Annalen. Bände II. Lateinisch und deutsch. 3534233603, 9783534233601


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German Pages 276 [270] Year 2011

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Titel
Impressum
Inhalt
Cornelius Tacitus, Annalen
Buch IV
Buch V
Buch VI
Buch XI
Buch XII
Anmerkungen zu Buch IV
Anmerkungen zu Buch V
Anmerkungen zu Buch VI
Anmerkungen zu Buch XI
Anmerkungen zu Buch XII
Über die Reihe
Über den Inhalt
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Annalen. Bände II. Lateinisch und deutsch.
 3534233603, 9783534233601

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EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

CORNELIUS TACITUS

ANNALEN BAND II Lateinisch und deutsch Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Alfons Städele

Verantwortlicher Bandherausgeber: Martin Hose Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft

Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 Gutenberg Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-18152-0 Gesamtnummer Band I–III: ISBN 978-3-534-23360-1 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73045-2

Inhalt Cornelius Tacitus, Annalen Buch IV . . . . . Buch V . . . . . . Buch VI . . . . . Buch XI . . . . . Buch XII . . . . .

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Anmerkungen zu Buch IV

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Anmerkungen zu Buch V

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Anmerkungen zu Buch VI

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Anmerkungen zu Buch XI

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Anmerkungen zu Buch XII

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CORNELII TACITI ANNALES (AB EXCESSU DIVI AUGUSTI) (LIBRI IV–VI, XI–XII) CORNELIUS TACITUS ANNALEN (VOM ABLEBEN DES VERGÖTTLICHTEN AUGUSTUS AN) (BÜCHER IV–VI, XI–XII)

LIBER QUARTUS 1 (1) C. ASINO C. ANTISTIO consulibus nonus Tiberio annus erat compositae rei publicae, florentis domus (nam Germanici mortem inter prospera ducebat), cum repente turbare fortuna coepit, saevire ipse aut saevientibus viris praebere. initium et causa penes Aelium Seianum, cohortibus praetoriis praefectum, cuius de potentia supra memoravi: nunc originem mores et quo facinore dominationem raptum ierit, expediam. (2) genitus Vulsinis patre Seio Strabone equite Romano, et prima iuventa C. Caesarem, divi Augusti nepotem, sectatus, non sine rumore Apicio diviti et prodigo stuprum veno dedisse, mox Tiberium variis artibus devinxit, adeo ut obscurum adversum alios sibi uni incautum intectumque efficeret, non tam sollertia (quippe isdem artibus victus est) quam deum ira in rem Romanam, cuius pari exitio viguit ceciditque. (3) corpus illi laborum tolerans, animus audax; sui obtegens, in alios criminator; iuxta adulatio et superbia; palam compositus pudor, intus summa apiscendi libido, eiusque causa modo largitio et luxus, saepius industria ac vigilantia, haud minus noxiae, quotiens parando regno finguntur. 2 (1) Vim praefecturae modicam antea intendit, dispersas per urbem cohortes una in castra conducendo, ut simul imperia acciperent numeroque et robore et visu inter se fiducia ipsis, in ceteros metus oreretur. praetendebat lascivire militem diductum; si quid subitum ingruat, maiore auxilio pariter subveniri; et severius acturos, si vallum statuatur procul urbis inlecebris.

Buch IV 1 (1) Unter den Konsuln C. ASINIUS und C. ANTISTIUS (23 n. Chr.) kam für Tiberius das neunte Jahr, in dem Ruhe im Staat herrschte und es seinem Haus gut ging – denn den Tod des Germanicus betrachtete er als Glücksfall –, da fing plötzlich das Schicksal an, alles durcheinanderzuwirbeln, und er selbst, zu wüten oder Wüterichen Einfluss einzuräumen. Ausgangspunkt und Grund dafür lagen in der Person des Aelius Seianus, des Kommandanten der Prätorianerkohorten, dessen einflussreiche Position ich schon oben erwähnt habe.1 Jetzt will ich seine Herkunft, seinen Charakter und den verbrecherischen Weg darlegen, auf dem er die Alleinherrschaft an sich reißen wollte. (2) Geboren in Vulsinii als Sohn des römischen Ritters Seius Strabo, schloss er sich als ganz junger Mann C. Caesar, dem Enkel des vergöttlichten Augustus, an, nicht ohne dass das Gerücht umging, er habe sich dem reichen Verschwender Apicius zu unerlaubtem Geschlechtsverkehr verkauft. Dann nahm er Tiberius mit allerlei geschickten Machenschaften derart für sich ein, dass er den anderen gegenüber verschlossenen Mann dazu brachte, ihm allein arglos und offenherzig zu begegnen, nicht so sehr durch sein raffiniertes Vorgehen – durch die gleichen Machenschaften wurde er ja auch bezwungen –, sondern durch den Zorn der Götter gegen den römischen Staat, für den sein Aufstieg und Sturz gleich katastrophal waren. (3) Er war körperlich leistungsfähig und von kühner Entschlusskraft. Sich selbst hielt er bedeckt, andere schwärzte er an. Liebedienerei zeigte er genauso wie Überheblichkeit. Nach außen hin trug er Zurückhaltung zur Schau, innerlich beherrschte ihn die Gier, den Gipfel der Macht zu erreichen, und deswegen zeigte er manchmal Großzügigkeit und Prachtentfaltung, öfter jedoch Tatkraft und Wachsamkeit, die jedes Mal dann nicht weniger Schaden anrichten, wenn man sie zur Errichtung einer Königsherrschaft entwickelt. 2 (1) Die zuvor nur unbedeutende Macht der Kommandantur steigerte er dadurch, dass er die über die Hauptstadt verteilten Kohorten in einer einzigen Kaserne zusammenlegte, damit sie Befehle gleichzeitig empfangen und aus ihrer Anzahl, ihrer Kampfkraft und ihrem gegenseitigen Anblick Selbstbewusstsein schöpfen konnten, während sich die übrige Bevölkerung fürchten sollte. Zum Vorwand nahm er, vereinzelt stationierte Soldaten ließen sich gehen; falls es einen unerwarteten Zwischenfall gebe, könne man gleichzeitig mit größeren Kräften eingreifen, und sie verhielten sich disziplinierter, falls man ein abgeschlossenes Lager weitab von den Verlockungen der Hauptstadt errichte.

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(2) ut perfecta sunt castra, inrepere paulatim militares animos adeundo, appellando; simul centuriones ac tribunos ipse deligere. (3) neque senatorio ambitu abstinebat clientes suos honoribus aut provinciis ornandi, facili Tiberio atque ita prono, ut socium laborum non modo in sermonibus, sed apud patres et populum celebraret colique per theatra et fora effigies eius interque principia legionum sineret. 3 (1) Ceterum plena Caesarum domus, iuvenis filius, nepotes adulti moram cupitis adferebant; et quia vi tot simul corripere intutum, dolus intervalla scelerum poscebat. (2) placuit tamen occultior via et a Druso incipere, in quem recenti ira ferebatur. nam Drusus impatiens aemuli et animo commotior orto forte iurgio intenderat Seiano manus et contra tendentis os verberaverat. (3) igitur cuncta temptanti promptissimum visum ad uxorem eius Liviam convertere, quae soror Germanici, formae initio aetatis indecorae, mox pulchritudine praecellebat. hanc ut amore incensus adulterio pellexit, et postquam primi flagitii potitus est (neque femina amissa pudicitia alia abnuerit), ad coniugii spem, consortium regni et necem mariti impulit. (4) atque illa, cui avunculus Augustus, socer Tiberius, ex Druso liberi, seque ac maiores et posteros municipali adultero foedabat, ut pro honestis et praesentibus flagitiosa et incerta exspectaret. sumitur in conscientiam Eudemus, amicus ac medicus Liviae, specie artis frequens secretis. (5) pellit domo Seianus uxorem Apicatam, ex qua tres liberos genuerat, ne paelici suspectaretur. sed magnitudo facinoris metum, prolationes, diversa interdum consilia adferebat. 4 (1) Interim anni principio Drusus ex Germanici liberis togam virilem sumpsit, quaeque fratri eius Neroni decreverat senatus repetita. addidit orationem Caesar, multa cum laude filii sui, quod patria benivolentia in fratris liberos

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(2) Nach der Fertigstellung der Kaserne schlich er sich Schritt für Schritt in die Herzen der Soldaten ein, indem er sie aufsuchte und mit Namen ansprach; zudem ernannte er persönlich die Zenturionen und Tribune. (3) Aber er unterließ es auch nicht, sich bei den Senatoren beliebt zu machen, indem er seine Klienten mit Ehrenämtern oder Provinzen auszeichnete. Tiberius war dabei entgegenkommend und ihm derart zugetan, dass er ihn als Mitarbeiter bei seinen schwierigen Aufgaben nicht nur in Gesprächen, sondern vor den Vätern und dem Volk feierte und seine Ehrung durch Statuen in Theatern, auf Marktplätzen und in den Hauptquartieren der Legionen zuließ. 3 (1) Aber die zahlreiche Caesarenfamilie, der im besten Mannesalter stehende Sohn und die erwachsenen Enkel brachten eine Verzögerung für seine Wünsche mit sich, und weil es gefährlich gewesen wäre, mit Gewalt so viele Personen gleichzeitig zu beseitigen, erforderte ein hinterlistiges Vorgehen Abstände zwischen den Verbrechen. (2) Er entschied sich jedoch für einen noch versteckteren Weg und mit Drusus zu beginnen, auf den er aus einem aktuellen Anlass wütend war. Denn Drusus, der sich mit dem Nebenbuhler nicht abfand und ziemlich leicht die Beherrschung verlor, war bei einem zufällig entstandenen Wortwechsel mit Sejan handgreiflich geworden und hatte ihn, als dieser sich dagegen wehrte, ins Gesicht geschlagen. (3) Als er nun alle Möglichkeiten erwog, schien ihm das geeignetste Vorgehen zu sein, sich an dessen Gattin Livia heranzumachen; sie war Germanicus’ Schwester, die, in jüngeren Jahren von unscheinbarem Äußeren, sich später zu einer auffallenden Schönheit entwickelte. Sie verführte er, so als brenne er vor Liebe, zum Ehebruch, und nachdem er das erste verbrecherische Ziel erreicht hatte – eine Frau, die ihr Schamgefühl verloren hat, wird sich weiteren Wünschen nicht versagen –, verleitete er sie zur Hoffnung auf eine Eheschließung, die Teilhabe an der Herrschaft und zum Mord an ihrem Ehemann. (4) Und diese Person, die Augustus zum Großonkel, Tiberius zum Schwiegervater und Kinder von Drusus hatte, brachte sich, ihre Vorfahren und Nachkommen mit dem Ehebrecher aus einer Kleinstadt in Verruf, sodass sie an Stelle ihrer gegenwärtigen angesehenen Stellung einer ungewissen Zukunft in Schande entgegensah. Eingeweiht wurde Eudemus, Livias Freund und Arzt, der sie unter dem Vorwand seiner Berufsausübung häufig allein aufsuchte. (5) Sejan verstieß seine Ehefrau Apicata, mit der er drei Kinder hatte, um seine Geliebte nicht misstrauisch zu machen. Doch die Schwere des Verbrechens brachte Angst, mehrfachen Aufschub und zwischendurch gegensätzliche Pläne mit sich. 4 (1) Inzwischen legte zum Jahresbeginn Drusus, einer der Söhne des Germanicus, die Männertoga an, und alle Ehren, die der Senat für seinen Bruder Nero beschlossen hatte, wurden wiederholt.2 Der Caesar hielt dazu noch eine Rede mit viel Lob für seinen Sohn, weil er väterliches Wohlwollen

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foret. nam Drusus, quamquam arduum sit eodem loci potentiam et concordiam esse, aequus adulescentibus aut certe non adversus habebatur. (2) Exim vetus et saepe simulatum proficiscendi in provincias consilium refertur. multitudinem veteranorum praetexebat imperator et dilectibus supplendos exercitus: nam voluntarium militem deesse ac, si suppeditet, non eadem virtute ac modestia agere, quia plerumque inopes ac vagi sponte militiam sumant. (3) percensuitque cursim numerum legionum et quas provincias tutarentur. quod mihi quoque exsequendum reor, quae tunc Romana copia in armis, qui socii reges, quanto sit angustius imperitatum. 5 (1) Italiam utroque mari duae classes, Misenum apud et Ravennam, proximumque Galliae litus rostratae naves praesidebant, quas Actiaca victoria captas Augustus in oppidum Foroiuliense miserat valido cum remige. sed praecipuum robur Rhenum iuxta, commune in Germanos Gallosque subsidium, octo legiones erant. Hispaniae recens perdomitae tribus habebantur. (2) Mauros Iuba rex acceperat donum populi Romani. cetera Africae per duas legiones parique numero Aegyptus, dehinc initio ab Syria usque ad flumen Euphraten, quantum ingenti terrarum sinu ambitur, quattuor legionibus coercita, accolis Hibero Albanoque et aliis regibus, qui magnitudine nostra proteguntur adversum externa imperia. (3) et Thraeciam Rhoemetalces ac liberi Cotyis, ripamque Danuvii legionum duae in Pannonia, duae in Moesia attinebant, totidem apud Delmatiam locatis, quae positu regionis a tergo illis ac, si repentinum auxilium Italia posceret, haud procul accirentur, quamquam insideret urbem proprius miles, tres urbanae, novem praetoriae cohortes, Etruria ferme Umbriaque delectae aut vetere Latio et colonis antiquitus Romanis. (4) at apud idonea provinciarum sociae triremes alaeque et auxilia cohortium, neque multo secus in iis virium: sed persequi incertum fuit, cum ex usu temporis huc illuc mearent, gliscerent numero et aliquando minuerentur.

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den Kindern seines Bruders gegenüber zeige. Denn Drusus galt, obwohl es schwierig ist, dass Macht und Eintracht an derselben Stelle existieren, als aufrichtig den jungen Männern gegenüber oder bestimmt nicht als ihr Gegner. (2) Dann kam der alte und schon oft zum Schein vorgebrachte Plan einer Reise in die Provinzen wieder zur Sprache. Die große Zahl der Veteranen nahm der Oberbefehlshaber zum Vorwand und die Notwendigkeit, die Heere durch Aushebungen zu ergänzen; denn es fehle an Freiwilligen, und falls sie zur Verfügung stünden, verhielten sie sich nicht gleich tapfer und diszipliniert, weil meist nur mittel- und heimatloses Volk von sich aus zum Militär gehe. (3) Dazu gab er einen Überblick über die Zahl der Legionen und welche Provinzen sie schützten. Darauf glaube auch ich eingehen zu sollen: welche römischen Streitkräfte damals unter Waffen standen, wer die verbündeten Könige waren und wie viel beschränkter unser Reich gewesen ist. 5 (1) Italien schützten in beiden Meeren3 zwei Flotten, bei Misenum und Ravenna, und die nächstgelegene gallische Küste die Schiffe mit Schnäbeln4, die Augustus bei seinem Sieg in Aktium erbeutet und mit einer schlagkräftigen Rudermannschaft in die Stadt Forum Iulium geschickt hatte. Aber die Hauptstreitmacht stand am Rhein, als gemeinsamer Schutz gegen Germanen und Gallier acht Legionen. Das gerade erst vollständig unterworfene Spanien wurde von drei Legionen gehalten. (2) Die Mauren hatte König Juba als Geschenk des römischen Volks bekommen. Der Rest Africas wurde von zwei Legionen und von der gleichen Anzahl Ägypten, dann das gesamte Gebiet, das vom Beginn Syriens an bis zum Fluss Euphrat in einem gewaltigen Länderbogen reicht, von vier Legionen in Schach gehalten; ihre Nachbarn waren die Hiberer, Albaner und andere Könige, die durch unsere Größe gegen auswärtige Reiche geschützt werden. (3) Des Weiteren hielten Thrakien Rhoemetalces und die Söhne des Cotys, dann das Donauufer zwei Legionen in Pannonien und zwei in Mösien. Ebenso viele waren in Dalmatien stationiert, die dank der Lage der Gegend in deren Rücken standen und, falls Italien schnelle Hilfe anfordern sollte, nicht aus großer Entfernung herbeigeholt werden mussten, obwohl in der Hauptstadt eigene Soldaten lagen, drei städtische und neun Prätorianerkohorten, die fast nur in Etrurien und Umbrien oder im alten Latium und in schon lange Zeit römischen Kolonien ausgehoben wurden. (4) Dagegen waren an geeigneten Punkten in den Provinzen bundesgenössische Dreiruderer, Kavallerieregimenter und Hilfstruppenkohorten stationiert, die über keine wesentlich geringere Kampfkraft verfügten. Aber sie im Einzelnen durchzugehen wäre mit Unsicherheiten verbunden gewesen, weil sie je nach Bedarf hierhin und dorthin zogen und zahlenmäßig zu- und manchmal auch abnahmen.

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6 (1) Congruens crediderim recensere ceteras quoque rei publicae partes, quibus modis ad eam diem habitae sint, quoniam Tiberio mutati in deterius principatus initium ille annus attulit. (2) iam primum publica negotia et privatorum maxima apud patres tractabantur, dabaturque primoribus disserere, et in adulationem lapsos cohibebat ipse; mandabatque honores, nobilitatem maiorum, claritudinem militiae, inlustres domi artes spectando, ut satis constaret non alios potiores fuisse. sua consulibus, sua praetoribus species; minorum quoque magistratuum exercita potestas; legesque, si maiestatis quaestio eximeretur, bono in usu. (3) at frumenta et pecuniae vectigales, cetera publicorum fructuum societatibus equitum Romanorum agitabantur. res suas Caesar spectatissimo cuique, quibusdam ignotis ex fama mandabat, semelque adsumpti tenebantur prorsus sine modo, cum plerique isdem negotiis insenescerent. (4) plebes acri quidem annona fatigabatur, sed nulla in eo culpa ex principe: quin infecunditati terrarum aut asperis maris obviam iit, quantum impendio diligentiaque poterat. et ne provinciae novis oneribus turbarentur utque vetera sine avaritia aut crudelitate magistratuum tolerarent, providebat; corporum verbera, ademptiones bonorum aberant. (5) rari per Italiam Caesaris agri, modesta servitia, intra paucos libertos domus; ac si quando cum privatis disceptaret, forum et ius. 7 (1) Quae cuncta non quidem comi via, sed horridus ac plerumque formidatus, retinebat tamen, donec morte Drusi verterentur: nam dum superfuit, mansere, quia Seianus incipiente adhuc potentia bonis consiliis notescere volebat et ultor metuebatur non occultus odii, sed crebro querens incolumi filio adiutorem imperii alium vocari. (2) et quantum superesse, ut collega dicatur? primas dominandi spes in arduo: ubi sis ingressus, adesse studia et ministros. exstructa

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6 (1) Für angemessen hielte ich es, auch die übrigen staatlichen Bereiche daraufhin anzusehen, wie man es mit ihnen bis zu diesem Tag hielt; denn jenes Jahr brachte für den Prinzipat des Tiberius die Wende zum Schlechteren mit sich. (2) Ganz am Anfang wurden die öffentlichen Aufgaben und die wichtigsten Privatangelegenheiten von den Vätern behandelt; man gab den führenden Persönlichkeiten die Möglichkeit, ihre Meinung frei zu äußern, und wer dabei in Liebedienerei abglitt, den dämpfte Tiberius persönlich. Er übertrug die Ehrenämter unter Berücksichtigung des Adels der Vorfahren, die glänzende Bewährung im Krieg und hervorragende Fähigkeiten zu Hause, sodass hinreichend gewährleistet war, dass keine anderen Bewerber geeigneter gewesen wären. Das ihnen zustehende Prestige genossen die Konsuln, das ihrige die Prätoren. Auch die untergeordneten Amtsinhaber übten ihre Amtsgewalt aus. Die Gesetze wurden, wenn man von den Majestätsprozessen absieht, gut angewandt. (3) Was die Getreideversorgung, die Steuereinnahmen und die übrigen Staatseinkünfte betrifft, so wurden sie von Gesellschaften römischer Ritter betrieben. Sein Privatvermögen vertraute der Caesar gerade den bewährtesten Männern an, darunter einigen, die er persönlich gar nicht kannte, nur aufgrund ihres guten Rufs; wenn sie einmal beigezogen waren, hielt man an ihnen ohne jede zeitliche Begrenzung fest, und die Mehrzahl wurde über denselben Tätigkeiten alt. (4) Dem einfachen Volk setzte zwar eine heftige Getreideknappheit zu, aber daran trug der Princeps keinerlei Schuld; ganz im Gegenteil begegnete er der Unfruchtbarkeit von Ländern oder der Rauheit des Meeres, soweit er das mit finanziellen Zuwendungen und Umsicht konnte. Auch sorgte er dafür, dass die Provinzen nicht durch neue Belastungen zerrüttet wurden und die alten hinnahmen, ohne der Habsucht oder Brutalität von Amtsinhabern ausgesetzt zu sein; körperliche Züchtigungen und Beschlagnahme von Vermögen gab es nicht mehr. (5) Spärlich war in Italien der Grundbesitz des Caesars, seine Sklaven bescheiden, nur wenige Freigelassene gehörten zu seinem Haus, und wenn es einmal zu einem Streit mit Privatleuten kam, gab es das Forum und das Recht. 7 (1) Dies alles tat er zwar nicht auf freundliche Art und Weise, sondern unwirsch und meistens zum Fürchten, dennoch behielt er es bei, bis es mit Drusus’ Tod umschlug. Denn solange dieser lebte, blieb alles beim Alten, weil Sejan, der erst am Anfang seiner Macht stand, sich als guter Ratgeber einen Namen machen wollte und den Rächer fürchtete, der aus seinem Hass kein Geheimnis machte, sondern sich häufig darüber beklagte, dass man zu Lebzeiten eines gesunden Sohnes einen anderen Stütze der Herrschaft nenne. (2) Und wie wenig fehle denn noch, dass man ihn als Kollegen bezeichne? Die ersten Hoffnungen auf die Alleinherrschaft seien mit einem steilen Anstieg verbunden; habe man den hinter sich, stünden beflissene Helfer zur Seite. Schon sei eine

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iam sponte praefecti castra, datos in manum milites; cerni effigiem eius in monimentis Cn. Pompei, communes illi cum familia Drusorum fore nepotes: precandam post haec modestiam, ut contentus esset. (3) neque raro neque apud paucos talia iaciebat, et secreta quoque eius corrupta uxore prodebantur. 8 (1) Igitur Seianus maturandum ratus deligit venenum, quo paulatim inrepente fortuitus morbus adsimularetur. id Druso datum per Lygdum spadonem, ut octo post annos cognitum est. (2) ceterum Tiberius per omnes valitudinis eius dies, nullo metu an ut firmitudinem animi ostentaret, etiam defuncto necdum sepulto, curiam ingressus est. consulesque sede vulgari per speciem maestitiae sedentes honoris locique admonuit et effusum in lacrimas senatum victo gemitu, simul oratione continua erexit. (3) non quidem sibi ignarum posse argui, quod tam recenti dolore subierit oculos senatus: vix propinquorum adloquia tolerari, vix diem aspici a plerisque lugentium. neque illos imbecillitatis damnandos: se tamen fortiora solacia e complexu rei publicae petivisse. miseratusque Augustae extremam senectam, rudem adhuc nepotum et vergentem aetatem suam, ut Germanici liberi, unica praesentium malorum levamenta, inducerentur petivit. (4) egressi consules firmatos adloquio adulescentulos deductosque ante Caesarem statuunt. quibus adprensis ‘patres conscripti, hos’ inquit ‘orbatos parente tradidi patruo ipsorum precatusque sum, quamquam esset illi propria suboles, ne secus quam suum sanguinem foveret attolleret, sibique et posteris conformaret. (5) erepto Druso preces ad vos converto disque et patria coram obtestor: Augusti pronepotes, clarissimis maioribus genitos, suscipite regite, vestram meamque vicem explete. hi vobis, Nero et Druse, parentum loco. ita nati estis, ut bona malaque vestra ad rem publicam pertineant.’

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Kaserne auf die Anregung des Kommandanten hin errichtet worden, habe man ihm Soldaten in die Hand gegeben. Sein Bildnis könne man im Denkmal des Cn. Pompeius sehen, er werde mit der Familie der Drusi gemeinsame Enkel haben.5 Nach all dem müsse man um Selbstbescheidung beten, damit er sich zufriedengebe. (3) Ferner ließ er solche Äußerungen nicht selten und auch nicht vor wenigen Zuhörern fallen, und sogar seine geheimen Gespräche wurden durch seine verführte Ehefrau verraten. 8 (1) Deshalb entschloss sich Sejan zu einem schnelleren Vorgehen und wählte dafür ein Gift, das sich nur Schritt für Schritt einschlich und eine zufällige Erkrankung vortäuschen sollte. Es wurde Drusus durch den Eunuchen Lygdus verabreicht, wie sich acht Jahre später herausstellte. (2) Aber Tiberius kam alle Tage seiner Erkrankung hindurch und, weil er ohne Furcht war oder um seine Selbstbeherrschung zu zeigen, sogar nach Drusus’ Tod, aber noch vor seiner Bestattung in die Kurie, wies die Konsuln, die zum Zeichen der Trauer auf gewöhnlichen Plätzen saßen, auf ihren Ehrenplatz hin und richtete den in Tränen aufgelösten Senat dadurch auf, dass er jeden eigenen Jammer unterdrückte und eine Rede hielt, ohne einmal innehalten zu müssen: (3) Er sei sich natürlich dessen sehr wohl bewusst, dass man ihm in Anbetracht seines so frischen Kummers das Erscheinen vor den Augen des Senats zum Vorwurf machen könne; von den meisten Trauernden könne kaum der Zuspruch der Verwandten ertragen, kaum das Tageslicht ausgehalten werden. Man dürfe diese Personen zwar nicht wegen ihrer Schwäche verdammen; er habe dennoch stärkeren Trost in der Hingabe an den Staat gesucht. Nachdem er sich über das hohe Alter der Augusta (Livia), die immer noch unerfahrene Jugend seiner Enkel und sein sich dem Ende zuneigendes Leben beklagt hatte, bat er darum, die Söhne des Germanicus hereinzuführen, den einzigen Trost in dem gegenwärtigen Unglück. (4) Die Konsuln gingen hinaus, sprachen den Burschen Mut zu, begleiteten sie dann hinein und ließen sie vor den Caesar hintreten. Er nahm sie bei der Hand und sagte: „Versammelte Väter, diese vaterlosen Waisen habe ich ihrem Onkel übergeben und darum gebeten, er möge sie, obwohl er selbst Nachkommen habe, nicht anders als sein eigenes Blut fördern, aufbauen und für sich und die Nachwelt starkmachen. (5) Nach Drusus’ Verlust richte ich nun meine Bitten an euch und beschwöre euch vor Göttern und Vaterland: Nehmt die Urenkel des Augustus, die von den vornehmstem Vorfahren abstammen, in eure Obhut, leitet sie an und erfüllt eure und meine Pflicht! Diese Männer hier, Nero und Drusus, nehmen für euch die Stelle der Eltern ein. Ihr seid von so hoher Abkunft, dass euer Wohl und Wehe sich auf den Staat auswirkt.“

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9 (1) Magno ea fletu et mox precationibus faustis audita; ac si modum orationi posuisset, misericordia sui gloriaque animos audientium impleverat: ad vana et totiens inrisa revolutus, de reddenda re publica utque consules seu quis alius regimen susciperent, vero quoque et honesto fidem dempsit. (2) memoriae Drusi eadem quae in Germanicum decernuntur, plerisque additis, ut ferme amat posterior adulatio. funus imaginum pompa maxime inlustre fuit, cum origo Iuliae gentis Aeneas omnesque Albanorum reges et conditor urbis Romulus, post Sabina nobilitas, Attus Clausus ceteraeque Claudiorum effigies longo ordine spectarentur. 10 (1) In tradenda morte Drusi quae plurimis maximaeque fidei auctoribus memorata sunt rettuli: sed non omiserim eorundem temporum rumorem, validum adeo, ut nondum exolescat. (2) corrupta ad scelus Livia Seianum Lygdi quoque spadonis animum stupro vinxisse, quod is [Lygdus] aetate atque forma carus domino interque primores ministros erat; deinde inter conscios ubi locus veneficii tempusque composita sint, eo audaciae provectum, ut verteret et occulto indicio Drusum veneni in patrem arguens moneret Tiberium vitandam potionem, quae prima ei apud filium epulanti offerretur. (3) ea fraude cum senem, postquam convivium inierat, exceptum poculum Druso tradidisse, atque illo ignaro et iuveniliter hauriente auctam suspicionem, tamquam metu et pudore sibimet inrogaret mortem, quam patri struxerat. 11 (1) Haec vulgo iactata super id, quod nullo auctore certo firmantur, prompte refutaveris. quis enim mediocri prudentia, nedum Tiberius tantis rebus exercitus, inaudito filio exitium offerret, idque sua manu et nullo ad paenitendum regressu? quin potius ministrum veneni excruciaret, auctorem exquireret, insita denique etiam in extraneos cunctatione et mora adversum

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9 (1) Mit lautem Schluchzen und dann mit Glück- und Segenswünschen hörte man diese Worte an, und hätte er die Rede damit beendet, dann hätte er seine Zuhörer mit Mitleid der eigenen Person gegenüber und mit Hochachtung erfüllt. Weil er aber wieder in seine nichtssagenden und schon so oft verspotteten Phrasen verfiel, er wolle den Staat zurückgeben und die Konsuln oder sonst jemand solle die Regierung übernehmen, nahm er sogar den aufrichtig und ehrlich gemeinten Partien jede Glaubwürdigkeit. (2) Zum Andenken an Drusus wurden die gleichen Beschlüsse gefasst wie für Germanicus, doch wurden noch sehr viele Punkte ergänzt, wie es spätere Liebedienerei in der Regel gerne tut. Das Leichenbegängnis war durch die im Trauerzug mitgeführten Ahnenbilder besonders prächtig, da Äneas, der Stammvater der julischen Familie, sämtliche Könige von Alba und der Stadtgründer Romulus, dann der hohe sabinische Adel, Attus Clausus und die Bilder der übrigen Claudier in langem Zug zu sehen waren. 10 (1) In meinen Bericht über den Tod des Drusus habe ich die von den meisten und glaubwürdigsten Autoren erwähnten Nachrichten aufgenommen. Aber ich möchte ein Gerücht aus dieser Zeit nicht übergehen, das sich derart hartnäckig hielt, dass es immer noch nicht verschwunden ist: (2) Nachdem er Livia zu dem Verbrechen verführt hatte, habe Sejan auch den Eunuchen Lygdus durch eine unerlaubte sexuelle Beziehung an sich gebunden, weil dieser wegen seiner jugendlichen Schönheit bei seinem Herrn beliebt war und zu den führenden Dienern zählte. Sobald dann unter den Eingeweihten Ort und Zeitpunkt des Giftmords feststanden, sei er so dreist geworden, den Sachverhalt umzudrehen, in einer anonymen Anzeige Drusus des Giftanschlags auf seinen Vater zu bezichtigen und Tiberius vor dem Getränk zu warnen, das man ihm als erstes während eines Essens bei seinem Sohn reiche. (3) Diesem Täuschungsmanöver sei der alte Mann aufgesessen und habe, als er zu der Tischgesellschaft gekommen war, den Becher genommen und an Drusus weitergereicht, und der habe nichts ahnend in jugendlicher Unbekümmertheit getrunken und damit den Verdacht verstärkt, er habe sich aus Angst und Scham selbst den Tod geben wollen, den er seinem Vater zugedacht hatte. 11 (1) Diese im Volk umlaufende Version kann man, abgesehen davon, dass sie von keinem zuverlässigen Autor bestätigt wird, leicht widerlegen. Welcher Mensch mit einem auch nur durchschnittlichen Verstand, geschweige denn Tiberius, der in solch gewichtigen Angelegenheiten geübt war, würde nämlich seinen Sohn, ohne ihn angehört zu haben, vernichten, und das auch noch eigenhändig und ohne jede Möglichkeit, im Fall der Reue davon zurücktreten zu können? Würde er nicht eher den Diener, der das Gift brachte, foltern lassen, den Hintermann ermitteln wollen, schließlich das ihm angeborene unschlüssige Zögern sogar Fremden gegenüber auch bei seinem einzigen

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unicum et nullius ante flagitii compertum uteretur? (2) sed quia Seianus facinorum omnium repertor habebatur, ex nimia caritate in eum Caesaris et ceterorum in utrumque odio quamvis fabulosa et immania credebantur, atrociore semper fama erga dominantium exitus. ordo alioqui sceleris per Apicatam Seiani proditus, tormentis Eudemi ac Lygdi patefactus est; neque quisquam scriptor tam infensus extitit, ut Tiberio obiectaret, cum omnia alia conquirerent intenderentque. (3) mihi tradendi arguendique rumoris causa fuit, ut claro sub exemplo falsas auditiones depellerem peteremque ab iis, quorum in manus cura nostra venerit, divulgata atque incredibili avide accepta veris neque in miraculum corruptis antehabeant. 12 (1) Ceterum laudante filium pro rostris Tiberio senatus populusque habitum ac voces dolentum simulatione magis quam libens induebat, domumque Germanici revirescere occulti laetabantur. quod principium favoris et mater Agrippina spem male tegens perniciem adceleravere. (2) nam Seianus, ubi videt mortem Drusi inultam interfectoribus, sine maerore publico esse, ferox scelerum, et quia prima provenerant, volutare secum, quonam modo Germanici liberos perverteret, quorum non dubia successio. neque spargi venenum in tres poterat, egregia custodum fide et pudicitia Agrippinae impenetrabili. (3) igitur contumaciam eius insectari, vetus Augustae odium, recentem Liviae conscientiam exagitare, ut superbam fecunditate, subnixam popularibus studiis inhiare dominationi apud Caesarem arguerent. (4) atque haec callidis criminatoribus, inter quos delegerat Iulium Postumum, per adulterium Mutiliae Priscae inter intimos aviae et consiliis suis peridoneum, quia Prisca in animo Augustae valida anum suapte natura potentiae anxiam insociabilem nurui efficiebat. Agrippinae quoque proximi inliciebantur pravis sermonibus tumidos spiritus perstimulare.

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Kind zeigen, dem man zuvor keine Schandtat nachweisen konnte? (2) Doch weil man Sejan als Anstifter zu allen Verbrechen ansah, glaubte man wegen der übertriebenen Zuneigung des Caesars zu ihm und wegen des Hasses aller anderen gegen beide selbst die unerhörtesten Ungeheuerlichkeiten; das Gerede fällt ja immer grässlicher aus, wenn es um das Ende von Machthabern geht. Der Ablauf des Verbrechens, der ohnehin schon durch Sejans Frau Apicata verraten worden war, wurde durch die Folterung des Eudemus und Lygdus vollständig aufgedeckt. Und kein Schriftsteller erwies sich als so feindselig, dass er Tiberius einen Vorwurf machte, wo sie doch sonst alle möglichen Gesichtspunkte zusammensuchten und aufbauschten. (3) Für mich bestand der Anlass, das Gerücht zu überliefern und zu widerlegen, darin, anhand eines eindeutigen Beispiels unwahres Geschwätz zurückzuweisen und die Leser, in deren Hände mein Werk kommt, zu bitten, weitverbreitete, unglaubwürdige Behauptungen nicht gierig aufzugreifen und wahren, nicht zum Märchenhaften hin entstellten Darstellungen vorzuziehen. 12 (1) Davon abgesehen, nahmen während Tiberius’ Lobrede auf seinen Sohn von der Rednerbühne herab Senat und Volk Verhalten und Äußerungen einer Trauergemeinde mehr zum Schein als von Herzen an, und sie freuten sich im Stillen darüber, dass das Haus des Germanicus wieder an Bedeutung gewinne. Aber dieser Beginn der Sympathie und die Mutter Agrippina, die ihre Hoffnung nur schlecht verhehlen konnte, beschleunigten seinen Untergang. (2) Denn als Sejan sah, dass Drusus’ Tod für seine Mörder ohne Strafe blieb und es zu keinen öffentlichen Trauerkundgebungen kam, überlegte er, ganz versessen auf Verbrechen und weil der Anfang gelungen war, wie er die Söhne des Germanicus ausschalten könne, die ohne Zweifel für die Nachfolge infrage kamen. Gift konnte er gegen die Drei nicht anwenden wegen der außerordentlichen Zuverlässigkeit ihrer Wachen und der unantastbaren Keuschheit der Agrippina. (3) Deshalb zog er über deren aufgeblasenes Getue her und hetzte die Augusta (Livia) mit ihrem alten Hass und Livia mit ihrem frischen Schuldbewusstsein dazu auf, sie beim Caesar zu beschuldigen, sie sei wegen ihres Kinderreichtums überheblich und giere, gestützt auf die Sympathien des Volks, nach der Macht. (4) Dazu setzte er auch gerissene Verleumder ein, unter die er Iulius Postumus aufgenommen hatte, der wegen seines ehebrecherischen Verhältnisses mit Mutilia Prisca zu den vertrautesten Freunden der Großmutter gehörte und für seine Pläne genau der richtige Mann war, weil Prisca großen Einfluss auf die Augusta ausübte und die von Natur aus um die Macht besorgte alte Frau zu einer unversöhnlichen Gegnerin ihrer Schwiegerenkelin machte. Auch die unmittelbare Umgebung Agrippinas verleitete man dazu, mit üblem Gerede ihr aufgeblasenes Wesen weiter anzustacheln.

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13 (1) At Tiberius nihil intermissa rerum cura, negotia pro solaciis accipiens, ius civium, preces sociorum tractabat; factaque auctore eo senatus consulta, ut civitati Cibyraticae apud Asiam, Aegiensi apud Achaiam, motu terrae labefactis, subveniretur remissione tributi in triennium. (2) et Vibius Serenus pro consule ulterioris Hispaniae, de vi publica damnatus, ob atrocitatem morum in insulam Amorgum deportatur. Carsius Sacerdos, reus tamquam frumento hostem Tacfarinatem iuvisset, absolvitur, eiusdemque criminis C. Gracchus. (3) hunc comitem exilii admodum infantem pater Sempronius in insulam Cercinam tulerat. illic adultus inter extorres et liberalium artium nescios, mox per Africam ac Siciliam mutando sordidas merces sustentabatur; neque tamen effugit magnae fortunae pericula. ac ni Aelius Lamia et L. Apronius, qui Africam obtinuerant, insontem protexissent, claritudine infausti generis et paternis adversis foret abstractus. 14 (1) Is quoque annus legationes Graecarum civitatium habuit, Samiis Iunonis, Cois Aesculapii delubro vetustum asyli ius, ut firmaretur petentibus. Samii decreto Amphictyonum nitebantur, quis praecipuum fuit rerum omnium iudicium, [ea] qua tempestate Graeci conditis per Asiam urbibus ora maris potiebantur. (2) neque dispar apud Coos antiquitas, et accedebat meritum ex loco. nam cives Romanos templo Aesculapii induxerant, cum iussu regis Mithridatis apud cunctas Asiae insulas et urbes trucidarentur. (3) Variis dehinc et saepius inritis praetorum questibus, postremo Caesar de immodestia histrionum rettulit: multa ab iis in publicum seditiose, foeda per domos temptari; Oscum quondam ludicrum, levissimae apud vulgum oblectationis, eo flagitiorum et virium venisse, auctoritate patrum coercendum sit. pulsi tum histriones Italia. 15 (1) Idem annus alio quoque luctu Caesarem adfecit, alterum ex geminis Drusi liberis exstinguendo, neque minus morte amici. is fuit Lucilius Longus,

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13 (1) Doch Tiberius unterbrach seine Regierungsgeschäfte nicht, sondern fand in seiner Arbeit Trost; er sprach für die Bürger Recht und behandelte die Anliegen der Bundesgenossen. Auf seinen Antrag hin wurden Senatsbeschlüsse gefasst, den Gemeinden Cibyra in Asia und Aegium in Achaia, die bei einem Erdbeben eingestürzt waren, durch den Erlass der Abgaben für drei Jahre zu helfen. (2) Und der Prokonsul des jenseitigen Spanien, Vibius Serenus, wurde wegen Missbrauchs seiner Amtsgewalt verurteilt und wegen seines grauenhaften Verhaltens auf die Insel Amorgus verbannt. Carsidius Sacerdos, der angeklagt war, er habe den Staatsfeind Tacfarinas mit Getreidelieferungen unterstützt, wurde freigesprochen und von der gleichen Beschuldigung auch C. Gracchus. (3) Diesen hatte noch im Kleinkindalter sein Vater Sempronius als Begleiter ins Exil auf die Insel Cercina mitgenommen. Dort wuchs er unter ausgestoßenen Zeitgenossen auf, die die freien Künste6 nicht kannten, und versuchte sich dann in Africa und Sizilien mit einem armseligen Tauschhandel über Wasser zu halten; dennoch entging er den mit einer hohen Abstammung verbundenen Gefahren nicht. Und wenn Aelius Lamia und L. Apronius, die Africa verwaltet hatten, den unschuldigen Mann nicht in Schutz genommen hätten, dann wäre er wegen der Berühmtheit seines unglücklichen Geschlechts und des Missgeschicks seines Vaters7 aus dem Weg geräumt worden. 14 (1) Auch dieses Jahr brachte Gesandtschaften griechischer Gemeinden: Die Samier baten, für das Heiligtum der Juno, die Koer für das des Äskulap das altehrwürdige Asylrecht zu bestätigen. Die Samier stützten sich auf einen Beschluss der Amphiktyonen, der obersten rechtlichen Instanz auf allen Gebieten zu der Zeit, als die Griechen mit der Gründung von Städten in Asia sich an der Meeresküste festsetzten. (2) Auch die Koer konnten ein ganz ähnlich hohes Alter geltend machen, und dazu kam ihr Verdienst wegen des Ortes. Denn sie hatten die römischen Bürger in den Äskulaptempel geführt, als diese auf Befehl des Königs Mithridates auf allen Inseln und in allen Städten Asias abgeschlachtet wurden.8 (3) Nachdem die Prätoren dann verschiedene, schon öfter vergebliche Beschwerden dazu vorgebracht hatten, beantragte schließlich der Caesar, das unverschämte Benehmen der Schauspieler zu behandeln: Ihre vielen Angriffe auf das öffentliche Leben führten zu Unruhen, die auf Familien seien abscheulich. Das ursprünglich oskische Theaterspiel, das zur seichtesten Volksbelustigung gehöre, sei mit seinen Schändlichkeiten und seinem Einfluss an einem Punkt angelangt, der Gegenmaßnahmen durch die Autorität der Väter erfordere. Daraufhin wurden die Schauspieler aus Italien ausgewiesen. 15 (1) Dasselbe Jahr brachte auch weitere Trauer für den Caesar mit sich durch das Sterben des einen von Drusus’ Zwillingskindern und nicht weniger durch den Tod eines Freundes. Es handelte sich um Lucilius Longus, einen

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omnium illi tristium laetorumque socius unusque e senatoribus Rhodii secessus comes. (2) ita, quamquam novo homini, censorium funus, effigiem apud forum Augusti publica pecunia patres decrevere, apud quos etiam tum cuncta tractabantur, adeo ut procurator Asiae Lucilius Capito accusante provincia causam dixerit, magna cum adseveratione principis, non se ius nisi in servitia et pecunias familiares dedisse; quod si vim praetoris usurpasset manibusque militum usus foret, spreta in eo mandata sua: audirent socios. (3) ita reus cognito negotio damnatur. ob quam ultionem, et quia priore anno in C. Silanum vindicatum erat, decrevere Asiae urbes templum Tiberio matrique eius ac senatui. et permissum statuere; egitque Nero grates ea causa patribus atque avo, laetas inter audientium adfectiones. qui recenti memoria Germanici illum aspici, illum audiri rebantur. aderantque iuveni modestia ac forma principe viro digna, notis in eum Seiani odiis ob periculum gratiora. 16 (1) Sub idem tempus de flamine Diali in locum Servi Maluginensis defuncti legendo, simul roganda nova lege disseruit Caesar. (2) nam patricios confarreatis parentibus genitos tres simul nominari, ex quis unus legeretur, vetusto more; neque adesse, ut olim, eam copiam, omissa confarreandi adsuetudine aut inter paucos retenta (pluresque eius rei causas adferebat, potissimam penes incuriam virorum feminarumque; accedere ipsius caerimoniae difficultates, quae consulto vitarentur), et quoniam exiret e iure patrio, qui id flamonium apisceretur quaeque in manum flaminis conveniret. (3) ita medendum senatus decreto aut lege, sicut Augustus quaedam ex horrida illa antiquitate ad praesentem usum flexisset. igitur tractatis religionibus placitum instituto flaminum nihil demutari; sed lata lex, qua flaminica Dialis sacrorum causa in potestate viri, cetera promisco feminarum iure ageret. (4) et

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Gefährten in allen schlechten und guten Tagen und von den Senatoren den einzigen Begleiter bei seinem Rückzug nach Rhodos. (2) Deshalb beschlossen die Väter, obwohl er ein Neuling war, ein zensorisches Leichenbegängnis9 und die Aufstellung einer Statue auf dem Augustusforum auf Staatskosten. Vor ihnen fanden auch damals noch alle Verfahren statt, und zwar derart weitgehend, dass sich der Prokurator Asias, Lucilius Capito, gegen eine Anklage seiner Provinz verteidigen musste, wobei der Princeps nachdrücklich betonte, er habe ihm nur die Rechtsbefugnis über seine Sklaven und sein Privatvermögen eingeräumt;10 falls er sich jedoch die Amtsgewalt eines Prätors angemaßt und sich militärischer Hilfe bedient habe, habe er damit gegen seine Weisungen verstoßen. Man solle die Bundesgenossen anhören. (3) So wurde der Angeklagte nach Untersuchung des Sachverhalts verurteilt. Wegen dieser Bestrafung und weil man im Jahr zuvor gegen C. Silanus vorgegangen war, beschlossen die Städte Asias einen Tempel für Tiberius, seine Mutter und den Senat. Und man erteilte die Genehmigung. Nero bedankte sich dafür bei den Vätern und seinem Großvater; das führte zu freudigen Reaktionen bei seinen Zuhörern. Diese glaubten in der frischen Erinnerung an Germanicus, ihn zu sehen, ihn zu hören. Dazu verfügte der junge Mann über die einer führenden Persönlichkeit angemessene Zurückhaltung und äußere Erscheinung, die ihn angesichts des bekannten Hasses Sejans wegen der damit verbundenen Gefahr noch beliebter machten. 16 (1) Um dieselbe Zeit sprach der Caesar über die Wahl eines Jupiterpriesters anstelle des verstorbenen Servius Maluginensis und zugleich über ein neu einzubringendes Gesetz. (2) Denn drei Patrizier, die von förmlich verheirateten Eltern11 abstammten, würden zusammen benannt, von denen einer gewählt werde, nach der Väter Sitte; es stehe aber nicht mehr wie früher diese Anzahl zur Verfügung, weil man den Brauch der förmlichen Eheschließung aufgegeben oder nur in wenigen Familien beibehalten habe – dafür trug er mehrere Gründe vor, vor allem die Gleichgültigkeit der Männer und Frauen; dazu kämen die mit der Zeremonie selbst verbundenen Unannehmlichkeiten, die man geflissentlich meide – und weil aus dem Rechtsverhältnis zu seinem Vater ausscheide, wer dieses Priestertum erhalte und wer durch Heirat in die Gewalt des Priesters übergehe. (3) Deshalb müsse man durch Senatsbeschluss oder ein Gesetz Abhilfe schaffen, wie auch schon Augustus einige Bestimmungen aus der bekanntermaßen rauen alten Zeit den Bedürfnissen der Gegenwart angepasst habe. Daher beschloss man nach der Behandlung der religiösen Fragen, an der Satzung der Eigenpriester nichts zu ändern; aber man erließ ein Gesetz, dem zufolge die Ehefrau des Jupiterpriesters in Angelegenheiten des Kults der Rechtsgewalt ihres Mannes unterstehen, in allen übrigen Bereichen aber dem sonst für Frauen geltenden Recht unterliegen solle. (4) Dann wurde

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filius Maluginensis patri suffectus. utque glisceret dignatio sacerdotum atque ipsis promptior animus foret ad capessendas caerimonias, decretum Corneliae virgini, quae in locum Scantiae capiebatur, sestertium vicies et, quotiens Augusta theatrum introisset, ut sedes inter Vestalium consideret. 17 (1) CORNELIO CETHEGO VISELLIO VARRONE consulibus pontifices eorumque exemplo ceteri sacerdotes, cum pro incolumitate principis vota susciperent, Neronem quoque et Drusum isdem dis commendavere, non tam caritate iuvenum quam adulatione, quae moribus corruptis perinde anceps, si nulla et ubi nimia est. (2) nam Tiberius haud umquam domui Germanici mitis, tum vero aequari adulescentes senectae suae impatienter indoluit accitosque pontifices percontatus est, num id precibus Agrippinae aut minis tribuissent. et illi quidem, quamquam abnuerent, modice perstricti (etenim pars magna e propinquis ipsius aut primores civitatis erant); ceterum in senatu oratione monuit in posterum, ne quis mobiles adulescentium animos praematuris honoribus ad superbiam extolleret. (3) instabat quippe Seianus incusabatque diductam civitatem ut civili bello: esse qui se partium Agrippinae vocent, ac ni resistatur, fore plures; neque aliud gliscentis discordiae remedium, quam si unus alterve maxime prompti subverterentur. 18 (1) Qua causa C. Silium et Titium Sabinum adgreditur. amicitia Germanici perniciosa utrique, Silio et quod ingentis exercitus septem per annos moderator partisque apud Germaniam triumphalibus Sacroviriani belli victor, quanto maiore mole procideret, plus formidinis in alios dispergebatur. (2) credebant plerique auctam offensionem ipsius intemperantia, immodice iactantis suum militem in obsequio duravisse, cum alii ad seditiones prolaberentur; neque mansurum Tiberio imperium, si iis quoque legionibus cupido novandi fuisset. (3) destrui per haec fortunam suam Caesar imparemque tanto merito rebatur. nam beneficia eo usque laeta sunt, dum videntur exsolvi posse: ubi multum antevenere, pro gratia odium redditur.

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der Sohn des Maluginensis anstelle seines Vaters eingesetzt. Um das Ansehen der Priester zu heben und sie selbst zu mehr Bereitschaft, die religiösen Verpflichtungen zu übernehmen, zu veranlassen, beschloss man für die Jungfrau Cornelia, die anstelle der Scantia gewonnen wurde, zwei Millionen Sesterze; zudem solle die Augusta (Livia) bei jedem Theaterbesuch auf den Sitzen der Vestalinnen Platz nehmen. 17 (1) Unter den Konsuln CORNELIUS CETHEGUS und VISELLIUS VARRO (24 n. Chr.) empfahlen die Pontifices und nach ihrem Vorbild die übrigen Priester, als sie für das Wohlergehen des Princeps Gelübde darbrachten, auch Nero und Drusus denselben Göttern, nicht so sehr aus Zuneigung zu den jungen Männern als aus Liebedienerei, die nach einem Verfall der Sitten gleichermaßen gefährlich ist, wenn man sie unterlässt und wo sie übertrieben wird. (2) Denn Tiberius war dem Haus des Germanicus nie wohlgesinnt, empfand es damals aber als unerträgliche Kränkung, dass man die jungen Männer mit ihm in seinem Alter auf eine Stufe stellte; er zitierte deshalb die Pontifices und fragte sie, ob sie das den Bitten oder den Drohungen Agrippinas zuliebe getan hätten. Zwar wurden sie, obwohl sie die Frage verneinten, nur leicht gemaßregelt – denn zum Großteil gehörten sie zu seinen Verwandten oder waren die führenden Persönlichkeiten der Bürgerschaft; aber im Senat warnte er in einer Rede für die Zukunft davor, charakterlich noch nicht gefestigte junge Männer mit verfrühten Ehren zum Hochmut zu verleiten. (3) Denn Sejan bedrängte ihn mit der Klage, die Bürgerschaft sei wie in einem Bürgerkrieg gespalten: Es gebe Leute, die sich als Agrippinas Parteigänger bezeichneten, und wenn man nicht einschreite, würden es immer mehr; kein anderes Mittel gegen die um sich greifende Uneinigkeit habe man, als den einen oder anderen besonders entschlossenen Anhänger zu beseitigen. 18 (1) Aus diesem Grund griff er C. Silius und Titius Sabinus an. Die Freundschaft mit Germanicus wurde beiden zum Verhängnis, für Silius auch die Tatsache, dass er sieben Jahre lang Leiter eines sehr großen Heeres und, nachdem er in Germanien die Triumphabzeichen errungen hatte, im Krieg gegen Sacrovir Sieger war; je tiefer sein Sturz war, desto mehr Furcht verbreitete sich unter den anderen. (2) Sehr viele glaubten auch, die Missstimmung gegen ihn sei durch seine Unbeherrschtheit verschärft worden, weil er sich maßlos damit brüstete, seine Soldaten hätten im Gehorsam ausgehalten, als sich andere zu Meutereien hinreißen ließen, und Tiberius wäre nicht an der Herrschaft geblieben, wenn auch diese Legionen Lust auf einen Umsturz gehabt hätten. (3) Durch diese Äußerungen werde seine Stellung untergraben und er sei einem derartigen Verdienst nicht gewachsen, glaubte der Caesar. Denn Gefälligkeiten sind nur so weit willkommen, wie man sie offensichtlich erwidern kann. Sobald sie diese Möglichkeit weit übersteigen, werden sie statt mit Dank mit Hass vergolten.

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19 (1) Erat uxor Silio Sosia Galla, caritate Agrippinae invisa principi. hos corripi dilato ad tempus Sabino placitum, immissusque Varro consul, qui paternas inimicitias obtendens odiis Seiani per dedecus suum gratificabatur. (2) precante reo brevem moram, dum accusator consulatu abiret, adversatus est Caesar: solitum quippe magistratibus diem privatis dicere; nec infringendum consulis ius, cuius vigiliis niteretur, ne quod res publica detrimentum caperet. proprium id Tiberio fuit, scelera nuper reperta priscis verbis obtegere. (3) igitur multa adseveratione, quasi aut legibus cum Silio ageretur aut Varro consul aut illud res publica esset, coguntur patres, silente reo vel, si defensionem coeptaret, non occultante cuius ira premeretur. (4) conscientia belli Sacrovir diu dissimulatus, victoria per avaritiam foedata et uxor socia arguebantur. nec dubie repetundarum criminibus haerebant, sed cuncta quaestione maiestatis exercita, et Silius imminentem damnationem voluntario fine praevertit. 20 (1) Saevitum tamen in bona, non ut stipendiariis pecuniae redderentur, quorum nemo repetebat, sed liberalitas Augusti avulsa, computatis singillatim quae fisco petebantur. ea prima Tiberio erga pecuniam alienam diligentia fuit. Sosia in exilium pellitur Asinii Galli sententia, qui partem bonorum publicandam, pars ut liberis relinqueretur censuerat. (2) contra M. Lepidus quartam accusatoribus secundum necessitudinem legis, cetera liberis concessit. hunc ego Lepidum temporibus illis gravem et sapientem virum fuisse comperior: nam pleraque ab saevis adulationibus aliorum in melius flexit. neque tamen temperamenti egebat, cum aequabili auctoritate et gratia apud Tiberium viguerit. (3) unde dubitare cogor, fato et sorte nascendi, ut cetera, ita principum inclinatio in hos, offensio in illos, an sit aliquid in nostris consiliis liceatque inter abruptam contumaciam et deforme obsequium

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19 (1) Silius hatte Sosia Galla zur Frau, die der Princeps wegen ihrer Freundschaft mit Agrippina nicht ausstehen konnte. Man beschloss, sich auf diese beiden zu stürzen und den Fall des Sabinus vorderhand zu vertagen. Der Konsul Varro wurde auf sie angesetzt, der die Feindschaft mit seinem Vater vorschützte12 und sich den Hassgefühlen Sejans zu seiner eigenen Schande willfährig zeigte. (2) Als der Angeklagte um einen kurzen Aufschub bat, bis der Ankläger den Konsulat niederlege, sprach sich der Caesar dagegen aus: Es sei ja bei Amtsinhabern durchaus üblich, für Privatpersonen einen Termin festzusetzen13, und man dürfe das Recht des Konsuls nicht brechen, dessen Wachsamkeit dafür bürge, dass der Staat keinen Schaden nehme. Tiberius hatte die Eigenart, neu erfundene Verstöße mit altehrwürdigen Formulierungen14 zu verbrämen. (3) Deshalb wurden die Väter mit großem Ernst einberufen, so als ob man den Gesetzen gemäß mit Silius verfahre oder als ob Varro ein Konsul oder dieser Zustand die Republik sei; der Angeklagte aber schwieg oder machte, wenn er zu seiner Verteidigung ansetzte, kein Hehl daraus, unter wessen Zorn er zu leiden habe. (4) Obwohl er von dem Krieg wusste, habe er lange so getan, als kenne er Sacrovir nicht, dazu sei der Sieg aus Habgier entwertet worden und seine Frau sei Teilhaberin gewesen, lauteten die Vorwürfe. Zweifellos blieb an ihnen das Verbrechen der Erpressung hängen, aber das gesamte Verfahren wurde nach dem Majestätsgesetz durchgeführt, und Silius kam der drohenden Verurteilung durch ein freiwilliges Ende zuvor. 20 (1) Dennoch15 zerschlug man sein Vermögen rücksichtslos, nicht um den Tributpflichtigen ihr Geld zurückzugeben, von denen keiner eine Erstattung beantragt hatte, sondern die Zuwendungen des Augustus wurden abgezogen, wobei man im Einzelnen ausrechnete, was man für den Fiskus fordern konnte. Dies war das erste Mal, dass Tiberius Interesse für fremdes Geld zeigte. Sosia wurde auf Antrag des Asinius Gallus ins Exil geschickt, der die Auffassung vertreten hatte, eine Hälfte ihres Vermögens solle man einziehen, die andere ihren Kindern belassen. (2) Dagegen wollte M. Lepidus nach den gesetzlichen Bestimmungen ein Viertel den Anklägern, den Rest den Kindern zugestehen. Dieser Lepidus war, wie ich finde, in jenen Zeiten ein ernst zu nehmender und weiser Mann; denn sehr viele Fälle lenkte er von der schrecklichen Liebedienerei anderer weg in eine bessere Richtung. Dennoch ließ er es auch nicht am richtigen Maß fehlen, obwohl er sich stets gleichbleibender Achtung und Gunst bei Tiberius erfreute. (3) Das zwingt mich daran zu zweifeln, ob vom Schicksal und dem bei der Geburt zugeteilten Los wie alles andere auch die Zuneigung der Principes zu den einen, die Abneigung gegen andere herrührt oder ob es auch auf unsere eigenen Entscheidungen ankommt und es so möglich ist, zwischen schroffer Widerspenstigkeit und widerlicher Unter-

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pergere iter ambitione ac periculis vacuum. (4) at Messalinus Cotta haud minus claris maioribus, sed animo diversus, censuit cavendum senatus consulto, ut quamquam insontes magistratus et culpae alienae nescii provincialibus uxorum criminibus proinde quam suis plecterentur. 21 (1) Actum dehinc de Calpurnio Pisone, nobili ac feroci viro. is namque, ut rettuli, cessurum se urbe ob factiones accusatorum in senatu clamitaverat et spreta potentia Augustae trahere in ius Urgulaniam domoque principis excire ausus erat. quae in praesens Tiberius civiliter habuit; sed in animo revolvente iras, etiam si impetus offensionis languerat, memoria valebat. (2) Pisonem Q. Granius secreti sermonis incusavit adversum maiestatem habiti, adiecitque in domo eius venenum esse eumque gladio accinctum introire curiam. quod ut atrocius vero tramissum; ceterorum, quae multa cumulabantur, receptus est reus neque peractus ob mortem opportunam. (3) Relatum et de Cassio Severo exule, qui sordidae originis, maleficae vitae, sed orandi validus, per immodicas inimicitias ut iudicio iurati senatus Cretam amoveretur effecerat; atque illic eadem actitando recentia veteraque odia advertit, bonisque exutus, interdicto igni atque aqua, saxo Seripho consenuit. 22 (1) Per idem tempus Plautius Silvanus praetor incertis causis Aproniam coniugem in praeceps iecit, tractusque ad Caesarem ab L. Apronio socero turbata mente respondit, tamquam ipse somno gravis atque eo ignarus, et uxor sponte mortem sumpsisset. (2) non cunctanter Tiberius pergit in domum, visit cubiculum, in quo reluctantis et impulsae vestigia cernebantur. refert ad senatum, datisque iudicibus Urgulania, Silvani avia, pugionem nepoti misit. quod perinde creditum quasi principis monitu, ob amicitiam Augustae cum Urgulania.

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würfigkeit einen Weg zu gehen, der von Anbiederung und Gefahren frei ist. (4) Doch Messalinus Cotta, der nicht weniger berühmte Vorfahren, aber eine ganz andere Einstellung hatte, stellte den Antrag, durch Senatsbeschluss dafür zu sorgen, dass Amtsinhaber, die persönlich zwar unschuldig seien und von keiner fremden Verfehlung wüssten, für Verbrechen ihrer Ehefrauen in den Provinzen genauso bestraft würden wie für ihre eigenen. 21 (1) Dann behandelte man den Fall des Calpurnius Piso, eines widerspenstigen vornehmen Mannes. Der hatte nämlich, wie berichtet,16 im Senat laut verkündet, er werde wegen der Parteilichkeit der Ankläger die Hauptstadt verlassen, und hatte sich getraut, unter Missachtung der Machtposition der Augusta (Livia) Urgulania vor Gericht zu ziehen und aus dem Haus des Princeps heraus vorzuladen. Diesem Verhalten begegnete Tiberius vorderhand bürgernah; doch in seinem Inneren ließ er den Groll immer wieder aufleben und hielt die Erinnerung daran lebendig, auch wenn sich die erste Erregung über die Kränkung gelegt hatte. (2) Den Piso klagte Q. Granius an, er habe sich im privaten Kreis abfällig über die Majestät des Princeps geäußert, und ergänzte, in seinem Haus gebe es Gift und er gehe mit einem Schwert umgürtet in die Kurie. Diesen Vorwurf ließ man fallen, da er zu ungeheuerlich war, als dass er wahr sein konnte; für die übrigen Beschuldigungen, die sich in großer Zahl häuften, wurde er als Angeklagter vorgeladen, aber es kam zu keinem Prozess, weil er rechtzeitig starb. (3) Behandelt wurde auch der Fall des verbannten Cassius Severus. Dieser Mann stammte aus armseligsten Verhältnissen und führte ein liederliches Leben, war aber ein erfolgreicher Redner. Durch maßlose Feindschaften hatte er es fertiggebracht, aufgrund eines Urteils des vereidigten Senats nach Kreta ausgewiesen zu werden. Dort verhielt er sich aber genauso und zog sich zu den alten neue Hassgefühle zu; und so wurde er, nachdem ihm sein Vermögen entzogen und Feuer und Wasser untersagt worden waren, auf der Felseninsel Seriphos ein alter Mann. 22 (1) Zur gleichen Zeit stürzte der Prätor Plautius Silvanus aus unbekannten Gründen seine Gattin Apronia kopfüber in die Tiefe. Als er von seinem Schwiegervater L. Apronius vor den Caesar geschleppt wurde, antwortete er ganz verwirrt, er habe tief geschlafen und deshalb nichts mitbekommen, und seine Frau habe aus eigenem Entschluss den Tod gewählt. (2) Unverzüglich eilte Tiberius in das Haus und besichtigte das Schlafzimmer, in dem Spuren dafür zu sehen waren, dass sie sich gewehrt hatte und niedergeschlagen worden war. Er berichtete darüber vor dem Senat, und als Richter benannt worden waren, schickte Urgulania, Silvanus’ Großmutter, ihrem Enkel einen Dolch. Das fasste man genauso auf, als sei es auf einen Wink des Princeps hin geschehen wegen der Freundschaft der Augusta (Livia) mit Urgulania.

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(3) reus frustra temptato ferro venas praebuit exsolvendas. mox Numantina, prior uxor eius, accusata iniecisse carminibus et veneficiis vaecordiam marito, insons iudicatur. 23 (1) Is demum annus populum Romanum longo adversum Numidam Tacfarinatem bello absolvit. nam priores duces, ub impetrando triumphalium insigni sufficere res suas crediderant, hostem omittebant; iamque tres laureatae in urbe statuae, et adhuc raptabat Africam Tacfarinas, auctus Maurorum auxiliis, qui, Ptolemaeo Iubae filio iuventa incurioso, libertos regios et servilia imperia bello mutaverant. (2) erat illi praedarum receptor ac socius populandi rex Garamantum, non ut cum exercitu incederet, sed missis levibus copiis, quae ex longinquo in maius audiebantur; ipsaque e provincia ut quis fortunae inops, moribus turbidus, promptius ruebant, quia Caesar post res a Blaeso gestas, quasi nullis iam in Africa hostibus, reportari nonam legionem iusserat, nec pro consule eius anni P. Dolabella retinere ausus erat, iussa principis magis quam incerta belli metuens. 24 (1) Igitur Tacfarinas disperso rumore rem Romanam aliis quoque ab nationibus lacerari eoque paulatim Africa decedere, ac posse reliquos circumveniri, si cuncti, quibus libertas servitio potior, incubuissent, auget vires positisque castris Thubuscum oppidum circumsidet. (2) at Dolabella contracto quod erat militum, terrore nominis Romani et quia Numidae peditum aciem ferre nequeunt, primo sui incessu solvit obsidium locorumque opportuna permunivit; simul principes Musulamiorum defectionem coeptantes securi percutit. (3) dein, quia pluribus adversum Tacfarinatem expeditionibus cognitum non gravi nec uno incursu consectandum hostem vagum, excito cum popularibus rege Ptolemaeo quattuor agmina parat, quae legatis aut tribunis data; et praedatorias manus delecti Maurorum duxere; ipse consultor aderat omnibus. 25 (1) Nec multo post adfertur Numidas apud castellum semirutum, ab ipsis quondam incensum, cui nomen Auzea, positis mapalibus consedisse,

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(3) Der Angeklagte versuchte vergeblich, die Waffe anzuwenden, und ließ sich dann die Adern öffnen. Anschließend wurde Numantina, seine frühere Frau, angeklagt, sie habe mit Zaubersprüchen und Giftmischerei ihren Mann in den Wahnsinn getrieben, und für unschuldig befunden. 23 (1) Dieses Jahr erlöste endlich das römische Volk von dem langen Krieg gegen den Numider Tacfarinas. Denn die früheren Kommandeure ließen, sobald sie zu der Überzeugung gekommen waren, ihre Leistungen reichten für die Verleihung der Triumphabzeichen aus, den Feind in Ruhe. Schon standen drei lorbeerbekränzte Statuen in der Hauptstadt, und immer noch raubte Tacfarinas Africa aus, verstärkt durch Hilfstruppen der Mauren, die, weil sich Jubas Sohn Ptolemaeus wegen seiner Jugend um nichts kümmerte, das Sklavenregiment der Freigelassenen des Königs mit dem Krieg vertauscht hatten. (2) Er hatte als Abnehmer der Beute und Genossen beim Plündern den Garamantenkönig, zwar nicht so, dass dieser mit einem Heer ausgerückt wäre, sondern durch die Entsendung leichter Truppen, die für stärker gehalten wurden, weil man von ihnen nur aus der Entfernung hörte. Aus der Provinz selbst strömten alle Hungerleider und Abenteurer besonders bereitwillig herbei, weil der Caesar nach den Erfolgen des Blaesus, so als ob es in Africa schon keine Feinde mehr gebe, die neunte Legion hatte zurücktransportieren lassen und der Prokonsul dieses Jahres P. Dolabella sich nicht getraut hatte, sie zurückzuhalten, mehr aus Furcht vor den Befehlen des Princeps als vor den Unwägbarkeiten des Kriegs. 24 (1) Deshalb ließ Tacfarinas das Gerücht verbreiten, dem Römischen Reich würden auch von anderen Völkern tiefe Wunden geschlagen, und man ziehe deshalb nach und nach aus Africa ab. Die zurückbleibenden Truppen könnten überwältigt werden, wenn sich alle, denen die Freiheit lieber sei als die Knechtschaft, auf sie stürzten. Er verstärkte seine Streitkräfte, schlug ein Lager und schloss die Stadt Thubursicum ein. (2) Doch Dolabella zog alles, was an Soldaten noch da war, zusammen, sprengte wegen des Schreckens vor dem Namen Römer und weil die Numider einem Heer von Infanteristen nicht standhalten können, gleich beim ersten Anmarsch die Belagerung und legte Befestigungen an günstig gelegenen Punkten im Gelände an; zudem ließ er die führenden Männer der Musulamier, die abzufallen begannen, mit dem Beil hinrichten. (3) Anschließend bot er, weil man in mehreren Kampagnen gegen Tacfarinas die Erfahrung gemacht hatte, man dürfe dem leicht beweglichen Feind nicht mit einem einzigen schweren Angriff nachsetzen, König Ptolemaeus mit seinem Volk auf und bildete vier Heereskolonnen, die er Legaten oder Tribunen unterstellte. Zum Plündern bestimmte Scharen führten ausgewählte Mauren. Er selbst stand allen als Planer zur Seite. 25 (1) Nicht viel später wurde gemeldet, die Numider hätten bei einem halb zerstörten Kastell, das sie selbst einst niedergebrannt hatten, mit Namen

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fisos loco, quia vastis circum saltibus claudebatur. tum expeditae cohortes alaeque, quam in partem ducerentur ignarae, cito agmine rapiuntur. (2) simulque coeptus dies et concentu tubarum ac truci clamore aderant semisomnos in barbaros, praepeditis Numidarum equis aut diversos pastus pererrantibus. ab Romanis confertus pedes, dispositae turmae, cuncta proelio provisa: hostibus contra omnium nesciis non arma, non ordo, non consilium, sed pecorum modo trahi occidi capi. (3) infensus miles memoria laborum et adversum eludentes optatae totiens pugnae se quis ultione et sanguine explebant. differtur per manipulos, Tacfarinatem omnes, notum tot proeliis, consectentur: non nisi duce interfecto requiem belli fore. at ille deiectis circum stipatoribus vinctoque iam filio et effusis undique Romanis ruendo in tela captivitatem haud inulta morte effugit. isque finis armis impositus. 26 (1) Dolabellae petenti abnuit triumphalia Tiberius, Seiano tribuens, ne Blaesi avunculi eius laus obsolesceret. sed neque Blaesus ideo inlustrior, et huic negatus honor gloriam intendit: quippe minore exercitu insignes captivos, caedem ducis bellique confecti famam deportarat. (2) sequebantur et Garamantum legati, raro in urbe visi, quos Tacfarinate caeso perculsa gens ed culpae nescia ad satis faciendum populo Romano miserat. cognitis dehinc Ptolemaei per id bellum studiis repetitus ex vetusto more missusque e senatoribus, qui scipionem eburnum, togam pictam, antiqua patrum munera, daret regemque et socium atque amicum appellaret. 27 (1) Eadem aestate mota per Italiam servilis belli semina fors oppressit. auctor tumultus T. Curtisius, quondam praetoriae cohortis miles, primo coetibus

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Auzea, ihre Zelte aufgeschlagen und lagerten dort im Vertrauen auf das Gelände, weil es ringsum von tiefen Bergwäldern eingeschlossen wurde. Da stellte man schleunigst Kohorten ohne Gepäck und Kavallerieabteilungen, die nicht wussten, in welche Richtung sie geführt wurden, zu einer schnellen Einheit zusammen. (2) Und so fielen sie bei Tagesanbruch mit Trompetengeschmetter und wildem Geschrei über die schlaftrunkenen Barbaren her; dabei waren die Pferde der Numider noch angekoppelt oder liefen auf abgelegenen Weideplätzen durcheinander. Von den Römern waren die Infanterie in geschlossener Formation aufgestellt, die Kavallerieschwadronen planmäßig verteilt und alle Vorbereitungen für das Gefecht getroffen worden; dagegen hatten die völlig ahnungslosen Feinde keine Waffen, keine Ordnung, keine Führung, sondern wurden wie Vieh fortgeschleppt, umgebracht, gefangen genommen. (3) Die Soldaten stillten, erbittert durch die Erinnerung an die Strapazen und an die so oft herbeigesehnte Schlacht gegen die Feinde, die ihr ausgewichen waren, einer wie der andere ihren Rache- und Blutdurst. In den Manipeln ließ man verbreiten, auf Tacfarinas, den man ja aus so vielen Gefechten kenne, sollten alle losgehen. Nur wenn der Anführer tot sei, habe man Ruhe vor dem Krieg. Doch der stürzte sich, nachdem seine Leibwächter um ihn herum erschlagen, sein Sohn schon gefesselt war und die Römer von allen Seiten auf ihn einströmten, in den Geschosshagel und entging der Gefangennahme durch einen Tod, der nicht ohne Verluste bei seinen Gegnern abging. So wurde dem Krieg ein Ende gesetzt. 26 (1) Der Bitte Dolabellas um Verleihung der Triumphabzeichen entsprach Tiberius nicht; das tat er für Sejan, damit der Ruhm von dessen Onkel Blaesus nicht geschmälert werde. Aber auf der einen Seite wurde Blaesus dadurch nicht bekannter, auf der anderen hob die verweigerte Ehrung Dolabellas Ansehen: Hatte er doch mit einem kleineren Heer Gefangene von hohem Rang, den Tod des Anführers und den Ruhm, den Krieg beendet zu haben, mit nach Hause gebracht. (2) Danach kamen auch Gesandte der Garamanten, ein seltener Anblick in der Hauptstadt, die der durch den Tod des Tacfarinas erschütterte Stamm, der sich aber keiner Schuld bewusst war, geschickt hatte, um dem römischen Volk Abbitte zu leisten. Als man dann von dem unermüdlichen Einsatz des Ptolemaeus in diesem Krieg erfahren hatte, ließ man nach altem Brauch eine Ehrung wieder aufleben und schickte einen von den Senatoren, der ihm ein Elfenbeinszepter und eine bestickte Toga, althergebrachte Geschenke der Väter, überreichen und ihn als König, Bundesgenossen und Freund ansprechen sollte. 27 (1) Im gleichen Sommer ließ der Zufall die Saat eines Sklavenkriegs nicht aufgehen, die in Italien ausgestreut war. Der Auslöser der Unruhen, T. Curtisius, zuvor Soldat einer Prätorianerkohorte, rief zuerst bei geheimen

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clandestinis apud Brundisium et circumiecta oppida, mox positis propalam libellis ad libertatem vocabat agrestia per longinquos saltus et ferocia servitia, cum velut munere deum tres biremes adpulere ad usus commeantium illo mari. (2) et erat isdem regionibus Cutius Lupus quaestor, cui provincia vetere ex more calles evenerat. is disposita classiariorum copia coeptantem cum maxime coniurationem disiecit. missusque a Caesare propere Staius tribunus cum valida manu ducem ipsum et proximos audacia in urbem traxit, iam trepidam ob multitudinem familiarum, quae gliscebat immensum, minore in dies plebe ingenua. 28 (1) Isdem consulibus, miseriarum ac saevitiae exemplum atrox, reus pater accusator filius (nomen utrique Vibius Serenus) in senatum inducti sunt. ab exilio retractus inluvieque ac squalore obsitus et tum catena vinctus peroranti filio pater paratur. (2) adulescens multis munditiis, alacri vultu, structas principi insidias, missos in Galliam concitores belli index idem et testis dicebat, adnectebatque Caecilium Cornutum praetorium ministravisse pecuniam; qui taedio curarum et quia periculum pro exitio habebatur, mortem in se festinavit. (3) at contra reus nihil infracto animo obversus in filium quatere vincla, vocare ultores deos, ut sibi quidem redderent exilium, ubi procul tali more ageret, filium autem quandoque supplicia sequerentur. adseverabatque innocentem Cornutum et falso exterritum; idque facile intellectu, si proderentur alii: non enim se caedem principis et res novas uno socio cogitasse. 29 (1) Tum accusator Cn. Lentulum et Seium Tuberonem nominat, magno pudore Caesaris, cum primores civitatis, intimi ipsius amici, Lentulus senectutis extremae, Tubero defecto corpore, tumultus hostilis et turbandae rei publicae accerserentur. sed hi quidem statim exempti: in patrem ex servis quaesitum, et quaestio adversa accusatori fuit. (2) qui scelere vaecors, simul vulgi rumore

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Zusammenkünften in Brundisium und den umliegenden Städten, dann mit offen angeschlagenen Bekanntmachungen die in den abgelegenen Waldgebieten dienenden wilden Sklaven auf dem Lande zum Freiheitskampf auf. Da liefen wie durch ein Geschenk der Götter drei Zweiruderer ein, die den Reisenden auf diesem Meer zur Verfügung standen. (2) Auch hielt sich in der gleichen Gegend der Quästor Cutius Lupus auf, dem als Aufgabengebiet nach altem Brauch die Gebirgstriften zugefallen waren. Dieser stellte aus Marinesoldaten eine Truppe zusammen und sprengte so die gerade erst beginnende Verschwörung. Der vom Caesar eiligst mit einer schlagkräftigen Einheit geschickte Tribun Staius schleppte den Anführer selbst und seine verwegensten Gefährten in die Hauptstadt, die schon in Unruhe war wegen der großen Zahl von Haussklaven, die ins Unermessliche wuchs, während die frei geborene Bevölkerung von Tag zu Tag abnahm. 28 (1) Unter den gleichen Konsuln kam es zu einem grauenhaften Beleg für Elend und Verrohung: Als Angeklagter wurde ein Vater und als Ankläger sein Sohn – beide hießen Vibius Serenus – in den Senat geführt. Aus der Verbannung zurückgeholt, mit Dreck und Schmutz bedeckt und auch jetzt noch mit einer Kette gefesselt, wurde dem die Anklage vertretenden Sohn sein Vater gegenübergestellt. (2) Der junge Mann, ein eleganter Geck mit fröhlicher Miene, sagte als Informant und Zeuge in einer Person, ein Anschlag auf den Princeps sei geplant gewesen, und man habe nach Gallien Kriegshetzer geschickt; zusätzlich gab er an, der ehemalige Prätor Caecilius Cornutus habe das Geld beschafft. Weil dieser seiner Sorgen überdrüssig wurde und man schon in der Anklage den Untergang sehen konnte, gab er sich schleunigst den Tod. (3) Doch im Gegensatz dazu ging der Angeklagte ungebrochenen Muts auf seinen Sohn los, klirrte mit den Ketten, rief die Rachegötter an, sie sollten ihm doch die Verbannung wieder geben, wo er weitab von einem solchen Benehmen leben könne, seinen Sohn aber sollten über kurz oder lang die schlimmsten Strafen treffen. Er beteuerte, Cornutus sei unschuldig und grundlos in Panik geraten. Das könne man leicht erkennen, wenn noch andere Namen genannt würden: Er habe doch nicht die Ermordung des Princeps und einen Staatsstreich mit einem einzigen Komplizen geplant! 29 (1) Daraufhin nannte der Ankläger Cn. Lentulus und Seius Tubero, sehr zur Beschämung des Caesars, weil die führenden Männer im Staat, seine engsten Freunde, Lentulus hochbetagt, Tubero gebrechlich, der Aufwiegelung des Feinds und der Unruhestiftung im Staat bezichtigt wurden. Aber wenigstens sie wurden sofort von der Anklage ausgenommen. Gegen den Vater wurde mithilfe seiner Sklaven ermittelt, und die Untersuchung ging ungünstig für den Ankläger aus. (2) Der verlor angesichts seines Verbrechens den Kopf, wurde zugleich durch das Gerede im Volk in Angst und Schrecken versetzt, weil

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territus, robur et saxum aut parricidarum poenas minitantium, cessit urbe. ac retractus Ravenna exsequi accusationem adigitur, non occultante Tiberio vetus odium adversum exulem Serenum. (3) nam post damnatum Libonem missis ad Caesarem litteris exprobraverat suum tantum studium sine fructu fuisse, addideratque quaedam contumacius quam tutum apud aures superbas et offensioni proniores. ea Caesar octo post annos rettulit, medium tempus varie arguens, etiam si tormenta pervicacia servorum contra evenissent. 30 (1) Dictis dein sententiis ut Serenus more maiorum puniretur, quo molliret invidiam, intercessit. Gallus Asinius Gyaro aut Donusa claudendum censeret, id quoque aspernatus est, egenam aquae utramque insulam referens dandosque vitae usus, cui vita concederetur. ita Serenus Amorgum reportatur. (2) et quia Cornutus sua manu ceciderat, actum de praemiis accusatorum abolendis, si quis maiestatis postulatus ante perfectum iudicium se ipse vita privavisset. ibaturque in eam sententiam, ni durius contraque morem suum palam pro accusatoribus Caesar inritas leges, rem publicam in praecipiti conquestus esset: subverterent potius iura quam custodes eorum amoverent. (3) sic delatores, genus hominum publico exitio repertum et poenis quidem umquam satis coercitum, per praemia eliciebantur. 31 (1) His tam adsiduis tamque maestis modica laetitia intericitur, quod C. Cominium equitem Romanum, probrosi in se carminis convictum, Caesar precibus fratris qui senator erat concessit. (2) quo magis mirum habebatur gnarum meliorum, et quae fama clementiam sequeretur, tristiora malle. neque enim socordia peccabat; nec occultum est, quando ex veritate, quando adumbrata laetitia facta imperatorum celebrentur. quin ipse, compositus alias et velut eluctantium verborum, solutius promptiusque eloquebatur, quotiens subveniret. (3) at P. Suillium, quaestorem quondam Germanici, cum Italia

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man ihm den Kerker, den Sturz vom Felsen und die Strafen für Vatermörder17 androhte, und verschwand aus der Hauptstadt. Man holte ihn aus Ravenna zurück und zwang ihn, die Anklage weiter zu betreiben, wobei Tiberius seinen alten Hass gegen den Verbannten Serenus nicht verhehlte. (3) Denn nach der Verurteilung Libos18 hatte er sich in einem Brief an den Caesar darüber beschwert, allein sein Einsatz sei ohne Belohnung geblieben, und einige Bemerkungen angefügt, die für hochmütige und leicht beleidigte Ohren aufmüpfiger klangen, als dass sie ungefährlich gewesen wären. Die brachte der Caesar nach acht Jahren wieder zur Sprache, wobei er für die Zwischenzeit verschiedene Beschuldigungen erhob, auch wenn die Folterungen wegen der Unbeugsamkeit der Sklaven zum gegenteiligen Ergebnis geführt hatten. 30 (1) Als hierauf die Abstimmung ergab, Serenus solle dem Brauch der Vorfahren entsprechend19 bestraft werden, schritt er ein, um das gehässige Urteil abzumildern. Als Gallus Asinius beantragte, ihn auf Gyarus oder Donusa wegzusperren, lehnte er auch das ab, wobei er darauf hinwies, beide Inseln seien wasserarm und man müsse jemandem, dem man das Leben lasse, auch die zum Leben notwendigen Güter zur Verfügung stellen. Deshalb wurde Serenus nach Amorgus zurückgebracht. (2) Und weil Cornutus von eigener Hand umgekommen war, beriet man darüber, die Belohnungen für die Ankläger abzuschaffen, falls sich jemand nach einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung vor dem Abschluss des Verfahrens selbst das Leben genommen habe. Man hätte sich diesem Antrag angeschlossen, wenn sich der Caesar nicht ungewöhnlich deutlich und gegen seine Art öffentlich zugunsten der Ankläger darüber beklagt hätte, die Gesetze würden nicht beachtet und der Staat stehe am Abgrund: Sie sollten eher das Recht ganz aufheben als seine Hüter beseitigen. (3) So wurden die Denunzianten, ein Menschenschlag, den man zur Vernichtung des Gemeinwesens erfunden hat und der nicht einmal durch Strafen je hinreichend in Schranken gewiesen wurde, durch Belohnungen noch angelockt. 31 (1) Diese so lange Reihe derart trauriger Ereignisse wurde durch eine unbedeutende erfreuliche Begebenheit unterbrochen, weil der Caesar den römischen Ritter C. Cominius, der der Abfassung eines gegen ihn gerichteten Spottgedichts überführt worden war, aufgrund der Bitten seines Bruders begnadigte, der Senator war. (2) Umso seltsamer berührte es, dass er, obwohl er die besseren Verhaltensweisen kannte und wusste, welch guten Ruf Milde nach sich zog, die härteren vorzog. Er machte ja nicht aus Fahrlässigkeit Fehler, und es bleibt auch nicht verborgen, wenn die Taten der Oberbefehlshaber der Wahrheit entsprechend und wenn sie nur mit scheinbarer Freude gefeiert werden. Er selbst, sonst gemessen im Vortrag und gleichsam nach Worten ringend, sprach ja gelöster und engagierter, wenn er zu Hilfe kommen wollte. (3) Doch als P. Suillius, der einstige Quästor des Germanicus, von

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arceretur convictus pecuniam ob rem iudicandam cepisse, amovendum in insulam censuit, tanta contentione animi, ut e iurando obstringeret e re publica id esse. quod aspere acceptum ad praesens mox in laudem vertit regresso Suillio; quem vidit sequens aetas praepotentem, venalem et Claudii principis amicitia diu prospere, numquam bene usum. (4) eadem poena in Catum Firmium senatorem statuitur, tamquam falsis maiestatis criminibus sororem petivisset. Catus, ut rettuli, Libonem inlexerat insidiis, deinde indicio perculerat. eius operae memor Tiberius, sed alia praetendens, exilium deprecatus est: quo minus senatu pelleretur non obstitit. 32 (1) Pleraque eorum quae rettuli quaeque referam parva forsitan et levia memoratu videri non nescius sum: sed nemo annales nostros cum scriptura eorum contenderit, qui veteres populi Romani res composuere. ingentia illi bella, expugnationes urbium, fusos captosque reges aut, si quando ad interna praeverterent, discordias consulum adversum tribunos, agrarias frumentariasque leges, plebis et optimatium certamina libero egressu memorabant: (2) nobis in arto et inglorius labor; immota quippe aut modice lacessita pax, maestae urbis res, et princeps proferendi imperi incuriosus erat. non tamen sine usu fuerit introspicere illa primo aspectu levia, ex quis magnarum saepe rerum motus oriuntur. 33 (1) Nam cunctas nationes et urbes populus aut primores aut singuli regunt: delecta ex iis et conflata rei publicae forma laudari facilius quam evenire, vel, si evenit, haud diuturna esse potest. (2) igitur ut olim, plebe valida vel cum patres pollerent, noscenda vulgi natura et quibus modis temperanter haberetur, senatusque et optimatium ingenia qui maxime perdidicerant, callidi temporum et sapientes credebantur, sic converso statu neque alia rerum quam, si

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Italien ferngehalten werden sollte, weil er überführt worden war, Geld für eine Entscheidung als Richter genommen zu haben, stellte er den Antrag, ihn auf eine Insel zu verweisen, und das mit solchem Nachdruck, dass er eidlich versicherte, es liege im Interesse des Staates. Das nahm man im Augenblick nur ungern zur Kenntnis, später schlug es ihm aber zum Lob aus, als Suillius zurückgekommen war; ihn erlebte nämlich die Folgezeit als einen übermächtigen, käuflichen Mann, der die Freundschaft des Princeps Claudius lange erfolgreich, nie aber zum Guten ausnützte. (4) Die gleiche Strafe sprach man gegen den Senator Catus Firmius aus, da er mit falschen Vorwürfen der Majestätsbeleidigung seine Schwester überzogen habe. Catus hatte, wie berichtet,20 Libo heimtückisch eine Falle gestellt und ihn dann durch eine Anzeige zugrunde gerichtet. An diesen Dienst erinnerte sich Tiberius, schützte aber andere Gründe vor, als er bat, von einer Verbannung abzusehen; dem Ausschluss aus dem Senat widersetzte er sich nicht. 32 (1) Viele Ereignisse, über die ich berichtet habe und über die ich noch berichten werde, erscheinen vielleicht unbedeutend und nicht erwähnenswert; dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Aber niemand sollte meine Annalen mit den Schriften der Autoren vergleichen, die die alte Geschichte des römischen Volkes beschrieben haben. Sie konnten gewaltige Kriege, Eroberungen von Städten, die Besiegung und Gefangennahme von Königen oder, wenn sie sich einmal lieber innenpolitischen Vorgängen zuwandten, Auseinandersetzungen der Konsuln mit den Tribunen, Acker- und Getreidegesetze, die Kämpfe des Volks und der Optimaten in freier Ausführung ihrer Gedanken bieten. (2) Für mich dagegen ist die Arbeit eingeengt und bringt keinen Ruhm; ungestört oder kaum infrage gestellt war ja der Friede, beklagenswert die Verhältnisse in der Hauptstadt, und der Princeps kümmerte sich nicht um die Erweiterung des Reichs. Dennoch dürfte es nicht nutzlos sein, jene Vorgänge, die auf den ersten Blick belanglos erscheinen mögen, näher anzusehen; aus ihnen entstehen ja oft Anstöße zu bedeutenden Ereignissen. 33 (1) Denn alle Völker und Städte regiert das Volk oder die führenden Männer oder Einzelpersonen. Eine Staatsform, die eine Auswahl und Verschmelzung davon darstellt, kann man leichter loben als verwirklichen, oder falls sie verwirklicht wird, kann sie nicht von Dauer sein. (2) Wie man daher einst, als das Volk an der Macht war oder die Väter über den größten Einfluss verfügten, das Wesen des einfachen Volks ergründen und herausbringen musste, auf welche Weise man auf es mäßigend einwirken könne, und die Personen, die sich mit der Denkweise des Senats und der Optimaten am gründlichsten vertraut gemacht hatten, als Kenner der Zeitläufte und als kluge Männer ansah, so dürfte es jetzt, nachdem sich die Situation grundlegend geändert hat und es keine andere Rettung für den Staat gibt, als wenn ein Mann allein regiert, diese

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unus imperitet, haec conquiri tradique in rem fuerit, quia pauci prudentia honesta ab deterioribus, utilia ab noxiis discernunt, plures aliorum eventis docentur. (3) ceterum ut profutura, ita minimum oblectationis adferunt. nam situs gentium, varietates proeliorum, clari ducum exitus retinent ac redintegrant legentium animum: nos saeva iussa, continuas accusationes, fallaces amicitias, perniciem innocentium et easdem exitii causas coniungimus, obvia rerum similitudine et satietate. (4) tum quod antiquis scriptoribus rarus obtrectator, neque refert cuiusquam Punicas Romanasve acies laetius extuleris: at multorum, qui Tiberio regente poenam vel infamias subiere, posteri manent, utque familiae ipsae iam exstinctae sint, reperies qui ob similitudinem morum aliena malefacta sibi obiectari putent. etiam gloria ac virtus infensos habet, ut nimis ex propinquo diversa arguens. sed inceptum redeo. 34 (1) CORNELIO COSSO ASINIO AGRIPPA consulibus Cremutius Cordus postulatur, novo ac tunc primum audito crimine, quod editis annalibus laudatoque M. Bruto C. Cassium Romanorum ultimum dixisset. accusabant Satrius Secundus et Pinarius Natta, Seiani clientes. (2) id perniciabile reo et Caesar truci vultu defensionem accipiens, quam Cremutius, relinquendae vitae certus, in hunc modum exorsus est: ‘verba mea, patres conscripti, arguuntur: adeo factorum innocens sum. sed neque haec in principem aut principis parentem, quos lex maiestatis amplectitur: Brutum et Cassium laudavisse dicor, quorum res gestas cum plurimi composuerint, nemo sine honore memoravit. (3) Titus Livius, eloquentiae ac fidei praeclarus in primis, Cn. Pompeium tantis laudibus tulit, ut Pompeianum eum Augustus appellaret; neque id amicitiae eorum offecit. Scipionem, Afranium, hunc ipsum Cassium, hunc Brutum nusquam latrones et parricidas, quae nunc vocabula imponuntur, saepe ut insigne viros nominat. (4) Asinii Pollionis scripta egregiam eorundem memoriam tradunt;

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Vorgänge aufzuspüren und zu überliefern angebracht sein, weil nur wenige Personen mit ihrer Klugheit das sittlich Gute vom Schlechteren, das Nützliche vom Schädlichen zu unterscheiden vermögen, die Mehrzahl sich aber von den Erfahrungen anderer belehren lässt. (3) Indes, so nützlich diese Gegenstände auch sind, sie bieten nur ganz wenig Unterhaltung. Denn die geografische Lage von Völkern, die unterschiedlichen Verläufe von Gefechten und das ruhmvolle Ende von Kommandeuren fesseln die Leser und erwecken immer wieder ihr Interesse. Ich dagegen reihe grausame Befehle, unaufhörliche Anklagen, geheuchelte Freundschaften, das Unglück unschuldiger Personen und immer dieselben Gründe für ihren Untergang aneinander, wobei ich mich mit der Ähnlichkeit der Fälle bis zum Überdruss konfrontiert sehe. (4) Des Weiteren ist es eine Tatsache, dass die alten Geschichtsschreiber nur selten missgünstige Kritiker finden, und es interessiert niemanden, ob man die punischen oder römischen Heere begeisterter gepriesen hat. Doch von vielen Personen, die unter der Herrschaft des Tiberius Bestrafung oder Entehrung erlitten, leben noch Nachkommen, und selbst wenn die Familien selbst schon ausgestorben sind, finden sich Leute, die wegen ihres vergleichbaren Verhaltens glauben, fremde Schandtaten würden ihnen vorgeworfen. Sogar Ruhm und Tüchtigkeit haben Feinde, als kritisierten sie bei zu geringem zeitlichem Abstand die ihnen entgegengesetzten Verhaltensweisen. Doch nun kehre ich zu meinem Vorhaben zurück. 34 (1) Unter den Konsuln CORNELIUS COSSUS und ASINIUS AGRIPPA (25 n. Chr.) wurde Cremutius Cordus der Prozess gemacht aufgrund eines neuen und damals zum ersten Mal gehörten Vorwurfs, er habe Annalen veröffentlicht, M. Brutus gelobt und dann auch noch C. Cassius den letzten Römer genannt. Als Ankläger traten Satrius Secundus und Pinarius Natta auf, Klienten Sejans. (2) Das war für den Angeklagten verhängnisvoll, und der Caesar hörte sich mit finsterer Miene seine Verteidigung an, die Cremutius, fest entschlossen, sich das Leben zu nehmen, folgendermaßen begann: „Meine Worte, versammelte Väter, wirft man mir vor; sowenig habe ich mir Taten zuschulden kommen lassen. Aber selbst sie richteten sich nicht gegen den Princeps oder den Vater des Princeps, die das Majestätsgesetz umfasst: Brutus und Cassius habe ich gelobt, sagt man, deren Geschichte schon sehr viele geschrieben haben, ohne dass einer ohne Hochachtung von ihnen gesprochen hätte. (3) Titus Livius, durch seine Beredsamkeit und Zuverlässigkeit berühmt wie kein Zweiter, hat Cn. Pompeius mit derartigem Lob bedacht, dass Augustus ihn einen Pompejaner nannte. Aber das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Scipio, Afranius, gerade diesen Cassius, diesen Brutus nennt er an keiner Stelle Räuber und Vatermörder, Bezeichnungen, die man ihnen jetzt gibt, sondern oft hervorragende Männer. (4) Die Werke des Asinius Pollio überliefern ein glänzendes Andenken an die

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Messalla Corvinus imperatorem suum Cassium praedicabat: et uterque opibus[que] atque honoribus perviguere. Marci Ciceronis libro, quo Catonem caelo aequavit, quid aliud dictator Caesar quam rescripta oratione, velut apud iudices, respondit? (5) Antonii epistulae, Bruti contiones falsa quidem in Augustum probra, sed multa cum acerbitate habent; carmina Bibaculi et Catulli referta contumeliis Caesarum leguntur: sed ipse divus Iulius, ipse divus Augustus et tulere ista et reliquere, haud facile dixerim, moderatione magis an sapientia. namque spreta exolescunt: si irascare, adgnita videntur. 35 (1) Non attingo Graecos, quorum non modo libertas, etiam libido impunita; aut si quis advertit, dictis dicta ultus est. sed maxime solutum et sine obtrectatore fuit prodere de iis, quos mors odio aut gratiae exemisset. (2) num enim armatis Cassio et Bruto ac Philippenses campos obtinentibus belli civilis causa populum per contiones incendo? an illi quidem septuagesimum ante annum perempti, quo modo imaginibus suis noscuntur, quas ne victor quidem abolevit, sic partem memoriae apud scriptores retinent? (3) suum cuique decus posteritas rependit; nec deerunt, si damnatio ingruit, qui non modo Cassii et Bruti, sed etiam mei meminerint’. (4) egressus dein senatu vitam abstinentia finivit. libros per aediles cremandos censuere patres; ed manserunt, occultati et editi. (5) quo magis socordia eorum inridere libet, qui praesenti potentia credunt exstingui posse etiam sequentis aevi memoriam. nam contra punitis ingeniis gliscit auctoritas, neque aliud externi reges aut qui eadem saevitia usi sunt nisi dedecus sibi atque illis gloriam peperere. 36 (1) Ceterum postulandis reis tam continuus annus fuit, ut feriarum Latinarum diebus praefectum urbis Drusum, auspicandi gratia tribunal ingressum, adierit Calpurnius Salvianus in Sextum Marium: quod a Caesare palam increpitum causa exilii Salviano fuit. (2) obiecta publice Cyzicenis incuria

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gleichen Personen; Messalla Corvinus rühmte Cassius als seinen Befehlshaber. Und doch blieben beide im vollen Besitz ihres Vermögens und ihrer Ehrenämter. Auf das Buch des Marcus Cicero, in dem er Cato in den Himmel hob, wie anders reagierte der Diktator Caesar darauf als mit einer Gegenrede wie vor Richtern?21 (5) Die Briefe des Antonius, die Reden des Brutus vor dem Volk erheben Vorwürfe gegen Augustus, die zwar haltlos sind, tun dies aber mit viel Bitterkeit; Gedichte des Bibaculus und Catull kann man voller Beschimpfungen der Caesaren lesen. Aber selbst der vergöttlichte Julius, selbst der vergöttlichte Augustus haben diese Angriffe hingenommen und durchgehen lassen, es fällt mir nicht leicht zu sagen, ob eher aus Beherrschung oder Klugheit. Denn was man nicht beachtet, verliert an Bedeutung. Wenn man sich darüber aufregt, sieht man es anscheinend als berechtigt an. 35 (1) Ich gehe nicht auf die Griechen ein, bei denen nicht nur Freimut, sondern auch Frechheit unbestraft blieb, oder falls einer dagegen einschritt, bestrafte er Worte mit Worten. Aber völlig frei und ohne Anfeindungen ausgesetzt zu werden konnte man sich über Personen äußern, die der Tod dem Hass oder der Gunst entzogen hatte. (2) Hetze ich etwa dadurch, dass ich Cassius und Brutus unter Waffen stehen und die Ebenen von Philippi besetzt halten lasse, das Volk in öffentlichen Reden zum Bürgerkrieg auf? Oder sind sie zwar schon vor 70 Jahren umgekommen, behaupten aber so, wie man sie von ihren Bildnissen her kennt, die nicht einmal der Sieger zerstört hat, einen Teil ihres Andenkens bei den Geschichtsschreibern? (3) Jedem zollt die Nachwelt den ihm gebührenden Ruhm; und so wird es nicht an Leuten fehlen, wenn die Verurteilung über mich hereinbricht, die sich nicht nur an Cassius und Brutus, sondern auch an mich erinnern.“ (4) Er verließ daraufhin den Senat und machte seinem Leben durch Verhungern ein Ende. Seine Bücher seien durch die Ädilen zu verbrennen, beschlossen die Väter; aber sie blieben erhalten, weil man sie versteckte und wieder veröffentlichte. (5) Umso mehr darf man über die Gedankenlosigkeit der Leute lachen, die mit ihrer gegenwärtigen Macht glauben, auch das Gedächtnis der folgenden Zeit auslöschen zu können. Denn im Gegenteil, wenn man hervorragende Geister bestraft, wächst deren Ansehen, und ausländische Könige oder Personen, die von der gleichen Grausamkeit Gebrauch machten, haben sich selbst nur einen schlechten Ruf und ihnen Ruhm verschafft. 36 (1) Aber bei der Verfolgung von Angeklagten war das Jahr derart unablässig, dass an den Tagen des Latinerfests Calpurnius Salvianus den Stadtkommandanten Drusus22, als dieser zur Amtsübernahme das Tribunal betreten hatte, mit einer Anklage gegen Sextus Marius anging. Dieses Verhalten wurde vom Caesar öffentlich heftig kritisiert und war Anlass für die Verbannung des Salvianus. (2) Den Einwohnern von Cyzicus wurde die öffentliche Vernachlässigung der Zeremonien für den vergöttlichten Augustus vorgehalten, und

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caerimoniarum divi Augusti, additis violentiae criminibus adversum cives Romanos; et amisere libertatem, quam bello Mithridatis meruerant, circumsessi nec minus sua constantia quam praesidio Luculli pulso rege. (3) at Fonteius Capito, qui pro consul Asiam curaverat, absolvitur, comperto ficta in eum crimina per Vibium Serenum. neque tamen id Sereno noxae fuit, quem odium publicum tutiorem faciebat. nam ut quis destrictior accusator, velut sacrosanctus erat: leves ignobiles poenis adficiebantur. 37 (1) Per idem tempus Hispania ulterior missis ad senatum legatis oravit, ut exemplo Asiae delubrum Tiberio matrique eius exstrueret. qua occasione Caesar, validus alioqui spernendis honoribus et respondendum ratus iis, quorum rumore arguebatur in ambitionem flexisse, huiusce modi orationem coepit: (2) ‘scio, patres conscripti, constantiam meam a plerisque desideratam, quod Asiae civitatibus nuper idem istud petentibus non sim adversatus. (3) ergo et prioris silentii defensionem, et quid in futurum statuerim, simul aperiam. cum divus Augustus sibi atque urbi Romae templum apud Pergamum sisti non prohibuisset, qui omnia facta dictaque eius vice legis observem, placitum iam exemplum promptius secutus sum, quia cultui meo veneratio senatus adiungebatur. ceterum ut semel recepisse veniam habuerit, ita per omnes provincias effigie numinum sacra ambitiosum, superbum; et vanescet Augusti honor, si promiscis adulationibus vulgatur. 38 (1) Ego me, patres conscripti, mortalem esse et hominum officia fungi satisque habere, si locum principem impleam, et vos testor et meminisse posteros volo; qui satis superque memoriae meae tribuent, ut maioribus meis dignum, rerum vestrarum providum, constantem in periculis, offensionum pro utilitate publica non pavidum credant. (2) haec mihi in animis vestris templa, hae pulcherrimae effigies et mansurae; nam quae saxo struuntur, si iudicium posterorum in odium vertit, pro sepulchris spernuntur. (3) proinde socios cives

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man schloss noch Vorwürfe wegen gewalttätiger Übergriffe gegen römische Bürger an; so verloren sie die Freiheit, die sie sich im Krieg gegen Mithridates verdient hatten, als sie belagert wurden und der König nicht weniger durch ihre Unbeugsamkeit als durch das Entsatzheer des Lucullus vertrieben worden war.23 (3) Fonteius Capito jedoch, der Asia als Prokonsul verwaltet hatte, wurde freigesprochen, als sich herausstellte, dass die durch Vibius Serenus gegen ihn gerichteten Vorwürfe erfunden waren. Dennoch schadete das Serenus nicht, den der Hass der Öffentlichkeit nur noch sicherer machte. Denn sobald ein Ankläger recht scharf vorging, war er gleichsam unantastbar: Nur ungeschickte, unbekannte Zeitgenossen wurden bestraft. 37 (1) Zu dieser Zeit schickte das jenseitige Spanien Gesandte an den Senat mit der Bitte, nach dem Vorbild Asias für Tiberius und seine Mutter ein Heiligtum errichten zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit glaubte der Caesar, der ohnehin stark im Ablehnen von Ehrungen war, denen antworten zu müssen, durch deren Gerede er beschuldigt wurde, nun dem Ehrgeiz nachgegeben zu haben, und hielt ungefähr folgende Rede: (2) „Ich weiß, versammelte Väter, dass meine Standfestigkeit von sehr vielen Senatoren vermisst wurde, weil ich den Gemeinden Asias, die erst kürzlich genau dieselbe Bitte äußerten, nicht entgegengetreten bin. (3) Deshalb möchte ich nun gleichzeitig die Verteidigung meines früheren Schweigens und wofür ich mich in Zukunft entschieden habe, offenlegen. Weil der vergöttlichte Augustus die Errichtung eines Tempels für sich und die Stadt Rom in Pergamon nicht verhindert hatte, bin ich, der all seine Taten und Worte wie ein Gesetz beachtet, dem schon erprobten Vorbild noch bereitwilliger gefolgt, da mit meinem Kult die Verehrung des Senats verbunden wurde. Zudem wäre es, wenn vielleicht auch die einmalige Annahme verzeihbar ist, ehrsüchtig, ja überheblich, sich in allen Provinzen durch ein Götterbild verehren zu lassen, und die Verehrung des Augustus wird verblassen, wenn man sie durch unterschiedslose Liebedienerei zu einem alltäglichen Vorgang macht. 38 (1) Dass ich, versammelte Väter, nur sterblich bin, die Aufgaben von Menschen wahrnehme und mich damit zufriedengebe, den Platz des ersten Bürgers auszufüllen, das bezeuge ich vor euch und möchte, dass es die Nachwelt im Gedächtnis behält. Sie wird genug und übergenug zu meinem Andenken beitragen, wenn sie den Eindruck hat, ich sei meiner Vorfahren würdig, um eure Angelegenheiten besorgt, standhaft in Gefahren und fürchtete mich nicht vor Anfeindungen im öffentlichen Interesse. (2) Das sind für mich die Tempel in euren Herzen, das die schönsten Standbilder, die zudem Bestand haben werden. Denn die aus Stein errichteten verachtet man, wenn das Urteil der Nachwelt in Hass umschlägt, als seien sie Grabmäler. (3) Deshalb bitte ich die Bundesgenossen, die Bürger und selbst die Götter,

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et [deos et] deos ipsos precor, hos ut mihi ad finem usque vitae quietam et intellegentem humani divinique iuris mentem duint, illos ut, quandoque concessero, cum laude et bonis recordationibus facta atque famam nominis mei prosequantur.’ (4) perstititque posthac secretis etiam sermonibus aspernari talem sui cultum. quod alii modestiam, multi, quia diffideret, quidam ut degeneris animi interpretabantur. (5) optimos quippe mortalium altissima cupere; sic Herculem et Liberum apud Graecos, Quirinum apud nos deum numero additos. melius Augustum, qui speraverit. cetera principibus statim adesse: unum insatiabiliter parandum, prosperam sui memoriam; nam contemptu famae contemni virtutes. 39 (1) At Seianus nimia fortuna socors et muliebri insuper cupidine incensus, promissum matrimonium flagitante Livia, componit ad Caesarem codicillos: moris quippe tum erat quamquam praesentem scripto adire. (2) eius talis forma fuit: benivolentia patris Augusti et mox plurimis Tiberii iudiciis ita insuevisse, ut spes votaque sua non prius ad deos quam ad principum aures conferret. neque fulgorem honorum umquam precatum: excubias ac labores, ut unum e militibus, pro incolumitate imperatoris malle. ac tamen, quod pulcherrimum, adeptum, ut coniunctione Caesaris dignus crederetur. (3) hinc initium spei; et quoniam audiverit Augustum in conlocanda filia non nihil etiam de equitibus Romanis consultavisse, ita, si maritus Liviae quaereretur, haberet in animo amicum sola necessitudinis gloria usurum. (4) non enim exuere imposita munia: satis aestimare firmari domum adversum iniquas Agrippinae offensiones, idque liberorum causa; nam sibi multum superque vitae fore, quod tali cum principe explevisset. 40 (1) Ad ea Tiberius laudata pietate Seiani suisque in eum beneficiis modice percursis, cum tempus tamquam ad integram consultationem petivisset, adiunxit: ceteris mortalibus in eo stare consilia, quid sibi conducere putent;

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Letztere mögen mir bis zu meinem Lebensende eine gelassene Einstellung schenken, die menschliches und göttliches Recht erkennt, Erstere, wenn ich einmal aus dem Leben geschieden bin, mit Lob und guten Erinnerungen meine Taten und den Ruhm meines Namens begleiten.“ (4) Er bestand danach auch in privaten Gesprächen darauf, er halte von einer solchen Verehrung seiner Person nichts. Das deuteten die einen als Bescheidenheit, viele als mangelndes Selbstvertrauen, manche als Ausdruck einer seiner Stellung unwürdigen Überzeugung. (5) Denn die Besten unter den Sterblichen setzten sich die höchsten Ziele; so seien Herkules und Liber bei den Griechen, Quirinus bei uns zu den Göttern gezählt worden. Besser habe sich Augustus verhalten, der darauf gehofft habe. Alles andere stehe den Principes sofort zur Verfügung; nur das Eine müssten sie unermüdlich vorbereiten, nämlich ein günstiges Andenken an die eigene Person. Denn mit dem Verzicht auf Ruhm verzichte man auch auf herausragende Leistungen. 39 (1) Sejan jedoch war durch sein übermäßiges Glück unempfindlich geworden; darüber hinaus wurde er durch das Verlangen einer Frau heißgemacht, weil Livia die versprochene Ehe einforderte, und verfasste deshalb an den Caesar ein Schreiben. Denn es war damals üblich, schriftlich an ihn heranzutreten, auch wenn er vor Ort war. (2) Es hatte etwa folgenden Inhalt: Durch das Wohlwollen seines Vaters Augustus und dann durch sehr viele Beweise von Tiberius’ Wertschätzung sei er es gewöhnt, seine Hoffnungen und Wünsche noch vor den Göttern den Principes zu Gehör zu bringen. Auch habe er nie um glanzvolle Ehrenämter gebeten: Wachen und Strapazen wie ein einfacher Soldat ziehe er für das Wohlergehen seines Oberbefehlshabers vor. Und doch habe er das Schönste, das es gebe, erreicht, nämlich der verwandtschaftlichen Verbindung mit dem Caesar für würdig erachtet zu werden.24 (3) Das sei der Ausgangspunkt für seine Hoffnung; und weil er gehört habe, Augustus habe bei der Verheiratung seiner Tochter einige Male auch römische Ritter mit in seine Pläne einbezogen, solle er, falls ein Mann für Livia gesucht werde, an einen Freund denken, der sich allein mit der Ehre der Verwandtschaft begnügen werde. (4) Er wolle sich nämlich nicht ihm übertragenen Aufgaben entziehen; für ausreichend halte er es, dass die Familie gegen die ungerechtfertigten Angriffe Agrippinas in Schutz genommen werde, und zwar um der Kinder25 willen. Denn er werde ein langes, ja überlanges Leben haben, wenn er es zusammen mit einem solchen Princeps verbringen könne. 40 (1) Daraufhin lobte Tiberius die Ergebenheit Sejans und streifte kurz seine eigenen Gunstbeweise ihm gegenüber; dann bat er unter dem Vorwand, die Angelegenheit unvoreingenommen überdenken zu wollen, um Zeit und schloss an: Für die übrigen Sterblichen beruhten Entscheidungen darauf, was ihrer Einschätzung nach für sie selbst vorteilhaft sei. Das Los der Principes sei

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principum diversam esse sortem, quibus praecipua rerum ad famam derigenda. (2) ideo se non illuc decurrere, quod promptum rescriptu, posse ipsam Liviam statuere, nubendum post Drusum an in penatibus isdem tolerandum haberet; esse illi matrem et aviam, propiora consilia. (3) simplicius acturum, de inimicitiis primum Agrippinae, quas longe acrius arsuras, si matrimonium Liviae velut in partes domum Caesarum distraxisset. sic quoque erumpere aemulationem feminarum, eaque discordia nepotes suos convelli: quid si intendatur certamen tali coniugio? (4) ‘falleris enim, Seiane, si te mansurum in eodem ordine putas, et Liviam, quae C. Caesari, mox Druso nupta fuerit, ea mente acturam, ut cum equite Romano senescat. ego ut sinam, credisne passuros qui fratrem eius, qui patrem maioresque nostros in summis imperiis videre? (5) vis tu quidem istum intra locum sistere: sed illi magistratus et primores, qui te invitum perrumpunt omnibusque de rebus consulunt, excessisse iam pridem equestre fastigium logeque antisse patris mei amicitias non occulti ferunt perque invidiam tui me quoque incusant. (6) at enim Augustus filiam suam equiti Romano tradere meditatus est. mirum hercule, si, cum in omnes curas distraheretur immensumque attolli provideret quem coniunctione tali super alios extulisset, C. Proculeium et quosdam in sermonibus habuit insigni tranquillitate vitae, nullis rei publicae negotiis permixtos. sed si dubitatione Augusti movemur, quanto validius est quod Marco Agrippae, mox mihi conlocavit! (7) atque ego haec pro amicitia non occultavi: ceterum neque tuis neque Liviae destinatis adversabor. ipse quid intra animum volutaverim, quibus adhuc necessitudinibus immiscere te mihi parem, omittam ad praesens referre: id tantum aperiam, nihil esse tam excelsum, quod non virtutes istae tuusque in me animus mereantur, datoque tempore vel in senatu vel in contione non reticebo.’

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davon verschieden; sie müssten bei den wichtigsten Fragen ihren guten Ruf im Auge haben. (2) Deshalb ziehe er sich nicht auf die als Antwort naheliegende Ausflucht zurück, Livia selbst könne entscheiden, ob sie nach Drusus nochmals heiraten oder es im gleichen Haus aushalten wolle. Sie habe noch eine Mutter und Großmutter, die ihr als Ratgeber näherstünden. (3) Er wolle ganz offen sprechen, zuerst von der Feindschaft Agrippinas, die noch weit heftiger aufflammen werde, falls die Eheschließung mit Livia die Familie der Caesaren gleichsam in zwei Parteien spalte. Auch so schon breche die Rivalität der Frauen offen aus, und durch diese Auseinandersetzung würden seine Enkel zerrissen: Was sei denn erst, falls der Streit durch eine solche eheliche Verbindung noch verschärft werde? (4) „Du täuschst dich nämlich, Sejan, falls du annimmst, du würdest in derselben gesellschaftlichen Stellung bleiben und Livia, die mit C. Caesar und dann mit Drusus verheiratet war, werde es darauf anlegen, an der Seite eines römischen Ritters alt zu werden. Selbst wenn ich es zuließe, glaubst du, die Leute nähmen es hin, die ihren Bruder, ihren Vater und unsere Vorfahren in den höchsten Machtpositionen erlebt haben? (5) Deine Absicht mag es ja sein, in diesem Rang stehen zu bleiben. Aber jene Amtsinhaber und führenden Persönlichkeiten, die sich gegen deinen Willen zu dir vordrängen und in allen Angelegenheiten deinen Rat haben wollen, behaupten ganz unverhohlen, du seist schon längst über die höchste Position, die ein Ritter erreichen kann, aufgestiegen und habest die Freundschaften meines Vaters weit überflügelt, und aus Neid auf dich machen sie auch mir Vorwürfe. (6) ‚Aber Augustus hat doch daran gedacht, seine Tochter einem römischen Ritter zu geben.‘ Erstaunlich ist es, beim Herkules, wenn er, obwohl er von Bedenken aller Art hin- und hergerissen wurde und vorhersah, dass der Mann einen ungeheuren Aufstieg nehmen würde, den er durch eine solche verwandtschaftliche Verbindung über die anderen hinaushob, einen C. Proculeius und andere Männer gesprächsweise erwähnte, die ein bemerkenswert ruhiges Leben führten und in keinerlei politische Aktivitäten verwickelt waren. Aber wenn wir schon durch das Zögern des Augustus beeindruckt werden, wie viel mehr fällt da ins Gewicht, dass er sie Marcus Agrippa und dann mir zur Frau gab! (7) Und so habe ich diese Bedenken in Anbetracht unserer Freundschaft nicht verheimlicht, aber ich werde mich weder deiner noch Livias Entscheidung in den Weg stellen. Was ich selbst für Überlegungen angestellt habe, durch welche sonstigen Beziehungen ich dich mit mir zu verbinden vorhabe, dazu will ich mich im Augenblick nicht äußern. Nur das eine möchte ich verraten: Nichts ist so überragend, dass es diese deine Vorzüge und deine Einstellung mir gegenüber nicht verdienten, und zu gegebener Zeit werde ich das entweder im Senat oder in der Volksversammlung nicht verschweigen.“

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41 (1) Rursum Seianus, non iam de matrimonio, sed altius metuens, tacita suspicionum, vulgi rumorem, ingruentem invidiam deprecatur. ac ne adsiduos in domum coetus arcendo infringeret potentiam aut receptando facultatem criminantibus praeberet, huc flexit, ut Tiberium ad vitam procul Roma amoenis locis degendam impelleret. (2) multa quippe providebat: sua in manu aditus litterarumque magna ex parte se arbitrum fore, cum per milites commearent; mox Caesarem vergente iam senecta secretoque loci mollitum munia imperii facilius tramissurum; et minui sibi invidiam adempta salutantum turba, sublatisque inanibus vera potentia augeri. (3) igitur paulatim negotia urbis, populi adcursus, multitudinem adfluentium increpat, extollens laudibus quietem et solitudinem, quis abesse taedia et offensiones ac praecipua rerum maxime agitari. 42 (1) Ac forte habita per illos dies de Votieno Montano, celebris ingenii viro, cognitio cunctantem iam Tiberium perpulit, ut vitandos crederet patrum coetus vocesque, quae plerumque verae et graves coram ingerebantur. (2) nam postulato Votieno ob contumelias in Caesarem dictas, testis Aemilius, e militaribus viris, dum studio probandi cuncta refert et, quamquam inter obstrepentes, magna adseveratione nititur, audivit Tiberius probra, quis per occultum lacerabatur, adeoque perculsus est, ut se vel statim vel in cognitione purgaturum clamitaret precibusque proximorum, adulatione omnium aegre componeret animum. (3) et Votienus quidem maiestatis poenis adfectus est: Caesar, obiectam sibi adversus reos inclementiam eo pervicacius amplexus, Aquiliam adulterii delatam cum Vario Ligure, quamquam Lentulus Gaetulicus consul designatus lege Iulia damnasset, exilio punivit Apidiumque Merulam, quod in acta divi Augusti non iuraverat, albo senatorio erasit.

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41 (1) Sejan wiederum sprach nicht länger mehr von Heirat, sondern bat, weil er tiefer gehende Befürchtungen hegte, inständig, nicht den anonymen Verdächtigungen, dem Gerede des Volks und dem über ihn hereinbrechenden Neid zu glauben. Um aber nicht durch die Aufgabe der ständigen Gesellschaften in seinem Haus seinen Einfluss zu schmälern oder durch ihre Zulassung Verleumdern Gelegenheiten zu bieten, verfiel er darauf, Tiberius ein Leben fernab von Rom in einer anmutigen Gegend schmackhaft zu machen. (2) Viele Vorteile versprach er sich nämlich davon: In seiner Hand liege der Zugang, und über den Schriftverkehr werde zum großen Teil er entscheiden, da er durch Soldaten erfolge. Bald werde der Caesar, dessen Leben sich schon dem Ende zuneige, durch die Abgeschiedenheit seines Aufenthaltsorts zermürbt sein und dann die Regierungsgeschäfte leichter abgeben; und der Neid auf ihn nehme mit dem Verschwinden der großen Zahl von Menschen ab, die ihm ihre Aufwartung machten, und mit dem Wegfall dieser Nebensächlichkeiten steige seine wirkliche Macht. (3) Deshalb ließ er sich nach und nach über die Verhältnisse in der Hauptstadt, die Zudringlichkeit des Volks und den Besucherstrom aus und lobte gleichzeitig überschwänglich Ruhe und Einsamkeit, wo es keinen Verdruss und keine Anfeindungen gebe und man sich ganz den wichtigsten Aufgaben widmen könne. 42 (1) Der zufällig in diesen Tagen gegen Votienus Montanus, einen Mann mit vielen Talenten, stattfindende Prozess brachte den noch unentschlossenen Tiberius zu der Auffassung, er solle die Versammlungen der Väter und damit die Äußerungen meiden, die sich sehr oft mit bedrückender Wahrheit in seiner Gegenwart gegen ihn richteten. (2) Denn als Votienus wegen gegen den Caesar gerichteter Schmähungen vor Gericht gestellt worden war, trug der Zeuge Aemilius, einer von den aufrechten Soldaten, im Eifer der Beweisführung sämtliche Anschuldigungen vor und blieb, obwohl man ihn zu überschreien versuchte, mit großer Hartnäckigkeit dabei. Auf diese Weise bekam Tiberius Vorwürfe zu hören, mit denen man ihn insgeheim verunglimpfte, und er war davon derart tief getroffen, dass er laut ausrief, er werde sich entweder sofort oder während des Prozesses rechtfertigen, und sich trotz der Bitten seiner nächsten Umgebung und des unterwürfigen Benehmens aller Anwesenden nur mühsam beruhigte. (3) Votienus wurde jedenfalls wegen Majestätsbeleidigung bestraft. Der Caesar hielt, weil man ihm sein unnachsichtiges Verhalten gegen Angeklagte vorwarf, umso eigensinniger daran fest, bestrafte Aquilia, die wegen Ehebruchs mit Varius Ligur angezeigt worden war, obwohl sie der designierte Konsul Lentulus Gaetulicus nach dem julischen Gesetz26 verurteilt hatte, mit Verbannung und ließ Apidius Merula, weil er nicht auf die Amtshandlungen des vergöttlichten Augustus geschworen hatte,27 aus dem Senatorenverzeichnis streichen.

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43 (1) Auditae dehinc Lacedaemoniorum et Messeniorum legationes de iure templi Dianae Limnatidis, quod suis a maioribus suaque in terra dicatum Lacedaemonii firmabant annalium memoria vatumque carminibus, sed Macedonis Philippi, cum quo bellassent, armis ademptum ac post C. Caesaris et M. Antonii sententia redditum. (2) contra Messeni veterem inter Herculis posteros divisionem Peloponnesi protulere, suoque regi Denthaliatem agrum, in quo id delubrum, cessisse; monimentaque eius rei sculpta saxis et aere prisco manere. (3) quod si vatum, annalium ad testimonia vocentur, plures sibi ac locupletiores esse; neque Philippum potentia, sed ex vero statuisse. idem regis Antigoni, idem imperatoris Mummii iudicium; sic Milesios permisso publice arbitrio, postremo Atidium Geminum praetorem Achaiae decrevisse. ita secundum Messenios datum. (4) et Segestani aedem Veneris montem apud Erycum, vetustate dilapsam, restaurari postulavere, nota memorantes de origine eius et laeta Tiberio; suscepit curam libens ut consanguineus. (5) tunc tractatae Massiliensium preces probatumque P. Rutilii exemplum; namque eum legibus pulsum civem sibi Zmyrnaei addiderant. quo iure Vulcacius Moschus exul in Massilienses receptus bona sua rei publicae eorum ut patriae reliquerat. 44 (1) Obiere eo anno viri nobiles Cn. Lentulus et L. Domitius. Lentulo super consulatum et triumphalia de Getis gloriae fuerat bene tolerata paupertas, dein magnae opes innocenter partae et modeste habitae. (2) Domitium decoravit pater civili bello maris potens, donec Antonii partibus, mox Caesaris misceretur. avus Pharsalica acie pro optumatibus ceciderat. ipse delectus, cui minor Antonia, Octavia genita, in matrimonium daretur, post exercitu flumen Albim transcendit longius penetrata Germania quam quisquam priorum, easque ob res insignia triumphi adeptus est. (3) obiit et L. Antonius, multa

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43 (1) Anschließend hörte man die Gesandtschaften der Lakedämonier und Messenier wegen des Rechtsanspruchs auf den Tempel der Diana Limnatis an. Er sei von ihren Vorfahren in ihrem Land geweiht worden, behaupteten die Lakedämonier auf der Grundlage seiner Erwähnung in Annalen und der Lieder von Dichtern, doch der Makedone Philipp, mit dem sie Krieg geführt hätten, habe ihn mit Waffengewalt weggenommen,28 und später sei er dann durch eine Entscheidung C. Caesars und M. Antonius’ wieder zurückgegeben worden. (2) Demgegenüber führten die Messenier die alte Aufteilung der Peloponnes unter die Nachkommen des Herkules an, und ihrem König sei der denthaliatische Bezirk zugefallen, in dem dieses Heiligtum stehe. Urkunden davon hätten sich in Stein gehauen und auf uralten Bronzetafeln erhalten. (3) Wenn man sie aber auf Zeugnisse von Dichtern und Annalen verweise, dann hätten sie mehr und vertrauenswürdigere zu bieten. Auch habe Philipp es nicht mit seiner Macht, sondern nach dem wahren Sachverhalt so bestimmt. Genauso ausgefallen sei das Urteil des Königs Antigonus, genauso das des Befehlshabers Mummius. Dementsprechend hätten die Milesier, denen man im Auftrag der Staaten den Schiedsspruch überlassen habe, und zuletzt der Prätor Achaias Atidius Geminus entschieden. Deshalb fiel der Beschluss zugunsten der Messenier aus. (4) Ferner beantragten die Segestaner, das Heiligtum der Venus auf dem Berg Erycus, das im Laufe der Zeit verfallen war, wieder herzurichten, und riefen dazu die bekannten Geschichten über seinen Ursprung in Erinnerung, über die sich Tiberius freute; er übernahm die Aufgabe gerne als ihr Blutsverwandter29. (5) Dann behandelte man ein Gesuch der Massilienser und billigte ihre Berufung auf das Vorbild des P. Rutilius; denn als dieser kraft Gesetzes vertrieben worden war, hatten ihn die Smyrnäer zu ihrem Mitbürger gemacht.30 Nach diesem Recht war Vulcacius Moschus als Verbannter unter die Massilienser aufgenommen worden und hatte sein Vermögen ihrem Gemeinwesen als seiner Heimatgemeinde hinterlassen. 44 (1) Es starben in diesem Jahr die Angehörigen des Adels Cn. Lentulus und L. Domitius. Lentulus hatte sich zusätzlich zu seinem Konsulat und den Triumphabzeichen über die Geten dadurch einen Namen gemacht, dass er seine Armut mit Anstand ertrug, dann auf redliche Weise großen Reichtum erwarb und maßvoll mit ihm umging. (2) Domitius zeichnete ein Vater aus, der im Bürgerkrieg das Meer beherrschte, bis er sich der Partei des Antonius, dann des Caesars (Augustus) anschloss. Sein Großvater war in der Schlacht von Pharsalos aufseiten der Optimaten gefallen. Er selbst war dazu ausersehen worden, die jüngere Antonia31, Octavias Tochter, als Ehefrau zu bekommen, später dann überquerte er mit einem Heer den Fluss Elbe, nachdem er weiter in Germanien vorgedrungen war als einer seiner Vorgänger, und wegen dieser Erfolge erhielt er die Triumphabzeichen. (3) Es starb auch L. Antonius, der aus

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claritudine generis, sed improspera. nam patre eius Iullo Antonio ob adulterium Iuliae morte punito hunc admodum adulescentulum, sororis nepotem, seposuit Augustus in civitatem Massiliensem ubi specie studiorum nomen exilii tegeretur. habitus tamen supremis honor, ossaque tumulo Octaviorum inlata per decretum senatus. 45 (1) Isdem consulibus facinus atrox in citeriore Hispania admissum a quodam agresti nationis Termestinae. is praetorem provinciae L. Pisonem, pace incuriosum, ex improviso in itinere adortus uno vulnere in mortem adfecit; ac pernicitate equi profugus, postquam saltuosos locos attigerat, dimisso equo per derupta et avia sequentes frustratus est. (2) neque diu fefellit: nam prenso ductoque per proximos pagos equo, cuius foret cognitum. et repertus cum tormentis edere conscios adigeretur, voce magna sermone patrio frustra se interrogari clamitavit: adsisterent socii ac spectarent; nullam vim tantam doloris fore, ut veritatem eliceret. idemque cum postero ad quaestionem retraheretur, eo nisu proripuit se custodibus saxoque caput adflixit, ut statim exanimaretur. (3) sed Piso Termestinorum dolo caesus habetur; qui pecunias e publico interceptas acrius quam ut tolerarent barbari cogebat. 46 (1) LENTULO GAETULICO C. CALVISIO consulibus decreta triumphi insignia Poppaeo Sabino contusis Thraecum gentibus, qui montium editis incultu atque eo ferocius agitabant. causa motus super hominum ingenium, quod pati dilectus et validissimum quemque militiae nostrae dare aspernabantur, ne regibus quidem parere nisi ex libidine soliti, aut, si mitterent auxilia, suos ductores praeficere nec nisi adversum accolas belligerare. (2) ac tum rumor incesserat fore ut disiecti aliisque nationibus permixti diversas in terras traherentur. sed antequam arma inciperent, misere legatos amicitiam obsequiumque memoraturos, et mansura haec, si nullo novo onere temptarentur; sin ut victis

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einer hochberühmten, aber unglücklichen Familie stammte. Denn nachdem sein Vater Iullus Antonius für den Ehebruch mit Julia mit dem Tod bestraft worden war, hatte Augustus ihn, den Enkel seiner Schwester, als noch ganz jungen Mann in die Stadt Massilia verwiesen, wo unter dem Vorwand, er studiere dort, das Wort „Verbannung“ bemäntelt werden sollte. Dennoch wurde ihm ein ehrenvolles Begräbnis zuteil, und seine Gebeine wurden im Grabhügel der Octavier beigesetzt nach einem Senatsbeschluss. 45 (1) Unter den gleichen Konsuln wurde im diesseitigen Spanien von einem Bauern vom Stamm der Termestiner ein schreckliches Verbrechen verübt. Er fiel über L. Piso, den Prätor der Provinz, der, weil Frieden herrschte, nachlässig war, überraschend auf einer Reise her und schlug ihn mit einem einzigen Hieb tot. Und dank der Schnelligkeit seines Pferdes gelang ihm die Flucht; als er dann die Bergwälder erreicht hatte, ließ er sein Pferd laufen und entkam im abschüssigen, unwegsamen Gelände seinen Verfolgern. (2) Aber er konnte sie nicht lange täuschen. Man fing nämlich das Pferd ein, führte es durch die nächsten Dörfer und stellte den Besitzer fest. Als man ihn gefunden hatte und er unter der Folter dazu gebracht werden sollte, seine Mitwisser preiszugeben, schrie er laut in der Landessprache, man frage ihn vergeblich. Seine Komplizen sollten sich ruhig danebenstellen und zuschauen. Kein Schmerz werde so stark sein, dass er ihm die Wahrheit entlocken könne. Als man ihn am nächsten Tag gleichfalls wieder zum Verhör schleppte, riss er sich mit einer derartigen Wucht von seinen Wächtern los und schlug seinen Kopf gegen einen Felsen, dass er sofort seinen Geist aufgab. (3) Aber man nimmt an, Piso sei einem Attentat der Termestiner zum Opfer gefallen; denn er versuchte, aus der Staatskasse unterschlagene Gelder mit größerer Härte einzutreiben, als sie die Barbaren hinnehmen konnten. 46 (1) Unter den Konsuln LENTULUS GAETULICUS und C. CALVISIUS (26 n. Chr.) wurden die Triumphabzeichen Poppaeus Sabinus zuerkannt für die Niederwerfung thrakischer Stämme, die im Hochgebirge unzivilisiert und deshalb umso wilder lebten. Der Anlass für ihren Aufstand war über die Wesensart dieser Menschen hinaus, dass sie es ablehnten, Aushebungen hinzunehmen und gerade die kräftigsten Männer unserem Militär zur Verfügung zu stellen. Denn sie waren gewöhnt, nicht einmal Königen zu gehorchen, es sei denn nach Lust und Laune, oder, falls sie Hilfstruppen stellten, nur ihren eigenen Anführern das Kommando zu übertragen und nur gegen ihre Nachbarn Krieg zu führen. (2) Damals nun war das Gerücht aufgekommen, sie würden aufgeteilt, unter andere Nationen eingereiht und dann in entlegene Länder verschleppt. Doch bevor sie zu den Waffen griffen, schickten sie Gesandte, die an ihre Freundschaft und ihren Gehorsam erinnern sollten; und diese blieben bestehen, falls man sie mit keiner neuen Belastung konfrontiere. Falls man

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servitium indiceretur, esse sibi ferrum et iuventutem et promptum libertati aut ad mortem animum. (3) simul castella rupibus indita conlatosque illuc parentes et coniuges ostentabant bellumque impeditum arduum cruentum minitabantur. 47 (1) At Sabinus, donec exercitus in unum conduceret, datis mitibus responsis, quam Pomponius Labeo e Moesia cum legione, rex Rhoemetalces cum auxiliis popularium, qui fidem non mutaverant, venere, addita praesenti copia ad hostem pergit, compositum iam per angustias saltuum. quidam audentius apertis in collibus visebantur, quos dux Romanus acie suggressus haud aegre pepulit, sanguine barbarorum modico ob propinqua suffugia. (2) mox castris in loco communitis valida manu montem occupat angustum et aequali dorso continuum usque ad proximum castellum, quod magna vis armata aut incondita tuebatur. simul in ferocissimos, qui ante vallum more gentis cum carminibus et tripudiis persultabant, mittit delectos sagittariorum. (3) ii dum eminus grassabantur, crebra et inulta vulnera fecere: propius incedentes eruptione subita turbati sunt receptique subsidio Sugambrae cohortis, quam Romanus promptam ad pericula nec minus cantuum et armorum tumultu trucem haud procul instruxerat. 48 (1) Translata dehinc castra hostem propter, relictis apud priora munimenta Thraecibus, quos nobis adfuisse memoravi; iisque permissum vastare urere, trahere praedas, dum populatio lucem intra sisteretur noctemque in castris tutam et vigilem capesserent. id primo servatum; mox versi in luxum et raptis opulenti omittere statione lascivia epularum, aut somno et vino procumbere. (2) igitur hostes incuria eorum comperta duo agmina parant, quorum altero populatores invaderentur, alii castra Romana adpugnarent, non spe capiendi, sed ut clamore telis suo quisque periculo intentus sonorem alterius proelii

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ihnen aber wie Besiegten die Sklaverei auferlege, hätten sie Waffen, eine junge Mannschaft und einen zur Freiheit oder zum Tod entschlossenen Mut. (3) Zugleich verwiesen sie auf ihre über Felsabhängen errichteten Kastelle und die dorthin gebrachten Eltern und Ehefrauen und drohten mit einem schwierigen, mühevollen und blutigen Krieg. 47 (1) Doch Sabinus gab, bis er seine Heere zu einer Einheit zusammenziehen konnte, entgegenkommende Antworten. Nachdem Pomponius Labeo aus Mösien mit einer Legion und König Rhoemetalces mit Hilfstruppen seiner treu gebliebenen Landsleute gekommen waren, gliederte er ihnen die vor Ort befindliche Truppe an und zog dem Feind entgegen, der schon in den engen Waldschluchten Stellung bezogen hatte. Ein paar ließen sich ganz verwegen im freien Hügelgelände blicken; sie vertrieb der römische Kommandeur, nachdem er in Kampfformation hinaufgerückt war, ohne Mühe, wobei die Barbaren nur wenig Blut vergossen wegen ihrer nahe gelegenen Schlupfwinkel. (2) Dann schlug er an Ort und Stelle ein befestigtes Lager und besetzte mit einer kampfkräftigen Einheit einen schmalen Berg, der sich mit seinem eben verlaufenden Kamm bis zum nächsten Kastell hinzog; dieses wurde von einer großen Menge verteidigt, die zum Teil bewaffnet, zum anderen ohne jede Ordnung war. Zugleich schickte er gegen die wildesten Gegner, die vor dem Wall, wie bei diesem Volk üblich, singend und tanzend herumhüpften, eine Eliteeinheit von Bogenschützen. (3) Solange diese nur aus der Entfernung eingriffen, verursachten sie zahlreiche Wunden, die ungeahndet blieben. Als sie jedoch näher heranrückten, gerieten sie durch einen plötzlichen Ausfall in Schwierigkeiten und wurden in den Schutz einer Sugambrerkohorte aufgenommen, die der Römer für den Einsatz in kritischen Situationen nicht weit weg aufgestellt hatte; sie war nicht weniger furchterregend durch den Lärm, den sie mit ihren Gesängen und Waffen veranstaltete. 48 (1) Das Lager wurde hierauf nahe an den Feind verlegt. In den früheren Befestigungen ließ man die Thraker zurück, die uns, wie erwähnt, zu Hilfe gekommen waren, und man erlaubte ihnen zu plündern, zu brandschatzen und Beute zu machen, falls die Plünderung noch bei Tageslicht eingestellt wurde und sie die Nacht sicher und wachsam im Lager verbrachten. Daran hielt man sich zunächst; dann aber ließ man es sich gut gehen, hatte reiche Beute gemacht und bezog deshalb bei ausgelassenen Gelagen keine Posten mehr oder lag schlafend und betrunken herum. (2) Darum bildeten die Feinde, als sie ihre Nachlässigkeit bemerkten, zwei Gruppen; mit der einen davon wollte man über die Plünderer herfallen, die andere sollte das römische Lager angreifen, nicht in der Erwartung, es einnehmen zu können, sondern damit jeder in dem Geschrei und Geschosshagel nur auf die eigene Gefahr achten und deshalb den Lärm

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non acciperet; tenebrae insuper delectae augendam ad formidinem. (3) sed qui vallum legionum temptabant, facile pelluntur; Thraecum auxilia repentino incursu territa, cum pars munitionibus adiacerent, plures extra palarentur, tanto infensius caesi, quanto perfugae et proditores ferre arma ad suum patriaeque servitium incusabantur. 49 (1) Postera die Sabinus exercitum aequo loco ostendit, si barbari successu noctis alacres proelium auderent. et postquam castello aut coniunctis tumulis non degrediebantur, obsidium coepit per praesidia, quae opportune immuniebat; dein fossam loricamque contexens quattuor milia passuum ambitu amplexus est. (2) tum paulatim, ut aquam pabulumque eriperet, contrahere claustra artaque circumdare; et struebatur agger, unde saxa hastae ignes propinquum iam in hostem iacerentur. (3) sed nihil aeque quam sitis fatigabat, cum ingens multitudo bellatorum, imbellium uno reliquo fonte uterentur; simul equi armenta, ut mos barbaris, iuxta clausa, egestate pabuli exanimari; adiacere corpora hominum, quos vulnera, quos sitis peremerat; pollui cuncta sanie odore contactu. 50 (1) Rebusque turbatis malum extremum discordia accessit, his deditionem, aliis mortem et mutuos inter se ictus parantibus; et erant qui non inultum exitium, sed eruptionem suaderent. (2) neque ignobiles tantum his diversi sententiis, verum e ducibus Dinis, provectus senecta et longo usu vim atque clementiam Romanam edoctus, ponenda arma, unum adflictis id remedium disserebat, primusque se cum coniuge et liberis victori permisit: secuti aetate aut sexu imbecilli et quibus maior vitae quam gloriae cupido. (3) at iuventus Tarsam inter et Turesim distrahebatur. utrique destinatum cum libertate occidere, sed Tarsa properum finem, abrumpendas pariter spes ac metus clamitans dedit exemplum demisso in pectus ferro; nec defuere qui eodem modo

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des anderen Gefechts nicht mitbekommen solle. Darüber hinaus wählte man die Nacht aus, um die Angst zu erhöhen. (3) Aber die Einheit, die den Wall der Legionen angriff, wurde mühelos zurückgeschlagen; die Hilfstruppen der Thraker dagegen gerieten durch den plötzlichen Angriff in Panik und wurden, weil ein Teil in den Befestigungen herumlag, die Mehrzahl sich draußen herumtrieb, mit umso größerer Feindseligkeit erschlagen, als man ihnen vorwarf, sie trügen als Überläufer und Verräter ihre Waffen zu ihrer eigenen Versklavung und der ihres Vaterlands. 49 (1) Am nächsten Tag ließ Sabinus sein Heer im ebenen Gelände für den Fall sehen, dass die Barbaren, durch den nächtlichen Erfolg ermutigt, ein Gefecht wagen sollten. Und nachdem sie von dem Kastell oder den daran anschließenden Hügeln nicht herabstiegen, begann er mit der Belagerung durch Außenposten, die er an günstigen Stellen anlegte; hierauf verband er sie durch Graben und Brustwehr und schloss so eine Fläche von vier Meilen Umfang ein. (2) Dann zog er allmählich, um sie von Wasser und Futter abzuschneiden, den Sperrriegel zusammen und schloss eine enge Fläche ein; auch wurde ein Damm aufgeschüttet, von dem aus man Steine, Lanzen und Brandgeschosse auf den nun schon nahen Feind schleudern konnte. (3) Aber nichts setzte diesem so sehr zu wie der Durst, weil eine sehr große Menge Kämpfer und Nichtkämpfer die einzig übrig gebliebene Quelle benutzte; zugleich gingen die Pferde und Rinder, die nach Barbarenart mit eingeschlossen waren, aus Futtermangel ein. Daneben lagen die Leichen der Menschen, die den Wunden, die dem Durst erlegen waren. Alles war verpestet von verwesendem Fleisch, Gestank, Seuchenherden. 50 (1) Zu diesen verheerenden Zuständen kam als schlimmstes Übel die Uneinigkeit, weil die einen sich ergeben, andere sterben und sich gegenseitig umbringen wollten; und es gab ein paar, die nicht zu einem Untergang ohne Gegenwehr, sondern zu einem Ausfall rieten. (2) Nicht nur im einfachen Volk kam es zu diesen Meinungsverschiedenheiten, sondern auch von den Anführern sprach sich Dinis, ein Mann in vorgerücktem Alter, der aus langer Erfahrung römische Macht und Milde sehr gut kannte, dafür aus, sie sollten die Waffen niederlegen, das sei für sie in ihrer hoffnungslosen Lage das einzige Hilfsmittel, und er war der Erste, der sich zusammen mit Frau und Kindern in die Hand des Siegers begab; ihm schlossen sich die wegen ihres Alters oder Geschlechts schwachen Personen an und wem das Leben lieber war als der Ruhm. (3) Doch die jungen Männer waren zwischen Tarsa und Turesis gespalten. Beide waren entschlossen, in Freiheit unterzugehen, aber Tarsa gab, wobei er laut rief, man müsse ein schnelles Ende machen und sich von Hoffnung und Furcht zusammen losreißen, ein Vorbild, indem er sich das Schwert in die Brust stieß, und es fehlte nicht an Leuten, die auf die gleiche Weise in

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oppeterent. (4) Turesis sua cum manu noctem opperitur haud nescio duce nostro. igitur firmatae stationes densioribus globis. et ingruebat nox nimbo atrox, hostisque clamore turbido, modo per vastum silentium, incertos obsessores effecerat, cum Sabinus circumire, hortari, ne ad ambigua sonitus aut simulationem quietis casum insidiantibus aperirent, sed sua quisque munia servarent immoti telisque non in falsum iactis. 51 (1) Interea barbari catervis decurrentes nunc in vallum manualia saxa, praeustas sudes, decisa robora iacere, nunc virgultis et cratibus et corporibus exanimis complere fossas; quidam pontes et scalas ante fabricati inferre propugnaculis eaque prensare detrahere et adversum resistentes comminus niti. miles contra deturbare telis, pellere umbonibus, muralia pila, congestas lapidum molis provolvere. (2) his partae victoriae spes et, si cedant, insignitius flagitium, illis extrema iam salus et adsistentes plerisque matres et coniuges earumque lamenta addunt animos. nox aliis in audaciam, aliis ad formidinem opportuna; incerti ictus, vulnera improvisa; suorum atque hostium ignoratio et montis anfractu repercussae velut a tergo voces adeo cuncta miscuerant, ut quaedam munimenta Romani quasi perrupta omiserint. (3) neque tamen pervasere hostes nisi admodum pauci: ceteros, deiecto promptissimo quoque aut saucio, adpetente iam luce trusere in summa castelli, ubi tandem coacta deditio. et proxima sponte incorum recepta: reliquis, quo minus vi aut obsidio subigerentur, praematura montis Haemi et saeva hiems subvenit. 52 (1) At Romae commota principis domo, ut series futuri in Agrippinam exitii inciperet, Claudia Pulchra sobrina eius postulatur accusante Domitio Afro. is recens praetura, modicus dignationis et quoquo facinore properus clarescere, crimen impudicitiae, adulterum Furnium, veneficia in principem et

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den Tod gingen. (4) Turesis wartete mit seiner Truppe die Nacht ab; das wusste unser Kommandeur. Deshalb wurden die Feldposten durch dichtere Kampfgruppen verstärkt. Und die Nacht brach an mit einem grässlichen Unwetter, zudem hatte der Feind durch wüstes Geschrei, dann wieder durch Totenstille die Belagerer unsicher gemacht. Da ging Sabinus herum und mahnte, nicht auf unklare Geräusche oder eine gespielte Ruhe hin den lauernden Gegnern eine Gelegenheit zu bieten, sondern ein jeder solle seine Aufgaben erfüllen, ohne sich beeindrucken zu lassen und die Geschosse nur auf Verdacht zu schleudern. 51 (1) In der Zwischenzeit stürmten die Barbaren in Scharen herab und schleuderten bald gegen die Palisaden Steine aus der Hand, an der Spitze im Feuer gehärtete Pfähle und zugehauene Holzbalken, bald füllten sie mit Reisig, Flechtwerk und Leichen die Gräben auf; einige trugen Brücken und Leitern, die sie zuvor angefertigt hatten, an die Schutzwehren heran, packten diese, zogen sie nach unten und gingen gegen die Verteidiger im Nahkampf vor. Die Soldaten dagegen stießen sie mit ihren Waffen hinunter, trieben sie mit den Schildbuckeln zurück, setzten Mauerpilen32 ein und rollten Felsbrocken hinab, die sie zusammengetragen hatten. (2) Letzteren machten die Hoffnung, der Sieg sei schon errungen, und die im Falle ihres Versagens noch bemerkenswertere Schande Mut, Ersteren die Tatsache, dass es sich um die letzte Möglichkeit zur Rettung handelte, und die neben sehr vielen stehenden Mütter und Frauen und deren Gejammer. Die Nacht bot den einen Gelegenheit zur Kühnheit, den anderen zur Angst. Unsicher waren die Hiebe, Wunden unvorhersehbar. Die Tatsache, dass man die eigenen Leute von den Feinden nicht unterscheiden konnte, und die von der Krümmung des Bergs wie von hinten zurückgeworfenen Stimmen hatten ein derartiges allgemeines Durcheinander verursacht, dass die Römer einige Befestigungen aufgaben in der Meinung, sie seien schon überrannt. (3) Und doch schafften die Feinde mit ganz geringen Ausnahmen keinen Durchbruch; alle anderen trieb man, nachdem die tapfersten Kämpfer getötet oder verwundet worden waren, bei Tagesanbruch auf den höchsten Punkt des Kastells, wo endlich die Kapitulation erzwungen wurde. In der Umgebung ergab sich die Bevölkerung von sich aus; den Rest bewahrte der frühe und harte Winter im Hämusgebirge vor der Unterwerfung mit Gewalt oder durch Belagerung. 52 (1) Doch in Rom wurde das Haus des Princeps schwer erschüttert, und als Beginn einer Reihe von Ereignissen, die zu Agrippinas Untergang führen sollten, wurde ihre Cousine Claudia Pulchra auf eine Anklage des Domitius Afer hin vor Gericht gestellt. Der war gerade erst Prätor geworden, war kaum bekannt und deshalb schnell darauf aus, sich mit irgendeiner Schandtat einen Namen zu machen; er warf ihr unmoralischen Lebenswandel, Ehebruch mit Furnius und gegen den Princeps gerichtete Giftmischerei und Verwünschun-

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devotiones obiectabat. (2) Agrippina semper atrox, tum et periculo propinquae accensa, pergit ad Tiberium ac forte sacrificantem patri repperit. quo initio invidiae non eiusdem ait mactare divo Augusto victimas et posteros eius insectari. non in effigies mutas divinum spiritum transfusum: se imaginem veram, caelesti sanguine ortam, intellegere discrimen, suscipere sordes. frustra Pulchram praescribi, cui sola exitii causa sit, quod Agrippinam stulte prorsus ad cultum delegerit, oblita Sosiae ob eadem adflictae. (3) audita haec raram occulti pectoris vocem elicuere, correptamque Graeco versu admonuit non ideo laedi, quia non regnaret. Pulchra et Furnius damnantur. (4) Afer primoribus oratorum additus, divulgato ingenio et secuta adseveratione Caesaris, qua suo iure disertum eum appellavit; mox capessendis accusationibus aut reos tutando prosperiore eloquentiae quam morum fama fuit, nisi quod aetas extrema multum etiam eloquentiae dempsit, dum fessa mente retinet silentii impatientiam. 53 (1) At Agrippina pervicax irae et morbo corporis implicata, cum viseret eam Caesar, profusis diu ac per silentium lacrimis, mox invidiam et preces orditur: subveniret solitudini, daret maritum; habilem adhuc iuventam sibi, neque aliud probis quam ex matrimonio solacium; esse in civitate, *** Germanici coniugem ac liberos eius recipere dignarentur. (2) sed Caesar, non ignarus quantum ex re publica peteretur, ne tamen offensionis aut metus manifestus foret, sine responso quamquam instantem reliquit. id ego, a scriptoribus annalium non traditum, repperi in commentariis Agrippinae filiae, quae Neronis principis mater vitam suam et casus suorum posteris memoravit. 54 (1) Ceterum Seianus maerentem et improvidam altius perculit, immissis qui per speciem amicitiae monerent paratum ei venenum, vitandas soceri epulas. atque illa simulationum nescia, cum propter discumberet, non vultu aut

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gen vor. (2) Die stets grimmige Agrippina, jetzt auch noch durch die Gefahr, in der ihre Verwandte schwebte, hellauf empört, eilte zu Tiberius und traf ihn zufällig bei einem Opfer für seinen Vater an. Das war der Anlass für ihre Entrüstung: Derselbe Mann könne nicht für den vergöttlichten Augustus Opfertiere schlachten und seine Nachkommen verfolgen. Nicht auf stumme Bildnisse sei sein göttlicher Geist übergegangen. Sie sei das wahre Abbild, himmlischem Blut entsprossen, sie kenne die Gefahr und trage Lumpen33. Umsonst werde Pulchra vorgeschoben, deren Untergang einzig und allein darauf zurückzuführen sei, dass sie ausgesprochen töricht Agrippina zur Verehrung ausgesucht und dabei Sosia vergessen habe, die aus dem gleichen Grund ins Unglück geraten sei. (3) Nachdem er sich das angehört hatte, entlockte es ihm eine für seine verschlossene Brust seltene Äußerung, und er nahm sie bei der Hand und gab ihr mit einem griechischen Vers zu bedenken, sie werde nicht schon deswegen gekränkt, weil sie nicht herrsche. Pulchra und Furnius wurden verurteilt. (4) Afer zählte nun zu den Koryphäen unter den Rednern, nachdem sein Talent bekannt geworden war und die Bestätigung des Caesars dafür folgte, indem er ihn als glänzenden Redner eigener Klasse bezeichnete. In der Folgezeit zeigte er bei der Übernahme von Anklagen oder der Verteidigung von Angeklagten, dass der Ruf seiner Sprachgewalt besser war als der seines Charakters; nur büßte er im hohen Alter sogar viel von seiner Sprachgewalt ein, indem er trotz seiner geschwundenen geistigen Kräfte die Unfähigkeit zu schweigen beibehielt. 53 (1) Doch Agrippina blieb unnachgiebig in ihrer Empörung und war dazu noch krank geworden; als sie der Caesar besuchte, vergoss sie lange schweigend Tränen und begann dann mit entrüsteten Bitten: Er solle ihre Einsamkeit beheben, ihr einen Ehemann geben. Sie sei durchaus noch jung genug, und anständige Frauen fänden nur in der Ehe Trost; es gebe Männer in der Bürgerschaft, die … es sich zur Ehre anrechnen würden, die Gattin des Germanicus und seine Kinder zu sich zu nehmen. (2) Aber der Caesar ließ sie im vollen Bewusstsein der politischen Tragweite dieser Bitte und, um dennoch nicht ganz offen seine Verärgerung oder Furcht zu zeigen, trotz ihres Drängens ohne Antwort stehen. Diesen von den Verfassern von Annalen nicht überlieferten Vorfall habe ich in den Memoiren ihrer Tochter Agrippina gefunden, die als Mutter des Princeps Nero ihr Leben und das Schicksal ihrer Angehörigen der Nachwelt überliefert hat. 54 (1) Aber Sejan traf die in ihrer Trauer unüberlegte Frau dadurch noch tiefer, dass er Leute anstiftete, sie unter Vorspiegelung von Freundschaft darauf aufmerksam zu machen, das Gift stehe für sie schon bereit, sie solle die Bankette ihres Schwiegervaters meiden. Und als sie, unfähig sich zu verstellen, dann neben ihm Platz genommen hatte, verzog sie keine Miene, ließ

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sermone flecti, nullos attingere cibos, donec advertit Tiberius, forte an quia audiverat; idque quo acrius experiretur, poma, ut erant adposita, laudans nurui sua manu tradidit. aucta ex eo suspicio Agrippinae, et intacta ore servis tramisit. (2) nec tamen Tiberii vox coram secuta, sed obversus ad matrem non mirum ait, si quid severius in eam statuisset, a qua veneficii insimularetur. inde rumor parari exitium, neque id imperatorem palam audere, secretum ad perpetrandum quaeri. 55 (1) Sed Caesar, quo famam averteret, adesse frequens senatui legatosque Asiae, ambigentes quanam in civitate templum statueretur, plures per dies audivit. undecim urbes certabant, pari ambitione, viribus diversae. neque multum distantia inter se memorabant de vetustate generis, studio in populum Romanum per bella Persi et Aristonici aliorumque regum. (2) verum Hypaepeni Trallianique Laodicenis ac Magnetibus simul tramissi ut parum validi; ne Ilienses quidem, cum parentem urbis Romae Troiam referrent, nisi antiquitatis gloria pollebant. paulum addubitatum, quod alicarnasii mille et ducentos per annos nullo motu terrae nutavisse sedes suas vivoque in saxo fundamenta templi adseveraverant. Pergamenos (eo ipso nitebantur) aede Augusto ibi sita satis adeptos creditum. Ephesii Milesiique, hi Apollinis, illi Dianae caerimonia occupavisse civitates visi. (3) ita Sardianos inter Zmyrnaeosque deliberatum. Sardiani decretum Etruriae recitavere ut consanguinei: nam Tyrrhenum Lydumque Atye rege genitos ob multitudinem divise gentem; Lydum patriis in terris resedisse, Tyrrheno datum novas ut conderet sedes; et ducum e nominibus indita vocabula illis per Asiam, his in Italia; auctamque adhuc Lydorum opulentiam missis in Graeciam populis, cui mox a Pelope nomen. (4) simul litteras imperatorum et icta nobiscum foedera bello

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sich auf kein Gespräch ein und rührte keine Speisen an, bis Tiberius darauf aufmerksam wurde, aus Zufall oder weil er davon gehört hatte. Um diesem Verhalten noch genauer auf den Grund zu gehen, lobte er das Obst, das gerade aufgetragen worden war, und bot es seiner Schwiegertochter eigenhändig an. Das verstärkte Agrippinas Verdacht, und ohne es an den Mund zu führen, gab sie es an die Sklaven weiter. (2) Dennoch ließ Tiberius vor ihr kein Wort darüber fallen, sondern wandte sich seiner Mutter zu und sagte, es wäre kein Wunder, wenn er sich ein strengeres Vorgehen gegen die Frau vorgenommen hätte, von der er der Giftmischerei bezichtigt werde. Deshalb kam das Gerücht auf, man bereite ihren Sturz vor; der Oberbefehlshaber wage ihn aber nicht offen, sondern man suche zu seiner Durchführung einen geheimen Weg. 55 (1) Der Caesar aber nahm, um das Gerede davon abzulenken, häufig an Senatssitzungen teil und hörte mehrere Tage lang Gesandtschaften aus Asia an, die darüber diskutierten, in welcher Stadt der Tempel34 errichtet werden solle. Elf Städte wetteiferten darum mit gleichem Engagement, aber unterschiedlichem Gewicht. Die Gesichtspunkte, die sie vortrugen, unterschieden sich auch nicht stark voneinander: das Alter ihres Stammes und die Parteinahme für das römische Volk in den Kriegen gegen Perseus, Aristonicus und andere Könige. (2) Aber die Einwohner von Hypaepa und Tralleis wurden zusammen mit denen von Laodicea und Magnesia übergangen, weil ihre Argumente zu wenig überzeugten; selbst die Bewohner von Ilion zeigten sich, obwohl sie auf Troja als Mutter der Stadt Rom verwiesen, nur mit ihrer berühmten Vergangenheit stark. Ein bisschen zögerte man, weil die Einwohner von Halikarnass versichert hatten, 1200 Jahre lang sei ihre Siedlung bei keinem Erdbeben ins Schwanken geraten, und die Fundamente des Tempels stünden auf gewachsenem Fels. Hinsichtlich der Pergamener war man der Ansicht, dass sie – gerade darauf beriefen sie sich – mit dem Tempel, der dort für Augustus errichtet worden war, schon genug bekommen hatten. Die Epheser und Milesier schienen mit dem Kult des Apollon beziehungsweise der Diana ihre Gemeinden voll beansprucht zu haben. (3) So fiel die Entscheidung zwischen den Einwohnern von Sardes und Smyrna. Die Sardianer lasen eine Urkunde aus Etrurien als angebliche Blutsverwandte vor: Denn zwischen Tyrrhenus und Lydus, den Söhnen des Königs Atys, sei ihr Volk wegen der großen Bevölkerungszahl aufgeteilt worden. Lydus sei im Vaterland geblieben, Tyrrhenus habe den Auftrag erhalten, eine neue Siedlung zu gründen, und man habe sie nach den Namen ihrer Anführer bezeichnet, die einen in Asia, die anderen in Italien. Die Macht der Lyder sei noch dadurch gewachsen, dass man weitere Gruppen des Volks in das Griechenland schickte, das später nach Pelops seinen Namen erhielt. (4) Zudem wiesen sie auf Schreiben von Befehlshabern und mit uns im Krieg gegen die Makedonen

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Macedonum ubertatemque fluminum suorum, temperiem caeli ac dites circum terras memorabant. 56 (1) At Zmyrnaei repetita vetustate, seu Tantalus Iove ortus illos, sive Theseus divina et ipse stirpe, sive una Amazonum condidisset, transcendere ad ea, quis maxime fidebant, in populum Romanum officiis, missa navali copia non modo externa ad bella, sed quae in Italia tolerabantur; seque primos templum urbis Romae statuisse, M. Porcio consule, magnis quidem iam populi Romani rebus, nondum tamen ad summum elatis, stante adhuc Punica urbe et validis per Asiam regibus. (2) simul L. Sullam testem adferebant, gravissimo in discrimine exercitus ob asperitatem hiemis et penuriam vestis, cum id Zmyrnam in contionem nuntiatum foret, omnes qui adstabant detraxisse corpori tegmina nostrisque legionibus misisse. (3) ita rogati sententiam patres Zmyrnaeos praetulere. censuitque Vibius Marsus, ut M. Lepido, cui ea provincia obvenerat, super numerum legaretur, qui templi curam susciperet. et quia Lepidus ipse deligere per modestiam abnuebat, Valerius Naso e praetoriis sorte missus est. 57 (1) Inter quae diu meditato prolatoque saepius consilio tandem Caesar in Campaniam, specie dedicandi templa apud Capuam Iovi, apud Nolam Augusto, sed certus procul urbe degere. causam abscessus quamquam secutus plurimos auctorum ad Seiani artes rettuli, quia tamen caede eius patrata sex postea annos pari secreto coniunxit, plerumque permoveor, num ad ipsum referri verius sit, saevitiam ac libidinem, cum factis promeret, locis occultantem. (2) erant qui crederent in senectute corporis quoque habitum pudori fuisse: quippe illi praegracilis et incurva proceritas, nudus capillo vertex, ulcerosa facies ac plerumque medicaminibus interstincta; et Rhodi secreto vitare coetus, recondere voluptates insuerat. (3) traditur etiam matris impotentia extrusum, quam dominationis sociam aspernabatur neque depellere poterat,

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geschlossene Verträge sowie auf den Wasserreichtum ihrer Flüsse, das milde Klima und die ringsherum fruchtbaren Gebiete hin. 56 (1) Doch die Smyrnäer griffen auf ihre alte Vergangenheit zurück, sei es nun, dass der Jupiterspross Tantalus oder Theseus, auch er göttlicher Abstammung, oder eine der Amazonen sie gegründet habe, und gingen dann zu den Punkten über, auf die sie sich am meisten verließen, nämlich ihre Dienste für das römische Volk, auf die Flotte, die sie nicht nur für Kriege gegen äußere Feinde geschickt hatten, sondern auch für diejenigen, die man in Italien zu überstehen hatte; dazu seien sie die Ersten gewesen, die einen Tempel der Stadt Rom errichtet hätten unter dem Konsul M. Porcius35, als das Römische Reich zwar schon bedeutend war, aber noch nicht den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte, weil die punische Stadt immer noch stand und in Asia mächtige Könige herrschten. (2) Zugleich führten sie L. Sulla als Gewährsmann an: Als das Heer wegen des rauen Winters und des Fehlens von Bekleidung in höchster Not war und dieser Sachverhalt in Smyrna in der Volksversammlung gemeldet wurde, hätten alle Anwesenden ihre Gewänder abgelegt und unseren Legionen geschickt.36 (3) Deshalb gaben die Väter bei der Abstimmung den Smyrnäern den Vorzug. Ferner stellte Vibius Marsus den Antrag, M. Lepidus, dem diese Provinz zugefallen war, solle einen zusätzlichen Legaten erhalten, der für den Tempelbau zuständig sein solle. Und weil Lepidus es aus Bescheidenheit ablehnte, diesen Mann persönlich auszusuchen, wurde Valerius Naso aus dem Kreis der Prätorier ausgelost und mitgeschickt. 57 (1) Unterdessen führte der Caesar seinen lange überlegten und immer wieder verschobenen Plan endlich aus, nach Kampanien zu gehen, angeblich um Tempel einzuweihen, in Capua dem Jupiter, in Nola dem Augustus einen, tatsächlich aber war er fest entschlossen, fern der Hauptstadt sein Leben zu verbringen. Obwohl ich den Grund für den Weggang im Anschluss an die meisten Autoren auf die Machenschaften Sejans zurückgeführt habe, bewegt mich, weil er nach dessen Hinrichtung die sechs Jahre danach trotzdem ununterbrochen in der gleichen Abgeschiedenheit verbrachte, sehr oft die Frage, ob es richtiger wäre, dies auf seine Persönlichkeit zurückzuführen; wollte er doch Grausamkeit und Lüsternheit, obwohl er sie in seinen Taten an den Tag legte, durch die Örtlichkeiten verbergen. (2) Es gab Leute, die die Auffassung vertraten, im Alter habe er sich auch über seine körperliche Verfassung geschämt. Seine hoch aufgeschossene Gestalt war nämlich sehr hager und nach vorne gebeugt, der Scheitel kahl, das Gesicht von Geschwüren übersät und meist mit Pflastern überklebt. Und in der Abgeschiedenheit von Rhodos hatte er sich daran gewöhnt, Geselligkeit zu meiden und seine Lüste zu verheimlichen. (3) Auch wird überliefert, er sei durch die Herrschsucht seiner Mutter vertrieben worden, die er als Teilhaberin an seiner Gewaltherr-

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cum dominationem ipsam donum eius accepisset. nam dubitaverat Augustus Germanicum, sororis nepotem et cunctis laudatum, rei Romanae imponere, sed precibus uxoris evictus Tiberio Germanicum, sibi Tiberium adscivit; idque Augusta exprobrabat, reposcebat. 58 (1) Profectio arto comitatu fuit: unus senator consulatu functus, Cocceius Nerva, cui legum peritia; eques Romanus praeter Seianum ex inlustribus Curtius Atticus; ceteri liberalibus studiis praediti, ferme Graeci, quorum sermonibus levaretur. (2) ferebant periti caelestium iis motibus siderum excessisse Roma Tiberium, ut reditus illi negaretur, unde exitii causa multis fuit, properum finem vitae coniectantibus vulgantibusque; neque enim tam incredibilem casum providebant, ut undecim per annos libens patria careret. (3) mox patuit breve confinium artis et falsi, veraque quam obscuris tegerentur. nam in urbem non regressurum haud forte dictum: ceterorum nescii egere, cum propinquo rure aut litore et saepe moenia urbis adsidens extremam senectam compleverit. 59 (1) Ac forte illis diebus oblatum Caesari anceps periculum auxit vana rumoris praebuitque ipsi materiem, cur amicitiae constantiaeque Seiani magis fideret. vescebantur in villa, cui vocabulum Speluncae, mare Amunclanum inter Fundanos montes, nativo in specu. eius os lapsis repente saxis obruit quosdam ministros. (2) hinc metus in omnes et fuga eorum, qui convivium celebrabant: Seianus genu vultuque et manibus super Caesarem suspensus opposuit sese incidentibus, atque habitu tali repertus est a militibus, qui subsidio venerant. maior ex eo, et quamquam exitiosa suaderet, ut non sui anxius, cum fide audiebatur. (3) adsimulabatque iudicis partes adversum Germanici stirpem, subditis qui accusatorum nomina sustinerent maximeque insectarentur Neronem proximum successioni et, quamquam modesta iuventa, plerumque tamen quid in praesentiarum conducet oblitum, dum a libertis et clientibus, apiscendae potentiae properis, exstimulatur, ut erectum et fidentem

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schaft ablehnte, aber davon nicht fernhalten konnte, da er die Gewaltherrschaft selbst von ihr zum Geschenk bekommen habe. Denn Augustus hatte überlegt, Germanicus, dem allgemein gelobten Enkel seiner Schwester, das Römische Reich zu übertragen, aber er fügte sich den Bitten seiner Frau, ließ Tiberius den Germanicus adoptieren und adoptierte selbst Tiberius; das hielt ihm die Augusta (Livia) immer wieder vor und verlangte Gegenleistungen dafür. 58 (1) Der Aufbruch erfolgte nur mit geringem Gefolge: ein einziger Senator, der den Konsulat bekleidet hatte, nämlich Cocceius Nerva, ein Rechtsgelehrter; ein hochrangiger römischer Ritter außer Sejan, nämlich Curtius Atticus. Der Rest waren in den freien Künsten37 bewanderte Personen, fast nur Griechen; die Gespräche mit ihnen sollten zu seiner Unterhaltung beitragen. (2) Experten für Vorgänge am Himmel wiesen darauf hin, Tiberius habe bei solchen Gestirnsbewegungen Rom verlassen, dass ihm die Rückkehr versagt sei; das war der Grund des Untergangs für viele, die ein nahes Lebensende erschlossen und verbreiteten. Sie sahen nämlich einen derart unglaublichen Fall nicht voraus, dass er sich elf Jahre lang freiwillig von seiner Heimatstadt fernhalten werde. (3) Später zeigte sich deutlich, dass die Trennlinie zwischen Können und Irren nur schmal war und wie sehr die Wahrheit in Dunkel gehüllt wurde. Denn dass er nicht in die Hauptstadt zurückkehren werde, wurde nicht ins Blaue hinein gesagt; in allen anderen Punkten zeigten sie sich ahnungslos, weil er sich auf dem Land oder an der Küste in der Nähe und oft unmittelbar an den Mauern der Hauptstadt aufhielt und sehr alt wurde. 59 (1) Zufällig geriet in jenen Tagen der Caesar in Lebensgefahr; das verstärkte das nichtssagende Gerede und bot ihm selbst Stoff, sich noch stärker auf die unverbrüchliche Freundschaft Sejans zu verlassen. Man speiste in einem Landhaus, das Spelunca hieß und zwischen dem Amunklanischen Meer und den Fundanerbergen lag, in einer natürlichen Grotte. An ihrem Eingang verschütteten plötzlich herabstürzende Felsen einige Diener. (2) Allgemeine Angst und Flucht der Personen, die das Bankett feierten, waren die Folge. Sejan aber beugte sich mit Knie, Gesicht und Händen über den Caesar, warf sich den herabfallenden Steinen in den Weg und wurde in dieser Haltung von den Soldaten angetroffen, die zu Hilfe geeilt waren. Von da ab war er noch einflussreicher, und obwohl er verhängnisvolle Ratschläge erteilte, hörte man auf ihn voller Vertrauen, da er nicht an sich selbst denke. (3) Er spielte sich auch in der Richterrolle gegenüber der Nachkommenschaft des Germanicus auf, wobei er Leute vorschob, die als Ankläger auftreten und am heftigsten Nero, dem Nächsten in der Thronfolge, zusetzen sollten; obwohl dieser ein bescheidener junger Mann war, vergaß er doch immer wieder, was der Augenblick erforderte, weil er von Freigelassenen und Klienten, die schnell an die Macht kommen wollten, dazu aufgehetzt wurde, sich forsch und selbstbewusst zu zeigen. Das

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animi ostenderet: velle id populum Romanum, cupere exercitus, neque ausurum contra Seianum, qui nunc patientiam senis et segnitiam iuvenis iuxta insultet. 60 (1) Haec atque talia audienti nihil quidem pravae cogitationis, sed interdum voces procedebant contumaces et inconsultae, quas adpositi custodes exceptas auctasque cum deferrent neque Neroni defendere daretur, diversae insuper sollicitudinum formae oriebantur. (2) nam alius occursum eius vitare, quidam salutatione reddita statim averti, plerique inceptum sermonem abrumpere, insistentibus contra inridentibusque qui Seiano fautores aderant. enimvero Tiberius torvus aut falsum renidens vultu: seu loqueretur seu taceret iuvenis, crimen ex silentio, ex voce. ne nox quidem secura, cum uxor vigilias somnos suspiria matri Liviae atque illa Seiano patefaceret; qui fratrem quoque Neronis Drusum traxit in partes, spe obiecta principis loci, si priorem aetate et iam labefactum demovisset. (3) atrox Drusi ingenium super cupidinem potentiae et solita fratribus odia accendebatur invidia, quod mater Agrippina promptior Neroni erat. neque tamen Seianus ita Drusum fovebat, ut non in eum quoque semina futuri exitii meditaretur, gnarus praeferocem et insidiis magis opportunum. 61 Fine anni excessere insignes viri Asinius Agrippa, claris maioribus quam vetustis vitaque non degener, et Q. Haterius, familia senatoria, eloquentiae, quoad vixit, celebratae: monimenta ingeni eius haud perinde retinentur. scilicet impetu magis quam cura vigebat; utque aliorum meditatio et labor in posterum valescit, sic Haterii canorum illud et profluens cum ipso simul exstinctum est. 62 (1) M. LICINIO L. CALPURNIO consulibus ingentium bellorum cladem aequavit malum improvisum: eius initium simul et finis exstitit. nam coepto apud Fidenam amphitheatro Atilius quidam libertini generis, quo spectaculum gladiatorum celebraret, neque fundamenta per solidum subdidit neque firmis nexibus ligneam compagem superstruxit, ut qui non abundantia pecuniae nec municipali ambitione, sed in sordida mercede id

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wolle das römische Volk und wünschten die Heere, und Sejan, der jetzt die Nachgiebigkeit eines alten und die Laschheit eines jungen Mannes zusammen verhöhne, werde sich nicht getrauen, etwas dagegen zu unternehmen. 60 (1) Wenn er Äußerungen wie diese hörte, kam er zwar auf keine verkehrten Gedanken, aber manchmal ließ er aufsässige und unüberlegte Worte fallen. Weil diese die ihm zugeteilten Aufpasser auffingen und übertrieben weitergaben, ohne dass Nero eine Gelegenheit zur Verteidigung erhielt, kam es darüber hinaus zu verschiedenen beunruhigenden Szenen. (2) Denn der eine ging ihm aus dem Weg, andere erwiderten zwar seinen Gruß, drehten sich dann aber sofort wieder um, sehr viele brachen ein begonnenes Gespräch ab; dagegen stellten sich Anhänger Sejans, die dazukamen, zu ihm und lachten ihn aus. Außerdem setzte Tiberius eine finstere oder tückisch lächelnde Miene auf: Der junge Mann mochte reden oder schweigen, ein Vorwurf ergab sich aus dem Schweigen, aus dem Reden. Nicht einmal die Nacht war sicher, weil seine Frau, wann er wach lag, schlief, seufzte, ihrer Mutter Livia und die dann Sejan mitteilte. Dieser zog auch Neros Bruder Drusus auf seine Seite, indem er ihm Aussicht auf den Platz des Princeps machte, falls er den älteren, schon ins Straucheln geratenen Mann aus dem Weg räume. (3) Drusus’ schreckliches Wesen wurde über die Machtgier und die unter Brüdern üblichen Anfeindungen hinaus durch Neid aufgehetzt, weil ihre Mutter Agrippina mehr zu Nero hielt. Dennoch favorisierte Sejan Drusus nicht derart, dass er nicht auch gegen ihn die Saat des kommenden Untergangs überlegte in der Gewissheit, dass er äußerst unbeherrscht war und sich für einen hinterhältigen Angriff besser eignete. 61 Am Ende des Jahres verstarben die angesehenen Männer Asinius Agrippa, der eher berühmte als altehrwürdige Vorfahren hatte und in seiner Lebensführung ihnen nicht unebenbürtig war, und Q. Haterius, aus einer Senatorenfamilie stammend und sein ganzes Leben lang ein gefeierter Redner. Die Belege für sein Talent haben sich nicht entsprechend erhalten. Denn seine Stärke lag mehr im Schwung als in der Sorgfalt, und wie die durchdachten Arbeiten anderer bei der Nachwelt ihren Wert behalten, so versiegte des Haterius berühmter wohltönender Redefluss zusammen mit ihm. 62 (1) Unter den Konsuln M. LICINIUS und L. CALPURNIUS (27 n. Chr.) nahm ein überraschendes Unglück das Ausmaß einer Niederlage in gewaltigen Kriegen an. Sein Anfang und Ende fielen zusammen. Denn in Fidena hatte ein gewisser Atilius aus dem Stand der Freigelassenen ein Amphitheater begonnen, um dort ein Gladiatorenspiel zu veranstalten, setzte aber weder die Fundamente auf festen Grund noch verband er die Holzkonstruktion darüber mit starken Klammern – wie eben einer, der sich um diesen Auftrag nicht aus Überfluss an Geld und auch nicht im kleinstädtischen Wahlkampf beworben hatte, sondern

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negotium quaesivisset. (2) adfluxere avidi talium, imperitante Tiberio procul voluptatibus habiti, virile ac muliebre secus, omnis aetas, ob propinquitatem loci effusus; unde gravior pestis fuit, conferta mole, dein convulsa, dum ruit intus aut in exteriora effunditur immensamque vim mortalium, spectaculo intentos aut qui circum adstabant, praeceps trahit atque operit. (3) et illi quidem, quos principium stragis in mortem adflixerat, ut tali sorte, cruciatum effugere: miserandi magis quos abrupta parte corporis nondum vita deseruerat; qui per diem visu, per noctem ululatibus et gemitu coniuges aut liberos noscebant. iam ceteri fama exciti, hic fratrem, propinquum ille, alius parentes lamentari; etiam quorum diversa de causa amici aut necessarii aberant, pavere tamen; nequedum comperto quos illa vis perculisset, latior ex incerto metus. 63 (1) Ut coepere dimoveri obruta, concursus ad exanimos complectentium, osculantium; et saepe certamen, si confusior facies, sed par forma aut aetas errorem adgnoscentibus fecerat. quinquaginta hominum milia eo casu debilitata vel obtrita sunt; cautumque in posterum senatus consulto, ne quis gladiatorium munus ederet, cui minor quadringentorum milium res, neve amphitheatrum imponeretur nisi solo firmitatis spectatae. Atilius in exilium actus est. (2) ceterum sub recentem cladem patuere procerum domus, fomenta et medici passim praebiti, fuitque urbs per illos dies, quamquam maesta facie, veterum instituti similis, qui magna post proelia saucios largitione et cura sustentabant. 64 (1) Nondum ea clades exoleverat, cum ignis violentia urbem ultra solitum adfecit, deusto monte Caelio; feralemque annum ferebant et omnibus adversis susceptum principi consilium absentiae, qui mos vulgo, fortuita ad culpam

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um schnöden Gewinn zu machen. (2) Die Liebhaber solcher Veranstaltungen, die unter der Regierung des Tiberius von ihren Belustigungen ferngehalten wurden, Männer wie Frauen, alle Altersstufen, strömten herbei, wegen der Nähe des Ortes (zu Rom) in noch größerer Zahl. Deshalb war die Katastrophe besonders schlimm: Der Bau war völlig überfüllt und geriet dann aus den Fugen, wobei er nach innen zusammenbrach oder nach außen kippte und eine unzählige Menge Sterblicher, die gespannt dem Schauspiel zuschauten oder ringsherum dastanden, kopfüber in die Tiefe zog und unter sich begrub. (3) Und die Personen, die bei dem Einsturz gleich den Tod gefunden hatten, entgingen, soweit man bei einem solchen Schicksal überhaupt davon sprechen kann, wenigstens Qualen. Bedauernswerter waren die Opfer, die, obwohl ihnen ein Körperteil abgerissen worden war, das Leben noch nicht verlassen hatte; die tagsüber mit ihren Augen, nachts an dem Geheul und Stöhnen ihre Frauen und Kinder zu erkennen versuchten. Schon war auf die Nachricht hin die übrige Bevölkerung herbeigeeilt; der eine jammerte um seinen Bruder, um einen Verwandten der andere, wieder ein anderer um seine Eltern. Auch die Leute, deren Freunde oder Angehörige aus einem verschiedenen Grund abwesend waren, ängstigten sich dennoch, und solange man nicht genau wusste, wen dieses Unglück getroffen hatte, griff die Furcht aus der Unsicherheit heraus weiter um sich. 63 (1) Als man den Schutt wegzuräumen begann, liefen die Leute zu den ums Leben Gekommenen hin und umarmten und küssten sie; und oft kam es zu einer Auseinandersetzung, wenn ein ganz entstelltes Gesicht, aber gleiche Gestalt oder Alter beim Wiedererkennen zu einem Irrtum geführt hatte. 50 000 Menschen wurden bei diesem Unglück verstümmelt oder erschlagen, und man traf für die Zukunft mit einem Senatsbeschluss dafür Vorsorge, dass kein Gladiatorenspiel veranstalten dürfe, wer über ein Vermögen von weniger als 400 000 Sesterzen verfügte, und dass ein Amphitheater nur auf einem Grund errichtet werden dürfe, der zuvor auf seine Festigkeit überprüft worden war. Atilius wurde in die Verbannung geschickt. (2) Im Übrigen standen unter dem Eindruck der frischen Katastrophe die Häuser der Aristokraten offen, Verbandsmaterial und Ärzte wurden überall zur Verfügung gestellt, und die Hauptstadt glich in diesen Tagen trotz ihres traurigen Erscheinungsbilds den Gepflogenheiten der Alten, die nach großen Schlachten die Verwundeten mit Spenden und Pflege unterstützten. 64 (1) Diese Katastrophe war noch nicht überwunden, da verheerte eine ungewöhnlich heftige Feuersbrunst die Hauptstadt; auf dem Caeliushügel brannte alles nieder. Man sprach von einem Unglücksjahr und meinte, wegen der ungünstigen Vorzeichen habe der Princeps den Entschluss gefasst fernzubleiben, wie das Volk üblicherweise zufällige Ereignisse als schuldhaftes

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trahentes, ni Caesar obviam isset tribuendo pecunias ex modo detrimenti. (2) actaeque ei grates apud senatum ab inlustribus famaque apud populum, quia sine ambitione aut proximorum precibus, ignotos etiam et ultro accitos munificentia iuverat. (3) adduntur sententiae, ut mons Caelius in posterum Augustus appellaretur, quando cunctis circum flagrantibus sola Tiberii effigies, sita in domo Iunii senatoris, inviolata mansisset. evenisse id olim Claudiae Quintae, eiusque statuam vim ignium bis elapsam maiores apud aedem matris deum consecravisse. sanctos acceptosque numinibus Claudios, et augendam caerimoniam loco, in quo tantum in principem honorem di ostenderint. 65 Haud fuerit absurdum tradere montem eum antiquitus Querquetulanum cognomento fuisse, quod talis silvae frequens fecundusque erat, mox Caelium appellitatum a Caele Vibenna, qui dux gentis Etruscae, cum auxilium [appellatum] tavisset, sedem eam acceperat a Tarquinio Prisco, seu quis alius regum dedit; nam scriptores in eo dissentiunt. cetera non ambigua sunt: magnas eas copias per plana etiam ac foro propinqua habitavisse, unde Tuscum vicum e vocabulo advenarum dictum. 66 (1) Sed ut studia procerum et largitio principis adversum casus solacium tulerant, ita accusatorum maior in dies et infestior vis sine levamento grassabatur; corripueratque Varum Quinctilium, divitem et Caesari propinquum, Domitius Afer, Claudiae Pulchrae matris eius condemnator, nullo mirante quod diu egens et parto nuper praemio male usus plura ad flagitia accingeretur. (2) Publium Dolabellam socium delationis extitisse miraculo erat, quia claris maioribus et Varo conexus suam ipse nobilitatem, suum sanguinem perditum ibat. restitit tamen senatus et opperiendum imperatorem censuit, quod unum urgentium malorum suffugium in tempus erat. 67 (1) At Caesar dedicatis per Campaniam templis, quamquam edicto monuisset, ne quis quietem eius inrumperet, concursusque oppidanorum disposito milite prohiberentur, perosus tamen municipia et colonias omniaque

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Verhalten auslegt – wenn dann nicht der Caesar dem begegnet wäre, indem er dem Ausmaß des Schadens entsprechend Geld verteilte. (2) Dafür wurde ihm im Senat von den angesehensten Mitgliedern der Dank ausgesprochen, und beim Volk machte er sich einen Namen, weil er ohne Ansehen der Person oder die Bitten seiner nächsten Umgebung sogar unbekannten Leuten und anderen Menschen geholfen hatte, die er von sich aus einbezog. (3) Dazu kamen Anträge, den Caeliushügel zukünftig Augustus zu nennen; denn während alles ringsum abbrannte, sei nur eine im Haus des Senators Junius stehende Statue des Tiberius unversehrt geblieben. Das sei einst auch Claudia Quinta widerfahren, und deren Statue, die zweimal einer Feuersbrunst entgangen sei, hätten die Vorfahren im Tempel der Göttermutter geweiht.37 Gottgefällig und den höheren Wesen willkommen seien die Claudier, und man müsse die Heiligkeit des Ortes erhöhen, an dem die Götter dem Princeps so viel Ehre erwiesen hätten. 65 Nicht fehl am Platz dürfte der Hinweis sein, dass dieser Berg in alter Zeit Querquetulanus hieß, weil er einen dichten und fruchtbaren Bestand eines solchen Walds39 hatte; später wurde er dann Caelius genannt nach Caeles Vibenna, der als Anführer des etruskischen Volkes für eine Hilfeleistung diesen Platz zum Siedeln von Tarquinius Priscus erhalten hatte; vielleicht gab ihn aber auch ein anderer von den Königen her. Denn die Geschichtsschreiber sind sich in diesem Punkt nicht einig. Der Rest ist nicht umstritten: In großer Zahl hätten sie auch in der Ebene und der Umgebung des Forums gewohnt; daher sei das Etruskerviertel nach dem Namen der Zuwanderer benannt worden. 66 (1) Doch wie die Bemühungen der Aristokraten und die Freigebigkeit des Princeps Trost im Unglück gespendet hatten, so wütete die von Tag zu Tag größer und bedrohlicher werdende Gewalttätigkeit der Ankläger unvermindert weiter; und so hatte den Varus Quinctilius, einen reichen Verwandten des Caesars, Domitius Afer in den Fängen, der schon die Verurteilung seiner Mutter Claudia Pulchra veranlasst hatte. Darüber wunderte sich niemand, weil er, lange mittellos, den frisch erworbenen Lohn durchgebracht hatte und sich deshalb für noch mehr Schandtaten rüstete. (2) Dass aber Publius Dolabella als Mitdenunziant auftrat, war erstaunlich, weil der, obwohl er von berühmten Vorfahren abstammte und mit Varus verwandt war, selbst nun daranging, seinen eigenen Adel, sein eigenes Blut40 zu vernichten. Der Senat widersetzte sich dennoch und beschloss, den Oberbefehlshaber abzuwarten, was für den Augenblick die einzige Zuflucht bei heraufziehendem Unheil war. 67 (1) Doch obwohl der Caesar nach der Einweihung der Tempel in Kampanien in einem Erlass davor gewarnt hatte, in seine Ruhe einzubrechen, und obwohl Ansammlungen der Stadtbewohner durch den Aufmarsch von Soldaten verhindert wurden, versteckte er sich aus Widerwillen gegen die Landstädte,

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in continenti sita, Capreas se in insulam abdidit, trium milium freto ab extremis Surrentini promunturii diiunctam. (2) solitudinem eius placuisse maxime crediderim, quoniam importuosum circa mare et vix modicis navigiis pauca subsidia; neque adpulerit quisquam nisi gnaro custode. caeli temperies hieme mitis obiectu montis, quo saeva ventorum arcentur; aestas in favonium obversa et aperto circum pelago peramoena; prospectabatque pulcherrimum sinum, antequam Vesuvius mons ardescens faciem loci verteret. Graecos ea tenuisse Capreasque Telebois habitatas fama tradit. (3) sed tum Tiberius duodecim villarum nominibus et molibus insederat, quanto intentus olim publicas ad curas, tanto occultior in luxus et malum otium resolutus. manebat quippe suspicionum et credendi temeritas, quam Seianus augere etiam in urbe suetus acrius turbabat non iam occultis adversum Agrippinam et Neronem insidiis. (4) quis additus miles nuntios introitus, aperta secreta velut in annales referebat, ultroque struebantur, qui monerent perfugere ad Germaniae exercitus vel celeberrimo fori effigiem divi Augusti amplecti populumque ac senatum auxilio vocare. eaque spreta ab illis, velut pararent, obiciebantur. 68 (1) IUNIO SILANO et SILIO NERVA consulibus foedum anni principium incessit tracto in carcerem inlustri equite Romano Titio Sabino ob amicitiam Germanici. neque enim omiserat coniugem liberosque eius percolere, sectator domi, comes in publico, post tot clientes unus eoque apud bonos laudatus et gravis iniquis. (2) hunc Latinius Latiaris, Porcius Cato, Petilius Rufus, M. Opsius praetura functi adgrediuntur, cupidine consulatus, ad quem non nisi per Seianum aditus; neque Seiani voluntas nisi scelere quaerebatur. compositum inter ipsos, ut Latiaris, qui modico usu Sabinum contingebat, strueret dolum, ceteri testes adessent, deinde accusationem inciperent. (3) igitur Latiaris iacere fortuitos primum sermones, mox laudare constantiam, quod non, ut ceteri, florentis

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die Kolonien und alle auf dem Festland gelegenen Orte auf der Insel Capri, die durch eine drei Meilen breite Meerenge von der Spitze des Sorrentiner Vorgebirges getrennt ist. (2) Ihre Abgeschiedenheit hat ihm meiner Ansicht nach vor allem deshalb gefallen, weil das Meer ringsum keine Häfen hat und es kaum für kleinere Schiffe ein paar Zufluchtsorte gibt. Auch dürfte dort niemand ohne Wissen des Wachtpostens landen können. Das Klima ist im Winter mild wegen der Barriere eines Bergs, durch den die rauen Winde abgehalten werden. Der Sommer ist höchst angenehm, weil die Insel dem Westwind zugewandt und das Meer ringsum offen ist, und sie bot Aussicht auf einen wunderschönen Golf, bis der Berg Vesuv in Flammen ausbrach und das Aussehen der Landschaft veränderte.41 Dass Griechen dieses Gebiet bewohnt haben und Capri von Teleboern besiedelt wurde, überliefert die Sage. (3) Damals aber hatte sich Tiberius unter Verwendung von Namen und Bauten42 von zwölf Villen niedergelassen, und je nachdrücklicher er sich einst öffentlichen Aufgaben gewidmet hatte, desto heimlicheres Wohlleben und schlimmes Nichtstun genoss er nun zügellos. Es blieb nämlich sein unberechenbares Schwanken zwischen Argwohn und Leichtgläubigkeit, das Sejan, daran gewöhnt, es auch schon in der Hauptstadt zu verstärken, noch heftiger aufwühlte mit nun nicht mehr geheimen hinterhältigen Angriffen auf Agrippina und Nero. (4) Ihnen zugeteilte Soldaten berichteten über Botschaften, Besucher, offene und geheime Vorgänge wie in Annalen43, und darüber hinaus stiftete man Leute an, ihnen zu raten, zu den Heeren in Germanien zu fliehen oder bei voll bevölkertem Forum die Statue des vergöttlichten Augustus zu umarmen und Volk und Senat um Hilfe anzurufen. Obwohl diese Verhaltensweisen von ihnen abgelehnt wurden, warf man sie ihnen vor, als ob sie sie ins Auge fassten. 68 (1) Unter den Konsuln IUNIUS SILANUS und SILIUS NERVA (28 n. Chr.) begann das Jahr mit einem abscheulichen Vorfall: Der vornehme römische Ritter Titius Sabinus wurde wegen seiner Freundschaft mit Germanicus in den Kerker geworfen. Er hatte nämlich nicht davon abgelassen, dessen Gemahlin und Kindern seine Ergebenheit zu zeigen, als ihr Gefolgsmann zu Hause und Begleiter in der Öffentlichkeit, nach so vielen Klienten nur mehr der einzige, der deshalb von den rechtschaffenen Leuten gelobt wurde und unerträglich für die gehässigen war. (2) Ihn griffen Latinius Latiaris, Porcius Cato, Petillius Rufus und M. Opsius, ehemalige Prätoren, an, weil sie den Konsulat erreichen wollten, zu dem der Zugang nur über Sejan führte; Sejans guten Willen konnte man aber nur mit einem Verbrechen gewinnen. Man vereinbarte untereinander, dass Latiaris, der mit Sabinus lose in Verbindung stand, ihm eine Falle stellen und die anderen als Zeugen dabei sein sollten; dann wollten sie die Anklage einleiten. (3) Deshalb knüpfte Latiaris zuerst zufällige Gespräche an, dann lobte er seine Charakterfestigkeit, weil er nicht wie alle anderen als Freund

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domus amicus adflictam deseruisset; simul honora de Germanico Agrippinam miserans disserebat. et postquam Sabinus, ut sunt molles in calamitate mortalium animi, effudit lacrimas, iunxit questus, audentius iam onerat Seianum, saevitiam superbiam spes eius; ne in Tiberium quidem convicio abstinet. (4) iique sermones, tamquam vetita miscuissent, speciem artae amicitiae fecere. ac iam ultro Sabinus quaerere Latiarem, ventitare domum, dolores suos quasi ad fidissimum deferre. 69 (1) Consultant quos memoravi, quonam modo ea plurium auditu acciperentur. nam loco, in quem coibatur, servanda solitudinis facies; et si pone foris adsisterent, metus visus sonitus aut forte ortae suspicionis erat. tectum inter et laquearia tres senatores haud minus turpi latebra quam detestanda fraude sese abstrudunt, foraminibus et rimis aurem admovent. (2) interea Latiaris repertum in publico Sabinum, velut recens cognita narraturus, domum et in cubiculum trahit praeteritaque et instantia, quorum adfatim copia, ac novos terrores cumulat. eadem ille et diutius, quanto maesta, ubi semel prorupere, difficilius reticentur. (3) properata inde accusatio, missisque ad Caesarem litteris ordinem fraudis suumque ipsi dedecus narravere. non alias magis anxia et pavens civitas, egens adversum proximos; congressus, conloquia, notae ignotaeque aures vitari; etiam muta atque inanima, tectum et parietes circumspectabantur. 70 (1) Sed Caesar sollemnia incipientis anni kalendis Ianuariis epistula precatus, vertit in Sabinum, corruptos quosdam libertorum et petitum se arguens, ultionemque haud obscure poscebat. nec mora quin decerneretur; et trahebatur damnatus, quantum obducta veste et adstrictis faucibus niti poterat, clamitans sic inchoari annum, has Seiano victimas cadere. (2) quo intendisset oculos, quo verba acciderent, fuga vastitas, deseri itinera fora. et quidam regrediebantur ostentabantque se rursum, id ipsum paventes, quod timuissent. (3) quem enim

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eines Hauses in guten Zeiten dieses in der Not im Stich gelassen habe; nebenbei ließ er anerkennenswerte Worte über Germanicus einfließen und bedauerte dabei Agrippina. Und als Sabinus, empfindlich wie Sterbliche im Unglück nun einmal sind, in Tränen ausbrach und Klagen anschloss, wurde er kühner und belastete dann schon Sejan, seine Grausamkeit, seinen Hochmut und seine Hoffnungen; ja, er unterließ es nicht einmal, sich über Tiberius abfällig zu äußern. (4) Und so erweckten diese Gespräche, als hätten sie verbotene Informationen ausgetauscht, den Anschein einer engen Freundschaft. Nun suchte Sabinus schon von sich aus Latiaris auf, kam häufig in sein Haus und teilte ihm seinen Kummer wie seinem zuverlässigsten Vertrauten mit. 69 (1) Die von mir erwähnten Männer berieten, wie man das mehr Personen zu Gehör bringen könne. Denn der Ort, an dem man zusammenkam, musste den Anschein der Abgeschiedenheit beibehalten; und falls sie sich hinter eine Tür stellten, musste man befürchten, gesehen oder gehört zu werden oder zufällig Verdacht zu erregen: Zwischen Dach und Zimmerdecke verkrochen sich die drei Senatoren in einem Versteck, das nicht weniger schändlich war als ihre Heimtücke verabscheuungswürdig, und pressten das Ohr an Löcher und Ritzen! (2) Inzwischen hatte Latiaris den Sabinus auf der Straße getroffen und zog ihn so, als wolle er Neuigkeiten erzählen, in sein Haus und Schlafzimmer. Er überschüttete ihn mit vergangenen und aktuellen Vorfällen, von denen er mehr als genug zu erzählen wusste, und mit neuen Schreckensnachrichten. Das Gleiche tat dieser und noch ausführlicher, weil Kummer, wenn er einmal herausbricht, nur recht schwer wieder zum Schweigen gebracht wird. (3) Eiligst wurde die Anklage vorbereitet, und in einem Brief an den Caesar erzählten sie selbst den Ablauf ihres hinterhältigen Vorgehens und ihre eigene Schande. Zu keinem anderen Zeitpunkt erlebte die Bürgerschaft mehr Angst und Schrecken, hielt sich den engsten Freunden gegenüber bedeckt. Zusammenkünfte und Gespräche, bekannte und unbekannte Ohren mied man; sogar nach stummen und leblosen Gegenständen, nach Zimmerdecken und Wänden sah man sich prüfend um. 70 (1) Doch der Caesar sprach in einem Brief am 1. Januar feierliche Wünsche zum Jahresbeginn aus und wandte sich dann Sabinus zu, dem er vorwarf, einige Freigelassene seien bestochen worden und er sei das Ziel gewesen, und verlangte unverblümt seine Bestrafung. Ohne Aufschub wurde sie beschlossen, und der Verurteilte wurde abgeführt, wobei er, so laut er unter der über den Kopf gezogenen Toga und mit zugeschnürter Kehle konnte, schrie, so fange man das Jahr an, das seien die Opfer, die für Sejan fielen. (2) Wohin er seine Augen wandte, wohin seine Worte fielen, gab es nur Flucht und Leere; man verließ Wege und Foren, und manche kehrten um und ließen sich wieder sehen, aus Angst genau davor, dass sie sich gefürchtet hatten. (3) Welcher Tag bleibe

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diem vacuum poena, ubi inter sacra et vota, quo tempore verbis etiam profanis abstineri mos esset, vincla et laqueus inducantur? non prudentem Tiberium tantam invidiam adisse: quaesitum meditatumque, ne quid impedire credatur, quo minus novi magistratus, quo modo delubra et altaria, sic carcerem recludant. (4) secutae insuper litterae grates agentis, quod hominem infensum rei publicae punivissent, adiecto trepidam sibi vitam, suspectas inimicorum insidias, nullo nominatim compellato; neque tamen dubitabatur in Neronem et Agrippinam intendi. 71 (1) Ni mihi destinatum foret suum quaeque in annum referre, avebat animus antire statimque memorare exitus, quos Latinius atque Opsius ceterique flagitii eius repertores habuere, non modo postquam C. Caesar rerum potitus est, sed incolumi Tiberio, qui scelerum ministros ut perverti ab aliis nolebat, ita plerumque satiatus et oblatis in eandem operam recentibus veteres et praegraves adflixit. verum has atque alias sontium poenas in tempore trademus. (2) tum censuit Asinius Gallus, cuius liberorum Agrippina matertera erat, petendum a principe ut metus suos senatui fateretur amoverique sineret. (3) nullam aeque Tiberius, ut rebatur, ex virtutibus suis quam dissimulationem diligebat: eo aegrius accepit recludi quae premeret. sed mitigavit Seianus, non Galli amore, verum ut cunctationes principis opperiretur, gnarus lentum in meditando, ubi prorupisset, tristibus dictis atrocia facta coniungere. (4) Per idem tempus Iulia mortem obiit, quam neptem Augustus convictam adulterii damnaverat proieceratque in insulam Trimetum, haud procul Apulis litoribus. illic viginti annis exilium toleravit Augustae ope sustentata, quae florentes privignos cum per occultum subvertisset, misericordiam erga adflictos palam ostentabat. 72 (1) Eodem anno Frisii, transrhenanus populus, pacem exuere, nostra magis avaritia quam obsequii impatientes. tributum iis Drusus iusserat modicum pro angustia rerum, ut in usus militares coria boum penderent, non intenta cuiusquam cura, quae firmitudo, quae mensura, donec Olennius e primipilaribus,

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nämlich noch frei von Bestrafung, wo doch zwischen Opfern und Gelübden, in der Zeit, in der man sich dem Brauch nach sogar unheiliger Worte enthalte, Fesseln und der Strick angelegt würden? Nicht unabsichtlich sei Tiberius zu einem derart gehässigen Verhalten geschritten: Es sei sorgfältig überlegt worden, damit nicht der Eindruck entstehe, etwas könne die neuen Amtsinhaber daran hindern, ebenso wie Heiligtümer und Altäre auch den Kerker aufzuschließen. (4) Es folgte zudem ein Brief, in dem er sich dafür bedankte, dass sie einen Staatsfeind bestraft hätten, mit dem Zusatz, voller Angst sei sein Leben und man müsse mit Anschlägen seiner Feinde rechnen, ohne dass er jemanden namentlich genannt hätte. Dennoch war das ohne jeden Zweifel auf Nero und Agrippina gezielt. 71 (1) Wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, alle Ereignisse in das betreffende Jahr aufzunehmen, hätte ich Lust, vorzugreifen und sofort das Ende zu erwähnen, das Latinius, Opsius und die anderen Erfinder dieser Schandtat nahmen, nicht erst nach der Herrschaftsübernahme durch C. Caesar, sondern noch zu Tiberius’ Lebzeiten. Genauso wie dieser nicht wollte, dass die Handlanger bei seinen Verbrechen von anderen vernichtet würden, ließ er meistens, wenn er sie satthatte und sich für die gleiche Tätigkeit neue anboten, die alten, zu lästig gewordenen fallen. Doch werde ich über die Bestrafung dieser und anderer schuldiger Personen zu gegebener Zeit berichten.44 (2) Dann stellte Asinius Gallus, dessen Kinder Agrippina zur Tante mütterlicherseits hatten, den Antrag, den Princeps zu bitten, seine Befürchtungen offen dem Senat mitzuteilen und ihre Beseitigung zu gestatten. (3) Keinen seiner vermeintlichen Vorzüge schätzte Tiberius so sehr wie die Verstellung; umso ärgerlicher nahm er es auf, dass aufgedeckt wurde, was er unterdrücken wollte. Doch Sejan beruhigte ihn, nicht aus Liebe zu Gallus, sondern um das zögernde Verhalten des Princeps abzuwarten, wohl wissend, dass dieser langsam beim Überlegen war, dann aber, wenn er losstürmte, grimmigen Worten sofort schreckliche Taten folgen ließ. (4) Zur gleichen Zeit fand Julia den Tod, die Enkelin, die Augustus, als sie des Ehebruchs überführt war, verurteilt und auf die Insel Trimetum fortgejagt hatte, die nicht weit vor den Küsten Apuliens liegt. Dort ertrug sie zwanzig Jahre lang die Verbannung, unterstützt von der Augusta (Livia), die, nachdem sie ihre glücklichen Stiefkinder im Geheimen ins Unglück gestürzt hatte, Mitleid mit den Vernichteten offen zur Schau trug. 72 (1) Im selben Jahr schüttelten die Friesen, ein rechtsrheinisches Volk, den Frieden ab, mehr wegen unserer Habsucht, als weil sie die Unterordnung nicht mehr ertrugen. Drusus hatte ihnen in Anbetracht ihrer dürftigen Verhältnisse nur einen mäßigen Tribut auferlegt: Sie sollten für militärische Zwecke Rinderhäute liefern, wobei niemand darauf achtete, welche Stärke, welche Größe sie hatten, bis Olennius, einer von den Primipilaren, der zur Verwal-

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regendis Frisiis impositus, terga urorum delegit, quorum ad formam acciperentur. (2) id, aliis quoque nationibus arduum, apud Germanos difficilius tolerabatur, quis ingentium beluarum feraces saltus, modica domi armenta sunt. ac primo boves ipsos, mox agros, postremo corpora coniugum aut liberorum servitio tradebant. (3) hinc ira et questus, et postquam non subveniebat, remedium ex bello. rapti qui tributo aderant milites et patibulo adfixi; Olennius infensos fuga praevenit, receptus castello, cui nomen Flevum; et haud spernenda illic civium sociorumque manus litora Oceani praesidebat. 73 (1) Quod ubi L. Apronio inferioris Germaniae pro praetore cognitum, vexilla legionum e superiore provincia peditumque et equitum auxiliarium delectos accivit ac simul utrumque exercitum Rheno devectum Frisiis intulit, soluto iam castelli obsidio et ad sua tutanda degressis rebellibus. igitur proxima aestuaria aggeribus et pontibus traducendo graviori agmini firmat. (2) atque interim repertis vadis alam Canninefatem et quod peditum Germanorum inter nostros merebat circumgredi terga hostium iubet; qui iam acie compositi pellunt turmas sociales equitesque legionum subsidio missos. tum tres leves cohortes ac rursum duae, dein tempore interiecto alarius eques immissus: satis validi, si simul incubuissent, per intervallum adventantes neque constantiam addiderant turbatis et pavore fugientium auferebantur. (3) Cethego Labeoni legato quintae legionis quod reliquum auxiliorum tradit. atque ille dubia suorum re in anceps tractus missis nuntiis vim legionum implorabat. prorumpunt quintani ante alios et acri pugna hoste pulso recipiunt cohortes alasque fessas vulneribus. neque dux Romanus ultum iit aut corpora humavit, quamquam multi tribunorum praefectorumque et insignes centuriones cecidissent. (4) mox compertum a transfugis nongentos Romanorum apud lucum, quem Baduhennae vocant, pugna in posterum extracta confectos,

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tung des Friesengebiets eingesetzt war, Auerochsenfelle als Norm für die Annahme festlegte. (2) Das wäre auch für andere Völker eine harte Forderung gewesen, konnte aber von den Germanen nur unter noch größeren Schwierigkeiten hingenommen werden, die zwar Waldgebiete voller riesiger Wildtiere, aber nur kleinwüchsiges Hausvieh haben. Und so mussten sie zuerst die Rinder selbst, dann ihr Ackerland, schließlich die Leiber ihrer Frauen und Kinder in die Sklaverei ausliefern. (3) Das führte zu wütenden Protesten, und nachdem man keine Abhilfe schuf, suchte man das Heil im Krieg. Die Soldaten, die zur Eintreibung des Tributs gekommen waren, wurden überfallen und gekreuzigt. Olennius kam den empörten Menschen durch Flucht zuvor und wurde in einem Kastell namens Flevum aufgenommen; eine nicht unbeträchtliche Truppe von Bürgern und Bundesgenossen schützte dort die Küstengebiete des Ozeans. 73 (1) Sobald L. Apronius, der Proprätor Untergermaniens, davon erfuhr, ließ er die Veteranenabteilungen aus der oberen Provinz und infanteristische und kavalleristische Eliteeinheiten der Bundesgenossen kommen, fuhr mit beiden Heeren zugleich den Rhein hinunter und fiel bei den Friesen ein, nachdem die Belagerung des Kastells schon aufgehoben und die Aufständischen zum Schutz ihres Landes abgezogen waren. Deshalb versah er die nächstgelegenen Niederungen am Meer durch Dämme und Brücken mit einem festen Untergrund, um die schwerere Kolonne hinüberführen zu können. (2) In der Zwischenzeit ließ er auf Furten, die man entdeckt hatte, ein Kanninefatenregiment und was an germanischer Infanterie unter unseren Leuten diente, die Feinde im Rücken umgehen; die hatten sich schon zur Schlacht aufgestellt und schlugen die bundesgenössischen Kavallerieabteilungen und die Legionskavallerie, die zu Hilfe geschickt worden waren, in die Flucht. Daraufhin wurden drei leichte Kohorten und dann nochmals zwei, anschließend nach einer Pause die Flügelkavallerie eingesetzt: Stark genug, wenn sie auf einmal angegriffen hätten, hatten sie durch ihr Anrücken in Abständen einerseits die in Unordnung geratenen Abteilungen nicht zum Stehen bringen können und wurden andererseits durch die in Panik fliehenden Soldaten mitgerissen. (3) Dem Legaten der fünften Legion Cethegus Labeo übergab er den Rest der Hilfstruppen. Dieser geriet durch die schwierige Situation seiner Leute in höchste Gefahr, schickte Meldereiter und bat um den Einsatz der Legionen. Die Fünfer stürmten vor den anderen nach vorn, schlugen in einem erbitterten Kampf den Feind und nahmen die durch Verwundungen geschwächten Kohorten und Kavallerieregimenter auf. Aber der römische Kommandeur schritt nicht zur Vergeltung oder ließ die Leichen bestatten, obwohl viele Tribune, Kommandanten und ausgezeichnete Zenturionen gefallen waren. (4) Dann erfuhr man von Überläufern, 900 Römer seien an einem als Baduhennas Hain bezeichneten Ort in einem bis in den folgenden Tag hinein dauernden Kampf aufgerieben worden,

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et aliam quadringentorum manum occupata Cruptorigis quondam stipendiari villa, postquam proditio metuebatur, mutuis ictibus procubuisse. 74 (1) Clarum inde inter Germanos Frisium nomen, dissimulante Tiberio damna, ne cui bellum permitteret. neque senatus in eo cura, an imperii extrema dehonestarentur: pavor internus occupaverat animos, cui remedium adulatione quaerebatur. (2) ita, quamquam diversis super rebus consulerentur, aram clementiae, aram amicitiae effigiesque circum Caesaris ac Seiani censuere; crebrisque precibus efflagitabant visendi sui copiam facerent. (3) non illi tamen in urbem aut propinqua urbi degressi sunt: satis visum omittere insulam et in proximo Campaniae aspici. eo venire patres eques, magna pars plebis, anxii erga Seianum, cuius durior congressus atque eo per ambitum et societate consiliorum parabatur. (4) satis constabat auctam ei adrogantiam foedum illud in propatulo servitium spectanti; quippe Romae sueti discursus, et magnitudine urbis incertum, quod quisque ad negotium pergat: ibi campo aut litore iacentes nullo discrimine noctem ac diem iuxta gratiam aut fastus ianitorum perpetiebantur donec id que vetitum. (5) et revenere in urbem trepidi, quos non sermone, non visu dignatus erat, quidam male alacres, quibus infaustae amicitiae gravis exitus imminebat. 75 Ceterum Tiberius neptem Agrippinam, Germanico ortam, cum coram Cn. Domitio tradidisset, in urbe celebrari nuptias iussit. in Domitio super vetustatem generis propinquum Caesaribus sanguinem delegerat; nam is aviam Octaviam et per eam Augustum avunculum praeferebat.

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und eine andere Einheit von 400 Mann, die das Landhaus des ehemaligen Söldners Cruptorix besetzt hatte, sei, als man Verrat fürchtete, gefallen, indem sie sich gegenseitig erschlugen. 74 (1) Berühmt war von da an unter den Germanen der Name der Friesen, wobei Tiberius die Verluste verheimlichte, um niemanden mit dem Krieg betrauen zu müssen. Auch der Senat kümmerte sich nicht darum, ob die Randgebiete des Reichs mit Schande überzogen wurden: Die Furcht im Inneren hatte die Menschen in Beschlag genommen, für die ein Gegenmittel in der Kriecherei gesucht wurde. (2) Deshalb beschloss man, obwohl man über ganz andere Punkte beriet, einen Altar der Nachsicht, einen Altar der Freundschaft zu errichten und zu beiden Seiten Bildnisse des Caesars und Sejans; auch bat man wiederholt nachdrücklich, sie möchten sich doch wieder sehen lassen. (3) Trotzdem kamen sie nicht in die Hauptstadt oder in ihre nähere Umgebung; es schien zu reichen, die Insel zu verlassen und sich im nächstgelegenen Gebiet von Kampanien zu zeigen. Dorthin kamen Väter, Ritter, eine große Volksmenge, voller Angst vor Sejan, mit dem ein Zusammentreffen noch schwieriger war und deshalb mit Beziehungen und Beteiligung an seinen Plänen bewerkstelligt werden musste. (4) Man war allgemein davon überzeugt, dass sein Hochmut stieg, als er diese grauenhafte Unterwürfigkeit in aller Öffentlichkeit sah. Denn in Rom ist man an das geschäftige Treiben gewöhnt, und dank der Größe der Hauptstadt weiß man nicht, zu welcher Tätigkeit einer gerade eilt. Dort aber lagerten sie auf freiem Feld oder am Strand und ließen ohne Unterschied bei Nacht wie bei Tag das herablassend entgegenkommende oder hochmütig abweisende Benehmen der Türhüter über sich ergehen, bis sogar das verboten wurde. (5) Und ängstlich zitternd kehrten die Leute in die Hauptstadt zurück, die er keines Gesprächs, keines Blicks gewürdigt hatte, manche jedoch unangebracht frohgemut, weil ihrer unseligen Freundschaft ein bedrückendes Ende drohte. 75 Tiberius aber ordnete an, seine Enkelin Agrippina, die Tochter des Germanicus, solle, nachdem er sie persönlich Cn. Domitius45 zur Frau gegeben hatte, in der Hauptstadt die Hochzeit feiern. In Domitius hatte er außer seinem alten Geschlecht die Blutsverwandtschaft mit den Caesaren ausgewählt. Denn er konnte mit Octavia als Großmutter und über sie mit Augustus als Großonkel aufwarten.

LIBER QUINTUS 1 (1) RUBELLIO et FUFIO consulibus, quorum utrique GEMINUS cognomentum erat, Iulia Augusta mortem obiit, aetate extrema, nobilitatis per Claudiam familiam et adoptione Liviorum Iuliorumque clarissimae. primum ei matrimonium et liberi fuere cum Tiberio Nerone, qui bello Perusino profugus, pace inter Sex. Pompeium ac triumviros pacta in urbem rediit. (2) exim Caesar cupidine formae aufert marito, incertum an invitam, adeo properus, ut ne spatio quidem ad enitendum dato penatibus suis gravidam induxerit. nullam posthac subolem edidit, sed sanguini Augusti per coniunctionem Agrippinae et Germanici adnexa communes pronepotes habuit. (3) sanctitate domus priscum ad morem, comis ultra quam antiquis feminis probatum, mater impotens, uxor facilis et cum artibus mariti, simulatione filii bene composita. (4) funus eius modicum, testamentum diu inritum fuit. laudata est pro rostris a C. Caesare pronepote, qui mox rerum potitus est. 2 (1) At Tiberius, quod supremis in matrem officiis defuisset, nihil mutata amoenitate vitae, magnitudinem negotiorum per litteras excusavit, honoresque memoriae eius ab senatu large decretos quasi per modestiam imminuit, paucis admodum receptis et addito, ne caelestis religio decerneretur: sic ipsam maluisse. (2) quin et parte eiusdem epistulae increpuit amicitias muliebres, Fufium consulem oblique perstringens. is gratia Augustae floruerat, aptus alliciendis feminarum animis, dicax idem et Tiberium acerbis facetiis inridere solitus, quarum apud praepotentes in longum memoria est. 3 (1) Ceterum ex eo praerupta iam et urgens dominatio. nam incolumi Augusta erat adhuc perfugium, quia Tiberio inveteratum erga matrem obsequium neque Seianus audebat auctoritati parentis antire: tunc velut frenis exsoluti proruperunt, missaeque in Agrippinam ac Neronem litterae, quas pridem allatas et cohibitas ab Augusta credidit vulgus: haud enim multum post

Buch V 1 (1) Unter den Konsuln RUBELLIUS und FUFIUS, die beide den Beinamen GEMINUS hatten (29 n. Chr.), starb Iulia Augusta (Livia) in sehr hohem Alter; durch die claudische Familie und die Adoption durch Livier und Julier gehörte sie zum allerhöchsten Adel.1 Ihre erste Ehe und Kinder hatte sie mit Tiberius Nero; dieser war im Perusinischen Krieg geflohen, kehrte aber nach dem Friedensschluss zwischen Sex. Pompeius und den Triumvirn in die Hauptstadt zurück.2 (2) Dann nahm sie Caesar (Oktavian/Augustus) aus Gier nach ihrer Schönheit ihrem Mann weg – unsicher bleibt, ob gegen ihren Willen; aber er hatte es derart eilig, dass er ihr nicht einmal Zeit zur Niederkunft ließ, sondern sie schwanger in sein Haus führte.3 Danach gebar sie keine Nachkommen mehr, aber sie hatte, weil sie mit dem Blut des Augustus durch die eheliche Verbindung Agrippinas mit Germanicus verwandt war, gemeinsame Urenkel mit ihm.4 (3) Sie war von einer häuslichen Sittsamkeit der althergebrachten Art, herzlicher, als es Frauen in früheren Zeiten gutgeheißen hätten, als Mutter tonangebend, als Ehefrau nachgiebig und an das intrigante Wesen ihres Mannes, die Falschheit ihres Sohnes gut angepasst. (4) Ihr Leichenbegängnis war einfach, das Testament wurde lange nicht vollstreckt. Die Lobrede hielt von der Rednerbühne herab ihr Urenkel C. Caesar, der später die Herrschaft übernahm. 2 (1) Doch Tiberius entschuldigte sein Fehlen bei den letzten Ehren für seine Mutter, ohne sein angenehmes Leben aufzugeben, brieflich mit dem Ausmaß seiner Aufgaben und strich die zu ihrem Andenken vom Senat reichlich beschlossenen Ehrungen angeblich aus Bescheidenheit zusammen, wobei er nur wenige beibehielt und anfügte, man dürfe keine göttliche Verehrung beschließen; so habe sie das selbst lieber gewollt. (2) Ja, an einer Stelle desselben Briefs schimpfte er über ihre Weiberfreundschaften mit einem Seitenhieb auf den Konsul Fufius. Der war durch die Gunst der Augusta hochgekommen, geschickt darin, Frauenherzen für sich zu gewinnen, zugleich schlagfertig und daran gewöhnt, sich über Tiberius mit beißenden Späßen lustig zu machen, die Machthabern lange im Gedächtnis haften bleiben. 3 (1) Aber von diesem Zeitpunkt an war die Gewaltherrschaft nur mehr schroff und bedrückend. Denn solange die Augusta lebte, gab es immer noch einen Zufluchtsort, weil Tiberius einen tief verwurzelten Respekt vor seiner Mutter zeigte und auch Sejan es nicht wagte, ihre elterliche Autorität zu überbieten. Nun aber stürzten sie wie von Zügeln befreit hervor, und es wurde ein gegen Agrippina und Nero gerichteter Brief geschickt, der der Meinung des einfachen Volks nach schon zuvor überbracht und von der Augusta zurückgehalten

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Liber quintus

mortem eius recitatae sunt. (2) verba inerant quaesita asperitate, sed non arma, non rerum novarum studium, amores iuvenum et impudicitiam nepoti obiectabat. in nurum ne id quidem confingere ausus, adrogantiam oris et contumacem animum incusavit, magno senatus pavore ac silentio, donec pauci, quis nulla ex honesto spes (et publica mala singulis in occasionem gratiae trahuntur), ut referretur postulavere, promptissimo Cotta Messalino cum atroci sententia. (3) sed aliis a primoribus maximeque a magistratibus trepidabatur: quippe Tiberius, etsi infense invectus, cetera ambigua reliquerat. 4 (1) Fuit in senatu Iunius Rusticus, componendis patrum actis delectus a Caesare eoque meditationes eius introspicere creditus. is fatali quodam motu (neque enim ante specimen constantiae dederat) seu prava sollertia, dum imminentium oblitus incerta pavet, inserere se dubitantibus ac monere consules, ne relationem inciperent; disserebatque brevibus momentis summa verti: posse quandoque Germanici stitium paenitentiae seni. (2) simul populus effigies Agrippinae ac Neronis gerens circumsistit curiam faustisque in Caesarem omnibus falsas litteras et principe invito exitium domui eius intendi clamitat. (3) ita nihil triste illo die patratum. ferebantur etiam sub nominibus consularium fictae in Seianum sententiae, exercentibus plerisque per occultum atque eo procacius libidinem ingeniorum. (4) unde illi ira violentior et materies criminandi: spretum dolorem principis ab senatu, descivisse populum; audiri iam et legi novas contiones, nova patrum consulta; quid reliquum nisi ut caperent ferrum et, quorum imagines pro vexillis secuti forent, duces imperatoresque deligerent?

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worden war; er wurde nämlich nicht lange nach ihrem Tod verlesen. (2) Er enthielt Ausführungen von ausgesuchter Deutlichkeit, aber er warf dem Enkel keinen bewaffneten Aufruhr, keine umstürzlerischen Bestrebungen, sondern nur Affären mit jungen Männern und einen unmoralischen Lebenswandel vor. Gegen seine Schwiegertochter wagte er nicht einmal das zu erdichten, beklagte sich aber über ihre hochmütige Ausdrucksweise und ihr aufsässiges Gebaren, wobei der Senat völlig verängstigt schwieg, bis einige wenige Mitglieder, die sich von einem ehrenwerten Verhalten nichts versprachen – sogar das Unglück des Staates wird von einzelnen Personen ja dazu benützt, sich ins rechte Licht zu setzen –, verlangten, die Angelegenheit in die Tagesordnung aufzunehmen; besonders hervor tat sich Cotta Messalinus mit einem furchtbaren Antrag. (3) Aber bei anderen führenden Persönlichkeiten und am meisten bei den Amtsinhabern herrschte nur Bestürzung; denn Tiberius hatte, so feindselig sein Angriff auch war, alles Weitere offen gelassen. 4 (1) Im Senat befand sich Iunius Rusticus; er war vom Caesar dazu bestimmt worden, die Senatsprotokolle zu erstellen, und man glaubte deshalb, er habe Einblick in seine Überlegungen. Der gesellte sich, einer verhängnisvollen Eingebung folgend – zuvor hatte er nämlich kein Beispiel von Entschlossenheit gegeben – oder auch in unangebrachter Raffinesse, weil er nicht an die unmittelbar bevorstehenden Gefahren dachte, sondern sich vor ungewissen Entwicklungen fürchtete, zu den unschlüssigen Senatoren und warnte die Konsuln davor, mit der Sachbehandlung zu beginnen. Dazu führte er aus, durch geringfügige Anstöße könnten sich die größten Umwälzungen ergeben; es könne sein, dass der Untergang der Nachkommen des Germanicus den alten Mann einmal reue. (2) Zur gleichen Zeit stand das Volk mit Bildern Agrippinas und Neros um die Kurie herum und rief laut unter Glückwünschen für den Caesar, der Brief sei eine Fälschung und gegen den Willen des Princeps plane man den Untergang für sein Haus. (3) Deshalb richtete man an diesem Tag kein Unheil an. Es zirkulierten sogar unter den Namen von Konsularen erfundene Anträge gegen Sejan, wobei sehr viele – anonym und deshalb um so frecher – ihrer Lust an geistvollem Spiel frönten. (4) Dadurch wurde seine Wut noch heftiger, und er fand Stoff für Beschuldigungen: Missachtet worden sei der Kummer des Princeps vom Senat, das Volk sei abgefallen; man höre schon und lese von unerhörten Versammlungen, unerhörten Beschlüssen der Väter. Was fehle da noch, und sie griffen zum Schwert und wählten die Personen, deren Bildern sie wie Fahnen nachgelaufen seien, zu Kommandeuren und Befehlshabern?

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Liber quintus

5 Igitur Caesar repetitis adversum nepotem et nurum probris increpitaque per edictum plebe, questus apud patres quod fraude unius senatoris imperatoria maiestas elusa publice foret, integra tamen sibi cuncta postulavit. nec ultra deliberatum, quo minus non quidem extrema decernerent (id enim vetitum), sed paratos ad ultionem vi principis impediri testarentur.

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5 Deshalb wiederholte der Caesar die Vorwürfe gegen Enkel und Schwiegertochter, machte dem einfachen Volk in einem Erlass heftige Vorwürfe, beklagte sich bei den Vätern darüber, dass durch die Bosheit eines einzigen Senators die Erhabenheit des Oberbefehlshabers öffentlich lächerlich gemacht worden sei, und verlangte dennoch, ihm alles zur Entscheidung zu überlassen. So beriet man nicht weiter darüber, nicht gerade die schwerste Strafe zu verhängen – das war nämlich verboten –, sondern zu beteuern, man sei zur Vergeltung bereit und werde nur durch die Macht des Princeps davon abgehalten. Der Lücke in der Überlieferung sind die Ereignisse von Frühjahr 29 bis Herbst 31 zum Opfer gefallen, darunter die Verbannung Agrippinas und Neros und dessen Tod, die Einkerkerung ihres jüngeren Sohnes Drusus, der Höhepunkt der Macht Sejans und sein Sturz im Jahre 31.

LIBER SEXTUS V 6 (1) … Quattuor et quadraginta orationes super ea re habitae, ex quis ob metum paucae, plures adsuetudine … (2) ‘… mihi pudorem aut Seiano invidiam adlaturum censui. versa est fortuna, et ille quidem, qui collegam et generum adsciverat, sibi ignoscit; ceteri, quem per dedecora fovere, cum scelere insectantur. miserius sit ob amicitiam accusari an amicum accusare, haud discreverim. non crudelitatem, non clementiam cuiusquam experiar, sed liber et mihi ipsi probatus antibo periculum. vos obtestor, ne memoriam nostri per maerorem quam laeti retineatis, adiciendo me quoque iis, qui fine egregio publica mala effugerunt.’ V 7 (1) Tunc singulos, ut cuique adsistere adloqui animus erat, retinens aut dimittens partem diei absumpsit, multoque adhuc coetu et cunctis intrepidum vultum eius spectantibus, cum superesse tempus novissimis crederent, gladio, quem sinu abdiderat, incubuit. (2) neque Caesar ullis criminibus aut probris defunctum insectatus est, cum in Blaesum multa foedaque incusavisset. V 8 (1) Relatum inde de P. Vitellio et Pomponio Secundo, illum indices arguebant claustra aerarii, cui praefectus erat, et militarem pecuniam rebus novis obtulisse; huic a Considio praetura functo obiectabatur Aelii Galli amicitia, qui punito Seiano in hortos Pomponii quasi fidissimum ad subsidium perfugisset. (2) neque aliud periclitantibus auxilii quam in fratrum constantia fuit, qui vades exstitere. mox crebris prolationibus spem ac metum iuxta gravatus Vitellius petito per speciem studiorum scalpro levem ictum venis intulit vitamque aegritudine animi finivit. at Pomponius multa morum elegantia et ingenio inlustri, dum adversam fortunam aequus tolerat, Tiberio superstes fuit.

Buch VI V 6 (1)1 … 44 Reden wurden dazu gehalten, von denen aus Furcht nur wenige, die Mehrzahl aus Gewohnheit … (2) „… war ich der Auffassung, dass ich mir Schande oder Sejan Hass einbringen werde. Das Glück hat sich gewendet, und der Mann, der sich ihn als Kollegen und Schwiegersohn2 ausgesucht hatte, verzeiht sich selbst, während alle anderen nun mit kriminellen Methoden die Person angreifen, die sie mit ihrem gemeinen Verhalten gefördert haben. Ob es erbärmlicher ist, wegen einer Freundschaft angeklagt zu werden oder einen Freund anzuklagen, möchte ich nicht entscheiden. Ich werde nicht die Grausamkeit, nicht die Nachsicht von irgendjemandem auf die Probe stellen, sondern frei und mit mir selbst im Reinen der Gefahr zuvorkommen. Euch beschwöre ich, das Andenken an mich nicht traurig, sondern froh zu bewahren, indem ihr auch mich zu denen rechnet, die durch ein großartiges Lebensende dem Unglück des Staates entkommen sind.“ V 7 (1) Dann behielt er einzelne Personen, sofern sie den Wunsch hatten, bei ihm stehen zu bleiben und sich mit ihm zu unterhalten, bei sich oder verabschiedete sich und verbrachte so einen Teil des Tages. Dabei scharten sich immer noch viele Leute um ihn, und alle sahen seinen unerschrockenen Gesichtsausdruck. Sie glaubten deshalb, er lasse sich noch Zeit mit dem letzten Schritt, da stürzte er sich in das Schwert, das er in der Gewandfalte versteckt hatte. (2) Der Caesar verfolgte den Verstorbenen nicht mit irgendwelchen Anschuldigungen oder Vorwürfen, während er gegen Blaesus viele hässliche Anklagen erhoben hatte. V 8 (1) Verhandelt wurde daraufhin gegen P. Vitellius und Pomponius Secundus. Den einen beschuldigten die Denunzianten, er habe die Schlüssel der Staatskasse, deren Leiter er war, und das Geld für das Militär für einen Umsturz zur Verfügung gestellt; dem anderen wurde von Considius, der die Prätur ausgeübt hatte, die Freundschaft mit Aelius Gallus vorgeworfen, der nach der Bestrafung Sejans in den Park des Pomponius sozusagen als den sichersten Zufluchtsort geflohen sei. (2) Keine andere Unterstützung gab es in dieser schwierigen Lage für sie als die entschlossene Haltung ihrer Brüder, die sich als Bürgen zur Verfügung stellten. Dann ließ sich Vitellius, der durch die häufigen Vertagungen die Hoffnung ebenso nicht mehr aushielt wie die Furcht, angeblich um sich Notizen zu machen, ein Federmesser geben, brachte sich damit einen leichten Schnitt in die Adern bei und beendete sein Leben völlig deprimiert. Pomponius dagegen, ein ungewöhnlich kultivierter Mann mit glänzenden Geistesgaben, überlebte Tiberius, weil er sein schlimmes Schicksal gelassen hinnahm.

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Liber sextus

V 9 (1) Placitum posthac, ut in reliquos Seiani liberos adverteretur, vanescente quamquam plebis ira ac plerisque per priora supplicia lenitis. igitur portantur in carcerem filius imminentium intellegens, puella adeo nescia, ut crebro interrogaret, quod ob delictum et quo traheretur; neque facturam ultra, et posse se puerili verbere moneri. (2) tradunt temporis eius auctores, quia triumvirali supplicio adfici virginem inauditum habebatur, a carnifice laqueum iuxta compressam; exim oblisis faucibus id aetatis corpora in Gemonias abiecta. V 10 (1) Per idem tempus Asia atque Achaia exterritae sunt acri magis quam diuturno rumore, Drusum Germanici filium apud Cycladas insulas, mox in continenti visum. et erat iuvenis hau dispari aetate, quibusdam Caesaris libertis velut adgnitus; per dolumque comitantibus adliciebantur ignari fama nominis et promptis Graecorum animis ad nova et mira. (2) quippe lapsum custodiae pergere ad paternos exercitus, Aegyptum aut Syriam invasurum fingebant simul credebantque. iam iuventutis concursu, iam publicis studiis frequentabatur, laetus praesentibus et inanium spe, cum auditum id Poppaeo Sabino: is Macedoniae tum intentus Achaiam quoque curabat. (3) igitur quo vera seu falsa antiret, Toronaeum Thermaeumque sinum praefestinans, mox Euboeam Aegaei maris insulam et Piraeum Atticae orae, dein Corinthiense litus angustiasque Isthmi evadit; marique alio Nicopolim Romanam coloniam ingressus, ibi demum cognoscit sollertius interrogatum, quisnam foret, dixisse M. Silano genitum, et multis sectatorum dilapsis ascendisse navem, tamquam Italiam peteret. scripsitque haec Tiberio, neque nos originem finemve eius rei ultra comperimus.

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V 9 (1) Anschließend beschloss man, gegen die übrigen Kinder Sejans3 vorzugehen, obwohl der Volkszorn schon abflaute und die Mehrzahl durch die vorangegangenen Hinrichtungen beschwichtigt war. Deshalb wurden sie ins Gefängnis geworfen, der Sohn im Bewusstsein dessen, was ihm bevorstand, das Mädchen derart ahnungslos, dass es immer wieder fragte, was es denn falsch gemacht habe und wohin man es bringe; sie werde es nicht mehr tun, und man könne sie doch wie bei einem Kind üblich mit der Rute zurechtweisen. (2) Zeitgenössische Autoren berichten, sie sei, weil man es als unerhört ansah, auf Anordnung der Dreimänner4 eine Jungfrau hinzurichten, vom Henker angesichts des Stricks missbraucht worden. Dann warf man mit zugeschnürten Kehlen die Leichen – dieses Alters! – auf die Gemonische Treppe. V 10 (1) Zur gleichen Zeit wurden Asia und Achaia durch das mehr aufregende als hartnäckige Gerücht in Angst und Schrecken versetzt, Drusus, der Sohn des Germanicus, sei auf Kykladeninseln, dann auf dem Festland gesehen worden. Es handelte sich tatsächlich um einen ungefähr gleichaltrigen jungen Mann, in dem einige Freigelassene des Caesars ihn erkannt haben wollten; und weil sie sich ihm in betrügerischer Absicht anschlossen, ließen sich ahnungslose Leute durch seinen bekannten Namen und die ausgeprägte Vorliebe der Griechen für alle ausgefallenen und fantastischen Vorkommnisse anlocken. (2) Aus der Haft entflohen, sei er nämlich nun auf dem Weg zu den Heeren seines Vaters und werde dann in Ägypten oder Syrien einfallen, machte man sich vor und glaubte es zugleich. Schon wurde er durch den Zulauf junger Leute, schon durch öffentliche Sympathiekundgebungen gefeiert,5 und er freute sich über seine augenblickliche Lage und seine völlig unbegründete Hoffnung, als Poppaeus Sabinus davon hörte; der war damals für Makedonien zuständig, betreute aber auch Achaia. (3) Deshalb fuhr er, um dem wahren oder falschen Sachverhalt vorzubeugen, schleunigst am Golf von Torone und Therme, dann an Euböa, einer Insel im Ägäischen Meer, und dem Piräus an der attischen Küste vorbei und ging schließlich am Strand von Korinth und an der Meerenge des Isthmus an Land. Nachdem er über das andere Meer6 in die römische Kolonie Nicopolis eingezogen war, erfuhr er dort schließlich, auf geschicktere Fragen, wer er sei, habe er sich als Sohn des M. Silanus bezeichnet, und nachdem sich viele seiner Anhänger wieder davongemacht hätten, sei er an Bord eines Schiffes gegangen, anscheinend um nach Italien zu fahren. Sabinus schrieb das Tiberius; ich habe aber über den Ausgangspunkt oder das Ende dieses Vorfalls weiter nichts in Erfahrung bringen können.

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V 11 (1) Exitu anni diu aucta discordia consulum erupit. nam Trio, facilis capessendis inimicitiis et foro exercitus, ut segnem Regulum ad opprimendos Seiani ministros oblique perstrinxerat: ille, nisi lacesseretur, modestiae retinens, non modo rettudit collegam, sed ut noxium coniurationis ad disquisitionem trahebat. (2) multisque patrum orantibus ponerent odia in perniciem itura, mansere infensi ac minitantes, donec magistratu abirent. VI 1 (1) CN. DOMITIUS et CAMILLUS SCRIBONIANUS consulatum inierant, cum Caesar tramisso quod Capreas et Surrentum interluit freto Campaniam praelegebat, ambiguus an urbem intraret, seu, quia contra destinaverat, speciem venturi simulans. et saepe in propinqua degressus, aditis iuxta Tiberim hortis, saxa rursum et solitudinem maris repetiit, pudore scelerum et libidinum, quibus adeo indomitis exarserat, ut more regio pubem ingenuam stupris pollueret. (2) nec formam tantum et decora corpora, sed in his modestam pueritiam, in aliis imagines maiorum incitamentum cupidinis habebat. tuncque primum ignota antea vocabula reperta sunt sellariorum et spintriarum ex foeditate loci ac multiplici patientia; praepositique servi, quirerent pertraherent, dona in promptos, minas adversum abnuentes, et si retinerent propinquus aut parens, vim raptus suaque ipsi libita velut in captos exercebant. 2 (1) At Romae principio anni, quasi recens cognitis Liviae flagitiis ac non pridem etiam punitis, atroces sententiae dicebantur in figies quoque ac memoriam eius, et bona Seiani ablata aerario ut in fiscum cogerentur, tam referret. (2) Scipiones haec et Silani et Cassii isdem ferme aut paulum immutatis verbis adseveratione multa censebant, cum repente Togonius Gallus, dum ignobilitatem suam magnis nominibus inserit, per deridiculum auditur. (3) nam principem orabat deligere senatores, ex quis viginti sorte ducti et ferro accincti, quotiens curiam inisset, salutem eius defenderent. crediderat

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V 11 (1) Am Ende des Jahres brach die sich schon lange verschärfende Feindschaft der Konsuln offen aus. Denn Trio, stets bereit, sich Feinde zu machen, und auf dem Forum erfahren, hatte Regulus in versteckten Anspielungen vorgeworfen, er sei gegen die Handlanger Sejans nur lasch vorgegangen. Der aber, wenn man ihn nicht reizte, ein zurückhaltender Mann, wies den Angriff des Kollegen nicht nur ab, sondern leitete gegen ihn als Mitschuldigen an der Verschwörung eine Untersuchung ein. (2) Und so blieben sie, obwohl viele Väter baten, den Hass beizulegen, der nur ins Unglück führe, verfeindet und drohten einander, bis sie aus dem Amt schieden. VI 1 (1) CN. DOMITIUS und CAMILLUS SCRIBONIANUS hatten den Konsulat angetreten (32 n. Chr.), da überquerte der Caesar das schmale Meer, das zwischen Capri und Sorrent wogt, und fuhr an Kampanien entlang, unschlüssig, ob er die Hauptstadt betreten solle; vielleicht wollte er, weil er sich bereits anders entschieden hatte, aber auch nur den Anschein erwecken, er werde kommen. Und so begab er sich oft in ihre Umgebung, besuchte die Parks am Tiber und kehrte dann doch wieder zu den Felsen und in die Einsamkeit des Meeres zurück, aus Scham vor seinen Verbrechen und sexuellen Lüsten, für die er derart hemmungslos entbrannt war, dass er in der Art eines Königs sogar frei geborene Knaben bei unerlaubtem Geschlechtsverkehr missbrauchte. (2) Dabei dienten als Anreiz für seine Leidenschaft nicht nur Schönheit und gutes Aussehen, sondern bei den einen ihre knabenhafte Unschuld, bei anderen die Bilder der Vorfahren7. Damals erfand man auch die bis dahin unbekannten Bezeichnungen der Latrinen- und Schließmuskelfreunde8 nach dem schmutzigen Ort und den vielfachen Möglichkeiten, sich willfährig zu zeigen. Es wurden auch Sklaven dafür angestellt, Opfer auszusuchen und anzuschleppen; sie beschenkten bereitwillige Knaben und bedrohten widerspenstige, und falls ein Verwandter oder ein Elternteil sie zurückhalten wollte, entführten sie sie mit Gewalt und ließen selbst an ihnen ihre Gelüste wie an Kriegsgefangenen aus. 2 (1) Doch in Rom wurden am Jahresbeginn, so als ob man von den Schandtaten der Livia gerade erst erfahren und sie nicht längst schon sogar bestraft hätte, schroff formulierte Anträge gestellt, die sich auch gegen ihre Bilder und ihr Andenken richteten; ferner sollte das Vermögen Sejans der Staatskasse entnommen und dem Fiskus zugeschlagen werden, als ob das einen Unterschied gemacht hätte. (2) Es waren Scipionen, Silaner und Cassier, die das in fast identischem oder nur wenig verändertem Wortlaut mit allem Nachdruck beantragten, da ließ sich plötzlich Togonius Gallus, weil er seine unbekannte Herkunft unter die großen Namen einreihen wollte, in lächerlicher Art und Weise vernehmen. (3) Denn er bat den Princeps, Senatoren auszuwählen, von denen zwanzig ausgelost werden und, mit dem Schwert umgürtet, bei jedem Betreten der Kurie sein Leben verteidigen sollten. Er hatte tatsächlich

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nimirum epistulae subsidio sibi alterum ex consulibus poscentis, ut tutus a Capreis urbem peteret. (4) Tiberius tamen, ludibria seriis permiscere solitus, egit grates benevolentiae patrum: sed quos omitti posse, quos deligi? semperne eosdem an subinde alios? et honoribus perfunctos an iuvenes, privatos an e magistratibus? quam deinde speciem fore sumentium in limine curiae gladios? neque sibi vitam tanti, si armis tegenda foret. (5) haec adversus Togonium vrbis moderans neque ultra abolitionem sententiae suaderet. 3 (1) At Iunium Gallionem, qui censuerat, ut praetoriani actis stipendiis ius apiscerentur in quattuordecim ordinibus sedendi, violenter increpuit, velut coram rogitans, quid illi cum militibus, quos neque dicta [imperatoris] neque praemia nisi ab imperatore accipere par esset. (2) repperisse prorsus quod divus Augustus non providerit. an potius discordiam et seditionem a satellite Seiani quaesitam, qua rudes animos nomine honoris ad corrumpendum militiae morem propelleret? (3) hoc pretium Gallio meditatae adulationis tulit, statim curia, deinde Italia exactus; et quia incusabatur facile toleraturus exilium delecta Lesbo, insula nobili et amoena, retrahitur in urbem custoditurque domibus magistratuum. (4) isdem litteris Caesar extium Paconianum praetorium perculit magno patrum gaudio, audacem maleficum, omnium secreta rimantem delectumque ab Seiano, cuius ope dolus C. Caesari pararetur. quod postquam patefactum, prorupere concepta pridem odia, et summum supplicium decernebatur, ni professus indicium foret. 4 (1) Ut vero Lucanium Latiarem ingressus est, accusator ac reus iuxta invisi gratissimum spectaculum praebebant. Latiaris, ut rettuli, praecipuus olim circumveniendi Titii Sabini et tunc luendae poenae primus fuit. (2) inter quae Haterius Agrippa consules anni prioris invasit, cur mutua accusatione intenta nunc silerent: metum prorsus et noxae conscientiam pro foedere haberi; at non patribus reticenda quae audivissent. (3) Regulus manere

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ein Schreiben ernst genommen, in dem er sich einen der Konsuln als Schutz erbat, um sicher von Capri aus in die Hauptstadt reisen zu können.9 (4) Tiberius, der es ja gewohnt war, Spaß und Ernst zu vermengen, bedankte sich dennoch bei den Vätern für ihr Entgegenkommen. Aber wen könne man übergehen, wen auswählen? Stets dieselben oder immer wieder andere? Und Leute, die Ehrenämter bekleidet hätten, oder junge Männer, Privatpersonen oder jemand von den Amtsinhabern? Welches Bild gäben schließlich Senatoren ab, die auf der Schwelle zur Kurie nach ihren Schwertern griffen? Auch liege ihm nicht so viel am Leben, wenn man es schon mit Waffen beschützen müsse. (5) Das erwiderte er auf Togonius in zurückhaltendem Ton und ohne über die Empfehlung hinauszugehen, den Antrag abzulehnen. 3 (1) Doch Iunius Gallio, der beantragt hatte, die Prätorianer sollten nach dem Ende ihrer Dienstzeit das Recht erhalten, in den vierzehn Reihen10 zu sitzen, tadelte er heftig, so als frage er ihn persönlich, was denn er mit den Soldaten zu schaffen habe, die Befehle und Belohnungen nur von ihrem Oberbefehlshaber entgegennehmen dürften. (2) Er habe bestimmt etwas ausfindig gemacht, was der vergöttlichte Augustus nicht vorhergesehen habe. Oder sei es etwa gar so, dass von einem Spießgesellen Sejans Zwietracht und Unruhe zu stiften versucht worden sei, mit denen er ungebildete Gemüter unter dem Vorwand einer Ehrung zur Untergrabung der militärischen Zucht verleiten wolle? (3) Folgenden Preis zahlte Gallio für seine ausgeklügelte Speichelleckerei: Er wurde sofort aus der Kurie, dann aus Italien vertrieben; und auf den Vorwurf hin, er werde die Verbannung leicht ertragen, weil er Lesbos ausgesucht hatte, die berühmte, angenehme Insel, wurde er in die Hauptstadt zurückgeholt und in den Häusern von Amtsinhabern in Haft gehalten. (4) Mit dem gleichen Schreiben brachte der Caesar den ehemaligen Prätor Sextius Paconianus zur großen Freude der Väter zu Fall, einen frechen, bösartigen Kerl, der die Geheimnisse aller ausschnüffelte und von Sejan dazu auserkoren war, ihn bei dem gegen C. Caesar gerichteten Komplott zu unterstützen. Als das herauskam, brachen die schon lange gehegten Hassgefühle hervor, und man hätte die Todesstrafe gefordert, wenn er sich nicht zu einer Aussage bereit erklärt hätte. 4 (1) Als er allerdings auf Lucanius Latiaris losging, waren Ankläger und Angeklagter gleich verhasst und boten deshalb ein höchst willkommenes Schauspiel. Latiaris war, wie berichtet,11 einst der Rädelsführer gewesen, als man Titius Sabinus die Falle stellte, und musste nun als Erster dafür büßen. (2) Bei dieser Gelegenheit griff Haterius Agrippa die Konsuln des Vorjahres an, warum sie sich gegenseitig mit Anklage gedroht hätten und nun den Mund hielten. Furcht und Schuldbewusstsein sähen sie geradezu als Pakt an; die Väter dürften jedoch zu dem nicht schweigen, was sie gehört hätten. (3) Regulus erwiderte,

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tempus ultionis, seque coram principe exsecuturum; Trio aemulationem inter collegas et si qua discordes iecissent melius obliterari respondit. urgente Agrippa Sanquinius Maximus e consularibus oravit senatum, ne curas imperatoris conquisitis insuper acerbitatibus augerent: sufficere ipsum statuendis remediis. sic Regulo salus et Trioni dilatio exitii quaesita. (4) Haterius invisior fuit, quia somno aut libidinosis vigiliis marcidus et ob segnitiam quamvis crudelem principem non metuens inlustribus viris perniciem inter ganeam ac stupra meditabatur. 5 (1) Exim Cotta Messalinus, saevissimae cuiusque sententiae auctor eoque inveterata invidia, ubi primum facultas data, arguitur pleraque C. Caesarem quasi incerta virilitatis, et cum die natali Augustae inter sacerdotes epularetur, novendialem eam cenam dixisse; querensque de potentia M. Lepidi ac L. Arruntii, cum quibus ob rem pecuniariam disceptabat, addidisse: ‘illos quidem senatus, me autem tuebitur Tiberiolus meus.’ (2) quae cuncta a primoribus civitatis revincebatur, iisque instantibus ad imperatorem provocavit. nec multo post litterae adferuntur, quibus in modum defensionis, repetito inter se atque Cottam amicitia principio crebrisque eius officiis commemoratis, ne verba prave detorta neu convivalium fabularum simplicitas in crimen duceretur postulavit. 6 (1) Insigne visum est earum Caesaris litterarum initium; nam his verbis exorsus est: ‘quid scribam vobis, patres conscripti, aut quo modo scribam aut quid omnino non scribam hoc tempore, di me deaeque peius perdant quam perire me cotidie sentio, si scio.’ adeo facinora atque flagitia sua ipsi quoque in supplicium verterant. (2) neque frustra praestantissimus sapientiae firmare solitus est, si recludantur tyrannorum mentes, posse aspici laniatus et ictus, quando ut corpora verberibus, ita saevitia libidine malis consultis animus dilaceretur. quippe Tiberium non fortuna, non solitudines protegebant, quin tormenta pectoris suasque ipse poenas fateretur.

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es sei immer noch Zeit für die Bestrafung, er werde sie in Anwesenheit des Princeps vornehmen; Trio gab zur Antwort, Rivalität unter Kollegen und was sie etwa im Streit so hingeworfen hätten, vergesse man besser. Da Agrippa weiter drängte, bat der Konsular Sanquinius Maximus den Senat, die Sorgen des Oberbefehlshabers nicht zusätzlich mit zusammengesuchten belastenden Vorfällen zu vermehren; der sei selbst in der Lage, Abhilfe zu schaffen. So erreichte man für Regulus die Rettung und für Trio einen Aufschub seines Sturzes. (4) Haterius war nun noch verhasster; denn er dachte – durch sein Schlafbedürfnis oder die in Orgien durchwachten Nächte schlapp und in seiner Lethargie ohne Furcht selbst vor dem grausamen Princeps – zwischen Schlemmerei und Hurerei nur daran, angesehene Männer ins Unglück zu stürzen. 5 (1) Dann wurde Cotta Messalinus, der immer die grauenhaftesten Anträge gestellt hatte und sich deshalb einer tief verwurzelten Erbitterung gegenübersah, bei erstbester Gelegenheit beschuldigt, er habe vielfach Äußerungen gegen C. Caesar fallen lassen, so als ob es mit dessen Verhalten als Mann unsicher bestellt sei, und als er am Geburtstag der Augusta (Livia) mit den Priestern zusammen speiste, habe er von einem Leichenschmaus12 gesprochen. Einer Klage über den starken Einfluss des M. Lepidus und L. Arruntius, mit denen er in einer finanziellen Angelegenheit stritt, habe er angefügt: „Die schützt zwar der Senat, mich aber mein Tiberilein.“ (2) In all diesen Punkten wurde er von den führenden Männern der Bürgerschaft für schuldig befunden, und weil sie auf der Verfolgung der Angelegenheit bestanden, appellierte er an den Oberbefehlshaber. Nicht viel später traf ein Schreiben ein, mit dem Tiberius in der Art einer Verteidigungsrede auf den Beginn der Freundschaft zwischen ihm und Cotta zurückgriff, die zahlreichen Dienste ihm gegenüber erwähnte und dann verlangte, man solle doch nicht böswillig verdrehte Worte oder harmlose Tischgespräche als Verbrechen auslegen. 6 (1) Bezeichnend erschien der Beginn dieses Briefs des Caesars; denn er fing mit folgenden Worten an: „Was ich euch schreiben soll, versammelte Väter, oder wie ich schreiben soll oder was ich überhaupt nicht schreiben soll in dieser Zeit – die Götter und Göttinnen sollen mich noch schlimmer zugrunde gehen lassen, als ich mich täglich schon zugrunde gehen fühle, wenn ich das weiß.“ Dermaßen waren seine Verbrechen und Schandtaten auch ihm selbst zur Qual geworden. (2) Nicht ohne Grund pflegte der hervorragendste Vertreter der Weisheit13 zu behaupten, wenn die Herzen der Tyrannen aufgeschlossen würden, könne man Wunden und blaue Flecken sehen, weil ja, wie die Körper durch Schläge, so der Geist durch Grausamkeit, Lüsternheit und böse Gedanken zerfleischt werde. Denn Tiberius bewahrten nicht seine hohe Stellung, nicht die Abgeschiedenheit davor, seine Seelenängste und seine eigenen Qualen selbst einzugestehen.

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7 (1) Tum facta patribus potestate statuendi de Caesiliano senatore, qui plurima adversum Cottam prompserat, placitum eandem poenam inrogari quam in Aruseium et Sanquinium, accusatores L. Arruntii; quo non aliud honorificentius Cottae evenit, qui nobilis quidem, sed egens ob luxum, per flagitia infamis, sanctissimis Arruntii artibus dignitate ultionis aequabatur. (2) Q. Servaeus posthac et Minucius Thermus inducti, Servaeus praetura functus et quondam Germanici comes, Minucius equestri loco, modeste habita Seiani amicitia; unde illis maior miseratio. contra Tiberius, praecipuos ad scelera increpans, admonuit C. Cestium patrem dicere senatui quae sibi scripsisset, suscepitque Cestius accusationem. (3) quod maxime exitiabile tulere illa tempora, cum primores senatus infimas etiam delationes exercerent, alii propalam, multi per occultum; neque discerneres alienos a coniunctis, amicos ab ignotis, quid repens aut vetustate obscurum: perinde in foro, in convivio, quaqua de re locuti incusabantur, ut quis praevenire et reum destinare properat, pars ad subsidium sui, plures infecti quasi valetudine et contactu. (4) sed Minucius et Servaeus damnati indicibus accessere. tractique sunt in casum eundem Iulius Africanus e Santonis Gallica civitate, Seius Quadratus (originem non repperi). (5) neque sum ignarus a plerisque scriptoribus omissa multorum pericula et poenas, dum copia fatiscunt aut, quae ipsis nimia et maesta fuerant, ne pari taedio lecturos adficerent verentur: nobis pleraque digna cognitu obvenere, quamquam ab aliis incelebrata. 8 (1) Nam ea tempestate, qua Seiani amicitiam ceteri falso exuerant, ausus est eques Romanus M. Terentius, ob id reus, amplecti, ad hunc modum apud senatum ordiendo: ‘fortunae quidem meae fortasse minus expediat adgnoscere

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7 (1) Als dann den Vätern die Möglichkeit eingeräumt worden war, über den Senator Caesilianus zu entscheiden, der die meisten Anschuldigungen gegen Cotta erhoben hatte, beschloss man, ihm die gleiche Strafe aufzuerlegen wie Aruseius und Sanquinius, den Anklägern des L. Arruntius. Das war die größte Ehre, die Cotta widerfahren konnte, der zwar vornehmer Abkunft war, aber wegen seiner Verschwendungssucht verarmte und dank seiner Schandtaten übel beleumundet war und nun mit der völlig untadligen Lebensführung des Arruntius durch den Grad der Bestrafung auf eine Stufe gestellt wurde. (2) Q. Servaeus und Minucius Thermus wurden dann vorgeführt; Servaeus war ein ehemaliger Prätor und einst Begleiter des Germanicus, Minucius gehörte dem Ritterstand an. Beide hatten ihre Freundschaft mit Sejan nicht ausgenützt; deshalb fanden sie mehr Mitleid. Tiberius dagegen beschimpfte sie als Rädelsführer bei den Verbrechen und forderte C. Cestius, den Vater, auf, dem Senat vorzutragen, was er ihm geschrieben habe, und Cestius übernahm die Anklage. (3) Das war die verhängnisvollste Konsequenz, die jene Zeiten mit sich brachten, als sich die führenden Persönlichkeiten des Senats sogar mit den gemeinsten Denunziationen befassten, die einen ganz offen, viele insgeheim. Man hätte dabei nicht unterscheiden können zwischen Fremden und Angehörigen, Freunden und Unbekannten, einem aktuellen oder durch die zeitliche Distanz schon verdunkelten Vorfall. Gleich, worüber man auf dem Forum, bei einem Bankett gesprochen hatte, man wurde angeklagt, weil jeder eiligst den ersten Schritt tun und einen Schuldigen bestimmen wollte, teilweise aus Selbstschutz, meistens aber wie von einer ansteckenden Krankheit befallen. (4) So reihten sich Minucius und Servaeus nach ihrer Verurteilung unter die Denunzianten ein. In die gleiche schlimme Lage hineingezogen wurden Iulius Africanus aus dem gallischen Stamm der Santonen und Seius Quadratus – über seine Herkunft konnte ich nichts in Erfahrung bringen. (5) Ich weiß genau, dass von sehr vielen Geschichtsschreibern die Gefahren und Bestrafungen vieler Personen übergangen worden sind, weil sie durch ihre Menge ermüden oder befürchten, dass, was für sie selbst ein Übermaß an betrüblichen Ereignissen dargestellt hatte, gleichen Widerwillen bei ihren Lesern hervorrufen werde: Ich bin auf sehr viele Begebenheiten gestoßen, die es verdienen, zur Kenntnis genommen zu werden, obwohl sie von anderen Autoren nicht erwähnt wurden. 8 (1) Zum Beispiel wagte es zu der Zeit, in der sich alle anderen von der Freundschaft mit Sejan wahrheitswidrig losgesagt hatten, der römische Ritter M. Terentius, deswegen angeklagt, an ihr festzuhalten, wobei er folgendermaßen vor dem Senat zu sprechen begann: „Für mein Schicksal dürfte es zwar vielleicht weniger hilfreich sein, den Vorwurf anzuerkennen als

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crimen quam abnuere; sed utcumque casura res est, fatebor et fuisse me Seiano amicum et ut essem expetisse et postquam adeptus eram laetatum. (2) videram collegam patris regendis praetoriis cohortibus, mox urbis et militiae munia simul obeuntem. illius propinqui et adfines honoribus augebantur; ut quisque Seiano intimus, ita ad Caesaris amicitiam validus; contra quibus infensus esset, metu ac sordibus conflictabantur. (3) nec quemquam exemplo adsumo: cunctos, qui novissimi consilii expertes fuimus, meo unius discrimine defendam. non enim Seianum Vulsiniensem, ed Claudiae et Iuliae domus partem, quas adfinitate occupaverat, tuum, Caesar, generum, tui consulatus socium, tua officia in re publica capessentem colebamus. (4) non est nostrum aestimare, quem supra ceteros et quibus de causis extollas: tibi summum rerum iudicium di dedere, nobis obsequii gloria relicta est. abditos principis sensus, et si quid occultius parat, exquirere inlicitum, anceps: nec ideo adsequare. spectamus porro quae coram habentur, cui ex te opes honores, quis plurima iuvandi nocendive potentia, quae Seiano fuisse nemo negaverit. (5) ne, patres conscripti, ultimum Seiani diem, sed sedecim annos cogitaveritis. etiam Satrium atque Pomponium venerabamur; libertis quoque ac ianitoribus eius notescere pro magnifico accipiebatur. (6) quid ergo? indistincta haec defensio et promisca dabitur? immo iustis terminis dividatur. insidiae in rem publicam, consilia caedis adversum imperatorem puniantur: de amicitia et officis idem finis et te, Caesar, et nos absolverit.’ 9 (1) Constantia orationis, et quia repertus erat, qui efferret quae omnes animo agitabant, eo usque potuere, ut accusatores eius, additis quae ante deliquerant, exilio aut morte multarentur. (2) Secutae dehinc Tiberii litterae in Sex. Vistilium praetorium, quem Druso fratri percarum in cohortem suam transtulerat. causa offensionis Vistilio fuit, seu composuerat quaedam in C. Caesarem

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abzustreiten; aber wie die Angelegenheit auch immer ausgehen wird, ich werde zugeben, dass ich ein Freund Sejans war, darauf hingearbeitet habe, es zu sein, und mich gefreut habe, als ich es erreicht hatte. (2) Ich hatte ihn als Kollegen seines Vaters im Kommando über die Prätorianerkohorten erlebt, der später Aufgaben in der Stadtverwaltung und beim Militär gleichzeitig übernahm. Seine Verwandten und Angehörigen wurden mit Ehrenämtern ausgezeichnet. Je näher einer Sejan stand, desto mehr konnte er mit der Freundschaft des Caesars rechnen. Mit wem er dagegen verfeindet war, der hatte unter Angst und Erniedrigungen14 zu leiden. (3) Ich ziehe keine Einzelperson als Beispiel heran. Alle von uns, die seinen letzten Plan nicht kannten, will ich einzig und allein auf mein Risiko hin verteidigen. Wir hofierten nämlich nicht einen Sejan aus Vulsinii, sondern ein Mitglied des claudischen und des julischen Hauses, die er durch Verschwägerung übernommen hatte, deinen Schwiegersohn, Caesar, deinen Partner im Konsulat, den Mann, der deine Aufgaben im Staat wahrnahm. (4) Es steht uns kein Urteil darüber zu, wen du aus welchen Gründen über alle anderen Menschen emporhebst. Dir haben die Götter die höchste Entscheidungsgewalt gegeben, uns ist nur die Ehre des Gehorsams geblieben. Die geheimen Gedanken des Princeps und seine noch verborgeneren Absichten herausbekommen zu wollen ist nicht erlaubt, ja gefährlich, und man wird damit ohnehin keinen Erfolg haben. Wir beobachten auf der anderen Seite aber, was sich vor unseren Augen abspielt, wem von dir Reichtum und Ehrenämter verliehen werden, wer die meiste Macht hat zu nützen oder zu schaden; dass Sejan sie hatte, wird niemand bestreiten. (5) Denkt, versammelte Väter, nicht an den letzten Tag Sejans, sondern an die sechzehn Jahre! Auch Satrius und Pomponius haben wir unsere Hochachtung erwiesen; sogar mit seinen Freigelassenen und Türstehern bekannt zu sein galt als großartig. (6) Wozu sage ich das? Soll diese Verteidigung unterschiedslos allen Betroffenen zugestanden werden? Nein, aber es sollten gerechte Abgrenzungen getroffen werden. Anschläge gegen den Staat, Pläne zur Ermordung des Oberbefehlshabers sollten bestraft werden. Was die Freundschaft und die erwiesenen Dienste betrifft, soll die gleiche Grenzlinie sowohl dich, Caesar, als auch uns freisprechen.“ 9 (1) Die Entschlossenheit der Rede und weil sich jemand gefunden hatte, der offen aussprach, was alle innerlich umtrieb, hatten eine derartige Wirkung, dass seine Ankläger unter Einbezug ihrer früheren Vergehen mit Verbannung oder Tod bestraft wurden. (2) Es folgte dann ein Schreiben des Tiberius gegen den ehemaligen Prätor Sex. Vistilius, den er, weil er von seinem Bruder Drusus sehr geschätzt wurde, in sein Gefolge übernommen hatte. Der Grund dafür, dass Vistilius in Ungnade fiel, war entweder, dass er etwas gegen C. Caesar wegen

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ut impudicum, sive ficto habita fides. atque ob id convictu principis prohibitus cum senili manu ferrum temptavisset, obligat venas; precatusque per codicillos, immiti rescripto, [venas] resolvit. (3) acervatim ex eo Annius Pollio, Appius Silanus Scauro Mamerco simul ac Sabino Calvisio maiestatis postulantur, et Vinicianus Pollioni patri adiciebatur, clari genus atqu idem summis honoribus. contremuerantque patres (nam quotus quisque adfinitatis aut amicitiae tot inlustrium virorum expers erat?), ni Celsus urbanae cohortis tribunus, tum inter indices, Appium et Calvisium discrimini exemisset. (4) Caesar Pollionis ac Viniciani Scaurique causam, ut ipse cum senatu nosceret, distulit, datis quibusdam in Scaurum tristibus notis. 10 (1) Ne feminae quidem exsortes periculi qua occupandae rei publicae argui non poterant, ob lacrimas incusabantur; necataque est anus Vitia, Fufii Gemini mater, quod filii necem flevisset. (2) Haec apud senatum; nec secus apud principem Vescularius Flaccus ac Iulius Marinus ad mortem aguntur, e vetustissimis familiarum, Rhodum secuti et apud Capreas individui; Vescularius insidiarum in Libonem internuntius, Marino participe Seianus Curtium Atticum oppresserat. quo laetius acceptum sua exempla in consultores recidisse. (3) Per idem tempus L. Piso pontifex, rarum in tanta claritudine, fato obiit, nullius servilis sententiae sponte auctor et, quotiens necessitas ingrueret, sapienter moderans. patrem ei censorium fuisse memoravi; aetas ad octogesimum annum processit; decus triumphale in Thraecia meruerat. sed praecipua ex eo gloria, quod praefectus urbi recens continuam potestatem et insolentia parendi graviorem mire temperavit. 11 (1) Namque antea, profectis domo regibus ac mox magistratibus, ne urbs sine imperio foret, in tempus deligebatur qui ius redderet ac subitis mederetur; feruntque ab Romulo Dentrem Romulium, post ab Tullo Hostilio

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seines schamlosen Lebenswandels geschrieben hatte oder dass man einer Erfindung Glauben schenkte. Er wurde deshalb von der Tischgesellschaft des Princeps ausgeschlossen, und nachdem er mit seiner altersschwachen Hand den Dolch angesetzt hatte, ließ er die Adern wieder verbinden; er verfasste ein Bittgesuch und öffnete sie auf eine ungnädige Antwort hin wieder. (3) In einem Schwung wurden danach Annius Pollio, Appius Silanus zusammen mit Scaurus Mamercus und Sabinus Calvisius wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht gestellt, und Vinicianus wurde in die Anklage gegen seinen Vater Pollio einbezogen, Angehörige berühmter Familien, die zudem die höchsten Ehrenämter bekleidet hatten. Angst und Schrecken hatten die Väter erfasst – denn wie viele waren mit so vielen angesehenen Männern nicht verwandt oder befreundet? –, wenn nicht Celsus, Tribun einer Stadtkohorte, der damals zu den Denunzianten gehörte, Appius und Calvisius aus der Gefahr gerettet hätte. (4) Der Caesar vertagte den Prozess gegen Pollio, Vinicianus und Scaurus, um persönlich die Untersuchung zusammen mit dem Senat führen zu können, wobei er einige nichts Gutes verheißende Bemerkungen über Scaurus fallen ließ. 10 (1) Nicht einmal Frauen waren außer Gefahr; weil man sie nicht beschuldigen konnte, sie wollten die Macht im Staat an sich reißen, klagte man sie wegen ihrer Tränen an: Man ließ die betagte Vitia, Mutter des Fufius Geminus, umbringen, weil sie den gewaltsamen Tod ihres Sohnes beweint habe. (2) Dies geschah im Senat; aber auf keine andere Weise trieb man beim Princeps Vescularius Flaccus und Iulius Marinus in den Tod, beide zu seinen ältesten Vertrauten gehörig, die ihm nach Rhodos gefolgt und auf Capri unzertrennlich bei ihm geblieben waren. Vescularius war beim Anschlag auf Libo Mittelsmann gewesen, unter Beteiligung des Marinus hatte Sejan Curtius Atticus beseitigt. Umso froher nahm man zur Kenntnis, dass ihr eigenes schlechtes Vorbild auf die Ratgeber zurückgefallen war. (3) Zur gleichen Zeit starb der Pontifex L. Piso, eine Seltenheit bei einer solch hohen Stellung, eines natürlichen Todes, ein Mann, der nie von sich aus einen unterwürfigen Antrag stellte und, sooft die Notwendigkeit dazu zwang, weise mäßigend eingriff. Dass sein Vater ein ehemaliger Zensor war, habe ich erwähnt.15 Sein Lebensalter reichte bis ins 80. Jahr; die Auszeichnung mit einem Triumph hatte er in Thrakien verdient. Aber den höchsten Ruhm erwarb er sich dadurch, dass er als Stadtkommandant das erst kurz zuvor auf Dauer verliehene und – weil man nicht daran gewöhnt war zu gehorchen – recht beschwerliche Amt mit bewundernswertem Einfühlungsvermögen ausübte. 11 (1) Denn früher war es so: Wenn die Könige und danach die Amtsinhaber von zu Hause aufgebrochen waren, wurde, um die Hauptstadt nicht ohne Führung zu lassen, ein Mann auf Zeit gewählt, der Recht sprechen und unvorhergesehene Probleme lösen sollte. So wird berichtet, von Romulus sei Denter

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Numam Marcium et ab Tarquinio Superbo Spurium Lucretium impositos. dein consules mandabant; duratque simulacrum, quotiens ob ferias Latinas praeficitur qui consulare munus usurpet. (2) ceterum Augustus bellis civilibus Cilnium Maecenatem equestris ordinis cunctis apud Romam atque Italiam praeposuit. mox rerum potitus ob magnitudinem populi ac tarda legum auxilia sumpsit e consularibus qui coerceret servitia et quod civium audacia turbidum, nisi vim metuat. (3) primusque Messala Corvinus eam potestatem et paucos intra dies finem accepit, quasi nescius exercendi; tum Taurus Statilius, quamquam provecta aetate, egregie toleravit; dein Piso viginti per annos pariter probatus, publico funere ex decreto senatus celebratus est. 12 (1) Relatum inde ad patres a Quintiliano tribuno plebei de libro Sibyllae, quem Caninius Gallus quindecimvirum recipi inter ceteros eiusdem vatis et ea de re senatus consultum postulaverat. quo per discessionem facto misit litteras Caesar, modice tribunum increpans ignarum antiqui moris ob iuventam. (2) Gallo exprobrabat, quod scientiae caerimoniarumque vetus incerto auctore ante sententiam collegii, non, ut adsolet, lecto per magistros aestimatoque carmine, apud infrequentem senatum egisset. simul commonefecit, quia multa vana sub nomine celebri vulgabantur, sanxisse Augustum, quem intra diem ad praetorem urbanum deferrentur neque habere privatim liceret. (3) quod a maioribus quoque decretum erat post exustum sociali bello Capitolium, quaesitis Samo Ilio Erythris, per Africam etiam ac Siciliam et Italicas colonias carminibus Sibyllae, una seu plures fuere, datoque sacerdotibus negotio, quantum humana ope potuissent, vera discernere. igitur tunc quoque notioni quindecimvirum is liber subicitur. 13 (1) Isdem consulibus gravitate annonae iuxta seditionem ventum, multaque et plures per dies in theatro licentius efflagitata quam solitum adversum

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Romulius, dann von Tullus Hostilius Numa Marcius und von Tarquinius Superbus Spurius Lucretius eingesetzt worden. Anschließend vergaben die Konsuln dieses Amt, und es hält sich noch ein Abglanz davon, wenn jedes Mal wegen des Latinerfests ein Kommandant ernannt wird, der die Aufgaben eines Konsuls wahrnimmt. (2) Augustus aber übertrug im Bürgerkrieg Cilnius Maecenas aus dem Ritterstand die Zuständigkeit für alle Angelegenheiten in Rom und Italien. Als er sich dann der Alleinherrschaft bemächtigt hatte, berief er wegen der großen Bevölkerungszahl und der langsamen Wirkung der Gesetze einen von den ehemaligen Konsuln, der die Sklaven und den Teil der Bürger, der aus Dreistigkeit zur Unruhe neigt, wenn er keine Gewalt fürchten muss, im Zaum halten sollte. (3) Messala Corvinus war der Erste, der dieses Amt und schon nach wenigen Tagen die Entlassung erhielt, weil er es angeblich nicht auszuüben wusste. Dann nahm es Taurus Statilius, obwohl er schon ziemlich alt war, in großartiger Weise auf sich. Anschließend bewährte sich Piso 20 Jahre lang ebenso und wurde deshalb mit einem Staatsbegräbnis aufgrund eines Senatsbeschlusses geehrt.16 12 (1) Berichtet wurde den Vätern hierauf vom Volkstribun Quintilianus über ein Buch der Sibylle17; es unter die übrigen Bücher derselben Seherin aufzunehmen und darüber einen Senatsbeschluss zu fassen, hatte Caninius Gallus aus dem Kreis der Fünfzehnmänner beantragt. Weil dieser Beschluss nur durch Auseinandertreten18 zustande gekommen war, schickte der Caesar ein Schreiben, in dem er den Tribun leicht rüffelte, weil er wegen seiner Jugend mit dem alten Brauch nicht vertraut sei. (2) Gallus dagegen warf er vor, er habe, obwohl er in kultischen Fragen über eine langjährige Erfahrung verfüge, trotz der unsicheren Verfasserschaft vor einer Stellungnahme des Kollegiums und ohne wie üblich das Gedicht durch die Meister19 lesen und beurteilen zu lassen, vor einem schlecht besuchten Senat die Angelegenheit behandelt. Zugleich erinnerte er daran, Augustus habe, weil viele unechte Sprüche unter dem berühmten Namen in Umlauf waren, festgelegt, nach wie vielen Tagen man sie spätestens dem Stadtprätor vorlegen müsse und dass man sie privat nicht besitzen dürfe. (3) Das war auch schon von unseren Vorfahren beschlossen worden: Nach dem Brand des Kapitols im Bundesgenossenkrieg20 hatte man auf Samos, in Ilion und Erythrae, sogar in Africa, Sizilien und den italischen Kolonien nach den Weissagungen der Sibylle gesucht – mag es nur eine oder mehrere gegeben haben – und den Priestern die Aufgabe gestellt, soweit Menschen möglich, die echten auszusondern. Deshalb wurde auch damals dieses Buch der Prüfung durch die Fünfzehnmänner unterworfen. 13 (1) Unter denselben Konsuln kam es wegen Engpässen bei der Getreideversorgung beinahe zu einem Aufstand, und viele Forderungen wurden mehrere Tage lang im Theater in unverschämterer Weise erhoben, als man das dem

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imperatorem. quis commotus incusavit magistratus patresque, quod non publica auctoritate populum coercuissent, addiditque quibus e provinciis et quanto maiorem quam Augustus rei frumentariae copiam advectaret. (2) ita castigandae plebi compositum senatus consultum prisca severitate, neque segnius consules edixere. silentium ipsius non civile, ut crediderat, sed in superbiam accipiebatur. 14 (1) Fine anni Geminius, Celsus, Pompeius, equites Romani, cecidere coniurationis crimine; ex quis Geminius prodigentia opum ac mollitia vitae amicus Seiano, nihil ad serium. et Iulius Celsus tribunus in vinclis laxatam catenam et circumdatam in diversum tendens suam ipse cervicem perfregit. (2) at Rubrio Fabato, tamquam desperatis rebus Romanis Parthorum ad misericordiam fugeret, custodes additi. sane is repertus apud fretum Siciliae retractusque per centurionem nullas probabiles causas longinquae peregrinationis adferebat; mansit tamen incolumis, oblivione magis quam clementia. 15 (1) SER. GALBA L. SULLA consulibus, diu quaesito quos neptibus suis maritos destinaret, Caesar, postquam instabat virginum aetas, L. Cassium, M. Vinicium legit. Vinicio oppidanum genus: Calibus ortus, patre atque avo consularibus, cetera equestri familia erat, mitis ingenio et comptae facundiae. Cassius plebeii Romae generis, verum antiqui honoratique, et severa patris disciplina eductus facilitate saepius quam industria commendabatur. huic Drusillam, Vinicio Iuliam Germanico genitas coniungit superque ea re senatui scribit levi cum honore iuvenum. (2) dein redditis absentiae causis admodum vagis flexit ad graviora et offensiones ob rem publicam coeptas, utque Macro praefectus tribunorumque et centurionum pauci secum introirent, quotiens curiam ingrederetur, petivit. (3) factoque large et sine praescriptione generis aut numeri senatus consulto ne tecta quidem urbis, adeo publicum

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Oberbefehlshaber gegenüber gewöhnlich tut. Darüber aufgebracht, warf dieser den Amtsinhabern und Vätern vor, nicht mit ihrer Amtsautorität das Volk in Schranken gewiesen zu haben, und führte ergänzend an, aus welchen Provinzen er eine weit größere Menge Getreide als Augustus importieren lasse. (2) Deshalb fasste man, um den Pöbel zur Ordnung zu rufen, einen Senatsbeschluss von in alten Zeiten üblicher Strenge, und die Konsuln erließen ein Edikt, das nicht lascher war. Sein eigenes Schweigen empfand man nicht, wie er geglaubt hatte, als bürgerfreundliches Verhalten, sondern als Zeichen von Hochmut. 14 (1) Am Jahresende fielen die römischen Ritter Geminius, Celsus und Pompeius dem Vorwurf der Beteiligung an der Verschwörung zum Opfer; von ihnen war Geminius mit der Verschwendung seines Vermögens und verweichlichten Lebensweise21 zu Sejans Freund geworden, aber in keiner Weise für etwas Ernsthaftes zu gebrauchen. Und der Tribun Iulius Celsus lockerte im Gefängnis die Kette, wickelte sie herum und brach sich, indem er in entgegengesetzte Richtungen zog, selbst sein Genick. (2) Rubrius Fabatus jedoch stellte man, weil man vermutete, er wolle angesichts der verzweifelten Lage in Rom zu den Parthern flüchten, um dort Mitleid zu finden, unter Bewachung. Tatsächlich konnte er, nachdem er an der Meerenge von Sizilien aufgegriffen und durch einen Zenturio zurückgebracht worden war, keine nachvollziehbaren Gründe für seine weite Reise vorbringen; dennoch blieb er unbehelligt, mehr weil man ihn vergaß als begnadigte. 15 (1) Unter den Konsuln SER. GALBA und L. SULLA (33 n. Chr.) wählte der Caesar nach langer Suche, wen er als Ehemänner für seine Enkelinnen bestimmen sollte – für die Mädchen wurde es allmählich Zeit –, L. Cassius und M. Vinicius aus. Vinicius stammte aus einer kleinstädtischen Familie: In Cales war er geboren, Vater und Großvater waren ehemalige Konsuln, im Übrigen gehörte er einer Ritterfamilie an; er war charakterlich gutmütig und hatte eine gefällige Redegabe. Cassius stammte aus einer plebejischen Familie in Rom, die allerdings alt und angesehen war; von seinem Vater streng erzogen, empfahl er sich mehr durch Liebenswürdigkeit als durch Tatkraft. Mit ihm vermählte er Drusilla, mit Vinicius Julia, beides Töchter des Germanicus, und schrieb dazu an den Senat mit nur leicht anerkennenden Worten für die jungen Männer. (2) Dann ging er auf die Gründe für seine Abwesenheit ein, die äußerst vage waren, wandte sich anschließend bedeutenderen Themen und den Anfeindungen zu, denen er um des Staats willen ausgesetzt sei, und stellte den Antrag, der Kommandant Macro22 und einige wenige Tribune und Zenturionen sollten ihn jedes Mal begleiten, wenn er in die Kurie gehe. (3) Obwohl der Senat einen großzügigen Beschluss ohne Festlegung ihres Rangs oder ihrer Anzahl fasste, kam er niemals mehr in die Nähe der Dächer23 der Hauptstadt,

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consilium numquam adiit, deviis plerumque itineribus ambiens patriam et declinans. 16 (1) Interea magna vis accusatorum in eos inrupit, qui pecunias faenore auctitabant adversum legem dictatoris Caesaris, qua de modo credendi possidendique intra Italiam caventur, omissa olim, quia privato usui bonum publicum postponitur. sane vetus urbi faenebre malum et seditionum discordiarumque creberrima causa, eoque cohibebatur antiquis quoque et minus corruptis moribus. (2) nam primo duodecim tabulis sanctum, ne quis unciario faenore amplius exerceret, cum antea ex libidine locupletium agitaretur; dein rogatione tribunicia ad semuncias redactu; postremo vetita versura. multisque plebi scitis obviam itum fraudibus, quae totiens repressae miras per artes rursum oriebantur. (3) sed tum Gracchus praetor, cui ea quaestio evenerat, multitudine periclitantium subactus rettulit ad senatum, trepidique patres (neque enim quisquam tali culpa vacuus) veniam a principe petivere; et concedente annus in posterum sexque menses dati, quis secundum iussa legis rationes familiares quisque componerent. 17 (1) Hinc inopia rei nummariae, commoto simul omnium aere alieno, et quia tot damnatis bonisque eorum divenditis signatum argentum fisco vel aerario attinebatur. ad hoc senatus praescripserat, duas quisque faenoris partes in agris per Italiam conlocaret. (2) sed creditores in solidum appellabant, nec decorum appellatis minuere fidem. ita primo concursatio et preces, dein strepere praetoris tribunal, eaque quae remedio quaesita, venditio et emptio, in contrarium mutari, quia faeneratores omnem pecuniam mercandis agris condiderant. (3) copiam vendendi secuta vilitate, quanto quis obaeratior, aegrius distrahebant, multique fortunis provolvebantur. eversio rei familiaris dignitatem ac famam praeceps dabat, donec tulit opem Caesar disposito per mensas

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geschweige denn zu einer öffentlichen Ratssitzung, sondern schlich nur meist auf abgelegenen Wegen um seine Vaterstadt herum und mied sie. 16 (1) Inzwischen stürzte sich eine große Anzahl von Anklägern auf die Personen, die ihr Kapital durch Wucher vermehrten entgegen einem Gesetz des Diktators Caesar, durch das Festlegungen über die Art und Weise des Geldverleihens und -besitzens in Italien getroffen sind; es war schon längst nicht mehr angewandt worden, weil man dem privaten Vorteil das Gemeinwohl unterordnet. Freilich ist das Übel des Wuchers alt in der Hauptstadt und war die häufigste Ursache für Aufruhr und Auseinandersetzungen, und deshalb versuchte man es auch schon einzudämmen, als die alten und weniger verdorbenen Sitten noch galten. (2) Denn zuerst wurde durch die Zwölf Tafeln24 festgelegt, dass niemand mehr als ein Zwölftel Zins nehmen dürfe, während man zuvor nach dem Belieben der Begüterten verfuhr; dann wurde er durch einen Antrag der Tribune auf ein Vierundzwanzigstel reduziert, schließlich verbot man das Geldleihen gegen Zins. Mit vielen Volksbeschlüssen suchte man den Betrügereien zu begegnen, die so oft unterdrückt wurden und durch erstaunliche Praktiken doch immer wieder auflebten. (3) Damals aber brachte der Prätor Gracchus, dem diese Untersuchung zugefallen war, überwältigt von der großen Zahl der Personen, denen Prozesse drohten, die Angelegenheit vor den Senat, und in ihrer Angst baten die Väter – denn keiner war ohne entsprechende Schuld – den Princeps um Nachsicht, und mit seinem Einverständnis setzte man eine Frist von einem Jahr und sechs Monaten, in denen jeder nach den Bestimmungen des Gesetzes sein Familienvermögen in Ordnung bringen sollte. 17 (1) Daraus ergab sich eine Geldknappheit, weil alle Kredite auf einmal gekündigt wurden und nach der Verurteilung so vieler Personen und der Versteigerung ihres Vermögens das geprägte Silber im Fiskus oder in der Staatskasse zurückgehalten wurde. Für diesen Fall hatte der Senat die Vorschrift erlassen, jeder müsse zwei Drittel des Kapitals in Grund und Boden in Italien investieren. (2) Aber die Gläubiger verlangten die ganze Summe zurück, und die Schuldner, denen gekündigt worden war, hielten es für nicht vereinbar mit ihrer Ehre, ihre Kreditwürdigkeit infrage stellen zu lassen. So kam es zunächst zu einem Gerenne mit Bittgesuchen, dann zu einem Tumult vor dem Tribunal des Prätors, und was man als Abhilfe angesehen hatte, nämlich Verkauf und Kauf, verwandelte sich ins Gegenteil, weil die Darlehensgeber ihr ganzes Geld für den Erwerb von Grund und Boden zurückgelegt hatten. (3) Dem Überangebot folgte ein Preisverfall; je höher einer verschuldet war, desto schwerer fiel es ihm, seinen Besitz loszuwerden, und viele wurden von ihrem Hab und Gut vertrieben. Der Verlust des Vermögens stürzte gesellschaftliche Stellung und guten Ruf ins Nichts, bis der Caesar helfend eingriff, indem er über die Banken einhundert Millionen Sesterze zur Verfügung stellte und die Aufnahme

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milies sestertio factaque mutuandi copia sine usuris per triennium, si debitor populo in duplum praediis cavisset. (4) sic refecta fides, et paulatim privati quoque creditores reperti. neque emptio agrorum exercita ad formam senatus consulti, acribus, ut ferme talia, initiis, incurioso fine. 18 (1) Dein redeunt priores metus postulato maiestatis Considio Proculo; qui nullo pavore diem natalem celebrans raptus in curiam pariterque damnatus interfectusque; et sorori eius Sanciae aqua atque igni interdictum accusante Q. Pomponio. is moribus inquies haec et huiusce modi a se factitari praetendebat, ut parta apud principem gratia periculis Pomponii Secundi fratris mederetur. (2) etiam in Pompeiam Macrinam exilium statuitur, cuius maritum Argolicum, socerum Laconem, e primoribus Achaeorum, Caesar adflixerat; pater quoque inlustris eques Romanus ac frater praetorius, cum damnatio instaret, se ipsi interfecere. datum erat crimini, quod Theophanen Mytilenaeum proavum eorum Cn. Magnus inter intimos habuisset quodque defuncto Theophani caelestes honores Graeca adulatio tribuerat. 19 (1) Post quos Sex. Marius Hispaniarum ditissimus defertur incestasse filiam et saxo Tarpeio deicitur; ac ne dubium haberetur magnitudinem pecuniae malo vertisse, aurarias que eius, quamquam publicarentur, sibimet Tiberius seposuit. (2) inritatusque suppliciis cunctos, qui carcere attinebantur accusati societatis cum Seiano, necari iubet. iacuit immensa strages, omnis sexus, omnis aetas, inlustres ignobiles, dispersi aut aggerati. (3) neque propinquis aut amicis adsistere, inlacrimare, ne visere quidem diutius dabatur, sed circumiecti custodes et in maerorem cuiusque intenti corpora putrefacta adsectabantur, dum in Tiberim traherentur, ubi fluitantia aut ripis adpulsa non cremare quisquam, non contingere. interciderat sortis humanae commercium vi metus, quantumque saevitia glisceret, miseratio arcebatur.

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von zinslosen Darlehen für einen Zeitraum von drei Jahren ermöglichte, falls der Schuldner dem Volk Sicherheit in doppelter Höhe in Form von Grund und Boden bot. (4) So wurde die Kreditwürdigkeit wiederhergestellt, und allmählich fanden sich auch wieder private Geldgeber. Aber der Kauf der Grundstücke erfolgte nicht nach den Bestimmungen des Senatsbeschlusses: Man hielt sich wie fast immer in solchen Fällen nur anfangs peinlich genau daran, um das Ende kümmerte sich niemand. 18 (1) Dann kehrten die früheren Ängste zurück, weil Considius Proculus wegen Hochverrats vor Gericht gestellt wurde. Während er ohne jeden Argwohn seinen Geburtstag feierte, wurde er in die Kurie geschleppt und gleich schnell verurteilt und hingerichtet, und seiner Schwester Sancia wurden Wasser und Feuer untersagt auf eine Anklage des Q. Pomponius hin. Der war ein unruhiger Charakter und gab vor, er betreibe Verfahren wie diese, um auf den Princeps Einfluss zu gewinnen und so die Gefahren abzuwenden, in denen sein Bruder Pomponius Secundus schwebte. (2) Auch über Pompeia Macrina verhängte man das Exil, deren Ehemann Argolicus und Schwiegervater Laco, führende Persönlichkeiten der Achäer, der Caesar bereits zu Fall gebracht hatte; auch ihr Vater, ein vornehmer römischer Ritter, und ihr Bruder, ein ehemaliger Prätor, brachten sich, als ihre Verurteilung bevorstand, selbst um. Zum Vorwurf wurde ihnen gemacht, ihr Urgroßvater Theophanes aus Mytilene habe zu den engsten Freunden des Cn. (Pompeius) Magnus gezählt, dazu die Tatsache, dass griechische Kriecherei Theophanes nach seinem Tod göttliche Ehren erwiesen hatte. 19 (1) Nach ihnen wurde Sex. Marius, der reichste Mann Spaniens, des Inzests mit seiner Tochter beschuldigt und vom Tarpejischen Felsen gestürzt,25 und damit kein Zweifel daran aufkommen konnte, sein riesiges Vermögen sei ihm zum Unglück ausgeschlagen, beanspruchte Tiberius seine Gold- und Silberminen für sich persönlich, obwohl sie verstaatlicht werden sollten. (2) Angespornt durch die Hinrichtungen, ließ er alle umbringen, die in Haft waren, weil sie der Komplizenschaft mit Sejan angeklagt worden waren. Herum lagen unendlich viele Leichen, jedes Geschlecht, jedes Alter, Hoch und Niedrig, verstreut oder in Haufen. (3) Nicht einmal Verwandten oder Freunden gab man Gelegenheit, stehen zu bleiben und in Tränen auszubrechen, ja sie durften sie nicht einmal länger anschauen, sondern ringsherum aufgestellte Wachtposten, die bei jedem auf Anzeichen von Trauer achteten, passten auf die verwesten Leichen auf, bis sie in den Tiber geschleppt wurden, wo man sie, wenn sie im Wasser trieben oder ans Ufer gespült wurden, nicht verbrennen, nicht anfassen durfte. Verloren gegangen war das Bewusstsein für die Schicksalsgemeinschaft der Menschen durch die Macht der Furcht, und je mehr die Grausamkeit um sich griff, desto mehr wurde das Mitgefühl zurückgedrängt.

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20 (1) Sub idem tempus C. Caesar, discedenti Capreas avo comes, Claudiam, M. Silani filiam, coniugio accepit, immanem animum subdola modestia tegens, non damnatione matris, non exitio fratrum rupta voce; qualem diem Tiberius induisset, pari habitu, haud multum distantibus verbis. unde mox scitum Passieni oratoris dictum percrebruit neque meliorem umquam servum neque deteriorem dominum fuisse. (2) Non omiserim praesagium Tiberii de Servio Galba tum consule; quem accitum et diversis sermonibus pertemptatum postremo Graecis verbis in hanc sententiam adlocutus: ‘et tu, Galba, quandoque degustabis imperium’, seram ac brevem potentiam significans, scientia Chaldaeorum artis, cuius apiscendae otium apud Rhodum, magistrum Thrasullum habuit, peritiam eius hoc modo expertus. 21 (1) Quotiens super ta

  • negotio consultaret, edita domus parte ac liberti unius conscientia utebatur. is litterarum ignarus, corpore valido, per avia ac derupta (nam saxis domus imminet) praeibat eum, cuius artem experiri Tiberius statuisset, et regredientem, si vanitatis aut fraudum suspicio incesserat, in subiectum mare praecipitabat, ne index arcani existeret. (2) igitur Thrasullus isdem rupibus inductus, postquam percunctantem commoverat, imperium ipsi et futura sollerter patefaciens, interrogatur an suam quoque genitalem horam comperisset, quem tum annum, qualem diem haberet. ille positus siderum ac spatia dimensus haerere primo, dein pavescere, et, quantum introspiceret, magis ac magis trepidus admirationis et metus, postremo exclamat ambiguum sibi ac prope ultimum discrimen instare. (3) tum complexus eum Tiberius praescium periculorum et incolumem fore gratatur, quaeque dixerat oracli vice accipiens inter intimos amicorum tenet. 22 (1) Sed mihi haec ac talia audienti in incerto iudicium est, fatone res mortalium et necessitate immutabili an forte volvantur. quippe sapientissimos veterum quique sectam eorum aemulantur diversos reperies, ac multis insitam

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    20 (1) Um die gleiche Zeit vermählte sich C. Caesar, der seinen Großvater bei seinem Weggang nach Capri begleitet hatte, mit Claudia, der Tochter des M. Silanus; seinen abscheulichen Charakter verbarg er unter tückischer Bescheidenheit, ohne über die Verurteilung seiner Mutter, über das Ende seiner Brüder ein Wort zu verlieren.26 Welche Stimmung bei Tiberius an einem Tag vorherrschen mochte – er zeigte das gleiche Verhalten, seine Worte unterschieden sich nicht sehr. Deshalb war bald das geistvolle Wort des Redners Passienus in aller Munde, es habe nie einen besseren Sklaven und einen schlechteren Herrn gegeben. (2) Nicht übergehen möchte ich die Prophezeiung des Tiberius über den damaligen Konsul Servius Galba. Er ließ ihn kommen, versuchte sich in verschiedenen Gesprächen ein Bild von ihm zu machen und sagte dann auf griechisch folgenden Satz zu ihm: „Auch du, Galba, wirst einmal die Herrschaft kosten.“ Damit spielte er auf dessen späte und kurze Regierungszeit27 an mithilfe seiner Kenntnisse in der Kunst der Chaldäer; sie sich anzueignen hatte er auf Rhodos Zeit und zum Lehrer Thrasyllus, dessen Können er auf folgende Art und Weise auf die Probe gestellt hatte: 21 (1) Jedes Mal wenn er sich mit einer solchen Aufgabe beschäftigte, bediente er sich dazu eines hochgelegenen Teils seines Hauses und eines einzigen Freigelassenen. Der war ungebildet, aber körperlich kräftig und ging durch unwegsames, steil abfallendes Gelände – denn das Haus ragt über Felsen auf – vor dem Mann her, dessen Können Tiberius auf die Probe zu stellen beschlossen hatte, und warf ihn auf dem Rückweg, wenn der Verdacht auf Scharlatanerie oder Betrug aufgekommen war, in das darunter liegende Meer, damit es niemanden gab, der das geheime Treiben verraten konnte. (2) Thrasyllus wurde also in die gleiche Felswand geführt, und nachdem er seinen Fragesteller damit sehr stark beeindruckt hatte, dass er ihm die Herrschaft und die Zukunft geschickt voraussagte, wurde er gefragt, ob er auch sein eigenes Horoskop kenne, welches Jahr, welche Art von Tag er gerade erlebe. Der vermaß die Positionen und Entfernungen der Gestirne, stutzte zunächst, wurde dann blass, und je weiter er sich vertiefte, desto mehr fing er an zu zittern vor Erstaunen und Furcht und rief schließlich laut, ihm stehe ein ungewisses und vielleicht tödliches Risiko bevor. (3) Da umarmte ihn Tiberius und beglückwünschte ihn dazu, dass er die Gefahren vorherwisse und heil und gesund davonkommen werde; alles, was er gesagt hatte, betrachtete er wie einen Orakelspruch und behielt ihn unter seinen engsten Freunden. 22 (1) Ich aber bin, wenn ich von Begebenheiten wie diesen höre, in meinem Urteil darüber unsicher, ob sich durch das Schicksal und eine unabänderliche Notwendigkeit oder durch den Zufall das Leben der Sterblichen entwickelt. Denn man wird entdecken, dass die weisesten Männer vergangener Zeiten

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    opinionem non initia nostri, non finem, non denique homines dis curae; ideo creberrime tristia in bonos, laeta apud deteriores esse. (2) contra alii fatum quidem congruere rebus putant, sed non e vagis stellis, verum apud principia et nexus naturalium causarum; ac tamen electionem vitae nobis relinquunt, quam ubi elegeris, certum imminentium ordinem. neque mala vel bona, quae vulgus putet: multos, qui conflictari adversis videantur, beatos, at plerosque, quamquam magnas per opes, miserrimos, si illi gravem fortunam constanter tolerent, hi prospera inconsulte utantur. (3) ceterum plurimis mortalium non eximitur, quin primo cuiusque ortu ventura destinentur, sed quaedam secus quam dicta sint cadere fallaciis ignara dicentium: ita corrumpi fidem artis, cuius clara documenta et antiqua aetas et nostra tulerit. (4) quippe a filio eiusdem Thrasulli praedictum Neronis imperium in tempore memorabitur, ne nunc incepto longius abierim. 23 (1) Isdem consulibus Asinii Galli mors vulgatur, quem egestate cibi peremptum hau dubium, sponte vel necessitate incertum habebatur. consultusque Caesar an sepeliri sineret, non erubuit permittere ultroque incusare casus, qui reum abstulissent, antequam coram convinceretur. scilicet medio triennio defuerat tempus subeundi iudicium consulari seni, tot consularium parenti. (2) Drusus deinde exstinguitur, cum se miserandis alimentis, mandendo e cubili tomento, nonum ad diem detinuisset. tradidere quidam praescriptum fuisse Macroni, si arma ab Seiano temptarentur, extractum custodiae iuvenem (nam in Palatio attinebatur) ducem populo imponere. mox, quia rumor incedebat fore ut nuru ac nepoti conciliaretur Caesar, saevitiam quam paenitentiam maluit.

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    und die ihrer Lehre anhängen, darüber unterschiedlicher Meinung sind und dass in vielen die Überzeugung verwurzelt ist, die Götter kümmerten sich nicht um den Beginn von uns, nicht um unser Ende, ja überhaupt nicht um die Menschen;28 deshalb gebe es sehr häufig traurige Entwicklungen für die Guten und frohe bei den Schlechteren. (2) Dagegen glauben andere, das Schicksal stimme zwar mit den Geschehnissen überein, aber nicht in Abhängigkeit von umherschweifenden Sternen, sondern in Zusammenhang mit den Urgründen und Verkettungen natürlicher Ursachen. Und dennoch überlassen sie uns die Wahl des Lebenswegs; habe man ihn gewählt, gebe es einen festliegenden Ablauf unvermeidbarer Ereignisse. Auch seien nicht Übel oder Güter, was das einfache Volk dafür halte: Viele Menschen, die anscheinend unter einem schlimmen Unglück zu leiden hätten, seien glücklich, doch sehr viele, obwohl sie über großen Reichtum verfügten, äußerst unglücklich, falls die einen ihr schweres Schicksal standhaft ertrügen, die anderen mit ihrem Glück leichtsinnig umgingen. (3) Wie dem auch sei, man kann den meisten Sterblichen die Überzeugung nicht nehmen, für jeden werde gleich bei seiner Geburt die Zukunft vorausbestimmt, aber manches falle anders aus, als es vorhergesagt wurde, durch die Betrügereien von Leuten, die Dinge vorhersagten, von denen sie keine Ahnung hätten; auf diese Weise werde das Vertrauen in eine Kunst erschüttert, für die sowohl die Vergangenheit als auch unsere Zeit glänzende Nachweise geliefert hätten. (4) Denn dass vom Sohn desselben Thrasyllus die Herrschaft Neros vorhergesagt wurde, wird zu gegebener Zeit Erwähnung finden,29 damit ich jetzt nicht noch weiter von meinem Thema abschweife. 23 (1) Unter den gleichen Konsuln verbreitete sich die Nachricht vom Tod des Asinius Gallus, der zweifellos durch Nahrungsmangel umkam, ob freiwillig oder gezwungenermaßen, galt als unsicher. Auf die Frage, ob er sein Begräbnis zulasse, schämte sich der Caesar nicht, es zu erlauben und sich darüber hinaus über die Umstände zu beschweren, die den Angeklagten beseitigt hätten, bevor er in seiner Anwesenheit überführt worden sei. Offensichtlich hatte im Verlauf von drei Jahren die Zeit gefehlt, einen greisen ehemaligen Konsul, Vater so vieler ehemaliger Konsuln vor Gericht zu stellen!30 (2) Anschließend wurde Drusus ums Leben gebracht, nachdem er es mit erbärmlicher Nahrung – er kaute die Heufüllung aus seiner Matratze – bis zum neunten Tag gefristet hatte. Einige Autoren berichteten, Macro habe den Auftrag gehabt, falls Sejan zu den Waffen greife, den jungen Mann aus dem Gefängnis zu holen – denn er war im Palatium inhaftiert – und ihn zum Führer des Volkes zu machen. Später dann wollte der Caesar, weil das Gerücht aufkam, er versöhne sich mit Schwiegertochter und Enkel, lieber Grausamkeit als Reue zeigen.

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    24 (1) Quin et invectus in defunctum probra corporis, exitiabilem in suos, infensum rei publicae animum obiecit recitarique factorum dictorumque eius descripta per dies iussit, quo non aliud atrocius visum: adstitisse tot per annos, qui vultum gemitus, occultum etiam murmur exciperent, et potuisse avum audire legere, in publicum promere vix fides, nisi quod Attii centurionis et Didymi liberti epistulae servorum nomina praeferebant, ut quis egredientem cubiculo Drusum pulsaverat, exterruerat. (2) etiam sua verba centurio saevitiae plena, tamquam egregium, vocesque deficientis adiecerat, quis primo alienationem mentis simulans quasi per dementiam funesta Tiberio, mox, ubi exspes vitae fuit, meditatas compositasque diras imprecabatur, ut, quem ad modum nurum filiumque fratris et nepotes domumque omnem caedibus complevisset, ita poenas nomini generique maiorum et posteris exsolveret. (3) obturbabant quidem patres specie detestandi. sed penetrabat pavor et admiratio callidum olim et tegendis sceleribus obscurum huc confidentiae venisse, ut tamquam dimotis parietibus ostenderet nepotem sub verbere centurionis, inter servorum ictus, extrema vitae alimenta frustra orantem. 25 (1) Nondum is dolor exoleverat, cum de Agrippina auditum, quam interfecto Seiano spe sustentatam provixisse reor et, postquam nihil de saevitia remittebatur, voluntate exstinctam, nisi si negatis alimentis adsimulatus est finis, qui videretur sponte sumptus. (2) enimvero Tiberius foedissimis criminationibus exarsit, impudicitiam arguens et Asinium Gallum adulterum, eiusque morte ad taedium vitae compulsam. sed Agrippina aequi impatiens, dominandi avida, virilibus curis feminarum vitia exuerat. (3) eodem die defunctam, quo biennio ante Seianus poenas luisset, memoriaeque id prodendum addidit Caesar iactavitque, quod non laqueo

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    24 (1) Sogar über den Verstorbenen zog er noch her, warf ihm üble körperliche Verfehlungen31 und seine für seine Angehörigen verhängnisvolle und dem Staat gegenüber feindselige Haltung vor und ließ die Tag für Tag angefertigten Notizen über sein Verhalten und seine Äußerungen vorlesen. Nichts hinterließ einen grauenhafteren Eindruck: Dass neben ihm so viele Jahre lang Spitzel standen, die seine Miene, seine Seufzer, sogar sein heimliches Gemurmel festhielten, und dass sein Großvater das hören, lesen und in die Öffentlichkeit tragen konnte, wäre kaum zu fassen gewesen, wenn nicht Briefe des Zenturios Attius und des Freigelassenen Didymus die Namen der einzelnen Sklaven aufgeführt hätten, die Drusus, wenn er sein Zimmer verlassen wollte, misshandelt, ja terrorisiert hatten. (2) Auch seine eigenen, von Grausamkeit triefenden Worte hatte der Zenturio, als handle es sich dabei um eine Heldentat, angefügt sowie die Äußerungen des Todgeweihten, mit denen dieser zuerst eine geistige Umnachtung vortäuschte und wie im Wahnsinn auf Tiberius alles Unheil herabwünschte, dann aber, als er die Hoffnung, am Leben zu bleiben, aufgegeben hatte, sorgfältig überlegte Verfluchungen ausstieß, er solle so, wie er seine Schwiegertochter und den Sohn des Bruders und seine Enkel32 umgebracht und sein ganzes Haus mit Mordopfern angefüllt habe, dafür büßen müssen, was er dem Namen und Geschlecht seiner Vorfahren und Nachkommen angetan habe. (3) Die Väter protestierten zwar lautstark mit scheinbarem Abscheu dagegen. Aber in Wirklichkeit hatte sie das ungläubige Entsetzen darüber gepackt, dass der früher nur gerissene und zur Vertuschung seiner Verbrechen verschlossene Mann ein derartiges Maß an Selbstsicherheit erreicht hatte, dass er, als habe er Wände entfernen lassen, vorführte, wie sein Enkel unter den Schlägen eines Zenturios, unter den Hieben von Sklaven vergeblich um die erbärmlichsten Nahrungsmittel zum Überleben bettelte. 25 (1) Der Schmerz darüber hatte sich noch nicht gelegt, da hörte man von Agrippina, die, glaube ich, nach der Hinrichtung Sejans neue Hoffnung geschöpft und sich deshalb zum Weiterleben entschlossen hatte und dann, als der grausame Umgang mit ihr in keiner Weise nachließ, freiwillig aus dem Leben schied – falls man ihr nicht doch die Nahrung vorenthielt und damit ein Lebensende vortäuschte, das freiwillig herbeigeführt erscheinen sollte. (2) Tiberius empörte sich nun aber mit den gemeinsten Vorwürfen, indem er sie eines unmoralischen Lebenswandels und des Ehebruchs mit Asinius Gallus bezichtigte; durch dessen Tod sei sie lebensmüde geworden. Doch tatsächlich hatte Agrippina, unfähig, sich mit Gleichbehandlung abzufinden, und herrschsüchtig, mit der Übernahme der Aufgaben von Männern die Schwächen von Frauen abgelegt. (3) Sie sei am gleichen Tag gestorben, an dem zwei Jahre vorher Sejan bestraft worden sei, und man müsse das an die Nachwelt weitergeben, fügte der Caesar hinzu und brüstete sich damit, sie sei nicht mit

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    strangulata neque in Gemonias proiecta foret. actae ob id grates decretumque, ut quintum decimum kal. Novembres, utriusque necis die, per omnes annos donum Iovi sacraretur. 26 (1) Haud multo post Cocceius Nerva, continuus principi comes, divini humanique iuris sciens, integro statu, corpore inlaeso, moriendi consilium cepit. quod ut Tiberio cognitum, adsidere, causas requirere, addere preces; fateri postremo grave conscientiae, grave famae suae, si proximus amicorum nullis moriendi rationibus vitam fugeret. (2) aversatus sermonem Nerva abstinentiam cibi coniunxit. ferebant gnari cogitationum eius, quanto propius mala rei publicae viseret, ira et metu, dum integer, dum intemptatus, honestum finem voluisse. (3) Ceterum Agrippinae pernicies, quod vix credibile, Plancinam traxit. nupta olim Cn. Pisoni et palam laeta morte Germanici, cum Piso caderet, precibus Augustae nec minus inimicitiis Agrippinae defensa erat. ut odium et gratia desiere, ius valuit; petitaque criminibus haud ignotis sua manu sera magis quam immerita supplicia persolvit. 27 (1) Tot luctibus funesta civitate pars maeroris fuit, quod Iulia Drusi filia, quondam Neronis uxor, denupsit in domum Rubellii Blandi, cuius avum Tiburtem equitem Romanum plerique meminerant. (2) Extremo anni mors Aelii Lamiae funere censorio celebrata, qui administrandae Syriae imagine tandem exsolutus urbi praefuerat. genus illi decorum, vivida senectus; et non permissa provincia dignationem addiderat. (3) exim Flacco Pomponio Syriae pro praetore defuncto recitantur Caesaris litterae, quis incusabat egregium quemque et regendis exercitibus idoneum abnuere id munus, seque ea necessitudine ad preces cogi, per quas consularium aliqui capessere provincias adigerentur, oblitus Arruntium, ne in Hispaniam pergeret, decimum iam annum attineri. (4) obiit eodem anno et M. Lepidus, de cuius moderatione atque sapientia in prioribus libris satis conlocavi.

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    dem Strick erdrosselt und auf die Gemonische Treppe geworfen worden. Dafür dankte man ihm und beschloss, am 18. Oktober, dem Tag des gewaltsamen Todes beider, solle jedes Jahr dem Jupiter ein Geschenk geweiht werden. 26 (1) Nicht viel später fasste Cocceius Nerva, der ständige Begleiter des Princeps, ein Experte in Fragen des göttlichen und menschlichen Rechts, unangefochten in seiner Stellung und körperlich gesund, den Entschluss zu sterben. Als Tiberius davon erfuhr, setzte er sich zu ihm, fragte nach den Gründen, schloss Bitten an; schließlich bekannte er, es sei belastend für sein Gewissen, belastend für seinen Ruf, wenn sein engster Freund ohne vernünftigen Grund zu sterben aus dem Leben fliehe. (2) Nerva ließ sich auf kein Gespräch ein, sondern blieb dabei, keine Nahrung zu sich zu nehmen. Personen, die seine Überlegungen kannten, berichteten, er habe, je näher er das Unglück des Staates kommen sah, aus Empörung und Befürchtung, solange er noch unangefochten war, solange man noch nicht gegen ihn vorging, ein Ende in Ehren finden wollen. (3) Außerdem riss Agrippinas Untergang – man möchte es kaum glauben – Plancina mit. Sie war einst mit Cn. Piso verheiratet gewesen, hatte sich offen über den Tod des Germanicus gefreut und war bei Pisos Sturz durch die Bitten der Augusta (Livia) und nicht weniger durch ihre Feindschaft mit Agrippina geschützt worden. Sobald Hass und Gunst weggefallen waren, setzte sich das Recht durch; sie wurde zum Ziel allgemein bekannter Vorwürfe und richtete sich eher zu spät als unverdient mit eigener Hand. 27 (1) Als die Bürgerschaft wegen so vieler leidvoller Ereignisse trauerte, bedeutete es einen Teil des Kummers, dass Drususʼ Tochter Julia, seinerzeit Neros Frau, in das Haus des Rubellius Blandus einheiratete, dessen Großvater, wie sich noch viele erinnerten, nur ein römischer Ritter aus Tibur war. (2) Ganz am Jahresende wurde der Tod des Aelius Lamia, der zuletzt doch noch von der Scheinverwaltung Syriens entbunden und Stadtkommandant geworden war, feierlich mit einem zensorischen Begräbnis33 begangen. Er stammte aus einem angesehenen Geschlecht, war im Alter noch rüstig, und die Tatsache, dass ihm die Provinz nicht anvertraut worden war, hatte sein Ansehen gesteigert. (3) Dann wurde nach dem Ableben des Proprätors von Syrien, Flaccus Pomponius, ein Brief des Caesars verlesen, in dem er sich darüber beklagte, dass all die hervorragenden und für das Führen von Heeren qualifizierten Männer diese Aufgabe ablehnten; er sehe sich in dieser unhaltbaren Situation gezwungen, darum zu bitten, einige ehemalige Konsuln zur Übernahme von Provinzen anzuhalten. Dabei vergaß er ganz, dass Arruntius schon das zehnte Jahr davon abgehalten wurde, nach Spanien zu gehen. (4) Im selben Jahr starb auch M. Lepidus, auf dessen zurückhaltendes und weises Verhalten ich in den vorangegangenen Büchern schon ausführlich eingegangen bin.34

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    neque nobilitas diutius demonstranda est: quippe Aemilium genus fecundum bonorum civium, et qui eadem familia corruptis moribus, inlustri tamen fortuna egere. 28 (1) PAULO FABIO L. VITELLIO consulibus post longum saeculorum ambitum avis phoenix in Aegyptum venit praebuitque materiem doctissimis indigenarum et Graecorum multa super eo miraculo disserendi. de quibus congruunt et plura ambigua, sed cognitu non absurda promere libet. (2) sacrum Soli id animal, et ore ac distinctu pinnarum a ceteris avibus diversum consentiunt qui formam eius effinere; de numero annorum varia traduntur. (3) maxime vulgatum quingentorum spatium; sunt qui adseverent mille quadringentos sexaginta unum interici, prioresque alites Sesoside primum, post Amaside dominantibus, dein Ptolemaeo, qui ex Macedonibus tertius regnavit, in civitatem, cui Heliopolis nomen, advolavisse, multo ceterarum volucrum comitatu novam faciem mirantium. (4) sed antiquitas quidem obscura: inter Ptolemaeum ac Tiberium minus ducenti quinquaginta anni fuerunt. unde nonnulli falsum hunc phoenicem neque Arabum e terris credidere, nihilque usurpavisse ex his, quae vetus memoria firmavit. (5) confecto quippe annorum numero, ubi mors propinquet, suis in terris struere nidum eique vim genitalem adfundere, ex qua fetum oriri: et primam adulto curam sepeliendi patris, neque id temere, sed sublato murrae pondere temptatoque per longum iter, ubi par oneri, par meatui sit, subire patrium corpus inque Solis aram perferre atque adolere. (6) haec incerta et fabulosis aucta: ceterum aspici aliquando in Aegypto eam volucrem non ambigitur. 29 (1) At Romae caede continua Pomponius Labeo, quem praefuisse Moesiae rettuli, per abruptas venas sanguinem effudit; aemulataque est coniunx Paxaea. nam promptas eius modi mortes metus carnificis faciebat, et quia damnati publicatis bonis sepultura prohibebantur, eorum qui de se statuebant humabantur corpora, manebant testamenta, pretium festinandi. (2) sed Caesar missis ad

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    Auch seine vornehme Abkunft muss man nicht länger belegen; das Geschlecht der Ämilier ist ja reich an tüchtigen Bürgern, und wer aus der gleichen Familie moralisch verkommen war, lebte dennoch in glänzenden Verhältnissen. 28 (1) Unter den Konsuln PAULUS FABIUS und L. VITELLIUS (34 n. Chr.) kam am Ende eines jahrhundertelangen Zyklus der Vogel Phönix wieder nach Ägypten und bot den größten Gelehrten unter Einheimischen und Griechen Stoff zu ausführlichen Erörterungen über diese Wundererscheinung. Über die Auffassungen, bei denen man sich einig ist, und die noch zahlreicheren Punkte, die zwar umstritten sind, deren Kenntnis aber dennoch nicht überflüssig ist, möchte ich nun berichten. (2) Heilig ist dieses Lebewesen dem Sonnengott, und die Personen, die seine Gestalt wiedergegeben haben, lassen es übereinstimmend nach Schnabel und Zeichnung des Gefieders anders aussehen als die übrigen Vögel. Zur Zahl der Jahre werden verschiedene Angaben gemacht. (3) Am weitesten verbreitet ist ein Abstand von 500 Jahren. Es gibt aber auch Autoren, die behaupten, es lägen 1461 Jahre35 dazwischen, und die früheren Vögel seien erstmals während der Herrschaft des Sesosis, dann des Amasis, schließlich des Ptolemaeus, der als Dritter von den Makedonen König war, in die Stadt, die Heliopolis heißt, geflogen, in Begleitung einer großen Schar anderer Vögel, die über die ungewöhnliche Gestalt staunten. (4) Aber die Vorzeit ist natürlich dunkel: Zwischen Ptolemaeus und Tiberius lagen weniger als 250 Jahre. Deshalb glaubten einige Personen, falsch sei dieser Phönix und auch nicht aus den Ländern der Araber und habe nichts von dem getan, was die alte Überlieferung behauptete: (5) Wenn nämlich die Zahl der Jahre vollendet sei, baue er, sobald sein Tod nahe, in seinen Ländern ein Nest und lasse seine Zeugungskraft hineinfließen, aus der ein Junges entstehe; wenn es herangewachsen sei, sei seine erste Sorge die Bestattung des Vaters, und zwar gehe es nicht planlos vor, sondern nehme eine Ladung Myrrhe auf und mache damit zur Probe einen langen Flug, und sobald es der Last gewachsen sei und gewachsen dem Flug, nehme es den Leichnam seines Vaters auf den Rücken, trage ihn zum Altar des Sonnengottes und verbrenne ihn. (6) Diese Angaben sind unsicher und durch märchenhafte Elemente ausgeschmückt; dass man aber von Zeit zu Zeit diesen Vogel in Ägypten zu Gesicht bekommt, daran besteht kein Zweifel. 29 (1) Doch in Rom ging das Morden immer weiter: Pomponius Labeo, der, wie berichtet,36 das Kommando in Mösien hatte, verblutete durch Abtrennen der Adern, und seinem Vorbild folgte seine Gattin Paxaea. Denn derartige Todesarten legten die Furcht vor dem Henker und die Tatsache nahe, dass Verurteilten nach Beschlagnahme ihres Vermögens die Bestattung versagt wurde, die Leichen der Personen aber, die sich selbst gerichtet hatten, beerdigt werden durften und ihre Testamente in Kraft blieben, als Belohnung für die Beschleunigung. (2) Der Caesar aber wies in einem an den Senat gerichteten

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    senatum litteris disseruit morem fuisse maioribus, quotiens dirimerent amicitias, interdicere domo eumque finem gratiae ponere: id se repetivisse in Labeone, atque illum, quia male administratae provinciae aliorumque criminum urgebatur, culpam invidia velavisse, frustra conterrita uxore, quam etsi nocentem periculi tamen expertem fuisse. (3) Mamercus dein Scaurus rursum postulatur, insignis nobilitate et orandis causis, vita probrosus. nihil hunc amicitia Seiani, sed labefecit haud minus validum ad exitia Macronis odium, qui easdem artes occultius exercebat detuleratque argumentum tragoediae a Scauro scriptae, additis versibus qui in Tiberium flecterentur. (4) verum ab Servilio et Cornelio accusatoribus adulterium Liviae, magorum sacra obiectabantur. Scaurus, ut dignum veteribus Aemiliis, damnationem anteit, hortante Sextia uxore, quae incitamentum mortis et particeps fuit. 30 (1) Ac tamen accusatores, si facultas incideret, poenis adficiebantur, ut Servilius Corneliusque perdito Scauro famosi, quia pecuniam a Vario Ligure omittendae delationis ceperant, in insulas interdicto igni atque aqua demoti sunt. (2) et Abudius Ruso functus aedilitate, dum Lentulo Gaetulico, sub quo legioni praefuerat, periculum facessit, quod is Seiani filium generum destinasset, ultro damnatur atque urbe exigitur. Gaetulicus ea tempestate superioris Germaniae legiones curabat mirumque amorem adsecutus erat, effusae clementiae, modicus severitate et proximo quoque exercitui per L. Apronium socerum non ingratus. (3) unde fama constans ausum mittere ad Caesarem litteras, adfinitatem sibi cum Seiano hau sponte, sed consilio Tiberii coeptam; perinde se quam Tiberium falli potuisse, neque errorem eundem illi sine fraude, aliis exitio habendum. sibi fidem integram et, si nullis insidiis peteretur, mansuram; successorem non aliter quam indicium mortis accepturum. firmarent velut foedus, quo princeps ceterarum rerum poteretur,

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    Brief darauf hin, bei den Vorfahren sei es Sitte gewesen, jedes Mal wenn sie Freundschaften aufkündigten, das Betreten ihres Hauses zu verbieten und damit der engen Beziehung ein Ende zu setzen; diesen Brauch habe er bei Labeo wieder aufgenommen, und der habe, weil er wegen seiner schlechten Provinzverwaltung und anderer Verbrechen unter Druck geriet, seine Schuld durch sein gehässiges Verhalten37 zu verschleiern versucht, wobei er seine Frau umsonst in Panik versetzt habe, die, wenn auch schuldig, dennoch nicht in Gefahr gewesen sei. (3) Mamercus Scaurus wurde danach wieder vor Gericht gestellt, ein durch seine vornehme Abkunft und als Anwalt bei Prozessen ausgezeichneter Mann, aber skandalös in seinem Lebenswandel. Keinesfalls brachte ihn seine Freundschaft mit Sejan, sondern der sich nicht weniger verhängnisvoll auswirkende Hass Macros zu Fall, der die gleichen Machenschaften noch versteckter praktizierte und den Inhalt einer von Scaurus verfassten Tragödie hinterbracht hatte, wobei er zusätzlich Verse zitierte, die man als gegen Tiberius gerichtet verstehen konnte. (4) Aber von den Anklägern Servilius und Cornelius wurden ihm Ehebruch mit Livia und Beschwörungen der Magier vorgeworfen. Scaurus kam, wie es der Würde der alten Ämilier entsprach, der Verurteilung zuvor; dazu ermunterte ihn seine Frau Sextia, die ihn in den Tod trieb und begleitete. 30 (1) Und dennoch bestrafte man die Ankläger, wenn sich die Möglichkeit dazu bot. Zum Beispiel wurden die durch die Vernichtung des Scaurus berüchtigten Servilius und Cornelius, weil sie von Varius Ligur für den Verzicht auf eine Anzeige Geld genommen hatten, auf Inseln deportiert, nachdem man ihnen Feuer und Wasser untersagt hatte. (2) Auch Abudius Ruso, ein ehemaliger Ädil, wurde, weil er Lentulus Gaetulicus, unter dem er eine Legion befehligt hatte, dafür vor Gericht brachte, dass dieser einen Sohn Sejans als Schwiegersohn ausgesucht hatte, seinerseits verurteilt und aus der Hauptstadt verwiesen. Gaetulicus war zu dieser Zeit für die Legionen in Obergermanien zuständig und hatte sich ungewöhnliche Sympathien erworben; er zeigte sich außerordentlich nachsichtig, war maßvoll bei Strenge und auch beim Nachbarheer wegen seines Schwiegervaters L. Apronius nicht unbeliebt. (3) Daher rührte das hartnäckige Gerücht, er habe sich getraut, dem Caesar einen Brief zu schicken des Inhalts, seine Verwandtschaft mit Sejan habe er nicht von sich aus, sondern auf einen Rat des Tiberius hin in die Wege geleitet; er habe sich genauso wie Tiberius täuschen können, und der gleiche Irrtum dürfe nicht für den einen keinen Nachteil, für die anderen den Untergang bedeuten. Seine Loyalität sei unverändert und werde es, falls man nicht hinterhältig gegen ihn vorgehe, auch bleiben; die Ernennung eines Nachfolgers allerdings könne er nur als Hinweis auf seinen Tod verstehen. Sie sollten eine Art Abmachung treffen, der zufolge der Princeps die Herrschaft über das übrige Reich ausübe,

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    ipse provinciam retineret. (4) haec, mira quamquam, fidem ex eo trahebant, quod unus omnium Seiani adfinium incolumis multaque gratia mansit, reputante Tiberio publicum sibi odium, extremam aetatem, magisque fama quam vi stare res suas. 31 (1) C. CESTIO M. SERVILIO consulibus nobiles Parthi in urbem venere, ignaro rege Artabano. is metu Germanici fidus Romanis, aequabilis in suos, mox superbiam in nos, saevitiam in populares sumpsit, fretus bellis, quae secunda adversum circumiectas nationes exercuerat, et senectutem Tiberii ut inermem despiciens avidusque Armeniae, cui defuncto rege Artaxia Arsacen liberorum suorum veterrimum imposuit, addita contumelia et missis, qui gazam a Vonone relictam in Syria Ciliciaque reposcerent; simul veteres Persarum ac Macedonum terminos, seque invasurum possessa Cyro et post Alexandro per vaniloquentiam ac minas iaciebat. (2) sed Parthis mittendi secretos nuntios validissimus auctor fuit Sinnaces, insigni familia ac perinde opibus, et proximus huic Abdus ademptae virilitatis (non despectum id apud barbaros ultroque potentiam habet). ii adscitis et aliis primoribus, quia neminem gentis Arsacidarum summae rei imponere poterant, interfectis ab Artabano plerisque aut nondum adultis, Phraaten regis Phraatis filium Roma poscebant: nomine tantum et auctore opus, [ut] sponte Caesaris ut genus Arsacis ripam apud Euphratis cerneretur. 32 (1) Cupitum id Tiberio: ornat Phraaten accingitque paternum ad fastigium, destinata retinens, consiliis et astu res externas moliri, arma procul habere. interea cognitis insidiis Artabanus tardari metu, modo cupidine vindictae inardescere; et barbaris cunctatio servilis, statim exsequi regium videtur. (2) valuit tamen utilitas, ut Abdum specie amicitiae vocatum ad epulas lento veneno inligaret, Sinnacen dissimulatione ac donis, simul per negotia moraretur. et Phraates apud Syriam, dum omisso cultu Romano, cui per tot

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    er aber seine Provinz behalte. (4) Diese Vermutungen fanden, so erstaunlich sie waren, deshalb Glauben, weil er als Einziger von allen Verwandten Sejans nicht angerührt wurde und in hoher Gunst blieb. Denn Tiberius dachte an den öffentlichen Hass für seine Person, an sein sehr hohes Alter und daran, dass seine Herrschaft mehr auf ihrem Ruf als auf wirklicher Macht beruhe. 31 (1) Unter den Konsuln C. CESTIUS und M. SERVILIUS (35 n. Chr.) kamen parthische Adlige ohne Wissen ihres Königs Artabanus in die Hauptstadt. Der war aus Furcht vor Germanicus den Römern treu und gerecht gegen seine Untertanen gewesen, nahm dann aber gegen uns eine hochmütige, gegen seine Landsleute eine grausame Haltung an im Vertrauen auf seine erfolgreich geführten Kriege gegen Nachbarvölker. Zudem verachtete er Tiberius als wehrlosen alten Mann und blickte begehrlich auf Armenien, auf dessen Thron er nach dem Ableben des Königs Artaxias Arsaces setzte, den ältesten seiner Söhne. Zusätzlich erlaubte er sich den Affront, Gesandte zu schicken, die den von Vonones in Syrien und Kilikien zurückgelassenen Schatz zurückfordern sollten. Zugleich sprach er von den alten persisch-makedonischen Grenzen und drohte großsprecherisch damit, er werde in das von Kyros und dann von Alexander beherrschte Gebiet einfallen. (2) Aber bei den Parthern war der Hauptverantwortliche für die Absendung der geheimen Boten Sinnaces, ein Mann aus einer angesehenen Familie und entsprechend begütert, und gleich nach ihm Abdus, den man seiner Männlichkeit beraubt hatte – dieser Zustand ist bei den Barbaren nicht verachtet und verschafft sogar mehr Einfluss. Diese beiden zogen auch noch andere führende Männer bei und verlangten, weil sie niemanden aus dem Geschlecht der Arsaciden auf den Thron setzen konnten, da die meisten von ihnen von Artabanus umgebracht worden oder noch nicht erwachsen waren, Phraates, den Sohn des Königs Phraates, von Rom; man brauche nur einen Namen und die Ermächtigung dazu, dass man nach dem Willen des Caesars einen Arsacidenspross am Euphratufer sehen könne. 32 (1) Das war der Wunsch des Tiberius. Er stattete Phraates großzügig aus und wappnete ihn für die angestammte Spitzenstellung, wobei er an seinem Grundsatz festhielt, mit Überlegung und List Außenpolitik zu betreiben, Waffen aber fernzuhalten. In der Zwischenzeit hatte Artabanus von dem hinterhältigen Vorgehen erfahren und zögerte noch aus Furcht, dann aber entbrannte er vor Rachedurst, und Barbaren kommt Zaudern ja sklavisch, sofortiges Handeln königlich vor. (2) Es setzte sich dennoch die Nützlichkeit durch mit dem Ergebnis, dass er Abdus unter Vorspiegelung von Freundschaft zu einem Bankett einlud und durch ein langsam wirkendes Gift ausschaltete, Sinnaces aber durch Verstellung und Geschenke, zudem auch durch Aufträge hinhielt. Und Phraates erlag in Syrien, als er nach Aufgabe der römischen Lebensweise,

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    annos insueverat, instituta Parthorum sumit, patriis moribus impar morbo absumptus est. (3) sed non Tiberius omisit incepta: Tiridaten, sanguinis eiusdem, aemulum Artabano, reciperandaeque Armeniae Hiberum Mithridaten deligit conciliatque fratri Pharasmani, qui gentile imperium obtinebat; et cunctis, quae apud Orientem parabantur, L. Vitellium praefecit. (4) eo de homine haud sum ignarus sinistram in urbe famam, pleraque foeda memorari; ceterum regendis provinciis prisca virtute egit: unde regressus et formidine C. Caesaris, familiaritate Claudii turpe in servitium mutatus exemplar apud posteros adulatorii dedecoris habetur, cesseruntque prima postremis, et bona iuventae senectus flagitiosa obliteravit. 33 (1) At ex regulis prior Mithridates Pharasmanen perpulit dolo et vi conatus suos iuvare, repertique corruptores ministros Arsacis multo auro ad scelus cogunt; simul Hiberi magnis copiis Armeniam inrumpunt et urbe Artaxata potiuntur. (2) quae postquam Artabano cognita, filium Oroden ultorem parat; dat Parthorum[que] copias, mittit qui auxilia mercede facerent. contra Pharasmanes adiungere Albanos, accire Sarmatas, quorum sceptuchi utrimque donis acceptis more gentico diversa induere. (3) sed Hiberi locorum potentes Caspia via Sarmatam in Armenios raptim effunt. at qui Parthis adventabant, facile arcebantur, cum alios incessus hostis clausisset, unum reliquum, mare inter et extremos Albanorum montes, aestas impediret, quia flatibus etesiarum implentur vada; hibernus auster revolvit fluctus pulsoque introrsus freto brevia litorum nudantur. 34 (1) Interim Oroden sociorum inopem auctus auxilio Pharasmanes vocare ad pugnam et detrectantem incessere: adequitare castris, infensare pabula; ac saepe modum obsidii stationibus cingebat, donec Parthi contumeliarum insolentes circumsisterent regem, poscerent proelium. atque illis sola in equite

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    an die er sich so viele Jahre lang gewöhnt hatte, die parthischen Gewohnheiten übernehmen wollte, weil er den heimischen Bräuchen nicht gewachsen war, einer Krankheit. (3) Aber Tiberius ließ von seinen Vorhaben nicht ab: Er wählte dessen Blutsverwandten Tiridates als Rivalen für Artabanus und für die Wiedergewinnung Armeniens den Hiberer Mithridates aus und versöhnte ihn mit seinem Bruder Pharasmanes, der die Herrschaft über dieses Volk ausübte; und das Oberkommando über alle Vorbereitungen im Orient übertrug er L. Vitellius. (4) Von diesem Mann weiß ich natürlich, dass er in der Hauptstadt in schlechtem Ruf stand und dass man sehr viele Gemeinheiten über ihn erzählte. Aber bei der Leitung von Provinzen bewährte er sich vorzüglich in althergebrachter Weise. Nach der Rückkehr von dort verwandelte er sich aus Angst vor C. Caesar und wegen der engen Verbindung zu Claudius in einen niederträchtigen Sklaven; deshalb gilt er bei der Nachwelt als Musterbeispiel würdeloser Speichelleckerei: Die ersten Taten verblassten hinter den letzten, und die Vorzüge des jungen Mannes ließ ein Alter in Schande vergessen. 33 (1) Doch von den Kleinkönigen brachte zuerst Mithridates den Pharasmanes mit List und Gewalt dazu, seine Vorhaben zu unterstützen, und es fanden sich Personen, die Diener des Arsaces mit viel Gold bestachen und so zum Verbrechen drängten; zur gleichen Zeit brachen die Hiberer mit einem großen Heer in Armenien ein und bemächtigten sich der Stadt Artaxata. (2) Als Artabanus davon erfuhr, rüstete er seinen Sohn Orodes als Rächer aus; er übergab ihm die Truppen der Parther und schickte Leute los, die Hilfstruppen anwerben sollten. Pharasmanes dagegen verbündete sich mit den Albanern und rief die Sarmaten zu Hilfe, deren Szepterträger38 von beiden Parteien Geschenke annahmen und sich dann nach Stammessitte den entgegengesetzten Seiten anschlossen. (3) Aber die Hiberer, die das Gebiet beherrschten, ließen die Sarmaten auf der Kaspischen Straße rasch ins Land der Armenier hineinströmen. Doch wer den Parthern zu Hilfe kommen wollte, wurde leicht abgewehrt, weil die anderen Zugänge der Feind abgeriegelt hatte und den einzig übrig gebliebenen zwischen dem Meer und den Ausläufern der Berge der Albaner der Sommer versperrte; denn durch das Wehen der Etesien39 werden die Furten überschwemmt, der winterliche Südwind aber drängt die Fluten zurück und dadurch, dass das Meer einwärts getrieben wird, werden die flachen Bereiche der Küste wieder entblößt. 34 (1) In der Zwischenzeit forderte den Orodes, der keine Verbündeten hatte, der von den Hilfstruppen unterstützte Pharasmanes zur Schlacht heraus und ging, als er sie nicht annahm, auf ihn los: Er ließ an sein Lager heranreiten, die Futterbeschaffung stören und schloss ihn oft wie bei einer Belagerung mit einer Postenkette ein, bis die Parther, die es nicht gewöhnt sind, Beleidigungen hinzunehmen, ihren König umringten und eine Schlacht verlangten. Und doch

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    vis: Pharasmanes et pedite valebat. (2) nam Hiberi Albanique saltuosos locos incolentes duritiae patientiaeque magis insuevere; feruntque se Thessalis ortos, qua tempestate Iaso post avectam Medeam genitosque ex ea liberos inanem mox regiam Aetae vacuosque Colchos repetivit; multaque de nomine eius et oraclum Phrixi celebrant; nec quisquam ariete sacrificaverit, credito vexisse Phrixum, sive id animal seu navis insigne fuit. (3) ceterum derecta utrimque acie Parthus imperium Orientis, claritudinem Arsacidarum contraque ignobilem Hiberum mercennario milite disserebat; Pharasmanes integros semet a Parthico dominatu, quanto maiora peterent, plus decoris victores aut, si terga darent, flagitii atque periculi laturos; simul horridam suorum aciem, picta auro Medorum agmina, hinc viros, inde praedam ostendere. 35 (1) Enimvero apud Sarmatas non una vox ducis: se quisque stimulant, ne pugnam per sagittas sinerent: impetu et comminus praeveniendum. variae hinc bellantium species, cum Parthus sequi vel fugere pari arte suetus distraheret turmas, spatium ictibus quaereret, Sarmatae omisso arcu, quo brevius valent, contis gladiisque ruerent; modo equestris proelii more frontis et tergi vices, aliquando ut conserta acies corporibus et pulsu armorum pellerent pellerentur. (2) iamque et Albani Hiberique prensare detrudere, ancipitem pugnam hostibus facere, quos super eques et propioribus vulneribus pedites adflictabant. inter quae Pharasmanes Orodesque, dum strenuis adsunt aut dubitantibus subveniunt, conspicui eoque gnari, clamore telis equis concurrunt, instantius Pharasmanes; nam vulnus per galeam adegit. nec iterare valuit, praelatus equo et fortissimis satellitum protegentibus saucium. fama tamen occisi falso credita exterruit Parthos, victoriamque concessere.

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    beruhte ihre Kampfkraft nur auf der Kavallerie; Pharasmanes verfügte auch über eine schlagkräftige Infanterie. (2) Denn die Hiberer und Albaner leben in schluchtenreichen Waldgebieten und sind deshalb eher an Härte und Ausdauer gewöhnt. Dazu behaupten sie, von den Thessalern abzustammen aus der Zeit, als Jason nach der Abfahrt Medeas und der Kinder, die er mit ihr gezeugt hatte, bald darauf die verwaiste Königsburg des Aeetes und die herrenlosen Kolcher wieder aufsuchte. Vieles, was mit seinem Namen zusammenhängt, darunter das Orakel des Phrixus, verehren sie, und niemand wird einen Widder opfern, da man glaubt, er habe Phrixus getragen, mag es sich nun um ein Tier oder eine Galionsfigur gehandelt haben.40 (3) Als man sich dann aber auf beiden Seiten zur Schlacht aufgestellt hatte, sprach der Parther von der Herrschaft über den Orient, dem Ruhm der Arsaciden und demgegenüber von dem Hiberer niederer Herkunft mit seiner Söldnertruppe. Pharasmanes betonte, sie seien noch unberührt von der parthischen Gewaltherrschaft, und je höhere Ziele sie sich steckten, desto mehr würden sie als Sieger Ruhm oder, falls sie sich zur Flucht wendeten, Schande und Gefahr ernten; zugleich verwies er auf die waffenstarrende Front seiner Leute und die goldbemalten Kolonnen der Meder: auf der einen Seite Männer, auf der anderen Beute! 35 (1) Bei den Sarmaten wiederum war nicht allein die Stimme eines Anführers zu hören: Sie feuerten sich gegenseitig an, es zu keiner Schlacht mit Pfeilen kommen zu lassen; durch Angriff und Nahkampf müsse man ihr zuvorkommen. Unterschiedlich war deshalb das Erscheinungsbild, das die Kämpfer boten, weil der Parther, daran gewöhnt, mit gleichem Geschick zu verfolgen oder zu fliehen, seine Schwadronen auseinanderzog und Abstand für die Schüsse suchte, während die Sarmaten ihre Bogen beiseitelegten, mit denen sie nur auf kürzere Entfernung Wirkung erzielen können, und mit Spießen und Schwertern losstürzten. Bald wechselten sich in der Art eines Kavalleriegefechts Angriff und Flucht ab, manchmal stießen sie wie eine geschlossene Frontlinie mit ihren Körpern und dem Stoßen ihrer Waffen zurück, wurden zurückgestoßen. (2) Schon griffen auch die Albaner und Hiberer ein, schlugen zurück und verwickelten die Feinde in einen Kampf nach zwei Seiten: Von oben her setzten ihnen die Reiter und mehr aus der Nähe die Fußsoldaten mit Wunden zu. Dazwischen stürmten Pharasmanes und Orodes, während sie den Mutigen zur Seite standen oder den Zaudernden zu Hilfe kamen, weithin sichtbar und deshalb einander erkennend, mit Geschrei, Waffen und Pferden aufeinander los, mit größerer Wucht Pharasmanes; denn er schlug eine Wunde durch den Helm hindurch. Aber er konnte das nicht wiederholen, weil er von seinem Pferd davongetragen wurde und die tapfersten Leibwächter den Verwundeten schützten. Dennoch versetzte das zu Unrecht geglaubte Gerücht von dessen Tod die Parther in Panik, und sie gaben den Sieg verloren.

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    36 (1) Mox Artabanus tota mole regni ultum iit. peritia locorum ab Hiberis melius pugnatum; nec ideo abscedebat, ni contractis legionibus Vitellius et subdito rumore, tamquam Mesopotamiam invasurus, metum Romani belli fecisset. (2) tum omissa Armenia versaeque Artabani res, inliciente Vitellio desererent regem saevum in pace et adversis proeliorum exitiosum. igitur Sinnaces, quem antea infensum memoravi, patrem Abdagaesen aliosque occultos consilii et tunc continuis cladibus promptiores ad defectionem trahit, adfluentibus paulatim qui metu magis quam benevolentia subiecti repertis auctoribus sustulerant animum. (3) nec iam aliud Artabano reliquum quam si qui externorum corpori custodes aderant, suis quisque sedibus extorres, quis neque boni intellectus neque mali cura, sed mercede aluntur ministri sceleribus. (4) his adsumptis in longinqua et contermina Scythiae fugam maturavit, spe auxilii, quia Hyrcanis Carmaniisque per adfinitatem innexus erat: atque interim posse Parthos absentium aequos, praesentibus mobiles, ad paenitentiam mutari. 37 (1) At Vitellius profugo Artabano et flexis ad novum regem popularium animis, hortatus Tiridaten parata capessere, robur legionum sociorumque ripam ad Euphratis ducit. (2) sacrificantibus, cum hic more Romano suovetaurilia daret, ille equum placando amni adornasset, nuntiavere accolae Euphraten nulla imbrium vi sponte et immensum attolli, simul albentibus spumis in modum diadematis sinuare orbes, auspicium prosperi transgressus. quidam callidius interpretabantur, initia conatus secunda neque diuturna, quia eorum, quae terra caelove portenderentur, certior fides, fluminum instabilis natura simul ostenderet omna raperetque. (3) sed ponte navibus effecto tramissoque exercitu primus Ornospades multis equitum milibus in castra venit, exul quondam et Tiberio, cum Delmaticum bellum conficeret, haud inglorius auxiliator eoque civitate Romana donatus, mox repetita amicitia regis multo

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    36 (1) Bald darauf schritt Artabanus mit der gesamten Streitmacht seines Königreichs zur Vergeltung. Wegen ihrer Ortskenntnis kämpften die Hiberer erfolgreicher. Deshalb wäre er aber nicht abgerückt, wenn nicht Vitellius seine Legionen zusammengezogen und mit der Verbreitung des Gerüchts, er wolle in Mesopotamien einfallen, die Angst vor einem Krieg mit den Römern geschürt hätte. (2) Daraufhin gab er Armenien auf, und Artabanusʼ Lage verschlechterte sich grundlegend, weil Vitellius dazu verleitete, einen König im Stich zu lassen, der im Frieden grausam sei und mit seinen Misserfolgen in Gefechten den Untergang bringe. Deshalb veranlasste Sinnaces, der, wie erwähnt, schon vorher sein Feind war, seinen Vater Abdagaeses und andere Männer, die in sein Vorhaben eingeweiht und nun wegen der ständigen Niederlagen zum Handeln bereiter waren, zum Abfall. Dabei strömten ihm nach und nach die Leute zu, die sich mehr aus Angst als aus Sympathie untergeordnet und nun, nachdem sich Anführer fanden, Mut geschöpft hatten. (3) Nichts anderes blieb da Artabanus mehr als die aus Ausländern bestehende Leibwache, die noch da war, lauter heimatvertriebene Gesellen, die weder einen Sinn für das Gute haben noch sich um das Schlechte scheren, sondern von Sold als Handlanger bei Verbrechen leben. (4) Die nahm er mit und floh eiligst in das entlegene Grenzgebiet zu Skythien in der Hoffnung auf Hilfe, weil er den Hyrkanern und Karmaniern verwandtschaftlich verbunden war; und in der Zwischenzeit könnten sich die Parther, die Abwesenden gegenüber korrekt, Anwesenden gegenüber wankelmütig seien, auf Reue besinnen. 37 (1) Vitellius jedoch forderte, als sich nach der Flucht des Artabanus seine Landsleute auf einen neuen König einstellten, Tiridates auf, die Gelegenheit zu ergreifen, und führte den harten Kern der Legionen und Bundesgenossen an das Euphratufer. (2) Bei einem Opfer – der eine brachte nach römischer Sitte das Eber-Widder-Stier-Opfer41 dar, der andere schmückte einen Hengst, um den Strom gnädig zu stimmen – meldeten die Anwohner, der Euphrat schwelle, ohne dass es stark geregnet habe, von selbst sehr hoch an, zugleich bilde er mit weißen Schaumkronen Kreise in Gestalt eines Diadems, das Vorzeichen für eine problemlose Überquerung. Manche Leute aber deuteten das scharfsinniger dahin gehend, dass die ersten Schritte des Unternehmens erfolgreich, aber nicht von Dauer seien, weil die Voraussagen durch Erde oder Himmel mehr Glauben verdienten, die unstete Natur der Flüsse aber Vorzeichen zeige und im gleichen Augenblick wieder mitreiße. (3) Aber nach dem Bau einer Schiffsbrücke und dem Übersetzen des Heeres kam als Erster Ornospades mit vielen Tausend Reitern ins Lager. Früher einmal verbannt, war er für Tiberius bei der Beendigung des Dalmatischen Kriegs ein ausgesprochen anerkennenswerter Helfer gewesen und deshalb mit dem römischen Bürgerrecht beschenkt worden. Als er dann die Freundschaft seines Königs wiedergewonnen hatte,

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    apud eum honore, praefectus campis, qui Euphrate et Tigri inclutis amnibus circumflui Mesopotamiae nomen acceperunt. neque multo post Sinnaces auget copias, et columen partium Abdagaeses gazam et paratus regios adicit. (4) Vitellius ostentasse Romana arma satis ratus monet Tiridaten primoresque, hunc, Phraatis avi et altoris Caesaris quae utrubique pulchra meminerit, illos, obsequium in regem, reverentiam in nos, decus quisque suum et fidem retinerent. exim cum legionibus in Syriam remeavit. 38 (1) Quae duabus aestatibus gesta coniunxi, quo requiesceret animus a domesticis malis. non enim Tiberium, quamquam triennio post caedem Seiani, quae ceteros mollire solent, tempus preces satias mitigabant, quin incerta vel abolita pro gravissimis et recentibus puniret. (2) eo metu Fulcinius Trio, ingruentes accusatores hau perpessus, supremis tabulis multa et atrocia in Macronem ac praecipuos libertorum Caesaris composuit, ipsi fluxam senio mentem et continuo abscessu velut exilium obiectando. (3) quae ab heredibus occultata recitari Tiberius iussit, patientiam libertatis alienae ostentans et contemptor suae infamiae, an scelerum Seiani diu nescius mox quoquo modo dicta vulgari malebat veritatisque, cui adulatio officit, per probra saltem gnarus fieri. (4) isdem diebus Granius Marcianus senator a C. Graccho maiestatis postulatus vim vitae suae attulit, Tariusque Gratianus praetura functus lege eadem extremum ad supplicium damnatus. 39 (1) Nec dispares Trebelleni Rufi et Sextii Paconiani exitus: nam Trebellenus sua manu cecidit, Paconianus in carcere ob carmina illic in principem factitata strangulatus est. (2) haec Tiberius non mari, ut olim, divisus neque per longinquos nuntios accipiebat, sed urbem iuxta, eodem ut die vel noctis interiectu litteris consulum rescriberet, quasi aspiciens undantem per domos sanguinem aut manus carnificum.

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    stand er bei diesem in hohen Ehren und erhielt das Kommando über die Ebenen, die, weil sie von den berühmten Strömen Euphrat und Tigris umflossen werden, den Namen Mesopotamien erhalten haben. Nicht viel später verstärkte Sinnaces die Truppen, und als Hauptstütze der Partei brachte Abdagaeses den Schatz und die königliche Ausstattung mit. (4) Vitellius ermahnte in der Überzeugung, es genüge, die römischen Waffen vor Augen geführt zu haben, Tiridates und die führenden Männer, diesen, an seinen Großvater Phraates, den Caesar als seinen Pflegevater und die edlen Verhaltensweisen auf beiden Seiten zu denken, die anderen, Gehorsam gegenüber ihrem König, Achtung vor uns und jeder für seine Person Ehre und Treue zu bewahren. Dann marschierte er mit den Legionen nach Syrien zurück. 38 (1) Diese Ereignisse zweier Sommer habe ich zusammengefasst, damit man sich von dem Unglück zu Hause erholen kann. Denn Tiberius konnten, obwohl seit der Hinrichtung Sejans drei Jahre vergangen waren, die alle anderen Menschen gewöhnlich milder stimmen, Zeit, Bitten und Übersättigung nicht dahin gehend besänftigen, dass er ungeklärte oder verjährte Fälle nicht so bestrafte, als handle es sich um aktuelle Schwerverbrechen. (2) Aus Furcht davor stellte Fulcinius Trio, weil er die auf ihn einstürmenden Ankläger nicht mehr ertrug, in seinem Testament viele schreckliche Vorwürfe gegen Macro und die führenden Freigelassenen des Caesars zusammen, wobei er diesem selbst Altersschwachsinn und wegen seiner ständigen Abwesenheit im Grunde Verbannung vorwarf. (3) Dieses Schriftstück, das die Erben zu verheimlichen versuchten, ließ Tiberius verlesen, weil er seine Toleranz fremdem Freimut gegenüber und seine Missachtung der Schädigung seines eigenen Rufs demonstrieren wollte, vielleicht aber auch, weil er die Verbrechen Sejans lange Zeit nicht bemerkt hatte und nun lieber alle beliebigen Äußerungen öffentlich machen und die Wahrheit, der die Liebedienerei im Weg steht, wenigstens durch Verunglimpfungen kennenlernen wollte. (4) In den gleichen Tagen tat sich der Senator Granius Marcianus, weil er von C. Gracchus wegen Hochverrats angeklagt worden war, Gewalt an, und Tarius Gratianus, der die Prätur bekleidet hatte, wurde nach demselben Gesetz zum Tode verurteilt. 39 (1) Ganz ähnlich verhielt es sich mit dem Ende des Trebellenus Rufus und Sextius Paconianus; denn Trebellenus fiel von eigener Hand, Paconianus wurde im Gefängnis wegen Versen erdrosselt, die er dort gegen den Princeps verfasst hatte. (2) Davon erfuhr Tiberius nicht wie zuvor durch das Meer getrennt und auch nicht durch Boten aus der Ferne, sondern in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt, sodass er noch am gleichen Tag oder nach Ablauf nur einer Nacht die Schreiben der Konsuln beantworten konnte und sozusagen das durch die Häuser wogende Blut vor Augen hatte oder die Hände der Henker.

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    (3) Fine anni Poppaeus Sabinus concessit vita, modicus originis, principum amicitia consulatum ac triumphale decus adeptus maximisque provinciis per quattuor et viginti annos impositus, nullam ob eximiam artem, sed quod par negotiis neque supra erat. 40 (1) QUINTUS PLAUTIUS SEX. PAPINIUS consules sequuntur. eo anno neque quod L. Aruseius *** morte adfecti forent, adsuetudine malorum ut atrox advertebatur, sed exterruit quod Vibullius Agrippa eques Romanus, cum perorassent accusatores, in ipsa curia depromptum sinu venenum hausit, prolapsusque ac moribundus festinatis lictorum manibus in carcerem raptus est faucesque iam exanimis laqueo vexatae. (2) ne Tigranes quidem, Armenia quondam potitus ac tunc reus, nomine regio supplicia civium effugit. at C. Galba consularis et duo Blaesi voluntario exitu cecidere: Galba tristibus Caesaris litteris provinciam sortiri prohibitus; Blaesis sacerdotia, integra eorum domo destinata, convulsa distulerat, tunc ut vacua contulit in alios; quod signum mortis intellexere et exsecuti sunt. (3) et Aemilia Lepida, quam iuveni Druso nuptam rettuli, crebris criminibus maritum insectata, quamquam intestabilis, tamen impunita agebat, dum superfuit pater Lepidus: post a delatoribus corripitur ob servum adulterum; nec dubitabatur de flagitio. ergo omissa defensione finem vitae sibi posuit. 41 (1) Per idem tempus Cietarum natio Cappadoci Archelao subiecta, quia nostrum in modum deferre census, pati tributa adigebatur, in iuga Tauri montis abscessit locorumque ingenio sese contra imbelles regis copias tutabatur, donec M. Trebellius legatus, a Vitellio praeside Syriae cum quattuor milibus legionariorum et delectis auxiliis missus, duos colles, quos barbari insederant (minori Cadra, alteri Davara nomen est), operibus circumdedit et erumpere ausos ferro, ceteros siti ad deditionem coegit.

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    (3) Am Jahresende starb Poppaeus Sabinus, der aus einfachen Verhältnissen stammte, aber durch die Freundschaft mit den Principes den Konsulat und die Auszeichnung mit einem Triumph erhalten hatte und 24 Jahre lang mit den bedeutendsten Provinzen betraut worden war, wegen keiner außergewöhnlichen Fähigkeit, sondern weil er seinen Aufgaben gewachsen war, aber auch nicht mehr. 40 (1) QUINTUS PLAUTIUS und SEX. PAPINIUS folgten als Konsuln (36 n. Chr.). In diesem Jahr betrachtete man weder die Tatsache, dass L. Aruseius … hingerichtet wurden, aus Gewöhnung an die schrecklichen Vorfälle als grauenhaft, sondern entsetzt war man darüber, dass der römische Ritter Vibullius Agrippa, als seine Ankläger ihr Plädoyer beendet hatten, noch in der Kurie aus seiner Gewandfalte Gift hervorholte, schluckte und dann, sterbend am Boden liegend, von den hastigen Händen der Liktoren in das Gefängnis geschleift wurde; die Kehle des nun schon Leblosen misshandelte man noch mit dem Strick. (2) Nicht einmal Tigranes, einst Herr über Armenien und nun Angeklagter, entging mit seinem Königstitel der Hinrichtung wie gewöhnliche Bürger. Doch der ehemalige Konsul C. Galba und die beiden Blaesi starben einen freiwilligen Tod. Galba war durch ein unfreundliches Schreiben des Caesars von der Verlosung einer Provinz ausgeschlossen worden; den Blaesi hatte er, solange ihre Familie unangetastet war, Priesterämter zugesprochen, aber nach ihrem Zusammenbruch42 wieder hinausgeschoben, und nun übertrug er sie, so als seien sie unbesetzt, anderen. Das verstanden sie als Wink, sich umzubringen, und taten es auch. (3) Was Aemilia Lepida betrifft, die, wie berichtet,43 mit dem jungen Drusus verheiratet war, so hatte sie ihrem Mann mit zahlreichen Beschuldigungen zugesetzt und kam, obwohl verrufen, dennoch ohne Strafe davon, solange ihr Vater Lepidus am Leben war; dann wurde sie von Denunzianten wegen Ehebruchs mit einem Sklaven gepackt, und ihr schändliches Verhalten stand außer Zweifel. Deshalb verzichtete sie auf eine Verteidigung und setzte ihrem Leben ein Ende. 41 (1) Zur gleichen Zeit zog sich das dem Kappadokier Archelaus unterworfene Volk der Cieten, weil es dazu gebracht werden sollte, wie bei uns üblich Steuerlisten vorzulegen und Abgaben hinzunehmen, auf die Höhen des Taurusgebirges zurück. Es schützte sich durch die Beschaffenheit des Geländes gegen die unkriegerischen Truppen des Königs, bis der Legat M. Trebellius vom Statthalter Syriens Vitellius mit viertausend Legionären und Elitehilfstruppen geschickt wurde und zwei Hügel, die die Barbaren besetzt hatten – der niedrigere hieß Cadra, der andere Davara –, mit einer Verschanzung einschloss und diejenigen, die einen Ausfall wagten, mit dem Schwert, den Rest durch Durst zur Kapitulation zwang.

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    (2) At Tiridates volentibus Parthis Nicephorium et Anthemusiada ceterasque urbes, quae Macedonibus sitae Graeca vocabula usurpant, Halumque et Artemitam Parthica oppida recepit, certantibus gaudio qui Artabanum Scythas inter eductum ob saevitiam exsecrati come Tiridatis ingenium Romanas per artes sperabant. 42 (1) Plurimum adulationis Seleucenses induere, civitas potens, saepta muris neque in barbarum corrupta, sed conditoris Seleuci retinens. trecenti opibus aut sapientia delecti ut senatus, sua populo vis. (2) et quotiens concordes agunt, spernitur Parthus; ubi dissensere, dum sibi quisque contra aemulos subsidium vocant, accitus in partem adversum omnes valescit. id nuper acciderat Artabano regnante, qui plebem primoribus tradidit ex suo usu: nam populi imperium iuxta libertatem, paucorum dominatio regiae libidini propior est. (3) tum adventantem Tiridaten extollunt veterum regum honoribus et quos recens aetas largius invenit; simul probra in Artabanum fundebant, materna origine Arsaciden, cetera degenerem. (4) Tiridates rem Seleucensem populo permittit. mox consultans, quonam die sollemnia regni capesseret, litteras Phraatis et Hieronis, qui validissimas praefecturas obtinebant, accipit, brevem moram precantium. placitumque opperiri viros praepollentes, atque interim Ctesiphon sedes imperii petita: sed ubi diem ex die prolatabant, multis coram et adprobantibus Surena patrio more Tiridan insigni regio evinxit. 43 (1) Ac si statim interiora ceterasque nationes petivisset, oppressa cunctantium dubitatio et omnes in unum cedebant: adsidendo castellum, in quod pecuniam et paelices Artabanus contulerat, dedit spatium exuendi pacta. nam Phraates et Hiero et si qui alii delectum capiendo diademati diem haud concelebraverant, pars metu, quidam invidia in Abdagaesen, qui tum aula et novo rege potiebatur, ad Artabanum vertere. (2) isque in Hyrcanis repertus est,

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    (2) Tiridates jedoch besetzte im Einverständnis mit den Parthern Nicephorium, Anthemusias und die übrigen Städte, die als Gründungen von Makedonen griechische Namen tragen, dazu die parthischen Landstädte Halus und Artemita. Dabei freuten sich die Menschen um die Wette, die den bei den Skythen aufgewachsenen Artabanus wegen seiner Grausamkeit verflucht hatten und nun auf das wegen seiner römischen Bildung leutselige Wesen des Tiridates hofften. 42 (1) Den Gipfel der Kriecherei legten die Einwohner von Seleucia an den Tag, die Bevölkerung einer mächtigen Stadt, die von einem Mauerring umgeben und nicht zum Barbarentum hin verdorben war, sondern am Geist ihres Gründers Seleucus festhielt. Dreihundert aufgrund ihres Reichtums oder ihrer Weisheit gewählte Vertreter bildeten eine Art Senat, das Volk hatte die ihm zustehende Macht. (2) Solange sie einig sind, verachtet man den Parther; sobald sie verschiedener Meinung sind, gewinnt dieser, weil ihn jede Partei gegen ihre Rivalen zu Hilfe ruft, obwohl man ihn nur gegen einen Teil holte, die Macht über alle. Das war erst kurz zuvor unter der Herrschaft des Artabanus der Fall gewesen, der das einfache Volk den führenden Männern aus Eigennutz auslieferte. Denn die Volksherrschaft grenzt an Freiheit, die Gewaltherrschaft weniger Personen kommt königlicher Willkür ganz nahe. (3) Damals zeichneten sie Tiridates bei seiner Ankunft mit den Ehren der alten Könige und mit den noch großzügigeren Erfindungen der jüngeren Zeit aus. Zugleich verbreitete man Beleidigungen gegen Artabanus: Nur mütterlicherseits sei er ein Arsacide, sonst aber von niederer Abkunft. (4) Tiridates übertrug die Herrschaft in Seleucia dem Volk. Als er dann überlegte, an welchem Tag er die Feierlichkeiten seiner Thronbesteigung begehen solle, erhielt er Briefe von Phraates und Hieron; diese verwalteten die bedeutendsten Präfekturen und baten um einen kurzen Aufschub. Man beschloss, auf derart einflussreiche Männer zu warten, und begab sich in der Zwischenzeit in die Reichshauptstadt Ktesiphon; doch als sie Tag um Tag verstreichen ließen, krönte in Anwesenheit und mit dem Einverständnis einer großen Menschenmenge der Surena44 nach Vätersitte Tiridates mit dem königlichen Diadem. 43 (1) Und wenn er gleich das Landesinnere und die übrigen Stämme aufgesucht hätte, wären die Zweifel der Unschlüssigen unterdrückt worden, und alle hätten sich ihm allein angeschlossen. Durch die Belagerung des Kastells aber, in das Artabanus sein Geld und seine Konkubinen gebracht hatte, ließ er dafür Zeit, die Abmachungen zur Seite zu legen. Denn Phraates, Hieron und einige andere Männer, die den für die Übernahme des Diadems ausgewählten Tag nicht mitgefeiert hatten, gingen teils aus Furcht, manche auch aus Abneigung gegen Abdagaeses, der damals der starke Mann am Hof und beim neuen König war, zu Artabanus über. (2) Den fand man bei den Hyrkanern, wie er schmutzbe-

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    inluvie obsitus et alimenta arcu expediens. ac primo tamquam dolus pararetur territus, ubi data fides reddendae dominationi venisse, adlevatur animum et quae repentina mutatio exquirit. (3) tum Hiero pueritiam Tiridatis increpat, neque penes Arsaciden imperium, sed inane nomen apud imbellem externa mollitia, vim in Abdagaesis domo. 44 (1) Sensit vetus regnandi falsos in amore odia non fingere. nec ultra moratus quam dum Scytharum auxilia conciret, pergit properus et praeveniens inimicorum astus, amicorum paenitentiam; neque exuerat paedorem, ut vulgum miseratione adverteret. non fraus, non preces, nihil omissum, quo ambiguos inliceret, prompti firmarentur. (2) iamque multa manu propinqua Seleuciae adventabat, cum Tiridates simul fama atque ipso Artabano perculsus distrahi consiliis, iret contra an bellum cunctatione tractaret. (3) quibus proelium et festinati casus placebant, disiectos et longinquitate itineris fessos ne animo quidem satis ad obsequium coaluisse disserunt, proditores nuper hostesque eius, quem rursum foveant. (4) verum Abdagaeses regrediendum in Mesopotamiam censebat, ut amne obiecto, Armeniis interim Elymaeisque et ceteris a tergo excitis, aucti copiis socialibus et quas dux Romanus misisset, fortunam temptarent. ea sententia valuit, quia plurima auctoritas penes Abdagaesen et Tiridates ignavus ad pericula erat. (5) sed fugae specie discessum; ac principio a gente Arabum facto ceteri domos abeunt vel in castra Artabani, donec Tiridates cum paucis in Syriam revectus pudore proditionis omnes exsolvit. 45 (1) Idem annus gravi igne urbem adficit, deusta parte circi, quae Aventino contigua, ipsoque Aventino; quod damnum Caesar ad gloriam vertit exsolutis domuum et insularum pretiis. milies sestertium in munificentia ea conlocatum, tanto acceptius in vulgum, quanto modicus privatis aedificationibus ne publice

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    deckt seinen Lebensunterhalt mit dem Bogen bestritt. Und zuerst erschrak er bei dem Gedanken, man stelle ihm eine Falle; nachdem man ihm aber versichert hatte, man sei gekommen, um ihm die Herrschaft zurückzugeben, fasste er Mut und fragte, was das für ein plötzlicher Meinungsumschwung sei. (3) Da begann Hieron zu schimpfen: Tiridates sei noch ein Kind. Auch sei die Herrschaft nicht mehr in Händen eines Arsaciden, sondern den nichtssagenden Titel führe eine dank ausländischer Verweichlichung unkriegerische Person; die Macht liege beim Haus des Abdagaeses. 44 (1) Da merkte er als erfahrener König, dass sie zwar in ihrer Zuneigung unaufrichtig waren, ihre Hassgefühle aber nicht vorspielten. Er wartete nur noch, bis er skythische Hilfstruppen herbeigeholt hatte, und zog dann schleunigst los, um den hinterlistigen Plänen seiner Feinde und der Reue seiner Freunde zuvorzukommen. Auch hatte er sein ungepflegtes Äußeres nicht abgelegt, um das einfache Volk durch Mitleid für sich zu gewinnen. Keine Täuschung, keine Bitten, nichts unterließ er, womit er Unschlüssige anlocken, Entschlossene bestärken konnte. (2) Schon rückte er mit einer großen Schar in die Umgebung von Seleucia vor, während Tiridates, der durch die Nachricht und das gleichzeitige Auftauchen des Artabanus zutiefst verunsichert war, in seinen Planungen hin- und hergerissen wurde, ob er ihm entgegenziehen oder den Krieg hinhaltend führen solle. (3) Die Männer, die für den Kampf und eine zügige Entscheidung waren, wiesen darauf hin, die ungeordneten und durch den langen Marsch erschöpften Soldaten seien nicht einmal von ihrer inneren Einstellung her in dem für den Gehorsam nötigen Maße zu einer Einheit geworden, kurz zuvor ja noch Verräter und Feinde dessen, den sie nun wieder unterstützten. (4) Abdagaeses aber sprach sich dafür aus, nach Mesopotamien zurückzumarschieren, um mit dem Strom45 als Barriere in der Zwischenzeit die Armenier, Elymäer und die übrigen Völker in ihrem Rücken aufzubieten, sich durch die Truppen der Verbündeten und die der römische Kommandant schicke, zu verstärken und so ihr Glück zu versuchen. Diese Auffassung setzte sich durch, weil die höchste Autorität bei Abdagaeses lag und Tiridates in kritischen Situationen feige war. (5) Aber der Abzug sah wie eine Flucht aus: Nachdem vom Volk der Araber der Anfang gemacht worden war, gingen alle anderen nach Hause oder ins Lager des Artabanus, bis sich Tiridates mit nur wenigen Leuten nach Syrien zurückzog und so alle von der Schande des Verrats erlöste. 45 (1) Das gleiche Jahr traf die Hauptstadt mit einer schweren Feuersbrunst, wobei der Teil des Circus, der an den Aventin angrenzt, und der Aventin selbst völlig niederbrannten. Aus diesem Verlust machte der Caesar eine Ruhmestat, indem er den Wert der Häuser und Mietskasernen ersetzte. Hundert Millionen Sesterze wurden für diesen wohltätigen Zweck zur Verfügung gestellt; das kam beim einfachen Volk umso besser an, als er sich mit privaten Bauvorhaben

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    quidem nisi duo opera struxit, templum Augusto et scaenam Pompeiani theatri; eaque perfecta, contemptu ambitionis an per senectutem, hau dedicavit. (2) sed aestimando cuiusque detrimento quattuor progeneri Caesaris, Cn. Domitius, Cassius Longinus, M. Vinicius, Rubellius Blandus, delecti, additusque nominatione consulum P. Petronius. et pro ingenio cuius quaesiti decretique in principem honores; quos omiserit receperitve, in incerto fuit ob propinquum vitae finem. (3) Neque enim multo post supremi Tiberio consules, CN. ACERRONIUS C. PONTIUS, magistratum occepere, nimia iam potentia Macronis, qui gratiam C. Caesaris numquam sibi neglectam acrius in dies fovebat impuleratque post mortem Claudiae, quam nuptam ei rettuli, uxorem suam Enniam imitando amorem iuvenem inlicere pactoque matrimonii vincire, nihil abnuentem, dum dominationis apisceretur; nam, etsi commotus ingenio, simulationum tamen falsa in sinu avi perdidicerat. 46 (1) Gnarum hoc principi, eoque dubitavit de tradenda re publica, primum inter nepotes; quorum Druso genitus sanguine et caritate propior, sed nondum pubertatem ingressus, Germanici filio robur iuventae, vulgi studia, eaque apud avum odii causa. etiam de Claudio agitanti, quod is composita aetate, bonarum artium cupiens erat, imminuta mens eius obstitit. (2) sin extra domum successor quaereretur, ne memoria Augusti, ne nomen Caesarum in ludibria et contumelias verterent, metuebat: quippe illi non perinde curae gratia praesentium quam in posteros ambitio. (3) mox incertus animi fesso corpore consilium, cui impar erat, fato permisit, iactis tamen vocibus, per quas intellegeretur providus futurorum. (4) namque Macroni non abdita ambage occidentem ab eo deseri, orientem spectari exprobravit, et C. Caesari forte orto sermone L. Sullam inridenti omnia Sullae vitia et nullam eiusdem virtutem habiturum praedixit. simul crebris cum lacrimis minorem ex nepotibus complexus,

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    zurückhielt und selbst aus öffentlichen Mitteln nur zwei Gebäude aufführen ließ, den Tempel für Augustus und das Bühnenhaus des Pompeiustheaters. Nach ihrer Fertigstellung weihte er sie aus Verachtung für Popularität oder wegen seines hohen Alters nicht ein. (2) Aber für die Begutachtung des Schadens im Einzelfall wurden vier Schwiegerenkel des Caesars ausgewählt, Cn. Domitius, Cassius Longinus, M. Vinicius und Rubellius Blandus; zu ihnen kam nach Benennung durch die Konsuln P. Petronius, und je nach dem Einfallsreichtum der Einzelnen erdachte und beschloss man Ehrungen für den Princeps. Welche er ausschlug oder annahm, blieb unklar wegen seines nahen Lebensendes. (3) Denn nicht viel später traten die letzten Konsuln unter Tiberius, CN. ACERRONIUS und C. PONTIUS, ihr Amt an (37 n. Chr.). Schon viel zu groß war nun die Macht Macros, der um die Gunst C. Caesars, die von ihm nie aus den Augen gelassen worden war, von Tag zu Tag heftiger warb und nach dem Tod Claudias, die, wie berichtet,46 mit diesem verheiratet war, seine Frau Ennia dazu gedrängt hatte, mit vorgespielter Liebe den jungen Mann zu ködern und mit einem Eheversprechen an sich zu binden; der schlug nichts ab, falls er damit nur an die Herrschaft kam. Denn wenn er auch äußerst leicht erregbar war, hatte er dennoch die Irreführung durch Verstellung an der Brust des Großvaters gründlich gelernt. 46 (1) Das wusste der Princeps, und deshalb war er bei der Frage, wem er den Staat übergeben könne, unschlüssig, zunächst zwischen seinen Enkeln. Von ihnen stand ihm der Sprössling des Drusus dem Blut und der Zuneigung nach näher, aber er war noch nicht erwachsen. Der Sohn des Germanicus47 dagegen glänzte durch seine jugendliche Stärke und genoss die Sympathien des einfachen Volkes; das war auch beim Großvater der Grund für seinen Hass. Als er auch Claudius in seine Überlegungen einbezog, weil dieser in gesetztem Alter war und gerne gute Eigenschaften zeigen wollte, stand dessen geistige Beschränktheit im Weg. (2) Falls man aber außerhalb des Hauses einen Nachfolger suche, fürchtete er, das Andenken an Augustus, der Name der Caesaren würden zum Gegenstand von Spott und Hohn; lag ihm doch nicht so sehr an der Anerkennung der Zeitgenossen als am Ansehen bei der Nachwelt. (3) Später stellte er dann, unsicher in seinem Inneren und körperlich erschöpft, die Entscheidung, der er sich nicht gewachsen fühlte, dem Schicksal anheim, ließ aber dennoch Äußerungen fallen, aus denen man schließen konnte, dass er das kommende Geschehen voraussah. (4) Denn Macro warf er mit einem Bild, das kein unlösbares Rätsel darstellte, vor, die untergehende Sonne werde von ihm im Stich gelassen, er schaue nur auf die aufgehende, und C. Caesar, der in einem beiläufig geführten Gespräch über L. Sulla spottete, prophezeite er, er werde alle Fehler Sullas, aber keinen von dessen Vorzügen haben. Als er dabei unter vielen Tränen seinen jüngeren Enkel umarmte und der andere dazu nur

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    truci alterius vultu, ‘occides hunc tu’ inquit ‘et te alius’. (5) sed gravescente valitudine nihil e libidinibus omittebat, in patientia firmitudinem simulans solitusque eludere medicorum artes atque eos, qui post tricesimum aetatis annum ad internoscenda corpori suo utilia vel noxia alieni consilii indigerent. 47 (1) Interim Romae futuris etiam post Tiberium caedibus semina iaciebantur. Laelius Balbus Acutiam, P. Vitellii quondam uxorem, maiestatis postulaverat. qua damnata cum praemium accusatori decerneretur, Iunius Otho tribunus plebei intercessit; unde illis odia, mox Othoni exitium. (2) dein multorum amoribus famosa Albucilla, cui matrimonium cum Satrio Secundo coniurationis indice fuerat, defertur impietatis in principem; conectebantur ut conscii et adulteri eius Cn. Domitius, Vibius Marsus, L. Arruntius. de claritudine Domitii supra memoravi: Marsus quoque vetustis honoribus et inlustris studiis erat. (3) sed testium interrogationi, tormentis servorum Macronem praesedisse commentarii ad senatum missi ferebant, nullaeque in eos imperatoris litterae suspicionem dabant invalido ac fortasse ignaro ficta pleraque ob inimicitias Macronis notas in Arruntium. 48 (1) Igitur Domitius defensionem meditans, Marsus tamquam inediam destinavisset, produxere vitam; Arruntius, cunctationem et moras suadentibus amicis non eadem omnibus decora respondit: sibi satis aetatis, neque aliud paenitendum quam quod inter ludibria et pericula anxiam senectam toleravisset, diu Seiano, nunc Macroni, semper alicui potentium invisus, non culpa, sed ut flagitiorum impatiens. (2) sane paucos ad suprema principis dies posse vitari: quem ad modum evasurum imminentis iuventam? an, cum Tiberius post tantam rerum experientiam vi dominationis convulsus et mutatus sit, C. Caesarem vix finita pueritia, ignarum omnium aut pessimis innutritum, meliora capessiturum Macrone duce, qui ut deterior ad opprimendum Seianum

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    eine abweisende Miene aufsetzte, sagte er: „Umbringen wirst den du und dich ein anderer.“48 (5) Aber obwohl sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, ließ er von keiner seiner Leidenschaften ab, weil er im Leiden Stärke vortäuschen wollte und über das Können der Ärzte und die Menschen zu spotten pflegte, die nach dem dreißigsten Lebensjahr den Rat anderer brauchten, um festzustellen, was ihrem eigenen Körper guttue oder schade. 47 (1) In der Zwischenzeit wurde in Rom die Saat für die auch nach Tiberius verübten Morde ausgestreut. Laelius Balbus hatte Acutia, die einst P. Vitelliusʼ Frau gewesen war, wegen Majestätsverbrechen angeklagt. Als nach ihrer Verurteilung dem Ankläger eine Belohnung zugesprochen werden sollte, legte der Volkstribun Iunius Otho sein Veto ein; daraus entwickelten sich zwischen diesen beiden Hass und später Othos Sturz. (2) Dann wurde die wegen ihrer zahlreichen Liebesaffären berüchtigte Albucilla – sie war mit Satrius Secundus, der die Verschwörung49 angezeigt hatte, verheiratet gewesen – wegen Respektlosigkeit gegenüber dem Princeps angeklagt; als ihre Mitwisser und Liebhaber wurden Cn. Domitius, Vibius Marsus und L. Arruntius mit hineingezogen. Über die vornehme Herkunft des Domitius habe ich oben berichtet;50 auch Marsus hatte die alten Ehrenämter bekleidet und war durch seine literarische Tätigkeit bekannt. (3) Aber die an den Senat gesandten Protokolle hielten fest, dass bei der Befragung der Zeugen und der Folterung der Sklaven Macro den Vorsitz führte, und weil kein Schreiben des Oberbefehlshabers gegen sie vorlag, kam der Verdacht auf, die meisten Vorwürfe seien vielleicht ohne Wissen des kranken Mannes wegen der bekannten Feindschaft Macros mit Arruntius erfunden worden. 48 (1) Deshalb arbeitete Domitius an seiner Verteidigung, Marsus tat so, als habe er für sich den Hungertod beschlossen, und auf diese Weise verlängerten sie ihr Leben. Arruntius antwortete auf den Rat seiner Freunde, zu verzögern und Zeit zu gewinnen, dasselbe Verhalten gehöre sich nicht für jedermann: Er sei alt genug geworden und brauche nur zu bereuen, dass er zwischen Farcen und Gefahren ein angsterfülltes Alter ertragen habe, weil er lange Zeit Sejan, nun Macro, ständig irgendeinem Mächtigen verhasst gewesen sei, nicht wegen einer Schuld, sondern weil er sich mit Schandtaten nicht abfinden wollte. (2) Natürlich könne man in den wenigen Tage bis zum Ableben des Princeps diesem aus dem Weg gehen. Wie aber entkomme man dem jugendlichen Alter des Mannes, der nun drohe? Oder werde etwa, nachdem Tiberius trotz seiner großen Lebenserfahrung unter dem gewaltsamen Einfluss der Alleinherrschaft aus der Bahn geworfen worden sei und sich verändert habe, C. Caesar, kaum der Kindheit entwachsen, ahnungslos in jeder Beziehung oder in der verdorbensten Umgebung groß geworden, ein besseres Verhalten annehmen unter der Führung Macros, der als der noch größere Schurke zur Beseitigung Sejans

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    delectus plura per scelera rem publicam conflictavisset? prospectare iam se acrius servitium, eoque fugere simul acta et instantia. (3) haec vatis in modum dictitans venas resolvit. documento sequentia erunt bene Arruntium morte usum. (4) Albucilla inrito ictu ab semet vulnerata iussu senatus in carcerem fertur. stuprorum eius ministri, Carsidius Sacerdos praetorius ut in insulam deportatur, Pontius Fregellanus amitteret ordinem senatorium, et eaedem poenae in Laelium Balbum decernuntur, id quidem a laetantibus, quia Balbus truci eloquentia habebatur, promptus adversum insontes. 49 (1) Isdem diebus Sex. Papinius consulari familia repentinum et informem exitum delegit, iacto in praeceps corpore. causa ad matrem referebatur, quae pridem repudiata adsentationibus atque luxu perpulisset iuvenem ad ea, quorum effugium non nisi morte inveniret. (2) igitur accusata in senatu, quamquam genua patris advolveretur luctumque communem et magis imbecillum tali super casu feminarum animum aliaque in eundem dolorem maesta et miseranda diu ferret, urbe tamen in decem annos prohibita est, donec minor filius lubricum iuventae exiret. 50 (1) Iam Tiberium corpus, iam vires, nondum dissimulatio deserebat: idem animi rigor; sermone ac vultu intentus quaesita interdum comitate quamvis manifestam defectionem tegebat. mutatisque saepius locis tandem apud promunturium Miseni consedit in villa, cui L. Lucullus quondam dominus. (2) illic eum adpropinquare supremis tali modo compertum. erat medicus arte insignis, nomine Charicles, non quidem regere valitudines principis solitus, consilii tamen copiam praebere. is velut propria ad negotia digrediens et per speciem officii manum complexus pulsum venarum attigit, neque fefellit: (3) nam Tiberius, incertum an offensus tantoque magis iram premens, instaurari epulas iubet discumbitque ultra solitum, quasi honori abeuntis

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    ausgewählt worden sei und den Staat mit noch mehr Verbrechen heimgesucht habe? Er sehe bereits eine härtere Sklaverei kommen, und deshalb fliehe er zugleich vor den schon geschehenen und den noch bevorstehenden Ereignissen. (3) Das sagte er wie ein Prophet und öffnete sich dann die Adern. Die folgenden Berichte werden den Nachweis liefern, dass Arruntius gut daran tat, in den Tod zu gehen. (4) Albucilla verletzte sich mit einem erfolglosen Schnitt selbst und wurde auf Anordnung des Senats ins Gefängnis geworfen. Die Handlanger bei ihren verbotenen sexuellen Aktivitäten wurden verurteilt, der ehemalige Prätor Carsidius Sacerdos zur Deportation auf eine Insel, Pontius Fregellanus zum Verlust seines Rangs als Senator, und dieselben Strafen beschloss man für Laelius Balbus; wenigstens darüber freute man sich, weil Balbus als mitleidloser Redner angesehen wurde, dazu bereit, auf unschuldige Personen loszugehen. 49 (1) In den gleichen Tagen wählte der aus einer konsularischen Familie stammende Sex. Papinius ein überraschendes, hässliches Ende, indem er sich kopfüber in die Tiefe stürzte. Die Schuld suchte man bei seiner Mutter, die, lange Zeit abgewiesen51, mit Nachgiebigkeit und Verzärtelung den jungen Mann in eine Situation getrieben habe, aus der er nur im Tod einen Ausweg fand. (2) Deshalb wurde sie im Senat angeklagt und, obwohl sie sich den Vätern zu Füßen warf und weitschweifig auf die alle betreffende Trauer, das bei einem solchen Schicksalsschlag schwächere Herz der Frauen und andere im Hinblick auf ebendiesen Kummer traurige und bemitleidenswerte Gesichtspunkte verwies, dennoch für zehn Jahre von der Hauptstadt ferngehalten, bis ihr jüngerer Sohn dem gefährdeten Jugendalter entwachsen sei. 50 (1) Schon verfiel Tiberius körperlich, schon begannen ihn die Kräfte, aber noch nicht die Verstellung zu verlassen: Dieselbe Unbeugsamkeit blieb in seinem Wesen; in Gespräch und Blick voll gespannter Aufmerksamkeit, versuchte er zwischendurch mit gesuchter Heiterkeit den trotzdem offensichtlichen Kräfteverfall zu überspielen. Nachdem er mehrfach seine Aufenthaltsorte gewechselt hatte, ließ er sich schließlich am Vorgebirge von Misenum in einem Landhaus nieder, dessen Besitzer einst L. Lucullus gewesen war. (2) Dass er dort auf seine letzten Stunden zuging, stellte sich auf folgende Weise heraus: Es gab einen Arzt, einen hervorragenden Fachmann namens Charikles, der zwar gewöhnlich die Krankheiten des Princeps nicht behandelte, ihm aber dennoch für Ratschläge zur Verfügung stand. Der tat so, als wolle er zur Erledigung eigener Geschäfte weggehen, umfasste in gespielter Ehrerbietung seine Hand und fühlte dabei den Puls; aber er konnte ihn nicht täuschen. (3) Denn Tiberius, der vielleicht beleidigt war und umso mehr seinen Unmut unterdrücken musste, befahl, das Bankett fortzusetzen, und blieb länger als gewöhnlich liegen, so als wolle er damit dem abreisenden Freund eine Ehre erweisen. Charikles ver-

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    amici tribueret. Charicles tamen labi spiritum nec ultra biduum duraturum acroni firmavit. (4) inde cuncta conloquiis inter praesentes, nuntiis apud legatos et exercitus festinabantur. XVII kal. Apriles interclusa anima creditus est mortalitatem explevisse; et multo gratantum concursu ad capienda imperii primordia C. Caesar egrediebatur, cum repente adfertur redire Tiberio vocem ac visus vocarique qui recreandae defectioni cibum adferrent. (5) pavor hinc in omnes, et ceteri passim dispergi, se quisque maestum aut nescium fingere; Caesar in silentium fixus a summa spe novissima exspectabat. Macro intrepidus opprimi senem iniectu multae vestis iubet discedique ab limine. sic Tiberius finivit, octavo et septuagesimo aetatis anno. 51 (1) Pater ei Nero et utrimque origo gentis Claudiae, quamquam mater in Liviam et mox Iuliam familiam adoptionibus transierit. casus prima ab infantia ancipites; nam proscriptum patrem exul secutus, ubi domum Augusti privignus introiit, multis aemulis conflictatus est, dum Marcellus et Agrippa, mox Gaius Luciusque Caesares viguere; etiam frater eius Drusus prosperiore civium amore erat. (2) sed maxime in lubrico egit accepta in matrimonium Iulia, imdicitiam uxoris tolerans aut declinans, dein Rhodo regressus vacuos principis penates duodecim annis, mox rei Romanae arbitrium tribus ferme et viginti obtinuit. (3) morum quoque tempora illi diversa: egregium vita famaque, quoad privatus vel in imperiis sub Augusto fuit; occultum ac subdolum fingendis virtutibus, donec Germanicus ac Drusus superfuere; idem inter bona malaque mixtus incolumi matre; intestabilis saevitia, sed obtectis libidinibus, dum Seianum dilexit timuitve: postremo in scelera simul ac dedecora prorupit, postquam remoto pudore et metu suo tantum ingenio utebatur.

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    sicherte dennoch Macro, der Atem werde schwächer und werde nicht mehr länger als zwei Tage andauern. (4) Daraufhin bereitete man eiligst alle Maßnahmen in Gesprächen unter den Anwesenden und durch Kuriere an die Legaten und Heere vor. Am 16. März setzte sein Atem aus, und man glaubte, er habe das Zeitliche gesegnet. Und so wollte inmitten einer großen Menge, die zusammenlief, um Glück zu wünschen, C. Caesar gerade heraustreten, um den Regierungsantritt zu vollziehen, da brachte man plötzlich die Nachricht, Tiberius gewinne die Stimme wieder, schlage die Augen auf und rufe nach Leuten, die zur Überwindung seines Schwächeanfalls Essen bringen sollten. (5) Allgemeine Panik brach daraufhin aus, alle anderen stoben in sämtliche Richtungen auseinander, und jeder tat so, als sei er traurig oder wisse von nichts; nur der Caesar erstarrte in Schweigen und erwartete nach der höchsten Hoffnung nun das Schlimmste. Macro behielt kühlen Kopf und befahl, den alten Mann durch das Darüberwerfen vieler Decken zu ersticken und sich dann von der Schwelle zu entfernen. So endete Tiberius im 78. Lebensjahr. 51 (1) Sein Vater war Nero, und von beiden Eltern her gehörte er zur claudischen Familie, obwohl seine Mutter in die livische und dann in die julische Familie durch Adoptionen übergegangen war. Sein Schicksal war von frühester Kindheit an wechselvoll; denn er musste seinen geächteten Vater als Verbannter begleiten, und seitdem er in das Haus des Augustus als Stiefsohn eingetreten war, hatte er sich mit vielen Rivalen auseinanderzusetzen, solange Marcellus und Agrippa und dann die Caesaren Gaius und Lucius erfolgreich waren; auch sein Bruder Drusus war bei den Bürgern beliebter. (2) Aber den schlüpfrigsten Boden betrat er, als er Julia zur Frau erhielt, weil er den schamlosen Lebenswandel seiner Gattin hinnehmen musste oder ihm aus dem Weg zu gehen versuchte. Nach seiner Rückkehr aus Rhodos nahm er seinen Platz im nun leeren Haus des Princeps zwölf Jahre lang ein und hatte dann die Entscheidungsgewalt im römischen Staat fast 23 Jahre lang inne. (3) Auch in seinem Charakter gab es verschiedene Phasen: tadellos hinsichtlich Lebensführung und Ruf, solange er Privatmann oder mit militärischen Kommandos unter Augustus betraut war; verschlossen und hinterhältig in der Vorspiegelung guter Eigenschaften, solange Germanicus und Drusus noch lebten; desgleichen eine Mischung aus guten und schlechten Eigenschaften zu Lebzeiten seiner Mutter; abscheulich in seiner Grausamkeit, aber noch mit versteckten Leidenschaften, solange er Sejan liebte oder fürchtete; schließlich stürzte er sich zugleich in Verbrechen und Schandtaten, nachdem er Schamgefühl und Furcht abgelegt hatte und nur mehr seiner eigenen Veranlagung folgte. Der Mediceus I bricht mit dieser Würdigung des Tiberius am Ende des 6. Buches im Jahre 37 n. Chr. ab. Da der Mediceus II erst mitten in Buch XI mit Ereignissen des Jahres 47 einsetzt, ist die Darstellung der gesamten Regierungszeit Caligulas (37 – 41) und der ersten Hälfte von Claudiusʼ Herrschaft (41 – 54) in den Annalen verloren gegangen.

    LIBER UNDECIMUS 1 (1) ** nam Valerium Asiaticum, bis consulem, fuisse quondam adulterum eius credidit; pariterque hortis inhians, quos ille a Lucullo coeptos insigni magnificentia extollebat, Suillium accusandis utrisque immittit. adiungitur Sosibius Britannici educator, qui per speciem benivolentiae moneret Claudium cavere vim atque opes principibus infensas: (2) praecipuum auctorem Asiaticum interficiendi Caesaris non extimuisse contione populi Romani fateri gloriamque facinoris ultro petere; clarum ex eo in urbe, didita per provincias fama parare iter ad Germanicos exercitus, quando genitus Viennae multisque et validis propinquitatibus subnixus turbare gentiles nationes promptum haberet. (3) at Claudius nihil ultra scrutatus citis cum militibus tamquam opprimendo bello Crispinum praetorii praefectum misit, a quo repertus est apud Baias vinclisque inditis in urbem raptus. 2 (1) Neque data senatus copia: intra cubiculum auditur, Messalina coram, et Suillio corruptionem militum, quos pecunia et stupro in omne flagitium obstrictos arguebat, exim adulterium Poppaeae, postremum mollitiam corporis obiectante. ad quod victo silentio prorupit reus et ‘interroga’ inquit ‘Suilli, filios tuos: virum esse me fatebuntur’. ingressusque defensionem, commoto maiorem in modum Claudio, Messalinae quoque lacrimas excivit. (2) quibus abluendis cubiculo egrediens monet Vitellium, ne elabi reum sineret; ipsa ad perniciem Poppaeae festinat, subditis qui terrore carceris ad voluntariam mortem propellerent, adeo ignaro Caesare, ut paucos post dies epulantem apud se maritum eius Scipionem percontaretur, cur sine uxore discubuisset, atque ille functam fato responderet. 3 (1) Sed consultanti super absolutione Asiatici flens Vitellius, commemorata vetustate amicitiae utque Antoniam principis matrem pariter observavissent,

    Buch XI 1 (1) … denn sie hielt Valerius Asiaticus, der zweimal Konsul gewesen war, für ihren1 ehemaligen Liebhaber. Gleichzeitig hatte sie es auf den Park abgesehen, der von Lucullus angelegt worden war und den Asiaticus außerordentlich prächtig verschönern ließ; deshalb setzte sie Suillius darauf an, beide anzuklagen. Zur Seite gestellt wurde ihm Sosibius, der Erzieher des Britannicus, der unter dem Anschein der Fürsorge Claudius warnen sollte, vor einem gewaltsamen Vorgehen den Principes feindlich gesinnter reicher Leute auf der Hut zu sein: (2) Asiaticus, der Hauptverantwortliche für den Mord an C. Caesar, habe sich nicht gescheut, sich in einer Versammlung des römischen Volkes dazu zu bekennen und darüber hinaus auch noch Anerkennung dafür zu verlangen; angesehen sei er deshalb in der Hauptstadt, und in den Provinzen habe sich das Gerücht verbreitet, er bereite eine Reise zu den germanischen Heeren vor, weil der in Vienna geborene und von vielen einflussreichen Verwandten unterstützte Mann Mittel und Wege finden werde, die Stämme in seiner Heimat aufzuwiegeln. (3) Doch Claudius ging der Sache nicht weiter nach, sondern schickte eilends zusammen mit Soldaten wie zur Unterdrückung eines Kriegs den Prätorianerkommandanten Crispinus, von dem er in Baiae aufgespürt, in Fesseln gelegt und in die Hauptstadt geschleppt wurde. 2 (1) Man gab ihm auch keine Gelegenheit zu einem Auftritt vor dem Senat: In einem Zimmer verhörte man ihn in Anwesenheit Messalinas. Suillius warf ihm Verführung der Soldaten vor, die er, so behauptete er, mit Geld und unerlaubten sexuellen Beziehungen in jede seiner Schandtaten verwickelt habe, ferner den Ehebruch mit Poppaea, schließlich seine körperliche Verweichlichung2. An diesem Punkt überwand der Angeklagte sein Schweigen, und es brach aus ihm heraus: „Frage doch deine eigenen Söhne, Suillius; sie werden zugeben, dass ich ein Mann bin!“ Nun begann er mit seiner Verteidigung, und obwohl er damit Claudius in stärkerem Maße beeindruckte, rührte er auch Messalina zu Tränen. (2) Als sie, um sie abzuwischen, aus dem Zimmer ging, ermahnte sie Vitellius, den Angeklagten ja nicht davonkommen zu lassen; selbst machte sie sich sofort an die Vernichtung Poppaeas, indem sie Leute dazu anstiftete, sie mit der Schreckensvorstellung von Kerkerhaft in den freiwilligen Tod zu treiben. Der Caesar bekam davon so wenig mit, dass er wenige Tage später ihren Mann Scipio, der bei ihm speiste, fragte, warum er sich ohne seine Frau zu Tisch begeben habe, und der antwortete, sie habe ihr Schicksal erfüllt. 3 (1) Aber als er sich über einen Freispruch für Asiaticus beriet, erwähnte Vitellius unter Tränen die alte Freundschaft mit ihm und wie sie in gleicher Weise Antonia, die Mutter des Princeps, verehrt hätten, ging dann der Reihe

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    dein percursis Asiatici in rem publicam officiis recentique adversus Britanniam militia, quaeque alia conciliandae misericordiae videbantur, liberum mortis arbitrium ei permisit; et secuta sunt Claudii verba in eandem clementiam. (2) hortantibus dehinc quibusdam inediam et lenem exitum, remittere beneficium Asiaticus ait; et usurpatis quibus insueverat exercitationibus, lauto corpore, hilare epulatus, cum se honestius calliditate Tiberii vel impetu C. Caesaris periturum dixisset, quam quod fraude muliebri et impudico Vitellii ore caderet, venas exolvit, viso tamen ante rogo iussoque transferri partem in aliam, ne opacitas arborum vapore ignis minueretur: tantum illi securitatis novissimae fuit. 4 (1) Vocantur post haec patres, pergitque Suillius addere reos equites Romanos inlustres, quibus Petra cognomentum at. causa necis ex eo, quod domum suam nesteris et Poppaeae congressibus praebuissent. (2) verum nocturnae quietis species alteri obiecta, tamquam vidisset Claudium spicea corona evinctum spicis retro conversis, eaque imagine gravitatem annonae dixisset. quidam pampineam coronam albentibus foliis visam atque ita interpretatum tradidere, vergente autumno mortem principis ostendi. illud haud ambigitur, qualicumque insomnio ipsi fratrique perniciem adlatam. (3) sestertium quindecies et insignia praeturae Crispino decreta. adiecit Vitellius sestertium decies Sosibio, quod Britannicum praeceptis, Claudium consiliis iuvaret. rogatus sententiam et Scipio ‘cum idem’ inquit ‘de admissis Poppaeae sentiam quod omnes, putate me idem dicere quod omnes’, eleganti temperamento inter coniugalem amorem et senatoriam necessitatem. 5 (1) Continuus inde et saevus accusandis reis Suillius, multique audaciae eius aemuli; nam cuncta legum et magistratuum munia in se trahens princeps materiam praedandi patefecerat. (2) nec quicquam publicae mercis tam venale fuit quam advocatorum perfidia, adeo ut Samius, insignis eques Romanus,

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    nach die Verdienste des Asiaticus für den Staat, darunter den erst kurz zuvor gegen Britannien durchgeführten Feldzug, und all die anderen Anlässe durch, die für das Wecken von Mitleid zu sprechen schienen, und gestand ihm deshalb zu, die Todesart frei zu wählen; und Claudius schloss sich mit Äußerungen in die gleich nachsichtige Richtung an. (2) Als einige Personen nun zu Verhungern und damit zu einem sanften Lebensende rieten, sagte Asiaticus, er verzichte auf diese Wohltat; und so machte er die gewohnten Leibesübungen, nahm ein Bad, speiste in gelöster Stimmung und öffnete sich dann mit den Worten, es wäre ehrenvoller gewesen, durch die Verschlagenheit des Tiberius oder die Unberechenbarkeit C. Caesars umzukommen als den Ränken eines Weibes und dem schamlosen Maul des Vitellius zum Opfer zu fallen, die Adern. Trotzdem hatte er vorher noch den Scheiterhaufen besichtigt und ihn an eine andere Stelle verlegen lassen, damit das Schattendach der Bäume nicht durch die Gluthitze des Feuers geschädigt werde; so viel Unbekümmertheit bewahrte er bis zum letzten Augenblick. 4 (1) Danach wurden die Väter einberufen, und Suillius wartete sofort mit weiteren Angeklagten auf, vornehmen römischen Rittern mit dem Beinamen Petra. Der Grund für ihre Ermordung lag darin, dass sie ihr Haus für Rendezvous Mnesters und Poppaeas zur Verfügung gestellt haben sollten. (2) Allerdings wurde dem einen eine Erscheinung während der Nachtruhe zum Vorwurf gemacht mit der Begründung, er habe Claudius mit einer Ährenkrone bekränzt gesehen, bei der die Ähren nach hinten schauten, und habe mit diesem Bild eine Verteuerung des Getreides vorhergesagt. Manche Autoren berichteten, er habe von einer Krone aus Weinlaub mit vergilbten Blättern geträumt und sie dahin gehend gedeutet, dass für den Spätherbst der Tod des Princeps angekündigt werde. Das aber steht außer Zweifel, dass durch einen wie auch immer gearteten Traum er selbst und sein Bruder vernichtet wurden.3 (3) Eineinhalb Millionen Sesterze und die Abzeichen der Prätur wurden Crispinus bewilligt. Vitellius beantragte zusätzlich eine Million Sesterze für Sosibius, weil er Britannicus mit Belehrungen, Claudius mit Ratschlägen unterstütze. Als man auch Scipio um sein Votum bat, sagte er: „Weil ich die Vergehen Poppaeas betreffend derselben Meinung bin wie alle, geht davon aus, dass ich dasselbe sage wie alle!“ und schlug damit einen geschickt gewählten Mittelweg ein zwischen der Liebe eines Ehemannes und den Zwängen eines Senators. 5 (1) Ununterbrochen und gnadenlos ging von da an Suillius mit Anklagen gegen Beschuldigte vor und fand mit seiner Dreistigkeit viele Nachahmer. Denn dadurch dass er sämtliche Befugnisse der Gesetze und Amtsträger an sich zog, hatte der Princeps Wege eröffnet, sich zu bereichern. (2) Aber nichts von der öffentlichen Ware4 war so käuflich wie die Untreue der Rechtsanwälte, und zwar derart, dass sich Samius, ein vornehmer römischer Ritter, der Suillius

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    quadringentis nummorum milibus Suillio datis et cognita praevaricatione ferro in domo eius incubuerit. (3) igitur incipiente C. Silio consule designato, cuius de potentia exitio in tempore memorabo, consurgunt patres legemque Cinciam flagitant, qua cavetur antiquitus, ne quis ob causam orandam pecuniam donumve accipiat. 6 (1) Deinde obstrepentibus iis, quibus ea contumelia parabatur, discors Suillio Silius acriter incubuit, veterum oratorum exempla referens, qui famam et posteros praemia eloquentiae cogitavissent. pulcherrima alioquin et bonarum artium principem sordidis ministeriis foedari; ne fidem quidem integram manere, ubi magnitudo quaestuum spectetur. (2) quod si in nullius mercedem negotiantur, pauciora fore: nunc inimicitias accusationes, odia et iniurias foveri, ut quo modo vis morborum pretia medentibus, sic fori tabes pecuniam advocatis ferat. meminissent C. Asinii, Messalae ac recentiorum Arruntii et Aesernini: ad summa provectos incorrupta vita et facundia. (3) talia dicente consule designato, consentientibus aliis, parabatur sententia, qua lege repetundarum tenerentur, cum Suillius et Cossutianus et ceteri, qui non iudicium, quippe in manifestos, sed poenam statui videbant, circumsistunt Caesarem, ante acta deprecantes. 7 (1) Et postquam adnuit, agere incipiunt: quem illum tanta superbia esse, ut aeternitatem famae spe praesumat? usui et rebus subsidium praeparari, ne quis inopia advocatorum potentibus obnoxius sit. neque tamen eloquentiam gratuito contingere: omitti curas familiares, ut quis se alienis negotiis intendat. multos militia, quosdam exercendo agros tolerare vitam: nihil a quoquam expeti, nisi cuius fructus ante providerit. (2) facile Asinium et Messalam, inter Antonium et Augustum bellorum praemiis refertos, aut ditium familiarum heredes Aeserninos et Arruntios magnum animum induisse. prompta sibi exempla, quantis mercedibus P. Clodius aut C. Curio contionari soliti sint.

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    400 000 Sesterze gegeben hatte, als er den Parteiverrat durchschaute, in dessen Haus ins Schwert stürzte.5 (3) Deshalb erhoben sich nach dem Vorbild des designierten Konsuls C. Silius, dessen einflussreiche Position und Sturz ich zu gegebener Zeit erwähnen werde, die Väter und verlangten die Anwendung des cincischen Gesetzes, durch das seit alten Zeiten verhindert werden soll, dass jemand für die Führung eines Prozesses Geld oder ein Geschenk nimmt.6 6 (1) Als dann die Mitglieder, denen dieser Schimpf angetan werden sollte, lautstark dagegen protestierten, griff ihn der mit Suillius verfeindete Silius scharf an, indem er auf das Vorbild der alten Redner verwies, die nur ihren Ruhm bei der Nachwelt als Belohnung für ihre Sprachgewalt betrachtet hätten. Die unter anderen Umständen herrlichste und führende Disziplin unter den edlen Künsten werde durch ihre schäbige Anwendung in den Schmutz gezogen; nicht einmal Treu und Glauben blieben unangetastet, wo man nur die Höhe der Einnahmen im Auge habe. (2) Wenn man aber Rechtsfälle ohne Honorar für irgendjemanden übernehme, würden es weniger. Jetzt fördere man Feindschaften, Anklagen, Hass und Kränkungen, damit genauso wie die Bösartigkeit von Krankheiten den Ärzten Lohn, die Seuche des Forums den Anwälten Geld einbringe. Sie sollten nur an C. Asinius, M. Messala und von den Jüngeren an Arruntius und Aeserninus denken;7 diese hätten die Spitzenpositionen mit einer unbestechlichen Lebensführung und Redegabe erreicht. (3) Weil der designierte Konsul derartige Ausführungen machte und andere zustimmten, bereitete man schon einen Antrag vor, dem zufolge sie nach dem Gesetz über Schadensersatz belangt werden sollten, da umringten Suillius, Cossutianus und alle anderen, die sahen, dass man kein Gerichtsverfahren einleite, da ihre Schuld ja offenkundig sei, sondern ihre Bestrafung beschließe, den Caesar und baten für ihre bisherigen Tätigkeiten um Straflosigkeit. 7 (1) Und nachdem er sie gewährt hatte, begannen sie sich zu verteidigen: Wo gebe es einen Mann von einer solchen Überheblichkeit, dass er die ewige Dauer seines Ruhms in seiner Erwartung schon vorwegnehmen könne? Nur dem Bedarf und den Umständen entsprechend verschaffe man sich eine Reserve, damit niemand aus Mangel an Anwälten den Mächtigen ausgeliefert sei. Gleichwohl gebe es Beredsamkeit nicht umsonst: Private Interessen würden zurückgestellt, damit sich jemand um fremde Angelegenheiten kümmern könne. Viele Menschen bestritten ihr Leben als Soldaten, manche mit Ackerbau; nur damit wolle jemand zu tun haben, wovon er sich vorher einen Gewinn verspreche. (2) Leicht hätten Asinius und Messala, die sich mit Beute aus den Kriegen zwischen Antonius und Augustus8 vollgestopft hätten, oder als Erben reicher Familien Männer wie Aeserninus und Arruntius die Großzügigen spielen können. Sie dagegen hätten als Vorbilder zur Hand, um welch hohe Summen P. Clodius oder C. Curio üblicherweise in den Volksversammlungen Reden gehalten hätten.

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    (3) se modicos senatores quieta re publica nulla nisi pacis emolumenta petere. cogitaret plebem, qua toga enitesceret: sublatis studiorum pretiis etiam studia peritura. (4) ut minus decora haec, ita haud frustra dicta princeps ratus, capiendis pecuniis modum usque ad dena sestertia , quem egressi repetundarum tenerentur. 8 (1) Sub idem tempus Mithridates, quem imperitasse Armeniis Caesaris vinctum memoravi, monente Claudio in regnum remeavit, fisus Pharasmanis opibus. is rex Hiberis idemque Mithridatis frater nuntiabat discordare Parthos summaque imperii ambigua, minora sine cura haberi. (2) nam Gotarzes inter pleraque saeva [qui] necem fratri Artabano coniugique ac filio eius properaverat, unde metus [eius] in ceteros, et accivere Vardanen. (3) ille, ut erat magnis ausis promptus, biduo tria milia stadiorum invadit ignarumque et exterritum Gotarzen proturbat; neque cunctatur quin proximas praefecturas corripiat, solis Seleucensibus dominationem eius abnuentibus. in quos, ut patris [sui] quoque defectores, ira magis quam ex usu praesenti accensus, implicatur obsidione urbis validae et munimentis obiecti amnis muroque et commeatibus firmatae. (4) interim Gotarzes Daharum Hyrcanorumque opibus auctus bellum renovat, coactusque Vardanes omittere Seleuciam Bactrianos apud campos castra contulit. 9 (1) Tunc distractis Orientis viribus et quonam inclinarent incertis, casus Mithridati datus est occupandi Armeniam, vi militis Romani ad excidenda castellorum ardua, simul Hibero exercitu campos persultante. nec enim restitere Armenii, fuso qui proelium ausus erat Demonacte praefecto. (2) paululum cunctationis attulit rex minoris Armeniae Cotys, versis illuc quibusdam procerum; dein litteris Caesaris coercitus, et cuncta in Mithridaten fluxere, atrociorem quam novo regno conduceret. (3) at Parthi imperatores cum

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    (3) Sie wollten als bescheidene Senatoren in einem friedlichen Staat nur die Segnungen des Friedens genießen. Er solle an das einfache Volk denken, das nur in der Toga9 glänzen könne; vorenthalte man geistigen Leistungen den Lohn, gingen auch die geistigen Leistungen zugrunde. (4) In der Überzeugung, diese Ausführungen seien zwar nicht gerade edel, aber auch nicht unbegründet, setzte er als Obergrenze für die Entgegennahme von Geld zehntausend Sesterze fest; wer sie überschreite, solle wegen Erpressung belangt werden. 8 (1) Ungefähr zur gleichen Zeit kehrte Mithridates, der, wie erwähnt, über die Armenier geherrscht hatte und auf Befehl C. Caesars verhaftet worden war,10 auf Claudiusʼ dringenden Rat hin in sein Königreich zurück im Vertrauen auf die Macht des Pharasmanes. Der war König der Hiberer und Mithridatesʼ Bruder und berichtete, die Parther seien zerstritten; uneins sei man sich hinsichtlich der führenden Position, weniger wichtigen Angelegenheiten schenke man keine Beachtung. (2) Denn Gotarzes hatte neben sehr vielen anderen Gräueltaten sofort seinen Bruder Artabanus und dessen Frau und Sohn umbringen lassen; deshalb fürchteten sich alle anderen vor ihm und riefen nach Vardanes. (3) Der kam, immer bereit zu sehr riskanten Unternehmungen, in zwei Tagen 3000 Stadien11 voran und verjagte den ahnungslosen und verschreckten Gotarzes. Ohne zu zögern, bemächtigte er sich der nächsten Präfekturen, wobei nur die Einwohner von Seleucia seine Gewaltherrschaft ablehnten. Über sie, die ja auch schon von seinem Vater abgefallen waren, war er in höherem Maße wutentbrannt, als es im Augenblick zuträglich war, und ließ sich deshalb auf die Belagerung der stark befestigten Stadt ein, die durch das Bollwerk des dazwischenliegenden Stroms12, durch Mauer und Lebensmittelvorräte gesichert war. (4) Inzwischen hatte Gotarzes durch Truppen der Daher und Hyrkaner Verstärkung erhalten und nahm den Krieg wieder auf. Vardanes sah sich daraufhin gezwungen, Seleucia aufzugeben, und verlegte sein Lager in die Ebenen von Baktrien. 9 (1) Da nun bot sich, weil die Streitkräfte des Orients zersplittert waren und nicht wussten, wohin sie denn tendieren sollten, Mithridates die Gelegenheit, Armenien zu besetzen, wobei er die Kampfkraft der römischen Soldaten für die Zerstörung der in steilem Gelände gelegenen Kastelle einsetzen konnte, während zugleich das hiberische Heer die Ebenen durchstreifte. Denn die Armenier leisteten keinen Widerstand mehr, nachdem der Präfekt Demonax, der ein Gefecht gewagt hatte, in die Flucht geschlagen worden war. (2) Für eine ganz kurze Verzögerung sorgte der König Kleinarmeniens Cotys, auf dessen Seite sich einige Vornehme geschlagen hatten. Dann wurde er durch ein Schreiben des Caesars in seine Schranken gewiesen, und alles fiel Mithridates zu, der gewalttätiger war, als es einer neuen Königsherrschaft gut tut. (3) Doch die parthischen Befehlshaber schlossen mitten in den Vorbereitungen für eine

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    pugnam pararent, foedus repente iciunt cognitis popularium insidiis, quas Gotarzes fratri patefecit; congressique primo cunctanter, dein complexi dextras apud altaria deum pepigere fraudem inimicorum ulcisci atque ipsi inter se concedere. (4) potiorque Vardanes visus retinendo regno; at Gotarzes, ne quid aemulationis exsisteret, penitus in Hyrcaniam abiit. regressoque Vardani deditur Seleucia septimo post defectionem anno, non sine dedecore Parthorum, quos una civitas tam diu eluserat. 10 (1) Exim validissimas praefecturas invisit: et recuperare Armeniam aveat, ni a Vibio Marso, Syriae legato, bellum minitante cohibitus foret. atque interim Gotarzes paenitentia concessi regni et vocante nobilitate, cui in pace durius servitium est, contrahit copias. (2) et huic contra itum ad amnem Erinden; in cuius transgressu multum certato pervicit Vardanes, prosperisque proeliis medias nationes subegit ad flumen Sinden, quod Dahas Ariosque disterminat. ibi modus rebus secundis positus: nam Parthi, quamquam victores, longinquam militiam aspernabantur. (3) igitur structis monimentis, quibus opes suas testabatur nec cuiquam ante Arsacidarum tributa illis de gentibus parta, regreditur ingens gloria atque eo ferocior et subiectis intolerantior; qui dolo ante composito incautum venationique intentum interfecere, primam intra iuventam, sed claritudine paucos inter seum regum, si perinde amorem inter populares quam metum apud hostis quaesivisset. (4) nece Vardanis turbatae Parthorum res inter ambiguos, quis in regnum acciperetur. multi ad Gotarzen inclinabant, quidam ad Meherdaten prolem Phraatis, obsidio nobis datum: dein praevaluit Gotarzes; potitusque regiam per saevitiam ac luxum adegit Parthos mittere ad principem Romanum occultas preces, quis permitti Meherdaten patrium ad fastigium orabant. 11 (1) Isdem consulibus ludi saeculares octingentesimo post Romam conditam, quarto et sexagesimo, quam Augustus ediderat, spectati sunt. utriusque principis rationes praetermitto, satis narratas libris, quibus res imperatoris

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    Schlacht plötzlich ein Bündnis, nachdem man von einem Komplott ihrer Landsleute erfahren hatte, das Gotarzes seinem Bruder verriet; zuerst gingen sie nur zögernd aufeinander zu, dann aber reichten sie sich die Hände und vereinbarten an den Altären der Götter, die Hinterlist ihrer Feinde zu rächen und sich selbst miteinander zu vertragen. (4) Und den größeren Anspruch auf den Thron schien Vardanes zu haben; Gotarzes aber zog, um keine Eifersucht aufkommen zu lassen, weit nach Hyrkanien weg. Nach seiner Rückkehr ergab sich dem Vardanes Seleucia im siebten Jahr nach seinem Abfall, nicht ohne Schande für die Parther, die eine einzige Stadt so lange zum Besten gehalten hatte. 10 (1) Anschließend suchte er die wichtigsten Präfekturen auf. Auch Armenien wollte er gerne wieder bekommen, wenn er daran nicht von Vibius Marsus, dem Legaten Syriens, mit einer Kriegsdrohung gehindert worden wäre. Und in der Zwischenzeit bereute Gotarzes den Thronverzicht, der Adel, den im Frieden die Knechtschaft noch härter trifft, rief nach ihm, und so zog er seine Truppen zusammen. (2) Ihm rückte man bis zum Fluss Erindes entgegen; bei seiner Überquerung behielt Vardanes in vielen Gefechten die Oberhand und unterwarf dann in günstig verlaufenden Kämpfen die Stämme bis hin zum Fluss Sindes, der die Daher und Arier trennt. Dort wurde seinen Erfolgen ein Ende gesetzt; denn die Parther wollten trotz ihrer Siege von einem Feldzug in die Ferne nichts wissen. (3) Deshalb ließ er Denkmäler errichten, durch die er seine Macht bezeugte sowie die Tatsache, dass zuvor noch keiner der Arsaciden von diesen Völkerschaften Tribute erhalten hatte, und kehrte dann ruhmbeladen und deshalb umso gewalttätiger und für seine Untertanen unerträglicher zurück. Diese dachten sich zuvor eine List aus und brachten ihn dann um, als er nicht darauf gefasst und mit der Jagd beschäftigt war; er war noch ein ganz junger Mann, aber er wäre berühmt geworden wie nur wenige betagte Könige, wenn er sich genauso um Zuneigung unter seinen Landsleuten wie um Furcht bei seinen Feinden bemüht hätte. (4) Durch die Ermordung des Vardanes kam es im Partherreich zu Unruhen, da man sich nicht einigen konnte, wen man auf dem Thron akzeptieren solle. Viele neigten Gotarzes zu, einige Meherdates, einem Sprössling des Phraates, den man uns als Geisel gestellt hatte. Schließlich setzte sich Gotarzes durch. Er bemächtigte sich der Residenz und brachte durch Grausamkeit und Verschwendungssucht die Parther so weit, dass sie dem römischen Princeps ein geheimes Bittgesuch schickten, in dem sie darum baten, Meherdates möge ihnen für die Spitzenstellung in ihrer Heimat überlassen werden. 11 (1) Unter den gleichen Konsuln sah man den Säkularspielen13 zu, 800 Jahre nach der Gründung Roms, 64 Jahre, nachdem sie Augustus begangen hatte. Die Berechnungen beider Principes übergehe ich, weil ich darauf schon ausführlich in den Büchern eingegangen bin, die ich über die Herrschaft des Ober-

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    Domitiani composui. nam is quoque edidit ludos saeculares, iisque intentius adfui sacerdotio quindecimvirali praeditus ac tunc praetor. quod non iactantia refero, sed quia collegio quindecimvirum antiquitus ea cura, et magistratus potissimum exsequebantur officia caerimoniarum. (2) sedente Claudio circensibus ludis, cum pueri nobiles equis ludicrum Troiae inirent interque eos Britannicus imperatore genitus et L. Domitius adoptione mox in imperium et cognomentum Neronis adscitus, favor plebis acrior i Domitium loco praesagii acceptus est. (3) vulgabaturque adfuisse infantiae eius dracones in modum custodum, fabulosa et externis miraculis adsimilata; nam ipse, haudquaquam sui detractor, unam omnino anguem in cubiculo visam narrare solitus est. 12 (1) Verum inclinatio populi supererat ex memoria Germanici, cuius illa reliqua suboles virilis; et matri Agrippinae miseratio augebatur ob saevitiam Messalinae, quae semper infesta et tunc commotior, quo minus strueret crimina et accusatores, novo et furori proximo amore distinebatur. (2) nam in C. Silium, iuventutis Romanae pulcherrimum, ita exarserat, ut Iuniam Silanam, nobilem feminam, matrimonio eius exturbaret vacuoque adultero poteretur. neque Silius flagitii aut periculi nescius erat; sed certo, si abnueret, exitio et nonnulla fallendi spe, simul magnis praemiis, op

    eriri futura et praesentibus frui pro solacio habebat. (3) illa non furtim, sed multo comitatu ventitare domum, egressibus adhaerescere, largiri opes honores; postremo, velut translata iam fortuna, servi liberti paratus principis apud adulterum visebantur. 13 (1) At Claudius, matrimonii sui ignarus et munia censoria usurpans, theatralem populi lasciviam severis edictis increpuit, quod in Publium Pomponium consularem (is carmina scaenae dabat) inque feminas inlustres probra iecerat. (2) et lege lata saevitiam creditorum coercuit, ne in morte parentum

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    befehlshabers Domitian geschrieben habe.14 Denn auch der veranstaltete Säkularspiele, an denen ich mich besonders aufmerksam beteiligte, weil ich mit dem Priesteramt der Fünfzehnmänner betraut und damals Prätor war. Das berichte ich nicht aus Angeberei, sondern weil das Kollegium der Fünfzehnmänner seit alten Zeiten diese Aufgabe wahrnimmt und vor allem die Amtsträger die heiligen Handlungen vollzogen. (2) Als Claudius bei den Zirkusspielen saß und junge Adlige zu Pferd das Trojaspiel15 begannen, darunter Britannicus, der leibliche Sohn des Oberbefehlshabers, und L. Domitius, der durch Adoption später die Herrschaft und den Beinamen Nero erhielt, sah man es als Vorzeichen an, dass die Sympathien des Volks stärker Domitius galten. (3) Es wurde auch verbreitet, als Kleinkind seien ihm Drachen als eine Art Wächter beigestanden, ausländischen Wundererzählungen nachempfundene Märchen; denn er selbst erwähnte, obwohl er die eigene Person nicht gerade zu kurz kommen ließ, gewöhnlich nur, eine einzige Schlange habe sich insgesamt in seinem Schlafzimmer sehen lassen. 12 (1) Tatsächlich beruhte die Zuneigung des Volks noch auf einem Rest des Andenkens an Germanicus, dessen einzig übrig gebliebener männlicher Nachkomme er war. Auch für seine Mutter Agrippina nahm das Mitleid zu wegen der Grausamkeit Messalinas, die, immer feindselig gesinnt und damals besonders aufgebracht, nur durch eine neue und an Raserei grenzende Verliebtheit davon abgehalten wurde, Beschuldigungen zu erfinden und Ankläger aufzubieten. (2) Denn sie war für C. Silius, den schönsten jungen Mann in Rom, derart entbrannt, dass sie Iunia Silana, eine vornehme Dame, aus der Ehe mit ihm verdrängte und sich des nun frei gewordenen Liebhabers bemächtigte. Silius war sich zwar seines schändlichen Verhaltens oder seiner gefährlichen Lage durchaus bewusst; aber weil ihm bei einer Weigerung der Untergang gewiss war und einige Aussicht bestand, unbemerkt zu bleiben, zugleich auch wegen der reichen Belohnungen, tröstete er sich damit, vor der Zukunft die Augen zu verschließen und die Gegenwart zu genießen. (3) Sie aber kam ständig nicht heimlich, sondern mit großem Gefolge in sein Haus, hängte sich an ihn, wenn er ausging, schenkte ihm reichlich Geld und Ehrenämter; zuletzt konnte man so, als ob die Herrschaft schon auf ihn übergegangen sei, Sklaven, Freigelassene und was sonst einem Princeps zur Verfügung steht, bei dem Ehebrecher sehen. 13 (1) Doch Claudius, der von seiner eigenen Ehe keine Ahnung hatte und doch die Aufgaben eines Zensors wahrnahm, schalt das zügellose Verhalten des Volks im Theater in strengen Erlassen, weil es den ehemaligen Konsul Publius Pomponius – er verfasste Lieder für die Bühne – und angesehene Damen beleidigt hatte. (2) Und mit einem Gesetz schränkte er das unmenschliche Verhalten der Kreditgeber ein, auf den Tod der Eltern an unmündige Söhne

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    pecunias filiis familiarum faenori darent; fontesque aquarum Simbruinis collibus deductos urbi intulit; ac novas litterarum formas addidit vulgavitque, comperto Graecam quoque litteraturam non simul coeptam absolutamque. 14 (1) Primi per figuras animalium Aegyptii sensus mentis effingebant – ea antiquissima monimenta memoriae humanae impressa saxis cernuntur –, et litterarum semet inventores perhibent; inde Phoenicas, quia mari praepollebant, intulisse Graeciae gloriamque adeptos, tamquam reppererint, quae acceperant. (2) quippe fama est Cadmum classe Phoenicum vectum rudibus adhuc Graecorum populis artis eius auctorem fuisse. quidam Cecropem Atheniensem vel Linum Thebanum et temporibus Troianis Palamedem Argivum memorant sedecim litterarum formas, mox alios ac praecipuum Simoniden ceteras repperisse. (3) at in Italia Etrusci ab Corinthio Demarato, Aborigines Arcade ab Euandro didicerunt; et forma litteris Latinis quae veterrimis Graecorum. sed nobis quoque paucae primum fuere, deinde additae sunt. quo exemplo Claudius tres litteras adiecit, quae usu imperitante eo, post obliteratae, adspiciuntur etiam nunc in aere publicandis plebi s. c. iis per fora ac templa fixo. 15 (1) Rettulit deinde ad senatum super collegio haruspicum, ne vetustissima Italiae disciplina per desidiam exolesceret. saepe adversis rei publicae temporibus accitos, quorum monitu redintegratas caerimonias et in posterum rectius habitas; primoresque Etruriae sponte aut patrum Romanorum impulsu retinuisse scientiam et in familias propagasse. quod nunc segnius fieri publica circa bonas artes socordia, et quia externae superstitiones valescant. (2) et laeta quidem in praesens omnia, sed benignitati deum gratiam referendam, ne ritus sacrorum inter ambigua culti per prospera obliterarentur. (3) factum ex eo senatus consultum, viderent pontifices quae retinenda firmandaque haruspicum.

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    Geld gegen Zinsen zu verleihen.16 Quellwasser ließ er von den Simbruinischen Hügeln herableiten und so in die Hauptstadt bringen. Er erfand neue Buchstaben17 und führte sie allgemein ein, nachdem er festgestellt hatte, dass auch das griechische Alphabet nicht gleichzeitig begonnen und vollendet worden war. 14 (1) Die Ersten, die durch Tierbilder ihre Gedanken ausdrückten, waren die Ägypter – diese ältesten Denkmäler menschlicher Überlieferung kann man in Stein gehauen sehen –, und sie halten sich selbst für die Erfinder der Buchstaben. Von dort hätten sie die Phöniker, weil sie das Meer beherrschten, nach Griechenland gebracht und den Ruhm gewonnen, erfunden zu haben, was sie nur übernommen hatten. (2) Es gibt ja die Sage, Kadmos sei auf einer Fahrt mit der phönizischen Flotte für die noch ungebildeten Griechenvölker der Lehrmeister dieser Kunst gewesen. Einige Autoren berichten, der Athener Cecrops oder der Thebaner Linus und in den Zeiten der Trojaner der Argiver Palamedes hätten sechzehn Buchstaben, später dann andere Männer, und zwar vor allem Simonides, den Rest erfunden. (3) Doch in Italien lernten die Etrusker sie von dem Korinther Demaratus, die Aboriginer vom Arkader Euander, und tatsächlich haben die lateinischen Buchstaben das Aussehen der ältesten der Griechen. Aber auch wir hatten zuerst nur wenige, dann kamen einige dazu. Nach diesem Vorbild fügte Claudius drei Buchstaben dazu, die während seiner Regierungszeit in Gebrauch waren und später in Vergessenheit gerieten, die man aber auch jetzt noch auf Bronzetafeln sehen kann, die, um dem Volk einen Senatsbeschluss durch sie bekannt zu geben, auf Foren und in Tempeln angebracht sind. 15 (1) Er brachte dann vor dem Senat einen Antrag zum Kollegium der Opferschauer ein, damit die älteste Wissenschaft Italiens nicht durch Vernachlässigung in Vergessenheit gerate. Oft habe man sie in Notzeiten des Staates geholt, auf ihre Ermahnung hin die Zeremonien wieder abgehalten und in der Folgezeit genauer gehandhabt; die führenden Männer Etruriens hätten dieses Wissen von sich aus oder auf Bitten der römischen Väter bewahrt und in ihren Familien weitergegeben. Das geschehe jetzt viel oberflächlicher aus allgemeiner Gedankenlosigkeit bewährten Verhaltensweisen gegenüber und weil ausländischer Aberglaube überhandnehme. (2) Zwar sei im Augenblick die Lage insgesamt erfreulich, aber man müsse der Gnade der Götter Dank dafür sagen, dass die heiligen Riten, die in unsicheren Zeiten zelebriert worden seien, nicht in glücklichen vergessen würden. (3) Daraufhin kam es zu einem Senatsbeschluss, die Pontifices sollten zusehen, welche Verfahren der Opferschauer beizubehalten und verstärkt anzuwenden seien.

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    16 (1) Eodem anno Cheruscorum gens regem Roma petivit, amissis per interna bella nobilibus et uno reliquo stirpis regiae, qui apud urbem habebatur, nomine Italicus. paternum huic genus e Flavo fratre Arminii, mater ex Actumero principe Chattorum erat; ipse forma decorus et armis equisque in patrium nostrumque morem exercitus. igitur Caesar auctum pecunia, additis stipatoribus, hortatur gentile decus magno animo capessere: illum primum Romae ortum nec obsidem, sed civem ire externum ad imperium. (2) ac primo laetus Germanis adventus, atque eo, quod nullis discordiis imbutus pari in omnes studio ageret, celebrari coli, modo comitatem et temperantiam, nulli invisa, saepius vinolentiam ac libidines, grata barbaris, usurpans. iamque apud proximos, iam longius clarescere, cum potentiam eius suspectantes, qui factionibus floruerant, discedunt ad conterminos populos ac testificantur adimi veterem Germaniae libertatem et Romanas opes insurgere. (3) adeo neminem isdem in terris ortum, qui principem locum impleat, nisi exploratoris Flavi progenies super cunctos attollatur? frustra Arminium praescribi: cuius si filius hostili in solo adultus in regnum venisse, posse extimesci, infectum alimonio servitio cultu, omnibus externis: at si paterna Italico mens esset, non alium infensius arma contra patriam ac deos penates quam parentem eius exercuisse. 17 (1) His atque talibus magnas copias coegere, nec pauciores Italicum sequebantur. non enim inrupisse ad invitos, sed accitum memorabat, quando nobilitate ceteros anteiret: virtutem experirentur, an dignum se patruo Arminio, avo Actumero praeberet. (2) nec patrem rubori, quod fidem adversus Romanos volentibus Germanis sumptam numquam omisisset. falso libertatis vocabulum

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    16 (1) Im gleichen Jahr erbat der Stamm der Cherusker von Rom einen König, nachdem er in internen Kriegen seinen Adel verloren hatte und nur mehr ein einziger Abkömmling ihrer königlichen Sippe am Leben war, der sich in der Hauptstadt aufhielt, namens Italicus. Väterlicherseits führte er sein Geschlecht auf Flavus, den Bruder des Arminius, zurück, seine Mutter stammte vom Chattenhäuptling Actumerus ab. Er selbst war eine beeindruckende Erscheinung und bei Waffen und Pferden in der heimischen und in der bei uns üblichen Art und Weise geübt. Also stattete ihn der Caesar mit Geld aus, gab ihm Leibwächter dazu und forderte ihn auf, die ehrenvolle Stellung in seiner Heimat mit großem Selbstvertrauen anzutreten: Er sei die erste Person, die in Rom geboren sei und nicht als Geisel, sondern als Bürger18 ausziehe, um eine Herrschaft im Ausland anzutreten. (2) Zuerst freuten sich die Germanen über sein Kommen, und weil er, ohne in irgendwelche Auseinandersetzungen verwickelt gewesen zu sein, für alle das gleiche Interesse zeigte, feierte und verehrte man ihn; dabei legte er bald Leutseligkeit und Zurückhaltung, die niemand ungern sieht, öfter aber Trunkenheit und Hemmungslosigkeit an den Tag, bei den Barbaren beliebte Verhaltensweisen. Schon war er bei den Nachbarn, schon auch im weiteren Umkreis ein bekannter Mann, da beäugten die Personen, die durch das Bestehen von Parteien einflussreich gewesen waren, argwöhnisch seine Machtstellung, gingen zu den Nachbarvölkern und beteuerten, die alte Freiheit Germaniens werde weggenommen und die römische Macht erhebe sich. (3) Sei es denn wirklich so weit gekommen, dass niemand in denselben Ländern geboren sei, der den ersten Platz ausfüllen könne, falls nicht der Sprössling des Kundschafters Flavus über sie alle gestellt werde? Grundlos nehme man Arminius zum Vorwand: Falls dessen auf feindlichem Boden aufgewachsener Sohn19 zur Übernahme der Herrschaft gekommen wäre, hätte man sich vor ihm nur fürchten können, weil er von der Art, sich zu ernähren, der knechtischen Gesinnung und Lebensweise angesteckt gewesen wäre, lauter ausländischen Einflüssen; falls jedoch Italicus die Einstellung seines Vaters habe, dann habe es doch niemand anderen gegeben, der mit größerer Feindseligkeit die Waffen gegen sein Vaterland und die Götter von Haus und Hof gerichtet habe als sein Vater. 17 (1) Mit Ausführungen wie diesen brachten sie eine große Truppenmacht zusammen, aber Italicus folgten nicht weniger Männer. Denn er wies darauf hin, er habe sich nicht gegen ihren Willen mit Gewalt hineingedrängt, sondern sei gerufen worden, da er an vornehmer Abkunft alle anderen übertreffe; seine Tapferkeit sollten sie nur auf die Probe stellen, ob er sich seines Onkels Arminius, seines Großvaters Actumerus würdig erweise. (2) Aber auch seines Vaters brauche er sich nicht zu schämen, weil dieser das Treueverhältnis, das er den Römern gegenüber mit dem Einverständnis der Germanen eingegangen

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    obtendi ab iis, qui privatim degeneres, in publicum exitiosi, nihil spei nisi per discordias habeant. (3) adstrepebat huic alacre vulgus; et magno inter barbaros proelio victor rex, dein secunda fortuna ad superbiam prolapsus pulsusque ac rursus Langobardorum opibus refectus per laeta per adversa res Cheruscas adflictabat. 18 (1) Per idem tempus Chauci nulla dissensione domi et morte Sanquinii alacres, dum Corbulo adventat, inferiorem Germaniam incursavere duce Gannasco, qui natione Caninefas, auxiliare endium meritus, post transfuga, levibus navigiis praedabundus Gallorum maxime oram vastabat, non ignarus dites et imbelles esse. (2) at Corbulo provinciam ingressus magna cum cura et mox gloria, cui principium illa militia fuit, triremes alveo Rheni, ceteras navium, ut quaeque habiles, per aestuaria et fossas adegit; luntribusque hostium depressis et exturbato Gannasco, ubi praesentia satis composita sunt, legiones operum et laboris ignavas, populationibus laetantes, veterem ad morem reduxit, ne quis agmine decederet nec pugnam nisi iussus iniret. (3) stationes vigiliae, diurna nocturnaque munia in armis agitabantur; feruntque militem, quia vallum non accinctus, atque alium, quia pugione tantum accinctus foderet, morte punitos. quae nimia et incertum an falso iacta originem tamen e severitate ducis traxere; intentumque et magnis delictis inexorabilem scias, cui tantum asperitatis etiam adversus levia credebatur. 19 (1) Ceterum is terror milites hostesque in diversum adfecit: nos virtutem auximus, barbari ferociam infregere. et natio Frisiorum post rebellionem clade L. Apronii coeptam infensa aut male fida, datis obsidibus consedit apud agros a Corbulone descriptos; idem senatum magistratus leges imposuit. (2) ac ne iussa exuerent, praesidium immunivit, missis qui maiores Chaucos ad

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    sei, niemals aufgegeben habe. Zu Unrecht werde das Wort Freiheit von denen vorgeschützt, die persönlich verkommen und für das Gemeinwesen verderblich seien und deshalb ihre Hoffnungen nur auf Auseinandersetzungen setzten. (3) Begeistert jubelte ihm das Volk zu, und aus einer großen Schlacht zwischen den Barbaren ging als Sieger der König hervor; dann aber schlitterte er wegen seiner Erfolge in Überheblichkeit, wurde vertrieben, mit Unterstützung der Langobarden wieder eingesetzt und schadete so im Erfolg wie im Misserfolg der Sache der Cherusker. 18 (1) Zur selben Zeit fielen die Chauken, die zu Hause keine Auseinandersetzungen hatten und durch den Tod des Sanquinius ermuntert wurden, während Corbulo noch im Anmarsch war, in Untergermanien unter Führung des Gannascus ein. Der war seiner Stammeszugehörigkeit nach ein Kanninefate, hatte in einer Auxiliareinheit gedient, war später desertiert und verwüstete nun, mit leichten Schiffen plündernd, hauptsächlich die Küste der Gallier, weil er genau wusste, sie seien reich und unkriegerisch. (2) Doch nach seinem Einzug in die Provinz führte Corbulo mit großer Umsicht und schon bald mit dem Ruhm, für den dieses militärische Unternehmen den Anfang bildete, Dreiruderer im Flussbett des Rheins und die übrigen Schiffe, soweit sie sich im Einzelnen dafür eigneten, durch Lagunen und Kanäle heran; und nachdem er die Kähne der Feinde versenkt und Gannascus vertrieben hatte, brachte er, sobald sich die augenblickliche Lage hinreichend beruhigt hatte, die Legionen, die sich vor Schanzarbeit und Anstrengungen drückten und sich lieber mit Plünderungen vergnügten, zur althergebrachten Disziplin zurück; keiner durfte die Marschkolonne verlassen und einen Kampf ohne Befehl beginnen. (3) Posten und Wachen, alle dienstlichen Aufgaben wurden Tag und Nacht in Waffen erledigt, und es wird berichtet, ein Soldat sei, weil er beim Ausheben eines Walls unbewaffnet, ein anderer, weil er nur mit einem Dolch bewaffnet war, mit dem Tod bestraft worden. Diese übertriebenen und möglicherweise sogar grundlos verbreiteten Erzählungen hatten dennoch ihren Ausgangspunkt in der Strenge des Kommandeurs; stramm und bei schweren Vergehen unerbittlich war, das sollte man wissen, der Mann, dem man ein solches Maß an Härte sogar bei geringfügigen Disziplinlosigkeiten zutraute. 19 (1) Aber dieses Schreckensregiment wirkte sich auf Soldaten und Feinde entgegengesetzt aus: Wir steigerten die Tapferkeit, die Barbaren büßten ihren wilden Mut ein. Und der Stamm der Friesen, der nach dem mit der Niederlage des L. Apronius begonnenen Aufstand feindlich gesinnt oder nur widerwillig treu war, ließ sich nach der Stellung von Geiseln auf dem Ackerland nieder, das ihm von Corbulo angewiesen worden war; ebenso setzte er einen Senat, Amtsträger und Gesetze ein. (2) Und damit sie sich seinen Befehlen nicht entziehen konnten, legte er einen befestigten Stützpunkt an und schickte Leute los, die

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    deditionem pellicerent, simul Gannascum dolo aggrederentur. nec inritae aut degeneres insidiae fuere adversus transfugam et violatorem fidei. (3) sed caede eius motae Chaucorum mentes, et Corbulo semina rebellionis praebebat, ut laeta apud plerosque, ita apud quosdam [in] sinistra fama. cur hostem conciret? adversa in re publica casura; sin prospere egisset, formidolosum paci virum insignem et ignavo principi praegravem. igitur Claudius adeo novam in Germanias vim prohibuit, ut referri praesidia cis Rhenum iuberet. 20 (1) Iam castra in hostili solo molienti Corbuloni eae litterae redduntur. ille re subita, quamquam multa simul offunderentur, metus ex imperatore, contemptio ex barbaris, ludibrium apud socios, nihil aliud prolocutus quam ‘beatos quondam duces Romanos’, signum receptui dedit. (2) ut tamen miles otium exueret, inter Mosam Rhenumque trium et viginti milium spatio fossam perduxit, qua incerta Oceani vitarentur. insignia tamen triumphi indulsit Caesar, quamvis bellum negavisset. (3) Nec multo post Curtius Rufus eundem honorem adipiscitur, qui in agro Mattiaco recluserat specus quaerendis venis argenti; unde tenuis fructus nec in longum fuit, at legionibus cum damno labor, effodere rivos, quaeque in aperto gravia, humum infra moliri. quis subactus miles, et quia plures per provincias similia tolerabantur, componit occultas litteras nomine exercituum, precantium imperatorem, ut, quibus permissurus esset exercitus, triumphalia ante tribueret. 21 (1) De origine Curtii Rufi, quem gladiatore genitum quidam prodidere, neque falsa prompserim et vera exsequi pudet. postquam adolevit, sectator quaestoris, cui Africa obtigerat, dum in oppido Adrumeto vacuis per medium diei porticibus secretus agitat, oblata ei species muliebris ultra modum humanum et audita est vox ‘tu es, Rufe, qui in hanc provinciam pro consule venies’. (2) tali omine in spem sublatus degressusque in urbem largitione amicorum, simul acri ingenio quaesturam et mox nobiles inter candidatos

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    die Großen Chauken zur Unterwerfung verleiten und gleichzeitig Gannascus hinterrücks angreifen sollten. Und der Anschlag war nicht erfolglos oder gar verwerflich einem wortbrüchigen Überläufer gegenüber. (3) Aber über seine Ermordung waren die Chauken empört, und Corbulo stellte die Saat für einen Aufstand zur Verfügung, was zwar von der Mehrzahl freudig begrüßt wurde, bei manchen aber nicht gut ankam: Warum fordere er den Feind heraus? Ein Misserfolg treffe den Staat; falls er aber Erfolg habe, stelle ein Mann von seinem Ruf eine Gefahr für den Frieden und für einen feigen Princeps eine schwere Belastung dar. So verbot Claudius denn auch ein erneutes gewaltsames Vorgehen gegen die Germanen derart grundlegend, dass er die Besatzungstruppen hinter den Rhein zurückverlegen ließ. 20 (1) Schon errichtete Corbulo ein Lager auf feindlichem Boden, da erhielt er das betreffende Schreiben. Davon völlig überrascht, gab er, obwohl vieles gleichzeitig auf ihn einströmte, nämlich Furcht vor dem Oberbefehlshaber, Verachtung durch die Barbaren, Spott bei den Bundesgenossen, ohne ein weiteres Wort als: „Glücklich die römischen Kommandeure von einst!“ das Zeichen zum Rückzug. (2) Damit der Soldat dennoch das Nichtstun ablegte, ließ er zwischen Maas und Rhein einen Kanal von 23 Meilen Länge ziehen, durch den man die unsichere Fahrt auf dem Ozean vermeiden konnte. Die Triumphabzeichen bewilligte der Caesar trotzdem, obwohl er einen Krieg verweigert hatte. (3) Nicht viel später erhielt Curtius Rufus, der auf mattiakischem Gebiet Stollen erschlossen hatte, um nach Silberadern zu suchen, dieselbe Auszeichnung; die Ausbeute davon war nur unbedeutend und hielt nicht lange an, doch für die Legionen war die Arbeit, Entwässerungsstollen auszuheben und, was schon im Freien schwer ist, Erde unter Tage zu bewegen, auch noch mit Verlusten verbunden. Die davon hart mitgenommenen Soldaten verfassten, auch weil man in mehreren Provinzen Ähnliches durchmachen musste, einen anonymen Brief im Namen der Heere, die den Oberbefehlshaber baten, den Personen, denen er Heere anvertrauen wolle, die Triumphabzeichen schon vorab zu verleihen. 21 (1) Über die Abstammung des Curtius Rufus, der dem Bericht einiger Autoren zufolge von einem Gladiator gezeugt wurde, möchte ich einerseits keine falschen Behauptungen aufstellen, andererseits schäme ich mich, die volle Wahrheit darzulegen. Als er erwachsen war, gehörte er zum Gefolge des Quästors, dem Africa zugefallen war. Während er in der Stadt Adrumetum in den über Mittag menschenleeren Säulenhallen die Zeit für sich allein verbrachte, erschien ihm eine übermenschlich große weibliche Gestalt, und es war der Ruf zu hören: „Du bist es, Rufus, der in diese Provinz als Prokonsul kommen wird.“ (2) Dank dieser Prophezeiung machte er sich große Hoffnungen und erreichte nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt durch die finanzielle Unterstützung seiner Freunde und zugleich durch seine aus-

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    praeturam principis suffragio adsequitur, cum hisce verbis Tiberius dedecus natalium eius velavisset: ‘Curtius Rufus videtur mihi ex se natus.’ (3) longa post haec senecta, et adversus superiores tristi adulatione, adrogans minoribus, inter pares difficilis, consulare imperium, triumphi insignia ac postremo Africam obtinuit; atque ibi defunctus fatale praesagium implevit. 22 (1) Interea Romae, nullis palam neque cognitis mox causis, Cn. Nonius eques Romanus ferro accinctus reperitur in coetu salutantum principem. nam postquam tormentis dilaniabatur, de se non i conscios non edidit, incertum an occultans. (2) Isdem consulibus P. Dolabella censuit spectaculum gladiatorum per omnes annos celebrandum pecunia eorum, qui quaesturam adipiscerentur. (3) apud maiores virtutis id praemium fuerat, cunctisque civium, si bonis artibus fiderent, licitum petere magistratus; ac ne aetas quidem distinguebatur, quin prima iuventa consulatum et dictaturas inirent. (4) sed quaestores regibus etiam tum imperantibus instituti sunt, quod lex curiata ostendit ab L. Bruto repetita. mansitque consulibus potestas deligendi, donec eum quoque honorem populus mandaret. creatique primum Valerius Potus et Aemilius Mamercus sexagesimo tertio anno post Tarquinios exactos, ut rem militarem comitarentur. (5) dein gliscentibus negotiis duo additi, qui Romae curarent. mox duplicatus numerus, stipendiaria iam Italia et accedentibus provinciarum vectigalibus. (6) post lege Sullae viginti creati supplendo senatui, cui iudicia tradiderat. et quamquam equites iudicia recuperavissent, quaestura tamen ex dignitate candidatorum aut facilitate tribuentium gratuito concedebatur, donec sententia Dolabellae velut venundaretur. 23 (1) A. VITELLIO L. VIPSANO consulibus cum de supplendo senatu agitaretur primoresque Galliae, quae Comata appellatur, foedera et civitatem Romanam pridem adsecuti, ius adipiscendorum in urbe honorum expeterent, multus ea super re variusque rumor. (2) et studiis diversis apud principem

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    geprägte Begabung die Quästur und dann trotz vornehmer Bewerber dank der Empfehlung des Princeps die Prätur, wobei Tiberius die Schande seiner Geburt mit folgenden Worten verschleiert hatte: „Curtius Rufus scheint mir von sich selbst abzustammen.“ (3) Danach wurde er sehr alt, legte höher stehenden Personen gegenüber eine widerwärtige Kriecherei an den Tag, war für Untergebene arrogant, unter Gleichgestellten schwierig, erhielt die Befehlsgewalt eines Konsuls, die Triumphabzeichen und zuletzt noch Africa; dort starb er und erfüllte damit die schicksalhafte Prophezeiung.20 22 (1) Inzwischen traf man in Rom, ohne dass Gründe dafür ersichtlich waren und später bekannt wurden, den römischen Ritter Cn. Nonius mit einem Dolch bewaffnet in der Menschenmenge an, die dem Princeps ihre Aufwartung machte. Denn als man ihn auf der Folter zerfleischte, leugnete er seine Person betreffend nicht, gab aber keine Mitwisser preis, wobei unklar blieb, ob er sie verschwieg. (2) Unter den gleichen Konsuln beantragte P. Dolabella, ein Gladiatorenspiel alljährlich auf Kosten der Personen zu veranstalten, die die Quästur erreichten. (3) Bei den Vorfahren war dies der Lohn für Tüchtigkeit gewesen, und allen Bürgern war es erlaubt, wenn sie ihren besonderen Fähigkeiten vertrauten, sich um Ämter zu bewerben. Nicht einmal auf das Alter kam es an: Schon ganz jung konnte man Konsulat und Diktaturen bekleiden. (4) Aber die Quästoren wurden sogar noch während der Königsherrschaft eingesetzt, wie das Kuriatgesetz zeigt, das von L. Brutus erneuert wurde.21 Dabei blieb den Konsuln die Befugnis, sie auszuwählen, bis auch dieses Ehrenamt das Volk verlieh. Gewählt wurden zuerst Valerius Potitus und Aemilius Mamercus im 63. Jahr nach der Vertreibung der Tarquinier mit dem Auftrag, das Kriegswesen zu betreuen.22 (5) Als dann die Aufgaben zunahmen, ernannte man zwei zusätzliche, die in Rom tätig sein sollten. Bald wurde ihre Zahl verdoppelt, weil Italien nun schon abgabenpflichtig war und Einnahmen aus den Provinzen hinzukamen. (6) Später wurden durch ein Gesetz Sullas zwanzig Männer zur Erweiterung des Senats gewählt, dem er die Rechtsprechung übertragen hatte. Und obwohl die Ritter die Rechtsprechung zurückerhalten hatten, wurde die Quästur dennoch nach der Würde der Bewerber oder aus Gefälligkeit von den verleihenden Personen umsonst vergeben, bis sie dann durch den Antrag Dolabellas gleichsam zum Kauf feilgeboten wurde. 23 (1) Als man unter den Konsuln A. VITELLIUS und L. VIPSTANUS (48 n. Chr.) über die Erweiterung des Senats beriet und führende Persönlichkeiten der sogenannten Gallia Comata, die schon vor langer Zeit Verträge und das römische Bürgerrecht bekommen hatten, um das Vorrecht nachsuchten, in der Hauptstadt Ehrenämter zu erhalten, kam es darüber zu einem ausführlichen und kontroversen Disput. (2) Und so wurde mit entgegengesetzter Zielsetzung

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    certabatur, adseverantium non adeo aegram Italiam, ut senatum suppeditare urbi suae nequiret. suffecisse olim indigenas consanguineis populis, nec paenitere veteris rei publicae. quin adhuc memorari exempla, quae priscis moribus ad virtutem et gloriam Romana indoles prodiderit. (3) an parum quod Veneti et Insubres curiam inruperint, nisi coetus alienigenarum velut captivitas inferatur? quem ultra honorem residuis nobilium, aut si quis pauper e Latio senator foret? (4) oppleturos omnia divites illos, quorum avi proavique hostilium nationum duces exercitus nostros ferro vique ceciderint, divum Iulium apud Alesiam obsederint. recentia haec: quid si memoria eorum oreretur, qui Capitolio et are Romana manibus eorundem prostrati s? fruerentur sane vocabulo civitatis: insignia patrum, decora magistratuum ne vulgarent. 24 (1) His atque talibus haud permotus princeps et statim contra disseruit et vocato senatu ita exorsus est: ‘maiores mei, quorum antiquissimus Clausus origine Sabina simul in civitatem Romanam et in familias patriciorum adscitus est, hortantur uti paribus consiliis in re publica capessenda, transferendo huc quod usquam egregium fuerit. (2) neque enim ignoro Iulios Alba, Coruncanios Camerio, Porcios Tusculo, et ne vetera scrutemur, Etruria Lucaniaque et omni Italia in senatum adscitos, postremo ipsam ad Alpes promotam, ut non modo singuli viritim, sed terrae, gentes in nomen nostrum coalescerent. (3) tunc solida domi quies; et adversus externa floruimus, cum Transpadani in civitatem recepti, cum specie deductarum per orbem terrae legionum additis provincialium validissimis fesso imperio subventum est. num paenitet Balbos ex Hispania nec minus insignes viros e Gallia Narbonensi transivisse? manent posteri eorum nec amore in hanc patriam nobis concedunt. (4) quid aliud exitio

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    in Anwesenheit des Princeps23 dagegen angekämpft durch Mitglieder, die darauf bestanden, Italien sei noch nicht so krank, dass es für seine eigene Hauptstadt keinen Senat mehr stellen könne. Einst hätten geborene Römer den blutsverwandten Völkerschaften24 genügt, und man brauche die alte Republik nicht zu bedauern. Sogar jetzt erinnere man sich noch an die Vorbilder, die mit den altehrwürdigen Sitten in Hinsicht auf Tüchtigkeit und Ruhm römisches Wesen hervorgebracht habe. (3) Oder reiche es etwa nicht, dass Veneter und Insubrer in die Kurie eingebrochen seien, falls nun nicht auch noch durch einen Haufen zusammengelaufener Fremder sozusagen der Zustand einer eroberten Stadt hereingebracht werde? Welches Ehrenamt bleibe denn noch für die übrig gebliebenen Adligen oder für den Fall, dass irgendein armer Mann aus Latium Senator werde? (4) Alle Posten besetzten die bekannten reichen Zeitgenossen, deren Groß- und Urgroßväter als Anführer feindlicher Völker unsere Heere mit Waffengewalt niedergemetzelt, den vergöttlichten Julius bei Alesia belagert hätten. Jüngeren Datums seien diese Vorfälle. Was aber sei die Folge, wenn die Erinnerung an die Personen wieder auflebe, die nach der Einnahme des Kapitols und der Burg von Rom durch die Hände derselben Leute niedergestreckt worden seien? Sie dürften selbstverständlich die Bezeichnung „Bürgerrecht“ genießen; die Abzeichen der Väter, die schmückenden Attribute der Amtsträger sollten sie nicht zum Gemeingut machen dürfen! 24 (1) Durch Ausführungen wie diese ließ sich der Princeps nicht beeindrucken und wandte sich sofort dagegen; dann berief er den Senat ein und begann folgendermaßen:25 „Meine Vorfahren, deren ältester, Clausus, ein gebürtiger Sabiner, zugleich in die römische Bürgerschaft und in die Familien der Patrizier aufgenommen wurde, bestärken mich darin, bei der Staatsführung nach den gleichen Grundsätzen zu verfahren, nämlich hierher zu übernehmen, was irgendwo hervorragend war. (2) Weiß ich doch genau, dass die Julier aus Alba, die Coruncanier aus Camerium, die Porcier aus Tusculum und, um nicht nur die ferne Vergangenheit zu untersuchen, andere aus Etrurien, Lukanien und ganz Italien in den Senat aufgenommen wurden, dass schließlich das Land selbst bis zu den Alpen hin vorgeschoben wurde, sodass nicht nur Einzelpersonen Mann für Mann, sondern Länder und Völker zu unserem Namen zusammenwuchsen.26 (3) Damals herrschte zu Hause völlige Ruhe; auch nach außen hin waren wir sehr erfolgreich, als die Transpadaner in die Bürgerschaft aufgenommen wurden, als unter dem Vorwand, die Legionen über die ganze Erde zu führen,27 die kampfkräftigsten Provinzialen einbezogen wurden und man auf diese Weise dem erschöpften Reich zu Hilfe kam. Bedauern wir es etwa, dass die Balbi aus Spanien und nicht weniger bedeutende Männer aus Gallia Narbonensis herübergekommen sind? Noch leben ihre Nachkommen und stehen uns in Liebe zu diesem Vaterland in nichts nach. (4) Was sonst

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    Lacedaemoniis et Atheniensibus fuit, quamquam armis pollerent, nisi quod victos pro alienigenis arcebant? at conditor nostri Romulus tantum sapientia valuit, ut plerosque populos eodem die hostes, dein cives habuerit. advenae in nos regnaverunt; libertinorum filiis magistratus mandare non, ut plerique falluntur, repens, sed priori populo factitatum est. (5) at cum Senonibus pugnavimus: scilicet Vulsci et Aequi numquam adversam nobis aciem instruxere. capti a Gallis sumus: sed et Tuscis obsides dedimus et Samnitium iugum subiimus. (6) ac tamen, si cuncta bella recenseas, nullum breviore spatio quam adversus Gallos confectum: continua inde ac fida pax. iam moribus artibus adfinitatibus nostris mixti aurum et opes suas inferant potius quam separati habeant. (7) omnia, patres conscripti, quae nunc vetustissima creduntur, nova fuere: plebei magistratus post patricios, Latini post plebeios, ceterarum Italiae gentium post Latinos. inveterascet hoc quoque, et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit.’ 25 (1) Orationem principis secuto patrum consulto primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt. datum id foederi antiquo, et quia soli Gallorum fraternitatis nomen cum populo Romano usurpant. (2) Isdem diebus in numerum patriciorum adscivit Caesar vetustissimum quemque e senatu aut quibus clari parentes fuerant, paucis iam reliquis familiarum, quas Romulus maiorum et L. Brutus minorum gentium appellaverant, exhaustis etiam quas dictor Caesar lege Cassia et princeps Augustus lege Senia sublegere; laetaque haec in rem publicam munia multo gaudio censoris inibantur. (3) famosos probris quonam modo senatu depelleret anxius, mitem et recens repertam quam ex severitate prisca rationem adhibuit, monendo, secum quisque de se consultaret peteretque ius exuendi ordinis: facilem eius rei veniam; et motos senatu excusatosque simul propositurum, ut iudicium censorum ac pudor sponte cedentium permixta ignominiam mollirent.

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    führte zum Untergang der Lakedämonier und Athener trotz ihrer militärischen Überlegenheit, als dass sie die Besiegten als Ausländer ausschlossen? Doch unser Stammvater Romulus war derart weise, dass er sehr viele Völker noch am gleichen Tag als Feinde, dann als Mitbürger behandelte. Zuwanderer herrschten als Könige über uns; den Söhnen von Freigelassenen Ämter anzuvertrauen war nicht, wie sehr viele fälschlich annehmen, etwas ganz Neues, sondern wurde schon früher vom Volk häufig so gehandhabt. (5) ‚Aber mit den Senonen haben wir doch gekämpft.‘ Natürlich haben Volsker und Äquer niemals ein feindliches Heer gegen uns aufgestellt! ‚Erobert wurden wir von den Galliern.‘ Aber auch den Etruskern haben wir Geiseln gestellt und sind unter dem Joch der Samniten hindurchgezogen.28 (6) Und dennoch wurde, wenn man alle Kriege durchgeht, keiner in kürzerer Zeit beendet als der gegen die Gallier29; seitdem herrscht andauernder und sicherer Friede. Schon sind sie durch Gewohnheiten, Fähigkeiten und Verschwägerung mit uns vermischt und sollten deshalb ihr Gold und ihren Reichtum lieber hereinbringen als für sich allein besitzen. (7) Alles, versammelte Väter, was man jetzt für uralt hält, war einmal neu: plebejische Amtsträger nach den patrizischen, latinische nach den plebejischen, solche aus den übrigen Völkern Italiens nach den latinischen. Auch dieses Verfahren hier wird gang und gäbe werden, und was wir heute mit Vorbildern verteidigen, wird zu den Vorbildern gehören.“ 25 (1) Durch den auf die Rede des Princeps folgenden Senatsbeschluss erhielten zuerst die Äduer das Recht, in der Hauptstadt Senatoren zu werden.30 Zu verdanken war das dem alten Bündnis und weil sie als einzige Gallier den Titel „Brüder des römischen Volkes“ führen. (2) In den gleichen Tagen nahm der Caesar unter die Patrizier die Männer auf, die dem Senat am längsten angehörten oder berühmte Eltern gehabt hatten. Denn es waren damals nur noch wenige Familien übrig, die Romulus als zu den großen und L. Brutus zu den kleinen Geschlechtern gehörig bezeichnet hatten, und diejenigen waren auch schon zusammengeschmolzen, die der Diktator Caesar nach dem cassischen und der Princeps Augustus nach dem saenischen Gesetz31 als Ersatz dazugenommen hatten; und diese für den Staat erfreulichen Maßnahmen wurden zur großen Freude des Zensors32 getroffen. (3) In Verlegenheit, wie er übel beleumundete Personen aus dem Senat ausschließen könne, wandte er lieber ein nachsichtiges und neu erfundenes als auf alter Strenge beruhendes Verfahren an, indem er dazu aufforderte, jeder solle mit sich selbst zurate gehen und um das Recht nachsuchen, seinen Stand abzulegen. Leicht werde die Erlaubnis dafür erteilt, und er werde die Mitglieder, die aus dem Senat ausgeschlossen worden seien und die sich selbst entschuldigt hätten, zusammen bekannt geben, damit die Vermischung der nach dem Urteil der Zensoren und der aus Ehrgefühl freiwillig ausscheidenden Personen die Schande mildere.

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    (4) ob ea Vipsanus consul rettulit patrem senatus appellandum esse Claudium: quippe promiscum patris patriae cognomentum; nova in rem publicam merita non usitatis vocabulis honoranda. sed ipse cohibuit consulem ut nimium adsentantem. (5) condiditque lustrum, quo censa sunt civium quinquagies novies centena octoginta quattuor milia septuaginta duo. isque illi finis inscitiae erga domum suam fuit: haud multo post flagitia uxoris noscere ac punire adactus, ut deinde ardesceret in nuptias incestas. 26 (1) Iam Messalina facilitate adulterorum in fastidium versa ad incognitas libidines profluebat, cum abrumpi dissimulationem etiam Silius, [sive] fatali vaecordia an imminentium periculorum remedium ipsa pericula ratus, urgebat: (2) quippe non eo ventum, ut senecta principis opperiretur. insontibus innoxia consilia, flagitii manifestis subsidium ab audacia petendum. adesse conscios paria metuentes. se caelibem, orbum, nuptiis et adoptando Britannico paratum. mansuram eandem Messalinae potentiam, addita securitate, si praevenirent Claudium, ut insidiis incautum, ita irae properum. (3) segniter eae voces acceptae, non amore in maritum, sed ne Silius summa adeptus sperneret adulteram scelusque inter ancipitia probatum veris mox pretiis aestimaret. nomen tamen matrimonii concupivit ob magnitudinem infamiae, cuius apud prodigos novissima voluptas est. nec ultra exspectato, quam dum sacrificii gratia Claudius Ostiam proficisceretur, cuncta nuptiarum sollemnia celebrat. 27 Haud sum ignarus fabulosum visum iri tantum ullis mortalium securitatis fuisse in civitate omnium gnara et nihil reticente, nedum consulem designatum cum uxore principis, praedicta die, adhibitis qui obsignarent, velut suscipiendorum liberorum causa convenisse, atque illam audisse auspicum verba, subisse , sacrificasse apud deos; discubitum inter convivas, oscula complexus, noctem denique actam licentia coniugali. sed nihil compositum miraculi causa, verum audita scriptaque senioribus trado.

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    (4) Aus diesem Grund beantragte der Konsul Vipstanus, Claudius „Vater des Senats“ zu nennen. Der Beiname „Vater des Vaterlands“ sei ja fast schon alltäglich; neue Verdienste für das Gemeinwesen müssten mit ungebräuchlichen Begriffen geehrt werden. Aber Claudius wies den Konsul persönlich zurück, da er zu viel des Guten tue. (5) Dann veranstaltete er das Reinigungsopfer, in dessen Rahmen 5 984 072 Bürger gezählt wurden.33 Das bedeutete auch das Ende der Ahnungslosigkeit über sein eigenes Haus: Nicht viel später wurde er dazu gebracht, die Schandtaten seiner Frau zur Kenntnis zu nehmen und zu bestrafen – um anschließend Feuer für eine blutschänderische Ehe34 zu fangen. 26 (1) Schon hatte Messalina, weil ihr die Ehebrüche so leicht gemacht wurden, keine Lust mehr darauf und ließ sich zu bis dahin unbekannten Exzessen hinreißen, da drängte auch Silius darauf, die Verstellung sofort aufzugeben, in schicksalhaftem Aberwitz oder in der Überzeugung, für drohende Gefahren seien gerade Gefahren ein Gegenmittel. (2) Man sei ja noch nicht an dem Punkt angelangt, auf das Alter des Princeps warten zu müssen. Für Unschuldige sei Pläneschmieden ungefährlich, wer dagegen ein offensichtliches Verbrechen vorhabe, müsse Unterstützung in Verwegenheit suchen. Sie hätten Komplizen, die das gleiche Schicksal zu befürchten hätten. Er sei unverheiratet, kinderlos, zur Hochzeit und Adoption des Britannicus bereit. Messalina werde ihre einflussreiche Stellung behalten und zusätzlich Sicherheit gewinnen, wenn sie Claudius zuvorkämen, der genauso wenig mit einem Anschlag rechne, wie er schnell in Wut gerate. (3) Nur zurückhaltend wurden diese Äußerungen aufgenommen, nicht aus Liebe zum Ehemann, sondern damit Silius nicht, wenn er sein höchstes Ziel erreicht habe, die Ehebrecherin verstoße und das nur in einer gefährlichen Situation gutgeheißene Verbrechen später nicht seinem tatsächlichen Wert entsprechend beurteile. Dennoch wünschte sie unbedingt die Bezeichnung „Ehe“ wegen des hohen Grads ihres schändlichen Verhaltens, der für Menschen, die alles im Überfluss genießen können, den letzten Reiz bildet. Sie wartete nur noch, bis Claudius eines Opfers wegen nach Ostia aufbrach, und feierte dann die Hochzeit mit allem Pomp. 27 Ich weiß ganz genau, dass es undenkbar erscheinen muss, irgendwelche Sterblichen hätten sich derart sicher gefühlt in einer Bürgerschaft, die alles weiß und nichts verschweigt, und schon gar nicht dass ein designierter Konsul mit der Ehefrau eines Princeps an einem vorherbestimmten Tag unter Beiziehung von Zeugen, so als ob sie Kinder aufziehen wollten, zusammenkam und dass diese Frau den Worten der Trauzeugen zuhörte, das Eheversprechen gab, vor den Göttern opferte; dass man sich mit Gästen zu Tisch begab, Küsse und Umarmungen tauschte, schließlich die Nacht verbrachte, wie es nur Eheleuten erlaubt ist. Aber nichts davon ist um einer Wundererzählung willen erfunden; ich gebe nur weiter, was ältere Leute gehört und aufgeschrieben haben.

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    28 (1) Igitur domus principis inhorruerat, maximeque quos penes potentia et, si res verterentur, formido, non iam secretis conloquiis, sed aperte fremere, dum histrio cubiculum principis insultaverit, dedecus quidem inlatum, sed excidium procul afuisse: nunc iuvenem nobilem dignitate forma, vi mentis ac propinquo consulatu maiorem ad spem accingi; nec enim occultum, quid post tale matrimonium superesset. (2) subibat sine dubio metus reputantes hebetem Claudium et uxori devinctum multasque mortes iussu Messalinae patratas. rursus ipsa facilitas imperatoris fiduciam dabat, si atrocitate criminis praevaluissent, posse opprimi, damnatam ante quam ream; sed in eo discrimen verti, si defensio audiretur, utque clausae aures etiam confitenti forent. 29 (1) Ac primo Callistus, iam mihi circa necem Caesaris narratus, et Appianae caedis molitor Narcissus flagrantissimaque eo in tempore gratia Pallas agitavere, num Messalinam secretis minis depellerent amore Silii, cuncta alia dissimulantes. (2) dein metu, ne ad perniciem ultro traherentur, desistunt, Pallas per ignaviam, Callistus prioris quoque regiae peritus et potentiam cautis quam acribus consiliis tutius haberi: perstitit Narcissus, id solum immutans, ne quo sermone praesciam criminis et accusatoris faceret. (3) ipse ad occasiones intentus, longa apud Ostiam Caesaris mora, duas paelices, quarum is corpori maxime insueverat, largitione ac promissis et uxore deiecta plus potentiae ostentando perpulit delationem subire. 30 (1) Exim Calpurnia (id paelici nomen), ubi datum secretum, genibus Caesaris provoluta nupsisse Messalinam Silio exclamat; simul Cleopatram, quae [idem] opperiens adstabat, an idem comperisset interrogat, atque illa adnuente cieri Narcissum postulat. (2) is veniam in praeteritum petens, quod Titios, Vettios, Plautios dimulavisset, nec nunc adulteria obiecturum ait,

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    28 (1) Deshalb hatte das Haus des Princeps Entsetzen gepackt, am meisten die Personen, die Einfluss besaßen und die sich, falls die Situation umschlug, fürchten mussten; sie entrüsteten sich nicht mehr nur in heimlichen Gesprächen, sondern offen darüber, solange ein Schauspieler35 im Schlafzimmer des Princeps herumgetanzt sei, habe ihm das zwar Schande eingetragen, aber mit Untergang nichts zu tun gehabt. Jetzt aber sei es ein vornehmer junger Mann, der sich dank seiner würdevollen Erscheinung, seinen Geistesgaben und dem bevorstehenden Konsulat zu einer höheren Hoffnung rüste; es sei ja kein Geheimnis, was nach einer derartigen Hochzeit noch zu erwarten sei. (2) Es beschlich sie zweifellos Angst, wenn sie an den stumpfsinnigen und seiner Frau verfallenen Claudius und die vielen Morde dachten, die auf Befehl Messalinas verübt worden waren. Andererseits gab ihnen gerade die leichte Beeinflussbarkeit des Oberbefehlshabers die Zuversicht, falls sie sich mit der ungeheuerlichen Beschuldigung durchsetzen könnten, könne sie gestürzt werden, verurteilt sein, bevor sie angeklagt war; aber gefährlich werde es dann, wenn ihre Verteidigung Gehör finde, und seine Ohren müssten für sie sogar verschlossen sein, wenn sie ein Geständnis ablege. 29 (1) Zuerst überlegten Callistus, von dem ich schon in Zusammenhang mit der Ermordung C. Caesars erzählt habe, Narcissus, der hinter dem Mord an Appius steckte, und der zu dieser Zeit in geradezu glühender Gunst stehende Pallas, ob sie Messalina mit versteckten Drohungen von ihrer Liebe zu Silius abbringen sollten, wobei sie alle übrigen Vorfälle verheimlichen wollten.36 (2) Dann kamen sie aus Furcht davor, ihrerseits ins Verderben hineingezogen zu werden, davon ab, Pallas aus Feigheit, Callistus, weil er auch die frühere Hofhaltung kannte und wusste, dass man eine einflussreiche Stellung sicherer mit vorsichtigen als mit rigorosen Ratschlägen hält. Nur Narcissus beharrte darauf mit der einzigen Änderung, sie nicht durch eine Unterredung von der Beschuldigung und dem Ankläger vorab in Kenntnis zu setzen. (3) Er selbst lauerte auf günstige Gelegenheiten, und während des langen Aufenthalts des Caesars in Ostia brachte er zwei Konkubinen, mit deren Körper dieser am vertrautesten war, durch Geschenke, Versprechungen und den Hinweis, mit dem Sturz der Ehefrau wachse ihr Einfluss, dazu, die Anzeige zu übernehmen. 30 (1) Daraufhin warf sich Calpurnia – so hieß die Konkubine –, sobald ihr ein Stelldichein gewährt wurde, dem Caesar zu Füßen und rief, Messalina habe Silius geheiratet; zugleich fragte sie Kleopatra, die abwartend in der Nähe stand, ob sie das Gleiche erfahren habe, und auf deren Bestätigung hin verlangte sie, Narcissus holen zu lassen. (2) Der bat um Verzeihung für die Vergangenheit, weil er Männer wie Titius, Vettius, Plautius verschwiegen habe, und sagte, er wolle ihr auch jetzt die Ehebrüche nicht zum Vorwurf machen,

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    ne domum servitia et ceteros fortunae paratus reposceret: frueretur immo his, ed redderet uxorem rumperetque tabulas nuptiales. ‘an discidium’ inquit ‘tuum nosti? nam matrimonium Silii vidit populus et senatus et miles; ac ni propere agis, tenet urbem maritus.’ 31 (1) Tum potissimos amicorum vocat, primumque rei frumentariae praefectum Turranium, post Lusium Getam praetorianis impositum percunctatur. quis fatentibus certim ceteri circumstrepunt, iret in castra, firmaret praetorias cohortes, securitati ante quam vindictae consuleret. satis constat eo pavore offusum Claudium, ut identidem interrogaret, an ipse imperii potens, an Silius privatus esset. (2) At Messalina non alias solutior luxu, adulto autumno simulacrum vindemiae per domum celebrabat. urgeri prela, fluere lacus; et feminae pellibus accinctae adsultabant ut sacrificantes vel insanientes Bacchae; ipsa crine fluxo thyrsum quatiens, iuxtaque Silius hedera vinctus, gerere cothurnos, iacere caput, strepente circum procaci choro. (3) ferunt Vettium Valentem, lascivia in praealtam arborem conisum, interrogantibus quid aspiceret, respondisse tempestatem ab Ostia atrocem, sive coeperat ea species, seu forte lapsa vox in praesagium vertit. 32 (1) Non rumor interea, sed undique nuntii incedunt, qui gnara Claudio cuncta et venire promptum ultioni adferrent. igitur Messalina Lucullanos in hortos, Silius dissimulando metum ad munia fori digrediuntur. ceteris passim dilabentibus adfuere centuriones, inditaque sunt vincla, ut quis reperiebatur in publico aut per latebras. (2) Messalina tamen, quamquam res adversae consilium eximerent, ire obviam et aspici a marito, quod saepe subsidium habuerat, haud segniter intendit, misitque ut Britannicus et Octavia in complexum patris pergerent. et Vibidiam, virginum Vestalium vetustissimam, oravit pontifici maximi aures adire, clementiam expetere. (3) atque interim tribus omnino comitantibus – id repente solitudinis erat – spatium urbis pedibus emensa, vehiculo, quo purgamenta hortorum ecipiuntur,

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    geschweige denn Haus, Dienerschaft und die übrigen mit seiner Stellung verbundenen Annehmlichkeiten zurückfordern: Genießen solle er ruhig diese Vorzüge, aber die Ehefrau zurückgeben und den Ehevertrag zerreißen. „Oder weißt du etwa“, sagte er, „von deiner Scheidung? Denn die Eheschließung mit Silius haben Volk, Senat und Soldaten miterlebt; und wenn du nicht schleunigst handelst, hat ihr Ehemann die Hauptstadt in der Hand.“ 31 (1) Daraufhin ließ er seine einflussreichsten Freunde kommen und befragte an erster Stelle den Leiter der Getreideversorgung Turranius, dann Lusius Geta, den Kommandanten der Prätorianer. Als diese die Angaben bestätigten, schrien alle anderen um die Wette, er solle in die Kaserne gehen, sich der Prätorianerkohorten versichern, mehr auf Sicherheit als auf Rache bedacht sein. Es ist verbürgt, dass Claudius von einer derartigen Panik überschüttet wurde, dass er immer wieder fragte, ob er selbst noch an der Herrschaft oder Silius noch Privatmann sei. (2) Doch Messalina genoss ihr verschwenderisches Leben nie zügelloser und feierte mitten im Herbst ein Weinlesespiel im ganzen Haus. Man presste die Keltern, es floss in den Fässern; und Frauen tanzten, mit Fellen umgürtet, wie opfernde oder rasende Bacchantinnen. Sie selbst schwang mit fliegenden Haaren den Thyrsus und neben ihr Silius, mit Efeu bekränzt, sie trugen Kothurne, warfen den Kopf hin und her, und um sie herum lärmte ein frecher Chor.37 (3) Man erzählt sich, Vettius Valens sei ausgelassen auf einen sehr hohen Baum geklettert und habe auf die Frage, was er sehen könne, geantwortet, ein fürchterliches Unwetter von Ostia her, mag sein, dass sich dieses Phänomen abzeichnete oder dass eine zufällige Bemerkung zu einer Prophezeiung wurde. 32 (1) Kein Gerücht war es in der Zwischenzeit mehr, sondern von überall her kamen Boten mit der Nachricht daher, Claudius wisse alles und komme zur Rache entschlossen. Deshalb begab sich Messalina in den lucullischen Park, Silius, um seine Angst zu verbergen, zu seinen Geschäften auf dem Forum. Während sich der Rest in alle Richtungen davonmachen wollte, waren die Zenturionen schon da und legten sie in Fesseln, wie man den Einzelnen gerade fand, in der Öffentlichkeit oder in Verstecken. (2) Messalina jedoch entschloss sich, obwohl Unglück die klare Überlegung raubt, unverzüglich ihrem Ehemann entgegenzugehen und vor Augen zu treten, was ihr schon oft geholfen hatte, und schickte einen Boten, Britannicus und Octavia sollten sich schnell in die Arme ihres Vaters auf den Weg machen. Auch bat sie Vibidia, die dienstälteste Vestalische Jungfrau, sich beim obersten Pontifex Gehör zu verschaffen und um Nachsicht zu bitten. (3) Inzwischen ging sie mit nur mehr drei Begleitern – so einsam war es plötzlich um sie geworden – zu Fuß durch die ganze Hauptstadt und fuhr dann auf einem Karren, auf dem man Garten-

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    Ostiensem viam intrat, nulla cuiusquam misericordia, quia flagitiorum deformitas praevalebat. 33 Trepidabatur nihilo minus a Caesare: quippe Getae praetorii praefecto haud satis fidebant, ad honesta seu prava iuxta levi. ergo Narcissus adsumptis quibus idem metus, non aliam spem incolumitatis Caesari adfirmat, quam si ius militum uno illo die in aliquem libertorum transferret, seque offert suscepturum. ac ne, dum in urbem vehitur, ad paenitentiam a L. Vitellio et Largo Caecina mutaretur, in eodem gestamine sedem poscit sumitque. 34 (1) Crebra posthac fama fuit, inter diversas principis voces, cum modo incusaret flagitia uxoris, aliquando ad memoriam coniugii et infantiam liberorum revolveretur, non aliud prolocutum Vitellium quam ‘o facinus! o scelus!’. instabat quidem Narcissus aperire ambages et veri copiam facere; sed non ideo pervicit, quin suspensa et quo ducerentur inclinatura responderet exemploque eius Largus Caecina uteretur. (2) et iam erat in aspectu Messalina clamitabatque audiret Octaviae et Britannici matrem, cum obstrepere accusator, Silium et nuptias referens; simul codicillos libidinum indices tradidit, quis visus Caesaris averteret. (3) nec multo post urbem ingredienti offerebantur communes liberi, nisi Narcissus amoveri eos iussisset. Vibidiam depellere nequivit, quin multa cum invidia flagitaret, ne indefensa coniunx exitio daretur. igitur auditurum principem et fore diluendi criminis facultatem respondit: iret interim virgo et sacra capesseret. 35 (1) Mirum inter haec silentium Claudi, tellius ignaro propior: omnia liberto oboediebant. patefieri domum adulteri atque illuc deduci imperatorem iubet. ac primum in vestibulo effigiem patris Silii consulto senatus abolitam demonstrat, tum quicquid avitum Neronibus et Drusis in pretium probri cessisse.

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    abfälle auflädt, auf der Straße nach Ostia, ohne bei jemand Mitleid zu finden, weil ihre abscheulichen Schandtaten mehr ins Gewicht fielen. 33 Angst herrschte nichtsdestoweniger beim Caesar. Denn dem Prätorianerkommandanten Geta traute man nicht so recht, weil er zu anständigem Verhalten genauso leicht zu bewegen war wie zu schlechtem. Deshalb zog Narcissus die Leute hinzu, die sich genauso fürchten mussten, und betonte, dem Caesar bleibe keine andere Hoffnung, heil davonzukommen, als die Befehlsgewalt über die Soldaten an diesem einen Tag einem Freigelassenen zu übertragen, und erklärte sich selbst zur Übernahme bereit. Und damit Claudius nicht während seiner Fahrt in die Hauptstadt von L. Vitellius und Largus Caecina zum Umdenken bewegt werden konnte, verlangte er einen Platz in derselben Sänfte und nahm ihn ein. 34 (1) Immer wieder wurde später erzählt, während der widersprüchlichen Äußerungen des Princeps, der sich bald über das schändliche Treiben seiner Frau beklagte, dann wieder auf die Erinnerung an seine Ehe und seine unmündigen Kinder zu sprechen kam, habe Vitellius nur herausgebracht: „Was für eine Schandtat, was für ein Verbrechen!“ Narcissus drängte ihn zwar, die zweideutige Aussage38 klarzustellen und seine tatsächliche Auffassung erkennen zu lassen; aber er erreichte damit nicht mehr als Antworten, die alles in der Schwebe ließen und dahin neigten, wo man sie haben wollte, und Largus Caecina schloss sich seinem Vorbild an. (2) Und schon war Messalina in Sichtweite und rief laut, er solle Octavias und Britannicusʼ Mutter anhören, da protestierte ihr Ankläger entschieden dagegen, indem er auf Silius und die Hochzeit verwies; zugleich überreichte er ein schriftliches Verzeichnis ihrer Exzesse, mit dem er die Blicke des Caesars ablenkte. (3) Und nicht viel später sollten ihm beim Betreten der Hauptstadt die gemeinsamen Kinder präsentiert werden, wenn sie Narcissus nicht hätte wegbringen lassen. Vibidia konnte er nicht davon abhalten, höchst vorwurfsvoll zu verlangen, die Gattin nicht ohne Verteidigung dem Untergang auszuliefern. Deshalb antwortete er, der Princeps werde sie anhören, und es werde eine Gelegenheit geben, die Beschuldigung aus der Welt zu schaffen; die Jungfrau solle in der Zwischenzeit gehen und sich um ihren Gottesdienst kümmern. 35 (1) Erstaunlich war währenddessen das Schweigen des Claudius, Vitellius glich eher einem Ahnungslosen: Alles gehorchte dem Freigelassenen. Der ließ das Haus des Ehebrechers aufsperren und den Oberbefehlshaber dorthin geleiten. Und zuerst zeigte er im Vorraum das Bildnis von Siliusʼ Vater, dessen Entfernung durch Senatsbeschluss angeordnet worden war, dann die gesamten Erbstücke der Nerones und Drusi, die den Lohn für die Schandtat gebildet hätten.39

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    (2) incensumque et ad minas erumpentem castris infert, parata contione militum; apud quos praemonente Narcisso pauca verba fecit: nam etsi iustum dolorem pudor impediebat. continuus dehinc cohortium clamor nomina reorum et poenas flagitantium; admotusque Silius tribunali non defensionem, non moras temptavit, precatus ut mors adceleraretur. (3) eadem constantia et inlustres equites Romani ** cupido maturae necis fuit. et Titium Proculum, custodem a Silio Messalinae datum et indicium offerentem, Vettium Valentem confessum et Pompeium Urbicum ac Saufeium Trogum ex consciis tradi ad supplicium iubet. Decrius quoque Calpurnianus vigilum praefectus, Sulpicius Rufus ludi procurator, Iuncus Vergilianus senator eadem poena adfecti. 36 (1) Solus Mnester cunctationem attulit, dilaniata veste clamitans, aspiceret verberum notas, reminisceretur vocis, qua se obnoxium iussis Messalinae dedisset: aliis largitione aut spei magnitudine, sibi ex necessitate culpam; nec cuiquam ante pereundum fuisse, si Silius rerum poteretur. (2) commotum his et pronum ad misericordiam Caesarem perpulere liberti, ne tot inlustribus viris interfectis histrioni consuleretur: sponte an coactus tam magna peccavisset, nihil referre. (3) ne Trauli quidem Montani equitis Romani defensio recepta est. is modesta iuventa, sed corpore insigni, accitus ultro noctemque intra unam a Messalina proturbatus erat, paribus lasciviis ad cupidinem et fastidia. (4) Suillio Caesonino et Plautio Laterano mors remittitur, huic ob patrui egregium meritum; Caesoninus vitiis protectus est, tamquam in illo foedissimo coetu passus muliebria. 37 (1) Interim Messalina Lucullanis in hortis prolatare vitam, componere preces, nonnulla spe et aliquando ira: tantum inter extrema superbiae gebat. ac ni caedem eius Narcissus properavisset, verterat pernicies in accusatorem. (2) nam Claudius domum regressus et tempestivis epulis

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    (2) Den hellauf empörten und in Drohungen ausbrechenden Claudius brachte er dann in die Kaserne, wo eine Versammlung der Soldaten vorbereitet war. Vor ihnen verlor er nach einer vorhergehenden Ansprache des Narcissus nur wenige Worte; denn seine wahrlich berechtigte Entrüstung auszudrücken verhinderte die Scham. Darauf folgte ein anhaltendes Geschrei der Kohorten, die die Namen der Angeklagten und ihre Bestrafung verlangten; Silius wurde vor das Tribunal geführt und versuchte keine Verteidigung, keine Hinhaltetaktik, sondern bat nur, dass man sich mit seinem Tod beeile. (3) Die gleiche Standhaftigkeit zeigten auch vornehme römische Ritter … sie hatten nur den Wunsch nach einer schnellen Hinrichtung. Und so ließ er Titius Proculus, der von Silius Messalina als Bewacher zugeordnet worden war und eine Aussage anbot, Vettius Valens, der ein Geständnis abgelegt hatte, Pompeius Urbicus und Saufeius Trogus aus dem Kreis der Verschwörer hinrichten. Auch der Feuerwehrkommandant Decrius Calpurnianus, der Verwalter einer Gladiatorenkaserne Sulpicius Rufus und der Senator Iuncus Vergilianus erlitten die gleiche Strafe. 36 (1) Einzig Mnester sorgte für eine Verzögerung, indem er sein Gewand zerriss und rief, er solle einen Blick auf die Striemen von den Schlägen werfen und sich an sein Wort erinnern, mit dem er ihn den Befehlen Messalinas ausgeliefert habe. Andere hätten sich durch Bestechung oder die Größe ihrer Hoffnung schuldig gemacht, er aus Zwang, und keiner hätte früher sterben müssen, wenn Silius an die Macht gekommen wäre. (2) Den davon beeindruckten und zur Nachsicht neigenden Caesar bestürmten die Freigelassenen, nach der Hinrichtung so vieler vornehmer Männer nicht einen Schauspieler zu verschonen: Ob er freiwillig oder gezwungenermaßen derart schwere Verbrechen begangen habe, spiele keine Rolle. (3) Nicht einmal die Verteidigung des römischen Ritters Traulus Montanus wurde angenommen. Dieser, ein bescheidener, aber sehr gut aussehender junger Mann, war von Messalina ohne sein Zutun zitiert und noch während der einen Nacht wieder davongejagt worden, weil sie gleich hemmungslos in ihrer sexuellen Gier wie im Überdruss war. (4) Suillius Caesoninus und Plautius Lateranus erließ man die Todesstrafe, dem einen wegen der außerordentlichen Verdienste seines Onkels38; Caesoninus wurde durch sein unmoralisches Verhalten geschützt, da er in dieser völlig verkommenen Gesellschaft nur die Behandlung als Frau über sich ergehen lassen hatte. 37 (1) Inzwischen versuchte Messalina im lucullischen Park ihr Lebensende hinauszuschieben, verfasste ein Gesuch, mit ziemlicher Zuversicht und dann wieder voller Wut: So viel Hochmut zeigte sie noch in ihrer aussichtslosen Lage. Und wenn Narcissus ihre Hinrichtung nicht vorangetrieben hätte, hätte sich das Verderben gegen den Ankläger gewandt. (2) Denn Claudius

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    delenitus, ubi vino incaluit, iri iubet nuntiarique miserae (hoc enim verbo usum ferunt) dicendam ad causam postera die adesset. quod ubi auditum et languescere ira, redire amor ac, si cunctarentur, propinqua nox et uxorii cubiculi memoria timebantur, prorumpit Narcissus denuntiatque centurionibus et tribuno, qui aderat, exsequi caedem: ita imperatorem iubere. custos et exactor e libertis Euodus datur. (3) isque raptim in hortos praegressus repperit fusam humi, adsidente matre Lepida, quae florenti filiae haud concors, supremis eius necessitatibus ad miserationem evicta erat suadebatque, ne percussorem opperiretur: transisse vitam neque aliud quam morti decus quaerendum. (4) sed animo per libidines corrupto nihil honestum inerat; lacrimaeque et questus inriti ducebantur, cum impetu venientium pulsae fores adstititque tribunus per silentium, at libertus increpans multis et servilibus probris. 38 (1) Tunc primum fortunam suam introspexit ferrumque accepit, quod frustra iugulo aut pectori per trepidationem admovens ictu tribuni transigitur. corpus matri concessum. (2) nuntiatumque Claudio epulanti perisse Messalinam, non distincto sua an aliena manu; nec ille quaesivit, poposcitque poculum et solita convivio celebravit. (3) ne secutis quidem diebus odii gaudii, irae tristitiae, ullius denique humani adfectus signa dedit, non cum laetantes accusatores adspiceret, non cum filios maerentes. iuvitque oblivionem eius senatus censendo nomen et effigies privatis ac publicis locis demovendas. (4) decreta Narcisso quaestoria insignia, levissimum fastidio eius, cum super Pallantem et Callistum ageret *** honesta quidem, sed ex quis deterrima orerentur tristitia multis.

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    war in sein Haus zurückgekehrt und nach einem frühzeitigen Mahl in milder Stimmung, und als ihm der Wein zu Kopf stieg, befahl er, hinzugehen und der armen Frau – diesen Ausdruck soll er gebraucht haben – mitzuteilen, sie solle am nächsten Tag erscheinen, um sich zu verteidigen. Als man das hörte und die Wut zu verrauchen, die Liebe zurückzukehren begann und, falls man zögere, die nahe Nacht und die Erinnerung an das Schlafzimmer seiner Ehefrau zu fürchten waren, stürzte Narcissus hinaus und gab den Zenturionen und dem anwesenden Tribun die Weisung, die Hinrichtung zu vollziehen; so befehle es der Oberbefehlshaber. Als Aufsicht und Verantwortlicher wurde der Freigelassene Euodus bestellt. (3) Der eilte rasch in den Park voraus und traf sie auf den Boden gesunken an; bei ihr saß ihre Mutter Lepida, die sich mit ihrer Tochter in deren guten Tagen nicht vertragen hatte, in ihrer höchsten Not aber vom Mitleid überwältigt worden war und ihr zuredete, nicht auf den Henker zu warten; ihr Leben sei vorbei, und sie dürfe jetzt nichts anderes suchen als einen Tod in Würde. (4) Aber in der von den Exzessen verdorbenen Person steckte kein Funken Ehre. Tränen wurden vergossen und nutzlose Klagen geführt, da stürmten die Soldaten heran und drückten die Tür auf; der Tribun stand schweigend vor ihr, doch der Freigelassene überschüttete sie mit vielen bei Sklaven üblichen Schimpfwörtern. 38 (1) Da begriff sie zum ersten Mal den Ernst ihrer Lage und nahm den Dolch in die Hand. Während sie ihn vor Zittern vergeblich an Kehle oder Brust setzte, wurde sie von dem Tribun erstochen. Den Leichnam überließ man ihrer Mutter. (2) Man meldete Claudius noch bei Tisch, Messalina sei umgekommen, ohne darauf einzugehen, ob von eigener oder fremder Hand. Er fragte seinerseits nicht danach, verlangte nach einem Becher und feierte wie bei einem Gelage üblich weiter. (3) Nicht einmal in den folgenden Tagen ließ er irgendwelche Anzeichen von Hass oder Freude, Wut oder Trauer, letztlich von irgendeiner menschlichen Regung erkennen, nicht wenn er ihre Ankläger voller Freude, nicht wenn er ihre Kinder in ihrem Kummer erblickte. Seine Vergesslichkeit förderte der Senat durch den Beschluss, Name und Bilder seien von privaten und öffentlichen Plätzen zu entfernen. (4) Für Narcissus wurden die Abzeichen eines Quästors beschlossen, eine Belanglosigkeit bei seiner Einbildung, wo er sich doch als Pallas und Callistus überlegen aufführte … ehrenvoll zwar, aber daraus sollten sich ganz fürchterliche Folgen und Leid für viele ergeben.

    LIBER DUODECIMUS 1 (1) Caede Messalinae convulsa principis domus, orto apud libertos certamine, quis deligeret uxorem Claudio, caelibis vitae intoranti et coniugum imperiis obnoxio. nec minore ambitu feminae exarserant: suam quaeque nobilitatem formam opes contendere ac digna tanto matrimonio ostentare. (2) sed maxime ambigebatur inter Lolliam Paulinam M. Lollii consularis et Iuliam Agrippinam Germanico genitam: huic Pallas, illi Callistus fautores aderant; at Aelia Paetina e familia Tuberonum Narcisso fovebatur. ipse huc modo, modo illuc, ut quemque suadentium audierat, promptus, discordantes in consilium vocat ac promere sententiam et adicere rationes iubet. 2 (1) Narcissus vetus matrimonium, filiam communem (nam Antonia ex Paetina erat), nihil in penatibus eius novum disserebat, si sueta coniunx rediret, haudquaquam novercalibus odiis visura Britannicum Octaviam, proxima suis pignora. (2) Callistus improbatam longo discidio, ac si rursum adsumeretur, eo ipso superbam; longeque rectius Lolliam induci, quando nullos liberos genuisset, vacuam aemulatione et privignis parentis loco futuram. (3) at Pallas id maxime in Agrippina laudare, quod Germanici nepotem secum traheret: dignum prorsus imperatoria fortuna stirpem nobilem et familiae Claudiaeque posteros coniungere; et ne femina expertae fecunditatis, integra iuventa, claritudinem Caesarum aliam in domum ferret. 3 (1) Praevaluere haec adiuta Agrippinae inlecebris, etenim per speciem necessitudinis crebro ventitando pellicit patruum, ut praelata ceteris et nondum uxor potentia uxoria iam uteretur. (2) nam ubi sui matrimonii certa fuit, struere maiora nuptiasque Domitii, quem ex Cn. Ahenobarbo genuerat, et Octaviae Caesaris filiae moliri; quod sine scelere perpetrari non poterat,

    Buch XII 1 (1) Durch die Ermordung Messalinas wurde das Haus des Princeps aufs schwerste erschüttert. Denn unter den Freigelassenen entstand darüber eine Auseinandersetzung, wer eine Ehefrau für Claudius aussuchen dürfe, weil er ein eheloses Leben nicht aushalte und von den Befehlen seiner Gemahlinnen abhängig sei. Aber die Frauen brannten nicht weniger vor Ehrgeiz: Jede stellte ihre vornehme Abkunft, ihre Schönheit und ihren Besitz heraus und machte deutlich, dass diese Gegebenheiten einer solch hohen Ehe würdig seien. (2) Aber am meisten schwankte man zwischen Lollia Paulina, der Enkelin des ehemaligen Konsuls M. Lollius, und Iulia Agrippina, der Tochter des Germanicus. Die eine hatte Pallas, die andere Callistus zum Fürsprecher; doch Aelia Paetina aus der Familie der Tuberones wurde von Narcissus favorisiert. Persönlich neigte er bald hierhin, bald dorthin, je nachdem, welchen Ratgeber er gerade gehört hatte, berief deshalb die Streithähne zu einer Besprechung und ließ sie ihre Auffassung vortragen und Begründungen vorbringen. 2 (1) Narcissus verwies auf die frühere Ehe1, die gemeinsame Tochter – denn Antonia hatte er mit Paetina – und darauf, dass man sich in seinem Haus auf keine Neuerungen einstellen müsse, falls die vertraute Gattin zurückkehre; sie werde keinesfalls mit stiefmütterlichen Hassgefühlen Britannicus und Octavia ansehen, Unterpfänder der Liebe, so gut wie eigene Kinder. (2) Callistus meinte, sie komme wegen der langen Trennungszeit nicht mehr infrage, und falls man sie wieder zurücknehme, werde sie gerade deshalb hochmütig sein; weitaus richtiger sei es, Lollia hereinzuholen, die, weil sie keine Kinder geboren habe, frei von Eifersucht und ihren Stiefkindern wie eine Mutter sein werde. (3) Pallas wiederum lobte am meisten an Agrippina, dass sie einen Enkel des Germanicus mitbringe; durch und durch der Stellung eines Oberbefehlshabers würdig sei der adlige Sprössling und vereine in seiner Person die Nachkommen der julischen und claudischen Familie. Auch dürfe die Frau, deren Fruchtbarkeit nachgewiesen sei, bei ihrer noch uneingeschränkten Jugend2 die erlauchte Abkunft der Caesaren nicht in ein anderes Haus tragen. 3 (1) Die Oberhand gewannen diese Argumente, weil sie durch die Verführungskünste der Agrippina unterstützt wurden; unter dem Vorwand der Verwandtschaft ging sie nämlich ständig ein und aus und umgarnte den Onkel, sodass sie allen anderen vorgezogen wurde und, obwohl sie noch nicht seine Ehefrau war, dennoch schon die Macht einer Ehefrau ausübte. (2) Denn sobald sie sich ihrer eigenen Ehe sicher war, legte sie den Grund für Höheres und leitete die Verehelichung des Domitius, den sie Cn. Ahenobarbus geboren hatte, mit Octavia, der Tochter des Caesars, in die Wege. Dieses Vorhaben konnte sie

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    quia L. Silano desponderat Octaviam Caesar iuvenemque et alia clarum insigni triumphalium et gladiatorii muneris magnificentia protulerat ad studia vulgi. sed nihil arduum videbatur in animo principis, cui non iudicium, non odium erat nisi indita et iussa. 4 (1) Igitur Vitellius, nomine censoris serviles fallacias obtegens ingruentiumque dominationum provisor, quo gratiam Agrippinae pararet, consiliis eius implicari, ferre crimina in Silanum, cui sane decora et procax soror, Iunia Calvina, haud multum ante Vitellii nurus fuerat. (2) hinc initium accusationis; fratrumque non incestum, sed incustoditum amorem ad infamiam traxit. et praebebat Caesar aures, accipiendis adversus generum suspicionibus caritate filiae promptior. (3) at Silanus, insidiarum nescius ac forte eo anno praetor, repente per edictum Vitellii ordine senatorio movetur, quamquam lecto pridem senatu lustroque condito. simul adfinitatem Claudius diremit, adactusque Silanus eiurare magistratum, et reliquus praeturae dies in Eprium Marcellum conlatus est. 5 (1) C. POMPEIO Q. VERANIO consulibus pactum inter Claudium et Agrippinam matrimonium iam fama, iam amore inlicito firmabatur; necdum celebrare sollemnia nuptiarum audebant, nullo exemplo deductae in domum patrui fratris filiae: quin et incestum, ac si sperneretur, ne in malum publicum erumperet, metuebatur. (2) nec ante omissa cunctatio, quam Vitellius suis artibus id perpetrandum sumpsit. percunctatusque Caesarem, an iussis populi, an auctoritati senatus cederet, ubi ille unum se civium et consensui imparem respondit, opperiri intra Palatium iubet. (3) ipse curiam ingreditur, summamque rem publicam agi obtestans veniam dicendi ante alios exposcit orditurque: gravissimos principis labores, quis orbem terrae capessat, egere adminiculis, ut domestica

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    ohne Verbrechen nicht umsetzen, weil der Caesar Octavia mit L. Silanus verlobt und den ohnehin schon angesehenen jungen Mann durch die Verleihung der Triumphabzeichen und die Pracht eines Gladiatorenspiels beim Volk sehr beliebt gemacht hatte. Aber nichts schien schwierig bei der Wesensart eines Princeps, der keine Urteilsfähigkeit, keinen Hass kannte, wenn man sie ihm nicht eingab und befahl. 4 (1) Deshalb ließ sich Vitellius, der hinter dem Titel des Zensors die intriganten Verhaltensweisen eines Sklaven verbarg und die bevorstehenden Gewaltherrschaften vorhersah, um die Gunst Agrippinas zu gewinnen, in ihre Pläne einbinden und verbreitete Vorwürfe gegen Silanus, dessen zugegebenermaßen hübsche und aufreizende Schwester Iunia Calvina nicht lange vorher Vitellius’ Schwiegertochter gewesen war. (2) Das war der Ausgangspunkt für die Anklage: Er legte die nicht inzestuöse, aber unvorsichtige Zuneigung zwischen den Geschwistern als schändliches Verhalten aus. Und der Caesar lieh ihm sein Ohr, weil er für die Verdächtigungen gegen den Schwiegersohn aus Liebe zu seiner Tochter allzu empfänglich war. (3) Doch Silanus, der von den hinterhältigen Machenschaften keine Ahnung hatte und zufällig in diesem Jahr Prätor war, wurde überraschend durch ein Edikt des Vitellius aus dem Senatorenstand ausgeschlossen, obwohl die Überprüfung des Senats schon längst abgeschlossen war und das Sühnopfer stattgefunden hatte.3 Gleichzeitig löste Claudius die Verlobung, Silanus wurde dazu genötigt, seinem Amt abzuschwören,4 und man übertrug den verbliebenen Tag seiner Prätur auf Eprius Marcellus. 5 (1) Unter den Konsuln C. POMPEIUS und Q. VERANIUS (49 n. Chr.) wurde die zwischen Claudius und Agrippina vereinbarte Ehe nun schon durch das Gerede der Leute, schon durch die unerlaubte Liebesbeziehung bestätigt. Dennoch wagten sie es noch nicht, die Vermählung feierlich zu begehen, da es keinen Präzedenzfall dafür gab, dass die Tochter des Bruders in das Haus ihres Onkels heimgeführt wird; das sei ja sogar Blutschande, und falls man sich darüber hinwegsetze, fürchtete man, es werde zu einem öffentlichen Unglück ausschlagen. (2) Und die Bedenken stellte man erst zurück, als Vitellius es in die Hand nahm, mit seinen eigenen Methoden die Angelegenheit zu Ende zu führen: Er fragte den Caesar, ob er sich den Befehlen des Volks, ob der Autorität des Senats fügen wolle, und als der antwortete, er sei nur einer von den Bürgern und könne einer einheitlichen Auffassung nichts entgegensetzen, befahl er ihm, im Palatium zu warten. (3) Er selbst ging in die Kurie, verlangte mit der Beteuerung, es handle sich um eine Angelegenheit von höchster politischer Bedeutung, die Erlaubnis, vor den anderen das Wort zu ergreifen, und begann: Die überaus beschwerlichen Aufgaben des Princeps, mit denen er sich der gesamten Welt annehme, bedürften der Unterstützung, damit er sich

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    cura vacuus in commune consulat. quod porro honestius censoriae mentis levamenum quam adsumere coniugem, prosperis dubiisque sociam, cui cogitationes intimas, cui parvos liberos tradat, non luxui aut voluptatibus adsuefactus, sed qui prima ab iuventa legibus obtemperavisset. 6 (1) Postquam haec favorabili oratione praemisit multaque patrum adsentatio sequebatur, capto rursus initio, quando maritandum principem cuncti suaderent, deligi oportere feminam nobilitate puerperiis sanctimonia insignem. nec diu anquirendum quin Agrippina claritudine generis anteiret; datum ab ea fecunditatis experimentum et congruere artes honestas. (2) id vero egregium, quod provisu deum vidua iungeretur principi sua tantum matrimonia experto. audivisse a parentibus, vidisse ipsos abripi coniuges ad libita Caesarum: procul id a praesenti modestia. statueretur immo documentum, quo uxorem imperator acciperet. (3) at enim nova nobis in fratrum filias coniugia: sed aliis gentibus sollemnia neque lege ulla prohibita; et sobrinarum diu ignorata tempore addito percrebuisse. morem accommodari, prout conducat, et fore hoc quoque in iis quae mox usurpentur. 7 (1) Haud defuere qui certatim, si cunctaretur Caesar, vi acturos testificantes erumperent curia. conglobatur promisca multitudo populumque Romanum eadem orare clamitat. (2) nec Claudius ultra exspectato obvius apud forum praebet se gratantibus, senatumque ingressus decretum postulat, quo iustae inter patruos fratrumque filias nuptiae etiam in posterum statuerentur. nec tamen repertus est nisi unus talis matrimonii cupitor, Alledius Severus eques Romanus, quem plerique Agrippinae gratia impulsum ferebant. (3) Versa ex eo civitas et cuncta feminae oboediebant, non per lasciviam, ut Messalina, rebus Romanis inludenti. adductum et quasi virile servitium: palam severitas

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    frei von familiären Sorgen um das Gemeinwohl kümmern könne. Welche Erleichterung sei nun aber für die Gemütsverfassung eines Zensors anständiger, als eine Ehefrau zu nehmen, eine Gefährtin in erfolgreichen und unsicheren Tagen, der er seine geheimsten Gedanken, der er seine kleinen Kinder anvertrauen könne, ein Mann, der nicht an Wohlleben oder sinnliche Genüsse gewöhnt sei, sondern von frühester Jugend an nur den Gesetzen gehorcht habe? 6 (1) Nachdem er dies in einer gewinnenden Rede vorausgeschickt hatte und eine breite Zustimmung der Väter erfolgte, fing er nochmals an: Nachdem alle dazu rieten, der Princeps solle heiraten, müsse man eine Frau aussuchen, die sich durch vornehme Abkunft, Kindersegen und untadlige Lebensführung auszeichne. Man müsse nicht lange nachforschen, dass Agrippina dank der Vornehmheit ihrer Familie an erster Stelle stehe; von ihr sei der Nachweis der Fruchtbarkeit erbracht worden, und dazu passe ihr moralisch einwandfreies Verhalten. (2) Das ganz Besondere sei aber, dass sie durch göttliche Vorsehung als Witwe eine Verbindung mit einem Princeps eingehe, der nur mit seinen eigenen Ehen Erfahrungen gemacht habe.5 Er habe von seinen Eltern gehört und sie hätten es selbst erlebt, dass Ehefrauen für die Gelüste der Caesaren mit Gewalt weggenommen wurden; das liege der aktuell gezeigten Zurückhaltung fern. Man solle also ein Musterbeispiel schaffen, dem zufolge der Oberbefehlshaber seine Gemahlin von den Vätern erhalte. (3) – „Aber bei uns sind doch Ehen mit Töchtern von Brüdern etwas Unerhörtes.“ – Jedoch bei anderen Völkern seien sie selbstverständlich und durch kein Gesetz verboten; auch die Ehen zwischen Geschwisterkindern, die man lange nicht kannte, seien mit der Zeit häufig geworden. Der Brauch passe sich den jeweiligen Bedürfnissen an, und auch diese Neuerung werde zu den Verhaltensweisen gehören, die bald allgemein üblich seien. 7 (1) Es fehlte nicht an Senatoren, die um die Wette beteuerten, falls der Caesar zögere, würden sie Gewalt anwenden, und aus der Kurie stürzten. Eine bunte Menschenmenge lief zusammen und rief wiederholt, das römische Volk habe die gleiche Bitte. (2) Auch Claudius wartete nun nicht mehr länger, sondern ließ sich unterwegs auf dem Forum beglückwünschen. Dann ging er in den Senat und beantragte einen Beschluss, dem zufolge Heiraten zwischen Onkeln und Töchtern von Brüdern auch zukünftig als rechtmäßig erklärt werden sollten. Dennoch fand sich nur ein einziger Anwärter auf eine solche Ehe, der römische Ritter Alledius Severus, von dem es allgemein hieß, Agrippina zuliebe habe er sich dazu bewegen lassen. (3) Als Folge davon veränderte sich das Gemeinwesen grundlegend, und alles gehorchte einer Frau, die nicht mutwillig wie Messalina mit dem römischen Staat ihr Spiel trieb. Straff angezogen und sozusagen männlich war die Knechtschaft: In der Öffentlich-

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    ac saepius superbia; nihil domi impudicum, nisi dominationi expediret. cupido auri immensa obtentum habebat, quasi subsidium regno pararetur. 8 (1) Die nuptiarum Silanus mortem sibi conscivit, sive eo usque spem vitae produxerat, seu delecto die augendam ad invidiam. Calvina soror eius Italia pulsa est. addidit Claudius sacra ex legibus Tulli regis piaculaque apud lucum Dianae per pontifices danda, inridentibus cunctis, quod poenae procurationesque incesti id temporis exquirerentur. (2) at Agrippina, ne malis tantum facinoribus notesceret, veniam exilii pro Annaeo Seneca, simul praeturam impetrat, laetum in publicum rata ob claritudinem studiorum eius, utque Domitii pueritia tali magistro adolesceret et consiliis eiusdem ad spem dominationis uterentur, quia Seneca fidus in Agrippinam memoria beneficii et infensus Claudio dolore iniuriae credebatur. 9 (1) Placitum dehinc non ultra cunctari, sed designatum consulem Mammium Pollionem ingentibus promissis inducunt sententiam expromere, qua oraretur Claudius despondere Octaviam Domitio, quod aetati utriusque non absurdum et maiora patefacturum erat. (2) Pollio haud disparibus verbis ac nuper Vitellius censet; despondeturque Octavia, ac super priorem necessitudinem sponsus iam et gener Domitius aequari Britannico studiis matris, arte eorum, quis ob accusatam Messalinam ultio ex filio timebatur. 10 (1) Per idem tempus legati Parthorum ad expetendum, ut rettuli, Meherdaten missi senatum ingrediuntur mandataque in hunc modum incipiunt: non se foederis ignaros nec defectione a familia Arsacidarum venire, sed [et] filium Vononis, nepotem Phraatis accersere adversus dominationem Gotarzis nobilitati plebique iuxta intolerandam. iam fratres, iam propinquos, iam longius sitos caedibus exhaustos; adici coniuges gravidas, liberos parvos, dum socors domi, bellis infaustus ignaviam saevitia tegat. (2) veterem sibi ac publice coeptam

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    keit zeigte sie Strenge und noch häufiger Hochmut; im Haus kam es nur dann zu unmoralischem Verhalten, wenn es der Alleinherrschaft diente. Ihre unermessliche Geldgier hatte zum Vorwand, damit werde für das Königtum ein Bollwerk errichtet. 8 (1) Am Tag der Hochzeit wählte Silanus den Freitod, sei es dass er bis dahin immer noch die Hoffnung aufrechterhalten hatte, weiterleben zu können, oder dass er den Tag aussuchte, um den Unmut zu steigern. Seine Schwester Calvina wurde aus Italien vertrieben. Zusätzlich ließ Claudius Opfer nach den Vorschriften des Königs Tullus darbringen und Sühnehandlungen im Hain der Diana durch die Pontifices vollziehen, wobei alle darüber spotteten, dass man Strafen und Sühnemittel für Blutschande ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hervorsuche. (2) Doch Agrippina setzte, um nicht nur durch schlechte Taten aufzufallen, die Aufhebung der Verbannung für Annaeus Seneca und zugleich die Prätur durch in der Überzeugung, darüber freue sich die Öffentlichkeit wegen der Berühmtheit seiner literarischen Arbeiten; auch solle der junge Domitius unter einem solchen Lehrer aufwachsen, und sie könnten die Ratschläge dieses Mannes für ihre Hoffnung auf die Alleinherrschaft nützen. Denn man glaubte, Seneca sei Agrippina in Erinnerung an ihr Entgegenkommen treu ergeben und Claudius aus Erbitterung über die ungerechte Behandlung6 feindlich gesinnt. 9 (1) Man beschloss hierauf, nicht mehr länger abzuwarten, sondern brachte den designierten Konsul Mammius Pollio mit riesigen Versprechungen dazu, den Antrag zu stellen, Claudius solle gebeten werden, Octavia mit Domitius zu verloben; das war im Hinblick auf beider Alter nicht unangemessen und dazu angetan, den Weg für höhere Ziele freizumachen. (2) Pollio stellte den Antrag mit ganz ähnlichen Worten wie kurz zuvor Vitellius; Octavia wurde verlobt, und über die bestehende Verwandtschaft hinaus7 wurde Domitius, nun auch noch Bräutigam und Schwiegersohn, Britannicus gleichgestellt, auf Betreiben seiner Mutter und durch die Machenschaften der Personen, die wegen der Anklage gegen Messalina die Rache vonseiten ihres Sohns fürchteten. 10 (1) Zur gleichen Zeit kamen Gesandte der Parther, die, wie berichtet,8 geschickt worden waren, um Meherdates zu erbitten, in den Senat und begannen mit ihren Aufträgen folgendermaßen: Nicht in Unkenntnis des Vertragsverhältnisses und nicht nach einem Abfall von der Familie der Arsaciden kämen sie, sondern sie wollten den Sohn des Vonones, den Enkel des Phraates holen gegen die Gewaltherrschaft des Gotarzes, die für Adel wie Volk gleich unerträglich sei. Schon seien seine Brüder, schon seine Verwandten, schon ferner stehende Personen durch Morde beseitigt. An die Reihe kämen nun schwangere Ehefrauen und kleine Kinder, weil er, unfähig zu Hause, in Kriegen erfolglos, sein Versagen durch Grausamkeit zu überdecken versuche. (2) Eine nun schon lange dauernde und offiziell geschlossene Freundschaft

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    nobiscum amicitiam, et subveniendum sociis virium aemulis cedentibusque per reverentiam. ideo regum liberos obsides dari, ut, si domestici imperii taedeat, sit regressus ad principem patresque, quorum moribus adsuefactus rex melior adscisceretur. 11 (1) Ubi haec atque talia dissertavere, incipit orationem Caesar de fastigio Romano Parthorumque obsequiis, seque divo Augusto adaequabat, petitum ab eo regem referens, omissa Tiberii memoria, quamquam is quoque miserat. (2) addidit praecepta (etenim aderat Meherdates), ut non dominationem et servos, sed rectorem et cives cogitaret, clementiamque ac iustitiam, quanto ignota barbaris, tanto laetiora capesseret. (3) hinc versus ad legatos extollit laudibus alumnum urbis, spectatae ad id modestiae: ac tamen ferenda regum ingenia, neque usui crebras mutationes. rem Romanam huc satietate gloriae provectam, ut externis quoque gentibus quietem velit. datum posthac C. Cassio, qui Syriae praeerat, deducere iuvenem ripam ad Euphratis. 12 (1) Ea tempestate Cassius ceteros praeminebat peritia legum: nam militares artes per otium ignotae, industriosque aut ignavos pax in aequo tenet. ac tamen, quantum sine bello dabatur, revocare priscum morem, exercitare legiones, cura provisu perinde agere, ac si hostis ingrueret: ita dignum maioribus suis et familia Cassia per illas quoque gentes celebrata. (2) igitur excitis quorum de sententia petitus rex, positisque castris apud Zeugma, unde maxime pervius amnis, postquam inlustres Parthi rexque Arabum Acbarus advenerat, monet Meherdaten barbarorum impetus acres cunctatione languescere aut in perfidiam mutari: ita urgueret coepta. (3) quod spretum fraude Acbari, qui iuvenem ignarum et summam fortunam in luxu ratum multos per dies attinuit apud oppidum Edessam. et vocante Carene promptasque res ostentante, si citi

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    bestehe mit uns, und man solle Verbündeten zu Hilfe kommen, die an Kräften ebenbürtig seien und uns nur aus Respekt den Vortritt ließen. Aus dem Grund stelle man Königskinder als Geiseln, dass man, falls man der einheimischen Herrschaft überdrüssig sei, Zuflucht beim Princeps und den Vätern finden und einen an deren Lebensweise gewöhnten, besseren König bekommen könne. 11 (1) Nachdem sie dies und dergleichen ausgeführt hatten, begann der Caesar seine Rede mit einem Hinweis auf die römische Überlegenheit und den Gehorsam der Parther und stellte sich auf eine Stufe mit dem vergöttlichten Augustus, indem er darauf verwies, man habe von ihm einen König erbeten, aber es unterließ, Tiberius zu erwähnen, obwohl auch der einen geschickt hatte.9 (2) Er schloss als Verhaltensmaßregeln an – Meherdates war nämlich anwesend –, er solle nicht in den Begriffen Gewaltherrschaft und Sklaven, sondern Führerpersönlichkeit und Bürger denken und Milde und Gerechtigkeit üben, die den Barbaren zwar unbekannt, dafür aber umso willkommener seien. (3) Anschließend wandte er sich an die Gesandten und lobte den Pflegesohn der Hauptstadt überschwänglich, der bis zu diesem Zeitpunkt ein Muster an Bescheidenheit gewesen sei. Trotzdem müsse man die Eigenarten von Königen hinnehmen, und häufiger Wechsel sei nicht von Vorteil. Der römische Staat habe sein Bedürfnis nach Ruhm derart gestillt, dass er auch fremden Völkern Frieden wünsche. Danach bekam C. Cassius, der in Syrien das Kommando hatte, den Auftrag, den jungen Mann ans Euphratufer zu geleiten. 12 (1) Zu dieser Zeit übertraf Cassius alle Zeitgenossen in der Kenntnis der Gesetze; denn soldatische Fähigkeiten sind in Friedenszeiten unbekannt, und zupackende Männer oder Taugenichtse hält der Friede auf der gleichen Stufe. Und dennoch führte er, soweit sich ohne Krieg die Möglichkeit dazu bot, die althergebrachten Verhaltensweisen wieder ein, veranstaltete Manöver mit den Legionen, ließ Sorgfalt genauso wie Umsicht walten, als ob der Feind im Anrücken wäre. So hätten es seine Vorfahren und die Familie Cassia verdient, die auch bei diesen Völkern in hohem Ansehen stehe.10 (2) Deshalb rief er die Personen, auf deren Antrag hin der König erbeten worden war, zu den Waffen, schlug ein Lager bei Zeugma, von wo aus man den Strom am leichtesten überqueren kann, und wies nach der Ankunft der vornehmen Parther und des Araberkönigs Acbarus Meherdates darauf hin, dass der Feuereifer der Barbaren bei Zögern nachlasse oder in Treulosigkeit umschlage; daher solle er sein Vorhaben mit Nachdruck umsetzen. (3) Dieser Rat wurde infolge der Hinterlist des Acbarus nicht beachtet; er hielt den unerfahrenen jungen Mann, der glaubte, die höchste Stellung bedeute Wohlleben, viele Tage in der Stadt Edessa fest. Und obwohl ihn Carenes herbeirief und darlegte, alles stehe für ihn bereit, wenn sie schnell

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    advenissent, non comminus Mesopotamiam, sed flexu Armeniam petivit id temporis importunam, quia hiems occipiebat. 13 (1) Exim nivibus et montibus fessi, postquam campos propinquabant, copiis Carenis adiunguntur, tramissoque amne Tigri permeant Adiabenos, quorum rex Izates societatem Meherdatis palam induerat, in Gotarzen per occulta et magis fida inclinabat. (2) sed capta in transitu urbs Ninos, vetustissima sedes Assyriae, castellum insigne fama, quod postremo inter Darium atque Alexandrum proelio Persarum illic opes conciderant. (3) interea Gotarzes apud montem, cui nomen Sanbulos, vota dis loci suscipiebat, praecipua religione Herculis, qui tempore stato per quietem monet sacerdotes, ut templum iuxta equos venatui adornatos sistant. equi ubi pharetras telis onustas accepere, per saltus vagi nocte demum vacuis pharetris multo cum anhelitu redeunt. rursum deus, qua silvas pererraverit, nocturno visu demonstrat, reperiunturque fusae passim ferae. 14 (1) Ceterum Gotarzes, nondum satis aucto exercitu, flumine Corma pro munimento uti, et quamquam per insectationes et nuntios ad proelium vocaretur, nectere moras, locos mutare et missis corruptoribus exuendam ad fidem hostes emercari. ex quis Izates Adiabeno, mox Acbarus Arabum cum exercitu abscedunt, levitate gentili, et quia experimentis cognitum est barbaros malle Roma petere reges quam habere. (2) at Meherdates validis auxiliis nudatus, ceterorum proditione suspecta, quod unum reliquum, rem in casum dare proelioque experiri statuit. nec detrectavit pugnam Gotarzes deminutis hostibus ferox; concursumque magna caede et ambiguo eventu, donec Carenem profligatis obviis longius evectum integer a tergo globus circumveniret. (3) tum omni spe perdita Meherdates, promissa Parracis paterni clientis secutus, dolo eius vincitur traditurque victori. atque ille non propinquum neque Arsacis de gente, sed alienigenam et Romanum increpans, auribus decisis vivere iubet, ostentui

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    ankämen, zog er nicht unmittelbar nach Mesopotamien, sondern auf einem Umweg nach Armenien, das zu dieser Jahreszeit nur schwer erreichbar war, weil der Winter einsetzte. 13 (1) Als sie sich hierauf, erschöpft von Schneefällen und Bergen, dem Flachland näherten, vereinigten sie sich mit den Truppen des Carenes, setzten über den Tigrisstrom und zogen durchs Gebiet der Adiabener, deren König Izates nach außen hin in ein Bündnis mit Meherdates geschlüpft war, aber insgeheim und mit größerer Treue Gotarzes zuneigte. (2) Doch im Vorüberziehen wurde die Stadt Ninos eingenommen, die älteste Siedlung in Assyrien, und ein Kastell, das einen berühmten Namen hat, weil im letzten Gefecht zwischen Darius und Alexander dort die Macht der Perser zusammengebrochen war.11 (3) In der Zwischenzeit brachte Gotarzes auf einem Berg, der Sanbulos heißt, Gelübde für die Götter der Gegend dar, wobei besondere Verehrung Herkules genießt, der zu einem bestimmten Zeitpunkt die Priester im Schlaf auffordert, neben dem Tempel für die Jagd ausgerüstete Pferde bereitzustellen. Sobald die Pferde mit Geschossen beladene Köcher erhalten haben, streifen sie durch die Waldschluchten und kommen erst bei Nacht mit leeren Köchern heftig schnaubend zurück. Wieder zeigt der Gott in einem nächtlichen Traumgesicht, wo er durch die Wälder streifte, und überall findet man das erlegte Wild. 14 (1) Gotarzes aber nutzte, weil sein Heer noch nicht stark genug war, den Fluss Corma als Verteidigungsstellung, und obwohl man ihn mit höhnischen Worten durch Boten zum Kampf herausforderte, versuchte er Zeit zu gewinnen, wechselte die Stellungen, schickte Leute mit Bestechungsgeldern und erkaufte es so, dass die Feinde ihre Treue ablegten. Von ihnen zogen Izates mit dem adiabenischen, dann Acbarus mit dem arabischen Heer ab, in der für ihre Völker charakteristischen Unzuverlässigkeit und weil die Erfahrung lehrt, dass die Barbaren lieber von Rom Könige erbitten als behalten wollen. (2) Doch nachdem Meherdates von seinen kampfkräftigen Hilfstruppen entblößt war und den Verrat des Rests befürchten musste, beschloss er, was allein noch übrig blieb, es darauf ankommen zu lassen und im Kampf sein Glück zu versuchen. Auch Gotarzes verweigerte die Schlacht nicht, übermütig geworden durch die Schwächung der Feinde. Es kam zu einem Zusammenstoß mit einem großen Blutbad und ungewissem Ausgang, bis den Carenes, der die Feinde ihm gegenüber niedergemacht hatte und dabei zu weit vorgeprescht war, eine frische Abteilung im Rücken umging. (3) Da nun ließ Meherdates alle Hoffnung fahren und folgte den Versprechungen des Parraces, eines Klienten seines Vaters, wurde aber durch eine List dieses Mannes besiegt und dem Sieger ausgeliefert. Dieser beschimpfte ihn, er sei nicht sein Verwandter und auch nicht vom Geschlecht des Arsaces, sondern ein Ausländer und Römer und ließ ihn mit abgeschnittenen Ohren weiterleben, zum Nach-

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    clementiae suae et in nos dehonestamento. (4) dein Gotarzes morbo obiit, accitusque in regnum Vonones Medos tum praesidens. nulla huic prospera aut adversa, quis memoraretur: brevi et inglorio imperio perfunctus est, resque Parthorum in filium eius Vologaesen translatae. 15 (1) At Mithridates Bosporanus amissis opibus vagus, postquam Didium ducem Romanum roburque exercitus abisse cognoverat, relictos in novo regno Cotyn iuventa rudem et paucas cohortium cum Iulio Aquila equite Romano, spretis utrisque concire nationes, inlicere perfugas; postremo exercitu coacto regem Dandaridarum exturbat imperioque eius potitur. (2) quae ubi cognita et iam iamque Bosporum invasurus habebatur, diffisi propriis viribus Aquila et Cotys, quia Zorsines Siracorum rex hostilia resumpserat, externas et ipsi gratias quaesivere missis legatis ad Eunonen, qui Aorsorum genti praesidebat. nec fuit in arduo societas potentiam Romanam adversus rebellem Mithridaten ostentantibus. igitur pepigere, equestribus proeliis Eunones certaret, obsidia urbium Romani capesserent. 16 (1) Tunc composito agmine incedunt, cuius frontem et terga Aorsi, media cohortes et Bosporani tutabantur nostris in armis. sic pulsus hostis, ventumque Sozam, oppidum Dandaricae, quod desertum a Mithridate ob ambiguos popularium animos, obtineri relicto ibi praesidio visum. (2) exim in Siracos pergunt, et transgressi amnem Pandam circumveniunt urbem Uspen, editam loco et moenibus ac fossis munitam, nisi quod moenia non saxo, sed cratibus et vimentis ac media humo adversum inrumpentes invalida erant; eductaeque altius turres facibus atque hastis turbabant obsessos. ac ni proelium nox diremisset, coepta patrataque expugnatio eundem intra diem foret. 17 (1) Postero misere legatos, veniam liberis corporibus orantes: servitii decem milia offerebant. quod aspernati sunt victores, quia trucidare deditos saevum,

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    weis seiner Milde und für uns zur Schande. (4) Dann starb Gotarzes an einer Krankheit, und man berief Vonones, der damals über die Meder herrschte, auf den Königsthron. Er hatte keine Erfolge oder Misserfolge aufzuweisen, die ihn erwähnenswert machen würden; nur eine kurze und ruhmlose Herrschaft übte er aus, und das Reich der Parther ging auf seinen Sohn Vologaeses über. 15 (1) Doch nachdem der Bosporaner Mithridates, der nach dem Verlust seiner Macht umherzog, davon erfahren hatte, der römische Kommandeur Didius und die Kerntruppe seines Heeres seien abmarschiert und in dem neuen Königreich nur der jugendlich unerfahrene Cotys und wenige Kohorten unter dem römischen Ritter Iulius Aquila zurückgelassen worden, kümmerte er sich um beide nicht, sondern rief die Stämme zu den Waffen und lockte Überläufer auf seine Seite; nachdem er schließlich ein Heer zusammengezogen hatte, vertrieb er den König der Dandariden und bemächtigte sich seines Reichs. (2) Als das bekannt wurde und man davon ausgehen musste, er werde schon im nächsten Augenblick Bosporus angreifen, suchten Aquila und Cotys, die sich auf ihre eigenen Streitkräfte nicht verließen, weil der König der Siracer Zorsines die Feindseligkeiten wieder aufgenommen hatte, auch von sich aus freundschaftliche Beziehungen zu anderen Völkern, indem sie Gesandte zu Eunones schickten, der über den Stamm der Aorser herrschte. Ohne Schwierigkeiten kam ein Bündnis zustande, da sie gegen den Rebellen Mithridates auf die römische Macht verweisen konnten. So vereinbarten sie, Eunones solle den Kampf in Kavalleriegefechten suchen, die Belagerung von Städten dagegen sollten die Römer übernehmen. 16 (1) Dann marschierten sie mit vereinten Kräften los; deren Spitze und Rücken deckten die Aorser, die Mitte die Kohorten und die Bosporaner in unseren Waffen. So wurde der Feind geschlagen, und man kam nach Soza, eine Stadt in Dandarica, die von Mithridates geräumt worden war wegen der unzuverlässigen Haltung der Bevölkerung; man beschloss, sie zu behaupten, indem man dort eine Besatzung zurückließ. (2) Anschließend zog man gegen die Siracer, überquerte den Fluss Panda und schloss die Stadt Uspe ein, die auf einer Anhöhe gelegen und mit Mauern und Gräben befestigt war; nur waren die Mauern nicht aus Stein, sondern aus Flechtwerk und Reisig mit Erde dazwischen und hielten deshalb den Angreifern nicht stand. Höher gebaute Türme verursachten mit Fackeln und Lanzen ein Durcheinander bei den Belagerten, und wenn nicht die Nacht dem Kampf ein Ende gemacht hätte, wäre die Eroberung am gleichen Tag begonnen und abgeschlossen worden. 17 (1) Am folgenden Tag schickten sie Gesandte, die um Gnade für die freien Personen baten; aus der Sklavenschaft boten sie 10 000 an. Das lehnten die Sieger ab, weil es grausam sei, Leute, die sich ergeben hätten, abzuschlachten, aber auch äußerst schwierig, eine derartige Menschenmenge mit Wachen ein-

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    tantam multitudinem custodia cingere arduum: [ut] belli potius iure caderent. datumque militibus, qui scalis evaserant, signum caedis. (2) excidio Uspensium metus ceteris iniectus, nihil tutum ratis, cum arma munimenta, impediti vel eminentes loci, amnesque et urbes iuxta perrumpentur. igitur Zorsines, diu pensitato, Mithridatisne rebus extremis an patrio regno consuleret, postquam praevaluit gentilis utilitas, datis obsidibus apud effigiem Caesaris procubuit, magna gloria exercitus Romani, quem incruentum et victorem tridui itinere afuisse ab amne Tanai constitit. (3) sed in regressu dispar fortuna fuit, quia navium quasdam (que mari remeabant) in litora Taurorum delatas circumvenere barbari, praefecto cohortis et plerisque auxiliarium interfectis. 18 (1) Interea Mithridates nullo in armis subsidio consultat, cuius misericordiam experiretur. frater Cotys, proditor olim, deinde hostis, metuebatur; Romanorum nemo id auctoritatis aderat, ut promissa eius magni penderentur. ad Eunonen convertit, propriis odiis infensum et recens coniuncta nobiscum amicitia validum. (2) igitur cultu vultuque quam maxime ad praesentem fortunam comparato regiam ingreditur genibusque eius provolutus Mithridates’ inquit ‘terra marique Romanis per tot annos quaesitus sponte adsum: utere, ut voles, prole magni Achaemenis, quod mihi solum hostes non abstulerunt.’ 19 (1) At Eunones claritudine viri, mutatione rerum et prece haud degeneri permotus, adlevat supplicem laudatque, quod gentem Aorsorum, quod suam dextram petendae veniae delegerit. simul legatos litterasque ad Caesarem in hunc modum mittit: (2) populi Romani imperatoribus, magnarum nationum regibus primam ex similitudine fortunae amicitiam, sibi et Claudio etiam communionem victoriae esse. (3) bellorum egregios fines, quotiens ignoscendo transigatur. sic Zorsini victo nihil ereptum: pro Mithridate, quando gravius mereretur,

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    zuschließen; eher sollten sie nach Kriegsrecht fallen. So gab man den Soldaten, die schon auf die Leitern gestiegen waren, das Zeichen zum Gemetzel. (2) Durch die Vernichtung der Einwohner von Uspe wurde allen anderen Schrecken eingejagt, weil sie glaubten, nichts sei mehr sicher, da Waffen und Befestigungsanlagen, unzugängliche oder hochgelegene Plätze und Flüsse und Städte in gleicher Weise überrannt würden. Deshalb stellte Zorsines Geiseln, nachdem nach langer Überlegung, ob er sich um den in höchsten Schwierigkeiten steckenden Mithridates oder um sein ererbtes Königreich kümmern solle, der Vorteil seines Volkes den Ausschlag gab, und warf sich vor dem Bildnis des Caesars zu Boden; das bedeutete einen großen Ruhm für das römische Heer, das, soviel stand fest, ohne blutige Verluste und siegreich nur mehr drei Tagesmärsche vom Strom Don12 entfernt war. (3) Aber auf dem Rückweg war ihm das Glück nicht hold, weil ein paar Schiffe – sie fuhren nämlich auf dem Meer zurück – an die Küsten der Taurer verschlagen und von den Barbaren überfallen wurden; dabei kamen ein Kohortenkommandant und zahlreiche Auxiliarsoldaten ums Leben. 18 (1) In der Zwischenzeit überlegte Mithridates, der sich auf keine Waffen mehr stützen konnte, wessen Mitgefühl er auf die Probe stellen solle. Vor seinem Bruder Cotys, einst sein Verräter, dann sein Feind, hatte er Angst; von den Römern war kein Mann mit einer solchen Autorität anwesend, dass seine Zusagen viel bedeutet hätten: An Eunones wandte er sich, der nicht aus persönlichen Hassgefühlen heraus feindlich gesinnt und durch die kurz zuvor mit uns geschlossene Freundschaft einflussreich war. (2) Deshalb passte er sein Äußeres und sein Miene so gut wie möglich seiner augenblicklichen Lage an, ging in den Palast, warf sich ihm zu Füßen und sagte: „Ich, Mithridates, der zu Lande und zu Wasser von den Römern so viele Jahre lang Gesuchte, bin aus eigenem Entschluss da; verfahre, wie du willst, mit dem Nachkommen des großen Achaemenes, dem einzigen Besitz, den mir die Feinde nicht weggenommen haben!“ 19 (1) Eunones jedoch war von dem hohen Adel des Mannes, der Wende in seinem Schicksal und der nicht würdelosen Bitte zutiefst beeindruckt, hob den Hilfesuchenden auf und lobte ihn dafür, dass er den Stamm der Aorser, dass er seine Hand für die Bitte um Gnade ausgewählt habe. Zugleich schickte er Gesandte mit einem Schreiben folgenden Inhalts an den Caesar: (2) Die Oberbefehlshaber des römischen Volkes und die Könige bedeutender Völker schlössen in erster Linie wegen ihrer vergleichbaren Stellung Freundschaft, ihn aber verbinde mit Claudius sogar ein gemeinsamer Sieg. (3) Kriege fänden dann ein hervorragendes Ende, wenn man sie mit Verzeihen abschließe. So habe man dem besiegten Zorsines nichts gewaltsam weggenommen. Für Mithridates, der ja eine härtere Behandlung verdiene, bitte er nicht um Macht

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    non potentiam neque regnum precari, sed ne triumpharetur neve poenas capite expenderet. 20 (1) At Claudius, quamquam nobilitatibus externis mitis, dubitavit tamen, accipere captivum pacto salutis an repetere armis rectius foret. hinc dolor iniuriarum et libido vindictae adigebat: sed disserebatur contra suscipi bellum avio itinere, importuoso mari; ad hoc reges feroces, vagos populos, solum frugum egenum, taedium ex mora, pericula ex properantia, modicam victoribus laudem ac multum infamiae, si pellerentur. quin arriperet et servaret exulem, cui inopi quanto longiorem vitam, tanto plus supplicii fore. (2) his permotus scripsit Eunoni meritum quidem novissima exempla Mithridaten, nec sibi vim ad exsequendum deesse: verum ita maioribus placitum, quanta pervicacia in hostem, tanta beneficentia adversus supplices utendum; nam triumphos de populis regnisque integris adquiri. 21 Traditus posthac Mithridates vectusque Romam per Iunium Cilonem, procuratorem Ponti, ferocius quam pro fortuna disseruisse apud Caesarem ferebatur, elataque vox eius in vulgum hisce verbis: ‘non sum remissus ad te, sed reversus; vel, si non credis, dimitte et quaere.’ vultu quoque interrito permansit, cum rostra iuxta custodibus circumdatus visui populo praeberetur. consularia insignia Ciloni, Aquilae praetoria decernuntur. 22 (1) Isdem consulibus atrox odii Agrippina ac Lolliae infensa, quod secum de matrimonio principis certavisset, molitur crimina et accusatorem, qui obiceret Chaldaeos, magos interrogatumque Apollinis Clarii oraculum super nuptiis imperatoris. (2) exim Claudius inaudita rea multa de claritudine eius apud senatum praefatus, sorore L. Volusii genitam, maiorem ei patruum Cottam Messalinum esse, Memmio quondam Regulo nuptam (nam de C. Caesaris nuptiis consulto reticebat), addidit perniciosa in rem publicam consilia, et

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    und schon gar nicht um einen Königsthron, sondern dass man ihn nicht im Triumph aufführe oder mit dem Tod bestrafe. 20 (1) Doch obwohl Claudius ausländischen Aristokraten gegenüber nachsichtig war, schwankte er dennoch, ob es richtiger sei, ihn als Gefangenen unter Zusicherung des Lebens aufzunehmen oder mit Waffengewalt herzuholen. Dazu trieben ihn auf der einen Seite die Verärgerung über seine Rechtsverletzungen und das Verlangen nach Rache. Aber dagegen ließ sich anführen, man müsse einen Krieg auf sich nehmen in einem Land ohne Marschwege, auf einem Meer ohne Häfen. Dazu kämen aufsässige Könige, herumziehende Völker, ein an Feldfrüchten armer Boden, Widerwille bei Aufschub, Gefahren bei Eile, ein nur mäßiger Ruhm für die Sieger und viel Schande, wenn man geschlagen werde. Er solle ihn doch sofort packen und als Verbannten am Leben lassen; in seiner Ohnmacht werde für ihn, je länger sein Leben dauere, die Vergeltung desto schlimmer sein. (2) Davon beeindruckt, schrieb er an Eunones, Mithridates habe zwar die schwersten Strafen verdient, und ihm fehle es auch nicht an der Macht, sie zu vollstrecken. Aber die Vorfahren hätten so entschieden, man müsse genauso viel Güte gegenüber demütig Bittenden wie Unerbittlichkeit gegenüber einem Feind zeigen; denn Triumphe gewinne man nur über unangetastete Völker und Königreiche. 21 Als daraufhin Mithridates ausgeliefert und nach Rom gebracht wurde durch Iunius Cilo, den Prokurator von Pontus, erzählte man sich, er habe sich vor dem Caesar trotziger, als es seiner Lage entsprach, ausgelassen, und eine Äußerung von ihm gelangte in folgendem Wortlaut in die Öffentlichkeit: „Nicht zurückgeschickt hat man mich zu dir, sondern ich bin zurückgekommen. Oder wenn du es nicht glaubst: Lass mich doch wieder gehen und suche mich dann!“ Er behielt auch seinen unerschrockenen Gesichtsausdruck bei, als er neben der Rednerbühne, von Wachen umgeben, dem Volk zur Schau gestellt wurde. Die Abzeichen eines Konsuls wurden für Cilo, für Aquila die eines Prätors beschlossen. 22 (1) Unter denselben Konsuln suchte Agrippina, furchtbar in ihrem Hass und voller Feindseligkeit gegenüber Lollia, weil diese ihre Konkurrentin bei der Ehe mit dem Princeps gewesen war, nach Beschuldigungen und einem Ankläger, der ihr Umgang mit Chaldäern und Magiern vorwerfen sollte sowie die Befragung des Apollonorakels von Clarus wegen der Heirat mit dem Oberbefehlshaber. (2) Daraufhin begann Claudius, ohne die Angeklagte angehört zu haben, seine Rede vor dem Senat mit ausführlichen Hinweisen auf ihre vornehme Abkunft: Sie sei eine Tochter der Schwester des L. Volusius, ihr Großonkel väterlicherseits sei Cotta Messalinus, mit Memmius Regulus sei sie zuvor verheiratet gewesen – denn die Ehe mit C. Caesar verschwieg er wohlweislich; dann kam er auf ihre staatsgefährdenden Pläne zu sprechen und

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    materiem sceleri detrahendam: proin publicatis bonis cederet Italia. ita quinquagies sestertium ex opibus immensis exuli relictum. (3) et Calpurnia inlustris femina pervertitur, quia formam eius laudaverat princeps, nulla libidine, sed fortuito sermone, unde ira Agrippinae citra ultima stetit. in Lolliam mittitur tribunus, a quo ad mortem adigeretur. damnatus et lege repetundarum Cadius Rufus accusantibus Bithynis. 23 (1) Galliae Narbonensi ob egregiam in patres reverentiam datum, ut senatoribus eius provinciae non exquisita principis sententia, iure quo Sicilia haberetur, res suas invisere liceret. Ituraeique et Iudaei defunctis regibus Sohaemo atque Agrippa provinciae Syriae additi. Salutis augurium quinque et viginti annis omissum repeti ac deinde continuari placitum. (2) et pomerium urbis auxit Caesar, more prisco, quo iis, qui protulere imperium, etiam terminos urbis propagare datur. nec tamen duces Romani, quamquam magnis nationibus subactis, usurpaverant nisi L. Sulla et divus Augustus. 24 (1) Regum in eo ambitio vel gloria varie vulgata. sed initium condendi, et quod pomerium Romulus posuerit, noscere haud absurdum reor. igitur a foro boario, ubi aereum tauri simulacrum adspicimus, quia id genus animalium aratro subditur, sulcus designandi oppidi coeptus, ut magnam Herculis aram amplecteretur; inde certis spatiis interiecti lapides per ima montis Palatii ad aram Consi, mox curias veteres, tum ad sacellum Larum. (2) forumque Romanum et Capitolium non a Romulo, sed a Tito Tatio additum urbi credidere. mox pro fortuna pomerium auctum. et quos tum Claudius terminos posuerit, facile cognitu et publicis actis perscriptum. 25 (1) C. ANTISTIO M. SUILLIO consulibus adoptio in Domitium auctoritate Pallantis festinatur, qui obstrictus Agrippinae ut conciliator nuptiarum et mox stupro eius inligatus stimulabat Claudium, consuleret rei publicae, Britannici

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    darauf, dass man ihr die Mittel zu dem Verbrechen entziehen müsse. Deshalb solle sie nach der Beschlagnahme ihrer Güter aus Italien verschwinden. Auf diese Weise blieben der Verbannten nur fünf Millionen Sesterze von ihrem riesigen Vermögen. (3) Auch die vornehme Dame Calpurnia brachte man zu Fall,13 weil der Princeps ihre Schönheit gelobt hatte, ohne sexuelle Absicht, sondern in einem beiläufigen Gespräch, weshalb der Zorn Agrippinas vor dem Äußersten haltmachte. Zu Lollia schickte man einen Tribun, von dem sie zum Tod gedrängt werden sollte. Verurteilt wurde auch nach dem Gesetz über Erpressung Cadius Rufus auf eine Anklage der Bithynier hin. 23 (1) Der Gallia Narbonensis machte man wegen ihrer außerordentlichen Ehrerbietung den Vätern gegenüber das Zugeständnis, dass die Senatoren dieser Provinz, ohne die Erlaubnis des Princeps einzuholen, nach dem Recht, das für Sizilien galt, auf ihren Gütern nachsehen durften.14 Die Ituräer und Juden wurden nach dem Tod ihrer Könige Sohaemus und Agrippa der Provinz Syrien zugeschlagen. Das 25 Jahre lang ausgesetzte Augurium für das Staatswohl15 beschloss man wieder durchzuführen und beizubehalten. (2) Auch das Stadtgebiet erweiterte der Caesar der althergebrachten Sitte gemäß, nach der Personen, die das Reich vergrößert hatten, auch gestattet wurde, die Grenzen der Hauptstadt auszudehnen. Dennoch hatten es die römischen Kommandeure, obwohl bedeutende Völker unterworfen worden waren, nicht in Anspruch genommen mit Ausnahme L. Sullas und des vergöttlichten Augustus. 24 (1) Über bloßen Ehrgeiz oder wirklichen Ruhm der Könige in dieser Hinsicht gibt es verschiedene Überlieferungen. Doch den Beginn seiner Einrichtung und das Stadtgebiet kennenzulernen, das Romulus dabei festlegte, halte ich nicht für abwegig. Demnach wurde vom Rindermarkt aus, wo wir das eherne Standbild eines Stiers sehen können, weil man diese Tierart vor den Pflug spannt, die Furche für die Abgrenzung der Stadt so begonnen, dass sie den großen Altar des Herkules mit einschloss; von da an wurden in bestimmten Abständen Steine gesetzt, am Fuß des Palatinberges entlang bis zum Altar des Consus, dann zu den alten Kurien, darauf zur Kapelle der Laren. (2) Das römische Forum und das Kapitol wurden, so glaubte man, nicht von Romulus, sondern von Titus Tatius an die Hauptstadt angeschlossen. Später wurde das Stadtgebiet den Erfolgen entsprechend ausgeweitet, und welche Grenzen Claudius damals setzte, kann man leicht erkennen; es ist auch in öffentlichen Verlautbarungen genau beschrieben.16 25 (1) Unter den Konsuln C. ANTISTIUS und M. SUILLIUS (50 n. Chr.) wurde Domitius’ Adoption auf Betreiben des Pallas vorangetrieben, der mit Agrippina als Heiratsvermittler eng verbunden und bald darauf in ein unerlaubtes sexuelles Verhältnis mit ihr verwickelt war. Er trieb Claudius deshalb dazu an, für den Staat zu sorgen und dem Knaben Britannicus eine kraft-

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    pueritiam robore circumdaret. sic apud divum Augustum, quamquam nepotibus subnixum, viguisse privignos; a Tiberio super propriam stirpem Germanicum adsumptum: se quoque accingeret iuvene partem curarum capessituro. (2) his evictus triennio maiorem natu Domitium filio anteponit, habita apud senatum oratione eundem quem a liberto acceperat modum. adnotabant periti nullam antehac adoptionem inter patricios Claudios reperiri, eosque ab Atto Clauso continuos duravisse. 26 (1) Ceterum actae principi grates, quaesitiore in Domitium adulatione; rogataque lex, qua in familiam Claudiam et nomen Neronis transiret. augetur et Agrippina cognomento Augustae. (2) quibus patratis nemo adeo expers misericordiae fuit, quem non Britannici fortuna maeror adficeret. desolatus paulatim etiam servilibus ministeriis per intempestiva novercae officia in ludibrium vertebat, intellegens falsi. neque enim segnem ei fuisse indolem ferunt, sive verum, seu periculis commendatus retinuit famam sine experimento. 27 (1) Sed Agrippina, quo vim suam sociis quoque nationibus ostentaret, in oppidum Ubiorum, in quo genita erat, veteranos coloniamque deduci impetrat, cui nomen inditum e vocabulo ipsius. ac forte acciderat, ut eam gentem Rhenum transgressam avus Agrippa in fidem acciperet. (2) Isdem temporibus in superiore Germania trepidatum adventu Chattorum latrocinia agitantium. dein P. Pomponius legatus auxiliares Vangionas ac Nemetas, addito equite alario, , monitos ut anteirent populatores vel dilapsis improvisi circumfunderentur. (3) et secuta consilium ducis industria militum; divisique in duo agmina, qui laevum iter petiverant, recens reversos praedaque per luxum usos et somno graves circumvenere, aucta laetitia, quod quosdam e clade Variana quadragesimum post annum servitio exemerant.

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    volle Persönlichkeit zur Seite zu stellen. Auf diese Weise hätten beim vergöttlichten Augustus, obwohl er sich auf Enkel stützen konnte, Stiefsöhne eine wichtigere Rolle gespielt. Von Tiberius sei zusätzlich zu seinem eigenen Sprössling Germanicus herangezogen worden. Auch er solle sich mit einem jungen Mann wappnen, der in der Lage sei, einen Teil seiner Sorgen zu übernehmen. (2) Davon ließ er sich überzeugen und zog den drei Jahre älteren Domitius seinem Sohn vor; er hielt dazu eine Rede vor dem Senat, die in die gleiche Richtung ging, die er von seinem Freigelassenen übernommen hatte. Sachkundige bemerkten, man könne unter den patrizischen Claudiern bis zu diesem Zeitpunkt keine Adoption finden, und sie hätten von Attus Clausus an ununterbrochen fortbestanden. 26 (1) Aber man sagte dem Princeps Dank, verbunden mit einer ganz außerordentlichen Liebedienerei Domitius gegenüber, und beantragte ein Gesetz, dem zufolge er in die claudische Familie mit dem Namen Nero übergehen sollte. In ihrem Rang erhöht wurde auch Agrippina durch den Beinamen Augusta. (2) Nachdem man diese Vorhaben umgesetzt hatte, war niemand derart mitleidlos, dass ihn das Schicksal des Britannicus nicht mit Trauer erfüllt hätte. Schritt für Schritt sogar von seinen Sklaven mit ihren Diensten allein gelassen, sah der Knabe die unangebrachten Liebesbeweise seiner Stiefmutter nur mehr als Spott an, weil er deren Falschheit durchschaut hatte. Er sei nämlich nicht geistig zurückgeblieben gewesen, heißt es, ob das nun wahr ist oder ob er, dank der Gefahren beliebt, seinen guten Ruf behielt, ohne den Beweis dafür erbringen zu müssen. 27 (1) Aber Agrippina setzte es durch, um ihre Macht auch verbündeten Völkern zu zeigen, dass nach Ubierstadt, ihren Geburtsort, eine Veteranenkolonie geführt wurde, die ihren Namen nach ihr bekam, und der Zufall wollte es, dass diesen Stamm nach seinem Übergang über den Rhein ihr Großvater Agrippa in unseren Schutz nahm.17 (2) Zur gleichen Zeit herrschte in Obergermanien große Aufregung wegen des Anrückens der Chatten, die Raubzüge unternahmen. Daraufhin schickte der Legat P. Pomponius bei den Hilfstruppen dienende Vangionen und Nemeter, ergänzt um Flügelkavallerie, ihnen mit dem Auftrag entgegen, den Plünderern zuvorzukommen oder, wenn sie bereits ausgeschwärmt seien, sie überraschend zu umzingeln. (3) Und dem Plan des Kommandeurs folgte die Leistungsbereitschaft der Soldaten; in zwei Kolonnen aufgeteilt, überfielen die Abteilungen, die den linken Weg eingeschlagen hatten, die gerade zurückgekehrten Feinde, die ihre Beute übermäßig genossen hatten und schlaftrunken waren. Die Freude steigerte der Umstand, dass sie einige aus der Niederlage des Varus stammende Personen nach 40 Jahren aus der Sklaverei befreit hatten.

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    28 (1) At qui dextris et propioribus compendiis ierant, obvio hosti et aciem auso plus cladis faciunt, et praeda famaque onusti ad montem Taunum revertuntur, ubi Pomponius cum legionibus opperiebatur, si Chatti cupidine ulciscendi casum pugnae praeberent. (2) illi metu, ne hinc Romanus, inde Cherusci, cum quis aeternum discordant, circumgrederentur, legatos in urbem et obsides misere; decretusque Pomponio triumphalis honos, modica pars famae eius apud posteros, in quis carminum gloria praecellit. 29 (1) Per idem tempus Vannius, Suebis a Druso Caesare impositus, pellitur regno, prima imperii aetate clarus acceptusque popularibus, mox diuturnitate in superbiam mutans et odio accolarum, simul domesticis discordiis circumventus. auctores fuere Vibilius Hermundurorum rex et Vangio ac Sido sorore Vannii geniti. (2) nec Claudius, quamquam saepe oratus, arma certantibus barbaris interposuit, tutum Vannio perfugium promittens, si pelleretur: scripsitque Palpellio Histro, qui Pannoniam praesidebat, legionem ipsaque e provincia lecta auxilia pro ripa componere, subsidio victis et terrorem adversus victores, ne fortuna elati nostram quoque pacem turbarent. (3) nam vis innumera, Lugii aliaeque gentes, adventabant, fama ditis regni, quod Vannius triginta per annos praedationibus et vectigalibus auxerat. ipsi manus propria pedites, eques a Sarmatis Iazugibus erat, impar multitudini hostium, eoque castellis sese defensare bellumque ducere statuerat. 30 (1) Sed Iazuges obsidionis impatientes et proximos per campos vagi necessitudinem pugnae attulere, quia Lugius Hermundurusque illic ingruerant. igitur degressus castellis Vannius funditur proelio, quamquam rebus adversis, laudatus, quod et pugnam manu capessiit et corpore adverso vulnera excepit. (2) ceterum ad classem in Danuvio opperientem perfugit; secuti mox clientes et acceptis agris in Pannonia locati sunt. regnum Vangio ac Sido inter se

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    28 (1) Doch die Einheiten, die auf den rechtsgelegenen, näheren Abkürzungen marschiert war, bereiteten dem Feind, der sich ihnen in den Weg gestellt und eine Schlacht gewagt hatte, noch größere Verluste, und sie kehrten beute- und ruhmbeladen zum Berg Taunus zurück, wo Pomponius mit den Legionen darauf wartete, ob die Chatten aus Rachsucht die Gelegenheit zu einer Schlacht böten. (2) Diese schickten aus Furcht, auf der einen Seite von den Römern, auf der anderen von den Cheruskern, mit denen sie seit ewigen Zeiten im Streit liegen, in die Zange genommen zu werden, Gesandte und Geiseln in die Hauptstadt; Pomponius wurde die Ehre eines Triumphs bewilligt, ein nur bescheidener Teil seines Ruhms bei der Nachwelt, bei der er eher durch seine Gedichte berühmt ist. 29 (1) Zur gleichen Zeit wurde Vannius, der über die Sueben von Drusus Caesar gesetzt worden war, aus seinem Königreich vertrieben; er war zu Beginn seiner Herrschaft angesehen und bei seinen Landsleuten beliebt, dann aber wurde er mit zunehmender Dauer hochmütig und fiel deshalb dem Hass der Nachbarvölker und gleichzeitig inneren Auseinandersetzungen zum Opfer. Dahinter steckten der Hermundurenkönig Vibilius und Vangio und Sido, die Söhne einer Schwester des Vannius. (2) Claudius griff trotz häufiger Bitten aber nicht mit Waffengewalt in den Streit der Barbaren ein, sondern versprach Vannius eine sicheren Zufluchtsort, falls er vertrieben würde, und schrieb an Palpellius Hister, der in Pannonien kommandierte, er solle eine Legion und in der Provinz selbst ausgehobene Hilfstruppen am Ufer entlang18 stationieren, als Schutz für die Besiegten und Abschreckung für die Sieger, damit sie nicht im Hochgefühl ihres Erfolgs auch unseren Frieden gefährdeten. (3) Denn eine unzählbare Menschenmenge, Lugier und andere Stämme, waren im Anrücken, weil sie von dem wohlhabenden Königreich gehört hatten, das Vannius dreißig Jahre lang mit Raubzügen und Zöllen zu Wohlstand gebracht hatte. Er selbst hatte als eigene Truppen nur Fußvolk, die Reiterei kam von den sarmatischen Jazygen, aber sie war der Masse der Feinde nicht gewachsen, und er hatte deshalb beschlossen, sich in Kastellen zu verteidigen und den Krieg hinhaltend zu führen. 30 (1) Aber die Jazygen, die eine Belagerung nicht aushielten und durch die nächstgelegenen Ebenen streiften, brachten ihn in die Zwangslage, sich zu einer Schlacht zu stellen, weil die Lugier und Hermunduren dort eingefallen waren. Deshalb zog Vannius von seinen Kastellen herab und wurde in einem Gefecht geschlagen, wobei er trotz seines Misserfolgs gelobt wurde, weil er eigenhändig in den Kampf eingriff und auf der dem Feind zugewandten Körperseite Wunden davontrug. (2) Dann aber floh er zu der Flotte, die auf der Donau abwartete; bald folgten seine Klienten, erhielten Ackerland und wurden in Pannonien angesiedelt. Das Reich teilten Vangio und Sido unter sich auf, uns gegenüber außerordentlich loyal und bei ihren Untertanen – mag

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    partivere, egregia adversus nos fide, subiectis, suone an servitii ingenio, dum adipiscerentur dominationes, multa caritate, et maiore odio, postquam adepti sunt. 31 (1) At in Britannia P. Ostorium pro praetore turbidae res excepere, effusis in agrum sociorum hostibus eo violentius, quod novum ducem exercitu ignoto et coepta hieme iturum obviam non rebantur. (2) ille gnarus primis eventibus metum aut fiduciam gigni, citas cohortes rapit et, caesis qui restiterant, disiectos consectatus, ne rursus conglobarentur infensaque et infida pax non duci, non militi requiem permitteret, detrahere arma suspectis cunctaque castris antonam et Sabrinam fluvios cohibere parat. (3) quod primi Iceni abnuere, valida gens nec proeliis contusi, quia societatem nostram volentes accesserant. hisque auctoribus circumiectae nationes locum pugnae delegere saeptum agresti aggere et aditu angusto, ne pervius equiti foret. (4) ea munimenta dux Romanus, quamquam sine robore legionum sociales copias ducebat, perrumpere adgreditur et distributis cohortibus turmas quoque peditum ad munia accingit. tunc dato signo perfringunt aggerem suisque claustris impeditos turbant. atque illi conscientia rebellionis et obsaeptis effugiis multa et clara facinora fecere. qua pugna filius legati M. Ostorius servati civis decus meruit. 32 (1) Ceterum clade Icenorum compositi qui bellum inter et pacem dubitabant, et ductus in Decangos exercitus. vastati agri, praedae passim actae, non ausis aciem hostibus, vel, si ex occulto carpere agmen temptarent, punito dolo. iamque ventum haud procul mari, quod Hiberniam insulam adspectat, cum ortae apud Brigantas discordiae retraxere ducem destinationis certum, ne nova moliretur nisi prioribus firmatis. (2) et Brigantes quidem, paucis qui

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    das an ihrem eigenen Wesen oder dem der Knechtschaft gelegen haben – so lange sehr beliebt, bis sie an die Gewaltherrschaft kamen, und noch mehr verhasst, nachdem sie sie erreicht hatten. 31 (1) Doch in Britannien empfingen den Proprätor P. Ostorius schwere Unruhen. Denn die Feinde waren in das Land der Bundesgenossen umso gewalttätiger hineingeströmt, als sie nicht glauben konnten, der neue Kommandeur werde gegen sie mit einem ihm unbekannten Heer nach Winterbeginn vorgehen. (2) Der aber wusste, dass aus den ersten Ergebnissen Furcht oder Zuversicht erwachsen, bot deshalb schleunigst schnelle Kohorten auf, machte nieder, wer Widerstand geleistet hatte, verfolgte die Zersprengten, damit sie sich nicht wieder zusammenrotten konnten und kein gefährlicher und unsicherer Friede es nicht dem Kommandeur, nicht den Soldaten erlaubte, zur Ruhe zu kommen, und traf dann Vorbereitungen, die Verdächtigen zu entwaffnen und das ganze Gebiet an den Flüssen Trisantona und Sabrina durch Lager abzuriegeln. (3) Dagegen sträubten sich als Erste die Icener, ein mächtiger, durch Gefechte nicht zermalmter Stamm, weil sie freiwillig mit uns ein Bündnis eingegangen waren. Auf ihre Veranlassung hin wählten die umliegenden Völkerschaften ein Schlachtfeld aus, das von einem für die Landwirtschaft errichteten Damm umsäumt war und nur einen schmalen Zugang bot, damit die Kavallerie nicht durchkam. (4) Der römische Kommandeur machte sich daran, diese Befestigungen zu durchbrechen, obwohl er ohne die Kerntruppe der Legionen nur bundesgenössische Kontingente ins Feld führen konnte, verteilte die Kohorten und rüstete auch die Kavallerieschwadronen für den infanteristischen Kampf aus. Dann stießen sie auf ein Signal hin durch den Damm und brachten die in ihrer eigenen Verschanzung behinderten Feinde in arge Bedrängnis. Und so vollbrachten diese im Bewusstsein ihrer Rebellion und weil die Fluchtwege versperrt waren, viele Heldentaten. In diesem Kampf verdiente sich der Sohn des Legaten, M. Ostorius, die Auszeichnung für die Rettung eines Bürgers.19 32 (1) Aber nach der Niederlage der Icener gaben die Stämme Ruhe, die zwischen Krieg und Frieden schwankten, und das Heer wurde ins Gebiet der Decanger geführt. Man verwüstete ihre Felder und machte überall Beute, weil die Feinde keine Schlacht wagten oder bei Versuchen, dem marschierenden Heer aus Verstecken heraus mit kleineren Angriffen zuzusetzen, ihr hinterhältiges Vorgehen bestraft wurde. Schon kam man in die Gegend nicht weit weg von dem Meer, das zur Insel Irland hin schaut, da riefen bei den Briganten ausgebrochene Auseinandersetzungen unseren Kommandeur zurück, der fest entschlossen war, neue Unternehmungen nur ins Auge zu fassen, wenn die vorangegangenen zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen waren. (2) Die Briganten jedenfalls gaben wieder Ruhe, nachdem einige wenige, die zu den

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    arma coeptabant interfectis, in reliquos data venia, resedere: Silurum gens non atrocitate, non clementia mutabatur, quin bellum exerceret castrisque legionum premenda foret. id quo promptius veniret, colonia Camulodunum valida veteranorum manu deducitur in agros captivos, subsidium adversus rebelles et imbuendis sociis ad officia legum. 33 Itum inde in Siluras, super propriam ferociam Carataci viribus confisos, quem multa ambigua, multa prospera extulerant, ut ceteros Britannorum imperatores praemineret. sed tum astu locorum fraude prior, vi militum inferior, transfert bellum in Ordovicas, additisque qui pacem nostram metuebant, novissimum casum experitur, sumpto ad proelium loco, ut aditus abscessus, cuncta nobis importuna et suis in melius essent, hinc montibus arduis, et si qua clementer accedi poterant, in modum valli saxa praestruit; et praefluebat amnis vado incerto, catervaque matorum pro munimentis constiterant. 34 Ad hoc gentium ductores circumire hortari, firmare animos minuendo metu, accenda spe aliisque belli incitamentis. enimvero Caratacus huc illuc volitans illum diem, illam aciem testabatur aut recuperandae libertatis aut servitutis aeternae initium fore; vocabatque nomina maiorum, qui dictatorem Caesarem pepulissent, quorum virtute vacui a securibus et tributis intemerata coniugum et liberorum corpora retinerent. haec atque talia dicenti adstrepere vulgus; gentili quisque religione obstringi, non telis, non vulneribus cessuros. 35 (1) Obstupefecit ea alacritas ducem Romanum; simul obiectus amnis, additum vallum, imminentia iuga, nihil nisi atrox et propugnatoribus frequens terrebat. sed miles proelium poscere, cuncta virtute expugnabilia clamitare; praefectique tribuni paria disserentes ardorem exercitus intendebant.

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    Waffen greifen wollten, getötet worden waren und man dem Rest verziehen hatte. Der Stamm der Siluren aber ließ sich nicht durch unnachgiebige Härte, nicht durch Milde dazu bewegen, den Krieg nicht weiterzuführen, und musste durch ein Legionslager niedergehalten werden. Damit das umso rascher vor sich ging, legte man die Kolonie Camulodunum mit einer starken Mannschaft von Veteranen ins besetzte Gebiet, als Stützpunkt gegen die Aufständischen und um die Bundesgenossen mit ihren Pflichten gegenüber den Gesetzen vertraut zu machen. 33 Dann ging es gegen die Siluren, die über die für sie charakteristische Wildheit hinaus auf die Macht des Caratacus vertrauten, den viele riskante Unternehmungen, viele Erfolge so nach oben getragen hatten, dass er die übrigen Befehlshaber der Britannier überragte. Damals aber verlegte er, dank seinem listigen Vorgehen und der Tücke des Geländes im Vorteil, an militärischer Stärke aber unterlegen, den Krieg ins Gebiet der Ordovicer, und nachdem hinzugenommen worden war, wer sich vor dem Frieden mit uns fürchtete, setzte er alles auf eine Karte und wählte für das Gefecht einen Platz so aus, dass Anmarsch- und Abmarschwege, ja überhaupt alle Voraussetzungen für uns ungünstig und für seine Leute vorteilhafter waren, weil auf der einen Seite steile Berge aufragten, und falls man an Stellen in sanft ansteigendem Gelände hätte heranrücken können, ließ er als eine Art Wall Felsen davorrollen; auch strömte ein Fluss vorbei, von dem man nicht wusste, ob er eine Furt aufwies, und Haufen bewaffneter Männer hatten vor den Befestigungen Stellung bezogen. 34 Zusätzlich gingen die Stammeshäuptlinge durch die Reihen und ermahnten und ermutigten sie, indem sie die Furcht zu zerstreuen, die Zuversicht zu entflammen versuchten und auch auf andere Anreize zum Krieg hinwiesen. Besonders Caratacus hetzte hierhin und dorthin und beteuerte, das sei der Tag, das die Schlacht, die entweder der Beginn der Wiedergewinnung der Freiheit oder ewiger Knechtschaft sein werde. Er rief die Namen ihrer Vorfahren, die den Diktator Caesar vertrieben hätten,20 durch deren Tapferkeit sie frei von Beilen21 und Tributen die Leiber ihrer Frauen und Kinder unberührt bewahren könnten. Auf Sätze wie diese jubelte ihm die Menge begeistert zu; durch einen bei diesen Stämmen üblichen Eid verpflichtete sich ein jeder, nicht vor den Geschossen, nicht bei Verwundungen zu weichen. 35 (1) Dieser Kampfeseifer verblüffte den römischen Kommandeur; zugleich erschreckten ihn das Flusshindernis, der zusätzliche Wall und die aufragenden Bergrücken, nichts, was nicht schrecklich und von zahlreichen Verteidigern besetzt gewesen wäre. Die Soldaten aber verlangten den Kampf, schrien immer wieder, alles sei mit Tapferkeit zu bezwingen, und die Kommandanten und Tribune fachten mit gleichen Äußerungen die Begeisterung des Heeres weiter an.

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    (2) tum Ostorius, circumspectis quae impenetrabilia quaeque pervia, ducit infensos amnemque haud difficulter evadit. ubi ventum ad aggerem, dum missilibus certabatur, plus vulnerum in nos et pleraeque caedes oriebantur: postquam facta testudine rudes et informes saxorum compages distracta parque comminus acies, decedere barbari in iuga montium. (3) sed eo quoque inrupere ferentarius gravisque miles, illi telis adsultantes, hi conferto gradu, turbatis contra Britannorum ordinibus, apud quos nulla loricarum galearumve tegmina; et si auxiliaribus resisterent, gladiis ac pilis legionariorum, si huc verterent, spathis et hastis auxiliarium sternebantur. clara ea victoria fuit, captaque uxor et filia Carataci fratresque in deditionem accepti. 36 (1) Ipse, ut ferme intuta sunt adversa, cum fidem Cartimandus reginae Brigantum petivisset, vinctus ac victoribus traditus est, nono post anno, quam bellum in Britannia coeptum. unde fama eius evecta insulam et proximas provincias pervagata per Italiam quoque celebrabatur, avebantque visere, quis ille tot per annos opes nostras sprevisset. (2) ne Romae quidem ignobile Carataci nomen erat; et Caesar, dum suum decus extollit, addidit gloriam victo. vocatus quippe ut ad insigne spectalum populus; stetere in armis praetoriae cohortes campo, qui castra praeiacet. (3) tunc incedentibus regiis clientulis phalerae torques quaeque bellis externis quaesiverat traducta, mox fratres et coniunx et filia, postremo ipse ostentatus. ceterorum preces degeneres fuere ex metu: at non Caratacus aut vultu demisso aut verbis misericordiam requirens, ubi tribunali adstitit, in hunc modum locutus est: 37 (1) ‘Si quanta nobilitas et fortuna mihi fuit, tanta rerum prosperarum moderatio fuisset, amicus potius in hanc urbem quam captus venissem, neque dedignatus esses claris maioribus ortum, plurimis gentibus imperitantem foedere pacem accipere. (2) praesens sors mea ut mihi informis, sic

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    (2) Da ließ Ostorius genau erkunden, was undurchdringlich und was passierbar war, ging seinen angriffslustigen Männer voran und überquerte den Fluss ohne Schwierigkeiten. Als man zu dem Damm gekommen war, gab es, solange man mit Fernwaffen kämpfte, mehr Verwundete auf unserer Seite und zahlreiche Tote. Nachdem man nach Bildung einer Schildkröte22 den groben und unförmigen Steinverhau auseinandergezerrt hatte und der Nahkampf gleiche Bedingungen bot, zogen sich die Barbaren auf die Bergrücken zurück. (3) Aber auch dort brachen die Wurfschützen und die schwer bewaffneten Soldaten ein, indem die einen mit ihren Geschossen, die anderen in geschlossener Formation angriffen; dabei lösten sich auf der Gegenseite die Reihen der Britannier auf, die keine Schutzwaffen wie Panzer oder Helme hatten, und wenn sie den Hilfstruppen Widerstand leisteten, wurden sie durch die Schwerter und Speere der Legionssoldaten niedergestreckt, wandten sie sich aber gegen diese, durch die Säbel und Lanzen der Hilfstruppen. Großartig war dieser Sieg, und Frau und Tochter des Caratacus wurden gefangen genommen, und seine Brüder ergaben sich. 36 (1) Er selbst wurde – Misserfolge machen in der Regel ja schutzlos –, nachdem er bei der Brigantenkönigin Cartimandus23 Schutz gesucht hatte, festgenommen und den Siegern ausgeliefert, im neunten Jahr nach dem Beginn des Kriegs in Britannien. Dadurch war sein Ruhm über die Insel hinausgedrungen, verbreitete sich in den Nachbarprovinzen und war auch in Italien in aller Munde. Man wollte unbedingt sehen, wer der Mann war, der so viele Jahre lang unserer Macht getrotzt hatte. (2) Selbst in Rom war der Name des Caratacus nicht unbekannt, und der Caesar vermehrte, während er sein eigenes Ansehen steigerte, den Ruhm des Besiegten. Das Volk wurde nämlich wie zu einem ganz besonderen Schauspiel gerufen: In voller Rüstung standen die Prätorianerkohorten auf dem Feld, das vor ihrer Kaserne liegt. (3) Dann zogen die armseligen Klienten des Königs vorbei, und die Tapferkeitsmedaillen, die Halsketten und was er in auswärtigen Kriegen gewonnen hatte, wurden vorbeigeführt, anschließend stellte man Brüder, Gattin und Tochter, schließlich ihn persönlich zur Schau. Die Bitten aller anderen waren in ihrer Angst würdelos. Doch nicht so Caratacus: Weder mit gesenktem Blick noch mit Worten suchte er Mitleid zu erregen, sondern sprach, als er vor dem Tribunal stand, folgendermaßen: 37 (1) „Wenn ich das meiner vornehmen Abkunft und Stellung entsprechende hohe Maß an Mäßigung in glücklichen Zeiten gezeigt hätte, dann wäre ich eher als Freund und nicht als Gefangener in diese Stadt gekommen, und du hättest es nicht für unter deiner Würde gehalten, einen Mann, der von berühmten Vorfahren abstammt und über sehr viele Völker herrscht, in ein Friedensbündnis aufzunehmen. (2) Mein gegenwärtiges Los ist für mich genauso

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    tibi magnifica est. habui equos viros, arma opes: quid mirum, si haec invitus amisi? nam si vos omnibus imperitare vultis, sequitur ut omnes servitutem accipiant? (3) si statim deditus traderer, neque mea fortuna neque tua gloria inclaruisset; et supplicium mei oblivio sequetur: at si incolumem servaveris, aeternum exemplar clementiae ero.’ (4) ad ea Caesar veniam ipsique et coniugi et fratribus tribuit. atque illi vinclis absoluti Agrippinam quoque, haud procul alio suggestu conspicuam, isdem quibus principem laudibus gratibusque venerati sunt. novum sane et moribus veterum insolitum, feminam signis Romanis praesidere: ipsa semet parti a maioribus suis imperii sociam ferebat. 38 (1) Vocati posthac patres multa et magnifica super captivitate Carataci disseruere, neque minus id clarum, quam quod Syphacem P. Scipio, Persen L. Paulus, et si qui alii vinctos reges populo Romano ostendere. (2) censentur Ostorio triumphi insignia, prosperis ad id rebus eius, mox ambiguis, sive amoto Carataco, quasi debellatum foret, minus intenta apud nos militia fuit, sive hostes miseratione tanti regis acrius ad ultionem exarsere. (3) praefectum castrorum et legionarias cohortes exstruendis apud Siluras praesidiis relictas circumfundunt. ac ni cito †nuntiis ex castellis proximis subventum foret, copiarum obsidione occubuissent: praefectus tamen et octo centuriones ac promptissimus quisque manipulis cecidere. nec multo post pabulantes nostros missasque ad subsidium turmas profligant. 39 (1) Tum Ostorius cohortes expeditas opposuit; nec ideo fugam sistebat, ni legiones proelium excepissent: earum robore aequata pugna, dein nobis pro meliore fuit. effugere hostes tenui damno, quia inclinabat dies. (2) crebra hinc proelia, et saepius in modum latrocinii per saltus per paludes, ut cuique sors aut virtus, temere proviso, ob iram ob praedam, iussu et aliquando

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    demütigend wie für dich großartig. Ich hatte Pferde, Männer, Heere, Schätze: Ist es ein Wunder, dass ich das nur ungern verlor? Denn wenn ihr über alle herrschen wollt, folgt dann daraus, dass alle die Knechtschaft auf sich nehmen? (3) Wenn ich ausgeliefert würde als jemand, der sich sofort ergeben hat, dann wäre weder mein Schicksal noch dein Ruhm bekannt geworden; zudem wird meine Hinrichtung das Vergessen meiner Person zur Folge haben. Doch wenn du mich am Leben lässt, werde ich für immer ein Beispiel für deine Nachsicht sein.“ (4) Daraufhin begnadigte der Caesar ihn persönlich, seine Frau und seine Brüder. Und als ihnen die Fesseln abgenommen worden waren, huldigten sie auch Agrippina, die nicht weit entfernt auf einem anderen Podium die Blicke auf sich zog, mit den gleichen Lobsprüchen und Dankesworten wie dem Princeps. Das war allerdings neu und gegenüber den Sitten der Alten ungewöhnlich, dass eine Frau das Kommando über römische Standarten führte. Aber sie selbst sah sich als Partnerin in der von ihren Vorfahren erworbenen Herrschaft an. 38 (1) Die danach einberufenen Väter hielten ausführliche, großsprecherische Reden über die Gefangennahme des Caratacus: Es handle sich um kein weniger glanzvolles Ereignis als die Präsentation des Syphax durch P. Scipio, des Perseus durch L. Paulus und sonstiger Könige in Ketten durch andere Männer vor dem römischen Volk. (2) Man verlieh Ostorius die Triumphabzeichen; er war bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich gewesen, geriet dann aber in Schwierigkeiten, entweder weil nach der Beseitigung des Caratacus, als ob der Krieg damit entschieden wäre, der Dienstbetrieb auf unserer Seite weniger ernst genommen wurde oder weil die Feinde aus Mitleid mit einem solch bedeutenden König noch heftiger vor Rachedurst brannten. (3) Einen Lagerkommandanten und Legionskohorten, die zur Errichtung von Stützpunkten bei den Siluren zurückgelassen worden waren, schlossen sie ein. Und wenn man nicht schnell … (?) von den nächsten Kastellen aus zu Hilfe gekommen wäre, wären sie den Belagerungstruppen unterlegen; doch auch so fielen der Kommandant, acht Zenturionen und die tüchtigsten Soldaten der Manipel. Und nicht viel später vernichteten sie unsere Leute beim Futterholen und die zu Hilfe geschickten Kavallerieschwadronen. 39 (1) Daraufhin setzte Ostorius kampfbereite Kohorten gegen sie ein, aber er hätte die Flucht dadurch nicht zum Stehen gebracht, wenn nicht die Legionen das Gefecht aufgenommen hätten. Durch ihre Kampfkraft verlief die Schlacht ausgeglichen und wurde dann für uns sogar zu einem Erfolg. Die Feinde entkamen mit geringen Verlusten, weil sich der Tag schon neigte. (2) Von da an kam es häufig zu Gefechten, und zwar öfter in der Art von Raubüberfällen in Wäldern, in Sümpfen, wie es der Zufall oder die Tapferkeit jedem gerade eingab, aufs Geratewohl oder geplant, aus Wut oder Beutegier, auf Befehl

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    ignaris ducibus. ac praecipua Silurum pervicacia, quos accendebat vulgata imper Romani vox, ut quondam Sugambri excisi aut in Gallias traiecti forent, ita Silurum nomen penitus exstinguendum. (3) igitur duas auxiliares cohortes avaritia praefectorum incautius populantes intercepere; spoliaque et captivos largiendo ceteras quoque nationes ad defectionem trahebant, cum taedio curarum fessus Ostorius concessit vita, laetis hostibus, tamquam ducem haud spernendum etsi non proelium, at certe bellum absumpsisset. 40 (1) At Caesar cognita morte legati, ne provincia sine rectore foret, A. Didium suffecit. is propere vectus non tamen integras res invenit, adversa interim legionis pugna, cui Manlius Valens praeerat; auctaque et apud hostes eius rei fama, quo venientem ducem exterrerent, atque illo augente audita, ut maior laus compositi vel, si duravissent, venia iustior tribueretur. Silures id quoque damnum intulerant lateque persultabant, donec adcursu Didii pellerentur. (2) sed post captum Caratacum praecipuus scientia rei militaris Venutius, e Brigantum civitate, ut supra memoravi, fidusque diu et Romanis armis defensus, cum Cartimandum reginam matrimonio teneret: mox, orto discidio et statim bello, etiam adversus nos hostilia induerat. (3) sed primo tantum inter ipsos certabatur, callidisque Cartimandus artibus fratrem ac propinquos Venutii intercepit. inde accensi hostes, stimulante ignominia, ne feminae imperio subderentur, valida et lecta armis iuventus regnum eius invadunt. quod nobis praevisum, et missae auxilio cohortes acre proelium fecere, cuius initio ambiguo finis laetior fuit. (4) neque dispari eventu pugnatum a legione, cui Caesius Nasica praeerat; nam Didius, senectute gravis et multa copia honorum, per ministros agere

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    und manchmal ohne Wissen der Anführer. Dabei war die Unbeugsamkeit der Siluren besonders ausgeprägt, die der in die Öffentlichkeit gelangte Ausspruch des römischen Befehlshabers anfeuerte, wie einst die Sugambrer ausgerottet oder nach Gallien umgesiedelt worden seien, müsse man nun alles, was Siluren heiße, mit Stumpf und Stiel auslöschen. (3) Deshalb fingen sie zwei bundesgenössische Kohorten ab, die wegen der Habgier ihrer Kommandanten beim Plündern zu unvorsichtig waren, und versuchten durch das Verschenken von Beutestücken und Gefangenen auch die übrigen Stämme zum Abfall zu bewegen, da brach Ostorius, weil ihm die zahlreichen Probleme über den Kopf wuchsen, zusammen und schied aus dem Leben, zur Freude der Feinde, weil den nicht zu verachtenden Kommandeur wenn schon nicht ein Gefecht, dann doch der Krieg hinweggerafft habe. 40 (1) Doch der Caesar setzte nach dem Bekanntwerden des Todes des Legaten, um die Provinz nicht ohne Leiter zu lassen, A. Didius an seine Stelle. Der machte sich eilends auf den Weg und fand dennoch eine verschlechterte Lage vor, weil in der Zwischenzeit die Legion, die unter dem Kommando des Manlius Valens stand, eine Schlacht verloren hatte. Auf der einen Seite wurde bei den Feinden die Bedeutung dieses Vorfalls übertrieben dargestellt, um den anrückenden Kommandeur in Angst und Schrecken zu versetzen, und er übertrieb seinerseits, was er gehört hatte, um für eine Beilegung der Angelegenheit größeren Ruhm zu ernten oder, falls sie so weitermachten, mehr Anspruch auf Nachsicht zu haben. Die Siluren hatten uns auch diese Schlappe beigebracht und streiften nun weit und breit umher, bis sie durch das schnelle Anrücken des Didius vertrieben wurden. (2) Aber nach der Gefangennahme des Caratacus war der herausragende militärische Experte Venutius aus dem Volk der Briganten, wie ich oben erwähnt habe.24 Er blieb lange treu und wurde von den römischen Waffen beschützt, solange er mit der Königin Cartimandus verheiratet war; später dann, als es zur Scheidung und gleich darauf zum Krieg gekommen war, hatte er auch uns gegenüber die Feindseligkeiten aufgenommen. (3) Zunächst aber stritt man nur untereinander, und mit hinterhältigen Methoden schaltete Cartimandus den Bruder und die Verwandten des Venutius aus. Darüber waren die Feinde hellauf empört und wurden durch die Schande, unter die Herrschaft einer Frau zu kommen, noch weiter aufgebracht; deshalb fiel eine schlagkräftige Schar für den Kampf mit den Waffen ausgewählter junger Männer in ihr Reich ein. Das war von uns vorhergesehen worden, und die zu Hilfe geschickten Kohorten lieferten ein heftiges Gefecht, das nach einem ungewissen Anfang einen erfreulicheren Abschluss fand. (4) Und mit einem ganz ähnlichen Ergebnis wurde von der Legion gekämpft, deren Kommandant Caesius Nasica war; denn Didius, ein vom Alter gebeugter, mit vielen Ehren überhäufter Mann, hielt es für ausreichend, seine Mitarbeiter handeln zu lassen und den

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    et arcere hostem satis habebat. (5) haec, quamquam a duobus [Ostorio Didioque] pro praetoribus plures per annos gesta, coniunxi, ne divisa haud perinde ad memoriam sui valerent. ad temporum ordinem redeo. 41 (1) TI. CLAUDIO quintum SERVIO CORNELIO [ORFITO] consulibus virilis toga Neroni maturata, quo capessendae rei publicae habilis videretur. et Caesar adulationibus senatus libens cessit, ut vicesimo aetatis anno consulatum Nero iniret atque interim designatus proconsulare imperium extra urbem haberet ac princeps iuventutis appellaretur. additum nomine eius donativum militi, congiarium plebei. (2) et ludicro circensium, quod adquirendis vulgi studiis edebatur, Britannicus in praetexta, Nero triumphali veste travecti sunt: spectaret populus hunc decore imperatorio, illum puerili habitu, ac perinde fortunam utriusque praesumeret. simul qui centurionum tribunorumque sortem Britannici miserabantur, remoti fictis causis et alii per speciem honoris; etiam libertorum si quis incorrupta fide, depellitur tali occasione. (3) obvii inter se Nero Britannicum nomine, ille Domitium salutavere. quod ut discordiae initium Agrippina multo questu ad maritum defert: sperni quippe adoptionem, quaeque censuerint patres, iusserit populus, intra penates abrogari; ac nisi pravitas tam infensa docentium arceatur, eruptura in publicam perniciem. commotus his quasi criminibus optimum quemque educatorem filii exilio aut morte adficit datosque a noverca custodiae eius imponit. 42 (1) Nondum tamen summa moliri Agrippina audebat, ni praetoriarum cohortium cura exsolverentur Lusius Geta et Rufrius Crispinus, quos Messalinae memores et liberis eius devinctos credebat. igitur distrahi cohortes ambitu duorum et, si ab uno regerentur, intentiorem fore disciplinam adseverante uxore, transfertur regimen cohortium ad Burrum Afranium, egregiae militaris

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    Feind abzuwehren. (5) Diese Unternehmungen habe ich, obwohl sie von zwei Proprätoren während mehrerer Jahre durchgeführt wurden, zusammengefasst, damit sie nicht, wenn man getrennt über sie berichtet, weniger ins Gewicht fallen, als die Erinnerung an sie verdient. Jetzt kehre ich zur zeitlichen Abfolge zurück. 41 (1) Als TI. CLAUDIUS zum fünften Mal und SERVIUS CORNELIUS Konsuln waren (51 n. Chr.), wurde Nero vorzeitig die Männertoga verliehen, damit er zur Übernahme politischer Ämter fähig erschien. Zudem entsprach der Caesar den liebedienerischen Anträgen des Senats gerne, dass Nero im zwanzigsten Lebensjahr den Konsulat antreten, in der Zwischenzeit als designierter Konsul das prokonsularische Imperium außerhalb der Hauptstadt besitzen und den Titel „Führer der Jungmannschaft“ erhalten solle.25 Zusätzlich bekamen die Soldaten in seinem Namen ein Geldgeschenk und die Plebejer eine Zuwendung in Naturalien. (2) Ferner fuhr bei dem Zirkusspiel, das veranstaltet wurde, um ihm die Sympathien des einfachen Volkes zu gewinnen, Britannicus in der Toga praetexta, Nero im Gewand des Triumphators vorüber: Das Volk sollte den einen in der glänzenden Aufmachung eines militärischen Befehlshabers, den anderen im Gewand eines Knaben sehen und dementsprechend das Schicksal beider in Gedanken vorwegnehmen. Zugleich entfernte man die Zenturionen und Tribune, die über das Los des Britannicus klagten, mit vorgeschobenen Gründen, andere unter einem ehrenvollen Vorwand aus seiner Umgebung; auch von den Freigelassenen wurde, falls ihm einer unverbrüchlich die Treue hielt, dieser bei einer Gelegenheit wie der folgenden vertrieben: (3) Bei einem Zusammentreffen begrüßte Nero den Britannicus mit seinem Namen, dieser den anderen mit „Domitius“. Davon berichtete Agrippina, als habe er damit Streit beginnen wollen, unter vielen Klagen ihrem Mann: Die Adoption werde nämlich missachtet, und was die Väter beschlossen, das Volk befohlen habe, werde innerhalb des eigenen Hauses außer Kraft gesetzt; falls man der Schlechtigkeit der Personen, die ihm ein solch gehässiges Verhalten beibrächten, nicht Einhalt gebiete, werde sie zum Verderben des Staates ausschlagen. Über diese Vorwürfe war Claudius so empört, als handle es sich um Verbrechen, bestrafte gerade die besten Erzieher seines Sohnes mit Exil oder Tod und setzte zu seiner Überwachung Leute ein, die von der Stiefmutter gestellt worden waren. 42 (1) Noch wagte Agrippina dennoch nicht, aufs Ganze zu gehen, sofern nicht Lusius Geta und Rufrius Crispinus von der Zuständigkeit für die Prätorianerkohorten entbunden würden, die ihrer Meinung nach Messalina nachtrauerten und sich ihren Kindern verpflichtet fühlten. Als deshalb die Ehefrau beteuerte, durch die Rivalität der beiden würden die Kohorten gespalten, und falls sie von einem einzigen Mann kommandiert würden, sei die militärische Zucht straffer, wurde die Führung der Kohorten Burrus Afranius

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    famae, gnarum tamen cuius sponte praeficeretur. (2) suum quoque fastigium Agrippina extollere altius: carpento Capitolium ingredi, qui nos sacerdotibus et sacris antiquitus concessus venerationem augebat feminae, quam imperatore genitam, sororem eius, qui rerum potitus sit, et coniugem et matrem fuisse unicum ad hunc diem exemplum est. (3) inter quae praecipuus propugnator eius Vitellius, validissima gratia, aetate extrema (adeo incertae sunt potentium res) accusatione corripitur, deferente Iunio Lupo senatore. is crimina maiestatis et cupidinem imperii obiectabat; praebuissetque aures Caesar, nisi Agrippinae minis magis quam precibus mutatus esset, ut accusatori aqua atque igni interdiceret. hactenus Vitellius voluerat. 43 (1) Multa eo anno prodigia evenere. insessum diris avibus Capitolium, crebris terrae motibus prorutae domus, ac, dum latius metuitur, trepidatione vulgi invalidus quisque obtriti; frugum quoque egestas et orta ex eo fames in prodigium accipiebatur. nec occulti tantum questus; sed iura reddentem Claudium circumvasere clamoribus turbidis, pulsumque in extremam fori partem vi urgebant, donec militum globo infensos perrupit. (2) quindecim dierum alimenta urbi, non amplius, superfuisse constitit, magnaque deum benignitate et modestia hiemis rebus extremis subventum. at hercule olim Italia legionibus longinquas in provincias commeatus portabat, nec nunc infecunditate laboratur, sed Africam potius et Aegyptum exercemus, navibusque et casibus vita populi Romani permissa est. 44 (1) Eodem anno bellum inter Armenios Hiberosque exortum Parthis quoque ac Romanis gravissimorum inter se motuum causa fuit. (2) genti Parthorum Vologaeses imperitabat, materna origine ex paelice Graeca, concessu fratrum regnum adeptus; Hiberos Pharasmanes vetusta possessione, Armenios frater eius Mithridates obtinebat opibus nostris. (3) erat Pharasmanis filius nomine Radamistus, decora proceritate, vi corporis insignis et patrias artes edoctus,

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    übertragen, der einen hervorragenden militärischen Ruf genoss, aber dennoch wusste, auf wessen Veranlassung hin man ihm diese leitende Position übertrug. (2) Auch ihre eigene herausragende Stellung baute Agrippina noch weiter aus: Mit einer Karosse fuhr sie auf das Kapitol, eine Ehre, die seit Urzeiten nur Priestern mit ihren heiligen Geräten zugestanden wurde und deshalb die Ehrfurcht vor der Frau steigerte, die bis zum heutigen Tag das einzige Beispiel dafür ist, dass die Tochter eines Befehlshabers Schwester, Ehefrau und Mutter des mächtigsten Mannes war. (3) Währenddessen wurde ihr besonderer Vorkämpfer Vitellius, obwohl er in höchster Gunst stand und schon sehr alt war – so unsicher ist die Stellung der Mächtigen –, von einer Anklage erfasst, die der Senator Iunius Lupus betrieb. Er warf ihm hochverräterische Umtriebe und Streben nach der Herrschaft vor, und der Caesar hätte ihm Gehör geschenkt, wenn er nicht eher durch Drohungen als durch Bitten Agrippinas dahin gehend umgestimmt worden wäre, dem Ankläger Wasser und Feuer zu untersagen. Genau das hatte Vitellius erreichen wollen. 43 (1) Zu vielen Wunderzeichen kam es in diesem Jahr. Unglücksvögel 26 ließen sich auf dem Kapitol nieder, bei zahlreichen Erdstößen stürzten Häuser ein, und weil man sich auch in der weiteren Umgebung davor fürchtete, wurden von der Volksmenge in ihrer Angst gerade die Schwächsten niedergetrampelt; auch ein Mangel an Feldfrüchten und die daraus entstehende Hungersnot wurden als Wunderzeichen empfunden. Aber man klagte nicht nur im Stillen darüber, sondern als Claudius Recht sprach, umringte man ihn mit wildem Geschrei, trieb ihn in die äußerste Ecke des Forums und wollte tätlich werden, bis er mit einem Trupp Soldaten dann doch die aufgebrachte Menge durchbrechen konnte. (2) Nur noch für 15 Tage, nicht für mehr waren für die Hauptstadt Lebensmittel vorhanden – das stand fest –, und nur durch die große Gnade der Götter und die Milde des Winters wurde der schlimmsten Not abgeholfen. Doch, beim Herkules, einst brachte Italien seinen Legionen Proviant in die entferntesten Provinzen, und nicht einmal jetzt leidet es unter Unfruchtbarkeit, aber wir treiben nun lieber Landwirtschaft in Africa und Ägypten, und den Risiken der Schifffahrt ist das Leben des römischen Volkes anvertraut! 44 (1) Im gleichen Jahr war ein zwischen Armeniern und Hiberern ausgebrochener Krieg auch für Parther und Römer Ursache schwerster gegenseitiger Auseinandersetzungen. (2) Über das Volk der Parther herrschte Vologaeses, mütterlicherseits von einer griechischen Nebenfrau, der aber mit dem Einverständnis seiner Brüder an die Herrschaft gekommen war. Die Hiberer hatte Pharasmanes nach schon lange bestehendem Besitzrecht, die Armenier sein Bruder Mithridates mit unserer Hilfe in der Hand. (3) Da gab es aber einen Sohn des Pharasmanes namens Radamistus, einen Mann von beeindruckendem schlankem Wuchs, bekannt für seine Körperkraft, in den typischen

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    claraque inter accolas fama. is modicum Hiberiae regnum senecta patris detineri ferocius crebriusque iactabat, quam ut cupidinem occultaret. (4) igitur Pharasmanes iuvenem potentiae promptum et studio popularium accinctum, vergentibus iam annis suis metuens, aliam ad spem trahere et Armeniam ostentare, pulsis Parthis datam Mithridati a semet memorando: sed vim differendam et potiorem dolum, quo incautum opprimerent. (5) ita Radamistus simulata adversus patrem discordia tamquam novercae odiis impar pergit ad patruum, multaque ab eo comitate in speciem liberum cultus primores Armeniorum ad res novas inlicit, ignaro et orante insuper Mithridate. 45 (1) Reconciliationis specie adsumpta regressusque ad patrem, qua fraude confici potuerint, prompta nuntiat, cetera armis exsequenda. interim Pharasmanes belli causas confingit: proelianti sibi adversus regem Albanorum et Romanos auxilio vocanti fratrem adversatum, eamque iniuriam excidio ipsius ultum iturum; simul magnas copias filio tradidit. (2) ille inruptione subita territum exutumque campis Mithridaten compulit in castellum Gorneas, tutum loco ac praesidio militum, quis Caelius Pollio praefectus, centurio Casperius praeerat. (3) nihil tam ignarum barbaris quam machinamenta et astus oppugnationum, at nobis ea pars militiae maxime gnara est. ita Radamistus frustra vel cum damno temptatis munitionibus obsidium incipit. (4) et cum vis neglegeretur, avaritiam praefecti emercatur, obtestante Casperio, ne socius rex, ne Armenia donum populi Romani scelere et pecunia verterentur. postremo, quia multitudinem hostium Pollio, iussa patris Radamistus obtendebant, pactus indutias abscedit, ut, nisi Pharasmanen bello absterruisset, Ummidium Quadratum praesidem Syriae doceret, quo in statu Armenia foret.

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    Fertigkeiten seines Volkes bestens ausgebildet und auch bei den Nachbarn mit einem glänzenden Ruf. Dieser ließ herausfordernder und häufiger, als dass er seine Gier verborgen hätte, die Bemerkung fallen, das bescheidene Königreich Hiberiens werde ihm durch das hohe Alter seines Vaters vorenthalten. (4) Weil Pharasmanes den zum Griff nach der Macht entschlossenen und dank der Sympathien seiner Landsleute dafür gerüsteten jungen Mann angesichts seines eigenen, sich schon dem Ende zuneigenden Lebens fürchtete, machte er ihm eine andere Hoffnung und lenkte seinen Blick auf Armenien. Dabei erinnerte er daran, dieses Land sei nach der Vertreibung der Parther von ihm Mithridates gegeben worden; aber man solle zunächst auf Gewalt verzichten, und List eigne sich besser, den arglosen Mann zu überwältigen. (5) Deshalb schützte Radamistus ein Zerwürfnis mit seinem Vater vor und begab sich, weil er angeblich die Hassausbrüche seiner Stiefmutter nicht ertragen konnte, zu seinem Onkel, wurde von ihm mit großer Freundlichkeit wie ein eigener Sohn behandelt und verleitete die führenden Armenier zu einem Umsturz, ohne dass Mithridates etwas ahnte, sondern ihn sogar noch auszeichnete. 45 (1) Dann versöhnte er sich zum Schein wieder, kehrte zu seinem Vater zurück und berichtete, was man mit Hinterlist habe erreichen können, sei erfolgt, der Rest sei mit Waffen zu erledigen. In der Zwischenzeit dachte sich Pharasmanes Begründungen für den Krieg aus: Bei einer Auseinandersetzung mit dem König der Albaner, bei der er die Römer zu Hilfe gerufen habe, habe ihn sein Bruder als Feind behandelt, und er sei nun dabei, dieses Unrecht mit seiner Vernichtung zu bestrafen; zugleich übergab er seinem Sohn eine große Streitmacht. (2) Der versetzte mit einem plötzlichen Überfall Mithridates in Angst und Schrecken, nahm ihm das flache Land weg und trieb ihn in das Kastell Gorneae, das durch seine Lage und eine Besatzung von Soldaten sicher war, die Caelius Pollio als Kommandant und der Zenturio Casperius befehligten. (3) Von nichts verstehen die Barbaren so wenig wie von den Maschinen und Kriegslisten bei Belagerungen; uns dagegen ist dieser Bereich des Kriegswesens bestens vertraut. So begann Radamistus nach vergeblichen oder mit Verlusten verbundenen Angriffen auf die Befestigungen die Belagerung. (4) Und weil das gewaltsame Vorgehen nicht beachtet wurde, kaufte er sich den habsüchtigen Kommandanten, obwohl Casperius diesen beschwor, nicht den befreundeten König, nicht Armenien, das Geschenk des römischen Volkes, durch das Verbrechen der Bestechlichkeit ins Unglück zu stürzen. Schließlich zog er, weil Pollio die große Zahl der Feinde, Radamistus die Aufträge seines Vaters vorschützte, nach Abschluss eines Waffenstillstands ab, um für den Fall, dass er Pharasmanes vom Krieg nicht hätte abschrecken können, den Statthalter Syriens, Ummidius Quadratus, davon zu unterrichten, in welcher Lage sich Armenien befand.

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    46 (1) Digressu centurionis velut custode exsolutus praefectus hortari Mithridaten ad sanciendum foedus, coniunctionem fratrum ac priorem aetate Pharasmanen et cetera necessitudinum nomina referens, quod filiam eius in matrimonio haberet, quod ipse Radamisto socer esset: non abnuere pacem Hiberos, quamquam in tempore validiores; et satis cognita Armeniorum perfidiam, nec aliud subsidii quam castellum commeatu egenum: ne dubitare armis quam incruentas condiciones malle. (2) cunctante ad ea Mithridate et suspectis praefecti consiliis, quod paelicem regiam polluerat inque omnem libidinem venalis habebatur, Casperius interim ad Pharasmanen pervadit, utque Hiberi obsidio decedant expostulat. (3) ille propalam incerta et saepius molliora respondens, secretis nuntiis monet Radamistum obpugnationem quoquo modo celerare. augetur flagitii merces, et Pollio occulta corruptione impellit milites, ut pacem flagitarent seque praesidium omis minitarentur. qua necessitate Mithridates diem locumque foederi accepit castelloque egreditur. 47 (1) Ac primo Radamistus in amplexus eius effusus simulare obsequium, socerum ac parentem appellare; adicit ius iurandum, non ferro, non veneno vim adlaturum; simul in lucum propinquum trahit, provisum illic sacrificii paratum dictitans, ut diis testibus pax firmaretur. (2) mos est regibus, quotiens in societatem coeant, implicare dextras pollicesque inter se vincire nodoque praestringere; mox, ubi sanguis in artus extremos suffuderit, levi ictu cruorem eliciunt atque in vicem lambunt. id foedus arcanum habetur quasi mutuo cruore sacratum. (3) sed tunc, qui ea vincla admovebat, decidisse simulans genua Mithridatis invadit ipsumque prosternit; simulque concursu plurium iniciuntur catenae, ac compede, quod dedecorum barbaris, trahebatur. (4) mox, quia vulgus duro imperio habitum, probra ac verbera intentabat. et erant contra, qui

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    46 (1) Durch den Abzug des Zenturios fühlte sich der Kommandant wie von einem Aufpasser befreit und forderte Mithridates zum Abschluss eines Vertrags auf, wobei er auf das enge Verhältnis unter Brüdern, das höhere Alter des Pharasmanes und die übrigen verwandtschaftlichen Beziehungen hinwies, nämlich dass er dessen Tochter zur Frau habe, dass er selbst Schwiegervater des Radamistus sei.27 Die Hiberer hätten nichts gegen einen Frieden, obwohl sie derzeit überlegen seien. Zur Genüge kenne man die Treulosigkeit der Armenier, und er habe keinen anderen Stützpunkt als das Kastell, das nur über wenig Proviant verfüge. Er solle deshalb nicht ein zweifelhaftes Unternehmen mit Waffen einer Übereinkunft ohne Blutvergießen vorziehen. (2) Als Mithridates daraufhin zögerte und den Ratschlägen des Kommandanten misstraute, weil dieser eine Nebenfrau des Königs entehrt hatte und als ein Mann galt, der für jede Befriedigung seiner Lust zu kaufen war, kam Casperius in der Zwischenzeit bis zu Pharasmanes durch und verlangte mit Nachdruck, die Hiberer sollten die Belagerung aufheben. (3) Der gab in der Öffentlichkeit ausweichende und noch häufiger wachsweiche Antworten und forderte zugleich durch geheime Boten Radamistus auf, die Belagerung unter allen Umständen voranzutreiben. Die Belohnung für die Schandtat wurde erhöht, und Pollio veranlasste durch heimliche Bestechung die Soldaten dazu, Frieden zu fordern und damit zu drohen, sie würden den Stützpunkt aufgeben. In dieser Zwangslage nahm Mithridates Tag und Ort für einen Vertragsabschluss an und zog aus dem Kastell ab. 47 (1) Zuerst umarmte ihn Radamistus überschwänglich und heuchelte Gehorsam, nannte ihn Schwiegervater und Vater. Zudem legte er einen Eid ab, er werde nicht mit dem Dolch, nicht mit Gift Gewalt anwenden. Zugleich zog er ihn in einen nahegelegenen Hain, wobei er wiederholt betonte, dort seien Vorbereitungen für ein Opfer getroffen worden, damit man mit den Göttern als Zeugen einen dauerhaften Frieden schließen könne. (2) Die Könige haben den Brauch, jedes Mal wenn sie zu einem Bündnis zusammenkommen, die rechten Hände ineinanderzulegen, die Daumen zusammenzubinden und mit einem Knoten fest zuzuziehen; sobald dann das Blut in den Endgliedern gestaut ist, lassen sie es mit einem leichten Schnitt hervorquellen und lecken es gegenseitig ab. Dies betrachtet man als geheimnisvollen Bund, der sozusagen durch den Blutaustausch geheiligt ist. (3) Damals aber tat der Mann, der diese Schnüre anlegen sollte, so, als seien sie zu Boden gefallen, warf sich gegen Mithridates’ Knie und riss ihn um. Zugleich liefen mehrere Personen hin und legten ihn in Ketten, und mit einer Fußfessel, was bei den Barbaren als entehrend gilt, wurde er fortgeschleppt. (4) Dann begann das einfache Volk, weil es mit harter Hand regiert worden war, mit Beschimpfungen und Schlägen über ihn herzufallen. Andererseits gab es auch Leute, die wegen des

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    tantam fortunae commutationem miserarentur; secutaque cum parvis liberis coniunx cuncta lamentatione complebat. diversis et contectis vehiculis abduntur, dum Pharasmanis iussa exquirerentur. (5) illi cupido regni fratre et filia potior, animusque sceleribus paratus; visui tamen consuluit, ne coram interficeret. et Radamistus, quasi ius iurandi memor, non ferrum, non venenum in sororem et patruum expromit, sed proiectos in humum et veste multa gravique opertos necat. filii quoque Mithridatis, quod caedibus parentum inlacrimaverant, trucidati sunt. 48 (1) At Quadratus, cognoscens proditum Mithridaten et regnum ab interfectoribus obtineri, vocat consilium, docet acta et an ulcisceretur consultat. paucis decus publicum curae, plures tuta disserunt: (2) omne scelus externum cum laetitia habendum; semina etiam odiorum iacienda, ut saepe principes Romani eandem Armeniam specie largitionis turbandis barbarorum animis praebuerint: poteretur Radamistus male partis, dum invisus infamis, quando id magis ex usu, quam si cum gloria adeptus foret. (3) in hanc sententiam itum. ne tamen adnuisse facinori viderentur et diversa Caesar iuberet, missi ad Pharasmanen nuntii, ut abscederet a finibus Armeniis filiumque abstraheret. 49 (1) Erat Cappadociae procurator Iulius Paelignus, ignavi animi et deridiculo corporis iuxta despiciendus, sed Claudio perquam familiaris, cum privatus olim conversatione scurarum iners otium oblectaret. is Paelignus auxiliis provincialium contractis tamquam recuperaturus Armeniam, dum socios magis quam hostes praedatur, abscessu suorum et incursantibus barbaris praesidii egens ad Radamistum venit; donisque eius evictus ultro regium insigne sumere cohortatur sumentique adest auctor et satelles. (2) quod ubi turpi fama divulgatum, ne ceteri quoque ex Paeligno coniectarentur, Helvidius Priscus legatus cum legione mittitur, rebus turbidis pro tempore ut consuleret. igitur propere

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    gewaltigen Schicksalschlags Mitleid empfanden, und seine Ehefrau, die mit ihren kleinen Kindern folgte, erfüllte alles mit ihrem Gejammer. Sie wurden in verschiedenen verdeckten Wagen versteckt, bis man die Weisungen des Pharasmanes einholen konnte. (5) Bei diesem zählte die Herrschsucht mehr als Bruder und Tochter, und er war zum Verbrechen entschlossen; trotzdem ersparte er sich den Anblick, sie in seiner Gegenwart umbringen zu lassen. Und Radamistus holte, als denke er an seinen Schwur, nicht Dolch, nicht Gift gegen seine Schwester und seinen Onkel heraus, sondern er ließ sie zu Boden werfen, mit vielen schweren Teppichen zudecken und so töten. Auch die Söhne des Mithridates wurden abgeschlachtet, weil sie über die Ermordung ihrer Eltern geweint hatten. 48 (1) Doch als Quadratus davon erfuhr, Mithridates sei verraten worden und sein Reich befinde sich in den Händen seiner Mörder, berief er einen Kriegsrat ein, unterrichtete ihn über das Geschehen und fragte, ob man Rache üben solle. Nur wenigen Beteiligten war an der Ehre des Staates gelegen, die Mehrheit sprach sich für den sicheren Weg aus: (2) Jedes Verbrechen im Ausland müsse man mit Freude betrachten; sogar die Saat des Hasses müsse man ausstreuen, wie die römischen Principes ja schon oft dasselbe Armenien unter dem Vorwand der Schenkung nur dazu vergeben hätten, unter den Barbaren Unruhe zu stiften: Behalten solle Radamistus seinen auf üble Weise erworbenen Besitz, wenn er dabei nur verhasst und verrufen bleibe; denn das sei vorteilhafter, als wenn er ihn mit Ruhm erworben hätte. (3) Diese Auffassung setzte sich durch. Um aber dennoch nicht den Eindruck zu erwecken, man habe die Schandtat gebilligt, und damit der Caesar nicht andere Befehle erteilte, schickte man eine Gesandtschaft zu Pharasmanes, er solle aus dem armenischen Gebiet abrücken und seinen Sohn abziehen lassen. 49 (1) Prokurator von Kappadokien war Iulius Paelignus, ein Mann, den man wegen seiner Drückebergerei und genauso wegen seines lächerlichen Äußeren nicht ernst nehmen konnte, der aber mit Claudius sehr eng befreundet war aus der Zeit, als sich dieser noch als Privatmann mit Hanswursten die Langeweile vertrieb. Dieser Paelignus zog Hilfstruppen aus der Provinz zusammen, so als wolle er Armenien zurückgewinnen, und während er mehr die Bundesgenossen als die Feinde ausplünderte, liefen seine Leute davon, die Barbaren griffen an, und so kam er ohne jeden Schutz zu Radamistus; er ließ sich durch seine Geschenke auf seine Seite ziehen, forderte ihn von sich aus auf, das königliche Abzeichen anzulegen, und half ihm beim Anlegen als treibende Kraft und Spießgeselle. (2) Als sich die Nachricht von diesem schändlichen Verhalten verbreitete, wurde, damit man nicht von Paelignus auch auf alle anderen schließe, der Legat Helvidius Priscus mit einer Legion geschickt, um die unhaltbaren Zustände je nach Lage zu beseitigen. Deshalb zog er schnell

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    montem Taurum transgressus moderatione plura quam vi composuerat, cum redire in Syriam iubetur, ne initium belli adversus Parthos existeret. 50 (1) Nam Vologaeses casum invadendae Armeniae obvenisse ratus, quam a maioribus suis possessam externus rex flagitio obtineret, contrahit copias fratremque Tiridaten deducere in regnum parat, ne qua pars domus sine imperio ageret. incessu Parthorum sine acie pulsi Hiberi, urbesque Armeniorum Artaxata et Tigranocerta iugum accepere. (2) deinde atrox hiems et parum provisi commeatus et orta ex utroque tabes perpellunt Vologaesen omittere praesentia. vacuamque rursus Armeniam Radamistus invasit, truculentior quam antea, tamquam adversus defectores et in tempore bellaturos. atque illi, quamvis servitio sueti, patientiam abrumpunt armisque regiam circumveniunt. 51 (1) Nec aliud Radamisto subsidium fuit quam pernicitas equorum, quis seque et coniugem abstulit. (2) sed coniunx gravida primam utcumque fugam ob metum hostilem et mariti caritatem toleravit; post festinatione continua ubi quati uterus et viscera vibrantur, orare ut morte honesta contumeliis captivitatis eximeretur. (3) ille primo amplecti adlevare adhortari, modo virtutem admirans, modo timore aeger, ne quis relicta poteretur. postremo violentia amoris et facinorum non rudis destringit acinacen vulneratamque ripam ad Araxis trahit, flumini tradit, ut corpus etiam auferretur: ipse praeceps Hiberos ad patrium regnum pervadit. (4) interim Zenobiam (id mulieri nomen) placida in luvie spirantem ac vitae manifestam advertere pastores, et dignitate formae haud degenerem reputantes obligant vulnus, agrestia medicamina adhibent cognitoque nomine et casu in urbem Artaxata ferunt: unde publica cura deducta ad Tiridaten comiterque excepta cultu regio habita est.

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    über das Taurusgebirge und hatte schon mehr mit Zurückhaltung als mit Gewalt erreicht, da erhielt er den Befehl, nach Syrien zurückzukehren, um keinen Anlass für einen Krieg mit den Parthern entstehen zu lassen. 50 (1) Denn Vologaeses zog in der Überzeugung, eine günstige Gelegenheit zum Einmarsch in Armenien sei gekommen, das im Besitz seiner Vorfahren gewesen sei und das nun ein ausländischer König nach einem schändlichen Verbrechen besetzt halte, Truppen zusammen und traf Anstalten, seinen Bruder Tiridates auf den Thron zu setzen, damit kein Mitglied seines Hauses ohne ein Reich leben müsse. Beim Einmarsch der Parther wurden die Hiberer, ohne dass es zu einer Schlacht kam, vertrieben, und die Städte der Armenier Artaxata und Tigranocerta nahmen das Joch auf sich. (2) Anschließend zwangen ein grässlicher Winter, mangelnde Vorsorge für den Nachschub und eine aus beidem folgende Seuche Vologaeses, das aktuelle Unternehmen aufzugeben. In das nun wieder herrenlose Armenien fiel Radamistus ein, noch grimmiger als zuvor gegen seiner Meinung nach Abtrünnige, die sich bei Gelegenheit wieder empören würden. Und obwohl sie an die Knechtschaft gewöhnt waren, gaben sie doch ihre Duldsamkeit überraschend auf und schlossen die Königsburg mit einem Heer ein. 51 (1) Da blieb Radamistus keine andere Rettung mehr als die Schnelligkeit seiner Pferde, die ihn und seine Frau davontrugen. (2) Aber die schwangere Frau stand nur anfangs die Flucht irgendwie aus Furcht vor dem Feind und aus Liebe zu ihrem Mann durch. Dann jedoch, als durch die ständige Eile ihr Leib durchgeschüttelt wurde und die Eingeweide bebten, bat sie ihn, ihr durch einen ehrenvollen Tod die entehrende Behandlung in der Gefangenschaft zu ersparen. (3) Er nahm sie zuerst in die Arme, machte ihr Mut und sprach ihr gut zu, wobei er bald ihre Tapferkeit bewunderte, bald von der Angst geplagt war, wenn er sie zurücklasse, falle sie jemand in die Hände. Schließlich zog er in seiner leidenschaftlichen Liebe und in schrecklichen Taten nicht unerfahren seinen Säbel, schleppte sie verwundet an das Ufer des Araxes und übergab sie dem Fluss, damit auch ihr Leichnam fortgetragen werde. Er selbst jagte davon und kam bis zu den Hiberern in sein ererbtes Reich. (4) In der Zwischenzeit bemerkten Hirten Zenobia – so hieß die Frau –, die im ruhigen Wasser einer Ausbuchtung noch atmete und offensichtlich am Leben war, und weil sie wegen ihrer würdevollen Gestalt glaubten, sie sei nicht von niederer Herkunft, verbanden sie ihre Wunde, wandten die auf dem Land üblichen Medikamente an und brachten sie, als sie ihren Namen und ihr Schicksal erfahren hatten, in die Stadt Artaxata. Von dort wurde sie unter allgemeiner Anteilnahme zu Tiridates geleitet, von ihm freundlich aufgenommen und wie eine Königin behandelt.

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    52 (1) FAUSTO SULLA SALVIO OTHONE consulibus Furius Scribonianus in exilium agitur, quasi finem principis per Chaldaeos scrutaretur. adnectebatur crimini Vibia mater eius, ut casus prioris (nam relegata erat) impatiens. (2) pater Scriboniani Camillus arma per Dalmatiam moverat; idque ad clementiam trahebat Caesar, quod stirpem hostilem iterum conservaret. neque tamen exuli longa posthac vita fuit: morte fortuita an per venenum exstinctus esset, ut quisque credidit, vulgavere. (3) de mathematicis Italia pellendis factum senatus consultum atrox et inritum. laudati dehinc oratione principis, qui ob angustias familiares ordine senatorio sponte cederent, motique, qui remanendo impudentiam paupertati adicerent. 53 (1) Inter quae refert ad patres de poena feminarum, quae servis coniungerentur; statuiturque, ut ignaro domino ad id prolapsa in servitute, sin consensisset, pro libertis haberentur. (2) Pallanti, quem repertorem eius relationis ediderat Caesar, praetoria insignia et centies quinquagies sestertium censuit consul designatus Barea Soranus. additum a Scipione Cornelio grates publice agendas, quod regibus Arcadiae ortus veterrimam nobilitatem usui publico postponeret seque inter ministros principis haberi sineret. (3) adseveravit Claudius contentum honore Pallantem intra priorem paupertatem subsistere. et fixum est publico senatus consultum, quo libertinus sestertii ter miliens possessor antiquae parsimoniae laudibus cumulabatur. 54 (1) At non frater eius, cognomento Felix, pari moderatione agebat, iam pridem Iudaeae impositus et cuncta malefacta sibi impune ratus tanta potentia subnixo. sane praebuerant Iudaei speciem motus orta seditione, postquam *** cognita caede eius haud obtemperatum esset, manebat metus, ne quis principum eadem imperitaret. (2) atque interim Felix intempestivis remediis delicta

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    52 (1) Unter den Konsuln FAUSTUS SULLA und SALVIUS OTHO (52 n. Chr.) wurde Furius Scribonianus in die Verbannung geschickt mit der Begründung, er habe das Lebensende des Princeps mit Hilfe von Chaldäern herausfinden wollen. Einbezogen in den Vorwurf wurde seine Mutter Vibia, da sie sich mit ihrem früheren Schicksal – denn sie war schon relegiert28 – nicht abfinden könne. (2) Scribonianus’ Vater Camillus hatte in Dalmatien eine Revolte angezettelt, und die Tatsache, dass er den Nachkommen seines Feindes zum zweiten Mal verschonte,29 verstand der Caesar als Ausdruck seiner Nachsicht. Dennoch lebte der Verbannte danach nicht mehr lange: Ob er durch einen natürlichen Tod oder durch Gift ausgelöscht wurde, verbreitete ein jeder nach seinem persönlichen Eindruck weiter. (3) Über die Ausweisung der Astrologen aus Italien kam es zu einem Senatsbeschluss, angsterregend und wirkungslos. Gelobt wurden anschließend in einer Rede des Princeps die Mitglieder, die wegen beschränkter Vermögensverhältnisse freiwillig aus dem Senatorenstand ausschieden, und diejenigen ausgeschlossen, die durch ihr Bleiben zusätzlich zu ihrer Armut mangelndes Ehrgefühl bewiesen. 53 (1) Bei dieser Gelegenheit stellte er bei den Vätern den Antrag auf Bestrafung der Frauen, die eine Verbindung mit Sklaven eingingen, und man beschloss, dass diejenigen, die ohne Wissen des Besitzers so tief gesunken seien, als Sklavinnen, wenn er aber einverstanden war, als Freigelassene behandelt werden sollten. (2) Für Pallas, den der Caesar als Erfinder dieses Antrags bezeichnet hatte, beantragte die Verleihung der Abzeichen eines Prätors und 15 Millionen Sesterze der designierte Konsul Barea Soranus. Zusätzlich wurde von Scipio Cornelius vorgeschlagen, sich von Staats wegen dafür zu bedanken, dass er als Nachkomme der Könige Arkadiens30 seinen uralten Adel dem öffentlichen Nutzen unterordne und es zulasse, zu den Dienern des Princeps gezählt zu werden. (3) Claudius betonte, Pallas begnüge sich mit der Ehre und wolle bei seiner bisherigen Armut bleiben. Tatsächlich brachte man auf einer amtlichen Bronzetafel einen Senatsbeschluss an, dem zufolge ein freigelassener Besitzer von dreihundert Millionen Sesterzen mit Lobhudeleien für seine althergebrachte Sparsamkeit überhäuft wurde. 54 (1) Doch sein Bruder mit dem Beinamen Felix legte nicht die gleiche Bescheidenheit an den Tag; er war schon längere Zeit mit Judäa betraut und davon überzeugt, er komme, weil er sich auf einen Mann mit einer derartigen Macht stützen könne, für alle Übeltaten straflos davon. Natürlich hatten die Juden den Eindruck einer Empörung erweckt, weil Unruhen ausgebrochen waren, nachdem …31 man nach dem Bekanntwerden seiner Ermordung dem nicht nachgekommen war, bestand weiter die Furcht, ein anderer Princeps könne dieselbe Weisung erteilen. (2) Und in der Zwischenzeit schürte Felix mit

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    accendebat, aemulo ad deterrima Ventidio , cui pars provinciae habebatur, ita divisis, ut huic Galilaeorum natio, Felici Samaritae parerent, discordes olim et tum contemptu regentium minus coercitis odiis. (3) igitur raptare inter se, immittere latronum globos, componere insidias et aliquando proeliis congredi, spoliaque et praedas ad procuratores referre. hique primo laetari, mox gliscente pernicie cum arma [militum] interiecissent, caesi milites; arsissetque bello provincia, ni Quadratus Syriae rector subvenisset. (4) nec diu adversus Iudaeos, qui in necem militum proruperant, dubitatum quin capite poenas luerent: Cumanus et Felix cunctationem adferebant, quia Claudius causis rebellionis auditis ius statuendi etiam de procuratoribus dederat. sed Quadratus Felicem inter iudices ostentavit, receptum in tribunal, quo studia accusantium deterrerentur; damnatusque flagitiorum, quae duo deliquerant, Cumanus, et quies provinciae reddita. 55 (1) Nec multo post agrestium Cilicum nationes, quibus Cietarum cognomentum, saepe et alias commotae, tunc Troxoboro duce montes asperos castris cepere, atque inde decursu in litora aut urbes vim cultoribus et oppidanis ac plerumque in mercatores et navicularios audebant. (2) obsessaque civitas Anemuriensis, et missi e Syria in subsidium equites cum praefecto Curtio Severo turbantur, quod duri circum loci peditibusque ad pugnam idonei equestre proelium haud patiebantur. dein rex eius orae Antiochus blandimentis adversum plebem, fraude in ducem cum barbarorum copias dissociasset, Troxoboro paucisque primoribus interfectis ceteros clementia composuit. 56 (1) Sub idem tempus inter lacum Fucinum amnemque Lirim perrupto monte, quo magnificentia operis a pluribus viseretur, lacu in ipso navale proelium adornatur, ut quondam Augustus structo cir Tiberim stagno, sed levibus navigiis et minore copia ediderat. (2) Claudius triremes quadriremesque et undeviginti hominum milia armavit, cincto ratibus ambitu, ne vaga effugia

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    unangemessenen Gegenmaßnahmen weitere Verstöße; mit ihm wetteiferte im übelsten Sinne Ventidius Cumanus, dem ein Teil der Provinz unterstand, wobei folgende Einteilung galt: Ihm gehorchte der Stamm der Galiläer, Felix die Samariter, die von jeher miteinander verfeindet waren und damals aus Verachtung für ihre Herrscher ihre Hassgefühle noch weniger zügelten. (3) Deshalb raubten sie sich gegenseitig aus, schickten Räuberbanden los, legten Hinterhalte, stießen manchmal sogar in Gefechten aufeinander und brachten Kriegs- und sonstige Beute zu den Prokuratoren. Diese waren davon zunächst angetan; als das Unwesen dann aber um sich griff und sie mit Truppen dazwischengehen mussten, wurden Soldaten umgebracht, und in der Provinz wäre ein Krieg entbrannt, wenn nicht Quadratus, der Leiter Syriens, eingegriffen hätte. (4) Keine langen Umstände machte man mit den Juden, die sich zum Mord an Soldaten hatten hinreißen lassen; sie büßten mit dem Tod. Cumanus und Felix verursachten eine Verzögerung, weil Claudius, als er von den Ursachen für den Aufstand hörte, das Recht erteilt hatte, auch über die Prokuratoren zu entscheiden. Aber Quadratus stellte Felix unter den Richtern zur Schau, nachdem er ihn mit auf das Tribunal genommen hatte, um den Eifer seiner Ankläger abzuschrecken; verurteilt für die Schandtaten, die zwei verbrochen hatten, wurde nur Cumanus, und in der Provinz herrschte wieder Ruhe. 55 (1) Nicht viel später bezogen die Stämme der unzivilisierten Kilikier, die den Namen Cieten führen und sich schon oft bei anderen Gelegenheiten empört hatten, dieses Mal unter Führung des Troxoborus in den zerklüfteten Bergen ein Lager, unternahmen von dort aus Streifzüge an Küsten oder Städte und waren so dreist, gegen Bauern und Städter und sehr oft gegen Händler und Reeder gewaltsam vorzugehen. (2) Belagert wurde die Stadt Anemurium, und die aus Syrien zu Hilfe geschickte Kavallerie wurde zusammen mit ihrem Kommandanten Curtius Severus geschlagen, weil das ringsum schroffe, nur für den Kampf mit Infanteristen geeignete Gelände ein Kavalleriegefecht nicht zuließ. Dann aber ließ der König dieses Küstengebiets, Antiochus, nachdem er die Truppen der Barbaren mit Versprechungen gegenüber dem einfachen Volk, mit Hinterlist gegenüber ihrem Anführer entzweit hatte, Troxoborus und ein paar Häuptlinge umbringen und sorgte durch die nachsichtige Behandlung aller anderen für Ruhe und Ordnung. 56 (1) Ungefähr zur gleichen Zeit wurde zwischen dem Fuciner See und dem Lirisfluss der Berg durchstochen, und damit die Großartigkeit des Bauwerks von einer größeren Menschenmenge wahrgenommen werden konnte, setzte man auf dem See selbst eine Seeschlacht in Szene, wie sie einst Augustus in dem jenseits des Tiber ausgehobenen Teich, aber mit leichten Schiffen und weniger Besatzungen veranstaltet hatte. (2) Claudius bewaffnete Drei- und Vierruderer sowie 19 000 Mann, wobei das Ufer ringsum von Flößen einge-

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    forent, ac tamen spatium amplexus ad vim remigii, gubernantium artes, impetus navium et proelio solita. in ratibus praetoriarum cohortium manipuli turmaeque adstiterant, antepositis propugnaculis, ex quis catapultae ballistaeque tenderentur. reliqua lacus classiarii tectis navibus obtinebant. (3) ripas et colles, montiumque edita in modum theatri multitudo innumera complevit, proximis e municipiis et alii urbe ex ipsa, visendi cupidine aut officio in principem. ipse insigni paludamento neque procul Agrippina chlamyde aurata praesedere. pugnatum quamquam inter sontes fortium virorum animo, ac post multum vulnerum occidioni exempti sunt. 57 (1) Sed perfecto spectaculo apertum aquarum iter, incuria operis manifesta fuit, haud satis depressi ad lacus ima vel media. eoque tempore interiecto altius effossi specus, et contrahendae rursum multitudini gladiatorum spectaculum editur, inditis pontibus pedestrem ad pugnam. (2) quin et convivium effluvio lacus adpositum magna formidine cunctos adfecit, quia vis aquarum prorumpens proxima trahebat, convulsis ulterioribus aut fragore et sonitu exterriti. simul Agrippina trepidatione principis usa ministrum operis Narcissum incusat cupidinis ac praedarum, nec ille reticet, impotentiam muliebrem nimiasque spes eius arguens. 58 (1) D. IUNIO Q. HATERIO consulibus sedecim annos natus Nero Octaviam Caesaris filiam in matrimonium accepit. utque studiis honestis eloquentiae gloria enitesceret, causa Iliensium suscepta Romanum Troia demissum et Iuliae stirpis auctorem Aeneam aliaque haud procul fabulis vera facunde exsecutus perpetrat, ut Ilienses omni publico munere solverentur. (2) eodem oratore Bononiensi coloniae igni haustae subventum centies sestertii largitione. reddita Rhodiis libertas, adempta saepe aut firmata, prout bellis externis

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    säumt war, damit sich keine zufälligen Fluchtmöglichkeiten ergaben, und dennoch blieb Raum genug für den kraftvollen Einsatz der Ruder, das Können der Steuerleute, die Angriffe der Schiffe und alles, was zu einer Schlacht gehört. Auf den Flößen hatten Manipel und Schwadronen der Prätorianerkohorten Stellung bezogen, und vor ihnen waren Brustwehren aufgebaut, von denen aus Katapulte und Ballisten32 schießen konnten. Die übrige Fläche des Sees hielten Marinesoldaten mit gedeckten Schiffen besetzt. (3) Die Ufer, Hügel und Bergeshöhen füllte wie in einem Theater eine unzählige Menschenmenge, die aus den nächstgelegenen Landstädten, zum Teil auch aus der Hauptstadt selbst gekommen war, aus Schaulust oder Verpflichtung dem Princeps gegenüber. Er führte persönlich in einem prächtigen Feldherrnmantel und nicht weit entfernt Agrippina in einem golddurchwirkten Umhang den Vorsitz. Gekämpft wurde, obwohl es sich um Sträflinge handelte, mit dem Mut tapferer Männer, und nach vielen Verwundungen entzog man sie dem Gemetzel. 57 (1) Als man aber nach der Aufführung des Schauspiels den Weg für die Wassermassen öffnete, wurde die Nachlässigkeit offenkundig, mit der dieses Werk ausgeführt worden war: Es war nicht weit genug bis zum Grund des Sees oder wenigstens bis zur Mitte hinabgegraben worden. Deshalb wurden nach einiger Zeit die Abzugskanäle tiefer ausgehoben, und um wieder eine Menschenmenge anzuziehen, wurde ein Gladiatorenspiel veranstaltet, für das man Pontons für ein Landgefecht in den See legte. (2) Ja, sogar ein Bankett wurde am Abfluss des Sees gegeben und rief bei allen große Furcht hervor, weil die mit Gewalt hervorbrechenden Wassermassen die unmittelbare Umgebung mitrissen, die weiter entfernten Gebiete unterspülten oder mit Krachen und Getöse in Angst und Schrecken versetzten. Zugleich nützte Agrippina die Ängstlichkeit des Princeps dazu, den für den Bau verantwortlichen Narcissus der Geldgier und Unterschlagung zu beschuldigen, aber der hörte sich das nicht schweigend an, sondern warf ihr weibliche Herrschsucht und übertriebene Hoffnungen vor. 58 (1) Unter den Konsuln D. IUNIUS und Q. HATERIUS (53 n. Chr.) erhielt der sechzehnjährige Nero Octavia, die Tochter des Caesars, zur Frau. Um durch ehrenwerte geistige Beschäftigung und den Ruhm der Beredsamkeit zu glänzen, übernahm er die Vertretung der Einwohner von Ilion, legte redegewandt dar, dass die Römer aus Troja stammten und Äneas der Ahnherr des julischen Geschlechts sei, zusammen mit anderen alten Geschichten, die sich nicht sehr von Märchen unterschieden, und erreichte damit, dass den Einwohnern von Ilion alle öffentlichen Abgaben erlassen wurden. (2) Ebenfalls mit ihm als Sprecher kam man der Kolonie Bononia, die bei einem Brand zerstört worden war, mit einer Spende von zehn Millionen Sesterzen zu Hilfe. Den Rhodiern wurde die Freiheit zurückgegeben, die man ihnen schon oft genommen oder bestätigt

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    meruerant aut domi seditione deliquerant; tributumque Apamensibus terrae motu convulsis in quinquennium remissum. 59 (1) At Claudius saevissima quaeque promere adigebatur eiusdem Agrippinae artibus, quae Statilium Taurum opibus inlustrem hortis eius inhians pervertit accusante Tarquitio Prisco. legatus is Tauri Africam imperio proconsulari regentis, postquam revenerant, pauca repetundarum crimina, ceterum magicas superstitiones obiectabat. (2) nec ille diutius falsum accusatorem, indigna sordes perpessus vim vitae suae attulit ante sententiam senatus. Tarquitius tamen curia exactus est, quod patres odio delatoris contra ambitum Agrippinae pervicere. 60 (1) Eodem anno saepius audita vox principis, parem vim rerum habendam a procuratoribus suis iudicatarum, ac si ipse statuisset. ac ne fortuito prolapsus videretur, senatus quoque consulto cautum plenius quam antea et uberius. (2) nam divus Augustus apud equestres, qui Aegypto praesiderent, lege agi decretaque eorum proinde haberi iusserat, ac si magistratus Romani constituissent; mox alias per provincias et in urbe pleraque concessa sunt, quae olim a praetoribus noscebantur. (3) Claudius omne ius tradidit, de quo totiens seditione aut armis certatum, cum Semproniis rogationibus equester ordo in possessione iudiciorum locaretur aut rursum Serviliae leges senatui iudicia redderent, Mariusque et Sulla olim de eo vel praecipue bellarent. (4) sed tunc ordinum diversa studia, et quae vicerant publice valebant. C. Oppius et Cornelius Balbus primi Caesaris opibus potuere condiciones pacis et arbitria belli tractare. Matios posthac et Vedios et cetera equitum Romanorum praevalida nomina referre nihil attinuerit, cum Claudius libertos, quos rei familiari praefecerat, sibique et legibus adaequaverit. 61 (1) Rettulit dein de immunitate Cois tribuenda, multaque super antiquitate eorum memoravit: Argivos vel Cum Latonae parentem vetustissimos insulae cultores; mox adventu Aesculapii artem medendi inlatam

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    hatte, je nachdem sie sich in auswärtigen Kriegen verdient oder zu Hause durch Unruhen schuldig gemacht hatten; der Tribut wurde den von einem Erdbeben arg mitgenommenen Einwohnern von Apamea für fünf Jahre erlassen. 59 (1) Doch Claudius ließ sich dazu verleiten, die größten Grausamkeiten an den Tag zu legen, durch die Machenschaften ebenfalls der Agrippina, die den für seinen Reichtum bekannten Statilius Taurus aus Gier nach seinem Park ins Unglück stürzte; Ankläger war Tarquitius Priscus. Der war Taurus’ Legat gewesen, als dieser mit der Befehlsgewalt eines Prokonsuls Africa leitete, und warf ihm nach ihrer Rückkehr einige wenige Erpressungen, im Übrigen abergläubische Zaubereien vor. (2) Dieser konnte aber die Falschheit des Anklägers und die entehrende Erniedrigung33 nicht länger ertragen und machte seinem Leben ein gewaltsames Ende noch vor einem Senatsbeschluss. Tarquitius wurde dennoch aus der Kurie vertrieben; das setzten die Väter aus Hass über den Denunzianten gegen die Beeinflussungsversuche Agrippinas durch. 60 (1) Im gleichen Jahr konnte man öfter eine Äußerung des Princeps hören, gleiche Geltung müssten die von seinen Prokuratoren gefällten Entscheidungen haben, wie wenn er sie persönlich getroffen hätte. Und damit ihm das nicht unüberlegt herausgerutscht zu sein schien, traf man dafür auch durch einen Senatsbeschluss umfassendere und weitergehende Bestimmungen als zuvor. (2) Denn der vergöttlichte Augustus hatte angeordnet, dass vor den Rittern, die Ägypten leiteten, gesetzliche Verfahren durchgeführt werden könnten und ihre Entscheidungen genauso zu betrachten seien, als hätten sie römische Amtsträger getroffen; später wurden ihnen auch in anderen Provinzen und in der Hauptstadt zahlreiche Aufgaben anvertraut, die früher einmal von den Prätoren wahrgenommen wurden. (3) Claudius übertrug ihnen die gesamte Rechtsprechung34, für die man so oft in Aufständen oder mit Waffengewalt gestritten hatte, als durch die sempronischen Gesetzesanträge der Ritterstand in den Besitz der Gerichtsbarkeit gebracht wurde oder die servilischen Gesetze die Gerichtsbarkeit wieder dem Senat zurückgaben und als Marius und Sulla seinerzeit vor allem darum Krieg führten.35 (4) Damals aber gingen die Interessen der Stände in verschiedene Richtungen, und was sie durchgesetzt hatten, galt für die Gesamtheit. C. Oppius und Cornelius Balbus waren die Ersten, die aufgrund der Macht Caesars Friedensbedingungen stellen und freie Entscheidungen über einen Krieg treffen konnten. Danach dürfte ein Hinweis auf Männer wie Matius, Vedius und die übrigen Namen höchst einflussreicher römischer Ritter nicht mehr von Belang sein, da Claudius ja Freigelassene, die er sein Vermögen verwalten ließ, mit sich und den Gesetzen auf eine Stufe stellte. 61 (1) Dann beantragte er Steuerfreiheit für die Einwohner von Kos und ging ausführlich auf ihre alte Geschichte ein: Argiver oder Coeus, der Vater Latonas, seien die ältesten Siedler auf der Insel gewesen. Später sei mit der Ankunft des

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    maximeque inter posteros eius celebrem fuisse, nomina singulorum referens et quibus quisque aetatibus viguissent. (2) quin etiam dixit Xenophontem, cuius scientia ipse uteretur, eadem familia ortum, precibusque eius dandum, ut omni tributo vacui in posterum Coi sacram et tantum dei ministram insulam colerent. neque dubium habetur multa eorundem in populum Romanum merita sociasque victorias potuisse tradi: sed Claudius, facilitate solita quod uni concesserat, nullis extrinsecus adiumentis velavit. 62 At Byzantii data dicendi copia, cum magnitudinem onerum apud senatum deprecarentur, cuncta repetivere. orsi a foedere, quod nobiscum icerant, qua tempestate bellavimus adversus regem Macedonum, cui ut degeneri Pseudophilippi vocabulum impositum, missas posthac copias in Antiochum Persen Aristonicum, et piratico bello adiutum Antonium memorabant, quaeque Sullae aut Lucullo aut Pompeio obtulissent, mox recentia in Caesares merita, quando ea loca insiderent, quae transmeantibus terra marique ducibus exercitibusque, simul vehendo commeatu opportuna forent. 63 (1) Namque artissimo inter Europam Asiamque divortio Byzantium in extremo Europae posuere Graeci, quibus Pythium Apollinem consulentibus, ubi conderent urbem, redditum oraculum est, quaererent sedem caecorum terris adversam. (2) ea ambage Chalcedonii monstrabantur, quod priores illuc advecti, praevisa locorum utilitate, peiora legissent. quippe Byzantium fertili solo, fecundo mari, quia vis piscium immensa Pontum erumpens et obliquis subter undas saxis exterrita omisso alterius litoris flexu hos ad portus defertur. (3) unde primo quaestuosi et opulenti; post magnitudine onerum urgente finem aut modum orabant, adnitente principe, qui Thraecio Bosporanoque bello recens fessos iuvandosque rettulit. ita tributa in quinquennium remissa.

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    Äskulap die Heilkunst eingeführt worden und besonders unter seinen Nachkommen berühmt gewesen, wobei er die Namen jedes Einzelnen erwähnte und in welcher Zeit ein jeder wirkte. (2) Ja, er behauptete sogar, Xenophon, dessen Wissen er persönlich nütze, stamme aus derselben Familie, und seinen Bitten solle man entsprechen, nämlich dass frei von allen Abgaben künftig die Koer auf ihrer heiligen und nur dem Gott zu Diensten stehenden Insel leben könnten. Dabei hätte man zweifellos viele Leistungen gerade dieser Menschen für das römische Volk und gemeinsam errungene Siege erwähnen können; aber Claudius verschleierte, was er in seiner gewohnten Nachgiebigkeit einem Einzelnen zugebilligt hatte, mit keinen von außen hergeholten Hilfsargumenten. 62 Die Einwohner von Byzanz jedoch holten, als sie das Wort erhielten und dringend um eine Senkung der hohen Abgabenlast vor dem Senat baten, alle Argumente von weit her. Sie begannen mit dem Vertrag, den sie mit uns zu der Zeit geschlossen hatten, als wir gegen den Makedonenkönig Krieg führten, der als nicht ebenbürtig den Namen Pseudophilipp bekommen hatte, und erwähnten dann die danach gegen Antiochus, Perseus und Aristonicus geschickten Truppen, dazu, dass Antonius36 im Seeräuberkrieg unterstützt worden war, und ihre Angebote an Sulla oder Lucullus oder Pompeius, schließlich ihre Verdienste um die Caesaren in jüngerer Zeit, da sie ja in der Gegend wohnten, die für zu Lande und zu Wasser durchziehende Kommandeure und Heere, zugleich für den Transport von Nachschub günstig gelegen sei. 63 (1) Denn an der engsten Stelle zwischen Europa und Asien haben Byzanz in der äußersten Ecke Europas Griechen angelegt, denen auf ihre Frage an den Pythischen Apollon, wo sie eine Stadt gründen sollten, das Orakel erteilt wurde, sie sollten ein Siedlungsgebiet suchen, das den Ländern der Blinden gegenüberliege. (2) Mit dieser rätselhaften Antwort wurde auf die Chalkedonier verwiesen, weil diese dort früher gelandet waren und, obwohl sie die Vorteile der Gegend schon vorher sahen, den schlechteren Teil gewählt hätten. Denn Byzanz verfügt über fruchtbaren Boden und ein ertragreiches Meer, weil riesige Fischschwärme aus dem Pontus hervorbrechen, durch die quer unter den Wogen liegenden Klippen in Panik geraten, deshalb den Küstenbogen am anderen Ufer meiden und zu den Häfen auf dieser Seite getrieben werden. (3) Deshalb machten sie in der ersten Zeit viel Gewinn und waren wohlhabend; als sie später dann die hohen Abgaben belasteten, baten sie um Erlass oder wenigstens Ermäßigung. Dafür setzte sich der Princeps mit dem Hinweis ein, sie seien erst kürzlich durch den Thrakischen und Bosporanischen Krieg37 ausgelaugt worden und bedürften der Hilfe. Deshalb wurden die Tribute für fünf Jahre erlassen.

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    64 (1) M. ASINIO M’. ACILIO consulibus mutationem rerum in deterius portendi cognitum est crebris prodigiis. signa ac tentoria militum igne caelesti arsere; fastigium Capitolii examen apium insedit; biformes hominum partus, et suis fetum editum, cui accipitrum ungues inessent. numerabatur inter ostenta deminutus omnium magistratuum numerus, quaestore, aedili, tribuno ac praetore et consule paucos intra menses defunctis. (2) sed in praecipuo pavore Agrippina, vocem Claudii, quam temulentus iecerat, fatale sibi ut coniugum flagitia ferret, dein puniret, metuens, agere et celerare statuit, perdita prius Domitia Lepida muliebribus causis, qua Lepida, minore Antonia genita, avunculo Augusto, Agrippinae sobrina prior ac Gnaei mariti eius soror, parem sibi claritudinem credebat. (3) nec forma aetas opes multum distabant; et utraque impudica infamis violenta haud minus vitiis aemulabantur, quam si qua ex fortuna prospera acceperant. enimvero certamen acerrimum, amita potius an mater apud Neronem praevaleret: nam Lepida blandimentis ac largitionibus iuvenilem animum devinciebat, truci contra ac minaci Agrippina, quae filio dare imperium, tolerare imperitantem nequibat. 65 (1) Ceterum obiecta sunt, quod coniugem principis devotionibus petivisset quodque parum coercitis per Calabriam servorum agminibus pacem Italiae turbaret. ob haec mors indicta, multum adversante Narcisso, qui Agrippinam magis magisque suspectans prompsisse inter proximos ferebatur certam sibi perniciem, seu Britannicus rerum seu Nero poteretur; verum ita de se meritum Caesarem, ut vitam usui eius impenderet. (2) convictam Messalinam et Silium: pares iterum accusandi causas esse, si Nero imperitaret; Britannico successore nullum principi meritum. at novercae insidiis domum omnem convelli, maiore flagitio, quam si impudicitiam prioris coniugis reticuisset. quamquam ne impudicitiam quidem nunc abesse Pallante adultero,

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    64 (1) Unter den Konsuln M. ASINIUS und M’. ACILIUS (54 n. Chr.) bemerkte man, dass sich eine Verschlechterung der allgemeinen Lage ankündigte, anhand zahlreicher Wundererscheinungen: Feldzeichen und Soldatenzelte gerieten durch Feuer vom Himmel in Brand. Auf dem Giebel des Kapitols ließ sich ein Bienenschwarm nieder. Zweigestaltige Menschen38 wurden geboren, und ein Schwein brachte ein Ferkel zur Welt, das Habichtsklauen hatte. Man zählte zu den schlimmen Vorzeichen, dass die Zahl der Amtsträger in allen Rängen abgenommen hatte, weil ein Quästor, ein Ädil, ein Tribun und ein Prätor sowie ein Konsul innerhalb weniger Monate gestorben waren. (2) Aber in besonderer Angst schwebte Agrippina: Sie fürchtete sich vor einem Ausspruch des Claudius, den er im Rausch hatte fallen lassen, es sei sein Schicksal, die Schandtaten seiner Frauen ertragen und dann bestrafen zu müssen, und beschloss deshalb, schnell zu handeln, nachdem zuvor noch Domitia Lepida aus weiblichen Beweggründen vernichtet worden war. Denn Lepida war die Tochter der jüngeren Antonia39, hatte Augustus als Großonkel, war Agrippinas Tante näheren Grades und Schwester von deren Mann Gnaeus und glaubte deshalb, gleich vornehm zu sein. (3) Aber auch bei Aussehen, Alter und Reichtum gab es keine großen Unterschiede; zudem waren beide schamlos, verrufen und gewalttätig und wetteiferten miteinander nicht weniger in ihrem moralischen Fehlverhalten als mit etwaigen Glücksgaben, die sie vom Schicksal erhalten hatten. Jedenfalls entbrannte der heftigste Streit darum, ob eher Tante oder Mutter bei Nero mehr zu sagen habe.40 Denn Lepida versuchte den jungen Mann mit Schmeicheleien und Geschenken an sich zu binden, während auf der anderen Seite Agrippina ihm grimmig drohte: Sie konnte ihrem Sohn zwar die Herrschaft geben, ihn aber als Herrscher nicht ertragen. 65 (1) Aber es wurde ihr auch vorgeworfen, sie sei gegen die Gemahlin des Princeps mit Zaubersprüchen vorgegangen, habe ihre Sklavenscharen in Kalabrien zu wenig in Zaum gehalten und störe damit den Frieden in Italien. Deshalb wurde die Todesstrafe ausgesprochen, was auf den heftigen Widerstand des Narcissus stieß, der Agrippina mehr und mehr misstraute und in seiner engsten Umgebung geäußert haben soll, ihm sei der Untergang gewiss, ob nun Britannicus oder Nero an die Macht komme; aber der Caesar habe sich seiner derart angenommen, dass er sein Leben in seinem Interesse opfern würde. (2) Messalina und Silius seien überführt worden. Die gleichen Gründe für eine Anklage lägen wieder vor, falls Nero herrsche. Mit Britannicus als Nachfolger schulde ihm der Princeps nichts.41 Aber durch die Intrigen der Stiefmutter werde das gesamte Haus erschüttert, und die Schande sei dabei noch größer, als wenn er die Schamlosigkeit der früheren Gattin verschwiegen hätte. Gleichwohl fehle es auch jetzt nicht an Schamlosigkeit mit Pallas als Ehebrecher,

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    ne quis ambigat decus pudorem corpus, cuncta regno viliora habere. (3) haec atque talia dictitans amplecti Britannicum, robur aetatis quam maturrimum precari, modo ad deos, modo ad ipsum tendere manus, adolesceret, patris inimicos depelleret, matris etiam interfectores ulcisceretur. 66 (1) In tanta mole curarum valetudine adversa corripitur, refovendisque viribus mollitia caeli et salubritate aquarum Sinuessam pergit. tum Agrippina, sceleris olim certa et oblatae occasionis propera nec ministrorum egens, de genere veneni consultavit: ne repentino et praecipiti facinus proderetur; si lentum et tabidum delegisset, ne admotus supremis Claudius et dolo intellecto ad amorem filii rediret. exquisitum aliquid placebat, quod turbaret mentem et mortem differret. (2) deligitur artifex talium vocabulo Locusta, nuper veneficii damnata et diu inter instrumenta regni habita. eius mulieris ingenio paratum virus, cuius minister e spadonibus fuit Halotus, inferre epulas et explorare gustu solitus. 67 (1) Adeoque cuncta mox pernotuere, ut temporum illorum scriptores prodiderint infusum delectabili boleto venenum, nec vim medicaminis statim intellectam, socordiane an Claudii vinolentia; simul soluta alvus subvenisse videbatur. (2) igitur exterrita Agrippina, et, quando ultima timebantur, spreta praesentium invidia provisam iam sibi Xenophontis medici conscientiam adhibet. ille tamquam nisus evomentis adiuvaret, pinnam rapido veneno inlitam faucibus eius demisisse creditur, haud ignarus summa scelera incipi cum periculo, peragi cum praemio. 68 (1) Vocabatur interim senatus votaque pro incolumitate principis consules et sacerdotes nuncupabant, cum iam exanimis vestibus et fomentis obtegeretur, dum que res forent firmando Neronis imperio componuntur. (2) iam primum Agrippina, velut dolore victa et solacia conquirens, tenere amplexu Britannicum, veram paterni oris effigiem appellare ac variis artibus demorari,

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    und niemand dürfe daran zweifeln, dass ihr Ehre, Schamgefühl und Körper, kurz alles weniger wert sei als die Alleinherrschaft. (3) Bei Äußerungen wie diesen umarmte er Britannicus, betete darum, dass er zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein kräftiger junger Mann werde, flehte bald die Götter, bald ihn selbst mit erhobenen Händen an, er solle erwachsen werden, die Feinde seines Vaters verjagen und sich auch an den Mördern seiner Mutter rächen. 66 (1) Unter dieser großen Sorgenlast wurde er von einer Krankheit ergriffen und begab sich zur Stärkung seiner Kräfte wegen der Milde des Klimas und der Heilkraft des Wassers nach Sinuessa. Da machte sich Agrippina, die schon lange zum Verbrechen entschlossen war, die gebotene Gelegenheit schnell nützen wollte und der es auch nicht an Helfershelfern fehlte, Gedanken über die Art des Gifts: Durch ein plötzlich und schlagartig wirkendes dürfe die Tat nicht verraten werden; falls sie aber ein langsames und schleichendes wähle, dürfe Claudius, wenn er sich seinem Ende nähere und die Hinterlist durchschaue, nicht zur Liebe zu seinem Sohn zurückfinden. Für ein ganz ausgefallenes Mittel entschied sie sich, das seinen Verstand verwirren und den Tod verzögern sollte. (2) Man wählte eine Expertin auf diesem Gebiet namens Locusta aus, die erst kurz zuvor wegen Giftmischerei verurteilt worden war und schon lange als eines der Werkzeuge der Alleinherrschaft angesehen wurde. Mit dem Einfallsreichtum dieser Frau bereitete man ein Gift, das einer von den Eunuchen, Halotus, verabreichen sollte, der gewöhnlich die Speisen auftrug und als Vorkoster prüfte. 67 (1) All diese Schritte wurden später so genau bekannt, dass Geschichtsschreiber jener Zeit berichten konnten, in ein schmackhaftes Pilzgericht sei das Gift geträufelt worden, aber eine Wirkung des Mittels habe man nicht sofort bemerkt, weil Claudius dafür unempfindlich oder betrunken war; zudem schien ihm ein Durchfall geholfen zu haben. (2) Deshalb geriet Agrippina in Panik und zog aus Furcht vor dem Äußersten ohne Rücksicht auf die Verdächtigung, die das sofortige Handeln hervorrufen musste,42 den vorsorglich eingeweihten Arzt Xenophon bei. Der soll so getan haben, als wolle er ihm die Mühe beim Erbrechen erleichtern, und ihm eine mit einem augenblicklich wirkenden Gift bestrichene Feder in den Schlund gesteckt haben, wohl wissend, dass man die größten Verbrechen mit Gefahr beginnt, aber mit Gewinn vollendet. 68 (1) In der Zwischenzeit wurde der Senat einberufen, und Konsuln wie Priester legten Gelübde für die Gesundung des Princeps ab, da wurde er schon leblos mit Tüchern und Verbänden zugedeckt, während man die zur Sicherung der Herrschaft Neros erforderlichen Maßnahmen traf. (2) Das Erste war, dass Agrippina, wie von Schmerz überwältigt und Trost suchend, Britannicus in ihre Arme nahm, ihn das wahre Ebenbild seines Vaters nannte und mit allerlei Schlichen aufhielt, damit er sein Zimmer nicht verlassen

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    ne cubiculo egrederetur. (3) Antoniam quoque et Octaviam sorores eius attinuit, et cunctos aditus custodiis clauserat, crebroque vulgabat ire in melius valitudinem principis, quo miles bona in spe ageret tempusque prosperum ex monitis Chaldaeorum adventaret. 69 (1) Tunc medio diei tertium ante Idus Octobres, foribus Palatii repente diductis, comitante Burro Nero egreditur ad cohortem, quae more militiae excubiis adest. ibi monente praefecto faustis vocibus exceptus inditur lecticae. dubitavisse quosdam ferunt, respectantes rogitantesque ubi Britannicus esset: mox nullo in diversum auctore, quae offerebantur secuti sunt. (2) inlatusque castris Nero et congruentia tempori praefatus, promisso donativo ad exemplum paternae largitionis, imperator consalutatur. sententiam militum secuta patrum consulta, nec dubitatum est apud provincias. (3) caelestesque honores Claudio decernuntur et funeris sollemne perinde ac divo Augusto celebratur, aemulante Agrippina proaviae Liviae magnificentiam. testamentum tamen haud recitatum, ne antepositus filio privignus iniuria et invidia animos vulgi turbaret.

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    konnte. (3) Auch seine Schwestern Antonia und Octavia hielt sie zurück und hatte sämtliche Zugänge durch Wachen abgesperrt; mehrfach ließ sie verbreiten, die Gesundheit des Princeps sei auf dem Weg der Besserung, damit die Soldaten mit einem guten Ausgang rechneten und der sich aus den Prophezeiungen der Chaldäer ergebende günstige Zeitpunkt da war. 69 (1) Dann wurden am Mittag des 13. Oktober die Tore des Palatiums plötzlich geöffnet, und in Burrus’ Begleitung trat Nero vor die Kohorte, die nach militärischem Brauch Wachdienst hatte. Dort wurde er nach Aufforderung durch den Kommandanten mit Glückwünschen empfangen und in eine Sänfte gesetzt. Ein paar Soldaten hätten gezögert, wird berichtet, und sich umgeschaut und wiederholt gefragt, wo Britannicus sei; als dann aber niemand eine abweichende Auffassung vertrat, folgten sie dem, was ihnen angeboten wurde. (2) Nero wurde in die Kaserne getragen, sagte vorab einige dem Anlass angemessene Worte, versprach ein Geldgeschenk nach dem Vorbild der väterlichen Freigebigkeit und wurde daraufhin als Oberbefehlshaber begrüßt. Der Auffassung der Soldaten schlossen sich die Beschlüsse der Väter an, und auch in den Provinzen gab es keine Bedenken. (3) Himmlische Ehren wurden Claudius zuerkannt, und die Leichenfeier wurde genauso wie beim vergöttlichten Augustus abgehalten, wobei Agrippina mit der Großzügigkeit ihrer Urgroßmutter Livia wetteiferte. Das Testament verlas man dennoch nicht, damit die Bevorzugung des Stiefsohns vor dem Sohn nicht aus Unmut über ihre Ungerechtigkeit zu Tumulten im Volk führe.

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    Vgl. 1,24,2.69,5; 3,29,4.35,2.66,3.72,3f. Vgl. 3,29,1. Gemeint sind das Tyrrhenische und das Adriatische Meer. Die Rammsporne am Bug von Kriegsschiffen wurden ihrer Form nach als Schnäbel bezeichnet. Zur vom Senat beschlossenen Statue Sejans im Pompeiustheater ist 3,72,3, zu den Enkeln 3,29,4, die geplante Ehe zwischen Sejans Tochter und Claudius’ Sohn, zu vergleichen. Vgl. 3,43,1. Eine Anspielung auf die berühmten Volkstribune Ti. und C. Sempronius Gracchus; zum Vater Sempronius Gracchus vgl. 1,53,3 – 6. 88 v. Chr. sollen dabei 80 000 römische Bürger und Italiker ums Leben gekommen sein. Zum „Neuling“ vgl. 3,55,3. – Staatsbegräbnisse, auch als publica funera bezeichnet, wurden ursprünglich von den Zensoren organisiert (vgl. 3,5,1.48,1; 6,11,3.27,2). Vgl. 4,6,3. Capito war also nicht der prokonsularische Statthalter Asias, von dem T. im nächsten Satz mit dem archaisierenden Terminus praetor spricht. Er hätte sich genau genommen gar nicht vor dem Senat verantworten müssen. Die confarreatio war die feierlichste Form der Eheschließung durch den Pontifex maximus in Anwesenheit von mindestens zehn Zeugen. Die Brautleute aßen dabei als Ausdruck der Verbundenheit ein Stück Dinkelkuchen (panis farreus). farreus). Vgl. 3,43,3. Dieser juristische Terminus bedeutet „eine Vorladung aussprechen“ (ähnlich 2,79,1). Tiberius zitiert mit ne … caperet das sogenannte senatus consultum ultimum, das während der Republik in Augenblicken höchster Gefahr gefasst wurde. Das heißt, obwohl er einer Verurteilung zuvorgekommen war (vgl. 4,30,2). Vgl. 2,34,1. In dem unterirdischen Verlies am Abhang des Kapitols ((carcer carcer Mamertinus oder robur robur)) richtete man Staatsfeinde hin oder ließ sie verhungern. – Zum Sturz vom Tarpejischen Felsen vgl. 2,32,3. – Vatermörder wurden in einen Ledersack eingenäht und in den Tiber geworfen.

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    Anmerkungen zu Buch IV

    Vgl. 2,27 – 32. Die Delinquenten wurden ausgepeitscht und enthauptet. Vgl. 2,27 – 32. Caesar veröffentlichte gegen Ciceros Cato ein zwei Bücher umfassendes Werk Anticato, das nicht erhalten ist. Vgl. 6,11,1. 74 – 72 v. Chr. während des 3. Mithridatischen Kriegs. Vgl. 3,29,4. Tiberius Gemellus und Julia, deren Vater Drusus von Sejan umgebracht worden war. Vgl. 3,25,1. Vgl. 1,72,1. Philipp II. war 338 v. Chr. nach der Schlacht von Chaironeia in Lakonien eingefallen. Tiberius gehörte seit der Adoption durch Augustus der julischen Familie an, die ihren Ursprung über Äneas auf dessen Mutter Venus zurückführte; der Sage nach hatte Äneas den Tempel errichtet (vgl. Verg. Aen. 5,759). Vgl. 3,66,1. T. verwechselt hier wie in 12,64,2 die ältere mit der jüngeren Antonia. Aussehen und Verwendungsweise der in der römischen Literatur nur viermal erwähnten Mauerpilen sind nicht bekannt (vgl. A. Städele, Wie viele Schanzpfähle trug ein römischer Soldat? Überlegungen zur Cincinnatus-Erzählung des Livius. In: Gymnasium 109 [2002] 103 – 122). Vgl. 2,29,1. Vgl. 4,15,3. Bezug genommen wird auf den Krieg gegen den Seleukiden Antiochos III. 192 – 188 und den Bundesgenossenkrieg 91 – 88 (vgl. 3,27,2). M. Porcius Cato Censorius war 195 v. Chr. Konsul. 85 v. Chr. im 1. Mithridatischen Krieg. Vgl. 3,43,1. Claudia Quinta half im Jahre 204 v. Chr., das Abbild der Göttermutter Kybele vom kleinasiatischen Pessinus nach Rom zu bringen. Der erwähnte Tempel brannte 111 v. und 3 n. Chr. ab. Querquetulanus ist von quercus „Eiche“ abgeleitet. Dolabella und Varus waren Cousins. Im Jahre 79 n. Chr. Martin/Woodman halten nominibus et molibus für verderbt überliefert. Behält man den Text bei, muss man annehmen, T. habe die Anlage von

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    zwölf nach den Göttern des römischen Pantheons benannten Villen auf Capri so gekünstelt umschrieben. Der Bezug ist unklar. Vielleicht ist an tagebuchartige Aufzeichnungen gedacht (in denen üblicherweise Nebensächlichkeiten aufgebauscht werden?). Latiaris wurde im Jahre 32 umgebracht (vgl. 6,4,1); auf die Bestrafung der anderen unter Caligula muss T. im verlorenen Teil der Annalen eingegangen sein. Cn. Domitius Ahenobarbus und die jüngere Agrippina waren die Eltern des späteren Kaisers Nero.

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    Ihr Vater M. Livius Drusus Claudianus war in die Familie der Livier, sie selbst nach Augustus’ Tod in die der Julier aufgenommen worden (vgl. 1,8,1). Sie starb im 87. Lebensjahr. 41/40 wurde L. Antonius, der Bruder des Triumvirn, durch Oktavian und Agrippa in Perusia (Perugia) eingeschlossen und ausgehungert. Tiberius Nero kam 39 zurück. Vgl. 1,10,5. Germanicus war ihr Enkel, Agrippina die Enkelin des Augustus; die Kinder der beiden waren demnach Augustus’ und Livias Urenkel.

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    Während der große niederländische Philologe Justus Lipsius in seiner Annalenausgabe von 1574 Buch 6 mit dem Jahr 32, also nach Kapitel 11 der modernen Zählung, beginnen ließ, vertrat Friedrich Haase 1848 die Auffassung, der Anfang des Buches falle in die Lücke. Da sich die Frage nicht entscheiden lässt, markiert man den Einschnitt nach V 5, zählt die Kapitel aber bis V 11 weiter. – Buch 6 begann wahrscheinlich mit der Bestrafung der Angehörigen und Freunde Sejans. Die unvollständig überlieferte Rede in V 6,2 hält ein unbekannter Anhänger wohl im Freundeskreis. Das Satzbruchstück V 6,1 gehört zum Verfahren gegen Germanicusʼ Schwester Livia wegen der Ermordung ihres Gatten Drusus (vgl. 4,3). Sejan war im Jahre 31 zusammen mit Tiberius Konsul und wird auch 6,8,3 als Schwiegersohn des Kaisers bezeichnet. Anscheinend hat er sein Ziel, Drususʼ Witwe Livia zu heiraten, tatsächlich erreicht (vgl. 4,39f.). Sejan hatte drei Kinder (vgl. 4,3,5), von denen der ältere Sohn offensichtlich schon kurz nach der Hinrichtung des Vaters umgebracht worden war. Die Dreimänner waren unter anderem für das Staatsgefängnis (vgl. 4,29,2) und Hinrichtungen zuständig. Vielleicht ist gemeint: „schon wandte man sich häufig in öffentlichen Angelegenheiten an ihn“. Gemeint ist das Ionische Meer. Das heißt, dass sie besonders angesehenen Familien angehörten. sellarium bedeutet „Latrine“, der sellarius ist ein ‚Strichjunge‘ (vgl. Martin z. St.). Anscheinend unterstellte man dem bei seinem Rückzug nach Capri fast 70-jährigen Tiberius entsprechende Inszenierungen in seinen Villen. Bei spintria handelt es sich um ein von sphinktḗr „Schließmuskel“ abgeleitetes Lehnwort aus dem Griechischen. Vgl. 6,15,2. Vgl. 2,33,3. Vgl. 4,68,2. Dort und in 4,71,1 nennt T. ihn Latinius Latiaris. Dieses symbolische Mahl wurde neun Tage nach der Bestattung zu Ehren des Verstorbenen am Grab eingenommen. Cotta mokiert sich wohl einerseits über seine todernsten Kollegen, auf der anderen Seite verspottet er Tiberius, der sich gegen eine Vergöttlichung seiner Mutter ausgesprochen hatte (vgl. 5,2,1). T. umschreibt mit sapientia die Philosophie (vgl. 14,16,2) und spielt auf Sokrates in Platons Gorgias 524 E an.

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    Anmerkungen zu Buch VI

    Man kann sordes wie in 4,52,2 und 12,59,2 auch konkret als „schmutzige Kleidung, Lumpen“ verstehen, die Angeklagte und Trauernde trugen (vgl. 2,29,1). Dann wäre hier die „Furcht vor Anklagen“ gemeint. Im verlorenen Teil des 5. Buches. Messala war 26, Taurus 16 v. Chr. Stadtpräfekt. Ob Piso das Amt bereits von Augustus oder erst von Tiberius übertragen bekam, ist umstritten. Vgl. 1,76,1. Das heißt ohne Aussprache im sogenannten Hammelsprungverfahren, bei dem man auf die Seite des Antragstellers trat, dessen Meinung man sich anschloss. Die Vorsitzenden der Fünfzehnmänner wurden als magistri bezeichnet; sie waren die zuständigen Experten. Im Jahre 83 v. Chr. Damit wird auch die ‚passive‘ Rolle in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung umschrieben. Er war maßgeblich an Sejans Sturz beteiligt und wurde sein Nachfolger als Kommandant der Prätorianergarde. tecta ist hier wahrscheinlich konkret zu verstehen: Tiberius bekommt Rom nicht einmal mehr aus der Ferne zu Gesicht. Vgl. 3,27,1. Der erste Versuch, ihn zu beseitigen, war fehlgeschlagen (vgl. 4,36,1). Zum Schicksal seiner Mutter Agrippina vgl. 5,3,1 und 14,63,2. Sein ältester Bruder Nero Caesar wurde im Jahre 31 umgebracht, Drusus Nero ließ man in diesem Jahr 33 verhungern (vgl. 6,23,2). Galba war Kaiser von Juni 68 bis Januar 69. T. referiert epikureische und stoische bzw. neuplatonische Auffassungen. Vielleicht ist damit 14,9,3 gemeint, obwohl T. dort Thrasyllusʼ Sohn nicht erwähnt. Asinius Gallus, der Tiberius mehrfach provoziert hatte (vgl. 1,12,2; 4,71,2; 6,25,2), war von diesem unter Hausarrest gestellt worden. Drusus wurde anscheinend ein ähnliches Verhalten vorgeworfen wie seinem Bruder Nero (vgl. 5,3,2). Agrippina, Germanicus, seinen Bruder Nero Caesar und ihn selbst. Vgl. 4,15,2. Warum Tiberius Lamia und dem im Folgenden erwähnten Arruntius zwar Provinzen übertrug, ihnen dann aber nicht gestattete, Rom zu verlassen, wissen wir nicht (vgl. 1,80,3). Vgl. 1,13,2; 3,50; 4,20,2. So lange dauert die große Sothis- oder Siriusperiode: Der Neujahrstag des ägyptischen Jahres von 365 Tagen fiel dann wieder mit dem astronomischen Neujahrstag zusammen, weil die Ägypter nicht alle vier Jahre

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    einen Schalttag einschoben, sondern nach 4 × 365 = 1460 Jahren ein ganzes Schaltjahr. Vgl. 4,47,1. Wie bei Cn. Piso (vgl. 3,16,2) behauptet Tiberius auch hier, der Selbstmord habe dazu gedient, ihm zu schaden. Das nur hier belegte Fremdwort aus dem Griechischen bezeichnet hohe Würdenträger. Unter Etesien (griech. „Jahreswinde“) verstand man vor allem die während der sogenannten Hundstage in der Ägäis wehenden Nordwestwinde. Phrixus floh vor seiner Stiefmutter Ino auf einem Widder durch die Luft aus Böotien nach Kolchis. Das goldene Vlies des Tiers weihte er im dortigen Arestempel. Jason sollte es mit den Argonauten zurückholen. – Die Vermutung, der Widder sei eine Galionsfigur gewesen, beruht auf rationalistischer Mythendeutung. Dieses Opfer diente der Reinigung und Entsühnung des Heeres. Als Folge des Sturzes ihres Verwandten Sejan. Im verlorenen Teil des Buches 5. Der Surena(s) war als Oberbefehlshaber der Armee der mächtigste Mann nach dem König; seine Position war erblich. Gemeint ist der Tigris. Vgl. 6,20,1. Der „Sprössling des Drusus“ war Tiberius Gemellus, der „Sohn des Germanicus“ C. Caesar mit dem Kosenamen Caligula. Gemellus war 19 n., Caligula 12 n., der im Folgenden erwähnte Claudius 10 v. Chr. geboren. Caligula ließ Tiberius Gemellus 37/38 umbringen und wurde selbst 41 von Cassius Chaerea umgebracht (vgl. 1,32,2). Sejans, dessen Klient er gewesen war (vgl. 4,34,1; 6,8,5). Vgl. 4,75; 6,1,1.45,2. repudiata kann bedeuten, dass sich ihr Mann hatte scheiden lassen oder dass ihr Sohn von ihren wie auch immer gearteten Annäherungsversuchen nichts wissen wollte. Letzteres ist im Zusammenhang wahrscheinlicher.

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    Subjekt des Satzes ist Claudius’ berüchtigte dritte Frau Valeria Messalina; Valerius Asiaticus soll der Liebhaber Poppaea Sabinas gewesen sein, deren gleichnamige Tochter die Mätresse und spätere Frau Neros wurde. T. umschreibt damit den pathicus pathicus,, der in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zwischen Männern die ‚weibliche‘ Rolle übernahm (vgl. 15,49,4.70,2). Der für die Versorgung der Hauptstadt mit Getreide verantwortliche Kaiser musste einem Gerücht, das Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit geweckt und vielleicht sogar zu sozialen Unruhen geführt hätte, entschieden entgegentreten (vgl. 2,87; 4,6,4; 15,18,2.36,4). Damit meint T. wahrscheinlich die Zuständigkeiten der ‚öffentlichen‘ Organe, zu denen er im weiteren Sinne auch die Advokaten zählt. Der Sachverhalt ist nicht klar: Gegen die Auffassung, Samius habe Suillius als Verteidiger gewonnen und anschließend festgestellt, dass dieser mit der gegnerischen Partei zusammenarbeitete, spricht, dass Suillius als Ankläger auftrat. Vielleicht hatte dieser Schmiergeld genommen und dann doch nicht auf eine Anklage verzichtet. Zu C. Silius vgl. 11,12,2f.27 – 35. – Durch das Aufstehen brachten sie ihre Zustimmung zum Antrag des Sprechers zum Ausdruck. Die lex Cincia de donis et muneribus hatte um 200 v. Chr. der Volkstribun M. Cincius Alimentus eingebracht. Der Erstgenannte ist der berühmte Redner und Schriftsteller C. Asinius Pollio, der 40 v. Chr. Konsul gewesen war, der Letzte sein Enkel M. Claudius Marcellus Aeserninus. M. Valerius Messala Corvinus war ebenfalls ein herausragender Redner unter Augustus. L. Arruntius, 6 n. Chr. Konsul, wird in Annalen 1 – 6 verschiedene Male als einflussreiche Persönlichkeit erwähnt; Augustus konnte ihn sich angeblich sogar als seinen Nachfolger vorstellen (vgl. 1,13,2). Nach Caesars Ermordung kam es immer wieder zu Spannungen zwischen Oktavian und Antonius. Offen brach die Feindschaft, die 31 v. Chr. mit der Niederlage des Antonius in der Seeschlacht von Aktium endete, im Jahre 33 aus. Die Toga ist das Symbol für die (zivile) Tätigkeit als Redner und Anwalt. Vgl. 6,32 – 37. Der Bericht über die Gefangennahme des Mithridates ist in der Lücke zwischen Buch 6 und 11 verloren gegangen.

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    Das entspräche 500 – 600 Kilometern. Entweder übertreibt T. rhetorisch, oder die Zahl ist falsch überliefert. Gemeint ist der Tigris. Sie markierten das Ende eines saeculum und bestanden hauptsächlich aus Opfern und Theateraufführungen. Augustus feierte sie 17 v. Chr. nach dem etruskischen 110-Jahre-Rhythmus, Claudius hielt sich wieder an den Abstand von 100 Jahren. Domitian verfuhr im Jahre 88 wie Augustus, verrechnete sich aber um sechs Jahre. Im verlorenen Teil der Historien. Ein kompliziertes, in der frühen Kaiserzeit sehr populäres Kavalleriemanöver alten Ursprungs, nach Verg. Aen. 5,545 – 603 Teil der Totenehren für Äneas’ Vater Anchises. Die jugendlichen Reiter waren wahrscheinlich auf zwei Schwadronen (turmae) verteilt, die von dem damals sechsjährigen Britannicus und dem gut drei Jahre älteren späteren Kaiser Nero angeführt wurden. Die Söhne konnten nur mit Zustimmung des Familienoberhaupts Geld leihen. Sie spekulierten auf das Erbe nach dem Tod des Vaters, der für sie deshalb nicht früh genug eintreten konnte, und bezahlten für die widerrechtlich gewährten Darlehen Wucherzinsen. Die drei Buchstaben bezeichneten das konsonantische u (w), den Laut ps (bs) und den Mittellaut zwischen i und u. Nach Claudius’ Tod wurden sie wieder aufgegeben. Angespielt wird auf die mehrfach erwähnten parthischen Geiseln aus dem Arsacidenhaus; dagegen war Flavus (und damit auch Italicus) wie sein Bruder Arminius römischer Ritter. Vgl. 1,58,6. Der Bericht über das Schicksal von Arminius’ und Thusneldas Sohn Thumelicus ist nicht erhalten. Dem Nebensatz cuius … venisse kann man nur entnehmen, dass er im Gegensatz zu seinem Cousin Italicus nicht als König zu den Cheruskern geschickt wurde. Diese Geschichte erzählt in etwas anderer Form auch T.’ Freund Plinius der Jüngere (ep. 7,27,2f.). Durch leges curiatae wurden die höchsten Amtsträger in der Volksversammlung von den Kurien bestätigt. 447/446 v. Chr. Da Claudius den Senat erst zu Beginn des folgenden Kapitels einberuft, denkt T. hier anscheinend an das consilium Caesaris, dem die engsten Freunde und Berater des Kaisers angehörten. Gemeint sind die Zeiten, in denen Latiner und Sabiner noch nicht das volle Bürgerrecht besaßen und der Senat nur aus Bürgern von Rom bestand.

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    Große Teile der originalen Rede sind auf einer Bronzetafel erhalten, die 1528 in Lyon gefunden wurde (vgl. CIL XIII 1668). Sie erlauben u. a. einen Einblick in die Arbeitsweise des Historikers. 49 v. Chr. erhielten die Bewohner Oberitaliens jenseits des Po das Bürgerrecht; die Cispadaner waren bereits am Ende des Bundesgenossenkriegs (90 – 88) römische Bürger geworden. Claudius spielt auf die unter Augustus zur Versorgung der Veteranen gegründeten Militärkolonien an, in die auch Provinzialen als römische Bürger aufgenommen werden konnten. Rom war am Ende des 6. Jh.s v. Chr. durch den Etruskerkönig Porsenna erobert worden und 321 v. Chr. den Samniten bei Caudium (zwischen Capua und Benevent) unterlegen. Caesar eroberte Gallien 58 – 52. Der Aufstand des Iulius Sacrovir (vgl. 3,40 – 46) wird an dieser Stelle nicht für erwähnenswert gehalten. Betroffen waren nur römische Bürger. Der Beschluss galt für alle Gallier; die Äduer waren offensichtlich die Ersten, die in seinen Genuss kamen. Die lex Cassia ist sonst unbekannt; wir wissen nur, dass Caesar 45/44 das Recht erhielt, Bürger unter die Patrizier aufzunehmen. Die lex Saenia wurde 30 v. Chr. verabschiedet. Obwohl Claudius als Princeps auch Zensor war, ließ er sich dieses Amt eigens übertragen und übte es sehr gerne aus. Dieses Opfer brachten die Zensoren alle fünf Jahre dar. Ihrer ursprünglichen Aufgabe der Führung der Bürgerlisten und der Einschätzung der Vermögensverhältnisse entsprechend war damit eine Volkszählung verbunden. Mit seiner Nichte Agrippina (vgl. 12,3 – 8). Der Pantomime Mnester. Mit diesen drei Freigelassenen waren die wichtigen ‚Ministerien‘ a libellis (Briefverkehr), ab epistulis (Petitionen) und a rationibus (Finanzen) besetzt. – Von Caligulas Ermordung hatte T. in den verlorenen Annalenbüchern berichtet. – Der ehemalige Konsul Appius Iunius Silanus war 42 umgebracht worden, nachdem er bereits 32 wegen Hochverrats angeklagt worden war (vgl. 6,9,3). Messalina und Silius begingen das Fest als Thiasos, als den Gott Bacchus (Dionysos) ekstatisch begleitender wilder Schwarm von auch als Mänaden („rasende Frauen“) bezeichneten Bacchantinnen und ihren männlichen Partnern, den Satyrn. Der Thyrsusstab, ursprünglich ein Fenchelstängel, war als Abzeichen des Gottes mit Efeu und Weinlaub umwunden und lief meist in einen Pinienzapfen aus. Der Kothurn, ein hoher, eng anliegender Schaftstiefel, gehörte ebenfalls zu den Attributen des Bacchus.

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    Gemeint sein kann Messalinas Verhalten oder Narcissus’ Vorgehen gegen sie. Claudius stammte von den Claudii Nerones ab und war durch Adoption Angehöriger der Livii Drusi. Anscheinend handelte es sich um Gegenstände, die Messalina verschenkt hatte. Aulus Plautius hatte sich 43 bei der Besetzung Britanniens bewährt (vgl. 13,32,2).

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    Claudius hatte sich von seinen beiden ersten Ehefrauen, Plautia Urgulanilla und Aelia Paetina, scheiden lassen. Der Enkel des Germanicus ist L. Domitius, der spätere Kaiser Nero. – Agrippina war damals 33 Jahre alt. Vgl. 11,25,5. Am Ende der Amtsperiode musste der Ausscheidende eidlich versichern, dass er die Gesetze eingehalten hatte (vgl. 13,14,1). Gemeint ist damit, dass Claudius im Gegensatz zu Augustus (vgl. 1,10,5; 5,1,2) und Caligula, auf die im Folgenden angespielt wird, kein Ehebrecher war: „Adulterium „Adulterium heißt die sexuelle Beziehung einer uxor zu einem anderen Mann gleich welchen Ranges oder rechtlichen Status. Ihr maritus dagegen, der eine sexuelle Beziehung zu einer anderen Frau unterhält, ist nicht adulter in bezug auf seine eigene Ehe, sondern nur hinsichtlich der Ehe eines anderen Mannes, dessen matrimonium – ein solches konnten nur freie Frauen eingehen – er verletzt hat“ (E. Meyer-Zwiffelhoffer, Im Zeichen des Phallus. Die Ordnung des Geschlechtslebens im antiken Rom, Frankfurt/New York 1995, 96 [= Historische Studien, Bd. 15]). Seneca war von Claudius 41 wegen angeblichen Ehebruchs mit Iulia Livilla, der Tochter des Germanicus, nach Korsika verbannt worden. Er war bereits Stiefsohn und Großneffe, weil seine Mutter Claudius’ Frau und zugleich die Tochter von dessen Bruder Germanicus war. Vgl. 11,10,4. Vgl. 6,31f. Sein Vorfahre, der Caesarmörder C. Cassius Longinus, hatte die Parther 51 v. Chr. besiegt und damit Syrien gehalten, das nach der vernichtenden Niederlage des Crassus bei Karrhae zwei Jahre zuvor verloren zu gehen drohte. Angespielt wird auf die Schlacht bei Gaugamela, in der Alexander der Große den Perserkönig Darius 331 v. Chr. entscheidend besiegte. Er bildete die geografische Grenze zwischen den Erdteilen Asien und Europa (wie der Nil zwischen Asien und Afrika). Sie wurde verbannt. Augustus hatte festgelegt, dass sich Senatoren nur mit seiner Genehmigung in eine Provinz (außer Sizilien) begeben durften.

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    An einem Tag, an dem in ganzen Reich Friede herrschte, wurde durch Beobachtung des Vogelflugs festgestellt, ob den Göttern ein Gebet für die salus publica genehm sei, Der Rindermarkt lag in Tibernähe westlich des Palatins und grenzte an Kapitol und Aventin. Consus’ unterirdischer Altar im Circus Maximus wurde nur an Festtagen des Gottes aufgedeckt. Die Stadtgrenze verlief weiter zur Nordostecke des Palatins, wo vermutlich die alten Versammlungshallen für die Geschlechterverbände (curiae veteres) standen, und über die nordwestlich des Iuppiter-Stator-Tempels gelegene Larenkapelle bis zum Forum. Claudius bezog nach seinem Erfolg in Britannien hauptsächlich den Aventin mit ein. Unklar bleibt, was mit den publica acta gemeint ist: die in 3,3,2 erwähnten Tagesnachrichten? Vgl. 1,36,1. Gemeint ist das Donauufer. Vgl. 3,21,3. T. lässt Caratacus hier rhetorisch übertreiben: Caesar hatte 55 v. Chr. lediglich Landemöglichkeiten in Britannien erkundet. Im Sommer 54 rückte er bis über die Themse vor, kehrte dann aber wegen Unruhen wieder nach Gallien zurück. Angespielt wird auf die Beile in den Rutenbündeln, die den höchsten römischen Amtsinhabern als Symbole der Macht über Leben und Tod von Liktoren vorangetragen wurden. Als „Schildkröte“ bezeichnete man entweder ein hölzernes Schutzdach oder eine dicht zusammengeschlossene Gruppe von Soldaten, die ihre Schilde über die Köpfe hielten und damit eine Art Panzer bildeten. Die Königin heißt in den Annalen Cartimandus Cartimandus,, sonst gewöhnlicher Cartimandua.. Cartimandua Die Stelle ist verloren. T. ist darauf aber auch in den Historien 3,45 eingegangen. Nero war 13 Jahre alt; die Männertoga erhielt man mit 17. In der Republik betrug das Mindestalter für die Übernahme des Konsulats 43 Jahre; Augustus hatte es vielleicht um zehn Jahre herabgesetzt. Das prokonsularische Imperium, die oberste Befehlsgewalt in den Provinzen, war an kein bestimmtes Alter gebunden. „Führer der Jungmannschaft“ waren die Söhne der Herrscher vom Anlegen der Männertoga bis zum Eintritt in den Senat (vgl. 1,3,2). Als solche galten Raben, Krähen und vor allem der Uhu. Mithridates hatte also seine Nichte geheiratet und sein Neffe Radamistus Mithridates’ Tochter. Vgl. das Stichwort „Exil“ im Anhang.

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    Anmerkungen zu Buch XII

    T.’ Darstellung der Verschwörung im Jahre 42 ist nicht erhalten. Laut Sueton, Claudius 13,2, brach sie innerhalb von fünf Tagen zusammen. Claudius ließ im Gegensatz zu Tiberius die Kinder des Aufrührers nicht hinrichten (vgl. 5,9). Pallas war ein üblicher Sklavenname; aber ein Scipio war sich nicht zu schade, eine Verwandtschaft mit dem gleichnamigen mythischen König Arkadiens zu konstruieren. Die Lücke im Text kann nach Historien 5,9,2 sinngemäß ergänzt werden: In Caligulas Befehl, sein Bildnis im Tempel aufzustellen, sahen die Juden eine Gotteslästerung. Beides waren Torsionsgeschütze (tormenta): Von den Katapulten wurden Lanzen und Brandgeschosse (faces) (faces),, von den Ballisten auch Steine verschossen (vgl. 15,9,1). Vgl. 6,8,2. Sie galt nur für ihren Amtsbereich, bedeutete aber faktisch die Gleichstellung mit dem alten Adel. C. Sempronius Gracchus erließ 123/122 v. Chr. als Volkstribun mehrere Gesetze. Das Gesetz des Q. Servilius Caepio übertrug 106 die Rechtsprechung wieder dem Senat; kurz darauf ging sie auf Betreiben des C. Servilius Glaucia erneut an die Ritter. Nach dem Bürgerkrieg der Jahre 88 bis 82 erhielt durch Sulla wieder der Senat die Gerichtsbarkeit. M. Antonius Creticus, der Vater des Triumvirn, in den Jahren 74 – 71. Der Thrakische Krieg fand 46 – der Bericht darüber ist verloren –, der Bosporanische 49 (vgl. 12,15 – 21) statt. Byzanz spielte in beiden eine wichtige Rolle für den Nachschub. Es ist nicht klar, ob Hermaphroditen oder wie in 15,47,1 siamesische Zwillinge mit zwei Köpfen gemeint sind. T. verwechselt wie in 4,44,2 die ältere mit der jüngeren Antonia. Domitia Lepida hatte den dreijährigen Nero nach dem Tod seines Vaters und der Verbannung seiner Mutter in ihr Haus aufgenommen und war für ihn eine Art Ersatzmutter. Wahrscheinlich meint der Satz, dessen Überlieferung umstritten ist, dass Britannicus nicht zögern würde, den für den Tod seiner Mutter Messalina verantwortlichen Narcissus umbringen zu lassen. praesentium invidia könnte auch „auf die Verdächtigung durch die Anwesenden“ bedeuten.

    Über die Reihe Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte. Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Alte Geschichte und Präsident der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

    Über den Inhalt Cornelius Tacitus (ca. 55–120 n. Chr.) ist der bedeutendste antike Geschichtsschreiber. Die Annalen, sein letztes und wichtigstes Werk, schildern die römische Geschichte vom Tod des Augustus (14 n. Chr.) bis zur Regierungszeit Neros (66 n. Chr.) und brechen dann unvermittelt ab. Die Herrschaft der Kaiser Tiberius, Claudius und Nero wird als Niedergang des Prinzipats dargestellt. Leidenschaftlich verurteilt Tacitus den Sittenverfall der Römer und die Zügellosigkeit der Kaiser. Charakteristisch ist die Verbindung scharfer Analyse und feiner psychologischer Zeichnung der Personen mit hoher sprachlicher Kunst. Der zweite Band dieser Ausgabe enthält die Bücher IV bis VI sowie XI und XII der Annalen. Dr. Alfons Städele war Lateinlehrer sowie Ministerialrat im Bayerischen Minis terium für Unterricht und Kultus und hat bereits mehrere klassische Autoren übersetzt.