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German Pages 264 [262] Year 2014
Alexander Emmerich Philipp Gassert
Amerikas Kriege
Inhalt
7 Einleitung: Demokratie und Krieg
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Amerika den Amerikanern Gegen Indianer und Franzosen: Koloniale Kriege __21 Liberty or Death: Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg __41 Ein zweiter Unabhängigkeitskrieg: Der Krieg von 1812 __59 Manifest Destiny: Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg __70 Birth of a Nation: Der Amerikanische Bürgerkrieg __91 Der Wilde Westen: Entscheidungskampf gegen die Indianer __117
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Aufstieg zur Supermacht Splendid Little War: Der Spanisch-Amerikanische Krieg __131 The War to end all Wars: Der Erste Weltkrieg __141 The Good War: Der Zweite Weltkrieg __155
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Hegemon der Freiheit im Kalten Krieg Von Alliierten zu Feinden: Die Anfänge des Supermächte-Konflikts __175 Der vergessene Krieg: Korea und die Folgen __187 Amerikas längster Krieg: Vietnam __196 Die blutigen Ränder des Imperiums: Der Nahe Osten und Afrika __208 Konflikte in Amerikas Hinterhof: Lateinamerika und die Karibik __214
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Neue Kriege in neuen Weltordnungen Der Testfall: Der erste Krieg im Irak __228 Krieg in Europas Hinterhof: Die neuen Balkankriege __232 Der Krieg gegen den Terror: Afghanistan und zweiter Irakkrieg __237
248 Fazit: Demokratie und Krieg
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Anhang Literaturverzeichnis __256 Quellen zur US-amerikanischen Geschichte im Internet __259 Register __260 Bildnachweis __264 Impressum __264
Unserem akademischen Lehrer Detlef Junker zum 75. Geburtstag
Einleitung: Demokratie und Krieg
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m 2. April 1917 trat der amerikanische Präsident Woodrow Wilson vor beide Häuser des amerikanischen Kon-
gresses. Wilson warb für eine Kriegserklärung gegen das Deutsche Reich. Bislang waren die Vereinigten Staaten neutral geblieben, seit mit den Morden von Sarajevo 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war. Mit viel Umsicht hatte der Präsident das Land aus dem Konflikt der Europäer herausgehalten. Doch nun sah Wilson sich zum Eingreifen gezwungen. Er wollte nicht länger die Schrecken dieses Krieges dulden. Vor allem aber sah er eine wachsende Gefahr für Amerikas Sicherheit und die seiner Bürger. Hatte Deutschland, das seit Anfang 1917 wieder einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg führte, nicht wenige Tage zuvor erneut drei US-Handelsschiffe ohne Warnung versenkt? Doch der Erste Weltkrieg barg in Wilsons Sicht eine noch viel fundamentalere Gefahr: Das Überleben der Demokratie in der Welt stand auf der Kippe. Von heute aus betrachtet ist Wilsons Rede voll von Paradoxien: Amerika müsse Krieg führen, so der Präsident, um Krieg zu beenden. Durch Krieg solle Krieg für alle künftigen Zeiten obsolet gemacht werden, wie es weiter heißt. Durch Krieg müsse die Welt „sicher für die Demokratie“ gemacht werden. Wörtlich sprach der Präsident die seither unzählige Male zitierten Worte: „The world must be made safe for democracy.“ Man müsse für das Recht aller Menschen kämpfen, sich eine eigene Regierung zu wählen, für die Freiheit der kleinen Natio-
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Einleitung
nen, für eine universale Ordnung des Rechts, für ein „Konzert freier Völker“. In diesem Krieg gehe es darum, allen Menschen Frieden und Sicherheit und der Welt endlich Freiheit zu bringen („to make the world at last free“). Es sei die „traurige Pflicht“ Amerikas, sein Blut für diese Prinzipien zu opfern. Dafür sei Amerika seit seiner Gründung eingestanden: „Gott helfe ihr, sie kann nicht anders.“ Wilson hatte einen Traum. Seine mit großem Pathos vorgetra gene Rede lässt sich als Schlüssel zum Verhältnis der USA zum Krieg lesen. Seine Worte, der Tonfall eines Predigers, alles erinnert an seine großen Vorgänger wie Lincoln und Jefferson; sie wurden seither immer wieder zitiert, sind fester Bestandteil der präsidentiellen Rhetorik der USA; sie haben Männer wie Martin Luther King und John F. Kennedy inspiriert, aber auch Harry Truman, als er der Sowjetunion im frühen Kalten Krieg in die Parade fuhr; oder nach dem 11. September 2001, als der jüngere George W. Bush den „Krieg gegen den Terror“ erklärte; oder Barack Obama, als er in Ägypten den Völkern des arabischen Raums und des Nahen Ostens die Hand reichte. Wilsons Ansatz war nicht unumstritten. Er traf auf zum Teil massiven Widerstand. Erst nach längerem Ringen und gegen eine starke Opposition konnte er eine Mehrheit der Abgeordneten für sein Vorhaben gewinnen, dem Deutschen Kaiserreich den Krieg zu erklären. Dabei reichte es selbstverständlich nicht, auf nüchterne wirtschaftliche Interessen oder auf internationales Recht zu verweisen. Allein dafür ziehen Demokratien nicht in den Krieg. Erst mit der Anrufung von hehren Prinzipien und allgemein verbindlichen Werten, aber auch mit der Beschwörung einer existentiellen Bedrohung überzeugte Wilson den Kongress. Dem stellte sich eine Friedenspartei entgegen. Sie lehnte im Namen derselben Werte den Kriegseintritt ab. Wie könne Amerika an der Seite Englands in den Krieg ziehen, rief Senator Robert LaFollette aus Wisconsin aus, wenn dieser Verbündete doch mitnichten demokra-
Demokratie und Krieg
tisch sei, sondern eine erbliche Monarchie, mit mehr sozialer Ungleichheit als Deutschland und begrenztem Wahlrecht für die unteren Klassen? Wie stehe es um die Freiheit und Selbstbestimmung der englischen Kolonialvölker in Irland, Ägypten oder Indien? Die amerikanische Demokratie selbst werde unter einem Krieg leiden, bedrohe der Krieg doch die Freiheit der amerikanischen Bürger im Inneren wegen der Gesetze zur Überwachung, bei der Bekämpfung der Spionage und durch die Einführung der Wehrpflicht. Streit um Kriegseintritt, Kriegsführung sowie die Resultate militärischer Auseinandersetzungen begleitet seit jeher in den USA eine Argumentation, die ein immer gleiches Bild bemüht: Amerika kämpft gegen das Böse in der Welt und führt so die Menschheit zu einem besseren Miteinander. Aber auch die Kriegsgegner malen ihre Ablehnung in den leuchtenden Farben der Demokratie und der Rhetorik der Freiheit, auch sie treten für das Gute ein, setzen ihre Deutung Amerikas und seiner Geschichte den Kriegstreibern entgegen. Dies deutlich zu machen, nämlich dass Amerika fast immer uneins in seine Kriege zog und sich darüber stritt, wie man die Welt sicher für die Demokratie machen könnte, ist ein zentrales Anliegen dieses Bandes. Fast jede militärische Intervention war umstritten, provozierte heftige Redeschlachten im Kongress. Schon der britisch-amerikanische Krieg von 1812, den die jungen USA mutwillig vom Zaun brachen, oder erst recht 1898 die von den Anti-Imperialisten vehement abgelehnte Annexion der Philippinen sorgten für inneren Zwist; sogar mit dem Eintritt in den Ersten und selbst den Zweiten Weltkrieg, als die USA unstrittig von Japan und Deutschland angegriffen wurden, taten sich viele Amerikaner anfangs schwer. Auch im Kalten Krieg, als der Widerstand gegen den Vietnamkrieg zu zahlreichen Protesten führte oder angesichts der Raketenhochrüstung der 1980er-Jahre Hunderttausende auf die Straßen gingen, stand einer Kriegspartei eine Friedenspartei gegenüber. Natürlich gilt dies erst recht für die Zeit nach 9/11.
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Einleitung
Der Zweikampf „Gut gegen Böse“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte von Amerikas Kriegen. Aber wie „dem Guten“ am besten zum Durchbruch verholfen werden konnte, war dabei selten klar. Selbst wenn sich häufig die Kriegspartei durchsetzen konnte, ging Amerika mit einem schlechten Gefühl aus einem Krieg heraus. Das zeigt das Beispiel Wilsons besonders prägnant, dessen Hoffnungen auf eine bessere Welt bitter enttäuscht wurden, oder in jüngster Zeit der „Krieg gegen den Terror“. Denn die USA verfügen über die älteste demokratische Verfassung der Welt, was sie im Unterschied zu Diktaturen oder autoritären Staaten zu einer öffentlichen Auseinandersetzung um Kriege und Kriegsziele zwingt. Seit die dreizehn Kolonien 1776 ihre Unabhängigkeit von England erklärten und sich in einem revolutionären Krieg vom Joch der britischen Kolonialherrschaft befreiten, ist dieses Land fast ununterbrochen in militärische Konflikte verwickelt. Daher stellt sich auch die Frage, ob es einen „democratic way of war“ gibt. Die USA setzen bevorzugt auf hoch entwickelte Kriegstechnologie, womit sie – als Demokratie – ihr Personal schonen, was jüngst im Drohnenkrieg gipfelte, in dem Soldaten nur noch aus sicherer Distanz agieren. Auch der Aufbau geheimdienstlicher Apparate hilft, die Zahl der Opfer zu minimieren. Ihren größten Sieg, im Zweiten Weltkrieg über Deutschland und Japan 1945, errangen die USA mit einem Bruchteil der deutschen, japanischen oder sowjetischen Toten. Eine Demokratie toleriert militärische Opfer nur in Grenzen. Das zeigt etwa das Debakel des Vietnamkriegs. Und als der Irakkrieg 2005 aus dem Ruder lief, waren es die amerikanischen Toten, die die öffentliche Unterstützung schwinden ließen. Prompt durften die Särge amerikanischer Soldaten nicht mehr in den Medien gezeigt werden. Wie also geht das zusammen: Demokratie und Krieg? Mit dieser brennenden Frage muss sich in der heutigen Situation auch ein mittelgroßes Land wie die Bundesrepublik Deutschland immer wieder
Demokratie und Krieg
aufs Neue beschäftigen. Denn auch Deutschland sieht sich im Rahmen seiner Bündnisse zur Teilnahme an militärischen Interventionen genötigt. Doch fehlen ihm dabei die historischen Orientierungsmöglichkeiten. Auch die Deutschen müssen sich, wie die Amerikaner beim Ersten Weltkrieg, fragen, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, wenn sie in fernen Ländern intervenieren, oder wenn sie dies nicht tun. So hat auch die Bundeswehr in Afghanistan mehrfach die Erfahrung gemacht, dass bei allem guten Willen ein Krieg unweigerlich zivile Opfer nach sich zieht. Solange Menschen Entscheidungen über Leben und Tod treffen, werden sie Fehler machen, werden sie oft auch in fehlgeleitetem Idealismus ihre Unschuld verlieren (wie es Graham Greene in „Der stille Amerikaner“ unübertroffen gezeichnet hat). Amerika hat mehr als hundert Jahre lang in unzähligen öffentlichen Debatten mit solchen moralischen Dilemmata Erfahrungen gesammelt. Aus dem US-Beispiel lässt sich etwas für unsere gegenwärtigen Diskussionen in Deutschland und Europa lernen, obwohl sich Geschichte natürlich nie eins zu eins wiederholt und jeder Krieg die Demokratie vor andere und neue Herausforderungen stellen wird. Allerdings hat die Übertragbarkeit der amerikanischen Diskussionen auf europäische oder gar deutsche Verhältnisse Grenzen. Denn die USA sind auch ein Sonderfall. Die Vereinigten Staaten lagen lange Zeit als europäische Gründung am Rande der westlichen Zivilisation. In einer langen Kette von Indianerkriegen, die sich bis in die 1890er-Jahre zogen, verdrängten die USA die nordamerikanischen Ureinwohner aus ihren Territorien und entwickelten ein spezielles Verhältnis zur Gewalt, das in dieser Form so in Europa nicht existiert und hier immer wieder für Verwunderung sorgt. Indes sind die USA doch auch ein Stück weit den europäischen Kolonialmächten vergleichbar, von denen die meisten (England, Frankreich, die Niederlande) ja ebenfalls alte Demokratien sind. Hinzu kommt zweitens das ausgeprägte demokratische Sendungsbewusstsein der USA und ihre charakteristische politische Kul-
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Einleitung
tur: Aber auch hier steht Amerika nicht ganz allein. Das US-Beispiel lehrt, dass Demokratien dann leichter militärisch für ihre Ziele kämpfen, wenn sich die andere Seite als Verkörperung eines Übels erweist, wenn (tatsächlich oder vermeintlich) die eigene Lebensform und die Freiheit durch einen ideologischen Gegner wie das Dritte Reich oder die Sowjetunion bedroht wird, und wenn keine andere Abhilfe möglich scheint. Der Heidelberger Historiker Detlef Junker hat für diesen Mechanismus das Bild der „manichäischen Falle“ geprägt, wonach in einer Gut und Böse sauber scheidenden, „manichäischen Weltsicht“ der Feind entsprechend abgestempelt werden muss. Historische Erfahrung lehrt, dass es für Kriege Feindbilder braucht, zumal in Demokratien. Das amerikanische Beispiel zwingt zum Nachdenken, denn auch Europa ist nicht frei davon – und schon gar nicht Deutschland. Der größte Unterschied ist drittens, dass die USA seit 1898 eine imperiale Macht sind und im 20. Jahrhundert zu der überragenden Weltmacht überhaupt wurden (so dass man schließlich von einer Supermacht und nach 9/11 auch von einer Hypermacht sprach). Ein solcher Status bringt Verpflichtungen und Bürden mit sich, auch Automatismen, denen das heutige Europa sich leichter entziehen kann. Die USA wehrten zweimal den deutschen Griff nach der Weltvorherrschaft ab, sie dämmten vierzig Jahre lang das imperiale Streben der Sowjetunion ein. Aber sie wurden dadurch und in Kombination mit ihrer wirtschaftlichen Stärke und kulturellen Ausstrahlung zum Hegemon, an dem sich seither alle anderen abarbeiten. Amerika ruft allein deshalb immer wieder Kritik und Ablehnung hervor, die sich bis zum blinden Antiamerikanismus steigern kann, weil es als stärkstes Land der Welt geradezu reflexartig Widerstand provoziert. Man kennt das aus Hollywood: Der „bully“ wird abgelehnt, man sympathisiert mit dem „underdog“, selbst wenn dieser, wie z. B. im Falle Kubas oder Venezuelas, alles andere als ein aufrichtiger Demokrat ist. Historiker dürfen sich ab und an ein Werturteil erlauben. Es ist
Demokratie und Krieg
völlig unstrittig, dass der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland, das Europa mit einem Terrorregime überzog, moralisch gerechtfertigt war. In der Erinnerung Amerikas erscheint er heute noch als der „gute Krieg“. Auch der Kalte Krieg gegen die stalinistische Sowjetunion, die unglaubliches Leid über die Menschen brachte und Amerika zwang in Drittstaaten einzugreifen, wird man die Rechtfertigung nicht absprechen, auch wenn man den USA sekundäre Motive unterstellen kann – und niemand würde wirtschaftliche Interessen leichtfertig in Abrede stellen. Es waren gerade diese Kriege gegen undemokratische, totalitäre Systeme, die Amerika zum Welthegemon machten. Mit dem dadurch erreichten militärtechnologischen Vorsprung der USA entwickelte sich eine Art interventionistischer Automatismus und eine globale Vorwärtsverteidigung mit exorbitanten, ausufernden Sicherheitszielen. Diese haben im „Krieg gegen den Terror“ der jüngsten Zeit jedes vernünftige Maß überschritten. So gerät Amerika moralisch in die Bredouille. Schon in den 1950er-Jahren hatte dieses Szenario Befürchtungen geweckt, das Land könne zu einem „Garnisonsstaat“ werden, vor dem ein nüchtern denkender Ex-Militär, der damalige Präsident Eisenhower, warnte. Viele Amerikaner, wie der jüngst verstorbene Folk-Musiker Pete Seeger, haben sich am Kult der Sicherheit kritisch abgearbeitet und für ein anderes, in ihrer Sicht besseres Amerika gestritten. Dieser Band gibt einen chronologischen Überblick über Amerikas wichtigste Kriege, von den Anfängen der kolonialen Gesellschaften bis in die Gegenwart. „Amerikas Kriege“ zeigt Gemeinsamkeiten, Muster und Schablonen in der amerikanischen Kriegsführung und Außenpolitik auf, es befasst sich mit den historischen Parallelen der Kriegsgründe, den Rechtfertigungen und auch der politischen Rhetorik US-amerikanischer Politiker und Präsidenten. Darüber hinaus beleuchtet dieser Band die Bündnispolitik der USA und die Rolle der Religion im Bezug auf die amerikanischen Kriege. Zugleich aber soll
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Einleitung
deutlich werden, dass der Imperialismus der USA, sosehr er sich aus der Logik der Größe und der einzigartigen Machtstellung dieses Landes ergab, in seinen Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft und in seiner Wahrnehmung eine sehr ambivalente Geschichte ist. Viele Amerikaner haben daher im Lauf der Geschichte gegen das Weltmachtstreben der USA und die Politik ihrer Regierungen opponiert. Amerikas Kriege waren stets auch Kriege im Inneren, sie haben Kontroversen und inneren Streit provoziert – nicht nur rhetorisch. Das gilt es nachdrücklich festzuhalten.
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merika den Amerikanern
Der Mount Rushmore mit den vier Präsidentenköpfen von Washington, Jefferson, T. Roosevelt und Lincoln gilt auch als „Schrein der Demokratie”. Dem entgegen steht der Standpunkt der Lakota, die damit ihren heiligen Berg entweiht sehen.
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is zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg kümmerten sich die Amerikaner kaum um die Verwicklungen der europäi-
schen Kriege. Zwar hatten sie zahlreiche Kontakte in die Alte Welt. Auch waren sie meist gut über die Kriege Europas informiert, ja fieberten etwa als Deutsch-Amerikaner bei der Reichseinigung 1870/71 mit. Oder sie legten Sympathie für den Freiheitskampf der Polen und Griechen an den Tag. Doch militärisch betrachtet hatten sie den Rest der Welt nur bedingt im Blick. Ihr außenpolitisches Interesse richtete sich auf die westliche Hemisphäre, auf die beiden Amerikas. Die Amerikaner waren ein Jahrhundert lang damit beschäftigt, die Vorherrschaft auf dem nordamerikanischen Teilkontinent zu erringen und die eigene Nation gegen Übergriffe aus Europa, Mexiko oder vor den Indianern zu sichern. Dafür steht das Schlagwort „Amerika den Amerikanern“. Es fasst knapp und deutlich die am 2. Dezember 1823 von Präsident James Monroe vorgelegte Monroe Doctrine zusammen. Monroe steckte als Teil seiner jährlichen Botschaft an den Kongress den langfristigen Rahmen der amerikanischen Außenpolitik ab. Er unterstrich einmal mehr die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten wie auch aller anderen amerikanischen Nationen von Europa, der rückständigen „Alten Welt“. Dabei knüpfte er an die prophetischen Warnungen seines Außenministers John Quincy Adams an, der in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag 1821 davor warnte, „im Ausland auf die Suche
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John Quincy Adams – Politiker mit Weitsicht und Warner vor weltpolitischen Abenteuern John Quincy Adams (1767–1848) war der Sohn des zweiten Präsidenten John Adams. In Leiden (Niederlande) und Cambridge studierte er Rechtswissenschaften, war Professor an der Harvard University und arbeitete als Rechtsanwalt in Boston, bevor er als Gesandter der jungen amerikanischen Republik in die Niederlande, nach Preußen, Russland und ins Vereinigte Königreich geschickt wurde. Unter Präsident Monroe wurde er 1817 zum Außenminister ernannt. In dieser Zeit konnte er einen Vertrag mit Spanien aushandeln, der den Vereinigten Staaten langfristig den Zugang zum Pazifik und damit zu den asiatischen Märkten ermöglichen sollte. Schließlich folgte er Monroe 1825 ins Amt des Präsidenten. Er warnte vor kriegerischem Ehrgeiz. Nach seiner Niederlage gegen Andrew Jackson in den Präsidentschaftswahlen 1828 vertrat er bis zu seinem Tod Massachusetts im Kongress. Dort tat er sich als Gegner der Sklaverei hervor.
nach Monstern zu gehen, die es zu zerstören gelte“. Aus diesen Worten spricht das wenig getrübte Selbstbewusstsein einer jungen Nation. Schon die damalige Generation amerikanischer Politiker ging davon aus, Amerika werde einst eine dominante Macht werden. Sollte aber Adams Recht behalten, wenn er befürchtete, dass ein Amerika, das in Übersee Kriege führte, die fundamentale Maxime seiner Politik verrate, von „Freiheit“ zu „Gewalt“ überginge, ja die „Diktatorin der Welt“ werden könnte? Von den Versuchungen der Hegemonie waren die USA trotz des von Monroe und Adams an den Tag gelegten Selbstbewusstseins noch weit entfernt. Vorerst hatte das militärisch schwache Amerika mit
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seinen langen, ungesicherten Küsten gar keine andere Wahl, als um seiner eigenen Sicherheit willen auf Isolation zu drängen. Monroe stellte sich daher ganz bewusst in die rhetorische Tradition seiner Vorgänger und definierte zwei politische Hemisphären: eine amerikanische und eine europäische, die politisch voneinander getrennt bleiben sollten. Indem er versicherte, dass Amerika sich aus Europa und dem Ränkespiel der Monarchien heraushalten werde, machte er gleichzeitig klar, dass es eingreifen würde, sollten die Europäer versuchen, die gerade unabhängig gewordenen Staaten in Lateinamerika zu rekolonialisieren. Damit verlieh er jener Denkweise Ausdruck, die etwas missverständlich als Isolationismus bezeichnet wird. Diese Leitlinie der bündnispolitischen Abstinenz entstand bereits in der Revolutions- und Gründungsphase der USA. Sie sollte die USAußenpolitik aus allen internationalen Verträgen heraushalten („Isolation“). Denn das ungefestigte junge Land, das über keine nennenswerte Armee und Marine verfügte, sah sich bald nach seiner Gründung vor der Gefahr, in die durch die Französische Revolution ausgelösten Kriege hineingezogen zu werden. Schon der erste US-Präsident George Washington wies in seiner Abschiedsbotschaft, seiner Farewell Address, darauf hin, dass die Amerikaner sich nicht in das europäische Spiel der Mächte einmischen sollten. Diese Linie führte der dritte Präsident, Thomas Jefferson, in seiner ersten Inaugural Address fort, nachdem sich das 1778 „auf ewig“ geschlossene Bündnis mit Frankreich auch innenpolitisch zunehmend als Spaltpilz zwischen den Anhängern und Gegnern der Französischen Revolution erwies. Nur unter größten Schwierigkeiten und gegen Zahlung einer enormen Summe konnte der Bund mit Frankreich aufgelöst werden. Vor dem Hintergrund dieser Gefahr einer Verwicklung in europäische Kriege beschwor auch Jefferson die strategische Isolation der USA in der westlichen Hemisphäre. Als Prinzipien seiner Regierung in Bezug auf die Außenpolitik definierte er: „Peace, commerce and honest
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friendship with all nations, entangling alliances with none.“ Von Jefferson und nicht von Washington stammt demnach die berühmte Warnung, die Amerikaner dürften sich nicht auf eine „verstrickende Allianz“ einlassen, die sie schon in Friedenszeiten binde. Genau diese Gefahr eines „verstrickenden Bündnisses“ hätte der von Wilson betriebene Völkerbund in sich getragen, den der US-Senat 1919 prompt nicht ratifizierte. Von der Linie der Bündnislosigkeit in Friedenszeiten wichen die USA erst mit der Gründung der NATO nach 1945 ab. Es fiel den USA anfangs nicht leicht, sich von den europäischen Konfliktherden fernzuhalten. Doch nach dem Desaster des britischamerikanischen Krieges von 1812 und beginnend mit Monroe konzentrierten sie sich über das nächste halbe Jahrhundert auf die kontinentale Expansion über den nordamerikanischen Kontinent. Dies führte zu mehrfachen Kriegen mit Mexiko und zu wiederholten Spannungen mit den europäischen Großmächten England, Spanien und Russland, die alle nach wie vor koloniale Besitzungen in Amerika hatten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts breitete sich das Siedlungsgebiet der USA sukzessive nach Westen aus, bis schließlich das heutige Territorium der USA mit seiner Ausdehnung von Küste zu Küste entstanden war. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie dann selbst zur überseeischen Imperialmacht. Dabei gab es immer äußere Feinde, die es zu bezwingen galt. Die ersten waren die einzelnen Stämme der nordamerikanischen Indianer wie auch die europäischen Kolonisten: Franzosen, Spanier und britische Kanadier. Zunächst sicherten sich die englischen Kolonisten das Siedlungsgebiet bis zu den Appalachen und verdrängten die meisten Indianer des Ostens. Dann siegten sie über die Franzosen, drängten die Spanier bzw. Mexikaner an den Rand und letztlich auch die Indianer des Westens. Was entstand, war ein fast vollständig besiedelter Kontinent, der neben zwei Küsten nur zwei Grenzen zu anderen Ländern hatte: zu Kanada im Norden und zu Mexiko im Süden. Während die
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USA zweimal an der Eroberung Kanadas scheiterten (im Unabhängigkeitskrieg wie im Krieg von 1812), verlor Mexiko im Krieg mit den USA (1848) etwa ein Drittel seines Gebiets. Zwar war der mexikanische Norden nur spärlich besiedelt, aber es bedeutete psychologisch einen herben Verlust, der im kulturellen Gedächtnis der Mexikaner bis heute nachwirkt. Diese Landgewinne bescherten den USA eine schier uneinnehmbare geostrategische Situierung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der größte Krieg der USA im 19. Jahrhundert durch einen inneren Konflikt herbeigeführt wurde. Ganz bewusst stellte Präsident Abraham Lincoln den Bürgerkrieg als interne Angelegenheit der Vereinigten Staaten dar, indem er die abtrünnigen Staaten als rebellierend brandmarkte. So wollte er verhindern, dass europäische Mächte wie das Britische Weltreich, das zeitweilig mit den Südstaaten sympathisierte, oder gar Mexiko in diesen Konflikt hineingezogen würden. Waren die USA vor dem Bürgerkrieg eher eine Republik aus mehreren, vergleichsweise autonom agierenden Staaten, formte Lincoln daraus einen Bundesstaat mit starker Zentralgewalt. Im 18. und 19. Jahrhundert deuteten die Amerikaner ihre Expansion und Landnahme nicht nur ökonomisch, sondern vor allem religiös. Mit Konzepten wie Manifest Destiny, d. h. eines vorherbestimmten Auftrages sich den Kontinent untertan zu machen, begründeten sie z. B. die Annexion von Texas und den Krieg gegen Mexiko. Viele Amerikaner versuchten sich selbst eine besondere Mission zuzuschreiben und sie taten das gerne in Begriffen und Bildern, die aus der Bibel stammten. Lange bevor der Kontinent erobert war, sprachen bereits die Gründerväter von der kommenden Landnahme, für die die US-Amerikaner einen göttlichen Auftrag hätten – vergleichbar dem Volk Israel im Alten Testament. Die eigentlich in erster Linie von der Aufklärung geprägten Gründerväter verbanden diese Sichtweise mit dem puritanischen Sendungsbewusstsein eines auserwählten Volkes.
Gegen Indianer und Franzosen: Koloniale Kriege
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as überragende militärische Phänomen der nordamerikanischen Kolonien seit 1607, dann der Innen- und Außen-
politik der USA seit der formellen Unabhängigkeit 1783 war die Expansion nach Westen: durch Besiedlung und Erschließung, durch Kauf und Abtretung, aber auch durch Rechtsbruch und Infiltration, durch Krieg und Völkermord. Die USA expandierten seit 1800 mit einer Dynamik, einer Geschwindigkeit und Intensität, die kaum Parallelen in der Weltgeschichte kennt. Diese Expansion nach Westen war zugleich die wichtigste Ursache für den Aufstieg der ehemals dreizehn Kolonien zur Weltmacht im 20. Jahrhundert. Im Weg standen den USA dabei weniger die europäischen Mächte als die Ureinwohner Nordamerikas, die Indianer, die in den Indianerkriegen um ihr Überleben kämpften. Die Urerfahrung von Expansion, Dynamik und Fortschritt, mit der die Amerikaner ihre Nation entwickelten, hat die amerikanische Gesellschaft und den Charakter Amerikas tief geprägt. Mit der Westexpansion gelang es, selbstständig zu werden, eine eigene Identität – eben in Abgrenzung zu dem statisch wirkenden Europa – zu entwickeln und die alten Kolonialmächte Frankreich, England, Spanien und Russland vom nordamerikanischen Kontinent größtenteils zu vertreiben. Das gelang, weil die Vereinigten Staaten am Rande des eurozentrischen Weltsystems lagen und weil die europäischen Nationen die Kriege und Konflikte untereinander in der Regel für wichtiger hielten
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als die Eindämmung der aufsteigenden Macht auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans. Von daher ist es wichtig, Amerikas Kriege bereits vor der Staatsgründung durch die Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776 zu betrachten. Denn die „Eroberung“ des nordamerikanischen Kontinents begann schon vor der Unabhängigkeit mit den Kriegen der englischen Kolonisten.
Pilgerväter und Puritaner in der Neuen Welt
Die Beziehungen der ersten englischen Kolonisten zu den fremden Bewohnern der Neuen Welt waren zunächst von Freundlichkeit und gegenseitiger Hilfe bestimmt. Die Engländer hätten sich ohne die Unterstützung der Indianer nie in der neuen Welt halten und Kolonien gründen können. In den ersten Monaten nach der Ankunft der englischen Händler und Siedler schien ein friedliches Zusammenleben zwischen ihnen und den Indianern durchaus möglich. Doch sehr bald änderte sich das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen: Auf Überfälle der Indianer folgten grausame Verfolgungen seitens der Europäer, die mit der Auslöschung ganzer Dörfer endeten. Anders als die Indianer hatten die Europäer die Mittel, jahrelang Krieg zu führen, selbst wenn dadurch z. B. die Virginia Company, die 1607 Jamestown als englische Siedlung in Nordamerika gegründet hatte, in den Bankrott getrieben wurde. Zu den seit 1620 eingewanderten Pilgervätern, die in Plymouth ein zweites Zentrum der englischen Kolonisation errichteten, kamen ab 1629 Zehntausende Puritaner hinzu, die einerseits Sicherheit vor religiöser Verfolgung suchten, andererseits von dem Selbstverständnis getrieben waren, dass Amerika das von Gott für sie auserwählte Land sei. Hier sollten sie ihre Religion frei von der Kontrolle der englischen Staatskirche ausüben können und dem Christentum zu neuer Blüte
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verhelfen. Sie betrachteten sich als ein auserwähltes Volk und zogen selbstbewusst Parallelen zur Geschichte und Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft. Die Indianer empfanden sie als übermächtige, beständige Bedrohung, gegen die es sich im Namen Gottes zu erwehren galt. Denn die Indianer lebten auf dem Land, das sie als das Ihre, ihnen von Gott zuerkannte betrachteten. Im Jahre 1629 gründeten die Puritaner die Massachusetts Bay Colony mit Boston als Hauptstadt. Ihr Anführer, John Winthrop, war von religiösem Sendungsbewusstsein erfüllt. Er gab vor, dass es ihre Aufgabe sei, die amerikanische Wildnis urbar zu machen und nach biblischem Vorbild ein „himmlisches Jerusalem“, eine Stadt auf einem Berge („a city upon a hill“) zu errichten, die dem Rest der Welt als leuchtendes Beispiel dienen sollte. Er hielt eine Rede vor den Puritanern an Bord des Schiffes Arabella, bevor sie in Nordamerika an Land gingen, die später unter dem Titel „A Model of Christian Charity“ aufgezeichnet wurde. Das Bild der Stadt auf dem Hügel als leuchtendes Beispiel stammt aus der Bergpredigt des Matthäusevangeliums, wenn Jesus sagt: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben.“ Das Symbol der Stadt auf dem Berg ist in der amerikanischen Kultur so tief verankert, dass spätere Präsidenten wie Kennedy oder Reagan darauf zurückgreifen konnten. Was Winthrop den Puritanern darüber hinaus predigte, war die Grundannahme, dass der Mensch von Geburt an schlecht sei und dass hinter allem Weltlichen der Teufel stecke. Das Schicksal der Menschen sei von Gott vorherbestimmt. Dass man von ihm auserwählt und geliebt war, konnte man nur durch eigenen Wohlstand demonstrieren. Aufgrund dieser Annahme verbreitete sich die Ansicht, dass sich göttliche Gnade durch wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand zeige. Die Puritaner waren daher ehrgeizig, asketisch und fleißig, damit sie ihre persönliche Auserwähltheit allen unter Beweis stellen konnten. Für die Puritaner existierte eine klare Aufteilung der Welt in Gut
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und Böse. Während sie selbst das Gute vertraten, wurden andere Gruppen zum Bösen stilisiert. Diese Unterteilung findet sich auch heute noch in der amerikanischen Populärkultur. Helden wie Superman, Captain America und Luke Skywalker sind stets im Kern gut und kämpfen gegen das absolut Böse. In den meisten europäischen Erzähltraditionen ist dies anders. Hier ist die Welt nicht in Schwarz und Weiß geteilt, sondern hier finden sich alle Schattierungen von Grau. Helden haben auch eine dunkle Seite, und Bösewichte können eine innere Wandlung durchleben und geläutert in den Kreis der Guten zurückkehren. Dieser europäische Ansatz hielt erst in den letzten Jahren Einzug in die amerikanische Populärkultur, hat aber das puritanische Modell keineswegs verdrängt. Die Ersten, die in die „manichäische Falle“ gerieten und als böse konstruiert wurden, waren die Indianer, denn sie standen der Besiedlung des neuen Kontinents im Weg. Zudem verstanden diese fremden Menschen weder den religiösen Eifer der Puritaner, noch konnten sie etwas mit dem Christentum anfangen. Während die Puritaner annahmen, dass sie das Geschenk des Christentums zu den Heiden brachten, empfanden die Indianer aufgrund des brutalen Vorgehens der englischen Kolonisten diese Religion als unmenschlich. Es dauerte nicht lange, bis Stamm für Stamm mit den weiter vordringenden Puritanern in Kontakt kam. Den Kontakten folgten Missverständnisse, gescheiterte Verhandlungen, gewalttätige Auseinandersetzungen und tragische Ereignisse wie Pockenepidemien, denen etwa der Stamm der Massachusset fast vollständig zum Opfer fiel. Schnell drehte sich die Spirale der Gewalt und die Lage spitzte sich zu. Einem Angriff der Engländer folgte ein Gegenangriff der Indianer, die daraufhin wieder von einer Strafexpedition heimgesucht und bestraft wurden. Die Kolonisten führten mitunter sogar Präventivschläge, um den Rachezügen der Indianer zuvorzukommen. Gewalt wurde mit Gewalt beantwortet und so ist es nicht verwunderlich, dass
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die Engländer eine indianische Verschwörung fürchteten, wie sich die Indianer vor dem Ende ihrer Existenz durch das gewaltsame Vorgehen der Engländer fürchteten.
Der Pequotkrieg
In die Phase der ersten Besiedlung Nordamerikas fällt der Pequotkrieg, der 1637 im heutigen Connecticut ausgefochten wurde und eine neue Stufe der Gewalt mit sich brachte. Die englischen Kolonisten löschten den Stamm der Pequot dabei fast vollständig aus. Eine derartig brutale und rücksichtslose Vorgehensweise lag außerhalb der Vorstellungskraft der Indianer. Sie kämpften bei interindianischen Konflikten stets nur so lange, bis eine Seite aufgab oder floh. Dass ein Krieg auf die vollständige Vernichtung des Gegners abzielte, war für die Indianer eine traumatische Erfahrung. Wie viele Konflikte der Kolonialzeit begann der Pequotkrieg mit einem Missverständnis zwischen den unterschiedlichen Kulturen. Im Jahre 1634 griffen die Pequot das am Connecticut River vor Anker gegangene Schiff des Kaufmanns John Stone, eines in Boston stadt bekannten Trunkenbolds und Schmugglers, an und töteten ihn sowie seine gesamte Mannschaft. Der Überfall hatte eigentlich holländischen Kolonisten gegolten, an denen sich die Pequot rächen wollten, weil diese den Stammesführer der Pequot gefangen genommen und trotz einer Lösegeldzahlung hingerichtet hatten. Als die Pequot ihren Irrtum erkannten, waren sie besorgt. Sie wollten einen Konflikt mit den Engländern vermeiden und schickten daher im Oktober 1634 eine Delegation nach Boston. Doch die englischen Kolonisten brachen die Verhandlungen ab und forderten von den Pequot hohe Tributzahlungen sowie die Auslieferung der Mörder. Aus Sicht der Kolonisten war dies nur gerecht. Die Pequot erklärten, dass Stone einem Irrtum zum Opfer gefallen war und den Angriff
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dadurch provoziert habe, dass er gefangene Indianer bei sich hielt. Einige Kolonisten verstanden die Argumentation der Pequot, war doch der Außenseiter Stone selbst kurz zuvor von den Kolonisten verstoßen worden. Doch die Mehrheit der Kolonisten forderte Sühne für den Tod eines der Ihren. Der Konflikt zwischen den englischen Kolonisten und den Pequot eskalierte, als am 20. Juli 1636 ein Offizier der Engländer, John Oldham, getötet wurde. Doch steckten nicht etwa die Pequot hinter der Tat. Oldham wurde von den benachbarten Narraganset erschlagen, die ihren ständigen Rivalen, den Pequot, die Tat erfolgreich in die Schuhe schieben konnten. Die Hinterlist der Narraganset zeigte schnell Wirkung und die Kolonisten fürchteten sich fortan vor einer indianischen Verschwörung. Sie entschieden sich für einen Präventivschlag, der einerseits die Pequot für ihre vermeintlichen Verbrechen bestrafen sollte, andererseits sollte ein Exempel statuiert werden, um andere Stämme abzuschrecken. Als es am 25. und 26. Mai 1637 zum Angriff der englischen Kolonisten kam, befanden sich im Hauptdorf der Pequot am Mystic River siebenhundert ahnungslose Indianer. Die meisten von ihnen waren Frauen, Kinder und Alte. Sie wurden gnadenlos niedergemetzelt. Die Engländer setzten das Dorf in Brand und trieben flüchtende Pequot zurück in die Flammen. Da der kommandierende Captain John Mason aus Connecticut den Befehl hatte, die Pequot bis auf den letzten Bewohner auszurotten, setzte er denjenigen, die dem Inferno irgendwie entkommen konnten, nach und tötete die Flüchtigen in den Wäldern. Neben wirklicher Angst der Kolonisten vor den Indianern spielte in diesem Krieg aber auch die Konkurrenz der Kolonisten untereinander eine Rolle. Denn Connecticut wollte verhindern, dass Massachusetts die Ländereien der Pequot eroberte. Das Massaker machte Schule. Die Kolonisten demonstrierten ihre Entschlossenheit und ihr Plan ging auf: Schnell verbreitete sich
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die Nachricht von der Auslöschung der Pequot über ganz Neuengland und versetzte andere Indianer in Angst. Die unbarmherzige Kriegsführung, der präventive Offensivkrieg und die Auslöschung eines ganzen Stammes zeigten Wirkung, wie die Kolonisten triumphierend feststellten. Auch blieben sie davon überzeugt, wie der puritanische Theolo-
John Mason – der „Held“ vom Mystic River Captain John Mason wurde um 1600 in England geboren. 1632 wanderte er nach Massachusetts aus, später ließ er sich in Windsor, Connecticut, nieder, wo er zu den führenden Kolonisten gehörte. 1637 wurden ihm neunzig Mann der Miliz von Connecticut unterstellt, mit denen er gegen die Indianer marschierte. Er war der Hauptverantwortliche für das Massaker von Mystic am 25./26. Mai 1637. Später wurde er stellvertretender Gouverneur von Connecticut und einer der angesehensten Bürger der Kolonie. Um 1670 veröffentlichte er seinen Bericht über den Pequot War. Den Krieg rechtfertigte er mit den Worten, die an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten erinnern: „Und so wendete sich Gott gegen die Gefangenschaft seines Volkes; er wendete das Rad gegen seine Feinde. Wir waren wie Männer in einem Traum; unser Mund war gefüllt vom Lachen, und Zungen sangen. Wir können sagen: Gott hat Großes an uns getan unter den Heiden. Daher können wir fröhlich sein. Gepriesen sei der Herr.“ 1889 errichtete Massachusetts am Ort des Massakers ein Denkmal für Mason, das ihn mit dem gezückten Schwert im Angesicht des Feindes zeigt. 1996 wurde das Denkmal aus Respekt vor den Opfern des Krieges in das von Mason mitbegründete Windsor verlegt.
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ge Cotton Mather noch Jahre später das Massaker rechtfertigte, im Auftrag Gottes gehandelt zu haben. Gott habe Angst und Schrecken unter die Indianer gebracht, während die Engländer nach seinem Geheiß Amerika besiedelten. Nach wenigen Jahrzehnten war die indianische Welt aus den Fugen geraten. Durch Epidemien und Vernichtungskriege waren ganze Stämme ausgerottet, andere wiederum zogen weiter in den Westen, um sich von den Kolonisten zu entfernen, und gerieten dort mit anderen Stämmen in Konflikt. Der Rückgang der indianischen Zivilisation im Osten diente den Puritanern als ein Zeichen für ihre eigene Auserwähltheit, während die Indianer ihrerseits mit Abscheu reagierten und sich immer wieder in Erinnerung riefen, dass die Kolonisten nicht davor zurückgeschreckt waren, Frauen, Kinder, Alte und Kranke zu massakrieren.
Die Indianer- und Franzosenkriege
Doch neben den Indianern drohten noch andere Feinde: die Franzosen. Sie übernahmen in den folgenden nordamerikanischen Kriegen die Rolle des Hauptgegners der englischen Kolonisten. Allerdings bestand ein enger Zusammenhang zwischen der Franzosen- und der Indianerfurcht. Denn obwohl diese Verallgemeinerung den eigentlichen historischen Umständen nicht gerecht wird, galten die Franzosen als Verbündete der Indianer. Weil beide ein primäres Feindbild bedienten, griff in den englischen Kolonien die Furcht um sich, dass die Franzosen und deren Verbündete mit einem pan-indianischen Aufstand die englischen Kolonisten aus Nordamerika vertreiben könnten. Dabei gab es niemals eine gemeinsame indianische Nation, die an der Seite NeuFrankreichs hätte stehen können. Auch halfen religiöse Argumente weiter, waren doch die französischen Siedler in Québec katholisch, weil die französische Krone die Siedlung von Protestanten in ihren
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Amerikanischer Name
Europäischer Name
Dauer
Gegnerische Mächte (in Amerika)
King William’s War
Pfälzer Erbfolgekrieg (War of the League of Augsburg)
1689–1697 (Frieden von Rijswijk)
England, Holland vs. Frankreich, Spanien
Queen Anne’s War
Spanischer Erbfolgekrieg
1702–1713 (Frieden von Utrecht)
England, Holland, Österreich vs. Frankreich, Spanien
King George’s War
Österreichischer Erbfolgekrieg
1740–1748 (Frieden von Aachen)
England, Holland, Österreich vs. Frankreich, Spanien
French and Indian War
Siebenjähriger Krieg
1756–1763 (Frieden von Paris)
England vs. Frankreich, Spanien
War of Independence
Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg
1776–1783 (Frieden von Paris)
England (Kanada) vs. 13 Kolonien, Frankreich, Spanien
Kolonien verbot. Damit standen die Indianer auch noch mit den „römischen Papisten“ im Bund. Das Ringen Frankreichs und Englands um die Vormachtstellung in Nordamerika spielte sich in einer langen Kette von Kriegen ab. Da es sich bei den beiden Kriegsparteien um die damals führenden Weltmächte handelte, waren die Auseinandersetzungen in Nordamerika meist nur ein Nebenschauplatz eines europäischen Konflikts. In der Sicht der deutschen Historiographie hatten diese Kriege nicht einmal kolonialen Bezug. Sie werden im deutschen Sprachraum nach den Ereignissen benannt, die sie ausgelöst haben.
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Es handelt sich um den Pfälzischen Erbfolgekrieg, in der nordamerikanischen Geschichtsschreibung King William’s War (1689– 1697), den Spanischen Erbfolgekrieg oder Queen Anne’s War (1701– 1713) sowie den Österreichischen Erbfolgekrieg bzw. King George’s War (1740–1748). Da alle drei in den Siebenjährigen Krieg mündeten (den French and Indian War, 1776–1783), wird allgemein von den Indianer- und Franzosenkriegen gesprochen, zu denen eigentlich auch noch der Unabhängigkeitskrieg gehört.
Die Erbfolgekriege in Nordamerika
Die drei ersten Konflikte, die Erbfolgekriege, ließen die Frage nach der vorherrschenden europäischen Macht in Nordamerika unbeantwortet. Durch den Frieden von Utrecht (1713) konnte Neu-Frankreich sogar seine größte Ausdehnung in Nordamerika erlangen. Das französische Einflussgebiet erstreckte sich von Neufundland zu den Großen Seen und von der Hudson Bay bis zum Golf von Mexiko. Es erschien zu diesem Zeitpunkt höchst unwahrscheinlich, dass Neu-Frankreich bereits in wenigen Jahrzehnten von der Landkarte verschwinden könnte. Die Entscheidung über die Vorherrschaft sollte der Siebenjährige Krieg bringen, in dem sich neben den regulären Truppen der beiden Imperialmächte die nordamerikanischen Kolonien Englands und die französischen Kolonisten Neu-Frankreichs gegenüberstanden. Diese Konfrontation war, wie gesagt, Teil des Siebenjährigen Krieges, der in Deutschland manchmal auch nur als der Dritte Schlesische Krieg betitelt wird. Trotz der sehr unterschiedlichen Perspektiven standen diese Kriege in einem Gesamtzusammenhang. Deshalb sprechen manche Historiker etwas übertrieben von einem „Siebenjährigen Weltkrieg“, da er global ausgefochten wurde, nicht nur in Europa und Nordamerika, sondern auch in der Karibik, in Afrika, Indien und auf den Phil-
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ippinen. Doch ihn als Vorläufer in die Tradition der Weltkriege des 20. Jahrhunderts zu stellen wäre falsch. Der French and Indian War ist für Nordamerika von einschneidender Bedeutung, weil er die Voraussetzungen für die Amerikanische Revolution und den Unabhängigkeitskrieg schuf. Ausgelöst wurde er durch einen Bündniswechsel der europäischen Mächte. Frankreich brach sein Bündnis mit Preußen, dem Neuling unter den Mächtigen Europas, und wandte sich stattdessen Österreich zu, um die Habsburger bei der Rückeroberung Schlesiens zu unterstützen. Um das europäische Mächtegleichgewicht zu wahren, ging England einen Pakt mit Preußen ein. Während Frankreich die Hegemonie in Europa zu erreichen suchte, zielte das britische Imperium darauf ab, französische Kräfte in Europa zu binden, um die Vormachtstellung in Nordamerika zu erstreiten. Als schließlich noch Spanien auf der Seite Frankreichs in den Krieg eintrat, befanden sich alle damaligen Weltmächte in einem Krieg mit globalem Ausmaß.
Der French and Indian War
Es begann im Frühsommer 1754, als der 22 Jahre junge und unerfahrene Major George Washington an der Spitze einer britischen Miliz im Westen von Pennsylvania in der Nähe des heutigen Pittsburgh mit Franzosen in Konflikt kam. Er war vom kolonialen Gouverneur von Virginia nach Westen geschickt worden, um Handelsstationen und geplante Siedlungen der Engländer vor französischen Vorstößen am oberen Ohio zu schützen. Als Washington erfuhr, dass sich in der Nähe seines Lagers französische Soldaten befanden, griff er diese am 29. Mai an, um einem Überfall zuvorzukommen. Dieses Scharmützel wurde als „Jumonville-Zwischenfall“ bekannt. Doch vor der Verstärkung der Franzosen musste Washington in das notdürftig errichtete Fort Necessity fliehen. Nach einer kurzen Belagerung wurde er am 3. Juli
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George Washington – der erste Präsident der Vereinigten Staaten George Washington war Gutsbesitzer, Politiker, Militär und der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er verdiente sich seine militärischen Sporen im French and Indian War und übernahm 1775 den Oberbefehl der Continental Army im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Die Befreiung Bostons 1776, die Überquerung des Delaware River mitten im Winter am 25. Dezember 1776, das heroische Ausharren im Winterlager von Valley Forge bei Philadelphia und natürlich der Sieg über die britische Hauptarmee unter General Charles Cornwallis bei Yorktown begründeten seinen geradezu mythischen Ruhm. Er ist der erste unter einer ganzen Serie von Generälen und Militärführern, die es in das höchste politische Amt der USA bringen sollten. Washington war 1732 in Virginia in die soziale Elite der Kolonie geboren worden. Der vermögende Landbesitzer heiratete geschickt, war ein erfolgreicher Farmer und Landspekulant. Im Jahre 1789 wurde er zum ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt und nahm dieses Amt mit Demut und Bescheidenheit an. Nach zwei Amtszeiten gab er das Amt freiwillig zurück und demonstrierte damit seine Größe. Er war bei seinen Zeitgenossen sehr populär und gilt noch heute in den USA als einer der großen Präsidenten. Er starb 1799 auf seinem Landgut Mount Vernon. Zuvor hatte er in seinem Testament die Freilassung der ihm persönlich gehörenden Sklaven verfügt. Sowohl die spätere Hauptstadt wie auch der 42. Staat wurden nach ihm benannt. Darüber hinaus ist er einer der vier am Mount Rushmore in Stein verewigten Präsidenten.
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zur Kapitulation gezwungen und gegen ein Lösegeld wieder freigelassen. Washington befürchtete einen Tadel, wurde jedoch vom House of Burgess, dem Parlament von Virginia, öffentlich belobigt. Mit diesem Zwischenfall war ein Krieg unvermeidlich geworden, weil nun sowohl Engländer als auch Franzosen aufrüsteten und neue Truppen nach Nordamerika entsandten. Das Gebiet westlich der Appalachen rückte seit Beginn des 18. Jahrhunderts mehr und mehr in das Blickfeld der europäischen Kolonisten. Im Ohio-Tal stießen die kolonialen Expansionsbestrebungen der Franzosen und der Engländer direkt aufeinander. Ab 1750 trafen immer öfter englische Trapper, Entdecker und Abenteurer auf französische Händler und Trapper. Dabei kollidierten die Hoheitsansprüche der britischen Kolonien, die immer weiter in Richtung Westen vordrangen, mit denen Frankreichs, für das der Ohio die natürliche Verbindung der Siedlungsgebiete am Mississippi-Delta und am Sankt-Lorenz-Strom darstellte. Nur wenn es in Besitz des strategisch wichtigen Ohio-Tals war, verfügte Frankreich über eine fast durchgängig schiffbare Verbindung innerhalb Neu-Frankreichs. Straßen gab es noch keine, deshalb waren Flüsse die wichtigsten Verkehrsadern. Zu Beginn des Krieges war Frankreich in der Übermacht. Doch bald gelang es der britischen Krone, französische Kräfte auf den europäischen Schauplätzen des Krieges so zu binden, dass England auf den kolonialen Schauplätzen zum Gegenangriff übergehen konnte und kriegsvorentscheidende Siege errang. Ausschlaggebend war die Eroberung von Québec durch den englischen General James Wolfe, der eine zehntausend Mann starke Armee von Neuschottland herangeführt hatte. Im darauffolgenden Frühjahr marschierten die Briten auf Montreal und zwangen den Gouverneur zur Übergabe Neu-Frankreichs. Mit dem Fall von Québec 1759 war Frankreich in Nordamerika in die Knie gezwungen. Die französische Kolonialherrschaft war beendet – mit Ausnahme zweier kleiner Inseln im Mündungsgebiet des St. Lo-
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St.-LorenzGolf
Hudsonbai
Oberer See
New Hampshire Boston Plymouth Ontariosee Massachusetts Fort Niagara New York Rhode Island Connecticut
Huronsee
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Pennsylvania Philadelphia
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Fort Pitt
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At lant is c her Ozean New Orleans
St. Augustine
G o l f vo n M exi ko
Franz. Territorium Brit. Territorium Span. Territorium Georgia 13 Gründerstaaten
Siedlungsgrenze d. Kgl. Proklamation von 1763 Heutige Grenzen der Bundesstaaten
0
100 200 300 400 500 km
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renz-Stroms, St. Pierre und Miquelon, die als unbefestigte Fischfangstationen bis heute zu Frankreich gehören. Im (ersten) Friedensschluss von Paris 1763 wurden den Engländern schließlich Kanada sowie alle Gebiete, die sich von den Grenzen ihrer Kolonien im Osten bis hin zum Mississippi River erstreckten, zugesprochen. Einzige Ausnahme war New Orleans. Die Franzosen überließen die Stadt sowie das Gebiet westlich des Mississippi den Spaniern als Entschädigung für die Kriegsniederlage. England hatte mit seinen Kolonien nun die Vormachtstellung in Nordamerika erreicht. Es war eine völlig neue Situation entstanden. Kolonisten und Mutterland hatten sich aus der französischen Umklammerung befreit. Doch sie fühlten sich nicht nur befreit, denn fortan fehlte ihnen das gemeinsame, Identität stiftende Feindbild der französischen Bedrohung.
Pontiacs Rebellion
Da viele Indianerstämme durch den Friedensschluss ihre französischen Verbündeten verloren, bahnte sich im Rücken des Siebenjährigen Krieges ein weiterer Konflikt an, der dem Krieg letztlich den Namen Franzosen- und Indianerkrieg gab: Unter der Führung des OttawaHäuptlings Pontiac kam es im letzten Jahr des Krieges zu einem großen Indianeraufstand, den die Kolonisten fälschlich als „Rebellion“ bezeichneten, denn die Indianer waren ihrem Selbstverständnis nach keine Untertanen der Krone. Dieser stellt einen weiteren wichtigen Markstein in den Beziehungen zwischen Indianern und Kolonisten dar und sollte für die weitere Entwicklung prägend sein. Nach dem Sieg über Frankreich strömten britische Händler in das Gebiet am Ohio und um die Großen Seen. Der französischen KonkurDie britischen Kolonien in Nordamerika erstreckten sich entlang der Atlantikküste und reichten zunächst nur bis zum Kamm des Appalachen-Gebirges.
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renz ledig, bestimmten sie die „terms of trade“ neu, schauten auf schnellen Profit und kultivierten die Beziehungen zu den Indianern nicht in der gleichen Weise wie die Franzosen. Elaborierte Rituale wurden hinfällig, britische Händler und Soldaten stellten die von den Franzosen geübte Praxis ein, durch Geschenke den „goodwill“ der Stammesältesten und Häuptlinge zu kaufen. Die Indianer ihrerseits aber waren nicht bereit, die geänderte Situation so ohne Weiteres zu akzeptieren. Schließlich hatten nicht sie den Krieg verloren, sondern die Franzosen. Aus Sicht vieler Indianer war ein friedliches Zusammenleben mit den englischen Kolonisten unmöglich und Verträge mit ihnen wertlos, da sie nicht eingehalten wurden. Die Indianer begannen ihre Differen-
Pontiac – Vorkämpfer der indianischen Allianz Pontiac, ein Häuptling der Ottawa, wurde im Jahr 1720 geboren und war lange Zeit ein Verbündeter der Franzosen. Von ihnen lernte er militärische Taktiken und Strategien sowie die Denkweise der Europäer kennen. Als er die Niederlage der Franzosen im Siebenjährigen Krieg beobachtete, wurde ihm klar, dass die Indianer bald ohne ihre französischen Verbündeten und allein gegen die Engländer dastehen würden. Er reiste daher von einem Stamm zum nächsten, schloss Bündnisse und schwor die Indianer auf einen gemeinsamen Kampf gegen die Engländer ein. Mit Hilfe eines Propheten der Delawaren gelang es ihm, selbst zweifelnde Häuptlinge zu überzeugen. Delawaren, Huronen, Illinois, Kickapoo, Miami, Potawatomi, Seneca, Shawenee und Chippewa erklärten sich bereit, an seiner Seite und unter seiner Führung zu kämpfen. Im Sommer 1763 war seine Allianz zwischen den meisten Stämmen der Großen Seen geschmiedet.
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zen und Unterschiede in den Hintergrund zu stellen und sich nun ihrerseits als „Indianer“ in Abgrenzung zu den „Europäern“ zu definieren. Dazu trug eine Synthese von christlichem Gedankengut und indianischer Religiosität bei, die indianische Propheten zu predigen begannen. Sie sprachen von einem doppelten Schöpfungsakt, einen für Weiße und einen für Indianer und agitierten gegen den Konsum von Alkohol und die Abtretung von Land. Diese indianischen Rebellen konnten eine Reihe wichtiger Forts überrennen, wenn auch die wichtigsten, Fort Pitt, Detroit und Niagara, in britischer Hand blieben. Die Anfangserfolge konnten jedoch einen britischen Sieg nicht verhindern. Generalmajor Thomas Gage entsandte zwei Expeditionen, um die Rebellion niederzuschlagen, britische Gefangene zu befreien und diejenigen zu verhaften, die für den Aufstand verantwortlich zeichneten. Darüber hinaus erlaubte er dem Indianer-Superintendenten William Johnson, bei Fort Niagara denjenigen Indianern Friedensverhandlungen anzubieten, die dazu bereit waren. Im Sommer 1764 kamen etwa zweitausend Indianer, hauptsächlich Irokesen, nach Fort Niagara und unterschrieben den Vertrag mit Johnson, obwohl der Großteil von ihnen sich ohnehin aus dem Konflikt herausgehalten hatte. Eine dieser Expeditionen wurde von Oberst John Bradstreet angeführt. Er zog im Juni 1764 mit 1200 Mann nach Detroit. Von dort sollte er weiter nach Ohio vorrücken. Die zweite Expedition unter Oberst Bouquet sollte über Fort Pitt ebenfalls in das Ohio-Gebiet vordringen und eine zweite Front gegen die Aufständischen eröffnen. Beide Expeditionen zwangen die indianischen Rebellen zu Friedensverhandlungen, Bradstreet handelte anstelle einer Waffenruhe gleich einen Friedensvertrag aus. Als Generalmajor Gage dies erfuhr, war er außer sich vor Zorn. Bradstreet hatte nicht nur seine Befugnisse überschritten, sondern auch einen bedeutenden Fehler gemacht, da die Indianer nun trotz des Friedensvertrages die britischen Gefangenen nicht zurückgeben wollten. Gage lehnte daher den Friedensvertrag ab.
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Dennoch konnten in der Folge die zuvor von den Indianern eingenommenen Forts neu besetzt werden. Die endgültige Entscheidung führte letztlich Oberst Bouquet mit seinen 1500 Soldaten herbei. Er stieß mit ihnen nach Ohio vor und zwang die Aufständischen mit großer Härte in die Knie. Sie gaben schließlich auf und ließen alle britischen Gefangenen frei, die sich teilweise seit dem Franzosen- und Indianerkrieg in Gefangenschaft befanden. Damit war der Aufstand beendet. Pontiac stemmte sich jedoch gegen die Aufgabe und versuchte noch, die Stämme des Westens zur Unterstützung zu gewinnen. Doch als diese ausblieb, gestand er seine Niederlage ein und unterwarf sich im Juli 1766 William Johnson. Mit dem Zusammenbruch von Pontiacs Rebellion war der größte Widerstand der Indianer gegen die Westexpansion der Kolonisten gebrochen. Solange die Ausbreitung der Siedler auf Kosten der Franzosen gegangen war, hatte die britische Regierung nichts dagegen einzuwenden gehabt. Doch nun änderte sich die Politik der Krone. George III. verbot seinen Untertanen in der Proclamation of 1763, weiter in Indianergebiete einzudringen. Er setzte die Wasserscheide der Appalachen als Westgrenze der Kolonien fest und stationierte dort zehntausend Soldaten zur Überwachung. Diese Proklamation war die erste einer Reihe von Gesetzen und Verordnungen nach dem Siebenjährigen Krieg, die den Handlungsspielraum der Kolonisten einschränkte und das Verhältnis der Kolonien zum Mutterland stark belastete.
Eine neue Situation in Nordamerika
Als Ergebnis der Franzosen- und Indianerkriege ist festzuhalten, dass die englischen Kolonisten es zunächst nur mit großer Mühe geschafft hatten, in Nordamerika Fuß zu fassen. Nach einer schwierigen Anfangsphase jedoch gewannen sie schnell die Oberhand an der Ostküste. Das war keinesfalls selbstverständlich.
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Zu Beginn waren sie kaum fähig, den kalten Winter zu überleben, und schafften dies nur mit der Hilfe der Indianer, worauf die Tradition des Thanksgiving-Festes verweist. Doch 150 Jahre später hatten sie nicht nur die Indianerstämme des Nordostens, an der Atlantikküste und im Hinterland verdrängt, sondern auch den Einfluss der konkurrierenden Franzosen zurückgewiesen. Stellte in Europa der Siebenjährige Krieg nur eine Atempause in dem jahrzehntelangen Ringen um britische oder französische Suprematie dar, das mit den französischen Revolutionskriegen und Napoleon bald in die nächste Runde gehen sollte, so war für Nordamerika der French and Indian War eine deutliche Zäsur. Er ist nach der kolumbianischen Eroberung und europäischen Entdeckung des amerikanischen Doppelkontinentes der wichtigste Einschnitt überhaupt. Erstens fiel die militärische Bedrohung der englischen Kolonien durch eine zweite europäische Macht weg. Frankreich war aus Nordamerika vertrieben, Spanien hatte sich hinter den Mississippi zurückgezogen. Zweitens hatte der Krieg enorme Auswirkungen auf die Identität der Kolonisten, die vor Selbstbewusstsein strotzend aus diesem Konflikt hervorgingen und ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Mutterland England immer stärker betonten. Die Begriffe „British“ und „American“ erhielten einen neuen Bedeutungshorizont. Um diese Zeit entstanden die „Letters from an American Farmer“, die der französische Aristokrat Hector St. John de Crèvecœur 1778 publizierte. Hier schreibt er die berühmten Worte: „What then is the American, this new man? He is neither European, nor the descendant of a European: hence the strange mixture of blood, which you will find in no other country.“ Auch hatten drittens die Kolonisten einen erheblichen Anteil der Kosten des Krieges zu tragen; zugleich hatte das Empire erhebliche Schulden aufgehäuft. Angesichts dieser Investitionen wollte London seine nordamerikanischen Kolonien als Quelle des Profits nicht an der langen Leine lassen. Die Frage der Schuldenkonsolidierung war
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die Lunte am Pulverfass, die 1775/76 schließlich zur Explosion des Konflikts zwischen Krone, Parlament und den dreizehn nordamerikanischen Kolonien führte. Der Sieg der Briten bedeutete viertens, dass die Indianer ihren wichtigsten Partner verloren, der ein Ausgreifen der englischen Kolonisten über die Appalachen hinaus bisher verhindert hatte. Die Indianer reagierten mit heller Empörung auf die Nachricht, dass die Franzosen ihr Land an die Briten abgetreten hatten: Sie seien weder von den Franzosen noch von den Engländern erobert worden. Ihr Land könne folglich auch nicht auf die Engländer übergehen. In Nordamerika störte der Friede von Paris 1763 die bisherige Machtbalance und verschlechtere die strategische Ausgangsposition der Indianer wesentlich. Hatten die größeren Stämme und Konföderationen wie die Creek und die Cherokee im Süden sowie die Six Nations im Norden bisher zwischen Franzosen und Engländern wählen und diese gegeneinander ausspielen können, so war dies nun nicht länger möglich. Der French and Indian War machte schließlich deutlich, was in strategischer Hinsicht zur Grundregel des 19. Jahrhunderts werden sollte und zu einem geflügelten Wort der amerikanischen Geschichte: „European distresses spell American successes.“ Streit in der Alten Welt ist eine Grundbedingung des erfolgreichen Aufstiegs der USA zur Weltmacht.
Liberty or Death: Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg
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och im Siebenjährigen Krieg kämpften die englischen Kolonisten gemeinsam mit den Soldaten des Mutterlandes
gegen den französischen Feind. Danach verstrickten sie sich mit der englischen Krone in einen Machtkampf um die Repräsentation im englischen Parlament und die Besteuerung verschiedener Waren. Am Ende dieses Konfliktes stand schließlich der Wunsch nach Unabhängigkeit, Volkssouveränität und Selbstbestimmung der dreizehn englischen Kolonien, die sich mittlerweile als Georgia, South Carolina, North Carolina, Virginia, Maryland, Delaware, Pennsylvania, New Jersey, New York, Connecticut, Rhode Island, Massachusetts und New Hampshire herausgebildet hatten. Die Gründe für den Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs (1775– 1783) waren zunächst wirtschaftlicher Natur. Der Siebenjährige Krieg hatte Großbritannien viel Geld gekostet, und die Staatsverschuldung des britischen Imperiums erreichte in diesen Jahren Rekordhöhen. George III. und seine Berater suchten daher nach neuen Einnahmemöglichkeiten. Da England den Siebenjährigen Krieg nicht zuletzt für seine nordamerikanischen Kolonien geführt hatte, begann die englische Regierung im Jahr 1764, mit dem Währungsgesetz (Currency Act) und dem Zuckergesetz (Sugar Act) die Kolonien zu besteuern, um sich die Ausgaben in Form von Steuern zurückzuholen. Diese Besteuerung und die permanente Stationierung englischer Truppen in Nordamerika seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges
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führten zu einem ersten Auseinanderdriften von Kolonien und Mutterland, wobei sich der koloniale Protest nicht direkt gegen die beiden Steuern richtete, sondern vielmehr gegen den Beginn einer imperialen Kontrolle der Kolonien durch die englische Regierung. Die Kolonisten sahen sich hilflos der Willkür der englischen Politik ausgeliefert und forderten nun ihrerseits, wenn sie schon durch die neuen Gesetze besteuert werden sollten, dann müssten sie auch im englischen Parlament repräsentiert sein. „No taxation without representation“ wurde zum Schlagwort der Protestierenden, wobei ihr ursprüngliches Ziel lediglich die Rücknahme der Besteuerung war. Was den Kolonisten als eine Notwendigkeit erschien, leuchtete im englischen Mutterland nicht jedem ein. Der englische König George III. beispielsweise begriff Nordamerika als ein Lehen am Rande der atlantischen Welt. Die Probleme der Kolonisten, ihre Forderungen nach Repräsentation und ihr neues Selbstverständnis konnte er nicht verstehen. Er war als König die oberste Instanz und wollte nun die nordamerikanischen Niederlassungen wie alle anderen Kolonien auch besteuern. Daran gab es nichts zu rütteln. Aus diesem Selbstverständnis heraus suchte London nun die Kraftprobe mit den Kolonien. 1765 spitzte sich die angespannte Lage zu, als die britische Regierung den Stamp Act einführte – den Aufdruck eines Steuerstempels auf alle offiziellen Dokumente mit rechtlicher Bedeutung, aber auch auf andere Veröffentlichungen wie Zeitungen, Kalender oder Spielkarten, eine Steuer, die in England auch erhoben wurde, aber bisher noch nicht in den Kolonien. Aus Sicht der Kolonisten war diese Maßnahme unzumutbar, da die Steuergelder direkt nach London flossen und zur Eintreibung der Steuer ein neuer bürokratischer Apparat aufgebaut werden sollte. Die Protestbewegung in den Kolonien erreichte mit dem Widerstand gegen die Einführung des Stamp Act einen ersten Höhepunkt. Die breite Masse stellte sich nun offen gegen die Regierung im Mut-
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terland, die bislang nicht miteinander verbundenen Kolonien rückten enger zusammen und fanden im Protest eine gemeinsame Haltung. Überall gründeten sich kleine, patriotische Gruppen, die sich selbst Sons of Liberty (Söhne der Freiheit) nannten und die Stimmung weiter anheizten. Im Oktober 1765 trafen sich Abgesandte aus neun Kolonien in New York und verfassten eine Resolution, um den kolonialen Rechtsstandpunkt festzulegen und das englische Parlament um die Annullierung des Stamp Act zu bitten. Im März 1766 hob das Parlament das Stempelgesetz wieder auf, betonte aber seine legale Autorität über die Kolonien. So wurde schließlich aus der Steuerkontroverse ein Prinzipienstreit über die Souveränität der Kolonien. England war nicht bereit nachzugeben und verabschiedete 1767 bereits die nächsten Gesetze, um seine Autorität in den Kolonien wieder herzustellen. Mit den nach dem britischen Finanzminister benannten Townshend-Gesetzen besteuerte das Parlament den Import verschiedener Güter aus England: Glas, Farbe, Blei, Papier und Tee. Die Kolonisten waren empört und riefen zum Boykott englischer Waren auf. Wieder musste London nachgeben, da die englischen Händler unter diesem Boykott litten und nun ihrerseits Druck auf die Regierung ausübten, die Gesetze zurückzunehmen. Um nicht völlig umzuschwenken, ließ die britische Regierung die Besteuerung von Tee, einem der wichtigsten Handelsgüter des gesamten britischen Imperiums, bestehen. Sie hoffte so, ihre Hoheit über die Kolonien behaupten zu können. Während die Proteste in allen Kolonien lauter wurden, entwickelte sich Boston zum Mittelpunkt des Boykotts. Dort kam es verschiedentlich sogar zu Auseinandersetzungen zwischen den Kolonisten und der britischen Obrigkeit. Einer dieser Zwischenfälle endete 1770 im Boston Massacre: Nachdem protestierende Kolonisten eine Gruppe Soldaten mit Steinen und Abfall beworfen hatten, feuerten diese verwirrt und willkürlich in die Menge. Fünf Menschen starben. Die Kolonisten nutzten diesen Vorfall für ihre Zwecke, stilisierten die
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Toten zu Märtyrern und schürten so den Hass gegen die britische Regierung. In der Boston Tea Party von 1773, einem symbolischen Protestakt, enterten sechzig Sons of Liberty als Indianer verkleidet drei Teeschiffe der britischen East India Company und kippten Tee im Wert von zehntausend Pfund Sterling in den Bostoner Hafen. In den Folgemonaten wurden in allen Kolonien ähnliche Protestaktionen durchgeführt und verschiedene Teehändler gezwungen, ihre Vorräte zu vernichten. Die britische Regierung erließ schließlich als Reaktion und Strafe eine Reihe von Gesetzen, die aufgrund ihrer Unzumutbarkeit und Schärfe von den Kolonien schnell als Intolerable Acts gebrandmarkt wurden. Die neuen Gesetze stellten Massachusetts unter wirtschaftliche Quarantäne und entmündigten die Kolonie politisch. In deren Folge ging eine Welle der Solidarität mit Massachusetts durch die Kolonien. Wieder fanden die Kolonisten nach den Indianern und Franzosen einen gemeinsamen Feind, gegen den sie sich durchsetzen mussten. Dieses Mal war es das englische Mutterland. Alle Bemühungen richteten sich nun gegen die englische Krone, die zum Sinnbild des Bösen stilisiert und mit der Unterstellung der Rückständigkeit des europäischen Denkens und Handelns kombiniert wurde. King George saß wie viele vor und viele nach ihm in der manichäischen Falle.
Rebellion, Patrioten und Loyalisten
Die Krise zwischen Mutterland und Kolonien hatte sich zugespitzt, beide Seiten mussten konsequent an ihrer Linie festhalten, um nicht das Gesicht zu verlieren. Die Repräsentanten der Kolonien rückten durch das gemeinsame Feindbild der britischen Krone weiter zusammen. Seit 1774 trafen sich ihre Vertreter zum ersten Kontinentalkon gress in Philadelphia, um eine eigene Miliz, die Continental Army, zu bilden und wirtschaftliche Sanktionen gegen das Mutterland zu be-
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schließen. England reagierte erbost und griff zum letzten diplomatischen Mittel: einem Handelsembargo. In den Kolonien stieß das Embargo auf Empörung. Man wollte von England keine Befehle mehr annehmen und trieb den Ausbau der Continental Army voran. Das registrierte auch das britische Parlament, das im Februar 1775 King George III. mitteilen ließ, dass sich die Kolonien in offener Rebellion gegen das Mutterland befänden. Ein bewaffneter Konflikt schien nahezu unausweichlich. Da beide Seiten sich unnachgiebig zeigten, eskalierte schließlich die nunmehr seit Jahren angespannte Situation, und es kam zum Krieg. Der britische General Thomas Gage erhielt den Befehl, gegen die „Rebellen“, wie die Kolonisten nun in London bezeichnet wurden, vorzugehen. Die Lage der mittlerweile drei Millionen Kolonisten schien zunächst nahezu aussichtslos. Ihren 15 000 unausgebildeten Milizsoldaten der neuen Continental Army standen 10 000 englische Soldaten und 30 000 Söldner aus Deutschland gegenüber. Die deutschen Söldner bekamen den Beinamen Hessians, weil etwa die Hälfte von ihnen von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel an die Engländer „verpachtet“ worden war. Zusätzlich wurde die englische Streitmacht von verbündeten Indianerstämmen unterstützt sowie von englandtreuen Kolonisten, den sogenannten Loyalisten. Aus der Perspektive der amerikanischen „Patrioten“, die für die Unabhängigkeit der Kolonien kämpften, waren die Loyalisten Verräter, die sich gegen die eigenen Leute wandten; aus kanadischer und britischer Sicht dagegen waren es ehrenhafte Königstreue, die Revolutionäre aber Rebellen und Terroristen. Ein erheblicher Teil der Kolonisten stand aus politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Gründen lo yal zur englischen Krone und schloss sich dem rebellischen Gedankengut nicht an. Die Anzahl der Opponenten gegen die Unabhängigkeit ist umstritten. Sie dürften etwa 20 Prozent der weißen Bevölkerung ausgemacht haben, während sich 45 Prozent (und damit nicht die
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Mehrheit) zu den Patrioten zählten. Insofern hatte der Unabhängigkeitskrieg in manchen Regionen durchaus den Charakter eines Bürgerkriegs, weil Engländer gegen Engländer fochten. Die Mehrzahl der Loyalisten lebte in den Staaten New York, Pennsylvania sowie im Hinterland von South Carolina und Georgia, wo viele Iro-Schotten siedelten, die in Opposition zur kolonialen Pflanzerelite standen. In anderen Regionen stellten sie lediglich eine verschwindend geringe Minderheit dar. Gleich zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs flüchteten viele Loyalisten aus den Kolonien. Wer blieb, sah sich der Verfolgung durch die amerikanischen Patrioten ausgesetzt und schloss sich oftmals den britischen Truppen an. Es kam daher durchaus auch zu Gewalttaten gegenüber der Zivilbevölkerung. Nach dem Ende des Krieges wanderten viele der verbliebenen Loyalisten in andere Kolonien des Britischen Imperiums aus, vor allem nach Neuschottland und Kanada, aber auch in die Karibik und nach Australien.
Das militärische Geschehen
Mit dem Scharmützel vom 19. April 1775 begann der Unabhängigkeitskrieg, bei dem eine amerikanische Miliz mit britischen Truppen in der Gegend von Lexington und Concord in Massachusetts zusammentraf. Die amerikanischen Patrioten hatten eine Warnung vor einer britischen Militärkontrolle erhalten, die nach versteckten Gütern suchte. Der Vorfall endete mit der Belagerung Bostons durch die Kolonisten, die schließlich die Briten aus der Stadt vertreiben konnten. Die Verluste beider Seiten waren gering, das Ausmaß des Krieges überschaubar, die Gefechte keine bedeutende Schlacht. Doch machten sie die Entschlossenheit der Rebellen deutlich und sie wirkten im Nachhinein identitätsstiftend. 1837 rühmte Ralph Waldo Emerson in seiner Concord Hymn das Vorgeplänkel als „Schuss, der um die Welt gehört wurde“.
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Friedrich Wilhelm von Steuben – preußisches Know-how für den Kampf um die Freiheit General Friedrich Wilhelm von Steuben war ein preußischer Offizier, der als General im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg diente. Steuben wurde am 17. September 1730 in Magdeburg geboren und wuchs in einer Soldatenfamilie auf. Er ging 1777 nach Amerika und unterstützte George Washington beim Aufbau der Kontinentalarmee. Zeitweilig fungierte er als Washingtons Generalstabschef und war bis 1784 zudem Generalinspekteur des Heeres. Seine militärischen Ansichten veröffentlichte er in seinem Werk Regulations for the Order and Discipline of the Troops of the United States. Nach dem Krieg wurde er Staatsbürger der USA und Ehrenbürger der Stadt New York. Er starb 1794 auf seinem Landgut in Oneida County (New York). Seit 1957 findet alljährlich die Steuben-Parade in New York statt, die von den Nachfahren deutscher Einwanderer ins Leben gerufen wurde, um der deutsch-amerikanischen Vergangenheit zu gedenken.
Allerdings gab es zunächst Rückschläge zu verzeichnen: Der New Yorker General Philip Schuyler, der das Nördliche Department kommandierte, hatte Befehl, die kanadischen Provinzen, die sich der Unabhängigkeitsbewegung nicht anschließen wollten, mit Gewalt zu unterwerfen. Diese Mission scheiterte noch im ersten Kriegsjahr. Das erhärtete nun wieder die britische Entschlossenheit, die Rebellion zu unterdrücken. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal versuchten die US-Amerikaner vergeblich, das, was heute Kanada ist, zu erobern. Daran sollten sie im Krieg von 1812 erneut scheitern. Das Jahr 1777 brachte die Wende zugunsten der Amerikaner.
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Der britische Vormarsch blieb in der Wildnis nördlich von New York stecken. Die Rebellen errangen in der Schlacht von Saratoga ihren ersten großen Sieg. Dieser war psychologisch und politisch bedeutend, denn nun wurde Europa auf den Freiheitskampf der Kolonisten aufmerksam. Nachdem Frankreich die Kolonisten von Beginn an militärisch unterstützt hatte, erklärte es nun offiziell Großbritannien den Krieg. Spanien folgte 1779 und die Niederlande 1780 – ebenfalls auf der Seite der Rebellen. Sie alle hatten mit dem Britischen Empire Rechnungen offen. Sie sahen nun die Möglichkeit, den zu stark gewordenen „John Bull“ in die Schranken zu weisen. Trotz dieser wiederholten Erfolge blieben Rückschläge nicht aus, denn der Zustand der amerikanischen Truppen war desolat. So bestand die Continental Army nach den ersten Kriegsjahren nur noch aus rund fünftausend Mann. George Washington begann mit Hilfe des preußischen Offiziers Friedrich Wilhelm von Steuben, die amerikanische Armee zu reorganisieren. Steuben baute die Armee im Winterlager von Valley Forge disziplinarisch, taktisch und operativ neu auf und sorgte für Übungseinheiten der Truppen. Bereits im Folgejahr zeigten Steubens Maßnahmen deutliche Wirkung. Das Kriegsgeschehen verlagerte sich in der Folge weiter nach Süden, wo die Briten vor allem im Hinterland immer erfolgreicher agierten, sowie auf den Atlantik, wo es verstärkt zu Seegefechten zwischen Franzosen und Engländern kam. Im Sommer und Herbst 1781 suchte der britische General Cornwallis die Entscheidungsschlacht in der Nähe von Yorktown. Dort kesselten die amerikanischen Truppen mit ihren französischen Verbündeten die britische Armee ein, die zu gleich von der französischen Flotte von See her von ihren Nachschublinien abgeschnitten wurde. Cornwallis musste vor Washington kapitulieren. Damit endeten die eigentlichen Kampfhandlungen, auch weil in England nun die politische Unterstützung für die kostspielige Unterdrückung der Rebellion zusammenbrach.
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Wie konnten die Rebellen die damals mächtigste Militärmacht in die Knie zwingen? Wie in jedem Krieg gibt es auf diese Frage zwei Antworten. Betrachtet man die Verlierer, dann waren die Engländer unterlegen, weil sie einen konventionellen Krieg europäischen Musters führten und sich nicht an die örtlichen Gegebenheiten anpassten. Die Größe des Landes erschwerte dessen Eroberung, zumal die Rebellen einen Guerillakrieg mit Nadelstichen gegen die englischen Heere führten. Es reichte nicht, große Städte wie New York zu sichern und Entscheidungsschlachten zu gewinnen. Auch glückte es nicht, ausreichend große Teile der Bevölkerung auf die Seite der Loyalisten zu ziehen. Die Briten verdächtigten auch jene, die zu ihnen standen, als unsichere Kantonisten. Schließlich fehlte in England ein einheitlicher Wille. Der Krieg war teuer und unpopulär – exakt die Faktoren, die den USA später erheblich zu schaffen machen sollten, als sie im 20. Jahrhundert selbst Kolonialkriege führten. Die Rebellen gewannen, weil sie über einen einheitlichen politischen Willen verfügten, der Kongress selbst nach der Eroberung von Philadelphia nicht zum Aufgeben bereit war und sie die Unterstützung durch einen Teil der Bevölkerung (etwa ein Drittel) fanden, der Steuern an den Kontinentalkongress zahlte. Auch verfügten sie über den Vorteil der inneren Linie. Washington konnte Milizen mobilisieren, wenn er sie brauchte, aber er konnte sie dann wieder nach Hause schicken. Er hatte keine langen transatlantischen Versorgungswege. Auch kannten die Rebellen in der Regel das Terrain besser als die Engländer. Schließlich waren sie hoch motiviert, ihr eigenes Land zu verteidigen, und sie waren ideologisch zu der Abwehr englischer Tyrannei motiviert. Sie verfügten daher über klare Feindbilder. Hinzu kam als personeller Faktor George Washington. Er war ein militärischer Führer, der die zivile Autorität respektierte und sich zudem von erfahrenen europäischen Generälen wie Steuben und Lafayette beraten ließ. Entscheidend war schließlich die Unterstützung durch die europä -
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ischen Großmächte: Ohne die französische Armee und Flotte hätte sich der Krieg noch lange hingezogen. Ohne Frankreich hätte Washington bei Yorktown keinen Erfolg gehabt. Zwei Jahre später, im Frieden von Paris (1783), erkannte England die Unabhängigkeit der dreizehn Kolonien an. Der Vertrag beinhaltete den Verzicht Englands auf alle Gebiete bis zum Mississippi, Kanada blieb dagegen bei der englischen Krone. Da beide Seiten das Recht der Navigation auf dem Mississippi und dem Ohio erhielten, war ein künftiger Konflikt vorprogrammiert. Zugleich war der Weg zur weiteren Westexpansion der Amerikaner in die Gebiete jenseits der Appalachen bis zum Mississippi geebnet. Darüber hinaus dehnten die Vereinigten Staaten ihre Nordgrenze bis an die Großen Seen aus, was sie jedoch sofort in Konflikte mit den dort ansässigen Indianern verstrickte. Diese waren zwar von den Briten verraten worden, konnten aber noch immer auf englische Unterstützung hoffen. Vor allem waren sie keineswegs bereit, sich den neuen Herren unterzuordnen.
Die Unabhängigkeitserklärung
Nach den ersten gewaltsamen Zusammenstößen mit den britischen Truppen im Jahr 1775 war die Stimmung auf dem Siedepunkt und der Ruf nach Unabhängigkeit wurde laut. Ihrer Empörung Ausdruck gab ein englischer Radikaler, der erst im Dezember 1774 in die Kolonien eingewandert war: Thomas Paine (1736–1809). In seiner Streitschrift „Common Sense“ widersprach er der landläufigen Ansicht, die britische Herrschaft sei bisher auch im Interesse der Kolonien erfolgt. Er setzte sich für eine republikanische Regierung ein, lehnte die Königs herrschaft vehement ab und schuf somit ein klares Feindbild. Auch universalisierte er die Sache der Amerikaner: „The cause of America is in great measure the cause of all mankind.“ Solche Formulierungen reizten später zur Nachahmung und finden sich etwa bei Woodrow
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Wilson wieder. Paine forderte zum sofortigen Handeln auf und schlug die Erklärung der Unabhängigkeit vor. Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen tatsächlich „Common Sense“ gelesen haben. Aber der frisch gekürte Amerikaner Tom Paine hatte wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Er brachte die An-
Thomas Jefferson – ein Aufklärer als Präsident Thomas Jefferson (1743–1826) ist eine der interessantesten und paradoxesten Figuren der amerikanischen Geschichte. Der Autor der Unabhängigkeitserklärung und der Virginia Bill of Rights lehnte theoretisch die Sklaverei ab, war jedoch zugleich als Plantagenbesitzer Sklavenhalter. Auf seinem ererbten Gut Monticello in Virginia versuchte Jefferson eine Art Musterlandwirtschaft zu errichten, wofür er selbstverständlich Sklaven einsetzte. Aus seiner Beziehung zu einer Sklavin gingen mehrere Kinder hervor, so dass die Familie Jefferson die rassischen Spannungen im Süden der USA noch bis in die Gegenwart verkörpert. Jefferson war einer der wichtigsten Gründerväter der USA. Er diente dem Land zu Beginn der Französischen Revolution als Gesandter in Frankreich, war erster Außenminister der USA, dann Vizepräsident und wurde schließlich zum dritten Präsidenten gewählt. In die Zeit seiner Präsidentschaft fallen der Seekrieg gegen die nordafrikanischen Piraten und die Verwicklungen der napoleonischen Zeit. Unter seiner Ägide wurde das LouisianaTerritorium von Frankreich erworben und er schickte Meriwether Lewis und William Clark in die neuen Gebiete mit dem Auftrag einer genauen wissenschaftlichen Dokumentation ihrer Reise. Der überzeugte Aufklärer und Gelehrte gründete schließlich auch die University of Virginia.
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sichten der in Philadelphia versammelten Delegierten auf den Punkt. Die entscheidende Initiative kam dann im Mai 1776 aus Virginia, das seine Abgeordneten im Kontinentalkongress aufforderte, sich für die Unabhängigkeit der Kolonien einzusetzen. Am 7. Juni 1776 stellte der Abgeordnete Richard Henry Lee den Antrag, der Kontinentalkongress solle die dreizehn Kolonien zu freien und unabhängigen Staaten erklären. Er forderte weiterhin, die anderen Mächte wie Frankreich oder Spanien um Hilfe im Kampf gegen England zu bitten. Zunächst entbrannte über diese Forderung eine politische Debatte, bis sich schließlich fast alle Delegierten auf die Unabhängigkeit einigen konnten. Am 2. Juli 1776 fand sich eine Mehrheit für die Unabhängigkeit, allerdings enthielten sich die Abgeordneten des Staates New York, da sie keine Instruktionen ihrer Regierung erhalten hatten. Zwei Tage später, am 4. Juli, kam es zu einer erneuten Abstimmung, der die New Yorker Abgeordneten nun fernblieben, sodass die Unabhängigkeit einstimmig beschlossen werden konnte. Als Independence Day ist der 4. Juli bis heute der Nationalfeiertag der Vereinigten Staaten von Amerika. Die in aller Welt bekannte Declaration of Independence ist die am 4. Juli 1776 veröffentlichte Erläuterung des formalen Beschlusses zur Unabhängigkeit. Sie diente der moralischen und rechtlichen Legitimierung der Loslösung von der britischen Krone. Ihr Verfasser war der 33-jährige Thomas Jefferson aus Virginia, der jüngste Abgeordnete im Kontinentalkongress. Er wurde von einem Vorbereitungskomitee unterstützt, das aus John Adams (Massachusetts), Benjamin Frank lin (Pennsylvania), Robert R. Livingston (New York) und Roger Sherman (Connecticut) bestand. Der Kontinentalkongress beriet über Jeffersons Text und beanstandete lediglich eine Passage, in der die Sklaverei verurteilt wurde, und strich sie aus der Erklärung. Die Unabhängigkeitserklärung besteht aus drei Teilen, die eine logische Argumentationskette bilden. Im ersten Teil, der Präambel,
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beschreibt Jefferson, inspiriert von der Philosophie des Engländers John Locke, das natürliche Recht eines jeden Volkes, seine Regierung selbst zu bestimmen. Daher sollten die Herrschenden, sobald sie nicht mehr dem Willen des Volkes folgten, abgesetzt werden können. Damit legitimierte er die Loslösung von der englischen Krone. Auch das Gleichheitspostulat („all men are created equal“), das allen Menschen die gleichen, unveräußerlichen, natürlichen Rechte auf Leben, Freiheit und das „Streben nach Glück“ („pursuit of happiness“) zubilligte, drang tief in das Bewusstsein der Amerikaner ein, auch wenn dessen Einlösung lange auf sich warten ließ. Im zweiten Teil zählte Jefferson die Fälle von Unrecht von George III. gegen die Kolonien konkret auf, wobei er teilweise stark übertrieben die bedrohliche Haltung der Krone in düsteren Farben schilderte. Da das Vorgehen der britischen Krone die natürlichen Rechte der Kolonisten dauerhaft und schwerwiegend verletzt hatte, habe der König den Anspruch auf weiteren Gehorsam der Kolonisten verloren. Im letzten Teil der Unabhängigkeitserklärung wurde die Loslösung vom britischen Mutterland feierlich bestätigt. Von nun an beanspruchten die ehemaligen Kolonien das Recht, als unabhängige und souveräne Staaten zu handeln. Die Unabhängigkeitserklärung entfaltet über zweihundert Jahre nach ihrer Entstehung noch immer eine große Wirkung und ist mit der amerikanischen Verfassung das wichtigste Dokument in der nationalen Erinnerung der Vereinigten Staaten. Die Strahlkraft der Erklärung reicht weit über die Grenzen Amerikas hinaus: Als Ausdruck der rationalistischen Naturrechtslehre und der Staatsvertragslehre der Aufklärung verkündete die Declaration of Independence das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung und Freiheit nachhaltig in alle Welt. Schon im 19. Jahrhundert knüpften daran etwa die südamerikanischen Staaten bei ihrer Unabhängigkeit an und im 20. Jahrhundert die postkolonialen Befreiungsbewegungen Asiens und Afrikas.
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Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika
Noch waren die Vereinigten Staaten als Staatswesen nicht gefestigt. Denn die dreizehn Staaten bildeten anfangs nur einen lockeren Bund. Erst nach langer Debatte setzten sich die Befürworter einer föderalen, bundesstaatlichen Lösung durch, was zur Verfassung von 1787 führte. Es hatte sich gezeigt, dass die bis dahin bestehende Konföderation auf internationalem Parkett nicht handlungsfähig war, dass sie keine Sicherheit vor Europa garantieren konnte und dass vor allem die aus dem Unabhängigkeitskrieg zurückgebliebenen Staatsschulden ohne eine Zentralregierung nicht vernünftig reguliert werden konnten. Auch drohten im Inneren Konflikt und Rebellion. Vom 25. Mai bis 17. September 1787 trafen daher 55 Delegierte aller Staaten außer Rhode Island in Philadelphia zusammen, um zunächst eine Reform der bestehenden Verfassung zu erarbeiten. Doch rasch überschritten die Delegierten ihr Mandat und schrieben eine neue Verfassung. Es war der 36-jährige James Madison, von dem die wichtigsten Entwürfe der Verfassung stammten. Sein Plan sah vor, eine Zentralregierung zu schaffen, die von den einzelstaatlichen Regierungen unabhängige Kompetenzen besaß. Souverän waren nicht mehr die Bürger der Einzelstaaten, sondern das Volk der Vereinigten Staaten selbst, d. h. die Union. Auch sollte die Struktur der Bundesregierung aus bikameraler Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, die von der Legislative bestellt werden sollte, bestehen. Die größten Konflikte drehten sich um die Frage der Gewichtung der Stimmen in der nationalen Legislative und damit um das Verhältnis von Einzelstaaten und Zentralregierung bzw. von kleinen zu großen Staaten. In der bisherigen Verfassung, den Konföderationsartikeln, hatte jeder Staat, ob klein oder groß, jeweils eine Stimme – das winzige Rhode Island besaß also das gleiche Gewicht wie die Flächenstaaten
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Virginia, Pennsylvania oder New York. Madison schlug vor, die Abgeordneten des Unterhauses, das spätere Repräsentantenhaus, proportional zur Bevölkerung zu wählen und zugleich dem Unterhaus mehr Kompetenzen als dem Oberhaus, dem späteren Senat, zukommen zu lassen. Dies rief jedoch den erbitterten Widerstand der Delegierten der
James Madison – um die Freiheit und die Ehre der USA James Madison (1751–1836) entstammte einer der reichsten Großgrundbesitzerfamilien Virginias. Weil er in die Politik strebte, hatte er seinem Bruder das Bewirtschaften der Plantage überlassen, in Princeton Recht studiert und 1776 sein County in dem illegalen Kongress von Virginia vertreten, der die Virginia Bill of Rights erlassen hatte. Er übernahm auf dem Kongress in Philadelphia zwar nur die Rolle des Protokollanten, war aber deshalb die einflussreichste Persönlichkeit der Constitutional Convention. Nach der Verabschiedung der Verfassung kämpfte er mit seinen als „Federalist Papers“ bekannt gewordenen offenen Briefen vehement für die Ratifizierung der Verfassung. Madison war unter den führenden Abgeordneten im ersten Kongress, diente unter Jefferson als Außenminister, wo er unter anderem die Verhandlungen mit Frankreich über den Louisiana Purchase führte. Als Präsident (1809–1817) führte er die schlecht auf einen Krieg vorbereitete Nation in den War of 1812, den seine Gegner auch „Mr. Madison’s War“ nannten. Seine Frau, First Lady Dolley Madison, prägte dieses in der Verfassung nicht vorgesehene „Amt“, das sie schon unter Madisons Vorgänger, dem Witwer Jefferson, de facto ausgeübt hatte.
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kleinen Staaten hervor. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden, wonach jeder Staat zwei Mitglieder in den Senat entsenden durfte, die Mitglieder des Repräsentantenhauses aber durch Direktwahl proportional zur Bevölkerung bestimmt wurden. Weiteres Konfliktpotential bot die Sklaverei. Zwar wurde von keinem der Delegierten die Abschaffung der Sklaverei vorgeschlagen. Dennoch verurteilten einige der Vertreter der Nordstaaten die Sklaverei und suchten den Handel mit Sklaven zu beschränken. Für die Vertreter der Südstaaten war dies jedoch die entscheidende Frage, von der sie ihre Mitgliedschaft in der Union abhängig machten. Um der nationalen Einheit willen wurde über die Sklaverei nicht als ein moralisches, sondern als ein politisches Problem gestritten. Schließlich handelten die Delegierten einen prekären Kompromiss aus: In die Verfassung wurde eine Bestimmung aufgenommen, wonach flüchtige Sklaven ihren Herren auf deren Verlangen zurückgegeben werden mussten. Auch wurde dem Kongress für 25 Jahre verboten (d. h. bis 1808), den Import von Sklaven zu regulieren. Da die Südstaaten fürchteten, aufgrund ihrer geringeren Zahl der weißen Bevölkerung vom Norden majorisiert zu werden, sollten die Sklaven zu drei Fünfteln bei der Bestimmung der jeweiligen Repräsentation im Kongress mitgezählt werden, obwohl sie keine Bürgerrechte hatten. Der Präsident wurde als die zentrale Institution konzipiert, denn er vereint die Ämter des Regierungschefs, des Staatsoberhaupts und des Oberbefehlshabers in sich. Seine große Machtfülle wurde aber dadurch begrenzt, dass er einige Befugnisse mit dem Kongress teilen muss. So bedarf es bei der Ernennung der Minister, der hohen Staatsbeamten, der Botschafter und Richter der Zustimmung des Senats. Auch völkerrechtliche Verträge müssen mit Zwei-Drittel-Mehrheit vom Senat ratifiziert werden. Schließlich liegt die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Aufstellung von Heer und Flotte, die Mobilisierung der Milizen beim Kongress. Das sollte im Laufe der Geschich-
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te noch für viel Zündstoff sorgen, vor allem weil in den Kriegen des 20. Jahrhunderts die Machtfülle des Chief Executive de facto immer größer wurde. Die amerikanische Verfassung wurde kurz vor dem Beginn der Französischen Revolution (1789) entworfen, ausformuliert und verabschiedet. Ihre Prinzipien der Gleichheit und Freiheit basieren auf demselben Geist wie in Frankreich. Sie liegt der ersten und immer noch bestehenden Demokratie der Neuzeit zugrunde. Mit ihr gelang es den Amerikanern, der Welt in vielerlei Hinsicht ein Vorbild zu geben. Forderungen wie die nach persönlicher und politischer Freiheit, nach freien und gleichen Wahlen und freier Religionsausübung, die in anderen Ländern nur zaghaft geäußert wurden, wurden in Nordamerika das erste Mal umgesetzt. Für viele Europäer war dies, verbunden mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die Nordamerika bot, so attraktiv, dass im 19. Jahrhundert ein Siedlerstrom über den Atlantik einsetzte, wie ihn die Geschichte bisher nicht gesehen hatte. Bei der Betrachtung des amerikanischen Revolutionskrieges stellte sich unter Historikern die Frage, ob es sich wirklich um eine Revolution gehandelt habe. Da jedoch die gesellschaftlichen Umwälzungen hier in keiner Weise so tief griffen wie beispielsweise bei der Französischen Revolution, spricht man weiter vielfach von einem Un abhängigkeitskrieg. Das Hauptziel des amerikanischen Kampfes war die Loslösung vom Mutterland im Interesse der Selbstregierung und nicht eine radikale Neuordnung der Gesellschaft. Entsprechend blieb die politische Führungsklasse der Kolonien nach der Erlangung der Unabhängigkeit an der Macht. Die jungen Männer mit ihren revolutionären Konzepten, wie Jefferson und Madison, konnten nun innerhalb eines republikanischen Systems die Macht ausüben. Aber allein diese neue Begründung eines Gemeinwesens aus der Volkssouveränität heraus stellte einen revolutionären, weil ein neues Bewusstsein schaffenden Akt dar. Langfristig hat das Schule gemacht.
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Die politische Kultur der ganzen Epoche war von den amerikanischen Gründungsvätern bestimmt. Diese Gruppe um Persönlichkeiten, deren Namen noch heute vielen geläufig sind, wie Franklin, Washington, Jefferson, Hamilton, Madison, Adams, zeichnet sich durch ihre intellektuellen Fähigkeiten, ihr staatstheoretisches Wissen, ihre Weitsicht und Entschlossenheit und ihre Öffentlichkeitswirksamkeit aus. Diese Männer bestimmten die Politik Nordamerikas vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis in die 1820er-Jahre hinein. Wie einst die puritanischen Siedler erhofft hatten, in Nordamerika dem Christentum zu neuer Blüte zu verhelfen, so glaubten die Gründerväter nun daran, mit ihrer Republik eine neue Staatsordnung geschaffen zu haben, die der restlichen Welt ein Signal sein sollte. Diese Demokratie ist die „neue Weltordnung“, die auf dem Ein-DollarSchein abgebildet ist, und diese amerikanische Republik existiert nun seit über 230 Jahren. Für alle nachfolgenden Kriege der Vereinigten Staaten sowie für das nationale Selbstverständnis war jedoch entscheidend, dass es die ehemaligen Kolonisten aus eigener Kraft geschafft hatten, eine neue republikanische und demokratische Grundordnung zu errichten. Der Stolz darauf wirkt bis heute nach.
Ein „zweiter Unabhängigkeitskrieg“: Der Krieg von 1812
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er Star-Spangled Banner ist seit 1931 die offizielle Nationalhymne der Vereinigten Staaten. Die Melodie ist eine
populäre englische Volksweise, der Text jedoch entstand während des Krieges von 1812, in dem die junge Nation erneut ihre Kräfte mit dem ehemaligen Mutterland maß. Gegen Ende dieses Konflikts bombardierte die britische Flotte vom Wasser aus Fort McHenry, eine Verteidigungsanlage im Hafen von Baltimore an der Chesapeake Bay. Der junge amerikanische Anwalt Francis Scott Key war zu Verhandlungen auf einem der englischen Schiffe und musste das Ende der Schlacht dort abwarten. Nachdem die Kämpfe die ganze Nacht hindurch getobt hatten, erblickte er im Morgengrauen des 24. September 1814 mit großer Erleichterung die amerikanische Flagge, die noch immer über Fort McHenry wehte. Ihm war sofort klar, dass die amerikanische Verteidigung den Briten standgehalten hatte. Dies inspirierte ihn zu einem Gedicht über The Star-Spangled Banner, das sich rasch verbreitete. Key gab mit seinem Hymnus dem Selbstverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika als freies, demokratisches Land deutlichen Ausdruck und implizierte damit zugleich, dass England und die „Alte Welt Europa“ dies nicht seien. Doch warum hatten die Briten überhaupt den Hafen von Baltimore nahe der neuen amerikanischen Hauptstadt Washington belagert? Wie war es zu diesem Krieg zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien gekommen, der offiziell von Juni
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1812 bis Dezember 1814 dauerte und verhältnismäßig unbekannt ist? Auch wenn der Konflikt keine direkte Folge der Unabhängigkeit war, wird er mitunter als der „zweite amerikanische Unabhängigkeitskrieg“ bezeichnet. Tatsächlich hätten die Amerikaner nur wenige Jahrzehnte nach ihrer Lossagung von England durchaus wieder „zurückerobert“ werden können. Zeitgenössisch wurde der Krieg von seinen Kritikern als „Mr. Madison’s War“ bezeichnet, um die kriegstreibende Rolle des US-amerikanischen Präsidenten James Madison zu unterstreichen und die Hintergründe des Konflikts auf den Kriegswunsch des Präsidenten und seiner Lobby zu reduzieren. Allgemein geläufig ist aber der neutrale Ausdruck „Krieg von 1812“, der die Hintergründe des Krieges nicht nennt. In der nationalen Erinnerung der USA hat der Krieg von 1812 seinen Platz als Seekrieg gefunden und unterscheidet sich somit in Führung, Zielen und Kriegsverlauf deutlich vom Unabhängigkeitskrieg. Wieder einmal waren Streitigkeiten in Europa der Auslöser für einen amerikanischen Triumph, wie schon zuvor im Siebenjährigen Krieg, im Unabhängigkeitskrieg und beim Kauf von Louisiana, obwohl die Kriegsparteien nach Kriegsende lediglich den Status quo ante, den Zustand vor Kriegsbeginn, wiederherstellten. Die amerikanische Re gierung nutzte den Friedensschluss jedoch so geschickt aus, dass sie ihn in einen amerikanischen Sieg umdeutete.
Handelsinteressen oder Landgier?
Die Streitigkeiten, vor allem zwischen Frankreich und England, die im Kontext des erneuten weltweiten Kampfes dieser beiden Mächte um die Vorherrschaft in Europa auf hoher See ausgetragen wurden, beeinträchtigten den transatlantischen Handel stark. Seit der Schlacht von Trafalgar (1805) beherrschten die Briten den Atlantik. Andererseits waren auch die Franzosen nicht zimperlich und behinderten mit der
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von Napoleon verhängten Kontinentalsperre den neutralen und damit vor allem auch den amerikanischen Handel. Sowohl die Briten als auch die Franzosen scherten sich nicht um die Rechte der Neutralen, was amerikanische Händler in höchstem Maße aufbrachte. Auch gingen britische Kriegsschiffe dazu über, amerikanische Handelsschiffe auf hoher See zu stoppen und Matrosen, die angeblich oder tatsächlich aus der Royal Navy desertiert waren, zurück in den Kriegsdienst der britischen Marine zu zwingen. Das sorgte für Empörung, vor allem in den US-Küstenstädten. Die öffentliche Meinung in den USA erreichte im Sommer 1807 den Siedepunkt, als ein britisches Kriegsschiff eine amerikanische Fregatte angriff und vier angebliche Deserteure verhaftet wurden. Jefferson überzeugte den Kongress, ein Embargo zu verhängen, das 1807 den gesamten Export aus den USA verbot, solange bis sowohl Frankreich als auch England ihre Beschränkungen des amerikanischen Handels aufhoben. Während der Westen und der Süden fest hinter dieser Entscheidung standen, war der Nordosten, woher die meisten amerikanischen Schiffe stammten, strikt dagegen. Ein Aufschrei ging durch Neuengland, dass die „Virginia Lordlings“ die amerikanische Seefahrt ihren eigennützigen Interessen unterordneten und völlig unnötig einen Krieg vom Zaun brachen. Vor allem im Süden und jenseits der Appalachen waren die anti-britischen Gefühle sehr stark, auch aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen den Grenzern und den Indianerstämmen am Ohio und in den Gebieten östlich des Mississippi. Viele Amerikaner waren überzeugt, dass die Briten und Kanadier die Indianer aufstachelten, indem sie ihnen für jeden Skalp eines amerikanischen Grenzers sechs Dollar zahlten (damals eine enorme Summe). Daher verstummten vor allem im Süden und dem Westen der Vereinigten Staaten die Stimmen nicht mehr, sich mit Gewalt gegen die Briten zur Wehr zu setzen. Vor allem der Westen fürchtete sich vor einer Verbindung der Engländer mit den Indianern, die zu einem krie-
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Tecumseh gegen William Henry Harrison Tecumseh (ca. 1768–1813) vom Stamm der Shawanee war einer der bedeutendsten indianischen Politiker und Militärführer. In der Hoffnung auf britische Unterstützung schmiedete er ein Bündnis aller indianischen Stämme des Ohio-Tals und des Südens. Um Landabtretungen zu verhindern, machte er sich dafür stark, das Land der Indianer als gemeinsamen Besitz zu betrachten. Sein Gegenspieler William Henry Harrison (1773–1841) stammte aus Virginia, sein Vater Benjamin Harrison war einer der Unterzeichner der Declaration of Independence. 1791 trat er in die Armee ein, wurde an der Nordwestgrenze ein erfolgreicher Indianerkrieger und schließlich bis zum Generalmajor befördert. 1812 war er Gouverneur des Territoriums Indiana. In dieser Funktion handelte er mit zweifelhaften Methoden Verträge mit den indianischen Stämmen aus, um ihnen ihr Land abzunehmen, u. a. den Vertrag von Fort Wayne, dem sich Tecumseh widersetzte. In seiner berühmten Rede vor dem Gouverneur warnte Tecumseh ihn davor, weiter einzelnen Häuptlingen Land abzukaufen: „Sie sind es, die die Indianer dazu zwingen, Unrecht zu begehen. […] Sie wollen uns zerstören,
gerischen Aufstand führen könnte. Den lauten Kriegstreibern im Kongress, allen voran dem neuen Präsidenten James Madison, gelang es schließlich, die öffentliche Stimmung anzuheizen. Mit aufpeitschenden Reden entfachten Mitglieder der Kriegspartei wie der War Hawk Henry Clay aus Kentucky eine kriegerische Hysterie. Welche Nation habe in der „Schule schändlicher Unterwerfung“ („ignominious submission“) je „die patriotischen Lehren von Freiheit und Unabhängigkeit“ gelernt! Madison hob in seiner Kriegsbotschaft an den Kongress
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sie wollen uns hindern, uns zu vereinigen und das Land als gemeinsames Eigentum zu betrachten. […] Sie treiben die Indianer immer weiter, bis sie schließlich in den großen See getrieben werden, wo sie weder stehen noch arbeiten können.“ Gemeinsam mit seinem Bruder Tenskwatawa schwor er die Indianer auf ihre indianische Identität ein und rief zu einem „heiligen Krieg“ gegen die Weißen auf. Er berief sich auf alte indianische Bräuche, die er mit christlichem Heilsversprechen verschmolz. Tecumseh fiel in der Schlacht am Thames River 1813, nachdem der britische Kommandeur seine indianischen Verbündeten ihrem Schicksal überlassen hatte. Fritz Steuben schuf Tecumseh mit seinen Romanen ein literarisches Denkmal. Harrison war es als befehlshabendem General im Nordwesten wesentlich zu verdanken, dass der Widerstand der Indianer südlich der Großen Seen gebrochen wurde. Nach dem Krieg setzte er seine Laufbahn im Kongress fort und wurde zum Nationalhelden und „Washington of the West“ stilisiert. Als „log cabin and hard cider candidate“ (der Kandidat von Blockhaus und Apfelwein) zog er in den Wahlkampf um die Präsidentschaft. Kurz nach seiner Amtseinführung im März 1841 starb er. Mit nur dreißig Tagen war dies die kürzeste Präsidentschaft der amerikanischen Geschichte.
auf die schändlichen Rechtsbrüche der Briten ab und ihr Paktieren mit den Indianern. Unter dem Ruf „On to Canada“ träumten die landhungrigen Kriegsfalken des Westens schon von einem unter amerikanischer Flagge vereinigten Kontinent. Viele glaubten an einen militärischen Spaziergang, darunter auch Ex-Präsident Jefferson, der mit einer vollständigen Eroberung von Kanada noch 1812 rechnete. Wie jeder militärische Konflikt war auch der Krieg von 1812 im Inneren höchst umstritten. Die Gegner wurden nicht müde, die Land-
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gier der Kriegspartei anzuprangern. Aber war Kanada nicht Teil des britischen Empire? Was würde das für die amerikanische Seefahrt bedeuten, wie Josiah Quincy aus Massachusetts kritisierte. Für ihn waren die War Hawks eine Gruppe westlicher Hinterwäldler, die noch nie einen Ozean gesehen hatten, bestenfalls auf einer Landkarte. Sie vergössen Krokodilstränen über die Rechte der Neutralen, während sie doch in Wahrheit raffgierig auf Landgewinn spekulierten. Den Ausschlag für die Kriegserklärung an Großbritannien gab schließlich der befürchtete Aufstand einer wiederbelebten Indianerkonföderation unter dem Shawnee-Häuptling Tecumseh, der von den Briten unterstützt wurde. Das Repräsentantenhaus stimmte ab und sprach sich mit 79 zu 49 Stimmen für den bewaffneten Kampf aus. Bemerkenswert bleibt, dass die große Mehrheit der Gegner aus den seefahrenden Staaten des Nordostens kam, die die eigentlichen Leidtragenden der britischen Übergriffe auf hoher See waren und denen das Embargo am meisten schadete.
Falsche Annahmen und militärische Unfähigkeit
Die Amerikaner stolperten in einen Krieg, auf den sie schlecht vorbereitet waren. Während die Neuenglandstaaten ihre Milizen nicht dem Oberkommando des Präsidenten unterstellten und weiterhin Geschäfte mit dem britischen Feind machten, erwiesen sich die westlichen Milizen bei ihrem geplanten „Spaziergang nach Kanada“ als desorganisiert und den disziplinierten und gut ausgebildeten britischen Truppen nicht gewachsen. Der Angriff zu Land geriet zum kompletten Fiasko. Die Hauptstadt von Ontario, York – das heutige Toronto –, wurde zwar niedergebrannt, dann aber wurden die amerikanischen Truppen in die Flucht geschlagen, große Teile Maines und des Nordwestens entlang der Großen Seen besetzt. Denn die Kanadier, vie-
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le von ihnen ehemalige Loyalisten, waren nicht im Geringsten bereit, zu den Amerikanern überzulaufen, wie mancher in den USA gehofft hatte. Vielmehr verteidigten die Kanadier ihre Heimat und fühlten sich im Recht. Für Kanada wurde dies zu einer wichtigen Etappe auf dem Weg der allmählich entstehenden Nation. Die Vereinigten Staaten mussten die Aussichtslosigkeit eingestehen: Man einigte sich auf eine friedliche Koexistenz, wodurch die US-amerikanische Nordgrenze bis heute gesichert blieb – und es sollte keine Versuche mehr geben, den nördlichen Nachbarn zu erobern. Auch im Seekrieg waren die Engländer haushoch überlegen. Obwohl die Amerikaner immer wieder kleinere Kämpfe gewannen, die aber nur symbolisch wichtig waren – so u.a. eine Seeschlacht auf dem Eriesee –, schafften sie es während des gesamten Krieges nicht, die Seeblockade der Engländer zu durchbrechen. Am Ende des Krieges sollte die britische Flotte noch achthundert Schiffe zählen, während die kümmerliche US-Marine von sechzehn auf drei reduziert worden war. Nachdem die Alliierten auf dem Alten Kontinent den Sieg über Napoleon 1814 errungen hatten, verlegten die Briten zwanzigtausend Mann nach Nordamerika. Ihre Flotte konnte bis nach Washington vorstoßen. Präsident Madison und sein Kabinett mussten fliehen, wobei der Legende zufolge First Lady Dolley Madison das berühmte Porträt von George Washington gerade noch aus dem Weißen Haus retten konnte. Das Kapitol, das Weiße Haus und andere öffentliche Gebäude wurden am 24. August 1814 in Brand gesteckt. Die Zerstörung der symbolträchtigen Orte in Washington versetzte die Nation in Schock. Mit dem Vorstoß auf Washington mehrten sich in der Bevölkerung die Stimmen gegen den Krieg. Vor allem in den am schwersten von der britischen Seeblockade betroffenen Neuenglandstaaten machte sich Kriegsmüdigkeit breit. Nun kam den Amerikanern das Glück zu Hilfe. Weil Napoleon aus dem Exil auf Elba zurückkehrte und der Krieg in Europa wieder begann, konnten sich die Briten den Konflikt
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in Nordamerika nicht mehr länger leisten. Der britische Vormarsch kam zum Stehen, während die Verteidiger von Fort McHenry heldenhaft Widerstand leisteten. Bereits seit August 1814 hatten beide Kriegsparteien ernsthafte Verhandlungen miteinander aufgenommen. Im Frieden von Gent kam es zu Weihnachten 1814 zu einem Kompromiss, der den Status quo vor Kriegsbeginn wieder herstellte.
Francis Scott Key war Augenzeuge des britischen Angriffs auf Fort McHenry. Als im Morgengrauen des 14. September 1814 die Flagge der USA immer noch über der Festung wehte, inspirierte ihn das zu dem Gedicht "The Defense of Fort McHenry", aus dem 1931 unter dem Titel "The Star-Spangled Banner" die amerikanische Nationalhymne wurde.
Der Krieg von 1812
Der Frieden von Gent
Der Friedensschluss betraf allerdings nur England, nicht die Gebiete jenseits der Rocky Mountains, die zu Spanien gehörten, bzw. entlang der nordwestlichen Küste, die zwischen England und Russland, das seit dem 18. Jahrhundert von Alaska aus nach Süden vordrang, umstritten waren. Wenige Jahre zuvor hatten Expeditionen in das Oregon-Gebiet den amerikanischen Anspruch auf weite Teile der heutigen US-Bundesstaaten Oregon, Idaho und Washington sowie Teile British Columbias unterstrichen. Wenngleich der Krieg nicht bis hin zur Pazifikküste getragen wurde, kam es auch im Oregon-Gebiet zu einer Auseinandersetzung beider Kriegsparteien, in deren Verlauf die Amerikaner ihre erste Siedlung am Pazifik, das von dem New Yorker Pelzhändler John Jacob Astor gegründete Astoria, verloren. Die junge Nation kam mit einem blauen Auge davon. Der Frieden von Gent und der überraschende Sieg von General Andrew Jackson in der Schlacht von New Orleans vom 8. Januar 1815 verhinderten eine ernsthafte innere Krise der USA. Schon zu diesem Zeitpunkt hätten die USA auseinanderfallen können: Wenn der Krieg anders ausgegangen wäre, hätte sich Neuengland womöglich abgespalten. Die Schlacht von New Orleans gehört zu den absoluten Kuriositäten der Kriegsgeschichte. Am Ergebnis des War of 1812 konnte sie nichts mehr ändern, denn der Frieden war zwei Wochen zuvor geschlossen worden. Davon wussten jedoch weder die britischen Angreifer noch die amerikanischen Verteidiger von New Orleans etwas, weil die Nachricht vom Friedensschluss noch nicht über den Atlantik gedrungen war. So konnte diese Schlacht gemeinsam mit dem Bombardement von Fort McHenry in der Folgezeit zu großen Erfolgen aufgebauscht werden. Sie erneuerte und bestärkte die Einheit der Amerikaner im Angesicht der gemeinsamen Feinde.
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Andrew Jackson – ein Mann des Volkes Aufgewachsen im Hinterland von North und South Carolina, kämpfte Andrew Jackson (1767–1845) schon als Halbwüchsiger im Revolutionskrieg, wurde mit vierzehn Jahren Waise und schuf sich dann eine Existenz als Rechtsanwalt in Tennessee. Er befürwortete den Krieg gegen England und bekämpfte als Oberst in der Miliz von Tennessee die lokalen, mit den Engländern verbündeten Indianerstämme im Krieg von 1812 (Schlacht von Horseshoe Bend, 1814). Den Kampf gegen die Indianer führte er auch während seiner Präsidentschaft weiter, in der er ihre endgültige Vertreibung aus dem alten Südosten (Georgia, South Carolina, Alabama, Tennessee) durchsetzte. Bei seinen Soldaten war er aufgrund seiner einfachen Art sehr beliebt. Der in zahlreichen Duellen verwundete und von Kämpfen gezeichnete Mann, der keinem Konflikt aus dem Wege ging, galt als „hart wie ein Walnussbaum“ – daher sein Spitzname Old Hickory. Nachdem er in der Wahl 1824 John Quincy Adams unterlegen war, wurde er 1828 zum Präsidenten gewählt. Nach George Washington ist er der zweite Militär im Präsidentenamt. Er kam aus einfachen Verhältnissen und war das genaue Gegenstück zu der bis dahin dominierenden Pflanzerelite des amerikanischen Südens, zu der neben Washington auch Jefferson, Madison und Monroe gehörten. Als „Mann des Volkes“ pflegte er einen ostentativ volkstümlichen Stil und öffnete das Weiße Haus für die Bevölkerung. Er brachte die Elite in Washington gegen sich auf, weil er politische Ämter zur Patronage nutzte („spoils system“). In seiner Ära, dem sogenannten Jacksonian, kam es zu einer fundamentalen Demokratisierung der US-Politik und Gesellschaft, die sich nun von dem aristokratischen und elitären Habitus der Gründerväter und der frühen Republik abwandte.
Der Krieg von 1812
Der „Krieg von 1812“ hatte also weniger militärische als identitätsstiftende Bedeutung. Die Vereinigten Staaten bewiesen, dass sie nicht mehr von der politischen Landkarte der westlichen Welt wegzudenken waren, dass das republikanische Experiment der USA Bestand haben würde und dass jenseits des Atlantiks eine neue, wenn auch noch schwache Macht entstanden war. Zum zweiten – und letzten – Mal in ihrer Geschichte hatten die noch kleinen, unbedeutenden Nachfahren der Kolonien die Weltmacht England, wenn auch mit viel Glück, in ihre Schranken verwiesen. Entsprechend selbstbewusst und gestärkt gingen die Amerikaner aus diesem Krieg hervor, den sie zwar militärisch verloren, aber politisch gewonnen hatten. Nach der Erstürmung Washingtons und des Weißen Hauses hätten sich die Amerikaner eigentlich als Verlierer fühlen müssen. Allein die Tatsache, dass England auf Napoleons Kriege reagieren musste, hatte dazu geführt, dass es von Nordamerika abließ. Durch einen europäischen Krieg konnten die Vereinigten Staaten also einmal mehr einen Vorteil erlangen, was allerdings rasch verdrängt wurde. Die kriegsmüde Bevölkerung der USA war glücklich über den Friedenschluss, der nun wie ein großer Sieg gefeiert wurde. „Not one inch of territory ceded or lost“ wurde tausendfach wiederholt. Das stand in deutlichem Kontrast zu dem Kriegsruf von 1812: „On to Canada!“ Der Krieg, den Amerika vom Zaune gebrochen hatte, wurde im Nachhinein zu einem Verteidigungskrieg umgedeutet, der Sieg nicht nur als ein militärischer Erfolg gesehen, sondern, wie das Beispiel des Star-Spangled Banner zeigt, in universalisierenden Begriffen als Sieg der republikanischen Staatsform und Amerika als Asyl der Freiheit gedeutet. Damit schien die Welt wieder ein Stück sicherer für die Demokratie.
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Manifest Destiny: Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
I
m frühen 16. Jahrhundert hatten die Ureinwohner Mittelamerikas zum ersten Mal Kontakt mit Europäern: den spanischen
Konquistadoren. Diese eroberten Mexiko und zogen durch den Südwesten der heutigen Vereinigten Staaten. Unter dem Deckmantel der Christianisierung suchten die Spanier nach Gold und anderen Reichtümern. Die Indianer wehrten sich vehement gegen die Eindringlinge, die ihren Lebensraum verwüsteten. Der Konquistador Francisco Vázquez de Coronado nahm das Land für die spanische Krone in Besitz. Fast dreihundert Jahre lang hatten die Spanier formell die Oberhoheit über den westlichen Teil des Kontinents. Im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen der mittel- und südamerikanischen Nationen erlangte auch Mexiko im Jahr 1821 seine Unabhängigkeit von Spanien. Zwei junge Republiken richteten nun ihr Interesse auf den Wes ten Nordamerikas: die Vereinigten Staaten von Amerika und die Republik von Mexiko. Die USA hatten 1803 durch den Louisiana Purchase von Frankreich das Mississippi-Becken mit dessen Zuflüssen bis an die Grenze der Rocky Mountains in ihren Besitz bringen können und Mexiko, gerade von Spanien unabhängig, besaß neben Kalifornien bereits weite Teile des Gebietes: die heutigen Staaten Texas, New Mexico, Arizona, Nevada, Utah und den Westen von Colorado. Dabei sollte man nicht vergessen, dass es zudem eine indigene Bevölkerung gab, viele indianische Stämme konkurrierten in diesen Gebieten um die besten Jagdgründe.
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
Der texanische Unabhängigkeitskrieg
In der riesigen, im Nordosten Mexikos gelegenen Provinz Tejas lebten bis 1820 nicht sehr viele Menschen. Nach der Erlangung der Unabhängigkeit von Spanien erklärte die Regierung von Mexiko, dass sie auch amerikanische Siedler in ihren Gebieten willkommen heiße. Man hatte die dynamische Expansion der ehemaligen englischen Kolonien beobachtet und hoffte, wenn amerikanische Siedler sich in den mexikanischen Gebieten niederließen, dass sie nicht von den Vereinigten Staaten angegriffen würden. So wollten sie ihre nördlichen Provinzen fest in ihrer Hand behalten und den Frieden zwischen den beiden neuen Nationen sichern. Die Hoffnung der mexikanischen Regierung sollte jedoch bald bitter enttäuscht werden. Bereits mit dem Ausbau des Santa Fé Trail, der von Missouri aus in die Hauptstadt von New Mexico führte, bekundeten die Amerikaner ihr wirtschaftliches Interesse an Mexiko. Auf der seit 1825 vom Kongress ausgebauten Handelsverbindung nach Santa Fé strömten auch erste Siedler in das mexikanische Gebiet – hauptsächlich nach Texas. Zugleich verfolgte seit Beginn der 1820er-Jahre Stephen Fuller Austin die Idee seines Vaters weiter, der die mexikanische Regierung gebeten hatte, eine Siedlung in Texas gründen zu dürfen. Austins Vater starb jedoch, bevor er sein Projekt in die Wege hatte leiten können. Nach langjährigen Verhandlungen erhielt Austin 1823 von der mexikanischen Regierung die Genehmigung, sich mit dreihundert amerikanischen Familien am Brazos River im Osten von Texas niederzulassen. Die Mexikaner stellten jedoch eine Bedingung: Diese Siedler sollten die amerikanische Staatsbürgerschaft ablegen und die mexikanische annehmen. Man wollte sich die Loyalität der amerikanischen Siedler in Texas sichern. Doch die mexikanische Regierung sollte sich auch mit dieser Strategie täuschen. Sie hatten amerikanischen Siedlern
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ihr Land geöffnet. Diese Siedler ließen zwar ihre alte Heimat hinter sich und zogen mit allem, was sie transportieren konnten, nach Texas. Doch nach Austins Siedlergruppe, den Old 300, folgten viele weitere Amerikaner, die keineswegs ihre amerikanische Staatsbürgerschaft ablegen wollten. Der Siedlungsstrom nahm weiter zu, so dass bis 1835 bereits über vierzigtausend Amerikaner in Texas lebten. Mexiko fühlte sich überrannt, auch der US-Regierung gefiel die Situation nicht, zumal auch etliche Banditen und Outlaws dort Sicherheit vor Strafverfolgung durch die Behörden der USA gesucht hatten. Washington versuchte Herr der Situation zu werden, indem die Präsidenten John Quincy Adams und Andrew Jackson Mexiko 1827 und noch einmal 1829 anboten, Texas für eine stattliche Summe zu kaufen. So wie Jefferson hofften sie das Staatsgebiet der USA durch einen Landkauf vergrößern zu können. Die mexikanische Regierung lehnte jedoch einen Verkauf von Texas kategorisch ab. Da in Mexiko die Sklaverei verboten war, kam es immer wieder zu Spannungen zwischen den amerikanischen Siedlern und der mexikanischen Regierung. Viele von ihnen waren aus den Südstaaten der USA eingewandert, wo Sklaverei erlaubt war. Hinzu kamen religiöse, kulturelle und politische Differenzen, die unüberbrückbar schienen und schließlich offen ausbrachen. 1835 rief Sam Houston zum Widerstand gegen Mexiko auf. Am 2. März 1836 erklärten sich die amerikanischen Siedler von Mexiko unabhängig und verabschiedeten eine eigene Verfassung, die die Sklaverei explizit erlaubte. Mexiko nahm diesen Aufstand nicht hin und wollte die Texaner mit militärischer Gewalt zwingen, bei Mexiko zu bleiben. Während sich die Vereinigten Staaten offiziell neutral verhielten, unterstützten sie Texas heimlich mit Waffen und Geld. Der Freiheitskampf der Texaner fand seinen Höhepunkt, als der mexikanische General Santa Anna mit dreitausend Soldaten eine Garnison von insgesamt zweihundert
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
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Davy Crockett und Jim Bowie – volkstümliche Märtyrer des Alamo David „Davy“ Crockett (1786–1836) war Grenzer, Soldat, Politiker und ein Volksheld. Er wuchs im Osten Tennessees auf, war Abgeordneter im dortigen Parlament und im US-Repräsentantenhaus. Als Gegner von Präsident Jacksons Politik der Vertreibung der Indianer (Removal Act) wurde er abgewählt und ging 1835 nach Texas, um Sam Houston und den texanischen Aufstand zu unterstützen. Er war einer der Verteidiger von Alamo und wurde in der Schlacht getötet, obwohl später immer wieder Behauptungen auftauchten, er habe sich ergeben und sei von den Mexikanern hingerichtet worden. Damit hätte er jedoch nicht zum Mythos werden können, wie James „Jim“ Bowie (1796–1836). Auch dessen Nachruhm ist mit seinem „Opfertod“ in Alamo verknüpft, wo er als Oberst die Texas Rangers kommandierte. Er war 1830 nach Texas gezogen, hatte die Tochter des mexikanischen Vizegouverneurs geheiratet und war durch Landspekulationen vermögend geworden. Bekannt war er wegen vieler Raufereien und Duelle, bei denen das nach ihm benannte „Bowie-Messer“ reichlich zum Einsatz gekommen sein soll. Das Messer, auch als „Arkansas Toothpick“ (Arkansas-Zahnstocher) ironisiert, trug ebenso zu seiner Volkstümlichkeit bei wie die zahlreichen, immer farbenfroher ausgeschmückten Geschichten, die sich in der demokratischen Kultur der späten 1830er- und 1840erJahre rund um das Drama von Alamo zu ranken begannen.
Texanern und amerikanischen Freiwilligen in Alamo dreizehn Tage lang belagerte. Nachdem die Missionsstation von der überlegenen mexikanischen Armee gestürmt und die meisten Verteidiger, unter ihnen der US-Politiker und Westmann Davy Crockett sowie der Pio-
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nier Jim Bowie, getötet worden waren, wurde das Gefecht in den Erzählungen bald zum Mythos verklärt. Die heldenhafte aber aussichtslose Verteidigung gegen die Übermacht von Mexikanern stärkte das Gemeinschaftsgefühl der Texaner und weckte patriotische Gefühle. Der Schlachtruf „Remember the Alamo!“ wurde im Verlauf des Konflikts zum Sinnbild des Kampfes um Selbstbestimmung. Noch heute ist dieser Schlachtruf als Redewendung populär. Die Belagerung von Alamo wurde im 20. und 21. Jahrhundert mehrfach verfilmt. Die beiden bekanntesten Umsetzungen sind „Alamo“ (1960) unter der Regie von John Wayne, der auch die Hauptrolle als Davy Crockett übernahm, sowie „Alamo – Der Traum, das Schicksal, die Legende“ aus dem Jahr 2004 mit Dennis Quaid als Sam Houston und Billy Bob Thornton als Crockett. Beide Filme erzählen den verzweifelten Kampf einer Minderheit gegen eine militärische Übermacht. Das tragische Ende der Minderheit in der Garnison wird nur durch den späteren Sieg der Texaner über Mexiko erträglich. Die Soldaten sind nicht umsonst gestorben, ihr Tod dient einem höheren Ziel, nämlich der Befreiung von Texas. In der Schlacht von San Jacinto am 21. April 1836 konnten die Texaner unter der Führung von Sam Houston die mexikanischen Truppen schließlich besiegen und dadurch ihre Unabhängigkeit erreichen. Parallel gaben sich die Texaner eine Verfassung nach US-amerikanischem Vorbild, die in einer heruntergekommenen Farm in der Siedlung „Washington on the Brazos“ von 59 Männern unterzeichnet wurde, unter denen auch drei „tejanos“ mexikanischer Abstammung waren. Danach erklärte die Versammlung Texas zu einer unabhängigen Republik. Houston wurde zum ersten Präsidenten gewählt. Die texanische Republik wurde ganz nach dem Vorbild der USA modelliert. Die Mehrheit der Texaner erhoffte sich von dieser Annäherung Schutz durch die Vereinigten Staaten, falls Mexiko auf den Gedanken kom-
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
men würde, Texas zurückerobern zu wollen. Zudem spekulierten sie auf eine Aufnahme in die amerikanische Union. Die Unabhängigkeit der Republik Texas, aber auch die Option der Aufnahme in die amerikanische Union fand Ausdruck in der texanischen Nationalflagge, auf der ein einzelner Stern in ähnlicher Aufmachung wie beim StarSpangled Banner der Vereinigten Staaten abgebildet war. Die Flagge verhalf Texas später zu dem Spitznamen Lone Star State. Präsident Jackson erkannte 1837 Texas offiziell als unabhängigen Staat an. Aber eine Aufnahme in die Union kam erst einmal nicht in Frage. Da Texas ein sklavenhaltender Staat war, stieß eine Aufnahme im US-Kongress auf vehemente Ablehnung der Sklavereigegner, die hinter dem Aufnahmeantrag eine Verschwörung der Südstaaten vermuteten. So blieb Texas für neun Jahre eine unabhängige Republik. Wenigstens sicherte die Anerkennung Texas’ durch Frankreich und Großbritannien in den nächsten Jahren zusätzlich den unabhängigen Status der jungen Republik und es kam nicht zu einem Rückeroberungsfeldzug der Mexikaner. Der Wahlkampf um das US-Präsidentenamt im Jahre 1844 brachte wieder Bewegung in die Frage. Der Präsidentschaftsanwärter James Knox Polk verknüpfte in seinem Wahlkampf geschickt die außenpolitischen Themen „Texas“ und „Oregon“ und konnte so die Mehrheit der Wählerstimmen für sich gewinnen. Sein Kalkül ging auf. Noch bevor er sein Amt antrat, sprach sich der Kongress im Februar 1845 für die Angliederung von Texas (Texas Annexation) aus. Die förmliche Aufnahme in die Union erfolgte am 29. Dezember 1845. Texas beschritt damit einen Sonderweg. Andere US-Bundesstaaten waren vor ihrem Beitritt zuerst unorganisierte bzw. organisierte Territorien. Bis heute ist Texas die einzige eigenständige Republik, die in die Union aufgenommen und zu einem Bundesstaat umstrukturiert wurde. Bis heute resultiert daraus eine gewisse Ausnahmestellung von Texas innerhalb der Vereinigten Staaten.
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AMERIKA DEN AMERIKANERN
DER MEXIKANISCH-AMERIKANISCHE KRIEG
Atlantischer Ozean
Pazifischer Ozean o
� c::::::J � c::::::J
-r .. Bahamas Louisiana Purchase 1803 Gadsden Purchase 1853
Golf von Mexiko
Gebietsgewinne aus dem Mexikanisch Amerikanischen Krieg 1848
c::::::J Texas --
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Oregon Country
1845
Oregon Trail
--- California Trail ••••••••
Mormon Trail
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Santa Fe Trail
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Pony Express
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o 1 00 200 300 400 500 km \""""I \""""I \""""I
Sukzessive drangen die Amerikaner in den Westen des Kontinents vor, bis sie den anderen Ozean erreicht hatten und zu einer pazifischen Macht vvurden.
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Amerika den Amerikanern
James Knox Polk – außenpolitisches Sendungsbewusstsein als Wahlkampfstrategie Der elfte Präsident der Vereinigten Staaten, James Knox Polk, wurde 1795 in North Carolina geboren und verstarb 1849 in Nashville, Tennessee, nur wenige Wochen nachdem er aus dem Amt ausgeschieden war. Seine Amtszeit ist geprägt von einer expansionistischen Außenpolitik. Als glühender Anhänger der Manifest Destiny dehnte er das Staatsgebiet bis zum Pazifik und an den Rio Grande aus. Er drängte Mexiko nach Süden zurück und einigte sich mit Großbritannien in der Oregon-Frage. Die Annexionen von Texas und Oregon begründete er mit dem Recht der Vereinigten Staaten auf Sicherheit und entsprechend der Ideologie der Manifest Destiny damit, dass die Gebiete ihrer Bestimmung nach zum Territorium der USA gehörten: „Niemand kann die Gefahr für unsere Sicherheit und unsere Zukunft übersehen, wenn Texas ein unabhängiger Staat bleibt oder ein Verbündeter oder Vasall einer fremden Nation wird, die sehr viel mächtiger ist. Gibt es irgendjemanden unter unseren Bürgern, der nicht ewigen Frieden mit Texas den immer wieder aufflackernden Kriegen vorziehen würde, die so oft zwischen aneinandergrenzenden unabhängigen Nationen entstehen? […] Die Besitzrechte an Oregon sind ‚eindeutig und ohne Frage‘ unsere. Unsere Leute beginnen bereits, diesen Titel mit Leben zu füllen, weil sie mit ihren Frauen und Kindern dorthin ziehen. […] Die Welt bewundert die Triumphe des Fleißes unserer Auswanderer. Wir haben die Pflicht, sie adäquat zu beschützen, wo immer sie auf unserem Boden leben. Unser Rechtssystem und unsere republikanischen Institutionen sollen in die Regionen ausgebreitet werden, wo immer sie eine Heimstatt gefunden haben.“
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
Manifest Destiny
Angestachelt von seinem Wahlerfolg und der Aufnahme von Texas drängte James Knox Polk die Vereinigten Staaten zur weiteren Expansion. Während seines Wahlkampfes hatte er sich zum Ziel gesetzt, auch Oregon im heutigen Nordwesten der Vereinigten Staaten einzugliedern. Mit dieser Idee schaffte er es, eine wahre Hysterie im Volk auszulösen und die Mehrheit der Stimmen aus dem Norden, die ein Interesse an Oregon hatten, wie auch die Mehrheit der Stimmen aus dem Süden, die den Sklavenstaat Texas in der Union sehen wollten, für sich zu gewinnen. Im Grunde hatte der Prozess, der weite Teile des Oregon-Gebiets zum Staatsgebiet der Vereinigten Staaten machen sollte, wie die Angliederung von Texas mit amerikanischen Siedlern begonnen. 1842 machten sich die ersten organisierten Wagentrecks von St. Louis oder Independence, Missouri, in Richtung Pazifikküste auf den Weg. Gepackt von der Gier nach neuem Land verlangten die Expansionisten bereits ein Jahr später von den Briten, sämtliche Ansprüche auf das Gebiet südlich 54 Grad 40 Minuten nördliche Breite abzugeben („FiftyFour Forty or Fight!“). Großbritannien wollte unter allen Umständen einen erneuten Krieg mit den Vereinigten Staaten vermeiden und bot 1846 die Teilung des Oregon-Gebiets entlang des 49. Breitengrads an. Die Vereinigten Staaten stimmten diesem Vorschlag zu. Oregon wurde aufgeteilt. 1848 erhielt der amerikanische Teil des Oregon-Gebiets den Status eines Territoriums, woraus später die heutigen Bundesstaaten Oregon und Washington sowie Teile Idahos, Montanas und Wyomings hervorgingen. Das Streben nach weiterem Landgewinn im Westen mit letztlich kontinentalen Dimensionen, das in diesen Jahren um sich griff, wird noch heute unter dem Schlagwort Manifest Destiny zusammengefasst. Es beschreibt den göttlichen Auftrag der Vereinigten Staaten zur
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Expansion über den gesamten nordamerikanischen Kontinent und stellt sich damit in die Tradition von John Winthrop. Der Begriff selbst, der übersetzt so viel wie „schicksalshafte Bestimmung“ bedeutet, stammt von dem New Yorker Journalisten John L. O’Sullivan, der 1845 in einem Artikel der „Democratic Review“ schrieb, dass die Vereinigten Staaten den göttlichen Auftrag hätten, sich in Nordamerika auszubreiten. O’Sullivan gab damit dem zeitgenössischen Expansionsdrang eine griffige Formel und brachte auf den Punkt, was viele der Expansionisten dachten. Nun hatte die Expansionshysterie einen Namen, der dem Vordringen nach Westen und den damit verbundenen Kriegen eine tiefere Bedeutung gab, wenn auch dieser Expansionismus, wie sich im Krieg gegen Mexiko zeigen sollte, sehr viele innenpolitische Gegner hatte. Sie fürchteten eine Verwässerung des amerikanischen Nationalcharakters durch die Aufnahme weiterer Sklavenstaaten, aber auch spanisch sprechender Katholiken. Dennoch hat sich diese zeitgenössisch stark umstrittene Formulierung der expansionistischen Propaganda tief in das kollektive Bewusstsein der USA eingeprägt. Was der Journalist O’Sullivan beobachtet und so trefflich beschrieben hatte, nutzten Präsident Polk und seine Anhänger zur Rechtfertigung ihrer expansiven Politik. Im 17. Jahrhundert hatten schon die Puritaner argumentiert, dass ihre Besiedlung Nordamerikas von Gott vorgesehen war. Diese Sichtweise war im kollektiven Gedächtnis der USA inzwischen fest verankert, so dass es nunmehr selbstverständlich erschien, dass die vollständige Inbesitznahme des Kontinents ebenso von Gott gewollt war. Die Vorstellung, die Vereinigten Staaten hätten eine religiöse und politische Mission, wurde politisches Programm. Einerseits sahen sie es als ihren Auftrag, Demokratie und Freiheit in der Welt zu verbreiten, damit einher ging die Überzeugung, dass der christlich-protestantische Glaube anderen Religionen, vor allem den Naturreligionen der amerikanischen Ureinwohner wie auch dem Katholizismus der Mexikaner, klar überlegen sei.
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
Der Krieg gegen Mexiko
Man könnte nun vermuten, dass mit der Eingliederung von Texas und der Einigung in der Oregon-Frage der Expansionsdrang der Regierung Polk gesättigt gewesen wäre, denn der Landgewinn war enorm. Mit europäischen Maßstäben war diese Erweiterung ohnehin nicht zu ermessen. Doch Polks Expansionismus kannte keine Grenzen. Nun galt sein Interesse Neumexiko und Kalifornien mit seinen reichen Bodenschätzen und den Pazifikhäfen. Sollte außer Oregon auch Kalifornien zu den Vereinigten Staaten gehören, würde der politische und militärische Einfluss der Amerikaner bis weit in den Pazifik reichen. Zudem böten ausgedehnte Küsten im Osten wie im Westen, also entlang der Atlantik- und der Pazifikküste einen natürlichen Schutz. Damit wären die Vereinigten Staaten geostrategisch optimal gegen Angriffe von außen abgesichert und endgültig zur stärksten Macht in Nordamerika aufgestiegen. Auch ein neuer Kolonisationsversuch seitens der Europäer wäre dann so gut wie nicht mehr möglich. Von diesen Überlegungen getrieben provozierte Polk einen Krieg mit Mexiko, indem er amerikanische Truppen in das mexikanische Grenzgebiet schickte. Nach mehreren kleinen Zusammenstößen mit mexikanischen Grenztruppen nutzte er diese Scharmützel, um Mexiko der Aggression zu bezichtigen und offen zu beschuldigen. Indes war dieser Krieg zunächst nicht sehr populär, vor allem im Nordosten, wo man eine Ausweitung der Sklaverei befürchtete. Zu den Kriegsgegnern gehörte unter anderem der junge Abraham Lincoln, der bohrende Fragen zum provozierenden Verhalten des US-Militärs am Rio Grande stellte. Der Kongress, allen voran die oppositionellen Whigs, beschuldigte den Präsidenten, seine Kompetenzen überschritten zu haben, ja verabschiedete zunächst eine Botschaft, wonach Polk in flagranter Verletzung der Verfassung einen nicht vom Gegner provozierten Krieg vom Zaune gebrochen hatte. Der Abgeordnete Joshu Giddings aus
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Ohio sprach von einem „aggressiven, unheiligen und ungerechten Krieg“, Ex-Präsident und Ex-Außenminister John Quincy Adams, der nun als Abgeordneter Massachusetts repräsentierte, rief in den Tumult der Debatten des Repräsentantenhauses sein lautes, längst zur Legende gewordenes „Nein“. Der Krieg gegen Mexiko war einer der unpopulärsten und am heftigsten umstrittenen Kriege der amerikanischen Geschichte. Er wurde innenpolitisch zu einer Art Vorgeplänkel des Bürgerkrieges. Unter den Kriegsbefürwortern brach eine Hysterie und Begeisterung aus, die sich auf die expansionistischen Erfolge der letzten Jahre stützte. Doch auf der anderen Seite wehrten sich selbst nach dem überzeugenden militärischen Sieg gegen Mexiko Politiker wie der frühere Außenminister und Senator von Massachusetts, Daniel Webster, gegen die Annexion von Gebieten, die den USA in einem „verfassungswidrigen und unnötigen“ Krieg zugefallen seien. Erneut war es die Sklavenfrage, die polarisierte, weil jeder neue Sklavenstaat zwei Senatoren nach Washington schicken und die mühevoll aufrechterhaltene Balance ins Wanken bringen würde. Die Verfassung der USA drohe ein „deformiertes Monster“ zu werden, empörte sich Webster gegen den Missbrauch des Kriegsrechtes durch Polk. Und Henry David Thoreau, Philosoph und Schriftsteller, drückte seinen Protest dadurch aus, dass er sich weigerte, seine Steuern zu bezahlen, weil er einen Krieg, den er für ungerecht hielt, nicht unterstützten wollte. Der mexikanische Krieg kann somit auch als Geburtsstunde der Idee des „zivilen Ungehorsams“ gesehen werden. Der gemeinsame äußere Feind ließ die Amerikaner nur kurze Zeit ihre inneren Querelen vergessen. Auch wenn die Propaganda das katholische Mexiko als korrupt, undemokratisch und papistisch brandmarkte, verfing dies in Neuengland nicht recht. Mexiko wurde als Gegensatz zum Selbstverständnis der US-Amerikaner gezeichnet – selbstbestimmende Demokraten contra den Einfluss des Papstes oder
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Henry David Thoreau – ziviler Ungehorsam gegen den ungerechten Krieg Henry David Thoreau (1817–1862) war Autor, Dichter, politischer Denker und einer der führenden Vertreter der amerikanischen philosophischen Schule des Transzendentalismus. In Concord in Massachusetts geboren, wo er auch starb, setzte er sich für das einfache Leben in der Natur ein, wurde aber vor allem als unermüdlicher Kritiker der Sklaverei bekannt. Die Kriegstreiberei von Präsident Polk gegen Mexiko verurteilte er und weigerte sich seine Steuern zu zahlen, weil er die Regierung für korrupt hielt und keinen ungerechten Krieg unterstützen wollte. Er verbrachte daraufhin eine Nacht im Gefängnis, wurde am nächsten Tag aber wieder frei gelassen, da jemand gegen seinen Willen die Schulden beglichen hatte. An dieses Erlebnis knüpfte Thoreau seine philosophische Reflexion über das Recht des Bürgers auf Widerstand (Resistance to Civil Government, 1849).
eines europäischen Fürsten –, doch das dominante Thema blieb die Sklaverei. Ungeachtet der massiven Kampagne gegen das angeblich aggressive und bedrohliche Mexiko und für den Expansionismus errang Polk im Kongress nur mit Mühe eine knappe Mehrheit für eine Kriegserklärung. Und dies glückte nur deshalb, weil viele Abgeordnete, selbst wenn sie dem Krieg skeptisch gegenüberstanden, die Truppen nicht ohne Ausrüstung und Unterstützung lassen wollten. Sie fühlten sich unter Zugzwang, den Etat des Kriegsministeriums zu bewilligen. Offiziell erklärte Polk am 13. Mai 1846 den Krieg. Er war längst vorbereitet und entlang der Grenzlinie eigentlich schon im Gange. Zusätzlich schürte er an der Pazifikküste unter den rund siebenhun-
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Winfield Scott – der Eroberer von Mexico Die Karriere von General Winfield Scott (1786–1866) gehört zu den außergewöhnlichsten unter den großen US-Militärführern. Er gilt als einer der bedeutendsten Soldaten aller Zeiten. Keiner diente länger im Rang eines Generals der US Army, nachdem er schon mit 27 Jahren zum Brigadier befördert worden war. Er kämpfte in drei Kriegen: 1814 konnte er einen der wenigen Siege gegen die Engländer an der kanadischen Grenze verzeichnen; mit der amphibischen Landung in Veracruz 1846, von wo aus der Vormarsch auf Mexiko City begann, gelang dem bereits 60-Jährigen ein logistisches Meisterstück. Es gehört zu den größten derartigen Operationen bis zum D-Day 1944. Und der von Scott zu Beginn des Bürgerkriegs vorgelegte und von dessen Gegnern ironisch „Anaconda“ genannte Plan, wonach der Süden „eingeschnürt“ und „erwürgt“ werden sollte, blieb die grundlegende Strategie, mit der der Norden am Ende militärisch die Oberhoheit erzielte. Zudem war er in den Indianerkriegen der 1830er-Jahre eine zentrale Figur und am Indian Removal 1835/36 verantwortlich beteiligt. 1841 wurde er Oberkommandierender der US Army und behielt dieses Amt zwanzig Jahre lang und damit länger als jeder andere Militär. Wie sein Konkurrent und zeitweiliger Partner im Mexikanischen Krieg, Zachory Taylor, strebte Scott politische Ämter an. Er unterlag jedoch Franklin Pierce in den Präsidentschaftswahlen 1852. Schließlich baute er die US Military Academy in West Point aus, wo er starb und beerdigt ist.
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
dert amerikanischen Siedlern im mexikanischen Kalifornien Unruhe. Er hetzte sie auf, einen schicksalhaften „Unabhängigkeitskampf“ gegen die „Übermacht“ von siebentausend Mexikanern zu führen. Trotz Widerstands der Mexikaner konnten die überlegenen Amerikaner durch ihre insgesamt höhere Truppenstärke, ihre bessere Logistik und Strategie schnelle Erfolge erzielen. Die Siege der US Army wurden mit dem Telegraphen als einem neuen Kommunikationsmedium erstmals fast in Echtzeit nach Osten berichtet. Auch auf diese Weise kam Enthusiasmus für den Krieg auf. Die Bevölkerung berauschte sich an den Heldentaten der Truppen. Die kommandierenden Generäle Zachory Taylor, den sein Kriegsruhm 1850 bis ins Präsidentenamt führte, und Winfield Scott wurden zu Volkshelden. Bemerkenswert ist zudem, dass in der Armee von Scott fast alle der späteren Generäle beider Seiten des Bürgerkriegs als junge Offiziere mit von der Partie waren, darunter Robert E. Lee, Ulysses S. Grant, James Longstreet, George Meade, William Tecumseh Sherman, George B. McClellan, Thomas „Stonewall“ Jackson und der spätere konföderierte Präsident Jefferson Davis. Im Westen drangen die amerikanischen Truppen mit Hilfe der aufständischen Siedler schnell bis an den Pazifik vor, im Süden fiel die Entscheidung durch die Eroberung von Mexiko City im September 1847, wo Scott eine demütigende Siegesparade abhielt. Polks Abgesandter Nicholas Trist handelte mit der mexikanischen Regierung einen Friedensvertrag aus. Der Vertrag von Guadalupe Hidalgo wurde am 2. Februar 1848 unterzeichnet. Er beinhaltete die Festlegung der Südgrenze von Texas entlang des Rio Grande zugunsten der USA, darüber hinaus erhielten die Vereinigten Staaten die späteren Staaten Kalifornien, Nevada, Arizona, Utah sowie den Westen von New Mexico und Colorado und die südöstliche Ecke von Wyoming. Im Gegenzug wurde Mexiko mit fünfzehn Millionen Dollar abgefunden, der Krieg damit zum Kauf umgemünzt. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis das neu gewonnene Territorium befriedet und unter der souveränen Kontrolle
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der USA war. Die Spanisch sprechenden Bürger wurden als zweitklassig behandelt und weiterhin als „Mexikaner“ bezeichnet. Sie wurden oft mit illegalen Methoden um ihr Land gebracht, was das Bandenwesen in der Region beförderte. Der mexikanische Outlaw, der durch zahlreiche Western des 20. Jahrhunderts spukte, ist durch das amerikanische Besatzungsregime erst geschaffen worden. Auch im Tal des Rio Grande sahen sich die Texas Rangers noch jahrelang in einen Guerillakrieg verwickelt. Bis ins 20. Jahrhundert wurde der Südwesten von Revolten und Gewalt geplagt und blieb unbefriedetes Territorium. Obwohl der Krieg zu Ausbrüchen der Begeisterung über die militärischen Erfolge der US Army führte, vertiefte er die Spaltung der USA. Es trat gerade nicht ein, was Polk und seine Anhänger erwartet hatten, nämlich, dass der Kampf gegen den äußeren Feind die Nation im Inneren zusammenschweißen würde. Der Polk-Kritiker und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson prophezeite, mit dem Krieg gegen Mexiko habe die Union quasi Arsen geschluckt. Er behielt Recht. Die Inkorporation der neuen Territorien, vor allem die Frage, ob sich diese nun den „freien“ oder den „sklavenhaltenden“ Staaten zugesellen würden, sollte Amerika überfordern. Der militärische Triumph über Mexiko wurde zur wichtigsten Voraussetzung des Bürgerkrieges.
Besonderheiten des kalifornischen Kriegsschauplatzes
Die Ereignisse des mexikanisch-amerikanischen Krieges in Kalifornien haben bis heute eine besondere Bedeutung für die Bürger der USA. Hier revoltierten, von der US-Regierung angestiftet, die wenigen amerikanischen Siedler gegen die mexikanische Herrschaft. Unter der Führung von William B. Ide erklärten dreißig Amerikaner Kalifornien zur unabhängigen California Republic und hissten am 14. Juni 1846 eine weiße Flagge mit einem Bären und einem roten Stern – analog zur
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg
Flagge des Lone Star State Texas – über der Stadt Sonoma nördlich von San Francisco. Die Bear Flag ist noch heute die offizielle Flagge des Staates Kalifornien. Am 25. Juni erreichte John Charles Frémont mit seinen Truppen die Stadt und sagte den aufständischen Kalifor niern seine uneingeschränkte Unterstützung zu. Auf Befehl von Kommodore Robert F. Stockton führte Frémont Ende des Jahres 1846 eine militärische Operation an der Pazifikküste durch, um Santa Barbara zu erobern. Nach einem Nachtmarsch überraschten Frémont und seine Truppen die Mexikaner am frühen Weih nachtsmorgen, wo sie das Presidio von Santa Barbara, eine typische, ursprünglich von den Spaniern eingerichtete Festung, im Handstreich eroberten. Nach diesem Triumph marschierten Frémont und seine Männer in Richtung Süden auf das damals kleine Dorf Los Angeles zu und zwangen Andres Pico, den Oberbefehlshaber und Gouverneur von Alta California (dem Teil Kaliforniens, der heute zu den Vereinigten Staaten gehört), zur Aufgabe. Denn obwohl die mexikanischen „californios“ sich heldenhaft zur Wehr setzten, waren sie nun bereit, den amerikanisch-mexikanischen Krieg in Kalifornien zu beenden. Am 13. Januar 1847 unterschrieb Pico den Vertrag von Cahuenga, der die Kämpfe offiziell beendete und den spanischsprachigen Einwohnern bei einer Aufnahme in die Union alle Rechte amerikanischer Bürger versprach. Doch bevor Kalifornien diesen Status erreichte, entdeckte im Januar 1848 James W. Marshall auf der Ranch des Schweizer Einwanderers Johann August Sutter Gold. In Windeseile verbreitete sich diese Nachricht in Kalifornien und drang in wenigen Wochen bis an die Ostküste vor. Meldungen über die Funde in der New Yorker Presse lösten eine Hysterie aus. Viele Menschen ließen alles stehen und liegen, um augenblicklich nach Westen aufzubrechen und in Kalifornien schnell reich zu werden. Auch aus Asien und Europa kamen Scharen von Glücksrittern und Goldsuchern. Präsident Polk sah sich nun in seinem Vorgehen gegen Mexiko bestätigt und nutzte den Vorfall, um
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Amerikaner wie Einwanderer zu ermuntern nach Kalifornien zu ziehen. Für ihn war der Goldrausch die Möglichkeit, rasch die amerikanische Besiedlung Kaliforniens voranzutreiben. In der Folge wanderten mehrere hunderttausend Menschen nach Kalifornien, um dort nach Gold zu suchen. Kleine, ehemals spanische Siedlungen wie San Francisco wuchsen zu großen amerikanischen Städten heran, Kalifornien wurde von innen her amerikanisch. Am 9. September 1850 wurde Kalifornien als 31. Staat in die Union aufgenommen, John Charles Frémont als einer der ersten beiden Senatoren nach Washington gesandt. Kalifornien blieb sklavenfrei. Der Konflikt zwischen Nord und Süd steigerte sich weiter.
Die pazifische Macht
Nicht nur innerhalb der amerikanischen Gesellschaft führte der Krieg gegen Mexiko zu einer tiefen Spaltung und ließ zwei politische Strömungen hervortreten, die bis heute immer wieder in Krisensituationen und Kriegszeiten rivalisieren: die Interventionisten, die Amerika als Weltpolizisten und Kämpfer für Demokratie und Freiheit imaginieren, und die anti-imperiale, isolationistische Fraktion, die sich aus den Händeln anderer Staaten heraushalten will. Außenpolitisch schadete der Krieg dem Ansehen der USA, und zwar nicht nur in Südamerika. Anfänglich waren die Vereinigten Staaten in der Phase der Revolu tionen und Unabhängigkeitserklärungen von Spanien als Vorbild betrachtet worden, weshalb z. B. die República Federal Mexicano sich in ihrer Verfassung und inneren Struktur an die USA anlehnte. Doch die Kriegstreiberei Polks und die immer weiter ausgreifenden Ziele der Expansionisten haben dieses Bild zerstört und durch das Bild des negativ konnotierten Yankee ersetzt. Auch verschiedene Versuche der Destabilisierung Kubas und Pläne für einen Kanal durch den mittelamerikanischen Isthmus zum Pazifik festigten dieses Bild.
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Durch die gütliche Einigung mit England über das Oregon-Territorium und den Sieg über Mexiko erstreckte sich das Staatsgebiet der USA nun bis zum Pazifik. Dies bedeutete nicht nur, dass geopolitisch zwei Ozeane den Großteil der US-amerikanischen Grenzen bildeten und den USA weder von Norden noch von Süden her eine nennenswerte militärische Gefahr drohte. Zugleich wurden die USA auch zu einer pazifischen Macht. Seither ist der Pazifik ein direktes Interessensgebiet der Amerikaner, zumal der China-Handel schon im frühen 19. Jahrhundert die kommerziellen Phantasien vieler Amerikaner
Matthew C. Perry – die Öffnung Japans Matthew C. Perry (1794–1858) entstammte einer alten Seefahrerfamilie, auch sein Vater und sein Bruder dienten in der Marine. Mit fünfzehn Jahren wurde er Matrose. Er nahm 1813 auf einem von seinem Bruder kommandierten Schiff an der Seeschlacht auf dem Eriesee teil. 1821 nahm er Key West am äußersten Ende der Florida Keys für die USA in Besitz. Zu seinen weiteren Kommandos gehörten Expeditionen vor der Küste Afrikas, um den seit 1808 verbotenen Sklavenimport in die USA zu verhindern. Er war ein ausgesprochener Modernisierer und gilt als der „Vater der amerikanischen Dampfschiffflotte“. Im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg kommandierte er die Flotte vor Veracruz und unterstützte Winfield Scott durch die Eroberung mehrerer mexikanischer Küstenstädte. Von weltpolitischer Bedeutung waren seine beiden Expeditionen nach Japan 1853–1854. Die erschreckten Japaner, die die Dampfschiffe mit ihren beeindruckenden Kanonen für Drachen hielten, unterzeichneten zunächst einen Handelsvertrag mit den USA. Der militärische Druck führte letztlich zur Öffnung und Modernisierung des Landes.
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beflügelt hatte und Missionare und Händler nach Ostasien ausschwärmten. Dass die weitere Expansion in den Pazifikraum hinein führen würde, sollte sich in späteren Kriegen bewahrheiten. Dieser Drang zum Pazifik wirkt bis in die Gegenwart fort. Für die Europäer ist der Pazifikraum weit entfernt, für die Amerikaner dagegen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Außenpolitik und Verteidigung, gerade in der jüngeren Zeit in Hinblick auf Asien im Allgemeinen und China im Speziellen. Die Richtung der weiteren Expansion war damit vorgegeben. China und Japan wurden für die amerikanischen Handelsinteressen erschlossen. Zudem wuchs der Einfluss der US-Amerikaner auf Hawaii und Samoa. Schon 1851 warnte Secretary of State Daniel Webster Frankreich davor, die Unabhängigkeit Hawaiis zu beeinträchtigen, kündigte die Verteidigung des Inselreiches gegen europäische Mächte durch die US Navy an und dehnte damit die Monroe Doctrine auf den östlichen Pazifik aus. 1853 stieß Commodore Matthew C. Perry mit vier schwarzen Dampfschiffen in die Bucht von Tokio vor und erzwang die Öffnung Japans. Besonders aber der Erwerb Alaskas von Russland im Jahre 1867 festigte die Position der Amerikaner im Pazifikraum, auch wenn sich die Öffentlichkeit angesichts des stolzen Kaufpreises von 7,2 Millionen Dollar mit Bezeichnungen wie „Seward’s Icebox“ (Außenminister Sewards Gefriertruhe) und Präsident Andrew Johnsons „Eisbärengarten“ zunächst darüber lustig machte.
Birth of a Nation: Der Amerikanische Bürgerkrieg
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m 19. November 1863 sollte auf dem Schlachtfeld von Gettysburg in Pennsylvania Amerikas erster nationaler
Soldatenfriedhof eingeweiht werden. In der blutigsten, drei Tage dauernden Schlacht des amerikanischen Bürgerkriegs (1.–3. Juli 1863) hatten etwa 160 000 Soldaten gekämpft. Fast 50 000 Opfer waren zu beklagen, darunter knapp 6000 Tote. Im Anschluss an die zweistündige Lobrede auf die Toten, die der damals berühmte Geschichtsprofessor Edward Everett hielt, sollte der Präsident der Union, Abraham Lincoln, ein „paar passende Worte“ sagen. Der Präsident war gemeinsam mit mehreren Mitgliedern seines Kabinetts am Vorabend im Sonderzug aus dem nahen Washington nach Gettysburg gekommen. Die Spuren der Schlacht waren noch unübersehbar: frisch aufgeworfene Massengräber, zerstörte Häuser und Geschütze, sogar die Reste verendeter Pferde lagen herum. Die zehn Sätze oder 272 Wörter, die Lincoln damals an die An wesenden richtete, gingen als Gettysburg Address in die Geschichte ein. Es sind Worte, die Amerika „neu schufen“ – so der Historiker Gary Willis. Obwohl die Rede gerade einmal fünf Minuten dauerte, wurde sie zu einem Dokument der Weltliteratur, so berühmt, dass sie noch heute viele Schüler in den USA auswendig lernen müssen. In Stein gemeißelt kann jeder Besucher sie an den Wänden des Lincoln Memorial in Washington lesen. Zunächst war der Applaus nur verhalten, weil viele der Anwesenden den Präsidenten kaum hören konnten oder
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Abraham Lincoln – Präsident der Einheit Abraham Lincoln (1809–1865) gilt neben George Washington und Franklin D. Roosevelt als der bedeutendste amerikanische Präsident. Er wurde im November 1860 als erster Politiker der Republikaner ins Präsidentenamt gewählt und vier Jahre später wiedergewählt. Lincoln war Autodidakt und arbeitete sich im Selbststudium in die Rechtswissenschaften ein. Durch harte Arbeit schaffte er den sozialen Aufstieg und wurde 1832 ins Parlament von Illinois gewählt. Bereits zu Lebzeiten galt er als der prototypische „selfmade man“. Nachdem er eine Weile im Repräsentantenhaus in Washington war, zog er sich 1849 aus der Politik zurück. Unter dem Eindruck der sich verschärfenden Auseinandersetzung über die Sklavenfrage wandte er sich wieder der Politik zu. Berühmt wurden seine Debatten 1858 mit seinem großen Gegenspieler Stephen Douglas, mit dem er (erfolglos) um das Amt des Sena-
den Gehalt der Worte nicht sofort erkannten. Die Zeitgenossen reagierten gespalten, doch über die Jahrzehnte ist sie zu einem zentralen, quasi verspäteten Gründungsdokument der USA geworden. Der 16. Präsident der Vereinigten Staaten formulierte in wenigen Sätzen sein politisches Vermächtnis. Er beschwor das individuelle Opfer der Soldaten, „die ihr Leben ließen, auf dass diese Nation leben möge“ und dass die Freiheit „eine Neugeburt erfahre“. Inspiriert von biblischen Texten und antiken Totenreden, formulierte Lincoln den minimalen Konsens, was Amerika repräsentierte und wofür die Soldaten gestorben waren: „dass diese Nation, unter Gott, eine Neugeburt der Freiheit erfahre – und dass diese Regierung des Volkes
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tors von Illinois konkurrierte. Hier machte Lincoln seine Haltung zur Sklaverei und zum Gleichheitsgebot der Verfassung deutlich, auch wenn er abstritt, ein Abolitionist zu sein. Vielmehr warf er den Sklavenbefürwortern vor, ihr System auf den Westen ausdehnen zu wollen. Als er 1860 zum Präsidenten gewählt wurde, verstanden die Südstaaten dies als eine Art Kriegserklärung. Unter seiner Führung und durch sein energisches Vorgehen gegen die Sezession festigte sich das Bild der USA als Bundesstaat mit starker Zentralregierung. Während die weißen Amerikaner des Nordens ihn als Bewahrer der Einheit betrachten, verehren ihn die Afroamerikaner vor allem aufgrund der Emancipation Declaration. Ihm und George Washington zu Ehren führten die Vereinigten Staaten den Feiertag President’s Day ein. Neben den Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson und Theodore Roosevelt ist Lincolns Bildnis einer der in Stein gemeißelten Köpfe von Mount Rushmore in South Dakota.
durch das Volk und für das Volk nicht aus der Welt verschwinde“. Er brachte auf den Punkt, worum es in diesem Bürgerkrieg ging, wofür Amerika gekämpft hat und wofür es letztlich steht. Lincolns Worte verdeutlichen sein Bestreben, die Einheit der Nation zu wahren, wenn er auch den Begriff „Union“ in dieser Rede sorgfältig vermied. Für ihn war es wichtig, dass die Vereinigten Staaten nicht zerbrachen, sondern weiterhin als Hort der Freiheit und der Demokratie auf den Rest der Welt ausstrahlten. Die Ziele Amerikas werden hier erneut als Vision für die gesamte Menschheit ausgemalt. Der Bürgerkrieg ist nach der Unabhängigkeitserklärung das zentrale Ereignis der US-Geschichte. Er prägt Kultur und Selbstverständ-
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nis der USA bis heute. Deshalb schlägt sich der Bürgerkrieg auch immer wieder in der Populärkultur nieder. Schon früh hat Hollywood mit dem umstrittenen Klassiker „Birth of a Nation“ den Bürgerkrieg entdeckt. Allen voran aber stehen die Verfilmungen „Vom Winde verweht“ oder „Fackeln im Sturm“, die beide Liebesgeschichten erzählen, die vor dem Hintergrund des Krieges spielen, in dem die Welt der Südstaatenaristokratien zusammenbricht. Meist wurde in der Populärkultur die Verteidigung einer romantisierten Szenerie des Südens gegen Aggressoren aus dem Norden bemüht. Der Plot baut auf der Figur des „Southern Gentleman“ auf, der unverschuldet in den blutigen Konflikt hineingezogen wird. In der TV-Verfilmung „Fackeln im Sturm“ spielt Patrick Swayze diesen Typ, den Südstaatler Orry Main. Er will lediglich seine Heimat, seine Familie und seine Lebensweise verteidigen und muss schließlich damit zurechtkommen, dass nach der Niederlage 1865 seine Welt nicht mehr die gleiche ist. Seine Ideale, seine Werte und sein gesamter Lebensentwurf gehören der Vergangenheit an. Der Süden ist besiegt und muss sich dem Norden unterordnen und anpassen.
Krieg zwischen den Staaten
Der Konflikt zwischen Nord und Süd wurde zu einer Zerreißprobe für das nicht mehr ganz junge Amerika. Die Spuren sind bis heute überall im Land zu finden. Nicht nur die Soldatenfriedhöfe, auch die vielen Schlachtfelder, die vom National Park Service gepflegt werden, erinnern an den Bürgerkrieg. Die „battle flag“ der Südstaaten (die „stars and bars“) ist noch heute weit über den amerikanischen Kontinent hinaus bekannt und wird, in krasser Verkennung der historischen Tat sachen, gerne von Menschen vereinnahmt, die sich als Rebellen verstehen und die in ihrem Freiheitsdrang die herrschenden Verhältnisse nicht anerkennen wollen. Auch findet man in den Südstaaten auf öffentlichen Plätzen noch immer Denkmäler und andere Erinnerungs -
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orte, die die Südstaatensymbolik verherrlichen. Um die regionale Identität zu stärken, wird die Flagge nicht als Flagge der Sklaverei, sondern als Flagge des einzelstaatlichen Selbstbehauptungswillens re-interpretiert. Regelmäßig brechen daher „history wars“ über die Symbolik des Bürgerkriegs in den Hauptstädten der ehemaligen Südstaaten aus. Es wird unter Historikern mitunter die These vertreten, dass die Vereinigten Staaten bis auf Vietnam keinen Krieg verloren hätten. Doch würden Patrioten aus den Südstaaten dem widersprechen: Man habe Vietnam verloren – und den War Between the States, den Krieg zwischen den Staaten. Die Ansicht, dass dieser Konflikt ein Bürgerkrieg gewesen sei, setzte sich unter Zeitgenossen erst in den 1870erJahren durch, als der Krieg schon vorbei war und man sich auf eine für beide Seiten akzeptable Formulierung einigen musste. Je nach Perspektive und Standpunkt erhielt der Krieg zeitgenössisch eine andere Bezeichnung. Neutral sprach man von einem War Between the States, der Norden verwendete die Bezeichnungen War of the Rebellion, War of Insurrection oder Slaveholders’ War und verdeutlichte damit, dass sich der Süden im Unrecht befand. Die Südstaatler waren nicht nur Sklavenhalter, sondern mit Beginn des Konflikts Rebellen und Aufständische. Sie hatten den Krieg verschuldet. Man sah sich im Norden im Recht und unterstrich das durch entsprechende Formulierungen. Doch auch der Süden hat seine eigenen Bezeichnungen. Dort sprach man vom War of Secession, Mr. Lincoln’s War oder gar dem War of Northern Aggression. Gelegentlich findet man noch heute Menschen in den ehemaligen Südstaaten, die diese Begriffe bewusst verwenden. Auch sie wollen den Schuldigen klar benennen: Der Norden im Allgemeinen und Lincoln im Besonderen sollen als Aggressoren in Erinnerung bleiben. Es gibt sogar die Bezeichnung The War of the Second American Revolution. Diesem Ausdruck liegt die Annahme zu Grunde, dass sich die Südstaaten gegen die Tyrannei des Nordens wehren mussten, so wie einst die Kolonisten gegen das Mutter-
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land England, in deren Tradition man sich gerne gesehen hätte. Im Nachhinein wurde der Bürgerkrieg dann auch zu The Lost Cause erklärt, d. h. eine gut gemeinte, aber letztlich erfolglose Sache.
Kompromisse auf dem Weg in den Bürgerkrieg
Die Gründe und Ursachen für den Amerikanischen Bürgerkrieg liegen nicht einfach nur in der Frage der Sklaverei, wie häufig im Volksmund behauptet wird. Sie sind struktureller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art und begleiteten die amerikanische Nation von Anfang an. Die Sklaverei war ein wesentlicher Faktor, doch war sie nicht die alleinige Ursache, sondern aus einer bestimmten Perspektive Symptom einer divergierenden gesellschaftlichen Entwicklung in Nord und Süd. Während der Verfassungsberatungen 1787/88 war eine hitzige Debatte über die Sklaverei entflammt, in deren Verlauf die Südstaaten zum ersten Mal mit ihrer Abspaltung drohten. Einer Abschaffung der Sklaverei wollten sie nicht zustimmen. Zu sehr waren ihre Lebensweise und ihre Wirtschaft auf dem System der Sklaverei aufgebaut. Ein Verbot der Sklaverei in der Verfassung hätte den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch des Südens bedeutet. Schließlich einigten sich beide Seiten auf eine Duldung der Sklaverei um der nationalen Einheit willen. Der Süden durfte sein System behalten; die Sklaven wurden bei der Berechnung der Sitzverteilung im Kongress zu drei Fünfteln berücksichtigt und die Abschaffung des Sklavenhandels für 1808 in Aussicht gestellt. Mit diesem Kompromiss hatte man das Problem letztlich nur vertagt. Durch den dynamischen Prozess der Westexpansion kamen im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder neue Staaten hinzu. Bei jeder neuen Staatsgründung stellte sich daher die Frage, ob dieser Staat ein sklavenhaltender Staat sein werde oder nicht, weil sich dadurch die
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Mehrheitsverhältnisse im Senat ändern konnten (wo jeder Staat unabhängig von seiner Größe mit zwei Senatoren repräsentiert ist). So trug die Westexpansion die Sklavenfrage in den amerikanischen Westen und sorgte für immer neue politische Spannungen. Eine Zeit lang wurden neue Staaten in Paaren aufgenommen, um die Balance zwischen „freien“ und „sklavenhaltenden“ Staaten zu gewährleisten. Zu einer ersten massiven Debatte kam es 1820, als Missouri als Staat organisiert und aufgenommen werden sollte. Missouri grenzte an den Süden, seine Gesellschaft forderte die Sklaverei. Ein Konflikt konnte nur abgewendet werden, indem Maine, das sich von Massachusetts abgetrennt hatte, gleichzeitig als „freier“ Staat organisiert wurde. Somit herrschte weiter die Balance zwischen beiden Lagern. Diese Lösung ging als Missouri Compromise in die Geschichte ein, der zugleich festlegte, dass im Louisiana-Territorium nördlich des Breitengrades von 36 Grad 30 Minuten (d. h. der Südgrenze von Missouri) keine neuen sklavenhaltenden Staaten organisiert werden durften. Der nächste Konflikt zeichnete sich nach dem Ende des mexikanischen Krieges ab. Der Expansionsdrang der USA brachte der Nation zwar neue Gebiete ein, aber welcher Seite sich dieses neue Territorium nun zugesellen würde, war hoch problematisch. Die Aufnahme Kaliforniens als 31. Bundesstaat im Jahr 1850 gefährdete die Balance zwischen den mittlerweile fünfzehn sklavenhaltenden und den fünfzehn freien Staaten. Der 1820 ausgehandelte Missouri Compromise konnte für die neuen Gebiete nicht angewendet werden, da dieser sich nur auf den Louisiana Purchase bezog. Da alle neuen Gebiete südlich der festgesetzten Linie lagen, gelang es erst nach einer siebenmonatigen Debatte, einen neuen Kompromiss zwischen Nord und Süd quer über die Parteien hinweg auszuhandeln. Der Kompromiss von 1850 gelang Senator Stephen A. Douglas aus Illinois. Das Zugeständnis an den Norden war, dass Kalifornien und Oregon sklavenfrei blieben und dass der Sklavenhandel in der
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Hauptstadt Washington verboten würde. Dem Süden wurde zugesichert, dass die Bevölkerung in den neuen Gebieten bei der Staatswerdung selbst über ihren Status nach dem Prinzip der „popular souvereignty“ bestimmen konnte. Damit anerkannte der Kongress indirekt, dass die Staaten selbst über die Abschaffung oder die Beibehaltung der Sklaverei entschieden. Zusätzlich wurde dem Süden der Fugitive Slave Act zugestanden, um in den Norden geflohene Sklaven zu fassen und in den Süden zurückbringen zu können. Das hatte die unbeabsichtigte Folge, dass rabiate Sklavenjäger mit eingefleischten Abolitionisten entlang der Grenzen zwischen Nord und Süd Katz und Maus miteinander spielten und in Scharmützel verwickelt wurden. In der Folgezeit versuchten Politiker beider Seiten das Thema Sklaverei aus ihrer politischen Rhetorik auszublenden. Der neugewählte demokratische Präsident Franklin Pierce bemühte sich durch außenpolitische Maßnahmen, die beiden Lager wieder zu vereinen. Wie bereits sein Vorgänger Polk streckte er seine Fühler nach Kuba aus, für das sich die USA schon länger interessierten. Pierce löste mit diesem Expansionsgedanken aber lediglich einen Proteststurm unter den Abolitionisten aus, die nicht zu Unrecht befürchteten, dass die Union sich Kuba nur als Sklavenstaat einverleiben könnte. Eine Expansion in die Karibik, so fürchtete der Norden, würde die Balance zwischen den sklavenhaltenden und den freien Staaten stark gefährden. Pierce ließ von Kuba ab. Die Insel blieb aber dem direkten Einfluss der Amerikaner ausgesetzt. Schließlich war es Stephen A. Douglas, der Schlichter von 1850, der das Thema Sklaverei erneut auf die Tagesordnung brachte. Da er den Staat Illinois repräsentierte, trieb ihn die Vision einer transkontinentalen Eisenbahn an. Chicago sollte zum Ausgangspunkt des sich nach Westen erstreckenden Schienenstranges gemacht werden. Er schlug vor, die unorganisierten Gebiete zwischen dem Mississippi und den Rocky Mountains zu den Staaten Kansas und Nebraska zu ma-
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chen. Seinem Plan zufolge sollte die popular sovereignty gelten, was den Missouri Compromise auch hier außer Kraft gesetzt hätte. Dabei ließ sich Douglas von der Überlegung leiten, dass auf den Great Plains letztlich Sklaverei ökonomisch sinnlos wäre. Es fehlten dort die klimatischen Voraussetzungen für eine dem Süden vergleichbare Plantagenwirtschaft. Douglas ging davon aus, dass die neuen Staaten „sklavenfrei“ werden würden, hatte jedoch in seinem ökonomischen Kalkül den Symbolwert der Ausbreitung der Sklaverei unterschätzt. Douglas konnte die Stimmen der Südstaaten für seinen Plan gewinnen, die nun ihrerseits die Hoffnung hegten, zumindest in dem südlicher gelegenen Kansas die Sklaverei einführen zu können. Unter heftigen Protesten der Abolitionisten im Kongress wurde der Kansas Nebraska Act verabschiedet. Die Folgen für Kansas waren verheerend. Der künftige Staat profitierte nun nicht etwa von der kommenden Eisenbahn, sondern wurde zum Austragungsort eines erbitterten Guerillakampfes, der zehn Jahre dauern sollte und den Bürgerkrieg in dem fragilen Territorium an der Westgrenze quasi vorwegnahm. Denn bevor über die Frage der Sklaverei in Kansas abgestimmt werden konnte, strömten Siedler aus Nord und Süd nach Kansas, um die Mehrheit unter den Einwohnern zu erlangen. Beide Seiten wendeten Waffengewalt an und versetzten das Territorium in einen bürgerkriegsartigen Zustand (Bleeding Kansas). Gegner und Befürworter der Sklaverei lieferten sich einen Stellvertreterkrieg und versuchten mit allen Mitteln ihre moralischen Vorstellungen, ihr Gesellschaftsmodell und ihr Wirtschaftssystem durchzusetzen. Vor allem die Öffentlichkeit der Nordstaaten sah in diesem Prozess eine südliche Aggression, um die Sklaverei in den Norden zu tragen, obwohl beide Seiten gleichermaßen mit fanatischer Gewalt vorgingen.
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Erbitterte Gegner der Sklaverei
Lincoln sprach von einer Zerreißprobe, vor der die amerikanische Union stand. War man bislang erfolgreich aus den Kriegen mit anderen Nationen hervorgegangen und konnte so die eigene Machtposition erweitern, so schlitterten die Vereinigten Staaten nun in einen inneren Konflikt, der zu einer Spaltung der Nation führen konnte. Damit würde die gewonnene Vormachtstellung verloren gehen und zwei konkurrierende Staaten in Nordamerika entstehen. Diese Sichtweise machte Lincoln in seiner House Divided Speech vom 17. Juni 1858 deutlich. Er bemühte das biblische Bild eines geteilten Hauses (Matthäus 12,25), das zusammenbrechen würde, wenn es nicht zusammensteht: „I believe this government cannot endure permanently half slave and half free.“ Die Tiefe des Bruchs lässt sich gut an der Haltung der radikalen Abolitionisten zeigen. Sie waren erklärte und aus Sicht der Südstaaten radikale Gegner der Sklaverei, die die sofortige und bedingungslose Emanzipation der Sklaven forderten. Hierbei nahmen sie keine Rücksicht auf Traditionen oder das Wirtschaftssystem des Südens. Überlegungen, wie dieses Wirtschaftssystem ohne Sklaverei weitergeführt werden könnte, waren für sie nebensächlich. Es ging um das sofortige Ende der Sklaverei, die in der Sicht der Abolitionisten als ein unmoralisches System die Freiheit des Nordens bedrohte. Mit dieser extremen Einstellung riefen sie Existenzängste und aggressive Reaktionen bei ihren Gegnern im Süden hervor. Sklavereigegner gab es in Nordamerika bereits seit sich die Plantagenwirtschaft dort etabliert hatte. Jahrzehnte später sammelte die abolitionistische Bewegung diese Tendenzen auf und vereinigte weiße Philanthropen, religiös inspirierte Sklavereigegner und schwarze Agitatoren zu einer starken und lauten Gruppierung. Der Abolitionismus als breite Bewegung hatte seinen Ursprung im Jahr 1831, als William
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Frederick Douglass und John Brown – Black Power im 19. Jahrhundert Der 1818 geborene Frederick Douglass wuchs als Sklave auf. Nach zwei Fehlversuchen gelang ihm 1838 die Flucht in den Norden. Er gilt als Autodidakt und brachte sich selbst Lesen und Schreiben bei. Douglass schloss sich später den Abolitionisten an und übte durch seine Publikationen über den Zustand der Sklaverei und seine Autobiografie großen Einfluss auf die Gesellschaft der Nordstaaten aus. Als positives Beispiel, wie es allen Afroamerikanern ergehen könnte, wenn sie nur die gleichen Bildungsmöglichkeiten hätten und gesellschaftlich gleichgestellt wären, gilt er als der einflussreichste Afroamerikaner des 19. Jahrhunderts. Weniger intellektuell, sondern ein Mann der Tat und der Härte war der religiöse Fanatiker John Brown (1800–1859). Von abolitionistischen Geldgebern unterstützt versuchte er, in Bleeding Kansas die Sklaverei mit Waffengewalt zurückzudrängen und 1859 einen Aufstand der Sklaven herbeizuführen. Er versuchte, das Bundesarsenal bei Harper’s Ferry nahe der Grenze von Virginia zu Maryland einzunehmen und zugleich die Sklaven der Region unter seiner Führung zu versammeln. Nach seiner Hinrichtung wurde Brown im Norden zum Märtyrer stilisiert. Über seine fehlgeschlagene Aktion entbrannte ein neuer Disput. Während er im Norden verehrt wurde, hatte der Süden nun augenscheinlich konkrete Beweise für eine gewaltsame Erhebung des Nordens.
Nachfolgende Doppelseite: Gerade einmal 89 Meilen waren die beiden Hauptstädte Washington, D. C. und Richmond, Virgina voneinander entfernt. Entsprechend tobte der Bürgerkrieg vor allem in den Staaten entlang der Grenze zwischen Nord und Süd.
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AMERIKA DEN AMERIKANERN
OREGON TERRITORIUM
DER AMERIKANISCHE BÜRGERKRIEG
DAKOTA TERRITORIUM
NEBRASKA TERRITORIUM
UTAH TERRITORIUM
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MINNESOTA TERRITORIUM
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