Altnordisches etymologisches Wörterbuch

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

ALTNORDISCHES ETYMOLOGISCHES WÖRTERBUCH

ALTNORDISCHES ETYMOLOGISCHES WÖRTERBUCH VON

JAN DE VRIES

ZWEITE VERBESSERTE AUFLAGE

LEIDEN

E. J. BRILL 1977

1. Auflage 1957-60 2. verbesserte Auflage 1962 3. Auflage 1977

Copyright 1962 by E. J. Brill, Leiden, N ethcrlands. All rights reserued. No part of this book may be reproduced or translated in any form, by print, photoprint, microfilm or any other meant without written permission from the publisher. PRINTED IN THE NETHERLANDS

VORWORT

Die vorbereitende arbeit für dieses Wörterbuch wurde 1939 angefangen; nachdem das zettelmaterial zusammengestellt und die einschlägige Litera­ tur exzerpiert worden war, wurde mit der ausarbeitung der ersten reinschrift angefangen, die 1944 bis etwa ein drittel fertiggestellt war. Dann geriet die arbeit durch die Verhältnisse der nachkriegszeit ins stocken, und erst um 1950 konnte ich, unter schwierigen Verhältnissen, die arbeit zu ende führen. Die Schwierigkeit, für ein so umfangreiches buch einen verleger zu finden, wurde auf eine überraschende weise behoben, als sich die Firma Brill in Leiden bereit erklärte, die ausgabe zu unternehmen, falls ein zuschuss in die kosten des druckes gefunden werden könnte. Zu meiner besonderen freude war die niederländische „Organisatie voor Zuiver Wetenschappelijk Onderzoek” bereit, den zur ausgabe benötigten zuschuss zu bewilligen; ich möchte deshalb dieser Organisation beim erscheinen des Buches meinen wärmsten dank aussprechen. Mit hinsicht auf die einrichtung des Wörterbuches sei folgendes be­ merkt : Im allgemeinen sind diejenigen Wörter, die auf eine leicht erkennbare weise mittels prä- oder suffixe abgeleitet worden sind, nicht aufgenommen worden; man wird die etymologie also unter dem grundwort finden. Nur in solchen fällen ist von dieser regel abgewichen, in denen das kompositum selbst zu besonderen bemerkungen anlasz gab. Jedes lemma besteht aus den folgenden teilen: a. Die entsprechungen in den anderen skandinavischen sprachen b. Die beziehungen zu anderen sprachen, bes. entlehnungen. c. Die verwandten Wörter in den übrigen germanischen sprachen. d. Die indogermanischen entsprechungen. e. Als fussnote: Übersicht der zweifelhaften etymologien, bemer­ kungen zur form oder bedeutung der indogermanischen wurzel und deren Weiterbildungen, schliesslich einiges zur frage der bedeutungsentwicklung.

ZUR ZWEITEN AUFLAGE Weil diese auflage ein photomechanischer nachdruck ist, konnten in dem text nur geringfügige änderungen vorgenommen werden; ich muss deshalb den leser bitten die ‘Berichtigungen und Zusätze’ auf S. XLII ff zu be­ rücksichtigen; sie sind wesentlich erweitert worden, besonders durch die wertvollen bemerkungen, die in den besprechungen meines buches gemacht worden sind.

EINLEITUNG

Wir kennen die altwestnordische spräche ausschliesslich aus literarischen quellen; die folge ist, dass der überlieferte Wortschatz bedeutende lücken aufweist. Denn, obgleich die sagas ein überraschend wahrheits­ getreues bild der lebensverhältnisse auf Island und in Norwegen zu geben versuchen, sie lassen trotzdem grosse gebiete des lebens ganz unberück­ sichtigt. Schon der umstand, dass die ereignisse sich durchgängig in den höheren gesellschaftsschichten vollziehen, lässt manches aus dem alltäg­ lichen leben im schatten. Was wir z.B. über die pflanzen- und tierweit erfahren, ist nur ein ausschnitt aus der fülle des damaligen wortgebrauöhs. Auch die affektiven bildungen, die im intimeren Zusammenleben der menschen eine so bedeutsame rolle spielen, sind in der mehr oder weniger stilisierten spräche der sagas und besonders der dichtung nur sparsam vertreten. Ein vergleich mit der isländischen spräche der gegenwart lässt uns ahnen, was alles hier im dunkeln verborgen geblieben ist, auch wenn wir dem umstand rechnung tragen, dass gerade in diesem sektor der spräche neubildungen fortwährend in erscheinung treten und älteres sprachmate­ rial auf diese weise manchmal verdrängt wird. Der vergleich mit den übrigen skandinavischen sprachen beweist oft unzweideutig, dass ein wort, wiewohl uns nicht in den schriftlichen quellen überliefert, dennoch schon in der periode der gemein-nordischen spräche vorhanden gewesen sein muss. Wir können sogar aus entlehnungen in andere sprachen folgern, dass das betreffende wort, auch wenn es in unseren texten fehlt, einst im gebrauch gewesen sein muss. Die spräche der Eddas und ganz besonders der Skalden enthält nun andererseits eine bedeutende zahl an Wörtern und ausdrucken, die ganz besonders zu der gehobenen sprechart der dichtung gehören. Dazu gehören vor allem die archaismen, die, wenn sie nur einmal vorkommen, nicht immer leicht zu erklären sind; dazu gehören weiter auch zahlreiche poetische Umschreibungen, die für die bildung der schwierigen kenningen das not­ wendige material liefern. Wir wissen nicht einmal immer mit Sicherheit, ob es sich nicht um augenblicksbildungen handelt, die nur der laune oder der Verlegenheit des dichters ihr ephemeres dasein verdanken. Besonders verdächtig sind die langen reihen poetischer Wörter, die unter dem namen þulur überliefert worden sind. Unter den etwa 170 bezeichnungen für ,,schwert0 ist nur ein ganz bescheidener Prozentsatz, der dem wirklichen Sprachgebrauch entnommen ist; im allgemeinen sind es entweder veraltete, in der spräche der dichtung am leben erhaltene bezeichnungen oder neuschöpfungen, zu denen die schwierige form der dróttkv^//-strophe die skalden nötigte. Man muss in diesem falle damit rechnen, dass die schriftliche Über­ lieferung nicht alles richtig aufbewahrt hat und es ist ein aussichtsloses bemühen, für ein wort, das weiter nichts als eine verderbte lesart einer handschrift ist, eine etymologie zu ersinnen. Diese art der Überlieferung des altwestnordischen erklärt, dass eine ziem­ lich grosse zahl von Wörtern keine entsprechungen in den übrigen ger­ manischen sprachen findet, ja dass sie manchmal auch in den skandinavi­ schen schwestersprachen fehlen. Diese nur für Island bezeugten Wörter

VIII

EINLEITUNG

können natürlich kostbare relikte der gemeinsamen Ursprache sein, die bei den übrigen germanischen Stämmen verloren gegangen sind. Aber das wird doch nur sehr selten der fall sein. Im allgemeinen erregen sie den verdacht, auf Island neu geschaffen zu sein, besonders wenn sie nur in der dichtung auftreten. Verbindungen mit nach ort und zeit weit entlegenen indoger­ manischen Wörtern müssen deshalb wohl immer einer gewissen skepsis begegnen.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in mehreren fällen jede kunst des Sprachvergleichens scheitert. Eher könnte man sich darüber wundern, dass bei einer solchen beschaffenheit des Wortschatzes noch so vieles klar und durchsichtig ist, dass überhaupt die anknüpfung an das sprachmaterial der anderen indogermanischen sprachen möglich gewesen ist. Sehen wir genauer zu, so bemerken wir, dass eine grosse zahl der versuchten etymo­ logien nur als erklärungshypothesen zu betrachten sind, die oft nur eine sehr bedingte Wahrscheinlichkeit beanspruchen können. Man kann gerade­ zu feststellen, dass die zahl der vollkommen gesicherten etymologien ziem­ lich klein ist und dass die zahl derjenigen, die sowohl nach der lautform wie nach der bedeutung keinerlei Schwierigkeiten aufweisen, noch viel beschränkter ist. Man hat — nicht ohne eine gewisse Übertreibung — behauptet, dass etwa 30 % des germanischen Wortschatzes in den anderen indogermanischen sprachen vollständig fehlt. Dazu gehören so alltägliche bezeichnungen wie ,,hand, weib, schaf, tag, trinken, fliehen” usw. Diese Wörter einer Ursprache zuzuweisen, die von der spräche der eingewanderten Indogermanen über­ lagert und teilweise aufgesogen wurde, ist eine erklärungshypothese, die mit dem schönen namen ,,Substrattheorie” eine zeitlang verführerische Wirkung ausübte, jetzt aber mit berechtigter skepsis begegnet wird. Schon der umstand, dass sich die Wörter formal reibungslos in das angestammte germanische sprachmaterial einfügen, macht die substrathypothese etwas verdächtig. Für die nur auf Island vorkommenden Wörter kommt eine substrat spräche überhaupt nicht in betracht, weil auf der menschenleeren insel die norwegischen einwanderer keine berührungen mit einer allogenen spräche haben konnten. Über die aus Norwegen mitgenommene spräche, also über die nordgermanische spräche selbst, lässt sich in dieser hinsicht nicht einmal eine Vermutung aufstellen, weil wir von der möglichen vor­ germanischen bevölkering Skandinaviens so gut wie gar nichts wissen. Niemand wird bezweifeln, dass das indogermanische urvolk eine bezeichnung für „hand” gehabt hat. Aber während in allen sprachen der „fuss” gleichmässig benannt wird, heisst die hand im griechischen %eip, im lateinischen manus, im altindischen hastas, im altslavischen raka und im germanischen handus. Welches dieser Wörter schon im indogermanischen gebraucht wurde, lässt sich nicht entscheiden; es lässt sich fragen, ob über­ haupt eines dieser Wörter zur grundsprache gehört hat. Aber woher stammt diese überraschende Vielfalt der bezeichnungen für ,,hand” ? Tabu-erscheinungen, die für das verschwinden alter Wörter gerne angeführt werden— man denke an die verschiedenen namen für „bär” — kommen hier schwer­ lich in betracht. Aber wie viel wertvoller, ich möchte fast sagen intimer, ist dem menschen die hand als der fuss. Der speer, der den gegner treffen soll; die axt, mit der ein bäum gefällt wird; das rüder, mit dem das schiff in bewegung gerät; sie alle bekommen erst ihre Wirkung durch die ziel­

EINLEITUNG

IX

Sicherheit der hand. Mit der hand flicht er die weidenzweige zu einem zaun, bildet er einfen lehmtopf, stellt er eine falle. In allen diesen fällen besteht ein persönliches, oft sogar gefühlsbetontes Verhältnis zum körperteil, was dazu führt, seine aktive tätigkeit durch Umschreibungen wie „greifer” oder ,,Sammler” auszudrücken. Man könnte fast sagen, dass die etymologie nur in dem erstarrten teil des Wortschatzes zu einigermassen sicheren ergebnissen führen kann, aber überall dort, wo im ström der lebendigen spräche alte Wörter verschwinden und neue namen ihre stelle einnahmen, Vergleichungen mit anderen sprachen selten gelingen werden. Eine gesunde methode wird daher erst in der betreffenden spräche selbst umschau halten. Nur selten entstehen neue Wörter als affektive lautbildungen, die weiter unanalysierbar sind; meistens sind sie Umbildungen, Weiterführungen schon vorhandener Wörter, wenn sie sogar nicht bloss diese selbst in einem gewissermassen dichterischen sinne bildhaft verwenden. Der hinweis bei einem nur isländisch belegten wort auf das Avestische oder gar das Tocharische gibt anlass zu einem berechtigten Zweifel, ob hier das richtige getroffen ist. Falls aber in einem besonders günstig gelagerten fall die Übereinstimmung zwischen zwei in so weit von einander entfernten Sprachgebieten vorkommenden Wörtern vollkommen evident ist, so muss man fragen, wie sie zu erklären ist. Denn die einfache erklärung, ein altes erbwort sei an diesen beiden stellen bewahrt geblieben, überall sonst ver­ loren gegangen, befriedigt nicht ganz; sie kann uns nur überzeugen, wenn besondere umstände das wort vor dem Untergang haben schützen können. Das Keltische und das Iranische zeigen eine auffallende Übereinstimmung in einigen religiösen begriffen, wie das von Vendryes überzeugend nachgewiesen wurde x); eben der umstand, dass es hier eine gruppe betrifft, die im sakralen brauchtum verankert ist und deshalb zu den beharrlichsten teilen der spräche gehört, macht die auffällige erscheinung begreiflich, umsomehr wenn wir bedenken dass hier wie dort ein mächtiger und hochgebildeter priesterstand der wahrer der alten traditionen gewesen ist. Eine spräche ist etwas lebendiges, das in fortwährender Wandlung be­ griffen ist. Die etymologie gibt uns aber den eindruck eines in urzeit ge­ schaffenen Wortschatzes, der nur bruchstückweise in den Sondersprachen erhalten geblieben ist. Würde man das sprachmaterial, das aus «den Wörter­ büchern der einzelsprachen erschlossen werden kann, zusammenstellen, so hätte die Ursprache einen höchst unwahrscheinlichen umfang gehabt und sie würde sich durch eine auffallend grosse zahl von synonyma hervortun *). Das kann nicht richtig sein. Das gemeinsame der indogermanischen sprachen ist viel weniger der wortbestand an sich, als vielmehr ihre struktur, ihre methode der Wortbildung und -ableitung, im allgemeinen die weise, wie. sie mit dem überlieferten Wortschatz schaltet und waltet. In vielen fällen ist die Übereinstimmung vielmehr ein fall der konvergenz, als ein beweis für getreue erhaltung urtümlicher Wortbildungsformen.

Das führt auf die frage nach der bedeutung der indogermanischen wurzeln. Welchen zweck hat es an. verja „verteidigen”, urö „häufen herabgestürzter steine”, rfåi „männliches schwein”, svorör „behaarte haut”, zusammen mit x) Les correspondances de vocabulaire entre l’Indo-Iranien en lTtaloceltique, MSL 20, 1918, S. 265-285. >) Vgl. G. Neckel, Germanen und Kelten, Heidelberg 1929, S. 55.

X

EINLEITUNG

gr. gpupux „schütz * ’ und air. fern „Schild” auf eine indogermanische Wurzel ♦wer zurückzuführen ? Ein wort dieser form hat es in der Ursprache nicht gegeben; die wurzel ist eine abstraktion aus dem lebendigen wortmaterial und sie bezweckt lediglich anzudeuten, dass in dieser lautgruppe *uer ein gemeinsamer, allen einzelsprachlichen sonderbildungen zugrundeliegender begriff ausgedrückt ist. Undenkbar aber ist es, dass jemals, z.B. in der Ursprache selbst, die Sprecher diese lautverbindung *uer als etwas reelles empfunden und gar sie im praktischen Sprachgebrauch verwendet hätten. Das ist schon deshalb unmöglich, weil ein indogermanisches wurzellexikon zwölf wurzeln dieser art aufstellt, deren bedeutungen angegeben werden als i. schnür, strick; 2. erhöhte stelle; 3. nass; 4. wolle, schaf; 5 drehen, biegen; 6 verschlingen, bedecken usw. Eine solche reiche entwicklung an homonymen sollte man einer Ursprache nicht zumuten; offenbar ist hier die abstraktion zu weit getrieben. Der moderne Deutsche fühlt die Ver­ wandtschaft zwischen Wörtern wie band, binden, gebunden, bündel, bendel, bande, ohne deshalb das bedürfnis zu fühlen, sie auf eine einzige, diesen allen zugrundeliegende wurzel zurückzuführen. Die weise, wie man das wortmaterial der indogermanischen sprachen auf „wurzeln” reduziert, gibt zu mehreren einwänden anlass. Gerade weil man als normale form dieser wurzeln eine silbe annimmt, die aus drei elementen besteht, deren mittleres ein selbstlaut ist, gelangt man zu einer überraschenden anzahl von homonymen. Man bekommt fast den eindruck, dass das urvolk zu der bildung seiner spräche nur eine beschränkte auswahl aus der sich darbietenden möglichkeiten gemacht und mit einer gewissen vorliebe dasselbe lautgebilde für die verschiedensten bedeutungen gewählt hätte. J. Pokorny führt in der neuen auflage des „Indogermanischen ety­ mologischen Wörterbuches” nicht weniger als sieben verschiedene wurzeln *gher an, mit den soweit auseinandergehenden bedeutungen 1. begehren; 2 kratzen, ritzen; 3 strahlen, glänzen; 4 greifen, fassen, 5 darm; 6 kurz, klein sein; 7 starren. Daneben gibt es noch drei verschiedene *gher, und zwar I. schallwort; 2. reiben; 3. hervorstechen. Diese beiden fälle stehen nicht als ausnahmen; im gegenteil, die zahl solcher homonymen ist beun­ ruhigend gross. Das bestreben der nächsten zeit soll darauf gerichtet sein, die zahl dieser gleichlautenden wurzeln bedeutend zu verringern. Denn nicht nur hat dasselbe lautgebilde sehr verschiedene bedeutungen, sondern dieselbe bedeutung wird durch eine lange reihe von wurzeln ausgedrückt. Ich führe bloss aus der 4. und 5. lieferung yon Pokorny’s Wörterbuch beispielsweise an:

für „schaben, reiben, kratzen, ritzen”: gelebh, gerebh, ghen, gher, gher, ghrebh, ghréi, ghrem, ghren, ghréu für „fassen, erfassen, erreichen”: goue, ghabh, ghend, gher, ghrebh, ghreibh für „biegen”: gei, gers, géu, ghegh für „stechen”: geid, geig, gvel für „strahlen”: erkv, gel, ghel, gher, gver für „Zusammenhalten”: gag, gel, gen, geng, ger, greut, ghedh für „rufen, schreien”: gal, gar, ger, göu, ghäu, ghel, ghläd Auch wenn mehrere dieser sogenannten wurzeln noch weiter zu einer gemein­ samen urwurzel zusammengefast werden können, so bleibt doch der eindruck, dass hier eine fast chaotische Verwirrung vorliegt; dabei ist zu beachten,

EINLEITUNG

XI

dass diese beispiele etwa 200 Seiten, also nur einem bruchteil des ganzen Werkes entnommen sind. Man bemerkt zugleicherzeit, dass die wurzeln überwiegend verbaler art sind. Um aber die in den einzelsprachen oft weit auseinandergehenden bedeutungen auf einen gemeinsamen nenner zu bringen, muss die Wurzel selbst fast zu einem abstrakten begriff verflüchtigt werden; was steckt nicht an realen dingen hinter solchen blassen Umschreibungen wie „erfassen” oder „zusammenballen” ? Man kann sich eine handlung überhaupt nicht denken ohne den gegenstand oder die person, auf die sie gerichtet ist; jede handlung ist ja ein sich in beziehung setzen zu etwas ausserhalb des handeln­ den liegenden, ob nun zu etwas, das er erreichen, mit dem er etwas zustandebringen oder das er abwehren will. Man darf deshalb wohl davon ausgehen, dass reine handlungswörter nicht zum urbestand der spräche gehört haben. Eher soll man an bezeichnungen für ein menschliches verhalten zu den gegebenheiten der umweit denken und aus diesen geht die art der handlung und die einstellung zu ihr hervor. Mehr als es bis jetzt geschehen ist, soll von den dinglichen begriffen ausgegangen werden, denn diese bestimmen ja in erster linie, auf welche weise der mensch sich zu ihnen in beziehung setzt. Einen neuen weg zur bestimmung der urkeime, aus denen sich das viel­ gestaltige leben der spräche entwickelt hat, wurde schon von Jost Trier gewiesen. Das Verhältnis des menschen zum wald, die mannigfache art wie er sich das holz, die zweige, die rinde und die blätter der bäume zu benutzen weiss, das flechten von zäunen und hauswänden, das bestreichen mit lehm, das bauen des hausgerüstes, das alles wird nun gesehen von dem bäum und von dem daraus verwendeten material aus. Spalten und biegen, reissen und schaben, bohren und flechten bekommen ihren sprachlichen ausdruck nicht von der handlung selbst, sondern von dem material, mit dem der mensch arbeiten muss. Aber so bald der mensch schöpferisch tätig ist, erweitert sich der umkreis seiner tätigkeiten ins unermessliche; mit grossem geschick hat Trier an einer ganzen reihe von „wurzeln” dargetan, wie sich aus dem zaun eine weit von gemeinschaftsbeziehungen aufbaut. Wird der zaun zum ring der männer auf dem gehegten platz, so reihen sich die Wörter für ding, dorfgemeinschaft, familie und volk unmittelbar an, aber auch die für tempel priester und opfer. Zum mannring gehört umgehung und umtanzen (was zu allgemeineren begriffen wie springen, gehen, laufen führen kann), aber auch das gesprochene wort (also kultrede, befehl, eid), das gemeinsame essen und trinken, die verschiedenen formen der gemeinschaftlichen arbeit, schliesslich die begriffe von sitte, gesetz, passendes benehmen, und noch vieles mehr. Wenn abschälen und sprechen, arbeitsteilung und lied, trank und tanz mit Weiterbildungen einer und derselben „wurzel” bezeichnet werden können, so schmelzen mehrere homonymen zusammen, indem sie auf etwas durchaus gegenständliches bezogen werden. Triers betrachtung stellt uns für eine neue aufgabe. Das ganze wort­ material soll nach diesen gesichtspunkten durchgearbeitet werden, damit wir zu einem organischen bild der sprachmittel gelangen, die aus einer reihe in sich geschlossener und auf die umweit bezogener verhaltungsweisen zu erklären sind. Das wird die fortgesetzte arbeit einiger jahrzehnte erheischen. Wiewohl ich mich darüber im klaren bin, dass Triers methode von mehreren Seiten beanstandet wird und er sicherlich manchmal zu weit gegangen ist, habe ich an mehreren stellen solche deutungsversuche angeführt. Ich erachte es vor allen dingen notwendig, dass die arbeit an den „begriffe-

XII

EINLEITUNG

feidem” kräftig weitergeführt wird. Das gewagte meiner andeutungen möge zum Widerspruch führen, wenn dieser nur nicht im negativen stecken bleibt, sondern zu neuen Untersuchungen anregt. Ich habe es mir angelegen sein lassen, in den zahlreichen fällen, wo für ein wort mehrere etymologien gegeben worden sind, diese, soweit sie mir bekannt geworden sind, mitzuteilen. Es ist leicht, eine dem eigenen Sprach­ gefühl zusagende erklärung zu wählen, aber damit weckt man einen trüge­ rischen schein, der eben die Unsicherheit der deutung verschleiert. Der Sprachforscher hat das recht zu erfahren, welche meinungen geäussert worden sind; der anfänger kann nicht früh genug lernen, wie unsicher der boden ist, auf dem der etymologe baut. Ein etymologisches Wörterbuch soll m.e. nur darstellen, auf welche weise die herkunft der Wörter aufgefasst worden ist'und werden kann. Übrigens lehrt die erfahrung, dass etymologien, die jahrzehntelang als unwahrscheinlich oder sogar unmöglich abgelehnt worden sind, plötzlich wieder zu ehren gelangen, weil sie von inzwischen erworbenen neueren einsichten glänzend bestätigt werden. Ich bin in dieser beziehung weit gegangen, freilich nicht bis zum ende; zuweilen habe ich das buch auch nicht mit offenbar unrichtigen deutungen belasten wollen. Zum gebiet der rein formalen erklärung eines Wortes gehört unbedingt die klarstellung der bedeutungsentwicklung. Das zurückführen auf wurzeln, meistens rein verbaler natur, führt zu unklaren, oft rein abstrakten bedeutungen. Das altnordische hall bedeutet ,glatt, listig * und wird zu einer wurzel *kel gestellt, die man einerseits in an. heia ,reif’, aind. sisira- ,kühl, * kalt andererseits in hie ,schütz, leeseite *, hl œr ,mild * (vom wetter), hlaka , * ,tauwetter lat. caleo ,,warm sein, glühen * ,wiedererkennt. Wenn man für die indogermanische wurzel die bedeutungen teils ,frieren, kalt *, teils ,warm * ansetzt, so ist das nur eine einfache feststellung der überlieferten bedeutun­ gen, die sich schlechthin nicht auf einen nenner zurückführen lassen. Man wird oft damit rechnen müssen, dass die bedeutung sich sprunghaft entwickelt. Schon das bildhafte einer archaischen spräche führt zu einer zusammenschau von Vorstellungen, die für den modernen betrachter rätsel­ haft erscheinen können. Das gilt besonders für die religiöse begriffssphäre: das altindische wort arkd- bedeutet sowohl ,blitz * wie ,männliches glied *. Es ist klar, dass in solchen fällen erst umständliche Untersuchungen zur lösung des semantischen problems führen können. Aufsätze über bedeutungsentwicklungen sind deshalb meistens sehr umfangreich. Will man die theorie der ,begriffsfelder * berücksichtigen, dann muss man noch tiefer greifen. Dazu bietet ein etymologisches Wörterbuch keinen raum; man verzeihe mir, dass ich mich auf diesem gebiet der grössten kürze beflissen habe. Eine Sprachgemeinschaft steht fortwährend in berührung mit anderen Völkern. Das ist auch in den frühesten Zeiten der fall gewesen. Die Wikingerzeit bot den Nordleuten die gelegenheit mit mehreren Völkern Europas beziehungen, nicht nur feindlicher art, anzuknüpfen; die bekehrung führte eine grosse menge neuer begriffe nach Skandinavien; im 13. jht fangen die beziehungen zur ritterlichen kultur Westeuropas an und neue Wörter strömen ein. Neben dieser aufnahmefähigkeit der nordischen Völker steht eine erstaunliche expansionskraft, die sich ganz besonders in den kolonial­ gebieten der Wikinger zeigt, aber z.b. mit hinsicht auf wörier der nautischen spräche bis zu Frankreich und Spanien hin sich auswirkt.

XIII

EINLEITUNG

Dieses empfangen und geben vollzieht sich gleichermassen im westlichen, wie im östlichen Skandinavien. Im Umkreis der Nordsee und der Atlantik sind es vorwiegend Norweger und Isländer, aber auch Dänen, die den zwischenvölkischen verkehr unterhalten, im Baltikum dagegen die Dänen und Schweden. In einer behandlung des westnordischen sollte man also nur die ersteren berücksichtigen. Dem steht aber gegenüber, dass die trennung einer gemeinnordischen spräche in die späteren Sondersprachen erst ziemlich spät einsetzt; man darf für die Wikingerzeit für ganz Skandinavien eine einheitliche spräche voraussetzen, wenn auch mit örtlichen unterschieden in lautform und wortbestand. Finnische lehnwörter wie kuningas, rengas reichen sogar in eine zeit hinauf, in der die gemeingermanische Ursprache sich noch nicht gespaltet hatte. Man kann auf diesem gebiet der lehnbeziehungen noch schwierig eine trennungslinie ziehen. Ich habe deshalb gemeint, dass ein zuviel weniger schaden wird als ein zuwenig;-ich habe deshalb auch entlehnungen aufgenommen, die sicherlich erst in der zeit der skandinavischen Sondersprachen stattgefunden haben; so sind sie viel­ mehr ein spiegel des gesammten skandinavischen sprachlebens. A. DIE KOLONIALSPRACHEN

Die inseln in der Atlantik, die Färöer, die Shetlandsinseln, die Orkaden sind von Norwegen aus besiedelt worden; dort wurde fast oder ganz aus­ schliesslich skandinavisch gesprochen. Auf den Färöern blieb die nordische spräche bis heute erhalten, weshalb ich das färöische zusammen mit den übrigen skandinavischen sprachen behandelt habe. Auf den Shetlandsinseln und den Orkaden ist die altnordische spräche, wenn auch in ziemlich später zeit, ausgestorben und vom englischen verdrängt worden. Das ergebnis war eine mischsprache, die noch zahlreiche nordische Wörter enthält. Im Shetländischen finden sich die folgenden Wörter: agn aka akr i, ala alka all 3 almúgi anddyri anda andi andœfa ansa apr aptann ar i arör i arfi i u 2 argr arinn armr 2 arta áss 3 at i åt auga ausa i ausker

austr i ax baðast baka 2 bakki i bál baldr 1 band bang banga banna bara 1 barar barð i barmr 1 bam báss bassi bátr baugr bein beit i beita i u 2 beizl bekkr 1 u 2 belgr bella i

belti benda 2 bendill benja bera 3 berill berja bikkja i bilbugr binda bingr birta 2 birti birtingr bismari bit bitill bjarg i bjarga bjartr 1 bj