Am Anfang war die Sintflut 3863123360, 9783863123369


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German Pages [160] Year 2012

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Titel
Impressum
Inhalt
1 „Aus Schaden wird man klug“ – oder doch nicht?
1.1 Ein paar Begriffe …
2 K(l)eine Zauberei – Methoden zur Abschätzung der Abflüsse von Paläohochwassern
2.1 Der Abfluss – Produkt aus Fließgeschwindigkeit und durchströmter Fläche
2.2 Wasserstandrekonstruktionen
2.3 Abschätzung der Fließgeschwindigkeit
2.4 Kleinformen an der Gerinnebettsohle
2.5 Phänomene des hydraulischen Energieübergangs
2.6 Abflussabschätzung aus Niederschlag-Abflussmodellen
2.7 Black-Box-Modelle zur Abflussabschätzung
2.8 Spurensuche – Geländearbeiten zur Hochwasserabschätzung
2.9 Fazit
3 „Das Wasser wächst, groß Schad’ geschieht“ – Hochwasser in historischer Zeit
3.1 Historische Hochwasser in ausgewählten Einzugsgebieten und Regionen
3.2 Einzelereignisse
3.3 Häufigkeit von Hochwassern in historischer Zeit
3.4 Hochwasser im Holozän
3.5 Rekonstruktion des historischen Abflusses
4 „… among the largest floods on Earth“ – die gravierenden Folgen von Stauseeausbrüchen
4.1 Die Welt der Stauseen – Typen, Muster und Dynamik im Überblick
4.2 Ausbruchsmechanismen und ihre Modellierung
4.3 Beispiele junger Stauseen und ihrer Ausbruchsfluten
5 Wie glaziales Hochwasser Landschaften erschuf – Ausbrüche von Eisstauseen im Pleistozän
5.1 Inlandeis und Wasserfluss – ein dynamisches Wechselspiel im eiszeitlichen Europa
5.2 Sibirien – wenig Eis und große Seen in der Kältewüste
5.3 Pleistozäne Stauseeausbrüche in und aus Nordamerika
6 Hochwasser der Erdgeschichte: die (Wieder-) Füllung von Meeresbecken
6.1 Flutete die biblische Sintflut das Schwarze Meer?
6.2 Gibraltar – Schließen und Öffnen des Tors zum Mittelmeer
7 Fazit und Ausblick
Literatur
Sachregister
Ortsregister
Informationen Zum Buch
Informationen Zum Autor
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Am Anfang war die Sintflut
 3863123360, 9783863123369

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Jürgen Herget

Am Anfang war die Sintflut Hochwasserkatastrophen in der Geschichte

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Für Britta – danke für die Geduld

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Bickenbach Einbandabbildung: Guadalhorce River Malaga, Spain © picture alliance / Design Pics Einbandgestaltung: Finken & Bumüller, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-23942-9 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag Einbandabbildungen: Mennonskolosse in Theben bei Nilhochwasser; © picture alliance / Artcolor. Von der Elbe überflutetes Haus, nahe dem Sächsischen Meißen; © picture alliance / ZB Einbandgestaltung: Christian Hahn, Frankfurt a. M. ISBN 978-3-86312-336-9 www.primusverlag.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71374-5 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-71376-9 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-867-8 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-868-5 (Buchhandel)

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Inhalt 1



„Aus Schaden wird man klug“ – oder doch nicht?

1.1 Ein paar Begriffe …

K(l)eine Zauberei –  Methoden zur Abschätzung der Abflüsse von Paläohochwassern

„… among the largest floods on Earth“ – die gravierenden Folgen von Stauseeausbrüchen

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2.1 Der Abfluss – Produkt aus Fließgeschwindigkeit und durchströmter Fläche

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2.2 Wasserstandrekonstruktionen

15

2.3 Abschätzung der Fließgeschwindigkeit

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2.4 Kleinformen an der Gerinnebettsohle

34

2.5 Phänomene des hydraulischen Energieübergangs



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4.1 Die Welt der Stauseen –  Typen, Muster und Dynamik im Überblick

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4.2 Ausbruchsmechanismen und ihre Modellierung

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4.3 Beispiele junger Stauseen und ihrer Ausbruchsfluten 5



Wie glaziales Hochwasser Landschaften erschuf –  Ausbrüche von Eisstauseen im Pleistozän

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5.1 Inlandeis und Wasserfluss –  ein dynamisches Wechselspiel im eiszeitlichen Europa

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2.6 Abflussabschätzung aus Niederschlag-Abflussmodellen

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5.2 Sibirien – wenig Eis und große Seen in der Kältewüste

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2.7 Black-Box-Modelle zur Abflussabschätzung

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5.3 Pleistozäne Stauseeausbrüche in und aus Nordamerika

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2.8 Spurensuche – Geländearbeiten zur Hochwasserabschätzung

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2.9 Fazit

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Hochwasser der Erdgeschichte: die (Wieder-)Füllung von Meeresbecken

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6.1 Flutete die biblische Sintflut das Schwarze Meer?

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6.2 Gibraltar – Schließen und Öffnen des Tors zum Mittelmeer

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„Das Wasser wächst, groß Schad’ geschieht“ –  Hochwasser in historischer Zeit 3

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6

3.1 Historische Hochwasser in ausgewählten Einzugsgebieten und Regionen

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3.2 Einzelereignisse

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3.3 Häufigkeit von Hochwassern in historischer Zeit

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3.4 Hochwasser im Holozän 3.5 Rekonstruktion des historischen Abflusses

Fazit und Ausblick

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Literatur

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Sachregister

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Ortsregister

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© J. Schreiber · www.schreiberVIS.de

„Aus Schaden wird man klug“ –  oder doch nicht?

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Hochwasser gehören zu den häufigsten und folgenreichsten Naturkatastrophen auf der Erde. Sie entstehen in allen Naturräumen zu allen Zeiten. Doch immer wieder bergen sie Überraschungen durch ihre unerwartete Stärke und die verursachten Schäden. Schnell sind Charakteristika wie Jahrhundert- und Jahrtausendhochwasser in aller Munde, doch was weiß man über die Hochwasser der Vergangenheit wirklich? Wie sind Hochwasser wie das der Elbe 2002 (Abb. 1-1) oder in Pakistan 2010 tatsächlich einzuordnen? Gab es derartige Hochwasser schon zuvor oder bilden sie ein Novum, sind sie gar Folgen des laufenden Klimawandels? Zur Beantwortung dieser Fragen hilft nur ein Blick in die Vergangenheit. Doch die Aufzeichnungen der Flusspegel decken nur einen begrenzten Zeitraum ab und reichen nur in Ausnahmefällen Abb. 1-1: Hochwasser der Elbe am 20. August 2002 (NASA Earth Observatory). Die kaum erkennbare Saale veranschaulicht die Ausdehnung des Hochwassers von Elbe und Mulde.

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„Aus Schaden wird man klug“

Wasserstand [cm] 2000

1800

Hochwasser Wasserstand unbekannt

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1000 500 v. Chr.

Abb. 1-2: Hochwasser des Tibers in Rom (Daten aus Camuffo & Enzi 1996).

0

500

1000

1500

2000 Jahr

weiter als hundert Jahre zurück (Deutsch 2010). Für weite Regionen auf der Erde liegen gar keine Messwerte vor, doch auch hier haben Hochwasser ihre Spuren hinterlassen. Dies kann in Form von Aufzeichnungen und Beschreibungen aus historischer Zeit der Fall sein, die in den verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich weit zurückreichen. So überrascht es nicht, dass aus den USA praktisch keine Angaben zu Hochwassern in historischer Zeit vorliegen, denn die indigene Bevölkerung kannte vor Erscheinen der Weißen auf dem Kontinent keine schriftlichen Überlieferungen. Anders sieht es bei den frühen Hochkulturen oder den Regionen aus, von denen eine lange Zeit der Geschichtsschreibung vorliegt. Das Beispiel der historischen Hochwasserstände des Tibers in Rom zeigt jedoch auch, dass über längere Zeiträume hin die Angaben unpräziser werden können. So reicht die Erwähnung von Hochwasserereignissen hier zwar bis ins vierte vorchristliche Jahrhundert zurück, Angaben zu Wasserständen liegen jedoch erst ab dem 12. Jahrhundert n. Chr. vor (Abb. 1-2). Neben den Überlieferungen aus historischer Zeit können aber auch natürliche Indikatoren in Form von abgelagerten Sedimenten oder Erosionsspuren erhalten geblieben sein und so den Wasserstand von Hochwassern überliefern. Dies ist namentlich für den prähistorischen Zeitraum aber auch aktuell für Regionen ohne dichte Besiedlung von Bedeutung. Schnell erge-

ben sich daraus weitere Fragen, etwa nach maximalen Hochwassern (Abb. 1-3) oder den ältesten Beobachtungen überhaupt. Beim Vergleich der Abflüsse verschiedener Hochwasserereignisse aus historischer und prähistorischer Zeit (O’Connor et al. 2002, O’Connor & Costa 2004) wird schnell deutlich, dass die Extremhochwasser in Mitteleuropa, namentlich des Rheins mit Spitzenwerten von 11 000 m³/s, am unteren Ende der Skala rangieren. Offensichtlich wird auch, dass unterschiedliche Hochwasserursachen zu Abflüssen in wesentlich höheren Größenordnungen führen können. Doch wie kommen Abflüsse, die durchaus Dimensionen von 1 000 000 m³/s bzw. 1 000 000 000 l/s überschreiten können, überhaupt zu Stande? Und wie kommen eigentlich die Abschätzungen zu Hochwassern zustande, die kein Mensch direkt beobachtet hat und bereits mehrere Jahrtausende zurückliegen? An diesen Fragen setzt das vorliegende Buch zur Rekonstruktion von Hochwassern aus historischer und prähistorischer Zeit an. Bei dieser Rekonstruktion stehen zentrale Kenngrößen wie Fließgeschwindigkeit und Abfluss, aber auch die Ursache und auslösenden Prozesse der Hochwasserereignisse im Vordergrund. Dabei werden hier Hochwasser in Fließgewässern behandelt und Sturmfluten in den Meeren nicht thematisiert. Um zu zeigen, dass derartige Überlegungen und Abschätzung kein Kaffeesatzlesen oder inspiratives Wunschdenken sind, wird den Darstellungen zu Hochwassern ein ausführlicher methodenkundlicher Teil vorangestellt. Hier wird im Einzelnen erläutert, wie sich Wasserstände rekonstruieren und Fließgeschwindigkeiten nach verschiedenen Ansätzen abschätzen lassen. Da es hierbei um Quantifizierungen geht, kommt dieser Teil nicht ganz ohne Formeln aus. Dennoch sind die Darstellungen eher ein Überblick, wobei bewusst ausgewählte Literaturhinweise bei Fragen zum hydraulisch-physikalischen Hintergrund oder vertiefenden Detailfragen einen Einstieg zum weiterführenden Selbststudium erleichtern sollen. Den Einstieg in den dokumentarischen Teil eröffnen Ausführungen zu Hochwassern in historischer Zeit. Diese sind regional nach Flusseinzugsgebieten gegliedert und werden durch außereuropäische Beispiele ergänzt. Hier können nur exemplarisch Beispielregionen behandelt werden, doch Infoboxen geben Hinweise auf

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Begriffe

gerung umzugestalten, weshalb sie als kataklysmisch (engl. cataclysmic) bezeichnet werden (Baker 1988). Ferner liegen plausible Hinweise vor, dass einige von ihnen Auswirkungen auf das globale Klima hatten. In diesem Zusammenhang werden Beispiele aus Europa, Sibirien und Nordamerika behandelt, denen die höchsten Spitzenabflüsse in der Übersicht in Abb. 1-3 zugeschrieben werden. In der jüngeren Erdgeschichte, die hier bis ins bereits ausklingende Tertiär vor 6 Mio. Jahren betrachtet wird, bildeten sich Landbrücken, die zur Isolation von Meeresbecken wie dem Schwarzen Meer und Mittelmeer führten. Ihre Wiederfüllungen werden mit der mythischen Sintflut in Zusammenhang gebracht bzw. stellen das stärkste auf der Erde noch nachweisbare Hochwasser dar. Insgesamt will das Buch als Lesebuch Interesse an dem Thema Hochwasser wecken, das gerade aus der geowissenschaftlichen Perspektive vielschichtiger ist, als man gemeinhin meint. Gezielt wurden zahlreiche Abbildungen und Illustrationen in die Darstellungen eingebaut, um eine möglichst gute Anschaulichkeit zu erreichen. Wie zuvor erwähnt, sind ebenfalls zahlreiche ausgewählte Hinweise auf weiterführende Literatur berücksichtigt worden, so dass der Leser aus dem Überblickscharakter des vorliegenden Buches hinaus

Abb. 1-3: Extreme Hochwasser unterschiedlicher Ursache seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 20 000 Jahren (ergänzt nach O’Connor et al. 2002). Man beachte die logarithmische Skalierung der Angaben zum Scheitelabfluss.

[m3/s] Scheitelabfluss Eisstauseeausbrüche 107

106

Überlauf tektonisches Becken

historische Zeit Pleistozän, Holozän Subglazialer

Vulkanismus Überlauf proglazialer CalderaseeSeen Rutschungsausbruch stauseeausbruch

Niederschlag

Eisgang 105

104

M iss ou l Al a Ag tai as Da si rk z Re hat g Ru W in ss Po ab a el r as Fj cup h or i d ne 19 Ag 86 as s Bo Aga iz s n In ne siz du vi s 1 lle 84 Jö C To 1 ku ol ut lsá um le b Ka Fjöl ia tla lu An 19 m i 1 Le akc 8 na ha Le 1 k n 9 Am Le a 1 67 az na 96 Am o 1 2 a na 9 Am zo s 1 48 az nas 95 3 o Rh Ja na 196 ei ng s 1 3 n ts 9 19 e 76 26 18 /9 70 3/ 95

Schlüsselliteratur zu hier nicht behandelten Einzugsgebieten und Regionen. Zusätzlich werden ausgewählte Einzelereignisse vorgestellt, die in Mitteleuropa überregionale Bedeutung hatten und vielerorts markante Spuren hinterlassen haben, sowie die Frage nach Perioden erhöhter Häufigkeiten von Hochwassern thematisiert. Dieser Abschnitt weist in Teilen Parallelen mit Darstellungen zur Historischen Klimatologie auf, wie sie beispielsweise von Glaser (2008) in seiner „Klimageschichte Mitteleuropas“ oder von Mauelshagen (2010) in der „Klimageschichte der Neuzeit“ behandelt werden. Daher werden die klimatologischen Aspekte hier nicht weiter vertieft, um Wiederholungen zu vermeiden. Nachdem so ein breites Spektrum an Befunden zu Hochwassern vorgelegt wurde, wird abschließend der Abschnitt zur historischen Zeit mit der Rekonstruktion von Fließgeschwindigkeit und Abfluss eines konkreten Hochwassers aus dem ausklingenden Mittelalter in Köln demonstriert. Der Zeitrahmen der vorliegenden Arbeiten zur historischen Klimatologie wird durch Darstellungen durch Hochwasser ergänzt, die sich in prähistorischer Zeit, jedoch nach der letzten Eiszeit im Holozän ereignet haben. Wie die Übersicht zu Scheitelabflüssen von Hochwassern in der Vergangenheit (Abb. 1-3) veranschaulicht, haben Seeausbrüche eine besondere Bedeutung für Hochwasser großer Magnituden. Da diese Ursache von Hochwassern kaum präsent ist und in der vorliegenden einschlägigen Fachliteratur nur wenig Aufmerksamkeit findet, wird es hier entsprechend thematisiert. Dabei werden nicht nur Beispiele entsprechender Ereignisse vorgestellt, sondern auch der Hintergrund wie Bildung, Dynamik der Seen sowie der verschiedenen Teilprozesse beim Dammversagen von Eisstauseen, Bergsturzbecken oder künstlichen Staumauern erläutert. Zugunsten der Anschaulichkeit wird in diesem Abschnitt der Zeitraum für die Vergangenheit etwas großzügig behandelt und auch Stauseeausbrüche aus jüngerer Zeit thematisiert. Die Seen bilden die Grundlage für ein besseres Verständnis der Großereignisse aus dem Pleistozän, also der letzten Eiszeit. Hier werden Hochwasser behandelt, deren Abflüsse sich mit Meeresströmungen vergleichen lassen, da es sich hier um Größenordnungen von Millionen Kubikmetern handelt. Derartige Superfloods waren in der Lage, ganze Landstriche durch Erosion und Abla-

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„Aus Schaden wird man klug“

selbständig vertiefende Informationen leicht finden kann. Bevor nachfolgend einige grundlegende Begriffe, die zum Verständnis der Ausführungen hilfreich sind, erläutert werden, soll einigen Kollegen und Mitarbeitern für ihre Unterstützung bei der Entstehung des Buches gedankt werden. Thomas Roggenkamp hat zahlreiche Ideen und Entwürfe von Karten und Abbildungen umgesetzt und erfolgreich auch schwierige Fälle der Literaturbeschaffung gemeistert. In diesem Zusammenhang soll auch Anne Klosterhalfen und Thomas Neeten gedankt werden. Zahlreiche Kollegen haben die Arbeiten durch Bereitstellung von Abbildungen, Materialien und Erläuterungen nachhaltig unterstützt. Namentlich seien hier in alphabetischer Reihenfolge Mathias Deutsch, Giles Erkens, Thomas Euler, Daniel Garcia-Castellanos, Maike Gauger, IKHR, Stefan Harnischmacher, Rainer Jüngst, Staatsarchiv Basel-Stadt, Jef Vandenberghe, Oliver Wetter und Mila Zinkova genannt. Für das Interesse an dem Thema und die konstruktive Zusammenarbeit

sei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, namentlich den Lektoren Rainer Aschemeier und Jens Seeling gedankt. Aus verschiedenen Forschungsprojekten, die dankenswerterweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Volkswagenstiftung finanziell unterstützt worden sind, konnten hier Erfahrungen einfließen.

1.1

Ein paar Begriffe …

Um den Aufbau der Ausführungen leicht nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, sich der Bedeutung einiger Grundbegriffe im Klaren zu sein. Dabei soll hier nicht ein einleitendes Glossar durchdekliniert werden oder sterile Definitionen aufgelistet werden, sondern ein paar Begriffe vorgestellt werden, die zur Beschreibung und Charakterisierung von Hochwassern gebraucht werden. Als Hochwasser bezeichnet man Wasserstände bzw. Abflüsse, die über einem festzuliegenden Schwel-

Abb. 1-4: Furnance Creek Wash im Death Valley, Kalifornien, ist berüchtigt für seine verheerenden Hochwasser, auch wenn er längst nicht jedes Jahr überhaupt Wasser führt.

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Begriffe

lenwert liegen. Diese Definition scheint vergleichsweise schwammig, doch ist sie universell anwendbar und gültig. Dies wird insbesondere dann augenfällig, wenn man sich aus dem gewohnten Bild Mitteleuropas entfernt und vergegenwärtigt, wie unterschiedlich die hydrologischen Verhältnisse in andern Klimazonen aussehen können. In Wüstengebieten etwa, in denen kein permanenter sondern nur episodischer Abfluss stattfindet (Abb. 1-4), macht ein Bezug auf einen mittleren Abfluss oder gar Wasserstand zur Definition von Hochwasser keinen Sinn. In der Definition schwingt auch mit, dass Hochwasser hinsichtlich ihres potentiellen Schadens definiert werden. Dabei ist es in der Regel unerheblich, ob der hohe Wasserstand etwa durch einen Rückstau im Gerinne entsteht und dabei nicht unbedingt auch einen erhöhten Abfluss beinhaltet, oder durch einen so großen Abfluss entsteht, dass das Flussbett zu klein wird und der Fluss über seine Ufer treten muss. Ein gleich hoher Wasserstand kann also unterschiedlich verursacht worden sein. Übrigens sollte nicht vergessen werden, dass Hochwasser auch etwas Positives und Lebensspendendes haben können und nicht nur von schadenbringendem Nachteil sein müssen. So basierte die Hochkultur des Alten Ägypten auf den alljährlichen Nilhochwassern, die weite Landstriche überfluteten und dabei fruchtbaren Schlamm ablagerten, der aus der Bodenerosion im Oberlauf stammte. Doch davon später mehr. Hochwasser weisen eine Ganglinie, das heißt eine Veränderung des Abflusses angegeben als Wasservolumen pro Zeiteinheit (meist m³/s) auf (Abb. 1-5). Ausgehend von einem Basisabfluss, der in unseren Breiten typischerweise vom Grundwasser gespeist wird bzw. dem festzulegenden Schwellenwert des Abflusses entspricht, beginnt der Abfluss mit Einsetzen des Hochwassers anzusteigen. Der maximale Wert des Abflusses wird Scheitel- oder Spitzenabfluss genannt. Er tritt ein, ehe der Abfluss wieder abzunehmen beginnt. Diese Änderung des Abflusses mit der Zeit wird als instationär bezeichnet. Stationärer Abfluss, graphisch einer Parallele zur Zeitachse entsprechend, tritt in der Praxis nicht auf, da es immer wenigstens minimale Änderungen gibt, wird aber aus Gründen der Vereinfachung bei einigen Modellierungen angenommen. Häufig sind mehrgipfelige Abflussganglinien mit

Abfluss Scheitelabfluss

ansteigend

abfallend Volumen

Basisabfluss

Dauer

Zeit

vorübergehendem An- und Abschwellen zu beobachten. Bei Abklingen des Hochwassers hat der Basisabfluss in der Regel zugenommen, weil ein Teil des Wassers aus dem Flussbett, man spricht häufig vom Gerinne, in den Untergrund versickert ist. Dieser Effekt und der Rückhalt durch Benetzung von Oberflächen sowie Rückstau im Bereich des Hochwasserbettes von Flüssen führen dazu, dass Hochwasser entlang ihres Fließweges tendenziell abnehmen, sofern keine weiteren Zuflüsse aus Nebenläufen erfolgen. Diese Abnahme wird als Retentionsverlust bezeichnet. Da dieses rückgehaltene Wasser mit zeitlicher Verzögerung wieder ins Gerinne kommt und abfließt, klingen Hochwasser oftmals langsam aus. Dabei ist der ansteigende Ast der Hochwasserganglinie steiler als der abfallende. Ausnahmen bestätigen dabei die Regel und können als Charakteristika für bestimmte Prozesse beispielsweise bei Stauseeausbrüchen gewertet werden. Das Volumen eines Hochwassers ergibt sich aus der Fläche bzw. dem Integral unter der Ganglinie und entspricht der Summe des Abflusses. Es liegt eine Fülle an Definitionen und Differenzierungen für die Begriffe „historisches Hochwasser“ und „Paläohochwasser“ vor, die sich je nach Arbeitsrichtung und -region des Autors unterscheiden. Generell lassen sich die Hochwasser, die sich vor dem Beginn der systematischen und permanenten Messungen und Aufzeichnungen ereignet haben, in solche in historischer und prähistorischer Zeit differenzieren. Erstere werden als historische Hochwasser, letztere als Paläohochwasser bezeichnet (vgl. Brázdil et al. 2006).

Abb. 1-5: Kenngrößen eines Hochwassers.

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„Aus Schaden wird man klug“

Der Zeitraum der historischen Zeit ist je nach Kulturraum unterschiedlich lang, so dass sich keine universelle zeitliche Abgrenzung festmachen lässt. In Kulturräumen mit nur kurz zurückreichender schriftlicher Überlieferung wie Nordamerika wird generell nur von Paläohochwassern gesprochen. Da hier der Schwerpunkt der Arbeiten auf der Auswertung natürlicher Paläowasserstandanzeiger wie beispielsweise Hochwasserablagerungen liegt, definiert Costa (1987a) Paläohochwasserhydrologie als Wissenschaft von der Bewegung von Wasser und Sediment (!) in Gerinnen vor dem Zeitraum der hydrologischen Aufzeichnungen und direkten Messungen. Baker (2008) gibt einen breiten Überblick über die Entwicklung der Disziplin und definiert historische Hochwasser als solche, die von Nicht-Hydrologen beobachtet bzw. dokumentiert wurden, ohne dass er eine zeitliche Differenzierung vor-

nimmt. Diese Definition scheint wenig glücklich, da das wesentliche Adjektiv „historisch“ keinen inhaltlichen Bezug zu „Nicht-Hydrologen“ aufweist. Aus USamerikanischer Perspektive ist aber nachvollziehbar, wie man auf eine derartige Idee kommen kann. Vollends verwirrend wird das Bild, wenn man einen Blick in die Arbeitspraxis wirft. So finden paläohydrologische Untersuchungsmethoden immer dann Anwendung, wenn man keine direkten Messungen auswerten kann. Dies gilt auch für rezente Hochwasserabschätzungen in abgelegenen Gebieten, in denen indirekte Methoden Anwendung finden (Benson & Dalyrymple 1967), die in weiten Teilen mit denen der Paläohochwasserforschung identisch sind und nach dem Ende eines Hochwasserereignisses genutzt werden. Das nachfolgende Kapitel veranschaulicht, wie diese Methoden und Techniken aussehen.

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K(l)eine Zauberei – 

Methoden zur Abschätzung der Abflüsse von Paläohochwassern Für die Beschreibung der Dimensionen historischer Hochwasser können prinzipiell natürlich die gleichen Parameter herangezogen werden wie für rezente Hochwasser. Diese wurden einleitend bereits vorgestellt. Da sie sich jedoch in der Regel nicht so exakt wie heute erfassen lassen, muss man meist mit Abschätzungen von Größenordnungen leben bzw. sich mit unvollständigen Darstellungen zufrieden geben. Dennoch sind häufig zeitgenössische Beschreibungen überliefert, die eine erstaunliche genaue Rekonstruktion der Wasserspiegelhöhe ermöglichen. So liegt etwa aus dem an der Unstrut gelegenen Mühlhausen folgende Beschreibung zur „Thüringen Sintflut“ vom Mai 1613 vor: „[…] An S. Georgii Kirchen hat das Wasser gestanden, 6. Vierthel Ellen weniger 2. Zoll hoch, und wen es noch eine 4thel Elle gestiegen were, hette es auf den Tauf =  Stein gereicht, es ist zum Gömer Thore herein gangen, und die Kilians Gassen über schwemmet, und ist den Leiten in die Keller gegangen, […]“ (nach Mühlhauser Bilderchronik aus Deutsch & Pörtge (2002)).

Ähnlich dem vorstehenden Beispiel sind häufig zwar mehr oder weniger genaue Angaben zum Wasserstand

2

überliefert, zur Dynamik des Hochwassers werden die Aussagen jedoch zunehmend unschärfer. Aussagekräftige Rekonstruktionen lassen sich auf dieser Basis kaum ableiten. So beschreibt beispielsweise eine Chronik der fränkischen Stadt Tauberbischofsheim, dass ein Hochwasser am 29. September 1732 so schnell angestiegen sei, dass fünf Menschen in ihren Wohnungen ertranken und das Wasser in der Klosterkirche bis an den Tabernakel gestanden sowie die Straßen bis zur Pfarrkirche überflutet hatte (nach Berberich aus Weikinn 1963). Auch wenn einzelne Chronologien verblüffend weitreichende und detaillierte Schlüsse erlauben, so haben die historischen Angaben zum Wasserstand das Problem, dass sie nicht so ohne Weiteres auf heutige Verhältnisse übertragen werden können. Ursache hierfür sind Flussbaumaßnahmen, die das Querprofil und dadurch die Kapazität der Flussrinne verändert haben. In erster Linie sind hier Uferverbauungen durch Mäanderdurchstiche, Deiche, Uferbefestigungen oder Buhnen, aber auch Ausbaggerungen der Flussrinnen für die Schifffahrt zu nennen (vgl. z. B. Park 1977a,

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Abschätzung von Paläohochwassern

Abb. 2-1: Flussbau am Beispiel der Emscher. Zu den zweifellos drastischsten Beispielen für einen Flussausbau gehört die Emscher im Ruhrgebiet, die im Rahmen der Industrialisierung zu einem offenen Abwasserkanal ausgebaut werden musste und nun schrittweise rückgebaut wird. Auf dem linken Bild (A) ist ein Abschnitt der Alten Emscher im Stadtpark von Oberhausen zu sehen, rechts die Emscher in WanneEickel. Die Idylle im Stadtpark trügt: hier ist ebenso wie auf dem unteren Bild (B), wo die Emscher zwischen hohen Deichen eingezwängt vor der Kulisse der Mülldeponie Emscherbruch durch eine Bergsenkungsniederung fließt, ein rein künstlicher Kanal vorhanden, dessen Form und Geometrie keinerlei Rückschlüsse auf den Flusslauf in historischer Zeit erlauben.

Kalweit 1993, Herget et al. 2005). Abb. 2-1 veranschaulicht die drastischen Veränderungen im Bett der Emscher im Ruhrgebiet und Abb. 2-2 illustriert das Ausmaß der Sohlveränderungen des Oberrheins seit den Korrektionen durch Tulla im 19. Jahrhundert. Durch die Veränderungen im Gerinnebett seit historischer Zeit würde ein gleicher Abfluss heute zu einem anderen Wasserstand führen, da der Querschnitt verändert wurde. Dementsprechend sagen historische Was-

A

B

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Der Abfluss

Ort Rhein-km Basel 166,7 Rheinweiler 186,2 7,0 m Abtrag Breisach 225,6

2,0 m

Sasbach 240,4 Kappel 261,0

Aufladung

Kehl 293,6

Maxau 362,3 1810 1830

1870

1900

1930

1950 Jahr

serstände nichts über heutige Hochwasserstände aus, auch wenn der Abfluss identisch ist. Um diese Information im Sinne einer Abschätzung des Abflusses nutzen zu können, muss diese für die historischen Hochwasser zunächst abgeschätzt und in einem zweiten Schritt geprüft werden, zu welchem Wasserstand dieser Abfluss heute führen würde. Wenn nun aber die historischen Überlieferungen generell schon nur eine begrenzte Präzision aufweisen, wie kann man dann darauf aufbauend Abflüsse zuverlässig abschätzen?

2.1

Der Abfluss – Produkt aus Fließgeschwindigkeit und durchströmter Fläche

Ein Blick auf einfache hydraulische Grundlagen hilft bei der Frage, welche Größen den Abfluss steuern und wie er sich rekonstruieren lässt. Grundsätzlich wird der Abfluss Q als Produkt der Fließgeschwindigkeit v und der Fläche des durchströmten Querschnitts A gebildet: Q = v ∙ A. Offen-

Abb. 2-2: Veränderungen der Rheinsohle zwischen Basel und Maxau nach der Oberrheinkorrektur durch Tulla und dem Einbau von Buhnen und Leitwerken (nach Kunz aus Kalweit 1993). Durch die Einengungen hat sich der Rhein in weiten Bereichen eingeschnitten und so die Kapazität des Gerinnebettes vergrößert.

sichtlich wird dieser Zusammenhang bei der Betrachtung der Einheiten in der Gleichung. So wird der Abfluss ausgedrückt als Wasservolumen, das pro Zeiteinheit verlagert wird – je nach Größenordnung sind hier Liter pro Sekunde [l/s] oder Kubikmeter (1 m³ = 1000 l) pro Sekunde [m³/s] gängige Einheiten. Eine Geschwindigkeit wird als Weg pro Zeiteinheit, bspw. Meter pro Sekunde [m/s] ausgedrückt. Die durchströmte Fläche lässt sich in Quadratmetern [m²] ausdrücken, wobei sich bei der Multiplikation von Geschwindigkeit und Fläche Volumen pro Zeit ergibt: m/s ∙ m² = m³/s. Um also den Abfluss eines Hochwassers in der Vergangenheit abschätzen zu können, brauchen „nur“ die durchströmte Fläche und die Fließgeschwindigkeit bestimmt zu werden, da sich hieraus der Abfluss berechnen lässt.

2.2

Wasserstandrekonstruktionen

Die durchströmte Fläche A lässt sich aus überlieferten Wasserständen unter Berücksichtigung der Topographie im Querprofil eines Flusstales rekonstruieren, denn die Wasserspiegeloberfläche ist in erster Näherung in gradlinig verlaufenden Talabschnitten als horizontal anzunehmen (Abb 2-3). Bei der Rekonstruktion der durchströmten Fläche A muss selbstverständlich der Zustand in historischer

Abb. 2-3: Schemabild zum Hochwasserstand eines Flusses mit gegliedertem Hochwasserbett.

Hochwasser Mittelwasser

Siedlungsgebiet

Flussrinne

Auenwald

Aurinnen Aue des Flusses landwirtschaftlich genutzt

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Abschätzung von Paläohochwassern

Gedruckte Quellen ▶ Chroniken ▶ Monographien zu Einzelereignissen ▶ Flugschriften ▶ Landesbeschreibungen ▶ Zeitungen, Journale Handschriftliche Quellen

▶ Chroniken ▶ Tagebücher, Kalender ▶ amtliche Schadensberichte ▶ Steuerunterlagen, Protokolle ▶ Pegelakten, Pegelbücher ▶ Unterlagen wasserwirtschaftlicher Verwaltungen

Gegenständliche Quellen

▶ Hochwassermarken ▶ Hochwassergedenksteine ▶ Inschriften in Mühlen, Brücken und Toren ▶ Hochwasserablagerungen ▶ Schlagmarken von Treibgut in Baumringen ▶ Erosionsspuren am Ufer

Karten, Pläne

▶ Überschwemmungsflächenkartierungen ▶ Gewässerkarten ▶ Lagepläne von Deichstrecken

Abbildungen

▶ Zeitgenössische Bilder und Stiche von Hochwassersituationen ▶ Gemälde von Flüssen bei Hochwasser ▶ Stadtansichten ▶ Hochwasserphotos

Tab. 2-1: Quellen zur Analyse historischer Hochwasser (ergänzt nach Deutsch et al. 2010).

hilfen oder Steuernachlässe nach einem zerstörerischen Hochwasser ausgewertet werden, sind gewisse Übertreibungen der Stärke des Ereignisses und der eingetretenen Schäden nicht auszuschließen. Natürlich sind ggf. auch die unterschiedlichen Maße und ihre Umrechnung aus historischer Zeit sowie zwischenzeitliche Kalenderreformen zu berücksichtigen (vgl. u. a. Kahnt & Knorr 1986, Barriendos & Coeur 2004). Da zahlreiche Angaben aus der Zeit vor den ersten Standardisierungen stammen und es auch kleinräumig zu deutlichen Unterschieden hinsichtlich der Umrechnung ins metrische System kommen kann, lassen sich so unterschiedliche Überlieferungen zu Wasserständen erklären. Die Umrechnung des Hochwasserstandes im Mai 1613 im thüringischen Mühlhausen aus der vorstehend aufgeführten zeitgenössischen Quelle ergibt übrigens einen Wasserstand von 81 cm im Bereich der Kirche bzw. 14 cm unter dem besagten Taufstein. Aber auch vermeintlich objektive Hochwassermarken an Gebäuden können Probleme bereiten (Witte et al. 1995). So neigen viele Bausteine dazu, Wasser durch den kapillaren Saugeffekt innerhalb des Gesteins

Zeit erfasst werden, also zwischenzeitliche Anschüttungen, Abgrabungen, Eindeichungen oder Laufveränderungen berücksichtigt werden. Wie dies erfolgen kann, wird anhand eines konkreten Beispiels in Kapitel 3 veranschaulicht.

Historische Hochwasserstandanzeiger Die Überlieferung von Hochwasserständen aus historischer Zeit kann aus verschiedenen Quellen erfolgen, die in Tab. 2-1 in einer vereinfachten Übersicht zusammengestellt sind. Alle Quellen sind einer kritischen Analyse ihrer Aussagekraft und Objektivität, einer sogenannten Quellenkritik, zu unterziehen (vgl. u. a. Witte et al. 1995, Glaser & Stangl 2004, Deutsch et al. 2010). Bei historischen Überlieferungen gilt es zu überprüfen, mit welcher Intention und von wem die Beschreibungen verfasst worden sind, da eine objektive Faktenbeschreibung nicht immer zu erwarten ist. Wenn beispielsweise Bittschreiben an einen Landesherrn um WiederaufbauAbb. 2-4: Zusammenstellung von Hochwasserständen der Donau in Kelheim.

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Wasserstandrekonstruktion

Abb. 2-5: Baustein im Widerlager einer Eisenbahnbrücke in Koblenz-Ehrenbreitstein, der bei der Wiederverwendung nach Zerstörung der Brücke umgekehrt eingebaut wurde.

lang eines Flusslaufen an unterschiedlichen Stellen zusammengestellt und zueinander in Beziehung gesetzt werden können, etwa was die Abflusszunahme flussabwärts bzw. nach Einmündung von Nebenflüssen angeht (Sudhaus et al. 2008 a).

Natürliche Hochwasserstandanzeiger

auch über den Hochwasserspiegel hinaus anzusaugen. Dadurch wird das Gestein auch oberhalb des maximalen Hochwasserspiegels gleichmäßig feucht und überliefert nach dem Wasserrückgang einen überhöhten maximalen Wasserstand, was Ursache für eine fehlerhafte Anbringung der Hochwassermarke sein kann. Mancherorts werden historische Hochwassermarken an Gebäuden bei Umbauten und Renovierungen dankenswerterweise erhalten und übertragen, oder gar an einzelnen Gebäuden aus dem Stadtgebiet zu einer Übersicht zusammengestellt (Abb. 2-4), wobei hoffentlich keine Übertragungsfehler entstehen. Diese Probleme sind leider nicht immer gleich offensichtlich wie in dem Beispiel in Abb. 2-5, wo ein Baustein mit einer Hochwassermarke beim Wiederaufbau des Bahndamms erneut verwendet wurde, jedoch umgekehrt eingebaut worden ist. Es hat sich daher bewährt, mehrere Quellen, sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch der Herkunft zu berücksichtigen, um widersprüchliche und fehlerhafte Überlieferungen zu erkennen und ggf. korrigieren zu können. Dies gilt insbesondere auch für Quellentextsammlungen, die keinesfalls ungeprüft verwendet werden sollten (Witte et al. 1995, Glaser et al. 2003). So sind etwa Plausibilitätsprüfungen möglich, in dem Quellenangaben zu einem Hochwasserereignis ent-

Auch außerhalb besiedelter Gebiete und unabhängig von schriftlichen oder bildhaften Überlieferungen können Wasserstände vergangener Hochwasser überliefert werden. Jeder hat sicherlich mal nach einem Hochwasser die den Wasserspiegel nachzeichnende Spur von auf der Wasseroberfläche schwimmenden Gegenständen gesehen. Dieses sogenannte Spülicht reicht von Grashalmen bis zu Plastikmüll, die sich auf Wiesen und in Büschen in Flussauen finden lassen (Abb. 2-6). Derartige Anzeiger vorhergehender Wasserstände werden generell als Paläowasserstandanzeiger (engl. palaeostage indicators) bezeichnet, wobei die Zeitspanne, die seit dem Hochwasser vergangen ist, zwi-

Abb. 2-6: Ablagerungen in Baumästen im Siegtal, die den letzten Hochwasserstand bezeugen (Blick in Fließrichtung).

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Abschätzung von Paläohochwassern

Flechtenbewuchs

Treibgut

Stillwasserablagerungen

Schlagmarke

Hochwasserstand Schotterbank

Erosionskante

Bodenbildung

Abb. 2-7: Schemabild verschiedener Paläowasserstandanzeiger (ergänzt nach Jarrett & England 2002).

schen Tagen und Jahrhunderten liegen kann. Unter günstigen Umständen, können derartige Paläowasserstandanzeiger auch von Hochwassern aus prähistorischer Zeit erhalten sein, wie zahlreiche Beispiele in nachfolgenden Kapiteln noch zeigen werden. In Abb. 2-7 sind unterschiedliche Typen natürlicher Paläowasserstandanzeige veranschaulicht. Einige zeigen einen Mindest-, andere einen maximalen Hochwasserstand an, wurden durch ErosiAbb. 2-8: Akkumulative und erosive Wasserstandanzeiger in einem Bachlauf, Valley of the Gods, südwestliches Utah, USA. Beim Blick gegen die Fließrichtung des Bachlaufs erkennt man linkerhand im Strömungsschatten des Busches eine akkumulierte Decke aus Feinsedimenten. Auf der gegenüberliegenden Seite zeigt die Erosionskante der restlichen Feinsedimente über dem kiesigen Bachbett ebenfalls den Mindestwasserstand des letzten Hochwassers an.

on oder Akkumulation (Abb. 2-8 und 2-9) gebildet und sind auf ein einzelnes Hochwasserereignis oder charakteristische, wiederkehrende Hochwasserstände bezogen (Jarrett & England 2002). Alle Paläowasserstandanzeiger bedürfen einer kritischen Überprüfung hinsichtlich der Präzision der Wasserstandanzeige, wie nachfolgend im Einzelnen erläutert wird. Flechten bilden den Pionierbewuchs auf Felsoberflächen und zeigen einen deutlichen Zusammenhang zur Häufigkeit der Überflutung bei Hochwasser. So konnte Gregory (1976) zeigen, dass alljährlich überflutete Uferbereiche nicht durch Flechten besiedelt werden und in den höher gelegenen Abschnitten die Flechtendichte umgekehrt proportional zur Häufigkeit der Hochwasser ansteigt. Insbesondere in Gebieten ohne Aufzeichnungen des Abflusses lassen sich so Ansätze zur Abschätzung der Hochwasserhäufigkeiten und –magnituden finden (Abb. 2-10). Stillwasserablagerungen (engl. slackwater deposits) bilden sich bei Hochwasser aus der mitgeführten Boden- und Suspensionsfracht in Bereichen lokal verringerter Fließgeschwindigkeit, genauer verringerter Schleppkraft (Kochel & Baker 1988). Nach Baker & Kochel (1988) ist ihre Bildung besonders begünstigt in Mündungsbereichen von Nebentälern, die mit geringem Gefälle in einem Winkel zwischen 50° und 130° auf den Vorfluter treffen und in gradlinig verlaufenden, mäßig geneigten Talabschnitten des Vorfluters liegen. Mit der Höhenlage ihrer Oberfläche zeichnen sie jedoch nur den Mindestwasserstand nach, da Ablagerungen aus mitgeführter Schwebfracht sich bei der

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Wasserstandrekonstruktion

Sedimentation nicht zwangsläufig bis zur Wasserspiegeloberfläche akkumulieren. In einzelnen Fallstudien ist eine Unterschätzung des tatsächlichen maximalen Hochwasserstandes im Vergleich zur Oberflächenhöhenlage der Stillwasserablagerungen um 10 % bzw. in einem anderen Fall um 50–90 cm beobachtet worden, was zu einer Unterschätzung des Scheitelabflusses von 20 % geführt hat (Greenbaum et al. 2000). Typische Ablagerungsorte sind je nach Größenordnung des Ablagerungsbereiches Nischen im anstehenden Gestein, Bereiche im Strömungsschatten hinter Hindernissen im Hochwasserbett oder lokale Talaufweitungen auch

Abb. 2-9: Verschiedene Generationen und Größenordnungen von Paläowasserstandanzeigern im unteren Katuntal, südlich Chemal (Altai-Gebirge, S-Sibirien) (Blick gegen die Fließrichtung). Während der hellere Saum unmittelbar über der aktuellen Wasseroberfläche (Pfeilmarkierung rechts vorn) den regelmäßigen Schwankungsbereich des Wasserstandes markiert, zeigen die freigelegten Felsoberflächen beiderseits des Flussbettes den Hochwasserstand bei der frühjährlichen Schneeschmelze an, der den ausgedehnten ebenen Talboden nicht erreicht, die Böden unterhalb jedoch vollständig erodiert hat. Die teilweise bewaldete Schotterbarre an der linken Talflanke ist von pleistozänen Ausbruchsflutwellen abgelagert worden (Details in Kapitel 5) und besteht aus Stillwasserablagerungen im Strömungsschatten des in das Tal vorstoßenden Felsrückens im Bildhintergrund. Abb. 2-10: Flechtenbewuchs auf einer Felsoberfläche im Canyon de Chelly, Arizona. Das dunkle, horizontale Band an der rechten Felswand liegt auf der Höhe des ursprünglichen Talbodens, der örtlich jüngst erodiert worden ist. Oberhalb dieser Linie ist die Felswand frei von Flechtenbewuchs, der erst wieder oberhalb des charakteristischen Hochwasserstandes (Pfeilmarkierung) einsetzt.

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Abb. 2-11: Schlagmarke von Treibgut in einer Hochwasserwelle von 1853–1854 (verändert aus Miller 1960).

Abschätzung von Paläohochwassern

in Mündungsbereichen von Nebenflüssen, wobei die örtliche Topographie von Bedeutung für die Lagerungsverhältnisse ist (Baker & Kochel 1988). Da sie aus der mitgeführten Suspensionsfracht hervorgegangen sind, bestehen Ablagerungen typischerweise aus horizontal geschichteten Feinsanden und Grobschluffen, ähnlich dem typischen Auelehm der mittleren Breiten. Bei hochenergetischen Extremereignissen können jedoch auch deutlich gröbere Partikel als Suspensionsfracht transportiert werden (vgl. pleistozäne Eisstauseeausbrüche in Kapitel 5). Treibgut auf der Wasseroberfläche während eines Hochwassers kann Schlagmarken an Bäumen in der Aue hinterlassen, die relativ präzise die aktuelle Wasseroberfläche markieren und als Anomalie in den Jahresringen über lange Zeit erhalten bleiben können (Abb. 2-11). Gottesfeld (1996) konnte eine sehr gute Korrelation zwischen rezenten Schlagmarken an Bäumen und den maximalen Hochwasserständen beobachten, hat jedoch auch deutliche Über- wie Unterschätzungen feststellen müssen. Die Überhöhungen werden von ihm durch lokale Wasserspiegelanhebungen durch starke Turbulenzen oder Rückstau erklärt, während Schlagmarken unterhalb des maximalen Wasserstandes auf Kollisionen von Treibgut vor oder nach Durchgang des Hochwasserscheitels zurückgeführt werden. Diese Unsicherheit lässt sich nach Ergebnissen aus Vergleichsuntersuchungen nicht klären,

doch die maximale Höhe der Schlagmarken korreliert statistisch gut mit der Magnitude der Hochwasser (Ballesteros et al. 2011). Ergänzend zu ihrer Bedeutung als Wasserstandanzeiger relativ junger Hochwasser, bei denen die Schlagmarken noch äußerlich sichtbar sind, haben St. George & Nielsen (2002) bzw. Yanosky & Jarrett (2002) aus überwachsenen Schlagmarken in Jahresringen eine Hochwasserchronologie für ansonsten an historischen Überlieferungen arme Regionen Nordamerikas entwickelt. Zahlreiche weitere Anwendungsbeispiele finden sich in Stoffel et al. (2010). Schotterbänke (Abb. 2-12) bilden sich bei örtlich nachlassender Transportkraft aus der mitgeführten Bodenfracht. Die Ablagerung wird durch die Reduzierung der Schleppkraft und Fließgeschwindigkeit als Folge einer örtlichen Aufweitung des Flusslaufes verursacht. Die vorstehend aufgeführte Kontinuitätsformel zeigt, dass bei gleichbleibendem Abfluss die Fließgeschwindigkeit v bei Zunahme der durchströmten Fläche A sinken muss. Hydraulische Details zur Formentwicklung und Differenzierung nach Strömungsbedingungen erläutert Carling (1989). Auch können sich in örtlichen Strömungsschatten ähnlich den Stillwasserablagerungen flussabwärts anwachsende Schotterbänke bilden. Durch Rückstau vor lokalen Hindernissen gebildete Schotterbänke wachsen demgegenüber flussaufwärts gegen das Gefälle und die Fließrichtung an, da nachgeführte Bodenfracht immer früher abgelagert wird. Ungeachtet der Entwicklung der Schotterbänke im Einzelnen ist ihnen gemein, dass sie nicht über den Hochwasserspiegel hinaus anwachsen können und daher einen Mindestwasserstand anzeigen. Durch die fehlenden Vegetationsdecke sind sie leicht zu erkennen und haben durch ihre vergleichsweise groben Ablagerungen ein gutes Erhaltungspotential. Bei Hochwasser werden in großer Menge Pflanzenreste, das sogenannte Spülicht (Knörzer 1996), aber auch Müll schwimmend an der Wasseroberfläche transportiert und bei absinkendem Wasserspiegel als Saum entlang des maximalen Wasserstandes abgelagert. Einleitend wurde auf die Ablagerungen von derartigem Treibgut in Büschen und Bäumen in Hochwasserbetten als verbreiteter Wasserstandanzeiger hingewiesen (Abb. 2-6). Bei näherem Hinsehen sind diese vermeintlich eindeutigen Anzeiger jedoch nicht ohne Tücke: die unterhalb des Hochwasserspie-

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Abb. 2-12: Schotterbank im Bett des Katun bei Maima (Altai-Gebirge, Sibirien) (Fließrichtung nach links). Bei Hochwasser bildete sich unmittelbar neben der Flussrinne eine Schotterbank, die nachfolgend durch Querströmungen erodiert und deren Kiese auf das angrenzende Sandbett verlagert wurden.

gels eingetauchten feinen Astspitzen haben mitgeführte Grashalme aufgefangen, wurden durch den Strömungsdruck des Wassers durch ihren Wuchs gegen die Fließrichtung jedoch weiter abgesenkt. Dieser Effekt kann durch erste Ansammlungen von Treibgut an den Ästen noch verstärkt worden sein. Nach Rückgang des Hochwassers fehlte der Druck des anströmenden Wassers, der Ast konnte wieder in die höhere Ausgangslage zurück, sofern die Last des Treibgutes dies nicht reduziert hat. Durch dieses Rück- und Hochfedern bei fehlendem Anströmungsdruck wird die Höhenlage des Wasserspiegels also potentiell überschätzt. Doch hier wirkt auch die Zeit mit ein, da bei Abtrocknen der an dem Ast hängenden Grashalme deren Gewicht abnimmt und der Ast weiter hochgebogen werden kann. Hier helfen Vergleiche mit der Höhenlage des Spülichts in der unmittelbaren Umgebung weiter. Im konkreten Fall fanden sich analoge Ablagerungen ebenfalls in nah gelegenen Nadelbäumen (Abb. 2-13). Eine weitere Störung kann sich durch die lokale Erhöhung des Wasserspiegels unmittelbar vor umströmten Hindernissen wie Baumstämmen, Brückenpfeilern oder Felsblöcken ergeben. Diese ist durch die abrupte Reduzierung der Fließgeschwindigkeit unmittelbar vor dem Hindernis und die damit einhergehende Umwandlung kinetischer Energie in Lageenergie

Abb. 2-13: Grashalme in Nadelbäumen markieren den maximalen Hochwasserstand (beachte markierte Maximalhöhe an starkem Astansatz am Stamm und die im Vergleich zu Abb. 2-6 stabileren Äste und Stämme).

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Abb. 2-14: Erosion des Hangschuttes entlang einer Hochwasserstandlinie im Palousetal, US-Bundesstaat Washington (Fließrichtungen nach oben rechts). Beachte auch die reduzierte Bodenbildung angezeigt durch die geringe Vegetationsverbreitung im Bereich unterhalb der Schuttschürze am Hang. Ferner fällt die dunklere Farbe des Gesteins in einem Bereich unmittelbar über dem Wasserspiegel auf, die auf eine fehlende Verwitterungskruste des Gesteins (oder fehlenden Flechtenbewuchs?) im Bereich der häufigeren, niedrigeren Hochwasserstände zurückzuführen ist.

zu erklären. Auf der Wasseroberfläche schwimmendes Spülicht erreicht somit vor dem Hindernis eine gegenüber dem ungestörten Wasserspiegel der Umgebung erhöhte Position und der Hochwasserstand wird überschätzt. Diese Phänomen kann man sich jedoch auch positiv zur Abschätzung der Fließgeschwindigkeit, angezeigt durch das Maß der örtlichen Wasserspiegelerhöhung, zu Nutze machen (vgl. Erläuterungen zu Auflaufsedimenten im nachfolgenden Kapitel).

Erosionskanten an Flussufern sind weit verbreitete Hochwasserstandanzeiger und in unterschiedlicher Dimension anzutreffen (Abb. 2-8 und 2-9). Sofern die Hänge diese Marken durch Nachrutschen nicht verwischen oder sie durch Bewuchs undeutlich werden, sind sie relativ leicht zu entdecken (Abb. 2-14). Erosionskanten zeigen typischerweise häufig wiederkehrende Hochwasserstände an, bei denen sukzessive die Kante am Ufer ausgeformt wird. Im Einzelfall können jedoch auch hochenergetische Einzelereignisse Erosionskanten bilden, wobei beachtet werden muss, dass an unterspülten Ufern die Oberkante nachgestürzter Hangsedimente nicht als Hochwassermarke fehlgedeutet wird. Durch wiederholte Erosion im Bereich häufiger Hochwasserbedeckung entlang der Flussufer wird auch die Bodenbildung behindert bzw. beeinflusst, so dass sich auch der Grad der Bodenentwicklung

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Wasserstandrekonstruktion

Paläowasserstand- Entstehung anzeiger erosiv

akkumulativ

Wasserstand

Bezug

minimal

Einzelereignis

maximal



wiederkehrender Hochwasserstand

Flechtenbewuchs



Schlagmarke





Erosionskante





( )



Bodenentwicklung







( )



Stillwasserablagerung







Schotterbank







Treibgut



als Paläowasserstandanzeiger heranziehen lässt (z. B. Smith & Boardman 1989, Bridge 2003). Anschauliche Beispiele zeigen Abb. 2-9 mit einer vollständig erodierten Bodendecke und Abb. 2-14 mit einer durch die lichtere Vegetationsbedeckung angezeigten reduzierten Bodenentwicklung. Ablagerungen von zuvor im Oberlauf erodiertem Bodenmaterial können auch akkumulativ die Bodenbildung als Kolluvium beeinflussen. Die unterschiedlichen Paläowasserstandanzeiger lassen sich in einer Übersichtstabelle hinsichtlich ihrer wesentlichen Charakteristika zusammenfassen, wobei

( )



Tab. 2-2: Charakteristika unterschiedlicher Paläowasserstandanzeiger.

 



die Zuordnungen nicht immer eindeutig sind, wie vorstehend diskutiert wurde (Tab. 2-2). Entlang großer Flussläufe liegen die verschiedenen Paläowasserstandanzeiger räumlich verstreut und in deutlich unterschiedlicher Höhenlage vor, was die Gesamtübersicht erschwert. Vergleichsweise einfach zu korrelierende Hochwasserspuren sind an kleinen Bächen zu finden, wo die Übersicht leichter ist und Zusammenhänge oder Ursachen für die Entstehung der einzelnen Strukturen leichter zu erfassen sind, wie das Beispiel der Spuren eines rezenten Hochwassers in einem Waldbach in Abb. 2-15 zeigt.

Abb. 2-15: Unterschiedliche frische Hochwasserstandanzeiger an einem Waldbach in der Eifel (Fließrichtung nach links). A – Treibgut, rückgestaut vor Baumstamm, B – nachträglich zerteilte Schotterbank aus Bodenfracht, C – Stillwasserablagerung in Hochlage.

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Abschätzung von Paläohochwassern

Die Wasserstandanzeiger in Abb. 2-15 lassen sich wie folgt interpretieren: Während des Hochwassers wurde Treibgut in Form von Ästen und Zweigen auf der Wasseroberfläche mitgeführt, die vor einem im Hochwasserbett wachsenden Baum angespült wurden (A). Die Verengung des Durchlasses verstärkte sich durch nachfolgendes Treibgut weiter, so dass es zu einem Rückstau des Abflusses kam. Durch den Rückstau vergrößerte sich die durchströmte Fläche, wodurch die Fließgeschwindigkeit reduziert wurde und die Schleppkraft abnahm. Die mitgeführte kiesige Bodenfracht wurde in Form einer Schotterbank im Gerinnebett oberhalb abgelagert (B). Es steht zu erwarten, dass die ersten sedimentierten Kiese wiederum rückstauend auf die nachfolgende Bodenfracht wirkte, so dass die Schotterbank sich bachaufwärts ausdehnte. Bei absinkendem Wasserstand wurde die Schotterbank durch die Bachrinne in mehrere Einheiten aufgeteilt. Ein Mindestwert für den maximalen Wasserstand wird auch durch die Stillwasserablagerungen am jenseitigen Ufer im Strömungsschatten des Baumes angezeigt (C). Diese konnten nur dort abgelagert werden, wenn sie als Schwebfracht transportiert worden sind, was einen Hinweis auf die Transportkompetenz (siehe nachfolgendes Kapitel) während des Hochwassers gibt. Die Stillwassersedimente zeigen nur einen Mindestwert des maximalen Hochwasserstandes, da abgelagerte Schwebfracht sich nicht bis zur Wasseroberfläche akkumulieren muss. Auch die Höhenlage des vor dem Baumstamm akkumulierten Holzes gibt nur einen Mindestwert des Hochwasserstandes an, da das Holz während des Hochwassers Auftrieb erfahren hat, der nachfolgend abgeklungen ist und zu einem Zusammensinken des hölzernen Treibgutstapels geführt haben kann. Es steht jedoch zu erwarten, dass die Beträge für die Unterschätzung des maximalen Wasserstandes nur wenige Zentimeter betragen. Bei Untersuchungen zur Häufigkeit und Magnitude von Hochwassern aus Sturmausläufern auf den Britischen Inseln konnten Carling & Grodek (1994) ein typisches Bild der Anordnung verschiedener Paläowasserstandanzeiger geben, das so sicherlich nicht universell übertragbar ist, jedoch eine Vorstellung zur Ausbildung der vorstehend aufgeführten Indikatoren bietet: 1. Im untersten Abschnitt bis ca. 1 m Höhe über dem Talboden ist die Oberfläche des anstehenden Fest-

gesteins durch das fließende Wasser rund ausgeformt bzw. bei verkarstungsfähigem Gestein durch Lösungsformen geprägt. Das völlige Fehlen von Vegetation einschließlich Flechten zeigt die alljährliche Überflutung an. 2. Der nächst höhere Abschnitt zeigt frische, unbewachsene Kiesablagerungen mit einer relativ ebenen Oberfläche und geglättete Festgesteinsoberflächen. Ein geringerer Flechtenbewuchs belegt die wiederholte Überflutung, die auch durch Schlagmarken und abgelagertes Treibgut angezeigt wird. 3. In den nachfolgenden Partien sind auch feinkörnigere Ablagerungen zu finden, die weniger geglätteten Felsoberflächen aufliegen. Kiesige Ablagerungen zeigen eine gewisse Patina, die für eine eingesetzte Verwitterung der Oberflächen und damit höheres Alter der Ablagerung spricht. In dieser Höhenlage sind die Ufer bereits durch gut entwickelte Böden bedeckt. 4. Die höchstgelegenen, nur von extremen Hochwasserständen erreichten Uferabschnitte weisen nur noch geringe Spuren fließenden Wassers beispielsweise durch vereinzelt vorzufindende gerundete Kiese auf. Ansonsten gehen die Ufer kontinuierlich in die angrenzenden Hänge mit ungerundeten Großsedimenten, weiter entwickelten Böden und gleichmäßiger Vegetationsbedeckung über, ohne Spuren erosiven Hochwassereinflusses zu zeigen. Generell lässt sich festhalten, dass in der Regel nur ein Spektrum an Paläowasserstandanzeigern einen hinreichenden Anhaltspunkt auf einen Hochwasserstand bieten kann. Bei Kombination von Mindestund Maximalstandindikatoren entlang eines Gewässerabschnittes lassen sich durchaus Genauigkeiten des Hochwasserscheitelstandes im Zentimeterbereich erfassen, wobei kritisch die Möglichkeit der Remobilisierung älterer Ablagerungen – beispielsweise gerundete Kiese aus einer höher gelegenen Flussterrasse – geprüft werden muss. Abb. 2-16 illustriert, dass sich Paläowasserstandanzeiger auch in unerwarteter Höhenlage finden lassen, die auf den ersten Blick jenseits deutlich über den Indikatoren aktueller maximaler Hochwasserstände liegt. So zeigt der feinkörnige Sedimentschleier auf den Felsoberflächen den typischen Wasserstand in dem periodisch trocken fal-

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Fließgeschwindigkeit

Abb. 2-16: Wasserstandanzeiger in der AnapodarisSchlucht, Kreta (Fließrichtung nach links).

lenden Flusslauf an. Die im Strömungsschatten hinter dem Felsblock abgelagerten Treibholzstücke sowie das frische Astwerk vor dem Block markieren Mindestwasserstände bei Hochwasser. An der markierten Stelle ist in einer Kluft in dem Felsblock in deutlicher höherer Lage Plastikmüll eingeklemmt zu finden, der einen deutlich höheren Wasserstand aktueller Hochwasser anzeigt. Bei einem derartig hohen Wasserstand können auch ältere Flussterrassen umgelagert werden (Macklin et al. 2010).

2.3

Abschätzung der Fließgeschwindigkeit

Gegenüber den vergleichsweise offensichtlichen Anzeigern des Wasserstandes ist die Abschätzung der Fließgeschwindigkeit während eines vergangenen Hochwassers im Nachhinein abstrakt. Hier gibt es verschiedene Ansätze, die auf empirischen Ansätzen unter Berücksichtigung der wesentlichen relevanten Einflussfaktoren beruhen, aber auch Methoden, die Hochwasserspuren und -ablagerungen hydraulisch interpretieren. Sorgfältig zu beobachten ist, ob mittlere Fließgeschwindigkeiten für ein gesamtes Querprofil oder punktuelle Geschwindigkeiten an der Flusssohle, dem Ufer oder der Oberfläche bestimmt werden, die nachfolgend in einem zweiten Schritt zum Gesamtprofil bzw. der mittleren Fließgeschwindigkeit extrapoliert werden müssen. Durch den abnehmenden Einfluss der Rauhigkeit an der Gerinnebettsohle und den Ufern nimmt bekanntlich die Fließgeschwindigkeit zur Gerinnebettmitte und -oberfläche hin zu (Abb. 2-17).

Empirische Formeln

ckelten Formeln relativ stark, wobei die dem irischen Ingenieur Robert Manning (1816 – 1897) zugeschriebene Formel international die weiteste Verbreitung und häufigste Anwendung gefunden hat. Wissenschaftshistorisch gebührt nicht Manning allein der Ruhm der Namensgebung des etablierten Ansatzes, doch ist sein Name in der paläohydrologischen Fachliteratur so einschlägig verbreitet, dass auch hier dieser Vereinfachung gefolgt werden soll. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass keine Einigkeit besteht, welche Namen historisch gerechtfertigt angemessene Berücksichtigung finden sollten (Williams 1970, Dooge 1992, Hager 2005).

Abb. 2-17: Idealisierte Verteilung der Fließgeschwindigkeit in einem Gerinne (verändert nach Dyck & Peschke 1995).

Strömungsrichtung

Seit dem 18. Jahrhunderts sind empirische Formeln entwickelt worden, um die mittlere Fließgeschwindigkeit eines Flusses ohne direkte Abflussmessungen abschätzen zu können. Diese eignen sich daher grundsätzlich auch, um Abflüsse in der Vergangenheit zu quantifizieren, sofern sich denn die Eingangsparameter noch ermitteln oder rekonstruieren lassen. In den wesentlichen Grundzügen ähneln sich die entwi-

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Abschätzung von Paläohochwassern

Fließgeschwindigkeit v

Wasserspiegelgefälle S

Sohlgefälle S

Breite Tiefe Benetzter Umfang P Durchströmte Fläche A

Abb. 2-18: Durchströmte Fläche, benetzter Umfang und Sohl- bzw. Wasserspiegelgefälle eines Gerinnes.

Bewusst ungeachtet der Forschungsgeschichte, der entsprechenden Zusammenhänge, Weiterentwicklungen und Herleitungen (Chow 1959) lässt sich der Ansatz nach Manning dadurch erläutern, dass für praktische Anwendungsfragen die wichtigsten Faktoren in einer einfachen empirischen Formel zur Berechnung der mittleren Fließgeschwindigkeit zusammengestellt worden sind. Praxisrelevante Einflussfaktoren sind die Form des Gerinnebettes, das Gefälle und die Rauigkeit des Gerinnebettes, woraus sich die mittlere Fließgeschwindigkeit v [in m/s] nach der Formel v = R2/3 S1/2 n–1 mit metrischen Einheiten berechnen lässt. Die einzelnen Faktoren sind wie folgt zu charakterisieren (Abb. 2-18): Der Einfluss der Form des Gerinnebettes wird über den hydraulischen Radius R beschrieben. Dieser wird berechnet als Quotient aus der durchströmten Fläche A [in m²] und dem benetzten Umfang P [in m] als R = A / P und hat dem entsprechend die Einheit eines Längenmaßes [m]. Die Werte von A und P sind im Gelände zu messen. Die Bedeutung des hydraulischen Radius für die Fließgeschwindigkeit folgt aus dem unterschiedlichen Einfluss der geschwindigkeitsreduzierenden Kontaktgrenze zwischen Wasserkörper

Abb. 2-19: Unterschiedlicher hydraulischer Radius R zweier gleich großer Gerinnequerschnitte A.

1m 1m

A = 9 m2 P = 9m R = 1,00 m 1m

A = 9 m2 1 m P = 11m R = 0,82 m

und Gerinnebett (Abb. 2-17), wie ein Beispiel veranschaulicht (Abb. 2-19). So ergibt sich bei dem strömungsgünstigen quadratischen Querprofil bei gleicher durchströmter Fläche A ein größerer hydraulischer Radius R als bei dem flachen und breiten Profil mit einem größeren benetzten Umfang P bei gleicher Fläche und somit auch eine höhere Fließgeschwindigkeit v. Das Gefälle S wird durch den Höhenunterschied Δh [in m] pro Längenabschnitt Δl [in m] als S = Δh / Δl ausgedrückt. Durch Kürzen der beiden Längenmaße ist das Gefälle dimensionslos bzw. hat die anschauliche Einheit [m/m]. Ursprünglich ist das Gefälle auf das Energieliniengefälle bezogen, also auf die Veränderung des Energiegehaltes des fließenden Wassers, was in der Praxis bei ausreichend langen Gerinneabschnitten meist mit dem Gefälle des Wasserspiegels oder der Gerinnesohle gleichgesetzt werden kann. Beide Gefälle lassen sich im Gelände bestimmen, wobei für das Wasserspiegelgefälle auch entsprechende Paläowasserstandanzeiger herangezogen werden können. Ungleich schwieriger gestaltet sich die Bestimmung des Rauigkeitsbeiwertes n. Dieser Wert beschreibt den Einfluss von Rauigkeitselementen wie Vegetation, Felsblöcke, Untiefen und Kolke an der Gerinnebettsohle und den Ufern, die die Fließgeschwindigkeit reduzieren. Sie alle bewirken eine Verwirbelung des Wassers – genauer eine Erhöhung der Turbulenz –, die auf die mittlere Geschwindigkeit in Richtung auf das Talgefälle reduzierend wirkt. Algebraisch hat der n-Wert die Einheit [s m–1/3], was wenig plausibel ist und dem empirischen Charakter der Formel zugeschrieben werden kann. Der konkrete Wert für n muss geschätzt werden, was entsprechende Erfahrung voraussetzt, durch Hilfsmittel wie Tabellen (Tab. 2-3), Handbücher mit Anleitungen zur Vorgehensweise (Acrement & Schneider 1989, Chow 1959), Computerprogramme (Jarrett & Petsch 1985) oder Vergleichsbilder (Barnes 1967) jedoch erleichtert wird. Man beachte, dass die als typisch charakterisierten Werte in Tab. 2-3 nicht etwa einfache Mittelwerte in der Spannweite der jeweiligen Beschreibung darstellen, sondern Gewichtungen innerhalb einer Spannweite bilden. Ferner überlappen sich die Werte benachbarter Klassen. Hierdurch wird die Einstufung der Geländebefunde vereinfacht, da Interpretationen der Beschreibungen angeregt und nicht etwa statische

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Fließgeschwindigkeit

Tab. 2-3: Rauigkeitsbeiwerte n für natürliche Fließgewässer (Chow 1959).

Minimum

typisch

Maximum

frei, gerade, Wasserstand gerinnebettfüllend, keine Untiefen und Kolke

0,025

0,030

0,033

wie zuvor, mehr Steine und verkrautet

0,030

0,035

0,040

frei, gewunden, einzelne Untiefen und Kolke

0,033

0,040

0,045

wie zuvor, mehr Steine und verkrautet

0,035

0,045

0,050

wie zuvor, nicht gerinnebettfüllender Wasserstand, m. flachen Ufern u. Stillwasserbereichen

0,040

0,048

0,055

wie zuvor, mehr Steine

0,045

0,050

0,060

träge durchströmte Abschnitte, verkrautet, tiefe Kolke

0,050

0,070

0,080

sehr verkrautet, tiefe Kolke oder dichter Baum- und Buschbestand

0,075

0,100

0,150

Typisierung und Beschreibung 1. Bäche und kleine Flüsse (Breite bei Hochwasser  33 m) Die n-Werte sind niedriger als bei kleineren Fließgewässern, da die Ufer proportional weniger Widerstand bieten. geregelter Abschnitt ohne Blöcke oder Buschwerk

0,025



0,060

ungeregelter, hydraulisch rauer Abschnitt

0,035



0,100

27

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2

Abschätzung von Paläohochwassern

Einordnungen vorgeben werden. In Zweifelsfällen hat es sich bewährt, mit den Randwerten einer plausiblen Spannweite eines n-Wertes die weiteren Berechnungen parallel durchzuführen. In der Praxis ist vielfach Kritik an der Anwendung der Manning-Formel zur Hochwasserrekonstruktion geäußert worden (Ferguson 2010). So wird schon der Fließvorgang extrem vereinfacht, indem ein eindimensionaler stationärer Abfluss vorausgesetzt wird. Mit diesen hydraulischen Schlüsselvokabeln wird ausgedrückt, dass keinerlei Strömungen im Fließgewässer zu den Seiten oder vertikal berücksichtigt werden (zweite und dritte Dimension) und die Veränderung des Abflusses in Form des An- und Abschwellens des Wasserstandes beim Durchgang einer Hochwasserwelle (instationärer, d.h. sich mit der Zeit ändernder Abfluss) ebenfalls vernachlässigt wird. Auch werden weitere, physikalisch für den Fließvorgang wichtige Aspekte wie beispielsweise die Viskosität (Zähflüssigkeit) des Wassers, die von der Temperatur und dem Sedimentgehalt beeinflusst werden, zu Gunsten der einfachen Anwendbarkeit ignoriert. Vergleicht man also die Manning-Formel mit den Vorgängen in der Realität, so ist sie weit davon entfernt, diese auch nur annähernd abzubilden. Anderseits muss man sich bewusst sein, dass für aufwändigere Modelle oder gar für physikalisch basierte Simulationen eine Vielzahl von Parameter zu quantifizieren und einzuspeisen sind, die sich in der Praxis kaum repräsentativ erheben, geschweige denn für vergangene Hochwasser rekonstruieren lassen. Aufwand und Ergebnis sollten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, zumal Vergleichsstudien gezeigt haben, dass für aufwändige realitätsnahe Modelle eine Vielzahl von Eingangsparametern (Wassertemperatur, Sedimentgehalt, Hochwasserganglinie) nur geschätzt oder angenommen werden können und im Endergebnis gegenüber einem einfachen empirischen Ansatz keine höhere Präzision bieten (Carling et al. 2003, Alho & Aaltonen 2008). Auch wenn Abschätzungen über die Manning-Formel tendenziell dazu neigen, den Abfluss zu überschätzen (Quick 1991), zeigen Sensitivitätsanalysen, dass der Einfluss der Unschärfe bei dem wesentlichen Faktor der n–Wert Abschätzung bei sorgfältiger Vorgehensweise nicht größer ist als die Unsicherheit bei anderen indirekten Abflussabschätzungen (Wohl 1998) und sich gerade auch

bei extremen Hochwasserereignissen die Auswertung von Pegeldaten durchaus problematisch ist (u. a. Potter & Walker 1985, McCuen & Knight 2006). In der Zwischenzeit sind vielfältige Adaptionen der Formel bzw. Ansätze zur Quantifizierung der Parameter entwickelt worden (Yen 1992), von denen nachfolgend einige erwähnt und teilweise in nachfolgenden Kapiteln vertieft werden. Die Schätzung des Rauhigkeitsbeiwertes n lässt sich wesentlich vereinfachen, wenn man die durchströmte Fläche in homogene Einheiten einheitlicher hydraulischer Rauhigkeit wie Gerinnebett, Aue und Aurinnen aufteilt (Abb. 2-3), die Fließgeschwindigkeiten und resultierenden Abflüsse einzeln berechnet und nachfolgend zum Gesamtabfluss aufaddiert. Auch lassen sich die Teilelemente der hydraulischen Rauigkeit in diesen Teileinheiten der durchströmten Fläche einzeln analysieren und zu einem Gesamtrauhigkeitsbeiwert addieren (Chow 1959, Herget & Meurs 2010). Diese Aufteilung der Rauigkeit in Teilflächen wird in Kapitel 3 anhand der Rekonstruktion von Hochwasserabflüssen in Köln erläutert. Unzufriedenheit mit der notwendigen Schätzung des Rauhigkeitsbeiwertes n hat zu dem viel zitierten Ansatz geführt, die Korngröße der Sedimente an der Gerinnesohle als wesentliches Element der hydraulischen Rauigkeit zu berücksichtigen (Limerinos 1970, Bathurst 1978). Dieser Ansatz ist besonders für Bäche mit geringer Wassertiefe sinnvoll, denn bei höheren Wasserständen wird der Einfluss der Korngröße an der Sohle und am Ufer zugunsten von Sohlformen wie Kolken und Untiefen oder seitlichen Ausbuchtungen geringer. In diesem Zusammenhang sind auch indirekte Abflussabschätzungen in Gebirgsbächen zu nennen, in denen das Wasser zwischen und über Blöcke fließt und dadurch schon allein die durchströmte Fläche schwer abgrenzbar ist. Da unter derartigen Umständen die Rauhigkeitselemente kaum repräsentativ und übertragbar klassifizieren lassen, greifen hier weitergehende Erfahrungswerte (Jarrett 1987 u. 1992, Marcus et al. 1992). Auch wenn für Kleinstgerinne wie Erosionsrillen in Ackerflächen und geringmächtige Flächenspülungen die Manning-Formel eigentlich keine Gültigkeit hat, gibt es derzeit trotz intensiver Bearbeitung in der Erosionsforschung keine Alternative (Smith et al.

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Fließgeschwindigkeit

Abb. 2-20: Gerinnebett des Landwasserbaches in der Zügenschlucht, Graubünden. Gerundete Blöcke zeugen von der Schleppkraft des Baches bei Hochwasser, während am jenseitigen Ufer im Strömungsschatten des herausgewitterten Festgesteins feinkörnige Sande abgelagert wurden (Fließrichtung nach rechts).

2007), so dass entsprechende Adaptionen weiterhin Anwendung finden. Das Gegenextrem der Spannweite bei der Anwendung der Fließgeschwindigkeitsabschätzung mit der Manning-Formel findet sich bei der Rekonstruktion extraterrestrischer Abflüsse, etwa auf dem Mars. Auch wenn die Ursachen, ja teilweise auch das fließende Medium sich von den Wasserflüssen auf der Erde unterscheiden, sind sie dennoch prinzipiell vergleichbar (Komar 1979, Burr 2010) und lassen sich unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Dichten und der verschiedenen Schwerkraft durch die Integration entsprechender Korrekturfaktoren (Carr 1996) mit aus der Manning-Formel abgeleiteten Ansätzen abschätzen.

Korngröße von Ablagerungen Schon instinktiv erkennt man bei der Betrachtung von Hochwasserablagerungen einen Zusammenhang zwischen der Korngröße der Sedimente und dem Energiegehalt des Wassers, das sie transportiert hat:

große Blöcke können nur bei hohen Fließgeschwindigkeiten transportiert worden sein, während die Ablagerung feinster Sedimente nahezu ruhendes Wasser voraussetzt (Abb. 2-20). Das Vermögen, grobe Partikel zu transportieren, wird als Transportkompetenz bezeichnet. Sie ist eine Funktion der Schleppkraft des fließenden Wassers, und lässt sich entsprechend gut mit dieser, der Fließgeschwindigkeit, der Wassertiefe oder dem Abfluss korrelieren (Costa 1983, Williams 1983a, Komar 1989). Je dichter und direkter der physikalische und hydraulische Zusammenhang ist, desto besser und eindeutiger ist die Korrelation. Auf die hydraulischen Zusammenhänge wird hier im Einzelnen bewusst nicht eingegangen (vgl. u. a. Zanke 1982, Costa 1983, Chanson 1999). Es ist jedoch wichtig, einige Details zu kennen, um auch die Grenzen dieses Ansatzes zur Rekonstruktion der hydraulischen Bedingungen, hier namentlich der Fließgeschwindigkeit, nachvollziehen zu können. Generell ist im Zusammenhang mit der Transportkompe-

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2 v

Fließgeschwindigkeit

Abschätzung von Paläohochwassern

Hebungskraft

Reibung

Turbulenzwirbel

∆v

vertikaler Geschwindigkeitsgradient bildet Druckgradienten zwischen Ober- und Unterkante des Partikels

Abb. 2-21: Kräftespiel bei der Erosion von Sedimenten an einer Flusssohle (Knighton 1998, verändert).

Schubkraft

Schwerkraft

tenz zu unterscheiden, ob die Partikel als Bodenfracht rollend und gleitend an der Sohle, oder frei schwebend als Suspensionsfracht transportiert werden, weil dabei die Kompetenz in unterschiedlichen Tiefen angezeigt wird (Turowski et al. 2010). Vor dem Transport kommt jedoch die Erosion. Um einen Partikel an der Gerinnebettsohle zu erodieren, muss die aus der Fließgeschwindigkeit resultierende Schubkraft größer sein als die Trägheitskräfte (Abb. 2-21). Die Trägheitskräfte bestehen zum einen aus der Schwerkraft, resultierend aus der Wichte des Partikels, und der Reibung zwischen einzelnen Partikeln, die von der Oberflächenbeschaffenheit abhängig ist. Bei Feinsediment kommt noch die Kohäsion zwischen den Partikeln hinzu, die hier bei der Fokussierung auf Grobsedimente nicht weiter thematisiert wird. Der Gradient der Fließgeschwindigkeit zwischen der Ober- und der Unterkante des Partikels erzeugt eine Hebungskraft, die das Herausheben des Partikels aus dem Ablagerungsverband erleichtert. Aus der Turbulenz resultierende Wirbel auf der strömungsabgewandten Seite des Partikels unterstützen die Hebungskraft. Außer bei sehr steilen Gerinnen (S > 0,1) ist das Gefälle als Faktor der erleichterten Erosion erfahrungsgemäß zu vernachlässigen. Was nach einem offensichtlichen Kräftespiel aussieht und sich vermeintlich leicht berechnen lassen

sollte, zeigt in der Praxis Probleme bei der rein physikalischen Lösung, ohne empirische Erfahrungswerte einfließen zu lassen. Das Problem liegt in der Form der Partikel, die bei gleicher Größe strömungsgünstig sein kann und damit die Erosion erschwert sowie in der Möglichkeit, dass unregelmäßig geformte Partikel stark ineinander verhakt sind. Hier können die Gleichungen zur Bilanzierung der Kräfte nur durch empirische Beiwerte gelöst werden (Costa 1983, Komar 1988). Aus der umfangreichen Literatur zum Thema wird hier ein Ansatz mit Fokus auf grobkörnige Ablagerungen vorgestellt, der sich zur einfachen und direkten Interpretation von Hochwasserablagerungen besonders eignet. In der Praxis werden dazu gezielt die größten und zweifelsfrei vom Hochwasser transportierten, möglichst gleichförmigen Steine und Blöcke vermessen. Aus diesen Werten wird ein repräsentativer Mittelwert gebildet, der lokale Strömungseffekte und den Einfluss der individuellen Blockform egalisiert. Aus Literaturangaben, bei denen grobkörnige Ablagerungen und Fließgeschwindigkeiten unabhängig voneinander bestimmt wurden, hat Costa (1983) die Daten zusammengestellt und eine Regressionsgleichung zwischen dem Korndurchmesser und der mittleren Fließgeschwindigkeit bestimmt (Abb. 2-22). Durch diese Fließgeschwindigkeit wird eine Mindestfließgeschwindigkeit zur Verlagerung der Sedimente im Fluss beschrieben. Für feinkörnige Sedimente bis zur Kiesfraktion ist in Abb. 2-22 der von Hjulström erkannte Zusammenhang zwischen der Dynamik des Sedimenttransportes und der mittleren Fließgeschwindigkeit als Funktionsgleichung und -graph mit der kritischen Fließgeschwindigkeit vcm (Zanke 1982) dargestellt. Für kohäsionslose Sedimente bis zu einem mittleren Durchmessers d < 33 cm hat diese erfahrungsgemäß Gültigkeit und lässt sich allgemein als vcm = 2,8 (p’ g d)0,5 + 14,7 υ/d mit vcm – mittlere Geschwindigkeit zur Erosion, p’ – relative Dichte, g – Gravitationskonstante, d – mittlerer Korndurchmesser und υ – kinematische Viskosität ausdrücken. Ungeachtet der Differenzierung nach Dichte und Viskosität und durch Einsetzen entsprechender Standardwerte (p’ = 1,65; g = 981 cm/s²; υ = 0,01306 cm²/s bei 10°C) lässt sich diese Formel vereinfacht generalisiert als

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Fließgeschwindigkeit

vcm = 112,66 d0,5 + 0,19 d mit vcm in cm/s und 0,1 cm  120 m aufweisen (Abb. 2-35).

2.6

Abflussabschätzung aus Niederschlag-Abflussmodellen

Recht nahe liegend ist der Ansatz, analog der aktuellen Echtzeit Hochwasservorhersage aus Niederschlag-Abflussmodellen auch historische Hochwasser zu rekonstruieren. Dabei werden aus Niederschlagsdaten (Menge, Verbreitung, Intensität) unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen wie Relief und Wassersättigung des Bodens resultierende Abflussganglinien ermittelt (vgl. DVWK 1999, Barben et al.

2001, Bronstert et al. 2011). Für historische Zeiten kann mittlerweile die Witterung differenziert nach atmosphärischer Zirkulation, Niederschlag und Temperatur beispielsweise in Mitteleuropa hochauflösend rekonstruiert werden (z. B. Pauling et al. 2006, Glaser 2008, Luterbacher et al. 2010). In Kombination mit der überlieferten Topographie aus historischen Quellen lassen sich so Niederschlag-Abflussmodelle räumlich und zeitlich differenziert speisen und historische Hochwasser aus dem Witterungsgeschehen heraus rekonstruieren. Problematisch ist die Rekonstruktion der raum-zeitlichen Verbreitung von Niederschlägen, was insbesondere bei kleineren Einzugsgebieten kritisch ist, wie man beim kleinräumigen Durchzug von sommerlichen Gewitter- und Schauerzellen anschaulich beobachten kann. Wie nachfolgend vorgestellt wird, findet dieser aktuelle und ausbaufähige Ansatz aufbauend auf den jüngsten Ergebnissen der historischen Klimatologie erste Anwendung zur Rekonstruktion historischer Hochwasser. Eine Abschätzung des Scheitelabflusses für das Extremhochwasser vom Oktober 1824 am unteren Neckar führten Bürger et al. (2006) durch. Der verfolgte Ansatz basiert darauf, für die überlieferten historischen Befunde analoge aktuelle Witterungslagen zu

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Niederschlag-Abflussmodelle

bestimmen und über die daraus quantifizierte räumliche und zeitliche Verteilung des Niederschlags mittels eines Niederschlags-Abflussmodells das resultierende Hochwasser zu rekonstruieren (Abb. 2-36 ). Im Rahmen der Datenerhebung werden sowohl historische Unterlagen hinsichtlich der Ausprägung und Charakteristika des Hochwassers gesichtet, als auch aktuelle hydrologische und meteorologische Messdaten für die Kalibrierung des Modells gesammelt. Die so ermittelten Zeitreihen zu Temperatur, Luftdruck und Wind werden zusammen mit vorliegenden Rekonstruktionen zur großräumigen Luftdruckverteilung in historischer Zeit zu historischen Wetterlagen zusammengestellt. Diese werden mit Angaben basierend auf aktuellen Aufzeichnungen verglichen und die zugehörigen interpolierten Niederschlagsverteilungen bestimmt und in historische Zeit übertragen. Damit liegen die Eingabedaten für das NiederschlagAbflussmodell vor und die resultierenden Hochwasserganglinien können ermittelt werden. Eine weitergehende Verfeinerung des Ansatzes führten Sudhaus et al. (2008 b) durch, indem sie u. a. ein weiteres Hochwasserereignis mit Schneeschmelze einbezogen und parallel auch hydraulische Scheitelabflussabschätzungen durchgeführt haben. Die modellierten Hochwasser entsprechen gut den vorliegenden Informationen aus historischer Zeit, wobei für das Untersuchungsgebiet hinreichende meteorologische und hydrologische Messungen vorliegen müssen. Dem Problem unzureichender Daten zur Modellkalibrierung sahen sich auch Koutroulis & Tsanis (2010) bei der Modellierung von Sturzfluten auf Kreta ausgesetzt. Basierend auf der Ableitung der für das individuelle Einzugsgebiet charakteristischen Hochwasserganglinie basierend auf Niederschlagsmenge, -dauer und -variabilität konnten sie jedoch eine den vorliegenden Beobachtungen entsprechende Hochwasserganglinie für eine Sturzflut im Jahre 1994 rekonstruieren. Bei näherem Hinsehen handelt es sich bei diesem Ansatz nicht mehr um ein flächendifferenziertes Niederschlags-Abflussmodell, da mehrere empirische Regressionen zwischengeschaltet wurden. In Kalifornien ereigneten sich im Winter 1861/62 Stürme, die sich wahrscheinlich auf ein vorübergehend verändertes atmosphärisches Zirkulationsmuster zurückführen lassen. Dabei werden fortgesetzt

feucht-warme Luftmassen in ungewöhnlich hohe Breitenlagen transportiert und führen dort zu ausgiebigen Niederschlägen mit resultierenden Hochwassern (Sidler 1968, Engstrom 1996). Im Rahmen von Folgeabschätzungen von Naturkatastrophen in Kalifornien haben Porter et al. (2011) atmosphärische Zirkulationsmodelle und nachfolgend eine Niederschlag-Abflusssimulation eingesetzt, um die Schäden aus der Wiederholung entsprechender Niederschläge vor rund 150 Jahren abschätzen zu können. Vor dem Hintergrund, dass belastbare und quantifizierbare Überlieferungen der Hochwasser in der Vergangenheit nicht vorhanden sind, bleibt die Simulation ein reines Szenario ohne Verifizierungsmöglichkeit. Es soll jedoch angemerkt werden, dass der Schwerpunkt der Studie bei den sozio-ökonomischen Folgen liegt und in diesem Bereich schwerwiegende Konsequenzen angedeutet werden. Aus den vorstehenden Beispielen wird deutlich, dass für die Anwendung von Niederschlag-Abflussmodellen zur Hochwasserrekonstruktion eine Fülle von räumlich-zeitlich hoch aufgelösten Daten erforderlich sind, die leider nur in Ausnahmefällen tatsächlich zur Verfügung stehen (Barben 2003). Auch ist eine Kalibrierung der Modelle insbesondere auch an Extremereignissen erforderlich, da bei außergewöhnlichen

Historische Quellen

Hydrologische Messungen

Meteorologische Messungen

Zeitreihen

Abb. 2-36: Prozesskette zur hydrometeorologischen Rekonstruktion historischer Hochwasser nach Bürger et al. (2006).

Kartenmaterial

Recherche analoge Wetterlage DWD (1950 – 2001)

Großräumige Wetterlagen Großräumige Rekonstruktion Bodenluftdruckkarte

Regressionsanalyse Geostatistik

Historische Abflüsse

Abflussmodell

Rekonstruktion regionaler Niederschlagsverteilungen

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2

Abschätzung von Paläohochwassern

Hochwassern nichtlineare Effekte eine Rolle spielen und zum Versagen der Modelle führen können (Barben et al. 2001). Dennoch bietet der Ansatz Möglichkeiten, über historische Hochwasserabflüsse Plausibilitätstests von Modellierungsergebnissen extremer Niederschläge durchzuführen, wie einige Beispiele zeigen können: ○ Im Zusammenhang mit der Rekonstruktion des Extremhochwassers von 1342 (vgl. Kapitel 3) haben Tetzlaff et al. (2002) neben verschiedenen Analogieschlüssen auch Rückschlüsse aus dem regionalen Niederschlag und auf den daraus resultierenden Abfluss im Main gezogen. Trotz teils unvermeidlicher vielfältiger Annahmen und Vereinfachungen konnten Überlegungen zum Effektivniederschlag dieses Extremereignisses durchgeführt werden. ○ Zur Abschätzung der räumlichen Ausdehnung von hochwassergefährdeten Talbereichen des Arunca in Portugal haben Santos et al. (2011) in Ergänzung zu Umfragen zum Hochwasserstand bei der Bevölkerung Abschätzungen zum Effektivniederschlag in historischer Zeit durchgeführt. Dabei konnten sie gute Übereinstimmungen mit hydraulischen Wasserspiegelberechnungen feststellen und so auch für Talabschnitte ohne Paläowasserstandanzeiger gefährdete Bereiche eingrenzen. ○ Einen in den Grundzügen dem Ansatz von Bürger et al. (2006) (Abb. 2-36) ähnliche Modellierung verfolgten Reist et al. (2002) bei der Rekonstruktion eines Hochwassers, das 1837 im Emmental am Nordrand der Schweizer Alpen aus einem sommerlichen Gewitter hervorging. Hierbei standen jedoch nicht die Rekonstruktion des Hochwassers selbst im Fokus, sondern die atmosphärischen Randbedingungen. So können die Autoren zeigen, dass bisherige Abschätzungen zu maximalen Gebietsniederschlägen deutlich zu niedrig angesetzt waren, um den Abfluss des historischen Hochwassers auch bei veränderter Flächennutzung zu erzeugen. ○ Dem verwandt sind Untersuchungen von Pruess et al. (1998) in Colorado, USA. Beim Plausibilitätstest von vorhergehenden Hochwasserabschätzungen anhand von Gebietsniederschlägen und dem Vergleich mit Hochwasserspuren im Gelände konnten sie unter anderem feststellen, dass es für die Entstehung von Hochwassern aus Starkniederschlä-

gen eine markante Obergrenze in den Bergen gibt. Oberhalb können die Starkniederschläge nicht zur Produktion von Schneeschmelzwasser beitragen, was für die sonst erfolgte Erhöhung des resultierenden Abflusses von großer Bedeutung ist. ○ Andererseits konnten Jarrett & Tomlinson (2000) ebenfalls für ein Einzugsgebiet im gebirgigen Colorado zeigen, dass Abschätzungen von maximalen Gebietsniederschlägen auch zu deutlichen Überschätzungen potentieller Hochwasserabflüsse führen können. So hat ihre Analyse sämtlicher Hochwasserspuren nach der Aufnahme der Paläowasserstandsanzeiger in dem naturnahen Einzugsgebiet ergeben, dass das maximale Hochwasser nur 13 % des vermuteten potentiellen maximalen Hochwasserabflusses geführt hat. Damit konnte Entwarnung hinsichtlich der Frage der ausreichenden Dimensionierung von Hochwasserentlastungen an Staudämmen im unteren Einzugsgebiet gegeben werden. Als Erklärung für die Überschätzung wird angegeben, dass während des gesamten Holozäns, d.h. der letzten 10 000 Jahre, Starkniederschlagszellen das Innere des Gebirgszuges nicht erreicht haben, sondern sich immer zuvor am Gebirgsrand ausgeregnet haben.

2.7

Black-Box-Modelle zur Abflussabschätzung

Das Gegenextrem zur räumlich-zeitlich hoch auflösenden und differenzierenden, prozessorientierten Niederschlag-Abflussmodellierung bilden Black-BoxModelle. Hierbei werden keinerlei Teilprozesse betrachtet, es muss auch keine Kausalität zwischen den betrachteten, in Beziehung gesetzten Parametern bestehen. In den meisten Fällen wird diese Beziehung über Regressionen, also ein rein statistisch und nicht funktionell hergestellt. Was sich hier zunächst recht abstrakt anhört, wird in unterschiedlicher Form in der paläohydrologischen Modellierung angewandt, da oftmals die Einflussfaktoren für prozessorientierte Betrachtungen nicht hinreichend genau quantifiziert werden können. Nachfolgend werden vier Ansätze vorgestellt. Dabei werden auch Aspekte von Stauseeausbrüchen thematisiert, obwohl diese erst in Kapitel

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Black-Box-Modelle

4 detailliert vorgestellt werden. Im Kontext der Über-

Q: Scheitelabfluss (m3/s)

blickdarstellung der Methoden zur Abflussabschätzung werden die speziellen Ansätze zur Abschätzung der Ausbruchsflutwellen von Stauseen bereits hier behandelt, um das Spektrum der Möglichkeiten klarer zu präsentieren.

Q = 1100 V ; r = 0,58 Überlauf u. a. (V in 10 m ; Walder & Costa 1996) Q = 179 V0,64; r2 = 0,80 (V in 106 m3; Desloges et al. 1989) Q = 113 V0,64; r2 = 0,80 (V in 106 m3; Costa 1988) Q = 0,0067 V0,69; r2 = 0,86 (V in m3; Beget 1986) Q = 46 V0,66; r2 = 0,70 Tunnelentwässerung (V in 106 m3; Walder & Costa 1996) 0,44

Stauseeausbrüche – Scheitelabfluss als Funktion des Seevolumens Eine Ursache von Hochwassern kann in dem Versagen von Staudämmen und dem Auslaufen von Stauseen liegen. Problematisch bei zahlreichen natürlichen Stauseen ist, dass sie häufig abgelegen in schwer zugänglichen Hochgebirgsregionen liegen und sich detaillierten Untersuchungen zur Beschaffenheit des Damm und der Charakteristika der Talzüge als Abflussbahnen unterhalb entziehen. Clague & Mathews (1973) haben daher anhand von zehn gletschergestauten Seen eine Korrelation zwischen dem ausgelaufenen Seevolumen und dem Scheitelabfluss der Ausbruchsflutwelle durchgeführt. Auch wenn vorstellbar ist, dass mit großem Volumen des ausgelaufenen Seewassers auch der Scheitelabfluss der Ausbruchsflutwelle unterhalb des Damms groß ist, also eine Korrelation zu vermuten ist, besteht offensichtlich kein funktioneller Zusammenhang zwischen den beiden Parametern. Der zu beobachtende Scheitelabfluss hängt offensichtlich auch davon ab, wie schnell der Damm sich öffnet, wie steil die Talzüge unterhalb sind und wie weit entfernt vom Damm der Abfluss beobachtet wird. Diese die Abflussgeschwindigkeit und wegen Retentions-, also Rückhalteffekten den Abfluss beeinflussenden Faktoren werden nicht berücksichtigt, was ein schlechtes Korrelationsmaß vermuten lässt. Die Autoren fanden jedoch eine Korrelation von r² = 0,96, was erstaunlich gut ist und eigentlich einen funktionalen Zusammenhang vermuten lässt (Abb. 2-37). Beget (1986) vermutete, dass der erstaunlich gute Zusammenhang auf den Extremwert durch die Berücksichtigung des pleistozänen Lake Missoula Ausbruches (vgl. Kapitel 5) zurückzuführen ist. Er entfernte diesen Wert aus der Regression und fügte weitere durch Vulkanaktivität bei den Eisdämmen beeinflusste rezente Eisstauseeausbrüche hinzu. Bemerkenswert ist hierbei, dass die resultierende Regressi-

107

Q = 75 V0,67; r2 = 0,96 (V in 106 m3; Clague & Mathews 1973) 2

6

3

106 105 104 103 102

104

105

106

107

108

109

1010

1011

1012

101 1013

V: ausgelaufenes Seevolumen (m3)

on algebraisch keine deutliche Veränderung erbracht hat, von dem verkleinerten Gültigkeitsbereich und der verschlechterten Güte der Korrelation abgesehen (Abb. 2-37). Derartige Modifizierungen wurden von Costa (1988) fortgesetzt, der insbesondere vergleichsweise kleine Ereignisse aus den Alpen ergänzte, was zwar die Homogenität des Basisdatensatzes weiter verbessert hat, die resultierende Funktion jedoch algebraisch ebenfalls nicht nachhaltig änderte. Neben diesen Veränderungen basierend auf modifizierten Basisdatensätzen sind auch methodisch grundlegende Überlegungen bei der Weiterentwicklung der Regression berücksichtigt worden. So zeigen Desloges et al. (1989), dass bei der Logarithmierung der Datensätze zur Berechnung der Regressionsgleichung und der nachfolgenden Rücktransformation eine nachhaltige Schiefe auftritt, die das Ergebnis verfälscht. Auch unter Berücksichtigung dieses Effektes tritt jedoch keine nachhaltige Veränderung der Regressionsgleichung auf (Abb. 2-37). Dies wird erst der Fall, wenn man den Ausbruchsmechanismus der eisgestauten Seen berücksichtigt. Walder & Costa (1996) unterscheiden hierbei zwischen Tunnelentwässerung unter oder durch den stauenden Eiskörper und sonstige Mechanismen wie Überlauf oder mechanischem Bruch (vgl. Kapitel 4 zu Eisstauseen). Die aus Differenzierung der Ausbruchsmechanismen resultierenden Regressionen liegen deutlich weiter auseinander und hüllen die vorhergehenden, diese Unterscheidung

Abb. 2-37: Regressionen des entwässerten Volumens bei Eisstauseeausbrüchen und dem resultierenden Scheitelabfluss.

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Abschätzung von Paläohochwassern

nicht berücksichtigenden Ansätze ein (Abb. 2-37). Mit dieser Differenzierung nach den beteiligten Teilprozessen wird streng genommen der Bereich der Black-Box-Modelle im engeren Sinne verlassen, auch wenn die Differenzierung bei einer Selektion im Datensatz und nicht bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen den Parametern durchgeführt wird. Ohne hier die Argumente und Aspekte der vorstehenden Modifikationen im Einzelnen diskutieren zu wollen (vgl. hierzu Herget 2005), kann man vermuten, dass Tunnel- bzw. sonstige Entwässerungsmechanismen den Scheitelabfluss signifikant beeinflussen. Andererseits fällt auf, dass einschließlich der Regression für Tunnelentwässerung von Walder & Costa (1996) die frühen Ansätze alle zu Exponenten im Bereich von 0,64 bis 0,69 geführt haben. Dies wird von Ng & Björnsson (2003) auf Skalierungseffekte im Zusammenhang mit der Seegröße zurückgeführt, wobei Variationen dem Ausbruchsmechanismus zugeschrieben werden.

Hochwasserdauer bei Seeausbrüchen Eine erste Annäherung zur Einschätzung der Dauer eines Hochwassers lässt sich für Seeausbrüche bei bekanntem Scheitelabfluss recht einfach durchführen. Die Einschränkung auf Seeausbrüche basiert darauf, dass das abgeflossene Volumen ebenfalls bekannt sein muss. Beim Auslaufen eines Sees kann logischerweise nicht mehr Wasser abfließen, als der See insgesamt enthält – eine triviale aber folgenreiche Voraussetzung. Der Scheitelabfluss sollte zuvor über eine der Abb. 2-38: Abschätzung der Dauer eines Hochwassers aus einem Seeausbruch bei bekanntem Scheitelabfluss und Seevolumen.

Scheitelabfluss Q (in Mio. m3/s) 10 8

Seevolumen = 603 km3 (Integral der Kurve)

6 4 2 0

0

1

2

3

4 5 Dauer (in Tagen)

vorstehend aufgeführten Methoden abgeschätzt worden sein. Der einfache, jedoch recht realitätsferne Ansatz besteht nun darin, das Seevolumen durch den Scheitelabfluss zu teilen, um die minimale Dauer des Hochwassers zu bestimmen. Diese ergibt sich nach Umformung aus der logischen Überlegung, dass der Abfluss nur solange andauern kann, bis das Seevolumen erschöpft ist: Abfluss [m³/s] ∙ Dauer [s] = Volumen [m³]. Da nun kein spezifischer Abfluss außer dem Scheitelabfluss bekannt ist, wird dieser verwendet und somit eine absolute Mindestdauer bestimmt. Diese scharfe Charakterisierung als absoluter Mindestwert kann getroffen werden, weil keinerlei Ganglinie mit einem „zeitraubenden“ allmählichen An- und Abschwellen berücksichtigt wird. Es wird vielmehr angenommen, dass die Entwässerung bei Öffnung des Sees sofort den Maximalwert annimmt und diesen ohne Abklingen bis zur vollständigen Entleerung beibehält. Ein derartiger stationärer Scheitelabfluss ist natürlich unrealistisch, kann aber auch nicht mehr unterschritten werden. Realistischer ist dem gegenüber die Konstruktion einer Ganglinie. Diese basiert ebenfalls auf dem Wert für den Scheitelabfluss und dem Volumen des Sees, das nun aber über das Integral der Kurve bestimmt wird. So lassen sich beispielsweise ein abrupter Anstieg und ein allmähliches Abfallen durch Einsetzen von Werten auf der Ganglinie graphisch festlegen, die jedoch durch das resultierende Integral, das immer dem Seevolumen entsprechen muss, in Abflussmenge und Zeitpunkt begrenzt werden (Abb. 2-38). Die Konstruktion einer derartigen Ganglinie wird von verschiedenen Graphik- bzw. Statistikprogrammen durch eine eingebaute Integralfunktion erleichtert. Die Kontrolle über das Integral unter der Ganglinie lässt jedoch weniger Spielraum zu, als man im ersten Augenblick erwarten würde, so dass der Ausgestaltung der Ganglinie enge Grenzen gesetzt sind. Natürlich darf von man von einer derart gemalten Ganglinien keinerlei Informationen über die tatsächliche Dynamik des Hochwassers erwarten. Eine Aussage über Größenordnungen der Gesamtdauer oder Überschreitungsdauer bestimmter Abflussschwellenwerte (z. B. Abfluss, bei dem Orte überflutet werden) sind jedoch möglich. Generell ist bei diesem Ansatz jedoch ebenfalls eine Unterschätzung der Gesamtdauer zu er-

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Black-Box-Modelle

warten, da keinerlei Rückhalteeffekte des Abflusses berücksichtigt werden können. Anwendung fand dieser Ansatz bei der Rekonstruktion pleistozäner Eisstauseeausbrüche im sibirischen Altai-Gebirge (vgl. Kapitel 5). Bei einem Seevolumen von rund 603 km³ und einem Scheitelabfluss von rund 10 000 000 m³/s konnte die Dauer auf rund 2,5 Tage abgeschätzt werden. Ein Spielraum, die Dauer des Ausflusses deutlich zu verlängern, ist vor dem Hintergrund der Größenordnung des Ereignisses nicht gegeben, da Restabflüsse eine zu vernachlässigende Größenordnung bilden und in der Graphik der Ganglinie nicht sichtbar sind.

Abflussspende Hq (l/[s km2]) 5000

Donau Ober-/Hochrhe in Ober-/Hochrhein obere Elbe Main Niederrhein Weser, Ems Havel untere Elbe Küstengebiete

Hq = 17 000 A–0,4 eo 1000

100

Hüllkurven zur Abschätzung des maximalen Hochwassers Zu den Verfahren zur Hochwasserabschätzung, die angewandt werden können, wenn weder Daten zum Abfluss noch zum Niederschlag vorliegen, gehört der Ansatz nach der Auswertung von empirischen Hüllkurven (Kleeberg & Mück 2001). Da eben diese kritischen Randbedingungen auch bei der Rekonstruktion historischer und prähistorischer Hochwasser gegeben sind, soll dieses Verfahren aus der Fülle der anderen Methoden zur Hochwasserabschätzung (vgl. u. a. Barben et al. 2001, Merz 2006, Merz et al. 2011) hier Beachtung finden. Anders als bei den vorstehenden Ansätzen wird hierbei jedoch keine ereignisbezogene Rekonstruktion durchgeführt, sondern ein für die Größe des Einzugsgebietes maximaler Abfluss bestimmt. Dazu werden die beobachteten Abflüsse der Einzugsgebiete umgerechnet zu Abflussspenden pro Quadratkilometer des Gebietes, um eine bessere Vergleichbarkeit der Werte zu erzielen. In Abb. 2-39 sind entsprechende Abflussspenden für Pegel in Deutschland dargestellt. Der alle beobachteten Hochwasser umfassende Datensatz wird nach oben hin mit einer Kurve umhüllt, aus deren Funktionsgleichung (hier: Hq = 17 000 Aeo–0,4) dann die maximale Abflussspende in Abhängigkeit von der Einzugsgebietsgröße abgeleitet werden kann. Wesentlicher Vorteil dieses Ansatzes ist die schnelle und einfache erste Abschätzung möglicher Hochwasserdimensionen in einem Einzugsgebiet. Die Abschätzung über die Abflussspende ist sinnvoll, da kleinere Einzugsgebiete vollständig von Starknie-

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100

1000

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100 000 500 000 Einzuggebiet Aeo (km2)

Abb. 2-39: Abflussspenden mit Hüllkurve verschiedener Einzugsgebiete in Deutschland (Daten aus Hinsberger 2006). In der Abbildung sind 986 Pegel mit ihren höchsten vor 1993–1995 beobachteten Abflussspenden nach der Einzugsgebietsgliederung des Deutschen Gewässerkundlichen Jahrbuches dargestellt. Farblich wurden diese Gebiete grob in Mittelgebirge mit Alpenanteil (Donau, Ober-/Hochrhein), Mittelgebirge mit Flachlandanteil (obere Elbe, Main, Mittel- und Niederrhein, Weser, Ems) und reine Flachlandgebiete (Havel, untere Elbe, Küstengebiete) untergliedert. Durch die Lage der Einzugsgebiete und deren Größe ist die Kategorisierung leider nicht eindeutig.

derschlagzellen überdeckt werden können und so extreme Abflussspenden auftreten, die in größeren Gebieten nicht möglich sind, ohne deren extreme Scheitelabflüsse durch die Aufsummierung der Zuflüsse zu erreichen. Dies ist charakteristisch für das Klima in Mitteleuropa, während sich in anderen Klimazonen wesentlich größere Abflussspenden beobachten lassen (Wundt 1949/1950, Crippen 1982, Costa 1987b, Ely et al. 1993, Herschy 2003) und die Einflussfaktoren zu differenzieren sind (Hayden 1988, McMahon et al. 1992). Auch überproportional verringer-

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Abschätzung von Paläohochwassern

te Abflussspenden sind zu beobachten, beispielsweise in ariden Gebieten, in denen ein Großteil des Abflusses verdunstet. Schon innerhalb Mitteleuropas ist eine weitergehende Regionalisierung bei Aufstellung von Hüllkurven sinnvoll (Wundt 1965), da sonst hohe Abflussspenden, wie sie am Alpenrand beobachtet werden können, auch auf die norddeutschen Flachlandgewässer übertragen werden und dort für eine deutliche Überschätzung der möglichen Hochwasserabflüsse führen würden. Vor diesem Hintergrund ist auch die nur in Ansätzen durchgeführte regionale Differenzierung in Abb. 2-39 zu sehen. In die gleiche Richtung zielen die Überlegungen von Wundt (1949/1950), die Hüllkurve auf ein niedrigeres Niveau von 90 % bzw. 50 % der Extremwerte der Abflussspende zu reduzieren, um durch lokale und seltene Extremereignisse die Abschätzung zu erwartender Hochwasser nicht zu verzerren. Wolman & Costa (1984) zeigen in diesem Zusammenhang auf, dass mit zunehmender Beobachtungsdauer die Hüllkurven wachsen, da mehr Extremereignisse in die Beobachtungsreihe einfließen. So einfach die Aufstellung von Hüllkurven aussehen mag, so verlangt sie vom Bearbeiter hohe Sachund Fachkenntnis bei der Auswahl der berücksichtigten Datensätze (Kleeberg & Mück 2001, Hinsberger 2006). Dies lässt sich anhand der Beispiele von verkarsteten Einzugsgebieten, in denen das unterirdische Einzugsgebiet das Oberirdische um ein Vielfaches überschreiten kann, oder die Abflüsse von Staudammbrüchen, die sich richtigerweise ebenfalls im Hochwasserkatalog des Deutschen Gewässerkundlichen Jahrbuchs finden lassen, veranschaulichen.

Gerinnegeometrie als Abflussindikator Offensichtlich sind zwischen der Größe eines Flussbettes und dem Abfluss Zusammenhänge gegeben: ein Rinnsal führt nun mal keine Abflüsse in der Dimension von mehreren Kubikmetern pro Sekunde und ein eng mäandrierender Wiesenbach erreicht keine hohen Fließgeschwindigkeiten. Entsprechende Mess- und Modellierungskonzepte vorausgesetzt, lassen sich diese Zusammenhänge heute über mehrere Zwischenschritte physikalisch basiert berechnen und die zugehörigen Teilströmungen dreidimensional modellieren (vgl. Ikeda & Parker 1989). Da der Aufwand hierfür jedoch recht hoch ist, finden noch immer Re-

gressionen zur Abschätzung von Abflussparametern aus der Gerinnebettgeometrie Anwendung, auch wenn deren Hochzeit in den 1980er Jahren ausklang, als die Computertechnologie vielfältige weitergehende Berechnungsmöglichkeiten eröffnete (Thornes 2003). Wie die kommentierte Übersicht von Williams (1984a) veranschaulicht, wurde eine Fülle an Regressionen entwickelt, die teils regional begrenzte Gültigkeit haben, teils den Anspruch erheben, universell gültig zu sein (Park 1977b, Ethridge & Schumm 1978). Zunächst wurden Formeln entwickelt, um die geometrischen Proportionen eines Flusslaufes zu prüfen. Dabei werden beispielsweise Breiten-Tiefenverhältnisse des Gerinnes oder Mäanderproportionen – etwa Radius zu Wellenlänge – überprüft, um festzustellen, ob sich der Flusslauf in einem morphologischen Gleichgewichtszustand oder etwa durch tektonische Hebung oder anthropogenen Einfluss in einer Anpassungs- und Umgestaltungsphase befindet (Williams 1986, Wohl & Wilcox 2005). Hieraus lassen sich beispielsweise Prognosen für die Talbodenentwicklung wie die fortschreitende Ausweitung von Flussmäandern ableiten (Nicoll & Hickin 2010), was für Siedlungen an Flussläufen wichtig sein kann, oder Leitbilder für die naturnahe Gestaltung von Bachläufen entwickeln (Nadolny 1994, Harnischmacher 2002). Daneben liegen aber auch zahlreiche Untersuchungen vor, in denen die Gerinnebettgeometrie mit Abflusskennwerten oder Fließgeschwindigkeiten in Beziehung gesetzt wird (u. a. Williams 1984a, Wharton 1995a/b). Diese Regressionen sind für die Rekonstruktion von Abflüssen interessant, weshalb sie hier näher betrachtet werden sollen. Wie bei der Anwendung von Hüllkurven ist bei der Interpretation der Geometrie eines Gerinnebettes keine ereignisbezogene Hochwasserrekonstruktion möglich. Vielmehr wird bei diesem Ansatz der gerinnebettformende Abfluss betrachtet. Weitgehend akzeptierte These ist, dass dies der bordvolle Abfluss Qb (engl. bankfull discharge) ist. Auch wenn hierfür im Detail mehrere Definitionen und Bestimmungsansätze vorliegen (Harvey 1969, Williams 1978, Harnischmacher 2002), so ist der bordvolle Abfluss bei einem Wasserstand erreicht, der knapp unterhalb der weiten und flachen Aue als Hochwasserbett liegt. Vor dem Hintergrund der feingliedrigen Uferbereiche der Flüsse und

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Bäche ist dieses exakte Maß in der Praxis schwieriger festzulegen, als man erwarten würde, was die verschiedenen Definitionen etwa über kleinste Breiten-Tiefenverhältnisse des Gerinnebettquerschnitts erklärt. Für die Anwendung in der Praxis bietet es sich daher an, beispielsweise den Mittelwert aus drei repräsentativ erscheinenden Profilen für Kalkulationen zu verwenden (Jarrett & Costa 1988). Beim bordvollen Wasserstand ist der maximale, das Gerinnebett vollständig ausfüllende Abfluss erreicht, der damit maßgeblich bettformend wirken kann und die Dimensionen des Gerinnebettes prägt. Dieser gerinnebettfüllende Abfluss ist ein Mittelwert, der wiederholt überschritten, aber auch unterschritten wird, weshalb Kochel & Baker (1988) diesen Ansatz der Bestimmung der Parameter der Mittelwerthydrologie und nicht etwa Extremwertabschätzung zuordnen. Die Häufigkeit des Auftretens des bordvollen Abflusses ist viel und kontrovers diskutiert worden. Relativ häufig finden sich in der Literatur Angaben von Wiederkehrintervallen von 1,58 bzw. 2,33 Jahren, was noch nicht hinreichend regionalisiert worden ist (Crowder & Knapp 2005), denn es ist nicht plausibel, dass alle Abflussregime der Erde – insbesondere in Gebieten mit nur episodischem Abfluss – dem gleichen Muster folgen sollten. Im Rahmen einer Literaturauswertung zu dieser Frage kommt Nadolny (1994) zu der Arbeitshypothese, dass das Widerkehrintervall des bordvollen Abflusses in der Regel bei ein bis zwei Jahren liegt, Abweichungen davon auf Sonderfälle hinweisen und Bäche in dieser Frage differenzierter zu betrachten sind. Andererseits sind auch Regressionen ohne die funktionelle Betrachtung des bordvollen Abflusses entwickelt worden, wobei hier ausdrücklich auf die regionale Begrenzung der Gültigkeit hingewiesen wird (Wharton 1995 a/b).

Wie die wenigen Beispiele in Tabelle 2-4 illustrieren, hat der Ansatz insbesondere außerhalb des deutschen Sprachraums verschiedentlich Anwendung gefunden, auch wenn er wegen des unklaren funktionellen Zusammenhangs (Williams 1984b) skeptisch aufgenommen wird und die Vorteile (Wharton 1995b), insbesondere die Effizienz der Abschätzung, noch nicht weiter erkannt wurden. So kann beispielsweise Bjerklie (2007) zeigen, dass zahlreiche gerinnegeometrische Daten auch aus Satelliten- und Luftbildern abgeleitet werden können. Neben aktuellen Abflussmessungen über Satellitenbilder (z. B. Kouraev et al. 2004 am Ob oder Zakharova et al. 2006 am Amazonas) können so bei vorliegenden Regressionsgleichungen grundlegende Abflussabschätzungen auch für unzugängliche Gebiete und ohne Einrichtung und langjährigen Betrieb von Pegeln möglich sein. Der Beitrag von Bjerklie (2007) deckt jedoch auch methodische Grenzen beim Einsatz von empirischen Regressionsgleichungen auf. So hat er mehrere empirische Verhältnisgleichungen mit unterschiedlichen Hintergründen und Gültigkeitsbereichen zur Ermittlung der Fließgeschwindigkeit v aus Daten zum Gefälle Abb. 2-40: Beispiele für ein verwildertes (rechts) und frei mäandrierendes Gerinnebettmuster unten).

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Abschätzung von Paläohochwassern

Tab. 2-4: Ausgewählte Beispiele zur Interpretation von Abflüssen aus Daten der Gerinnegeometrie.

Region

Regression

Korrelation r² Standardabweichung Se (%)

Gültigkeitsbereich

Bemerkung

Quelle

Schweden

MQ = 0,06 B1,66

r² = 0,86; Se = 39

1,8