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German Pages [309] Year 2011
EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose
CORNELIUS TACITUS
ANNALEN BAND III Lateinisch und deutsch Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Alfons Städele
Verantwortlicher Bandherausgeber: Martin Hose Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft
Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 Gutenberg Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-18153-7 Gesamtnummer Band I–III:
ISBN 978-3-534-23360-1 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73048-3
Inhalt Cornelius Tacitus, Annalen Buch XIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Buch XIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Buch XV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Buch XVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Anmerkungen zu Buch XIII
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Anmerkungen zu Buch XIV
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246
Anmerkungen zu Buch XV
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Anmerkungen zu Buch XVI
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Stammbaum: Das iulisch-claudische Haus
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ANHANG Zur Textgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische und gesellschaftliche Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die römischen Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gliederung des römischen Heeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index der Eigennamen ...................................
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CORNELII TACITI ANNALES (AB EXCESSU DIVI AUGUSTI) (LIBRI XIII – XVI) CORNELIUS TACITUS ANNALEN (VOM ABLEBEN DES VERGÖTTLICHTEN AUGUSTUS AN) (BÜCHER XIII – XVI)
LIBER TERTIUS DECIMUS 1 (1) Prima novo principatu mors Iunii Silani proconsulis Asiae ignaro Nerone per dolum Agrippinae paratur, non quia ingenii violentia exitium inritaverat, segnis et dominationibus aliis fastiditus, adeo ut C. Caesar pecudem auream eum appellare solitus sit: verum Agrippina fratri eius L. Silano necem molita ultorem metuebat, crebra vulgi fama anteponendum esse vixdum pueritiam egresso Neroni et imperium per scelus adepto virum aetate composita, insontem, nobilem et, quod tunc spectaretur, e Caesarum posteris: quippe et Silanus divi Augusti abnepos erat. (2) haec causa necis. ministri fuere P. Celer eques Romanus et Helius libertus, rei familiari principis in Asia impositi. ab his proconsuli venenum inter epulas datum est, apertius quam ut fallerent. (3) nec minus properato Narcissus Claudii libertus, de cuius iurgiis adversus Agrippinam rettuli, aspera custodia et necessitate extrema ad mortem agitur, invito principe, cuius abditis vitiis per avaritiam ac prodigentiam mire congruebat. 2 (1) Ibaturque in caedes, nisi Afranius Burrus et Annaeus Seneca obviam issent. hi rectores imperatoriae iuventae et, rarum in societate potentiae, concordes, diversa arte ex aequo pollebant, Burrus militaribus curis et severitate morum, Seneca praeceptis eloquentiae et comitate honesta, iuvantes in vicem, quo facilius lubricam principis aetatem, si virtutem aspernaretur, voluptatibus concessis retinerent. (2) certamen utrique unum erat contra ferociam Agrippinae, quae cunctis malae dominationis cupidinibus flagrans habebat in partibus Pallantem, quo auctore Claudius nuptiis incestis et adoptione exitiosa semet perverterat. sed neque Neroni infra servos ingenium, et Pallas tristi adrogantia modum liberti
Buch XIII 1 (1) Als erster Tod unter dem neuen Prinzipat wurde der des Iunius Silanus, des Prokonsuls von Asia, ohne Wissen Neros durch die Heimtücke Agrippinas herbeigeführt, nicht etwa, weil er durch unbeherrschtes Auftreten seinen Sturz herausgefordert hatte, schwerfällig wie er war und von den anderen Herrschern derart wenig ernst genommen, dass C. Caesar ihn das goldene Schaf zu nennen pflegte. Aber Agrippina hatte hinter der Ermordung seines Bruders L. Silanus gesteckt und fürchtete deshalb einen Rächer, weil im Volk häufig davon gesprochen wurde, dem kaum dem Knabenalter entwachsenen und zur Herrschaft nur durch ein Verbrechen gekommenen Nero sei ein Mann gesetzten Alters vorzuziehen, der schuldlos und von vornehmer Abkunft sei und, worauf man damals noch achtete, zur Nachkommenschaft der Caesaren gehöre; auch Silanus war ja ein Ururenkel des Augustus.1 (2) Das war der Grund für seine Ermordung. Handlanger waren der römische Ritter P. Celer und der Freigelassene Helius, die mit der Verwaltung des Vermögens des Princeps in Asia betraut waren. Von ihnen wurde dem Prokonsul Gift bei einem Essen verabreicht, und zwar zu offen, als dass sie unbemerkt geblieben wären. (3) Aber nicht weniger eilig wurde Claudiusʼ Freigelassener Narcissus, über dessen Auseinandersetzungen mit Agrippina ich berichtet habe,2 durch harte Haft und äußerste Not in den Tod getrieben, gegen den Willen des Princeps, zu dessen noch verborgenen Fehlern er mit seiner Habgier und Verschwendungssucht wunderbar passte. 2 (1) Und so wäre man den Weg des Mordens gegangen, wenn Afranius Burrus und Annaeus Seneca dem nicht entgegengetreten wären. Diese Mentoren des jungen Oberbefehlshabers waren, eine Seltenheit bei gemeinsam ausgeübter Macht, sich einig und aufgrund verschiedener Stärken gleich einflussreich, Burrus durch seine militärische Tätigkeit und seinen geradlinigen Charakter, Seneca durch die Lehren der Redekunst und sein anständiges, umgängliches Wesen, wobei sie sich gegenseitig unterstützten, um den Princeps in seinem gefährdeten Alter für den Fall, dass er von moralischem Verhalten nichts hören wolle, mit erlaubten Vergnügungen leichter unter Kontrolle zu halten. (2) Kampf hatten beide nur einen zu führen gegen die Unbeherrschtheit der Agrippina, die in allen Leidenschaften einer schlimmen Gewaltherrschaft brannte und dabei Pallas auf ihrer Seite hatte, auf dessen Betreiben hin sich Claudius mit der blutschänderischen Heirat und verderblichen Adoption selbst ins Unglück gestürzt hatte. Aber Nero war einerseits nicht der Mann, sich Sklaven unterzuordnen, andererseits hatte Pallas mit seiner widerlichen Arroganz die einem Freigelassenen gesetzten Grenzen überschritten und
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egressus taedium sui moverat. (3) propalam tamen omnes in eam honores cumulabantur, signumque more militiae petenti tribuno dedit optimae matris. decreti et a senatu duo lictores, flamonium Claudiale, simul Claudio censorium funus et mox consecratio. 3 (1) Die funeris laudationem eius princeps exorsus est, dum antiquitatem generis, consulatus ac triumphos maiorum enumerabat, intentus ipse et ceteri; liberalium quoque artium commemoratio et nihil regente eo triste rei publicae ab externis accidisse pronis animis audita: postquam ad providentiam sapientiamque flexit, nemo risui temperare, quamquam oratio a Seneca composita multum cultus praeferret, ut fuit illi viro ingenium amoenum et temporis eius auribus accommodatum. (2) adnotabant seniores, quibus otiosum est vetera et praesentia contendere, primum ex iis, qui rerum potiti essent, Neronem alienae facundiae eguisse. nam dictator Caesar summis oratoribus aemulus; et Augusto prompta ac profluens quae deceret principem eloquentia fuit. Tiberius artem quoque callebat, qua verba expenderet, tum validus sensibus aut consulto ambiguus. etiam C. Caesaris turbata mens vim dicendi non corrupit; nec in Claudio, quotiens meditata dissereret, elegantiam requireres. (3) Nero puerilibus statim annis vividum animum in alia detorsit: caelare pingere, cantus aut regimen equorum exercere; et aliquando carminibus pangendis inesse sibi elementa doctrinae ostendebat. 4 (1) Ceterum peractis tristitiae imitamentis curiam ingressus et de auctoritate patrum et consensu militum praefatus, consilia sibi et exempla capessendi egregie imperii memoravit, neque iuventam armis civilibus aut domesticis discordiis imbutam; nulla odia, nullas iniurias nec cupidinem ultionis adferre. (2) tum formam futuri principatus praescripsit, ea maxime declinans, quorum recens flagrabat invidia. non enim se negotiorum omnium iudicem fore, ut clausis unam intra domum accusatoribus et reis paucorum
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dadurch die Abneigung gegen seine Person heraufbeschworen. (3) Nach außen hin wurde Agrippina dennoch mit allen Ehren überhäuft, und als ein Tribun wie beim Militär üblich nach der Parole fragte, gab er zur Antwort: „Die beste Mutter“. Beschlossen wurden auch vom Senat zwei Liktoren, das Priesteramt für Claudius, zudem für Claudius ein zensorisches Begräbnis3 und anschließend die Aufnahme unter die Götter. 3 (1) Am Tag des Begräbnisses hielt die Lobrede auf ihn der Princeps; solange er das Alter seines Geschlechts sowie die Konsulate und Triumphe seiner Vorfahren aufzählte, waren er selbst und alle anderen ernst bei der Sache. Auch die Erwähnung seiner Beschäftigung mit den freien Künsten4 und der Hinweis, dass unter seiner Herrschaft dem Staat kein betrübliches Erlebnis mit auswärtigen Völkern widerfahren sei, hörte man anstandslos an. Als er dann aber auf seine Umsicht und Weisheit zu sprechen kam, konnte sich niemand das Lachen verkneifen, obwohl die von Seneca verfasste Rede viele Feinheiten aufwies, wie ja dieser Mann überhaupt ein gefälliges, an den Geschmack der Zuhörer seiner Epoche angepasstes Talent besaß. (2) Die älteren Zeitgenossen, für die es einen Zeitvertreib darstellt, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu vergleichen, merkten an, als Erster von den Personen, die an die Macht gekommen seien, sei Nero auf die Redegabe eines anderen angewiesen gewesen. Denn der Diktator Caesar war ein Rivale der Koryphäen unter den Rednern; auch Augustus verfügte über eine schlagfertige, flüssige und einem Princeps gut anstehende Beredsamkeit. Tiberius verstand sich ebenfalls auf die Fähigkeit, seine Worte abzuwägen, und brachte dann seine Auffassungen klar zum Ausdruck oder äußerte sich absichtlich zweideutig. Sogar der wirre Geisteszustand des C. Caesar zerstörte die Kraft seiner Rede nicht. Auch bei Claudius brauchte man, sooft er vorbereitet sprach, eine gepflegte Ausdrucksweise nicht zu vermissen. (3) Nero richtete schon in seinen Knabenjahren seinen lebhaften Geist auf andere Dinge: Er meißelte, malte, übte sich im Gesang oder Rosselenken, und manchmal zeigte er auch bei der Abfassung von Gedichten, dass er über die Grundregeln der Kunst verfügte. 4 (1) Als nun aber die Trauerfarce zu Ende gespielt war, kam er in die Kurie, sprach zunächst vom Beschluss der Väter und der Zustimmung der Soldaten und wies dann darauf hin, er verfüge über Ratschläge und Vorbilder für eine hervorragende Herrschaftsausübung, und seine Jugendzeit sei nicht von Bürgerkriegen oder inneren Auseinandersetzungen erfüllt gewesen; er bringe keine Hassgefühle, keine Kränkungen und auch keine Rachegelüste mit. (2) Dann skizzierte er in Umrissen den zukünftigen Prinzipat, wobei er sich vor allem von den Verhaltensweisen distanzierte, die gerade erst helle Empörung ausgelöst hatten: Er werde nämlich nicht den Richter in allen Angelegenheiten spielen, sodass sich, weil Ankläger und Angeklagte in einem
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potentia grassaretur; nihil in penatibus suis venale aut ambitioni pervium; discretam domum et rem publicam. teneret antiqua munia senatus, consulum tribunalibus Italia et publicae provinciae adsisterent: illi patrum aditum praeberent, se mandatis exercitibus consulturum. 5 (1) Nec defuit fides, multaque arbitrio senatus constituta sunt: ne quis ad causam orandam mercede aut donis emeretur, ne designatis [quidem] quaestoribus edendi gladiatores necessitas esset. quod quidem adversante Agrippina, tamquam acta Claudii subverterentur, obtinuere patres, qui in Palatium ob id vocabantur, ut adstaret additis a tergo foribus velo discreta, quod visum arceret, auditus non adimeret. (2) quin et legatis Armeniorum causam gentis apud Neronem orantibus escendere suggestum imperatoris et praesidere simul parabat, nisi ceteris pavore defixis Seneca admonuisset, venienti matri occurrere. ita specie pietatis obviam itum dedecori. 6 (1) Fine anni turbidis rumoribus prorupisse rursum Parthos et rapi Armeniam adlatum est, pulso Radamisto, qui saepe regni eius potitus, dein profugus, tum bellum quoque deseruerat. (2) igitur in urbe sermonum avida, quem ad modum princeps vix septem decem annos egressus suscipere eam molem aut propulsare posset, quod subsidium in eo, qui a femina regeretur, num proelia quoque et obpugnationes urbium et cetera belli per magistros administrari possent, anquirebant. (3) contra alii melius evenisse disserunt, quam si invalidus senecta et ignavia Claudius militiae ad labores vocaretur, servilibus iussis obtemperaturus. Burrum tamen et Senecam multa rerum experientia cognitos; et imperatori quantum ad robur deesse, cum octavo decimo aetatis anno Cn. Pompeius, nono decimo Caesar Octavianus civilia bella sustinuerint? (4) pleraque in summa fortuna auspiciis et consiliis quam telis et manibus geri. daturum plane documentum, honestis an secus amicis
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Haus eingesperrt seien, die Macht einiger weniger Personen austoben könne. Nichts sei in seinem Haus käuflich oder der Günstlingswirtschaft zugänglich. Getrennte Bereiche seien sein Haus und der Staat. Behalten solle seine alten Zuständigkeiten der Senat, an die Amtssitze der Konsuln sollten sich Italien und die staatlichen5 Provinzen wenden. Jene6 würden Zugang zu den Vätern gewähren, er werde sich um die ihm anvertrauten Heere kümmern. 5 (1) Die Bestätigung dafür ließ nicht auf sich warten, und viele Entscheidungen wurden nach dem Willen des Senats getroffen: Niemand dürfe zur Übernahme eines Prozesses mit Geld oder Geschenken gekauft werden, und die designierten Quästoren dürften sich nicht gezwungen sehen, Gladiatoren auftreten zu lassen. Obwohl sich Agrippina zumindest dagegen wehrte mit der Begründung, Entscheidungen des Claudius würden aufgehoben,7 bestanden die Väter darauf; sie wurden zu dem Zweck in das Palatium einberufen, dass sie, nachdem man an der Rückseite eine Tür hatte einfügen lassen, dabei sein konnte, durch einen Vorhang getrennt, der den Blick auf sie verwehrte, ihr aber die Möglichkeit zuzuhören nicht nahm. (2) Ja, als Gesandte der Armenier mit ihr Volk betreffenden Anliegen bei Nero vorsprachen, machte sie sogar Anstalten, zum erhöhten Sitz des Oberbefehlshabers hinaufzusteigen und zusammen mit ihm den Vorsitz zu führen, wenn ihn nicht, während die übrigen Anwesenden vor Schreck erstarrten, Seneca aufgefordert hätte, der auf ihn zukommenden Mutter entgegenzugehen. So wurde unter dem Anschein kindlicher Zuneigung ein Skandal abgewendet. 6 (1) Am Jahresende wurde durch beunruhigende Gerüchte gemeldet, die Parther hätten wieder einen Vorstoß unternommen und plünderten Armenien. Vertrieben worden sei Radamistus, der schon oft in diesem Königreich die Herrschaft übernommen hatte, dann wieder geflohen war und auch jetzt den Krieg aufgegeben hatte. (2) Deshalb stellte man sich in der klatschsüchtigen Hauptstadt die Frage, wie der kaum mehr als 17 Jahre alte Princeps diese Last schultern oder abwehren könne, welchen Rückhalt man an einem Mann habe, der von einer Frau beherrscht werde, ob auch Schlachten, Belagerungen von Städten und die übrigen Aufgaben im Krieg von Lehrern bewältigt werden könnten. (3) Dagegen meinten andere, besser sei es so gekommen, als wenn der altersschwache Taugenichts Claudius sich den Strapazen der Kriegführung stellen müsste, um dann nur Befehlen von Sklaven zu gehorchen. Burrus und Seneca seien jedoch bekannt für ihre vielseitige Erfahrung; und wie viel fehle dem Oberbefehlshaber noch an der vollen Kraft, wo doch in seinem achtzehnten Lebensjahr Cn. Pompeius, in seinem neunzehnten Caesar Octavianus Bürgerkriege durchgestanden hätten?8 (4) Sehr vieles werde in der höchsten Position besser mit Auspizien und Überlegung als mit Waffen und Muskelkraft erledigt. Er werde nun den klaren Nachweis dafür liefern, ob er anständige
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uteretur, si ducem amota invidia egregium quam si pecuniosum et gratia subnixum per ambitum deligeret. 7 (1) Haec atque talia vulgantibus, Nero et iuventutem proximas per provincias quaesitam supplendis Orientis legionibus admovere legionesque ipsas pro
ius Armeniam collocari iubet, duosque veteres reges Agrippam et iochum expedire copias, quis Parthorum fines ultro intrarent, simul pontes per amnem Euphraten iungi; et minorem Armeniam Aristobulo, regionem Sophenen Sohaemo cum insignibus regiis mandat. (2) exortusque in tempore aemulus Vologaeso filius Vardanes; et abscessere Armenia Parthi, tamquam differrent bellum. 8 (1) Sed apud senatum omnia in maius celebrata sunt sententiis eorum, qui supplicationes et diebus supplicationum vestem principi triumphalem, utque ovans urbem iniret, effigiemque eius pari magnitudine ac Martis Ultoris eodem in templo censuere, praeter suetam adulationem laeti, quod Domitium Corbulonem retinendae Armeniae praeposuerat videbaturque locus virtutibus patefactus. (2) copiae Orientis ita dividuntur, ut pars auxiliarium cum duabus legionibus apud provinciam Syriam et legatum eius Quadratum Ummidium remaneret, par civium sociorumque numerus Corbuloni esset, additis cohortibus alisque, quae Cappadocia hiemabant. socii reges, prout bello conduceret, parere iussi; sed studia eorum in Corbulonem promptiora erant. (3) qui ut famae, quae in novis coeptis validissima est, itinere propere confecto apud Aegeas civitatem Ciliciae obvium Quadratum habuit, illuc progressum, ne, si ad accipiendas copias Syriam intravisset Corbulo, omnium ora in se verteret, corpore ingens, verbis magnificis et super experientiam sapientiamque etiam specie inanium validus. 9 (1) Ceterum uterque ad Vologaesen regem nuntiis monebant, pacem quam bellum mallet datisque obsidibus solitam prioribus reverentiam in populum Romanum continuaret. et Vologaeses, quo bellum ex commodo pararet,
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Freunde habe oder nicht, wenn er den Neid beiseitelasse und als Kommandeur lieber einen ausgezeichneten Mann ernenne als aufgrund seiner Anbiederung einen vermögenden, der auf eine Gefälligkeit poche. 7 (1) Während Ansichten wie diese im Volk umgingen, ließ Nero in den nächstgelegenen Provinzen ausgehobene junge Männer zur Auffüllung der Legionen des Orients nachführen und die Legionen selbst näher an Armenien stationieren. Zwei altgediente Könige, Agrippa und Antiochus, sollten ihre Truppen in Kampfbereitschaft versetzen, um mit ihnen obendrein noch im Parthergebiet einzumarschieren; zugleich ließ er Brücken über den Euphratstrom schlagen und übertrug Kleinarmenien Aristobulus, die Region Sophene Sohaemus zusammen mit den königlichen Abzeichen. (2) Auch entstand zum richtigen Zeitpunkt dem Vologaesus9 ein Widersacher in seinem Sohn Vardanes; daraufhin räumten die Parther Armenien, aber nur so, als ob sie den Krieg aufschieben wollten. 8 (1) Doch im Senat wurden all diese Ereignisse übertrieben gefeiert mit Anträgen von Mitgliedern, die sich dafür einsetzten, Dankfeste abzuhalten und an den Tagen der Dankfeste dem Princeps das Triumphatorengewand zuzubilligen, ferner, dass er im kleinen Triumph in die Stadt einziehen und eine Statue von ihm in gleicher Größe wie die Marsʼ des Rächers in demselben Tempel aufgestellt werden solle. Über die übliche Speichelleckerei hinaus waren sie darüber froh, dass er Domitius Corbulo beauftragt hatte, Armenien zu behaupten, und damit offensichtlich ein Platz für Fähigkeiten eröffnet wurde. (2) Die Truppen des Orients wurden so aufgeteilt, dass ein Teil der Hilfstruppen zusammen mit zwei Legionen in der Provinz Syrien und bei ihrem Legaten Quadratus Ummidius zurückblieb und die gleiche Anzahl von Bürgern und Bundesgenossen zu Corbulo gehörte; zu ihnen stießen noch die Kohorten und Kavallerieregimenter, die in Kappadokien überwinterten. Die verbündeten Könige erhielten den Befehl, je nach Verlauf des Krieges Folge zu leisten; aber ihre Sympathien gehörten mehr Corbulo. (3) Um seinen Ruf zu bestätigen, der bei neuen Unternehmungen von höchster Bedeutung ist, legte dieser seine Reise schnell zurück und traf bei der kilikischen Stadt Aegeae auf Quadratus, der so weit vorgerückt war, damit Corbulo, falls er zur Übernahme seiner Truppen in Syrien einmarschiert wäre, nicht aller Augen auf sich lenken konnte: eine imponierende Gestalt, ein Freund großartiger Worte und, abgesehen von seiner Erfahrung und Klugheit, sogar durch scheinbare Belanglosigkeiten beeindruckend. 9 (1) Bei diesem Stand der Dinge forderten beide durch zu König Vologaeses geschickte Boten dazu auf, lieber Frieden als Krieg zu wollen und durch die Stellung von Geiseln die bei seinen Vorgängern übliche Hochachtung vor dem römischen Volk beizubehalten. Tatsächlich lieferte Vologaeses, um
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an ut aemulationis suspectos per nomen obsidum amoveret, tradit nobilissimos ex familia Arsacidarum. (2) accepitque eos centurio Insteius ab Ummidio missus, forte prior e de causa adito rege. quod postquam Corbuloni cognitum est, ire praefectum cohortis Arrium Varum et reciperare obsides iubet. hinc ortum inter praefectum et centurionem iurgium ne diutius externis spectaculo esset, arbitrium rei obsidibus legatisque, qui eos ducebant, permissum. atque illi recentem gloria et inclinatione quadam etiam hostium Corbulonem praetulere. (3) unde discordia inter duces, querente Ummidio praerepta quae suis consiliis patravisset, testante contra Corbulone non prius conversum regem ad offerendos obsides, quam ipse dux bello delectus spes eius ad metum mutaret. Nero quo componeret diversos, sic evulgari iussit: ob res a Quadrato et Corbulone prospere gestas laurum fascibus imperatoris addi. quae in alios consules egressa coniunxi. 10 (1) Eodem anno Caesar effigiem Cn. Domitio patri et consularia insignia Asconio Labeoni, quo tutore usus erat, petivit a senatu; sibique statuas argento vel auro solidas adversus offerentes prohibuit. et quamquam censuissent patres, ut principium anni inciperet mense Decembri, quo ortus erat Nero, veterem religionem kalendarum Ianuariarum inchoando anno retinuit. (2) neque recepti sunt inter reos Carrinas Celer senator servo accusante, aut Iulius Densus equester Romanus, cui favor in Britannicum crimini dabatur. 11 (1) CLAUDIO NERONE L. ANTISTIO consulibus cum in acta principum iurarent magistratus, in sua acta collegam Antistium iurare prohibuit, magnis patrum laudibus, ut iuvenilis animus levium quoque rerum gloria sublatus maiores continuaret. (2) secutaque lenitas in Plautium Lateranum, quem ob adulterium Messalinae ordine demotum reddidit senatui, clementiam suam obstringens
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in aller Ruhe einen Krieg vorbereiten oder Personen, die als Rivalen verdächtig waren, unter der Bezeichnung „Geiseln“ ausschalten zu können, die vornehmsten Angehörigen der Arsacidenfamilie aus. (2) In Empfang nahm sie der Zenturio Insteius, der von Ummidius geschickt worden war, weil er sich in dieser Angelegenheit zufällig früher an den König gewandt hatte. Als Corbulo davon erfuhr, schickte er den Kohortenkommandanten Arrius Varus los mit dem Auftrag, die Geiseln zurückzuholen. Damit der daraus zwischen Kommandant und Zenturio entstandene Streit nicht länger den auswärtigen Völkern ein Schauspiel bieten konnte, überließ man die Entscheidung in der Angelegenheit den Geiseln und den Gesandten, die sie begleiteten, und diese zogen Corbulo vor, dessen Ruhm noch frisch war und für den sogar die Feinde eine gewisse Sympathie empfanden. (3) Darüber kam es zum Streit zwischen den Kommandeuren; Ummidius beschwerte sich darüber, man habe ihm entwendet, was er mit seinen eigenen Planungen erreicht habe, während Corbulo im Gegenteil beteuerte, man habe den König erst dann dazu gebracht, Geiseln zu stellen, als er persönlich als der für den Krieg ausgewählte Kommandeur dessen Hoffnungen in Furcht umschlagen ließ. Nero befahl, um die Streithähne zu versöhnen, Folgendes bekannt zu geben: Wegen der von Quadratus und Corbulo erzielten Erfolge werde an die Rutenbündel des Oberbefehlshabers ein Lorbeerzweig gesteckt. Diese Ereignisse, die in ein anderes Konsulatsjahr reichen, habe ich hier angeschlossen. 10 (1) Im selben Jahr beantragte der Caesar ein Standbild für seinen Vater Cn. Domitius und die Konsulabzeichen für Asconius Labeo, der sein Vormund gewesen war, beim Senat; für sich jedoch lehnte er Statuen aus massivem Silber oder Gold trotz entsprechender Angebote ab. Und obwohl die Väter beantragt hatten, der Jahresanfang solle mit dem Monat Dezember beginnen, in dem Nero geboren worden war, behielt er den alten religiösen Brauch des Jahresbeginns mit den Kalenden des Januar bei. (2) Auch wurde der Senator Carrinas Celer auf die Anklage eines Sklaven hin oder der römische Ritter Iulius Densus, dem seine Parteinahme für Britannicus vorgeworfen wurde, nicht unter die Angeklagten aufgenommen. 11 (1) Unter den Konsuln CLAUDIUS NERO und L. ANTISTIUS (55 n. Chr.) verhinderte er beim Eid der Amtsträger auf die Verordnungen der Principes, dass sein Kollege Antistius auf seine Verordnungen schwor;10 das fand bei den Vätern hohe Anerkennung, damit der junge Mann, an dem man sogar unbedeutende Entscheidungen rühmend hervorgehoben habe, mit gewichtigeren weitermache. (2) Tatsächlich folgte die Begnadigung des Plautius Lateranus, den er, nachdem er wegen Ehebruchs mit Messalina aus seinem Stand ausgeschlossen worden war, wieder dem Senat zurückgab. Seine Milde gelobte er in zahlreichen
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crebris orationibus, quas Seneca testificando, quam honesta praeciperet, vel iactandi ingenii voce principis vulgabat. 12 (1) Ceterum infracta paulatim potentia matris delapso Nerone in amorem libertae, cui vocabulum Acte fuit, simul adsumptis in conscientiam Othone et Claudio Senecione, adulescentulis decoris, quorum Otho familia consulari, Senecio liberto Caesaris patre genitus. (2) ignara matre, dein frustra obnitente, penitus inrepserat per luxum et ambigua secreta, ne senioribus quidem principis amicis adversantibus, muliercula nulla cuiusquam iniuria cupidines principis explente, quando uxore ab Octavia, nobili quidem et probitatis spectatae, fato quodam, an quia praevalent inlicita, abhorrebat, metuebaturque, ne in stupra feminarum inlustrium prorumperet, si illa libidine prohiberetur. 13 (1) Sed Agrippina libertam aemulam, nurum ancillam aliaque eundem in modum muliebriter fremere, neque paenitentiam filii aut satietatem opperiri, quantoque foediora exprobrabat, acrius accendere, donec vi amoris subactus exueret obsequium in matrem seque necae permitteret, ex cuius familiaribus Annaeus Serenus simulatione amoris adversus eandem libertam primas adulescentis cupidines velaverat praebueratque nomen, ut quae princeps furtim mulierculae tribuebat, ille palam largiretur. (2) tum Agrippina versis artibus per blandimenta iuvenem adgredi, suum potius cubiculum ac sinum offerre contegendis quae prima aetas et summa fortuna expeterent. quin et fatebatur intempestivam severitatem et suarum opum, quae haud procul imperatoriis aberant, copias tradebat, ut nimia nuper coercendo filio, ita rursum intemperanter demissa. (3) quae mutatio neque Neronem fefellit, et proximi amicorum metuebant orabantque cavere insidias mulieris semper atrocis, tum et falsae. (4) forte illis diebus Caesar inspecto ornatu, quo principum coniuges ac parentes effulserant, deligit vestem et gemmas misitque donum matri,
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Reden, die Seneca als Beweis für seine sittlich fundierten Lehren oder um mit seinem Talent anzugeben, durch den Mund des Princeps verbreiten ließ. 12 (1) Im Übrigen wurde der bestimmende Einfluss der Mutter immer mehr gebrochen, weil sich Nero zu einer Liebschaft mit einer Freigelassenen, deren Name Acte war, herabgelassen und zugleich M. Otho und Claudius Senecio ins Vertrauen gezogen hatte, gut aussehende junge Männer, von denen Otho aus einer konsularischen Familie stammte, während Senecio einen Freigelassenen des Caesars zum Vater hatte. (2) Ohne Wissen der Mutter, dann gegen ihren vergeblichen Widerstand hatte er11 sich durch verschwenderische Prachtentfaltung und zweideutige Heimlichkeiten tief bei ihr eingeschlichen; dabei hatten nicht einmal die älteren Freunde des Princeps etwas dagegen, weil das Frauenzimmer, ohne jemand unrecht zu tun, die Begierden des Princeps befriedigte. Denn er hatte eine starke Abneigung gegen seine Frau Octavia, die doch eine vornehme Dame von bewährter Ehrbarkeit war, weil dies vom Schicksal so bestimmt war oder Verbotenes mehr gilt, und man befürchtete, er werde sich zu unerlaubten sexuellen Beziehungen zu vornehmen Frauen hinreißen lassen, falls man ihm diese Leidenschaft verwehre. 13 (1) Doch Agrippina tobte in typisch weiblicher Art, eine Freigelassene sei ihre Rivalin, ihre Schwiegertochter eine Magd und dergleichen mehr. Sie wartete auch nicht ab, dass sich ihr Sohn anders besann oder genug hatte, und je hässlichere Vorhaltungen sie machte, desto stärker entfachte sie sein Verlangen, bis er der Macht der Liebe erlag, den Gehorsam seiner Mutter gegenüber ablegte und sich Seneca anvertraute, von dessen engen Freunden Annaeus Serenus so tat, als sei er in dieselbe Freigelassene verliebt, dadurch die ersten sexuellen Wünsche des jungen Mannes gedeckt und seinen Namen dafür hergegeben hatte, dass die Geschenke, die der Princeps dem Frauenzimmer heimlich zukommen ließ, nach außen hin er machte. (2) Daraufhin stellte Agrippina ihre Taktik um, machte sich mit Zärtlichkeiten an den jungen Mann heran und bot ihm eher ihr Schlafzimmer und ihren Schoß zur heimlichen Ausübung dessen an, was sein jugendliches Alter und seine hohe Stellung haben wollten. Ja, sie gab sogar ihre unangemessene Strenge zu und übertrug ihm aus ihrem Privatvermögen, das nicht wesentlich geringer als das des Oberbefehlshabers war, eine Menge: Wie sie soeben noch ihren Sohn übertrieben bevormundet hatte, so maßlos unterwürfig war sie nun wieder. (3) Diese Veränderung entging auch Nero nicht, und seine engsten Freunde fürchteten um ihn und baten ihn, sich vor der Hinterlist des Weibes in Acht zu nehmen, das immer fürchterlich gewesen sei, jetzt aber auch noch heimtückisch. (4) Zufällig musterte der Caesar in diesen Tagen den Schmuck, in dem die Gemahlinnen und Mütter der Principes geglänzt hatten, wählte ein Kleid und Edelsteine aus und schickte sie als Geschenk seiner Mutter, ohne
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nulla parsimonia, cum praecipua et cupita aliis prior deferret. sed Agrippina non his instrui cultus suos, sed ceteris arceri proclamat et dividere filium, quae cuncta ex ipsa haberet. 14 (1) Nec defuere qui in deterius referrent. et Nero infensus iis, quibus superbia muliebris innitebatur, demovet Pallantem cura rerum, quis a Claudio impositus velut arbitrium regni agebat; ferebaturque, degrediente eo magna prosequentium multitudine, non absurde dixisse ire Pallantem, ut eiuraret. sane pepigerat Pallas, ne cuius facti in praeteritum interrogaretur paresque rationes cum re publica haberet. (2) Praeceps posthac Agrippina ruere ad terrorem et minas, neque principis auribus abstinere, quo minus testaretur adultum iam esse Britannicum, veram dignamque stirpem suscipiendo patris imperio, quod insitus et adoptivus per iniurias matris exerceret. (3) non abnuere se, quin cuncta infelicis domus mala patefierent, suae in primis nuptiae, suum veneficium: id solum diis et sibi provisum, quod viveret privignus. ituram cum illo in castra; audiretur hinc Germanici filia, indebilis Burrus et exul Seneca, trunca scilicet manu et professoria lingua generis humani regimen expostulantes. simul intendere manus, adgerere probra, consecratum Claudium, inferno Silanorum manes invocare et tot inrita facinora. 15 (1) Turbatus his Nero et propinquo die, quo quartum decimum aetatis annum Britannicus explebat, volutare secum modo matris violentiam, modo ipsius indolem, vi quidem experimento nuper cognitam, quo tamen favorem late quaesivisset. (2) festis Saturno diebus inter alia aequalium ludicra regnum lusu sortientium evenerat ea sors Neroni. igitur ceteris diversa nec ruborem adlatura: ubi Britannico iussit exsurgeret progressusque in medium cantum aliquem
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einen Gedanken an Sparsamkeit, weil er ihr mit der Überreichung besonders erlesener Stücke, die sich andere Frauen gewünscht hätten, zuvorkommen wollte. Aber Agrippina rief laut, damit werde nicht ihre Garderobe bereichert, sondern sie vom Rest ferngehalten, und der Sohn teile mit ihr nur all das, was er von ihr habe. 14 (1) Da fehlte es dann auch nicht an Leuten, die diesen Vorfall bei ihren Berichten verschlimmerten. Und weil Nero über die Personen, auf die sich ihr weiblicher Hochmut stützte, aufgebracht war, entband er Pallas von der Betreuung des Sachgebiets, das ihm von Claudius übertragen worden war und das er führte, als habe er die Entscheidungsbefugnis in einer Alleinherrschaft. Man erzählte sich, als er in Begleitung eines großen Gefolges hinabging, habe Nero nicht unpassend gesagt, Pallas gehe, um seinen Eid abzulegen.12 Tatsächlich hatte sich Pallas ausbedungen, dass man ihn nicht wegen einer Handlung in der Vergangenheit belange und seine Rechnung mit dem Staat als ausgeglichen zu betrachten sei. (2) Hals über Kopf verstieg sich danach Agrippina zu schrecklichen Drohungen und verschonte auch die Ohren des Princeps nicht mit der Feststellung, Britannicus sei nun schon erwachsen und der wahre und würdige Nachkomme zur Übernahme der Herrschaft seines Vaters, die ein lediglich aufgepfropfter Adoptivsohn dank der widerrechtlichen Handlungsweise seiner Mutter13 ausübe. (3) Sie habe nichts dagegen, dass all die schlimmen Vorfälle in dem unglücklichen Haus ans Licht kämen, vor allem ihre eigene Hochzeit und ihre Giftmischerei. Nur darum sei es den Göttern und ihr selbst gegangen, dass ihr Stiefsohn noch am Leben sei. Sie werde sich mit ihm zusammen in die Kaserne begeben. Anhören solle man auf der einen Seite die Tochter des Germanicus, auf der anderen den behinderten Burrus und den verbannten Seneca, die, natürlich mit verkrüppelter Hand und schulmeisterlicher Zunge, Anspruch auf die Herrschaft über das Menschengeschlecht erhöben. Zugleich drohte sie mit den Fäusten, stieß Beschimpfungen aus, rief den zur Gottheit erhobenen Claudius und die Schatten der Silani in der Unterwelt an und beschwor ihre vielen vergeblichen Verbrechen. 15 (1) Das beunruhigte Nero sehr, und weil der Tag näherkam, an dem Britannicus sein 14. Lebensjahr vollendete, ließ er sich bald das gewalttätige Wesen seiner Mutter, bald dessen Naturell durch den Kopf gehen, das gerade erst bei einer zugegebenermaßen nebensächlichen Probe zu beobachten gewesen sei, mit der er sich dennoch weithin Sympathien erworben habe. (2) Als nämlich am Saturnalienfest unter anderen Belustigungen seiner Altersgenossen der Posten des Königs im Spiel verlost wurde, war dieses Los auf Nero gefallen. So bekamen alle anderen Mitspieler verschiedene Aufgaben, die sie nicht in Verlegenheit bringen sollten. Als er aber Britannicus befahl, aufzustehen, in die Mitte
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inciperet, inrisum ex eo sperans pueri sobrios quoque convictus, nedum temulentos ignorantis, ille constanter exorsus est carmen, quo evolutum eum sede patria rebusque summis significabatur. unde orta miseratio, manifestior quia dissimulationem nox et lascivia exemerat. (3) Nero intellecta invidia odium intendit; urgentibusque Agrippinae minis, quia nullum crimen neque iubere caedem fratris palam audebat, occulta molitur pararique venenum iubet, ministro Pollione Iulio praetoriae cohortis tribuno, cuius cura attinebatur damnata veneficii nomine Locusta, multa scelerum fama. nam ut proximus quisque Britannico neque fas neque fidem pensi haberet, olim provisum erat. (4) primum venenum ab ipsis educatoribus accepit, tramisitque exsoluta alvo parum validum, sive temperamentum inerat, ne statim saeviret. (5) sed Nero lenti sceleris impatiens minitari tribuno, iubere supplicium veneficae, quod, dum rumorem respiciunt, dum parant defensiones, securitatem morarentur. promittentibus dein tam praecipitem necem, quam si ferro urgeretur, cubiculum Caesaris iuxta decoquitur virus cognitis antea venenis rapidum. 16 (1) Mos habebatur principum liberos cum ceteris idem aetatis nobilibus sedentes vesci in adspectu propinquorum propria et parciore mensa. illic epulante Britannico, quia cibos potusque eius delectus ex ministris gustu explorabat, ne omitteretur institutum aut utriusque morte proderetur scelus, talis dolus repertus est. (2) innoxia adhuc ac praecalida et libata gustu potio traditur Britannico; dein, postquam fervore aspernabatur, frigida in aqua adfunditur venenum, quod ita cunctos eius artus pervasit, ut vox pariter et spiritus [eius] raperentur. (3) trepidatur a circumsedentibus, diffugiunt imprudentes: at quibus altior intellectus, resistunt defixi et Neronem intuentes. ille ut erat reclinis et nescio similis, solitum ita ait per comitialem morbum, quo prima ab infantia adflictaretur Britannicus, et redituros paulatim
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zu treten und ein Lied zu singen, hoffte er, der Knabe, der selbst Gesellschaften, bei denen man nüchtern blieb, nicht kannte, geschweige denn Trinkgelage, werde sich damit lächerlich machen; doch er begann unbefangen mit einem Lied, das darauf anspielte, er sei von dem vom Vater ererbten Platz und der höchsten Machtstellung verdrängt worden. Das weckte Mitleid, das noch deutlicher zu spüren war, weil die Ausgelassenheit bei Nacht die Verstellung aufgehoben hatte. (3) Nero bemerkte die missgünstige Stimmung und steigerte sich weiter in seinen Hass hinein. Weil ihn Agrippina mit ihren Drohungen unter Druck setzte, aber kein Verbrechen vorlag und er die Ermordung seines Bruders nicht offen zu befehlen wagte, leitete er ein geheimes Vorgehen in die Wege und ließ Gift beschaffen. Sein Handlanger war dabei der Tribun einer Prätorianerkohorte Pollio Iulius, in dessen Gewahrsam sich die bereits verurteilte Giftmischerin mit Namen Locusta befand, die für ihre Untaten weithin berüchtigt war. Denn dass gerade die engste Umgebung des Britannicus weder auf Recht noch auf Treue Wert legte, dafür hatte man schon längst Vorsorge getroffen. (4) Das erste Gift erhielt er ausgerechnet von seinen Erziehern, aber er überstand es mit einem Durchfall, weil es nicht stark genug war oder einen verzögernden Bestandteil enthielt, damit es nicht sofort wütete. (5) Nero aber besaß nicht die Geduld für ein langsames Verbrechen, sondern drohte dem Tribun und befahl die Hinrichtung der Giftmischerin, weil sie, während sie auf das Gerede der Leute Rücksicht nähmen, während sie ihre Verteidigung vorbereiteten, seine Sicherheit vernachlässigten. Als sie daraufhin einen derart schlagartigen Mord versprachen, wie wenn ihm mit dem Schwert zugesetzt würde, braute man neben dem Schlafzimmer des Caesars ein Giftgetränk, das den schon vorher erprobten Giften zufolge augenblicklich wirken musste. 16 (1) Es war so Sitte, dass die Kinder der Principes mit den übrigen gleichaltrigen Angehörigen des Adels sitzend14 vor den Augen der Verwandten an einem eigenen, sparsamer gedeckten Tisch aßen. Weil Britannicus dort sein Essen einnahm und seine Speisen und Getränke ein ausgewählter Diener durch Kosten prüfte, erfand man, um auf dieses übliche Verfahren nicht verzichten zu müssen oder das Verbrechen durch den Tod der beiden zu verraten, folgende List: (2) Ein noch unschädliches und sehr heißes Getränk, an dem der Vorkoster genippt hatte, reichte man Britannicus; nachdem dieser es als zu heiß zurückwies, schüttete man in kaltes Wasser das Gift, das all seine Glieder derart durchdrang, dass ihm gleichzeitig Stimme und Atem wegblieben. (3) Entsetzen packte die neben ihm Sitzenden, auseinander stoben die Ahnungslosen; doch wer die Situation durchschaute, verharrte wie festgenagelt auf seinem Platz und starrte auf Nero. Der blieb zurückgelehnt und sagte scheinbar ahnungslos, das sei ein ganz gewöhnlicher Vorfall wegen der Epilepsie, von der Britannicus seit frühester Kindheit heimgesucht werde, und
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visus sensusque. (4) at Agrippina is pavor, ea consternatio mentis, quamvis vultu premeretur, emicuit, ut perinde ignaram fuisse Octaviam sororem Britannici constiterit: quippe sibi supremum auxilium ereptum et parricidii exemplum intellegebat. Octavia quoque, quamvis rudibus annis, dolorem caritatem, omnes adfectus abscondere didicerat. ita post breve silentium repetita convivii laetitia. 17 (1) Nox eadem necem Britannici et rogum coniunxit, proviso ante funebri paratu, qui modicus fuit. in campo tamen Martis sepultus est, adeo turbidis imbribus, ut vulgus iram deum portendi crediderit adversus facinus, cui plerique etiam hominum ignoscebant, antiquas fratrum discordias et insociabile regnum aestimantes. (2) tradunt plerique eorum temporum scriptores crebris ante exitium diebus inlusum isse pueritia Britannici Neronem, ut iam non praematura neque saeva mors videri queat, quamvis inter sacra mensae, ne tempore quidem ad complexum sororum dato, ante oculos inimici properata sit in illum supremum Claudiorum sanguinem, stupro prius quam veneno pollutum. (3) festinationem exsequiarum edicto Caesar defendit, id a maioribus institutum referens, subtrahere oculis acerba funera neque laudationibus aut pompa detinere. ceterum et sibi amisso fratris auxilio reliquas spes in re publica sitas, et tanto magis fovendum patribus populoque principem, qui unus superesset e familia summum ad fastigium genita. 18 (1) Exim largitione potissimos amicorum auxit. nec defuere qui arguerent viros gravitatem adseverantes, quod domos villas id temporis quasi praedam divisissent. alii necessitatem adhibitam credebant a principe, sceleris sibi conscio et veniam sperante, si largitionibus validissimum quemque obstrinxisset. (2) At matris ira nulla munificentia leniri, sed amplecti Octaviam, crebra cum amicis secreta habere, super ingenitam avaritiam undique pecunias quasi in
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allmählich würden Sehvermögen und Bewusstsein wiederkommen. (4) Doch aus Agrippina strahlte, obwohl sie ihre Gesichtszüge zu beherrschen versuchte, ein derartiges Grauen, eine derartige Fassungslosigkeit heraus, dass feststand, sie habe genauso wenig davon gewusst wie Britannicusʼ Schwester Octavia. Denn sie musste erkennen, dass ihr die letzte Stütze entrissen und der Präzedenzfall für den Verwandtenmord geschaffen war. Auch Octavia, obgleich noch jung an Jahren, hatte gelernt, Kummer, Liebe, ja alle Gefühle zu verbergen. Deshalb setzte man nach kurzem Schweigen das fröhliche Gelage fort. 17 (1) Noch in der gleichen Nacht folgte auf die Ermordung des Britannicus sein Scheiterhaufen. Denn die Vorbereitungen für das Leichenbegängnis, das einfach war, waren schon vorher getroffen worden. Dennoch wurde er auf dem Marsfeld beigesetzt, wobei es derart stürmisch regnete, dass das Volk glaubte, darin zeige sich der Zorn der Götter gegen ein Verbrechen, das sogar sehr viele Menschen verziehen, die an Auseinandersetzungen zwischen Brüdern in der Vergangenheit und die Unteilbarkeit einer Königsherrschaft dachten. (2) Es berichten zahlreiche Autoren dieser Epoche, an vielen Tagen vor dem Mord habe sich Nero an dem knabenhaften Britannicus vergangen, sodass sein Tod nicht mehr als zu früh und auch nicht als grausam erscheinen könne, obwohl er während des geheiligten Mahles und ohne dass man ihm Zeit gab, seine Schwestern zu umarmen, vor den Augen seines Feindes hastig herbeigeführt wurde – gegen den letzten Blutsangehörigen der Claudier, der durch den sexuellen Missbrauch noch vor der Vergiftung entehrt worden sei! (3) Die Eile bei der Beisetzung rechtfertigte der Caesar in einem Erlass, in dem er darauf hinwies, es sei ein Brauch der Vorfahren, frühzeitige Todesfälle den Blicken zu entziehen und die Bestattung nicht mit Lobreden oder einem feierlichen Leichenzug hinauszuzögern. Außerdem beruhten auch für ihn nach der nun fehlenden Hilfe durch seinen Bruder die verbliebenen Hoffnungen auf dem Staat, und umso mehr müssten Väter und Volk einen Princeps unterstützen, der als Einziger von der Familie überlebt habe, die zur Besetzung des Gipfels der Macht auf die Welt gekommen sei. 18 (1) Anschließend überhäufte er seine bedeutendsten Freunde mit Zuwendungen. Da fehlte es dann nicht an Leuten, die gegen die Männer, die auf ihren sittlichen Ernst pochten, den Vorwurf erhoben, sie hätten Häuser und Landgüter zu dieser Zeit sozusagen als ihre Beute verteilt. Andere glaubten, der Princeps habe Zwang angewendet, weil er sich seines Verbrechens bewusst war und auf Nachsicht hoffte, falls er sich mit den Zuwendungen gerade die einflussreichsten Männer verpflichtete. (2) Doch die Empörung seiner Mutter ließ sich durch keine Großzügigkeit besänftigen, sondern sie umgarnte Octavia, hatte häufig geheime
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subsidium corripiens, tribunos et centuriones comiter excipere, nomina et virtutes nobilium, qui etiam tum supererant, in honore habere, quasi quaereret ducem et partes. (3) cognitum id Neroni, excubiasque militares, quae ut coniugi imperatoris olim, tum ut matri servabantur, et Germanos nuper eundem honorem custodes additos digredi iubet. ac ne coetu salutantium frequentaretur, separat domum matremque transfert in eam, quae Antoniae fuerat, quotiens ipse illuc ventitaret, saeptus turba centurionum et post breve osculum digrediens. 19 (1) Nihil rerum mortalium tam instabile ac fluxum est quam fama potentiae non sua vi nixa. statim relictum Agrippinae limen: nemo solari, nemo adire praeter paucas feminas, amore an odio incertas. (2) ex quibus erat Iunia Silana, quam matrimonio C. Sili a Messalina depulsam supra rettuli, insignis genere forma lascivia, et Agrippinae diu percara, mox occultis inter eas offensionibus, quia Sextium Africanum nobilem iuvenem a nuptiis Silanae deterruerat Agrippina, impudicam et vergentem annis dictitans, non ut Africanum sibi seponeret, sed ne opibus et orbitate Silanae maritus poteretur. (3) illa spe ultionis oblata parat accusatores ex clientibus suis Iturium et Calvisium, non vetera et saepius iam audita deferens, quod Britannici mortem lugeret aut Octaviae iniurias evulgaret, sed destinavisse eam Rubellium Plautum, per maternam originem pari ac Nero gradu a divo Augusto, ad res novas extollere coniugioque eius et imperio rem publicam rursus invadere. (4) haec Iturius et Calvisius Atimeto, Domitiae Neronis amitae liberto, aperiunt. qui laetus oblatis (quippe inter Agrippinam et Domitiam infensa aemulatio exercebatur) Paridem histrionem, libertum et ipsum Domitiae, impulit ire propere crimenque atrociter deferre. 20 (1) Provecta nox erat et Neroni per vinolentiam trahebatur, cum ingreditur Paris, solitus alioquin id temporis luxus principis intendere, sed tunc
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Besprechungen mit Freunden, raffte über die ihr angeborene Habsucht hinaus von überall her Geld sozusagen als Reserve zusammen, gewährte Tribunen und Zenturionen freundlich Audienz, hielt die Namen und Verdienste von Adligen, die es auch damals noch gab, in Ehren, so als suche sie einen Parteiführer und eine Partei. (3) Davon erfuhr Nero und ließ daraufhin die Leibgarde, die ihr wie einst als Gattin des Oberbefehlshabers nun als dessen Mutter zur Verfügung gestellt wurde, und die erst kurz zuvor gleichfalls als Ehrenwache zugeteilten Germanen abziehen. Und damit sie nicht ständig von Scharen von Leuten besucht werden konnte, die ihr ihre Aufwartung machten, trennte er ihren Haushalt ab und ließ sie in das Haus umziehen, das Antonia gehört hatte; sooft er selbst dorthin kam, war er von einer Gruppe von Zenturionen umgeben und verabschiedete sich nach einem flüchtigen Kuss wieder. 19 (1) Nichts im Leben der Sterblichen ist so unbeständig und unsicher wie das Ansehen einer Macht, die nicht auf eigener Stärke beruht. Sofort war Agrippinas Türschwelle verlassen: Niemand tröstete sie, niemand besuchte sie mehr außer ein paar Damen, von denen man nicht wusste, ob sie aus Zuneigung oder Hass kamen. (2) Zu ihnen gehörte Iunia Silana, die, wie oben berichtet,15 aus der Ehe mit C. Silius von Messalina verdrängt worden war, eine durch Abstammung, Schönheit und liederlichen Lebenswandel auffallende Person, die lange Zeit eine der besten Freundinnen Agrippinas war; dann aber kam es zu versteckten gegenseitigen Anfeindungen, weil Agrippina den jungen Adligen Sextius Africanus von der Heirat mit Silana dadurch hatte zurückschrecken lassen, dass sie von ihr als einem schamlosen, in die Jahre gekommenen Weib sprach, nicht um Africanus für sich zu behalten, sondern damit er sich nicht den Besitz der kinderlosen Silana als Ehemann aneignen könne. (3) Als sich ihr nun die Aussicht auf Rache bot, bereitete sie als Ankläger von ihren Klienten Iturius und Calvisius vor, wobei sie nicht auf die altbekannten und schon öfter gehörten Vorwürfe verwies, Agrippina betrauere den Tod des Britannicus oder trage die Octavia zugefügten Kränkungen an die Öffentlichkeit, sondern habe sich vorgenommen, Rubellius Plautus, der von seiner Mutter her im gleichen Verwandtschaftsgrad zum vergöttlichten Augustus stand wie Nero,16 zu einem Staatsstreich zu ermutigen und durch die Heirat mit ihr und die Herrschaftsübernahme den Staat wieder in ihre Gewalt zu bringen. (4) Das eröffneten Iturius und Calvisius dem Atimetus, einem Freigelassenen von Neros Tante Domitia. Der freute sich über die Hinweise – denn zwischen Agrippina und Domitia herrschte eine erbitterte Rivalität – und veranlasste den Schauspieler Paris, auch der ein Freigelassener Domitias, sofort loszugehen und die Beschuldigung in den schwärzesten Farben weiterzugeben. 20 (1) Weit vorgerückt war die Nacht schon und wurde von Nero in seiner Trunkenheit immer noch mehr in die Länge gezogen, als Paris eintrat.
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compositus ad maestitiam, expositoque indicii ordine ita audientem exterret, ut non tantum matrem Plautumque interficere, sed Burrum etiam demovere praefectura destinaret, tamquam Agrippinae gratia provectum et vicem reddentem. (2) Fabius Rusticus auctor est scriptos esse ad Caecinam Tuscum codicillos, mandata ei praetoriarum cohortium cura, sed ope Senecae dignationem Burro retentam: Plinius et Cluvius nihil dubitatum de fide praefecti referunt. sane Fabius inclinat ad laudes Senecae, cuius amicitia floruit. nos consensum auctorum secuturi, quae diversa prodiderint, sub nominibus ipsorum trademus. (3) Nero trepidus et interficiendae matris avidus non prius differri potuit, quam Burrus necem eius promitteret, si facinoris coargueretur: sed cuicumque, nedum parenti defensionem tribuendam; nec accusatores adesse, sed vocem unius ex inimica domo adferri: reputare tenebras et vigilatam convivio noctem omniaque temeritati et inscitiae propiora. 21 (1) Sic lenito principis metu et luce orta itur ad Agrippinam, ut nosceret obiecta dissolveretque vel poenas lueret. Burrus iis mandatis Seneca coram fungebatur; aderant et ex libertis arbitri sermonis. deinde a Burro, postquam crimina et auctores exposuit, minaciter actum. (2) et Agrippina ferociae memor ‘non miror’ inquit ‘Silanam numquam edito partu matrum adfectus ignotos habere; neque enim proinde a parentibus liberi quam ab impudica adulteri mutantur. nec si Iturius et Calvisius adesis omnibus fortunis novissimam suscipiendae accusationis operam anui rependunt, ideo aut mihi infamia parricidii aut Caesari conscientia subeunda est. (3) nam Domitiae inimicitiis gratias agerem, si benevolentia mecum in Neronem meum certaret: nunc per concubinum Atimetum et histrionem Paridem
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Sonst gewohnt, um diese Zeit den Princeps zu weiterer Schlemmerei zu animieren, hatte er diesmal aber eine tieftraurige Miene aufgesetzt, und indem er seine Informationen der Reihe nach vortrug, rief er bei seinem Zuhörer eine derartige Panik hervor, dass dieser nicht nur seine Mutter und Plautus umzubringen, sondern auch Burrus seines Kommandos zu entheben beschloss, da er nur als Günstling Agrippinas so weit gekommen sei und ihr nun einen Gegendienst erweisen wolle. (2) Fabius Rusticus ist der Gewährsmann dafür, dass ein Schreiben an Caecina Tuscus ausgefertigt wurde, mit dem man ihm die Zuständigkeit für die Prätorianerkohorten übertrug, aber dank Senecas Eingreifen habe Burrus diese ehrenvolle Stelle behalten; Plinius und Cluvius berichten, keinerlei Zweifel habe an der Loyalität des Kommandanten bestanden. Freilich neigt Fabius dazu, Seneca zu loben, durch dessen Freundschaft er zu Ansehen gekommen war. Ich will mich der übereinstimmenden Auffassung der Autoren anschließen, werde aber, was sie abweichend berichtet haben, unter den entsprechenden Namen weitergeben. (3) Nero konnte in seiner Angst und nur von dem Wunsch beseelt, seine Mutter umzubringen, erst dann zu einem Aufschub bewegt werden, als Burrus ihre Ermordung versprach, falls man ihr das Verbrechen nachweisen könne. Aber jeder beliebigen Person müsse man die Möglichkeit zur Rechtfertigung einräumen, erst recht einem Elternteil. Es gebe auch keine Ankläger, sondern nur die Äußerung einer einzigen Person und zudem aus einem verfeindeten Haus liege vor; er solle die Dunkelheit und die durchzechte Nacht bedenken und dass alle Umstände eher für eine übereilte Reaktion aus Unkenntnis sprächen. 21 (1) Auf diese Weise beschwichtigte er die Angst des Princeps, und bei Tagesanbruch ging man zu Agrippina, damit sie von den Vorwürfen erfahre und sie widerlege oder bestraft werde. Burrus vollzog diese Aufträge im Beisein Senecas; auch von den Freigelassenen waren einige als Zeugen des Gesprächs zugegen. Dann wurde von Burrus, nachdem er auf die Vorwürfe und ihre Urheber eingegangen war, eine Drohkulisse aufgebaut. (2) Agrippina wiederum blieb ihrem unnachgiebigen Wesen treu und sagte: „Ich wundere mich nicht, dass Silana, die nie ein Kind zur Welt gebracht hat, von Muttergefühlen keine Ahnung hat. Von Eltern werden ihre Kinder ja nicht genauso gewechselt wie von einem Flittchen seine Liebhaber. Und selbst wenn Iturius und Calvisius, nachdem sie ihr gesamtes Vermögen durchgebracht haben, ihre allerletzten Bemühungen, eine Anklage zu übernehmen, an ein altes Weib verkaufen, dann muss deswegen noch lange nicht ich die Schande eines Verwandtenmords oder der Caesar das auf einem solchen beruhende Schuldbewusstsein auf sich nehmen. (3) Was Domitia betrifft, so würde ich mich für ihre Feindschaft bedanken, wenn sie mit mir in ihrer Zuneigung zu meinem Nero konkurrierte; jetzt aber inszeniert sie mithilfe ihres Beischläfers Atimetus und des
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quasi scaenae fabulas componit. Baiarum suarum piscinas extollebat, cum meis consiliis adoptio et proconsulare ius et designatio consulatus et cetera apiscendo imperio praepararentur. (4) aut exsistat qui cohortes in urbe temptatas, qui provinciarum fidem labefactatam, denique servos vel libertos ad scelus corruptos arguat. (5) vivere ego Britannico potiente rerum poteram? ac si Plautus aut quis alius rem publicam iudicaturus obtinuerit, desunt scilicet mihi accusatores, qui non verba impatientia caritatis aliquando incauta, sed ea crimina obiciant, quibus nisi a filio absolvi non possim.’ (6) commotis qui aderant ultroque spiritus eius mitigantibus, colloquium filii exposcit, ubi nihil pro innocentia, quasi diffideret, nec beneficiis, quasi exprobraret, disseruit, sed ultionem in delatores et praemia amicis obtinuit. 22 (1) Praefectura annonae Faenio Rufo, cura ludorum, qui a Caesare parabantur, Arruntio Stellae, Aegyptus C Balbillo permittuntur. Syria P. Anteio destinata; sed variis mox artibus elusus, ad postremum in urbe retentus est. (2) at Silana in exilium acta; Calvisius quoque et Iturius relegantur; de Atimeto supplicium sumptum, validiore apud libidines principis Paride, quam ut poena adficeretur. Plautus ad praesens silentio transmissus est. 23 (1) Deferuntur dehinc consensisse Pallas ac Burrus, ut Cornelius Sulla claritudine generis et adfinitate Claudii, cui per nuptias Antoniae gener erat, ad imperium vocaretur. eius accusationis auctor extitit Paetus quidam, exercendis apud aerarium sectionibus famosus et tum vanitatis manifestus. (2) nec tam grata Pallantis innocentia quam gravis superbia fuit: quippe nominatis libertis eius, quos conscios haberet, respondit nihil umquam se domi nisi nutu aut manu significasse, vel, si plura demonstranda essent, scripto usum, ne vocem consociaret. Burrus quamvis reus inter
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Schauspielers Paris ein bühnenreifes Theaterstück. In ihrem Baiae baute sie ihre Fischteiche aus, während durch meine Planungen die Adoption, die prokonsularische Gewalt, die Ernennung zum Konsul und die übrigen Schritte zur Übernahme der Herrschaft vorbereitet wurden. (4) Oder es soll doch einer auftreten, der mich beschuldigen kann, die Kohorten in der Hauptstadt aufgewiegelt, die Treue der Provinzen ins Wanken gebracht, schließlich Sklaven oder Freigelassene zu einem Verbrechen bestochen zu haben! (5) Hätte ich nach einer Machtübernahme durch Britannicus am Leben bleiben können? Und falls Plautus oder sonst irgendein möglicher Richter über mich die Staatsführung übernehmen sollte, dann habe ich es ganz gewiss nicht mit Anklägern zu tun, die mir nicht Worte, die manchmal aus liebevoller Ungeduld unvorsichtig gewesen sein mögen, sondern solche Verbrechen vorwerfen, von denen ich einzig und allein durch meinen Sohn freigesprochen werden kann.“ (6) Davon waren die Anwesenden beeindruckt und versuchten ihrerseits sie in ihrer Erregung zu beruhigen. Da verlangte sie ein Gespräch mit ihrem Sohn, in dem sie kein Wort zugunsten ihrer Unschuld, so als sei sie sich ihrer nicht sicher, aber auch nicht über ihre Gefälligkeiten für ihn verlor, als wolle sie ihm diese vorhalten, sondern sie setzte die Bestrafung der Denunzianten und Belohnungen für ihre Freunde durch. 22 (1) Die Aufsicht über die Getreideversorgung wurde Faenius Rufus, die Betreuung der Spiele, die vom Caesar veranstaltet wurden, Arruntius Stella, Ägypten Claudius Balbillus übertragen. Syrien sprach man P. Anteius zu; aber das wurde dann durch verschiedene Machenschaften hintertrieben, und schließlich hielt man ihn ganz in der Hauptstadt fest. (2) Doch Silana wurde ins Exil geschickt; auch Calvisius und Iturius relegierte man. An Atimetus wurde die Todesstrafe vollzogen, während Paris bei den Orgien des Princeps eine zu bedeutende Rolle spielte, als dass man ihn bestraft hätte. Plautus überging man für den Augenblick mit Stillschweigen. 23 (1) Angezeigt wurden danach Pallas und Burrus, sie hätten sich darauf verständigt, Cornelius Sulla solle aufgrund seiner hohen Abkunft und der Verwandtschaft mit Claudius, dessen Schwiegersohn er durch die Heirat mit Antonia war, zur Herrschaft berufen werden. Hinter dieser Anklage steckte ein gewisser Paetus, der als Aufkäufer bei Versteigerungen von Gütern aus dem Staatsschatz berüchtigt war und diesmal als Schwindler entlarvt wurde. (2) Aber die Unschuld des Pallas wurde nicht so gern gesehen, wie sein Hochmut unerträglich war: Denn als man Freigelassene von ihm benannte, die er als Komplizen habe, antwortete er, er habe in seinem Haus nie anders als durch Kopfnicken oder eine Handbewegung Anweisungen gegeben oder, wenn mehr Hinweise nötig waren, sich der Schrift bedient, um nicht durch Sprechen ein Gefühl der Gemeinsamkeit aufkommen zu lassen. Burrus gab, obwohl er
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iudices sententiam dixit. exiliumque accusatori inrogatum et tabulae exustae sunt, quibus oblitterata aerarii nomina retrahebat. 24 (1) Fine anni statio cohortis adsidere ludis solita demovetur, quo maior species libertatis esset, utque miles theatrali licentiae non permixtus incorruptior ageret et plebes daret experimentum, an amotis custodibus modestiam retineret. (2) urbem princeps lustravit ex responso haruspicum, quod Iovis ac Minervae aedes de caelo tactae erant. 25 (1) Q. VOLUSIO P. SCIPIONE consulibus otium foris, foeda domi lascivia, qua Nero itinera urbis et lupanaria et deverticula veste servili in dissimulationem sui compositus pererrabat, comitantibus qui raperent venditioni exposita et obviis vulnera inferrent, adversus ignaros adeo, ut ipse quoque exciperet ictus et ore praeferret. (2) deinde ubi Caesarem esse, qui grassaretur, pernotuit augebanturque iniuriae adversus viros feminasque insignes, et quidam permissa semel licentia sub nomine Neronis inulti propriis cum globis eadem exercebant, in modum captivitatis nox agebatur; Iuliusque Montanus senatorii ordinis, sed qui nondum honorem capessisset, congressus forte per tenebras cum principe, quia vim temptantem acriter reppulerat, deinde adgnitum oraverat, quasi exprobrasset, mori adactus est. (3) Nero autem metuentior in posterum milites sibi et plerosque gladiatores circumdedit, qui rixarum initia modica et quasi privata sinerent; si a laesis validius ageretur, arma inferebant. (4) ludicram quoque licentiam et fautores histrionum velut in proelia convertit impunitate et praemiis atque ipse occultus et plerumque coram prospectans, donec discordi populo et gravioris motus terrore non aliud remedium repertum est quam ut histriones Italia pellerentur milesque theatro rursum adsideret.
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angeklagt war, sein Votum als Richter ab. Über den Ankläger verhängte man das Exil und verbrannte die Verzeichnisse, mit denen er in Vergessenheit geratene Forderungen des Staatsschatzes wieder hervorzuholen pflegte. 24 (1) Am Jahresende wurde die Wachkohorte abgezogen, die gewöhnlich bei den Spielen in Stellung ging, damit der Anschein von Freiheit umso deutlicher ausfiel und die Soldaten dadurch, dass sie nicht mit dem ausgelassenen Treiben im Theater in Berührung kamen, sich weniger verdorben benahmen; zudem sollte der Pöbel den Nachweis dafür liefern, ob er ohne Überwachung Disziplin halten könne. (2) Die Hauptstadt entsühnte der Princeps aufgrund eines Bescheids der Opferschauer, weil der Jupiter- und Minervatempel vom Himmel herab getroffen worden waren. 25 (1) Unter den Konsuln Q. VOLUSIUS und P. SCIPIO (56 n. Chr.) herrschte draußen Ruhe, zu Hause eine entsetzliche Hemmungslosigkeit: Nero zog in den Straßen der Hauptstadt, den Bordellen und Absteigen herum, als Sklave verkleidet, um seine Identität zu verbergen, und in Begleitung von Leuten, die zum Verkauf ausliegende Waren raubten und Personen, die ihnen über den Weg liefen, blutig schlugen; bei ahnungslosen Zeitgenossen ging das so weit, dass er selbst Prügel bezog und die Spuren davon im Gesicht zu sehen waren. (2) Als sich dann herumgesprochen hatte, es sei der Caesar, der sich herumtreibe, sich die Übergriffe auf angesehene Männer und Frauen häuften und manche die auf einmal erlaubte Willkür ausnützten und unter Neros Namen ungestraft mit ihren eigenen Cliquen sich ebenso verhielten, herrschten bei Nacht Zustände wie in einer eroberten Stadt. Iulius Montanus zum Beispiel, der dem Senatorenstand angehörte, aber noch kein Ehrenamt bekleidet hatte, stieß zufällig in der Dunkelheit auf den Princeps, und weil er sich gegen seinen tätlichen Angriff energisch zur Wehr gesetzt und, als er ihn erkannte, um Vergebung gebeten hatte, wurde er in den Tod getrieben, so als ob er ihm einen Vorwurf gemacht hätte. (3) Nero aber wurde nun ängstlicher und umgab sich deshalb in der Folgezeit mit Soldaten und zahlreichen Gladiatoren, die sich aus den Raufereien zu Beginn heraushalten sollten, solange sich diese in Grenzen hielten und sozusagen eine Privatangelegenheit waren; nur wenn die Opfer sich zu wirksam wehrten, griffen sie mit ihren Waffen ein. (4) Auch die Ausschreitungen bei den Spielen und unter den Anhängern der Schauspieler ließ er durch Straflosigkeit und Belohnungen wie zu regelrechten Schlachten ausarten; persönlich schaute er dabei versteckt und des Öfteren auch offen zu, bis man für das zerstrittene Volk und aus Furcht vor schwereren Unruhen kein anderes Mittel mehr fand, als die Schauspieler aus Italien auszuweisen und die Soldaten im Theater wieder Stellung beziehen zu lassen.
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26 (1) Per idem tempus actum in senatu de fraudibus libertorum, efflagitatumque ut adversus male meritos revocandae libertatis ius patronis daretur. nec deerant qui censerent, sed consules, relationem incipere non ausi ignaro principe, perscripsere tamen consensum senatus. (2) ille an auctor constitutionis fieret, *** ut inter paucos et sententiae diversos, quibusdam coalitam libertate inreverentiam eo prorupisse frementibus, vine an aequo cum patronis iure agerent [sententiam eorum] consultarent ac verberibus manus ultro intenderent, impudenter vel poenam suam ipsi suadentes. quid enim aliud laeso patrono concessum, quam ut cesimum ultra lapidem in oram Campaniae libertum releget? (3) ceteras actiones promiscas et pares esse: tribuendum aliquod telum, quod sperni nequeat. nec grave manu missis per idem obsequium retinendi libertatem, per quod adsecuti sint: at criminum manifestos merito ad servitutem retrahi, ut metu coerceantur, quos beneficia non mutavissent. 27 (1) Disserebatur contra: paucorum culpam ipsis exitiosam esse debere, nihil universorum iuri derogandum; quippe late fusum id corpus. hinc plerumque tribus decurias, ministeria magistratibus et sacerdotibus, cohortes etiam in urbe conscriptas; et plurimis equitum, plerisque senatoribus non aliunde originem trahi: si separarentur libertini, manifestam fore penuriam ingenuorum. (2) non frustra maiores, cum dignitatem ordinum dividerent, libertatem in communi posuisse. quin et manu mittendi duas species institutas, ut relinqueretur paenitentiae aut novo beneficio locus. quos vindicta patronus non liberaverit, velut vinclo servitutis attineri. dispiceret quisque merita tardeque concederet, quod datum non adimeretur. (3) haec sententia valuit, scripsitque Caesar senatui, privatim expenderent causam libertorum, quotiens a patronis arguerentur; in commune nihil derogent.
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26 (1) Zur selben Zeit wurde im Senat über das niederträchtige Verhalten von Freigelassenen verhandelt, und man forderte nachdrücklich, gegenüber denen, die sich als unwürdig erwiesen hätten, solle ihren Patronen das Recht eingeräumt werden, die Freilassung zu widerrufen. Es fehlte auch nicht an Mitgliedern, die sich dafür aussprachen, aber die Konsuln getrauten sich nicht, die Sachbehandlung ohne Wissen des Princeps zu beginnen, teilten ihm aber dennoch die einmütige Auffassung des Senats ausführlich schriftlich mit. (2) Der (war sich unschlüssig?), ob er eine Verordnung erlassen solle, da es sich nur um wenige Leute handelte, die dazu noch verschiedener Meinung waren: Einige empörten sich darüber, die durch die Freiheit genährte Respektlosigkeit habe derartige Ausmaße angenommen, dass sich Freigelassene überlegten, ob sie mit Gewalt oder aufgrund gleichen Rechts mit ihren Patronen umgehen sollten, obendrein mit den Fäusten Schläge androhten und unverschämterweise sogar selbst zu ihrer eigenen Bestrafung rieten. Denn was sei einem beleidigten Patron schon anderes erlaubt, als einen Freigelassenen über die 100-MeilenGrenze hinaus an die Küste Kampaniens zu verweisen? (3) Die übrigen Rechtsbeziehungen seien ohne Unterschied und gleich: Man müsse irgendeine Waffe zur Verfügung stellen, die nicht missachtet werden könne. Es stelle für die aus der Gewalt Entlassenen keine Belastung dar, durch den gleichen Gehorsam die Freiheit zu behalten, durch den sie sie bekommen hätten. Doch offenkundige Verbrecher würden verdientermaßen in die Sklaverei zurückgeholt, damit durch Furcht gebändigt werde, wen Entgegenkommen nicht verändert habe. 27 (1) Dagegen wurde vorgebracht: Die Schuld einiger Weniger dürfe nur diese persönlich ruinieren, keine Abstriche dürfe man am Recht der Gesamtheit machen; denn dieser Stand sei weit verbreitet. Aus ihnen setzten sich in der Regel die Tribus und Dekurien, die Bediensteten der Amtsträger und Priester und auch die Kohorten in der Hauptstadt zusammen,17 und die meisten Ritter und zahlreiche Senatoren leiteten ihre Abkunft nicht von anderswo her: Falls man die Nachkommen von Freigelassenen aussondere, werde der Mangel an frei geborenen Bürgern offenkundig. (2) Nicht grundlos hätten die Vorfahren, als sie die Stände nach ihrem Rang trennten, die Freiheit allen gemeinsam zugestanden. Ja, man habe sogar zwei Formen der Entlassung aus der Verfügungsgewalt eingerichtet, damit Platz für ein Umdenken oder ein erneutes Entgegenkommen bleibe. Wen der Patron nicht mit dem Freiheitsstab freigegeben habe, der werde sozusagen mit den Ketten der Sklaverei festgehalten.18 Jeder solle sich die Verdienste genau anschauen und erst spät zugestehen, was man nach der Vergabe nicht zurücknehmen könne. (3) Diese Auffassung setzte sich durch, und der Caesar schrieb dem Senat, man solle von Fall zu Fall den Sachverhalt bei Freigelassenen prüfen, sooft sie von ihren Patronen beschuldigt würden, aber generell keine Abstriche machen.
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nec multo post ereptus amitae libertus Paris quasi iure civili, non sine infamia principis, cuius iussu perpetratum ingenuitatis iudicium erat. 28 (1) Manebat nihilo minus quaedam imago rei publicae. nam inter Vibullium praetorem et plebei tribunum Antistium ortum certamen, quod immodestos fautores histrionum et a praetore in vincla ductos tribunus omitti iussisset. comprobavere patres, incusata Antistii licentia. (2) simul prohibiti tribuni ius praetorum et consulum praeripere aut vocare ex Italia, cum quibus lege agi posset. addidit L. Piso designatus consul, ne quid intra domum pro potestate adverterent, neve multam ab iis dictam quaestores aerarii in publicas tabulas ante quattuor menses referrent; medio temporis contra dicere liceret, deque eo consules statuerent. cohibita artius et aedilium potestas statutumque, quantum curules, quantum plebei pignoris caperent vel poenae inrogarent. (3) et Helvidius Priscus tr pl adversus Obultronium Sabinum aerarii quaestorem contentiones proprias exercuit, tamquam ius hastae adversus inopes inclementer ageret. dein princeps curam tabularum publicarum a quaestoribus ad praefectos transtulit. 29 (1) Varie habita ac saepe mutata eius rei forma. nam Augustus senatui permisit deligere praefectos; deinde ambitu suffragiorum suspecto, sorte ducebantur ex numero praetorum qui praeessent. neque id diu mansit, quia sors deerrabat ad parum idoneos. (2) tum Claudius quaestores rursum imposuit, iisque, ne metu offensionum segnius consulerent, extra ordinem honores promisit: sed deerat robur aetatis eum primum magistratum capessentibus. igitur Nero praetura perfunctos et experientia probatos delegit. 30 (1) Damnatus isdem consulibus Vipsanius Laenas ob Sardiniam provinciam avare habitam; absolutus Cestius Proculus repetundarum Cretensibus accusantibus. Clodius Quirinalis, quod praefectus remigum, qui Ravennae
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Und nicht viel später wurde seiner Tante19 der Freigelassene Paris angeblich nach bürgerlichem Recht entrissen, nicht ohne Beeinträchtigung des Rufs des Princeps, auf dessen Anordnung hin das Urteil durchgesetzt worden war, er sei frei geboren. 28 (1) Nichtsdestoweniger blieb noch ein gewisser Anschein eines republikanischen Staatswesens. Denn zwischen dem Prätor Vibullius und dem Volkstribun Antistius kam es zu einer Auseinandersetzung, weil der Tribun den Befehl erteilt hatte, frech gewordene Anhänger der Schauspieler, die der Prätor ins Gefängnis werfen ließ, wieder freizulassen. Die Väter billigten die Verhaftung und beklagten sich dabei über die Eigenmächtigkeit des Antistius. (2) Zugleich untersagte man den Tribunen, im Voraus in das Recht der Prätoren und Konsuln einzugreifen oder Personen aus Italien vorzuladen, mit denen man nach dem Gesetz verfahren konnte. Der designierte Konsul L. Piso stellte zusätzlich den Antrag, sie sollten keine Strafe innerhalb ihres eigenen Hauses auf der Grundlage ihrer Amtsgewalt aussprechen,20 und die Quästoren des Staatsschatzes sollten eine von ihnen verhängte Strafe nicht vor Ablauf von vier Monaten in die amtlichen Register eintragen; in der Zwischenzeit solle man dagegen Einspruch einlegen dürfen, und über ihn sollten die Konsuln entscheiden. Weiter eingeschränkt wurden auch die Befugnisse der Ädilen, und man legte fest, wie viel die kurulischen, wie viel die plebejischen an Pfand nehmen oder an Strafe auferlegen dürften.21 (3) Ferner trug der Volkstribun Helvidius Priscus seine Privatfehde mit dem Quästor des Staatsschatzes Obultronius Sabinus mit der Begründung aus, dieser setze das Recht der Lanze22 den verarmten Personen gegenüber rücksichtslos um. Daraufhin übertrug der Princeps die Zuständigkeit für die amtlichen Register von den Quästoren auf Präfekten. 29 (1) Unterschiedlich gehandhabt und oft geändert wurde die Regelung dieser Angelegenheit. Denn Augustus erlaubte dem Senat, Präfekten zu ernennen; als dann der Verdacht auf Stimmenkauf aufkam, wurden die Männer, die diese Aufgabe übernehmen sollten, aus der Zahl der Prätoren ausgelost. Aber auch dieses Verfahren behielt man nicht lange bei, denn das Los verirrte sich auf zu wenig geeignete Personen. (2) Dann setzte Claudius wieder Quästoren ein und versprach ihnen, damit sie aus Furcht vor Anfeindungen ihre Aufgabe nicht zu großzügig wahrnahmen, Ehrenämter außer der Reihe; aber dann fehlte den Leuten, die dieses Amt als erstes erhielten, wieder die Reife des Alters. Deshalb wählte Nero Männer aus, die die Prätur bekleidet und sich in der Praxis bewährt hatten. 30 (1) Verurteilt wurde unter den gleichen Konsuln Vipsanius Laenas, weil er die Provinz Sardinien habsüchtig behandelt hatte. Freigesprochen vom Vorwurf der Erpressung wurde dagegen Cestius Proculus, den die Kreter anklagten. Clodius Quirinalis kam, weil er als Kommandant der in Ravenna
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haberentur, velut infimam nationum Italiam luxuria saevitiaque adflictavisset, veneno damnationem anteiit. (2) Caninius Rebius, ex primoribus peritia legum et pecuniae magnitudine, cruciatus aegrae senectae misso per venas sanguine effugit, haud creditus sufficere ad constantiam sumendae mortis, ob libidines muliebriter infamis. at L. Volusius egregia fama concessit, cui tres et nonaginta anni spatium vivendi praecipuaeque opes bonis artibus, inoffensa tot imperatorum micitia fuit. 31 (1) NERONE iterum L. PISONE consulibus pauca memoria digna evenere, nisi cui libeat laudandis fundamentis et trabibus, quis molem amphitheatri apud campum Martis Caesar exstruxerat, volumina implere, cum ex dignitate populi Romani repertum sit res inlustres annalibus, talia diurnis urbis actis mandare. (2) ceterum coloniae Capua atque Nuceria additis veteranis firmatae sunt, plebeique congiarium quadrigeni nummi viritim dati, et sestertium quadringenties aerario inlatum est ad retinendam populi fidem. vectigal quoque quintae et vicesimae venalium mancipiorum remissum, specie magis quam vi, quia, cum venditor pendere iuberetur, in partem pretii emptoribus adcrescebat. (3) et dixit Caesar, ne quis magistratus aut procurator in provincia, obtineret, spectaculum gladiatorum aut ferarum aut quod aliud ludicrum ederet. nam ante non minus tali largitione quam corripiendis pecuniis subiectos adfligebant, dum, quae libidine deliquerant, ambitu propugnant. 32 (1) Factum et senatus consultum ultioni iuxta et securitati, ut si quis a suis servis interfectus esset, ii quoque, qui testamento manu missi sub eodem tecto mansissent, inter servos supplicia penderent. (2) redditur ordini Lurius Varus consularis, avaritiae criminibus olim perculsus. et Pomponia Graecina insignis femina, Plautio, quem ovasse de Britannis rettuli, nupta ac
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stationierten Ruderer Italien, als handle es sich dort um das niederste Volk von allen, mit seiner Verschwendungssucht und Brutalität schwer geschadet habe, durch Gift seiner Verurteilung zuvor. (2) Caninius Rebilus, einer der führenden Männer wegen seiner Kenntnis der Gesetze und der Größe seines Vermögens, entzog sich den Qualen eines kranken hohen Alters, indem er sein Blut aus den Adern laufen ließ; dabei hatte man von ihm nicht geglaubt, dass er die Charakterstärke aufbringen würde, sich selbst den Tod zu geben, weil er in dem schlechten Ruf stand, sich wegen seiner sexuellen Vorlieben wie eine Frau zu verhalten. Dagegen starb L. Volusius als hoch angesehener Mann; er erreichte eine Lebensspanne von 93 Jahren, hatte auf anständige Art und Weise ein ansehnliches Vermögen erworben und genoss die unangefochtene Freundschaft so vieler Oberbefehlshaber. 31 (1) Als NERO zum zweiten Mal und L. PISO Konsuln waren (57 n. Chr.), ereignete sich nur wenig Erwähnenswertes, es sei denn, jemandem gefiele es, mit dem Lob der Grundmauern und Balken, mit denen der Caesar den Riesenbau des Amphitheaters auf dem Marsfeld hatte errichten lassen, die Bücher zu füllen, wo man es doch der Würde des römischen Volkes entsprechend gefunden hat, nur großartige Begebenheiten den Annalen, solche Nebensächlichkeiten aber der Tageszeitung der Hauptstadt anzuvertrauen. (2) Außerdem wurden die Kolonien Capua und Nuceria mit der Zuweisung von Veteranen verstärkt, man gab dem einfachen Volk eine Spende von 400 Sesterzen je Mann, und 40 Millionen Sesterze wurden dem Staatsschatz zugeführt, um den Kredit des Volks23 zu erhalten. Auch die vierprozentige Abgabe beim Kauf von Sklaven wurde zurückgenommen, mehr zum Schein als in Wirklichkeit, weil sie der Verkäufer, seitdem er gehalten war, sie zu bezahlen, als Teil des Preises für die Käufer aufschlug. (3) Zudem erließ der Caesar ein Edikt, kein Amtsträger oder Prokurator dürfe in der Provinz, die er verwaltete, ein Spiel mit Gladiatoren oder wilden Tieren oder irgendeine andere Volksbelustigung veranstalten. Denn bis dahin pflegten sie die Unterworfenen mit solch großzügigen Veranstaltungen nicht weniger heimzusuchen als mit der Erpressung von Geld, weil sie, was sie in ihrer zügellosen Willkür verbrochen hatten, durch Anbiederung wettzumachen versuchten. 32 (1) Es kam auch zu einem Senatsbeschluss, der in gleicher Weise der Bestrafung wie der Sicherheit dienen sollte: Falls jemand von seinen eigenen Sklaven umgebracht worden sei, sollten auch die Personen, die testamentarisch frei gelassen worden und unter dem gleichen Dach geblieben waren, zusammen mit den Sklaven die Todesstrafe erleiden. (2) Wieder aufgenommen in seinen Stand wurde der ehemalige Konsul Lurius Varus, der seinerzeit Vorwürfen der Habsucht zum Opfer gefallen war. Auch überließ man die vornehme Dame Pomponia Graecina, die mit A. Plautius – wie berichtet, hatte er den
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superstitionis externae rea, mariti iudicio permissa. isque prisco instituto propinquis coram de capite famaque coniugis cognovit et insontem nuntiavit. (3) longa huic Pomponiae aetas et continua tristitia fuit. nam post Iuliam Drusi filiam dolo Messalinae interfectam per quadraginta annos non cultu nisi lugubri, non animo nisi maesto egit; idque illi imperitante Claudio impune, mox ad gloriam vertit. 33 (1) Idem annus plures reos habuit. quorum P. Celerem accusante Asia, quia absolvere nequibat Caesar, traxit, senecta donec mortem obiret; nam Celer interfecto, ut memoravi, Silano pro consule magnitudine sceleris cetera flagitia obtegebat. (2) Cossutianum Capitonem Cilices detulerant, maculosum foedumque et idem ius audaciae in provincia ratum, quod in urbe exercuerat; sed pervicaci accusatione conflictatus postremo defensionem omisit ac lege repetundarum damnatus est. (3) pro Eprio Marcello, a quo Lyci res repetebant, eo usque ambitus praevaluit, ut quidam accusatorum eius exilio multarentur, tamquam insonti periculum fecissent. 34 (1) NERONE tertium consule simul init consulatum VALERIUS MESSALA, cuius proavum, oratorem Corvinum, divo Augusto, abavo Neronis, collegam in eo magistratu fuisse pauci iam senum meminerant. sed nobili familiae honor auctus est oblatis in singulos annos quingenis sestertiis, quibus Messala paupertatem innoxiam sustentaret. Aurelio quoque Cottae et Haterio Antonino annuam pecuniam statuit princeps, quamvis per luxum avitas opes dissipassent. (2) Eius anni principio mollibus adhuc initiis prolatatum inter Parthos Romanosque de obtinenda Armenia bellum acriter sumitur, quia nec Vologaeses sinebat fratrem Tiridaten dati a se regni expertem esse aut alienae id potentiae donum habere, et Corbulo dignum magnitudine populi Romani rebatur parta olim a Lucullo Pompeioque recipere. ad hoc Armenii ambigua fide
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kleinen Triumph über die Britannier gefeiert24 – verheiratet und wegen eines ausländischen Aberglaubens angeklagt war, dem Urteilsspruch ihres Mannes. Der urteilte nach alter Sitte im Beisein der Verwandten über Leben und Ehre seiner Frau und erklärte sie für unschuldig. (3) Ein langes Leben führte diese Pomponia in ununterbrochener Trauer. Denn nachdem Drususʼ Tochter Julia durch Messalinas Hinterlist getötet worden war, verbrachte sie 40 Jahre nur in Trauerkleidung und nur betrübten Herzens; dieses Verhalten blieb für sie unter der Herrschaft des Claudius straflos, später gereichte es ihr sogar zur Ehre. 33 (1) Das gleiche Jahr sah noch mehr Personen vor Gericht, unter ihnen P. Celer auf eine Anklage Asias hin. Weil ihn der Caesar nicht freisprechen konnte, zog er das Verfahren so lange hinaus, bis er durch Altersschwäche den Tod fand; denn Celer deckte mit der von mir erwähnten25 Ermordung des Prokonsuls Silanus durch die Schwere dieses Verbrechens seine anderen Schandtaten zu. (2) Cossutianus Capito hatten die Kilikier angezeigt, einen berüchtigten, schmierigen Zeitgenossen, der glaubte, sich das gleiche Recht auf Dreistigkeit in der Provinz herausnehmen zu können wie in der Hauptstadt; aber durch ihre hartnäckige Anklage wurde er in die Enge getrieben, gab schließlich seine Verteidigung auf und wurde nach dem Gesetz über Erpressung verurteilt. (3) Bei Eprius Marcellus, von dem die Lykier Schadensersatz forderten, war die Einflussnahme derart erfolgreich, dass einige von seinen Anklägern mit der Verbannung bestraft wurden mit der Begründung, sie hätten einen unschuldigen Mann in Gefahr gebracht. 34 (1) Als NERO zum dritten Mal Konsul war, trat den Konsulat gleichzeitig VALERIUS MESSALA an (58 n. Chr.), dessen Urgroßvater, der Redner Corvinus, Kollege des vergöttlichten Augustus, des Urgroßvaters Neros, im gleichen Amt war, wie sich nur mehr wenige nun schon alte Leute erinnerten. Aber die Ehre der vornehmen Familie wurde noch dadurch gesteigert, dass er Jahr für Jahr 500 000 Sesterze bekam, mit denen Messala seiner unverschuldeten Verarmung begegnen konnte. Auch für Aurelius Cotta und Haterius Antoninus setzte der Princeps eine jährliche Geldsumme fest, obwohl sie mit ihrem verschwenderischen Lebenswandel ihr ererbtes Vermögen durchgebracht hatten. (2) Zu Beginn dieses Jahres nahm man den nach bis dahin laschen Anfängen aufgeschobenen Krieg zwischen Parthern und Römern um den Besitz von Armenien in aller Härte auf, weil sich einerseits Vologaeses damit nicht abfand, dass sein Bruder Tiridates auf die von ihm übertragene Herrschaft verzichten musste oder sie nur als Geschenk einer fremden Macht ausüben konnte, andererseits Corbulo glaubte, der Erhabenheit des römischen Volkes sei es nur angemessen, die einst von Lucullus und Pompeius eroberten Gebiete26 wiederzugewinnen. Zudem luden die Armenier mit ihrer schwankenden Haltung beide Heere zum Eingreifen ein, wobei sie aber von der Lage ihrer Länder und
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utraque arma invitabant, situ terrarum, similitudine morum Parthis propiores conubiisque permixti ac libertate ignota illuc magis [ad servitium] inclinantes. 35 (1) Sed Corbuloni plus molis adversus ignaviam militum quam contra perfidiam hostium erat: quippe Syria transmotae legiones, pace longa segnes, munia Romanorum aegerrime tolerabant. satis constitit fuisse in eo exercitu veteranos, qui non stationem, non vigilias inissent, vallum fossamque quasi nova et mira viserent, sine galeis, sine loricis, nitidi et quaestuosi, militia per oppida expleta. (2) igitur dimissis, quibus senectus aut valitudo adversa erat, supplementum petivit. et habiti per Galatiam Cappadociamque dilectus, adiectaque ex Germania legio cum equitibus alariis et peditatu cohortium. (3) retentusque omnis exercitus sub pellibus, quamvis hieme saeva adeo, ut obducta glacie nisi effossa humus tentoriis locum non praeberet. ambusti multorum artus vi frigoris, et quidam inter excubias exanimati sunt. adnotatusque miles, qui fascem lignorum gestabat, ita praeriguisse manus, ut oneri adhaerentes truncis brachiis deciderent. (4) ipse cultu evi, capite intecto, in agmine, in laboribus frequens adesse, laudem strenuis, solacium invalidis, exemplum omnibus ostendere. dehinc, quia duritia caeli militiaeque multi abnuebant deserebantque, remedium severitate quaesitum est. nec enim, ut in aliis exercitibus, primum alterumque delictum venia prosequebatur, sed qui signa reliquerat, statim capite poenas luebat. idque usu salubre et misericordia melius apparuit: quippe pauciores illa castra deseruere quam ea, in quibus ignoscebatur. 36 (1) Interim Corbulo legionibus intra castra habitis, donec ver adolesceret, dispositisque per idoneos locos cohortibus auxiliariis, ne pugnam priores auderent praedicit. curam praesidiorum Paccio Orfito primi pili honore perfuncto mandat. (2) is quamquam incautos barbaros et bene gerendae rei casum offerri scripserat, tenere se munimentis et maiores copias opperiri iubetur. sed rupto imperio, postquam paucae e proximis castellis turmae advenerant pugnamque
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den ähnlichen Sitten her den Parthern näherstanden, durch Heiraten mit ihnen verbunden waren und, weil sie die Freiheit nicht kannten, mehr dorthin neigten. 35 (1) Aber Corbulo machte mehr der mangelnde Einsatzwille seiner Soldaten als die Treulosigkeit der Feinde zu schaffen. Denn die aus Syrien verlegten Legionen, die durch den langen Frieden behäbig geworden waren, stellten sich den Aufgaben, die Römer haben, nur äußerst widerwillig. Es war allgemein bekannt, dass es in diesem Heer Veteranen gab, die noch keinen Posten bezogen, keinen Wachdienst geleistet hatten, Wall und Graben als sonderbare Neuigkeiten betrachteten, ohne Helme, ohne Panzer, geschniegelte Geschäftemacher, die ihre Militärzeit nur in Städten hinter sich gebracht hatten. (2) Deshalb entließ er die aus Alters- oder Krankheitsgründen untauglichen Soldaten und forderte Ersatz an. Daraufhin nahm man in Galatien und Kappadokien Aushebungen vor; dazu kam eine Legion aus Germanien mit bundesgenössischer Kavallerie und Infanteriekohorten. (3) Das ganze Heer wurde in Lederzelten zurückgehalten,27 obwohl der Winter derart streng war, dass der mit Eis bedeckte Boden erst dann einen Platz zum Aufschlagen von Zelten bot, wenn man ihn aufhackte. Vielen Soldaten froren Gliedmaßen in der grimmigen Kälte ab, und einige verloren ihr Leben auf Wache. Von einem Soldaten, der ein Holzbündel trug, wurde erzählt, dass seine Hände vorne derart durchgefroren waren, dass sie an der Last hängen blieben und von den Armstümpfen abfielen. (4) Er selbst zeigte sich in leichter Kleidung und ohne Kopfbedeckung immer wieder auf dem Marsch und bei den Schanzarbeiten, zollte den Tüchtigen Lob, sprach den Schwachen Trost zu und war für alle ein Vorbild. Als dann wegen der Härte des Klimas und des Dienstes viele nicht mehr mitmachen wollten und desertierten, suchte man Abhilfe in Strenge. Denn nicht wie bei anderen Heeren begleitete Nachsicht das erste und zweite Dienstvergehen, sondern, wer die Fahnen verlassen hatte, wurde sofort mit dem Tode bestraft. Dieses Vorgehen erwies sich im Vollzug als heilsam und besser als Mitgefühl. Denn aus diesem Lager desertierten weniger Leute als dort, wo man verzieh. 36 (1) In der Zwischenzeit hielt Corbulo die Legionen im Lager, bis es richtig Frühling war, verteilte an geeigneten Stellen Kohorten der Bundesgenossen und gab den Befehl, nicht auf eigene Faust einen Kampf zu wagen. Die Zuständigkeit für die Stützpunkte übertrug er Paccius Orfitus, der die ehrenvolle Stellung eines Primipilus28 gehabt hatte. (2) Obwohl er schriftlich gemeldet hatte, die Barbaren verhielten sich unvorsichtig und es biete sich die Gelegenheit für ein erfolgreiches Unternehmen, bekam er den Befehl, sich in den Befestigungen zu halten und Verstärkungen abzuwarten. Doch er verstieß gegen die Weisung, nachdem ein paar Kavallerieschwadronen aus den nächstgelegenen Kastellen gekommen waren und in ihrer Unerfahrenheit den Kampf
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imperitia poscebant, congressus cum hoste funditur. et damno eius exterriti qui subsidium ferre debuerant, sua quisque in castra trepida fuga rediere. (3) quod graviter Corbulo accepit increpitumque Pacium et praefectos militesque tendere extra vallum iussit; inque ea contumelia detenti nec nisi precibus universi exercitus exsoluti sunt. 37 (1) At Tiridates super proprias clientelas ope Vologaesi fratris adiutus, non furtim iam, sed palam bello infensare Armeniam, quosque fidos nobis rebatur, depopulari, et si copiae contra ducerentur, eludere hucque et illuc volitans plura fama quam pugna exterrere. (2) igitur Corbulo, quaesito diu proelio frustra habitus et exemplo hostium circumferre bellum coactus, dispertit vires, ut legati praefectique diversos locos pariter invaderent. (3) simul regem Antiochum monet proximas sibi praefecturas petere. nam Pharasmanes interfecto filio Radamisto quasi proditore, quo fidem in nos testaretur, vetus adversus Armenios odium promptius exercebat. tuncque primum inlecti Moschi, gens ante alias socia Romanis, avia Armeniae incursavit. (4) ita consilia Tiridati in contrarium vertebant, mittebatque oratores, qui suo Parthorumque nomine expostularent, cur datis nuper obsidibus redintegrataque amicitia, quae novis quoque beneficiis locum aperiret, vetere Armeniae possessione depelleretur. ideo nondum ipsum Vologaesen commotum, quia causa quam vi agere mallent; sin perstaretur in bello, non defore Arsacidis virtutem fortunamque saepius iam clade Romana expertam. (5) ad ea Corbulo, satis comperto Vologaesen defectione Hyrcaniae attineri, suadet Tiridati precibus Caesarem adgredi: posse illi regnum stabile et res incruentas contingere, si omissa spe longinqua et sera praesentem potioremque sequeretur.
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verlangten, und wurde bei dem Zusammenstoß mit dem Feind geschlagen. Und durch seine Niederlage in Panik geraten, kehrten die Einheiten, die Hilfe hätten bringen sollen, in ängstlicher Flucht jede in ihr Lager zurück. (3) Das empfand Corbulo als unerträglich, machte Paccius heftige Vorwürfe und ließ seine Kommandanten und Soldaten außerhalb des Walls kampieren; diese Schande mussten sie aushalten und wurden nur durch die Bitten des gesamten Heeres erlöst. 37 (1) Was Tiridates betrifft, so fand er, abgesehen von seinen eigenen Klienten, Unterstützung bei seinem Bruder Vologaesus. Er bedrohte Armenien deshalb nun schon nicht mehr nur heimlich, sondern ganz offen mit Krieg; wer seiner Meinung nach treu zu uns hielt, dessen Gebiet verwüstete er, und wenn man mit Truppen gegen ihn vorging, wich er aus und verbreitete, indem er hierhin und dorthin hetzte, mehr Schrecken durch seinen Ruf als im Kampf. (2) Deshalb teilte Corbulo, nachdem er lange das Gefecht gesucht, aber damit keinen Erfolg gehabt hatte und deshalb nach dem Vorbild der Feinde gezwungen war, den Krieg ringsherum zu führen, seine Streitkräfte auf, damit die Legaten und Kommandanten verschiedene Plätze gleichzeitig angreifen konnten. (3) Zugleich forderte er König Antiochus auf, in die ihm nächstgelegenen Präfekturen einzufallen. Denn Pharasmanes zeigte, nachdem er seinen Sohn Radamistus als angeblichen Verräter hatte umbringen lassen, um seine Treue uns gegenüber zu beweisen, seinen alten Hass gegen die Armenier noch bedenkenloser. Damals wurden zum ersten Mal die Moscher, ein Stamm, der mit uns enger als die anderen verbündet war, gewonnen und fielen in die unwegsamen Gebiete Armeniens ein. (4) Deshalb schlugen die Pläne des Tiridates ins Gegenteil um, und er schickte Unterhändler, die in seinem und der Parther Namen Auskunft darüber verlangen sollten, warum er trotz der erst kürzlich erfolgten Stellung von Geiseln und der Erneuerung der Freundschaft, die auch neue Möglichkeiten für ein von Entgegenkommen bestimmtes Handeln eröffnen sollte, aus seinem alten Besitz Armenien vertrieben werde. Nur deshalb habe sich Vologaeses selbst noch nicht gerührt, weil sie eine rechtmäßige einer gewaltsamen Lösung vorzögen; falls man aber auf dem Krieg beharre, werde es den Arsaciden nicht an Tapferkeit und an Glück fehlen, das man schon des Öfteren mit einer römischen Niederlage unter Beweis gestellt habe. (5) Daraufhin riet Corbulo, der ganz genau wusste, dass Vologaeses durch den Abfall Hyrkaniens gebunden war, dem Tiridates, mit Bitten an den Caesar heranzutreten: Ihm könne eine gesicherte Königsherrschaft ohne Blutvergießen zufallen, wenn er eine in weiter Ferne und Zukunft liegende Aussicht aufgebe und sich nach der augenblicklichen und wahrscheinlicheren richte.
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38 (1) Placitum dehinc, quia commeantibus in vicem nuntiis nihil in summa pacis proficiebatur, colloquio ipsorum tempus locumque destinari. mille equitum praesidium Tiridates adfore sibi dicebat; quantum Corbuloni cuiusque generis militum adsisteret, non statuere, dum positis loricis et galeis in faciem pacis veniretur. (2) cuicumque mortalium, nedum veteri et provido duci, barbarae astutiae patuissent: ideo artum inde numerum finiri et hinc maiorem offerri, ut dolus pararetur; nam equiti sagittarum usu exercito si detecta corpora obicerentur, nihil profuturam multitudinem. (3) dissimulato tamen intellectu rectius de iis, quae in publicum consulerentur, totis exercitibus coram dissertaturos respondit. locumque delegit, cuius pars altera colles erant clementer adsurgentes accipiendis peditum ordinibus, pars in planitiem porrigebatur ad explicandas equitum turmas. (4) dieque pacto prior Corbulo socias cohortes et auxilia regum pro cornibus, medio sextam legionem constituit, cui accita per noctem aliis ex castris tria milia tertianorum permiscuerat, una cum aquila, quasi eadem legio spectaretur. Tiridates vergente iam die procul adstitit, unde videri magis quam audiri posset. ita sine congressu dux Romanus abscedere militem sua quemque in castra iubet. 39 (1) Rex sive fraudem suspectans, quia plura simul in loca ibatur, sive ut commeatus nostros Pontico mari et Trapezunte oppido adventantes interciperet, propere discedit. sed neque commeatibus vim facere potuit, quia per montes ducebantur praesidiis nostris insessos, et Corbulo, ne inritum bellum traheretur utque Armenios ad sua defendenda cogeret, exscindere parat castella, sibique quod validissimum in ea praefectura, cognomento Volandum, sumit; minora Cornelio Flacco legato et Insteio Capitoni castrorum praefecto mandat. (2) tum, circumspectis munimentis et quae expugnationi idonea provisis, hortatur milites, ut hostem vagum neque paci aut proelio paratum, sed perfidiam et ignaviam fuga confitentem exuerent sedibus gloriaeque pariter
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38 (1) Man beschloss nun, weil durch das Hin- und Herschicken von Boten keinerlei Fortschritt auf dem Weg zu einem endgültigen Frieden zu erzielen war, für eine Unterredung zwischen den Männern selbst Zeitpunkt und Ort zu vereinbaren. Eine Eskorte von eintausend Reitern werde mit ihm kommen, sagte Tiridates; Anzahl und Waffengattung von Corbulos Begleitmannschaft wolle er nicht bestimmen, sofern man komme, nachdem man Panzer und Helme im Hinblick auf ein friedliches Erscheinungsbild abgelegt habe. (2) Für jeden Sterblichen, erst recht für einen altgedienten, umsichtigen Kommandeur wäre die Hinterlist des Barbaren offensichtlich gewesen: Nur deshalb beschränke man sich auf der einen Seite auf eine knappe Zahl und biete der anderen eine größere an, um eine Falle stellen zu können; denn wenn geübten Bogenschützen zu Pferd ungeschützte Leiber entgegengestellt würden, werde die bloße Menge nichts nützen. (3) Er tat dennoch so, als habe er ihn nicht durchschaut, und gab zur Antwort, es sei richtiger, sich über Fragen von öffentlichem Interesse vor den gesamten Heeren zu unterhalten. Er wählte eine Stelle aus, deren eine Hälfte sanft ansteigende Hügel bildeten, welche die Infanterieabteilungen aufnehmen sollten, während die andere in eine Ebene auslief, in der sich die Kavallerieschwadronen entfalten konnten. (4) Am vereinbarten Tag war es Corbulo, der zuerst die bundesgenössischen Kohorten und Hilfstruppen der Könige an den Flügeln, im Zentrum die sechste Legion aufmarschieren ließ, unter die er dreitausend während der Nacht aus einem anderen Lager abkommandierte Soldaten der dritten Legion eingereiht hatte, nur mit einem einzigen Adler, so als sei ein und dieselbe Legion zu sehen. Tiridates stellte sich erst gegen Tagesende in der Ferne auf, wo man ihn eher sehen als hören konnte. Deshalb ließ der römische Kommandeur, ohne dass sie zusammengetroffen wären, die Soldaten in ihre jeweiligen Lager abrücken. 39 (1) Ob der König nun eine Falle vermutete, weil man gleichzeitig in mehrere Richtungen abzog, oder um unseren Nachschub abzuschneiden, der auf dem Pontischen Meer und über die Stadt Trapezunt herankam – er rückte eilig ab. Aber einerseits konnte er weder über den Nachschub herfallen, weil dieser durch das mit unseren Stützpunkten besetzte Gebirge geleitet wurde, andererseits traf Corbulo, um den Krieg nicht sinnlos in die Länge zu ziehen und die Armenier zur Verteidigung ihres Eigentums zu zwingen, Vorbereitungen, ihre Kastelle zu zerstören, und nahm sich das stärkste in dieser Präfektur mit Namen Volandum vor; die kleineren überließ er seinem Legaten Cornelius Flaccus und dem Lagerkommandanten Insteius Capito. (2) Dann inspizierte er ringsum die Befestigungen, traf die für eine Erstürmung geeigneten Vorbereitungen und ermahnte seine Soldaten, dem umherstreifenden Feind, der weder zum Frieden noch zum Kampf entschlossen sei, sondern Treulosigkeit und Feigheit durch seine Flucht zu erkennen gebe, seine Ansiedlungen wegzunehmen und
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et praedae consulerent. (3) tum quadripertito exercitu hos in testudinem conglobatos subruendo vallo inducit, alios scalas moenibus admovere, multos tormentis faces et hastas incutere iubet. libritoribus funditoribusque attributus locus, unde eminus glandes torquerent, ne qua pars subsidium laborantibus ferret pari undique motu. (4) tantus inde ardor certantis exercitus fuit, ut intra tertiam diei partem nudati propugnatoribus muri, obices portarum subversi, capta escensu munimenta omnesque puberes trucidati sint, nullo milite amisso, paucis admodum vulneratis. et imbelle vulgus sub corona venundatum, reliqua praeda victoribus cessit. (5) pari fortuna legatus ac praefectus usi sunt, tribusque una die castellis expugnatis cetera terrore et alia sponte incolarum in deditionem veniebant. (6) unde orta fiducia caput gentis Artaxata adgrediendi. nec tamen proximo itinere ductae legiones, quae si amnem Araxen, qui moenia adluit, ponte transgrederentur, sub ictum dabantur: procul et latioribus vadis transiere. 40 (1) At Tiridates pudore et metu, ne, si concessisset obsidioni, nihil opis in ipso videretur, si prohiberet, impeditis locis seque et equestres copias inligaret, statuit postremo ostendere aciem et dato die proelium incipere vel simulatione fugae locum fraudi parare. igitur repente agmen Romanum circumfundit, non ignaro duce nostro, qui viae pariter et pugnae composuerat exercitum. (2) latere dextro tertia legio, sinistro sexta incedebat, mediis decimanorum delectis; recepta inter ordines impedimenta, et tergum mille equites tuebantur, quibus iusserat, ut instantibus comminus resisterent, refugos non sequerentur. in cornibus pedes sagittarius et cetera manus equitum ibat, productior cornu sinistro per ima collium, ut, si hostis intravisset, fronte simul et sinu exciperetur. (3) adsultare ex diverso Tiridates, non usque ad ictum teli, sed tum
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genauso an Ruhm wie an Beute zu denken. (3) Dann teilte er das Heer in vier Abteilungen, ließ die einen sich zu einer Schildkröte29 zusammenschließen und führte sie heran, um den Wall einzureißen, anderen befahl er, Leitern an die Mauern zu legen, einer größeren Anzahl mit Wurfgeschützen Fackeln und Lanzen hinüberzuschießen. Den Werfern und Schleuderern wurde eine Stelle zugewiesen, von der aus sie aus der Distanz Bleikugeln verschießen sollten, damit kein Teil in Schwierigkeiten geratenen Einheiten zu Hilfe kommen konnte, weil überall ein gleich großes Durcheinander herrschte. (4) Daraufhin war die Begeisterung des vor Wetteifer brennenden Heeres so groß, dass schon im ersten Drittel des Tages die Mauern von Verteidigern entblößt, die Barrikaden an den Toren umgestürzt, die Verschanzungen durch Ersteigen genommen und alle wehrfähigen Männer erschlagen waren, während wir keinen Soldaten verloren hatten und nur ganz wenige verwundet waren. Und somit wurde die kriegsuntaugliche Bevölkerung unter dem Kranz30 verkauft, die übrige Beute fiel den Siegern zu. (5) Gleich erfolgreich waren der Legat und der Kommandant, und nach der Eroberung von drei Kastellen an einem einzigen Tag kapitulierten alle anderen vor Schreck, einige auch auf Wunsch der Einwohner. (6) Daraus schöpfte man Zuversicht für einen Angriff auf die Hauptstadt des Volkes, Artaxata. Dennoch wurden die Legionen nicht auf dem nächsten Weg hingeführt: Falls sie den Araxesstrom, der an den Mauern entlangfließt, auf einer Brücke überquerten, waren sie Beschuss ausgesetzt; deshalb zogen sie in größerer Entfernung auf breiteren Furten hinüber. 40 (1) Doch Tiridates entschloss sich aus Scham und Furcht, falls er die Belagerung zulasse, entstehe der Eindruck, bei ihm sei keinerlei Hilfe mehr zu finden, falls er sie aber zu verhindern versuche, verfingen sich er und seine Reitertruppen im ungünstigen Gelände, schließlich doch, eine Schlacht anzubieten und an einem geeigneten Tag den Kampf zu beginnen oder durch Vortäuschen einer Flucht die Gelegenheit für einen Hinterhalt zu schaffen. Deshalb ließ er plötzlich die römische Marschkolonne umschwärmen, was unser Kommandeur sehr wohl bemerkte, der das Heer gleichermaßen für den Marsch wie für den Kampf aufgestellt hatte. (2) Auf der rechten Flanke rückte die dritte, auf der linken die sechste Legion vor, die Mitte bildeten Eliteeinheiten der Zehner; zwischen die Reihen wurde der Tross genommen, und den Schluss schützten eintausend Kavalleristen, denen er befohlen hatte, Angreifern im Nahkampf Widerstand zu leisten, sie auf der Flucht aber nicht zu verfolgen. Auf den Flügeln marschierten die Bogenschützen zu Fuß und die restliche Kavallerieeinheit, wobei der linke Flügel am Fuß der Hügel weiter vorgezogen war, damit der Feind, falls er dort eindringen sollte, zugleich von vorn und in einem Bogen in Empfang genommen werden konnte. (3) Aus der anderen Richtung sprengte Tiridates heran, aber nicht bis auf Schussweite, sondern bald drohte
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minitans, tum specie trepidantis, si laxare ordines et diversos consectari posset. ubi nihil temeritate solutum, nec amplius quam decurio equitum audentius progressus et sagittis confixus ceteros ad obsequium exemplo firmaverat, propinquis iam tenebris abscessit. 41 (1) Et Corbulo castra in loco metatus, an expeditis legionibus nocte Artaxata pergeret obsidioque circumdaret agitavit, concessisse illuc Tiridaten ratus. dein postquam exploratores attulere longinquum regis iter et Medi an Albani peterentur incertum, lucem opperitur, praemissaque levi armatura, quae muros interim ambiret oppugnationemque eminus inciperet. (2) sed oppidani portis sponte patefactis se suaque Romanis permisere. quod salutem ipsis tulit; Artaxatis ignis immissus deletaque et solo aequata sunt, quia nec teneri sine valido praesidio ob magnitudinem moenium, nec id nobis virium erat, quod firmando praesidio et capessendo bello divideretur, vel, si integra et incustodita relinquerentur, nulla in eo utilitas aut gloria, quod capta essent. (3) adicitur miraculum velut numine oblatum: nam cuncta [extra tectis] hactenus sole inlustria fuere; repente quod moenibus cingebatur ita atra nube coopertum fulgoribusque discretum est, ut quasi infensantibus deis exitio tradi crederetur. (4) Ob haec consalatus imperator Nero, et senatus consulto supplicationes habitae, statuaeque et arcus et continui consulatus principi, utque inter festos referretur dies, quo patrata victoria, quo nuntiata, quo relatum de ea esset, aliaque in eandem formam decernuntur, adeo modum egressa, ut C. Cassius de ceteris honoribus adsensus, si pro benignitate fortunae dis grates agerentur, ne totum quidem annum supplicationibus sufficere disseruerit, eoque oportere dividi sacros et negotiosos dies, quis divina colerent et humana non impedirent.
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er, dann wieder gab er sich ängstlich, um zu sehen, ob er damit vielleicht die Reihen lockern und vereinzelte Gruppen verfolgen könne. Als aber keine Lücke durch unüberlegtes Verhalten entstand und nicht mehr geschah, als dass ein Dekurio der Kavallerie, der sich zu tollkühn vorgewagt hatte, von Pfeilen durchbohrt wurde und so alle anderen durch sein warnendes Beispiel im Gehorsam bestärkt hatte, rückte er ab, als die Dunkelheit schon nahte. 41 (1) Und so ließ Corbulo an Ort und Stelle ein Lager abstecken und überlegte, ob er mit den Legionen ohne Gepäck noch in der Nacht nach Artaxata marschieren und es mit einem Belagerungsring einschließen solle in der Meinung, Tiridates habe sich dorthin begeben. Als dann aber Kundschafter die Nachricht brachten, der Weg des Königs führe in die Ferne, und es sei unklar, ob er zu den Medern oder den Albanern wolle, wartete er den Tagesanbruch ab und schickte die leicht bewaffneten Einheiten voraus, die inzwischen um die Mauern herumreiten und die Belagerung aus der Ferne beginnen sollten. (2) Aber die Stadtbewohner öffneten von sich aus die Tore und vertrauten sich und ihr Hab und Gut den Römern an. Das bedeutete für sie selbst die Rettung; Artaxata aber wurde in Brand gesteckt, zerstört und dem Erdboden gleichgemacht, weil man es wegen des Umfangs der Stadtmauern weder ohne eine starke Besatzung halten konnte noch wir über so viele Kräfte verfügten, dass wir sie zur Verstärkung der Besatzung und zur Fortführung des Kriegs aufteilen konnten. Falls man es andererseits unangetastet und unbewacht lasse, ergebe sich kein Nutzen oder Ruhm aus der Tatsache, dass es erobert worden war. (3) Dazu kam ein wie von einer göttlichen Macht gesandtes Wunder: Denn das gesamte Gebiet lag bis dahin im hellen Sonnenlicht; plötzlich wurde der von den Mauern umschlossene Bereich derart von einer schwarzen Wolke bedeckt und von Blitzen durchzuckt, dass man glauben konnte, er werde gewissermaßen von den erbitterten Göttern dem Untergang geweiht. (4) Wegen dieser Erfolge wurde Nero als Imperator begrüßt, und aufgrund eines Senatsbeschlusses fanden Dankfeste statt. Ferner wurden Statuen und Bogen und aufeinanderfolgende Konsulate für den Princeps und die Aufnahme der Tage, an dem der Sieg errungen, an dem er gemeldet, an dem über ihn beraten wurde, unter die Festtage und andere Beschlüsse der gleichen Art gefasst, die derart jedes Maß überstiegen, dass C. Cassius, der den übrigen Ehrungen zugestimmt hatte, bemerkte, falls man der Gunst des Schicksals entsprechend den Göttern Dank sage, reiche nicht einmal das ganze Jahr für Dankfeste aus, und deshalb müsse man zwischen Fest- und Geschäftstagen unterscheiden, an denen man den religiösen Verpflichtungen nachkommen könne, ohne die profanen zu behindern.
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42 (1) Variis deinde casibus iactatus et multorum odia meritus reus, haud tamen sine invidia Senecae damnatur. is fuit Publius Suillius, imperitante Claudio terribilis ac venalis et mutatione temporum non quantum inimici cuperent demissus quique se nocentem videri quam supplicem mallet. eius opprimendi gratia repetitum credebatur senatus consultum poenaque Cinciae legis adversum eos, qui pretio causas oravissent. (2) nec Suillius questu aut exprobratione abstinebat, praeter ferociam animi extrema senecta liber et Senecam increpans infensum amicis Claudii, sub quo iustissimum exilium pertulisset. (3) simul studiis inertibus et iuvenum imperitiae suetum livere iis, qui vividam et incorruptam eloquentiam tuendis civibus exercerent. se quaestorem Germanici, illum domus eius adulterum fuisse. an gravius aestimandum sponte litigatoris praemium honestae operae adsequi quam corrumpere cubicula principum feminarum? (4) qua sapientia, quibus philosophorum praeceptis intra quadriennium regiae amicitiae ter milies sestertium paravisset? Romae testamenta et orbos velut indagine eius capi, Italiam et provincias immenso faenore hauriri: at sibi labore quaesitam et modicam pecuniam esse. crimen, periculum, omnia potius toleraturum, quam veterem ac dote partam dignationem subitae felicitati submittere. 43 (1) Nec deerant qui haec isdem verbis aut versa in deterius Senecae deferrent. repertique accusatores direptos socios, cum Suillius provinciam Asiam regeret, ac publicae pecuniae peculatum detulerunt. mox, quia inquisitionem annuam impetraverant, brevius visum suburbana crimina incipi, quorum obvii testes erant. (2) ii acerbitate accusationis Q. Pomponium ad necessitatem belli civilis detrusum, Iuliam Drusi filiam Sabinamque Poppaeam ad mortem actas et Valerium Asiaticum, Lusium Saturninum, Cornelium Lupum circumventos,
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42 (1) Dann wurde ein von verschiedenen Schicksalsschlägen schwer getroffener Angeklagter, der sich dazu noch zu Recht die Feindschaft vieler Mitmenschen zugezogen hatte, dennoch nicht ohne gehässige Vorwürfe gegen Seneca verurteilt. Es handelte sich um Publius Suillius, einen zu Claudiusʼ Regierungszeit gefürchteten, käuflichen und nach dem Regierungswechsel nicht so zerknirschten Zeitgenossen, wie es seine Feinde gerne gehabt hätten, der lieber den Eindruck erwecken wollte, er sei schuldig als ein demütiger Bittsteller. Um ihn zu erledigen, wurden, so glaubte man, der Senatsbeschluss und die Strafe nach dem cincischen Gesetz gegen diejenigen Personen wieder angewandt, die für ihre Tätigkeit als Anwalt vor Gericht Geld genommen hatten.31 (2) Aber Suillius sparte nicht mit Klagen oder Vorwürfen: Abgesehen von seinem unbeugsamen Charakter, sprach er dank seinem sehr hohen Alter frei heraus und beschimpfte Seneca als Feind der Freunde des Claudius, unter dem er völlig zu Recht die Verbannung habe ertragen müssen. (3) Zudem sei er nur mit nutzlosen Studien und der Unerfahrenheit junger Leute vertraut und blicke deshalb blass vor Neid auf die Zeitgenossen, die eine lebendige und unverdorbene Beredsamkeit zum Schutze ihrer Mitbürger ausübten. Er sei Quästor des Germanicus, der andere Ehebrecher in dessen Haus gewesen.32 Oder solle man es etwa für schlimmer halten, aus freien Stücken von der prozessführenden Partei den Lohn für eine anständige Tätigkeit zu erhalten als die Schlafzimmer der vornehmsten Frauen zu missbrauchen? (4) Mit welcher Weisheit, mit welchen Lehren von Philosophen habe er sich denn in vier Jahren königlicher Freundschaft 300 Millionen Sesterze verschafft? In Rom würden Testamente kinderloser Personen sozusagen in seinem Netz gefangen, Italien und die Provinzen mit Wucherzinsen ausgesaugt. Dagegen verfüge er nur über ein mit Arbeit erworbenes, bescheidenes Vermögen. Anklage, Prozess, alles werde er eher ertragen, als seine alte, nur mit seinen Fähigkeiten erworbene gesellschaftliche Stellung einer erst kurz dauernden Glückssträhne unterzuordnen. 43 (1) Es fehlte nicht an Leuten, die das im gleichen Wortlaut oder zum Schlimmeren hin verdreht Seneca hinterbrachten. Zudem fanden sich Ankläger, die vortrugen, die Bundesgenossen seien ausgeplündert worden, als Suillius die Provinz Asia leitete, und es sei zur Unterschlagung öffentlicher Gelder gekommen. Dann aber schien es, weil sie eine Frist von einem Jahr für die Untersuchung durchgesetzt hatten, der kürzere Weg, mit den in der Umgebung der Hauptstadt verübten Verbrechen zu beginnen, für die Zeugen zur Verfügung standen. (2) Diese warfen Suillius vor, durch seine scharfe Anklage seien Q. Pomponius in die Unvermeidlichkeit eines Bürgerkriegs gedrängt,33 Julia, die Tochter des Drusus, und Sabina Poppaea in den Tod getrieben und Valerius Asiaticus, Lusius Saturninus und Cornelius Lupus zu Fall gebracht
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iam equitum Romanorum agmina damnata omnemque Claudii saevitiam Suillio obiectabant. (3) ille nihil ex his sponte susceptum, sed principi paruisse defendebat, donec eam orationem Caesar cohibuit, compertum sibi referens ex commentariis patris sui nullam cuiusquam accusationem ab eo coactam. (4) tum iussa Messalinae praetendi et labare defensio: cur enim neminem alium delectum, qui saevienti impudicae vocem praeberet? puniendos rerum atrocium ministros, ubi pretia scelerum adepti scelera ipsa aliis delegent. (5) igitur adempta bonorum parte (nam filio et nepti pars concedebatur eximebanturque etiam quae testamento matris aut aviae acceperant) in insulas Baleares pellitur, non in ipso discrimine, non post damnationem fractus animo; ferebaturque copiosa et molli vita secretum illud toleravisse. filium eius Nerullinum adgressis accusatoribus per invidiam patris et crimina repetundarum, intercessit princeps tamquam satis expleta ultione. 44 (1) Per idem tempus Octavius Sagitta plebei tribunus, Pontiae mulieris nuptae amore vaecors, ingentibus donis adulterium et mox, ut omitteret maritum, emercatur, suum matrimonium promittens ac nuptias eius pactus. sed ubi mulier vacua fuit, nectere moras, adversam patris voluntatem causari repertaque spe ditioris coniugis promissa exuere. (2) Octavius contra modo conqueri, modo minitari, famam perditam, pecuniam exhaustam obtestans, denique salutem, quae sola reliqua esset, arbitrio eius permittens. ac postquam spernebatur, noctem unam ad solacium poscit, qua delenitus modum in posterum adhiberet. (3) statuitur nox, et Pontia consciae ancillae custodiam cubiculi mandat. ille uno cum liberto ferrum veste occultum infert. tum, ut adsolet in amore et ira, iurgia preces, exprobratio satisfactio, et pars tenebrarum libidini seposita; ea quasi incensus nihil metuentem ferro transverberat et adcurrentem ancillam vulnere absterret cubiculoque prorumpit. (4) postera die manifesta caedes,
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worden; ferner habe man Heerscharen von römischen Rittern verurteilt, und die ganze Grausamkeit des Claudius sei ihm anzurechnen. (3) Er verteidigte sich damit, er habe nichts davon von sich aus unternommen, sondern nur dem Princeps gehorcht, bis der Caesar diese Ausführungen mit dem Hinweis unterbrach, er wisse aus den Aufzeichnungen seines Vaters sicher, dass von diesem keine einzige Anklage erzwungen worden sei. (4) Daraufhin schützte er Befehle Messalinas vor, und seine Verteidigung begann zu wanken: Warum sei denn kein anderer dafür auserkoren worden, der schamlosen Person bei ihrem Wüten als Sprachrohr zu dienen? Bestrafen müsse man die Handlanger bei Abscheulichkeiten, die, sobald sie den Lohn für ihre Verbrechen entgegengenommen hätten, die Verbrechen selbst anderen anlasteten. (5) So entzog man ihm die Hälfte seines Vermögens – denn die andere ließ man Sohn und Enkelin und nahm auch das Erbgut aus, das sie testamentarisch von Mutter oder Großmutter bekommen hatten – und verjagte ihn auf die Baleareninseln, wobei er nicht in der kritischen Situation selbst, nicht nach der Verurteilung ein gebrochener Mann war; man erzählte sich vielmehr, er habe sich mit einem genießerischen und angenehmen Leben die Abgeschiedenheit dort erträglich gemacht. Als die Ankläger auf seinen Sohn Nerullinus losgehen wollten aus Verärgerung über seinen Vater und mit Vorwürfen der Erpressung, schritt der Princeps dagegen ein mit der Begründung, es sei nun genug der Strafe. 44 (1) Zur gleichen Zeit war der Volkstribun Octavius Sagitta wahnsinnig vor Liebe zu Pontia, einer verheirateten Frau. Mit großartigen Geschenken erkaufte er sich den Ehebruch und dann, dass sie ihren Mann verließ, wobei er ihr die Ehe versprach und die Hochzeit mit ihr vereinbarte. Aber sobald die Frau frei war, erfand sie Hinderungsgründe und schützte vor, ihr Vater sei dagegen, und als sich ihr dann die Aussicht auf einen reicheren Mann bot, entzog sie sich ihren Versprechungen. (2) Octavius dagegen versuchte es bald mit Klagen, bald mit Drohungen, wobei er beteuerte, sein Ruf sei ruiniert und sein Vermögen erschöpft; schließlich überließ er sogar sein Leben, das Einzige, was ihm geblieben sei, ihrer Entscheidung. Und als er dann abgewiesen wurde, forderte er zum Trost eine einzige Nacht, durch die sein Kummer gelindert werden könne, sodass er sich künftig zurückhalten werde. (3) Man verabredete die Nacht, und Pontia beauftragte eine eingeweihte Dienerin mit der Überwachung ihres Schlafzimmers. Der Mann erschien zusammen mit einem einzigen Freigelassenen und brachte einen im Gewand versteckten Dolch mit. Dann kam es, wie es bei Liebe und Zorn so geht: Wortwechsel und Bitten, Vorwürfe und Versöhnung, und ein Teil der Dunkelheit blieb der sexuellen Lust vorbehalten. Durch sie fing er sozusagen wieder Feuer, erstach die Frau, die nichts befürchtete, mit dem Dolch, verwundete die hinzueilende Dienerin, ließ sie so zurückschrecken und stürzte aus dem Schlafzimmer. (4) Am nächsten Tag kam der Mord ans Licht,
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haud ambiguus percussor; quippe mansitasse una convincebatur. sed libertus suum illud facinus profiteri, se patroni iniurias ultum esse. commoveratque quosdam magnitudine exempli, donec ancilla ex vulnere refecta verum aperuit. (5) postulatusque apud consules a patre interfectae, postquam tribunatu abierat, sententia patrum et lege de sicariis condemnatur. 45 (1) Non minus insignis eo anno impudicitia magnorum rei publicae malorum initium fecit. erat in civitate Sabina Poppaea, T. Ollio patre genita, sed nomen avi materni sumpserat, inlustri memoria Poppaei Sabini consularis et triumphali decore praefulgentis; nam Ollium honoribus nondum functum amicitia Seiani pervertit. (2) huic mulieri cuncta alia fuere praeter honestum animum. quippe mater eius, aetatis suae feminas pulchritudine supergressa, gloriam pariter et formam dederat; opes claritudini generis sufficiebant. (3) sermo comis nec absurdum ingenium. modestiam praeferre et lascivia uti; rarus in publicum egressus, idque velata parte oris, ne satiaret adspectum, vel quia sic decebat. famae numquam pepercit, maritos et adulteros non distinguens; neque adfectui suo aut alieno obnoxia, unde utilitas ostenderetur, illuc libidinem transferebat. (4) igitur agentem eam in matrimonio Rufri Crispi equitis Romani, ex quo filium genuerat, Otho pellexit iuventa ac luxu et quia flagrantissimus in amicitia Neronis habebatur. nec mora quin adulterio matrimonium iungeretur. 46 (1) Otho sive amore incautus laudare formam elegantiamque uxoris apud principem, sive ut accenderet ac, si eadem femina potirentur, id quoque vinculum potentiam ei adiceret. saepe auditus est consurgens e convivio Caesaris seque ire ad illam, sibi concessam dictitans nobilitatem pulchritudinem, vota omnium et gaudia felicium. (2) his atque talibus inritamentis non longa cunctatio interponitur, sed accepto aditu Poppaea primum per blandimenta et artes
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über den Mörder gab es keinen Zweifel; denn man konnte ihn überführen, mit der Frau zusammen gewesen zu sein. Doch der Freigelassene beteuerte, das sei seine Tat, er habe die Kränkungen seines Patrons gerächt. Tatsächlich hatte er einige Personen schon durch sein großartiges, vorbildliches Verhalten beeindruckt, bis die von der Verwundung wiedergenesene Dienerin die Wahrheit ans Licht brachte. (5) Er wurde vom Vater der Ermordeten vor den Konsuln angeklagt und, nachdem er den Tribunat niedergelegt hatte, durch einen Urteilsspruch der Väter nach dem Gesetz über Meuchelmörder verurteilt.34 45 (1) Ein nicht weniger aufsehenerregendes schamloses Verhalten bildete in diesem Jahr den Anfang großen Unglücks für den Staat. Es lebte in der Stadt Sabina Poppaea, deren Vater T. Ollius war, aber sie hatte den Namen ihres Großvaters mütterlicherseits angenommen, des in leuchtendem Andenken stehenden Poppaeus Sabinus, der Konsul gewesen war und mit der Auszeichnung durch einen Triumph glänzte; denn Ollius hatte, noch ehe er Ehrenämter bekleidet hatte, die Freundschaft mit Sejan ins Unglück gestürzt. (2) Dieses Weib verfügte über alle anderen Eigenschaften außer Anstand. Denn ihre Mutter, die alle Frauen ihrer Zeit an Schönheit übertraf, hatte ihr in gleicher Weise Ruhm und Aussehen mitgegeben; ihr Vermögen entsprach der Vornehmheit ihrer Familie. (3) Im Gespräch war sie gewinnend und geistig durchaus nicht unbegabt. Zurückhaltung trug sie zur Schau und praktizierte Hemmungslosigkeit. Nur selten zeigte sie sich in der Öffentlichkeit, und das mit halb verschleiertem Gesicht, um die neugierigen Blicke nicht zu befriedigen oder weil es ihr gut stand. Auf ihren Ruf nahm sie nie Rücksicht und machte zwischen ihren Ehemännern und Liebhabern keinen Unterschied; sie war auch nicht ihren eigenen Gefühlen oder denen anderer Personen ausgeliefert, sondern von wo sich Vorteile zeigten, dorthin wandte sie ihre Sinnlichkeit. (4) So konnte Otho sie während ihrer Ehe mit dem römischen Ritter Rufrius Crispinus, dem sie einen Sohn geboren hatte, verführen mit seiner Jugend und Prachtentfaltung und weil er für den glühendsten Freund Neros gehalten wurde. Und so dauerte es nicht lange, bis sich an den Ehebruch der Ehebund anschloss. 46 (1) Otho war vielleicht in seiner Verliebtheit unvorsichtig und lobte deshalb die Schönheit und Anmut seiner Frau vor dem Princeps, vielleicht aber tat er das nur, um dessen Begierde zu wecken und, falls sie dieselbe Frau besäßen, auch durch diese Verbindung seinen Einfluss zu erhöhen. Oft hörte man von ihm beim Aufbruch von einem Bankett des Caesars, er gehe nun zu ihr, wobei er immer wieder sagte, ihm seien Vornehmheit und Schönheit vergönnt, der Wunsch aller Männer und die Freude der Glücklichen. (2) Auf diese und ähnliche Köder hin ließ man keine lange Zeit des Abwartens verstreichen, sondern Poppaea bekam Zugang und versuchte ihn zuerst mit verführerischen
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valescere, imparem cupidini et forma Neronis captam simulans; mox acri iam principis amore ad superbiam vertens, si ultra unam alteramque noctem attineretur, nuptam esse se dictitans, nec posse matrimonium omittere, devinctam Othoni per genus vitae, quod nemo adaequaret: illum animo et cultu magnificum; ibi se summa fortuna digna visere. at Neronem, paelici ancillae adsuetudine [Actes] devinctum, nihil e contubernio servili nisi abiectum et sordidum traxisse. (3) deicitur familiaritate sueta, post congressu et comitatu Otho, et ad postremum, ne in urbe aemulatus ageret, provinciae Lusitaniae praeficitur; ubi usque ad civilia arma non ex priore infamia, sed integre sancteque egit, procax otii et potestatis temperantior. 47 (1) Hactenus Nero flagitiis et sceleribus velamenta quaesivit. suspectabat maxime Cornelium Sullam, socors ingenium eius in contrarium trahens callidumque et simulatorem interpretando. quem metum Graptus ex libertis Caesaris, usu et senecta Tiberio abusque domum principum edoctus, tali mendacio intendit. (2) pons Mulvius in eo tempore celebris nocturnis inlecebris erat; ventabatque illuc Nero, quo solutius urbem extra lasciviret. igitur regredienti per viam Flaminiam compositas insidias fatoque evitatas, quoniam diverso itinere Sallustianos in hortos remeaverit, auctoremque eius doli Sullam ementitur, quia forte redeuntibus ministris principis quidam per iuvenilem licentiam, quae tunc passim exercebatur, inanem metum fecerant. (3) neque servorum quisquam neque clientium Sullae adgnitus, maximeque despecta et nullius ausi capax natura eius a crimine abhorrebat: proinde tamen, quasi convictus esset, cedere patria et Massiliensium moenibus coerceri iubetur.
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Komplimenten zu beeindrucken, wobei sie so tat, als habe sie sich vor Verlangen nicht mehr in der Hand und sei von Neros gutem Aussehen hingerissen; als dann die Liebe des Princeps schon heftiger wurde, verlegte sie sich auf ihren Stolz und erklärte immer wieder, wenn sie länger als eine oder zwei Nächte dabehalten werden sollte, sie sei eine verheiratete Frau und könne ihre Ehe nicht aufgeben, da sie an Otho seine Lebensart fessle, in der ihm niemand gleichkomme: Er sei von seiner Einstellung und seinem gepflegten Auftreten her ein großartiger Mann; dort könne sie erleben, was ein der höchsten Stellung würdiges Verhalten sei. Nero aber, der an eine Magd als Geliebte durch den ständigen Umgang mit ihr gefesselt sei, habe sich aus dem Zusammenleben mit der Sklavin nur gemeine und schmutzige Verhaltensweisen angeeignet. (3) Verstoßen aus der gewohnten engen Freundschaft, anschließend auch aus der Gesellschaft und Gefolgschaft wurde nun Otho und zuletzt, damit er in der Hauptstadt nicht mehr als Rivale auftreten konnte, mit der Provinz Lusitanien betraut;35 dort lebte er bis zum Bürgerkrieg36 nicht seinem früheren schlechten Ruf entsprechend, sondern rechtschaffen und anständig, wobei er ausgiebig sein Nichtstun genoss und sich in seiner Amtsführung recht zurückhielt. 47 (1) Bis zu diesem Zeitpunkt suchte Nero für seine Schandtaten und Verbrechen noch Deckmäntelchen. Am wenigsten traute er Cornelius Sulla über den Weg, weil er dessen stumpfsinniges Wesen gegenteilig deutete und ihn für einen gerissenen Heuchler hielt. Diese Befürchtung steigerte noch Graptus, einer der Freigelassenen des Caesars, der dank Erfahrung und Alter schon seit Tiberius das Haus der Principes genau kannte, durch folgendes Lügenmärchen: (2) Die Milvische Brücke war zu dieser Zeit ein beliebter Treffpunkt für nächtliche Vergnügungen, und oft kam Nero dorthin, um sich außerhalb der Hauptstadt noch hemmungsloser gehen lassen zu können. Deshalb log er, auf dem Rückweg über die Via Flaminia sei Nero ein Hinterhalt gelegt worden, und er sei nur durch Schicksalsfügung davongekommen, weil er auf einem anderen Weg in den Park Sallusts zurückgekehrt sei, und hinter diesem Anschlag habe Sulla gesteckt. Denn zufällig hatten einige Personen in jugendlichem Übermut, wie er damals überall gang und gäbe war, Dienern des Princeps auf dem Rückweg nur unbegründete Angst einjagen wollen. (3) Weder von den Sklaven noch von den Klienten Sullas hatte man einen erkannt, und am meisten war sein verachtetes und zu keinem gefährlichen Abenteuer fähiges Wesen mit einem Verbrechen unvereinbar; dennoch wurde er ganz so, als sei er überführt worden, angewiesen, seine Heimat zu verlassen und sich innerhalb der Stadtmauern der Einwohner von Massilia aufzuhalten.
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48 Isdem consulibus auditae Puteolanorum legationes, quas diversas ordo plebs ad senatum miserant, illi vim multitudinis, hi magistratuum et primi cuiusque avaritiam increpantes. eaque seditio ad saxa et minas ignium progressa ne cem et arma proliceret, C. Cassius adhibendo remedio delectus. quia severitatem eius non tolerabant, precante ipso ad Scribonios fratres ea cura transfertur, data cohorte praetoria, cuius terrore et paucorum supplicio rediit oppidanis concordia. 49 (1) Non referrem vulgarissimum senatus consultum, quo civitati Syracusanorum egredi numerum edendis gladiatoribus finitum permittebatur, nisi Paetus Thrasea contra dixisset praebuissetque materiem obtrectatoribus arguendae sententiae. (2) cur enim, si rem publicam egere libertate senatoria crederet, tam levia consectaretur? quin de bello aut pace, de vectigalibus et legibus, quibusque aliis Romana continetur, suaderet dissuaderetve? licere patribus, quotiens ius dicendae sententiae accepissent, quae vellent expromere relationemque in ea postulare. (3) an solum emendatione dignum, ne Syracusis spectacula largius ederentur: cetera per omnes imperii partes perinde egregia quam si non Nero, sed Thrasea regimen eorum teneret? quod si summa dissimulatione transmitterentur, quanto magis inanibus abstinendum! (4) Thrasea contra, rationem poscentibus amicis, non praesentium ignarum respondebat eius modi consulta corrigere, sed patrum honori dare, ut manifestum fieret magnarum rerum curam non dissimulaturos, qui animum etiam levissimis adverterent. 50 (1) Eodem anno crebris populi flagitationibus, immodestiam publicanorum arguentis, dubitavit Nero, an cuncta vectigalia omitti iuberet idque pulcherrimum donum generi mortalium daret. (2) sed impetum eius, multum prius laudata magnitudine animi, attinuere seniores, dissolutionem
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48 Unter den gleichen Konsuln hörte man Abordnungen der Einwohner von Puteoli an, die Stadtrat und einfaches Volk mit gegensätzlichen Anliegen zum Senat geschickt hatten: Die einen beklagten sich über die Gewalttätigkeit der Menge, die anderen über die Habsucht der Amtsträger und besonders der führenden Persönlichkeiten. Damit dieser Streit, der schon bis zu Steinwürfen und Drohungen mit Brandstiftung fortgeschritten war, nicht auch noch Anlass zu Totschlag und bewaffneten Auseinandersetzungen gebe, wurde C. Cassius dazu ausersehen, Abhilfe zu schaffen. Da sie seine Strenge nicht hinnehmen wollten, übertrug man diese Aufgabe auf seine eigene Bitte hin den Brüdern Scribonii und gab ihnen eine Prätorianerkohorte mit. Durch den Schrecken, den sie verbreitete, und durch die Hinrichtung einiger weniger Leute kehrte bei den Einwohnern wieder Eintracht ein. 49 (1) Ich würde nicht über einen völlig unbedeutenden Senatsbeschluss berichten, durch den der Bürgerschaft von Syrakus gestattet wurde, über die für die Veranstaltung von Gladiatorenspielen festgesetzte Zahl hinauszugehen, wenn nicht Paetus Thrasea37 dagegen gesprochen und damit seinen Widersachern Stoff geliefert hätte, seine Wortmeldung zu kritisieren: (2) Warum nehme er sich, falls er der Meinung sei, der Staat sei auf die freimütige Äußerung der Senatoren angewiesen, denn derartiger Bagatellen an? Weshalb spreche er sich bei Entscheidungen über Krieg oder Frieden, über Abgaben und Gesetze und was sonst für den römischen Staat grundlegend sei, nicht dafür oder dagegen aus? Den Vätern stehe es doch frei, sooft sie das Recht zur Stimmabgabe erhalten hätten, was sie wollten, vorzubringen und dazu eine Berichterstattung zu verlangen. (3) Oder sei etwa nur verbesserungsbedürftig, dass man in Syrakus nicht zu großzügig Spiele veranstalte? Seien die übrigen Sachgebiete in allen Sparten der Reichsverwaltung in einem derart hervorragenden Zustand, wie wenn nicht Nero, sondern Thrasea die Leitung davon in Händen hätte? Wenn man aber die wichtigsten Angelegenheiten unbeachtet durchgehen lasse, um wie viel eher müsse man sich dann bei Nebensächlichkeiten zurückhalten! (4) Thrasea antwortete darauf, nachdem ihn seine Freunde zu einer Stellungnahme drängten, nicht weil er sich seines augenblicklichen Verhaltens nicht bewusst sei, versuche er derartige Beschlüsse zu verbessern, sondern es diene nur der Ehre der Väter, damit offensichtlich werde, dass die Personen die Sorge für die bedeutenden Angelegenheiten nicht ignorieren würden,38 die ihre Aufmerksamkeit sogar den unwichtigsten schenkten. 50 (1) Als im selben Jahr das Volk, das sich über die Unverschämtheit der Steuerpächter beschwerte, wiederholt dringend Abhilfe verlangte, überlegte Nero, ob er nicht alle Abgaben abschaffen lassen und damit dem Geschlecht der Sterblichen das schönste Geschenk machen solle. (2) Aber seinen Tatendrang bremsten die älteren Senatoren, nachdem sie zuvor ausführlich seine Groß-
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imperii docendo, si fructus, quibus res publica sustineretur, deminuerentur: quippe sublatis portoriis sequens, ut tributorum abolitio expostularetur. (3) plerasque vectigalium societates a consulibus et tribunis plebis constitutas acri etiam tum populi Romani libertate; reliqua mox ita provisa, ut ratio quaestuum et necessitas erogationum inter se congruere. temperandas plane publicanorum cupidines, ne per tot annos sine querela tolerata novis acerbitatibus ad invidiam verterent. 51 (1) Ergo edixit princeps, ut leges cuiusque publici, occultae ad id tempus, proscriberentur; omissas petitiones non ultra annum resumerent; Romae praetor, per provincias qui pro praetore aut consule essent iura adversus publicanos extra ordinem redderent; militibus immunitas servaretur, nisi in iis, quae veno exercerent; aliaque admodum aequa, quae brevi servata, dein frustra habita sunt. (2) manet tamen abolitio quadragesimae quinquagesimaeque et quae alia exactionibus inlicitis nomina publicani invenerant. temperata apud transmarinas provincias frumenti subvectio, et, ne censibus negotiatorum naves adscriberentur tributumque pro illis penderent, constitutum. 52 (1) Reos ex provincia Africa, qui proconsulare imperium illic habuerant, Sulpicium Camerinum et Pompeium Silvanum absolvit Caesar, Camerinum adversus privatos et paucos, saevitiae magis quam captarum pecuniarum crimina obicientes. (2) Silvanum magna vis accusatorum circumsteterat poscebatque tempus evocandorum testium; reus ilico defendi postulabat. valuitque pecuniosa orbitate et senecta, quam ultra vitam eorum produxit, quorum ambitu evaserat. 53 (1) Quietae ad id tempus res in Germania fuerant, ingenio ducum, qui pervulgatis triumphi insignibus maius ex eo decus sperabant, si pacem continua
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herzigkeit gelobt hatten, mit dem Hinweis, dass es die Auflösung des Reichs bedeuten würde, wenn die Einkünfte, auf die sich der Staat stütze, verringert würden; denn wenn man die Zölle aufhebe, sei die Folge, dass die Abschaffung der Steuern verlangt werde. (3) Die meisten Gesellschaften zur Erhebung der Abgaben seien von den Konsuln und Volkstribunen auch schon zu einer Zeit gegründet worden, als die Freiheit des römischen Volkes noch stark ausgeprägt war; den Rest habe man später so vorgesehen, dass die berechneten Einnahmen und die notwendigen Ausgaben miteinander übereinstimmten. Einschreiten müsse man natürlich gegen die Gier der Steuerpächter, damit die so viele Jahre hindurch klaglos hingenommenen Verfahren nicht durch neue Schikanen in Hass umschlügen. 51 (1) Also erließ der Princeps ein Edikt des Inhalts, die bis dahin geheim gehaltenen gesetzlichen Bestimmungen für jede einzelne vom Staat erhobene Steuer seien zu veröffentlichen. Unterlassene Forderungen solle man nicht länger als ein Jahr geltend machen können. In Rom solle ein Prätor, in den Provinzen, wer gerade Proprätor oder Prokonsul sei, in Verfahren gegen Steuerpächter außer der Reihe Recht sprechen. Die Soldaten sollten ihre Steuerbefreiung behalten, abgesehen von den Waren, mit denen sie Handel trieben. Andere durchaus angemessene Bestimmungen kamen hinzu, die kurzzeitig eingehalten und dann nicht mehr beachtet wurden. (2) In Kraft ist trotzdem immer noch die Aufhebung des zweieinhalb- und zweiprozentigen Aufschlags39 und was sonst noch die Steuerpächter an Bezeichnungen für ihre gesetzwidrigen Forderungen erfunden hatten. Ermäßigt wurden in den überseeischen Provinzen die Abgaben für die Getreideausfuhr und bestimmt, dass in die Steuerveranlagung der Kaufleute Schiffe nicht einbezogen würden und sie deshalb dafür keine Steuern zahlen müssten. 52 (1) Angeklagte aus der Provinz Africa, die dort die prokonsularische Amtsgewalt innegehabt hatten, nämlich Sulpicius Camerinus und Pompeius Silvanus, sprach der Caesar frei, Camerinus in einem Verfahren gegen wenige Privatpersonen, die ihm mehr den Vorwurf der Grausamkeit als der Erpressung von Geldern machten. (2) Den Silvanus hatte eine große Menge von Anklägern bedrängt, die Zeit für die Aufbietung von Zeugen forderte; der Angeklagte verlangte, sich auf der Stelle verteidigen zu dürfen, und er setzte sich durch, weil er ein kinderloser, vermögender Mann in hohem Alter war, das er dann noch über das Leben der Personen hinaus verlängerte, dank deren Einflussnahme er davongekommen war.40 53 (1) Ruhig war die Lage bis zu diesem Zeitpunkt in Germanien geblieben wegen der Anpassungsfähigkeit der Kommandeure, die sich, nachdem die Verleihung der Triumphabzeichen etwas Alltägliches geworden war, mehr Ansehen davon versprachen, wenn sie den Frieden aufrechterhalten hatten.
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vissent. (2) Paulinus Pompeius et L. Vetus ea tempestate exercitui praeerant. ne tamen segnem militem attinerent, ille inchoatum ante tres et sexaginta annos a Druso aggerem coercendo Rheno absolvit, Vetus Mosellam atque facta inter utrumque fossa conectere parabat, ut copiae per mare, dein Rhodano et Arare subvectae per eam fossam, mox fluvio Mosella in Rhenum, exim Oceanum decurrerent, sublatisque itineris difficultatibus navigabilia inter se Occidentis Septentrionisque litora fierent. (3) invidit operi Aelius Gracilis Belgicae legatus, deterrendo Veterem, ne legiones alienae provinciae inferret studiaque Galliarum adfectaret, formidolosum id imperatori dictitans, quo plerumque prohibentur conatus honesti. 54 (1) Ceterum continuo exercituum otio fama incessit ereptum ius legatis ducendi in hostem. eoque Frisii iuventutem saltibus aut paludibus, imbellem aetatem per lacus admovere ripae agrosque vacuos et militum usui sepositos insedere, auctore Verrito et Malorie, qui nationem eam regebant, in quantum Germani regnantur. (2) iamque fixerant domos, semina arvis intulerant utque patrium solum exercebant, cum Dubius Avitus, accepta a Paulino provincia, minitando vim Romanam, nisi abscederent Frisii veteres in locos aut novam sedem a Caesare impetrarent, perpulit Verritum et Malorigem preces suscipere. (3) profectique Romam, dum aliis curis intentum Neronem opperiuntur, inter ea, quae barbaris ostentantur, intravere Pompei theatrum, quo magnitudinem populi viserent. illic per otium (neque enim ludicris ignari oblectabantur) dum consessum caveae, discrimina ordinum, quis eques, ubi senatus, percunctantur, advertere quosdam cultu externo in sedibus senatorum: et quinam forent rogitantes, postquam audiverant earum gentium legatis id honoris datum, quae virtute et amicitia Romana praecellerent, nullos mortalium armis aut fide ante Germanos esse exclamant degrediunturque et inter patres considunt. (4) quod comiter a visentibus exceptum, quasi impetus
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(2) Paulinus Pompeius und L. Vetus kommandierten zu dieser Zeit das Heer. Um jedoch die Soldaten nicht ohne Beschäftigung zu lassen, baute der eine den 63 Jahre zuvor von Drusus begonnenen Deich zur Regulierung des Rheins zu Ende, Vetus traf Vorbereitungen, Mosel und Saône durch einen zwischen beiden gezogenen Kanal zu verbinden, damit der Nachschub über das Meer, dann auf Rhône und Saône herangeführt werden und durch diesen Kanal, anschließend auf dem Moselfluss in den Rhein und von dort in den Ozean hinabfahren konnte; so sollten die Schwierigkeiten des Landwegs beseitigt und die Küsten des Westens und Nordens untereinander schiffbar werden. (3) Das Bauvorhaben sah der Legat von Belgica, Aelius Gracilis, nicht gerne und riet Vetus dringend davon ab, seine Legionen in eine andere Provinz zu verlegen und sich um die Sympathien Galliens zu bemühen, indem er betonte, davor fürchte sich der Oberbefehlshaber, eine Vorgehensweise, mit der sehr oft ehrenwerte Unternehmungen verhindert werden. 54 (1) Aber durch die andauernde Untätigkeit der Heere kam das Gerücht auf, den Legaten sei das Recht genommen worden, gegen den Feind zu ziehen. Deshalb führten die Friesen ihre jungen Männer durch Wälder und Sümpfe, die nicht wehrfähigen Altersgruppen über die Seen an das Ufer41 heran und besetzten leeres, für die Nutzung durch die Soldaten bestimmtes Ackerland; veranlasst hatten das Unternehmen Verritus und Malorix, die über diesen Stamm herrschten, soweit sich Germanen von Königen beherrschen lassen. (2) Sie hatten schon feste Häuser errichtet, die Saat auf den Fluren ausgebracht und bearbeiteten den Boden, als hätten sie ihn von ihren Vorfahren geerbt, da brachte Dubius Avitus nach der Übernahme der Provinz von Paulinus durch die Drohung mit einem gewaltsamen Eingreifen der Römer, falls die Friesen nicht in ihr altes Territorium abrückten oder das neue Siedlungsgebiet vom Caesar zugesprochen bekämen, Verritus und Malorix dazu, sich auf Bitten zu verlegen. (3) Sie reisten nach Rom, und weil sie auf den mit anderen Aufgaben beschäftigten Nero warten mussten, besuchten sie unter den Sehenswürdigkeiten, die man Barbaren zeigt, das Pompeiustheater, damit sie einen Eindruck von der Größe des Volkes bekamen. Als sie dort gelangweilt – denn da sie von den Aufführungen nichts verstanden, fanden sie auch keinen Gefallen daran – nach der Sitzordnung im Zuschauerraum, den Unterschieden zwischen den Rängen, wer Ritter sei, wo der Senat sitze, fragten, bemerkten sie einige Personen in fremdartiger Aufmachung auf den Sitzplätzen der Senatoren. Und nachdem sie auf ihre Frage, was das denn für Leute seien, gehört hatten, diese Ehre erweise man den Gesandten der Völker, die sich besonders in Tapferkeit und Freundschaft zu den Römern hervortäten, riefen sie laut, keine Sterblichen überträfen mit den Waffen oder an Treue die Germanen, stiegen hinunter und nahmen unter den Vätern Platz. (4) Das wurde von den Zuschauern freundlich
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antiqui et bona aemulatione. Nero civitate Romana ambos donavit, Frisios decedere agris iussit. atque illis aspernantibus auxiliaris eques repente immissus necessitatem attulit, captis caesisve qui pervicacius restiterant. 55 (1) Eosdem agros Ampsivarii occupavere, validior gens non modo sua copia, sed adiacentium populorum miseratione, qui pulsi a Chaucis et sedis inopes tutum exilium orabant. aderatque iis clarus per illas gentes et nobis quoque fidus nomine Boiocalus, vinctum se rebellione Cherusca iussu Arminii referens, mox Tiberio et Germanico ducibus stipendia meruisse, et quinquaginta annorum obsequio id quoque adiungere, quod gentem suam dicioni nostrae subiceret. (2) quotam partem campi iacere, in quam pecora et armenta militum aliquando transmitterentur! servarent sane receptus gregibus inter hominum famem, modo ne vastitatem et solitudinem mallent quam amicos populos. Chamavorum quondam ea arva, mox Tubantum et post Usiporum fuisse. sicuti caelum deis, ita terras generi mortalium datas; quaeque vacuae, eas publicas esse. (3) solem inde suspiciens et cetera sidera vocans quasi coram interrogabat, vellentne contueri inane solum: potius mare superfundere adversus terrarum ereptores. 56 (1) Et commotus his Avitus: patienda meliorum imperia; id dis, quos implorarent, placitum, ut arbitrium penes Romanos maneret, quid darent quid adimerent, neque alios iudices quam se ipsos paterentur. haec in publicum Ampsivariis respondit, ipsi Boiocalo ob memoriam amicitiae daturum agros. quod ille ut proditionis pretium aspernatus addidit ‘deesse nobis terra ubi vivamus, in qua moriamur, non potest.’ atque ita infensis utrimque animis discessum. (2) illi Bructeros, Tencteros, ulteriores etiam nationes socias bello vocabant: Avitus scripto ad Curtilium Manciam superioris exercitus legatum, ut Rhenum transgressus arma a tergo ostenderet, ipse legiones in agrum Tenerum induxit, excidium minitans,
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aufgenommen, sozusagen als Ausdruck einer in alten Zeiten üblichen spontanen Reaktion und eines löblichen Ehrgeizes. Nero beschenkte beide mit dem römischen Bürgerrecht – und befahl den Friesen, das Gebiet zu räumen. Und da sie sich darüber hinwegsetzten, schickte man überraschend bundesgenössische Kavallerie gegen sie und zwang sie dazu, wobei man gefangen nahm oder totschlug, wer hartnäckiger Widerstand geleistet hatte. 55 (1) Dasselbe Gebiet besetzten die Ampsivarier, ein stärkerer Stamm nicht nur wegen seiner eigenen Zahl, sondern auch wegen der Anteilnahme der Nachbarvölker: Von den Chauken vertrieben und ohne Siedlungsgebiet, baten sie um eine sichere Zufluchtsstätte. Für sie trat ein bei diesen Stämmen angesehener und auch uns treu ergebener Mann mit Namen Boiocalus ein, der darauf verweisen konnte, er sei während des Cheruskeraufstands42 auf Befehl des Arminius verhaftet worden, habe dann unter den Kommandeuren Tiberius und Germanicus gedient und schließe an seinen fünfzigjährigen Gehorsam nun auch noch an, dass er seinen Stamm uns unterwerfe. (2) Wie klein sei doch der Teil des brachliegenden Landes, auf den hin und wieder das Großund Kleinvieh der Soldaten hinübergetrieben werden könne! Behalten sollten sie selbstverständlich Zufluchtsorte für ihre Viehherden, während Menschen hungerten, nur sollten sie nicht lieber eine verlassene Ödnis haben wollen als befreundete Völker. Den Chamavern hätten diese Fluren einst gehört, dann den Tubanten und noch später den Usipern. Wie der Himmel den Göttern, so seien die Länder dem Geschlecht der Sterblichen gegeben, und alle herrenlosen seien Gemeingut. (3) Dann schaute er zur Sonne empor, rief die übrigen Gestirne an und fragte sie, wie wenn sie leibhaftig da wären, ob sie auf öden Boden blicken wollten; sie sollten eher das Meer darüberfluten lassen gegen die Räuber der Länder43. 56 (1) Empört über diese Ausführungen entgegnete da Avitus: Fügen müsse man sich den Befehlen der Besseren. Es habe den Göttern, die sie anriefen, so gefallen, dass die Entscheidung darüber bei den Römern bleibe, was sie geben, was sie wegnehmen wollten, und dass sie sich keinen anderen Richtern fügten als sich selbst. Das war die Antwort an die Ampsivarier insgesamt; Boiocalus persönlich werde er in Erinnerung an seine Freundschaft Ackerland geben. Das wies dieser als Lohn für einen Verrat zurück und sagte: „Fehlen kann uns Land, wo wir leben können, auf dem wir sterben können, aber nicht.“ Und so ging man voller Feindseligkeit auf beiden Seiten auseinander. (2) Diese Menschen suchten die Brukterer, Tenkterer und noch weiter entfernte Stämme als Bündnispartner für einen Krieg zu gewinnen. Avitus schrieb an Curtilius Mancia, den Legaten des oberen Heeres, er solle den Rhein überqueren und seine Waffen im Rücken des Feindes sehen lassen, persönlich führte er seine Legionen in das Gebiet der Tenkterer und drohte mit ihrer Vernichtung, falls
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ni causam suam dissociarent. (3) igitur absistentibus his pari metu exterriti Bructeri; et ceteris quoque aliena pericula deserentibus sola Ampsivariorum gens retro ad Usipos et Tubantes concessit. quorum terris exacti cum Chattos, dein Cheruscos petissent, errore longo hospites, egeni, hostes in alio quod iuventutis erat caeduntur, imbellis aetas in praedam divisa est. 57 (1) Eadem aestate inter Hermunduros Chattosque certatum magno proelio, dum flumen gignendo sale fecundum et conterminum vi trahunt, super libidinem cuncta armis agendi religione insita, eos maxime locos propinquare caelo precesque mortalium a deis nusquam propius audiri. inde indulgentia numinum illo in amne illisque silvis alem provenire, non ut alias apud gentes eluvie maris arescente, sed unda super ardentem arborum struem fusa ex contrariis inter se elementis, igne atque aquis, concretum. (2) sed bellum Hermunduris prosperum, Chattis exitiosius fuit, quia victores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi viri, cuncta viva occidioni dantur. et minae quidem hostiles in ipsos vertebant. (3) sed civitas Ubiorum socia nobis malo improviso adflicta est. nam ignes terra editi villas arva vicos passim corripiebant ferebanturque in ipsa conditae nuper coloniae moenia. neque exstingui poterant, non si imbres caderent, non [si] fluvialibus aquis aut quo alio humore, donec inopia remedii et ira cladis agrestes quidam eminus saxa iacere, dein residentibus flammis propius suggressi ictu fustium aliisque verberibus ut feras absterrebant. postremo tegmina corpori derepta iniciunt, quanto [magis] profana et usu polluta, tanto magis oppressura ignes. 58 Eodem anno Ruminalem arborem in comitio, quae octingentos et triginta ante annos Remi Romulique infantiam texerat, mortuis ramalibus et arescente trunco deminutam prodigii loco habitum est, donec in novos fetus revivisceret.
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sie in ihrem eigenen Interesse nicht von den anderen abrückten. (3) Als diese daraufhin Abstand nahmen, schüchterte man mit der Furcht vor dem gleichen Schicksal die Brukterer ein; und weil auch alle übrigen Beteiligten sich nicht weiter fremden Gefahren aussetzen wollten, wich der alleingelassene Stamm der Ampsivarier zu den Usipern und Tubanten zurück. Aus deren Gebiet vertrieben, zogen sie zu den Chatten, dann zu den Cheruskern, wurden auf ihrer langen Irrfahrt als Gäste, Not leidendes Volk und Feinde behandelt und, soweit sie junge Männer waren, in der Fremde44 erschlagen; die nicht wehrfähigen Altersgruppen verteilte man als Beute. 57 (1) Im selben Sommer stritt man zwischen Hermunduren und Chatten in einer großen Schlacht, weil sie sich einen für die Salzgewinnung ertragreichen Grenzfluss gewaltsam aneignen wollten, wobei zu ihrer Gier, alles mit Waffen auszutragen, die eingewurzelte religiöse Vorstellung kam, dieses Gebiet sei dem Himmel besonders nahe und die Gebete der Sterblichen würden von den Göttern nirgendwo sonst aus größerer Nähe gehört. Daher komme dank der Gnade der Gottheiten in diesem Fluss und in diesen Wäldern Salz vor, nicht wie bei anderen Völkern, indem aus dem Meer gespültes Wasser verdunste, sondern indem man das Nass über einen brennenden Holzstoß schütte und es sich so aus den gegensätzlichen Elementen, Feuer und Wasser, bilde. (2) Aber der Krieg verlief für die Hermunduren erfolgreich, für die Chatten war er verhängnisvoller, weil beide im Falle eines Sieges das gegnerische Heer Mars und Merkur weihten, ein Gelübde, dem zufolge Pferde und Männer, kurz, alles Lebendige der Vernichtung anheimfällt. Und so wandten sich die Drohungen unserer Feinde eben gegen sie selbst. (3) Aber die mit uns verbündete Gemeinde der Ubier wurde von einem überraschenden Unglück getroffen. Denn aus der Erde schlagende Flammen griffen überall auf Landhäuser, Fluren und Gehöfte über und wurden sogar unmittelbar an die Mauern der kurz zuvor gegründeten Kolonie getragen.45 Und man konnte sie nicht löschen, nicht wenn Regen fiel, nicht mit Flusswasser oder irgendeiner anderen Flüssigkeit, bis einige Bauern in Ermangelung eines Hilfsmittels und aus Wut über den Schaden aus der Ferne Steine warfen, dann, als die Flammen zum Stillstand kamen, näher hinliefen und sie durch das Daraufschlagen mit Prügeln und anderen Gegenständen wie wilde Tiere zu verscheuchen versuchten. Zuletzt rissen sie sich die Kleider vom Leib und warfen sie darauf, als ob diese, je alltäglicher und durch das Tragen verschmutzter sie waren, umso mehr in der Lage seien, die Brände zu ersticken. 58 Dass im selben Jahr der Ruminalische Baum auf dem Comitium46, der 830 Jahre zuvor Remus und Romulus als Säuglinge geschützt hatte, durch Absterben der Äste und das Verdorren des Stammes verkümmerte, hielt man für ein Vorzeichen, bis er mit neuen Trieben wieder auflebte.
LIBER QUARTUS DECIMUS 1 (1) GAIO VIPSANO FONTEIO consulibus diu meditatum scelus non ultra Nero distulit, vetustate imperii coalita audacia et flagrantior in dies amore Poppaeae, quae sibi matrimonium et discidium Octaviae incolumi Agrippina haud sperans crebris criminationibus, aliquando per facetias incusare principem et pupillum vocare, qui iussis alienis obnoxius non modo imperii, sed libertatis etiam indigeret. (2) cur enim differri nuptias suas? formam scilicet displicere et triumphales avos, an fecunditatem et verum animum? timeri ne uxor saltem iniurias patrum, iram populi adversus superbiam avaritiamque matris aperiat. quod si nurum Agrippina non nisi filio infestam ferre posset, reddetur ipsa Othonis coniugio: ituram quoque terrarum, ubi audiret potius contumelias imperatoris quam viseret periculis eius immixta. (3) haec atque talia lacrimis et arte adulterae penetrantia nemo prohibebat, cupientibus cunctis infringi potentiam matris et credente nullo usque ad caedem eius duratura filii odia. 2 (1) Tradit Cluvius ardore retinendae Agrippinam potentiae eo usque provectam, ut medio diei, cum id temporis Nero per vinum et epulas incalesceret, offerret se saepius temulento comptam et incesto paratam; iamque lasciva oscula et praenuntias flagitii blanditias adnotantibus proximis, Senecam contra muliebres inlecebras subsidium a femina petivisse, immissamque Acten libertam, quae simul suo periculo et infamia Neronis anxia deferret pervulgatum esse incestum gloriante matre, nec toleraturos milites profani principis imperium. (2) Fabius Rusticus non Agrippinae, sed Neroni cupitum id memorat eiusdemque libertae astu disiectum. sed quae Cluvius, eadem ceteri quoque
Buch XIV 1 (1) Unter den Konsuln GAIUS VIPSTANUS und C. FONTEIUS (59 n. Chr.) schob Nero das schon längst geplante Verbrechen nicht mehr länger auf, da durch die lange Dauer seiner Herrschaft seine Dreistigkeit gewachsen war und er von Tag zu Tag mehr vor Liebe zu Poppaea glühte. Diese beschwerte sich, weil sie auf die Ehe mit ihr und die Scheidung von Octavia nicht hoffen konnte, solange Agrippina am Leben war, häufig mit Vorwürfen, manchmal auch spöttisch beim Princeps und bezeichnete ihn als Knäblein, das den Weisungen anderer hörig sei und nicht nur über keine Macht zu befehlen, sondern sogar über keinen freien Willen verfüge. (2) Warum werde denn die Hochzeit mit ihr immer wieder verschoben? Natürlich gefielen ihm ihr Aussehen nicht und die Großväter1 mit ihren Triumphen, oder seien es ihre Fruchtbarkeit und Aufrichtigkeit? Man befürchte wohl, sie könne als Ehefrau wenigstens die Beleidigungen der Väter, die Wut des Volkes über den Hochmut und die Habgier seiner Mutter enthüllen. Falls sich Agrippina aber nur mit einer Schwiegertochter abfinden könne, die ihrem Sohn gegenüber als Feindin auftrete, dann solle man sie selbst doch wieder ihrer Ehe mit Otho zurückgeben; sie werde überall in der Welt hingehen, wo sie die Beschimpfungen des Oberbefehlshabers eher nur anhören als ständig mit ansehen müsse und dabei noch in seine Gefahren hineingezogen werde. (3) Äußerungen wie diese, die sie mit den gekünstelten Tränen einer Ehebrecherin noch eindringlicher machte, versuchte niemand zu unterbinden, weil alle wünschten, dass der Einfluss der Mutter gebrochen werde, und keiner glaubte, die Hassgefühle des Sohnes würden sich bis hin zum Mord an ihr verhärten. 2 (1) Cluvius berichtet, Agrippina sei in ihrem glühenden Verlangen, ihren Einfluss zu behalten, so weit gegangen, dass sie sich mitten am Tag, zu einer Zeit, als Nero durch Wein und gutes Essen erhitzt war, sich des Öfteren dem Angeheiterten anbot, herausgeputzt und zur Blutschande bereit. Als dann die nähere Umgebung schon lüsterne Küsse und als Vorboten der Schandtat den Austausch von Zärtlichkeiten mit ansehen musste, habe Seneca gegen die weiblichen Verführungskünste Abhilfe bei einer Frau gesucht und die Freigelassene Acte hineingeschickt, die, ebenso in Angst wegen der Gefahr, in der sie selbst schwebte, wie wegen der Beschämung Neros, ihm sagen sollte, die Blutschande sei überall bekannt, weil sich die Mutter damit brüste, und die Soldaten nähmen die Herrschaft eines gottlosen Princeps nicht hin. (2) Fabius Rusticus erwähnt, nicht Agrippinas, sondern Neros leidenschaftliches Verlangen sei das gewesen, und es sei nur durch das geschickte Vorgehen derselben Freigelassenen vereitelt worden. Aber die Version des Cluvius haben auch die
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auctores prodidere, et fama huc inclinat, seu concepit animo tantum immanitatis Agrippina, seu credibilior novae libidinis meditatio in ea visa est, quae puellaribus annis stuprum cum Lepido spe dominationis admiserat, pari cupidine usque ad libita Pallantis provoluta et exercita ad omne flagitium patrui nuptiis. 3 (1) Igitur Nero vitare secretos eius congressus, abscedentem in hortos aut Tusculanum vel Antiatem in agrum laudare, quod otium capesseret. postremo, ubicumque haberetur, praegravem ratus interficere constituit, hactenus consultans, veneno an ferro vel qua alia vi. (2) placuitque primo venenum. sed inter epulas principis si daretur, referri ad casum non poterat tali iam Britannici exitio; et ministros temptare arduum videbatur mulieris usu scelerum adversus insidias intentae; atque ipsa praesumendo remedia munierat corpus. ferrum et caedes quonam modo occultaretur, nemo reperiebat; et ne quis illi tanto facinori delectus iussa sperneret metuebat. (3) obtulit ingenium Anicetus libertus, classi apud Misenum praefectus et pueritiae Neronis educator ac mutuis odiis Agrippinae invisus. ergo navem posse componi docet, cuius pars ipso in mari per artem soluta effunderet ignaram: nihil tam capax fortuitorum quam mare; et si naufragio intercepta sit, quem adeo iniquum, ut sceleri adsignet, quod venti et fluctus deliquerint? additurum principem defunctae templum et aras et cetera ostentandae pietati. 4 (1) Placuit sollertia, tempore etiam iuta, quando Quinquatruum festos dies apud Baias frequentabat. illuc matrem elicit, ferendas parentium iracundias et placandum animum dictitans, quo rumorem reconciliationis efficeret acciperetque Agrippina, facili feminarum credulitate ad gaudia. (2) venientem dehinc obvius in litora (nam Antio adventabat) excepit manu et
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übrigen Geschichtsschreiber überliefert, und die mündliche Überlieferung geht in diese Richtung, sei es dass Agrippina eine derart große Ungeheuerlichkeit vorhatte oder dass die Planung des unerhörten Sinnenkitzels bei einer Person besonders glaubhaft erscheint, die in ihren Jahren als ganz junge Frau eine unerlaubte sexuelle Beziehung mit M. Lepidus in der Hoffnung auf die Gewaltherrschaft eingegangen war, aus der gleichen Gier heraus sich dazu erniedrigt hatte, die Lüste des Pallas zu befriedigen, und in jeder Schandtat geübt war durch die Eheschließung mit ihrem Onkel. 3 (1) Deshalb vermied Nero Begegnungen mit ihr unter vier Augen; wenn sie sich in ihren Park oder auf ihre Landgüter bei Tusculum oder Antium zurückzog, lobte er sie dafür, dass sie Ruhe suche. Schließlich kam er zu der Überzeugung, überall, wo sie sich aufhalte, stelle sie nur eine untragbare Belastung dar, und beschloss deshalb, sie umbringen zu lassen, wobei er nur noch überlegte, ob mit Gift oder dem Dolch oder auf eine andere gewaltsame Weise. (2) Zuerst entschied er sich für Gift. Aber wenn man es während eines Banketts des Princeps verabreichte, konnte man das nicht auf einen Unglücksfall zurückführen, weil ja schon Britannicus ein solches Ende genommen hatte. Und Diener zu gewinnen schien sehr schwierig bei einer Frau, die aus ihrer Erfahrung mit Verbrechen heraus auf Anschläge gefasst war; und tatsächlich hatte sie selbst durch die vorbeugende Einnahme von Gegenmitteln ihren Körper geschützt. Den Mord mit dem Dolch – wie man den vertuschen könne, fiel keinem ein, und er fürchtete, dass jemand, den man für ein derart schweres Verbrechen aussuche, den Auftrag ablehnen werde. (3) Da bot der Freigelassene Anicetus seine Erfindungsgabe an, Kommandant der Flotte in Misenum, Erzieher des Knaben Nero und in tiefer gegenseitiger Abneigung mit Agrippina verfeindet. Also erläuterte er, man könne ein Schiff konstruieren, von dem sich ein Teil mitten im Meer künstlich herauslöse und so die Ahnungslose ins Wasser schleudere. Nichts eigne sich so für zufällige Vorkommnisse wie das Meer, und wenn sie einem Schiffbruch zum Opfer gefallen sei, wer sei dann schon so ungerecht, einem Verbrechen zuzuschreiben, was Winde und Fluten angerichtet hätten? Der Princeps werde für die Verstorbene zusätzlich einen Tempel und Altäre und alle übrigen Maßnahmen zur Demonstration seiner Kindesliebe veranlassen. 4 (1) Der raffinierte Plan fand Gefallen. Auch vom Zeitpunkt her wurde er unterstützt, weil Nero die Quinquatrusfesttage in Baiae feiern wollte. Dorthin lockte er seine Mutter, wobei er immer wieder betonte, man müsse die Wutausbrüche seiner Eltern ertragen und den eigenen Unmut zügeln, um so das Gerücht von einer Wiederversöhnung in die Welt zu setzen, und Agrippina sollte es wegen der Leichtgläubigkeit von Frauen erfreulichen Entwicklungen gegenüber für wahr halten. (2) Bei ihrer Ankunft ging er ihr dann bis an den Strand entgegen – sie kam nämlich von Antium her –, empfing sie mit Händedruck und
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complexu ducitque Baulos. id villae nomen est, quae promunturium Misenum inter et Baianum lacum flexo mari adluitur. (3) stabat inter alias navis ornatior, tamquam id quoque honori matris daretur: quippe sueverat triremi et classiariorum remigio vehi. ac tum invitata ad epulas erat, ut occultando facinori nox adhiberetur. (4) satis constitit extitisse proditorem, et Agrippinam auditis insidiis, an crederet ambiguam, gestamine sellae Baias pervectam. ibi blandimentum sublevavit metum: comiter excepta superque ipsum collocata. iam pluribus sermonibus, modo familiaritate iuvenili Nero et rursus adductus, quasi seria consociaret, tracto in longum convictu, prosequitur abeuntem, artius oculis et pectori haerens, sive explenda simulatione, seu peturae matris supremus adspectus quamvis ferum animum retinebat. 5 (1) Noctem sideribus inlustrem et placido mari quietam quasi convincendum ad scelus dii praebuere. nec multum erat progressa navis, duobus e numero familiarium Agrippinam comitantibus, ex quis Crepereius Gallus haud procul gubernaculis adstabat, Acerronia super pedes cubitantis reclinis paenitentiam filii et recuperatam matris gratiam per gaudium memorabat, cum dato signo ruere tectum loci multo plumbo grave, pressusque Crepereius et statim exanimatus est: Agrippina et Acerronia eminentibus lecti parietibus ac forte validioribus, quam ut oneri cederent, protectae sunt. (2) nec dissolutio navigii sequebatur, turbatis omnibus et quod plerique ignari etiam conscios impediebant. visum dehinc remigibus unum in latus inclinare atque ita navem submergere; sed neque ipsis promptus in rem subitam consensus, et alii contra nitentes dedere facultatem lenioris in mare iactus. (3) verum Acerronia, imprudentia dum se Agrippinam esse utque subveniretur matri principis clamitat, contis et remis et quae fors obtulerat navalibus telis conficitur. Agrippina silens eoque minus agnita (unum tamen vulnus umero excepit)
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Umarmung und geleitete sie nach Bauli. Das ist der Name eines Landguts, an das zwischen Kap Misenum und dem Golf von Baiae in einem Bogen, den das Meer macht, die Wellen schlagen. (3) Dort lag zwischen anderen ein schöner ausgestattetes Schiff, sodass man der Meinung sein konnte, auch das solle der Ehrung der Mutter dienen. Denn sie reiste gewöhnlich mit einem Dreiruderer und einer Rudermannschaft von Marinesoldaten. Und anschließend war sie zu einem Bankett geladen, damit man zur Vertuschung des Verbrechens die Nacht heranziehen konnte. (4) Man war allgemein davon überzeugt, dass es einen Verräter gab und dass Agrippina, als sie von dem Anschlag hörte, im Zweifel, ob sie das glauben solle, sich in einer Sänfte nach Baiae tragen ließ. Dort ließ eine besonders aufmerksame Behandlung ihre Angst schwinden: Sie wurde freundlich empfangen und oberhalb von ihm selbst2 platziert. Nun zog er mit immer neuen Gesprächen, bald in jugendlicher Vertraulichkeit und dann wieder ernsthaft, als habe er wichtige Mitteilungen zu machen, das Gelage in die Länge und geleitete sie dann zum Abschied, wobei er ihr ganz innig in die Augen schaute und sich an ihre Brust schmiegte, vielleicht um der Heuchelei die Krone aufzusetzen, vielleicht aber auch, weil der letzte Blick auf seine todgeweihte Mutter sogar sein unmenschliches Herz rührte. 5 (1) Eine sternklare und bei unbewegter See ruhige Nacht gewährten die Götter, sozusagen als wollten sie das Verbrechen nachweisen. Das Schiff war noch nicht weit gefahren, wobei zwei Personen aus ihrem Freundeskreis Agrippina begleiteten, von denen Crepereius Gallus nicht weit weg vom Steuerruder stand, während Acerronia, über die Füße der Liegenden gebeugt, voll Freude über die Reue des Sohnes und das wiedergewonnene Einvernehmen mit der Mutter sprach, da stürzte auf ein Zeichen hin das mit viel Blei beschwerte Dach des Raumes herab; Crepereius wurde erdrückt und starb sofort, Agrippina und Acerronia wurden durch die vorstehenden Lehnen des Ruhebetts geschützt, die zufällig zu stark waren, als dass sie der Belastung nachgegeben hätten. (2) Aber auch das Auseinanderfallen des Schiffs erfolgte nicht, weil ein allgemeines Durcheinander herrschte und die in der Mehrzahl ahnungslosen Passagiere auch den Eingeweihten im Weg standen. Daraufhin entschieden sich die Ruderer dafür, sich auf eine Seite zu begeben und das Schiff so kentern zu lassen; aber auch unter ihnen kam es auf die Schnelle zu keiner Einigung über das unvorhergesehene Vorgehen, und weil sich andere dagegenstemmten, boten sie die Möglichkeit zu einem sanfteren Sprung ins Meer. (3) Acerronia aber wurde, weil sie unklugerweise schrie, sie sei Agrippina und man solle der Mutter des Princeps doch zu Hilfe kommen, mit Stangen, Rudern und Schiffsgeräten erschlagen, die der Zufall in die Hand gegeben hatte. Agrippina, die sich ruhig verhielt und deshalb weniger beachtet wurde – eine Wunde empfing sie dennoch an der Schulter –, gelangte
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nando, deinde occursu lenunculorum Lucrinum in lacum vecta villae suae infertur. 6 (1) Illic reputans ideo se fallacibus litteris accitam et honore praecipuo habitam, quodque litus iuxta, non ventis acta, non saxis impulsa navis summa sui parte veluti terrestre machinamentum concidisset, observans etiam Acerroniae necem, simul suum vulnus adspiciens, solum insidiarum remedium esse , si non intellegerentur; (2) misitque libertum Agermum, qui nuntiaret filio benignitate deum et fortuna eius evasisse gravem casum; orare ut quamvis periculo matris exterritus visendi curam differret; sibi ad praesens quiete opus. (3) atque interim securitate simulata medicamina vulneri et fomenta corpori adhibet; testamentum Acerroniae requiri bonaque obsignari iubet, id tantum non per simulationem. 7 (1) At Neroni nuntios patrati facinoris opperienti adfertur evasisse ictu levi sauciam et hactenus adito discrimine, auctor dubitaret. (2) tum pavore exanimis et iam iamque adfore obtestans vindictae properam, sive servitia armaret vel militem accenderet, sive ad senatum et populum pervaderet, naufragium et vulnus et interfectos amicos obiciendo: quod contra subsidium sibi, nisi quid Burrus et Seneca? expergensque eos statim acciverat, incertum an et ante ignaros. (3) igitur longum utriusque silentium, ne inriti dissuaderent, an eo descensum credebant, , nisi praeveniretur Agrippina, pereundum Neroni esset. post Seneca hactenus promptius, respiceret Burrum ac siscitaretur, an militi imperanda caedes esset. (4) Ille praetorianos toti Caesarum domui obstrictos memoresque Germanici nihil adversus progeniem eius atrox ausuros respondit: perpetraret Anicetus promissa. (5) qui nihil cunctatus poscit summam sceleris. ad eam vocem Nero illo sibi die dari imperium auctoremque tanti muneris libertum profitetur: iret propere duceretque promptissimos ad iussa. (6) ipse audito
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schwimmend, dann auf entgegenfahrenden Kähnen in den Lucriner See und wurde in ihr Landhaus gebracht. 6 (1) Dort überlegte sie: Darum habe man sie also mit einem verlogenen Brief kommen lassen und besonders ehrenvoll behandelt, und in Küstennähe, nicht von Winden getrieben, nicht auf Klippen geworfen, sei das Schiff mit seinem Oberbau wie ein Baugerüst auf dem Land zusammengebrochen. Sie dachte auch an die Ermordung Acerronias, betrachtete zugleich ihre Wunde und erkannte, das einzige Mittel gegen einen Anschlag sei, wenn man ihn nicht als solchen erkenne. (2) Sie schickte ihren Freigelassenen Agermus, der ihrem Sohn mitteilen sollte, dank der Gnade der Götter und seinem Glück sei sie einem schweren Unfall entgangen. Sie bitte ihn, wenn er über die Gefahr für seine Mutter auch noch so entsetzt sei, einen Besuch bei ihr aufzuschieben; sie habe im Augenblick nur Ruhe nötig. (3) Und dazu behandelte sie in der Zwischenzeit in gespielter Sorglosigkeit die Wunde mit Heilkräutern und den Körper mit wärmenden Umschlägen; das Testament Acerronias ließ sie suchen und ihr Hab und Gut versiegeln, das Einzige, was sie nicht aus Verstellung tat.3 7 (1) Doch Nero, der auf die Nachricht vom Vollzug des Verbrechens wartete, wurde gemeldet, sie sei, nur durch einen leichten Schlag verwundet, davongekommen und doch so weit in Gefahr geraten, dass an dem Verantwortlichen kein Zweifel bestehe. (2) Da rief er halb tot vor Entsetzen beschwörend aus, sie werde jeden Augenblick da sein und es mit der Rache eilig haben, sei es, dass sie ihre Sklavenscharen bewaffne oder die Soldaten aufhetze oder bis zu Senat und Volk vordringe, um ihm den Schiffbruch, die Verwundung und ihre ermordeten Freunde vorzuwerfen. Welche Unterstützung bleibe dagegen ihm, wenn nicht Burrus und Seneca etwas einfalle? Und so hatte er sie sofort aufwecken und holen lassen, wobei unklar blieb, ob sie auch schon vorher nichts wussten. (3) Folglich verharrten beide lange Zeit in Schweigen, um nicht umsonst von etwas abzuraten, vielleicht aber auch im Glauben, die Lage habe sich schon so verschlechtert, dass Nero, falls man Agrippina nicht zuvorkomme, zugrunde gehen müsse. Anschließend war dann Seneca in einem solchen Ausmaß entschlossener, dass er sich nach Burrus umblickte und ihn fragte, ob man den Soldaten ihre Ermordung befehlen solle. (4) Dieser antwortete, die Prätorianer seien dem gesamten Haus der Caesaren verpflichtet und würden in der Erinnerung an Germanicus keine Gewalttat gegen einen seiner Nachkommen wagen: Anicetus solle sein Versprechen wahr machen. (5) Der verlangte ohne Umschweife die Gesamtleitung bei dem Verbrechen. Auf diese Äußerung hin sagte Nero frei heraus, erst an diesem Tag werde ihm die Herrschaft übergeben, und dieses große Geschenk habe er einem Freigelassenen zu verdanken; er solle schleunigst gehen und Leute mitnehmen, die bereitwilligst seine Befehle ausführten. (6) Er selbst inszenierte,
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venisse missu Agrippinae nuntium Agermum, scaenam ultro criminis parat, gladiumque, dum mandata perfert, abicit inter pedes eius, tum quasi deprehenso vincla inici iubet, ut exitum principis molitam matrem et pudore deprehensi sceleris sponte mortem sumpsisse confingeret. 8 (1) Interim vulgato Agrippinae periculo, quasi casu evenisset, ut quisque acceperat, decurrere ad litus. hi molium obiectus, hi proximas scaphas scandere; alii, quantum corpus sinebat, vadere in mare; quidam manus protendere. questibus votis clamore diversa rogitantium aut incerta respondentium omnis ora compleri; adfluere ingens multitudo cum luminibus, atque ubi incolumem esse pernotuit, ut ad gratandum sese expedire, donec adspectu armati et minitantis agminis deiecti sunt. (2) Anicetus villam statione circumdat refractaque ianua obvios servorum abripit, donec ad fores cubiculi veniret; cui pauci adstabant, ceteris terrore inrumpentium exterritis. (3) cubiculo modicum lumen inerat et ancillarum una, magis ac magis anxia Agrippina, quod nemo a filio ac ne Agermus quidem: aliam fore laetae rei faciem; nunc solitudinem ac repentinos strepitus et extremi mali indicia. (4) abeunte dehinc ancilla, ‘tu quoque me deseris?’ prolocuta respicit Anicetum, trierarcho Herculeio et Obarito centurione classiario comitatum: ac, si ad visendum venisset, refotam nuntiaret, sin facinus patraturus, nihil se de filio credere; non imperatum parricidium. (5) circumsistunt lectum percussores et prior trierarchus fusti caput eius adflixit. iam morte centurioni ferrum destringenti protendens uterum ‘ventrem feri’ exclamavit multisque vulneribus confecta est. 9 (1) Haec consensu produntur. aspexeritne matrem exanimem Nero et formam corporis eius laudaverit, sunt qui tradiderint, sunt qui abnuant. cremata est nocte eadem convivali lecto et exequiis vilibus; neque, dum Nero rerum potiebatur, congesta est aut clausa humus. mox domesticorum cura
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als er hörte, Agermus sei als Bote mit einem Auftrag Agrippinas gekommen, seinerseits die Schmierenkomödie eines Verbrechens, warf ihm, während er seine Weisungen überbrachte, ein Schwert zwischen die Füße und ließ ihn dann, als habe man ihn ertappt, in Ketten legen, um vorgeben zu können, die Mutter habe die Ermordung des Princeps veranlasst und sich dann aus Scham über die Entdeckung des Verbrechens selbst den Tod gegeben. 8 (1) In der Zwischenzeit hatte sich Agrippinas Lebensgefahr herumgesprochen, wobei man annahm, dazu sei es bei einem Unfall gekommen, und jeder lief, sowie er davon vernommen hatte, zum Strand. Die einen stiegen auf die vorgelagerten Dämme, die anderen in die nächstliegenden Kähne; wieder andere wateten, soweit es ihre Körpergröße zuließ, ins Meer, einige streckten nur die Hände aus. Mit den Klagerufen, Gelübden und dem Geschrei der Menschen, die durcheinander fragten oder unklare Antworten gaben, war die ganze Küste erfüllt. Eine riesige Menschenmenge strömte mit Lichtern herbei, und als bekannt wurde, sie sei heil davongekommen, schickten sie sich an, sie zu beglückwünschen, bis sie durch das Erscheinen einer bewaffneten, bedrohlichen Truppe abgedrängt wurden. (2) Anicetus umstellte das Landhaus mit Posten, ließ das Tor aufbrechen und die Sklaven, auf die er stieß, abführen, bis er an die Tür des Schlafzimmers kam; dort standen nur noch ein paar, während der Rest aus entsetzlicher Angst vor den Eindringlingen davongelaufen war. (3) Im Schlafzimmer befanden sich nur ein schwaches Licht und eine einzige von den Dienerinnen, während Agrippina immer nervöser wurde, weil niemand von ihrem Sohn kam, nicht einmal Agermus. Anders sehe eine erfreuliche Entwicklung aus; jetzt gebe es nur Einsamkeit und plötzlichen Lärm und Anzeichen für das schlimmste Unglück. (4) Als dann auch noch die Dienerin davonlief, rief sie ihr nach: „Auch du lässt mich im Stich?“, und ihr Blick fiel auf Anicetus in Begleitung des Trierenkapitäns Herculeius und des Zenturios der Marine Obaritus. Wenn er zu Besuch gekommen sei, solle er berichten, sie habe sich erholt, wenn um ein Verbrechen zu begehen, glaube sie keinesfalls, es gehe von ihrem Sohn aus; befohlen worden sei der Muttermord nicht. (5) Die Mörder umstellten ihr Bett, und zuerst schlug ihr der Trierenkapitän mit einem Knüppel auf den Kopf. Als dann der Zenturio das Schwert schon zum tödlichen Stich zog, streckte sie ihm ihren Unterleib entgegen, schrie: „Stoß in den Bauch!“ und erlag ihren vielen Wunden. 9 (1) Diese Punkte werden übereinstimmend überliefert. Ob Nero seine leblose Mutter angeschaut und ihre körperliche Schönheit gepriesen hat – es gibt Autoren, die das berichtet haben, andere, die es verneinen. Verbrannt wurde sie in der gleichen Nacht auf einem Speisesofa und mit einem armseligen Leichenbegängnis. Es wurde auch, solange Nero an der Macht war, keine Erde aufgeworfen oder umfriedet.4 Später erhielt sie dank der Fürsorge ihres
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levem tumulum accepit, viam Miseni propter et villam Caesaris dictatoris, quae subiectos sinus editissima prospectat. (2) accenso rogo libertus eius cognomento Mnester ipse ferro transegit, incertum caritate in patronam an metu exitii. (3) hunc sui finem multos ante annos crediderat Agrippina contempseratque. nam consulenti super Nerone responderunt Chaldaei fore ut imperaret matremque occideret; atque illa ‘occidat’ inquit, ‘dum imperet.’ 10 (1) Sed a Caesare perfecto demum scelere magnitudo eius intellecta est. reliquo noctis modo per silentium defixus, saepius pavore exsurgens et mentis inops lucem opperiebatur tamquam exitium adlaturam. (2) atque eum auctore Burro prima centurionum tribunorumque adulatio ad spem firmavit, prensantium manum gratantiumque, quod discrimen improvisum et matris facinus evasisset. amici dehinc adire templa, et coepto exemplo proxima Campaniae municipia victimis et legationibus laetitiam testari: ipse diversa simulatione maestus et quasi incolumitati suae infensus ac morti parentis inlacrimans. (3) quia tamen non, ut hominum vultus, ita locorum facies mutantur, obversabaturque maris illius et litorum gravis adspectus (et erant qui crederent sonitum tubae collibus circum editis planctusque tumulo matris audiri), Neapolim concessit litterasque ad senatum misit, quarum summa erat repertum cum ferro percussorem Agermum, ex intimis Agrippinae libertis, et luisse eam poenam conscientia, qua scelus paravisset. 11 (1) Adiciebat crimina longius repetita, quod consortium imperii iuraturasque in feminae verba praetorias cohortes idemque dedecus senatus et populi speravisset, ac postquam frustra abita sit, infensa militi patribusque et plebi dissuasisset donativum et congiarium periculaque viris inlustribus struxisset. quanto suo labore perpetratum, ne inrumperet curiam, ne gentibus externis responsa daret! (2) temporum quoque Claudianorum obliqua insectatione
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Personals einen unansehnlichen Grabhügel an der Straße nach Misenum und bei dem Landgut des Diktators Caesar, das aus großer Höhe auf die darunterliegenden Buchten hinabschaut. (2) Als der Scheiterhaufen brannte, erstach sich ihr Freigelassener mit Namen Mnester selbst mit dem Schwert, wobei unklar blieb, ob aus Anhänglichkeit seiner Patronin gegenüber oder aus Angst vor seiner Hinrichtung. (3) Dass sie dieses Ende nehmen werde, hatte Agrippina schon viele Jahre vorher angenommen und verharmlost. Denn als sie wegen Nero nachfragte, gaben die Chaldäer den Bescheid, er werde an die Macht kommen und seine Mutter umbringen. Darauf sagte sie nur: „Soll er mich doch umbringen, wenn er nur an die Macht kommt!“ 10 (1) Dem Caesar aber wurde erst nach dem Abschluss des Verbrechens dessen Schwere bewusst. Den Rest der Nacht war er bald in Schweigen erstarrt, öfter fuhr er voller Angst in die Höhe und war zu keinem vernünftigen Gedanken fähig; so wartete er auf das Tageslicht, als bringe es ihm den Untergang. (2) Da machte ihm auf Veranlassung des Burrus als Erstes die Liebedienerei der Zenturionen und Tribune wieder Hoffnung, die ihm die Hand drückten und ihn dazu beglückwünschten, dass er der unvermuteten Gefahr und dem verbrecherischen Anschlag seiner Mutter entgangen sei. Seine Freunde suchten daraufhin die Tempel auf, und nachdem ein Vorbild gegeben war, bezeugten die nächstgelegenen Landstädte Kampaniens mit Opfern und Abordnungen ihre Freude; er selbst spielte umgekehrt den Leidtragenden und tat so, als sei er über sein eigenes Wohlbefinden verbittert und weine über den Tod seiner Mutter. (3) Weil sich aber trotzdem nicht so wie die Mienen der Menschen das Aussehen einer Landschaft ändert und ihm der bedrückende Anblick jenes berüchtigten Meeres und Strandes vor Augen stand – zudem gab es Leute, die glaubten, man könne Trompetenschall von den hohen Hügeln ringsum und Seufzer vom Grabhügel der Mutter her hören –, zog er nach Neapel und schickte ein Schreiben an den Senat, dessen wesentlicher Inhalt war, man habe als Mörder Agermus, einen der vertrautesten Freigelassenen Agrippinas, mit dem Schwert ertappt, und sie habe aus Schuldbewusstsein die Strafe an sich selbst vollzogen, weil sie das Verbrechen angestiftet habe. 11 (1) Er schloss dann noch von weiter hergeholte Beschuldigungen an: Sie habe gehofft, an der Regierung beteiligt zu werden, die Prätorianerkohorten legten den Fahneneid auf eine Frau ab und Senat und Volk benähmen sich gleich schändlich. Nachdem sie sich darin getäuscht sah, habe sie voller Empörung über Soldaten, Väter und Volk von einer Geldspende und Kornverteilung abgeraten und für angesehene Männer gefährliche Situationen heraufbeschworen. Wie viel Mühe habe es ihn persönlich gekostet durchzusetzen, dass sie nicht in die Kurie eindrang, dass sie ausländischen Völkern keine Bescheide erteilte! (2) Auch mit versteckten Angriffen auf die Zeiten unter Claudius schob er alle
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cuncta eius dominationis flagitia in matrem transtulit, publica fortuna exstinctam referens. namque et naufragium narrabat: quod fortuitum fuisse, quis adeo hebes inveniretur, ut crederet? aut a muliere naufraga missum cum telo unum, qui cohortes et classes imperatoris perfringeret? (3) ergo non iam Nero, cuius immanitas omnium questus anteibat, sed Seneca adverso rumore erat, quod oratione tali confessionem scripsisset. 12 (1) Miro tamen certamine procerum decernuntur supplicationes apud omnia pulvinaria, utque Quinquatrus, quibus apertae insidiae essent, ludis annuis celebrarentur, aureum Minervae simulacrum in curia et iuxta principis imago statuerentur, dies natalis Agrippinae inter nefastos esset. Thrasea Paetus silentio vel brevi adsensu priores adulationes transmittere solitus exit tum senatu, ac sibi causam periculi fecit, ceteris libertatis initium non praebuit. (2) prodigia quoque crebra et inrita intercessere: anguem enixa mulier, et alia in concubitu mariti fulmine exanimata; iam sol repente obscuratus et tactae de caelo quattuordecim urbis regiones. quae adeo sine cura deum eveniebant, ut multos post annos Nero imperium et scelera continuaverit. (3) ceterum quo gravaret invidiam matris eaque demota auctam lenitatem suam testificaretur, feminas inlustres Iuniam et Calpurniam, praetura functos Valerium Capitonem et Licinium Gabolum sedibus patriis reddidit, ab Agrippina olim pulsos. (4) etiam Lolliae Paulinae cineres reportari sepulcrumque exstrui permisit; quosque ipse nuper relegaverat, Iturium et Calvisium poena exsolvit. nam Silana fato functa erat, longinquo ab exilio Tarentum regressa labante iam Agrippina, cuius inimicitiis conciderat, vel [tamen] mitigata. 13 (1) Cunctari tamen in oppidis Campaniae, quonam modo urbem ingrederetur, an obsequium senatus, an studia plebis reperiret anxius. contra deterrimus quisque, quorum non alia regia fecundior extitit, invisum Agrippinae nomen et morte eius accensum populi favorem disserunt:
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Schandtaten aus dessen Gewaltherrschaft auf seine Mutter und behauptete, es sei ein Glück für den Staat, dass sie ums Leben gebracht worden sei. Ja, sogar vom Schiffbruch erzählte er. Dass der ein Zufall gewesen sei – ließe sich tatsächlich ein solcher Dummkopf finden, dass er daran glaubt? Oder dass von einer schiffbrüchigen Frau ein einzelner Mann mit einer Waffe geschickt worden sei, der durch die Kohorten und Flotten des Oberbefehlshabers hindurchbrechen solle? (3) Deshalb war nun schon nicht mehr Nero, dessen Ungeheuerlichkeit die Klagen aller übertraf, sondern Seneca Gegenstand feindseligen Geredes, weil er mit einer solchen Rede ein Geständnis verfasst habe. 12 (1) In einem eigentümlichen Wettstreit der führenden Persönlichkeiten wurden dennoch an allen Götterpolstern5 Danksagungen beschlossen; das Quinquatrusfest, an dem das Attentat aufgedeckt worden war, solle alljährlich mit Spielen gefeiert, eine goldene Statue der Minerva in der Kurie und daneben ein Bild des Princeps aufgestellt und Agrippinas Geburtstag unter die Unglückstage6 gezählt werden. Thrasea Paetus, der schon zuvor kriecherische Anträge gewöhnlich mit Schweigen oder nur kurzer Zustimmung durchgehen ließ, verließ damals den Senat und brachte sich damit selbst in Gefahr, schenkte den übrigen Senatoren aber nicht den Beginn der Freiheit. (2) Auch zahlreiche folgenlose Wunderzeichen ereigneten sich: Eine Frau gebar eine Schlange, und eine verlor beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann durch einen Blitz ihr Leben; ferner verdunkelte sich plötzlich die Sonne, und die vierzehn Bezirke der Hauptstadt7 wurden vom Himmel herab getroffen. Das alles ereignete sich derart eindeutig ohne Beteiligung der Götter, dass Nero noch viele Jahre danach seine Herrschaft und seine Verbrechen fortsetzen konnte. (3) Um aber die Abneigung gegen seine Mutter zu verstärken und nach ihrer Beseitigung seine gesteigerte Milde zu beweisen, gab er die angesehenen Damen Junia und Calpurnia und die ehemaligen Prätoren Valerius Capito und Licinius Gabolus, die einst von Agrippina vertrieben worden waren, ihrem Vaterland zurück. (4) Auch gestattete er, die Asche Lollia Paulinas zurückzubringen und ein Grabmal zu errichten; Personen, die er selbst kurz zuvor relegiert hatte, nämlich Iturius und Calvisius, erließ er ihre Strafe. Was Silana betrifft, so war sie ihrem Schicksal erlegen, nachdem sie aus ihrer lange dauernden Verbannung nach Tarent zurückkehrte, als Agrippinas Einfluss, deren Feindschaft sie zum Opfer gefallen war, bereits im Schwinden begriffen oder sie versöhnlicher gestimmt war. 13 (1) Er harrte dennoch weiter in den Städten Kampaniens aus, voller Angst, wie er denn in die Hauptstadt einziehen solle, ob er die Ergebenheit des Senats, ob er die Sympathie des Volkes vorfinden werde. Umgekehrt behaupteten gerade die verworfensten Elemente, an denen kein anderer Hof je reicher war, verhasst sei Agrippinas Name und durch ihren Tod habe seine Beliebtheit beim
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iret intrepidus et venerationem sui coram experiretur; simul praegredi exposcunt. (2) et promptiora quam promiserant inveniunt, obvias tribus, festo cultu senatum, coniugum ac liberorum agmina per sexum et aetatem disposita, exstructos, qua incederet, spectaculorum gradus, quo modo triumphi visuntur. hinc superbus ac publici servitii victor Capitolium adiit, grates exsolvit, seque in omnes libidines effudit, quas male coercitas qualiscumque matris reverentia tardaverat. 14 (1) Vetus illi cupido erat curriculo quadrigarum insistere, nec minus foedum studium cithara ludicrum in modum canere. concertare quis regium et antiquis ducibus factitatum memorat, idque vatum laudibus celebre et deorum honori datum. enimvero cantus Apollini sacros, talique ornatu adstare non modo Graecis in urbibus, sed Romana apud templa numen praecipuum et praescium. (2) nec iam sisti poterat, cum Senecae ac Burro visum, ne utraque pervinceret, alterum concedere. clausumque valle Vaticana spatium, in quo equos regeret, haud promisco spectaculo. mox ultro vocari populus Romanus laudibusque extollere, ut est vulgus cupiens voluptatum et, si eodem princeps trahat, laetum. (3) ceterum evulgatus pudor non satietatem, ut rebantur, sed incitamentum attulit. ratusque dedecus molliri, si plures foedasset, nobilium familiarum posteros egestate venales in scaenam deduxit; quos fato perfunctos ne nominatim tradam, maioribus eorum tribuendum puto. nam et eius flagitium est, qui pecuniam ob delicta potius dedit, quam ne delinquerent. (4) notos quoque equites Romanos operas arenae promittere subegit donis ingentibus, nisi quod merces ab eo, qui iubere potest, vim necessitatis adfert. 15 (1) Ne tamen adhuc publico theatro dehonestaretur, instituit ludos Iuvenalium vocabulo, in quos passim nomina data. non nobilitas cuiquam, non aetas aut acti honores impedimento, quo minus Graeci Latinive histrionis artem exer-
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Volk stark zugenommen. Er solle unerschrocken gehen und sich von der Verehrung seiner Person mit eigenen Augen überzeugen; zugleich verlangten sie, vorausreisen zu dürfen. (2) Und tatsächlich fanden sie alles noch bereitwilliger vor, als sie es versprochen hatten: die Tribus entlang der Straße, im Festgewand der Senat und Scharen von Ehefrauen und Kindern, nach Geschlecht und Alter aufgestellt; wo er vorbeikommen sollte, waren Zuschauertribünen errichtet wie zum Betrachten von Triumphzügen. Daraufhin zog er als stolzer Sieger über ein versklavtes Volk aufs Kapitol, verrichtete dort ein Dankgebet und stürzte sich dann in alle Leidenschaften, die, wenn auch nur mühsam gezügelt, die Achtung vor seiner Mutter – mochte diese sein, wie sie wollte – gehemmt hatte. 14 (1) Ein alter Herzenswunsch von ihm war es, auf dem Rennwagen eines Viergespanns zu stehen, und nicht weniger entwürdigend war seine Begeisterung, zur Kithara wie ein Schauspieler zu singen. Einen Wettkampf mit Pferden zu bestreiten sei eine königliche, auch von den Kommandeuren der alten Zeit häufig ausgeübte Beschäftigung, pflegte er zu erwähnen, und diese Betätigung sei von Sängern verherrlicht und den Göttern zur Ehre ausgeübt worden. Gesänge wiederum seien doch dem Apollon heilig, und in entsprechender Ausstattung stehe nicht nur in griechischen Städten, sondern auch vor römischen Tempeln der überragende, weissagende Gott. (2) Man konnte ihn schon nicht mehr aufhalten, weil es Seneca und Burrus für besser hielten, damit er nicht beide Liebhabereien durchsetze, ihm eine zuzugestehen. Dazu sperrte man im Vatikantal ein Areal ab, in dem er Rosse lenken konnte, ohne dass das zu einer allgemein zugänglichen Veranstaltung wurde. Aber schon bald wurde doch tatsächlich das römische Volk eingeladen und lobte ihn überschwänglich, vergnügungssüchtig, wie das einfache Volk nun einmal ist und sich freut, wenn der Princeps in die gleiche Richtung zieht. (3) Aber die Preisgabe des Schamgefühls bedeutete nicht Überdruss, wie man annahm, sondern Ansporn, und so brachte er im Glauben, seine Schande werde gemildert, falls er eine größere Anzahl entehre, die Nachkommen vornehmer Familien, die aus Armut käuflich waren, auf die Bühne. Obwohl sie ihr Schicksal bereits ereilt hat, glaube ich es ihren Vorfahren schuldig zu sein, sie nicht namentlich aufzuführen. Denn auch der lädt Schande auf sich, der lieber Geld für Vergehen gibt als dafür, sie nicht zu begehen. (4) Auch bekannte römische Ritter brachte er mit riesigen Geschenken dazu, ihren Auftritt in der Arena zuzusagen; allerdings übt eine Belohnung durch eine Person, die befehlen kann, die Macht des Zwangs aus. 15 (1) Um sich trotzdem vorderhand nicht auf der öffentlichen Bühne zu erniedrigen, stiftete er Spiele unter der Bezeichnung „Juvenalien“, zu denen von allen Seiten Meldungen eingingen. Nicht vornehme Abkunft, nicht Alter oder bekleidete Ehrenämter waren für irgendwen ein Hinderungsgrund, die Kunst eines griechischen oder lateinischen Schauspielers aus-
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cerent usque ad gestus modosque haud viriles. (2) quin et feminae inlustres deformia meditari; exstructaque apud nemus, quod navali stagno circumposuit Augustus, conventicula et cauponae et posita veno inritamenta luxui. dabantur stipes, quas boni necessitate, intemperantes gloria consumerent. (3) inde gliscere flagitia et infamia, nec ulla moribus olim corruptis plus libidinum circumdedit quam illa conluvies. vix artibus honestis pudor retinetur, nedum inter certamina vitiorum pudicitia aut modestia aut quicquam probi moris reservaretur. (4) postremus ipse scaenam incedit, multa cura temptans citharam et praemeditans adsistentibus phascis. accesserat cohors militum, centuriones tribunique et maerens Burrus ac laudans. (5) tuncque primum conscripti sunt equites Romani cognomento Augustianorum, aetate ac robore conspicui, et pars ingenio procaces, alii in spe potentiae. ii dies ac noctes plausibus personare, formam principis vocemque deum vocabulis appellantes; quasi per virtutem clari honoratique agere. 16 (1) Ne tamen ludicrae tantum imperatoris artes notescerent, carminum quoque studium adfectavit, contractis quibus aliqua pangendi facultas necdum insignis aestimatio. hi considere simul, et adlatos vel ibidem repertos versus conectere atque ipsius verba quoquo modo prolata supplere. quod species ipsa carminum docet, non impetu et instinctu nec ore uno fluens. (2) etiam sapientiae doctoribus tempus impertiebat post epulas, utque contraria adseverantium discordia frueretur. nec deerant qui ore vultuque tristi inter oblectamenta regia spectari cuperent. 17 (1) Sub idem tempus levi initio atrox caedes orta inter colonos Nucerinos Pompeianosque gladiatorio spectaculo, quod Livineius Regulus, quem motum senatu rettuli, edebat. quippe oppidana lascivia in vicem incessente probra, dein saxa, postremo ferrum sumpsere, validiore Pompeianorum plebe, apud quos spectaculum edebatur. ergo deportati sunt in urbem
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zuüben bis hin zu Gebärden und rhythmischen Bewegungen, die unmännlich sind. (2) Ja, sogar angesehene Damen übten unanständige Stücke ein, und in dem Hain, den Augustus um den Teich für die Seeschlachten8 herum anlegen ließ, errichtete man Treffpunkte und Kneipen und bot zum Verkauf an, was zur Verschwendung verführt. Man verteilte Geldbeträge, die die anständigen Zeitgenossen gezwungenermaßen, die unmäßigen großtuerisch ausgaben. (3) Von da an breitete sich das schändliche und ehrlose Treiben immer weiter aus, und niemand hat zu dem schon längst erfolgten Sittenverfall mehr Liederlichkeit beigesteuert als diese Jauchegrube. Kaum lässt sich bei ehrbaren Künsten der Anstand beibehalten; viel weniger wird in einem Wettstreit sittlichen Fehlverhaltens Schamhaftigkeit oder Zurückhaltung oder eine Spur rechtschaffenen Benehmens gewahrt. (4) Zum Schluss betrat er persönlich die Bühne, versuchte sich sehr bemüht auf der Kithara und probte zuvor unter Anleitung seiner Gesangslehrer. Abkommandiert war eine Kohorte Soldaten, Zenturionen, Tribune und Burrus, traurig – und doch voll des Lobs. (5) Damals wurden auch zum ersten Mal römische Ritter mit dem Beinamen „Augustianer“ angeworben, auffallend kräftige junge Männer, die zum Teil von ihrer Veranlagung her gerne provozierten, andere in der Hoffnung auf eine einflussreiche Stellung. Sie klatschten Tag und Nacht begeistert Beifall und gaben der äußeren Erscheinung und Stimme des Princeps Götternamen; als sei das ein besonderes Verdienst, traten sie wie berühmte und geachtete Persönlichkeiten auf. 16 (1) Damit nicht nur die schauspielerischen Fähigkeiten des Oberbefehlshabers bekannt würden, beschäftigte er sich auch eifrig mit der Dichtkunst und scharte Leute um sich mit einer gewissen Fertigkeit im Verseschmieden, ohne dass sie darin besonders glänzten. Sie saßen mit ihm zusammen, verknüpften mitgebrachte oder an Ort und Stelle erfundene Verse miteinander und ergänzten Worte, die er persönlich in einem beliebigen Versmaß von sich gab. Dies zeigt schon die äußere Form der Gedichte, die Schwung und Inspiration vermissen lassen und nicht aus einem Guss sind. (2) Auch für Weisheitslehrer9 wandte er Zeit auf, nach dem Essen und um die Meinungsverschiedenheiten der gegensätzliche Standpunkte vertretenden Männer zu genießen. Und es fehlte tatsächlich nicht an Leuten, die sich darum rissen, wegen ihres verbissenen Gesichtsausdrucks10 bei den königlichen Belustigungen angestarrt zu werden. 17 (1) Ungefähr zur gleichen Zeit kam es aus einem nichtigen Anlass zu einem entsetzlichen Blutvergießen zwischen den Einwohnern von Nuceria und Pompeji bei einem Gladiatorenspiel, das Livineius Regulus veranstaltete, der, wie berichtet,11 aus dem Senat ausgeschlossen worden war. Denn nachdem sie sich in kleinstädtischer Ausgelassenheit gegenseitig hänselten, griffen sie zu Beschimpfungen, dann zu Steinen und schließlich zu Waffen, wobei der Pöbel von Pompeji die Oberhand behielt, bei dem das Schauspiel veranstaltet
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multi e Nucerinis trunco per vulnera corpore, ac plerique liberorum aut parentum mortes deflebant. (2) cuius rei iudicium princeps senatui, senatus consulibus permisit. et rursus re ad patres relata, prohibiti publice in decem annos eius modi coetu Pompeiani collegiaque, quae contra leges instituerant, dissoluta; Livineius et qui alii seditionem conciverant exilio multati sunt. 18 (1) Motus senatu et Pedius Blaesus, accusantibus Cyrenensibus violatum ab eo thesaurum Aesculapii dilectumque militarem pretio et ambitione corruptum. (2) idem Cyrenenses reum agebant Acilium Strabonem, praetoria potestate usum et missum disceptatorem a Claudio agrorum, quos regis Apionis quondam avitos et populo Romano cum regno relictos proximus quisque possessor invaserat, diutinaque licentia et iniuria quasi iure et aequo nitebantur. (3) igitur abiudicatis agris orta adversus iudicem invidia; et senatus ignota sibi esse mandata Claudii et consulendum principem respondit. Ne, probata Strabonis sententia, se nihilo minus subvenire sociis et usurpata concedere scripsit. 19 Sequuntur virorum inlustrium mortes, Domitii Afri et M. Servilii, qui summis honoribus et multa eloquentia viguerant, ille orando causas, Servilius diu foro, mox tradendis rebus Romanis celebris et elegantia vitae, quod clariorem effecit, ut par ingenio, ita morum diversus. 20 (1) NERONE quartum CORNELIO COSSO consulibus quinquennale ludicrum Romae institutum est ad morem Graeci certaminis, varia fama, ut cuncta ferme nova. (2) quippe erant qui Cn. quoque Pompeium incusatum a senioribus ferrent, quod mansuram theatri sedem posuisset. nam antea subitariis gradibus et scaena in tempus structa ludos edi solitos, vel si vetustiora repetas,
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wurde. Deshalb wurden viele von den Nucerinern, die durch Verletzungen zu Krüppeln geworden waren, in die Hauptstadt gebracht, und sehr viele hatten den Tod ihrer Kinder oder Eltern zu beweinen. (2) Die rechtliche Würdigung dieses Vorfalls überließ der Princeps dem Senat, der Senat den Konsuln. Und nachdem die Angelegenheit wieder an die Väter zurückverwiesen worden war, wurde den Pompejanern in ihrer Gesamtheit für zehn Jahre der Besuch solcher Veranstaltungen verboten, und man löste die Vereine auf, die sie gesetzwidrig gegründet hatten. Livineius und wer sonst noch für den Krawall verantwortlich war, wurden mit Verbannung bestraft. 18 (1) Aus dem Senat ausgeschlossen wurde auch Pedius Blaesus auf die Anklage der Einwohner von Cyrene hin, er habe sich am Schatz des Äskulap vergriffen und eine Aushebung von Soldaten durch auf Bestechung beruhende Begünstigung verfälscht. (2) Ebenfalls die Einwohner von Cyrene klagten Acilius Strabo an, der die Amtsbefugnis eines Prätors ausgeübt hatte und von Claudius als Schiedsrichter über die Ländereien geschickt worden war, die einst zum Erbgut des Königs Apion gehörten und dem römischen Volk zusammen mit seinem Reich überlassen worden waren. Die jeweiligen benachbarten Grundbesitzer hatten sie dann besetzt und beriefen sich nun auf ihr jahrelang geduldetes gesetzwidriges Handeln, als sei dies nur recht und billig. (3) Deshalb kam, als ihnen die Ländereien aberkannt wurden, Unmut gegen den Richter auf; und der Senat antwortete, er wisse von Claudiusʼ Weisungen nichts, und deshalb solle man sich an den Princeps wenden. Nero bestätigte Strabos Urteil und schrieb zurück, nichtsdestoweniger wolle er den Bundesgenossen entgegenkommen und überlasse ihnen, was sie sich widerrechtlich angeeignet hätten. 19 Es folgte der Tod angesehener Männer, des Domitius Afer und M. Servilius. Sie hatten die höchsten Ehrenämter bekleidet und sich durch große Beredsamkeit ausgezeichnet; der eine war berühmt als Anwalt bei Prozessen, Servilius durch seine langjährige Tätigkeit auf dem Forum, dann als Verfasser einer römischen Geschichte und durch seine kultivierte Lebensführung. Das verlieh ihm mehr Glanz, weil er über das gleiche Talent verfügte, sich aber charakterlich unterschied.12 20 (1) Als NERO zum vierten Mal und CORNELIUS COSSUS Konsuln waren (60 n. Chr.), wurden in Rom alle fünf Jahre stattfindende Spiele eingerichtet in der Art eines griechischen Wettkampfs. Man war darüber verschiedener Auffassung wie bei fast allen Neuerungen. (2) Es gab nämlich Personen, die behaupteten, auch Cn. Pompeius sei von den älteren Leuten dafür getadelt worden, dass er einen dauerhaften Theaterbau errichtet habe. Denn zuvor habe man gewöhnlich mit schnell aufgeschlagenen Rängen und auf einer nur vorübergehend errichteten Bühne die Spiele veranstaltet, oder wenn
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stantem populum spectavisse, , si consideret theatro, dies totos ignavia continuaret. (3) [ne] spectaculorum quidem antiquitas servaretur, quotiens praetor sederet, nulla cuiquam civium necessitate certandi. (4) ceterum abolitos paulatim patrios mores funditus everti per accitam lasciviam, ut, quod usquam corrumpi et corrumpere queat, in urbe visatur, degeneretque studiis externis iuventus, gymnasia et otia et turpes amores exercendo, principe et senatu auctoribus, qui non modo licentiam vitiis permiserint, sed vim adhibeant, proceres Romani specie orationum et carminum scaena polluantur. quid superesse, nisi ut corpora quoque nudent et caestus adsumant easque pugnas pro militia et armis meditentur? (5) an iustitiam auctum iri et decurias equitum egregium iudicandi munus expleturos, si fractos sonos et dulcedinem vocum perite audissent? noctes quoque dedecori adiectas, ne quod tempus pudori relinquatur, sed coetu promisco, quod perditissimus quisque per diem concupiverit, per tenebras audeat. 21 (1) Pluribus ipsa licentia placebat, ac tamen honesta nomina praetendebant. maiores quoque non abhorruisse spectaculorum oblectamentis pro fortuna, quae tu erat, eoque a Tuscis accitos histriones, a Thuriis equorum certamina; et possessa Achaia Asiaque ludos curatius editos, nec quemquam Romae honesto loco ortum ad theatrales artes degeneravisse, ducentis iam annis a L. Mummi triumpho, qui primus id genus spectaculi in urbe praebuerit. (2) sed et consultum parsimoniae, quod perpetua sedes theatro locata sit potius, quam immenso sumptu singulos per annos consurgeret ac strueretur. nec perinde magistratus rem familiarem exhausturos aut populo efflagitandi Graeca certamina magistratibus causam fore, cum eo sumptu res publica fungatur. (3) oratorum ac vatum victorias incitamentum ingeniis adlaturas; nec cuiquam iudici grave aures
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man noch weiter in die Vergangenheit zurückblicke, habe das Volk stehend zugeschaut, damit es nicht, wenn es im Theater sitzen könne, ganze Tage mit Faulenzen zubringe. (3) Bei den Spielen solle man jedenfalls das alte Verfahren beibehalten, dass auf einen Bürger jedes Mal, wenn der Prätor den Vorsitz führte, keinerlei Zwang zum Mitspielen ausgeübt wurde. (4) Überhaupt würden die allmählich aus der Übung gekommenen ererbten Sitten von Grund auf umgestoßen durch die importierte Zügellosigkeit mit dem Ergebnis, dass, was irgendwo verführt werden und verführen könne, in der Hauptstadt zu sehen sei; zudem entarte durch die ausländischen Liebhabereien die Jugend, indem sie sich mit Gymnasien13 und Nichtstun und schändlichen Liebesabenteuern beschäftige; Princeps und Senat steckten dahinter, die nicht nur dem hemmungslosen Treiben freie Bahn ließen, sondern die führenden römischen Persönlichkeiten mit Gewalt dazu zwängen, sich unter dem Vorwand, es gehe um Reden und Gedichte, auf der Bühne zum Gespött zu machen. Wie viel fehle denn noch, dass sie auch ihre Körper entblößen, Boxhandschuhe anlegen und sich in diesen Kämpfen statt im Militär- und Waffendienst üben müssten? (5) Oder werde etwa die Gerechtigkeit gefördert, und übten die Ritterdekurien ihre herausragende Tätigkeit als Richter besser aus, wenn sie weibische Töne und süßliche Stimmen fachmännisch angehört hätten? Sogar die Nächte habe man dem schändlichen Treiben zugeschlagen, damit keine Zeit mehr für ein anständiges Verhalten bleibe, sondern in zusammengewürfelter Gesellschaft gerade die verrufensten Elemente sich bei Dunkelheit zu tun getrauten, wonach es sie tagsüber gelüste. 21 (1) Der Mehrheit gefiel gerade dieses hemmungslose Treiben, und dennoch schützte sie ehrbare Bezeichnungen vor: Auch ihre Vorfahren hätten sich von den bei Schauspielen gebotenen Belustigungen nicht abschrecken lassen den wirtschaftlichen Möglichkeiten entsprechend, die sie damals hatten, und deshalb habe man von den Etruskern die Schauspieler und aus Thurii die Pferderennen geholt. Nach der Besetzung Achaias und Asias habe man die Spiele aufwendiger gestaltet, aber keiner, der in Rom in ehrbarem Hause geboren sei, sei so tief gesunken, seine Fähigkeiten im Theater zu beweisen, obwohl nun schon zweihundert Jahre seit dem Triumph des L. Mummius vergangen seien, der diese Art Schauspiel zuerst in der Hauptstadt geboten habe.14 (2) Aber auch auf Sparsamkeit habe man dadurch geachtet, dass für das Theater lieber eine dauerhafte Stätte errichtet wurde, als es mit ungeheurem Aufwand jedes Jahr neu hochzuziehen und wieder abzureißen. Zugleich müssten die Amtsträger ihr Vermögen nicht mehr aufbrauchen, oder das Volk habe keinen Grund mehr dafür, griechische Wettkämpfe von den Amtsträgern zu verlangen, weil die Kosten dafür der Staat übernehme. (3) Die Siege von Rednern und Sängern bedeuteten einen Ansporn für Talente, und für keinen Preisrichter sei es
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studiis honestis et voluptatibus concessis impertire. laetitiae magis quam lasciviae dari paucas totius quinquennii noctes, quibus tanta luce ignium nihil inlicitum occultari queat. (4) sane nullo insigni dehonestamento id spectaculum transit. ac ne modica quidem studia plebis exarsere, quia redditi quamquam scaenae pantomimi certaminibus sacris prohibebantur. eloquentiae primas nemo tulit, sed victorem esse Caesarem pronuntiatum. Graeci amictus, quis per eos dies plerique incesserant, tum exoleverunt. 22 (1) Inter quae sidus cometes effulsit, de quo vulgi opinio est, tamquam mutationem regis portendat. igitur, quasi iam depulso Nerone, quisnam deligeretur anquirebant. et omnium ore Rubellius Plautus celebratur, cui nobilitas per matrem ex Iulia familia. ipse placita maiorum colebat, habitu severo, casta et secreta domo, quantoque metu occultior, tanto plus famae adeptus. (2) auxit rumorem pari vanitate orta interpretatio fulguris. nam quia discumbentis Neronis apud Simbruina stagna , cui Sublaqueum nomen est, ictae dapes mensaque disiecta erat, idque finibus Tiburtum acciderat, unde paterna Plauto origo, hunc illum numine deum destinari credebant, fovebantque multi, quibus nova et ancipitia praecolere avida et plerumque fallax ambitio est. (3) ergo permotus his Nero componit ad Plautum litteras, consuleret quieti urbis seque prava diffamantibus subtraheret: esse illi per Asiam avitos agros, in quibus tuta et inturbida iuventa frueretur. ita illuc cum coniuge Antistia et paucis familiarium concessit. (4) Isdem diebus nimia luxus cupido infamiam et periculum Neroni tulit, quia fontem aquae Marciae ad urbem deductae nando incesserat; videbaturque potus sacros et caerimoniam loci corpore loto polluisse. secutaque anceps valitudo iram deum adfirmavit.
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belastend, seine Ohren ehrbaren Betätigungen und erlaubten Vergnügungen zu leihen. Mehr der Belustigung als der Zügellosigkeit dienten die paar Nächte in dem gesamten Zeitraum von fünf Jahren, in denen bei dem hellen Flammenschein nichts Verbotenes heimlich getan werden könne. (4) Tatsächlich ging diese Veranstaltung ohne einen besonders beschämenden Zwischenfall vorüber. Und die Begeisterung des Pöbels flackerte nicht einmal mäßig auf, weil die Pantomimen zwar der Bühne wiedergegeben, aber von den heiligen Wettkämpfen ausgeschlossen wurden.15 In der Beredsamkeit bekam niemand den ersten Preis, doch verkündete man, Sieger sei der Caesar. Die griechische Tracht, in der während dieser Tage sehr viele einherstolziert waren, kam nun wieder aus der Mode. 22 (1) Währenddessen zeigte sich ein strahlender Komet, von dem das einfache Volk die Meinung hat, er kündige einen Thronwechsel an. Deshalb fragte man sich, so als ob Nero schon gestürzt sei, wer denn erwählt werden würde. Und in aller Munde wurde Rubellius Plautus gerühmt, der seinen hohen Adel über seine Mutter von der julischen Familie herleitete.16 Er selbst hielt sich an die Grundsätze der Vorfahren, trat ernst auf, sein Haus war sittenstreng und nach außen abgeschlossen, und je mehr er sich aus Angst zurückzog, desto mehr gewann er an Ansehen. (2) Das Gerede nahm durch die Ausdeutung eines Blitzschlags zu, die auf gleich haltlosen Vermutungen beruhte. Denn als Nero bei den Simbruiner Seen in seinem Landhaus, das Sublaqueum heißt, bei Tisch lag, wurden die Speisen getroffen und der Tisch zerschmettert, und der Vorfall hatte sich im Gebiet von Tibur ereignet, aus dem Plautus väterlicherseits stammte; deshalb glaubte man, er sei die Person, die durch den Willen der Götter bezeichnet werde, und viele, die den unbändigen und meist trügerischen Ehrgeiz haben, sich bei neuen und noch unsicheren Entwicklungen als Erste anzubiedern, zeigten ihm ihre Sympathien. (3) Darüber war Nero äußerst beunruhigt und verfasste deshalb an Plautus ein Schreiben, er solle auf die Ruhe in der Hauptstadt Rücksicht nehmen und sich den Leuten entziehen, die über ihn böse Gerüchte verbreiteten: Er besitze doch in Asia ererbte Ländereien, auf denen er sicher und ungestört seine Jugendjahre genießen könne. Deshalb zog er sich dorthin zusammen mit seiner Frau Antistia und wenigen engen Freunden zurück. (4) In denselben Tagen brachte übertriebene Gier nach Extravaganz Nero Schande und Gefahr, weil er ins Quellbassin der bis in die Hauptstadt führenden marcischen Wasserleitung zum Schwimmen gestiegen war; und anscheinend verunreinigte er das geweihte Trinkwasser und die Heiligkeit des Ortes beim Baden seines Körpers. Eine darauf folgende Erkrankung bestätigte den Zorn der Götter.
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23 (1) At Corbulo post deleta Artaxata utendum recenti terrore ratus ad occupanda Tigranocerta, quibus excisis metum hostium intenderet vel, si pepercisset, clementiae famam adipisceretur, illuc pergit, non infenso exercitu, ne spem veniae auferret, neque tamen remissa cura, gnarus facilem mutatu gentem, ut segnem ad pericula, ita infidam ad occasiones. (2) barbari, pro ingenio quisque, alii preces offerre, quidam deserere vicos et in avia digredi; ac fuere qui se speluncis et carissima secum abderent. igitur dux Romanus diversis artibus, misericordia adversum supplices, celeritate adversus profugos, immitis iis, qui latebras insederant, ora et exitus specuum sarmentis virgultisque completos igni exurit. (3) atque illum fines suos praegredientem incursavere Mardi, latrociniis exerciti contraque inrumpentem montibus defensi; quos Corbulo immissis Hiberis vastavit hostilemque audaciam externo sanguine ultus est. 24 (1) Ipse exercitusque ut nullis ex proelio damnis, ita per inopiam et labores fatiscebant, carne pecudum propulsare famem adacti. ad hoc penuria aquae, fervida aestas, longinqua itinera sola ducis patientia mitigabantur, eadem pluraque gregario milite toleranti. (2) ventum dehinc in locos cultos demessaeque segetes, et ex duobus castellis, in quae confugerant Armenii, alterum impetu captum; qui primam vim depulerant, obsidione coguntur. (3) unde in regionem Tauraunitium transgressus improvisum periculum vitavit. nam haud procul tentorio eius non ignobilis barbarus cum telo repertus ordinem insidiarum seque auctorem et socios per tormenta edidit, convictique et puniti sunt qui specie amicitiae dolum parabant. (4) nec multo post legati Tigranocerta missi patere moenia adferunt, intentos populares ad iussa; simul hospitale donum, coronam auream, tradebant. accepitque cum honore, nec quicquam urbi detractum, quo promptius obsequium integri retinerent.
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23 (1) Doch was Corbulo betrifft, war er nach der Zerstörung Artaxatas davon überzeugt, man müsse den frischen Schrecken zur Einnahme von Tigranocerta nützen, mit dessen Zerstörung er die Furcht der Feinde steigern oder, falls er es verschone, den Ruf der Milde gewinnen könne, und marschierte deshalb dorthin, wobei sein Heer nicht feindlich auftrat, um die Hoffnung auf Verzeihung nicht zu nehmen, und dennoch ohne in der Vorsicht nachzulassen, weil er wusste, dass das Volk dort zum Seitenwechsel neigt, weil es ebenso unentschlossen in Gefahren wie treulos bei sich bietenden Gelegenheiten ist. (2) Die Barbaren brachten, jeder seiner Veranlagung entsprechend, teils Bitten vor, teils verließen sie ihre Dörfer und wichen in unwegsames Gelände aus. Und es gab einige, die sich zusammen mit dem, was ihnen am liebsten war, in Höhlen versteckten. Deshalb wandte der römische Kommandeur verschiedene Methoden an, Mitleid mit um Gnade Flehenden, Schnelligkeit gegen Flüchtlinge, unerbittlich gegen diejenigen, die sich in Schlupfwinkeln festgesetzt hatten; die Einund Ausgänge der Höhlen ließ er mit Reisig und Buschwerk anfüllen und räucherte sie aus. (3) Und als er an ihrem Gebiet vorbeimarschierte, griffen ihn die Marder an, die in Raubzügen geübt waren und vor einem Eindringling durch Berge geschützt wurden; gegen sie schickte Corbulo die Hiberer, ließ ihr Land verwüsten und bestrafte so die Dreistigkeit der Feinde mit ausländischem Blut. 24 (1) Er persönlich und sein Heer waren, obwohl es keine Verluste in Gefechten gegeben hatte, aber durch den fehlenden Proviant und die Strapazen erschöpft, da sie gezwungen waren, nur mit Schaffleisch den Hunger zu stillen.17 Dazu kamen der Wassermangel, der glühend heiße Sommer und die langen Marschwege, die nur durch die Ausdauer des Kommandeurs abgemildert wurden, der die gleichen Entbehrungen und noch mehr als der einfache Soldat auf sich nahm. (2) Dann kam man in angebaute Gebiete und mähte das Getreide, und von zwei Kastellen, in die die Armenier geflohen waren, wurde eines im Sturm genommen; die Feinde, die den ersten Angriff zurückgeschlagen hatten, wurden durch Belagerung bezwungen. (3) Von dort marschierte er in das Gebiet der Taurauniten hinüber und entging einer unerwarteten Gefahr. Denn nicht weit von seinem Zelt entfernt wurde ein ziemlich vornehmer Barbar mit einer Waffe aufgegriffen; er verriet auf der Folter den geplanten Ablauf des Anschlags, bezeichnete sich als Rädelsführer und gab seine Genossen preis, und man überführte und bestrafte die Männer, die unter dem Anschein der Freundschaft eine Falle stellten. (4) Nicht lange danach berichteten aus Tigranocerta geschickte Gesandte, die Stadttore stünden offen, die Einwohnerschaft warte auf seine Befehle; zugleich brachten sie als Gastgeschenk eine goldene Krone. Er nahm sie voller Hochachtung an, und nichts wurde aus der Stadt fortgeschleppt, damit sie, weil sie nicht angetastet worden waren, umso bereitwilliger ihren Gehorsam beibehielten.
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25 (1) At praesidium Legera, quod ferox iuventus clauserat, non sine certamine expugnatum est; nam et proelium pro muris ausi erant et pulsi intra munimenta aggeri demum et inrumpentium armis cessere. (2) quae facilius proveniebant, quia Parthi Hyrcano bello distinebantur. miserantque Hyrcani ad principem Romanum societatem oratum, attineri a se Vologaesen pro pignore amicitiae ostentante. eos regredientes Corbulo, ne Euphraten transgressi hostium custodiis circumvenirentur, dato praesidio ad litora maris Rubri deduxit, unde vitatis Parthorum finibus patrias in sedes remeavere. 26 (1) Quin et Tiridaten per Medos extrema Armeniae intrantem praemisso cum auxiliis Verulano legato atque ipse legionibus citis abire procul ac spem belli omittere subegit; quosque nobis aversos animis cognoverat, caedibus et incendiis perpopulatus possessionem Armeniae usurpabat, cum advenit Tigranes a Nerone ad capessendum imperium delectus, Cappadocum e nobilitate, regis Archelai nepos, sed quod diu obses apud urbem fuerat, usque ad servilem patientiam demissus. (2) ne consensu acceptus, durante apud quosdam favore Arsacidarum: at plerique superbiam Parthorum perosi datum a Romanis regem malebant. additum et praesidium, mille legionarii, tres sociorum cohortes duaeque equitum alae; et quo facilius novum regnum tueretur, pars Armeniae, ut cuique finitima, Parsni Polique et Aristobulo atque Antiocho parere iussae sunt. Corbulo in Syriam abscessit, morte Ummidii legati vacuam ac sibi permissam. 27 (1) Eodem anno ex inlustribus Asiae urbibus Laodicea tremore terrae prolapsa nullo nobis remedio propriis opibus revaluit. at in Italia vetus oppidum Puteoli ius coloniae et cognomentum a Nerone apiscuntur. (2) veterani Tarentum et Antium adscripti non tamen infrequentiae locorum subvenere, dilapsis pluribus in provincias, in quibus stipendia expleverant; neque coniugiis
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25 (1) Der Stützpunkt Legerda jedoch, den eine zu allem entschlossene Einheit junger Männer versperrt hatte, wurde nicht kampflos erobert. Denn sie hatten sogar ein Gefecht vor den Mauern gewagt und gaben sich, in die Befestigungen zurückgetrieben, erst einem Damm und den Waffen der Eindringenden geschlagen. (2) Diese Unternehmungen verliefen leichter erfolgreich, weil die Parther durch den Krieg mit den Hyrkanern beansprucht waren. Die Hyrkaner hatten zum römischen Princeps Männer mit der Bitte um ein Bündnis geschickt und als Unterpfand der Freundschaft darauf verwiesen, Vologaeses werde von ihnen aufgehalten. Auf dem Rückweg ließ sie Corbulo, damit sie nicht nach Überquerung des Euphrat von feindlichen Wachtposten abgefangen werden konnten, mit einer Begleitmannschaft an die Küsten des Roten Meeres18 geleiten, von wo aus sie unter Vermeidung des parthischen Gebiets in ihr Heimatland zurückkehrten. 26 (1) Ja, als Tiridates durch das Mederland in das Grenzgebiet Armeniens einrückte, schickte er den Legaten Verulanus mit Hilfstruppen voraus und zwang ihn selbst mit den Legionen in Eilmärschen, sich weit zurückzuziehen und die in den Krieg gesetzten Erwartungen aufzugeben. Bei wem er uns gegenüber eine feindliche Einstellung festgestellt hatte, dessen Gebiet verwüstete er mit Feuer und Schwert und war so schon dabei, das Recht auf den Besitz Armeniens durchzusetzen, als Tigranes eintraf, der von Nero zur Übernahme der Herrschaft ausersehen war, ein Angehöriger des kappadokischen Adels, ein Enkel des Königs Archelaus, aber weil er lange Zeit als Geisel in der Hauptstadt gelebt hatte, zu sklavischer Tatenlosigkeit abgesunken. (2) Er wurde auch nicht allgemein anerkannt, weil bei einigen noch die Vorliebe für die Arsaciden anhielt; die Mehrheit jedoch hasste die Überheblichkeit der Parther zutiefst und wollte lieber einen von den Römern eingesetzten König. Er erhielt auch eine Begleitmannschaft gestellt, eintausend Legionäre, drei Kohorten der Bundesgenossen und zwei Kavallerieregimenter. Und damit er sein neues Königreich leichter behaupten konnte, wurde befohlen, Armenien solle teilweise – je nach Grenznachbarschaft – Pharasmanes und Polemon sowie Aristobulus und Antiochus gehorchen. Corbulo rückte nach Syrien ab, das durch den Tod des Legaten Ummidius unbesetzt und ihm verliehen worden war. 27 (1) Im gleichen Jahr stürzte Laodicea, eine der berühmten Städte Asias, bei einem Erdbeben ein, wurde aber ohne Unterstützung durch uns aus eigenen Kräften wieder aufgebaut. In Italien wiederum erhielt die alte Landstadt Puteoli den rechtlichen Status einer Kolonie und ihren Beinamen nach Nero. (2) Veteranen, die Tarent und Antium als Kolonisten zugeteilt worden waren, stellten für die geringe Bevölkerungszahl der Orte dennoch keine Hilfe dar, weil sich die Mehrzahl in die Provinzen davonmachte, in denen sie ihre Dienstzeit verbracht hatte; da sie weder daran gewöhnt waren, Ehen einzugehen19 noch
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suscipiendis neque alendis liberis sueti orbas sine posteris domos relinquebant. (3) non enim, ut olim, universae legiones deducebantur cum tribunis et centurionibus et sui cuiusque ordinis militibus, ut consensu et caritate rem publicam efficerent, sed ignoti inter se, diversis manipulis, sine rectore, sine adfectibus mutuis, quasi ex alio genere mortalium repente in unum collecti, numerus magis quam colonia. 28 (1) Comitia praetorum arbitrio senatus haberi solita, quo acriore ambitu exarserant, princeps composuit, tres, qui supra numerum petebant, legioni praeficiendo. auxitque patrum honorem statuendo ut, qui a privatis iudicibus ad senatum provocavissent, eiusdem pecuniae periculum facerent, cuius si qui imperatorem appellare; nam antea vacuum id solutumque poena fuerat. (2) fine anni Vibius Secundus eques Romanus accusantibus Mauris repetundarum damnatur atque Italia exigitur, ne graviore poena adficeretur, Vibii Crispi fratris opibus enisus. 29 (1) CAESENIO PAETO et PETRONIO TURPILIANO consulibus gravis clades in Britannia accepta; in qua neque A. Didius legatus, ut memoravi, nisi parta retinuerat, et successor Veranius, modicis excursibus Siluas populatus, quin ultra bellum proferret, morte prohibitus est, magna, dum vixit, severitatis fama, supremis testamenti verbis ambitionis manifestus: quippe multa in Neronem adulatione addidit subiecturum ei provinciam fuisse, si biennio proximo vixisset. (2) sed tum Paulinus Suetonius obtinebat Britannos, scientia militiae et rumore populi, qui neminem sine aemulo sinit, Corbulonis concertator, receptaeque Armeniae decus aequare domitis perduellibus cupiens. (3) igitur Monam insulam, incolis validam et receptaculum perfugarum, adgredi parat, navesque fabricatur plano alveo adversus breve et incertum. sic pedes; equites vado secuti aut altiores inter undas adnantes equis tramisere.
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Kinder großzuziehen, hinterließen sie verwaiste Häuser ohne Nachkommen. (3) Denn nicht mehr wie früher wurden ganze Legionen geschlossen angesiedelt zusammen mit ihren Tribunen und Zenturionen und den Soldaten aus den gleichen Einheiten, um in Harmonie und Wertschätzung ein Gemeinwesen zu bilden, sondern Leute, die sich nicht kannten, aus verschiedenen Manipeln, ohne Führungspersönlichkeit, ohne gegenseitige gefühlsmäßige Bindung und gewissermaßen aus einer anderen Kategorie von Sterblichen wurden plötzlich zu einer Einheit zusammengefasst, eher eine bloße Anzahl als eine Kolonie. 28 (1) Bei den Prätorenwahlen, die regelmäßig in die Zuständigkeit des Senats fielen, war ein recht heftiger Wahlkampf entbrannt. Der Princeps entschärfte deshalb die Lage durch die Übertragung eines Legionskommandos an die drei überzähligen Bewerber. Er erhöhte das Ansehen der Väter durch die Regelung, dass die Personen, die gegen Urteile vor Zivilgerichten Berufung beim Senat eingelegt hatten, gleich viel Geld riskierten, wie wenn jemand sich an den Oberbefehlshaber wandte;20 denn zuvor war das frei und nicht mit einer Strafe verbunden. (2) Am Jahresende wurde der römische Ritter Vibius Secundus von den Mauren angeklagt, wegen Erpressung verurteilt und aus Italien ausgewiesen; dass ihn nicht eine schwerere Strafe traf, hatte er nur dem Einfluss seines Bruders Vibius Crispus zu verdanken. 29 (1) Unter den Konsuln CAESENNIUS PAETUS und PETRONIUS TURPILIANUS (61 n. Chr.) musste man eine schwere Niederlage in Britannien hinnehmen. Dort hatte, wie berichtet,21 der Legat A. Didius lediglich die eroberten Gebiete gehalten, und sein Nachfolger Veranius hatte in unbedeutenden Streifzügen das Gebiet der Siluren verwüstet, wurde dann aber vom Tod daran gehindert, den Krieg weiter auszudehnen; er stand, solange er lebte, im Ruf großer Ernsthaftigkeit, verriet dann aber mit den letzten Worten seines Testaments ganz offen seine Selbstüberschätzung. Denn nach vielen Schmeicheleien für Nero schloss er an, er hätte ihm die Provinz unterworfen, wenn er noch die nächsten zwei Jahre gelebt hätte. (2) Jetzt aber führte Paulinus Suetonius das Kommando über die Britannier, von der militärischen Erfahrung her und dem Gerede des Volkes zufolge, das niemanden ohne Nebenbuhler lässt, ein Rivale Corbulos, der den gleichen Ruhm, den die Wiedergewinnung Armeniens bedeutete, mit der Bändigung seiner Feinde im Krieg erreichen wollte. (3) Deshalb machte er sich daran, die Insel Mona anzugreifen, die dicht bevölkert und ein Zufluchtsort für Überläufer war, und ließ dazu Schiffe mit flachem Rumpf für die nicht erkennbaren Untiefen bauen. So wurde die Infanterie transportiert; die Kavallerie folgte auf einer Furt oder setzte an tieferen Stellen neben ihren Pferden herschwimmend über.
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30 (1) Stabat pro litore diversa acies, densa armis virisque, intercursantibus feminis, in modum Furiarum veste ferali, crinibus disiectis faces praeferebant; Druidaeque circum, preces diras sublatis ad caelum manibus fundentes, novitate adspectus perculere militem, ut quasi haerentibus membris immobile corpus vulneribus praeberent. (2) dein cohortationibus ducis et se ipsi stimulantes, ne muliebre et fanaticum agmen pavescerent, inferunt signa sternuntque obvios et igni suo involvunt. (3) praesidium posthac impositum victis excisique luci saevis superstitionibus sacri: nam cruore captivo adolere aras et hominum fibris consulere deos fas habebant. haec agenti Suetonio repentina defectio provinciae nuntiatur. 31 (1) Rex Icenorum Prasutagus, longa opulentia clarus, Caesarem heredem duasque filias scripserat, tali obsequio ratus regnumque et domum suam procul iniuria fore. quod contra vertit, adeo ut regnum per centuriones, domus per servos velut capta vastarentur. iam primum uxor eius Boudicca verberibus adfecta et filiae stupro violatae sunt; praecipui quique Icenorum, quasi cunctam regionem muneri accepissent, avitis bonis exuuntur, et propinqui regis inter mancipia habebantur. (2) qua contumelia et metu graviorum, quando in formam provinciae cesserant, rapiunt arma, commotis ad rebellationem Trinovantibus et qui alii nondum servitio fracti resumere libertatem occultis coniurationibus pepigerant, acerrimo in veteranos odio. (3) quippe in coloniam Camulodunum recens deducti pellebant domibus, exturbabant agris, captivos, servos appellando, foventibus impotentiam veteranorum militibus similitudine vitae et spe eiusdem licentiae. (4) ad hoc templum divo Claudio constitutum quasi arx aeternae dominationis adspiciebatur, delectique sacerdotes specie religionis
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30 (1) Da stand an der Küste das gegnerische Heer, dicht geschlossen mit Waffen und Männern, zwischen denen Frauen hin- und herliefen, die wie Furien im Leichengewand und mit zerzausten Haaren Fackeln vor sich hertrugen. Dazu gaben die Druiden ringsum grausige Verwünschungen mit zum Himmel erhobenen Händen von sich und machten durch ihren ungewöhnlichen Anblick die Soldaten derart fassungslos, dass sie wie mit gelähmten Gliedern ihre Leiber unbeweglich Verwundungen aussetzten. (2) Nach Ermunterungen durch ihren Kommandeur und sich selbst damit Mut machend, doch nicht vor einem Haufen rasender Weiber in Panik zu geraten, griffen sie dann aber an, warfen, wer ihnen in den Weg trat, zu Boden und rollten sie in ihr eigenes Feuer. (3) Daraufhin legte man eine Besatzung ins Gebiet der Besiegten und haute die Haine um, die grausamen abergläubischen Riten geweiht waren; denn sie hielten es für ein göttliches Gebot, mit dem Blut von Gefangenen Altäre zu besprengen und mit menschlichen Eingeweiden ihre Götter zu befragen. Während Suetonius damit beschäftigt war, wurde ihm der überraschende Abfall der Provinz gemeldet. 31 (1) Der Icenerkönig Prasutagus, ein schon lange für seinen Reichtum bekannter Mann, hatte den Caesar und seine zwei Töchter zu Erben eingesetzt in der Überzeugung, durch eine derartige Ergebenheit würden sein Reich und sein Haus vor Übergriffen verschont bleiben. Das Gegenteil trat ein, und zwar derart, dass sein Reich durch Zenturionen, sein Haus durch Sklaven wie erobertes Gebiet verwüstet wurde. Gleich zu Beginn wurde seine Frau Boudicca mit Schlägen misshandelt, seine Töchter durch Vergewaltigung geschändet. Alle führenden Persönlichkeiten der Icener vertrieb man, als ob man die ganze Gegend zum Geschenk bekommen hätte, von ihren ererbten Gütern und behandelte die Verwandten des Königs wie gekaufte Sklaven. (2) Wegen dieser Beleidigung und aus Furcht vor noch schwereren Übergriffen, da sie schon in die Rechtsform einer Provinz übergegangen waren, griffen sie schleunigst zu den Waffen, nachdem sie die Trinovanten und all die anderen Stämme zum Widerstand aufgehetzt hatten, die durch die Knechtschaft noch nicht gebrochen waren und sich in geheimen Verschwörungen verpflichtet hatten, die Freiheit wiederzugewinnen, voll glühendem Hass auf die Veteranen. (3) Denn nachdem man diese gerade erst in der Kolonie Camulodunum angesiedelt hatte, vertrieben sie die Bewohner aus ihren Häusern, verjagten sie von den Feldern, nannten sie Gefangene und Sklaven, wobei die Soldaten die Ausschreitungen der Veteranen unterstützten wegen ihrer vergleichbaren Lebensumstände und der Hoffnung, sich gleich hemmungslos verhalten zu können. (4) Zudem sah man den für den vergöttlichten Claudius errichteten Tempel sozusagen als Zwingburg ewiger Willkürherrschaft an, und die ausgewählten Priester verschwendeten unter dem Vorwand religiöser Pflichten
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omnes fortunas effundebant. nec arduum videbatur exscindere coloniam nullis munimentis saeptam; quod ducibus nostris parum provisum erat, dum amoenitati prius quam usui consulitur. 32 (1) Inter quae nulla palam causa delapsum Camuloduni simulacrum Victoriae ac retro conversum, quasi cederet hostibus. et feminae in furore turbatae adesse exitium canebant, externosque fremitus in curia eorum auditos, consonuisse ululatibus theatrum visamque speciem in aestuario Tamesae subversae coloniae; iam Oceanus cruento adspectu, ac labente aestu humanorum corporum effigies relictae, ut Britanni ad spem, ita veterani ad metum trahebantur. (2) sed quia procul Suetonius aberat, petivere a Cato Deciano procuratore auxilium. ille haud amplius quam ducentos sine iustis armis misit; et inerat modica militum manus. tutela templi freti, et impedientibus qui occulti rebellionis conscii consilia turbabant, neque fossam aut vallum praeduxerunt, neque motis senibus et feminis iuventus sola restitit: quasi media pace incauti multitudine barbarorum circumveniuntur. (3) et cetera quidem impetu direpta aut incensa sunt: templum, in quo se miles conglobaverat, biduo obsessum expugnatumque. et victor Britannus, Petilio Ceriali, legato legionis nonae, in subsidium adventanti obvius, fudit legionem, et quod peditum interfecit: Cerialis cum equitibus evasit in castra et munimentis defensus est. qua clade et odiis provinciae, quam avaritia e in bellum egerat, trepidus procurator Catus in Galliam transiit. 33 (1) At Suetonius mira constantia medios inter hostes Londinium perrexit, cognomento quidem coloniae non insigne, sed copia negotiatorum et commeatum maxime celebre. ibi ambiguus, an illam sedem bello deligeret, circumspecta infrequentia militis, satisque magnis documentis temeritatem Petilii coercitam, unius oppidi damno servare universa statuit. neque fletu
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allen Besitz. Es schien auch nicht schwierig, eine Kolonie zu zerstören, die von keinen Befestigungen umgeben war. Daran hatten unsere Kommandeure zu wenig gedacht; man kümmert sich ja eher um Annehmlichkeiten als um das, was man braucht. 32 (1) Inzwischen war ohne ersichtlichen Grund in Camulodunum das Standbild der Victoria umgefallen und hatte sich verkehrt herum gedreht, wie wenn es vor den Feinden zurückweichen wollte. Und in Raserei versetzte Frauen weissagten, der Untergang sei da, und ausländisches Geschrei habe man in ihrer Kurie gehört, das Theater habe von Geheul widergehallt, und in der Themsemündung sei ein Bild der zerstörten Kolonie zu sehen gewesen. Außerdem habe der Ozean blutig rot ausgesehen, und als die Flut zurückging, seien Gebilde wie menschliche Leichen zurückgeblieben; wie man darunter für die Britannier einen Hinweis auf Hoffnung sehen konnte, so für die Veteranen einen auf Angst. (2) Aber weil Suetonius weit weg war, baten sie den Prokurator Catus Decianus um Hilfe. Der schickte nicht mehr als 200 Mann ohne ihre reguläre Bewaffnung, und in der Stadt lag nur eine unbedeutende Einheit. Im Vertrauen auf den Schutz durch den Tempel und weil sie durch Leute behindert wurden, die in den Aufstand eingeweiht waren und insgeheim alle Maßnahmen hintertrieben, zogen sie vor der Kolonie weder Graben oder Wall, noch evakuierte man die alten Leute und die Frauen, sodass nur die jungen Männer zurückgeblieben wären: Unvorsichtig wie in tiefem Frieden ließ man sich von einer großen Zahl Barbaren einschließen. (3) Und alle anderen Gebäude wurden natürlich schon im Sturm geplündert oder in Brand gesteckt; nur der Tempel, in dem sich die Soldaten zusammengeschart hatten, wurde zwei Tage lang belagert und dann erobert. Darauf zogen die siegreichen Britannier Petillius Cerialis, dem Legaten der neunten Legion, der zu Hilfe kommen wollte, entgegen, schlugen die Legion in die Flucht und machten die ganze Infanterie nieder. Cerialis entkam mit der Kavallerie ins Lager und fand hinter den Befestigungen Schutz. Durch diese Niederlage und die Hassgefühle der Provinz, die seine Habsucht in den Krieg getrieben hatte, geriet der Prokurator Catus in Angst und Schrecken und setzte deshalb nach Gallien über. 33 (1) Suetonius jedoch marschierte mit bewundernswerter Entschlossenheit mitten durch die Feinde nach Londinium, das sich zwar nicht mit der Bezeichnung Kolonie schmücken konnte, aber außerordentlich bedeutend war durch die große Anzahl von Kaufleuten und Handelsbeziehungen. Dort war er sich unschlüssig, ob er es zum Hauptquartier für den Krieg auswählen solle, und beschloss dann, die geringe Zahl seiner Soldaten und die Tatsache vor Augen, dass Petillius für sein unüberlegtes Vorgehen einen deutlichen Denkzettel bekommen hatte, durch die Preisgabe einer einzigen Stadt das Ganze zu retten. Auch durch das Jammern und Weinen der Menschen, die ihn
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et lacrimis auxilium eius orantium flexus est, quin daret profectionis signum et comitantes in partem agminis acciperet: si quos imbellis sexus aut fessa aetas vel loci dulcedo attinuerat, ab hoste oppressi sunt. (2) eadem clades municipio Verulamio fuit, quia barbari omissis castellis praesidiisque militare um, quod uberrimum spoliant et defendentibus intutum, laeti praeda et laborum segnes petebant. ad septuaginta milia civium et sociorum iis, quae memoravi, locis cecidisse constitit. neque enim capere aut venundare aliudve quod belli commercium, sed caedes patibula, ignes cruces, tamquam reddituri supplicium, at praerepta interim ultione, festinabant. 34 (1) Iam Suetonio quarta decima legio cum vexillariis vicesimanis et proximis auxiliares, decem ferme milia armatorum, erant, cum omittere cunctationem et congredi acie parat. deligitque locum artis faucibus et a tergo silva clausum, satis cognito nihil hostium nisi in fronte et apertam planitiem esse, sine metu insidiarum. (2) igitur legionarius frequens ordinibus, levis circum armatura, conglobatus pro cornibus eques astitit. at Britannorum copiae passim per catervas et turmas exultabant, quanta non alias multitudo, et animo adeo fero, ut coniuges quoque testes victoriae secum traherent plaustrisque imponerent, quae super extremum ambitum campi posuerant. 35 (1) Boudicca curru filias prae se vehens, ut quamque nationem accesserat, solitum quidem Britannis feminarum ductu bellare testabatur, sed tunc non ut tantis maioribus ortam regnum et opes, verum ut unam e vulgo libertatem amissam, confectum verberibus corpus, contrectatam filiarum pudicitiam ulcisci. eo provectas Romanorum cupidines, ut non corpora, ne senectam quidem aut virginitatem impollutam relinquant. (2) adesse tamen deos iustae vindictae; cecidisse legionem, quae proelium ausa sit; ceteros castris occultari aut
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um Hilfe baten, ließ er sich nicht davon abbringen, das Zeichen zum Abmarsch zu geben und nur, wer ihn begleiten konnte, als Teil der Marschkolonne zu akzeptieren; wen dagegen sein wehrloses Geschlecht oder Altersschwäche oder auch der Zauber des Orts zum Bleiben veranlasst hatte, wurde vom Feind niedergemacht. (2) Das gleich schlimme Schicksal hatte die Landstadt Verulamium, weil die Barbaren die Kastelle und befestigten Stützpunkte links liegen ließen und auf das Militärdepot losgingen, das für Plünderer sehr ergiebig war und von Verteidigern nicht geschützt wurde; sie freuten sich auf die Beute und hatten von den Strapazen genug. An die 70 000 Bürger und Bundesgenossen kamen nachgewiesenermaßen an den Orten um, von denen ich gesprochen habe. Man nahm nämlich nicht gefangen oder verkaufte oder betrieb ein anderes der im Krieg üblichen Geschäfte, sondern konnte nicht schnell genug totschlagen, hängen, verbrennen, kreuzigen, gerade als hätten sie gewusst, dass sie dafür mit dem Tod bestraft würden, die Rache dafür aber einstweilen vorwegnehmen wollten. 34 (1) Schon verfügte Suetonius über die vierzehnte Legion mit abkommandierten Einheiten der Zwanziger und über Hilfstruppen aus der Umgebung, über ungefähr 10 000 Mann in Waffen, da traf er Vorkehrungen, seine abwartende Haltung aufzugeben und eine Schlacht zu schlagen. Dafür suchte er einen Platz aus, der nur einen engen Zugang hatte und im Rücken von Wald eingeschlossen war, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er Feinde nur vor sich habe und die Ebene offen sei, ohne Furcht vor einem Hinterhalt. (2) Deshalb standen die Legionäre in dichten Reihen, auf beiden Seiten die Leichtbewaffneten und auf den Flügeln zusammengedrängt die Kavallerie. Doch die Truppen der Britannier schwärmten überall in Haufen und Schwadronen übermütig herum, eine Menge so groß, wie man sie woanders noch nicht gesehen hatte, und von derart wilder Entschlossenheit, dass sie sogar ihre Frauen als Zeuginnen für ihren Sieg mit sich schleppten und auf die Karren setzten, die sie am äußersten Rand des Schlachtfelds abgestellt hatten. 35 (1) Boudicca fuhr auf einem Wagen mit ihren Töchtern vor sich; sobald sie zu einem Stamm gekommen war, beteuerte sie jedes Mal, bei den Britanniern sei es zwar üblich, unter dem Kommando von Frauen Krieg zu führen, aber diesmal nehme sie nicht als Nachkomme so bedeutender Vorfahren Rache für den Verlust ihrer Herrschaft und ihres Besitzes, sondern als eine Frau aus dem einfachen Volk für den der Freiheit, ihren durch Schläge misshandelten Leib und die geschändete Keuschheit ihrer Töchter. Die Römer seien in ihrer Lüsternheit schon so weit gegangen, dass sie keine Körper, ja nicht einmal hohes Alter oder Jungfräulichkeit unbesudelt ließen. (2) Die Götter jedoch stünden gerechter Bestrafung zur Seite. Gefallen sei die Legion, die eine Schlacht gewagt habe. Der Rest verstecke sich im Lager oder schaue sich nach Fluchtmöglichkeiten
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fugam circumspicere. ne strepitum quidem et clamorem tot milium, nedum impetus et manus perlaturos. si copias armatorum, si causas belli secum expenderent, vincendum illa acie vel cadendum esse. id mulieri destinatum: viverent viri et servirent. 36 (1) Ne Suetonius quidem in tanto discrimine silebat. quam confideret virtuti, tamen exhortationes et preces miscebat, ut spernerent sonores barbarorum et inanes minas: plus illic feminarum quam iuventutis adspici. imbelles inermes cessuros statim, ubi ferrum virtutemque vincentium totiens fusi agnovissent. (2) etiam in multis legionibus paucos, qui proelia profligarent; gloriaeque eorum accessurum, quod modica manus universi exercitus famam adipiscerentur. conferti tantum et pilis emissis post umbonibus et gladiis stragem caedemque continuarent, praedae immemores: parta victoria cuncta ipsis cessura. (3) is ardor verba ducis sequebatur, ita se ad intorquenda pila expedierat vetus miles et multa proeliorum experientia, ut certus eventu Suetonius daret pugnae signum. 37 (1) Ac primum legio gradu immota et angustias loci pro munimento retinens, postquam propius suggressos hostes certo iactu tela exhauserat, velut cuneo erupit. idem auxiliarium impetus; et eques protentis hastis perfringit quod obvium et validum erat. ceteri terga praebuere, difficili effugio, quia circumiecta vehicula saepserant abitus. et miles ne mulierum quidem neci temperabat, confixaque telis etiam iumenta corporum cumulum auxerant. (2) clara et antiquis victoriis par ea die laus parta: quippe sunt qui paulo minus quam octoginta milia Britannorum cecidisse tradant, militum quadringentis ferme interfectis nec multo amplius vulneratis. Boudicca vitam veneno finivit. (3) et Poenius Postumus, praefectus castrorum secundae legionis,
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um. Nicht einmal dem Lärm und Geschrei so vieler Tausender, geschweige denn deren Ansturm und Stärke im Handgemenge würden sie standhalten. Wenn sie sich die Masse der Bewaffneten, wenn die Gründe für den Krieg durch den Kopf gehen ließen, dann müsse man in dieser Schlacht siegen oder fallen. Dazu sei sie als Frau entschlossen; sie als Männer könnten ja weiterleben und als Sklaven dienen. 36 (1) Aber auch Suetonius schwieg in diesem entscheidenden Augenblick nicht. Obwohl er sich auf die Tapferkeit verließ, mischte er dennoch unter seine Ermahnungen auch Bitten: Sie sollten sich von dem Geschrei und den leeren Drohungen der Barbaren nicht beeindrucken lassen. Mehr Frauen könne man dort sehen als junge Männer. Unfähig zum Kampf und ohne Waffen, würden sie schnell weichen, sobald sie das Schwert und die Tapferkeit ihrer Besieger, von denen sie schon so oft in die Flucht geschlagen worden seien, wiedererkannt hätten. (2) Sogar wenn viele Legionen betroffen seien, seien es doch nur ein paar Männer, die Schlachten entschieden; ihre Ehre werde noch dadurch wachsen, dass sie als kleine Schar den Ruhm eines ganzen Heeres gewännen. Sie sollten nur eng zusammenbleiben, die Speere werfen und dann mit Schildbuckeln und Schwertern mit dem Niederschlagen und Abschlachten fortfahren, ohne an Beute zu denken. Sei der Sieg errungen, falle ihnen alles zu. (3) Eine solche Begeisterung folgte den Worten des Kommandeurs, derart schnell hatten sich die altgedienten und ihn vielen Gefechten erfahrenen Soldaten zum Schleudern der Speere bereit gemacht, dass sich Suetonius des Ergebnisses sicher war und das Zeichen zur Schlacht gab. 37 (1) Zuerst rührte sich die Legion nicht von der Stelle und behielt den Engpass als Deckung bei. Nachdem sie mit sicherem Wurf auf die näher herangekommenen Feinde ihre Speere aufgebraucht hatte, stürmte sie keilförmig nach vorne. Den gleichen Schwung zeigten die Hilfstruppen, und die Kavallerie durchbrach mit vorgestreckten Lanzen, was sich ihr in den Weg stellte und zum Kämpfen in der Lage war. Der Rest wandte sich zur Flucht, wobei das Entkommen erschwert war, weil die ringsum aufgestellten Fahrzeuge die Fluchtwege versperrt hatten. Und so verschonten die Soldaten bei ihrem Morden nicht einmal die Frauen; auch die von Geschossen getroffenen Zugtiere hatten den Leichenhaufen vergrößert. (2) Ein glänzender und den Siegen der alten Zeit ebenbürtiger Ruhm wurde an diesem Tag erzielt; es gibt nämlich Autoren, die berichten, kaum weniger als 80 000 Britannier seien gefallen, während ungefähr vierhundert Soldaten getötet und nicht viel mehr verwundet wurden. Boudicca setzte ihrem Leben mit Gift ein Ende. (3) Und als Poenius Postumus, der Lagerkommandant der zweiten Legion, von den Erfolgen der
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cognitis quartadecimanorum vicesimanorumque prosperis rebus, quia pari gloria legionem suam fraudaverat abnueratque contra ritum militiae iussa ducis, se ipse gladio transegit. 38 (1) Contractus deinde omnis exercitus sub pellibus habitus est ad reliqua belli perpetranda. auxitque copias Caesar missis ex Germania duobus legionariorum milibus, octo auxiliarium cohortibus ac mille equitibus, quorum adventu nonani legionario milite suppleti sunt. (2) cohortes alaeque novis hibernaculis locatae, quodque nationum ambiguum aut adversum fuerat, igni atque ferro vastatum. sed nihil aeque quam fames adfligebat serendis frugibus incuriosos, et omni aetate ad bellum versa, dum nostros commeatus sibi destinant. (3) gentesque praeferoces tardius ad pacem inclinant, quia Iulius Classicianus, successor Cato missus et Suetonio discors, bonum publicum privatis simultatibus impediebat disperseratque novum legatum opperiendum esse, sine hostili ira et superbia victoris clementer deditis consulturum. simul in urbe mandabat, nullum proelio finem exspectarent, nisi succederetur Suetonio, cuius adversa pravitati ipsius, prospera ad fortunam referebat. 39 (1) Igitur ad spectandum Britanniae statum missus est e libertis Polyclitus, magna Neronis spe posse auctoritate eius non modo inter legatum procuratoremque concordiam gigni, sed et rebelles barbarorum animos pace componi. (2) nec defuit Polyclitus, quo minus ingenti agmine Italiae Galliaeque gravis, postquam Oceanum transmiserat, militibus quoque nostris terribilis incederet. sed hostibus inrisui fuit, apud quos flagrante etiam tum libertate nondum cognita libertinorum potentia erat; mirabanturque, quod dux et exercitus tanti belli confector servitiis oboedirent. (3) cuncta tamen ad imperatorem in mollius relata; detentusque rebus gerundis Suetonius, quod paucas naves in litore remigiumque in iis amiserat, tamquam durante bello tradere exercitum Petronio Turpiliano, qui iam consulatu abierat, iubetur. is non inritato hoste neque lacessitus honestum pacis nomen segni otio imposuit.
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Vierzehner und Zwanziger erfuhr, durchbohrte er sich, weil er seine Legion um den gleichen Ruhm betrogen und entgegen militärischen Verhaltensmaßregeln dem Kommandeur den Gehorsam verweigert hatte, selbst mit seinem Schwert. 38 (1) Das gesamte Heer wurde daraufhin zusammengezogen und zur Erreichung der restlichen Kriegsziele in Lederzelten22 untergebracht. Der Caesar stockte die Truppen dadurch auf, dass er 2000 Legionäre aus Germanien, acht Kohorten der Hilfstruppen und 1000 Kavalleristen schickte, nach deren Eintreffen die Neuner mit Legionssoldaten aufgefüllt wurden. (2) Kohorten und Regimenter wurden in einem neuen Winterlager einquartiert und das Gebiet aller Stämme, die unzuverlässig oder feindlich gewesen waren, mit Feuer und Schwert verheert. Aber nichts setzte in gleicher Weise wie der Hunger den Menschen zu, weil sie die Aussaat des Getreides vernachlässigt und sich alle Altersgruppen dem Krieg zugewandt hatten, wobei sie unseren Nachschub für sich vorsahen. (3) Die besonders wilden Stämme neigten langsamer zum Frieden, weil Iulius Classicianus, der als Catusʼ Nachfolger geschickt worden war und mit Suetonius im Streit lag, den allgemeinen Erfolg mit seinen Privatfehden gefährdete und verbreitet hatte, man solle auf den neuen Legaten warten, der ohne die Wut des Feindes und den Hochmut des Siegers milde mit den Unterworfenen verfahren werde. Zugleich berichtete er in die Hauptstadt, man dürfe kein Ende der Kämpfe erwarten, wenn Suetonius keinen Nachfolger erhalte; dessen Misserfolge führte er auf die persönliche Unfähigkeit des Mannes zurück, Erfolge auf das Glück. 39 (1) Deshalb wurde zur Untersuchung der Lage in Britannien einer von den Freigelassenen, Polyclitus, geschickt, wobei Nero große Hoffnung darauf setzte, durch seine Autorität könne nicht nur das Einvernehmen zwischen Legat und Prokurator hergestellt, sondern auch die aufrührerische Einstellung der Barbaren durch Frieden beruhigt werden. (2) Polyclitus ließ es sich nicht nehmen, mit einem riesigen Tross Italien und Gallien zur Last zu fallen und nach der Überfahrt über den Ozean sogar für unsere eigenen Soldaten furchterregend daherzukommen. Aber für die Feinde, bei denen die Freiheit auch damals noch loderte und daher die Macht der Freigelassenen noch nicht bekannt war, war er nur eine Zielscheibe des Spotts, und sie wunderten sich, dass ein Kommandeur und ein Heer, die einen so schweren Krieg zu Ende gebracht hatten, Sklaven gehorchten. (3) Dennoch waren alle Berichte an den Oberbefehlshaber geschönt, und Suetonius wurde auf seinem Posten belassen. Weil er aber ein paar Schiffe an der Küste und die Rudermannschaft in ihnen verloren hatte, wurde er so, als ob der Krieg noch weitergehe, angewiesen, sein Heer Petronius Turpilianus zu übergeben, der schon aus dem Konsulat ausgeschieden war. Der gab, ohne den Feind zu provozieren und selbst herausgefordert zu werden, seiner gleichgültigen Untätigkeit die ehrenvolle Bezeichnung Frieden.
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40 (1) Eodem anno Romae insignia scelera, alterum senatoris, servili alterum audacia, admissa sunt. Domitius Balbus erat praetorius, simul longa senecta, simul orbitate et pecunia insidiis obnoxius. (2) ei propinquus Valerius Fabianus, capessendis honoribus destinatus, subdidit testamentum ascitis Vincio Rufino et Terentio Lentino equitibus Romanis. illi Antonium Primum et Asinium Marcellum sociaverant. Antonius audacia promptus, Marcellus Asinio Pollione proavo clarus neque morum spernendus habebatur, nisi quod paupertatem praecipuum malorum credebat. (3) igitur Fabianus tabulas iis quos memoravi et aliis minus inlustribus obsignat. quod apud patres convictum, et Fabianus Antoniusque cum Rufino et Terentio lege Cornelia damnantur. Marcellum memoria maiorum et preces Caesaris poenae magis quam infamiae exemere. 41 Perculit is dies Pompeium quoque Aelianum, iuvenem quaestorium, tamquam flagitiorum Fabiani gnarum, eique Italia et Hispania, in qua ortus erat, interdictum est. pari ignominia Valerius Ponticus adficitur, quod reos, ne apud praefectum urbis arguerentur, ad praetorem detulisset, interim specie legum, mox praevaricando ultionem elusurus. additur senatus consulto, qui talem operam emptitasset vendidissetve, perinde poena teneretur ac publico iudicio calumniae condemnatus. 42 (1) Haud multo post praefectum urbis Pedanium Secundum servus ipsius interfecit, seu negata libertate, cui pretium pepigerat, sive amore exoleti incensus et dominum aemulum non tolerans. (2) ceterum cum vetere ex more familiam omnem, quae sub eodem tecto mansitaverat, ad supplicium agi oporteret, concursu plebis, quae tot innoxios protegebat, usque ad seditionem ventum est senatusque , in quo ipso erant studia nimiam severitatem aspernantium, pluribus nihil mutandum censentibus. ex quis C. Cassius sententiae loco in hunc modum disseruit: 43 (1) ‘Saepe numero, patres conscripti, in hoc ordine interfui, cum contra instituta et leges maiorum nova senatus decreta postularentur; neque sum
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40 (1) Im gleichen Jahr wurden in Rom aufsehenerregende Verbrechen aus Dreistigkeit begangen, das eine von einem Senator, das andere von einem Sklaven. Domitius Balbus war ein ehemaliger Prätor, der ebenso wegen seines hohen Alters wie wegen seines Geldes und seiner Kinderlosigkeit Intrigen ausgesetzt war. (2) Ihm unterschob sein Verwandter Valerius Fabianus, der für die Übernahme von Ehrenämtern vorgesehen war, ein Testament, wobei er die römischen Ritter Vinicius Rufinus und Terentius Lentinus beteiligte. Diese hatten noch Antonius Primus und Asinius Marcellus mit einbezogen. Antonius war ein dreister Zeitgenosse, Marcellus hatte durch seinen Urgroßvater Asinius Pollio einen Namen und galt als ein moralisch durchaus achtbarer Mann, nur dass er Armut für das schlimmste Übel hielt. (3) Deshalb ließ Fabianus die Urkunde durch die erwähnten und einige weniger bedeutende Personen siegeln.23 Dieser Tat wurde er vor den Vätern überführt, und Fabianus und Antonius wurden zusammen mit Rufinus und Terentius nach dem cornelischen Gesetz24 verurteilt. Marcellus bewahrten das Andenken an seine Vorfahren und die Bitten des Caesars mehr vor der Strafe als vor der Schande. 41 Dieser Tag richtete auch Pompeius Aelianus zugrunde, einen jungen ehemaligen Quästor, weil er angeblich über die Schandtaten des Fabianus Bescheid wusste, und ihm wurde der Aufenthalt in Italien und seinem Geburtsland Spanien untersagt. Mit der gleichen entehrenden Strafe wurde Valerius Ponticus belegt, weil er Angeklagte, damit sie nicht vor dem Stadtkommandanten angeklagt wurden, dem Prätor überstellt hatte, zunächst scheinbar im Rahmen der Gesetze, um dann durch eine Scheinklage die Bestrafung zu umgehen.25 Ergänzt wurde durch Senatsbeschluss, wer eine solche Dienstleistung gekauft oder verkauft habe, solle genauso bestraft werden wie ein in einem Kriminalprozess wegen falscher Anschuldigung Verurteilter. 42 (1) Nicht viel später brachte den Stadtkommandanten Pedanius Secundus einer seiner eigenen Sklaven um, entweder weil er ihm die Freiheit nicht gab, für die er schon den Preis ausgehandelt hatte, oder weil er in Liebe zu einem Lustknaben26 entbrannt war und seinen Herrn nicht als Rivalen dulden wollte. (2) Als dann aber nach altem Brauch die gesamte Dienerschaft, die unter dem gleichen Dach gewohnt hatte, zur Hinrichtung geführt werden sollte, kam es durch Zusammenrottung des einfachen Volkes, das so viele unschuldige Personen schützen wollte, zu einem Aufruhr, und der Senat wurde belagert, in dem es selbst Bestrebungen gab, allzu große Härte zu vermeiden, während die Mehrheit für keine Änderungen war. Aus ihren Reihen äußerte sich C. Cassius bei der Stimmabgabe etwa folgendermaßen: 43 (1) „Schon oft, versammelte Väter, war ich in diesem Gremium dabei, wenn entgegen Verordnungen und Gesetzen unserer Vorfahren neue Senatsbeschlüsse gefordert wurden, und ich habe mich nicht dagegen ausgesprochen,
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adversatus, non quia dubitarem, super omnibus negotiis melius atque rectius olim provisum et quae converterentur deterius mutari, sed ne nimio amore antiqui moris studium meum extollere viderer. (2) simul quicquid hoc in nobis auctoritatis est, crebris contradictionibus destruendum non existimabam, ut maneret integrum, si quando res publica consiliis eguisset. quod hodie venit, consulari viro domi suae interfecto per insidias serviles, quas nemo prohibuit aut prodidit quamvis nondum concusso senatus consulto, quod supplicium toti familiae minitabatur. (3) decernite hercule impunitatem: at quem dignitas sua defendet, cum praefecto urbis non profuit? quem numerus servorum tuebitur, cum Pedanium Secundum quadringenti non protexerint? cui familia opem feret, quae ne in metu quidem pericula nostra advertit? (4) an, ut quidam fingere non erubescunt, iniurias suas ultus est interfector, quia de paterna pecunia transegerat aut avitum mancipium detrahebatur? pronuntiemus ultro dominum iure caesum videri. 44 (1) Libet argumenta conquirere in eo, quod sapientioribus deliberatum est? sed et si nunc primum statuendum haberemus, creditisne servum interficiendi domini animum sumpsisse, ut non vox minax excideret, nihil per temeritatem proloqueretur? sane consilium occulvit, telum inter ignaros paravit: num excubias transire, cubiculi fores recludere, lumen inferre, caedem patrare omnibus nesciis? (2) multa sceleri indicia praeveniunt: servi si prodant, possumus singuli inter plures, tuti inter anxios, postremo, si pereundum sit, non inulti inter nocentes agere. (3) suspecta maioribus nostris fuerunt ingenia servorum, etiam cum in agris aut domibus idem nascerentur caritatemque dominorum statim acciperent. postquam vero nationes in familiis habemus, quibus diversi ritus, externa sacra aut nulla sunt, conluviem istam non
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nicht etwa, weil ich bezweifelt hätte, dass früher in allen Angelegenheiten bessere und richtigere Maßnahmen getroffen wurden und, was man umgestaltet, nur zum Schlechteren hin verändert wird, sondern um nicht den Eindruck zu erwecken, ich wolle durch übertriebene Liebe zu alten Gewohnheiten meine wissenschaftliche Betätigung27 herausstreichen. (2) Zudem war ich der Überzeugung, alles Ansehen, das ich hierin bei euch genieße, dürfe nicht durch häufigen Widerspruch untergraben werden, sodass es ungeschmälert bleiben könne für den Fall, dass der Staat einmal guten Rat braucht. Der Zeitpunkt ist heute gekommen, wo ein ehemaliger Konsul in seinem eigenen Haus umgebracht worden ist bei einem hinterhältigen Anschlag eines Sklaven, den niemand verhinderte oder verriet, obwohl der Senatsbeschluss noch unerschüttert feststand, der der gesamten Dienerschaft die Hinrichtung androhte. (3) Beschließt, beim Herkules,28 Straffreiheit! Doch wen wird dann seine hohe Stellung noch retten, wenn sie dem Stadtkommandanten nicht genützt hat? Wen wird die Zahl seiner Sklaven schützen, wenn Pedanius Secundus vierhundert nicht beschützt haben? Wem wird seine Dienerschaft zu Hilfe kommen, die nicht einmal in einer Atmosphäre der Furcht auf Gefahren achtet, die uns drohen? (4) Oder hat vielleicht, wie einige, ohne rot zu werden, erfinden, der Mörder nur ihm angetanes Unrecht gerächt, weil er über sein väterliches Vermögen eine Vereinbarung geschlossen hatte oder ihm ein vom Großvater ererbter Sklave weggenommen wurde?29 Sprechen wir es doch ganz offen aus: Der Herr scheint zu Recht umgebracht worden zu sein! 44 (1) Wollt ihr wirklich Begründungen zusammensuchen in einer Angelegenheit, die schon von klügeren Leuten durchdacht worden ist? Doch selbst wenn wir jetzt zum ersten Mal einen Beschluss zu fassen hätten, glaubt ihr wirklich, ein Sklave habe den Mut zur Ermordung seines Herrn aufgebracht, ohne dass ihm ein drohendes Wort entschlüpfte, ohne dass er etwas unüberlegt ausplauderte? Meinetwegen hat er seine Absicht geheim gehalten und die Waffe unter lauter Ahnungslosen bereitgelegt: Konnte er tatsächlich an den Wachen vorbeikommen, die Tür zum Schlafzimmer aufsperren, das Licht hineintragen, den Mord vollbringen – und niemand hat etwas bemerkt? (2) Viele Anzeichen gehen einem Verbrechen voraus: Nur wenn die Sklaven sie verraten, können wir als Einzelpersonen unter einer Mehrheit, in Sicherheit unter Leuten, die Angst haben, und schließlich, wenn man sterben muss,30 nicht ungerächt unter Schuldigen leben. (3) Verdächtig war unseren Vorfahren das Wesen der Sklaven, selbst als sie noch in denselben Landgütern oder Häusern geboren wurden und sofort die Liebe zu ihren Herren in sich aufnahmen. Nachdem wir nun aber Völker in der Dienerschaft haben, die abweichende religiöse Gebräuche und einen fremden Gottesdienst oder gar keinen kennen, kann man diese Jauchegrube nur mit Einschüchterung im Zaum halten. – ‚Doch ein paar
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nisi metu coercueris. at quidam insontes peribunt. (4) nam et ex fuso exercitu cum decimus quisque fusti feritur, etiam strenui sortiuntur. habet aliquid ex iniquo omne magnum exemplum, quod contra singulos utilitate publica rependitur.’ 45 (1) Sententiae Cassii ut nemo unus contra ire ausus est, ita dissonae voces respondebant numerum aut aetatem aut sexum ac plurimorum indubiam innocentiam miserantium: praevaluit tamen pars, quae supplicium decernebat. sed obtemperari non poterat, conglobata multitudine et saxa ac faces minante. (2) tum Caesar populum edicto increpuit atque omne iter, quo damnati ad poenam ducebantur, militaribus praesidiis saepsit. censuerat Cingonius Varro, ut liberti quoque, qui sub eodem tecto fuissent, Italia deportarentur. id a principe prohibitum est, ne mos antiquus, quem misericordia non minuerat, per saevitiam intenderetur. 46 (1) Damnatus isdem consulibus Tarquitius Priscus repetundarum Bithynis interrogantibus, magno patrum gaudio, quia accusatum ab eo Statilium Taurum pro consule ipsius meminerant. (2) census per Gallias a Q. Volusio et Sextio Africano Trebellioque Maximo acti sunt, aemulis inter se per nobilitatem Volusio atque Africano: Trebellium dum uterque dedignatur, supra tulere. 47 (1) Eo anno mortem obiit Memmius Regulus, auctoritate constantia fama, in quantum praeumbrante imperatoris fastigio datur, clarus, adeo ut Nero aeger valetudine, et adulantibus circum, qui finem imperio adesse dicebant, si quid fato pateretur, responderit habere subsidium rem publicam. rogantibus dehinc, in quo potissimum, addiderat in Memmio Regulo. vixit tamen post haec Regulus, quiete defensus et quia nova generis claritudine neque invidiosis opibus erat. (2) gymnasium eo anno dedicatum a Nerone praebitumque oleum equiti ac senatui Graeca facilitate. 48 (1) P. MARIO L. AFINIO consulibus Antistius praetor, quem in tribunatu plebis licenter egisse memoravi, probrosa adversus principem carmina factitavit
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werden unschuldig ums Leben kommen.‘ – (4) Ja natürlich, auch wenn von einem geschlagenen Heer jeder zehnte Mann mit dem Knüppel totgeschlagen wird, fällt das Los auch auf tüchtige Soldaten.31 Einen Hauch von Ungerechtigkeit hat jedes große Exempel an sich, die sich gegen Einzelpersonen richtet, aber durch den Nutzen für die Allgemeinheit aufgewogen wird.“ 45 (1) Zwar getraute sich der Auffassung des Cassius kein Einzelner zu widersprechen, aber man konnte doch abweichende Äußerungen hören, die Zahl, Alter oder Geschlecht und die unbezweifelbare Unschuld der Mehrzahl beklagten. Es setzte sich dennoch der Teil durch, der für die Hinrichtung stimmte. Aber man konnte den Beschluss nicht vollziehen, weil sich eine Menschenmenge zusammengerottet hatte und mit Steinen und Fackeln drohte. (2) Daraufhin tadelte der Caesar das Volk in einem Edikt und ließ den ganzen Weg, auf dem die Verurteilten zu ihrer Bestrafung geführt wurden, durch Militärposten absperren. Cingonius Varro hatte zusätzlich den Antrag gestellt, auch die Freigelassenen, die unter demselben Dach gelebt hatten, aus Italien auszuweisen. Das wurde vom Princeps verhindert, damit der alte Brauch, den Mitleid nicht abgemildert hatte, nicht noch durch Grausamkeit verschärft werde. 46 (1) Verurteilt wurde unter denselben Konsuln Tarquitius Priscus wegen Erpressung, nachdem ihn die Bithynier vor Gericht brachten, zur großen Freude der Väter, weil sie sich daran erinnerten, dass von ihm sein eigener Prokonsul Statilius Taurus verklagt worden war.32 (2) Die Steuerfestsetzung für Gallien wurde von Q. Volusius, Sextius Africanus und Trebellius Maximus vorgenommen, wobei sich Volusius und Africanus hinsichtlich ihres Adels gegenseitig als Rivalen gebärdeten: Während beide auf Trebellius herabschauten, stellten sie ihn über sich. 47 (1) In diesem Jahr starb Memmius Regulus, der an Ansehen, Charakterstärke und gutem Ruf, soweit das bei der alles überschattenden Spitzenstellung des Oberbefehlshabers überhaupt möglich ist, herausstach, und zwar derart, dass Nero, als er einmal erkrankte und Kriecher um ihn herum waren, die sagten, das Ende des Reichs sei gekommen, falls ihm etwas Schicksalhaftes zustoße, zur Antwort gab, der Staat habe eine Stütze. Auf die anschließende Frage, in wem in erster Linie, hatte er hinzugesetzt: in Memmius Regulus. Dennoch blieb Regulus danach am Leben, geschützt durch seine zurückhaltende Lebensführung und den Umstand, dass der Adel seiner Familie noch neu war und er auch kein beneidenswertes Vermögen besaß. (2) Ein Gymnasium wurde in diesem Jahr von Nero gestiftet, und Ritter und Senat erhielten Öl zugeteilt mit griechischer Freigebigkeit.33 48 (1) Unter den Konsuln P. MARIUS und L. AFINIUS (62 n. Chr.) verfasste der Prätor Antistius, von dessen eigenmächtigem Vorgehen während seines Volks-
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vulgavitque celebri convivio, dum apud Ostorium Scapulam epulatur. exim a Cossutiano Capitone, qui nuper senatorium ordinem precibus Tigellini soceri sui receperat, maiestatis delatus est. (2) tum primum revocata ea lex; credebaturque haud perinde exitium Antistio quam imperatori gloriam quaesi, ut condemnatum a senatu intercessione tribunicia morti eximeret. et cum Ostorius nihil audivisse pro testimonio dixisset, adversis testibus creditum; censuitque Iunius Marullus consul designatus adimendam reo praeturam necandumque more maiorum. (3) ceteris inde adsentientibus, Paetus Thrasea, multo cum honore Caesaris et acerrime increpito Antistio, non quicquid nocens reus pati mereretur, id egregio sub principe et nulla necessitate obstricto senatui statuendum disseruit. (4) carnificem et laqueum pridem abolita, et esse poenas legibus constitutas, quibus sine iudicum saevitia et temporum infamia supplicia decernerentur. quin in insula publicatis bonis, quo longius sontem vitam traxisset, eo privatim miserior et publicae clementiae maximum exemplum futurum. 49 (1) Libertas Thraseae servitium aliorum rupit, et postquam discessionem consul permiserat, pedibus in sententiam eius iere, paucis exeptis, in quibus adulatione promptissimus fuit A. Vitellius, optimum quemque iurgio lacessens et respondenti reticens, ut pavida ingenia solent. at consules, perficere decretum senatus non ausi, de consensu scripsere Caesari. (2) ille inter pudorem et iram cunctatus, postremo rescripsit: nulla iniuria provocatum Antistium gravissimas in principem contumelias dixisse; earum ultionem a patribus postulatam, et pro magnitudine delicti poenam statui par fuisse. ceterum se, qui severitatem decernentium impediturus fuerit, moderationem non prohibere: statuerent ut vellent; datam et absolvendi licentiam. (3) his atque talibus recitatis et offensione manifesta, non ideo aut
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tribunats ich berichtet habe,34 Spottgedichte auf den Princeps und brachte sie bei einem gut besuchten Bankett unter die Leute, während er bei Ostorius Scapula speiste. Daraufhin wurde er von Cossutianus Capito, der erst kurz zuvor seinen Rang als Senator auf die Fürsprache seines Schwiegervaters Tigellinus wiederbekommen hatte,35 wegen Majestätsbeleidigung angeklagt. (2) Nun wurde dieses Gesetz zum ersten Mal wieder angewendet, und man glaubte, es sei dabei nicht so sehr um die Vernichtung des Antistius als um den Ruhm des Oberbefehlshabers gegangen, damit dieser ihn nach einer Verurteilung durch den Senat aufgrund seines tribunizischen Einspruchsrechts vor dem Tod bewahren könne. Und obwohl Ostorius die Zeugenaussage gemacht hatte, er habe nichts gehört, glaubte man den Zeugen, die das Gegenteil behaupteten, und der designierte Konsul Iunius Marullus stellte den Antrag, dem Angeklagten die Prätur zu entziehen und ihn nach dem Brauch der Vorfahren hinzurichten.36 (3) Während nun alle anderen zustimmten, erklärte Paetus Thrasea mit großer Ehrerbietung gegenüber dem Caesar und schärfstem Tadel für Antistius, nicht alles, was ein schuldig gesprochener Angeklagter zu erleiden verdiene, müsse unter einem hervorragenden Princeps ein Senat beschließen, der keinem Zwang unterliege. (4) Henker und Strick seien längst abgeschafft, und es gebe gesetzlich festgesetzte Strafen, durch die man ohne Grausamkeit der Richter und Schande für die Jetztzeit Vergeltungsmaßnahmen beschließen könne. Ja, er werde, je länger er auf einer Insel nach dem Entzug seines Vermögens sein schuldbeladenes Leben friste, persönlich desto unglücklicher sein und das großartigste Beispiel für die Nachsicht des Staates bieten. 49 (1) Die freimütige Äußerung Thraseas sprengte die sklavische Einstellung der anderen, und nachdem der Konsul die Abstimmung freigegeben hatte, trat man auf seine Seite mit Ausnahme einiger weniger, von denen sich besonders A. Vitellius mit seiner Kriecherei hervortat, der gerade mit den besten Männern Streit suchte und, wenn sie ihm herausgaben, verstummte, wie es ängstliche Gemüter zu tun pflegen. Doch die Konsuln getrauten sich nicht, den Senatsbeschluss zu vollziehen, sondern berichteten schriftlich von dem einmütigen Votum dem Caesar. (2) Der schwankte zwischen Scham und Zorn und schrieb dann zurück: Obwohl er durch keine Kränkung herausgefordert worden sei, habe Antistius die übelsten Beschimpfungen gegen den Princeps erhoben. Deren Bestrafung sei von den Vätern verlangt worden, und es sei nur angemessen gewesen, eine der Schwere des Vergehens entsprechende Strafe auszusprechen. Indes wolle er, der beabsichtigt habe, Strenge des Beschlussgremiums zu verhindern, seiner Zurückhaltung nichts in den Weg legen. Sie sollten beschließen, wie sie wollten; auch ein Freispruch bleibe anheimgestellt. (3) Obwohl Ausführungen wie diese vorgelesen wurden und die Verärgerung
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consules mutavere relationem aut Thrasea decessit sententia ceterive quae probaverant deseruere, pars, ne principem obiecisse invidiae viderentur, plures numero tuti, Thrasea sueta firmitudine animi et ne gloria intercideret. 50 (1) Haud dispari crimine Fabricius Veiento conflictatus est, quod multa et probrosa in patres et sacerdotes composuisset iis libris, quibus nomen codicillorum dederat. adiciebat Tulius Geminus accusator venditata ab eo munera principis et adipiscendorum honorum ius. (2) quae causa Neroni fuit suscipiendi iudicii, convictumque Veientonem Italia depulit et libros exuri iussit, conquisitos lectitatosque, donec cum periculo parabantur: mox licentia habendi oblivionem attulit. 51 (1) Sed gravescentibus in dies publicis malis subsidia minuebantur, concessitque vita Burrus, incertum valetudine an veneno. valetudo ex eo coniectabatur, quod in se tumescentibus paulatim faucibus et impedito meatu spiritum finiebat. plures iussu Neronis, quasi remedium adhiberetur, inlitum palatum eius noxio medicamine adseverabant, et Burrum intellecto scelere, cum ad visendum eum princeps venisset, adspectum eius aversatum sciscitanti hactenus respondisse: ‘ego me bene habeo.’ (2) civitati grande desiderium eius mansit per memoriam virtutis et successorum alterius segnem innocentiam, alterius flagrantissima flagitia [adulteria]. quippe Caesar duos praetoriis cohortibus imposuerat, Faenium Rufum ex vulgi favore, quia rem frumentariam sine quaestu tractabat, Ofonium Tigellinum, veterem impudicitiam atque infamiam in eo secutus. (3) atque illi pro cognitis moribus fuere, validior Tigellinus in animo principis et intimis libidinibus adsumptus, prospera populi et militum fama Rufus, quod apud Neronem adversum experiebatur.
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offensichtlich war, änderten deswegen weder die Konsuln ihren Vorschlag noch zog Thrasea seinen Antrag zurück noch wich der Rest von dem ab, was sie für gut befunden hatten, teilweise, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie hätten den Princeps einem gehässigen Vorwurf37 ausgesetzt, die Mehrheit fühlte sich durch ihre Anzahl sicher, Thrasea in seiner gewohnten Charakterstärke und im Bestreben, nichts von seinem Ruhm einzubüßen. 50 (1) Einer ganz ähnlichen Beschuldigung fiel Fabricius Veiento zum Opfer, nämlich, er habe viele Verleumdungen von Vätern und Priestern in den Büchern niedergeschrieben, denen er den Titel „Testamente“38 gegeben hatte. Zusätzlich trug der Ankläger Tullius Geminus vor, von ihm seien Geschenke des Princeps und das Recht, Ehrenämter zu erhalten, verkauft39 worden. (2) Das war für Nero Grund, das Verfahren zu übernehmen, und er verstieß den überführten Veiento aus Italien und ließ seine Bücher verbrennen, die sehr gefragt waren und eifrig gelesen wurden, solange man sie sich nur unter Gefahr beschaffen konnte; später dann ließ sie die Erlaubnis, sie zu besitzen, in Vergessenheit geraten. 51 (1) Aber während die öffentlichen Missstände von Tag zu Tag drückender wurden, wurden die Stützen weniger, und Burrus schied aus dem Leben, wobei unklar war, ob wegen einer Krankheit oder durch Gift. Auf eine Krankheit schloss man aus dem Umstand, dass sein Hals langsam nach innen zuschwoll und er mit versperrtem Atemweg seinen Geist aufgab. Die Mehrzahl behauptete, auf Befehl Neros sei sein Gaumen, angeblich um ein Heilmittel anzuwenden, mit einem schädlichen Medikament bestrichen worden. Burrus habe das Verbrechen durchschaut und habe, als der Princeps ihn zu besuchen kam, seinen Blick abgewendet und auf seine wiederholte Frage nur so viel geantwortet: „„Mir Mir geht es gut.“ (2) In der Bürgerschaft blieb eine große Sehnsucht nach ihm bestehen in der Erinnerung an seine Tüchtigkeit und, was seine Nachfolger betraf, an die brave Redlichkeit des einen und die hell auflodernden Schandtaten des anderen. Denn der Caesar hatte zwei Männern das Kommando über die Prätorianerkohorten anvertraut, Faenius Rufus wegen seiner Beliebtheit beim einfachen Volk, weil er die Getreideversorgung ohne Gewinnstreben betreute, und Ofonius Tigellinus, dessen eingefleischter Schamlosigkeit und Verrufenheit er nachlief. (3) Die beiden hatten auch die ihrem bekannten Verhalten entsprechende Stellung: Einflussreicher war Tigellinus beim Princeps und in die geheimsten Orgien mit einbezogen, einen guten Ruf beim Volk und bei den Soldaten genoss dagegen Rufus, weil er bei Nero die gegenteilige Erfahrung machen musste.
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52 (1) Mors Burri infregit Senecae potentiam, quia nec bonis artibus idem virium erat altero velut duce amoto, et Nero ad deteriores inclinabat. (2) hi variis criminationibus Senecam adoriuntur, tamquam ingentes et privatum modum evectas opes adhuc augeret, quodque studia civium in se verteret, hortorum quoque amoenitate et villarum magnificentia quasi principem supergrederetur. (3) obiciebant etiam eloquentiae laudem uni sibi adsciscere et carmina crebrius factitare, postquam Neroni amor eorum venisset. nam oblectamentis principis palam iniquum detrectare vim eius equos regentis, inludere vocem, quotiens caneret. (4) quem ad finem nihil in re publica clarum fore, quod non ab illo reperiri credatur? certe finitam Neronis pueritiam et robur iuventae adesse: exueret magistrum, satis amplis doctoribus instructus maioribus suis. 53 (1) At Seneca criminantium non ignarus, prodentibus iis, quibus aliqua honesti cura, et familiaritatem eius magis aspernante Caesare, tempus sermoni orat et accepto ita incipit: (2) ‘quartus decimus annus est, Caesar, ex quo spei tuae admotus sum, octavus, ut imperium obtines: medio temporis tantum honorum atque opum in me cumulasti, ut nihil felicitati meae desit nisi moderatio eius. (3) utar magnis exemplis, ne meae fortunae, sed tuae. abavus tuus Augustus Marco Agrippae Mytilenense secretum, C. Maecenati urbe in ipsa velut peregrinum otium permisit; quorum alter bellorum socius, alter Romae pluribus laboribus iactatus ampla quidem, sed pro ingentibus meritis, praemia acceperant. (4) ego quid aliud munificentiae adhibere potui quam studia, ut sic dixerim, in umbra educata, et quibus claritudo venit, quod iuventae tuae rudimentis adfuisse videor, grande huius rei pretium. (5) at tu gratiam immensam, innumeram pecuniam circumdedisti, adeo ut plerumque intra me ipse volvam: egone, equestri et provinciali loco ortus proceribus civitatis,
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52 (1) Burrusʼ Tod brach Senecas Macht, weil einerseits die guten Einflüsse nicht mehr die gleiche Stärke hatten, nachdem der eine Mann sozusagen als Führer beseitigt war, und andererseits Nero sich moralisch minderwertigeren Personen zuwandte. (2) Diese griffen mit verschiedenen Beschuldigungen Seneca an: Sein riesiges, den privaten Rahmen übersteigendes Vermögen vermehre er immer weiter; die Sympathien der Bürger versuche er auf sich zu lenken und wolle auch mit der Anmut seiner Parks und der Pracht seiner Landhäuser gleichsam den Princeps überflügeln. (3) Sie warfen ihm sogar vor, den Ruhm der Beredsamkeit nur für sich selbst zu beanspruchen und häufiger Gedichte zu machen, nachdem Nero seine Liebe zu ihnen entdeckt habe. Denn den Liebhabereien des Princeps gegenüber zeige er sich ganz offen voreingenommen, setze dessen Fähigkeiten beim Pferdelenken herab und mache sich jedes Mal, wenn er singe, über seine Stimme lustig. (4) Wie lange noch werde nur das im Staat angesehen sein, was man als von ihm erfunden betrachte? Sicher sei Neros Kindheit vorbei, und er stehe in der Kraft seiner Jugendjahre; er solle nun den Schulmeister zur Seite legen, da er von ausreichend vielseitigen Lehrern unterrichtet werde: seinen Vorfahren. 53 (1) Doch Seneca kannte seine Verleumder genau, weil sie ihm von Personen verraten wurden, denen Ehrbarkeit noch irgendwie am Herzen lag; und weil der Caesar den vertrauten Umgang mit ihm immer mehr mied, bat er um einen Termin für ein Gespräch. Als er ihn erhalten hatte, begann er folgendermaßen: (2) „Es ist nun das vierzehnte Jahr, Caesar, seit ich der Hoffnung, die man auf dich setzte, zugeteilt wurde, das achte, dass du an der Herrschaft bist. In diesem Zeitraum hast du mich mit so vielen Ehren und Reichtümern überhäuft, dass meinem Glück nichts fehlt als seine Beschränkung. (3) Ich will auf bedeutende Vorbilder zurückgreifen, nicht für meine Stellung, sondern für deine: Dein Ururgroßvater Augustus gestattete Marcus Agrippa den Rückzug in die Abgeschiedenheit von Mytilene und C. Maecenas mitten in der Hauptstadt sozusagen einen Urlaub in der Fremde.40 Von ihnen hatte der eine als sein Kriegskamerad, der andere, weil er in Rom von zahlreichen belastenden Aufgaben umgetrieben worden war, zwar ansehnliche, aber doch ihren riesigen Verdiensten entsprechende Belohnungen erhalten. (4) Ich dagegen, womit konnte ich deine Freigebigkeit sonst schon entgelten als mit meiner wissenschaftlichen Tätigkeit, die, um es so auszudrücken, im Schatten groß geworden und nur deshalb zu Berühmtheit gelangt ist, weil ich dir in deinen jungen Jahren anscheinend mit dem Erstunterricht geholfen habe – eine hohe Belohnung für diese Tätigkeit? (5) Doch du hast mich mit unermesslichem Wohlwollen, mit unzählbar viel Geld umgeben, und zwar in einem Maße, dass ich bei mir selbst sehr oft überlege: Ich, der nur aus dem Ritterstand und einem Provinzort stammt, werde zu den führenden Persönlichkeiten der Bürgerschaft
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adnumeror? inter nobiles et longa cora praeferentes novitas mea enituit? ubi est animus ille modicis contentus? tales hortos exstruit et per haec suburbana incedit et tantis agrorum spatiis, tam lato faenore exuberat? una defensio occurrit, quod muneribus tuis obniti non debui. 54 (1) Sed uterque mensuram implevimus, et , quantum princeps tribuere amico posset, et ego, quantum amicus a principe accipere: cetera invidiam agent. quae quidem, ut omnia mortalia, infra tuam magnitudinem iacet, sed mihi incumbit, mihi subveniendum est. (2) quo modo in militia aut via fessus adminiculum orarem, ita in hoc itinere vitae senex et levissimis quoque curis impar, cum opes meas ultra sustinere non possim, praesidium peto. iube re per procuratores tuos administrari, in tuam fortunam recipi. (3) nec me in paupertatem ipse detrudam, sed traditis quorum fulgore praestringor, quod temporis hortorum aut villarum curae seponitur, in animum revocabo. superest tibi robur et tot per annos summi fastigii regimen: possumus seniores amici quietem reposcere. hoc quoque in tuam gloriam cedet, eos ad summa vexisse, qui et modica tolerarent.’ 55 (1) Ad quae Nero sic ferme respondit: ‘quod meditatae orationi tuae statim occurram, id primum tui muneris habeo, qui me non tantum praevisa, sed subita expedire docuisti. (2) avus meus Augustus Agrippae et Maecenati usurpare otium post labores concessit, sed in ea ipse aetate, cuius auctoritas tueretur quicquid illud et qualecumque tribuisset; ac tamen neutrum datis a se praemiis exuit. (3) bello et periculis meruerant; in iis enim iuventa Augusti versata est. nec mihi tela et manus tuae defuissent in armis agenti; sed quod praesens condicio poscebat, ratione consilio praeceptis pueritiam, dein iuventam meam fovisti. (4) et tua quidem erga me munera, dum vita suppetet, aeterna erunt: quae a me habes, horti et faenus et villae, casibus obnoxia sunt. ac licet
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gezählt? Unter Männern von Adel und Personen, die eine lange Reihe von Auszeichnungen zur Schau stellen können,41 glänzte ein Neuling wie ich? Wo ist denn jene berühmte Geisteshaltung, die mit bescheidenen Umständen zufrieden ist? Legt sie solche Parks an, wandelt stolz durch diese Villen in der Umgebung der Hauptstadt und hat im Überfluss so ausgedehnte Ländereien, so weit gestreutes Kapital? Als einzige Verteidigung fällt mir ein, dass ich mich über deine Geschenke nicht hinwegsetzen durfte. 54 (1) Aber nun haben wir beide das Höchstmaß erreicht, sowohl du dafür, wie viel ein Princeps seinem Freund gewähren, als auch ich, wie viel ein Freund von einem Princeps bekommen kann. Alles Weitere verstärkt nur den Neid. Der liegt natürlich wie alles Sterbliche unter deiner Erhabenheit, aber mich belastet er, mir muss man helfen. (2) Wie ich, falls ich vom Kriegsdienst oder Weg ermüdet wäre, um eine Stütze bäte, so suche ich als ein auf dieser Lebensreise alt gewordener, selbst den leichtesten Aufgaben nicht mehr gewachsener Mann Unterstützung, weil ich meinen Reichtum nicht länger tragen kann. Befiehl, dass mein Vermögen von deinen Prokuratoren verwaltet und deinem Besitz zugeschlagen wird! (3) Ich werde mich auch nicht selbst in Armut hinabstoßen, sondern nach der Abgabe der Güter, durch deren Glanz ich geblendet werde, die Zeit, die der Pflege meiner Parks oder Landhäuser vorbehalten ist, meiner geistigen Betätigung widmen. Du stehst noch voll in Kraft und hast die Herrschaft so viele Jahre lang auf dem Gipfel der Macht ausgeübt; wir als die älteren Freunde können nun um Ruhe bitten. Auch das wird dir zum Ruhm gereichen, dass du Personen in die höchsten Stellungen befördert hast, die auch mit bescheideneren ausgekommen wären.“ 55 (1) Darauf erwiderte Nero ungefähr Folgendes: „Dass ich auf deine wohlüberlegte Rede gleich entgegnen kann, diese Fähigkeit habe ich als erstes Geschenk von dir; du hast mir ja beigebracht, nicht nur auf vorhersehbare, sondern auch auf überraschende Fragestellungen einzugehen. (2) Mein Ururgroßvater Augustus erlaubte Agrippa und Maecenas, nach ihren anstrengenden Tätigkeiten Urlaub zu beanspruchen, aber er war dabei selbst schon in einem Alter, in dem seine Autorität alles deckte, was er zugestand, mochte es sein, wie es wollte; und dennoch nahm er keinem der beiden die von ihm gewährten Belohnungen weg. (3) In Krieg und Gefahren hatten sie diese verdient; in ihnen bewegte sich nämlich die Jugendzeit des Augustus. Auch mir hätten dein Schwert und deine Hände nicht gefehlt, wenn ich in Waffen hätte tätig werden müssen. Doch weil die aktuelle Lage es so erforderte, hast du mit Weitblick, Überlegung und Belehrungen meine Kindheit, dann meine Jugendzeit gefördert. (4) Und natürlich werden deine mir erwiesenen Dienste, solange mein Leben dauert, unbegrenzt im Gedächtnis bleiben. Was du von mir hast, Parkanlagen, Kapital und Landgüter, ist Zufällen ausgeliefert. Und selbst wenn
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multa videantur, plerique haudquaquam artibus tuis pares plura tenuerunt, nisi forte aut te Vitellio ter consuli aut me Claudio postponis, et quantum Volusio longa parsimonia quaesivit, tantum in te mea libertas explere non potest. (5) pudet referre libertinos, qui ditiores spectantur: unde etiam rubori mihi est, quod praecipuus caritate nondum omnes fortuna antecellis. 56 (1) Verum et tibi valida aetas rebusque et fructui rerum sufficiens, et nos prima imperii spatia ingredimur. quin, si qua in parte lubricum adulescentiae nostrae declinat, revocas ornatumque robur subsidio impensius regis? (2) non tua moderatio si reddideris pecuniam, nec quies, si reliqueris principem, sed mea avaritia, meae crudelitatis metus in ore omnium versabitur. quod si maxime continentia tua laudetur, non tamen sapienti viro decorum fuerit, unde amico infamiam paret, inde gloriam sibi recipere.’ (3) his adicit complexum et oscula, factus natura et consuetudine exercitus velare odium fallacibus blanditiis. Seneca, qui finis omnium cum dominante sermonum, grates agit; sed instituta prioris potentiae commutat, prohibet coetus salutantium, vitat comitantes, rarus per urbem, quasi valetudine infensa aut sapientiae studiis domi attineretur. 57 (1) Perculso Seneca promptum fuit Rufum Faenium imminuere Agrippinae amicitiam in eo criminantibus. validiorque in dies Tigellinus et malas artes, quibus solis pollebat, gratiores ratus, si principem societate scelerum obstringeret, metus eius rimatur; compertoque Plautum et Sullam maxime timeri, Plautum in Asiam, Sullam in Galliam Narbonensem nuper amotos, nobilitatem eorum et propinquos huic Orientis, illi Germaniae exercitus commemorat. (2) non se, ut Burrum, diversas spes, sed solam incolumitatem Neronis spectare; cui caveri utcumque ab urbanis insidiis praesenti ora:
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es viel erscheinen mag, so haben doch zahlreiche Männer, die keinesfalls über deine Fähigkeiten verfügen, noch mehr bekommen – falls du nicht etwa gar entweder von dir weniger als von dem dreimaligen Konsul Vitellius oder von mir weniger als von Claudius hältst, und die Größenordnung, die Volusius seine langjährige Sparsamkeit eingebracht hat, kann dir gegenüber meine Freigebigkeit nicht erreichen.42 (5) Ich schäme mich, auf die Freigelassenen hinzuweisen, die, wie man sehen kann, noch reicher sind. Daher geniere ich mich auch dafür, dass du, der in meiner Zuneigung den ersten Platz einnimmt, noch nicht alle anderen mit deinem Besitz übertriffst. 56 (1) Andererseits bist auch du noch in rüstigem Alter und kommst mit deinem Vermögen und den Erträgen aus dem Vermögen gut zurecht, und ich trete gerade die ersten Abschnitte meiner Herrschaft an. Warum hältst du, falls in irgendeinem Bereich die Unsicherheit meiner Jugend vom rechten Weg abkommt, mich nicht zurück und lenkst meine mit deiner Unterstützung gerüstete Kraft nicht mit noch mehr Nachdruck? (2) Nicht deine Bescheidenheit, falls du das Geld zurückgibst, und auch nicht deine Ruhe, falls du den Princeps im Stich lässt, sondern meine Habsucht und die Furcht vor meiner Grausamkeit werden in aller Munde sein. Falls man aber vor allem deine Genügsamkeit loben sollte, so gehörte es sich dennoch für einen weisen Mann nicht, sich dort, wo er einem Freund einen schlechten Ruf einbringt, selbst Ruhm zu verschaffen.“ (3) Diesen Worten schloss er eine Umarmung und Küsse an, von Natur aus so veranlagt und durch Gewöhnung darin geübt, seinen Hass hinter heimtückischen Schmeicheleien zu verbergen. Seneca sprach – das Ende aller Unterredungen mit einem Herrscher – seinen Dank aus. Aber die Gepflogenheiten seiner bisherigen Machtstellung änderte er, schränkte den Besucherstrom ein, vermied es, mit Gefolge auszugehen, zeigte sich nur selten in der Hauptstadt, als ob er durch seine angegriffene Gesundheit oder die Beschäftigung mit der Weisheit43 zu Hause festgehalten würde. 57 (1) Nachdem Seneca gestürzt war, war es ein Leichtes, Rufus Faenius zu schwächen, indem man ihm seine Freundschaft mit Agrippina vorwarf. Mächtiger wurde dafür von Tag zu Tag Tigellinus, und in der Überzeugung, seine üblen Machenschaften, die allein seine Stärke darstellten, seien erwünschter, wenn er sich den Princeps durch die Einbeziehung in seine Verbrechen verpflichte, versuchte er herauszubekommen, vor wem er Angst hatte. Als ihm klar geworden war, dass Plautus und Sulla am meisten gefürchtet wurden, erinnerte er daran, dass Plautus gerade erst nach Asia, Sulla nach Gallia Narbonensis verwiesen worden seien, dazu an ihre vornehme Abkunft und die Nähe des einen zu den Heeren des Orients, des anderen zu denen Germaniens. (2) Er schaue nicht wie Burrus auf unvereinbare Hoffnungen44, sondern nur auf die Sicherheit Neros. Der sei ja vor Anschlägen in der Hauptstadt einigermaßen geschützt
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longinquos motus quonam modo comprimi posse? erectas Gallias ad nomen dictatorium, nec minus suspensos Asiae populos claritudine avi Drusi. (3) Sullam inopem, unde praecipuam audaciam, et simulatorem segnitiae, dum temeritati locum reperiret. Plautum magnis opibus ne fingere quidem cupidinem otii, sed veterum Romanorum imitamenta praeferre, adsumpta etiam Stoicorum adrogantia sectaque, quae turbidos et negotiorum adpetentes faciat. (4) nec ultra mora. Sulla sexto die pervectis Massiliam percussoribus ante metum et rumorem interficitur, cum epulandi causa discumberet. relatum caput eius inlusit Nero tamquam praematura canitie deforme. 58 (1) Plauto parari necem non perinde occultum fuit, quia pluribus salus eius curabatur, et spatium itineris ac maris tempusque interiectum moverat famam. (2) vulgoque fingebant petitum ab eo Corbulonem, magnis tum exercitibus praesidentem et, clari atque insontes si interficerentur, praecipuum ad pericula. quin et Asiam favore iuvenis arma cepisse, nec milites ad scelus missos aut numero validos aut animo promptos, postquam iussa efficere nequiverint, ad spes novas transisse. (3) vna haec more famae credentium otio agebantur; ceterum libertus Plauti celeritate ventorum praevenit centurionem et mandata L. Antistii soceri attulit: (4) effugeret segnem mortem, dum suffugium et: magni nominis miseratione reperturum bonos, consociaturum audaces; nullum interim subsidium aspernandum. si sexaginta milites (tot enim adveniebant) propulisset, dum refertur nuntius Neroni, dum manus alia permeat, multa secutura, quae adusque bellum evalescerent. denique aut salutem tali consilio quaeri, aut nihil gravius audenti quam ignavo patiendum esse.
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dank seinem unmittelbaren Einsatz. Wie aber könne man Aufstände in der Ferne unterdrücken? Erwartungsvoll sei Gallien im Hinblick auf den Namen des Diktators, und nicht weniger gespannt seien die Völker Asias wegen der Berühmtheit seines Großvaters Drusus.45 (3) Sulla sei mittellos, woher sein besonderer Wagemut rühre, und spiele den Harmlosen, bis er die Möglichkeit zu einem Abenteuer bekomme. Plautus mit seinem großen Vermögen suche nicht einmal den Eindruck des Wunsches nach politischer Untätigkeit zu erwecken, sondern trage die Nachahmung der alten Römer zur Schau, wobei er sich auch noch die Arroganz der Stoiker zugelegt habe und damit einer philosophischen Richtung, die die Menschen unruhig mache und nach politischer Betätigung gieren lasse. (4) Nun gab es kein Halten mehr: Sulla wurde schon am sechsten Tag danach durch Mörder umgebracht, die nach Massilia gefahren waren, bevor ihm ein Gerücht davor Angst machen konnte, als er sich gerade zum Essen zu Tisch begab. Über seinen Kopf, den man ihm überbrachte, machte sich Nero lustig, er sei wegen der zu früh grau gewordenen Haare hässlich. 58 (1) Die Vorbereitungen zum Mord an Plautus waren nicht genauso geheim zu halten, weil sich mehr Personen um sein Leben Sorgen machten und der weite Weg zu Land und zu Wasser und die dabei verstreichende Zeit Gerüchte hatten aufkommen lassen. (2) In der Öffentlichkeit herrschte die irrige Vorstellung, von ihm sei Corbulo aufgesucht worden, der damals große Heere kommandierte und, falls bekannte, unschuldige Männer umgebracht würden, in erster Linie in Gefahr schwebte. Ja, sogar Asia habe aus Sympathie für den jungen Mann zu den Waffen gegriffen, und die zur Ausführung des Verbrechens geschickten Soldaten, die weder zahlenmäßig stark noch entschlossen gewesen seien, seien, als sie ihren Auftrag nicht ausführen konnten, zu der Seite übergelaufen, auf die sie neue Hoffnungen setzten. (3) Diese unbegründeten Vermutungen wurden, wie bei Gerüchten üblich, durch leichtgläubige Personen, die nichts anderes zu tun hatten, noch übertrieben. Tatsächlich kam ein Freigelassener des Plautus dank schneller Winde dem Zenturio zuvor und überbrachte Verhaltensmaßregeln seines Schwiegervaters L. Antistius: (4) Er solle dem bei Passivität drohenden Tod zu entgehen versuchen, solange es noch einen Ausweg gebe. Dank des Mitleids mit seinem berühmten Namen werde er anständige Zeitgenossen finden und risikobereite Männer auf seine Seite bringen. In der Zwischenzeit dürfe er keinen Beistand ausschlagen. Falls er die 60 Soldaten – so viele seien nämlich unterwegs – verjage, werde sich, bis man die Nachricht Nero überbringe, bis dann eine andere Einheit zu ihm durchdringe, vieles ereignen, was sich zu einem Krieg auswachsen könne. Letztlich könne man mit einem solchen Entschluss entweder Rettung finden oder, wer etwas riskiere, müsse kein schlimmeres Schicksal erleiden als einer, der untätig bleibe.
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59 (1) Sed Plautum ea non movere, sive nullam opem providebat inermis et exul, seu taedio ambiguae spei, an amore coniugis et liberorum, quibus placabiliorem fore principem rebatur nulla sollicitudine turbatum. sunt qui alios a socero nuntios venisse ferant, tamquam nihil atrox immineret; doctoresque sapientiae, Coeranum Graeci, Musonium Tusci generis, constantiam opperiendae mortis pro incerta et trepida vita suasisse. (2) repertus est certe per medium diei nudus exercitando corpori. talem eum centurio trucidavit coram Pelagone spadone, quem Nero centurioni et manipulo, quasi satellitibus ministrum regium, praeposuerat. (3) caput interfecti relatum; cuius adspectu (ipsa principis verba referam) ‘cur’, inquit, ‘Nero ***’ et posito metu nuptias Poppaeae ob eius modi terrores dilatas maturare parat Octaviamque coniugem amoliri, quamvis modeste ageret, nomine patris et studiis populi gravem. (4) sed ad senatum litteras misit de caede Sullae Plautique haud confessus, verum utriusque turbidum ingenium esse, et sibi incolumitatem rei publicae magna cura haberi. decretae eo nomine supplicationes, utque Sulla et Plautus senatu moverentur, gravioribus iam ludibriis quam malis. 60 (1) Igitur accepto patrum consulto, postquam cuncta scelerum suorum pro egregiis accipi videt, exturbat Octaviam, sterilem dictitans; exim Poppaeae coniungitur. (2) ea diu paelex et adulteri Neronis, mox mariti potens, quendam ex ministris Octaviae impulit servilem ei amorem obicere. destinaturque reus cognomento Eucaerus, natione Alexandrinus, canere per tibias doctus. (3) actae ob id de ancillis quaestiones, et vi tormentorum victis quibusdam, ut falsa adnuerent, plures perstitere sanctitatem dominae tueri; ex quibus una instanti Tigellino castiora esse muliebria Octaviae respondit quam os eius. (4) movetur tamen primo civilis discidii specie domumque Burri, praedia Plauti infausta dona accipit; mox in Campania pulsa est addita
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59 (1) Aber Plautus beeindruckten diese Überlegungen nicht; vielleicht sah er voraus, dass er, ohne Truppen und verbannt, keine Unterstützung finden werde, vielleicht aber verhielt er sich so aus Abneigung gegen eine nur fragwürdige Hoffnung oder aus Liebe zu Frau und Kindern, denen der Princeps seiner Meinung nach versöhnlicher begegnen werde, wenn er durch keine Beunruhigung aufgeschreckt worden sei. Es gibt Autoren, die berichten, andere Boten seien von seinem Schwiegervater gekommen mit der Nachricht, es drohe nichts Schlimmes, und seine Weisheitslehrer, Coeranus griechischer, Musonius etruskischer Herkunft, hätten ihm zu Standhaftigkeit in Erwartung des Todes anstelle eines unsicheren Lebens voller Angst geraten. (2) Man traf ihn jedenfalls um die Mittagszeit an, wie er unbekleidet Leibesübungen machte. In diesem Zustand erstach ihn der Zenturio im Beisein des Eunuchen Pelagon, dem Nero das Kommando über den Zenturio und den Manipel wie einem königlichen Bediensteten über Leibwächter erteilt hatte. (3) Der Kopf des Getöteten wurde mitgenommen; bei seinem Anblick sagte Nero – ich zitiere den Princeps wörtlich –: „Warum Nero …“46, und nachdem er diese Furcht los war, machte er sich daran, die Hochzeit mit Poppaea, die wegen solch schreckenerregender Vorfälle aufgeschoben worden war, zu beschleunigen und seine Frau Octavia zu verstoßen, die ihm, obwohl sie bescheiden lebte, wegen des Namens ihres Vaters und der Sympathien des Volkes lästig fiel. (4) Aber an den Senat schickte er ein Schreiben, in dem er den Mord an Sulla und Plautus nicht eingestand, sondern beide hätten ein aufrührerisches Wesen, und ihm liege das Wohlergehen des Staates sehr am Herzen. Mit dieser Begründung wurden Dankfeste und Sullas und Plautusʼ Verstoßung aus dem Senat beschlossen: Die Verhöhnung war nun noch schwerer zu ertragen als die Untaten. 60 (1) Als er bei der Entgegennahme des Senatsbeschlusses sah, dass alle seine Verbrechen wie Großtaten aufgenommen wurden, verstieß er Octavia und behauptete, sie sei unfruchtbar; gleich darauf verband er sich mit Poppaea. (2) Diese war schon lange seine Geliebte, beherrschte den Ehebrecher, später dann den Ehemann Nero und stiftete einen Diener Octavias dazu an, sie eines Liebesverhältnisses mit einem Sklaven zu bezichtigen. Zum Schuldigen bestimmte man einen Mann namens Eucaerus, von Geburt Alexandriner und gelernter Flötenspieler. (3) Darüber wurden ihre Dienerinnen verhört, und unter den schweren Folterungen ließen sich einige dazu bringen, die Unwahrheit zu bestätigen, die Mehrzahl aber blieb dabei, die Sittsamkeit ihrer Herrin zu beteuern; eine von ihnen antwortete Tigellinus auf sein Drängen, Octavias Scham sei reiner als sein Mund. (4) Dennoch wurde sie verstoßen, zunächst unter dem Anschein einer Scheidung nach bürgerlichem Recht47, und erhielt das Haus des Burrus und die Güter des Plautus als unselige Geschenke; später wurde sie nach Kampanien vertrieben und unter militärische Bewachung
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militari custodia. (5) inde crebri questus nec occulti per vulgum, cui minor sapientia ex mediocritate fortunae pauciora pericula sunt. his *** tamquam Nero paenitentia flagitii coniugem revocarit Octaviam. 61 (1) Exim laeti Capitolium scandunt deosque tandem venerantur. effigies Poppaeae proruunt, Octaviae imagines gestant umeris, spargunt floribus foroque ac templis statuunt. itur etiam in principis laudes, repetitum venerantium. iamque et Palatium multitudine et clamoribus complebant, cum emissi militum globi verberibus et intento ferro turbatos disiecere. mutataque quae per seditionem verterant, et Poppaeae honos repositus est. (2) quae semper odio, tum et metu atrox, ne aut vulgi acrior vis ingrueret aut Nero inclinatione populi mutaretur, provoluta genibus eius: non eo loci res suas agi, ut de matrimonio certet, quamquam id sibi vita potius, sed vitam ipsam in extremum adductam a clientelis et servitiis Octaviae, quae plebis sibi nomen indiderint, ea in pace ausi, quae vix bello evenirent. (3) arma illa adversus principem sumpta; ducem tantum defuisse, qui motis rebus facile reperiretur: omitteret modo Campaniam et in urbem ipsa pergeret, ad cuius nutum absentis tumultus cierentur. (4) quod alioquin suum delictum? quam cuiusquam offensionem? an quia veram progeniem penatibus Caesarum datura sit? malle populum Romanum tibicinis Aegyptii subolem imperatorio fastigio induci? denique, si id rebus conducat, libens quam coactus acciret dominam, vel consuleret securitati. iusta ultione et modicis remediis primos motus consedisse: at si desperent uxorem Neronis fore Octaviam, illi maritum daturos. 62 (1) Varius sermo et ad metum atque iram adcommodatus terruit simul audientem et accendit. sed parum valebat suspicio in servo, et quaestionibus ancillarum elusa erat. ergo confessionem alicuius quaeri placet, cui rerum
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gestellt. (5) Deshalb kam es zu häufigen unverhohlenen Klagen im einfachen Volk, das über weniger Klugheit verfügt und wegen seiner niedrigen sozialen Stellung weniger Gefahren ausgesetzt ist. Diesen …48, als habe Nero aus Reue über sein schändliches Verhalten seine Frau Octavia zurückgerufen. 61 (1) Daraufhin stieg man voll Freude zum Kapitol hinauf und verehrte endlich wieder die Götter. Poppaeas Standbilder stürzte man um, trug die Bildnisse Octavias auf den Schultern, bestreute sie mit Blumen und stellte sie auf dem Forum und in Tempeln auf. Man erging sich auch in Lobreden auf den Princeps, nahm den Wettstreit unter seinen Verehrern wieder auf. Schon füllte auch das Palatium eine lärmende Menschenmenge, da wurden Trupps von Soldaten hinausgeschickt und jagten mit Schlägen und gezückten Schwertern die verstörten Menschen auseinander. Man tauschte wieder aus, was sie bei ihrem Aufruhr niedergerissen hatten, und die Ehrenstatuen Poppaeas wurden wieder aufgestellt. (2) Die war stets vor Hass, nun aber auch aus der Angst heraus eine fürchterliche Frau, entweder werde die Gewalttätigkeit des Pöbels noch heftiger, oder Nero ändere seine Haltung den Sympathiekundgebungen des Volkes zuliebe, und warf sich ihm deshalb zu Füßen: Noch sei ihr Fall nicht an dem Punkt angelangt, dass sie um ihre Ehe kämpfe, obwohl diese ihr wichtiger sei als ihr Leben, aber ihr Leben selbst sei in höchste Gefahr gebracht durch die Klienten- und Sklavenscharen Octavias, die sich die Bezeichnung „Volk“49 zugelegt hätten und sich im Frieden Verhaltensweisen herausnähmen, die kaum im Krieg vorkämen. (3) Diese Waffen seien gegen den Princeps gerichtet gewesen. Lediglich ein Anführer habe gefehlt, der sich, wenn die Verhältnisse in Bewegung geraten seien, leicht finden lasse; nur Kampanien zu verlassen und sich persönlich in die Hauptstadt zu begeben brauche die Frau, auf deren Wink hin es schon während ihrer Abwesenheit zu Unruhen komme. (4) Abgesehen davon, was sei denn ihr eigenes Vergehen? Wem habe sie etwas getan? Vielleicht, weil sie dabei sei, dem Haus der Caesaren echte Nachkommenschaft zu schenken? Wolle das römische Volk den Sprössling eines ägyptischen Flötenspielers auf den Thron des Oberbefehlshabers setzen lassen? Kurz, er solle, wenn das die Zustände bessere, lieber freiwillig als gezwungenermaßen seine Herrin herkommen lassen – oder für seine Sicherheit sorgen. Durch gerechte Bestrafung und maßvolle Gegenmittel hätten sich die ersten Unruhen gelegt; doch falls man keine Hoffnung mehr habe, Octavia werde wieder Neros Frau, werde man ihr einen anderen Ehemann geben. 62 (1) Diese abwechselnd auf die Erregung von Angst und Zorn angelegten Äußerungen erschreckten ihn beim Zuhören und versetzten ihn zugleich in Wut. Aber der Verdacht gegen den Sklaven gab zu wenig her und hatte sich beim Verhör der Dienerinnen in Nichts aufgelöst. Also beschloss man, das Geständnis einer Person zu suchen, der man auch das Verbrechen eines
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quoque novarum crimen adfingeretur. (2) et visus idoneus maternae necis patrator Anicetus, classi apud Misenum, ut memoravi, praefectus, levi post admissum scelus gratia, dein graviore odio, quia malorum facinorum ministri quasi exprobrantes adspiciuntur. (3) igitur accitum eum Caesar operae prioris admonet: solum incolumitati principis adversus insidiantem matrem subvenisse; locum haud minoris gratiae instare, si coniugem infensam depelleret. nec manu aut telo opus: fateretur Octaviae adulterium. occulta quidem ad praesens, sed magna ei praemia et secessus amoenos promittit, vel, si negavisset, necem intentat. (4) ille, insita vaecordia et facilitate priorum flagitiorum, plura etiam quam iussum erat fingit fateturque apud amicos, quos velut consilio adhibuerat princeps. tum in Sardiniam pellitur, ubi non inops exilium toleravit et fato obiit. 63 (1) At Nero praefectum in spem sociandae classis corruptum, et incusatae paulo ante sterilitatis oblitus, abactos partus conscientia libidinum, eaque sibi comperta edicto memorat insulaque Pandateria Octaviam claudit. (2) non alia exul visentium oculos maiore misericordia adfecit. meminerant adhuc quidam Agrippinae a Tiberio, recentior Iuliae memoria obversabatur a Claudio pulsae; sed illis robur aetatis adfuerat; laeta aliqua viderant et praesentem saevitiam melioris olim fortunae recordatione adlevabant: (3) huic primum nuptiarum dies loco funeris fuit, deductae in domum, in qua nihil nisi luctuosum haberet, erepto per venenum patre et statim fratre; tum ancilla domina validior et Poppaea non nisi in perniciem uxoris nupta; postremo crimen omni exitio gravius. 64 (1) Ac puella vicesimo aetatis anno inter centuriones et milites, praesagio malorum iam vita exempta, nondum tamen morte adquiescebat. paucis dehinc interiectis diebus mori iubetur, cum iam viduam se et tantum sororem
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Umsturzes anhängen konnte. (2) Und der geeignete Mann schien der Vollstrecker des Muttermords Anicetus zu sein, der, wie erwähnt,50 Kommandant der Flotte in Misenum war, nach vollbrachter Tat nur mehr in geringer Gunst stand und sich dann tieferen Hass zuzog, weil man die Helfershelfer bei schweren Verbrechen sozusagen als lebenden Vorwurf vor Augen hat. (3) Deshalb ließ ihn der Caesar kommen und erinnerte ihn an seinen früheren Dienst: Als Einziger sei er dem Princeps, als es um dessen Leben ging, gegen die hinterhältige Mutter zu Hilfe gekommen. Nun biete sich die Gelegenheit, sich keinen geringeren Dank zu verdienen, wenn er ihm die feindselige Ehefrau vom Hals schaffe. Dazu sei weder ein Vorgehen mit der Hand noch eine Waffe nötig; bekennen solle er sich nur zum Ehebruch mit Octavia. Belohnungen, die allerdings im Augenblick noch geheim bleiben müssten, aber hoch seien, und angenehme Rückzugsmöglichkeiten versprach er ihm oder drohte ihm, falls er ablehne, mit dem Tod. (4) Der dachte sich in seinem angeborenen Wahnwitz und wegen seiner Willfährigkeit bei den früheren Schandtaten noch mehr Beschuldigungen aus, als man ihm befohlen hatte, und bekannte sich dazu vor den Freunden, die der Princeps als eine Art Rat beigezogen hatte. Daraufhin wurde er nach Sardinien verwiesen, wo er, ohne Not leiden zu müssen, die Verbannung auf sich nahm und eines natürlichen Todes starb. 63 (1) Nero jedoch gab in einem Erlass bekannt: Der Kommandant sei in der Hoffnung, damit die Flotte für sich zu gewinnen, verführt und – er vergaß den kurz zuvor geäußerten Vorwurf der Unfruchtbarkeit – die Leibesfrucht im Bewusstsein der bösen Leidenschaft abgetrieben worden; er habe davon zuverlässig erfahren und sperrte deshalb Octavia auf der Insel Pandateria weg. (2) Keine andere Verbannte hat die Blicke der Menschen, die das mit ansehen mussten, mit tieferem Mitleid getrübt. Einige erinnerten sich immer noch an Agrippina, die von Tiberius, frischer im Gedächtnis war Julia, die von Claudius vertrieben worden war.51 Aber ihnen half, dass sie Frauen im besten Alter waren. Sie hatten schon einige erfreuliche Zeiten gesehen und konnten die grausame Gegenwart durch die Erinnerung an ihr einst besseres Los leichter ertragen. (3) Für diese Frau aber war zunächst schon ihr Hochzeitstag wie eine Leichenfeier; sie wurde in ein Haus geleitet, in dem sie nur Kummer erleben sollte, weil ihr durch Gift der Vater und gleich darauf der Bruder entrissen wurden. Dann hatte eine Dienerin52 mehr zu sagen als die Herrin, und Poppaea wurde nur geheiratet, um die Ehefrau zu vernichten. Zuletzt folgte ein Schuldvorwurf, der schlimmer war als jeder Tod. 64 (1) Und die junge Frau, die im zwanzigsten Lebensjahr53 unter Zenturionen und Soldaten leben musste, hatte in Vorahnung des Unglücks schon mit dem Leben abgeschlossen, aber sie konnte trotzdem noch nicht ihre Ruhe im Tod finden. Dann kam nach Verlauf weniger Tage der Befehl zu sterben, wobei
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testaretur communesque Germanicos et postremo Agrippinae nomen cieret, qua incolumi infelix quidem matrimonium, sed sine exitio pertulisset. (2) restringitur vinclis venaeque eius per omnes artus exsolvuntur; et quia pressus pavore sanguis tardius labebatur, praefervidi balnei vapore enecatur. additurque atrocior saevitia, quod caput amputatum latumque in urbem Poppaea vidit. (3) dona ob haec templis decreta que ad finem memorabimus? quicumque casus temporum illorum nobis vel aliis auctoribus noscent, praesumptum habeant, quotiens fugas et caedes iussit princeps, totiens grates deis actas, quaeque rerum secundarum olim, tum publicae cladis insignia fuisse. neque tamen silebimus, si quod senatus consultum adulatione novum aut patientia postremum fuit. 65 (1) Eodem anno libertorum potissimos veneno interfecisse creditus est, Doryphorum quasi adversatum nuptiis Poppaeae, Pallantem, quod immensam pecuniam longa senecta detineret. (2) Romanus secretis criminationibus incusaverat Senecam ut C. Pisonis socium, sed validius a Seneca eodem crimine perculsus est. unde Pisoni timor, et orta insidiarum in Neronem magna moles et improspera.
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sie beteuerte, sie sei ja schon Witwe und nun nur mehr Schwester54, und die gemeinsamen Germanici55 und schließlich Agrippinas Namen anrief, zu deren Lebzeiten sie zwar eine unglückliche, aber dennoch nicht todbringende Ehe ertragen habe. (2) Man band sie fest und schnitt an allen Gliedmaßen die Adern auf; und weil das durch ihre Angst gestaute Blut zu langsam tropfte, wurde sie im Dampf eines sehr heißen Bades umgebracht. Dazu kam eine noch grauenhaftere Grausamkeit: Man schlug ihr den Kopf ab, brachte ihn in die Hauptstadt und gab ihn Poppaea zu sehen. (3) Dass man deswegen Geschenke für die Tempel beschloss – wozu soll ich das noch erwähnen? Alle Menschen, die von den Geschehnissen dieser Zeit durch mich oder andere Autoren Kenntnis erhalten, sollen von vornherein wissen, dass immer, wenn der Princeps Verbannungen und Morde befahl, dafür den Göttern Dank gesagt wurde und dass, was einst glückliche Ereignisse kennzeichnete, damals das Unglück des Staates sichtbar machte. Dennoch werde ich es nicht verschweigen, falls ein Senatsbeschluss durch eine noch nie da gewesene Speichelleckerei oder ein Höchstmaß an Unterwürfigkeit gekennzeichnet war. 65 (1) Im gleichen Jahr ließ er, so glaubte man, die Einflussreichsten von seinen Freigelassenen vergiften, Doryphorus, weil er gegen die Heirat mit Poppaea gewesen sei, Pallas, weil er als uralter Mann ihm sein unermessliches Vermögen vorenthalte. (2) Romanus hatte mit geheimen Vorwürfen Seneca als Verbündeten C. Pisos beschuldigt, aber er wurde von Seneca mit demselben Vorwurf wirkungsvoller getroffen. Deshalb fürchtete sich Piso, und es erhob sich die gewaltige Woge des Anschlags auf Nero, die sich hoch auftürmte und wieder in sich zusammenfiel.56
LIBER QUINTUS DECIMUS 1 (1) Interea rex Parthorum Vologaeses, cognitis Corbulonis rebus regemque alienigenam Tigranen Armeniae impositum, simul fratre Tiridate pulso spretum Arsacidarum fastigium ire ultum volens, magnitudine rursum Romana et continui foederis reverentia diversas ad curas trahebatur, cunctator ingenio et defectione Hyrcanorum, gentis validae, multisque ex eo bellis inligatus. (2) atque illum ambiguum novus insuper nuntius contumeliae exstimulat: quippe egressus Armenia Tigranes Adiabenos, conterminam nationem, latius ac diutius quam per latrocinia vastaverat, idque primores gentium aegre tolerabant: eo contemptionis descensum, ut ne duce quidem Romano incursarentur, sed temeritate obsidis tot per annos inter mancipia habiti. (3) accendebat dolorem eorum Monobazus, quem penes Adiabenum regimen, quod praesidium aut unde peteret rogitans: iam de Armenia concessum, proxima trahi; et nisi defendant Parthi, levius servitium apud Romanos deditis quam captis esse. (4) Tiridates quoque, regni profugus, per silentium aut modice querendo gravior erat: non enim ignavia magna imperia contineri; virorum armorumque faciendum certamen; id in summa fortuna aequius quod validius, et sua retinere privatae domus, de alienis certare regiam laudem esse. 2 (1) Igitur commotus his Vologaeses concilium vocat et proximum sibi Tiridaten constituit atque ita orditur: ‘hunc ego eodem mecum patre genitum, cum mihi per aetatem summo nomine concessisset, in possessionem Armeniae deduxi, qui tertius potentiae gradus habetur (nam Medos Pacorus ante ceperat), videbarque contra vetera fratrum odia et certamin familiae nostrae penates rite composuisse. (2) prohibent Romani et pacem
Buch XV 1 (1) Inzwischen hatte der Partherkönig Vologaeses von den Unternehmungen Corbulos und der Einsetzung des ausländischen Königs Tigranes in Armenien erfahren. Zugleich wollte er die durch die Vertreibung seines Bruders Tiridates missachtete Hoheit der Arsaciden rächen, wurde andererseits aber durch die römische Größe und die Achtung vor dem andauernden Bündnis zu sorgenvollen Überlegungen in verschiedene Richtungen veranlasst, ein Zauderer seinem Charakter nach, der zudem durch den Abfall der Hyrkaner, eines starken Volkes, und die vielen sich daraus ergebenden Kriege gebunden war. (2) Und während er noch unschlüssig überlegte, stachelte ihn darüber hinaus die Nachricht von einer neuerlichen Schmach an: Hatte doch Tigranes Armenien verlassen und das Gebiet der Adiabener, eines Nachbarvolks, in größerem Umfang und länger verwüstet als bei gewöhnlichen Raubzügen, und darüber waren die Häuptlinge der Stämme empört: So tief sei man in der Verachtung schon gesunken, dass man nicht einmal mehr von einem römischen Kommandeur angegriffen werde, sondern dank der Frechheit einer Geisel, die so viele Jahre lang unter Sklaven gehalten worden sei. (3) Ihre Erbitterung schürte noch Monobazus, bei dem die Herrschaft über die Adiabener lag, mit der Frage, welche Unterstützung er wo suchen solle: Schon sei Armenien aufgegeben, nun ziehe man die Nachbarländer an sich; und falls die Parther sie nicht verteidigten, falle die Knechtschaft bei den Römern leichter aus, wenn man sich ergeben habe als wenn man erobert worden sei. (4) Auch Tiridates, der aus seinem Königreich geflohen war, wirkte durch sein Schweigen oder seine zurückhaltenden Klagen nur noch bedrückender: Nicht mit Nichtstun halte man nämlich große Reiche zusammen; mit Männern und Waffen müsse man den Kampf austragen. In der höchsten Stellung sei das gerechter, was stärker sei, und seinen Besitz zu behaupten kennzeichne einen privaten Haushalt, um den von anderen zu kämpfen sei eine vorzügliche königliche Eigenschaft. 2 (1) Vologaeses war über diese Entwicklung tief beunruhigt. Er berief deshalb eine Versammlung ein, wies Tiridates den Platz neben sich an und begann folgendermaßen zu sprechen: „Diesen Mann, der vom gleichen Vater gezeugt worden ist wie ich, habe ich, weil er mir aus Altersgründen den höchsten Titel überlassen hat, in den Besitz Armeniens eingesetzt, in eine Machtposition, die als die drittstärkste gilt – denn die Meder hatte Pacorus schon vorher bekommen –, und ich hatte den Eindruck, im Gegensatz zu den alten Hassausbrüchen und Machtkämpfen unter Brüdern die Hausgötter unserer Familie angemessen untergebracht zu haben. (2) Das verhindern die Römer
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numquam ipsis prospere lacessitam nunc quoque in exitium suum abrumpunt. (3) non ibo infitias: aequitate quam sanguine, causa quam armis retinere parta maioribus malueram. si cunctatione deliqui, virtute corrigam. vestra quidem vis et gloria integro est, addita modestiae fama, quae neque summis mortalium spernenda est et a dis aestimatur.’ (4) simul diademate caput Tiridatis evinxit, promptam equitum manum, quae regem ex more sectatur, Monaesi nobili viro tradidit, adiectis Adiabenorum auxiliis, mandavitque Tigranen Armenia exturba, dum ipse positis adversus Hyrcanos discordiis vires intimas molemque belli ciet, provinciis Romanis minitans. 3 (1) Quae ubi Corbuloni certis nuntiis audita sunt, legiones duas cum Verulano Severo et Vettio Bolano subsidium Tigrani mittit, occulto praecepto, compositius cuncta quam festinantius agerent. quippe bellum habere quam gerere malebat, scripseratque Caesari proprio duce opus esse, qui Armeniam defenderet: Syriam ingruente Vologaese acriore in discrimine esse. (2) atque interim reliquas legiones pro ripa Euphratis locat, tumultuariam provincialium manum armat, hostiles ingressus praesidiis intercipit. et quia egena aquarum regio est, castella fontibus imposita; quosdam rivos congestu harenae abdidit. 4 (1) Ea dum a Corbulone tuendae Syriae parantur, acto raptim agmine Moneses, ut famam sui praeiret, non ideo nescium aut incautum Tigranen offendit. (2) occupaverat Tigranocertam, urbem copia defensorum et magnitudine moenium validam. ad hoc Nicephorius amnis haud spernenda latitudine partem murorum ambit, et ducta ingens fossa, qua fluvio diffidebatur. inerantque milites et provisi ante commeatus, quorum subvectu pauci avidius progressi et repentinis hostibus circumventi ira magis quam metu ceteros accenderant. (3) sed Partho ad exsequendas obsidiones nulla comminus audacia: raris sagittis neque clausos exterret
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und brechen den Frieden, den sie noch nie zu ihren Gunsten gestört haben, auch jetzt zu ihrem Verderben. (3) Ich will kein Hehl daraus machen: Lieber mit Gerechtigkeit als mit Blutvergießen, mit freundschaftlichen Beziehungen als mit Waffen hätte ich die Erwerbungen meiner Vorfahren behaupten wollen. Falls ich durch mein Zögern einen Fehler gemacht habe, werde ich ihn durch Tapferkeit wiedergutmachen. Eure Macht und euer Ruhm sind jedenfalls unangetastet; dazu kommt der Ruf eures zurückhaltenden Verhaltens, den einerseits die Mächtigsten unter den Sterblichen nicht missachten dürfen und der andererseits von den Göttern geschätzt wird.“ (4) Damit wand er um Tiridatesʼ Haupt das Diadem, übergab die schlagkräftige Kavallerieeinheit, die den König der Sitte gemäß begleitet, dem Adligen Monaeses, gliederte Hilfstruppen der Adiabener an und gab den Auftrag, Tigranes aus Armenien zu werfen, während er selbst die Auseinandersetzungen mit den Hyrkanern beilegen und dann die Streitkräfte aus dem Landesinneren und damit eine riesige Kriegsmacht zusammenbringen wolle, um die römischen Provinzen zu bedrohen. 3 (1) Als Corbulo davon durch vertrauenswürdige Boten erfuhr, schickte er zwei Legionen mit Verulanus Severus und Vettius Bolanus zu Tigranesʼ Unterstützung mit dem Geheimauftrag, alle Unternehmungen eher bedächtig als schnell anzugehen. Wollte er doch lieber den Krieg zu seiner Verfügung haben als wirklich führen, und er hatte dem Caesar geschrieben, man brauche einen eigenen Kommandeur zur Verteidigung Armeniens; wenn Vologaeses in Syrien einbreche, sei es in größerer Gefahr. (2) Und in der Zwischenzeit stationierte er die restlichen Legionen am Euphratufer, bewaffnete eine in aller Eile zusammengestellte Einheit von Provinzialen und unterband feindliche Einfälle durch die Anlage befestigter Plätze. Weil ferner die Gegend wasserarm war, errichtete er an den Quellen Kastelle; einige Wasserläufe ließ er mit aufgehäuftem Sand zuschütten. 4 (1) Während diese Vorbereitungen von Corbulo zum Schutz Syriens getroffen wurden, setzte Monaeses sein Heer unverzüglich in Marsch, um einer Nachricht über seine Person zuvorzukommen, und stieß auf den deswegen doch nicht ahnungslosen oder unvorbereiteten Tigranes. (2) Er hatte Tigranocerta besetzt, eine durch die Menge ihrer Verteidiger und den Umfang ihrer Mauern beeindruckende Stadt. Zusätzlich fließt der Fluss Nicephorius in nicht zu verachtender Breite an einem Teil der Mauern entlang; auch hatte man dort, wo man sich auf den Fluss nicht verlassen konnte, einen gewaltigen Graben ausgehoben. In der Stadt lagen Soldaten und Proviant, für den man zuvor gesorgt hatte; bei seiner Anlieferung waren ein paar Leute allzu gierig entgegengelaufen und von plötzlich auftauchenden Feinden abgefangen worden, hatten jedoch damit beim Rest mehr Empörung als Furcht entzündet. (3) Aber der Parther zeigt bei der Durchführung von Belagerungen keinerlei Kühnheit im
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et semet frustratur. Adiabeni cum promovere scalas et machinamenta inciperent, facile detrusi, mox erumpentibus nostris caeduntur. 5 (1) Corbulo tamen, quamvis secundis rebus suis, moderandum fortunae ratus misit ad Vologaesen, qui expostularent vim provinciae inlatam: socium amicumque regem, cohortes Romanas circumsederi. omitteret potius obsidionem, aut se quoque in agro hostili castra positurum. (2) Casperius centurio in eam legionem delectus apud oppidum Nisibin, septem et triginta milibus passuum a Tigranocerta distantem, adit regem et mandata ferociter edidit. (3) Vologaesi vetus et penitus infixum erat arma Romana vitandi, nec praesentia prospere fluebant. inritum obsidium, tutus manu et copiis Tigranes, fugati qui expugnationem sumpserant, missae in Armeniam legiones, et aliae pro Syria paratae ultro inrumpere; sibi imbecillum equitem pabuli inopia; nam exorta vi locustarum aberat quicquid herbidum aut frondosum. (4) igitur metu abstruso mitiora obtendens, missurum ad imperatorem Romanum legatos super petenda Armenia et firmanda pace respondet; Monesen omittere Tigranocertam iubet, ipse retro concedit. 6 (1) Haec plures ut formidine regis et Corbulonis minis patrata ac magnifica extollebant. alii occulte pepigisse interpretabantur, ut omisso utrimque bello et abeunte Vologaese Tigranes quoque Armenia abscederet. (2) cur enim exercitum Romanum a Tigranocertis deductum? cur deserta per otium quae bello defenderant? an melius hibernavisse in extrema Cappadocia, raptim erectis tuguriis, quam in sede regni modo retenti? dilata prorsus arma, ut Vologaeses cum alio quam cum Corbulone certaret, Corbulo meritae tot per annos gloriae non ultra periculum faceret. (3) nam, ut rettuli, proprium ducem tuendae Armeniae poposcerat, et adventare
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Nahkampf: Mit vereinzelten Pfeilschüssen schreckt er einerseits die Eingeschlossenen nicht, andererseits entmutigt er sich selbst. Als die Adiabener damit begannen, Leitern und Belagerungsmaschinen heranzubringen, stieß man sie leicht hinunter; dann wurden sie bei einem Ausfall unserer Leute niedergemacht. 5 (1) Corbulo war trotz seines Erfolgs dennoch davon überzeugt, man müsse sich im Glück beherrschen, und schickte deshalb zu Vologaeses Boten, die sich über das gewaltsame Vorgehen gegen die Provinz beschweren sollten: Ein verbündeter und befreundeter König sowie römische Kohorten seien eingeschlossen. Er solle die Belagerung lieber abbrechen, andernfalls werde auch er im Feindesland ein Lager errichten. (2) Der Zenturio Casperius, der für diese Gesandtschaft ausgewählt worden war, stieß in der Stadt Nisibis, die 37 Meilen von Tigranocerta entfernt liegt, auf den König und verkündete in herausforderndem Ton seinen Auftrag. (3) Vologaeses hatte sich schon lange und fest vorgenommen, den römischen Waffen aus dem Weg zu gehen, und die augenblicklichen Unternehmungen liefen nicht günstig: Die Belagerung ging nicht voran, Tigranes war durch seine Streitmacht und die Vorräte sicher, vertrieben worden waren die Einheiten, die sich an die Eroberung gemacht hatten, nach Armenien waren Legionen geschickt worden, und andere standen vor Syrien bereit, um von sich aus dort einzubrechen. Er verfüge aus Futtermangel nur mehr über eine schwache Kavallerie; denn nach dem Auftreten eines Heuschreckenschwarms fehlte es an allem Gras oder Laub. (4) Deshalb ließ er sich seine Furcht nicht anmerken, sondern schützte eine versöhnlichere Haltung vor und gab zur Antwort, er werde an den römischen Oberbefehlshaber Gesandte schicken wegen seines Anspruchs auf Armenien und zur Festigung des Friedens; Monaeses befahl er, Tigranocerta aufzugeben, er selbst zog sich zurück. 6 (1) Diese Vorgänge feierte die Mehrheit überschwänglich als großartige Erfolge, die man durch die Einschüchterung des Königs und die Drohungen Corbulos erreicht habe. Andere sahen darin das Ergebnis eines Geheimabkommens, dass beide Seiten den Krieg aufgäben und mit dem Abzug des Vologaeses auch Tigranes Armenien räume. (2) Warum denn sonst sei das römische Heer von Tigranocerta abgezogen worden? Warum habe man durch die Waffenruhe aufgegeben, was man im Krieg verteidigt hatte? Oder sei es besser gewesen, im hintersten Kappadokien zu überwintern, wo man hastig Hütten hinstellen musste, als im Hauptort eines Königreichs, das man eben noch in der Hand hatte? Eine bewaffnete Auseinandersetzung sei ganz klar nur aufgeschoben worden, damit es Vologaeses mit einem anderen Gegner als mit Corbulo zu tun bekomme, Corbulo aber seinen in so vielen Jahren erworbenen Ruhm weiterhin nicht aufs Spiel setzen müsse. (3) Denn er hatte, wie berichtet,1 einen eigenen Kommandeur für den Schutz Armeniens verlangt, und man
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Caesennius Paetus audiebatur. iamque aderat, copiis ita divisis, ut quarta et duodecima legiones addita quinta, quae recens e Moesis excita erat, simul Pontica et Galatarum Cappadocumque auxilia Paeto oboedirent, tertia et sexta et decima legiones priorque Syriae miles apud Corbulonem manerent; cetera ex rerum usu sociarent partirenturve. (4) sed neque Corbulo aemuli patiens, et Paetus, cui satis ad gloriam erat, si proximus haberetur, despiciebat gesta, nihil caedis aut praedae, usurpatas nomine tenus urbium expugnationes dictitans: se tributa ac leges et pro umbra regis Romanum ius victis impositurum. 7 (1) Sub idem tempus legati Vologaesis, quos ad principem missos memoravi, revertere inriti bellumque propalam sumptum a Parthis. nec Paetus detrectavit, sed duabus legionibus, quarum quartam Funisulanus Vettonianus eo in tempore, duodecimam Calavius Sabinus regebant, Armeniam intrat tristi omine. (2) nam in transgressu Euphratis, quem ponte tramittebant, nulla palam causa turbatus equus, qui consularia insignia gestabat, retro evasit; hostiaque, quae muniebantur hibernaculis adsistens, semifacta opera fuga perrupit seque vallo extulit; et pila militum arsere, magis insigni prodigio, quia Parthus hostis missilibus telis decertat. 8 (1) Ceterum Paetus spretis ominibus, necdum satis firmatis hibernaculis, nullo rei frumentariae provisu, rapit exercitum trans montem Taurum reciperandis, ut ferebat, Tigranocertis vastandisque regionibus, quas Corbulo integras omisisset. (2) et capta quaedam castella, gloriaeque et praedae nonnihil partum, si aut gloriam cum modo aut praedam cum cura habuisset: longinquis itineribus percursando quae obtineri nequibant, conrupto qui captus erat commeatu et instante iam hieme,
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hörte, Caesennius Paetus sei im Kommen, da war er schon zur Stelle. Nun wurden die Truppen folgendermaßen aufgeteilt: Die vierte und zwölfte Legion sollten zusammen mit der fünften, die eben erst aus Mösien herbeigeholt worden war, zusätzlich die pontischen, galatischen und kappadokischen Hilfstruppen Paetus unterstellt sein, die dritte, sechste und zehnte und die zuvor in Syrien stationierten Soldaten bei Corbulo bleiben; über alle anderen Einheiten sollten sie je nach Lage gemeinsam verfügen oder sie aufteilen. (4) Aber einerseits konnte sich Corbulo nicht mit einem Rivalen abfinden, andererseits setzte Paetus, dem es zum Ruhm genügt hätte, als der zweite Mann angesehen zu werden, seine Unternehmungen herab, indem er immer wieder betonte, keinerlei Blutvergießen oder Beute habe es gegeben, nur dem Namen nach habe man die Eroberung von Städten für sich beansprucht. Er dagegen werde Tribute und Gesetze und anstelle des Schattenbilds von einem König das römische Recht den Besiegten auferlegen. 7 (1) Zur gleichen Zeit kehrten die Gesandten des Vologaeses, die, wie erwähnt,2 zum Princeps geschickt worden waren, ergebnislos zurück, und der Krieg wurde daraufhin von den Parthern ganz offen aufgenommen. Aber auch Paetus war nicht abgeneigt, sondern rückte mit zwei Legionen, von denen zu der Zeit die vierte Funisulanus Vettonianus, die zwölfte Calavius Sabinus kommandierte, in Armenien ein – unter einem Unglück verheißenden Vorzeichen. (2) Denn bei der Überquerung des Euphrat, über den man auf einer Brücke setzte, scheute ohne ersichtlichen Grund das Pferd, das die konsularischen Abzeichen trug, und lief zurück, und ein Opfertier, das während der Errichtung des Winterlagers dabeistand, durchbrach auf seiner Flucht die halb fertigen Befestigungen und setzte über den Wall hinweg. Auch Wurfspeere von Soldaten gerieten in Brand, ein noch auffälligeres Vorzeichen, weil der parthische Feind mit Wurfgeschossen kämpft. 8 (1) Aber Paetus gab nichts auf die Vorzeichen, und noch bevor das Winterlager ausreichend befestigt war, jagte er, ohne für den Proviant vorzusorgen, das Heer über das Taurusgebirge, um, wie er sagte, Tigranocerta zurückzuerobern und die Landstriche zu verwüsten, die Corbulo in Ruhe gelassen hatte. (2) Und tatsächlich wurden ein paar Kastelle erobert, und man erwarb etwas Ruhm und Beute – wenn er dann nur entweder mit dem Ruhm maßvoll oder mit der Beute sorgfältig umgegangen wäre: Weil er auf ausgedehnten Eilmärschen ein Gebiet durchzog, das man doch nicht halten konnte, und nachdem der Proviant, den man erbeutet hatte, verdorben war und der Winter schon vor der Tür
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reduxit exercitum composuitque ad Caesarem litteras quasi confecto bello, verbis magnificis, rerum vacuas. 9 (1) Interim Corbulo numquam neglectam Euphratis ripam crebrioribus praesidiis insedit; et ne ponti iniciendo impedimentum hostiles turmae adferrent (iam enim subiectis campis magna specie volitabant), naves magnitudine praestantes et conexas trabibus ac turribus auctas agit per amnem catapultisque et balistis proturbat barbaros, in quo saxa et hastae longius permeabant, quam ut contrario sagittarum iactu adaequarentur. (2) dein pons continuatus collesque adversi per socias cohortes, post legionum castris occupantur, tanta celeritate et ostentatione virium, ut Parthi omisso paratu invadendae Syriae spem omnem in Armeniam verterent, ubi Paetus imminentium nescius quintam legionem procul in Ponto habebat, reliquas promiscis militum commeatibus infirmaverat, donec adventare Vologaesen magno et infenso agmine auditum. 10 (1) Accitur legio duodecima, et unde famam aucti exercitus speraverat, prodita infrequentia. qua tamen retineri castra et eludi Parthus tractu belli poterat, si Paeto aut in suis aut in alienis consiliis constantia fuisset: verum ubi a viris militaribus adversus urgentes casus firmatus erat, rursus, ne alienae sententiae indigens videretur, in diversa ac deteriora transibat. (2) et tunc relictis hibernis non fossam neque vallum sibi, sed corpora et arma in hostem data clamitans, duxit legiones quasi proelio certaturus. deinde amisso centurione et paucis militibus, quos visendis hostium copiis praemiserat, trepidus remeavit. (3) et quia minus acriter Vologaeses institerat, vana rursus fiducia tria milia delicti peditis proximo Tauri iugo imposuit, quo transitum regis arcerent; alares quoque Pannonios, robur equitatus, in parte campi locat. coniux ac filius
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stand, führte er sein Heer zurück und verfasste einen Brief an den Caesar, in dem er den Eindruck erweckte, der Krieg sei beendet, mit großartigen Worten, aber fern aller Realität. 9 (1) Inzwischen besetzte Corbulo das Euphratufer, das er nie aus den Augen gelassen hatte, mit noch zahlreicheren befestigten Plätzen, und damit die feindlichen Schwadronen kein Hindernis für das Schlagen einer Brücke bilden konnten – denn in den Niederungen trieben sie sich schon in beeindruckender Aufmachung herum –, ließ er Schiffe von außergewöhnlicher Größe, die durch Balken verbunden und mit Türmen verstärkt waren, über den Fluss ziehen und verjagte mit Katapulten und Ballisten die Barbaren, gegen die Steine und Lanzen weiter flogen, als dass sie umgekehrt mit ihren Pfeilschüssen mithalten konnten. (2) Anschließend fuhr man mit dem Brückenbau fort und besetzte die gegenüberliegenden Hügel durch bundesgenössische Kohorten, dann durch das Lager für die Legionen, und zwar mit einer derartigen Schnelligkeit und Zurschaustellung unserer Streitkräfte, dass die Parther ihre Vorbereitungen zum Einmarsch in Syrien aufgaben und ihre ganze Hoffnung auf Armenien setzten, wo Paetus, ohne von der drohenden Gefahr zu ahnen, die fünfte Legion weitab in Pontus stationiert und die übrigen durch die wahllose Gewährung von Urlaub geschwächt hatte, bis man davon hörte, Vologaeses sei mit einem großen, gefährlichen Heer im Anmarsch. 10 (1) Nun ließ er die zwölfte Legion kommen, und die Maßnahme, von der er sich versprochen hatte, es verbreite sich die Nachricht von der Verstärkung seines Heeres, verriet nur seine zahlenmäßige Schwäche. Mit ihr hätte er dennoch das Lager behaupten und den Parther durch eine hinhaltende Kriegführung überlisten können, wenn Paetus entweder bei seinen eigenen oder bei fremden Plänen Konsequenz gezeigt hätte. Tatsächlich aber schwenkte er, sooft er von erfahrenen Militärs gegen drohende Gefahren gewappnet worden war, um nicht den Eindruck zu erwecken, er sei auf eine fremde Meinung angewiesen, wieder zu entgegengesetzten, schlechteren Maßnahmen um. (2) Und so verließ er nun das Winterlager, verkündete dabei laut, nicht Graben und auch nicht Wall, sondern Leiber und Waffen seien ihm gegen den Feind gegeben worden, und führte seine Legionen, als ob er eine Schlacht schlagen wolle. Dann aber kehrte er nach dem Verlust eines Zenturios und weniger Soldaten, die er zur Erkundung der feindlichen Truppen vorausgeschickt hatte, wieder ängstlich um. (3) Und nur weil Vologaeses weniger entschieden nachgesetzt war, verlegte er in nun wieder unbegründetem Selbstvertrauen dreitausend ausgewählte Infanteristen auf den nächsten Bergrücken des Taurus, um seine Überquerung durch den König zu verhindern; auch pannonische Flügeleinheiten, die Kerntruppe seiner Kavallerie, ließ er auf einer Seite der Ebene Stellung beziehen. Frau und Sohn versteckte er in einem
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castello, cui Arsamosata nomen est, abditi, data in praesidium cohorte ac disperso milite, qui in uno habitus vagum hostem promptius sustentavisset. (4) aegre compulsum ferunt, ut instantem Corbuloni fateretur. nec a Corbulone properatum, quo gliscentibus periculis etiam subsidii laus augeretur. expediri tamen itineri singula milia ex tribus legionibus et alarios octingentos, parem numerum e cohortibus iussit. 11 (1) At Vologaeses, quamvis obsessa a Paeto itinera hinc peditatu inde equite accepisset, nihil mutato consilio, sed vi ac minis alares exterruit, legionarios obtrivit, uno tantum centurione Tarquitio Crescente turrim, in qua praesidium agitabat, defendere auso factaque saepius eruptione et caesis, qui barbarorum propius suggrediebantur, donec ignium iactu circumveniretur. (2) peditum si quis integer, longinqua et avia, vulnerati castra repetivere, virtutem regis, saevitiam et copias gentium, cuncta metu extollentes, facili credulitate eorum, qui eadem pavebant. (3) ne dux quidem obniti adversis, sed cuncta militiae munia deseruerat, missis iterum ad Corbulonem precibus, veniret propere, signa et aquilas et nomen reliquum infelicis exercitus tueretur: se fidem interim, donec vita suppeditet, retenturos. 12 (1) Ille interritus et parte copiarum apud Syriam relicta, ut munimenta Euphrati imposita retinerentur, qua proximum et commeatibus non egenum, regionem Commagenam, exim Cappadociam, inde Armenios petivit. comitabantur exercitum praeter alia sueta bello magna vis camelorum onusta frumenti, ut simul hostem famemque depelleret. (2) primum e perculsis Paccium primi pili centurionem obvium habuit, dein plerosque militum; quos diversas fugae causas obtendentes redire ad signa et clementiam Paeti experiri monebat: se nisi victoribus immitem esse. (3) simul suas legiones adire, hortari; priorum admonere, novam gloriam ostendere. non vicos aut oppida Armeniorum, sed castra Romana duasque in iis
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Kastell, das Arsamosata heißt, gab ihnen als Schutz eine Kohorte mit und zersplitterte so seine Streitkräfte, die, an einer Stelle zusammengefasst, dem umherstreifenden Feind leichter hätten standhalten können. (4) Nur mit Mühe brachte man ihn den Berichten zufolge dazu, Corbulo einzugestehen, dass ihm der Feind hart zusetzte. Aber auch Corbulo beeilte sich nicht, damit mit den steigenden Gefahren auch der Ruhm für seine Hilfeleistung wachse. Dennoch versetzte er je tausend Mann aus den drei Legionen, achthundert Flügelkavalleristen und eine gleiche Anzahl aus den Kohorten in Marschbereitschaft. 11 (1) Doch obwohl Vologaeses davon Kenntnis erhalten hatte, dass die Marschwege von Paetus auf der einen Seite durch Infanterie, auf der anderen durch Kavallerie abgeriegelt worden waren, änderte er seinen Plan in keiner Weise, sondern löste mit Gewalt und Drohungen bei den Flügeleinheiten Panik aus und rieb die Legionssoldaten auf, wobei nur ein einziger Zenturio, Tarquitius Crescens, den Turm, in dem er Posten bezogen hatte, zu verteidigen wagte, öfter einen Ausfall machte und von den Barbaren die erschlug, die zu nahe herankamen, bis er durch den Beschuss mit Brandpfeilen überwältigt wurde. (2) Wenn von den Infanteristen noch einer unverwundet war, floh er in abgelegene, unwegsame Gegenden, die Verwundeten kehrten ins Lager zurück, wobei sie die Tapferkeit des Königs und die Grausamkeit und Unmenge seiner Völker, ja alles aus Furcht stark übertrieben; dabei fanden sie leicht Glauben bei den Kameraden, die die gleichen Ängste hatten. (3) Nicht einmal der Kommandeur stemmte sich gegen den unglücklichen Verlauf, sondern er hatte alle militärischen Dienstpflichten vernachlässigt und sich erneut mit Bitten an Corbulo gewandt, er möge sofort kommen und die Feldzeichen, Adler und damit den noch bestehenden Namen3 des unglücklichen Heeres retten; sie würden in der Zwischenzeit, solange sie am Leben seien, zu ihrem Eid stehen. 12 (1) Dieser ließ unerschrocken einen Teil seiner Truppen in Syrien zurück, um die am Euphrat angelegten befestigten Plätze zu behaupten, und marschierte dann auf dem kürzesten Weg, an dem es an Proviant nicht fehlte, in die Gegend Kommagene, dann nach Kappadokien und von dort aus zu den Armeniern. Das Heer begleitete außer dem im Krieg üblichen Tross eine große Zahl mit Getreide beladener Kamele, sodass er zugleich den Feind und den Hunger vertreiben konnte. (2) Der Erste von den Versprengten, der ihm begegnete, war der Zenturio des höchsten Dienstgrads Paccius, dann kamen sehr viele einfache Soldaten. Als sie verschiedene Gründe für ihre Flucht vorschützten, forderte er sie auf, zu ihren Einheiten zurückzukehren und es auf Paetusʼ Milde ankommen zu lassen; er selbst sei nur Siegern gegenüber nachsichtig. (3) Zugleich wandte er sich an seine Legionen und sprach ihnen Mut zu; er erinnerte sie an ihre früheren Erfolge, zeigte ihnen neuen Ruhm: Nicht Dörfer oder Städte der Armenier, sondern ein römisches Lager und darin
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legiones pretium laboris peti. si singulis manipularibus praecipua servati civis corona imperatoria manu tribueretur, quod illud et quantum decus, ubi par eorum numerus aspiceretur, qui adtulissent salutem et qui accepissent! (4) his atque talibus in commune alacres (et erant quos pericula fratrum aut propinquorum propriis stimulis incenderent) continuum diu noctuque iter properabant. 13 (1) Eoque intentius Vologaeses premere obsessos, modo vallum legionum, modo castellum, quo imbellis aetas defendebatur, adpugnare, propius incedens quam mos Parthis, si ea temeritate hostem in proelium eliceret. (2) at illi vix contuberniis extracti, nec aliud quam munimenta propugnabant, pars iussu ducis, et alii propria ignavia aut Corbulonem opperientes, ac vis ingrueret, provisis exemplis Caudinae Numantinaeque eandem vim Samnitibus, Italico populo, aut Parthis, Romani imperii aemulis. validam quoque et laudatam antiquitatem, quotiens fortuna contra daret, saluti consuluisse. (3) qua desperatione exercitus dux subactus primas tamen litteras ad Vologaesen non supplices, sed in modum querentis composuit, quod pro Armeniis semper Romanae dicionis aut subiectis rei, quem imperator delegisset, hostilia faceret: pacem ex aequo utilem. ne praesentia tantum spectaret: ipsum adversus duas legiones totis regni viribus advenisse; at Romanis orbem terrarum reliquum, quo bellum iuvarent. 14 (1) Ad ea Vologaeses nihil pro causa, sed opperiendos sibi fratres Pacorum ac Tiridaten rescripsit; illum locum tempusque consilio destinatum, quid de Armenia cernerent; adiecisse deos dignum Arsacidarum, simul ut de legionibus Romanis statuerent. (2) missi posthac Paeto nuntii et regis conloquium petitum, qui Vasacen praefectum equitatus ire iussit. tum Paetus Lucullos, Pompeios
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zwei Legionen seien Ziel und Lohn für die Strapazen. Wenn schon einzelnen einfachen Soldaten als besondere Auszeichnung die Krone für die Rettung eines Mitbürgers4 vom Oberbefehlshaber eigenhändig übergeben werde, was wäre es dann erst für eine hohe Ehre, wenn man sehe, dass die Zahl der Männer, die die Rettung brachten, genauso groß war wie die derjenigen, die sie entgegennahmen! (4) Nach Ausführungen wie diesen waren sie insgesamt guten Muts – es gab auch einige, für die die Gefahren, in denen ihre Brüder oder Verwandten schwebten, einen persönlichen Ansporn darstellten – und setzten ununterbrochen bei Tag und Nacht ihren Eilmarsch fort. 13 (1) Umso nachdrücklicher setzte Vologaeses den Belagerten zu, rannte bald gegen den Wall der Legionen, bald gegen das Kastell an, in dem die nicht wehrfähigen Altersgruppen verteidigt wurden, wobei er näher heranrückte, als dies bei den Parthern üblich ist, um herauszufinden, ob er mit dieser Verwegenheit den Feind zum Kampf herauslocken könne. (2) Doch die ließen sich kaum aus ihren Unterkünften herausziehen und taten nichts anderes, als die Befestigungsanlagen zu verteidigen, teils auf Befehl ihres Kommandeurs, andere aus persönlicher Feigheit heraus oder in Erwartung Corbulos und, falls die Gewalt über sie hereinbreche, vorsorglich die Präzedenzfälle der Friedensschlüsse von Caudium und Numantia vor Augen; dabei hätten die Samniten, ein italisches Volk, oder die Spanier5 nicht über dieselbe Macht verfügt wie die Parther, die Rivalen des Römischen Reichs. Auch in der starken und hochgelobten alten Zeit habe man sich jedes Mal dann, wenn sich das Schicksal gegen einen stellte, um die eigene Rettung gekümmert. (3) Obwohl sich der Kommandeur dieser Hoffnungslosigkeit des Heeres beugen musste, verfasste er dennoch zunächst ein Schreiben an Vologaeses, in dem er nicht demütige Bitten äußerte, sondern als eine Art Beschwerde darüber, dass er sich zugunsten der Armenier, die stets unter römischer Herrschaft gestanden hätten oder einem vom Oberbefehlshaber ausgesuchten König unterworfen gewesen seien, feindselig verhalte; Friede nütze beiden Parteien in gleicher Weise. Er solle nicht nur die gegenwärtige Lage ins Auge fassen; persönlich sei er gegen zwei Legionen mit der gesamten Streitmacht seines Reichs angetreten. Doch den Römern bleibe noch die ganze Welt, mit deren Hilfe sie den Krieg bestreiten könnten. 14 (1) Darauf schrieb Vologaeses nichts zur Sache zurück, sondern er müsse auf seine Brüder Pacorus und Tiridates warten. Das hier sei als Ort und Zeitpunkt für eine Beratung darüber bestimmt, was sie über Armenien beschließen wollten; die Götter hätten zusätzlich als der Arsaciden würdiges Geschenk gewährt, dass man gleichzeitig auch über die römischen Legionen entscheiden könne. (2) Danach schickte Paetus Boten und bat um eine Unterredung mit dem König, der dem Kommandanten der Kavallerie Vasaces hinzugehen befahl. Da erinnerte Paetus an Männer wie Lucullus, Pompeius und all die Bemühungen,
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et si qua Cesa obtinendae donandaeve Armeniae egerant, Vasaces imaginem retinendi largiendive penes nos, vim penes Parthos memorat. (3) et multum in vicem disceptato, Monobazus Adiabenus in diem posterum testis iis quae pepigissent adhibetur. placuitque liberari obsidio legiones et decedere omnem militem finibus Armeniorum castellaque et commeatus Parthis tradi, quibus perpetratis copia Vologaesi fieret mittendi ad Neronem legatos. 15 (1) Interim flumini Arsaniae (is castra praefluebat) pontem imposuit, specie sibi illud iter expedientis, sed Parthi quasi documentum victoriae iusserant; namque iis usui fuit, nostri per diversum iere. (2) addidit rumor sub iugum missas legiones et alia ex rebus infaustis, quorum simulacrum ab Armeniis usurpatum est. namque et munimenta ingressi sunt, antequam agmen Romanum excederet, et circumstetere vias, captiva olim mancipia aut iumenta adgnoscentes abstrahentesque; raptae etiam vestes, retenta arma, pavido milite et concedente, ne qua proelii causa existeret. (3) Vologaeses armis et corporibus caesorum aggeratis, quo cladem nostram testaretur, visu fugientium legionum abstinuit: fama moderationis quaerebatur, postquam superbiam expleverat. flumen Arsaniam elephanto insidens, proximus quisque regem vi equorum perrupere, quia rumor incesserat pontem cessurum oneri dolo fabricantium; sed qui ingredi ausi sunt, validum et fidum intellexere. 16 (1) Ceterum obsessis adeo suppeditavisse rem frumentariam constitit, ut horreis ignem inicerent, contraque prodiderit Corbulo Parthos inopes copiarum et pabulo attrito relicturos oppugnationem, neque se plus tridui itinere afuisse. (2) adicit iure iurando Paeti cautum apud signa, adstantibus iis, quos testificando rex misisset, neminem Romanum Armeniam ingressurum, donec referrentur litterae Neronis, an paci adnueret. (3) quae ut augendae infamiae composita, sic reliqua non in obscuro habentur, una
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die die Caesaren unternommen hätten, um Armenien zu behaupten oder zu verschenken, Vasaces daran, dass nur der Schein, es zu behalten oder zu vergeben, bei uns, die Macht dazu bei den Parthern liege. (3) Und nachdem man lange hin und her verhandelt hatte, zog man für den nächsten Tag den Adiabener Monobazus als Zeugen für das bei, was sie vereinbart hatten. Man beschloss, die Legionen von der Belagerung zu befreien, alle Soldaten aus dem Gebiet der Armenier abzuziehen und die Kastelle und Vorräte den Parthern zu übergeben; nach der Umsetzung dieser Vereinbarungen solle Vologaeses die Möglichkeit haben, eine Gesandtschaft an Nero zu schicken. 15 (1) Inzwischen schlug Paetus eine Brücke über den Fluss Arsanias – er floss am Lager vorbei –, angeblich um sich damit den Abmarsch zu ermöglichen, aber die Parther hatten den Bau sozusagen als Beleg für ihren Sieg befohlen; denn sie benützten sie, unsere Leute zogen in die entgegengesetzte Richtung ab. (2) Zusätzlich verbreitete sich das Gerücht, die Legionen seien unter das Joch geschickt worden und von anderen sich aus dem Misserfolg ergebenden Konsequenzen, die ihren Ausdruck in den von den Armeniern beanspruchten Verhaltensweisen fanden. Denn sie kamen auch schon in die Befestigungen, bevor das römische Heer abzog, standen in den Straßen herum, erkannten einst gefangen genommene Sklaven oder Zugtiere und schleppten sie weg; sie raubten auch Kleider und hielten Waffen fest, und unsere Soldaten ließen das eingeschüchtert zu, um keinen Anlass für eine bewaffnete Auseinandersetzung entstehen zu lassen. (3) Vologaeses ließ Waffen und Leichname der Gefallenen zum Nachweis unserer Niederlage auf einen Haufen zusammentragen, verzichtete aber auf den Anblick der fliehenden Legionen: Es ging ihm um den Ruf der Mäßigung, nachdem er seinen Hochmut ausgekostet hatte. Den Fluss Arsanias überwanden sie, er auf einem Elefanten sitzend, die nächste Umgebung des Königs dank der Kraft ihrer Pferde, weil das Gerücht aufgekommen war, die Brücke werde unter der Last zusammenbrechen infolge der Hinterlist ihrer Erbauer; doch wer sich sie zu betreten getraute, konnte feststellen, dass sie stabil und zuverlässig war. 16 (1) Im Übrigen verfügten die Belagerten bekanntlich über derart viel Getreide, dass sie die Speicher in Brand steckten; andererseits hat Corbulo berichtet,6 die Parther seien dabei gewesen, aus Proviantmangel und Futterknappheit die Belagerung aufzugeben, und er sei nicht mehr als drei Tagesmärsche entfernt gewesen. (2) Zusätzlich teilt er mit, durch einen Eid des Paetus sei vor den Feldzeichen in Anwesenheit der Personen, die der König als Zeugen geschickt hatte, sichergestellt worden, dass kein Römer in Armenien einmarschiere, bis Neros Schreiben eintreffe, ob er dem Frieden zustimme. (3) Mag das auch erfunden sein, um die Schande noch größer zu machen, so gelten doch die weiteren Nachrichten als sicher, Paetus habe an einem einzigen
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die quadraginta milium spatium emensum esse Paetum, desertis passim sauciis, neque minus deformem illam fugientium trepidationem, quam si terga in acie vertissent. (4) Corbulo cum suis copiis apud ripam Euphratis obvius non eam speciem insignium et armorum praetulit, ut diversitatem exprobraret: maesti manipuli ac vicem commilitonum miserantes ne lacrimis quidem temperare; vix prae fletu usurpata consalutatio. decesserat certamen virtutis et ambitio gloriae, felicium hominum adfectus: sola misericordia valebat, et apud minores magis. 17 (1) Ducum inter se brevis sermo secutus est, hoc conquerente inritum laborem, potuisse bellum fuga Parthorum finiri; ille integra utrique cuncta respondit: converterent aquilas et iuncti invaderent Armeniam abscessu Vologaesis infirmatam. (2) non ea imperatoris habere mandata Corbulo: periculo legionum commotum e provincia egressum; quando in incerto habeantur Parthorum conatus, Syriam repetiturum. sic quoque optimam fortunam orandam, ut pedes confectus spatiis itinerum alacrem et facilitate camporum praevenientem equitem adsequeretur. exim Paetus per Cappadociam hibernavit. (3) at Vologaesi ad Corbulonem missi nuntii, detraheret castella trans Euphraten amnemque, ut olim, medium faceret; ille Armeniam quoque diversis praesidiis vacuam fieri expostulabat. et postremo concessit rex; dirutaque quae Euphraten ultra communiverat Corbulo, et Armenii sine arbitro relicti sunt. 18 (1) At Romae tropaea de Parthis arcusque medio Capitolini montis sistebantur, decreta ab senatu integro adhuc bello neque tum omissa, dum adspectui consulitur spreta conscientia. (2) quin et dissimulandis rerum externarum curis Nero frumentum plebis vetustate corruptum in Tiberim iecit, quo securitatem annonae sustentaret. cuius pretio nihil additum est, quamvis ducentas ferme
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Tag 40 Meilen7 zurückgelegt und dabei überall Verwundete zurückgelassen, und diese Angst der Flüchtenden sei nicht weniger ehrlos gewesen, als wenn sie in der Schlacht davongelaufen wären. (4) Corbulo stieß mit seinen eigenen Truppen am Euphratufer auf sie und präsentierte Auszeichnungen und Waffen nicht in einer solchen Pracht, dass man aus dem Gegensatz einen Vorwurf hätte herauslesen können: Niedergeschlagen und voller Mitleid mit dem Schicksal ihrer Kameraden, konnten seine Manipel nicht einmal die Tränen zurückhalten; kaum vollzog man vor lauter Weinen die übliche Begrüßung. Verschwunden waren der Wettstreit in der Tapferkeit und das ehrgeizige Streben nach Ruhm, Gefühle glücklicher Männer; einzig das Mitleid setzte sich durch, und bei den unteren Dienstgraden in höherem Maße. 17 (1) Es folgte ein kurzes Gespräch der Kommandeure untereinander, wobei der eine beklagte, der ganze Einsatz sei umsonst gewesen: Der Krieg hätte mit der Flucht der Parther sein Ende finden können. Der andere antwortete, sie beide hätten noch alles in der Hand; sie müssten lediglich mit den Adlern kehrtmachen und gemeinsam Armenien angreifen, das durch den Abzug des Vologaeses geschwächt sei. (2) Er habe keine diesbezüglichen Weisungen des Oberbefehlshabers, sagte Corbulo. Nur weil er über die Gefahr für die Legionen zutiefst beunruhigt gewesen sei, sei er aus seiner Provinz ausgerückt; da die Absichten der Parther als unklar angesehen werden müssten, werde er nach Syrien zurückkehren. Auch so schon müsse man um die besondere Gunst des Schicksals beten, dass seine durch die weiten Märsche erschöpften Infanteristen die schwungvolle und durch die günstige Beschaffenheit des ebenen Geländes ihnen zuvorkommende Kavallerie noch einholen könnten.8 Anschließend überwinterte Paetus in Kappadokien. (3) Doch von Vologaeses wurden zu Corbulo Boten geschickt, er solle die Kastelle jenseits des Euphrat niederreißen und den Fluss wie früher zur Grenze zwischen ihnen machen; der forderte seinerseits, auch Armenien müsse von den verschiedenen Besatzungstruppen geräumt werden. Und schließlich war der König einverstanden; alle Festungen, die Corbulo über dem Euphrat angelegt hatte, wurden zerstört und die Armenier ohne Gebieter gelassen. 18 (1) Doch in Rom wurden Denkmäler für den Sieg über die Parther und Bogen mitten auf dem kapitolinischen Berg errichtet, die vom Senat beschlossen worden waren, als der Krieg noch im Gange war, und von denen man auch dann nicht Abstand nahm, als es nur mehr um den äußeren Schein ging und man das Bewusstsein von der wahren Lage verdrängte. (2) Ja, um seine Sorgen wegen der außenpolitischen Lage zu vertuschen, ließ Nero sogar für das einfache Volk bestimmtes, durch die lange Lagerung verdorbenes Getreide in den Tiber schütten, um den Glauben an die Sicherheit der Getreideversorgung aufrechtzuerhalten. Auf seinen Preis wurde nichts aufgeschlagen, obwohl fast
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naves portu in ipso violentia tempestatis et centum alias Tiberi subvectas fortuitus ignis absumpsisset. (3) tres dein consulares, L. Pisonem, Ducenium Geminum, Pompeium Paulinum vectigalibus publicis praeposuit, cum insectatione priorum principum, qui gravitate sumptuum iustos reditus anteissent: se annuum sexcenties sestertium rei publicae largiri. 19 (1) Percrebuerat et tempestate pravus mos, cum propinquis comitiis aut sorte provinciarum plerique orbi fictis adoptionibus adsciscerent filios, praeturasque et provincias inter patres sortiti statim emitterent manu, quos adoptaverant. (2) ** magna cum invidia senatum adeunt, ius naturae, labores educandi adversus fraudem et artes et brevitatem adoptionis enumerant. satis pretii esse orbis, quod multa securitate, nullis oneribus gratiam honores, cuncta prompta et obvia haberent. sibi promissa legum diu exspectata in ludibrium verti, quando quis sine sollicitudine parens, sine luctu orbus longa patrum vota repente adaequaret. (3) factum ex eo senatus consultum, ne simulata adoptio in ulla parte muneris publici iuvaret ac ne usurpandis quidem hereditatibus prodesset. 20 (1) Exim Claudius Timarchus Cretensis reus agitur, ceteris criminibus, ut solent praevalidi provincialium et opibus nimiis ad iniurias minorum elati: una vox eius usque ad contumeliam senatus penetraverat, quod dictitasset in sua potestate situm, an proconsulibus, qui Cretam obtinuissent, grates agerentur. (2) quam occasionem Paetus Thrasea ad bonum publicum vertens, postquam de reo censuerat provincia Creta depellendum, haec addidit: (3) ‘usu probatum est, patres conscripti, leges egregias, exempla honesta apud bonos ex delictis aliorum gigni. sic oratorum licentia Cinciam rogationem, candidatorum ambitus Iulias leges, magistratuum avaritia Calpurnia scita pepererunt; nam culpa quam poena tempore prior, emendari quam peccare posterius est.
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200 Schiffe mitten im Hafen ein heftiges Unwetter und 100 weitere bei der Fahrt den Tiber hinauf ein zufällig ausgebrochenes Feuer vernichtet hatte. (3) Drei ehemaligen Konsuln, L. Piso, Ducenius Geminus und Pompeius Paulinus, übertrug er anschließend die Aufsicht über die Staatseinkünfte mit einem Seitenhieb auf die früheren Principes, die wegen der drückenden Last ihrer Aufwendungen vorab auf die regelrechten Einnahmen zugegriffen hätten; er dagegen schenke dem Staat jährlich 60 Millionen Sesterze. 19 (1) In dieser Zeit hatte auch eine üble Gewohnheit um sich gegriffen: Bei nahen Wahlen oder der Verlosung von Provinzen nahmen zahlreiche kinderlose Personen mit Scheinadoptionen Söhne an und entließen dann, wenn sie Präturen und Provinzen im Kreis der echten Väter erlost hatten, die Adoptierten sofort wieder aus ihrer Gewalt.9 (2) (Die echten Väter?) wandten sich voll heller Empörung an den Senat und führten ihr natürliches Recht und die mit der Erziehung verbundenen Mühen im Gegensatz zu den betrügerischen Machenschaften einer Kurzadoption an. Genug Belohnung sei es für die Kinderlosen, dass sie in weitgehender Sorglosigkeit, ohne jede Belastung Einfluss, Ehrenstellen, kurz alles verfügbar und griffbereit hätten. Für sie aber verwandelten sich die lange erwarteten Versprechungen der Gesetze in Hohn, wenn jeder, der ohne Aufregung Vater, ohne Trauer kinderlos geworden sei, mit einem Schlag mit den lange gehegten Wünschen von Vätern gleichziehe. (3) Daraufhin fasste man den Senatsbeschluss, dass eine Scheinadoption in keinem Bereich der öffentlichen Verwaltung helfen und nicht einmal bei der Geltendmachung von Erbschaftsansprüchen einen Vorteil bringen dürfe. 20 (1) Anschließend wurde der Kreter Claudius Timarchus vor Gericht gestellt, mit allen auch sonst üblichen Anschuldigungen gegen die übermächtigen Provinzialen, die sich wegen ihres allzu großen Reichtums zu Übergriffen auf ihre niedriger gestellten Mitbürger hatten hinreißen lassen. Mit einer seiner Äußerungen hatte er sich aber bis zu einer Beleidigung des Senats verstiegen: Er soll wiederholt gesagt haben, es liege in seiner Macht, ob den Prokonsuln, die Kreta verwaltet hatten, dafür der Dank ausgesprochen werde.10 (2) Diese Gelegenheit versuchte Paetus Thrasea zum Wohl für die Allgemeinheit zu wenden und schloss deshalb, nachdem er beantragt hatte, den Angeklagten aus der Provinz Kreta zu verweisen, folgende Ausführungen an: (3) „Durch Erfahrung ist erwiesen, versammelte Väter, dass herausragende Gesetze und ehrbare Vorbilder bei anständigen Menschen aus den Vergehen anderer entstehen. So hat die Hemmungslosigkeit der Redner den cincischen Gesetzesantrag, die Bestechung durch die Bewerber die julischen Gesetze, die Habsucht der Amtsträger die calpurnischen Beschlüsse hervorgebracht;11 denn die Schuld kommt zeitlich früher als die Strafe, die Besserung später als die Verfehlung.
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(4) ergo adversus novam provincialium superbiam dignum fide constantiaque Romana capiamus consilium, quo tutelae sociorum nihil derogetur, nobis opinio decedat, qualis quisque habeatur, alibi quam in civium iudicio esse. 21 (1) Olim quidem non modo praetor aut consul, sed privati etiam mittebantur, qui provincias viserent et quid de cuiusque obsequio videretur referrent, trepidabantque gentes de aestimatione singulorum: at nunc colimus externos et adulamur, et quo modo ad nutum alicuius grates, ita promptius accusatio decernitur. (2) decernaturque et maneat provincialibus potentiam suam tali modo ostentandi: sed laus falsa et precibus expressa perinde cohibeatur quam malitia, quam crudelitas. (3) plura saepe peccantur, dum demeremur quam dum offendimus. quaedam immo virtutes odio sunt, severitas obstinata, invictus adversum gratiam animus. (4) inde initia magistratuum nostrorum meliora ferme et finis inclinat, dum in modum candidatorum suffragia conquirimus: quae si arceantur, aequabilius atque constantius provinciae regentur. nam ut metu repetundarum infracta avaritia est, ita vetita gratiarum actione ambitio cohibetur.’ 22 (1) Magno adsensu celebrata sententia. non tamen senatus consultum perfici potuit abnuentibus consulibus ea de re relatum. mox auctore principe sanxere, ne quis ad concilium sociorum referret agendas apud senatum pro praetoribus prove consulibus grates, neu quis ea legatione fungeretur. (2) Isdem consulibus gymnasium ictu fulminis conflagravit, effigies in eo Neronis ad informe aes liquefacta. et motu terrae celebre Campaniae oppidum Pompei magna ex parte proruit; defunctaque virgo Vestalis Laelia, in cuius locum Cornelia ex familia Cossorum capta est. 23 (1) MEMMIO REGULO et VERGINIO RUFO consulibus natam sibi ex Poppaea filiam Nero ultra mortale gaudium accepit appellavitque Augustam, dato et Poppaeae eodem cognomento. locus puerperio colonia Antium fuit, ubi ipse
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(4) Fassen wir deshalb gegen den unerhörten Hochmut der Provinzialen einen der römischen Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit angemessenen Entschluss, durch den dem Schutz unserer Bundesgenossen nichts weggenommen wird, uns jedoch der Eindruck erspart bleibt, die Bewertung eines jeden Mannes beruhe auf etwas anderem als auf dem Urteil seiner Mitbürger! 21 (1) Einst jedenfalls schickte man nicht nur einen Prätor oder Konsul, sondern sogar Privatpersonen, die Provinzen besichtigen und über ihre Eindrücke vom Gehorsam einer jeden berichten sollten, und Völker zitterten vor dem Gutachten einzelner Männer. Jetzt aber hofieren wir die Fremden und schmeicheln ihnen, und wie man auf den Wink irgendeines von ihnen eine Danksagung beschließt, so noch bereitwilliger eine Anklage. (2) Soll man sie doch beschließen und soll den Provinzialen die Möglichkeit bleiben, ihre Macht auf eine derartige Weise zu zeigen! Aber unaufrichtiges und nur durch Bitten erpresstes Lob sollte genauso unterbunden werden wie Bosheit, wie Grausamkeit. (3) Einen größeren Fehler begeht man oft, wenn man einen Gefallen erweisen will als wenn man sich unbeliebt macht. Ja, sogar bestimmte Tugenden machen verhasst, unnachgiebige Strenge und eine für Beeinflussungsversuche unüberwindliche Gesinnung. (4) Daher sind die ersten Schritte unserer Amtsträger in der Regel besser, am Ende aber gleiten sie ab, weil wir in der Art von Bewerbern Stimmen nachjagen; wenn man dieses Verhalten unterbindet, werden die Provinzen unparteiischer und konsequenter geleitet werden. Denn genauso wie durch die Furcht vor einem Verfahren wegen Erpressung die Habsucht gebrochen worden ist, wird, wenn man die Dankesbezeugungen verbietet, die Anbiederung eingeschränkt werden.“ 22 (1) Mit großer Zustimmung wurde dieser Antrag gefeiert. Dennoch konnte kein Senatsbeschluss gefasst werden, weil die Konsuln feststellten, darum sei es bei diesem Tagesordnungspunkt nicht gegangen. Bald danach bestimmten sie auf Veranlassung des Princeps, niemand dürfe auf einer Versammlung der Bundesgenossen den Antrag stellen, im Senat Proprätoren oder Prokonsuln zu danken, und niemand dürfe eine solche Gesandtschaft übernehmen. (2) Unter den gleichen Konsuln brannte das Gymnasium12 nach einem Blitzschlag ab, wobei eine Statue Neros darin zu einem unförmigen Bronzeklumpen zusammenschmolz. Und bei einem Erdbeben stürzte die dicht bevölkerte kampanische Landstadt Pompeji großenteils zusammen, und es verschied die vestalische Jungfrau Laelia, an deren Stelle Cornelia aus der Familie der Cossi berufen wurde. 23 (1) Unter den Konsuln MEMMIUS REGULUS und VERGINIUS RUFUS (63 n. Chr.) nahm Nero die Tochter, die ihm Poppaea gebar, mit übermenschlicher Freude entgegen und nannte sie Augusta, nachdem er auch Poppaea den gleichen Beinamen gegeben hatte. Geburtsort war die Kolonie Antium, wo er selbst
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generatus erat. (2) iam senatus uterum Poppaeae commendaverat dis votaque publice susceperat, quae multiplicata exsolutaque. et additae supplicationes templumque fecunditatis et certamen ad exemplar Actiacae religionis decretum, utque Fortunarum effigies aureae in solio Capitolini Iovis locarentur, ludicrum circense, ut Iuliae genti apud Bovillas, ita Claudiae Domitiaeque apud Antium ederetur. (3) quae fluxa fuere, quartum intra mensem defuncta infante. rursusque exortae adulationes censentium honorem divae et pulvinar aedemque et sacerdotem. atque ipse ut laetitiae, ita maeroris immodicus egit. (4) adnotatum est, omni senatu Antium sub recentem partum effuso, Thraseam prohibitum immoto animo praenuntiam imminentis caedis contumeliam excepisse. secutam dehinc vocem Caesaris ferunt, qua reconciliatum se Thraseae apud Senecam iactaverit, ac Senecam Caesari gratulatum. unde gloria egregiis viris et pericula gliscebant. 24 (1) Inter quae veris principio legati Parthorum mandata regis Vologaesis litterasque in eandem formam attulere: se priora et totiens iactata super obtinenda Armenia nunc omittere, quoniam dii, quamvis potentium populorum arbitri, possessionem Parthis non sine ignominia Romana tradidissent. (2) nuper clausum Tigranen, post Paetum legionesque, cum opprimere posset, incolumes dimisisse. satis adprobatam vim; datum et lenitatis experimentum. nec recusaturum Tiridaten accipiendo diademati in urbem venire, nisi sacerdotii religione attineretur: iturum ad signa et effigies principis, ubi legionibus coram regnum auspicaretur. 25 (1) Talibus Vologaesis litteris, quia Paetus diversa tamquam rebus integris scribebat, interrogatus centurio, qui cum legatis advenerat, quo in statu Armenia esset, omnes inde Romanos excessisse respondit. (2) tum intellecto barbarorum inrisu, qui peterent quod eripuerant, consuluit inter primores civitatis Nero, bellum anceps an pax inhosta placeret. nec dubitatum de bello. et
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zur Welt gekommen war. (2) Der Senat hatte schon Poppaeas schwangeren Leib den Göttern anempfohlen und von Staats wegen Gelübde abgelegt, die nun vervielfacht und eingelöst wurden. Und zusätzlich wurden Dankfeste abgehalten sowie ein Tempel der Fruchtbarkeit und ein Wettkampf nach dem Vorbild der religiösen Feier von Aktium beschlossen und auch, dass goldene Bilder der Glücksgöttinnen auf dem Thron des kapitolinischen Jupiter aufgestellt und ein Zirkusspiel wie für die julische Familie in Bovillae, so für die claudische und domitische in Antium veranstaltet werden solle. (3) Diese Ehrungen waren hinfällig, weil der Säugling im vierten Monat verschied. Wieder kam es zur Kriecherei von Leuten, die die Ehre der Vergöttlichung und ein Götterpolster13, einen Tempel und einen Priester beantragten. Und er selbst benahm sich in der Trauer ebenso maßlos wie in der Freude. (4) Es gibt eine Notiz, Thrasea sei, als der gesamte Senat unmittelbar nach der Geburt nach Antium geströmt war, nicht vorgelassen worden und habe ungerührt diese entehrende Behandlung aufgenommen, die ihm den bevorstehenden gewaltsamen Tod ankündigte. Darauf folgte, so wird berichtet, eine Äußerung des Caesars, mit der er sich Seneca gegenüber brüstete, er habe sich mit Thrasea versöhnt, und Seneca habe den Caesar beglückwünscht. Damit nahm der Ruhm für die herausragenden Männer zu, aber auch ihre Gefahren. 24 (1) Inzwischen überbrachten zu Frühlingsbeginn die Gesandten der Parther Anweisungen ihres Königs Vologaeses und ein Schreiben des gleichen Inhalts: Er übergehe die früheren und schon so oft vorgebrachten Prahlereien über den Besitz Armeniens, weil die Götter, Schiedsrichter selbst über die mächtigsten Völker, diesen Besitz den Parthern nicht ohne Beschämung der Römer gegeben hätten. (2) Erst kürzlich sei Tigranes eingeschlossen worden, dann habe er Paetus und die Legionen, obwohl er sie vernichten konnte, unangetastet abziehen lassen. Zur Genüge sei dadurch seine Macht nachgewiesen; auch ein Beweis seiner Milde sei geliefert worden. Tiridates hätte sich auch nicht geweigert, zur Entgegennahme des Diadems in die Hauptstadt zu kommen, wenn er nicht durch mit seinem Priesteramt verbundene religiöse Bedenken14 daran gehindert würde; er werde zu den Feldzeichen und Bildnissen des Princeps gehen, um dort in Gegenwart der Legionen die Herrschaft anzutreten. 25 (1) So lautete der Brief des Vologaeses. Weil Paetus davon abweichend schrieb, als ob alles noch offen sei, wurde der Zenturio, der mit den Gesandten gekommen war, nach der Lage in Armenien befragt, und gab zur Antwort, alle Römer seien dort abgezogen. (2) Da durchschaute man das üble Spiel der Barbaren, die um etwas baten, was sie bereits an sich gerissen hatten, und Nero beriet zusammen mit den führenden Männern der Bürgerschaft, ob man einen Krieg mit ungewissem Ausgang oder einen unehrenhaften Frieden beschließen solle. Ohne Zögern entschied man sich für den Krieg. Und
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Corbulo militum atque hostium tot per annos gnarus gerendae rei praeficitur, ne cuius alterius inscitia rursum peccaretur, quia Paeti piguerat. (3) igitur inriti remittuntur, cum donis tamen, unde spes fieret non frustra eadem oraturum Tiridaten, si preces ipse attulisset. Syriaeque executio Cetio, copiae militares Corbuloni permissae; et quinta decima legio ducente Mario Celso e Pannonia adiecta est. scribitur tetrarchis ac regibus praefectisque et procuratoribus et qui praetorum finitimas provincias regebant, iussis Corbulonis obsequi, in tantum ferme modum aucta potestate, quem populus Romanus Cn. Pompeio bellum piraticum gesturo dederat. (4) regressum Paetum, cum graviora metueret, facetiis insectari satis habuit Caesar, his ferme verbis: ignoscere se statim, ne tam promptus in pavorem longiore sollicitudine aegresceret. 26 (1) At Corbulo, quarta et duodecima legionibus, quae fortissimo quoque amisso et ceteris exterritis parum habiles proelio videbantur, in Syriam translatis, sextam inde ac tertiam legiones, integrum militem et crebris ac prosperis laboribus exercitum in Armeniam ducit. (2) addiditque legionem quintam, quae per Pontum agens expers cladis fuerat, simul quintadecimanos recens adductos et vexilla delectorum ex Illyrico et Aegypto, quodque alarum cohortiumque, et auxilia regum in unum conducta apud Melitenen, qua tramittere Euphraten parabat. (3) tum lustratum rite exercitum ad contionem vocat orditurque magnifica de auspiciis imperatoris rebusque a se gestis, adversa in inscitiam Paeti declinans, multa auctoritate, quae viro militari pro facundia erat. 27 (1) Mox iter L. Lucullo quondam penetratum, apertis quae vetustas obsaepserat, pergit. et venientes Tiridatis Vologaesisque de pace legatos haud aspernatus, adiungit iis centuriones cum mandatis non immitibus: nec enim adhuc eo ventum, ut certamine extremo opus esset. (2) multa Romanis
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Corbulo, der seine Soldaten und Feinde schon so viele Jahre kannte, wurde mit dem Kommando über das Unternehmen betraut, damit nicht wieder irgendein anderer aus Unerfahrenheit Fehler mache, weil man über Paetus verärgert war. (3) So wurden sie ergebnislos zurückgeschickt, aber dennoch mit Geschenken, um die Hoffnung aufkommen zu lassen, Tiridates würde nicht vergeblich die gleichen Bitten äußern, falls er sie persönlich überbringe. Syriens Zivilverwaltung wurde C. Cestius, die militärischen Verbände Corbulo übertragen und die 15. Legion unter dem Kommando des Marius Celsus aus Pannonien herverlegt. Man schrieb den Vierfürsten15, Königen, Präfekten, Prokuratoren und allen Prätoren, die die benachbarten Provinzen leiteten, sie sollten Corbulos Befehlen nachkommen, dessen Befehlsbefugnis beinahe im gleichen Umfang ausgedehnt worden war, wie sie das römische Volk Cn. Pompeius zur Führung des Seeräuberkriegs gegeben hatte.16 (4) Obwohl Paetus Schlimmeres befürchtete, begnügte sich der Caesar nach seiner Rückkehr damit, ihn mit spöttischen Bemerkungen zu verfolgen, und zwar ungefähr mit folgenden Worten: Er verzeihe ihm augenblicklich, damit er nicht, wo er sich doch so leicht ängstige, durch eine länger dauernde Aufregung krank werde. 26 (1) Doch Corbulo verlegte die vierte und zwölfte Legion, die nach dem Verlust gerade ihrer tapfersten Männer und wegen des Schreckens, der alle anderen gepackt hatte, einem Gefecht nicht mehr gewachsen zu sein schienen, nach Syrien; die sechste und dritte Legion, frische und in zahlreichen erfolgreichen Unternehmungen bewährte Soldaten, führte er von dort aus nach Armenien. (2) Er gliederte noch die fünfte Legion an, die in Pontus eingesetzt und deshalb an der Niederlage nicht beteiligt war, zudem die neu herangeführten Fünfzehner, ausgewählte Veteraneneinheiten aus Illyricum und Ägypten und alle verfügbaren Regimenter und Kohorten sowie die Hilfstruppenkontingente der Könige, die in Melitene, wo er sich auf die Überquerung des Euphrats vorbereitete, zu einer Einheit zusammengezogen worden waren. (3) Dann entsühnte er das Heer den Bestimmungen entsprechend, berief eine Versammlung ein und begann mit großartigen Ausführungen über die Auspizien des Oberbefehlshabers und seine eigenen Taten, wobei er die Misserfolge auf Paetusʼ Unerfahrenheit schob, mit viel Überzeugungskraft, die bei dem erfahrenen Soldaten an die Stelle der Beredsamkeit trat. 27 (1) Dann nahm er den Weg, auf dem einst L. Lucullus vorgedrungen war,17 nachdem man die Abschnitte passierbar gemacht hatte, die durch die lange Zeit blockiert waren. Und die Gesandten des Tiridates und Vologaeses, die zu Friedensverhandlungen kamen, wies er nicht ab, sondern gab ihnen Zenturionen mit nicht unfreundlichen Weisungen mit: Man sei ja noch nicht an dem Punkt angelangt, dass man die Auseinandersetzung zum Äußersten treiben müsse. (2) Viele Erfolge hätten die Römer, einige auch die Parther
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secunda, quaedam Parthis evenisse, documento adversus superbiam. proinde et Tiridati conducere intactum vastationibus regnum dono accipere, et Vologaesen melius societate Romana quam damnis mutuis genti Parthorum consulturum. scire, quantum intus discordiarum, quamque indomitas et praeferoces nationes regeret: contra imperatori suo immotam ubique pacem et unum id bellum esse. (3) simul consilio terrorem adicere, et megistanas Armenios, qui primi a nobis defecerant, pellit sedibus, castella eorum exscindit, plana edita, validos invalidosque pari metu complet. 28 (1) Non infensum nec cum hostili odio Corbulonis nomen etiam barbaris habebatur, eoque consilium eius fidum credebant. ergo Vologaeses neque atrox in summam, et quibusdam praefecturis indutias petit: Tiridates locum diemque conloquio poscit. (2) tempus propinquum, locus, in quo nuper obsessae cum Paeto legiones erant, [cum] barbaris delectus est ob memoriam laetioris ibi rei, Corbuloni non vitatus, ut dissimilitudo fortunae gloriam augeret. neque infamia Paeti angebatur, quod eo maxime patuit, quia filio eius tribuno ducere manipulos atque operire reliquias malae pugnae imperavit. (3) die pacta Tiberius Alexander, inlustris eques Romanus, minister bello datus, et Vinianus Annius, gener Corbulonis, nondum senatoria aetate et pro legato quintae legioni impositus, in castra Tiridatis venere, honor eius ac ne metueret insidias tali pignore; viceni dehinc equites adsumpti. et viso Corbulone rex prior equo desiluit; nec cunctatus Corbulo, et pedes uterque dexteras miscuere. 29 (1) Exim Romanus laudat iuvenem omissis praecipitibus tuta et salutaria capessentem. ille de nobilitate generis multum praefatus, cetera temperanter adiungit: iturum quippe Romam laturumque novum Caesari decus, non adversis Parthorum rebus supplicem Arsaciden. tum placuit Tiridaten ponere apud effigiem Caesaris insigne regium nec nisi manu
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errungen, als Lektion gegen Hochmut. Deshalb nütze es einerseits Tiridates, ein von Verwüstungen unberührtes Königreich als Geschenk entgegenzunehmen, andererseits werde Vologaeses besser durch ein Bündnis mit den Römern als durch Verluste auf beiden Seiten die Interessen des parthischen Volks wahrnehmen. Er wisse, wie viele innere Auseinandersetzungen es gebe und über welch ungebändigte und sehr wilde Völker er herrsche; im Gegensatz dazu sei für seinen Oberbefehlshaber der Friede überall ungestört, und er habe nur diesen einen Krieg zu führen. (3) Diesen Rat verband er mit einem Schreckensregiment und vertrieb die armenischen Großen, die zuerst von uns abgefallen waren, aus ihren Residenzen, zerstörte ihre Kastelle und erfüllte Ebenen und Höhenzüge, Starke und Schwache mit gleicher Furcht. 28 (1) Nicht mit Empörung, auch nicht mit feindseligem Hass wurde der Name Corbulos sogar bei den Barbaren behandelt, und deshalb hielten sie seinen Rat für aufrichtig. Also reagierte Vologaeses einerseits in der Hauptsache nicht unversöhnlich, andererseits strebte er für einige Präfekturen einen Waffenstillstand an; Tiridates aber verlangte Ort und Termin für eine Unterredung. (2) Ein naher Zeitpunkt und der Platz, an dem kurz zuvor die Legionen zusammen mit Paetus belagert worden waren, wurden von den Barbaren ausgewählt wegen des Andenkens an das dort für sie erfreulicher verlaufene Unternehmen; Corbulo schlug ihn nicht aus, damit der Unterschied in ihrem Schicksal seinen Ruhm vergrößere. Aber auch durch Paetusʼ Schande ließ er sich nicht beunruhigen, was darin besonders deutlich zum Ausdruck kam, dass er dessen Sohn, einen Tribun, Abteilungen übernehmen und die Spuren der unglücklich verlaufenen Schlacht beseitigen ließ. (3) Am vereinbarten Tag kamen Tiberius Alexander, ein hochrangiger römischer Ritter, der ihm als Berater im Krieg mitgegeben worden war, und Vinicianus Annius, Corbulos Schwiegersohn, der das senatorische Alter noch nicht erreicht hatte und mit dem Kommando über die fünfte Legion anstelle eines Legaten betraut worden war,18 ins Lager des Tiridates, zu seiner Ehre und damit er dank eines solchen Unterpfands sich vor keiner Hinterlist fürchten musste; je zwanzig Reiter nahm man noch dazu. Und als der König Corbulo zu Gesicht bekam, sprang er als Erster vom Pferd; aber auch Corbulo zögerte nicht, und zu Fuß reichten sich beide die Hand. 29 (1) Dann lobte der Römer den jungen Mann dafür, dass er von seiner unbesonnenen Politik abgerückt sei und nun den sicheren und vorteilhaften Weg einschlage. Dieser sprach zuerst ausführlich über den Adel seines Geschlechts und blieb in all seinen anschließenden Äußerungen zurückhaltend: Er werde also nach Rom gehen und dem Caesar einen bisher unbekannten Prestigeerfolg verschaffen: obwohl es um die parthische Sache nicht schlecht stehe, einen Arsaciden als Bittsteller! Dann vereinbarte man, Tiridates solle vor einem Bildnis des Caesars sein königliches Abzeichen niederlegen und es nur aus der
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Neronis resumere; et conloquium osculo finitum. (2) dein paucis diebus interiectis magna utrimque specie inde eques compositus per turmas et insignibus patriis, hinc agmina legionum stetere fulgentibus aquilis signisque et simulacris deum in modum templi: medio tribunal sedem curulem et sedes effigiem Neronis sustinebat. (3) ad quam progressus Tiridates, caesis ex more victimis, sublatum capiti diadema imagini subiecit, magnis apud cunctos animorum motibus, quos augebat insita adhuc oculis exercituum Romanorum caedes aut obsidio. at nunc versos casus: iturum Tiridaten ostentui gentibus, quanto minus quam captivum? 30 (1) Addidit gloriae Corbulo comitatem epulasque; et rogitante rege causas, quotiens novum aliquid adverterat, ut initia vigiliarum per centurionem nuntiari, convivium bucina dimitti et structam ante augurale aram subdita face accendi, cuncta in maius attollens admiratione prisci moris adfecit. (2) postero die spatium oravit, quo tantum itineris aditurus fratres ante matremque viseret; obsidem interea filiam tradit litterasque supplices ad Neronem. 31 Et digressus Pacorum apud Medos, Vologaesen Ecbatanis repperit, non incuriosum fratris: quippe et propriis nuntiis a Corbulone petierat, ne quam imaginem servitii Tiridates perferret neu ferrum traderet aut complexu provincias obtinentium arceretur foribusve eorum adsisteret, tantusque ei Romae quantus consulibus honor esset. scilicet externae superbiae sueto non inerat notitia nostri, apud quos vis imperii valet, inania tramittuntur. 32 Eodem anno Caesar nationes Alpium maritimarum in ius Latii transtulit. equitum Romanorum locos sedilibus plebis anteposuit apud circum; namque ad eam diem indiscreti inibant, quia lex Roscia nihil nisi de quattuordecim ordinibus sanxit. spectacula gladiatorum idem annus habuit pari magnificentia ac priora; sed feminarum inlustrium senatorumque plures per arenam foedati sunt.
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Hand Neros wieder entgegennehmen; und die Unterredung wurde mit einem Kuss beendet. (2) Daraufhin wurde nach dem Verlauf weniger Tage unter großer beidseitiger Prachtentfaltung auf der einen Seite die Kavallerie nach Schwadronen und mit ihren heimischen Abzeichen aufgestellt, auf der anderen standen die Kolonnen der Legionen mit blitzenden Adlern, Feldzeichen und Götterbildern wie in einem Tempelbezirk; in der Mitte trugen ein Podium einen kurulischen Sessel und der Sessel ein Bildnis Neros. (3) Zu ihm trat Tiridates vor, nachdem man dem Brauch gemäß Opfertiere geschlachtet hatte, nahm das Diadem vom Kopf und legte es vor dem Bild nieder, unter großer innerer Bewegung aller Anwesenden, welche die immer noch vor Augen stehende Niedermetzelung oder Belagerung der römischen Heere verstärkte. Doch jetzt habe sich das Blatt gewendet: Tiridates gehe, um den Völkern zur Schau gestellt zu werden – wie gering sei der Unterschied zu einem Gefangenen! 30 (1) Dieses ruhmreiche Ereignis verband Corbulo höflich mit einem Bankett; und als der König wiederholt nach den Gründen fragte, sooft er irgendetwas Neues bemerkt hatte, zum Beispiel, dass das Aufziehen der Nachtwachen durch einen Zenturio gemeldet, das Ende des Banketts durch ein Trompetensignal angezeigt und der vor dem Kommandeurszelt errichtete Altar mit einer daruntergehaltenen Fackel entzündet wurde, übertrieb er die Bedeutung von alledem und erfüllte ihn so mit Bewunderung für die althergebrachte Sitte. (2) Am nächsten Tag bat er um Aufschub, um vor Antritt einer solch langen Reise seine Brüder und seine Mutter besuchen zu können; als Geisel übergab er in der Zwischenzeit seine Tochter und einen demütigen Brief an Nero. 31 Nach seiner Abreise traf er mit Pacorus bei den Medern, mit Vologaeses, der nicht ohne Sorge um seinen Bruder war, in Ecbatana zusammen. Er hatte nämlich sogar mit eigens geschickten Boten Corbulo gebeten, Tiridates solle auch nicht irgendeinen Anschein von Knechtschaft ertragen und seine Waffe nicht aushändigen oder an der Umarmung durch die Provinzstatthalter19 gehindert werden oder vor ihren Türen stehen bleiben müssen; in Rom solle ihm ebenso viel Ehre erwiesen werden wie den Konsuln. Natürlich hatte der an ausländischen Hochmut gewöhnte Mann keinerlei Ahnung von uns, bei denen nur die Macht zu befehlen etwas gilt, während Äußerlichkeiten nicht beachtet werden. 32 Im gleichen Jahr nahm der Caesar die Völkerschaften der Seealpen in das Recht Latiums20 auf. Die Plätze der römischen Ritter ließ er vor die Sitze des einfachen Volks im Zirkus verlegen; denn bis zu diesem Tag gingen sie unterschiedslos hinein, weil das roscische Gesetz nur über die vierzehn Sitzreihen21 Festlegungen traf. Gladiatorenspiele bot dasselbe Jahr in der gleichen Pracht wie früher; aber von angesehenen Frauen und Senatoren entehrte sich eine größere Anzahl durch Auftritte in der Arena.
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33 (1) C. LAECANIO M. LICINIO consulibus acriore in dies cupidine adigebatur Nero promiscas scaenas frequentandi. nam adhuc per domum aut hortos cecinerat Iuvenalibus ludis, quos ut parum celebres et tantae voci angustos spernebat. (2) non tamen Romae incipere ausus Neapolim quasi Graecam urbem delegit; inde initium fore, ut transgressus in Achaiam insignesque et antiquitus sacras coronas adeptus maiore fama studia civium eliceret. (3) ergo contractum oppidanorum vulgus, et quos e proximis coloniis et municipiis eius rei fama civerat, quique Caesarem per honorem aut varios usus sectantur, etiam militum manipuli, theatrum Neapolitanorum complent. 34 (1) Illic, plerique ut arbitrantur, triste, ut ipse, providum potius et secundis numinibus evenit: nam egresso qui adfuerat populo vacuum et sine ullius noxa theatrum collapsum est. ergo per compositos cantus grates dis atque ipsam recentis casus fortunam celebrans petiturusque maris Hadriae traiectus apud Beneventum interim consedit, ubi gladiatorium munus a Vatinio celebre edebatur. (2) Vatinius inter foedissima eius aulae ostenta fuit, sutrinae tabernae alumnus, corpore detorto, facetiis scurrilibus; primo in contumelias adsumptus, dehinc optimi cuiusque criminatione eo usque valuit, ut gratia pecunia vi nocendi etiam malos praemineret. 35 (1) Eius munus frequentanti Neroni ne inter voluptates quidem a sceleribus cessabatur. isdem quippe illis diebus Torquatus Silanus mori adigitur, quia super Iuniae familiae claritudinem divum Augustum abavum ferebat. (2) iussi accusatores obicere prodigum largitionibus, neque aliam spem quam in rebus novis esse; quin [innobiles] habere, quos ab epistulis et libellis et rationibus appellet, nomina summae curae et meditamenta. (3) tum intimus quisque libertorum vincti abreptique; et cum damnatio instaret, brachiorum venas Torquatus interscidit. secutaque Neronis oratio ex more, quamvis
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33 (1) Unter den Konsuln C. LAECANIUS und M. LICINIUS (64 n. Chr.) ließ sich Nero von dem von Tag zu Tag heftiger werdenden Verlangen dazu verleiten, auf öffentlichen Bühnen aufzutreten. Denn bis dahin hatte er nur in seinem Haus oder Park an den Juvenalischen Spielen gesungen, die er nun als zu schwach besucht und für eine so großartige Stimme zu beschränkt ablehnte. (2) Trotzdem getraute er sich nicht, damit in Rom zu beginnen, sondern wählte Neapel als gewissermaßen griechische Stadt dafür aus. Dort wolle er den Anfang machen, um dann nach Achaia hinüberzufahren, die berühmten und von alters her heiligen Kränze22 zu gewinnen und so mit seinem gestiegenen Ruhm die Sympathien der Bürger zu wecken. (3) Also trieb man das einfache Stadtvolk zusammen, dazu füllten all die Leute, die aus den nächstgelegenen Kolonien und Landstädten der Ruf dieser Veranstaltung angelockt hatte und die den Caesar ehrenhalber oder zu verschiedenen Zwecken begleiteten, aber auch Einheiten von Soldaten das Theater der Neapolitaner. 34 (1) Dort kam es der Auffassung zahlreicher Menschen zufolge zu einem traurigen Vorfall, der seiner Meinung nach aber eher von der Fürsorge gnädiger Götter zeugte. Denn als das anwesende Volk hinausgegangen war, brach das Theater leer und ohne dass jemand zu Schaden kam, in sich zusammen. Deshalb dankte er mit eigens dafür verfassten Liedern den Göttern und feierte gerade das Glück im frischen Unglück, und im Begriff, Möglichkeiten zur Überfahrt über das Adriatische Meer zu suchen, machte er vorübergehend in Beneventum halt, wo ein viel besuchtes Gladiatorenspiel von Vatinius veranstaltet wurde. (2) Vatinius gehörte zu den gemeinsten Scheusalen dieses Hofes, war in einer Schusterwerkstatt aufgewachsen und verkrüppelt und machte derbe Witze wie ein Hanswurst; zuerst diente er als Zielscheibe von Hohn und Spott, dann aber gewann er durch die Verleumdung gerade der anständigsten Männer derart an Bedeutung, dass er an Einfluss, Geld und der Macht zu schaden sogar die schlechten Elemente ausstach. 35 (1) Nero, der seine Veranstaltung häufig besuchte, ließ nicht einmal während der Vergnügungen von seinem verbrecherischen Treiben ab. Denn gerade in diesen selben Tagen wurde Torquatus Silanus in den Tod getrieben, weil er über die vornehme Abkunft der junischen Familie hinaus den vergöttlichten Augustus als Ururgroßvater23 aufzuweisen hatte. (2) Die Ankläger wies man an, ihm vorzuwerfen, er verteile verschwenderisch Geschenke und habe deshalb keine andere Hoffnung mehr als einen Umsturz. Denn er halte sich Leute, die er „für den Briefverkehr“, „für Eingaben“ und „für Finanzen“ nenne, Bezeichnungen für die höchsten Ämter – und Vorübungen dafür.24 (3) Daraufhin wurden gerade seine vertrautesten Freigelassenen gefesselt und schleunig abgeführt; und als die Verurteilung drohte, schnitt sich Torquatus die Adern an den Armen auf. Es folgte die übliche Ansprache Neros, obwohl er schuldig gewesen sei und
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sontem et defensioni merito diffisum victurum tamen fuisse, si clementiam iudicis exspectasset. 36 (1) Nec multo post omissa in praesens Achaia (causae in incerto fuere) urbem revisit, provincias Orientis, maxime Aegyptum, secretis imaginationibus agitans. dehinc dicto testificatus non longam sui absentiam et cuncta in re publica perinde immota ac prospera fore, super ea profectione adiit Capitolium. (2) illic veneratus deos, cum Vestae quoque templum inisset, repente cunctos per artus tremens, seu numine exterrente, seu facinorum recordatione numquam timore vacuus, deseruit inceptum, cunctas sibi curas amore patriae leviores dictitans. (3) vidisse maestos civium vultus, audire secretas querimonias, quod tantum aditurus esset, cuius ne modicos quidem egressus tolerarent, sueti adversum fortuita adspectu principis refoveri. ergo ut in privatis necessitudinibus proxima pignora praevalerent, ita populum Romanum vim plurimam habere parendumque retinenti. (4) haec atque talia plebi volentia fuere, voluptatum cupidine et, quae praecipua cura est, rei frumentariae angustias, si abesset, metuenti. senatus et primores in incerto erant, procul an coram atrocior haberetur; dehinc, quae natura magnis timoribus, deterius credebant quod evenerat. 37 (1) Ipse quo fidem adquireret nihil usquam perinde laetum sibi, publicis locis struere convivia totaque urbe quasi domo uti. et celeberrimae luxu famaque epulae fuere, quas a Tigellino paratas ut exemplum referam, ne saepius eadem prodigentia narranda sit. (2) igitur in stagno Agrippae fabricatus est ratem, cui superpositum convivium navium aliarum tractu moveretur. naves auro et ebore distinctae; remigesque exoleti per aetates et scientiam libidinum componebantur. volucres et feras diversis e terris et animalia maris Oceano abusque petiverat. (3) crepidinibus stagni lupanaria adstabant inlustribus feminis completa, et contra scorta visebantur nudis corporibus. iam gestus motusque obsceni; et postquam tenebrae incedebant, quantum iuxta nemoris et circumiecta
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seiner Verteidigung zu Recht nicht vertraut habe, wäre er dennoch am Leben geblieben, wenn er die Milde seines Richters abgewartet hätte. 36 (1) Nicht viel später gab er Achaia für den Augenblick auf – die Gründe dafür blieben unklar – und besuchte wieder die Hauptstadt, spielte aber insgeheim mit dem Gedanken an eine Reise in die Provinzen des Ostens, vor allem nach Ägypten. Dann versicherte er in einem Edikt, seine Abwesenheit werde nicht lange dauern und alles im Staat werde genauso unverändert glücklich weitergehen, und begab sich wegen dieser Reise auf das Kapitol. (2) Dort betete er zu den Göttern, und als er auch den Tempel der Vesta betreten hatte, fing er plötzlich an allen Gliedern zu zittern an, vielleicht weil ihn die Göttin erschreckte oder weil er in der Erinnerung an seine Schandtaten nie frei von Furcht war; deshalb nahm er von seinem Vorhaben Abstand und sagte immer wieder, alle persönlichen Angelegenheiten fielen nicht ins Gewicht gegenüber seiner Liebe zum Vaterland. (3) Er habe die betrübten Mienen seiner Mitbürger gesehen, höre ihre versteckten Klagen, dass er eine so weite Reise unternehmen wolle, wo sie doch bei ihm nicht einmal Ausflüge in die nähere Umgebung ertragen könnten, weil sie daran gewöhnt seien, sich gegen die Widrigkeiten des Alltags am Anblick des Princeps zu erwärmen. Wie deshalb in den privaten Beziehungen die nächsten Angehörigen an erster Stelle stünden, so habe das römische Volk den größten Einfluss, und man müsse gehorchen, wenn es einen zurückhalte. (4) Äußerungen wie diese hörte das einfache Volk gerne, aus Vergnügungssucht und, was seine Hauptsorge darstellt, aus Furcht vor einem Engpass in der Getreideversorgung, wenn er abwesend sei. Der Senat und die führenden Persönlichkeiten waren sich unsicher, ob man ihn in der Ferne oder vor Augen für schrecklicher halten solle; dann hielt man – das ist das Wesen großer Befürchtungen – für schlechter, was wirklich eingetreten war. 37 (1) Er selbst veranstaltete, um den Glauben zu erwecken, nichts bereite ihm irgendwo genauso viel Freude, an öffentlichen Plätzen Gelage und benutzte die gesamte Hauptstadt wie sein Haus. Und am bekanntesten war wegen seiner Üppigkeit und des Geredes darüber ein Bankett, das von Tigellinus gegeben wurde und das ich als Beispiel anführen möchte, um nicht öfter von derselben Verschwendung erzählen zu müssen. (2) Im See des Agrippa25 ließ er also ein Floß bauen, auf dem ein Gelage ausgerichtet war, das von anderen Schiffen im Schlepptau gezogen wurde. Die Schiffe glänzten von Gold und Elfenbein; als Ruderer wurden Lustknaben26 eingesetzt quer durch Altersstufen und sexuelle Praktiken hindurch. Geflügel und Wildbret hatte er aus fernen Ländern und Meerestiere bis aus dem Ozean holen lassen. (3) An den Uferdämmen des Sees standen Bordelle voll vornehmer Frauen, und gegenüber konnte man Huren mit nackten Körpern sehen. Schon kam es zu obszönen Gebärden und Bewegungen, und als die Dunkelheit heraufzog, hallten der ganze Hain
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tecta consonare cantu et luminibus clarescere. (4) ipse per licita atque inlicita foedatus nihil flagitii reliquerat, quo corruptior ageret, nisi paucos post dies uni ex illo contaminatorum grege (nomen Pythagorae fuit) in modum sollemnium coniugiorum denupsisset. inditum imperatori flammeum, missi auspices; dos et genialis torus et faces nuptiales, cuncta denique spectata, quae etiam in femina nox operit. 38 (1) Sequitur clades, forte an dolo principis incertum (nam utrumque auctores prodidere), sed omnibus, quae huic urbi per violentiam ignium acciderunt, gravior atque atrocior. (2) initium in ea parte circi ortum, quae Palatino Caelioque montibus contigua est, ubi per tabernas, quibus id mercimonium inerat, quo flamma alitur, simul coeptus ignis et statim validus ac vento citus longitudinem circi conripuit. neque enim domus munimentis saeptae vel templa muris cincta aut quid aliud morae interiacebat. (3) impetu pervagatum incendium plana primum, deinde in edita adsurgens et rursus inferiora populando anteiit remedia velocitate mali et obnoxia urbe artis itineribus hucque et illuc flexis atque enormibus vicis, qualis vetus Roma fuit. (4) ad hoc lamenta paventium feminarum, fessa aetate aut rudis pueritiae [aetas], quique sibi quique aliis consulebant, dum trahunt invalidos aut opperiuntur, pars mora, pars festinans, cuncta impediebant. (5) et saepe, dum in tergum respectant, lateribus aut fronte circumveniebantur, vel si in proxima evaserant, illis quoque igni correptis, etiam quae longinqua crediderant in eodem casu reperiebant. (6) postremo, quid vitarent quid peterent ambigui, complere vias, sterni per agros; quidam amissis omnibus fortunis, diurni quoque victus, alii caritate suorum, quos eripere nequiverant, quamvis patente effugio interiere.
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daneben und die umliegenden Häuser von Gesang wider und erstrahlten im Lichterglanz. (4) Persönlich hatte sich Nero durch erlaubte und nicht erlaubte Handlungen entehrt und keine Schandtat ausgelassen, mit der er sich noch verdorbener hätte aufführen können – wenn er dann nicht ein paar Tage später sogar einen aus dieser Horde von perversen Gestalten – er hieß Pythagoras – wie bei einer feierlichen Hochzeit geheiratet hätte. Man hüllte den Oberbefehlshaber in einen Brautschleier, die Vogelschauer27 wurden geschickt; es gab eine Mitgift, ein Brautbett und Hochzeitsfackeln, kurz, man konnte alles betrachten, was sogar an einer Frau die Nacht bedeckt. 38 (1) Es folgte eine Katastrophe, ob durch Zufall oder die Heimtücke des Princeps, ist unklar – denn beide Versionen haben Geschichtsschreiber überliefert –, aber sie war schwerwiegender und schrecklicher als alle anderen, die dieser Stadt durch das Wüten des Feuers widerfahren sind. (2) Ihren Anfang nahm sie in dem Abschnitt des Zirkus, der an die Berge Palatin und Caelius grenzt. Dort entwickelte in den Kaufläden, in denen die Handelswaren lagerten, die Flammen Nahrung bieten, das Feuer gleich bei seinem Ausbruch sofort seine Kraft und erfasste, durch den Wind angefacht, die ganze Länge des Zirkus. Denn es lagen keine mit Brandmauern umgebene Häuser oder von Mauern umschlossene Tempel oder sonst irgendein anderes Hindernis dazwischen. (3) Rasend schnell griff die Feuersbrunst um sich und wütete zuerst in der Ebene, stieg dann in die höher gelegenen Stadtteile hinauf und kam dadurch, dass sie wieder die tiefer gelegenen Gebiete verwüstete, Abwehrmaßnahmen zuvor durch die Schnelligkeit, mit der das Unheil um sich griff, und weil die Hauptstadt ihr ausgeliefert war mit ihren engen, sich hierhin und dorthin schlängelnden Gassen und den unregelmäßigen Häuserreihen, wie eben das alte Rom war. (4) Dazu kamen das Jammern verängstigter Frauen, gebrechliche Alte oder hilflose Kinder, Menschen, die für sich selbst und für andere sorgten, indem sie schwache Personen mitschleppten oder auf sie warteten, teils stehen blieben, teils weiterhetzten und so alles behinderten. (5) Und oft wurden sie, während sie nach hinten schauten, auf den Seiten oder von vorne eingeschlossen, oder wenn sie in die nächsten Gassen entkommen waren, fanden sie, weil auch diese von den Flammen erfasst worden waren, sogar die Bezirke, die sie für weit abgelegen gehalten hatten, im gleich schlimmen Zustand vor. (6) Zuletzt wussten sie nicht mehr, wo sie wegbleiben, wohin sie sich wenden sollten, und füllten so die Straßen, kampierten auf den Feldern; einige kamen nach dem Verlust ihres gesamten Hab und Guts, auch des täglichen Bedarfs, um, andere aus Liebe zu ihren Angehörigen, die sie nicht hatten retten können, obwohl die Möglichkeit zu entkommen bestand.
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(7) nec quisquam defendere audebat, crebris multorum minis restinguere prohibentium, et quia alii palam faces iaciebant atque esse sibi auctorem vociferabantur, sive ut raptus licentius exercerent seu iussu. 39 (1) Eo in tempore Nero Anti agens non ante in urbem regressus est, quam domui eius, qua Palatium et Maecenatis hortos continuaverat, ignis propinquaret. neque tamen sisti potuit, quin et Palatium et domus et cuncta circum haurirentur. (2) sed solacium populo exturbato ac profugo campum Martis ac monumenta Agrippae, hortos quin etiam suos patefecit et subitaria aedificia exstruxit, quae multitudinem inopem acciperent; subvectaque utensilia ab Ostia et propinquis municipiis, pretiumque frumenti minutum usque ad ternos nummos. (3) quae quamquam popularia in inritum cadebant, quia pervaserat rumor ipso tempore flagrantis urbis inisse eum domesticam scaenam et cecinisse Troianum excidium, praesentia mala vetustis cladibus adsimulantem. 40 (1) Sexto demum die apud imas Esquilias finis incendio factus, prorutis per immensum aedificiis, ut continuae violentiae campus et velut vacuum caelum occurreret. necdum post metus aut redierat
lebi s: rursum grassatus ignis, patulis magis urbis locis; eoque strages hominum minor: delubra deum et porticus amoenitati dicatae latius procidere. (2) plusque infamiae id incendium habuit, quia praediis Tigellini Aemilianis proruperat videbaturque Nero condendae urbis novae et cognomento suo appellandae gloriam quaerere. quippe in regiones quattuordecim Roma dividitur, quarum quattuor integrae manebant, tres solo tenus deiectae, septem reliquis pauca tectorum vestigia supererant, lacera et semusta. 41 (1) Domuum et insularum et templorum, quae amissa sunt, numerum inire haud promptum fuerit; sed vetustissima religione, quod Servius Tullius Lunae, et magna ara fanumque, quae praesenti Herculi Arcas Euander sacraverat, aedesque Statoris Iovis vota Romulo Numaeque regia et delubrum Vestae cum penatibus populi Romani exusta; iam opes tot victoriis quaesitae
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(7) Niemand getraute sich Gegenmaßnahmen zu ergreifen wegen der zahlreichen Drohungen vieler Leute, die Löscharbeiten behinderten, und weil andere ganz offen Fackeln schleuderten und riefen, sie hätten einen Auftraggeber, oder um ungehinderter plündern zu können, oder auf Befehl. 39 (1) Zu dieser Zeit hielt sich Nero in Antium auf und kehrte nicht früher in die Hauptstadt zurück, als seinem Haus, mit dem er das Palatium und den Park des Maecenas verbunden hatte, das Feuer näherkam. Dennoch konnte man es nicht aufhalten: Das Palatium, das Haus und die gesamte Umgebung wurden verzehrt. (2) Aber als Trost für das obdachlose, auf der Flucht befindliche Volk ließ er das Marsfeld und die Bauten Agrippas28, ja sogar seine eigenen Parkanlagen öffnen und Notunterkünfte errichten, die die mittellose Menge aufnehmen sollten. Aus Ostia und den nahegelegenen Landstädten wurden Lebensmittel hergebracht und der Getreidepreis bis auf drei Sesterze gesenkt. (3) Diese Maßnahmen liefen, obwohl sie volkstümlich waren, ins Leere, weil das Gerücht durchgedrungen war, gerade zu dem Zeitpunkt, als die Hauptstadt in Flammen stand, sei er auf seiner Hausbühne aufgetreten und habe den Untergang Trojas besungen, wobei er das gegenwärtige Unglück mit Katastrophen der Vergangenheit verglich. 40 (1) Erst am sechsten Tag wurde dem Feuer unten an den Esquilien ein Ende gesetzt, indem man auf einer sehr großen Fläche die Gebäude einriss, sodass auf seine unaufhörliche Gewalt das freie Feld und gleichsam der leere Himmel trafen. Aber die Furcht hatte sich noch nicht gelegt, oder die Hoffnung war für das Volk noch nicht zurückgekehrt: Wieder griff das Feuer um sich, und zwar in den eher offen daliegenden Gegenden der Hauptstadt; deshalb kamen weniger Menschen ums Leben. Dafür fielen Göttertempel und für das Flanieren bestimmte Säulenhallen in größerem Ausmaß zusammen. (2) Noch mehr übles Gerede verursachte dieser Brand, weil er sich von den ämilianischen Grundstücken des Tigellinus her schnell ausgebreitet hatte und es so aussah, als suche Nero nach dem Ruhm, eine neue Hauptstadt zu gründen und nach seinem Namen zu benennen. Denn Rom ist in 14 Regionen29 eingeteilt, von denen nur vier unversehrt blieben; drei waren von Grund auf zerstört, in den sieben restlichen waren nur mehr wenige Spuren von Häusern vorhanden, schwer beschädigt und halb verbrannt. 41 (1) Die Zahl der verloren gegangenen Häuser, Mietshäuser und Tempel festzustellen dürfte nicht einfach sein. Jedenfalls sind von den uralten heiligen Stätten der Tempel, den Servius Tullius der Luna, und der große Altar und das Heiligtum, die dem Herkules während seines Aufenthalts der Arkader Euander geweiht hatte, dazu der von Romulus gelobte Tempel des Iuppiter Stator, die Königsburg des Numa und das Heiligtum der Vesta zusammen mit den Penaten des römischen Volkes verbrannt.30 Dazu kamen die in so vielen Siegen
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et Graecarum artium decora, exim monumenta ingeniorum antiqua et incorrupta, quamvis in tanta resurgentis urbis pulchritudine multa seniores meminerint, quae reparari nequibant. (2) fuere qui adnotarent XIIII Kal. Sextiles principium incendii huius ortum, quo et Senones captam urbem inflammaverint. alii eo usque cura progressi sunt, ut totidem annos mensesque et dies inter utraque incendia numerent. 42 (1) Ceterum Nero usus est patriae ruinis exstruxitque domum, in qua haud proinde gemmae et aurum miraculo essent, solita pridem et luxu vulgata, quam arva et stagna et in modum solitudinum hinc silvae, inde aperta spatia et prospectus, magistris et machinatoribus Severo et Celere, quibus ingenium et audacia erat etiam, quae natura denegavisset, per artem temptare et viribus principis inludere. (2) namque ab lacu Averno navigabilem fossam usque ad ostia Tiberina depressuros promiserant squalenti litore aut per montes adversos. neque enim aliud umidum gignendis aquis occurrit quam Pomptinae paludes: cetera abrupta aut arentia, ac si perrumpi possent, intolerandus labor nec satis causae. Nero tamen, ut erat incredibilium cupitor, effodere proxima Averno iuga conisus est, manentque vestigia inritae spei. 43 (1) Ceterum urbis quae domui supererant non, ut post Gallica incendia, nulla distinctione nec passim erecta, sed dimensis vicorum ordinibus et latis viarum spatiis cohibitaque aedificiorum altitudine ac patefactis areis additisque porticibus, quae frontem insularum protegerent. (2) eas porticus Nero sua pecunia exstructurum purgatasque areas dominis traditurum pollicitus est. addidit praemia pro cuiusque ordine et rei familiaris copiis, finivitque tempus, intra quod effectis domibus aut insulis apiscerentur. (3) ruderi accipiendo Ostienses paludes destinabat, utique naves, quae frumentum Tiberi subvectaissent, onustae rudere decurrerent, aedificiaque ipsa certa sui parte sine trabibus saxo Gabino Albanove solidarentur, quod is lapis ignibus
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errungenen Schätze und die prächtigen griechischen Kunstwerke, ferner die alten und unbeschädigten Denkmäler großer Meister31, sodass sich die ältere Generation bei aller Schönheit der wieder erstehenden Hauptstadt an vieles erinnerte, was nicht wiederhergestellt werden konnte. (2) Es gab Leute, die festhielten, am 19. Juli habe dieser Brand begonnen, an dem Tag, an dem auch die Senonen die eroberte Hauptstadt in Flammen aufgehen ließen.32 Andere gingen in ihrer Akribie so weit, ebenso viele Jahre, Monate und Tage zwischen beiden Bränden zu zählen.33 42 (1) Nero aber machte sich die Zerstörung seiner Vaterstadt zunutze und ließ ein Haus errichten, in dem man nicht so sehr Edelsteine und Gold bestaunen konnte, die schon längst alltäglich und durch die Verschwendung überall verbreitet waren, als vielmehr Grünanlagen und Teiche und in der Art einer Wildnis hier Wälder, dort offene Flächen und Ausblicke. Bauleitung und Planung lagen bei Severus und Celer, die über das Talent und den Wagemut verfügten, auch Dinge, die die Natur versagt hatte, mit künstlichen Mitteln zu verwirklichen und die finanziellen Kräfte des Princeps zu überspannen. (2) Denn sie hatten versprochen, vom Avernersee einen schiffbaren Kanal bis an die Tibermündung auszuheben, entlang der öden Küste oder durch im Weg stehende Berge hindurch. Es kam nämlich kein anderes Feuchtgebiet für die Gewinnung der Wassermassen vor als die Pomptinischen Sümpfe; das übrige Gelände ist abschüssig oder wasserarm, und falls der Durchbruch möglich gewesen wäre, hätte er eine unerträgliche Mühe bedeutet – und das ohne ausreichende Gründe. Nero unternahm trotzdem in seiner Art, unbedingt das Unglaubliche haben zu wollen, alle Anstrengungen, die Höhenzüge in unmittelbarer Nachbarschaft des Avernersees zu durchstechen, und es sind immer noch Spuren seiner vergeblichen Hoffnung erhalten. 43 (1) Außerdem wurden die Flächen der Hauptstadt, die sein Haus übrig ließ, nicht wie nach den gallischen Bränden unterschieds- und wahllos bebaut, sondern man vermaß die Häuserzeilen, legte breite Straßen an, beschränkte die Höhe der Gebäude, ließ freie Flächen und baute Säulenhallen an, welche die Front der Mietshäuser schützen sollten. (2) Diese Säulenhallen versprach Nero auf seine Kosten errichten zu lassen und die Bauplätze ihren Herren vom Schutt geräumt zu übergeben. Zusätzlich vergab er Zuschüsse je nach dem gesellschaftlichen Stand des Einzelnen und seinen finanziellen Möglichkeiten und legte einen Zeitraum fest, innerhalb dessen man sie für die Fertigstellung von Häusern oder Mietshäusern bekommen konnte. (3) Als Schuttabladeplatz bestimmte er die Sümpfe von Ostia, und die Schiffe, die Getreide den Tiber hinauf transportiert hatten, mussten mit Schutt beladen hinabfahren. Die Gebäude selbst sollten zu einem bestimmten Teil ohne Holzbalken mit gabinischem oder albanischem Stein solide gebaut werden, weil der für Feuer
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impervius est; (4) iam aqua privatorum licentia intercepta quo largior et pluribus locis in publicum flueret, custodes; et subsidia reprimendis ignibus in propatulo quisque haberet; nec communione parietum, sed propriis quaeque muris ambirentur. (5) ea ex utilitate accepta decorem quoque novae urbi attulere. erant tamen qui crederent veterem illam formam salubritati magis conduxisse, quoniam angustiae itinerum et altitudo tectorum non perinde solis vapore perrumperentur: at nunc patulam latitudinem et nulla umbra defensam graviore aestu ardescere. 44 (1) Et haec quidem humanis consiliis providebantur. mox petita dis piacula aditique Sibyllae libri, ex quibus supplicatum Volcano et Cereri Proserpinaeque, ac propitiata Iuno per matronas, primum in Capitolio, deinde apud proximum mare, unde hausta aqua templum et simulacrum deae perspersum est; et sellisternia ac pervigilia celebravere feminae, quibus mariti erant. (2) Sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamentis decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis adfecit, quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appellabat. (3) auctor nominis eius Christus Tibero imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat; repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque. (4) igitur primum correpti qui fatebantur, deinde indicio eorum multitudo ingens haud proinde in crimine incendii quam odio humani generis convicti sunt. et pereuntibus addita ludibria, ut ferarum tergis contecti laniatu canum interirent aut crucibus adfixi aut flammandi atque, ubi defecisset dies, in usu nocturni luminis urerentur. (5) hortos suos ei spectaculo Nero obtulerat et circense ludicrum edebat, habitu aurigae
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undurchdringlich ist. (4) Ferner wurden, um das Wasser der willkürlichen Verfügung durch Privatleute zu entziehen und es reichlicher und an mehr Stellen für die Öffentlichkeit fließen zu lassen, Aufsichtspersonen eingesetzt. Auch musste jedermann Hilfsmittel zum Feuerlöschen im Vorhof bereithalten, und die Häuser durften keine gemeinsamen Wände haben, sondern jedes sollte von eigenen Mauern umgeben sein. (5) Diese wegen ihres praktischen Nutzens willkommenen Maßnahmen dienten auch zur Verschönerung der neuen Hauptstadt. Dennoch vertraten manche Zeitgenossen die Auffassung, die bewährte alte Bauweise habe mehr zur Gesundheit beigetragen, weil die Enge der Straßen und Höhe der Häuser nicht mit der gleichen Intensität die Sonnenhitze durchdringen ließen; jetzt aber glühten die offenen, breiten, durch keinen Schatten geschützten Flächen in drückenderer Hitze. 44 (1) Das waren jedenfalls die Maßnahmen, die menschlicher Vorsorge entsprangen. Dann suchte man die Götter zu versöhnen und sah die Bücher der Sibylle34 ein, aufgrund deren man Gebete an Volcanus, Ceres und Proserpina richtete, und Juno wurde durch die Matronen versöhnt, zuerst auf dem Kapitol, dann an der nächstgelegenen Stelle des Meers, wo man Wasser schöpfte und damit Tempel und Standbild der Göttin besprengte; auch Speiseopfer35 und nächtliche Feiern veranstalteten die Frauen, die Ehemänner hatten. (2) Aber nicht durch die menschlichen Hilfsmaßnahmen, nicht durch die Zuwendungen des Princeps oder die Besänftigungen der Götter verschwand das schlimme Gerücht, man glaube, der Brand sei befohlen worden. Deshalb schob Nero, um das Gerede aus der Welt zu schaffen, Schuldige vor und verhängte die ausgesuchtesten Strafen über Leute, die wegen ihrer Schandtaten verhasst waren und die das Volk als Chrestianer bezeichnete. (3) Der Name leitet sich von Christus36 ab, der während der Regierungszeit des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war; und obwohl der verhängnisvolle Aberglaube für den Augenblick unterdrückt wurde, brach er wieder aus, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland dieses Übels, sondern sogar in der Hauptstadt, wo von überallher sämtliche Scheußlichkeiten und Abscheulichkeiten zusammenströmen und großen Anklang finden. (4) Deshalb wurden zuerst Personen festgenommen, die sich dazu bekannten, dann wurde auf ihre Angaben hin eine riesige Menge nicht so sehr des Verbrechens der Brandstiftung als des Hasses auf das Menschengeschlecht überführt. Und als sie in den Tod gingen, trieb man mit ihnen zusätzlich seinen Spott: Mit Fellen wilder Tiere bedeckt, starben sie von Hunden zerfleischt oder wurden ans Kreuz geschlagen oder zum Flammentod bestimmt und, als das Tageslicht erloschen war, als nächtliche Beleuchtung verbrannt. (5) Seinen Park hatte Nero für dieses Schauspiel zur Verfügung gestellt und veranstaltete ein Zirkusspiel,
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permixtus plebi vel curriculo insistens. unde quamquam adversus sontes et novissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saevitiam unius absumerentur. 45 (1) Interea conferendis pecuniis pervastata Italia, provinciae eversae sociique populi et quae civitatium liberae vocantur. inque eam praedam etiam dii cessere, spoliatis in urbe templis egestoque auro, quod triumphis, quod votis omnis populi Romani aetas prospere aut in metu sacraverat. (2) enimvero per Asiam atque Achaiam non dona tantum, sed simulacra numinum abripiebantur, missis in eas provincias Acrato et Secundo Carrinate. ille libertus cuicumque flagitio promptus, hic Graeca doctrina ore tenus exercitus animum bonis artibus non imbuerat. (3) ferebatur Seneca, quo invidiam sacrilegii a semet averteret, longinqui ruris secessum oravisse, et postquam non concedebatur, ficta valetudine, quasi aeger nervis, cubiculum non egressus. tradidere quidam venenum ei per libertum ipsius, cui nomen Cleonicus, paratum iussu Neronis vitatumque a Seneca proditione liberti seu propria formidine, dum per simplice victu et agrestibus pomis, ac si sitis admoneret, profluente aqua vitam tolerat. 46 (1) Per idem tempus gladiatores apud oppidum Praeneste temptata eruptione praesidio militis, qui custos adesset, coerciti sunt, iam Spartacum et vetera mala rumoribus ferente populo, ut est novarum rerum cupiens pavidusque. (2) nec multo post clades rei navalis accipitur, non bello (quippe haud alias tam immota pax), sed certum ad diem in Campaniam redire classem Nero iusserat, non exceptis maris casibus. ergo gubernatores, quamvis saeviente pelago, a Formiis movere; et gravi Africo, dum promunturium Miseni superare contendunt, Cumanis litoribus impacti triremium plerasque et minora navigia passim amiserunt. 47 (1) Fine anni vulgantur prodigia imminentium malorum nuntia: vis fulgurum non alias crebrior, et sidus cometes, sanguine inlustri semper Neroni
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wobei er sich in der Tracht eines Wagenlenkers unter den Pöbel mischte oder sich auf seinen Rennwagen stellte. Deshalb regte sich Mitleid wenn auch gegenüber Schuldigen, die die schwersten Strafen verdient hatten, da man den Eindruck gewann, sie würden nicht in öffentlichem Interesse, sondern wegen der Grausamkeit einer Einzelperson beseitigt. 45 (1) In der Zwischenzeit wurde, um Geld einzutreiben, Italien verwüstet, ruiniert wurden die Provinzen, die verbündeten Völker und die sogenannten freien Staaten37. In diesen Raubzug wurden auch die Götter einbezogen, indem man in der Hauptstadt die Tempel plünderte und das Gold fortschaffte, das bei Triumphen, das bei Gelübden das römische Volk in jeder Epoche seiner Geschichte nach Erfolgen oder aus Angst geweiht hatte. (2) Ja, in Asia und Achaia wurden nicht nur die Weihegeschenke, sondern auch die Götterstatuen weggeschleppt, nachdem man in diese Provinzen Acratus und Secundus Carrinas geschickt hatte. Der eine war ein Freigelassener, der stets zu jeder Schandtat bereit war, der andere in griechischer Gelehrsamkeit nur mit dem Munde bewandert, hatte sich aber keine wirkliche Bildung angeeignet. (3) Es hieß, Seneca habe, um die Anschuldigung des Gottesfrevels von sich abzulenken, gebeten, sich auf ein abgelegenes Landgut zurückziehen zu dürfen, und als seiner Bitte nicht entsprochen wurde, habe er eine Erkrankung vorgetäuscht, indem er so tat, als leide er an Nervenschmerzen, und habe sein Schlafzimmer nicht verlassen. Einige Autoren haben berichtet, ein Giftanschlag sei auf ihn durch seinen eigenen Freigelassenen mit Namen Cleonicus vorbereitet worden auf Befehl Neros, und Seneca sei ihm entgangen dank des Verrats des Freigelassenen oder wegen seiner eigenen Furcht, weil er durch eine einfache Lebensführung und mit wild wachsendem Obst und, wenn ihn der Durst dazu trieb, mit Quellwasser sein Leben fristete. 46 (1) Zur gleichen Zeit versuchten Gladiatoren in der Stadt Praeneste einen Ausbruch, wurden aber durch die militärische Einheit, die dort als Wache stationiert war, zurückgetrieben, während das Volk gerüchteweise schon von Spartakus und den schlimmen alten Zeiten sprach, gierig auf einen Umsturz und doch ängstlich, wie es nun einmal ist. (2) Nicht viel später erlitt man auf See einen großen Verlust, nicht im Krieg – denn zu keiner anderen Zeit war der Friede so ungestört –, sondern Nero hatte befohlen, die Flotte müsse an einem bestimmten Tag nach Kampanien zurückkehren ohne Rücksicht auf die Risiken zur See. Deshalb fuhren die Steuerleute trotz tobender See von Formiae aus ab, wurden durch den heftigen Südwestwind bei dem Versuch, um Kap Misenum herumzufahren, an den Strand von Cumae geworfen und verloren eine große Anzahl Dreiruderer und weit und breit kleinere Fahrzeuge. 47 (1) Am Jahresende erzählte man überall von Vorzeichen, die drohendes Unglück ankündigten: Blitzschläge so häufig wie sonst nie und ein Komet,
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expiatum; bicipites hominum aliorumve animalium partus abiecti in publicum aut in sacrificiis, quibus gravidas hostias immolare mos est, reperti. (2) et in agro Placentino viam propter natus vitulus, cui caput in crure esset; secutaque haruspicum interpretatio, parari rerum humanarum aliud caput, sed non fore validum neque occultum, quin in utero repressum aut iter iuxta editum sit. 48 (1) Ineunt deinde consulatum SILIUS NERVA et ATTICUS VESTINUS, coepta simul et aucta coniuratione, in quam certatim nomina dederant senatores eques miles, feminae etiam, cum odio Neronis, tum favore in C. Pisonem. (2) is Calpurnio genere ortus ac multas insignesque familias paterna nobilitate complexus, claro apud vulgum rumore erat per virtutem aut species virtutibus similes. (3) namque facundiam tuendis civibus exercebat, largitionem adversum amicos, et ignotis quoque comi sermone et congressu; aderant etiam fortuita, corpus procerum, decora facies; sed procul gravitas morum aut voluptatum parsimonia: levitati ac magnificentiae et aliquando luxu indulgebat. idque pluribus probabatur, qui in tanta vitiorum dulcedine summum imperium non restrictum nec praeseverum volunt. 49 (1) Initium coniurationi non a cupidine ipsius fuit; nec tamen facile memoraverim, quis primus auctor, cuius instinctu concitum sit quod tam multi sumpserunt. (2) promptissimos Subrium Flavum tribunum praetoriae cohortis et Sulpicium Asprum centurionem extitisse constantia exitus docuit. (3) et Lucanus Annaeus Plautiusque Lateranus [consul designatus] vivida odia intulere. Lucanum propriae causae accendebant, quod famam carminum eius premebat Nero prohibueratque ostentare, vanus adsimulatione: Lateranum consulem designatum nulla iniuria, sed amor rei publicae sociavit. (4) at Flavius Scaevinus et Afranius Quintianus, uterque senatorii ordinis, contra famam sui principium tanti facinoris capessivere: nam Scaevino dissoluta luxu
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den Nero immer38 mit vornehmem Blut sühnte; zweiköpfige Missgeburten von Menschen oder anderen Lebewesen, die öffentlich ausgesetzt oder bei Opfern für die Gottheiten vorgefunden wurden, bei denen es Sitte ist, trächtige Tiere zu schlachten. (2) Und im Gebiet von Placentia wurde an der Straße ein Kalb geboren, das den Kopf am Schenkel hatte. Das hatte die Deutung der Opferschauer zur Folge, ein anderes Haupt für die Angelegenheiten der Menschen sei im Kommen, aber es werde nicht stark sein und auch nicht unbemerkt bleiben, da es im Mutterleib zusammengedrückt worden sei oder am Straßenrand zur Welt kam.39 48 (1) Hierauf traten den Konsulat SILIUS NERVA und ATTICUS VESTINUS an (65 n. Chr.), während dessen eine Verschwörung begann und zugleich um sich griff. Zu ihr hatten sich um die Wette Senatoren, Ritter und Soldaten, ja sogar Frauen gemeldet, einerseits aus Hass auf Nero, andererseits aus Sympathie für C. Piso. (2) Er war ein Sprössling des Geschlechts der Calpurnier, war mit vielen berühmten Familien durch die vornehme Abkunft seines Vaters verbunden und stand beim einfachen Volk in sehr gutem Ruf wegen seines moralisch einwandfreien Lebenswandels oder Verhaltensweisen, die so aussahen wie ein solcher Lebenswandel. (3) Denn er übte seine Redegabe zum Schutz seiner Mitbürger aus, war freigebig seinen Freunden gegenüber und sogar bei fremden Personen freundlich in Gespräch und Umgang. Dazu kamen auch Äußerlichkeiten, ein schlanker Wuchs, ein hübsches Gesicht. Aber sittliche Ernsthaftigkeit oder sparsamer Umgang mit Genüssen lag ihm fern: Oberflächlich, großspurig und manchmal sogar verschwenderisch ließ er sich gehen. Das kam den zahlreichen Personen gerade recht, die angesichts der süßen Verlockungen sittlichen Fehlverhaltens keine straffe und überstrenge oberste Herrschaft haben wollen. 49 (1) Ihren Anfang nahm die Verschwörung nicht in seinem persönlichen Ehrgeiz. Dennoch dürfte es mir nicht leichtfallen anzugeben, wer ursprünglich der Urheber war, auf wessen Veranlassung eine Bewegung entstand, der sich dann so viele Personen anschlossen. (2) Dass die entschiedensten Teilnehmer Subrius Flavus, Tribun einer Prätorianerkohorte, und der Zenturio Sulpicius Asper waren, lehrte die Standhaftigkeit, mit der sie in den Tod gingen. (3) Auch Lucanus Annaeus und Plautius Lateranus steuerten lebendige Hassgefühle bei. Lucanus stachelten private Gründe an, weil Nero den Ruhm seiner Dichtungen zu unterdrücken versuchte und ihre Veröffentlichung verboten hatte in dem vergeblichen Bemühen, es ihm gleichzutun; der designierte Konsul Lateranus schloss sich nicht wegen einer Kränkung, sondern aus Liebe zum Vaterland an. (4) Doch Flavius Scaevinus und Afranius Quintianus, beide Angehörige des Senatorenstands, setzten sich entgegen ihrem Ruf an die Spitze dieses hochbedeutenden Unternehmens. Denn Scaevinus war durch
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mens et proinde vita somno languida; Quintianus mollitia corporis infamis et a Nerone probroso carmine diffamatus contumeliam ultum ibat. 50 (1) Ergo dum scelera principis, et finem adesse imperio deligendumque, qui fessis rebus succurreret, inter se aut inter amicos iaciunt, adgregavere Claudium Senecionem, Cervarium Proculum, Vulcacium Araricum, Iulium Augurinum, Munatium Gratum, Antonium Natalem, Marcium Festum, equites Romanos. (2) ex quibus Senecio, e praecipua familiaritate Neronis, speciem amicitiae etiam tum retinens eo pluribus periculis conflictabatur; Natalis particeps ad omne secretum Pisoni erat; ceteris spes ex novis rebus petebatur. (3) adscitae sunt super Subrium et Sulpicium, de quibus rettuli, militares manus Gavius Silvanus et Statius Proxumus tribuni cohortium praetoriarum, Maximus Scaurus et Venetus Paulus centuriones. sed summum robur in Faenio Rufo praefecto videbatur, quem vita famaque laudatum per saevitiam impudicitiamque Tigellinus in animo principis anteibat, fatigabatque criminationibus ac saepe in metum adduxerat quasi adulterum Agrippinae et desiderio eius ultioni intentum. (4) igitur ubi coniuratis praefectum quoque praetorii in partes descendisse crebro ipsius sermone facta fides, promptius iam de tempore ac loco caedis agitabant. et cepisse impetum Subrius Flavus ferebatur in scaena canentem Neronem adgrediendi, aut cum [ardente domo] per noctem huc illuc cursaret incustoditus. hic occasio solitudinis, ibi ipsa frequentia tanti decoris testis pulcherrima animum exstimulaverunt, nisi impunitatis cupido retinuisset, magnis semper conatibus adversa. 51 (1) Interim cunctantibus prolatantibusque spem ac metum Epicharis quaedam, incertum quonam modo sciscitata (neque illi ante ulla rerum honestarum cura fuerat), accendere et arguere coniuratos; ac postremum lentitudinis eorum pertaesa et in Campania agens primores classiariorum
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sein Lotterleben lethargisch geworden und lebte deshalb schläfrig in den Tag hinein; Quintianus, der wegen seiner körperlichen Verweichlichung40 verrufen war, war von Nero dafür in einem Schmähgedicht bloßgestellt worden und schritt für diese Beleidigung zur Rache. 50 (1) Während sie also die Verbrechen des Princeps und die Vorstellung, das Ende seiner Herrschaft sei da und man müsse einen Mann auswählen, der der allgemeinen Erschöpfung zu Hilfe komme, untereinander oder unter ihren Freunden besprachen, zogen sie Claudius Senecio, Cervarius Proculus, Vulcacius Araricus, Iulius Augurinus, Munatius Gratus, Antonius Natalis und Marcius Festus, lauter römische Ritter, hinzu. (2) Von ihnen wahrte der zu den engsten Vertrauten Neros gehörende Senecio auch da noch den Anschein der Freundschaft und war deshalb umso häufiger Gefahren ausgesetzt. Natalis war in alle geheimen Überlegungen Pisos eingeweiht; alle anderen setzten ihre Hoffnung auf den Umsturz. (3) Gewonnen wurden über Subrius und Sulpicius hinaus, von denen ich schon erzählt habe, als militärische Handlanger die Tribune der Prätorianerkohorten Gavius Silvanus und Statius Proxumus sowie die Zenturionen Maximus Scaurus und Venetus Paulus. Aber die Hauptstütze schien im Kommandanten Faenius Rufus zu bestehen, einem Mann von tadelloser Lebensführung und ebensolchem Ruf, den Tigellinus aber mit seiner Grausamkeit und Schamlosigkeit beim Princeps ausstach. Er bestürmte diesen mit Beschuldigungen und hatte ihn oft in Angst versetzt mit der Behauptung, er sei ein Liebhaber Agrippinas gewesen, der aus Sehnsucht nach ihr auf Rache sinne. (4) Sobald also die Verschwörer durch häufige Äußerungen von ihm zu der Überzeugung gelangt waren, auch der Prätorianerkommandant habe sich ihrer Partei angeschlossen, verhandelten sie nun schon entschiedener über Zeitpunkt und Ort der Ermordung. Und man berichtete, Subrius Flavus habe den plötzlichen Entschluss gefasst, sich auf Nero zu stürzen, während er auf der Bühne sang oder wenn er während der Nacht41 unbewacht hin- und herlief. Hier reizte ihn die günstige Gelegenheit, ihn allein zu treffen, dort gerade das zahlreiche Publikum als schönster Zeuge einer derartigen Heldentat – wenn ihn dann nicht doch der dringende Wunsch, unbestraft davonzukommen, davon abgehalten hätte, der großen Unternehmungen immer im Weg steht. 51 (1) Während sie noch zögerten und ihr Vorhaben, zwischen Hoffnung und Furcht schwankend, immer wieder verschoben, spornte in der Zwischenzeit eine gewisse Epicharis, von der man nicht weiß, wie sie sich Kenntnis verschafft hatte – sie hatte sich vorher in keiner Weise mit Vorhaben beschäftigt, die Ehre einbringen –, die Verschworenen an und machte ihnen Vorwürfe; und schließlich hatte sie von ihrem zögerlichen Verhalten genug und bemühte sich während eines Aufenthalts in Kampanien, die Flottenoffiziere in Misenum
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Misenensium labefacere et conscientia inligare conisa est tali initio. (2) erat uarchus in ea classe Volusius Proculus, occidendae matris Neroni inter ministros, non ex magnitudine sceleris provectus, ut rebatur. is mulieri olim cognitus, seu recens orta amicitia, dum merita erga Neronem sua et quam in inritum cecidissent aperit adicitque questus et destinationem vindictae, si facultas oreretur, spem dedit posse impelli et plures conciliare: nec leve auxilium in classe, crebras occasiones, quia Nero multo apud Puteolos et Misenum maris usu laetabatur. (3) ergo Epicharis plura; et omnia scelera principis orditur, neque sancti quid manere. sed provisum, quonam modo poenas eversae rei publicae daret: accingeretur modo navare operam et militum acerrimos ducere in partes, ac digna pretia exspectaret. nomina tamen coniuratorum reticuit. (4) unde Proculi indicium inritum fuit, quamvis ea, quae audierat, ad Neronem detulisset. accita quippe Epicharis et cum indice composita nullis testibus innisum facile confutavit. sed ipsa in custodia retenta est, suspectante Nerone haud falsa esse etiam quae vera non probabantur. 52 (1) Coniuratis tamen metu proditionis permotis placitum maturare caedem apud Baias in villa Pisonis, cuius amoenitate captus Caesar crebro ventitabat balneasque et epulas inibat omissis excubiis et fortunae suae mole. sed abnuit Piso, invidiam praetendens, si sacra mensae diique hospitales caede qualiscumque principis cruentarentur: melius apud urbem in illa invisa et spoliis civium exstructa domo vel in publico patraturos quod pro re publica suscepissent. (2) haec in commune, ceterum timore occulto, ne L. Silanus eximia nobilitate disciplinaque C. Cassii, apud quem educatus erat, ad omnem claritudinem sublatus imperium invaderet, prompte daturis, qui a coniuratione integri essent quique miserarentur Neronem tamquam per scelus interfectum.
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wankend zu machen und in die Mitwisserschaft einzubinden. Damit machte sie den Anfang: (2) Es gab da einen Kapitän in dieser Flotte namens Volusius Proculus, der zu Neros Handlangern beim Mord an seiner Mutter gehörte und seiner Auffassung nach nicht der Bedeutung des Verbrechens entsprechend befördert worden war. Dieser war mit der Frau schon länger bekannt, oder vielleicht hatten sie sich auch erst kurz zuvor angefreundet. Während er ihr deshalb seine Verdienste Nero gegenüber darlegte und wie umsonst sie gewesen seien, dazu sich beklagte und seine Entschlossenheit bekundete, sich zu rächen, falls eine Möglichkeit dazu bestehe, machte er ihr Hoffnung, er könne verleitet werden und noch mehr Personen gewinnen. Die Unterstützung durch die Flotte sei nicht unwichtig, denn es böten sich häufig günstige Gelegenheiten, weil sich Nero oft bei Puteoli und Misenum mit Schifffahrten vergnüge. (3) Also ging Epicharis einen Schritt weiter. Sie zählte alle Verbrechen des Princeps auf; nichts Heiliges gebe es mehr. Aber man habe Vorkehrungen dafür getroffen, wie man ihn für die Ruinierung des Staates bestrafen könne. Er solle sich nur dafür rüsten, eifrig mit zuzupacken und die entschlossensten Soldaten auf seine Seite zu bringen – und dann auf den verdienten Lohn warten. Die Namen der Verschwörer verschwieg sie trotzdem. (4) Deshalb war Proculusʼ Anzeige umsonst, obwohl er das Gehörte Nero berichtete. Allerdings wurde Epicharis geholt, dem Informanten gegenübergestellt und konnte ihn, weil er sich auf keine Zeugen stützte, leicht widerlegen. Aber sie blieb selbst in Haft, weil Nero den Verdacht hegte, nicht unwahr sei auch, was man nicht als wahr beweisen konnte. 52 (1) Die Verschwörer beschlossen dennoch, getrieben von der Furcht vor Verrat, den Mord schleunigst auszuführen in Baiae auf einem Landgut Pisos, von dessen Anmut der Caesar ganz gefangen war; deshalb kam er häufig dorthin, ging ins Bad und zu Tisch unter Verzicht auf Wachen und die mit seiner hohen Stellung verbundenen lästigen Begleitumstände. Aber Piso war dagegen und schützte vor, man müsse mit gehässigen Vorwürfen rechnen, wenn die Heiligkeit des Tisches und die Götter der Gastfreundschaft durch die Ermordung des Princeps – mochte dieser sein, wie er wolle – mit Blut befleckt würden. Besser wäre es, man führe in der Hauptstadt in jenem verhassten und mit der den Bürgern abgenommenen Beute errichteten Haus oder in der Öffentlichkeit durch, was man im Interesse des Staates ins Auge gefasst habe. (2) Das sagte er nach außen hin, tatsächlich aber fürchtete er insgeheim, L. Silanus, der es durch seine außerordentlich hohe Abkunft und die Unterweisung durch C. Cassius, bei dem er erzogen worden war, zu jedem erdenklichen Ansehen brachte,42 wolle die Herrschaft an sich reißen, die ihm die Personen bereitwillig gäben, die mit der Verschwörung nichts zu tun gehabt hatten und Nero noch bedauerten, als ob er einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei.
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(3) plerique Vestini quoque consulis acre ingenium vitavisse Pisonem crediderunt, ne ad libertatem oreretur, vel delecto imperatore alio sui muneris rem publicam faceret. etenim expers coniurationis erat, quamvis super eo crimine Nero vetus adversum insontem odium expleverit. 53 (1) Tandem statuere circensium ludorum die, qui Cereri celebratur, exsequi destinata, quia Caesar rarus egressu domoque aut hortis clausus ad ludicra circi ventitabat promptioresque aditus erant laetitia spectaculi. (2) ordinem insidiis composuerant, ut Lateranus, quasi subsidium rei familiari oraret, deprecabundus et genibus principis accidens prosterneret incautum premeretque, animi validus et corpore ingens; tum iacentem et impeditum tribuni et centuriones et ceterorum ut quisque audentiae habuisset, adcurrerent trucidarentque, primas sibi partes expostulante Scaevino, qui pugionem templo Salutis [in Etruria] sive, ut alii tradidere, Fortunae Ferentino in oppido detraxerat gestabatque velut magno operi sacrum. (3) interim Piso apud aedem Cereris opperiretur, unde eum praefectus Faenius et ceteri accitum ferrent in castra, comitante Antonia, Claudii Caesaris filia, ad eliciendum vulgi favorem, quod C. Plinius memorat. (4) nobis quoquo modo traditum non occultare in animo fuit, quamvis absurdum videretur aut inane ad spem Antoniam nomen et periculum commodavisse, aut Pisonem notum amore uxoris alii matrimonio se obstrinxisse, nisi si cupido dominandi cunctis adfectibus flagrantior est. 54 (1) Sed mirum quam inter diversi generis ordines, aetates sexus, dites pauperes taciturnitate omnia cohibita sint, donec proditio coepit e domo Scaevini. qui pridie insidiarum multo sermone cum Antonio Natale, dein regressus domum testamentum obsignavit, promptum vagina pugionem, de quo supra rettuli, vetustate obtusum increpans, asperari saxo et in mucronem ardescere iussit eamque curam liberto Milicho mandavit. (2) simul adfluentius solito
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(3) Eine große Anzahl glaubte, Piso habe auch dem energischen Temperament des Konsuls Vestinus aus dem Weg gehen wollen, damit dieser nicht die freiheitliche Staatsform einführen oder einen anderen Oberbefehlshaber auswählen und so den Staat zu seinem Geschenk machen könne. Er wusste nämlich von der Verschwörung nichts, obwohl Nero mithilfe dieses Vorwurfs seinen weit zurückreichenden Hass an dem unschuldigen Mann ausließ. 53 (1) Endlich entschied man sich dafür, an dem Tag der Zirkusspiele, den man Ceres zu Ehren feiert,43 die Beschlüsse in die Tat umzusetzen, weil der Caesar nur selten ausging und sich in seinem Haus oder seinen Parks einschloss, aber gerne die Zirkusveranstaltungen besuchte und man leichter an ihn herankam, wenn er wegen des Spektakels in guter Laune war. (2) Als zeitlichen Ablauf des Attentats hatten sie festgelegt: Lateranus solle so, als bitte er um Unterstützung für sein Vermögen, wie ein Petent dem Princeps zu Füßen fallen, den darauf nicht Gefassten zu Boden reißen und niederdrücken, weil er seelisch stark und körperlich sehr kräftig war. Dann sollten, wenn er daliege und sich nicht bewegen könne, die Tribune, Zenturionen und wer es sich von den Übrigen zutraue, hinlaufen und ihn erstechen, wobei die Hauptrolle Scaevinus für sich beanspruchte, der einen Dolch aus dem Tempel der Salus oder, wie andere berichteten, der Fortuna in der Landstadt Ferentinum mitgenommen hatte und ihn bei sich trug, als sei er für eine große Tat geweiht. (3) Unterdessen solle Piso im Cerestempel warten, wo ihn der Kommandant Faenius und alle anderen Verschwörer abholen und in die Kaserne bringen wollten in Begleitung Antonias, der Tochter des Caesars Claudius, um die Sympathie des einfachen Volkes zu gewinnen; das berichtet C. Plinius. (4) Ich hatte mir vorgenommen, keine wie auch immer geartete Überlieferung zu verschweigen, obschon es widersinnig scheinen mag, entweder habe Antonia für eine völlig unrealistische Hoffnung ihren Namen hergegeben und sich einer Gefahr ausgesetzt, oder der für die Liebe zu seiner Ehefrau bekannte Piso habe sich zur Ehe mit einer anderen Frau verpflichtet gehabt – es sei denn, Herrschsucht ist brennender als alle anderen Leidenschaften. 54 (1) Aber es ist erstaunlich, wie unter Personen verschiedenen Herkommens und Standes, Alters und Geschlechts, Reichen und Armen alles durch Verschwiegenheit abgeschottet werden konnte, bis der Verrat seinen Anfang im Haus des Scaevinus nahm. Der führte am Tag vor dem Attentat ein langes Gespräch mit Antonius Natalis, kehrte dann in sein Haus zurück und versiegelte sein Testament. Anschließend zog er den von mir oben erwähnten Dolch aus der Scheide, schimpfte, er sei in der langen Zeit stumpf geworden, befahl, ihn mit einem Wetzstein zu schärfen und zu einer blitzenden Spitze zu schleifen; diese Aufgabe übertrug er seinem Freigelassenen Milichus. (2) Zugleich gab er ein ungewöhnlich reichhaltiges Bankett, und seine liebsten
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convivium initum, servorum carissimi libertate et alii pecunia donati; atque ipse maestus et magnae cogitationis manifestus erat, quamvis laetitiam vagis sermonibus simularet. (3) postremo vulneribus ligamenta quibusque sistitur sanguis pari iubet que eundem Milichum monet, sive gnarum coniurationis et illuc usque fidum, seu nescium et tunc primum arreptis suspicionibus, ut plerique tradidere. (4) de consequentibus . nam cum secum servilis animus praemia perfidiae reputavit simulque immensa pecunia et potentia obversabantur, cessit fas et salus patroni et acceptae libertatis memoria. etenim uxoris quoque consilium adsumpserat, muliebre ac deterius: quippe ultro metum intentabat, multosque astitisse libertos ac servos, qui eadem viderint: nihil profuturum unius silentium, at praemia penes unum fore, qui indicio praevenisset. 55 (1) Igitur coepta luce Milichus in hortos Servilianos pergit; et cum foribus arceretur, magna et atrocia adferre dictitans deductusque ab ianitoribus ad libertum Neronis Epaphroditum, mox ab eo ad Neronem, urgens periculum, graves coniuratos et cetera, quae audiverat coniectaverat, docet; telum quoque in necem eius paratum ostendit accirique reum iussit. (2) is raptus per milites et defensionem orsus, ferrum, cuius argueretur, olim religione patria cultum et in cubiculo habitum ac fraude liberti subreptum respondit. tabulas testamenti saepius a se et incustodita dierum observatione signatas. pecunias et libertates servis et ante dono datas, sed ideo tunc largius, quia tenui iam re familiari et instantibus creditoribus testamento diffideret. (3) enimvero liberales semper epulas struxisse, vitam amoenam et duris iudicibus parum probatam. fomenta vulneribus nulla iussu suo, sed quia cetera palam vana obiecisset, adiungere crimen, ius se pariter indicem et testem faceret.
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Sklaven wurden mit der Freiheit, andere mit Geld beschenkt. Dabei war er selbst niedergeschlagen und offensichtlich mit einem wichtigen Gedanken beschäftigt, obwohl er mit nichtssagendem Gerede Fröhlichkeit vortäuschte. (3) Zuletzt ließ er Verbandsmaterial für Verwundungen und blutstillende Mittel vorbereiten und beauftragte damit ebenfalls Milichus, der vielleicht von der Verschwörung wusste und bis zu diesem Zeitpunkt zuverlässig oder aber ahnungslos war und erst jetzt Verdacht schöpfte, wie zahlreiche Autoren berichtet haben. (4) Über die folgenden Ereignisse besteht Einigkeit. Denn als er sich mit seiner Sklavengesinnung die Belohnungen für die Treulosigkeit überlegte und ihm zugleich unermesslich viel Geld und Macht vor Augen schwebten, wichen das Pflichtgefühl, das Wohlergehen des Patrons und die Erinnerung an die erhaltene Freiheit. Aber er hatte auch den Rat seiner Frau eingeholt, der typisch weiblich und deshalb schlechter war. Denn sie machte ihm zusätzlich noch Angst: Viele Freigelassene und Sklaven seien dabeigestanden, die dasselbe gesehen hätten. Nichts werde das Schweigen einer einzigen Person nützen, doch die Belohnung werde nur der eine erhalten, der den anderen mit seiner Anzeige zuvorkomme. 55 (1) Deshalb eilte Milichus bei Tagesanbruch in den servilianischen Park. Und als man ihn am Eingang aufhielt, versicherte er wiederholt, er bringe wichtige, furchtbare Nachrichten, und wurde von den Pförtnern zu Neros Freigelassenem Epaphroditus geführt, dann von diesem zu Nero und setzte ihn von der drohenden Gefahr, den ernst zu nehmenden Verschwörern und allen anderen Punkten, die er gehört und erschlossen hatte, in Kenntnis. Auch die Waffe, die zu seiner Ermordung hergerichtet worden sei, zeigte er und forderte dazu auf, den Beschuldigten zu holen. (2) Dieser wurde sofort durch Soldaten herbeigeschleppt und begann seine Verteidigung damit, den Dolch, der Gegenstand der Anklage sei, habe er schon lange als ein heiliges Familienerbstück in Ehren gehalten und in seinem Schlafzimmer aufbewahrt; nun sei er von dem Freigelassenen hinterrücks entwendet worden. Seine testamentarischen Verfügungen seien von ihm schon öfter und ohne Beachtung der Tage versiegelt worden. Geldbeträge und die Freiheit habe er auch vorher schon seinen Sklaven geschenkt, diesmal aber deswegen großzügiger, weil er sich angesichts seines jetzt schon ärmlichen Vermögens und der drängenden Gläubiger nicht auf sein Testament verlassen könne.44 (3) Tatsächlich habe er immer großzügige Bankette veranstaltet, weil er ein angenehmes Leben führe, das kaum den Beifall gestrenger Richter finde. Wundverbände seien von ihm überhaupt nicht in Auftrag gegeben worden, sondern weil der andere ganz offensichtlich nur völlig haltlose Vorwürfe gemacht habe, bringe er nun eine zusätzliche Beschuldigung vor, für die er sich in gleicher Weise zum Denunzianten und Zeugen mache.
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(4) adicit dictis constantiam; incusat ultro intestabilem et consceleratum, tanta vocis ac vultus securitate, ut labaret indicium, nisi Milichum uxor admonuisset Antonium Natalem multa cum Scaevino ac secreta collocutum et esse utrosque C. Pisonis intimos. 56 (1) Ergo accitur Natalis, et diversi interrogantur, quisnam is sermo, qua de re fuisset. tum exorta suspicio, quia non congruentia responderant, inditaque vincla. et tormentorum adspectum ac minas non tulere: (2) prior tamen Natalis, totius conspirationis magis gnarus, simul arguendi peritior, de Pisone primum fatetur, deinde adicit Annaeum Senecam, sive internuntius inter eum Pisonemque fuit, sive ut Neronis gratiam pararet, qui infensus Senecae omnes ad eum opprimendum artes conquirebat. (3) tum cognito Natalis indicio Scaevinus quoque pari imbecillitate, an cuncta iam patefacta credens nec ullum silentii emolumentum, edidit ceteros. (4) ex quibus Lucanus Quintianusque et Senecio diu abnuere: post promissa impunitate corrupti, quo tarditatem excusarent, Lucanus Aciliam matrem suam, Quintianus Glitium Gallum, Senecio Annium Pollionem, amicorum praecipuos, nominavere. 57 (1) Atque interim Nero recordatus Volusii Proculi indicio Epicharin attineri ratusque muliebre corpus impar dolori tormentis dilacerari iubet. at illam non verbera, non ignes, non ira eo acrius torquentium, ne a femina spernerentur, pervicere, quin obiecta denegaret. sic primus quaestionis dies contemptus. (2) postero cum ad eosdem cruciatus retraheretur gestamine sellae (nam dissolutis membris insistere nequibat), vinclo fasciae, quam pectori detraxerat, in modum laquei ad arcum sellae restricto indidit cervicem et corporis pondere conisa tenuem iam spiritum expressit, clariore exemplo libertina mulier in tanta necessitate alienos ac prope ignotos protegendo, cum ingenui et viri et equites Romani senatoresque intacti tormentis carissima suorum quisque pignorum proderent. 58 (1) Non enim omittebant Lucanus quoque et Senecio et Quintianus passim conscios edere, magis magisque pavido Nerone, quamquam multiplicatis
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(4) Seine Worte begleitete er mit Festigkeit; er bezeichnete ihn seinerseits als einen abscheulichen Verbrecher, mit einer derartigen Sicherheit in Stimme und Miene, dass die Anzeige zusammenzubrechen drohte, wenn den Milichus nicht seine Frau darauf aufmerksam gemacht hätte, Antonius Natalis habe ausführliche geheime Gespräche mit Scaevinus geführt, und beide seien die engsten Freunde C. Pisos. 56 (1) Also ließ man Natalis holen und verhörte sie getrennt, was denn das für ein Gespräch gewesen und worüber es gegangen sei. Da ergab sich ein Verdacht, weil ihre Antworten nicht übereinstimmten, und man nahm sie fest. Dem Anblick der Folterwerkzeuge und den Drohungen damit45 hielten sie nicht stand. (2) Zuerst jedoch legte Natalis, der in die gesamte Verschwörung tiefer eingeweiht und zugleich im Anschuldigen geschickter war, ein Geständnis zunächst hinsichtlich Pisos ab, dann schloss er Annaeus Seneca an, weil der vielleicht Mittelsmann zwischen ihm und Piso war oder um sich bei Nero beliebt zu machen, der als Feind Senecas alle Mittel zusammensuchte, ihn zu verderben. (3) Als dann Scaevinus von Natalisʼ Geständnis erfuhr, gab auch er in gleicher Schwäche oder im Glauben, alles sei schon aufgedeckt und deshalb bringe Schweigen keinen Vorteil mehr, die übrigen Beteiligten preis. (4) Von ihnen stritten Lucanus, Quintianus und Senecio lange alles ab; dann ließen sie sich aber vom Versprechen der Straflosigkeit verführen, und um ihr langes Zögern zu entschuldigen, nannte Lucanus seine Mutter Acilia, Quintianus den Glitius Gallus und Senecio den Annius Pollio, ihre besten Freunde. 57 (1) Unterdessen erinnerte sich Nero daran, dass auf die Anzeige des Volusius Proculus Epicharis inhaftiert worden war, und ließ sie in der Überzeugung, ihr Frauenkörper werde den Schmerz nicht aushalten, mit Folterinstrumenten zerfleischen. Doch sie konnten nicht Schläge, nicht Feuer, nicht die Wut der Knechte, die umso heftiger folterten, um nicht von einer Frau verspottet zu werden, dazu bringen, die Vorwürfe nicht abzustreiten. So wurde der erste Tag des Verhörs ergebnislos vertan. (2) Als sie am folgenden Tag zu denselben Folterungen auf einem Tragstuhl geschleppt wurde – denn sie konnte mit ihren ausgerenkten Gliedern nicht mehr stehen –, knüpfte sie das Busenband, das sie von ihrer Brust abgezogen hatte, in Form einer Schlinge an die Stuhllehne, steckte den Hals hinein, drückte mit ihrem Körpergewicht dagegen und presste so ihren schon schwachen Atem hinaus. Damit gab eine Freigelassene, eine Frau in einer solch fürchterlichen Lage dadurch ein leuchtenderes Vorbild, dass sie fremde und ihr beinahe unbekannte Mitmenschen schützte, während Freigeborene, Männer, römische Ritter und Senatoren unberührt von den Folterinstrumenten alle ihre liebsten Angehörigen verrieten. 58 (1) Auch Lucanus, Senecio und Quintianus unterließen es nämlich nicht, weiter zahlreiche Mitwisser preiszugeben, und Nero geriet immer mehr in
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excubiis semet saepsisset. (2) quin et urbem per manipulos occupatis moenibus, insesso etiam mari et amne, velut in custodiam dedit. volitabantque per fora, per domos, rura quoque et proxima municipiorum pedites equitesque, permixti Germanis, quibus fidebat princeps quasi externis. (3) continua hinc et vincta agmina trahi ac foribus hortorum adiacere. atque ubi dicendam ad causam introissent, ia tantum erga coniuratos, sed fortuitus sermo et subiti occursus, si convivium, si spectaculum simul inissent, pro crimine accipi, cum super Neronis ac Tigellini saevas percunctationes Faenius quoque Rufus violenter urgueret, nondum ab indicibus nominatus, et quo fidem inscitiae pararet, atrox adversus socios. (4) idem Subrio Flavo adsistenti adnuentique, an inter ipsam cognitionem destringeret gladium caedemque patraret, renuit infregitque impetum iam manum ad capulum referentis. 59 (1) Fuere qui prodita coniuratione, dum auditur Milichus, dum dubitat Scaevinus, hortarentur Pisonem pergere in castra aut rostra escendere studiaque militum et populi temptare. si conatibus eius conscii adgregarentur, secuturos etiam integros; magnamque motae rei famam, quae plurimum in novis consiliis valeret. (2) nihil adversum haec Neroni provisum. etiam fortes viros subitis terreri, nedum ille scaenicus, Tigellino scilicet cum paelicibus suis comitante, arma contra cieret. multa experiendo confieri, quae segnibus ardua videantur. (3) frustra silentium et fidem in tot consciorum animis et corporibus sperare: cruciatui aut praemio cuncta pervia esse. venturos qui ipsum quoque vincirent, postremo indigna nece adficerent. quanto laudabilius periturum, dum amplectitur rem publicam, dum auxilia libertati invocat! miles potius deesset et plebes desereret, dum ipse maioribus, dum posteris, si vita praeriperetur,
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Panik, obwohl er sich mit vervielfachten Wachen umgeben hatte. (2) Ja, sogar die Hauptstadt ließ er, indem er die Stadtmauern mit Manipeln besetzte und auch das Meer und den Strom überwachte, sozusagen in Haft nehmen. Über die Marktplätze, durch die Häuser, auch über das flache Land und durch die nächstgelegenen Landstädte hetzten Soldaten zu Fuß und zu Pferd, vermischt mit Germanen, denen der Princeps vertraute,46 da sie Ausländer waren. (3) Von da an wurden ununterbrochen Kolonnen von Personen in Ketten angeschleppt und lagen vor den Toren des Parks47. Und wenn sie, um sich zu verantworten, hineingegangen waren, wurden nicht nur Sympathien für die Verschwörer, sondern ein zufälliges Gespräch und nicht beabsichtigte Begegnungen, falls sie etwa zusammen an einem Bankett, falls an einem Schauspiel teilgenommen hatten, als Verbrechen gewertet. Denn über die brutalen Untersuchungsmethoden Neros und Tigellinusʼ hinaus setzte ihnen auch Faenius Rufus heftig zu, der von den Denunzianten noch nicht genannt worden war und, um sein Nichtwissen glaubhaft zu machen, fürchterlich gegen seine Gefährten wütete. (4) Er war es auch, der Subrius Flavus, der neben ihm stand und ihn mit einer Kopfbewegung fragte, ob er mitten in der Untersuchung sein Schwert ziehen und den Mord begehen solle, abwinkte und damit den Angriff des Mannes unterband, der seine Hand schon an den Schwertknauf legte. 59 (1) Es gab Teilnehmer, die, als die Verschwörung schon verraten war, während man Milichus anhörte, während Scaevinus zögerte, Piso aufforderten, sofort in die Kaserne zu gehen oder auf die Rednerbühne zu steigen und die Sympathien der Soldaten und des Volks auf die Probe zu stellen. Wenn sich die Eingeweihten seinem Vorhaben anschlössen, folgten auch Unbeteiligte, und überall werde man davon reden, wenn das Unternehmen in Gang gesetzt sei; das sei bei revolutionären Plänen von höchster Wichtigkeit. (2) Keinerlei Vorsichtsmaßnahmen habe Nero dagegen getroffen. Sogar tapfere Männer gerieten bei überraschenden Entwicklungen in Panik, geschweige denn dass dieser Bühnenheld natürlich in Begleitung des Tigellinus und seiner Mätressen mit Waffengewalt dagegen vorgehe. Vieles lasse sich verwirklichen, wenn man nur in Angriff nehme, was phlegmatischen Menschen zu schwierig erscheine. (3) Vergeblich hoffe er auf Verschwiegenheit und Treue in den Herzen und Körpern derart vieler Mitwisser: Für Folter oder Belohnung sei alles erreichbar. Es würden Leute kommen, die auch ihn verhafteten und schließlich auf ehrlose Art und Weise umbrächten. Um wie viel mehr werde man ihn loben, wenn er umkomme, während er den Staat in seinen Armen halte, während er zur Unterstützung für die Freiheit aufrufe! Die Soldaten sollten eher fernbleiben und das Volk ihn im Stich lassen, sofern nur er persönlich für den Fall, dass ihm das Leben vorzeitig entrissen werde, einen zu seinen
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mortem adprobaret. (4) immotus his et paululum in publico versatus, post domi secretus animum adversum suprema firmabat, donec manus militum adveniret, quos Nero tirones aut stipendiis recentes delegerat: nam vetus miles timebatur tamquam favore imbutus. (5) obiit abruptis brachiorum venis. testamentum foedis adversus Neronem adulationibus amori uxoris dedit, quam degenerem et sola corporis forma commendatam amici matrimonio abstulerat. nomen mulieri Satria Galla, priori marito Domitius Silus: hic patientia, illa impudicitia Pisonis infamiam propagavere. 60 (1) Proximam necem Plautii Laterani consulis designati Nero adiungit, adeo propere, ut non complecti liberos, non illud breve mortis arbitrium permitteret. raptus in locum servilibus poenis sepositum manu Statii tribuni trucidatur, plenus constantis silentii nec tribuno obiciens eandem conscientiam. (2) Sequitur caedes Annaei Senecae, laetissima principi, non quia coniurationis manifestum compererat, sed ut ferro grassaretur, quando venenum non processerat. (3) solus quippe Natalis et hactenus prompsit, missum se ad aegrotum Senecam, uti viseret conquerereturque, cur Pisonem aditu arceret: melius fore, si amicitiam familiari congressu exercuissent. et respondisse Senecam sermones mutuos et crebra conloquia neutri conducere; ceterum salutem suam incolumitate Pisonis inniti. (4) haec ferre Gavius Silvanus tribunus praetoriae cohortis, et an dicta Natalis suaque responsa nosceret percunctari Senecam iubetur. is forte an prudens ad eum diem ex Campania remeaverat quartumque apud lapidem suburbano rure substiterat. illo propinqua vespera tribunus venit et villam globis militum saepsit; tum ipsi cum Pompeia Paulina uxore et amicis duobus epulanti mandata imperatoris edidit. 61 (1) Seneca missum ad se Natalem conquestumque nomine Pisonis, quod a visendo eo prohiberetur, seque rationem valetudinis et amorem quietis excusa-
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Vorfahren, seinen Nachkommen passenden Tod wähle. (4) Unbeeindruckt von diesen Ausführungen hielt er sich nur noch kurz in der Öffentlichkeit auf, dann zog er sich allein in sein Haus zurück und schöpfte Kraft für den letzten Augenblick, bis ein Trupp Soldaten kam, Rekruten oder frisch verpflichtete Männer, die Nero dafür ausgesucht hatte; denn bei den altgedienten Soldaten fürchtete man, sie könnten Sympathien zeigen. (5) Er starb, indem er die Adern an den Armen abtrennte. Sein Testament verfasste er mit widerlichen Kriechereien für Nero aus Liebe zu seiner Frau, einer aus einfachen Verhältnissen stammenden und nur durch ihre körperliche Schönheit anziehenden Person, die er einem mit ihr verheirateten Freund weggenommen hatte. Die Frau hieß Satria Galla, ihr früherer Ehemann Domitius Silus: Er verbreitete mit seiner Nachgiebigkeit, sie mit ihrer Schamlosigkeit Pisos Schande. 60 (1) Als nächsten Mord ließ Nero den am designierten Konsul Plautius Lateranus folgen, und zwar derart eilig, dass er ihm nicht gestattete, seine Kinder zu umarmen, ihm nicht die übliche kurze Entscheidung über die Todesart ließ. Er wurde an den der Bestrafung von Sklaven vorbehaltenen Platz48 geschleppt und eigenhändig durch den Tribun Statius niedergestoßen, wobei er unerschütterlich schwieg und dem Tribun dieselbe Mitwisserschaft nicht vorhielt.49 (2) Es folgte die Ermordung Annaeus Senecas, die dem Princeps hochwillkommen war, nicht weil er erfahren hatte, er sei der Beteiligung an der Verschwörung überführt worden, sondern weil er jetzt mit dem Schwert wüten konnte, nachdem Gift keinen Erfolg gezeigt hatte.50 (3) Denn als einziger machte Natalis dazu eine Aussage und auch nur dahin gehend, er sei zu dem kranken Seneca geschickt worden, um ihn zu besuchen und sich darüber zu beschweren, warum er es Piso verwehre, zu ihm zu kommen. Es sei besser, wenn sie ihre Freundschaft in vertrautem Zusammensein pflegten. Da habe Seneca geantwortet, gegenseitige Gespräche und häufige Unterredungen nützten keinem von ihnen; dagegen hänge sein Leben von der Sicherheit Pisos ab. (4) Der Tribun einer Prätorianerkohorte Gavius Silvanus erhielt den Befehl, diese Aussagen zu überbringen und Seneca zu befragen, ob er Natalisʼ Äußerungen und seine Antworten darauf anerkenne. Der war zufällig oder absichtlich an diesem Tag aus Kampanien zurückgekehrt und hatte am vierten Meilenstein auf einem Landgut in der Nähe der Hauptstadt Halt gemacht. Dorthin kam gegen Abend der Tribun und sperrte das Landgut mit Trupps von Soldaten ab; dann eröffnete er ihm selbst beim Diner mit seiner Frau Pompeia Paulina und zwei Freunden die Aufträge des Oberbefehlshabers. 61 (1) Seneca antwortete, Natalis sei zu ihm geschickt worden und habe sich im Namen Pisos darüber beschwert, dass er daran gehindert werde, ihn zu besuchen, und er habe als Entschuldigung die Rücksichtnahme auf seine
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visse respondit. cur salutem privati hominis incolumitati suae anteferret, causam non habuisse; nec sibi promptum in adulationes ingenium. idque nulli magis gnarum quam Neroni, qui saepius libertatem Senecae quam servitium expertus esset. (2) ubi haec a tribuno relata sunt Poppaea et Tigellino coram, quod erat saevienti principi intimum consiliorum, interrogat an Seneca voluntariam mortem pararet. tum tribunus nulla pavoris signa, nihil triste in verbis eius aut vultu deprensum confirmavit. ergo regredi et indicere mortem iubetur. (3) tradit Fabius Rusticus non eo quo venerat itinere reditum, sed flexisse ad Faenium praefectum et expositis Caesaris iussis an obtemperaret interrogavisse, monitumque ab eo ut exsequeretur, fatali omnium ignavia. (4) nam et Silvanus inter coniuratos erat augebatque scelera, in quorum ultionem consenserat. voci tamen et adspectui pepercit intromisitque ad Senecam unum ex centurionibus, qui necessitatem ultimam denuntiaret. 62 (1) Ille interritus poscit testamenti tabulas; ac denegante centurione conversus ad amicos, quando meritis eorum referre gratiam prohiberetur, quod unum iam et tamen pulcherrimum habeat, imaginem vitae suae relinquere testatur, cuius si memores essent, bonarum artium famam tam constantis amicitiae laturos. (2) simul lacrimas eorum modo sermone, modo intentior in modum coercentis ad firmitudinem revocat, rogitans ubi praecepta sapientiae, ubi tot per annos meditata ratio adversum imminentia. cui enim ignaram fuisse saevitiam Neronis? neque aliud superesse post matrem fratremque interfectos, quam ut educatoris praeceptorisque necem adiceret. 63 (1) Ubi haec atque talia velut in commune disseruit, complectitur uxorem, et paululum adversus praesentem fortitudinem mollitus rogat oratque temperaret dolori aeternum susciperet, sed in contemplatione vitae per virtutem actae desiderium mariti solaciis honestis toleraret. illa contra
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Gesundheit und den dringenden Wunsch nach Ruhe angeführt. Das Leben einer Privatperson seiner eigenen Sicherheit vorzuziehen habe er keinen Grund gehabt; er habe auch keine Veranlagung zum Schmeicheln. Das wisse niemand besser als Nero, der öfter Senecas Freimut als seine Unterwürfigkeit erfahren habe. (2) Als das von dem Tribun in Poppaeas und Tigellinusʼ Anwesenheit berichtet wurde, dem vertrautesten Ratgebergremium für den tobenden Princeps, fragte er, ob Seneca Vorbereitungen für einen freiwilligen Tod treffe. Da versicherte der Tribun, er habe keinerlei Anzeichen von Angst, keinerlei Niedergeschlagenheit in seinen Worten oder in seiner Miene feststellen können. Also erhielt er den Auftrag, zurückzureiten und ihm den Tod anzukündigen. (3) Fabius Rusticus berichtet, nicht auf dem Weg, auf dem er gekommen war, sei er zurückgekehrt, sondern er sei zum Kommandanten Faenius abgebogen, habe die Befehle des Caesars dargelegt und gefragt, ob er gehorchen solle, und sei dann von diesem aufgefordert worden, sie zu vollziehen, in einer schicksalhaften Feigheit aller Beteiligten. (4) Denn auch Silvanus gehörte zu den Verschwörern und vermehrte die Verbrechen, in deren Bestrafung er eingewilligt hatte. Aber er ersparte es sich dennoch, mit ihm zu sprechen und ihn zu sehen, und schickte zu Seneca einen von den Zenturionen, der ihm den letzten unumgänglichen Schritt ankündigen sollte. 62 (1) Der verlangte unerschrocken die Niederschrift seines Testaments; und als der Zenturio das ablehnte, wandte er sich an seine Freunde und verkündete als seinen letzten Willen: Weil er daran gehindert werde, ihnen für ihre Verdienste zu danken, hinterlasse er den einzigen und dennoch schönsten Besitz, den er noch habe, nämlich das Bild seines Lebens. Wenn sie das im Gedächtnis behielten, bekämen sie den Ruhm einer sittlich guten Lebensführung als Lohn für ihre derart beständige Freundschaft. (2) Zugleich versuchte er sie bald durch Zuspruch, bald nachdrücklicher in zurechtweisendem Ton vom Weinen abzubringen und zur Beherrschung zurückzuführen, indem er sie wiederholt fragte, wo denn die Weisheitslehren, wo die so viele Jahre lang überlegten Argumente gegen bevorstehende Schicksalsschläge seien. Wem sei denn Neros Grausamkeit nicht bekannt gewesen? Es sei doch nach dem Mutter- und Brudermord nur mehr übrig geblieben, die Ermordung seines Erziehers und Lehrers anzuschließen. 63 (1) Nachdem er Ausführungen wie diese sozusagen für die Allgemeinheit gemacht hatte, umarmte er seine Frau, und entgegen seiner augenblicklichen Tapferkeit ein bisschen weich geworden, bat er sie inständig, ihren Kummer zu mäßigen und sich ihm nicht für immer hinzugeben, sondern in der Betrachtung seines nach sittlichen Grundsätzen geführten Lebens die Sehnsucht nach ihrem Ehemann mit ehrenwerten tröstenden Gedanken erträglich zu machen. Doch sie beteuerte im Gegenteil, auch für sie sei der Tod
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sibi quoque destinatam mortem adseverat manumque percussoris exposcit. (2) tum Seneca gloriae eius non adversus, simul amore, ne sibi unice dilectam ad iniurias relinqueret, ‘vitae’ inquit ‘delenimenta monstraveram tibi, tu mortis decus mavis: non invidebo exemplo. sit huius tam fortis exitus constantia penes utrosque par, claritudinis plus in tuo fine.’ post quae eodem ictu brachia ferro exsolvunt. (3) Seneca, quoniam senile corpus et parco victu tenuatum lenta effugia sanguini praebebat, crurum quoque et poplitum venas abrumpit; saevisque cruciatibus defessus, ne dolore suo animum uxoris infringeret atque ipse visendo eius tormenta ad impatientiam delaberetur, suadet in aliud cubiculum abscedere. et novissimo quoque momento suppeditante eloquentia advocatis scriptoribus pleraque tradidit, quae in vulgus edita eius verbis invertere supersedeo. 64 (1) At Nero nullo in Paulinam proprio odio, ac ne glisceret invidia crudelitatis, inhiberi mortem. hortantibus militibus servi libertique obligant brachia, premunt sanguinem, incertum an ignarae. (2) nam, ut est vulgus ad deteriora promptum, non defuere qui crederent, donec implacabilem Neronem timuerit, famam sociatae cum marito mortis petivisse, deinde oblata mitiore spe blandimentis vitae evictam; cui addidit paucos postea annos, laudabili in maritum memoria et ore ac membris in eum pallorem albentibus, ut ostentui esset multum vitalis spiritus egestum. (3) Seneca interim, durante tractu et lentitudine mortis, Statium Annaeum, diu sibi amicitiae fide et arte medicinae probatum, orat provisum pridem venenum, quo dnati publico Atheniensium iudicio exstinguerentur, promeret; adlatumque hausit frustra, frigidus iam artus et cluso corpore adversum vim veneni. (4) postremo stagnum calidae aquae introiit, respergens proximos servorum addita voce libare se liquorem illum Iovi liberatori. exim balneo inlatus et vapore eius exanimatus, sine ullo funeris sollemni crematur.
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bestimmt, und verlangte nach der Hand ihres Mörders. (2) Da wollte Seneca ihrem Ruhm nicht im Wege stehen, zugleich aber aus Zuneigung, um die von ihm einzig geliebte Frau nicht für Misshandlungen zurücklassen zu müssen, und sagte: „Linderungsmittel für das Weiterleben hatte ich dir gezeigt, doch du willst lieber einen ehrenvollen Tod. Ich bin nicht neidisch auf deinen vorbildlichen Entschluss. Selbst wenn die Standhaftigkeit, mit der wir so tapfer in den Tod gehen, bei uns beiden gleich groß sein mag, mehr Ruhm verdient dein Ende.“ Danach schlitzten sie mit dem gleichen Messerschnitt ihre Arme auf. (3) Seneca trennte, weil sein alter und dank seiner sparsamen Lebensführung hagerer Körper das Blut nur langsam herausfließen ließ, auch die Adern an den Unterschenkeln und in den Kniekehlen ab. Von den grauenhaften Schmerzen völlig erschöpft, schlug er vor, um nicht durch sein Leiden den Mut seiner Frau zu brechen und selbst angesichts ihrer Qualen es nicht mehr ertragen zu können, in einen anderen Raum zu gehen. Und weil ihm auch im letzten Augenblick noch die Redegabe voll zur Verfügung stand, ließ er Schreiber kommen und diktierte ihnen sehr viele Gedanken, die bereits veröffentlicht sind und die ich mir deshalb aus seinen Worten umzuformen erspare. 64 (1) Doch Nero hegte keinen persönlichen Hass gegen Paulina, und um die Empörung über seine Grausamkeit nicht weiter anschwellen zu lassen, gab er Befehl, ihren Tod zu verhindern. Auf Aufforderung durch die Soldaten verbanden ihr Sklaven und Freigelassene die Arme und stillten das Blut, wobei unsicher bleibt, ob sie das mitbekam. (2) Denn bei der Neigung des einfachen Volkes, immer das Schlechtere anzunehmen, fehlte es nicht an Leuten, die glaubten, solange sie Neros Unversöhnlichkeit fürchtete, habe sie es auf den Ruhm angelegt, gemeinsam mit ihrem Ehemann in den Tod gegangen zu sein, dann aber, als sich die Hoffnung abzeichnete, milder davonzukommen, sei sie den Verlockungen des Lebens erlegen. Sie lebte danach noch wenige Jahre weiter, in löblichem Gedenken an ihren Ehemann und mit einer derartig fahlen Blässe in Gesicht und Gliedmaßen, dass deutlich wurde, sie habe viel Lebenskraft verströmt. (3) Seneca bat unterdessen, weil sich das Sterben hinzog und nur langsam vor sich ging, seinen schon lange bewährten treuen Freund und medizinischen Fachmann Statius Annaeus, das schon vorher vorbereitete Gift zu holen, mit dem die in Athen vom Staatsgerichtshof Verurteilten getötet wurden.51 Man brachte es, und er trank es folgenlos, weil seine Gliedmaßen schon erkaltet waren und sein Körper der Wirkung des Gifts gegenüber unempfänglich geworden war. (4) Schließlich setzte er sich in ein Becken mit heißem Wasser und bespritzte die am nächsten stehenden Sklaven mit der Erläuterung, er weihe dieses besondere Nass Jupiter dem Befreier. Anschließend ließ er sich ins Bad tragen und erstickte in dessen Dampf; dann wurde er ohne alle Bestattungs-
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ita codicillis praescripserat, cum etiam tum praedives et praepotens supremis suis consuleret. 65 Fama fuit Subrium Flavum cum centurionibus occulto consilio, neque tamen ignorante Seneca, destinavisse, ut post occisum opera Pisonis Neronem Piso quoque interficeretur tradereturque imperium Senecae, quasi insonti et claritudine virtutum ad summum fastigium delecto. quin et verba Flavi vulgabantur, non referre dedecori, si citharoedus demoveretur et tragoedus succederet (quia ut Nero cithara, ita Piso tragico ornatu canebat). 66 (1) Ceterum militaris quoque conspiratio non ultra fefellit, accensis [quoque] indicibus ad prodendum Faenium Rufum, quem eundem conscium et inquisitorem non tolerabant. ergo instanti minitantique renidens Scaevinus neminem ait plura scire quam ipsum, hortaturque ultro redderet tam bono principi vicem. (2) non vox adversum ea Faenio, non silentium, sed verba sua praepediens et pavoris manifestus, ceterisque ac maxime Cervario Proculo equite R ad convincendum eum conisis, iussu imperatoris a Cassio milite, qui ob insigne corporis robur adstabat, corripitur vinciturque. 67 (1) Mox eorundem indicio Subrius Flavus tribunus pervertitur, primo dissimilitudinem morum ad defensionem trahens, neque se armatum cum inermibus et effeminatis tantum facinus consociaturum; (2) dein, postquam urgebatur, confessionis gloriam amplexus interrogatusque a Nerone, quibus causis ad oblivionem sacramenti processisset, ‘oderam te’ inquit; ‘nec quisquam tibi fidelior militum fuit, dum amari meruisti: odisse coepi, postquam parricida matris et uxoris, auriga et histrio et incendiarius extitisti’. (3) ipsa rettuli verba, quia non, ut Senecae, vulgata erant, nec minus nosci decebat militaris viri sensus incomptos et validos. nihil in illa coniuratione gravius auribus Neronis accidisse constitit, qui ut faciendis sceleribus promptus, ita audiendi quae faceret insolens erat. (4) poena Flavi Veianio Nigro tribuno mandatur. is
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feierlichkeiten verbrannt. So hatte er es in seinem Testament zu einer Zeit verfügt, als er schon damals als steinreicher und übermächtiger Mann für sein Lebensende Vorsorge traf. 65 Es ging das Gerücht, Subrius Flavus habe mit den Zenturionen eine geheime Abmachung getroffen, von der Seneca jedoch Bescheid wusste, nach der mit Pisos Hilfe erfolgten Ermordung Neros solle auch Piso umgebracht und die Herrschaft Seneca übergeben werden als dem Mann, der keine Schuld auf sich geladen habe und durch den Ruhm seiner sittlichen Vorzüge für die höchste Stellung auserwählt sei. Ja, es ging sogar ein Ausspruch des Flavus um, es mache für die Schande keinen Unterschied, wenn ein Kitharaspieler beseitigt werde und ein Tragöde nachrücke – denn wie Nero zur Kithara, so sang Piso im Kostüm eines tragischen Schauspielers. 66 (1) Außerdem blieb auch die Verschwörung des Militärs nicht länger geheim, weil die Denunzianten darauf brannten, Faenius Rufus zu verraten, bei dem sie nicht hinnehmen wollten, dass er in einer Person Mitwisser und Untersuchungsrichter war. Deshalb sagte Scaevinus höhnisch lächelnd auf sein Drängen und Drohen, niemand wisse mehr als er, und forderte ihn auf, sich seinerseits einem so guten Princeps gegenüber erkenntlich zu zeigen. (2) Keine Entgegnung brachte da Faenius zustande, aber er schwieg auch nicht, sondern begann zu stottern, und die Angst war ihm ins Gesicht geschrieben. Weil alle anderen und an erster Stelle der römische Ritter Cervarius Proculus es darauf anlegten, ihn zu überführen, wurde er auf Weisung des Oberbefehlshabers von dem Soldaten Cassius, der wegen seiner außerordentlichen Körperkraft dabeistand, gepackt und gefesselt. 67 (1) Dann wurde auf die Anzeige derselben Personen hin der Tribun Subrius Flavus vernichtet, obwohl er zuerst seinen völlig verschiedenen Charakter zu seiner Verteidigung ins Feld führte: Als Mann der Waffen werde er sich doch nicht mit unbewaffneten Weichlingen für ein derart großes Verbrechen verbünden. (2) Als man ihm dann härter zusetzte, griff er nach dem Ruhm eines Geständnisses und antwortete auf Neros Frage, aus welchen Gründen er sich dazu habe verleiten lassen, seinen Fahneneid zu vergessen: „Ich hasste dich, und doch war keiner von den Soldaten dir treuer, solange du es verdientest, geliebt zu werden; zu hassen begann ich, nachdem du zum Mörder an deiner Mutter und Gattin, zum Wagenlenker, Schauspieler und Brandstifter geworden warst.“ (3) Seine eigenen Worte habe ich wiedergegeben, weil sie nicht wie die Senecas verbreitet wurden und es dennoch nicht weniger angebracht war, diese ungeschminkten, eindrucksvollen Gedanken eines Militärs kennenzulernen. Dass bei dieser Verschwörung nichts Beeindruckenderes an die Ohren Neros drang, stand fest; wie er immer zu Verbrechen bereit war, so war er es doch nicht gewöhnt, sich anzuhören, was er tat. (4) Mit der Bestrafung des Flavus
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proximo in agro scrobem effodi iussit, quam Flavus ut humilem et angustam increpans, circumstantibus militibus, ‘ne hoc quidem’ inquit ‘ex disciplina.’ admonitusque fortiter protendere cervicem, ‘utinam’ ait ‘tu tam fortiter ferias!’ et ille multum tremens, cum vix duobus ictibus caput amputavisset, saevitiam apud Neronem iactavit, sesquiplaga interfectum a se dicendo. 68 (1) Proximum constantiae exemplum Sulpicius Asper centurio praebuit, percunctanti Neroni, cur in caedem suam conspiravisset, breviter respondens non aliter tot flagitiis eius subveniri potuisse. tum iussam poenam subiit. nec ceteri centuriones in perpetiendis suppliciis degeneravere: at non Faenio Rufo par animus, sed lamentationes suas etiam in testamentum contulit. (2) Opperiebatur Nero, ut Vestinus quoque consul in crimen traheretur, violentum et infensum ratus, sed ex coniuratis consilia cum Vestino non miscuerant quidam vetustis in eum simultatibus, plures, quia praecipitem et insociabilem credebant. (3) ceterum Neroni odium adversus Vestinum ex intima sodalitate coeperat, dum hic ignaviam principis penitus cognitam despicit, ille ferociam amici metuit, saepe asperis facetiis inlusus, quae ubi multum ex vero traxere, acrem sui memoriam relinquunt. accesserat repens causa, quod Vestinus Statiliam Messalinam matrimonio sibi iunxerat, haud nescius inter adulteros eius et Caesarem esse. 69 (1) Igitur non crimine, non accusatore existente, quia speciem iudicis induere non poterat, ad vim dominationis conversus Gerellanum tribunum cum cohorte militum immittit. iubetque praevenire conatus consulis, occupare velut arcem eius, opprimere delectam iuventutem, quia Vestinus imminentes foro aedes decoraque servitia et pari aetate habebat. (2) cuncta eo die munia consulis impleverat conviviumque celebrat, nihil metuens an dissimulando metu, cum ingressi milites vocari eum a tribuno dixere. ille nihil demoratus exsurgit,
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wurde der Tribun Veianius Niger beauftragt. Der ließ auf dem nächsten Acker eine Grube ausheben, die Flavus als zu flach und schmal kritisierte, indem er zu den dabeistehenden Soldaten sagte: „Nicht einmal das nach Dienstvorschrift!“ Als man ihn aufforderte, seinen Nacken tapfer vorzustrecken, antwortete er: „Hoffentlich schlägst du so tapfer zu!“ Und weil der andere heftig zitterte, prahlte er, obwohl er nur mit Mühe den Kopf mit zwei Hieben abgeschlagen hatte, vor Nero mit seiner Grausamkeit mit den Worten, er habe ihn mit anderthalb Streichen umgebracht. 68 (1) Das am nächsten an ihn heranreichende Beispiel für Standhaftigkeit gab der Zenturio Sulpicius Asper. Auf Neros Frage, warum er sich zu seiner Ermordung verschworen habe, antwortete er nur kurz, man habe anders der Vielzahl seiner Schandtaten nicht begegnen können. Dann erlitt er die befohlene Strafe. Auch alle anderen Zenturionen ließen sich beim Ertragen ihrer Hinrichtung nicht würdelos gehen. Lediglich Faenius Rufus zeigte nicht den gleichen Mut, sondern sein Gejammere übernahm er sogar in sein Testament. (2) Nero wartete darauf, dass auch der Konsul Vestinus in die Anklage einbezogen würde, weil er ihn für einen gewalttätigen Feind hielt, aber von den Verschworenen hatten Vestinus einige nicht in ihre Pläne einbezogen wegen weit zurückreichender Streitigkeiten mit ihm, die Mehrzahl, weil sie glaubten, er sei unberechenbar und unverträglich. (3) Aber Neros Hass auf Vestinus hatte seinen Ausgangspunkt in einer sehr engen Kameradschaft, wobei der eine die von ihm völlig durchschaute Feigheit des Princeps verachtete, der andere die respektlose Art seines Freundes fürchtete, der ihn oft mit beißenden Witzeleien verspottete; die hinterlassen ja, sobald sie sich weitgehend aus der Wahrheit speisen, einen bitteren Nachgeschmack. Dazu war der aktuelle Grund gekommen, dass sich Vestinus mit Statilia Messalina verheiratet hatte, obwohl er genau wusste, dass zu ihren Liebhabern auch der Caesar gehörte. 69 (1) Deshalb griff er, weil es keinen Vorwurf, keinen Ankläger gab und er so nicht die Rolle des Richters spielen konnte, zur rohen Gewalt seiner Tyrannei und schickte den Tribun Gerellanus mit einer Kohorte Soldaten los. Er gab den Auftrag, Maßnahmen des Konsuls zuvorzukommen, sein burgähnliches Haus zu besetzen und die Schar ausgesuchter junger Männer zu überwältigen, weil Vestinus ein Haus, welches das Forum überragte, und ansehnliche, gleichaltrige Sklaven hatte. (2) Sämtliche Aufgaben eines Konsuls hatte er an diesem Tag schon erledigt und feierte nun ein Bankett, ohne etwas zu befürchten oder sich Furcht anmerken zu lassen, als die Soldaten eindrangen und sagten, er werde von dem Tribun herausgebeten. Er stand ohne zu zögern auf,
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et omnia simul properantur: clauditur cubiculo, praesto est medicus, abscinduntur venae, vigens adhuc balneo infertur, calida aqua mersatur, nulla edita voce, qua semet miseraretur. (3) circumdati interim custodia qui simul discubuerant, nec nisi provecta nocte omissi sunt, postquam pavorem eorum, ex mensa exitium opperientium, et imaginatus et inridens Nero satis supplicii luisse ait pro epulis consularibus. 70 (1) Exim Annaei Lucani caedem imperat. is profluente sanguine ubi frigescere pedes manusque et paulatim ab extremis cedere spiritum fervido adhuc et compote mentis pectore intellegit, recordatus carmen a se compositum, quo vulneratum militem per eius modi mortis imaginem obisse tradiderat, versus ipsos rettulit, eaque illi suprema vox fuit. (2) Senecio posthac et Quintianus et Scaevinus non ex priore vitae mollitia, mox reliqui coniuratorum periere, nullo facto dictove memorando. 71 (1) Sed compleri interim urbs funeribus, Capitolium victimis; alius filio, fratre alius aut propinquo aut amico interfectis, agere grates deis, ornare lauru domum, genua ipsius advolvi et dextram osculis fatigare. atque ille gaudium id credens Antonii Natalis et Cervarii Proculi festinata indicia impunitate remuneratur. Milichus praemiis ditatus conservatoris sibi nomen Graeco eius rei vocabulo adsumpsit. (2) e tribunis Gavius Silvanus, quamvis absolutus, sua manu cecidit: Statius Proxumus veniam, quam ab imperatore acceperat, vanitate exitus conrupit. exuti dehinc tribunatu Pompeius ***, Cornelius Martialis, Flavius Nepos, Statius Domitius, quasi principem non quidem odissent, sed tamen extimarentur. (3) Novio Prisco per amicitiam Senecae et Glitio Gallo atque Annio Pollioni infamatis magis quam convictis data exilia. Priscum Artoria Flaccilla coniux comitata est, Gallum Egnatia Maximilla, magnis primum et integris opibus, post ademptis; quae utraque gloriam eius auxere. (4) pellitur et Rufrius Crispinus occasione coniurationis, sed Neroni invisus, quod Poppaeam quondam matrimonio tenuerat.
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und dann ging alles gleichzeitig sehr schnell: Er wird im Schlafzimmer eingesperrt, zur Stelle ist ein Arzt, man schneidet ihm die Adern auf, trägt ihn noch bei Bewusstsein ins Bad, taucht ihn im heißen Wasser unter, ohne dass er einen Laut des Selbstmitleids von sich gegeben hätte. (3) Von Wachen umringt wurden in der Zwischenzeit die Personen, die zusammen mit ihm gespeist hatten, und man ließ sie erst mitten in der Nacht gehen, nachdem sich Nero die Angst der Menschen, die vom Tisch weg ihr Ende erwarteten, ausgemalt hatte und spottend sagte, genug Strafe hätten sie damit bezahlt für das Mahl bei einem Konsul. 70 (1) Anschließend befahl er die Ermordung des Annaeus Lucanus. Als das Blut herausfloss und er merkte, wie Füße und Hände kalt wurden und allmählich aus den Extremitäten die Lebensgeister schwanden, während die Brust noch heiß und voll bei Besinnung52 war, erinnerte er sich an ein von ihm verfasstes Gedicht, in dem er überliefert hatte, dass ein verwundeter Soldat bei seinem Sterben ein derartiges Erscheinungsbild des Todes bot.53 Er trug die entsprechenden Verse vor, und das waren seine letzten Worte. (2) Danach kamen Senecio, Quintianus und Scaevinus um, nicht so, wie es bei ihrer früheren verweichlichten Lebensführung zu erwarten war, dann der Rest der Verschworenen, ohne eine bemerkenswerte Handlung oder Äußerung. 71 (1) Aber die Hauptstadt füllte sich inzwischen mit Leichen, das Kapitol mit Opfertieren. Der eine sagte nach der Ermordung seines Sohnes, ein anderer nach der des Bruders oder eines Verwandten oder Freundes den Göttern Dank, schmückte sein Haus mit Lorbeer, warf sich ihm persönlich zu Füßen und wurde nicht müde, seine Hand zu küssen. Und der hielt das für Freude und entgalt Antonius Natalis und Cervarius Proculus ihre schnellen Anzeigen mit Straflosigkeit. Der durch die Belohnungen reich gewordene Milichus legte sich den Beinamen „Retter“ in der griechischen Form dafür zu. (2) Von den Tribunen fiel Gavius Silvanus trotz eines Freispruchs von eigener Hand; Statius Proxumus machte die Begnadigung, die er vom Oberbefehlshaber erhalten hatte, durch einen unnötigen Tod zunichte. Aus dem Tribunat entfernt wurden daraufhin Pompeius …, Cornelius Martialis, Flavius Nepos und Statius Domitius, weil sie den Princeps zwar nicht hassten, aber dennoch diesen Eindruck erweckten. (3) Über Novius Priscus verhängte man wegen seiner Freundschaft mit Seneca die Verbannung, ebenso über Glitius Gallus und Annius Pollio, die mehr verdächtigt als überführt worden waren. Den Priscus begleitete seine Frau Artoria Flaccilla, den Gallus Egnatia Maximilla, zunächst mit einem großen und unangetasteten Vermögen, das man ihr dann aber wegnahm; beides vermehrte ihren Ruhm. (4) Verwiesen wurde auch Rufrius Crispinus, weil die Verschwörung Gelegenheit dazu bot; tatsächlich war er Nero verhasst, weil er Poppaea einmal zur Ehefrau gehabt hatte.
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Verginium Rufum claritudo nominis expulit: nam Verginius studia iuvenum eloquentia, Musonius praeceptis sapientiae fovebat. Cluvidieno Quieto, Iulio Agrippae, Blitio Catulino, Petronio Prisco, Iulio Altino, velut in agmen et numerum, Aegaei maris insulae permittuntur. (5) at Cadicia uxor Scaevini et Caesennius Maximus Italia prohibentur, reos fuisse se tantum poena experti. Acilia mater Annaei Lucani sine absolutione, sine supplicio dissimulata. 72 (1) Quibus perpetratis Nero et contione militum habita bina nummum milia viritim manipularibus divisit addiditque sine pretio frumentum, quo ante ex modo annonae utebantur. tum quasi gesta bello expositurus, vocat senatum et triumphale decus Petronio Turpi