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German Pages 194 [208] Year 2008
Neyer/Spinath (Hrsg.) Anlage und Umwelt
Der Mensch als soziales und personales Wesen Herausgegeben von L. Krappmann und K. A. Schneewind
Die Reihe "Der Mensch als soziales und personales Wesen" versteht sich als innovatives Forum für die Sozialisationsforschung. In interdisziplinärer Zusammenarbeit analysieren Autorinnen und Autoren der Bände wichtige Träger von Sozialisation wie Familie, Schule, Betrieb und Massenmedien, deren Veränderung im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklungen, wechselseitige Einflüsse zwischen diesen Einrichtungen sowie ihre sozialisatorischen Wirkungen auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die veröffentlichten Arbeiten enthalten kritische Bestandsaufnahmen des Forschungsstandes, entwickeln fachübergreifende Konzepte und bereiten Untersuchungen zu Lücken in der Forschungsthematik vor. Themen und Darstellung richten sich nicht nur an Fachwissenschaftler in Forschung und Lehre, sondern sollen darüber hinaus die an den Sozialwissenschaften interessierte Öffentlichkeit ansprechen.
Band 22
Anlage und Umwelt Neue Perspektiven der Verhaltensgenetik und Evolutionspsychologie
Herausgegeben von Franz J. Neyer und Frank M. Spinath
Lucius & Lucius ' Stuttgart
Anschriften der: Herausgeber: Prof. Dr. Franz J. Neyer Universität Potsdam Institut für Psychologie Différentielle und Persönlichkeitspsychologie Karl-Liebknecht-Straße 24-25 D-14476 Potsdam [email protected] http: / / www.persoenlichkeitspsychologie-potsdam.de Prof. Dr. Frank M. Spinath Universität des Saarlandes Fachrichtung Psychologie Différentielle Psychologie und psychologische Diagnostik Campus D-66123 Saarbrücken [email protected] http://www.uni-saarland.de/fak5/diff
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8282-0434-8 © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2008 Gerokstr. 51, D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermitdung in elektronischen Systemen. Korrektur und Satz: Kathi Lange Umschlaggestaltung: I. Devaux, Stuttgart Druck und Einband: Rosch-Buch, Scheßlitz Printed in Germany
Inhalt Fran^J. Neyer und Frank M. Spinath Editorial
IX
Harald A. Eulerund Sabine Hoier Die evolutionäre Psychologie von Anlage und Umwelt
1
Evolutionäre Psychologie und die Anlage-Umwelt-Frage
2
Das Verhältnis von Evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik
4
Universelle Anpassungen und erbliche individuelle Unterschiede
6
Evolutionäre Erklärungen für verhaltensgenetische Befunde
8
Geschlecht und Verhaltensgenetik Das Zusammenwirken von Genen und Umwelt bei psychischen Mechanismen
12 15
Literatur
20
Lars Penke, Jaap J. A. Denissen und Geoffrey F. Miller Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit
27
Hintergrund
27
Übersicht
28
Formen des Zusammenspiels von Anlage und Umwelt
28
Was ist genetische Varianz?
31
Warum gibt es genetische Unterschiede in der Persönlichkeit? Kann Selektionsneutralität die genetischen Unterschiede in der Persönlichkeit erklären?
34 35
Kann ein Mutations-Selektions-Gleichgewicht die genetischen Unterschiede in der Persönlichkeit erklären?
37
Kann ausgleichende Selektion die genetischen Unterschiede in der Persönlichkeit erklären?
45
Ein evolutionsgenetisches Modell der Persönlichkeit
51
Schlussfolgerung
53
Literatur
55
VI • Inhalt
Jens B. Asendorpf Verhaltensentwicklungsgenetik
61
Übersicht
61
Allgemeine Prinzipien des genetischen Einflusses auf die Entwicklung
61
Genetischer Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung
68
Geteilte versus nicht geteilte Umwelten und Umwelteinflüsse
74
Interaktion und Kovariation von Genom und Umwelt
76
Altersabhängigkeit des genetischen Einflusses auf die Persönlichkeit
80
Zum Menschenbild der Verhaltensentwicklungsgenetik
81
Literatur
82
Heike Wolf und Rainer Riemann Gen-Umwelt-Interaktion
85
Die Rolle der Umwelt in der verhaltensgenetischen Forschung
85
Gen-Umwelt-Kovariation und Interaktion
88
Ältere und neuere Befunde zum Vorliegen von Gen-UmweltInteraktionen
89
Neue Modelle - neue Möglichkeiten
92
Verhaltensgenetik — Neue Möglichkeiten zur Beantwortung überdauernder Fragen
97
Literatur
99
Wendy Johnson Genetic and Environmental Processes Contributing to Personality Stability and Change Assessing stability and change in personality
103 103
Two conceptions of genetic and environmental processes contributing to personality stability and change 104 Testing the two conceptions
105
Results from prior longitudinal twin studies of personality
107
A recent analysis of genetic and environmental processes contributing to personality stability as measured by the MPQ in late adulthood
108
Study sample
110
Inhalt • VII
Analysis of mean level personality stability
111
Analysis of genetic and environmental influences on personality stability
112
Implications of these results for genetic and environmental processes contributing to stability in personality
117
But what about genetic and environmental processes contributing to personality change?
120
Conclusions and implications for future research
124
References
125
Frank M. Spinath und Ian J. Deary Verhaltensgenetik der Intelligenz
129
Einleitung
129
Verhaltensgenetik
129
Quantitative Genetik
130
Methoden der quantitativen Genetik
131
Adoptions-und Familienstudien
131
Molekulargenetik individueller Unterschiede
132
Methoden der Molekulargenetik individueller Unterschiede
133
Intelligenz
134
Quantitativ-genetische Befunde zur Intelligenz
135
Molekulargenetische Befunde zur Intelligenz
136
Studien mit Kandidatengenen
137
Genomweite Linkage- und Assoziationsstudien
137
Ausblick
139
Missverständnisse und die Notwendigkeit zum interdisziplinären Dialog
140
Differentielle Erblichkeit und das Wechselspiel von Anlage und Umwelt
141
Die Suche nach Genen
142
Literatur
143
VIII • Inhalt
Judith Fehnart, Cornelia Wrqts und Fran^J. Neyer Dynamische Transaktionen zwischen Persönlichkeit und Beziehungen
149
Einleitung
149
Persönlichkeit
150
Persönlichkeitsentwicklung im Lebenslauf
151
Soziale Beziehungen
153
Beziehungsentwicklung im Lebenslauf
154
Persönlichkeits-Beziehungs-Transaktionen
157
Methoden der Untersuchung von Persönlichkeits-BeziehungsTransaktionen
158
Empirische Befunde
160
Bindungsbeziehungen
160
Kooperationsbeziehungen
165
Fazit und Ausblick
167
Literatur
168
Frieder R. Fang und Fran^J. Neyer Soziale Beziehungen als Anlage und Umwelt
173
Einleitung
173
Evolutionäre Grundlagen der Beziehungsregulation: Beziehungen als Anlage
175
Ein integratives Modell der lebenslangen Beziehungsgestaltung
178
Beziehungen als Umwelt: Interdependenz und Beständigkeit
186
Zusammenfassung und Ausblick
188
Literatur
189
Autorinnen und Autoren des Bandes
193
Editorial Das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt gehört seit jeher zu den zentralen Themen der Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Das sozialwissenschaftliche Verständnis der Anlage-Umwelt-Thematik beschränkt sich allerdings meist auf die Annahme, dass beide Einflussgrößen gemeinsam dazu beitragen, wie sich Persönlichkeitsunterschiede manifestieren, entwickeln und unser individuelles und soziales Verhalten beeinflussen. Häufig ist damit die Vorstellung verbunden, Anlage und Umwelt seien letztlich untrennbar und empirische Forschung zu diesem Thema deshalb obsolet. Auch werden Theorie und Forschung auf diesem Gebiet nicht selten mit Argwohn betrachtet, und es wird unterstellt, sie würden von einem deterministischen Menschenbild ausgehend die Möglichkeit von Sozialisation als das zentrale Anliegen der Sozial- und Verhaltenswissenschaften preisgeben. Tatsächlich hat jedoch die seit etwa zwei Jahrzehnten nunmehr auch in Deutschland etablierte verhaltensgenetische Forschung entscheidend dazu beigetragen, nicht nur unser Wissen um die genetische Basis menschlichen Verhaltens und Erlebens zu bereichern. Vielmehr noch besteht ihr besonderes Verdienst überraschenderweise darin, den klaren Nachweis für die überwältigende Bedeutung von Umwelteinflüssen auf die Entstehung individueller Besonderheiten erbracht zu haben. Damit haben Verhaltensgenetik, molekulargenetische und nicht zuletzt auch evolutionspsychologisch orientierte Forschungsansätze einen nachhaltigen Beitrag zur Sozialisationsforschung geleistet. In der Reihe Der Mensch als soziales und personales Wesen ist ein thematischer Band zur Anlage-Umwelt-Thematik längst überfallig. Wir haben eine Reihe von theoretischen und empirischen Originalarbeiten zusammengetragen, die einen breiten Überblick über die gegenwärtige Anlage-Umwelt-Diskussion bieten. Alle Beiträge gehen von der Prämisse aus, dass die wissenschaftliche Betrachtung der genetischen Grundlagen des Erlebens und Verhalten Aufschluss über die Bedeutung von genetischen und Umwelteinflüssen gibt. Dies gilt nicht nur für die primär verhaltensgenetisch orientierten Arbeiten von Jens B. Asendorpf, von Frank M. Spinath und Ian J. Deary, von Wendy Johnson sowie von Heike Wolf und Rainer Riemann. Von derselben Prämisse gehen auch die breiter angelegten, stärker evolutionspsychologisch orientierten Beiträge von Harald Euler und Sabine Hoier sowie von Lars Penke, Jaap J. A. Denissen und Geoffrey F. Miller aus. Schließlich zeigen die Beiträge von Frieder R. Lang und Franz J. Neyer sowie von Judith Lehnart, Cornelia Wrzus und Franz J. Neyer, welche weit reichenden Implikationen Verhaltensgenetik und Evolutionspsychologie für ein modernes und integratives Verständnis der Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung sozialer Beziehungen und der Persönlichkeit besitzen. Der Band beginnt mit einer breit angelegten Diskussion der Anlage-UmweltThematik aus evolutionspsychologischer Sicht. Harald Euler und Susanne Hoier argumentieren, dass die Dichotomie von Anlage und Umwelt für ein vertieftes
X • Editorial
Verständnis der menschlichen Entwicklung aufgegeben werden muss, weil letztere ja stets das Ergebnis komplexer Anpassungsleistungen des Individuums an seine Umwelt ist. Dabei spielen so genannte anzestrale Verhaltensprogramme, die zum evolutionären Erbe des Menschen gehören, eine bedeutsame Rolle. Vor diesem Hintergrund lassen sich nicht nur universelle bzw. speziestypische Verhaltensweisen, sondern ebenfalls individuelle Unterschiede in deren Manifestation verstehen. Die evolutionspsychologische Betrachtungsweise der AnlageUmwelt-Thematik verbreitert den durch traditionelle essentialistische oder kontextualistische Theorien aufgespannten Horizont beträchtlich und eröffnet neue Perspektiven. Verhaltensgenetik und Evolutionspsychologie adressieren traditionell unterschiedliche Gebiete, nämlich universelle Anpassungen und erbliche individuelle Unterschiede. Einen ambitionierten Versuch der Integration beider Perspektiven unternehmen Lars Penke, Jaap Denissen und Geoffrey F. Miller. Die Autoren versuchen die Frage zu beantworten, warum es überhaupt genetische Unterschiede in der Persönlichkeit gibt. Sie schlagen ein in der internationalen Forschungsliteratur inzwischen viel beachtetes evolutionsgenetisches Modell der Persönlichkeit vor, das Persönlichkeitseigenschaften als individuelle Reaktionsnormen mit umweltabhängigen Fitnesskonsequenzen versteht. Jens B. Asendorpf erläutert in seinem Beitrag zur Verhaltensentwicklungsgenetik die Bedeutung von Umwelteinflüssen aus entwicklungsgenetischer Sicht und diskutiert systematisch — und unter Berücksichtigung neuester Forschungsbefunde — die Wechselwirkungen zwischen Genotyp, Verhalten und Umwelteinflüssen im Verlauf der Individualentwicklung. Die zentrale Schlussfolgerung ist, dass Umwelt- und genetische Einflüsse nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen. Gerade ein tieferes Verständnis von Genotyp-Umwelt-Interaktion und der Kovariation zwischen beiden kann zu einer innovativen Sichtweise der Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Eine solche beinhaltet auch die empirisch begründete Einsicht, dass Menschen ihre Entwicklung ««/bestimmen können. Einen systematischen Uberblick über Wechselwirkungen zwischen Gen und Umwelt präsentieren Heike Wolf und Rainer Riemann. In der Verhaltensgenetik geht es längst nicht mehr bloß um die Zerlegung von Varianzen in genetische und Umweltanteile. Ausgehend von den klassischen Befunden zu Gen-UmweltInteraktionen und Gen-Umwelt-Kovariationen werden neuere empirische Zugangsweisen vorgestellt und am Beispiel der Entwicklung von Psychopathologie diskutiert. Die Autoren plädieren dafür, dass die systematische Erforschung dieser Interaktionen für die Beantwortung der alten Frage nach dem Wechselspiel von Anlage und Umwelt unerlässlich ist. Wendy Johnson behandelt in ihrem Beitrag die Frage nach den genetischen und Umweltprozessen, die zur Stabilität und Veränderung der Persönlichkeit beitragen. Dass Menschen sich ändern und gleichzeitig bleiben, wer sie sind, wird in einer laufenden Kontroverse innerhalb der Persönlichkeitspsychologie entweder durch weitgehend genetisch determinierte, intrinsische Reifungsprozesse erklärt
Editorial • XI
oder auf komplexe dynamische Wechselwirkungen zwischen genetischen und Umwelteinflüssen zurückgeführt. Auf der Basis längsschnittlicher Zwillingsstudien gelingt Wendy Johnson der beeindruckende Nachweis, dass genetische Einflüsse zwar kontinuierlich zur Stabilität der Persönlichkeit und zur Aushandlung von Entwicklungsprozessen beitragen, Umwelteinflüsse jedoch kaum zu unterschätzende verstärkende oder kompensatorische Funktionen erfüllen. Dies ist ein klarer Beleg für die transaktionale Sichtweise der Persönlichkeitsentwicklung. http: / / www.persoenlichkeitspsychologie-potsdam.de/Jacobs.htmEinen Überblick über neueste Forschungsergebnisse zur Verhaltensgenetik der Intelligenz geben Frank M. Spinath und Ian J. Deary. Wie kein anderes Merkmal der Persönlichkeit wurde in den vergangenen Dekaden die Intelligenz aus verhaltensgenetischer und neuerdings molekulargenetischer Sicht untersucht, so dass kein Zweifel mehr daran besteht, dass Intelligenz und ihre Entwicklung maßgeblich genetisch beeinflusst sind, ohne jedoch in Stein gemeißelt zu sein. Spinath und Deary diskutieren die weit reichenden Implikationen dieser Befandlage nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die pädagogischen Anwendungsgebiete und kommen zu dem Ergebnis, dass individuelle Unterschiede zwar akzeptiert, aber keineswegs als unveränderbar betrachtet werden müssen. Bei der Konzeption dieses Bandes sind wir von der Überlegung ausgegangen, dass nicht nur Verhaltensgenetik und Evolutionspsychologie, sondern auch andere Disziplinen der Verhaltens- und Sozialwissenschaften (u. a. Psychologie der Lebensspanne, Dynamischer Interaktionismus) entscheidende Beiträge zum Anlage-Umwelt-Problem geleistet haben und leisten. So behandeln Judith Lehnart, Cornelia Wrzus und Franz J. Neyer die transaktionale Sichtweise der AnlageUmwelt-Thematik für den Fall der Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeit und sozialen Beziehungen. Ausgehend von der Prämisse, dass individuelle Entwicklung stets im proximalen Kontext sozialer Beziehungen stattfindet, zeigt sich erneut und im Einklang mit den hier publizierten Befunden von Wendy Johnson, dass differenzielle Entwicklung immer das Resultat kontinuierlicher Wechselwirkungen zwischen individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und sozialen Beziehungserfahrungen ist. Gerade die systematische Erforschung sozialer Beziehungen kann zu einer differenzierten Taxonomie von Umwelteinflüssen beitragen, die in der klassischen Verhaltensgenetik diffus blieb oder sogar vollständig fehlte. Ein ähnliches Anliegen verfolgen Frieder R. Lang und Franz J. Neyer. Ihr Beitrag fußt ebenfalls auf einer evolutionspsychologischen Perspektive und behandelt die Frage, welche grundlegenden psychologischen Mechanismen an der Gestaltung sozialer Beziehungen beteiligt sind. Die Regulation von Nähe und Distanz sowie das Aushandeln von Reziprozität werden als die beiden grundlegenden Mechanismen einer lebenslangen Beziehungsregulation verstanden. Diese Mechanismen dienen nicht nur der Differenzierung zwischen Beziehungssystemen, sondern auch der Stabilisierung sozialer Netze über die Lebensspanne. Dabei zeigt sich, dass diese beiden grundlegenden Mechanismen nicht nur evolviert und adaptiv, d.h. im Verlauf der Evolution entstanden sind. Sie sind auch
XII • Editorial
flexibel in dem Sinne, dass ihre individuelle Ausgestaltung vor allem durch aktuelle Umwelteinflüsse mitgeprägt wird. Es ist nicht das Ziel dieses Bandes, einen erschöpfenden Uberblick über den derzeitigen Stand der Forschung zu geben, was angesichts der vielfaltigen internationalen Forschungsbemühungen auch ein hoffnungsloses Unterfangen wäre. Vielmehr soll das Spannungsfeld von Anlage und Umwelt auf breiter Front erörtert und damit der Diskurs zwischen Fachkolleginnen und -kollegen aus unterschiedlichsten Bereichen der Sozial- und Verhaltenswissenschaften stimuliert werden. Als Herausgeber möchten wir im Besonderen drei Ziele erreichen: Erstens möchten wir deutlich machen, dass es in der „alten" Anlage-UmweltDebatte durchaus neue Perspektiven gibt. Zweitens soll dieser Band Psychologen ebenso wie Sozial- und Erziehungswissenschaftler ermutigen, sich kritisch und konstruktiv mit aktuellen Forschungsergebnissen aus Verhaltensgenetik, Molekulargenetik und Evolutionspsychologie auseinander zu setzen. Drittens verbindet sich mit diesen Anliegen die Vision, dass das zukünftige Potential der Sozial- und Verhaltenswissenschaften vor allem im interdisziplinären Dialog mit den Lebenswissenschaften liegen wird. Potsdam und Saarbrücken im März 2008
Franz J. Neyer und Frank M. Spinath
Die evolutionäre Psychologie von Anlage und Umwelt Haral^l A. Euler und Sabine Hoier "The phrase 'nature and nurture' is a convenient jingle of words, for it separates under two distinct heads the innumerable elements of which personality is composed." (Galton, 1874) Bald nach Beginn des vergangenen Jahrhunderts geriet die noch junge evolutionäre Psychologie (James, 1890/1983; McDougall, 1908/1960) in Vergessenheit. Kulturistische und empiristische Sichtweisen dominierten fortan die Erklärungen menschlichen Verhaltens, und evolutionäre wie auch andere naturalistische und nativistische Theorien blieben marginalisiert und ignoriert. Gegen Ende des Jahrhunderts jedoch, mit dem Erstarken biologischer Paradigmen, erlebte die evolutionäre Psychologie eine Wiedergeburt (Euler & Voland, 2001). Trot2 dieses durchgreifenden Aufstiegs und Niedergangs radikal milieutheoretischer Sichtweisen blieb die Anlage-Umwelt-Kontroverse bestehen. Rasante Weiterentwicklungen in Biologie und Genetik, etwa die Konzeptualisierung des Gens, die Entdeckung der DNA, die Fortschritte in der Molekulargenetik, die Formalisierungen in Populationsgenetik, quantitativer Genetik und evolutionärer Spieltheorie, und die Kartierung des menschlichen Genoms haben die Kontroverse eher wenig berührt. Immer wieder plädierten besonnene Stimmen dafür, die Debatte zu beenden. Es sei kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Das Zusammenwirken von Anlagen und Umwelteinflüssen sei die anstehende Frage (Anastasi, 1958). Die Dichotomie Anlage gegen Umwelt sei überhaupt irreführend. Die Kontroverse blieb dennoch lebhaft. Auch die vielen soliden und übereinstimmenden Befunde der Verhaltensgenetik, die letztlich mehr zur Erkenntnis über Umwelteinflüsse beitrugen als über genetische Einflüsse, konnten die hitzigen Debatten nicht beenden. Die pauschale Anlage-Umwelt-Frage wird wohl bestehen bleiben und neue Nahrung finden, z. B. in der molekularen Epigenetik. Diese Forschung zeigt, dass entgegen der herkömmlichen Doktrin der Nicht-Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften bestimmte Umwelteinflüsse wie Nahrungsstoffe sehr wohl eine vererbbare Veränderung der Genregulation und Genexpression bewirken können (Jablonka & Lamb, 2002). Damit bekommt das komplexe Wechselspiel zwischen Genom, Umwelt und Verhalten noch eine weitere Facette. Im diesem Beitrag werden folgende Themen behandelt: (1) Die Stellung der evolutionären Psychologie zur Anlage-Umwelt-Frage, (2) das Verhältnis von evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik, (3) der Widerspruch zwischen arttypisch universellen Anpassungen und erblichen individuellen Unterschieden, (4) evolutionäre Erklärungen für verhaltensgenetische Befunde, (5) Geschlecht und
2 • Die evolutionäre Psychologie von Anlage und Umwelt
Verhaltensgenetik und (6) das Zusammenwirken von genetischen und umweltbedingten Einflüssen bei psychischen Mechanismen. Evolutionäre Psychologie und die Anlage-Umwelt-Frage Die evolutionäre Psychologie ist die konsequente Anwendung der neodarwinischen Evolutionstheorie und damit der adaptionistischen Logik auf die Untersuchung der Struktur der menschlichen Psyche. So wie die Evolutionsbiologie keine Spezialdisziplin der Biologie ist, so ist die evolutionäre Psychologie keine Spezialdiszipün der Psychologie wie Entwicklungspsychologie oder Persönlichkeitspsychologie. Die Evolutionsbiologie und damit auch die evolutionäre Psychologie stellen nicht die Frage nach augenblicklichen oder lebenszeitlichen Ursachen von Phänomenen (proximate Ursachen), sondern fragen nach deren Gestaltungszwecken (ultimate Ursache), also nach den evolutionären Gründen für die Entstehung eines Merkmals oder einer Eigenschaft (trait). Alle Merkmale eines Organismus haben sowohl proximate als auch ultimate Ursachen. Bei U l t i maten Ursachen geht es ursprünglich und damit letztlich um Reproduktion während der Evolution. Nichts in der Biologie mache Sinn außer im Licht der Evolution, sagte der Biologie Dobzhansky (1937). Stearns und Hoekstra (2005) fügten hinzu, im Zentrum der Biologie stehe Reproduktion, und alles andere — Entwicklung, Physiologie, Verhalten und Gene — sei ihr zu Diensten. Kurzfristige adaptive Evolution eines Merkmals geschieht, wenn drei Bedingungen gegeben sind: (1) Das Merkmal variiert zwischen Individuen, (2) diese Variation beeinflusst den Reproduktionserfolg (Selektion), und (3) zumindest ein Teil der Variation ist erblich, also durch Gene bedingt, die ebenfalls zwischen Individuen variieren. Natürliche Selektion ist also die Korrelation eines Merkmals mit Reproduktionserfolg. Die evolutionäre Veränderung zeigt sich in der merkmalrelevanten genetischen Zusammensetzung der Population, und das Ausmaß der Selektionswirkung (response to selection) ist das Produkt aus Selektionsstärke und Erblichkeit des Merkmals. Die Selektionsstärke bemisst sich im Selektionsdifferential, definiert als Effektgröße des Merkmalunterschieds zwischen der Stichprobe selektierter Individuen und der unselektierten Population (Stearns & Hoekstra, 2005). In der Züchtersprache ist das der Erfolg einer Zuchtmaßnahme in einer Generation. Erblichkeit versteht sich hier im engeren Sinn, also als der Anteil an phänotypischer Varianz, der allein auf additive genetische Varianz zurückgeht. Das Tempo der evolutionären Veränderung bestimmt sich somit aus Selektionsstärke, Erblichkeit und Reproduktionsalter. Bei Mikroorganismen kann evolutionäre Veränderung in Stunden bemessen sein, bei langlebigen Organismen in Jahrtausenden. Die Selektion findet schnell Merkmalverbesserungen (Anpassungen), die Evolution kumuliert sie. Der Begriff der Anpassung bezeichnet dabei sowohl den Prozess als auch das Resultat. Ein Merkmal und damit eine Anpassung können genetisch, anatomisch, physiologisch, lebensgeschichtlich oder psychisch sein. Lebensgeschichte ( l i f e histoiy) bedeutet hier die Verteilung von reproduktivem Bemühen über den Lebensver-
Evolutionäre Psychologie und die Anlage-Umwelt-Frage • 3
lauf (z. B. Beginn und Ende des Reproduktionsalters, Geburtsrate, Lebensspanne). Aus evolutionstheoretischer Sicht unterscheiden sich menschliche psychische Merkmale nicht kategorial von anderen, auch tierlichen, Merkmalen; sie variieren zwischen Individuen, sie können zum Reproduktionserfolg beitragen, und sie sind typischerweise auch erblich (Turkheimer, 2000). Daraus ergibt sich die Daseinsberechtigung der evolutionären Psychologie. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Struktur der menschlichen Psyche nicht maßgeblich durch evolutionäre Prozesse gestaltet wurde. Allerdings ist durch effektive Geburtenkontrolle sowie durch medizinischen und zivilisatorischen Fortschritt die Korrelation zwischen Merkmalsvariation und Reproduktionserfolg stellenweise gemindert oder beseitigt. Doch sind dies neuzeitliche Veränderungen, die noch keinen Einfluss auf die evolutionäre Gestaltung der psychischen Architektur hinterlassen konnten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen verhalten wir uns nach wie vor so, als lebten wir in einer angestammten pleistozänen Umgebung (EEA, environment of evolutionary adaptedness). Wir fuhren die anzestralen Vorgaben in aktuellen Umwelten mit modernen Mitteln aus. Die Evolution gibt uns eine archaische Motivstruktur vor, die aktuelle Umwelt stellt die Mittel zur Erreichung der motivational bestimmten Ziele zur Verfügung. An diesem Punkt unterscheidet sich die evolutionäre Psychologie von dem Ansatz der menschlichen Verhaltens Ökologie, wie er typischerweise von evolutionären Anthropologen vertreten wird. In der evolutionären Anthropologie gilt als Beleg dafür, dass ein Merkmal tatsächlich adaptiv (eine Anpassung) ist, nur der Nachweis, dass das Merkmal nach wie vor Selektionswert hat, also relativ zu anderen Merkmalen reproduktionsvorteilig ist. Aus diesem Grund werden evolutionär-anthropologische Studien vorzugsweise an Populationen mit natürlicher Fertilität durchgeführt. Ein solcher Nachweis der fortwährenden reproduktiven Tauglichkeit (fitness, Selektionswert) wird in der evolutionären Psychologie nicht zwingend gefordert. Der Mensch ist nicht länger ein FitnessMaxi mierer, sondern ein Anpassungs-Ausführer (Tooby & Cosmides, 1992). Als einleuchtendes Beispiel führen Tooby und Cosmides (2005) an, dass Männer für die Dienste von Prostituierten bezahlen, obwohl sie wissen, ja sogar hoffen, dass diese verhüten, wohingegen sie für eine Spermaspende Geld verlangen und von der Samenbank auch erhalten. Menschen führen Anpassungen aus, die in den Umwelten unserer evolutionären Vorfahren reproduktionsvorteilig waren, auch wenn sie es in einer modernen Umwelt nicht länger sind. Mit ihrer Betonung auf Anpassungen an vergangene Umwelten könnte die evolutionäre Psychologie, im Unterschied etwa zur evolutionären Anthropologie bzw. Verhaltensökologie, leicht ein irreführendes Menschenbild suggerieren, dass nämlich die Evolution der menschlichen Psyche mit Ende der Steinzeit abgeschlossen sei. Einen subtilen Dualismus kann man in diesem Bild entdecken: Darwin habe Recht, wenn es um Tiere, körperliche Strukturen oder Steinzeit geht; die Seele und Vernunft des modernen Menschen jedoch habe sich über diese Niederungen erhoben und werde nun durch Kultur und Erkenntnis geprägt. Die evolutionäre Psychologie lässt jedoch diesen Dualismus nicht gelten.
4 • Die evolutionäre Psychologie von Anlage und Umwelt
Alle Merkmale aller Organismen haben eine evolutionäre Geschichte, und auch die Evolution menschlicher Eigenschaften endete nicht mit der Steinzeit. Welcher Art sind die anzestralen Verhaltensprogramme, also die Anpassungen, die in der Psychologie besonders interessieren? Es sind so genannte evolvierte psychische Mechanismen (psychological mechanisms, z. B. sexuelle Eifersucht) sowie die sich daraus ergebenden oder damit zusammenhängenden Eigenschaften und Entwicklungsprozesse. Psychische Mechanismen entstanden, weil sie ein spezifisches und häufig wiederkehrendes Problem des Überlebens bzw. der Reproduktion besser lösen konnten als mögliche Alternativen. Ein psychischer Mechanismus spricht auf problemrelevante Reize der Umwelt an und informiert so das Individuum über das anstehende Problem. Als informationsverarbeitender Prozess wandelt er die Reizeingabe durch Entscheidungsregeln ("Darwinsche Algorithmen") in eine Ausgabe um, die sich im Verhalten und/oder Erleben manifestiert oder als Eingabe für einen anderen psychischen Mechanismus fungiert und damit das anstehende Problem löst (Buss, 2008). Problemlösung heißt hier différentielle Reproduktivität, also höhere lebenszeitliche genetische Replikation als Individuen, die mit anderen psychischen Mechanismen ausgestattet sind. Die evolutionäre Psychologie versteht sich somit als Verbindung von Evolutionstheorie und Kognitionswissenschaft (Pinker, 1997). Wenn eine Verhaltensweise mühelos oder gar unbemerkt erworben wird, ohne willentliche Anstrengung oder gar gegen äußere Widerstände und ohne Übung funktionsfähig auftritt, könnte es sich um eine Anpassung handeln. Wenn dieses Verhalten so konstruiert ist, dass es ein spezielles Überlebens- oder Fortpflanzungproblem sparsam und effizient löst (Williams, 1966) oder mutmaßlich in der Vergangenheit gelöst hat, verdichtet sich die Vermutung, dass es sich um eine Anpassung durch natürliche Selektion handelt. (Anpassungen aufgrund von sexueller Selektion sind allerdings oft nicht sparsam, sondern demonstrativ verschwenderisch, um so das andere Geschlecht zu beeindrucken; Miller, 2000). Eine Fülle von psychischen Mechanismen leitet uns unbewusst und umweltsensitiv wie Autopiloten. Wir finden sie in allen Bereichen unserer psychischen Architektur, in der Wahrnehmung, beim Lernen, in Emotionen, in Motivationen und in Kognitionen. Der Mensch ist nicht instinktarm, sondern ausgerüstet mit einer geradezu bemerkenswerten Fülle von psychischen Mechanismen, eine Feststellung, auf die schon die Väter der evolutionären Psychologie hingewiesen haben.
Das Verhältnis von Evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik Die gemeinsamen Eltern von evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik sind Evolutionstheorie und Populationsgenetik, die sich in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vermählten, ein Ereignis, das nachträglich Moderne Synthese genannt wurde. Folglich kann das Verhältnis von evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik als schwesterlich bezeichnet werden (Mealey, 2001). Von der außerfamiliären Sicht ähneln sich die Schwestern: Beide sind — anders als diverse
Das Verhältnis von Evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik • 5
herkömmliche Sichtweisen in der Psychologie — biologischen Erklärungen gegenüber aufgeschlossen und sehen in der genetischen Verwandtschaft eine maßgebliche Bedeutung für soziale Interaktionen (Segal, 1993; Segal & Hill, 1995), ohne dabei die Rolle der Umwelt zu vernachlässigen. Verwandtschaftsgrad kovariiert sowohl mit emotionaler Nähe und damit z. B. mit Hilfsbereitschaft (Neyer & Lang, 2003) als auch mit psychischer Ähnlichkeit (z. B. Persönlichkeit). So ähneln sich monozygote Zwillinge mehr als dizygote Zwillinge, wie die Verhaltensgenetik belegt, und erstere zeigen auch eine höhere Seelenverwandtschaft und damit Hilfsbereitschaft, was die evolutionäre Psychologie interessiert (Segal, Hershberger, & Arad, 2003). Im direkten Vergleich von evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik akzentuieren sich ihre Unterschiede. Beide Ansätze stellen unterschiedliche Fragen und erhalten unterschiedliche Ausbeute. Was Spreu für den einen Ansatz ist, kann Korn für den anderen sein. Die evolutionäre Psychologie richtet ihr Augenmerk vorrangig auf die arttypische menschliche Natur, deren Erklärung und deren Daseinsberechtigung im wissenschaftlichen Diskurs. Interindividuelle Unterschiede wurden bislang eher ausgeblendet oder als irritierende, theoretisch schwer fassbare Erscheinungen marginalisiert. Die Verhaltensgenetik hingegen befasst sich gerade mit individuellen Unterschieden. Die evolutionäre Psychologie handelt mit Mittelwerten und Haupteffekten, die Verhaltensgenetik mit Varianzen und Kovarianzen. Für die Verhaltensgenetik ist Erblichkeit zu quantifizieren, für die evolutionäre Psychologie ist sie bloß Ausgangsmaterial der Evolution. Hohe Erblichkeit bekümmert Verhaltensgenetiker nicht, aber sie bringt evolutionäre Psychologen in Erklärungsnöte, weil nach dem Kanon der Populationsgenetik erbliche individuelle Unterschiede durch die natürliche Selektion sozusagen aufgebraucht werden und etablierte Anpassungen deswegen nur noch geringe Erblichkeitswerte zeigen dürften (Bailey, 1997). Dieses vermeintliche Dilemma wird im nächsten Unterkapitel eingehender behandelt. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Ansätze wurden schon früh (Freedman, 1968) und wiederholt thematisiert (Buss, 1987, 1990; Buss & Greiling, 1998; Crawford & Anderson, 1989; Mealey, 2001; Scarr, 1995; Segal, 1993, 1997; Segal & MacDonald, 1998). Der zentrale Tenor der Beschwörungen von Gemeinsamkeiten ist, dass eine evolutionäre Fundierung der Verhaltensgenetik eine wertvolle zusätzliche Perspektive für sinnvolle Interpretationen liefern könne, etwa durch den Einbezug der Lebensgeschichtstheorie oder die Berücksichtigung evolutionär begründeter Geschlechtsunterschiede, und dass die Verhaltensgenetik ihrerseits kraftvolle Methoden zur Überprüfung evolutionspsychologischer Hypothesen bereit stellt (Segal & Hill, 2005). Das bekannteste Lehrbuch der Verhaltensgenetik, Behavioral Genetics, enthält in der 2. Auflage (Plomin, DeFries & McCleam, 1990) ein Unterkapitel über Soziobiologie und in der 3. Auflage (Plomin, DeFries, McClearn, & Rutter, 1997) sogar ein eigenes Kapitel über Evolutionäre Psychologie, das in der 4. Auflage (Plomin, DeFries, McClearn, & McGuffin, 2001) noch ausgeweitet wurde. Doch dieses Kapitel ist eher ein Fremdkörper und erfüllt nicht den Anspruch auf Integration beider
6 • Die evolutionäre Psychologie von Anlage und Umwelt
Herangehensweisen, obwohl in der 2. Auflage schon die Notwendigkeit einer disziplinären Annäherung festgestellt wurde. Auch die fachlichen Datenbanken zeigen diese Trennung. Die Stichwörter behavior genetics und evolutionaiy psychology ergeben in Psyclnfo und Medline für sich jeweils viele Einträge, in Kombination aber nur vereinzelte. Beide Ansätze sind zwar nicht unvereinbar, aber nach wie vor ungleichartig. Universelle Anpassungen und erbliche individuelle Unterschiede Der wegweisende Evolutionsbiologe, Genetiker und Statistiker Sir Ronald Fisher (1930) belegte mathematisch, dass die Fitnesszunahme einer Population mit der genetischen Fitnessvarianz korreliert (das so genannte 'Fundamentale Theorem der Natürlichen Selektion'), insbesondere mit der additiven Varianz. Merkmale, die aus einem Anpassungsprozess der natürlichen Selektion hervorgegangen sind, sollten daher bestenfalls nur noch geringfügige erbliche Variabilität zeigen (Erblichkeit additiv; im engeren Sinn). Die Selektion hat nach und nach alle suboptimalen genetischen Varianten aussortiert und so die optimale Variante fixiert. Da man in der evolutionären Psychologie das Ensemble der optimalen Varianten als arttypische menschliche Natur ansehen kann und diese universale Natur der Fokus der Evolutionstheorie ist, konnte man anfangs die vorhandene interindividuelle Variation eines psychischen Merkmals, z. B. einer Persönlichkeitseigenschaft, als nicht-adaptive Variation abtun (Tooby & Cosmides, 1990). Die evolutionäre Psychologie beschäftige sich besser mit Phänomenen, so Tooby und Cosmides, die zwar vererbt (;inherited), aber nicht länger erblich {heritablé) seien. Eigenschaften mit beträchtlicher Erblichkeit seien, weil hier kein üblicher Anpassungsprozess vorangegangen sein könne, wohl zumeist adaptiv neutral und funktional weitgehend unbedeutend, und so nur von Interesse für die differentielle Psychologie und die Verhaltensgenetik. Dieser Standpunkt blieb nicht unwidersprochen und führte zu einer Diskussion (z. B. Bailey, 1997; Buss, 1991; Buss & Greiling, 1999; Nettle, 2006; Penke, Denissen, & Miller, 2007), in deren Verlauf die Bedeutung erblicher individueller Variation wieder anerkannt und in die evolutionäre Psychologie zurück geholt wurde (vgl. Penke, Denissen & Miller, in diesem Band). Erbliche individuelle Variation kann eine Vielzahl von Ursachen haben (Buss & Greiling, 1999; Freeman & Herron, 2004; Knußmann, 1996), ist ubiquitär auch im Tierreich (Lynch & Walsh, 1998), ist oft korreliert mit Reproduktionserfolg (Houle, 1992) und gehört damit auch zur menschlichen Natur. Fishers Fundamentales Theorem gilt nur für bestimmte Selektionsweisen, nämlich gerichtete und stabilisierende Selektion. Bei gerichteter Selektion korreliert die Fitness positiv oder negativ linear mit der Merkmalsausprägung: Je stärker ausgeprägt das Merkmal ist, desto mehr (oder weniger) Reproduktionserfolg resultiert. Bei der stabilisierenden Selektion korreliert die Fitness kurvilinear mit der Merkmalsausprägung: ein mittlerer Ausprägungsgrad erzielt die höchste Fitness. Die gerichtete Selektion zielt auf ein Extrem, die stabilisierende Selektion auf ein Optimum. Beide Selektionsweisen vermindern die Merkmalsvarianz, die
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stabilisierende Selektion schneller als die gerichtete Selektion (Freeman & Herron, 2004). Zwar sind diese beiden Selektionsweisen im Tierreich relativ häufig, aber nicht die einzigen (Sperlich, 1988), mutmaßlich erst recht nicht beim Menschen mit seinen facettenreichen kognitiven und Persönlichkeitsmerkmalen und einer vielgestaltigen Umwelt, in der die Selektionskräfte nicht mehr nur von der unbelebten Umwelt und von Krankheitserregern ausgehen, sondern vor allem und entscheidend von der sozialen Umwelt (social brain hypothesis, e. g. Byrne & Whiten, 1988; Dunbar, 2007). Zwei variationserhaltende bzw. -erhöhende Selektionsweisen sind die disruptive Selektion und die frequenzabhängige Selektion. Bei der disruptiven Selektion werden zwei verschiedene Merkmale, beispielsweise Extremausprägungen, gleichermaßen bevorzugt und mittlere Ausprägungsgrade benachteiligt, was zu einer Diversifizierung fuhrt. Primäre Geschlechtsmerkmale werden so selektiert. Reproduktionsvorteilig sind nur komplette, funktionstüchtige Geschlechtsorgane. Halbe Sachen bringen hier keinen Reproduktionsnutzen, sondern nur Ausstattungskosten. Bei der frequenzabhängigen Selektion hängt die Fitness des Merkmals von der Häufigkeit des Merkmals und seiner Alternativen in der Population ab. Beispielsweise haben Linkshänder bei bestimmten Zweikämpfen wie Boxen oder Tennis einfach dadurch einen Wettbewerbsvorteil, dass ihre Händigkeit die seltenere Variante ist. Ein Linkshänder ist auf den üblichen, rechtshändigen Gegner besser eingestellt als ein Rechtshänder auf den gelegentlich vorkommenden Linkshänder. Im sozialen Miteinander, vor allem in arbeitsteiligen Gesellschaften, darf frequenzabhängige Selektion als häufig angenommen werden (z. B. Mealey, 1995). Nehmen wir an, es gäbe nur gerichtete und stabilisierende Selektion und außer Mutationen keine weiteren Bedingungen (s. unten), die genetische Variation induzieren. Selbst unter diesen restriktiven Annahmen ist genetische Variation nicht auszuschließen. Erstens kann genetische Variation in Bezug auf Selektion einfach neutral sein, also keinen positiven oder negativen Selektionswert (fitness) haben. Zweitens können nachteilige Mutationen noch nicht beseitigt sein, also die Selektion den Endzustand der Anpassung noch nicht erreicht haben. Da Mutationen in der Regel spontan auftreten und die Selektionsstärke gering sein kann, ist eine solches sog. Mutations-Selektions-Gleichgewicht durchaus möglich. Es ist insbesondere dann nahe liegend, wenn eine Merkmalsausprägung durch verschiedene Gene bestimmt wird (sog. Polygenie), wodurch die Auftretenswahrscheinlichkeit schädlicher Mutationen erhöht wird. Drittens können verschiedene Bedingungen bewirken, dass die Selektion selbst Variation erhält (sog. ausgleichende Selektion), beispielsweise wenn Heterozygotie (Individuum hat zwei verschiedene Allele an einem Genort) überlebensvorteilig ist, oder wenn ein Gen für verschiedene Merkmale mit jeweils unterschiedlichem Selektionswert verantwortlich ist (sog. Pleiotropie). Letzteres ist begünstigt, wenn die Lebensumwelt vielfältig und variabel ist. Penke et al. (2007) konnten zeigen, dass das Mutations-Selektions-Gleichgewicht geeignet ist, die genetische Varianz der In-
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telligenz zu erklären, wohingegen die Varianz der Persönlichkeit am besten mit ausgleichender Selektion begründet wird. Wir sind bislang unausgesprochen von direkter Selektion ausgegangen. Dabei wird in der Genpopulation die Häufigkeit eines merkmalrelevanten Allels beeinflusst. Die Veränderung eines solchen direkt selektierten Allels kann aber auch die Häufigkeit von Genen beeinflussen, die in der Nähe auf dem gleichen Chromosom liegen. Eine solche indirekte Selektion kann ebenfalls zur genetischen Variation beitragen. Weiterhin wurde der Einfachheit halber angenommen, dass Individuen sich zufallig begegnen und paaren. Beim Menschen jedoch ist das Gegenteil, die Paarungssiebung (Sortengleichheit der Paarung; assortative mating), keine seltene Ausnahme und für verschiedene somatische Merkmale und psychische Eigenschaften nachgewiesen (Botwin, Buss, & Shackelford, 1997; MascieTaylor, 1995; Spuhler, 1968). Paarungssiebung erhöht genetische Variation. Genetische Variation kann also durch verschiedene Bedingungen geschaffen werden, neben Mutation auch durch sexuelle Neukombination und durch Zuwanderung von anderen Populationen, und sie kann durch weitere Bedingungen beeinflusst werden, die noch nicht einmal alle aufgeführt wurden (vgl. Knußmann, 1996). Arttypische universelle Anpassungen und erbliche individuelle Unterschiede sind theoretisch nicht unverträglich, sondern beide sind integraler Bestandteil der menschlichen Natur. Genetische Variation trennt nicht die evolutionäre Psychologie von der Verhaltensgenetik, sondern verbindet sie.
Evolutionäre Erklärungen für verhaltensgenetische Befunde Turkheimer (2000) goss die empirischen Erkenntnisse der Verhaltensgenetik griffig in drei "Gesetze": (1) Alle menschlichen Eigenschaften (behavioral traits) sind erblich. (2) In der gleichen Familie aufzuwachsen hat einen geringeren Effekt auf die Ausprägung der Eigenschaften als die gleichen Gene zu haben. (3) Ein erheblicher Anteil der Variation in komplexen menschlichen Verhaltenseigenschaften wird nicht durch die Effekte von Genen oder Familien erklärt. Insbesondere die ersten beiden Feststellungen widersprechen eklatant einem fast 100 Jahre alten ehernen, akademischen und populären Kanon der Sozialwissenschaften. Aus evolutionspsychologischer Sicht ist das erste Gesetz, die Allgegenwart von Erblichkeit, auf den ersten Blick keine Überraschung, weil organische Evolution Erblichkeit voraussetzt. Nur auf den zweiten, populationsgenetisch geschärften Blick ist Erblichkeit eines evolutionär gestalteten Merkmals erklärungsbedürftig, wie im vorigen Abschnitt dargestellt. Das zweite Turkheimersche Gesetz besagt, dass typischerweise der Beitrag der geteilten (familienspezifischen) Umwelt zur Merkmalsvariation Null oder sehr gering ist. Ausnahmen von diesem Gesetz betreffen allgemeine kognitive Fähigkeiten (Plomin et al., 2001), Liebesstile (Waller & Shaver, 1994), Wortschatz (Rowe, Jacobson, & van den Oord, 1999), Musikalität (Coon & Carey, 1989) und einige mehr (s. Euler, 2002).
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Warum hat die familienspezifische Umwelt meistens einen nur geringen Einfluss auf die erwachsene Persönlichkeit? Warum schaffen Eltern es nicht, ihre Kinder dauerhaft durch Erziehungsmaßnahmen zu prägen, wo sie doch dafür so viel Zeit und Einflussmöglichkeiten haben? Für eine Antwort (vgl. Rowe, 1994; Harris, 1998) sind zwei Tatbestände die Grundlage der Argumentation, nämlich die genetische Reproduktion als lebenslange Leistung und die Frage der optimalen kulturellen Weitergabe. Genetische Reproduktion beschränkt sich nicht auf Paarung und Sex, sondern ist eine lebenslange Aufgabe mit vier lebensalter-spezifischen Leistungen (Alexander, 1988). Im ersten Lebensabschnitt steht die somatische Leistung im Vordergrund, die dem Erwerb von reproduktiven Ressourcen dient: Essen, wachsen, Gefahren vermeiden, lernen, gesund bleiben und Bündnisse aufbauen sind einige der hier anstehenden Lebensleistungen, die auch lebenslang Bedeutung behalten. Die erworbenen Ressourcen werden für die drei verbleibenden Leistungen verwendet: Paarungsleistung (z. B. Partnersuche, Sex, Partnererhalt), elterliche Leistung und Verwandtenunterstützung. Die Verteilung der einzelnen Leistungen auf Lebensabschnitte und die sich daraus ergebenden Konflikte und Kompromisse werden in der sog. Lebensverlaufstheorie (Jife history theory, z. B. Kaplan & Gangestad, 2005) thematisiert und formalisiert. Wenn neue Lebensleistungen gefragt sind, wie nach der Pubertät oder bei anstehender Elternschaft, wandeln sich die reproduktiven Anforderungen und damit Interessen und Verhaltensweisen, bei manchen Tierarten auch die körperliche Gestalt des Organismus. Die Raupe erbringt einzig ihre somatische Leistung: fressen und vermeiden, selbst gefressen zu werden. Nach der Verpuppung erfüllt dasselbe Insekt in anderer Gestalt eine völlig andersartige Leistung mit andersartigen Anforderungen, nämlich die Paarungsleistung. Was die Raupe gelernt hat, ist ihr als Schmetterling so wenig nützlich wie ihr ehemaliges Raupenmotiv, nimmersatt bestimmte Pflanzen zu fressen. Kulturelle Weitergabe ist arttypisch menschlich und offensichtlich nützlich für die Reproduktion. Die Fähigkeit, von Anderen zu lernen, ist daher als Anpassung zu betrachten und als solche evolutionär maximiert worden. Von wem soll das Individuum lernen? Wer soll als Vorbild genommen werden, wenn sich verschiedene Vorbilder konkurrierend anbieten? Es wäre unzweckmäßig, nur einen einzigen kulturellen Transmissionsmodus (vertikale: Kinder lernen von Eltern) vorzugeben, unabhängig von Alter und Geschlecht des Lernenden, Stabilität der Umgebung und Inhalt der Weitergabe (McElreath & Strimling, im Druck). Vorteilhafter wäre, je nach Umstand vertikale, schräge (von Erwachsenen außerhalb der Familie lernen) oder horizontale Transmission (von Gleichaltrigen) zuzulassen. Eltern als Vorbilder zu nehmen hat mehrere Nachteile. Innerhalb der Familie geht es hauptsächlich um das Miteinander und die Organisation des Familienlebens. Wie Harris (1998) bemerkt, streben Kinder nicht danach, in dieser Familie später gute Eltern zu werden, genau so wenig wie Strafgefangene danach streben, später kompetente Aufseher zu werden. Wenn die Herkunftsfamilie verlassen wird, steht zuerst die Paarungsleistung an. Diese Aufgabe kann in der Familie
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schon aus Gründen der Inzesthemmung nicht geübt werden. Selbst rein informative sexuelle Aufklärung der Kinder durch Eltern wird zwar ständig propagiert, aber selten praktiziert, weil sie allen Beteiligten intuitiv widernatürlich, also unangenehm ist. Der Partnermarkt funktioniert nach anderen Regeln als das Familienleben und ist vor allem Neuerungen unterworfen, die innerhalb der Familie nicht angemessen widergespiegelt werden. Von Personen außerhalb der Familie zu lernen, insbesondere von Gleichaltrigen, ist daher immer zeitgemäßer und besser geeignet, erforderliche Neuerungen zu erwerben. Wenn Neuerungen rapide auftreten, wie derzeit in der Informationstechnologie, ist die kulturelle Transmission dem gängigen Sozialisationsmodell sogar entgegengesetzt: Jugendliche lernen von Gleichaltrigen, wie die Geräte funktionieren und bringen es in umgekehrt vertikaler Transmission ihren rückständigen Eltern bei. Wenn später eine eigene Familie gegründet wird, kann es aber durchaus zweckmäßig sein, für bestimmte innerfamiliäre Aufgaben auf elterliches Vorbild zurück zu greifen. Wenn Sterblichkeitsraten hoch sind, haben Kinder oft keine biologischen Eltern. In anzestralen und vorindustriellen Kulturen wurden Kinder typischerweise innerhalb der Großfamilie von Verwandten adoptiert. Wären Kinder auf elterliche Vorbilder biologisch programmiert statt Vorbilder situations- und bereichsspezifisch zu wählen, hätten sie in angestimmten Umwelten mit deren hohen Sterblichkeitsraten erhebliche Fitnessnachteile gehabt. Eltern und Kinder teilen sich zwar im Mittel die Hälfte ihrer Allele, aber eben nur die Hälfte. Die Fitness-Interessen von Eltern und Kindern sind daher nicht deckungsgleich, wie Trivers (1974) am Beispiel des Eltern-Kind-Konflikts verdeutlicht hat. Eltern erziehen ihre Kinder in ihrem eigenen elterlichen Fitnessinteresse. Sie sind typischerweise nicht bereit, dem Kind so viel Zuwendung zu geben, wie das Kind fordert, weil neben der elterlichen Zuwendung für das eine Kind auch noch andere reproduktionsrelevante Leistungen, z. B. für die anderen Kinder, zu erfüllen und abgleichend zugeteilt werden müssen. Eltern neigen daher unbewusst dazu, ihre Kinder zu "manipulieren", und Kinder tun gut daran, sich diesen Manipulationsversuchen zu widersetzen, wenn ihre eigenen adaptiv unbewussten Fitnessinteressen entgegenstehen. So lässt sich erklären, warum familienspezifische Einflüsse auf Verhaltensmerkmale von Nachkommen nur begrenzten Einfluss haben. Wenn keine anderen Vorbilder verfügbar sind und wenn es um innerfamiliäres Verhalten geht, ist ein Einfluss der geteilten Umwelt zu erwarten. Wenn die Nachkommen das Elternhaus verlassen, nehmen sie die elterlichen Investitionen nur als Startkapital mit, aber nicht als Maßstab (Euler, 2002). Entsprechend sind die generellen verhaltensgenetischen Befunde (Plomin et al., 2001). Aus diesen Überlegungen lässt sich ableiten, wo Abweichungen vom zweiten Turkheimerschen Gesetz am ehesten zu erwarten sind, wo also Verhaltensunterschiede auf familienspezifische Unterschiede zurück zu fuhren sind, nämlich beim innerfamiliären Verhalten in der eigenen Fortpflanzungsfamilie. Nahrungszubereitung und -präferenzen, Umgang mit den eigenen Kindern und Tätigkei-
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ten im Haushalt (Wie faltet man ein Oberhemd? Wie legt man Äpfel in den Pflückkorb?) wären hier Kandidaten, möglicherweise auch, was zur Verwandtenunterstützung zählt und an Familientraditionen gepflegt wird (Euler, 2002). Diese Verhaltensmerkmale sind nach unserer Kenntnis bislang nicht ins Blickfeld der Verhaltensgenetik gerückt, vielleicht allein schon deswegen, weil familiäres Verhalten, also Elternschaft und Verwandtschaft, in der Motivations-, Persönlichkeits- und Sozialpsychologie ein Nischendasein fristet. Schließlich ist das dritte Turkheimersche Gesetz noch aus evolutionspsychologischer Sicht zu kommentieren, also der Befund, dass in der Regel ein großer Teil der interindividuellen Varianz von Merkmalen auf nicht-geteilte, also individuelle, singulare Umgebung zurückgeführt wird. Dieser Varianzanteil ist theoretisch schwierig zu greifen, weil er nicht direkt, sondern durch Ausschluss bestimmt wird, also eine Restvarianz ist. Es ist derjenige Varianzanteil, der nach Abzug von Erblichkeit (bei psychischen Merkmalen häufig die Hälfte der Varianz) und geteilter Umgebung (häufig kein Varianzanteil) übrig bleibt, gegebenenfalls noch unter Einschluss von Messfehlervarianz. Die inhaltliche Unbestimmtheit dieses Varianzanteils erklärt sich aus den Ursprüngen der Genetik. In der Tierzucht war der Umwelteinfluss ein unerwünschter Störfaktor für die Bestimmung des Zuchterfolgs. Wo ist diese individuelle Umwelt, die u. a. bewirkt, dass sich eineiige Zwillinge je nach gemessenem Merkmal durchaus unterscheiden können? Wie ist sie zu beschreiben? Biologisch gesehen ist Umwelt nicht nur das, was das Individuum sinnlich bemerkt, sondern alle Einflüsse von außerhalb des Genoms, von der intrazellulären Umwelt über die physiologisch-anatomische und uterine Umwelt zur sozialen Umwelt einschließlich der individuellen Gedankenwelt. Diese Vielfalt macht die verhaltensgenetische nicht-geteilte Umwelt schwer zu greifen und eine vorschnelle Festlegung auf mutmaßliche Aspekte der sozialen Umwelt angreifbar (Turkheimer & Waldron, 2000). Entwicklung ist ein noch weitgehend unbekanntes komplexes Geschehen, das von Genen ausgeht, die ihrerseits vielfaltig interagieren und ein Netzwerk von Interaktionen in Gang setzen, mit molekularen, zellulären, physiologischen, behavioralen und umweltlichen Komponenten, und die zudem noch in vielfaltigen Rückkoppelungsschleifen organisiert sind (Johnston & Edwards, 2002), die ihrerseits auch die Wirkung der Gene, z. B. ihre Expression, bestimmen. Wie in einem komplexen Flipperspiel (Pinker, 2002) mögen Zufallsereignisse Entwicklungspfade öffnen, die innerhalb eines biologisch noch funktionstüchtigen Kanals selbstorganisierend zu individuellen Unterschieden führen (Molenaar, Boomsma, & Dolan, 1993). Beispielsweise unterscheiden sich eineiige wie zweieiige Zwillinge im Fingerabdruck und in der Seitigkeit beim Händefalten (rechter oder linker Daumen oben). Nicht nur Evolution, sondern auch individuelle Entwicklung bleibt innerhalb von Grenzen offen. In der nicht-geteilten Umwelt wirkt auch das Schicksal mit. Auch wenn die nicht-geteilte Umwelt schlecht beleuchtet bleibt, so ist für viele doch ein Bereich deutlich erkennbar und als wirkmächtig identifizierbar: Personen außerhalb der Familie, die uns viel bedeuten. Besonders Harris (1995, 1998)
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hat eingehend — wenn auch nicht unwidersprochen — argumentiert, wie wichtig gleichgeschlechtliche Gleichaltrige (peers) zumindest für die Sozialisation von Kindern sind, möglicherweise auch für die Persönlichkeitsentwicklung. Aus ihrer Gruppensozialisationstheorie, die sie im Übrigen auch versucht evolutionär zu begründen, ergeben sich aus evolutionstheoretischen Überlegungen bestimmte verhaltensgenetische Vorhersagen. Geschlecht und Verhaltensgenetik Während Geschlechterunterschiede in der evolutionären Psychologie eine zentrale Stellung einnehmen (z. B. Bischof-Köhler, 2006; Daly & Wilson, 1983; Geary, 1998), spielen sie in der Verhaltensgenetik eher eine Nebenrolle. Geschlechterunterschiede produzieren unerwünschte Varianz, und so beschränken sich verhaltensgenetische Untersuchungen aus methodischen Gründen gern auf das Geschlecht mit der höheren Prävalenz des Merkmals, z. B. bei Homosexualität oder Stottern. Tauchen Geschlechterunterschiede auf, so werden sie in der Regel lediglich beschrieben, stehen aber nicht im theoretischen Fokus. Homo sapiens trägt zwei evolutionäre Erbschaften in sich, die für die Entstehung von Geschlechterunterschieden maßgeblich mitverantwortlich sind: ein mammalisches und ein hominides Erbe. Das mit allen Säugetieren geteilte mammalische Erbe beruht auf dem Umstand, dass bei Säugern das weibliche Geschlecht wegen der hohen obligatorischen Investitionen in eine einzelne Reproduktion (Schwangerschaft, Laktation) reproduktionsbegrenzend ist, das männliche Geschlecht hingegen wegen der geringen erforderlichen Investitionen ein größeres Reproduktionspotential hat. Männliche Säugetiere könnten eine fast unbegrenzte Anzahl von Nachkommen zeugen, wenn sie unbegrenzten Zugang zu weiblichen Tieren bekämen. Weil so die Nachfrage nach ReproduktionsChancen (von reproduktionswilligen Männchen/Männern) größer ist als das Angebot an Reproduktions-Chancen (von reproduktionsbereiten Weibchen/Frauen), ist der intrasexuelle Wettbewerb um Zugang zu weiblichen Artgenossen vergleichsweise hoch (z. B. Dominanz-, Rivalenkämpfe). Sich eine bessere Ausgangsposition im Zugang zu Reproduktionsmöglichkeiten zu verschaffen, etwa durch Rang/Status, Erwerb von Ressourcen (z. B. Revier) oder bestimmte Fähigkeiten (z. B. Jagdkompetenz), führt so nicht nur zu entsprechend höherer Nachkommenzahl, sondern zu überproportional mehr Nachkommen, wenn die ökologischen bzw. gesellschaftlichen Bedingungen Polygamie (z. B. Haremsbildung) zulassen. Sind diese Bedingungen gegeben, was in einer Vielzahl von Säugetierarten sowie menschlichen Kulturen der Fall war oder ist, dann ist es reproduktiv zweckmäßig, bei der Produktion von männlichen Phänotypen eine größere Bandbreite von individuellen Unterschieden zu produzieren als bei der Produktion von weiblichen Phänotypen. Ein besonders gut gelungener (reproduktionstauglicher) männlicher Nachkomme kann durch überproportionale eigene Reproduktion mehrere reproduktions-untaugliche Nachkommen wettmachen. Diese Überlegung gilt nicht in gleichem Maße für weibliche Nachkommen. Die
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Natur produziert so bei männlichen Nachkommen mehr Vielfalt als bei weiblichen, weil sich das Risiko wegen des potentiell hohen Reproduktionsgewinns lohnt. Die erhöhte Varianz männlicher Phänotypen bleibt aber gering und akkumuliert sich nicht über Generationen, weil wegen der vergleichsweise hohen männlichen Reproduktionsvarianz die Selektion im Vergleich zu weiblichen Phänotypen schärfer ist. Benachteiligte männliche Phänotypen werden eben auch reproduktiv überproportional benachteiligt. Eine größere männliche als weibliche Varianz ist bei Tieren und beim Menschen dokumentiert, sowohl in morphologischen als auch in behavioralen Merkmalen, bei denen eine sexuelle Selektion, also geschlechtsspezifische Selektionsdrücke angenommen werden können (Archer & Mehdikhani, 2003). Das Phänomen ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt (Ellis, 1894) und gründete auf der Beobachtung, dass bei Männern sowohl Geistesgrößen als auch Schwachsinnige häufiger vorkamen als bei Frauen. Intelligenztests werden so konstruiert, dass keine Geschlechterunterschiede in zentralen Tendenzen aufkommen, aber Jungen bzw. Männer weisen eine größere Varianz in IQ-Werten auf als Mädchen bzw. Frauen, allerdings nicht drastisch und nicht bei allen Einzelleistungen (Feingold, 1992; Irwing & Lynn, 2005). Körpergröße ist ein fitness-relevantes und sexuell selektiertes Merkmal, das bei Männern eine signifikant höhere Varianz zeigt als bei Frauen, bei allen drei Großrassen (Bell, Adair, & Popkin, 2002). Beim Schulerfolg von amerikanischen Highschool-Schülern ist der Varianzunterschied ebenfalls belegt (Nowell & Hedges, 1998). Ein letztes Beispiel sind verbale Fähigkeiten, gemessen z. B. mit Leistungstests (Educational Testing Service, n. d.). Männer sind unter Sprachgenies anscheinend häufiger als Frauen, haben aber auch eine höhere Prävalenz von Sprach- bzw. Sprechstörungen (z. B. Stottern). Unter Männern finden wir überproportional viele Nobelpreisträger und beeindruckende Künstler, aber auch jede Menge Junkies, Obdachlose, Kriminelle und Loser. Als Fazit ergibt sich, dass bei bestimmten geschlechtstypischen Merkmalen geschlechtsgetrennte Analysen angezeigt sind, wenn Gesamtvarianzen in Bestandteile von Erblichkeit und Umweltlichkeit zerlegt werden. Allerdings ist einschränkend anzumerken, dass die geschlechtsdifferentiellen Varianzunterschiede, wie von der Theorie erwartet, typischerweise gering sind. Unser hominides Erbe stammt aus der Arbeitsteilung unserer Vorfahren und die sich daraus ergebenden geschlechtsdifferentiellen Selektionsdrücke. Frauen hatten Kleinkinder zu versorgen und spezialisierten sich auf das Sammeln von Nahrung im begrenzten Umkreis, schon allein, weil der Tragling auf der Hüfte keine weiten Streifzüge zuließ. Männer waren beweglicher und hatten gute Gründe, sich öfters weiter vom Lager zu entfernen: Jagd, Patrouille von Territoriumsgrenzen, kriegerische Auseinandersetzung mit benachbarten Gruppen und Ausschau nach Frauen. So evolvierten geschlechtstypische Fähigkeiten und vor allem Neigungen, die individuell zumeist nicht markant sind, in ihrer Breiten- und Langzeitwirkung aber deutlich sichtbar werden. Kulturuniversal sind Frauen eher als Männer auf innerhäusliche Aufgaben eingestellt, wie alltägliche Nahrungszubereitung, Versorgung von Kleinkindern und familiäre Beziehungspflege, Män-
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ner fühlen sich eher für den Außendienst zuständig, wie Jagd, Waldarbeit und Politik (Barry & Schlegel, 1980). Für Mädchen und Frauen ist im Vergleich zu Männern die Familie wichtiger (Salmon & Daly, 1996), für Männer sind es eher außerfamiliäre Bündnisse. Die Geschlechter haben unterschiedlich ausgeprägte Raumkognitionen: Männer orientieren sich vergleichsweise gut im Gelände, verwechseln selten rechts und links, finden gut wieder heim und können sich vergleichsweise mühelos im dreidimensionalen Vorstellungsraum bewegen (Gaulin & Hoffmann, 1988); Frauen haben dafür ein besseres Platzgedächtnis für Objekte (Silverman & Choi, 2005), anscheinend besonders gut für pflanzliche Nahrungsquellen (New, Krasnow, Truxaw, & Gaulin, 2007). Vor dem Diskurs über Geschlechtsunterschiede stand die Behauptung, dass evolutionstheoretische Hypothesen über die geschlechtsspezifische Bedeutung von Peers und damit über geteilte Umwelteinflüsse und zumindest auch einen Teil der nicht-geteilten Umwelteinflüsse abgeleitet werden können. Dies soll nun begründet werden. Aus evolutionspsychologischer Sicht sind die Peer-Gruppe und damit auch ihr möglicher Einfluss nicht von gleicher Bedeutung für beide Geschlechter. Da bei allen Säugetieren weibliche Individuen ihre genetische Replikation besser durch Fürsorge von Nachkommen maximieren können als männliche Individuen, suchen sie mehr als letztere den Kontakt mit Artgenossen, die dabei hilfreich sein können. In der Mehrzahl der nicht-menschlichen Primaten leben Weibchen in Gruppen mit anderen, zumeist verwandten Weibchen und betreiben kooperative Brutpflege, während adoleszente Männchen ihre Geburtsgruppe verlassen und sich Junggesellenbanden anschließen, in denen ein hoher Dominanzrang angestrebt wird (Lee & Johnson, 1992). Ähnliche Geschlechtsunterschiede lassen sich beim Menschen beobachten und scheinen kulturuniversal zu sein, sofern soziale Umstände die Verwirklichung dieser geschlechtsdimorphen Neigung zulassen. Mädchen verbringen mehr Zeit als Jungen mit Familienmitgliedern (Troll, 1987), mit Kleinkindern (Wenger, 1989) und Haustieren (Adolph & Euler, 1994), halten sich häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf (Maccoby, 1990) und haben auch noch als erwachsene Frauen einen ausgeprägteren Familiensinn als Männer (Salmon & Daly, 1996). Jungen suchen stattdessen eher Kontakt zu gleichgeschlechtlichen Peergruppen, die eher größer sind, häufiger gewechselt werden, strengere Normen in Bezug auf gegengeschlechtlichen Kontakt artikulieren und eine größere innere Kohärenz zeigen als die Peergruppen von Mädchen (Maccoby, 1998). Kindergartenund Schuljungen haben am Umgang mit Geschlechtsgenossen offensichtlich mehr Spaß als Mädchen, und Jungen im Grundschulalter benennen mehr Peers als Mädchen dies tun (Benenson, Morganstein, & Roy, 1998). In Selbstberichten geben Jungen und Männer einen höheren Nutzen von Kontakten mit Peergruppen an als Mädchen und Frauen, sogar in Bezug auf sozial-emotionale Bedürfnisse (Benenson, Saelen, Markovits, & McCabe, 2008).
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So können wir auch in Bezug auf das dritte Turkheimersche Gesetz eine evolutionspsychologisch begründete verhaltensgenetische Vorhersage aussprechen, unter der Annahme, dass die Peergruppe einen erheblichen Wirkbestandteil der nicht-geteilten Umgebung ausmacht: Für männliche Personen sollte der Einfluss der nicht-geteilten Umgebung auf Persönlichkeitsmerkmale stärker ausgeprägt sein als für weibliche Personen. Diese Vorhersage ergänzt komplementär die o. a. Vorhersage, dass Einflüsse der geteilten Umgebung eher bei weiblichen Personen detektierbar sein müssten. Die verhaltensgenetische Forschung scheint diese Hypothese zu bestätigen. Rowe, Rodgers und Meseck-Bushey (1992) fanden für Delinquenz einen höheren nicht-geteilten Umwelteinfluss für Brüder als für ihre Schwestern. Mädchen hingegen zeigten mehr als Jungen bei Verhaltensproblemen einen höheren Einfluss der familienspezifischen Umwelt (BraungartRieker, Rende, Plomin, DeFries, & Fulker, 1995). Ähnliche geschlechtstypische Gewichtungen ergaben sich in Bezug auf geschlechtstypisches Verhalten (Cleveland, Udry, & Chantala, 2001), depressive Verstimmung (Jacobson & Rowe, 1999) und Alkoholkonsum (Prescott, Aggen & Kendler, 1999). Im ersten Teil dieses Kapitels haben wir dargestellt, warum das Verhalten, auch das des Menschen, durch evolutionäre Prozesse geprägt wurde, welche Voraussagen sich aus der Evolutionstheorie ableiten und wie sich das Verhältnis von evolutionärer Psychologie und Verhaltensgenetik darstellt. Der folgende Abschnitt behandelt, wie genetische und umweltbedingte Einflüsse bei konkreten Verhaltensweisen aus evolutionspsychologischer Sicht interagieren können. Dies ist eine überaus komplexe Fragestellung, die hier nur punktuell beleuchtet werden kann. Das Zusammenwirken von Genen und Umwelt bei psychischen Mechanismen Wie jeder Studierende der Verhaltensgenetik weiß, sind Erblichkeit und Umweltlichkeit Populationskonzepte, die Varianzanteile quantifizieren. Als solche sind sie auf konkretes, individuelles Verhalten nicht als Anteilzuschreibungen anwendbar, weil jede Verhaltensäußerung sowohl biologische Anlagen als auch angemessene Umweltbedingungen voraussetzt, genau so wie ein leckeres Gericht sowohl gute Zutaten als auch eine gute Zubereitung benötigt. Nur weil wir mit der Anlage zum Spracherwerb geboren werden, konnten wir uns zu den kommunikativen Wesen entwickeln, die wir sind, aber wir bedurften dazu auch einer evolutionär vorgesehenen Sprachumwelt (Pinker, 1994). Anlage und Umwelt sind beide sowohl für den individuellen Spracherwerb als auch für die konkrete sprachliche Äußerung erforderlich, und dies gilt gleichermaßen für alle Verhaltensweisen auch außerhalb von Sprache und Sprechen. Die Anlagen sind dabei nicht nur grobe Rohware, sondern sie wirken bis in feine Verhaltensnuancen. Beispielsweise werden überall auf der Welt Babies in einer besonderen Sprechweise angesprochen, der Ammensprache (motherese), die quer über Sprachen konstante Merkmale hat (z. B. erhöhte Tonlage) und kleinkindlichen Spracherwerbs-
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Bedürfnissen entspricht (Fernald, Taeschner, Dunn, Papousek, Boysson-Bardies, & Fukui, 1989). Dass jedes Verhalten zumindest irgendwo und irgendwie eine biologische und damit genetische Grundlage hat, ist selbst unter eingefleischten Milieutheoretikern wohl mittlerweile unstrittig. Nur die Reichweite der Grundlage wird angezweifelt. Wie sieht es aber andererseits aus mit der Bedeutung, die der Umwelt bei dem Erwerb und der Ausführung von Verhalten von Anlagetheoretikern zugeschrieben wird? Für James und McDougall, die Väter der evolutionären Psychologie, stand deren Bedeutung niemals in Zweifel. Der Instinkt ist, wie die lateinische Herkunft des Wortes anstoßen, antreiben) nahe legt, nur der Anstoß oder der Anlasser, der für Erwerb und Äußerung des Verhaltens Eingaben von der Umwelt benötigt. Konrad Lorenz (1973) sprach von der Instinkt-DressurVerschränkung der Verhaltensregulation. Die moderne evolutionäre Psychologie hat die jeweilige Unverzichtbarkeit von Anlage und Umwelt artikuliert in dem modernen Pendant zum Instinkt, dem psychischen Mechanismus, der nur auf spezifische Umweltreize anspricht und folglich für seinen ontogenetischen Erwerb (Kompetenz) und seine konkrete Aktivierung (Performanz) zwingend der Umwelt bedarf. Für evolutionäre Psychologen gilt als selbstverständlich, dass Anlage notwendig, aber nicht hinreichend ist. Die Umwelt ist nicht nur notwendig für den Erwerb und die Aktivierung/Ausführung des psychischen Mechanismus, sondern sie stellt auch den Bewertungsmaßstab für die Fitness des Mechanismus bereit und ist damit maßgeblicher Teil seiner Ultimaten Entstehungsursache. Wissenschaftliche Disziplinen verwenden fachspezifische Terminologien, und oft verstecken sich hinter unterschiedlichen Etiketten die gleichen Phänomene. Das Pendant zur Umweltvarianz aus der Verhaltensgenetik ist in der Evolutionsbiologie die Reaktionsnorm und in der evolutionären Psychologie die Fakultativität der Anpassung. Alle drei Fachbegriffe beschreiben phänotypische Plastizität. Die Reaktionsnorm bildet ab, wie sehr ein Genotyp in variierenden Umweltbedingungen unterschiedlich ausgeprägte Phänotypen hervorbringt. Die Reaktionsnorm ist dabei jeweils spezifisch für ein Merkmal und die Variation einer Umweltbedingung. In der evolutionären Psychologie kann eine Anpassung u. a. dadurch beschrieben werden, wie obligatorisch oder wie fakultativ sie ist. In Bezug auf eine bestimmte Unweitbedingung ist eine Anpassung obligatorisch, wenn sie unabhängig von diesen Umweltbedingungen auftritt; fakultativ ist sie, wenn sie empfänglich für Umweltbedingungen ist. Beispielsweise ist die Fürsorge der Großmutter mütterlicherseits für verschiedene Umweltbedingungen eine obligatorischere Anpassung als die Fürsorge des Großvaters väterlicherseits. Wohnortdistanz zwischen Großeiter und Enkel oder Partnerschaftsstatus des Großeiters (zusammen oder getrennt lebend) beeinflusst die Fürsorglichkeit dieser Großmutter weniger als die eher fakultative Anpassung der Fürsorglichkeit des Großvaters väterlicherseits (Euler & Weitzel, 1996). Die Ausführungen über die Plastizität von Anpassungen könnten nahe legen, dass der Genotyp eine feste Vorgabe mache und die Umweltbedingungen Reali-
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sierungen im Phänotyp mehr oder weniger zuließen und damit für flexible Merkmalsausprägungen sorgten. Dies ist nur eine Teilwahrheit und insofern irreführend, weil damit suggeriert wird, die Gene lieferten den Bauplan für die Konstruktion eines Körpers einschließlich Hardware (Nervensystem) und die Umwelt besorge die Programmierung nach der Geburt. Schon weil Umwelt auch die zelluläre Umwelt außerhalb des Genoms ist, stehen Umwelt und Gene von Anfang an in komplexen Wechselbeziehungen. Die Umwelt wirkt zudem auch, indem sie die Wirkung der Gene beeinflusst, und das ein Leben lang. Auch wenn die Gene, von Spontanmutationen abgesehen, unveränderlich sind, ihre Wirkung ist es nicht. Die Anordnung und Anzahl der Basenpaare ist über das ganze Leben unveränderbar. Wesentlich für die phänotypischen Ausprägungen des Verhaltens und des Körpers ist jedoch vor allem, welche Gene abgelesen (transkribiert) werden und welche nicht. Diese Transkription kann von Zelle zu Zelle und von Zeitpunkt zu Zeitpunkt unterschiedlich sein und u.a. auch von Umweltbedingungen mitbestimmt werden. Ein Beispiel für das Zusammenwirken von Umwelt- und genetischen Einflüssen sei hier am bevorzugten Versuchstier der experimentellen Genetik dargestellt: Wenn man Fruchtfliegen einem Geruch aussetzt und ihnen kurz darauf einen Elektroschock verabreicht, lernen sie aufzufliegen, sobald sie den speziellen Geruch bemerken und noch bevor der Boden unter Strom gesetzt wird. Dieses Vermeidungskonditdonieren gelingt aber nur, wenn bestimmte Gene funktionieren. Der Lernprozess besteht hier in einer strukturellen und physiologischen Veränderung von bestimmten neuronalen Strukturen, und diese Veränderung findet statt, indem Gene an- oder ausgeschaltet werden (vgl. Fischbach, de Couet, & Hofbauer, 1998). Vereinfacht dargestellt funktioniert das in unserem Beispiel so: Die Fliege nimmt zuerst den Geruch und dann den Elektroschock wahr. Die von der Wahrnehmung ausgelösten Nervenimpulse durchlaufen komplexe interne Verrechnungsroutinen, wozu u. a. das Feuern von 'Überraschungsneuronen' gehört, wenn Reize unerwartet zusammen auftreten. Durch die neuronale Erregung wird die Zellwand der beteiligten Neurone dahingehend verändert, dass die Erregungsübertragung zwischen zwei Nervenzellen, also an der Synapse, erleichtert wird. Wird nun dieser Vorgang mehrfach wiederholt, wandern zusätzlich Stoffe in den Zellkern und sorgen dafür, dass Gene angeschaltet werden. Die Transkriptionsprodukte dieser Gene bewirken eine anatomische Veränderung, z. B. eine Vergrößerung der Synapse, womit dann die Erregungsleitung dauerhaft erleichtert wird (vgl. Miszalok, 2004). Die Umwelt, hier die Lernerfahrung im Vermeidungsparadigma, wirkt also, indem sie Gene anschaltet. Ein häufiger Einwand gegen die Untersuchung genetischer Grundlagen für Verhalten betont, dass Gene Eiweiße produzieren und andere Gene ein- oder ausschalten, und sonst nichts bewirken. Von den Genen bis zum schwer vorhersagbaren Verhalten eines menschlichen Individuums scheint der Weg lang und verschlungen. Allerdings ist der Weg von den Umwelteinflüssen zum Verhalten nicht unbedingt kürzer und direkter, wie das Fliegenbeispiel zeigt. Es scheint uns leichter zu glauben, dass die Umwelt, z. B. in Form von sozialen Erfahrungen,
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unser Verhalten beeinflusst, als dass unsere genetische Ausstattung dies tut. Aber wieso eigentlich? Auch die Umwelt hat nur eine einzige Möglichkeit, auf das Individuum zu wirken, nämlich durch die Übersetzung der Sinnesempfindung in Nervenimpulse, womit die Umwelt in die Domäne der Physiologie eintritt. Die Umwelt kann nur dauerhafte Wirkung erlangen, indem die kurzzeitige elektrische Aktivität in anatomisch-physiologische Veränderungen im Gehirn übersetzt wird. Diese Veränderungen werden im Gehirn über differentielle Genexpression realisiert, also über das An- und Abschalten von Genen. Die Möglichkeiten der Genexpression werden von der jeweiligen genetischen Ausstattung vorgegeben. Es bleibt festzuhalten, dass Verhalten immer auf sowohl genetischen als auch umweltlichen Bedingungen gründet. Genetische und nicht-genetische Einflüsse interagieren permanent, in komplexen Mustern und Rückbezügen, und dies nicht immer gleichförmig im Lebensverlauf, wie von der Theorie der Lebensgeschichte nahe gelegt. Die Formel Anlage-oder-Umwelt greift zu kurz. Vielmehr ist der Ausgangspunkt durch die Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit von zwei Formeln bestimmt: Anlage über Umwelt und Umwelt über Anlage (Ridley, 2003). Bislang haben wir dargestellt, wie die Umwelt die Wirkung der vorhandenen Gene beeinflussen kann. Evolution aber schlägt sich nieder in der genetischen Hardware, also in der Anzahl und Anordnung der Basenpaare selbst. Durch sie wurde festgelegt, welche Gene vorhanden sind, die dann an- bzw. ausgeschaltet werden können. Doch auch wenn das Genom über Variation und Selektion entstanden ist und über den Lebenslauf des Individuums konstant bleibt, heißt das noch nicht, dass seine Wirkung starr oder gar kontext-unabhängig ist. Die Möglichkeit der flexiblen Anpassung an veränderliche Umwelten bot in der menschlichen Phylogenese einen enormen Selektionsvorteil. So sind komplexe, konditionale Algorithmen (sog. konditionale Strategien) evolviert, die immer wieder auf spezifischen Input durch die Umwelt angewiesen sind. Bei konditionalen Strategien werden zur Erreichung reproduktiver Ziele je nach Umweltbedingungen unterschiedliche Routen eingeschlagen und erfordern entsprechend jeweils strategiespezifische Verhaltensweisen (Taktiken). Eine bekannte konditionale Strategie ist die Reproduktionsstrategie des Mannes, der je nach Umständen die Strategie der Maximierung väterlicher Fürsorge anwenden kann oder die Strategie der Maximierung von Frauenbeziehungen (z. B. Schürzenjäger, Haremshalter). Die zweite Strategie (Polygynie) ist nur bei Vorliegen bestimmter Bedingungen möglich, beispielsweise nur insoweit die soziale Umgebung polygyne Paarungsformen toleriert und persönliche Bedingungen (z. B. Vorhandensein von erforderlichen Ressourcen) Polygynie ermöglicht. Die entsprechenden Konditionen können kurzfristig wechseln, entsprechend dem Spruch "Wenn ich nicht bei der sein kann, die ich liebe, liebe ich die, bei der ich bin". Wichtig ist dabei zu bedenken, dass die Natur zwar verschiedene Strategien anbietet, aber nicht beliebige und nicht beliebig viele. Der Mann kann beispielsweise nicht eine Strategie von Mehrlingsgeburten wählen, oder bei seinen Nachkommen die Pubertät zum Zweck höherer Nachkommenzahl vorverlegen, oder Ableger bilden.
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Er kann auch nicht sein Geschlecht wechseln, was aber bei manchen Spezies, z. B. Fischen, in Abhängigkeit von Umweltbedingungen vorkommt. Eine interessante konditionale Strategie findet sich bei männlichen Guppies (Poeälia reticulata). Guppies haben ein promiskes Paarungs system mit ausgeprägter weiblicher Partnerwahl. Daneben erzwingen männliche Guppies auch Kopulationen. Ein männlicher Guppy kann beide Reproduktionsstrategien (sich wählen lassen oder vergewaltigen) anwenden, aber die relativen Häufigkeiten beider Strategien hängen vom Geschlechterverhältnis der Population ab, in welcher der Guppy aufwuchs. Je mehr Männchen in der Herkunftspopulation im Vergleich zu Weibchen waren, desto häufiger kommen erzwungene Kopulationen vor. Die Präferenz für eine Reproduktionsstrategie ändert sich auch dann nicht, wenn der Guppy als erwachsenes Männchen in eine Population mit einem anderen Geschlechterproporz überführt wird, was dafür spricht, dass die Präferenz für eine Strategie während einer frühen ontogenetischen Entwicklungsphase anhand sozialer Hinweisreize etabliert wird und dann stabil bleibt (Evans & Magurran, 1999). In Kurzform lautet der konditionale Algorithmus beim männlichen Guppy also: Je weniger Konkurrenz du als Erwachsener wahrscheinlich haben wirst, desto friedlicher kann dein Paarungsverhalten sein. Aber es gibt auch beim Menschen subtile konditionale Anpassungen außer der offensichtlichen männlichen Reproduktionsstrategie. Betrachten wir ein Beispiel aus der weiblichen Physiologie: Mädchen, die in der Kindheit ohne eine dauerhaft anwesende Vaterfigur aufgewachsen sind, bekommen im Durchschnitt vier Monate früher ihre erste Monatsregel (Hoier, 2003). Ein früher Eintritt in die Pubertät korreliert bei Frauen nicht nur mit früher sexueller Aktivität (Ellis & Garber, 2000; Moffitt, Belsky, & Silva, 1992), sondern auch mit einem erhöhten Risiko für schulische Schwierigkeiten, Drogenmissbrauch und Depression (Stice, Presnell, & Bearman, 2001). Der konditionale Algorithmus für diese Entwicklungsbeschleunigung ist verbal so beschreibbar: Wenn es in deiner Herkunftsfamilie an Schutz und Sicherheit mangelt, ist es zweckmäßig, schnell das Erwachsenenalter zu erreichen und bevorzugt eine eigene, von der Kultur der Kindheit auch abweichende Lebensweise zu entwickeln. In der herkömmlichen Psychologie und zeitgenössischen Alltagspsychologie werden Instinkt und Lernen gegenübergestellt. Instinkte seien starr und beim Menschen nur noch als evolutionäre Restposten vorhanden, hauptsächlich als Reflexe bei Nahrungsaufnahme und Sex. Lernen hingegen sei das Gegenteil von Instinkten, der einzige Prozess, der flexible Anpassung an die jeweilige individuelle Umgebung ermögliche. Das Lernen ersetze beim Menschen dessen angebliche Instinktarmut. Die evolutionspsychologische Forschung über psychische Mechanismen hat William James und William McDougall bestätigt, dass der Mensch tatsächlich jedoch mit einer Fülle von bereichsspezifischen psychischen Mechanismen ausgestattet ist, die selbst schon flexible Anpassung an Umweltbedingungen vorsehen und Schnittstellen für Erfahrungseingaben vorgeben. Es ist keinesfalls abwegig, Lernen — wie im übrigen auch unsere Vernunft — als spezies-typische psychische Mechanismen zu betrachten, als Produkte der Evoluti-
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on, als fakultative Anpassungen (Gaulin & McBurney, 2004), mit unterschiedlichen Formen in verschiedenen Tierarten (Gallistel, 1990) und innerhalb einer Spezies in unterschiedlichen Verhaltensbereichen. Der Erwerb von Nahrungsaversionen ist eine andere Art von Lernen als der Erwerb von motorischen Vermeidungsreaktionen (Garcia & Koelling, 1966). Das Lernen ist nicht nur durch biologische Grenzen eingeschränkt (Seügman & Hager, 1972) und innerhalb dieser Grenzen frei von natürlichen Vorgaben, sondern es ist bereichsspezifisch vorstrukturiert. Instinkt und Lernen sind nicht sich gegenseitig ausschließende Kategorien, genauso wenig wie die Erkenntnis hemmenden Dualismen Natur vs. Kultur, Körper vs. Geist, Gefühl vs. Vernunft, oder das Prokrustesbett Anlage vs. Umwelt. Die psychischen Mechanismen wurden gestaltet, um durch Erfahrung verändert zu werden. Einige passen sich stetig an wie eine Fahne im Wind, andere rasten früh im Leben in einen dann unveränderlichen Zustand ein, wieder andere zeigen sich hier aber nicht dort, und einige haben ihren eigenen Zeitplan. Anlage und Umwelt sind nicht Rivalen, sondern Bündnispartner. Selbst in der evolutionären Psychologie wird der Anlage gegenüber der Umwelt kein hervorgehobener Rang eingeräumt.
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Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit Lars Penke, Jaap J. A. Denissen und Geoffrey F. Miller Hintergrund Evolutionäre Ansätze haben eine lange Geschichte in der Psychologie (Meyer, 2002). Allerdings hat sich die Ende der 1980er im angloamerikanischen Raum aufgekommene neue Welle der evolutionären Psychologie fast ausschließlich auf universelle Aspekte der menschlichen Natur fokussiert, jene komplexen psychologischen Anpassungen (Adaptationen) an wiederkehrende Überlebens- und Fortpflanzungsprobleme unsere stammesgeschichtlichen Umwelt, die durch natürliche Selektion fest in dem Genom unserer Spezies fixiert worden sind (Euler, in diesem Band; Buss, 2004). Evolvierte psychologische Adaptationen wie die Fähigkeit zum Spracherwerb, zum räumlichen Sehen oder zur Gesichtserkennung sollten daher zwar genetisch vererbt werden, jedoch keine genetischen Unterschiede zwischen Menschen aufweisen. Genetische Unterschiede sind aber nun gerade das Forschungsfeld der Verhaltensgenetik. Sie bemüht sich, den relativen Einfluss von genetischen und Umweltfaktoren auf Unterschiede in (und Zusammenhänge zwischen) psychologische Eigenschaften in Statistiken wie den Erblichkeitskoeffizienten zu quantifizieren, um letztlich die dahinter liegende molekulargenetische Architektur aufzudecken (Spinath & Deary, in diesem Band). Die verhaltensgenetische Forschung hat eindrucksvoll gezeigt, dass genetische Einflüsse auf Persönlichkeitsunterschiede jeglicher Art existieren, von Persönlichkeitstraits über kognitive Fähigkeiten bis hin zur Scheidungswahrscheinlichkeit und dem Fernsehverhalten (Plomin, DeFries, McClearn & McGuffin, 2001). Dieses Faktum ist inzwischen derartig gut belegt, dass Turkheimer (2000) es zum ersten Gesetz der Verhaltensgenetik erhoben hat. Die Fehlpassung des evolutionspsychologischen Adaptationismus einerseits mit der auf genetische Unterschiede ausgerichteten verhaltensgenetischen Methodik andererseits hat dazu geführt, dass beide Seiten einander bisher wenig Beachtung geschenkt haben. Evolutionäre Fragestellungen, wie z.B. warum genetische Unterschiede überhaupt existieren und bestehen bleiben, kommen in der psychologischen Verhaltensgenetik praktisch nicht vor. Eine Folge davon ist, dass bisherige Versuche, eine evolutionäre Persönlichkeitspsychologie zu formulieren (Buss, 1991; Tooby & Cosmides, 1990; MacDonald, 1995, 1998), als unzureichend betrachtet werden müssen (Miller, 2000a; Nettle, 2006). Die Evolutionstheorie ist aber nicht grundsätzlich inkompatibel mit genetischen Unterschieden. Beide wurden bereits während der „modernen Synthese" in den 1930ern erfolgreich zusammengeführt. Damals vereinten Sir Ronald A. Fisher,
28 • Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit
Sewell Wright, J. B. S. Haidane und andere die beiden Zweige der Biologie, die von den Cousins Charles Darwin (dem Vater des evolutionären Adaptationismus) und Sir Francis Galton (dem Vater der Psychometrik und der Verhaltensgenetik) begründet wurden (Mayr, 1993). Es entstand die Evolutionsgenetik, welche sich mit den Ursprüngen, der Aufrechterhaltung und der Bedeutung natürlicher genetischer Varianz zwischen Individuen und verschiedenen Spezies beschäftigt. In der Evolutionsgenetik werden auf Basis genetischer Daten unterschiedlichster Art und evolutionstheoretischen Annahmen die Effekte von evolutionären Mechanismen wie Mutation, Selektion, Migration und Drift auf die genetische Grundlage von Eigenschaften in Populationen mathematisch modelliert (Roff, 1997, Maynard Smith, 1998). In diesem Kapitel argumentieren wir, dass die Evolutionsgenetik das notwendige Bindeglied zwischen Evolutionstheorie und Verhaltensgenetik darstellt und damit unverzichtbarer Bestandteil einer vollständigen Theorie der Persönlichkeit ist (McAdams & Pals, 2006).
Übersicht Nach einer kurzen Betrachtung des Zusammenspiels von Anlage und Umwelt in der Verhaltensgenese aus evolutionärer Perspektive wird in diesem Kapitel das Wesen genetischer Varianz in Persönlichkeitsunterschieden näher betrachtet und erläutert, welche Erklärungen die Evolutionsgenetik für die Existenz dieser Varianz bietet. Es wird argumentiert, dass die klassische Unterscheidung von kognitiven Fähigkeiten (Intelligenz; Jensen, 1998) und Persönlichkeitstraits (temperamentsartige Eigenschaften, wie sie z.B. im Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit repräsentiert sind; John & Srivastava, 1999) weit mehr ist als nur eine historische Übereinkunft oder ein Ergebnis unterschiedlicher Erfassungsmethoden (Fähigkeiten werden als maximale Leistung erfasst, Persönlichkeitstraits als typische Leistung; Asendorpf, 2004). Das vorgestellte evolutionsgenetische Modell der Persönlichkeit konzeptualisiert sie als das Ergebnis distinkter Selektionsdrücke: kognitive Fähigkeiten als psychologische Fitnesskomponenten, welche die individuelle Mutationsbelastung weiter Teile des Genoms reflektieren, und Persönlichkeitstraits als individuelle Reaktionsnormen von Genotypen über verschiedene Umweltbedingungen hinweg, mit unterschiedlichen Fitnesskonsequenzen in unterschiedlichen Umweltnischen.
Formen des Zusammenspiels von Anlage und Umwelt Auch wenn der zentrale Gegenstand dieses Kapitels die genetischen Unterschiede zwischen Individuen ist, können Umwelteinflüsse nicht vollständig vernachlässigt werden. Das liegt daran, dass genetische Einflüsse ihre Wirkung nie im Vakuum entfalten. Schon auf der molekularen Ebene kann ein Gen nur Effekte auf Eigenschaften des resultierenden Organismus (des Phänotyps) ausüben, indem es die Vorlage für Proteine liefert. Für die Produktion der Proteine ist aber das Vorhandensein der passenden Aminosäuren (den Bausteinen von Proteinen)
Formen des Zusammenspiels von Anlage und Umwelt • 29
notwendig, welche letztlich durch die Ernährung (einem Umweltfaktor) zugeführt werden müssen. Auch darüber hinaus finden Interaktionen von Anlage und Umwelt auf jeder Ebene der Entwicklung und der Verhaltensgenese statt, bis hin zur Bewährung des Organismus (dem Gesamtprodukt aller funktionalen Genund Umweltfaktoren) über die Lebensspanne. Aus evolutionärer Perspektive zeigt sich diese Bewährung im Reproduktionserfolg, gemessen an der populationsanteiligen Verbreitung von Kopien der eigenen Gene in eigenen Kindern, Enkeln und Urenkeln, aber auch in leiblichen Verwandten. Das Potential eines Organismus (und damit auch seiner Gene) für einen hohen Reproduktionserfolg, seine inklusive Fitness, ist das Resultat seiner Passung (englisch: „fit") in seine Umwelt - eine Anlage-Umwelt-Interaktion. Sobald Umweltaspekte dazu führen, dass unterschiedliche Genotypen (individuelle Genomausprägungen) unterschiedlichen Reproduktionserfolg haben, findet natürliche Selektion statt (Darwin, 1859/1986). Über Generationen hinweg erhöht sich dann die Prävalenz (anteilige Häufigkeit) von Genen, die den Reproduktionserfolg erhöhen; gleichzeitig verringert sich die Prävalenz von Genen, die den Reproduktionserfolg vermindern. Da die Passung von Anlage und Umwelt durch natürliche Selektion den Kern der Evolutionstheorie bildet, ist es völlig fehlgeleitet, der evolutionären Psychologie eine Vernachlässigung von Umweltfaktoren: Bei evolutionären Ansätzen hat immer die Umwelt das letzte Wort. Der Umwelt kommt also in der Evolutionsgenetik eine doppelte Rolle zu: zum einen interagiert sie mit dem Genotyp in der lebenslangen Entwicklung des Phänotyps (Asendorpf, in diesem Band), zum anderen liefert sie den Maßstab für die Fitness des Phänotyps und damit letztlich für den evolutionären Erfolg des Genotyps. Phänotypische Plastizität. Wenn Anlage und Umwelt in der Entwicklung des Phänotyps interagieren, ist eine notwendige Konsequenz, dass identische Genotypen je nach Umweltbedingungen völlig unterschiedliche Phänotypen hervorbringen können. Dieses in der Natur allgegenwärtig Phänomen wird phänotypische Plastizität genannt (West-Eberhard, 2003). Bei idealer phänotypischer Plastizität sollte es einem Organismus möglich sein, sich sofort perfekt an die Anforderungen seiner aktuellen Umwelt anzupassen — in seiner Morphologie, seiner Physiologie und seinem Verhalten. Damit wäre es ihm möglich, optimale Fitness zu erlangen. Natürlich ist auf Grund von Entwicklungsbeschränkungen einen derart unbegrenzte phänotypische Plastizität unplausibel. Kein ertrinkendes Säugetier kann spontan Kiemen entwickeln, egal wie adaptiv eine solche Metamorphose auch wäre! Zumindest aber für das Verhalten war unbegrenzte Plastizität lange eine attraktive wissenschaftliche Vision. In der Psychologie wurde sie von den radikalen Behavioristen vertreten, in der Biologie von den traditionellen Verhaltensökologen. Aber selbst im Verhaltensbereich ist es unmöglich, perfekte Anpassung an die Umweltanforderungen zu erreichen, da Hinweise auf die Fitnesskonsequenzen aller möglichen Verhaltensstrategien in einer komplexen Welt unweigerlich verrauscht und störanfällig, und oft auch widersprüchlich und unvorhersagbar veränderlich sind (Brunswik, 1956; Gigerenzer, Todd & the ABC Group,
30 • Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit
1999). Selbst wenn wir immer spontan das bestmögliche tun könnten, wir wüssten häufig nicht, was es ist. Außerdem ist auch Verhaltensplastizität nicht frei von Entwicklungsbeschränkungen: neue Verhaltensweisen müssen gelernt und eingeübt werden, was Zeit benötigt. Solange die Realität aus komplexen Umwelten besteht, kann kein Organismus jederzeit die optimale Verhaltensstrategie erschließen und umsetzen, und so lange ist unbegrenzte adaptive Verhaltensplastizität ein utopisches Ideal. Universelle Beschränkungen phänotypischer Plastizität. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Evolution nicht nur zu Beschränkungen der morphologischen und physiologischen Plastizität, sondern auch der Verhaltensplastizität führt. Solange einige Umwelteigenschaften hinreichend stabil und fitnessrelevant sind (z.B. die Tatsachen, dass nur Frauen schwanger werden, dass verdorbenes Essen ungesund ist oder dass Kinder mehr Fürsorge und Schutz benötigen als Erwachsene), wird natürliche Selektion dafür sorgen, dass passende Emotionen, Präferenzen, Lernprädispositionen und andere spezifische psychologische Mechanismen unsere Reaktionen auf die Umwelt adaptiv lenken. Männer empfinden dadurch andere Attribute möglicher Partner attraktiv als Frauen, schimmeliges Brot erzeugt Ekel, und Kleinkinder wirken ungefährlich und hilfsbedürftig. Anstatt dass jede Generation erneut vor der unlösbaren Aufgabe steht, selbst die grundlegendsten Verhaltensdispositionen neu zu erlernen, führen solche „angeborenen Voreinstellungen" dazu, dass sich im Laufe der Ontogenese verlässlich jene komplexen psychologischen Adaptationen entwickeln, die das universelle Design unserer Spezies ausmachen. Tooby, Cosmides und Barrett (2005) haben dafür den Begriff „Designreinkarnation" geprägt. Diese Art von Anlage-Umwelt-Interaktionen - Interaktionen zwischen angeborenen, universellen psychologischen Adaptationen und entwicklungsgeschichtlich alten Anpassungsaufgaben der Umwelt — sind der zentrale Forschungsgegenstand der adaptationistischen Evolutionspsychologie (Buss, 2004). Für eine evolutionäre Persönlichkeitspsychologie sind sie aber nur von eingeschränktem Nutzen, da ihr Erklärungspotential auf nichterbliche Persönlichkeitsunterschiede beschränkt ist (z.B. Bindungsstile: Buss & Greiling, 1999). Erbliche Persönlichkeitsunterschiede kann ein adaptationistischer Ansatz nicht erklären. Individuelle Beschränkungen phänotypischer Plastizität. Während psychologische Adaptationen universelle Beschränkungen der phänotypischen Plastizität darstellen, ergeben sich aus genetischen Unterschieden individuelle Beschränkungen der phänotypischen Plastizität. Unterschiedliche Genotypen zeigen unterschiedliche Reaktionen auf die gleichen Umwelten, was zu dem statistischen Effekt führt, den Verhaltensgenetiker als Gen-Umwelt-Interaktion im engeren Sinne bezeichnen (Moffitt, Caspi & Rutter, 2006). Beim Menschen wurden inzwischen verschiedene solche Interaktionen für einzelne Gene nachgewiesen, z.B. für die Entwicklung von Depressivität oder antisozialer Persönlichkeitsstörung (Wolf & Riemann, in diesem Band). Deutlichere Ergebnisse liefern jedoch Laborexperimente mit nichtmenschlichen Spezies, in denen sowohl die Genotypen als auch die Umweltfaktoren systematisch und kontinuierlich variiert werden können. Auf
Formen des Zusammenspiels von Anlage und Umwelt • 31
diese Weise lassen sich typische Reaktionsfunktionell einzelner Genotypen bestimmen, so genannte Reaktionsnormen (Abb. 1). Während die Gen-Umwelt-Interaktion eine Populationsstatistik ist, kann eine individuelle Reaktionsnorm als Charakteristik eines individuellen Genotyps aufgefasst werden (Pigliucci, 2005). Ursprünglich sind Reaktionsnormen vornehmlich für die Untersuchung von phänotypischer Plastizität in der Entwicklung morphologischer Eigenschaften benutzt worden, als aber auch Verhaltensbiologen die systematischen Grenzen der Verhaltensflexibilität (d.h. die Existenz der Persönlichkeit) erkannten, begannen sie schnell, auch diese als Reaktionsnormen aufzufassen (Sih et al., 2004). Eine individuelle Reaktionsnorm beschreibt also die individuellen Beschränkungen, die ein bestimmter Genotyp der phänotypischen Plastizität eines Organismus auferlegt.
I I c
X
Y Umweltkontinuum
Z Umweltkontinuum
Abbildung 1 : Zwei Beispiele für individuelle Reaktionsnormen Beide Abbildungen a und b zeigen exemplarisch die individuellen Reaktionsnormen von drei Genotypen (A, B, C) entlang einer kontinuierlichen Umweltdimension. Die Eigenschaft in Abbildung a hat eine einfache Reaktionsnorm, bei der alle drei Genotypen linear auf Umweltveränderungen reagieren und sich dabei nur in ihrer Plastizität (der Steigung der Geraden) unterscheiden. Die Eigenschaft in Abbildung b zeigt eine komplexere Reaktionsnorm, bei welcher der Genotyp C linear auf Umweltveränderungen reagiert, während die Geotypen A und B auf unterschiedliche Weise nonlinear reagieren. Diese Beispiele sind fiktiv, in dieser Form aber plausibel (siehe Penke, Denissen & Miller, 2007a).
Was ist genetische Varianz? Die genetische Varianz, die verschiedene Genotypen unterscheidet, fuhrt also zu individuellen Unterschieden in den Reaktionen von Menschen auf ihre Umwelt. Was aber ist diese genetische Varianz? Das menschliche Genom. Das menschliche Genom besteht aus etwa 3,2 Milliarden Basenpaaren, den Informationseinheiten der DNS, welche ungleichmäßig über 24 verschiedene Chromosomentypen verteilt sind, von denen (mit Ausnahme der Geschlechtschromosome) jeder Mensch zwei Kopien hat. Nur etwa 75 Millionen (2,3%) dieser Basenpaare sind in grob geschätzt 25.000 Genen angeord-
32 • Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit
net, die einigen Bereiche, die in Proteinstrukturen übersetzt werden. Der Rest des Genoms liefert keinen Code für Proteine, manche Teile davon spielen aber vermutlich eine wichtige Rolle in der Genregulation und -expression. Im Durchschnitt gleichen sich zwei zufällig aus der Gesamtpopulation aller Menschen gezogene Individuen des gleichen Geschlechts in ihren Basenpaaren zu 99,99% (Human Genome Project, 2001). Dieser universelle Teil des Genotyps eines Menschen kodiert für alle psychologischen Adaptationen, die typisch für unsere Spezies sind. Mutation. Im Verlauf des Lebens wird das Genom via Selbstreplikation von Mutterzellen an Tochterzellen weiter gegeben, und wenn die Tochterzelle eine Geschlechtszelle (eine Spermien- oder Eizelle) ist, kombiniert sich die Hälfte des Genoms während der sexuellen Reproduktion eventuell mit einer anderen Genomhälfte aus einer gegengeschlechtlichen Geschlechtszelle. Auf diese Weise werden Genome von Eltern an Kinder weiter gegeben. Der Prozess der GenomSelbstreplikation ist zwar erstaunlich präzise, aber keineswegs perfekt. Replikationsfehler können vorkommen als Punktmutationen (die Ersetzung einer der vier möglichen Nukleotide eines Basenpaars mit einem anderen, im englischen auch „single nucleotidepolymorphisms " oder kurz „SNPs " genannt) oder als Veränderungen der Anzahl an Basenpaaren (englisch „Copy Number Variations" oder „CNVs"). Bei den CNVs unterscheidet man Entfernungen (Deletationen) und Einfügungen (Insertationen) von Basenpaaren, sowie Umordnungen größerer Basenpaarabschnitte (Translokationen, Inversionen oder Duplikationen). All diese fehlerhaften Veränderungen werden als Mutationen bezeichnet. Der Prozess der sexuellen Rekombination stattet jedes Individuum mit einer einzigartigen Mischung der Genotypen seiner Eltern aus (eine Ausnahme bilden eineiige Zwillinge). Proximat ist die Rekombination daher die wichtigste Quelle genetischer Individualität. Aus evolutionsgenetischer Perspektive spielt sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da sie nur die elterliche genetische Varianz durchmischt, welche einst durch Mutationen entstanden ist. Mutationen sind letztlich die einzige Quelle genetischer Unterschiede. Konventionell werden Mutationen, die sich in der Population ausbreiten, ab einer Prävalenzrate von 1% als Allele bezeichnet. Da jedoch alle Allele letztlich Mutationen sind, ist diese Unterscheidung für eine evolutionsgenetische Betrachtung wenig hilfreich. Polymorphismus ist dagegen ein neutralerer Ausdruck für Genvarianten jeglicher Prävalenz. Einige Mutationen haben neutrale Effekte auf den Phänotyp, vermutlich weil sie den Aufbau von Proteinstrukturen und die Genregulation gar nicht beeinflussen. Die meisten Mutationen in proteinkodierenden oder genregulierenden Bereichen des Genoms sind jedoch schädlich für den Organismus, da sie zufallige Störungen in der evolvierten Struktur der genetischen Information darstellen (Ridley, 2000). Genauso wie ein Kratzer auf einer DVD oder ein Tippfehler beim Schreiben dieses Textes den Inhalt kaum verbessern und vermutlich stören würde, behindern zufällige Mutationen die Funktionstüchtigkeit eines Organismus, welche auf dem präzisen Zusammenspiel aller funktionalen Bereiche des Genom basiert. Nur in sehr seltenen Fällen verbessert eine Mutation die funktionale
Was ist genetische Varianz? • 33
Effizienz einer existierenden evolvierten Anpassung an die Umwelt. Deletionen, Inversionen, und die meisten größeren Basenpaarumordnungen haben gewöhnlich starke Störwirkungen auf den Organismus und fuhren daher oft zum vorgeburtlichen Tod oder zu schweren Geburtsdefekten. Punktmutationen (SNPs) und Duplikationen hingegen können phänotypische Effekte jeglicher Stärke haben, und es ist wahrscheinlich, dass sie die häufigste Quelle genetischer Varianz zwischen Individuen ausmachen. Verhaltensgenetik. Quantitative Eigenschaften wie Intelligenz oder Persönlichkeitstraits sind polygenetisch, sie werden von vielen Mutationen in vielen funktionalen Bereichen des Genoms beeinflusst. Jeder dieser Genioki ist dann ein quantitative trait locus (QTLJ. Die quantitative Verhaltensgenetik analysiert die Ähnlichkeiten von Individuen in genetisch informativen Beziehungen (Zwillinge, Familien, Adoptivkinder). Daraus kann man bestimmen, wie viel der phänotypischen Varian^ fVp), die zwischen Menschen in quantitativen Eigenschaften existiert, (1) sich direkt von Eltern auf Kinder vererbt (additive Varian% VA), (2) sich nicht direkt vererbt, da Interaktionen verschiedener Genvarianten am selben Genlokus ([Dominan^yarian% VD) oder an verschiedenen Genioki (epistatische Varian% VI) für die Eigenschaft notwendig sind (VD und VJ werden zusammen als nicht-additive Varian^ VNA bezeichnet), (3) durch Umweltfaktoren verursacht wird (JJmweltvarian^ VE), oder (4) auf den oben bereits erwähnten Gen-Umwelt-Interaktionen (GxEInteraktionen) beruht. Die molekulare Verhaltensgenetik benutzt dagegen so genannte Linkage- und Assoziationsmethoden, um genetische Variationen im menschlichen Genom direkt mit Persönlichkeitsunterschieden in Verbindung zu bringen und auf diese Weise die für eine Eigenschaft verantwortlichen QTLs zu identifizieren (Spinath und Deary, in diesem Band; Plomin et al., 2001). Natürliche Selektion. Mutationen in funktionalen Bereichen des Genoms sind die eine Hälfte der notwendigen Zutaten für biologische Evolution. Die andere Hälfte ist die oben bereits erwähnte natürliche Selektion. Jede Mutation, die den Phänotyp beeinflusst, befindet sich potentiell unter natürlicher Selektion, allerdings in unterschiedlichem Maße. Die seltenen Mutationen mit positivem Effekt auf die Fitness verbreiten sich in der Population und treiben so die adaptive Evolution voran. Negative Selektion wirkt am deutlichsten gegen Mutationen, die zum frühzeitigen Tod oder zu Sterilität fuhren. Solche Mutationen verschwinden innerhalb einer Generation aus der Population. Mutationen mit weniger schlimmen Effekten bleiben gewöhnlich länger in der Population. Die Geschwindigkeit, mit der sie ausselektiert werden, hängt davon ab, wie sehr sie auf additivem (direkt vererblichem) Wege die Fitness des Phänotyps vermindern. Diese Beziehung zwischen dem additiven phänotypischen Effekt einer Genvariante und ihrer Wahrscheinlichkeit, in der Population zu verbleiben, ist der Kern des von Fisher (1930) postulierten Fundamentaltheorems der natürlichen Selektion. Zusammenfassung. Genetische Varianz in jeder menschlichen Eigenschaft ist das Ergebnis von Mutationen in funktionalen Bereichen des speziestypischen Genoms. Diese Mutationen haben das komplexe System von evolvierten Adaptationen verändert und wahrscheinlich gestört. Die natürliche Selektion wirkt stö-
34 • Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit
renden Veränderungen entgegen, indem sie schädliche Mutationen aus der Population entfernt, und zwar umso schneller, je größer die durch additive Effekte der Mutation verursachte Fitnesseinbuße ist. Nur wenn Mutationen die Fitness des Phänotyps positiv beeinflussen oder sie zumindest fitnessneutral sind, können sie sich in der Population ausbreiten und mit mehr als 1% Prävalenz den Status eines Allels erreichen. Warum gibt es genetische Unterschiede in der Persönlichkeit? Idealerweise sollte natürliche Selektion zu einem invarianten, speziestypischen Genom führen, das den Bauplan für einen Phänotyp mit bestmöglicher Fitness liefert. Anders ausgedrückt sollte im evolutionären Prozess die genetische Varianz in allen phänotypischen Eigenschaften verloren gehen, einschließlich der genetischen Varianz in Persönlichkeitsunterschieden. Wie also können Persönlichkeitsunterschiede nach all den Jahrmillionen der Evolution immer noch erblich (und damit genetisch variabel) sein? Zur Beantwortung dieser fundamentalen Frage braucht man einen evolutionsgenetischen Zugang zur Persönlichkeitsforschung. Die Evolutionsgenetik bietet verschiedene Mechanismen, die den Fortbestand genetischer Varianz in Persönlichkeitsunterschieden erklären können. Zu diesen Mechanismen gehören (1) die Selektionsneutralität, welche auftritt, wenn Mutationen unsichtbar für die natürliche Selektion sind, (2) das Mutations-SelektionsGleichgewicht, bei dem die Selektion zwar Mutationen entgegenwirkt, aber unfähig ist, alle zu beseitigen, und (3) die ausgleichende Selektion, bei der die Selektion selbst genetische Variation bewahrt. Rezente theoretische Entwicklungen machen Vorhersagen darüber möglich, wie jeder dieser Mechanismen bestimmte genetische und phänotypische Aspekte von Eigenschaften beeinflussen sollte (Tabelle 1). Wenn ausreichend empirische Daten über eine Eigenschaft existieren, ist es daher möglich zu identifizieren, welcher evolutionäre Prozess die plausibelste Erklärung für den Fortbestand seiner genetischen Varianz liefert. Im Folgenden werden wir nach diesem Prinzip versuchen, etwas Licht auf die Evolutionsgeschichte der Persönlichkeit zu werfen.
Warum gibt es genetische Unterschiede in der Persönlichkeit? • 35
Tabelle 1: Vergleich der empirischen Vorhersagen evolutionsgenetischer Mechanismen zur Erklärung genetischer Varianz
Selektionsneutralität
M utations-SelektionsGleichgewicht
Ausgleichende Selektion
Vorhersagen für betroffene Eigenschaften: Zahl der Genioki (MutationszielgröBe) Zahl der polymorphen Genioki (QTLs)
(keine Vorhersage)
sehr groß
mittel
vermutlich klein
groß
klein
Mittlere Effektstarke der Polymorphismen
(keine Vorhersage)
klein
mittel
mittelhoch
gering
zumeist mittelhoch
neutral
unidirektional
umweltabhängig
gleich
ungleich
ungefähr gleich
(keine Vorhersage)
groß
mittel
klein
mittel bis groß
mittel bis groß
(keine Vorhersage)
groß
mittel
nein
ja
nein
schwach oder keine
stark
schwach
neutral
starke Bevorzugung eines Extrems
schwächere, umweltabhängige Bevorzugung
Prävalenz der Polymorphismen Verhältnis zur Fitness Mittlere Fitness über verschiedene Umwelten Additive genetische Varianz (V*) Verhältnis der nicht-additiven zur gesamten genetischen Varianz Umweltvarianz (VE) Ausprägung abhängig von der Gesamtkondition Inzuchtdepression und Heterosis Mittlere soziale Bewertung/ sexuelle Attraktivität
Kann Selektionsneutralität die genetischen Unterschiede in der Persönlichkeit erklären? Tooby und Cosmides (1990) veröffentlichten die erste Abhandlung zur Evolutionsgenetik der Persönlichkeit. Ihr Artikel gab einen Überblick über den damaligen Stand der Evolutionsgenetik. Als führende Vertreter der adaptationistischen Evolutionspsychologie lag ihr Interesse jedoch klar bei speziestypischen psychologischen Adaptationen; genetische Unterschiede spielten sie dagegen als unwesentliches evolutionäres Rauschen herunter. Ihrer Ansicht nach war ein plausibler Mechanismus zur Bewahrung genetischer Varianz in Persönlichkeitsunterschieden die Selektionsneutralität (Kimura, 1987). Sie tritt auf, wenn sich Mutationen, die keinerlei Effekt auf das Überleben oder den Reproduktionserfolg haben (also fitnessneutral sind), ansammeln und so die genetische Varianz in einer Eigenschaft erhöhen. Ein hypothetisches Beispiel aus der Anatomie mag dies verdeutlichen: Der genaue Weg, den der Dünndarm durch den Bauch eines Menschen nimmt, hat vermutlich wenig Einfluss auf die Verdauungseffizienz. Daher können sich Mutationen, die einzig die Darmfaltungen beeinflussen, leicht als neutrale genetische Varianz im Genom ansammeln. Über aus evolutionärer Sicht kurze Zeiträume erlaubt die Selektionsneutralität einen Zuwachs an genetischer Varianz.
36 • Die Evolutionsgenetik der Persönlichkeit
Was aber passiert auf lange Sicht mit selektionsneutralen Eigenschaften? Da neutrale Mutationen definitionsgemäß von der natürlichen Selektion unbeeinflusst bleiben, ist die einzige evolutionäre Kraft, die auf sie einwirken kann, genetischer Drift. Im Kern ist Drift die zufällige Fixierung (d.h. 100% Prävalenz) oder Entfernung (d.h. 0% Prävalenz) von Polymorphismen. Damit führt Drift immer zu einer Verringerung der genetischen Unterschiede. Mathematische Modelle von Lynch und Hill (1986) zeigen, dass Selektionsneutralität prinzipiell in der Lage wäre, praktisch die gesamte genetische Varianz in jeder menschlichen Eigenschaft zu erklären, besonders unter Berücksichtigung von für den Menschen plausiblen Populationsparametern, die zu einem eher schwachen Drift führen (siehe Penke, Denissen & Miller, 2007 a, b). So weit, so gut: Vielleicht ist die genetische Varianz menschlicher Persönlichkeit selektionsneutral. Vielleicht ergeben sich letztendlich weder Fitnesskosten noch -vorteile daraus, ob jemand eher extravertiert oder introvertiert ist, oder eher verträglich oder egoistisch. Die kritische Annahme der Selektionsneutralität ist jedoch, dass Drift einen stärkeren Einfluss auf die genetische Varianz einer Eigenschaft hat als die natürliche Selektion. Wie neutral eine Eigenschaft dafür sein muss, wurde von Keller und Miller (2006a) ermittelt. Ihre Berechnungen ergaben, dass eine Eigenschaft beim Menschen nur dann selektionsneutral ist, wenn die durchschnittliche Fitness von Individuen mit einem Genpolymorphismus, der diese Eigenschaft beeinflusst, zwischen 99,997% und 100,003% der durchschnittlichen Fitness von Individuen ohne diesen Polymorphismus liegt. Ein Polymorphismus, der z.B. Extraversion beeinflusst, wäre daher nur dann wirklich neutral, wenn im Durchschnitt Extravertierte nicht nur genau so viele Kinder hätten wie Introvertierte, sondern genau so viele Kinder in den nächsten 15 Generationen. Diese Neutralität muss dabei unter jeder relevanten Umweltbedingung gegeben sein, denn wenn es einige Umwelten gibt, in denen gesellige, risikofreudige Menschen besser zurecht kommen, und andere, die besser zu schüchternen, zurückhaltenden Menschen passen (eine Anlage-Umwelt-Interaktion), dann wäre Extraversion nicht selektionsneutral, sondern, wie wir weiter unten sehen werden, unter ausgleichender Selektion. Diese Bedingung macht die Selektionsneutralität zu einer unplausiblen Erklärung für die Erblichkeit von Persönlichkeitsunterschieden, denn Persönlichkeitstraits beeinflussen unser Leben in vielen Bereichen (Ozer & Benet-Martinez, 2006), einschließlich solch eindeutig fitnessrelevante Aspekte wie Gesundheit (Neeleman, Sytema & Wadsworth, 2002), Lebenserwartung (Friedman et al., 1995), Reproduktionsstrategien (Nettle, 2005) und Reproduktionserfolg (Eaves et al., 1990). Tatsächlich finden sich ähnliche nicht-neutrale Beziehungen von Persönlichkeitstraits und Fitness auch in anderen Spezies (Dingemanse & Réale, 2005). Auch allgemeine kognitive Fähigkeiten zeigen eine klare Beziehung zu Fitnesskomponenten wie Gesundheit (Gottfredson, 2004), Lebenserwatung (Deary et al., 2004) und Reproduktion (Miller, 2001). Vorhersagen. Was für eine genetische Struktur würde man für selektionsneutrale Eigenschaften erwarten? Wenn eine Mutation eine Eigenschaft beeinflusst, wird
Kann Selektionsneutralität die genetischen Unterschiede erklären? • 37
sie zunächst einmal einen Haupteffekt haben, d.h. sie wird zu der additiven genetischen Varianz (VA) beitragen. Nur wenn die Mutation zufällig mit anderen Polymorphismen am selben Genlokus (Dominanz) oder an anderen Genlokus (Epistasis) interagiert, wird sie zur nicht-additiven genetischen Varianz (VNA) der Eigenschaft beitragen. Dies ist exakt dieselbe Logik, die für jede statistische Analyse gilt: Ceteris paribus sind Haupteffekte viel wahrscheinlicher als Interaktionseffekte. Da bei Selektionsneutralität die Gleichheit aller anderen Bedingungen fast schon definitionsgemäß gilt, kann man für solche Eigenschaften geringe absolute Werte in VNA erwarten, die dann auch nur einen kleinen Anteil der gesamten genetischen Varianz ausmachen. Eigenschaften mit einer (nach evolutionären Zeitmaßstäben) rezenten Geschichte unter natürlicher Selektion sollten hingegen einen bedeutsamen Anteil an VNA aufweisen (Merilä & Sheldon, 1999). Letzteres folgt aus Fishers (1930) Fundamentaltheorem der natürlichen Selektion: da VA direkt von Eltern an Kinder weitergegeben wird, kann und wird die natürliche Selektion sie in jeder nicht-neutralen Eigenschaft schnell reduzieren. VNA ist dagegen fast unbeeinflusst von Selektionswirkungen, da die verantwortlichen interagierenden Polymorphismen über Generation hinweg durch die sexuellen Rekombination immer wieder getrennt werden und somit VNA nicht direkt von Eltern an Kinder weitergegeben wird. Ein großer Beitrag von VNA zur genetischen Varianz in Persönlichkeitsunterschieden würde also gegen ihre Selektionsneutralität sprechen. Tatsächlich existiert aber inzwischen starke empirische Evidenz, dass VNA einen deutlichen Beitrag zur genetischen Varianz von Persönlichkeitstraits leistet (Keller et al., 2005), einschließlich erster molekulargenetischer Evidenz (Strobel et al., 2003). Im Gegensatz dazu scheint der Anteil von VNA bei kognitiven Fähigkeiten gering zu sein (Chipuer, Rovine & Plomin, 1990). Auf diesen Punkt werden wir später zurückkommen. Zusammenfassung. Genetische Varianz ist nur dann durch Selektionsneutralität erklärbar, wenn ihre phänotypischen Konsequenzen in jeder Umwelt von nur äußerst geringer Bedeutung für die Fitness sind. Die genetische Varianz sollte dann hauptsächlich additiv sein. Diese Charakteristika mögen vielleicht auf einigen menschlichen Eigenschaften (z.B. Dünndarmfaltungsweisen) zutreffen, für wesentliche Persönlichkeitsunterschiede erscheinen sie jedoch höchst unplausibel. Kann ein Mutations-Selektions-Gleichgewicht die genetischen Unterschiede in der Persönlichkeit erklären? Mutationsraten und Mutationsbelastung. Alle Eigenschaften, die nicht in jeder Umwelt unbedeutend für die Fitness sind, unterliegen der natürlichen Selektion. Solange die Richtung der Selektion relativ konstant ist, wird die Selektion, entsprechend Fishers Fundamentaltheorem, die additive genetische Varianz solcher Eigenschaften reduzieren — bis zu dem Punkt, an dem die am wenigsten fitnessschädliche Genvariante als universelle Adaptation in der Population fixiert ist. Die Reduktionsrate der additiv-genetischen Varianz wird dabei von zwei gegen-
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sätzlichen Faktoren beeinflusst: Die Mutationsrate erhöht die genetische Varianz, während die Selektionsstärke ihre Reduktionsgeschwindigkeit bestimmt. Die Mutationsrate sagt uns, wie schnell neue Mutationen in den funktionalen Bereichen des Genoms auftreten. Vergleichende molekulargenetische Studien zeigen, dass unsere Spezies eine vergleichsweise hohe Mutationsrate hat (EyreWalker & Keightley, 1999). Die beste verfügbare Schätzung liegt bei durchschnittlich etwa 1,67 neuen Mutationen pro Individuum und Generation (Keightley & Gaffney, 2003). Die Wahrscheinlichkeit, ohne neue Mutation in funktionalen Genombereichen geboren zu werden, liegt nur bei etwa 18,9% (Keller, 2007). Wie oben bereits diskutiert, sind fast alle funktionalen Mutationen schädlich, und der Selektionsdruck ist umso stärker, je schädlicher die Mutationen sind. Wenn eine Mutation z. B. die Zahl der überlebenden Nachkommen eines Individuums um 1% vermindert, bleibt diese Mutation durchschnittlich für zehn Generationen in einer großen Population (zu denen menschliche Populationen gewöhnlich gehören). In dieser Zeit wird sie in etwa 1.000 Individuen vorkommen (Garcia-Dorado, Caballero & Crow, 2003; Keller, 2007). Mutationen, die länger in der Population verweilen, sind gewöhnlich rezessiv (also weitestgehend inaktiv, solange sich am selben Genlokus auf der zweiten Kopie des Chromosoms noch ein anderer Polymorphismus befindet), da schädliche Mutationen mit dominantem Effekt ein leichteres Ziel für die Selektion darstellen (Zhang & Hill, 2005). Daraus folgt das jeder Mensch eine Mutationsbelastung von älteren, leicht schädlichen und vornehmlich rezessiven Mutationen in sich trägt. Diese Mutationsbelastung ist in erster Linie von den Eltern ererbt, aber einige neue Mutationen kommen jede Generation dazu. Jede einzelne schädliche Mutation wird irgendwann ausselektiert, aber andere Mutationen nehmen ihren Platz ein. Laut konservativen Schätzungen beträgt die durchschnittliche Mutationsbelastung beim Menschen 500 Mutationen, mit einer Standardabweichung von mindestens 22 (Keller & Miller, 2006a). Diese Mutationsbelastung könnte einen beträchtlichen Teil der genetischen Varianz von Eigenschaften mit Fitnessbezug erklären. Mutations^ielgrößen. Fishers Fundamentaltheorem ist lange so verstanden worden, dass Eigenschaften mit direkterem Fitnessbezug eine geringere VA zeigen sollten, da die Selektion ja stärker auf jede einzelne dahinter stehende Mutation wirkt. Anfang der 1990er zeigten jedoch Price und Schlüter (1991) und Houle (1992), dass genau das Gegenteil der Fall ist: Eigenschaften mit direkterem Fitnessbezug haben eine höhere VA. Aber wie kann das sein? Die Lösung scheint in der Zahl der Genioki zu liegen, die eine Eigenschaft potentiell stören könnten, wenn sie mutieren würden. Sie wird auch die Mutationssgelgröße einer Eigenschaft genannt (Houle, 1998). Da Mutationen zufallig an jedem beliebigen Genlokus auftreten können, wächst die Zahl der Mutationen, die eine Eigenschaft beeinflussen (also die Mutationsbelastung der Eigenschaft), linear mit der Zahl der Genioki, die diese Eigenschaft beeinflussen. Wichtig ist dabei, dass sich die Mutationszielgröße auf die Gesamt-
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zahl der Genioki bezieht, die potentiell zur genetischen Varianz einer Eigenschaft beitragen könnten, wenn sie durch Mutation polymorph würden, nicht nur auf die Zahl der Genioki, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zufallig gerade polymorph sind (also die QTLs der Eigenschaft). Es wurde geschätzt, dass die aktuellen QTLs nur etwa 10% der potentiellen Genioki ausmachen (siehe Keller & Miller, 2006a). Fishers Fundamentaltheorem funktioniert aber am besten flir Eigenschaften, die nur von einem einzigen Genlokus beeinflusst werden (Ewens, 1989). Je mehr Genioki eine Eigenschaft beeinflussen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer dieser Loki zufällig mutiert, und desto mehr Mutationen werden sich in dieser Eigenschaft ansammeln. Nicht-neutrale Eigenschaften mit großer Mutationszielgröße können daher von der natürlichen Selektion nicht bis zur genetischen Uniformität in der Population optimiert werden. Stattdessen sind sie in einem Gleichgewichtszustand von Mutation und Selektion gefangen. Das größte Mutationsziel bietet natürlich die Fitness selbst. Sie wird von allen nicht-selektionsneutralen Eigenschaften beeinflusst, und daher auch von allen funktionalen, nicht-neutralen Teilen des Genoms (Houle et al., 1994). Die Fitness sollte daher eine sehr große VA haben, was tatsächlich der Fall ist (Burt, 1995). (Hier ist eine methodische Anmerkung wichtig: Für solche Vergleiche ist es dringend notwendig, dass man die VA am Mittelwert der Eigenschaft standardisiert, nicht, wie beim weitaus verbreiteteren Erblichkeitskoeffizienten h2, an der Gesamtvarianz Vp. Siehe dazu Houle, 1992, Stirling, Reale & Roff, 2002, und Miller & Penke, 2007.) In ähnlicher Weise sind auch andere Eigenschaften, die einen deutlichen Fitnessbezug haben (wie die Lebenserwartung oder die Gesamtzahl der Kinder), in der Regel komplexe Resultate vieler verschiedener erblicher Eigenschaften, wodurch sie zu großen Mutationszielen werden. Die Lebenserwartung wird zum Beispiel potentiell von jeder Störung in jedem Organsystem (Kreislauf, Nervensystem, Verdauungstrakt, Knochenbau etc.) beeinflusst. Ihre Mutationszielgröße schließt damit die Mutationszielgrößen all dieser Organsysteme mit ein. Auch für solche Fitnesskomponenten sind sehr große VAS bei verschiedenen Spezies berichtet worden (Houle, 1992), einschließlich des Menschen (Miller & Penke, 2007). Kleine VAS findet man hingegen für Eigenschaften ohne direkten Fitnessbezug, zum Beispiel für morphologische Eigenschaften wie die Borstenzahl bei Fruchtfliegen oder die Körpergröße beim Menschen (Pomiankowski & Moller, 1995; Miller & Penke, 2007).
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Abbildung 2: Das Drainagemodell der genetischen Variation Flussaufwärts stören Mutationen einzelner Genioki (1a, 1b) diskrete neurophysiologische Mechanismen wie die dopamlnerge Regulation im präfrontalen Kortex (2b). Diese und andere diskrete Mechanismen tragen ihre Störeinflusse weiter zu breiteren, flussabwärts gelegenen Mechanismen wie dem Arbeitsgedächtnis (3c). Die Funktionstüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses beeinflusst zusammen mit anderen derartigen Mechanismen (3a, 3b) phänotypisch beobachtbare Eigenschaften wie die Intelligenz (4). Alle genetischen Zuflüsse enden letztlich im Flussdelta der Fitness. (Abbildung reproduziert aus Cannon & Keller, 2005, mit Erlaubnis von www.annualreviews.org.)
Das Drainagemodell. Als Analogie für die Beziehung der genetischen Varianz und der Mutationszielgröße von Eigenschaften führten Cannon und Keller (2005; Keller & Miller, 2006a) das „Drainagemodell" ein (Abb. 2). Es vergleicht Organismen mit „Drainagebecken" (englisch: „watersheds"), Landstrichen, in denen das Wasser aus verschiedenen, höher gelegenen Regionen zu einem einzigen Strom zusammen fließt. Die Kernaussage dieses Modells ist, dass die „flussabwärts" befindlichen, fitnessrelevanten Eigenschaften auf das adaptive Funktionieren von mehr oder minder dem ganzen Organismus angewiesen sind, welches von der Funktionstüchtigkeit einer Hierarchie von vielen grundlegenden, „flussaufwärts" lokalisierten Mechanismen auf der neurologischen, physiologischen und morphologischen Ebene bestimmt wird. Genau wie viele kleine Bäche sich zu einem Fluss vereinen und aus mehreren Flüssen letztlich ein Strom wird, entsteht aus der Interaktion vieler genetischer und neurologischer Mikroprozesse (z.B. der Regulationsmechanismen der neuronalen Migration, der axonalen Myelinisierung oder der Dosierung von Neurotransmittern und Hormonen) spezifische Persönlichkeitsunterschiede. Diese Persönlichkeitsunterschiede interagieren wiederum miteinander und beeinflussen so das Überleben, den Umgang mit anderen Menschen, den Erfolg beim anderen Geschlecht oder die elterlichen Fähigkeiten — welche letztlich die Fitness bestimmen. Flussaufwärts mag ein einzelner Mikroprozess, z.B. die Regulation eines bestimmten Neurotransmitters, nur von wenigen Genen beeinflusst werden. Die komplexeren Prozesse auf hal-
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ben Weg, wie z.B. Reaktivität gegenüber sozialem Stress, werden von allen Genen beeinflusst, die eine Wirkung auf irgendeinen der relevanten Prozesse weiter flussaufwärts haben. Noch komplexere Bereiche der organismischen Funktionalität, die bereits wichtige Fitnesskomponenten darstellen (z.B. die sexuelle Attraktivität, der soziale Status oder die Effizienz des Ressourcenerwerbs), hängen von allen Genen ab, die auf alle von dort aus gesehen flussaufwärts liegende Prozesse wirken. Nicht nur genetische, sondern auch Umwelteinflüsse, die auf flussaufwärts befindliche Prozesse einwirken, akkumulieren in den Eigenschaften weiter flussabwärts. Die Selektion ist aber gegen Umwelteinflüsse sehr viel weniger effektiv als gegen genetische Einflüsse, was erklären würde, warum bei Fitnesskomponenten die VE gewöhnlich sehr groß ist (Rowe & Houle, 1996; Stirüng et al., 2002). Eine ähnliche Logik sollte auch für VNA gelten, hier ist die empirische Evidenz jedoch unklar (Stirling et al., 2002). Entmcklungsstabilität und der f-Faktor. In Ergänzung zum Drainagemodell erklärt die Theorie der Entmcklungsstabilität (Polak, 2003), auf welchem Wege im Genom verstreute Mutationen die Fitness beeinträchtigen können. Ihr zufolge werden Organismen häufig daran gehindert, ihre evolvierten und im Genom abgelegten Baupläne während der Entwicklung stabil zu entfalten, da entweder die Baupläne selbst oder die Umweltfaktoren, mit denen sie während der Entwicklung interagieren, gestört sind. In einem solchen Fall ist die im Laufe der Evolution entstandene Passung von Anlage und Umwelt vermindert. Störfaktoren des Bauplans sind dabei Mutationen, Störfaktoren der Umwelt sind z.B. schnell evolvierende Krankheitserreger (Pathogene) und Giftstoffe (Toxine). Aus Sicht der Fitness ist die genaue Kombination verschiedenartiger Störfaktoren egal, wichtig ist ihr Gesamteffekt auf die Funktionstüchtigkeit (die Fitness) des entstehenden Phänotyps. Gleichsam zählt auf genetischer Ebene aus Sicht der natürlichen Selektion nur der Gesamtstöreffekt aller Mutationen. Welche funktionalen Bereiche des Genoms genau dabei betroffen sind, ist weitestgehend unbedeutend und vermutlich ohnehin bei jedem Menschen anders. Als Maß für die Entwicklungsstabilität hat sich in der Biologie die bilaterale Symmetrie von Körperteilen, die im Populationsmittel links und rechts gleich groß sind, etabliert. Bei Menschen zählen dazu z.B. die Breite der Ellenbogen oder die Länge der Ohren. Obwohl man so natürlich nur die morphologische Entwicklungsstabilität erfassen kann, zeigt die Körpersymmetrie Zusammenhänge mit verschiedensten Fitnesskomponenten (Moller, 1997), auch beim Menschen (Gangestad & Yeo, 1997; Gangestad & Simpson, 2000). Ein inzwischen gut repliziertes Korrelat der Körpersymmetrie ist die allgemeine Intelligenz (z.B. Prokosch, Yeo & Miller, 2005). Dieser Zusammenhang lässt sich natürlich in keiner Richtung kausal interpretieren. Vielmehr deutet er darauf hin, dass verschiedene Mikroprozesse und im Drainagemodell „auf halbem Weg" gelegene Eigenschaften gleichzeitig auf verschiedenen Wegen „flussabwärts wirken". Die Drainagebeckenmetapher unterschlägt nämlich, dass die meisten Gene pleiotrop sind (d.h. mehrere Eigenschaften gleichzeitig beeinflussen, siehe Kovas & Plo-
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min, 2006, und Marcus, 2005) und sich während der Entwicklung wechselseitig verstärken (Asendorpf, in diesem Band). Als Folge davon sollten schädliche Mutationen pleiotroper Gene einen Störeffekt auf mehrere flussabwärts gelegene Eigenschaften und Fitnesskomponenten haben, weshalb die Funktionalität dieser Eigenschaften und Komponenten positiv interkorrelieren sollte. Laut Miller (2000b) sollte man daher positiv-mannigfaltigen Korrelationen von Fitnesskomponenten erwarten können, aus denen dann analog zum ¿-Faktor der allgemeinen Intelligenz (Jensen, 1998) einen /Faktor der allgemeinen Fitness extrahierbar sein sollte. Genau wie g an der Spitze einer Mehrebenenhierarchie von kognitiven Fähigkeiten steht, sollte f an der Spitze einer vergleichbaren Mehrebenenhierarchie genetisch korrelierter, flussaufwärts gelegener, fitnessrelevanter Eigenschaften stehen. Tatsächlich argumentiert Miller (2000b; Prokosch et al., 2005), dass g ein (bedeutender) Unterfaktor von/ist, der die neuronale Entwicklungsstabilität (und damit die Funktionalität des kognitiven Apparats) widerspiegelt. Die genetische Varianz von g würde damit zurückgehen auf den Störeffekt vieler Mutationen an irgendwelchen von Tausenden möglichen Genioki, die Einfluss auf die Gehirnentwicklung und -funktionalität haben. Jede davon würde unsere kognitiven Fähigkeiten ein klein wenig verringern. Weitere Vorhersagen. Jede Eigenschaft im Mutations-Selektions-Gleichgewicht muss eine flussabwärts gelegene Eigenschaft mit großer Mutationszielgröße sein. Damit geht einher, dass individuell unterschiedliche Mutationen zufallig an irgendwelchen der vielen verschiedenen Genioki auftreten, die bei allen Menschen ohne diese spezifischen Mutationen identisch sind. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass irgendeine dieser Mutationen jemals eine mittelhohe Prävalenz erreichen wird, solange Selektion dagegen wirkt: Das Mutations-SelektionsGleichgewicht kann Polymorphismen nur auf mittelhoher Prävalenz in der Population halten (Turelli & Barton, 2004). Die VA komplexerer Eigenschaften sollte somit auf viele, seltene Mutationen von zumeist schwachem phänotypischem Effekt zurückgehen, wobei jede einzelne aus evolutionärer Perspektive ein vorübergehendes Phänomen darstellt. Folglich werden diese Mutationen mit den üblichen molekulargenetischen Methoden (Linkage- und Assoziationsstudien, Spinath & Deary, in diesem Band) nur sehr schwer auffindbar sein. In einer Population gefundene QTLs werden sich höchstwahrscheinlich auch nicht in anderen Populationen replizieren lassen, da verschiedene evolutionär vergängliche Mutationen in unterschiedlichen Populationen vorkommen werden. Außerdem verhindert die schiere Zahl an involvierten Genioki, dass die VA einer solchen Eigenschaft effizient von der Selektion verringert wird, weshalb der Anteil von VNA an der gesamten genetischen Varianz wahrscheinlich mittelhoch ausfallen wird (Stirling et al., 2002). Diese Vorhersagen (s. Tab. 1) sind konsistent mit dem, was über die genetische Struktur der allgemeinen Intelligenz bekannt ist (Plomin, Kennedy & Craig, 2006; Spinath & Deary, in diesem Band). Trotz enormen Aufwands ist es nämlich noch nicht gelungen, einzelne Intelligenzgene replizierbar zu identifizieren, was auf empirischem Wege ebenfalls zu der Vermutung geführt hat, dass eine große Zahl pleiotroper Polymorphismen mit schwachem Effekt für die genetische Varianz von g verantwortlich sein müssen (Kovas
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& Plomin, 2006). Im Gegensatz dazu gibt es inzwischen einige gute Kandidatengene, die zumindest teilweise verantwortlich für die genetische Varianz in Persönlichkeitstraits sein sollten (Ebstein, 2006). Diese haben in der Regel mittelhohe Prävalenzraten (Kidd, 2006). Des Weiteren findet man für Persönlichkeitstraits gewöhnlich große Anteile VNA (Keller et al. 2005). Diese Charakteristika von Persönlichkeitstraits lassen sich nicht durch ein Mutations-SelektionsGleichgewicht erklären. Weiterhin ist zu erwarten, dass Eigenschaften mit großer Mutationszielgröße zumeist von Mutationen beeinflusst werden, die sowohl selten als auch rezessiv sind. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Kopien derselben schädlichen Mutation in einem Individuum zusammen kommen und so ihre volles schädliches Potential entfalten, grundsätzlich eher gering. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt aber rapide bei Kindern genetisch verwandter Eltern (die z.B. Geschwister oder Cousins ersten Grades sind). Diesen Effekt nennt man In^uchtdepression. Der gegenteilige Effekt heißt Heterosis und tritt auf, wenn Paarungen rezessiver, schädlicher Mutationen bei den Kindern sehr weidäufig verwandter Eltern (die z.B. von unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind) während der sexuellen Rekombination aufgebrochen wurden. Die vorhergesagte genetische Struktur von Eigenschaften im Mutations-Selektions-Gleichgewicht lässt sowohl Inzuchtdepressions- als auch Heterosis-Effekte erwarten (DeRose & Roff, 1999). Gute Belege für diesen Effekt existieren für Intelligenz (einen Überblick gibt Jensen, 1998), aber nicht für Persönlichkeitstraits. So sind z.B. Kinder, deren Eltern Cousin und Cousine ersten Grades sind, gewöhnlich weniger intelligent, aber es gibt keine stichhaltigen Belege dafür, dass sie mehr oder weniger extravertiert, verträglich oder gewissenhaft sind (Penke et al., 2007 b). Zusätzlich ergeben sich aus den typischerweise schädlichen Effekten von Mutationen klare Vorhersagen für die Auswirkungen von Mutationsbelastungen auf die soziale Wahrnehmung. Da eine hohe Mutationsbelastung die fünktionale Integrität und letztlich die Fitness eines Organismus beeinträchtigt, ist zu erwarten, dass phänotypische Hinweise auf eine hohe Mutationsbelastung zu einer weniger positiven sozialen Bewertung durch Menschen fuhrt, die einen Sexualpartner oder Mitstreiter suchen. Der partnerschaftliche Kontext ist hier besonders wichtig, da ja etwa die halbe Mutationsbelastung eines Sexualpartners auf die möglicherweise entstehenden Kinder übertragen wird (Keller, 2007). Tatsächlich gehen heute praktisch alle evolutionären Theorien der Partnerwahl davon aus, dass jede phänotypische Eigenschaft, die verlässlich eine geringe Mutationsbelastung anzeigt, sexuell attraktiv auf mögliche Partner wirkt (Kokko, Brooks, Jennions & Morley, 2003; Miller, 2000b, 2001). Solch eine verlässliche Signalfunktion erfüllen Eigenschaften besonders dann, wenn ihre Qualität konditionsabhängig ist, also abhängt vom phänotypischen Gesamtzustand (der Gesundheit, Widerstandskraft etc.) eines Organismus (Rowe & Houle, 1996). Nur wer eine solide Kondition hat, kann gut aussehen, erfolgreich um Partner werben und mit anderen in den Wettstreit treten. Die Kondition kann man als fitnessrelevante Eigenschaft mit sehr großer Mutationszielgröße verstehen, die weit fluss-
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abwärts im Drainagemodell (Abb. 2) liegt. Durch das Konzept der Konditionsabhängigkeit lässt sich erklären, warum im Artenvergleich morphologische Eigenschaften, die bei der Partnerwahl bevorzugt werden (z.B. das Gefieder von Finken) sehr hohe VAS haben, viel höhere als morphologische Eigenschaften ohne Relevanz für die Partnerwahl (z.B. die Borstenzahl bei Fruchtfliegen) (Pomiankowski & Möller, 1 9 9 5 ) . Tatsächlich ist die VA bei konditionsabhängigen Indikatoreigenschaften oft fast so hoch wie bei direkten Fitnesskomponenten (wie z.B. Langlebigkeit oder Fruchtbarkeit, Houle, 1 9 9 2 ; Miller & Penke, 2 0 0 7 ) . Da Mutationsbelastungen und ihre phänotypischen Indikatoreigenschaften einerseits bei beiden Geschlechtern hoch variabel sind und andererseits hoch attraktiv auf das jeweils andere Geschlecht wirken, ist der Partnermarkt in sozial monogamen Arten (wie dem Menschen) gewöhnlich hart umkämpft: Jedes Individuen versucht, den bestmöglichen Partner, der das eigene Interesse erwidert, exklusiv für sich zu gewinnen. Simulationsstudien zeigen, dass solche monogamen, Wett-
bewerbs orientierten Partnermärkte letztendlich Paare hervorbringen, bei denen sich beide Partner in der Ausprägung ihrer sexuell attraktiven Eigenschaften ähneln - die attraktiveren haben einen attraktiveren Partner, die weniger attraktiven einen weniger attraktiven. Dieses Phänomen wird selektive Partnerwahl genannt. Es kommt typischerweise für Eigenschaften im Mutation-SelektionsGleichgewicht vor, ist aber eher unwahrscheinlich für weniger fitnessrelevante Eigenschaften (Penke, Todd, Lenton & Fasolo, 2 0 0 7 ) . Partnerwahlpräferenzen für und selektive Partnerwahl auf Intelligenz sind beim Menschen gut belegt, genauso wie die Konditionsabhängigkeit der Intelligenz (einen Überblick geben Miller, 2 0 0 1 , und Miller & Penke, 2 0 0 7 ) . Dagegen sind Partnerwahlpräferenzen für Persönlichkeitstraits im Allgemeinen eher gering und variieren interindividuell (Figueredo, Sefcek & Jones, 2 0 0 6 ) . Als Konsequenz ergibt sich daraus auf Populationsebene nur eine sehr geringe selektive Partnerwahl für Persönlichkeitstraits (Lykken & Tellegen, 1 9 9 3 ) . Auch im Bereich der sozialen Wahrnehmung unterscheiden sich Persönlichkeitstraits also deutlich von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, wobei wiederum nur letztere, aber nicht erstere, das Muster zeigen, welches man für Eigenschaften im Mutations-SelektionsGleichgewicht erwarten würde. Zusammenfassung. Das Mutations-Selektions-Gleichgewicht ist ein sehr plausibler Mechanismus zur Bewahrung genetischer Varianz in Populationen für Eigenschaften, welche Aspekte der allgemeinen funktionalen Integrität des Organismus widerspiegeln. Solche Eigenschaften sollten eine hohe additiv-genetische Varianz zeigen, mit Indikatoren der Entwicklungsstabilität korrelieren, eine schwer fassbare molekulargenetische Basis haben, Inzuchtdepressions- und Heterosiseffekte zeigen, konditionsabhängig sein, bei der Partnerwahl bevorzugt werden und zu selektiver Partnerwahl führen (Tab. 1). Diese Charakteristika decken sich mit den empirischen Befunden aus der Intelligenzforschung, treffen offenbar aber nicht auf Persönlichkeitstraits zu.
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Kann ausgleichende Selektion die genetischen Unterschiede in der Persönlichkeit erklären? Sowohl bei der Selektionsneutralität als auch beim Mutations-SelektionsGleichgewicht verbleibt genetische Variation in der Population, weil die Selektion nicht dazu in der Lage ist, sie zu entfernen: Im ersten Fall ist die Variation selektionsneutral, im zweiten Fall kommt stetig zu viel neue Variation hinzu. Eine ganz andere Art von evolutionsgenetischem Mechanismus ist die Bewahrung genetischer Varianz durch die Selektion selbst. Damit so etwas funktionieren kann, müssen gleichzeitig mehrere Selektionskräfte auf eine Eigenschaft einwirken und sich dabei ausgleichen. Das kann passieren, wenn beide Extreme derselben Eigenschaftsdimension unter gewissen Umständen gleichermaßen von der Selektion bevorzugt werden. Ausgleichende Selektion kann auf verschiedene Weise auftreten. Arten der ausgleichenden Selektion. Eine Form der ausgleichenden Selektion ist Überdominan^ (auch Hjbridenvorteil genannt). Sie tritt auf, wenn Individuen mit zwei verschiedenen Allelen am selben Genlokus eine höhere Fitness haben als Individuen mit zwei identischen Kopien. Das Lehrbuchbeispiel der Überdominanz ist die Sichelzellenanämie, bei der zwei verschiedene Allele an einem bestimmten Genlokus vor Malaria schützen, bestimmte gleiche Allele aber eine Bluterkrankung verursachen. Abgesehen von diesem Musterbeispiel ist Überdominanz in der Natur jedoch äußerst rar (Endler, 1986) und konnte auch in Tierexperimenten kaum nachgewiesen werden (Maynard Smith, 1998). Zudem wird inzwischen weithin angenommen, dass Überdominanz ein evolutionär instabiles Übergangsphänomen ist. Insgesamt ist diese Form der ausgleichenden Selektion damit einen unwahrscheinlicher Kandidat für die Bewahrung genetischer Varianz, vor allem auf lange Sicht (Roff, 1997; Keller & Miller, 2006a). Eine andere Form der ausgleichenden Selektion ist die antagonistische Pleiotropie, welche auftritt, wenn Polymorphismen gleichzeitig eine positive Auswirkung auf eine fitnessrelevante Eigenschaft haben und eine negative Auswirkung auf eine andere (Roff, 1997; Hendrick, 1999). Ein Spezialfall davon ist die geschlechtlich antagonistische Koevolution, bei der sich Polymorphismen unter gegensätzlichen Selektionsdruck befinden, je nachdem, ob sie bei einem Mann oder einer Frau vorkommen (Rice & Chippindale, 2001). Da die Selektion in der Regel den Polymorphismus mit den insgesamt geringsten Fitnesskosten in der Population fixiert, kann die antagonistische Pleiotropie nur unter sehr strikten Bedingungen zum Erhalt genetische Variation beitragen: Die Fitnesskosten aller Polymorphismen an einem Genlokus müssen im Mittel exakt gleich groß sein und zusätzlich müssen alle Kombinationen unterschiedlicher Polymorphismen am selben Genlokus im Mittel exakt die gleichen Fitnesskosten haben wie alle möglichen Kombinationen gleicher Polymorphismen (Hendrick, 1999). Selbst dann ist die antagonistische Pleiotropie aber auf lange Sicht nur dazu in der Lage, genetische Variation an einem einzigen Genlokus (oder an zwei Genioki im Fall der geschlechtlich antagonistische Koevolution) pro Eigenschaft zu bewahren (Turelli & Barton, 2004). Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass antagonisti-
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sehe Pleiotropie eine große Rolle bei der Erhaltung genetischer Varianz spielt (Hendrick, 1999), auch wenn der Spezialfall der geschlechtlich antagonistische Koevolution weiterhin im Zusammenhang mit Geschlechtsunterschieden diskutiert wird (Keller & Miller, 2006b). Eine vielversprechendere Variante der ausgleichenden Selektion ist die Ummltheterogenität. Wenn der Effekt einer Eigenschaft auf die Fitness räumlich oder zeitlich variiert, kann dadurch eine bedeutende Menge an genetische Varianz in der Population erhalten werden (Roff, 1997), auch in quantitativen Eigenschaften (Turelli & Barton, 2004). Dafür ist es notwendig, dass die räumlichen oder zeitlichen Fluktuationen der Selektionsdrücke so auftreten, dass eine Eigenschaft sich mit annähernd gleicher Wahrscheinlichkeit positiv und negativ auf die Fitness auswirkt (und somit im Mittel über alle relevanten Umweltvarianten einen annähernd neutralen Nettoeffekt auf die Fitness hat). Es reicht nicht aus, wenn eine Eigenschaft in einigen Umwelten oder zu einigen Zeiten neutral ist, da die Selektion sehr effizient darin ist, Polymorphismen zu fixieren, deren Effekt zu lange anderen Polymorphismen überlegen ist. Nur ein voll ausgeglichener Effekt verschiedener Allele über verschiedene Umwelten hinweg kann genetische Varianz erhalten. Eine verwandte Art der ausgleichenden Selektion ist die frequen^abhängige Selektion. In diesem Fall treten die räumlich-zeitlichen Fluktuationen der Selektionsdrücke nicht in der physischen, sondern in der sozialen Umwelt auf. Frequenzabhängige Selektion kann nur dann genetische Varianz erhalten, wenn sie negativ ist, d.h. wenn eine Eigenschaft Fitness vorteile mit sich bringt, solange sie nur in geringer Häufigkeit in der Population vorkommt (Maynard Smith, 1998). Positive frequenzabhängige Selektion würde dagegen die überlegenen Polymorphismen schnell fixieren. Die „soziale Umwelt" wird dabei in einem sehr breiten Sinne benutzt und schließt unter anderem das Verhältnis von kooperativen Individuen zu Betrügern (Mealey, 1995), das zahlenmäßige Verhältnis von Männern zu Frauen in der Population (Fisher, 1930), die Verteilung von Konkurrenten (der eigenen oder anderer Spezies) im Wettbewerb um begrenzte Ressourcen in ökologischen Nischen, und sogar Parasit-Wirt-Beziehungen (Viren, Bakterien und andere Pathogene sind nämlich oft so angepasst, dass sie den häufigsten Wirtsphänotyp am effizientesten ausbeuten, Garrigan & Hedrick, 2003). In jeder dieser Formen hat sich die negative frequenzabhängige Selektion in mathematischen Modellierungen als plausibler Mechanismus zur Bewahrung genetischer Varianz bewiesen (Bürger, 2005; Schneider, 2006). Somit sind die Umweltheterogenität und die negative frequenzabhängige Selektion viel versprechende Kandidaten für den Erhalt genetischer Varianz durch ausgleichende Selektion, wohingegen Uberdominanz und antagonistische Pleiotropie nur in seltenen Fällen und unter strengen Bedingungen diese Funktion erfüllen können. Letztendlich sind für ausgleichende Selektion also variierende Selektionsdrücke nötig, die unterschiedliche phänotypische Ausprägungen einer Eigenschaft unter unterschiedlichen Bedingungen bevorzugen. Diese fluktuierenden Selektionsdrücke müssen stärker sein als etwaige andere Selektionsdrücke
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auf die Eigenschaft, welche in jeder Umwelt gleichermaßen eine bestimmte Ausprägung der Eigenschaft favorisieren (Turelli & Barton, 2004). Wenn diese Bedingung erfüllt ist, fuhrt ausgleichende Selektion zu zwei oder mehr unterschiedlichen Phänotypen (oder auch einem Kontinuum von Phänotypen), die auf Grund ihrer identischen mittleren Fitness gleichzeitig in der Population existieren können. Da diese Phänotypen nicht mehr weiter durch natürliche Selektion optimiert werden können, werden sie auch evolutionär stabile Strategen genannt (Maynard Smith, 1982). Vorhersagen. Auch die ausgleichende Selektion führt zu einer distinkten genetischen Struktur bei betroffenen Eigenschaften. Wiederholte Perioden der Selektion in unterschiedliche Richtung entfernen VA sehr effizient aus der Population. Dadurch ergeben sich für Eigenschaften unter ausgleichender Selektion höhere Anteile von VNA als für selektionsneutrale Eigenschaften (Roff, 1997). Im Gegensatz zum Mutations-Selektions-Gleichgewicht kann die ausgleichende Selektion auch Allele mit mittelhoher Prävalenzrate in der Population halten (Turelli & Barton, 2004), allerdings können nur sehr wenige Loki einen substantiellen phänotypischen Effekt haben (Kopp & Hermisson, 2006). Diese Charakteristika (siehe Tab. 1) passen gut zu Persönlichkeitstraits (Keller et al., 2005; Ebstein, 2006), aber weniger gut zur Intelligenz. Ausgleichende Selektion und 'Persönlichkeitstraits. Alternativ zur Selektionsneutralität zogen Tooby und Cosmides (1990) in ihrem frühen Überblicksartikel zur Evolutionsgenetik der Persönlichkeit noch die Parasit-Wirt-Koevolution, eine Form der negativen frequenzabhängigen Selektion, als mögliche Erklärung der genetischen Varianz in Persönlichkeitseigenschaften in Erwägung. Auch unter dieser Perspektive werden Persönlichkeitsunterschiede letztlich zu irrelevanten, an sich selektionsneutralen Nebenprodukten der Evolution degradiert. Diese Position haben wir aber bereits im Abschnitt zur Selektionsneutralität als unplausibel widerlegt — die Auswirkungen von Persönlichkeitseigenschaften auf wichtige Lebensbereiche sind unbestreitbar. Zusätzlich bemerkten Keller und Miller (2006a, siehe auch Penke et al., 2007 b), das es eine starke Überlappung von Persönlichkeits- und Immunokompetenzgenen geben müsste, damit diese Erklärung von Tooby und Cosmides (1990) stichhaltig wäre — eine weitere eher unwahrscheinliche Annahme. Anders als Tooby und Cosmides (1990) führte MacDonald (1995, 1998) die Dimensionen des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit (John & Srivastava, 1999) auf fünf von ihm postulierte Verhaltenssysteme zurück. Er nahm zwar an, dass extreme Ausprägungen von Persönlichkeitseigenschaften maladaptiv (unangepasst) sein und dass daher die natürliche Selektion dagegen wirke, innerhalb eines relativ breiten Spektrums um den Populationsmittelwert hielt er Unterschiede in Persönlichkeitstraits jedoch für gangbare Verhaltensstrategien, deren Gangbarkeit er von der aktuellen Umwelt abhängig machte. Er vermutete hinter den breiten persönlichkeitspsychologischen Traitdimensionen also Kontinua evolutionär stabiler Strategien. Während seiner Meinung nach z.B. extreme Extraversion (übertriebene Geselligkeit und sexuelle Manie) wie auch extreme Intro-
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versión (schizoide, vermeidende Zurückgezogenheit) wenig fitnessförderlich sind, könnte die normale Variation von Extraversion im Durchschnitt selektionsneutral sein. Darauf aufbauend entwickelte Nettle (2006) genauere Hypothesen bezüglich der möglichen Fitnesskosten und -vorteile jeder Dimension des Fünf-Faktoren-Modells. Wenn diese evolutionären Kosten-Nutzen-Kompromisse in jeder Umwelt gleich aussähen, könnte genetische Varianz in Persönlichkeitseigenschaften nur durch antagonistische Pleiotropie bewahrt werden. Dieser Mechanismus ist jedoch, wie oben erläutert, evolutionär instabil. Wenn aber die relevanten Selektionsdrücke zeitlich oder räumlich fluktuieren und somit die optimale Ausprägung der Eigenschaft immer wieder wechseln würde, könnte diese Umweltheterogenität Unterschiede in Persönlichkeitstraits als evolutionär stabile Strategien erhalten. Beispielsweise argumentierte Nettle (2006), dass hohe Extraversion Fitnessvorteile in Form von erhöhtem Erfolg beim anderen Geschlecht, erleichterter Etablierung sozialer Bündnisse und erhöhter Bereitschaft, die Umwelt zu erkunden, mit sich bringt. Dagegen stehen aber auch Fitnesskosten in Form von erhöhter Unfallgefahr und verringerter Stabilität romantischer Beziehungen. In Umwelten, die physische Risiken für das eigene Leben und das Leben der eigenen Kinder (welche von stabilen Paarbeziehungen profitieren) bergen, mag hohe Extraversion unterm Strich Fitnesskosten mit sich bringen. Unter sichereren Umweltbedingungen kann hohe Extraversion möglicherweise jedoch Fitnessvorteile haben. Derartige Umweltfluktuationen würden genetische Variation in Extraversion bewahren. Die Herausforderung bei jedem derartigen Argument für ausgleichende Selektion liegt in dem Nachweis der spezifischen Kosten und Vorteile jedes Persönlichkeitstraits in unterschiedlichen Umwelten. Nettle (2005) hatte z.B. auch angenommen, dass Extravertierte ihre Kinder weniger unterstützen als Introvertierte, konnte dafür aber keine Belege finden. Tatsächlich könnte auch Nettles (2006) spätere Liste der Nutzen und Kosten von Extraversion noch fitness-irrelevante Nebenprodukte enthalten und daher zu lang sein. Andererseits ist es durchaus möglich, noch andere Kosten- und Nutzenfaktoren herzuleiten und möglicherweise auch nachzuweisen (siehe Denissen & Penke, 2006). Auch wenn die ausgleichende Selektion eine gute allgemeine Erklärung für die Erblichkeit von Persönlichkeitstraits verspricht, verbleiben mit der Identifizierung der spezifischen Fitnesskosten und -vorteile sowie der relevanten Selektionsdrücke und Umweltfluktuationen noch viele empirische Herausforderungen für eine evolutionäre Persönlichkeitspsychologie. Umweltnischen für Persönlichkeitstraits. Inzwischen werden Persönlichkeitsunterschiede auch verstärkt bei nichtmenschlichen Tieren untersucht (Sih et al., 2004). Solchen Studien können die Beobachtung des Zusammenspiels von Persönlichkeit und Umweltheterogenität in einer Weise ermöglichen, die beim Menschen nur schwer umsetzbar wäre. So haben z.B. Dingemanse, Both, Drent und Tinbergen (2004) durch sorgfältige Verhaltenstests stabile Persönlichkeitsunterschiede bei Kohlmeisen erfassen können, die sich in etwa mit einer Schüchternheits-Kühnheits-Dimension beschreiben lassen. Mehrjährige Beobachtungen in
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freier Wildbahn zeigten, dass in einigen Jahren die schüchterneren, in anderen die kühneren Kohlmeisen mehr Nachkommen hatten. Der entscheidende Umweltfaktor war dabei die von Jahr zu Jahr variierende Futterverfügbarkeit. Ähnliche Evidenz dafür, dass Umweltheterogenität zu variierender Fitness verschiedener Persönlichkeitsausprägungen führt, existiert auch für diverse andere Spezies (einen Uberblick liefern Dingenmanse & Réale, 2005). Ähnlich detaillierte Beobachtungen beim Menschen sind durch lange Zeitabstände zwischen den Generationen erschwert. Die Kombination von Persönlichkeitstests und Archivdaten kann aber indirekt aufschlussreich sein. So konnten z.B. Camperio Ciani und Kollegen (Camperio Ciani, Veronese, Capiluppi & Sartori, 2007) kürzlich zeigen, dass sich die Persönlichkeit von Italienern, die seit mindestens 20 Generationen auf einer Insel lebten, sowohl von der Persönlichkeit der nächstgelegenen Festlandbewohner, als auch von der Persönlichkeit neuerer Inselimmigranten signifikant unterschied: Auf jeder der drei untersuchten Inselgruppen waren die genuinen Insulaner introvertierter und weniger offen für Erfahrungen. Da das Design auf kulturellen, historischen, linguistischen und bildungsbedingten Faktoren basierenden Alternativenerklärungen weitestgehend ausschließen konnte, deuten diese Daten auf genetische Veränderungen hin. Scheinbar geht in der eingeschränkten Inselwelt Introversion und geringe Offenheit mit einer höheren Fitness einher als auf dem mondäneren Festland. Direktere Evidenz für die Bedeutung der Umweltheterogenität in der Evolutionsgenetik von Persönlichkeitseigenschaften ergibt sich aus der weltweiten Prävalenz persönlichkeitsrelevanter Allele. Ein gutes Beispiel ist hier das DRD4Gen, welches mit Persönlichkeitstraits wie Extraversion und Neophilie in Verbindung gebracht wird (Ebstein, 2006). Die Prävalenz der verschiedenen Allele am DRD4-Genlokus variiert weltweit drastisch. Das bei risikofreudigen Extravertierten häufigere 7R-Allel ist z.B. in Europa und Amerika viel häufiger als in Asien (Chang et al., 1996). Eine genauere Betrachtung des weltweiten Verteilungsmuster unter anthropologischen Gesichtspunkten deutet laut Harpending und Cochran (2002) darauf hin, dass die Selektion gegen das 7R-Allel wirkt, wenn harsche Umweltbedingungen und knappe Ressourcen intensive Kooperation, enge Familienverbunde, stabile Paarbeziehungen und die Unterstützung der Kinder durch beide Eltern notwendig machen. Ist die Umwelt aber ressourcenreich und eher ungefährlich, so dass Kinder auch ohne viel elterliche Unterstützung überleben können, dann kommt es gewöhnlich eher zu Promiskuität und zu Wettbewerb zwischen Männern (Gangestad & Simpson, 2000). Unter solchen Bedingungen könnten die phänotypischen Effekte des 7R-Allels den Reproduktionserfolg erhöhen. Harpending und Cochran (2002) machen also Umweltheterogenitäten für den Fortbestand verschiedener DRD4-Allele verantwortlich. Die Bedeutung der frequen^abhängigen Selektion. Die schon von Harpending und Cochran (2002) angeführte Rolle des Wettbewerbs mit Artgenossen verdient eine genauere Betrachtung. Wettbewerb, sei es um Sexualpartner, Nahrungsmittel oder andere „begrenzte Ressourcen", ist zumeist ein Nullsummenspiel: Der Sieger hat einen Vorteil, der Verlierer dagegen trägt oft Kosten, und sei es nur in
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Form von verschwendeter Mühe und verpassten Alternativmöglichkeiten. Wenn mehr Individuen in einer Population das Risiko des direkten Wettbewerbs eingehen, kann es fitnessförderlicher sein, ganz auf das Streben nach Wettbewerbserfolg zu verzichten und damit auch die Verliererkosten zu vermeiden. Dies ist die Logik des „Tauben und Falken"-Spiels, bei dem die aggressiven „Falken" so lange im Vorteil sind, bis sie zu häufig auf andere Falken treffen. Ab dann zahlt sich die pazifistische Strategie der „Tauben" aus. Dieses spieltheoretische Szenario ist das klassische Beispiel für die frequenzabhängige Selektion (Maynard Smith, 1982). Tatsächlich wird manchmal argumentiert, dass die meisten Umweltnischen letztlich soziale Nischen sind, weil die in heterogenen Umwelten existierenden, wechselnden Selektionsdrücke fast immer durch den Wettbewerb mit .Artgenossen um irgendwelche Ressourcen vermittelt werden - und das fuhrt dann eben in der Regel zu negativer frequenzabhängiger Selektion (Bürger, 2005). Goldfunde haben z.B. in den Gründerjahren der USA große Chancen für schnell entschlossene Abenteurer (vorzugsweise Träger des 7R-DRD4-Allels) bedeutet, allerdings nur so lange, wie die Goldsuche nicht zu einem Massenphänomen wurde. Während eines allgemeinen Goldrausches war das große Glück oft nur wenigen vergönnt, viele schnitten in der harten Konkurrenz vermutlich schlechter ab als die „bodenständigen" Daheimgebliebenen. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Persönlichkeitsunterschiede bisher fast ausschließlich bei sozial lebenden Arten nachgewiesen werden konnte (Figueredo et al., 2005). Persönlichkeit scheint fundamental sozial zu sein und spiegelt damit vielleicht die Vielzahl von sozialen Strategien wieder, die gedeihen können, wenn in heterogenen Umwelten sozial vielschichtigen Populationen entstehen. Das mag insbesondere auf die menschliche Persönlichkeit zutreffen, da Menschen durch ihre kulturelle und technische Errungenschaften „ökologische Dominanz" erreicht haben, also die auf Nahrungsverfügbarkeit, andere Spezies und physische Gefahren zurückgehenden Selektionsdrücke weitestgehend kontrollieren können (Alexander, 1989). Zusammenfassung. Ausgleichende Selektion durch Umweltheterogenität, oft vermittelt durch negative frequenzabhängige Selektion, scheint der plausibelste evolutionsgenetische Mechanismus zur Erklärung der genetischen Varianz in Persönlichkeitstraits zu sein. Reine antagonistische Pleiotropie oder Uberdominanz sind dagegen evolutionär instabil. Für die im Drainagemodell (Abb. 2) weiter flussabwärts befindlichen Eigenschaften wie Intelligenz erscheinen alle Formen der ausgleichenden Selektion hingegen unplausibel.
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Ein evolutionsgenetisches Modell der Persönlichkeit Bisherige Erkenntnisse zur Evolutionsgenetik der Persönlichkeit lassen sich in dem in Abbildung 3 dargestellten Modell zusammenfassen (weitere Details finden sich bei Penke, Denissen & Miller, 2007 a, b). Eigenschaft im Mutations-Selektions-Gleichgewicht
Eigenschaft unter ausgleichender Selektion
Abbildung 3: Ein evolutionsgenetisches Modell der Persönlichkeit Anmerkungen: Mut.: Mutation, KA: Konditionsabhängigkeit, RN: Reaktionsnorm
Für die natürliche Selektion ist die Struktur interindividueller Unterschiede ziemlich simpel: alle Lebewesen unterscheiden sich für sie nur entlang einer einzigen großen Dimension, nämlich ihrer statistischen Wahrscheinlichkeit, ihre Gene an zukünftige Generationen weiter zu geben - ihrer Fitness. Millers (2000b)/Faktor repräsentiert diese Dimension an der Spitze jeder evolutionären Hierarchie erblicher Persönlichkeitsunterschiede — oder anders betrachtet ganz flussabwärts am Delta des Drainagemodells (weshalb der/Faktor in Abb. 3 unten steht). Da sich praktisch alle psychologischen Unterschiede als erblich herausgestellt haben, lautet die zentrale Frage der evolutionären Persönlichkeitspsychologie: In welchem Verhältnis stehen Persönlichkeitsunterschiede zum/Faktor? Alle erblichen Persönlichkeitsunterschiede haben ihren Ursprung in einem Satz Genen, welcher die Funktion eines oder (zumeist) mehrerer neurophysiologischer Mechanismen beeinflusst, z.B. die Konzentration von Neurotransmittern
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und Hormonen, die Reaktivität bestimmter Hirnregionen oder den Verlauf bestimmter Entwicklungsprozesse im Gehirn. Diese mit Methoden wie bildgebenden Verfahren oder Blutanalysen quantifizierbaren, basalen Korrelate komplexer Persönlichkeitseigenschaften nennt man Endophänotypeti (Cannon & Keller, 2005). Sie vermitteln quasi zwischen Genen und Persönlichkeit und liegen daher relativ weit flussaufwärts in Abbildung 3. Das in Abbildung 3 dargestellte Modell vernachlässigt Umwelteinflüsse auf der endophänotypischen Ebene. Diese Vereinfachung erscheint vertretbar, da reine Umweltbeiträge zu interindividuellen Unterschieden auf dieser Ebene vermutlich verheerende Konsequenzen auf die Entwicklung hätten und daher strukturell (durch „Entwicklungskanalisation") möglichst klein gehalten werden. Ein oder mehrere Mechanismen auf der endophänotypischen Ebene ergeben die Verhaltenstendenzen, die wir auf der dispositionalen Ebene als Persönlichkeitstraits und Fähigkeiten wahrnehmen. In relevanten Situationen beeinflussen diese Dispositionen das Verhalten, und von diesem Punkt an bestimmen sie das Schicksal des Organismus mit: Das Verhalten beeinflusst die Anpassung des Organismus an seine derzeitige Umwelt, und damit letztlich seinen Reproduktionserfolg. Genetische Unterschiede in der Persönlichkeit können durch Selektionsneutralität, ein Mutations-Selektions-Gleichgewicht oder ausgleichende Selektion langfristig in der Population gehalten werden. Jeder dieser Mechanismen hinterlässt einen charakteristischen Fingerabdruck in der genetischen Architektur. Wir haben argumentiert, dass vor dem Hintergrund der weitreichenden Effekte von Persönlichkeitsunterschieden auf fitnessrelevante Lebensaspekte die Selektionsneutralität keine befriedigende Erklärung ergibt. Das Mutations-SelektionsGleichgewicht setzt voraus, dass (1) eine Eigenschaft von hinreichend vielen Genen beeinflusst wird, so dass stetig neue Mutationen ihre Effizienz stören und (2) die Effizienz der Eigenschaft unter hinreichend starker natürlicher Selektion steht, so dass diese Mutationen stetig wieder entfernt werden. Solche Eigenschaften werden daher erwartungsgemäß auf der endophänotypischen Ebene von einem komplexen System neurogenetischer Mechanismen beeinflusst, sie werden substantielle additiv-genetische Varianz aufweisen, und die interindividuellen Unterschiede in der Effizienz dieser Eigenschaften werden immer eine positive Beziehung zur Gesamtfitness zeigen. Umwelteinflüsse werden hauptsächlich durch die Entwicklungsstabilität und Gesamtkondition des Organismus vermittelt sein, also durch Konditionsabhängigkeit. Die Umweltachsen der Reaktionsnormen solcher Eigenschaften, wie sie am Anfang dieses Kapitels vorgestellt wurden, werden also hauptsächlich die Gesamtkondition widerspiegeln. In Übereinstimmung mit Miller (2000b; Prokosch et al., 2005) ordnen wir allgemeine kognitive Fähigkeiten (Intelligenz) dieser Eigenschaftskategorie zu. Für das Beispiel der allgemeine Intelligenz könnten in Abbildung 3 die flussaufwärts gelegenen Mechanismen I und II z.B. die Effizienz des zerebralen Glukosemetabolismus und die Genauigkeit des programmierten Zelltods im präfrontalen Kortex während der Adoleszenz sein, und die etwas weiter flussabwärts gelege-
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nen Mechanismen III und IV könnten der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und der Arbeitsgedächtniskapazität entsprechen (siehe Jensen, 1998). Als evolutionsgenetische Kon^eptualisierung kognitiver Fähigkeiten postulieren wir daher: Interindividuelle Unterschiede in der funktionalen Integrität breiter Systeme des kognitiven Apparats, verursacht durch individuelle Belastungen mit seltenen, leicht schädlichen Mutationen. Kurz gefasst sind kognitive Fähigkeiten kognitive Fitnesskomponenten. Für solche Eigenschaften ist eine geringe Mutationsbelastung immer vorteilhaft, unabhängig von der Umwelt. Im Gegensatz dazu sind unter ausgleichender Selektion unterschiedliche Ausprägungen von Eigenschaften in unterschiedlichen sozialen oder nicht-sozialen Umwelten vorteilhaft. Darüber hinaus interagieren spezifische Aspekte der Umwelt in einer Reaktionsnorm mit der neurophysiologischen Architektur der Eigenschaft (d.h. seinen Persönlichkeitsmechanismus oder -mechanismen) und ergeben so eine Verhaltenstendenz. Die Umwelt spielt damit eine doppelte Rolle für solche Eigenschaften. Im Vergleich zu Eigenschaften im MutationsSelektions-Gleichgewicht sind die Umwelteinflüsse auf Eigenschaften unter ausgleichender Selektion deutlich komplexer. Hingegen kann man für solche Eigenschaften vergleichsweise einfache, auf weniger Genioki basierende genetische Strukturen und flussaufwärts gelegene Mechanismen erwarten. Trotzdem ist die genetische Basis solcher Eigenschaften nicht unbedingt simpel. Genau genommen können für Eigenschaften unter ausgleichender Selektion epistatische Interaktionen zwischen Genen normativ erwartet werden. Wir gehen davon aus, dass die meisten (wenn nicht sogar alle) Persönlichkeitstraits in diese Eigenschaftskategorie fallen. Als evolutionsgenetische Konvgptuaäsierung von Persönlichkeitstraits schlagen wir daher vor: Interindividuelle Unterschiede in den genetischen Beschränkungen auf die Verhaltensplastizität, die zu Verhaltenstendenzen entsprechend einer individuellen Reaktionsnorm führen, und die zudem unterschiedliche Fitnesskonsequenzen in unterschiedlichen Umwelten haben. Kurz gefasst sind Persönlichkeitseigenschaften individuelle Reaktionsnormen mit umweltabhängigen Fitnesskonsequen^en.
Schlussfolgerung Die adaptationistische Evolutionstheorie hat sich als äußerst fruchtbare Metatheorie für die Psychologie erwiesen. Sie hilft bei der Identifikation von Anpassungsproblemen und ihren Auswirkungen auf das evolvierte, universelle Design unserer Spezies, die dann empirisch untersucht werden können (Euler, in diesem Band; Buss, 2004). Die zentrale Botschaft dieses Kapitels ist, dass die Evolutionsgenetik eine ähnlich fruchtbare Metatheorie für die Erforschung erblicher interindividueller Unterschiede bieten kann. Sie erlaubt eine Einsicht darin, was im Bereich der differentiellen Forschung evolutionär möglich und plausibel ist und was nicht. Auf diese Weise kann die Evolutionsgenetik der Psychologie neue Hypothesen, Richtlinien für die Interpretation empirischer Daten und informati-
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ve Grenzen für die Theorieentwicklung liefern. Dabei ist die Evolutionsgenetik nicht nur auf die im Fokus dieses Kapitels stehenden Persönlichkeitsunterschiede beschränkt, sondern lässt sich eben so gut auf psychische Störungen (Keller & Miller, 2006a, b; Penke et al., 2007a), körperliche Unterschiede (Miller & Penke, 2007) und Krankheiten (Thornhill & Möller, 1997) anwenden. Die Evolutionsgenetik selbst ist ein aktives, sich schnell entwickelndes Feld. Wir haben zwar versucht, einen aktuellen Überblick über die relevantesten Prinzipien zu geben, es ist aber gut möglich, dass einige davon in Zukunft verfeinert, erweitert oder in Frage gestellt werden. Sie sollten daher als vorläufiger Stand der Forschung, nicht als unumstößliche biologische Gebote verstanden werden. Wir haben uns in diesem Kapitel an die selten gestellte Frage gewagt, warum die genetischen Unterschiede, die einen Beitrag zu den allermeisten Persönlichkeitsunterschieden leisten, überhaupt existieren. Dabei hat sich ergeben, dass nur zwei Antwortmöglichkeiten hinreichend plausibel sind: Entweder ist die Eigenschaft von so vielen Genioki abhängig, dass ein Gleichgewicht zwischen seltenen, leicht schädlichen Mutationen und der dagegen wirkenden Selektion entsteht, oder Unterschiede in der Struktur der physischen oder sozialen Umwelt führen zu räumlichen oder zeitlichen Fluktuationen in der Selektion bestimmter Allele. Beide evolutionsgenetischen Mechanismen führen zu charakteristischen Attributen der betroffenen Eigenschaften und ihrer genetischen Architektur. Aus einem Vergleich der vorhergesagten Attribute mit der existierenden Evidenz haben wir geschlussfolgert, dass der erste Mechanismus (das MutationsSelektions-Gleichgewicht) vermutlich für den Fortbestand genetischer Varianz in kognitiven Fähigkeiten verantwortlich ist und der zweite Prozess (die ausgleichende Selektion) vermutlich den Erhalt genetischer Varianz in Persönlichkeitstraits bestimmt. Aus evolutionsgenetischer Perspektive lassen sich kognitive Fähigkeiten daher am besten als kognitive Fitnesskomponenten konzeptualisieren, während Persönlichkeitstraits individuelle Reaktionsnormen mit umweltabhängigen Fitnesskonsequenzen widerspiegeln. Zum Schluss möchten wir noch einmal betonen, dass erbliche Unterschiede an sich keine evolvierten Adaptationen sind. Sie sind Dimensionen in dem funktionalen Design einer Spezies, die einen gewissen Grad an genetischer Variation ertragen, und zwar aus einem der Gründe, die wir in diesem Kapitel beschrieben haben. Es kann adaptive Unterschiede zwischen Menschen geben, aber nur als konditionale Strategien, die in universellen (und damit genetisch invariablen) Adaptationen implementiert sind und durch spezifische Umweltreize ausgelöst werden (Tooby & Cosmides, 1990; Buss, 1991; Buss & Greiling, 1999). Eine evolutionsgenetische Perspektive widerspricht dem nicht, sondern erweitert stattdessen die evolutionäre Psychologie, indem sie aufzeigt, was passiert, wenn genetische Unterschiede in Systemen interagierender Adaptationen auftreten (Gangestad & Yeo, 1997; Miller, 2000a). Und weil genetische Unterschiede in der Persönlichkeitspsychologie allgegenwärtig sind, ist die Evolutionsgenetik ein essentieller Baustein einer vollständigen Persönlichkeitspsychologie.
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