206 74 17MB
German Pages 180 [188] Year 1999
WiSorium Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Repetitorium Herausgegeben von Michael Bernecker und Carsten Pohlmann
Baumgarth • Bernecker, Marketingforschung Bernecker, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Bernecker • Helmke, Der handelsrechtliche Jahresabschluß Bernecker • Seethaler, Grundlagen der Finanzierung Bernecker • Liebehenschel, Grundlagen der Betrieblichen Planung Bode, Allgemeine Wirtschaftspolitik Franz • Bernecker, Allgemeine Volkswirtschaftslehre Grote • Wellmann, MikroÖkonomik Pohlmann, Grundlagen der Statistik
Allgemeine Wirtschaftspolitik Von
Dr. rer. oec. Otto E Bode
R.Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bode, Otto F.: Allgemeine Wirtschaftspolitik / Otto F. Bode. - München ; Wien : Oldenbourg, 2000 (WiSorium) ISBN 3-486-25094-9
© 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Grafik + Druck, München Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Binderei GmbH ISBN 3-486-25094-9
I
Vorwort D a s vorliegende Repetitorium richtet sich an Studierende an Hochschulen, Fachhochschulen und Akademien, die sich zielgerichtet auf Prüfungen im Grundoder Hauptstudium vorbereiten möchten. Der grundlegende Stoff wird hier ohne unnötigen Ballast dargestellt. Im Vordergrund steht leichtes Verständnis, um einen schnellen Zugang zum jeweiligen Themengebiet zu gewährleisten. Jedem Kapitel sind Lernziele vorangestellt, damit auch der eilige Leser selektiv sein Wissen auffrischen kann. Neben der Darstellung, die durch zahlreiche Abbildungen unterstützt wird, sind am Ende eines jeden Kapitels Begriffe zum Nachlesen und einige Wiederholungsfragen zu finden. Um auch alternative Meinungen kennenzulernen, sollte der Leser diese Begriffe in Wirtschaftslexika oder in Standardliteratur nachschlagen. Hinweise auf Literaturquellen sind am Ende des Bandes kapitelweise sortiert enthalten. Die Literatur kann und sollten auch dazu benutzt werden, die Übungsaufgaben zu bearbeiten. Zu den fett gedruckten Fragen und Aufgaben sind Lösungsvorschläge skizziert. An der Erstellung diese Buches waren eine Reihe von Personen direkt oder indirekt beteiligt, bei denen ich mich herzlichst bedanken möchte. Zu nennen sind vor allem die Studierenden des Jahrgangs 1998 an der Fontys Hogescholen Venlo, die an meinen Seminaren teilgenommen und mit dem Manuskript zu diesem Buch gearbeitet haben. Ihre Praxisbeiträge haben zu wesentlichen Verbesserungen beigetragen. Bei der Erstellung des Layouts wie bei der Ausarbeitung des Übungs- und Lösungsteils war meine Mitarbeiterin Frau Shila Schmidt B.c. eine unverzichtbare Hilfe, ohne die die Fertigstellung dieses Buches wohl noch einige Zeit in Anspruch genommen hätte. Zusammen mit Frau Britta Bause B.c. hat Frau Shila Schmidt B.c. auch bei der Beseitigung vieler Tipp- und Ausdrucksfehler gesorgt. Für die Übernahme der „Opportunitätskosten" muß ich meiner Familie danken. Sowohl meine Ehefrau, Ulrike Bode, als auch mein kleiner Sohn, (Super-) Sören Pekka Bode, haben unter dem „Diebstahl an Familienleben" sicherlich gelegentlich leiden müssen. Deshalb - und weil sie einem so viel Lust am Leben geben - beiden mein besonderer Dank. Abschließend eine Bitte an die Leser. Wer sich - positiv oder negativ - zu diesem Buch äußern möchte, oder wer Vorschläge zur Verbesserung späterer Auflagen anbringen möchte, sei ausdrücklich dazu ermutigt. Sie sind es, für die dieses Buch geschrieben wurde, geben Sie mir deshalb die Chance auf Ihre Erfahrungen zurückzugreifen. Ihre Anmerkungen erreichen mich unter. Hogeschooldocent Dr. Otto F. Bode, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaft an der Fontys Hogescholen Venlo, Hulsterweg 2-6, 5900 AC Venlo oder (noch besser) per E-Mail unter [email protected] Venlo
Otto F. Bode
II
Inhaltsverzeichnis Vorwort Inhaltsverzeichnis I. Theorie der Wirtschaftspolitik 1. Gegenstand der Theorie der Wirtschaftspolitik 2. Der wirtschaftspolitische Prozeß 2.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen 2.1.1 Marktsystem
I II 1 1 9 9 9
2.1.2
Demokratische Entscheidungsfindung und Bürokratiesystem
15
2.1.3 2.2 2.2.1
System der kollektiven Verhandlung Der Ablauf wirtschaftspolitischer Entscheidungen Das Konzept des kybernetischen Regelkreises
17 19 19
2.2.2
Der wirtschaftspolitische Regelkreis
20
2.2.2.1 2.2.2.2
Problemlage und Lageanalyse Maßnahmenplanung
21 25
2.2.2.3
Wirkungsanalyse
31
2.2.2.4
Programmformulierung und Programmrealisation
36
2.2.2.5
Erfolgskontrolle
36
II. Grundlegende Konzeptionen der sozialen Marktwirtschaft
40
1.
40 40 41
1.1 1.2
Systematisierung wirtschaftspolitischer Konzeptionen Wirtschaftspolitische Konzeptionen als Erkenntnisgegenstand Unterscheidung wirtschaftspolitischer Konzeptionen
1.3
Ordnungstheoretische Grundbegriffe
2. Konzeptionelle Bausteine der sozialen Marktwirtschaft 2.1 Geschichte nationalökonomischer Theorie 2.1.1 Klassik der Nationalökonomie 2.1.2 Die Neoklassik
44 47 47 47 50
2.1.2.1
Neoklassische Preistheorie
51
2.1.2.2
Neoklassische Wettbewerbstheorie
55
2.1.3 2.2
Die keynesianische Theorie 56 Die Auswirkungen der Konzeptionen in der Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft 59
2.2.1
Die Ideen der ordoliberalen Schule
59
2.2.1.1
Grundlagen der ordoliberalen Sichtweise
59
2.2.1.2
Darstellung der konstituierenden Prinzipien
60
2.2.1.3
Darstellung der regulierenden Prinzipien
67
2.2.1.4
Staatspolitische Prinzipien
73
2.3.
Die Erweiterung der sozialen Marktwirtschaft durch das Stabilitätsgesetz....76
2.3.1
Ziele, Zielbeziehungen und das magische Viereck
2.3.2
Fiskalpolitik, Geldpolitik und intermediäre Organisationen
2.4
Ein Zwischenfazit
76 78 79
III. Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
82
1.
82
Geld- und Währungspolitik
Inhaltsverzeichnis
III
1.1 Geld, Geldmenge und Geldwertstabilität 1.2 Möglichkeiten der Geldmengensteuerung 1.2.1 Überblick über das geldpolitische Instrumentarium 1.2.2 Die geldpolitischen Instrumente im einzelnen 1.3 Konzeptionen und kontroverse Zielsetzungen der Geldpolitik 1.3.1 Die traditionelle, neoklassisch orientierte Konzeption 1.3.2 Die keynesianische Konzeption 1.3.3 Die monetaristische Konzeption 1.4 Geldpolitischer Regelkreis und Time-lag-Analyse 1.5 Die Einfuhrung der gemeinsamen Europäischen Währung 2. Wettbewerbspolitik 2.1 Wettbewerbspolitische Konzeptionen 2.1.1 Das Leitbild der vollkommenen Konkurrenz 2.1.2 Konzept des arbeitsfähigen Wettbewerbs 2.1.2.1 Grundlagen 2.1.2.2 Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität 2.1.3 Das Wettbewerbsfreiheitskonzept 2.2 Wettbewerbspolitische Ziele und Instrumente 3. Stabilitätspolitik 3.1 Wachstumspolitik 3.1.1 Determinanten des Wachstums 3.1.2 Instrumente der Wachstumspolitik 3.1.3 Konzeptionen der Wachstumspolitik 3.2 Außenwirtschaftspolitik 3.2.1 Begriff des .außenwirtschaftlichen Gleichgewichts' 3.2.2 Instrumente der Außenwirtschaftspolitik 3.2.3 Konzeptionen der Außenwirtschaftspolitik 3.2.3.1 Die keynesianische Konzeption 3.2.3.2 Das Konzept des freien Welthandels 3.3 Arbeitsmarktpolitik 3.3.1 Konzeptionelle und definitorische Vorbemerkungen zum Handlungsfeld 3.3.2 Instrumente der Arbeitsmarktpolitik 4. Verteilungspolitik und Sozialpolitik 4.1 Grundbegriffe und Dimensionen der Verteilungspolitik 4.2 Die Verteilungspolitik im Überblick 5. Neue Herausforderungen an die Wirtschaftspolitik. 5.1 Internationalisierung und Globalisierung 5.2 Dezentralisierung und Flexibilisierung
83 87 88 89 95 95 96 99 101 103 107 107 107 108 108 111 114 115 122 122 123 123 125 127 127 128 131 131 132 132 133 142 151 151 153 158 158 159
Lösu ngsh inweise
162
Kapitel 1: Theorie der Wirtschaftspolitik Kapitel 2: Grundlegede Konzeptionen der sozialen Marktwirtschaft Kapitel 3: Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
Literatu rh in weise Stich wortverzeich n is
162 164 167
173 175
I. Theorie der Wirtschaftspolitik
1
I. Theorie der Wirtschaftspolitik 1.
Gegenstand der Theorie der Wirtschaftspolitik
In diesem Kapitel lernen Sie • • • •
gesellschaftliche Bedingungen und Restriktionen des Wirtschaftsprozesses, Modelle zur marktlichen Koordination und zu Marktformen, Grundlagen der Preistheorie am Beispiel der vollkommenen Konkurrenz, den Begriff des 'Collectiv-Bargainings'
kennen. Theoretische Beschäftigung mit einem Erkenntnisgebiet verlangt nach einem Erkenntnisobjekt. Für die Theorie der Wirtschaftspolitik heißt dieses Erkenntnisobjekt die praktische Wirtschaftspolitik', wobei damit das Handeln einer Vielzahl von Akteuren, die an Wirtschaftspolitik teilhaben, gemeint ist. Eine solche sehr allgemeine Definition des Erkenntnisobjektes und damit des Objektbereiches der Theorie der Wirtschaftspolitik muß in mehrfacher Weise konkretisiert werden, denn sie läßt einige Fragen offen. Die wesentlichen Fragestellungen in diesem Zusammenhang lauten: 1. Was wird unter 'Wirtschaft' bzw. unter 'Politik' verstanden? 2. Was wird unter 'Akteuren der Wirtschaftspolitik' verstanden? 3. Welches Erkenntnisziel verfolgt eine Theorie der Wirtschaftspolitik? W i r t s c h a f t und Politik Um die erste Frage zu beantworten, muß man den Blick zunächst auf eine Politik und Wirtschaft „übergeordnete" - übergeordnet in dem Sinne, als daß beide als Teilbereiche in dieser Ebene enthalten sind - Ebene lenken. Gemeint ist die
Gesellschaft. 'Gesellschaft' meint gemeinhin ein System, das alle Kontakte zwischen Menschen umfaßt: die Gesamtheit dieser Kontakte und Beziehungen. 1 Die Gesellschaft bildet dann ein System, das sich aus Elementen (Menschen) und Relationen (Beziehungen zwischen Menschen) zusammensetzt.
' Diese Definition soll hier genügen. Eine abweichende Definition von Gesellschaft aus der Perspektive einer neuen Soziologie hat Luhmann mit seiner Adaption des 'Autopoiesekonzepts' vorgelegt. Danach umfaßt Gesellschaft Kommunikationen. Diese in ihren Konsequenzen weitreichende Begriffsfestlegung soll hier allerdings nicht verwendet werden. Interessierte Leser mögen sich bei Luhmann, 1991 über diesen Ansatz informieren.
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I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
Gesellschaften können, dies dürfte unbestritten sein, unterschiedliche Ausprägungsformen annehmen. Von der primitiven Gesellschaft der Jäger und Sammler über die Feudalgesellschaften bis hin zur heutigen modernen bzw. postmodernen Gesellschaftsform lassen sich unterschiedliche Variationen beschreiben. Wesentlicher Gesichtspunkt für die Beschreibung der Theorie der Wirtschaftspolitik ist dabei, daß sich Gesellschaften in ihrem Innern differenziert haben. Innerhalb der Gesellschaften sind Teilsysteme bzw. Funktionalsysteme entstanden, die sich auf bestimmte Aufgabengebiete spezialisiert haben. Die Funktionalsysteme werden als Handlungssysteme beschrieben, denen bestimmte Handlungsklassen exklusiv zugeordnet werden. In den Systematisierungen werden in aller Regel drei gesellschaftliche Teilsysteme unterschieden: 1. das politische System2 2. das kulturelle System 3. das Wirtschaftssystem Die Theorie sozialer Systeme, die diese Systeme analysiert und beschreibt, ordnet den Systemen konkrete Handlungen zu. Ökonomische Theorien verfahren ähnlich, richten den Blick allerdings mehr auf die Bedürfnisse, deren Befriedigung mit den jeweiligen Handlungen verbunden sind: 2
Das politische System wird gelegentlich noch unterteilt in das politische i.e.S., das die Festlegung von Gesetzen etc. umfaßt, und das Rechtssystem, das für die Umsetzung von Gesetzen und deren Auslegung etc. verantwortlich zeichnet. Diese Differenzierung kann allerdings in die hier betrachteten Zusammenhänge ohne Probleme integriert werden.
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
3
Das kulturelle System wird durch Handlungen der Menschen zur Befriedigung von Bedürfnissen, die durch Rückgriff auf psychische, geistige, sittliche etc. Fähigkeiten möglich sind, beschrieben. Die Güter, die hierbei produziert werden sind in aller Regel immateriell. Das Politiksystem umfaßt alle Handlungen, die zur Bedürfnisbefriedigung der legitimen physischen Gewaltandrohung oder -anwendung bedürfen. In den meisten modernen Gesellschaften existiert zur Regelung dieses Funktionenbereichs eine Rechtsordnung und staatliche Macht wird zur Umsetzung der Handlungen angewendet. Das Wirtschaftssystem schließlich ist durch den Umgang mit knappen Gütern beschrieben. Handlungen zur Herstellung von Gütern und Diensten, des Konsums etc. fallen nach dieser Beschreibung in den Bereich des Wirtschaftssystems.
Gesellschaft
Abbildung 2: Gesellschaftliche
Teilsysteme
In Abbildung 2 sind die Beziehungen zwischen den drei hier beschriebenen Funktionalsystemen veranschaulicht dargestellt. In das Politiksystem wird das Rechtssystem integriert. Es dient der Umsetzung politisch fixierter Entscheidungen. Da es bei seiner eigenen Aufgabenerfüllung allerdings vom Politiksystem in der Weise „umschlungen" wird, als Recht gesetzlich fixierte Vorgaben, die die Politik setzt, benötigt und gleichzeitig der politischen Macht, um die eigene Rechtsprechung umzusetzen, kann es als Bestandteil der Politik verstanden werden, weshalb das Rechtssystem in der Abbildung auch im Politiksystem vollständig enthalten ist. Darüber hinaus lassen sich mit Abbildung 2 weitere grundlegende Gesichtspunkte veranschaulichen:
4
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
1. Es wird eine Arbeitsteilung zwischen den Funktionaisystemen angenommen, d.h., ein Funktionalsystem ist - idealtypisch - für eine bestimmte Handlung explizit zuständig. 2. Gleichzeitig existiert ein „Konkurrenzbereich", d.h., einige Handlungen, die sich in die Schnittmengen der Systeme einordnen ließen, fallen nicht per se in eines der definierten Funktionalsysteme. Für diesen Überschneidungsbereich müssen dann Regelungen für die „Arbeitsteilung" zwischen den jeweiligen Systemen gefunden werden, so daß ein Miteinander der Teilsysteme gesichert ist. Erst nachdem diese Regeln aufgestellt sind, ist es dann möglich, eine bestimmte Handlung einem der Systeme exklusiv zuzuordnen. Die letzte Aussage soll hier mit Hilfe des Beispiels „Bedürfnis nach seelsorgerischen Leistungen" veranschaulicht werden: Grundsätzlich können derartige Leistungen von unterschiedlichen „Anbietern" erbracht werden. Sowohl politische Institutionen wie Beratungsstellen als auch kirchliche Organe wie Caritas o.ä. können seelsorgerische Leistungen anbieten. Daneben ist denkbar, daß sich private Organisationen der Produktion derartiger Leistungen verschreiben. Während im ersten Fall das Politiksystem und im zweiten Fall das kulturelle System als betroffenes System identifiziert würde, wären die Produktionsleistungen der privaten Seelsorgeunternehmen wirtschaftliche Handlungen. Diese Tatsache kann als „Konkurrenzsituation" zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen beschrieben werden. Damit eine konkrete Handlung eindeutig in den Zuständigkeitsbereich eines der Systeme fällt, bedarf es wiederum Regelungen, deren Ausgestaltungen sich vielfältig denken lassen. Erst wenn die Regelungen bekannt sind, lassen sich die einzelnen seelsorgerischen Handlungen als Bestandteile eines der Systeme identifizieren. In Abbildung 3 wird das Beispiel als Modifikation der Abbildung 2 dargestellt. Vor der Kenntnis der Regeln über die „Zuständigkeit" der Systeme können die seelsorgerischen Leistungen potentiell allen Systemen zugerechnet werden. Erst in Kenntnis der Regelwerke, die darüber entscheiden, welche Institution, welches Unternehmen o.ä. eine bestimmte Leistung erbringt, kann man über die tatsächliche Zurechnung im Einzelfall befinden. Und erst dann, wenn aus potentieller Bedürfnisbefriedigung tatsächliche Bedürfnisbefriedigung wird, die sich nach den Regeln zu richten hat, lassen sich Handlungen den Funktionalsystemen zurechnen.
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
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Gesellschaft
Abbildung 3: Zuordnung tatsächlicher
Handlungen
(Beispiel
Seelsorge)
Die potentielle Systemkonkurrenz wird in dem Beispiel durch die Einführung von konkreten Zuständigkeitsregeln gelöst. Gleichzeitig kann eine solche Situation nur dann entstehen, wenn die Mittel, die für die Bedürfnisbefriedigung mit seelsorgerischen Leistungen benötigt werden, auch zur Verfügung stehen. M.a.W., die wirtschaftliche Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung läßt die Systemkonkurrenz, wenn sie überhaupt existiert, entstehen. Gleichzeitig gilt, daß ohne kulturelle Werte eine Einigung über die Regelungen, welches System für die Leistungserstellung zuständig wird, kaum erzielt werden kann. Bei der Frage des privaten Angebots seelsorgerischer Leistungen tritt diese Tatsache besonders hervor. Während eine kirchliche oder staatliche seelsorgerische Betreuung ohne Frage akzeptiert werden kann, dürfte so mancher gegenüber einer „Seelsorge gegen Bezahlung" Vorbehalte äußern. Zweifelsohne eine Frage kultureller Werte. An dieser Stelle tritt etwas hervor, was für die spätere Besprechung von Wirtschaftspolitik noch ausgiebig betrachtet werden wird: Die gesellschaftlichen Subsysteme können nicht nur als Konkurrenten für die Übernahme von Handlungen angesehen werden, sie sind darüber hinaus in ihrer eigenen Leistungsfähigkeit in hohem Maße dependent von den Leistungen der anderen Funktionalsysteme. Politische Akzeptanz hängt nicht zuletzt mit wirtschaftlichen Erfolgen (Pro-KopfEinkommen, Arbeitslosigkeit etc.) einer Gesellschaft zusammen. Sie ist gleichzeitig immer auch den kulturellen Urteilen (religiöse Werte, Moral etc.) der Gesellschaftsmitglieder unterworfen. Umgekehrt kann wirtschaftliche Stärke mit moralischen Kategorien kollidieren (Gerechtigkeit der Verteilung etc.) oder an politischen Vorgaben scheitern (Verbot bestimmter Produkte, Produktionsverfahren etc.). Jedes Funktionalsystem steht, so gesehen, in einem Abhängigkeitsverhältnis zu
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I. Theorie der Wirtschaftspolitik
jedem anderen. Deshalb werden diese Situationen auch mit dem Terminus der wechselseitigen Dependenz' beschrieben. Um die Ausfuhrungen zur Begriffsfestlegung ,Politik' und , Wirtschaft' zu beenden, kann hier zusammenfassend festgehalten werden: 1. Politik und Wirtschaft werden als Handlungssysteme innerhalb der Gesellschaft verstanden, die jeweils unterschiedliche Aufgaben erfüllen. 2. Politik und Wirtschaft können in bestimmten Situationen als Konkurrenten beschrieben werden, da beiden potentielle Handlungen des selben Typs zugerechnet werden können, je nachdem, wie die konkrete Leistungserstellung später ausfällt. 3. Politik und Wirtschaft bilden füreinander Voraussetzungen für die jeweils eigene Leistungsfähigkeit. Politik braucht Ergebnisse des Umgangs mit knappen Gütern ebenso, wie Wirtschaft zur Realisation des Umgangs mit knappen Gütern politischer Regelungen bedarf. Politische Akteure Der Begriff des 'politischen Akteurs' soll hier sehr weit gefaßt werden. Mit ihm werden alle Handelnden innerhalb des politischen Systems verstanden. Handelnde können dabei sowohl Individuen als auch Organisationen und Institutionen bis hin zu Gebietskörperschaften sein. Als 'im politischen System handelnd' werden diese Individuen, Organisationen und Körperschaften dann verstanden, wenn sie an dem eben beschriebenen Prozeß der Bedürfnisbefriedigung auf der Basis von legitimer Gewalt und Machtanwendung teilhaben. Diese Teilhabe kann an unterschiedlichen Stellen des politischen Geschehens angesiedelt sein. Genaueres dazu wird weiter unten bei der Besprechung des politischen Prozesses noch ausfuhrlich besprochen werden. Alle politischen Akteure, die im Überschneidungsbereich von Wirtschaft und Politik in den politischen Prozeß - in welcher konkreten Weise auch immer - eingreifen, können dann als wirtschaftspolitische Akteure begriffen werden. Wirtschaftspolitische Akteure sind demnach alle, die sich mit der Regelung der wirtschaftlichen Abläufe, deren Ablösung durch die Politik bzw. deren Durchsetzung gegen politische Zuständigkeit befassen. Da der Überschneidungsbereich ggf. sehr groß ausfallen kann - man denke an die Bedeutung der Budgets von Gebietskörperschaften, die gleichsam vollständig auch wirtschaftliche Aspekte beinhalten -, sind viele allgemein als politische Akteure zu bezeichnende Individuen, Organisationen oder Körperschaften, gleichzeitig auch wirtschaftspolitische Akteure. Erkenntnisziele der Theorie der Wirtschaftspolitik Die vorangegangenen Aussagen voraussetzend kann nun die Frage nach den Zielen und Aufgaben der Theorie der Wirtschaftspolitik beantwortet werden. Im einzelnen können folgende Zielsetzungen einer Theorie der Wirtschaftspolitik beschrieben werden: 1. Beschreibung und Abgrenzung von politischen und wirtschaftspolitischen Bereichen und damit gleichzeitig die Eingliederung politischer Akteure in die Menge der wirtschaftspolitischen Akteure.
I. Theorie der Wirtschaftspolitik
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2. Beschreibung des wirtschaftspolitischen Prozesses, d.h. des Prozesses des Handelns wirtschaftspolitischer Akteure. Dieser Zielsetzung lassen sich dann die Analyse und Systematisierung der Erscheinungsformen und Konsequenzen wirtschaftspolitischen Handelns zurechnen. Darüber hinaus fallen unter dieses Ziel auch Fragen nach der Motivation der politischen Akteure, Zielbeziehungen zwischen individuellen, organisationalen und gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen im wirtschaftspolitischen Prozeß u.ä. 3. Beratung der wirtschaftspolitischen Akteure. Diese Funktion wirkt sich auf verschiedenen Ebenen aus. Zum einen versucht sie, die Erkenntnisse aus den Beschreibungen wirtschaftspolitischen Handelns in Politikempfehlungen umzusetzen, gleichzeitig muß eine derartige Zielsetzung über die Beschränkung auf die Wirtschaftspolitik als Erkenntnisgegenstand hinausgehen, da bei der Formulierung von wirtschaftspolitischen Empfehlungen immer auch die allgemeinen Fragestellungen von ökonomischer Theorie wie beispielsweise Funktionsprinzipien von Marktwirtschaften, Planwirtschaften etc., MikroÖkonomik, MakroÖkonomik u.v.a.m. in die Empfehlungen einfließen. Damit wird Wirtschaftstheorie allgemein zur Grundlage der Theorie der Wirtschaftspolitik. In diesem Zusammenhang muß ein „Problembereich" dargestellt werden, den eine Theorie der Wirtschaftspolitik nicht entgehen kann, wenn sie sich als eine „Empfehlungswissenschaft" versteht. Bei der Formulierung der Empfehlungen muß immer dann, wenn bestimmte reale Situationen nicht eindeutig beschrieben werden können oder die Beschreibung nicht zu eindeutigen - verstanden als: von einer gewählten Theoriebasis unabhängig - Lösung führen, mehr oder weniger willkürlich über die relevanten Aspekte der Situationsbeschreibung und/oder die Theoriebasis selbst entschieden werden. Diese übergeordnete Entscheidung läßt sich aber nicht aus der ökonomischen Theorie selbst fällen, so daß Politikempfehlung dann zwangsläufig zu einer „Glaubensfrage" wird. Diese Tatsache beschreibt u.a. einen Grund dafür, daß auch unter „wirtschaftspolitischen Fachleuten" häufig keine Einigkeit über die „richtige" Politikempfehlung besteht (bzw. bestehen kann). 4. Kontrolle wirtschaftspolitischer Handlungen. Diese Zielsetzung ist eng verbunden mit der Politikempfehlung und gleichzeitig von dieser zu trennen. Verbunden ist sie, da die Theorie der Wirtschaftspolitik, die Empfehlungen ausspricht, gleichsam an sich selbst eine kritisch-wissenschaftliche Anforderung zur Überprüfung der Ergebnisse des wirtschaftspolitischen Prozesses stellt. Zu trennen ist sie von der Zielsetzung der Politikempfehlung, da der Wirtschaftsprozeß und der Prozeß der Wirtschaftspolitik als Erkenntnisgegenstand eben auch einen „Eigenwert" für (wirtschafts-) wissenschaftliche Untersuchungen besitzen, so daß eine Beschreibung des Prozesses selbst schon eine Überprüfung von Ergebnissen wirtschaftspolitischer Handlungen impliziert. Kontrolle der wirtschaftspolitischen Handlungen kann also sowohl als eine Bestandsaufnahme als auch als eine Erfolgskontrolle eigener Empfehlungen verstanden werden. Die erstgenannte Auslegung beschränkt die Kontrolle auf den
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I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
wirtschaftspolitischen Prozeß, also den Erkenntnisgegenstand, während die zweite Deutung auch zu einer kritischen Haltung der Theorie der Wirtschaftspolitik sich selbst gegenüber führen kann (und muß), die dann zur Überprüfung der theoretischen Grundlagen der Politikempfehlung fuhren kann. Mit der Beschreibung der Zielsetzungen einer Theorie der Wirtschaftspolitik sollen die Ausfuhrungen zum Gegenstand der Theorie der Wirtschaftspolitik beendet werden. Nachstehend kann sich der Darlegung der Bearbeitung der eben formulierten Zielsetzungen zugewendet werden, d.h., die folgenden Ausfuhrungen beschreiben die Erkenntnisse einer Theorie der Wirtschaftspolitik. Da die erste Aufgabenstellung, die Definition der politischen Akteure und deren Zuordnung unter die wirtschaftspolitischen Akteure im vorangegangenen Abschnitt bereits geschehen ist, verbleiben fiir diese Darstellungen die Zielsetzungen 2) - 4).
Methodologie Systemtheorie Recht Institutionen
Begriffe zum Nachlesen Erkenntnisobjekt Objektbereich Erkenntnis Gesellschaft Arbeitsteilung funktionale Differenzierung Gebietskörperschaft Wiederholungsfragen
1. Definieren Sie den Begriff der 'Gesellschaft'! 2. Diskutieren Sie die Möglichkeiten der Eheschließung durch Institutionen verschiedener gesellschaftlicher Teilgebiete. Gehen Sie dabei auf die Möglichkeit ein, daß kulturelle Werte die grundsätzlichen Handlungsspielräume fiir die tatsächliche Gestaltung dieses Bereiches einschränken können! 3. Weshalb ist es möglich, daß die Erfolgskontrolle auf die Theorie der Wirtschaftspolitik zurückwirkt und zu einem Überdenken der Inhalte ökonomischer Theorien führen kann?
I. Theorie der
2.
Wirtschaftspolitik
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Der wirtschaftspolitische Prozeß
In diesem Kapitel lernen Sie • • • •
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gesellschaftliche Bedingungen und Restriktionen des Wirtschaftsprozesses, Modelle zur marktlichen Koordination und zu Marktformen, Grundlagen der Preistheorie am Beispiel der vollkommenen Konkurrenz, den allgemeinen kybernetischen Regelkreis und seine Erweiterung z u m wirtschaftspolitischen Regelkreis und die Phasen des wirtschaftspolitischen Regelkreises und in diesen Phasen typische Handlungsschritte und Probleme, Zielsysteme, Zielbeziehungen und die Zielpyramide, Ziele, Instrumente, Träger der Wirtschaftspolitik, die Bedeutung der wirtschaftspolitischen Konzeptionen für den Prozeß der Wirtschaftspolitik und die Time-lag-Analyse
kennen.
Der wirtschaftspolitische Prozeß findet innerhalb der Gesellschaft statt. Damit kann er nur dann adäquat beschrieben werden, wenn auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Da die innergesellschaftlichen Bedingungen in vielfältiger Weise geregelt sein können, ist es nicht möglich, eine allgemeine Beschreibung aller denkbaren Konstellationen der Rahmenbedingungen des wirtschaftspolitischen Prozesses zu geben. Aus diesem Grund werden die Bemerkungen zu den gesellschaftlichen Restriktionen der Wirtschaftspolitik bewußt a u f diejenigen Gesellschaftsordnungen beschränkt, die sich als „westliche, (sozial-) marktwirtschaftliche Demokratien" beschreiben lassen. Autokratien jeglicher Art fallen dann ebenso aus den Betrachtungen heraus wie die sozialistischen Gesellschaftsordnungen.
2.1
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Es sei d a r a u f hingewiesen, daß auch diese Beschränkung noch ein weites Feld unterschiedlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen zuläßt, wie ein Vergleich beispielsweise der Vereinigten Staaten mit den Staaten der Europäischen Union bzw. einzelner Mitgliedsstaaten der EU leicht offenkundig werden läßt. In den nachstehenden Ausführungen werden deshalb nicht die einzelnen j e unterschiedlichen A u s p r ä g u n g e n gesellschaftlicher Rahmenbedingungen beschrieben. Vielmehr werden die Gemeinsamkeiten dargelegt, die bei aller Differenziertheit westlicher Demokratien zweifelsohne vorhanden sind. Diese Gemeinsamkeiten formen vier wesentliche Bereiche von Restriktionen: 1. das Marktsystem 2. die demokratische Entscheidungsfindung (parlamentarische Demokratie) 3. die institutionellen Umsetzungsbedingungen (Bürokratie) 4. die Regelungen zur kollektiven Entscheidungsfindung in Verhandlungssystemen (Collective-bargaining-Systeme)
2.1.1
Marktsystem
Mit dem Marktsystem ist innerhalb der Theorie der Wirtschaftspolitik zweierlei beschrieben:
10
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
1. Zum einen eine gesellschaftliche Restriktion, die sich in der Entscheidung äußert, daß der Umgang mit knappen Gütern grundsätzlich über freie Märkte realisiert wird. 'Grundsätzlich' bedeutet dabei, daß marktliche Koordination, Selektion, Distribution und Motivation akzeptiert werden, es sei denn, übergeordnete Zielsetzungen, Marktversagen oder Marktunmöglichkeiten geben Anlaß, den Markt durch politische Institutionen abzulösen. 2. Zum anderen ist das Marktsystem ein Objekt wissenschaftlicher Forschung, da die Untersuchung der konkreten Bedingungen der marktlichen Lösung von Güterknappheit ebenso notwendig ist, wenn Politikempfehlungen in konkreten Fällen gegeben werden sollen, wie dafür die Möglichkeiten der marktlichen Lösung von Fragen der Güterknappheit zu untersuchen sind. Es sei hier angemerkt, daß über die Frage, wann übergeordnete Zielsetzungen, Marktversagen oder Marktunmöglichkeit vorliegen, keine einheitliche Auffassung innerhalb der Theorie der Wirtschaftspolitik existiert. Für die Struktur wirtschaftspolitischer Argumentation hat das Postulat eines grundsätzlichen Vorrangs von marktlicher Regelung wirtschaftlicher Transaktionen eine wesentliche Folge: Wer - aus welchen Gründen und in welchen Politikbereichen auch immer - den Markt von seiner Zuständigkeit entbinden und politische Entscheidungen an dessen Stelle setzen will, muß zunächst darlegen, daß übergeordnete Ziele, Marktversagen oder Marktunmöglichkeit vorliegt. Erst wenn dieser Nachweis gelingt, kann dann über die Ausgestaltung der politischen Maßnahmen nachgedacht werden. M.a.W.: Ohne einen Nachweis unzureichender, also nicht akzeptabler Marktergebnisse, bzw. dem Nachweis der Marktunmöglichkeit werden Forderungen nach Suspendierung des Marktmechanismus als unbegründet angesehen. Darüber hinaus muß in diesem Zusammenhang auch darauf eingegangen werden, ob die Politik bestimmte Regelungen erlassen muß, die das marktliche Umgehen mit Knappheitsproblemen überhaupt erst möglich werden lassen. Damit ist die Frage aufgeworfen, welche Rahmenbedingungen durch die Politik geschaffen werden müssen, um eine Marktordnung überhaupt erst entstehen zu lassen.3 Gleichzeitig fuhrt das grundsätzliche Bekenntnis zur marktlichen Regelung der Güterknappheit dazu, daß die Funktionsweise der Marktwirtschaft in das Zentrum des Interesses gerückt wird. Ein Mindestverständnis über die „Gesetzmäßigkeiten" marktlicher Systeme muß vorhanden sein, damit eine Theorie der Wirtschaftspolitik ihre Zielsetzungen erreichen kann. Damit zeigt sich erneut, daß Theorie der Wirtschaftspolitik ohne allgemeine Wirtschaftstheorie nicht auskommt (und auch nicht auskommen kann). Ohne hier die MikroÖkonomie vollständig darlegen zu wollen, erscheint es an dieser Stelle folglich sehr wohl angebracht, die wesentlichen Grundlagen der Marktökonomien kurz zu besprechen.
Der Begriff des Marktes Ganz allgemein kann von einem 'Markt' gesprochen werden, wenn Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. Mit 'Angebot' werden dann alle Güter und Dienste 3
Der letztgenannte Aspekt wird später unter dem Stichwort der 'Ordnungspolitik' besprochen.
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
11
bezeichnet, die von deren Produzenten für Dritte offeriert werden. 'Nachfrage' umfaßt die Summe der kaufkräftigen Bedürfnisse. Abbildung 4 gibt diese Zusammenhänge grafisch wieder.
Abbildung
4: Der Markt als Ort des Zusammentreffens Nachfrage
von Angebot
und
Unter der Bedingung, daß die Summe der nachgefragten Güter und Dienste das Angebot übersteigt, ergibt sich auf einem Markt eine Situation des Mangels, denn es muß dann entschieden werden, welche Teile der Nachfrage vom Zugriff auf die Güter ausgeschlossen werden. Falls das Angebot die Nachfrage übersteigt, muß umgekehrt ein Teil des Angebots verdrängt werden, denn in einer solchen Situation reicht das Kaufinteresse nicht aus, um alle Güter und Dienste auch beim Nachfrager zu plazieren. In beiden Fällen ergibt sich eine Entscheidungssituation, die prinzipiell auf unterschiedliche Weise aufgelöst werden kann. Den freien Markt zeichnet eine bestimmte Vorgehensweise bei der Lösung der Entscheidungssituation aus: Auf einem freien Markt entscheiden wechselseitige Gebote, die sich im Preis äußern, darüber, welche Nachfragen (bei Knappheit) bzw. welche Angebote (bei Überangebot) vom Markt verdrängt werden.
Vollkommener Markt, vollkommene Konkurrenz und Marktformen Die grundlegende Funktionsweise dieses Entscheidungsverfahrens wird häufig am Beispiel des vollkommenen Marktes beschrieben. Dabei handelt es sich um ein Modell marktlichen Wirtschaftens, das bestimmten Prämissen unterliegt: 1. Gehandelt werden homogene Güter, d.h. vollkommen gleichartige Güter. 2. Es herrscht vollkommene Information, d.h., alle Beteiligten auf Nachfrageseite und Angebotsseite sind über alle relevanten Daten vollständig informiert. 3. Es herrscht unendlich schnelle Reaktion, d.h., alle Beteiligten reagieren auf veränderte Daten ohne jeglichen Zeitverlust. 4. Es bestehen keine persönlichen Präferenzen. Werden die Bedingungen um eine weitere Prämisse erweitert, so ist die Situation der vollkommenen Konkurrenz beschrieben. Neben den genannten Annahmen gilt dann:
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I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
5. Es herrscht atomistische Konkurrenz, d.h., viele Anbieter und viele Nachfrager stehen einander auf dem Markt gegenüber. Neben den Bedingungen, die eine solche vollkommene Konkurrenz konstituieren werden dann noch weitere Annahmen über das Verhalten der einzelnen Marktteilnehmer aufgestellt 4 : 1. Steigende Preise fuhren zu einem Steigen des Marktangebots des auf dem Markt gehandelten Gutes (bzw. der Dienstleistung). 2. Steigende Preise fuhren zu einem Rückgang der Marktnachfrage nach dem auf dem Markt gehandelten Gut (bzw. der Dienstleistung). Treffen unter diesen Umständen Angebot und Nachfrage zusammen, so kann dies mit dem Modell aus Abbildung 5 grafisch dargestellt werden: Die Nachfragefunktion verläuft fallend, da bei steigendem Preis die nachgefragte Menge zurückgeht, während die Angebotsfunktion steigend verläuft, da mit dem Anstieg der Preise auch die Bereitschaft wächst, Güter oder Dienste für andere herzustellen. Der Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragefunktion heißt Marktgleichgewicht. Er beschreibt einen Zustand, in dem nachgefragte und angebotene Menge einander gleichen. Das selbe gilt für den Preis. Diesen zugehörigen Preis nennt man ' Gleichgewichtspreis', die Menge im Schnittpunkt die ' Gleichgewichtsmenge''. Liegt der Preis oberhalb des Gleichgewichtspreises (weiter rechts auf der x-Achse), so stiege das Angebot während die Nachfrage sinkt. Es entsteht ein Überangebot. Bei niedrigeren Preisen als dem Gleichgewichtspreis (weiter links auf der x-Achse) hingegen steigt die Nachfrage bei abnehmendem Angebot. Hier ergibt sich eine Übernachfrage. Diese beiden Fälle, in denen kein Gleichgewicht realisiert wird, bilden die oben beschriebenen Entscheidungssituationen, denn jetzt muß entschieden werden, welche Angebote (bei Überangebot) bzw. Nachfragen (bei Übernachfrage) nicht realisiert werden können. Und genau dies geschieht durch die (häufig zitierten) Marktkräfte:
4
Die hier unterstellten Annahmen lassen sich aus der Mikroökonomik herleiten. Auf eine Herleitung soll hier verzichtet werden. Interessierte Leser können diese in jedem gängigen Lehrbuch zur MikroÖkonomik nachschlagen.
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
Abbildung 5: Das Modell der vollkommenen
13
Konkurrenz
1. Im Falle des Überangebots werden einige Anbieter, die glauben, daß sie ihre Güter oder Dienste nicht absetzen können, ihre Preise senken. Da die Nachfrager über diese Preissenkungen informiert sind (Annahme der vollkommenen Information), werden sie sofort zu diesen Anbietern wechseln (Annahme der unendlich schnellen Reaktion), was die übrigen Anbieter (ebenfalls sofort) veranlaßt, ihre Preise auch zu senken. Anbieter, die zu einem sinkenden Preis Verluste realisieren, scheiden aus. Bei sinkenden Preisen sinkt folglich das Angebot. Gleichzeitig werden zusätzliche Nachfragen angezogen. Dieser Mechanismus wirkt so lange, bis die Gleichgewichtssituation hergestellt ist. 2. Im Falle der Übernachfrage hingegen besteht ein Anreiz für diejenigen Nachfrager, die ein besonders starkes Bedürfnis nach diesen Gütern besitzen oder die besonders zahlungskräftig sind, einen höheren Preis zu bieten als den, der aktuell verlangt wird. Da auch hier vollkommene Information und unendlich schnelle Reaktion zu einem sofortigen Anstieg der Preise fuhrt, entsteht eine Situation, in der bestimmte Nachfrage, die eben nicht mehr zahlen will oder kann, um das Gut zu erhalten, verdrängt und neues Angebot angelockt wird. Auch hier endet die Anpassung der Preise und Mengen mit dem Erreichen des Gleichgewichts. Die Darstellung des Marktmechanismus, wie sie in Abbildung 5 wiedergegeben ist, erfolgt in den meisten Lehrbüchern mit - im Vergleich zu Abbildung 5 -
14
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
vertauschten Achsen. Dies widerspricht dem mathematischen „Brauch", die unabhängige Variable an der x-Achse und die abhängige Variable an der y-Achse abzubilden. Der Grund für eine solche „verkehrte" Welt der Abbildung liegt in der Herleitung der Angebotsfunktion aus den Grenzkostenkurven einzelner Unternehmen. Dabei ist die Menge die unabhängige Variable. Für die inhaltlichen Folgerungen und die eben entwickelten Aussagen hat dies jedoch keine Auswirkungen. 5
Zahl der Anbieter einer
wenige
viele
beidseitiges Monopol
beschränktes Nachfragemonopol
Nachfragemonopol
beschränktes Angebotsmonopol
beidseitiges Oligopol
Nachfrageoligopol
Angebotsmonopol
Angebotsoligopol
Polypol (Konkurrenz)
a> o> (8 o (0 0) ffi N
Abbildung 6: Das Marktformenschema Aus diesen Äußerungen kann also gefolgert werden, daß der freie Markt einen Mechanismus bietet, der den Ausgleich von Angebot und Nachfrage ermöglicht." Der Marktmechanismus zielt dabei auf der Nachfrageseite auf den Bedarf ab, denn nur der Bedarf, der am Markt umgesetzt wird, wird zu tatsächlicher Nachfrage. Auf der Angebotsseite wird die Leistungsfähigkeit (ausgedrückt in der Fähigkeit und/oder dem Willen ggf. die Preise zu senken) als entscheidendes Kriterium im Prozeß des Marktausgleichs genutzt. Beide Kriterien wirken anonym und ohne Rücksicht auf individuelle Bedürftigkeit. Deshalb kann eine freie Marktwirtschaft dies wird im Zusammenhang mit wirtschaftspolitischen Eingriffen in die Marktwirtschaft noch besprochen werden - keine Gerechtigkeit o.ä. bei der Lösung der Entscheidung über den Marktausgleich durchsetzen. Lediglich Bedarf und Interessierte Leser mögen die Art der Abbildung in einem Lehrbuch der Mikroökonomik nachschlagen und die geänderte Darstellungsweise nachvollziehen. Der Marktmechanismus ist nicht der einzige, der einen solchen Ausgleich sicherstellen kann. Auch Zuteilungssysteme auf Planbilanzbasis können dies - zumindest theoretisch - leisten. Diese Art des Umgangs mit knappen Gütern soll hier allerdings nicht besprochen werden.
I. Theorie der
Wirtschaftspolitik
15
Leistungsvermögen (bzw. Leistungswille) werden als Mittel der Regulierung von Angebot und Nachfrage wirksam. Neben der vollkommenen Konkurrenz lassen sich noch weitere Formen von Märkten denken, die jeweils die ersten vier Prämissen erfüllen, sich jedoch hinsichtlich der Zahl der Anbieter bzw. Nachfrager unterscheiden. Das Schema in Abbildung 6 zeigt einige Marktformen, in denen unterschiedliche Ausprägungen der Zahl der Anbieter und Nachfrager kombiniert werden.
2.1.2
Demokratische Entscheidungsfindung und Bürokratiesystem
Demokratische Entscheidungsfindung und Bürokratiesystem stehen in einem engen
horizontale Gewaltenteilung
o> c 3 Q) C >
L M - F u n k t i o n nach Geldmengen-
GeldmengenIS-Funktion
ausweitung
ausweitung
N
Handelsvolumen ( Y ) Abbildung
27: Wirkung von Geldmengenausweitung
im
IS-LM-System
In der Abbildung wurde eine simultane Gleichgewichtssituation a u f Gütermarkt und Geldmarkt als Ausgangssituation eingezeichnet. Die Ausweitung der Geldmenge sorgt nun dafür, daß die L M - K u r v e sich nach rechts verschiebt. Im Zusammenspiel mit dem Gütermarkt ist die Folge, daß das simultane Gleichgewicht ebenfalls nach
54
Die Herleitung kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen. Es sei deshalb auf Lehrbücher zur MakroÖkonomik verwiesen, in denen dieses Thema ausführlich besprochen wird.
III. Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
99
rechts verschoben wird. Bei sinkenden Zinsen werden größere Mengen von Gütern und Diensten gehandelt.
Keynesianische Beurteilung von Geldpolitik Nimmt man die Aussagen zur Preisniveaukonstanz bei Unterauslastung und Einkommenseffekt der Geldpolitik (gesteigertes Handelsvolumen) zu einer geldpolitischen Konzeption zusammen, die Ziele für den Einsatz geldpolitischer Instrumente vorgeben soll, so kann aus keynesianischer Perspektive gefolgert werden, daß die Geldpolitik geeignet ist, Unterauslastung abzumindern, da sie zusätzliche Nachfrage nach Gütern entstehen läßt, ohne daß mit einem signifikanten Anstieg des Preisniveaus und damit mit Inflationsgefahr zu rechnen ist. In der Modellformulierung hat dies eine entscheidende Folge: Die Geldmenge kann nicht mehr als reaktive Größe beschrieben werden, sie wird als dem Wirtschaftsprozeß exogen vorgegebene Variable betrachtet. Damit verbunden ist dann auch die Auffassung, daß die Gütermenge auf Veränderung der Geldmenge reagiert. Gerade deshalb wird aus der Geldpolitik ein aktives Instrument zur Stabilisierung wirtschaftlicher Entwicklung. Bei der Auswahl der Politikinstrumente zur Steuerung der Geldmenge präferieren keynesianische Ansätze entsprechend diejenigen, die nicht von der Variation der Gütermenge abhängen. Statt der Diskontpolitik wird hier viel stärker über Offenmarktpolitik u.ä. argumentiert. Faßt man die keynesianischen Gedanken in der Quantitätsgleichung zusammen, so kann diese folgendermaßen modifiziert werden:
Mv
=
YrP
Letztlich heißt diese Lesart der Quantitätsgleichung nichts anderes, als daß das Handelsvolumen als endogene Größe in der Gleichung auf die Veränderungen der anderen Größen reagiert. Da das Preisniveau bei Unterbeschäftigung konstant bleibt und die Umlaufgeschwindigkeit wiederum als durch Zahlungsgewohnheiten fixiert und damit weitestgehend als konstant angesehen wird, wird die Geldmenge zur entscheidenden Größe in dieser Betrachtung und die Geldpolitik, die für die Geldmengensteuerung verantwortlich zeichnet, zu einem wichtigen Instrument der konjunkturpolitischen Stabilisierung.
1.3.3
Die monetaristische Konzeption
Nicht zuletzt wegen der Tatsache, daß in Zeiten der keynesianischen Politik in den 60er und 70er Jahren die Stabilisierungshoffnung nicht erfüllt wurde, und hohe Arbeitslosenzahlen mit steigender Inflation einhergingen - man spricht vom Phänomen der Stagflation - , erhoben sich Stimmen, die der keynesianischen Politik kritisch gegenüberstanden. Auf dem Feld der Geldpolitik gehörten dazu die sogenannten Monetaristen. Diese teilten zwar mit den Keynesianern die Auffassung, daß Geldpolitik auch auf der Güterseite Wirkungen hinterläßt, sie konstatierten aber gleichzeitig, daß die Nachfragesteuerung über die Geldpolitik nicht erfolgreich sein könne, weil damit
100
III. Wirtschaftspolitische
Handlungsfelder
einem ständig wechselnden Kurs - abhängig von der jeweiligen Konjunkturlage - in der Wirtschaftspolitik das Wort geredet würde. Hier setzten die monetaristischen Arbeiten ähnlich wie die ordoliberalen Theorien auch an der Vorhersagbarkeit und Stetigkeit der Politik an. Die daraus entwickelte These lautet: Die Geldmengensteuerung muß sich an langfristigen Zielen orientieren, langfristig vorhersagbar sein und damit langfristig zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen. Ausgehend von der Quantitätsgleichung des Geldes entwickelten sie die Potentialorientierung der Geldpolitik. Ohne hier eine ausführliche Diskussion dieser Idee geben zu wollen, sollen die wesentlichen Aspekte kurz nachgezeichnet werden:
Die Idee der Potentialorientierung In einem ersten Schritt wird die Quantitätsgleichung zunächst auf eine Veränderungsgleichung umgestellt. Dazu ist folgender Gedankengang notwendig. Im Ausgangsjahr kann die Situation mit der Quantitätsgleichung wie gehabt umschrieben werden: M v =
PYr
Werden die einzelnen Größen von der Zeit abhängig definiert, so ergibt sich als Modifikation: M(t)-v(t)
=
P(t)-Yr(t)
Durch Differenzieren nach der Zeit - und einigen Umformungen - erhält man schließlich die Wachstumsratengleichung, nach der gilt: w
M+wv=wP+wYr
Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Summe der Wachstumsraten der Geldseite der Summe der Wachstumsraten der Güterseite entsprechen muß. An dieser Stelle folgern die Monetaristen - ähnlich wie die Keynesianer - , daß die Umlaufgeschwindigkeit als konstant angesehen werden kann, d.h., die Wachstumsrate der Umlaufgeschwindigkeit beträgt Null. Alle anderen Größen werden allerdings als prinzipiell variabel angesehen, wobei die Geldmenge wiederum durch die Zentralbank gesteuert wird und diese wie deren Wachstumsrate damit als exogen gesetzt werden kann. Daraus folgt: w
M=wP+wYr
Anders als die keynesianische Theorie, die eine reaktive Geldmengenpolitik bezogen auf die Konjunkturlage verlangen, schließen die Monetaristen an dieser Stelle, daß durch die Möglichkeit der Festlegung der Wachstumsrate der Geldmenge die Güterseite zu einer gleichgewichtigen Entwicklung bewegt werden kann, wenn die Geldmengensteigerungen nur langfristig und vorhersagbar, sowie am prognostizierten Produktionspotential ausgerichtet erfolgen. Unter dieser Prämisse würden die Vorgaben der Geldmengensteigerung sozusagen automatisch eine stabile und gleichgewichtige Wachstumssituation ermöglichen. Prognosefehler hinsichtlich der Produktionspotentiale würden zudem durch moderate Preisniveauschwankungen ausgeglichen, stellen aber nach monetaristischer Argumentation grundsätzlich einen Ausnahmefall dar, da sich letztlich das Produktionspotential an der Geldmenge gleichsam ausrichtet.
III. Wirtschaftspolitische
Handlungsfelder
101
Geldpolitische Folgerungen Damit beschreitet die monetaristische Theorie einen neuartigen Argumentationspfad. Sie kehrt die bis dahin geltenden Verständnisse, die Güterseite als Taktgeber der Geldseite zu sehen bzw. die Geldpolitik als Initiator der möglichen Auslastung zu betrachten, wobei letzteres auch die Güterseite als Taktgeber versteht, der lediglich eines Anstoßes bedarf - gleichsam um und behauptet eine „Führungsrolle" der Geldpolitik. Diese Tatsache hat der Theorie auch ihren Namen gegeben, denn Monetarismus heißt ja nichts anderes als „die an der Geldseite ausgerichtete Theorie". Die von der monetaristischen Theorie damit einhergehende Forderung nach langfristiger und konstanter Geldpolitik geht ohne Zweifel mit den ordoliberalen Vorstellungen konform. Sie widerspricht gleichzeitig der keynesianischen Idee der Ausrichtung von Geldpolitik am Konjunkturzyklus. In der geldpolitischen Praxis sind monetaristische Vorstellungen seit Anfang der 80er Jahre in nahezu allen Ländern (mit unabhängigen Zentralbanken) führend. Sie haben bezüglich des Ziels der Geldwertstabilität eine hohe Zielerreichung sichergestellt. Dies gilt auch - und trotz der hohen geldpolitischen Belastungen im Zuge der Vereinigung mit der ehemaligen DDR - für die deutsche Geldpolitik. Ob mit der monetaristischen Geldpolitik auch eine Stabilisierung der Güterseite verbunden ist, kann empirisch nicht nachgewiesen oder widerlegt werden, da die wirtschaftspolitische Praxis bezüglich des Gütermarktes viele - hier nicht explizit genannte - Forderungen nicht umgesetzt hat.
1.4
Geldpolitischer Regelkreis und Time-lag-Analyse
Die abschließende Beschäftigung mit der Geldpolitik soll auf die Erkenntnisse aus Kapitel 1 zurückgreifen und dies im Lichte der geldpolitischen Konzeptionen, die voranstehend besprochen wurden. Dabei zeigt sich, daß die traditionelle und die monetaristische Konzeptionen in ihren Folgerungen zu geldpolitischen Zielsetzungen gar nicht weit auseinander fallen, die wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Ansätzen hauptsächlich bei der Begründung der Politiken liegen: 1. Während die traditionelle Theorie die Geldpolitik als Flankierung der Güterseite begreift, ist nach Meinung der monetaristischen Ansätze von einer herausgehobenen Rolle der Geldpolitik für die Potentialentwicklung auf der Güterseite auszugehen. Trotz dieser Unterschiede rücken beide Konzeptionen die Bedeutung der Durchsetzung der Geldwertstabilität in den Vordergrund. 2. Für die traditionelle Theorie ist Preisniveaustabilität Bedingung für die Möglichkeit und Aufforderung zur Anpassung der Geldmenge an die Veränderungen auf der Güterseite. Für die monetaristische Theorie ist das Preisniveau das Korrektiv für kurzfristige Fehleinschätzungen in Potentialprognosen und langfristig deshalb überwindbar, weil die Produktionspotentiale der Geldmengenplanung folgen. 3. Weitergehende konjunkturelle Zielsetzungen werden von beiden Konzeptionen nicht akzeptiert. Eine geldpolitisch relevante Problemlage kann aus konjunkturellen Schwankungen nicht erwachsen.
102
III. Wirtschaftspolitische
Handlungsfelder
4. Ebenso gehen beide Ansätze darin konform, daß eine autonome und politisch unabhängige Zentralbank die geldpolitischen Ziele am besten zu lösen in der Lage ist. Damit werden politisch begründete Problemlagen und deren Überwindung durch Geldpolitik von beiden Konzeptionen abgelehnt und schon ordnungspolitisch verhindert auf diese Weise, daß es zu einer Vermischung von geldpolitischen und anderen wirtschaftspolitischen Zielen bei der Zentralbank kommen kann. 5. Ein Time-lag-Problem spielt bei beiden Konzeptionen keine sehr gewichtige Rolle, da die Geldpolitik immer langfristige Zielsetzungen mit langfristig angelegten Maßnahmen zu handhaben versucht. Während in diesem Kontext der traditionellen Theorie noch gewisse Reaktionsverzögerungen als problematisch erscheinen können, die darin liegen, daß die Geldpolitik auf tatsächliche Gütermarktveränderungen mit Geldmengensteuerung zu reagieren hat, wirkt selbst dies in monetaristische Geldpolitik nicht ein, da die Geldpolitik die Vorreiterrolle der Entwicklungen spielt, nicht umgekehrt. Das Time-lag-Problem ist aber auch für die traditionelle Theorie handhabbar, da beispielsweise die Diskontpolitik quasi automatisch Geldseite und Güterseite in ihren Entwicklungen zu koppeln in der Lage ist. Die keynesianische Theorie hingegen geht einen völlig anderen Weg und ordnet die Geldpolitik der Stabilitätsidee unter. Für sie ist immer dann eine geldpolitisch relevante Problemlage erreicht, wenn Konjunkturprobleme existieren. Dies hat u.a. zur Folge: 1. Die keynesianische Konzeption tut sich schwer mit der eigenständigen Position der Zentralbank. Auch wenn nicht alle Keynesianer diese Tatsache deutlich aussprechen, zeigt doch die Erfahrung, daß keynesianisch orientierte Politik im Zuge der Umsetzung ihrer güterwirtschaftlichen Zielsetzungen in Konflikt mit unabhängigen Zentralbanken kommen. Dies war zur Zeit der sozial-liberalen Koalition ebenso evident, wie nicht zuletzt der Rücktritt des ersten sozialökologischen Finanzministers (zumindest teilweise) durch Konflikte mit der Zentralbank begründet werden kann. 2. Geldpolitik in den Kontext der Konjukturpolitik zu rücken steht dem Prinzip der Vorhersagbarkeit und Kontinuität von Geldpolitik diametral gegenüber. Wenn Geldpolitik auf Konjunkturschwankungen reagieren muß, so wird die Frage der Time-Lags entscheidend. Die Time-lag Analyse für eine konjunkturell begründete Geldpolitik soll hier kurz nachgezeichnet werden. 1. Keynesianische Konzeptionen müssen mit der Tatsache umgehen können, daß die Diagnose von Konjunkturproblemen ebenso Zeit braucht, wie die Klärung der Stabilität der Problemlage. 2. Danach ist dann ein geeignetes Instrument zur Geldmengensteuerung auszuwählen und einzusetzen. Dies kann grundsätzlich zu Zeitverzögerungen fuhren, wird aber bei institutionell eigenständigen Zentralbanken zu einem erheblichen - manchmal für Keynesianer nicht lösbaren - Problem, denn es ist zumindest Überzeugungsarbeit notwendig, um die Zentralbank zu konjunkturpolitisch motivierter Geldpolitik zu bewegen. Bei monetaristisch
III Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
103
ausgerichteten Gremien der Zentralbank wird konjunkturadäquate Geldpolitik, wie die keynesianische Konzeption sie versteht, zu einem nicht durchsetzbaren Unterfangen. 3. Selbst wenn die Zentralbank sich auf einen konjunkturpolitisch orientierten Einsatz der Instrumentarien einließe, wäre mit weiteren Verzögerungen zu rechnen, denn das geldpolitische Instrumentarium der Refinanzierungspolitik beispielsweise benötigte eine „Mitwirkung" von Geschäftsbanken, die sich refinanzieren wollen. Liegt bei diesen jedoch Liquidität im ausreichenden Maße vor, so läuft das Instrument ins Leere. Gleiches gilt für die Wertpapiergeschäfte, denn auch hier bedarf es immer einer Marktgegenseite, die auf die Offerten der Zentralbank reagiert, damit die Maßnahmen überhaupt initiiert werden können. 4. Schließlich müssen die geldpolitischen Impulse in güterwirtschaftliche Wirkungen transformiert werden. Dies setzt voraus, daß steigende - oder je nach dem: sinkende - Nachfragen durch die Geldmengenänderungen entstehen. Dies bedarf u.a. der Zinssenkung, der Preissenkung o.ä. damit überhaupt güterwirtschaftlich reagiert werden kann. Betrachtet man exemplarisch, wie lang der Zeitraum der Eindämmung des durch die Vereinigung mit der ehemaligen DDR entstandenen Inflationsimpulses ausfiel - bis zur Wiedererreichung von Geldwertstabilität vergingen ca. 4 Jahre -, so kann Geldpolitik alleine als sehr langsam wirkendes Instrument der Konjunktursteuerung vermutet werden. In den 4 Jahren sind ja die Transformationszeiten der Impulse noch gar nicht eingerechnet. Mit diesen Darlegungen könnte die allgemeine Besprechung der Geldpolitik abgeschlossen sein. Als kurze Ergänzung dieses wirtschaftspolitischen Handlungsfeldes wird nachstehend noch in aller Kürze auf die Frage der Vereinheitlichung des Europäischen Währungsraums eingegangen, da dies einen wesentlichen Einschnitt in die geldpolitischen Möglichkeiten der einzelnen Mitgliedsstaaten bedeutet.
1.5 Die Einführung der gemeinsamen Europäischen Währung Grundlegende wirtschaftspolitische Vorbemerkungen Der erste Gesichtspunkt, der im Rahmen dieses Themenbereichs angesprochen werden muß, beschäftigt sich mit der politisch interessanten Konstellation, daß durch die Vereinheitlichung der Währung ein Wirtschaftsraum entstanden ist, der eine eigene Geldpolitik besitzt, ohne daß die sonstigen Politikbereiche auf der gleichen Ebene einheitlich organisiert sind. Die Geldpolitik findet also zukünftig auf einem höheren Aggregationsniveau statt als - die meisten- anderen Politiken innerhalb der EU. Für die Frage der Instrumentalisierung von Geldpolitik für Konjunkturprogramme scheint damit in der EU kein Platz mehr zu sein, denn die national initiierten Konjunktursteuerungen stellen in Europa immer nur einen partiellen Bereich der Konjunkturpolitik auf europäischem Niveau dar. Damit steht kaum mehr zu erwarten, daß es ein einziges konjunkturpolitisches Programm geben könnte, dem sich die Geldpolitik unterzuordnen im Stande sähe. M.a.W.: Da die Geldpolitik, die sich in den Dienst eines nationalen Programms zur Konjunkturbekämpfung stellt, wahrscheinlich den anderen nationalen Politikprogrammen widersprechen müßte,
104
III. Wirtschaftspolitische
Handlungsfelder
wird sie sich - schon der Ausgewogenheit wegen - in den Dienst überhaupt keines keynesianischen Programmes stellen können. Mit der endgültigen Einführung der neuen Währung ist der Wegfall der alten Interventionsmechanismen im Rahmen des Europäischen Währungssystems verbunden. Dies versteht sich von selbst, da es innerhalb des Währungsgebiets keine unterschiedlichen Währungen mehr gibt, deren Kurse zu synchronisieren wären. Die Konsequenz daraus ist aber, daß Währungsfragen und Inflationsprobleme zukünftig zu Kaufkraftfragen werden. Dies kann die sozialpolitischen Unterschiede in den Mitgliedsländern ebenso deutlich werden lassen, wie unterschiedliche Lohnniveaus oder andere Einkommensniveaus hervortreten. Inwieweit dies zu (nationalen) Problemlagen in anderen wirtschaftspolitischen Politikbereichen führt, ist heute noch nicht absehbar.
Konvergenzkriterien Um die genannten Schwierigkeiten im Vorfeld einigermaßen handhaben zu können, wurde für den Beitritt zur gemeinsamen Währung ein Kriterienkatalog entwickelt. Dieser sollte sicherstellen, daß die Finanz-, Geld- und Güterwirtschaften der Länder möglichst synchronisiert würden, bevor die einheitliche Währung in Kraft tritt. Bei großen Unterschieden in den geldwirtschaftlichen, güterwirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Ausgangssituationen wären ansonsten Inflationsprobleme und bei der Herstellung der Geldwertstabilität durch die Zentralbank auch güterwirtschaftliche Umstellungsschwierigkeiten wie Konkurse, Lohnniveauunterschiede u.v.a.m. zu erwarten. Im einzelnen umfaßte der Katalog der Konvergenzkriterien die folgenden Anforderungen: 1. Die Preissteigerungsrate darf im Jahr vor der Prüfung nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate der - höchstens drei - stabilsten Länder liegen. 2. Das laufende Defizit aller öffentlichen Haushalte des Landes darf grundsätzlich nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen. 3. Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte darf nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. 4. Die Mitgliedschaft im engen EWS-Band (+/-2,25 Prozent) muß zwei Jahre lang spannungsfrei vorgelegen haben. 5. Der Zinsabstand gegenüber den - höchstens drei - stabilsten Ländern darf im langfristigen Bereich im Jahr vor der Prüfung nicht mehr als 2 Prozentpunkte betragen haben. Mit der Vorgabe dieser Kriterien versuchte man, wie gesagt, die güterwirtschaftlichen, geldwirtschaftlichen und schließlich die finanzwirtschaftlichen Gegebenheiten schon im Vorhinein derart aufeinander einzuspielen, daß die Einführung der gemeinsamen Währung keine zu großen Probleme in den einzelnen Volkswirtschaften zeitigten. Da viele der Mitgliedsstaaten die Kriterien lediglich knapp und im letzten Moment erfüllten - häufig wurde sogar die „Redlichkeit" der Buchführungen angezweifelt kann heute nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob sich diese Hoffnung auf Stabilität in der Anfangszeit des € auch europaweit erfüllen wird.
III. Wirtschaftspolitische
Begriffe zum Geldfunktionen Warengeld Binnenwert des Geldes Preisniveau Stagflation Bundesbankgesetz Geldschöpfungsmultiplikator IS-LM-Modell freier Wechselkurs Europäische Währungsunion fester Wechselkurs Devisengeschäfte Geldangebot Umlaufgeschwindigkeit wirksame Geldmenge Swapsatz gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht
Handlungsfelder
105
Nachlesen
Geldentwicklung Buchgeld Außenwert des Geldes Kaufkraft Deflation Fischer'sche Verkehrsgleichung
Geldbasis Metallgeld Kurs Inflation
Auslastungsgrade
Buchgeldschöpfung
Geldmarktgleichgewicht Paritätskurs Europäisches Währungssystem Handelsvolumen M indestreservesatz Geldnachfrage Volkseinkommen Konvergenzkriterien Bundesbankgewinn
Währungssystem Bandbreiten
Quantitätsgleichung Münzregal
Diskontierung Lombardkredit Leitzins(en) Offenmarktgeschäfte Geldmengendefinitionen Barreserve Landeszentralbanken
Wiederholungsfragen 1. Erläutern Sie die Funktionen des Geldes! 2. Geben Sie an, weshalb man die Geldfunktionen aus der Eigenschaft des Geldes, Anteilschein am Handelsvolumen zu sein, herleiten kann! 3. Versuchen Sie, Etappen der Geldentwicklung bis hin zum modernen Buchgeld nachzuzeichnen! 4. Erläutern Sie, warum es bei Münzen, die einen höheren Eigenwert als aufgeprägten Wert besitzen, möglich wäre, sich „reichzutauschen"! 5. Versuchen Sie die aktuellen Zahlenwerte für die Geldmengen M l , M2, M3 und M3 erweitert zu beschaffen! 6. Versuchen Sie herauszufinden, mit welchem Geldmengenbegriff die Europäische Zentralbank arbeitet! 7. Ermitteln Sie, welche Staaten tatsächlich die Konvergenzkriterien zur Europäischen Währungsunion erfüllten! 8. Im Text wird behaupt: ,J)amit ist die Einschätzung von Geldwert ein extrem individuell-empirisches EreignisIn der zugehörigen Fußnote wird weiterhin ergänzt: yJMan denke daran, wie leicht es ist, den Wert eines bestimmten Autos, Computers etc. in DM abzuschätzen, und wie schwer es fallt, gleiches in € zu leisten! Probieren sie es einfach mal aus. Erläutern Sie,
106
III. Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
warum diese Fußnote in späteren Auflagen dieses Buches irgendwann nicht mehr enthalten sein wird! 9. Nehmen Sie an, daß eine Geschäftsbank einen bundesbankfahigen Wechsel mit einem Wert von 1500 DM bei der Bundesbank in 1998 45 Tage vor Fälligkeit zu einem Diskontsatz von 7,2% einreicht Um welchen Betrag steigt die Bargeldmenge durch dieses Refinanzierungsgeschäft an? lO.Stellen Sie die Situation des Verkaufe von Wertpapieren am offenen Markt grafisch dar und erläutern Sie, welche Geldmengenwirkungen und Realzinswirkungen mit diesem Geschäft verbunden sind! 11.Von Volkswirten wird häufig behauptet, langanhaltender Exportüberschuß eines Landes mit einem anderen Land habe auch Auswirkungen auf den Wechselkurs. Nehmen Sie zu dieser Aussage Stellung! 12.Ebenfalls wird behauptet, daß freie Wechselkurse eine Art „eingebauter Stabilisator" für die Erreichung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts seien. Erläutern Sie diese Aussage! 13.Stellen Sie die grundlegenden Aussagen der im Text besprochenen geldpolitischen Konzeptionen kurz dar! 14.Zeigen Sie mit Hilfe eines konkreten geldpolitischen Instruments welche TimeLags mit diesem Instrument verbunden sein können!
15.Nehmen Sie Stellung zu der These, daß die keynesianische Wirtschaftspolitik im Zuge der Europäischen Währungsunion zunehmend auf monetär alimentierte Nachfragesteuerung verzichten muß!
III Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
2.
107
Wettbewerbspolitik
In diesem Kapitel lernen Sie • • • • • •
den Begriff der , Wettbewerbspolitik' definieren, die Bedeutung von Leitbildern für Wettbewerbspolitik kennen, Ziele der Wettbewerbspolitik kennen, Instrumente der Wettbewerbspolitik kennen, Grundlagen des Kartellrechts, der Mißbrauchsaufsicht und der Fusionskontrolle kennen, die Verbindungen zwischen Bestandteilen des deutschen Wettbewerbsrechts mit prominenten Konzeptionen der Wettbewerbspolitik zu ziehen.
Das zweite wirtschaftspolitische Handlungsfeld, das hier dargestellt wird, ist die Wettbewerbspolitik. Aus der ordoliberalen Perspektive spielt sie hinsichtlich verschiedener Prinzipien eine wesentliche Rolle. Ordnungspolitisch ist die Realisation von freien Märkten und freiem Wettbewerb das oberste Ziel ordoliberaler Wirtschaftspolitik. Aber auch ablaufpolitische Eingriffe erscheinen der ordoliberalen Theorie dann angezeigt, wenn der Wettbewerb beispielsweise zu Vermachtung führt oder Preisabsprachen den freien Wettbewerb behindern. Da die wesentlichen Grundbegriffe zu Wettbewerb bereits besprochen wurden 55 , kann nachfolgend auf eine derartige Referierung verzichtet werden. Den Anfang der Betrachtungen bildet deshalb die Darlegung der wesentlichen Konzeptionen zur Wettbewerbspolitik. Daran anschließend werden die Ziele wettbewerbspolitischer Konzeptionen hergeleitet, die zur Herausbildung des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums beigetragen haben, wie es heute in ähnlicher Form in allen westeuropäischen Staaten existiert und auch in der Europäischen Union gehandhabt wird. Als Grundlage für die Besprechung von konkreten Einsatzmöglichkeiten der Instrumentarien dient wiederum das deutsche Wettbewerbsrecht.
2.1
Wettbewerbspolitische Konzeptionen
2.1.1
Das Leitbild der vollkommenen Konkurrenz
Wie bereits ausführlich besprochen, stellte die preistheoretische Vorstellung der vollkommenen Konkurrenz als „beste" Marktform lange Zeit das Leitbild der Wettbewerbsideen dar. Nicht zuletzt die ordoliberale Schule setzte genau an dieser Vorstellung an. Daraus ergab sich zunächst ein Bekenntnis zur freien Preisbildung, zum Privateigentum, zur rechtlichen Verankerung der Haftung etc. Diese ordnungspolitischen Vorgaben reichen für eine am Ideal der vollkommenen Konkurrenz orientierten Wettbewerbsidee allerdings nicht hin, um die reale Wettbewerbssituation der präferierten Marktform möglichst weit anzunähern. Vermachtung und Unternehmensabsprachen bilden für die Realität des Wirtschaftens potentielle Risiken, die eine höchstmögliche Umsetzung des Leitbilds verhindern können. Frühzeitig zog schon die ordoliberale Schule aus dieser Sachlage Konsequenzen. So sprach sie sich u.a. dafür aus: 55
Vgl. dazu oben vor allem in Kapitel 2.
108
III. Wirtschaftspolitische
Handlungsfelder
1. individuelle Freiheitsrechte zu schützen. Dies kommt nicht zuletzt in dem Bekenntnis zur Haftung zum Ausdruck. 2. Formen unlauteren Wettbewerbs zu unterbinden. 3. Machtkonstellationen zu überprüfen und ggf. zu entflechten. 4. Kartelle grundsätzlich zu verbieten. In der Wettbewerbsordnung Deutschlands sind viele Passagen enthalten, die sich auf die ordoliberalen Wurzeln zurückfuhren lassen. Sie entstanden prinzipiell in dem Geist, daß Wettbewerb sich am Ideal der vollkommenen Konkurrenz, also dem Gegeneinander von vielen Anbietern und vielen Nachfragern orientieren sollte. Eine Orientierung am besten Wettbewerbsergebnis lag also nur in der Weise vor, daß die Institution des freien Wettbewerbs als Garant für akzeptable Ergebnisse des Wirtschaftens gesehen wurden. Eingriffe in den Wettbewerb, die dazu dienen, Marktresultate, die im freien Wettbewerb entstanden waren aus nicht wettbewerblichen Gründen zu korrigieren, lehnten die ordoliberalen Ökonomen ebenso ab, wie alle übrigen, am Ideal der vollkommenen Konkurrenz orientierten Denkrichtungen.
2.1.2
Konzept des arbeitsfähigen Wettbewerbs
2.1.2.1
Grundlagen
Mit dem Konzept des arbeitsfähigen Wettbewerbs wurde ein völlig anderer Weg eingeschlagen als der, den beispielsweise die ordoliberalen Ökonomen vorgeschlagen hatten. Die Konzeption des arbeitsfähigen Wettbewerbs mißt dem Wettbewerb nicht etwa einen Eigenwert zu.
Funktionale Sichtweise des Konzepts Vielmehr wird die Berechtigung wettbewerblicher Ordnung jeder Art funktional hergeleitet. Danach dient Wettbewerb bestimmten Zielen, wobei die Marktform der vollkommenen Konkurrenz nicht alle Zielsetzungen zu erreichen in der Lage ist. Dies liegt daran, daß das Modell der vollkommenen Konkurrenz von der Zeitdimension abstrahiert, die im realen Wirtschaftsprozeß jedoch eine wesentliche Rolle spielt. In der Konzeption des arbeitsfähigen Wettbewerbs kommt diese Sichtweise in der Unterscheidung von statischen und dynamischen Zielsetzungen zum Ausdruck.
III. Wirtschaftspolitische
in der vollkommenen Konkurrenz erreichbare Ziele Abbildung
28: Ziele wettbewerblicher arbeitsfähigen
Handlungsfelder
109
in der vollkommenen Konkurrenz nicht erreichbare Ziele Ordnung nach dem Konzept des Wettbewerbs
Die Abbildung zeigt, welche Vorgaben das Konzept des arbeitsfähigen Wettbewerbs für eine Wettbewerbsordnung formuliert. Als statische Funktionen werden danach unterschieden: 1. die nachfrageorientierte Angebotszusammensetzung. Diese kann durch den Preismechanismus der vollkommenen Konkurrenz umgesetzt werden, weil nur solche Angebote am Markt „überleben" können, die auch eine Nachfrage finden. 2. die optimale Faktorallokation. Hiernach müssen die Produktionsfaktoren in diejenige Verwendung gelenkt werden, in der sie am dringlichsten gebraucht werden. Auch dies läßt sich in der vollkommenen Konkurrenz sicherstellen, da auch hier der Preis - eben für die jeweiligen Produktionsfaktoren - den Einsatz der Produktionsfaktoren zu lenken in der Lage ist. 3. funktionale Einkommensverteilung. Diese Funktion verlangt danach, daß die Einkommen nach den Funktionen, die im Prozeß des Wirtschaftens eingenommen werden, verteilt werden. Dies stellt nichts anderes dar als die Reformulierung der Forderung nach einer leistungsgerechten Entlohnung, wie sie von der ordoliberalen Schule verlangt wurde. Auch diese Aufgabe kann in einer vollkommenen Konkurrenz erfüllt werden. Kritischer sieht die Konzeption des arbeitsfähigen Wettbewerbs jedoch die Funktionenerfullung hinsichtlich der dynamischen Funktionen. Diese sind: 1. die Durchsetzung des technischen Fortschritts. Hieran muß die vollkommene Konkurrenz scheitern, weil sie so etwas wie Fortschritt gar nicht kennen kann. In
110
III Wirtschaftspolitische
Handlungsfelder
ihr herrscht vollkommene Information, und genau dies verhindert, daß die Wirtschaftssubjekte den Fort-Schritt eben Schritt für Schritt entdecken. In der Realität führt damit eine Marktform, so die Folgerung des Konzepts des arbeitsfähigen Wettbewerbs, zu einer Tendenz zum Stillstand. 2. die (dynamische) Anpassung an Datenänderungen. Hier geht es darum, daß sich ein Wirtschaftssystem auf Veränderungen einstellen muß, die nicht in seinem Zuständigkeitsbereich entstehen. Hierunter fallen Änderungen von Gesetzen ebenso wie Verknappung von natürlichen Rohstoffen, internationale Krisen (man denke an den Ölschock in den 70er Jahren) u.ä. In allen genannten und vielen weiteren Fällen muß die Wirtschaft reagieren. Diese Aufgabe kann eine „entzeitlichte" Marktform wie die vollkommene Konkurrenz allerdings ebensowenig leisten wie die Durchsetzung des technischen Fortschritts. Auch hier, so folgert die Konzeption, ist das Idealbild des Wettbewerbs nicht auf die Funktionenerfiillung vorbereitet.
Von der Second-best-Solution zur neuen Wettbewerbssicht Betrachtet man die Entwicklung des Konzepts, so wurde die fundamentale Kritik am Leitbild des Wettbewerbs eher zufällig entdeckt. Zunächst war die vollkommene Konkurrenz auch innerhalb des Ansatzes zum arbeitsfähigen Wettbewerb als Leitbild unumstritten, aber eben nicht realisierbar. So begann die Suche nach einer Second-best-Solution, also einer Marktform, die umsetzbar und im Möglichkeitenraum tatsächlicher Ordnungen eben die zweitbeste nach der vollkommenen Konkurrenz war. Für die Beurteilung, welche marktliche Ordnung denn die (zweit-) besten Resultate hervorbringen würde, war dann der Funktionenkatalog entwickelt worden, an dem dann jedoch das Idealbild selbst scheiterte. Die erste Konsequenz war dann folgerichtig der Verzicht auf den Versuch der möglichst dichten Annäherung an die vollkommene Konkurrenz. Die - wie auch immer konkret ausgestaltete ehemalige Second-best-Solution wurde zum Leitbild und die Suche nach dieser Konzeption stellte die neue zentrale Aufgabe der Wettbewerbstheorie dar. Für die Suche nach dieser Ordnung wurden zunächst wesentliche Grundthesen aufgestellt: 1. Der Wettbewerb stellt einen dynamischen Prozeß dar. Deshalb muß die optimale Marktordnung dynamischen Charakter und die Eigenschaft zur Veränderung besitzen. Die Beschreibungen Schumpeters, der Wettbewerb als prozeßuale Ordnung von Vorstoß und Verfolgung definiert, sind hier grundlegend. 2. Das Struktur-Verhaltens-Ergebnis-Paradigma läßt Schlüsse von der marktlichen Struktur auf die Marktergebnisse in der Weise zu, als eine bestimmte Struktur jeweils bestimmte Verhalten der Unternehmen wie Nachfrager ökonomisch rational werden läßt. Deshalb ist die Wirtschaftsstruktur als Ansatzpunkt der Wettbewerbspolitik zu sehen. 3. Es ist in Fällen, in denen eine Bedingung für die vollkommene Konkurrenz nicht erfüllt ist (beispielsweise das Nicht-Vorhandensein vollkommender Information) ggf. wettbewerbsfordernd, wenn eine zweite Prämisse ebenfalls außer Kraft gesetzt wird (beispielsweise der Verzicht auf atomistische Konkurrenz, was Informationsbeschaffung erleichtert und den Wettbewerb stärker werden läßt). Diese Idee wurde als Gegengiftthese bekannt.
III. Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
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Betrachtet man diese Argumentation rückschauend und zieht man ein Zwischenfazit, so stellt die Idee des arbeitsfähigen Wettbewerbs einen Einschnitt in die Argumentation dar, der marktwirtschaftliche Ordnungen deutlich vom Idealbild der vollkommenen Konkurrenz weglenkte.
Aufgaben im Zuge der Konkretisierung des Konzepts Wie noch gezeigt werden wird, enthielt das Konzept einen potentiell wettbewerbskritischen Kern, denn die Fähigkeit freier Konkurrenz auf nicht vollkommenen Märkten in eine optimale Marktform überzugehen, mußte zunächst untersucht werden und konnte nicht per se angenommen werden. Damit waren auch die Aufgabengebiete einer am Konzept des arbeitsfähigen Wettbewerbs orientierten Theorie definiert: 1. Es mußten Maßeinheiten gefunden werden, an denen die Leistungsfähigkeit konkreter Wettbewerbsbedingungen zu messen waren. 2. Es mußte aus diesen Kriterien eine optimale Marktform deduziert werden. 3. Es war zu prüfen, ob diese Marktform sich automatisch im freien Wettbewerb herausbilden würde, oder ob wettbewerbspolitische Eingriffe zur Realisation und/oder Stabilisierung der optimalen Marktform notwendig sein würden. Die genannten Fragestellungen stellen letztlich eine Konkretisierung der bis dahin allgemeinen Auseinandersetzung mit dem Wettbewerbsleitbild der vollkommenen Konkurrenz dar.
2.1.2.2
Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität
Am Beispiel des in Deutschland entwickelten Konzepts der optimalen Wettbewerbsintensität soll exemplarisch gezeigt werden, zu welchen Ergebnissen diese Entwicklung des Konzepts führte. Es ist eng verbunden mit dem Namen Kantzenbach, der das Konzept entwickelte. Seinen Namen verdankt der Ansatz im übrigen der Antwort, die es auf die erste Fragestellung gibt.
Wettbewerbsintensität als Maßeinheit für die Stärke des Wettbewerbs Der Vorschlag Kantzenbachs zur Messung der Stärke des Wettbewerbs setzt an den Ideen Schumpeters an, der Wettbewerb als dynamische Abfolge aus Vorstoß und Verfolgung definierte. In einem derart verstandenen Prozeß des Wirtschaftens gelingt es Innovatoren, einen Vorsprung vor Konkurrenten zu erlangen. Dieser Vorsprung kann in Kostensenkungen durch verbesserte Produktionsbedingungen ebenso bestehen, wie in neuen Produktideen u.v.a.m. Typisch für alle Arten der Pioniere ist, daß sie durch den komparativen Vorteil, den sie sich erarbeiten, Vorsprungsgewinne realisieren können, die über denen der Konkurrenten liegen. Ebenso unausweichlich wie das Vorstoßen von Innovatoren im Marktprozeß fuhrt der Wettbewerb aber auch zu einer Verfolgungsreaktion der Konkurrenten. Diese werden versuchen, die Vorteile des Pioniers auszugleichen, mit diesem gleichzuziehen oder ihn zu überholen. Ein solcher Verfolgungswettlauf benötigt zwar Zeit, gleicht aber irgendwann (grundsätzlich) jeden Wettbewerbsvorteil wieder aus. Genau diese Eigenschaft des Wettbewerbs greift das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität auf. Kantzenbach entwickelt sein Maß für die Stärke des Wettbewerbs mit Blick auf die Zeitspanne im Verfolgungswettbewerb und definiert
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.Wettbewerbsintensität' als die Geschwindigkeit, mit der Vorsprungsgewinne von der Konkurrenz ausgeglichen werden. Je kürzer die Zeitspanne ist, die ein Wettbewerbsvorteil Bestand hat, um so höher fällt die Wettbewerbsintensität aus und als um so stärker kann der Wettbewerb angenommen werden. Für die weitere Verwendung der Wettbewerbsintensität ist zunächst festzuhalten, daß sie nur dann besteht, wenn mindestens ein tatsächlicher und ein weiterer tatsächlicher oder potentieller Konkurrent auf dem Markt auftreten bzw. auftreten können. Schließlich ist nach Kantzenbach zu unterscheiden zwischen der potentiellen und effektiven Wettbewerbsintensität. Diese Unterscheidung ist notwendig, weil das Konzept seine wesentlichen Folgerungen nicht empirisch sondern analytischdeduktiv erarbeitet. Es wird unterstellt, daß sich Wettbewerbsintensität durch zwei Variablen funktional beschreiben läßt, wobei die Funktionsbeschreibung theoretisch begründet wird. Als erste Variable wird die Marktunvollkommenheit festgelegt, wobei diese hauptsächlich auf die vollkommene Information rekurriert. Als zweite Variable wird die Anbieterzahl beschrieben. Für die funktionalen Zusammenhänge wird dann grundsätzlich behauptet: 1. Die mögliche (potentielle) Wettbewerbsintensität steigt, wenn die Marktunvollkommenheit - ausgedrückt als Informationsunvollkommenheit sinkt. 2. Bei gegebener Marktunvollkommenheit steigt die potentielle Wettbewerbsintensität, wenn die Zahl der Anbieter sinkt, da die Informationsbeschaffungsdefizite sich durch die zunehmende Übersichtlichkeit des Marktes kompensieren lassen (man denke an die Gegengiftthese!). Von der potentiellen Wettbewerbsintensität ist die effektive Wettbewerbsintensität zu unterscheiden. Diese gibt an, wie hoch die am Markt tatsächlich wirksam werdende Stärke des Wettbewerbs ausfällt. Am Beispiel der variablen Anbieterzahl soll diese Unterscheidung veranschaulicht werden. Die Funktion der potentiellen Wettbewerbsintensität verläuft ab einer Anbieterzahl von 2 stetig fallend und konvergiert bei unendlichen Anbieterzahlen gegen Null. Die effektive Wettbewerbsintensität hingegen beginnt bei einer Anbieterzahl von zwei Anbietern bei Null, steigt dann an und sinkt später wieder ab. Ab dem Maximum der Funktion der effektiven Wettbewerbsintensität geht die Funktion in die potentielle Wettbewerbsintensität über, d.h. beide Funktionen verlaufen deckungsgleich. Wie lassen sich diese Funktionsverläufe erklären?
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Abbildung 29: Potentielle und effektive Wettbewerbsintensität Anbieterzahl
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am Beispiel
1. Die potentielle Wettbewerbsintensität beschreibt die eben bereits beschriebene Grundannahme, daß mit steigender Übersichtlichkeit des (annahmegemäß unvollkommenen) Marktes die Stärke des Wettbewerbs zunimmt. Dies liegt daran, daß die Nachfrager benötigte Informationen über die Anbieter mit abnehmender Menge von Anbietern immer leichter besorgen können. Dies dürfte ohne Probleme nachvollziehbar sein, wenn man versucht, einen vollständigen Überblick über die Anbieter am Markt für Brötchen zu erlangen und die Informationsaufwendungen mit denen vergleicht, die anfallen, wenn man einen Überblick über die Anbieter von Betriebssystemen oder Prozessoren für Computer anstrebt. Mit sinkender Anzahl der Anbieter ist der Zugang zu Informationen leichter und damit auch der mögliche Wettbewerbsdruck höher. 2. Gleichzeitig entsteht eben durch den hohen potentiellen Wettbewerbsdruck bei niedrigen Anbieterzahlen ein Anreiz, den Wettbewerb zu umgehen und durch Absprachen, Kartelle oder sonstige wettbewerbswidrige Verhalten die Wettbewerbssituation zu entschärfen. U.a. deshalb ist nach Meinung des Konzepts der optimalen Wettbewerbsintensität davon auszugehen, daß ab einer gewissen Anbieterzahl diese Tendenzen zur Umgehung des Wettbewerbs die möglichen Wettbewerbsintensitäten nicht entstehen lassen und statt dessen tatsächliche Wettbewerbsintensität abnimmt.
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Das weite Oligopol Die auf diese Weise grob umrissene Argumentation legt logischerweise das Schwergewicht auf die effektive, also tatsächlich realisierbare, Wettbewerbsintensität. Für die Frage nach der optimalen Marktform hat dies eine entscheidende Auswirkung: Die Wettbewerbssituation wird zu einer optimierbaren Größe, in der das lokale Maximum der Funktion der effektiven Wettbewerbsintensität das Höchstmaß an Stärke des Wettbewerbsintensität realisiert. An dieser Stelle kann dann auch die Antwort auf die Frage nach der optimalen Marktform gegeben werden. Es wird diejenige Marktform als optimal angesehen, bei der die höchste Wettbewerbsintensität realisiert werden kann. Dies läßt sich argumentativ über das Struktur-Verhaltens-Ergebnis-Paradigma plausibilisieren, nach dem die Marktform so gestaltet ist, daß sie übersichtlich genug ist, damit die Nachfrager Informationen beschaffen können, gleichzeitig ist die Marktform aber so unübersichtlich, daß die Anbieter die Anreize zur Umgehung des Wettbewerbs nicht in konkrete Absprachen umsetzen können. Die auf diese Weise identifizierte Marktform nennt Kantzenbach das ,weite Oligopol'. Diese Marktform löst innerhalb des Konzepts die vollkommene Konkurrenz als wettbewerbspolitisches Leitbild ab.
Stabilität der optimalen Marktform Es dürfte durch die Ausfuhrungen zur effektiven Wettbewerbsfähigkeit deutlich geworden sein, daß das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität nicht von einer automatischen Durchsetzung des weiten Oligopols ausgeht. Vielmehr kann es zu Situationen kommen, in denen die Anbieterzahl aus dem optimalen Bereich nach oben oder unten herausfallt. Während man unter der Herrschaft des Primats des freien Wettbewerbs und Marktzugangs nur schwerlich verhindern kann, daß zusätzliche Anbieter auftreten - es wäre ggf. denkbar, Zusammenarbeit von Unternehmen politisch zu fördern - , stellt der umgekehrte Fall zumindest dann einen Bereich wirtschaftspolitischer Ablaufpolitik dar, wenn Unternehmen, die in einem weiten Oligopol anbieten, Zusammenschlußabsichten hegen. In einem solchen Fall ist nach Meinung der Konzeption der optimalen Wettbewerbsintensität eine wirtschaftspolitische Problemlage zu identifizieren und Handlungsbedarf angezeigt. Die hier angedeuteten wirtschaftspolitischen Konsequenzen des Konzepts werden im Zusammenhang mit Zielsetzungen und Instrumenten der Wettbewerbspolitik noch ausfuhrlicher besprochen.
2.1.3
Das Wettbewerbsfreiheitskonzept
Das Wettbewerbsfreiheitskonzept entstand nach der Idee des arbeitsfähigen Wettbewerbs und in der Auseinandersetzung mit dem Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität. Es stellt einen Rückgriff auf Ansätze der Klassik der Nationalökonomie dar und kann der neoklassischen Wettbewerbstheorie zugeordnet werden. Die wesentlichen Aussagen des Konzepts lauten: 1. An die Stelle einer statischen Vorstellung von Wettbewerb wird die des evolutionären Prozesses gestellt, in dem es prinzipiell keine Ergebnisvorhersagen geben kann. 2. Die Möglichkeit, von der Struktur über Verhalten auf das Marktergebnis zu
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schließen, wird aus diesem Grunde abgelehnt, womit auch die Frage nach einer optimalen Marktform obsolet wird. 3. Der freie Wettbewerb garantiert, in welcher konkreten Marktform auch immer, dann die besten Ergebnisse, wenn der freie Marktzutritt und das freie Marktausscheiden gewährleistet werden und das Spiel der Marktkräfte nicht behindert wird. 4. Beschränkungen des Wettbewerbs sind so weit wie möglich zu unterbinden. Dies gilt auch und vor allem für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen der im Wettbewerb stehenden Unternehmen. Diese Auffassungen vorausgesetzt, kann die wirtschaftspolitische Folgerung des Konzepts relativ leicht gezogen werden. Der Ansatzpunkt wettbewerbspolitischer Handlungen kann nicht in der Marktstruktur gesehen werden. Jede Marktstruktur sogar das Monopol - ist wettbewerbskonform, weil durch den potentiellen Wettbewerb, also die Möglichkeit des freien Markteintritts, immer ein Konkurrenzdruck entsteht, der nur dann abgewehrt werden kann, wenn die Unternehmen überlegene Ergebnisse realisieren. Mithin ist jedes Marktergebnis akzeptabel, solange die Spielregeln des freien Spiels der Marktkräfte eingehalten werden. Gerade deshalb muß Wettbewerbspolitik an den Verhalten ansetzen. Für die Umsetzung der Wettbewerbspolitik über die Verhaltenssteuerung empfiehlt das Konzept sogenannte Per-se-Verbote, die bestimmte, als den Wettbewerb beschränkend identifizierte Verhaltensweisen grundsätzlich verbieten, gleichgültig, welche konkreten Ergebnisse damit verbunden sind. Für das Konzept der Wettbewerbsfreiheit sind eben auch die Marktergebnisse keine Indikatoren für wettbewerbspolitische Problemlagen. Mit den Ausführungen zum Wettbewerbsfreiheitskonzept sollen die konzeptionellen Ausführungen abgeschlossen werden. Ihnen können nun Herleitungen der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen sowie der Instrumente der Wettbewerbspolitik folgen.
2.2 Wettbewerbspolitische Ziele und Instrumente Die Verbindung von Zielen und Konzeptionen Die wesentlichen Zielsetzungen der Wettbewerbspolitik lassen sich mit den drei genannten Konzeptionen deutlich in Verbindung bringen und aus dieser Relation heraus erklären. Dabei gilt, daß die einzelnen Konzeptionen unterschiedliche Zielsetzungen in je verschiedener Weise hervorheben und vertreten: 1. Das grundsätzliche Bekenntnis der ordoliberalen Schule zur individuellen Freiheit, das sich bereits in der Postulierung der Vertragsfreiheit zeigte und gleichzeitig Norm und Grenze für die eigene wie für die Freiheit des anderen bildet, kommt im Ziel des Individualschutzes besonders zur Geltung. Individualschutz bedeutetet dabei, daß die Rechte des einzelnen gesichert und Einzelwirtschaften wie Individuen von nicht wettbewerblichen Verhalten geschützt werden sollen. Als Instrumente hierzu sind beispielsweise Fragen der Produkthaftung zu nennen. Ebenso fallen die Bestimmungen des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb, in dem z.B. unzulässige Werbepraktiken geregelt werden, als Instrumente in den Bereich des Ziels des Individualschutzes.
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2. Die zweite Zielsetzung der Wettbewerbspolitik dient dem Schutz und Erhalt des Wettbewerbs selbst. Dies wird häufig mit dem Stichwort ,.Institutionenschutz' umschrieben. Institutionenschutz heißt dann, daß Verhaltensweisen, die den Wettbewerb einschränken, abzuwehren sind. Diese Zielsetzung findet sich sowohl durch das Kartellverbot, das besonders stark die Handschrift der ordoliberalen Schule trägt, als auch in der Mißbrauchsaufsicht, die mit den Ideen des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit in hohem Maße korreliert, wieder. 3. Die dritte Zielsetzung schließlich, konzentriert sich auf die Funktionenerfullung durch Wettbewerb. Diese instrumentale Funktion - gelegentlich wird von Funktionenerfiillungsschutz gesprochen konzentriert sich auf die Marktergebnisse, die wiederum in Wohlstand, Preisen etc. widergespiegelt werden. Sowohl Teile der Mißbrauchsaufsicht als auch die präventive Fusionskontrolle fallen unter diese Funktion. Die Fusionskontrolle ist in ihrem Wesen geprägt durch die Ideen des Konzepts der optimalen Wettbewerbsintensität, das die Verbesserung der Erfüllung der Wettbewerbsfunktionen durch die Optimierung der Marktstruktur in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik stellt. Nach dieser kurzen Beschreibung der Verbindungen von Zielsetzungen und Konzeptionen der Wettbewerbspolitik sollen die drei wesentlichen Elemente, die Eingriffe in das Wirtschaftssystem erfordern, also ablaufpolitischen Charakter besitzen und von einem eigenen Realisationsträger, dem Kartellamt umgesetzt werden, in den Grundzügen vorgestellt werden. Exemplarisch wird dies am Beispiel des deutschen Wettbewerbsrechts geschehen. Es existieren allerdings auf europäischem Niveau in der EU zu allen drei Teilgebieten analoge Bestimmungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden wird. Die drei Teilbereiche der Wettbewerbspolitik sind: 1. das Kartellverbot und seine Ausnahmen, 2. die Mißbrauchsaufsicht, 3. die präventive Fusionskontrolle.
Das Kartellverbot Der Aufbau des deutschen Kartellrechts i.c.S.56 besitzt einen juristisch interessanten Aufbau. Der § 1 GWB verbietet zunächst grundsätzlich jede Kartellbildung und weist dann darauf hin, daß in den folgenden Paragraphen diejenigen Kartelle genannt werden, die ausdrücklich von dem Kartellverbot ausgenommen sind. Die wettbewerbstheoretische Überzeugung, die hinter diesem Aufbau steht, geht wiederum auf die ordoliberale Schule zurück, die in Kartellen eine Gefahr für das Leitbild der vollkommenen Konkurrenz sah. Die Tatsache, daß es Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot gibt, deutet dann die Verbindungen zu den anderen wettbewerbspolitischen Konzeptionen an, die die Unvollkommenheit realer 56
Kartellrecht wird hier mit dem Zusatz „im engeren Sinne" versehen, weil gelegentlich die drei Bereiche der Wettbewerbspolitik - Kartellverbot und Ausnahmen, Fusionskontrolle und Mißbrauchsaufsicht - mit dem Begriff ,Kartellrecht' als Sammelbegriff bezeichnet werden. Diese Begriffsfassung erscheint allerdings sehr unglücklich.
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Marktformen hervorheben und in bestimmten Arten von Kartellen durchaus eine Wettbewerbsintensivierung sehen. Unter einem ,Kartell' wird im Rahmen des Kartellrechts jeder Vertrag zwischen Unternehmen verstanden, bei dem rechtlich und organisatorisch unabhängig bleibende Unternehmen sich hinsichtlich eines Wettbewerbsparameters abstimmen und damit ihre Entscheidungsfreiheit hinsichtlich dieses Parameters einschränken. Wettbewerbsparameter können dabei u.a. Preise, Mengen, Qualitäten, Normen, Einkaufsentscheidungen u.v.m. sein. Damit sind viele Varianten von Kartellen denkbar, und auch deshalb wurde grundsätzliches Verbot von Kartellen zunächst ausgesprochen, um dem Problem der vollständigen Aufzählung zu entgehen. Die Ausnahmen vom Kartellverbot werden in drei Kategorien unterteilt: 1. Anmeldekartelle, die dem Kartellamt lediglich mitgeteilt werden müssen (Beispiel: Normen- und Typenkartelle). 2. Widerspruchskartelle, die dem Kartellamt mitgeteilt werden müssen und wirksam werden, falls das Kartellamt nicht innerhalb von drei Monaten dem Kartellvertrag widerspricht (Beispiel: Konditionenkartelle). 3. Erlaubniskartelle, die beim Kartellamt angemeldet werden müssen und erst dann wirksam werden, wenn die Kartellbehörde ausdrücklich die Erlaubnis für die Realisierung des Vertrags gegeben hat (Beispiel: Importkartelle). Daß es sich bei dem Kartellverbot um ein wirtschaftspolitisches Instrument handelt, das Entscheidungsräume für die Kartellbehörde eröffnet, wird vor allem im Falle der Widerspruchskartelle und Erlaubniskartelle deutlich. Hier besitzt das Kartellamt einen Spielraum, in dem es die Entscheidung über Zulassung und Anlehnung fällen kann.
Mißbrauchsaufsicht Die Mißbrauchsaufsicht stellt die Verhalten der Unternehmen in den Mittelpunkt. Dabei geht es jedoch nicht um die Frage von allgemeinen Unredlichkeiten im Umgang mit Kunden oder Mitbewerbern - diesen Bereich regelt das UWG sondern um das mißbräuchliche Ausnutzen einer Machtposition, die wiederum in einer marktbeherrschenden Stellung zum Ausdruck kommt. Damit sind die beiden wesentlichen Voraussetzungen für den Einsatz des Instrumentariums der Mißbrauchsaufsicht gegeben: 1. Es muß eine Marktbeherrschung vorliegen. 2. Die Marktbeherrschung muß in einer wettbewerbswidrigen Weise ausgenutzt werden, d.h., es muß Machtmißbrauch vorliegen. Sind beide Voraussetzungen gegeben - es wird nachstehend zu klären sein, wann dies der Fall ist - , so kann die Kartellbehörde das Verhalten untersagen. So können Preise oder andere Konditionen in Verträgen für nichtig erklärt werden etc. Dieses Vorgehen ist zweifelsohne im Sinne sowohl ordoliberaler Überzeugungen (man denke an das Prinzip zur Kontrolle von Marktmacht) als auch von Vorstellungen des Wettbewerbsfreiheitskonzepts. Der Ablauf der Mißbrauchsaufsicht wird in seinen Grundzügen in der Abbildung wiedergegeben. Die einzelnen Schritte sind zum Teil mit großen Schwierigkeiten verbunden.
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Exemplarisch soll dies an der Entscheidung über das Vorliegen von Mißbrauch kurz verdeutlicht werden: 1. Ausgangspunkt für die Entscheidung ist das Vorliegen einer konkreten Handlung, wie bestimmte Lieferbedingungen im Vertragstext, die mit Zulieferern ausgehandelt wurden. 2. Es muß überprüft werden, ob die Bedingungen ungerechtfertigte Passagen enthalten, die gegen wettbewerbskonformes Verhalten verstoßen. 3. Dazu bedarf es eines Vergleichsmaßstabs (direkter Vergleich) oder eines Modells über Verhalten, die wettbewerbskonform wären (indirekter Vergleich). Ersteres kann über räumliche, sachliche oder zeitliche Vergleichsmärkte erfolgen, letzteres ist i.d.R. nur dann möglich, wenn die Bedingungen des überprüften Unternehmens genau bekannt sind. 4. Abschließend muß geklärt werden, ob die Verhalten tatsächlich aus der Machtposition erwachsen. Phase 1:
Phase 2:
Phase 3:
Bestimmung der Marktbeherrschung
Verhaltensüberprüfuiig
Maßnahmenrealisation
Abbildung 30: Ablaufdiagramm zur
Mißbrauchsaufsicht
Es dürfte einsichtig sein, daß eine solche Überprüfung ggf. sehr viel Zeit beansprucht. Hier deuten sich potentielle Time-Lags an. Zudem gilt, daß die beschriebenen Schritte lediglich einen Ausschnitt aus dem gesamten Überprüfungsprozeß rudimentär umreißen und jede einzelne Etappe wiederum in Teilschritte untergliedert werden könnte.
Präventive Fusionskontrolle Das Instrument der präventiven Fusionskontrolle geht im wesentlichen auf die Ausführungen des Konzepts der optimalen Wettbewerbsintensität zurück. In den Bereich der Fusionskontrolle fallen nach den deutschen Bestimmungen: 1. Erwerb wesentlicher Vermögensteile an Unternehmen, 2. Erwerb von einem mindestens 25%igen Anteil an einem Unternehmen,
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3. Konzernverträge, Unternehmensteile,
Handlungsfelder
Gewinnabtretungsverträge,
Verpachtung
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wesentlicher
4. Personengleichheit von mindestens 50% in den geschäftsführenden Organen, 5. alle sonstigen Verhältnisse, die einen beherrschenden Einfluß eines Unternehmens auf ein anderes zu realisieren geeignet sind. Das Ziel der präventiven Fusionskontrolle ist es, den Wettbewerb davor zu schützen, daß Unternehmen durch die Durchführung von Zusammenschlüssen eine marktbeherrschende Stellung erhalten. Weil es hier um die Verhinderung von zukünftigen Entwicklungen geht, spricht man eben von ,präventiver', also (Marktmacht) vorbeugender Fusionskontrolle. Da die Fusion auch größerer Unternehmen nach Auffassung des Konzepts optimaler Wettbewerbsintensität nicht per se zu negativen Wettbewerbsfolgen fuhren muß (man denke beispielsweise an die steigende Übersichtlichkeit und Erleichterung der Informationsbeschaffung), ist die vermutete Entstehung von Marktmacht alleine kein ausreichender Sachverhalt, der eine Untersagung einer Fusion rechtfertigt. Deshalb ist auch hier ein Politikinstrument geschaffen, daß der Kartellbehörde sehr wohl einen Entscheidungsspielraum einräumt. In weiten Teilen des Verfahrens bestehen große Parallelen zwischen der Fusionskontrolle und der Mißbrauchsaufsicht. In beiden Fällen stellt der Begriff der marktbeherrschenden Stellung' eine zentrale Rolle. Der Unterschied liegt aber immer darin, daß sich Mißbrauchsaufsicht mit konkreten Verhalten tatsächlich marktbeherrschender Unternehmen beschäftigt, während die Fusionskontrolle die mögliche Entstehung von Marktmacht und deren prognostizierte Folgen beurteilt. Wesentlich für die Fusionskontrolle ist weiterhin, daß sie nicht alle denkbaren Unternehmenszusammenschlüsse untersuchen muß. Für den Aufgriff ist eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Fusion Voraussetzung, die sich u.a. in dem Volumen des betroffenen Marktes oder dem Umsatz der potentiell fusionierenden Unternehmen ausdrückt. 5 7 Diese Bestimmung wird mit dem Begriff der ,Bagatellklausel' umschrieben. Oberhalb der Bagatellklausel gilt dann eine Zweiteilung. Dabei wird unterschieden zwischen: 1. anzeigepflichtigen Fusionen, die dem Kartellamt angezeigt und dann realisiert werden dürfen. Sollte die Fusionskontrolle zu dem Ergebnis gelangen, daß die Fusion nicht genehmigungsfähig ist, tragen die Unternehmen selbst das Risiko der Entflechtung. 2. anmeldepflichtige Fusionen, die beim Kartellamt angemeldet werden müssen und mit deren Realisierung erst begonnen werden darf, wenn die Zustimmung ausdrücklich erfolgte. Da Anmeldung auch für anzeigepflichtige Fusionen möglich ist, hat diese Kategorie der Fusionskontrolle in Deutschland die größere 57
Im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle gilt ähnliches. Die Grenzen sind - wegen der größeren Ausdehnung des betrachteten Gebietes - jedoch nochmals höher als bei den deutschen Regelungen. Oberhalb der deutschen Regelungen greift dann also das Europäische Wettbewerbsrecht in Form der Fusionskontrolle. Die Einzelheiten zu Verfahren und Zuständigkeiten jedoch werden hier nicht besprochen. Interessierte Leser seien auf die entsprechenden rechtlichen und ökonomischen Literaturquellen verwiesen.
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Bedeutung, denn mit ihr ist das Risiko einer folgenden Entflechtung nicht verbunden. Eine Besonderheit gerade des deutschen Wettbewerbsrechts besteht darin, daß nach der Überprüfung einer Fusionsabsicht immer noch die Möglichkeit besteht, daß der Bundeswirtschaftsminister die Fusion trotzdem genehmigt. Diese Regelung besteht, weil die Kartellbehörde ausschließlich nach nationalen Wettbewerbsgesichtspunkten urteilen darf. Übergeordnete Zielsetzungen wie internationale Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsmarktwirkungen o.ä. sind bei der kartellbehördlichen Entscheidung damit nicht zu beachten. Gerade diese können aber eine (auf nationaler Ebene) wettbewerblich bedenkliche Fusion trotzdem rechtfertigen. Der Bundesminister prüft dann, ob derartige Gründe vorliegen und ob diese ausreichen, um die Entscheidung der Kartellbehörde auszusetzen.58 Abschließend bliebe noch zu erwähnen, daß Fusionskontrolle in keiner Weise auf eine Ja-nein-Entscheidung reduziert ist. Im Prozeß der Entscheidung ist es sehr wohl möglich, daß die Fusion unter Auflagen wie dem Abtrennen von Unternehmensteilen vor Fusion o.ä. genehmigt wird.
Begriffe zum Nachlesen arbeitsfähiger Wettbewerb Wettbewerbsfunktionen Einkommensentstehung Faktorallokation Vorsprungsgewinne Innovation Marktergebnisse Marktverhalten Second-best-Solution Gegengiftthese potentielle und effektive weites Oligopol Wettbewerbsintensität Mißbrauchsaufsicht Fusionskontrolle Evolutionsökonomik Kartellrecht i.e.S. W iderspruchskartel 1 Anmeldekartell anmeldepflichtiger anzeigepflichtiger Zusammenschluß Zusammenschluß relevanter Markt UWG präventive Fusionskontrolle Ministererlaubnis Ausbeutungsmißbrauch Strukturmißbrauch
Leitbild des Wettbewerbs Rahmendaten Marktstruktur Paradigma Wettbewerbsintensität Unternehmenszusammenschlüsse Kartellrecht i.w.S. Per-se-Verbote Erlaubniskartell räumliche, zeitliche, sachliche Makrtabgrenzung GWB Behinderungsmißbrauch Marktbeherrschung
Wiederholungsfragen 1. Geben Sie die wesentlichen Standpunkte der ordoliberalen Schule zur Wettbewerbspolitik wieder! 2. Geben Sie die wesentlichen Standpunkte der Konzeption des arbeitsfähigen Wettbewerbs zur Wettbewerbspolitik wieder! 58
Auch auf europäischer Ebene existiert eine grundsätzlich analoge Bestimmung. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, daß die institutionelle Trennung zwischen Wettbewerbsbehörde und Ministerium hinsichtlich der Entscheidungen nicht vorgenommen wurde (und, da es ein europäisches Ministerium ja gar nicht gibt, in dieser Weise gar nicht vorgenommen werden kann).
III. Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
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3. Zeigen Sie, weshalb das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität als Variante des Anzatzes des arbeitsfähigen Wettbewerbs beschrieben werden kann! 4. Geben Sie die wesentlichen Standpunkte des Wettbewerbsfreiheitskonzepts zur Wettbewerbspolitik wieder! 5. Zeigen Sie, weshalb man beim Wettbewerbsfreiheitskonzept neoklassischen Wettbewerbskonzept sprechen kann!
von
einem
6. Geben Sie die Grundzüge des Kartellrechts i.e.S. wieder! 7. Zeigen Sie das Verfahren der Mißbrauchsaufsicht in seinen Grundzügen auf! 8. Zeigen Sie das Verfahren der präventiven Fusionskontrolle in seinen Grundzügen auf! 9. Fertigen Sie eine Time-lag-Analyse für die Mißbrauchsaufsicht an! 10.Fertigen Sie eine Time-lag-Analyse für die Fusionskontrolle an!
11.Weshalb kann man beim generellen Verbot von Kartellen davon sprechen, daß es auf ordoliberale Ideen zurückgeht? 12.Weshalb gilt die präventive Fusionskontrolle als pragmatische Umsetzung der Ideen des Konzepts der optimalen Wettbewerbsintensität? 13.Unterscheiden Sie mit Hilfe von Beispielen ordnungspolitische Institutionen und ablaufpolitische Instrumente der Wettbewerbspolitik!
122
3.
III. Wirtschaftspolitische
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Stabilitätspolitik
In diesem Kapitel lernen Sie • wesentliche Instrumente der Umsetzung des Stabilitätsgesetzes kennen, • Instrumente der Wachstumspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Außenwirtschaftspolitik, • die Konzepte der Nachfragesteuerung und Angebotsorientierung, • die Unterscheidung von Strukturproblemen und Konjunkturproblemen, • die Grenzen der Möglichkeiten der Stabilisierung kennen. Unter dem Stichwort , Stabilitätspolitik' werden diejenigen Handlungsfelder besprochen, die sich aus dem oben dargestellten Stabilitätsgesetz ergeben. Dabei gilt jedoch, daß die Geldpolitik als Instrument der Stabilitätspolitik aus der Besprechung ausgeklammert bleibt, da die Geldpolitik und deren Instrumentarien bereits ausfuhrlich dargelegt wurden. Damit bleiben die Handlungsfelder Wachstumspolitik, Außenwirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik übrig. Mit Blick auf die Breite der einzelnen Felder wird hier lediglich angestrebt, einen groben Überblick und ein Problembewußtsein für wirtschaftspolitische Problemlagen und Konzeptionen zu geben. Eingehende Diskussion der unterschiedlichen Ansätze, widerstreitenden Meinungen etc. kann hier nicht geleistet werden. 59
3.1
Wachstumspolitik
Ein wesentlicher Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt deshalb ein auch theoretisch umstrittenes Feld der Wirtschaftspolitik bildet die Wachstumspolitik. Ihr Ziel ist es, die potentielle Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu steigern. In der oben mit Blick auf die Konjunkturlagen verwendeten Abbildung zum Konjunkturzyklus ist der Gegenstand der Wachstumspolitik mithin bereits angedeutet, denn der Wachstumstrend stellt prinzipiell nichts anderes dar, als das denkbare Niveau, auf dem sich Wirtschaften abspielen kann. Argumentatorisch kann zudem gesagt werden, daß hier die Dualität von Angebot und Nachfrage in das Zentrum rückt, denn Konjunkturschwankungen werden in aller Regel als nachfrageinduzierte Problemlagen identifiziert, während die Wachstumstrends und also das theoretisch produzierbare Sozialprodukt die Leistungspotentiale der Angebotsseite zum Ausdruck bringen. Da letztlich auch für die Konjunkturlagen und das quantitative Niveau, auf dem sich die Schwankungen abspielen, das Produktionspotential eine zentrale Rolle spielt, kann auch hier ein Ansatzpunkt wirtschaftspolitischer Handlungen gesehen werden.60 Um die Frage zu beantworten, ob Wachstum im Wirtschaftsprozeß quasi automatisch entsteht oder ob es von außen angestoßen werden muß, gilt es wiederum, wirtschaftstheoretische Ansätze heranzuziehen, die dann zu Konzeptionen zur Wachstumspolitik und damit zu Ausgangspunkten für Instrumente des 59
60
Interessierte Leser seien wiederum auf die zahlreichen Arbeiten der entsprechenden Fachliteratur verwiesen. Die Ausführungen zur potentialorientierten Geldpolitik weisen große Nähe zu der hier angedeuteten Argumentationslinie auf.
III. Wirtschaftspolitische Handlungsfelder
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Politikbereichs verdichtet werden können. Bevor dies geschieht, sollen jedoch allgemeine Gesichtspunkte der Wachstumstheorie vorgestellt werden.
3.1.1
Determinanten des Wachstums
Als ,Determinanten des Wachstums' können alle Einflußgrößen bezeichnet werden, die sich auf das Produktionspotential auswirken. Neben einer großen Zahl ökonomischer Determinanten bestehen in dieser allgemeinen Sprachregelung dann auch nicht-ökonomische Faktoren, wie gesellschaftliche Stimmungslagen, politische Umstände u.v.a.m. Damit wird eine ursachengerechte Betrachtung und die Einhaltung der c.p.-Bedingung nahezu unmöglich - was auch bedeutet, daß eine empirische Widerlegung von Thesen kaum eindeutig gelingen kann. Wird die Untersuchung auf die (mehr oder weniger eindeutig) ökonomischen Determinanten fokussiert, so bleibt der Untersuchungsgegenstand immer noch sehr komplex. Eine Systematisierung der Determinanten ist deshalb notwendig. Determinanten des Wirtschaftswachstums nicht ökonomische Determinanten
1 J
ökonomische Determ lantén
J
qualitative ökonomische Deterniianten
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quantitative ökonomische Detemiianten
Verbesserung der Faktorkombinat) on
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