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German Pages 457 [456] Year 1890
AMERIKA als neueste Weltmacht der Industrie
Von
E.v. Hesse -Wartegg
BOSTON STORE S HILLMANS
Copyright by Detroit Photographic Co. State Street in Chicago .
Amerika
als
neueste
Weltmacht
der Industrie
Neue Bilder aus handel , Induſtrie und Verkehr in den Vereinigten Staaten .
Von
Ernſt
von
O
Heſſe -Wartegg
Mit 73 Abbildungen im Text und 8 Einſchaltbildern
SCEAMMI
MDCCCXC
Stuttgart, Berlin , Leipzig Union Deutſche Verlagsgeſellſchaft
Nachdruck verboten Alle Rechte , insbeſondere das der Überſetzung, vorbehalten
Druck der Union Deutſche Verlagsgeſellſchaft in Stuttgart
1
Vorwort.
in
Europa iſt ſeit der großen Revolution Frankreich vor nehmlich jenes Land geblieben , in
welchem die neuen
Jdeen über geiſtige und kulturelle, politiſche und religiöſe Fragen zuerſt in die Wirklichkeit überſegt worden ſind . In der Neuen Welt aber gingen die Vereinigten Staaten in Bezug auf Freiheit und Gleichheit der Bürger Frankreich voran .
Lange vor
der Revolution waren dieſe Grundſätze allgemein durchgeführt und jeither hat die große amerikaniſche Republik auch in Bezug auf viele andere Fragen allmählich die Führung übernommen .
Dort wird wohl
früher oder ſpäter auch das Problem der Beziehungen zwiſchen der weißen und ſchwarzen Kaſſe gelöſt werden.
Ebenſo dürfte Amerika
zum Vorfämpfer der weiſen gegenüber der gelben Raſſe außerſehen ſein , und damit auch die Entſcheidung über die Vorherrſchaft über die weiten Gebiete des Stillen Ozeans durchzuführen haben. Republik iſt zur unbeſtrittenen
Vormacht
Die große
über Mittel- und
Süd
amerika geworden , zum Beherrſcher der neuen Weltverkehrslinie des Panamakanals und ihrer Zufahrten, und einer der wichtigſten Mächte in Bezug auf Oſtaſien.
Aber auch im Innern der Union gehen große
Weltprobleme der Löſung entgegen , jenes zwiſchen Kapital und Arbeit, zwiſchen der öffentlichen
Volfsmacht
und
den herrſchenden Truſts,
zwiſchen Regierungsgewalt und den Großmächten des Privatfapitals . teine Nation beſitt größere
Hilføquellen
als unſere, und ich
glaube, es kann auch wahrheitsgemäß geſagt werden , daß keine Nation größere Energie und induſtrielle Fähigkeiten beſitzt.
Bei keiner Nation
Vorwort.
IV
ſind die fundamentalen Geſchäftsbedingungen geſünder als augenblicklich die unſrigen ... Unſer Volk beſorgt in der Regel ſeine Geſchäfte mit Ehrlichkeit und Rechtſchaffenheit, und das bezieht ſich
ebenſoſehr
auf Agrikultur und Induſtrie, wie auf Eiſenbahnen und Bankweſen , und alle bandelsunternehmungen ." Das ſind die ſtolzen Worte, mit welchen der Präſident der Ver einigten Staaten im Dezember 1907 ſeine Botſchaft an die amerika nijchen Volksvertretungen beginnt. unmittelbar
darauf
von
Er konnte allerdings nicht umhin ,
der Unehrlichkeit und Gewiſſenloſigkeit zu
ſprechen , welche ſich infolge der mangelhaften Kontrolle und anderer Umſtände in allen Zweigen des amerikaniſchen Geſchäftslebens langſam eingeſchlichen haben und ſogar
in
der oberſten Volksvertretung , im
Senat, zu finden ſind . Präſident Rooſevelt hatte dabei vornehmlich die gewaltigen Truſts im Sinn , welche zu den tatſächlichen Herren des großen Landes ge worden ſind und ſich aller wichtigſten Naturprodukte, Induſtrien und Verkehrslinien bemächtigt haben .
So ſind beiſpielsweiſe die Eiſen
bahnen in den meiſten Ländern der ziviliſierten Welt in den Beſitz des Staates übergegangen , in Amerika aber liegen drei Viertel des geſamten Eiſenbahnnepes, mehr als ganz Europa Eiſenbahnen ent hält , in den Händen von ſieben Männern : Morgan , þarriman , Vander bilt, Frick, Hill, Gould und Moore ! Sie beherrſchen dieſe Lebensadern des Kontinents ohne irgend welche ſtaatliche Kontrolle , ſpielen mit den in ihnen angelegten Milliarden , und den Machenſchaften einzelner Finanzleute iſt es zuzuſchreiben , daf, nur um eine Tatſache hervorzuheben , in den ſechs Monaten um die Jahreswende 19078 die Nursverluſte über fünftauſenddreihundert Millionen Marf betragen haben .
Jn ähnlicher
Weije liegen die größten Induſtrien und Landesprodukte in den Händen weniger Milliardäre .
Anſcheinend ſind dieſelben
voneinander unab :
hängig , in Wirklichkeit aber hängen ſie mit ihren Intereſſen innig zuſammen , arbeiten ſich gegenſeitig in die Taſchen und haben jo die Monopole geſchaffen , welche heute das amerikaniſche Volk bedrücken .
V
Vorwort.
Alle Fäden ſcheinen unmittelbar oder auf Umwegen in der Hand eines Mannes zuſammenzulaufen : Rockefeller. Der Kampf gegen dieſe Truſts iſt das größte Problem , das ſich gegenwärtig den Amerikanern darbietet.
Sie zu brechen iſt das Haupt
ſtreben ihres Präſidenten , und es wird ſich bald zeigen , ob das ameri kaniſche Volk ihn dabei zu unterſtützen geſonnen iſt, oder ob es ſich eigenen Schaden von den Truſtmagnaten unterjochen
wieder zu ſeinem läßt.
Alle dieſe Fragen ſind für das mit Kapital und Arbeit unmittelbar beteiligte Europa aber noch
von tief
einſchneidender
das unverhältnismäßig
Bedeutung .
raſche Anwachſen
Dazu tritt
Amerikas zur
kommerziellen und induſtriellen Weltmacht, als welche es nur mehr mit England und Deutſchland rivaliſiert. An dem Welthandel war
im Jahr 1907 England mit zweiund
zwanzig Milliarden beteiligt , Deutſchland mit fünfzehneinhalb Mil liarden und Amerika mit vierzehn Milliarden .
Vergleicht man dieſe
Zahlen mit jenen vor einem Jahrzehnt, jo ergibt ſich allerdings für Deutſchland die bedeutendſte Zunahme, nämlich um ſechsundachtzig v. H., während ſie bei Amerika zweiundachtzig v. H. , bei England nur ſechs undfünfzig v . v. beträgt .
Aber dieſe Zahlen
geben
kein richtiges
Bild der Produktivität der drei induſtriellen Weltmächte.
Als ſolches
können viel eher die Ausfuhrwerte allein gelten , und was dieſe be trifft, jo hat Amerika bereits England überflügelt und ſteht jeßt ſchon an erſter Stelle; während des legten Jahrzehnts belief ſich die deutſche Ausfuhr auf einundfünfzig Milliarden , die engliſche auf zweiundſechzig dreiviertel Milliarden , jene der Vereinigten Staaten aber auf nahezu vierundſechzig Milliarden .
Allerdings iſt dafür der Prozentſatz der
Zunahme in Deutſchland am größten geweſen. Erport ſtieg gegenüber jenem
Der amerikaniſche
vor einem Jahrzehnt um
fünfundſiebzig
v . H. , jener Englands um zweiundachtzig v . v . , der deutſche Grport hat indeſſen
um
neunundachtzig v. H. zugenommen .
Noch eine weitere Tatſache muß dabei berücfjichtigt werden , nämlich
Vorwort .
VI
die Art der Ausfuhrartikel .
In Amerika beſtehen ſie zu zwei Drittel
aus Rohmaterialien und Produkten der Landwirtſchaft und nur zu einem Drittel
aus Induſtrieprodukten.
In
Deutſchland
aber erreicht die
Summe der Induſtrieprodukte nicht weniger als vierundachtzig v . H. der geſamten Ausfuhr , und dieſe geht immer noch zum großen Teil nach Amerika .
Sie ſtieg beiſpielsweije trotz der hohen Schutzölle, mit
denen ſich Amerika ummauert , während des abgelaufenen Jahrzehnts um hundertdreißig v . H. , jene Amerikas nach Deutſchland nur um drei unddreißig v. H. jenſeits
Der Handel Deutſchlands mit der großen Republik
der Atlantis ,
ebenſo
wie ſeine ſonſtigen Beziehungen mit
ihr haben heute einen Umfang erreicht, wie mit feinem anderen Lande. In Anbetracht dieſer Tatſachen fann man ſich in Deutſchland nicht genug mit den Verhältniſſen in den Vereinigten Staaten beſchäftigen . In den nachſtehenden Kapiteln habe ich es daher verſucht, die Entwick lung Amerikas zu ſeiner heutigen Größe , ſeine verſchiedenen natürlichen Hilfsquellen, feine Induſtrien und deren Vereinigung zu Trujis, jowie endlich die Bedeutung der neugeſchaffenen Verhältniſſe für den Welt markt auf Grund
meiner Reiſen
und
Beobachtungen
zu ſchildern .
E. v. Heſſe -Wartegg.
Inhaltsüberſicht. Seite 1
1. Die Entwidlung Amerikas 2. Die Beſiedlung des Weſtens .
14
3. Der Aufbau von Süd und Nord
27
4. Die Einwanderer auf der Fahrt
.
38
5. Das neueſte New York .
48
6. New York unter der Erde .
64
7. New York in den Wolken
71 81
8. Die Börſe von New York . 9. Amerikaniſche Millionäre
.
89 99
10. Das Spiel mit Millionen .
120
11. Der Niagara in Feſſeln 12. Elektriſche Fabriken am Niagara
.
131
13. Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe
138
14. Rockefeller und der Öltruſt
149
15. Pittsburg
159
16. Der Stahltruſt und ſein Reich
174
17. Die Stahlwerke von Homeſtead .
186
18. Carnegie .
195
19. Stahl iſt Trumpf
205
20. Kohle
216
21. Das Werden von Chicagu .
227
22. Chicagos Induſtrien .
245
23. Ein Schlächter -Märchen .
256
24. Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte .
270
25. Minneapolis, die Mühlenſtadt
284
26. St. Paul und ſein vinterland
296
VIII
Inhaltsüberſicht.
27. Ein zweites Chicago am
Superiorſee
28. Die Eiſenminen am
Superiorſee
Seite 310
321
29. Volzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons
330
30. Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft 31. Die politiſche Wahlmaſchine •
345
32. Newport, das Millionärbad
361
339
33. Das Baumwollreich
374
34. Die Probleme des Panamakanals .
382
35. Alaska .
392
36. Þawaii.
407
Copyright 1901 by Detroit Photographic Co. Die Freiheitsſtatuc iin Hafen von New York.
1. Die Entwicklung Amerikas . as
D
machtvolle
Auftreten
der Vereinigten
Staaten
von Nord
amerika in allen Weltteilen und auf allen Gebieten in der letzten
Zeit muß gerechtes Erſtaunen erwecken .
Noch zur Zeit unſerer Groß
väter wurden die Vereinigten Staaten als nicht viel mehr wie etwa heute Kanada
oder
Braſilien
angeſehen , ein Land von ungeheurer
Ausdehnung mit ſpärlicher Bevölkerung und ſpärlichen Hilfsmitteln, o hne irgendwelchen Einfluß auf die Weltpolitit .
Heute iſt es einer der
wichtigſten , wenn nicht gar der wichtigſte Faktor in dieſer geworden , mit entſcheidender Machtfülle, die ſogar in den alten Kulturländern Europas immer mehr zum
Ausdruck kommt.
Amerikaniſcher Einfluß
iſt nicht nur in Zentral- und Südamerika heute maßgebend , er zeigt ſich in Oſtaſien , Auſtralien , in der ganzen Südſee, wie im Maraibiſchen 1 þeſie- Wartegg , Amerita .
Tie Entwidlung Amerikas.
Meere, er beherrſcht den nördlichen Stillen wie den Atlantiſchen Ozean ; amerikaniſche Kriegſchiffe haben an den Dardanellen die Türkei zur Neachtung
Ihrer Verpflichtungen
gezwungen , amerikaniſche Staates die Zukunft Marokkos
mámer nahmen an den Verhandlungen um
tell , und die politiſche Macht der Vereinigten Staaten iſt ſo geſtiegen , Dalt fogar in den gang ſelbſtändigen Staaten Südamerikas die euro polichen ( rozmächte nichts mehr unternehmen , ohne ſich vorher mit Der Wormacht der Neuen Welt ins Einvernehmen zu ſeßen , fie gewiſſer mafien om Erlaubnis fragen . Auf dem Wege nach den Ländern des ferment itene haben ſich die Vereinigten Staaten Etappen geſchaffen , fie find in eftindien wie in den chineſiſchen Gewäſſern zur Kolonial macht geworden , in felbit in Afrika iſt die Negerrepublif Liberia nicht uglaat dieier mächtigen Bormacht der Neuen
mehr als ein
viel ett
rotz bat der legte Staatefretär des Auswärtigen ihre Ber:
arter angewiesen , lich einiach als „amerikanische Botichafter“ , „ ameri Pande wonindra ju nennen , als gabe es in der Neuen Welt feine andere
de denn jente der Vereinigten Staaten .
Movie in der Wolinit , in beeinflusst dicies neue Amerika die Kelt auch durch In
einem
geralrigen bundel und seine induitrie.
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Die Entwidlung Amerikas.
3
hunderts die engliſchen Machthaber und erklärten ſich zu einem ſelb ſtändigen Staatenbunde , der dank der Zerfahrenheit und der Eifer ſüchteleien in Europa bald anerkannt wurde. Damals reichte der Land beſig der zu Staaten gewordenen Kolonien von der Atlantiſchen See küſte bis an den Miſſiſſippi, doch beſaßen nur die Neuenglandſtaaten , dann der Oſten von Pennſylvanien, New York, Virginien und Geor gien nennenswerte Bevölkerung.
Buffalo , zwiſchen dem
Erie- und
TUN
DR AU
Phoenix BEER Copyright 1900 by Detroit Photographic Co. Elliot-Square-Haus in Buffalo . Ontarioſee gelegen , war der äußerſte Vorpoſten der weißen Kultur, eine Anſiedlung von Trappern und Fägern .
Heute iſt es die acht
größte Stadt der Union mit nahe einer halben Million Einwohnern , prachtvollen
Straßen und rieſigen Geſchäftsgebäuden .
Weſtlich vom
achtzigſten Breitegrad war noch alles wildes , von den tapferen, damals noch mächtigen Indianerſtämmen beherrſchtes Land und das Innere des Kontinents mit ſeinen ausgedehnten Prärien , ſeinen hohen Felſen gebirgen war unbekannt und unerforſcht wie das Innere von Afrika . Nicht einmal die Beſitzverhältniſſe waren geregelt , Grenzen gab es
4
Die Entwidlung Amerikas.
feine, nur hatten ſich Frankreich und Spanien in dieſe Länderſtrecken beiläufig geteilt , Spanien beſaß die weſtliche, Frankreich die öſtliche, hauptſächlich die Prärien umfaſſende Hälfte . Dieſer franzöſiſche Beſitz, ein Gebiet von ungefähr zweieinhalb Mil lionen Quadratkilometer, alſo nahezu die fünffache Größe des Deutſchen Reiches , führte den Namen Louiſiana, und der Regierungsſitz befand ſich in Nouvelle Orleans. kannt,
Schiffe
Nur der Flußlauf des Miſſiſſippi war be
drangen nordwärts bis oberhalb der Mündung des
Ohio und in der Nähe hatten ein paar Indianerhändler und Trapper die Anſiedlung St. Louis gegründet. Frankreich der General Bonaparte.
Um das Jahr 1800 herrſchte in In Krieg mit England verwickelt,
fürchtete er, die engliſchen Schijje könnten Nouvelle Orleans und sa mit die junge Kolonie Louiſiana erobern , die damals Frankreich mehr Geld foſtete als ſie eintrig .
Überdies brauchte Bonaparte Mittel zur
Fortführung ſeiner Ariege , und jo bot er denn die Kolonie Louiſiana Amerika zum Anfauf an . A13 Preis wurden fünfzehn Millionen Dollars feitgejetzt. Die amerikaniſchen Abgeſandten , darunter Robert Livingſtone und James Monroe, der Begründer der heute für die Neue Welt aušichlaggebenden Monroe- Doftrin , unterzeichneten
den Kaufvertrag,
und Louiſiana ging für das genannte Linſengericht in den Beſitz der Vereinigten Staaten über, ihre Ländereien hatten ſich um das Doppelte vergrößert! Dies war der vorteilhafteſte und größte Pandfauf, der jemals ſtatt gefunden hat, denn heute zahlt eine einzige Stadt diejes Gebietes, jo groi wie Europa, ausgenommen Rußland, nämlich St. Louis, alljährlich ebenſoviele Millionen an Steuern allein , wie das ganze ein für allemal gekoſtet hat .
Territorium
St. Louis hat ſich zur viertgrößten Stadt
der Union entwickelt und iſt nicht weit entfernt von einer Million Einwohner.
Dank ſeiner Lage an den Ufern des Miſſiſſippi, im
Ver
kehrsmittelpunkt der Vereinigten Staaten haben ſich dort auch Vandel und Induſtrie in ganz beſonderem Maße entwickelt. Während St. Louis auf dem Dampferwege einen großen Teil der Baumwollernte aus dem
5
Die Entwidlung Amerikas .
Süden empfängt, iſt es auch zum wichtigſten Verteilungspunkt für die um liegenden Staaten geworden. 1904 war es der Schauplat der größten bis jetzt veranſtalteten Weltausſtellungen .
Ihr Anlaß war eben die
Jahr
hundertfeier des Ankaufs von Louiſiana . Hätten die Vereinigten Staaten damals die bezahlten fünfzehn Millionen auf Zinſeszinſen angelegt, jo würden ſie heute auf eine Milliarde angewachſen ſein . wert des Territoriums
Der Grund
beläuft ſich aber heute auf acht Milliarden ,
Copyright 1902 by Detroit Photographic Co. Miſſiſſippi- Ujer in St. Louis. alſo das Achtfache der natürlichen Entwidlung.
Auf den damals ein
jamen wüſten Steppen ſind nicht weniger als dreizehn blühende, reiche Staaten entſtanden mit einer Geſamtbevölkerung von fünfzehn Millionen Seelen .
Das iſt ebenſoviel, wie für das ganze Land in Dollars gezahlt
wurde, und heute entfallen von dem Nationalreichtum
Amerikas auf
jeden Kopf cintauſendfünfhundert Dollars. Doch dabei blieb es nicht .
Im
Süden
war die ganze Seeküſte
am Golf von Mexiko vom Miſſiſſippi bis an die Atlantis, einſchließlich
6
Die Entwidlung Amerikas.
Florida , noch in ſpaniſchem Beſitz.
Amerika gelang es, dieſes Florida ,
heute ein reichgeſegneter Staat mit einer halben Million Einwohner, im Jahre 1819 von Spanien für eine geringfügige Summe abzukaufen . Auf der gegenüberliegenden, d . 5. alſo der Südweſtſeite, hatte ſich von Merifo ein Gebiet von der anderthalbjachen Größe des Deutſchen Reiches losgelöſt und eine ſelbſtändige Republik unter dem Namen Teras ge gründet. Sie war nur von kurzem Leben, denn im Jahre 1815 wurde ſie von den Vereinigten Staaten einfach annektiert. Drei Jahre ſpäter, im Jahre 1818, trat Merifo den Vereinigten Staaten das ganze Rieſen gebiet der Felſengebirge , vom Rio Grande
bis an die Nordgrenze
Kaliforniens, von der Präriegrenze bis an den Stillen Ozean, ab und die Vereinigten Staaten reichten nun quer über den ganzen Kontinent mit einem Gebietzuwachs zweimal ſo groß wie das Deutſche Reich ; die heutigen Staaten Oregon, Idaho und Waſhington , zuſammen eben falls weit größer als das Deutſche Reid ), fielen auf Grund amerikaniſcher Entdeckungsreijen und Beſiedlung von ſelbſt an die Vereinigten Staaten. Alaska , beinahe dreimal ſo groß wie Deutſchland, wurde den Kuſſen für ein paar Millionen abgekauft , durch den Krieg mit Spanien er: warben die Vereinigten Staaten den wichtigen weſtindiſchen Beſitz, durch rückſichtslojes Eingreifen in die inneren Verhältniſſe der Sand wichinſeln auch dieje , und es fehlt nur noch die Kanadiſche Dominion , um
den ganzen Kontinent, zuſammen neunzehn Millionen Quadrat
kilometer, unter die Herrſchaft Bruder Jonathans in Waſhington zu bringen .
Dieſer Anfall Aanadas iſt nur eine Frage der Zeit , wenn
auch heute die Majorität der Kanadier noch die Abhängigkeit vom engliſchen Mutterlande vorzieht.
Die Interejjen der beiden Länder
Nordamerikas nähern ſich einander immer mehr. Die Stanadier werden allmählich „ yankeeſiert“.
In jedem
Jahr ziehen viele Tauſende von
Kanadiern , vornehmlich aus den franzöſiſchen Oſtprovinzen , nach den Neu -Englandſtaaten , um
dort Erwerb zu ſuchen , und kehren größten
teils als Amerikaner wieder nach Kanada zurück.
Auf dieſe Weiſe
war nicht weniger als ein Viertel der geſamten Bevölferung Kanadas
7
Die Entwicklung Amerikas.
kürzere oder längere Zeit in Amerika tätig .
Während auf der atlan
tiſchen Seite die Wanderung von Kanadiern nach Amerika ſtattfindet, vollzieht ſich in den Prärien des Weſtens dagegen eine Wanderung von Amerikanern nach Sanada , um ſich dort in den fruchtbaren Ebenen von Saskatſchewan und Manitoba anzuſiedeln , jährlich nicht weniger als vierzigtauſend.
Jeder dieſer nach Amerika wandernden Kanadier,
jeder der nach Hanada wandernden Amerikaner wird gewiſſermaßen um Miſſionär der Angliederung Kanadas an die große Republik. Amerika
braucht Kanada nicht zu
erobern und England um
dieſen
Preis keinen Krieg zu führen , die Frucht wird ganz von ſelbſt reifen, Uncle Sam wird zur rechten Zeit nur ſeine Schürze hochzuhalten brauchen , ſie wird von ſelbſt hineinfallen .
Vorausſichtlich wird noch
dieſes Jahrhundert den geeinigten Kontinent von Nordamerika ſehen mit einer einheitlichen weißen Bevölkerung, welche in jedem Jahrzehnt um ein
Fünftel
wächſt
und ſomit ſchon nach ſechzig Jahren
zwei
hundert Millionen Seelen erreicht haben dürfte ! Bei den ſo glücklichen Gebietserwerbungen Amerikas handelte es ſich nicht nur einfach um Durchſchnittsland, ſondern größtenteils um ſolches , das zu den reichſten und fruchtbarſten des Erdballs gehört. Die gütige Mutter Natur hat ihr Füllhorn über den nordamerikaniſchen Kontinent ganz beſonders reichlich ausgeſchüttet . Die einſamen trodenen Prärien und Steppen erweijen ſich als der fruchtbarſte Getreideboden , und in den Gebirgen liegen mineraliſche Schäße von und von einem Wert wie in keinem anderen Lande.
einer Menge
Noch ſind große
Gebiete in dieſer Hinſicht gar nicht erforſcht, und doch beſigt Amerika heute ſchon einen weit größeren Anteil an der Produktion von Eiſen, Kohle, Kupfer, Silber, Petroleum uſw. als alle anderen Länder des Erdballs .
So z. B. produziert Amerika mehr Eijen und Stahl als
die beiden bisherigen Haupteijenländer England und Deutſchland zu = ſammengenommen , d . i . vierzig v . H. der Weltproduktion , und doch wurde vor etwa fünfzig Jahren nicht eine Tonne Stahl erzeugt.
Amerika
iſt das Hauptkohlenland der Erde mit einem Kohlenrevier von einer
8
Die Entwidlung Amerikas.
Viertelmillion engl. Quadratmeilen ; an Anthrazitkohlen allein wurden 1905 über ſechzig Millionen Tonnen gewonnen ! Von der Weltproduktion an Kupfer , fechshundertſechzigtauſend Tonnen , entfielen vierhundert achttaujend Tonnen , über ſechzig v . .D ., auf Amerika.
Der größte Teil
davon ſtammt aus dem Staate Montana , wo ſich rings um die Minen ſtadt Butte City , ja in dieſer ſelbſt, die reichſten Kupferlager befinden. Ähnlich iſt das Verhältnis von Gold und Silber. duziert Amerika mehr als fünfzig v . H.
An Petroleum pro
Der Getreidemarkt wird von
Bitte City mit den Kupferbergwerfcut. Amerika kontrolliert, die Maisproduktion beträgt ſiebzig v . H. jener des Erdballs, und der Wert von Mais, Winter- und Sommerweizen allein wird zuſammen auf ſechsundzwanzig Milliarden Mark geſchägt, mehr als das Jahresbudget aller Reiche Europas ! Baumwolle
beläuft ſich
Die Welterzeugung der
auf achtzehn Millionen
ſchnittlich zweihundertundfünfzig Milo Gewicht .
Ballen
von durch
Auf Amerika entfallen
davon vierzehn Millionen, alſo nahezu achtzig v . H. ! Jn ähnlichen Verhältniſſen bewegt ſich die Produktion anderer wich tiger Artikel.
Welchen Aufſchwung die Kinder- und Schweinezucht,
9
Die Entwidlung Amerikas.
Obſtbau und dergleichen genommen haben , iſt bekannt. Nun beträgt die Be völkerung der Vereinigten Staaten heute ungefähr achtzig Millionen Seelen, das ſind fünf vom õundert der Geſamtbevölkerung der Erde. Die Produktion in den genannten und anderen Artikeln beläuft ſich aber auf fünfundzwanzig bis achtzig vom Hundert jener der Erde.
Es entfallen
alſo auf jeden Amerikaner acht- bis zehnmal mehr Naturprodukte als auf jeden anderen Erdenbewohner, und darin liegt zum Teil die Er klärung des ſprichwörtlich gewordenen Reichtums der Yankees. Während ſo die Bürger der Vereinigten Natur in ſo überaus reichem
Staaten
ſchon
von der
Maße begünſtigt werden , hat zu
ihrem
heutigen Reichtum , ebenſo wie zu ihrer Macht und Weltſtellung , das alte Europa in einem daſteht.
Maße beigetragen , das in der Geſchichte einzig
Europa gab Amerifa das größte Geſchenk, das ſeit Urzeiten
einem Reiche gemacht dank zu ernten .
worden
iſt ,
ohne
dafür
anderes
als
Un =
Ohne dieſes Geſchenk wüſten die Amerikaner nichts
mit ihren Naturſchägen anzufangen , ſie würden unbenüßt daliegen , und es erginge ihnen wie jenem Goldſucher, der in der Wildnis Millionen : ichätze findet und doch Hunger leidet .
Europa gab Amerika die Arbeits
kräfte , um das Land zu entwickeln , um ſeine Naturſchätze zu heben , zu verarbeiten und damit auch auf dem Weltmarkt zu verwerten .
In
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gab Europa den
Ver
einigten Staaten nicht weniger als zwanzig Millionen fertige Arbeiter. Eine in der Weltgeſchichte einzig daſtehende Völkerwanderung wendete ſich von der Alten nach der Neuen Welt .
Fünfzig Jahre lang dauerte
dieſer Menſchenſtrom , und er iſt heute eher noch im Steigen als im Verſiegen begriffen , er erreicht jezt jährlich dreiviertel bis zu einer Million .
Seit Jahrzehnten verlaſſen Tag für Tag , Sommer und
Winter Tauſende die heimatlichen Geſtade, uin in
dem geſegneten
nordatlantiſchen Dorado ihr Glück zu ſuchen und damit die Entwick lung und den Reichtum
Amerikas zu fördern . Das ungeheure Opfer , das die Alte Welt der Neuen init dieſen
vielen Millionen Menſchen gebracht hat, wird in ſeiner ganzen Größe
10
Die Entwidlung Amerikas.
viel zu wenig in Betracht gezogen , ebenſo wie es bei der Beurteilung Amerikas gewöhnlid unbeachtet bleibt, daſ zum größten Teil Europa das neue Amerika geſchaffen hat.
Jede Mutter weiß, welchen Kum
mer, welche Sorgen die Erziehung eines Kindes ihr bereitet .
Jeder
Vater kennt die empfindlichen Koſten , die ihm das Großziehen eines Knaben in den zwei erſten Jahrzehnten ſeines Lebens verurſacht. Werden durchſchnittlich nur einige hundert Mark jährlich angenommen , ſo er reicht der Geſamtbetrag für Ilnterhalt und Erziehung, mit Zinſeszinſen gerechnet, bei jeden
Mann in ſeinem
zwanzigtauſend Mark.
fünfundzwanzigſten Lebensjahre
Bei zwanzig Millionen alſo die geradezu un
faßbare Summe von vierhundert Milliarden , während die geſamten Staatsſchulden aller Länder der Erde nicht den vierten Teil ausmachen ! Gerade in dem
Zeitpunkte, wo dieſc Millionen Menſchen in den
Stand gekommen waren , das in ihnen angelegte Kapital
zum
Beſten
ihres Heimatlandes durd) eigene Tätigkeit zu verzinſen , verließen ſie dieſes und führten jo das Kapital der Neuen Welt 311 , ohne daß die leytere aud ) nur das geringſte dafür geopfert hätte .
Europa hatte die
Ausgaben , Aunerifa den Geipinn . Zum weitaus größten Teil waren dieſe Menſchenmaſſen für die ihnen in Amerika erwachſenden Aufgaben bejonders befähigt , denn es gehört für einen jungen Mann nicht wenig Tatkraft , Entſchloſſenheit und Wagemut dazıt , die heimatlichen Verhältniſſe mit ganz neuen in einer fremden Welt zu vertauſchen , die Fahrt über das Weltmeer zu unternehmen und in einem und deſſen
Lande ,
deſſen Sprache er nicht ſpricht
rieſengroße Verhältniſie ihm
unbekannt ſind ,
ſich einen
Beruf zu wählen . Dieſe zwanzig Millionen ,
zu
denen feit der Jahrhundertwende
noch mehrere Millionen Nachkommen gelangten , bildeten das Haupt element der amerifaniſchen Arbeiterarmee.
Sie waren es , welche die
Städte bevölkerten und die Entwicklung der Induſtrien ermöglichten , welche in den Bergwerken die mineraliſchen Schäte zu Tage förderten und die großen Prärien des Weſtens beſiedelten .
Eine Armee von Jn
Die Entwicklung Amerifas .
11
duſtrieſoldaten und Bauern , wie es nie eine größere mit ſegensreicherer Tätigkeit gegeben hat. Den Generalſtab aber und die Offiziere ſtellten die Yankees, vornehmlich aus den altentwickelten Neuenglandſtaaten. hatte ſich, ſchon im
Dort
ſiebzehnten Jahrhundert beginnend, ein engliſches ,
puritaniſches Element angeſiedelt, das bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf ſich ſelbſt angewieſen war. puritaniſchen
Beſiedlung Neuenglands,
Die Pioniere dieſer
alſo Maſſachuſetts , Maine,
New Hampſhire, Connecticut, Rhode Island und Vermont, waren die Pilgrimfathers, die auf dem Segelſchiffe , The Mayflower“ am Plymouth Rock an den Neuenglandküſten landeten .
In den Anſiedlungen , die
jie begründeten , in Boſton , Salem , Lowell, Providence, Bangor uſw., erhielten ſich bis ins vorige Jahrhundert die alten , ſtreng puritaniſchen Geſetze, die berüchtigten „ Blue Laws “, wohl die ſtrengſten, die je ge ſchaffen wurden .
Sonntagsheiligung, Verbot aller geiſtigen Getränke ,
Beſchränkung des Rauchens , des geſellſchaftlichen Verkehrs und der Unterhaltungen haben
ſich u . a . teilweiſe
bis heute erhalten .
Im
allgemeinen aber hatte ihre Aufhebung eine merkwürdige Wandlung in den Neuengländern zur Folge .
Seit Jahrhunderten waren ſie in
ihren perſönlichen Freiheiten beſchränkt geweſen und die Spannkraft, die ſich in ihnen angeſammelt hatte , fam
nun durch deſto größeren
Wagemut und Unternehmungsgeiſt zum Durchbruch.
Wie die Spiral
feder einer Uhr beim Springen ihrer Feſſeln ſich heftig vibrierend aus : dehnt, ſo erweiterten auch dieſe neuengliſchen Puritaner ihre Tätigkeit nunmehr über den ganzen Kontinent. Aus ihnen rekrutieren ſich haupt jächlich die Schöpfer des gewaltigen Eiſenbahnſyſtems Amerikas , das ausgedehnter iſt als jenes von ganz Europa, die induſtriellen Pioniere in den Gijen- und Kohlengebieten , die ſogenannten „ Kapitäne der In duſtrie“, und wie man cinſt Jupiter darſtellte mit einem
Bündel von
Bligen in der Hand , ſo kann man heute dieſe Vanderbilts und Hills, Morgans und Huntingtons darſtellen mit einem Bündel von glänzenden Stahlſchienen, die ſie von Ozean zu Dzean über den Weltteil warfen . Sie waren der Generalſtab , der die Arbeiterarmeen Europas leitete
12
Die Entwidlung Amerikas. 1
überall dorthin , wo man ſie zur Entwicklung des Landes und zum Siege über ſeine Reichtümer brauchte.
Die letzteren ſind indejjen jo
1 1
groß , die Entwicklung ging ſo raſch von ſtatten , daſs auch dieje Millionen nicht hinreichten , um
damit gleichen Schritt zu halten , und daſ auch -
heute noch die vielen õunderttauſende von in dem
Einwanderern jedes Jahr
ungeheuren Schmelztiegel der Nationen , in dieſem
verſchwinden .
Amerika,
So dachte denn der Generalſtab Amerikas an die Ver
1 1 wertung der Naturkräfte, die ſich dort in jo groſzer Menge dem Schaffens drang des Menſchen darbieten , und was darin geleiſtet worden iſt , habe ich im miterlebt.
Laufe der letzten dreifzig Jahre ſelbſt mitbeobachtet oder Bei meiner erſten Keije durch den Nordweſten
den oberen Mijjijjippi .
kam
ich an
In der Nähe des hölzernen Prärieſtädtchens
St. Paul ſtürzte der „ Vater der Ströme" rauſchend und brauſend über eine ungefähr jünfzehn Meter tiefe Felsbank herab , einen Niagara bildend, umgeben von bewaldeten Ufern und kleinen maleriſchen chen , die berühmten St. Antons - fällc.
A18 ich ſie im
wieder beſuchte , waren ſie völlig verſchwunden .
Inſel
Jahre 1904
An Stelle der von
Urwäldern und Felſen umrahmten ſchäumenden Waſſermaſſen legt ſich heute ein trockener Holzdamm quer über den Rieſenſtrom .
Sein ganzes
Waſſer wird durch ein Labyrinth von Kanälen geleitet, um Mühlen und Fabriken und Sägewerke zu treiben.
Rings um ihre Ufer ſteht heute
auf dem einſtigen Urwaldboden die Viertelmillionenſtadt Minneapolis. Im Jahre 1880 gewahrte ich bei meiner Ankunft in Pittsburg zur Nachtzeit einen rieſigen Feuerſchein , der die ganze Umgebung blutrot erleuchtete.
Von
meinem
Hotel
den
Monongahelaſtrom
abwärts
blickend ſah ich, daß der Schein von einer ſechs Meter hohen , der Erde entſpringenden Flamme herſtammte. Es war Erdgas, das unverwendet verbrannte .
Seither iſt eine Reihe von Geſellichaften zur Verwertung
dieſes Gaſes entſtanden mit einer Kapitalsanlage von hundertjechzig Millionen Marf. Der Mangel an Arbeitskräften hat auch den Niagara in den Dienſt der Induſtrie treten laſſen , dieſen gewaltigſten aller Kraftſpender. Die
1
Die Entwidlung Amerikas.
13
Die Niagarajälle ( der Huſeijenjall von Goats - Usland aus geſehen ). halbe Million Mubikmeter Waſſer, die in jeder Minute fünfzig Meter tief in den Niagaraſchlund hinabſtürzt, könnte ſieben Millionen Pferde
14
Die Beſiedl u
ng
kräfte erzeugen ,
alſo beinahe ſo
des Weſtens.
viel ,
wie
das
ganze
induſtrielle
Deutſchland in ſeinen Betrieben heute anwendet. In der legten
Zeit
ſind dort die größten Turbinenanlagen der Erde entſtanden , die vor läufig nur eine halbe Million Pferdekräfte für die ringsum entſtandenen Induſtriebetriebe erzeugen . Man kann aus dieſen wenigen Beiſpielen erkennen , wie die Ameri kaner, mit der mächtigen Entwicklung ihres Landes gleichen Schritt
1 haltend , auch
alle ſich
darbietenden natürlichen
zunüşen verſtehen , die ſich in licher
Fülle darbieten.
Entwidlung , die
große
ſo
kommt
Kraftquellen
ihrem Kontinent in ſo
Forſcht man aber nach dem man
Völkerwanderung
in von
erſter Linie Europa
unvergleich
Grund dieſer
immer
nach
aus
wieder
Amerika
auf
zurück.
2. Die Beſiedlung des Weſtens. er große Weſten, jenſeit des Vaters der Ströme, wäre bei weitem
D
nicht ſo raſch beſiedelt worden , wenn Amerika auch hier nicht
wieder von ſeinem ſprichwörtlichen Glück begünſtigt geweſen wäre.
In
der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde von dem Schweizer Suter in dem fernen , bis dahin nur zur See oder über die Landenge von Panama zugänglichen Kalifornien Gold entdeckt. Kein Umſtand hat nun auf die Beſiedlung eines Landes ſo großen Einfluß wie Gold .
Aus
allen Himmelsſtrichen , von Europa wie aus Aſien , ſtrömten viele Tauſende herbei, um in den Felſengebirgen und in den Sierras nach dem gleißenden Metall zu ſuchen .
Zahlreiche tollkühne Abenteurer ſchlugen vom Oſten
her den Landweg nach dem Goldlande quer durch die Prärien und über die unwirtlichen Felſengebirge ein .
Viele gingen an den furchtbaren
Entbehrungen zu Grunde, viele wurden durch die blutdürſtigen Rot
häute , die ihr Land gegen das Eindringen der Bleichgeſichter verteidigten , ermordet, aber ein großer Teil gelangte doch ans Ziel . San Francisco
1 1
Die Beſiedlung des Weſtens.
15
und andere Städte dieſes noch mitten in der ſpaniſch -merikaniſchen Kultur ſchlummernden Gebietes entwidelten ſich mit Siebenmeilenſtiefel-Wachs tum, der Grund zu den heute ſo blühenden Staaten Kalifornien , Nevada , Oregon war gelegt. dein
Aus
elenden Merikaner
dorfe am
Goldenen
Tor
vonKalifornien iſt die größte Stadt längs der Küſten des Stillen Ozeans Amerikas geworden . In den Haupt : ſtraßen mit ihrenanChicago erinnernden Himmelfratern herrſchte der regſte Verkehr , der Hafen lag gewöhnlich voll von Schiffen , als die ichreckliche
Erdbebenfata
ſtrophe von 1906dieſer Blüte ein
Ende
machte.
Der
Schiffsverkehr zog ſich zum
OLLEO Teil nach den jungen Hafen ſtädten am
THE IAN PAINTER
Buget Sund,
hauptſächlich nach Tacoma und Seattle, während auch Portland in Oregon einen Teil davon abbekam . Bort
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land, ſowie das durch ſeine Lachsfiſchereien
berühmte
Copyright by Detroit Photographic Co. Sprcdel Fans in San Franci& co.
Aſtoria an der Mündung des großen Kolumbiaſtromes ſind ſchon ältere Städtegründungen dieſes jungen Landes. San Francisco dürfte kaum ſeine hervorragende Stellung wiedererlangen . Um mit den Ländern des Stillen Ozeans raſchen Verkehr herzuſtellen , wurde durch das feindliche Indianergebiet die erſte Tele
Die Beſiedlung des Weſtens .
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graphenleitung gelegt und die berühmte abenteuerliche Reiterpoſt der Firma Wells Fargo & Co. organiſiert .
Die Geſchichten aus dieſer
Zeit der amerikaniſchen Entwicklung gehören zu den ſpannendſten und aufregendſten , die je geſchrieben worden ſind.
Man braucht nur an
Catlin, Bret Harte oder Gerſtäcker zu denken .
Die Bluttaten der In
dianer hatten verſchiedene Kriegszüge der Vereinigten Staaten - Truppen und die Anlage von Militärforts in den Prärien zur Folge, einzelne
Cach & fiſcherei in Aſtoria . Indianerſtämme
wurden
bezwungen und
in
cigenen
Reſervationen
untergebracht, von denen noch heute eine ganze Reihe beſteht.
Ebenſo
mußte an eine ſchnellere und ſichere Verbindung mit den Pacificſtaaten gedacht werden, und ſo kam 1866 die erſte transkontinentale Bahn, die Union Pacific,
zu ſtande , gebaut unter fortwährenden blutigen
Kämpfen mit den Indianern , die auch noch jahrelang nach der Er öffnung der Bahn das Reiſen über den Kontinent ſehr gefahrvoll machten. Von den modernen Argonauten , die dort im fernen wilden Weſten
17
Die Beſiedlung des Weſtens.
nach dem goldenen Vlies ſuchten , blieb eine Anzahl in den
Felſen
gebirgen Kolorados, Utahs und Montanas zurück, und auch dort wurde überal Edelmetall in großen Mengen gefunden ; in Utah, bei Virginia City , hauptſächlich Silber , am Pikes Peak Gold , und wieder hatten dieſe Funde neue Züge zur Folge. Das zweite Treffen der Anſiedler armee jepte ſich in Bewegung, diesmal aber durchaus auf dem Landwege quer über die Prärien , denn die Felſengebirge bilden das Rücgrat mitten im Kontinent.
Während der Siebziger- und Achtzigerjahre kam
man ſich erſt recht zum Bewußtſein des Wertes dieſer urſprünglich für wertlos gehaltenen , von Mexiko abgetretenen Rieſenländereien . Ich war in dieſer Zeit ſelbſt Zeuge ſo mancher epochemachenden Funde und Städtegründungen hoch oben auf drei und dreieinhalbtauſend Metern Höhe, mitten in den Schneeregionen , und ihr Entſtehen klingt wie ein Märchen . Auf dem wüſten, unwirtlichen, unbewohnten Gebiet in den Gebirgen Kolorados , wo ich 1876 der Gaſt einſamer Goldſucher war , fand ich bereits fünf Jahre ſpäter große , abenteuerlich gebaute Städte, wie Leadville, Boulder City, Central City . Aus manchen armen ,, Proſpectors“ , die im Kampf mit Bären und Navajo - Indianern ihrem Beruf nachgingen, waren Millionäre geworden, und das noch kurz vorher ſo einſame Gebiet hallte von den Axtſchlägen der Baumfäller wider, dem Fluchen und Beitſchenknallen der Fährleute, dem Quietſchen der Marren , auf denen neue Zuwanderer , Lebensmittel , Baumaterial die Berge hinauf nach den Minenlagern gebracht wurden . Dieſe zwei Argonautenzüge waren indeſſen , ich möchte ſagen : nur die Vorhüt der Hauptarmee der Einwanderer, die auf ihrem langſamen Vorſchreiten weſtwärts ſich , wie eine Wiederholung der Völkerwande rungen früherer Zeiten, zunächſt über Indiana und Ohio, dann, den Miffiſſippi überſchreitend, über Miſſouri und Jowa ergoffen hatte .
Der
Miſſouriſtrom gebot ihnen noch Halt , denn ſelbſt in Jowa hatten ſie noch gegen die Kothäute zu kämpfen , während jenſeit des Miſſouri, in den Prärien des Platte- , Hanſas- und Arkanſasſtromes die wilden Cheyennes, Arrapahoes, Kiowas, Comanches , Siour, Ogalallas, Paw Heſſe : Wartegg , Amerifa .
Die Beſiedlung des Weſtens .
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nees ihren angeſtammten Landbeſig mit grauſamer vand behaupteten . Am
Miſjouriſtrom ſtaute ſich das Gros der Einwanderer, und die
Anſiedlungen an ſeinen Ufernt, Kanſas City , Leavenworth , Atchiſon , St. Joſeph , Omaha , Siour City , St. Paul , wuchſen zu volfreichen , hölzernen , ungeregelten Städten heran , die erfüllt waren von tollem , unſicherem
Leben .
Die Prärien draußen aber erſtreckten ſich vollſtändig eben wie ein Tiſch , ebenſo troden, ebenſo kahl, auf vierhundert engliſche Meilen in weſtlicher, mehr als das Doppelte in nördlicher Richtung, ohne Wege, ohne Baumwuchs, im Weſten bis über zweitauſend Meter Höhe an ſteigend.
Es war Steppengebiet mit dürrem
Buffalogras bewachjen . ſiedlung, an den
kurzent , büſchelartigen
Auf Hunderte Meilen in der Kunde keine An
Flußläufen vielleicht ein paar Erdhöhlen tollkühner
Abenteurer, Trapper und Büffeljäger. — Die Steppe ſelbſt war unter brochen von Millionen von Erdlöchern , bewohnt von „ Prärie Dogs" einer Art Kaninchen Fröſchen .
, von Eulen , Klapperſchlangen und gehörnten
Dazu waren dieſe
Ebenen
auf Hunderte von engliſchen
Meilen von ſchnurgeraden , fußtief in dem trocenen ſtaubigen Boden ausgetretenen Pfaden durchſchnitten, die in Tauſenden von parallelen Linien den Flüſſen zuliefen , oder mit freisrunden , zwei Fuz tiefen Löchern, zwei bis drei Meter im Durchmeſſer, bejät, den ſogenannten „ Wallows ".
Pfade wie Wallows rührten von den Präriebüffeln her,
die nach Millionen dieſe weiten Gebiete bevölkerten und den Rothäuten Nahrung und Felle lieferten . Die Vereinigte Staatenregierung hatte dieſe weg- und ſtegloſen un geheuren Ebenen vorläufig durch ſchnurgerade Grenzlinien in die Terri torien Kanſas, Nebraska, Dakota , Solorado , Neumerito, Arkanſas und das Judianerterritorium eingeteilt, in welch letzterem die von den Yankee truppen unterworfenen Indianerſtämme untergebracht wurden,
der
einzige einigermaßen bevölkerte Teil des ganzen Gebietes, das an zwei Millionen Quadratkilometer umjaſte.
Nur eine halbwegs feſtgelegte
Route führte durch dieſe Prärien, der berühmte Santa Fé trail , von
19
Die Beſiedlung des Weſtens.
Kanſas City nach der einzigen , noch ganz ſpaniſch -merikaniſchen Stadt im Südweſien , Santa Fé im
Territorium Neumeriko.
Um
ihn zu
finden, bedurfte es keines Kompaſſes wie ſonſt in dieſen Ebenen, er war zur Genüge bezeichnet durch leere Konſervenbüchſen , Glasflaſchen und die bleichenden Gebeine von Maultieren , Þjerden und -- Menſchen , die des Hungertodes oder durch die Tomahawks der Indianer , wie man damals ſagte : „in den Stiefeln geſtorben " waren . Anfang der Siebziger jahre kam ich als ganz junger Burſche auf meiner erſten Amerikareiſe nach Kanſas City, damals eine Bretterſtadt von der Größe Weimars, heute eine Großſtadt von einer Viertelinillion Einwohner.
Ich hatte
die Abſicht, die Prärien zu durchqueren , die Felſengebirge zu beſuchen, in denen mich der Pikes Peak und der berühmte „Berg des heiligen Kreuzes" beſonders anzogen , und dann auf dem Santa Fé trail zu Roß nach Neumeriko zu gelangen .
Ich kam gerade recht, um den Anfang
der Prärienbeſiedlung mitzumachen .
Allein zu reiſen, wurde mir von
allen Seiten abgeraten, wenn mir mein Skalp lieb war, doch bot ſich mir im ſpäteren Teil meines abenteuerlichen Unternehmens ſtredenweiſe Gelegenheit , im Gefolge von amerikaniſchen , militäriſch organiſierten Kundſchaftern der Vereinigten Staaten zu reiſen , die damals unter dem Kommando von Kolonel Cody , dem ſpäter als „Buffalo Bill " in ganz Europa bekannt gewordenen tapferen Indianerkrieger , ſtanden .
Er,
dann Oregon Bil, Mit Carſon , Maxwell u. j. w ., mit denen ich mich an freundete , waren Pioniere der Präriebeſiedlung - heute ſind ſie von einem Sagenkranz umwoben.
Am
kleinen Arkanſas traf ich die erſte
„Stadt“ , nach den gleichnamigen Indianern „ Wichita “ genannt.
Wir
wurden feſtlich empfangen, und der Bürgermeiſter, ein Deutſcher, be ivirtete mich im „Rathauſe“ , einem Zelt aus Büffelhäuten , in dem auf Fellen die Frau Bürgermeiſterin , eine Indianer-Squaw , mit ihrem Papooje ruhte . Bierfaß.
Sein Schreibtiſch , Fauteuil, Eßtiſch war ein leeres
Später kam
ich
wieder durch
dieſes Wichita ,
nicht
zu
Roß, ſondern in einem glänzenden Salonwagen der Atchiſon Topeka und Santa Fé-Eiſenbahn angefahren . Ich traute meinen Augen nicht,
Die Beſiedlung des Weſtens .
20
denn ringsum erhob ſich eine Großſtadt mit Steinpaläſten, allen modernen Einrichtungen , Stadtpark, Billen und üppigen Gärten ! 3m Weſten mußte ich in Zelten ſchlafen und wurde noch vor Tages anbruch durch ein Zittern des Erdbodens , wie von einem Erdbeben, aus dem Schlaf geriſſen.
Sprang ich hinaus, dann war der Himmel
über dem vollſtändig ebenen ſchnurgeraden Horizont von der aufgehenden Sonne gelblich und rötlich gefärbt , und ich konnte in der Ferne , ſich gegen die klare Luft ſcharf abhebend, ein Meer von winzigen , ſich be wegenden Wellen wahrnehmen , wie ein über felſiges Bett in Kaskaden
Neue Anſiedlung und Viehherde in Montana. rauſchender Niagara , der ſich uns raich näherte.
Und immer näher
kam er, immer ſtärker wurde das brauſende Geräuſch , das Erbeben des Erdbodens, bis ich endlich eine ungeheure Herde von Buffalos erkannte, die mit zur Erde geſenkten rieſigen , buſchigen Köpfen , die Schwänze hoch in der Luft, den tief eingeſchnittenen Pfaden folgend dem nächſten Flußlauf zugaloppierten zur Morgentränke.
Hinter ihnen kamen In
dianer mit Rämmen aus Adlerfedern geſchmüdt, Pfeil und Bogen hand habend, den Gürtel mit Skalps behängt , von denen ſo mancher mit langem
blonden Frauenhaar.
Erblicten ſie aus der Ferne über den
Zelten die amerikaniſche Flagge, dann wichen ſie in weitem Bogen aus . Und hintendrein kam , bildlich geſprochen , die Lokomotive ſchon heran
21
Die Beſiedlung des Weſtens .
gebrauſt, die Völkerwanderung erfolgte hier gleich mit Eiſenbahn ! Vor mir auf der Reiſe nach Weſten noch die unverfälſchte Natur, hinter mir mit Dampf die abendländiſche Ziviliſation ,
um
im
Sturm das
Präriegebiet zu erobern .
Zunächſt war es die Viehzucht, welche von den weiten Ebenen bis tief nach Teras und an die merikaniſche Grenze Beſitz ergriff, mit ihren koloſalen Herden von Rindern
und dent maleriſchen , tapferen , rauh
Copyright by Chas.Morris. Cowboys beim Mittagmahl. beinigen , aber ritterlichen Cowboys, die noch heute in Montana, Ari zona, Newmerifo und vornehmlich in Teras
ihrem
Steppen im Umfang europäiſcher Königreiche
ſind
Beruf nachgehen. dort heute noch
Viehweiden mit vereinzelten jungen Anſiedlungen . Die Durchforſchung des Weſtens ſeitens der Regierungserpeditionen hatte ergeben , daß die Prärien vorzügliches Ackerland darboten für un gezählte Millionen von Anſiedlern . Was noch fehlte, war die Schaffung von Eiſenbahnen , um
den Verkehr mit dem
beſiedelten Oſten zu er
möglichen , ferner Erleichterung des Landerwerbs und Waſſer.
Alle
drei Bedingungen wurden durch die Regierung in Waſhington in libe ralſter
Weiſe
geſchaffen.
Die Generalſtäbler
der
Anſiedlung , die
22
Die Beſiedlung des Weſtens.
Yankeeunternehmer und Kapitaliſten , wurden durch die Gewährung großartiger Landſchenkungen zur verſtellung von Eiſenbahnen veran laſzt.
Jede der Transkontinentalbahnen bekam Millionen von Morgen
Landes, im Umfang deutſchen Königreichen und Fürſtentümern gleich , und die Folge war , daß gleich ein halbes Dußend ſolcher Bahnen in Angriff genommen wurde. Die Schienen und Schwellen wurden mit er: ſtaunlicher Schnelligkeit über den Prärieboden gelegt, und zwei, drei Kilo meter täglich waren keine beſondere Leiſtung. Wohin die Bahnen führten ? Nirgends hin, meiſtens querfeldein mittendurch in die einſame Steppe , denn ihre Erbauer wußten , daß der Menſchenſtrom , die Städte dieſen Eiſenbahnlinien folgen würden . und die Eiſenbahnen folgen dem
In Europa ſind die Städte vorhanden, Verkehr.
Ju Amerika baute man
zuerſt die Eijenbahnen , der Verkehr folgte . In manchen Jahren wurde das auf dieſe Art ſich entwicelnde Ney um
zehn- bis ſiebzehntauſend
Kilometer vergrößert ! Die Landſchenkungen , welche die Subvention für die Eiſenbahnen bildeten, waren nicht geſchloſſene komplere .
Das ganze Präriegebiet
wurde in ſogenannte Townſhips eingeteilt , Schachbrettfelder von je acht engliſchen Quadratmeilen . Eiſenbahnen
Die ſchwarzen Felder bekamen die
zu beliebiger Verwertung , die weißen Felder ſtellte die
Regierung, mit Ausnahme eines Teiles in jedem Townſhip für Schul zwecke, den Einwanderern zur Verfügung.
Jeder Einwanderer konnte
ein Landſtück von einhundertſechzig Morgen Größe als Eigentum
er
halten , wenn er ſich zur Beſtellung ſowie zur Anpflanzuug von Bäumen auf einen beſtimmten Teil ſeines Rittergutes innerhalb eines gewiſſen Zeitraumes verpflichtete.
Die Baumpflanzungen waren
eine Grund
bedingung, denn Bäume erzeugen Feuchtigkeit, die den Prärien größ tenteils fehlte . Während der jährliche Regenfall noch in den Siebziger jahren nur ſechs bis acht Zentimenter betrug, iſt er heute dank den Baumpflanzungen und Kulturen auf einen Meter geſtiegen. Dieje günſtigen
Bedingungen
hatten
Prärien mit Einwanderern zur Folge .
ſofort
die Überflutung der
Sie ergoſſen ſich aus den öſt
23
Die Beſiedlung des Weſtens.
lichen Grenzſtädten der Prärien, wo ſie ſich angeſtaut hatten, den neu geſchaffenen Eiſenbahnlinien entlang über Kanſas, Nebraska, Dakota und nahmen zunächſt die weißen Felder in Beſig, ſo daß nach kaum einem
Jahrzehnt
alle Regierungsländereien
vergriffen waren .
Die
tapferen Indianer wurden zurückgedrängt, gefangengenommen und auf die „ Reſervationen"
oder nach
dem ſüdlich
von Kanſas gelegenen
Indianerterritorium gebracht, aus welchem heute der blühende Staat Oklahoma geworden iſt.
Von den Millionen zählenden Büffelherden
Büffelſchädel. iſt längſt nichts mehr übrig als die über die weiten Ebenen verſtreuten Anochen und Schädel, die zuſammen mit jenen des umgekommenen Viehs geſammelt und auf den entlegeneren Prärieſtationen zu kleinen Bergen aufgeſchichtet werden . Die Eiſenbahnen befördern ſie von dort nach den Städten zur Verwendung in der Induſtrie. Längs den Eiſenbahnen entſtanden kleine Städtchen ,
Verteilungs
punkte für die Anſiedler, der Verkehr der Eiſenbahnen, der anfangs gleich Null war, hob ſich und endlich kamen auch die ſchwarzen Felder der Eiſenbahnländereien zur Beſiedlung . kauften ſie zu
entſprechenden
Preiſen ,
Die Bahngeſellſchaften ver denn
durch die Beſiedlung
24
Die Beſiedlung des Weſtens.
der weißen Felder ringsum
war der Wert der ſchwarzen natürlich
geſtiegen . Die Prärien hatten nun wohl Menſchen , aber diejen fehlte es auf ihren ebenen , baumloſen Grundſtüden an allem und jedem .
Es gab
keine Kaufläden , um Kleider, Werkzeuge , Lebensmittel zu kaufen, es gab kein Holz und ſonſtiges Baumaterial, um ſich Wohnungen zu bauen , jie ſtanden auf ihrem , homeſtead " wie auf einem Blatt weißen Papiers . Da traten wieder die Yankeegeneralſtäbler auf, um ihnen zu allen Bes dürfniſſen , ſich ſelbſt zu nie dageweſenen Reichtümern zu verhelfen. Die ganze Halbinſel von Michigan , die den Huron vom Michiganjee ſcheidet, war ein einziger Wald von der Größe des halben Preußens, mit dem
vorzüglichſten Bauholz.
Dort mitten in dieſem Walde, mög
lichſt an Flußläufen, legten ſie Werke an , um die Prärien mit Häuſern und Möbeln zu verſehen .
Fabrifen dafür in größtem
Maßſtab, denn
der vorausſichtliche Abſatz von Häuſern und Einrichtungsſtücken ging ja in die Millionen .
Einwanderer aus Europa wie aus den Ditſtaaten
fanden in dieſen Werken Beſchäftigung, rings um
ſie entſtanden An
ſiedlungen und dieſe vergrößerten ſich allmählich zu den heutigen großen Städten Lanſing , Jackſon , Grandhaven , Saginaw , Bay City u . 1. w ., alle geſchaffen durch dieſe Holzinduſtrie. Die Häuſer, Betten, Tiſche und Stühle wurden gleich mit Maſchinen betrieb in unzähligen Stücken fabriziert und nach den Prärien geſchafft. Ebenſo wurden in den damaligen Grenzſtädten, zuerſt in Chicago, dann in St. Louis , St. Paul, Kanſas City, Davenport, Omaha Kleider- und Schuhfabriken für den Bedarf der in den Prärien wohnenden Millionen angelegt, auch Fabriken für konſervierte Lebensmittel, da ja dort noch keine vorhanden waren .
Um
Beſtimmungsorten zu ſchaffen , werden .
dieſe Unmenge von Waren nach ihren muſsten
In der erſten Zeit bezog man
wieder Eiſenbahnen gebaut das ganze Material dafür,
Schienen, Waggons, Lokomotiven , aus Europa ; denn noch i . J. 1850 wurde keine Tonne Stahl in Amerika erzeugt.
Der große Bedarf brachte
nun die Generalſtäbler, die ,, Captains of Induſtry ", auf den Gedanken ,
Saumſattel ,einen Boys auflegend .Cow
.Morris . Eby Chas Copyright
25
Die Beſiedlung des Weſtens.
das Eiſenbahnmaterial ſelbſt herzuſtellen .
Das größte Kohlengebiet
war in Weſtpennſylvanien , rings um Pittsburg, das größte Eiſenlager am
Oberen See.
Man brachte die Erze nach Pittsburg oder Chicago,
eß entſtanden Schmelzwerke, Walzwerke , und der große Bedarf an Schienen hatte zur Folge , daſ Amerika heute die größten Schienen : Ebenſo wie Stahlſchienen waren auch Waggons
werke der Welt beſigt.
erforderlich. Es entſtanden große Waggonfabriken in St. Louis, Bloo mington, vor allem
aber in Pullman bei Chicago .
Der Gründer der
Stadt Pullman , ein deutſcher Einwanderer, war auf den Gedanken gekommen , zur Erleichterung der Eiſenbahnreiſen Schlafwagen herzu ſtellen , und dieſe waren
ſo erfolgreid ), daß ſie bald auf allen Eiſen
bahnlinien eingeführt wurden.
Das Hauptgeſchäft entſtand aber durch
die Anfertigung von Frachtwaggons ; der Bedarf ſteigerte ſich bald der art, daß in den großartigen Pullmanwerken ſchon im
Jahre 1883 die
Zahl der dort gebauten Frachtwaggons täglich einhundert erreichte, was einer durchſchnittlichen Leiſtung von einem Frachtwaggon in je ſechs Minuten entſpricht! Um dieſe Frachtzüge zu ziehen , mußten Lokomotiven gebaut werden : es entſtanden neben vielen anderen auch die Lokomotivwerke von Bald win in Philadelphia .
So groß war der Bedarf , daß dieſe größten
aller exiſtierenden Werke ſchon i. 3. 1900 das Jubiläuin ihrer zwanzig tauſendſten Lokomotive feiern konnten ! Bei einem Beſuch im Jahre 1904 ſagte mir der Leiter, die ſeitherige Erzeugung ſei durchſchnittlich fünfzehn hundert Lokomotiven jährlid ), d. h . alſo etwa fünf täglich , oder eine fertige Lokomotive in je zwei Stunden !
Den Einwanderern in den Prärien fehlte es auch an Werkzeugen zur Bearbeitung des Landes .
Mit Haue und Spaten, wie ſie zu Hauſe
ihre wenigen Morgen beſtellten , konnten ſie auf ihren nunmehrigen Rittergütern nichts ausrichten .
An Arbeitskräften herrſchte in dem
eben beſiedelten Lande immer noch Mangel, und ſo kam
wieder ein
,,Captain of Induſtry " auf den Gedanken , den Ackerbauern Prärien
in
den
ſtählerne Arbeiter in Geſtalt von Pflug-, Säe- , Mäh- und
26
Die Beſiedlung des Weſtens.
Dreſchmaſchinen zu liefern .
Es war Mac Cormick.
Bei dem rieſigen
Abſaugebiete , das ſich ihm bot , gedieh ſein Unternehmen in folchem Maße, daß er ſeit Jahren ſchon ſechstauſend Arbeiter beſchäftigt und eine fertige A derbaumaſchine auf je fünfundvierzig Sekunden entfällt!
An jedem
einzelnen
Wochentage verſendet
Mac
Cormick
hundert Waggonladungen fertige Maſchinen in alle Welt. Dank dieſer Verſorgung der Prärien mit Material, und gleichzeitig dank auch dem
weitgehenden Kredit , der den Anſiedlern von Banken
und Induſtriellen gewährt wurde, erfolgte der Aufbau der Prärieſtaaten , gleichzeitig aber auch der Induſtrien des Oſtens .
Die Städte zogen die
Prärien groß, die Prärien wieder die Städte, eines half dem auf dem
anderen
Wege vorwärts, aufwärts , alles entiickelte ſich mit Rieſen
ſchritten, aus den Städten wurden reiche Millionenzentren, wie Chicago, St. Louis , St. Paul und Minneapolis neben zahlloſen kleineren , die
ihre Blüte nur dem
Hinterlande zu verdanken haben .
Aus Kanſas,
Nebraska , Jowa, Minneſota , Arkanſas aber wurden blühende Staaten mit ein bis zwei Millionen Einwohnern , aus den ödeſten Steppen die reichſten Kornkammern der Welt . Und auf dem Grunde dieſes mächtigen Aufbaues ſtehen die europäiſchen Einwanderer, dieſe zwanzig Millionen Menſchen , die feit fünfzig Jahren von Europa einwanderten , ihre Arbeitskraft in den Dienſt Amerikas ſtellten und deren Kinder heute den größten Teil der amerikaniſchen Bevölkerung ausmachen . Sie bildeten auch die hauptſächlichſte Grundlage für die Entwicklung der
amerikaniſchen
Induſtrie
im
allgemeinen .
Das Anwachſen der
Bevölkerung erfolgte ſo raſch , daß die Induſtrien gar nicht gleichen Schritt halten konnten . Es fehlte an Arbeitskräften, die Lebensverhält niſje verteuerten ſich dabei auch derart, und die plötzlich in einem „ freien " Lande lebenden Arbeiter zeigten ihren Freiheitsgeiſt auch ſo empfind lich durch Streiks , Innungen und diktatoriſch auftretende Genoſſen ſchaften , daß die „ Captains of Induſtry “ darangingen , die lebenden Arbeiter
durch
tote Maſdinen
nach Tunlichkeit zu erſetzen .
Für
Maſchinenbetriebe eignet ſich Amerika in ganz beſonderem Maße durch
27
Der Aufbau von Süd und Nord.
die große Gleichförmigkeit der Verhältniſſe und des Bedarfs. Es konnten Maſſenbetriebe eingeführt werden , wo Maſchinen Tag für Tag , jahr aus , jahrein die nämlichen Standartikel herausjtampfen . material , aus ihrem
Das Roh
eigenen Lande ſtammend , iſt wohlfeil, und dank
der ebenſo wohlfeilen Verarbeitung können ſie heute die europäiſchen Einfuhren großenteils unterbieten . Bei dieſem Bedarf an Rohmaterial , vornehmlich an Kohlen und Eiſen , entwickelte ſich in erſter Linie gerade die Eiſenproduktion, und zwar hauptſächlich in Pennſylvanien, das allein jährlich hundert Mil lionen Tonnen Kohlen produziert und damit die Grundbedingung für die Eijenerzeugung beſigt.
Die Eiſenerze haben ihr größtes Lager
nördlich des Oberen Sees in Minneſota und ich habe ſie dort, vor nehmlich im Diſtrikt von Maſſabi, auf Meilen in der Kunde offen zu Tage liegen ſehen. Vom Superiorſee werden in jedem Jahr über dreißig Millionen Tonnen Erze nach den Kohlenregionen von Pittsburg und nach Chicago verſchifft, ſertige Ware gelangt von dort nach dem Weſten zurück ; die Farmprodukte der Prärien müſſen nach dem Oſten gebracht werden, und dieſer Warenaustauſch hat auf der Hauptverkehrsroute , auf den fünf großen Seen, eine Schiffahrt großgezogen , wie ſie in der Welt nicht wieder vorkommt.
3. Der Aufbau von Süd und Nord . ie in den Sechziger und Siebzigerjahren des vorigen
Jahr
zu Erſchließung Wandel hunderts en dieer for lietung der Prärien enige iegrense er und underFelſengebirge dem beiſpiellojen Aufſchwung Amerikas die erſte Veranlaſſung gegeben hat, jo tam ſeitdem der Nordweſten , ein Gebiet von nahezu ähnlicher Ausdehnung, an die Reihe . Gebiet
Dort , im Oberlauf des Miſſouri und im
des Columbiaſtromes , dehnen
ſich
die
Territorien Dakota ,
Wyoming , Montana , Oregon und Waſhington aus, mit zuſammen
28
A
Der Aufbau von Süd und Nord.
COAST CO
LAZY-HOLAROSPREK
RSVAD
yajenanlag wieder anderthalb Millionen Quadratkilometern - drei Deutſche Reiche. Der ſprichwörtliche „Wilde Weſten“ mit ſeinen Indianern, Trappern , Büffeljägern, ſeinen Goldſuchern und Abenteurern war in Kulturſtaaten verwandelt, und an ſeine Stelle war der „ Wilde Nordweſten " getreten . Nach langen Mühen gelang es endlich einem amerikaniſierten
Deut
ichen , der ſeinen Pfälzer Namen Hilgard in Villard verwandelt hatte, die große Northern - Pacific - Eiſenbahn durch die Einöden und
Felſen
gebirge des Nordweſtens und, dem Kolumbiaſtrom folgend , an die Müften des Stillen Ozeans zu führen .
Dieſer Verkehrsſtraße entlang
ergoß ſich die Beſiedlung, aber diesmal waren es weniger europäiſche Einwanderer als Amerikaner, die die von ihnen im Weſten gegrün deten Heimſtätten den Einwanderern verkauften und als Kulturpioniere nach dem Nordweſten zogen . Der AusgangSpunkt
der Beſiedlung
waren die Zwillingsſtädte
St. Paul und Minneapolis am oberen Miſſiſſippi.
Jhre Entwicklung
iſt mit jener des Nordweſtens innig verknüpft und gehört zu den inter : eſſanteſten und wichtigſten Kulturereigniſſen unſerer Zeit ,
denn ſie
iſt noch viel erſtaunlicher als jene der Prärien oder von Halifornien .
29
Der Aufbau von Süd und Nord .
e von Seattle. Sie lieſt ſich •
wie ein Märchen .
Man nimmt bei uns in Europa
die heutigen blühenden Kulturſtaaten Minneſota, Wisconſin und die weſtlich davon bis an den Stillen Ozean reichenden anderen viel
zu
jehr als vollendete Tatſache hin , man rechnet mit ihren Produkten , ihrem Handel .
Jhr Entſtehen aber hat ſich ſo raſch abgeſpielt, daſs
man gar nicht die Zeit gefunden hat , dieſer Entwicklung zu folgen , zumal es noch kein einziges Buch gibt, das ſie ſchildert.
Ich ſelbſt,
der ich zum Teil das Entſtehen und Wachſen dieſer jungen Staaten, das Jnslebenſpringen dieſer Großſtädte mit eigenen Augen geſehen habe und mitten in dieſer Entwicklung ſtand, kam nicht dazu , das Geſchaute aufzufriſchen ,
weil
die
Tatſachen
jede
Schilderung
kaum daß ſie geſchrieben war - bereits überholt haben würden .
Und
doch iſt es an der Zeit, ſich damit zu beſchäftigen , denn der Nordweſten , von den Großen Seen angefangen bis an den Pugetſund am Stillen Ozean, iſt nicht nur durch ſeine Produkte für uns von der größten Bedeutung geworden, er nimmt auch auf unſere Abſaugebiete an einer Stelle des Erdbals Einfluß , wo wir es gewiß am wenigſten vermuten würden, nämlich in China , Japan, ja ſogar in Indien !
Schon heute
30
Der Aufbau von Süd und Nord.
wird unſer Handel dort durch den amerikaniſchen Nordweſten jährlich Millionen geſchädigt, und dieſe Beeinträchtigung
um
iſt in ſtetem
Steigen begriffen. Gerade vor fünfzig Jahren wurde die erſte Eiſenbahn von Chicago aus zum
oberen Miſſiſſippi vollendet, und ſie brachte Anſiedler und
Abenteurer
nach
den neuen Verteilungspunkten
des nordweſtlichen
Verkehrs, nach St. Paul und St. Anthony , wie Minneapolis damals hieß.
Von dort war ihr Hauptziel das reiche Flußtal des Red River
of the North , der ſich auf kanadiſchem Gebiet
in den Winnipegſee
ergießt. Dort hatte die alte yudjonbai-Geſellſchaft einen ausgebreiteten Handel mit den Indianern entwickelt.
Der Belzhandel allein brachte
viele Millionen ein , doch gab es von Winnipeg keine Verkehrsſtraße nach
den
Vereinigten Staaten .
Um
dieſen Handel zu gewinnen ,
richtete die Firma Blakely & Merrian in St. Paul einen Karrendienſt vom
Miſſiſſippi nach dem Red River ein , den ſie bei dem Handels
poſten Fargo erreichte. nach Winnipeg.
Von dort ging der Verkehr auf dem Fluſſe
So kam der Hudſonbai-Wandel nach St. Paul, und
nun wurden von Chicago aus gleich zivei Eiſenbahnen nach dieſer aufſtrebenden Stadt gebaut, die 1873 eröffnet wurden.
Ebenſo ſucten
die unternehmenden Kaufleute St. Pauls eine Verbindung mit der atlantiſchen Seeküſte mit Benuşung der großen Waſſerſtraße der fünf kanadiſchen Seen herzuſtellen .
Der nächſtgelegene Punkt dieſer Seen
war die Weſtſpige des Oberen Sees , und 1870 war die Eiſenbahn dorthin vollendet.
Dort entwickelte ſich die Stadt Duluth , die ich
1876 als eine beſcheidene Bretterſtadt kennen lernte. hunderttauſend Einwohner.
Heute hat ſie
Der Verkehr hob ſich derart,
daſ jeßt
zwiſchen St. Paul und Chicago, dieſen kleinen Anſiedlungen zur Zeit unſerer Väter und jetzigen Weltſtädten, ſieben Eiſenbahnlinien be ſtehen.
Zwiſchen St. Paul und Duluth gibt es drei , zwiſchen St. Paul
und der jungen Hauptſtadt der weſtlichen Prärien , Omaha, drei .
Man
ziehe doch einen Vergleich zwiſchen dieſem Eiſenbahnnetz und jenem , das zwiſchen den größten Millionenſtädten Europas beſteht!
31
Der Aufbau von Süd und Nord.
Dieſe vielen Eiſenbahnen brauchten Paſſagier- und Fraditenverkehr, um ihre Bau- und Betriebskoſten zu decken und ihren Unternehmern Gewinn abzuwerfen .
Dazu war es vor allem nötig, das Hinterland
im Nordoſten nadh ſeinem möglichen Ertrag zu unterſuchen und zu entwickeln.
Dabei ſtellte es ſich in erſter Linie heraus, daß beſonders
die weite Red- River- Ebene in Minneſota und Dakota, die man bisher als für Getreidebau unfähig angeſehen hatte, den denkbar beſten Früh jahrsweizen lieferte.
Sofort machten ſich die Eiſenbahngeſellſchaften,
dieſe vornehmſten Pioniere amerikaniſcher Kultur , daran , Anſiedler heranzuziehen , in ſo geſchidter Weiſe und mit ſo großem Erfolg , daß heute in Minneſota und den beiden Dakotas, die vor einem Viertel jahrhundert menſchenleer und großenteil : noch in Händen der Indianer waren , nahe an
drei Millionen Weiße wohnen.
Die Produktion
von Weizen , der ſie ſich hauptſächlich widmen , gehört zu den bedeu tendſten Amerikas, und Minneapolis beſigt durch die natürliche Waſſer kraft der St.- Antons- Fälle im Miſſiſſippi Gelegenheit , dieſen Weizen zu mahlen .
Die jährliche Produktion erreicht heute ſechzehn Millionen
Faf, von denen fünfzehn Millionen im Wert von zweihundert Mil lionen Mark allein aus dieſer Stadt zur Ausfuhr kommen . Für dieſe Mehlmaſſen ſind täglich achtzigtauſend Fäſſer nötig.
Das
ließ in Minneapolis große Faßfabriken entſtehen , die einer bedeutenden Menge Holz bedürfen .
Nun liegen rings um
das Quellgebiet des
Miſſiſſippi und ſeiner Nebenflüſſe Fichtenwälder von vielen Tauſenden Quadratkilometern Ausdehnung , und da die Flüſſe ſelbſt den beſten und billigſten Transportweg für die gefällten Stämme darboten, wurde Minneapolis auch der vauptplag des Holzhandels , mit großartigen Säge werken , in denen gleich vier bis ſechs Stämme auf einmal mittels einer Bandjäge zu Brettern zerjägt werden . Brett von einem Zoll Dicke und einem
Das Holzmaß iſt in Amerika ein Fuß Breite . In Minneapolis
werden nun jährlich ſechshundert Millionen Fuß Holzbretter geſchnitten , ſo daß etwa der ganze Thüringer Wald kaum hinreichen dürfte, den Sägewerken von Minneapolis Holz für ein einziges Jahr zu liefern .
32
Der Aufbau von Süd und Nord.
Bei diejer Waldverwüſtung, die auch ſonſt überall in Amerika in jorgloſeſter Weiſe betrieben wird , war
es vorauszuſehen ,
daß die
großen Wälder von Minneſota und Wisconſin ſchon in ein bis zwei Jahrzehnten abgeholzt ſein würden .
Man mußte ſich alſo nach an
deren Wäldern umſehen , und die ausgedehnteſten liegen jenſeit der Felſengebirge am Bugetjund .
Stillen Ozean , in Waſhington , Oregon und am
Zwiſchen dieſen Wäldern und Minneapolis ,
dem
Ort,
Die Feljengebirge . wo ſie verarbeitet werden , liegen nun Tauſende von Kilometern un bewohnten , ſcheinbar wüſten Landes, durchzogen von hohen maleriſchen Gebirgszügen , die höchſten Kämme mit ewigem Schnee bededt. follte durch dieſes Land eine Eiſenbahn gebaut werden ?
Wie
Das Unter
nehmen war geradezu wahnwiţig, und doch wurde es durch die Tat kraft eines einzigen Mannes , J. 3. Hill, des größten Eiſenbahnſtrategen aller Zeiten , mit den glänzendſten Erfolgen zu Ende geführt.
In dem
von ſeiner Great Northern -Eiſenbahn durchſchnittenen Gebiete ſind die größten Eijen- und Kohlenlager entdeckt worden , die er für ſeine Bahnen
Der Aufbau von Süd und Nord.
33
antaufte, und als ich mit ihm und ſeinem Sohne den Nordweſten durch reiſte, fand ich überal blühende Anſiedlungen, bebautes Land, reiche Minen.
Spokanefalls , das ich im Jahre 1886 als eine Anſiedlung
von Bretterbuden kennen gelernt hatte, fand ich als Stadt von fünfzig tauſend Einwohnern wieder, Seattle am Bugetſund, vor zwanzig Jahren mit kaum zehntauſend Einwohnern , hat deren heute achtmal ſo viel, und ſeine Seeſchiffahrt hat bereits jene von San Francisco, dieſem
OWL
CARTHUR
Seattle. durch die Erdbebenkataſtrophe des Jahres 1906 ſo ſchwer heimgeſuchten New York der Küſte des Stillen Ozeans erreicht! Während ſo der Weſten und Nordweſten ſich mit Rieſenſchritten entwickelt haben , iſt auch der Süden , der durch den großen Bürger frieg der Sechzigerjahre ſo ſchwer geſchädigt wurde, in neuem raſchen Aufblühen begriffen .
Die furchtbaren Wunden, an denen die Süd
ſtaaten während zweier Jahrzehnte bluteten, ſind geheilt.
An Stelle
der alten Pflanzergeneration mit ihrem Konſervatismus ſteht dort jetzt der Yankeeeinwanderer aus den Nordſtaaten , früher ſchimpflich der Carpetbagger genannt, obenan . Helſe- Wartegg , Amerita .
Er brachte mit ſeiner Tatkraft, ſeinem 3
Der Aufbau von Süd und Nord.
34
Unternehmungsgeiſt auch großes Kapital mit nach dem Süden , und die Captains of Induſtry gingen in Alabama, Georgien, den beiden Carolinas und Virginien in ähnlich weitblickender Weiſe vor, wie ſie es jenſeits des Miſſiſſippi getan hatten . Die aus der Kolonialzeit ſtammenden Pflanzer fanden ihren Reichtum nur in Sklaven, Tabak, Baumwolle und Rohrzucker. Die reichen Mineral ſchätze, vor allem fohle und Eijen , blieben unbeachtet, Induſtrie gab es nicht . Dieſe Gebiete gleichfalls zu entwideln, blieb den Yankees vor behalten , und innerhalb der lezten zwei Jahrzehnte iſt der Süden wie ein Phönir neu
erſtanden , an Aufblühen
mit
dem
Weſten
wett
eifernd . Selbſt die Plantagenwirtſchaft war niemals zuvor ſo einträglich wie jeßt, niemals zuvor gab es ſo reiche Ernten .
An Bauniwolle
allein wird jept doppelt ſo viel erzeugt wie vor zwanzig Jahren.
Jm
Jahre 1906 erreichte ſie vierzehn Millionen Ballen von je zweihunderts fünfzig Kilogramm im Gejamtwert von zweieinhalb Milliarden Mark! Bis vor zwanzig Jahren wurde der weitaus größte Teil davon ins Ausland erportiert und nur eine verſchwindende Menge in Amerika ſelbſt verarbeitet .
Die Yankees ſagten ſich mit Recht, daß ſie ſehr viel
gewinnen würden, wenn ſie ſtatt der Rohbaumwolle die fertige Ware zur Ausfuhr brächten, und ſo entſtanden beſonders im Süden große artige Spinnereien.
Schon heute beſitzt Amerika von den hundertzehn
Millionen Spindeln der Welt vierundzwanzig Millionen , im
Verhält
nis zu ihrer Baumwollproduktion ſollten es aber ſiebzig Millionen ſein . Dann würde ſich der Wert des Produktes auf ſechstaujend Millionen Mark im Jahre belaufen, und in den Fabriken würde eine Million Arbeiter Beſchäftigung finden .
Deshalb wächſt auch die Baumwoll
induſtrie mit jedem Jahre zum Schaden der europäiſchen Spinnereien . Die jonnigen , ruhigen Pflanzerſtädte des Südens immer mehr in Induſtrieſtädte, und um anderem
verwandeln ſich
den Bedarf an Maſchinen und
Material zu decken , ſind auch die ungemein reichen Minen
erſchloſſen worden .
Der
Süden
beſitzt
allein
Kohlenfelder in der
Ausdehnung des halben Königreichs Preußen , und beſonders die im
35
Der Aufbau von Süd und Nord.
Staate Weſtvirginien gewonnene Sohle iſt die beſte Amerikas.
Ebenſo
hat Alabama die beſten Eiſenerze , und die Eiſeninduſtrie hat ſich dort in kaum glaubhafter Weije entwickelt . Im Jahre 1883 kam ich durch dieſen mir von früher her bekannten Baumwollenſtaat.
Der nördliche, von
Urwäldern eingenommene Teil war durch eine neue Eiſenbahn erſchloſſen worden .
Zu beiden Seiten brannten die Wälder ; man hatte ſie an
gezündet, um
Platz zit machen für Minen , Hochöfen , Anſiedlungen .
In Birmingham
hatte man ſich gar nicht die Zeit genommen , die
Bäume zu beſeitigen ; ſie ſtanden noch mitten in den Straßen der jungen, im Þandumdrehen entſtandenen Bretterſtadt. mingham , mit Birmingham
ſeinem
Heute iſt Bir
vielverſprechenden Namen , in der Tat
des Südens geworden ,
mit einer Stahl- und
das
Eiſen
produktion , die wohl nur von Pittsburg und anderen Pennſylvania diſtrikten übertroffen wird .
Die acht Millionen Neger , die in den
Südſtaaten wohnen , bilden wohlfeile Arbeitskräfte, die
Lebensbedin
gungen ſind günſtiger als im Norden , und ſo entwickelten ſich hier die Induſtrien jetzt in viel raſcherem
Verhältnis als ſonſt irgendwo
in Amerika . Noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts betrug die Zahl der in Induſtrien beſchäftigten Bevölkerung nur ein Fünfzehntel jener, die ſich der Landwirtſchaft widmete. ſieben zu zehn .
Sieben Millionen
Þeute iſt das Verhältnis wie haben Induſtrie und Bergbau ,
zehneinhalb Millionen Landwirtſchaft zum Beruf.
Im Handel und
Verkehr ſind nahe an fünf Millionen tätig . Der Aufſchwung des Südens hat auch hier viele neue Eiſenbahnen geſchaffen, und das amerikaniſche Geſamtne fache des
deutſchen ,
mit
einer
erreicht heute das Sechs
Kapitalanlage
von
fünfzigtaufend
Millionen Mark, verteilt auf zweitauſend Geſellſchaften . Der Wettſtreit
im
Perſonen- und Frachtenverkehr
hat zu
dem
Zuſammenſchluß großer Eiſenbahnen unter einheitlicher Leitung, zu Eiſenbahntruſts geführt , und ebenſo wurden auch durch den Wettbewerb die verſchiedenſten Induſtrien zur Truſtbildung veranlaßt ,
eine der
Der Aufbau von Süd und Nord .
36
merkwürdigſten Erſcheinungen des wirtſchaftlichen Lebens in Amerika. Das auffälligſte Beiſpiel iſt der Stahltruſt , die United States Steel Corporation , die einen großen Teil der Stahlproduktion Amerikas be herrſcht.
In ähnlicher Weiſe haben ſich Petroleum-, Kupfers, Zuders,
Tabaktruſts gebildet , im ganzen iſt die Zahl der Truſts auf vierhundert vierzig angewachſen, in denen zuſammen achttauſendſechshundert Firmen und Geſellſchaften verſchmolzen ſind.
Sieben Truſts, darunter die
vorgenannten, beſigen zuſammen ein Kapital von zehn Milliarden Mark, jeder der ſechs großen Eiſenbahntruſts vier Milliarden Mark, der Morgantruſt allein fünf Milliarden Mark!
Der Hauptſit dieſer Truſts
iſt New York, dieſe Rieſenſtadt, die im Laufe eines Jahrhunderts auf vier Millionen Seelen angewachſen iſt.
Daß die Anſammlung ſo un
geheurer Kapitalien in den Händen einer ganz kleinen Klaſje Bevor zugter auf das geſamte wirtſchaftliche Leben von tief einſchneidendem Einfluß iſt, braucht nicht geſagt zu werden . kontrolliert die wichtigſten
Eine Handvoll Milliardäre
Bodenprodukte, die wichtigſten Induſtrien,
den Geldverkehr und den größten Teil des Eiſenbahnnetzes des ganzen Landes, alſo gerade die Grundbedingungen der Volkswirtſchaft, und beuten ſie vielfach zu ihrem
eigenen Nutzen aus , in mancher Hinſicht
zum Schaden der Bevölkerung.
Sie ſind ſo mächtig geworden , daß
nicht einmal die Regierung der mächtigen Republik , geſchweige denn jene der Einzelſtaaten , gegen ſie mit Erfolg vorgehen kann , denn in republikaniſchen Staatsweſen ſind gewiſſe Geſetzgeber unſchwer zu Gunſten der reichen und freigebigen Truſts zu beeinfluſſen.
Auf der anderen
Seite haben dieſe wieder ihr Gutes durch ihre Kapitalkraft, die Herab ſeķung der Produktionskoſten ,
die Vereinfachung der Betriebe , die
Heranziehung der fähigſten Leiter.
Sie ſind im Grunde genommen
doch nur eine natürliche Folge des verderblichen Wettbewerbs einzelner untereinander, eine Betätigung des Prinzips des Überlebens, des Sieges der Fähigſten .
An Stelle der für ſich und gegeneinander arbeitenden
Soldateska der Induſtrie iſt eine Armee unter einheitlicher Leitung der , Induſtriekapitäne" , des Generalſtabs, getreten und dieſe Zentrali
37
Der Aufbau von Süd und Nord.
ſation iſt in vieler Hinſicht dem ganzen Lande von Vorteil geweſen . Die Strategen ſeiner Entwicklung haben ihre Tätigkeit über das ganze Land ausgebreitet, ſie haben die Soldaten ihrer Armeen von Oſten her nach Weſt und Nordweſt an die pazifiſchen Küſten wie nach dem Süden ausgeſandt, und die Intereſſengegenjäge der einzelnen Staatengruppen haben ſich in den letzten Jahrzehnten bedeutend gemildert.
Der Weſten
arbeitet nicht mehr gegen den Oſten , der Süden nicht mehr gegen den Norden . Selbſt in politiſcher Hinſicht iſt dies nicht mehr der Fall.
Bis
zur Jahrhundertwende herrſchte in allen Südſtaaten noch die Über lieferung des großen Sklavenkrieges.
„ The Solid South “, der ungeteilte
Süden war bei allen Wahlen ganz auf der Seite der demokratiſchen Bar tei, gegen die republikaniſche Partei der Nordſtaaten .
Die Einwirkung
der Yankees auf die induſtrielle Entwicklung der Südſtaaten , der Zu fluß nördlichen Stapitals, der Ausbau des die beiden Staatengruppen verbindenden Eiſenbahnnepes haben die Gegenjäge auf wirtſchaftlichem und damit auch auf politiſchem
Gebiet ausgeglichen , und als erſter
Staat þat ſich gerade der am ſtrengſten demokratiſche, Miſſiſſippi, von den alten Doktrinen losgeſagt , um
ſich durch die berühmt gewordene
Mc. Alliſter-Erklärung an jene des Nordens anzuſchließen .
An Stelle
der Gegenſätze iſt eine Intereſſengemeinſchaft getreten , die alle Teile der Union mit einem feſten Bande umſchlingt und ſie zu einem jeder Hinſicht einheitlichen Lande macht, dem
in
größten der Erde mit
gemeinſamem Wirtſchaftsleben , mit gleichartiger Bevölkerung. Was die Vereinigten Staaten vor allem
zu ihren wirtſchaftlichen
Erfolgen geführt hat , ſind die Beherrſchung ihres ganzen Bedarfs an Rohſtoffen , Schuß der eigenen Induſtrie durch hohe Zölle, die höchſte Leiſtungsfähigkeit der Arbeit, erzielt durch die höchſten Löhne , beſten Maſchinen und Ausnuşung aller Naturkräfte .
Mit dieſen wirtſchaft
lichen Erfolgen geht auch die politiſche Erſtarkung Hand in Hand. Auch in dieſer Hinſicht vollzieht ſich eine Art Truſtbildung, die die Staatengruppen und Einzelſtaaten immer feſter unter die Leitung der
38
Die Einwanderer auf der Fahrt.
Strategen in Waſhington ſtellt.
Mit dem
ganzen ungeteilten Lande
hinter ſich, vermochten dieſe es , die Union ihren großen politiſchen Er folgen der letzten Jahre zuzuführen und ihr jene Machtſtellung zu geben , die ſich heute in allen Erdteilen , in allen Reichen ſo fühlbar macht.
4. Die Einwanderer auf der Fahrt. a , guten Morgen , Kinder ! Wie geht's ?" ,,Danke , Herr Aapitän ." nesuten semplice ! " „ Guten Bergen Morgen ,per Herr Kapitän
vertebral es pot estaus une der per erſchallt es zurück
Menge der Auswanderer, die auf dem breiten Vorderdeck des mächtigen Hamburg -Amerika - Dampfers ,,Graf Walderjee " verſammelt ſind .
Die
Deutſchen und Öſterreicher unter ihnen ſind es , die den allbeliebten und beleibten Kapitän
Arech , den
bekannten Führer des Dampfers
Valdivia “ auf der deutſchen Tiefjee-Expedition , auf ſolche Art be grüßen. Die Hunderte von Ruſſen , Polen, Kroaten , Kuthenen , Slowenen , Bosniaken , Ungarn , Rumänen , aus denen die Hauptmaſſe der Aus : wanderer beſteht, ziehen ſtuinm ihre Happen und Hüte. nift ihnen leutjelig zu , kneift hier und da einem Wange,
klopft
einem
Kapitän Arech
Mädchen in
Mütterchen auf die Schulter
die
und bahnt ſich
ſeinen Weg durch die dicht gedrängte Menge nach einer der Treppen, die hinunterführen in das Zwiſchended . Der Schiffskommandant iſt auf ſeiner täglichen Kunde , gefolgt von den Herren ſeines Stabes : dem erſten Offizier, Herrn Wreesmann, dem erſten und zweiten Schiffsarzt und dem Zahlmeiſter.
Wir ſind auf der
Höhe von Neufundland, und das gewaltige Schiff von fünfzehntauſend Tonnen bahnt ſich machtvoll ſeinen Weg durch die Fluten der Atlantis , Amerika zu, das all dieſen bunt zuſammengewürfelten Menſchen zur zweiten Heimat werden ſoll .
Gegen tauſend ſind ſie diesmal an der
Zahl , auf der vergangenen Reiſe waren es ihrer zweitauſend, und im ganzen kann der „ Graf Walderjee" noch um fajjen.
ein gutes Tauſend mehr
Dazu kommen an zweihundert Paſſagiere erſter Klaſſe , etwa
ebenſo viele zweiter Klaſje ; die Mannſchaft , einſchließlich der Maſchi
39
Die Einwanderer auf der Fahrt .
niſten und Heizer, beläuft ſich auch auf zweihundert Köpfe . Es iſt alſo eine Menſchenmenge ſo groß wie die Einwohnerzahl einer kleinen Stadt , welche hier, nur durch die Schiffswandung von den Fluten getrennt , auf dem einſamen Meere ſchwimmt, tauſend Seemeilen von Amerika, zweitauſend von Europa entfernt! Man kann daraus die ungeheure Verantwortlichkeit erkennen , die auf den Schultern des Kapitäns und ſeiner Difiziere ruht . tauſend Menſchen
ſind
ihrer Obhut
und Leitung
Über drei
anvertraut,
und
während beinahe zwei Wochen ſind ſie ganz auf das angewieſen, was das Schiff in ſeinem
Rumpfe birgt .
Für alles muß geſorgt ſein, für
Leben und Tod, für Krankheit und Gefahr, und in der Tat verfügen dieſe Ricſendainpfer , deren die Hamburg -Amerika- Linie eine ſo große Zahl beſigt, über dieſelben Hilfsmittel wie eine kleine Stadt. In Hamburg ſind die Auswanderer an Bord gekommen.
Für die
meiſten von ihnen war die Reiſe aus ihrem entfernten þeimatsorte irgendivo in Südrußland oder den Balkanſtaaten hierher überhaupt die erſte, die ſie unternommen hatten .
Was ſie veranlaßte, die weite
Fahrt über den Ozean zu unternehmen ? andere wie in früheren Jahrzehnten .
Heute
ſind die Gründe
Damals war es ein bißchen
Luſt zu Abenteuern , ein Zug ins Ungewiſſe, der Trieb, in den Prärien oder den Goldminen das Glück zu verſuchen , denn der große Weſten Amerikas war noch wildes, unbewohntes Land.
Heute hat ſich die
Sturmflut der Beſiedlung gelegt , alles bewegt ſich in friedlicheren, ruhigeren Bahnen .
Die Anſiedler früherer Zeit ſind zum
Teil untergegangen in
dem Kampf ums Daſein , zum
ſind ſie zu Wohlſtand, ja Reichtum
kleineren
größeren Teil
gelangt und ihre Briefe nach der
Heimat ſind die wichtigſte Urſache des ungeheuren Menſchenſtromes, der ſich aus Europa nach Amerika ergießt und der in der legten Zeit alljährlich beinahe eine Million Köpfe erreicht hat ! Die Briefe ſchildern den Verwandten und Bekannten daheim
die großen Verhältniſſe in der
Neuen Welt , die Leichtigkeit, mit welcher werden ; Arbeiter , Dienſtmädchen ,
dort
Vermögen
Handwerker ſchreiben
erworben ihren
Be
40
Die Einwanderer auf der Fahrt.
kannten ,
welche Löhne fie drüben erhalten ,
Löhne vier- , fünfmal
ſo hoch als jene, die in der Heimat gezahlt werden ; ſie ſchicken ſo gar das Geld für die Überfahrt, und das läßt bei all den Hundert tauſenden den Entſchluß reifen, nach der Neuen Welt zu fahren .
Was
ſie zu tun , wie ſie es anzufaſſen haben, alles wird ihnen haarklein auseinandergeſegt, und ſo finden ſie ſich in bamburg jo zahlreich ein , daß jedes Auswandererſchiff eine volle Ladung von
ihnen
bekommt.
Sind ſie einmal in der großen Hafenſtadt, dann brauchen ſie ſich um nicht viel mehr zu kümmern , als rechtzeitig an Bord zu ſein .
In
früheren Jahren mußten ſie ſich Matraßen , Stühle , Decen , Kiſſen , Eßgeſchirre und dergleichen ſelbſt beſorgen , heute wird ihnen dies alles von der Hamburg-Amerika -Linie ohne Zahlung geliefert.
Sie zahlen
ihre Paſſage, die zwiſchen hundert und hundertfünfzig Mark ſchwankt. Dafür bringt ſie das Schiff über den Ozean in den Hafen von New York. Aus
früheren Zeiten
hat ſich hier
und
dort noch
der
Glaube
erhalten , eine ſolche Fahrt in einem Auswandererſchiff jei mit aller hand Elend und Entbehrungen verbunden .
Dazu erſcheinen zeitweilig
wohl auch Briefe von Nörglern , die ihrer Unzufriedenheit mit Unter kunft, Verpflegung , Behandlung u. ſ. w . Luft machen , Briefe , welche leider von manchen Zeitungen allzu leicht aufgenommen werden . Meine eigene Fahrt auf dem „Graf Walderſee" gab mir Gelegenheit, zu ſehen, wie die Auswanderer leben und wie ſie es treiben .
Napitän Krech hatte
nicht das mindeſte dagegen, daß ich meine Naſe in Kiiche und Proviant räume ſteckte, oder ihn auf ſeinen Inſpektionsgängen begleitete , oder bald den Frühſtüdskaffee, bald das Abendbrot foſtete.
„ Nu man zu ,
lieber Herr v . H.-W. “ , meinte er ſtets, wenn ich ihm mit irgend einem Anliegen kam .
So war es mir auf der Fahrt leicht, einen Einblick
in das Leben der tauſend Auswanderer zu bekommen , und ich kann auf Grund deſſen wohl ſagen, daß die Mehrzahl von ihnen zu Hauſe kaum ſo gut gewohnt und gegeſjen hat wie auf dem „ Graf Walderſee" . Dafür ſorgten unter Oberaufſicht des Kapitäns und ſeiner Offiziere die Köche, Proviantmeiſter und die Zwiſchendeckſtewards.
Die Einwanderer auf der Fahrt.
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An der Spitze der legteren ſteht ein Oberſteward, auf deſſen Schultern ein gutes Stüd Arbeit und Verantwortlichkeit laſtet, denn er iſt wiſſermaßen der Bürgermeiſter , Polizeichef, Proviantmeiſter ,
ge
Feuer
wehrhauptmann des ſchwimmenden Dorfes mit ſeiner internationalen, vielſprachigen Einwohnerſchaft, die er je nach ihrer Nationalität einzu quartieren hat, ſo, daß es auf der langen Fahrt nicht zu Reibungen und Schlägereien kommt, und deren Wünſche und Eigenart er nach Tunlichkeit befriedigen muß.
Die ganze Geſellſchaft iſt in verſchiedenen
Stocwerken untergebracht, die ſich unter dem ganzen Hauptdeck vom Bug bis zum Steuer hinziehen .
In der Mitte des Þauptdecks erhebt
ſich ein Aufbau von vier Stocwerken für die Kajütenpaſſagiere , die Offiziere und die Wache, unter dem Hauptdeck ſind ebenſoviele Stock werke für die Auswanderer und die Ladung , die aus mehreren tauſend Tonnen beſteht.
Wenn man den ſchwimmenden Koloß im Þafen be
trachtet, ſo glaubt man kauin, daß es möglich iſt, darin ſo viel unter zubringen, wie es tatſächlich geſchieht. Das Zwiſchendeck iſt in den beiden für die Auswanderer beſtimmten Stocwerken in eine Anzahl großer Verſchläge oder Säle abgeteilt, deren jeder zur Unterkunft von fünfzig bis zu hundertfünfzig Menſchen dient. Im oberen Stoďwerk direkt unter dem Hauptdeck find mehrere Säle für den Aufenthalt der Leute bei Tag beſtimmt.
Hier werden an
langen Tiſchen die Mahlzeiten eingenommen, hier ſpielen ſie Karten oder andere Spiele, ſchreiben Briefe, leſen oder unterhalten ſich . Sobald die Auswanderer mit Sad und Bad, mit Kind und Segel an Bord kommen , erhalten ſie vom Oberſteward ihre Quartiere ange wieſen.
Er nimmt dabei nach Tunlichkeit auf die Nationalitäten Rück
jicht, legt die Deutſchen in einen , die Polen in einen anderen Saal ; die Kuſſen kommen wohl mit Bulgaren , Kroaten mit Rumänen zu jammen, auch die ruſſiſchen Juden bekommen ihre Abteilung, getrennt von ihren rumäniſchen Glaubensgenoſſen, denn wie mir der Oberſteward erzählte, vertragen ſie ſich nicht miteinander und es kommt ihnen häufig zu Streitigkeiten und Schlägereien .
zwiſchen
Sie ſind ſeit den
Die Einwanderer auf der Fahrt .
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lezten Jahren ſo zahlreich vertreten, daſs die wichtigſten Schiffsregeln und andere Ankündigungen für die Zwiſchendecker" nicht nur in deuts ſcher, ruſſiſcher und polniſcher , ſondern auch in „ jüdiſcher“ Sprache angeſchlagen werden .
Jn der Küche zeigte mir der dicke joviale Ober
koch , eine wichtige Perſönlichkeit auf dem Schiffe, eine eigene vergitterte Abteilung , in welcher für die Juden „ koſcher “ gekocht wird und wo alle
Gerätichaften die
Bezeichnung
„ für 3jraeliten "
fiihren .
Der
Rabbiner in bamburg weihte die Kochfejjel dadurch ein, daß er in die mit kochendem Waſſer gefüllten Gefäße glühende Kohlen warf.
Die
Juden ſind aber mit der gewöhnlichen Schiffskoſt ſo zufrieden , daß fie in der Regel darauf verzichten, „ koſchere“ Koſt zlı erhalten . Neben der Einteilung nach Nationalitäten findet cinc noch ſtrenger durchgeführte Einteilung nach dem Geſchlechte ſtatt. Die ledigen Männer ſind von den Mädchen
getrennt, und unter dieſen bekommen , wenn
tunlich, die deutſchen Mädchen wieder einen eigenen Raum die
zugewieſen ;
Familien werden zuſammengelegt und auch hier die Deutſchen be
rüdjichtigt, wenn ſich eine Sonderabteilung einrichten läßt. Sobald das Schiff den Qafen verlaſſen hat , gilt es die ganze Ge jellſchaft, alt und jung, Mann und Frau und Mädchen, einerlei welcher Nationalität, ausgenommen die Amerikaner, zu impfen .
Das iſt in den
ſtrengen amerikaniſchen Einwanderergeſetzen vorgeſchrieben.
In die
Mitte des größten Saales wird ein Tiſch geſtellt, neben welchem ſich die beiden Schiffsärzte mit ihren Gehilfen poſtieren ; die Stewards und Aufwärterinnen bringen
die Zwiſchendecker “ in lange Reihen , ſind
ihnen beim Entkleiden des Oberarms behilflich und reinigen ſorgfältig die Impfſtelle.
Nun wird ihnen der Impfſtoff von den Ärzten nicht,
wie es in Europa geſchieht, durch Einſtechen , ſondern nach amerikaniſcher Vorſchrift durch wiederholtes Riten der vaut eingeimpft. Für die Mahlzeiten wird die ganze (Gejellſchaft durch den Ober : ſteward nach Meſjen abgeteilt .
Selbſtverſtändlich kann bei der großen
Menge der Auswanderer und dem
beſchränkten Raume von einer Be
dienung durch Stewards, wie es in den Kajüten geſchieht, keine Rede
Die Einwanderer auf der Fahrt .
ſein .
43
Je zehn bis fünfzehn Perſonen möglichſt der gleichen Nationalität
und des gleichen Geſchlechts bilden eine Meſſe .
Jeder einzelne erhält
Eßgeſchirr, aber die Schüſſeln ſind für jede Meſſe gemeinſchaftlich , und müſſen von dieſer gereinigt werden . Morgens erhält jeder Auswanderer Kaffee , Brot , Butter oder Marmelade , dazu Rauchfleiſch oder Käſe, ſoviel er verzehren kann.
Jede Meſſe ſendet einen Mann mit der
Schüſſel und einem Zettel , auf welchem die Zahl der Meſmitglieder verzeichnet iſt, zur Küche.
Dort ſtellen ſie ſich in langen Reihen auf
und erwarten die Außteilung.
Vorher koſten der Zahlmeiſter und der
Oberkoch die Lebensmittel , der Oberſteward muſtert mit ſtrengem Blick die Schüſſeln , und findet er eine nicht ſauber genug , jo muß ſie von
ihrem Träger nochmals gereinigt werden .
Mittags erhalten die
Aušivanderer in reichlichen Portionen Fleiſch und allerhand Gemüſe, jo vortrefflich gekocht, daß ſie ebenſogut in der vornehmen erſten Kajüte aufgetragen werden könnten . Zur Abendmahlzeit erhalten die Zwiſchen decker wieder Brot, Butter und dergleichen , ſoviel ſie nur eſſen können . Bier, Tabak, Zigarren und anderen Bedarf können ſie ſich im billiges Geld in der Kantine kaufen . Wenn das alles in jo erſtaunlicher Promptheit funktioniert, ſo iſt es den ſtrengen , auf langjährige Erfahrung fuſenden Vorſchriften der Ham burg -Amerika - Linie zuzuſchreiben.
Daß ſie in der Tat zur genauen Be
folgung kommen , dafür ſorgt der Napitän auf ſeiner täglichen Muſterung. Jeden Morgen
um
neun Uhr werden
es auch die beſcheidenſten ,
in die man
alle Räume , ſich
und jeien
nicht gern ohne
Be
dürfnis begibt , beſucht, Kapitän Krech ſpricht mit ſeinen Paſſagieren , tröſtet mit ein paar munteren Worten die Seekranken , hört gutmütig etwaige Beſchwerden, bringt in ſeiner ſeemänniſch biderben Weije Zwiſtig keiten zum Ausgleich, beſucht die Patienten in dem luftigen , geräumigen Hoſpital und bringt unter die zuſammengewürfelte Menge durch ſein Auftreten friſche Lebensfreude.
Am meiſten war ich bei meinen Bes
ſuchen des Zwiſchendecks über die Ordnung und Reinlichkeit verwundert, die dort herrſchen. In der Heimat der tauſend Menſchen , die in dieſen
Die Einwanderer auf der Fahrt.
Räumen wohnen , iſt ſie gewiß nicht zu finden und wohl nur wenige unter ihnen haben dort in jo reinlichen Betten geſchlafen.
In den
Schlafjälen find eiferne Gerüſte aufgeſtellt mit je zivei Reihen Betten übereinander ; zwiſchen dieſen Gerüſten ſind meterbreite Gänge.
Jedes
Bett enthält eine mit blauem Stoff überzogene Matraße, wie Kopfkiſſen und Flanelldede.
Neben und unter den Betten iſt hinreichend Platz Überdies ſtehen an den freien
zur Unterbringung des Handgepäcks.
Wänden entlang Sitzbänke. Nach jeder Fahrt werden alle Einrichtungs ſtücke der ſtrengſten Reinigung unterzogen und allabendlich werden auch unter der Leitung des Oberſtewards von eigenen Aufwärtern die Schlaf räume gekehrt, die Wohnräume geſcheuert, Tiſche und Bänke gewaſchen . Die Nacht über haben dieſe Aufwärter abwechſelnd Wache.
Stürmt
es draußen, dann werden die Fenſterluken geſchloſſen , bei hohem Wellen ſchlag auch die Decktüren , und dann iſt die Luft in dieſen Räumen nicht gerade die beſte. Gewöhnlich aber zieht die friſche Seeluft durch und der Aufenthalt im Zwiſchendeck iſt für die Leute ein ganz behaglicher. Die Paſſagiere ſind nun ſchon anderthalb Wochen auf der Fahrt, aber die, mit denen ich geſprochen , jehnen ſich durchaus nicht danach , ans Land zu kommen . und ſo manchem
Dort beginnen ja erſt ihre Schwierigkeiten ,
bangt es, ob er von den
Behörden auch angenommen wird .
geſtrengen
amerikaniſchen
Hommt er auch glücklich durch, in
dem Augenblick, wo er den Boden des „gelobten Landes“ unter ſeinen Füßen hat, iſt er gänzlich auf ſich ſelbſt angewieſen , wenn er nicht Freunde oder Verwandte hat, die ihm helfen.
während der erſten Zeit weiter
Die ,,Deutſche Geſellſchaft " in
New York wird derart in An
ſpruch genommen , daſs ſie nur in einer verhältnismäßig geringen Zahl von Fällen helfend eingreifen kann . iſt das Mahnwort, das ihm
„ Help yourself" „Hilf dir ſelbſt“
überall entgegentritt.
Jeder Emigrant erhält bei ſeiner Einſchiffung in Hamburg eine Karte, die von verſchiedenen Behörden ausgefüllt werden muß, ehe er das gelobte Land der Neuen Welt betreten kann. folgenden Inhalt ( in engliſcher Sprache):
Dieſe Karte hat
Die Einwanderer auf der Fahrt.
45
Þamburg - Amerika Linie. Inſpektionskarte für Emigranten und Zwiſchended paſſagiere. Einſchiffungshafen Abfahrtstag... Name des Schiffes Letter Wohnort Name des Auswanderers Paſſiert in der Qua rantäne, Hafen von
Tag 1. Hiaics
//
Beimpft
11
Schlaf ſtelle Nr.
Dampfer Inſpektion
Stempel des Kon ſulats oder der ärzt lichen Behörde. Schiffsmanifeſt
Paſſiert durch das Einwanderungsamt, Hafen von ( New York). ( New York). Datum Datum Nr. des Manifeſtes der jedem An vorſtehenden der bei Tage Juſpektion Arzt den durch durchlocheil .311
Inſpiziert und paſſiert in
on cocia
Datum
Stempel
Auf der Rüdſeite der Karte ſteht in ſieben Sprachen folgender Vermerk: ,, Dieje Starte muß aufbewahrt werden , um Aufenthalt an der Quarantäne ſowie auf den Eiſenbahnen der Vereinigten Staaten zu vermeiden .“ Die Hauptſchwierigkeit liegt darin, das Viſa des Einwanderungs amtes in New York zu erhalten.
Einen Vorbegriff der Unterſuchung,
welcher jeder einzelne Einwanderer unterworfen wird , erhalten die Zwiſchendecker ſchon durch die Rubriken des Schiffsmanifeſtes, welche nach ihren Angaben vom Kapitän ausgefüllt werden müſſen .
Darunter
befinden ſich folgende Fragen : Ob im Beſitz einer Fahrkarte bis an den legten Beſtimmungsort ? Von wem wurde die Reiſe bezahlt ? Ob im Beſitz von fünfzig Dollars, und wenn weniger, wie viel ? Ob jemals im Gefängnis oder Armenhaus , oder in Anſtalten zur Pflege von Geiſteskranken, oder ob jemals durch öffentliche Wohltätig feit unterſtützt ?
06 Polygamiſt ? 06 Anarchiſt Ob die Einwanderung auf Veranlaſſung anderer erfolgte , durch Ver
Die Einwanderer auf der Fahrt .
16
ſprechungen , Vertrag oder Bitten , um in den Vereinigten Staaten zu arbeiten ? Ob zu Proſtitutionszweden ? Geſundheitszuſtand, geiſtiger und körperlicher ? Ob ein Krüppel oder verlegt, aus welcher Urſache und ſeit wann ? Unter den Auswanderern jedes Schiffes gibt es immer einige, welche einzelne der obenſtehenden
Fragen nicht zur Befriedigung der
wandererbehörde beantworten können .
Ein
Dann werden ſie ins „ Gelobte
Land" nicht zugelaſſen und müſſen die lange Rückfahrt nach ihrer alten Heimat ſofort wieder antreten . Auch die Nationalität jedes Einwanderers muß angegeben werden . Das Schiffsmanifeſt zählt deren etwa fünfzig auf.
Die Schottländer
und Zrländer werden neben den Engländern als eigene Nation an geführt , die Norditaliener
bilden
nach den Ethnographen der ameri
kaniſchen Einwanderungsbehörde eine eigene Nation , zum Unterſchiede von den Süditalienern , dafür werden aber Dänen , Schweden und Norweger zuſammen
als Skandinavier angeführt.
Sogar die Bes
wohner von Wales bilden eine Kaſſe für ſich, aber Öſterreich als ſolches iſt ein
unbekannter Begriff.
Die Einwanderungsbehörde fennt wohl
Böhmen, Mährer, Dalmatiner und Kroaten, ſie nennt die Hebräer als eigene Nation , die Deutſch -Öſterreicher werden zu
den Deutſchen ge
zählt, aber Öſterreicher gibt es nicht. In der erſten Zeit der großen Völkerwanderung nach Amerika war man lange nicht ſo ſtreng .
Damals waren die Yankees froh , wenn ſie
überhaupt Zuwanderer bekamen .
Von Jahr zu Jahr ſtellten ſie ihre
Anſprüche höher und jetzt betrachten ſie die Einwanderer als unlieb ſamen Plebs .
Dennoch iſt gerade jeţt die Einwanderung größer als
je zuvor! Vom Jahre 1821 bis z. F. 1830 betrug ſie im ganzen 143 000 Perſonen 1831
1810
1841
1850
11 1 713 000
1851
1860
2 600 000
n
600 000
-Brüde Brooklyn der mit York New von Hafen .Ter
NYEW ORK NEES CUBAWA NKEN LSS S .CO . C& ond e .1
18
IN LLORY MA
Die Einwanderer auf der Fahrt . 25
48
Das neueſte New York.
von 1861 bis 1870 betrug ſie im ganzen 2 315 000 Perſonen 1871 1881
1880
2 812 000
11
1890
1891
1900
3 844 000
1901
Il
1905
3 833 000
5 247 000
1
Während der erſten fünf Jahre des legten Jahrzehnts war die Ein wanderung alſo gerade ſo groß wie während des vorhergehenden Jahr zehnts, und feither erreicht ihre Zahl jährlich beinahe eine Million ! Die Geſamtzahl der Einwanderer hat alſo bisher an 25 Millionen Menſchen betragen ! Die größte Eingangspforte in die Neue Welt war für die meiſten von ihnen New York, welches den von der See Kommenden mit ſeinen rieſigen Gebäuden , ſeinen majeſtätiſchen , von ungeheuren Brücken überſpannten Strömen und ſcinem
lebhaften Verkehr einen überwältigenden Begriff
von der Größe und dem Reichtum ihrer künftigen Heimat geben muß.
gere 5. Das neueſte New York . 18 Peter Minuit por bald dreihundert Jahren die Niederlaſſung
A New Amſterdam
an der Mündung des yudjonfluſſes gründete ,
hat er ſich wohl nicht träumen laſſen , daſs dieſes New Amſterdam zu Beginn des zwanzigſten Jahrhunderts dreieinhalb Millionen Einwohner zählen und zur größten Stadt des Erdballs nach London angewachſen fein würde.
Sonſt hätte dieſer erſte Gouverneur der Holländiſch-Weſt
indiſchen Kompagnie die Stadt gewiß irgendwo anders auf dem Feſt lande und nicht auf der kleinen Felſeninſel Manhattan angelegt, die er den Indianern um
ein Linſengericht abkauſte.
Es mag hier erwähnt
werden , daß Þeter Minuit ein Deutſcher , und zwar ein biederer Weſtfale war und daß die Stadt New York, auf welche die Amerikaner mit Recht ſo ſtolz ſind, ſomit eine deutſche Gründung iſt. Im Jahre 1700 war New Amſterdam auf ſechstauſend , tauſend Einwohner gewachſen .
Im
im
Jahre 1800 auf ſechzig
Jahre 1900 hatte es deren drei
49
Das neueſte New Yorf.
einhalb Millionen ;
ſeither wächſt es von Jahr zu Jahr um zwei
malhunderttauſend Seelen . Was augenblicklich in New York alles gebaut wird oder projektiert iſt, überſteigt wohl alles , was dem Kühnſten Baumeiſter jemals im Traume erſchienen iſt. Unbegrenzt wie die Möglichkeiten des großen Amerika ſind auch die neuen Unternehmungen ſeiner Hauptſtadt, und wer in einigen Jahren vom alten Europa zum erſten Male nach dieſem Babel des zwanzigſten Jahrhunderts kommen wird , der dürfte dann ähnliches Alpdrüden bekommen wie etwa ein von der Beſuvaſche ver chütteter Pompejaner, der plötzlich, zu neuem
Leben erwacht, an die
Ede Leipziger- und Friedrichſtraße in Berlin verſeßt wird .
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N
Landger Nieuw AMSTERDAM godlyigné Manhattan
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AUS
New York im Jahre 1656. Schon jetzt ergreift den Wanderer durch das Tohuwabohu der Haupt ſtraßen New Yorks ein Gefühl der Unſicherheit und Angſt, das er nicht los wird, bis er in irgend eine Seitenſtraße abbiegt.
Über ihm, neben
ihm , unter ihm jauſt und donnert der Verkehr auf und nieder , wälzt fich der eilige Menſchenſtrom , ähnlich wie die trübe , wellenbewegte Flut des Miffiffippi,
nach unbekannten
Zielen .
Menſchen und
wieder
Menſchen, ihm vollkommen fremd, ſtoßen und drücken und winden ſich dort auf den ſchmalen Seitenwegen eingeengt zwiſchen hochragenden Rieſenbauten und dem lebensgefährlichen Getriebe in der Straße, ein ander nicht beachtend, rückſichtslos haſtend, und der fremde Wanderer, unvertraut
mit dem großartigen Verkehr in dieſer verkehrsreichſten
Stadt der Welt, bekommt gar nicht Zeit, vor lauter Bäumen den Wald zu ſehen . Stehen bleiben, die Blicke der Straße entlang , oder zu den 4 Þefie . Wartegg , Amerika.
50
Das neueſte New York.
zwanzig , dreißig Stockwerken der Rieſenfronten empor richten ,
gibt
es in den Geſchäftsſtunden gar nicht. Er wird von den eiligen Menſchen hin und her geſchoben, geſtoßen, geknetet wie ein Stück Teig, bis er in irgend einem barmherzigen Winkel landet. Hören und Sehen könnte ihm vergehen bei dem
ſchrillen Schlag der Glockenſignale, die wie be
ſtändiger Feuerlärm ertönen , dem Boltern und Rumpeln der unabjeh baren Reihe einander folgender elektriſcher Waggons, dem Raſſeln der Laſtwagen , dem Getrappel der Pferde, dem Sauſen und Klappern der Automobile. Rein Menſch hat Zeit, ſtehen zu bleiben , alles eilt, flüchtet, verſchwindet in irgend einer Pforte der himmelhohen , mit Schilders tafeln bedeckten Häuſer oder in einem der langen Reihen von Stauf läden mit ihren glänzenden Spiegelſcheiben , auf denen elektriſch be wegte Figuren tanzen und elektriſche Hämmer ſchlagen , um die Auf merkjamkeit der hurtigen Paſſanten zu erregen . geht unter.
Wer nicht mitmacht,
Überall Þaſt, überall Bewegung, überall Lärm , die Hölle
der amerikaniſchen Überkultur, der es vor allem darauf anzukommen cheint , mit einem
übermaß körperlicher und geiſtiger Anſtrengung
möglichſt raſch Geld zu erwerben, dort gleichbedeutend mit Glüd.
Am
überwältigendſten zeigt ſich das an den Kreuzungspunkten der Vaupt ſtraßen, wo auch noch Stationen der Hochbahnen liegen. Meine andere Weltſtadt hat Ähnliches aufzuweiſen, oder wird, Gott ſei's gedankt, jemals New York darin erreichen können, denn wie ſehr andere auch wachſen mögen , New York wird ihnen vorausſichtlich immer auf Siebenmeilenſtiefeln – nein , Hundertkilometerſchuhen voraneilen. Das iſt eben in der eigentümlichen Lage dieſer Eingangspforte in die Neue Welt bedingt .
Jhre Avenuen ſind Wege, an deren einem
Ende
die vierhundert Millionen Europas, an deren anderem Ende die hundert Millionen Amerikas wohnen, und der Verkehr dieſes Drittels der Ge ſamtbevölkerung der Erde wälzt ſich zum größten Teil hier durch.
Eine
jeltjame Fügung wollte es haben , daß die ſtillſte, phlegmatiſchſte Nation der Erde den Grund gelegt hat zu dieſem Babel der Welt.
Als die
Holländer aus ihren ſtillen ſchläfrigen Grachten von Amſterdam und
Straßenleben in . York New
COUN
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Omega Red Oil Raven Splits Carre
Das neueſte New Yorf. 51
52
Das neueſte New Yorf.
dem þaag nach Amerika kamen , verpflanzten ſie Holland nach dem Infelchen Manhattan , umflutet von zwei Meeresarmen , dem Nord River und der Mündung des Hudſonſtromes , getrennt von dem Feſt lande durch den Harlemfluß.
Für das New
Amſterdam , das ebenſo
ſtille, behagliche, langſame , das ſie dort an der Südſpiße der Inſel anlegten , war ja Plat genug zur künftigen Ausdehnung , eine Land fläche hundertemal ſo groß, als ihr Städtlein umfaßte.
Aber das un
geheure Hinterland , über welches der liebe Herrgott ſeine Gaben in ſo außerordentlicher Fülle geſtreut hat, ließ das kleine New Amſterdam in ebenſo außerordentlichem
Maße anwachſen .
Die erſte Menſchen
million konnte ſich in der Tat noch halbwegs auf der Manhattan Inſel einrichten , aber der Zulauf von Europa nach der geſegneten Neuen Welt brachte in jedem Jahre viele Hunderttauſende, zwanzig Millionen in fünfzig Jahren , und immer ſteigend , beträgt er ſeit der legten Jahrhundertwende Jahr für Jahr nahe an eine Million .
Das
ungeheure Land entwidelte ſich mit Rieſenſchritten und dieſe Entwidlung ſpiegelte ſich in ſeiner Hauptſtadt wider, die ihrerſeits immer mehr zum Ausgangspunkt dieſer Entwicklung und
zum
Mittelpunkt des Außen
handels wurde. Die kleine Feljeninſel konnte die Zuwanderer, die nicht nur aus Europa , ſondern jetzt auch aus dem großen Lande ſelbſt kamen , nicht mehr faſſen.
Es war kein Plaß mehr vorhanden.
Der Überſchuß
der Bevölkerung mußte abfließen und zog über die beiden Ströme, den Eaſt- und Hudſonſtrom , hinüber nach Brooklyn, Williamsport, Aſtoria, Jerſey City, Hoboken, dann über den Harlem nordwärts in den ſchmalen, vom Hudſon und dem Long - Jsland-Sund eingeſchloſſenen Feſtlandzipfel. Der größte Teil der Millionen Menſchen , die dort wohnen , haben wenigſtens ihre Geſchäfte in New York oder ſind ſonſtwie von New York abhängig.
Jeden Morgen kommen Hunderttauſende auf Dampffähren
über die Ströme nach dem großen Bienenkorb New
York , um des
Abends wieder nach Hauſe zurückzukehren. Von dem Straßenverkehr in der Metropole von Nordamerika kann ſich ein europäiſcher Großſtädter, und ſelbſt ein Londoner, nur ſchwer
Das neueſte New York.
eine Vorſtellung machen .
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Dergleichen Stoßen , Quetſchen , Drängen,
Überhängen wie in und an den Straßenwagen und vochbahnen von New York kommt wohl ſonſt nirgends in der Welt vor. Es iſt kaum glaub lich, wie viele Menſchen ein ſolcher, zwanzig Sippläge enthaltender Wagen faſſen kann. Drinnen ſind ſie wie Öljardinen aneinandergedrückt, Herren und Damen aus allen Geſellſchaftskreiſen ; wer eine Lederſchleife zum Anhalten erwiſchen kann , hält krampfhaft daran feſt, die anderen halten ſich an ihn , und die dazwiſchen Stehenden werden ſo gequetſcht , daß ſie fich überhaupt nicht zu halten brauchen .
Jedesmal , wenn der
Wagen anhält , jedesmal, wenn er weiterfährt, gibt es einen ſtarken Ruck, aber kein Menſch kann umfallen , dazu.
denn es fehlt der Platz
Draußen auf den Plattformen ſtehen Menſchen dicht gedrängt,
und auf den Trittbrettern hängen ſie vielleicht mit einem Fuß in der Luft , mit einer vand das Geländer krampfhaft feſthaltend . an Wagen ſauſen
vorüber , in langer Reihe , wie ein Eiſenbahnzug ,
der an die zwanzig Kilometer lang ijt.
Wil ein Menſch an einer
Straßenede ausſteigen , ſo muß die ganze halten .
Dann gibt es eine kleine Schlacht,
Stürmen , Drücken , Stoßen ,
wird zugeſchlagen Station.
Wagenreihe hinter ihm
Beſſer geht es auf den pochbahnen , deren Züge nur alle
fünf, ſechs Querſtraßen anhalten . ein
Wagen
heraus ,
und fort geht es
hinein , das
Eiſengitter
in Sturmeseile zur nächſten
Wer ſich nicht rechtzeitig zur Türe hinfindet, muß weiter
über ſein Ziel hinaus. Bald
war aber auch
für die
Geſchäftslokale kein Play mehr
vorhanden , wenigſtens in jenen Stadtteilen, wo Geſchäfte in dem zeit erſparenden New York allein Ausſicht auf Erfolg haben. Der Grund wert ſtieg ins
Unerſchwingliche und um
überhaupt die Zinſen des
Baugrundes herausſchlagen zu können , mußten die Bauten viel mehr Stocwerke beſigen .
Dazu ſteigerte ſich die Nachfrage nach Geſchäfts
lokalen immer mehr, und da ſich New York nach der Breite nicht mehr ausdehnen konnte , ſo mußte es ſich eben in der Höhe ausdehnen . Das war der Grund , warum urſprünglich
im
alten New York an
54
Das neueſte New York.
Stelle der erſten hölzernen , Shanties “ , d . 1. Bretterbuden, zwei- und dreiſtöckige Häuſer
gebaut wurden .
Sie machten ſpäter vier- und
fünfſtöckigen Play ; dann kamen nur wenige Jahrzehnte nachher die ſechs- und achtſtödigen ; auch ſie mußten jenen von zwölf bis fünfzehn Stockwerken weichen, und ſo ging der Wetteifer im Höherbauen immer weiter, bis endlich im Hauptgeſchäftsviertel New Yorfs die
Himmel
12
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FISPAFPR
kraşer“ , dieſe zwanzigs bis dreißigſtödigen Haustürme, zu ſehen waren .
Copyright 1900 by Detroit Photographic Co. Am unteren Broadway in New York . Doch auch damit hat man die Grenze noch lange nicht erreicht. Grundwert ſtieg derart , daſ heute für ein Quadratmeter am
Der
Broad
way , in der fünften Avenue oder in den unteren Squares von New York Tauſende von Dollars verlangt werden, Summen , für die man in den Städten des Weſtens große zinstragende Miethäuſer, in den Staaten des Weſtens aber ganze Rittergüter erwerben könnte.
Der
Zins für die Koſten des Baugrundes allein beläuft ſich bei vielen Ge bäuden
auf zehn- bis zwanzigtauſend Dollars ,
die in jedem Jahre
zunächſt hereingebracht werden müſſen , und das konnte nur dadurch
Das neueſte New York.
geſchehen , daß man dem
55
Gebäude mehr Stocwerke aufjeşte.
Der
Gneisfelſen von Manhattan bot eine feſte Unterlage für zehn-, zwanziga, dreißigſtödige Häuſer , die während des legten Jahrzehnts zu Hun derten auf Manhattan entſtanden ſind.
Vom Hafen geſehen , zeigt
ſich jetzt New York , als wäre es auf einem ſteilen Hügel erbaut. Der Hügel beſteht aber nur aus „ Himmelkraşern “, die ſich zu beiden Seiten der Verkehrsſtraßen , nein ,
Berkehrsſchluchten erheben.
Die
untere Stadt hat ſich mit
der Zeit aus
ichließlich
zur
Ge
chäftsſtadt ausgebil Ade Banken , det. Geſellſchaften , Eiſen bahn-,
Fabrikdirets
tionen ,
Zeitungen
TEL AC
haben dort ihren Siß, in irgend einem fünf zehnten oder dreißige ſten Stockwerk ihre Bureaus.
Dort iſt
das Herz des Monti nents ; von dort laufen die Arterien über all die Millionen Qua
Times Square in New York.
dratkilometer Landes, und die Hauptſchlagader iſt der Broadway.
Der
neueſte Himmelkraper im unteren Broadway iſt das Singer Building , deffen
Höhe
jene der Kölner Domtürme
weitaus
überragt
und ſechsundvierzig Stockwerke beſigt ! Ganz nahe dabei erhebt fich der Moloſſalbau der Hudſongeſellſchaften , der in zweiundzwanzig Stockwerken nicht weniger als fünftauſend Räume enthält, wohl das größte Stahl-
und Steingebäude
der Welt .
Die nach
Dußenden gegen den Himmel ragenden Geſchäftspaläſte des unteren
56
Das neueſte New York.
New York von & Broadway bejaßen ſchon längſt nicht mehr hinreichenden Faſſungsraum für die Maſſe der Bureaus, und das Geſchäftsviertel dehnte ſich daher immer mehr nach der einzigen Richtung aus, nach der es ſich aus dehnen konnte, nach Norden.
Wo noch vor einem
Vierteljahrhundert
zwiſchen Union Square und Madiſon Square ſich die Reſidenzen der vornehmſten New Yorker Familien erhoben , wogt heute der Geſchäfts verkehr, und ſind von dieſen alten Gebäuden noch einige vorhanden , ſo ſind ſie gewiß eingeengt, umſchloſſen, von Luft und Licht abgeſchnitten durch die zwanzig- bis dreißigſtöckigen Bauten , die ſeither entſtanden ſind .
Das eigenartigſte und gleichzeitig protigſte darunter iſt das ſo
genannte „Bügeleiſen“ , ein Rieſenturm mit Geſchäftslokalen , dem ſich in ähnlicher Kühnheit das Times -Gebäude anreiht.
Vor nicht langer
Zeit aber wurde auf dem Madiſon Square ein Bau aufgeführt, der alles bisher Dageweſene
noch weitaus übertrifft,
Metropolitan - Lebensverſicherungsgeſellſchaft. Fundamenten aus Stahl ,
der
Palaſt
der
Ganz aus Stahl
mit
erhebt ſich dieſes Gebäude auf
hundertneunzig Fuß, zw ei hundertzwanzig Meter , iſt das
Dreifache des Mailänder Domes ,
jechsdas
und enthält
57
Das neueſte New York.
Copyright 1905 by Irving Underhill, Photographer, New York.
ser Baſjerſeite. nicht weniger als fünfzig Stocwerke!
Ob damit in
dem
Lande der unbegrenzten Möglichkeiten wirklich die Grenze des Mög lichen erreicht iſt , bleibt abzuwarten.
Þat Europa ſeinen Eiffelturm
auf dreihundert Meter Höhe bauen können, warum ſoll Amerika nicht auch noch einen Geſchäftspalaſt auf dieſe Höhe bringen ? Das iſt das Charakteriſtiſche der amerikaniſchen Städte des Mammons : Während wir in Europa von den Tempeln Goties und den Kirchtürmen herab : jehen auf die Dächer des Häuſermeeres unſerer Großſtädte , blicken die Amerikaner von den Dächern ihres Häuſermeeres, von den Tempeln des Mammons, auf die Kirchtürme herab ! Die vielſtöckigen Rieſenbauten
New
Yorks ſind auch größtenteils
der Grund des gewaltigen Verkehrs in den Straßen .
In europäiſchen
Städten wäre dieſer Verkehr bei der dreimal geringeren Höhe der Häuſer wohl auf die dreifache Länge der Straßen verteilt .
Hier iſt
jeder Himmelkrager gewiſſermaßen eine vertikale Verkehrſtraße, jeder Aufzug ein vertikal fahrender Straßenbahnwaggon, und man ſagt, daß in der Geſchäftsſtadt täglich ebenſo viele Menſchen in vertikaler, wie in horizontaler Richtung fahren.
Ich lieſ mir von Herrn D. Wilſon ,
58
Das neueſte New Yorf.
Ingenieur ,
die
Statiſtik des Vers tikalverkehrs
ge
Er wählte
ben .
Himmel:
cinen
fraşer von neun zehn Stockwerken ,
2
wo ſechs Aufzüge den Verkehr bes
6
ſorgten , als Beis
E ipiel . Jeder Auf zug
geht
0
durch
T ſchnittlich in jeder Stunde fünfund vierzigmal
auf
und nieder , was U in gerader Linie
li
einer Strede von achtundfünfzig Ni lometern im Tage
ti USD
entſpricht.
Der
Paſſagierverkehr iſt durchſchnittlich
HT
fünf Perſonen bei
9 jeder Rundfahrt,
IL
und das macht für
o alle ſechs Aufzüge
d täglich ſend
zwölftau Menſchen . h
Gäbe es in der Se ſchäftsſtadt hundert Das Gebäude der Metropolitan -Sebensverſicherung geſellſchaft während des Baues.
nur ſolche
Das neueſte New Yorf.
59
Himmelfraper, ſo würde das ſchon einen täglichen Vertikalverkehr von ein einviertel Millionen ausmachen , ohne die Tauſende anderer Aufzüge, die in den kleineren Geſchäftshäuſern — Bienenſtöden - den Verkehr vermitteln. Dieſer ganze ſenkrechte Verkehr mündet auf die Straße. kommt, daß im Beinen ſind.
Dazu
ganzen unteren New York faſt alle Menſchen auf den In europäiſchen Städten ſind in den Geſchäftsvierteln
auch Wohnungen , deren Einwohner während des Tages zu Hauſe bleiben , Frauen und Kinder.
Hier aber gibt es nur Geſchäfte, nur
Männer oder höchſtens weibliche Angeſtellte, die von irgend einer der Städte jenſeits der Flüſſe für die Bureauzeit nach New York kommen, oder Leute ,
die
hier Beſorgungen und Einkäufe zu machen haben.
Um den Verkehr zu bewältigen , ſind in New wenigen
Ausnahmen
York die Omnibuſſe mit
längſt durch elektriſche oder Kabelbahnen
Hochbahnen darüber verdrängt worden.
mit
In faſt allen Avenuen und
in vielen Querſtraßen gibt es elektriſche Bahnen mit zwei, drei, ja vier Geleiſen , dazit vier Hochbahnen von je zwanzig Milometern Länge , welche den Nord - Südverkehr verınitteln . Auf dieſen Hochbahnen, mit ihren für New York ſo charakteriſtiſchen Stahlgerüſten, fahren in den „ rush -hours “ , d . h. in den beſonders ver kehrsreichen Stunden , Eiſenbahnzüge von fünf bis ſechs großen Paſſa gierwaggons alle drei Minuten .
Wenn man aber bedenkt, daß dieſe
Verkehrsmittel der Stadt New York täglich von mehr Menſchen benuşt werden als alle Eiſenbahnen von Nord- und Mittelamerika zujammen genommen , dann iſt damit auch ihre Unzulänglichkeit
erklärt.
SO
wurde denn mit ungeheuren Koſten ein Net unterirdiſcher Bahnen durch den Felſen geſprengt und der Verkehr bewegt ſich in drei Etagen durch die Weltſtadt, um an den Ufern der Flußläufe ſein Ende zu finden.
Dort müſſen die Hunderttauſende, die täglid) nach ihren Woh
nungen jenſeit der Flüſſe wollen , die Dampffähren beſteigen , die ſie mitten durch den lebhaften Schiffsverkehr dieſes größten Hafens der Erde nach dem andern Ufer bringen . bahnen für die Weiterfahrt.
Hier warten wieder Straßen
Das neueſte New Yorf.
60
Dieſes
zweimalige Umſteigen der Menſchen und zweimalige Um
laden der Waren erfordert aber viel Zeit und Umſtände.
Der größte
Berkehr findet zwiſchen New York und der Millionenſtadt Brooklyn ſtatt und ſo wurde
denn ſchon vor einem Vierteljahrhundert jenes
Wunderwerk der Technik, die berühmte Brooklynbrüde, gebaut, unter welcher die Schiffe mit den höchſten Maſten unbehindert durchſegeln . Aber immer noch ſtieg der Verkehr.
Die Brücke und die vermehrte
Zahl der Dampffähren genügen ſchon lange nicht mehr, und ſo wird denn über denſelben Meeresarm , den Eaſt River, unmittelbar ober halb der Brooklyn Bridge eine zweite Brücke, die Manhattan Bridge, gebaut ,
die
einen
Koſtenaufwand
von
achtzig Millionen
erfordert.
Nicht genug damit, wird bulb weiter aufwärts eine dritte Brücke, die Williamsburg Bridge , entſtehen , welche die Stadt Williamsburg mit New York verbindet, und noch vor Ende dieſes Jahrzehnts wird die vierte, Blackwell - Zélandbrücke, vollendet ſein ! Schon denkt man daran, New York auch mit Governors Jsland durch eine Stahlbrücke fühnſtev Bauart zu verbinden , welche den Meeresarm in zwei Bogen überſeßt. Und immer noch iſt es nicht genug, immer noch fordert der ſtets ſteigende Verkehr
neue Mittel
zu
ſeiner Bewältigung.
Schon im
Jahre 1874 wurde der Verſuch gemacht, einen Tunnel von New York nach Jerſey City unter dem Bett des Hudſonſtromes zu bohren. Mehrere Millionen Dollars waren dafür ſchon ausgegeben worden ,
als die
Breßluft , mit welcher man die Bohrer trieb, ſich den Weg durch den Stromboden bahnte und diejen an einer Stelle öffnete.
Das eins
ſtrömende Waſſer ertränkte zwanzig Arbeiter und überflutete den ganzen Bohrtunnel , ſo daß das Unternehmen auſgegeben werden mußte. Ähn lich unglücklich endete einige Jahre ſpäter ein zweiter Verſuch. im
Erſt
Jahre 1902 wurde die Arbeit wieder aufgenommen und dank den
in der Zwiſchenzeit verbeſſerten Methoden für Tunnelbauten war die unterirdiſche Verbindung New Yorks mit Jerſey City ſchon im Jahre 1905 hergeſtellt.
Damit begann in der amerikaniſchen Metropole eine wahre
Tunnelmanie. Während der letzten Jahre wurden unter den beiden
1 Projektierte Brücke zwiſchen New York und Governor's Island .
|
|
1 1
| 1
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Das neueſte New York.
Meeresarmen
nicht weniger als
elf Tunnels
hergeſtellt
oder doch in Angriff genommen , wobei es ſich bei allen um Doppel tunnels handelt, ihre Zahl alſo in Wirklichkeit zweiundzwanzig beträgt. Bereits zu Beginn des Jahres 1908 fuhren die Züge der Untergrund bahn mit Schnellzugsgeſchwindigkeit vom oberen New York unter dem Eaſt River nach Brooklyn .
Die Tunnels erforderten zu ihrer Herſtellung
Hunderte von Millionen , aber die verhältnismäßige Leichtigkeit und Sicher heit, mit der dies geſchah, gab dem Verkehrs neuen Impuls.
ganzen Syſtem des unterirdiſchen
Zu den ſchon beſtehenden Tunnelbahnen
werden weiter noch zwei andere
durch
den Felsboden von Man
hattan geſprengt , zwei Bahnen von vielen Kilometern Länge , reine Gotthardtunnels, welche unter zwei der bedeutendſten Avenuen New Yorks, der Lexington- und der Siebenten Avenue , dann unter dem Eaſt River nach dem beliebteſten Seebad der New Yorfer, nach Coney Jsland, führen werden.
Die Sache koſtet freilich viel Geld , an fünf
hundert Millionen Mark, aber – Geld ſpielt ja in dem reichen Amerika feine Rolle.
Und wer jemals geſehen hat, wie ſich während der un
erträglichen Sommerhişe ganze Völkerwanderungen nach Coney land ergießen , um
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dort einen tollen Waſſerkarneval aufzuführen und
fich an der Seeluſt zu erfriſchen , der weiß , daſs dieſe Bahnen auch gute Geſchäfte machen werden . Der Erfolg der Untergrundbahnen brachte auch die Leiter verſchiedener kontinentaler Eiſenbahnen auf den Gedanken , auf dieſe Art ihre Bahn netze zu
vervollſtändigen
Bahnhöfe
wie
in
unſeren
europäiſchen
Großſtädten gibt es in New York nicht, denn die dazu erforderliche große Fläche wäre bei den ungeheuren Bodenpreiſen ſelbſt für Eiſen bahnmagnaten wie Morgan und Vanderbilt kaum erſchwinglich . Bon all den kontinentalen Bahnlinien, deren Ausgangs- und Endpunkt New York iſt, befißt nur eine, die Vanderbiltbahn , das heißt die New York Cen = tral, einen Bahnhof auf Manhattan und dieſer iſt 1907 durch einen Tunnel unter dem Eaſt River mit dem großen Eiſenbahnſyſtem des öſtlichen Nord amerika verbunden worden . Die andern Bahnhöfe liegen alle jenſeit des
Das neueſte New York.
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yudjonſtromes in Jerſey City . Um nun das Überſetzen ihrer Paſſagiere und Überladen ihrer Frachten unnötig zu machen, hat auch die Bennſyl vania -Eiſenbahn, eine der größten und beliebteſten Amerikas, von ihrem Bahnhof jenſeit des Stromes einen Doppeltunnel nach New York bohren laſſen , ebenſo die New -York- und New
Jerſey -Eiſenbahngeſellſchaft.
Dieſe Tunnels kommen unter der ſechſten Avenue, der nächſten Parallel ſtraße des Broadway, durch und dieſe wird dann ſechs Reihen von Verkehr & wegen
übers
und
ein Fall wohl einzig in der Welt . mit ihren
untereinander
beſigen ,
Da iſt zunächſt die Straße ſelbſt
elektriſchen Bahnen , dann über dieſer die doppelte Reihe
der auf Eijenviadukten ruhenden Hochbahnen .
Im
erſten Stockwerk
unter dem Straßenboden liegt der Tunnel der New -York- und der New Jerſey -Eiſenbahn ; im Stocwerk darunter der Tunnel der New Yorfer Untergrundbahn oder, wie ſie dort heißt , der Rapid transit Subway, und ſchließlich im tiefſten Stockwerke ſechzehn Meter unter dem Straßen boden der Tunnel der Pennſylvanier Eiſenbahn ! Ein ganzes Labyrinth von Tunnels, die freuz und quer unter New York und ſeinen es um= faſſenden Meeresarmen durchführen ! Doch New
York erhält zu ſeinen Bauten über und unter der Erde
noch andere , die an die unvergänglichen Werke des alten
Rom
er
innern , darunter vor allem
die großartigen Viadukte und Tunnels
ſeiner neuen Waſſerleitung.
Die Amerikaner pflegen die Größe ihrer
Unternehmungen ſehr nüchtern, aber bezeichnenderweiſe nach der Geld ſumme zu beurteilen , welche ſie erfordern, und in dieſem Falle iſt ſie allerdings derart , daß ſie eine weitere Kennzeichnung überflüſſig Und damit macht , nämlich ſechshundertfünfzig Millionen Mark ! auch die Stadtverwaltung, welche dieſe foloſſalen Werke ausführt, in Zukunft äußerlich beſſer repräſentiert wird, als bisher, läßt ſie in der Nähe der City vall Stadtarchive, die Record offices, bauen, mit einem Koſtenaufwand von fünfundzwanzig Millionen Marf. Dazu entſteht weiter an der Ede der fünften Avenue und der zwei undvierzigſten Straße eine neue Public Library (öffentliche Bibliothek)
63
Das neueſte New Yorf.
für zwanzig Millionen Mark und in verſchiedenen Teilen der Stadt werden Zweigbibliotheken gebaut , deren Koſten durch ſchenkung An
von
einundzwanzig
der Amſterdam
ſtraße,
man
Avenue
bedenke
neue Palaſt des New
nur
Millionen zwiſchen dieſe
Mark der
136.
Ziffern !
werden .
und 140.
Quer
ſteht bereits
der
York College, deſjen Koſten ebenfalls zwanzig
Millionen Mark erreichen ;
die ſtädtiſchen Badeanſtalten haben
ungefähr ebenſoviele Millionen verſchlungen . nigte Staaten - Regierung nicht hinter
eine Privat
beſtritten
ſelbſt
in
dieſem
der Stadt zurückbleibt,
des Broadway , gewiſſermaßen
Damit aber die Verei majeſtätiſchen
erbaute
New York
ſie am unteren Ende
als Eingangspforte für die ſich aus
der Alten Welt zuſammenſeßende Einwanderung ein
allen Völkern
Rieſenzollamt für zwanzig Millionen .
Freilich iſt das ,
im
Grunde
genommen, keine Ausgabe Onkel Sams, denn es ſind ja nur unſere eigenen europäiſchen Kaufleute, welche durch die auf geradezu unerſchwingliche Höhe geſchraubten Einfuhrzölle die Koſten dieſes Prachtbaues, eines der ſchönſten von New York, beſtreiten . Gewiß hätten ſie darauf gern verzichtet. Wenn man die oben angeführten Zahlen lieſt - zuſammen Milliarden , die in der kurzen Zeitſpanne einiger Jahre in dieſer Stadt geopfert worden ſind , um es ihren Bewohnern ſo bequem wie möglich zu machen , dann ſollte man annehmen, New
York müſſe mit der Zeit zum Vor
bild und Muſter einer modernen Stadt werden . iſt der Fall.
Aber das Gegenteil
Es wird immer teurer, immer unleidlicher, und gewiß
werden die meiſten , die es mit Opfern ihrer Nerven und ihres Geld : beutels beſucht haben , ſich ſagen : Lieber in irgend einem ſtillen Winkel Europas als in der großen Weltſtadt New York ! Yorker verkaufen oder vermieten ihre Häuſer,
Selbſt viele New
um ſich irgendwo in
der näheren oder weiteren Umgebung der Metropole Amerikas neue Wohnſtätten zu geworden .
ſchaffen.
Auch ihnen
iſt New York ſchon
zu
viel
New York unter der Erde.
64
6. New York unter der Erde. chon lange waren ſich die Stadtväter der Metropole Amerikas
S
darüber klar, daß zur Bewältigung des Verkehrs neue Bahnen
angelegt werden müſsten .
Die Frage war nur : wo ?
Über die ſchon
beſtehenden Hochbahnen noch ein zweites Ney , gewiſſermaßen ein zweites Stockwerk, anzulegen war kaum möglich. So verfiel man wie in Lon don und Paris auf die Herſtellung von unterirdiſchen Bahnen, die ſo genannten subways. Nun iſt das leichter projektiert als ausgeführt.
London und Paris
haben breite Straßen und niedrige Häuſer, es ſind daher auch die be ſtehenden unterirdiſchen Leitungen für Gas, Elektrizität, Waſſer, Telephon und für die Kloaken bei weitem nicht ſo umfangreich wie in dem ſo eng und hoch gebauten New York, wo auf den Quadratmeter drei- bis viermal ſo viel Menſchen kommen .
Dazu gibt es in New York un
endlich viel mehr Telephonleitungen als anderswo, Dampfleitungen, Mabelleitungen für das Netz der Straßenbahnen, und der Gneisfelſen , auf welchem New York ſteht, iſt daher nach allen Richtungen von einem Labyrinth von Tunnels unterminiert.
Die großen Häuſer erfordern
tiefere Fundierungen , der enorm teure Boden machte zur ausgiebigen Auðnuşung die Anlage von Sellern , mitunter ſogar zweier untereinander, nötig. Mitten durch dieſes Labyrinth eine unterirdiſche Eiſenbahn anzu legen, war daher mit ganz beſonderen Schwierigkeiten verbunden. Das New Yorker Kapital , das für Eiſenbahnen im fernen Neu -Mexiko oder in Wyoming zu haben war und allerhand gewagte Spekulationen be reitwillig unterſtützte, hielt die Taſchen zugeknöpft, ja das Projekt wurde in den Zeitungen verſpottet und ins Lächerliche gezogen . Die Stadtverwaltung mußte ſich endlich ſelbſt zur Ausführung der Tunnelbahnen entſchließen , ſtellte die unterirdiſchen Richtungen feſt und erließ Einladungen
zu Offerten .
Zwei Unternehmer meldeten fich.
John B. Mc Donald erbot ſich , die Sache für die Summe von hundert
New York unter der Erde.
vierzig Millionen Mark auszuführen , um
65
zwölf Millionen weniger
als ſein Mitbewerber; im Frühjahr des Jahres 1900 hatte er den Vertrag in ſeinen Händen. Millionen hinterlegen . nach
Dafür mußte er ein Pfand von zwanzig
Die hundertvierzig Millionen waren auch erſt
der Vollendung des Rieſenwerkes zahlbar , und er beſaß nur
zwei Millionen Mark Vermögen. Mc Donald
wandte ſich an die Großkapitaliſten von New York.
Sie lachten ihn aus.
Vergeblich hielt er ihnen vor , daß ihnen der
Vertrag nicht nur die Erbauung des Tunnellabyrinthe , ſondern auch den Betrieb der unterirdiſchen Bahnen für fünfzig Jahre zuſpricht und mit dieſem viele Millionen verdient werden können. Auguſt Belmont, recte Schönberger, der Sohn eines vor Jahren in Amerika eingewanderten Pfälzers und Erzmillionärs, entſchloß fich endlich, dem Unternehmer die erforderlichen Millionen
zu verſchaffen .
Vier Jahre ſpäter war der Subway hergeſtellt, eines der größten und ſchwierigſten Werke, die jemals unternommen worden ſind.
Bon
der Südjpiße New Yorks , der ſogenannten Batterie , führt eine vier gleiſige unterirdiſche Bahn zur oberen Stadt. Dort teilt ſich der Tunnel in zwei Linien, die an der Weſt- und Oſtſeite New Yorks weiter nörd lich in die Vorſtädte jenſeits des Harlemfluſſes führen .
Am Südende
New Yorks ſegt ſich die Bahn unter der Mündung des Northflufſeß nach Brooklyn fort ; ebenſo iſt der gewaltige Hudſonſtrom durch drei Tunnels unterfahren worden, und das ganze Groß- New York mit ſeinen jenſeit der Flüſſe gelegenen Millionenſtädten iſt heute durch ein unterirdiſches Neß verbunden . Heute
braucht man nicht mehr die zeitraubende Fahrt mittels
Dampffähren über den mit Schiffen bedeckten þudjon zu unternehmen , um nach den Bahnhöfen von Jerſey City zu kommen .
Die von
Europa in Hoboken eintreffenden Paſſagiere können nunmehr eben falls mit Vermeidung der koſtſpieligen Mietwagen und
Dampffähren auf der unterirdiſchen Bahn nach ihrem New Yorker Beſtimmungsort
kommen , vor allem aber hat New York damit ein Verkehrsmittel er Heffe - Warteg 8 , Amerita .
66
New York unter der Erde.
halten, das im ſtande iſt, täglich mindeſtens eine Million Menſchen zu befördern. Natürlich war dieſes Tunnelney des unterirdiſchen New York, dieſe untere Etage der Weltſtadt, nicht für die Kleinigkeit von hundertvierzig Millionen herzuſtellen.
Der Subway allein verſchlang zweihundert
ſechzig Millionen Mark, eine Summe, für die man gleich eine Pazifik bahn bauen könnte. bahn
unter dem
Dazu kommt der Tunnel der Pennſylvania -Eiſen Hudſon
mit zweihundert Millionen ,
der Tunnel
der New York- und New Jerſey -Eiſenbahn , ſowie jener der pudſon- und Manhattan- Eiſenbahn mit je vierzig Millionen , zwei Brüden über den North River mit je achtzig Millionen , ferner iſt die Erweiterung des Subway im Hoftenpreis von vierhundert Millionen Mark beſchloſſen worden . Das erſte Fahrzehnt des zwanzigſten Jahrhunderts verſchlingt daher für die Verbeſſerung der ſtädtiſchen Verkehrsmittel die ungeheure Summe von zwölfhundert Millionen Mark , der Hälfte der Staatsſchuld des Deutſchen Reiches gleich ! Gleichen Schritt mit dieſen ungeheuren Ausgaben geht die Große artigkeit und techniſche Vollendung des Verkehrs ſelbſt.
New York
beſigt heute den weitaus längſten Tunnel, der jemals gebohrt worden iſt.
Der Simplon beſigt eine Länge von zwölf engliſchen Meilen, der
Gotthard iſt neuneinviertel engliſche Meilen
lang , der
New Yorker
Subwaytunnel aber, ohne die anſchließenden Tunnels unter den Flüſſen , hat eine Länge von beinahe dreiundzwanzig engliſchen Meilen, iſt alſo länger als Simplon und Gotthard zuſammengenommen !
Dabei war
das Werk unendlich viel ſchwieriger , denn es bot ſich hier an Stelle des
Gottharder FelSmaſſivs
ein
fünfundzwanzig Kilometer langer
Gneisblock dar , der wie ein Ameiſenhauſen von Löchern und Kanälen durchzogen iſt.
Wurde bei der Maulwurfsarbeit des Tunnelgrabens
ein jolcher Kanal verletzt, dann drang der Jnhalt der Kloaken oder die Waſſerzufuhr der Stadt in den Tunnel, oder irgend eine elektriſche Bahnlinie mußte ſtillitehen , oder es brach gar irgend ein
Himmel
krater unter der nachgebenden Fundamentierung zuſammen .
Um dieſe
67
New York unter der Erde.
Ameiſenlöcher zu vermeiden ,
hätte Mc Donald , der Unternehmer,
den Subway um ein Stockwerk tiefer, etwa auf acht oder zehn Meter unter den Erdboden verlegen können.
Das hätte aber
Treppenan
lagen oder Aufzüge für die Paſſagiere erfordert, und bei der hurry, dem rush und hustling des New Yorker Geſchäftslebens hätte der Verkehr auf dem Subway äußerſt empfindlich gelitten.
Mc Donald,
der mir die Sache ſelbſt erklärte, fügte bei : „ Ich trachtete im Gegen teil , den Tunnel dem Straßenboden möglichſt nahe zu legen.
Dadurch
kam ich mit allen anderen unterirdiſchen Leitungen in Konflikt und mußte ſie umlegen .
Aber ich hatte ein für allemal
den Zuſpruch
meiner Bahn geſichert, denn die wenigen Stufen ſteigt das Publikum gern in meinen Tunnel hinab .
Überdies war es bei einem der Straßens
fläche ſo nahen Tunnel leicht, die ungeheuren Maſſen Geſtein und Erde herauszuholen.
Bedenken Sie doch , es handelte ſich um drei Mil
lionen Kubikmeter, die wir aus dem Loch herausſchaffen und durch die Straßen New Yorks forttransportieren mußten ! das einmal auf Straßenfuhrwerke !
Verteilen Sie ſich
Dann mußten wir hundertfünfzig
tauſend Tonnen Eiſen- und Stahlmaterial in den Tunnel einſeßen ! " ,,Was ſagten denn die New Yorker dazu, ihre Hauptſtraßen vier Jahre lang aufgewühlt und halb unpaſſierbar zu ſehen ?" Geſchimpft und geflucht haben ſie.
„ Was ſie jagten ?
Denken Sie nur , zum Sprengen
des Felſens haben wir allein neunzigtauſend Pfund Dynamit verpufft! Und das mitten in den Straßen von New York! kommen find ?
Nur zwei größere.
Ob Unglüdsfälle vorge
Oben bei Fort George ſtürzte die
Tunneldecke ein und verſchüttete ſieben Arbeiter, und bei einer Sprengung verunglückten ihrer zehn.
Das iſt ſehr wenig in Anbetracht der Größe
des Werkes." Merkwürdigerweiſe kamen während der Arbeit , wo ſo große Straßen ſtrecken aufgeriſſen werden mußten, keine längeren Störungen im Be trieb der Straßenbahnen vor.
Auf dem Madiſon Square zeigte mir
der leitende Ingenieur eine Strecke, wo eine Menge elektriſcher und Kabelbahnen zuſammenlaufen und wo während der Geſchäftsſtunden
New York unter der Erde.
68
ſtündlich ſiebenhundert
Wagen paſſieren .
unterbrechen , wurde unter
Ohne dieſen Verkehr zu
den Geleiſen die
Erde abgegraben , der
Feljen abgeſprengt, der Straßenboden während der Ronſtruktionsdauer durch neue Balkendeđen erſegt. Um den Ariadnefaden durch das Labyrinth von Tunnel, Kanälen und Leitungen darunter zu finden , wurde der ganze Erdkörper unter der Balkendede ausgehoben.
Nun lagen all die
Arterien der Rieſenſtadt vor den techniſchen Anatomen.
Wo eine an
dere Leitung in die Quere kam, legten ſie dieſe aus dem Wege.
So
mußten beiſpielsweiſe allein fünfzehn engliſche Meilen neuer Mloaken gebaut werden , um Play zu ſchaffen , ganz abgeſehen von den hundert Meilen anderer Leitungen, die man umlegen mußte.
Man kam mit
dem Tunnel in die Keller von Himmelkrayern , auf die Grundmauern ganzer Häuſerreihen, und mußte ihnen andere Stüzpunkte geben , kurz , es war ein fortwährender unterirdiſcher Kampf, und doch wurde der Riejentunnel binnen vier Jahren fertig . Um ſich eine Vorſtellung der Schwierigkeiten zu machen , ſei nur eine Tatſache erwähnt.
Die durchichnittlichen Herſtellungskoſten einer
Meile Eiſenbahn im amerikaniſchen Weſten belaufen ſich auf hundert: tauſend Mark , eine Meile des Subways indeſjen koſtete über vier einhalb Millionen !
Die aus dem Tunnel ausgehobenen Erd- und Fels
maſſen würden , auf Waggons verladen, einen Eiſenbahnzug bilden, der von New York quer über den Kontinent nach San Franzisko und von dort wieder ein gutes Stück zurück reichen würde ! Die beiden größten bisherigen Untergrundbahnen ſtehen hinter der New Yorker in jeder Hinſicht weit zurück.
Die Londoner hat eine Länge von zwölf eng
liſchen Meilen, die Pariſer „Metropolitaine“ von neuneinhalb engliſchen Meilen , und während Einrichtung , Luftzufuhr und Betriebsſicherheit in ihnen ſehr unzulänglich ſind , iſt in dem New Yorker Subway alles Erdenkliche geſchehen, um
den Zuſpruch der beſten Klaſſen von
Reiſenden zu ſichern . Ich war überraſcht von der vornehmen Eleganz der Stationen , wie zum
Beiſpiel jener an der City Hall , wo der unterirdiſche, halb:
69
New York unter der Erde.
kreisförmige Raum mit Glaſurziegeln und Ornamenten ausgeſtattet iſt und merkwürdigerweiſe nicht eine einzige Anzeige die Wände ver unziert.
Die Waggons ſind aus Stahl und die Sicherungen ſo vor
züglich, daß zum Beiſpiel die Züge ganz automatiſch ſtehen bleiben, wenn ſie ein Haltſignal paſſieren oder wenn ſie in zu gefährliche Nähe
eines anderen Zuges kommen .
natürlich Elektrizität .
A
Triebkraft
funktioniert
Das Maſchinenhaus , ein rieſiger Granitbau
von zweihundert Metern Front, erhebt ſich nahe dem þudjon, in wel chem lange Docks zum Anlegen der Kohlenſchiffe hergeſtellt worden ſind.
Baggermaſchinen heben die Kohle direkt von den Kohlenſchiffen
auf ein endloſes Band herauf , das ſie auf das jechzig Meter hohe Dach des Maſchinenhauſes führt und dort ſelbſttätig in Hohlenſpeicher wirft.
Von dort gelangen ſie durch Rohrleitungen automatiſch in die
Heſſelfeuerungen und werden automatiſch geſchürt, ſo daß dem Arbeiter keine Verrichtung zu tun bleibt. hier täglich verbraucht.
Zwölfhundert Tonnen Kohle werden
Der Dampf wird in ſechsundſiebzig Rejjeln
von je ſechshundert Pferdekräften erzeugt und treibt Dynamos von je zwölftauſend Pferdekräften !
Das Gewicht
eines Dynamos mit
der Stahlwelle und ſonſtigem Zubehör erreicht hundertachtzig Tonnen, alſo jenes dreier Lokomotiven, und doch werden ſie wie Kreiſel gedreht und erzeugen dabei die Triebkraft für die Tunnelbahn , insgeſamt hundertzweiunddreißigtauſend Pferdekräfte! Auf unſerem Wege gegen den Zentralpark zeigte mir der Inſpektor den Keller eines projektierten Himmelfragers, durch welchen gerade der Tunnel der Subway - Eiſenbahn gebaut wurde.
Seither iſt mit der
Errichtung des ſtählernen Himmelkragers begonnen worden , der alſo gerade über dem Tunnel zu ſtehen kommt. Gegen den Bahnhof der New Yorker Zentraleiſenbahn zu iſt die vierte Avenue bereits
von
einem
aus dem
Feljen ausgeſprengten
Tunnel unterfahren , durch welche die Straßenbahnen laufen. Zwiſchen dieſem Tunnel und den Fundamenten der Häuſerreihen Seiten bot ſich nun nicht genügend Raum , um
zu
beiden
den Subway - Tunnel
70
New York unter der Erde.
in ſeiner ganzen Breite für mehrere Geleiſe zu bohren .
Der Tunnel
wurde daher in zwei Hälften geteilt ; die eine Hälfte führt links, die andere rechts vom Straßenbahntunnel vorbei, und jenſeit des legteren vereinigen ſie ſich wieder.
An einer anderen Stelle kam der große
Kloakentunnel dem Subway in den Weg .
Auf finnreiche Art wurde
dieſer Tunnel in zwei Teile geteilt, die wieder ihrerſeits rechts und links vom Subway vorbeiführen . Da die Inſel Manhattan Erhebungen bis auf fünfzig Meter über dem Waſſerſpiegel des Hafens zeigt , dann wieder Niederungen von kaum ſechs Metern über dem Waſſerſpiegel, ſo kommen in dem Subway lange Strecken vor, wo die Dede des Subway - Tunnels an den Straßen boden reicht. Dort wird dieſe Decke aus Stahlrippen hergeſtellt, über welche eine Betonlage kommt. Manhattan wird nördlich , zwiſchen der 111. und 160. Straße, durch den þarlemfluß vom Feſtlande abgeſchnitten . als ſie die Flußufer erreichte, etwa in dem Unter dem
Die
Tunnelbahn war,
Niveau des Flußbettes.
Fluß hindurch konnte der Tunnel nicht auf das jenſeitige
Ufer geführt werden , weil die Zufahrten für die elektriſchen Züge, die eine Geſchwindigkeit von fünfzig bis ſechzig Kilometern die Stunde haben werden , viel zu ſteil geworden wären . konnte keine Brücke gebaut werden .
Aus derſelben Urſache
Die Ingenieure beſchloſſen daher,
den Tunnel am Flußgrunde zu bauen .
Um den ſehr lebhaften Schiffs
verkehr nicht zu unterbrechen, wurden nur Teilſtreden durch ſtählerne Caiſſons eingedämmt, das Waſſer ausgepumpt und das Flußbett auf die
erforderliche Tiefe
und Breite ausgebaggert.
In dieſe Kinne
wurden auf einer Betonunterlage die beiden gewaltigen Stahlrohre eingeſeßt.
Die einzelnen Stahlrohrſtücke hatten Längen von je dreißig
Metern bei einem Gewicht von je dreihundert Tonnen !
Dieſe Rieſen
laſten wurden gehoben , in die betreffende Stelle des Flußbettes ein gelegt und dann der Höhe nach, ebenſo wie ſeitlich verſchoben, bis ſie genau an die bereits eingeſetzten Rohrſtüđe paſzten . ſie mittelſt Nieten aneinander befeſtigt .
Dann wurden
Wenn man bedenkt, daß es
New York in den Wolfen.
71
ſich um die Handhabung von Laſten im Gewicht von ſechs Lokomotiven handelt, kann man ſich auch die gewaltigen Maſchinen und Vorrich tungen, die dazu erforderlich waren, vorſtellen . Jenſeit des Harlemfluſſes ſetzt ſich der Tunnel fort , um ſchließlich in der Stadt Morriſania , wo das Terrain fich ſenkt, jeine Geleispaare an eine Hochbahn abzugeben, die den Reiſenden noch ſechs Kilometer weiter, an das vorläufige Ende der Bahn, führt. Nahe der 100. Straße zweigt ſich von dem Subway noch ein zweiter Tunnel ab.
Den Bodenſenkungen entſprechend, donnern die Züge an
der 125. Straße aus dem Tunnel heraus auf eine Hochbahn oder viel mehr auf eine Brüde, welche die unter ihr liegenden
Stadtteile in
Bogen von ſechsundfünfzig Metern Spannweite überſetzt, fahren aber mals in einen Tunnel ein und ſo abwechſelnd weiter über den Harlem und Spuyten - Duyvil- Fluß hinweg bis zur 230. Straße. So hat nun New York ſein unterirdiſches Stodwerk, beſſer gejagt : ſeine Katakomben erhalten, nicht wie jene koms, den Toten , ſondern den Lebenden geweiht!
7. New York in den Wolken . er ſich in einer heißen, dunſtigen Sommernacht von der See her
W
dem þafen von New York nähert, dem kündigt ſich die Metro
pole der Neuen Welt ſchon bei der Einfahrt in die Narrows durch ein ungeheures Licht- und Flammenmeer an.
Blendend weiße und
glühend rote Lichtmaſſen heben ſich hier und dort von dem dunklen Boltenhimmel ab, auf fünfzig bis hundert Meter vom Erdboden, als wären in der Stadt an verſchiedenen Orten Feuersbrünſte ausgebrochen und hätten die zwanzig bis dreißig Stockwerke hohen Gebäude bis an die Dächer in Flammen gehüllt.
Man denkt mit Entſegen an die
unglüdlichen Bewohner , die in dieſen , wie Rieſenfadeln über das
72
New York in den Wolken .
Häuſermeer des modernen Babylon hinausragenden Himmelkragern" wohnen mögen, an die ſchrecklichen Kataſtrophen , welche ſolche Brände zur Folge haben müſſen. . Jndeſſen , das Flammenmeer bleibt merks würdig ruhig ; die hochgeröteten Wolken zeigen ſich , als würden ſie von der untergegangenen Sonne noch durchleuchtet.
3it der Dampfer
endlich in den breiten, das Weichbild der Stadt umgürtenden þudſon ſtrom eingefahren , dann ſieht man erſt, daß dieſer ſeltſame ſchein von ungezählten Tauſenden elektriſcher Lichter, in allen
Feuer Far
ben des Regenbogens prangend, herrührt, Lichter, die hoch oben auf zahlreichen Hausdächern der Rieſenſtadt in Tageshelle glühen. um ?
Wozu ?
War
Lebt denn New York , dieſe merkwürdigſte, ſeltſamſte
aller modernen Weltſtädte, nicht auf dem Erdboden, in den von ihren Rieſenpaläſten eng umſchloſſenen Straßen ?
Lebt es dort oben auf
den Dächern ? In der Tat !
Im Laufe des letzten Jahrzehnts ift über dem
geſchäftigen , erwerbenden , ſchaffenden , dem Gelde nachjagenden New York, wie es auf der ſchmalen Feljenzunge zwiſchen dem Eaſt River und dem Hudſon ſteht, noch ein zweites New York entſtanden , fünfzig bis hundert Meter über den Straßen , ein New York , das nur dem Vergnügen , der Unterhaltung , der Zerſtreuung lebt. Mer jemals einen Sommer in New York verbracht hat , der wird dieſe wunder ſame Einrichtung, dieſes ,,obere Stocwerk “ von New York begreiflich finden .
Iſt die Hiße ſchon auf dem offenen Lande drückend, ſo ſteigert
fie ſich in den von turmhohen Gebäuden eingeſchloſſenen Geſchäftsſtraßen zur Unerträglichkeit. In den Mittagſtunden der ſchwülen , feuchten Auguſt tage fallen täglich zahlreiche Menſchen und Pferde dem þigichlag zum Dpfer ; Bäder, elektriſche Fächer, das Öffnen von Fenſtern und Türen nichts hilft gegen dieſe dumpfe, ermattende, Tag und Nacht über währende ýite.
Wer Zeit und Mittel hat, flieht dieſe ungeheure Brat
pfanne, New York genannt.
Die Nähe der Meeresküſten hat in der
Umgebung New Yorks Badeorte entſtehen laſſen, wie Coney Island, Manhattan Beach, Brighton Beach, wohin des Abends, nach den Ges
KNOX
101
Copyright 1901 by Detroit Photographic Co. Dielſtöckige Rieſenhäuſer in New York .
New York in den Wolken.
73
ſchäftsſtunden, und über den Sonntag Hunderttauſende pilgern.
3n
deſſen, Millionen von Menſchen müſſen zurückbleiben , und für dieſe gibt es innerhalb New York mit Ausnahme des im oberen Teile der Rieſenſtadt gelegenen Zentralparks feine nennenswerten öffentlichen Anlagen , Parke , Gärten mit Vergnügungslokalen , wie unſere Groß ſtädte fie beſigen .
Anlagen , wie jene in Berlin , Cafés nach dem
Muſter des Wiener Prater, oder wie die „Ambaſſadeurs“ , „ Horloge" und „ Alcazar “ in den Pariſer Champs- Elyſées laſſen ſich in New York nicht einrichten , denn dieſes moderne Babylon iſt auf einem ſchmalen Felſenſtreifen zuſammengepfercht, jedes verfügbare Plätzchen iſt bebaut, und Baugrund iſt ſo unerſchwinglich teuer , daß man eben zu den vielſtöckigen Rieſenhäuſern Zuflucht nehmen mußte , um übers haupt auf die
Koſten zu kommen.
Jm fünften Kapitel haben wir
hierüber ſchon des näheren geſprochen . Die Häuſer des alten New York , vor hundert Jahren , ivaren nur ebenerdige.
Jene von heute ragen turmhodh über das ganze
Häuſermeer der Weltſtadt empor , ſo daß die wirklichen Kirchtürme zwiſchen
ihnen
tatſächlich
verſchwinden !
3m
unteren
Broadway,
in Naſſau Street, Wall Street, Bark Row u . 1. w . einherwandelnd , könnte man ſich in tief eingeſchnittenen Verkehrsſchluchten wähnen , nicht auf , ſondern unter dem Niveau der Erde ;
nur ein ſchmaler
Streifen des Himmels iſt zwiſchen den zu beiden Seiten hoch auf ragenden Stein- und Stahlmauern ſichtbar.
Das allein ſchon wirkt
erdrückend auf den Menſchen , er möchte fliehen , irgendwohin, wo Licht und Luft und Mühlung vorhanden iſt, und die einzigen Orte , wo er fie findet, ſind eben die - Dächer.
Der erfindungsreiche Yankee hat
ſich dieſe einzige Möglichkeit zu nuge gemacht und auf den Dächern der New Yorker Rieſenbauten Gärten , Klubs, Reſtaurants, Theater, Konzerthallen eingerichtet. ſchon nach Hunderten .
Heute zählen dieſe Etabliſſements gewiß
Im Geſchäftsviertel von New York, rings um
den unteren Broadıvay, jener mächtigſten, belebteſten, reichſten Verkehrs ſtraße, an deren einem Ende, könnte man ſagen , Europa , an deren
74
New York in den Wolfen .
anderem Amerika liegt , muſste der Geſchäftsmann ſein Mittagmahl bisher in engen , dumpfen , finſteren Reſtaurants und
an luncheon
counters einnehmen , wo der Aufenthalt im Sommer einfach einem Schwigbad glich.
Die in den legten Jahren entſtandenen Klubs auf
den Dächern der „ Himmelkrazer “ geſtatten ihm nun , die einſtündige Mittagspauſe in freier, friſcher Luft hoch oben über den lärmenden , nerventötenden , glutheißen Straßen der Stadt zuzubringen , die herr lichſte Ausſicht auf das weite Meer und den belebten þafen zu ge nießen
und
nach ſeiner Mahlzeit
wirklicher Ruhe zu pflegen.
Er
braucht nur auf das Dach des nächſten Klubhauſes zu ſteigen nicht ſteigen“ in unſerem Sinne, mühſam
die ein bis zwei Dugend
Stocwerke empor , Stufe für Stufe , auf Turmeshöhe.
Das iſt in
dem Lande der Lifts , wie die Aufzüge in Amerika heißen , haupt nicht bekannt. es Lifts , deren
In
jedem
über
þotel , jedem größeren Hauſe gibt
ja in manchen der Mammutpaläſte des Broadway ſtehen
gleich
S. 57 f. ) .
ein Dugend
und
mehr
zur
Verfügung
( vergl.
auch
Man kann ſich nach Belieben „ hinaufliſten“ und „ herab
liften“ laſſen , ganz umſonſt , und manche dieſer Lifts faſſen gleich zwanzig , dreißig Menſchen auf einmal, ſo daß man nicht lange zu warten braucht. Nirgend
iſt das Sprichwort „Zeit iſt Geld“ wahrer als auf dem
unteren Broadway.
Deshalb gibt es in den größeren Häuſern Auf
züge, die in jedem Stockwerk anhalten , Lokalzüge möchte ich ſie nennen und andere, nur für die oberen Stocwerke beſtimmt, D- Züge, welche die unteren zehn bis zwölf Stocwerke mit Pfeilgeſchwindigkeit durch jauſen.
Nach
wenigen Sekunden
hält
der
Lift
mit einem dem
Paſſagier durch Mark und Bein gehenden Ruck an - man braucht nur an die Möglichkeit eines Seilbruches zu denken-, die Gittertür wird geöffnet , und man befindet ſich , wie auf dem Eiffelturm , in herr licher, friſcher , fühlender Brije.
Prächtig ausgeſtattete den Wänden und
Empfangs
räume,
mit koſtbaren Bildern an
ſchwellenden
Möbeln
darunter, orientaliſche Teppiche über den Boden gebreitet;
75
New York in den Wolken.
weite, luftige, helle Hallen, in welchen zahlreiche weiß gedeďte Tiſche zum Speiſen einladen, nach allen Seiten offen , ſo daß man die ſchönſte New York,
Ausſicht auf viele Meilen in die Runde genießen kann.
die Kieſenſtadt , liegt den Speiſenden zu Füßen , auch vielleicht ein bißchen neben und über ihm , denn der Straßenſeite gegenüber erhebt ſich
möglicherweiſe
ein „Himmelkrager “
mit gerade ſo viel Stock
werken , ebenfalls mit einem Speiſeklub auf dem Dache, von dem erſten nur um die Straßenbreite getrennt, ſo daß man über die tiefe r
voo
FB . Ein New Yorker Dachgarten , fertig für die Abendvorſtellung.
Verkehrsſchlucht hinweg Briefchen werfen , kann.
miteinander konverſieren
Oder es ragt über unſeren Dachklub ein noch viel höheres Ge
bäude um vier, ſechs Stockwerke hinweg , und auch auf dieſem ſpeiſen Hunderte von Menſchen ! Dieje Mlubs der Geſchäftsleute von
New
York haben ſich faſt
durchweg ſchon vom erſten Jahre an vortrefflich bewährt.
Gewöhnlich
verbanden ſich Kaufherren desſelben Geſchäftszweiges, um einen Klub zu gründen ,
und jo gibt es im Geſchäft & viertel der
Stadt
einen
Drogen-, Eiſenwarens, Woll-, Kaufmanns -Nlub u.ſ.w. Indeſſen werden
76
New York in den Wolken .
auch andere Geſchäftsleute als Mitglieder aufgenommen .
Der jährliche
Klubbeitrag ſchwankt zwiſchen fünfzig und hundert Dollars, iſt alſo jehr erheblich ;
dennoch erreicht
die Mitgliederzahl bei den meiſten
Alubs tauſend bis zwölfhundert !
In dieſen Klubs gibt es neben den
Räumlichkeiten für Herren auch ſolche für Damen , wo die weiblichen Familienmitglieder der club members ſpeiſen und ihre Freundinnen einladen können .
In der legten Zeit iſt aber auch ein Alub aus
ichließlich für Frauen , der ,, Business women's Club"
entſtanden, in
welchem die weiblichen Angeſtellten der großen Geſchäftshäuſer alle Behaglichkeiten eines home beſigen und ihrerſeits Herren als Gäſte laden fönnen .
Zeitweilig werden dort oben , zwiſchen Himmel und
Erde, auch Konzerte und Bälle veranſtaltet, wie in einem Hotel auf irgend einer ſteilen Bergſpite , von der man ſich mit einem Lift in einigen Sekunden wieder hinunter auf die Straße, in das Herz von New York, „ liften" laſſen kann . Wie dieſe dienen ,
ſo
Speiſeklubs
entſtanden
den New Yorkern für
in
den
letzten
Jahren
Dachgärten (roofgardens)
zur
Unterhaltung
im in
die Mittagszeit oberen
den
Stadtteil
Abendſtunden .
Während der Sommerhiye iſt eß in den geſchloſſenen dumpfen Thea tern , Konzert- und Variétéhallen der Stadt nicht auszuhalten .
Die
Eigentümer machten ſchlechte Geſchäfte; um ihre Etabliſſements über haupt fortführen zu können , kamen ſie auf den Gedanken, Schaubühne und Zuſchauerraum auf das New
Dach zu verlegen .
Heute gibt es in
York über ein Dugend ſolcher Dachgärten mit Konzerthallen,
Operetten- und Variétébühnen ; das größte Etabliſſement dieſer Art iſt wohl der Madiſon Square- Dachgarten .
Auf dem weiten , ſchönen
Madiſon Square, beinahe im Stadtmittelpunkt gelegen , erhebt ſich der berühmte „ Garden“ mauriſchem
gleichen Namens, ein
ausgedehnter Palaſt in
Stil , mit einer an zwanzigtauſend Menſchen faſſenden
Halle, mit Wintergärten , Theatern , Cafés , Reſtaurants nach des Londoner Kriſtallpalaſtes ,
hoch überragt
Art
von einem herrlichen
Turme , einer Nachahmung der weltberühmten Giralda von Sevilla .
77
New York in den Wolken .
Tauſende und Abertauſende von Bogengirlanden ,
parallelen
elektriſchen Lichtern , zu Roſetten,
Metten , Arabesken ,
Sternen
vereinigt,
erleuchten dieſen größten und koſtbarſten , dem Vergnügen gewidmeten Palaſt der Neuen Welt.
Auch außerhalb , längs ſeiner Umriſſe er
ſtrahlen zahlloſe Lichter, und hoch oben, an der Spige der New Yorker Giralda , beleuchtet eine große Norona von elektriſchen Glühlampen die den Turm krönende vergoldete Statue der Diana .
Von einem der vielen Lift® mit ſchwindelnder Schnelligkeit auf
Abendkonzert auf einem New Yorker Dachgarten. das Dach dieſes Palaſtes gehoben , bietet ſich dem Beſucher dort ein überraſchender Anblick dar , der ſelbſt jenen der eleganten „ Ambaſſa deurs"
in
den Champs- Elyſées von Paris in den Schatten ſtellt.
Ein Stüd der Terraſſe des Verſailler Feenſchloſſes entrollt ſich hier , mit den ſchönſten Kolonnaden, Türmchen, Baluſtraden und Statuen, hier und dort unterbrochen von Gruppen tropiſcher Pflanzen , erleuchtet von vielen Tauſenden Lichtern .
Und als würde gerade ein Nachtfeſt
des königlichen Hofes gefeiert, beleben dieſe Dachterraſſe Tauſende eleganter Menſchen .
An Hunderten von kleinen Tiſchen , in langen ,
78
New York in den Wolken .
mit Blumengirlanden geſchmückten Logenreihen , unter Glorietten und in zierlichen Pavillons geben ſie ſich hier fröhlicher Unterhaltung hin. Þeiteres Gelächter, Klirren von Gläſern , Knallen von Champagner pfropfen ,
ein Kommen und Gehen ,
Beſuchen von Tiſch zu Tiſch.
Anmutige Mädchen- und Frauengeſtalten in koſtbaren Abendtoiletten , elegante
Herren
Wenige
überall.
manchen größeren , unter Blumen ,
Pläßchen
ſind
unbeſeßt.
An
Kandelabern und Schüſſeln be
grabenen Tafeln wird ſoupiert , in manchen lauſchigen Eckchen , durch Palmenboskette halb verborgen , wird geflirtet. An einer Schmalſeite dieſes weiten Raumes unter freiem erhebt ſich eine Bühne , auf welcher bekannte Schauſpieler, Sänges rinnen , leichtgeſchürzte Ballettdämchen und Variétékünſtler ſich produ zieren.
In den Zwiſchenpauſen konzertiert ein Orcheſter.
erfriſchende Bild iſt in ein
Meer von
Licht gebadet.
Das ganze
Den Hinter
grund bilden die gewaltigen weißen Faſſaden des Madiſon Square Palaſtes. Blidt man über die Baluſtraden , welche den weiten Dachgarten umgeben , ſo gewahrt man die Straßen des amerikaniſchen Babylon , mit den Baumkronen des ſchönen kleinen Parks am tief unter ſich .
Darüber
das
und dort überragt von einem
Madiſon Square
Dächergewirr der Rieſenſtadt ,
hier
himmelſtürmenden Balaſt; an manchen
Stellen grüßt aus der Ferne ein ähnlich lichtes, ähnlich heiteres Bild herüber wie jenes, in deſſen Mitte man ſteht, und man glaubt ſogar in den Pauſen von dorther ähnlichen Geſang , ähnliche Muſit zu ver nehmen. Über das ſeltſame, großartige Nachtbild wölbt ſich der ſchwarze, flare Sternenhimmel.
Aber nicht nur der leichtgeſchürzten Muſe wird dort oben auf den Dächern der Weltſtadt gehuldigt, auch Vaudevilles, Poſſen, Parodien , Operetten werden in den Theatern unter freiem Himmel aufgeführt, wie z . B. in dem der 41. Straße.
kleinen, aber eleganten „ American Roofgarden" in Man kann in diejen höheren Regionen , dem ,, Erden
leben " entrückt, ein paar köſtliche Abendſtunden verbringen ; die Koof
New York in den Wolken .
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gardens find deshalb auch raſch faſhionabel geworden , ja es hat ſich ſo gar eine eigene Alaſſe von roofgarden rounders gebildet, junge, ver gnügungsſüchtige Leutchen, welche allmählich die Runde der verſchiedenen Dachgärten machen , Bekannte auſſuchen , ihren Rendezvous nachgehen . Selbſt verſchiedene Theaterklubs haben ſich für die heiße Sommer zeit auf die Dächer ge flüchtet. So wurde bei ſpielsweiſe
von
dem
Leiter des älteſten Roofs garden der Stadt, dem „ Caſino garden“ , ein eigener
Kaſino - Alub
gegründet. Das unterſte Stocwerk des präch tigen , an den Alfazar in Sevilla gemahnen den mauriſchen Pracht baues wurde zu ganten
ele
Alubräumen
mit Reſtaurant, Muſif und
Geſellſchaftszim
mern eingerichtet. Nach den regelmäßigen Abendvorſtellungen des Waldorf Aſtoria, das größte Hotel New Yorks. Maſino - Theaters, das ſich in demſelben Gebäude befindet, werden für die Klubmitglieder noch Privatvorſtellungen veranſtaltet. Auch Roſter & Bial, dieſe Könige der New Yorker Café -Chantants und Variété-Unternehmer ,
haben das Dach ihrer weitläufigen , von
der flotten Lebewelt der Rieſenſtadt und von den Fremden mit Vor liebe beſuchten Etabliſſements um einige Stocwerke über
die um
liegenden Häuſer emporgehoben und in ein kleines Feenreich verwan
80
New York in den Wolfen.
delt , wo auch die hübſchen jungen Feen nicht fehlen , liebenswürdig und zuvorkommend gegenüber den New Yorker Jüngern des Odyſſeus, wie es Ralypſo kaum war. Dieſe Dachgärten in
den eleganteren Stadtteilen
haben ſich ſo
bewährt, daß auch die vornehmen Alubs und Hotels ſich in ihrem eigenen Intereſſe bequemen mußten , ihre Dächer in Gärten dazu wirkliche Gärten mit Bäumen und Blumenbeeten
noch umzus
geſtalten . So beſigen die vielſtödigen Rieſenhotels Waldorf-Aſtoria, Hofmann Houſe, Majeſtic u. ſ.w. ihre Roofgardens, in denen Konzerte und Vor ſtellungen verſchiedener Art gegeben werden und die zunächſt für die Hotelgäſte beſtimmt ſind. Fremde
verkauft.
Indeſſen werden Eintrittskarten auch an
Auf der Inſel
Manhattan
kann
an
ſchwülen
Sommerabenden kein ſchöneres, kühleres, unterhaltenderes Buen Retiro gefunden werden als einer dieſer hoch in den Lüften zwiſchen Erde und Himmel befindlichen Gärten .
Sie ſind den New Yorkern faſt
unentbehrlich geworden , ja auch in anderen amerikaniſchen Städten, vornehmlich in Chicago , find ähnliche Roofgardens nach dem
Muſter
der Metropole entſtanden . Das Neueſte und Eigenartigſte dieſer Art find indeſſen nicht Dach theater, ſondern Dachkirchen . In Indiana wurde
kürzlich
eine Kirche der Central Chriſtian
Aſſociation gebaut mit einem flachen Dache, auf welchem an heißen Sommertagen und -abenden die Gemeinde ſich zum Gottesdienſte ver ſammelt!
Ein leichtes Regendach ſchüßt die Andächtigen gegen etwaige
Unbilden der Witterung.
Der Fußboden iſt ähnlich wie das Verded
eines Dampfers eingerichtet, und die anſchließenden kleinen Räume in den Türmen dienen als Toilettenzimmer. Die Mitglieder der Ge me de gehen alſo Sonntags nicht in die Mirche, ſondern auf die Kirche.
81
Die Börſe von New Yorf.
8. Die Börſe von New York. er zur gewöhnlichen Promenadenzeit, in den ſpäteren
W
Nach
mittagſtunden , die Stadt herabwandernd ,, gegen den Hafen
zu und nach dem unteren Broadway , nach der mit dieſem
parallel
laufenden Broad Street und der Wall Street gelangt , der wird mit dem
Geſchäftsleben
der Rieſenmetropole der Neuen Welt un vertraut, verwundert jein über die gerade zu fonntägliche Ruhe, die
dort
herrſcht.
Dieſer Broadway iſt doch eine der große artigſten und belebte ſten Straßen des Erd balle, eine Straße, wie fie in unſeren euro päiſchen Vauptſtädten gewiß
nicht
ihres
gleichen hat, denn der größte Teil des Ver kehrs zwiſchen Alter und Neuer Welt führt Die Börſenſtraße ( Broad Street) in New York. auf die eine oder an dere Weiſe durch den Broadway. Weiter oben zwiſchen Union Square und Madiſon Square wälzt und drängt ſich dieſer Verkehr hin und her, in Menſchen- und Wagenſtrömen , wie man ſie ſonſt höchſtens noch in der Fleet Street oder Cheapſide in London wiederfindet.
Aber je mehr man
herabwandert in die unteren Straßen , deſto ſtiller und einſamer wird es . Der Grund liegt darin , daß im unteren Broadway, in Wall- und Broad Street die großen Bankgeſchäfte und Geldinſtitute ſowie der Groß 6 gefie - Wartegg Amerika .
82
Die Börſe von New York.
handel ihren Siß haben , und in dieſen iſt die Geſchäftszeit ſchon in den Nachmittagſtunden zu Ende.
Die Fenſter- und Türläden ſind ge
ſchloſſen , einſam ragen die fünfzehn bis zwanzig Stockwerke hohen „ Wolkenkraper" in die Lüfte , wie verlaſſene Pyramiden .
An den
Türen dieſer höchſten Gebäude der Welt wird man die Namen der großen Firmen leſen können, die das Geld- und Verkehrsweſen Amerikas regieren .
Eingeſchachtelt zwiſchen derartigen Gebäuden, nahe der Ede
zwiſchen Wall- und Broad Street, und mit Faſſaden nach beiden Straßen , erhebt ſich ein mehrſtöckiger Renaiſſancebau aus weißem Marmor, der ſich keineswegs durch beſondere Größe oder architektoniſche Schönheit auszeichnet, ja im Vergleich zu den dem Mammon geweihten Rieſen paläſten in ſeiner Umgebung eher beſcheiden genannt werden kann . Dieſes Gebäude iſt die New York Stod Erchange, die Effettenbörſe, von wo aus an jedem Tage Tauſende von Depeſchen nach allen Haupt ſtädten der Welt geſandt werden , und deren Nachrichten Zehn- und Hunderttauſende täglich mit der größten Spannung erwarten, ein Þa laſt, in welchem die Mehrzahl der amerikaniſchen Erzmillionäre und Milliardäre ihr Vermögen gewannen und ungezählte Kapitaliſten in der ganzen Welt ihr Vermögen verloren haben
das Herz eines
Geſchäftsorganismus , deſſen Arterien den Erdkreis umſpannen und deſſen Puls faſt im gleichen Augenblick in San Francisco gerade jo gut wie in Wien , in Chicago wie in London und Berlin gefühlt wird. Alle großen Zeitungen von Amerika und Europa, Aſien und Auſtralien berichten täglich die Vorgänge , die ſich in dieſem Gebäude abſpielen, und
die Aufregung,
die
zeitweilig
hier
den Geldzentren der ganzen Welt wieder. ausjepen , daß in New York, wo Zucker und Tabak und der
dem
herrſcht,
ſpiegelt
ſich
in
Gewiß ſollte man vor
Weizen und Betroleum , dem
Baumwolle ungeheure Prachtpaläſte
ge
widmet ſind , wo ſelbſt kleine Geſchäfte zu Hunderten in derartigen dreißig
Stockwerke zählenden Mammutgebäuden
ihren Sig haben ,
auch die Effektenbörſe einen Prachtbau als Heim bejäße. ſigen die europäiſchen Städte für Börſen !
Was be
Wie majeſtätiſch und ſchön
83
Die Börſe von New York.
ſind jene von Brüſſel und Antwerpen oder Paris !
Aber dazu iſt in
New York kein Plaß mehr vorhanden ; der Wert des Bodens iſt, wie ſchon früher erwähnt, ein ſo ungeheurer, daſ es dazu auch kaum mehr kommen kann .
Das iſt auch der Grund, warum die Häuſer jo viele
Stocwerke hoch gebaut werden. auf ihre Koſten.
Die Eigentümer fämen ſonſt nicht
Und dabei war die Gegend in dieſer Walls und
Broad Street zur Zeit unſerer Großväter noch offenes Land und die vierundzwanzig Börſenmakler, die es damals in der kleinen Stadt über haupt gab, verſammelten ſich täglich im Freien unter einer Silberpappel, die unweit des Plages ſtand, wo ſich heute die Stod Erchange erhebt ! Treten wir ein :
Das Innere wird der Hauptſache nach von einer
großen Halle eingenommen , die etwa 1400 Quadratmeter Fläche um faßt .
3m erſten Stockwerke zieht ſich auf drei Seiten eine Galerie
den Mauern entlang , wo fremde Zuſeher während der Geſchäftſtunden, das iſt von zehn Uhr Morgens bis drei Uhr Nachmittags, zugelaſſen werden .
Zu ebener Erde zieht ſich eine ähnliche, von einem Eiſengitter
eingefaßte Galerie um den Saal , wo ſich die Sekretäre und Angeſtellten der Börſenmitglieder gegen eine jährliche Zahlung von vierhundert Mark aufhalten dürfen ; das Parkett des Saales ſelbſt iſt ausſchließ lich für die Mitglieder und die uniformierten Diener der Börſe reſer viert.
An einem Ende des Saales befindet ſich eine Eſtrade mit dem
Siß für den Chairman , das iſt den Präſidenten der Börſe.
Auf dem
Tijche davor liegt ein Hammer, mit deſſen Schlag der Präſident die Börſe eröffnet und ſchließt.
Von hier aus werden auch alle wichtigen
Beſchlüſſe des Komitees , etwaige Todesfälle, Bankrotte, die Aufnahme neuer Mitglieder u.ſ. w . angezeigt . Sonſt iſt der weite Kaum ohne Einrichtung; dafür erheben ſich in beſtimmten Abſtänden eiſerne ornamentierte Säulen mit Kundbänten, und an ihrer Spiße ſind auf kleinen Tafeln die Namen der verſchie denen Eiſenbahngeſellſchaften zu leſen, die hier ihren Wertpapiermarkt haben , zum Beiſpiel Northern Pacific, Delaware und Lackawanna, New York Central, Erie u. f. m .
Jedes Plätzchen im
Saale iſt für
84
Die Börſe von New York.
beſtimmte Wertpapiere reſerviert, und Geſchäftsabſchlüſſe müſſen dort, dem Börſengeſetz nach, „ in the crowd “ , das heißt „in der Menge“ , alſo in Gegenwart der anderen Börſenmakler gemacht werden, die in denſelben Werten zu handeln wünſchen .
Die Geſetze ſind ſehr ſtreng.
Das erſte Angebot hat ſtets den Vorzug , bis es durch ein höheres Angebot außer Kraft geſeßt wird.
Fiktive oder ſogenannte „ washed “ ,
das heißt gewaſchene Kurſe, find verboten . Für jeden Geſchäftsabſchluß muß eine Abgabe von einem Achtel v . v . des nominellen Wertes der verhandelten Papiere gezahlt werden.
Dabei iſt die New Yorker
Börſe eine ganz freiwillige und freie Vereinigung mit einer bedeuten den Mitgliederzahl .
Die Mitgliedſchaft an der Börſe iſt eine teure
Sache, denn ſie muß gegen eine Barzahlung von achtzigtauſend Dollars erkauft werden , wenn eine Stelle durch Tod oder Geſchäftsaufgabe erledigt wird .
Überdies hat der Makler, der Börſenmitglied zu werden
wünſcht, vor einer Zulaſſungskommiſſion gewiſſermaßen Spießruten zu laufen , denn da alle Geſchäftsabſchlüſſe an der Börſe mündlich und in aller Eile gemacht werden , iſt bei den Mitgliedern die ſtrengſte Integrität und Gewiſſenhaftigkeit erforderlich.
Es dient gewiß bei
der unglaublichen Menge von Millionengeſchäften , die zuweilen an einem Tage erledigt werden, zur Ehre der New Yorker Börſe, daß un lautere Geſchäftsmethoden und Zwiſtigkeiten zu den Seltenheiten zählen . Jm Verhältnis zur Eintrittsgebühr, die für europäiſche Verhältniſſe ein nicht unerhebliches Vermögen darſtellt , iſt der Jahresbeitrag mit fünfzig Dollars niedrig bemeſſen.
Überdies hat jedes Mitglied jährlich
zehn Dollars für eine Art Lebensverſicherung zu zahlen , wofür im Todesfalle ſeine Nachkommen zehntauſend Dollars ausbezahlt bekommen . Die Mehrzahl der elfhundert Mitglieder ſind gleichzeitig Teilhaber ver ſchiedener Bankhäuſer; andere haben unabhängige Geſchäfte und führen die von auswärts einlaufenden Aufträge aus, während eine kleine, aber einflußreiche Zahl von Mitgliedern , die
ſogenannten „ room traders
( Saalhändler) , für ihre eigene Rechnung ſpekulieren . Schon aus dem
Geſagten geht hervor, daß die New Yorker Börſe
85
Die Börſe von New Yorf.
keineswegs das tolle, wilde Glüdſpiel gewiſſenloſer Spekulanten zum Zweck hat.
Leider läßt es ſich nicht ganz verhindern, wie die Ereig
niſſe der jüngſten Zeit bewieſen haben.
Dennoch iſt die Stock Erchange
eine Notwendigkeit. Ohne ein Inſtitut wie die New Yorker Effektenbörſe hätte die Erbauung der Eiſenbahnen und die damit Hand in Hand gehende Entwidlung des großen amerikaniſchen Weſtens ſich nicht ſo glatt abſpielen können .
Es mußte und muß ſtets ein Markt vorhanden ſein,
wo die, Hunderte von Millionen Kapital repräſentierenden Wertpapiere der Bahnen in Bargeld verwandelt werden können, und wo diejenigen , die dieſes Bargeld liefern, einen ſicheren Einblick in die Geſchäftslage der einzelnen Geſellſchaften erhalten.
Durch den Mechanismus der Stod
Erchange werden indeſſen dieſe Bedingungen nur teilweiſe erfüllt. Alle Stods und Bonds ( Aktien und Hypothefen ), die auf der Effekten börſe durch mündliche Abſchlüſſe zu beſtimmten Preiſen gekauft werden , müſſen bis zwei Uhr fünfzehn Minuten des folgenden Tages abgeliefert und vom Käufer bezahlt werden . Nur eine beſtimmte Klaſſe von ſolchen Wertpapieren wird zur Effektenbörſe zugelaſſen .
Im Jahre 1891 be
lief ſich der Geſamtwert dieſer ; listed “, das heißt zugelaſſenen Papiere, auf zwanzigtauſend Millionen Dollars , gleich achtzigtauſend Millionen Mark , und die Geſchäftsabſchlüſſe erſtredten ſich über ſechsundſechzig Millionen Aktien im Werte von zwanzigtauſend Millionen Marf. Ein Viertel aller zugelaſſenen Papiere hat demnach in dieſem einen Jahre ihre Beſißer gewechſelt. Im Jahre 1882 belief ſich die Zahl der Aktien, welche an der Börſe verkauft wurden , auf hundertdreißig Millionen im Werte von nahe dreißigtauſend Millionen Mark , im Jahre 1902 ſtieg die Zahl der Aktien ſogar auf zweihundertzweiundfünfzig Millionen und zur Zeit dürfte ſie nicht weit von dreihundert Millionen Stück ent fernt ſein im Werte von drei- bis vierhunderttauſend Millionen Mark ! Einer der größten Geſchäftsabſchlüſſe an einem einzigen Tage fand am 11. Februar 1892 ſtatt, an welchem anderthalb Millionen Aktien im Werte von zweihundertundzwanzig Millionen Mart ihren Beſit wechſelten . Dieſe ungeheueren Summen wurden aber bei den Geſchäftsabſchlüſſen
Die Börſe von New York.
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um die Jahrhundertwende übertroffen ; an einem Apriltage wurden innerhalb zweier Stunden eine Million einhundertundvierzigtauſend Aktien im Werte von zweihundertundſiebenundachtzig Millionen Dollars verkauft, und die betreffende Woche hatte einen Umſaß von elf Millionen Aktien im Werte von zweitauſendfünfhundert Millionen Dollars auf zuweiſen ! 3n den erſten Vormittagſtunden wickeln ſich die Geſchäfte verhältnis mäßig ruhig und langſam ab . Um die Mittagſtunde wird es lebhafter. Die Aufregung in dem
nunmehr ganz gefüllten Saale ſteigert ſich mit
jeder Minute, und die legten Stunden vor dem Schluſſe der Börſe bieten dem
erſtaunten , beinahe entſegten Zuſeher Szenen , wie ſie in
einem Tollhauſe nur ſelten ſind . Man ſollte es kaum für möglich halten , daß dieſelben Männer , die des Abends als vollendete Gentlemen in Geſellſchaften und Theatern erſcheinen , einige Stunden vorher ſich dem wüſteſten Lärm , Schreien, Geſtikulieren , Herumbalgen hingeben können . Es iſt unbegreiflich, wie dieſe Makler ſich bei dem ohrenzerreißenden Geſchrei gegenſeitig verſtändigen und Abſchlüſſe treffen können , bei denen es ſich häufig um viele Millionen Dollars handelt.
Gaſſen
jungen , unter die man eine Münze wirft, können ſich nicht toller miteinander balgen. Den fremden Beſuchern auf den Galerien iſt aus dieſem Höllenlärm , dieſem Tohuwabohu fein einziges Wort verſtändlich, und doch wickeln ſich alle
Geſchäfte ebenſo
genau wie ſchnell ab.
Wachjame Angeſtellte der Börſe ſtehen bei jedem
„ crowd ", das heiſst
bei jeder der ſchreienden Gruppen , notieren alle Abſchlüſſe und über mitteln ſie dem Telegraphiſten, die an verſchiedenen Punkten im Saale bei ihren Apparaten ſitzen.
Dieſe telegraphieren die Abſchlüſſe, das
heißt die Namen und die Anzahl der Aktien , ſowie die Preiſe ſofort weiter und
wenige Augenblicke ſpäter wiſien die Makler , Banten ,
Hotels, Zeitungen, großen Geſchäftsinſtitute u. 1. w . nicht nur in New York , ſondern in den ganzen Vereinigten Staaten die Umſätze an der Börje. Dazu ſind ſie bei einer der beiden Telegraphengeſellſchaften, die ſich mit dieſer übermittlung befaſſen , auf einen ,, Tider " abonniert.
Die Börſe von New Yorf.
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Der „ Ticker “ iſt ein Apparat, der den Reiſenden in Amerika in jedem größeren Hotel oder Alub aufgefallen ſein dürfte .
In einem Glas
kaſten befindet ſich ein Rädermechanismus, aus welchem
während der
Börſenſtunden faſt ununterbrochen ein ſchmaler Papierſireiſen mit auf gedructen Hieroglyphen läuft, zum Beiſpiel S T 83 - N.P.P.R.500 — 54 1. 4 — E. 275. 83. 4 und ſo weiter.
Dem Eingeweihten ſind dieſe
ſcheinbaren Buchſtaben- und Zahlenrätſel leicht verſtändlich.
Sie be
deuten , daß einhundert Aktien der Chicago- Milwaukee- und St.- Paul Eiſenbahn eben zum Preiſe von dreiundachtzig Dollars verkauft worden ſind; daß fünfhundert Northern - Pazifif- Vorzugsaktien vierundfünfzig Dollars und fünfundzwanzig Cents das Stüd erzielt haben , und daß Erie - Aktien zu ſiebenundzwanzig Dollars fünfundſiebzig Cents angeboten wurden , mit einem Gegenangebot von ſiebenundzwanzig Dollars zwei undſechzigeinhalb Cents . Nicht alle Börſenmitglieder beteiligen ſich an den Geſchäften, manche überwachen ſie und ſtehen mit den Banken , deren Intereſſen ſie ver treten , telephoniſch in Verbindung.
In einem eigenen Saale befinden
fich etwa hundert Telephonapparate, und dort holen ſich die Mitglieder oder deren Clerks die Aufträge von ihren Banken.
Nirgends werden
die ,, Tider“ und die telephoniſchen Nachrichten mit größerer Aufregung verfolgt als in den ſogenannten „ Bucket Shops“ , das heiſst den Montoren von Maklern, wo Leute aus dem Publikum , darunter auch ſehr zahl reiche Damen, im Börſenſpiel ihr Glück verſuchen.
Dieſe ſind es, ſowie
die großen Maſſen der „Outſiders“ , das heißt der mit dem Börſen weſen unvertrauten Geſchäftsleute und Rapitaliſten , welche bei Kata ſtrophen ihren mühſam erworbenen Gewinn wieder opfern müſſen. Die Mitglieder der Börſe wiſſen gewöhnlich ziemlich genau , woher der Wind weht, aber das vertrauensſelige, ſtets gewinnſüchtige Publikum hat ſelten die Gabe , den richtigen Augenblick zum Kaufen und beim Steigen der Preiſe wieder zum Verkaufen zu erfaſſen.
Neben der
Effektenbörſe gibt es in New York noch eine ganze Anzahl anderer ähnlicher Inſtitute, zum Beiſpiel die Minen- und Petroleumbörſe, die
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Die Börſe von New York.
Baumwoll-, Maffee-, yolz-, Getreide- und Viktualienbörſe, wo, aller dings in kleinerem
Maßſtabe , ähnliche Verhältniſſe herrſchen wie an
der großen Stock Exchange.
Sie ſind geradezu unentbehrlich für die
glatte Abwicklung des ungeheuren Geſchäftsverkehrs, der in der Metro pole der Neuen Welt herrſcht, ſie ſind ein Segen für dieſen Verkehr, aber ein Fluch für viele von jenen , die raſch und mühelos zu Reichtum gelangen wollen .
Die Börſe iſt ein glatter Boden , auf dem nur die
geübteſten Tänzer vorwärtskommen , ohne zu ſtürzen . Für die kleinen Makler, denen es ihre Mittel nicht erlauben , gleich achtzigtauſend Dollars zu erlegen , um Zutritt zu der Stod Exchange zu erlangen, dient die Straße vor derſelben als Börſe, und dieſe hat im Volksmund den Namen „ Curb Stone“, das heißt Kinnſteinbörſe, er halten. Trotz ihres Spottnamens werden hier von den geſtikulierenden durcheinanderſchreienden , aufgeregten Maklern mitunter ſehr bedeutende Geſchäfte abgeſchloſſen , vornehmlich in Papieren , die an der großen Börſe nicht zugelaſſen worden ſind. Unzertrennlich von der Börſe wie vom Geſchäfts- und Geldverkehr überhaupt iſt das Bank Clearing Houſe in der Cedar Street, eines der wichtigſten und großartigſten Geldinſtitute der Welt .
In dem koloſſalen
Marmorpalaſt, deſſen Erbauung fünf Millionen Mark verſchlungen hat, findet die Abrechnung der Geldgeſchäfte zwiſchen den einzelnen Banken und Großfirmen ſtatt.
Alle dieſe, ſowie die Truſtgeſellſchaften zählen
zu den Mitgliedern des Clearing Houſe, und ihre Vertreter erſcheinen jeden Morgen um zehn Uhr mit Wertpapieren, Schecks und Wechſeln , die ſie auszutauſchen wünſchen.
Darunter ſind auch viele Werte von
anderen Banken , die nicht Mitglieder des Clearing Houſe ſind.
Die
Beamten machen ſich ſofort an die Arbeit, die gegenſeitigen Forderungen auszugleichen und die entſtehenden Überſchüſſe zu bezahlen .
Das un
geheure Abrechnungsgeſchäft zwiſchen den einzelnen Banken, bei denen es ſich täglich um viele Millionen handelt , wird durch einen ſehr finns reichen Apparat beſorgt , und am folgenden Morgen erhält jede Bant ihre Bilanz zugeſtellt.
Fehlbeträge ſind ſofort zu decken , und ergibt
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Amerikaniſche Millionäre.
ſich bei einer Bank eine zweifelhafte Unterbilanz, ſo kann das Komitee des Clearing Houſe ohne weiteres die Bücher der betreffenden Bant prüfen und legtere erforderlichenfalls ſofort ſchließen laſſen
ander
ſeits kann das Komitee bei ſeinen Machtbefugniſſen und ſeinem großen Anſehen ſchwankende Unternehmer vor dem Bankrott bewahren und -greift auch gewöhnlich in dieſem Sinne ein , wenn durch den Bankrott eine Börſenpanik und der Zuſammenbruch anderer Häuſer zu befürchten iſt.
9. Amerikaniſche Millionäre . enn man bedenkt, welche Unzahl Dollarmillionäre das geſegnete Amerika aufzuweiſen hat, dann könnte man wahrhaftig glauben , der berühmte Dukatenmacher, der Eſel-ſtredk -dich, hätte drüben in der Neuen Welt ſeinen Standort aufgeſchlagen und Durchfall bekommen. Nach umfaſſenden Forſchungen , welche Arthur Reed Kimball unter nommen und im New Yorker „ Munjeys Magazine" veröffentlicht hat, gibt es heute in den Vereinigten Staaten nicht weniger als achtzehn tauſend Menſchen , von denen jeder zum mindeſten eine Million Dollars ſein eigen nennt !
Seit 1902 iſt die Zahl der Dollarmillionäre um
dreißig v. H. geſtiegen, im gleichen Verhältnis auch die Größe ihres Vermögens.
Nicht genug damit .
Es gibt drüben drei Menſchen ,
deren Vermögen in die Tauſende von Millionen Mark ſteigt, mehrere Dußende, die je eine halbe Milliarde Mark beſigen , und die hundert fachen Markmillionäre ſind nach Hunderten zu zählen ! Millionären iſt es aber nicht abgetan .
In
einem
Mit den
Vortrag ,
den
$. L. Call vor der „ Amerikaniſchen Geſellſchaft zur Förderung des Wiffens “ gehalten hat, führte er an, daß nicht weniger als achthundert vierzigtauſend
Perſonen heute ein Vermögen von
je einer halben
Million Mark befißen ! Dieſe Zahlen leſen ſich wie ein Märchen , beſonders wenn man ſich
90
Amerikaniſche Millionäre.
vor Augen hält , daß die weitaus große Mehrzahl dieſer vielfachen, einfachen und halben Millionäre als arme Teufel Welt gekommen ſind.
nach der Neuen
Es iſt das Märchen vom Schlaraffenlande, wo
die Menſchen nur die Mäuler aufzuſperren haben , und die gebratenen Tauben fliegen ihnen hinein .
Die Sache iſt indeſſen leicht erklärlich.
Es wird das große Millionenlos gezogen .
Haben ſich zwanzig Men
îchen daran beteiligt, dann entfällt auf jeden natürlich nur ein Zwan zigſtel des Gewinnes, alſo fünfzigtauſend Mark. ziger gekauft , dann erhält er die ganze Million.
Þat es nur ein ein Amerika war und
iſt ein derartiges großes Los und Bruder Jonathan hat es allein ge zogen .
Heute werden die Bereinigten Staaten von achtzig Millionen
Menſchen bewohnt, ungefähr ſechs v. H. der Geſamtbevölkerung der Erde . Dieſe ſechs v. H. Menſchen haben aber zwanzig bis fünfzig v. H. der Naturſchäße der Erde in ihren Händen.
Sie brauchten ſie nur aus
dem Boden zu heben oder von den ungeheuren Arbeiterarmeen , die im
Laufe der legten Jahrzehnte aus dem
ausgewandert ſind ,
heben zu laſſen .
alten Europa nach Amerika Die Arbeiter gruben Gold,
Kupfer, Kohle, Silber, Eijen aus der Erde, bebauten die Weizen-, Mais-, Baumwoll-, Zuckerfelder, verarbeiteten die Produkte in den Fabriken , und Bruder Jonathan ſtrich den Gewinſt ein . Die Amerikaner brauchten dabei gar nicht beſonders ſchlau zu Werke zu gehen.
Die meiſten Millionäre verdienten ſich ihre Millionen
ganz von ſelbſt, ohne Arbeit , ohne Spekulation.
Irgend ein Yankee
ſitzt als Farmer auf ſeinem ein paar hundert Morgen großen Grund ſtück irgendwo in Minneſota oder Wisconſin im fernen Nordweſten. Da
kommen prospectors und
finden
dort Eiſen oder Kupfer, und
das Grundſtück entpuppt ſich als das denkbar reichſte Erzlager.
Der
Farmer verkauft es an eine Geſellſchaft und iſt über Nacht zum Mil lionär geworden.
Oder irgend ein armer Teufel befindet ſich jahre
lang in den Felſengebirgen auf der Suche nach Gold.
Er hat ſeinen
legten Groſchen aufgezehrt und lebt beim Kneipwirt des Minenlagers auf Pump.
Eines ſchönen Tages ,, he strikes it rich “, wie es in der
91
Amerikaniſche Millionäre.
Minenſprache heißt , er findet eine reiche Goldader , und ſofort find Leute zur Hand, die ihm
ſeinen Fund für eine Million und mehr ab
kaufen.
Der Kneipwirt hat ihm unter der Bedingung Kredit gegeben ,
daß ihn
ein Fünftel oder ein Viertel ſeines Fundes gehören ſoll, und
nicht nur der Miner , auch ſein Wirt iſt ein gemachter Mann .
Das
tam in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in den Felſengebirgen von Kolorado oder in den Sierras von Kali : fornien und Nevada Hunderte Male vor.
Heute ſind dieſe ehemaligen
Miners oder Schankwirte vornehme Gentlemen in New York, rauchen Dollarzigarren , fahren im Automobil , und ihre Töchter ſind elegante Ladies, um deren Hand europäiſche Ariſtokraten werben . - Frgend ein Bauer aus der Alten Welt kommt nach Teras mit ſeinen Weidelände reien ſo groß wie europäiſche Großmächte. Kinder, ganz wie er ſie zu Hauſe hatte.
Er kauft ſich ein paar
Die Kinder lieben ſich, ver
heiraten ſich , vermehren ſich in der friſchen freien Natur bei dem gu ten Futter wie die Kaninchen , die großen Schlachthäuſer in Chicago und Kanſas City kaufen ſie ihm für gutes Geld ab, und nach dreißig Jahren iſt der Bauer ein ſteinreicher Mann . Das hervorragendſte Beiſpiel derartiger Glüdsvögel iſt Friedrich Weyerhäuſer , deſſen Vermögen nach der Anſicht von Leuten , die es wiſſen können , das Milliardenvermögen des ſogenannten reichſten Man nes der Welt, John D. Rockefeller, übertrifft.
Und doch iſt ſein Name
außerhalb ſeines Staates Wisconſin gar nicht bekannt.
Vor fünfzig
Fahren kam Friedrich Weyerhäuſer als armer deutſcher Emigranten junge nach Amerika .
In einer Waldgegend hatte er ſeine frühe
Ju
gend verbracht, verſtand etwas von Forſtwirtſchaft und zog deshalb in die große Waldregion des nördlichen Wisconſin .
Dort erwarb er ſich
durch Arbeit ein paar tauſend Dollars , kaufte Waldland, zog Kapita liſten ins Geſchäft und erweiterte ſeinen Waldbeſit durch Holzverfäufe derart, daß ihm heute in Wisconſin, Minneſota, Oregon und Waſhing ton viele Tauſende
Quadratmeilen
europäiſchen Königreichs gehören.
von der
Geſamtfläche
manches
Im Weſten wird er auch der lumber
92
Amerikaniſche Millionäre.
king , der Holzkönig genannt , wie es Kupfer- und Stahlkönige gibt. Sein Bermögen wird nach Tauſenden von Millionen Mart geſchäßt, und kaum dürfte es ſelbſt in Amerika einen Mann geben , der durch eigenen Fleiß und eigenes Genie, ohne andere Leute zu ruinieren , wie es Rockefeller und Carnegie getan haben , zu ſolch unerhörtem Reich tum gekommen iſt. In
den meiſten Fällen
Spiele gehabt.
hat ein glüdlicher Zufal die Hand im
So z. B. klagte vor zwei Jahrzehnten ein Händler
in Allerweltsartikeln in einer Kleinſtadt von Michigan einem Band : lungsreiſenden , daß ihm
eine Menge von Waren unverkäuflich ſeien .
Der Reiſende riet ihm , ſie mit gangbaren Artikeln zuſammenzumen gen und den Verkauf ganzer Partien anzukündigen , die ſogenannten bargain -sales.
Die Waren gingen reißend ab , der Händler warf ſich
ganz auf dieſe Art Geſchäfte, und heute iſt er der mehrfache Millionär F. W. Woolworth.
D. C. Barber , ein armer Teufel in Ohio , den
Gedanken feſthaltend, daß man auch mit der Fabrikation der unſchein barſten Artikel viel Geld verdienen kann , wenn nur die Herſtellungs foſten
niedrig genug ſind, warf ſich auf Streichhölzer.
Heute iſt er
einer der reichſten Millionäre des Staates , Präſident der Diamond Match Company und führt den Spişnamen „ Streichholzlönig “.
Dok
tor D. A. Pearſon , ein Arzt in Neuengland , der wie ſo viele ſeiner deutſchen Kollegen in ſeinem Landſtädtchen Hunger litt , beſchloß , im Weſten ſein Glüc zu verſuchen, und überſiedelte nach Chicago.
Dort
vermittelte er neuen Anſiedlern Farmen , kaufte und verkaufte ſie und iſt heute mehrfacher Millionär. Northern - Eiſenbahn
J. J. Hill , der Erbauer der Great
und Beſiber von einer halben Milliarde Mark,
war in ſeinen jungen Jahren Clerk in einem Dampfſchiffkontor, und der Eiſenbahnkönig E. H. Harriman , ebenſo reich wie Hill, Angeſtellter in einem Wechſlergeſchäft.
George Weſtinghouſe verdiente ſeine Mil
lionen durch eine einzige Erfindung, die nach ihm benannte Luftbremſe, heute auf allen Eiſenbahnen der Erde eingeführt.
Immerhin mußten
dieſe Leute im Weſten, in den Prärien wie in den Felſengebirgen ar
Amerikaniſche Millionäre.
beiten , ſich Entbehrungen ausſetzen.
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Das hatten jene , die in New
York oder Philadelphia oder Boſton fişen blieben , gar nicht nötig. Mit einem
bißchen Geld in der Taſche konnten ſie ohne Arbeit Mil
lionäre werden .
So zum Beiſpiel die Aſtor, Stuyveſant , de Peyſter,
Schermerhorn , Rhinelander und andere, die heute Millionen beſigen. Das ganze New York war überhaupt das größte Geſchäft, das jemals gemacht wurde.
Im Jahre 1626 kaufte der S. 48 ſchon erwähnte Beter
Minuit die ganze Inſel Manhattan , zweiundzwanzigtauſend Morgen umfaſſend, für ein paar Metten Glasperlen , Stoffe und Rumfäſſer, zus ſammen im Wert von vierundzwanzig Dollars.
Die Indianer waren
überglücklich, für die nagte Felſeninſel ſo viel Feuerwaſſer zu bekom men , und dachten ſicherlich, ſie hätten den Mynbeer Minuit übervor. teilt .
Heute hat die Inſel Manhattan einen Grundeigentumswert von
viertauſend Millionen Dollars , und mit den vierundzwanzig Dollars könnte Minuit heute in der Wall Street von New York gerade ſechs Quadratzoll Landes kaufen , nicht genug , um mit einem Fuß darauf zu ſtehen !
Jm
unteren Teil des Broadway koſtet ein Quadratfuß
Land zweitauſendvierhundert Mart.
Das Grundſtück zwiſchen Broad
way und Naſſau Street, auf welchem das Gebäude der „ Equitable" , Lebensverſicherungsgeſellſchaft ſteht, hat einen Wert von zweiunddreißig Millionen Mark. Würde der gute Minuit ſeine vierundzwanzig Dollars auf Zinſesa zinſen angelegt haben , ſie wären bis heute auf fünfzehn Millionen Dollars gewachſen .
Der Wert der Inſel Manhattan iſt aber heute,
wie erwähnt , viertauſend Millionen , die Wertſteigerung beträgt alſo das Zweihundertſechsundſechzigfache des natürlichen Wachstums! Man kann ſich denken, welche Unſummen Geldes von jenen verdient worden find , die zur rechten Zeit rings um Grundſtüde gekauft haben .
die wachſende Stadt New York
John Jakob Aſtor war der Glücklichſte
unter ihnen und ſeine Nachkommen gehören heute noch zu den reich ſten Leuten der Welt mit mehreren hundert Millionen Mark Ver mögen, die vornehmlich durch Ankauf und Parzellierung großer Land
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Amerikaniſche Millionäre.
ſtreden auf Manhattan erworben worden ſind.
So kaufte der erſte
Aſtor, ein deutſcher Einwanderer aus der Pfalz, im Jahre 1828 u. a . ein Grundſtüc nahe der alten Trinitykirche und gab es 1842 ſeiner Tochter als Hochzeitsgeſchenk.
Vor einigen Jahren wurde es für
achthundert Marf für jeden Quadratfuß verkauft, zuſammen für nahe an ſechzehn Millionen Mark, und heute erhebt ſich der zweiundzwanzig Stocwerke hohe Himmelkraßer des Trinityhauſes darauf.
Die be
rühmte Wall Street , der Mittelpunkt des Bank- und Geldgeſchäftes der Vereinigten Staaten , erhielt ihren Namen, weil ſich in früheren Zeiten
hier der city - wall ,
die Stadtmauer , erhob , die New York
gegen die Überfälle der Indianer ſchüßen ſollte.
Die Gemeindewieje
jenſeits wurde von Abraham de Peyſter für geringes Geld erworben , in Baugründe abgeteilt und ein paar Jahrzehnte ſpäter für Rieſen ſummen verkauft. Dußende von Multimillionären , mit Vermögen größer als jenes Rothſchilds oder Mendelsſohns, erwarben ſich dieſelben ohne jedes Zu tun ihrerſeits , einfach wertes . ſolchem
durch das ſprungweiſe Steigen des
Sie ſind in New York ganz unbekannt, denn Vermögen
gibt es dort
Dußende .
Grund
Leute mit
Durchſchnittlich entfällt
in Amerika auf je viertauſend Menſchen ein Dollarmillionär.
In
Wirklichkeit dürfte ihre Zahl noch größer ſein , denn viele von den Aröſuſſen des Weſtens , die ihre Millionen in
Kupfer oder Gold,
Schweineſchlachten oder Viehhandel erworben haben , ziehen mit ihren Geldjäden nach New York und verteuern das Leben .
Ihr Wunſch
iſt es , womöglich in der fünften oder in der Madiſon Avenue einen Balaſt zu
erwerben .
Dort aber ſind die Straßen für Milometer
auf und ab bereits ſeit langem in den Händen von Millionären Haus für Haus wird von ihnen bewohnt – und nur ganz ungeheure Summen können ſie zu einem Verkauf bewegen . Als Pierpont Morgan den Stahltruſt gründete , wurden aus den an den einzelnen Werken Beteiligten gleich zwei Dugend Millionäre, von denen viele Pittsburg verließen und nach New York zogen . Väuſer waren nicht ohne weiteres
95
Amerikaniſche Millionäre.
in den faſhionablen Straßen zu haben .
So muſste denn z. B. der
Nohlenkönig Frid einen der Vanderbiltpaläſte für hundertachtzigtauſend Mart jährlich mieten, andere logierten ſich vorläufig in den lururiöſen Hotels ein und zahlten dort hundert- bis hundertzwanzigtauſend Mark Miete. John W. Gates hat in dem neuen Plaza Hotel, dem Zentral part gegenüber, eine Flucht von Zimmern für ebenſoviel gemietet als Frick für den Vanderbiltpalaſt zahlt .
Vornehmlich für dieſe Millio
näre des Weſtens ſind in New York während des leßten Jahrzehnts Hotelpaläſte von ſo fabelhaftem Lurus der Ausſtattung gebaut worden, Hotels, die zehn bis zwanzig Millionen Mark gekoſtet haben .
Dieſem
Zuzug von Weſten her iſt zum großen Teil die in New York herr ichende Teuerung zuzuſchreiben.
Die weſtlichen fröjuſſe bringen das
Geld viel mehr unter die Leute und zahlen für ihre Bedürfniſſe wie für ihren Luxus viel höhere Preiſe als die anſäſſigen Millionäre. Viele von dieſen leben in verhältnismäßig einfachen Häuſern , wie beiſpielsweiſe John D. Rockefeller, deſſen Reſidenz in einer Seiten ſtraße der Fifth Avenue an Größe und Eleganz von tauſend anderen übertroffen wird , während er ſie mit ſeinen Milliarden alleſamt auf kaufen könnte.
Rings
um
den alten Waſhington Square und den
Anfang der Fifth Avenue gibt es eine Menge beſcheidener Ziegelhäuſer aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, noch bewohnt von den Nach kommen ihrer Erbauer , die einfach durch die Preisſteigerung ihrer Grundſtücke, ohne daß ſie irgendwie ſpekulierten, Millionäre geworden find.
Sie gehen wie die meiſten amerikaniſchen fröfuffe heute noch
ihren Berufen nach , gönnen ſich keineswegs beſonderen Lurus und laſſen die Zinjen ihrer Vermögen ſich anſammeln. Andere wieder haben nur eine Freude, jene , ihren Dollarſchap zu vermehren .
So z . B.
Frau yattie Green , die reichſte Frau Amerikas, mit einem hundert Millionen Mark weit überſteigenden Vermögen .
Sie lebt mehr als
beſcheiden , benußt ſtatt Equipagen den Omnibus, wäſcht ihre Taſchen tücher ſelbſt, zahlt ihrem
Mann , den ich im Union Klub kennen ge
lernt, ein färgliches Taſchengeld und verbringt ihre Zeit in glücklichen
96
Amerikaniſche Millionäre .
Spekulationen . Derartige Frauen und alte Jungfern meiner Bekannt ſchaft gibt es viele, ohne daß ſie von ihren Rieſeneinkünften auch nur ein Zehntel ausgeben würden. Daß auch gelehrte Profeſſoren drüben zu Reichtum kommen können , ohne dafür zu arbeiten oder an der Börſe zu ſpekulieren , zeigt das Beiſpiel Alerander von Agaſſiz '. Als in der Umgebung von Malumet am Superiorſee die ſeither ſo berühmt ge wordenen Kupferminen entdeckt wurden, legte Agaſſiz ſeine Erſparniſſe in Kupferaktien an und kaufte fünftauſend davon. Aktie
einen
Wert von
Heute hat jede
tauſend Dollars, und Agaſſiz befißt daher
fünf Millionen Dollars , ohne ſich von ſeinen gelehrten Studien zu trennen . Die „ Weſterners “ dagegen, die nach New York überſiedeln , leben der Mehrzahl nach in Saus und Braus.
Nach einem amerikaniſchen
geflügelten Wort iſt für ſie „ the best just good enough “ – das Beſte iſt ihnen gerade gut genug . nicht gehandelt, ſondern was
Gefällt ihnen etwas, dann wird
gefordert , wird bezahlt.
Sie mieten
Logen in den Theatern , verkehren in den lururiöſeſten Reſtaurants, wie bei Delmonico oder Sherry , die ſelbſt ſchon Millionäre geworden ſind, kaufen bei Tiffany Juwelen für ihre Damen und vergeuden das fo leicht erworbene Geld, ohne ihr Rapital angreifen zu müſſen. Sie und eine Anzahl anderer Millionäre aus den berühmten New Yorker „ Fourhundred“ haben New York zur teuerſten Großſtadt der Welt gemacht.
Mit einem Einkommen von jährlich zehntauſend Dollars iſt
heute dort gerade knapp zu leben. geſtiegen .
Mrs. Albert Bierſtadt, die Witwe des berühmten deutſch
amerikaniſchen gelegenes Dollars
Malers ,
Wohnhaus
hat
eine
3. B.
für
Jahresmiete
ihr von
in
der
Fifth
angeboten be
Von je hundert Familien in New
haben heute nur noch zwölf ihr eigenes Heim ,
wohnen in Boarding- Bäuſern , „ Flats “ und Hotels . haben dieſe Kröſuſje des Weſtens
Avenue
zweiunddreißigtauſend
nahezu einhundertdreißigtauſend Mark
kommen , ohne es anzunehmen . York
Die Mietpreiſe ſind ins Ungeheure
die anderen
Selbſt in Europa
chon die Preiſe verdorben .
Wo ſie
97
Amerikaniſche Millionäre.
fich in größerer Zahl anſiedeln , oder wo ſie mit Vorliebe während ihrer Europafahrten für längere Zeit verweilen , iſt gegen ſie nicht aufzukommen.
Mit großartigen Trinkgeldern verderben ſie in Ke
ſtaurants und
Hotels das Perſonal , ſo daß man
tun muß , um anſtändig bedient zu werden.
es ihnen gleich
Auf den Speiſeliſten er
ſcheinen teure Leckerbiſſen , in Mode- und Toilettengeſchäften wird die europäiſche Kundſchaft der amerikaniſchenge opfert, alles beugt ſich, alles neigt ſich vor dem Dollar auf Reiſen . Bornehmlich
ſpürt
man dies aber in New York, und die jungen Leute müſſen mit dop peltem Eifer, doppel ter Anſpannung ihrer geiſtigen Kräfte ar beiten,, to make both ends meet" , d . h. um Einnahmen und Aus gaben zu balancieren . Geht es nicht, dann wird an der „Stod Erchange", der New Yorker Börje, ſpeku liert. In dieſer größ ten und
umfaſſend
deponseuraa
ſten Spielhölle der Welt, der gegenüber ſelbſt Monte Carlo in den Hinter grund tritt, werden Millionen am leichteſten verdient , aber auch am leich teſten verloren .
Nach Tauſenden zählen die Opfer, die jährlich von der
Bildfläche verſchwinden, um mit dem Reſt ihrer Habe in irgend einem 7 Helſe- Wartegg, Amerika .
98
Amerikaniſche Millionäre .
Schlupfwinkel New Yorks ihr Daſein zu friſten oder im Weſten ihr Glück durch Arbeit von neuem zu verſuchen. In der Regel fallen die Millionen gewinſte nur jenen zu, die ſchon Millionen haben. mögen können ſie
Mit ihrem Ver
„ bull“ , d. h. auf Hauſſe ſpielend , oder
d. h. auf Baiſſe ſpekulierend ,
„ bear“,
einen Puff ſchon vertragen , und die
Reichſten unter ihnen , wie Pierpont Morgan , der hundertfache Dol larmillionär, oder Harriman , der Eiſenbahnkönig , oder ſein Rivale 3. 3. Hill, kontrollieren ja den Markt .
Wenn ſie wollen, können ſie
an einem Tage eine Million verdienen . Sie brauchen nur aus ihrem Sädel eine große Zahl von Aktien auf den Markt zu werfen, Gerüchte, ihren Zweden entſprechend, in Umlauf zu bringen , und die Werte purzeln , eine Panik entſteht.
Dann werden
die gleichen Aktien zu
viel geringeren Preiſen als jene , die ſie beim Verkauf erzielt haben, wieder zurückgekauft.
Wer darunter leidet ,
iſt aber nicht nur der
Börſenſpekulant , ſondern das große Publikum , das ſeine Erſparniſſe in Amerika nicht in Staatspapieren , ſondern mit Vorliebe in Aktien anzulegen pflegt.
Deshalb
die
fortwährenden
„ ups and downs “,
der ewige Wechſel, die Unſicherheit des amerikaniſchen Geldmarktes im Vergleich
zum
europäiſchen ,
welche
das
Publikum
Börſenmagnaten und die Truſts aufgebracht hat.
gegen
die
Sie ſpielen ein
fach mit dem Gelde anderer Leute, ohne daß dieſe ſich helfen können . In dem fchon erwähnten Vortrage jagt V. L. Cal , daß ein Pro zent
der
Bevölkerung
der
Vereinigten
Staaten
des Geſamtvermögens des Landes in Händen hat. wird nun Dabei
auf
hundertfünfzehntauſend
entfallen
auf
hundert
Dollars,
Perſonen
hundert
auf die Hauptmaſſe der
dreiundachtzig Millionen Seelen , nur elftauſendfünf
Millionen
den Kopf !
Prozent
Millionen Dollars geſchägt.
achthundertvierzigtauſend
dreitauſendfünfhundert Millionen Bevölkerung ,
neunzig
Dieſes Vermögen
Von dem
Dollars,
alſo
nur hundertvierzig Dollars auf
Geſamtvermögen liegt ein Fünftel , ungefähr
fünfundzwanzigtauſend Millionen Dollars, in den Händen induſtrieller Körperſchaften , die Eiſenbahnen
mit einbegriffen , und ein Siebentel,
Das Spiel mit Millionen .
99
fünfzehntauſend Millionen , in den Händen der Finanzwelt , wie Banken, Verſicherungsgeſellſchaften u. f. w .
Dieſe ſind aber nicht die abfoluten
Beſiger der genannten vierzigtauſend Milliarden Dollars, ein großer Teil iſt in Geſtalt von Aktien und Obligationen im Volke
unter
gebracht, und das leştere iſt in ſeinen Geldintereſſen daher von der Leitung der Geldinſtitute abhängig .
Iſt dieſe ſchlecht, unehrlich oder
unſicher, dann leidet das ganze Volk mit , denn indirekt machen ſich die Schwankungen, von Hand zu Hand bis in die ärmſten Klaſſen ſich fortpflanzend, im ganzen Land geltend. Direkt betroffen werden wohl nur die ſiebzehn v. H. der Bevöl ferung oder zweidreiviertel Millionen Familien, welche der Statiſtik zufolge über ein jährliches Einkommen von fünftauſend bis zwölf tauſend Mark verfügen , und die dreieinhalb v. H. der Bevölkerung deren Einkommen oder ungefähr ſechshunderttauſend Familien , deren
zwiſchen zwölftauſend und vierundzwanzigtauſend Mark liegt.
Merk
würdigerweije iſt, wie eingangs erwähnt, die Zahl der Familien mit mehr als vierundzwanzigtauſend Mark Einkommen um ein Drittel größer als jene mit einem Einkommen von zwölftauſend bis vierunds zwanzigtauſend Mark.
An Markmillionären oder doch Leuten mit
einem Einkommen von über ſechzigtauſend Mark gibt es im glüd lichen Amerika zweiundvierzigtauſend, ein ganzes deutſches Armeekorps !
10. Das Spiel mit Millionen. einem ſeiner Bücher zitiert der amerikaniſche Milliardär An
J"drew Carnegie die Worte Channings : ,,Die Arbeit hat die Welt erobert : ſie begründet und bereichert die Völker ſicherer, als die größten Siege es tun tönnen ."
Anknüpfend behauptet er :
„ Die Wahrheit dieſer Worte hat die
nordamerikaniſche Republik an ſich bewieſen , denn durch Arbeit und
100
Das Spiel mit Millionen .
nicht durch zufällige glückliche Umſtände hat ſie ſich zur gewerbtätigſten Nation der Erde emporgeſchwungen ." Mit Verlaub , Herr Carnegie, Sie hätten beſſer getan, dieſen Say umzudrehen und zu ſagen : „ Durch glückliche Umſtände, nicht durch Arbeit hat ſich die nordamerikaniſche Nation zur gewerbtätigſten emporges ichwungen. " War es nicht etwa ganz unerhoffter Zufall, daß in Ihrem Adoptiv vaterlande, Þerr Carnegie, ſo unerſchöpfliche Lager an Rohlen, Eiſen , Kupfer, Gold , Silber gefunden wurden ?
Und waren es nicht glücks
liche Umſtände, welche Jhrem Land eine europäiſche Arbeiterarmee von bisher fünfundzwanzig Millionen Seelen zugeführt haben ?
Ohne dieſe
reichen Bodenſchäße und ohne die fremden Arbeiter hätte Jhre Nation niemals jene ungeheuren Reichtümer erlangen können, mit denen gerade Sie , Herr Carnegie , ſich brüſten .
Sie ſelbſt haben am wenigſten Ur
fache, ſich in die Bruſt zu werfen , denn Ihre Milliarden haben Sie ſich nicht durch Arbeit, ſondern vornehmlich durch die zitierten glüdlichen Umſtände, dann aber auch durch tollkühne Spekulation erworben .
Ge
arbeitet wird in der Welt überall, in Europa ſogar viel ſchwerer als in Amerika, denn in Amerika wird die menſchliche Arbeit zum großen Teil durch die Maſchinenarbeit erſegt und der Arbeiter überwacht nur die Maſchinen .
Würde Europa über die gleichen Naturſchäße und
über dieſelben glücklichen Umſtände" verfügen wie Amerika, dann wäre eben Europa in noch viel größerem Maße das Milliardenland. Die Milliardenvermögen wären freilich nicht vorhanden, der Reich tum wäre nicht in wenigen Taſchen auf Koſten der Allgemeinheit an geſammelt , denn ſolche ſchwindelhafte Börſenſpekulationen , wie ſie in Amerika gang und gäbe ſind, wären in keinem Lande der Alten Welt möglich. nur
Von all den Tauſenden amerikaniſcher Dollarmillionäre hat
die Minderzahl ihren Reichtum
Wer in der Fifth Avenue von
New
wirklich durch Arbeit gewonnen . York oder in den anſtoßenden
Straßen ſpazieren geht und die prächtigen Marmorpaläſte fieht, die ſie auf
beiden Seiten
einfaljen , braucht
nur einen Landeskundigen
101
Das Spiel mit Millionen .
nach den Beſipern zu fragen , um den Urſprung all dieſes Reichtums zu vernehmen .
Bei der großen Mehrzahl wird er hören : „ Built with
water !" Built with water, das heißt : „mit Waſſer gebaut“
ein ſpezifiſch
Wird das Kapital irgend eines geſchäftlichen
amerikaniſcher Ausdruck.
Unternehmens , ohne daß dieſes erweitert würde, durch die Ausgabe von Aktien vergrößert , ſo heißt das in Amerika : water the stock – „ Verwäſſern der Aktien " . Nun denn : Während der legten
elf Jahre
find an der New Yorker Börſe allein die Aktien einer großen Zahl von Unternehmungen um
nicht
weniger als dreitauſendfünfhundert
Millionen Dollars, alſo um vierzehntauſend Millionen Mart verwäſſert worden ! – Die Millionärſpekulanten ſtrichen ſie ein , das amerikaniſche Volk, Bürger wie Arbeiter und Bondsbeſiger, haben ſie zu zahlen .
In
den wenigſten Fällen hat eine ſolche Verwäſſerung zu der allgemeinen Wohlfahrt beigetragen .
Der Herausgeber einer der größten Monat
ſchriften Amerikas , ,,Everybody's Magazine“ , ſagt darüber : ,, Die großen Millionenvermögen ſind nicht etwa das Ergebnis von ehrenhaft geleiteten Unternehmungen, großer produktiver Induſtrie und kommerzieller Ent widlung , ſondern in vielen Fällen eine Folge finanzieller Räuberei , falſchen Spiels, der Vereinigung von Habſucht mit unſauberer Politik zur Ausbeutung öffentlicher Wohlfahrtseinrichtungen und unverhältnis mäßiger Überkapitaliſierung auf Koſten unſeres guten Namens als Nation und unſerer finanziellen Stabilität. " Die Unterſuchungen über die unſauberen Machenſchaften eines der größten Truſts , der Standard - Oil -Geſellſchaft, haben es ſchlagend dar getan .
Der Erzmilliardär John D. Rođefeller verdiente aus dieſem
Truſt allein, ganz abgeſehen von ſeinen vielen anderen Unternehmungen, in acht Jahren dreihunderteinundzwanzig Millionen Marf, und das Volk, die Konſumenten des Betroleums, nicht nur in Amerika, hatte ſie zu bezahlen !
Ein anderer Kröfuß hatte kürzlich unter Eid Zeugenſchaft abzugeben und ſagte folgendes aus :
Im Verein mit drei Eiſenbahnmagnaten
102
Das Spiel mit Millionen .
war es ihm
gelungen , die Kontrolle über
ein
gewiſſes Bahnne
zu
erhalten , deſſen Kapital neununddreißig Millionen Dollars betrug. Die vier vergrößerten dieſes Kapital durch Ausgabe neuer Hypotheken und Aktien auf
mehr als das Dreifache, nämlich
hundertzweiund
zwanzig Millionen Dollars , und kauften dieſe Wertpapiere zu dem Kurs von fünfundſechzig, den ſie ſelbſt willkürlich feſtgeſegt hatten. Unmittelbar darauf verkauften ſie die Papiere an der Börſe zum Kurſe von neunzig bis ſechsundneunzig, und erzielten dadurch einen Reingewinn von dreiundzwanzig Millionen Dollars, beinahe hundert Millionen Mart ! Auf die Fragen des Richters mußte der Kröſus zugeben , daß ihre Machenſchaften im direkten Widerſpruch mit den Geſetzen und der Ver faſſung des Staates waren , in welchem die betreffende Eiſenbahn liegt ; daß der erzielte Millionengewinn ganz ungeſeßlich war und daß die Ausgabe der neuen Wertpapiere im Betrag von dreiundachtzig Millionen Dollars durch keinerlei Erweiterung oder Verbeſſerung des betreffenden Bahnneßes begründet werden konnte. zu dieſen Zweden verwendet.
Nichts von dem Gelde wurde
Es war einfach gewiſſenloſe Spekulation
zur eigenen Bereicherung, und die Paſſagiere, die Frachtſender, welche die Eiſenbahn benußen , müſſen für unabſehbare Zeiten die Koſten tragen ! Das ſind aber nicht etwa Ausnahmefälle, ſondern bei Eiſenbahnen wie bei induſtriellen Unternehmungen viel eher die Regel.
Jay Gould ,
ein deutſcher Einwanderer, war der erſte, der dieſe Rieſenſpekulationen in den Achtzigerjahren einführte.
Es gelang ihm , das Kapital der
auch in Europa wohlbekannten Griebahn von achtzehn Millionen Dollars auf nahezu achtzig Millionen Dollars zu erhöhen ! Sie machte bankrott ; das Kapital wurde wieder erhöht, heute aber ſind die früher faſt wert loſen Aktien durch die großen Betriebseinnahmen zu bedeutendem Wert gelangt . Seine Nachfolger, William H. Moore, Pierpont Morgan, John W. Gates, Jakob H. Schiff und viele andere behaupten ganz offen, das Verwäſjern des Kapitals ſei eine ganz harmloſe Sache.
Ein Unter
103
Das Spiel mit Millionen .
nehmen ſoll gerade ſo viel Kapital haben, als ſeinem Ertrag entſpricht. In keinem anderen Lande der Welt wäre eine derartige Ausbeutung des Publikums ſo lange geduldet worden, und auch in dem geſegneten Amerika , god's ichauderhafte
country ,
wie
Mißwirtſchaft
die
nur
Yankees es nennen , war möglich ,
weil
dieſe
anerkanntermaßen
eine große Zahl von Stadtvätern und Geſezgebern mit den Spe= kulanten unter einer Dede ſteden .
Wie ſich die Bahnen und
In
duſtrien zu Truſts vereinigen, ſo bilden in gewiſſen Staaten und Städten große Gruppen von Politikern „ Ringe Koſten des öffentlichen Wohls .
zur eigenen Bereicherung auf
Wenn nun Truſts und Ringe einander
in die Hände arbeiten, dann kann man ſich denken, was dabei heraus kommt. Jahrzehntelang ertrug das zahlende Volf die Beutelſchneiderei dieſer Leute, denen ein großer Teil der Geſchäftſtodungen,
Börſen
derouten , Preistreibereien und Bankrotte aufs Kerbholz zu ſegen iſt. Die ehrlichen Gefeßgeber wie die Preſſe donnerten gegen die Miſwirtſchaft, aber ihre Stimmen verhallten gerade ſo wie jene einzelner Induſtrieller und Bahngeſellſchaften , welche ſich gegen die Schlingen wehrten , mit denen die Truſts ihnen die Hälſe zuſammenſchnürten , bis ſie erſticten oder – klein beigaben .
Gegen die Truſts und Ringe aufzukommen ,
war wieder nur ein Truſt fähig , jener der ehrlichen Klaſſen der Be völkerung und der Regierung .
Jegt ſcheinen ſie ſich vereinigt zu haben
und hoffentlich gelingt es, den Gefeßen wirklich Achtung zu verſchaffen. Europa iſt durch die amerikaniſche Mißwirtſchaft ganz erheblich in Mitleidenſchaft gezogen worden . Tauſende von Millionen amerikaniſcher Werte ſind in europäiſchen , nicht zuletzt in deutſchen Händen.
Das
vertrauensſelige Publikum , angelockt durch hohe Dividenden und niedrige Kurſe, ſtecte ſeine Erſparniſſe in allerlei vielverſprechende Stocks und Bonds , um nach kurzer Zeit und einigen Gewinſten auch große Ver luſte zu erleiden.
Gebrannte Katzen ſcheuen gewöhnlich das Feuer,
aber immer wieder wurden die ſchönen braunen Markſcheine für Stods und Bonds geopfert , in der Hoffnung auf großen Gewinn , ähnlich , wenn auch nicht ganz ſo, wie es die Spieler auf den grünen Tiſchen
104
Das Spiel mit Millionen .
von Monako tun .
Deshalb wird es ſicher intereſſieren, zu erfahren ,
wie's gemacht wird. Das bewährteſte, ſicherſte und harmloſeſte Mittel dafür iſt, wie ge ſagt, „ Waſſer“ . fahren
nach
Wir brauchen ja auch mit Vorliebe die Waſſerkur und
Marienbad
oder Niſſingen
zum
Rakoczyſprudel.
Die
amerikaniſchen Börſenſpekulanten gebrauchen es für ihre Machenſchaften in unglaublichen Mengen , aber nicht ſie bekommen dafür den Durchfall, ſondern das Publikum . Das Schlimmſte dabei iſt, daß man ſie gar nicht faffen kann .
Eine Eiſenbahn , die beiſpielsweiſe zu ihrer Erbauung
eine Million Dollar gekoſtet hat , trägt in den
erſten Jahren gerade
ſo viel ein , um vier oder fünf Prozent Zinſen zu bezahlen .
In dem
ewig wachſenden Amerika ſteigt aber der Verfehr derart, daß die Eiſen bahn bald zehn bis fünfzehn oder gar zwanzig Prozent Zinſen abwirft. Von Kechts iregen ſollte das Mehr zur Verbeſſerung der Bahn , zur Erleichterung und Verbilligung des Verkehrs verwendet werden, denn ſchließlich iſt es ja doch nur der Frachtenverſender und das reiſende Publikum , welche die Bahnlinie in Betrieb erhalten und ihr zu den großen
Einnahmen verhelfen.
Die Eiſenbahnmagnaten denken
aber
anders.
Sie ſagen , zwanzig Prozent bei einer Million , alſo zweihundert
tauſend Dollars , entſprechen bei vierprozentiger Anlage einem Kapital von fünf Millionen Dollars.
Sofort wird die Bahn „ reorganiſiert“ , das
heißt, das Kapital durch Ausgabe neuer Aktien auf fünf Millionen er höht .
Da aber noch eine weitere Steigerung der Einnahmen für die
nächſten Jahre zu erwarten iſt, werfen ſie, darauf rechnend , gleich weitere fünf Millionen Aktien auf den Geldmarkt , im ganzen alſo zehn Millionen ! Die verwäſjerten Aftien finden im Publikum gewöhnlich willige Ab nehmer, denn es handelt ſich für die Käufer doch nur um entſprechende Dividenden .
Nach dieſen richtet ſich der Marktpreis der Aktien . Wird
ein Unternehmen über die Einnahmen hinaus verwäſjert, ſo ſinkt der Murs , ſind die Einnahmen größer als die gebräuchlichen Dividenden , dann ſteigt der Kurs , die Verwäſjerung ſelbſt aber , ſo denken die
Das Spiel mit Millionen .
105
Börſenmanipulanten , geht keinen Menſchen etwas an .
Inzwiſchen
zahlen die Reiſenden ebenſo wie die Frachtenverſender enorme Tarife. In einem Vortrag, den der Präſident der Chicago and Great Weſtern Eiſenbahn , A. B. Stickney, vor dem Verkehrsklub in St. Paul gehalten hat, ſtellte er feſt , daß die durchſchnittlichen Zinſen aller Eiſenbahn hypotheken und -Aktien der Vereinigten Staaten in den letzten Jahren 3,32 v. H. betragen haben , und rief entrüſtet aus : Vereinigten Staaten keinen Geſchäftszweig,
„Es gibt in den
der geringere Erträge
liefert als die Eiſenbahnen ! Mein Kapital in den Vereinigten Staaten verzinſt ſich in ſo geringem Maße wie jenes, das in den Eiſenbahnen angelegt iſt!
Wie kann man unter dieſen Umſtänden an die Herab
ſegung der Paſſagier- und Frachtpreiſe denken ! " Das hat ſeine Richtigkeit.
Aber der Eiſenbahnmagnat unterlieſ
es wohlweislich, beizufügen, daß ſeit den legten elf Jahren ſechstauſend Millionen Mart Aktien „ Waſſer " dem
Eijenbahnkapital hinzugefügt
worden ſind, die von Rechts wegen keinerlei Anſpruch auf eine Divi dende haben .
Und doch wird eine ſolche im Betrag von jährlich zwei
hundert bis dreihundert Millionen Mark ausbezahlt ! Wäre das Eiſen bahnkapital durch dieſe und frühere Milliarden nicht verwäſſert worden, dann würde ſeine Verzinſung eine viel höhere ſein . In welcher Weiſe die Börſenſpekulanten mit den Eiſenbahnwerten vorgehen , zeigt am beſten das Beiſpiel der auch in Europa ſattſam bekannten Erieeiſenbahn.
In den geſchickten Händen von Jay Gould,
James Fisk und Daniel Drew wurde das urſprüngliche Aktienkapital derart verwäſſert, daß die Einnahmen eine Verzinſung des Kapitals nicht ermöglichten , und 1895 war die Eriebahn bankrott. Da jepte der große Reorganijator Pierpont Morgan ein .
Seine
„ Reorganiſation " beſtand vornehmlich darin, daß er das Aktienkapital um weitere dreiundſechzig Millionen Dollars vermehrte, aber derart, daß auf dieſe Millionen Dividenden nur ausgezahlt werden ſollten , wenn die Einnahmen alle ſonſtigen Ausgaben überſtiegen. Jahren waren die neuen Aktien beinahe wertlos.
In den erſten
Seither ſtiegen die
106
Das Spiel mit Millionen .
Einnahmen derart, daß auch auf dieſe Aktien Dividenden entfielen und deren Kurs bis auf fünfzig ſtieg. Eine andere Eiſenbahn, in welcher europäiſches, vornehmlich deutſches Kapital ſtark intereſſiert war, iſt die Union - Pazifik. Die Unterſuchungen der
Vereinigten Staaten -Regierungskommiſſion ergaben, daß die Ge
ſamtkoſten des Bahnbaueß einundfünfzig Millionen Dollars betragen haben .
Dennoch wurden
von den Unternehmern der Union - Pazifik
Bahn an Wertpapieren verausgabt :
27 Millionen Dollars Regierungshypotheken 27
erſte Hypotheken ( Bonds)
18
Land- und Einkommenbonds
36
Aktien
zuſammen 108 Millionen Dollars. Davon waren Dann mengte ſich
alſo
ſiebenundfünfzig Millionen
Jay Gould
reiner
in die Geſchäfte.
Er
Gewinn. beſaß
den
größeren Teil des Aktienkapitals der Kanſas -Pazifik- und der Denver Pazifik - Eiſenbahnen , hatten .
Durch
die
fünfundzwanzig
unaufgeklärte
Millionen
Machenſchaften
mit
Waſſeraktien
den
Direktoren
der Union-Pazifik- Bahn veranlaßte er dieſe , ſeine genannten Bahn linien aufzukaufen und dafür Aktien ihrer eigenen Bahn zu bezahlen. Das war für die Einnahmen der Union= Pazifik zu viel .
Sie wurde
bankrott und mußte 1893 reorganiſiert werden , was mit Hilfe des Multimillionärs Harriman in glänzender Weiſe geſchah.
Dazu wurden
fünfundſiebzig Millionen Dollars neue Vorzugsaktien ausgegeben, die Bahn alſo noch weiter mit einem Kapital belaſtet, das zwei Drittel des bisherigen betrug .
Dennoch ſtieg im
Laufe der Jahre der Ver
kehr derart , daß auf alle Union Pazifik- Werte heute bedeutende Divis denden bezahlt werden .
Ähnlich ging es mit den Reorganiſierungen
der Northern -Pazifik- und der Atchijon - Topeka- und Santa - Fé - Bahnen, deren Kapital ebenfalls um ſechzig bis ſiebzig v . v. vergrößert wurde. Die Southern Pazifit-Bahn koſtete im ganzen ſieben Millionen Dollars, das Syndikat , das ſie baute, gab aber vierzig Millionen Dollars Werts
107
Das Spiel mit Millionen .
papiere heraus.
Seither wuchs ihr Bahnnetz auf neuntauſend
eng
liſche Meilen , auf welchen im ganzen nahe an zweihundert Millionen Aktien laſten , und
Dollars – über achthundert Millionen Mark !
doch ſtiegen die Einnahmen derart , daß im Jahre 1906 auf dieſe Aktien ſechs v . H. Dividenden bezahlt werden konnten .
Wie wäre das , ab:
geſehen von der Verkehrsſteigerung, anders möglich geweſen, als indem die Eiſenbahnmagnaten die Paſſagier- und Frachttarife um das ent ſprechende Maß erhöhten ?
Keine Methode zum
Erwerb von Mil
lionen hat ſich in Amerika beſſer bewährt als die Waſſerkur.
Das
Rezept iſt einfach : Zuerſt eine entſprechende Anzahl Millionen neuer Aktien auf eine Eiſenbahn herausgeben , die in der erſten Zeit, weil die Dividenden fehlen, keinen oder nur minimalen Wert beſitzen. Des halb
können
werden.
ein paar Millionen davon für eine Bagatelle gekauft
Dann die Fracht- und Paſſagierſäge ſo erhöhen , daß auf die
neuen Aktien Dividenden
entfallen .
Der Surs der Aktien ſteigt ent
ſprechend auf fünfzig oder ſechzig v . H. , ja noch höher, und dann werden ſie von den Beſigern verkauft, die Millionen ſind verdient. Freilich liegt dabei die Gefahr nahe, daß bei zu großer Steigerung der Eiſenbahntarife der Verkehr ſich einer konkurrenzbahn zuwendet, welche geringere Tarife rechnet.
Dann wäre das Geſchäft vereitelt
und die Waſſeraktien blieben Waſſer.
Um das zu verhindern, werden
von den auf Millionengewinne ſpekulierenden Eiſenbahnmagnaten ein fach dieſe Konkurrenzbahnen aufgekauft , oder es wird doch die Mehr zahl ihrer Wertpapiere erworben , ſo daß auch dort die Frachtfäße kontrolliert werden können . So fauften beiſpielsweiſe die früheren Konkurrenz- , ſpäter vereinigten Northern - Pazifik- und Great Northern -Bahnen die Wertpapiere der Chi cago- , Burlington- und Quincy - Bahnen im Betrag von hundertzehn Mil lionen Dollars , begnügten ſich aber nicht mit dem ſondern
erzielten Gewinn,
gaben für dieſe hundertzehn Millionen zweihundertvierzehn
Millionen neue Bonds heraus , verdoppelten alſo ihr Kapital .
Noch
ichlimmer trieben es Moore und die hinter ihm ſtehenden Kapitaliſten
Das Spiel mit Millionen .
108
mit
der
Chicago , Rod ,
fenermaßen
Jsland- und Pazifik- Eiſenbahn .
Erwie
kauften ſie ſiebzig Millionen Dollars von deren Wert
papieren und kapitaliſierten dieſe ſiebzig Millionen zu hundertneun undachtzig Millionen Dollars , ohne auch nur einen einzigen
Dollar
für die Verbeſſerung oder Erweiterung des Eiſenbahnneges zu ver wenden !
Ein Gewinn von hundertneunundzwanzig Millionen Dollars
( über vierhundert Millionen Mark) in Wertpapieren ! Nun kaufte die RodFsland - Eiſenbahn ihrerſeits neunundzwanzig Millionen Dollars Aktien der Friscobahn und zahlte dafür vierunddreißigeinhalb Millionen ihrer eigenen Bonds und Aktien , die Friscobahn wieder kaufte die Chicago- und Eaſtern - Jllinois.
Morgan faufte von John W. Gates
über dreißig Millionen Aktien der Louisville- und Naſhville- Bahn und verkaufte ſie für fünfzig Millionen Dollars an die Atlantic - Coaſt Eiſenbahn.
In ähnlichen oder noch viel größeren Summen bewegen
ſich die Anfäufe des Baltimore- und Ohio-Eiſenbahnſyſtems durch die Pennſylvaniabahn, der Reading-Eiſenbahn durch Baltimore und Ohio , der New
Jerſey - Zentralbahn durch die Reading u . 1. w . Die Kühnheit
und Rückſichtsloſigkeit der Eiſenbahnmagnaten muß dabei ebenſo in Erſtaunen ſetzen wie die Geduld des Publikums und die Langmut der Behörden, die bisher ruhig zugeſehen haben , wie eine Handvoll Speku lanten die wichtigſten Verkehrslinien des Kontinents auf Koſten des Volfes zu ihren eigenen Zwecken ausbeuten .
Dem letzten Bericht der
zwiſchenſtaatlichen Handelskommiſſion zufolge war der nominelle Wert aller verausgabten Eiſenbahnwerte dreizehntauſendachthundertfünf Mil lionen Dollars, was einer Summe von ſechsundſechzigtauſend Dollars für jede engliſche Meile entſpricht.
Die kanadiſche Pazifikbahn, welche
unter vielleicht noch ſchwierigeren Verhältniſſen gebaut wurde als die amerikaniſchen , iſt mit nur neunundzwanzigtauſend Dollars für jede Meile kapitaliſiert und es könnte ſchon daraus allein entnommen werden, daß die Hälfte des amerikaniſchen Eiſenbahnkapitals „ Waſſer “ iſt. Die Geſamteinnahmen der amerikaniſchen Bahnen beliefen ſich im Jahre 1906 auf zweitauſenddreihundertneunzehn Millionen Dollars oder zehntauſend
109
Das Spiel mit Millionen .
fünfhundertdreiundvierzig Dollars auf jede Meile.
Das entjpräche
Der Reinertrag belief ſich aber nur , wie
ungefähr ſechzehn v. H.
A. B. Stidney in ſeiner auf S. 105 erwähnten Rede ſagte, durchſchnitt Der Reſt wurde für Betriebskoſten und -
lich auf dreieinhalb v . H. anderes verausgabt !
Schlimmer noch als mit den Eiſenbahnen wurde in einer Anzahl Großſtädte mit den Straßenbahnen gehauſt, und mit Jay Gould und Harriman kann man in einem Atem Yerkes , Thomas Ryan, William
C. Whitney und P. A. B. Widener nennen .
Die Geſchichte
ihres Reichtums müßte unter die Fabeln von Tauſend und eine Nacht aufgenommen werden, wenn ſolche jemals über die Neue Welt ver faßt
würden .
Yerfes
war
in
ſeinen
jungen
Jahren
ein
toll
fühner Börſenmakler in Philadelphia, deſſen „krumme " Spekulationen ihm eine dreißigmonatige Kerkerſtrafe zuzogen .
Nach ſieben Monaten
,, Einſamkeit“ wurde ihm der Reſt der Strafe erlaſſen.
Im Verein
mit einem jungen Schlächter, dem genannten Widener, kaufte er eine halb verkrachte Straßenbahn der Quäferſtadt auf Kredit.
Das Aus
ſtellungsjahr 1876 brachte beſſere Einnahmen , auch in der Stadt gab es viel Geld , und Yerkes beſchloß, auf ſeine verroſtete Straßenbahn eine Hypothek von zweihunderttauſend Dollars aufzunehmen .
Die
Bonds fanden wirklich Häufer, und das brachte das Brüderpaar Yerkes Widener auf den Gedanken, eine zweite Straßenbahn in Philadelphia aufzukaufen .
Wieder wurde eine Unmaſſe Bonds darauf ausgegeben,
und ſo ging das fröhlich weiter, bis die wichtigſten Straßenbahnen der Stadt in ihren Händen waren .
Nun reorganiſierten ſie dieſe Bahnen
zur Philadelphia Traction Company mit einem Kapital von hundert zwanzig Millionen Mark, während die Herſtellung der Linien im beſten Fall ein Fünftel gekoſtet hatte ! Es gab nur noch zwei andere Straßen bahngeſellſchaften in der Stadt.
Schließlich wurden auch dieſe aus
gekauft , und Yerkes-Widener hatten das ganze Net im Umfang von vierhundertjechsundzwanzig
engliſchen Meilen
in ihren Händen mit
Hunderten Millionen Aapital , aber den elenditen und teuerſten Ver
110
Das Spiel mit Millionen .
kehrsdienſt, unter welchem ganz Philadelphia litt.
Vergeblich pro
teſtierten die Einwohner und ein Teil der Preſſe.
Yerkes -Widener
und Genoſſen hatten die ganze Stadtverwaltung in der Taſche. Charles Edward Ruſſel jagt in ,, Everybody's Magazine“ vom September 1907 folgendes darüber :
,, Dieje Straßenbahnmagnaten waren
von Philadelphia .
Sie wählten die Stadtbehörden und leiteten die
Politif.
die Herren
Sie organiſierten das vollkommenſte Syſtem politiſcher Stor
ruption , das jemals in unſeren Städten geherrſcht hat .
Sie und
ihr , Ring ' waren bei den Wahlen durch das Aufgebot von ſechzig bis
achtzigtauſend
falſchen
Wahlſtimmen
immer
erfolgreich ,
und
dadurch blieben ſie im Beſiß der Stadtverwaltung und der erſchlichenen Brivilegien . an
dieſem
Jedes verbrecheriſche Unternehmen Philadelphias hatte koloſſalen Betrug ( fraud) ſeinen Anteil.
Das Geld, mit
welchem Wahlen gefälſcht, falſche Zettel in die Wahlurne geſtopft, und Verbrecher an die Stelle ehrſamer Bürger geſeßt wurden , ſtammte von den Straßenbahnunternehmern .
Jahrelang machten ſie die Stadt
verwaltung von Philadelphia zu einer Schmach für alle patriotiſchen Amerikaner .
Jahrelang
waren Stadtverordnete , ſtädtiſche Beamte ,
Wahldiebe , Gauner , Zuhälter , Spielhöllenbeſiger u . f. w . mit ihnen eng verbunden.
Alle dieſe Leute zahlten einen ſtändigen Tribut an
den Ring , nicht in Gold ,
ſondern in Wahlſtimmen .
Solange die
Freudenhäuſer, Spielhöllen und verbrecheriſchen Spelunken die feft gejezte Zahl von Stimmen beiſtellten , wurden ſie nicht beläſtigt.“ Gleichzeitig mit Philadelphia verſuchte Yerkes ſein Glück auch mit den Straßenbahnen von Chicago, ganz nach dem bewährten Prinzip, das heißt , mit dem Gelde , das er auf eine Straßenbahnlinie aufnahm , eine zweite zu kaufen.
Wie dort , gelang es ihm auch in Chicago,
endlich alle Straßenbahnen der Stadt mit Ausnahme jener der Süd ſeite, zu der Union Traction Company zu vereinigen.
Die ganze An
lage der Bahnen hatte vierundjechzig Millionen Mark gekoſtet, Yerkes im Verein mit ſeinen Genoſſen kapitaliſierte ſie zu vierhundertachtzig Millionen und zog aus dem Betrieb des Unternehmens innerhalb fünf
111
Das Spiel mit Millionen .
zehn Jahren erwieſenermaßen weitere hundertjechzig Millionen Mark ! Endlich wurde es den Bewohnern von Chicago zu viel.
Die Stadt
väter wurden anläßlich der Frage der Verlängerung der Konzeſſion von erregten Volksmaſſen mit Fäuſten und Waffen gezwungen , die Verlängerung abzulehnen , und Yertes ſchüttelte den Staub Chicagos von ſeinen Füßen , um das gleiche Spiel nunmehr in der Metropole der Neuen Welt, in New York, zu wagen.
Auch dort gelang es ihm
mit Hilfe des Ringes in der Stadtverwaltung , der Tammany Hall und ihrer Genoſſen.
Yerkes,
ebenſo wie Elkins , Ryan ,
Widener,
Whitner beſigen heute Vermögen, die zu den größten Amerikas zählen ! So werden in God's country Millionen verdient ! Ähnlich ging es mit allen jenen Induſtrien Amerikas, welche ohne Gefahr eines möglichen Wettbewerbes zu werden konnten . an der Spige.
einem ,, Truſt “ vereinigt
Neben dem Öltruſt ſteht natürlich der Stahltruſt
Bei ſo nötigen Weltartikeln wie Eiſen und Stahl war
es Morgan, Carnegie und Schwab ein leichtes, den Truſt zu irgend einer Summe zu kapitaliſieren .
Sie „begnügten“ ſich aber mit vier
tauſendfünfhundert Millionen Mark!
Gegenüber dieſem Rieſenunter
nehmen, deſſen Einnahmen und Ausgaben größere Summen enthalten als die Jahresbudgets mancher Großmächte, erſcheinen natürlich die meiſten anderen Truſts, wie Tabak, Zucker, Koks u.ſ. w., unbedeutend, obſchon es ſich auch bei ihnen um Hunderte von Millionen handelt. Seit neuerer Zeit iſt ein anderer großer Truſt im Anzuge , der die Eiſenerze Amerikas, wieder unter dem großen Finanzſtrategen Pierpont Morgan , umfaffen wird.
Wie das gemacht wird , iſt auch
für den Fernſtehenden ſehr intereſſant und zeigt dabei
auch,
daß
Carnegie, der glückliche Milliardär , keineßwegs jenen weiten Blick und jenes Organiſationstalent beſigt, das ihm nachgerühmt wird . Leute , die ihn kennen und ſeine Laufbahn verfolgt haben, bezeichnen ihn einfach als den größten Glüdsvogel Amerikas, den reinen Schla raffen , der nur blindlings den Mund aufzuſperren brauchte, damit die Dollarmillionen hineinflogen.
Mag dieſes Urteil auch zu hart ſein ,
112
Das Spiel mit Millionen.
ſein Verhalten bei der Gründung des Eiſenerztruſtes ſcheint es zu beſtätigen. Zu Anfang der Neunzigerjahre waren die ungeheuren Eiſenerz lager weſtlich des Superiorſees, die viele Hunderte Millionen Tonnen des beſten Erzes enthalten, in den Händen zahlreicher kleiner Land eigentümer, was man eben in Amerika „klein“ heißt. Das Erz liegt dort an der Oberfläche und kann durch Dampfbetrieb mit zwanzig Pfennig die Tonne gehoben werden .
Damals war die
ſchaft der bedeutendſte Konſument von Erzen .
Carnegie- Stahlgeſell
Einer der Minenbeſiger,
Henry W. Oliver aus Pittsburg , kam auf den Gedanken, ſich die Be teiligung der Carnegie- Geſellſchaft an ſeinen Erzlagern zu ſichern , dann hatte dieſe eine in abſehbarer Zeit nicht verjagende Bezugsquelle von Erz und er ſelbſt einen ſtändigen guten Kunden , mit deſſen Geld er weitere Erzlager auffaufen konnte.
H. C. Frid, der jevige Kokskönig
von Amerika , damals, 1892, Präſident der Carnegie-Geſellſchaft, war vollkommen einverſtanden , für eine halbe Million Dollars die Hälfte der Aktien der Oliver -Erzminengeſellſchaft zu übernehmen. warf indeſjen die Vereinbarung über den Haufen , indem
Carnegie
er an Frick
folgenden für ſeine Kurzſichtigkeit charakteriſtiſchen Brief richtete: „ Wenn es irgend einen Zweig des Geſchäftes gibt, das keine Ausſichten dars bietet , ſo iſt es Eiſenerz.
Es hat niemals großen Gewinn gebracht,
und die ( Oliverſche) Meſaba - Mine iſt nicht das leşte große Erzlager, das der Diſtrikt des Superiorſees noch offenbaren wird ."
Dennoch beſtand Frick auf dem Abſchluß des Geſchäftes, und es kam auch dazu. waren
Die Vorteile, welche die Carnegie -Geſellſchaft daraus zog,
jo bedeutend , daſ Carnegie ſelbſt
ſpäter noch
ein weiteres weitere
Drittel der Oliver- Aktien erwarb .
Nun
kamen auch zwei
Kröſuſje , die beiden Rockefeller, in
den
Lake Superior-Minen auſs
Tapet . beutung
Sie kauften dort große Erzlager und übertrugen deren Auss Oliver
und
Carnegie
zum
Preiſe
von
einer
Mark
die
Tonne, bei einer garantierten jährlichen Erzmenge von ſechshundert tauſend Tonnen . Das war ſpottbillig , aber der Hauptgewinn der Brüder
Das Spiel mit Millionen.
113
Rodefeller beſtand in der von ihnen geſtellten Bedingung , daß dieſe Erzmenge, gleichzeitig mit dem Ertrag der Oliverſchen Minen von der gleichen Tonnenzahl, von den Rockefellerſchen Eiſenbahnen und Dampfern nach Bennſylvanien an die Hochöfen zu befördern waren.
Das Fracht
geld war viel bedeutender als der Preis des Erzes. Nun hatten die Rockefellers die Mittel in der Hand, gerade ſo wie fie es zur Schaffung ihres Öltruſts getan haben , die kleineren Erz minenbeſiger an die Wand zu drüden, auszuhungern , um ſie nachher um Spottpreiſe auszukaufen . größten Erzproduzenten
Gegen die mächtige Vereinigung des
Oliver ,
des
bedeutendſten Erzkonſumenten
Carnegie und der Beſiger eines der wichtigſten Transportwege , Rocke feller, konnten ſie nicht ankämpfen.
Die Rockefeller allein brauchten
nur ihre Erze zu billigeren Preiſen zu befördern, wie ſie es mit dem Petroleum taten , um jeden Wettbewerb unmöglich zu machen. Wieder war es Carnegie, der die großen Vorteile dieſer Politik nicht einjah ; aber dennoch wurde ſie gegen ſeinen Willen von Oliver und
Frick
durchgeſeßt
und
für wenige Millionen kam der
größte Teil des Minendiſtriktes, defien Wert Sch w ab auf zw e ieinhalb Milliarden Mark i dhäfte , in den Beſi der Vereinigung ! Von den Oliverſchen Minen befanden ſich bereits fünf Sechſtel in den Händen der Carnegie - Geſellſchaft, und dieſe hatte dafür nicht viel mehr als vier Millionen Mart bezahlt.
Um aber das
Monopol des Eiſens vollſtändig zu machen , war es wünſchenswert, auch das legte Sechſtel zu erwerben.
Für dieſes eine Sechſtel bezahlte
der Stahltruſt nicht weniger als vierundſiebzig Millionen Mark ſeiner eigenen Aktien, alſo achtzehnmal ſo viel als einige Jahre vorher fünf Sechſtel gekoſtet haben !
Die Rockefellerſchen Eiſenminen waren weit
über ihren Wert, mit hundertzwanzig Millionen Mart, kapitaliſiert. Der Stahltruſt kaufte ſie von den Rockefellers für dreihundertzwanzig Mil lionen Mark in ihren Aktien !
Es ſchwindelt einen förmlich bei dieſen
$ ungeheuren , geradezu unfaßbaren Summen .
Ein derartiges Herum
werfen mit Hunderten von Millionen şefie - Wartegg , Amerita .
der Weltgeſchichte noch 8
iſt in
Das Spiel mit Millionen .
114
niemals vorgekommen .
Und dabei dreht es ſich , wie man ſieht, im
großen ganzen immer nur um eine vandvoll Leute. Über den ſchwindelnd hohen Preis des einen Sechſtels der Olivers ſchen Erzmine darf man ſich nicht wundern .
Oliver hätte vielleicht
noch mehr dafür be kommen können , denn um das Monopol zu ſichern und die hohen Preiſe
aufrecht
zu
erhalten , muß jede Konkurrenz beſeitigt werden, was ſie auch Q
foſte.
Fehlt nur ein
Stein in dem ganzen künſtlichen Aufbau, jo fällt derſelbe zuſam = men. Da heißt es nur : an die Wand drücken oder auffaufen.
Mit
Oliver konnte man das erſte nicht tun , ſo tat man denn das zweite.
A18 alles in ſchön ſter Ordnung ſchien ,
Nivo l o
trat plötzlich und ganz unerwartet ein neuer
n I Faktor auf. Der klügſte, tatkräftigſte aller Eiſenbahnſtrategen Amerikas,
der Schöpfer der Great-Northern -Eiſenbahn, 3. 3. Hill, hatte im ſtillen weit weg von den Erzlagern des Superiorjees, im fernen Nordweſten an der kanadiſchen Grenze alle dort befindlichen und neu entdeckten Eiſenerz lager aufgekauft. Um das Monopol auſrecht zu erhalten, mußte der Stahl
1
Das Spiel mit Millionen .
115
truſt auch dieſe in ſeine Kombination mit einbeziehen .
So wurde denn
mit Hill ein Mietvertrag abgeſchloſſen , demzufolge der Truſt in jedem Jahre eine beſtimmte Anzahl Tonnen Erz dieſen Lagern entnehmen muß, zum
Preiſe von 6,60 ME . die Tonne im erſten Jahr mit einer
Steigerung von vierzehn Pfennig von Jahr zu Jahr.
Auf Grund
dieſes Vertrages gab nun die Great Northern -Eiſenbahn anderthalb Millionen Erzaktien zu hundert Dollars nominell heraus, alſo hundert zwanzig Millionen Dollars, die unter den Aktionären der Eiſenbahn ihrem Aktienbeſig entſprechend verteilt wurden. So wuchs das Eiſenerzmonopol aus kleinen Anfängen geradezu lawinenhaft, bis in die Milliarden ! Nun hatte aber der Stahltruſt die Trümpfe in den Händen .
Man
braucht nur einen einzigen Artikel herauszuheben, der vom Stahltruſt in ungeheuren Mengen produziert wird : Eiſenbahnſchienen. Sie ſpringen aus den vielen Walzmühlen des Truſts ſo leicht und einfach heraus, als wären es lauter Zahnſtocher. Der leşte Lieferungsvertrag der preußiſchen Eiſenbahnverwaltung für Stahlſchienen mit deutſchen Firmen wurde zum Preiſe von hundertzwanzig Mark die Tonne abgeſchloſſen , und der Stahltruſt produziert ſie zum Koſtenpreiſe von ſechsundvierzig Mark die Tonne !
Bei den Millionen Tonnen ſeiner Produktion kann man
ſich an den Fingern abzählen, welche Unjummen er mit Schienen allein verdient. Präſident Schwab der Carnegie-Geſellſchaft ſchrieb vor einigen Jahren : „ Ich weiß beſtimmt, daß England Stahlſchienen nicht unter ſechsundſiebzig Mark die Tonne erzeugen kann.
Uns aber koſtet die
Erzeugung weniger als achtundvierzig Mark , und das ermöglicht es uns, mit dem Ausland erfolgreich zu konkurrieren . “
Der Verkaufspreis
von Schienen in Amerika iſt, nebenbei bemerkt, hundertzwölf Mark die Tonne. Durch dieſe Monopoliſierung war es dem Stahltruſt möglich, im Jahre 1906 nach Abzug aller Abſchreibungen, Reparaturen , Erneuerungen von Maſchinen und Anlagen , Zahlung der Zinſen für die Hypotheken u . f. w . einen Reingewinn von fechs hundertachtundzwanzig Millionen Mark zu erzielen !
Man denke nur, in einem Jahre einen
116
Das Spiel mit Millionen .
Reingewinn von über ſechshundert Millionen , oder an jedem einzelnen Arbeitstage zwei Millionen !
So wird es in Amerika gemacht !
Beiſpiel ſteckt an , und in welchem
Das
Geſchäftszweige immer eine Ver
einigung der Betriebe zu Truſts zuwege gebracht werden kann, geſchieht es auch mit Hilfe von Floaters und Bankgeſchäften , die dabei ebenfalls ſich ihren Millionenanteil ſichern .
Als Vorwand dient dabei immer
die Vereinfachung der Betriebe, die Vermeidung koſtſpieliger Anzeigen, die Verminderung der Produktionskoſten u. 1. w .
Daraus ſollte man
ſchließen, daß auch die Preiſe der Produkte fallen würden und die große Maſſe des Volkes, die Konſumenten, ihre Vorteile davon hätten . Davon hört man aber nichts.
Im Gegenteil .
So iſt beiſpielsweiſe
der Preis von Roheiſen in Amerika ſeit 1901 um fünfundzwanzig v . v . geſtiegen !
Den Gewinn ſteden hauptſächlich die Millionäre ein .
Einer der
bezeichnendſten ,
wenn auch lange nicht bedeutendſten
Fälle, wie einzelne Spekulanten durch Überkapitaliſierung eines Indu ſtriezweiges
im Handumdrehen zu
Millionenreichtum gelangten ,
jener der amerikaniſchen Zinnblechgeſellſchaft. wurde Zinnblech zum
iſt
Bis zum Jahre 1890
weitaus größten Teil vom Ausland eingeführt.
Da wurde durch den berüchtigten Mc Kinley -Tarif der Zoll auf Zinn blech für das Pfund von einem Cent auf 2,2 Cerits erhöht . Dadurch ſtieg der Preis einer Kiſte Zinnblech auf fünf Dollars fünfundſiebzig Cents, und mit der heimiſchen Erzeugung dieſes Artikels konnten nun hun Die Einrichtung einer Zinkblechwalz
dert v..v . verdient werden .
mühle erfordert nur ungefähr vierzigtauſend Dollars, und die Ausſicht auf großen Gewinn förderte die Erbauung einer ganzen Menge von Zinnblechwerken mit mehr als dreihundert Walzmühlen.
Zinnblech
wurde weit über den Bedarf auf den Markt geworfen, und durch den gegenſeitigen Wettbewerb ſank der Preis einer Miſte auf weniger als Damit war
die Hälfte, genau geſprochen zwei Dollars ſechzig Cents .
nicht nur nichts zu verdienen , die Mehrzahl der Werke arbeitete ſogar mit großen Verluſten.
Einer der erfolgreichſten Spekulanten in ſolchen
Dingen , Judge Moore, jah ſofort die günſtige Gelegenheit, Millionen
117
Das Spiel mit Millionen.
zu gewinnen.
Ihm und ſeinen Hintermännern gelang es , die große
Mehrzahl der Werke mit zweihundertzweiundſiebzig Mühlen zum Preiſe von vierzigtauſend Dollars für jede Mühle aufzukaufen, was ungefähr einer Geſamtſumme von zwölf Millionen Dollars entſpricht.
Nun war
aber beinahe die ganze Zinnblechfabrikation Amerikas unter einem Hut, der Wettbewerb hatte aufgehört , der Preis der Kiſte Zinnblech ſtieg wieder auf vier Dollars fünfundjechzig Cents , und die Einnahmen waren hinreichend groß , um es fudge Moore zu geſtatten , die ver einigten Werke im wirklichen Wert von zwölf Millionen mit nahezu dem vierfachen Betrag, nämlich ſechsundvierzig Millionen Dollars, zu kapitaliſieren !
Vierunddreißig Millionen Dollars Aktien waren rein
verdient. Nicht
genug damit.
Einige Zeit ſpäter wurde durch
Pierpont
Morgan der rieſige Stahltruſt organiſiert mit ſeinem Milliarden Mark umfaſſenden Kapital .
Der Stahltruſt wünſchte die Zinnblechinduſtrie
unter ſeine Verwaltung zu bekommen .
Judge Moore verlangte da
für ziveiundſechzig Millionen Dollars Stahltruſtaktien und erhielt ſie in der Tat .
Das Anlagekapital der Induſtrie war urſprünglich zwölf
Millionen , einige Jahre ſpäter war es auf zweiundſechzig Millionen geſtiegen, ohne daß auch nur ein Dollar in die Vergrößerung der Be triebe geſtedt wurde oder dieſe auch nur einen Dollar in Wert mehr fabrizierten als urſprünglich! Um ſolche Spekulationen erfolgreich durchzuführen, iſt es Grund bedingung, daß alle Werke einer Induſtrie, oder doch mindeſtens drei Viertel bis vier Fünftel , vereinigt werden können , mit Ausſchluß jedes möglichen Wettbewerbs.
Gelingt dies nicht, dann bricht das
Unternehmen zuſammen, und Judge Moore ſollte es an ſich ſelbſt er fahren .
Die Hauptverwendung des Zinnblechs liegt in der
Fabri
kation von Zinnbüchſen für die Maſſen von Fleiſch-, Gemüſe- und Obſtkonſerven , welche in den Vereinigten Staaten hergeſtellt werden . Judge Moore faufte nach dem alten Rezept der Waſſerkur alle Fabriken von Zinnbüchſen auf, kapitaliſierte ſie zu dem Dreifachen des Anlage
118
Das Spiel mit Millionen .
kapitals und erhöhte den Büchſenpreis derart, daß dieſes vermehrte Hapital ſich entſprechend verzinſte.
Aber diesmal hatte er die Rechnung
ohne den Wirt, das heißt ohne die Hauptkonſumenten von Zinnbüchſen, die großen Schlächterfirmen von Chicago gemacht.
Als diejen die Preiſe
der American Can Company für Zinnbüchſen zu hoch wurden, begannen ſie mit der Fabrikation dieſes Artikels, zuerſt für ſich ſelbſt, dann für andere, und Judge Moore konnte dieſen Wettbetrieb nicht verhindern . Damit fielen die Einnahmen ſeiner Geſellſchaft und riffen die Nurſe der Aktien mit ſich, die 1907 auf ungefähr fünf ſtanden , mit den Vor zugsaktien auf fünfzig . Das ſind nur kleinere Beiſpiele der Manipulationen, mit welchen die Spekulanten Millionen zu gewinnen trachten. Artikel ſei noch hervorgehoben :
Roks .
Nur ein wichtiger
Als der heutige Rokskönig ,
H.C. Frid , in dem nahe Pittsburg gelegenen Kohlendiſtrikt von Connels ville die Koksinduſtrie zu entwideln begann, verfügte er nur über ſehr geringe Mittel.
Bald blühte ſein Geſchäft, er erwarb der Reihe nach
die Mehrzahl der Kohlengruben und intereſſierte ſchließlich ſeinen Haupt abnehmer , Andrew Carnegie , mit einem Viertel an ſeinem Unter nehmen.
Carnegies Kohlenwerke waren mit achtzig Millionen Dollars
kapitaliſiert.
Um Carnegie und die übrigen drei Viertel der Hofsöfen
und Kohlengruben Fricks auszukaufen , zahlte der Stahltruſt nicht we niger als vierhundertzweiundneunzigeinhalb Millionen Dollars , nahe an zwei Milliarden Mark ! Den größten Gewinn an dieſem Geſchäfte, wohl gleichzeitig den größten Gewinn, der überhaupt jemals durch eine Vermittlung erzielt worden
iſt, zog jedoch Pierpont Morgan .
für die Aktionäre der
Aus dem erſten Bericht
Vereinigten Staaten -Stahl- Korporation "
vom
Februar 1902 geht hervor , daß Morgan und ſein Syndikat dem Stahl truſt eine Barſumme von fünſundzwanzig Millionen Dollars als Arbeits kapital gaben und die Koſten der Organiſation ſowie anderes im Be trage von drei Millionen Dollars beſtritten.
Für dieſe achtundzwanzig
Millionen Bargeld erhielt das Morgan -Syndikat vom Stahltruſt ſechs
119
Das Spiel mit Millionen .
hundertfünfzigtauſend Vorzugsaktien und ſechshundertjünfzigtauſend ge wöhnliche Aktien .
Dieſe eine Million dreihunderttauſend Aktien wurden
von Morgan auf den Markt geworfen, dem großen Publikum verkauft, das
dafür nahe an hundert Millionen
Dollars bezahlte.
Morgan
und ſeine Leute erhielten alſo für achtundzwanzig Millionen hundert Millionen Dollars, die ſich ungefähr mit fünf Millionen Dollars jährlich verzinſen .
Fünf Jahre nachher waren die achtundzwanzig Millionen
durch die Zinſen allein ſchon hereingebracht, und das Syndikat hatte ſich für alle abſehbare Zukunft eine jährliche Einnahme von fünf Mil lionen Dollars oder über zwanzig Millionen Mark geſichert! Wer hat dieſe Jahresrente zu bezahlen ?
Zunächſt der Stahltruſt,
der dementſprechend in jedem Jahre um fünf Millionen Dollars mehr verdienen muß. auferlegt.
In legter Linie wird aber dieſe Steuer dem Volke
Der Stahltruſt muß ſeine Produkte , vornehmlich Schienen,
umſo teurer verkaufen , die Eiſenbahnen , welche die Hauptabnehmer der Schienen ſind, müſſen umſomehr einnehmen , und das können ſie nur durch hohe Paſſagier- und Frachtjäße, welche ſchließlich das Publikum , die Geſchäftswelt bezahlt.
Ohne die horrenden , in Hunderte Millionen
ſteigenden Summen , welche an einzelne Beteiligte verſchenkt worden ſind ,
könnte der
Stahltruſt
ſeine Produkte umſo billiger abgeben .
Aber das iſt ja gar nicht nötig .
Wozu denn ?
Der Stahltruſt hat
das Monopol , und das Ausland kann infolge der hohen Zölle nicht mit dem Truſt in Wettbewerb treten .
So ſind die hohen Preiſe,
welche die Amerikaner für ihre wichtigſten Bedarfsartikel zu zahlen gezwungen ſind, großenteils ihrem Zolltarif zuzuſchreiben.
Sie haben
damit wohl ihrer Induſtrie auf die Beine geholfen , ſich ſelbſt aber den Hals zugeſchnürt.
sere
120
Der Niagara in Feſſeln.
11. Der Niagara in Feſſeln . ie Stromgeiſter der Niagarafälle hätten ſich gewiß niemals träumen laſſen , daß ſie zu Beginn des zwanzigſten Jahrhunderts kupfernen Drähten entlang nach Buffalo, Tonawanda , Pittsburg oder New York geſandt würden , um dort Straßenwagen zu ziehen , ſchwere Maſchinen zu bewegen, Beefſteaks zu braten, überhaupt denſelben Menſchenfindern zu dienen, die jahrhundertelang ſchwach und ohnmächtig das herrliche Schauſpiel bewunderten , welches die Fluten des Niagaraſtromes in ihrem gewaltigen Sprung in die Tiefe darbieten .
Durch Äonen hin
durch führt der Strom hier jede Minute eine halbe Million Kubik meter Waſſer über die fünfzig Meter hohe und anderthalb filometer breite, inſelngeſpickte, von mächtigen dunklen Koniferen umrahmte Fels : barriere.
Unaufhaltſam
in ihrem raſchen Lauf, ſich hochaufbäumend
zu Waſſerſtaub zerſchäumend , drängen die Fluten der großen Seen tanzend und tojend dem Abſturz entgegen, bläulich mit weißen Schaum kronen, umſchwebt von weißen Wölkchen, begleitet von Milliarden von Waſſertropfen, die im hellen Licht der Sonne deren Bild in kreisrunden farbenſprühenden Regenbogen wiederſpiegeln.
Am Grunde der tiefen
Schlucht ſetzt ſich das wütende Spiel fort und bildet den gewaltigſten , tätigſten Herenkeſſel der Erde , einem Vulkanfrater gleich mit kalter Waſſerlava.
Jedesmal wenn ich Amerika beſuchte (und die Zahl dieſer
Beſuche mag zwei Dußend überſteigen ), drängte es mich immer zunächſt nach dem Niagara . das Schauſpiel überwältigt.
06 Sommer, ob Winter , zu jeder Jahreszeit iſt
von einer Großartigkeit ,
die
uns
Menſchenfinder
Und ſtand ich dann an der äußerſten Spige der den
Waſſerſturz umgebenden Felſen , verſenkten ſich Augen und Geiſt in dieſe Apotheoje alles deſjen , was die Erdennatur an Schönem und Erhabenem aufzuweiſen hat , dann ſchien es mir , als verdichteten fich dieſe Dampf- und Schaummaſſen , dieſe leuchtend aus dem Strudel aufſteigenden Wölkchen zu Najaden , die mit ihren ſchlanken , ichönen , geſchmeidigen, durchſichtigen Gliedern ſich auf den Wellen wiegten, und
121
Der Niagara in Feſſeln .
mich umgaukelten und mit ihren naſſen , kalten Lippen küßten, daß ich mich zu ihnen hingezogen fühlte, und aller Kraft, alles Beſinnens be durfte, um nicht den einen Schritt zu wagen , der mich in die toſende, gewaltige , alles zerſtörende, vernichtende Flut geführt hätte.
Jeder,
der den Niagara beſucht und an den Ufern der Fälle in Bewunderung feſtgebannt ſteht, kann ſie ſehen , dieſe Myriaden von Waſſerniren , in das dünnſte aller fleider, in Waſſer gehüllt, wie ſie auf den Spigen
Der Niagara im Winter. der tanzenden , tojenden , rauſchenden , zu Schaum und Sprühregen zer peitſchten Wellen ſißen , von einer zur anderen ſpringen , ſich wiegen und ſchaukeln laſſen , bis ſie unaufhaltſam in raſender Schnelligkeit hinabgeriſſen werden von der wuchtigen Menge des Millionen Tonnen umfaſſenden Waſſerſturzes und unten in dem grauenvollen , ſchäumenden, brauſenden, donnernden Herenkeſſel untergehen .
Aber ſie ſind ja Niren
und kommen unbeſchadet wieder an die Oberfläche und ſteigen mit dem
122
Der Niagara in Feſſeln .
Dampf und Sprühregen wieder hoch empor, reichen ſich die Händchen zum fröhlichen Reigen, und ſcheint gerade die Sonne, dann zeigen ſie ſich dem verzauberten Beſucher in Geſtalt von kreisrunden Regenbogen, die in dem weiten waſſerumrauſchten Schlund auf und nieder ſteigen. Nun ſind ſie doch gefangen , in Feſſeln gelegt worden und müſſen tief unten in den Eingeweiden der Erde ſchwere Arbeit verrichten . Die ſchlauen Yankees haben ihnen einfach eine Falle gelegt.
Weil ſie
ihnen nicht anders beikommen konnten, gruben ſie einen halben Kilo meter langen Kanal und leiteten das Waſſer des Niagaraſtromes ober halb der Fälle mitten ins Land hinein.
Zu beiden Seiten dieſes
FABRIKS VIERTEL DYNANO-WAYS
Fluss oberhalb derFile
STADT NIAGARA FALLS
Fluss unterhalb der Fille
70 Helen
Meter 54
HÄNGE-BRÜCKE FELSEN
FELSEN
TUNNEL 7x9x 2200 Meter
Turbina
Durchſchnitt der Turbinenanlage am Niagara. Kanals, in der Verlängerung desſelben, ſprengten ſie hundertfünfzig Meter lange Schluchten in den Feljen , jo tief , daß ein hoher Kirch . turm gerade noch mit der Spişe darüber hinwegjähe, wenn er unten aufgeſtellt würde .
In dieſen ſechzig Meter tiefen Schluchten richteten
fie je zehn Turbinenräder von fünfzigtauſend Pferdekräften ein und verbanden die Stahlwellen, auf welchen die Räder ſigen , oben mit Dynamoś zur Erzeugung von Elektrizität.
Man iſt ſogar im Begriffe,
auf der anderen Seite des Stromes , dem kanadiſchen Ufer , vierzig ſolche Turbinen anzulegen , und das ergibt zuſammen eine elektriſche Kraft von nahezu einer halben Million Pferdekräften !
Die nichts
ahnenden Najaden hüpften nun auf dem ruheloſen , weiten Strom
Der Niagara in Feſjeln .
123
bett in den vorerwähnten ruhigeren Kanal , gerade wie ein Fiſch ins Net ſchwimmt.
Am Ende angekommen , wurden ſie von dem Strom
in die gewaltigen Eiſenrohre hinabgeriſſen, an deren Fuß die Turbinen räder ſigen , und unten angekommen , waren ſie gefangen .
Es blieb
ihnen nichts übrig, als Hand anzulegen und die ſchweren
Turbinen
räder drehen zu helfen .
Dadurch drehten ſich oben auch die Dynamos
und erzeugten Elektrizität, die auf mächtigen Kabeln überirdiſch nach den Großſtädten der nahen und fernen Umgebung geführt wird .
Dort
treibt ſie im raſchen Flug die elektriſchen Straßenbahnen, brennt in Hunderttauſenden
von
Lichtern ,
in
Tauſenden von Haushaltungen
und Küchen , treibt Hunderte von Fabriken . Als ich in Buffalo zum Hafen , zu den Fabriken fuhr und mich nach der die Straßenwagen befördernden Kraft erkundigte , war die Antwort „ Niagara “. Auf meine Frage nach dem Elektrizitätswerke, das die Myriaden von Glühlichtern der Rieſenſtadt und die Betriebe der Tauſende von Fabriken ſpeiſte ,
hieß es , es läge am Niagara.
In
Tonawanda, St. Catherines, Lockport, und wie die Städte im Umkreis von Hunderten Kilometern vom Niagara alle heißen , überall iſt es die Araft des Niagara, auf Kabel gefaßt, in Akkumulatoren auſgeſpeichert, welche dieſe Städte erleuchtet, ihre Betriebe ſpeiſt, und ſie allmählich groß und reich machen wird. In Niagarafalls fand ich wohl die Hauptſtraße des einſtigen kleinen Städtchens wenig verändert und
mit ihren Hotels und Kaufläden
immer noch im Dienſte des Fremdenverkehrs, der ſich im Jahre auf eine halbe Million Möpfe beläuft. iſt eine induſtrielle Großſtadt
Aber rings um
entſtanden
mit
dieſen alten Kern
Rieſenbetrieben ,
welchen viele an Größe und Eigenart einzig daſtehen.
von
Im alten Hotel
Faltenbach empfing mich der biedere deutſche Beſiber wie einen alten Freund mit einer Herzlichkeit, gleichzeitig mit würdevoller
Genug
tuung , als wäre er der Niagarafall ſelbſt und als gelte mein Beſuch ihm.
Mein erſter Gang war natürlich ſchnurſtracks über die mit
Bäumen beſchatteten Grasflächen zu den Ufern des in Kaskaden zer
124
Der Niagara in Feſſeln .
riſſenen , in unſagbarer Wildheit weißíchäumenden Stromes, und dieſem entlang zu dem herrlichen Proſpektpark.
Immer dröhnender, immer
gewaltiger wurde das Rauſchen und Toben und Toſen, und als ich endlich entzüdt und ergriffen von der Großartigkeit dieſes Matarakten: tanzes an dem Ausſichtspunkte gegenüber der amerikaniſchen Fälle ſtand, da zeigten ſie ſich gerade ſo mächtig, ſo überwältigend ſchön wie jemals ! Was konnten auch dieſe erbärmlichen, unbedeutenden paarmal hundert tauſend Pferdefräſte dem Niagara antun ! Stunden verrannen , ohne daß ich mich von dieſem
im Laufe meiner
Amerikafahrten ſo oft geſehenen und mir immer wieder neuen Schau ſpiel losreißen konnte, Stunden , in denen ich alle alten Lieblings pläßchen und Ausſichtspunkte aufſuchte, Goats Jsland, The three Siſters Inſeln , Table Rod und wie ſie alle heißen mögen , jedem unvergeßlich, der ſie auch nur einmal geſehen hat.
Beinahe hätte ich darüber den
eigentlichen Zweck meines Beſuches vergeſſen, die großartigen, und im Vergleich zum Niagara doch ſo winzigen , unſcheinbaren Induſtrieanlagen zu beſuchen.
Vor allem die erſte Turbinenanlage, die im Jahre 1893,
als ich ſie gelegentlich meiner Chicagoer Ausſtellungsreiſe jah , noch un vollendet war, jene der Niagarafalls Power Company.
Ein
Viertel
ſtündchen Fahrt auf der vom Niagara geſpeiſten „ Elektriſchen “ brachte mich zu der neuen Stadt, die ſeither durch dieſe Kraftanlage allein in einem kleinen Jahrzehnt geſchaffen worden iſt, eine Stadt mit großen Fabriken , chemiſchen Werkſtätten , Rieſenbäckereien, Maſchinenanlagen, umgeben von den Wohnungen der Tauſende von Arbeitern , aber ganz ohne den ſonſt ſo unfehlbaren , zahlreichen Schloten entqualmenden ſchwarzen Kohlenrauch .
An Stelle
dieſer Schlote
traten
mächtige
eiſerne Ständer in unabſehbaren Reihen , über welche in der Höhe der Telegraphendrähte daumendicke Nabel gelegt ſind.
Ihnen entlang
läuft der elektriſche Strom nach den verſchiedenen Städten und Wert ſtätten . Nahe der ſchnurgeraden, nach Buffalo führenden Straße erheben ſich ein paar aus grauen Cuadern gebaute Häuſer, in welchen dieſe
Der Niagara in Feſſeln .
125
gewaltige elektriſche Araft, an hundertzwanzigtauſend Pferdekräfte, ent widelt wird. Die Geſellſchaft hat aber das Recht erworben, dem Strome Waſſer für die Erzeugung von zweihunderttauſend Pferdekräften zu entnehmen .
Dazu wurde von einem etwa drei Milometer oberhalb der
Fälle gelegenen Punkte ein mehrere Meter breiter Waſſerkanal zu den Turbinenwerken gegraben, ein kleiner Fluß, der in den Werken ſein Als ich dort meinen Erlaubnisſchein zur Beſichtigung
Ende findet.
vorwies, wurde mir ein Ingenieur zur Verfügung geſtellt.
l na Ka en nn
Bi
Er führte mich zu :
a Niagar Dyn H a a SAN mo- us
nächſt nach den 10 genannten
Wheels
pits , wörtlich „ Rad löchern " , an deren Grunde, ſechzig unter
der
60 Meter
Meter
Erde, ſich die Tur binenräder befinden . Es gibt wohl mit Ausnahme der Mi nen keinen
Indu
ſtriebetrieb, wo man jo tief unter der Erd
el
Tunn Haupt
Haupt- Tunnel 2200 Meter Länge.
Abfluss hunterhalb der Falle
oberfläche arbeitet. Turbinenanlage am Niagara. Dieſer Wheelpit iſt ein ſechs Meter breiter, hundertfünfzig Meter langer Einſchnitt, der ſechzig Meter tief aus dem harten Felſen gebrochen werden mußte. Vierundfünfzigtauſend Kubikmeter Felſen wurden außgehoben, um auf eine möglichſt große Tiefe für die Turbinenräder zu kommen , dann vertikale Eiſenrohre eingeſeßt , in welche das Waſſer aus dem vor genannten Kanal einläuft, um durch ſeinen tiefen Sturz an Kraft zu
126
Der Niagara in Feſſeln .
gewinnen .
In einem Aufzug jauſten wir durch die einzelnen Stod
werfe hinunter und gelangten unmittelbar vor den Turbinenrädern auf den Boden des durch elektriſches Licht erleuchteten Einſchnitts. In einer langen Reihe nebeneinander ſchwirren hier zehn mächtige Turbinenräder von je fünftauſend Pferdekräften
und
vier
kleinere
mit einer Geſchwindigkeit von fünf Umdrehungen in der Sekunde . Das bei jeder Turbine durch den vertikalen Schacht ſtürzende Waſſer wird durch ein ſtarkes finierohr nach ſeitwärts und aufwärts in die Schaufeln
oder Kammern dieſer horizontalen Mühlenräder gelenkt ,
und die entwidelte Kraft des Waſſers iſt ſo groß , daß die Turbinen räder mit ihren Wellen nicht auf ihren Lagern ruhen, ſondern , vom Waſſer getragen , gewiſſermaßen frei ſchweben .
Aus den
Turbinen
rädern fließt das Waſſer in einen Stollen , der fünfundjechzig Meter tief, zweieinhalb Kilometer weit unter der Stadt, durch den nadten Feljen gehauen werden mußte, um den Niagaraſtrom , dem es oberhalb der Fälle
entnommen
wurde, unterhalb
Ich ſah ſpäter die runde,
derſelben wieder zu erreichen .
ſieben Meter weite Öffnung tief unten in
dem vertikalen Feljenufer, aus welchem das Turbinenwaſſer in mäch tigem Bogen wieder ausſtrömt. Die ſtählernen Wellen, auf welchen die Turbinenräder fißen , reichen, durch Valslager feſtgehalten , durch alle Stockwerke der Wheelpits bis an die Oberfläche, d. h . bis in das Dynamohaus, und die mächtigen, die Elektrizität daß ſie vom
entwickelnden Dynamos ſißen auf dieſen Wellen , ſo
Waſſer gleichzeitig mit den Turbinenrädern in derſelben
Schnelligkeit gedreht werden . Wheelpits ſind die höchſt ganzen
jedem Rade
den einzelnen Stockwerken der
ſinnreichen
Betriebs angebracht .
namohauſe
In
Unten
Apparate zur Sicherung des an den Turbinen ſah ich
einen einzigen Arbeiter, und in dem kaum
bei
weiten , hellen Dy
ein halbes Dupend .
In der Mitte des Raumes
auf einer zwei Meter hohen Plattform
lenkt ein einziger Mann die
gewaltigen Ströme durch ein paar , einem Fingerdruck gehorchenden Hebel .
Die Einrichtungen auf dieſer Plattform ſind ſo einfach wie in
Der Niagara in Feſſeln .
127
einer gewöhnlichen Telephonſtation , nur daß die Abonnenten nicht Privatleute ,
ſondern Stadtverwaltungen und Fabriken ſind, denen
Stromportionen liefert werden .
im
Umfang von ein paar tauſend Pferdefräſten ge
Drückt der Aufſeher leicht an einem Hebel, ſo bleiben
in Buffalo alle Waggons der elektriſchen Straßenbahnen, in den Fabriken alle Maſchinen ſtehen.
Man kann ſich alſo die Verantwortung dieſes
Aufſehers, gleichzeitig aber auch die Sicherheitsvorrichtungen vorſtellen , welche hier notwendig ſind, um den fortlaufenden Betrieb zu wahren.
Dynamohaus der Elektrizitätswerke am Niagara. Hommt eine Turbine aus der Ordnung , jo kann ſie ohne weiteres ausgeſchaltet und repariert werden, ohne daß man die anderen abzu ſtellen braucht. Die Turbinengeſellſchaft war ihres Erfolges ſo ſicher, daß fie am Ufer des Niagaraſtromes eine Strede von über drei Kilometern , und daran ſchließend eine Fläche von etwa fünfhundert Hektaren erwarb , um ſie nach und nach zu quadratiſch geſteigerten Preiſen an Fabrik unternehmungen wieder zu verkaufen . ab .
Fnnerhalb weniger Jahre
Die Baupläşe gingen reißend
ſtand
auf der kahlen Fläche
ein
128
Der Niagara in Feſſeln .
halbes øundert Fabrifen der verſchiedenſten Art, und der Bedarf an elektriſcher Kraft war ſo groß ,
daß
die eine Turbinenanlage nicht
mehr ausreichte , und auf der anderen Seite des Waſſerkanals eine zweite mit elf werden muſste.
Turbinen
von je fünftauſend
Pferdekräften gebaut
Die Turbinenräder und die ganzen damit verbundenen
Apparate wurden merkwürdigerweiſe aus der Schweiz, von der Firma Eſcher, Wyß & Co. in Zürich, geliefert.
Keine amerikaniſche Firma
war in der Lage , dieſe Rieſenapparate ſo gut und billig zu liefern wie dieſe Schweizer Firma.
Bei anderen Kraftanlagen am Niagara
ſtammen die Turbinen aus þeidenheim in Württemberg. Den nächſten Tag widmete ich Ausflügen über die den Niagara überſpannenden großartigen Brücken nach der kanadiſchen Seite. auf dem
Dort,
Wege nach dem Indianerdorf Chippewa wollte ich meinen
alten Bekannten, Pater B. , beſuchen, deſſen kleine beſcheidene Miſſions ſtation St. Marmel ſich auf dem ſchönſten Punkte der ganzen Gegend befindet und von wo man den großartigſten Überblick über das über wältigend ſchöne Bild mit den Fällen , Inſeln , Parkanlagen und tojenden Mataraften genießt.
Als ich nach halbſtündiger Wagenfahrt
dort ankam , fand ich , daß die geiſtlichen Herren ſeit meinem
legten
Hierſein mit ihren Anlagen faſt ebenſo große Fortſchritte gemacht hatten , wie die Induſtrie.
Vor dem höchſt einfachen Häuschen mit
der als Wallfahrtsort dienenden Aapelle erhob ſich ein
mehrſtöckiger
Rieſenbau, der ſeiner Vollendung entgegenging, eine Erziehungsanſtalt für Mädchen , geleitet von Engliſchen Fräuleins , nahebei ein großes Pilgerhaus oder Hoſpiz, das nach Art der Pilgerhäuſer in Jeruſalem geführt werden ſoll und gewiß ſo viel Zuſpruch von Fremden finden wird wie jene; denn die Hotels in Niagara ſind mit Ausnahme des Kaltenbachichen recht teuer. Während ich das
in
der Welt einzig daſtehende großartige Bild
betrachtete, wurde ich durch eine ungemein heftige Detonation auſge ſchredt, als wäre irgend ein Pulverdepot in die Luft geflogen , und in der Tat fielen gleich darauf kleine Steinchen in meiner Nähe nieder.
129
Der Niagara in Feieln .
Der erſten Exploſion folgte eine zweite. iſt nichts ,"
meinte er , fie
ſprengen
Mein Führer lächelte.
„ Es
hier unten den Feljen für die
neue elektriſche Kraftanlage. "
„ Noch eine ?" ,,Eine ? Nein drei , jede mit einhundertundzehntauſend bis einhun dertundfünfzigtauſend Pferdekräften, zuſammen rund vierhunderttauſend. Eine engliſch- kanadiſche und zwei amerikaniſche Geſellſchaften haben die Konzeſſion dafür bekommen." Nun erblickte ich erſt am Fuß des bewaldeten Abhanges auf einem Boden , der erſt durch Eindämmung mittels Kaimauern dem Niagaraſtrom abgenommen werden mußte, die Vorarbeiten für dieſe foloſſalen Kraft entwidler und eilte hinab, um ſie in Augenſchein zu nehmen . Der große Felseinſchnitt für das kanadiſche Unternehmen
iſt bereits vollendet.
Fünfzig Meter tief und zehn Meter breit , lag dieſer mitten aus dem harten Felſen gehauene Einſchnitt in einer Länge von einhundertdreißig Meter unter mir ; an den ſenkrechten Wänden waren italieniſche Arbeiter mit der Mauerverkleidung beſchäftigt, und tief unten in dem finſteren Cañon , der mir in ſeiner Größe wie eine im
Laufe von Äonen durch
Waſſer eingeſchnittene natürliche Felsſchlucht erſchien , war man bereits an dem Einſegen von Maſchinen .
Die Turbinenräder und Dynamos
lagen unter großen Flugdächern , die rieſigſten , welche jemals her : geſtellt worden ſind , denn jedes Rad erzeugt eine Kraft von zehntauſend Pferdekräften ! Die wichtigſte Frage war die Ableitung des durch gewaltige Eiſenrohre auf die Turbinen ſtürzenden Waſſers nach ſeinem Verbrauch.
Die beſte Löſung war die Anlage eines Tunnels von
viereinhalb Meter Durchmeſſer auf fünfundjünfzig Meter Tiefe unter dem Flußbett des Niagaraſtromes in der Richtung nach dem Hufeiſen fall.
Bei einer Länge von ſechshundert Meter kommt ſeine Öffnung
gerade an den Fuß des Felsabhanges zu liegen , über welchen der Niagara ſeinen Sturz in die Tiefe unternimmt. Um das Fortſchaffen der aus dem Tunnel geſprengten Felsmaſſen zu erleichtern , mußte nahe Defie - Wartegs , Amerifa .
dem
Waſſerſturz zuerſt ein Schacht auf 9
Der Niagara in Fefjeln .
130
fünfundfünfzig Meter Tiefe gegraben werden, und von dort ein Stollen nach
dem Hauptabflußtunnel ,
ein zweiter um die Fälle herum im
Die Niagarafälle : Der amerikaniſche Fall von Goats Jsland aus geſehen .
Znnern des kanadiſchen Uferfeljens bis an eine Stelle unterhalb der Fälle.
In dem
Urfelſen direkt unter der Strommitte ſtießen dieſe
Eleftriſche Fabrifen am Niagara.
131
beiden Stollen aufeinander , und die ausgeſprengten Maſſen wurden nun durch den dritten
Stollen nach
dem
Fluß unterhalb der Fälle
geführt und dort in den toſenden Strudel geworfen. Auch oberirdiſch gibt es genug Schwierigkeiten zu überwinden , und es wird wohl noch Jahre dauern, ehe die drei Geſellſchaften ihre vier hunderttauſend elektriſchen Pferdekräfte über den Kontinent blitzen laſſen werden .
So zum Beiſpiel bildet in dem hier ſehr kalten Winter der
Sprühregen der Fälle im Gefrieren ſtellenweiſe hohe Eisberge , und die Ingenieure machen ſich darauf gefaßt, daß die Anlagen, nur wenig mehr als einen halben Kilometer von den Fällen entfernt, mit einer fünf Fuß hohen Eisdecke bedeckt ſein werden .
Ich hatte gefürchtet, daß
dieſe neuen Feſſeln , in welche der Niagara gekettet wird, das über alle Beſchreibung licherweiſe
großartige Naturbild
iſt dies nicht
der Fall.
beeinträchtigen
Glück
Aber mit der Verwertung des
Waſſerſturzes iſt ja erſt der Anfang gemacht . werden im
würden .
Geht es ſo weiter , ſo
nächſten Jahrzehnt ein paar Millionen Pferdekräfte dem
Niagara abgezwackt werden , und dann dürfte es mit der Schönheit der Niagarafälle allmählich zu Ende gehen .
12. Elektriſche Fabriken am Niagara . benjo intereſſant, wie die Kraftanlagen des Niagara, ſind auch die Fabriken , die ſie ſpeiſen, Fabriken , in denen die Elektrizität auch zu
chemiſchen Zwecken verwendet
wird.
So
ſtieß
ich
auf meinen
Spaziergängen durch dieſe ganz aus Fabriken beſtehende Stadt unter anderen auf ein großes Gebäude mit der Überſchrift: Pittsburg Reduction Company . wendung
Jm Innern wird ohne viele Arbeiter , dafür aber mit Vers von
Aluminium
fünftauſend Pferdefräſten gewonnen .
In
aus
dem
Elektrizitätswerk,
einer anderen Fabrik ,
der
Caſtner
Eleftriſche Fabriken am Niagara.
132
Electrolytic Alkali Company gehörig, wird auf elektrochemiſchem Weg direkt aus Salz kauſtiſche Soda gewonnen , und der Betrieb iſt ſo groß, daß er einen elektriſchen Strom von ſiebentauſendzweihundert Pferdefräften erfordert.
In einer dritten Fabrik der Acheſon Graphite
Company ſah ich, wie die Durchleitung eines elektriſchen Stromes durch gewöhnliche Steinkohle beſſeren und reineren Graphit erzeugt, als der aus den Graphitminen ſtammende, noch dazu zu halben oder ein Drittel Koſten.
Das Fabrikviertel des Niagara iſt eines der merkwürdigſten,
die es in dem wunderreichen Amerika gibt.
Denn ſtatt Qualm und
rauchiger Dämmerung, ſtatt rußiger Arbeiter in geſchwärzten
Fabrik
gebäuden ſah ich hier Anlagen ähnlich einer ſommerlichen Villenkolonie, umgeben
von Gärten und grünen
Niagara , überwölkt von
Raſenflächen , an den Ufern des
dem klarſten blauen kanadiſchen Himmel.
Statt der Arbeiter ſind die in Elektrizität umgewandelten Kräfte des Niagara hier tätig, und die wenigen Menſchen in dieſen villenartigen Fabrikgebäuden ſind nur da , um die unſichtbaren Gewalten zu leiten und Reparaturen auszuführen. ſtaunenswerteſten Arbeiten.
Dieſe elektriſchen Betriebe leiſten die
Das Zauberſtäbchen des Yankees läßt ſie
auch Stiefel und Nähnadeln , Schrauben oder Schachteln anfertigen, ja ſogar Brot backen !
Eine Zaubermühle, getrieben durch den größten
Waſſerfall der Erde .
Auf der einen Seite ſtedt man die Naturſtoffe
hinein, auf der anderen kommt ein wahrer Niagarafall an Semmeln, Biskuits, Stiefeln , Schachteln und tauſenderlei anderen Dingen heraus. Dann werden ſie verpackt und nach aller Weit zu billigen Preiſen verſendet.
In Europa nennt man dieſe Zaubermühle die „ amerikaniſche
Gefahr“ . Am intereſſanteſten war mir das elektriſche Brotbaden.
Auch eine
Zaubermühle der modernſten Induſtrie, wie ſie ihresgleichen ſucht.
Auf
meinen Spaziergängen durch die Stadt Niagarafalls kam ich zu einem mehrſtöckigen Palaſt, umgeben von Gartenanlagen und grünem Rajen . Wohl ein Muſeum oder eine techniſche Akademie oder öffentliche Bib liothek dachte ich .
Einzelne amerikaniſche Kröſuſje haben die Manie ,
133
Elektriſche Fabrifen am Niagara.
die Millionen, die ſie durch unlautere Börſenſpekulationen oder Truſt verbände den armen Leuten aus der Taſche ziehen , millionenweiſe für dergleichen herzuſchenken und dadurch in den Ruf von öffentlichen Wohl tätern zu kommen, während ſie meiſtenteils das Gegenteil find. Ich ſchritt über die breite Freitreppe zu dem mächtigen Glasportal empor.
3m Innern eine weite Halle mit weißen Marmor- und Onyr
wänden , der Boden mit ſchwellenden Teppichen bedeckt. Fauteuils
und
Diwane luden
unſerer vornehmen Hotels. zu einjam .
Lururiöſe
zum Sißen ein , wie in den Halls
Aber für ein Hotel war es hier zu ruhig ,
Ein junger Portier in Uniform erſchien und erkundigte
fich nach meinen Wünſchen.
Auf meine Frage, was das ſei , antwortete
er mir : ,, Dies iſt die Bäckerei der National Food Company“ . Ich glaubte nicht recht verſtanden zu haben . ,,Eine Bäckerei ? " fragte ich wieder.
„ Ja , wozu denn dann die feinen Möbel und Teppiche ? "
„ Für unſere Beſucher.
Wer die Niagarafälle beſucht, kommt auch
hierher, um die Bäckerei anzuſehen , oder einem Vortrag oder Konzert beizuwohnen .
Wir haben eine große Halle hier, wollen Sie ſich hinauf
bemühen ?"
,,Wo iſt denn aber die Bäckerei ? " Der Portier öffnete eine Tür im Hintergebäude und ich erblickte einen großen Saal , ſchneeweiß gehalten , mit vielen Fenſtern .
„ Das
iſt wohl die Konzerthalle, von der Sie ſprachen ?" „Nein .
Das iſt die Bäckerei.
Treten Sie näher.
Ich werde den
Direktor holen ." Der Direktor begrüßte mich und führte mich weiter.
Aus dem
Durchgang in den Saal tretend , ſah ich , daß er ganz mit Maſchinen gefüllt war , Maſchinen von vielleicht zwanzig Metern Länge und an ſcheinend
verzwickter Konſtruktion.
Alles
war
in voller Tätigkeit .
Räder ſchnurrten, über lange Reihen von Rollen liefen , wie ich glaubte, weiße Baumwollfäden.
Auf endloſen Bändern , einem wahren Laby
rinth , fuhren Pakete und pieredige Täfelchen hin und her oder nach den oberen Stockwerken , andere Paketchen famen von oben herunter,
Elektriſche Fabrifen am Niagara.
134
nichts als mechaniſche Einrichtungen wie in einer rieſigen Baumwoll ſpinnerei . ,,Sehen Sie ,"
erklärte
mir
der Direktor ,
die Menſchheit
allgemeinen verſteht nicht , Brot zu eſſen , die Bäder verſtehen Brot
zu
backen ,
die
Menſchen zu fördern . Semmeln ?
Schön .
Ärzte
verſtehen
nicht,
die
Was ejjen Sie für Brot ?
der
Laibe ?
Haben Sie beobachtet, wie dieſe Brötchen ge
backen , vor allem , aus was ſie gebaden werden ? Müller dem
nicht,
Geſundheit Ripfeln ?
im
Zuerſt rauben die
Weizen einen der nahrhafteſten Teile , die Hülſen , dann
zermahlen ſie den Weizen zwiſchen ſchmugigen Mühlſteinen , es kommen Staub und allerhand Unreinigkeiten unſauberen
Händen
dazwiſchen .
hinein , die Müller fahren mit
Beim Transport in
wird das Mehl noch weiter verunreinigt.
den Säcken
Nun kommen die Bäcker
mit Hefe und wer weiß was für fremden Stoffen , miſchen ſie unter das Mehl und kneten den Teig mit Händen , die auch nicht immer friſch gewaſchen werden.
Gar erſt der rußige Dien mit Rohlenſtaub
und Rauch und das Abgreifen der gebackenen Brote durch allerhand Hunden , wenn ſie ſich die braunen , knuſprigen Laibe ausſuchen ! Der Hauptübelſtand bleibt das unſinnige Entfernen der Weizenhülſen. Das wird bei uns vermieden .
Sehen Sie ſich unſeren Betrieb an !"
Ich wunderte mich , in den großen Räumen nicht ein Stäubchen Mehl zu ſehen , nicht die geringſten Spuren von Teig oder dergleichen. Alles war von der peinlichſten Sauberkeit , als wäre die Fabrik erſt heute morgen zum erſten Male in Gang gejekt worden .
„ Wir verwenden ja gar kein Mehl," klärte der Direktor auf. fuhren in die oberen Stockwerke.
Wir
„ Sehen Sie, hier von außen wird
der Weizen hereingebracht, ohne daß auch nur der Finger eines Arbeiters ihn berührt.
Alles mit Maſchinen , getrieben durch Elektrizität von
den Niagarafällen.
In dieſen großen Baſſins hier wird der Weizen
gewaſchen, mehrere Male, dann durch verſchiedene Prozeſſe von Stein chen und ſonſtigen Unreinigkeiten befreit . er feucht und weich aufbewahrt, bis er zum
In dieſen Kammern wird Backen komınt. “
Elektriſche Fabrifen am Niagara.
Wir fuhren
im
der aufgeweichte die Maſchinen. zermalmen
Lift wieder hinunter.
135
An unſerer Seite tollerte
Weizen durch shoots (Rohrleitungen ) abwärts auf Dieſe beſtehen aus Walzen und Sieben .
Die Walzen
die Weizenförner zu Brei , durch die Sieblöcher wird er
durchgedrückt und kommt in baumwollartigen dünnen Fäden zum Vor ſchein.
Sie
fallen
auf eine vielleicht zehn Meter lange Reihe von
kurzen Rollen , auf denen ſie durch die Rollendrehung weitergeführt werden .
Je weiter ſie kommen , deſto mehr kommen ſie aneinander,
bis ſie ſchließlich ausſehen wie eine armdicke, endloſe Baumwollſträhne zum Strumpfſtriden . Am Ende der Rollenreihe klappt ohne Unterlaß eine in zwölf Ab teilungen geteilte Form aus Draht über die des Weges kommenden Strähne , zwölf Stücke in der Größe eines länglichen Briefkuverts werden abgeſchnitten und von Formen geſchoben . in jeder Form .
einem
eijernen Daumen ſeitwärts in
Dreimal ſchieben , und ſechsunddreißig Stücke liegen
Das geht mit größerer Geſchwindigkeit vor ſich, als
ich es niederzuſchreiben vermag. Hier erſt kommen an Stelle der bisherigen ſtählernen Bäckergeſellen ſolche von Fleiſch und Blut in Tätigkeit, alle auſs ſauberſte ſchnee weiß gefleidet.
Flint faſſen ſie die gefüllten Forment und laſſen ſie
in einer Öffnung in der Wand verſchwinden .
Neben einer anderen
Öffnung, drei Meter von der erſten, ſtehen andere Bäderjungen und heben ohne Unterlaſ3 Formen wieder heraus .
Sie enthalten die ſchön
braun gebackenen Brötchen . Der Direktor gab mir eines zum
Hoften.
Es mundete mir ausgezeichnet, und ſeither ejje ich die Biskuits und Triskuits vom
Niagara, wo immer ich ihrer habhaft werden kann .
Lauter knuſprige, appetitliche Kruſte, die zwiſchen den Zähnen zerbröckelt, auf der Zunge ſchmilzt. Am merkwürdigſten iſt der Backofen .
Gewiß
kennt jeder Lejer
wenigſtens aus Abbildungen , wenn nicht aus perſönlicher Erfahrung die großen Ferrisräder, welche auf den Weltausſtellungen von Paris, Chicago und St. Louis zur Unterhaltung der Beſucher aufgeſtellt waren
Elektriſche Fabrifen am Niagara .
136
und hoch über alle anderen Gebäude hinwegragten , Räder von Turms höhe , ſenkrecht aufgeſtellt wie ein Wagenrad .
An
jeder der rieſigen
Speichen hängt ein kleiner Eiſenbahnwaggon mit Sizplägen .
Man
zahlt ſeinen Frank oder Vierteldollar an der Kaſſe und ſteigt ein . Sind ein paar Waggone voll, ſo wird die Maſchinerie in Bewegung geſetzt und das Rad führt die Jnjaſſen der Erdenwelt im freiſe hoch durch die Lüfte.
Unten ſteigt man wieder aus.
Der Backofen am Niagarafall beſteht aus einem ſolchen , freilich nicht ſo großen Ferrisrad.
Statt der Waggone ſind an jeder Speiche
große flache Drahtkörbe aufgehängt.
Auf der einen Seite werden
die Formen mit den Broten eingeſtellt, durch das fortwährend in Drehung befindliche Ferrisrad im Kreis
herumgeführt und in der
unteren Hälfte der durch Elektrizität erzeugten Hiße ausgcſept.
So
geht es ein paarmal im Kreiſe, und ſind die Brote braun, ſo werden die Formen von den Bädern einfach abgehoben .
Noch ein anderer
Ojen iſt vorhanden , wo die Formen langjam durch die Hiße geführt iverden, wie Bamino und Pamina durch das Feuer. Und weiß man , wie viele Brote jo gebaden werden ?
Dreihundert
Millionen im Jahre, cine Million an jedem Arbeitstage ! Die fertigen Brötchen werden von den ſchneeweißen Bäckerjungen auf ein endloſes breites Band gelegt und von dieſem ruhig , ohne Unter laß, nach dem
anderen Ende des Saales geführt.
der Bäckerei.
Dort figen zu beiden Seiten des endloſen Bandes, wie
Dort iſt der Harem
zu den Seiten eines Tiſches mit ſich fortbewegender Platte , an die dreißig
ſchneeweiß
gekleidete
Stockwerk wieder auf
einem
Fräulein.
Jede
erhält
vom
oberen
endloſen Bande viereckige Schachteln
herunter, ſie füllt eine nach der andern flink mit Brötchen , die ſie von dem fahrenden Tiſche nimit, und legt die verpadten Schachteln in die Nübel oder Schaufeln eines dritten endloſen Bandes , das ſie ins erſte Stockwerk bringt. Folgen fallen
wir
dieſem Strom
die Schachteln
gebackener Brötchen hinauf.
auf einen großen Tiſch,
auch umgeben
Oben von
Elektriſche Fabrifen am Niagara.
weißen Bäckerjungfrauen.
137
Mit flinken Händchen klappen ſie die Enden
der Schachteln zu , kleben Vignetten darüber und legen ſie in Riften . Eins, zwei, drei, ſind die Kiſten zugenagelt, mit Adreſſen verſehen und auf mechaniſchem
Wege auf die bereitſtehenden Wagen verladen.
So werden täglich Tauſende von Kiſten in die Welt verſandt, auch nach Europa, denn die Vrote halten ſich beſſer als Karlsbader Zuckeroblaten oder Bajeler Leckerli. Dieſe wenigen perſonal .
Jungen und Mädel
bilden
das
Hauptarbeits
Auf jeden Arbeiter entfallen ein paar tauſend Brote täglich.
Daraus kann
man ſehen , was
die Elektrizität im Verein mit den
Maſchinen macht und was für ein kluger Gedanke es ſeitens der amerikaniſchen Schaggräber war, ihr Zauberſtäbchen über die Niagara fälle zu halten. Vor dem Abſchied führte mich der Direktor noch in das Unter geſchoß.
Dort zeigte er mir Badeeinrichtungen , die für unſere großen
Kurorte muſtergültig ſein würden – Sammern mit weißen Marmor wänden und Marmorwannen , Duſchen und glänzenden Meſſinggriffen für kaltes und warmes Waſſer. Ich dachte mir, die Unternehmer wollten den Kaum
für ein öffent
liches Niagarabad aušnügen , wo die vornehmen Beſucher der Fälle, die bereits von dem
Sprühregen häufig genug eine Duſche ihrer Klei
dung bekommen, ſich auch ohne Kleidung in Niagarawaſſer gegen ſo undſoviel duſchen können. „ Onein," Arbeiter.
lachte der Direktor ,
das ſind die Bäder für unſere
Hier müſſen ſie ſich baden und in weiße Kleider umkleiden ,
bevor ſie zur Arbeit gehen ! "
Alle Räume des ganzen Bäckerpalaſtes ſind elektriſch erleuchtet, im Winter elektriſch geheizt und durch Telephone miteinander verbunden . Die Länge aller Drahtleitungen erreicht vierhundertachtzig Kilometer, die Zahl der Fenſter iſt achthundertvierundvierzig und die Herſtellungs koſten des Baues belaufen ſich auf acht Millionen Mark, von denen eine halbe Million auf die Toilette- und Baderäume entfallen .
138
Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe .
Derlei induſtrielle Märchen , bei denen die Waſſerfeen der Niagara fälle ihre Hand im Spiele haben , könnte ich noch viele erzählen.
rese
13. Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe. uch Amerika iſt ein Reich, in welchem die Sonne nicht untergeht. Verſchwindet das mächtigſte der Geſtirne unter dem Horizont, dann flammen in allen Städten , auf allen Bahnhöfen , in allen Fabriken , Theatern, Reſtaurants, auf den Straßen und im Innern der Häuſer andere Sonnen auf und verwandeln die Dunfelheit in ein Meer von Licht.
Die Elektrizität iſt es , welche jenſeit der Atlantis viel mehr
als ſonſtwo in der Welt zur Nachtzeit die Rolle der Sonne über : nimmt .
Ja , ſie iſt in vieler Ýinſicht mehr geworden als dieſe :
fie
gibt Kraft und Schnelligkeit, ſie hat den arbeitenden Menſchenmaſſen das Werkzeug entwunden , ſie
iſt zum
Arbeiter geworden .
Immer
mehr übernimmt ſie drüben auch die Stelle des bisher vornehmſten Krafterzeugers, des Dampfes , und ſtellt ſich in den Dienſt des allge meinen Verkehrs zu Lande wie zu Waſſer.
Sie verrichtet viel größere
Arbeiten als der Dampf und läſst ſich ebenſogut für die feinſten und zarteſten verwenden; ſie dringt immer mehr in das tägliche Leben , die täglichen Bedürfniſſe der Menſchen ein , iſt auf der Straße , in den Induſtrievierteln gerade ſo gut zu finden wie in den Haushaltungen. Rein Land ſteht ſo ſehr im Zeichen der Elektrizität wie Amerika .
Sie
hat das ganze Geſchäfts- und gewerbliche Leben der Amerikaner um gedreht und in andere Bahnen gelenkt.
So iſt beiſpielsweiſe die Eiſen
und Stahlinduſtrie die weitaus größte der amerikaniſchen Induſtrien, doch iſt ihre Entwicklung und heutige machtgebietende Stellung durch nichts ſo ſehr beeinflußt worden wie durch die Schaffung und Verwen dung der elektriſchen Kraft. Alles das iſt das Ergebnis einer kurzen Zeitſpanne , kaum andert halb Jahrzehnte!
Als ich
im
Jahre 1890
das größte
Induſtrie
Die Werke von Edijon und Weſtinghouſe.
139
emporium Amerikas , Pittsburg , beſuchte, erhielt ich durch die Sandels kammer ein ſehr intereſſantes Wert über die dort vertretenen und zur Blüte gelangten Induſtrien .
Die Elektrizität war darunter noch gar
nicht erwähnt ! Schon in den folgenden drei Jahren nahm ſie einen ungeahnten Aufichwung, und auf der Weltaus ſtellung von Chicago im Jahre 1893 war ſie bereits durch nahe an fünfhundert Ausſteller vertreten ,
während
Frankreich deren acht undneunzig , England achtzehn und Deutſch land zählte .
fünfundvierzig Dennoch war
qualitativ die deutſche elektriſche
Abteilung
die weitaus bedeutend ſte und das von Sie mens u . Halske aufge ſtellte
Dynamo
von
tauſend Pferdekräften und der Scheinwerfer gehörten zu den größten
Copyrighted 1906 by Byron, N.Y. Ediſon in ſeinem Laboratorium .
Wundern der Ausſtel lung, während die Amerikaner nur wenig von Bedeutung, was Kraft maſchinen betrifft, aufzuweiſen hatten.
Von da an aber datiert die
Entwidlung der elektriſchen Induſtrie bei den Amerikanern in Be : zug auf Krafts, Transport- und Arbeitsmaſchinen in einer Weiſe, die
140
Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe.
man niemals für möglich gehalten hätte.
So Ž. B.
gab es 1887
nur fünfzig engliſche Meilen elektriſcher Bahnen ; 1894 erreichte die Meilenzahl bereits zwölftauſend , heute dürfte ſie fünfzigtauſend über : ichritten haben !
Eine Reihe von Eiſenbahnlinien bedient ſich heute
elektriſcher Lokomotiven , in den meiſten Großbetrieben der Induſtrie iſt Elektrizität eingeführt, cine große Zahl von Bergwerken verwendet ſie zur Gewinnung und zum Ausheben der Erze , mit jedem
Jahre
entſtehen immer größere Kraftmaſchinen , und die Elektrizitätswerke Amerikas ſind auf lange Zeit vollauf beſchäftigt, während überall neue Werke entſtehen . Das beſte Beiſpiel der Entwidlung dieſer jungen Induſtrie bilden die Elektrizitätswerke Weſtinghouſe in Pittsburg und die General Electric Company in Schenectady im Staate New York, deren Haupt begründer Ediſon iſt. Die Weſtinghouſe -Werke wurden erſt vor zwei Jahrzehnten
gegründet
und
beſaßen damals
zweihundert Arbeiter.
Heute zählen ſie in Pittsburg allein neuntauſend Arbeiter und in den Zweigfabriken in Cleveland, tauſend .
New
Dazu kommen die Weſtinghouſe -Werke in Mancheſter, welche
innerhalb eines Jahrzehnts die Die
York und Pittsburg weitere drei
Werke
der
General
größten
Electric
Englands
Company
ſind
geworden kaum
älter
ſind. als
jene von Weſtinghouſe , und heute zählen ſie in Schenectady allein zehntauſend Arbeiter, in Lynn fünftauſend, in þarriſon zweitauſend, zuſammen ſiebzehntauſend.
Dabei iſt die Arbeiterzahl bei der erſtaunlich
vervollkommneten Verwendung der elektriſchen Kraft an Stelle von Menſchenkraft in dieſen Werken gar kein Maßſtab mehr. tauſend Arbeiter
repräſentieren
in
Wirklichkeit
Die ſiebzehn
die dreifache Zahl !
Während die Schenectady -Werke hauptſächlich durch die Verſchmelzung dreier großer
Geſellſchaften , der Thomas Houſton ,
der Thompſon
Houſton und der Edijon Electric Company hervorgegangen ſind, bilden die Weſtinghouſe - Werke das Ergebnis
der Tätigkeit eines einzigen
Mannes, eines Rieſen der Induſtrie, Georg Weſtinghouſe. Wie die Mehrzahl der erfolgreichen Größen Amerikas auf dieſem
Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe.
141
Gebiete, ſo war auch Weſtinghouſe der Sohn armer Eltern und begann jeine Laufbahn ſelbſt als Arbeiter in der Maſchinenwerkſtätte ſeines Vaters.
Heute iſt er vielfacher Millionär und Leiter von dreißig
Geſellſchaften mit einem Geſamtkapital von tauſend Millionen Mark . Seine erſte Erfindung war die Luftbremſe für Eiſenbahnen, die heute in der ganzen ziviliſierten Welt eingeführt iſt.
Als er ihre
Fabrikation
begann, machte er täglich zwei Stüc , heute werden in ſeinen Werken zwei Luftbremſen in jeder Minute hergeſtellt, über eine Drittelmillion im Jahre .
Anderthalb Millionen davon ſtehen augenblidlich auf den
Eiſenbahnen der Welt im Gebrauch, und vor wenigen Jahren gab Rußland Weſtinghouſe einen Auftrag für Laſtzugbremſen im Betrag von acht Millionen Mark !
Ein anderer Mann wäre mit dieſem einen Erfolg zufrieden geweſen und hätte ſeine Reichtümer in Frieden verzehrt.
Weſtinghouſe wandte
ſich ſofort weiteren Erfindungen zu und ſchuf mit wechſelnden Erfolgen den nach ihm benannten mit
elektriſchem
Eiſenbahnſignal-
und
Weichenſtellapparat
Betrieb , der wohl ebenfalls die Runde um
die Welt
machen dürfte, wie er bereits in Amerika allgemein eingeführt iſt. Statt mit Hebeln oder Kurbeln zu arbeiten, drücen die Weichenſteller einfach auf einen elektriſchen Knopf , als würden ſie einen Kellner herbeiklingeln, und die Arbeit iſt getan .
fm Hauptbahnhof von Boſton
waren beiſpielsweiſe einundfünfzig Mann an dreihundertfünfzig þebeln tätig , um die Arbeit zu bewältigen.
Mit den Weſtinghouſeſignalen
erfordert ſie nur ſieben Mann . Gleichzeitig damit warf ſich Weſtinghouſe auf die Elektrizität und verſuchte mit Erfolg, fie in allen Zweigen der Induſtrie und des Verkehrslebens zur Einführung
zu bringen.
Dazu ſegte er ſich beiſpielsweiſe mit den umfangreichſten Lokomotiv werken der Erde, jenen von Baldwin in Philadelphia , in Verbindung und gemeinſchaftlich fabrizieren ſie elektriſche Lokomotiven nicht nur für oberirdiſchen , ſondern auch für Minenbetrieb. kaniſchen Minen ſind Qualm und gleichzeitig
Aus vielen ameri
und Stidluft großenteils verſchwunden ,
damit iſt auch
eine
beträchtliche Betriebserſparnis
112
Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe.
eingetreten .
Die Stoſten für die Tonne
belaufen
ſich
bei
Maul
tierarbeit auf vierzig Pfennige, bei elektriſchen Lokomotiven auf ein Zehntel davon , d. h . auf vier Pfennige! auf
die Erzeugung
der
Dann warf ſich Weſtinghouſe
größten Turbinen
und
eleftriſchen Kraft
maſchinen – Generatoren von zehntaujend Pferdefräſten, Converters von tauſendfünfhundert Milowatt, kräften !
Turbinen
von zehntauſend Pferde
418 ich die Werfe vor einigen Jahren beſuchte , war man
dort eben beſchäftigt, die Rieſenkraftmaſchinen für die New Yorker Unter grundbahn , die New Yorker elektriſche Stadtbeleuchtung , Brooklyner Straßenbahnen und eine Menge anderer Unternehmungen der größten Art herzuſtellen, mit zuſammen einer Million Pferdekräften ! In der geſamten deutſchen Induſtrie, der zweitgrößzten der Erde , ſind zehn Millionen Pferdekräfte tätig .
Ebenſo wird in den Laboratorien der Weſtinghouſeſchen Werke uns abläſſig daran gearbeitet , menſchliche Kraft durch elektriſche in allen Induſtriezweigen mittels neuer Apparate und Einrichtungen zu erſetzen , und Weſtinghouſe ſelbſt arbeitet in ſeiner Privatwerkſtätte daran . Heute gibt es in der ganzen Gijen- und Stahlinduſtrie Amerikas faum eine Vorrichtung, bei welcher nicht Elektrizität verwendet würde , und Werke ohne die möglichſt weitgehende Inanſpruchnahme dieſer geheimnisvollen Nraft werden heute in Amerika gar nicht mehr als vollwertig ange ſehen .
In einem Schienenwalzwerke beiſpielsweiſe verrichtet die Elektri
zität die ganze Arbeit , führt die weißglühenden Stahlblöcke an einem Ende
der langen
Walzmühlen
Reihe von
ein
und bringt ſie am
anderen Ende als fertige Schienen wieder zum Vorſchein , ohne daß die Arbeiter anderes zu tun Drittel der Arbeiter werden gleichzeitig um
hätten in
als Snöpfe zu
dieſem
drücken .
Zwei
Werke erſpart , die Leiſtung
vierzig v . v . vergrößert !
Die Weſtinghouje - Werke in Oſt- Pittsburg ſind eine Sehens würdigkeit Amerikas. Kings umgeben von kahlen graubraunen Hügeln ziehen ſich anſchließend an ein fünfſtöckiges Fabrik- und Direktionsa gebäude ſieben Hallen
dem
Fluß entlang , den Anlagen einer Aus
Die Werfe von Edijon und Weſtinghouſe.
143
ſtellung nicht unähnlich, jede zwanzig bis dreißig Meter breit und bis zu einem halben Kilometer lang .
3m Direktionsgebäude befinden ſich
die Bureaus und Laboratorien von einigen hundert jungen Ingenieuren , welche hier die Zeichnungen der Maſchinen auszuführen , alte Maſchinen zu verbeſſern , neue Erfindungen für den praktiſchen Gebrauch umzu arbeiten haben , alles unter der Leitung von Weſtinghouſe.
Er ſelbſt
II
Ein Maſchinenſaal in den Weſtinghouſe -Werfen in Pitisburg. braucht gar nicht zugegen zu ſein . Sein lururiöjer Salonwagen ſteht auf dem Bahnhof ſtets bereit , und die halbe Zeit verbraucht er auf der Fahrt nach New
York , Cleveland oder ſonſt
Gegenwart erforderlich iſt. ein Ingenieur.
Mit ihm
wohin ,
wo ſeine
reiſen ſtets ein Sekretär und
Während der Fahrt erledigt er ſeine Korreſpondenz,
prüft neue Erfindungen , bringt ſeine eigenen zu Papier , und ſeine Begleiter teilen die Ergebniſſe mit den erforderlichen Aufträgen dem Þauptbureau mit.
Wenn
Fabrikanten neue Patente zum Ankauf an
Die Werke von Ediſon und Weſtinghouſe.
144
geboten werden , dann entſcheiden ſie ſich dafür oder lehnen ſie ab. Weſtinghouſe kauft das meiſte und läßt die Batente dann durch ſeine Leute umarbeiten und praktiſch anwendbar machen .
Der enthuſiaſtiſche
Nikola Tesla beiſpielsweiſe iſt ſein eifrigſter Mitarbeiter. hat die 3deen , Weſtinghouſe macht ſie ausführbar.
Tesla
So hat er bis
jeßt an fünfzehntauſend Patente erworben , und daß er damit gut ge tan, zeigt ſein bisheriger Erfolg . Dreihundert davon ſtellen ſeine eigenen Erfindungen dar. Sobald die Zeichnungen für die anzufertigenden Maſchinen vorliegen und geprüft worden ſind, werden ſie den Leuten der verſchiedenen Ab teilungen zur Ausführung übergeben .
Jede der zwölf Abteilungen
übernimmt die Arbeit jedoch nicht gleichzeitig, ſondern zu verſchiedenen Zeitpunkten , die möglicherweiſe ein halbes Jahr auseinanderliegen . In der Zwiſchenzeit werden andere vorliegende Arbeiten ausgeführt. An den feſtgeſeşten Tagen werden in den einzelnen Abteilungen die ihnen übergebenen Arbeiten begonnen , und ſo werden die verſchiedenen Maſchinenbeſtandteile eines Artikels in allen Abteilungen faſt gleich zeitig fertig .
Dann brauchen ſie nur zuſammengeſetzt zu werden .
Auf ſolche Art wird die Anhäufung fertiger Beſtandteile in den Ar beitsräumen vermieden . So dauert es beiſpielsweiſe bei vielen Maſchinen ſechs Monate, bis alle Beſtandteile in den verſchiedenen Abteilungen fertig ſind, aber auf der anderen Seite verlaſſen an jedem einzelnen Tage ſechzig fertige Motoren von je zweihundert Pferdefräften für elektriſche Straßenbahnen das Werk ! Die Anhäuſung von Maſchinen in den rieſigen Hallen iſt für den erſten Augenblick geradezu ſchwindelerregend
anſcheinend ein wildes
Durcheinander von Motoren und Arbeitsmaſchinen der verſchiedenſten Art wie in einer Maſchinenausſtellung , nur viel enger beieinander, dabei
faſt ohne Arbeiter.
Die halbkilometerlangen
Hallen
entlang
blidend , ſieht man einzelne Menſchen zwiſchen den Maſchinen ver ſtreut, aber nur wenige wirklich arbeiten .
In Wirklichkeit ſind dieſe
Maſchinen
dazu viele Hunderte von
viertauſend
an
der Zahl ,
Die Werke von Edijon und Weſtinghouſe.
145
Motoren - mit bewundernswertem Geſchid angeordnet. Seine Maſchine iſt der anderen im Wege, und die Motoren ſind hauptſächlich oberhalb der Maſchinen längs der Säulen und Wände angebracht, wenn ſie nicht in den Maſchinen ſelbſt ſteden . puſtender
Dampfmaſchinen ,
Ales : wird
Auffällig iſt die Abweſenheit
Transmiſſionswellen und
Treibriemen .
durch
Elektrizität
erſeßt,
ſogar der Transport der
großen ,
Connen
viele
ſchweren er
Gußſtahlſtücke
folgt durch elektriſche Krane, deren es eine ganze Menge Hoch
oben
gibt .
in
den
Hallen gewahrt man Gleisanlagen ,
auf
ſtarken Stahlträgern ruhend:
auf
Gleiſen
laufen
dieſen die
Stahlkrane hin und her ,
ſelbſt
wieder
Gleiſe tragend, auf welchen
der Quere
nach elektriſche
He George Weſtinghouſe.
belwerke laufen , um die an ihnen hängenden Laſten genau von einer Maſchine zur anderen auf den gewünſchten Platz zu bringen . können bis zu ſechzig Tonnen tragen .
Die ſchwerſten dieſer Arane Man muß es geſehen haben ,
mit welcher Leichtigkeit der Diogenes oben in ſeinem gläſernen Kranhauſe die größten Laſten hochhebt.
Ein Druck an einem Knopf, die zu hebende
Laſt hängt in der Luft . Ein zweiter Druck, Kran und Laſt laufen hoch Þeſie : Wartegg , Amerita . 10
146
Die Werke von Edijon und Weſtinghouſe.
über den Köpfen der Arbeiter weg , Ein dritter Knopfdruck ,
ein
die Laſt bewegt ſich ſeitwärts
auf eine Fingerbreite genau über dem geſtellt werden ſoll.
und bleibt
Platz ſchweben , wo ſie auf
Nun läßt der Zauberer oben das viele
wiegende Stück jachte
herab ,
die Tragketten
die Laſt ſteht genau an ihrem fährt mit ſeinem
paar hundert Meter weit.
beſtimmten
werden
Plat , und
Tonnen
ausgehängt, der Mann
Kran weiter durch die Halle ſpazieren, um eine neue
Laſt zu holen, ſo einfach und leicht, wie ein Briefträger Muſter ohne Wert befördert.
Iſt das ſchwere Gußſtück aus der Gießerei in die
Maſchinenhalle gebracht worden , ſo werden die Hebel- , Bohr- und Stemmaſchinen angeſetzt.
Mitunter iſt es bequemer , ſtatt die Laſten
zu den Maſchinen , die Maſchinen zu den Laſten zu transportieren. Dann läßt man zeitweilig gleich drei , vier oder mehr Maſchinen den Gußſtahlblock anbeißen wie Ameiſen einen Regenwurm .
Haben ſie
an einer Stelle ihre Arbeit fertig , ſo werden ſie an die nächſte geſchoben , denn ihr Mechanismus wird durch elektriſche Drähte getrieben . Motor haben ſie in ihrem Leib .
Den
Das erleichtert natürlich die Be
arbeitung ſolcher Mammutſtücke wie beiſpielsweiſe die Fünftauſend-Nilo watt-Maſchinen
für die New
Yorker Hochbahn.
Um ſie herſtellen zu
können, mußte in den Weſtinghouſe - Werken eine neue Halle von drei undzwanzig Metern Höhe erbaut werden , um ſie transportieren zu können , neue Eiſenbahnwaggons. jat zu
den
Das zeigt , wie die Amerikaner im
Engländern ſich den
Erforderniſſen
Gegen
anſchmiegen !
Um
Menſchen zu ſparen , Arbeiter, Laufburſchen u . ſ . w ., ſind in den Weſting houſe-Werken
einige hundert Telephone, außerdem
welche die einzelnen
Hallen miteinander
Röhrenleitungen,
und mit dem Direktions :
gebäude verbinden . Durch dieſe werden auf pneumatiſchem Wege Briefe und Zeichnungen befördert . Die größten Werke zur Übertragung elektriſcher Ströme, die Weſting houſe bis jetzt ausgeführt hat , ſind jene an den Niagarafällen, mit elf tauſend bis zweiundzwanzigtauſend Volts , dann in Canyon Ferry am
Miſſouriſtrom , wo die Miſſouri Power Company Kraft zu fünf
147
Die Werfe von Ediſon und Weſtinghouſe.
undfünfzigtauſend Volts über eine Entfernung von ſiebzig Meilen leitet, und in Shawiniganfalls in Ontario , mit fünfzigtauſend Volts über neunzig engliſche Meilen . Von ähnlicher Größe wie die Weſtinghouſe-Werfe ſind, wie bereits geſagt , jene der General Electric Company in der alten hol ländiſchen Stadt Schenectady im Staate New York, wo die Fälle des Mohawk, eines Nebenfluſſes des Hudſon, zur Arafterzeugung verwendet werden .
Schenectady war übrigens auch der Endpunkt der Albany
Eiſenbahn , der erſten in Amerika , und am 3. Auguſt 1831 fuhr der erſte Eiſenbahnzug mit Paſſagieren hier ein . vierhundertfünfzigtauſend
Kilometer
Heute hat Amerika
Eiſenbahnen ,
und
gerade
die
Schenectady- Werke ſind es, welche in der Lieferung elektriſcher Loko motiven allen anderen Werken vorangehen. davon zweihundert hergeſtellt !
In jedem Jahre wurden
Die erſten fanden auf der Baltimore
und Ohiobahn Verwendung , und eine große Zahl wurde auch für die New Yorf-Zentralbahn gebaut.
An elektriſchen Lokomotiven für Berg
werke hat die General Electric Company bis jegt an neunhundert ge liefert !
Welche Maſſen von Maſchinen und Apparaten aus dieſen
Rieſenwerken hervorgehen , kann man ſchon daraus entnehmen , daß in dem
ſechsſtödigen Officebuilding, allein ſchon ſo groß wie eine mäch
tige Fabrit, dreihundert Zeichner fortwährend tätig ſind .
In jedem
Jahre werden an fünfundzwanzigtauſend neue Zeichnungen und Pläne angefertigt und in dein Blue print Department werden ſie zuſammen in einer Million Exemplaren jährlich vervielfältigt . In einer Seitenhalle der Eiſengießerei ſind über hundert Form maſchinen in täglichem Gebrauch, und wöchentlich werden hier Eiſen ſtüde von zuſammen ſechshundert Tonnen gegoſjen.
Tauſende von
elektriſchen Maſchinen , dazu Dußende von Kranen bis zu einer Hebe kraft von fünfzig Tonnen ſind in den Maſchinenwerkſtätten an der Arbeit.
Die größten Stücke, die bis jeßt hier, wie überhaupt in der
Welt hergeſtellt worden ſind , bilden die Generatoren von zehntauſend Pferdefräften für die Kanadiſchen Kraftwerke am Niagara , die in der
Die Werke von Ediion und Weſtinghouſe.
148
Minute zweihundertfünfzig Umdrehungen machen , eine ungewöhnlich große Schnelligkeit für jo rieſige Maſchinen. Die größten Dimenſionen hatte ein für die Philadelphia - Elektrizitätsgeſellſchaft gelieferter Generator von fünftauſend Nilowatt, nämlich elf Meter Durchmeſſer! Auch Dampf turbinen werden in Schenectady maſſenhaft erzeugt. herige
hatte
ſiebentauſendfünfhundert
Die größte bis
Pferdekräfte , doch
ſind
noch
größere projektiert. Außerdem fabriziert Schenectady eine Menge anderer Artikel , die mit der Elektrizitätsverwertung zuſammenhängen , ſogar Kabel und Drähte, alles mit den finnreichſten Maſchinen.
So 3. B.
wird der Hautſchuf zum Überzug der Kabel in Streifen geſchnitten und um die Kabel gelegt mittels Maſchinen , die eine Leiſtungsfähig keit von einhundertfünfzig Milometer die Woche beſigen ! Höchſt intereſſant iſt auch das Gebäude , in welchem die fertigen Maſchinen und Beſtand teile verpackt und verſchifft werden .
Jährlich werden ungefähr vier
bis fünfhunderttauſend Kiſten und Pakete , im Gewicht von wenigen Gramm bis zu fünfzig Tonnen , und im Geſamtgewicht von einhundert zwanzigtauſend Tonnen in alle Welt verſchickt.
Dazu ſind über zehn
tauſend Eiſenbahnwaggons erforderlich, in je drei Tagen hundert! Über die Vollkommenheit der Betriebe , wie über die techniſchen Leiſtungen der beiden geſchilderten Elektrizitätswerke iſt ſich wohl alle Welt einig . zu wünſchen
Leider läßt zuweilen die geſchäftliche Verwaltung vieles übrig.
Wie
in
jo
manchen
anderen
amerikaniſchen
Induſtriezweigen ſind die Betriebe viel zu ſehr mit dem
Bankweſen
und der Spekulation verquidt worden , gewiſſenloſe Börſenſpekulanten mengten ſich hinein, verwäſſerten die Aktien und zogen durch ihre uns lauteren Machenſchaften den Unternehmungen den feſten Boden unter ihren Füßen fort .
Hoffentlich dienen die Kataſtrophen neuerer Zeit
dazu, die geſchäftlichen Zuſtände zu beſſern, und beſonders die elek triſche Induſtrie wird binnen kurzem ſtieg fortſegen .
wieder ihren mächtigen
Für die zahllojen Kunden
der amerikaniſchen Glet
trizitätsgeſellſchaften in aller Welt wird deren eine Lehre ſein .
Auf
Unſicherheit indeſſen
Mehr als bisher werden ſich die fremden Märkte
149
Rodefeller und der Öltruſt.
der deutſchen elektriſchen Induſtrie zuwenden, die in keiner Weiſe der amerikaniſchen nachſteht, ſie in vieler Hinſicht, wie ſelbſt amerikaniſche Fachleute zugeben, übertrifft, und wo zeitweilige Kataſtrophen nach Art jener von Weſtinghouſe im Jahre 1907–1908 kaum zu erwarten ſind.
14. Rockefeller und der Öltruſt. 18 man Rockefeller im Jahre 1907 die Nachricht überbrachte, daß
AA
er und ſeine Standard-Oil -Geſellſchaft zur Zahlung von hundert
zwanzig Millionen Mark verurteilt worden ſei , ſpielte er gerade Tennis. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, nahm er das Spiel wieder auf. Es konnte ihm ja gleich ſein .
Er mochte ſich denken, das Geld iſt ja noch
lange nicht bezahlt, und wird der Prozeß durch die verſchiedenen In ſtanzen geführt , ſo werden ſeine Rechtsanwälte ſchon einen Ausweg finden .
Und muß das Geld doch bezahlt werden , dann bringt ein
kleiner Aufſchlag der Petroleumpreiſe es in einem Jahre doppelt wieder ein . Werden doch in der Union jährlich an fünftauſend Millionen Gallonen Betroleum produziert.
Eine Preiserhöhung von einem Cent macht
ſchon zweihundert Millionen Mark im Jahre !
Warum ſoll man ſich
alſo wegen einer ſolchen Lumperei im Tennisſpiel ſtören laſſen ? Nichts kann den Pluto der Neuen Welt aus ſeiner Faſſung bringen . Richter Landes äußerte bei der Verurteilung , er bedaure, daß ſeine Befugniſſe ihm
nicht erlaubten , Leute wie Rockefeller ins Gefängnis
zu ſchiden, denn ihre Verbrechen wären ähnlich jenen von Falſchmünzern und Poſträubern . Der Vereinigte Staaten -Kommiſſar Smith beſchuldigte auf Grund der offiziellen Unterſuchungen die Standard -Oil -Geſellſchaft, durch kurzes Maß und andere Schwindeleien andauernd das Petroleum zu verteuern und durch die brutalſten Methoden jede Konkurrenz zu unterdrüden .
Auf dieſe Art habe die Geſellſchaft in den leşten vier
undzwanzig Jahren über dreitauſend Millionen Mark Reingewinn er zielt!
A18 man Rodefeller dieſe Berichte vorlegte , ſagte er einfach :
„No matter, but I have got the money
Aber ich habe das Geld ! "
150
Rockefeller und der Öltruſt.
No matter.
Es iſt ihm gleich , was man von ihm denkt, ſolange
er nur in jeinen Milliarden wühlen kann . anderen Schätungen ſogar vier beſitzen.
Er ſoll ihrer drei, nach
Er könnte die ganze Schuld
des Deutſchen Reiches bezahlen und immer noch hundertfacher Millionär ſein .
Er könnte den zweitreichſten Mann der Welt , Andrew Carnegie ,
zweimal auskaufen.
Ein reicher Bremer Handelsherr , mit
dem
ich
über Rockefeller ſprach , kennzeichnete ihn mit folgenden Worten : „Mein Geld würde ich ihm anvertrauen , brächte ich aber meine Hand nahe ſeinem
Mund, er würde mir einen Finger abbeißen .“
Niemals ſind ſo ungeheure Reichtümer auf jo rückſichtsloſe Art angeſammelt worden wie jene, mit welchen Rockefeller in das ganze Geſchäftsleben der Vereinigten Staaten eingreift.
Wohl iſt der größte
Teil ſeines Milliardenvermögens in ſeiner ureigenſten Gründung, dem Petroleumtruſt, angelegt, doch
beeinflußt er durch ſeinen Anteil an
großen Eiſenbahn- und induſtriellen Unternehmungen Schiffahrt, Hafen anlagen , Stahlwerke u.j. iv . derart , daß eine gerichtliche Verurteilung der Standard -Oil -Gefellichaft ſich auf dem amerikaniſchen Aktienmarkt , vornehmlich an der New Yorker Börje, in empfindlichſter Weiſe fühlbar machte.
Selbſt die europäiſchen Börjen hatten eine kleine Panit zu be
ſtehen .
Rockefeller iſt durch ſeine Milliarden eine Großmacht geworden .
Und diejer Pluto der Neuen Welt war noch in den Sechzigerjahren ein armer Junge , mit ein paar Dollars Wochenlohn ! Wie er es zuwege gebracht, ſich auf Koſten anderer Leute, Reicher wie Armer, der Freunde wie Feinde, zum reichſten Mann der Welt zu machen, ſagt die Geſchichte der Standard- Dil -Bejellſchaft. Gegen das Ende des großen Bürgerkrieges war Samuel Andrews , ein kurz vorher eingewanderter Schotte, Laſtträger in einem Produktengeſchäft
in
Cleveland ( Ohio) .
kleinen
Er hatte zeitweilig in den
Petroleumraffinerien der damals noch kleinen Stadt zit tun und er dachte ein Syſtem, die Reinigung des rohen Erdöls auf einfachere und billigere Art zu erzielen , als die damals gebräuchliche.
In ſeinem Ge
ſchäfte war der ſechsundzwanzigjährige John D. Rockefeller als Buch
151
Rockefeller und der Öltruſt.
halter angeſtellt.
Er war der Sohn eines Arztes, der, bald nachdem
ihm ſeine Frau zwei Söhne, John und William , geboren, nach Oswego im Staate New York zog . Schule.
Dort ſchickte er ſeine zwei
Söhne zur
Die einſtigen Schulfameraden ſchildern John als einen ſtumpf
jinnigen und ſchwerfälligen Jungen , arbeitſcheu und von wenig ein nehmendem Äußern . laſſen ,
Mit Mühe fand er, nachdem
eine Lehrlingſtelle
in
einem
er die Schule ver
kleinen Geſchäfte
in
Sharon
(Pennſylvanien ), die er nach einigen Jahren verließ, um nach Cleveland zu ziehen .
Dort fügte es der Zufall, daß Andrews, der Laſtträger
ſeines Geſchäftes, gerade ihm von ſeiner Erfindung Mitteilung machte und ihm vorſchlug, ſich mit ihm zu ihrer Ausbeutung zu vereinigen. Rodefeller leuchtete die Sache ein , und mit geborgtem Kapital gründeten die beiden jungen Leute eine kleine Erdölraffinerie nach ihrem neuen Syſtem .
Bald fanden die Ölproduzenten , daß die kleine Raffinerie
ihnen in der Tat Vorteile gewährte wie keine andere der beſtehenden , und das Geſchäft wuchs in ſolchem Maße, daſ Rockefeller ſeinen Bruder William veranlaſte , in die Firma einzutreten .
Die Raffinerie wurde
erweitert und gleichzeitig in New York ein Lagerhaus gegründet , um das raffinierte Öl an die Konſumenten zu verkaufen .
John erkannte
bald , daß mit der Ölraffinerie Millionen zu verdienen waren , wenn nur irgendwie werden
konnte.
Kapital zur Vergrößerung des Geſchäftes gefunden Abermals ſpielte der
Manne das Gewünſchte in die Hände.
Zufall dem unternehmenden Einer ſeiner Bekannten , Henry
M. Flagler, hatte eben geheiratet, und ſein wohlhabender Schwieger vater ſandte das junge Paar mit einigen tauſend Dollars nach Michigan, wo Flagler ein Holzgeſchäft gründen ſollte.
Rockefeller gelang es, den
alten Mann zu überzeugen , daß Flagler beſſer täte , ſich mit ſeinem Gelde an der Betroleumraffinerie zu beteiligen, und bald war Flagler mit einem Kapital von ſechzigtauſend Dollars Teilhaber an der Andrews ichen Geſellſchaft, die nun mit John Rockefeller als Präſidenten und einem Geſamtkapital von hunderttauſend Dollars den Namen Standard Dil Company annahm.
152
Rockefeller und der Öltruſt.
Schon damals war John Rockefeller die Seele des ganzen Unter nehmens , und er iſt es bis heute geblieben – ein wahrer Napoleon der Geſchäftswelt, deſſen Erfolg in der Geſchichte vielleicht unerreicht daſteht.
Andere Kröfuſſe der Vereinigten Staaten , die Vanderbilt ,
Aſtor, Goulet und wie ſie heißen mögen , haben zum Teil ihre Vermögen ererbt, zum Teil war es die enorme Preisſteigerung ihres Grundbeſiges, welche ihnen zu ihren ungezählten Millionen verholfen haben .
Rode
feller hat ſich ſein Vermögen ſelbſt geſchaffen. Er duldete keine Konkurrenz neben ſich, und trat ihm jemand ent gegen , ſo führte er den Kampf, mitunter ſelbſt große Verluſte erleidend, durch, bis ſein Gegner entweder beigab oder - ruiniert war. oder Brechen " ſchien ſein Wahlſpruch zu ſein .
,, Biegen
So gelang es ihm , eine
große Zahl von kleineren Raffinerien aus der Welt zu ſchaffen oder der Standard- Geſellſchaft einzuverleiben , und ſchon nach zehn Jahren beſaß ſein Unternehmen geradezu das Monopol der Erdölraffinerie. Außerdem ſchuf ſich die Standard -Geſellſchaft ihre eigenen chemiſchen Werke, Fabriken für Fäſſer, Zinnkannen und all das, was ſie für ihren Geſchäftsbetrieb bedarf. Die von der Standard Dil Company zum Verſand gelangenden Þetroleummengen waren ſo ungeheuer groß , daß die Geſellſchaft bei den Eiſenbahnen zu bedeutendem Einfluß gelangte und von dieſen viel niedrigere Frachtjäße erzielte als alle anderen Raffinerien. die
mächtige Pennſylvania - Eiſenbahn ,
Sogar
eine der größten Eiſenbahn
unternehmungen der Erde, mußte ſich vor dem ſtählernen Leiter der Standard -Geſellſchaft beugen und mit ihm einen Vertrag abſchließen, demzufolge ſie allen anderen Raffinerien doppelt ſo hohe Frachtfäße zu berechnen hatte als der Standard - Geſellſchaft. Als dieſer unwürdige Vertrag bekannt wurde, war die öffentliche Meinung ſo aufgebracht, daß Rockefeller ein anderes Mittel erſinnen mußte , ſeine Konkurrenten aus dem Felde zu ſchlagen.
Die Frachtfäße der Pennſylvaniabahn
waren von nun an wohl für alle Raffinerien der Öffentlichkeit gegen über dieſelben, doch mußte die Bahn der Standard -Geſellſchaft für alles
153
Rockefeller und der Öltruſt.
Öl , das ſie von anderen Raffinerien beförderte , einen hohen Rabatt zahlen.
Dieſer Vertrag blieb während einer Reihe von Jahren in
Kraft.
In ähnlicher Weiſe machte ſich Kodefeller auch alle anderen
großen Bahnlinien
dienſtbar,
denn
Monopolinhaber gegenüber hilflos.
ſie waren ja dem gebietenden Die Erie- Eiſenbahn
wurde
ge
zwungen, ihre früheren Verträge mit anderen Raffinerien zu brechen, nur
um
nicht
die ungeheuren Petroleumtransporte der
Geſellſchaft zu verlieren.
Standard
Welch rieſige Summen von dieſer Geſellſchaft
an dem vorgenannten Rabatt allein verdient wurden , geht daraus hervor , daß die Pennſylvania-Eiſenbahn für das von ihr innerhalb ſiebzehn Monaten transportierte Erdöl der Standardgeſellſchaft viele Millionen Mark Frachtunterſchied bezahlte. Auf dieſe Weiſe ſpielte ſozuſagen die Standard -Geſellſchaft mit den großen Eiſenbahnlinien bis zum Jahre 1880.
Schließlich hatte ſie
die Fradstjäşe jo tief heruntergetrieben, daß die Eiſenbahnen an dem Petroleumtransport keinen nennenswerten Gewinn mehr hatten und ſich gegen die Herrſchaft der Standard -Geſellſchaft auflehnten . Streit kam ihnen teuer zu
ſtehen.
Aber dieſer
Die Standard Dil
Company
kümmerte ſich nicht weiter um die Eiſenbahnen, ſondern baute eigene Röhrenleitungen von
ihren
in
verſchiedenen Städten
des Weſtens
gelegenen Raffinerien nach der Seeküſte und leitete ihr Rohöl ſowohl wie das raffinierte von nun an ſelbſt und mit noch viel geringeren Koſten auf die verſchiedenen Märkte.
Eine Röhrenleitung von nicht
weniger als fünfhundert Milometern Länge verbindet die Ölwerke von Olean mit dem nahe New York gelegenen Saddle River in New Jerſey . Eine zweite Leitung , vierhundertfünfzig Milometer lang , läuft von Colegrove in Weſtpennſylvanien nach Philadelphia.
Eine dritte, zwei
hundert Kilometer lang , von Midway in Pennſylvanien nach Baltimore; eine vierte, hundertſechzig Milometer lang, von Hiliards in Pennſyl vanien nach Cleveland am Eriefee; eine fünfte von Carbon Centre nach Pittsburg zur Verbindung mit
dem
Flußtransport
auf
dem
Ohio ; eine ſechſte Linie, von derſelben Länge, verbindet Fourmile im
Rockefeller und der Öltruſt.
154
Staate New York mit Buffalo ; und ſchließlich wurde noch eine drei hundertzwanzig Kilometer lange Röhrenleitung von Lima (im Staate Ohio) nach Chicago gebaut ! Diejes Tauſende von Kilometern umfaſſende, alle Großſtädte öſtlich des Miſſiſſipi miteinander verbindende Röhrenneß iſt Eigentum der National Tranſit Company, nur ein anderer Namen der Standard Dil Company.
Die genannten Leitungen ſind nur die wichtigſten, denn
außer ihnen gibt es noch andere von Tauſenden Kilometern Länge, welche die einzelnen Ölquellen mit den tanks ( Ölreſervoirs ) und den Raffinerien
verbinden .
Wo immer eine neue ergiebige Quelle ge
funden wird, ſind auch bald die Röhrenleitungen und die Tanks anges legt ; anderſeits verſiegen auch viele Quellen , und die Leitungen ſowie die Tanks ſind dann verloren.
Mit welchen Summen da gearbeitet
wird, mag die Tatſache zeigen, daß innerhalb einer Periode von fünf Jahren durch dieſes Verſiegen von Ölquellen zehn Millionen Dollars an Tanks und Leitungen verloren wurden ! Dennoch hat ſich das Syſtem der Standard Oil Company , das Erdöl ſelbſt durch Röhren zu leiten , ſtatt es den Giſenbahnen zum Transport zu geben , ſchon
im
erſten Jahre bezahlt gemacht, und ſeither ſind
damit viele Millionen Dollars erſpart worden .
Die Geſellſchaft be
ſißt in den Vereinigten Staaten allein neunzehn große Raffinerien, dazu andere kleinere in Mexiko, Kuba und Südamerika .
In eigenen
großen Fabriken macht ſie ihre Fäſſer, Zinnkannen, Röhren , Tants, ja
ſelbſt ihre Maſchinen ,
Mechaniker Amerikas .
iſt
größer
und die Zahl der von ihr beſchäftigten
als
die
der
größten
Eiſenbahngeſellſchaft
Für ihre auswärtigen Märkte in Europa, Aſien , Afrika
und Auſtralien beſitzt ſie gegen hundert überſeeiſche Petroleumdampfer, die fortwährend alle Meere befahren , dazu dreihundert kleinere Dampfer in den Vereinigten Staaten .
Überall , von Marokko bis nach Korea,
von Alaska bis Südafrika tritt ſie gebietend auf, überall hat ſie ihre Agenturen ,
und
in
ihre
Maſlen
fließen
alljährlich
Millionen , gewonnen in allen Ländern des Erdballs .
Hunderte
von
Rodejeller und der Öltruſt.
155
Aber auf das Petroleum allein beſchränkt ſich die Tätigkeit dieſer geradezu allmächtigen Geſellſchaft nicht. Der „ Brooklyn Daily Eagle" ſagt darüber : „Sie hat ihre Hand in einer Menge anderer Unter nehmungen , und viele Induſtrien , die ihre Intereſſen fördern könnten, werden von ihr insgeheim unterſtützt.
Ab und zu werden gewaltige
Mengen von Aktien an der Börſe für ihre Rechnung gekauft.
Dan .
O'Dell iſt ihr Banfier , aber häufig werden auch andere Bankhäuſer mit Aufträgen bedacht, um nicht ihre Karten zu offen zu zeigen .
Es
iſt unmöglich anzugeben , in welchen und in wie viel Unternehmungen die Geſellſchaft intereſſiert iſt, man glaubt aber, daß auch die National Linſeed Dil Company in ihren Händen ruht . Eiſenbahn ebenſo
die
wird
teilweiſe
großen
von
Die Northern - Pazifif
den Standardmagnaten
Gogebic- Eiſenminen
in
kontrolliert ;
Michigan , verſchiedene
Eiſenbahnen in der Umgebung New Yorfs, in New Jerſen, auf Staten Jsland u . . w .
Die Standard - Geſellſchaft wird ojt mit einem unge
heuren Oktopus verglichen , weil ſie ſo viele verſchiedene Unternehmungen und Induſtrien beherrſcht, und der Vergleich iſt ſehr zutreffend .“ Der Hauptſitz und die Hauptleitung der Geſellſchaft ſind in New York.
Von jedem in den Hafen der großen Metropole einfahrenden
Dampfer
kann
man
das
zehnſtöckige Gebäude
Company am unteren Broadway emporragen
der
ſehen .
Standard Dil Den Beſuchern
dieſes Petroleumpalaſtes wird wohl zunächit die merkwürdige Ruhe auffallen , die dort herrſcht und feltjam von dem
ſonſtigen tollen Ge
triebe der Broadwaypaläſte abſticht, als wäre der Sig der Standard Dil Company das Geſchäftshaus irgend eines konſervativen Groß kaufmannes in Amſterdam .
Die einzelnen Abteilungen der ganzen
ausgedehnten Verwaltung ſind in den verſchiedenen Stockwerken unter gebracht;
dazu auch
die Unzahl
von Geſchäften
und
induſtriellen
Unternehmungen , welche von der Geſellſchaft aufgekauft worden ſind. 3hren inneren Organismus haben diejelben beibehalten , ja ſogar ihre urſprünglichen Namen ſind auf kleinen Blechſchildern an den Türen zu leſen , nur die Eigentümer haben gewechſelt.
Smith oder Brown, der
Rocefeller und der Öltruſt.
156
frühere Eigentümer, iſt es in gewiſſem Sinne auch noch heute, aber er hat ſeine Intereſſen mit jenen der Standard -Geſellſchaft amalgamiert und
dadurch vielleicht
ſchon
gemeinſchaftlich, und Smith
Millionen
gewonnen .
Beide
arbeiten
oder Brown ſigt als Chef ſeiner A6
teilung mit im Direktorium der Geſellſchaft.
Jede Abteilung ,
Finanz
idejen , techniſche Leitung , Transportwejen u . 1. w . , hat ihre Vorſteher, durchweg
erfahrene ,
ausgezeichnete
Männer ,
die fich ausſchließlich
mit ihrem Reſſort zu beſchäftigen haben und ſich niemals in andere mengen. Die oberſte Leitung dieſes vielleicht reichſten und umfaſſendſten Privatunternehmens der Erde hat im neunten Stocwerk ihren Sit . In dem einfachen Sitzungsjaale kommen täglich zur Mittagszeit die Kröſuſſe der Standard Dil Company zuſammen, um die Berichte der verſchiedenen Abteilungschefs zu hören und Befehle
zu erlaſſen , die,
mit wenigen Worten geſagt, vielleicht Umwälzungen oder Geldgeſchäfte im Werte von Millionen bedeuten. Öffentlichkeit.
Aber ſie dringen niemals in die
Je nach den zu verfolgenden Zielen wird bald dieſe,
bald jene Geſellichaft in verſchiedenen Städten und mit verſchiedenen Namen als Unternehmer vorgeſchoben , aber hinter allen ſtedt als wirklicher Eigentümer und Leiter nur die Standard Oil Company . Mit unter werden ſie ſogar zum Schein gegeneinander ausgeſpielt, manche werden neu gegründet, andere verſchwinden , einzelne vergrößern fich, andere gehen anſcheinend abwärts, aber niemand , mit Ausnahme der Direktoren , kann ſagen, zu welchem Zwed .
Die betreffenden Firmen
wiſſen es häufig ſelbſt nicht. Geld verdienen ſie aber alle, denn die Stan dard Oil Company hat ſich als Goldgrube bewährt wie kein anderes Unternehmen des Erdballs.
Zunächſt für den eigentlichen Leiter, die
Seele des Ganzen , für John D. Rockefeller.
Er iſt ein einfacher,
unſcheinbarer Mann mit kaltem , hartem, fahlem , bartloſem Geſicht und kahlem
Kopf.
In
ſeiner
Kleidung
tauſend und mehr Beamten ab .
ſticht
er
von
keinem
ſeiner
Er bewohnt mit ſeiner Gattin, einer
früheren Schullehrerin aus Cleveland , ein behagliches Heim in der 45. Straße , lebt beſcheiden , um
nicht zu
ſagen färglich , und hat
157
Rockefeller und der Öltruſt .
nur wenige Freunde. Wie
In der Geſellſchaft iſt er niemals zu ſehen.
die meiſten anderen
Direktoren
der Standard- Geſellſchaft
iſt
er Baptiſt und hat bereits mehrere Millionen für die Mirchen und Miſſionen der Baptiſten geopfert.
Auch die vielgerühmte Gründung
der Univerſität in Chicago, für die er ebenfalls Millionen geſtiftet hat , iſt
eine baptiſtiſche.
John D. Rodefeller iſt heute ein Mann von etwa fiebenund: ſechzig Jahren, aber noch gerade ſo rüſtig und
tätig wie zur
Zeit, als er die Stan dard Dil Company gründete.
Er denkt
auch nicht daran , ſich zurüdzuziehen, denn er jagt , ein Mann foll bei ſeinem Ge ſchäfte bleiben bis an fein Lebensende. Sein William
Bruder
Rockefeller,
ebenfalls
Direktor
der Geſellſchaft, iſt John D. Rodefeller. das gerade
Gegen
teil ; lebensluſtig, Liebhaber von Zachten, Pferden , Sport aller Art, aber auch kein Freund der ſogenannten New Sein Privatvermögen wird
Yorker „ Geſellſchaft“.
auf vierhundert Millionen Mark , ſein
Einkommen auf dreißig Millionen Mark geſchäßt.
Der eigentliche
Erfinder des Raffinierungsprozeſſes, der frühere Laſtträger Samuel Andrews,
hat
ſeinen
Anteil
an
dem
Unternehmen
ſchon
vor
Rockefeller und der Öltruſt.
158
Jahren für zwanzig Millionen Mark verkauft und lebt in
Cleve
land, wo er ſein Vermögen in glücklichen Spekulationen längſt vers Gin Er gilt für den reichſten Mann diejer Stadt. doppelt hat . dritter Direktor der Geſellſchaft,
Charles Pratt ,
iſt als
vielfacher
Millionär geſtorben ; ein vierter iſt Henry M. Flagler, nach der An gabe des „ Brooklyn Daily Eagle" Beſiger von zweihundertzwanzig Millionen Mark, mit einem Einkommen , das er ſelbſt mit ſechzehn Millionen Mark angibt.
Flagler iſt der Sohn eines armen Land
wirts, und als Junge war es ſein Wunſch, der Leiter eines Hotels zu werden .
Diejer Wunſch iſt auch in Erfüllung gegangen , denn die große Mit ſeinen Mil
artigſten Hotelgründungen Amerikas ſind ſein Werf.
lionen baute er das ſeenhafte Hotel Ponce de Leon in St. Auguſtine ſowie zwei andere ähnlich prachtvolle in Florida , und kaufte die zwiſchen Jackſonville und St. Auguſtine beſtehende Eiſenbahn .
Jedes der drei
Hotels joll zwölf Millionen Mark gekoſtet haben , aber Flagler fann Der langjährige Kaſſier der
dieſen Spaß wohl erlauben .
ſich
Ge
ſellſchaft, Oliver H. Paine, der einzige der Standardkröſuſſe, der eine „ College- Ausbildung“ genoſſen hat, iſt Beſiger von hundert Millionen Mark ; kleinere Vermögen von zwanzig bis fünfzig Millionen Mark haben ſich , der genannten Quelle zufolge, etwa ein Dußend andere Standardaktionäre erworben , ſo John Huntington von Cleveland , der bei ſeinem Tode vor einigen Jahren der Stadt für wohltätige Zwede John D. Archibald , zur Zeit der
zwölf Millionen Mark hinterließ;
Gründung der Standard -Gejellſchaft ein Taglöhner in den Ölgebieten , heute vierzigſacher Millionär; William Flagler, der Bruder des Oben : genannten ,
mit
dem
gleichen
Vermögen ;
William
P. Thompſon ,
F. N. Camden, Daniel O'Dell , v . 2. Taylor, 3. 3. Vandergrift und mehrere andere würden ſind
aber mit
ihren
in Europa
Millionen
zu
kaum
den reichſten Leuten zählen, zu nennen im Vergleich zu
John D. Rodefeller. Vält man ſich vor Augen , erſt
vor
dreißig Jahren
mit
daſs
dieſe
geringen
Standard Dil Company Mitteln
gegründet wurde,
159
Pittsburg.
dann muß das Anwachſen zu ſo großartigen Verhältniſſen und das Erwerben vieler gunderte Millionen Mark von ſeiten einer Handvoll Leute geradezu wie ein Märchen erſcheinen .
Und noch gibt ſich dieſe
Geſellſchaft mit ihrem einzig daſtehenden Erfolg nicht zufrieden ; ſie begnügt ſich nicht mit den Millionen , die ſie ſich für ihr Petroleum aus allen Weltteilen holt , und den vierzig bis fünfzig Prozent Divi denden, die ſie aus ihrem nominellen Kapital von ſechshundert Millionen Mark bezieht.
Rückſichtslos gegen Freund und Feind, reißt ſie unter
der Leitung Rockefellers alles an ſich , womit Geld verdient werden kann, und wer Widerſtand leiſtet, wird ſo lange befriegt, bis er nach gibt oder untergeht . nach
offiziellen
Rodeſellers Vermögen wächſt in jedem Jahre
Berichten um zweihundert Millionen Mark!
iſt Macht" in Amerika , und mit ſeinem
„Geld
Gelde wird es ihm auch ge
lingen , ſeine Standard -Oil -Geſellſchaft ebenſo wie ſich ſelbſt aus der Antitruſtbewegung und den gerichtlichen Verfolgungen herauszuwinden .
15. Pittsburg . 18 ich nach Schluß der leßten Weltausſtellung , jener von St. Louis, auf bene dem checomplete Prachtdampfer ,,Deutſchland“ A cui eu la tanto der Hamburg nem burg -Amerika Pincetas. Linie nach Europa zurückkehrte, ſprachen die Mitpaſſagiere des Abends im Rauchſalon von ihren Eindrücken in der großen Staaten-Union . Der eine ſchwärmte von der Ausſtellung mit ihren Rieſenpaläſten , der zweite war durch den ganzen Kontinent kutſchiert und prieš das gewaltige Eiſenbahnneß , weit ausgedehnter als jenes der Alten Welt, der dritte hielt die zwanzig bis dreißig Stockwerke hohen Himmelkrazer“ , der vierte die Rieſenbrüden über den yudjon und North River bei New York für die größten Wunder Amerikas .
Das Geſpräch kam auf den
Flußverkehr, die mächtigen Dampfer auf den Seen , auf Hafeneinrich tungen, maſchinelle Erfindungen u . 1. w . Es hörte ſich ähnlich an wie die Geſpräche von Leuten , die von einer Theatervorſtellung nach Hauſe gehen und die ſchauſpieleriſchen
Pittsburg .
160
Leiſtungen , die dekorativen Effekte, Verwandlungen und dergleichen , die ſie geſehen, bewundern .
Die wenigſten denken an die Maſchiniſten
hinter und unter der Bühne, denen die Leiſtungen zu danken ſind, an die Techniker und Konſtrukteure.
Auch das amerikaniſche Welttheater,
wie es ſich dem Touriſten zeigt , hat folche Konſtrukteure und Maſchiniſten, und das „Hinter den Kuliſſen “, wo ſie arbeiten, iſt Pittsburg. Jedes Wunder, von denen meine Mitpaſſagiere auf der „ Deutſch land " ſprachen , führt in leşter , oder wenn man will, in erſter Linie , auf Pittsburg zurück.
Die Rieſenpaläſte der St. Louijer Ausſtellung,
wohl die umfangreichſten, die je geſchaffen worden ſind, ſtammten mit ihrem Stahlgerippe aus Pittsburg.
Die Schienenſtränge, welche die
Yankees über ihren Kontinent geſchlagen haben und mit denen die amerikaniſche Landkarte liniert iſt wie ein Faulenzer , ſtammen aus Pittsburg .
Die Stahlträger und die ganzen Stahlrahmen , welche die
himmelragenden Bauten von New York und Chicago zuſammenhalten, werden in Pittsburg gegoſſen , gewalzt, geſchmiedet; aus Pittsburger Stahl beſtehen die ſchwindelnden Brücken New Yorks , unter welchen die größten Dampfer hinwegfahren
können , und
die Stahlrippen,
welche ſie enthalten , die Schiffswellen, die mächtigen Panzerplatten der Kriegſchiffe ſtammen aus Pittsburg .
Die gewaltigen Drehkrane in den
Häfen , die ſinnreichen Maſchinen in den Induſtriebezirken, alles, alles iſt aus Pittsburger Stahl gemacht; die Eiſenreifen , welche die Millionen Baumwollballen des Südens zuſammenhalten , werden in einer Ge ſamtlänge von Tauſenden von Kilometern jährlich in Pittsburg her geſtellt; Pittsburger Stahl iſt es auch , der in Hunderten von Werkſtätten Amerikas zu Lokomotiven , Eiſenbahnwaggons, zu Ackerbau- und Näh maſchinen ,
zu Artikeln jeder erdenklichen Art bis zu den zarteſten
Nähnadeln und Uhrenſchräubchen verarbeitet wird.
Jeder Schuſter
ſchwingt eine Ahle aus Pittsburger Stahl , jeder Zimmermann ſchlägt mit Pittsburger Hämmern auf Pittsburger Nägel, jeder Menſch in den Vereinigten Staaten
geht in Schuhzeug ſpazieren, deſſen Abſäge
mit Pittsburger Stiften zuſammengehalten werden .
Pittsburg .
161
Dieſes Pittsburg iſt eine wahre Herenküche, die gewaltigſte Eiſen ſtadt des Erdballs, wo jährlich wohl an zwölf Millionen Tonnen Erz in Eiſen und Stahl verwandelt werden .
Bittsburg und Umgebung
erzeugen jährlich allein halb ſo viel Stahl, wie das geſamte Deutſch land
Roheiſen erzeugt , oder doppelt ſo viel wie ganz Frankreich !
Pittsburger Schienen haben dem
Dampfroſ
den Weg
bis in das
ſüdliche Meriko , wie in das ferne Alaska , jenſeit des Polarkreiſes geebnet ; auf Pittsburger
Stahl laufen
heute
die
Lokomotiven
aus
Philadelphia in Japan und in der Mandichurei , und in der ganzen Welt werden jährlich eine halbe Milliarde Pfund Pittsburger Draht ſtifte verbraucht.
Nach Millionen Tonnen zählen die Stahlſchienen ,
Stahlknüppel,
Bleche, Platten , Träger u.ſ. w ., die jährlich aus Pittsburg ihren Weg nach allen Erdteilen
finden , und
an
jeden
einzelnen Arbeitstage
werden zwiſchen acht- und neuntauſend Eiſenbahnwaggons mit Pitts burger Waren befrachtet.
Die Geſamtmenge der Erzeugniſſe dieſer
einen Stadt hatte in einem Jahre ein Gewicht von ſiebzig Millionen Tonnen ; zweieinhalb Millionen Eiſenbahnwaggons gehörten zu deren Beförderung.
Würde daraus, wenn das überhaupt möglich wäre, ein
einziger Zug gebildet, er beſäße eine Länge von zwölftauſendfünfhundert Kilometern , und würde ſomit von Europa
bis nach der Mandſchurei
reichen ! Es
ſchwindelt
einem
förmlich
der
Kopf
bei
dieſen
Zahlen, und doch entſprechen ſie der Wirklichkeit.
gewaltigen
Pittsburg nimmt
eben in Bezug auf die Produktion der wichtigſten Dinge, deren die Induſtrie bedarf, d . i . Eiſen und Kohle, weitaus die erſte Stelle ein ; früher hieß es , Pittsburg ſei das Birmingham von Amerika, aber es hat die engliſche Induſtrieſtadt längſt überholt , a ſeine Produktion übertrifft
darin
ſogar große Induſtrieſtaaten
wie
Frankreich
oder
Belgien. Warum ?
Wie kam
es , daſs gerade
Pittsburg
zu
dieſem
vor
nehmſten Sig der Induſtrie ſich entwickelt, daſs die leytere ſich nicht 11 fejje-Wartegn , Amerika .
162
Pittsburg.
über größere Gebiete verteilt , ſondern gerade hier an einem ſo häß lichen Fleden Erde konzentriert hat ? Häßlich iſt dieſes Pittsburg , ein wahres Inferno, und wenn ich es zur Nachtzeit von einer der umliegenden Höhen betrachtete, dann kam es mir vor, als ſtände ich am Kraterrande eines Mont Belé in voller Tätigkeit, aber eines Mont Pelé ſo groß wie das ganze unglück liche Martinique .
Der Herenkejjel tief unten zu meinen Füßen qualmte
und rauchte aus Tauſenden von Solfataren , und die ſchwarzen Wolfen lagerten
ſchwer darüber.
Durch ſie hindurch leuchteten blutrot die
geſchmolzenen Maffen von Eiſen ,
gewahrte ich
hier und dort den
glühenden Lavaſtrom , den Hochöfen entſpringend, oder das phantaſtiſche Feuerwerk der Beſſemeröfen, mit ihren Myriaden hoch aufſteigender und weiß glühender Funken , oder das Spritzen und Sprühen von helleuchtenden Stahlmaſſen , wenn ſie mit ungeheurer Kraft zwiſchen Walzen hindurch zu Platten und Schienen gepreßt, oder von mächtigen Dampfhammern bearbeitet wurden, daß der Boden unter mir zitterte, wie durch vulkaniſche Kraft gehoben. Auf den ſchwarzen , weiten Flußläufen ſchojen pfeifend und zijchend Dampfer auf und ab , mit ihren durch den Rauch verdüjterten roten und grünen Lichtern ; über die vielen Brüden polterten und donnerten mächtige Eiſenbahnzüge mit den weiß leuchtenden Laternen der Loko motiven und den raſch durch die finſtere Nacht huſchenden leuchtenden Linien der Waggonfenſter ;
an
den
Ufern und im Weichbilde der
Stadt ſelbſt lange Reihen heller elektriſcher Lampen, die durch ihren grellen
Schein
treten ließen
die
rauchige
nur
noch
ſchärfer
zu zerſtören, ſondern aufzubauen zum Beſten
Solfatare, gebaut durch Menſchen ; Lavaſtröme,
lenkt durch Menſchen , Rauch und Wolken unvermeidlich plutoniſchen Tätigkeit ! verlaſſen Arater !
hervor
wahrhaftig ein Vulkanfrater, aber geſchaffen durch
Menſchenhand, nicht um der Menſchheit;
Finſternis
ge
bei dieſer
Und als Produkt des feuerſpeienden Vulkans
täglich øunderte von ſchwerbeladenen Eiſenbahnzügen den
Pittsburg.
163
Es war hier nicht immer ſo rauchig, jo häßlich, ſo abſchreckend und abſtoßend für den fremden Beſucher wie heute, wo Petroleum- und Gas- und Schwefelgeruch ſich mit dem zeitweilig erſtidenden Rauch ver mengen , wo ſchwarzer fettiger Kohlenſtaub ſich auf øemd und Man ſchetten , auf das Papier des Schreibtiſches, auf Teller und Tiſchtuch im Speiſeſaal, auf Betten und Vorhänge im
Schlafzimmer legt, und
wo man ſich nur mit der Hand über das Geſicht zu fahren braucht, um zum
Salonneger zu werden ; wo himmelragende geſchwärzte Ge
Copyright 1902 by Detroit Photographic Co. Am Monongahela.Strom bei Pittsburg . bäude die engen , belebten , lärmenden , geſchäftigen Straßen zu finſteren Verkehrsſchluchten machen , und wo ſich alles darum dreht, recht viel Stahl , recht viel Kohle, recht viel Glas zu produzieren und damit recht viel Geld zu verdienen ! Vor anderthalbhundert Jahren war der Kampf, der ſich hier ab ſpielte, nicht ein ſolcher um Geld , ſondern um die Herrſchaft der Weißen über die Rothäute, und als dieſer zu Gunſten der Weißen beendet war , da kämpften dieſe wieder unter ſich , Engländer gegen Franzoſen .
Auf der Landſpitze zwiſchen den Zwillingsflüſſen entſchied
Pittsburg.
164
ſich am
25. November 1758 das Schidjal des nordamerikaniſchen Kon
tinents.
Dort erhob ſich eine franzöſiſche Feſte, Fort Duquesne ge
nannt, der leşte Halt der Franzoſen in ihrem damaligen Kriege gegen die Engländer.
In der Nacht des 28. November rückte der engliſche
General Forbes mit ſeinen Rotröcken vor , um Morgen
zu nehmen .
die Feſte am
nächſten
Als er aber in Schußweite gelangte, fand er
nur mehr einen rauchenden Trümmerhaufen vor.
Die Franzoſen hatten
das Fort in die Luft gejprengt und waren abgezogen .
An der Stelle
des weißen Lilienbanners wurde das engliſche mit dem Löwen des heiligen Georg gehißt ,
die Frage ,
lateiniſche oder die anglojächſiſche,
welche
von beiden
Raſſen , die
hier herrſchen ſollte, war
ent
ſchieden . Auf die Anregung des Generals Forbes wurde das Fort neu er baut und zu Ehren des großen Staatsmannes William Pitt
Pitts
burg " genannt. Ein Blodhaus aus der damaligen Zeit ſteht heute noch , ringsum aber iſt ſeither cine der größten und merkwürdigſten Städte der ameri kaniſchen Inion entſtanden .
Der offiziellen Zählung nach hat
Pitts
burg gegen vierhunderttauſend Einwohner, aber ebenſo wie die Nach barſtadt Alleghany gehören auch alle anderen Vororte, die ſich auf den engen Flußufern viele Kilometer lang hinziehen, dazu, und Pittsburg iſt heute tatjächlich eine Stadt von achthunderttauſend Einwohnern , die viertgrößte des nordamerikaniſchen Kontinents.
An Stelle der Urwälder zu beiden Seiten der Zwillingsſtröme erhebt ſich ein Wald von Häuſern , ein Wald von qualmenden Schornſteinen , an den Ufern der ſchlammigen , gelben, trüben , von Frachtdampfern und Frachtbooten durchfurchten Stromläufe Docs und Eiſenwerke, vod) öfen, Stofsöfen , Walzwerke, Gießereien , Hammerwerke, auf viele Bilo meter dicht nebeneinander; an
den Ujern ſteigen die Höhen faſt un
mittelbar ſteil empor auf hundert und mehr Meter , der ebene Boden für die induſtriellen Anlagen mußte ſtellenweiſe durch Abgraben der Höhen gewonnen werden .
165
Pittsburg.
Gegen die Spiße der Landzunge verflacht ſich der Höhenzug , und auf dieſem
flachen Ende drängen ſich die engen Straßen der Geſchäfts
ſtadt zuſammen.
Da aber Pittsburg immer größer wurde, überſejte
die Stadt die beiden Ströme und baute ſich jenſeits des Monongahela , ebenfalls auf ſteilen Ujern , die Vorſtädte Birmingham und Südpitts burg , jenſeits des Alleghany die Stadt Alleghany, durch viele Brücken mit ihr verbunden, ja ſie dehnte ſich über die Bergrücken hinter ihr aus in dic jenſeitigen Ebenen und baute ſich dort neue vorſtädte.
Induſtrie
Und da ſie noch immer wächſt und weiterwächſt und feinen
Plaß mehr auf der Erde findet, ſo baut ſie eben aufwärts ganz nach Muſter von New York und errichtet zwanzig und fünfundzwanzig
dem
Stockwerke hohe Geſchäftshäuſer, Geſchäftstürme , die mit ihrer Spige manchmal
über
das
ichwere Rauchwolkenmeer der Stadt
hinweg
ragen . Hier unten in dieſem Labyrinth von engen Geſchäftsſtraßen, durch zogen
von raſch dahinſauſenden , lärmenden, klingelnden elektriſchen
Wagen , ſind die Geſchäftsbureaus der vielen induſtriellen Betriebe . In einem
Himmelkraper hat Carnegie, der Reklameheld, ſeine Bu
reaus ; in einem anderen der Kokskönig Frid, ein dritter enthält die Leitung des größten induſtriellen Unternehmens der Welt, des berühmten Stahltruſts, mit ſeiner Arbeiterarmee von hundertſiebzigtauſend Mann und ſeinem Kapital von In einem vierten
fünftauſendſiebenhundert Millionen
Rieſengebäude
Standard Oil Company;
iſt
der Sig der ſchon erwähnten
andere Gebäude
großen Glasbläſereien und
Mark.
bergen
die Bureaus der
der Erdgasgeſellſchaften von Pittsburg ,
der rieſigen Stahlwerke, Gießereien , Walzwerke, Brüden -Eiſenröhren etabliſſements 11.1.1 .
Gibt es doch in Pittsburg und Umgebung über
fünftauſend Fabrifen! Der Grund , warum
ſich dieſe gewaltige Induſtrie gerade hier, an
der Vereinigung des Monongahela und des Alleghany zuſammendrängt, liegt vor allem in dem beiſpielloſen Kohlenreichtum dieſes Gebietes . Geradeſo wie in ganz Amerika bis in die entfernteſten Regionen Pitts
Pittsburg.
166
burger Stapelartikel zu finden ſind, ſo geht es auch mit ſeinen ſchwarzen Diamanten Mit Pittsburger Kohlen werden die auf Pittsburger Schienen laufenden Kittsburger Lokomotiven geheizt ; die Pittsburger Waggons, welche ſie ziehen , ſind mit dieſer Kohle gefüllt und bringen ſie biß an die Küſten des Stillen Ozeans, um
dort die nach
Japan
und Auſtralien laufenden Dampfer zu heizen .
In den einjamen Res
gionen der Hudſonbai-Geſellſchaft wie in den großen Hauptſtädten, von New York bis New Orleans am
Golf von Mexiko wärmen ſich
die Hausbewohner zur Winterszeit mit Pittsburger Sohle, und wenn dieſe dort mit der Roble anderer Gebiete im Preiſe konkurrieren kann , jo liegt dies in den ſo günſtigen Verkehrsverhältniffen der von der gütigen Mutter Natur ſo reich geſegneten Stadt. Nur hundert Nilometer von ihr liegen bereits Häfen der großen Seenkette, die eine Waſſerſtraße bis nach dem
fernen Nordweſten dar
bietet, und das ausgebreitete Stromnet, welches das Herz des Konti nents durchzieht , nimmt gewiſſermaßen gerade bei den Kohlengruben öſtlich von Pittsburg ſeinen Anfang. die Frachtboote auf
dem
Nohlen werden dort direkt in
Monongahelafluß verladen .
Spazierte ich
über eine der vielen Brücken von Pittsburg , dann fuhren unter ihr gewiß Flottillen ſolcher ſchwer beladener Boote nach St. Louis, nach Cincinnati oder New Orleans. geketteten ,
rechteckigen
Dieſe Flottillen von feſt aneinander
Kohlenbooten
werden
von
einem
einzigen
Dampferchen geſteuert; zu ziehen brauchen ſie nicht, denn die Strömung ſelbſt treibt ſie abwärts in den ſchlammigen Ohio , und durch dieſen in den Vater der Ströme bis an deſſen Mündung .
Gewöhnlich haben
ſolche Flottillen eine Kohlenladung von zehntauſend bis fünfzehntauſend Tonnen ; es iſt aber ſchon vorgekommen , daß ein kleines Dampferchen eine Ladung von dreißigtauſend Tonnen ſicher bis nach New Orleans bugſiert hat .
Das geht jetzt ſchon ſeit Jahrzehnten , und immer noch
enthalten die Sohlenlager Hunderte von Millionen Tonnen . Die Sohle iſt das Wahrzeichen der Stadt, wie der Umgebung auf viele Meilen hinaus.
Draußen
im
Freien mag es hellen Sonnenſchein
167
Pittsburg.
geben, in den verkehrsreichen, von turmhohen Geſchäftshäuſern einge ſchloſſenen Straßen herrſcht Dämmerung . rauch
wälzt ſich
durch
Dider ſchwarzer Kohlen
dieſe Verkehrsſchluchten und verdunkelt die
Sonne; Kohlenrauch , aus den Schornſteinen von fünftauſend Fabriken qualmend, liegt ſchwer über den von zahlloſen Dampfern und Fracht booten durchfurchten Zwillingsflüſſen, er zieht ſich die wüſten Abhänge und Schutthalden der ſteilen Ufer empor und hüllt alles in ſein ſchwarzes Wolkengewand.
Die Häuſer von Pittsburg bekommen nach Ablauf
einiger Jahre eine ſchwarze Batina, ähnlich jener der Häuſer in London . Würde der Regen nicht häufige Waſchungen vornehmen, die Straßen Pittsburgs müßten ſich bald ausnehmen, wie die Stollen von Mohlen minen , als wäre die Stadt unter die Erde verſunken, in das Gebiet der ſchwarzen Diamanten, denen ſie ihren Reichtum verdankt. Dabei haben aber wenige Städte Amerikas ſo ſchöne Villen und Privatpaläſte aufzuweiſen, wie dieſe Rohlen- und Eiſenſtadt.
Stellen
weiſe ſind dort noch die Wälder aus der Indianerzeit ſtehen geblieben, und im Straßenwagen ihnen entlang ſauſend, würde man kaum ahnen , daß nur wenige Kilometer weiter, jenſeits der Anhöhe , die verhältnis mäßig größte Jnduſtrieſtadt der Erde liegt .
Die Wohnviertel find
eben in Pittsburg von den Geſchäftsvierteln einerſeits und den 3n duſtrievierteln anderſeits ſcharf getrennt.
Die letteren ziehen ſich an
den Ufern der beiden Flüſſe entlang auf viele Meilen und umſchließen die Geſchäftsſtadt an der Spige der von ihnen gebildeten Halbinſel. In dieſer Geſchäftsſtadt geht alles in fohlenſtaub unter. auch den ſtädtiſchen Behörden
Das mag
alle Verſchönerungsverſuche verleidet
haben, wenigſtens was dieſe Viertel von Pittsburg betrifft.
Ich habe
in Amerika wenige Großſtädte mit ſo viel Schmutz, ſo ſchlechtem Pflaſter und ſo ungenügender Kanaliſierung geſehen .
Die Flußufer
des Monongahela ſind unterwaſchen und verwahrloſt, und die Hänge des zum Monongahela abfallenden Bergplateaus, auf welchem die ſchönſten Wohnviertel von Pittsburg liegen , ſind eine Schande für die Stadt .
168
Pittsburg.
Solchen Schmuş , ſolche Lotterwirtſchaft hätte ich in einem Em = porium , das ſo viele Erzmillionäre zählt und aus allen Ländern des Erdballs ſo großen Reichtum zieht , nicht erwartet.
Carnegie, der
Pittsburg ſein nach Hunderten von Millionen zählendes Vermögen verdankt, hat wohl Bibliotheken und Konzerthallen zur Verherrlichung ſeines Namens gebaut , warum
hat er nicht auch ein halbes Milliönchen
zur Beſeitigung dieſes Schandflecs von Pittsburg verwendet ?
Zu
Füßzen dieſer von Regenbächen durchwaſchenen, mit allerhand Unrat bedeckten Bluffs liegen einige der größten Eijenwerke der Welt.
Die
Firma Jones & Laughlin hat hier ihre Rieſenhochöfen und Walzwerke, daneben fabriziert die National Tube Company täglich tauſend Tonnen Eiſen- und Stahlrohre, in der Straße herrſcht reger Verkehr ; kommt aber ein Regenguß, dann iſt alles mit Schlamm überflutet, der Ver kehr ſtockt und die Menſchen , die oben auf den Bluffs wohnen , müſſen einen weiten Umweg machen , um mit der unteren Stadt verkehren zu können. Es ſcheint, als kümmerten die Einwohner von Pittsburg ſich um nichts weiter, als nur möglichſt viel Stahl-, Glas- und Eiſenwaren zu erzeugen ; jeder für ſich, niemand für das Ganze.
So haben ſie es
denn auch in dieſen Artikeln zu herrſchender Weltſtellung gebracht, auf Koſten der Schönheit ihrer Stadt . Pittsburger Stahl iſt ein Weltartikel von der größten Bedeutung. Wenn Pennſylvanien an der Spige der „ Eiſenſtaaten “ von Amerika ſteht, ſo verdankt es dies hauptſächlich Pittsburg ,
in zweiter Linie
den Pittsburger fohlen , welche für das Einſchinelzen der Erze vom Superiorſee nötig ſind .
Von der ganzen Erzproduktion Amerikas , im
Jahre 1907 fünfunddreißig Millionen Tonnen , entfällt auf Pennſyl vanien nur eine Million ;
der Reſt ſtammt
dem
Pennſylvanien wird von den achtzehn bis
Superiordiſtrikt.
Jn
zum
zwanzig Millionen Tonnen Roheiſen Amerikas
größten Teil aus
die Hälfte erzeugt,
von dieſer Menge entfällt auf Pittsburg und Umgebung wieder die välfte.
Pittsburg und
Umgebung
produzieren
alſo jährlich
etwa
Pittsburg.
169
doppelt ſo viel Stahl , wie ganz Frankreich Roheiſen erzeugt, oder halb ſo viel wie die geſamte Roheiſenproduktion Deutſchlands.
An
Stahlſchienen erzeugte Amerika zuleşt jährlich an drei Millionen Ton nen , Pittsburg war daran mit anderthalb Millionen, alſo der Hälfte, beteiligt.
Stahlſchienen und Träger für Bauzwecke erreichten in ganz
Amerika cine Produktion von einer Million Tonnen , auf Pittsburg entfielen drei Fünftel davon ; an Stahlplatten und -Blech wurden in Amerika zweieinviertel Millionen Tonnen erzeugt , in Pittsburg nahezu eine Million ; an Stabeijen in Amerika anderthal6 Millionen Tonnen , in Pittsburg etwa dreihunderttauſend Tonnen .
Amerika produziert
jährlich zehn Millionen Faß Drahtſtifte, das Faß zu hundert Pfund, und davon entfällt ein Drittel auf Pennſylvanien ; die Pro duktion anderer Nägel
erreichte anderthalb Millionen
Faſ ,
davon
entfällt nahe eine Million auf Pennſylvanien . Man ſollte meinen , in Pittsburg müßte jeder männliche Einwohner ein Eiſen- oder Stahlarbeiter ſein ; iſt doch in Deutſchland eine viertel Million Arbeiter in dieſen Induſtrien beſchäftigt.
Als ich aber die
großen Werke beſichtigte, in welchen die oben angeführten Stahl- und Eiſenmaſſen fabriziert werden , fand ich faum ein Viertel der Arbeiter zahl ähnlicher Werke in anderen Ländern.
Was an ſchweren oder
leichten Arbeiten mit den Maſchinen verrichtet werden kann, geſchieht auch durch die Maſchinen ,
die Arbeiter ſind nur zur Aufſicht und
Leitung der Maſchinen vorhanden . Zones & Laughlin
Bei den größten Hochöfen von
ſind drei Mann beſchäftigt, im Dampfmaſchinen
hauſe , wo einundzwanzigtauſend Pferdekräfte erzeugt werden , zwei Mann !
In dieſer Rieſenanlage auf beiden Ufern des Monongahela,
zujammen zwei engliſche Quadratmeilen bededend, werden in jedem Jahre Stahlträger , kaltgewalzte Wellen , Stahlknüppel für die be rühmten
landwirtſchaftlichen
Maſchinenfabriken
von
Mac
Brüden u.i.w. in einem Geſamtgewicht von einer Million
Cormid ,
Tonnen her
geſtellt, und die Geſamtzahl der Arbeiter iſt kaum ſechshundert.
Es
entfallen ſomit auf jeden Arbeiter täglich fünf Tonnen Stahlprodukte,
Pittsburg.
170
in Deutſchland nur anderthalb Tonnen . amerikaniſchen
Den Unterſchied zwiſchen der
und deutſchen Produktion
beſorgen
in
Amerika
die
Maſchinen. In Europa iſt der Name Carnegie durch ſeine Schenkungen und fühnen Operationen weit bekannt geworden ; er war , bevor ſeine Werke in Homeſtead bei Pittsburg in den Beſit des Stahltruſts über gingen , der größte Eiſen- und Stahlproduzent Amerikas .
Von den
Fremden , die Pittsburg beſuchen, erbitten ſich wohl neun Zehntel die Erlaubnis , womeſtead oder die Edgar Thompſon- oder die Duquesne Werke zu beſichtigen, die alle drei zum Stahltruſt gehören .
Von den
Ingenieuren werden aber die Werke von Jones & Laughlin als tech niſch vollendeter anerkannt, ein Muſterbetrieb , mit eigenen Kohlengruben in der Nähe von Pittsburg , mit ſiebzehnhundert eigenen Koksöfen an den Ufern des oberen Monongahela , und eigenen Dampfern , welche die Kohle in
Frachtbooten — zweihundert an der Zahl – direkt zu
den Koksöfen bringen .
Dieſe günſtigen Frachtverhältniſſe ſtellen den
Preis der Tonne Roks in den Pittsburger Werken auf drei Mark zwanzig Pfennig , viel wohlfeiler als in irgend einem
anderen Werfe.
Die Koſten der Herſtellung einer Tonne Eijens belaufen ſich hier auf ſechsunddreißig Mark , Stahl auf weitere acht Mark , und der Schienen , Platten u . 1. w . aus dieſem Stahl auf weitere vier Mark, jo daß die Tonne Stahlichienen
ſich in dieſen Werken auf achtund
vierzig Mark ſtellt , eine Summe, ſo unglaublich gering , daß ich ſie gar nicht niederſchreiben würde, wenn ſie nicht auf den Angaben des Leiters dieſer Werke, E. L. Meißler, beruhte.
Jones & Laughlin beſigen
aber auch ihre eigenen Erzgruben in Marquette am Superiorſee und in der Majjabefette, transportieren das Erz in ihren eigenen Schiffen, auf ihren eigenen Eiſenbahnen , ſchmelzen es in ihren eigenen Hoch öfen mit eigenem
Koks , und ſo fommen ſie zu den geringen Pro
duftionskoſten . Zu welchen
Preiſen die Tonne fertiges Material ver
kauft wird, habe ich nicht erfahren . Steel Company
Ich weiß nur, daß bei der Fllinois
in Chicago die Tonne Stahlſchienen einhundertzwölf
Pittsburg.
171
Mark koſtet, in Deutſchland iſt der Wert einer Metertonne verarbeiteten Stahls einhundertdreißig bis einhundertvierzig Mark. Größer
als Jones & Laughlin ſind
die Carnegie - Werke in
Homeſtead, welche in jedem Jahre eineinviertel Millionen Tonnen fertiges Stahlprodukt liefern . tauſend , in
Die Arbeiterzahl
beträgt hier acht
den ebenfalls zur Carnegie Steel Company gehörigen
Edgar Thompſon - Werken ſind ſechstauſend, in den Duquesne-Werken fünftauſend Mann beſchäftigt.
Als ich dem oberſten Leiter des Stahl
truſts im Carnegie- Gebäude von Pittsburg meinen Beſuch machte, zählte mir dieſer Nachfolger Carnegies und Schwabs aus dem
Kopfe , ohne
zu zögern , noch ein halbes øundert anderer Werke auf , mit der Ar beiterzahl, Produktion u . f . w .
Im direkten Zuſammenhang mit dem
Stahltruſt iſt die H. C. Frid Coke Company) , die jährlich in ihren vierzehntauſend
Noksöfen zehn Millionen Tonnen Koks produziert,
wozu fünfzehn Millionen Tonnen Kohle erforderlich ſind. ſchaft beſchäftigt ſiebzehntauſend Arbeiter .
Die Geſell
Dieſe fünfzehn Millionen
Tonnen Sohle der Stahltruſtminen ſind aber kaum die Hälfte deſſen, was in der unmittelbaren Umgebung von Pittsburg , hauptſächlich in Connelsville, an Noble produziert wird .
Die jährliche Ausbeute dieſer
Minen erreicht fünfunddreißig Millionen Tonnen ! Die von Pittsburg alljährlich zu Waſſer verſandten Produkte er . reichen zehn Millionen Tonnen, zu Lande, das heißt mittels der Eijen bahn , ſiebzig Millionen Tonnen , verteilt über zweieinhalb Millionen Frachtwaggons! An jedem Arbeitstage , jahraus, jahrein, verlaſſen die Stadt achttauſenddreihundert Frachtwaggons, mit Pittsburger dukten beladen .
Pro
Dabei iſt eines der wichtigſten nicht eingerechnet, denn
es wird in eigenen Röhrenleitungen die an ſiebenhundert Kilometer weite Stređe nach New York gebracht, nämlich das Erdöl. Pittsburg iſt der Mittelpunkt des berühmten Petroleumdiſtriktes von Pennſyl vanien und Ohio , deſſen Entdeckung vor
einem
eine Umwälzung in der ganzen Welt hervorrief.
halben Jahrhundert Heute hat die Aus :
fuhr des Petroleums allein einen Wert von dreihundert Millionen
172
Pittsburg.
Mark im Jahre , und das größte individuelle Vermögen in Amerika, jenes von Rockefeller, nach Milliarden Mark zählend, wurde in Petro leumſpekulation erworben .
Im
14. Kapitel iſt hierüber bereits aus
führlicher berichtet worden . Aber nicht nur die wichtigſte Heizkraft , Kohle , und die wichtigſte Leuchtkraft, Petroleum , liegen in ſo unermeßlichen Mengen vor den Toren Pittsburgs, zu den beiden trat vor etwa zwei Jahrzehnten noch ein drittes Element, das für die Weiterentwicklung der Pittsburger Induſtrien von der allergrößten Bedeutung war, das Erdgas.
3ch
entſinne inich ſelbſt noch der Aufregung, welche die Entdeckung dieſes „ Natural Gas“ , wie es die Amerikaner nennen , in ganz Amerika her vorrief.
Man wußte anfänglich gar nicht, was damit anzufangen ſei .
Wo man tief genug in die Erde bohrte, ſelbſt in der Stadt Pittsburg , ziſchte das Gas hervor . Aber die Pittsburger lernten ſeinen Wert bald einſehen , und heute iſt das Kapital der Geſellſchaften , welche ſich mit der Ausnußung des Erdgaſes beſchäftigen , einhundertſechzig
Millionen Marf.
Auf den
zweitauſend Quadratkilometern ihres gepachteten Landes haben ſie an fünfzehnhundert Gasquellen und leiten das daraus entſtrömende Gas durch Röhrenleitungen von fünftauſend Kilometer Länge nach den vers ichiedenen Betrieben .
Vierzigtauſend Haushaltungen werden von
einer einzigen Geſellſchaft mit Erdgas verſorgt und daneben beziehen induſtrielle Anlagen monatlich auch noch fünfzehn hundert Mil lionen Rubikfuß Gas ! Die Gasmenge, welche verbraucht wird , erreidit im
in im
Pittsburg und Umgebung
täglich
Sommer einhundertdreißig Millionen ,
Winter zweihundert Millionen
Kohlenmenge von ſiebentauſend
Kubikjuß !
Das entſpricht einer
beziehungsweiſe
elftauſend Tonnen
täglich , welche durch das Erdgas erſpart wird ! Die Großinduſtriellen, welche ich über die Verwendung des Erdgaſes befragte , ſagten mir , die Bezugskoſten desſelben wären etwa die gleichen wie die der Kohle. Dafür hat die Benutung von Grdgas andere große Vorteile : Freiheit
173
Pittsburg .
von Rauch , Aſche, Staub und Schmutz, Arbeitserſparnis , denn Gas braucht nicht wie Kohle in Waggons nach den Betrieben verfrachtet, ausgeladen , der Feuerung zugeführt zu werden , es iſt ſchon an Ort und Stelle; die Drehung eines Sahnes genügt, um Feuers zu regulieren oder es ganz abzuſtellen.
die Stärke des
Deshalb iſt Erdgas
auch in allen Arten von induſtriellen Betrieben, ſelbſt in der Stahl fabrikation zur Verwendung gelangt.
Beſonders für einen
Induſtrie
zweig Pittsburgs iſt es von Wichtigkeit, für die Glasfabrikation, in welcher die Stadt weitaus mehr leiſtet, als irgend eine andere der Welt.
In den dreißig Glasfabriken von Pittsburg werden fünfund :
dreißigtaujend Tonnen Material zu etwa dreißigtauſend Tonnen Glas verarbeitet .
Eine Firma allein verfertigt jährlich an vierundzwanzig
Millionen Trinkgläjer, eine andere fünfzig Millionen Lampenzylinder ! Die Zahl der Glasflaſchen , welche jährlich hier angefertigt werden , erreicht achtzig Millionen . Pittsburg walzt ſechzig Prozent aller Glas icheiben
der
ganzen Vereinigten
Nebeneinander
Staaten .
gereiht,
würden dieſe Scheiben ein fußbreites Band von fünftauſend Kilometer Länge bilden , alſo von Amerika über den Atlantiſchen Ozean bis nach Europa reichen ! Sein Wunder, daß Pittsburg unter dieſen Verhältniſſen groß und reich geworden iſt! kammer
Bei einer Hauptſitzung der Pittsburger Handels
erhob ſich einer der Abgeordneten der Stadt im
der Vereinigten Staaten
und
ſprach
die
ihre
Berechtigung
in
mancher Hinſicht
die folgenden ſtolzen Worte, haben :
„ Weſtpennſyl
vanien , mit ſeiner Hauptſtadt Pittsburg , iſt das größte gebiet
der ganzen Welt .
Nirgend
Kongreſ
andersivo
iſt
auf
dem
Induſtrie gleichen
Kaume eine größere Menge von Fabriken zu finden , nirgends gibt es mehr und beſſere Maſchinenanlagen , nirgends eine intelligentere Ar beiterarmee mit höheren Löhnen , nirgends
glücklichere Schulkinder,
größere Zufriedenheit und größeres Glück , wie wir es verſtehen , als in dieſen Diſtrikt." das
Aufgebot
Den großen Streif der Kohlen- und Eiſenarbeiter,
von Militärmaſſen zu ſeiner Bekämpfung , das Elend
174
Der Stahltruſt und ſein Reich.
unter den ungariſchen und polniſchen Kohlenarbeitern u . ſ . w . hat der verr Abgeordnete dabei wohl überſehen .
pere
16. Der Stahltruſt und ſein Reich . ie „ United States Steel Corporation " , bei
uns kurzweg der
über den , veröffentlicht jährlich ,, Stahltruſt genannt Det ble en " egen in het relief Berichte te herweise der Stand des Unternehmens .
Der vorlegte iſt ein ganzes Buch mit vier
undſechzig Abbildungen von vochöfen und Stahlwerken und unglaub lichen Ziffern , Ziffern , welche eine moderne amerikaniſche Scheherazade ſollte ſie irgend einem prozigen Yankeemilliardär
anführen würde, Märchen erzählen .
Der Bericht iſt
europäiſchen Großmacht.
etwa
wie das Gelbbuch
einer
Die Geſamteinnahmen des Stahltruſts im
Jahre 1906 beliefen ſich auf fünfhundertſechzig Millionen Dollar gleich zweitauſenddreihundert Millionen Mark !
Das iſt genau
jo viel wie die Einnahmen des Deutſchen Reiches !
3m
Fahre 1907 war das Geſchäft ſogar noch um ungefähr achthundert Millionen Mark größer.
Die Reineinnahmen beliefen ſich auf fünf
hundertdreiunddreißig Millionen Marf. Der Stahltruſt iſt das größte induſtrielle Unternehmen der Erde und wird es wohl noch für lange Zeit bleiben , ein Unternehmen von Hochöfen und Kohlenminen , Erzlagern und Eiſen-, Stahl- und Walz werfen , Cijenbahnlinien und
Dampferflotten und, wie ſchon erwähnt,
einer Armee von einhundertjiebzigtauſend Arbeitern . der Geſellſchaft
In den Maſſen
liegen zweihundert Millionen Mark Bargeld, ſo viel
wie in den größten Staatsbanken .
Ihr gehören fünf große Eiſenbahn
linien mit zuſammen ſiebenhundert Kilometer Länge, mit fünfhundert Lokomotiven und nahe an dreißigtauſend Waggons.
Auf den ameri
kaniſchen Seen und Flüſſen verfügt der Truſt über eine Flotte von über hundert Schiffen , darunter eine ganze Anzahl von Zehntauſend Tonnen - Dampfern , deren
Einnahmen
allein mit vierzig
Millionen
175
Der Stahltruſt und ſein Reich .
Mark in dem Jahresbericht figurieren.
Der Stahltruſt beſitzt in ver
ichiedenen Staaten ganze Städte , große Häfen mit ſechzehn Dods, ſiebzehntauſend Hofsöfen, ſechzig Eiſenminen mit Hunderten Millionen Tonnen Erz, fünfhundert Quadratkilometer Land mit Erdgasquellen, vierhundert Quadratkilometer Land mit Kohlengruben und nahe an ſechzehnhundert verſchiedene induſtrielle Unternehmungen ! Die Arbeitslöhne erreichten im Jahre 1906 gegen fünfhundert Mil lionen Mark , den Aktionären wurden zweihundertdreißig Millionen Mart Gewinn ausbezahlt .
Für Abſchreibungen und Verbeſſerungen
techniſcher Anlagen ſtehen zweihundert Millionen in den
Büchern .
Der Anteil des Hauptaktionärs, Andrew Carnegie, des amerikaniſchen Stahlkönigs, erreichte in einem Jahre achtzig Millionen Mart.
Ohne
einen Finger zu rühren , bezieht er aus den Werken in jedem Monat einen Reingewinn von ſechseinhalb Millionen Mark! ganzen Unternehmens iſt in den Büchern mit und 65 Cent angegeben .
Der Wert des
1546544 234 Dollar
Das ſind in deutſches Geld umgerechnet
ungefähr ſechs tauſendzw eihundertfünfzig Millionen Mark ! Die Geſchichte des Stahltruſts iſt noch nicht geſchrieben worden . Es gibt noch kein Buch darüber, die Zeitungen berichteten wohl einzelne Phaſen ſeines Werdens , aber um den Zuſammenhang zu finden , mußte ich mir die Daten bei den
einzelnen Direktoren , Hauptaftionären und
Stahlkönigen Amerikas ausbitten.
Würden nicht die Jahresberichte
ichwarz auf weiß alle Einnahmen und Ausgaben haarklein kundgeben , hätte ich nicht die Mehrzahl der Werke in Pennſylvanien und Illinois, die großen Minen
am Superiorſee und die Häfen am Erieſee ſelbſt
beſucht, die Eiſenbahnen und Dampfer zu dieſem
Zwede benugt und
die fabelhaften Paläſte der Hauptmacher in Pittsburg und New York geſehen , ich wäre ſelbſt geneigt , an Märchen zu glauben , wie ſie die kühnſte Phantaſie faum
erdenken kann .
Die Stahlkönige der Neuen
Welt waren noch vor einem Vierteljahrhundert die letten , die eine ſolche Entwidlung der Eiſen- und Stahlinduſtrie in ihrem Lande für möglich gehalten hätten . Ihr erſter und größter, der Doppelmilliardär
176
Der Stahltruſt und ſein Reich.
Andrew Carnegie, ſagte damals reſigniert : „Wir können mit England nicht in den Wettbewerb treten , England macht Stahl um den halben Preis, den wir hier dafür zahlen .“
Þeute produziert Amerika nahezu
die Hälfte des ganzen Stahles der Erde , verkauft ans Ausland jähr: lich Stahlwaren
im
und England iſt
ſein beſter Abnehmer.
weitem
Werte von nahezu vierhundert Millionen Mark, Dabei iſt der Höhepunkt bei
noch gar nicht erreicht!
Der Hauptmacher des Stahltruſt war ganz gegen ſeinen Willen Carnegie ſelbſt.
Ohne Carnegie gäbe es wahrſcheinlich keinen Stahl
truſt, oder wäre er entſtanden , dann hieß der Stahltruſt Carnegie & Co. Jetzt ſteht Carnegie ganz außerhalb , iſt ein gewöhnlicher Privatmann und fiſcht in ſeinem Heimatlande Schottland Forellen. Im Stahltruſt hat er nichts zu ſagen .
An der Spitze desjelben ſteht heute Pierpont Morgan
mit ſeiner Gruppe von Grzmillionären , und aus den vielen techniſch induſtriellen Unternehmen früherer Jahre iſt nunmehr ein rein finan zielles geworden, mit dem Ziele, recht große Dividenden herauszuſchlagen . Nicht die techniſchen Montors von Pittsburg und Chicago, ſondern die Bankinſtitute der New Yorker Wallſtreet ſind die eigentlichen Leiter. Noch zu Beginn dieſes Jahrhunderts lagen die größten Eiſen- und Stahlwerke Amerikas in den Händen von Carnegie und ſeinen vierzig blutjungen Kompagnons, die er ſich gewiſſermaßen auf der Straße zu ſammengeſucht hat.
Die große Mehrzahl von ihnen hatte keinen Be
griff von Eijenproduktion und Stahlfabrikation , ſie waren als barfüßige Jungen in irgend welche Geſchäfte eingetreten und friſteten ihr Da ſein als Lehrlinge, Verkäufer in Grünzeug- oder Weißwarenläden , Ar beiter, Kutſcher, Kontoriſten .
Aber Carnegie erkannte in dieſen Winkel.
eriſtenzen die klugen Köpfe, das amerikaniſche go -ahead, Arbeitsluſt, Pflicht eiſer, Enthuſiasmus und das Streben reich zu werden . Das waren ſeine Ceute.
Er nahm
ſie in ſeine Kontors , ſeine Werke auf, und nach
kurzer Zeit , einigen Jahren oder ſelbſt nach ſechs Monaten, waren ſie Peiter ſeiner Arbeiterarmeen oder ſchloſjen Millionengeſchäfte ab oder wurden
Direktoren einzelner Werke , endlich ſogar Geſchäftsteilhaber,
177
Der Stahltruſt und ſein Reich.
und heute , zehn bis fünfzehn Jahre ſpäter , ſind ſie alle mehrfache Millionäre. Dieſe Verwendung blutjunger ungebildeter Leute ſeitens Carnegies muß umſomehr Verwunderung erweđen, als er gerade vor der Wiſſen ichaft koloſſalen Reſpekt zu haben ſcheint.
Er ſtiftete Hunderte von
Millionen für Schulen und Bibliotheken (näheres im 18. Kapitel ), und ſeine Lieblingsbeſchäftigung iſt neben dem Fiſchen die Lektüre guter Bücher.
Auf ſeine eigenen Schriften, ,, Der Triumph der Demokratie "
und andere, iſt er ſtolzer, als auf ſeine einzig daſtehenden Erfolge im Geld und Induſtrieweſen . Wie er aber ſelbſt ſagte, brauchte er für das leştere keine Profeſſorengelahrtheit und keine Wiſſenſchaft. Er brauchte vor allem Geſchäftsſinn und Arbeit.
Wurde in der Stahltechnik irgend eine Erfin
dung gemacht, ſo kam man ja damit doch zu ihm, und es lag in ſeiner Hand, ſie zu erwerben oder auszuſchlagen , je nach dein Urteil ſeiner eigenen Fachleute.
Er ſelbſt war nicht der Erfinder.
Er war auch
nicht der erſte Stahlproduzent Amerikas, wie es zuweilen behauptet wird.
Anderthalb Jahrzehnte vor ihm gab es bereits Stahlmillionäre
in Amerika .
Was er aber allein tat , war, der Stahlproduktion ihren
titanenhaften Aufſchwung zu geben, ſie zu vereinfachen, zu verbilligen und zum großen Teil in ſeinen Händen zu vereinen .
Schon in den
Neunzigerjahren war dieſe Produktion zu ſo enormer Höhe
empor
geſtiegen, und er konnte Stahl zu ſo billigen Preiſen liefern , daß die große Zahl kleinerer Stahlwerke für ihren geſicherten Fortbeſtand zu fürchten begannen. ſo mußte
Sollte er ſie nicht alle verſchlingen oder beſeitigen,
er ſelbſt beſeitigt werden .
Das fühlte ſogar der größte
fröſus Amerikas , John D. Rockefeller, noch jenes Carnegies übertrifft. daß er die
deſſen Milliardenvermögen
Rockefeller, nicht zufrieden damit,
ganze Petroleuminduſtrie Amerikas mit ihren vielfachen
Neben- und Hilfsinduſtrien in ſeinen allgewaltigen Händen hatte, beſaß ſchon vor anderthalb Jahrzehnten gewichtige Intereſſen in verſchiedenen Stahlwerken und Erzregionen des Beſtens.
Er erkannte die großen
Möglichkeiten der Stahlinduſtrie, und zuſammen mit dem Finanzkönig peiſe - Wartegg , Amerika . 12
178
Der Stahltruſt und ſein Reich.
Pierpont Morgan beſchloß er , die verſchiedenen Einzelbetriebe wenn möglich zu einem Truſt zu vereinigen . auszukaufen.
Dazu war es nötig , Carnegie
Aber Carnegie verlangte für ſeine Werke tauſend Mil
lionen Mark , eine ſo ungeheure Summe, daß ſelbſt Kodefeller davor zurücjchredte.
So beſchloß denn dieſer Oktoplus der amerikaniſchen
Induſtrie Carnegie gegenüber die in neueſter Zeit auch in anderen Sachen gerne befolgte Einkreiſungspolitik.
Carnegie ſollte iſoliert,
geſchlagen , ausgehungert werden , und im Verein mit Morgan und anderen Mächtigen begann Rodefeller ſeine Schlingen zu legen . ſie kannten die Macht Carnegies noch nicht.
Doch
Der kleine Schotte
wehrte ſich wie ein Löwe; ſtatt geſchlagen zu werden, ſchlug er ſelbſt mit aller Wucht darauf los . unter der Leitung
Als die größte Koksgeſellſchaft Amerikas
ſeines alten Feindes Frick
ihre Preiſe erhöhte,
drohte er, hundert Quadratkilometer Kohlenland zu kaufen und ſeinen Roksbedarf ſelbſt zu erzeugen . Als die großen Stahlwaggon- , Stahljägen- und Nagelfabriken , aufgeſtachelt durch Rockefeller, verſuchten , ihren Stahlbedarf ſtatt von Carnegie von anderen Werken zu beziehen , drohte er, ſelbſt Fabriken dieſer Art zu bauen und ihnen auf Leben und Tod Konkurrenz zu machen .
Als ihm Rockefeller durch Erhöhung der Erzfrachten auf den
Seen die Stahlerzeugung verteuern wollte, ließ er ſofort acht Fracht dampfer von je zehntauſend Tonnen bauen und transportierte ſeinen Erzbedarf ſelbſt.
Als endlich die mächtige Pennſylvania -Eiſenbahn,
die in ſeinem Staate geradezu ein Monopol beſaß, mit Frachterhöhung ihm gegenüber vorging , ſandte er ſofort Ingenieure , um eine eigene Eiſenbahn von mehreren hundert Kilometer Länge von Pittsburg bis an die atlantiſchen Seeküſten anzulegen . Die National Tube Company , die größte Geſellſchaft zur Erzeugung von Eiſen- und Stahlröhren , trieb er zu Baaren , indem er zwanzig Quadratkilometer Land in Conneaut, einem Hafen am Eriefee, kaufte, und fünfzig Millionen zur Erbauung neuer Röhrenwerfe anwies .
Dasſelbe tat er den Stab
eiſenfabriken gegenüber , und um allen anderen Stahlwerken Non
179
Der Stahltruſt und ſein Reich .
kurrenz zu bieten , ließ er verkünden , daß er ſeine eigenen auf den doppelten Umfang vergrößern würde. Schachzug ſeiner Gegner.
So parierte Carnegie jeden
Es war ihm nicht beizukommen.
Das ein
zige Mittel war nunmehr, ihn zu ſeinen Preiſen auszukaufen .
Der
einzige Mann, der dies bewerkſtelligen konnte , war Morgan . Tat er es nicht, ſo war der Nonkurrenzkrieg die
kleineren
da , Werke
waren dann ſicher dem Untergang
geweiht.
Morgan entſchloß ſich, den Verſuch zu machen , und bat
telephoniſch
von New York aus den Generaldirektor Carne gies, Charles Schwab , um eine Unterredung in Philadelphia . Die beiden Männer trafen ſich im dortigen Belle vue- Hotel und blieben kaum einige Minuten
Patton, Pittsburg, phot. Charles M. Schwab.
beiſammen. In ſeiner
brüsken Weiſe fragte Morgan den Vertreter ſeines Gegners : „Verkauft Carnegie ſeine Werke ?" „ Ja ," war die kurze Antwort. „Zu welchem Preis ?" „ Noch in dieſer Woche werde ich ihn nennen . Das war die ganze Begegnung .
Good bye ! "
Schwab kehrte ſofort nach Pitts
burg zurüc, und Carnegie begann zu rechnen.
Seine Werke waren
180
Der Stahltruſt und ſein Reich .
ſieben Jahre zuvor zu hundert Millionen Mark kapitaliſiert worden . Aber das war für ihn keine genügende Grundlage .
Vatte doch der
Reingewinn im Jahre 1900 nicht weniger als hundertſechzig Millionen Mark betragen .
Die Stahlwerke waren nicht als ſolche zu betrachten ,
für die Finanzleute der Wallſtreet von New York galten ſie vornehmlich als eine reiche Zinſen tragende Anlage ; auf dieſer Baſis mußte auch der Preis feſtgelegt werden .
Hundertſechzig Millionen Mark repräſen
tieren zum Zinsſuß von fünf Prozent dreitauſendzweihundert Millionen Mark. Selbſt dem fühnen Enthuſiaſten Schwab ſchwindelte bei der Nennung dieſer Summe. Aber fühl ſchrieb ihm Carnegie ſeine Bedingungen nieder : Fünfprozentige Goldobligationen . 301 000 000 Dollar Vorzugsaktien .
.
98 277 120
.
90 279 040
Reingewinn des laufenden Jahres
40 000 000
Aftien
.
II
Il
Zum damaligen Kurſe gerechnet machte das die unglaubliche Summe von 487 416 640 Dollar oder mehr als zwei Milliarden Mark ! ſchüttelte den Kopf .
Schwab
„ Das werden ſie nie bezahlen können ! “ meinte er.
Carnegie lächelte. ich verlangen könnte.
„Das iſt ja um
tauſend Millionen weniger als
Zwei Milliarden muß ich haben , feinen Pfennig
weniger." Am nächſten Morgen befand ſich Schwab, aus deſſen Munde ich dieſe Begebenheiten erfuhr , auf dem Wege nach New York. und eine Gruppe ſeiner Fröſuſje erwarteten ihn . dauerte diesmal drei Stunden .
Morgan
Die Unterredung
Dann ſchlugen die New Yorker ein ,
und damit war der größte Kauf, der jemals ſtattgefunden hat, beſiegelt. Carnegie, der einige dreißig Jahre zuvor mit fünfundzwanzigtauſend Mark Vermögen begonnen hatte, zog ſich mit zwei Milliarden aus den Geſchäften zurück ! Nun konnte der Stahltruſt wirklich organiſiert werden.
Morgan
machte ſich ſofort ans Werk und kapitaliſierte die vereinigten Unter nehmungen
zu
viertauſendfünfhundert Millionen Mark !
Ungefähr
181
Der Stahltruſt und ſein Reich.
jechzig Prozent der geſamten Stahlproduktion Amerikas, zwölf
bis
vierzehn Millionen Tonnen jährlich, waren unter einen gut gebracht ! Das war der Anfang der berühmten United States Steel Cor poration.
Während der erſten zwei Jahre ihres Beſtandes, 1901 und
1902, wurden die verſchiedenen über Pennſylvanien, Ohio, Flinois, Wisconſin und andere Staaten zerſtreuten Werke konſolidiert, und die Geſchäfte gingen wider alles Erwarten vortrefflich. Deroute.
Dann begann die
Um die Jahrhundertwende hatte ſich ein wahres Speku
lationsfieber der Finanzkreiſe bemächtigt, unzählige neue Aktiengeſell ſchaften waren entſtanden und hatten Wertpapiere im
Betrage von
nahe an dreißigtauſend Millionen Mark auf den Markt gebracht.
Das
war ſelbſt für die Aufnahmefähigkeit des amerikaniſchen Magens zu viel .
Die Aktien aller Unternehmungen gingen herab , die Vorzugs
aktien des Stahltruſts, die noch zwei Jahre zuvor auf hundert ſtanden , fielen auf fünfzig , die gewöhnlichen Aktien auf zehn ! allgemeine geſchäftliche Depreſſion .
Dazu kam die
Statt des dreimonatlichen Rein
verdienſtes von vierzehn Millonen Dollar wurden am Neujahrstage 1904 nur noch zwei Millionen Dividende erklärt, und die Aftionäre hatten das leere Nachſehen.
Die Wißblätter bemächtigten ſich
Stahltruſts, die Vorzugsaktien wurden als
geſchmackvolle
des
Zimmer
tapeten empfohlen, und den Teehändlern angeraten , jedem verkauften Pfund Tee eine Stahlaktie beizulegen, um
Käufer anzuloden .
Von
den ſechzigtauſend Aktionären verkauften zwölftauſend ihre Aktien um jeden Preis und verloren faſt ihr ganzes Sapital .
Zwanzigtauſend
Arbeiter mußten wegen mangelnder Beſchäftigung entlaſſen werden . Wer um dieſe Zeit Stahlaftien gekauft hätte, wäre ein halbes Jahr ſpäter zum reichen Mann geworden.
Zu Beginn des Jahres 1905
beſſerte ſich die allgemeine Geſchäftslage, das Vertrauen kehrte zurüd, und ſchon ſechs Monate nachher ſtanden die Vorzugsaktien wieder auf hundert, die gewöhnlichen Aktien auf vierzig.
Das iſt mit geringen
Schwankungen bis 1907 ſo geblieben , die Werke ſind mit dem Auf wand von Hunderten Millionen verbeſſert und vergrößert , die Zahl
182
Der Stahltruſt und ſein Reich .
der Arbeiter noch weiter vermehrt worden . der Stahltruſt immer mehr.
In der Tat bewährte ſich
Seit dem Ausſtellungsjahre von St. Louis
hat der Truſt neue Werke gebaut, neue Minen geöffnet, neue Städte an gelegt und alles nach modernſtem Muſter eingerichtet.
So zum Beiſpiel
die Traveskyn -Kohlenmine in der Nähe Pittsburgs.
Maultiere ſtehen
hier nicht mehr in Verwendung. tiven getreten.
An ihre Stelle ſind elektriſche Lokomo
Die Stollen ſind von einem Ende zum anderen elektriſch
beleuchtet, die Wände in der Umgebung der Schächte weiſs geſtrichen ( ! ) , Ventilatoren führen friſche Luft bis in die entfernteſten Winkel, und ein Telephonney verbindet die Arbeiterbrigaden mit dem Bureau des Leiters .
Die Arbeiter wohnen in hübſchen øäuschen , die Straßen des
Ortes ſind durch Bäume beſchattet, und die Miete beträgt zwei Dollar monatlich für jedes Zimmer.
Die Löhne betragen zwiſchen dreihundert
und ſechshundert Mark im Monat. beiter beſchäftigt.
3m ganzen ſind vierhundert Ar
Der Ertrag der Mine iſt ſechzigtauſend Tonnen
monatlich , das heiſst fünf Tonnen täglich für jeden Mann . Im
Frühjahr 1906 begann der Stahltruſt mit der Anlage einer
neuen Stadt, Gary mit Namen , am Südufer des Michiganſees unweit Chicago .
Freilich war es dazu nötig, einen Fluß in ein neues Bett
zu lenken , die Häuſer einer Anſiedlung nach einem anderen Fled zu transportieren
und jene einer zweiten Anſiedlung aufzukaufen , um
die Arbeiter unterzubringen .
Aber das ſind ja Kleinigkeiten !
Seit
her wird fleißig an der neuen Stahlſtadt gebaut, ein neuer Stadt park dem
Seeufer entlang angelegt und alles für die achtzehntauſend
Arbeiter hergerichtet, welche dieſe Stadt jegt ſchon bewohnen dürften . Für die neuen Hochöfen und Stahlwerke ſind dreihundert Mil . lionen Mark ausgeworfen , und einmal vollendet , werden ſie wohl nirgends ihresgleichen haben .
Die Rieſendampfer des Truſts
werden die Erze vom Superiorjee in drei Tagen nach Gary bringen ; die Maianlagen
mit
ihren
derart praktiſch , daß am begonnen werden kann .
Kranen
und Ausladeeinrichtungen
vierten Tage ſchon mit dem
ſind
Einſchmelzen
An Stelle der alten Dampfer auf den Seen
183
Der Stahltruſt und ſein Reich.
ſind 1906 vier neue von zehntauſend Tonnen Faſſungsvermögen ge treten, großen Ozeandampfern gleich.
Sieben andere Dampfer wurden
auf den Werften von Buffalo entzweigeſchnitten und erhielten in der Mitte neue Rumpfſtüde von zweiundzwanzig Meter Länge eingeſept, um ihren Faſſungsraum zu vergrößern.
In Youngstown wurden
für achtzig Millionen Mark neue Stahlwerke angelegt, welche zehn tauſend Arbeiter beſchäftigen , und ähnlicher Fortſchritt iſt überall ſonſt wahrzunehmen. Zweifellos hat die Vereinigung der früher einander bekämpfenden Werke größere Stetigkeit in das Stahlgeſchäft gebracht.
Während des
legten Vierteljahrhunderts, das iſt alſo feit den Anfängen der Stahl erzeugung im
großen ,
zwiſchen ſiebzig und
ſchwankten die Stahlpreiſe
dreihundert Mart.
für
die
Tonne
Der Truſt ſeşte ſie auf
hundertzwölf Mark feſt, und dabei iſt es geblieben, obſchon die Eiſen bahnen alles mögliche taten , um ſie herunterzudrücken . Angebote wurden vom Truſt abgelehnt.
Selbſt höhere
Um das erforderliche Material
früher zu erhalten, waren verſchiedene Eiſenbahngeſellſchaften bereit, ſtatt achtundzwanzig Dollar zweiunddreißig zu zahlen .
Morgan ließ
ihnen antworten : „ Unſer Preis iſt achtundzwanzig Dollar, nicht mehr und nicht weniger.“
Auch die Erzpreiſe ſind ſeit einigen Jahren die
gleichen geblieben , drei Dollar die Tonne. Ausſtände in der ungeheuren Arbeiterarmee, die bald zweihundert tauſend Mann erreicht haben wird, ſind kaum mehr zu befürchten. In überraſchend kurzer Zeit iſt es Morgan gelungen, die Arbeiter verbände (Trade unions) zu brechen.
Einige Monate nach der Organi
ſierung des Stahltruſts verſuchte die „Amalgamated Aſſociation von Eiſen- und Stahlarbeitern“ aus einer geringfügigen Urſache der mäch tigen Geſellſchaft den Krieg zu erklären.
Ihre Anhänger betrugen
kaum zehntauſend, und doch erließen ſie an die ganze Arbeiterarmee die Aufforderung, die Arbeit einzuſtellen .
,, Der Stahltruſt iſt
der
Meinung, daß ihr geradeſo wie die Stahlwerke verkauft worden ſeid ! Ihr müßt für eure perſönliche Freiheit kämpfen !
Wenn ihr ſtreift,
184
Der Stahltruſt und ſein Reich.
werden die Finanzkönige von Wallſtreet zittern !"
So hieß es in ihrer
Proklamation . Aber die Finanzkönige kümmerten ſich gar nicht um ſie und ließen ſie
ſtreifen.
Nach
zwei bis drei Monaten ,
während
welcher die
Aktien nur um drei Punkte fielen, kehrten ſie freiwillig zur Arbeit zurück, und ſtatt dem Stahltruſt durch den Streit zu ſchaden , zog dieſer im Gegenteil Nußen daraus.
Die Amalgamated Affociation war nun
ganz gebrochen , die Stahlpreiſe waren geſtiegen und die Leiter des Unternehmens gaben dem Generaldirektor Schwab freie Hand in der , lieber gute Ma
Bervollkommnung der mechaniſchen Einrichtungen. ſchinen, als gute Arbeiter," war ſein Motto . aber keineswegs vernachläſſigt.
Dabei wurden die letteren
Im Gegenteil.
Beſonders Morgan
trat dafür ein, ſie durch Herſtellung von Arbeitervierteln mit wohl feilen Mietpreiſen, Prämien für gute Leiſtungen , ſteigenden Löhnen und dergleichen
an
das Unternehmen zu feſſeln.
Ja , er beſchloß, ſie ſo
gar an den großen Einnahmen teilnehmen zu laſſen dadurch , daß er ihnen in jedem Jahre eine beſtimmte Anzahl Vorzugsaktien zur Verfügung ſtellt.
Um Spekulanten fernzuhalten, darf jeder Arbeiter
von den Wertpapieren nicht mehr kaufen, als ein Fünftel ſeines Jahres lohnes beträgt. ſtattet.
Der Ankauf iſt auch gegen ratenweiſe Abzahlung ge
Schon im Jahre 1903 machten ſich nicht weniger als ſiebenund
zwanzigtauſend Arbeiter dieſes Angebot zu nuße und wurden dadurch an dem Wachstum des Stahltruſts unmittelbar beteiligt .
Þeute denkt
die große Mehrzahl der Arbeiter gar nicht mehr daran zu ſtreiken. Die Minderzahl beſteht hauptſächlich aus den in den Kohlenminen beſchäftigten ausländiſchen Elementen , vor allem Ungarn und Böhmen. In den Erzminen ſind viele Finnländer und Jtaliener tätig, in den Eiſen- und Stahlwerken Amerikaner und Deutſche. Die Geſchäftswelt hat ſich allmählich mit dem Stahltruſt abgefunden, und auch die übrigen großen unabhängig gebliebenen Stahlproduzenten , darunter einige Firmen erſten Ranges in Pittsburg, dann jene der Alabama- und Coloradogruppe haben keineswegs unter der Konkurrenz
Der Stahltruſt und ſein Reich.
zu leiden .
185
Solange der Truſt in derſelben Weiſe weiterverwaltet wird ,
wie in den erſten Jahren ſeines Beſtandes , dürfte auch kein
Ein
chreiten ſeitens der Regierung der Vereinigten Staaten zu erwarten ſein .
Die Schreihälſe im Kongreß werden ſich auch nicht mudſen,
denn im Jahresbericht des Truſts figurieren nicht weniger als hundert achtzig Millionen Mark für „ Verbeſſerungen “.
Wie viele Millionen
verwendet worden ſind, um die Stimmung im Kongreſ zu „ verbeſſern “, mag dahingeſtellt bleiben .
Kommen ſchlechte Jahre in Amerika, dann
Copyright by Detroit Photographic Co. Die Eiſenwerte von Conneaut- Hafen. ſteht dem Truſt der Reſt der Welt offen, um ſeine Waren abzujes en. So ſagte mir wenigſtens, etwas zu hoffnungsvoll, einer der Direktoren, und führte gleich Beiſpiele an .
„ Im Jahre 1898 ſchon haben nicht
die Engländer, ſondern die American Bridge Company die große At barabrücke der Chartumeiſenbahn geliefert. eiſenbahn in England Lokomotiven
1899 bezog die Midland
aus Philadelphia .
1890
luden
vier große engliſche Dampfer in Conneaut am Eriefee Stahl und fuhren
damit nach Liverpool.
Noch jest fann der Truſt Rohſtahl in
England um nahe zehn Mark die Tonne billiger liefern , als die eng liſchen Stahlproduzenten .
1906 ſandte Amerika Eiſen- und Stahl
186
Die Stahlwerke von Homeſtead.
waren im Werte von achtzig Millionen Mark nach England. Ägypten ſind amerikaniſche Stahlwaggons eingeführt.
In
Die größte Zahl
der Brücken längs der ſibiriſchen Eiſenbahn , die Stahlgerüſte der Bahn höfe und Warenhäuſer in Dalny und anderen mandſchuriſch -ruſſiſchen Städten ſtammen aus Amerika u . 1. w .
England haben wir längſt aus
dem Felde geſchlagen ! " „ Und was halten Sie von der deutſchen Stahlinduſtrie ?" ,, Deutſchland ſteht uns am
nächſten .
Wenn die Deutſchen wake up
( aufwachen ), dann ſind ſie die einzigen , die uns auf dem Konkurrenz bieten können .
Weltmarkt
Sie ſind heute ſchon ſo weit, wie wir vor
ſieben Jahren waren . "
17. Die Stahlwerke von Homeſtead . ie Carnegieſchen Stahlwerke in Homeſtead bei Pittsburg gehören zu den größten Sehenswürdigkeiten von Amerika .
Wenn es auch
heute in Deutſchland zum Beiſpiel in Rombach , Differdingen und Aneut tingen ( Lothringer Hüttenverein Aumet Friede) u . ſ. w . Stahlwerke gibt, welche in Bezug auf praktiſche Anlage und die Benuşung der neueſten Verbeſſerungen die alten Carnegiewerke in Homeſtead bei Pittsburg weit aus übertreffen und ſogar von amerikaniſchen Ingenieuren als muſter gültig anerkannt werden , ſo wurden dieſe Werke doch hauptſächlich auf Grundlage der in Amerika gemachten Erfahrungen aufgebaut. überdies reicht feines von ihnen auch nur entfernt an die Leiſtungs fähigkeit von Homeſtead heran, ja , die lettere übertrifft mit einer Pro duktion von viertauſend Tonnen täglich jene aller dreizehn Lothringer Stahlwerfe zuſammengenommen .
Homeſtead ſteht darin noch heute
unübertroffen da . Es iſt indeſjen nicht nur dieſe unglaubliche Maſſe der Gejamtpro: duktion, welche Homeſtead zum Meffa aller Amerika beſuchenden Eiſen techniker macht, ſondern auch die Art diejer Produktion und die un
187
Die Stahlwerke von vomeſtead.
erreichte Größe der dort aufgeſtellten Maſchinen.
So wurde beiſpiels
weiſe im Jahre 1900 in Homeſtead in einem Guß ein Stahldorn für eine hydrauliſche Preſſe hergeſtellt, welcher hundertfünfunddreißig Tonnen wog , der größte Guß, der in Amerika jemals vollzogen wurde.
Man
kann ſich eine Vorſtellung von der Größe dieſes Stückes machen , wenn man berückjichtigt, daß unſere Perſonenzuglokomotiven etwa fünfzig Tonnen wiegen .
Die große Kaiſerglocke im Kölner Dom hat ein Ge
wicht von fünfundzwanzig Tonnen !
In Homeſtead werden Panzer
platten von vier Meter Länge und Breite und vierzig Zentimeter Dide gegoſſen, gebogen und geknetet , durch hydrauliſche Preſſen von neunzehntauſend Tonnen .
Es iſt dies ein Drud , der dem Gewicht von
etwa zweihundertfünfzig aufeinander getürmten Lokomotiven entſpricht. Dieſe gewaltigen Panzerplatten werden auch in kaltem Zuſtande mittels Kreisſägen in Stücke zerjägt , wie man Baumſtämme jägt ; freilich
nicht
init
den uns
bekannten
großgezähnten ſchwirrenden
Scheiben , ſondern mit Kreisjägen aus dem
härteſten Stahl mit ganz
feinen Zähnen, ſo daß die Zerteilung dieſer rieſigen Stahlmaſſen mehr durch Feilarbeit erfolgt. Man darf nicht glauben , daß in Homeſtead etwa der ganze Speiſes zettel der Eijen- und Stahlinduſtrie verarbeitet wird.
In den ameri
kaniſchen Werfen diejer Art iſt die Arbeitsteilung im weiteſten Maße durchgeführt.
Rieſige Anlagen mit vielen Tauſenden von Arbeitern
ſind nur für die Anfertigung eines einzigen Artikels beſtimmt, vielleicht Homeſtead mit gar nur zur Herſtellung des Rohmaterials allein . ſeinen achttauſend Arbeitern macht nichts als Stahlplatten , Träger und Stahlknüppel .
Das zweitgrößte, ebenfalls weitberühmte
Pitts
burger Werk der Carnegie Company, die Edgar Thompſon- Werke mit ſechstauſend Arbeitern , machen nichts als Stahlſchienen für Eiſen bahnen ,
freilich fünfzehnhundert Tonnen täglich.
Aneinandergelegt
würden dieſe Schienen eine Strecke von ſechsunddreißig Milometern bilden.
Das ergibt als Jahresproduktion ein doppeltes Schienengeleiſe
von fünftauſend Kilometern ; die Edgar Thompſon - Werke könnten daher
188
Die Stahlwerke von Homeſtead.
in einem Jahre alle Eiſenbahnlinien Belgiens mit neuen Schienen verſehen ! Das drittgrößte Werk der Carnegie Company , jeneß von Duquesne mit fünftauſend Arbeitern , produziert gar nur Rohſtahl zur Weiter verarbeitung durch andere Fabriken, und ſo geht es durch alle andert halb Dußend Werke der Carnegie - Stahlgeſellſchaft. Eben dieſe Arbeits teilung macht eine ſo große Produktion mit geringen Koſten möglich. Der Direktor der Geſellſchaft erteilte mir nicht nur in liebens würdiger Weiſe die Erlaubnis, alle Werke, die ich nur wünſchte, zu beſichtigen , er beauftragte ſogar einen ſeiner Ingenieure, mich zu be gleiten und mir alle Aufklärungen zu geben .
Nicht etwa deshalb,
weil er mir anſah, daß ich ein ganz harmloſer Menſch ſei und an den
Betrieben
nichts
Eiſeninduſtriellen
abguden
könne.
im Jahre 1903
eine
aus
Hommiſſion nach Amerika zum Studium ſandten ,
ſtanden
ihnen
überall Türen
die
engliſchen
Fachleuten
beſtehende
Selbſt
als
der dortigen Betriebe und
Tore offen ;
und
ent das
Reſultat iſt, daß in ganz Europa die amerikaniſchen Einrichtungen , ſoweit ſie von Nuten ſein können, eingeführt werden .
Die Ameri
kaner ſind ſich eben ihrer Kraft und überlegenheit bewußt . Betrieben iſt lettere weniger zu ſuchen .
In den
Sie liegt hauptſächlich in
der Maſſe und der leichten Erreichbarkeit der Kohlen- und Eiſenlager, welche es ihnen ermöglicht, mit denſelben Prozeſſen wie die Europäer, Stahl
zu zwei Drittel , ja bis zur Hälfte der europäiſchen Koſten zu
produzieren !
Sie wiſſent auch , daß dank der hohen Einfuhrzölle ein
ernſtlicher Wettbewerb europäiſcher Stahlprodukte in Amerika nicht zu befürchten iſt.
Der ungeheure Markt der Vereinigten Staaten bleibt
ihnen geſichert, dazu jener der angrenzenden Länder und ſeit neuerer Zeit auch Oſtaſiens und Auſtraliens. europäiſchen Fachleute
Warum ſollten ſie alſo nicht die
in ihre Fabriken laſſen , wenn es ihnen Spaß
macht ? Am Morgen nach meinem Beſuche im
Carnegie-,, Himmelfrager"
in Pittsburg fuhr ich, begleitet von dem Ingenieur, mit der Elektriſchen
189
Die Stahlwerke von Homeſtead.
Bahn nach Homeſtead.
Wir jauſten durch die entzüdend ſchönen Villen
viertel der Stadt, mit ihren von Gärten und Parks umgebenen Reſi denzen der Pittsburger Aröſuſſe, und eine halbe Stunde ſpäter kamen wir wieder die Höhen herab an den ſchmußig -gelben, trüben Monongahela ſtrom .
Jenſeit des Stromes breitet ſich die Stadt Homeſtead aus,
das Eſſen von Amerika, und weiter öſtlich, an den Ufern des Stromes, liegen auf einem Gebiet von dreihundert Morgen die weltberühmten Werke .
Seit Carnegie fie in den
Achtzigerjahren erwarb , wurden
fie bedeutend vergrößert, ja, er kaufte auch noch zwölfhundert Morgen auf dem jenſeitigen Stromufer und verband die beiden Teile durch zwei mächtige Brücken, auf welchen das Roheiſen aus den Hochofen nach den Stahlwerken von Homeſtead gebracht wird.
Unter dieſen
Hochöfen, die mit ihren turmartigen Bauten hoch über die Anlagen emporragen , befinden ſich zwei, welche täglich je ſiebenhundert Tonnen Eijen liefern ! Wenn ich in dem ſonſt jo rauchigen , wolkigen , nebligen, ſchwarzen Pittsburger Diſtrikt hier das jenſeitige Ujer des Monongahela und weit darüber hinaus ſehen konnte, wenn überhaupt über all den Walz mühlen und
Beſſemerwerken
und Offenherdöfen , dieſer Herenküche
Carnegies, ein für Pittsburg geradezu italieniſcher Himmel lachte, ſo hat dies ſeinen Grund darin , daß als Heizmaterial nur ſehr wenig Kohle , dafür deſto mehr Gas verwendet wird .
Pittsburg hat eben
neben ſo vielen anderen Vorteilen auch jenen , daß es keine Gas jabriken braucht, ſondern , wie ſchon auf Seite 172 geſchildert, es reiche Quellen von Naturgas beſigt . nuge ,
Natürlich machte ſich Carnegie das zu
gründete eine Carnegie - Gasgeſellſchaft zur Anzapfung dieſer
natürlichen Gaſometer , verkauft ſein Gas ſeinen Werken und zieht aus beiden ſeine Millionen .
Täglich werden für die Stahlfabrikation
ein paarmal hunderttauſend Kubikmeter Gas verbraucht, etwa
fünf
undzwanzig Millionen im Jahr (vergleichsweiſe ſei angeführt , daß ganz München für alle Zwecke jährlich nur etwa ſiebzehneinhalb Millionen Kubikmeter Leuchtgas verbraucht). Zur Beleuchtung wird
Die Stahlwerke von Homeſtead.
190
dieſes Naturgas gar nicht verwendet. Carnegiewerken den Aranen
An ſeine Stelle tritt in den
ausſchließlich Elektrizität.
und anderen Maſchinen
maſſen zur Verwendung.
Dieſe gelangt auch bei
zur Handhabung
der
Stahl
Homeſtead beſigt deshalb mitten zwiſchen
den Stahlöfen und Walzwerken ein großartiges Elektrizitätswerk.
Die
Dampfkeſſel zur Erzeugung der Elektrizität, mit zuſammen einhunderts vierzigtauſend Pferdekräften, werden mit Kohle geheizt, welche eben falls von einer Geſellſchaft Carnegies geliefert wird . An einer Portierloge, von welcher eine Treppe zu den Werken hinabführt, verließen wir den Straßenbahnwagen.
Ein uniformierter
Poliziſt löſte mir einen Erlaubnisſchein und ließ mich meinen Namen in ein Buch eintragen, das Einſchreibebuch Seiner Majeſtät Carnegie. Vor meinem Namen ſtanden jene von zwei Japanern
natürlich!
Wo ſteden auch dieſe nicht ihre Naſen hinein, wenn ſie etwas zu ihrem Vorteil abgucken können !
Gewiß wird im nächſten Jahr irgend eine
der Carnegieſchen Einrichtungen in Japan zur Konſtruktion kommen, um uns Kaukaſiern Wettbewerb zu machen !
Wir hatten gehofft, wie
aus allen Kriegen , ſo auch aus dem legten , bei allem Mitgefühl auch ein bißchen zu profitieren und die Armeelieferungen zu erhalten . kennt man aber die Japaner ſchlecht! produzierten ſie im
Da
Drei Viertel des ganzen Bedarfs
eigenen Lande .
Zu meinen Füßen breitete ſich die ganze Schöpfung Carnegies aus ,
fein
beſonders
Ziegelgebäude
maleriſcher Anblick.
mit ſchadhaften Dächern
Langgeſtreckte ebenerdige und weiten Fenſterhöhlen,
durch die ich zeitweilig weißglühenden Sprühregen erblickte ; zwiſchen dieſen Bauten, wohl hundert an der Zahl , ein Labyrinth von Schienen ſträngen , auf denen Eiſenbahnzüge hin und her liefen , beladen mit rieſigen
Eiſengefäßen ,
weißglühenden
Stahl
enthaltend ,
oder mit
Panzerplatten, Stahlträgern, Stahlklumpen . Über dieſen Eiſenbahnen hohe Träger in langen Reihen , andere Schienenpaare tragend für die vielen
Tragkrane ,
von denen
einige Laſten
bis zu hundertfünfzig
Tonnen heben und wie Pappſchachteln weiter transportieren können.
191
Die Stahlwerke von Homeſtead .
Einer dieſer durch Elektrizität gelenkten Krane hat noch einen Hilfs fran von fünfundſiebzig Tonnen , kann alſo ein Gewicht aufheben , das jenem von vier Lokomotiven entſpricht!
Ich hätte erwartet , zwiſchen
den Hütten ein Getümmel und Gewimmel geſchwärzter rußiger Ar beiter wie auf einem titanijchen Ameiſenhaufen beſchäftigt zu ſehen, ſtatt deſſen gewahrte ich ſie nur vereinzelt an den Maſchinen . In dem Glashäuschen jedes der gewaltigen Frane ſtedte ein Diogenes ; wo lokomotivenſchwere Laſten
gehoben wurden , ſtanden vielleicht zwei
oder drei Mann , um die Tragketten anzulegen ; wo Träger, hinreichend für den Stahlrahmen eines Himmelfragers , von den franen aufges ſtapelt wurden , gab es ein paar Leute , um die ſchwebenden Laſten auf den richtigen Fleck zu leiten , nirgends ſah ich Arbeiter in Gruppen . Nun ſind in den Werfen achttauſend von ihnen beſchäftigt.
Sie ver
teilen ſich aber auf ein paar hundert Morgen , es kommen ihrer alſo ein Dußend auf einen Morgen, und deshalb die auffällige Menſchen leere in dieſem Rieſenbetrieb .
Er kam mir, wie geſagt, vor wie eine
Herenküche, wo ſtählerne Köche, mit Dampf und Elektrizität in den Adern , an gewaltigen Kochherden ihr ſtählernes Menü kochten ; die rotglühende Eiſenjuppe
kam
aus den Kochtöpfen jenſeit des Stromes
in Eiſenbahnzügen angefahren , ſtählerne Arbeiter goſſen ſie in einen Kochtopf, der ein paar hundert Tonnen faßte , zuſammen , um einen gleichmäßigen Brei zu machen ; unten wurde diejer wie aus einem Samowar in Taſſen von je fünfundzwanzig Tonnen abgezapft und von anderen ſtählernen Möchen zu den Formen gebracht.
Wie man
in Haushaltungen kleine Zudertörtchen bädt, ſo wurde nun die mit Koheiſenbrei gefüllte Form in Offenherdöfen zu Stahl gebaden, und das ſtählerne Zudertörtchen war fertig . Ich wähle dieſen etwas ſonderbaren Vergleich , um die erſtaunliche Einfachheit der
Carnegiewerke zu
kennzeichnen .
Menſchliche Kraft
hat ihre Rolle hier ausgeſpielt, denn ſolche Vorrichtungen, wie ſie in Homeſtead gebräuchlich , ſind in der Tat „ über unſere Kraft“.
Die
aus den Kochöfen kommenden , wie Waſſer flüſſigen Eiſenmaſſen ſind
192
Die Stahlwerke von Homeſtead.
nicht gleichartig.
Um eine gleichartige Maſſe zu erzielen , werden ſie
in „Ladles“ , das heißt „ Schöpflöffeln “ zu einem „Mirer“ , das heißt Miſcher, gebracht und in dieſen eingegoſſen .
Ein Gefäß von ſolcher
Größe und Eigenart habe ich in meinem Leben noch nicht geſehen. Zwiſchen einem haushohen Stahlrahmen mit mannsdiden Streben ruht ein halbkreisförmiges Füllhorn , das an dreihundert Tonnen ge ichmolzenes Gijen faßt, alſo jo viel wie das Gewicht von ſechs Loko motiven .
Über und unter dieſem Füllhorn laufen Schienenpaare von
der größten Tragkraft.
Auf dem
oberen kommt der elektriſche Stran
angefahren , ein mit fünfundzwanzig Tonnen geſchmolzenem Eiſen ge fülltes Gefäß tragend .
Über der größeren der Füllhornöffnungen
bleibt er ſtehen . Ein Mann dreht einen Hebel, das Gefäß ſtülpt ſich um , und die Eiſenmenge fließt ziſchend und dampfend in den Miſcher. Ein Gefäß folgt dem anderen, bis der Miſcher gefüllt iſt. Eiſen in geſchmolzenem
Damit das
Zuſtand bleibt , iſt unter dem Miſcher nicht
etwa ein Feuer von ein paar Tonnen Kohle angemacht, ſondern es wird einfach Naturgas eingelaſſen .
Nach einiger Zeit iſt die Miſchung
perfekt , das Eiſen kann nach den Stahlöfen gebracht werden.
Dazu
muß man den Miſcher wie eine über der Spiritusflamme hängende Teekanne abwärts neigen . Miſcher kommt dafür
Für die einige hundert Tonnen ſchweren
eine
hydrauliſche Breſſe in Tätigkeit .
Ein
Arbeiter , Pardon , Gentleman in Handichuhen , dreht einen Hebel, der Stahlzylinder der Preſſe hebt mit unwiderſtehlicher Kraft auf der einen Seite den Miſcher empor , das geſchmolzene Eiſen fließt in
darunter
die
hängenden
Ladles ;
iſt
ein
„ löffel"
gefüllt,
ſo
führt der Kran ihn , frei an Ketten in der Luft hängend , zu den Offenherdöfen , baſiſchen Ofen
wo
Prozeß
beſitt
möglichkeit
das von
nach
wenig
auch
je
hundert
In
Deutſchland
Tonnen
gebräuchlichen
gebrannt wird .
fünfzig ,
wird in den
verwendet.
in
zu Stahl
Carnegiewerk
Der Beſſemerprozeß nur
dem
das Eiſen
in
mit
Produktions
vierundzwanzig
verſchiedenen
Homeſtead
einer
Derartige
ſtehen
Stunden.
Werken Carnegies zwei
Beſlemeröfen
193
Die Stahlwerke von Homeſtead.
von je zehn Tonnen , aber die Einrichtungen ſind ſo vollkommen , daß , wie der Bericht der engliſchen techniſchen Kommiſſion
ſelbſt
hervorhebt, ihre Leiſtungsfähigkeit jener der doppelten Zahl engliſcher Öfen gleichkommt. Auch in den Stahlhütten fiel mir die geringe Zahl von Arbeitern auf .
Bei jedem der fünfzig Offenherdöfen , der in je neun Stunden
vierzig bis fünfzig Tonnen Stahl erzeugt , ſind im
ganzen nur - drei
Arbeiter beſchäftigt, die auch den Abfluß des fertigen Stahls in die Formen beſorgen .
Die leşteren, geſtuzte Steilpyramiden von Mannes
höhe , werden durch Krane zu den ,,Strippers “ ( Abſtreifern) gebracht und unter den leşteren aufgeſtellt.
Sie ziehen die Formen nach dem =
felben Prinzip von den noch glühenden Stahlkuchen , wie die Köchin die Form von dem gebadenen Gugelhopf abnimmt : ſie dreht die Form um , klopft oben darauf, und der Gugelhopf fällt heraus .... den Stahlgugelhopfen beſorgt dies der „Stripper“ .
Bei
Seine ſchweren ,
an Rollen hängenden Klammern werden unter zwei ſeitliche Stahlnaſen der Formen gelegt, ein Hebeldruck ſeßt die Maſchinerie in Tätigkeit, und während die Form nebſt Inhalt an den Retten emporgehoben wird, drückt von oben ein Stahlſtempel auf den Stahlkuchen , ſo daß er unten aus der Form herausfällt. Noch glühend kommt er nach den Walzwerken .
In Homeſtead
ſind deren eine ganze Reihe vorhanden , darunter die größten Amerikas , mit ſtählernen Tiſchen bis zu mehreren Metern Breite und fünfund zwanzig Metern Länge.
An Stelle der Tiſchplatte beſigt der Rieſen
tiſch, ſo groß wie ein langgeſtredter Empfangsſalon, horizontale manns dide Walzen, die um ſich ſelbſt rotieren . In der Längenmitte des Tiſches ſind die meterdicen ſtählernen Breßwalzen , die durch einen leichten þebel drud verſchieden weit voneinander geſtellt werden können.
Sie walzen
die bis zu fünfundzwanzig Tonnen ſchweren , weißglühenden Stahl ſtüde, wie eine Köchin mit dem Nudelwalker Teig ausrollt. In dem weiten Raume ſind nur ein paar Arbeiter anweſend, denn ihre Tätig teit beſchränkt ſich auf das richtige Einſtellen der Maſchinerie. 13 Heiſe - Wartegg , Amerika .
Auf
194
Die Stahlwerke von Homeſtead.
der einen Seite kommen , an oberirdiſchen Aranen hängend , und von dieſen gelenkt, die Stahlklumpen angefahren und werden auf die Tiſch walzen gelegt. Ihre Drehung führt den Klumpen, der leicht wie ein Mork einherhüpft, zu den von kaltem Spülwaſſer umrauſchten Preßwalzen. Sie faſſen ihn, kneten und quetſchen ihn durch , und auf zwei Drittel ſeiner Dide reduziert , poltert er donnernd auf der anderen Seite hervor.
Dort wird durch einen Hebel die Drehrichtung der
Tiſch
walzen reverſiert, der Stahlblod wird wieder nach den Preßwalzen zurückgeführt.
Dieſe ſind inzwiſchen wieder durch einen Hebeldrud
näher aneinandergeſtellt worden, der Block wird auf ſeinem Hin- und Herlauf immer dünner, immer breiter und länger, und iſt die Platte hergeſtellt, ſo hebt ſie ein Aran vom Tiſch und trägt ſie zu der Be ſchneidungsmaſchine, während ein anderer Stahlblod zum Auswalzen kommt. Die Beſchneidung der rauhen Ränder der ein oder zwei Finger diden Stahlplatten erfolgt ebenſo einfach , als würden Pappdeckel vom
Buchbinder beſchnitten.
Die verſtellbaren Rollen auf dem Boden
machen es den Arbeitern leicht, die mehrere Tonnen ſchwere Platte richtig unter das Meſſer zu ſchieben, ein Hebeldruck, es ſenkt ſich und fährt durch den harten falten Stahl wie durch Butter. Beſonders ſinnreich iſt das Beichneiden der Platten in Areisform , wie ſie für die Heſſel böden erforderlich ſind ; aber eine Beſchreibung des Vorgangs iſt ohne Zeichnungen kaum möglich . Das Rollen der Platten und Stahlträger, das Beſchneiden und Bie gen und Vandhaben iſt für die Arbeiter nicht beſonders gefährlich, dafür kommen in den langen heißen Galerien , in welchen die Offenherdöfen für die Stahlbereitung ſtehen , ſehr häufig ſchwere Unglüdsfälle vor. Kürzlich fiel ein Arbeiter in die weißglühende Stahlmaſſe.
Ein wenig
Brodeln , ein biſschen Rauch , und er war verſchwunden .
Nicht ein
Atom blieb von ihm zurück.
Dieſe gefährliche, außerordentliches Ge
ſchick und Sorgfalt erfordernde Tätigkeit der Arbeiter bei den Stahl öfen und die Genauigkeit, welche bei
der Leitung der Walzwerke
195
Carnegie.
erforderlich iſt, muß natürlich entſprechend bezahlt werden.
Die dort
beſchäftigten Arbeiter erhalten ihren Lohn je nach der Menge der Leiſtung, und ſie ſtellen ſich auf ſieben bis fünfzehn Dollar, das ſind achtundzwanzig bis ſechzig Mart täglich.
Die leştgenannte Summe
verdienen ſich natürlich nur wenige Arbeiter : die Taglöhner erhalten täglich einen feſten Lohn von ſechs bis ſieben Mark , der durchſchnitt liche Taglohn aller Arbeiter , die Knaben mit eingeſchloſſen , erreicht aber immerhin ſechzehn Mark. Die Zahlung erfolgt nicht , wie bei uns , wöchentlich , ſondern alle vierzehn Tage .
Durchichnittlich
bleiben
die Arbeiter
vier bis fünf
Jahre in den Carnegieſchen Stahlwerken, bis ein Ausſtand, ein Un glüdsfall oder ein beſſeres Angebot ſie zum bewegt.
Verlaſſen von Homeſtead
Für Arbeitsunfähige, ſei es durch Alter oder Verletzung, hat
Carnegie einen Fonds von vier Millionen Dollar geſtiftet.
Ebenſo
werden alle Hoſpitalkoſten von der Geſellſchaft bezahlt , aber es iſt trotz allem nicht jedermanns Sache, in den Stahlwerken zu arbeiten. Für den fremden Beſucher ſieht ſich alles ſo ſtaunenswert leicht und einfach an, er erſchrict aber, wenn er einen Einblick in die Liſte der Opfer nimmt, welche dieſer tägliche Hampf und Sieg über das Eijen fordert.
18. Carnegie . is auf die Eſelsohren , die König Midas von Phrygien durch den
B
Zauberſtab Apollos auſgeſetzt erhielt, iſt der bisherige Midas
von Pittsburg, Andrew Carnegie, wahrhaftig ſeinem großen Vorbild gleich.
Dionyſos ſcheint, wie ſo viele andere ſeiner Landsleute , nach
Amerika ausgewandert zu ſein . Dort verlieh er dem armen ſchottiſchen Bauernſohn Carnegie die Gabe, alles was er berührte, in Gold zu ver wandeln . Erönten
Damit wurde er zum Midas von Pittsburg , zum unge König
der amerikaniſchen
Finanzwelt, unter
deſjen
Zepter
ſich all die kleineren Mönige der Eijenbahnen, Erzlager, Kohlenfelder ,
196
Carnegie.
Stahlwerfe furchtſam beugten .
Über Nacht konnte er ſie um
ihre
Reiche bringen , über Nacht arme Bürſchlein zu mehrfachen Millionären machen, und Duşende der legteren verdanken ihm allein ihre heutigen Hröſusvermögen.
Kröjus ?
Niemals hat dieſer berühmte König von
Lydien auch nur ſo viel ſein Eigen genannt, als der Midas von Pitts burg allein an jährlichen Einnahmen bezieht !
Niemals in der Welt
geſchichte hat ein ein zelner Mann, und jei er Kaiſer oder König geweſen , ſo in Millionen gewühlt, wie Carnegie. Franz I. von Frank: reich verſchwendete in einem Jahrnichtſo viel , wie
Carnegies
Ein
nahmen in einem Mo natbetragen.
Lud
wig XIV . ,
Roi
Soleil ,
der
verfügte
im
ganzen nicht über ſo viel , wie Carnegie jähr lich
für
wohltätige
Zwede allein ſeit An : beginn des zwanzigſten Fahrhunderts veraus. Andrew Carnegie .
gabt hat .
Der barfüßige 'Junge von einft war im Jahre 1907 der gefeiertſte Held
der Friedenskonferenz im Haag ,
Mark einen Friedenstempel bauen ließ.
wo er für
ſechs Millionen
Der deutſche Kaiſer empfing
ihn wie einen Fürſten ; die amerikaniſche Regierung bot ihm die Bot ſchafterſtelle in England an , er ſchlug ſie aus. Au die großen Banken und Truſts und Finanzgeſellſchaften der Neuen Welt wählten ihn zum
197
Carnegie.
Aufſichtsrat, er zog es vor , in ſeinem geliebten Vaterlande , im ſchot tiſchen Sochland, Forellen zu fiichen .
Er fönnte den köſtlichſten Ges
nüſſen der Erde frönen , und iſt ein einfacher Mann geblieben , der niemals raucht, keine Weine trinkt , Geſellſchaften meidet, niemals einen Dollar im Spiel verlor, niemals dem Pferdeſport oder anderen koſtſpieligen Paſſionen huldigte . Er könnte wie Naijer in Spezialzügen reiſen und fährt wie irgend ein anderer Sterblicher durch die Welt. aber keine Loge.
Er liebt das Theater, nimmt
Seine Hauptvergnügen ſind Leſen und Fiſchen , und
während er dies tut oder während er ſchläft, fallen ſtündlich an ſechs tauſend Mark in ſeine Kaſſe. Vielleicht ſind es zehntauſend, das heißt alſo im Jahr ſechzig bis achtzig Millionen, er weiß es wahrſcheinlich jelbſt nicht.
Wohl gibt es
Es kommt ja auch gar nicht darauf an .
noch einen reicheren Mann in der Welt als er, John D. Rodefeller, aber bei dieſem
iſt das Miliardenvermögen , über das er gebietet,
heftigen Schwankungen ausgeſept ; Carnegies Vermögen beſteht zum größten Teil aus fünfprozentigen Goldobligationen der ſicherſten An lage , ſein
weil des nötigſten Großartikels , nämlich Stahl .
Deshalb iſt
Bermögen feines jener , die man verlieren kann .
Er kann es
auch nicht ausgeben , ſelbſt wenn er mit ſeinen Schenkungen in gleicher Weiſe fortfahren ſollte, wie bisher.
So viele Millionen ſie auch be
tragen mögen , niemals hat er ſein Napital angegriffen , niemals auch nur annähernd ſeine Einkünfte ausgegeben .
Hier iſt eine Liſte der
wichtigſten Schenkungen :
.
Vierzehnhundert Bibliotheken
8
Einundfünfzig Unterrichtsanſtalten
10
Das Carnegie - Inſtitut . Carnegies Penſionsanſtalt für Lehrer . Carnegies Unterſtüßungsanſtalt .
.
10
11
4
5
Carnegies Heldenſtiftung
An ſchottiſche Univerſitäten
42 Millionen Dollar
.
10 Übertrag :
1
89 Millionen Dollar.
198
Carnegie.
Übertrag: .
Pittsburgs techniſche Schulen Friedenstempel im
89 Millionen Dollar. 10
II
142
vaag .
1
Ingenieurklub in New Yorf .
.
Pittsburgs Kunſtmuſeum .
.
Andere Stiftungen
2
11
17
3m ganzen 120 " , Millionen Dollar. Das ſind nahe an fünfhundert Millionen Mark , mehr als das Jahresbudget des Königreichs Bayern. Und dieſer Mann war noch vor vier Jahrzehnten ein armer Buch halter mit ein paar tauſend Mark Jahresgehalt.
Sein Milliarden
vermögen hat er ausſchließlich in Stahl erworben .
Als ich vor eini
gen 3ahren in Amerika war , lernte ich in dem
deutſchen Städtchen
Bethlehem in Pennſylvanien noch den Mann kennen , der den erſten Stahlofen
baute ,
den
alten
Johann Frit ,
und
in
Johnstown,
Pennſylvanien , ſah ich den erſten Djen für Beſſemerſtahl, erfunden nicht von Beſlemer in England, wie es vielfach zu leſen iſt, ſondern von William Kelly , deſſen Witwe noch in Louisville, im Staat Ken tudy , die Früchte dieſer weltbedeutenden Erfindung genießt.
Ja als
Carnegie an einem Novembertage in der Mitte der Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts geboren wurde, gab es in Amerika überhaupt noch keine nennenswerte Eiſeninduſtrie.
In Pittsburg gab es noch
keine Eiſenbahn. Chicago , das zweitgrößte Eiſen- und Stahlemporium Amerikas, war ein kleiner Handelspoſten im Indianergebiet und nie mand konnte auch nur träumen, daſs ein Menſchenalter ſpäter Amerika das größte Eijen- und Stahlland der Welt ſein würde. Im Jahre 1818 kam einem
Emigrantenſchijf
Carnegie mit ſeiner hungernden Familie auf von
Schottland nach
Amerika.
Jahre ſpäter fand jene berühmte Unterredung Bejjemer, dem
Erſt
ſieben
Napoleons III. mit
nachherigen Stahlkönig Sir Henry Beſſemer, ſtatt, in
welcher der Kaijer der
Franzoſen
ſich über das ſchlechte
Stanonen
199
Carnegie.
Beſſemer hatte durch zwei engliſche Eiſenarbeiter,
material beſchwerte.
die früher bei John Kelly in Amerika bedienſtet waren , Methode der Stahlerzeugung gehört anzuſtellen. Der Erfolg iſt bekannt.
von deſſen
und beſchloß , damit Verſuche
Zwei Jahrzehnte lang blieb Eng Dann aber kam
land an der Spiße der Stahlproduktion der Welt. Amerika und entriß ihm mit Leichtigkeit das Zepter.
Der erſte, der
ſich dort mit Stahl mehrere Millionen erwarb, war Eber Ward , der Sohn eines armen Leuchtturmwärters.
Als er 1875 ſtarb, hinterließ
er ſein Rieſenvermögen ſeiner Tochter Klara Ward , die es mit der ſelben Leichtigkeit, wie es erworben , wieder verpraſte .
Klara Ward
heiratete den Prinzen von Chimay , ſpäter den Zigeuner Rigo , und machte durch ihr Leben eine Zeitlang in Europa mehr von ſich ſprechen als alle Stahlkönige der Neuen Welt zuſammengenommen. Um 1870 herum folgte eine ganze Reihe von unternehmenden Männern dem Beiſpiele Wards, darunter auch Carnegie, der bis dahin in beſcheidenen Stellungen ſein Leben gefriſtet, aber doch ein paar tauſend Dollar erſpart hatte.
Damit gründete er die Carnegie Company zur Fabri
kation von Eiſen .
Daſ er ſofort Stahl produzierte und der Gründer
der Stahlerzeugung Amerikas jei , iſt, wie ichon früher erwähnt wurde , eine Fabel.
Bis zum Jahre 1873 war nicht ein Pfund Stahl aus
ſeinem Werke hervorgegangen , und die Geſchäfte gingen ſo ſchlecht, daß er gelegentlich der großen Finanzkataſtrophe von 1873 , welche jo vielen Unternehmungen den Garaus machte, nahe daran war, mit verſchlungen zu werden .
Da führte ihm der Zufall einen Mann zu,
der zu ſeinem ſpäteren Erfolg und ſeinem Milliardenvermögen den Grundſtein legte . heute
berühmten
gegründet
Das größte Stahlwerk waren Cambria
Works
von Daniel Morrell.
in
Johnstown,
damals die noch Pennſylvanien,
Carnegie ſelbſt ſagte in ſpäteren
Jahren davon , daß aus dieſem Etabliſſement mehr große Stahl techniker hervorgegangen ſeien , als aus allen anderen Werken Amerikas zuſammengenommen .
Der bedeutendſte darunter war Bill Jones, eine
nationale Berühmtheit.
Auch Jones war als barfüßiger Junge, ohne
200
Carnegie.
jede Schulbildung , bei Morrell eingetreten , und im Alter von
vier
unddreißig Jahren war er nahe daran , Leiter der Cambriawerke zu werden.
Carnegie brauchte damals einen Fachmann, um ſeine neuen
Werke in Braddod einzurichten , denn er ſelbſt war Dingen viel zu unerfahren .
in techniſchen
Er wurde auf Bill Jones aufmerkſam ,
und es gelang ihm , dieſen genialen Mann zu gewinnen .
Mit ihm
trat eine ganze Reihe der beſten Stahlarbeiter der Cambriawerke zu Carnegie über, und damit beginnt der phänomenale Aufſchwung der Carnegiewerke. Bis dahin war Amerikas Bedarf an Stahl hauptſächlich aus Eng land bezogen worden ; die Preiſe waren ſo hoch , daß beiſpielsweiſe für Stahlſchienen gegen fünfhundert Marf die Tonne bezahlt wurden, während die Erzeugungskoſten kaum ein Fünftel betrugen. Hier war alſo
der Hebel
anzuſeßen .
Carnegie erkannte das ſofort und gab
ſeinem techniſchen Leiter die weitgehenditen Vollmachten. Der energiſche, tollkühne Jones brachte es ſchon nach einem Jahre ſo weit , daß aus den von ihm geleiteten Werken fünf- bis ſechshundert Tonnen Stahl täglich gingen.
im Wert
von zwanzig- bis dreißigtauſend
Dollar
hervor
Tag und Nacht wurde gearbeitet, denn der Markt war vor
handen und jede Tonne wurde ſofort abgeſeyt .
In welchem Maße
ſich die Carnegiewerke in Braddock ausdehnten und die Stahlproduktion unter Jones’ Leitung ſtieg , ſagen die Reineinnahmen .
Schon zwei
Jahre nach dem Unglücksjahre 1873 betrugen ſie vierhunderttauſend Mark, 1878 eine Million , 1879 anderthalb Millionen , 1880 viereinhalb Millionen, und ſo ging das ſprungweiſe weiter.
Das waren die An
fänge des koloſſalen Milliardenvermögens des amerikaniſchen Stahl königs! Der eigentliche Macher , Bill Jones , blieb dabei im Hintergrunde und war nicht zu bewegen , mit Carnegie in Partnerſchaft zu treten . Hätte er es getan , ſein Vermögen wäre heute ebenſo unermeßlich wie jenes feines Brotherrn .
Er blieb für dieje jo ſpielend zu gewinnenden
Millionen unempfänglich.
Was er wollte, war arbeiten, alle anderen
201
Carnegie .
Stahlproduzenten
aus dem
Felde ſchlagen ,
arbeitende Maſchinen bauen.
neue ,
beſſere,
raſcher
Er begnügte ſich mit dem Fahresgehalt
von hunderttauſend Mark, und Carnegie mit ſeinen Aktionären ſtrichen die Millionen ein.
Um ſein Ziel , möglichſt große Produktion zu er
reichen , wandte er Methoden an , die nicht nur Induſtriellen
die Haare zu
amerikaniſchen Aktionäre
Berg ſteigen
jedem
europäiſchen
laſſen würden , auch
waren darüber entfeßt.
Erfand
er
die eine
beijere Maſchine , hörte er von irgend einer ſolchen , dann wurden die im Gebrauch ſtehenden , und wenn ſie auch nur ein Jahr alt waren , ſofort zum alten Eiſen geworfen , die neuen angeſchafft.
Millionen
wurden auf dieſe Art verſchwendet, aber die neuen Maſchinen brachten ſie in doppelter Zahl wieder ein . Während Jones in dieſer echt amerikaniſchen , rücfichtsloſen go ahead - Manier die techniſchen Arbeiten leitete, beſchäftigte ſich Carnegie mit der Erwerbung von Erz- und Kohlengruben , Vereinfachung und Verbilligung des Transportes, Erſchließung neuer Abjaşmärkte.
Das
Unternehmen ſtieg zu ſo rieſenhaften Verhältniſſen , daß Carnegie es nicht mehr leiten konnte , und im Jahre 1881 vier ſeiner tüchtigſten Beamten zu Geſchäftspartnern machte ; junge Leute, aus ebenſo ärm lichen Verhältniſſen hervorgegangen , wie er ſelbſt.
Damit betrat er
den Weg , der ihn ſchließlich zum zweitreichſten fröſus der Erde machte. Er beobachtete ſeine jungen Leute.
Sah er, daß einer oder der andere
unter ihnen großes Intereſſe am Geſchäfte nahm , ſich durch kluge Ge danken und Findigkeit hervortat , jo gab er ihm einen Anteil an dem Unternehmen . Heute iſt jeder einzelne von ihnen Beſitzer von Vermögen , die nach Dußenden von Millionen zählen. George Lauder beiſpielsweiſe war einer ſeiner vandlungsreiſenden, ein Jüngling von etwa zwanzig Jahren .
Gelegentlich eines Geſprächs mit Carnegie, in welchem er ihm
den Abſchluß einer großen Stahllieferung für die Mijjijjippibrücke in St. Louis mitteilte , fand der Stahlkönig Gefallen an ſeinem und
trug ihm die Partnerſchaft an .
ſpäter ,
Heute ,
kaum
Weſen
zwanzig Jahre
beſigt Lauder ein Vermögen von nahe an hundert Millionen
202
Carnegie.
Mark !
A. C. Dinkey war ein armer Junge , der als Lehrling in
Braddock begann und den älteren Arbeitern ihr Mittagbrot brachte. Später wurde er in der elektriſchen Abteilung angeſtellt, zeigte in den großen Carnegiewerken von Þomeſtead durch ſeine elektriſchen Anlagen, aus welchem polze er geſchnigt war, und mit ſechsundzwanzig Jahren wurde er Generaldirektor dieſer Werke, die allein zehntauſend Arbeiter beſchäftigen ! Lovejoy, heute ebenſo wie Lauder hundertfacher Millionär, war urſprünglich Frachtenkutſcher, dann Stenograph , Telegraphiſt, Zeitungsreporter , Arbeiter in einer Ölpreſſe und endlich Buchhalter. Als ſolcher trat er bei Carnegie ein und zeigte ſo viel Fleiß und Ge ſchicklichkeit, daß ihn der Stahlkönig unter ſeine Partner aufnahm . Zehn Jahre ſpäter war er einer der Multimillionäre Pittsburgs ! John Leiſhman war in ſeinem zehnten Lebensjahre Laufburſche in einem Eiſenwerf, ſpäter beaufſichtigte er das Abladen der Frachtbarken am Ohioſtrom händler .
und etablierte ſich
nach einigen Jahren als Eiſen
Seine Klugheit veranlaßte Carnegie , ihn als Handlungs
reiſenden anzuſtellen .
Leiſhman machte bei den Eiſenbahnen und Bau
unternehmern ſo gute Geſchäfte für die Carnegiewerke, daß Carnegie ihn zum Präſidenten der ganzen Geſellſchaft machte.
Dank ſeiner
finanziellen Unterſtüzung bei der Wahl des Präſidenten Mac Kinley bekam
er den Geſandtenpoſten Amerikas in der Schweiz und iſt heute
Botſchafter in Konſtantinopel. Ähnlich waren die Anfänge faſt aller Kompagnons in Carnegies Rieſenunternehmen.
Cauſburſchen , Straßenkehrer, Kutſcher, Arbeiter,
kleine Handlungskommis
aber durchweg flinke, freudige, energiſche
Jungen , die ſich überraſchend ſchnell in die neuen Verhältniſſe hinein fanden Mann
und die Arbeiterarmee zum
Sieg führten.
zigerjahre nur mehr ſelten
Carnegies
über zwanzigtauſend
Er ſelbſt war ſeit der Mitte der Acht in
Amerika.
Er ließ feine jungen
ſchäftsteilnehmer bei der Arbeit und reiſte weilte in ſeiner geliebten
ſchottiſchen
Amerika , dann brachte er durch
Ge
in Europa umher o der
Heimat.
Nam
er aber nach
doppelte Arbeit die verſäumte Zeit
203
Carnegie.
wieder ein.
Alles zitterte vor ihm .
Kurz angebunden, wuſch er ſeinen
Partnern die Köpfe, trieb die Aufſeher zu vermehrten Leiſtungen , die Handlungsreiſenden zu größerem Eifer , und hatte er die ganze Ge ſellſchaft gehörig zuſammengepeitſcht, ſo kehrte er Pittsburg wieder den Rüden, beſonders ſeit er Charles M. Schwab in ſeinem Geſchäfte wußte.
Schwab war ſein fähigſter Geſchäftsteilnehmer, dem
großen Teil ſeiner Milliarden zu danken hat.
er einen
Als barfüßiger Junge
verbrachte Schwab die erſten Jahre ſeines Lebens in dem Dorfe Loretto in Pennſylvanien .
Mit neunzehn Jahren war er Verkäufer
in einem Gemüſeladen von Braddod .
Dort ſah ihn Bill Jones und
nahm ihn als Arbeiter in die Carnegiewerke auf.
Sechs Monate
ſpäter war er Direktor der Edgar Thompſonſtahlwerke , der größten Amerikas nächſt jenen von Carnegie.
Mit dreißig Jahren übernahm
er auch noch die Leitung der legteren dazu, und ein paar Jahre ſpäter war er Präſident der Carnegiegeſellſchaft!
1901 , bei der Gründung
der United States Steel Corporation , wurde er deren Präſident und beſaß ein Vermögen von einhundertzwölf Millionen Mark. Sein Jahresgehalt als Präſident belief ſich auf vierhunderttauſend Mark. Dieſe meteorgleiche, märchenhafte Karriere verdankte Schwab einfach jeinem großartigen Organiſationstalent und der blißartigen Schnellige feit , mit der er alle günſtigen Gelegenheiten erfaßte , Geſchäfte zu machen und den
Abſaß zu vermehren .
Er war es , der nach dem
großen Arbeiterſtreit von Homeſtead die ruinierten Werke wieder auf baute, der Armee von Eiſenarbeitern wieder Vertrauen und Enthuſias mus einflößte , die gewinnbringende Fabrikation von Panzerplatten organiſierte und , gewißigt durch den Streif , das Hauptgewicht auf Maſchinenarbeit legte.
Der Streik könnte ſich wiederholen , ſagte er
ſich . Habe ich Maſchinen , dann brauche ich nur wenige geſchulte Arbeiter und die Werke brauchen nicht ſtill zu ſtehen . Mit ſeinen neuen Maſchinen wurden ſchon ein Jahr nach dem Streik zwölf Mil lionen Mark rein verdient, im Jahre 1898 war der Reinverdienſt nahe an fünfzig Millionen, im Jahre 1899 einhundertzwei Millionen Mark.
204
Carnegie.
Gleichzeitig damit ſtiegen die Stahlpreiſe, der Stahlbedarf wurde immer größer, die Werke konnten nicht genug liefern , und das Ergebnis des Jahres 1900 war einhundertſechzig Millionen Mart.
Davon erhielt
Carnegie als ſeinen Anteil alein hundert Millionen . Man denke nur : hundert Millionen in einem Jahre !
Die übrigen ſechzig Millionen be
kamen ſeine jüngeren Partner, darunter Schwab allein faſt ſechs Millionen ! Um die Jahrhundertwende produzierte Carnegie bereits den vierten Teil des ganzen Stahles von Amerika , und ſeine Eiſenproduktion war drei Millionen Tonnen im Jahr. zog er
achtundzwanzig
vom
þundert
Aus ſeinen Erzlagern be des
ganzen
jährlichen
Erz
bedarfs von Amerika , aus ſeinen Walzwerken gingen fünfzig vom Hundert des ganzen Bauſtahls und aller Panzerplatten hervor. Ausgaben
für Eiſenbahn-
und Dampferfrachten
erreichten
Seine jährlich
vierzig Millionen Marf , für Arbeitslöhne ſechzig Millionen Mark. Seine Produktionskoſten für Stahl waren um die Hälfte geringer als jene ſeiner Konkurrenten, für Stahlſchienen um vier Dollars die Tonne geringer.
Er verkaufte ſeinen Stahl in England um zehn Mark die
Tonne billiger als die engliſchen Stahlproduzenten .
Der Weg war
ihm alſo offen , alle ſeine Konkurrenten zu ſchlagen . Kein Unternehmen war jo groß , ſo gut geleitet und mächtig, wie das ſeine.
Wohl hatten
Rockefeller, Morgan und andere Geldkönige verſchiedener Stonkurrenza betriebe ſich vereinigt, um
ihm
die Spitze zu bieten , doch waren ſie
eben nur Finanzmänner , Carnegie war ein alter Fachmann und mit ſeiner Erfahrung , ſeinen Mitteln mußte er ſiegen.
Vor den Augen
der Geld-
der Millionen
und Stahlkönige lag
das
gelobte Land
verdienſte , aber alle Zugänge , alle ſtrategiſchen Punkte waren in den Händen Carnegies.
Carnegie muſzte fort, fort um jeden Preis .
Ge
lang es nicht , dann waren die kleineren verloren .
Der einzige Mann,
der dies erreichen konnte , war Pierpont Morgan .
Alle wandten ſich
an ihn und boten ihm goldene Berge, wenn es ihm gelang , Carnegie auszukaufen.
Und es gelang ihm , wie bereits in dem
den Stahltruſt geſchildert.
Kapitel über
205
Stahl ift Trumpf .
Carnegie, der nicht viel mehr als dreißig Jahre vorher mit ſechs tauſendfünfhundert Dollar, ungefähr ſechsundzwanzigtauſend Mark, das Eiſengeſchäft begonnen hatte, zog ſich als der reichſte Privatmann der Welt, als Beſiger von zweitauſend Millionen Mark, von dem Geſchäfte zurüd ! Die ganze Geſchichte lieſt ſich wie ein unglaubliches Märchen und doch iſt ſie buchſtäblich wahr.
Vielleicht iſt es das erſte Mal , daß fie
geſchrieben worden iſt, denn ſie ſpielte ſich innerhalb weniger Jahre ab . Man ſollte annehmen , daß damit ſelbſt in dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten das non plus ultra erreicht worden iſt, daß eine Wieder holung dieſer Märchen vom Gelde nicht mehr möglich ſei . iſt nicht ſo . übertroffen ,
Immer noch in
jedem
Aber dem
hat ein Jahrhundert das vorhergehende
ſind Männer erſtanden , reicher als alle ſprich
wörtlichen Kröſuſſe der vergangenen Zeiten , reicher ſelbſt als die Märchengeſtalten aus Tauſend und einer Nacht.
Die Rothſchild zu
Beginn des letten Jahrhunderts ſind durch die Carnegie und Rode feller an ſeinem Ende weitaus übertroffen worden , und wie die mo derne Zeit mit raſcheren Schritten vorwärts eilt als die vergangene, ſo dürfte auch dieſes Jahrhundert noch größere Vermögen zeitigen als jene, die heute, wie das von Carnegie, einem Märchen gleich erſcheinen .
รูrese
19. Stahl ift Trumpf. o titanenhaft der nordamerikaniſche Stahltruſt auch ſein mag,
S
ſo
umfaßt
er doch
nur etwas
über zwei Drittel jämtlicher
Eiſen- und Stahlwerke, Nohlen- und Erzlager der Vereinigten Staaten. Der Wert aller ſeiner Anlagen mit Land- und Minenbeſig zuſammen wird auf ſechstauſendzweihundertfünfzig Millionen Mark geſchätzt, jener der von ihm unabhängigen Werke auf zweitauſendfünfhundert Millionen , und die ganzen für Eiſen- und Stahlgewinnung geſchaf
Stahl iſt Trumpf.
206
fenen Anlagen Millionen
beſigen daher
Mart !
einen
Die Eiſeninduſtrie
Geſamtwert
von neuntauſend
verarbeitet augenbli & lich
jedem Fahre ſo viel Eiſenerz , daß man damit ein paar
in
Cheops
Mit den Familien zuſammengenommen ,
Byramiden bauen könnte.
iſt eine Bevölkerung von vier Millionen Menſchen , beinahe ſo viel wie Fllinois, der drittgrößte Staat der Union , Einwohner hat, direkt oder indirekt von der Eiſeninduſtrie abhängig.
Vor einem Menſchen
alter noch bewegte ſie ſich innerhalb ganz beſcheidener Grenzen , heute verfügt ſie über ſechstauſend der größten Walzwerke, dreitauſendzwei hundert Buddelöfen , fünfhundertdreißig kleinere Walzwerke, fünfhundert ſiebzig Offenherdſtahlöfen , vierhundertzehn Hochöfen und hundertdrei Beſſemer Konverters, denen Tag und Nacht ununterbrochen ein Strom von geſchmolzenem Stahl entſpringt, mit zwei Millionen Milogramm in jeder einzelnen Stunde . Mit der Eijeninduſtrie ſind auch ihre Werke ſelbſt gewachſen , und heute iſt ſie nicht mehr wie bis vor einem Menſchenalter beliebigen Unternehmern zugänglich , die über ein paar hunderttauſend Mark Ha pital verfügen.
Noch Carnegie , der bisherige Stahlkönig, hat ſein
Eiſenwerk mit jechaundzwanzigtauſend Mart beginnen können .
Heute
gehören Dollarmillionäre dazu , wenn ſie ſich der Eiſeninduſtrie mit Erfolg widmen wollen. Wie vor ſechs Jahrhunderten Stahl ein fönigliches Metal war, für Könige gemacht und von ihnen verwendet, ſo iſt es im Laufe der Zeiten , nachdem es den induſtriellen Kreislauf durchgemacht hat, wieder das Metall der Könige moderner Art -- das Metall der Geldkönige geworden .
Wer nicht ein ſolcher iſt, geht daran zu Grunde oder vers
brennt ſich die Finger.
Mit dem
Stahltruſt und der großen Zahl
anderer unabhängiger Werke kann heute nur ein Unternehmer
kon
kurrieren , der ſein eigenes Rohmaterial, ſeine eigenen Schiffe und Eiſenbahnen beſitzt und täglich zwei- bis dreitauſend Tonnen Eiſen und Stahl zu produzieren vermag.
Eine derartige Anlage koſtet aber, wie
mir die Stahlkönige von Pittsburg und Chicago erzählten , achtzig bis
207
Stahl iſt Trumpf.
hundert Millionen Mark !
An unabhängigen Werken ſolcher Größe
beſtehen heute noch ein Dußend in
den
Vereinigten Staaten.
Die
anderen kleineren werden in dem herrſchenden Streben nach Vereinigung der Betriebe aufgeſaugt werden oder untergehen müſſen. Wie New York der Sit des Kapitals der Vereinigten Staaten iſt, ſo iſt es auch heute zum Siß der größten Stahlgeſellſchaften geworden. Ganz abgeſehen von dem Stahltruſt, der in den Händen Morgans und ſeiner Geldkönige liegt , werden noch fünf unabhängige Geſellſchaften mit einem Aapital von ungefähr achthundert Millionen Mark von New York aus geleitet.
Drei andere mit vierhundert Millionen Napital von
Philadelphia und zwei mit vierhundertfünfzig Millionen Kapital find in Pittsburg.
Dazu kommen noch Chicago , Birmingham in Ala
bama und einige andere.
Selbſt von den Rohlen- und Erzminen ſind
die kleineren Geſellſchaften ausgeſchloſſen worden .
Die großen rüdten
ihnen durch Konkurrenzkämpfe ſo lange auf den Leib, bis ſie an die Wand gedrüdt waren .
Der ganze Kohlendiſtrikt von Pennſylvanien
liegt ebenſo wie der ganze Eijendiſtrikt des Superiorſees in den Händen einiger Geſellſchaften , mit denen jeder Wettbewerb für die kleineren ausgeſchloſſen iſt.
Dazu wären eigene Docks, Schiffe, Hrane, Eiſen
bahnen und Millionen an Kapital erforderlich.
Ein einziger Hochofen ,
der im Jahre hundertfünfzigtauſend Tonnen Gijen produziert, kann heute für weniger als vier Millionen Mark nicht mehr gebaut werden, und ein Aran zum Einladen oder Ausladen von Erz koſtet heute ſo viel, wie vor fünfzig Jahren ein ganzes Eiſenwerk. Das bedeutendſte vom Stahltruſt unabhängige Stahlwerk Amerikas iſt jenes von Jones & laughlin in Pittsburg , in mancher Hinſicht auch das vollkommenſte, und ſein jepiger Leiter, ein ganz junger Mann, der Sohn des Gründers B. F. Jones, wird von den Stahltechnikern allgemein als der Nachfolger Carnegies, als ungekrönter Stahlkönig anerkannt.
Wie die früheren Carnegiewerke, jo beſigen auch Jones &
Laughlin ihre eigenen bochöfen - ſechs an der Zahl — , Stahlwerke, Gießereien , Erzminen , Dods, Kohlenländereien, Koksöjen und Kaltſtein
208
Stahl iſt Trumpi.
brüche, ein Unternehmen , mit hundertdreißig Millionen Mark kapitaliſiert; die Produktion erreicht heute fünftauſend Tonnen Stahl täglich . Das älteſte der großen Stahlwerke Amerikas, die berühmten Cam bria Works in Johnstown, Pennſylvanien , blüht immer noch, ja ſein Hapital iſt auf zweihundert Millionen
Mark ,
die Arbeiterzahl auf
vierzehntauſend erhöht worden, und der Reinertrag erreicht durchſchnitt lich ſechzehn Millionen Mark im Jahre.
Wie die Cambria Works,
ſo ſteht auch die Pennſylvania Company von nahezu der gleichen Bes deutung unter der Kontrolle der mächtigen Pennſylvania-Eiſenbahn . Nur iſt die Bennſylvania Company nicht allein Stahlwerk, ſondern fie fabriziert alles mögliche, vom Bolzen bis zu großen Ozeandampfern und Stahlbrücken.
Vor wenigen Jahren wurden in den Dods der
Geſellſchaft in Maryland ſieben Ozeandampfer gleichzeitig gebaut !
Ihre
Eiſenminen hat die Geſellſchaft in drei Weltteilen, neben Amerika auch in Afrika und Europa , und holt ſich die Erze auf eigenen Schiffen. Das Kapital der Pennſylvaniageſellſchaft iſt das gleiche wie jenes der Gambria Works . Philadelphia beſigt eine ganze Reihe großer Eiſen- und Stahlwerke, von denen indeſjen nur die bekannten Werke von Henry Dißton & Sons eine den vorſtehenden ähnliche Bedeutung beſigen .
Aus ihnen gehen
jährlich eine halbe Million Sägen hervor, darunter folche von der Länge zweier Telegraphenſtangen für die Rieſenbäume Kaliforniens und die großen Dampfjägen von Minneapolis , dann freisſägen von zwei Meter Durchmeſſer u . ſ. w . Die dritte Eiſenſtadt Pennſylvaniens iſt Reading , der Sig der American Jron & Steel Manufacturing Company, einer Ge jellichaft mit achtzig Millionen Aapital , die ſich nur mit der Şerſtellung von
Nieten
und Bolzen , Schrauben und Muttern beſchäftigt.
Gründer iſt ein Deutſcher, J. H. Sternberg. war er bei einer Eiſenbahn beſchäftigt.
Ihr
In den Sechzigerjahren
Objchon ohne irgendwelche
techniſche Vorbildung, erkannte er doch , daß mit den kleinen Artikeln, die er heute in Maſſe fabriziert, viel Geld zu verdienen ſei, und machte
209
Stahl iſt Trumpi.
ſich ans Werk, entſprechende Maſchinen zu konſtruieren .
Das gelang
ihm vorzüglich, und heute iſt er vielfacher Millionär. Von ähnlicher Bedeutung wie Reading iſt auch die alte deutſche Stahlmetropole Pennſylvaniens, Bethlehem. John Fritz, heute ein Mann von fünfundachtzig Jahren , war der Gründer der dortigen Stahl induſtrie, und aus ſeinem Munde vernahm ich die bewegte Geſchichte ihrer Entwidlung .
Das beſcheidene Stahlwerk, das er vor einem
Menſchenalter angelegt hat, iſt eines der bedeutendſten und angeſehenſten Amerikas geworden , aus welchem die Vereinigten Staaten einen großen Teil ihres Bedarfs an Panzerplatten und Kanonen beziehen.
Dazu
werden Maſſen von Stahlwaggons, Bauſtahl, Träger u. 1. w . hergeſtellt. Der heutige Eigentümer der Bethlehem Steel Works iſt niemand anders als Charles Schwab , der erfolgreiche frühere Geſellſchafter Carnegies, und ſeine Reineinnahmen aus dieſen Werken haben in den leßten vier Jahren allein fünfzig Millionen Mark ' betragen ! Auch in den Südſtaaten , im Herzen von Alabama, hat ſich in den legten fünfzehn Jahren eine höchſt beachtenswerte Eiſeninduſtrie entwickelt, welche vor kurzem ebenfalls vom Stahltruſt aufgeſaugt worden iſt.
Als ich im Jahre 1883 auf dem Wege nach Mobile am Meri
kaniſchen Golf begriffen war, führte die Eiſenbahn noch zum größten Teil durch dichte Urwälder.
An einer Station, Birmingham , erhielt
der Zug die Nachricht, daß infolge eines ungeheuren Waldbrandes die Strecke nicht weiter befahrbar war .
Die Paſſagiere mußten die Nacht
und den folgenden Tag in Birmingham verbringen.
In einem Bretter
hotel nahe dem Bahnhof fand ich notdürftige Unterkunft.
Als ich am
nächſten Morgen die Anſiedlung beſuchte, fand ich eine ganze Menge von Shanties (Bretterhütten) im Bau, ein Hochofen glühte, nahebei wurde aus einer Mine Erz geholt , aber die Anſiedlung beſaß noch teine Straße !
Man hatte in dem hustling noch keine Zeit gefunden ,
die Urwaldbäume zu fällen, die zwiſchen den Holzhütten in den künf tigen Straßen ſtanden !
Der Leiter des Hochorens ſagte mir : „ Sommen
Sie nach ein paar Jahren wieder und Sie werden eine große Stadt 14 Helſe- Wartegg , Amerika .
210
Stahl iſt Trumpf.
hier finden. treffen.
Birmingham wird ſeinen Namensvetter in England über:
Kein Ort der Welt hat ſo viele Ausſichten wie Birmingham ! "
Der enthuſiaſtiſche junge Mann war ein Deuticher, þeinrich F. v. Bar deleben , ſpäter mehrfacher Millionär , dann Bettler , dann wieder Millionär.
„ Kommen Sie,“ lud er mich ein, „ ich werde Ihnen zeigen,
was alles hier für Schäße liegen .
Damit führte er mich durch den
Wald auf die Spiße eines Berges , Red Mountain genannt.
Er zeigte
auf den Boden und ſagte : „Hier ſtehen Sie auf einer Erzader von acht Metern Dide.
Drüben rechts ſehen Sie die weiten Warrior-Rohlen
felder, auf der anderen Seite jene von Cooja und Cahaba, und da zwiſchen in den breiten Tälern unten liegt genug Kalkſtein für alle Erze der Welt.
Einen ſo günſtigen Ort, wo alle Rohmateriale, Erz,
Kohle, Kalkſtein und Holz ſo nahe beiſammen liegen , gibt es nicht wieder ! " Bardeleben hatte recht.
Heute ſteht Alabama, was die natürlichen
Hilføquellen, Wohlfeilheit der Arbeitskräfte und die konzentrierte Lage rung
der Rohmateriale
betrifft, unter allen Staaten Amerikas an
erſter Stelle, an zweiter in der Produktion von Koks, an dritter in der Produktion von Eiſenerz, an vierter, was die Produktion von Roh eiſen
betrifft.
Die heutigen Eiſenmillionäre von Alabama – denn
auch ſolche ſind in den legten zwei Jahrzehnten in Birmingham ent ſtanden – behaupten , rings um ihre junge Stadt lägen um zweihundert Millionen Tonnen mehr Eiſenerz, als der Stahltruſt beſigt, und mehr Kohlen , als Pennſylvanien enthält ! Wenn
das bei der bekannten überſchwenglichkeit der Amerikaner
auch nicht wörtlich zu nehmen iſt, ſo wird ſich Alabama vorausſichtlich doch
in
abſehbarer
Zeit
auf
der
heutigen
was ſeine Eiſeninduſtrie betrifft, befinden .
Höhe
Pennſylvaniens,
New Yorker Wall Street
mit ſeinem unbegrenzten Kapital ſteht dahinter, und die ſogenannten Big four, d . h . die vier großen Eiſengeſellſchaften von Birmingham werden von dort aus geleitet.
Birmingham ſelbſt iſt eine Stadt von
vierzigtauſend Einwohnern geworden mit zweihundert Kilometern elef triſcher Straßenbahn und ſieben Eiſenbahnlinien .
In den Werken ſind
211
Stahl iſt Trumpf.
gegen zwanzigtauſend Arbeiter, zumeiſt Neger, beſchäftigt, und die Pro duktion erreichte im lezten Jahre vierzehn Millionen Tonnen Kohle, eindreiviertel Millionen Tonnen Eiſen und über hunderttauſend Tonnen Stahlſchienen.
In keiner Stadt fann Eijen und Stahl ſo wohlfeil
produziert werden , denn der Transport der Rohmateriale von den Minen zu den pochöfen koſtet nur drei Mark die Tonne, während er in Pittsburg das Vier- bis Fünffache erreicht. Die größte der Unternehmungen Birminghams iſt die Tenejjees Hohlen-, Eiſen- und Eiſenbahngeſellſchaft, gleichzeitig die größte der ganzen Südſtaaten .
Aus ihren Werken ſtammt die Hälfte aller
Kohle, alles Kofs und Eiſens in Alabama , ſowie die geſamte Stahl produktion dieſes Staates .
Die Gejellſchaft
beſigt an zweitauſend
Quadratkilometer Kohlenfelder , beinahe die Größe des Herzogtums Anhalt, und verwandte in den legten Jahren allein dreißig Millionen Mark, um ihre Werke und Hochöfen auf die Vodkommenheit jener von Pittsburg zu bringen .
Ihr Stahlwerk in Ensley wird von Fachleuten
ſogar als das beſte der Vereinigten Staaten geprieſen .
In keinem
iſt Elektrizität zu ſo verbreiteter Verwendung gelangt wie dort. Wenn Birmingham
nicht noch ſchneller vorwärts gekommen iſt, ſo iſt das vor :
nehmlich ſeinem Waſſermangel und dem Mangel an guten Arbeitern zuzuſchreiben .
Mit Negern
als Arbeiter iſt nicht viel anzufangen ,
und die Leiter der Werke denken deshalb daran , fie durch Ungarn und Italiener zu erſepen . Ein zweiter Eiſenſtaat, der in den legten zwei Jahrzehnten in den Bordergrund kam , iſt Colorado .
Als ich ihn im Jahre 1876 zum
erſten Male beſuchte, war er aus einem Territorium eben zum Staat erhoben worden.
Denver war noch ein kleines Städtchen und ſeine
zweite Hauptſtadt Pueblo nicht viel mehr als ein Dorf.
Heute iſt es
eine Stadt von ſiebzigtauſend Einwohnern, das Pittsburg der gebirge.
Felſen
Dieſe außerordentliche Entwicklung hat es ſeiner Eiſen- und
Stahlinduſtrie zu danken, und die leştere iſt wieder das Werf zweier Männer, J. C. Osgood und A. H. Damforth , welche in demſelben
Stahl iſt Trumpf.
212
Jahre wie ich zum erſten Male nach Colorado tamen .
Sie verfügten
über einige tauſend Dollar und wollten ſehen, ob in den Felſengebirgen rings um den berühmten Bikes-Beat oder weiter weſtlich hohle oder Eiſen vorhanden waren .
In der Tat wurden mächtige Lager gefunden .
Heute iſt die von ihnen in den Achtzigerjahren gegründete
Colo
rado Fuel and Iron Company eine der größten Eijen- und Sohlen unternehmungen der Vereinigten Staaten , mit einem Landbeſig von achtzehnhundert Quadratkilometern , nahezu die Größe des Herzogtums Sachſen - Hoburg und Gotha umfaſſend, auf welchem ſie für ihre jecha zehntauſend Arbeiter und deren Familien für eigene Rechnung vierzig Anſiedlungen mit über zweitauſend Häuſern erbaut hat.
Sie verfügt
über zwei Eiſenbahnlinien und viertauſend Milometer
Telegraphen
leitungen , welche die einzelnen über Colorado , Wyoming , Utah und Neumexiko verſtreuten Beſigungen, in der Wüſte oder in den Tälern oder hoch oben nahe den verſchneiten Gipfeln der Felſengebirge gelegen, mit dem Hauptſit der Werke, mit Pueblo, verbinden .
In den dortigen
þochöfen und Stahlwerken werden augenblidlich im Jahre zwei Mil lionen Tonnen Gijen und Stahl erzeugt und der Hauptſache nach zu Stahlſchienen , Stabeiſen, Draht, Bolzen und Schrauben verarbeitet . Aus ihren Kohlengruben gewinnt die Geſellſchaft jährlich fünf Mil lionen Tonnen und der Reinertrag der Werke ſeit ihrer Gründung beläuft ſich auf achtzig Millionen Mark! Dieſe außerordentliche Leiſtung verdient umſomehr anerkannt zu werden, als die beiden jungen Gründer des Unternehmens in Colorado , jenſeit der großen Prärien , über keinerlei Hilfsmittel verfügten, nicht wie in Pittsburg oder Chicago nur über die Straße zu laufen brauchten , um fehlenden Bedarf zu kaufen oder zu entlehnen , ſondern etwa wie auf einer Robinſon Cruſoe- Inſel vollkommen auf ſich ſelbſt angewieſen waren .
Und dabei ſorgten ſie in weiteſtgehender Weiſe für das Wohl
ergehen und die Unterhaltung ihrer weit verſtreuten Arbeiterarmeen durch Hoſpitäler, Schulen , Kindergärten , Wanderbibliotheken und Alub häuſer.
Bald erweckte das große Unternehmen , das die Induſtrien
213
Stahl iſt Trumpi.
nicht nur in Pueblo , ſondern im ganzen Staate Colorado aufbaute , die Aufmerkſamkeit der New Yorker Geldkönige.
Vor allem
war der
habfüchtige Oktopus der amerikaniſchen Induſtrien , John D. Rode feller , bald zur Stelle, und als die Depreſſion im Jahre 1903 auch im fernen Colorado, in den Eijenwerken Osgoods gefühlt wurde und die Geſchäfte ſchlecht gingen , gelang es Rockefeller , Osgood zu ver drängen und die Werke zu erwerben .
Mit dem ungeheuren Kapital ,
5
Copyright 1901 by Detroit Photographic Co. Stahlwerfe in Cleveland. daß dem New Yorker Erzmilliardär zur Verfügung ſteht, und dem großen Eiſenbahnſyſtem , das ihm untertan iſt, hat er die Grund bedingungen, um die Coloradowerke noch weiter zu entwickeln . Indeſſen alle dieſe großen, abſeits von den ſchiffbaren Flüſſen und den kanadiſchen Seen gelegenen Unternehmungen leiden dennoch unter den
teuren Eiſenbahnfrachten , zumal jetzt, wo die Regierung in jo
fraftvoller Weiſe mit allen Vorzugstarifen aufräumt . werte
bleiben gegenüber jenen ,
Dieſe Jnland
die an ſchiffbaren Gewäſſern liegen ,
214
Stahl iſt Trumpi.
immer im Nachteil, und ſo macht ſich denn in den lezten Jahren das Streben geltend, neue Werke dieſen billigen Verkehrsunitteln näher zu legen.
In Cleveland am Erieſee ſind ſie ſchon vorhanden.
truſt baut neuerdings rieſige Werke am
Der Stahl
Südufer des Michiganſees
nahe Chicago und dazu eine eigene Arbeiterſtadt namens Gary.
Für
Þanna's Stahlwerke ſind großartige Erzdocs am Grieſee angelegt worden mit ſtählernen Kranen , welche das Ausladen der Erzmaſſen geradezu ſpielend beſorgen.
Alle Chicagowerke, vornehmlich die große Flinois
Steel Company, ziehen ſeit ihrer Gründung durch die billigen Waſſer frachten gegenüber den Jnlandwerken , darunter jenen von Pittsburg, beträchtlichen Nugen und können ihre Produkte per Tonne um acht Mark billiger herſtellen .
Das veranlaßte eine Gruppe New Yorker
Multimillionäre, darunter Cornelius Vanderbilt, D. D. Mills, Moſes Taylor, Adrian Iſelin (ein Schweizer) und andere, ihre großen Eiſen werke in Scranton , Pennſylvanien , aufzugeben und in der Nähe von Buffalo ,
am Eriefee , neue Werke zu bauen , die berühmten Lada
wanna Works , heute die größten , neueſten und vollkommenſten von Amerika.
Ja es dürfte auch in Europa mit ein oder zwei Ausnahmen
keine geben , die ſich an ſo vollkommener Einrichtung mit ihnen meſſen können . Noch vor einer kurzen Reihe von Jahren war Stony Point, einige Kilometer von Buffalo, nichts als ein großer Sumpf , das beliebteſte Jagdgebiet der Buffalo Sportsmen . Heute breitet ſich dort eine große Induſtrieſtadt von fünfunddreißigtauſend Einwohnern aus, mit Stahl werken, Dods und Hochöfen , die ein paar Kilometer bedecken , und einer Jahresproduktion von eineinviertel Millionen Tonnen . öjen
Bier der Hoch
ſind die größten , die jemals gebaut worden ſind, und die Gass
maſchinen mit zweiundvierzigtauſend Pferdefräften ſind eine Sehens würdigkeit für Fachleute.
Die größte der Schienenwalzmühlen hat eine
Bahnlänge von ſechshundert Metern ( ! ) . Der Kai , an welchem die Schiffe ihre Erzmengen ausladen , iſt anderthalb Kilometer lang , und um das ſeichte Müſtenwaſſer durchfahren zu können , mußte ein ebenſo langer
215
Stahl iſt Trumpi.
Schiffskanal angelegt werden .
Koks wird durch einen Tunnel vom
Þafen direkt in die Hochöfen geleitet.
Die rieſigen Krane ſind ſtart
genug, um ganze Lokomotiven zu heben, und ein Eiſenbahnſyſtem von fünfundfünfzig Kilometern Länge durchzieht die ganze Anlage, die bis jegt zu ihrer Herſtellung einhundertſiebzig Millionen Mark verſchlungen hat.
Seither war wohl kein Reinertrag zu verzeichnen, aber was macht
das einem Vanderbilt aus ! Er hat die Mittel, zu warten . der Lackawanna Steel Works iſt ein
Der Leiter
Deutſcher , veinrich Behrum ,
einer der populärſten Männer von Buffalo. Bald wird auch Pittsburg ſeine Waſſerverbindungen haben , denn es hat einſehen gelernt, daß es durch ſeine teuren Landfrachten in dem Wettlauf um die Herrſchaft in der Stahlinduſtrie am Ende doch zurück bleiben müßte.
Auch für Pittsburg gilt das geflügelte Wort : Unſere
Zukunft liegt auf dem Waſſer.
So ſind denn längſt die Projekte für
die Vertiefung und Schiffbarmachung des Ohioſtromes bis an ſeine Mündung in den Milfijſippi ausgearbeitet worden , ebenſo auch jene für einen Schiffsfanal von Pittsburg nach dem Eriejee .
Erſt nach der
Vollendung dieſer von den Vereinigten Staaten herzuſtellenden Arbeiten wird Pittsburg ähnlich günſtige Frachtverbindungen haben wie Buffalo oder Chicago . für
Bis jeßt war Aſhtabula am Erieſee der Haupthafen
den Erztransport vom Superiorſee nach Pittsburg, und es iſt
leicht möglich, daß mit der Zeit auch dort große Eiſenwerke entſtehen werden . Eine andere an den Seen gelegene Stadt mit großer Eiſeninduſtrie iſt
das
deutſche Milwaukee am Michiganſee , mit den größten
Maſchinenbauetabliſſements Amerikas.
Die bedeutendſte , durch ihre
Dampfmaſchinen auch in Europa bekannte Firma iſt dort Allis & Chal mers.
Auch Duluth, am äußerſten Weſtende des Superiorſees, in un
mittelbarer Nähe der großen Erzlager der Vereinigten Staaten gelegen, winkt eine bedeutende Zukunft in Bezug auf Eiſen- und Stahlinduſtrie ( näheres im 27. Kapitel ), denn die leptere wird ſich noch für Jahrzehnte hinaus in aufſteigender Linie bewegen .
Heute ſchon ſtehen Eiſen
216
Mohle.
und ſeine verwandten fnduſtrien , mit Ausnahme von Agrikultur produkten, an der Spige aller Erwerbsquellen Amerikas. Im Jahre 1906 betrug der Wert der Eiſenprodukte nahe an zehn tauſend Millionen Mark !
Damit haben ſie ſelbſt die Produkte
der Tertilinduſtrie überholt , deren Wert in den offiziellen Tabellen um nahe hundert Millionen Mark geringer angegeben iſt.
Die früher
alles übertreffende Holzinduſtrie, heute noch mit fünftauſend Millionen Wert, iſt weitaus überholt worden , und daran reihen ſich die Produkte der chemiſchen Induſtrie aller Art mit viertauſend Millionen , der Metallinduſtrie mit dreihundertachtzig Millionen , Bapierinduſtrien und Druckereien mit dreihundertſechzig Millionen , und Sederinduſtrie mit dreihundert Millionen Mark.
Alles in allem erreicht der Wert der
amerikaniſchen Induſtrien bereits einen
jährlichen Wert von ſechzig
Milliarden , und wenn ein Wort in Bezug auf Amerika richtig iſt, jo iſt es das des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten !
Das gilt vor
allem vom Stahl . Als ſich Andrew Carnegie nach dem Verkauf ſeiner Rieſenwerke an den Stahltruſt von ſeinen Geſchäftsteilhabern verabſchiedete, äußerte er ſich folgendermaßen : „Wir ſind am Vorabend einer Entwicklung unſerer In duſtrien , wie ſie die Welt noch nicht geſehen hat, und das Volk, welches Stahl am billigſten herſtellt, wird die anderen Völker zu ſeinen Füßen haben . “
gere
20. Kohle . er hätte es noch vor zwei Jahrzehnten für möglich gehalten ,
Indien aus demne fernen , 3talien daß die jeten Amerika lei,,Sahehen schweis e ble Schweiz Web fohlen beziehen würden ? Der Weltmarkt in Bezug auf die ſchwarzen Diamanten wurde bis auf die jüngſte Zeit von England beherrſcht. Wohin ich in der weiten Welt kam , in allen Häfen gab es vornehmlich nur Cardiff-Nohle, die in unmittelbarer Nähe der engliſchen Seeküſte zu Tage gefördert , für geringe Frachten durch alle Meere bis in die
Ausladen von Hanna's inrie EStahlwerken (Erz .),P a
Co. Photographic Detroit by Copyright
Kohle.
fernſten Gegenden geführt wurde.
217
Selbſt Amerika bezog davon, denn
ſeine Kohlenlager liegen Hunderte von Milometern von ſeiner atlan tiſchen, Tauſende von ſeiner pazifiſchen Küſte entfernt.
England war
in Bezug auf Hohle auf dem Weltmarkte alleinherrſchend , und das geflügelte Wort : „ Kohle nach Newcaſtle tragen “ , hätte ebenſogut lauten können : „ Kohle nach England tragen " . Und heute hat Amerika England in dieſem Weltartikel längſt über flügelt, ja die Noblenproduktion wächſt dort geradezu in unheimlicher Weiſe. Im Jahre 1869 betrug ſie erſt fünfzehn Millionen Tonnen, heute drei hundertzwanzig Millionen Tonnen !
In der Weltproduktion ſpielen nur
drei Länder eine Rolle, die zuſammen über vier Fünftel davon liefern, nämlich Deutſchland , England und Amerika.
Deutſchland produziert
heute ungefähr einhundertjechzig Millionen, England zweihundertdreißig, Amerika aber dreihundertzwanzig Millionen Tonnen .
Wie raſch das
letztere in ſeiner fohlenförderung voraneilt, geht aus einem Vergleich mit dem Jahre 1870 hervor.
Seither ſtieg ſie in England um ein
hundertzehn Prozent , in Deutſchland um
dreihundertfünfundachtzig
Prozent , in Amerika aber um achthundertſiebenundſechzig Prozent. Gerade vor hundert Jahren betrug die ganze Kohlenproduktion der Erde nur elf Millionen Tonnen , und Amerika war darin noch gar nicht vertreten .
Heute beträgt ſie das Sechzigſache , wovon Amerika
mehr als ein Drittel liefert.
Freilich iſt England bis jeßt der be
deutendſte Kohlenerporteur geblieben mit dreißig bis vierzig Millionen Tonnen, denn Amerika verbrauchte ſeine Kohlen der rieſig anwachſen den Induſtrie wegen ſelbſt , doch werden heute ſchon fünf bis ſieben Millionen jährlich nach
anderen Ländern
ausgeführt ;
im
nächſten
Fahrzehnt dürfte Amerika auch als Kohlenlieferant der Welt England 1
überflügelt haben .
Dabei iſt die Steigerung der Produktion gar nicht abzuſehen, denn die amerikaniſchen Kohlenlager, øunderttauſende von Quadratkilometern umfaſſend, find größer als alle anderen der Erde zuſammengenommen . Die
engliſchen werden innerhalb einer gegebenen Zeit erſchöpft ſein ,
Stohle .
218
und dann iſt dieſer früher vornehmſte Kohlenproduzent der Erde in ſeinem Bedarf auf Amerika angewieſen . Wenn Amerika wie in jo vielen anderen Artikeln auch in dieſem einen ſo ungeahnten Aufſchwung genommen hat , ſo verhalfen ihm bisher wieder nur die Arbeitskräfte dazu, die Europa ihm mit ſeinen engliſchen , ungariſchen
und polniſchen
Auswanderern
geliefert hat.
Ohne ſie wäre der größte Teil der unterirdiſchen ſchwarzen Schäße Von
bisher ungehoben geblieben .
der Armee von Hohlenarbeitern
ſind ſieben Zehntel europäiſche Auswanderer.
In den beiden haupts
ſächlichſten Kohlenſtaaten , Pennſylvanien und Weſtvirginien, ſind allein gegen fünfhunderttauſend Kohlenarbeiter beſchäftigt.
Dazu kommen
jene von Miſſouri, Kanſas, jllinois ( ſechzigtauſend Mann) , Ohio und Alabama , das ſich
den Südſtaaten , vornehmlich
immer mehr als
Von den dreihundertzwanzig Millio
Kohlen- und Eiſenſtaat entpuppt.
nen Tonnen , die ſie zu Tage fördern , ſind ungefähr ſechsundſechzig Millionen Anthrazitfohlen , und in der Produktion der leşteren ſteht Pennſylvanien ebenfalls obenan . ſtaaten
Nahezu die Hälfte aller
Union
Pennſylvanien produzierte etwa gerade
haben Kohlenlager.
ein Drittel aller Hohlen Amerikas , weit mehr als Öſterreich und Frankreich (vierzig und ſechsunddreißig Millionen Tonnen ) zuſammen genommen .
Dann folgen Flinois mit dreißig , Weſtvirginien mit
fechsundzwanzig (großenteils Anthrazitkohle ) , Ohio mit zweiundzwan zig , Alabama mit zehn ( gerade ſo viel wie das Saargebiet ) , Indiana mit acht und die Staaten Nolorado, Kanſas, Kentucky und Jowa mit ungefähr je ſechs Millionen Tonnen . Bennſylvanien ſteht auch an der Ein Diſtrikt allein , jener von Connells
Spige der Moksproduktion.
ville in der Nähe von Pittsburg, lieferte vierzehn Millionen Tonnen der Gejamtproduktion von dreiundzivanzig Millionen Tonnen . wurden
ſechsunddreißig Millionen Tonnen Kohle liegt
größte
Anthrazitregion
Lehigh
und Wyoming und
Minengeſellſchaften .
in iſt
den
Flußgebieten
Zu dieſen
verbraucht. des
Die
Schuyltia,
faſt ausſchließlich im Beſit reicher
Sie umfaßt ungefähr eintauſendvierhundert Dua
Mohle.
219
dratkilometer, beſchäftigt hundertzehntauſend Arbeiter und liefert jähr lich an vierzig Millionen Tonnen der beſten Anthrazitfohle. Die größte Kohlenſtadt Amerikas dürfte wohl Scranton im öſt lichen Bennſylvanien ſein . Seine achtzigtauſend Einwohner leben faſt nur vom Kohlenbergbau . Als ich ſie vor einigen Jahren beſuchte, machte ſie keineswegs dieſen Eindrud.
Statt der ruſzigen Arbeiter in ihren mit
Mohlenſtaub bedecten Anzügen , die ich ſonſt in engliſchen Kohlenſtädten überall antraf , fand ich vorherrſchend wohlgekleidete Leute , die eher wie Gewerbetreibende oder Kontoriſten ausſahen .
Nur die Polen und
Ungarn machen darin eine Ausnahme, und wo Kohlenſtädte von ſolchen bewohnt ſind ,
iſt von der Reinlichkeit Scrantons nicht viel wahr:
zunehmen . Sobald ein Nohlenarbeiter heiratet , pflegt er ſich ein kleines Hauß von fünf bis ſechs Zimmern zu kaufen, das mit allem Zubehör, ſelbſt mit Badezimmer , dreitauſendfünfhundert bis viertauſend Mark koſtet.
Der Preis von Baugrund ſchwankt zwiſchen ſechshundert und
zweitauſend Mark je nach Lage.
Die Mehrzahl der Häuſer, die ich
beſuchte, war ganz behaglich eingerichtet, mit gepolſterten Möbeln im „Þarlour“ , Bilder hingen an den Wänden, in manchen gab es kleine Büchereien , der Fußboden war mit bunten Teppichen bededt , die Fenſter hatten weiße Vorhänge.
Das ganze „ vome“ wird in Monats
raten von zehn bis zwanzig Dollar abbezahlt ; viele Arbeiter ſind ina deſſen in der Lage , ihr Häuschen in bar zu bezahlen , denn das dulci jubilo , dem in engliſchen Kohlenſtädten gewöhnlich gehuldigt wird, gibt es hier nur wenig.
Von den Stadtbeamten erfuhr ich , daß über
zehntauſend Arbeiter in den Banken beträchtliche Erſparnijie, darunter ſolche von mehreren tauſend Dollar, angelegt haben , obſchon ihre monat lichen Einkünfte durchſchnittlich nur ſechzig bis fünfundſiebzig Dollar ( zweihundertvierzig bis dreihundert Mark) betragen .
Der Grund liegt
wohl darin , daß die Temperenzbewegung in den Minendiſtrikten in raſchem Aufſchwung begriffen iſt.
Ihre Mittel ſind nicht nur die Ab
haltung vom Genuß geiſtiger Getränke , ſondern auch die Einrichtung behaglicher Hlubs, von denen ich zwei beſuchte.
Neben Billard, Biblio
Mohle.
220
thek und Zeitungslektüre wird dort an manchen Abenden auch dem Tanz gehuldigt , pflegt.
wobei
es mit überraſchendem Anſtand zuzugehen
Die einzigen Getränke , die verabreicht werden , ſind außer
Waſſer nur Limonaden , Kaffee oder Tee.
Bier und Schnaps ſind
verpönt , und die Leutchen befinden ſich ausgezeichnet dabei .
Ganz
bedeutenden Einfluß haben hier wie auch ſonſt in den Minenſtädten die Prieſter;
ihr
ſegensreiches
Wirfen
auch
in
fittlicher
Hinſicht
wurde mir von allen Minenbeſigern und Aufſehern rüdhaltlos be ſtätigt.
Freudenhäuſer waren bis auf
die jüngſte Zeit unbekannt.
In Scranton wurde ein ſolches wohl in den Achtzigerjahren eröffnet, aber von den
Arbeitern in die Luft geſprengt ; aus einem
zweiten
wurden die Znjaſſen von den Arbeiterfrauen mit Schande und Spott vertrieben .
Die Schnapskneipen und Bierlokale werden hauptſächlich
nur von den Ungarn beſucht.
Das tolle Leben in den Minenſtädten
der Felſengebirge und Sierras, wo der am Tage gefundene Goldſtaub zur Nachtzeit in Freude , Trunk und Spiel verjubelt wurde, iſt hier unbekannt;
auch die obligaten Schießereien und Balgereien , wie ich
ſie weſtlich der Prärien in den Gold- und Silberregionen kennen gelernt habe, kommen hier nur ſelten vor. Die ganze Art der Kohlenförderung iſt von jener in Europa nur wenig verſchieden .
Wie dort fuhr ich auch hier in Gemeinſchaft mit
Arbeitern in ihren geſchwärzten Werkkleidern in den Schacht, dreihundert Meter tief unter der Erdoberfläche. um
Die wenigſten Schächte rings
Scranton haben eine größere Tiefe , dagegen gibt es im Diſtrikt
des Schuylkill und des Lehigh in Pennſylvanien auch ſolche bis zu ſechshundert und ſiebenhundert Metern Tiefe , mit Flözen von einem bis zu fünf Metern Stärke. Play , von dem
Wir landeten unten
auf einem
weiten
aus Avenüen und Seitenſtraßen durch das ſchwarze
Geſtein gebrochen waren , eine unterirdiſche Wiederholung der Stadt über uns , ein wahres Labyrinth von dunklen Gängen , durch welches die gefüllten Kohlenwaggons , je ſechs in einem Zug , auf Schienen dem
unteren
Schachtende zupolterten.
Wer nicht raſch
zur Seite
Rohle.
221
ſprang und ſich an die ſchwarzen Wände drüdte , unter die Räder zu geraten .
tam in Gefahr,
Leere Waggons , von Maultieren ge
zogen und von Jungen gelenkt, fuhren in langen Reihen wieder zurüd, um neue Ladungen zu holen .
An einer Stelle zeigte mir mein Führer
die Stallungen der Maultiere, die nur ſelten ans Tageslicht kommen , vielleicht nur, wenn fie ihren Dienſt getan haben und zur Arbeit un tauglich geworden ſind.
In den Hammern waren die Arbeiter daran,
mit Diamantbohrern Sprenglöcher in die Flöze zu bohren. Rings um fie lagen große, ausgeſprengte Kohlentrümmer , und Taglöhner luden ſie auf die zeitweilig einfahrenden Wagen .
Mein Führer erklärte
mir , daß gewöhnlich einem Arbeiter eine Hammer zugewieſen wird, bis ſie ausgebeutet iſt oder Gefahr des Einſturzes vorliegt.
Sein
Lohn beträgt ungefähr einen Dollar für jeden gefüllten Wagen , und ihrer ſechs werden als gute Tagesleiſtung angeſehen. Gelde
muß
er ſeinem
Von dieſem
Taglöhner für das Füllen jedes
Wagens
dreiunddreißigeinhalb Cents, alſo ungefähr zwei Dollars täglich, zahlen und außerdem ſeine Werkzeuge , Sprengmaterial , Lampenöl u. f. w . anſchaffen.
Der Taglöhner iſt beim Laden der Waggons darauf be
dacht, beim fladernden Schein ſeines Lämpchens möglichſt nur reine Kohle auszuſuchen und Schiefertrümmer zu beſeitigen , ſonſt werden beſtimmte Beträge von der Löhnung abgezogen . Alle Arbeiter müſſen ſich jeden Morgen zwiſchen ſechs und ſieben Uhr beim Schachteingang melden, können aber zu jeder Zeit die Mine wieder verlaſſen , voraus gelegt, daß ſich immer zehn Arbeiter auf einmal beim Aufzug melden . Unter zehn Mann werden vom Aufzug nicht befördert. Die Rohle wird aus den Waggons direkt in die Hebekörbe ge worfen und kommt aus dieſen , ſobald ſie oben eingetroffen ſind , in die „Breakers“ , das heißt die Maſchinen zur Zerkleinerung und Sor tierung
der Rohlenſtüde.
Beim Ausſprengen der Flöze
wird eine
Wanddide von ſechs Metern ſtehen gelaſſen , um das Einſtürzen der Minen zu verhindern .
Außerdem ſind immer eine Anzahl Leute, die
ſogenannten „Propmen“, damit beſchäftigt, gefährliche Stellen durch
222
Kohle.
Dennoch kommt es häufig genug vor , daß die
Balken zu ſtüßen .
Dede der Mine einſtürzt und die Arbeiter begräbt.
Noch gewöhn
licher iſt das Verlegen der Arbeiter durch herabfallende Kohlenſtücke oder zu
frühes Entzünden
der Sprengminen.
Zur Verhinderung
ſchlagender Wetter wird jede Mine durch ſogenannte fire bosses jeden Morgen mehrere Stunden vor dem Einfahren der Bergleute in allen Winkeln und Eden unterſucht.
Merfen ſie, daß die Flamme ihres
Lämpchens in einer Kammer länger wird und bläuliche Färbung an nimmt , jo bezeichnen ſie den nächſten Holzbalken am Eingang mit Areide als Warnung für die Arbeiter und machen ſie noch perſönlich darauf aufmerkſam . Beim Anlegen einer
Mine
werden zunächſt
das ganze Hohlenlager gegraben ,
die Stollen
durch
die Arbeit beginnt am äußeren
Rande desjelben, ſich allmählich dem Schacht nähernd , bis alle Fohle abgebaut iſt.
Mit den Felstrümmern und Schieferſtüden werden die
abgebauten Kammern aufgefüllt. Auffällig war mir die große Jugend der Arbeiter.
Kein einziger ſchien das Alter von vierzig Jahren er
reicht zu haben , die große Mehrzahl waren ganz junge Leute , die Führer der Kohlenzüge ſogar nur Knaben , von denen viele zehn bis zwölf Jahre alt ſein mochten , eine offene Umgehung des Geſeges, das die Verwendung von Jungen unter vierzehn Jahren in den Minen, und unter zwölf
Jahren
außerhalb der Minen verbietet.
Frauen
arbeit iſt gänzlich verboten . Der Grund der Abweſenheit älterer geſchulter Arbeiter iſt in den maſchinellen Einrichtungen zu ſuchen , welche immer mehr zur Ein führung kommen und zur Bedienung keine hochbezahlten Arbeiter von beſonderer Schulung
bedürfen .
In
der Umgebung
von
Pittsburg
hatte ich Gelegenheit, mehrere Minen zu beſuchen, darunter die Moon run und Bedrun.
In der erſteren
wurden täglich zweitauſendfünf
hundert Tonnen gefördert , und doch ſah ich außerhalb , wie in der Mine ſelbſt , ſtatt der ſonſt erforderlichen vielen Hunderte von Arbeitern nur eine Anzahl junger Burſchen, deren einzige Aufgabe es war, die
223
Rohle.
Maſchinen zu bedienen .
Nur das Einladen der Rohle in die Hunde
geſchieht dort noch durch Handarbeit.
Alles andere wird durch mecha
niſche Arbeit geleiſtet. In jeder Nammer ſtanden zwei Bürſchchen an einer elektriſch getriebenen Bohrmaſchine .
Ein leichter Druď an einem
Hebel , die Stirnſeite der Maſchine ſet ihre Zähne in die Kohlen wand ein, und mit ohrenbetäubendem Kreiſchen ſchnitt ſie ſich in zwei Minuten zwei Meter tief ein , während der ſchwarze Staub uns in
S522
Copyright 1900 by Detroit Photograpbic Co. Eine Kohlenmühle .
dichten Wolken ins Geſicht ſprişte.
Dann wurde die Maſchine um
das erforderliche Maß weiter ſeitwärts geſchoben , und wieder ſchnitt ſie ſich in die Kohlen hinein , wie ein mechaniſcher Bohrer in weiches Holz.
Die Tagesleiſtung jeder Maſchine iſt neunzig Tonnen ; die Bur
ichen erhalten je fünfundzwanzig Pfennig für jede Tonne.
Die Kohlen
ſtüde wurden von kräftigen Arbeitern in die Hunde verladen , und dafür ſowie für das Beſeitigen der Schieferſtücke und Reinhalten der Bahn erhalten ſie ungefähr zwei Mark zehn Pfennig für die Tonne. Wie von Bergleuten mit der Tarnkappe geführt , fahren die gefüllten
224
Kohle.
Hunde automatiſch zu den großen Waggons, entleeren in dieſe ihren Inhalt und kehren von ſelbſt in die Kammern zurück. koſten betragen für die Tonne im
Die Geſtehungs
ganzen zwei Mark fünfundfünfzig
Pfennig , der Verkaufspreis an der Grube drei Mart bis drei Mark fünfzig Pfennig .
Der tägliche Gewinn beträgt nahe an zweitauſend
fünfhundert Mark. In der Bedrun iſt ebenfalls nur Stollen- und nicht Schachtbau . Die Wagen fahren alſo direkt in die Mine ein. werden
die geförderten Kohlen
öffnung emporgehoben
Bei Schachtminen
automatiſch hoch über die Schacht
und fallen
von dort direkt in die Cruſhers,
das heißt Quetſchwerke, die am beſten mit rieſigen Kaffeemühlen verglichen werden können .
Kräftige Dampfmaſchinen treiben die ges
zahnten Zylinder, und dieſe zermalmen die Kohlentrümmer wie Kaffees bohnen .
Aus der Quetſchmühle fallen die Kohlen unmittelbar in
einen ſchräg ſtehenden rotierenden Zylinder aus ſtarkem Drahtgeflecht mit verſchieden großen Öffnungen, die kleinſten oben, wo die Kohlen: ſtücke eintreten, die größten am unteren Ende .
Beim Durchpaſſieren
des Zylinders werden die Kohlenſtücke alſo nach ihrer Größe in die gebräuchlichen ſechs Größen ſortiert.
Aus den Zylinderöffnungen fallen
fie auf ſchräge ſteinerne Rinnen und tollern über dieſe in große Tröge, aus denen ſie in die darunter aufgefahrenen Eiſenbahnwaggons
ab
gelaſſen werden . Die Steinrinnen dienen zur Abſonderung der Schiefer ſtüde von den reinen Kohlen , denn ſie ſind flach und leichter als dieſe, gleiten alſo langſainer durch einen ſchmalen Schliß am Ende der Rinnen in einen Behälter, während die Sohlen über den Schlig hins wegkollern. Jeder Unionſtaat hat ſeine eigenen Geſetze, die aber insgeſamt bei weitem nicht ſo ſtreng ſind wie bei uns.
Wohl find auch ſtaatliche
Inſpektoren angeſtellt, welche regelmäßig alle Minen zu beſuchen und die Kohlenbarone in der Ausbeutung ihrer Gruben zu beaufſichtigen haben , dennoch fand ich überall minderjährige Anaben bei der Arbeit . Als ich fragte, warum ſie nicht von den Inſpektoren beſeitigt würden ,
Sohle .
zucten die Leute die Achſeln .
225
„ The allmighty Dollar, you know“ ,
war die bezeichnende Antwort. Jede Mine muß außer dem Einfahrt ſchacht noch einen zweiten beſiben , für den Fall, daß der erſtere un benügbar werden ſollte. Bis auf die jüngſte Zeit zogen die Kohlenbarone auch aus dem Trudjyſtem großen Gewinn.
Sie zwangen ihre Angeſtellten , ihren
ganzen Bedarf an Werkzeugen , Lebensmitteln, Getränken u. 1. w . von Verkaufsläden zu beziehen , die von den Baronen , beziehungsweije der Bergwerksgeſellſchaft ſelbſt geführt wurden.
Die Angeſtellten erhielten
Kredit, und die ſchuldigen Beträge wurden ihnen vom Lohn monatlich abgezogen.
Dieſes Trucſyſtem , das in manchen Orten die Leute in
ichauderhafter Weiſe ausbeutete ,
war eine der Haupturſachen
der
großen Ausſtände, welche den Arbeitern wie den Betrieben und dem Lande ſelbſt unſäglichen Schaden zugefügt haben .
Hunderttauſende,
geleitet von politiſchen Arbeiterführern , feierten wochenlang ; es kam zu blutigen Kämpfen , und die Grubenbeſiger waren gezwungen , die bewaffneten Morps der Privatdetektiv - Inſtitute, z. B. das von Pinkerton, gegen ſie ins Feld zu führen .
Selbſt die ſtaatlichen Milizen und in
manchen Fällen Truppen der regulären Armee wurden zu Hilfe ge zogen .
Ausſtände der Kohlenarbeiter ſind auch in Zukunft zu er
warten , denn mit den Löhnen werden ſie wohl ſtets unzufrieden bleiben.
Die große Mehrzahl ſind Unionleute , das heißt Mitglieder
der Labour Unions ( Arbeitsgenoſſenſchaften ).
Haben ſie ungeachtet
ihrer ſtrammen Drganiſation und bedeutenden Mittel keine größeren Erfolge aufzuweiſen, ſo liegt das mitunter daran, daß auch ihre Führer und Agitatoren dem allmächtigen Dollar nicht unzugänglich ſind. Sie laſſen mit ſich reden .
Die Amerikaner denken eben , daß bei ihnen
jeder Menſch ſeinen Preis hat , und ſo mancher Streik wurde auf dieſe Art geſchlichtet.
Die unwiſſenden , der engliſchen Sprache nicht
mächtigen Ungarn , ebenſo wie die Polen ſind durch die Verſprechungen der Agitatoren leicht am Gängelbande zu führen , und da dieſe Ele mente unter der pennſylvaniſchen Arbeiterſchaft beſonders zahlreich 15 Heiſe - Wartegg , Amerifa .
Kohle.
226
vorkommen , ſind gerade in dieſem wichtigen Rohlenſtaat nicht nur Amerikas , ſondern der Erde überhaupt ,
die Verhältniſſe zugeſpigt.
Beſſer iſt es in den Miſſiſſippiſtaaten , wo faſt nur weiche, bituminöſe Kohle gefördert wird .
In Jowa
beiſpielsweiſe ſchließen
Gruben
beſiger und Arbeiter bezüglich der Löhne gewöhnlich ein Abkommen für ein ganzes Jahr zum voraus. Jedenfalls ſind die Amerikaner in der Produktion der Sohlen den Europäern gegenüber weitaus im Vorteil . Die Kohlen liegen in viel geringerer Tiefe oder gar im
Erdniveau , die
Maſchinen
geſtatten
viel billigere Förderung und die Frachten ſind weitaus geringer als in Europa .
Viele Eiſenbahngeſellſchaften , beſonders jene von Penn
ſylvanien , ſind gleichzeitig Minenbeſiger, ziehen daher nicht nur aus der fohle , ſondern auch aus den Frachten Gewinn und können die Frachtjäşe je nach Bedarf verſchieden hoch einrichten. Der Transport einer Tonne Kohle über eine Eiſenbahnſtrecke von dreihundert Kilo metern foſtet durchichnittlich eine Mart. Der große Kohlendiſtrikt rings um Pittsburg ſendet jährlich mehrere Millionen Tonnen den Ohio und Miffiſſippi abwärtz bis zu dem Seehafen von New Orleans, der Trans port über dieſe Tauſende von Kilometern lange Strecke koſtet kaum ſiebzig Pfennig die Tonne. Mine
auf roh
gezimmerte
Die Kohlen werden unmittelbar aus der Frachtboote
verladen , und
ein
kleiner
Schleppdampfer fährt eine ganze Flottille davon durch den Kontinent. In New Orleans werden die Frachtboote als Bauholz verkauft . Durch dieſe billige Kohlenförderung für durchſchnittlich eineinhalb bis fünf Mark die Tonne und die niedrigen Frachten
können die
Amerikaner mit den Engländern leicht auf dem Weltmarkt in Wett bewerb treten . Es iſt ſchon vorgekommen, daß Kohle aus den Diſtrikten von Pennſylvanien nach Italien für ſechs Mark fünfzig Pfennig die Tonne geliefert wurde.
In Deutſchland kommt die Förderung einer
Tonne Kohle ungefähr auf dasſelbe zu ſtehen wie in Amerika , in England auf ſechs Mark bis ſechs Mark vierzig Pfennig. Jn Amerika entfallen auf jeden Arbeiter
im
Jahre fünfhundertjechaundzwanzig
Das Werden von Chicago .
227
Tonnen Kohle , in England dreihundert, in Deutſchland zweihundert fünfzig bis zweihundertſechzig. Für die Frachtkoſten einer Tonne Mohle in England werden in Amerika ſechs Tonnen befördert. Unter ſolchen Verhältniſſen wird der Aufſchwung der amerikaniſchen Kohleninduſtrie und der von ihr abhängigen anderen Induſtrien ſehr leicht erklärlich.
21. Das Werden von Chicago . Whicago hat von ſeiner großen Ausſtellung im Jahre 1893
ent
nicht ſo gezogen. the Vielleicht ſchieden bedeutenden Copenie enteritieneNußen genereopened color be to ſehr openin in kommerzieller Hinſicht wie in Bezug auf den Ausbau , die Verſchöne rung der Stadt, die Verfeinerung der Sitten und des ganzen Tones, der heute dort herrſcht.
Demjenigen , der , aus dem alten Europa
kommend , jeßt zum erſten Mal
die große Zweimillionenſtadt am
Michiganſee beſucht, wird dies freilich nicht ſo ſcheinen , denn dieſe erſt ein halbes Jahrhundert beſtehende Metropole des Beſtens bietet dem Neuling oder , wie der Amerikaner ſagt , dem
Greenhorn , dem
Tenderfoot , noch immer ſo viel des Kauhbeinigen , Unfertigen , der Kampf ums Daſein, die Jagd nach Gold iſt noch immer jo herb und rüdjichtslos , daß er ſicher nicht in Entzücken geraten wird .
Doch
muß man das alte Chicago, wie es vor zwanzig , dreißig Jahren , ja ſelbſt noch zur Zeit ſeiner Ausſtellung war , gekannt haben , um gewaltigen Fortſchritt der legten Zeit wahrzunehmen. einmal
vor
Jahren
einen
Krug
vol
des
den
Ich ließ mir
berüchtigten ,
frankheit
verbreitenden , ſchmußigen , übelriechenden Waſſers aus dem Chicago fluß bringen, das, fortwährend bewegt und aufgewühlt von dem rieſigen Schiffsverkehr, ebenſo ſchlammig ſein ſollte wie das Miſſiſſippiwaſſer. In der Tat zeigte es ſich ſo , als ich ein Glas damit vollgoß . ſchwamm nicht alles darin umher !
Was
Eine Stunde nachher hatte ſich der
Schlamm auf dem Boden geſetzt, die unteren Partien waren trüb,
228
Das Werden von Chicago .
gegen die Oberfläche zu wurde es immer heller, und ganz oben ſpiegelte ſich eine dünne Fettfruſte. Ähnlich ſpielte ſich mit Chicago der Klärungsprozeß im großen ab . Die einzelnen Elemente der Zuwanderer gruppierten ſich je nach ihrer Nationalität , ihrem Erwerb , ihren Verhältniſſen in eigenen Stadt vierteln, Geſchäfts- und Wohnquartiere ſonderten ſich, die Geſellſchaft gliederte ſich in Klaſſen , und ganz obenauf ſchwimmen die Millionäre wie das Fett auf dem Waſſer.
Früher war der Verkehr ebenſo wie der Schmug in den Straßen
Chicago zu Anfang des 19. Jahrhunderts.
ganz unbeſchreiblich.
Das Bahnneß der Stadt war noch nicht ents
widelt, die Geſchäfte waren noch nicht gruppiert , neben armſeligen Bretterbuden der erſten Anſiedler erhoben ſich rieſige Geſchäftspaläſte oder elegante Wohnſitze der raſch zu Reichtum gelangten Spekulanten ; die Straßen waren kaum gepflaſtert, bei hohem
Waſſerſtand des Sees
waren ſie überflutet, der Schlamm blieb wochenlang auf dem grund loſen Straßenbett, und in dieſem konnte man häufig Herden von Rin dern und Schweinen einherwaten ſehen, wie die Fuhrwerke mit ihrer Beſpannung , ihren Kutſchern und Inſaſſen ganz mit ſchwärzlichem Schlamm bedeckt.
Das Werden von Chicago .
229
Aber Chicago mit ſeiner für die Beherrſchung des kontinentalen Verkehrs wie geſchaffenen wunderbaren Lage mußte groß werden , und ſeine Zuwanderer aus den Yankeeſtaaten des Oſtens verſtanden es, dieſen Verkehr an ſich zu ziehen, Chicago zu einer Weltſtadt zu machen, die Maſſen fremder Zuwanderer zu beherrſchen und zu leiten wie Strategen eine Armee. beheben.
Dazu galt es vor allem , viele übelſtände zu
Die Überſchwemmungen der Stadt durch den Michiganſee
11 Copyright by Detroit Photographic Co. Der umgedrehte Chicagofluß . mußten beſeitigt werden.
Aber wie ?
Natürlich dadurch , daß man
das ichon zu einer Halbmillionenſtadt angewachſene Chicago einfach hob.
Man hob , wo es nötig war , die Häuſer , hob die Bürgerſteige
zu beiden Seiten der Straßen und füllte dieſe ſelbſt um einige Fuß auf.
Nun war Chicago ſo viel höher als der See , daß die Über
ſchwemmung beſeitigt war . Das Trinkwaſſer des Chicagofluſſes war die Quelle von Krant
Das Werden von Chicago.
230
heiten und Epidemien .
Es mußte friſches , klares Waſſer zugeführt
werden, und das befand ſich ja im Michiganjee, gerade vor der Stadt . An den Ufern war es ſchmugig, denn der Chicagofluß, in welchen alle Mloafen der Stadt münden , ergoß ſich gerade im ſchönſten Teil des Geſchäftsviertels in den See .
Was war zu tun ?
Man grub am
Ufer einen vertikalen Schacht von größerer Tiefe als der Seeboden, dann einen horizontalen Tunnel unter dem letzteren auf etwa zwei Kilometer in den See hinaus, bis zu einem Punkte, wo in der Zwiſchen zeit ein vertikales Caiſſon voin Seegrunde an die Oberfläche des Waſſers gebaut worden war.
Nun wurde durch das Durchſchlagen
der dünnen Felsſchicht die Verbindung des Caiſſons mit dem Tunnel hergeſtellt, das reine , friſche Seewaſſer ſtrömte oben in den Caiſſon , dann durch den Tunnel in die Stadt und wurde durch große Dampf maſchinen aus dem
Schacht in die Waſſerleitung gepumpt.
Chicago
hatte gutes Trinkwaſſer. Der Fluß war aber immer noch ein böſes übel , denn er jegte den Unrat der mit Siebenmeilenſtiefeln wachſenden Stadt gerade vor der Naſe der Einwohner am Seeufer ab, eß ſtanf zeitweilig ganz ent feßlich , ja , da das Gefälle des Fluſſes auf dem ebenen Terrain nur ein ſehr geringes war , blieb der Unrat bei hohem Waſſerſtand im See ſogar im
Flußbett liegen , wurde durch die vielen Dampfer fort
während aufgerührt und den Einwohnern von Chicago gewiſſermaßen wieder in ihre Häuſer geſegt .
Irgendwo anders in der Welt hätte
man Rieſelfelder , Verbrennung , Nanaliſierung und dergleichen
vor
geſchlagen , die Chicagoer kamen aber auf eine ganz andere Löſung, die einfachſte, zweckmäßigſte , die eben nur einem konnte .
Sie drehten den Fluß einfach um.
Chicagoer einfallen
Statt daß er von ſeinem
Urſprung gegen ſeine Mündung fließt, fließt er nun von der Mündung nach ſeinem Urſprung, ſtromaufwärts. Wie das gemacht wurde ? In der Ebene, nicht weit vom Urſprung des Chicagofluſſes ſtrömt ein anderer Fluß, die Rivière des Plaines, von den Entdeckern des Landes , den franzöſiſchen
Miſſionaren , jo
Das Werden von Chicago .
genannt, in den Miſſiſſippi.
231
Was war einfacher, als den Chicago- mit
dem Des Plainesfluß durch einen Kanal zu verbinden und an der Bereinigungsſtelle große Bumpwerke im Chicagofluß anzulegen ? Dieſe Pumpwerke ſaugen daß Chicagowaſſer in den Des Plaines, und ſtatt daß der Fluß in den See mündet , läuft Seewaſſer in den Fluß, ſchwemmt ihn aus , wäſcht das Flußbett und bringt den Unrat der Aloaten durch den Des Plaineß in den Miffiſſippi.
Ein paar hundert
Hilometer weiter ſüdlich fließt der Miſſiſſippi an St. Louis vorbei , und St. Louis iſt zum Trinken, Baden und Waſchen auf das Miffiſ ſippiwaſſer angewieſen.
Aber was verſchlägt das Chicago ?
St. Louis
läßt ja das Miffiffippiwaſſer filtrieren , und es ſchmeckt gar nicht ſchlecht. Wie ſchmeichelhaft für Chicago !
Die Stadt war auch , wie man zu ſagen pflegt, „ verbaut“ .
Die
erſten Anſiedler konnten ſich doch nicht träumen laſſen, daß ihre Söhne, in einem ſchmußigen Krähwinkel geboren, auf demſelben Fleck in einer Zweimillionenſtadt, einer der größten Städte des Erdballs , ſterben würden . So wurden bald die Straßen für den Verkehr zu eng . Das paſſiert ja anderswo auch.
Aber dort wartet man Jahrzehnte , bis
die Beſitzer ihre alten Häuſer niederreißen, und zwingt ſie , die Neu bauten um das erforderliche Maß der zu verbreiternden Straße zurüd zuſeßen .
In
Chicago aber wuchs der Verkehr
und pulſierte das
Leben derart , daß es alle beengenden Feſſeln , ſelbſt jene der Stein häuſer, einfach zu ſprengen drohte. niederreißen ?
Mit nichten .
Man mußte nachgeben . Die Väuſer
Sie wurden einfach auf die erforderliche
Breite der Straße zurüdgeſchoben.
Man hob ſie von ihren Grund
mauern auf Rollen , befeſtigte ſie an das Seil gewöhnlicher Pferde winden und zog ſie mit Hilfe der legteren auf neue Grundmauern. Verkaufte ein alter Chicagoer den Bauplaş feines Hauſes , weil ihm für deſſen gute Lage ein hoher Preis angeboten wurde , dann taufte er ſich
irgendwo
außerhalb
des Geſchäftsviertels
einen
billigeren
Baugrund und ließ ſein Haus , wieder nur mit Hilfe von winden , ſtraßauf, ſtraßab nach dem legteren ſchaffen.
Pferde
So wurden die
232
Das Werden von Chicago.
Stadtviertel raſch nach den verſchiedenen Bedürfniſſen geordnet , die alten Häuſer beſeitigt, die Stadt verſchönt, die Straßen verbreitert, ſo daß ſelbſt in den Geſchäftsvierteln , beiſpielsweiſe State Street, Randolph Street oder Wabaſh Avenue, ſich mit den ſchönſten Geſchäftsſtraßen amerikaniſcher Städte meſſen fönnen .
Noch 1893 fand ich mitten in
den Geſchäftsvierteln, eingeſchachtelt zwiſchen den zwanzig und mehr Stoďwerke hohen modernen Stein- und Stahlpaläſten , alte Holzhäuſer, geradeſo wie man ſie (glücklicherweiſe) in Hildesheim und Einbed und Goslar noch findet.
Aber während ſie dort Kunſtwerke aus früheren
Jahrhunderten ſind, waren ſie in Chicago , wie der Amerikaner ſagt, eye sores (Augengeſchwüre). Neben großartigen Hotels gab es elende Spelunken, zwiſchen Millionärspaläſten hingen polniſche Einwanderer, in elenden Hütten wohnend, ihre Wäſche zum Trodnen auf. Heute iſt das alles verſchwunden , die Stadt hat ſich merkwürdig raſch ausgeſtaltet und verſchönert, ſoweit in dieſer großen Induſtrieſtadt Amerikas mit ihren
zehntauſend
Fabriken
und ihren
qualmenden
Schornſteinen eine Verſchönerung eben möglich iſt. Bei meinem legten Beſuch
1893 wohnte ich in
dem
ungeheuren , vierzehn Stockwerke
hohen Auditorium - votel, und von meinem
Fenſter blidte ich auf die
weite, blaue Fläche des Michiganſees, nur durch einen ſchmalen Raſen ſtreifen von der Straße getrennt.
Als ich 1904 den ſchönen Anblick
wieder genießen wollte , fand ich den See auf einen Milometer weit hinausgerüđt.
Chicago brauchte Land und gewann es einfach durch
Ausfüllen des Sees .
Geht das ſo fort , dann wird in kommenden
Jahrhunderten das Südende des Sees ganz verſchwunden ſein und Chicago darauf ſtehen . Chicago hat ſich aber auch verfeinert.
In den erſten Jahren
wurden die Eiſenbahnen , um nur ja ſo raſch wie möglich von den Argonautenzügen nach dem Weſten Nußen zu ziehen , über Hals und Kopf eingleiſig gebaut , mit ſchwachem Unterbau , ſchwankenden
Holz
brüden und elenden Holzbaracen als Stationen, ſelbſt in den Haupt ftädten.
Die Warteſäle ähnelten Ställen , auf den Bänken vor den
Das Werden von Chicago .
233
Fenſtern bummelten Yankeeflegel, die Beine auf den Tiſchen , den Hut im Naden , die Hände unter den Ärmelhöhlen der Weſte, und lancierten
mit
bewundernswerter Sicherheit
braunen Tabakſpeichel
über die Köpfe anderer Reijender in die überall umherſtehenden Spuck näpfe.
Als ich dieśmal auf der vorzüglich geleiteten Muſterbahn , der
Lafe Shore Railway , in Chicago eintraf , erhob ſich an Stelle der alten Baracken
ein
ſteinerner Prachtbau
mit eleganten , marmor
Copyright 1900 by Detroit Photographic Co. Im Herzen von Chicago. tapezierten Warteſälen.
Uniformierte Burſchen von elegantem Auss
jehen und höflichem Benehmen übernahmen mein Handgepäc , und ſtatt des elenden Lunch Counter mit den ledernen Schinkenbroten und zähen Applepies, auf welchem ſich unzählige Fliegen gütlich taten, fand ich ein vorzügliches Reſtaurant.
Als ich nach der Speiſekarte
verlangte , gab man mir ein ganzes gedrucktes Buch mit dre ih u n dertjechsundvierzig verſchiedenen
Speijen !
Dergleichen
iſt in
den vornehmſten Reſtaurants der Alten Welt nicht zu finden .
An
Auſtern allein enthielt dieſes Speiſenbuch zwanzig verſchiedene Arten, Suppen zehn , Fiſche dreiundzwanzig , Fleiſchipeiſen fünfzig , Geflügel
234
Das Werden von Chicago .
ſiebzehn, Gierſpeiſen zweiundzwanzig, Kartoffeln in ſechzehn verſchie denen Arten der Zubereitung , Gemüſe neunzehn u . f. w . Dazu gegen hundert Weinſorten und achtundzwanzig diverſe Mineralwaſſer. Zu den rieſenhaften Himmelkraßern des Stadtmittelpunktes mit ihren zwanzig , fünſundzwanzig Stockwerken waren in den legten Jahren noch eine Menge anderer gebaut worden, und manche Straßen waren Verkehrsſchluchten geworden , in denen an feuchten , nebligen , wind ſtillen Tagen der Rauch der weichen Kohle liegen bleibt , die Häuſer fronten ſchwärzt und dem Licht den Zutritt verwehrt.
Dann muß in
den unteren Stocwerken auch Mittags das überall eingeführte elektriſche Licht brennen .
Der Wert der Baupläge in der inneren Stadt iſt ſo
geſtiegen , daß der Mietertrag gewöhnlicher ſechsſtöckiger Häuſer zur Verzinſung des Kapitals nicht hinreichen würde;
man iſt daher ge
zwungen, dieſe zwanzig- und mehrſtödigen Hausrieſen zu bauen, mit einem Dußend von Aufzügen , von denen die eine Hälfte gewiſſer maßen Lokalzüge ſind und in allen Stoďwerken anhalten, die anderen Schnellzüge, welche die unteren zehn Stockwerke pfeilichnell durchfliegen und nur in den oberen anhalten.
Dieſe Himmelfrager mit ihren vielen
Hunderten von Geſchäftsbureaus und Klubs werden täglich von ſo vielen Tauſenden beſucht, daſs ſie gewiſſermaßen vertikale Verkehrsſtraßen find ( vergl . S. 57 ) .
Wenn des Mittags die Žnjaſſen zu ihrem
Lunch
eilen, dann drängen ſie ſich in den eiſernen Käfigen der Aufzüge wie Heringe zuſammen , und es iſt merkwürdig , daß trotzdem ſo wenig Unglüdsjälle durch Reißen der Drahtſeile oder Verſagen der Bremſen vorkommen .
Als ich in der Roofery, einem Rieſenbienenſtock mit ſechs
oder achthundert Bureaus , im
zehnten Stod einen Fahrſtuhl beſtieg
und eingepfercht zwiſchen zwanzig anderen Menſchen pfeilſchnell herab jauſte , daß mir Hören und Sehen verging , kamen wir unten mit einem
heftigen Stoß an .
Der grinſende Negerjunge riß die Eiſentür
auf und rief Chicago , geradejo wie wenn ein Eiſenbahnzug in einer Station ankommt. Unten in den Straßen drängte und drüdte und ſtieß ſich alles in
Das Werden von Chicago .
raſchem Haſten und Jagen .
235
Zu dem gewöhnlichen ſo regen Verkehr
kommen eben Mittags noch die Zuflüſſe aus den vertikalen Straßen. Aber
Railway Exchange in Chicago. die Chicagoer haben ſich längſt daran gewöhnt, auch an die Rieſenhäuſer, zumal die früheren Befürchtungen in Bezug auf ihre Sicherheit ſich als unbegründet erwieſen haben . Kein einziger der Himmelkraper iſt bisher
Das Werden von Chicago .
236
eingeſtürzt oder baufällig geworden.
Die Sache intereſſierte mich , und
ich beſuchte daher den Erbauer der größten Gebäude von Chicago, den Unternehmer und Architekten D. H. Burnham .
Sein Bureau liegt in
einem der ſiebzehn Stockwerke eines der neueſten Himmelfrayer, der Railway Erchange, eines Roloſſes aus Stahl und weißglaſierten Terras kottaziegeln, das ſich auf dem früheren Seeboden am Michigan Boule vard erhebt.
Die Arkaden des inneren Hofes ſind ganz mit Kaufläden
gefüllt, die bei dem regen Verkehr gerade jo gute Geſchäfte machen , als lägen ſie an der Straße. eingang gegenüber ; an
Zwölf eiſerne Aufzüge liegen dem Haupt
einer Säule
ſind die tauſend Firmen und
Bureauinhaber des Gebäudes alphabetiſch geordnet mit der Nummer und
dem
Stocwerk ihrer Geſchäftsräume verzeichnet.
ſtabe B fand ich D. H. Burnham
Unter Buch
Nr . 1417 , alſo vierzehnter Stod.
Der Aufzug beförderte mich raſch hinauf.
Oben fand ich in weiten
Sälen etwa achtzig Angeſtellte dieſer Architektenfirma mit Zeichnen , Malen, Entwerfen der Pläne , Buchführen beſchäftigt.
Burnham , den
ich vom Klub her kannte, jaſ über dem Plan einer großen Kirche. ,,Größere Unglücksfälle “, ſagte er mir, „ ſind noch nicht paſſiert.
Die
Gebäude haben ſich vorzüglich bewährt, jeit wir ſie auf meine Verans laſſung nicht mehr auf Pjählen , ſondern auf einer Stahlfundierung bauen .
Wir legen als Grund einen Roſt aus Stahlichienen , der ſo feſt
iſt, daß nur ganz geringe Senkungen , höchſtens ein paar Zentimeter tief , vorkommen .
Haben Sie bemerkt, daß die Handelskammer ihren
hohen Turm verloren hat ? Wir liefen ihn vor einigen Jahren abtragen , weil die Laſt , die auf den weichen Grund drüdte, zu groß war und das Gebäude ſich etwas vornüber neigte.
Aber das iſt der einzige Fall.
Sonſt iſt alles feſt und ſicher . " „ Merkwürdig iſt eine Beobachtung , die ich gemacht habe," fuhr er fort.
„ Die , Himmelkratzer' werden von den herrſchenden Winden aus
Nordweſt beeinfluſt und neigen durchweg nach Südoſt .
Nach ein paar
Fahren zeigen alle dieſe Tendenz, ſelbſt die größten ; ſie iſt ſo ſtark, daß ich auch bei der Erbauung dieſes Hauſes darauf Rückſicht nahm .
Das Werden von Chicago .
237
Unſere Aufzüge hängen, wie Sie geſehen haben, an Drahtſeilen, natür lich vertikal.
Neigen ſich die Gebäude, ſo könnten an der der Neigung
entgegengeſegten Seite Hlemmungen vorkommen . Um ſie zu verhindern , habe ich an den Aufzugwaggons Rollen anbringen laſſen , die in hori zontaler Richtung federn . entlang .
Die Rollen laufen den vertikalen Schienen
Tritt ſpäter die Neigung des Hauſes ein , ſo geben die Federn
um das entſprechende Maß nach, und Klemmungen werden verhindert .“ Von den Fenſtern der Railway Exchange genoß ich einen umfaſſenden Rundblick über die ganze Stadt mit ihren wie gewaltige Türme aus
den
fünf-
Himmelfragern .
bis ſiebenſtöđigen Durchſchnittshäuſern auſragenden Gegen Diten
breitet
ſich
der blaue Spiegel des
Michiganſees aus mit dem lebhaften Schiffsverkehr, der Chicago zu einem der größten Häfen der Erde macht mit einem Verkehr von vier : zehn Millionen Tonnen .
Und doch iſt dieſer Verkehr verſchwindend
gegenüber jenem der zwei Dußend Eiſenbahnlinien , die aus allen Teilen des Kontinentes hier münden .
Auf ihnen kommen täglich allein tauſend
Waggonladungen von Rindern , Schweinen und Schafen an , täglich fünf hundert Waggonladungen von Mehl und Getreide , etwa ebenſoviel von Bauholz.
Chicago empfängt jährlich aus den Wäldern von Wisconſin und Minneſota zweitauſend Millionen Fuß Bauholz ; aus den Farmregionen des Weſtens Näſe im Werte von ſechsunddreißig Millionen Mart und Butter im Werte von fünfzig Millionen Mark. Nach den Eiſenwerken im Süden der Stadt werden jährlich dreieinhalb Millionen Tonnen Eiſenerz und eine entſprechende Menge Kohlen gebracht.
Das ſind nur ein paar
Artikel , welche die Bedeutung des Handels von Chicago kennzeichnen. Am wichtigſten ſind Vieh , Holz und Getreide. Chicago iſt der größte Getreidemarkt der Erde mit einem Umſatz von jährlich ein paar hundert Millionen Heftolitern , und kaum ein anderer Artikel hat zur Größe und zum Reichtume der Stadt ſo viel beigetragen .
Um dieſe Getreidemaſſen
zu bewältigen , wäre menſchliche Arbeit ganz undenkbar.
Wie viele
Tauſende müßten angeworben werden , um die täglich mit der Eiſen
Das Werden von Chicago.
238
bahn ankommenden Ernteprodukte aus dem großen Weſten umzuladen, zu wiegen , zu ſortieren und dann auf die Schiffe zu laden, welche ſie über die großen Seen nach Buffalo und von dort auf dem Griekanal nach New York bringen !
Deshalb ſind die rieſigen Getreideſpeicher mit
Maſchinenbetrieb entſtanden , die für Chicago und in geringerem Maße für alle Städte des Weſtens jo charakteriſtiſch ſind.
Von den Fenſtern
der Railway Exchange erblicte ich deren längs der Ufer des Sees und des Chicagofluſſes über zwei Dugend , und auf den größten dieſer un förmigen, hoch über das Häuſermeer der Stadt auſragenden Holzkäſten las ich in großen Lettern : Armour & Co., und wieder Armour & Co. Im Süden Chicagos beſitzt dieſe Firma eine ganze Schlächterſtadt mit an dreißigtauſend Arbeitern, die jährlich Vieh zu Fleiſchprodukten im Werte von tauſend Millionen Mark verarbeiten (vergl. S. 264 f. ) ; hier im Oſten der Stadt hat ſie einen großen Teil des Getreide handels an ſich geriſſen . ,,Sie verſorgen alſo die Welt nicht nur mit Fleiſch , ſondern auch mit Brot ? "
fragte ich Armour einmal im Mlub .
,,Wenn Sie's jo nennen wollen , ja . Wir haben von den dreißig Ele vatoren der Stadt jechs in unſerem Beſitz.
Der geſamte Faſſungsraum
dieſer dreißig Speicher iſt ſiebenundzwanzig Millionen Bujhels (zwei einhalb auf einen Hektoliter), wir haben aber einen Elevator, der allein dreieinhalb Millionen Buſhels faßt !“ (Wenige können ſich machen .
eine Vorſtellung
von dieſer Getreidemenge
Sie bildet den Ertrag von ſechshundertfünfzig Quadratkilo
metern Getreidefelder.
Wäre das Fürſtentum Schaumburg - Lippe ein
einziges folches Feld , jo müßte es doppelt genommen werden , um dieſe Ernte zu erzielen , und doch kann ſie in dem einen Speicher Armours untergebracht werden !) „ Intereſſiert Sie's , ſo werde ich meinem
Superintendenten tele
phonieren, daß er Ihnen den Betrieb zeigt,“ meinte Armour. (Die ober ſten Leiter ſolcher Großbetriebe führen in Amerika den Namen Super intendent . ) Am folgenden Tag war ich im Anner ,, B . " der Armour Speicher.
Das Werden von Chicago.
239
Eben war man daran , einen Dampfer und einen Eiſenbahnzug Getreide auszuladen und aufzuſpeichern . ein anderer Zug rollte ein .
In einer Stunde war dies geſchehen ,
Der Betrieb iſt ſehr einfach .
Jeder hat
wohl ſchon eine Baggermaſchine mit den großen Stahlförben an einem endloſen Band geſehen.
Hier ſchaufeln die Stahlförbe ſtatt Schlamm
vom Waſſergrund einfach Getreide aus dem Schiffsrumpfe und heben es automatiſch ins oberſte (ſechſte) Stockwerk. Beim Abwärtsgehen fällt das
SRIKK
Copyright 1900 by Detroit Photographic Co. Getreideſpeicher in Chicago . Getreide aus den Körben durch Holzſchachte in die Holzkammern des nächſten unteren Stockwerks.
Iſt eine gefüllt, ſo wird der Schacht, ohne
den Betrieb zu unterbrechen, zur nächſten Kammer gedreht u. ſ. w. ter dieſen Hammern ſind Wagen , um das Getreide abzuwägen . braucht nur ein Schieber fortgezogen zu werden .
Un Dazu
Iſt es genau ge
wogen, ſo fällt es wieder tiefer, in das nächſte Stockwerk ; ſoll es nach New York oder Europa oder Ditaſien verſchifft werden , ſo fährt ein Eiſenbahnzug darunter, die Schleuſen der Getreidekammern werden ge
240
Das Werden von Chicago .
öffnet, und nach einem Stündchen iſt der Zug verladen , faſt kein Körn = chen iſt verloren gegangen .
In jedem
Jahre werden von den Eleva
toren von Chicago zwiſchen hundertfünfzig- und zweihunderttauſend Eiſenbahnwaggons mit Getreide ausgeladen , gewogen und wieder ver laden .
Der Betrieb geſchieht natürlich mit Maſchinen .
Der ganze Handel mit Getreide aller Arten geht in der Betreide börſe vor ſich. treffenden von
Dort liegen auf langen Tiſchen die Muſter der ein
Getreideſorten ausgeſtellt und
ſteht eine ganze Batterie
elektriſchen tickers mit langen Papierſtreifen , die unausgeſet,
mit Schriftzeichen bedeckt, unter dem Tider hervorkommen und die Notierung des Getreides allen Weltplägen, Liverpool, London , Ham burg , Antwerpen u. ſ. w . mitteilen.
Des Vormittags umdrängen
die Agenten und Kommiſſionäre und Getreideſpekulanten die einzelnen mitten in dem großen Saale ſtehenden Kanzeln und ſchließen unter Lärmen und Schreien und Heulen ( ohne ſolches ſcheint es nicht ab gehen zu wollen ) ihre Rieſenkäufe und -Verkäufe ab .
Es handelt ſich
aber bei dieſen Abſchlüſſen nur um Empfangsſcheine der Elevatorenbeſiger auf beſtimmte Mengen Getreide von beſtimmten Muſtern .
Dieſe Emp
fangsſcheine bilden den eigentlichen Handelsartikel , und die Händler ver kaufen ſie zu höherem oder geringerem Preiſe weiter, oder behalten ſie zu Preistreibereien. Das Getreide ſelbſt bekommen ſie gar nicht zu ſehen. In dieſem Chicago wird augenſcheinlich alles im Großen be trieben , ſogar die Fabrikation von Muſikinſtrumenten , Klavieren und Harmonien .
Nahe einem der größten Gebäude der Stadt, dem Frei
maurertempel, kam ich an einem unter welchem
Schaufenſter mit Klavieren vorüber,
auf einer Tafel die Worte ſtanden :
manufacture 60 Pianos a day.
Kimball & Co. ,
In dem großen Verkaufsjaale , an
welchen ſich ein Konzertſaal anſchließt, beſtätigte mir der Manager von Kimball & Co. dieſe Zahl und lud mich ein , die Fabrifen zu beſichtigen.
Ich fand an den Ufern des Chicagofluſjes fünf Rieſen
gebäude, mehrere Stockwerke hoch, mit zweitauſend Arbeitern. Das Holz wird auf eigenen Zweigbahnen zu den großen Trockenhäuſern gebracht,
Das Werden von Chicago .
wo vier Millionen Fuß Material lagern .
241
Waggonweiſe gelangt es in
die Fabriken , wo auch die Elfenbeintaſten , Stahlrahmen und der ganze fonſtige Bedarf für die Klaviere hergeſtellt werden .
Nur die Saiten
werden aus Deutſchland bezogen . Die Produktion beläuft ſich tatſächlich auf
zwanzigtauſend
Flügel , und
Halbflügel
Bianinos
Jahre !
im
Die Preije
ſtellen ſich auf ein tauſendzweihundert bis zweitauſendfünf hundert
Mark
das
Stüd, und doch finden dieſe Inſtrumente bei den wohlhabend ge wordenen
Farmern
des großen Weſtens, die ſich nun in ihrem Heim behaglich
ein
richten wollen , immer größeren Abſaß. Derartige Rieſen betriebe
gibt es in
Chicago in allen mög lichen Erwerbszwei gen.
Sogar
dungsſtücke
Klei werden
Copyright 1900 by Detroit Photographic Co. Freimaurertempel in Chicago .
fabrikmäßig nach vie len Tauſenden täglich hergeſtellt.
Auf zehn bis fünfzehn Meter langen
Tiſchen werden die Stücke Stoff aufgerollt, bis zu zwanzig Lagen auf einander ; auf die oberſte Lage wird der Umriß der einzelnen Teile der Kleider ſo aufgezeichnet, daß ſie möglichſt aneinander paſſen und Heſſe :Wartegg, Amerita. 16
Das Werden von Chicago.
242
nur ganz kleine Stüdchen des Stoffes verloren gehen .
Dann werden
die Schneidemaſchinen angeſekt, an denen ſtatt Scheren große ſcharfe, ſich raſch drehende Räder ſigen .
Die Zuſchneider drüden an einen
elektriſchen Knopf, die Räder beginnen zu ſchwirren wie Areisſägen, und die Arbeiter brauchen nur den beweglichen Apparat den auſge zeichneten Linien entlang zu führen .
In wenigen Minuten ſind die
zwanzig Stücke Stoff zu ein paar hundert voſen, Weſten und Röden zerſchnitten .
Die einzelnen Teile gelangen dann mittels Aufzügen in
die Schneiderwerkſtätten , wo ſie durch Maſchinen genäht werden . In den Fabriken für Aderbaumaſchinen von Chicago wird faſt der ganze Weſten mit Sä-, Mäh-, Dreſch- und ſonſtigen Maſchinen ver ſorgt .
Die Fabrik von Mac Cormik allein beſchäftigt ſechstauſend
Arbeiter und macht ſo viele Maſchinen , daß je eine auf fünfundvierzig Sekunden Arbeitszeit entfällt!
An jedem einzelnen Wochentage werden
aus dieſer Fabrik hundert Waggonladungen fertige Aderbaumaſchinen nach aller Welt verſchickt. Die Arbeiter ſind zumeiſt Ausländer, vornehmlich Deutſche, Böhmen, Polen , Ruſſen, Schweden, Rumänen.
Das ausländiſche Element iſt
in Chicago überhaupt zahlreicher als das amerikaniſche.
Chicago iſt
die viertgrößte deutſche, die zweitgrößte iriſche, die zweitgrößte polniſche, die größte böhmiſche, die zweitgrößte ſchwediſche Stadt, aber die Ver waltung, die Leitung des Ganzen iſt doch amerikaniſch. In den Händen der Amerikaner befindet ſich der weitaus größte Beſig, und wer die herrliche Michigan-
oder Calumet - Avenue
durchfährt, wird
in den
Paläſten , die fie , von ſchönen Gärten umgeben , auf beiden Seiten be ſepen , faſt nur Amerikaner finden . Wie in der Induſtrie, jo beherrſcht Chicago auch im Handel einen großen Teil des Mijfiilippiſtromgebietes bis hinauf an die kanadiſche Grenze und in das ferne Montana . Gegenden ihr Paris .
Es iſt für die Bewohner dieſer
Dort machen ſie ihre Einkäufe für ihren perſön=
lichen wie für den Hausbedarf, und fallen die Ernten gut aus, dann kommen ſie in hellen Scharen
mit wohlgefüllten Taſchen nach der
243
Das Werden von Chicago .
Randolph Street von Chicago .
Wie ſehr dieſe Stadt auf ihr vinters
land rechnet, zeigen ſchon die großen Warenmagazine, nach dem Muſter des Parijer Bon Marché, die Beehive (Bienenſtock ), The Fair ( Der Markt), Siegel Cooper & Co., The Boſton Store, und vor allem
Mar
ſhall Field & Co., deren Warenhaus wohl zu den größ:= ten der Welt ge hört und nur von Whiteley in Lons don , Bon Marché und
Louvre
in
Baris übertroffen werden
dürfte.
Marſhall
Field ,
der Beſiger, war
POWERS
eine typiſche Per ſönlichkeit.
Wie
die große Mehr zahl der anderen Millionäre
pon OSTALE
Chicago , ſo fing auch er vor meh reren Fahrzehnten als armer Mann
Copyright 1900 by Detroit Photographic Co. Randolph Street in Chicago.
ganz beſcheiden an . Mit dem Wachstum des Weſtens wuchs auch ſein Geſchäft, aber er tat das Seinige dazu .
Er zahlte alle ſeine Einkäufe bar, machte es ſich zur
Richtſchnur, nichts über Gebühr anzupreiſen, ſondern alle ſeine Waren genau ſo zu ſchildern und zu ſolchen
Preiſen
zu berechnen , wie ſie
ihrem tatſächlichen Wert entſprachen .
Seinen Geſchäftsfreunden
im
Weſten gewährte er kurzen Kredit ; war dieſer abgelaufen, dann mußte
Das Werden von Chicago.
211
bezahlt werden .
Darin war er unerbittlich .
Kundſchaft von unerwünſchten Elementen ,
So reinigte er ſeine
hob
gleichzeitig die So
lidität des Geſchäftsverkehrs im ganzen Weſten und füllte ſeine Taſche mit Millionen , deren Zahl das zweite Hundert
überſchritten hat.
Dreißig davon hat er für die Errichtung eines Muſeums in Chicago hergegeben . Während Marſhall Field & Co. neben ihrem Außenhandel wie geſagt auch ein Rieſengeſchäftshaus, ein Bon Marché in Chicago ſelbſt beſißen , entſtand ſeit meinem
letzten Beſuch dieſer Stadt ein anderes Geſchäfts
haus von nahezu der gleichen Größe, Montgomery Ward & Co. , das nur mit Kunden außerhalb Chicagos verkehrt .
An der Seefront
erhebt ſich der neue vielſtödige Balaſt, von einem gewaltigen Turm überragt .
Im Innern ſind Mengen aller erdenklichen Artikel aufge
ſtapelt, von Nadeln bis zu Automobilen, von Knöpfen bis zu Mlavieren und Saloneinrichtungen ;
zweitauſend bis dreitauſendfünfhundert
Clerfs , je nach der Jahreszeit , haben hier vollauf zu tun .
Fünfund
zwanzig junge Damen ſind allein mit dem Öffnen der Briefe beſchäftigt, die täglich durchſchnittlich achttauſend Poſtanweiſungen enthalten .
Das
Geſchäft gibt jährlich vier Millionen Mark für Anzeigen aus.
Der
Katalog , ein dides Buch von zwöljhundert Seiten , enthält dreißig tauſend Artikel mit Abbildungen und Preisangaben , und doch kommen im Verhältnis nur ſehr wenige Käuſer in dieſen Rieſenkaſten.
Will
ein Chicagoer irgend etwas einkauſen , ſo wird er abgewieſen. Auswärtige
werden angenommen .
jungen Jahren
ein
armer Teufel ,
Montgomery hat
Ward ,
klein begonnen ,
in
Nur ſeinen
aber
wie
Marſhall Field , ſo verſtand auch er es , durch Ehrlichkeit und Ein halten ſeiner Verpflichtungen das Vertrauen des Publikums im weiten Weſten zu gewinnen . lionen .
Heute geht ſein Umſay in Hunderte von Mil
Will jemand irgendwo in Montana oder Wyoming
etwas
kaufen , ſo ſucht er den Artikel im Katalog , der nach Millionen
Erem
plaren verbreitet iſt, und ſchickt die Beſtellung nebſt einer Anzahlung . Die Ware wird ihm gegen Nachnahme geliefert .
Nur ein geringer
245
Chicagos fnduſtrien .
Prozentſatz der Waren wird nicht angenommen und kommt an Ward zurüc. Montgomery Ward & Co. iſt nicht das einzige Großgeſchäft dieſer Art in Chicago.
Neben dem ſeinigen iſt das von Sears, Roebad & Co.
faſt von derſelben
Bedeutung .
Auch fie begannen zur gleichen Zeit
wie Ward mit einem Kapital von vierhundert Dollars .
Heute iſt ihr
Vermögen das þunderttauſendfache ! Von dem Geſchäftshaus Montgomery Ward & Co. ging ich in den nahen Chicago- Klub zum
Lunch .
Bei Tiſch lenkte ich das Geſpräch
auf dieſe großen Geſchäfte und den erſtaunlichen Reichtum Chicagos. Der alte øerr mir gegenüber, Mr. D. Jones, lächelte.
„ Ich bin heute
der älteſte Anſiedler der Stadt ," ſagte er, „ und bei dem jährlichen Bankett der Did Settlers ( alter Anſiedler) führe ich ſeit zwei Jahren den
Vorſit .
Was Sie alles
in
Chicago ſehen , iſt unter meinen
Augen entſtanden , denn als ich in den Vierzigerjahren hierherkam , war Chicago ein Dorf.
Heute iſt es die viertgrößte Stadt der Erde ! "
22. Chicagos Induſtrien . as Geheimnis der Größe und Blüte von Chicago iſt ſeine Lage . Die Digole große Maſſe des Verkehrs the mobile wälzt ſich teha in ogni weſt- öſtlicher Richtung von den atlantiſchen Staaten nach den großen Prärieſtaaten des Miſſiſſippi gebietes
und über die Felſengebirge
Stillen Ozeans . Berbindung der
Eine ganze Reihe öſtlichen Häfen
hinweg nach
von Eiſenbahnlinien ſtellt die
New
Montreal u. 1. w . mit dem Weſten her. im
Verzen
den Müſten des
York ,
Philadelphia ,
Boſton ,
Nun werfen ſich ihnen aber
des Kontinents die fünf großen Seen , vor allem der
Michiganſee , quer in den Weg .
Alle dieſe fontinentalen Verkehrs
linien müſſen daher die Seen auf den Südſeiten umfahren , und an dem
Südende
des am
weiteſten
vorſpringenden
Sees ,
des
Lake
Chicagos Induſtrien .
216
Michigan , liegt Chicago .
Alle Giſenbahnlinien von Oſten her müſſen
aljo naturgemäß in Chicago zuſammenlaufen , dort erſt können ſie ſich ungehindert fächerförmig nach allen Richtungen ausbreiten . Der Fächer knopf aber iſt Chicago . Bieten die großen Seen dem
Landverkehr ein Hindernis inſofern
dar , als ſie die Bahnen nach ihrem
ſüdlichſten Ende ablenken und
dadurch Umwege nötig machen , ſo ſind ſie auf der anderen Seite ſelbſt wieder die gewaltigſte natürliche Verkehrslinie , die irgend ein Kontinent beſigt , denn vom
fernen Weſten bis an die Küſten des
Atlantiſchen
ſie
Ozeans
bilden
mitten durch die bevölkertſten ,
eine
ununterbrochene
Waſſerſtraße
entwideltſten Staaten des Kontinents
mit den reichſten Mineral- und Agrikulturprodukten. Das äußerſte Südende dieſer Seenkette iſt nun die Südſpige des Michiganjees , und an dieſer liegt wieder Chicago .
An dieſem Ver
einigungspunkte des Land- und Waſſerverkehrs mußte alſo eine wich tige Handelsſtadt entſtehen , die in dem je
mehr ſich
in der Million
gleichen Verhältnis zunimmt,
engliſcher
Quadratmeilen ,
in deren
Derzen ſie liegt, Landwirtſchaft, Handel , Induſtrie entwideln . Chicago wird durch
ſeine Lage zum
natürlichen Verteilungsmittelpunkt des
Handels und Verkehrs ; der Warenaustauſch zwiſchen Dit und Weſt, zwiſchen Nord und Süd muſ in Chicago ſtattfinden , und ſo wurde es zur größten Handels- und wichtigſten Verkehrsſtadt des Landes , mit alleiniger Ausnahme von New York. Seine Lage zwiſchen den gewaltigen Kohlenlagern von Jllinois und Indiana im Süden , und den unerſchöpflichen Eiſen- und Kupferlagern von Minneſota und Wisconſin an den Ufern des Oberen Sees im Norden mußte aber auch der Induſtrie von Chicago einen mächtigen Auf ſchwung geben , und neben den pennſylvaniſchen Großſtädten der Eiſen induſtrie ſteht Chicago mit an erſter Stelle nicht nur in Amerika, ſondern auch in aller Welt .
Die Ausbreitung des Eiſenbahnnepes,
das heute mit dreihundertjünfzigtauſend Kilometer jenes von ganz Eu ropa weitaus übertrifft und dejjen unbeſtrittener Mittelpunkt Chicago
247
Chicagos Induſtrien .
iſt, mußte dort die größten Schienenwalzwerke, Räder- , Lokomotiven und Waggonfabriken entſtehen laſſen , der Seeverkehr wieder Schiffs bauwerſten ; die in der Welt einzig daſtehende Maſſe von Agrikultur und Waldprodukten , die naturgemäß vornehmlich nach Chicago gebracht und dort verarbeitet wurden , ließen maſchinelle Betriebe zur Bewäl tigung der Arbeit entſtehen , und die Maſchinen wurden in Chicago gebaut ; die Agrikulturländer mit ihrer viele Millionen Hektar großen Ausdehnung konnten nicht durch Menſchenhand allein bearbeitet werden , ſie erforderten Maſchinen , und dieſe Maſchinen liefert Chicago ; Vieh aller Art und Geflügel wird nach Chicago zum
Schlachten , Pökeln
und Einmachen gebracht; dazu ſind Hunderte von Millionen Konſerven büchſen erforderlich); dieſe werden aus Blech hergeſtellt, es entſtanden alſo Blechwalzwerke und Büchjenfabriken, von denen eine allein, jene von Norton Brothers , weit über eine Million täglich erzeugt . duzierte man
aber
ſchon
für
den
Bedarf
von
Chicago,
Pro
mußten
maſchinelle Großbetriebe dafür errichtet werden , dann entwidelten ſich dieſe dank der günſtigen Produktions- und Verkehrsverhältniſſe ganz von ſelbſt zur Verſorgung anderer Märkte in den Vereinigten Staaten , und ſo wird, um
nur den einen Fall von Konjervenbüchſen allein als
Beiſpiel fortzuſeyen , in gewiſſen Perioden des Jahres von Norton Brothers ein ganzer Eiſenbahnzug, init Konſervenbüchſen gefüllt, täg lich nach Baltimore geſandt, das wieder der Mittelpunkt für das Kon ſervieren von Auſtern , Pfirſichen und anderen Artikeln iſt. Das Anwachſen der Bevölkerung in den umliegenden Staaten ließ in Chicago Fabriken für allerhand andere Bedürfniſſe, Möbel, Klei dungsſtücke, Werkzeuge u . ſ. w . entſtehen , wieder der Mehrzahl nach Großbetriebe, und dieſe
erforderten
Maſchinen für Arbeitsleiſtung.
Maſchinen für Krafterzeugung ,
Für die Maſchinen war Roheiſen und
Stahl erforderlich, und ſo führt naturgemäß die Kette der Bedürfniſſe auf die Eiſen- und Stahlerzeugung in Chicago zurüd.
Dieſe bleibt
immer die Grundlage und der Maßſtab für die Groinduſtrie , und ſie hat in Chicago mit der letzteren gleichen Schritt gehalten .
248
Chicagos Induſtrien .
Bis in die Achtzigerjahre bezog Chicago ſeinen Bedarf hauptſäch lich aus Pennſylvanien.
Seither hat ſich aber die Eiſen- und Stahl
induſtrie in Chicago ſelbſt in erſtaunlicher Weiſe entwickelt. Dođs von Süd - Chicago ,
wo die wichtigſten Hochofenwerke
In den liegen ,
kamen in einein Jahre allein auf Schiffen dreieinhalb Millionen Tonnen Erz für den dortigen lokalen Bedarf an . Vergleichsweiſe ſei bemerkt, daß das reichſte Eijengebiet Deutſchlands, Eljaſ - Lothringen , jährlich etwa ſieben Millionen Metertonnen Erz produziert. Schon 1893 gab es in Chicago neunzehu Hochöfen , von denen je einer der Calumet Iron and Steel Company und der Jroquois Furnace Company, der Reſt der Illinois Steel Company gehörte.
Die
leztere, eine der größten Unternehmungen ihrer Art, wurde im Jahre 1889 durch die Verſchmelzung der Nord- Chicago- Walzwerke , der
Foliet
Stahlgeſellſchaft und der Union -Stahlgeſellſchaft gebildet , die ihrer ſeits ſind.
wieder aus der Vereinigung kleinerer Werke
hervorgegangen
So machte ſich auch hier der Zug nach Großbetrieben immer
mehr geltend ; jegt iſt die Illinois Steel Company ſelbſt wieder nur ein Teil der United States Steel Company mit ihren
einhundert
ſiebzigtauſend Arbeitern . Schon 1893 beſaß die 3llinois Steel Company viertauſendfünf hundert Morgen Kohlenland mit eintauſendzweihundert Hofsöfen , ein tauſendfünfhundert Eijenbahnwaggons für den Kokstransport und ziveis undvierzig Lokomotiven mit fünfhundert Waggons nur für den lokalen Verkehr innerhalb der Werke ſelbſt, welche fünfhundert Morgen bedeck ten.
Seit dem Chicagoer Ausſtellungsjahr 1893 ſind die Anlagen der
Illinois Steel Company beträchtlich vergrößert worden , und heute umfaſſen ſie neunzehn Hochöfen und eineinviertel Millionen Tonnen Produktion , vier Beſſemerwerke mit einer Million einhunderttauſend Tonnen , ein Offenherdwerk mit fünfundſiebzigtauſend Tonnen , vier Schienenwalzwerfe mit achthundertfünfzigtauſend Tonnen ; ferner ſechs Walzwerke für Stangen-, Platten- und Billettſtahl, zuſammen mit dieſen drei Millionen ſechshunderttauſend Tonnen Produktionsfähigkeit
1
249
Chicagos Induſtrien .
jährlich .
Nach 6. Kirchhoff belief ſich die geſamte deutſche Produktion
von Stahlſchienen um die Jahrhundertwende auf etwa achthundert tauſend Tonnen , alſo jo viel , wie die Flinois Steel Company in Chicago allein erzeugt . Von den Werken der Fllinois Steel Company liegen drei in der Stadt Chicago , eine in Milwaukee und eine in Joliet , vierzig eng liſche Meilen ſüdweſtlich von Chicago.
Ale ſind durch eigene Teles
graphen- und Telephonleitungen mit dem Hauptbureau verbunden, das im Rookerybuilding in Chicago ſeinen Sitz hat .
Dort bekam
ich
durch Empfehlung nicht nur eine Eintrittskarte nach dem bedeutendſten der genannten Werke , jenem von Süd- Chicago , ſondern auch noch ein Schreiben an den Leiter, der mich perſönlich durch die großartigen Anlagen führte und mir alle erwünſchten Aufſchlüſſe gab . Chicago iſt ſo groß , daß ich mit der Fllinois - Zentraleiſenbahn vom Stadtmittelpunkt aus etwa zwanzig Minuten brauchte , um nach den Werken im Süden der Stadt zu kommen . Eine Brücke von zweihundert Metern Länge führt über den Bahnhof nach der dreihundert Morgen großen Anlage, die, von einer hohen Mauer umſchloſſen, ſich bis nahe an das Seeufer zieht . Noch 1880 war der Boden hier eine öde Sand fläche, über dem Seeſpiegel nur wenig erhaben, ohne irgend ein vaus , ohne Baum .
Im
folgenden
Jahr wurden vier Hochöfen erbaut,
und heute werden hier von ſechstauſend Arbeitern mit Hilfe der modernſten Maſchinen täglich ein- bis zweitauſend Tonnen Stahl ſchienen hergeſtellt, die Stahlplatten , Stabeiſenmaſſen u . ſ. w . gar nicht gerechnet. Vom Ujer ſtrecken ſich in den See hinaus zwei Dods, wo die von den Eiſenminen
am Superiorſee kommenden Dampfer
täglich über zehntauſend Tonnen Erz landen. Durch die Werke führt ein Netz von gegen hundert Kilometer Eiſenbahnen . Als ich die Brücke hinuntergegangen war , befand ich mich einem der Eingänge zu den Werken gegenüber.
Der Wächter wies mich zu
dem nächſten , denn dort befänden ſich die General Offices. was denn dieſes ſtille Gebäude hinter der Mauer jei ?
Ich fragte,
Das vojpital
Chicagos Induſtrien .
- 250
der Illinois Steel Company . „ Augenblicklich ſind ungefähr ein Dußend Franke darin," fügte der Wächter bei, „ alle in den Werken verunglüdt. Es kommen alle Wochen mehrere Unfälle vor , und die Leute werden auf Koſten der Geſellſchaft behandelt.“ Am nächſten Tore fand ich gegen Vorzeigen meines ticket Einlaß . Ein großes Steingebäude enthält die Bureaus der Verwaltung. Superintendent war ſofort bereit , mich zu begleiten.
Der
„Wir machen
hier hauptſächlich Eiſenbahnſchienen und Stahlplatten , aber auch die dafür nötigen Maſchinen und Walzen werden hier erzeugt.
Die Kraft
geben uns Dampfmaſchinen von fünfzigtauſend Pferdekräften . angeht, ivird Elektrizität verwendet.
Wo es
Unſere Arbeiter ſind größtenteils
Deutſche, Schweden und Engländer
Amerikaner haben wir nur
ſehr wenige. Jhre Zahlung erfolgt nach der Tonnenzahl ihrer Leiſtung ; nur die gewöhnlichen Handlanger erhalten einen feſten
Taglohn von
fünf Mark ſechzig Pjennig .“ Draußen war die Atmoſphäre von ſchwarzem Rauch geſchwängert, ſchwer lagerte ſie über dem ganzen geſchäftigen Betrieb , verfinſterte den Umkreis , und zwiſchendurch ſprühte der heiße Gijcht mit ſeinen Funkengarben aus den Beijemeröfen. Zeitweilig wurde das Dons nern der glühenden Stahlplatten hörbar , wenn ſie von ſtählernen Automaten getrieben , zwiſchen den Stahlwalzen durchgequetſcht wurden und dann über die langen eiſernen Tiſche rollten ; überall erheben ſich rauchgeſchwärzte, vielfenſterige Gebäude, aus deren weitgeöffneten Flügeltoren Eiſenbahnzüge, init glühenden Stahlmaſſen beladen , rollten ; der ganze Boden zwiſchen den Gebäuden iſt mit einander kreuzenden Schienenpaaren bedeckt; kleine Lokomotiven führen die Züge nach ihren Zielen , und wir mußten achtgeben , kommen .
um
nicht unter die Räder zu
Ganz im Hintergrunde ragt wie ein Schneeberg inmitten
der ſchwarzen Werkſtätten eine Zementfabrik hervor, in welcher aus den Hochoſenſchlađen Zement erzeugt wird, nicht weniger als ein tauſendfünfhundert Faß im
Tage .
Das iſt aber nur die kleine Fabrik , erzählte mein Führer , die
Chicagos Induſtrien.
große befindet ſich einige Meilen
251
von hier in Buffington , Indiana .
Dort machen wir täglich viertauſend Faß Zement und in einer zweiten Fabrit auch gleich die Fäſſer dazu . Eben kamen wir an der Maſchinenwerkſtätte vorbei .
Rings
um fie ſtanden in langen Batterien die ſeltſamen , geſtuzten Steil pyramiden
ähnlichen Gußeiſenformen
werden dieſe ſchweren , getüme gegoſſen. zweieinhalb
für
Hier
Beſſemerſtahl.
den
mit wuchtigen Handhaben
verſehenen
Un
Hunderte von ihnen ſind im Gebrauch , jede Form
Tonnen des flüſſigen , weißglühenden Stahles faſjend.
Man ſollte glauben , dieſe maſſigen Formen müßten ewig dauern . Aber ſchon nach kurzem
Gebrauch naßen ſie ſich ab ; und können ſie
nicht mehr ausgebeſſert werden , dann ſchlagen , zum
Einſchmelzen .
ſie , in Stüde zer
kommen
Fortwährend fahren die Trudwaggons,
mit dieſen Laſten beladen , vorbei , gezogen von kleinen Lokomotiven. Auf jedem Waggon ſtehen zwei ſolcher mit weißglühendem geſchmolzenen Metall gefüllte Formen, und je drei Waggons bilden einen Zug oder, Das konnten wir
wie die Amerikaner jagen , eine „ Heat" (Hitze ). wohl ſpüren , wenn ſolche Züge uns nahekamen .
Nahe den Beſſemeröfen ſtehen die großen Hochöfen , eine Batterie von zehn turmhohen Ungetümen, die täglich viertauſend Tonnen Gijen erzeugen.
Der ganze Betrieb iſt mechaniſch :
das Erz wird durch
Maſchinen emporgehoben und in die Öfen geworfen ; nur für den Anſtich treten ein paar Arbeiter in Wirkſamkeit.
Ebenſo geſchieht in
den Beſſemerhütten alles durch Automaten , die in höchſt ſinnreicher Beije die Arbeit der Menſchen hand nachmachen .
Das
iſt
in
den
amerikaniſchen Betrieben überhaupt charakteriſtiſch. Geradeſo, wie etwa eine Hausfrau die Teekanne hebt , um den Tee in die bereitſtehenden Taſſen zu gießen , und die gefüllten Taſſen dann jemand weiterreicht, der ſie mit den Händen in Empfang nimmt, ebenſo geht es auch hier im großen zu , nur daß die Hände aus unförmlichen Stahlmaſſen be ſtehen und einem unſichtbaren Titanen angehören , in deſſen Adern nicht Blut , ſondern Dampftraft und Elektrizität den Kreislauf auss
Chicagos Induſtrien .
252
führen . Die Formen werden von ſtählernen Fingern, die an Kranen von zwanzig bis dreißig Tonnen Tragkraft hängen , unter die Beſſemerbirnen geſetzt; ſind ſie mit dem
weiſsglühenden Stahl gefüllt, der ſcheinbar
ſo ruhig und ſicher einläuft wie Tee, dann werden ſie wieder von den Stahlfingern auf Waggons
gehoben
und
zu dem großen Siemens :
Martin - Djen geführt, der nichts weiter iſt als ein Wärmeſpeicher, aus Ziegeln gebaut , wie ein Badofen.
Er konſerviert die Hitze in den
Ziegelmauern und läßt ſie auf dieſe Art nochmals benutbar machen . Nur handelt es ſich hier um Temperaturen bis zu zweitauſend Grad . Die Formen werden ganz
wie Brotlaibe in einem Badofen ſchön
nebeneinander geſtellt ; dazu werden ſie durch Krane von den Waggons gehoben , auf das richtige Fledchen über den oben offenen Ofen ge tragen und dann ſachte herabgelaſſen.
Iſt der Ofen gefüllt , ſo wird
ein Eijendedel darübergeſchoben und die ſtählernen Brote baden . Auch hier ſind nur ein paar Mann beſchäftigt, welche die Hebel der keines wegs komplizierten Maſchinerie zu ſtellen haben . Arbeiter zur Hand habung der Laſten gibt es keine. Um die Stahlklumpen aus den Formen herauszubekommen, werden die letteren
wieder automatiſch auf die Waggons verladen und zu
einem hydrauliſchen Stripper (Abzieher) gebracht.
Stählerne Finger
faſſen von oben die Formen bei den Handhaben , und da die Formen unten breiter ſind als oben , gelingt es leicht, ſie von den Stahl klumpen abzuheben , wie man die umgeſtürzten Formen von einem ge badenen Gugelhopf abhebt.
Die beſte Leiſtung der Flinois Steel
Company in den Süd-Chicago - Werken war das „Stripping“ von ein. tauſendundachtzig Formen in zehn Stunden Stunde.
über hundert in der
Der heutige Durchſchnitt beträgt jedoch ſieben- bis acht
hundert Klumpen . Nun kommen dieſe in die Walzwerke, die man ſich wie eine Wäſche mange
vorſtellen
kann ,
freilich ſtatt mit hölzernen mit ſtählernen
Rollen , die durch ungeheure hydrauliſche Kraft immer näher anein ander ſtellbar ſind, eine Arbeit, die ein einziger Mann verſieht, indem
253
Chicagos Induſtrien .
er leicht an einem Hebel drüct . Die Mangerollen ſind in der Mitte von zwanzig
bis dreißig Meter langen Eijentiſchen angebracht, und die
Tiſche beſigen an Stelle einer Platte mannsdice Eijenwalzen .
Arane
bringen die weißglühenden Stahlklumpen herbei und ſenken ſie auf den eiſernen Tiſch.
Seine Eiſenwalzen
drehen ſich in der Richtung
gegen die hydrauliſche Preſſe um ſich ſelbſt und führen ſo den Klumpen hüpfend und polternd zur Preſje. weichen .
Er muß durch.
Dort gibt es für ihn kein Aus
Er wehrt ſich und ſprüht Funken umher,
aber ſchon haben ihn die gegeneinander ſich drehenden Stahlwalzen der Preſſe erfaßt und quetſchen ihn mit furchtbarer Gewalt zwiſchen fich durch .
Dabei fließt ununterbrochen ein Strom
kalten Waſſers
darüber, das ziſchend zu weißem , brühheißem Dampf verwandelt wird. Aus dieſem Dampf kommt auf der anderen Seite der Slumpen wieder hervor , auf das Doppelte in die Länge gequetſcht. wieder, nachdem
Nun hüpft er
der hydrauliſche Druck aufgehört hat , luſtig ein paar
Meter weiter über die Eiſenrollen , froh , ſo leichten Kaufes davonge kommen zu ſein .
Aber er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht
plößlich wird die Richtung der Tiſchwalzen umgekehrt , und der Mlumpen muß zurückwandern , Quetſcher.
wieder
zwiſchen
die unnachſichtigen
Jenſeite iſt er ſchon zu Mannslänge und Mannsdicke
geſtredt, muß nochmals zurück, und ſo geht es hin und her, bis aus dem
plumpen Stahlſtück eine elegante, ſchlanke Stahlſchiene geworden
iſt.
Nun erſt geſtatten ihr die Tiſchwalzen weiterzuwandern.
Stahl
hände heben ſie auf andere Eijentiſche, Stahlhände ſchieben ſie ſchön ſäuberlich in Reihen ; auf der anderen Seite werden ſie wieder herunter genommen und automatiſch geradegeſtreckt.
Nun ſind ſie fertig , werden
bündelweiſe, als wären ſie Zahnſtocher, emporgehoben und über die Nöpfe der Arbeiter hinweg aufs Lager gebracht. Auf dieſe Weiſe werden
hier täglich
bis
zweitauſend Tonnen
Schienen hergeſtellt in einer Geſamtlänge von achtundvierzig meter.
Der Preis der Schienen
hundertzwölf Mark die Tonne.
filo
ſtellt ſich an Ort und Stelle auf
Chicagos Induſtrien .
254
Nun führte mich der Superintendent zu den Walzmühlen für Stahlplatten .
Die Erzeugungsweiſe iſt die gleiche, nur ſind die
Stahlwalzen auf den Tiſchen entſprechend länger, ſo daß Platten bis zu zwei Meter Breite und fünf Meter Länge hergeſtellt werden können . Ihre Dide kann verſchieden ſein , von drei ſechzehntel Zod bis zu zwei Zoll.
Das Donnern und Poltern der durch die Walzen ſauſenden
Platten iſt hier noch betäubender als bei den Schienenwerken.
Es iſt
als würden jämtliche Gongs des himmliſchen Reichs auf einmal an geſchlagen , oder als würden die Blechdonner ſämtlicher Theater Ameri kas auf einmal zum Donnerwetter kommandiert.
Die Herſtellung von
Blatten ſtellt ſich zur Zeit auf fünfzehntauſend Tonnen im Monat. Charakteriſtiſch bei dieſen Walzwerken für Platten iſt es , daß ſie zwei Walzenpaare beſigen.
Wat die zu walzende Platte das
eine
Paar paſſiert, das ſie auseinanderwalzt, ſo wird ſie beim Zurücgehen automatiſch zu dem anderen Paar gehoben, welches der Oberfläche der Platte die erforderliche Glätte gibt.
Ein weiteres Zurichten, Schleifen ,
Polieren der Platten findet ebenſowenig ſtatt wie bei den Schienen. Beide kommen als fertige Produkte aus den Walzmühlen . Nur bedürfen die Platten ein Zuſchneiden zur genau rechtwinkligen Form .
Dazu dient
eine ähnliche Maſchine, wie ſie die Buchbinder zum Beſchneiden ihrer Bücher verwenden , nur haben Meter Länge .
ſie rieſige Stahlmeſſer von über drei
Hier allein ſah ich eine größere Zahl von Arbeitern in
Verwendung , aber auch nur acht bis zehn Mann, welche die Platten von den Waggons unter die Schere zu bringen haben .
Um ihnen
die Arbeit zu erleichtern , iſt der Raum vor der Schneidemaſchine in der Ausdehnung von vielleicht zwanzig Quadratmeter mit niedrigen Eiſenpfoſten geſpickt, auf denen oben nach allen Richtungen hin dreh bare Rollen ſigen. füße mit Kollen.
Dieſe Pioſten ſehen aus , wie umgekehrte Sofa Auf dieſen Rollen laſſen ſich die ſchweren Platten
mit Leichtigkeit nach allen Richtungen drehen .
Ein Mann richtet ſie
im erforderlichen Winkel unter die Schere, das Meſſer ſenkt ſich und ſchneidet die drei Finger diđe Stahlplatte wie Pappdeckel.
255
Chicagos Induſtrien .
Wie man ſieht, iſt alles erſonnen worden , um die menſchliche Arbeit möglichſt durch Maſchinen zu erſeßen . Die Arbeit wird präziſer, genauer, gleichförmiger, die Herſtellungskoſten werden bedeutend geringer.
Frei
lich muß man ſich dann auf einzelne Artikel beſchränken , wie z. B. das Rieſenunternehmen der Jlinois Steel Company auf Schienen und Platten.
Doch verdient es damit wahrſcheinlich viel mehr Geld, als
würde es den ganzen Speiſezettel der Eiſeninduſtrie herunterarbeiten . Und auf das Geldverdienen kommt es ja hauptſächlich an . Andere Betriebe wieder finden es lohnender, alle Beſtandteile, die fie für beſtimmte Artikel brauchen , ſelbſt herzuſtellen . So z. B. Full man , das heißt die Bullman Car - Geſellſchaft, denn der alte Pullman , der als junger Mann aus der Pfalz nach Amerika wan derte , ſtarb im
Jahre 1902 als ſiebzigfacher Markmillionär.
In
ſeinen Betrieben in der Stadt Pullman gibt es Eiſengießereien und Stahlwerke ,
Fabrifen zur þerſtellung
bläſereien , Farbenfabriken u . 1. w .
von Waggonrädern ,
Glas
Alle Beſtandteile der bekannten
Pullmanſchlafwagen werden in der Stadt Pullman in großen Mengen mit den Maſchinen gefertigt und dann zuſammengeſegt. Ähnlich werden in den großen Lokomotivwerken von Grant alle Beſtandteile der Lokomotiven - die Meßinſtrumente ausgenommen angefertigt.
Es gibt heute wohl kaum einen Artikel mehr, der nicht
in Chicago ſeinen Fabrikanten hat , und das gleich im großen Maß ſtab, ireil eben das große vinterland und damit der Bedarf , der Abja vorhanden iſt.
Das hat auch die Fabrikation landwirtſchaftlicher Ma
ſchinen großgezogen. Die Farmen der Amerikaner, beſonders im fangreich , daß von einer Landwirtſchaft ,
Weſten , ſind ſo um
wie ſie bei uns etwa in
Thüringen oder Oberheſſen vorkommt , natürlich nicht die Rede ſein kann .
Manche Grundbeſiger haben mehrere tauſend Morgen unter
Weizen , eine Farm in Norddakota , die ich ſchon vor Jahren beſucht habe , umfaſst ſogar ſechzigtauſend Morgen und hat vierzig eng liſche Quadratmeilen unter Weizen. Bei dem Mangel an Arbeits
256
Ein Schlächter-Märchen .
kräften entwicelte ſich der landwirtſchaftliche Maſchinenbetrieb ,
die
Landwirtſchaft iſt zur Induſtrie geworden , und es entſtanden in den Weſtſtaaten große Fabriken ausſchließlich zur Erzeugung von Ma ſchinen
zum Entfernen von Wurzelſtöden , Maſchinen zum Pflügen ,
Eggen , Säen , Mähen, Garbenbinden , Dreſchen , Maſchinen zum Milch , Butter- und Näſebetrieb. Mit einer einzigen Erntemaſchine, von zwei Pferden gezogen , kann ein Mann täglich dreißig bis vierzig Morgen Getreide mähen und in Garben binden . Die älteſte der Maſchinenfabriken für Landwirtſchaft iſt, wie ſchon erwähnt, wohl jene von Mac Cormick in Chicago, die in den Vierziger jahren des vorigen Jahrhunderts gegründet wurde, und heute ſechs tauſend
Arbeiter beſigt.
Von beinahe der gleichen Größe
iſt die
Deeringiche Fabrik in Chicago , an welche ſich die Champion Works in Springfield , im Staate Illinois , dann die Fabrik in Milwaukee und
die Planofabrik
in
Chicago reihen .
Die
Abſazgebiete dieſer
rieſigen Etabliſſements ſind dieſelben , die Maſchinen ſind nicht viel voneinander verſchieden , und um einander die Preiſe nicht zu ver derben , vereinigten ſich die genannten Betriebe nach bekanntem ameri. kaniſchem Muſter zu einem Truſt unter
dem Namen International
Harveſter Company of America . Sie haben zuſammen zwanzigtauſend Arbeiter und erzeugen täglich fünfzehn hundert Maſchinen . Bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden entfällt alſo je eine fertige Maſchine auf zwanzig Sekunden .
sere
23. Ein Schlächter -Märchen . ' ine Großſtadt von der Größe Stettins, die ausſchließlich von
Eine Schlächtern und ihren Familien bewohnt wird, würde man kaum für möglich halten . Fünfzigtauſend Schlächter ſind dort Tag für Tag, jahrein , jahraus mit dem Schlachten der großen Viehherden beſchäftigt,
Ein Schlächter -Märchen.
257
die in vielen Eiſenbahnzügen fortwährend aus dem
großen Weſten
und Südweſten Amerikas eintreffen. Dieſe Großſtadt liegt im Süden von Chicago, einige zehn bis fünf zehn Milometer vom Stadtmittelpunkt.
Sie hat keinen Namen .
Die
Chicagoer benennen ſie „ Diſtrikt der zwölften Straße“ oder „South Valſted " und ſchaudern beim Ausſprechen dieſes Namens, denn dort liegen nicht nur die rieſigen Schlächtereien und Wurſtfabriken , ſondern auch die Dünger- , Leims, Seifen- und Herzenfabriken , ſowie andere wohlriechende Etabliſſements.
Wohl ſind natürlich auch über das ganze
Chicago Schlächter verteilt, aber die vorgenannten fünfzigtauſend wohnen rings um South Halſted. Kommen in Chicago Unruhen und Schießereien in großem Maßſtabe vor – was geſchieht in Chicago nicht im großen Maßſtab ? — , jo iſt ſicher South Halſted und die zwölfte Straße das Schlachtfeld.
In früheren
ſtändiger Lebensgefahr.
Jahren
waren die
Polizeipoſten
in be
Dort fand auch in den Achtzigerjahren die
Schlacht zwiſchen dem aufgeregten blutdürftigen Mob und zwei Batail lonen von Freiwilligen ſtatt, die raſch zur Unterdrückung des Auf ſtandes auſgeboten worden waren und Straßenbahnpferde ritten . Sie ſchoſjen ſo ſchlecht, daß glücklicherweije die Zahl der Toten und Ver wundeten , wenigſtens unter den Aufſtändiſchen, keine große war.
Hier
geſchah es auch , daß eine Kompanie des erſten Regiments wütend eine andere Kompanie desſelben Regiments beſchoß in der Meinung, der Feind rüde an .
Die Zeiten in dieſem
Terror- District“ (Schredens
diſtrikt) ſind beſſer, ruhiger geworden , man kann aber nicht wiſſen, wann es von neuem wieder losgeht. Eingeſchachtelt in dieſe Stadt der Schlächter liegt eine zweite Stadt, fünfhundert Morgen umfaſſend, eine der merkwürdigſten Städte unſeres Planeten , die einzige in ihrer Art.
Im Gegenſatz zu der Schlächter:
ſtadt hat ſie wenigſtens einen Namen, Union Stodyards . Die Schlächters ſtadt iſt gewiſſermaßen nur eine Vorſtadt von ihr, in ihrem Leben und Erwerb ganz von Union Stockyards abhängig, und doch beſißt dieſe leştgenannte Stadt nicht einen einzigen menſchlichen Einwohner, auch 17 peiſe :Wartegg , Amerita .
Ein Schlächter -Märchen .
258
Viehpart in den Prärien.
nicht einmal Häuſer, ein paar Geſchäftsgebäude und Fabriken ausges nommen. Dreiundzwanzig Eiſenbahnen, die aus allen Teilen des Monti nents in Chicago zuſammenlaufen, haben hier bedeutende Frachtbahn höfe, die Stadt ſelbſt wird von breiten Avenuen und wohlgepflaſterten Straßen durchzogen, ihre Verwaltung verfügt in und zwiſchen dieſen Straßen über fünfhundert Kilometer Bahnlinien, ſie hat Waſſerleitung, Mloaken, Gas- und elektriſche Beleuchtung, Polizei, Feuerwehr nach dem modernſten Muſter eingeführt und dazu dreizehntauſend Hotels gebaut
dreizehntauſend, man merke wohl – und doch hat dieſe
Stadt, wie geſagt, keinen einzigen menſchlichen Einwohner. Union Stockyards iſt eine Stadt für Tiere , und die dreizehn tauſend Hotels ſind für ſie beſtimmt, Kinder, Schafe, Pferde, Schweine, vor allem leştere.
Täglich kommen ihrer in langen Eiſenbahnzügen ,
gewöhnlich zwiſchen vier und acht Uhr Morgens , viele Tauſende an . Der Verkehr der vierbeinigen Reijenden iſt dort größer als jener der zweibeinigen in unſeren Großſtädten , täglich im tauſend !
Durchſchnitt fünfzig
Nicht etwa nur aus der Umgebung, ſie kommen aus ein-,
zweitauſend
Kilometer
Entfernung,
aus
dem
fernen
Teras
und
259
Ein Schlächter - Märchen .
Arizona, aus Wyoming und Montana in eigenen Touriſtenzügen , und was man in Bezug auf die Schönheit von Neapel von den Touriſten ſagt, „ Napoli vederi e poi morire“, das trifft bei den Kinder- und Schweinetouriſten ein.
Kaum ſehen ſie die Stodyards , ſo ſind ſie
auch ſchon tot. Damit auf den tagelangen Reiſen durch den weiten Weſten die Tiere nicht zum Futtern und Tränken ausgeladen werden müſſen, eine ſehr zeitraubende und koſtſpielige Sache, beſonders bei den ſtörrigen , widerhaarigen Schweinen, ſind auf den Eiſenbahnzügen , ganz wie auf unſeren Hauptbahnen , Speiſewagen eingeführt worden . füttern während der Fahrt.
Die Tiere
Kommen ſie in den Stodyards an , jo
werden die Züge von den Angeſtellten der Schweineſtadt, mehrere tauſend an der Zahl , in Empfang genommen , nach den verſchiedenen Hotels geführt und dort ausgeladen.
Die für Schweine und Schafe
beſtimmten
Kinder
Hotels
ſind
eingedeckt,
ſchlafen
unter
freiem
Copyright by Detroit Photographic Co. Biehpart in Chicago.
260
Himmel.
Ein Schlächter -Märchen .
Wer ſich die Stadt vom erſten Stock des Reſtaurants oder
der Schweinebörſe betrachtet, der ſieht ein Rieſenſchachbrett vor fich, jedes Schachbrett ein „ þotel “ , aus hohen
ſtarken
Balken
gebildet .
Der Fußboden iſt aus Holz und die ganze Einrichtung beſteht aus Zuſammengenommen haben dieſe letteren
Futter- und Waſſertrügen .
eine Länge von zweihundert Kilometer !
Man denfe ſich doch Tröge
ſo lang, daß ſie von Berlin bis über Leipzig hinaus, nach Altenburg reichen !
Begrenzt wird
der Horizont dieſer Bretterſtadt
von rieſigen , ruſzigen , vielfenſtrigen Schloten;
in den Straßen
ringsum
Fabrikgebäuden mit rauchenden
dazwiſchen herrſcht
der regſte Verkehr.
Unten auf der Straßenbahn puſten und ſchnauben Lokomotiven auf und ab ,
ſchwere , polternde Laſtzüge ſchleppend,
dazwiſchen fahren
Hunderte von feſt verſchloſſenen großen Frachtwagen ,
mit
ſtarken
Pferdepaaren beſpannt , einher, vielleicht Omnibuſje, welche die auf den Bahnhöfen ankommenden Geſchäftsleute nach den
einzelnen Ge
bäuden fahren , aber niemals ſieht man eine Equipage oder ein leichtes Wägelchen, niemals eine Dame.
Hierher kommt nur das ſtärkere, ich
möchte ſagen, das ſtärkjte Geſchlecht. über dem
Straßenboden laufen auf Stahlgerüſten in der Höhe des
erſten Stodwerks wieder Eiſenbahnen mit Weichenanlagen, Wärterhäus chen, und auch hier iſt der Verkehr tagsüber ungemein rege. Der Inhalt der Hunderte von offenen Waggons, die hier nach den verſchiedenen finſteren Gebäuden gebracht werden , iſt grauenhaft.
Waggons voll Gehirn, voll
Eingeweide, voll blutender Hufe und knallroter, blutverklebter Schädel, Blut und Knochen und friſche, rote Weichteile überall ! Von Morgens vier Uhr an
geht die
Arbeit in dieſer größten
Schlachtſtätte des
Erdballs los, dann werden die Viehherden ausgeladen .
Um acht Uhr
verjammeln ſich in der Börſe Tauſende von ernſten geſchäftigen Männern, ſonngebräunte Viehzüchter aus den weiten Prärien und Steppen des Wetens , in breitfrempigen Sombreros und Lodenanzügen , Hunderte von Viehhändlern , Kommiſſionären mit ihren Clerks , Vertreter der großen Schlachthäuſer und Einzelichlächter.
In der Börje haben drei
261
Ein Schlächter-Märchen .
hundert Kommiſſionsfirmen ihre Bureaus.
Die Herden werden ge
wöhnlich ihnen zugeſandt, ſie erhalten die Empfangsſcheine der Stock yard -Geſellſchaft und trachten , die Tiere zu möglichſt hohen Preiſen zu verkaufen .
Die großen Schlachthausbeſiger haben in allen Welt
ſtädten ihre Korreſpondenten , täglich
erhalten ſie Kabelberichte über
den Stand der Fleiſchpreiſe und machen dementſprechend ihr Angebot . Zu
langem
ſind
die
Feilſchen iſt nicht viel Zeit .
vielen
Tauſende
von
Um
Schweinen
Das Rindergeſchäft dauert bis Nachmittag .
zehn Uhr Vormittags und Schafen
Um
verkauft.
drei Uhr wird der
langgezogene ſchrille Ton einer Dampfpfeife hörbar , und damit iſt das Kaufgeſchäft zu Ende.
Die Angeſtellten nehmen unmittelbar nach
dem Abſchluß der Preiſe die betreffenden Tiere in Empfang, laſſen auf gewaltigen Wägevorrichtungen, die gleich zwei- bis dreihundert Schweine auf einmal wägen , ihr Gewicht beſtimmen und führen ſie nach der Stallung ihrer Firma.
Dort bleiben ſie gewöhnlich eine Nacht und
am nächſten Morgen iſt ihr Erdendaſein beendet.
In langer, ununter
brochener Prozeſſion werden ſie auf gedeckte ſchmale Rampen trieben , die über die Stallungen hinweg Schlachthäuſer führen .
ge
in das erſte Stockwerk der
Dort werden ſie von rieſigen Schlächtergeſellen
erfaßt , eine Rolle umſchlingt im
nächſten Augenblick ihre Hinterbeine,
und ſie hängen in langen Reihen auf Schienen, die direkt zum Tode führen .
Hinter einer Wand ſtehen Männer mit dem
ſtahl in der bluttriefenden Hand.
gezückten Mord
Alle drei oder vier Sekunden rollt
ein grunzendes, quietſchendes, ſtrampelndes Schwein herbei , ein Stich in die Kehle, und alles iſt aus .
Das geht ſo den ganzen Tag über.
Jede Minute kann ſo ein Schlächter zwölf bis zwanzig Schweinen den Garaus machen , und Nick Baker , der geſchickteſte von allen , hat an manchen Tagen ſchon fünftauſend Schweine auf dieſe Weiſe vom Leben zum Tode befördert , ohne daß ſie es wollten .
Mit offener blutender Kehle rollen die Schweine in langer Reihe einher, ein paar Männer nehmen ſie flink von der Kette und laſſen fie in Refiel mit ſiedendem Waſſer fallen ; andere fiſchen ſie mit Stangen
262
Ein Schlächter-Märchen .
heraus und werfen ſie auf lange Tiſche; automatiſch ſegen Maſchinen an und raſieren ſie der Länge und Quere nach, auf Rücken und Bauch und Seiten, und ſchön glatt, roſa kommen ſie dann unter die Meſſer der Schlächter.
Eins, zwei ſind ſie in Hälften geteilt, eins zwei fliegen
die Schinken herunter, eins zwei ſind die Bäuche ab und ſo weiter, und kommt Feierabend , ſo liegen in den eiskalten Mühlräumen der Schlachthäuſer manche Millionen Pfunde Schinken und Sped ſorgfältig verpackt, eingenäht in Leinwand , verlötet in Konſervenbüchſen , oder friſch, mit weißer glänzender Haut . Beim Hornvieh geht das Gemegel ähnlich vor fich, nur laſſen ſich die Kinder , an das freie Leben in den unermeßlichen Prärien des Weſtens gewöhnt, nicht ſo mir nichts dir nichts in die dunklen Gänge der Seufzerbrüde
treiben .
Da müſſen
allerlei
Mittelchen
Die größte Schlächterfirma, Armour & Co. , hat ſich der Hilfe eines alten Stiers verſichert.
3n ſeinen
helfen .
beiſpielsweiſe jungen
Jahren
hat er vielleicht Enttäuſchungen erfahren, ſein Liebchen war ihm untreu geworden, kurz, er iſt auf die Kindviehgeſellſchaft ſchlecht zu ſprechen . Der alte Schlauberger
läßt davon nichts merken .
Im Gegenteil.
Er liebäugelt mit den jungen Kühen, raunt den Stieren, die ihm das wehren wollen , Schilderungen ſaftiger Graspläße zu , nach welchen er ſie führen würde, und macht ſich bald ſo beliebt , daß die Herden ihm gerne folgen .
Nun iſt eine Zeit gekommen .
Fröhlich ſpringt er ihnen
voraus, auf die Seufzerbrüde zu , hinter ihm
drein das dumme Vieh .
Naum
iſt er durch den Eingang gekommen , ſo ſchleicht er ſich zur
Seite und läßt die nachdrängenden Rinder an ſich vorbei .
Þat ſich
der dicke von ihnen aufgeworfene Staub verzogen , ſo ſieht man den alten Stier einjam
vor der Seufzerbrücke ſtehen , auf der Umſchau
nach neuen Opfern . Oben
am
Schlachthaus
werden die Kinder in enge Verſchläge
eingelaſjen , über welchen rieſige Männer, wahre Hünen , einen lang ſtieligen ſchweren Hammer ſchwingen. Man hört einen kurzen, trockenen Hrach , und das Kind iſt in die von dem alten Stier verheißenen
Ein Schlächter -Märchen .
glüdlichen Weidegründe eingezogen .
263
So finden täglich hier neuntauſend
Rinder ihren Tod ! Die Geſamtmenge der in einem Jahre geſchlachteten Tiere belief ſich auf zweieinhalb Millionen Rinder, viereinhalb Mil lionen Schafe und ſieben Millionen Schweine , zuſammen im von eintauſendzweihundertfünfzig Millionen Mark. zigen Tage gingen einmal aus
An
einem
Wert ein
den Schlachthäuſern der Stocyards
hervor vierzehn Millionen Pfund Fleiſch und Sped, vier Millionen Pfund Schinken , acht Millionen Pfund Würſte, vierzehn Millionen Pfund Pökelfleiſch , ganz abgeſehen von kleineren Produkten, zuſammen alſo vierzig Millionen Pfund Schweinefleiſch allein, und nimmt man das Kind- und Schaffleiſch dazu, dann hätte an dieſem Tage Chicago die Bevölkerung des ganzen Deutſchen Reiches, die Kinder eingeſchloſſen , mit je einem Pfund Fleiſch verſorgen können !
Tatſächlich werden aus
den Stodyards große Fleiſchmengen nach Europa, Oſtaſien , Mexiko u . 1. w . verſandt.
England bezog in einem Jahre davon für hundert
vierzig Millionen Mark, Deutſchland für ungefähr die Hälfte.
Dazu
kaufte Deutſchland noch für über hundert Millionen Mark Schweine ſchmalz, Schinken u . ſ. w .
Der Wert der Felle von den geſchlachteten
Tieren erreicht hundertfünfzig
Millionen
Marf , die Wolle hundert
Millionen Mark ! 3m
ganzen
Weſten
werden
jährlich
fünfundzwanzig
Millionen
Schweine geſchlachtet. Davon entfallen , wie geſagt, auf Chicago ſieben Millionen .
Die Stadt
mit der nächſtgrößten Schweineinduſtrie iſt
Sanjas City, aber nur mit einem Fünftel der Schweinezahl von Chicago . Dann folgen Omaha, St. Louis und Indianapolis . In den Achtzigers jahren bejaſ Cincinnati den Ruhm , die größte Schweinemetropole zu ſein , und führte auch den ſtolzen Namen „ Porcopolis“ .
Seither hat
ihm Chicago den Lorbeer entriſſen . Eine große Menge Großfirmen beſchäftigt ſich rings um die Stod yards mit Schlachten , Pökeln , Einmachen von Fleiſch und der Ver arbeitung der Nebenprodukte.
Die vier größten , „ the big Four“ ge
nannt, ſind Armour & Co. , Smijt & Co., Neljon Morris & Co. und
Ein Schlächter -Märchen .
264
die Anglo American Racing Company , zu welchem ſich in
den legten
Jahren noch eine fünfte Weltfirma „ The National Bading Co. " ge fellt hat . In neuerer Zeit iſt in Europa viel von den ſogenannten , tapi tänen der Induſtrie “
in Amerika
die
Rede
geweſen ,
welche
ihre betreffenden Induſtriezweige zu den gewaltigſten Betrieben des Erdballs entwickelt haben . - J. P. Morgan z . B. in Bezug auf Eiſen bahnweſen , Rockefeller mit Petroleum , Carnegie mit Eiſen und Stahl, Mr. Cormid mit landwirtſchaftlichen Maſchinen
u . 1. w .
Zu ihnen
gehören Armour & Co. Ich hatte Armour und ſeinen Partner ſchon gelegentlich der Weltausſtellung
von Chicogo 1893
kennen gelernt.
Bei meinem damaligen Beſuch der Schlachthäuſer hatte mir Armour, als ich ihn mein Erſtaunen über ſeine Rieſenbetriebe ausdrückte , ge ſagt : „ Lieber Herr, wir ſind erſt am Anfang. Kommen Sie nach zehn fahren wieder, dann werden Sie wirklich ſtaunen können ." 1904 , auf der Rückfahrt von
St. Louis , beſuchte ich die Stock
yards und ließ mich bei Armour melden.
Seine Firma war in der
Tat zu einer der größten des Kontinents geworden , mit Schlachthäuſern in Chicago , Siour City), Omaha, Kanſas City , St. Louis und Fort Worth im fernen Teras, und einer jährlichen Produktion im Wert von gerade taujend Millionen Mark , das Doppelte der jährlichen Staatseinnahmen des japaniſchen Kaiſerreiches.
Seine Arbeiterarmee hat, wie ſchon ge
jagt, eine Stärke von dreißigtauſend Mann, und in ſeinen Etabliſſements allein
können
täglich
zweitauſendfünfhundert
Kinder,
zwölftauſend
Schweine und fünftauſend Schafe geidlachtet und verarbeitet werden . Täglich kommen aus den Armourſchen Werken Produkte im Werte von drei Millionen Mark.
In einem Jahre hat Armour eineinhalb Mil
lionen Rinder, zweieinviertel Millionen Schafe , vierdreiviertel Millionen Schweine ins Jenſeits befördert !
Jn den Stockyards allein bedecken
ſeine Fabriken und Anlagen ſechsundachtzig Morgen . land fünfzig Zweighäujer, dazu ſolche
in
Er hat in Eng
in den Vereinigten Staaten über hundert,
Singapore, Tokio , Shanghai, Meriko, Kanada 1. 1. i .
Ein Schlächter -Märchen .
Man ſollte glauben , daß
eine Firma
265
von
dieſer
Ausdehnung
einen eigenen Palaſt bejäße und daß die Chefs mindeſtens Bureaus von ähnlich eleganter und vornehmer Einrichtung benuten würden , wie unſere Kommerzienräte. Ich kletterte eine Holztreppe an der Außenſeite eines finſteren, rußigen vielſtöckigen Gebäudes empor und wurde oben von einem jungen Mann , der vor einer Reihe von Telephonſchaltungen ſaß, um mein ,,business“ gefragt.
Neben und hinter mir drängte ſid)
ein halbes Hundert Geſchäftsleute.
Der Mann am
Telephon meldete
ſie entweder durch den Fernſprecher oder ſandte einen der zwei Dugend „ Callboys“
ins Innere
des
verſchloſſenen
Gebäudes .
Kaum
war
meine Karte abgegeben worden , erſchien auch ſchon der Allgewaltige, Mr. Meeker , perſönlich an der Pforte , um mich in ſein Sanktum zu führen .
„ Ich bedaure, Mr. Armour iſt in Chicago , aber ich werde
Sie ſelbſt durch unſere Werke führen.
Bitte , nehmen Sie Platz ."
Er ſchob mir den einzigen freien Stuhl zu , und während Meeker Depeſchen empfing, Geſchäftsbejuche mit wenigen Worten abfertigte und telephoniſch mit ſeiner Armee von Dreißigtauſend verkehrte, ſah ich mir ſein Bureau an .
Ein kahler Raum mit zwei Schreibtiſchen , ein ge
ſchloſſener für Armour, ein offener für Meefer.
Seine weitere Einrich
tung , keine Bücher, Briefe, Schriftſtücke, außer jenen , die ihm jede halbe Minute vorgelegt wurden .
Während er mit mir konverſierte, durchflog
er die Depeſchen aus London , Tokio, San Francisco, ſchrieb zwei, drei Worte darunter und gab ſie dem Callboy zurüd , indem
er gleichzeitig
die Abteilung nannte, an welche die Depeſchen abzugeben waren . „ Es ſcheint, Sie bekommen gar keine Briefe, Mr. Meeker, " ſagte ich ihm , auf ſeinen leeren Tiſch weiſend. „ Ich bekomme auch keine," war ſeine Antwort.
,,Nur die wichtigſten
Depeſchen von den zwölfhundert, die im Durchſchnitt täglich einlaufen, werden mir vorgelegt, wo es ſich um den Ankauf von einigen tauſend Stüd Vieh , um einen Streit, oder ein ganz großes Geſchäft handelt ." „ Und das erledigen Sie im Handumdrehen mit den zwei, drei Wor ten , die Sie mit Bleiſtift auf die Depeſchen ſchreiben ? "
Ein Schlächter -Märchen .
266
„Das macht die Übung.
Um Briefe kann ich mich nicht fümmern.
Dazu ſind beſondere Leute da .
Wir traten in den Raum ten von Schreibern .
Wollen Sie das ſehen ? Kommen Sie !"
nebenan.
Ein großer Saal mit Hunder
„ Jene Reihe von vierundzwanzig Leuten dort
drüben an den Fenſtern beſorgt nichts als das Öffnen der Briefe. jehen ja die Körbe, welche ſie herbeiſchleppen .
Sie
Dieſe Brieſe werden
je nach dem Inhalt unter die einzelnen Departements verteilt.
Die
hundertzwanzig anderen Clerks hier ſtellen Rechnungen aus . " „ þundertzwanzig Clerks, um Rechnungen zu ſchreiben ? Dann müſſen Sie ja ein paar hundert Kontoriſten hier beſchäftigen ? " ,, Ein paar hundert ? Es ſind ihrer gerade tauſend . (Mir ſchwindelte. Eine Fabrik mit tauſend Arbeitern iſt bei uns zu Hauſe ſchon groß zu nennen . Und hier ſind allein tauſend Kontoriſten !)
Was nicht geſchrie
ben zu werden braucht, beſorgen wir durchs Telephon ."
Damit führte er
mich in eine Telephonzentrale mit gegen dreihundert Anſchlüſſen und eigenen Drähten nach verſchiedenen Städten .
Daneben iſt ein Tele
graphenamt mit eigenen Drähten nach Chicago, New York, Hanſas City , Omaha 11. . iv. In den anderen Stockwerken wieder Øunderte von Clerks, an ihren Schreibtiſchen beſchäftigt, Bücher führend, Briefe ſchreibend, Tabellen Cauter junge Leute , kaum einer , der die Vierzig
ausfüllend. ſchritten hat.
über
Alles arbeitet ſtil , alles läuft glatt , die unſichtbaren
Fäden dieſes Arbeitslabyrinths führen in die Hände einzelner, die ſie ſpinnen und weiter leiten, ganz wie es in den Spinnereifabriken mecha niſch mit den Fäden auf den ſchwirrenden Spindeln geſchieht. Was muß da in jedem Jahre Papier verſchrieben werden ! Was müſſen die Drucker nur mit dem Druden der Rechnungen und Bücher und Brieftöpfe verdienen ! „Meinen Cent ,“ Druckerei.
lächelte Meeker , „ denn wir haben unſere eigene
Kommen Sie mit hinunter !"
In den unterſten Räumen des
Rieſengebäudes ſtehen zehn große Schnellpreſſen Tag und Nacht in Tätigkeit , und ein halbes Hundert Leute ſpeiſen ſie, ordnen die ge
Ein Schlächter-Märchen .
dructen Affichen , Vignetten und dergl.
267
Daneben werden von zwei
Dußend Buchbindern die Geſchäftsbücher gebunden, welche allein für die Betriebe von Armour & Co. dienen !
,,Sehen Sie, in dieſen Neben
betrieben liegt unſer Hauptgewinn ," jagte mir Meeker , als wir nun den eigentlichen Fabrikräumen zuſchritten.
Früher beſchränkten wir
uns auf das Schlachten , Pöfeln und die Schinken- und Fettfabrikation allein .
Eine Menge wertvoller Dinge wurde fortgeworfen oder an
andere verkauft, ſo z. B. Knochen, Hufe, Blut, Gedärme, Hörner und Abfälle.
Almählich kamen wir darauf, daß es ſich lohnen würde , all
das ſelbſt zu verarbeiten .
Wir errichteten zwei chemiſche Laboratorien ,
die in jenem Gebäude dort untergebracht ſind, eines für Unterſuchungen, eines für die Manufaktur.
Jeßt beſchäftigen wir fünfzig Chemiker.
Eine ganze Menge von pharmazeutiſchen Produkten geht hervor.
von dort
Ganz abgeſehen von Bepſin , deſſen unappetitlichen Urſprung
Sie wohl kennen, machen wir z. B. aus Kalbsmilch Pankreatine, ein Verdauungsmittel für Kinder, dann Superenaline , zur Verhinderung von Blutungen , indem
es die Blutgefäße zuſammenzieht.
Es bedarf
gewiſſer organiſcher Teile von achtzehntauſend Kindern dazu, um nur ein Pfund zu erzeugen !“ In einem Gebäude der Armourſtadt werden alle möglichen Fleiſch präparate durch Hunderte von Arbeitern mit Hilfe von Maſchinen her geſtellt; Fleiſchertrakt nach Liebigſchem Muſter, in Büchien wie in Tab letten, Vigotal, verſchiedene Suppen- und Fleiſchkonſerven . Die Büchſen werden in einer eigenen , Armour gehörigen Fabrik durch Maſchinen gemacht.
Eines der wichtigſten Produkte ſind Würſte, und in der Fabrik
ſah ich ein Bataillon Arbeiter mit der Erzeugung von Mortadella und Salami, Arleſer, Lyoner, Gothaer Wurſt und vieler anderer Arten, im ganzen ſiebenundſechzig, beſchäftigt.
Die Produktion erreicht täglich eine
Viertelmillion Pfund , und viele dieſer Würſte werden nach Europa erportiert, Mortadella nach Italien , Gothaer Wurſt nach Deutſchland, Lyoner nach Frankreich ! Eine andere Fabrik dient ausſchließlich zur Verarbeitung der Knochen
Ein Schlächter-Märchen .
268
zu Billardbällen , Meſſergriffen , Papiermeſſern , Spielmarken u . j. w . An Anöpfen werden allein durch äußerſt ſinnreiche Maſchinen eine Viertelmillion täglich erzeugt.
In eigenen Fabriken wird auch Öl,
Ölmargarine, Albumin und Leim , Seife und Dünger erzeugt.
Natür
lich erfordern dieſe Rieſenbetriebe auch die entſprechende Dampfkraft. Meeker führte mich in die Maſchinenanlagen , wo Dampfmaſchinen von ſechsundzwanzigtauſend Pferdefräften aufgeſtellt ſind.
Im Keſſel
raum ſind die neueſten Erfindungen zur Anwendung gekommen .
Der
ganze Betrieb , Zuführen der Kohlen , Schüren , Wegführen der Aſche 1. 1. w . geſchieht automatiſch, und in den weiten Räumen dieſer veren küche ſah ich nur vier Arbeiter beſchäftigt. In den Padräumen für Konſerven hatte ich bemerkt , wie große Mengen Hühnerfleiſch in die glänzenden Blechbüchſen wanderten , die dann durch ſinnreiche Maſchinen luftdicht verlötet werden .
Das ver
anlaßte mich zu der Frage, woher denn Armour die Hühner bezöge ? „Von uns ſelbſt natürlid )," war Meefers Antwort. ,, Wir haben in verſchiedenen Teilen des Weſtens vierhundert Hühnerfarmen , machen vortreffliche Geſchäfte mit Eiern und ſchlachten in jedem Jahre fünfzehn Millionen Hühner !" Ich
kam
aus dem Staunen nicht heraus.
Wir gelangten nun in
die ungeheuren Kühlräume hinunter, wahre Katakomben, unterirdiſche Gefängniſſe, mit ſchweren doppelten Holztüren und doppelten Holzwänden. Dort hingen ganze verden von Kindern, in Hälften geſchnitten , idhön rein zugerichtet, zur Verſendung bereit , und ein Arbeitertrupp war da mit beſchäftigt, ſie auf kleine Wagen zu laden und nach der Straße zu führen , wvo ganze Eijenbahnzüge zu ihrer Aufnahme bereit ſtanden. Jeder Wagen zeigte in großen Lettern den Namen Armour & Co. , Chicago .
Im
Innern ſind die beiden Enden mit Eisblöcken gefüllt.
„ Wir verbrauchen in jedem Jahre eine Million Tonnen Eis , täglich die Ladung eines großen Ozeandampfers “ , erklärte Meefer.
,, Die Wagen werden wohl von Pullman geliefert ? " ,, Nein .
Die machen
wir jelbſt in unſerer eigenen Waggonfabrik.
Ein Schlächter-Märchen.
269
Wir haben dort bereits zehntauſend Waggons produziert !"
Ich er
wartete ſchon zu hören , daß dieſe Allerweltsfirma auch Stiefel und Wäſche und Nägel und Mijten fabrizierte. „ Miſten ? Natürlich machen wir die ſelbſt. wagen.
Auch Fäſſer und Fracht
Bei uns ſtehen ja zehntauſend Wagen in Verwendung, mit
einer Beſpannung von zwanzigtauſend Pferden , alle Eigentum der Firma . " Nun hatte ich genug.
Uns fröſtelte nicht nur von der eiſigen Luft in
den dunklen großen Katakomben .
Ich wollte hinaus .
voran , aber wir konnten lange nicht den Ausgang finden .
Meeker ſchritt Die ſchweren
Türen waren verſchloſſen , andere , offene führten zu engen finſteren Schächten für Frachtenaufzüge; die trüben , rötlichen Lampen gaben gerade hinreichend Licht, um auf unſerem Wege bei dem ſchlüpfrigen Boden nicht gegen die aufgehäuften Tierleichen zu ſtoßen . Es blieb nichts übrig, als zu unſerem Ausgangspunkt zurückzukehren , und dort gelangten wir endlich wieder ins Freie, das heißt in die vom Geruch der Eingeweide und des Bluts verpeſtete dicke, ſchwüle Luft . Der Rundgang hatte ein paar Stunden gedauert.
Ermattet warf ich
mich in Armours Office auf den einzigen Stuhl, während der Leiter dieſer Rieſenbetriebe ſich an das Durchfliegen des inzwiſchen eingetroffenen Stoßes von Depeſchen machte.
Das verhinderte ihn aber nicht, mir
Rede und Antwort zu ſtehen . „ Unjere Arbeiter ? Größtenteils Deutſche, Polen, Ungarn, Ruſſen , Rumänen, ſehr wenige Amerikaner. Wohlfahrts einrichtungen ?
Nein , wer bei uns arbeitet, erhält ſeine regelmäßige
Bezahlung , für den Reſt muß er ſelbſt ſorgen.
Schwierigkeiten ?
Tag
täglich. Aber wir ſind daran gewöhnt. Dergleichen bringt uns nicht aus dem
Häuschen . Ja, wenn ein allgemeiner Ausſtand einträte , dann ... " Und er tam , der allgemeine Ausſtand im Jahre 1903.
Die Fabriken
ſtanden ſtill, täglich gingen drei Millionen Mark verloren , viele Städte in der Umgebung Chicagos, die in ihrem Fleiſchbedarf ganz von Armour abhängig ſind, hatten kein Fleiſch, und der Ausſtand war jelbſt in Europa fühlbar.
Aber nach einigen Wochen war er vorbei , und nach wie vor
fließen die drei Millionen wieder täglich in Armours Geldbeutel.
270
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
Man ſollte meinen , dieſes Rieſenhaus ſei das einzige Chicagos, Amerikas , ja der Welt.
Als ich mich entfernte , ſah ich unweit von
Armour eine zweite Gruppe von Gebäuden, die alle die Aufſchrift Swift & Co. zeigten. „Was ſind das für Werke ? " fragte ich einen des Weges kommenden . ,,Swift, war die Antwort. " „ Ja , aber was macht Swift ? "
Der Mann blickte mich überraſcht an. ſind ein Fremder ?
„ You are a Stranger ? Sie
Swift iſt ein Schlächter , beinahe jo groß wie
Armour.“ ,, Das iſt ja nicht möglich ! Wie kann es denn zwei ſolche Rieſen häuſer hier geben ?" „ O , es gibt noch eine ganze Menge anderer ! Sie kennen unſer Chicago nicht! It's a big City !"
sere
24. Das amerikaniſche Mittelmeer
und ſeine Flotte. enn Handel und Induſtrie in den Vereinigten Staaten inner
W halb des legten halben Jahrhunderts ſich in ſo ungeahnter Weiſe entwickelt haben, wenn die großen Prärien des Weſtens ſo reich beſiedelt und kultiviert, die ungeheuren Erzfelder des Nordweſtens ſo ausgebeutet werden konnten und die Beziehungen zwiſchen Oſten und Weſten des großen Kontinents lebhafter geworden ſind als in irgend einem andern Erdteil , ſo iſt dies in erſter Linie den großen Seen zuzuſchreiben ,
die
gewiſſermaßen das Mittelmeer der
Welt genannt werden können .
Neuen
Ohne ſie wären die dicht bevölkerten,
induſtriereichen Staaten Jülinois, Wisconſin , Minneſota , Michigan, Indiana heute noch Wyoming .
in demſelben Zuſtande wie etwa Dakota oder
Zuſammen
zweihundertſechsundvierzigtauſend
Quadrat
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
271
filometer groß, würde die Seentette, in Europa gelegen, ungefähr ganz Süddeutſchland und Öſterreich , von der franzöſiſchen bis an die uns gariſche und Tiroler Grenze einnehmen.
Jn Amerika bilden ſie eine
Waſſerſtraße, deren Länge von der Mündung des St. Lorenzſtromes bis an das Weſtende des Superiorjees zweitauſenddreihundertvierund achtzig engliſche Meilen beträgt.
Von dort ſind es nur mehr ſiebzehn
hundert engliſche Meilen bis zum Stillen Ozean .
Die oſtweſtliche Aus
dehnung dieſer mitten im Kontinent zwiſchen der Union und Kanada ein
Copyright by Detroit Photographic Co. Fiſchende Indianer in Sault St. Marie.
gebetteten Seen
beträgt
zwölfhundertachtzig engliſche
Meilen , und
rings um ihre Küſten liegen die größten und reichſten Induſtrieſtaaten Amerikas. Es iſt noch gar nicht lange her, daß dieſe fünf Seen den Namen ngroße einſame Seen" führten .
Noch vor einem halben Jahrhundert
waren die beiden größten Seen, der øuron- und der Superiorſee, von wilden Indianergebieten umgeben .
Das erſte Segelboot wurde im
Fahre 1679 auf dem Superiorſee von dem hochverdienten Miſſionar Bère Hennepin gebaut , und im Jahre 1818 erhielten die Seen ihren erſten Dampfer.
Þeute beſigen die Seen eine Handelsflotte von
272
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
drei Millionen Tonnen , aljo mehr als die ganzen bandels flotten der drei Seemächte Frankreich, 3talien und Spanien zuſammengenommen ; und an den wilden , ,, einſamen " Ujern haben fich Großſtädte entwickelt,
wie ſie nicht einmal manche europäiſche
eine Stadt, Chicago, mit über zwei Millionen
Großmacht beſitzt
Einwohnern, zwei, Buffalo und Cleveland, mit je einer halben Million und mehrere andere mit zwei- bis dreihunderttauſend Einwohnern ! Während der Schiffahrtzeit,
von Ende April bis Ende November,
herrſcht auf den Seeflächen und in den ſie verbindenden Waſſerſtraßen ein Verkehr wie auf keinem Meere der Welt.
So iſt der Superior
ſee, an zweihundert Meter über dem Meeresniveau gelegen , mit dem viel tiefer liegenden Huronſee durch eine Waſſerſtraße verbunden , die man
in Europa
St. Marie.
kaum
dem
Namen nach kennt ,
jene von Sault
Dieſe Waſſerſtraße wird, von zahlreichen Stromſchnellen
unterbrochen, ein einträgliches Fiſchereigebiet für die noch in der Um gebung wohnenden Rothäute.
Um die Verbindung zwiſchen Superior
und Huronſeeſchiffbar zu machen , wurden in der Waſſerſtraße Schleuſen angelegt , lich
und
durch
dieſe
paſſieren während acht
Monaten
jähr
vierzig bis fünfzig Millionen Tonnen Frachten , alſo
dreimal jo viel als durch die ſogenannte ,belebteſte " Waſjer ſtraße der Erde, den Suezkanal, während des ganzen Jahres ! An jedem einzelnen Tage paſſieren den Kanal an fünfzig Dampfer mit Tauſenden von Tonnen Gehalt, den Suezkanal nur zwölf ! Noch mehr: der buronjee iſt mit dem Eriejee durch den Detroitfluß verbunden , an welchem die Großſtadt Detroit mit dreihundertfünfzigtauſend Ein wohnern gelegen iſt.
Im Jahre 1907 durchfuhren den Detroitfluß
zweiundzwanzigtauſend Schiffe mit vierundſechzig Millionen Tonnen Gehalt und einem Frachtenwert von zweitauſendſechshundert Millionen Mark , alſo um die Hälfte mehr, als jährlich in allen Häfen des Deutſchen Reichs ein- und auslaufen , oder ein Viertel des Schiffverkehrs in allen Häfen Seemacht der Erde !
Englands ,
der
erſten
273
Das amerikaniſche Mittelmeer und jeine Flotte.
Noch ein anderes Beiſpiel, um den Berkehr auf den großen „ ein ſamen" Seen darzuſtellen :
Amerika beſigt mit
dreihundertfünfzig
tauſend Kilometern Eiſenbahnen das ausgebreitetſte Schienenney der Erde.
Die
großen
Seen
verhalten
ſich
zur
Geſamtfläche
Nord
amerikas wie eins zu dreiundſiebzig oder wie etwa Oldenburg zum Deutſchen Reiche.
Dennoch iſt der Frachtenverkehr auf ihnen ſo groß
wie ein Viertel des geſamten Eiſenbahnverkehrs.
Wollte man die
in jedem Jahre auf den Seen zur Beförderung gelangenden Frachten auf Eiſenbahnwaggons verladen , ſo würden ſie einen Eiſenbahnzug von nahezu zwanzigtauſend Kilometern Länge bilden , alſo vom
Stillen
Ozean
tiſchen Ozean ,
durch ganz Nordamerika , den Atlan
Europa
und Aſien
bis
tief nach
Sibirien
hinein reichen ! Dadurch , daß die Amerikaner wie die Kanadier den St. Lorenz ſtrom vertieften , den Wellandkanal zur Umſchiffung des Niagara vom Ontario- zum Eriejee bauten und die feichten Stellen im Detroitfluß und ſeine Erweiterung , den St.- Clairſee, ichiffbar machten , können heute große Seeſchiffe von Hamburg bis nach Chicago oder nach Duluth am Superiorjee fahren .
Es werden gewiß nicht
mehr viele Jahre vergehen, bis zwiſchen unſeren Häfen und jenen der großen Seen regelmäßige Schiffahrtlinien verkehren werden . Es erſcheint kaum Duluth u . 1. w. ,
faßlich , daß Städte wie Chicago , Milwaukee,
welche
im
Herzen des amerikaniſchen Kontinents,
mehr als tauſend engliſche Meilen vom nächſten Meere gelegen ſind, wie alſo beiſpielsweiſe Moskau, große Meereshäfen ſein ſollen, welche an Verkehr mit unſern Häfen wetteifern . Obichon
ſich nun zwei Mächte,
Nordamerika und das britiſche
Kanada, an dieſem Verkehr beteiligen , vollzieht er ſich doch in Eins tracht
und
Frieden .
Es
gibt
an
den
Seen
keine
Kriegshäfen ,
Feſtungen, und den beſtehenden Verträgen zufolge dürfen auf den Seen auch keine Kriegſchiffe gehalten werden .
Bisher wurden ungefähr
hundert Millionen Dollar von beiden Mächten zur Verbeſſerung und 18 Reiſe - Wartegg , Amerita.
274
Das amerikaniſche Mittelmeer und jeine Flotte.
Vertiefung der Waſſerſtraßen verwendet.
Wie die Seen urſprünglich
waren , mit den großen Fällen des Niagarafluſjes zwiſchen dem
Erie
und Ontariojee, den Fällen des St. Mariefluſjes zwiſchen dem Huron und Oberen
See , mit
den Schlammbänken
im
St. Clairjee zwiſchen
yuron- und Eriejee und den Stromſchnellen des St. Lorenz wäre ein Schiffverfehr ziviſchen den Seen und dem offenen Meere unmöglich ge ieſen .
Zur Umgehung des Niagara erbauten , wie ſchon geſagt , die
Nanadier den Wellandkanal von ſechsundzwanzigdreiviertel engliſchen Meilen Länge und vorläufig vierzehn Fuß Tiefe, die aber noch auf acht zehn Fuß Tiefe vergrößert wird. werden
Die Stromſchnellen des St. Lorenz
durch ſechs kleinere Stanäle umgangen , in einer Geſamtlänge
von dreiundvierzigfünfachtel engliſchen Meilen ; der St. Petersſee unter halb Montreal wurde im Stromſtrich jo weit vertieft, daß die Waſſer ſtraße zwiſchen dieſer Stadt und dem offenen Meere ſiebenundzwanzig einhalb Fuß Tiefe beſigt, alſo für ganz große Dampfer paſſierbar iſt. Die Amerikaner ihrerſeits legten durch den leichten St. Clairſee einen nahezu zwanzig Fuß tiefen Kanal und bauten um die Stromſchnellen des St. Mariefluſjes zwei Schleuſenkanäle mit ſiebzehneinhalb Fuß Tiefe . Um mit ihren Schiffen nicht durch amerikaniſche Gewäſſer fahren zu müſſen, bauten die Kanadier ebenfalls einen Schleuſenkanal um die Sault St. Marie , furzweg „ Suh “ genannt, mit einer Schleuſe von neunhundert Fuſ Länge, ſechzig Fuß Breite und einundzwanzig Fuß Tiefe, und der großen Verkehrsſteigerung entſprechend, wird von den Amerikanern noch ein dritter ſanal gebaut. Durch dieſes Syſtem von Kanälen iſt der Niveauunterſchied zwiſchen den einzelnen Seen für die Schiffahrt ausgeglichen worden . beträgt beiſpielsweiſe zwiſchen yuronjees zwanzig Fuß ,
Derſelbe iſt ſehr bedeutend; denn er dem
Waſſerſpiegel des Superior- und
zwiſchen Erie- und Ontarioſee dreihundert
ſechsundzivanzig Fuß.
Der erſte Sanal zwiſchen dem Huronjee und dem Oberen See wurde mit elf Fuß Tiefe im
Jahre 1855 gebaut, zu welcher Zeit der Obere
See zum erſten Male ein größeres Segelichiff, aber immer noch keinen
275
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
Dampfer auf jeinen grünen Gewäljern ſah . Jahre 1881
wurde im
gebaut, und
ſchon
verkehr über zwei Millionen Tonnen . acht Jahren , betrug bei Tonnen . Auf dem und mit
war er um
1882 betrug
der Schiff
Jahre 1890 , alio nach
vierhundertjünfzig Prozent geſtiegen und
zehntauſendfünfhundert
Schiffen
neun
über
Millionen
Michiganjee, der ganz in den Vereinigten Staaten liegt
ſeinem
ſüdlichen Teile tief in das eigentliche Präriegebiet
zwiſchen Ohio und Mijjijſippiſtrom verkehr um
Im
Der gegenwärtige Sanal
einſchneidet, begann der Dampfer
einige Jahrzehnte früher; denn zwiſchen
tauſend Luadratkilometer großen See ( etwa der Belgien und Holland zuſammengenommen ) und
dieſem
ſechzig
Flächenraum
von
dem Eriejee beſtand
kein Verkehrshindernis. Der Michiganjee iſt mit dem Huronjee und dadurch auch mit den unteren Seen durch die breite, tiefe Macinacſtraße verbunden, und da es in den jungen Tagen der heutigen Weltſtadt Chicago an der Südſpige des Michiganſees noch keine Eiſenbahnen nach dem gab, kamen die Emigranten vom zumeiſt in Segelſchiffen.
Oſten her in
Weſten
den Dreißigerjahren
Der erſte Dampfer lief
in dem
damals
nur zweitauſend Einwohner zählenden Chicago am 6. Juni 1834 ein . Mit dem in der Welt einzig daſtehenden Wachstum Chicagos hängt auch die Steigerung des Schiffahrts- und Handelsverkehrs auf dem Michiganſee innig zuſammen. Seenbedens ( vergl . S. 245 r. ) ,
Chicago iſt die große Metropole des ſein
Schiffverkehr
beläuft
ſich
im
Jahre auf zehn Millionen Tonnen , alſo nicht viel weniger als jener Antwerpens.
Der ganze Frachtenverkehr betrug 1906 neunzig Mil
lionen Tonnen , während der ganze atlantiſche Frachtenverkehr Nordamerikas, einſchließlich New York, Philadelphia , Boſton , Baltimore u . ſ. w . nur einundvierzig Millionen Tonnen be trug . Die Handelsflotte des Michiganjees allein umfaſzt tauſend Schiffe mit einer Viertelmillion Tonnen , und Chicago iſt der Sitz von vier zehn Dampfergeſellſchaften , von welchen eine ihre Dampfer bis nach
276
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
Ogdensburg am St. Lorenzſtrom , dreizehnhundert Meilen weit ent fernt , laufen läſst. Die Handelsflotte der großen Seen iſt mit fabelhafter Schnel ligkeit gewachſen .
Im Jahre 1850 war ihre Tonnenzahl nur hundert
ſechzigtauſend, im Jahre 1891 mehr als das Zehnfache, nämlich ſechszehn hundert Dampfer und zweitauſend Segelſchiffe von eineinviertel Mil lionen Tonnengehalt und ſiebzig Millionen Dollar Wert . Um die Jahrhundertwende war ſie auf nahe zwei Millionen Tonnen gewachſen, und heute erreicht ſie, wie geſagt , drei Millionen Tonnen .
So
wurden beiſpielsweiſe im Jahre 1907 zwei Paſſagier- und fünfundvierzig Frachtdampfer mit zuſammen dreihunderteinundachtzigtauſend Tonnen gebaut , hauptſächlich für die Beförderung von Eiſenerzen vom Superior ſee nach dem
Erieſee. Auf den durchſchnittlich zwanzig Rundreiſen im
Jahre können dieſe Schiffe alſo fiebeneinhalb Millionen Tonnen Erz befördern.
Zweiundvierzig weitere Dampfer mit dreihunderttauſend
Tonnen Gehalt und einem jährlichen Beförderungsvermögen von ſechs Millionen Tonnen ſind im Bau , dazu verſchiedene Paſſagier- und Schleppdampfer, einundſiebzig an der Zahl .
Unter den Frachtdampfern
gibt es mehrere von zweihundert Meter Länge mit zwölftauſend bis vierzehntauſend Tonnen netto, alſo von dem Umfang unſrer größten Ozeandampſer.
Die größte Ladung, welche bisher durch die Schleuſen
von Sault St. Marie paſſierte, trug der Dampfer „Pierpont Morgan" mit dreizehntauſendzweihundertzweiundſiebzig Tonnen . Die Größe der neuen Schiffe auf den Seen iſt im Durchſchnitt viel bedeutender als jene der amerikaniſchen Ozeanſchiffe.
Bei Segelſchiffen
iſt die durchſchnittliche Größe auf den Seen zweihundertſechzig Tonnen, auf den Ozeanen hundertdreißig Tonnen , bei Dampjern auf den Seen ſiebenhundertachtundzwanzig Tonnen , auf den Ozeanen dreihunderts neunzig Tonnen .
Der größte Dampfer, der je für Paſſagierbeförderung
gebaut wurde, verkehrte im Weltausſtellungsjahr 1893 auf dem Michi ganſee.
Er faßte fünftauſend Paſſagiere.
Große Paſſagierdampfer,
ſogenannte Excursion Steamers , beſigen neben Chicago auch Buffalo
277
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
und vor allem Detroit, von wo aus in den Sommermonaten häufig Tagesausflüge nach den ſzeniſch intereſſanten Küſtenſtreden und Inſeln veranſtaltet werden .
Dann ſind dieſe Excursion Steamers mit Hun
derten von Paſſagieren gedrängt voll. Die Seenflotte beſchäftigt fünfzigtauſend Menſchen , nur ein kleiner Teil der Bevölkerungsmenge, welche aus dem See- und Hafenverkehr und den damit verbundenen Induſtrien ihren Lebenserwerb gewinnt.
Copyright by Detroit Photographic Co. Troctendod in Detroit. Dazu gehören
in
erſter
Linie
die
koloſſalen
Schiffbauwerften,
welche in den legten Jahrzehnten entſtanden ſind .
Einige befinden
ſich am St. Clairfluß bei Detroit mit Trodendocs.
Jm
ganzen gibt
es ihrer an vierzig, mit einem Kapital von nahe an dreißig Millionen Dollar.
Die weitaus größte, in Europa vielleicht nur von der Clyde in
England übertroffen, und mit den vollkommenſten Einrichtungen iſt die American Shipbuilding Company
in
Cleveland (Ohio ).
In
einem
Jahr hat dieje, zehntauſend Arbeiter beſchäftigende Firma den Bau
278
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
von fünfunddreißig Dampfern übernommen , darunter allein ſiebenund zwanzig
mit
je über zehntauſend Tonnen Gehalt.
Verſchiedene
Dampfer ſind für den Ozeandienſt beſtimmt, und da die Tiefe des Wellandkanals Schiffen
jeine Windungen nur
und
den Durchgang von
von zweihundertjechzig Fuß Länge und vierzehn Fuß
Tief
gang geſtatten , werden ſie an der Einfahrt auseinandergenommen und im
Ontarioſee wieder zuſammengeſetzt.
mit dem
Ebenſowenig iſt der die Seen
þudionſtrom bei Albany, beziehungsweiſe alſo mit New York
verbindende Eriefanal für die Durchfahrt großer Seeſchiffe geeignet, die Amerikaner gehen daher daran, dieſen Kanal entſprechend zu ver tiefen .
Dann kann die Schiffbauinduſtrie auf den Seen infolge der
Nähe
des
Konſtruktionsmaterials
bedeutender
werden
wie
an den
Meeresküſten . Die zweitgrößten Schiffbauwerften ſind die Great Lakes Engine Works in Detroit , dann folgen jene von Chicago, Toledo, Buffalo und endlich in Pittsburg die Shipbuilding Company, die unter der Kontrolle des Stahltruſtes ſteht. Von mehreren Firmen Clevelands iſt ſogar ſchon die Anregung ausgegangen , den Bau der amerikaniſchen Krieg . ichiffe zu übernehmen.
Der Transport derſelben von den Seen
nach dem Ozean würde nach den bisherigen Erfahrungen keine großen Schwierigkeiten bereiten , und die Baukoſten würden geringer ſein als auf den großen Schiffbauwerkſtätten in Wilmington und Philadelphia . Alle auf den Seewerſten gebauten Dampfer ſind aus Stahl und mit den modernſten Einrichtungen verſehen .
Charakteriſtiſch ſind die
,, Whale backs " - ( Walfiſdrücken ) Dampfer, deren Form , ſoweit ſie über die Waſſerfläche emporragt , ähnelt.
in
der Tat dem
Elektrizität ſpielt auf den
Rüden eines Walfiſches
Dampfern
eine große Rolle, ſo
dass der Mannſchaft nur wenige Arbeiten zur Verrichtung bleiben . Der
Vauptſache
nach
Frachtſchiffen.
beſteht Im
die
Vergleich
Flotte zu
der
anderen
großen
Seen
Gewäſſern
iſt
aus der
Paſſagierverkehr auf den großen Seen nur ſehr gering , im Jahre 1906 nur dreiundſechzigtauſend,
und
das hat ſeinen
Grund
weniger in
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
279
der größeren Schnelligkeit des Eiſenbahnverkehrs, als in den großen Gefahren des Schiffverkehrs auf den Seen . und ungemein heftigen
Stürmen unterworfen ,
Lettere ſind häufigen welche die im Ver
gleich zum Meerwaſſer viel leichteren Maſſen von Süßwaſſer raſd in hohe Wellenbewegung verſeken ; dazu herrſcht im Frühjahr und Spät herbſt auf den Seen oft wochenlang dichter Nebel , verbunden mit großer Nälte, und im September liegt infolge der ungeheuren Waldbrände längs
Copyright by Detroit Photographic Co. Ein Walfiſchrüden -Schiff in Sault St. Marie. der Seeufer jo dichter Rauch über den Seen , daß die Schiffahrt ungemein gefährlich wird , ja häufig ganz eingeſtellt werden muß .
Ich habe
nirgend unangenehmere Fahrten mitgemacht als auf den großen Seen . 3m Herbſt
1894
mußte id ),
von
den
kanadiſchen Feljengebirgen
nach Djten fahrend, die Reiſeroute ändern , weil auf dem Oberen und Michiganſee infolge von Waldbränden in Wisconſin und Minneſota, welche viele Tauſende von Quadratmeilen Wald verheerten und ſieben hundert Menſchen das Leben koſteten , die Schiffahrt mehrere Tage
280
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
lang unterbrochen war. Dieſen ungünſtigen Umſtänden iſt es auch zu zuſchreiben ,
daß
die
Zahl
der Unglücksfälle (Zuſammenſtöße,
Scheitern , Verbrennen) auf den Seen größer iſt als auf irgend einem Meere .
Man kann die Tonnenzahl der jährlich auf den Seen
verunglüdten Schiffe auf mindeſtens dreißigtauſend angeben , und die zu zahlende Verſicherung iſt deshalb auch eine verhältnismäßig ſehr hohe. Aber all
dieſe Widerwärtigkeiten
konnten und
können auch
in
Zukunft der ungeheuren Ausbreitung des Schiffverkehrs keinen Ein trag tun , denn die zu bewältigenden Frachten und die Erſparnis des Waſſertransports gegenüber dem Eiſenbahntransport ſind zu bedeutend. Alfred Noble , der Präſident der amerikaniſchen Geſellſchaft der
In
genieure, gibt die im Jahre 1906 allein durch die Schifftransporte an Eiſenbahnfrachten erſparte Summe auf ſechsundſiebzig Millionen Dollar an ! Wären auf den Seen keine Schiffe, ſo hätte der Transport der Frachten von Weſt nach Oſt und umgekehrt bisher Tauſende von Millionen Mark mehr gefoſtet. Die Induſtrieprodukte Amerikas wären entſprechend teurer und es gäbe vielleicht keine „amerikaniſche Gefahr" ! Der durchſchnittliche Preis des Frachtentransports auf den Seen iſt ein Sechſtel jenes der Eijenbahnen und beläuft ſich auf ein Zwanzigſtel Cent, das heißt : ein Fünftel Pfennig für jede Tonne und Meile ! Welcher Art ſind nun die Frachten , die von der ungeheuren Seen flotte befördert , aber bei weitem können ?
nicht vollſtändig bewältigt werden
Viele Millionen von Tonnen werden nämlich auch mittels
der zahlreichen
Eiſenbahnlinien zwiſchen Oſt und Weſt verſchifft.
Jahre 1797 , vor etwas mehr als einem
3m
Jahrhundert , lief auf dem
Eriejee das erſte amerikaniſche Schiff vom
Stapel , dazu beſtimmt,
Lebensmittel und allerhand andere Bedürfniſſe den weiter weſtlich in die Indianergebiete vorgedrungenen Anſiedlern zuzuführen .
Bis zum
Jahre 1836 wurde die Zahl der Segelſchiffe wohl vermehrt, aber die Warenbewegung fand nur von Oſt nach Weſt ſtatt, denn der Weſten hatte bis dahin noch keinerlei Produkte auſzuweiſen . Erſt im Jahre 1836
langte ein kleines Segelſchiff in Buffalo an , welches
TASNOO
IEEL BIO
.in Detroit pfer Paſſagierdam
Photographic Detroit by 1901 Copyright Co.
HACHINEN
281
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte.
die erſten Frachten aus dem neu beſiedelten Weſten brachte , lich
dreitauſend Buſhel Weizen
demſelben Wege
aus Michigan .
von Weſt nach Oſt
Bujhel Getreide befördert !
Aber
über
näm
Jeßt werden auf
zweihundert
dieſes Getreide
iſt
Millionen bei
weitem
nicht die bedeutendſte der Seefrachten, ſondern nimmt erſt die vierte Stelle ein .
Die wichtigſte Fracht
iſt
Eiſenerz aus den
Minen
diſtrikten des Oberen Sees, welch legtere über drei Viertel der in den Vereinigten Staaten produzierten Erzmaſſen liefern.
Sie haben es
möglich gemacht, daß ſich die Eiſen- und Stahlinduſtrie in Flinois, Ohio und Pennſylvanien ſo machtgebietend entwickelt hat.
Wären an
den Ufern des Oberen Sees, bei Duluth, Marquette und Aſhland, nicht dieſe ungeheuren Erzlager gefunden worden und gäbe es keine Frachtichiffe auf den Seen , Amerika wäre in Bezug auf ſeinen Bedarf an Eiſen- und Stahlprodukten größtenteils von Europa abhängig ge blieben , denn ſchwerlich hätten Eijenbahnen den Erztransport für eine konkurrenzfähige Verarbeitung der Erze übernehmen und bewältigen können .
Die älteſten Eijenminen find jene in der Umgebung von
Marquette, am Südufer des Oberen Sees, denn ſie wurden ſchon 1855 ausgebeutet.
Ihnen folgten jene von Gogebic und die Minneſota
Minen 1878, die Menomine 1884. aus dieſen Diſtrikten
Die Geſamtausbeute an Eijenerz
belief ſich ſeit 1855 auf
etwa vierhundert
Millionen Tonnen, und nahezu die ganze Menge wurde zu Schiff nach den großen Gijenwerken von Jllinois , Ohio, Pennſylvanien und New York befördert.
Im Jahre 1907 hat die Erzproduktion ſogar
vierzig Millionen Tonnen überſtiegen !
Nächſt den Eiſenerzen (ſiebzig
Prozent) iſt Bauholz die wichtigſte Fradit der Seenflotte , im Um fang von ſechs Millionen Tonnen ; darauf folgt der Transport von Rohlen aus den Kohlendiſtriften des Oſtens nach dem Weſten in faſt derſelben Menge, dann ſchließt ſich der Transport von Getreide an . 3it Chicago der weitaus bedeutendſte Verſchiffungshafen für das leştere , ſo iſt Buffalo am Oſtende des Eriefees dagegen der wichtigſte Empfangshafen
von Getreide ,
gleichzeitig auch der
wichtigſte
Ver
282
Das amerikaniſche Mittelmeer und jeine Flotte.
fchiffungshafen für fohlen ; und während der Schiffverkehr im Þafen von Chicago fich auf vierzehn Millionen Tonnen beläuft, erreicht derſelbe in Buffalo chon reuneinhalb Millionen Tonnen .
Das Ein- und Aus
laden ſo großer Getreide- , Erz- und Kohlenmaſſen in den verſchiedenen Häfen könnte gar nicht bewältigt werden , wenn nicht die ſinnreichſten Vorkehrungen dafür getroffen worden wären .
Während früher drei
bis vier Tage erforderlich waren , um ein Nargo von fünftauſend Buſhel Getreide von der Schiffsmannſchaft zu verladen oder auszuladen, können gegenwärtig mit Hilfe der Elevator-Einrichtungen fünfundzwanzigtauſend Buſhel im
Zeitraum
von einer Stunde verladen werden !
Die dreißig
Elevatoren von Chicago haben einen Faſſungsraum von über ſiebenund zwanzig Millionen Buſhel Getreide ( vergl . S. 238).
In Duluth, am
Weſtende des Oberen Sees, habe ich ſelbſt mit angejehen , wie mehrere der größten Seedampfer gleichzeitig aus ein und demſelben Elevator ihre Ladung empfingen , und in Buffalo war ich Zeuge, wie ein um neun Uhr Morgens eingelaufener Dampfer bis zwei Uhr Nachmittags ſieben undſiebzigtauſend Buſhel Getreide auslud, ſofort mit dem Einladen von fohlen begann und um ſieben Uhr Abends desjelben Tages mit einer Ladung von dreitauſendzweihundert Tonnen Kohlen wieder abdampfte! Ju ähnlicher Weiſe wie für die Handhabung des Getreides ſind nämlich auch Einrichtungen für jene von Eijenerz und Sohlen vor handen , und das macht die volle Ausnüşung der Dampfer und die Bewältigung der Frachten möglich . Der Handel und Verkehr auf den großen Seen iſt indeſſen noch lange nicht auf dem
Höhepunkte angelangt.
Um ſich dieſe
foſtbaren
Waſſerſtraßen noch weiter nutzbar zu machen , um noch weitere Gebiete der Vereinigten Staaten in ihren Bereich zu ziehen, iſt man in Chicago daran , die großen Seen mit dem Stromſyſtem des Miſſiſſippi in Verbindung zu bringen.
Chicago iſt von der Mündung des
St. Lorenzſtromes, beziehungsweiſe der Straße von Belle Jøle drei tauſendſiebenhundert Nilometer zu Waſjer entfernt, beſitzt alſo, da wir mit kontinentalen Verhältniſſen rechnen müſſen , eine Waſſerſtraße für Sees
Das amerikaniſche Mittelmeer und ſeine Flotte .
ſchiffe wie etwa von Berlin nach Oſtperſien ; im
283
Weſten von Chicago
liegt das gewaltige ichiffbare Stromnetz des Mijjijjippi , und die Ent fernung von Chicago, das heiſst der Südſpige des Michiganjees nach dem Golf von Merito beträgt über dreitaujenddreihundert Kilometer.
Durch
die verſtellung des Schiffahrtfanals zwiſchen Michiganjee und Mijlija ſippi wird alſo ein Schiffverkehr vom
Golf von Merito und aus den
wichtigſten Baumwoll- und Zuderſtaaten des Südens, dann der größten Ackerbauſtaaten des Weſtens nach dem
Atlantiſchen Ozean , ja nach
Europa ſtattfinden können , mit Umgehung New Yorks und andrer atlantijder Häfen . Schon auf dem
bisherigen Illinois- und Michigan
kanal langten trop Schleuſen und ſehr niedrigem Waſſerſtand jährlich in Chicago über eine Million Tonnen Waren an ; der neue, im Bau begriffene Sanal erhält eine untere Breite von dreiundfünfzig Metern und
eine Tiefe von ſechs Metern ( der Suezkanal hat eine untere
Breite von zweiundzwanzig Metern und eine Tiefe von acht Metern ). Dieſe Maje reichen für die größten Mijilippi- und Seendampfer aus. Natürlich kann New York bei ſolcher Bedrohung ſeines Handels verkehrs nicht zurückbleiben .
Wohl beſigt es in dem
alten Griekanal
eine Verbindung mit den großen Seen , welche bereits 1825 eröffnet wurde, allein der Umſtand, daß die Frachten in Buffalo , am Eintritt in den Kanal, umgeladen werden und die Frachtboote dreiundachtzig Schleuſen paſſieren müſſen , hat dieſem
Sanal in den leyten
Jahren
viel von ſeiner früheren Bedeutung geraubt.
Er wird hauptſächlich
für Getreidetransport vom
York verwendet, und
Weſten nach
auch dieſer iſt in Abnahme begriffen .
New
Was New
York verlangt und
auch mit der Zeit bekommen wird, iſt ein breiter Schiffahrtkanal für große Schiffe durch den budjon aufwärts nach
dem
Eriejee .
Nur
dadurch kann es ſeine heute noch herrſchende Stellung in Bezug auf den amerikaniſchen Handelsverkehr behaupten .
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
284
25. Minneapolis , die Mühlenſtadt. as Chicago für den Weſten , das iſt in einer noch weit kürzeren W Zeitſpanne Minneapolis politieenhel einigen für den Bertineten Nordweſten toe der Vereinigten Staaten geworden , ja ſeine Entwicklung iſt noch erſtaunlicher, märchen hafter wie jene des großen Borcopolis am Michiganſee. Chicago blidt doch „ ſchon “ auf eine Geſchichte von
ſiebzig Jahren zurück , und
der Männer, welche dieje Millionenſtadt des Weſtens in ihrer Kindheit entſtehen jahen , gibt es nur mehr wenige.
Minneapolis aber iſt eine
Städtegründung der allerneueſten Zeit , das großartigſte Beiſpiel der natürlichen
Reichtüiner Amerikas ,
Einwohner und — last not least in ſo außerordentlichem
des
Unternehmungsgeiſtes feiner
des Glückes, welches die Yankees
Maße begünſtigt.
Das große Gebiet am Oberlauf des Vaters der Ströme" war noch in den Fünfzigerjahren vollſtändig unbeſiedelt und unerforſcht. Die Siour, Arrapahoes, Cheyennes und Chippewas hatten dort ihre unbeſtrittenen Jagdgründe; ſie waren ſo zahlreich , daß damals noch kein Menſch daran dachte, es ihnen abzunehmen , zumal es ja an jeder Verkehrslinie zwiſchen dem
Oſten und den weſtlich der großen Seen
gelegenen Territorien Amerikas vollſtändig fehlte.
Die Abenteurer,
Trapper , Goldſucher, Pelzjäger, welche dorthin wollten, mußten über Land durch die Urwälder von Wisconſin , oder auf einem wege weſtwärts an den Mijfiſſippi wandern .
großen Um
Dort mußten ſie auf
einen der ſeltenen kleinen , gebrechlichen Dampfer warten , welche den vielgewundenen Fluß ſtromaufwärts bis nach Fort Snelling fuhren . Fort Snelling wurde in der erſten Häljte des vorigen Jahrhunderts auf einem
hohen Felsvorſprung an der Mündung des Minneſotafluſſes
in den Mijjijjippi angelegt, um die einander und die Weißen befrie genden Rothäute nach Tunlichkeit im Zaum zu halten . Mauer mit
Rundtürmen
umgab
die Majernen
Eine ſtarke
der Garniſon ; von
dieſem Stützpunkt aus zogen die waghalſigen Abenteurer und Händler ins Indianergebiet.
Minneapolis, die Mühlenſtadt .
285
Fort Snelling war der nördlichſte Endpunkt der unbedeutenden Schiffahrt auf dem Mijlijippi, denn wenige Kilometer oberhalb legt ſich eine Felſenbarriere quer über den Strom , der in einem ſchäumen den Waſſerfall von zehn bis fünfzehn Meter Höhe darüber hinwegießt. Der katholiſche Miſſionar, Père Hennepin, einer der großen Entdecker des amerikaniſchen Weſtens, war der erſte Weiße, der dieſen Fall im
Copyright 1898 by Detroit Photog raphic Co. Minneapolis.
Jahre 1816 erblicte.
Es war am
St. Antoniustage, und Hennepin
nannte den Fall daher St. Antony Falls. Im Jahre 1876 ſprach man mir in Chicago viel von einer neu eröffneten Eiſenbahn nach lichen
Wiſſensdurſt
und
dem
Nordweſten, und in meinem
jugend
der Sucht nach Abenteuerlichem ,
Neuem,
ſaß ich bald auf dieſer elenden Bahn , die mich nach vierundzwans zigſtündiger chen
St.
Fahrt
Paul
durch
brachte.
Wälder Von
und Einöden dort
beſuchte
nach ich
dem
Fort
Städt
Snelling
und die Indianerreſervationen mit ihren maleriſchen , wilden Siour und Ogallalas und ritt auch auf einem
ſchlechten Landweg durch die
286
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
herrlichſten Wälder ,
den
St. Antoniusfällen .
Der Anblick dieſes großartigen Naturſchauſpiels
Ufern
lauſchiger
Seen
entlang nach den
entſchädigte mich reichlich für die zwei Tage , die ich ihm opſerte. kleiner Niagara von ganz
dem
Ein
gleichen Charakter bot ſich mir dar,
umgeben von ſteilen, tannenbewachſenen Feljen und reizenden grünen Inſelchen
im Flußbett.
Die Waſſermaſſen des Vaters der Ströme
ſtürzten ſich kochend und ſchäumend die hohe Felſenſtufe hinab und tanzten dann
ſich hoch aufbäumend in der engen, von hohen
Fels
wänden eingeſchloſſenen Schlucht weiter nach Südeni . Jenjeit der Fälle gewahrte ich ein kleines Städtchen , deſſen Gin wohner von der Mühleninduſtrie lebten ,
denn die Fälle gaben eine
vorzügliche Waſſerkraft . Im Jahre 1904 füilyrte mich mein Weg wieder nach St. Paul, das in dem Vierteljahrhundert ſeit meinem erſten Beſuche ſich zu einer der ſchönſten und reichſten Städte Amerikas mit etwa zweihunderttauſend Einwohnern entwickelt hat.
Ich
fam
auf meinen Fahrten durch die
Stadt aus dem Staunen nicht heraus. Als ich des Abends im Ryan Hotel zu alten Bekannten davon ſprach , meinten fie : ,,Sie müſſen erſt Minneapolis ſehen, das iſt das reine Chicago geworden !" An Stelle der ſtaubigen Landſtraße von damals führt heute, wie geſagt wenig mehr als ein Vierteljahrhundert ſpäter, eine ganze Reihe von Eiſen- und elektriſchen Straßenbahnen dorthin , und das ganze Gebiet in einer Länge von etwa zwölf Miloinetern iſt in Straßen und Avenuen und herrliche Waldparke ausgelegt, die Seen aber ſind die beliebteſten Ausflugsziele der Bewohner beider Städte geworden.
Ja
dieſe Städte reichen ſich, obſchon zwölf Kilometer voneinander entfernt, gewiſjermaſjen wohl
zu
einer
die Hände , und einzigen
im
nächſten
zuſammengewachſen
Jahrzehnt
werden ſie
ſein , eine Stadt
von
vielleicht einer Million Einwohnern in dreißig Fahren ! Nach halbſtündiger Fahrt an Villen , Gärten und Parkent vorbei wurden die Häuſer wieder dichter , wir jauſten durch belebte Straßen mit acht- und zwöljſtöckigen Häuſern , und endlich über eine Brüđe.
287
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
Tief inter
mir rauſchte
der Mijlijjippi.
Dort drüben
mußten die
Antoniusfälle ſein , aber ich ſah ſie nicht . Ich mochte mich täuſchen achtundzwanzig Jahre Avenue, nach dem
ſind
eine
lange Zeit .
In der Hennepin
Miſſionar- Entdecker benannt, ſtieg ich aus und
kehrte durch die von
rieſigem
Verkehr belebten Straßen zum Fluſſe
zurück. Nirgend waren die Fälle zu ſehen .
„ Pardon ,"
ſragte ich , „wo
ſind St. Anthony Falls ?" „ Da, gerade vor Ihnen
Sie ſehen doch dieje Bretterwand ? "
„Die Bretterwand jeh ' ich wohl, ich meine aber die Waſſerfälle des Miſſiſſippi ? " ,, Das ſind ja doch die Fälle! Fremd ! Gewiſ , Freund!
Sie ſind wohl fremd hier
Enod) Arden ! Was iſt doch aus dieſem
Minneapolis , was aus den Fällen geworden ?
Gine Bretterwand, die ſogenannte Schürze (Apron ), legt ſich quer vor die Felsſtufe, über welche einſt die Waſſer herabſchäumten . Heute fließt fein
Tröpflein
des
großen Vaters der Ströme mehr darüber !
Ich empfand tiefes Bedauern .
Das Waſſer, eingedämmt durch Schleu
fen und Kanäle, treibt ſchwirrende Turbinen mitten in dem Häuſer: und Fabrikenlabyrinth der Stadt , und an Stelle des ſchäumenden Wellentanzes unterhalb der einſtigen Fälle liegt eine ſtagnierende, von Fett ſchillernde Lache.
Die Felswand ſelbſt iſt mit Brettern vernagelt.
Die einſt ſo maleriſchen Felsufer zu beiden Seiten ſind mit großen Fabrifen , Mühlen , Elektrizitätswerfen , Sägewerken überbaut.
Die
Induſtrie hat ſich des Naturwunders bemächtigt, es unterjocht, in Banden geſchlagen, verſchwinden laſſen . Aber dafür iſt an ſeiner Stelle eine Stadt von einer Viertelmillion Einwohnern entſtanden , ein ebenſolches Wunder der Kultur, wie einſt die Fälle eines der Natur waren . Seit ich Minneapolis nicht geſehen, in dieſer kurzen Zeitſpanne , in der ich vom
Jünglinge
zum
Manne
reifte , hat ſich aus dem Städtchen ſo groß wie Jena eine Großſtadt wie Düſſeldorf entwidelt, eine Großſtadt, weltbekannt, denn ſie iſt der
288
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
Siß der umfangreichſten Mühlen- und der umfangreichſten Holzindus ſtrie des Erdballes geworden.
Als ich im Commercial Club in Ge
meinſchaft mit den Großherren dieſer Induſtrien meinen Lunch nahm, ſprachen ſie nur ſtolz prahlend in weſtlicher Manier von the biggest of the world ( der größten Induſtrie dieſer Art der Welt) , gaben mir über die Entwidlung alle erwünſchten Aufichlüſſe und Tuden mich ein, ihre Werke zu beſuchen . Wie iſt es nur gekommen , daß gerade Minneapolis zu dem größten Emporium der Mehlinduſtrie wurde , wo es doch weiter jüdlich in den großen Prärien
viel mehr Getreide und viel ältere Städte gibt,
welche den Kornkammern Amerikas näher liegen , warum
haben zum
Beiſpiel Omaha , St. Louis, Kanſas City, St. Joſeph oder vor allem Chicago dieſe Induſtrie nicht an ſich gezogen ?
Man höre .
In der
erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war der Nordweſten , wie ge ſagt , faſt vollſtändig unerforſcht.
Die vielen Indianerhändler und
Trapper verbreiteten aber bald die Kunde von den fruchtbaren Lände reien des Nordweſtens, und im Gefolge des erſten kleinen Dampfer chens „Virginia“, der im Jahre 1823 auf dem Miſſiſſippi von St. Louis aus bis Fort Snelling vordrang , kamen in den Vierzigerjahren viele andere, mit Händlern und Einwanderern gefüllt, denn der Miſſiſſippi bildete damals in dem einſamen , eiſenbahnloſen Gebiet die einzige Verkehrsſtraße.
Die Dampferfahrten geſtalteten ſich ſo lohnend , daß
auch ſehr bald Eiſenbahnen gebaut wurden .
Die Anſiedler, welche ſie
nach dem Nordweſten brachten , fanden das Land für Frühjahrsweizen vorzüglid, geeignet ; ſo entſtand in Dakota und Minneſota eine ganze Reihe von Rieſenfarmen mit Dampfbetrieb. Ein Engländer namens Dalrymple legte auf Grund ſeiner Verſuche in dem
Tal des Red River of the North eine Rieſenfarm an, wieder
die größte der Welt “ , „ the biggest of the world “, in einer Ausdeh nung , beinahe
welche
jener des deutſchen Bundesſtaates Schaumburg- lippe
gleichkommt.
Zweihundert
Quadratkilometer
ſtehen
allein
unter Weizen und dieſer legtere zeigte ſich von allem Anfang an in
289
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
viel beſſerer Qualität als jener der Prärien .
Der Weizenertrag ſtieg
von Jahr zu Jahr, und die Ausfuhr hat ungeheure Dimenſionen er reicht.
Nun dachten ſich die unternehmenden Bewohner von Minne
apolis :
Warum
ſollen wir das Getreide unſeres Staates nach dem
Often und nach Europa jenden, um es dort mahlen zu laſſen, wo wir doch ſelbſt in dem Antoniusfall des Miſſiſſippi die günſtigſte Waſſer kraft für Mühlenanlagen beſitzen ?
Warum ſollen wir das Getreide
nicht ſelbſt mahlen und als fertiges Mehl nach dem Ausland ſenden ? So bauten ſie denn Mühlen und ſchon im Jahre 1878 wurde nahe eine Million Faß Mehl gemahlen. Agrikultur im
Mit der Ausbreitung der
Nordweſten wuchs in demſelben Maße die Induſtrie;
immer neue Mühlen entſtanden , immer mehr Waſſerkraft wurde dem Miſſiſſippi entnommen , um die Turbinen zu treiben , denn an unſere primitiven Waſſerräder denkt in Amerika kein Menſch . Dazu entſtanden Dampfmaſchinenanlagen, weil ſchließlich für die ins Rieſige angewach ſenen Betriebe im
Hochſommer und Herbſt ſogar die Waſſermenge des
Miſſiſſippi nicht mehr ausreichte, und ſo wuchs Minneapolis in dem jelben Maße, in welchem die Antoniusfälle in Kanälen und Turbinen anlagen verſchwanden.
Wurden die Fälle mit Brettern vernagelt, ſo
hatte dies auch ſeine triſtigen Gründe.
Bei Hochwaſſer im
Frühjahr
ſtrömt zeitweilig immer noch viel Waſſer durch den Fluſs.
Würde es
direkt über den Fall ſtürzen , ſo unterwüſche es die Feljen und der Fall würde im Laufe der Zeit ſo zurückweichen, daß alle Schleuſen und
Hanalanlagen
wären.
bald
auf
dem
Trockenen
unterhalb
der
Fälle
Deshalb wurde die Schürze, eine ſchräge Holzrampe gebaut,
welche das Waſſer ohne direkten Fall nach dem unteren
Flußbett
gleiten läßt. Heute gibt es in Minneapolis einundzwanzig große Mühlen, welche zum größten Teil in den Händen dreier Firmen liegen :
Die Pills
bury- Waſhburn Company , die Waſhburn -Crosby und die Northweſtern Conſolitated Milling Company .
Dieſe Geſellſchaften entſtanden all
mählich aus dem Zuſammenſchluß kleinerer Betriebe, und es ſollte 19 weile : Wartegg , Amerika .
290
Minneapolis , die Mühlenſtadt.
mich gar nicht wundern, wenn , dem Zug der Zeit folgend, eines Tages die genannten Firmen ſich zu einem einzigen großen Truſt vereinigen würden . Der älteſte große Müller von Minneapolis war Waſhburn , der während
des deutſch - franzöſiſchen Krieges amerikaniſcher Geſandter
in Paris war und ſich der dortigen Deutſchen in kräftigſter Weiſe annahm .
Ein
aus
den
beſcheidenſten
Anfängen
Müller Geſandter einer Großmacht in Paris ! Geht
man
die Liſte der
hervorgegangener
Das iſt amerikaniſch.
heutigen Vertreter Amerikas
in Europa
durch , ſo wird man faſt nur ſolche reich gewordene Großinduſtrielle finden . Täglich gehen aus den einundzwanzig Mühlen der Stadt achtzig tauſend Faß Mehl hervor ; die Zahl der in ihnen beſchäftigten Arbeiter, obſchon der ganze Betrieb durch Maſchinen erfolgt, erreicht die immer hin ſtattliche Zahl von dreitauſend . Man nannte mir im Klub
die Pillsbury A." - Mühle
ſehenswerteſte, natürlich die „gröſste der Welt“ . nicht das „ größte der Welt “ ?
In dieſem
als
die
Was iſt in Amerika
Falle hat es damit ſeine
Richtigkeit, denn als ich über die Brücke nach dem
Oſtufer des Mif
fiſſippi gelangte und dort das rieſige ſiebenſtöckige Granitgebäude der „Pillsbury A . " -Mühle betrat, ſah ich, wie in jeder Minute fünfund zwanzig Faß Mehl herauskollerten. dieſer einen
Die tägliche Leiſtungsfähigkeit
Mühle iſt fünfzehntauſend Faß ; die Firma produziert
in allen fünf ihr gehörigen Mühlen täglich einunddreißigtauſend Faſ; Mehl ! Dieje tägliche Produktion der einen Firma allein würde hin : reichen , eine Stadt mittlerer Größe für ein ganzes Jahr mit Mehl zu verſehen. Dabei ſind auch in dieſer Rieſenmühle nur wenige Menſchenhände tätig .
Alles iſt Maſchinenbetrieb, alles, vom Herauſbefördern des Ge
treides aus den Eiſenbahnwaggons in das oberſte Stockwert bis zum Einfüllen des fein gemahlenen Mehls in die Fäſſer , dem Abwiegen und Verſchließen.
Die Getreideförner werden nicht durch einen Sat
291
Minneapolis , die Mühlenſtadt.
Mühlſteine ſofort zu Mehl gemahlen, ſondern paſſieren ſechs verſchie dene Säße von Rollen , bei denen jedes folgende Rollenpaar enger beijammenſteht als das vorhergehende, bis das feinſte Mehl aus dem lezten
zum
Vorſchein
kommt.
Das Getreide wird vorher auf das
ſorgfältigſte durch äußerſt ſinnreiche Apparate von allen Unreinigkeiten, Steinchen , Staub , Erde befreit, und im ganzen paſſiert das Getreide von ſeinem Eintritt in die Mühle bis zum Austritt als fertiges Mehl hundertundſechzig verſchiedene Vorgänge, alle durch Maſchinenbetrieb . Eine Stunde, nachdem das Getreide aus den Waggons gehoben wurde, rollt es , zu Mehl zerrieben und in Fäſſern verpackt, aus der
Mühle.
Aus
jedem
einzelnen
Faß
wird
eine
kleine
Probe
entnommen und in einem Glasfläſchchen für etwaige Reklamationen aufbewahrt .
Von jedem der ſechzig Säge Mehl , die täglich aus den
Mühlen hervorgehen , wird zur Probe von eigenen Bäckern in elek triſchen Öfen ein Laib Brot gebacken ;
nach der Qualität des ge
bacenen Brotes wird das Mehl mit klaſſifiziert.
Durch mechaniſche
Saugapparate wird aller Staub und alles etwa aus den Apparaten dringende Mehl aufgeſaugt , ſo daß die einzelnen Stockwerfe ſo rein und luftig ſind wie irgend eine Baumwollſpinnerei.
Die mit dicken
Schichten Mehlſtaub bedecten Müllerburſchen , mit weißen
Harlekin
geſichtern und von Mehl verklebten Augen , wie wir ſie zu ſehen ge wohnt ſind, gibt es in den Mühlen von Minneapolis nicht . Aber eine Plage konnten ſie dort doch nicht los werden :
die Schwabenkäfer .
Als ich Abends die Mühle verlieſ , kehrte eben ein Arbeiter ein an ſehnliches Häuſchen von ihnen zuſammen .
Da nun täglich
von der Mühleninduſtrie in Minneapolis allein
achtzigtauſend Faß verbraucht werden , hat ſich folgegemäß eine rieſige Fäjjerfabrikation entwickelt , in denen mittels Maſchinen Deckel, Dauben und Reifen fabriziert und die Fäſſer zuſammengeſetzt werden . Dort ſchnurren die Werkzeuge auf den Dreh- und Hobelbänken , die Späne fliegen , betäubendes Nageln und Klopfen - das Reſultat find in jeder einzelnen Sekunde zwei fertige Fäſſer !
292
Minneapolis , die Mühlenſtadt.
Woher das Holz dazu kommt ? Aus den Fichtenwäldern des nörd lichen Minneſota ,
dem
Quellgebiete des Miſſiſſippi , deſſen Lauf die
billigſte Transportſtraße für die Stämme bis nach Minneapolis bietet .
dar
Dieſe Leichtigkeit des Transportes und der große Bedarf an
Bauholz ließ in Minneſota eine Holzinduſtrie entſtehen , welche die Bewohner von Minneapolis nun wieder als die Biggest in the World bezeichneten .
Wahrſcheinlich mit Recht.
nach Stüden
von
einem
Das Holz wird in Amerika
Quadratfuß Geviert und einem Zoll Dicke
gemeſſen. Nun denn : Schon im Jahre 1876 belief ſich die Holzmenge, welche vom Quellgebiet des Mijfiſſippi nach Minneapolis geſchwemmt und dort zu Bauholz zerjägt wurde, auf hundert Millionen Fuß, und mit Stolz zeigten mir damals die Sägewerkbeſitzer an den Ufern des Fluſſes nördlich der Antoniusfälle wahre Berge von Brettern und Balken , während der Fluß ſelbſt ganz mit ,, Booms", das heißt Flößen bedeckt war. Seither iſt die Induſtrie jo gewachſen, daß beiſpielsweiſe in einem Jahre ſ ech shundert Millionen Fuß verarbeitet wurden ! Es entſpricht dies der Ausholzung von mehreren hundert Quadrat kilometern Wald jährlich ; geht dieſe Verwüſtung in gleichem ſtab weiter , dann wird es mit dem
Maß
Waldreichtum von Minneſota in
einem Jahrzehnt zu Ende ſein. Als ich von Minneapolis weiter nördlich in das Quellengebiet des Miſſiſſippi reiſte, hatte ich Gelegenheit, die gewiſſenloſe , ver ſchwenderiſche Art der Abholzung in den Waldruinen zu beiden Seiten der Bahnſtrecken zu ſehen . Einer der größten Sägemühlenbeſiger von Minneapolis , W. Smith , war damals mein Begleiter und gab mir alle gewünſchten Aufklärungen.
„ Sie haben ganz recht“, ſagte er mir,
„,es wird ſchlimm gewirtſchaftet, aber ich allein kann nicht gegen den Strom ſchwimmen .
Wir bekommen eben große Angebote für Bauholz
von Oſten und benutzen die Gelegenheit, um Geld zu verdienen . 3ch ſelbſt ſchneide jährlich an
hundert Millionen Fuß Bauholz und ver
brauche dazu nahe an hundert Quadratkilometer Hochwald , das heißt die paſſenden Baumſtämme daraus, durchſchnittlich vier bis fünf Meter
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
lang und dreißig bis vierzig Zentimeter did.
293
Die diciten Stämme
haben etwa einen Meter Durchmeſſer, aber ſie ſind ſelten geworden. " Wir kamen an verwüſtetem Wald vorüber , ganz mit faulenden Baumkronen und großen Äſten bedeckt. Die Holzfäller ſchneiden eben nur den Stamm ſelbſt zurecht, alles andere bleibt liegen .
3m Winter
ziehen die Holzfäller in die Waldungen der betreffenden Holzhändler und fällen dort für einen Monatslohn von zwanzig bis fünfunddreißig Dollar nebſt koſt und Logis ſo viele Bäume als möglich. Die Stämme
LOTUS
Copyright 1898 by Detroit Photographic Co. Holzfloß im Miſſiſſippi. werden von den Scalers gemeſſen, verrechnet und mit dem Brand, das heißt Zeichen des Beſigers verſehen, gewöhnlich irgend eine geometriſche Figur, ein Buchſtabe oder dergleichen . Dann werden ſie an Ketten von Pferden auf das Eis der gefrorenen Flußläufe geſchleppt. Wenn dieſe im Frühling tauen , führen ſie die Stämme in den Miſſiſſippi und auf dieſem reißenden Strome werden ſie loſe, einzeln herabgeſchwemmt bis nach Minneapolis.
Lumber Jacks , kühne wetterharte Burſchen über
wachen das Schwemmen der Stämme, und kommt irgendwo ein ,, Jam “, das heißt eine Stauung vor, jo ſpringen ſie gewandt von Stamm zu
294
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
den Fluſs und machen mit langen Stangen Luft,
Stamm mitten in
fahren wohl ſelbſt, auf einem
Baumſtamm auſrecht balancierend, viele
Meilen ſtromabwärts und treiben die angeſtauten Stämme weiter. Unterhalb Minneapolis werden aus dieſen Stämmen Flöße gebun den , die dann , durch Dampfer gelenkt, den Miſſiſſippi herab nach ſüdlicher gelegenen Städten gebracht werden .
Oberhalb Minneapolis
ſah ich den Mijjijjippi auf Meilen ganz mit dieſen herabgeſchwemm ten Holzmaſjen bedeckt, in Stücke gehauene ſchwimmende Urwälder ! Hier bleiben ſie ein bis zwei Monate lang im ihren
Waſſer liegen , nach
Brandzeichen geordnet, bis ſie gebraucht werden .
An langen
Retten fiicht man ſie nun heraus und bringt ſie mittels ſehr ſinnreicher Hebevorrichtungen direkt auf die Sägetiſche.
Die Holzmaſſen ſind ſo
groß, daß unſere einfachen Sägevorrichtungen, welche gewöhnlich nur einen Stamm wären .
nach
Aranen
dem
heben
jo leicht wie Patten
anderen zerſägen , gleich
vier
bis
vollſtändig
jechs
ungenügend
Stämme
zuſammen
auf die Tiſche, dort werden ſie in zwei Lagen
auſeinander
geſchichtet
und
mit
dem
Tiſch
Die legtere
iſt in den meiſten Werfen eine außergewöhnlich ſtarke
Bandjäge mit Zähnen auf beiden Seiten.
Im
der
Säge
zugeführt.
Handumdrehen fährt
die Säge durch dieſe Stämme wie durch Butter; ſind ſie zerſägt, ſo wird die Laufrichtung des Tiſches umgeſtellt und die Säge ſchneidet auf dem Rücklauf wieder neue Bretter.
In ein paar Minuten find
aus den Stämmen Bretter geworden , die nun von den Kranen gehoben und zu Bergen aufeinander geſtapelt werden , bis ſie ebenfalls auto matiſch zur Verladung auf die Eiſenbahnwaggons kommen . Die Sägereibeſitzer erhalten für je tauſend Fuß Holz einen Säge preis von
zwei Dollar.
Ein großer Teil des Bauholzes wird von
Minneapolis nach Duluth , am Weſtende des Superiorſees, gebracht und
dort
mit
dem
Dampfer
nach
Buffalo
gebracht,
ein
anderer
Teil in Minneapolis ſelbſt nicht nur zu Fäſſern , ſondern auch zu Möbeln
verarbeitet .
So hat ſich die Stadt innerhalb der wenigen
Jahrzehnte ihres Beſtandes zu einem großen Induſtrieemporium ent
295
Minneapolis, die Mühlenſtadt.
wickelt ; in jedem Fahrejeit 1880 traten hundert neue Fabrik betriebe ins Leben , deren es heute hier zweieinhalbtauſend mit dreißigtauſend Arbeitern gibt.
Eine Menge der erſten Anſiedler iſt
durch die enorme Preisſteigerung des Baugrundes allein zu Millio nären geworden und hat ſich in der Umgebung ſchöne Wohnſige ge baut .
Die Stadt beſigt die ſchönſten Naturparke, zu welchen man die
Ländereien rings um
die vielen kleinen Seen verwendete. Der Como
ſee und der Minnetonkaſee ſind die beliebteſten Punkte für Ausflüge, und an den Ufern des legtgenannten Sees iſt eine ganze Villenſtadt
Fort Snelling.
entſtanden , in welcher auch zahlreiche Deutſche wohnen . zählt unter der Viertelmillion ſeiner Bevölkerung wohl Deutſche.
Minneapolis ein Fünftel
Am ſtärkſten unter den Fremden ſind jedoch die Skandi
navier , hauptſächlich Norweger , vertreten , die auch gerade ſo wie die Deutſchen eine eigene Tageszeitung beſigen. Beſonders auffällig war mir in Minneapolis die Zahl der Kirchen. Es dürfte kaum eine zweite Stadt geben , die im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl eine ſo große Zahl von Kirchen hätte, denn in Minne apolis kommt auf je tauſend Einwohner eine Kirche. ment iſt das katholiſche.
Das ſtärkſte Ele
296
St. Paul und ſein interland.
Bei meinen Spaziergängen durch dieſe große , ſchöngebaute und reiche Stadt mußte ich immer wieder daran zurückdenken, daß ſie erſt dreifzig Jahre beſteht und daß noch damals eine der blutigſten Mege leien unter den weißen Anſiedlern ſeitens der Siour- Indianer ſtatt fand !
Wo find jie heute ?
Wo ſind ihre Jagdgründe ?
Rings um
die Stadt nichts als ſchöne Anlagen , wohlgepflegte Parke und Sommer fitze, ſelbſt das alte Fort Snelling iſt aufgelaſſen worden , und nur ein alter , geborſtener Rundturm iſt ſtehen geblieben.
An Stelle der
Blodhäuſer und Paliſadenmauern , die ich bei meinem erſten Beſuch geſehen , erheben ſich jetzt moderne Kaſernen .
Das einzige Plätzchen,
das unverändert geblieben iſt, fand ich ein paar Kilometer weiter an den berühmten romantiſchen dieſem
Fällen von Minnehaha.
Namen - lachende Waſjer
Wer denkt bei
nicht an Longfellows Dichtung ?
Wie einſt zur Zeit der Rothäute, ſo ſchäumt auch heute noch der Aus fluß des Minnetonkaſees über die von hohen Urwaldbäumen beſchatteten Feljen etwa zwölf Meter Sprüngen dem
in
die Tiefe und
eilt dann in luſtigen
nahen Mijlijſippi zil .
Dreißig Jahre haben hingereicht,
um
aus dem
Urwaldboden eine
Viertelmillionenſtadt hervorzuzaubern, Beltinduſtrien zu ſchaffen, ſelbſt den Vater der Ströme in
Feſſeln zu ſchlagen und ſeine rauſchenden
Waſſerfälle verſchwinden zu laſſen, aber vor dem
romantiſchen Reiz
der Minnehahafälle haben ſelbſt die nüchternen Yankees halt gemacht. Und während ſie im
Norden des reichen Staates Minneſota jährlich
ganze Grafſchaften entwalden , haben ſie rings um
Minnehaha Bäume
gepflanzt und
Morgen geſchaffen .
einen
Park von
hundertzwanzig
26. St. Paul und ſein Hinterland. ' s war einmal ein frommer Prieſter, der beſchloſs, hinauszuziehen
C in die weite Welt und die Wilden den Gottesglauben zu lehren. An den Ufern eines großen Stromes , mitten in einer Lichtung des
St. Paul und ſein Hinterland.
Urwaldes , ſtieß
297
er auf einen ganzen Stamm von blutdürftigen Rot
häuten , die den weißen Mann mit drohenden Gebärden empfingen . Seine Sanftmut entwaffnete ſie, er blieb bei ihnen und baute dort ein kleines beſcheidenes Mirchlein.
Je länger er unter ihnen weilte, deſto
mehr ichmolz ihre Zahl zuſammen , deſto zahlreicher wurden an ihrer Stelle bleichgeſichtige Anſiedler.
Endlich waren die Rothäute ganz
verſchwunden und an der Stelle, wo ihre Wigwams geſtanden hatten , erhoben ſich Häuſer, bildeten ſich Straßen . Sie wurden immer länger, die Häuſer immer größer , immer zahlreicher , und der Mann Gottes mit ſeinem beſcheidenen Kirchlein
ſah
ringsherum
eine Stadt an
wachſen , bis ſie zu einer Großſtadt von zweimalhunderttauſend Eins wohnern, mit zahlreichen Fabriken , ausgedehntem Handel und großem Reichtum
geworden war.
Das Hirchlein war St. Paul
gewidmet.
Der Name blieb auch der Anſiedlung , er blieb der Stadt , und heute iſt dieſes St. Paul der größte Handelsmittelpunkt des amerikaniſchen Nordweſtens. Der Mann Gottes , dieſer amerikaniſche Rübezahl , unter deſſen Augen das Märchen ſich abgeſpielt hatte , lebte bis vor wenigen Jahren . Ich hatte noch die Freude , dem Sein Name iſt Lucien Gaultier. intereſſanten Greis die Hand zu drücken und aus ſeinem Munde die Geſchichte der jungen Städterieſin ſelbſt zu vernehmen . Mann hatte er im Kirchlein gebaut.
Jahre 1841
Als junger
an den Ufern des Miſſiſſippi das
Die Weißen , die nach ihm
ſich hier niederließen
und für ein paar Dollar Baugründe erwarben , ſind heute Millionäre, ohne dafür nur einen Finger gerührt zu haben. allein machte ſie zu Kröſuſſen.
Die Preisſteigerung
Nur Père Gaultier iſt arm geblieben.
Mein Beruf iſt ja nicht Landſpekulation .
Früher habe ich die Rot
häute zum chriſtlichen Glauben bekehrt, jezt bekehre ich Weiße .
Das
iſt der ganze Unterſchied." Ich ſelbft lernte St. Paul im Jahre 1876 als ein hölzernes Prärie ſtädtchen mit etwa ſo viel Einwohnern wie Weimar tennen , und in dem ſeither verſtrichenen Vierteljahrhundert iſt aus dieſem Weimar ein
298
St. Paul und ſein Hinterland.
Düſſeldorf geworden ! Wo wäre dergleichen in Europa möglich ? Dabei iſt dieſes St. Paul nicht etwa eine amerikaniſche Durchſchnittsſtadt, jo unfertig, unſchön und unrein wie Kanſas City oder Louisville, jo rauchig und düſter wie Cincinnati.
St. Paul
iſt eine der ſchönſten,
wenn nicht gar die ſchönſte Stadt von Nordamerika
geworden , und
würde ich wieder einmal zur Welt kommen, irgendwo in Amerika , dann ichlüge ich in St. Paul meinen Wohnſitz auf. Iſt es ſchon merkwürdig, daß in einem Zeitraum von etwa dreißig Jahren
im „ einſamen“ Nordweſten Amerikas
eine
Großſtadt
von
einer Viertelmillion Einwohnern , wie Minneapolis, entſtehen konnte, jo erſcheint es geradezu als ein Kulturwunder, wie gleichzeitig mit dieſer Großſtadt, nur einige zehn Kilometer von ihr entfernt, noch eine zweite entſtehen und auf nahezu dieſelbe Größe heranwachſen konnte. In Minneapolis iſt dieſes Wachstum durch die große Waſſerkraft der Antoniusfälle erklärlich. lieber ſagen überflutung
Bei der raſchen Beſiedlung, ich möchte
des Nordweſtens
mit Anſiedlern
war es
natürlich , daß an den Antoniusfällen ein Induſtrie- und Handels mittelpunkt ſich entwickeln mußte. St. Paul beſigt keine ſolche Waſſer kraft , und für den erſten Anſchein iſt es unerklärlich , warum dieſes St. Paul entſtanden iſt, warum
die Anſiedler ſich nicht gleich nach der
mehr Ausſicht bietenden einen Stadt wandten , warum St. Paul in derſelben nicht aufgegangen oder doch hinter ihr nicht zurückgeblieben iſt . Man ſieht ja dergleichen Beiſpiele allerorts. Eine Großſtadt pflegt den Vandel, die Bevölkerung der umliegenden Ortſchaften an ſich zu ziehen, aufzuſaugen , und ihr Einfluß iſt ſelbſt auf Hunderte von Silo metern im Umkreis zu verſpüren. Im Nordweſten Amerikas , an den Ufern des Miſſiſſippi, haben ſich aber die Städte Minneapolis und St. Paul in der gleichen Zeit in gleichem
Schritt zu Großſtädten entwickelt , obſchon ihr Hinterland
ganz das gleiche iſt. Das Geheimnis ihres
gleichzeitigen Beſtandes liegt in den Ver
299
St. Paul und ſein Hinterland.
kehrsverhältniſſen .
3it Minneapolis durch die Antoniusfälle ein 3n
duſtrieemporium geworden , jo mußte dort, wo St. Paul heute ſteht, ein
Verkehrsmittelpunkt
ſich
natürliche Folge ihrer Lage . fällen entſtehen , um
entwickeln .
Beide
Städte
die
Minneapolis mußte an den Antonius
deren Triebfraft auszunüßen .
Muß gibt es für St. Paul; denn es liegt an Mijiijjippiſchiffahrt.
ſind
Ein ebenſolches
dem
Endpunkt der
Über St. Paul hinaus , bis nach Minne
apolis, können die Dampfer der Stromſchnellen wegen nicht vordringen . Ebenſo iſt St. Paul in gewiſſem Sinne der Endpunkt des Eiſenbahn verkehrs. Gleichzeitig mit der Beſiedlung des Nordweſtens, in einzelnen Fällen dieſer ſogar voraus, wurden die Eiſenbahnen von Chicago und den Oſtſtaaten her nach St. Paul gebaut.
Die Stadt liegt nun am
Oſtufer des Miſſiſſippi, und der Verkehr nach dem ſich hier, weil eine Brüde über den Strom
Nordweſten ſtaute
fehlte.
Nicht jede Bahn
konnte ſich in den erſten Jahren ihres Beſtandes den Lurus einer eigenen Miſſiſſippibrücke leiſten . St. Louis ſchon gleich zwei . ſammen , um
Heute ſind zwiſchen St. Paul und
mehrere vorhanden ,
bei
der Stadt Sinona jogar
Damals aber liefen noch alle Bahnen in St. Paul
zu
die inzwiſchen gebaute Brüde nach dem anderen Ujer
und damit nach dem
Nordweſten zu benützen .
Die Stadt, die an
dieſer Brücke entſtand, mußte den Eiſenbahnverkehr in ihre Hände bekommen , wie ſie den Dampferverkehr in ihren Händen hatte. kommt noch der Umſtand , daß man
Dazu
bei der raſchen Entwicklung des
Nordweſtens trachten mußte, für ſeine Landwirtſchafts- , Wald- und Minenprodukte
den
billigen
Transportweg
auf
den großen Seen,
nach den Oſtſtaaten Amerikas, zu erobern . Nun liegt der äußerſte weſtliche Hafen der Seen an der Weſtſpige des Superiorſees, von welcher St. Paul nur einige hundert Kilometer entfernt iſt.
Direkte Bahnverbindungen von Nordweſten nach dieſem
Endhafen gab es keine; die Bahnen führen alle nach St. Paul, und ſo wurde dieſe Stadt
allmählich
Produktenverkehrs aus dem
auch
Nordweſten .
zum
Verteilungspunkt
des
St. Paul hatte eben
das
300
St. Paul und ſein Hinterland.
Glück, unter ſeinen
Eiſenbahnſtrategen hervorragende Männer mit
weitem Blid und großer Energie zu beſiten, und dieſer Umſtand ſpielt bei einer in der Entwicklung begriffenen Stadt eine ausſchlaggebende Rolle. Das ſind die Gründe, warum ſich heute auf dem Boden , der noch vor ein paar Jahrzehnten unbeſtrittenes Jagdgebiet der Indianer war, die Großſtadt St. Paul erhebt . Als ich ſie im Jahre 1904, nach einer Zeitſpanne von etwa einem Vierteljahrhundert, wieder beſuchte, heraus.
kam ich aus dem Staunen nicht
Ich hatte doch wenigſtens erwartet, ein bißchen „ weſtliches "
Leben mit ſeiner Rauhbeinigkeit dort zu finden , im Weſen der Bevöl kerung wie im Stadtrieſin . dem
Ausſehen der jungen , kaum aus dem Ei gekrochenen
Aber die Leute gebärdeten ſich dort gerade ſo wie in
vornehmen Boſton oder dem
alten Baltimore.
Die Straßen mit
ihren anſpruchsvollen Steinhäuſern, ihren Privatpaläſten, die Avenuen und Parks haben nichts, gar nichts mehr von der erſten tollen Jugend zeit der Stadt aufzuweiſen , ja , nicht einmal mehr von ihrem Ausſehen zur Zeit meines erſten Beſuches . Damals war St. Paul, wie geſagt , eine Stadt fünfundzwanzigtauſend
Einwohnern ,
größtenteils
mit Holzpflaſter und beſcheidenen Kaufläden . dem Merchands ,
war die valle noch
von ungefähr
aus Holz gebaut,
In dem erſten Hotel ,
mit einer Menge
Indianer
kurioſitäten , Tomahawks , Mokaſſins und geſtidten Lederwämſen aus tapeziert, Sachen, die von den fremden Beſuchern gern gekauft wurden und welche die Indianer aus den nahen Reſervationen hier gegen Tabak, Decken , Meſſer und dergleichen austauſchten . St. Paul nicht mehr.
Jetzt erkannte ich dieſes
In den erſtaunlich gut gepflaſterten Straßen
wogte vornehmer Menſchenverkehr, an Stelle der kleinen Kaufläden waren
große Warenhäuſer getreten , und die Hotels übertreffen an
Umfang und Einrichtung jene von Chicago .
Das alte Merchands war
zu einem Hotel zweiten Ranges herabgeſunken , und als ich dort wieder Indianerſachen kaufen wollte, lachte man mir ins Geſicht.
301
St. Paul und ſein Hinterland.
Von der Summit Avenue , der vornehmſten Straße der Stadt, die ſich auf einem
Höhenzuge parallel mit dem
tief unten fließenden
Miſſiſſippi auf Meilen hinzieht, genoß ich einen Anblick , der mich an jenen von Rom , vom Pincio geſehen , erinnerte.
St. Paul iſt auch
eine Art amerikaniſchen Roms, einer der Hauptſiße des Ratholizismus, mit dem unternehmenden Erzbiſchof Freland an
der Spige.
Wie in
JNO MAR
RG RUNS LO SZA
STEWARIGNOLLES DRUG CO.
602
Straße in St. Paul.
Kom im Laufe der legten anderthalb Jahrtauſende dreihundert Mirchen entſtanden, ſo in St. Paul deren die halbe Zahl in dreißig Jahren, Airchen aller chriſtlichen Bekenntniſſe mit den zahlreichſten des fatholi ichen Glaubens.
Von den Terraſſen der herrlichen Wohnſige mehrerer
Bekannten ſah ich die vielen Türme und Kuppeln der hügeligen Stadt, die vielen Univerſitäts- und Schulgebäude, das Staatskapitol , aber auch die vielen turmhohen „ Himmelkrager“, die Schornſteine und Fabriken, deren es heute ſechzehnhundert gibt
mit zwanzigtauſend Arbeitern .
St. Paul und ſein Hinterland .
302
Mitten durch ſchneidet das tiefgelegene Bett des Mijjijjippi mit jeinen ſteilen grünen Ufern , und ringsum bewunderte ich den ſchönen Kranz von Waldparken und blauen , kleinen Seen ,
deren Minneſota
über zehntauſend zählt. Allein im Umkreiſe von zwanzig Hilometern um St. Paul liegen , im grünen Walde eingebettet, ihrer fünfzig . Erzbiſchof Zreland,
dem
ich dieſe Bewunderung für St. Paul zum Ausdruck
brachte, war darüber ſehr erfreut, denn wenn ſich St. Paul beſonders in Bezug auf das Unterrichtsweſen , auf die katholiſchen Wohltätigkeits anſtalten und Seminare ſo entwickelt hat, ſo iſt es zum Teil ſein Werk. In ſeiner vornehinen Villa erzählte er mir von ſeinen Beſtrebungen , die durch die Opferfreudigkeit der Einwohner kräftige Unterſtüßung finden .
„ Merkwürdigerweije kommen bei unſeren Mitbürgern, die im
öffentlichen Leben doch alle mit Leib und Seele Amerikaner ſind , ge rade in Kirchenſragen die Nationalitäten am
ſtärkſten zum Vorſchein ,
und das macht die Seelſorge ein wenig ſchwierig.
Aber ich halte es
für die beſte Politik, ihre Wünſche nach Tunlichkeit zu erfüllen . Wollen die Polen eine Kirche, gut , dann ſchaffe ich ihnen eine ; wollen die Spanier eine, jo bekommen ſie ſie auch . Die Hauptſache iſt, daß doch der Wunſch da iſt und daß ſie den Willen haben , ihre Religion auch zu betätigen .
An Geldmitteln iſt ja nicht viel vorhanden , aber es
geht . " Iſt Pere Gaultier der Gründer der Stadt und ihr Namensgeber, ſo iſt James J. Hill der hervorragendſte Mitbegründer ihrer Größe und ihres Reichtums , der legte der großen Eiſenbahnſtrategen des Kontinents , der letzte, welchem großen
Teil
desjelben
in
die Möglichkeit geboten war , einen
einer Ausdehnung ,
welche
jener
dreier
Deutſcher Reiche beinahe gleichkommt, zu entwickeln und der Kultur, der Beſiedlung zu eröffnen .
Das Lob von Hill wurde mir ſchon in
New York und Chicago in allen Tonarten geſungen . Hier in St. Paul ſchwören die Leute bei Hill, denn er hat nicht nur St. Paul groß ge macht, ſein Wirken war auch für die ganzen Vereinigten Staaten von unberechenbarem
Nutzen .
St. Paul und ſein Hinterland .
Man ſpricht in Europa von
303
der großen Wohltätigkeit Carnegies
und von den Millionenſchenkungen , an welche er ſeinen Namen knüpft. Man vergißt dabei , daß ſein Reichtum größtenteils aus Spekulationen in Stahlaktien entſtand, in welchen viele Tauſende armer Leute ihre paar hundert Dollar verloren.
Es wäre wohltätiger geweſen , durch
ein paar Millionen den Kursſturz aufzuhalten und Tauſende vor dem Ruin zu bewahren , ſtatt glänzende Bibliotheken und Konzerthallen Rockefeller ſchenkte Millionen für Univerſitäten , er erwarb
zu ſtiften .
Copyright 1902 by Detroit Photographic Co.
St. Paul. aber
dieſe
Millionen
durch
Preistreibereien in
Betroleum ,
einem
Gebrauchsartikel der Armen ; an dem Milliardenvermögen der großen Truſtſchmiede klebt Blut und das Unglüd zahlloſer Familien . Hill dagegen hat niemals einen Menſchen um ſein Geld gebracht, er hat vielen Tauſenden von Familien Brot und Erwerb verſchafft, ganze
Staaten
entwickelt ,
und
iſt
dadurch
auch
ſein
Vermögen
ganz von ſelbſt gemachien , jo verwendete er es mit reinem Gewiſſen zum
Wohltun
in
größtem
Mann geblieben , der neben auch
die
Moral
und
Stile.
Er
der Hebung
Religion
nicht
iſt
dabei
ein
einfacher
des ganzen Nordweſtens
aus
dem
Auge
läßt
und
304
für
St. Paul und ſein Hinterland .
die
Schulen
und
Wohlfahrtseinrichtungen
Millionen
geopfert
hat . vil war einer der erſten Anſiedler von St. Paul, und neben Père Gaultier dürfte er am
längſten in der Stadt
wohnen.
Während
Gaultier, von ſeinem heiligen Berufe erfüllt, die Stadt wachſen ſah, ſchuf Hill dieſes Wachstum durch ſeine Tätigkeit . In den Fünfziger jahren, als die erſten Indianerhändler , Trapper , Abenteurer , Gold ſucher ihren Weg nach dem Nordweſten fanden , bot ihnen dazu der Miſſiſſippi die einzige Möglichkeit.
Hill richtete eine Dampferlinie
vom Mittellaufe des Stromes bis an den Endpunkt des Schiffsver kehrs , aljo St. Paul, ein und verdiente damit ein kleines Vermögen. In
den Sechzigerjahren entſtanden rings um St. Paul
die erſten
Eijenbahnlinien , die aber in Anbetracht der ſpärlichen Beſiedlung des Landes bis in die Siebzigerjahre ein farges Daſein friſteten, denn es fehlte der Anſchluß an Chicago , der erſt 1870 hergeſtellt wurde. Bahnen
waren
den Bedürfniſſen vorausgeeilt;
Weſten fehlten ihnen Frachten
überall im
Die
ganzen
und Perſonenverkehr , und 1873 fam
der große Krach , der auch die Northern Pazifit-Eiſenbahn , das Werk Jay Cookes, zuſammenbrechen ließ . Unter den notleidenden Bahnen befand ſich auch die St. Paul . und Pazifik - Eiſenbahn,
die von St. Paul
nordweſtlicher Richtung nirgendwohin
Unternehmern das Geld zum Weiterbau . mals
ichon
daran ,
von
Northern Pazifik, bis an
St. Paul
eine
kurze Strecke
in
führte, denn es mangelte den
eine
James J. Hil dachte das Eiſenbahn ,
nördlich
der
den Stillen Ozean zu bauen, und ſuchte
zu dieſem Zwecke die Konzeſſion der St. Paul- und Pazifik-Eiſenbahn nebſt den
bereits fertigen kleinen Stređen anzukaufen.
durfte er eine halbe Million
Dazu
be
Dollar, aber niemand in Minneſota
wollte ſie ihm leihen , ſchon deshalb nicht, weil in Minneſota damals niemand eine halbe Million beſaß . Der Nrach hatte auch in Chicago die Leute fopficheu gemacht, und die Stadt litt dazu noch unter den Nachwirkungen des großen Brandes.
Hill wandte ſich deshalb in ſein
Winona .bei -Brücken frippi Mirri
S(LA TIMB E
Detroit Photographic by 1818 Copyright Co.
St. Paul und ſein Hinterland.
305
Dort lachte man ihn aus.
Wer ſollte damals
Heimatland Manada .
eine verkrachte Bahn , die niemals auch nur die Hälfte ihrer Betriebs koſten einbrachte , kaufen ?
Es gelang ihm indeſſen , die Bank von
Montreal zu dem Darlehen zu bewegen.
Ihre Direktoren hatten es
nicht zu bereuen , denn ſie wurden dadurch allein zu mehrfachen Mil lionären . Die nächſten Jahre verwendete Hill zur Unterſuchung des Nord weſtens.
Auf Schneeſchuhen, im Schlitten, oder hoch zu Roß durch
ſtreifte er das Gebiet wilder Indianerſtämme, überſtieg die einſamen, unwirtlichen Felſengebirge und gelangte ſchließlich an den ſund ,
das heißt an die Küſten des Stillen Ozeane.
dieſer Forſchungsreiſe ſah , dem
Puget
Was er auf
beſtärkte ihn in ſeinem Vorhaben ,
Miſſiſſippi
mit
Pugetſund
durch
einen
Schienenſtrang
verbinden .
Dazu waren aber viele Millionen erforderlich.
den zu
Wieder
blieben die Kapitaliſten in St. Paul und Chicago zugeknöpft, ja die Eiſenbahnmagnaten nannten
das
Projekt einfach
, Hills Narrheit ".
Gab es doch weiter ſüdlich ſchon drei Pazifikbahnen, die Union Pazifit, die Southern - Pazifit und die Northern - Pazifik.
Allen waren von
den Vereinigten Staaten die großartigſten Subventionen gewährt worden . Eine dieſer Bahnen war beinahe ein Regierungsunter nehmen , die zweite hatte an vierhundert Millionen Mark aus dem Yankeeſäckel verſchlungen , und der Northern -Pazifik war eine Land ſchenkung von vierzig Millionen Morgen gemacht worden . Millionen Morgen !
Das iſt
die Größe von
Vierzig
ganz Süddeutſchland,
Elſaß- Lothringen und noch ein gutes Stück Preußen dazu , und doch war die Bahn verkracht!
Hill aber wollte ſeine Bahn ohne irgend
welche ſtaatliche Hilfe nur aufs Geratewohl mit dem Gelde ſeiner Mitbürger bauen .
Welcher Wahnſinn !
Selbſt wenn ihm der Bau
gelingen ſollte, jo gab es ja noch gar keinen Paſſagier und Frachten : verkehr in dem unbewohnten Lande ! Hill baute aber die Bahn dennoch .
Im Jahre 1893 war dieje
Great Northern Railway vollendet, St. Paul war mit dem Heiſe : Wartegg , Amerika.
vierunda 20
306
St. Paul und ſein Hinterland .
zwanzighundert Kilometer entfernten Seattle am Bugetſund verbunden .
ter
Als man noch in den Eröffnungsfeierlichkeiten ſchwelgte, kam der große
000
Arach von 1893.
F
Die Santa Fé , die Union - Pazifik , die Northern
Pazifik ſtellten ihre Zahlungen ein , die Aktien fielen in ungeahnter Weiſe , aber Hids Bahn , die nicht einen Dollar, nicht einen Aker Land Staatshilfe bekommen hatte, hielt ſich ausgezeichnet, und ſeither
Ver
iſt der Verkehr und mit ihm der Aurs der Aktien in erſtaunlichem
doF
Maße geſtiegen . Das Geheimnis dieſes größten Eiſenbahnerfolges der Ver
44
einigten Staaten liegt in dem Geſchäftsſinn des Gründers . Hill war
111
vor allem beſtrebt, Frachtenverkehr heranzuziehen.
Der einzige wirklich
bedeutende Artikel , den das Müſtengebiet des Stillen Ozeans vorläufig liefern konnte, war Bauholz.
e
Die unermeßlichen Waldungen dort ent
halten Rieſenſtämme, wie ſie weiter öſtlich nicht vorkommen und doch für Bauzwede überall ſo nötig waren . Der einzige Weg , dieſes Baus holz nach den atlantiſchen Seehäfen zu bringen , war um die Südſpige
UL
der Neuen Welt, um Hap Horn , denn der Frachtfay auf der Northern Pazifif-Eiſenbahn war mit drei Mark zwanzig Pfennig für die Tonne
id
unerſchwinglich . Hill ſezte ſich nun mit den Holzhändlern des Puget
E
ſundes in Verbindung.
Sie verlangten eine Ermäßigung auf zwei
Mark fünfzig Pfennig .
Darauf erklärte er ſich bereit, den Transport
ſogar auf eine Mark ſechzig Pfennig herabzuſetzen , wenn ſie lange Ver träge mit ihm abſchließen wollten .
Er erlangte ſie und hatte nun hin
reichend Fracht vom Stillen Ozean nach Oſten auf viele Jahre hinaus . Dann galt es für Rüdfracht zu ſorgen, denn die Laſtzüge konnte er nicht leer nach
dem
Pugetſund mit fähig .
Bugetjund
zurückfahren
laſſen .
Nun war aber der
ſeiner ſpärlichen Bevölkerung nur wenig
aufnahm
Hill dachte alſo an Oſtaſien und ſandte ſeine Agenten nach
China, Japan, Indien , ja bis nach Malakka zum Studium der dortigen Märkte. Er ſagte ſich: wenn die vierhundertfünfzig Millionen Mongolen Reis eſſen , dann wird ihnen wohl auch Brot willkommen ſein .
Wenn
fie Eiſenbahnen bauen , ſo werden ſie wohl die Schienen und anderes Ma
t
307
St. Paul und ſein Hinterland.
terial von Amerika beziehen können ; wenn ſie Baumwolltleider tragen , warum ſoll nicht Amerika ſtatt Indien und Ägypten die Baumwolle liefern ? Bringe ich ſie dazu , dann habe ich für die Great Northern Eiſenbahn mehr Rückfracht, als ich bewältigen kann . Die in dieſem Sinne unterwieſenen Agenten kamen mit Lieferungs verträgen für Oſtaſien zurüd.
Sie hatten die Preiſe ſo niedrig geſtellt,
daß Europa damit nicht in Wettbewerb treten konnte.
Freilich blieb
für den Transport auf der Eiſenbahn nur ein kleiner Bruchteil übrig. Aber pill dachte, iſt einmal der Verkehr mit Oſtaſien entwidelt , wird er mit der Zeit jo ſteigen , daſ großer Gewinn nicht ausbleiben kann. Nur konnten ihm ſeine Anſchlußbahnen von St. Paul nach Oſten und Süden durch Steigerung der Frachtfäße bis St. Paul einen Strich durch die Rechnung machen .
Ebenſo konnte er ähnliche Steigerungen
im Frachtpreis auf den Dampfern nach Oſtaſien gewärtigen .
Um mit
Sicherheit arbeiten zu können , kaufte er ohne Inanſpruchnahme der europäiſchen oder New Yorker Bankhäuſer für achthundert Millionen Mark das ganze Bahnnetz der Chicago -Burlington- und Quincy -Geſell ſchaft, gegen achttauſend Meilen im Stromgebiet des Miffiffippi, mit Endpunkten in Chicago und im d.
h.
Süden.
Jede Meile war ein feeder,
ein „Fütterer“ ſeiner Great- Northern - Bahn und führte ihm
Waren zu.
Dann baute er die größten und ſchönſten Dampfer auf den
Seen, welche ihm die Märkte bis nach Buffalo im Staate New York öffneten und ihm
die Preiskontrolle im Warentransport vom Staat
New York bis nach Duluth an der Weſtſpiße des Superiorſees ſicherten. Bon Duluth baute er eine Eiſenbahn nach St. Paul und beſaß nun eine ununterbrochene Transportlinie von den atlantiſchen Staaten bis an den Stillen Ozean . Seit einiger Zeit fahren nun auch auf dieſem die größten Seedampfer zwiſchen dem Bugetſund , Yokohama und Shanghai . Einer diejer Dampfer, die Minneſota , kann das Sechsjache der Fracht der bisherigen Stillen -Ozean - Dampfer aufnehmen ! Nun war Hill ſicher, daß ihm niemand auf ſeinen neuen Welt verkehrsrouten in die Quere kommen konnte.
Er beherrſchte dieſe
308
St. Paul und ſein Hinterland .
Route in ihrer ganzen Länge von zwölftauſend Ailometern , Nebenbahnen von faſt der gleichen Ausdehnung. zu bekommen .
dazu
Nun galt es Frachten
Wie er das tat, erzählte er mir ſelbſt, als ich in ſeinem
ſchönen Hauſe auf der Summit Avenue in St. Paul einen Nachmittag zubrachte, und ich erzähle es hier wieder , ebenſo wie die vorſtehenden Einzelheiten, weil es den Europäern zeigt, wie die Sache in Amerika gemacht wird.
Es muß ja für unſere Geſchäftsleute auch von größtem
Intereſſe ſein , den Amerikanern in die Karten zu ſehen , wie dieſe auf dem großen Spieltiſch des Welthandels ihre Trümpfe ausſpielen . „Stamen da " , ſo erzählte Hill, „eines Tages ein paar Japaner über St. Paul auf dem Wege nach Europa, um Eiſenbahnen zu kaufen .
dort Schienen für ihre
Ich lud ſie zum Diner ein und fragte ſie,
warum ſie nicht amerikaniſche Schienen kauften. hoch ſind , antworteten ſie.
Weil die Preiſe zu
Darauf kabelte ich meinen Agenten nach
Europa um die billigſten Schienenpreiſe loco Yokohama. Die Antwort war: hundertſiebzehn Mark die Tonne. Chicago meine Offerte.
Darauf telegraphierte ich nach
Wenn Chicago mir Schienen zu achtzig Mark
die Tonne liefern wollte, würde ich nur zweiunddreißig Mark für den Transport nach Yokohama berechnen und die Schienen dort daher im fünf Marf die Tonne billiger, gleichzeitig aber um einige Wochen früher liefern können als Europa. "
Chicago ſchlug ein , und Hil lieferte in der
feſtgelegten Zeit als erſtes Geſchäft mit Japan fünfzehntauſend Tonnen Schienen um
fünfundjiebzigtauſend Mart billiger als Europa.
„ Ein anderes Mal faſte ich ein paar Japaner ab " , erzählte Hill weiter, „ und fragte ſie, ob ſie nicht in ihren Spinnereien ſtatt der ſchlechten indiſchen Baumwolle unſere amerikaniſche verwenden wollten . Sie ſei zu teuer, antworteten ſie.
Gut, ſagte ich, dann ſolltet ihr die
indiſche wenigſtens mit amerikaniſcher miſchen . eurer Waren bedeutend verbeſſern .
Das wird die Qualität
Ich will euch für den Verſuch die
erſte Sendung koſtenfrei zugehen laſſen .
Die Sache ſchlug ein , der
Baumwollerport ſtieg von Jahr zu Jahr , und 1903 erportierten wir hundertſechzig Millionen Þjund Baumwolle nach Japan .“
309
St. Paul und ſein Hinterland.
Einer der wichtigſten Stapelartikel für Djtaſien war in St. Paul und Minneapolis ſelbſt vorhanden : Getreide und Mehl .
Während Minne
apolis ſich der Mühleninduſtrie bemächtigt hat, kommt in St. Paul viel Getreide zur Verſchiffung.
Hill begann dieſe Produkte nach Yokohama
und Shanghai zu erportieren, zu ſo billigen Preiſen , daß ein großer Markt gewonnen werden mußte.
Dieſe niedrigen Transportpreiſe lenk
ten auch eine Menge Induſtrieartikel nach der Great Northern -Eiſen bahn .
So z. B. koſtet der Transport eines Faſſes Nägel von Chicago
nach Yokohama ebenſoviel wie aus der Nagelfabrik in Chicago zur Eiſenbahnſtation ! Der Verkehr auf der Great Northern -Eiſenbahn ſtieg ſeit ihrer Er öffnung in ſprunghafter Weiſe.
Die urſprünglichen Teilſtreden der
Bahn hatten eine Länge von kaum tauſend Kilometern, heute umfaßt das Bahnnetz deren zehntauſend ; damals beſtand das fahrende Material aus ſechzig Perſonen- und fünfzehnhundert Frachtwaggons, heute aus fünfhundert
Perſonen- und
fünfundzwanzigtauſend
Frachtwaggons ;
Lokomotiven gab es damals ſechzig, heute ſechshundertfünfzig, und der von Hill geſchaffene Erport nach Oſtaſien iſt ſo gewachſen , daß er ernſtlich den europäiſchen Abſatz dorthin beeinträchtigt.
3m
Eröffnungsjahre der Bahn belief ſich der Erport vom Pugetſund auf zwanzig Millionen Mart, nur zehn Jahre nachher war er auf hundert dreißig
Millionen
geſtiegen ,
eine Vermehrung um fünfhundert
vierzig Prozent in einem Jahrzehnt . Die Hillſche Eijenbahn iſt aber dabei auch noch dem
Haupthafen
Amerikas am Stillen Ozean , San Francisco, gefährlich geworden. Vor einem Jahrzehnt ſpielten die Häfen am Pugetſund im Vergleich zu dem kaliforniſchen Hafen nur eine geringe Rolle, heute umfaſſen die Ozeandampfer
der Bugetſundhäfen
anderthalb
Millionen
Tonnen,
während jene von San Francisco nicht viel mehr als eine Million Tonnen betragen. Der Erport der Bugetſundhäfen nach Oſtaſien iſt heute nahezu das Doppelte jenes von San Francisco. Gleichzeitig damit hat ſich auch der von der Great Northern -Eijen =
310
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
bahn durchzogene Nordweſten in ungeahnter Weiſe entwickelt.
Längs
der Bahulinie find große Städte entſtanden, und aus den wilden , un. bewohnten Territorien North Dakota, Montana, 3daho und Waſhington ſind in dieſem einen Fahrzehnt zukunftreiche Staaten mit großer Land wirtſchaft, Viehzucht und erheblicher Induſtrie geworden, bevölkert von zwei Millionen Seelen .
Alle dieſe Staaten ſind nun durch die Great Northern - Eiſenbahn größtenteils von St. Paul abhängig .
St. Paul verſorgt ſie mit ihrem
Bedarf, St. Paul nimmt ihnen ihre Produktion ab, und in natürlicher Wechſelwirkung fördert die Stadt das Hinterland, dieſes aber die Stadt.
27. Ein zweites Chicago am Superiorſee . uf der Fahrt von Chicago nach St. Paul ſaß ich neben einem A
"hustler aus Duluth.
Der Huſtler iſt nur im
Weſten Amerikas
bekannt, ſonſt nirgend.
Er ſteht nicht einmal im Wörterbuch. To hustle
findet man wohl darin .
Es heißt „drängen, ſtoßen “, und daraus kann
man ſchon entnehmen , was ein Huſtler iſt.
Er ſchreitet im Kampf
ums Daſein nicht vorwärts , er drängt und ſtößt ſich durch , ſchiebt andere mit den Ellbogen beiſeite, ſchlägt, wenn nötig, mit den Fäuſten drein , um raſcher in ſeiner Jagd nach dem Dollar ans Ziel zu ges langen .
Der große Nordweſten, heute der zukunftreichſte, verhältniß
mäſsig blühendſte Teil Amerikas, wäre nicht mit ſolchen Rieſenſchritten vorwärts gekommen , wenn nicht die Huſtler geweſen wären . Sie huſtleten und huſtleten und bauten Bahnen , öffneten Minen , legten Riejenfarmen mit Maſchinenbetrieb an , bauten Rieſenſtädte. Eine ſolche Riefenſtadt iſt Duluth. Das muß man ſehen . Chicago ," einem
ſo
Bevor ich ſterbe ,
ſagte mein
Zündhölzchen
„ Es iſt ein zweites Chicago. wird es größer ſein als
Nachbar , der Huſtler ,
aus lauter Nervoſität
und ſtocherte mit
zwiſchen ſeinen Zähnen
311
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
herum .
Wenn er nicht auch gleichzeitig braunen Tabakſpeichel herum
ſprißte , ſo lag der Grund in dem Plakat, das im Wagen angenagelt war und jeden , der auf den Boden ſpuckte , mit einer Strafe von fünf Dollar
In
bedrohte.
den Straßenwagen mancher Städte iſt
die Strafe ſogar fünfhundert Dollar. ,, Mennen Sie Duluth , Fremder ?"
„ Gewiß. Ich habe es zulegt geſehen, als die Northern - Pazifit-Eiſen bahn eröffnet wurde. gemacht.
Großen Eindrud hat es damals nicht auf mich
Es war eben aus dem Ei gekrochen und hatte ein paar
hundert oder tauſend Einwohner. " Mein Huſtler pacte mich beim Arm und drehte ſich verwundert im Wagen um , wie um den Leuten einen Menſchen zu zeigen , der Duluth noch für ein kleines Städtchen hält.
Dann guckte er mich
mitleidool lächelnd an und zögerte, wie um Worte zu ſuchen . Endlich plaßte er heraus : tauſend Einwohner.
„Why stranger , Duluth hat weit über hundert ( Natürlich gewaltig übertrieben . )
Wer weiß, wie
viele noch dazugekommen ſind, ſeitdem ich nicht mehr dort war.“
,,Wann habt Ihr's denn verlaſſen ? " „Lezte Woche."
( Die anderen Leute im Wagen lachten .)
Dann erzählte er mir von den großen Dingen von Duluth , bis der ſchwarze Schlafwagenwärter kam , um unſere Betten zu machen. Als ich hinter dem Vorhang auf meinem Bett Numero zwölf lag , ärgerte ich mich ſo, daß ich ſtundenlang nicht einſchlafen konnte.
Jm
Fahre 1880 bot mein Klubkollege im Londoner Athenäum , Gödeker, mir dreißig town shares ( Aktien) der Stadt Duluth zu fünf Dollars das Stück an.
Ich hielt die Sache für ſpaniſchen Erbſchaftſchwindel
und warnte ihn ſelbſt vor dem Ankauf. Pazifik-Eiſenbahn gebaut.
Damals wurde die Northern
Villard, oder, wie er richtig hieß, Hilgard
aus Zweibrüden ſtand an der Spiße dieſes Rieſenunternehmens und beſchloß , das
Weſtende des Superiorſees
Bahn zu machen .
zum
Anfangspunkt ſeiner
Die Frage war nur , wo ?
Eine Menge Huſtler
waren dorthin geeilt , um in Landſpekulation ſich in ein paar Jahren
312
Ein zweites Chicago am Superiorjee.
zu reichen Leuten zu machen .
Sie hatten das ganze Land rings um
das Seende , dort wo der St. Louisfluß einmündet, zuſammengekauft. Auf dem linken Ufer war eine „ Stadt“ aus Bretterbuden , Duluth, entſtanden , auch auf dem rechten Ufer erhoben ſich ein paar Shanties, In beiden Ort
die nach dem See , Superior City" genannt wurden .
ſchaften hatten ſich Geſellſchaften gebildet , um das Land in Straßen vierede auszulegen , jedes Viered in lots
( Baugründe) , und dieſe
lots oder vielmehr die Aktien , welche ſie repräſentierten , wurden in aller Welt zum Verkauf ausgeboten . in jeder Stadt
Zwanzig Quadratmeilen waren
auf dieſe Art parzelliert
worden , auf den Plänen
waren Rathaus, öffentliche Barke, Univerſitäten, Mirchen und Schulen angegeben , die Eckplätze an den Straßengevierten koſteten mehr , die Mittelpläge weniger, aber in Wirklichkeit gab es in beiden Städten , wie geſagt, nur ein paar Bretterbuden . Vielleicht hätte ich mir die Shares von meinem Freunde Gödefer gekauft, wenn es nur ſicher geweſen wäre, wo die Northern - Pazifit Eiſenbahn ihren Bahnhof und ihre Werkſtätten anlegen würde. brachte Menſchen, Geſchäfte, und machte die Stadt. ſein ?
oder Superior City ?
Das
Wird es Duluth
Die Wahl fiel auf Duluth.
Die
Superioraktien fielen nahe dem Gefrierpunkt, die Duluthaktien ſtiegen aber auch nicht beſonders. Als ich 1883 nach Duluth fam , ſtand ſchon ein kleines Städtchen zu Füßen des hundertfünfzig Meter hohen , ſteil auſragenden plateaus , welches das Ende des Superiorſees begrenzt .
Fels
Die Häuſer
waren an der einzigen Öffnung in dieſer Felsivand, zwiſchen dieſer und dem Seeufer zerſtreut.
Ich beglückwünſchte mich damals , die
town lots
haben ,
nicht
gekauft
zu
denn
dort
auf
dem
ſchmalen
Streifen Land , zu Füßen der Felſen , konnte doch keine große Stadt entſtehen ?
Ich war
eben
kurzſichtig , wie neunundneunzig Prozent
aller Europäer , die nach Amerika kommen . Leider war ich nicht darunter.
Ein Prozent wird reich.
313
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
Von
St. Paul
wollte ich
nach
den großen Eiſenerzlagern
im
nördlichen Minneſota , von wo die Eiſen- und Stahlwerke in Chicago , Pittsburg
und
ſonſt
überal
Staaten ihr Rohmaterial
in
der
beziehen .
Nordhälfte
der
Vereinigten
Es ſind die größten Erzlager
des Erdballs, denn auf einem Fleden Landes von ſiebzig engliſchen Quadratmeilen
liegen
noch
fünfhundert Millionen Tonnen
Eiſen
erz , und dabei ſind ſeit ihrer Eröffnung in den Achtzigerjahren ſchon über
dreihundert
Millionen
fortgeſchafft worden .
dieſem Erzgebiet führt von St. Paul
oder von
ſonſtwo in den Vereinigten Staaten über Duluth. faltspinſel mir doch ſchon im
Der
Weg
nach
Chicago oder von Das hätte ich Ein
Jahre 1883 jagen ſollen : Duluth mußte
der wichtigſte Verſchiffungshafen für Eijenerz werden und ſich viel . leicht ſelbſt zum Siß einer großen Gijeninduſtrie entwickeln .
Aber
damals war das ganze Land , das ich im Eiſenbahnzuge durchflog, ſo öde und verlaſſen , es gab ſo wenige und noch dazu armſelige An fiedlungen , wurden .
daß alle phantaſtiſchen Zukunftsträume davon erdrückt
Von St. Paul hatte ich auf meiner jüngſten Fahrt die Wahl zwi ſchen drei Eiſenbahnlinien nach Duluth .
Das allein ſpricht ſchon für
die außerordentliche Entwicklung der beiden Städte und ihres Hinter landes . Ich legte mich Abends in den Schlafmagen der Great Northern Eiſenbahn und war am
nächſten Morgen in Duluth.
Ein Kieſen
bahnhof , rings umgeben von großen , vielſtöckigen Geſchäftshäuſern , ſtattlichen Hotels ; in den Straßen lebhafter Verkehr wie in St. Paul . 3it mein Zug am noch immer dort ?
Ende in St. Paul ſtehen geblieben , und war ich Dieſe Rieſenſtadt konnte doch nicht Duluth ſein ?
„ Yes , Sir , that's Duluth ! " antwortete mir der Inſpektor der Maſſabe minen , der mich auf dem Bahnhof erwartete und durch die Stadt führte.
Elektriſche Bahnzüge ſauſen durch meilenlange Straßen , dem
Fuß der Bluffs ( Ujerfelſen ) entlang , die ſich jo ſteil vom See er heben , daß man ſie kaum erklettern fann . Felſen
Terraſſen
gehauen worden ,
und
Und doch ſind in dieſen neben- und
übereinander
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
314
drängen ſich dort die Häuſer.
Die Dächer der unteren liegen den
Hauseingängen der oberen vor der Naſe, und der einzige Zugang ge ſchieht auf ſteilen Holztreppen und Leitern.
Aber ſo groß war der
Zuſtrom von Menſchen zu dieſer neuen Stadt, daß ſie ſelbſt dieſe Bau pläße verwenden mußten . wären ſie heute wert !
D ! meine town lots von Duluth !
Was
3n dieſen an den Felshängen klebenden Holz
baraden wohnen übrigens nur die Arbeiter der zahlloſen Erz- und Nohlendocks, Getreideſpeicher, Holzparke, Fabriken, Hochöfen, Gießereien , die innerhalb der legten fünfzehn Jahre in dieſem Duluth entſtanden ſind .
Die erfolgreichen „ Buſtlers“, die in dem genannten Zeitraum
zu vermögenden Leuten , wenn nicht gar zu Millionären geworden ſind , wohnen oben auf dem Bluff ,
wo
eine herrliche Promenade ,
der Terraſſe - Boulevard, ſich auf zwölf Silometer hinzieht, die unends liche Seefläche
mit dem
belebten
Hafen
zu
Füßen .
Um
hinauf
zukommen , benugten wir eine Seilbahn , welche nicht nur Menſchen, ſondern auch Waren , Laſtwagen , Equipagen u . ſ . w . befördert . Fuhrwerke fahren von der Straße direkt in den werden in dieſem hinaufgezogen .
Die
Waggon ein und
Weiter nördlich, in einer Senkung
des Bluff, liegt die Geſchäftsſtadt, und ringsum , hauptſächlich am Seeufer, ſah ich die rieſigen Dampfmühlen , Getreideſpeicher aufragen , die rauchenden Schlote großer Fabriken , den Wald von Maſten im Þafen mit einem Verkehr von vielen Millionen Tonnen im Jahre . Was iſt das für ein Hafen ! ſolchen.
An dem ganzen See gibt es keinen
Quer über das Weſtende des Superiorſees legen ſich am
Nord- wie am Südufer zwei Felsbarrieren , als wären ſie von Men ichenhand angelegt worden , um den þafen gegen die fürchterlichen Frühjahrs- und Herbſtſtürme dieſes ſchüßen .
tüdiſchen Süßwaſſermeeres
In dieſe natürlichen Wellenbrecher
zu
wurden Durchfahrten
gebrochen , und die Schiffe von Chicago , Detroit , Milwaukee , Cleve land
und
dem
beinahe
zweitauſend Kilometer
entfernten Buffalo
fahren unmittelbar an die rieſigen Docke, welche die Eiſenbahn- und Erzgeſellſchaften hier gebaut haben .
Ein zweites Chicago am
Superiorſee.
315
Quer über das weſtlichſte Ende des Sees, oder vielmehr über die Mündung des St. Louisfluſjes in den See , ſpannt ſich eine Brücke und weiter oben noch eine zweite von Duluth nach dem anderen Ufer. Auf dem Flachlande, das ſich dort ausbreitet, und das ich vor Jahren als eine ſumpfige Tiefebene kennen gelernt hatte, ſah ich eine zweite Großſtadt auch mit Getreideſpeichern und Rieſendođen und rauchenden Schornſteinen .
Was war das ?
Eine Fata Morgana ?
Duluth wider
geſpiegelt jenſeit der Staatengrenze, auf dem Ufer von Wisconſin ?
Copyright 1902 by Detroit Photographic Co. Rieſendampfmühlen in Duluth .
„ That's Superior , “ erklärte mir mein Führer.
Alſo iſt Superior
doch zu einer Stadt angewachſen ! Zu einer ? Nein, zu dreien . Superior, Weſt-Superior und South- Superior.
„ Aber verlieren Sie keine Zeit
damit, nach Superior zu fahren , die Drillingſtadt iſt nur ihres Unter nehmungsgeiſtes wegen bemerkenswert. Sie iſt auch nur halb ſo groß wie Duluth .“ ( Ich entnahm aus dieſer Geringſchäşung, daß der Herr Mineninſpektor in Duluth
wohnte.
Die Rivalität zwiſchen beiden
Städten ſteigt ſchon ins Lächerliche.) In Wirklichkeit iſt Superior ein ſehr bedeutendes Handels-, Schiff fahrts- und Induſtrieemporium geworden, das für dieſe Zweđe jogar
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
316
günſtiger liegt als Duluth , und wer weiß , ob nach zehn Jahren Superior nicht die größere Stadt ſein wird , ähnlich wie das jüngere Minneapolis das
ältere St. Paul überflügelt hat.
Die Leute in
Superior warten darauf und tun alles mögliche , um das Geſchäft anzuziehen .
Sie haben fich auch ichon für eine Millionenſtadt ein
gerichtet, nur fehlt natürlich vorderhand die Million .
Sechzig Qua
dratkilometer ſind in Straßen , Boulevards, Pläße, Parte ausgelegt ; wer
ſich
anſiedeln
oder
Fabriken
bauen
will,
dem
werden
die
günſtigſten Bedingungen gemacht, weil eine Sache der anderen auf die Beine hilft. wert .
Ein Bauplaş mitten in einer Einöde iſt nicht viel
Stehen aber auf beiden Seiten Häuſer, jo ſteigt ſein Preis
auf das Drei- und Vierfache.
Deshalb kann man ſchon die beiden
erſten Baupläge recht billig hergeben .
In Amerika nennt man das
„ liberal town policy “ ( liberale ſtädtiſche Politik). Auf dieſe Art hat ſich Superior z. B. große Getreideſpeicher ge fichert mit
einem
Minneſota iſt der größten
Ernten ;
Faſſungsraum
Handel
von
mehreren Millionen Buſhel ,
getreidereichſte Staat Superior
hat
denn
Amerikas und liefert die
Kohlendocke
von zwei Millionen Tonnen ;
bekommen
mit
einem
die berühmten ,Whale
backs“ (Walfiſchrücken )-Dampfer ( vergl. S. 278) der Seen werden in Superior gebaut ; in den Sägemühlen werden viele Millionen Fuß Bauholz hergeſtellt, und als Krone des Ganzen hat auch die Great Northern - Eiſenbahn ihre rieſigen Erzdocke hier angelegt . Um dieſe zu ſehen , fuhr ich doch nach Superior.
Die Elektriſche
durchjauſt von Duluth auf der Straße zwiſchen den Bluffs und dem Seeufer die zwölf Kilometer lange Strecke in einer Viertelſtunde. Schon in der ſumpfigen verſchiedenen Bahngeleiſen
Ebene jenſeit des Bluffs ſah ich auf
die
ein Viertelkilometer langen Erzzüge
heranpoltern , jeder Zug mit durchſchnittlich fünfundfünfzig Wagen , jeder
Wagen
mit
dreiundſechzig
Tonnen Erz beladen .
In einer
Stunde iſt der Zug geleert und rumpelt leer wieder nach den Minen zurück, die hundert bis
hundertfünfzig Kilometer weiter
nordweſt
317
Ein zweites Chicago am Superiorjee.
lich liegen . werden
Man denke nur :
in
einer
jede Sekunde .
Stunde
dreitauſendfünfhundert
ausgeladen ,
alſo
Tonnen
ungefähr
Erz
eine Tonne
Der große Schöpfer der Great Northern -Eiſenbahn ,
James J. Hill, hat hier die Stämme ganzer Wälder zu der Hers ſtellung
ſeiner Doce verbraucht.
Kilometerlange , aus Balken ge
zimmerte Zufahrten ſind nötig , um
die ſchweren Züge auf die Höhe
der drei Docke zu bringen , die fünf- bis ſiebenhundert Meter weit in den See hinausreichen. Dieſe Dode , vierundzwanzig Meter über den Waſſerſpiegel emporragend, ſind ebenfalls ganz aus Holzrahmen her geſtellt , nur noch viel maſſiver , denn unter dem
jedes Dock hat unmittelbar
Bahngeleiſe pockets ( Taſchen ) zur Aufnahme von vierzig
tauſend Tonnen Eijenerz.
Um dieſe ungeheure Laſt zu tragen , ſind
ſchon ganz gewaltige Rieſenſtämme
erforderlich.
Die Züge fahren
auf die Doce , der Boden der Wagen wird geöffnet und das Grz fällt in die Taſchen , von denen jede zweihundertjünfzig Tonnen faſt. Die Schiffe der Greath Northern - Eijenbahn , Dampjer bis zu ſieben tauſend Tonnen
Gehalt , alſo großen
Ozeandampfern
entſprechend,
fahren vom See unmittelbar an die Docke; durch einfache mechaniſche Vorrichtungen werden die Böden von
fünfzig
bis achtzig Taſchen
fortgezogen und das Erz kollert durch spouts ( Leitungsröhren ) direkt in den Frachtraum der Schiffe.
Die drei Docke haben zuſammen einen
Foilungsraum von einhundertvierzigtauſend Tonnen ;
täglich werden
hier fünfundzwanzig- bis dreißigtauſend Tonnen Eiſenerz in die Schiffe verladen.
Täglich kommen ihrer in
dieſen
Great - Northern - Docken
allein ſechs bis zehn an, werden gefüllt und fahren mit ihrer ſchweren Laſt nach Chicago, Detroit, Cleveland oder irgend einem anderen der großen Erzhäfen an ſechshunderttauſend
den
Seen .
In manchen Monaten
ſind ſchon
Tonnen Erz von der Great - Northern - Eiſenbahn
in Superior zur Verſchiffung gelangt , alſo beinahe jo viel , als die großen
Eiſengruben
von Klaustal in Hannover im ganzen
Jahre
produzieren . Ebenſo großartig ſind die Erzdoce des berühmten amerikaniſchen
318
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
Stahltruſts in Duluth.
Duluth hat außerdem einen ſehr bedeutenden
Teil des Betreide handels der Vereinigten Staaten an ſich gezogen , zum Nachteil von Chicago , dieſes bisher größten Getreidemarktes der Erde. Seine Getreideſpeicher haben heute bereits in Zahl und Faſſungs gehalt jene von Chicago erreicht, wenn nicht übertroffen.
Ebenſo macht
Duluth heute ſchon der Stadt der größten Getreidemühlen Amerikas, Minneapolis , gefährliche Konkurrenz und verſchifft jährlich Millionen Faß Mehl .
Auch die Sägewerke nehmen von Jahr zu Jahr zu.
Mit Staunen Großinduſtrie ,
durchwanderte
die in
Duluth
ich
dieſe gewaltigen Stätten
in noch viel
der
kürzerer Friſt als in
Chicago , St. Paul und Minneapolis entſtanden ſind .
Jn Chicago
bedurfte es dreißig , in Minneapolis - St. Paul zwanzig Jahre ,
in
Duluth aber nur zehn Jahre , und dabei iſt Duluth berufen , einen noch viel größeren Teil des Handels und der Induſtrie der genannten Großſtädte an ſich zu ziehen , ja ſogar mit den Induſtrieſtädten des Oſtens in Wettbewerb zu treten . Wie kommt es nun , daß in Amerika ſo wichtige Erwerbszweige ſprungweiſe bald hierhin , bald dorthin kommen , bald in einer , bald in der anderen Stadt aufblühen , und man anſcheinend nirgend auf ein ſtetiges Wachstum , gleichbleibende Entwicklung zählen kann ?
Es
ſcheint den Strategen des amerikaniſchen Erwerbs zu gehen wie jenen kriegführenden Armeen , die ebenfalls den jeweiligen Umſtänden ent ſprechend anderswo ihr Hauptquartier aufichlagen , um
von dort aus
ihre Truppen zum Kampf zu führen .
Solche merkwürdigen Erſcheinungen fönnen eben nur in Ländern vorkommen , welche in der Entwicklung begriffen ſind und wo die Ver kehrswege noch nicht feſtgelegt, die ſich darbietenden Naturkräfte noch nicht ausgenutzt ſind.
Vor dreißig Jahren war Chicago immer noch
der einzige Verteilungspunkt für den großen Weſten , das ganze Gebiet war von
Chicago abhängig , alle Naturprodukte ſuchten dort ihren
Markt oder doch ihre Weiterbeförderung.
Seither entwickelte ſich der
Nordweſten , das Eiſenbahnneş erweiterte ſich durch Minneſota , Dakota,
319
Ein zweites Chicago am Superiorjee.
Montana, und dieſe Länder fanden ſtatt Chicago in dem um mehrere hundert Kilometer näher gelegenen Minneapolis und St. Paul ihren Verteilungspunkt .
Das alles iſt begreiflich .
Wie kommt
nun aber
Duluth , das von
der großen Überlandroute zwiſchen den Oſtſtaaten
und dem Nordweſten ſo weit entfernt liegt , dazu , mit Minneapolis St. Paul , ja jogar mit der herrſchenden Zweimillionenſtadt Chicago in erfolgreichen Wettbewerb zu treten ? Solange es kein Duluth gab und die großen Eiſenminen in ſeiner Nähe noch nicht ausgebeutet wurden , gab es natürlich auch Schiffsverkehr auf dem Superiorſee .
keinen
Der ganze Handel des
Nord
weſtens zog ſich nach Minneapolis , dorthin wurde das Holz aus den großen Wäldern zum Verarbeiten , das Getreide der Ackerbaugebiete zum Mahlen und Weiterſenden gebracht. Minneapolis ſuchte für dieſe Produkte , um
mit jenen des Weſtens in erfolgreichen Wettbewerb zu
treten, billigere Transportwege nach den öſtlichen Abſaßgebieten . ſolcher bot ſich nun in der Seenkette dar. Superiorjees bis an den
Ein
Von der Weſtipite des
Niagara im Staat New York fönnen die
größten Dampfer ungehindert verkehren, und ſo wurden von Minne apolis - St. Paul die Waren nicht mehr über Land nach Chicago und pon dort nach dem Oſten geſandt, ſondern nach Duluth , und von dort zu Waſſer nach Buffalo.
Jn
deſſen
Nähe
nimmt
der
Eriefanal
ſeinen Anfang , und der Transport nach New York erfolgt ebenfalls zu Waſſer ( vergl. auch das 24. Kapitel ) . Nun dachten ſich die Huſtlers von Duluth : Wir haben zwei uns mittelbare Eiſenbahnen nach dem Nordweſten . Warum ſollen wir das Getreide des Nordweſtens nach dem jüdlichen Minneapolis oder gar erſt nach dem noch weiter entfernten Chicago ziehen laſſen , wo wir es doch auf viel kürzerem Wege hierher , und von
hier auf viel
billigerem Waſſerwege nach dem Oſten verſchiffen können ?
So bauten
ſie Getreideſpeicher, und da der Transport tatſächlich über Duluth viel billiger iſt als über Chicago , zog ſich ein großer Teil des Ge treidehandels nach Duluth .
Nun hatten ſie das Getreide.
Warum
Ein zweites Chicago am Superiorſee.
320
follen wir es nicht auch ſelbſt mahlen ? war die nächſte Frage. den
Ackerbauländern des Nordweſtens iſt
Minneapolis wie nach Duluth.
Aus
es gerade ſo weit nach
Minneapolis mahlt das Getreide und
ſchickt es zu vierzig Pfennig Fracht für jedes Faß nach Duluth zur Verſchiffung.
Bauten die Huſtlers in Duluth
Getreidemühlen ,
ſo
würden die vierzig Pfennig Fracht, welche Minneapolis für jedes Faß zahlen muß, erſpart.
Gedacht, getan , heute hat Duluth Mühlen , von
Bu Copyright 1898 by Detroit Photographic Co. Der þafen von Duluth. welchen einzelne drei- bis fünftauſend Faß Mehl täglich produzieren !
Die vielen Millionen Tonnen Eiſenerz , welche in Duluth zur Verſchiffung nach dem Oſten kamen, erforderten zahlreiche Schiffe, und damit dieſe überhaupt Rüdfracht bekamen , wurden ſie mit Hohle be laden.
Die Kohle hatte alſo Duluth wieder aus der erſten Hand ,
während St. Paul - Minneapolis ſie aus Duluth beziehen muß .
Das
alles gab den Huſtlers von Duluth das billigſte Eiſenerz, die billigſte Kohle , es entwickelte ſich die Eijeninduſtrie , und ſo kann man an der langen Kette der
Induſtrie Glied auf Glied
verfolgen , eines
Die Eiſenminen am Superiorſee.
321
ſchloß fich ans andere , und das Ergebnis iſt das junge Städtepaar Duluth - Superior .
Wo ich ſelbſt noch an der Weſtſpiße des Sees
Sumpfland und öde Nüſtenfelſen ſah, iſt heute alles überbaut. Duluth iſt in die vorderſte Reihe der Handels- und Induſtrieſtädte getreten , und mein Huſtlernachbar im Eiſenbahnzuge hatte recht, wenn er ſagte : „ Aus Duluth wird noch einmal ein zweites Chicago .“
Freilich nicht
ganz ſo groß .
28. Die Eiſenminen am Superiorſee. 'n Pittsburg, Buffalo, Cleveland, Chicago, St. Paul, Duluth, wo
J"hin ich in den Vereinigten Staaten kommen mochte, war die keynote , d . h . der Schlüſſel, wie der Amerikaner ſagt , das Eiſen. Alles, in der ganzen Induſtrie, nicht nur in Amerika, führt ſchließlich auf das Eiſen zurück, und ein Land , das kein Eiſen hat und die mit ihm verbündete Sohle, kann niemals ein großes Induſtrieland werden. Gehen wir durch unſere europäiſchen Länder, jo finden wir die 3n duſtrie am weiteſten entwickelt in den Eiſenländern Deutſchland und England , dann in Frankreich und Belgien ; Deutſchland mit einer Eiſenproduktion von dreizehn ,
England mit zehneinhalb
Millionen
Tonnen , die beiden legeren mit zwei , bezw . einer Million Tonnen Roheiſen .
Jm Laufe von drei Jahrzehnten iſt aber allen Ländern
des Erdbals Amerika vorangeeilt, von der letzten Stelle auf weitaus die erſte mit einer jährlichen Produktion , die 1907 auf 25 % , Millionen Tonnen geſchäßt wurde, alſo mehr als die ganze engliſche und die deutſche
Produktion
zuſammengenommen !
Eiſen
iſt
kein
Artikel,
der den durchſchnittlichen Leſer in beſonderem Maße reizt , aber er ſchneidet ſo tief in das wirtſchaftliche Leben der ganzen Völker wie des einzelnen ein, er hat beſonders die Amerikaner zu einer ſo bedeutenden Induſtriemacht gehoben und ſie zu ſo empfindlichem Wettbewerb mit Europa befähigt, daß er den Leſer zunächſt bei der Taſche faßt, ganz 21 Heſſe : Wartegg , Amerika .
322
Die Eiſenminen am Superiorſee .
ſo, wie es die Kurſe der Börſenpapiere tun. Und wie er beim Öffnen der Zeitung, wenn er Kapitaliſt iſt, zunächſt die Börſenberichte durch fliegt, ſo ſollte er auch nicht achtlos an einem Kapitel vorübergleiten , das vom Eijen handelt . In vorhergehenden Kapiteln habe ich von dem Milliarden - Reichtum Carnegies , Schwabs und Morgans erzählt.
Er ſtammt von Eiſen
und Stahl, in legter Linie von den ungeheuren Schäßen an Eiſenerz, welche das geſegnete Amerika in ſeinem Boden birgt.
Wo liegen nun
dieſe Eiſenmaſſen , wie werden ſie zu Tage gefördert , wie nach den großen Hochofen- und Stahlwerken geſchafft ? an Eiſenerz in den Vereinigten Staaten
Die ganze Produktion
belief ſich zulegt in einem
Jahre auf zirfa fünfunddreißig Millionen Tonnen.
Von dieſer Erz
menge wird man ſich eine beſſere Vorſtellung machen können, wenn ich ſage , daß alle Schiffe des Erdballs , wohlgemerkt, nicht nur alle Schiffe Englands und Deutſchlands und Europas, ſondern des ganzen Erdballs nicht hinreichen würden , um ſie auf einmal zu verladen ! Die Amerikaner bewältigen ſie aber mit Leichtigkeit.
Sie bringen
alljährlich dieſe Erzmaſſen von den Minen zu den Werken und von dort in die einzelnen Maſchinen- und Eiſenfabrifen, in die Niederlagen und von
dort auf viel verzweigten Wegen auf den Markt , in die
Haushaltungen jedes einzelnen , ja jeder Menſch trägt als Hoſenknopf oder Taſchenmeſſer oder als Brilleneinfaſſung ein ſolches Stüd ver arbeitetes Grz , das noch vor einem Jahre im
Boden Amerikas ſeit
Urzeiten gelagert hat. An
ſolchen Lagern hat Amerika vorläufig vier :
Bennſylvanien,
Virginien , Alabama und vor allem die Umgebung des Superiorſees. Ich ſage vorläufig , denn der große Nordweſten iſt ja noch in vielen Teilen unerforſcht , und wer kann ſagen , ob nicht die Glücksgöttin, die mit den Amerikanern in jo ſichtlicher Weiſe liebäugelt , irgend einen Yankee ein großes neues Erzgebiet entdecken läßt, mit ein paar hun dert oder ein paar tauſend Millionen Tonnen Eiſenerz ?
Hab ' ich es
denn nicht ſelbſt miterlebt, wie Alabama noch vor zwei Jahrzehnten ein
323
Die Eiſenminen am Superiorſee.
Baumwolſtaat war mit Hunderttauſenden ſchwarzer Plantagenarbeiter, und wie ſich durch die Entdeđung von Eiſenerz im Norden des Staates neue Großſtädte entwickelten ?
Jeßt ſind dort große Hochofen- und
Stahlwerke und Maſchinenfabriken , die Leute fördern Millionen Tonnen Erz zu Tage , verarbeiten es und verſehen die Baumwollſtaaten des Südens mit ihrem Eijenbedarf .
Aber was ſind dieſe drei Millionen im Vergleich zu den gewaltigen Erzlagern rings um die Weſthälfte des Superiorſees , in Michigan, Wisconſin und vor allem in Minneſota !
Ein Hügelzug allein , die
Maſſabe Range , birgt dort mehrere hundert Millionen Tonnen Erz ! Erſt 1893 entdeckt, ſtieg die Ausbeute von Jahr zu Jahr um ein oder zwei Millionen Tonnen und erreichte ſchon zehn Jahre nachher dreizehn Millionen Tonnen , alſo ungefähr die Geſamtproduktion aller Erzgebiete des Deutſchen Reichs!
Die Ausbeute aller Minen des Superiorſees
ſeit ihrer Eröffnung vor etwa zianzig Jahren beträgt bis heute über . dreihundert Millionen Tonnen ( vergl . S. 281 und 313 ).
Dort in dem
Weſtwinkel des Superiorjees wurde das Eiſen gewonnen , mit welchem Amerika ſeine dreihundertfünfzigtauſend Kilometer Eiſenbahnen mit über dreißigtauſend Lokomotiven , ſeine Schiffe und Maſchinen baute !
Man
follte glauben, daß dieſer Eiſenerzdiſtrikt, nur ein paar hundert Quadrat kilometer groß, ein Gebiet wie Schaumburg - Lippe vielleicht, bevölkert ſein müßte mit Arbeitern wie etwa das Gebiet zwiſchen Birmingham und Sheffield, und daß es dort nur von Menſchen wimmelt wie von Bäumen in einem Walde.
Als ich aber von Duluth aus meine Fahrt
nach dem Eiſendiſtrikt unternahm , fand ich wohl ſtellenweiſe noch Wald und Bäume , aber auf den einſamen Strecken nur wenige kleine An ſiedlungen , ſpärliche Menſchen .
Die vielen Millionen Tonnen Erz
werden eben wieder nach ameritaniſchem
Muſter durch ſtählerne Ar
beiter, das heißt durch Maſchinen gefördert, durch Maſchinen verladen und nach den Häfen Duluth , Superior und Two-harbours geſandt. Natürlich führt eine ganze Reihe von Eiſenbahnen nach der Minen gegend, deren größter Ort die Stadt Virginia iſt.
Ich erwartete dort
Die Eiſenminen am Superiorſee.
324
eine ähnliche Anjammlung von Holzhütten in ungepflaſterten Straßen zu ſehen , mit ähnlichem tollen Minenleben, Trinkläden , Spielhöllen und loſen Tingeltangeln , wie vor Jahren in der Silberminenſtadt Virginia im Staate Nevada . Wie war ich überraſcht, eine regelmäßige, reinliche Stadt zu finden , mit Steinhäuſern , Bankgeſchäften, Schulen, Hirchen und wohlgepflaſterten Straßen ! Und auch die andern Städtchen und kleinen Ortſchaften zeigten ein ähnlich anheimelndes Bild, ſo z. B. Hibbing , das erſt vor einigen Jahren aus dem Ei gekrochen iſt und nach meiner Schäßung ein paar hundert Einwohner haben dürfte. Dagegen proteſtierten die Leute, mit denen ich dort ſprach.
Ein Bant
beamter ſagte, es wären ihrer fünftauſend , und Hibbing wäre beſtimmt, die Nabe des Weltalls zu werden, ,, the hub of the univers“ .
„ Why “,
ſagte er mit näjelnder Yankeeſtimme , „ iſt nicht Eijen die Grundlage des ganzen Reichtums, und ſigen wir hier nicht mitten auf der Quelle des Eiſens ? "
Zum wenigſten iſt die moraliſche Grundlage der Ein
wohner eine recht ſolide .
Ich will ſie nicht beleidigen, aber es kam
mir vor, als wären ſie lauter Temperenzler, mit ausgeſprochener Vor liebe für Waſſer.
Und auch Kirchen gibt es ichon mehrere .
haben ſich doch in Amerika die Zeiten geändert! ſtädten !
Wie
Mirchen in Minen
Wenn doch ſo ein Proſpektor aus den kaliforniſchen Goldminen
früherer Tage, ſo ein Colonel Starbottle oder ein anderer Bret Harte ſcher Romanbeld hierher käme!
Er wäre gewiß mit dem nächſten
Zuge aus dem Städtchen heraus ! Mir war der Beſuch der Minen inſofern leicht gemacht, als der allmächtige James J. Hill mir einen Ertrazug und den Oberleiter ſeiner Minen , Mr. D. M. Philbin , als Begleiter zur Verfügung ſtellte.
Ein
feiſter Neger kochte unſere Mahlzeiten , wobei er ſich die beſten Hühner ſtücke vorbehielt, denn ſie kamen nicht auf den Tiſch.
Wo es uns be
liebte, ließen wir den Zug halten, und Mr. Philbin ließ nicht locker, bis ich nicht alle Minen des Diſtriktes in Augenſchein genommen hatte und mit Zahlen ſo vollgeſtopft war, daß mein Schädel mir wie eine Tonne þematiteiſen
vorkam .
Das
iſt nämlich
das Haupterz des
325
Die Eiſenminen am Superiorſee.
Superiordiftriftes .
Beſſemer Erz gab es wohl ein paar hundert Mil
lionen Tonnen , aber dieſe Erzlager ſind ſchon großenteils erſchöpft. Von den einzelnen Minendiſtrikten des Superiorſees iſt jener rings um Virginia und Hibbins der weitaus ertragreichſte, die in ſo kurzer Zeit zu ſo großer Berühmtheit gelangte Maſſabefette.
Ihre Entdedung
erfolgte vor etwa zehn Jahren durch Zufall, als man an der Ebnung der Strecke für eine Eiſenbahn nach der kanadiſchen Grenze arbeitete .
In
zwiſchen ſuchten die Beſiger der benachbarten Ländereien ebenfalls nach Eijen, es wurden auch Eiſenlager gefunden und verſchiedenen Hochofen betrieben angeboten .
Beſonders reich ſchien eine Strecke von etwa
hundert Quadratkilometern zu ſein , für welche der Beſiger zwanzig Millionen Mark verlangte. Carnegie lehnte in merkwürdig kurzſichtiger Beije ab .
Rodefeller, dieſer ſchlaueſte und rüdſichtslojeſte aller Groß
kapitaliſten Amerikas, ſchwankte .
Da kam James J. Hill, legte dem
Beſiger einen Sched für zwanzig Millionen Mark auf den Tiſch, und das eiſerne Fürſtentum war in den Beſitz der Great Northern -Eiſen bahn übergegangen.
Seither hat ſich herausgeſtellt, daß diejer Diſtritt
nebſt einem angrenzenden von fünfundzwanzig Quadratkilometern, den Hill auf eine Reihe von Jahren gemietet hat , ungefähr dreihundert Millionen Tonnen Eiſenerz enthielt.
Rechnet man die Tonne nur zu
dem Minimaljatz von vier Mart, ſo macht das ein kapital von zwölf hundert Millionen Mark ! Und Hill kaufte es jür zwanzig Millionen ! Seither war die Ausbeute ſchon fünfzehn Millionen Tonnen im
Wert
von ſechzig Millionen Mark , und dazu bezieht die Great Northern Eiſenbahn auch noch für den Transport des Erzes von den Minen nach dem
Superiorſee drei Mark zwanzig Pfennig für die Tonne, bei
der jetzigen Ausbeute von fünf Millionen Tonnen alſo ſechzehn Mil lionen Mark im
Jahre !
Mir ſchwindelte, als mir während unſerer Fahrt dieſe ungeheuren Ziffern vorgerechnet wurden .
Was ſind das für Vermögen !
Welches
Glüd , welcher Unternehmungsgeiſt ſpricht aus der jungen Geſchichte dieſer Minen ! Hier ein Settler , der ſich die hundert Kilometer Stein
326
Die Eiſenminen am Superiorſee.
felder und Waldland vielleicht für tauſend Dollars den Kilometer zu. ſammenkauft erhält !
und
im
Handumdrehen zwanzig Millionen Mart dafür
Ein Eiſenbahnunternehmer, der in der Lage iſt, einen Sched
für zwanzig Millionen ſo mir nichts dir nichts auszuſchreiben , ein Stüdchen Papier , das auf die Unterſchrift von James J. Hil ohne weiteres von allen Großbanken honoriert wird! Eine Spekulation mit einem Einſaß von zwanzig Millionen , die in jedem Jahre ſechsund dreißig Millionen abwerfen ! Man glaubt in Europa , derlei phanta ſtiſche Geſchichten können nur in den Goldfeldern von Kalifornien und Kolorado vorkommen, und Europa ſchüttelt den Kopf , wenn es von einem Goldſucher lieſt, der über Nacht ein paar Millionen ſchwer wird. Aber ſchwerer noch als das Gold wiegt das Eiſen , und dabei bringt es weitaus größeren Segen, denn es hilft der Arbeit, ſchafft Induſtrie und aus dieſer mehr Goldeswert als jenes, das gleißend und glänzend in den Minen zu Tage tritt. Das Land , das wir durchfuhren , war wüſt und größtenteils un bewohnt; zwiſchen den ſteinigen Hügeln eingebettet hier und dort kleine Seen , die Wälder waren verſchwunden , die Baumſtämme in den unter irdiſchen Minen zum Stüßen der Schächte und Stollen im Gebrauch. Nur die traurigen Baumſtümpfe ragen noch hervor. Wald ſtehen
Wo ein Stückchen
geblieben iſt, zeigt ſich zumeiſt eine kleine Anſiedlung,
nicht die kahlen , elenden Bretterbuden der Felſengebirgsminen , ſondern nette Schweizerhäuschen .
Man könnte meinen , es wären Luftkurorte,
wenn nicht in ihrer Nähe die Minengerüſte und ringsum die Berge von Schutt ſich erheben würden . Straßen, Fuhrwerke, Pferde gibt es hier nicht. geſchieht mit der Eiſenbahn .
Von jeder Mine
ganzen Maſſabediſtrikt über hundert
Der ganze Verkehr es gibt deren im
führen Schienengeleiſe nach
Hibbing oder Virginia oder Jron Mountain , und auf ihnen poltern und raſjeln die langen mit Erz gefüllten Züge . Auf dem Great-Northern Gebiet wird in dreißig Minen gearbeitet, achtzehn unterirdiſchen und zwölf
offenen .
Die leşteren kommen immer mehr in Aufſchwung,
327
Superiorſee.
Die Eiſenminen am
denn die Ausbeute iſt viel leichter, einträglicher und weniger koſtſpielig, ſchon der Holzerſparnis wegen .
Die
unterirdiſchen verſchlingen in
dem loſen bröckligen Eiſenerzgerölle für die Sicherung der Stollen ganze Wälder.
Anderſeits werden aber unterirdiſche Minen immer
bleiben müſſen , nicht allein weil die Erzlager bei manchen zwei- bis dreihundert Meter tief ſind.
Man könnte ſie ja liegen laſſen und zu
nächſt die offenen bearbeiten .
Um Winter iſt aber dieſes Bearbeiten
des Gefrierens des Erdbodens und der hohen Schneedede wegen nicht möglich,
die Arbeiter
verwendet.
werden
dann
in
den unterirdiſchen Minen
Die legteren haben jahraus jahrein auch Nachtbetrieb;
der Lohn der Arbeiter beträgt in den unterirdiſchen Minen durch ſchnittlich acht Mark, in den offenen ſechs Mark fünfzig Pfennig im Tage , und ihre Arbeitsleiſtung beläuft ſich bei den unterirdiſchen auf täglich fünf Tonnen , bei den oberirdiſchen auf fünfundzwanzig Tonnen. Die
größte Erzmaſſe liegt im
Maſſabediſtrikt offen zu Tage
oder
höchſtens mit einer lockeren Erdſchichte von acht bis achtzehn Metern bedeckt.
Eben kamen wir an einer Mine vorüber, wo an der Weg
ſchaffung dieſer Schichte gearbeitet wurde.
Es
handelt ſich da um
nußloje Erdmengen von Millionen Tonnen , und müßte die Arbeit durch Menſchenhand
geleiſtet
Arbeiter dazu erforderlich.
werden ,
dann
wären viele Tauſende
Hier ſah ich deren im ganzen zwei Dußend,
aber auch dieſe arbeiteten nicht, ſondern leiteten und beaufſichtigten die ſtählernen Arbeiter.
Auf dem rotgelben, ſchon ein paar Meter tiefen
Felde ſtanden einige Dampfkrane , die mit ihren langen , ſich fort während ſenkenden und hebenden Armen
aus der Ferne wie Ele
fanten ausſahen , deren Rüſſel die Arbeit beſorgt.
Auf der einen
Seite jedes Drehkrans ſtanden lange Eiſenbahnzüge auf Geleijen , auf der anderen Seite erhob ſich die zu bearbeitende Erdwand .
Von dem
Ende des Kranarmes hing an Retten eine ſogenannte Dampfichaufel herab , und die Arbeit erfolgte ganz in derjelben Art, wie menſchliche Arbeiter mit Handſchaufeln arbeiten.
Die Dampfichaufel iſt ein Stahl
kaſten , der ein bis zwei Tonnen Erde faßt und am unteren Ende
328
Die Eiſenminen am Superiorſee.
lange Zähne wie die eines Rechens vorſtehen hat . Der Arbeiter im Stran läßt die Schaufel auf den Boden herab , vier andere Arbeiter jeten ſie an die Erdwand an , ein Zug an einer Kette, die Schaufel dringt mit ihren Zähnen in das Gerölle und füllt ſich ; ein Griff an einer Handhabe läßt die Schaufel emporgehen, der Kranarm dreht ſich, bis die Schaufel über dem Wagen hängt, ein zweiter Griff läßt ſie in der Luft einen Salto mortale machen , die Erde ſtürzt in den Wagen , die Schaufel geht zurüd.
Das alles ichneller, als ich es beſchreiben kann, denn alle
dreißig Sekunden erfolgt eine Aushebung , in zwei Stunden iſt der Zug gefüllt und fährt aus der Grube heraus irgendwohin ins offene Feld oder nach einer Landſenkung .
Dort wird die Erde abgeladen,
auch wieder mit Maſchinen ebenſo ſinnreicher wie einfacher Konſtruk tion .
Die dreißig bis vierzig Wagen des Zuges ſind untereinander
durch ſogenannte Schürzen verbunden , ähnlich wie bei unſeren Durch gangzügen .
Auf
dem
erſten Wagen
ſteht eine gewöhnliche
Draht
ſeilwinde , die durch die Dampfkraft der Lokomotive in Tätigkeit ver jetzt wird .
Auf dem legten Wagen ruht ein großer Pflug, ähnlich
wie ein Schneepflug geformt .
Das Drahtſeil wird an ihm
befeſtigt,
der Dampf angeſtellt, der Pflug gleitet über den ganzen Zug hinweg und ſchiebt die Erde von den Wagen . Die größte und intereſſanteſte aller Minen des Maſſabediſtrikts, vielleicht ganz Amerikas, iſt die Mahoningmine.
Als wir unſeren
Zug verließen und, über die gelbrote kahle Erde ſchreitend, an ihren Kand gelangten , erſchien ſie mir wie der Krater eines rieſigen Vulkans. Ein paar hundert Meter im
Durchmeſſer, ſenkt ſich dieſer Krater auf
ſechzig bis ſiebzig Meter Tiefe mit ſteilen , faſt ſenkrechten Wänden . Längs dieſer Wände laufen Eiſenbahnen in drei vollſtändigen Spiralen bis auf den Boden der Mine und bewältigen dadurch die Steigung. An verſchiedenen Teilen der Mine, in dem Rieſenloche faſt verſchwin dend , ſtanden die ſchon geſchilderten Drehkrane mit Drehſchaufeln und Eijenbahnzüge, an einer Stelle ſogar auf vier Etagen der Eiſen bahn übereinander .
Jede einzelne Dampfſchaufel verladet täglich vier
Die Eiſenminen am Superiorſee.
329
tauſend Tonnen des Erzgeröds, alſo ſo viel als ein großes Ozean ſchiff Tragfähigkeit beſigt !
Die Ausbeute kann mit Zuhilfenahme von
zehn Schaufeln auf vierzigtauſend Tonnen geſteigert werden , einer kleinen ägyptiſchen Pyramide an Gewicht gleich , und doch ſah ich in ihren Rieſenfratern nur wenige Arbeiter . und ein fünfter Mann im
An jeder Schaufel vier
Kran , wie ſchon oben geſchildert.
Das iſt die ganze Arbeiterſchaft der Mahoningmine, die in einem Jahre allein beinahe zwei Millionen Tonnen Erz geliefert hat , Erz mit ſechzig bis achtzig vom Hundert Eijengehalt!
Das Erz iſt grau
ichwarz, ſtellenweiſe durch Oder rotgel6 gefärbt, und ſo brödlich, daß ich es mit den Fingern zerdrücken
konnte .
Die Wagen zur Ver
ſendung des Erzeß ſind aus Stahl gepreßt und ſtammen aus Pitts burger Werken , die wieder das Erz für ihre Stahlproduktion von den Mahoningminen beziehen .
Im
Erz von dort nach Pittsburg ,
vergangenen Jahre vielleicht kam das und
heute
gelangt es ,
Stahlwagen verarbeitet, in dieſelbe Mine zurück.
zu
ſchönen
Welcher Kreislauf !
Und welche Mengen von fünftigen Lokomotiven, Maſchinen , Wagen , Stahlſchienen, Nägeln und zierlichen Nähnadeln liegen noch in dieſer einen unerſchöpflichen Grube ! In ähnlicher Weiſe werden die andern Minen des Diſtrikts bear beitet .
Auch aus
den
unterirdiſchen wird das Erz mittels Stahl
ſchaufeln emporgehoben . Die beladenen Züge bringen es nach Duluth. Dort wird es auf die Erzdampfer verladen und von dieſen vornehmlich nach Cleveland am
Erieſee gebracht, dem
Hauptſitz des Erzhandels .
In Cleveland iſt der durchſchnittliche Preis zwölf Mark die Tonne. Der Transport von den Minen nach Duluth koſtet drei Mark zwanzig Pfennig die Tonne, von dort nach Cleveland drei Mark und von Cleveland nach Pittsburg wieder drei Mark zwanzig Pfennig .
3m
ganzen genommen ſind die Erzpreiſe in Amerika beträchtlich geſunken . Im Jahre 1873 koſtete eine Tonne Beſſemererz zum Beiſpiel fünfzig Mark ,
1898 nur mehr elf bis dreizehn Mark.
Vergleichsweiſe ſei
angeführt , daß der Preis des Förderns einer Tonne Erz in dem ſo
330
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons .
reichen Minettediſtrikt in Lothringen zwei Mark beträgt.
Der Preis
einer Tonne Erz im Luxemburger Minendiſtrikt ſtellte ſich um die Jahrhundertwende auf ungefähr zwölf Mark die Metertonne. Die Erzförderung
im
ſtarker Zunahme begriffen.
Superiorgebiet iſt von Jahr zu Jahr in In der Mahoningmine allein belief ſich
die jährliche Zunahme ſeit 1898 auf fünfzig bis achtzig Prozent, und das Ende der Steigerung iſt noch gar nicht abzuſehen , zumal die amerikaniſche Regierung die Eijeninduſtrie in jeder erdenklichen Weije unterſtüßt.
So zum
Beiſpiel müſſen die Erzichiffe, um von Duluth
nach Cleveland zu gelangen , von dem
hohen Niveau des Superior
jees nach dem viel niedrigeren des Huronſees herab .
Es geſchieht
dies vermittels der ſchon erwähnten großartigen Schleuſenanlagen bei den Stromſchnellen und Fällen der Sault St. Marie .
Die Regierung
hat dieſe Schleuſen anlegen laſſen und verwaltet ſie.
Statt aber die
Durchfahrt durch dieſe Schleuſen mit hohen Zöllen zu belegen , ſind die Schleuſen der Schiffahrt vollſtändig freigegeben .
Welches Beiſpiel
für manche europäiſche Regierung, die jeden Verkehr durch rieſige Ab gaben erſchwert , dadurch die Preiſe erhöht und die Waren verteuert. So erleichtern dieſe europäiſchen Regierungen ſelbſt den Amerikanern ihren induſtriellen Aufſchwung und ihre gefürchtete Weltherrſchaft, die indeſſen lang nicht ſo ernſt genommen werden muß .
ere
29. holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons. olange die ungeheuren Gebiete des amerikaniſchen Nordweſtens S
noch unerforſcht waren, galt das geſegnete Kalifornien auch als
das reichſte Waldland der ziviliſierten Welt.
Wenn ſeine Hauptſtadt
San Francisco innerhalb der fünf Jahrzehnte ſeit ſeiner Gründung zur Weltſtadt herangewachſen iſt, ſo hat es dies weniger dem Golde als dem Holz zu danken , das von dort nach allen Teilen der Welt,
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
331
nach China, Japan, den Tropenländern und nicht zum mindeſten auch nach Europa verſchickt wird .
Mit Bauhölzern der größten Sorten be
laden , durchfahren jährlich Hunderte von großen Drei- und Biermaſtern das „Goldene Tor" von Kalifornien , um den Stillen Ozean zu durch queren oder ihren Weg um das ſturmbeherrſchte Rap Horn nach London oder Hamburg zu nehmen.
Unſere Häfen ſind an dieſem Holzhandel
hervorragend beteiligt, denn ungeachtet des großen Waldreichtums Deutſch lands iſt der Holzbedarf doch weitaus größer, als die Wälder bei einer richtigen Forſtwirtſchaft liefern können .
Das Deutſche Reich führt in
Transport von Baumſtämmen . jedem Jahre für ungefähr zweihundertfünfzig Millionen Mark Holz ein, nach Getreide, Baumwolle und Wolle bildet Holz den wichtigſten Einfuhrartikel, und zum großen Teil ſtammt es aus den Vereinigten Staaten .
Ebenſo bildet Holz in England und Frankreich den viert
wichtigſten Einfuhrartikel .
In England
erreicht ſein Wert jährlich
ſogar fünfhundertfünfzig Millionen Mark.
Auch dort ſtammt die Ein
fuhr großenteils aus Nordamerika , vornehmlich was das Material für den Schiffbau betrifft. und Raaen ,
die
in
Früher kamen die Tauſende von Maſten
den Schiffbauwerkſtätten
Europas
wurden, der Mehrzahl nach aus dem Staate Maine.
verarbeitet
Die Holzfäller
haben dort indeſſen jo vandaliſch gehauſt, daß der natürliche Vorrat
332
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
an großem Bauholz ſchon ſeit Jahren erſchöpft iſt. fornien an die Reihe.
Dann kam Ralis
In neueſter Zeit bieten aber die Nordweſt
ſtaaten Amerikas, Oregon und Waſhington , die reichſte Ausbeute. Die Maſten auf der Kaiſerjacht „ Meteor“, ebenſo wie jene der meiſten modernen Segelſchiffe , ſtammen von Urwäldern Waſhingtons.
Bäumen
aus den ungeheuren
Die langen Balken für unſere Baugerüſte,
für Signalmaſten und dergleichen kommen von dort , und die Ver arbeitung der Wälder in den Küſtenſtaaten des Stillen Ozeans er reicht in jedem Jahr Tauſende von Millionen Fuß. Als ich auf meiner erſten Reiſe durch den amerikaniſchen Kontinent nach Kalifornien kam und die Baumrieſen von Calaveras und Maripoſa erblicte, da hielt ich es nicht für möglich , daß ſie irgendwo an Höhe und Stammumfang übertroffen iverden könnten .
Ich fuhr damals in
einer vierſpännigen Reijekutſche durch einen Tunnel , der aus
dem
Stamm einer vielleicht achtzig Meter hohen Sequoia gigantea heraus geſchlagen worden
war ; zu beiden Seiten
war
vom
Stamm noch
ebenſoviel übrig , als der Durchmeſſer des Tunnels betrug . Stamm eines
gefallenen
Baumrieſen
Auf dem
gingen wir vier Mann hoch,
Arm in Arni , von einem Ende zum anderen .
Dieſer, in bezeichnender
Weije „ Mammuth of the forest“ genannte Stamm beſaß einen Durch meſſer von zehn Metern und eine Länge von vierunddreißig Metern . Das fehlende Stammende war durch Feuer zerſtört.
Man hat be
rechnet, daß dieſer Urwaldrieſe auf das anſehnliche Alter von über dreitauſend Jahren zurückblickte. Baum
hat nach ſeinem
hundert Jahren .
Es
Ein anderer von Agajjiz gemeſſener
Ausſpruch ein Alter von über eintauſendacht gibt
in
dem
berühmten Maripoſahain ,
der
glücklicherweiſe von den Vereinigten Staaten zum Nationalpark erklärt worden iſt und nicht ausgeſchlagen werden darf, ſechshundert ſolcher Riejen ! Auch in Neuguinea, Samoa, Braſilien, Venezuela, Java u.ſ.w. fand ich Baumrieſen in großer Zahl , die aber nicht entfernt an die Sequojas von Kalifornien heranreichen . Urwäldern des nördlichen Oregon und im
Und doch gibt es in den Staate Waſhington zahl
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
333
loſe Nadelbäume , die Douglas Pine und Oregon Pine, die ſogar die weltberühmten Sequojas an Höhe und Mächtigkeit übertreffen .
Ein ausgehöhlter Rieſenbaum der Maripoſa Grove. Seit die zugänglichen Waldungen von Maine, Minneſota, Wisconſin und Aalifornien abgeholzt worden
ſind und es zu große Schwierig
keiten macht, die Stämme aus den Waldungen im Hochgebirge, ent fernt von den Flußläufen , an die Eijenbahn zu bringen, wandten ſich
334
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
die volzfäller , wie ſchon an früherer Stelle erwähnt , nach Oregon und Waſhington ,
viele
wo
noch mit dem herrlichſten Flußläufe
Tauſende
von Quadratmeilen Landes
Urwald bedeckt ſind und wo waſſerreiche Aber der Stämme ermöglichen.
das Herabſchwemmen
auch dort iſt von den Holzfällern bereits ſchredlich gehauſt worden , und was ihnen
zum
nicht
Opfer
fällt,
wird
alljährlich
von
den
Als ich im Jahre 1894 von Japan kommend
Waldbränden bedroht .
über die kanadiſche Pazifikbahn von Vancouver nach Montreal reiſte, fuhr
Zug
unſer
Waldungen ;
wohl
Städte
einen
und
ganzen
kleinere
Tag
lang
Anſiedlungen
durch waren
brennende ein
Raub
dieſes wütenden Feuermeeres geworden , und wir ſelbſt waren wieder holt in Lebensgefahr.
Auf dieſe Weiſe iſt ieştichon über die
Hälfte aller Waldbeſtände Nordamerikas verſchwunden. Schreitet die Waldverwüſtung - durch die Glemente wie durch Men chenhand -- im
gleichen Maße fort , ſo wird es in Nordamerika
nach weiteren vierzig Jahren keine Wälder mehr geben . Es ſcheint dies für den Uneingeweihten heute erreicht die in den Wäldern Holzmenge
die
unglaubliche Zahl
Milliarden Fuß3 . waldreichſten mit acht
freilich kaum möglich , denn
des Kontinents noch vorhandene von
eintauſendeinhundert
Von den Oſtſtaaten iſt noch immer Maine am Milliarden
Fuß , Pennſylvanien ,
Georgien ,
Alabama und Miſlijippi haben je achtzehn Milliarden Fuß, die Felſens gebirgſtaaten Montana und Jdaho je vierzig Milliarden , Arkanſas und Louiſiana ebenſoviel , Teraz ſiebenndſechzig, die drei Staaten an der Stillen Ozeanküſte Kalifornien , Oregon und Waſhington haben indeſſen je zweihundert Milliarden Fuß.
Zujammen entſpricht dies etwa zehn
Milliarden Stämmen, und wenn man die heutige Bevölkerung der Ver einigten Staaten mit achtzig Millionen annimmt, ſo entfällt auf jeden Einwohner ein Waldſtück von hundert hochſtämmigen Bäumen .
Man
follte glauben, daß bei entſprechendem Nachwuchs dieſer Wald unverwüſt lich bliebe .
Und doch wird er nach einer Generation verſchwunden ſein .
Man muß eben bedenken, daß die Eiſenbahnen für Schwellen jährlich
335
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
ganze Waldungen verſchlingen ; daß ferner die Millionen Menſchen, um welche die amerikaniſche Bevölkerung in jedem Jahrzehnt wächſt, Häuſer, Zäune, Brennholz, Möbel bedürfen , daß die Minen ungeheure Holz mengen erfordern, die Weltausſtellungsgebäude in St. Louis bedurften allein an dreihundert Millionen Fuß Yolz u . ſ. w .
Der jährliche
Holzbedarf Amerikas erreicht alſo durchſchnittlich dreißig tauſend Millionen Fuß ; unter dieſen Umſtänden würde das gänzliche Ausrotten des Waldes nach Ablauf von fünfunddreißig bis vierzig Jahren erklärlich ſein . Erſt vor wenigen Jahren hat die Vereinigte Staatenregierung dieſe Gefahr eingeſehen und eine eigene Waldbehörde ſeßt ſeither der unbegrenzten Waldverwüſtung geſegliche Schranken.
Große Strecken
werden von der Abholzung ausgeſchloſſen , man ſchreitet an die Auf holzung anderer , und die kapitalreichen Geſellſchaften , die das Holz fällen und Holzverſchiffen im großen Maßſtab betreiben , werden der Kontrolle unterworfen.
In der ganzen Holzinduſtrie iſt während der
legten Jahrzehnte ebenfalls ein großer Umſchwung eingetreten . Früher, als es noch längs der Flußläufe große Wälder gab, ſuchten dort viele Tauſende im Holzfällen leichten und einträglichen Erwerb .
Statt in
den Fabriken der großen Städte zu arbeiten , zogen ſie im Herbſt gruppenweiſe in die noch großenteils herrenloſen Wälder.
Dort ließen
ſie ſich nach dem amerikaniſchen Homeſtead Law , das heißt Þeimſtätten geſeg , ein Grundſtück von einhundertſechzig Morgen Waldland ab ſtecken und begannen Holz zu fällen .
Durch Ochſengeſpanne wurden
die gefällten Stämme an den nächſten
Flußlauf geſchleppt;
brach
im Frühjahr die Eisdede , dann banden ſie die Stämme zu einem Floß zuſammen , ſchwemmten es zur nächſten Stadt , und der Ertrag war groß genug , um den Sommer über bequem zu leben .
Je mehr
aber die Wälder den Flüſſen entlang ausgeſchlagen wurden, deſto ſchwie riger geſtaltete ſich das Handiverf. aus den
Bergwaldungen
Das verbeiſchaffen der Stämme
erforderte Maſchinen , zahlreiches Zugvieh ,
die Holzfäller mußten ſich dort, entfernt von menſchlichen Anſiedlungen ,
336
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
eigene Wohnungen bauen , und das erforderte größeres fapital.
So
entſtanden auch größere Betriebsgeſellſchaften : an Stelle von hunderten Morgen von Waldland wurden hunderte von Quadratmeilen erworben, die früheren
unabhängigen
Holzfäller,
hauptſächlich Kanadier
Skandinavier, verdingten ſich als Arbeiter.
und
Viele wanderten aus den
entblößten Waldſtaaten des Dſtens nach den Felſengebirgen und endlich nach den Küſtenſtaaten Oregon und Waſhington ; dort bilden ſie jest den wichtigſten Teil der Bevölkerung .
Viele Städte des Jnlandes,
viele Hafenorte an dem herrlichen Bugetſund danken der Waldinduſtrie ihre Griſtenz und Blüte .
Seattle und Tacoma , die ich vor zwanzig
Jahren als beſcheidene Anſiedlungen kennen gelernt habe ,
ſind zu
anſpruchsvollen Großſtädten herangewachſen und zu þaupthäfen des amerikaniſchen Nordweſtens geworden .
Wie San Francisco für Hali
fornien , ſo iſt Portland für Oregon der Hauptholzhafen, eine Großſtadt von hundertfünfzigtauſend Einwohnern, von wo jährlich dreihundert Mil lionen Fuß volz zur Verſchiffung kommen !
Fm Staate Waſhington
leben die Städte Ballard, Whatcom , Everett und Fort Balfely faſt aus ſchließlich vom Holzgeſchäft ; Gouelt , an dem maleriſchen Snohomiſch fluß gelegen und erſt vor etwa zehn Jahren gegründet, beſigt heute die größte Holzinduſtrie des Nordweſtens, denn der Snohomiſch durchfließt die reichſten Walddiſtrikte, und täglich treffen dort während des Sommers ungeheure Flöße ein, die ſofort verarbeitet werden .
Würde die jähr
liche Holzproduktion des Staates Waſhington allein auf Eiſenbahn wagen verladen werden , ſie würden einen Zug von zweitauſendvier hundert Kilometern Länge bilden , alſo die Entfernung von Berlin quer durch Rußland bis nahe an die Wolga. Das Fällen der Rieſenſtämme des Nordweſtens hat ſich allmählich zu einer Jnduſtrie herausgebildet , in der viele Tauſende beſchäftigt ſind .
Eine einzige Geſellſchaft kann während der Wintermonate täg
lich eine halbe Million Fuß Bauholz fällen.
Sie beſigt dazu eine
Bachtung von einer Million Morgen Wald, achtzig Meilen Eiſenbahn, zehn Lokomotiven ,
zwanzig
Lokomobilen und vierhundert Arbeiter,
以 Riesenbäume in der Calaveras Grode.
337
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons.
die mit ihren Familien in kleinen Anſiedlungen mitten im Urwald wohnen und dieſe Anſiedlungen jedes Jahr verlegen, dorthin , wo eben der Wald abzuhauen iſt.
Jeder Arbeiter verdient zehn bis ſechzehn
Mark täglich , neben Wohnung und Koſt. Aufſeher
bezeichnen
die Bäume ,
die zu
fällen ſind. Die Holz fäller wählen zunächſt die Richtung, nach der der
Baumrieſe
zu
ſtürzen hat -- eine wichtige Frage, da von dieſer
Richtung
die
Leichtigkeit der nach herigen
Fortbeförde
rung des Stammes abhängig iſt.
Dann
ſchlagen ſie Löcher in
ĐT
0969 .
den Stamm , etwa auf ein bis zwei Meter Höhe, und jegen die Schwungbretter hinein .
da
Hierauf wird
BRO im rechten Winkel zu der Richtung, in der der Baum ſtürzen ſoll,
Ausjägen einer Douglas- Tanne. ein tiefer Einſchnitt in den Stamm gehauen , wozu die Fäller ſich auf die Schwungbretter ſtellen.
Nun ſeben die Säger ihre je nach der Baumdicke zwei bis
pier Meter lange Säge an die dem Einſchnitt entgegengejezte Seite des Stammeß und fägen ihn nahe zur Hälfte durch . þeiſe - Wartegg , Amerika .
Danach geſchieht 22
338
Holzinduſtrie in den Urwäldern Waſhingtons .
dasſelbe auf der entgegengejezten Seite ; iſt der Stamm beinahe durch geſägt, ſo wird der Baum
zum Stürzen gebracht.
Dazu treiben die
Fäller mit ihren gewaltigen Arten Stahlfeile in den Einſchnitt und tun dies mit jo genauer Bemeſſung , daß der Baum ſchließlich gerade auf jenem Fleck zu Boden fällt, wo die Fäller ihn haben wollen .
Nun tritt
eine andere Arbeiterbrigade, „ Swampers “ genannt, ans Werf.
Ihre
Aufgabe iſt es, die Äſte des gefallenen Rieſen und das Buſchwerf rings herum abzuhauen und ſo die Bahn zu ebnen , auf der er ſchließlich aus dem Wald gezogen werden kann .
Faſt gleichzeitig treten die „Barkers"
( von Bark = Rinde ) in Tätigkeit .
Die Rinde der Douglastanne iſt
nämlich von außerordentlicher Dide, dabei vielfach geſpalten, ſo daß ſie beim Fortſchaffen des Baumes wie eine Pflugſchar den Boden aufreißen und den Transport ſehr erſchweren würde. Die Barker entfernen daher die Rinde an der unteren Seite, dann ſchlagen andere Arbeiter gewaltige Eiſenhaken an das vordere Ende des Stammes ichweren Zugketten daran .
Dieje Ketten
und befeſtigen die
oder nach Umſtänden auch
Seile werden von Lokomobilen mittels Dampfkraft auf Winden auf gerollt, der Stamm wird dadurch fortgeſchleift und ſo endlich bis zum nächſten Fluſs oder zur nächſten Bahnſtation gebracht. Krane vorhanden, um
Dort ſind ſtarke
die Stämme auf die Waggons zu heben.
So geht die Ausrottung
der Baumrieſen
von Waſhington und
Oregon jeden Winter im großen vor ſich , und immer ſpärlicher werden dieſe majeſtätiſchen Giganten des Urwalds, von denen viele eine Höhe von über einhundertzehn Meter erreichen , bei einem von fünfzehn Metern ! nach dem
Stammesumfang
Ich habe ſelbſt auf dem Wege von Seattle
Mount Tacoma einen ganzen Wald ſolcher Bäume geſehen,
deren Stämme wie kerzengerade Riejenſäulen bis auf ſechzig Meter emporſtrebten , um
ſich erſt dort zu veräſteln .
Ähnlich , wenn auch
nicht ganz ſo hoch , wird die Oregon Ceder , dann der Lebensbaum , Thuja gigantea , von denen ſchon Eremplare bis zu hundert Meter Höhe und zwanzig Meter Umfang gefällt worden ſind.
Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft.
339
30. Städte und häuſer auf der Wanderſchaft. merika iſt das Land des Verkehrs, nirgend gibt es mehr Eiſen
A A bahnen ,
mehr Waſſerſtraßen , nirgend wird mehr gereiſt, nir
gend iſt der Ortswechiel lebhafter.
Nicht nur der Ortswechſel von
Perſonen und Waren, ſondern auch von Väuſern, ja von ganzen Ort ſchaften. Daß man in Chicago ſchon ſeit vielen Jahren keine Schwierig feiten mehr darin findet, Väujer ſelbſt von vier bis fünf Stockwerken Höhe umherzuſchieben , um eine Straße zu verbreitern , iſt eine be kannte Tatſache.
Im Sommer 1893 ſah ich auf der Weſtſeite Chicagos
eine ganze Prozeſſion von mehreren Dugend Häuſern durch die Straßen ſpazieren fahren.
Es wurde eine neue Eiſenbahn gebaut , und die
Häuſer einer langen Straſze ſtanden im
Wege.
Statt ſie niederzu
reißen und ſich in anderen Stadtteilen neue Häuſer zu bauen , ließen die
Beſiger
ichieben.
ihre
alten
Häuſer
einfach
auf
die
neuen
Baupläße
Man hob ſie von ihren Grundmauern , ſchob Rollen und
Walzen unter ſie und zog ſie mit einfachen Pferdewinden durch Straßen auf und nieder ,
bis
ſie
auf ihren neuen
Dieſe Häuſerbeförderungen kamen aber nicht Städten vor.
Grundmauern
ſtanden .
etwa nur in großen
Bei dem Bau der Pazifikbahnen durch die Prärien
mußte man für die Tauſende von Arbeitern Wohnungen bauen , denn in den Prärien gab es damals wohl Indianer , die in Zelten lebten, aber auf Länderſtrecken von der Ausdehnung europäiſcher Königreiche kein einziges Haus. jedem Monat um
Nun ſchritt aber der Bau der Eiſenbahnen in
ein oder zwei Dußend engliſche Meilen
vorwärts .
Statt an dem jeweiligen neuen Endpunkte der Bahnen neue Häuſer zu bauen, hob man die alten auf Laſtwaggons und führte ſie auf der fertiggeſtellten Strecke weiter.
Nicht die Einwohner kamen zu den
Häuſern , die Häuſer famen zu den Einwohnern .
Man nannte dieje
ambulanten Anſiedlungen „ Städte auf Rädern " , ja das berüchtigte Julesburg in Colorado führte wegen ſeiner tollen Bevölkerung den Namen „ Hell on Wheels", die „ Þölle auf Rädern “ .
340
Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft.
Als ich zum erſten Male nach Wichita in Kanſas kam , das heute eine Stadt von etwa ſechzigtauſend Einwohnern iſt, hatte es deren nur etwa tauſend, die in Zelten und Holzhäuſern wohnten .
Dieſe ſtanden
der Mehrzahl nach auf einer Anhöhe über dem Flußtale des Little Arkanſas.
Da wurde die Erbauung einer Eiſenbahn nach Wichita
beſchloſſen und der neue Bahnhof ſollte am Fuße der Anhöhe , nahe dem Fluſie , angelegt werden .
Natürlich mußten dort unten , rings
um den Bahnhof , auch Warenlager , Kaufläden , Hotels u . ſ. w . ent ſtehen, dort mußte der Geſchäftsmittelpunkt der Stadt ſich entwickeln . Das ſahen die Bewohner von Wichita auch ſofort ein, als der Plan der Gijenbahn veröffentlicht wurde.
Ein paar Tage ſpäter war Wichita
von der Anhöhe nach dem Tale hinabtransportiert. Aber nicht nur Häuſer , auch Schiffe, große Dampfer werden in Amerika, wo es notwendig iſt, über Land befördert. inſel Neuſchottland
Die große Halb
iſt mit dem Feſtlande von Kanada durch
mehrere Meilen breite Landenge verbunden .
eine
Die zahlreichen Schiffe,
welche zwiſchen den öſtlichen Häfen Nordamerikas und dem St. Lorenz ſtrom verkehren , das heißt alſo hauptſächlich zwiſchen New York, Boſton , Philadelphia einerſeits und Montreal und Quebec anderſeits, mußten den großen Umweg rings um Neuſchottland machen, eine beſonders im Winter wegen der Stürme und des dichten Nebels höchſt gefährliche Fahrt .
Deshalb organiſierte ſich die „ Chigneto - Transportgeſellſchaft"
mit einem Kapital von fünf Millionen Dollar zur Erbauung eines direkten Verkehrsweges zwiſchen den beiden , die Landenge von Chi gneto einſchließenden Meeren, alſo der Bai von Fundy und dem Golf St. Lorenz. radezu bahn.
Da aber die harte Geſteinsformation einen Kanal ge
unmöglich
machte ,
baute
die
Geſellſchaft
eine
Eiſen
Die Schiffe fahren in eine Art Krippe , die auf unter Waſſer
befindlichen Eiſenbahnwagen ruht.
Die Lokomotiven ziehen an , der
ſonderbare Eiſenbahnzug mit dem
ſchweren , vollkommen bemannten
und beladenen Schiff fährt nach dem
jenſeitigen Ufer der Landenge,
und dort dampft das Schiff aus der Krippe wieder heraus.
341
Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft.
Obichon in manchen Großſtädten zuweilen auch monumentale Ge bäude von ſechs- und achttauſend Tonnen Gewicht gehoben und ver ſchoben wurden , handelte es ſich dabei doch gewöhnlich nur um ganz kurze Strecken .
Aber es iſt vorgekommen , daß man ein Gebäude im
Geſamtgewicht von ſechstauſend Tonnen in der einfachſten Weiſe auf Eiſenbahnen
verladen , einen Viertelkilometer weit transportiert und
auf neue Fundamente geſetzt hat. Die
Mehrzahl
der
Beſucher
New
Yorks
werden
ſich
gewiß
mit Vergnügen an den herrlichen Seebadeſtrand erinnern , der ſich nahe der Einfahrt in die Bucht von New York mehrere Meilen weit längs der Südküſte von Long Island hinzieht und den Namen Coney Jsland führt. bad der Welt.
Coney Island iſt unzweifelhaft das beſuchteſte See Wohl
erfreuen
ſich. Brighton ,
Oſtende ,
Trouville
größerer Berühmtheit , aber ſelbſt das erſtgenannte beliebteſte Seebad der Londoner
hat es
bisher nur
reren Hunderttauſend im Jahre
auf
eine Beſucherzahl von meh
gebracht.
Coney 3sland dagegen
wird jährlich von über zehn Millionen Menſchen beſucht.
Dabei
kommen die Wintermonate gar nicht in Betracht, denn der Haupt verkehr konzentriert ſich
natürlich auf die
heiße
Sommerzeit,
vor
allem auf die Monate 3uli und Auguſt, ſo daß man die tägliche Beſucherzahl von Coney Island in dieſen Monaten auf mindeſtens hunderttauſend Menſchen veranſchlagen kann ! Eine wahre Völkerwanderung bewegt ſich täglich auf einer Menge von Eiſenbahn linien und einer ganzen Flotte von rieſigen Dampfern nach dieſer ſandigen Küſtenſtrecke von Long Island , und ſelbſt in London wird man von der Großartigkeit des Verkehrs nicht ſo überwältigt wie hier ! Natürlicherweiſe ſind auf der kahlen, weißen Sandfläche von Coney Jsland unzählige Badeanſtalten, Mammuthotels , Reſtaurants, Konzert pavillons, Baſare u . 1. w . entſtanden , die alle vortreffliche Geſchäfte machen .
Vom Meere aus geſehen , präſentiert ſich Coney Jsland mit
ſeinen anſpruchsvollen gewaltigen
Väujerfronten
eher als eine Groß
ſtadt, denn als ein Badeſtrand , ja man ſieht davon viel mehr , als
342
Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft.
von dem benachbarten Brooklyn .
Das am meiſten ins Auge
ſprin
gende Gebäude iſt das Brighton Beach Hotel , eines der größten des In dem gewaltigen vierſtöckigen Bau mit ſeiner vierhundert
Landes .
Fuß langen , von fünf maſſiven Türmen überhöhten Faſſade befinden ſich mehrere hundert Fremdenzimmer , geräumige Konzerts , Speiſe und Geſellſchaftsſäle, mehrere Aufzüge, ja jogar eine eigene Eiſenbahn ſtation.
Vor dem
Votel
dehnen
ſich weite grüne Raſenflächen , ge
ſchmückt mit Blumenbeeten , aus , die bis nahe an den Meeresſtrand reichen . Vor mehreren Jahren ſtand dieſes Brighton Beach
Hotel um
einen Viertelfilometer weiter ſüdlich , etwa in derſelben Entfernung vom Meeresſtrande wie jeßt . ein Drittel größer. laſſen.
Coney 3sland war damals um etwa
Man kann ſich
eben
auf das Meer nicht ver
Die Winterſtürme hauſen hier entſeglich und ſchleudern die
brauſenden Meeresfluten mit furchtbarer Gewalt an den Vojen , jan digen Strand.
Mit jedem Sturme werden einige Fuß breit Landes
von der Inſel fortgeſchwemmt. Fluten.
Mit Entfeßen ſah der Beſiger des Brighton Beach Hotels
die weiten Raſenflächen , Erbauung
dieſer
kleiner werden . dem
Dazu kommt das tägliche Spiel der
die ſich
in
Rieſenkarawanſerai Steindämme
den
erſten Jahren nach der
davor
ausdehnten ,
oder Flechtwerke ließen ſich
flüchtigen Dünenjande nicht anlegen , und
doch
immer hier
in
mußte etwas
getan werden , ſollte das Hotel nicht vollſtändig in den Wogen ver ſinken .
Ein paar heftige Stürme riſjen vor einigen Jahren
auch
noch die letzten Reſte Landes vor dem Hotel fort und bei heftiger Brandung lecten die Fluten ſchon an dem Bau ſelbſt , zertrümmerten die Fenſter und überſchwemmten die Salons - glücklicherweiſe im Winter ,
wo
das Hotel
geſchloſſen
iſt.
Was
war
zu tun ?
Den
Millionenbau abtragen und ihn an einer anderen Stelle wieder er richten ?
Dazu war zit viel Zeit erforderlich ; der Neubau wäre bis
zur nächſten Sommerſaiſon nicht fertig geworden , die reichen nahmen wären verloren geweſen.
Und dann die Koſten ?
Ein
343
Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft.
Der Beſiger zog den bekannten Häuſertransporteur A. B. Miller in New
York zu Rat , der ſchon einige Bauten von Coney Jsland
den Meeresfluten entriſſen und ſie um ein paar hundert Fuß weiter zurückutſchiert hatte. Mr. Miller.
„ Wir werden das votel zurüdichieben ," meinte
Zu welchem
Preije ?"
Mr. Miller rechnete nach und erklärte ſich bereit , die Sache für hunderttauſend Dollars zu übernehmen . fache verſchlungen.
Ein Neubau hätte das
Vier
Es wurde alſo beſchloſſen , den ungeheuren
Bau
um eine Strede von über zweihundert Metern zurüdzuſchieben . Bald darauf machten ſich die Arbeiter ans Werk.
Es war die
höchſte Zeit, denn das Hotel war ſchon an verſchiedenen Stellen unter : ſpült, die ſtarken Holzpfähle, auf welchen eß ruhte, ragten einen Meter hoch nadt aus dem Sande hervor und zwiſchen ihnen brauſte die Bran dung , daß der ganze Bau zitterte. Zunächſt
wurden von Eijenbahningenieuren zwanzig
Eiſenbahn
geleiſe von der größtmöglichſten Stärke vom Hotel bis zu dem neuen Unterbau angelegt, mit welchem Dieſe
Eiſenbahngeleiſe
Meere
zugewendeten
ebenfalls gleichzeitig begonnen wurde.
wurden unter das Front
in ihrer Lage erhalten .
geführt
und
Hotel
bis
zu der dem
durch
ſtarke
Holzpfeiler
Die Pennſylvania - Eiſenbahngeſellſchaft
er
hielt den Auftrag , hundertzwanzig der ſtärkſten offenen Laſtwagen zu bauen .
Als dieſe geliefert wurden ,
den Transport
waren alle Vorbereitungen für
des Hotels getroffen ,
deſſen Laſt Mr. Miller auf
etwa ſechstauſend Tonnen geſchäßt hatte.
In
den
fachmänniſchen
Kreiſen New Yorks, welche der Ausführung des kühnen
Wageſtücks
mit ſchweren Bedenken entgegenſahen, zweifelte man , daſs dieſe hundert zwanzig Laſtwagen hinreichen würden , das Hotel zu tragen ,
denn
ihre Tragfähigkeit wurde mit fünfunddreißig Tonnen für den Waggon angegeben .
Allein Mr. Miller ſtellte ihnen entgegen , daß dieſe Trag
fähigkeit für eine Schnelligkeit von mindeſtens dreißig Meilen für die Stunde berechnet war , die Fortbewegung des Hotels jedoch nur mit kaum wahrnehmbarer Schnelligkeit vor ſich gehen würde.
Und er be
344
Städte und Häuſer auf der Wanderſchaft.
mies , daß er recht hatte. Denn ſobald die Waggons eingetroffen waren , machte er ſich daran , ſie mit den ſechstauſend Tonnen gleichmäßig zu belaſten.
Sie wurden auf den zwanzig parallelen Schienenpaaren unter
das Hotel geſchoben ; jeder Waggon wurde mit Balfen der ſtärkſten Sorte belegt , welche über die Breitſeiten des Waggons hinweg bis zu jenen des nächſten Waggons reichten.
Dann wurde das Hotel
durch hydrauliſche Preſſen von je neunzig Tonnen Hebekraft um das ent ſprechende Maß gehoben ; die Pfähle des Unterbaues, wo ſie hinderlich waren , wurden abgeſägt, die hie und da vorhandenen kleinen Zwiſchen räume zwiſchen dem Hotelboden und den
der Waggons
Nun ruhte die ganze ungeheure Laſt auf den
durch Keile ausgefüllt. Waggons.
Tragbalfen
Dieſe ſollten durch anderthalb Dugend Lokomotiven nach
der neuen Hotelfundierung über zweihundert Meter weiter wärts gezogen werden . der Lokomotiven kaum
landein
Nun war aber ein gleichzeitiges Anziehen zu erwarten , und würden ſich die Waggons zu
verſchiedenen Zeiten in Bewegung feßen , ſo mußte das Hotel ſelbſt verſtändlich in Brüche gehen.
Das vermied Mr. Miller dadurch , daß
er die Lokomotiven nicht auf jämtlichen zwanzig Geleiſen laufen ließ, ſondern ſie auf dem
fünften und fünfzehnten Geleiſe hintereinander
aufſtellte; jede Gruppe Lokomotiven hatte die Aufgabe, die Waggons von je zehn Geleiſepaaren gleichzeitig zu ziehen.
Dazu wurden die
beiden hinterſten Lokomotiven durch ſtarke Drahtſeile fächerförmig mit den Waggons der zu
ihnen gehörigen zehn Geleiſepaare verbunden .
Die Drahtſeile wurden zuvor auf das Maß ihrer Dehnbarkeit ſorg fältig geprüft, um jede Verſchiedenheit der Anſpannung auszugleichen. Freilich konnte auch bei dieſer Einrichtung eine Lokomotivengruppe früher anziehen , als die andere ; aber dieſer Unterſchied war leichter und ſchneller auszugleichen , als bei zianzig verſchiedenen Zugkräften . Außerdem
wurden bei allen Geleiſepaaren ſtarke Flaſchenzüge eins
gerichtet, welche die einzelnen Waggongruppen
gleichzeitig mit den
Lokomotiven vorwärts zu bewegen hatten. Binnen wenigen Wochen waren alle Vorbereitungen beendet, und
345
Die politiſche Wahlmaſchine.
das Hotel wurde ganz programmmäßig auf ſeine neue
Fundamen
tierung geſetzt, ohne daß ſich irgend ein Unglücksfall ereignete oder der øotelbau ſelbſt merklich beſchädigt wurde . Ja noch mehr. Mr. Miller glaubte, im Gegenſatz zu den anderen Ingenieuren, daß ſtatt achtzehn Lokomotiven auch die Hälfte, alſo neun, hinreichen würden , die koloſſale Laſt zu ziehen .
Da ihn die Sache intereſſierte , ließ er beim erſten
Verſuch ſogar nur ſechs Lokomotiven vorſpannen.
Auf ein
Zeichen
von ihm wurde in dieſen Lokomotiven der Dampf angedreht , und ſiehe da , die ſechs Dampjroſje waren allein im ſtande, die Laſt zu bewältigen. In der folgenden Sommerſaiſon ſtand das Brighton Beach Hotel gerade jo friſch und einladend da , wie in der verfloſſenen , und die amerikaniſchen Ingenieure hatten dem geſchlagen.
böſen Neptun ein Schnippchen
Das war bisher der größte Gebäudetransport , der in
Amerika und wohl auch in der Welt vorgekommen iſt.
31. Die politiſche Wahlmaſchine. in den Vereinigten Staaten iſt eine Präſidentenwahl von ganz "anderer Bedeutung als in den europäiſchen Republiken .
Hier
wird außer der Perſon des Staatsoberhauptes und vielleicht auch der Kabinettmitglieder nur ſehr wenig geändert.
In Amerika aber tritt
gewöhnlich ein vollſtändiger Wechſel der ganzen Regierungsmaſchine, ja mitunter des politiſchen und wirtſchaftlichen Syſtems ein von ſolcher Bedeutung und Tragweite, daß davon nicht nur alle Kreiſe der ameri kaniſchen Bevölkerung, ſondern auch die europäiſchen Mächte mehr oder minder empfindlich getroffen werden . Nach dem Wortlaut der amerikaniſchen Konſtitution ſollte die Präſi dentenwahl ziemlich einfach vor fich gehen : Das Volk wählt alle vier Jahre ebenſo viele electors , als die beiden
geſebgebenden Körper
Die politiſche Wahlmaſchine.
346
ſchaften, das Repräjentantenhaus und der Senat, zuſammengenommen Mitglieder zählen , und dieſe electors geben ihre Stimmen dem von ihnen bevorzugten Präſidentidaftskandidaten . Der Präſident des Senats in Waſhington zählt die Stimmen , und derjenige Kandidat , welcher deren am meiſten auf ſich vereinigt, wird Präſident. So klar und einfach ſich die Sache anſieht , ſo umſtändlich und ver widelt iſt ſie in Wirklichkeit.
Statt ſich alle vier Jahre einmal auf
einige Tage oder Wochen zu beſchränken, werden achtzig Millionen des amerikaniſchen Volkes monatelang in fieberhafter Spannung gehalten , und während diejer Zeit wird das ganze geſchäftliche und geſellſchaftliche Leben von den Wahlen beeinflußt.
Jeder einzelne Bürger des großen
Landes hat ein beſtimmtes direktes oder indirektes Intereſſe an dem Ausgang der Wahl ;
ſie kann ihm
je
nach ſeinem
Berufe großen
Nußen oder Schaden bringen , aber dennoch wird dieſe große Bedeutung der Präſidentenwahl von der Maſſe der Bevölkerung nicht beizeiten berückſichtigt. Ihr eigener Beruf und Lebenserwerb, verſchiedene andere näherliegende Dinge feſſeln die Aufmerkſamkeit und die Tätigkeit weiter Areije , ſo daß ſie ſich mit der Wirtſchaftspolitik nicht abgeben , den Folgen eines Regierungswechſels nicht die nötige Beachtung ſchenken und nicht in geſchloſſenen Reihen für den beſten Präſidentſchaftskandida ten ſtimmen. Erſt einige Monate vor der Wahl werden die Wählermaſſen aus ihrer Lethargie aufgerüttelt, aber dann iſt es zu ſpät , und das ſouveräne Volk, das es in ſeiner band haben ſollte, die Geſchicke des Landes zu leiten, iſt gewöhnlich ein Opfer der Politiker. Dieje Berufspolitiker ſind der Hauptſache nach , gerade ſo wie die Majen des Volfes , in zwei große politiſche Parteien , die republikani ſche und die demokratiſche , geſpalten . Parteien
Die Grundjäße dieſer beiden
ſind nicht immer die gleichen ,
Präſidentenwahl und werden
dann ſtets
ſondern in
wechſeln bei jeder
einer ſogenannten Plat
form ( das heiſst Programm ) zuſammengeſtellt.
Während des großen
Sklavenkrieges z. B. waren die Republikaner für Aufhebung, die Demo : kraten für Beibehaltung der Sklaverei , und
dementſprechend zeigte
Die politiſche Wahlmaſchine .
317
ſich auch eine örtliche Gruppierung der Staaten , jene des Nordens gegen den Süden , die ſich erhalten hat .
im
großen ganzen auch noch bis heute
Nur iſt in dieſe Gruppierung durch andere nationale
Fragen und ſogenannte side issues hier und da worden . Þeute ſtehen die finanziell ſtarken und Staaten des Ditens den Ackerbauſtaaten Rohſilber reichen Staaten die
geſchäftlichen
Breſche gelegt induſtriereichen
des Weſtens und den an
der Felſengebirge gegenüber.
Intereſſen
Man ſieht,
ſind die maßgebenden Faktoren in der
amerikaniſchen Politit , auch für die großen Maſſen der Bevölkerung. Für die Politiker aber und die politiſchen wire-puller, das heißt jene, welche die Fäden in ihren Händen
haben , iſt the issue , das , was
auf dem Spiele ſteht, immer dasjelbe : die eine Partei will ihre Herr ſchaft und die Stellen, welche fie innehat, behalten, die andere Partei will ſie daraus verdrängen und ſich ſelbſt auf die fetten Poſten jegen . „ ôte -toi, que je m'y mette. “
Die großen Maſſen des Voltes ſind es
natürlich , welche durch die Wahlen darüber zu entſcheiden haben , und deshalb machen die Politiker das Programm der Volksmaſſen zu ihrem eigenen
oder
entwerfen
vielmehr
diejenige Platform ,
von
der
fie
glauben , daß ſie die Mehrzahl der Stimmen gewinnen werde . Allein auf dieſe Platform beſchränken ſie ſich nicht.
Dieſelbe dient
wohl äußerlich als Röder , aber die Wähler müſſen auf
den Söder
aufmerkjam gemacht, gehörig bearbeitet , geführt und nicht aus dem Auge gelaſſen werden, bis ſie endlich angebiſſen , das heißt gewählt haben .
Zu dieſem Zweck beſigen die Berufspolitiker der beiden großen
Parteien eine ſo vollfommene Organiſation , wie ſie wohl in der Ge ichichte anderer Länder niemals auch nur annähernd erreicht wurde, ja die Politik hat ſich in den
Vereinigten Staaten zu einem Beruf
herausgebildet, gerade jo wie der Acerbau , die Induſtrie u.j.w., dem Hunderttauſende von Bürgern angehören und durch den ſie ihren Lebens unterhalt, Wohlſtand, ja Reichtum erlangen.
Zur Ehre der Amerikaner
ſei es geſagt , daß der Beruf der Politiker von ihnen keineswegs als beſonders achtenswert anerkannt wird.
348
Die politiſche Wahlmaſchine.
Würden ſich die ehrlichen unabhängigen Bürger in den Städten und Dörfern mehr mit Politit beſchäftigen , den Parteimeetings in größerer Zahl beiwohnen und die „ Wahlmaſchine“ nicht den politiſchen Hungerleidern und Abenteurern überlaſſen , die Zuſtände, wie ſie heute in Amerika herrſchen, hätten niemals eine ſolche Ausdehnung erfahren können .
In jedem Dorfe, jeder Kleinſtadt gibt es Agenten der großen
politiſchen Parteien , und in ihren Händen liegt die Organiſation der primary meetings, das heißt der urſprünglichen Beſprechungen be züglich der Präſidentenwahl. Ebenſo iſt auch jede größere Stadt in ein zelne wards ,
das heißt Diſtrikte zu Wahlzwecken , abgeteilt ; in jedem
Ward gibt es Berufspolitiker ,
welche die Agenten der ganzen Partei
des Staates find und ſich der Mehrzahl nach aus recht zweifelhaften Elementen zuſammenſetzen.
Sie finden bei Poliziſten , Schenkwirten ,
Winkeladvokaten u.ſ.w. Unterſtüßung. Von jeder Partei , in jedem Ward und in jedem
Landſtädtchen wird nun beizeiten ein Primary Meeting
einberufen, dem
die tätigen Politiker beiwohnen und das zur Aufgabe
hat , Delegierte für die politiſchen conventions, das heißt Verſamm lungen der Stadt oder der Grafſchaft, zu wählen .
Eine Hand wäſcht
dabei die andere ; die Teilnehmer an den Meetings geben jenen ihre Stimmen , welche ſie für die geriebenſten und einflußreichſten Politiker hal ten und von denen ſie als Gegenleiſtung das meiſte erwarten . Die Dele gierten der Primary Meetings denen
vereinigen ſich nun zu Conventions,
es obliegt , die ausſichtsreichſten Kandidaten für die ſtädtiſchen
oder Grafſchaftswahlen aufzuſtellen. Handelt es ſich um die Wahlen für die Gouverneurs- und Beamtenpoſten der einzelnen Staaten, ſo werden von
dieſen Conventions auch einfluſreiche , findige Delegierte zu den
state conventions, das heißt den Verſammlungen der republikaniſchen oder demokratiſchen Politiker des Staates , gewählt.
In dieſen State
Conventions werden von beiden Parteien Kandidaten für die höchſten Staatspoſten
aufgeſtellt und zur Wahl durch das Volk vorgeſchlagen.
Außerdem wird über die Mittel und Wege beraten, wie die Wahl dieſer Kandidaten am
ausſichtsvollſten unterſtützt werden kann .
Die Kandi
Die politiſche Wahlmaſchine.
349
daten ſind dann nichts weiter als Werkzeuge in den Händen der poli tiſchen Agitatoren und müſſen bei wirklich erfolgter Wahl nach ihrer Pfeife tanzen . Fallen mit den Staatswahlen gleichzeitig auch die Wahlen für die Präſidentſchaft der Vereinigten Staaten zuſammen , ſo obliegt es den State
Conventions
auch , Delegierte
für die
National Convention
zu wählen. Nach der Organiſation der beiden Parteien werden zu dieſen National Conventions doppelt ſo viele Delegierte entſandt, als der betreffende Staat Mitglieder im Repräſentantenhauſe und im Senat beſigt. Als Drte für die National Conventions werden gewöhnlich ſolche, welche dem geographiſchen Mittelpunkt der Vereinigten Staaten am nächſten liegen , gewählt, um allen Delegationen die Reiſe möglichſt leicht zu machen . Man darf indeſſen nicht glauben ,
daß erſt in dieſen National
Conventions über die ausſichtsreichſten Kandidaten verhandelt wird . Die Leiter der beiden Parteien beobachten die Stimmung im Lande unausgeſeßt , ſie ſtehen mit den hervorragendſten Mitgliedern ihrer Parteien in allen Staaten in lebhaftem herrſchenden Strömungen
auf
Briefwechſel, ſind über die
das genaueſte unterrichtet und wiſſen
lange zum voraus , welche Perſönlichkeiten für die beiden hervorragend ſten Ehrenämter der großen Republik in Vorſchlag zu bringen ſind . Unter den Umſtänden , welche dabei berückſichtigt werden , ſind leider nicht immer die makelloſe Vergangenheit, Ehrenhaftigkeit und Fähige keit der Betreffenden allein ausſchlaggebend.
Es handelt ſich dabei
auch darum , welcher Kandidat der bei den großen Maſſen populärſte, und welcher der der eigenen Partei gefügigſte iſt ; denn obſchon dem Präſidenten der Vereinigten Staaten viel mehr ſouveräne Rechte ein geräumt ſind als jenen anderer Republiken, durchläuft er ſeine Amts dauer von vier Jahren doch ſtets mit gebundener Marſchroute; das heißt, ebenſo wie jeder andere gewählte Beamte, ſei es der Mayor einer Stadt oder der Gouverneur eines Staates, iſt auch der Präſident der Union in vielen Dingen nur das Werkzeug derjenigen , die ihm zu ſeiner
350
Die politiſche Wahlmaſchine.
hohen Stellung verholfen haben , nämlich der Machthaber ſeiner poli tiſchen Partei , denen er ſich ſelten widerſeßen wird . Noch ein weiterer Umſtand hat auf die Ernennung eines Kandi daten Einfluß : das Geld.
Die Parteileiter gehen leider nur zu ſehr
Þand in band mit den „ Ringen" .
Auch das hohe Bankweſen , die
großen Verkehrsgeſellſchaften, die Großzinduſtriellen ſprechen mit, denn der Erfolg und Gewinn derſelben ſteht ja häufig mit der Politik in innigem Zuſammenhang.
Die genannten Gruppen bedürfen mitunter
neuer Geſeße in Bezug auf das Zollweſen , auf den Verkehr, Konzeffio nen , Landichenkungen u.ſ. w ., und die Geſchichte der lezten Jahrzehnte hat aus vielen Beiſpielen dargetan, daß ſogar zahlreiche Mitglieder der geſeßgebenden Körperſchaften in den Einzelſtaaten wie in der Union hauptſtadt ſich finanziellen Einflüſſen nur zu gefügig gezeigt haben . Um wie viel mehr erſt die der direkten Verantwortung nicht unterworfenen politi ichen Wahlkomitees !
Mit dieſen Grundſägen vor Augen , treten die
Delegierten der beiden großen Parteien zu den National Conventions zuſammen . Die größten verfügbaren Hallen , zuweilen fünfzehn- bis fünfund zwanzigtauſend Perſonen faſſend, werden mit Flaggen , Lampions, Gir landen , Porträts hiſtoriſcher Perſönlichkeiten und berühmter Partei männer geſchmüdt .
Lange vor der Eröffnung der Sizung ſind die Gas
lerien und freien Pläge mit vielen Tauſenden dicht gedrängt, unter denen die managers , das heißt Geſchäftsleiter der verſchiedenen Mans didaten , ihre Claque verteilt haben .
Gruppenweiſe treffen die Dele
gierten der einzelnen Staaten ein und werden von den „ sergeants at arms" und Sekretären auf die für ſie beſtimmten Pläge geführt.
Zu
nächit werden die auf die Geſchäftsordnung bezüglichen Berichte ver leſen
und
dann ein chairman ( Borſigender) gewählt, der die Vers
handlungen leitet .
Gewöhnlich haben ſich die Delegierten der einzelnen
Staaten für einen einzigen Kandidaten für jede Stelle geeinigt und geben deshalb nicht einzeln , ſondern als ganze Gruppen ihre Stimmen ab .
Nach ein paar Reden von populären und bekannten Rednern
351
Die politiſche Wahlmaſchine.
über das allgemeine Programm der Partei werden die Staatendelega tionen nach der alphabetiſchen Reihenfolge der Staaten aufgerufen , und der Führer der betreffenden Gruppe nennt den Namen des von ihr aufgeſtellten Handidaten .
Je größer der Staat , deſto größer iſt auch
die Zahl der Delegierten , der Freunde und Beifallsklatſcher des be treffenden Mandidaten ;
iſt dieſer allgemein bekannt,
ſo erfolgt bei
Nennung ſeines Namens ein Beifallsſturm , der aller Beſchreibung ſpottet .
Die in der Halle befindlichen Muſikkorps ſpielen patriotiſche
Lieder, Hunderte und Tauſende ſchreien Hurra, blaſen Blechtrompeten, ' drehen wütend die mitgebrachten „ Ratſchen “, ſchlagen mit Stöcken auf die Baluſtraden , ſtampfen , johlen, brüllen , daß einem Hören und Sehen vergeht.
Selbſt Damen werden von dem allgemeinen Enthuſiasmus
fortgeriſſen .
Sie öffnen ihre Schirme, reißen ihre Hüte von den Köpfen,
ihre Sadtücher aus den Taſchen und ſchwenken fie; Hunderte von Fahnen und Standarten mit rieſengroßen Porträts der betreffenden Kandidaten werden entfaltet ; die
Delegierten der verſchiedenen , dem
Kandidaten freundlich geſinnten Staaten begeben ſich mit ihren Staats fahnen zu dem Kandidaten, über deſſen Kopf ſie dieſe Fahnen ſchwingen ; endlich wird der Betreffende vielleicht noch von Verehrern auf die Schul tern gehoben und in großer Prozeſſion, begleitet von den Delegationen mit ihren Fahnen , im Saale herumgetragen . In dieſer Weiſe werden die einzelnen Staaten um ihre Wahl be fragt, und ſieht man am Schluſſe, daß einer der Kandidaten die weit aus überwiegende Stimmenzahl der Staatendelegationen beſigt,
ſo
wird ſeine Wahl gewöhnlich dadurch zu einer einſtimmigen erhoben , daß die anderen Staaten ihre Kandidaten zurückziehen.
Mit Span
nung wird im ganzen Lande das Reſultat der National Convention erwartet; viele Duşende von Reportern haben hinter dem Präſidenten tiſche ihre Bulte und Telegraphenapparate und die Vorgänge während der Sigungen werden jofort nach allen Städten der weiten Union telegraphiert, wo die Zeitungen mehrere Seiten lange Berichte bringen . Die kleineren politiſchen Parteien pflegen ſich gewöhnlich dem einen
Die politiiche Wahlmaſchine .
352
oder andern Mandidaten der größeren Partei anzuſchließen, das heißt, ſie
verſprechen
unter
ihren
Anhängern
für denjenigen Stimmung
zu machen und jener Partei ihre Stimmen zuzuführen , welche ihnen dafür die meiſten Verſprechungen in Bezug auf die Berückſichtigung ihrer Parteiwünſche, dann auf Beamtenſtellen , Geſepe , Konzeſſionen und dergleichen macht. Bevor die Delegierten der National Convention in ihre Staaten zurüdfehren , um dort die eigentliche Wahlagitation zu beginnen, wählen ſie die Beamten des Nationalkomitees ihrer Partei, denen es ob liegt, die ganze Wahlbewegung bis zum Tage der Wahl zu leiten, ja ' auch darüber hinaus bis zur nächſten Präſidentenwahl eine Art per manentes Komitee zu bilden, die „ power behind the throne“ , die Ver körperung der betreffenden politiſchen Partei , der ſich der gewählte Kandidat auf dem Präſidentenpoſten in vielen Dingen unweigerlich fügen muß.
Der chairman (Vorſigende) des Nationalkomitees iſt der
eigentliche Präſidentenmacher, der Feldherr und Stratege der Wahl kampagne und der meiſtbeſchäftigte Mann in den Vereinigten Staaten während der vier Monate , welche zwiſchen der National Convention und dem eigentlichen Wahltage , dem erſten Dienstag im November, liegen.
Wie offen die Machinationen der Politiker, der Stimmenkauf,
die Beſtechung u.ſ. w . betrieben werden , geht ſchon daraus hervor, daß die großen Parteiblätter alle diesbezüglichen Einzelheiten ohne viel Umſchweife erzählen.
So ſagt beiſpielsweiſe die Daily Times :
Eine der hauptſächlichſten Verpflichtungen des Vorſigenden iſt es, Gelder für die Wahlfampagne aufzutreiben.
Die Wahl des
Präſi
denten Varriſon koſtete eine Million Dollars. Der gleichzeitige Vizes präſident, Morton , ſteuerte einen beträchtlichen Teil dazu bei , aber die Hauptſache
kam
unzweifelhaft
von Induſtriellen und
anderen ,
welche an der republikaniſchen Schutzollpolitik Jntereſſe hatten , ſowie von Patrioten , welche die Fortſegung der republikaniſchen Herrſchaft wünſchten. ſelbſt
ein
Der Kandidat für die Vizepräſidentſchaft ſoll nicht nur Mann
mit
großem
Geldjack
ſein ,
ſondern
auch
reiche
353
Die politiſche Wahlmaſchine.
Freunde beſigen , welche bereit ſind , zu dem
campaign fund beizu
ſteuern . „ Es gibt lokale campaign funds und einen nationalen campaign fund.
Der größte Teil der für die Wahl erforderlichen Summen
fließt in die Kaſſe des leşteren und wird
von dem Vorſigenden des
Nationalkomitees verteilt , das heißt, er ſendet größere oder geringere Beträge an die Parteigenojjen jener Staaten , wo ſie am dringendſten benötigt werden .
In
vielen
Wahlkampagnen wurde das Geld
in
einem Staat unnüş verſchwendet , während es anderen Staaten , wo es nüßlich
geweſen
wäre , vorenthalten wurde.
Bei der vorletzten
Präſidentenwahl hätten einige tauſend Dollars in Miſſouri hingereicht, um einen republikaniſchen Gouverneur zu wählen , aber der Vorſigende des Nationalfomitees weigerte ſich nicht nur, er forderte von Miſſouri ſogar noch Beiträge zur Verwendung in anderen Staaten . " Die Koſten der Präſidentenwahlen werden immer größer. zweiten Sandidatur Lincolns zum
Beiſpiel
betrugen
Bei der
die geſamten
Wahlkoſten ſeiner, das heißt, der republikaniſchen Partei nur hundert tauſend Dollars, bei der zweiten Wahl des Generals Grant waren ſie ſchon auf eine
halbe Million geſtiegen .
Bei der erſten Wahl
Clevelands verausgabten beide Parteien zuſammen 1884
1500000 Dollars
.
1888 bei ſeiner zweiten Wahl
1800 000
1892 Cleveland gegen Harriſon .
2000 000
1896 Mc Kinley gegen Bryan
4 000 000
1900
5 000 000
I
Il
und die letzte Wahl Rooſevelts foll ſogar zehn Millionen Dollars verſchlungen
haben.
Beſtimmtes iſt
darüber nicht zu ſagen , denn
begreiflicherweiſe werden über die Einnahmen und Ausgaben für die Wahlen nicht Bücher geführt. partei ,
dann gäbe es einen
Fielen ſie in die Hände der Gegen nationalen Standal .
Bei
Rooſevelts
Wahl 1904 joll Rodefeller dem republikaniſchen Nationalfomitee eine Million Dollars zur Verfügung geſtellt haben, Pierpont Morgan eine 23 peiſe - Wartegg , Amerika.
354
Die politiſche Wahlmaſchine .
Viertelmillion , der Stahltruſt eine Dreiviertelmillion , der Tabattruſt eine halbe Million, der Zuckertruſt achthunderttauſend Dollars. Manche Truſts haben , um es mit dem etwa fiegreichen Gegner nicht zu ver derben , für beide Nationalfomitees große Summen beigeſteuert. Dieſe Subventionen der großen Truſts ſind durch die Indiskretion eines Eingeweihten in die Öffentlichkeit gedrungen.
Bedeutende Beiträge
werden auch durch reiche Privatperſonen geſpendet , die gern einen Botſchafter- oder Geſandtenpoſten im
Ausland ergattern wollen. Mit
diejen Summen werden die Ausgaben der Hauptquartiere jeder Partei beſtritten , von denen gewöhnlich je eines in New Yorf und Chicago zu ſein pflegt .
Dieje Hauptquartiere jenden die Redner aus , unters
halten die literariſchen und journaliſtiſchen Bureaus, das Informations bureau und ſtellen den Lokalkomitees endlich auch Gelder zum Stimmen kauf zur Verfügung. Selbſt
die
einflußreichſten
und
fich nicht, über die Machenſchaften ſprechen .
befannteſten
Politiker
ſcheuen
bei den Wahlen ganz offen zu
So hat ſich unter anderen der frühere Staatsminiſter Foſter
aus Ohio ,
der eine
ganze Reihe
von Wahlen
einem Reporter darüber interviewen laſjen .
geleitet hat ,
von
„ In New Yorf, Ohio und
Indiana“ , jo ſagte er, „ ijt das Syſtem des canvassing ( das heißt, des Anwerbens von Stimmen ) ſehr vollkommen durchgeführt. gibt es zweitauſendjechshundert Wahldiſtrikte . werden
von den
genommen .
Politikern
In Ohio
Lange vor der Wahl
jämtliche Wähler der Reihe nach durch
Jede Partei führt über die letzteren und ihre politiſchen
Neigungen Buch ; die einen ſind als demokratiſch , die anderen republikaniſch,
die dritten
als
als „zweifelhaft" bezeichnet , und bei den
letzteren ſind die Gründe dafür und die Mittel und Wege angegeben , durch welche ſie auf die Seite der betreffenden Partei gebracht werden könnten . Die Zweifelhaften der einzelnen Diſtrikte werden in die Bücher der Grafſchaften und aus dieſen wieder in die Bücher des Staats komitees eingetragen .
An alle dieſe Wähler, deren es in Ohio allein
zwiſchen zehn- und zwanzigtauſend gibt , wird vor den Wahlen cam
Die politiſche Wahlmaſchine.
355
paign literature gejandt ; nach einer gewiſſen Zeit werden alle durch eigene politiſche Agenten perſönlich bearbeitet , um ſie auf die Seite der republikaniſchen Wähler zu bringen. Alles das erfordert viel Geld. Es müſſen die Reijekoſten , Getränke, Drucjachen , die Gehälter der Agenten und der Wahlredner bezahlt werden ; das Nationalfomitee ebenſo wie das Staatskomitee ſubventioniert Zeitungen und
unter
hält eine ganze Anzahl von Journaliſten , welche die republikaniſche Preſſe mit inſpirierten Artikeln verſehen u. 1. w .
Endlich gibt es auch
andere Verwendung für die Gelder, nicht ſo ehrenvoll, aber von beiden Parteien in zweifelhaften Staaten als notwendige Mittel anerkannt, um ſich die Wahl zu ſichern .“ Was darunter verſtanden wird, iſt jedem klar, der tieferen Einblick in das Wahlſyſtem der großen Republik gewonnen
hat .
In jedem
der größeren Staaten gibt es Tauſende von Wählern, deren Stimmen direkt gekauft werden können .
In New York beiſpielsweije wird die
Zahl dieſer käuflichen Wähler auf vierzigtauſend angegeben , von den Frländern der unterſten Klaſſen , die ihre Stimme für ein paar Gläjer Schnaps hergeben , bis zu geborenen Amerikanern , bei Dollars geopfert werden müſſen. lichen Summen
Um
denen
einige
die zu Bahlzweden erforder
zu erhalten , müſſen ſich ſogar die
Beamten
einen
Teil ihrer Gehälter abzwacken lajjen , und ſie erlangen ihre Stellen nur unter dieſer Bedingung. führen , der Þafenarzt von
So muß , um nur ein Beiſpiel anzu New
York von ſeinen nicht weniger als
hunderttauſend Dollars jährlich betragenden Einnahmen an das Wahlkomitee in der Staatshauptſtadt abliefern .
drei Viertel Selbſt die
Boliziſten ſind von dieſen Abgaben nicht ausgenommen . Wenn die Wahlkomitees der Union und der einzelnen Staaten Hand in Hand miteinander arbeiten , ſo hat dies ſeine guten Gründe. Die Präſidentenwahlen werden in den ausgeführt.
einzelnen Staaten ſelbſtändig
3ſt beiſpielsweiſe in einem Staate die demokratiſche Par
tei am Kuder, ſo haben der Staatsgouverneur und all die Tauſende zu dieſer Partei gehörigen Beamten unzählige Mittel, um nicht nur
356
Die politiſche Wahlmaſchine.
auf die Wähler einen Druď auszuüben und die Wahlagitation nach Kräften zu fördern ; auch die Wahlurnen, die Zählung der Stimmen , mit einem Wort , der ganze Apparat liegt in ihren Vänden , und es war ihnen bisher bei den Wahlen ein leichtes, ein wenig „ nachzu helfen “ , zum Schaden der gegneriſchen Partei . Präſidentenwahlen ſtets
jene Partei
von
Ebenſo iſt bei den
Anfang
an
im
Vorteil ,
welche die Vereinigte Staaten - Regierung in Händen hat, denn obſchon den
Beamten derſelben jede Einflußnahme verboten iſt , wird diejes
Verbot doch ſtets nach Kräften beiſeite geſett , denn es liegt ja im Lebensintereſſe jedes einzelnen dieſes über hunderttauſend zählenden Beamtenheeres, der eigenen Partei innehabenden Beamtenpoſten
zum Sieg zu verhelfen, um
die
nicht zu verlieren und an die Gegner
abgeben zu müſſen. Mit ſolchen und anderen Mitteln wird auf die vielen Millionen Wähler in den Vereinigten Staaten während der vier Monate, welche zwiſchen den National Conventions “ und dem liegen , eingewirkt.
eigentlichen Wahltage
Die Blätter enthalten täglich ſeitenlange Berichte,
Anpreiſungen des eigenen , Verurteilung des gegneriſchen Wahlpro gramms, Biographien und Abbildungen der Präſidentſchaftskandidaten, Angriffe auf ihre Kivalen ; in den Straßen und auf den Plägen der Hauptſtädte und Ortſchaften bis in die kleinſten Dörfer ſieht man überall Þorträts der Kandidaten ; in den Bier- und Schnapswirtſchaften werden die Wähler von den Agenten bearbeitet , in allen verfügbaren Hallen , Theatern , auf Plägen , in Gärten und Parks unter freiem Himmel werden von den stump speakers (wandernden Parteirednern) Wahlreden gehalten ; Senatoren, Kongreßmitglieder, ehemalige Miniſter und Geſandte ſcheuen ſich nicht, im Intereſſe ihrer Partei von Ort zu Ort zu reijen , um
Reden zu halten , neue Wähler zu gewinnen ; ja
die Präſidentſchaftskandidaten ſelbſt durchreiſen das ganze Land , um ſich den Wählern zu zeigen , mit ihnen Händedrücke auszutauſchen , zu ſprechen und Paraden , Facelzüge, Anſprachen , Diners über ſich ers gehen zu laſſen ; die Lokalkomitees in jeder Stadt find in fieberhafter
Die politiſche Wahlmaſchine.
Tätigkeit ; bis zu dem
357
letzten Poliziſten und Gerichtsdiener arbeitet
alles mit vochdruc, um die Zweifelhaften oder ſogar die Wähler der anderen Partei auf die eigene Seite herüberzuziehen. Verſprechungen von Beamtenpoſten , Beſtechungen , kleine Freundſchaftsdienſte , alles muß mithelfen .
Der Gläubiger wirft auf ſeine Schuldner, der Fabrik
herr auf ſeine Arbeiter , der Bankier auf ſeine Beamten , die Eiſen bahngeſellſchaften auf ihre Angeſtellten ein , und die kleinen Winke mit dem unſichtbaren Zaunpfahl verfehlen ihre Wirkung nicht.
Die
Betreffenden wiſſen, was auf dem Spiele ſteht. Endlich iſt der große Wahltag gekommen; in allen Staaten, in allen Ortſchaften
wird an dieſem einen Tage der Sieg der einen
oder der anderen Partei entſchieden . in
jedem
Ward
In größeren Städten werden
oder Diſtrikt geeignete Lokale , gewöhnlich
Schul
räumlichkeiten oder leere Parterrewohnungen , für die Wahlen
ein
gerichtet; in den Landdiſtrikten iſt es das Gerichtsgebäude oder eine Schule.
Dort werden die Tiſche und Stühle für die Wahlbeamten
und ihre Sekretäre aufgeſtellt; auf dem Mitteltiſch vor dem befindet ſich die Wahlurne.
Beamten
In einem Vorraum liegen auf Tiſchen
die Wahlzettel , etwa einen Quadratfuß große , lange Streifen , auf welchen die Kandidaten gedrudt ſind.
der einzelnen
Parteien
in langen Reihen
In manchen Staaten beſigt jede Partei ihre eigenen
Zettel , in anderen ſind die verſchiedenen Kandidaten auf demſelben Zettel vereinigt . bringen
Die Agenten der Parteien
ſind auf ihren
Poſten ,
die Wähler , wenn nötig , in eigenen Wagen und führen ſie
zum Wahllokal .
Dort nimmt einer der Wähler nach
ſeinen republikaniſchen oder demokratiſchen den Wahlbeamten.
dem andern
Wahlzettel und tritt vor
Øier wird er nach ſeinem
Namen , ſeiner Woh
nung u.j. w . befragt ; ſtimmen ſeine Angaben mit den großen Wahl regiſtern , welche die Sekretäre nachſchlagen , jo darf er ſeinen Zettel in die Wahlurne ſtecken , der nächſte kommt an
die Reihe.
Beſteht
ein Zweifel über die Identität des Betreffenden , jo müſſen Politiker ſeiner Partei für ihn bürgen.
Nur ſolche Wähler , welche wirklich
358
Die politiſche Wahlmaſchine.
ſeit längerer Zeit in dem dürfen dort
betreffenden Ward oder Wahldiſtrikt wohnen ,
ihre Stimmen abgeben.
In keinem
anderen
Diſtrikt
dürfen ſie wählen , und ſo ſind Reiſende oder jene, welche ſich gerade fern von ihrem Wohnſitz befinden , von der Berechtigung zu wählen ausgeſchloſſen . Nur Bürger der Vereinigten Staaten nach vollendetem einundzwanzigſten Lebensjahre werden zugelaſien.
Um jede Umgehung
des Geſetzes zu verhindern, haben die meiſten Staaten in neuerer Zeit das auſtraliſche Wahlſyſtem dem
eingeführt.
Bei dieſem befinden ſich in
Wahllokale cine Reihe enger , von Poliziſten ſtreng bewachter
Buden , gerade groß genug, um nur einen einzigen Wähler einzulaſſen. Im
Hintergrund der Bude liegen die Wahlzettel , welche die Namen
der verſchiedenen Kandidaten enthalten.
Der Wähler kann alſo dort
unbeaufſichtigt die Namen leſen , jene, die ihm
nicht behagen ,
aus
ſtreichen und durch andere erſetzen , und niemand weiß , für welche Partei
er geſtimmt hat .
Gewöhnlich
jetzt er vor die Reihe jener
Kandidaten, welche er zu wählen wünſcht , ein kleines Kreuzchen , tritt dann heraus und ſchiebt den Wahlzettel in die Urne. Vom
Geſetz aus geſchieht alles Erdenkliche , um Betrügereien zu
verhindern, aber wo die Beamten mit den Politikern unter einer Dede ſtecken , finden inaſſenhaft Unterſchleife ſtatt. Wo es nicht anders geht, werden noch im
letzten Augenblick Hunderten von Emigranten , welche
noch nicht die vorgeſchriebene Zeit in den Vereinigten Staaten weilen , die amerikaniſchen Bürgerpapiere ausgeſtellt, im letten Augenblick den Wählern Geldjummen zugeſteckt, ja die Wähler der gegneriſchen Partei werden durch bewaffnete ferngehalten .
Banden
mit Gewalt von den
Wahlurnen
So geſchah es beiſpielsweije wiederholt in Südcarolina
und anderen Südſtaaten, ſo daß die Militärmacht aufgeboten werden mußte, um
die Wähler zu beſchützen .
Auch zu dem ſogenannten Ko
loniſationſyſtem wird in manchen Diſtrikten gegriffen .
Gruppen von
Wählern fahren in Wagen oder mittels der Eiſenbahn von Ort zu Ort, um
überall ihre Stimmen abzugeben und dadurch die Stimmenzahl
ihrer Partei im
Staate zu ſchwellen .
Wohl iſt durch das Vereinigte
Die politiſche Wahlmaſchine.
359
Staaten -Geſetz am Wahltag der Ausſchank geiſtiger Getränke verboten , aber dennoch fließt überall Wein und Whisky in Strömen, und nie mals ſieht man jo viel Betrunkene wie an dieſem Zu einer beſtimmten Stunde werden ſchloſſen ; Stimmen
ſtaatlicher
unter in
einzelnen
den
Staatskanzlei .
Tage.
überall die Wahlurnen ge Zählung
der
Diſtriften und ein zweites Mal in
der
Kontrolle
erfolgt
die
Die Wahlzettel enthalten nicht etwa die Namen der
Präſidentſchaftskandidaten , ſondern die Namen der durch die Vereinigte Staaten -Konſtitution vorgeſchriebenen Zahl von Präſidentenwählern , den ſogenannten Glectors .
Wie bereits eingangs erwähnt, hat jeder
Staat das Recht, jo viele Electoren Repräſentanten im
zu wählen , als er Senatoren und
Nongreſ beſitzt ; demnach wählt alſo New
beiſpielsweije ſechsunddreißig Electoren , Kolorado nur drei .
York
Die ver
ſchiedenen Parteien laſſen auf die Wahlzettel die Liſten der von ihnen vorgeſchlagenen Electoren drucken ; ergibt ſich bei der Zählung der Wahlzettel , daſs beiſpielsweiſe in einem Staate die Liſte der republi kaniſchen „ Electors“ die größte Menge von Stimmen erhalten hat, ſo iſt die republikaniſche Liſte erwählt, der Staat ſtimmt alſo für den republikaniſchen
Präſidentſchaftskandidaten .
Sobald
die
Wahlzettel
gezählt und damit die Stimmenmehrheit entſchieden iſt, ſtellt in jedem Staat der Staatsgouverneur den erwählten Electoren Zertifikate ihrer Wahl aus , und zivar in drei Gremplaren. Staatsgouverneur dem
Gleichzeitig meldet der
Staatsſekretär der Vereinigten Staaten
die
Namen , Stimmenzahl und Partei der gewählten Electoren , und damit iſt eigentlich die Präſidentenwahl vorbei .
Allerdings iſt es nun die
Aufgabe der Electoren, jenen Präſidentſchaftskandidaten zu bezeichnen , welchen ſie wählen , und dieſe Wahl dem einigten Staaten bekanntzugeben .
Staatsſekretär der Ver .
Allein es iſt dies nur eine durch
die Konſtitution vorgeſchriebene Formſache.
In Wirklichkeit entſcheidet
die Erwählung der Präſidentenwähler auch die Präſidentenwahl, denn die verſchiedenen politiſchen Parteien ſetzen auf die Wahlliſten der Electoren nur ſolche Kandidaten , von welchen ſie abſolut ſicher ſind ,
Die politiſche Wahlmachine.
360
daß fie nur für ihren eigenen Präſidentſchaftskandidaten die Stim men abgeben .
Eine gegenteilige Wahl von ſeiten eines Electors iſt
bisher noch niemals vorgekommen .
Schon wenige Tage nach
der
Wahl weiß man , in welchen Staaten republikaniſche, in welchen demokratiſche Electoren gewählt worden ſind ; ſie werden nun ſammengezählt ,
und ergibt
es ſich
beiſpielsweije,
daß die
zu
demo
fratiſchen in der Mehrzahl find, ſo iſt es ficher, daß auch der demo fratiſche Präſidentſchaftskandidat gewählt iſt. das öffentliche Leben
Die Wahl iſt vorüber,
wird wieder ruhiger , die Geſchäfte leben auf,
alles kehrt wieder in die gewohnten Gleiſe zurück. Es iſt nicht immer geſagt , daß die Mehrzahl der Electoren einer Partei auch die Mehrzahl der in der ganzen Union abgegebenen Wähler ſtimmen für ſich haben .
In einem
Staate geht beiſpielsweiſe die re
publikaniſche Electorenliſte mit knapper Stimmenmehrheit durch , in einem anderen hat die demokratiſche Electorenliſte mehrere Tauſend Stimmen Mehrheit .
So wurde beiſpielsweiſe am 6. November 1888
Harriſon durch die Wahl von achtundfünfzig republikaniſchen gegen zweiundvierzig
demokratiſche
Electoren
Präſident
der
Vereinigten
Staaten ; aber die achtundfünfzig republikaniſchen Electoren
hatten
nur fünf Millionen vierhundertſünfundvierzigtauſend Wählerſtimmen auf ſich vereinigt, während die zweiundvierzig demokratiſchen Electoren deren fünf Millionen fünfhundertneununddreißigtauſend erhalten hatten . Ähnlich wurde am 7. November 1876 Þayes durch die Wahl von fünfzig Electoren mit nur vier Millionen dreiunddreißigtauſend Stimmen gegen die Wahl von neunundvierzig Electoren mit vier Millionen zweihundert vierundachtzigtauſend Stimmen Präſident . Wie man ſieht, iſt der Stärkes unterſchied der beiden großen Parteien ein ſehr geringer; bei der Wahl Clevelands 1885 vereinigten die Demokraten vier Millionen neun hundertelftauſend, die Republikaner vier Millionen achthundertachtund vierzigtauſend Stimmen ; bei der Wahl Garfields 1881 war das Ver hältnis der beiden Parteien vier Millionen vierhundertneunundvierzig tauſend zu vier Millionen vierhundertzweiundvierzigtauſend Stimmen ;
361
Newport, das Millionärbad.
die kleineren Parteien haben es bisher ſelten über je hunderttauſend, und nur einmal auf dreihunderttauſend Stimmen gebracht. In jedem Staate haben die Electoren am ziveiten Montag des ihrer
Erwählung
folgenden
Januars
zuſammenzutreten
und
ihre
Stimmen für die Wahl des Präſidenten und Vizepräſidenten der Vereinigten Staaten abzugeben .
Dieſe Wahl müſſen ſie , wie vorhin
bemerkt, ſchriftlich durch einen eigenen Boten dem Vereinigten Staaten mitteilen ;
Staatsſekretär der
ein zweites Exemplar dieſer Wahl
müſſen ſie dem Genannten durch die Poſt übermitteln , ein drittes in den Staatsarchiven deponieren . Am ziveiten Mittwoch des Februar jedes vierten Jahres verſam meln ſich in Waſhington die Mitglieder von Senat und Kongreß ; der Präſident des Senats öffnet die eingelaufenen Dokumente , zählt die Stimmen und verkündet das Ergebnis.
Sollte die Stimmenzahl
beider Parteien gleich ſein , ſo entſcheiden die geſetzgebenden Körper ſchaften durch ihre Stimmenmehrheit die Präſidentenwahl .
32.
Newport, das Millionärbad .
er von all den Tauſenden von Millionären lieſt, die in Amerika oder Europa leben , weiſ wohl, Börſenſpekulationen
daß ſie ihr Vermögen in
oder Goldminen , in Eiſenerz , Kupfer ,
Eiſen
bahnen oder Stahlwerken erworben haben , er kann ſich aber nicht recht vorſtellen ,
was
denn die
amerikaniſchen
Millionen anfangen und auf welche Art ſie verzehren können .
Hunderte
von
Kröjuſie
mit
ihren
auch nur ihre Zinſen
Amerikanern ,
deren Väter
oder
Großväter als arme Teufel , vielleicht hungernd und frierend , aus dem
alten Europa nach
der
Neuen
Welt
gekommen ſind ,
beſigen
heute Vermögen von zwanzig bis dreißig Millionen Mark, die ihnen allein ſchon ein Einkommen von einer bis anderthalb Millionen ab
362
Newport, das Millionärbad.
werfen , ganz abgeſehen von den vielleicht ebenſo großen Summen, die ſie ſich in ihren Geſchäften verdienen .
Iſt es denn möglich, dieſe
Millionen zu verzehren , ohne Narrheiten und tolle Streiche zu be gehen ?
In Europa auf ihren Reiſen , oder in New
York , Chicago,
Philadelphia verſchwinden die Yankeekröfuſie unter der großen Menge. Höchſtens, daß man von dem Empfang eines Aſtor oder Vanderbilt oder Gould bei irgend einem Carnegie dem
europäiſchen Souverän hört , oder daſ;
Hotelportier , der ihm
ſein Gepäck zum
Bahnhof be
ſorgt hat, dreiſsig Pfennig Trinkgeld gegeben , oder daſ Pierpont Morgan für ein paar Millionen Bilder und Statuen erworben hat .
Drüben
zeichnen ſich einzelne unter ihnen dadurch aus , daß ſie Univerſitäten oder Bibliothefen mit einer Anzahl von Millionen dotieren , was für ſie gerade ſo viel bedeutet, als würde einer von uns ein Fünfmarkſtück hergeben. Über die Gründung von Hoſpitälern, Wohltätigkeitsanſtalten und dergleichen hört man nur wenig. Was machen ſie alſo mit ihrem Selde ? Die Antwort auf dieſe intereſſante Frage findet man am leichteſten dort , wo ſich ihrer eine erkloofliche Unzahl auf einem
Fleck zuſammen
findet, zum Beiſpiel in Tureido Park oder in Lennor, vor allem aber in Newport. Dort wohnen während der heißen Sommermonate Guns derte von ihnen , darunter die Reichſten Amerikas. Newport iſt der reichſte Seebadeort , gleichzeitig die eleganteſte Sommerreſidenz nicht nur der Neuen Welt , auch in Europa wird man vergeblich ſeinesgleichen ſuchen. Wenn irgend eine amerikaniſche Inſel ſich mit der Perle Eng lands , der Inſel Wight , wenigſtens in landichaftlicher Hinſicht, ver gleichen läſst , ſo iſt es Aquidnec , die Injel des Friedens , im Golf von Rhode Island , ein paar Gijenbahnſtunden nordöſtlich von New York. Laſſe man den Engländern den Beſitz von Ceylon, den Hollän dern Java, den Amerikanern Muba.
Man hebt ihre Schäße aus dem
Boden , ſammelt die Ernten und jetzt ſie in Europa in Gold um .
Auf
Aquidnec jedoch , an deſſen Südküſte ſich Newport ausbreitet, iſt das
Newport, das Millionärbad.
363
Gold ſelbſt anjäſſig , und neues Gold, neue Millionen kommen forts während dazu .
Ja , das Meer hält nirgend mehr Millionen
um
ſchlungen als in Newport während der Sommerjaiſon. Newport iſt von Millionären und für Millionäre geſchaffen worden . Andere Leute haben dort nichts zu ſuchen .
Sie können in Newport
gar nicht leben , denn dazu müßten ſie eben Millionäre ſein .
Deshalb
Herm . Delrichs Villa in Newport. zeigt es auch einen ganz anderen Charakter als etwa Oſtende oder Trouville.
Vor allem
fehlen Newport die majeſtätiſchen , dem
Meer
zugewendeten Straßenfronten mit ihren Rieſenhotels und dem bunten Getriebe vor ihnen .
Der ſchönſte Teil des Ortes iſt vom Meeres
ſtrande aus gar nicht zu ſehen . Ja , die Bellevue Avenue, dort, wo ſich die reichſten Millionärſchlöſſer befinden, iſt zwiſchen ihren Gärten und Parks ſo verſtedt, daß man ſich im Herzen des amerikaniſchen Konti
Newport, das Millionärbad .
364
nents glauben könnte. Newport.
Ebenſo iſt es mit den wenigen Hotels von
Die Ocean , Aquidnec und Clifton liegen trop ihrer nach
Seewaſſer riechenden feuchten Namen jo tief im
Lande, als wollten
ſie mit den Meeres jungfern Verſtecken ſpielen . Für unſere europäiſchen Seebadbegriffe kann es nichts Ungeſchickteres geben als die Lage dieſer Hotels, die auch ſonſt weit hinter unſeren erſtklaſſigen Karawanſeraien zurückſtehen .
An der See zu leben und ſie nicht ſtets vor Augen zit
haben , iſt wie eine ſchöne Frau zu beſigen und ſie nicht zu genießen. Der Zudrang der Millionäre nach Newport wurde ſchon vor zwei Jahrzehnten ſo groß , daß
die Schlöſſer und Burgen , die ſie ſich
bauten , in der Bellevue Avenue nicht mehr Play genug fanden . entſtanden
die der Küſte näherliegenden
So
Straßen , die Bath Road,
Cliff Walt , Ocean Avenue und Ocean Drive , von denen die legtere die Südküſte der Inſel in einer Länge von nahe an zwanzig Kilo metern umzieht und die herrlichſten Ausblicke darbietet . Kajenflächen bis zu
führen
dort von
Weite, jamtene
der langen Reihe prächtiger Schlöſſer
den umbrandeten Mlippen herab.
Die ganze hochromantiſche
Umgebung mit ihren Feljen , bewaldeten Tälern , tief eingeſchnittenen Schluchten iſt in einen einzigen großen Naturpark verwandelt worden , durchzogen von den ſchönſten Fahr- und Fußwegen des Kontinents. Nur an einzelnen Strecken der Sceküſte, vornehmlich an Baileys Beach , ſtehen Reihen von niedrigen Badehäuſern, die Wohnungen der Millio näre ſind aber durchweg weit von der Küſte entfernt in ihren eigenen Parks und Gärten . Dieſe Millionärwohnungen ſind das Charakteriſtiſche von
New
port, wohl an ſechs- bis ſiebenhundert, eine ſchöner, großartiger, reicher als die andere.
Alle zwei- bis dreihundert Schritte weit erhebt ſich
irgend ein franzöſiſches Renaiſſanceſchloß aus weiſzem Marmor , oder eine Nachbildung von Petit Trianon mit ſteif zugeſchnittenen Garten anlagen , Kiosken , Pavillonen und Waſſerkünſten , oder ein mehrtürmiges Schloß der franzöſiſchen Touraine, etwa wie das berühmte Chenon ceaut.
Auf einem
Naturfeljen
ſteht, wie aus dicjem
jelbſt herauss
Newport, das Millionärbad.
365
gemeißelt , eine uralte Ritterburg mit dicen runden Türmen , halb verborgen zwiſchen mächtigen Bäumen und überdeckt von vielgeſchlun genem Efeu.
Inmitten eines weiten Parkes leuchtet die weiße Front
eines Palaſtes im Kolonialſtil mit weiten Veranden an den Seiten und einem Säulenportikus ; univeit davon träumt an den Ufern eines kleinen ſtillen Sees ein engliſches Schloſs, ähnlich der der Salisbury3 , Türmen und
im
Tudorſtil,
Gerrlichen Sitz
oder der Earls von Warwid , mit
Erfern und krenelierten Mauern .
Ganze Reihen von
Paläſten , wie ſie im Pariſer Faubourg St. Germain
zu ſehen ſind ,
oder niederländiſche oder ſpaniſche Schlöſſer, alles mit großem Geſchick und Verſtändnis den Häuſer im villen
Bedürfniſſen der Beſitzer angepaßt.
Dazwiſchen
amerikaniſchen Cottageſtil oder Bungalos oder Schweizer ein ungemein
maleriſches Durcheinander von Bauten aus
den verſchiedenſten Ländern der Erde und den verſchiedenſten
Zeit
altern, aus der Griechenzeit und dem frühen Mittelalter bis auf den modernſten Jugendſtil.
Erſtaunt wandert man
nehmen reichen Edelſiten
umher und
zwiſchen diejen vor
glaubt ſie bewohnt
von den
Nachkommen der alten engliſchen oder franzöſiſchen Adelsgeſchlechter, von großen hiſtoriſchen Namen , Koloniſten, wie ſie in früheren Jahr hunderten in großer Zahl nach der Neuen Welt gezogen ſind, jüngere Söhne von Marquis und Herzogen, Baſtarde der Könige von Frankreich, um ſich hier Reichtümer zu erwerben .
Als hätten ſie , wie die Schnecken
ihre Häuſer, gleich ihre Burgen und Schlöſſer mitgebracht, ſtehen dieſe hier auf den Klippen von Aquidnec, die Beſitztümer umgeben von langen Mauern, in den Parks hochſtämmige Bäume und ſeltene Pflanzen. Hier kann man ſehen , zu welchem kann .
Nomfort der Reichtum verhelfen
Selbſt die Natur ſcheint den Millionen zu ſchmeicheln , denn
japaniſcher Efeu ſchlingt ſich an Paläſten und Burgen empor, ſorgſam nehmen die hohen Bäume ſie unter ihr ſchattiges Laubdach , und ſanft ſchmiegt ſich der Grasteppich unter den Füßen der glüdlichen Bewohner. Kühle Seeluft umfächelt die Gärten und der ſchönſte Himmel wölbt ſich zur Sommerszeit über Newport und die ganze Inſel, die es ziert .
366
Newport, das Millionärbad.
Newport iſt der vornehmſte Ort , das Faubourg St. Germain der Neuen
Welt ,
reicher ,
ſchöner ,
ſorgſamer
gepflegt
als
jenes
der
alten . Aber in Wirklichkeit hauſen darin die Nachkommen der Schweine pader, Viehhändler und Champagneragenten, Reeder, Eiſenbahnbauer, Maſchinen- und Schuhfabrikanten , und viele Schloßzbeſiper kommen ihrem Beruf
heute noch nadı .
Drei oder vier Tage jeder Woche
weilen ſie in ihrer Zuckerraffinerie oder in ihrem Banfgeſchäft, leiten den Maſchinenbau oder die Stiefelfabrikation ;
Freitag oder Sonn
abend kommen ſie auf ihr Schloß zur Gattin und Familie, um Ariſtokraten zu
ſpielen .
den
Das Geld und in vielen Fällen auch das
Geſchick dazu ſind vorhanden , and Namen wie Aſtor, Morgan, Have meyer , Vanderbilt , Stuyveſant Fiih , Grosvenor , Berwind u . ſ . w . haben einen guten Klang ,
nur die Ahnen fehlen .
Je reicher ſie
werden , deſto größer iſt ihr Wunſch , durch Genealogen und Herolds firmen in der Geſchichte nach dem forſchen zu laſſen , ihre Wappen
Urſprung ihres Geſchlechts nach und Wahlſprüche aufzufinden , ihre
Reſidenzen mit hnenbildern zu ſchmücken , Ausjehen
zit verleihen.
neugebackenen
Nichts
Plutofraten
iſt diejen
verhafter
ihnen
im
ein ehrwürdiges
Vergleich zu Europa
als in neuen Wohnſißen zu
hauſen , mit deren friſch angelegten Gärten.
So wurden
denn in
Newport Millionen fiir die letzteren geopfert, große Bäume von halb hundertjährigen Alter auf meilenweite Strecken
nach dieſen Gärten
transportiert, ſo daß mancher Baum allein mehrere tauſend Mark Koſten verurſachte .
Eine einzige Mauer, welche den Park einer Villa um
ſchließt, hat zu ihrer Herſtellung eine halbe Million Mark verſchlungen . Die Villa ſelbſt koſtete vielleicht das Doppelte oder Dreifache; ja es gibt unter den Newporter Reſidenzen verſchiedene ,
welche mehrere
Millionen gekoſtet haben, von der Einrichtung gar nicht zu ſprechen. Einen
großen
Vorteil haben
dieſe mittelalterlichen Burgen und
Renaiſſancejchlöjjer vor ihren europäiſchen Vorbildern. Was die moderne Ënjtallationskunſt aufzuweiſen hat, iſt hier zur Anwendung gekommen . In der älteſten Burg iſt elektriſches Licht, Waſſerleitung, Ventilation
367
Newport, das Millionärbad.
und Feuerung in allen Räumen .
Mögen auch die alten hohen Aamine
den Eindruck der Burg wahren , ſo führen doch rings um die weiten Hallen Heizungsrohre, mögen auch Delphine in den Korridoren , Zieh brunnen in den Köfen Waſſer ſpenden, die moderne Waſſerleitung hat ihr Rohrnet bis unter das Dach.
In
den ſchweren
Luſtres und
Ampeln alten Stils glüht der Leuchtdraht. Die Einrichtung all diejer Wohnſitze iſt von einem Reichtum , den
ift
Cornelius Vanderbilts Palaſt in Newport.
ſich eben nur Leute gönnen können , die über Millionen Einkünfte ver fügen.
Was mit ſchwerem Gold in Europa überhaupt erworben werden
konnte, iſt hier zu finden .
So mancher Millionär fandte eigene Deko
rateure nach der Alten Welt auf die Suche danach , und im
ganzen
genommen haben die Schloßbefißer wirklich mit erſtaunlichem Geſchick das Richtige getroffen .
Renaiſſanceſchlöſſer ſind wirklich im Renaiſſance
ſtil möbliert, die engliſchen Burgen mit entſprechenden Stücken aus der entſprechenden Periode . es ja auch nicht an .
Warum
auch nicht ? Auf den Preis kam
Wer würde nicht eine alte Kommode verkaufen ,
Newport, das Millionärbad
368
wenn
geboten
ihm dafür Tauſende
werden ?
Niemals
waren die
Originalſchlöſſer in Europa mit ſo raffiniertem Lurus ausgeſtattet wie ihre amerikaniſchen Nachbildungen in Newport , ja darin iſt ents ſchieden zu viel geſchehen .
Wo hätte es in den Gingangshallen ſolch
koſtbare Teppiche gegeben, in den Schlafzimmern ſolch prächtige Gobelin möbel, in den Salons ſo herrliche Bilderſammlungen , Skulpturen , Kunſtwerke der verſchiedenſten Art ? dem
In manchen Billen ſieht man
Sammelſurium allerdings die unverſtändige vaſt an , mit der es
zuſammengebracht wurde.
Dafür ſind die Sammlungen
in
anderen
von ſeltener Vollkommenheit , weil ſie eben mit Millionen von euro päiſchen
Sammlern
in
Bauſch und Bogen angekauft wurden .
Wo
gäbe es in Europa Sommer- ,, Þomes " , die ihren Beſigern während einiger Wochen zum Aufenthalt dienen, geſchmückt mit Titians, Kem brandts , Watteaus, mit Möbeln ?
den
koſtbarſten
Gobelins ,
Nippſachen und
Ähnliche , nur noch reicher ausgeſtattete Reſidenzen haben
dieſe Millionäre auch noch in New York oder einer anderen Haupt ſtadt, dazu vielleicht eine Cottage hier, eine Farm
dort, in den Adiron
dads oder am Hudſon , in den Alleghanies, und für die Wintermonate eine luxuriöſe Reſidenz im
fernen ſonnigen Florida !
Von womöglich noch größerer Pracht iſt das Tafelſervice.
Ein
Hauptvergnügen der Newporter ſind Diners und Dejeuners, und bei dieſen wirkt der Reichtum der Ausſtattung geradezu erdrückend. Ohne ſchwere Tafelaufjäte aus Silber oder Gold, die koſtbarſten Porzellane, den reichſten Blumenſchmuck geht es da nicht ab.
Obichon jede Reſi
denz ihre eigenen Blumengärten und Glashäuſer beſigt, reichen dieſe bei weitem nicht aus, um den Blumenbedarf zu befriedigen ; in nicht wenigen Familien ſtellt ſich die Monatsrechnung für Blumen allein auf taufend Dollars !
Das Leben in Newport iſt von
jenem
in unſeren Sommerfriſchen
ganz verſchieden. Das ergibt ſich ſchon aus der Zuſammenſetzung der Geſellſchaft.
Adel, Wiſſenſchaft , Kunſt ſind hier gar nicht vertreten.
Es gibt nur Geſchäftsleute , die gleichzeitig Millionäre find, darunter
369
Newport, das Millionärbad.
0 2 @
O
ا تر زانها
Inneres von Mc. Calls Reſidenz in Hollywood. Heiſe - Wartegg , Amerita.
24
370
Newport, das Millionärbad .
freilich ſolche, deren Familien auf mehrere Generationen zurückgeführt werden können , aber immerhin Geſchäftsleute.
Auf ihren Urſprung
haben die allerivenigſten Veranlaſſung ſtolz zu ſein, und das gibt für die Newporter eine gewiſſe Art von Egalité und Fraternité.
Aben
teurer, fremde Touriſten und Sommerfriſchler gibt es keine, denn die allerwenigſten bejiten die Mittel, um in dem
unerſchwinglich teuren
Newport zu leben , und dann würden ſie doch in die Geſellſchaft keinen Einlaß finden .
Ohne ſchwerwiegende Empfehlungen kommt niemand
durch. Demimonde, die beſonders an der Riviera und in den atlantiſchen Bädern eine ſo große Rolle ſpielt, fehlt vollſtändig. Alle Welt fennt ſich, öffentliche Vergnügungen wie in unſeren Kurſälen und Kaſinos gibt es nicht, das Leben
ſpielt ſich in den Cottages oder allenfalls in dem
eleganten ,, Caſino " ab, das aber gewiſſermaßen ein geſchloſſener Klub iſt.
Die Demimondaine hat alſo hier kein Feld .
geſellſchaftlichen Leben viel von dem
Das nimmt dem
Reiz, das es in Nizza oder Oſt
ende oder Trouville beſigt, und die reichen Chatelaines, die während des größten Teils der Woche auf ſich ſelbſt und ihre Familien ange wieſen ſind, ſuchen ihre Zerſtreuungen auf anderem Gebiete, vornehmlich im Sport, in Ausfahrten , Segel- und Jachtpartien , Diners, Afternoon Teas und Bällen . Seebädern oder beim
Der Morgen wird mit Spazierritten , Tennis, Poloſpiel verbracht, dem
gerade hier leidenſchaftlich huldigen.
die jungen Millionäre
Es iſt gewiß das vornehmſte ,
gleichzeitig aufregendſte und gefährlichſte der Spiele , das die Ameri. kaner von den einſtigen Herren des Landes , den Indianern, gelernt haben. Mit ſeltenem Geſchick tummeln ſie ſich auf ihren flinken Ponys umher, mit kräftigem
Arm den Ball ſchlagend , ein unaufhörliches Jagen
und Nämpfen und Ringen , bei dem
ſo mancher unter die Pferdehufe
komint oder von dem Schläger eines Gegners ſchwer verwundet wird. Mittags wird raſch die Toilette gewechſelt, um irgend einer Lunch einladung nachzukommen , vielleicht auf einer der vielen Dampfjachten , die ſtets in Newport vor Anker liegen . von
einem
Reichtum
Dieje
Jachten ſind mitunter
der Ausſtattung, wie ſie nur in Paläſten zu
371
Newport, das Millionärbad .
finden iſt.
Jachten in allen Größen, von kleinen, die nur die Rüſte
entlang durch den Long- Fsland-Sund bis New York fahren , bis zu Ozeandampfern ,
wie
Pierpont
Morgans
,, Corſair “
oder Bennetts
„Namouna“ oder John Jakob Aſtors „Noumahal “, die Millionen ge koſtet haben und
deren Unterhalt jährlich eine Million verſchlingt
Auch die kleineren erfordern jährlich hundert bis zweihunderttauſend Mark. Nachmittags werden Automobil unternommen .
gewöhnlich Spazierfahrten zu Wagen oder In jeder Cottage ſteht eine Reihe von
Wagen, Pferden und Automobilen zur Verfügung der Beſitzer.
Alfred
Vanderbilt hat auf ſeinem Landfig außerhalb Newport ein berühmtes Geſtüt mit hundert Pferden , in ſeiner Cottage in Newport ſelbſt ein Dußend der edelſten
Tiere , mit ſechs Mann zur Wartung .
ſechs Wagen verſchiedener Art und ſechs Automobile.
Dazu
Viele Cottage
beſiger haben durchſchnittlich vier Autos, eine Gaſoline Brougham für Ausflüge ins Land , eine elektriſche Viktoria für Fahrten in Newport ſelbſt, ein kleines Auto für Beſorgungen und einen richtigen Renn wagen
John Jakob Aſtor hatte eine Zeitlang jogar ſiebzehn Autos
in ſeiner Garage !
Die ſportlich angelegten Damen der Newporter
Geſellſchaft ſind nicht nur vorzügliche Reiterinnen , ſie lenken auch ihr Zwei- oder Viergeſpann mit ebenſo ſtarker wie geſchidter Hand. Zum Afternoon Tea laſſen ſie ſich in Autos fahren , nachdem lette nochmals gewechſelt haben .
macht und eine neue Toilette für das Diner angelegt. ſie allein zu Hauſe.
ſie die Toi
Dann werden raſch einige Beſuche ge Selten ſpeiſen
Haben ſie nicht ſelbſt Gäſte, dann ſind ſie irgend
wo geladen , oder es findet eines jener berühmten Newporter Feſte ſtatt, von dem in ganz Amerika geſprochen wird.
Hundert bis zweihundert
Gäſte verſammeln ſich dann in den luxuriöſen Räumen einer ,, Cottage“. Das Diner mit allen Leckereien der Neuen Welt verſchlingt durch ſchnittlich zehn Dollars die Perſon ohne Wein , Liköre und Zigarren ; dann folgt nach dem
Konzert oder Theater ein Souper, und nach dem
Tanz in den frühen Morgenſtunden ein zweites.
Das bringt die
Newport, das Millionärbad.
372
Rechnung für die Gelage allein auf zehn- bis fünfzehntauſend Mark. Weitere Tauſende koſten Blumen und Muſik, die elektriſche Beleuchtung des Gartens, Tauſende die Faveurs des Tanzes, gewöhnlich Nippſachen aus Gold oder Silber , aber auch Schmudgegenſtände u. ſ. w .
Wird
auch noch eine Konzert- oder Theatervorſtellung arrangiert, ſo müſſen die Künſtler aus New York verſchrieben und ein eigenes Theater zu ſammengenagelt werden , was zehn- bis zwanzigtauſend Mark koſtet. Im ganzen ſtellen ſich dieſe Newporter Feſte, deren in der Woche zwei bis drei ſtattfinden , für den Feſtgeber auf fünfzig- bis ſiebzigtauſend Mark ! Dieſes luxuriöſe Leben und dieſe Geſelligkeit erfordern naturgemäß eine große Haushaltung . Was ſie koſtet, beſagt eine Aufſtellung, welche das New Yorker „ Cosmopolitan Magazine“ , eine der bedeutendſten Monatſchriften Amerikas, veröffentlicht.
Sie gibt auch einen Einblic
in die Löhne, welche in Amerika für Dienerſchaft bezahlt werden . Erſter Küchenchef von Paris jährlich Zweiter
5000 Dollars
.
1200
Privatſekretär der Hausfrau
3000
Privatlehrer für die Kinder
2000
Gouvernante .
1000
Zwei Kindermädchen
1000
Haushälterin .
1000
Fünf þausmädchen
1200
Erſter Kutſcher . Zweiter und dritter Kutſcher . Chauffeur
11
1200
.
1200
Il
1000
Erſter Rammerdiener .
900
Zweiter
600
Gärtner
1000
Bier Gehilfen
2500 23800 Dollars
oder nahezu hunderttauſend Mark für Löhne allein !
Newport, das Millionärbad .
373
Dabei bemerkt das ,, Cosmopolitan Magazine " , daß dies nur für eine „ruhige“ Haushaltung gilt ! Bei größeren, wie in den Häuſern von Aſtor oder Vanderbilt , ſteigt die Summe aufs Doppelte.
Vanderbilt
zahlt beiſpielsweiſe ſeinem Küchenchef Joſef vierzigtauſend Mark im Jahre, aljo ſo viel wie unſere Miniſter beziehen. Die ganzen Ausgaben
für
die Haushaltung
der amerikaniſchen
Multimillionäre werden im Durchſchnitt wie folgt angegeben : Laufende Ausgaben für Küche und Haus, die Löhne für fünfundzwanzig Diener eingeſchloſſen . d
30000 Dollars
Für Bälle, Diners, Feſtlichkeiten , Blumen u . 1. w.
50000 .
50000
Auslagen für Geſtütfarm , Wagen und Wartperſonal
40000
Unterhalt der Dampfjacht .
Gärten, Gewächshäuſer, Parkanlagen, Wege und Per 20000
ſonal dafür Toiletten für die Damen, Kleider für die Männer und Kinder .
.
20000
50000
Taſchengeld für die Familie
Automobile
.
.
Spezialwaggon auf Eiſenbahnen , Reifen, gaben u . f. w .
Hotelaus
.
.
10000
10 000
Ausgaben für andere Wohnſize in den Bergen oder 20000
im Süden
zuſammen 300000 Dollars oder ein und eine Viertelmillion Marf ohne Ausgaben für wohl tätige Zwecke, Geſchenke, Ärzte, Neuanſchaffungen und dergleichen . Die Summen erſcheinen beſcheidenen Durchſchnittsmenſchen einfach unglaub lich, entſprechen aber , wie ihre Veröffentlichung in einem ſo ernſten Blatt ergibt , den Tatjachen. für
Man denke nur: achtzigtauſend Mark
Toiletten und Kleider im Jahre !
Und doch gibt es in Amerika,
unter dem ,,Set“ von Newport beſonders , viele Damen , welche für ſich allein jährlich das Doppelte dieſes kleinen Vermögens ausgeben ; welen gar nicht gerechnet .
Ju
Das Baumwollreich .
374
So kommt es , daß bei ſchlechtem Geſchäftsgang ſogar dieſe fröſuſſe an Geldknappheit zu leiden haben.
Sich einſchränken , Gattin und
Töchtern den Toilettenlurus verbieten, weniger Feſte veranſtalten , gibt es nicht.
Da wird denn aus Erſparnisrückſichten eine Sommerreiſe
nach Europa unternommen, die Reſidenz in New York und die Cottage in Newport vermietet.
Jmmer kommen neugebackene Millionäre aus
den Kohlen- und Eiſenbezirken Pennſylvaniens, den Kupferminen und Induſtrieſtädten des Weſtens , die ſich gern in der Sonne Newports wärmen wollen .
Sie zahlen dann für eine Cottage für die zwei
monatliche ,,Seaſon “ vierzig- bis ſechzigtauſend Mark Miete ; ja einzelne koſten bis zu hunderttauſend Mark, immer noch geringer als manche Mieten, die in New York bezahlt werden . Die Vierhundert “ von New York werden indeſſen ſelbſt von den größten Finanzkataſtrophen nicht betroffen ; unternehmen ſie ihre Jacht reijen nach Europa oder um die Welt, die Hunderttauſende von Dollars verſchlingen , ſo laſſen ſie ihre verſchiedenen amerikaniſchen Reſidenzen unbewohnt, und ihre zahlreiche Dienerſchaft führt
dann das reine
Herrenleben .
33. it dem
Das Baumwollreich .
alten ſchläfrigen Süden iſt es vorbei .
Noch icheint die
MIS warme Sonne ganz ſo wie zur Sklavenzeit auf die weiten
Pflanzungen von Alabama und Miſſiſſippi, noch erſchallt heute wie damals aus den kleinen Siedlungen der Schwarzen ihr melodiſcher Geſang , noch ſieht man ihre kraushaarigen Mädchen die langen Reihen der Baumwollſtauden abſchreiten, um die weißbärtigen Samenkapſeln zu pflücken .
Hinter dem verrenhauſe hört man das polternde Geräuſch
der Maſchinen , in welchen die zarten ſchneeweißen Floden von den braunen Kapſeln und Körnern losgetrennt werden , und an den Kreſ .
Das Baumwollreich .
375
ſen arbeiten ſtramme, pechſchwarze Rieſen , um die Schneefloden zu Balen zuſammenzudrücken . Aber an die Stelle der alten franzöſiſchen und engliſchen Pflanzer ariſtokratie, die in ſtattlichen , ſchloßartigen Herrenhäuſern wohnte und die Plantagenarbeit
ihren
anderes Element getreten .
Aufſehern
überließ ,
iſt
heute ein ganz
Der Yankee, der Carpetbagger aus den
Nordſtaaten, iſt in Alabama und Virginien , die Karolinen , Miſſiſſippi und ihrem
Louiſiana
eingedrungen und hat
Schlaf geweďt.
Mit den
die
trägen
ungezählten
Southerners aus
Millionen nördlichen
Kapitals hat er die alten Pflanzer ausgekauft oder auf jungfräulichem Boden neue Plantagen angelegt, mit der ihm angeborenen Rückſichts loſigkeit hat er die verlotterten Nachkommen der einſtigen Sklaven zu emſiger Arbeit angetrieben , mit ſeinem Anpaſſungsvermögen und praktiſchen Blick neue Maſchinen , einfachere Verfahren in den alther gebrachten Betrieben eingeführt.
Er begnügt ſich nicht damit, Pflanzer
zu ſein und ſeine Ernten den Baumwollhändlern zu verkaufen.
Der
Yankee im Süden ſagt ſich ganz richtig: Wir erzeugen hier zwiſchen Maryland und dem Merikaniſchen Golf drei Viertel der ganzen Baum wollernte der Welt.
Wir haben aber bis in die leßten Jahrzehnte
davon gar nichts verarbeitet, ſondern unſer Roherzeugnis an die Nord ſtaaten und an das Ausland abgegeben , und dieſe ziehen aus der Verarbeitung den ganzen Nußen .
Wenn wir ſelbſt Spinnereien und
Webereien errichten , können wir dieſe Verarbeitung um ein Zehntel billiger unternehmen ; denn wir erſparen die Frachtkoſten für das Roh material, das rings um uns wächſt, wir haben in den Negern billigere Arbeitskräfte, wir haben längere Arbeitſtunden , weniger ſtrenge Ge ſepgebung , die Maſchinen können wir gerade ſo gut beziehen wie die Neuenglandſtaaten , die heute die amerikaniſche Baumwollverarbeitung in Händen haben ; während dieſe das Heizmaterial , die Kohle, erſt von weither beziehen müſſen, haben wir ſie in unſeren Staaten ſelbſt, noch dazu viel billiger.
So ſind denn tatſächlich in den Südſtaaten im Laufe der legten
Das Baumwollreich .
376
Jahre øunderte von Spinnereien und Webereien entſtanden , und in der nächſten Zeit wird die ganze Baumwollinduſtrie eine radikale Um wälzung erleiden , bei
der auch Europa in Mitleidenſchaft
kommt.
Europa kann ſich nicht helfen , denn es bleibt in ſeinem Baumwoll bedarf
noch
auf
lange
Zeit
von Amerika
abhängig.
Verarbeitet
Amerika ſeine Baumwolle ſelbſt , dann hat Europa eben das Nach ſehen , und ſeiner Baumwollinduſtrie wird es ſchlecht ergehen , ſelbſt wenn ſie auf die Ausfuhr von Baumwollſtoffen teilweije verzichten und nur für den eigenen Bedarf arbeiten wollte.
Die Ausfuhr geht
allmählich , aber unabwendbar an die amerikaniſche Induſtrie über. Jetzt ſchon führt Amerika Stoffe und Garne im Werte von zweihundert undzwölf Millionen Mark aus, und beſonders China iſt ein guter Abnehmer – im Jahre 1904 05 von nicht weniger als vierhundert undſiebzig Millionen Metern , mit denen man unſerer Erde rings um den Äquator eine mehrfache Leibbinde geben könnte.
Nach Südamerika
gingen an fünfzig Millionen , nach Weſtindien und Zentralamerika an fechzig Millionen Meter.
Von der ganzen Welternte an Baumwolle
jährlich zuſammen
gegen achtzehn Millionen Ballen zu fünfhundert Pfund
entfallen
dreizehneinhalb Millionen auf Nordamerika allein , und von dem Reſte, viereinhalb Millionen, kommt wegen der eigenen Induſtrie der Baum wolländer nicht mehr viel nach Europa.
Oſtindien , nächſt Amerika
das wichtigſte , erzeugt ungefähr zwei Millionen Ballen , verbraucht aber eineindrittel Millionen ſelbſt und ſendet den Reſt größtenteils nach Japan, deſſen Bedarf auf nahe eine Million Ballen geſtiegen iſt. Meriko erzeugt hundertjünfundzwanzigtauſend Ballen und verbraucht den größten Teil im
eigenen Lande.
Es bleiben ſomit an größeren
Mengen zur Verfügung Europas die eineinjechzehntel Millionen Ballen , welche Ägypten , und die Drittelmillion Ballen , welche Braſilien er zeugt.
Nun hat aber Europa einen Bedarf von achteinhalb bis neun
Millionen Ballen im
Werte von ungefähr achtzehnhundert Millionen
Mart , und dieſe müſſen vornehmlich von Amerika bezogen werden .
377
Das Baumwollreich.
Heute noch iſt dies zu dem Durchſchnittspreiſe von zehn bis elf Cents das Pfund möglich, denn der eigene Bedarf Amerikas an Baum wolle beläuft ſich auf viereinhalb Millionen Ballen , und
es kann
daher von ſeiner Ernte , dreizehneinhalb Millionen , gerade die von Europa gebrauchten achteinhalb bis neun Millionen Ballen entbehren. Wie aber in Zukunft ? raſchen
Freilich iſt die Baumwollernte in Amerika in
Steigen begriffen .
Innerhalb der lezten zwanzig Jahre hat
fie ſich verdoppelt, und um die Jahrhundertwende hätte wohl niemand geahnt , daß eine Ernte von dreizehn bis vierzehn Millionen Ballen in abſehbarer Zeit möglich wäre. Aber noch viel raſcher als die amerikaniſche Baumwollproduktion wächſt die dortige Baumwollinduſtrie.
Im
Jahre 1878 wurden erſt
anderthalb Millionen Ballen im Lande verbraucht, heute viereinhalb Mil lionen .
Davon entfällt der größte Teil der Zunahme auf den Süden,
der damals überhaupt noch keine Baumwollinduſtrie beſaß, während ſie heute bereits jene der Nordſtaaten überflügelt hat.
Der Baum
wollverbrauch im Süden erreicht bereits zweieinhalb Millionen Ballen. Von den vierundzwanzig Millionen Spindeln der amerikaniſchen
In
duſtrie waren vor mehreren Jahren ſchon neun Millionen in jüdlichen Spinnereien ; ſeitdem nahm ihre Zahl um nahe an eine Million zu , während jene der Nordſtaaten ſich nur um fünfundſiebzigtauſend ver mehrte.
Þeute dürften in den ſüdlichen Spinnereien ſchon mehr laufen
als in den nördlichen. Die größte Baumwollinduſtrie hat heute immer noch England, das über achtundvierzigeinhalb Millionen Spindeln verfügt , gegen unddreißig Millionen auf dem ganzen europäiſchen Kontinent.
fünf Dann
folgen Oſtindien mit fünfeinviertel Millionen , Japan mit eineinhalb, Kanada und
Merito mit je dreiviertel Millionen Spindeln .
Der
größte Baumwollverbraucher iſt der europäiſche Kontinent mit fünf einviertel Millionen Ballen ;
dann folgen England mit dreieinhalb,
Oſtindien mit eineindrittel , Japan mit nahe einer Million .
Man
ſieht alſo , daß Amerika heute mit ſeiner Spindelzahl in dritter , mit
378
Das Baumwollreich .
ſeinem Baumwollverbrauch in zweiter Linie ſteht. dort im
Wächſt die Induſtrie
gleichen Schritt wie bisher, dann ſteht es bereits in wenigen
Jahren an der Spige, und da es drei Viertel der ganzen Baumwoll ernte hervorbringt, kann man ſich an den Fingern ausrechnen , daß es mit der Zeit auch den größten Teil davon ſelbſt verarbeiten wird . Die
wichtigſten
Baumwollhäfen
ſind
Liverpool
mit
dreieinhalb
Millionen Ballen Einfuhr und Bremert mit zwei Millionen . dritter
Stelle
kommt
Havre
mit
An
achthunderteinundzwanzigtauſend,
Mancheſter mit einer halben Million , Genua mit vierhundertfünfund ſechzigtauſend, Barcelona mit zweihundertzweiundachtzigtauſend , dann erſt Hamburg mit zweihundertfünftauſend Ballen .
Man ſieht daraus,
daß ſich der europäiſche Kontinent in Bezug auf den Baumwollhandel von England ganz befreit hat.
England bezieht nur ſo viel , als es
für den eigenen und den Verbrauch ſeiner Kolonien bedarf, und Bremen hat den feſtländiſchen Baumwollhandel
zum
großen Teil an ſich zu
ziehen verſtanden. Die großen Vorteile der Baumwollinduſtrie in Amerika kommen vornehmlich dem Süden , nicht den Nordſtaaten zu gute.
Hier iſt ſie
am ſtärkſten in den Neuenglandſtaaten anſäſſig ; der bedeutendſte Siß iſt immer noch von Boſton .
die Stadt Fall River in Maſſachuſetts, unweit
Obſchon auf amerikaniſchem Boden gelegen , erſchien ſie
mir mit ihren rieſigen Fabrikgebäuden , ihren ausgedehnten Arbeiter vierteln und ſchmuřigen Hafenſtraßen eher wie eine der alten ſtädte
Englands ,
wie
überhaupt
die
Erinnerungen
an
Fabrik
das
alte
Mutterland der Vereinigten Staaten nirgend lebhafter ſind als in Neu england. Troß ſeines Namens iſt es der älteſte, konſervativſte, induſtries reichſte, aber am langſamſten fortſchreitende Teil der Neuen Welt, ja ſeine Hauptſtadt Boſton iſt ſogar verhältnismäßig im Rückgang be griffen.
Fall River hat ſeine
induſtrie zu danken .
heutige Größe nur der Baumwoll
In ſeinen hundert Fabriken arbeiten gegen vier
zigtauſend Arbeiter und produzieren auf drei Millionen Spindeln und fünfundſiebzigtauſend Webſtühlen
jährlich gegen
hundert Millionen
379
Das Baumwollreich .
Meter Stoffe.
Die zum Treiben der Maſchinen erforderliche Kraft
erreicht hunderttauſend Pferdekräfte. Jede Woche wird eine Viertelmillion Stüd Stoffe erzeugt .
Eine
einzige Fabrik mit dreihunderttauſend Spindeln , neuntauſend Web ſtühlen und dreitauſend Arbeitern produziert jährlich einhundertfünfzig Millionen Meter Stofie, ſtündlich
bei zehn Stunden Arbeitszeit
im Tag - ſomit fünfzig Kilometer.
Eine Schnellzuglokomotive könnte
alſo den fertigen Stoff aus der Fabrik ziehen und damit jährlich vier mal den Erdball umkreiſen . Auf jeden Arbeiter entfällt eine tägliche Produktion von hundert ſechzig Metern Stoff zu der üblichen Breite, und doch ſind dieſe Arbeiter mit den wenigſten Ausnahmen keineswegs geſchulte Kräfte , ſondern rekrutieren ſich aus den Einwanderern , die täglich in New York oder Boſton eintreffen , darunter vornehmlich franzöſiſche Kanadier aus der Provinz Quebek, dann Jtaliener, Portugieſen , Polen, Ungarn , Kuſſen und Armenier , nur wenige Deutſche.
Fall River iſt von den
ge
nannten Einwanderungshäfen in wenigen Stunden zu erreichen , und die Leute laſſen ſich dort gerne für den üblichen Tagelohn von anderthalb Dollar ( über ſechs Mark) beſchäftigen , bis ſie eine ihnen mehr zu ſagende Arbeit finden .
In jeder Woche
verlaſſen
einhundert bis
zweihundert Arbeiter die Fabrik, andere treten ein ; dieſer
fortwäh
rende Wechſel würde ſich in der Qualität der Ware ſehr fühlbar machen , wenn die eigentliche Arbeit nicht durch die Maſchinen beſorgt würde.
Auch zahlreiche Frauen ſind in den ungeheuren Sälen zu
ſehen ; ſie erhalten für die Beaufſichtigung der ſchwirrenden, klappern den Maſchinen einen Wochenlohn von durchſchnittlich vierundzwanzig Mark.
Anaben und junge Mädchen verdienen zwölf bis zwanzig Mark
die Woche. Nur ein geringer Teil ſind geſchulte engliſche Arbeiter aus den Lancaſhirefabriken, und auch dieſe würden die Fabrikherren gerne fortſchaffen , wenn ſie entbehrt werden könnten.
Sie bringen nämlich
aus England neben ihrer Fachkenntnis auch gewerkſchaftliche Ideen mit und veranlaſſen die anderen Arbeiter bei allen ſich darbietenden
Das Baumwollreich .
380
Anläſſen zum
Streit.
Unfolge des immer ſtärkeren Wettbewerbs des
Südens iſt der Gewinn für die Fabrikherren ohnedies nicht bedeutend , und die geringſte Preisſteigerung der Baumwolle hat ſchon Berluſte zur Folge.
Die hundert Fabriken von Fall River verarbeiten jährlich
eine halbe Million Ballen Baumwolle.
3m Jahre 1904 trat z . B.
durch die Treibereien der Spekulanten eine Preisſteigerung von einigen Cents für das Pfund Baumwolle ein, was für den Jahresverbrauch an neun Millionen Dollars ausmachte.
Nun betrug die Geſamtdivi
dende, welche die Aktionäre der Fall -River- Fabriken in den ſieben vor hergehenden Jahren verdienten ,
kaum
acht Millionen Dollars; die
Preisſteigerung des Jahres 1904 brachte ſie daher um mehr als den ganzen Gewinn .
Dieſen Schwankungen kann nur durch eine möglichſte
Erſparnis an Arbeitslöhnen , alſo durch die möglichſte Vervollkommnung der Maſchinen begegnet werden .
Die
amerikaniſchen Fabriken be
ziehen dieſelben zum größten Teile aus England , doch ſind in Bezug auf die Zu- und Abfuhr des Materials, Verpackung u. 1. w . namhafte Verbeſſerungen im Vergleich zu dem Spinnparadies Lancaſhire auf zuweiſen . Als James Northrop ſeinen nach ihm
benannten Webſtuhl erfand ,
zögerten die Lancaſhire- Fabrikanten mit der Einführung , und heute noch ſind die konſervativen Engländer nicht zu bewegen ,
ihre alten
Webſtühle durch die neuen zu erſeßen, vielleicht weil ſie feinere Ware als die Amerikaner erzeugen, und die feineren Garne in den Northrop Webſtühlen häufiger reiſen .
So behauptete wenigſtens mir gegenüber
einer der größten engliſchen Weber . ſofort ihre
bisherigen
Die Amerikaner dagegen warfen
Webſtühle hinaus oder tauſchten ſie bei den
Fabrikanten
der neuen Webſtühle gegen die Northrops um .
Fabrikanten
haben
dieſe aber ſofort
zu
doch
keinerlei
als
vernichten .
Verwendung
Teilzahlung
für
Sie verlieren
die
für
die
alten ,
Northrops
an ,
Dieſe nehmen um
ſie
dadurch Hunderttauſende
von
Dollars ; aber dieſer Verluſt wird nach einer Reihe von Jahren wieder glänzend eingebracht werden .
Würden ſie dieſe Politik nicht
eins
Das Baumwollreich.
381
ſchlagen , dann müßten die Webereibeſißer bei der Anſchaffung der Northrops
die alten Webſtühle kleineren Webereien verkaufen , die
froh wären, für geringes Geld ihre Betriebe zu vergrößern .
Dadurch ,
daß die Northrop- Fabrikanten die alten Webſtühle auflaufen und zer ſtören , machen ſie Raum für ihre neuen.
Wird eine neue Weberei
errichtet oder eine ſchon beſtehende vergrößert , ſo müſſen natürlich Northrops angeſchafft werden , ſchon aus dem einfachen Grunde , weil bei ihrer Verwendung zwei Drittel der bisherigen Arbeitslöhne er: ſpart werden .
Und darin liegt der Gewinn.
Ein ſolcher Northrop - Webſtuhl iſt in der Tat vollkommen tätig .
Bei
ſelbſt
gewöhnlichen Webſtühlen müſſen die Arbeiter beſtändig
aufpaſſen , ob nicht ein Kettengarn reißt, den Betrieb einſtellen, fliden und knüpfen .
3ſt die Garnſpule im Weberſchiffchen erſchöpft, ſo muß
ſie durch eine neue erſeßt werden u. 1. w . dies
alles
automatiſch ;
fehlerhafte
Beim Northrop geſchieht
Stellen
im
Stoffe,
die
das Reißen von Nettengarn entſtehen , ſind ganz ausgeſchloſſen.
durch Die
Kettengarne werden hier durch kleine Meſſingſchlüſſel gezogen .
Reißt
ein Garn , ſo fällt der Schlüſſel herab und die Maſchine bleibt ganz von ſelbſt ſtehen . An dem Northrop befindet ſich eine drehbare Scheibe mit dreißig Öffnungen , in denen je eine Garnſpule ſteckt, ungefähr ähnlich den Patronenkammern unſerer Revolver.
Fit die im Weber
ſchiffchen ſteckende Spule bis auf den legten Meter Garn angelangt, ſo geht das Weberſchiffchen unter die Scheibe , die Spule wird auto matiſch herausgeworfen und fällt unterhalb in einen Behälter ; eine neue Spule fliegt in das Schiffchen , das Garn fädelt ſich von ſelbſt ein , und das Weberſchiffchen ſeşt ſeine Arbeit fort ! Weber
kann alſo
Ein geübter
zwanzig Northrop- Webſtühle beſorgen.
In
den
großen Sälen , in denen ſie aufgeſtellt ſind und raſtlos Meter für Meter Stoff hervorbringen , ſieht man kaum ein paar Menſchen ; nur zeitweilig kommen Knaben , um neue Spulen zu bringen oder die fertigen Stüđe Stoff fortzunehmen . Nun denke man ſich dieſe Automaten in den Südſtaaten , wo das
382
Die Probleme des Panamakanals .
Rohmaterial gewiſſermaßen , wie der Amerikaner ſagt, „ over the fence “, nur über die Hece gelangt zu werden braucht, um die Automaten zu füttern , dazu Arbeitslöhne von dreiundzwanzig Mark die Woche für einen erwachſenen Arbeiter , ſechzehn Mark für Frauen , zehn Mark für junge Mädchen , endlich die unmittelbare Nähe der atlantiſchen Seehäfen , dann wird man begreifen , daß die Zukunft der Baumwoll induſtrie dort unbegrenzt iſt. Selbſt aus den Neuenglandſtaaten ſind ſchon eine ganze Reihe großer Betriebe nach den Südſtaaten übergeſiedelt, und das Kapital , das in Amerika der Induſtrie zur Verfügung ſteht, das unerſchöpfliche Roh material , verbunden mit billiger Koble an Ort und Stelle, ſchaffen dort Bedingungen , gegen welche das alte Europa nicht ankämpfen kann .
34. Die Probleme des Panamakanals . 8 iſt jeßt ungefähr ein Vierteljahrhundert her, jeit mit dem
Ver
E ſuch der Durchſtechung des Iſthmus von Panama begonnen worden iſt.
Der Kanalbau hat bereits Milliarden verſchlungen , viele Tauſende
von Menſchenleben gefordert und die Grabkreuze zwiſchen Colon und Panama ſind dort jo zahlreich wie die Schwellen der Gijenbahn , die immer noch die einzige Verbindung zwiſchen den beiden Weltmeeren bildet.
Jn dem
weißer Mann
tropiſchen Dſchungel, das der kühne Balboa als erſter durchquerte , iſt eben bis jetzt in dem Kampf mit den
Menſchen die Natur ſtärker geblieben .
Alles greift ſie an , alles ver
nichtet ſie, was Menſchen dort ſchaffen, alles überwuchert und begräbt fie unter dem
üppigen , ewig grünen , ewig wachſenden , ewig lebenden
Tropenkleide.
Die gewaltigſten Maſchinen , die menſchliche Kunſt zu
ſtande gebracht, zerbröckelt ſie zu Roſt und Staub, und die Unmengen von Baggerapparaten , Waggons, Lokomotiven , Dampfmaſchinen, Win den , Netten , Schrauben , Bolzen , welche die franzöſiſchen
Panama
383
Die Probleme des Panamakanals.
geſellſchaften zur Herſtellung des Hanals im Laufe zweier Jahrzehnte nach dem 3ſthmus gebracht haben , fanden in Panama ihr eigenes Panama .
Von all dem
Material , das ich bei meinem erſten Beſuch
der Kanalarbeiten vor etwa zwanzig Jahren ſo glänzend und blin tend gefunden habe, von all dem, was ſeither für Hunderte Millionen franzöfiſchen Geldes angeſchafft worden iſt, können nur wenige Stücke zur Verwendung gelangen . und
an
Rings um Colon liegen an den Küſten
der wieder halbverſchütteten
Kanallinie verſtreut fünfund
zwanzig Schiffsladungen der ſchönſten Maſchinen und Eiſenbeſtandteile verroſtet, durchlöchert, zerbröckelt!
Fm Dichungel längs der Eiſen
bahn , nahe Gorgona , liegen halb im Schlamm vergraben ſechzig fran zöſiſche Lokomotiven !
Nur was fortwährend eingeölt und ausgebeſſert
werden konnte, kann heute noch von den Erben des franzöſiſchen Unter nehmens , den Amerikanern , verwendet werden.
Für die Milliar
den, die Frankreich geopfert hat , haben ſie vierzig Millionen Dollars bezahlt
nd damit einen Graben gekauft , der einſt eine elf engliſche
Meilen lange fertige Kanalſtrecke war, heute aber nur mehr auf zwei Meilen mit einem Lokaldampfer befahren
werden kann !
übrige halbverſchüttete Strede fönnen ſich noch mühſam barkaſſen den Weg bahnen .
Durch die
kleine Dampf
Nur an der Waſſerſcheide, an den be
rüchtigten Höhen der Culebra , zeigt ſich als Denkmal franzöſiſcher Energie noch wohlerhalten , weil in Stein gegraben , der Einſchnitt zur Hälfte vollendet.
Dort haben
die Franzoſen am
Culebraberg
allein an zwanzig Millionen Kubikmeter ausgeſprengt, die Amerikaner haben ſeither noch fünf Millionen ausgehoben , und dreiundzwanzig Millionen bleiben noch übrig ,
alſo ſo viel wie ein halbes Dußend
Cheopspyramiden enthalten ! Die Verhältniſſe haben ſich bei der Übernahme des Kanals durch die
Amerikaner
vollſtändig
geändert.
Den
Franzojen
dünkte
die
materielle Ausführung des Kanals leicht, und die ſchwierigſten Pro bleme , die ſich ihnen entgegenſtellten , waren Zeit und Geld .
Zeit
inſofern , als die Regierung von Kolumbien ihnen die Konzeſſion für
Die Probleme des Panamafanals .
384
die Herſtellung des Kanals auf einige Jahre beſchränkte, Geld , weil das
Unternehmen ein privates war
und die Aktien nur mit den
größten Opfern bei einem Zinsfuß von ſechs vom øundert anzubringen waren , ein Zins , der das Kapital in acht Jahren zur Hälfte auffraß. Gerade das , Zeit und Geld , haben die Amerikaner im reichſten Maße.
Zeit, weil ſie den Kanal einfach von der folumbianiſchen Re
gierung unabhängig gemacht haben .
Sie veranlaßten die Provinzen
am Iſthmus, einen unabhängigen Staat zu ſchaffen , der inzwiſchen von den Großmächten als ſolcher anerkannt worden iſt.
Als Gegen
geſchenk - eine Hand wäſcht ja bekanntlich die andere ſchmußig bedangen ſie ſich von dem Staatlein , das ſie aus der Taufe hoben, einen Landſtreifen von je zehn Meilen Breite zu beiden Seiten des Kanals , von Meer zu Meer , ein Gebiet von der Größe manches deutſchen Bundesſtaates.
Und
das
bekamen
fie
gleich
für
Zeiten , brauchen ſich alſo um Konzeſſionen nicht zu kümmern. Geld ?
ewige Und
Geld haben ſie ja wie Heu , und auf ein paar hundert Mil
lionen Dollars kommt es gar nicht an.
Vorläufig hat der Kongreß
hundertvierzig Millionen , das ſind über eine halbe Miliarde Mark, bewilligt, und wird noch eine halbe oder eine ganze gebraucht, gut, dann wird ſie ebenfalls bewilligt ! Inzwiſchen haben ihre Ingenieure den Iſthmuß durchforſcht, viel genauer, als es durch die Franzoſen je geſchehen iſt, und da haben ſie andere Probleme gefunden , über deren Löſung ſie ſich auch heute noch nicht klar ſind.
Ein Leiter des Unternehmens nach dem anderen ,
im ganzen drei, verſuchten die harten Banamanüſſe aufzuknaden , biffen fich die Zähne aus und verſchwanden.
Nun hat der Präſident be
ſtimmt, daß die Offiziere des amerikaniſchen Ingenieurkorps die Leis tung übernehmen ſollen.
Vederemo !
Das erſte Problem, das noch immer der Löſung harrt, iſt: offener Schiffskanal oder Schleuſenkanal ? Die Fachleute liegen darob einander in den Haaren .
Von der techniſchen Rommiſſion, welche die Frage
an Ort und Stelle ſtudierte, ſind zwei Drittel für den offenen Manal .
Die Probleme des Panamakanals .
385
Aber das reſtliche Drittel des Schleuſenkanals geht viel energiſcher ins Zeug , und der letzte Chefingenieur, Stevens , ließ ſogar ſchon an den Fundierungen für die Schleuſen arbeiten .
Ob es dabei bleibt,
wiſſen vorläufig die Götter allein . Zunächſt möge gejagt werden , daß es am Iſthmus von Panama einen offenen Kanal, wie etwa der Suez- oder Korinthkanal, gar nicht geben kann .
Auch der ſogenannte offene, von See zu See auf Meeres
niveau, wird eine Schleuſe nahe der Stillen - Ozean - Küſte haben müſſen . Nicht weil das Niveau der beiden Meere , wie es von mancher Seite unſinnigerweiſe geglaubt wird, verſchieden wäre. Gezeiten iſt verſchieden.
Aber das Spiel der
Im Atlantiſchen Ozean ſchwankt es in der
Höhe ziviſchen vierzig Zentimetern und einem Meter , im Stillen Ozean aber zwiſchen fünf und ſieben Metern .
Unter Umſtänden fann
alſo der Niveauunterſchied mehrere Meter betragen , und das würde im Kanal einen ſo reißenden Strom erzeugen , daß die Schiffahrt darin einfach
unmöglich wäre.
Dafür wird es täglich
zweimal mehrere
Stunden geben , wo der Niveauunterſchied, durch die Gezeiten allein veranlaßt, ausgeglichen wird ; während dieſer Stunden kann die
Flut
ichleuſe des Kanals offen bleiben. Natürlich iſt der offene Schiffskanal weitaus beſſer, dauerhafter, ficherer und geſtattet eine raſchere Durchfahrt der Schiffe als der Schleuſenkanal.
Wenn dieſer überhaupt befürwortet wird , ſo hat es
ſeinen Grund nur in der Erſparnis an Zeit und Geld, nicht an Arbeit, denn die Anlage der Schleuſen iſt mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden .
Es würden damit vielleicht
aber nicht gewiß - ein
bis zwei Jahre und hundert Millionen Dollars erſpart.
Das ſind
Umſtände, die etwa in Dänemark ins Gewicht fallen könnten , aber nicht bei der amerikaniſchen geldprogigen Weltmacht.
Nun ſchießen
wieder die Befürworter des offenen Kanals zurüd und ſagen , Schleuſen können überhaupt nicht angelegt werden .
Dieſe brauchen feſte Funda
mente auf Felſen , in dem Tal des Chagresfluſſes aber , einige zwölf Kilometer von Colon , wo ſie allein gebaut werden können , gäbe es 25 Helſe-Wartegg, Amerita ,
386
Die Probleme des Panamafanals.
nur loderen Sand- und Alluvialboden .
Das veranlaßte Chefingenieur
Stevens, umfaſſende Bohrungen vorzunehmen , und wie er mir vor einiger Zeit ſchrieb, hat er überall leichten Felſen , etwas weicher als Schiefer, geſunden .
Wieder ſchießen die Gegner zurüď und ſagen , der Schleuſen
kanal würde mehr koſten als der offene.
Die drei Schleuſen bei
Colon müßten einen Aufſtieg von je zehn Metern haben und bedürften natürlich viel Speiſewaſſer, um die Schiffe von Stufe zu Stufe empor zuheben , Schiffe von vielleicht dreißig- bis vierzigtauſend Tonnen Ges wicht.
Dieſes Speiſewaſſer könnte nur der ſchlimmſte Unruheſtifter des
ganzen Unternehmens, der ſchreckliche, verheerende Chagresfluß liefern , deſſen Waſſertiefe manchmal, wenn tropiſche Regengüſſe niederpraſjeln, in einem
Tage um zehn Meter ſteigt.
Man müßte alſo bei Gatun ,
zwölf Kilometer von Colon , quer über das zweieinhalb Kilometer breite Flußtal , von Berg zu Berg einen Staudamm anlegen , der vierzig Meter Höhe und an ſeiner oberen Fläche hundertzwanzig Meter Breite beſigen müſſe , um den Druck der Waſſermaſſen auszuhalten. Dazu ſind vierzig Millionen Tonnen Stein- und Erdmaterial erforder lich mit einer guten Fundierung , ſonſt geht er eines ſchönen Tages in die Brüche, und der Kanal iſt vielleicht auf Fahre nicht benutzbar. So geht der vader weiter, und es iſt heute noch nicht ausgemacht , ob ein Schleuſen- oder ein offener Kanal gebaut wird. Dafür · kannten
haben
die Yankees auf anderen
Energie ſchon
vor allem das
Problem
Gebieten
ſehr ſchöne Leiſtungen
mit ihrer be
aufzuweiſen .
Da
iſt
des Klimas mit ſeiner Malaria und dem
ſchredlichen gelben Fieber , das in jedem Jahre Tauſende von Arbei tern hinweggerafft hat. als es den Anſchein hat .
Die Sache iſt von viel größerer Tragweite, Eine der ſchwierigſten Aufgaben der Franz
zoſen war es , eine hinreichende Menge von Arbeitern aufzutreiben und die Arbeiterarmee , zwanzig- bis dreißigtauſend Mann , die all jährlich durch Epidemien dezimiert wurde, wieder zu ergänzen. Da es den Arbeitern bei dent fürchterlichen Alima an den Kragen ging , ſo muſsten
die Franzojen als Locmittel imgeheure Löhne anbieten ,
387
Die Probleme des Panamafanals.
um die Leute zu bewegen, überhaupt nach Panama zu kommen.
Bei
dreißigtauſend Mann , mit je einem oder zwei Franken täglich mehr, macht das im Jahre eine erkledliche Anzahl Millionen, in zehn bis zwölf Jahren aber Hunderte von Millionen .
Es lohnte ſich alſo für
die Amerikaner, nachzuforſchen, ob nicht Beſſerung in den klimatiſchen Zuſtänden geſchaffen werden konnte. Der Chefarzt Dr. Gorgas machte ſich die Forſchungen Dr. Robert Kochs zu nuße und unternahm zu nächſt einen mörderiſchen Feldzug gegen die einzigen Verbreiter, man könnte ſagen, die einzigen Urſachen von Malaria und gelbem Fieber, nämlich gegen die Moskito.
Für dieſe Peiniger , denen die Menſch
heit zum Futter dient und die ſie aus Dankbarkeit vergiften , war Panama das reine Paradies.
Dort waren ausgedehnte Sümpfe , wo
ſie in aller Behaglichkeit ihre Gier legen konnten, warmfeuchte ſchattige Wälder, für ihre Schäferſtündchen wie geeignet , und in Panama wie in Colon , den beiden Küſtenſtädten des Kanals, waren immer friſche Ankömmlinge, an denen ſie ſich nach Belieben mit jüßem Blut voll ſaugen konnten .
War das Wetter ſchlecht, dann
begnügten
ſie ſich
mit einfacherer Moſt. Längs der Kanallinie liegen ja zahlreiche Dörfer der Eingeborenen .
Am nächſten ſchönen Tage umſummten ſie wieder
die Weißen und übertrugen das Fiebergift in deren Blut.
Die For
ſchungen Gorgas’ ergaben , daß ſechzig vom Hundert der Eingeborenen mit Fieberbazillen verſeucht ſind. Kein Wunder, daß in jedem Jahre das Fieber unter den Weißen durch Moskitoanſteckung ſchrecklich wütete . Im Jahre
1906 nun
kam
unter den ſechstauſend Amerikanern am
Iſthmus kein einziger Todesfall mehr vor , während in New York beiſpielsweiſe der Tod bei der gleichen Zahl hundertachtzig Opfer ge fordert hatte. Der Grund liegt in den Maßnahmen des amerikaniſchen Chef arztes.
Zuerſt wurden die Städte geſäubert, Straßenpflaſter an Stelle
des feuchten , ſchlammigen , von Seuchenkeimen durchtränkten Bodens angelegt ; an Stelle der Ziſternen, welche, neben den Senfgruben für allerhand Unrat gelegen , das einzige Trinkwaſſer ſpendeten , wurden
388
Die Probleme des Panamakanals.
Leitungen für friſches, klares Trinkwaſſer angelegt und Kloaken baut , welche den Unrat abführen .
Das alte ſpaniſche und
ge
Neger
häuſergerümpel wurde niedergeriſſen , Licht, Luft , Sonne geſchaffen , die Sümpje wurden ausgefüllt und, wo das nicht möglich war, mit Petro leum übergoſjen, das die Mückenlarven tötete.
Sogar das Weihwaſſer
in den Kirchen muß jeşt von den Prieſtern geſalzen werden , um die Anſteckung zu verhindern . Die Arbeiterwohnungen wurden mit Mückenneşen verſehen , Kranke ſofort iſoliert.
Wenn die ſanitäre Kommiſſion in ihrer Arbeit nicht
erlahmt , ſind die Mücken in Panama auf den Ausſterbeetat gejeßt. Das Klima
bleibt natürlich furchtbar heiß , aber geſund , und jegt
leben die Arbeiter dort ſicher gegen Fiebergefahr.
Seit dies bekannt
geworden iſt, gehen die Anwerbungen neuer Arbeiter, beſonders Gallegos von Nordſpanien und Basken aus Südfrankreich, viel leichter vor ſich, und das kanalunternehmen erſpart Hunderte von Millionen an Arbeits löhnen , ebenſo wie vielleicht ein Jahr an der verſtellungszeit des Sanals , denn Arbeiter ſtrömen in Scharen herbei , jegt ichon durch ichnittlich tauſend in jedem
Monat.
Das dritte Problem , dejjen Löſung den Yankees noch viel Kopf zerbrechen verurſachen wird , iſt die Ablenkung des Rio Chagres vom Kanal .
Etwa in der Mitte des Iſthmus fällt er vom Oſten her der
Nanallinie in die Flanke, und würde er mit ähnlicher Regelmäßigkeit fließen wie etwa die Ems oder Weſer , dann wäre er von gar keiner Bedeutung .
Ein Abzug kanal, parallellaufend mit dem Schiffahrtkanal,
würde ihn ſowie die zahlreichen Nebenflüſſe jeines Unterlaufs auf nehmen.
Zu gewöhnlichen Zeiten iſt er auch ganz harmlos; während
der viermonatigen Regenzeit des Winters aber ſchwillt er mitunter ſchon in wenigen Stunden zu einem ſo waſſerreichen , alles mit ſich fortſchwem menden Strome an , daß er eine engliſche Meile des Kanals, falls ſich kein Waſſer darin befände, innerhalb fünf Minuten anfüllen könnte ! Wiederholt iſt es , wie ſchon gejagt, vorgekommen, daß bei heftigen Regen güſſen das Waſſer in ſeinem Bett in kurzer Friſt um zehn Meter ſtieg !
389
Die Probleme des Panamakanals.
Gegen ſeine Elementargewalt wären die gebräuchlichen Schußbauten vollſtändig nußlos. Die einzige wirkjame Löſung wird in einem gewal tigen Staudamm geſucht, der, ſich an die Berge zu beiden Seiten des Chagrestales anlehnend, in einer Höhe von fünfzig Metern das ganze Tal des Oberlauſs abſperrt.
Dieſer
Damı
würde hinreichen , die
ganze Waſſermenge des Chagres , die während eines Jahres durch jein Bett
herabfließt,
in
einem
Stauſee
aufzufangen .
Schleuſen
würden den Ablauf dieſes Sees nach einem künſtlichen Abzugkanal regulieren, und das Gefälle, das dadurch erzeugt wird, ſoll für groß artige Elektrizitätswerke verwendet werden , welche nicht nur die ganze Kanallinie , ſondern auch die beiden Städte Banama und Colon an ihren Endpunkten mit Licht und Kraft verſehen . Der Gedanke iſt gut, das Unternehmen vorausſichtlich ſogar einträglicher als der Kanal, denn ein Verkehr , wie ihn der Suezkanal aufzuweiſen hat , kann ja vom Panamakanal kaum jemals erreicht werden , während anderſeits ſeine Herſtellungskoſten drei- bis viermal ſo hoch ſein werden wie die des Suezkanals . Wird ein Schleuſenkanal an Stelle des offenen Kanals gebaut, dann würde der Aanal jo viel höher liegen , daß der Staudamm ent ſprechend niedriger ausfallen könnte.
Dafür müßte der große Damm
ungefähr zwanzig Kilometer weiter ſtromabwärts, bei Bohio Soldado, gebaut werden , und damit entſtände ein großer Fnlandjee , der einen Teil des Schifffanals bilden würde, ähnlich wie es beim die Bitterjeen ſind.
Suezkanal
Der Damm iſt ſchon deshalb eine Notwendigkeit,
weil das Speiſen der Schleuſen das ganze Jahr über viel Waſſer erfordert; dieſes kann nur der Chagres liefern , vorausgeſetzt, daß ſein Ablauf für das ganze Jahr gleichmäßig geregelt wird.
Vorder
hand iſt die Sache in der Schwebe, bis man ſich über die Frage , ob Schleuſenkanal, ob offener Kanal, endgültig entſchieden hat. Vor allem
gilt es , das Felsmaſſiv der Waſſerſcheide, die Culebra ,
zu durchſchneiden , und das iſt das vierte Problem des Kanalbaus . Ein Wert von ſo ungeheurem Umfang iſt von Menſchenhänden nie
390
Die Probleme des Panamakanals.
mals unternommen worden .
Wir ſtehen bewundernd vor den Gizeh
pyramiden und fragen uns, wieviel Tauſende und aber Tauſende von Menſchen daran gearbeitet haben, wieviel Jahre zur Erbauung einer einzigen
erforderlich waren .
Nun
denn , die Menge von Felsgeſtein
und Lehm, die allein aus der Waſſerſcheide des Panama - Iſthmus heraus gehoben und fortgeſchafft werden muß, um dem Kanal den Weg zum Stillen Ozean zu öffnen , iſt fünfzig- bis ſechzigmal größer , als die größte der Pyramiden, jene des Cheops, enthält.
Würde die Berliner
Friedrichſtraße eine Breite von zwanzig Metern beſigen , würde ſie von Berlin bis nach Möln reichen , dann könnte man mit dem Aushub an der Culebra dieſe Straße zwiſchen ihren Häuſerreihen bis an die Hausdächer auffüllen !
Die Franzoſen haben dort ihren Nachfolgern
einen großen Teil dieſer Titanenarbeit abgenommen .
Urſprünglich war
die Erhebung über dem Boden des Kanals annähernd hundertzwanzig Meter , jegt noch ſind auf einer Stređe von acht engliſchen Meilen durchſchnittlich an ſechzig Meter auszuſprengen .
Das ganze auszu
hebende Material iſt nicht weit entfernt von zweihundert Millionen Tonnen .
Sämtliche Schiffe der engliſchen Sandelsflotte könnten nur
ein Zwanzigſtel dieſer Menge aufnehmen . Für
dieſes
Werk
ſind
Menſchenhände
nicht
ausreichend.
Die
Amerikaner bra hten daher jene gewaltigen Maſchinen zur Verwen dung, die ſie ſchon ſeit Jahren in den ausgedehnten Eiſenminen des Superiorſees eingeführt haben .
Als ich ſie in Tätigkeit fah , kam es
mir vor, als ſtände ich vor ſtählernen Titanen, die mit gewaltigen Grif fen ihrer gepanzerten Hände gleich fünfzig bis hundert Tonnen Felſen auf einmal faßten , um werfen.
ſie in die bereitſtehenden Eiſenbahnzüge zu
In der Tat haben die findigen Amerikaner bei der Non
ſtruktion dieſer Titanen einfach die Handbewegungen eines Natur menſchen nachgeahmt, wenn er Schutt auſlejen will. An dem Ein ſchnitt in der Culebra wird in mehreren Stufen gleichzeitig gearbeitet, denen entlang auf Eiſenbahnen die Laſtzüge hin und her laufen bis zu den Arbeitſtellen.
An diejen ſtehen transportable drehbare Dampf
391
Die Probleme des Panamakanals.
krane ,
von deren Galgen an Zuerſt
hängen .
ſchaufeln
Dynamit geſprengt werden . ein
Maſten
unterer Teil
Netten ſogenannte
ſchweren
auszuhebende
das
muß
Material
mit
Dann fällt die ſtählerne Dampfſchaufel
von mehreren Metern Durchmeſſer
öffnet ſich
Dampf
wie ein Gebiſs
herab ,
ihr
mächtigen ſägeartigen
mit
Zähnen , greift in die Steinhaufen und faſt eine Ladung von fünf zig bis hundert Tonnen .
Ein
Griff des Mannes oben im Kran
an einem Hebel, der Kaſten hebt ſich mit ſeiner Laſt, dreht ſich und läßt ſie in die Waggons zur Seite des Dampfkrans fallen.
Das
wiederholt ſich während zwanzig bis dreißig Minuten , und der ganze Eiſenbahnzug ſchaufeln
von zehn Laſtwagen
ſind
gegen
ſiebzig
iſt gefüllt.
im
Derartige
Culebra - Einſchnitt
Dampf
aufgeſtellt,
aber trotz ihrer Titanenarbeit wird es wohl ſechs bis acht Jahre dauern , bis die erforderliche Tiefe auf der ganzen Linie erreicht iſt. Während werden , muß .
der
vier
Regenmonate
kann
eben
nicht
beſonders an den Stellen , wo Lehm Er bleibt
dann
an den
Schaufeln
kleben und die halbe Arbeit iſt umſonſt
viel
gearbeitet
ausgehoben werden
und
in
den
Waggons
eine koſtſpielige Sache,
denn jede ausgehobene Tonne koſtet zwei bis vier Mark.
Darum
verwenden die Amerikaner hier nicht die gebräuchlichen Laſtwagen , ſondern ſolche, die umlegbare Stirnwände haben .
Iſt der Zug von
zehn Waggons zuſammengeſtellt, ſo werden dieſe Wände umgelegt, Wagen
unſerer
D- Züge , nur der ganzen Waggonbreite nach , während die
ähnlich
wie die Verbindungsplatten
Seiten
wände ſtehen bleiben . auf Waggonrädern .
zwiſchen
den
Der Zug ſieht dann aus wie eine Kegelbahn Iſt er mit Schutt vollgefüllt, ſo bringt ihn die
Lokomotive dorthin, wo abgeladen werden ſoll. Statt aber den Schutt auszuſchaufeln oder die Waggons zu ſtürzen , wird eine Art Schnee pflug am hinteren Ende daraufgeſeßt und mit der Lokomotive durch ein Drahtſeil verbunden.
Die Lokomotive jetzt eine Winde in Be
wegung, der Pflug fährt durch die Regelbahn und ſtreift in wenigen Minuten den ganzen Schutt zu beiden Seiten ab.
392
Alaska .
Iſt einmal der Culebradurchſchnitt fertig , dann iſt die ſchwierigſte Aufgabe des Kanalbaus gelöſt.
Aber es wird, wie geſagt , zum min
deſten, wie die Amerikaner hoffen, ſechs bis acht Jahre dauern .
Un
abhängige Fachleute, die fühler urteilen , ſprechen von der doppelten und dreifachen Zeit .
Ob alſo viele von uns , die wir uns heute des
Daſeins freuen , die Eröffnung des Panamakanals erleben werden , iſt ſehr die Frage.
Es wäre ſehr nett geweſen , wenn das erſte Schiff
mit dem ſtolzen Sternenbanner zur vierhundertſten Tages, an welchem
Wiederkehr des
Balboa hier den Stillen Ozean entdecte, alſo im
Jahre 1913 den Kanal von Meer zu Meer hätte durchfahren können , aber das wird ſicher ein frommer Wunſch bleiben .
gere
35. Alaska. In welchem
Galopptempo es in dem geſegneten Amerika vorwärts
geht J , " bel, zeigt Salope neuerdings ficamos wieder en en das de junge jarenemail , kaum me aus sempre dem Ei ages ge krochene Territorium
Alaska .
Es war gelegentlich der Klondyke- Gold
funde, daß der Name Alaska überhaupt in der Welt genannt wurde, und bereits wagt es dieſes Baby unter den Staatengebilden, für das Jahr 1909 eine Art
Weltausſtellung anzukündigen .
Die arktiſchen
Springinsfelde haben dabei wenigſtens ſo viel Vernunft, die Welt nicht durch die Aleuten hindurch zu
in
das eisumgürtete Behringmeer
dieſer Weltausſtellung einzuladen.
Das
war ihnen doch
klar,
daß kein Menſch zu ihnen hinauf auf die nördliche Breite von Grön land und Kamtſchatka kommen würde , um ſich die Goldklumpen und Belze anzuſehen , die im
Verein
mit Fiſchen und ein paar anderen
Naturprodukten das Um und Auf der Erzeugniſſe Alaskas bilden.
So
haben ſie denn beſchloſſen , die Ausſtellung ein paar hundert engliſche Meilen
weiter ſüdlich , in Seattle , zu veranſtalten , dieſem jungen
Handelsemporium
am Puget Sound im
Staate Waſhington, der auch
nicht viel mehr als ein Baby unter den Unionſtaaten iſt.
Immerhin
Alaska .
393
iſt es ein unglaubliches Wagnis, aber ſie wiſſen wohl, was ſie damit bezwecken : Reklame, die Blicke der Welt auf Alaska zu lenken , Ein wanderer anzulocken , Kapitalien
herbeizuziehen , um ihr Land weiter
zu entwideln . Wer erinnert ſich nicht an das Klondyke - Fieber, das vor einer Reihe von Jahren die Abenteuerlichen unter den Erdenbewohnern erfaßte , und
an
gebiet ?
die fabelhaften
Berichte
über
die
Goldſunde
im
Yukon
Tagtäglich brachten die Zeitungen irgend eine ſenſationelle
Nachricht, zum
Beiſpiel : „ Goldſtaub im Wert von vier Millionen
Dollars harrt in St. Michael auf den nächſten Dampfer“ , oder „Der Gouverneur des kanadiſchen Nordweſtterritoriums ſchägt den
Gold
ertrag des kleinen britiſchen Yufondiſtriktes für das Jahr 1897 auf zehn Millionen Dollars “, oder „Der Goldſucher X. iſt mit hundert tauſend Dollars Goldſtaub aus Alaska in ſeine Heimat zurückgekehrt, y . mit achtzigtauſend Dollars, 3. mit ſechzigtauſend Dollars " . Man brauchte ſich dort alſo nur ein paar Monate lang fleißig zu bücken , um Goldförner aufzuheben , und war ein reicher Mann .
Ich
konnte damals keine Zeitung der großen Yankeerepublik zur Hand nehmen , ohne in Rieſenlettern die Worte „ Yukon “ , „ Klondyke“ , ,, Daw jon City“ , „ Millionen in Goldſtaub “ u. ſ. w . zu leſen .
Das Gold
fieber war alſo wieder einmal ausgebrochen , eine Epidemie , für die es feine andere Medizin gibt als die kleinen, gleißenden , gelben Metall pillen , die in dem Sand der Gebirgsbäche eingebettet liegen ; eine Epidemie , die nicht nur Abenteurer , unſtete , arbeitsjaule Eriſtenzen erfaßt, ſondern ihre Opfer in allen möglichen Ständen ſucht.
Gerade
wie es in den Sechzigerjahren das Loſungswort war Pikes Peak or bust “ , und wie ſich eine Völkerwanderung nach dem Goldlande Kalifornien ergoß , geradejo zog nun ein ähnlich ſeltſames
Völker
gemiſch nach den unter Schnee und Eis begrabenen Einöden von Alaska. Warum auch nicht ? Warum ſoll ſich ein junger, fräftiger Menſch in der Alten Welt tagtäglich plagen , um
nur die paar Mart für
Alaska .
394
jeinen dürftigen Lebensunterhalt zit erwerben, wenn er dort vielleicht in
einem Tage
reichen
zum
werden
Manne
kann ?
Haben nicht
Anno 1849 an der Stelle, wo heute die kaliforniſche Hauptſtadt ſteht, zwei Goldgräber in wenigen Stunden vierhundert Kilogramm reines Gold geſunden eine Million Marf ? fit nicht 1857 ein Greenhorn (Neuanfömmling) in Ballarat über einen Goldklumpen von fünfund ſiebzig Kilogramm geſlolpert ?
Hunderte andere Beiſpiele , durch die
Zeitungen in aller Welt verbreitet, zeigen ja, wie viele oft durch Zufall im Handumdrehen durch Goldwaſchen reich geworden ſind! braucht man ja eigentlich gar nichts .
Und dazu
Man reiſt einfach nach Alaska,
jeßt ſich an einen Fluß, ſchaufelt den Sand in eine fußgroße Pfanne und ſchüttelt ſie im
Waſſer tüchtig durch.
Dann findet man auf dem
Boden der Pfanne Goldkörner für zehn , zwanzig , dreißig Dollars, ja die Alaskazeitungen
( auch ſolche gibt es ſchon einige Dußend)
er
zählen , daß in einer Pfanne ſchon für achthundert Dollars Gold gefunden worden iſt.
Man treibt diejen angenehmen Sport ein paar Monate
lang, kommt als ſteinreicher Mann nach Hauſe zurück, trinkt Deinhard Sekt und hält ſich Wagen und Pferde. Das etwa iſt der Ideengang von vielen Tauſenden geweſen , die nach Alaska gereiſt ſind .
Und ſo unrichtig iſt er nicht, denn ich habe
ſelbſt ſolche reich gewordenen Leute in den Goldländern Kalifornien, Molorado und Utah kennen gelernt. Niemals werde ich die Aufregung vergeſſen , die ſich meiner bemächtigte, als ich einſt im Boulder Creek in
der Nähe des Pikes Peaf der Kurioſität halber ein Stündchen
lang Goldjand wuſch und ein paar Mark Goldſtaub fand . Die ſchönſten Geſchmeide üben auf den Menſchen
keinen ſolchen Zauber aus wie
ſolche Goldkörner , die ſozuſagen auf dem Wege liegen und die man nur aufzuheben braucht. So hatten denn auch die Goldſunde von Alaska 1897 einen wahren Argonautenzug zur Folge . Jn Tacoma, Victoria und Seattle, diejen drei wichtigſten Häfen des herrlichen Puget Sounds , hatten wir eine ganze Menge
Proſpecters
und
Goldſeekers auf
unſeren
Dampfer
Alaska .
bekommen .
395
In ihren breitkrempigen Slouch hats , roten Wollhemden ,
die Hoſen in den Stiefelichäften und die Hände in den Hoſen, ſtanden fie gruppenweiſe, Tabak kauend und ſpudend , auf dem Verdeck.
Ich
dachte, die ungeſchlachte Goldſuchergeſellſchaft wäre auf dem Wege nach Vancouver in Britiſch - Kolumbien , um von dort aus die reichen Goldfelder des Fraſerfluſſes zu erreichen .
Das ganze Müſtengebiet
des Stillen Ozeans , von Südamerika durch Merito und Nalifornien bis hinauf nach Alaska iſt ja eine ungeheure Goldmine.
Die Be
ſtimmung der „ Minerz“ war aber doch Alaska, und als unſer Dampfer Vancouver , kamen
dieſe Endſtation der
kanadiſchen Pazifikbahn erreichte,
ſogar noch einige Dugend anderer hinzu , mit Spaten und
Schaufeln , mit Sac und Pack, alle mit Tidets nach
Funea u .
Juneau war damals der Ausgangspunkt der mühſamen Wanderung nach Klondyke , gleichzeitig ſelbſt in einem reichen Minengebiet ge legen .
Auf dem
Douglas Jsland , gerade gegenüber Juneau , liegt
ja die berühmte Treadwellmine mit der größten
Quarzſtampfmühle
der Welt. Zweihundertvierzig Pochſtempel ſind dort in Tätigkeit, um die Goldlager im
Wert von dreißig Millionen Dollars jo raſch wie
möglich auszubeuten . Ein alter bärtiger Sterl mit langem graublonden vaar hatte ſich neben mir auf einem steamer chair niedergelaſſen . , Juneau ? " ineinte er.
„ Juneau be d .... d .
Ich weiß nicht, wohin die andern fellows
gehen , ich gehe in den Yukondiſtrikt. Seid Jhr auch auf dem Wege dort hin, junger Taugenichts, he ? 's geht zu þauſe nicht mehr weiter ? he ? Þab's auch ſo gemacht, greenhorn !
Aber jept iſt mein Glück ſicher.
Der Yukon iſt das reichſte Goldgebiet der Welt ! " Dann ſpie er übermütig ſeine Tabakprieme hoch in die Luft , ver ſeşte mir einen feſten Schlag auf den Schenkel und fuhr fort : „You just come along , kommt nur mit, Mann, Ihr werdet’s nicht bereuen . Habt Ihr in Seattle die glücklichen fellows geſehen mit den ſchweren Säden dust (Goldſtaub ) ? In Petroleumkannen und Kiſten ſchleppen fie's mit, alles gutes Gold, ſiebzehn Dollars die Unze .
Das war Gold
Alaska .
396
vom Yukon.
Hunderte Millionen, Mann, liegen dort, nur zum Auf
heben ! " Der Mann hatte recht.
Jn einem
Jahrzehnt hat Alaska über
zweihundert Millionen Dollars Gold eingetragen , und die Vereinigten Staaten ,
welche das ganze Rieſenland
um
das Linſengericht von
ſiebeneinviertel Millionen von Rußland gekauft haben , zogen bisher an Abgaben allein daraus nahe das Doppelte !
Dabei iſt der ertrag
reichſte und wichtigſte Diſtrikt, der Yukon mit dem berühmten Dawſon City , gar nicht mit eingerechnet, denn er gehört zu Kanada .
Hundert
ſiebenundneunzigtauſend engliſche Quadratmeilen groß, hat er nur un gefähr zehntauſend Einwohner, die auch erſt allmählich zugewandert ſind.
Dieſe Handvoll Menſchen gewann bisher Gold im Wert von
hundertfünfunddreißig Millionen Dollars .
Was iſt dieſes Amerika doch
für ein geſegnetes Land ! Wohin inan greift, findet man reiche Boden: ſchäße.
Die zwanzig Millionen Dollars Gold , die jährlich aus dem
amerikaniſchen Teil von Alaska gezogen werden , ſind nur ein Viertel der Goldproduktion der Vereinigten Staaten !
Die ganze Goldmenge,
die im letzten Jahre auf dem Grdball gefunden wurde, erreichte zweis hundertjechSundvierzig Millionen Dollars. entfällt davon
Auf die Vereinigten Staaten
ein Drittel , nämlich achtzig Millionen .
Das reichſte
Goldland Amerikas iſt noch immer Holorado mit vierundzwanzigein halb Millionen , dann folgt Kalifornien , dann Alaska . ichon der Mühe wert, ſein Glück zu verſuchen .
Da war es
Bis 1897 gab es in
dem heute viel umworbenen Goldgebiet mit den Flüſſen Stewart , Slon dyke, Bonanza und Forty Mile noch keinen Weißzen. den Meeresküſten
dehnten
Ringsum an
ſich ungeheure Gletſcher aus ,
die wohl
Touriſten anzogen , um das großartige Schauſpiel der ſich ablöſenden , ins Meer ſtürzenden Eistrümmer und andere Bilder der Polarwelt zu
genießen.
Anſiedler
aber
gab
es
keine.
Nur
Voyageurs der Hudſon baigeſellſchaft drangen in
die
Halbblut
dieſe acht Monate
im Jahre vereiſten Einöden vor, um mit den dortigen elenden Indianer ſtämmen Tauſchhandel zit treiben .
zu ihrem
Schutz errichtete die
Alaska .
397
kanadiſche Regierung die beiden Forts Selkirk und Reliance, während die Amerikaner an der Mündung des Porcupinefluſſes in den Yukon ein
befeſtigtes
Blockhaus,
Fort
Yukon , erbauten .
Ebenfalls
zum
Zweck des Tauſchhandels mit den Indianern , und um die ſpärlichen Trapper und Goldſucher am jandte die
Yukon mit Lebensmitteln zu verſehen ,
Northern Trading Company von Chicago jeden Sommer
zwei kleine gebrechliche Dampferchen von bei St. Michael, ſtromaufwärts.
der Mündung des Yukon ,
Das Eis bricht dort erſt Ende Mai
oder Anfang Juni, und Ende September iſt der Yukon ivieder für
Saku - Gletſcher ( Alaska ). acht Monate zugefroren .
Dawſon iſt von St. Michael zweitauſend
achthundert Kilometer entfernt, dieſes von den Häfen Britiſch -Kolum biens fünftauſendfünfhundert Kilometer.
Um in das große Minengebiet
von Alondyke zu gelangen, müſſen alſo auf dem Waſſer achttauſend dreihundert Kilometer zurückgelegt werden !
Dazu waren in den erſten
Jahren die Dampfer ſo elend, und der Yukonſtrom iſt jo reißend und unſicher, daß die Fahrt von Britiſch -Kolumbien nach Dawſon ungefähr jechs Wochen in Anſpruch nahm , ſoviel wie die Seefahrt von Europa nach der Mandſchurei ! Meine Reiſegefährten , die Proſpectors, verließen daher in Juneau,
Alaska .
398
vierzehnhundert Kilometer von Victoria , den Dampfer , um über die Schneefelder und Gletſcher des Chilkat oder des White-Horſe - Paſſes nach Dawſon zu gelangen.
Jenſeit dieſer Flüſſe liegt eine Mette von
Gebirgsjeen , in welchen der Yukon entſpringt.
Dort konnten ſie ſich
Flöße bauen und, die zahlreichen Waſſerfälle und Stromſchnellen paſ ſierend, das achthundert Kilometer weiter gelegene Klondykegebiet er : reichen .
Die Schwierigkeit lag in der Paſſierung der Päſſe ; nach
Hunderten zählen die Menſchen, nach Tauſenden die Padtiere, welche den furchtbaren Anſtrengungen und Entbehrungen dieſer Reiſe zum Opfer gefallen ſind. Gegenden dem
Man muß ſich vor Augen halten , daß dieſe
Polarkreis nahe liegen und aller Kultur , aller Ver
kehrswege, Anſiedlungen, Lebensmittel u. j. w . vollſtändig entbehrten. Nur wenige Jndianerſtämme haben ſich dort hinauf gewagt und an Flufläufen wie an der Küſte kleine Dörfer von Holzhütten angelegt, mit den charakteriſtiſchen Totempfählen vor den Hütten der Häuptlinge. Die Tauſende, welche ihren Weg doch nach Klondyke gefunden haben , mußten alſo Backpferde, Indianerträger, Bedarf jeder Art, einſchließlich Zelte, Decen , Hausgerätſchaften , Werkzeuge und dergleichen gleich für mehrere Monate mitnehmen .
Die Überſchreitung der Päſſe war jo
beſchwerlich und gefahrvoll, daß die Indianer für jedes Pfund Laſten zwei bis drei Mark – für einen Zenter alſo zwei- bis dreihundert Mark rechneten ! Fürwahr, fühnere Argonauten hat es ſelten gegeben, und nur jene , welche 1819 den Weg über die Prärien und Felſengebirge nach Kalifornien geſchlagen haben, können mit ihnen verglichen werden ! fu Klondyke angekommen , fanden die Alaskafahrer kein geſegnetes Nalifornien , ſondern nur Einöden , die acht Monate lang unter Schnee und Eis begraben ſind.
Der kurze überheiße Sommer bringt eine
andere ſchreckliche Plage : die Stechmücken, welche die Goldgräber in wahren Wolfen umſchwärmen !
Im
erſten Jahre koſtete jeder Schluck
Whisky zwei Mark, ein Pjund Kaffee ſechs Marf, ein Sack Mehl vier hundert Mark , friſches Fleiſch , Gier , Gemüſe waren überhaupt nicht zu haben , und Pökelfleiſch foſtete acht Mark das Pfund.
Alaska.
Das hat ſich nun ſeither vollſtändig verändert.
399
Schon 1898 hatte
ein kühner Unternehmer , George Bradett aus Minneſota , mit uns ſäglichen Mühen einen Karrenweg über den Whites Paß
nach
den
Seen gebaut, und ſeit 1904 führt ſo gar eine ich mal Eiſen
ipurige
bahn von Skag nay bei uneau auf demſelben We ge hinüber, ja es wird
gar
nicht
lange währen , 10 wird dieſe Bahn über Fort Selkirk bis nach Dawſon vollendet
ſein !
Statt drei Mark koſtet die Beför derung von einem Pfund Ware fünf zehn Pfennig . Von Skagnay erreicht man
den Yukon
heute im bequemen Waggon ſigend in ſieben
Stunden .
Hütte und Totempfähle des Thlinkitenhäuptlings Shake .
An dieſem vorläufigen Endpunkt der Bahn iſt ſozujagen über Nacht eine nette kleine
Stadt
entſtanden
mit Docks und Reparaturwerkſtätten ,
Alaska .
400
Hotel und ſogar einer Wochenzeitung ! Dampfer bringen den Reijenden in drei Tagen nach Dawſon.
Dort haben ſich die Verhältniſſe dem
entſprechend vollſtändig verändert. Einwohnern
Unter den ungefähr zehntauſend
gibt es ſchon eine erkledliche Zahl von Familien mit
Frauen und Kindern , an die Stelle der Zelte und rohgezimmerten Blodhütten ſind Steinhäuſer getreten , es gibt mehrere Kirchen, Regies rungsgebäude, Schulen, ja ſelbſt die Heilsarmee hat bereits eine Bri gade aufgeſtellt und arbeitet nach Kräften , um das tolle Leben in den Salons und Spielhöllen abzuſtellen .
Sechzig Mann der kanadiſchen
Rocky Mountain Police ſorgen für die öffentliche Sicherheit, es gibt einen geregelten Poſtdienſt , Telephon und Telegraph , die Dawſon mit der Außenwelt verbinden . Die Preiſe ſind ſtart gefallen und dank der Eiſenbahn und den Dampfern ſind auch die früheren primitiven Arbeits methoden in den Goldminen durch praktiſchere erſeßt worden . Wohl ſind alle Flußläufe und Gulches , das heißt trođene Täler und Schluchten , längſt mit Claims belegt , doch wird auch die Ab hänge hinauf in
dem ganzen Diſtrikt weicher pay dirt,
Schmutz, das heißt goldhaltiges Erdreich, gefunden. Goldſuchen in Alaska niemals. Mengen wirklich zu Tage .
zahlender
Leicht war das
Die Goldförner liegen nur in kleinen
Die größere Menge iſt ein oder mehrere
Meter tief unter Sand- und Geröllſchichten eingebettet .
Während des
heißen Sommers, wenn die Sonne das Eis ſchmilzt, ſind die Fluſs bette mit reißend fließendem Waſſer bedeckt, das im verbſt verſiegt. Dann tritt die Mälte ein , und das Erdreich friert auf mehrere Meter Tiefe ſteinhart.
Um
nun
zu den goldhaltigen Schichten zu kommen,
müſſen ſich verſchiedene Claim- Beſiger vereinigen oder Tagelöhner an werben , die dreißig bis vierzig Mark Lohn erhalten, denn allein können ſie die Arbeit nicht bewältigen . der Umgebung Holz
Sie müſſen zunächſt aus den Wäldern
herbeiſchaffen
und
welches das gefrorene Erdreich auftaut.
ein großes Feuer anlegen, Jit es erloſchen , dann wird
die getaute Erde ausgeſchaufelt, in dem Loch ein zweites Feuer ange legt 11. ſ. w ., bis endlich auf drei , vier , fünf Meter Tiefe der pay
Alaska .
dirt erreicht iſt.
Dieſer wird nun auf
401
ähnliche Weiſe ausgehoben,
und ſo wird den ganzen langen Winter bei furchtbarer Nälte gearbeitet . Bricht der Sommer an , ſo füllen ſich die Flußläufe wieder mit Waſſer, das die mühjam gegrabenen Minen überflutet und verſchüttet, aber die Möglichkeit bietet , den ausgehobenen pay dirt zu „ waſchen“ .
Das
geſchieht entweder mit Handſchüſſeln , oder es werden den Waſſerläufen entlang Holzrinnen angelegt und der Goldſand hineingeſchaufelt. Das darübergeleitete Waſſer ſpült Erde ,
Sand und Steinchen fort , die
ſchweren Goldförner bleiben in den Rinnen liegen und werden ein geſammelt. Durch die Eiſenbahn iſt es nun möglich geworden, Maſchinen nach den Minen zu ſchaffen ; dadurch ſind Dampf ſowie Elektrizität großenteils an die Stelle der Handarbeit getreten. Beſonders das koſtſpielige und zeitraubende Auftauen der Minen durch Holzfeuer iſt dort, wo ſie im Beſitz
von
kapitalkräftigen
Dampf erſegt worden . reich
geleitet ,
das
Leuten
oder
Geſellſchaften
ſind ,
durch
Der Dampf wird durch Rohre in das Erd
Schmelzen
erleidet
daher
keine
Unterbrechung.
Das erweichte aufgetaute Material wird durch Eiſenkörbe an endloſen Retten mittes Dampfbetriebs ausgehoben , und der Gewinn an pay dirt
iſt
daher
Arbeitskoſten .
unverhältnismäßig
viel
größer bei
viel geringeren
Ebenſo wird beim „ placer mining “, das heißt beim Ab:
ſprigen des Erdreichs von Talwänden, das Waſſer mittels Dampfkraft durch die Rohre getrieben , der Strahl hat daher auch entſprechend größere Wirkung. Dawſon wird wohl die Hauptſtadt des Yufonterritoriums bleiben, aber von jeßt ab nur mehr langſam ſich entwickeln , denn ein beträcht licher Teil der Einwohner ſtrömt bei jeder Kunde eines neu entdecten Goldfeldes wieder dorthin ab .
Und an ſolchen Soldfeldern werden
jeden Monat einige entdeckt, bald hier, bald dort .
Zur Zeit iſt der
Atlin -Seediſtrikt, ungefähr hundertſechzig Milometer von White Horſe, das Mekta der Goldſucher ; eine Geſellſchaft aus Philadelphia hat in den dortigen Flußläufen Dampfbaggermaſchinen aufgeſtellt. Aber 26 vejie - Wartegg , Amerita .
Alaska.
402
mehr noch als Atlin, Selfirt oder Circle City hat ſeit einigen Jahren der Diſtritt von Nome im nordweſtlichen Alaska die Aufmerkſamkeit Amerikas erwedt. Dieſes Nome iſt eine der merkwürdigſten Städte der Neuen Welt . Schon ſein Name iſt abſonderlich.
Er entſtand aus den Worten No
name ( Ohne Namen ) , indem die Pioniere jener entlegenen , weltver geſſenen Gegend die Mittelſilbe na fortließen und die erſte und die lezte zu Nome zuſammenzogen. Nome iſt das Hammerfeſt der Neuen Welt, ihre weitaus nördlichſte Stadt, nicht wie ihre norwegiſche Schweſter ein trauriges, ſchläfriges altes Neſt, ſondern eine junge, blühende, be lebte Stadt von ungefähr fünftauſend Einwohnern, die zeitweilig im Sommer auf acht- bis zehntauſend anſchwellen, um während des Winters mit ſeiner Polarfälte auf zweitauſend zuſammenzuſchmelzen.
Die Ge
ſchichte von Nome lieſt ſich wie ein Märchen aus der Polarregion. Wer die Karte betrachtet, wird nördlich der Inſelfette der Aleuten im Beringmeer die drei Halbinſeln von Alaska weit nach Weſten vor ſpringen ſehen .
An der Südweſtſpiße der weſtlichſten , der Mündung
des großen Yukonſtromes gerade gegenüber liegt Nome. Auf der Karte wird man es vergeblich ſuchen , denn es beſteht ja erſt ſeit verhältnismäßig kurzer Zeit . Damals wurde in dem Anvil Creef, einem winzigen Flüßchen der dortigen Küſte, viel Gold gefunden . Die Runde davon brachte Tau ſende abenteuerlicher Proſpectors dorthin , aber ſie kamen zu ſpät. Claims waren abgeſtedt, am
Alle
Anvil Creek war nichts mehr zu holen.
Dafür erwies ſich die ganze große Halbinſel als ſehr goldhaltig , am meiſten indeſſen die ſandige Seeküſte auf Hunderte von Kilometern . Die Miners brauchten nur ihren Glaim
dort , wie in den goldreichen
an der Küſte mündenden Tälern , abzuſteden und konnten gleich mit dem
Goldwaſchen beginnen.
Andere zogen ins Innere der Halbinſel
und fanden beſonders ein paar Wegſtunden nördlich der Inſel am Ophir Creek ungemein reiche Goldlager. Aus einzelnen Pfannen von je drei Schaufeln Erde wurden wiederholt bis zu fünfundzwanzig Dollars Gold gewonnen, und ein Miner zog nach einem Jahr Aufenthalt mit
Alaska .
403
achtzigtauſend Dollars Reingewinn von dannen . So entſtand in dieſem Diſtritt das Minenſtädtchen Council City mit ungefähr achthundert Einwohnern im Sommer und zweihundert im Winter, denn die Mehr zahl können die furchtbare Polarfälte , die zeitweilig bis auf ſechzig Grad Fahrenheit ſinkt, nicht ertragen . Dafür gibt es im Sommer deſto regeres Leben .
Die meiſten yolzhütten und Blodhäuſer dieſer neuen
Stadt haben Kaufläden , die Straßen ſind mit Holz gepflaſtert, es gibt eine Menge Trint- und Spielhöllen , dabei aber auch ſchon zwei Kirchen mit Prieſtern , und eine Wochenzeitung, die ,,Council City Weekly News" , von der jede Nummer, vier Seiten
im
Mäjeblattformat, eine Mark
fünfundzwanzig Pfennig koſtet! Einer meiner Freunde, der in Council City
durch Wegelagerer um
achttauſend Dollars erleichtert worden
war, M. bunt, ſandte mir vor einiger Zeit eine Nummer.
Der Leit
artikel lautete : „ Geſtern , etwa um zwei Uhr Nachmittags , erwachte die Stadt zum Bewußtſein , daß es der 4. Juli , der Unabhängigkeitstag, war . Council City iſt ein wenig träge und unternimmt Sachen langjam, iſt aber einmal etwas beſchloſſen , dann wird es auch ſofort mit Eleganz ausgeführt.
Kaſd
Halle gemietet.
wurden
verſchiedene Komitees gebildet und die
Gegen neun Uhr Abends ziſchte der Enthuſiasmus
aus allen Foren vom
Kopf bis zu den großen Minerfüßen, und ora
toriſches Feuerweck praſſelte in ſolchen Maſſen , wie Rauch und Lava vom Mont Pelé .
Das Programm enthielt ganze Bibeln von Reden ,
Rezitationen und Geſängen und endete wahrſcheinlich in allgemeiner Trunkenheit.
Wir blieben nicht ſo lange , um dieſe Feſtlichkeit mit
anzuſehen.“ Dieſelbe Nummer berichtete von dem Eintreffen der beiden Dampfer „ Portland“
und „, Jeannie "
in Nome,
nach
Monaten und neun Tagen von Seattle . Treibeis überraſcht konnten.
Unter den
und fortgetrieben , bis Anzeigen
The Ophir Trinkſtube.
einer Reiſe von zwei
Hurz vor Nome hatte ſie ſie ſich
endlich
iſt eine charakteriſtiſch.
befreien
Sie lautete :
Motto : No Monkey business ( kein
Affen
Alaska .
404
Chop Horn Bill , manager.“
geſchäft), No Shooting ( kein Schießen ).
Zur ſelben Zeit wie Council City entſtand an der Küſte die Stadt Nome, und heute ſind dieſe Städte
durch eine Eiſenbahnlinie mit:
einander verbunden , die nördlichſte Eiſenbahn der Welt. nach dem
Anvil
Creek führt
bereits
von
Nome
Nome iſt der Hauptſitz des ganzen Diſtriktes ,
Auch
eine Zweigbahn.
der bis jeßt
gegen
dreißig Millionen Dollars in Goldſtaub eingetragen hat , und gleich zeitig der Haupthafen , wenn von einem Húſte überhaupt geſprochen werden kann .
ſolchen an der ungeſchüßten Die Schiffe ankern an der
Schlitteninſel ( Sledge Island) , und die Paſſagiere werden in offenen Booten durch die häufig ganz fürchterliche Brandung gebracht.
Selten
geht es dabei ohne Durchnäſſung der Paſſagiere und Waren ab .
Ge
wöhnlich dauert es adyt bis zehn Tage, che gelandet werden kann, beim Dampfer „ Pennſylvania “ einmal ſogar ſechzehn Tage. kehr iſt trotzdem
ſehr lebhaft .
Der Schiffver
Das Eis treibt gewöhnlich Mitte Juni
von Nome fort , was durch drahtloſe Telegraphie nach Seattle berichtet wird.
Dann fahren
gleich mehrere Dampfer, mit Baſjagieren und
Waren überfüllt , ab , wenn ſie des Wettbewerbs halber nicht ſchon früher auf gut Glück die gefährliche Fahrt durch das Treibeiß unter nahmen .
Die Paſſage von Seattle nach Nome foſtet hundertzidanzig
Dollars , ſoviel wie ziviſchen Europa und Amerika in erſter Klaſſe, dennoch kehren in jedem September, mit Schluß der Schiffahrt, Tau fende nach den
„ States" , das heißt nach den Vereinigten Staaten
zurück , um den folgenden Sommer die Fahrt von neuein zu unter nehmen . Während der Monate Juni, Juli, Auguſt iſt es in Nome und Um gebung wirklich Sommer, denn der warme japaniſche Strom, der Kuro Siwo, füſt dann die ſonſt ſo unwirtlichen Geſtade und die Sonne brennt ebenſo heiß auf das Land wie tauſend Kilometer weiter ſüdlich.
Die
Erde iſt dann auf ausgedehnte Strecken bedeckt mit kleinen grünen Flechten wie ein dicker , weicher Teppich , unterbrochen von Vergiß meinnicht
und maſſenhaften
Feldblumen , die deſto farbenprächtiger
i Alaska.
werden , je weiter man nach Norden kommt.
105
Dann können die Ein
wohner auch mit Erfolg Kartoffeln , Salat, Zwiebeln, Kettiche pflanzen und von
friſchen Gemüſen leben , dafür iſt ihnen friſches Fleiſch ver
jagt, denn des harten Winters wegen kommen Rinder, Schweine , ſelbſt Hühner nicht fort .
Nur unjere Bögel fommen in großen
Scharen
aus Kalifornien angeflogen, vornehmlich Stanarienvögel und Kraniche, die im Sommer hier oben brüten .
Gegen Mitte September ziehen
PSIE ANO ARTHURBAKE RESTAURA NTAND RY WEALSON SHORTORDER
i
Straßenſzene in Sitfa (Alaska ) . ſie wieder in wärmere Gegenden .
Dann ſieht man ſie binnen einer
Stunde ſich in großen Scharen über Nome jammeln, zuerſt mehrmals freiſen, dann in langen Linien hintereinander wie Pfeile nach Süden ichießen. Nome liegt unmittelbar am
Meeresſtrande .
größten Teil aus Holz gebaut , das aus den
Die Häuſer ſind zum Nadelholzwäldern
der
Umgebung gewonnen wird, die Straßen ſind mit Holz gepflaſtert und die Verwaltungsgebäude ſind ganz anſprechend.
Die vielen Kaufläden
Alaska .
406
machen glänzende Geſchäfte, denn ganz abgeſehen von den Tauſenden Miners der Umgebung kommt zur Kundſchaft auch die große Ver einigte Staaten - Garniſon, taujendvierhundert Mann, die in dieſem ent legenen Außenpoſten Ertralöhnung erhalten , das einzige Bargeld , das in der Stadt zirkuliert, denn gewöhnlich wird in Goldſtaub oder Gold körnern bezahlt. Die Kaſernen liegen einige Kilometer außerhalb der Stadt .
Auch in St. Michael, an der Mündung des Yukon, an der
Südküſte der Nortonbucht, liegt Garniſon in einer großen Reſervation von mehreren hundert Quadratkilometern . die Bluejadets nicht , nach Nome zu
Die Entfernung hindert
kommen und ſich dort in den
vielen Drinkſhops, Tingeltangein und Spielhöllen des Lebens zu freuen. Die Wiriſchaft der Miners und Soldaten wurde endlich ſo toll, daß die Stadtverwaltung , hauptſächlich veranlaßt durch die Prieſter der drei Kirchen , alle dieje Lokale ſchloß . Die Burdigurdigirls, Sängerin nen und Tänzerinnen aus den Publikum
States , die verpflichtet waren ,
von vier Uhr Nachmittags bis acht Uhr Morgens zu
amü
fieren, reiſten zurück, aber die Stadtverwaltung hatte diesmal wirklich die Rechnung ohne
die Wirte gemacht.
Dieje bauten ihre Bretter
buden außerhalb des Bannkreijes der Stadt nuf dem
Eis des
ge
frorenen Meeres und gewannen auch dort mehr Goldſtaub in einer Nacht als jo mancher Miner in einem
Jahre .
Die Vereinigten Staaten halten in dieſen entlegenen Minenregionen unter den Weiſen und
Indianern nach Möglichkeit Ordnung.
von den Weißen über den 1. Auguſt hinaus in dem
Wer
Territorium bleiben
will, muß Mittel für ſeinen Lebensunterhalt über den Winter nach weijen können, ſonſt wird er auf den Transportſchiffen der Regierung wieder nach den States geſandt, denn ohne Mittel würde er in dem langen kalten Winter zu Grunde gehen. So hart auch die Lebensverhältniſſe in dieſem ſein mögen , es kommen in jedem
entlegenen Alaska
Sommer doch noch Tauſende von
Menſchen , die ihr Glück in den Minen
verſuchen wollen .
Zumeiſt
Amerikaner, Schweden , Norieger, Franzoſen und franzöſiſche Kanadier,
Hawaii .
407
dafür nur wenige Deutiche. Das Goldland wird durch neue Verkehrs mittel immer mehr erſchloſſen , die Verhältniſſe haben ſich trotz der Kürze der Zeit ganz erſtaunlich entwickelt und mit Unterſtützung der Regierung joll in Sitka, der Territorialhauptſtadt, ſogar ebenfalls eine Ausſtellung veranſtaltet werden .
36. Harvaii. in wenigen Punkten des Erdballs erfaßt den Weltreijenden nach A " langer lauren og lite om det en Seefahrt größere Freude , aftenente als wenn in er von feinen ſeinem Dampfer aus über der unendlichen tiefblauen Waſſerwüſte des Großen Ozeans den blendenden Schneehügel des Maunakea zu Geſicht be kommt. Ähnlich wie der heilige Berg der Japaner, der Fudichiyama, ragt auch ſein, freilich ein paar tauſend Kilometer von ihm entfernter Nachbar über viertauſendzweihundert Meter hoch direkt vom
Meer in
die Lüfte ; ähnlich wie der Fudichiyama iſt auch der Maunaken das Wahrzeichen , die Leuchte ſeines Landes.
Ähnlich Japan an Schön
heit, üppigkeit und maleriſcher Großartigkeit iſt auch das Land ſelbſt, die berühmte Inſelgruppe Hawaii, über der nunmehr das Sternen banner der Union flattert. Jeder , der den Stillen Ozean durchfahren hat , kennt auch ein wenig von Hawaii , denn die Vauptſtadt des Inſelreiches, Honolulu, iſt der Anlegeplaß der meiſten Schiffe, die von Kalifornien nach Japan , China, Auſtralien , Indien , Neuſeeland fahren . Die Meeresſtrömungen im Süden , die großen Sargaſjofelder im Norden zwingen die Schiffe,
den Weg über
Hawaii
zu nehmen .
Während der paar Stunden Aufenthalt haben die Paſſagiere gewöhn lich Gelegenheit , ſich Honolulu anzuſehen , das ihnen gewiß zeitlebens unvergeßlich bleibt. liegt !
Wie ſchade, daß es nicht in der Nähe von Europa
Honolulu wäre dann eine Vereinigung von Nairo , Monte Carlo
und Nizza.
So hat es wohl das ganze Jahr über das Klima von
Hawaii .
408
fairo im Winter , die Vegetation von Monte Carlo und ein wenig von
dem
Villenleben
Nizzas .
Jedesmal ,
wenn
Paſſagiers
ein
dampfer neue Ankömmlinge nach Honolulu bringt , iſt dort ein Feſt: tag ; Hunderte von Europäern, Amerikanern, Chineſen , Japanern und Kanaken umdrängen dann die Landungsſtelle, und mit freundlichem Lächeln bieten die drallen Manakenmädchen den Fremdlingen aus den fernen Landen Girlanden aus friſchen Roſen, wohlriechendem Jasmin und Nelken oder anderen herrlichen Blüten an , die nur der üppige Boden þawaiis hervorbringt.
Girlanden von Blumen !
Wo ſonſt in
der Welt wird der Reiſende ſtatt von ſtinkenden Laſtträgern , neu gierigen Zollbeamten und aufdringlichen Yotelagenten von
Blumen
Ich habe dieſe
mädchen begrüßt , die ihn mit Roſen befränzten ?
ſchöne Sitte der Polyneſier nur noch in Indien und in Siam
geſun
den . Auch dort wird der Fremde bei Feſtlichkeiten von den Eingeborenen in ähnlicher Weiſe bekränzt.
Hier aber ſind Blumen
nicht nur Feſt
ichmuck, ſondern gehören zur alltäglichen Toilette der Damen .
Noch
ſind heute glüdlicherweiſe Hanafenfrauen vorhanden , um dem fremden Beſucher dieſen ſchönſten Schmuck des zarten Geſchlechtes zu zeigen , einen Schmuc , den ſie aus alter Zeit , von ihren halbwilden Ahnen her gerettet haben auf die Gegenwart von Þawaii.
Noch ſind ſolche
Frauen vorhanden - in einigen Jahrzehnten werden ſie es nicht mehr fein, denn die einſtigen Herren der Perle des Stillen Ozeans, die Nanaken, gehen dem
vollſtändigen Untergang entgegen .
Im
vorigen
Jahrhun
dert gab es ihrer noch eine Viertelmillion, heute ſind nur noch einige dreißigtauſend vorhanden , inmitten einer fremden , aus Oſt und Weſt über den weiten Dzean nach dem Jnſelparadieſe gekommenen Ein wanderung, die ſie erdrückt, vernichtet. Die Manafen haben ſich den Amerikanern völlig unterworfen , ſie haben alles auſgegeben , ihre alten Sitten und Gebräuche , ihre Religion, ihre Sprache, ihre Unabhängigkeit, ihren König , nur ihre Blumen haben ſie behalten , und mitten unter den modernen Menſchen in den modernen Straßen von Honolulu ſieht man zuweilen noch dieſe hohen
Hawaii.
409
Prachtgeſtalten von Hanafenweibern mit Blumenkränzen als einzigem Schmuck ihres lang herabfallenden Rabenhaares, mit Blumenkränzen auf den Schultern und Blüten vorn über ihren ſchwarzen , faltigen Empirekleidern .
Bom
Meere aus erblickt man wohl die Stelle, wo Honolulu, um
geben von einem weiten Kranz tühn emporſtrebender Vulkane , liegt, man ſieht aber die Stadt ſelbſt nicht in dem Wald von herrlichen Palmen , Bananen , Brotfrucht- , Mango- und Drangenbäumen , unter deren Schatten die villenartigen , verandenumgebenen Häuſer verſtedt ſind. Nur
ein
Teil
der
Stadt ,
die
ungefähr
fünfundvierzigtauſend
Der Hafen von Honolulu . Einwohner zählt , hat moderne Straßen , ähnlich jenen der amerika niſchen Städte , und dieſer Teil könnte dem Reiſenden den ganzen Spaß verderben .
Froh , dem
ewigen Einerlei der Yankeeſtädte mit
ihrem Pferde- und Kabelbahngeflingel , ihrem Haſten und Lärmen und Jagen entronnen zu ſein , ſchifft er ſich ein , voll Sehnſucht nach dem
tropiſchen Inſelparadieſe , wo er hofft, unter den Einwohnern
ein Leben à la Paul und Virginie zu finden. Glauben beſtärkt, wenn ihm
Er wird in dieſem
bei ſeiner Ankunft die Kanakenmädchen
Roſengirlanden anbieten und in der Ferne überall Palmen und Ba nanen ſichtbar werden .
Aber er geht kaum
einige hundert Schritte
und iſt inmitten eines Stückchens Chicago , New York , Cincinnati , Pittsburg ,
Philadelphia .
Moderne
Häuſer ,
moderne
Schilder
tafeln , Banken , Geſchäftshäujer, Stores , elektriſches Licht, Pferdes bahnen , Telegraphendrähte, Telephongeklingel ! Dazwiſchen allerdings
410
Hawaii.
dunkelhäutige Portugieſen von Madeira , Chineſen und Japaner , die in ihren Kaufläden ihren bunten, verlockenden, aber ſchäbigen Krims trams feilbieten.
Glücklicherweije liegt das ſchöne Hawaiihotel , ein
luſtiger , verandenumgebener Bau , inmitten eines prächtigen Barkes ; die Palmwedel fächeln einem
Kühlung ins Fenſter hinein , und man
braucht faſt nur die Hand auszuſtreden, um Früchte zu erhaſchen , die aus dem vorleuchten .
irgend eine der tropiſchen
dunklen Ewiggrüir der Bäume her
Des Abends wird an jedem ,, Steamerday" , das heißt
an jedem Tag , der einen Dampfer gebracht hat, der ganze Park durch bunte chineſiſche Lampions erleuchtet, die vortreffliche
einſt fönig
liche – Hanafenmuſit ſpielt im Park luſtige Weijen , und die Frem den vergeſſen , zwiſchen wohlgekleideten Menſchen luſtwandelnd , die moraliſche Ohrfeige , die ſie am Morgen durch die progige moderne Geſchäftsſtadt verſetzt erhielten . Wer weiter hinauswandert, der kommt in lauſchige, wohlgepflegte Straßen, von herrlichen Palmenreihen beſchattet, nicht wie die Kehr beſen der Promenade des Anglais in Nizza , ſondern Palmen von ſeltenſter Schönheit ;
zu beiden Seiten ziehen ſich inmitten üppiger
Gärten Reihen von niedrigen , behaglichen Villen hin , rings umgeben von breiten Veranden , auf welchen die Einwohner ihr ganzes Tage werf verrichten. Die Veranda iſt hier die Ďauptſache, und faſt möchte ich meinen, es werden zuerſt die Veranden gebaut, und dann als eine Art Hinterhaus die Villen .
Von den Dächern ſind Hängematten ge
ſchlungen, in denen ſich dunkeläugige, leicht gekleidete Schöne wiegen , vielleicht die Töchter einſtiger Väuptlinge des Landes , heute ehrbar an irgend einen amerikaniſchen Judge oder Kolonel verheiratet.
Die
Straßen ſind ſorgfältig gehalten , eben , ohne Staub , das Paradies des Radfahrers .
und radelt er noch weiter hinaus , ſo kommt er
zwiſchen die kahlen, grotesken Berge aus Lava und Baſalt, ungeheure Trümmer einſtiger Vulkane ; das Waſſer hat tiefe, finſtere Schluchten zwiſchen ſie geriſſen und fällt donnernd und ſchäumend die Felſenſtufen hinab , der Ebene zu , wo es zwiſchen
dem
üppigſten Tropendidicht
411
Hawaii.
dem Meere entgegeneilt .
Seine Tiger und Schlangen und ſonſtiges
unangenehmes Bieh beläſtigen hier den Beſucher , denn Hawai hat niemals Raubtiere beſeſſen, nicht einmal Skorpione und Tauſendfüßler. Ehedem . waren ſogar Mücken und Flöhe den Kanaken unbekannt. Erſt als die Bewohner des irdiſchen Flohparadieſes , die Japaner, nach Hawaii kamen , da kamen auch die unzertrennlichen Begleiter der legteren, die Flöhe, angehüpft, und die feiſten , muskulöſen , blut reichen Kanakenkörper verſpürten zum erſtenmal den außerordentlichen Genuß, den dieſe kleinen Gemſen dem Kulturmenſchen gewähren . Man braucht aber gar nicht in die Berge zu ſteigen , um auf die
Qonolulu, im Hintergrund das Nuamotal. entzückendſte Natur zu ſtoßen.
Wer den Küſten entlang wandert,
angeſichts des unendlichen Meeres mit ſeiner häufig
recht ſtarken
Brandung , gegen den alten ausgebrannten frater, den Diamond Head , der fommt bald nach Waikiki .
Waikiki iſt für die Bewohner von
Honolulu das , was uns Dſtende iſt, aber ohne die Spielbanken , die Cercles des Etrangers und die Leichtlebigkeit, denn auf Veranlaſſung der puritaniſchen Miſſionare
aus
Boſton
hat der
legte König die
ſtrengſten Maßregeln gegen die lockeren Sitten ergriffen .
Und die
neuen Machthaber aus den Yankeeſtaaten ſind womöglich noch ſtrenger wegen oder vielmehr trotz der fünfunddreißigtaufend
Japaner , die
frauenlos , geiſhalos nach Hawaii eingewandert ſind und ſich in ihrer
412
Hawaii.
Junggeſellenmijere nun nicht anders helfen können, als gerade ſo wie die dreiundzwanzigtauſend Chineſen den Manafenmädchen den Hof zu machen.
Viele nehmen ſich Ranalinnen zu Frauen, Frauen auf Zeit.
Denn wandern z . B. die Chineſen wieder
in
das Reich der Mitte
zurüd, ſo nehmen ſie gewöhnlich ihre Söhne mit, die holde Weiblich keit einſchließlich der Töchter, hape paké , wie ſie auf Manafiſch heißen , bleiben auf der Perle des Stillen Ozeans zurüd. Waikiki iſt alſo das Oſtende von Wawaii, mit
ſchönem
Sand
boden , auf welchem die Wellen des unendlichen Ozeans in toſender Brandung ſterben , Wellen, welche vielleicht die Grüße von den nächſt gelegenen Ländern , von Sanoa oder Neuſeeland , an das
ſtammver
wandte Kanakenvolk bringen und auf ihrem Waſſerwege den halben Erdball durchmeſſen
haben .
Hier baden
die Japaner beiderlei Ges
ſchlechts, vielleicht zweimal , dreimal täglich, denn Hawaii iſt ein Land der ewigen Sonne, mit dem kalt, gerade recht.
herrlichſten Klima , nicht zu heiß, nie zu
Es regnet täglich in Honolulu , aber nur ein biß
chen , um den Straßenſtaub zu legen und die Blumenbeete zu beſpritzen. Die Oſtküſte der Inſel Dahu , auf der die Hauptſtadt liegt , iſt nicht mehr ſo günſtig gelegen , und an der Oſtküſte der größten der Inſel gruppe, Hawaii ſelbſt , regnet es im Jahre vier bis fünf Meter Waſſer. Die Urſache dieſes Unterſchiedes ſind die gewaltigen Vulkanrieſen auf Hawaii, der himmelragende Maunaloa , das heißt großer Berg , der, etwa in Heſſen aufgeſtellt, beinahe das ganze Groſsherzogtum
bedecken
würde, dann der ſchon vorgenannte Maunakea , das heißt der weiße Berg .
Sie halten die Regenwolken zurück, und dieſe ergießen ihren
Wajjerreichtum
in ſolcher Fülle auf die Inſel , als wollten ſie das
ewige Feuer löſchen , das in den Vulkanen von õawaii brennt , vor allem
in dem
ſchrecklichen Kilauia.
Wer jemals einen Blick in den
ungeheuren Krater dieſes Vulkans mit ſeinen zwei Seen aus flüſſiger, glühender, brodelnder Cava geworfen hat, dem Bild, das ſchrecklichjte, das die Erde dem lebens unvergeßlich bleiben .
wird dieſes großartige
Menſchen zeigt, gewiß zeit
Der wird auch verſtehen , daß die glück
413
Þawaii .
lichen , friedfertigen Naturmenſchen , welche das Inſelreich bewohnen, eine finſtere Rachegöttin Bele in dieſe rotglühenden Eingeweide der Erde verlegten und vor ihr zitterten . Das war auch ihr einziger Schrecen, denn ſie hatten bis zur An kunft der Fremden ein ruhiges Dajein unter ihren einheimiſchen Fürſten. Die See gab ihnen Fiſche, der unglaublich fruchtbare Boden in den Ebenen gab ihnen Früchte aller Art , vor allem die hawaiiſche Kar toffel, Taro genannt, die auch noch heute ihr Hauptnahrungsmittel iſt – nicht nur gekocht, ſondern auch zu einem Brei zerſtampft , der
Ernte im Zuderrohrfeld auf Hawaii . Poi heißt und die Dide, ja ſogar den Geſchmack von Buchbinderkleiſter hat.
Um ihn zu eſjen , ſtecken ſie zwei Finger in die Schüſſel und
drehen mit einer raſchen Wendung einen Mund voll davon ab .
Poi
iſt auch der wichtigſte Beſtandteil der vielgerühmten Faſtenmahlzeiten, Luau genannt, eine Art Picknick auf grünem Raſen im Schatten von Palmen , an dem große Geſellſchaften unter Geſang und Tanz teil nehmen.
Kleider bedurften ſie in dem herrlichen Mlima nicht, ihre
Hütten bauten ſie aus Grasmatten und die verheerenden Krankheiten anderer Länder
waren ihnen unbekannt.
Deshalb fielen ſie diejen
auch umſo leichter zum Opfer , als ſie bei dem zunehmenden Schiff
414
Hawaii.
verkehr eingeführt wurden , vor allem dem Ausjaz. Ziemlich allgemein wird angenommen , daß der Ausſag ein beſonderes Privilegium der Kanaken ſei und die übrige Welt ſich gegen diejelben ſchüßen müſſe. Das iſt ein 3rrtum.
Die oſtaſiatiſchen
Einwanderer ſchleppten ihn
in Hawaii ein und er fand in dem Naturvolfe ſo günſtigen Boden, daß zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung das ſchreckliche Aſyl der Leprojen auf der Inſel Monokai geſchaffen werden mußte. Gegen tauſend dieſer Unglücklichen leben abgeſchieden von aller Außenwelt auf dieſer Inſel , und wer jemals mit Leproſie behaftet dorthin ge chafft wird, gilt als tot.
Die Angehörigen erben das Vermögen, die
Gatten können ſich wieder vermählen , niemals fehrt ein Ausjäßiger von dieſer Inſel der lebendigen Toten zurück. als der Ausjay hat unter dem
Aber noch ſchlimmer
kräftigen , zufriedenen , lebensfrohen
Nanakenvolke die weiße Kultur gewütet.
Sie lehrte die Kanaken auch
Röce, Beinkleider, Stiefel, Hüte tragen und ſtatt in luftigen Hütten in gemauerten Häuſern wohnen .
Damit untergrub ſie die Geſundheit
und Widerſtandsfähigkeit der Kanaken ebenſo, als würden Pelzruſſen aus dem nordiſchen Archangel oder von Nowaja Semlja naiven
Be
wohnern Mitteleuropas lehren , es ſei allein ſeligmachend, Sommer und Winter ſchwere Pelze zu tragen und die feſt verſchloſſenen Woh nungen ſtets geheizt zu halten .
So ſiechte und ſchwand die neubehofte
Rajſe ſeither dahin, vollſtändiger Aušrottung entgegenſehend. Im Gefolge der Miſſionare famen Abenteurer ins Land, dazu Kaufleute und Unternehmer mit ihrem rückjichtsloſen Streben .
Sie
fanden ein urgemütliches chriſtliches Volk , das ſogar ſchon leſen und ichreiben konnte, aber von Arithmetit doch noch nicht hinreichend vers ſtand, um
den wirklichen Wert des ungemein fruchtbaren Bodens ab
zuſchätzen .
Die Ländereien wurden an die Fremden verſchleudert ;
Zucker und Kaffee und Reis
gediehen jo vortrefflich und fanden in
dem benachbarten Amerika ſo gut bezahlten Abſatz , daß immer mehr davon angepflanzt wurde.
Schließlich fehlte es an Arbeitskräften , und
man veranlaßte den gutmütigen Nachfolger des großen Kamehameha
415
Hawaii .
auf dem Königsthron von Hawaii, die Einfuhr chineſiſcher und japaniſcher Kuli zu geſtatten.
Dadurch ſtieg die Zuckerproduktion allein von etwa
zehn Millionen Kilogramm im Jahre 1893 auf dreihundertfünfzig Mil lionen Kilogramm im Jahre 1906 im
Werte von vierundzwanzig Mil
lionen Dollars, und die Zuderbarone erwarben Millionen .
Der Ge
ſamthandel Hawaiis mit Amerika erreicht heute etwa vierundvierzig Millionen Dollars .
Durch geſchicktes Ausſpielen einer Volksraſſe gegen
die andere wurden die Yankees bald die wirklichen Herren des Landes ; der Mönig, dem man durch eine Verfaſſung und ein Parlament die Hände band, war nicht viel mehr als eine Puppe .
Man hätte ihn wohl
ſchon in den Achtzigerjahren beſeitigt, um ſich den Vereinigten Staaten anzuſchließen, wenn dieſe nicht ein Geſetz gegen die Einwanderung der Chineſen erlaſſen hätten .
Damit hätten die Zuckerbarone ihre Arbeits
kräfte verloren , und þawaii blieb daher vorläufig noch Königreich. Da kam
die McKinley - Bill , welche nicht nur hohe Einfuhrzölle
auf ausländiſchen Zucker ſegte , wie leider in Deutſchland männiglich bekannt, ſondern auch die amerikaniſche Zuderproduktion durch Prämien förderte .
Nun paßte den Zuckerbaronen das unabhängige Königtum
nicht mehr .
Es galt amerikaniſch zu werden , um
dadurch die Zölle
zu ſparen und die Prämien einzujacken ; da man aber ein Königreich mit einer regierenden ſouveränen Königin , Liliaukalani mit Namen, nicht gut in einen republikaniſchen Staatenbund aufnehmen kann , ſo ſezten ſich die Zuckerbarone mit dem amerikaniſchen Geſandten in Hono lulu ins Einvernehmen , und eines Tages wurde die Königin abgeſept, Hawaii zur Republik erklärt.
Der frühere Königspalaſt aber , vor
welchem ſich das Denkmal des Königs Kamehameha erhebt, wurde zum neuen Parlamentsgebäude von Hawai.
Freilich waren zunächſt die Re
gierenden in Waſhington, vor allem Präſident Cleveland, mit dieſer Ge walttat nicht einverſtanden , allein auch ihr Widerſtand wurde überwunden . Die Proteſte der Königin blieben unbeachtet, die Republik wurde anerkannt, und dann bereiteten die reichen Zuderbarone die Aufnahme der neuen Republik in den großen amerikaniſchen Staatenbund vor.
Hawaii.
416
Dabei ſpielte noch ein anderer Umſtand mit.
Als das Königreich
noch beſtand, waren die Amerikaner , deren es in Hawaii etwa drei tauſend gibt , the power behind the throne , das heißt die Königin mußte tanzen , wie ſie pfiffen , und das Gemengſel von Portugiejen aus Madeira ( etwa fünfzehntauſend ) , von Chineſen , Japanern , Poly neſiern und
Kanaken
konnte
im
Zaum
gehalten werden .
In der
neuen Republik wollten aber die ſich immer mehr blähenden Japaner, die
auch
ichon
als Zuckerproduzenten ,
Kaufleute
und
Landeigen
a
Parlamentegebäude in fonolulu. tümer u . ſ. w . den Amerikanern gewaltige Konkurrenz auf Hawaii machen , ebenfalls mitreden .
Sie wollten Siß und Stimme im Rate
der hawaiiſchen Staatslenker.
Als die Amerikaner, aus welchen die
lepteren ſich faſt ausſchließlich zuſammenſegen , ihnen dies verweigerten , proteſtierte Japan und ſchickte ſich zu Gewaltmaßregeln an .
Da gab
es nur eine Rettung , ſich feſt an die Rodichöße von Onkel Sam zu hängen .
Vor dem
blauweißroten Streifen der Inſelrepublik hatten
die Japaner keinen Reſpekt , aber an das Sternenbanner der Yankees konnten ſie ſich nicht wagen .
Darum wuchs das Beſtreben , Hawaii
an die amerikaniſche Union anzugliedern , und ſo iſt denn im Jahre 1890 die Annexion
des Inſelreiches
vorläufig
als
Territorium
94 ftx l.lil
erfolgt.
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Die
Erde
und
ihre
Dőlker .
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von Hellwald .
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Im
Reiche
Megeſti
des
Negus
. II Menelik
Eine Geſandtſchaftsreiſe nach Abeſſinien.
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Beckers
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Gefangene Germaninnen . Nach einer Originalzeichnung von Ferd. Beele.
a .
Germani
Zwei Jahrtauſende deutſchen Lebens .
Kulturgeſchichtlich geſchildert don Johannes Scherr. Meu herausgegeben und bis zur Gegenwart fortgeführt don Hans Prut. 500 Seiten Text mit 375 Abbildungen auf Kunſtdruckpapier und 50 Extra - Kunſtblättern . In Prachtband gebunden 20 Mark. 3n dieſer neuen , durchweg mit zeitgemäß ausgeführtem Bilderſchmud verſehenen Au@gabe von Johannes Scherrs berühmter „ Germania“ bieten wir dem deutſchen Volle ein Wert von hoher geſchichtlicher und künſtleriſcher Bedeutung , ein Buch, das bei jung und alt, in allen Kreiſen und Ständen in ſeiner gegenwärtigen Geſtalt mit Begeiſterung aufgenommen wird . Jeder Deutſche, der für die fortſchreitende Entwidlung unſeres geſamten nationalen Lebens ſich zu erwärmen vermag, findet in Scherrs „ Germania“ eine unerſchöpfliche Quelle edler Unterhaltung und vornehmen Genuſjes. Ein kerndeutſches Hausbuch don bleibendem Werte .
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Hans
. Eiſenhart
Ein deutſches Ein deutſches Flottenbuch .
:: Herausgegeben oon :: Ferdinand Lindner, Marinemaler. Text don Graf Bernſtorff, Korsettenkapitän a . D. Mit 194 Textilluſtrationen und 20 ein- und mehrfarbigen Einſchalt bildern nach Originalzeichnungen von Ferdinand findner.
Elegant gebunden 10 Mark. „ Şans Eijenhart“ iſt eine lebenswahre flotte Erzählung, in deren Mitte der deutſche Seeoffi. zier Hans Eiſenhart ſteht, den wir vom Beginn ſeiner Laufbahn als Kadett auf der alten ,Niobe “ bis zur Neuzeit begleiten , wobei die Entwidlung unſerer Marine immer den hiſtoriſchen Hinter grund bildet. Die originelle ydee, ein Difizierfleben der Darſtellung unterzulegen , hat es ermöglicht, daß der Lejer durch alle Gebiete der Marine hindurchgefiihrt wird . In lebendiger Schilderung lernen wir das Kadettenleben , das Treiben an Bord , den Dienſt, die große Reiſe um die Welt auf der „ Vineta “ mit all ihren Gc ſchehniſſen und Abenteuern , ferner den Wachtdienſt an Bord , die Artillerie, das Minenweſen und vieles andere tennen . Wir bes gleiten den Helden nach der neu erworbenen Rolonie Kamerun und in die Kämpfe, die er dort zu beſtehen hat , hören dann , wie er ſich mit dem Torpedoweſen vertraut macht und gehen mit ihm auf die Marineatademie und auf die Werft. Endlich ſehen wir ihn als Navigationsoffizier und ziehen mit ihm in die Manöver, an denen er zum Abſchluß des Ganzen teilnimmt. Bisher hat es an einein ſolchen Buch gefehlt , das in umfasſender Weije ein Geſamtbild der Marine gibt und zugleich durch die Darſtellung in Wort und Bild unmittelbar feifelt . „ Hans Eiſenbart “ erfüllt dieſe Aufgabe und iſt daher ganz geeignet, eiu Voltsbuch (Leipz. 30. Zeitung.) im beſten Sinn des Worcee zu werden . 3u haben in allen Buchhandlungen .
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Als oortrefflich unterhaltende , kulturgeſchichtlich o wertvolle Reiſebeſchreibung empfehlen wir : 0
ſeine
und
In
Fürſt enhof . en Für ſte nhőfee
di
Reiſen
von Kap
Don
Comorin
Ernſt von
bis
an
den Himalaya .
Heſſe =Wartegg.
Mit 129 Abbildungen und 8 Kunſtbeilagen . In hochelegantem Geſchenkband. Preis 14 Mark.
H
at es jemals ein Land gegeben , das die Märchen aus » Tauſend und eine Nachte wirklich zum Schauplaş gehabt haben könnten , ſo iſt es das große , maleriſche Hindoſtan, das farbenprächtigſte Reich der weiten Erde.
Don ſeiner mitten in den üppigſten Tropen gelegenen Südſpiße bis an die oon gligernden Eisdiademen gekrönten Gebirgsmauern des Himalaya umfaßt es alle erdenklichen Landſchafts- und Kulturbilder und beherbergt ein Dolk , das an
Udaipur : Die Stadt dom Palaſtdach geſehen.
Derſchiedenartigkeit der Abſtammung, an Eigentüm = lichkeit ſeiner Sitten und Gebräuche den intereſſan = teſten Dölkern aller Kontinente beigezählt werden kann . Seine großartigen Tempel- und Palaſtbauten ſind Meilenſteine einer Geſchichte, die in die früheſten Zeiten der Menſchheit hinaufreicht; reine weiten Fluß täler waren die Tummelpläße faſt aller großen Dölker Aſiens; piele ſeiner mehrere Jahrtauſende alten , bis über die Zeit der Erbauung der Pyramiden hinaus reichenden Großſtädte ſind von Schlachtfeldern um = geben , auf welchen die Geſchicke des halben Kon = tinents entſchieden worden ſind ; und ſie ſelbſt waren zeitweilig die Reſidenzen der mächtigſten Herrſcher ihrer Zeit . Kein Cand hat ſo herrliche Paläſte und Tempel und Grabdenkmäler aufzuweiſen, in keinem hat es jemals größere Pracht zur Seite von größerem Elend , mehr Licht und gleichzeitig mehr Schatten Tiyanermädchen . gegeben wie in Indien und in keinem iſt von der alten Kultur, dem alten Götterglauben , den alten eigenartigen Sitten ſo viel bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben . Ein großer Teil lindoſtans iſt durch moderne Eroberer unterworfen worden , doch noch immer herrſcht in der ſchie = denen Gebieten eine große Zahl einheimiſcher Fürſten , umgeben von prunk = pollen Hofſtaaten , mit eigenen Armeen , eigenen Miniſterien.
11001
Dardſchiling.
Die Feſtlichkeiten ,
hindu = Tempel in Tiruvannamalai, Süd-Indien.
1
1
Elel zen
ber
ſein
Der Maharaja don Jeypur.
Die Südſpitze oon Indien. Elefanten- und Tigerkämpfe , Jagden , die dort abgehalten werden , ſind die glän = zendſten der Erde , und von welcher Seite man auch das Dolk , das dieſe Staaten bewohnt , betrachtet, bietet es das größte Intereſſe dar. Das Werk »Indien und ſeine Fürſtenhöfe « iſt das Ergebnis langer und genauer Beobachtungen des
Der Gaikaur don Baroda .
Die Tochter des Gaikaurs don Baroda.
Feſtlicher Aufzug des Maharaja don Jeypur. Derfaſſers, der durch ſeine über mehr als drei Jahrzehnte ausgedehnten Weltreiſen als Kenner von Land und Leuten einen klangvollen Namen hat. Dom Glück begün = ſtigt, war es ihm dergönnt, an den höfen einer ganzen Reihe von einheimiſchen Fürſten als Gaſt zu weilen und die Eingeborenenſtaaten kennen zu lernen , wie wenige por ihm . Herle =Wartegg verſteht es , Land und Leute feſſelnd zu ſchildern. Seine zahlreichen Reiſewerke ſind in faſt alle europäiſchen Sprachen überſetzt. In ſeinem Buche Indien und ſeine Fürſtenhöfe « bieteter ein
oortrefflich
unter:
haltendes, kultura geſchichtlich
wert
polles Buch , das in der gebildeten Welt Aufſehen erregt und als neueſtes, prächtig
Indiſche Tänzerinnen.
ausgeſtattetes Geſchenke werk ſich zur Bereiches rung des Bücherſchakes von ſelbſt empfiehlt.
Einige Stimmen der Preſſe über » Helſe =Wartegg, Indien und ſeine Fürſtenhöfe « : Aus farbig und flott geſchriebenen Reiſeſkizzen ſetzt ſich rein neues Buch zuſammen . Die Auswahl iſt aber überaus glücklich ; in der leichten Form wird dem Leſer doch eine nähere und allgemeine Kenntnis von Oſtindien vermittelt. Denn don Cochin und Travancore im ſüdlichſten Indien führt uns der Derfaſſer kreuz und quer durch das Land bis zu den Sommerfriſchen im himalaya . Dabei derweilt er in den glänzendſten Fürſtenreſidenzen , ſchildert ihre märchen hafte Pracht, beſucht die Tempelſtädte der hindus und Kalkutta , die nüchterne, engliſche Gründung. Dazwiſchen ſtreut er Skizzen ein über die » hotels und Backſchiſch in Indien « , über das Reiſen auf indiſchen Eiſenbahnen , ſowie Kurioſa aus dem Kaſtenweſen der hindus , über die Zauberkünſte der Fakire , über Elefanten- und Tigerkämpfe an indiſchen Fürſtenhöfen , gibt Bilder aus dem Frauenleben . Sehr intereſſant ſind ſchließlich ſeine Mitteilungen über die eng= liſche Armee in Indien , über die Stellung der engliſchen Beamten und Kauf leute, und er perfehlt auch nicht, die dunklen Seiten von Indien zu enthüllen, auf die Steuerlaſten, Dernachläſſigung der Dolksbildung, auf hungersnőte und peſtartigen Epidemien hinzuweiſen, die Millionen von Menſchen dahinraffen . So erhält der Leſer ein richtiges Bild der heutigen Zuſtände des Märchen landes : überall noch die Reſte des alten Glanzes, überall aber auch Zeichen eines bedenklichen Derfalls. Erhöht wird der Wert des neuen Heſſe- Wartegg= ſchen Buches durch die geſchmackvolle Ausſtattung, eine Fülle trefflicher Illus ſtrationen nach wohlgelungenen photographiſchen Aufnahmen, die das wunderbare Land und ſein buntes Dölkergemiſch unmittelbarer dem Auge des Leſers Dorführen . >> Die Gartenlaube, Leipzig.
Der Autor iſt bekannt, die Werke, die er über ſeine Reiſen in fremden Weltteilen deröffentlichte, haben ihm längſt einen Namen don gutem Anſehen geſchaffen. Helle - Wartegg iſt nicht der Mann , der genau regiſtriert und dann ſein Penſum verarbeitet ; er reiſt, ſieht und erzählt , erzählt frei, flüſſig und liebenswürdig, das iſt es, was reinen Werken den Erfolg geſichert hat. Auch in dem Dorliegendem Buche hören wir einen gut unterrichteten Menſchen reden , einen Mann , der viel geſehen und erfahren hat und von dem ſynthe tiſchen Geſichtspunkte deſſen berichtet, der über ſeinem Stoffe ſteht. In kula tureller, in ſittengeſchichtlicher Hinſicht hat das Buch ganz gewiß einen blei = benden Wert. Aber auch was er an Kunſtſchäten des Orients wiedergibt macht es wertvoll. Der Autor doziert zwar nicht vom Standpunkte des großen Gelehrten aus , aber das außerordentlich reiche Material an Höfen , Paläſten und Tempeln aus ſo und ſo viel Städten , die wohl nur wenige Gelehrte be treten haben mögen , dies Material gibt dem Werke auch einen künſtleriſchen Wert. » Leipziger Tagblatt, Leipzig.“
Inhalts = Überſicht:
Cochin und ſeine weißen und Im ſüdlichſten Indien . Travancore, das ſüdlichſte Fürſten ſhwarzen Juden . Die Tempelſtätte der Hindus. tum Don Indien . Trichinopoly , eine Felſenfeſte in Südindien . – Tanjore. Madras. Haidarabad, eine mohammedaniſhe Fürſten Golkonda. - Wie man auf indiſchen Eiſen reſidenz. Dſchaggarnath . Meine Wallfahrt zum bahnen reiſt. Kurioſa Kalkutta . brahmaniſchen Herrn des Weltalls. aus dem Kaſtenweſen der hindus. - Dom Ganges zum Be Zauberkünſte der indiſchen Fakire. himalaya . ſchaft Stadt. heiligen der in Brahmanenwirt nares. Tadſch Mahal, das Grabbenkmal einer indiſchen Agra . Die Gwalior und die Scindiafürſten. Kaiſerin. Delhi, die Reſidenz Fürſtentümer don Bundelkhand. der Großmoguln . - Der Friedhof des indiſchen Reiches. Hardwar , eine - Hotels und Backſchiſh in Indien. Alwar. Pilgerſtadt. Sommerfriſchen im himalaya . Aus dem Ein altindiſches Reich und ſeine Herrſcher. Jeypur . - Udaipur. - Jodhpur , die Frauenleben . Rutlam, ein Reſidenz der indiſchen Sonnendynaſtie.
Maharaja don Jodhpur. indiſcher Opiumſtaat. – Opium . – Indiſche Soldateska . Beim 6aikaur don Baroda. Elefanten- und Tigerkämpfe an Fürſtenhöfen . Palitana, die Stadt der tauſend Tempel . Bombay. Die dunklen Seiten von Indien .
In allen Buchhandlungen zu haben .
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Indien und ſeine Fürſtenhöfe. Don E. von Heſſe=Wartegg. Mit 129 Abbildungen und 8 Kunſtbeilagen. In elegantem Geſchenkband. 0 Preis 14 Mark.
den
190
Name, Stand , Wohnung :
Druck der Union Deutſche Derlagsgeſellſchaft in Stuttgart.