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German Pages 91 [96] Year 1997
Stefan Sonderegger Althochdeutsch als Anfang deutscher Sprachkultur
Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie - Vorträge herausgegeben vom Mediävistischen Institut der Universität Freiburg Schweiz Heft 2
1997
Universitätsverlag Freiburg Schweiz
Stefan Sonderegger
Althochdeutsch als Anfang deutscher Sprachkultur
1997
Universitätsverlag Freiburg Schweiz
V e r ö f f e n t l i c h t mit U n t e r s t ü t z u n g d e s H o c h s c h u l r a t e s F r e i b u r g S c h w e i z
Die Deutsche
Bibliothek
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CfP-Einheitsaufnahme
Sonderegger, Stefan: Althochdeutsch als Anfang deutscher Sprachkultur / Stefan Sonderegger. - Freiburg, Schweiz: Univ. Verl., 1997 (Vorträge / Wolfgang-Stammler-Gastprofessur für Germanische Philologie; H . 2) 3-7278-1060-2
© 1997 by Universitätsverlag Freiburg Schweiz Satz: Mediävistisches Institut der Universität Freiburg Schweiz Druck: Paulusdruckerei Freiburg Schweiz ISBN 3-7278-1060-2
Inhalt Walter Haas - Begrüßung Stefan Sonderegger - Althochdeutsch als Anfang deutscher Sprachkultur Curriculum vitae Stefan Sonderegger Veröffentlichungen von Stefan Sonderegger 1958-1997 (Auswahl)
Begrüßung Im Vorwort zum < Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart> von Johann Christoph Adelung, das 1774 erstmals erschienen ist, lesen wir: Die Sprache des Kero, eines Mönches aus St. Gallen, der zu Anfange des achten Jahrhunderts lebte, und der älteste noch übrige deutsche Schriftsteller ist, kömmt uns rauh, barbarisch und äusserst veraltet vor; und doch ist sie genau eben dieselbe, welche noch jetzt in Appenzell [. . .] gesprochen wird.
Wir haben uns angewöhnt, den theoretischen Auslassungen des Herzoglich sächsisch-gothischen Raths Adelung zu mißtrauen, wir wollen nicht mehr an den Mönch Kero glauben und belächeln die Identifikation des Althochdeutschen mit dem Appenzellischen. So ganz überzeugt lächeln allerdings nur die ganz wenigen unter den Germanisten, die Stefan Sonderegger nie kennengelernt haben - denn er ist der lebendige Beweis dafür, daß unter den Appenzellem die Vitalität der althochdeutschen Sprache sich nach wie vor ungebrochen fortpflanzt. Sie können sich vorstellen, wie glücklich wir darüber sind, daß Stefan Sonderegger unsere Einladung auf die Wolfgang-Stammler-Gastprofessur für 1992/93 angenommen hat und daß er sich bereit erklärt hat, uns in die Sprachkultur des Althochdeutschen, seiner zweiten Muttersprache, einzuführen. Es wird seiner landsgemeindewirksamen Eloquenz ein leichtes sein, die Adelungschen Vorurteile über die barbarische Rauhheit jenes Idioms ad absurdum zu führen. Ich habe es bereits angedeutet: Stefan Sonderegger braucht man zünftigen Germanisten eigentlich nicht vorzustellen, und die wenigen unter uns, die eine Vorstellung nötig hätten, werden am Ende seines heutigen Vortrags von ihm besser über sich unterrichtet worden sein, als ich das könnte. Deshalb beschränke ich mich auf einige wenige dürre Daten. Geboren wurde Stefan Sonderegger vor bald fünfundsechzig Jahren in Herisau; er studierte in Zürich vor allem bei Rudolf Hotzenköcherle, bei dem er 1955 mit einer Arbeit über die Flurnamen des Landes Appenzell promovierte. Die Setzköpfigkeit seines Volkstammes wußte er schon damals wissenschaftlich fruchtbar zu machen. Sonderegger publizierte nicht etwa zuerst die Namensammlung, um dann erschöpft zu verstummen, wie es ehrwürdigem Brauch der Namenkundler entsprochen hätte; er veröffentlichte zuerst das wirklich Schwierige, die grammatische Darstellung. Da
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das Buch eine der ganz wenigen Namensgrammatiken ist, wurde es in kurzer Zeit zum Klassiker und sogar auf dem Antiquariatsmarkt unauffindbar - auch dies eine für Dissertationen ungewohnte Leistung. Freilich wagen immer noch einige zu hoffen, daß er uns die Namensammlung, die er ja ohnehin hatte machen müssen, bei Gelegenheit nachliefern wird. 1961 wurde Stefan Sonderegger zum außerordentlichen, 1964 zum ordentlichen Professor für Germanische Philologie an der Universität Zürich berufen. Er, der auch in Skandinavien und in den Niederlanden studiert hatte, fühlte sich immer als Germanist, nicht bloß als Teutonist, darin dem bewunderten Jacob Grimm nacheifernd. Dies erinnert mich an jene Vorlesung über die Brüder Grimm, mit der Stefan Sonderegger vor über zwanzig Jahren an unserer Universität seinen Einstand gegeben hat; er hat seither an vielen und größern Universitäten Gastprofessuren innegehabt, aber ich zweifle, ob er je wieder irgendwo so viele Grimm-Verehrer zu gewinnen vermochte, wie hier im Uchtland. Und wenn Stefan Sonderegger von einer irischen und einer schwedischen Universität mit dem Ehrendoktorat geehrt worden ist, dann galten diese Ehrungen natürlich der überragenden Qualität und dem Reichtum eines außergewöhnlichen wissenschaftlichen Werks, aber eben auch dessen «gemeingermanischen» Ausrichtung. Obwohl ich unter den Publikationen Stefan Sondereggers durchaus meine Favoriten habe, will ich nicht einzelne Titel aufzählen - wohin kämen wir da bei 356 Nummern? Erlauben Sie mir, daß ich bloß auf einige Schwerpunkte hinweise. Natürlich gehört dazu die Namenkunde, dann die deutsche Sprachgeschichte, der er eines seiner originellsten Bücher gewidmet hat, und die Sprachgeschichte der mehrsprachigen Schweiz. Die Geschichte der Germanistik bildet ein weiteres Zentrum der Arbeit von Stefan Sonderegger. Im innersten Kreis steht aber doch das Althochdeutsche, das Sonderegger linguistisch, literarisch, kultur- und bildungsgeschichtlich nach allen Richtungen durchforscht hat, nachdem ihm bereits in einem frühen Aufsatz der sensationelle Nachweis des Nebeneinanders eines umgangssprachlichen und eines «gewählten» Althochdeutsch gelungen war. Das Althochdeutsche hat er auch in den vielfältigsten literarischen Formen dargestellt, in der strengen Abhandlung, im Handbuchartikel, im Fachlehrbuch, in der Textausgabe, im allgemeinverständlichen Sachbuch für ein breites und in der launischen Rede für ein fröhliches Publikum. Ganz besonders wichtig im Werke Stefan Sonderegger sind zweifellos seine Arbeiten zum Lande Appenzell; einigen davon ist allerdings der Vorwurf der Parteilichkeit nicht erspart geblieben, besonders der Arbeit , die schon im Titel aus ihrer Voreingenommenheit kein Hehl macht. Wir sind damit, Adelungs Worten als einer profanen Typologie folgend, über das Althochdeutsche wieder beim Appenzellischen angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Sonderegger, das Wort geben, damit Sie uns wieder in Keros Zeiten zurückführen, mit dem besten Dank für Ihre Bereitschaft, diese Gastprofessur zu übernehmen, und mit den besten Wünschen für ein gelungenes Semester. Walter Haas
Althochdeutsch als Anfang deutscher Sprachkultur Zur Einführung Eine Themenstellung 1|»
*artcdtireÇl·^ "bilí , hiKTt« c o 'Ztccìtxa ο τλ er r r » c d . c » : r Ç o r . f ^ l u f w ü i i f " J i . Jl»>lA fòf>A- hit [vieni e n d t f . u e L m c c u c a l e c c i » f^^ÇÂTMV ¿' ^UJ-JI, jrti .rr. u*.t -tkl·.·» f c c p f e COrntrrCCTpUiirrviW COTA^eT pijtvii niiÎAf Γrj .tAe {"s 1 "» , λι Λι _rv»|Ai' fm fu - W V« JpvV mi«^' , , Ì„ c t c c C & r u r » * -ν'»·«!«!,-·,", I Abbildung 7: Althochdeutsche Interlinearversion der lateinischen , St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 916, pag. 47 (Textausschnitt aus Kap. 7 De humilitate, unten ergänzende lat.-ahd. Korrektur zu Zeile 5, mit entsprechenden Verweisungszeichen).
-34mit vielen entsprechenden Bibelzitaten - die Regula Sancti Benedicti, die Benediktinerregel, deren Verdeutschung in Form einer Interlinearversion aus dem zweiten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts in der St. Galler Handschrift 9 1 6 der Stiftsbibliothek vorliegt (vgl. die photographische A b lichtung Abbildung 7 dazu). Von dieser biblisch-kirchlichen Buchgrundlage aus kommt es erst allmählich zu weiteren volkssprachlichen Büchern, zu Bibeldichtung und zur artes-Literatur in Form von lateinisch-althochdeutschen Schultextbüchern, wie sie deren erster Meister in der Geschichte des Deutschen, N o t k e r III. Labeo oder Teutonicus, in seinem Brief an Bischof Hugo von Sitten um das Jahr 1 0 1 5 als Hilfsmittel (instrumenta) für das volle Verständnis der kirchlichen Schriften (ecclesiastici libri) sieht und deshalb auch in seine Volkssprache Satz für Satz neben dem lateinischen Text in Buchform übersetzt hat. 18 Grundlegung eines deutschen Sprachbewußtseins Fast v o n selbst ergab sich in althochdeutscher Zeit als logische Folge der eben und notwendigerweise etwas breiter besprochenen ersten volkssprachlichen Schriftlichkeit die Eigenbezeichnung der deutschen Sprache und damit der Ausdruck für den Beginn eines deutschen Sprachbewußtseins. A l s erste Stufe wird zunächst v o r dem Ende des 8. Jahrhunderts lediglich die stammessprachliche Bewußtseinsstufe in den lateinisch geschriebenen Volksrechten, den frühmittelalterlichen Leges barbarorum oder Germanenrechten, zum Ausdruck gebracht, dort nämlich, w o volkssprachliche W ö r t e r zur Erklärung eines Tatbestandes eingeführt werden müssen. So heißt es in der Lex Baiuvariorum, 6.-8. Jh., Kapitel 19, 2: 1 9 Si quis liberum occiderit furtibo modo et in flamine eicerit vel in tale loco eicerit, aut cadaver reddere non quiverit, quod Baiuwarii murdñda dicunt (an anderen Stellen quod dicit, quod dicimus), das heißt «wenn einer einen Freien auf heimliche Weise tötet und in einen Fluß wirft oder an einen solchen Ort, daß der Leichnam nicht mehr beigebracht werden kann, was die Baiern M o r d nennen>. Oder in der Lex Alamannorum, 7. Jh., Kapitel 48: 2 0 Si quis [homo] hominem occiderit, quod Alamanni mortuado dicunt (so geradezu stereotypisch), das heißt . Primär stammessprachlich ist zunächst auch das Adjektiv frankisg, frenkisg zu verstehen, so weit es sich auf die Sprache bezieht. Als zweite Stufe darf der Durchbruch der allgemeinen Bezeichnung seit dem späten 8. J h . im Sinn eines übermundartlichen volkssprachlichen Bewußtseins bezeichnet werden. D e r erste Beleg für die theodisca lingua begegnet in den zum Jahr 788, w o bei man annimmt, der Bericht über die Verurteilung des letzten Baiernherzogs Tassilo zum Tode wegen Fahnenflucht ( q u o d theodisca lingua harisliz dicitur ) sei unmittelbar nach dem Ereignis verfaßt worden. 2 1 Seit dem Anfang des 9. Jahrhunderts erscheint die Sprachbezeichnung theodisca, teudisca lingua u.ä. dann häufiger, besonders auch in den Kapitularien, das heißt in den fränkischen Königserlassen. Ausgangspunkt für das Wort deutsch ist ein Adjektiv des Germanischen, mit dem Zugehörigkeitssuffix -isk zum Substantiv peudo f., ahd. diota f., diot m.n. gebildet, wie es in verschiedenen altgermanischen Sprachen vorkommt, indessen nur im Deutschen und - vorzugsweise im älteren - Niederländischen zur Eigenbezeichnung der Volkssprache verwendet wurde: 2 2
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Annales regni Francorum, hg. v. F. Kurze (MGH SS rer. Germ.), Hannover 1895, S. 80. Vgl. Stefan Sonderegger, Tendenzen zu einem überregional geschriebenen Althochdeutsch, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter, hg. v. Helmut Beumann und Werner Schröder (Nationes 1), Sigmaringen 1978, S. 236243. Zur seitherigen Literatur vor allem Norbert Morciniec, Theotiscusdiutisk bei Otfrid und Notker, in: Wortes anst - verbi gratia, donum natalicium gilbert a. r. de smet, Leuven 1986, S. 355-362. Joachim Ehlers, Die deutsche Nation des Mittelalters als Gegenstand der Forschung, in: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hg. v. Joachim Ehlers (Nationes 8), Sigmaringen 1989, S. 55f. Stefan Sonderegger, Deutsch. Die Eigenbezeichnung der deutschen Sprache im geschichtlichen Uberblick (Bund für deutsche Schrift und Sprache, Schriftenreihe 6), Ahlhorn-Bayreuth 1996.
-36germ. *peudisk-
sprachbezogen
nicht sprachbezogen - gotisch piudisko Adv. , entsprechend griechisch έθνικώς - altenglisch pëodisce (men) vgl. el-, œl-péodisc Barbaras, fremdstämmig>
allgemein Sprachen
auf verschiedene
- altenglisch pëodisc η.
(.subsT 1 n T " l v " ' r f ^ ç A A i ì
- mittellat. theodiscus u.a.
spezifisch auf die Sprache des eigenen Volkes - ahd. thiutisc, diutisk - westfränk. und altniederl. *peodisk, piodisk - altsächs. thiodisc, thiudisc - substantiviert ahd. (in) githiuti
Drei Dinge sind dabei auffallend: (1) Die Bezeichnung deutsch, ahd. diutisk ist in vergleichbare Bildungen anderer altgermanischer Sprachen eingebettet, unter denen auch das altenglische substantivierte Adjektiv pëodisc η. language, speech, idiom, translation einen wenn auch allgemeinen Sinnbezug zu Sprachlichem aufweist. 23 (2) Aus der westfränkischen und frühalthochdeutschen Form ''peodisk u.a. haben sich die verbreiteten mittellateinischen Formen theodiscus (bzw. theodisca lingua), teudiscus, theotiscus u.a. entwickelt, welche seit dem späten 9. u n d 10. Jahrhundert durch teutonicus (Adv. teutonice), einer Bildung in Anlehnung an den aus der antiken Historiographie bekannten germanischen Volksstamm der Teutoni, Teutones abgelöst wurde, so daß etwa bei N o t k e r der Gegensatz latine / teutonice (auch uuír teutones chéden m.ttuu> t m c M ft u i u r r Ha tú- q u i d r cokifcrturr fî-fr i r f n i t n u i l f m t t m î hoininil ' 1ju4iuÍ4 (IM
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Dabei muß betont werden, daß Notker die Septem artes liberales in Anlehnung an Cassiodors Erklärung in den Institutiones 2 , 4 liber autem dictus est a libro sowie unterstützt durch die oben genannte Kommentierung des Remigius von Auxerre zu Boethius als die síben büobliste versteht, wie sie in Büchern aufgeschrieben werden konnten, von denen Notker an anderer Stelle übersetzend sagt47 uuâren súmelichiu (sc. bûoh) mit tínctun gescrtbeniu