazu: Herbert Zschelletschky, Vorge-
134
Anmerkungen zu Seite 87-90
fecht des reformatorischen Bilderkampfes. Zu Cranachs Holzschnitt »Himmelswagen und Höllenwagen« des Andras Bodenstein von Karlstadt von 1519, in: Lucas Cranach, Künstler und Gesellschaft, Wittenberg 1973, 102 ff., abgedruckt auch in: Ernst Ullmann (Hg.), Kunst und Reformation, 67-75; vgl. Ulrich Bubenheimer, Andreas Rudolf Bodenstein von
Karlstadt, in: Andreas Bodenstein von Karlstadt (1480-1541), Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, hg. v. Wolfgang Merklein, Karlstadt 1980, 19-28.
42 Hans Heinrich Freiermut, Triumphus Veritatis. Sick der warheyt. Flugschrift, Zürich (?)1524, Köhler FS 1568; vgl. G. Stuhlfaut, Die beiden Holzschnitte der Flugschrift »Triumphus Veritatis Sick der Warheyt« von Hans Heinrich Freiermut (1524), in: Zeitschrift für Bücherfreunde, NF 13, 1921, 49-56; Ausstellungskatalog: Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Ausstellung zum 500. Geburtstag Martin Luthers, Germani-
43
sches Nationalmuseum Nürnberg, 1983, 221 £. Martin Luther, WA 19, 1-43; dazu Elfriede Starke, Luthers Beziehungen,
535. Als Probe sei wiedergegeben: »Der Pfaffen stand«. »Dis Banwerfer des Antichrist Der bessers nie nichts worden ist. Besessen, regiert leut und land, Das es doch ist fur Gott eyn schandt, Und uns zu teuffel verfürt,
Das han wyr leyder erst gespürt. Hoff, Gott soll es aber ums keren,
44
45
Undts teuffels Hatzhundt zerstören« (11).
Der Papst als böser Schächer am Kreuz um 1550, Monogrammist I.W. Kollor. Holzschnitt mit Typendruck, German. Nationalmuseum Nürnberg, s. W. Hoffmann, 183, Nr. 54; Scribner, S. 100 f. Peter Flötner, Die neue Passion Christi, Holzschnitt um 1530/35, Geisberg-Strauss, Bd. 3, G. 823-824 (Abb. 6); Scribner, 99 f. Sehr aufschluß-
reich für das antiklerikale Thema ist auch Flötners Holzschnitt vom Pfaffenkirmis (um 1535), in: Geisberg-Strauss, G. 825-826. 46 Leonhard Beck, Der Mönch und seine Magd, Holzschnitt, 1523, Geisberg-Strauss, Bd. 1, G. 140 (Abb. 7); Scribner, 38 f. (hier auch weitere
47 48
49
Beispiele für unzüchtiges Leben von Mönchen und Nonnen). Titelholzschnitt zu Pamphilius Gengenbach, Die Todten fresser, 1522, Köhler FS 626; Niklaus Manuel Deutsch (wie Anm. 7), S. 499, Kat. Nr. 328; Scribner, 91 f.
Anonymes Flugblatt mit Holzschnitt und Typendruck (Text von Hans Sachs), Nürnberg um 1530 (Abb. 8); Scribner, 54 f. Jörg Breu, Ein Frag an eynen Müntzer, Holzschnitt um 1530, GeisbergStrauss, Bd. 1, G. 353 (Abb. 9).
50 Titelholzschnitt von Sebald Beham zu dem Prosadialog: Disputation zwischen einem Chorherrn und Schuhmacher von Hans Sachs, 1524 (Abb. 10); Herbert Zschelletschky, Die »drei gottlosen Maler«, 527 f.
135
Anmerkungen zu Seite 90-95 Sl Ebd., 258. 52 Ebd., 259; vgl. zum weiberfeindlichen Pantoffelmotiv:
Konrad
Hoff-
mann, Cranachs Zeichnungen, 5.
53 Illustration zu Josef Grünpeck, Ein spiegel/ der natürliche himlische/ vnd prophetischn sehungen aller trubsalen/ angst/ vn not/ die über alle stende/ geschlechte/ vn gemainden der Cristenhait/ sunderbar so in dem sibenden Cli/ ma begriffen/ in kurtzen tagen geen werden, Augsburg o.J. (1522); Köhler FS 1912. Vgl. dazu Heike Talkenberger, a.a.O., 131 f. Vgl. auch Heinz-Dieter Heimann, »Verkehrung« in Volks- und Buchkultur als Argumentationspraxis in der reformatorischen Öffentlichkeit, in: ARG 79, 1988, S. 170-188. Robert W. Scribner, Reformation, Karneval und »ver-
kehrte Welt«, in: R. v. Dülmen und N. Schindler (Hg.), Volkskultur — Zur
Wiederentdeckung des vergessenen Alltags, Frankfurt/M. 1984, 117-152. Elfriede Starke, Luthers Beziehungen, 535. Martin Warnke, das Bild als Bestätigung, in: Werner Busch (Hg.), a.a.O.,
483 f. Anonymes Spottlied auf Papst Leo X. und die theologischen Gegner Luthers, 1521, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Ausstellungskatalog: Martin Luther und die Reformation, 224 f., Nr. 283. Konrad Hoffmann, Das Bild als Kritik, 527 ff. Anonymer Holzschnitt (wie Anm. 5), Martin Luther, WA 11, 357; vgl. W.
Hoffmann, 177 f., dort auch Hinweis auf eine vorreformatorische Vorlage: Wenzel Ölmütz: Roma caput mundi, antipäpstliches Spottbild, Kupferstich 1496. Heiko A. Oberman, Martin Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, Berlin 1982. Georg Pencz, Inhalt zweierley predig, yede in gemein in einer kurtzen begriffen, Holzschnitt, 1529, Geisberg-Strauss, Bd. 3, G. 997.
Vgl. W. Hoffmann, 204-243. Zur Problematik visueller Frömmigkeit im Protestantismus s. neuerdings Robert W. Scribner, Popular Piety and Modes of Visual Perception in Late Medieval and Reformation Germany, in: The Journal of Religious History, Vol. 15, No. 4, 1989, 448-469.
62 Titelholzschnitt der anonymen Flugschrift: An die versamlung gemayner Bawerschafft,
1525, in: Horst Buszello, Der deutsche Bauernkrieg von
1525 als politische Bewegung, Berlin 1969, 152; zu einigen Variationen des Motivs vom Schicksals- oder Glücksrad s. Scribner, For the sake, 118-121, und Siegfried Hoyer, Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen aus der Zeit von Reformation und Bauernkrieg, in: B. Tolkemitt und R. Wohlfeil (Hg.), Historische Bildkunde, 65-82.
136
Anmerkungen zu Seite
103-106
VI. Zucht und Ordnung in nonkonformistischer Manier ir
Zur Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung neuerdings: Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 12, München 1992. Ronnie Po-chia Hsia, Social Discipline in the Reformation, Central Europe 1550-1750, London
1989. Luther, WA 6, 404.
Martin Bucer, Deutsche Schriften, Bd. 17, hg. von R. Stupperich, Gütersloh 1981, 132 £.; vgl. Heiko A. Oberman, Europa afflicta: The Reformati-
wm
on of the Refugees, in: Archiv für Reformationsgeschichte 83, 1992, 96; Martin Greschat, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit, 1491-1551, München 1990, 153 £.
Vgl. Hans-Jürgen Goertz, Art. Kirchenzucht (Reformationszeit), Theologische Realenzyklopädie XIX, 176-183. Zur neueren Täuferforschung: James M. Stayer, Werner O. Packull, Klaus
Deppermann, From Monogenesis to Polygenesis. The Historical Discussion of Anabaptist Origins, in: Mennonite Quarterly Review 49, 1975,
83-122. Torsten Bergsten, Balthasar Hubmaier. Seine Stellung zu Reformation und Täufertum 1521-1528, Kassel 1961, 309. SQ
Ne)
Vgl. Keith Thomas, Religion and the Decline ofthe Magic, London 1971. Marion Kobelt-Groch, Frauen gegen Geistliche. Weiblicher Antiklerikalismus in frühreformatorischen und täuferischen Bewegungen, in: Mennonitische Geschichtsblätter 49, 1992, 21-31. Thomas A. Brady, » You hate us Priestes«. Anticlericalism, Communalism
and the Control of Women in Strasbourg in the Age of the Reformation. in: Dykema/Oberman, Anticlericalism, 167 ff. Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung. 2. Aufl. München 1988, 47 und 50.
Hans-Jürgen Goertz, Der fremde Menno Simons. Antiklerikale Argumentation im Werk eines melchioritischen Täufers, in: Irvin B. Horst (Hg.),
The Dutch Dissenters. A Critical Companion to their History and Ideas. Leiden 1986, 172 ff. Gunnar Westin und Torsten Bergsten (Hg.), Balthasar Hubmaier. Schriften, Gütersloh 1962, 338.
Ebd., 339. Ebd., 376 (Von dem christlichen Bann, 1526/27).
Ebd.,:375. Ausführlich über den Bann im Schweizer Täufertum hat Ervin A. Schlabach in seiner unveröffentlichten Dissertation gehandelt: The Rule of Christ among the Early Swiss Anabaptists, Theol. D. Diss., The Chicago Theological Seminary 1977. Vf. geht davon aus, daß die Täufer den von Erasmus geprägten, weitgefaßten Begriff der »Regel Christi« auf den in
137
Anmerkungen zu Seite 107-111 Matth. 18, 15-18, geschilderten Vorgang eingeschränkt bzw. konzentriert und die auch von anderen Reformatoren für die Bannproblematik herangezogenene Bibelstelle auf besondere, von jeder obrigkeitlichen Mitge-
staltung freien Weise in die Praxis umzusetzen versuchten (41). Diese Dissertation nimmt zwar die von der neueren Täuferforschung herausgearbeitete Vielfalt im Täufertum zur Kenntnis (»There was a considerable diversity among the Anabaptists on the issue ofthe ban, VII, auch 149 f.), folgt aber grundsätzlich noch den an Freikirche versus Obrigkeitskirche orientierten Interpretationslinien der älteren Forschung. Weitere Literatur: Jean Ellen Goodban Runzo, Communal Discipline in the Early Anabaptist Communities of Switzerland, South and Central Germany, Austria, and Moravia, 1525-1550, Ph. D. Diss., University of Michigan 1978; Menno-
nite Encyclopedia V, 1990, 239 ff. (»Discipline«). Heinold Fast (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2: Ostschweiz, Zürich 1973, 26-35. Christoph Bornhäuser, Leben und Lehre Menno Simons’. Ein Kampf um das Fundament des Glaubens (etwa 1496-1561), Neukirchen-Vluyn 1973, 158-169; Jan van Ophoorn (1569): Biblioteca Reformatoria Neerlandica, Nr. 7, 69 £.
Der Begriff »binnengeleitete Sozialdisziplinierung« kommt dem von Norbert Elias verwendeten Begriff des Selbstzwangs sehr nahe; Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 2, Frankfurt (M.), 7. Aufl., 1980, 312 (»Der gesell-
schaftliche Zwang zum Selbstzwang«). Gerhard Roosen, Unschuld und Gegen-Bericht der Evangelischen Tauffgesinneten Christen, Ratzeburg 1702, 86 £.
24 Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, 179-197. 22 Diesen Begriff verdanke ich Mike Driedger, der 1991/92 in Hamburg das Archivmaterial für seine Magisterarbeit über die Mennoniten in Altona und Hamburg an der Queen’s University, Kingston, Kanada, durchgear-
beitet hat. Mit diesem Begriff wird der Prozeß gefaßt, in dem ein herrschaftlich ausgerichtetes Obrigkeitsverständnis sich ein Gemeindeverständnis gefügig macht bzw. einverleibt, das in obrigkeitskritischer, kommunalistischer Tradition wurzelt. Michael D. Driedger, Conflict and Adaptation in an Exile Community. Flemish Mennonites in Altona and Hamburg 1649-1711. MA thesis, Queen’s University, Kingston, Kanada, 1993, 63.
23 Confessie van Dordrecht 1632, in: Doperse Stemmen 5, Amsterdam 1982, 59 ff., vgl. Hans-Jürgen Goertz, Zwischen Zwietracht und Eintracht. Zur Zweideutigkeit täuferischer und mennonitischer Bekenntnisse. In: Mennonitische Geschichtsblätter 43/44, 1986/87, 29-37. Staatsarchiv Hamburg, Mennonitengemeinde, Bd. 1, 521-5-6, Kirchenvorstandsprotokolle, 7-8 (Jan und Pieter Peters). 25 Für Altona und Hamburg siehe: Ernst W. Schepansky, Mennoniten in
24
138
Anmerkungen zu Seite 111-112 Hamburg und Altona zur Zeit des Merkantilismus, in: Mennonitische Geschichtsblätter 32, 1980, 54-73. Für Krefeld neuerdings: Peter Kriedte, Taufgesinnte, Dompelaars, Erweckte. Die mennonitische Gemeinde und
der Aufstieg des proto-industriellen Kapitalismus in Krefeld im 17. und 18. Jahrhundert. In: Rudolf Vierhaus u.a. (Hg.), Frühe Neuzeit — Frühe Moderne? Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen. Göttingen 1992, 245-270, bes. 266-270.
Heinz Schilling, Vergleichende Betrachtungen zur Geshichte der bürgerlichen Eliten in Nordwestdeutschland und in den Niederlanden, in: H. Diederichs und H. Schilling (Hg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit. Köln 1985, 1-32. Driedger, Conflict (Anm. 39) 67; 63-69 wird die unter den Mennoniten
kontroverse Frage der Bewaffnung eingehend diskutiert. Ernst W. Schepansky, a.a.O., 59. Ähnlich verhielten sich übrigens die westpreußischen Mennoniten, wenn sie zwar den Kriegsdienst ablehnten, aber doch bereit
waren, sich durch Kontributionszahlungen vom Wehrdienst freizukaufen.
239
Nachweise
I. Antiklerikalismus und Reformation
Deutsche Fassung einer bisher unveröffentlichten Gastvorlesung an den Universitäten von New York, Yale und Harvard im Herbst 1993: »Anticlericalism and Reformation. An Explanatory Model from Social History.< II. »Wie gantz vorwyrrett, bodenloß ding das geystlich weßen ist« Überarbeitete deutsche Fassung von »What a tangled and tenuous mess the clergy is«. Clerical Anticlericalism in the Reformation Period. In: Peter A. Dykema und Heiko A. Oberman (Hg.), Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden 1993, 499-520. III. Adel versus Klerus
Bisher unveröffentlicht. IV. Weder Knecht noch Herr — nur Brüder
Bisher unveröffentlicht. V. »Bannwerfer des Antichrist« und »Hetzhunde des Teufels«
Leicht überarbeitete Fassung des gleichnamigen Aufsatzes in: Archiv für Reformationsgeschichte 82, 1991, 5-38. VI. Zucht und Ordnung in nonkonformistischer Manier Veränderte und verkürzte Fassung des Aufsatzes: Kleruskritik, Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung in den täuferischen Bewegungen der Frühen Neuzeit, in: Heinz Schilling (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im
frühneuzeitlichen Europa, Beiheft der Zeitschrift für historische Forschung 16, 1994, 183-198.
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H.-J. Goertz zeigt anschaulich, wie sein chen Strömungen dazu beigetragen hab®- 5
giöse und soziale Erneuerungsbewegurg hen und sich durchsetzen konnten.
ISBN 3-525-33595-4