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German Pages 235 [240] Year 1998
Lehr- und Handbücher zur Ökologischen Unternehmensführung und Umweltökonomie Herausgegeben von
Dr. Carlo Burschel Bisher erschienene Werke: Birke • Burschel • Schwarz (Hrg.), Handbuch Umweltschutz und Organisation Bringezu, Umweltpolitik Jens, Ökologieorientierte Wirtschaftspolitik Steger (Hrg.), Handbuch des integrierten Umweltmanagements Strebel • Schwarz (Hrg.), Kreislauforientierte Unternehmenskooperationen
Ökologieorientierte Wirtschaftspolitik Von Professor
Dr. Uwe Jens
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Jens, Uwe: Ökologieorientierte Wirtschaftspolitik / von Uwe Jens. - München ; Wien : Oldenbourg, 1998 (Lehr- und Handbücher zur ökologischen Unternehmensführung und Umweltökonomie ISBN 3-486-22258-9
© 1998 R. Oldenbourg Verlag Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Hofmann-Druck Augsburg GmbH, Augsburg ISBN 3-486-22258-9
Vorwort Die Ökonomie ist bekanntlich eine Erfahrungswissenschaft. Sie beschreibt und analysiert wirtschaftliche Erscheinungen in der Praxis und bildet durch Abstraktion Theorien von allgemeingültigerem Charakter. Der Aussagewert oder Wahrheitsgehalt dieser Theorien ist naturgemäß begrenzt. Wenn die ökonomische Theorie bestimmte Sachverhalte mißachtet - und das kommt immer wieder vor -, liegt dies an der unzureichenden praktischen Erfahrung oder u.a. auch an falscher Prioritätensetzung durch die Wissenschaftler. Bei dem Problem der Transformation einer Zentralverwaltungswirtschaft in eine marktwirtschaftliche Ordnung lag zum Beispiel die unzureichende wissenschaftliche Befassung in der nicht vorhandenen praktischen Erfahrung. Der umfassenden Literatur, die den umgekehrten Vorgang von der Marktwirtschaft in eine Zentralverwaltungswirtschaft beschrieben und gefordert hat, mangelte es dagegen an wissenschaftlicher Seriosität. Sie ist bestenfalls in die Rubrik "Philosophie" einzuordnen. Das Thema "Umwelt, externe Kosten, Naturverzehr", allgemein gesagt: "Ökologie", wurde dagegen von der "herrschenden" Wissenschaft lange Zeit ausgeblendet oder mißachtet. Es war für die Wissenschaft zur Erklärung des Produktions- oder Allokationsprozesses nicht relevant; es mangelte an entsprechendem Problembewußtsein. Erst in den beiden letzten Jahrzehnten findet dieses Problem in den Wirtschaftswissenschaften immer mehr Aufmerksamkeit, selbstverständlich auch aufgrund des gewachsenen Problemdrucks. Jetzt wird immer klarer, daß wir unsere Wirtschaftsordnung so umgestalten müssen, daß es auf längere Sicht zu einer "nachhaltigen" Produktions- und Wirtschaftsweise kommt. Richtig verstanden ist die Implementierung der ökologischen Problematik nichts anderes als die Entwicklung einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die auf Dauer Bestand haben kann. Dieser Umdenkungs- und Umstrukturierungsprozeß wird jedoch noch viel wissenschaftliche und politische Arbeit erfordern und noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Das aktuelle Angebot an Lehrbüchern zur Wirtschaftspolitik greift weitgehend auf das neoklassische Theoriegebäude zurück und akzeptiert damit die hergebrachte individualistisch-mechanische Betrachtungsweise in Wirtschaft und Politik. Diese Sichtweise ist weit verbreitet, hat viele neue Erkenntnisse gebracht und hat sicherlich von Fall zu Fall ihre Berechtigung; sie geht jedoch weitgehend auf wechselseitige Kausalverhältnisse zurück und ist dementsprechend einseitig orientiert. Dies muß auf Dauer zu Fehlinterpretationen und -entwicklungen führen. Der Mathematiker Henri Poincare hatte 1892 festgestellt, daß eine minimale Abweichung bei den Eingangsgrößen einer Berechung zu gänzlich unterschiedlichen Resultaten führen kann. Der Präsident der Fraunhofer Gesellschaft, HansJügen Warnecke, schreibt: Relativitätstheorie und Quantenmechanik markieren den Abschied vom Kausalitätsprinzip. "Wenn Zustände prinzipiell nicht eindeutig beschrieben werden können, und aus dieser Unsicherheit die Unmöglichkeit
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Vorwort
der Vorhersage des Systemverhaltens folgt, muß das Weltbild neu geordnet werden." Die bisher praktizierte Vorgehensweise in der Ökonomie bedarf daher dringend der Ergänzung. Die herkömmliche Wirtschaftsstheorie, basiert im allgemeinen auf einer sog. "negativen Rückkoppelung". Ein Beispiel: je mehr von einem Konsumgut produziert wird, um so aufwendiger ist es mehr zu produzieren und abzusetzen. Dieser Vorgang wirkt größeren Änderungen im Wirtschaftsgeftige entgegen und stabilisiert das System. Die Realität sieht jedoch häufig anders aus: Kleine Veränderungen in der Produktion durch Innovationen können sich zu neuen, großen Wirkungen aufschaukeln. Das mechanistische Denken, das unserer herrschenden neoklassischen Theorie zugrunde liegt, wird deshalb abgeändert werden müssen durch neue Modelle, die eher den Chaostheorie vergleichbar sind. In diesen Maodellen wird die ökonomische Theorie vom streng linearen und kausalen Denken abrücken müssen. Sie wird die Praxis der marktwirtschaftlichen Ordnung besser widerspiegeln, als die jetzt vorherrschende neoklassische Theorie. Dringend notwendig ist eine neue, ganzheitlich-ökologische Betrachtungsweise, wie sie in den letzten Jahren in einigen neueren wirtschaftstheoretischen Abhandlungen auch schon eingeführt worden ist. Nahezu alle Lehrbücher zur Wirtschaftspolitik gehen ferner von einer weitgehend eigenständigen Volkswirtschaft aus, in der die Träger der Politik vielfache Gestaltungsmöglichkeiten besitzen. Einige Ökonomen definieren sogar, daß von Wirtschaftspolitik nur dann gesprochen werden kann, wenn der Zentralstaat, also die Bundesregierung gestaltend aktiv wird. Dabei werden jedoch die Abhängigkeiten und Zwänge, denen die Bundesregierung verstärkt ausgesetzt ist, völlig mißachtet. Diese herkömmliche Betrachtungsweise der Wirtschaftspolitik ist ebenfalls zu eng geworden und es gilt auch sie zu überwinden. Es ist dringend erforderlich, die Wirtschaftspolitik eines Landes, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, im Zusammenhang mit der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu sehen. Zwischen Volks- und Weltwirtschaft gibt es wachsende, vielfache Verbindungen und Abhängigkeiten, die bei der Erörterung verschiedener Politikbereiche von vornherein Beachtung finden müssen. Der Begriff der "Nationalökonomie", der lange Zeit seine Berechtigung hatte, ist heute überholt. Die Volkswirtschaft ist vielmehr zu einem Teil der Weltwirtschaft geworden, was in Theorie und Politik verstärkt zu beachten ist.. Dieses Buch will und kann keinen umfassenden Überblick über alle Fragen der aktuellen Wirtschaftspolitik geben. Vielmehr sollen aufgrund eigener Erfahrungen, die gegenwärtig wichtigen Komplexe der Wirtschaftspolitik, unter Beachtung der beiden vorher genannten neueren Entwicklungen, dargestellt werden. Dabei geht es uns nicht um die Überwindung, sondern um die Vervollkommnimg der Marktwirtschaft. Diese Ordnung hat zweifellos viele Schwächen und Mängel, die man erkennen und möglichst beseitigen muß; aber nur diese Ordnung, gewährt dem Einzelnen die Chance zu größerer Freiheit bei wachsendem Wohl-
Vorwort
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stand zu gelangen. Unsere Marktwirtschaft und ihre Prinzipien sind aber ständig bedroht. Die meisten Marktteilnehmer, die sich so gerne lautstark auf die Marktwirtschaft berufen, meinen im allgemeinen nur ihre eigenen Interessen. Deshalb geht es auch darum die Eckpfeiler der Marktwirtschaft stärker zu verankern und ins allgemeine Bewußtsein zu rücken. Unsere "Sozialen Marktwirtschaft" ist nämlich nicht von Natur gegeben oder Gott gewollt, sondern einfaches Menschenwerk und dementsprechend muß man ihren Funktionsmechanismus erkennen und Fehleinstellungen, die immer wieder aufkommen, rechtzeitig beseitigen. Das Buch gliedert sich in 10 Abschnitte, die jeweils einen Problembereich mit wichtigen ökonomischen und ökologischen Fragen behandeln. Wir wollen uns dabei bemühen, wie es in der amerikanischen Literatur üblich ist, eine Sprache zu verwenden, die von jedem an Wirtschaftsfragen Interessierten ohne besondere Vorkenntnisse verstanden werden kann. Ohne Rückkoppelung mit vielen anderen Personen und Unterstützung durch andere, ist so ein Buch für einen amtierenden Politiker mit enger Verbindung zum bestehenden Wissenschaftsbetrieb, nicht machbar. Für vielfaltige Unterstützung möchte ich mich bei meinen Mitarbeiterinnen, Barbara Roth und Sissy Schmitt in Bonn, bedanken. Vor allem hatten wiederum meine Frau Inge und meine Tochter Maren ein gerüttelt Maß an Verzicht und Geduld zu beweisen und dafür gilt Ihnen mein besonderer Dank.
Inhaltsverzeichnis
I. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Seite
1. Abschnitt: Grundbegriffe und das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6. 1.7. 1.8. 1.9. 1.9.1
Wirtschaftspolitik warum? Definition und Gliederungen zur Wirtschaftspolitik Rationale Wirtschaftspolitik Wer betreibt Wirtschaftspolitik? Der immergrüne Streit um Werturteile Vom Reduktionismus zum ganzheitlichen Denken Das "Entropiegesetz" ökonomische Ursachen der Umweltprobleme Ansätze einer ökologieorientierten Wirtschaftstheorie Ansätze einer ökologieorientierten Wirtschaftspolitik
10 14 18 19 23 24 27 28 30 32
2. Abschnitt: Aktuelle wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8. 2.9.
Ziele als Problem der Wirtschaftswissenschaften Gesellschaftspolitische Ziele und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen Gliederung wirtschaftspolitischer Ziele und ihrer Beziehungen Hoher Beschäftigungsstand - und was ist das? Preisstabilität Leistungsbilanzausgleich warum? "Gerechtere" Einkommens- und Vermögensverteilung "Grenzen des Wachstums" Qualitatives Wachstum und Umweltschutz
35 36 39 42 43 45 46 48 49
3. Abschnitt: Probleme der Lageanalyse und der Informationsverarbeitung 3.1. 3.2. 3.3
Allgemeine Probleme der Lageanalyse Statistische Unzulänglichkeiten Aussagekraft statistischer Meßzahlen - Wachstum oder qualitatives Wachstum!
52 54 55
6 3.4. 3.5. 3.6. 3.7.
Inhaltsverzeichnis
Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung Unzulänglichkeiten wissenschaftlicher Politikberatung Prognosen und Projektionen - Möglichkeiten und Grenzen Praktische Erfahrungen beim Blick in die Zukunft
57 59 62 63
4. Abschnitt: Einfluß von Interessen in Wirtschaft und Politik 4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.4. 4.4.1. 4.4.2. 4.5. 4.5.1. 4.5.2. 4.6.
Gemeinwohl oder Individualinteresse Schumpeter als Vorgänger der Neuen Politischen Ökonomie Die Interessen in der "ökonomischen Theorie der Demokratie" von A. Downs Grundannahmen Das Verhalten der Parteien Bewertung der Theorie von Downs Neue Politische Ökonomie und Umweltpolitik Die Interessen der verschiedenen Akteure Durchsetzbare und nichtdurchsetzbare Maßnahmen Die organisierten Interessen Organisationsvoraussetzungen Verbände und ihre politischen Maßnahmen Interessendominanz und demokratische Entwicklung
67 69 70 71 72 74 75 76 77 79 79 81 85
5. Abschnitt: Durchsetzungsprobleme, Konzeptionen und Leitbilder der Wirtschaftspolitik 5.1. 5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4. 5.4. 5.5. 5.6. 5.6.1. 5.6.2. 5.7.
Konflikte in der Marktwirtschaft Makro-, meso- und mikroökonomische Konfliktminderungsmechanismen Bekannte Entscheidungsverfahren in der Kritik Mehrheitsprinzip Marktmechanismus Verhandlungsverfahren Bürokratie und Hierarchie Durchsetzungsinstrumente unter der "Gemeinwohl"-Prämisse Praktische Erfahrungen bei der Durchsetzung von Maßnahmen Konzeptionen und Leitbilder als Instrument zur Durchsetzung neuer Maßnahmen Definitionen und Abgrenzungen Konzeptionen und Leitbilder, die sich durchgesetzt haben Die öko-soziale Marktwirtschaft eine Konzeption der Zukunft?
88 90 92 93 94 95 96 97 99 102 102 103 105
Inhaltsverzeichnis
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II. Teil: Spezielle Politikbereiche 6. Abschnitt: Stabilitäts- und Wachstumspolitik der Bundesregierung 6.1. 6.2.
Begriffliche Klarstellungen zur Konjunkturpolitik Hohe Beschäftigung, Preisniveaustabilität, klassische und Keynes'sche Situation 6.3. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 6.3.1. Institutionelle Maßnahmen 6.3.2. Instrumentelle Maßnahmen 6.4. Grenzen der Stabilitäts-und Wachstumspolitik 6.5. Verzögerungen verschiedener Art oder Diskrepanzen zwischen Maßnahmen und Lagebeurteilung 6.6. Nachfrage- oder Angebotspolitik 6.7 Stimmt das "Assignement" noch?
111 114 116 117 119 121 123 125 127
7. Abschnitt: Lohnpolitik von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden 7.0. 7.1. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.2.3. 7.3. 7.3.1. 7.4. 7.5. 7.6. 7.7.
Die Lenkungsfunktion und Kaufkrafttheorie des Lohnes Die neoklassische Lohntheorie in der Kritik Der organisierte Arbeitsmarkt Die Gewerkschaften in unserer Gesellschaft Die Arbeitgeberverbände Machtverteilung im Verhandlungsprozeß Das Tarifvertragssystem und die Diffusion der Tariflöhne Die Lohndrift Produktivitäts- und ökologieorientierte Lohnpolitik Staatliche Eingriffe in die Lohn- und Preisbildung Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiwermögen Deregulierung der Arbeitsmärkte und Tariföffhungsklauseln
129 132 133 135 137 138 139 142 143 145 147 149
8. Abschnitt: ökologieorientierte Strukturpolitik 8.1. 8.2. 8.3. 8.3.1. 8.3.2. 8.4. 8.4.1.
Einleitende Erläuterungen Grundsätze einer ökologieorientierten Strukturpolitik Regionale Strukturpolitik Abgrenzung der Fördergebiete Überprüfung der geförderten Maßnahmen Sektorale Strukturpolitik Energiewirtschaft
152 154 156 157 158 160 161
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8.4.2. 8.4.3. 8.4.4. 8.5. 8.5.1. 8.5.2.
Inhaltsverzeichnis
Verkehrssektor Landwirtschaft Chemische Industrie Untemehmensgrößenbezogene Strukturpolitik Existenzgründungshilfen ökologieorientierte Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen
164 166 168 169 170 172
9 Abschnitt: Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik 9.1. 9.2. 9.3. 9.3.1. 9.3.2. 9.3.3. 9.3.4. 9.3.5. 9.3.6. 9.3.7. 9.4. 9.4.1. 9.4.2. 9.4.3. 9.4.4. 9.5.
Allgemeine Ursachen der aktuellen Innovationsprobleme Ein finanzpolitischer Überblick Innovationshemmnisse bei Wissenschaft, Wirtschaft und Politik Mangelhafte Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Sicherheits- und Renditedenken in den Unternehmen Innovative Unternehmensführung Unzureichendes Angebot an Risikokapital Patentschutz und Genehmigungsverfahren Negatives Forschungs- und Innovationsklima Versäumnisse in der Bildungspolitik Zukünftige, ökologieorientierte Forschungs-und Innovationspolitik Wirtschaften in Kreisläufen Energieforschung für eine nachhaltige Entwicklung Mobilitäts- und Verkehrsforschung Forschung in der Landwirtschaft Das Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung
174 176 179 181 183 184 185 187 188 189 190 191 192 193 195 196
10. Abschnitt: Globalisierung und nationale Wirtschaftspolitik 10.1. Globale Veränderungen und nationale Handlungsmöglichkeiten 10.2. Internationale Finanzmärkte und Zinszusammenhang 10.3. Internationaler Handel, Direktinvestitionen und multinationale Unternehmen 10.4. Sinkende Raumüberwindungskosten und neue Kommunikationsmöglichkeiten 10.5. Wachsende Bindungen zwischen den nationalen Arbeitsmärkten 10.6. Zunehmende, weltweite Umweltprobleme 10.7. Möglichkeiten und Grenzen einer koordinierten Politik 10.7.1.Probleme der Weltwährungs-un-ordnung
199 201 203 205 207 208 210 211
Inhaltsverzeichnis
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10.7.2.Das Welthandelsabkommen und die WTO 10.7.3.Auf dem Wege zur Welt-Wettbewerbsordnung 10.7.4.Entwicklungshilfe und Rohstoffabkommen 10.7.5.Weltwirtschaftsgipfel - unzureichende Koordinierungsbemühungen 10.8. Wirtschafts- und Umweltpolitik in einer sich rasch wandelnden Weltwirtschaft
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Literaturverzeichnis
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Sachregister
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I. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
1. Grundbegriffe und das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie
Gliederung: 1.1. Wirtschaftspolitik warum? 1.2. Definitionen und Gliederung der Wirtschaftspolitik 1.3. Rationale Wirtschaftspolitik 1.4. Wer betreibt Wirtschaftspolitik? 1.5. Der immergrüne Streit um Werturteile 1.6. Vom Reduktionismus zum ganzheitlichen Denken 1.7. Das "Entropiegesetz" 1.8. ökonomische und politische Ursachen der Umweltprobleme 1.9. Ansätze einer ökologieorientierten Wirtschaftstheorie 1.9.1 Ansätze einer ökologieorientierten Wirtschaftspolitik
1.1. Wirtschaftspolitik warum? Die marktwirtschaftliche Ordnung, in der wir leben und die weltweit immer mehr Befürworter findet, verlangt grundsätzlich Eigeninitiative eines jeden einzelnen zur Befriedigung seiner materiellen und geistigen Bedürfnisse. Nicht jeder ist dazu jederzeit in der Lage. Aber dem einzelnen soll nicht die Verantwortung für sein persönliches Wohlergehen abgenommen werden. Es wird in dieser Ordnung ein mündiger Bürger erwartet, der "seines eigenen Glückes Schmied" ist und der sein Leben aktiv gestaltet. Daraus wird gefolgert, daß der Staat sich eigentlich aus der Wirtschaft herauszuhalten hat, wobei ich hinzufüge: vorausgesetzt, alle Menschen sind so, wie sie sein sollen und es sind funktionsfähige marktwirtschaftliche Beziehungen vorhanden. Jedenfalls hat in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung der Staat für seine Bürger da zu sein und nicht umgekehrt, was die Vertreter staatlicher Institutionen häufig vergessen. Nach liberaler Auffassung kann auch das Individuum stets selbst am besten einschätzen, was ihm nützt und was nicht. Dementsprechend gilt in dieser Ordnung die Konsum- oder Verbraucherfreiheit, die es dem Konsumenten freistellt zu entscheiden, wofür er sein Einkommen verwendet. Demgegenüber besteht die Freiheit der Unternehmer, des Produzenten - Unternehmer oder Produzentenfreiheit -, über die Anlage seines Kapitals und vor allem über seine Investitionen zu befinden. Bei beiden - Konsum- und Investitionsfreiheit der Verbraucher und Unternehmer - handelt es sich um Prinzipien, die von elementarer Bedeutung für Wirtschaftsordnung sind. Zu den Eckpfeilern der Marktwirtschaft gehört ferner ein funktionsfähiger Wettbewerb; er ist gewissermaßen die "conditio sine qua non", die unabdingbare Vor-
/. Grundbegriffe
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aussetzung für die essenziellen Freiheiten der marktwirtschaftlichen Ordnung. Außerdem ist in dieser Wirtschaftsordnung von besonderer Bedeutung die freie Beweglichkeit der Preise (Preisflexiibilität) nach oben und unten auf Güterund Dienstleistungsmärkten und eine möglichst weitgehende Flexibilität der Löhne auf den Arbeitsmärkten. Preissenkungen sind heute auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten allerdings selten geworden, Preiserhöhungen dagegen die Regel. Die sog. Lohndrift auf den Arbeitsmärkten, die Differenz zwischen Tarifund Effektivlöhnen, die dort für Beweglichkeit gesorgt hat, ist ebenfalls in den Jahren zunehmenden Konkurrenzdrucks aus dem Ausland stark reduziert worden. Nicht selten hat die staatliche Politik, häufig auch aufgrund des Drucks aus der Wirtschaft durch die organisierten Interessen, oder die verbandliche Wirtschaftspolitik selbst diese Grundelemente der marktwirtschaftlichen Ordnimg mißachtet und ihre Wirksamkeit eingeengt. Dem wurde aufgrund von Unkenntnis oder eines weit verbreiteten Opportunismus von Politikern kein Widerstand entgegengesetzt. Dennoch, ganz ohne den Staat geht es auch nicht. Der Staat ist und bleibt - neben anderen Machtgruppen - Träger der Wirtschaftspolitik. Was aber darf er nicht, und was muß er in einer marktwirtschaftlichen Ordnung machen? Die Frage nach dem Staat in der Marktwirtschaft ist ein altes, immer aktuelles Thema, das nie abschließend eindeutig beantwortet werden wird. Die liberale Idee in der Wirtschaft, von Adam Smith maßgeblich propagiert, wendet sich grundsätzlich gegen den Staat im Merkantilismus, nachdem sich ein freies Unternehmertum herausgebildet hatte. Der Bismarck'sche Nationalstaat überführte 100 Jahre später die vielen privaten, regionalen Eisenbahnen in Staatseigentum, um ein nationales Bahnnetz auch aus volkswirtschaftlichen Gründen aufzubauen. Heute geht es in der vorherrschenden Diskussion wieder um eine Rückführung staatlicher Tätigkeiten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Der Staat hat überall dort im Wirtschaftsgeschehen nichts zu suchen, wo funktionierende wettbewerbliche Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten bestehen oder auch nur möglich sind. Der Staat muß keine Automobilfabriken oder Fluglinien besitzen, und er sollte sich aufgrund neuer technischer Entwicklungen mit der Beseitigimg von Netzmonopolen aus der Telekommunikation heraushalten, um nur einige Beispiele zu nennen. Grundsätzlich hat die private, wettbewerbliche Marktbeziehung Vorrang vor der bürokratisch-hierarchischen Ordnung, weil so die Anzahl der Freiheitsgrade der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer erhöht wird. Anders ausgedrückt: wenn es irgend geht, sollten wir wettbewerblich Marktbeziehungen zwischen den handelnden Subjekten herstellen und nicht das Zusammenleben durch einen immer subjektiven "Primat der Politik" regeln wollen. Dem Staat bleibt dennoch - wie gesagt - gerade auch in der Wirtschaftspolitik viel zu tun. Auch über diese Frage, was er hier tun muß und was nicht, gibt es im Zeitablauf und heute wieder, Auffassungsunterschiede. Zunächst geht es unter Beachtung der vorher genannten Grundsätze um die folgenden Fragen:
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Individual- versus Sozialprinzip. Wieviel Sozialstaat kann sich eine marktwirtschaftliche Gesellschaft erlauben, wann sind die Grenzen überschritten? Der Staat ist gefordert, diese Frage ständig neu zu bestimmen, zumal wenn sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen rapide verändern. Zur Marktwirtschaft gehört aber zwingend die soziale Ergänzung, insbesondere in der parlamentarischen Demokratie. Die Sozialpolitik, die mit der Wirtschaftspolitik in enger Wechselwirkung steht, wird hier jedoch nicht näher behandelt. Sicherung des Wirtschaftens durch Einbau der erforderlichen ökologischen Rahmenbedingungen, um auf Dauer eine "nachhaltige" Entwicklung zu gewährleisten. Damit verbunden ist insbesondere die Schaffung eines Preissystems, das die Umweltschäden des Wirtschaftens und die Begrenztheit aller Ressourcen von vorn herein ins marktwirtschaftliche Kalkül einbaut. Diese Aufgabe erfordert mindestens dreierlei: zunächst die Umgestaltung der ökonomischen Theorie als Grundlage einer rationalen Politik; sodann die Überprüfung aller speziellen Bereiche der Wirtschaftspolitik unter ökologischen Aspekten und besondere politische Bemühungen, die im Abschnitt "ökologieorientierte Strukturpolitik" behandelt werden. Stabilisierung des Marktgeschehens durch aktive Konjunkturpolitik, heute vor allem Beschäftigungspolitik, die sowohl nachfrage- und/oder angebotsorientiert sein kann. Dabei wird davon ausgegangen, daß keynesianische Nachfragepolitik (Globalpolitik) aus vielerlei Gründen heutzutage nicht praktiziert werden wird. "Keynes'sche Situationen" aber sind für die Zukunft nicht völlig ausgeschlossen, wenngleich entsprechende Gegenmaßnahmen auf nationaler Ebene wenig erfolgversprechend erscheinen. Ein besonderer Abschnitt beschäftigt sich ausfuhrlicher mit den heutigen Möglichkeiten und Grenzen einer globalen Politik zur Sicherung stabiler Preise, hoher Beschäftigung und einer ausgeglichenen Leistungsbilanz. Stabile Preisentwicklung ist eine wesentliche Bedingung einer marktwirtschaftlichen Ordnung, worauf besonders Walter Eucken hingewiesen hat. Verantwortlich hierfür zeichnet in erster Linie die jeweilige Nationalbank. Ob sie jedoch mit ihrer Politik allein in der Lage ist, ein stabiles Preisniveau in einer Volkswirtschaft zu gewährleisten, ist wissenschaftlich umstritten. Auf alle Fälle sichert sie mit ihren Bemühungen um Preisstabilität die Rechenhaftigkeit und damit die Funktionsfähigkeit dieser Ordnung, und insofern gehört eine stringente Geldpolitik zu einem besonders wichtigen Politikbereich in der Marktwirtschaft.
I. Grundbegriffe
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Besondere Bedeutung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat die Lohn- und Tarifpolitik der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Dieser Bereich muß als wichtiger Teilbereich der Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft stärker als bisher ins wissenschaftliche Blickfeld gerückt werden. Hier müssen sowohl die ökologische Frage als auch die zunehmende internationale Wirtschaftsverflechtung Beachtung finden. Dennoch hat sich nach allgemeiner Auffassung die Tarifautonomie bisher bewährt. Es ist davon auszugehen, daß ohne Lohnfindung durch die Tarifparteien und ihr Lohnfindungssystem ein wichtiger Konfliktverminderungsmechanismus in der Marktwirtschaft verlorengeht, der hoch bewertet werden kann. Ohne staatliche Wettbewerbspolitik würde das Grundprinzip der marktwirtschaftlichen Ordnung, der funktionsfähige Wettbewerb, langfristig wohl eliminiert. Wettbewerb ist für alle Unternehmen ein Unruhe und Unsicherheit schaffender Faktor, dem man am liebsten entfliehen möchte: durch Kartellbildung, Untemehmensfusionen oder Monopolisierung des Marktes. Deshalb leidet die Marktwirtschaft inhärent an einem Trend zur Selbstauflösung, wenn nicht immer wieder Wettbewerb erzwungen wird durch Marktöffhungen, Schaffung von Freihandelszonen oder u.a. durch staatliche Wettbewerbspolitik. Zur Zeit können wir davon ausgehen, daß zumindest im industriellen Sektor aufgrund der gestiegenen, erheblichen Konkurrenz aus dem Ausland ein funktionsfähiger Wettbewerb besteht. Die Internationalisierung der Wirtschaft, wie insbesondere der Finanzmärkte, der Güter- und Dienstleistungsmärkte mit erheblichem Einfluß auf die Arbeitsmärkte, verlangt geradezu nach einer Umorientierung der staatlichen Wirtschaftspolitik. Mit dieser Entwicklung verlieren bisher wichtige Politikbereiche wie die Geld-, Finanz- oder Konjunkturpolitik an Wirkimg, während andere Bereiche wie die Außenwirtschaftspolitik oder die Strukturund Regionalpolitik an Bedeutung gewinnen. Während die Wirtschaft, zumindest die Großwirtschaft, sich auf diesen Weltmärkten einzurichten beginnt, sind die national ausgerichteten staatlichen Instanzen zur Beeinflussung, geschweige zur Kontrolle, nicht mehr in der Lage. Hier ist die Wissenschaft mit neuen Politikentwürfen gefragt. Schließlich muß noch erwähnt werden, daß der Staat in einer Marktwirtschaft selbstverständlich auch für den privatrechtlichen Rahmen und eine entsprechende Infrastruktur verantwortlich ist. Beides muß auf neuestem Stand gehalten werden. Hierauf, wie auch auf die Notwendigkeiten der Sozialpolitik wird in diesem Buch nicht näher eingegangen. Sie gehören nicht zur Wirtschaftspolitik im engeren Sinne, obgleich selbstverständlich Wechselwirkungen bestehen. Das gilt auch fiir die Bildungspolitik, die nicht zuletzt aufgrund der weltwirtschaftlichen
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Entwicklung außerordentlich an wirtschaftspolitischer Bedeutung gewonnen hat. Die Verteilungspolitik hingegen, die noch in vielen älteren Lehrbüchern gesondert abgehandelt wird, hat an wissenschaftlichem und politischem Interesse eingebüßt. Wohl nicht, weil hier trotz intensiver Befassung keine Erfolge erzielt wurden, sondern eher, weil diese Frage nach der Verteilung von anderen wichtigen Problemen, wie der ökologisierung und der Internationalisierung der Wirtschaft und dem damit verbundenen Strukturwandel, ablenken kann. Effizienzsteigerung und Verteilungsfragen können durchaus in einen Widerspruch geraten, und dann hat m.E. heute die Effizienzproblematik Vorrang vor der "gerechteren" Verteilung der Einkommen auf die Produktionsfaktoren. Ausgeklammert wird in diesem Buch ferner die Mittelstandspolitik oder Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen, obgleich sie eine umfassende Behandlung verdient hat. Ohne gezielte und effektive Politik für kleine und mittlere Unternehmen würde unsere Marktwirtschaft Schaden nehmen und die Wirtschaftskonzentration noch stärker steigen. Die Ordnungsvision der hier behandelten Politik ist nicht eine "reine", sondern eine soziale, ökologieorientierte Marktwirtschaft.
1.2. Definitionen und Gliederung der Wirtschaftspolitik Die Definition von Wirtschaftspolitik hat im Zeitablauf einen erheblichen Wandel durchgemacht. Die Klassiker sprachen von "Politischer Ökonomie", die Vertreter der historischen Schule von "Nationalökonomie", und heute ist der Begriff "Wirtschaftspolitik" oder "economic policy" allgemein akzeptiert. Jeder Ökonom, der auf sich hält, hat den vielen Definitionen eine neue hinzugefügt. Ich will hier die Definition von Karl Schiller wiedergeben, der meint: "Unter Wirtschaftspolitik verstehen wir die gestaltenden Maßnahmen, die der Staat oder von ihm abgeleitete oder faktisch zuständige Einrichtungen im Hinblick auf Wirtschaftsprozeß, Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftsordnung treffen" . Richtig ist sicherlich, daß Politik immer etwas mit Gestaltung zu tun hat. Vorstellbar ist heute allerdings eine "Gestaltung" nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen. Wenn wir dabei z.B. an Einsparen von Energie, an die Verringerung der C 0 2 - Emissionen, denken, dann ist nicht nur der Staat, sondern jeder einzelne unmittelbar gefordert. Insofern kann durch beispielhaftes Verhalten jeder einzelne im gewissen Ausmaß durchaus Wirtschaftspolitik betreiben. Im übrigen sind die Politikbereiche von Schiller noch rein national definiert. Maßnahmen der Außenwirtschaftspolitik sind durchaus Wirtschaftspolitik, aber sie tangieren nicht unbedingt den volkswirtschaftlichen "Prozeß", die "Struktur" oder die "Ordnung". Wenn wir alles erfassen wollen, muß die Definition noch allgemeiner ausfallen. So meint B.-T. Ramb: "Unter Wirtschaftspolitik ist generell jede politische Maßnahme zu verstehen, die wirtschaftliche Wirkungen besitzt". Damit wird jede(r) Bürger(in) zum "verantwortlichen Wirtschaftspoliti-
/. Grundbegriffe
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ker", und dies ist im Hinblick auf die ökologische Herausforderung nicht ohne weiteres abzulehnen. Zwar sollte dem "guten Zureden" für das Verhalten des einzelnen nicht zuviel Gewicht beigemessen werden, aber völlig imbedeutend scheint diese Art der Gestaltung in einer saturierten Volkswirtschaft nicht zu sein. Mit der Gliederung der Wirtschaftspolitik ist es so ähnlich wie mit den Definitionen. Wir haben eine Gliederung, die sinnvoll erscheint, bereits selbst verwendet, indem wir zwischen allgemeiner und spezieller Wirtschaftspolitik, zwischen Grundlagen und besonderen Politikbereichen unterscheiden. Im Bereich der "Grundlagen" werden wirtschaftspolitische Fragen behandelt, die generell für die gesamte Wirtschaftspolitik von Bedeutung sind. Sie sind mehr theoretischer Art. Bei den speziellen Politikbereichen handelt es sich um besondere Aufgaben, die in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung behandelt werden müssen. Dabei ist eine klare Abgrenzung - ohne Einfluß auf andere Bereiche - kaum möglich. Keynesianische Globalpolitik oder Friedman'sche Geldpolitik beispielsweise haben ungewollt erheblichen Einfluß auf die Wettbewerbsstruktur einer Wirtschaft. Was hierdurch an funktionsfähigem Wettbewerb zerstört wird, muß durch Wettbewwerbspolitik oder aktive Mittelstandspolitik wieder ausgeglichen werden. Dies ist nur ein Beispiel, aber ähnliche Wechselwirkungen gibt es auch zwischen Tarifpolitik und Geldpolitik oder zwischen Wachstumspolitik und dem Ziel nach einer ökologischen Ausrichtung der Wirtschaft. Oder nehmen wir den weiteren Gliederungsversuch zwischen quantitativer und qualitativer Wirtschaftspolitik. Hinter der quantitativen Politik steckt der Versuch, mehr Rationalität in die Politik zu bringen. Hier sollen insbesondere mit Hilfe der Ökonometrie sowohl Maßnahme wie Auswirkung mengenmäßig abgeschätzt oder vorherbestimmt werden. Mathematische Modelle sind in diesem Fall sinnvoll. Sie können Zusammenhänge besser erläutern. Das klassische Beispiel für qualitative Wirtschaftspolitik ist die sog. Ordnungspolitik. Die Schaffimg oder Auflösung von Monopolen verändert die Wirtschaft qualitativ. Auch hier gibt es zwischen beiden Bereichen keine einwandfreien Abgrenzungen; denn das Monopolbeispiel hat auch quantitative Effekte, indem zum Beispiel die Preise erhöht oder erniedrigt werden. Eine Abgrenzung ist im deutschen Schrifttum weit verbreitet, die ich für unvollkommen, aber sinnvoll halte. Unterschieden wird - wie es Karl Schiller abdeutet zwischen Ordnungs-, Ablaufs-, und Strukturpolitik. Die Ordnungspolitik, ein Begriff vor allem im deutschen Sprachgebiet, geht auf W. Eucken zurück. Dazu zählt vor allem die Wettbewerbspolitik, aber sicherlich auch die Verbraucher-, Privatisierungs-, Entbürokratisierungs- und Deregulierungspolitik, um nur einige Beispiele zu erwähnen. Zur Ablaufs-, Prozeß- oder Konjunkturpolitik rechnen alle Maßnahmen, die darauf abzielen, den Verlauf der Wirtschaft zu beeinflus-
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
sen, vor allem mit dem Ziel, hohe Beschäftigung, stabile Preise, angemessenes Wirtschaftswachstum und eine ausgeglichene Leistungsbilanz zu erreichen. Wie schon angedeutet, hat selbstverständlich die Ablaufspolitik wiederum Auswirkungen auf die Ordnung und die Struktur der Wirtschaft. Von einer konkreten Strukturpolitik wollen eingefleischte neoklassische Wissenschaftler oder Politiker nicht so gerne etwas wissen, weil für sie eigentlich nur Ordnungspolitik in Betracht kommt. Dennoch wird sie seit L. Erhard in der Bundesrepublik betrieben. Sie kann unterschieden werden zwischen regionaler, sektoraler, unternehmensgrößenbezogener und zukunftsorientierter Strukturpolitik. Die regionale Strukturpolitik wird in erster Linie durch die "Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ausgefüllt, aber auch durch andere raumbezogene Maßnahmen. Zur sektoralen Strukturpolitik gehören die Agrarpolitik, die Verkehrspolitik, die Energiepolitik, kurz: die Politik fiir einzelne Wirtschaftszweige. Bei der unternehmensgrößenbezogenen Strukturpolitik, ein anderer Ausdruck für Mittelstandspolitik, geht es primär um einen "Nachteilsausgleich" im Wettbewerbsprozeß der kleinen und mittleren gegenüber den Großunternehmen. Mit "zukunftsorientierter Strukturpolitik" soll schließlich die Forschungs- und Technologiepolitik bezeichnet werden, die auf die zukünftige Entwicklung der Wirtschaftsstruktur Einfluß nimmt. Auch sie ist ein Teil der Wirtschaftspolitik und hat sich an die allgemeinen Spielregeln der Wirtschaftspolitik zu halten. Das war und ist leider nicht immer der Fall. Mit hohen Milliardenbeträgen wurde zum Beispiel durch den Staat die Schnelle-BrüterTechnologie unterstützt - selbst dann noch, als völlig klar war, daß es sich hierbei um eine wirtschaftliche Fehlentwickung handelt.
/. Grundbegriffe
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Struktur der Wirtschaftspolitik
Wie schon angedeutet, ist die Außenwirtschaftspolitik in dieser Gliederung schwer unterzubringen. Die Errichtung von Außenhandelskammern kann ordnungspolitischen Charakter haben, während andere Maßnahmen, wie die politische Unterstützung bei der Anbahnung von Geschäften im Ausland, kaum zur Ordnungs-, Ablaufs- oder Strukturpolitik zu rechnen sind. Wechselkursveränderungen können den Ablauf der Wirtschaft beeinflussen und haben gleichzeitig Auswirkungen auf die Geldpolitik der Notenbank. Auch diese Gliederung bleibt deshalb unvollkommen, und wir hoffen, daß sie dennoch zur Konkretisierung und besseren Verständigung beiträgt. Erwähnt sei hier noch die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Wirtschaftspolitik. Theoretische Wirtschaftspolitik ist wissenschaftliche Wirtschaftspolitik mit einem hohen Abstraktionsgrad und möglichst frei von Werturteilen. Sie ist gewissermaßen die Basis der praktischen Wirtschaftspolitik; sie liefert die Theorien und Grundaussagen, an denen sich die aktuelle Wirtschaftspolitik zu orientieren hat. Die praktische Wirtschaftspolitik, ist dagegen
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stets von Interessen der praktizierenden Politiker, von Einflußnahmen der interessierten Gruppen geprägt. Dennoch erscheint mir diese Unterscheidung wenig hilfreich. Zunächst muß festgehalten werden, daß die theoretische Wirtschaftspolitik keinesfalls immer in der Lage ist, zu konkreten Sachverhalten eindeutige Aussagen zu machen. Sodann ist der "Wahrheitsgehalt" theoretischer Aussagen, worauf noch ausfuhrlicher eingegangen wird, entsprechend der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung ebenfalls nur eng begrenzt. Allzu häufig sind theoretische Ausagen auch nicht frei von Interesseneinflüssen. Die praktische Wirtschaftspolitik sollte demgegenüber nicht von vornherein als Interessenpolitik abgetan werden, obgleich die Interesseneinfusse erheblich sind. Nach meiner festen Überzeugung muß die von verantwortlichen Wirtschaftspolitiken! formulierte Wirtschaftspolitik möglichst identisch sein mit theoretischer Wirtschaftspolitik. Der Einfluß der Interessen - organisiert oder nicht - macht sich mit Sicherheit vorher oder hinterher bemerkbar. Dieser Einfluß ist zweifellos ein großes Problem, das besondere Beachtung verdient.
1.3. Rationale Wirtschaftspolitik Mehr Rationalität in der praktizierten Wirtschaftspolitik oder Verwissenschaftlichung der Wirtschaftspolitik, ist heute und in Zukunft dringend erforderlich, auch um den vorhandenen Einfluß von Interessen zurückzudrängen. Dafür ist zunächst die Formulierung einer rationalen, gesamtwirtschaftlichen Politik erforderlich, die dann stets im Laufe des Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesses von den vielfältigen Einflüssen verändert werden kann. Wenn der Wirtschaftsminister beispielsweise als Hauptakteur nur einseitig partei- oder gruppenspezifische Interessen bei seinen Maßnahmen beachtet oder mit seinen Aktivitäten gewissermaßen nur den "kleinsten gemeinsamen volkswirtschaftlichen Nenner" anpeilt, büßt er automatisch an Durchsetzungskraft und gesamtwirtschaftlicher Effektivität ein. Eine rationale Wirtschaftspolitik hat sich zunächst Klarheit über das anzustrebende Ziele oder Zielbündel zu verschaffen, sodann ohne Vorurteile und frei von Interessen die Lage zu analysieren, um die Maßnahme vorzuschlagen, die das erwünschte Ziel optimal erreichen. Der logische Dreisprung einer rationalen Wirtschaftspolitik lautet also: Lageanalyse - Zielbestimmung - Maßnahme! Diese Vorgehensweise hat nicht nur in der Wirtschaftspolitik eine gewisse Logik für sich, sondern auch bei allen anderen Entscheidungssituationen. Mit den Problemen der Lageanalyse, mit der Notwendigkeit von Prognosen und der Zielbestimmung, mit Unter- und Nebenzielen, werden wir uns in gesonderten Abschnitten ausfuhrlicher befassen. Was die praktische Wirtschaftspolitik schnell in Verruf bringen kann, ist die Tatsache, die wir viele Jahre feststellen mußten, daß nur noch Politik für bestimmte Interessengruppen ohne gesamtwirtschaftliche Orien-
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tierung, und ohne sichtbares Bemühen um optimale, gesamtwirtschaftliche Lösungen formuliert und durchgeführt wird. So stellt sich heute die Frage, ob eine volkswirtschaftlich umfassend rationale Politik im wirtschaftlichen Bereich überhaupt noch möglich ist. Das hat nicht nur mit den neuen ökologischen Herausforderungen und den weltwirtschaftlichen Einflüssen zu tun, denen die Politik ausgesetzt ist und die selbstverständlich beachtet werden müssen. Das hat - nach unseren Erfahrungen - vor allem mit dem Einfluß der mächtigen Interessengruppen auf die Politik und dem politischen Taktieren der Parteien zu tun. Zum einen sind die Parteien bereits "Gefangene" bestimmter Interessen, zum anderen ist auch der zweite bedeutende Machtfaktor in unserer Repulik, die Ministerialbürokratie, vom Interesseneinfluß im Laufe der Zeit durchdrungen worden. Wenn das so ist, wäre selbst ein "Supermann" oder eine "Superfrau" als Minister kaum noch in der Lage, rationale Politik zu formulieren und durchzusetzen. Derartige "Supermänner" hat es mit Erhard oder Schiller vielleicht einmal gegeben. Sie sind in der aktuellen Politik aber selten geworden, weil nicht mehr so sehr die Fachkenntnis, sondern eher die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei oder Gruppe und die unbedingte Solidarität zum amtierenden Regierungschef zählt.
1.4. Wer betreibt Wirtschaftspolitik In diesem Kapitel geht es um die Frage, "Wer" - welche Person oder Institution gestaltend auf die Volkswirtschaft oder Teile davon (Struktur) einwirken kann. Auch in diesem Bereich gibt es keine endgültigen und unumstößlichen Aussagen; denn kaum etwas verändert sich so schnell wie die Rahmendaten der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. In vielen Lehrbüchern wird die Bundesregierung als entscheidender " T r ä g e r " der Wirtschaftspolitik dargestellt, obgleich heute der Einfluß der EU-Kommission, der unabhängigen Zentralbank und der Weltwirtschaft möglicherweise von größerem Gewicht sind. Das folgende Schaubild soll die bedeutendsten Einflußfaktoren (Träger) aufzeigen. Danach kommt der Bürokratie oder der Bundesbank, um nur einige Beispiele zu nennen, ein eigenständiger Einfluß, in gleichem Ausmaß wie der Bundesregierung zu. Der Einfluß der verschiedenen Träger auf die Politik wird sich im Zeitablauf durchaus verändern.
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Träger der Wirtschaftspolitik:
Bundes-\ regierung ] i BMWi ) ( Bundesrat \ \ B M F y ( Bürokratie | 1 und I l Verwaltung J \ Länder J f
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Rationale \ Wirtschaftspolitik y
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Verbände
Der Einfluß der Bundesregierung auf die Entwicklung der Volkswirtschaft hat in den letzten Jahren erheblich abgenommen. Das hat einerseits damit zu tun, daß Handlungsmöglichkeiten bewußt aufgegeben worden sind, und andererseits durch Schaffung übernationaler Institutionen und die Öffnung der Weltmärkte politische Gestaltungsmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaftspolitik verringert wurden. Vor allem in der Ablaufspolitik, früher Konjunktur- oder Globalpolitik genannt, gibt es kaum Maßnahmen, die ohne ernsthafte Nebenwirkungen ein Problem zielgerichtet beseitigen. Aber auch in der Ordnungs- und Strukturpolitik muß Rücksicht auf Umweltschutz und die neuen weltwirtschaftlichen Verflechtungen genommen werden. Was wir benötigen und heute auch noch betreiben können, ist mehr internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftspolitik und vielleicht stärker als bisher Strukturpolitik - ökologisch orientierte Strukturpolik - in ihren verschiedenen Dimensionen. Dabei darf allerdings die Gefahr nicht mißachtet werden, daß diese Strukturpolitik in einen sog. "punktuellen In-
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terventionismus" abrutschen kann.. Entsprechende Politiker stehen hierfür immer zur Verfügung. Die Europäische Union hat mit den Organen "Ministerrat" und "Kommission" viele Kompetenzen der Wirtschaftspolitik übernommen, die vorher auf Bundesoder gar Landesebene angesiedelt waren. Dazu gehören beispielsweise Gestaltungsmöglichkeiten in der Handelspolitik, Agrarpolitik, Verkehrspolitik, Wettbewerbspolitik z.T. verbunden mit Industriepolitik und die Verbraucherpolitik. Dazu gehört ferner die Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit der Finanzpolitik und demnächst die Übertragung der Geldpolitik auf die Europäische Zentralbank und der damit verbundenen Währungspolitik auf den Ministerrat. Grundsätzlich gilt zwar das sog. Subsidiaritätsprinzip, aber dies wird eingeschränkt, "soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können" (Art. 3 b EGVertrag). Nicht selten werden dennoch wirtschaftspolitische Maßnahmen von Bundes- oder Landesministern vorgeschlagen, für die sie keine sachliche und rechtliche Kompetenz mehr besitzen. Das Gerangel hinter den Kulissen um die Zuständigkeit für eine Maßnahme nimmt manchmal kuriose Formen an. Mehr Klarrheit über die Kompetenzverteilung zwischen EU-Kommission, Bundesregierung und Landesregierungen ist dringend geboten. Unter rationalen wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ist häufig nicht nur Koordination und Kooperation auf europäischer, sondern weltweiter Ebene, zumindest zwischen den großen Industrienationen, erforderlich. Anders ausgedrückt: die Entstehung weltweiter Märkte für Finanzkapital, Güter, Dienstleistungen und Arbeitskräfte hat dazu geführt, daß die Gestaltungsmöglichkeiten durch nationale Regierungen erheblich eingeschränkt wurden, obwohl es noch nicht alle Politiker wahrhaben wollen. Es gibt sicherlich noch Politikfelder, die von der Bundesregierung bearbeitet werden können; in vielen Bereichen bleibt jedoch nur noch die Alternative: Anpassung an weltwirtschaftliche Gegebenheiten oder internationale Kooperation anstreben. Einige Politiker denken angesichts dieser Entwicklung auch an eine Restauration nationaler Märkte mit dem damit verbundenen Protektionismus. Dies wäre jedoch kein vernünftiger Weg. Wir befinden uns wie mir scheint unter ökonomischen Aspekten unumkehrbar - auf dem Wege in eine "Weltmarktwirtschaft", die möglichst sozial und ökologisch ausgerichtet werden muß. Dafür ist internationale Zusammenarbeit notwendig, nicht nur im Rahmen der World-Trade-Organisation, sondern verstärkt in der Währungs-, Sozial- und Umweltpolitik. Der Einfluß des Bundestages auf die Wirtschaftspolitik ist, nach außen hin, in den Medien erheblich größer, als in der Wirklichkeit.. Die endgültigen politischen Maßnahmen, die durchgeführt werden, gehen eher auf Formulierungen von
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Bürokratie und Verbänden zurück als auf Überlegungen aus den Reihen der Parlamente. Ausnahmen von dieser These bestätigen die Regel. Etliche Initiativen zur politischen Veränderung kommen dagegen nicht selten aus den Reihen von Interessengruppen und werden dann zuerst von Parlamentariern aufgegriffen (Klientelpolitik). Aber im allgemeinen sitzen die wahren "Experten", die sich seit Jahren mit den Paragraphen " 10 - 12" eines Gesetzes befassen und dementsprechend alle Probleme genau kennen, in den Ministerien. Sie sind jedoch von den Bedingungen her "träge" und eher das beharrende Element für den "status quo" als treibende Kraft in Richtung Veränderung. Ob eine Initiative schließlich gestaltende Politik geworden ist und in Form eines Gesetzes im Bundesgesetzblatt abgedruckt wird, liegt weitgehend in den Händen von Bürokratie und Regierung. Dort liegt noch immer in erster Linie die politische Gestaltungsmacht. Wenden wir uns noch kurz den Verbänden und Tarifvertragsparteien als Träger wirtschaftspolitisch relevanter Maßnahmen zu. Die Tarifvertragspolitik von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbändenn hat zweifellos Auswirkungen auf die Entwicklung von Löhnen und Gehältern in einer Volkswirtschaft. Immerhin beträgt die Summe der Bruttolöhne und -gehälter mehr als 50 % des Bruttoinlandsproduktes unserer Volkswirtschaft. Außerdem nehmen sie Einfluß auf die Sozialpolitik und bestimmen so, zumindest über die Höhe der gesetzlichen und tariflichen Lohnzusatzkosten mit. Ihre politische Verantwortung für die Entwicklung der Volkswirtschaft ist stets dann besonders gefordert, wenn der Finanzund Geldpolitik aufgrund außerordentlicher Entwicklungen "die Hände" gebunden sind. Die sonstigen wirtschaftspolitischen Verbände haben im allgemeinen in der Wirtschaftspolitik nicht die Bedeutung der Tarifvertragsparteien. Sie entfalten ihr Gewicht von Fall zu Fall, wenn sie von gesetzgeberischen Maßnahmen direkt betroffen sind oder ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollen. Beispielhaft sei hier nur die Änderung des Ladenschlußgesetzes erwähnt, die lange Zeit durch den Widerstand einer Gewerkschaft und eines Wirtschaftsverbandes verhindert wurde. Um mehr Effektivität der wirtschaftspolitischen Träger zu erreichen, hat sich die Bindung bestimmter Aufgabengebiete an eine bestimmte Institution bewährt. So betreibt die Bundesbank, die für eine stabile Währung verantwortlich ist, zweifellos aus ihrer, aber ebenso aus volkswirtschaftlicher Sicht, eine wirksame Geldpolitik. Das Kartellamt, für die Ausführung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zuständig, erweist sich als eifriger Kämpfer für wettbewerbliche Strukturen, obgleich grundsätzlich eine "Oberaufsicht" des Wirtschaftsministers besteht. Diese Erfahrungen des "unabhängigen Trägers" von Lobby und Bürokratie sollte sich die Politik stärker zunutze machen, z.B. indem ein marktwirtschaftliches, umfassendes Umweltrecht geschaffen wird, für deren Durchführung dann möglicherweise das Umweltbundesamt in Berlin in Betracht kommt. Für die Weichenstellung in Richtung einer rationalen Politik "aus einem Guß" bleibt
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aber stets die Bundesregierung und das Parlament verantwortlich. Der Einfluß der Interessenverbände auf Bundesregierung und Bundestag kann jedoch durch klare Kompetenzzuweisungen an möglichst unabhängige Insitiutionen spürbar abgeschwächt werden, insbesondere dann, wenn das Ansehen der verantwortlichen Beamten und damit ihr Fortkommen in der zuständigen Institution von einer stringenten Erfüllung der gegebenen Aufgaben abhängt.
1.5. Der immergrüne Streit um Werturteile Kein geringerer als Max Weber hatte mit Nachdruck gefordert, daß die Wissenschaft sich nur mit dem zu befassen hat, "was ist". Der Politiker hat die Ziele vorzugeben, die über das "Sein Sollende" etwas aussagen. Sachaussagen und die Analyse der Zusammenhänge sind Sache der Wissenschaft, und Wunschvorstellungen, Wertungen und Zielvorgaben sind Sache der Politik. Deshalb mußte seiner Meinung nach klar und deutlich zwischem dem, "was ist" und dem, "was sein soll" unterschieden werden. Diese Wissenschaftsdefinition ist durchaus verständlich; sie ist jedoch nicht realistisch. Jede erfahrungswissenschaftliche Theorie geht "im unendlichen Meer der Wirklichkeit" (Gerhard Weisser) notwendigerweise selektiv vor. Dabei hat der Forscher eine Auswahl zu treffen, die wertbeladen ist. Immer dann, wenn sich die Theorie um Realitätsnähe bemüht, verläßt sie abstraktes Modelldenken, und einer subjektiveren Vorgehensweise wird Tür und Tor geöffnet. Unumstritten ist heute auch die Analyse politischer Entscheidungsprozesse in den Institutionen, um das Ineinandergreifen von Marktprozessen und Politik besser zu erkennen. Außerdem befaßt sich die theoretische Wirtschaftspolitik mit der Analyse der Ziele, die nicht von ihr festgelegt werden, die jedoch in ihrem Ausagegehalt konkretisiert und in ihrer Bedeutung zueinander erklärt werden müssen. Eine werturteilsfreie theoretische Wirtschaftspolitik ist auch aus anderen Gründen eine Utopie, wenn sie nicht praktisch unbrauchbare Modellklempnerei sein soll. Entscheidend für die Wissenschaft ist nach Karl Popper bekanntlich, daß die erarbeiteten "Theorien" falsifizierbar sind. Falsifizierbarkeit ist für ihn das entscheidende Merkmal erfahrungswissenschaftlicher Theorien. Sie sind gewissermaßen ständig auf ihre innere Widerspruchsfreiheit durch die Konfrontation mit alternativen Theorien und durch Konfrontation mit den alten oder neuen Fakten zu überprüfen. Daraus folgt, daß viele Wirtschaftswissenschaftler etwas bescheidener auftreten sollten. Wir haben zu erkennen, daß unser Denken und Handeln der Irrtumsmöglichkeit unterworfen ist. Wissenschaft ist innerhalb der Sozialwissenschaften bestenfalls ein Prozeß der Annäherung an die Wahrheit, und alle wissenschaftlichen Begründungen sind vorläufig und überholbar. Sozialökonomische Theorien sind und bleiben lediglich quasi-Gesetze mit sehr beschränkter raum-zeitlicher Gültigkeit. Natürlich sind diese Theorien nicht völlig unbrauch-
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bar. Wir müssen nur ihre Begrenztheit erkennen und ihre beschränkte Leistungsfähigikeit voll und ganz ausschöpfen. Im übrigen: auch Wirtschaftswissenschaftler sind nicht frei von Interessen, und vielleicht ist es sogar richtig, wie Popper meint, daß eine gewisse Interessengebundenheit Antrieb und Anreiz zur Forschung sein kann. Auch dieses Buch kommt nicht um Werturteile herum. Wichtig ist nur, daß der Ökonom sich nicht mit der Aura unumstößlicher wissenschaftlicher Erkenntnis (Ulrich Teichmann) umgibt. Insofern bleibt die Forderung von Weber noch immer im Ansatz gültig. Und keiner hat schließlich so deutlich wie Popper auf die Begrenztheit erfahrungswissenschaftlicher Aussagen hingewiesen. Wissenschaft ist jedoch nicht ausschließlich durch die Falsifizierbarkeit von Theorien oder durch die "Seins"Aussagen ä la Weber charakterisiert; Wissenschaft ist vielmehr und ganz allgemein gekennzeichnet durch das Streben nach "Wahrheit". Der Wissenschaftler hört auf, Wissenschaftler zu sein, wenn er interessengebunden Ergebnisse produziert, wenn er manipuliert, wenn er Ideologien nachjagt. Ansonsten bleibt ferner wichtig, daß die Forderungen von Weber nach "Seins-Aussagen" und von Popper nach "peace-meal-engeneering" - einer schrittweisen Vorgehensweise nicht unbedenklich sind.. Unter Ausblendung vieler Faktoren werden auf diese Weise nur für einen begrenzten Forschungsbereich neue Erkenntnisse geschaffen. So kann der Gesamtzusammenhang zwischen Ökonomie und Ökologie schnell verloren gehen.
1.6. Vom Reduktionismus zum ganzheitlichen Denken Viele Vertreter der "herrschenden Lehre" in der Ökonomie sind noch immer davon überzeugt, daß die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und insbesondere die Abläufe in der Wirtschaft mit nahezu naturgesetzlicher Genauigkeit weitgehend vorherbestimmbar sind. Diese Überzeugung und das Bemühen um eine Quantifizierung der Variablen ist Voraussetzung für die mathematische Ausdrucksweise von Zusammenhängen, wie sie in den Wirtschaftswissenschaften so gerne versucht wird. Doch selbst das Weltbild der Physik hat in den 20iger Jahren dieses Jahrhundert einen elementaren Wandel durchgemacht. Es wird heute nicht mehr vom Universum als einer Maschine ausgegangen, sondern von der Vision eines unteilbaren, dynamischen Systems, bei dem die einzelnen Teile grundsätzlich in Wechelwirkung zueinander und zum Ganzen stehen. Kein geringerer als der Physiker Werner Heisenberg formulierte: "So erscheint die Welt als kompliziertes Gewebe von Vorgängen, in denen sehr verschiedenartige Verknüpfungen sich abwechseln, sich überschneiden und zusammenwirken und auf diese Art und in dieser Weise schließlich die Struktur des ganzen Gewebes bestimmen". Damit ist die "Wissenschaft aller Wissenschaften" vom Ideal einer völlig objektiven Beschreibung der Naturvorgänge abgerückt. Die beobachteten Struk-
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turen in der Natur hängen auch vom individuellem Bewußtsein, von den Vorstellungen und Gedanken der Forscher ab. Die These von der Wertfreiheit der Wissenschaft wird einmal mehr auch von dieser Seite in Frage gestellt. Entspechend der Newton' sehen Mechanik war die Natur eindeutig durch deterministische Bewegungsgleichungen vorherbestimmt. Diese Betrachtungsweise wird - etwas abwertend - als Reduktionismus bezeichnet. Danach konnten auch komplexe Phänomene leicht verstanden werden, wenn man sie auf ihre Grundbausteine reduzierte und den Mechanismus erkannte, "der die Welt im Innersten zusammenhält". In den zwanziger Jahren erhielt das mechanistische Zukunftsbild einen kräftigen Stoß durch die Quantentheorie, wonach die zeitlichen Veränderungen eines Quantensystems nicht exaet, sondern nur noch mit Wahrscheinlichkeit vorausberechenbar sind. Erst in der Mitte dieses Jahrhunderts erstellten KolmogorofF, Arnold und Moser, das nach ihnen benannte KAM-Theorem. Danach sind auch die Bewegungsbahnen in der Mechanik weder vollständig regulär noch chaotisch. Sie hängen jedoch sensibel von den Anfangsbedingungen ab. In labilen Situationen können danach geringfügig veränderte Bedingungen sehr unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Bekannt geworden ist das Beispiel, daß geringste lokale Veränderungen, wie der "Flügelschlag eines Schmetterlings" globale Veränderungen der Großwetterlage auslösen. (Chaos-Theorien) Aber zurück von der Physik zur Sozialwissenschaft: Hier verfügen wir über eine Fülle mathematischer Verfahren, um Aussagen über die Zukunft auf Beobachtungsdaten der Vergangenheit und Gegenwart zu stützen. Doch mit den Aussagen der Prognosen und Projektionen ist es so eine Sache, insbesondere wenn verschiedene Wachstumsvorgänge gleichzeitig ablaufen und sich gegenseitig beeinflussen. Auch die so wichtigen Innovationen aufgrund der technologischen Entwicklung sind nicht vorhersehbar und treten weitgehend zufallig (chaotisch) auf. Mehr Geld für die Forschung führt eben nicht automatisch zu mehr Innovationen. Es wird deshalb vor allem in den Sozialwissenschaften nach wie vor im Dunkeln getappt. Möglich ist allerdings die Schaffung von Rahmenbedingungen, dazu gehören auch eine bessere finanzielle Forschungsförderung, um gesellschaftlich wünschenswerte Ziele anzustreben wie z.B. eine ökologieverträgliche Wirtschaftsentwicklung. Die herrschende ökonomische Theorie wird deshalb in ihrer bisherigen Form wegen zu großer Realitätsferne und geringer Plausibilität kaum Bestand haben können. In der Ökonomie sind für die Entwicklung, - wie für alles Lebendige (Friedrich Cramer) komplexere Strukturen, als bisher unterstellt, zwischen "Chaos und Ordnung" wesentlich realitätsnäher. Es ergibt keinen Sinn mit immer komplizierteren, weigehend linearen mathematischen Modellen zu versuchen, die ökonomische Wirklichkeit zu beschreiben. Nach dem Ansatz der Chaostheorie müssen aus dem heillosen Durcheinander der ökonomischen Wirklichkeit immerwiederkehrende Strukturen "herausgefischt" werden. Sie lassen sich heute,
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erheblich realitätsbezogener als bisher, nach den Gesetzen der "fraktalen Geometrie" beschreiben und ordnen. Die Gleichungen der neoklassischen Wirtschaftstheorie beschreiben dagegen regelmäßig die Abhängigkeit einer Größe (Sozialprodukt, Preise) von einer oder mehreren Variablen (Arbeit, Kapital, Nachfrage, Angebot) in einer linearen Gleichung. Alle Parameter unterliegen dabei immer den gleichen Abhängigkeiten und reagieren nach immer den gleichen Gesetzen. Für Unvorhergesehenes ist in diesen Modellen kein Platz. Allein diese Feststellungen beschreiben die Realitätsferne der herrschenden Theorie. Die Chaostheorie arbeitet dagegen mit nichtlinearen Gleichungen, Rückkoppelungen und Phasensprüngen; denn gerade die treten im Wirtschaftsleben tagtäglich auf. Daß Menschen keineswegs immer linear denken und handeln, ist vielfach bewiesen worden und beweist die ständige Praxis. Wenn aber Menschn nicht linear denken, kann die Wirtschaft auch nicht linear ablaufen. Ein Beispiel dafür, wie sich kleine Veränderungen zu großer Wirkung aufschaukeln können, liefert die Einfuhrung der Videotechnik. Hier gab es am Anfang das VHS-System, die Beta-Technik und etwas verspätet in Europa Video 2000. Daß sich VHS durchgesetzt hat, lag an minimalen Vorsprüngen im Absatz und in dem verspäteten Erscheinen von Video 2000. Kleine Vorsprünge können somit entscheidene Wirkungen haben und - wie das Beispiel zeigt - ist der Zeitpunkt für die Einfuhrung einer neuen Technologie von großer Bedeutung. Ein weiterer Punkt kommt noch hinzu: was für die neue Betrachtungsweise in der Physik gilt, wird auch für die Sozialwissenschaften, insbesondere für Ökonomie und Ökologie gelten müssen. Es ergibt keinen Sinn, die Ökonomie weiterhin als eine Ansammlung einzelner, verschiedener Forschungsobjekte zu sehen. Die Forschung wird sich mehr als bisher vor allem auf den Gesamtzusammenhang richten müssen, auf das Netzwerk von Phänomenen, die im wesentlichen miteinander verknüpft und voneinander abhängig sind. In vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wird die bestehende Vernetzung der Probleme und insbesondere die zeitliche Perspektive, wie die Vorschläge, die Entwicklungen zukünftiger Generationen berühren, einfach ignoriert. Umdenken oder anders denken, ohne völlige Aufgabe der Detailanalyse, erscheint deshalb angesagt. Dringend nötig sind mehr Wissenschaftler und Politiker , die sich um eine ganzheitliche Betrachtungsweise bemühen. Ein Beispiel ergibt sich aus der Energiepolitik mit ihren extrem niedrigen Preisen für Kohlenwasserstoffe, um elektrischen Strom zu produzieren. Diese Art der Elektrizitätserzeugung liefert, wenn wir die damit verbundene Kohlendioxydemissionen beachten, keine vernünftige Zukunftsperspektive. Alle sozialökonomischen Überlegungen haben sich heute dem aktuellen gesamtgesellschaftlichen Ziel einer weltweiten, nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung unterzuordnen.
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1.7. Das Entropiegesetz Das Entropiegesetz macht auf eindringliche und unwiderlegbare Art und Weise die Begrenztheit unserer materiellen, quantitativen Wirtschaftsentwicklung deutlich. Diese Entwicklung findet weltweit immer mehr Verbreitung. Auf dieses Phänomen hatte 1972 bereits der Club of Rome mit seinem aufrüttelnden Buch "Die Grenzen des Wachstums" hingewiesen. Der Name "Entropie" setzt sich aus "Energie" und "Tropos" (aus dem griechischen: "Verwandlung") zusammen, und das Gesetz als ganzes greift auf die Lehrsätze der Thermodynamik zurück, die bisher für die physische Welt akzeptiert sind. Der erste Hauptsatz lautet bekanntlich, daß die Summe der Energie in einem geschlossenen System konstant ist. Der zweite Hauptsatz.der Thermodynamik stellt fest, daß die Entropie ständig zunimmt und zu einem Maximum tendiert. Dies heißt konkret, daß wir es bei der Energienutzung mit einem ständigen Prozeß der Umwandlung zu tun haben und zwar von sog. freier, verfugbarer Energie in nicht mehr in gleicher Weise nutzbare, in unverfügbare Energie. Der Begriff "Entropie" verdeutlicht den Umwandlungsprozeß bei der Energienutzung: z.B. von der Kohle als nutzbare Energie hin zur Wärme oder zum Licht! Zwei Beispiele für eine Energie, die dann nicht weiter genutzt werden kann. Die verfügbare Energie ist somit die Energie, die unser Leben und unsere Wirtschaftsentwicklung aufrecht erhält, und sie nimmt ständig ab, während die "Entropie", die nicht mehr nutzbare Energie, ständig zunimmt. Der 3. und der 4. Hauptsatz der Thermodynamik - von Nickolas Georgescu-Roegen für die Wirtschafitstheorie verwandt - stellt fest: "Die verfügbare Energie bildet die Energieform, die das Leben auf der Erde aufrechterhält" und unverfügbare Energie (und Materie) ist nicht ad infinitum wiederzugewinnen. An dieser Aussage ändert die zunehmende Nutzung sog. alternativer Energien (Wind, Wasser und Sonne) prinzipiell nichts. Anders ausgedrückt: das System "Erde" kann keine Arbeit mit gleichbleibender Rate leisten, und die genutzten sonstigen Ressourcen können nicht unendlich häufig für gleiche Zwecke wiedergewonnen werden. Damit werden die Grenzen unserer bisherigen Wirtschaftsweise sichtbar, und keine Erkenntnis verlangt so stark nach einem Umdenken und Umsteuern wie das Entropiegesetz. Dieses Gesetz gilt allerdings nur für die physische Welt von Energie und Materie, die irgendwann in eine für den Menschen nicht mehr verwendbare Form verwandelt wird. Es hat keine Bedeutung für die sog. geistige Sphäre, für die Transzendenz. Hier geht es um immaterielle Dimensionen, um die Frage der Verwandlung von "Materie in Geist". Durch neue Formen der Energieerzeugung ist es nur in einem begrenzten Ausmaß gelungen, die verfügbare Energie auf unserem Raumschiff "Erde" erheblich zu vermehren. Zu denken ist an die Windkraft und die Nutzung der Sonnenenergie. Dabei geht es aber nur um die Vermehrung der verfügbaren Energie oder die Herausschiebung der
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Entropiezunahme. Das Entropiegesetz wird damit nicht ad absurdum geführt.. Es verdeutlicht nach wie vor den ständig zunehmenden Mangel an Energie und Rohstoffen. Es ist deshalb höchste Zeit zu erkennen, daß unsere Ressourcen endlich sind, und wir eine Wirtschaftsform benötigen, in der nicht schneller produziert und konsumiert wird, als es die Natur verkraften kann. Von einigen Sozialwissenschaftlern (J. Rifkin, N. Georgescu - Roegen, H. Henderson u.a.) wird das Entropiegesetz auf Wirtschaft und Gesellschaft übertragen. Sie behaupten, daß sich in unserer Gesellschaft bisherige "Ordnung" ständig in "Unordnung" verwandelt, und wollen nachweisen, wie die "Entropie" im übertragenen Sinne auch in Wirtschaft und Gesellschaft stetig zunimmt. Die wachsende Unordnung kann sich in einer Zunahme von Konflikten und Verbrechen manifestieren, in Verhaltensstörungen bei einzelnen und bei Gruppen, der Verseuchung von Luft, Wasser und Boden sowie dem Raubbau an der Natur u.a.m.. Die damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen "Transaktionen" würden bereits - so wird beahuptet - das produktive Potential der Gesellschaft übersteigen Diese Erscheinungsbilder sind in unserer Wirtschaft und Gesellschaft zwar nicht zu übersehen. Sie aber mit dem Entropiegesetz vergleichen zu wollen, mag zwar interessant klingen, wird den Problemen aber nicht gerecht. Das Entropiegesetz ist nicht geeignet, um lebende, sich selbst organisierende gesellschaftliche Systeme, wie unsere Wirtschaftsordnung, angemessen zu beschreiben; es verdeutlicht jedoch die Grenzen unserer Produktionsweise und zwingt uns zur Neuorientierung der Wirtschaftstheorie und -politik.
1.8. Ökonomische und politische Ursachen der Umweltprobleme Aus ökonomischer Sicht sind Umweltprobleme entstanden, weil die Umwelt - vor allem Boden, Wasser und Luft - bis vor geraumer Zeit als "freies" und das heißt kostenloses Gut benutzt werden konnten. Dies hat bei rational handelnden Wirtschaftssubjekten in einer dezentralen Ordnung im allgemeinen eine Übernutzung dieser Umweltfaktoren zur Folge. In die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung der Unternehmen werden nur die Kosten für die "teuren" Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital eingesetzt, während der ebenfalls zwingend notwendige Produktionsfaktor "Umwelt" außer Betracht bleibt. Die Folgen liegen für alle sichtbar auf der Hand: Übernutzung des Bodens, Verschmutzung des Wassers und vor allem Luftverunreinigung durch exorbitante C02, S02, CO und NOx - Emissionen. So kommt es, daß umweltbeeinflussende Konsum- und Produktionsakte zunehmen, die ökologischen Risiken wachsen und langfristig mit der Erschöpfung der Ressource "Umwelt" zu rechnen ist. H.C. Binswanger schätzt, daß die Umweltschäden heutzutage aufgrund dieser Fehlentwicklung etwa 10 % des Bruttosozialprodukts als sog. "Vermögensverzehr" ausmachen, unabhängig von den
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irreversiblen Schäden, wie den eingetretenen oder zu erwartenden Klimaveränderungen. Da die Umwelt für die Ökonomie immer noch ein öffentliches Gut, eine freie, für alle verfugbare Sache ist, gibt es hierfür im allgemeinen auch keine Eigentümer und keine Verantwortungsträger. Die Natur oder Umwelt ist somit fiir die Ökonomie zu einer Ressource geworden, über die je nach Bedarf frei verfügt werden kann. Nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gelten Lebewesen aber auch Dinge der außermenschlichen Natur als Sachen mit dem dazugehörigen Eigentumsschutz. Es gibt aber keine klar umrissenen Eigentumsrechte an Luft und Wasser. Die Übernutzung der Umwelt kann - so der Nobelpreisträger Ronald Coase - deshalb auch als Ergebnis unzureichend spezifizierter Verfugungsrechte angesehen werden. Gäbe es klar umrissene Verfügungsrechte, würden sich dafür Preise bilden, und die Probleme, die aus der kostenlosen Nutzung der Umweltfaktoren entstehen, wären zumindest teilweise eleminiert. Es steht heute außer Frage, daß die marktwirtschaftliche Produktionsweise "ungeahnte" Produktivkräfte freigesetzt hat und weiterhin freisetzt. Mit zunehmendem Wachstum des Bruttosozialproduktes und allgemeinem Wohlstand haben sich aber auch die Umweltbelastungen erhöht. Die Wachstumstheorie hat lange Zeit sehr einseitig die Zunahme des Sozialproduktes von den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital abhängig gemacht. Die Faktoren "Umwelt" und "Rohstoffe" wurden keiner gesonderten Betrachtung unterzogen. Dementsprechend wurden sie erheblich unter Wert genutzt. Die schnelle und billige Nutzung wichtiger Faktoren ist vor allem in den Preisen für Energie und Rohstoffe sichtbar geworden. Erst nach der 2. ölpreisexplosion ist es gelungen, den Energieverbrauch, insbesondere an Rohöl, für einige Zeit vom Wachstum des Sozialproduktes abzukoppeln. Für viele nicht nachwachsende Rohstoffe, insbesondere Metalle, gibt es noch immer eine ökologisch unverantwortliche Ausbeutung zu extrem niedrigen Preisen. Das hat eine überdurchschnittlich starke Nutzung dieser Faktoren zur Folge. Dementsprechend wäre es theoretisch sinnvoll - nach Arthur C. Pigou - die kurzfristige Preisetzung des Marktes, durch eine finanzielle Belastung (Pigousteuer), die den Umweltschäden entspricht, auszugleichen. Am Schluß dieses knappen Überblickes soll noch auf eine ordnungspolitische Problematik eingegangen werden, die eher von politischer als wirtschaftlicher Bedeutung ist. Es geht um den Bedeutungsverlust der Volkswirtschaft und die zunehmende Bedeutung der Weltökonomie. Trotz dieser weltweiten Veränderungen sind die wichtigsten politischen Entscheidungsträger noch immer national ausgerichtet. Weltweite Probleme können jedoch auf Dauer nicht wirksam mit nationalen Maßnahmen verringert werden. Nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Zentralverwaltungswirtschaften in Osteuropa bekennen sich jetzt - mit wenigen Ausnahmen - alle Staaten der Welt zu marktwirtschaftlichen Prinzipien.
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In allen Ländern, selbst in China und Indien, wird das hohe Lied auf wirtschaftliches Wachstum gesungen, mit den Folgen, die zuvor geschildert wurden. Es kommt hinzu: zumindest Luft- und Wasserverschmutzung machen im allgemeinen an den nationalen Grenzen einer Volkswirtschaft nicht halt. Es handelt sich folglich bei den wichtigsten Umweltproblemen um internationale Phänomene, denen dementsprechend auch mit nationaler Gesetzgebung nicht beizukommen ist. Kein Phänomen verlangt deshalb so stark nach einer internationalen Koordination der Politik, wie diese Umweltprobleme.
1.9. Ansätze einer ökologieorientierten Wirtschaftstheorie Einige Theoretiker gehen davon aus, daß Umweltgüter sog. öffentliche Güter sind.öffentliche Güter sind erstens durch die "Nicht-Ausschließbarkeit" gekennzeichnet, und das bedeutet, daß: ein Ausschluß einzelner von der Nutzung dieser Güter aus technischen Gründen oder wegen unvertretbar hoher Kosten nicht möglich ist. Es ist tatsächlich nicht vorstellbar, wie einzelne von der Nutzung unserer Luft zugelassen oder ausgeschlossen werden können. Zweitens zeichnen sich öffentliche Güter durch die "Nicht-Rivalität" aus, was bedeutet, daß die Nutzimg durch ein Wirtschaftssubjekt die Nutzung durch andere nicht beeinträchtigt. Von der Nutzung des lebensnotwendigem Sauerstoffs in unserer Luft müssen andere heute noch nicht ausgeschlossen werden, weil es noch immer genug davon gibt. Ob das so bleiben wird, lassen wir dahingestellt. Die Folge für ein öffentliches Gut, das immer stärker gebraucht wird, wie Luft und Wasser, ist die Übernutzung und die Verschmutzung. Es entstehen sog. externe Effekte (A.C.Pigou). Die Beseitigung dieser Effekte führt zu Kosten. In diesem Fall handelt es sich um externe Kosten, denn es wird Dritten eine Belastung aufgeladen, die eigentlich in die Haushaltsrechnung der Privaten oder die Produktionsrechnung der Unternehmen eingehen müßte. Bei öffentlichen Gütern, die von allen Interessierten ohne Entgelt in Anspruch genommen werden können, gibt es daher einen "Marktdefekt". Dieser Defekt soll nach Pigou durch eine Steuer ausgeglichen werden, die den potentiellen Schädigern auferlegt wird. Die externen Kosten werden auf diese Weise "internalisiert" und somit, in die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung eingebaut. Eine solche Steuer hätte den Effekt, daß den Unternehmen, als möglichen Verursachern, ein finanzieller Anreiz winkt, wenn sie auf eine Schadensreduktion hinwirken. Die sog. Allokationsfunktion, die Aufteilung der Entgelte auf die Produktionsfaktoren, würde verbessert werden, weil zum ersten Mal der Faktor "Umwelt" als Kostenfaktor in die betriebswirtschaftliche Rechnungslegung miteinbezogen würde. Der Geschädigte erhält durch eine derartige Pigou-Steuer allerdings keinerlei Kostenerstattung für die ihm auferlegte "externe" Belastung.
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Auf den Nobelpreisträger Ronald Coase (Coase - Theorem) geht, wie bereits angedeutet, die Überlegung zurück, daß die Umweltverschmutzung auf unzureichend definierte und spezifizierte Verfiigungsrechte zurückzuführen ist. Um dieses Problem einer Lösung näherzubringen, muß nach seinen Vorschlägen und damit, anders als Pigou, nicht der Staat bemüht werden, sondern der notwendige Interessenausgleich soll direkt zwischen den Verursachem von Umweltschäden und den Geschädigten stattfinden. Um also einen Ausgleich herbeizufuhren, ist es zunächst notwendig, Nutzungs- und Haftungsregeln zu definieren. Nach der sog. "Verursacherregel" hat der "Produzent" von Umweltschäden mit dem oder den Betroffenen über die Akzeptanz dieser Umweltbelastung zu verhandeln und einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Nach der sog. "Laissez-faire-Regel" besitzt jeder Mensch ein Recht auf Umweltnutzung. Der möglicherweise Geschädigte hat allerdings auch einen Anspruch auf finanziellen Ausgleich. Aufgrund dieser Verpflichtung zur Entschädigung, wird der Schädiger mehr oder weniger zum Verzicht oder zur Verringerung von Umweltbeladtungen veranlaßt. Coase geht davon aus, daß die direkt Betroffenen, besser als der Staat mit einer Steuer, einen genaueren Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem herbeifuhren können. Praktikabel ist diese privatrechtliche Lösung des Umweltproblems aber wohl nur, wenn einige Schädiger wenigen Geschädigten gegenüberstehen. Sollte es aber zu tausenden von Verhandlungen kommen müssen, würden die "Transaktionskosten" erhebliche Ausmaße annehmen. Außerdem bestünde dann die Möglichkeit, daß Umweltverschmutzer sich von der Zahlung drücken und angeblich Geschädigte einen Ausgleich kassieren, obwohl sie gar nicht geschädigt worden sind. Wichtig an dem Ansatz von Coase ist m.E. der Hinweis auf verbesserte Haftungsregeln in den geltenden Gesetzen oder durch Ausgabe von Zertifikaten. Auf diesem Felde gibt es zwar leichte gesetzliche Verbesserungen, und dennoch bleibt hier noch viel zu tun. Die bisher genannten Theorieansätze von Pigou und Coase geben Hinweise auf einen besseren Interessenausgleich zwischen Schädigern und Geschädigten unter den Bedingungen einer marktwirtchafitlichen Ordnung. Sie sagen jedoch wenig über die langfristigen Perspektiven der erneuerbaren und nicht-emeuerbaren Ressourcen wie Energie und Rohstoffe aus. Diese Lücke wird durch die "Theorie der erschöpfbaren Ressourcen" beleuchtet. Auf dieses Problem ist auf eindringliche Weise durch den Club of Rome (1972) und die Ölpreisexplosionen (1973 und 1979) aufmerksam gemacht worden. Diese Theorie besagt, daß die extrem hohen Abbauraten von Energie und Rohstoffen auf zu niedrig angesetzte "Zeitpräferenzraten" der handelnden Wirtschaftssubjekte beruhen oder auf einer Fehleinschätzung des "möglichen technischen Fortschritts". Anders ausgedrückt: die Märkte reagieren auf kurzfristige Datenänderungen, und die Preisbildung achtet kaum auf sehr langfristige Erwartungen. Zu erwartende Engpässe bei den Ressourcen sind bisher auch noch immer durch Erschließung neuer Quellen oder durch Erfindung anderer Ersatzstoffe überbrückt worden. Aber die Überlegungen
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dieser Theorie sind globaler und grundsätzlich langfristiger Art; sie macht uns auf Probleme aufmerksam, die möglicherweise vermindert werden können durch eine Besteuerung erschöpfbarer Ressourcen oder durch eine weltweite Verpflichtung zur Rekultivierung der Abbaulager, wenn folglich durch Verteuerung längerfristigere Zeitpräferenzen herbeigeführt werden können. Derartige politische Gegenmaßnahmen, ebenso wie die finanzielle Förderung von Auffang-Technologien, stoßen häufig auf erbitterten Widerstand der aktuell am Markt agierenden Wirtschaftssubjekte, weil sie - nicht ganz zu Unrecht - befurchten, daß sich iihre kurzfristigen Gewinnaussichten dadurch erheblich verschlechtern können.
Die Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) sind der Auffassung, gerade bei Umweltproblemen würden brauchbare Informationen nur mit verhältnismäßig hohen Kosten zu bekommen sein. Im übrigen würden alle Akteure Wirtschaftssubjekte, Bürokraten, Politiker und auch bestimmte Wissenschaftler sich eigennützig verhalten und die politischen Parteien eine Strategie der Stimmenmaximierung betreiben. Unter diesen Prämissen sind nach Bruno S.Frey imbürokratische, zukunftsweisende Maßnahmen in der Umweltpolitik schwer zu realisieren, weil die Widerstände bei vielen Beteiligten erheblich sind. Die Gedanken der Neuen Politischen Ökonomie sollen hier nur angedeutet werden. Tatsächlich ist es aber so, daß Umweltschutzmaßnahmen, wie entsprechende Steuern und Abgaben, Haftungsregelungen, handelbare Umweltnutzungsrechte oder freiwillige Vereinbarungen auf erheblichen Widerstand stoßen. Die Unternehmen wollen ihre alten Anlagen im allgemeinen nach den eingeführten bürokratischen Ge- und Verboten solange wie möglich nutzen. Die Umwelt-Bürokratie lebt geradezu von komplexen staatlichen Auflagen, weil dies scheinbar ihr Ansehen und ihre Macht erhöht. Viele Wissenschaftler, so meint Frey, sind Begünstigte der bestehenden Regelungen und schon von daher gegen Veränderung, und die großen Firmen schließlich pflegen Kontakte zu lokalen Aufsichtsbehörden durch laufende Gespräche. So wird von allen Seiten gegen die Einführung neuer marktwirtschaftlicher Instrumente Front gemacht. Die Neue Politische Ökonomie kann einigermaßen plausibel erläutern, warum die Durchsetzung einer rationalen Umweltpolitik auf erhebliche Hindernisse stößt und nur schwer zu realisieren ist.
1.9.1. Ansätze einer ökologieorientierten Wirtschaftspolitik Gut in Erinnerung ist vielen noch wie Willy Brandt im Wahljahr 1961 die Forderung nach einem "blauen Himmel über der Ruhr" erhoben und damit zum ersten Mal den Umweltschutz als wichtiges politisches Ziel in die öffentliche Disklussion eingeführt hat. Das war ein erstes Signal für ein wachsendes politisches Problembewußtsein besonderer Art. In der Zeit der sozial-liberalen Koalition von 1969 an, werden die ersten umweltrelevanten Gesetzgebungsvorhaben wie das
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Bundesimmissionsschutzgesetz, die Technische Anleitung "Luft" oder die Großfeuerungsanlagen-Verordnung trotz erheblicher Widerstände aus der Wirtschaft verwirklicht. Im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 wird die Umweltpolitik definiert als: "die Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht, um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen, und um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen". Dennoch hält die Regierung damals aus SPD und FDP an dem Primat der Wachstumspolitik fest. Eine Folge davon ist das Entstehen der Partei "Die Grünen"; denn trotz erheblich gestiegenen Umweltbewußtseins in der Öffentlichkeit hatten viele Bürger/innen das Gefühl, daß dieses Problem nur sehr zurückhaltend von der Politik aufgegriffen wurde. Trotz einiger weiterer Gesetzgebungsmaßnahmen und wichtiger internationaler Umwelt-Konferenzen auch nach 1982 während der christlich-liberalen Koalitionsregierung wurde die Umweltpolitik zögerlich, die Wachstumspolitik weiterhin mit Nachdruck betrieben. In der Umweltpolitik können, wie in der Wirtschaftspolitik, mindestens zwei Problemlösungsansätze unterschieden werden, worauf besonders Günter Hobbensiefken hinweist. Der Keynesianische Ansatz ist fiskal- und ablaufs- oder globalpolitischer Natur. Hier geht es vor allem, entsprechend den dargelegten Überlegungen zur Pigou-Steuer, um die Internalisierung externer Effekte, und zwar mit Hilfe von Steuern und Abgaben. Durch Globalmaßnahmen auf der Makroebene sollen die Externalitäten des Marktprozesses zum Ausgleich gebracht werden, um die mikroökonomische Investitions- und Konsumtätigkeit in die "richtigen" Bahnen zu lenken. Zu diesen Maßnahmen gehören auch die verschiedenen Arten von Ökosteuern; zwei Beispiele im übrigen für das sog. Vorsorgeprinzip, bei dem durch vorbeugende Maßnahmen Umweltbelastung verhindert werden soll. Der Bau von Lärmschutzanlagen an Schienen oder Autobahnen oder die staatliche Förderung umwelttechnischer Innovationen wären weitere Beispiele fiskalpolitischer Maßnahmen im Umweltschutz, die ebenfalls auf den Keynes'sehen Ansatz zurückgehen. Hier käme allerdings das Gemeinlastprinzip zum Tragen, weil diese Maßnahmen aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden und nicht von den Verursachern oder den Begünstigten. Daneben wäre der neoklassische Ansatz der Umweltpolitik zu betrachten, der stärker institutions- oder ordnungspolitisch orientiert ist. Hier geht es darum, für öffentliche Güter wie -Luft und Wasser- durch das Haftungsrecht oder Nutzungsrechte (Zertifikate) klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu schaffen, um die Probleme auf mikroökonomischer Ebene durch den Preismechanismus einer Lösung näher zu bringen. Damit würde das Vorsorgeprinzip des Umweltschutzes direkt internalisiert werden. Zu den weiteren Maßnahmen gehören Abgaben für spezielle Umweltbelastungen wie beispielsweise die Abwasserabgabe,
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
aber auch Appelle an das Umweltbewußtsein, um nur wenige Beipiele zu nennen. Hierbei wird davon ausgegangen, daß unsere Umweltprobleme durch die "Privatisierung öffentlicher Güter" sowie den "Handel mit Verschmutzungsrechten" in die marktwirtschaftliche Preisbildung eingebaut und damit als ein besonderes Problem eliminiert werden. Beide Ansätze wurden bereits angewandt und sind zweifellos mit der marktwirtschaftlichen Ordnung zu vereinbaren, sie sind systemkonform und sogar wachstumsfördernd und arbeitsplatzschaffend. Ernst U.v. Weizsäcker propagiert diese marktkonformen Instrumente und wirbt dafür, insbesondere die Energie- und RohstofTproduktivität so schnell wie möglich - um den "Faktor 4" - zu erhöhen. Weil in der Vergangenheit vor allem die Produktivität der Arbeitskraft gestiegen ist, kommt es jetzt darauf an, die marktwirtschaftlichen Weichen so zu stellen, daß ein besonderes Interesse an der Erhöhung der Energieproduktivität in den Unternehmen besteht. Das wichtigste Instrument hierfür soll die Ökosteuer sein, die auf alle Energieformen erhoben und berechenbar mit einem bestimmten Prozentsatz in den nächsten 10 Jahren erhöht wird. Eine ähnliche Vorgehensweise ist für die wichtigsten Rohstoffe erforderlich, um ihre Verschwendung zu drosseln und ihre Produktivität zu erhöhen. Das besondere Problem bei diesen Überlegungen ist allerdings die Notwendigkeit der internationalen Koordinierung derartiger Maßnahmen. Sollte die Bundesrepublik ihre Energiepreise in kurzer Frist nur verdoppeln, würden energieintensivere Wirtschaftszweige schnell ins benachbarte Ausland vertrieben, mit den bekannten, unangenehmen Folgen für Arbeitsplätze und Umweltschutz. Die nationalen politischen Instanzen sind somit hoffnungslos überfordert, und alle Überlegungen zur erneuten Abschottung von Märkten sind aus unserer Sicht keine sinnvollen Lösungsansätze.. In einer sich rasch wandelnden Weltwirtschaft hin zu einer Weltmarktwirtschaft gibt es nur den gemeinsamen Weg zur Schaffung internationaler Institutionen und Absprachen im sozialen und ökologischen Bereich. Auch wenn dieser Weg voll Hindernisse ist, muß besser als bisher versucht werden ihn schnell und mit Nachdruck zu beschreiten.
2. Aktuelle Ziele
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2. Aktuelle wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele in der Diskussion
Gliederung
2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8. 2.9.
Ziele als Problem der Wirtschaftswissenschaften Gesellschaftspolitische Ziele und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen Gliederung wirtschaftspolitischer Ziele und ihre Beziehungen zueinander Vollbeschäftigung - und was ist das? Preisstabilität Leistungsbilanzausgleich warum? "Gerechtere" Einkommens- und Vermögensverteilung "Grenzen des Wachstums" Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Umweltschutz
2.1. Ziele als Problem der Wirtschaftswissenschaften Eine rationale Vorgehensweise in der Wirtschaftspolitik erfordert zunächst klare Vorstellungen sowohl über die wirtschaftspolitische Lage als auch über die anzustrebenden Ziele. Erst wenn man sich darüber Klarheit verschafft hat, lassen sich die optimalen, gestaltenden Maßnahmen erörtern und entscheiden. Dennoch haben viele, bekannte Wirtschaftswissenschaftler die Ziele aus der wissenschaftlichen Diskussion herausgehalten. Die Ziele der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik werden auf jeden Fall zur sog. normativen Ökonomik gerechnet. Hierbei geht es immer um Wertungen; denn Ziele sind nicht logisch beweisbar und nicht falsifizierbar. Der Ökonom ist jedoch gezwungen, bevor er Maßnahmen einleitet oder politische Handlungsanweisungen unterbreitet, sich darüber Klarrheit zu verschaffen, was er konkret will. Für die Klassiker und Neoklassiker war das Hauptziel stets die größtmögliche Wohlfahrt für die größtmögliche Zahl der Bewohner eines Landes. Die "Nationalökonomie" war dem Wohle des Nationalstaates verpflichtet. Heute wird dieses Ziel immer mehr in Frage gestellt: die einen bezweifeln, daß es so etwas wie ein Gemeinwohl überhaupt gibt; denn jeder verfolge schließlich seine eigenen Interessen, und das gilt selbst für die Bürokratie und die Mitglieder der Regierung. Zum anderen löst sich die Ökonomie des Nationalstaats durch die "Globalisierung der Märkte" immer mehr auf. Deshalb wird z.B. die Wettbewerbsfähigkeit einer Region oder eines Landes zum vorherrschenden Ziel der Wirtschaftspolitik erklärt. Ziele wie hohe Beschäftigung werden dem untergeordnet, und das Ziel einer größeren Verteilungsgerechtigkeit gilt dann schlichtweg als irrelevant. Die Diskussion über die Rangordnung und Konkreti-
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I. Teil: Grundtagen der Wirtschaftspolitik
sierung der Ziele darf jedoch nicht völlig subjektiviert oder gar ausgelassen werden. Es besteht dann durchaus die Gefahr, daß irgendwelchen "Ideologen", die ihre Ziele verabsolutieren, Tür und Tor geöffnet wird. Die Diskussion über die anzustrebenden Ziele und über die Verträglichkeit der Ziele untereinander gehören aus unserer Sicht zwingend zu einer rationalen Wirtschaftspolitik. Ziele werden im allgemeinen von einzelnen Akteuren - entsprechend ihrer Interessenlage sehr unterschiedlich bewertet, und ihre Bedeutung für die Gesamtgesellschaft wandelt sich auch dirchaus im Zeitablauf. So dominierte nach dem 2. Weltkrieg zunächst in der Bundesrepublik als wirtschaftspolitisches Ziel Nr. 1 die Schaffung von Arbeitsplätzen, bis in Ende der 50iger Jahre eine hohe Beschäftigung erreicht war. Danach rückte das Phänomen der "schleichenden Inflation" und die Frage nach "Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen" in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion. 1966/67 machte sich zum ersten Mal eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums deutlich bemerkbar, und dementsprechend wurde das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geschaffen. Erst in der Mitte der 70iger Jahre wurde das Ziel des Umweltschutzes von einzelnen Bevölkerungsgruppen und einigen Politikern "entdeckt", um dann verstärkt ins politische Bewußtsein zu dringen. Heute, bei über 4 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen dominiert wieder das Ziel "Schaffung von Arbeitsplätzen". Für Wissenschaft und Politik ist es eben nicht ohne weiteres möglich, sich eigene Ziele herauszusuchen. In einer offenen Gesellschaft werden sie weitgehend durch die vorgefundene Lage und einer offenen, politischen Diskussion bestimmt. Dementsprechend gehören zur theoretischen Wirtschaftspolitik auf alle Fälle die Definiton der Ziele und die Aufstellung einer Rangordnung der verfolgten politischen Ziele. In dem Maße, wie die Ziele zum wissenschaftlichen Problem erhoben werden, verlassen wir allerdings den sicheren Hafen der "Seinsaussagen" und begeben uns auf das offene Wasser der normativen Ökonomik oder der "politischen Ökonomie".
2.2. Gesellschaftspolitische Ziele und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen Auch die Wertschätzung der gesellschaftspolitischen Ziele scheint im Zeitablauf einem Wandel in der öffentlichen Meinung unterworfen zu sein. Als generelle Orientierung - und davon wurde bereits gesprochen - wird in vielen Lehrbüchern noch immer das Gemeinwohl genannt. Es wurde in der Theorie durch das "Sozialökonomische Optimum", das auf Vilfredo Pareto zurückgeht, konkretisiert. Doch diese Konkretisierung hat sich als Leerformel erwiesen, da es nicht möglich ist, die individuellen Nutzen einzelner zu messen und zu addieren. Was uns allerdings wichtig erscheint, ist das politische Bemühen um gesellschaftpolitische Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Solidarität. Diese Grundwerte werden als Ziele in fast allen Programmen der politischen Parteien in
2. Aktuelle Ziele
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der Bundesrepublik Deutschland genannt. Sie gehen zurück auf die Ziele der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit! Wenn alle politischen Kräfte sich zu diesen Zielen bekennnen, sind sie leicht in der Gefahr zu Allgemeinplätzen zu werden. Diese Grundwerte müssen in unserer Zeit aber nicht nur gleichrangig ergänzt, sondern sogar dominiert werden durch das Ziel: "Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen". Unsere Lebensgrundlagen sind zweifellos in Gefahr regional und weltweit vernichtet zu werden. So hat die Explosion im Kernkraftwerk von Tschernobyl weite Teile des umliegenden Landes für Jahrzehnte unbewohnbar gemacht. Ebenso haben weltweit der sog. Treibhauseffekt durch C02 - Emissionen und die ständige Ausdehnung des Ozonloches über dem Nord- und Südpol erhebliche Folgen für die Menschheit insgesamt. Ohne eine Lösung dieser ökologischen Problems wird das ansonsten wichtige Bemühen um mehr Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Solidarität in der Gesellschaft bedeutungslos. Freiheit - so hat Bertrand Russell definiert - ist die Verwirklichung der Wünsche ohne Hindernisse. Doch es gibt stets eine Fülle von Hindernissen, die unsere Freiheit begrenzen; sie können technischer, physischer, psychischer, rechtlicher oder u.a. ökonomischer Art sein. Herbert Giersch unterscheidet in seinen "Grundlagen" zwischen formaler und materialer Freiheit. Formale Freiheit ist die Gleichheit vor dem Gesetz; das geschriebene Recht soll die individuelle Freiheit des einzelnen vor Übergriffen anderer und staatlicher Willkür schützen. Die materiale Freiheit ist dagegen das Vermögen, im Rahmen der formalen Freiheit selbstgesteckte Ziele zu erreichen. Dies hat vor allem mit ökonomischer Macht zu tun, mit Geld und Einkommen, oder mit der sog. "Besitzmacht", aber auch der "Persönlichkeitsmacht" und der "Organisationsmacht", wie Seraphim definiert hat. Freiheit besteht vor allem aber auch darin, daß jemand Alternativen hat, daß er wählen kann. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist der Arbeitnehmer an seinen Arbeitgeber gebunden; in dem Maße, wie er über ein größeres Vermögen verfugt, erhöhen sich seine Möglichkeiten und damit seine Freiheit. Je mehr Arbeitgeber um Arbeitnehmer konkurrieren, desto größer sind seine Beschäftigungsmöglichkeiten. Konkurrenz ist somit eine wichtige Bedingung der Freiheit; jede Monopolisierung verringert die Marktchancen und erhöht die Abhängigkeit der Beschäftigten, aber auch der Abnehmer des Monopolisten. Gerechtigkeit setzt nach Eduard Heimann ein gewisses Maß an Gleichheit voraus. Doch was soll gleich sein? Unbestritten ist die Forderung nach einer Gleichheit vor dem Gesetz, das ist die Gleicheit der formalen Freiheit. Ob dies wirklich immer so ist, sei dahingestellt. Daneben gibt es die Forderung nach Gleichheit der Startbedingungen (Chancengleichheit), nach einem gleichen Lohn für gleiche Leistungen (Leistungsgerechtigkeit) oder u.a. nach Gleicheit der materialen Freiheit. Aber die Gleichheit der ökonomischen Macht, wie vorher definiert, paßt nicht in die marktwirtschaftliche Ordnung, wo Einkommensdifferenzen als An-
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I. Teil: Grundlegender Wirtschaftspolitik
reizmechanismus dienen. Diese Art der Gleichheit war nicht einmal im realexistierenden Sozialismus verwirklicht. Sie wird es auch nie geben, weil alle Menschen nicht gleich sind. Jedem das gleiche Einkommen - dies verstößt auch gegen die Leistungsgerechtigkeit, die mit der Marktwirtschaft durchaus vereinbar ist. Ob sie allerdings immer verwirklicht wird, muß mit guten Gründen bezweifelt werden; es steht hier jedoch nicht zur Diskussion. Sicherheit ist der zeitliche Aspekt der Freiheit. Das Bedürfnis nach Sicherheit, insbesondere vor wirtschaftlichem Abstieg, hat bei den Menschen in den letzten Jahren ständig zugenommen. Das Streben nach formaler Freiheit verliert dagegen in den Augen der Bundesbürger in dem Maße an Bedeutung, wie sie darüber verfugen. Im Mittelpunkt der Sicherheitsbemühungen stehen die Sicherheit vor Arbeitslosigkeit und Einkommensverlusten, der Schutz vor Krankheit, Invalidität, Alter und Pflegebedürftigkeit; alles das, was wir als soziale Sicherheit bezeichnen. Das Streben nach Sicherheit ist im übrigen bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern stark ausgeprägt. Die Arbeitgeber oder Unternehmer versuchen ihre Risiken in der marktwirtschaftlichen Ordnung durch Wachstum, Unternehmenszusammenschlüssen, Kartellierung oder Monopolisierungen auf den Märkten zu verringern. Die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik sind dagegen trotz Korrekturen weitgehend durch staatliche Sicherungssysteme vor den großen Risiken des Lebens geschützt worden. Solidarität ist der Wille einer Gemeinschaft, durch "Zusammenstehen" bestimmte Ziele zu erreichen oder bei Gefahr sich zu behaupten. Solidarität ist ein Mittel zum Zweck und anders zu verstehen als der verwandte Begriff der Nächstenliebe im Christentum oder der Brüderlichkeit aus der Französischen Revolution. Wie wir alle wissen, war die Solidarität in der Nachkriegszeit groß und die Bereitschaft zur Solidarität nimmt offenbar in Notlagen zu. Mit zunehmenden allgemeinen Wohlstand - wie bis in die jüngste Zeit - nimmt der Wille zur Solidarität offenbar ab. Solidarität war das Instrument der Arbeiter im vorigen Jahrhundert zur Abschaffung unmenschlicher Arbeitsverhältnisse. Das sichtbare Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit waren die Märsche und Versammlungen am 1. Mai. Doch auch hierbei zeigt sich heute der zunehmende Verlust an Solidarität in der Arbeitnehmerschaft. Solidarität darf nicht erzwungen werden; sie setzt vielmehr die freiwillige Einsicht aller Betroffenen in die Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktion voraus. Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist heute ein gesellschaftspolitische Ziel ersten Ranges, das in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung in der öffentlichen Meinung gewonnen hat. Vor allem wird das bisher von Politikern so laut gesungene hohe Lied auf das Wachstums des Bruttosozialproduktes dadurch immer mehr in Frage gestellt. Dieses Wachstums ist bekanntlich mit unangenehmen Begleiterscheinungen, den sog. sozialen Kosten verbunden.
2. Aktuelle Ziele
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Wirtschaftswachstum, so wurde erkannt, hatte zwar positive Effekte, aber belastete gleichzeitig andere Individuen, andere Gesellschaften oder ginge zu Lasten künftiger Generationen. Die Forderung, die immer lauter gestellt wurde, verlangte mehr Harmonie zwischen Mensch und Natur, zwischen Ökonomie und Ökologie. Udo E. Simonis fordert deshalb in einem ersten Schritt als unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen: die erneuerbaren Ressourcen auf effizienteste Weise nutzen, die Ausbeutung der erschöpfbaren Ressourcen beenden und die Entstehung von Abfall und Schadstoffen reduzieren. Entscheidend für dieses gesellschaftspolitische Ziel ist es, daß die Regenerationsfähigkeit des ökologischen Systems auf Dauer gewahrt bleibt. Deshalb muß die Gesellschaft lernen, daß der Verbrauch der erschöpfbaren Ressourcen gegen Null gehen wird, wenn sich die Verbrauchsraten nicht bald erheblich reduzieren. So sind beispielsweise Schadstoffbelastungen auf Dauer nur insoweit akzeptabel, als das ökologische System selbst damit fertig wird.
Schaubild Nr. 3 Rangfolge aktueller gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Ziele Gemeinwohl (Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen) (Freiheit Gerechtigkeit Sicherheit Solidarität)
2.3. Gliederung wirtschaftspolitischer Ziele und ihre Beziehungen zueinander Wie das oben dargestellte Schaubild Nr 3 und 4 (unten) verdeutlicht, gibt es stets eine Rangordnung von Zielen, die beachtet werden muß. Wie gesagt, die Bedeutung der gesellschaftspoltischen und wirtschaftspolitischen Ziele kann sich im "Ansehen der Öffentlichkeit" und im Zeitbaiauf kräftig verändern. Während nach dem Kriege in Westdeutschland und für die Bürger/innen in den neuen Bundesländern am Ende der DDR - Zeit gesellschaftspolitisch das Ziel "Freiheit" einen hohen Rang einnahm, ist es Mitte der 90iger Jahre in Deutschland schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Aufgrund der aktuellen Ereignisse messen heute alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik dem Ziel "hohe Sicherheit" besonders große Bedeutung zu. Für die Wirtschaftspolitik im besonderen gibt es ebenfalls eine Fülle von sinnvollen Unterscheidungen zwischen den Zielen; wir wollen zwischen makro- meso- und mikroökonomischen Zielen differenzieren.
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Schaubild Nr. 4 Wirtschaftspolitische Ziele MakroÖkonom. Ziele
Mesoökonom Ziele
MikroÖkonom. Ziele
Hohe Beschäftigung
Wettbewerbsfähigkeit reg. / sektoral
betriebl. Wettbewerbsfähigkeit Leistungsgerechtigkeit Mitbeteiligung Mitverantwortung Mitbestimmung Umweltschutz
Stabilität der Währung Leistungsbilanzausgleich Wirtschaftswachstum Umweltschutz
Offene Märkte Umweltschutz
Der bekannt amerikanische Ökonom Mancur Olson meint in seinem Buch: "Aufstieg und Niedergang der Nationen", "daß die beste makroökonomische Politik eine gute mikroökonomische Politik ist". Diese Aussage ist gerade heute in einer weitgehend offenen Weltwirtschaftsordnung von außerordentlicher Bedeutung. Die makroökonomischen Handlungsmöglichkeiten des Staates sind aufgrund der zunehmenden Verflechtung aller wichtigen Märkte immer geringer geworden. Deshalb muß die Politik jetzt dafür sorgen, daß sie über "gesunde", international wettbewerbsfähige Unternehmen verfugt. Unterschieden wird hier auch die mesoökonomische Ebene, weil sie in einer sich wandelnden Weltwirtschaft eine wichtige Zielebene ist und an Bedeutung gewinnen wird. Bereits jetzt wird auf europäischer Ebene für verschiedene Wirtschaftszweige Politik gemacht, die keinesfalls immer mit strengen marktwirtschaftlichen Prinzipien übereinstimmt. Nicht selten muß sich die Politik internationalen Gepflogenheiten anpassen, weil das "ordnungspolitische Denken" in Deutschland entwickelt, in anderen aufstrebenden Staaten nicht akzeptiert und nicht praktiziert wird. Zur Mesoökonomie gehört neben der Differenzierung nach Wirtschaftszweigen ebenfalls der regionale Aspekt. Die Region wird in der Politik weiter an Bedeutung für die Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele gewinnen. Um hohe Beschäftigung und mehr Wachstum zu bekommen, wird es erforderlich sein, stärker als bisher auf neue Wachstumskräfte in der Region zu setzen. Es ist notwendig, diese Probleme auch in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses zu stellen. Darum geht es uns, und deshalb halten wir diese Unterscheidung der Ziel- und Politikebenen für besonders sinnvoll. Eine weitere wichtige Gliederung orientiert sich an den großen Politikbereichen und unterscheidet ordnungspolitische, strukturpolitische und konjunkturpolitische Ziele. Diese Gliederung sollte noch um außenwirtschaftliche Ziele er-
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gänzt werden, da sie - wie angedeutet - einen eigenständigen Bereich darstellen, der nicht immer mit den herkömmlichen Politikbereichen übereinstimmt. Die Außenwirtschaftspolitik hat zweifellos an Bedeutung gewonnen, und z.B. das Ziel "Abbau nicht-tarifarer Handelshemmnisse" hat einen eigenständigen, vielschichtigen Charakter. Zu den ordnungspolitischen Zielen zählen solche, die auf Erhalt und Ausbau des Ordnungsrahmens ausgerichtet sind, vor allem also Ziele, die auf die freie unternehmerische Betätigung, auf Sicherung und Forcierung des Wettbewerbs abheben. Strukturpolitische Ziele der Wirtschaftspolitik sollen Strukturwandel und Wachstum beeinflussen, und zwar auf regionaler und sektoraler Ebene und zwischen Unternehmensgrößen. Konjunkturpolitische Ziele oder auch Globalziele sind klassisch im § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetz formuliert: hohe Beschäftigung, Preisstabilität, ausgeglichene Leistungsbilanz bei "angemessenem" Wirtschaftswachstum. Angemessenes Wachstum bedeutet nach Ansicht des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, daß hierbei auch die ökologische Komponente zu beachten ist. Um die Beziehungen zwischen Zielen zu erläutern, soll auf die Makroziele der Konjunkturpolitik zurückgegriffen werden, weil hier die größte wissenschaftliche Klarheit besteht. Zwischen den Zielen kann Harmonie, Antinomie und Neutralität bestehen. Danach scheinen die Ziele hohe Beschäftigung und Wirtschaftswachstum miteinander zu harmonieren. Zwischen den Zielen Preisstabilität und gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung besteht in diesem Sinne ebenfalls Harmonie: wenn wir das eine Ziel anstrebe, nähern wir uns gleichzeitig dem anderen! Antinomie oder Konkurrenz lassen sich unter bestimmten Bedingungen zwischen den Zielen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz konstruieren. Nach der modifizierten Philipps-Kurve wurde ein Konkurrenzverhältnis zwischen Preisstabilität und hoher Beschäftigung unterstellt. Dagegen besteht zwischen den Zielen eines Ausgleichs der Leistungsbilanz und dem Umweltschutz zunächst Neutralität, was bedeutet, daß das erste Ziel angestrebt wird, ohne Auswirkungen auf das zweite Ziel, den Umweltschutz. Dennoch ist das genaue Verhältnis zwischen den hier genannten Makrozielen von vielen Bedingungen abhängig, die sich im Zeitablauf verändern können. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Preisstabilität und hoher Beschäftigung. Die von Politikern gerne aufgestellte Behauptung, daß die Preisstabilität zwingende Voraussetzung für hohe Beschäftigung ist, kann jedenfalls für alle Zeiten aufgrund theoretischer und empirischer Überlegungen nicht akzeptiert werden. Weil man sich in vielen Fällen einem Ziel nur nähern kann, wenn man sich von einem anderen entfernt, sprechen wir auch von "magischen" Beziehungen. Aus dem ehemaligem "magischem Dreieck" - Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ausgeglichene Leistungbilanz - läßt sich ebenfalls ein magisches Sechseck konstruieren.
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Schaubild Nr. 5 Magisches Sechseck der Makroziele Wirtschaftswachstum Hohe Beschäftigung Gerechtere Einkommensund Vermögensverteilung
Umweltschutz Preisstabilität ausgegl. Leistungsbilanz
2.4. Hoher Beschäftigungsstand - was ist das? Ein wirtschaftspolitisches Ziel nach dem Gesetz zur Gründung eines Sachverständigenrates aus dem Jahre 1963 und nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 heißt "hoher Beschäftigungsstand". Dieser Begriff ist damals mit Bedacht gewählt worden, da "Vollbeschäftigung", und das heißt volle Auslastung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung und unter Beachtung der anderen Globalziele, insbesondere der Preisstabilität, als kaum erreichbar erachtet worden ist. Vollbeschäftigung gilt nach internationaler Definition heute schon bei einer Arbeitslosenquote von bis zu 3% als erreicht. Demgemäß ist das Ziel "hohe Beschäftigung" realistischer als das Ziel "Vollbeschäftigung". Die Forderung nach Vollbeschäftigung, für die der Staat zu sorgen hat, wurde nachdrücklich seit der ersten Weltwirtschaftskrise mit ihren 8 Millionen Arbeitslosen im Jahre 1932 in Deutschland erhoben. John Maynard Keynes mit seiner "General Theory ..." hatte die Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wissenschaftlich, makroökonomisch dargestellt, die dann 1967 nach Verabschiedung des Stabilitäts- und Waschstumsgesetzes (StWG) zum ersten Mal in der Bundesrepublik zur Anwendung kamen. Noch immer ist das Ziel "hohe Beschäftigung" eines der wichtigsten Ziele der Wirtschaftspolitik, wenngleich ihm von den im Bundestag vertretenen Parteien unterschiedliche Bedeutung zugemessen wird. In einer dezentralen Weltmarktwirtschaft ist die Verringerung von Arbeitslosigkeit eben nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern vor
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allem der Gewerkschaften, der Unternehmen und eines jeden Betroffenen. Mit der Arbeitslosigkeit verbunden sind für den einzelnen erhebliche intra- und interpersonelle Konflikte, die Gewerkschaften verlieren an Gestaltungskraft und Einfluß, und der Staat hat mit einem zunehmendem Konfliktpotential in der Gesellschaft zu rechnen. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit sind soziale Kosten für die gesamte Gesellschaft verbunden, die nicht genau quantifiziert werden können, die aber überproportional ansteigen. Die Arbeitslosenquote ist der Vergleichsmaßstab fiir die Arbeitslosigkeit zwischen verschiedenen Ländern und Regionen. Im Zähler dieses Quotienten wird bei uns die Anzahl der bei den Arbeitsämtern registrierten Arbeitslosen aufgezeigt. Wer einen Arbeitsplatz sucht, aber nicht beim Arbeitsamt als Suchender registriert ist, geht nicht in die Meßzahl ein. Dazu gehören sicherlich viele Frauen. Im Nenner wurden zunächst in der Bundesrepublik die abhängig Beschäftigten aufgeführt und jetzt - nach internationalem Brauch - werden dort alle abhängigen Erwerbspersonen festgehalten. Sie setzen sich aus den abhängig Beschäftigten plus den registrierten Arbeitslosen zusammen. Durch diese Veränderung ist der Nenner größer und die Arbeitslosenquote kleiner geworden. Die registrierten Arbeitslosen wurden in der Bundesrepublik noch dadurch vermindert, daß alle Arbeitnehmer ab 50 Jahren, die in den Vorrruhestand gegangen sind und vom Arbeitsamt Arbeitslosengeld erhalten, nicht mehr als Arbeitssuchende gelten. So ist die Arbeitslosenquote durch Verkleinerung des Zählers und Vergrößerung des Nenners gesenkt worden und deshalb nicht mehr so ohne weiteres mit früheren Angaben in der Bundesrepublik vergleichbar.
2.5. Stabilität des Preisniveaus Im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz wird in § 1 als erstes Ziel die Stabilität des Preisniveaus gefordert. Dafür wird verkürzt der Begriff der Preisstabilität benutzt. D.h. nicht, daß alle Preise stabil bleiben sollen. Bei dieser Zielbestimmung geht es vielmehr um das Niveau der Preise, das möglichst stabil bleiben soll. Einzelne Preise müssen sich selbstverständlich in der marktwirtschaftlichen Ordnung immer verändern können. Dennoch scheint Preisniveaustabilität in dieser Ordnung nur schwer erreichbar. Selbst bei im allgemeinen hoher Arbeitslosigkeit und generell unausgelasteten Kapazitäten zeigen sich in der Bundesrepublik noch immer Preisniveausteigerungen von etwa 2%. Als Maßstab für Preisniveaustabilität dient der Preisindex für die Lebenshaltung. Hier geht es nicht um seine Berechnungsweise, sondern nur um die intertemporale Vergleichbarkeit. Sie wird in diesem Falle dadurch gestört, daß etwa alle 5 Jahre der "Warenkorb" von etwa 750 Gebrauchsgegenständen neu festgelegt wird. Daneben werden etliche spezielle Preisindizes vom Statistischen Bundesamt berechnet, so. z.B. ein Index für Erzeugerpreise, Großhandelspreise, Einzelhandelspreise oder u.a. ein Preisindex
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für das Bruttosozialprodukt. Jeder Index hat seine spezielle Aussagekraft, aber der Preisindex für die Lebenshaltung dient in erster Linie für die zeidichen und regionalen Vergleiche der Verbraucherpreise. Obgleich das Ziel der Preisniveaustabilität im StWG bei der Aufzählung der Ziele zuerst aufgeführt wird, gibt es keine Rangordnung der Ziele. Die dort genannten Ziele müssen gleichzeitig angestrebt werden, wie es im Gesetzestext heißt. Dies bedeutet konkret, daß sich die Politik immer um das Ziel besonders zu kümmern hat, das am stärksten verletzt ist. Von Preissteigerungen werden jedoch alle Menschen eines Landes berührt. Die Unternehmen, die im Marktprozeß für die Preisbildung unmittelbar verantwortlich sind, profitieren, und die Masse der Bezieher vertraglich festgelegter Einkommen haben zunächst Kaufkraftverluste zu verzeichnen. Bei nahezu allen Gruppen in der Bundesrepublik werden diese Verluste - wenn auch mit zeitlicher Verzögerung - ausgeglichen. Besonders negativ betroffen sind jene Menschen, die nur von ihrem Ersparten leben - früher "Couponschneider" genannt. Zwar gibt es auch Zinssteigerungen mit zunehmender Preissteigerung, aber in Zeiten stärkerer Preissteigerung sind die Realzinsen eher negativ. Wenn die Preisentwicklung längere Zeit über 4 % hinausgeht, sprechen wir von schleichender Inflation, wie wir sie in den 60iger Jahren in der Bundesrepublik zu verzeichnen hatten. Diese Art der Preissteigerung zerstört letzlich die Rechenhaftigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung, während eine leichte Preissteigerung von vielleicht 2 -3 % durchaus stimulierend auf das Nachfrageverhalten der Konsumenten wirken kann. A.W. Philipps hat 1958 die Beziehungen zwischen Arbeitslosigkeit und Geldlohnsätze untersucht und damit die Philipps-Kurve begründet, die später eine einfache Beziehung zwischen Beschäftigung und Inflationsrate darstellte: bei hoher Arbeitslosigkeit kann danach eine niedrige und bei hoher Beschäftigung eine höhere Inflationsentwicklung festgestellt werden. Einige Politiker schlössen daraus, man könne die Inflation durch mehr Arbeitslosigkeit bekämpfen, und andere glaubten, daß hohe Beschäftigung leicht durch etwas mehr Inflation zu erreichen sei. Dieser Irrglaube wurde theoretisch durch die Theorie der rationalen E r w a r tungen und empirisch durch neuere Untersuchungen widerlegt. Jürgen Kromphardt hat zum Beispiel für die frühen 80iger Jahre sowohl steigende Preise als auch steigende Arbeitslosigkeit - Stagflation genannt - festgestellt. Seine Daten spiegeln jedoch eine Ausnahmesituation unmittelbar nach der sog. zweiten ölpreisexplosion wider. Diese Beispiele zeigen einmal mehr, wie fragwürdig es ist, von statistischen Entwicklungen in der Vergangenheit auf die Entwicklung in der Zukunft zu schließen, insbesondere dann, wenn der Entwicklung keine plausible Theorie zugrundeliegt.
2. Aktuelle Ziele
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2.6. Leistungsbilanzausgleich - warum? Als weiteres Ziel im "magischen Dreieck" wird gerne der Ausgleich der Zahlungsbilanz oder das "außenwirtschaftliche Gleichgewicht" (§ 4 StWG) genannt. Beide Begriffe sind irreführend und wenig konkret. Die Zahlungsbilanz wird in der Art der doppelten Buchführung aufgestellt: Waren fließen als Exporte heraus (Erhöhung der Aktivseite), und der Gegenwert wird in Form von Devisen auf der Passsivseite gegengebucht. Die Zahlungsbilanz ist ex definitione immer ausgeglichen. Mit dem "außenwirtschaftlichen Gleichgewicht" ist ein Ausgleich der Leistungsbilanz gemeint, die sich aus den drei Unterbilanzen - Außenhandel, Dienstleistungen und Übertragungen - zusammensetzt. Der Ex- und Import (Warenhandel) ist in der Bundesrepublik traditionsgemäß positiv, während die Dienstleistungen (Reiseverkehr) und Übertragungen (Zahlungen ins Ausland) grundsätzlich defizitär sind. Die Bundesregierung verzeichnete dennoch langfristig stets einen Überschuß in der Leistungsbilanz mit Ausnahme der Jahre 1981 und 1982 und seit 1991 bis mindestens 1996. In diesen Jahren war das außenwirtschaftliche Gleichgewicht gestört und zwar Anfang der 80iger Jahre wegen der ölpreisexplosionen und Anfang der 90iger Jahre weitgehend aufgrund der Vereinigung der ehemaligen DDR mit der alten Bundesrepublik. Wenn es zu lang anhaltenden Ungleichgewichten der Leistungsbilanz kommt, sollten nach dem StWG die Möglichkeit der internationalen Koordination genutzt werden oder die zur Verfügung stehenden "wirtschaftspolitischen Mittel". Was also läßt sich bei Ungleichgewichten machen? Zunächst muß festgehalten werden, daß wir zwischen den Industrienationen seit 1972 frei schwankende Wechselkurse kennen. Nur in der Europäischen Union versuchte man seit 1976 die Wechselkurse im Rahmen des EWS stärker aneinander zu binden. Eigentlich müßte es zwischen Ländern mit freien Wechselkursen automatisch zu einem Ausgleich der Leistungsbilanzen kommen. Bei Überschüssen kommt es zu einer Aufwertung der Währung. Die Folgen: die Exporte werden verteuert und im allgemeinen mengenmäßig verringert. Bei Defiziten in der Leistungsbilanz würde die Währung abgewertet werden, mit der Folge einer möglichen Exportsteigerung. Doch diese theoretischen Überlegungen haben sich häufig als ziemlich wirklichkeitsfern für die Bundesrepublik erwiesen. Die Wechselkurse werden seit längerem nicht mehr ausschließlich durch die Überschüsse oder Defizite in der Leistungsbilanz bestimmt. Neuere Versuche internationaler Koordination der Währungsrelationen im Rahmen des sog. Louvre- und Plaza-Abkommens sind bald gescheitert, und - wie gesagt - das Floaten mit den Wechselkursen hat die theoretisch erwarteten Ausgleichseffekte nicht gebracht. Unsere internationale Währungsordnung ist zu einer "Währungs-un-ordnung" geworden. Das hat viele Gründe, die hier nicht untersucht werden sollen. Das Ziel eines "Ausgleichs der Leistungsbilanz" wird jedes Land nach wie vor lang-
46
/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
fristig verfolgen müssen, doch die herkömmlichen Ausgleichsmaßnahmen funktionieren nicht mehr. In dem Maße, wie es gelingt, die Länder der Europäischen Union zu einem Handelsblock mit einheitlicher Währung zusammenzuführen, werden diese "Lasten" der Bundesrepublik und anderen Ländern in Europa z.T. abgenommen. Ein wichtiger Schritt zur größeren Ordnung zumindest in unseren Breiten wäre deshalb die Einfuhrung der Europäischen Währungsunion mit einem einheitlichen Zahlungsmittel.
2.7. "Gerechtere" Einkommens- und Vermögensverteilung Die "gerechtere" Einkommens- und Vermögensverteilung war als Ziel im Gesetz über die Gründung eines Sachverständigenrates aus dem Jahre 1963 angesprochen. Dieses Ziel ist danach immer mehr in Vergessenheit geraten und wird in kaum einem Lehrbuch noch erwähnt. Wilhelm Krelle hatte u.a. in einer umfassenden Untersuchung 1966 festgestellt, daß es zwar eine erhebliche Ungleichheit, aber keine Konzentration der Vermögen in wenigen Händen gäbe. Kritik könne sich an der Verteilung einzelner Vermögensarten, nämlich am gewerblichen Kapitalvermögen, entzünden. Langfristig, so schreibt die Bundesregierung in einer aktuellen Antwort heute (vom 28.2.96) auf eine Große Anfrage (Bundestagsdrucksache 13/3885), hat sich die Verteilung des Grund- und Geldvermögens positiv und d.h. gleichmäßiger entwickelt. Dort heißt es ferner: "Eine ausgewogenere Vermögensverteilung war und ist Ziel der Bundesregierung. Die Vermögensverteilung in Westdeutschland ist weniger ungleichmäßig als früher geworden." (S. 29) Davon zu trennen ist die Einkommensverteilung, die regelmäßig nach Haushaltsgruppen differenziert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlicht wird. Die Veränderung der relativen Einkommensposition ist für diese Gruppen nach dem Einkommen je Haushaltsmitglied in dem folgenden Schaubild dargestellt:
2. Aktuelle
Ziele
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Relative Einkommenspositionen der westdeutschen Haushaltsgruppen nach der Höhe des verfügbaren Einkommens je Haushaltsmitglied Einkommen je Haushaltsmitglied in den Privathaushalten insgesamt = 100
350
v.H.
300
Landwirt Sonst. Selbst.
250 -
Angestellter
250 -
Beamter Arbeiter
150 "
Arbeitsloser Rentner
100
Pensionär
50 0 —i 1 1980
Soz.hilfeempf.
r-
1985
1990
1994
Danach zeigt sich eine kräftige Abweichung mit einem Sprung nach oben etwa ab 1980 für die sonstigen Selbständigen. Alle anderen Einkommensbezieher, von den Landwirten bis hin zu den Sozialhilfempfängern, haben ihre Einkommensposition nicht halten können. Hinter dieser aktuellen Entwicklung der Einkommen der Selbständigen verbergen sich eine günstigere Gewinnentwicklung, eine Absenkung der steuerlichen Belastung und ein anhaltender Konzentrationsprozeß. Einkommen sind bekanntlich eine wichtige Voraussetzung für eine langfristige Vermögensbildung.
48
/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Einkommensunterschiede haben in einer marktwirtschaftlichen Ordnung aber bekanntlich ebenfalls eine wichtige Anreiz- und Lenkungsfunktion. Aber trotz der deutlich besseren Einkommenssituation fur Selbständige ist der Drang in die Selbständigkeit nicht besonders ausgeprägt, wenngleich sich die Selbständigenquote in den 90iger Jahren erhöht hat. Das Thema "gerechtere" Einkommens- und Vermögensverteilung findet auch keine große Beachtung, weil die Ökonomen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu den Zielen Wachstum und Beschäftigung eine gewisse Antinomie erkennen. Eine Angleichung der Einkommen zwischen Selbständigen und abhängig Beschäftigten könnte den Anreiz zur Selbständigkeit verringern. In einer Situation extrem hoher Arbeitslosigkeit müssen jedoch Investitionen, Innovationen und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze Priorität besitzen. Durch die Globalisierung der Märkte wird diese Antinomie noch verstärkt. Steuerpolitische Versuche, die Einkommen der Selbständigen zu reduzieren, fuhren sofort zu einer verstärkten Einkommens- und Kapitalflucht in jene Länder, in denen gleiche Sicherheit, aber niedrigere Belastungen "angeboten" werden. Davon gibt es weltweit genug, und ihre Anzahl steigt ständig. Deshalb ergeben unter diesen Bedingungen - wenn Wachstum und Arbeitsplätze auf der politischen Agenda ganz oben stehen - alle Versuche zur Verringerung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit wenig Sinn.
2.8. Grenzen des Wachstums Wirtschaftliches Wachstum - gemessen an der Steigerung des realen Bruttosozialproduktes (BSP) - wird als Voraussetzung zunehmender Beschäftigung angesehen. Dennoch wird das Wachstumsziel immer mehr in Frage gestellt. Im § 1 des StWG wird zum Ausdruck gebracht, daß die Ziele des magischen Dreiecks bei "stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum" angestrebt werden sollen. Anders formuliert gilt auch heute noch: Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum rücken die anderen Ziele in weite Ferne! Das Ziel "Stelgerung des realen Bruttosozialproduktes" (BSP) ist aber in die Diskussion gekommen, weil dieser Maßstab vor allem ökologische Probleme nicht beachtet. In die Berechnung des BSP gehen nur die Transaktionen ein, die einen Marktwert besitzen. Beispielsweise die Hausfrau, die zuhause ihre Wäsche wäscht, trägt nicht zur Erhöhung des BSP bei, während die Weggabe der Wäsche zur Wäscherei und damit die gewerbsmäßige Tätigkeit das BSP erhöht. Auch ein Autounfall steigert das BSP, wenn es zur Reparatur durch eine Kfz - Werkstatt kommt. Ein Teil des BSP kommt durch "Umwelt- oder Naturverzehr" zustande. Deshalb müßten bei der Berechnung des Nettosozialproduktes (BSP minus Abschreibungen) nicht nur die Abnutzung von Gebäuden und Maschinen, sondern auch die Entwertung der Natur und die Belastung (Verschlechterung) der Umwelt Beachtung finden. Daraus folgt, daß die Reinvestitionen erheblich höher sein müßten als bisher, da der Verbrauch an Umwelt und Natur in die Berechnung des BSP eingehen müßten.
2. Aktuelle Ziele
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Dabei sind die irreversiblen Schäden an der Natur, wie zum Beispiel die Klimaveränderungen, vergiftete Böden und ungenießbares Wasser noch gar nicht berücksichtigt. Ein neuer, besserer Maßstab wäre also angebracht. An der Berechnung eines sog. Ökosozialproduktes (ÖSP), das diese Probleme alle beachtet, wird im Statistischen Bundesamt eifrig gearbeitet. Das Amt spricht von der Erstellung einer "Umweltökonomische Gesamtrechnung" (UGR). Dabei sind jedoch schwierige methodische Probleme zu lösen. Insbesondere geht es um die Frage, wie die verschiedenen Größen - Ressourcenabbau, Emissionen und Immissionen - monetär bewertet werden können, da hierfür im allgemeinen keine Marktpreise vorliegen. Die UGR soll sich weitgehend an die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) anpassen. Es fehlen hierfür aber außerdem noch entsprechende statistische Daten, und die Aggregation zu einer einzigen Zahl erscheint dem Statistischen Bundesamt gegenwärtig kaum realisierbar. Ob aber öko- oder Bruttosozialprodukt - in keinem Fall werden die Zuwachssraten der 60iger Jahre wieder Wirklichkeit. So wie in anderen "reifen" Volkswirtschaften (mature economies), wie in den Vereinigten Staaten oder Japan, werden auch bei uns "die ökonomischen Bäume" nicht weiter in den Himmel wachsen. Zuwachsraten über 3 %, die höher ausfallen als die zu erwartende Produktivitätsentwicklung, gehören im allgemeinen der Vergangenheit an. Damit ist dann auch vom "Wachstum" her eine spürbare Zunahme der Beschäftigung kaum zu erwarten. Dennoch sind zur Verringerung des Problemes "hoher Beschäftigungsstand" 3% Zuwachs besser als 2%. Das Wachstum muß nur in Zukunft ein "ehrliches" Wachstum sein und von den gravierenden Mängeln, wie sie oben geschildert wurden, befreit werden. Generell gegen eine Erhöhung unseres Wachstums und Wohlstandes zu Felde ziehen, ergibt keinen Sinn.
2.9. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Umweltschutz Das Ziel "Umweltschutz" und "nachhaltiges Wirtschaftswachstum" ist erst Mitte der 70iger Jahre verstärkt in die politische Diskussion eingeführt worden. In dieser Zeit stieg das Bewußtsein in der Öffentlichkeit für diese Probleme kräftig; Ökonomen, wie A.C. Pigou hatten jedoch schon am Anfang und William S. Kapp in der Mitte dieses Jahrhunderts auf die Umweltproblematik ausführlicher hingewiesen. Als Zielbestimmung steht seit 1987 und ergänzt 1992 im Art. 130 r des EG-Vertrag: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität; Schutz der menschlichen Gesundheit; umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen; Förderung von Maßmahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme.
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Außerdem heißt es jetzt im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art. 20 a, daß der Staat auch in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen hat. Ausfuhrlich diskutiert wurde die Frage, ob der Paragraph 1 des StWG in seiner Zielbestimmung durch die Forderung nach "qualitativem Wachstum" statt des "angemessenen" Wachstums ergänzt werden soll. In erster Linie wegen der Bedeutungslosigkeit der Globalpolitik in einer sich schnell wandelnden Weltwirtschaft wurde bisher vom Einsatz und einer Novellierung dieses Gesetzes abgesehen. Daß die natürlichen Lebensgrundlagen geschützt werden müssen, ist heute weitgehend unbestritten. Die Brundtlandt-Kommission (1987) und die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) (1992) verlangen für die Zukunft eine "sustainbale" oder "nachhaltige" Wirtschaftsentwicklung. Die Brundtlandt-Kommission versteht darunter: "Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können" Diese nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zielt zunächst auf einen Ausgleich über die Verfugungsrechte der natürlichen Güter zwischen der heutigen und den kommenden Generationen ab. Das Ziel der Nachhaltigkeit heißt andererseits auch, den ärmeren Ländern der Erde die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensstandard ebenfalls dem der reichen Nationen anzugleichen. H..S. Binswanger hat für die nachhaltige Entwicklung gefordert: 1. 2. 3. 4.
Die Natur darf nur im Rahmen ihrer Regenerationsfähigkeit genutzt werden. Die Absorptionsfähigkeit der Umwelt für Schadstoffe darf nicht überschritten werden. Großtechnische Risiken dürfen nur in dem Ausmaß in Kauf genommen werden, wie sie kalkulierbar und versicherbar sind. Nicht-erneuerbare Ressourcen müssen möglichst sparsam genutzt werden.
Andere Ökonomen glauben allerdings, daß dem Umweltschutz nur die Aufgabe einer "Flankensicherung" für den normalen Wirtschaftsprozeß mit ständiger Ausweitung des "Möglichkeitsbereichs" zukommt. Für sie kommt es darauf an, die unerwünschten Folgeerscheinungen der produzierenden und konsumierenden Wirtschaftsaktivitäten möglichst verschwinden zu lassen. Doch diese Haltung wird auf Dauer nicht durchhaltbar sein. Dem stehen die eklatanten Luft- und Wasserverunreinigungen und die oben zitierten Sätze der Thermodynamik entgegen, wonach Energie und Rohstoffe nicht beliebig häufig verwendet werden können. Durch Effizienzgewinne ist die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen immer nur zu verlangsamen und nicht zu ersetzen. Insofern sind wir gut beraten, wenn wir angesichts dieser Gesetze schon jetzt die ökonomischen Weichen in
2. Aktuelle Ziele
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Richtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise und einer ökologieorientierten und sozialen Marktwirtschaft stellen. Kurzfristig wird diese neuere Zielsetzung vor allem mit dem Beschäftigungs- und Wachstumsziel in Konflikt geraten können. In konkreten Fällen werden "übertriebene" Umweltschutzbestimmungen zur Verhinderung neuer Produktionskapazitäten oder Verlagerung alter in andere Länder führen. Diese Antinomie der Ziele kann nur schwer verringert werden. Eigentlich müßten die Probleme aber international aufgegriffen und einer nachhaltigen Lösung näger gebracht werden. Längerfristig besteht durchasus unter den bestehenden Entscheidungsbedingungen für die Länder, die beispielhaft Umweltpolitik betreiben, die Gefahr eines Verlustes der internationalen Wettwerbsfähigkeit. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum hat aber auch zum Ziel, international eine größere Gleichheit der Produktionsbedingungen herbeizuführen. Dies harmoniert insofern durchaus mit dem Ziel nach einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung zwischen den Nationen. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß ein weltweites Einkommensniveau, wie es heutzutage in den Industrieländern besteht, die Umweltprobleme gewaltig verschärfen wird, wenn es nicht gelingt von vornherein und in Zukunft überall nur noch "nachhaltiges Wachstum" durchzusetzen..
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
3. Probleme der Lageanalyse und der Informationsverarbeitung Gliederung
3.1. Allgemeine Probleme der Lageanalyse 3.2. Statistische Unzulänglichkeiten 3.3 Aussagekraft statstischer Meßzahlen -Wachstum oder qualitatives Wachstum! 3.4. Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung 3.5. Unzulänglichkeiten wissenschaftlicher Politikberatung 3.6. Prognosen und Projektionen - Möglichkeiten und Grenzen 3.7. Praktische Erfahrungen beim Blick in die Zukunft
3.1. Allgemeine Probleme der Lageanalyse Nachdem wir uns ein wenig mehr Klarheit über die Probleme der wirtschftspolitischen Ziele verschafft haben, geht es im folgenden um die Beschreibung und Erklärung der wirtschaftlichen Lage. Beides - Ziel- und Lageanalyse - sind bekanntlich Voraussetzungen für rationales wirtschaftspolitisches Handeln. Eigentlich ist anzunehmen, daß unter fachkundigen Leuten schnell Einigkeit über die Lagebeschreibung erreicht wird; dies ist jedoch meistens nicht der Fall. Auch die Lageanalyse fällt je nach Interessenstandpunkt zwischen Personen und Parteien sehr unterschiedlich aus. Sowohl bei der Beschreibung als auch bei der Erklärung und der Prognose der gegebenen wirtschaftlichen Situation schleichen sich Fehler- und Auslegungsmöglichkeiten selbst für Wissenschaftler ein. Man denke nur daran, wie unterschiedlich die Beschreibungen der konjukturellen Situation und die Vorhersagen für das nöchste Jahr durch die verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik ausfallen. Mit diesen Problemen der Lageanalyse unter Einbeziehung von Prognosen und Projektionen wollen wir uns im folgenden, gesonderten Abschnitt näher befassen. Bei der Lageanalyse geht es zunächst darum festzustellen, wodurch und wie stark die gegebene von der gewünschten Lage bzw. Situation abweicht. Hierüber sollte Klarheit erzielt werden. In einem weiteren Schritt sind die einzelnen Ursachen für diese Abweichung zu erforschen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, festzustellen, warum bei gegebener Lage das gewünschte Ziel nicht oder nicht in ausreichendem Maße erreicht wird. Selbst bei einer unbefriedigenden Lage ist es möglich, daß die angestrebte Situation sich von alleine einstellt und wirtschaftspolitische Maßnahmen deshalb überflüssig oder gar schädlich sind. Nicht jede kleine wirtschaftliche Abschwächung verlangt nach wirtschaftspolitischen Aktivitäten. Nicht jede mögliche Fehlentwicklung verlangt nach staatlichen Interventionen. Diese Feststellungen wurden bisher und werden auch in Zukunft gerne von Politikern unter Erfolgsdruck übersehen. Die Darstellung der Ursachen für eine
3. Lageanalyse
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unzureichende Lage ist nicht immer so einfach, wie es scheint, und verursacht selbst zwischen Fachleuten häufig erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Erinnert sei nur an die aktuelle Diskussion über die Ursachen der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland und die unterschiedlichen Ansätze der Parteien zur Bekämpfung dieses Problems. Bei der Frage, ob sich das Problem von alleine löst oder ob Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen, haben wir es mit einer prognostischen Aufgabe zu tun. Prognosen - und davon wird noch ausführlicher zu sprechen sein - sind mit besonderen Problemen behaftet. Prognosen sind stets problematisch, weil - wie ein bekannter Ökonom pointierend gesagt hat - sie es mit der Zukunft zu tun haben. Wer von den Zielen über die Lagebestimmung zu den Instrumenten kommen will, muß zu einem Dreisprung ansetzen: Beschreibung der Lage - Erklärung der Ursachen und - die Prognose für die Entwicklung. Angesichts dieser Probleme ist jede Überheblichkeit bei den Ökonomen fehl am Platze und manchmal etwas mehr Bescheidenheit angebracht. Es gibt aber auch eine Fülle von objektiven Restriktionen bei der Durchsetzung von möglichen politischen Maßnahmen. Wir wollen sie zunächst in einem Schaubild Nr. 7 darstellen.
Informationelle Restriktionen
Politische Restriktionen
Unzulängliche Daten
Probleme mangelhafte keine ge- keine politi- Schwächen Leistung eigneten. sche Durch- bei den Entbei der ErMittel aus setzbarkeit scheidungsfassung und sozialwisträgern und sen-schaft- rechtlichen, Verarbei-prozessen liche Theo- institutiotung von rien nellen und Informaordnungstionen poli-tischen Gründen Bewirken Probleme bei der Verhindern sachgerechtes HanDiagnose und Prognose deln/Verursachen zeitliche Verzögerungen Time-lags
In den folgenden Kapiteln werden die "informationellen Restriktionen" näher dargelegt. Die "politischen Restriktionen" werden m nächsten Abschnitt - Einfluß von Interessen in Wirtschaft und Politik - erörtert werden.
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
3.2. Statistische Unzulänglichkeiten Hierunter verstehen wir einerseits die Tatsache, daß die vorhandenen Daten häufig den Sachverhalt nur unzureichend wiedergeben, sie aber dennoch verwendet werden. Dies erinnert dann an die bekannte Aussage von Winston Churchill, daß man keiner Statistik trauen soll, die man nicht selbst gefälscht hat. Andererseits gibt es in der Bundesrepublik zwar Daten über die Anzahl der Schafe, Schweine und Rinder, aber keine genaue Statistik über die Art der Energieproduktion, die kapitalmäßigen Verflechtungen der Unternehmen oder über die Verteilung der Einkommen und der zu zahlenden Einkommenssteuer nach Personengruppen. Rationale Wirtschaftspolitik setzt aber zuerst und vor allem ausreichende und exacte statistische Daten voraus. Leider gibt es seit einigen Jahren im Zuge der Entbürokratisierung eine Entwicklung hin zu einem allgemeinen Verzicht auf statistische Erhebungen. Eine Entwicklung, die manchmal zu weit getrieben wird. Zwar gibt es im Vergleich mit anderen Ländern in der Bundesrepublik verhältnismäßig viel Statistik; aber lange nicht immer die richtige und es mangelt in vielen Fällen an zukunftsorientierten amtlichen Daten. Selbstverständlich bedarf es von Zeit zu Zeit einer Überprüfung der amtlichen Statistik auf ihre Zweckmäßigkeit; aber notwendig erscheint ebenfalls von Fall zu Fall die Erstellung neuer Statistiken. Auf dem Wege in die Informationsgesellschaft sind wir bereits eine weite Strecke vorangekommen; der endgültige Erfolg steht jedoch aus, und er hängt ganz entscheidend von der Quantiät und vor allem der Qualität sinnvoller Informationen ab. Aus guten Gründen entwickeln immer mehr Bürgerinnen und Bürger wachsendes Mißtrauen gegenüber der Statistik, selbst gegenüber der amtlichen Statistik. Ratsam ist es in jedem Fall, bei der Verwendung statistischer Daten zunächst zu prüfen, wer die Daten erstellt hat. Die quantifizierten Angaben über Lohnkosten und Lohnnebenkosten fallen z.B. sehr unterschiedlich aus, je nachdem, ob sie von einem Arbeitgeber- oder von einem gewerkschaftsnahen Institut berechnet wurden. Selbst bei statistischen Angaben, insbesondere von Unternehmen oder ihren Verbänden, kann man davon ausgehen, daß die eigene Interessenlage stets Beachtung findet. Dies hat zu verständlichem Mißtrauen gegenüber Statistiken in der Bevölkerung geführt und davon ist die amtliche Statistik nicht ausgenommen. Das Mißtrauen wird zum Teil auch von bestimmten politischen Gruppen dadurch geschürt, weil sie hoffen, ihre politischen Ziele besser im "Halbdunkel" - ohne zu viel Information und Rationalität - durchsetzen zu können. Die amtliche Statistik ist im übrigen auch nicht gegen Mißbrauch gefeit; denn es ist nicht zu verhindern, daß sich Interessengruppen daraus immer nur solche Daten heraussuchen, die sie für ihre Zwecke gebrauchen können. Mehr als bisher wird das Statistische Bundesamt bemüht sein müssen, seine Unabhängigkeit gegenüber jedermann und Neutralität bei der Datenerhebung deutlich zu machen. Die amtliche Statistik darf sich auf keinen Fall in die tagespolitische Auseinandersetzung einmischen, wie
3. Lageanalyse
55
im § 1 des Bundesstatistikgesetzes festgeschrieben wird. Sie darf ebenfalls nicht allzu häufig ihre Grundlagen verändern, wie es bei einigen Indizes notwendig ist. Objektivität und Vergleichbarkeit, vor allem auch im internationalen Rahmen, sind wichtige Anforderungen an die amtliche Statistik, die es dringend zu beachten gilt.
3.3.
Aussagekraft statistischer Maßzahlen - Wachstum oder Wachstum!
qualitatives
Probleme bei der Berechnung des Bruttosozialproduktes wurden bereits bei der Erörterung des Wachstumszieles angesprochen. Jede statistische Maßzahl hat gewissermaßen ihre Probleme, insbesondere Aggregationsgrößen, weil sie immer nur genau das aussagen, was vorher "hineingepackt" worden ist. Dennoch ist Mißbrauch gewissermaßen an der Tagesordnung. Jeder, der diese Daten verwendet, neigt dazu, sie in seinem Interesse zu interpretieren. Ein Anstieg des Brottosozialproduktes gilt für Politiker und Öffentlichkeit stets als Erfolg, ein Sinken als eine Katastrophe. Deshalb muß erst einmal über die Aussagekraft des BruttoInlands- oder -Sozialproduktes Klarheit geschaffen werden. Wie vorne gesagt: diese Meßzahl und andere der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) sind keine sinnvollen Indikatoren über Zu- oder Abnahme des Wohlstandes. Um etwas über die Wohlfahrt oder den Wohlstand eines Landes auszusagen, hatte die OECD einen Maßstab für den wirtschaftlichen Wohlstand (measure of economic welfare) vorgeschlagen. Darin waren neben der Veränderung des Bruttoinlandsproduktes Angaben über die Veränderung der Arbeitszeit und Steigerung der Freizeit, Indikatoren über das Gesundheits- und Ausbildungswesen, über die Veränderung der Kriminalität und über den Zustand der Umwelt enthalten. Nur weil solche für unser Wohlbefinden wichtigen Angaben bei unserem aktuellen Wohlstandsmaßstab schlicht ignoriert werden, bilden die Menschen sich eine, daß ein Zuwachs des Sozialproduktes automatisch ein Zuwachs an Wohlstand bedeutet. Sinnvoll wäre deshalb eine Erweiterung des Sozialproduktes zu einem umfassenden Wohlstandsindikator. Aufgrund des im allgemeinen gestiegenen Ausbildungsniveaus wird sich eine Steigerung des "Humanvermögens" und aufgrund der längeren Lebenserwartung ein Zuwachs an "Gesundheitsvermögen" ergeben. Gleichzeitig deutet vieles darauf hin, daß unser steigendes Sozialprodukt mit einer Zunahme an Kriminalität und Umweltverschmutzung verbunden ist. Es ist zumindest fraglich, ob dies alles in der Summe eine Verbesserung unserer Wohlfahrt bedeutet. Doch zur Berechnung eines alles umfassenden Wohlstandsindikators wird es noch nicht kommen. Zunächst ist das Statistische Bundesamt dabei, eine Umweltökonomische Gesamtrechnung zu erstellen. Dies ist schwer genung, wie das folgende Schaubild verdeutlichen soll
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I. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
Umweltökonomische Gesamtrechnungen UGR Wirtschaftsaktivitäten
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
Belastung
Umweltschutz
Zustand
Material:::: Energieflußrechnung
Maßnahmen
Themenbereich 1
Themenbereich 4
Umwelt-
Themenbereich 2
Themenbereich 3
Modellrechnungen im R a h m e n I wissenschaftlicher Untersuchungen .
Themenbereich 5
t UGR-Darstellungsbereich /
S t a n d a r d s für zulässige/tolerierte U m w e l t b e l a s t u n g e n Indikatoren j
] Gesamtrechnungsmethoden
£
J Geographisches Informationssystem
Dieses Schaubild des Statistischen Bundesamtes von 1997 soll ein wenig die anfallenden Probleme des Zustandes der Umwelt, der Belastung und des praktizierten Umweltschutzes verdeutlichen. Es geht um neue Rechnungsmethoden, Informationen über die Nutzung des Raumes und der Flächen und neue Indikatoren über den Zustand der Umwelt. Der z.Z. geltende Wachstumsindikator - das Bruttoinlands- oder Bruttosozialprodukt - ist - wie angedeutet - nur sehr bedingt als Wohlstandsindikator verwendbar. Es werden nur Marktvorgänge gemessen, die Eigenproduktion der privaten Haushalte, die Schattenwirtschaft und die Schwarzarbeit werden hingegen nicht erfaßt. Der Staatsverbrauch wird mit den tatsächlich angefallenen Kosten und nicht nach Marktpreisen berücksichtigt. Vor allem die externen Kosten und externen Erträge werden nicht beachtet, und die erschöpfbaren Ressourcen werden nur in Höhe der Förder- oder Beschaffungskosten berechnet und nicht nach dem Wert der zukünftigen Nutzungen. In dem letzten Fall spricht man von einer falschen Beachtung der Zeitpräferenzen, wie vorne schon dargelegt wurde. Insofern ist das Bruttoinlandsprodukt eher ein Indikator möglicher als tatsächlicher Wohlstandssteigerungen.
3. Lageanalyse
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Worum soll es dann in Zukunft gehen? Binswanger fordert für eine ökologieorientierte Wirtschaftspolitik die Orientierung an dem Ziel eines "Qualitativen Wachstums". Qualitatives Wachstum ist für ihn: "jede nachhaltige Zunahme der gesamtwirtschaftlichen und pro Kopf der Bevölkerung erreichten Lebensqualität, die mit geringerem oder zumindest nicht steigendem Einsatz an nicht vermehrbaren oder nicht regenerierbaren Ressourcen sowie abnehmenden oder zumindest nicht zunehmenden Umweltbelastungen erzielt wird". Ihm geht es nicht um das Wachstum des Sozialproduktes, sondern um einen umfassenden Wohlstandsindikator. Seine Zunahme soll auf alle Fälle ohne vermehrten Einsatz von natürlichen oder recyclbaren Ressourcen und mit weniger oder gleichbleibender Umweltbelastung erreicht werden. Diese wichtigen ökologischen Forderungen sollen nach dieser Definition mit Hilfe des ökonomischen Prinzips: "steigender Ertrag mit gleichbleibendem oder geringerem Aufwand oder gleicher Ertrag mit geringerem Aufwand" erreicht werden. Ökonomie und Ökologie gehören also nach dieser Definition zur Erreichung eines qualitativen Wachstums zwingend zusammen und sind keine Gegensätze, wie es häufig fälschlicherweise behauptet wird. Ökonomie und Ökologie ergänzen sich. Nur eine Politik, die auf qualitatives Wachstum ausgerichtet ist, entspricht der ökologieorientierten Wirtschaftspolitik.
3.4. Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung In diesem Kapitel soll nicht die gesamte sozialwissenschaftliche Theoriebildung behandelt werden. Es geht vielmehr um die Darstellung einiger Probleme, die auf die begrenzte Aussagekraft sozialwissenschaftlicher Theorien hinweisen. Zunächst jedoch: die Sozialwissenschaften bemühen sich um die Bildung von Theorie oder "Gesetzen". Theorien oder "Gesetze" sind wiederum Voraussetzung für wissenschaftliche Erklärungen, also auch für Prognosen. Um erfahrungswissenschaftliche Theorien zu bilden, bietet sich folgende Vorgehensweise an: -
Sammlung von Beobachtungsmaterial - Entdeckung neuer Tatsachen Beschreibung und Klassifizierung der Beobachtungen Aufbau eines begrifflichen Apparates empirische Verallgemeinerungen - Bildung von Einzelhypothesen Erarbeitung gewisser allgemeiner Hypothesen Bildung einer abstrakten Theorie.
Die Konstruktion von Theorien erfolgt also über Beobachtungen in der Praxis, der Bildung von Hypothesen und letzlich der Theorieformulierung. Umgekehrt müssen aus der Theorie die Hypothesen und aus den Hypothesen die Beobachtungen logisch ableitbar sein. Statt neuer Beobachtungen können auch neue
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/. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
theoretische Überlegungen zur Überprüfung der Hypothesen fuhren. Um neue Beobachtungen zu machen, sind im übrigen theoretische Grundüberlegungen erforderlich; denn nur auf dieser Basis lassen sich Hinweise auf eine sinnvolle Materialsammlung gewinnen. Leistungsfähige sozialwissenschaftliche Theorien müssen nach den Anforderungen des kritischen Rationalismus "falsifizierbar" sein. "Falsiflzierbarkeit", und das heißt, Nachprüfbarkeit durch Erfahrung, ist das entscheidende Merkmal erfahrungswissenschaftlicher Theorien, auch Popper-Kriterium genannt. Bei dieser Falsifizierung einer Theorie geht es um die Überprüfimg auf interne Widerspruchsfreiheit, und die Konfrontation mit alternativen Theorien und vor allem um Prüfung der Theorie durch Konfrontation mit den Fakten. Wohlgemerkt, es geht bei der erfahrungswissenschaftlichen Theorie um die Falsiflzierbarkeit, die Widerlegbarkeit der Theorie, nicht um die Verifizierung durch neue Fakten. Verifizierungen der Theorie durch praktische Erfahrungen sind gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit. Das "Popper-Kriterium", die Notwendigkeit der Falsiflzierbarkeit einer Theorie verlangt allerdings nach einigen Gundvoraussetzungen, die beachtet werden müssen. Zunächst muß erkannt werden, daß unser Denken und Handeln grundsätzlich der Möglichkeit eines Irrtums (Irrtumsmöglichkeit) unterliegen kann. Dies wird heute auch weitgehend zugegeben. Ob erkannte Irrtümer allerdings zu einer Änderung der einmal gefaßten Meinung, zur Änderung der Theorien fuhren, ist keinesfalls immer sicher. Wir haben unsere Bedenken gegen einige theoretische Aussagen der herrschenden Neoklassik schon am Anfang formuliert; obgleich die Neoklassik zu 90 Prozent die herrschende Lehrmeinung in dieser Wissenchaft ist. Alle Theorien und alle Begründungen sind jedenfalls immer vorläufig und stets überholbar. Die Wissenschaft, wie sie hier definiert ist, als Bildimg von Theorien ist stets nur ein Prozeß der Annäherung an die Wahrheit; die wissenschaftliche Erkenntnis folgt dem "trial and error" - Prinzip. Auch Wissenschaftler sind im übrigen nicht frei von Interessen und zum Teil werden eigene Interessen sogar ihren Forschungsdrang steigern können. Zum Teil werden Interessen und interessengeleitet Forschung aber in die Irre leiten. Wichtig ist, daß alle Institutionen, und dazu gehört die Wissenschaft, so gestaltet sind, daß in ihnen Kritik möglich ist und effektiv werden kann. Gerade diese Implikation scheint nicht immer in unserer Demokratie Realität zu sein. Kommt es zu einer Machtliaison auf einzelnen Feldern zwischen starken Machtblöcken, wie zum Beispiel der Wissenschaft und der Wirtschaft, so hat dagegen vereinzelt vorgetragene Kritik keine Chance. Es gibt beispielsweise in einigen Wirtschaftssektoren Interessenverbindungen, gegen die kein kritisches, "wissenschaftliches Kraut" gewachsen ist. Die Theoriebildung nach den Grundsätzen des kritischen Rationalismus ist zweifellos dennoch sinnvoll und keinesfalls unbrauchbar. Man muß
3. Lageanalyse
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jedoch wissen: die Theorien haben im allgemeinen nur einen niedrigen Allgemeinheits- und Informationsgrad. In der Wirtschaft spielen bekanntlich Interessen eine dominierende Rolle, und manches wird in den Sozialwissenschaften als Wissenschaft ausgegeben, was doch nur Interessenvertretung ist. Bekannt sind die bezahlten Gutachten von wissenschaftlichen Instituten oder Professsoren u.a. durch Unternehmen oder Verbänden zur Untermauerung der eigenen Interessenposition. Leider geht es in den Diskussionen der sozialen Praxis im allgemeinen nicht darum, der "Wahrheit näher zu kommen", es geht vielmehr um die Abwägung und Durchsetzung von Interessen. Nach Lothar Neumann sollten die in der sozialen Diskussion "offen deklariert und nicht verschleiert werden". In demokratischen Systemen wäre die rationale Diskussion außerdem stets öffentlich zu führen. Leider ist das aber meistens nicht der Fall. Die Interessen, die sich "im Räume stoßen", werden nicht durch Theoriebildung und Suche nach Wahrheit ausgeglichen werden, sondern nur durch Kompromisse. Popper meint dazu: "daß es sogar dort, wo verschiedene Interessen und Forderungen aufeinanderprallen, möglich ist, über diese Vorschläge und Forderungen zu argumentieren, und - vielleicht durch Schiedspruch - einen Kompromiß zu erreichen, der wegen seiner Billigkeit für die meisten, wenn nicht für alle, annehmbar ist. Für ihn ist diese Suche nach dem Kompromiß vergleichbar mit der wissenschaftlichen Einstellung, mit dem Glauben, "daß wir zusammenarbeiten müssen, wenn wir die Wahrheit suchen und daß wir mit Hilfe von Argumenten im Laufe der Zeit so etwas wie Objektivität erreichen können". (S. 276) Der Kompromiß hat in unserer Gesellschaft zweifellos eine friedenstiftende Funktion und ist häufig eine Alternative zum Streik oder gar zur Gewaltanwendung. Dennoch gibt es zum Beispiel verbrecherische oder allgemein ausgedrückt gemeinwohlschädliche Interessen, die nicht durch Kompromiß gelöst werden dürfen. Die empfohlene, rationale Einstellung in der Diskussion zur Verringerung von Interessengegensätzen setzt im übrigen tendenziell gleichwertige Diskussionspartner voraus, die über einen vergleichbaren Wissensstand im Hinblick auf den Diskussionsgegenstand verfugen. Diese ideale Diskussionssituation ist in der Realität kaum jemals gegeben.
3.5. Unzulänglichkeiten wissenschaftlicher Politikberatung Hier geht es um die Politikberatung durch wissenschaftliche Gremien und ihre Möglichkeiten und Grenzen, nicht um die rationalere Vorgehensweise in der Politik selbst durch eigene Erhebungen und Berichte. Zu den Gremien, die von außen versuchen, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Politik einzubringen, gehören Wissenschaftliche Beiräte zum Beispiel des Bundesministers für Wirt-
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schaft, in dem vor allem alt-renommierte Betriebs- und Volkswirtschaftsprofessoren sitzen. Der Ruf in den Beirat steigert das Ansehen, und einmal berufen, scheiden die meisten der Professoren nur durch Tod aus. Der Beirat bestimmt seine Themen, zu denen er sich äußern will, und die Häufigkeit seiner Gutachten selbst. 1963 kam es durch Gesetz zur Gründung eines "Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung", vergleichbar dem amerikanischem Council of Economic Advisers. Der Sachverständigenrat, bestehend aus fünf Ökonomieprofessoren, war ein Kind der Keynes'schen Globalpolitik und hatte dementssprechend auch in seinen ersten Gutachten deutlich dafür votiert. Die jährlichen Gutachten und Sondergutachten je nach Bedarf haben für die politische Entscheidungsfindung heute deutlich an Bedeutung verloren. Nur wenig später, im Dezember 1971 wurde durch den Bundesminister des Inneren der Sachverständigenrat für Umweltfragen geschaffen. Im März 1974 wurde das erste Umweltgutachten des 12 Wissenschaftler umfassenden Gremiums vorglegt. und 1978 das zweite Umweltgutachten. Mittlerweile ist dieser Rat auf 6 Wissenschaftler reduziert, doch die unmfassenden Gutachten sind nach wie vor eine Fundgrube für alle aktuellen Umweltprbleme und die dazugehörigen Lösungsansätze. 1973 wurde im Zuge einer Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Monopolkommission ins Leben gerufen, die zur Aufgabe bekam, die Wettbewerbssituation auf den Märkten in der Bundesrepublik zu durchleuchten. Sie setzt sich zusammen aus fünf Personen, von denen drei aus der Wissenschaft und 2 aus der Praxis kommen. Ihre Hauptgutachten erscheinen alle 2 Jahre, jeweils im Wechsel mit den Berichten des Bundeskartellamtes. Außerdem werden über die sog. "Blaue Liste" sechs wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinsitute mitfinanziert, die sich alle mehr oder weniger spezialisiert haben und auch Auftragsforschung im größeren Umfang betreiben. Dazu gehören das Ifö-Institut in München, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, das Hamburgische Welt-Wirtschaftsarchiv (HWWA) in Hamburg, das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und neuerdings das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). Sie geben im Herbst und im Frühjahr eines jeden Jahres ein Gemeinschaftsgutachten zur konjunkturellen Lage heraus und veröffentlichen alle durch eigene Publikationen ihre spezielle Forschung. Soweit die regelmäßige Politikberatung durch die Wissenschaft. Daneben gibt es auf parlamentarischer Ebene einen Wissenschaftlichen Dienst beim Deutschen Bundestag, der auf Anfragen hin tätig wird. Immer mehr in Mode gekommen sind Anhörungen zu konkreten Anträgen oder Gesetzesvorhaben,
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bei denen Wissenschaftler, aber auch Interessenvertreter zu Wort kommen. Schließlich kommt es bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Einsetzung von Enquetekommissionen durch das Parlament, an denen Wissenschaftler und Politiker beteiligt werden. Bei Bedarf werden von der Regierung Kommissionen eingesetzt, die aus Wissenschaftlern und Interessenvertretern zusammengesetzt sind. Das Ergebnis dieser Kommissionen, die in einer bestimmten Zeit einen Bericht abzugeben haben, ist nach den bisherigen Erfahrungen weitgehend aufgrund ihrer Zusammensetzung vorhersehbar. Bestenfalls kommt als Ergebnis gewissermaßen - das arithmetische Mittel der "hineingegebenen" Interessen heraus. Diese wissenschaftliche Politikberatung im Bereich der Wirtschaftspolitik sollte nicht über- und nicht geringgeschätzt werden. Beratung, insbesondere in ihrer Pluralität, besitzt eine wichtige ideologiekritische Funktion, die dringend notwendig ist. Neue Gremien haben verständlicherweise zu Beginn ihrer Tätigkeit mehr Resonanz bei der Politik und in der Öffentlichkeit als nach mehreren Jahren regelmäßiger Veröffentlichung der Gutachten. Es läßt sich bei der wisssenschaftlichen Politikberatung ein unvermeidbarer "Abnutzungseffekt" feststellen. Es gibt viele Unzulänglichkeiten. Die wissenschaftliche Beratungstätigkeit ist, wie oben angedeutet, historisch gewachsen und entspricht keinesfalls noch immer den politischen Notwendigkeiten. Heutzutage sind nicht mehr Ordnungs- und Ablaufspolitik - für die es seit langem etablierte Beratung gibt - die dominierenden Politikbereiche, sondern vielmehr die Struktur- und die Außenwirtschaftspolitik, für die es keine entsprechende Beratung gibt. Die aktuellen wissenschaftlichen Expertisen finden immer weniger Beachtung in der Politik, zum Teil deshalb, weil die vorgeschlagenen Maßnahmen realitätsfern sind und nur selten bei den Vorschlägen die Restriktionen und Durchsetzungsmöglichkeiten im politischen Raum Beachtung finden. Die Gutachten selbst wimmeln häufig von sog. Minderheitsgutachten. Dadurch haben die Politiker noch mehr Chancen, sich die Meinung herauszugreifen, die ihnen genehm erscheint, während andererseits das wissenschaftliche Erscheinungsbild leidet. Die Politik und ebenso die Öffentlichkeit erwarten von Gutachten eine fundierte, einheitliche Meinung, die der Wahrheit entspricht, nicht aber zu jedem Thema soviele Meinungen, wie es beteiligte Wissenschaftler gibt. Die beschriebenen wissenschaftlichen Gremien sind im übrigen nicht so unabhängig, wie sie erscheinen, und wie sie sein sollten. In den Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministers werden nur neue Wissenschaftler hineinberufen, die dem Minister und den Beiratsmitgliedern genehm sind. Wissenschaftliche Außenseiter oder andere Lehrmeinungen haben keine Chance auf eine Berufung in den Beirat. Die Mitglieder von Sachverständigenrat und Monopolkommission werden auf Vorschlag des Wirtschaftsministers von der Bundesregierung berufen. Wissenschaftler, die mit ihren Veröffentlichungen von der regierungsamtlichen Linie abweichen, haben eben-
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I. Teil: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
falls kaum eine Chance. Beim Sachverständigenrat gilt allerdings die ungeschriebene Regel, daß ein Mitglied von den Arbeitgebern und ein Mitglied von den Gewerkschaften vorgeschlagen und von der Bundesregierung akzeptiert wird. Aber längst nicht alle von den Gewerkschaften in Vorschlag gebrachten Wissenschaftler sind in der Vergangenheit berücksichtigt worden. 3.6. Prognosen und Projektionen - Möglichkeiten und Grenzen Nachdem einige Probleme der wissenschaftlichen Politikberatung dargestellt worden sind, sollen jetzt die Möglichkeiten und Grenzen einer Vorausschau mit Hilfe von Prognosen und Projektionen in Augenschein genommen werden. Der Versuch, einen Blick in die Zukunft zu werfen, ist in Politik und Wirtschaft tägliches Geschäft. Von der Wissenschaft wird mit recht erwartet, daß sie in der Lage ist zukünftige Entwicklungen im begrenzten Ausmaße vorherzusagen. Darum und vor allem darum betreiben wwir Wissenschaft. Die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Vorhersage sind alleredings eng begrenzt und Fehler sozusagen an der Tagesordnung. Häufig handelt es sich bei den Vorhersagen mehr um die Wiedergaben von Erfahrungen oder gar Intuition als um rationales wissenschaftliches Kalkül. Die wissenschaftliche Methoden in der Ökonomie für die Vorhersage liefern Prognosen und Projektionen. Bei den Prognosen wird aufgrund gewisser Anfangsbedingungen unter Beachtung sozialökonomischer Theorien auf die Auswirkungen in der Zukunft geschlossen. Einer Prognose - und das ist das Entscheidende - liegt eine sozialwissenschaftliche Theorie zugrunde. Prognosen, denen eine sozialwissenschaftliche Theorie zugrundeliegen muß, sind stets sog. "bedingte" Prognosen. Sie sind an bestimmte Bedingungen geknüpft, nämlich den in der Theorie dargelegten Fakten und Hypothesen. Im allgemeinen werden die Bedingungen noch expressis verbis bekannt gemacht. Ein Beispiel: unter der Bedingung einer Abschaffung des Solidarbeitrages von 7,5 % der Einkommensteuer steigt die Kaufkraft um 25 Mrd. DM und die Anzahl der Erwerbstätigen in der Volkswirtschaft etwa um 300 000 abhängig Beschäftigte. "Un"bedingte Prognosen, also Prognosen, die nicht an Bedingungen geknüpft sind, sind keine wissenschaftlichen Prognosen. Auch sie werden immer wieder propagiert. Beispiele hierfür sind die Marx'sehe Determinationslehre oder die ölflecktheorie von Hayek. Sie wurden in das "Kleid der Wissenschaftlichkeit verpackt" und sind nichts anderes als subjektive Erwartungen oder Vermutungen, die nichts mit Wissenschaft in heutigen Sinne zu tun haben. Wissenscahftliche Prognosen hängen von der Leistungsfähigkeit sozialwissenschaftlicher Theorien ab. Sie können grundsätzlich keine zukünftigen Ereignisse wie Kriege, Erdbeben oder andere Naturkatastrophen verhersagen.
3. Lageanalyse
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Projektionen sind dagegen empirische Verallgemeinerungen über das Fortwirken bestimmter Regelmäßigkeiten. Im allgemeinen werden Zeitreihen, als quantitative Daten über die Entwicklung in der Vergangenheit, in die Zukunft projiziert. Man geht davon aus, daß es so, wie es bisher gelaufen ist, in Zukunft weitergeht. Dabei können selbstverständlich Schwankungen - beispielsweise konjunktureller Art - bei der Projektion einer Zeitreihe beachtet werden. Der Bundesminister für Wirtschaft veröffentlicht im Januar/Februar eines jeden Jahres im Jahreswirtschaftsbericht eine Projektion für das bevorstehende Jahr. Dabei werden dann nicht nur die Entwicklungen der vergangenen Beobachtungszeiträume, sondern ebenfalls die im laufenden Jahr vorgesehenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen in die Projektion einbezogen. Insofern ist dies keine normale, sondern eine modifizierte Projektion. Auch hierfür gilt im übrigen, daß Projektionen wie Prognosen umso schwieriger werden, je weiter sie in die Zukunft reichen und je größer die Entwicklungsdynamik der entsprechenden Wirtschaftsgesellschaft ist. Die Erfahrung zeigt, daß die Treffsicherheit von Prognosen und Projektionen zumindest für den kurzen Zeitraum nicht stark voneinander abweicht. Einige Theoretiker behaupten, daß zwischen den Leistungen beider kein grundsätzlicher Unterschied besteht. Prognosen, die auf die Deduktion von Gesetzen oder Theorien zurückgehen, sollen nicht grundsätzlich den Projektionen überlegen sein. Das scheint jedoch ziemlich fragwürdig. Bei Prognosen wird unterstellt, daß die bisherige Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge, wie sie in der geltenden Theorie dargelegt werden, in Zukunft weiterwirken. Die Theorie, die zugrundeliegt, konnte bisher nicht falsifiziert werden und kann deshalb schon eine gewisse Gesetzmäßigkeit für sich in Anspruch nehmen. Die Projektionen basieren dagegen allein auf bisher bekannt gewordenen Erfahrungen; sie gehen nur von der Empirie aus und sind deshalb grundsätzlich von anderer Qualität. Gleichwertig sind Prognosen und Projektionen eben nicht, aber das ändert nichts an der Erfahrung, daß beide Instrumente für eine kurzen Blick in die Zukunft häufig gleiche Ergebnisse zeitigen.
3.7. Praktische Erfahrungen beim Blick in die Zukunft Prognosen und Projektionen bieten nicht nur Möglichkeiten, kurzfristige Aussagen über zukünftige Entwicklungen zu machen. Prognosen - für offizielle Projektionen gilt das gleich - können auch das Verhalten der Wirtschaftssubjekte beeinflussen und verändern. Diese Beeinflussung kann die prognostizierte Entwicklung verstärken oder vermindern. Allgemein bekannt ist die Methode des amtierenden Wirtschaftsministers, der regelmäßig die wirtschaftliche Entwicklung rosiger sieht, als sie in Wirklichkeit ist. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, eine gute Konjukturprognose fordere den Optimismus der Unternehmer und stei-
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gere damit die Investitionstätigkeit. Selbst die Konsumenten sind bei guten Konjukturaussichten eher geneigt, ihre Sparfreude zu drosseln und ihre Konsumtätigkeit zu erhöhen, als bei düsterer Entwicklung. Das "Schönreden" der Lage durch den Politiker hat also Methode, und es ist keinesfalls an eine bestimmte Person gebunden. Die Opposition neigt dazu, die wirtschaftliche Lage schlechter einzuschätzen. Dahinter verbirgt sich die Gegenposition zur Regierung und der Aufbau einer eigenen, günstigeren Position für kommende Wahlen in der Öffentlichkeit. Ein Problem der Glaubwürdigkeit ergibt sich daraus, wenn sich über längere Zeit die Aussagen der Politiker als falsch herausstellen. Dann treten Abnutzungserscheinungen ein, und die Wirkungen sind anders als erhofft. Ein anderes Beispiel: Gute Gewinne durch die Großunternehmen und gute Gewinnaussichten werden in den Medien groß herausgestellt. Dies animiert die Gewerkschaften geradezu zwangsläufig zu kräftigen Lohnforderungen, und damit können dann die Gewinnaussichten wieder zunichte gemacht werden. Von Prognosen geht folglich eine gefährliche Eigendynamik aus. Sie können das Verhalten der Handelnden in der Wirtschaft spürbar beeinflussen; im positiven Fall wird auch von einer "self-fulfilling-prophecy" gesprochen. Über die theoretischen Grenzen der Prognosetätigkeit war bereits berichtet worden. Prognosen hängen von der Brauchbarkeit der zugrundeliegenden Theorien ab und Projektionen von der Qualität der statistischen Daten der Zeitreihen. Sie sagen nur dann etwas über die zukünftige Entwicklung aus, wenn die Theorien und Zeitreihen in gleicher Weise weiterwirken wie in der Vergangenheit. Während der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Prognosen erstellt, veröffentlicht die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht Projektionen. Im Schaubild Nr 7 haben wir die "Irrtümer der fünf Weisen" nur für das Bruttosozialprodukt aufgeführt. Hier wird die prognostizierte Entwicklung des BSP aus den Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der tatsächlichen von 1985 bis 1996 gegenübergestellt.
Schaubild Nr 9 tatsächliche und schätzte prozentuale Entwicklung des BSP von 1985 - 1995 in jeweiligen Preisen 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 geschätzt: 5.5 5.5 4.0 3.5 4.5 6.5 7.0 6.0 3.5 2.5 5.5 4.5 1.8 tatsächlich 4.8 5.6 3.9 5.2 6.5 8.0 7.9 3.5 2.7 4.2 4.5
3. Lageanalyse
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Diese Daten sind nicht ohne weiteres mit den "Irrtümern der Bundesregierung" vergleichbar. In der folgenden Tabelle Nr. 10 werden die Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts für das Bruttoinlandsprodukts in konstanten Preisen von 1985 - 1996 mit der tatsächlichen Entwicklung verglichen
Schaubild Nr. 10 Tatsächliche und geschätzte Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in konstanten Preisen von 1985 - 1996 (ab 1994 Daten für die neue Bundesrepublik) 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 geschätzt: tatsächlich:
2.5 2.6
3.0 2.5
2.5 1.5 -2.0 2.5 1.6 3.7 3.3
3.0 3.5 1.5-2.0-1.0 1.5 3.0 5.1 3.7 1.0 -1.3 2.9 1.9
1.5 1.4
Die Gegenüberstellung findet sich für das jweilige Jahr in jedem Jahreswirtschaftsbericht. Daraus sind aber nicht alle Daten entnommen worden, sondern nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die anderen Projektionen u.a. über Erwerbstätige, den privaten und staatlichen Konsum, die Bruttoanlageinvestitionen, die Aus- und Einfuhr, und die Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit und aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind schwieriger und mit noch mehr Fehleinschätzungen behaftet. Die Fehleinschätzungen des Sachverständigenrates allein für das Bruttosozialprodukt sind erheblich. Der Rat ist bei seinen Prognosen eher vorsichtig; denn er neigt dazu, die zyklischen Ausschläge zu unterschätzen. In Rezessions- und Boomphasen ist die Vorhersage offenbar besonders schwierig. Auf alle Fälle läßt sich feststellen: die Richtung wird stets korrekt eingeschätzt, nur die extremen Schwankungen sind am Ende eines Jahres (November) für das kommende Jahr nicht genau vorhersehbar. Beim Vergleich der Projektionen durch die Regierung zeigt sich, daß es nicht einmal im Februar des gleichen Jahres gelingt die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes richtig zu prognostizieren. Die Regierung ist nicht einmal in der Lage den Staatsverbauch, der ja schon am Beginn des Jahres feststehen soll, richtig einzuschätzen. Immerhin ist dies einfacher als eine Projektion der Investitionen, der Aus- und Einfuhren und der Einkommensent-
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wicklung, die von den Tarifabschlüssen mitbestimmt wird. Bei den Projektionen der Regierung müssen neben den angekündigten Maßnahmen aber auch die Effekte des Schönredens beachtet werden. Trotz dieser Mängelliste wird man nicht auf Prognosen und Projektionen verzichten können. Im Gegenteil; es erscheint dringend erforderlich, die vorsichtigen Versuche beim Blick in die Zukunft, wie sie hier beschrieben wurden, auf seriöse Weise trotz aller Fehlermöglichkeiten auszuweiten.
4. Einfluß von Interessen
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4. Der Einfluß von Interessen in Wirtschaft und Politik Gliederung: 4.1 4.2. 4.3.
Gemeinwohl oder Individualinteresse Schumpeter als Vorgänger der Neuen Politischen Ökonomie Die Interessen in der "ökonomischen Theorie der Demokratie" 4.3.1. Grundannahmen 4.3.2. Das Verhalten der Parteien 4.3.3. Bewertung der Theorie 4.4. Neue Politische Ökonomie und Umweltpolitik 4.4.1. Die Interessen der verschiedenen Akteure 4.4.2. Durchsetzbare und nichtdurchsetzbare Maßnahmen 4.5. Die organisierten Interessen 4.5.1. Organisationsvoraussetzungen 4.5.2. Verbände und ihre politischen Maßnahmen 4.6. Interessendominanz und demokratische Entwicklung
4.1. Gemeinwohl oder Individualinteresse Die liberale Wirtschaftstheorie geht davon aus, daß es so etwas wie ein "Gemeinwohl" und einen "Volkswillen" gibt und der Politiker sich bei seinem Handeln an diesem Gemeinwohl orientiert. Diese Gemeinwohlvorstellung geht auf die Aufklärungsphilsophie des 18. Jahrhunderts zurück und sein Hauptvertreter war Jean-Jaques Rousseau. Nach den Vertretern des klassischen Liberalismus liegt der Gesellschaft (des Nationalstaates, d.V.) ein Harmoniegesetz zugrunde, und es gibt einen gesellschaftlichen Gesamtnutzen, der aus der Summe der Nutzenvorstellungen aller Individuen gebildet wird. Theoretisch ausgedrückt wurde dieses Gemeinwohl durch das "Sozialökonomische Optimum", bei dem der Wohlstand eines Landes ein Maximum ist, wenn bestimmte Optimalbedingungen für Produktion, Beschäftigung, Güteraustausch u.a. erfüllt sind. Herbert Giersch widmet diesem theoretischen Optimum noch ein ganzes Kapitel. Doch mittlerweile ist allgemein anerkannt, daß dieses Optimum eine Utopie bleiben muß, da die Bedingungen nie gegeben sind und es sich deshalb als empirisch gehaltlos erweist. Die Gemeinwohlvorstellung ist jedoch weiterhin in unserer Gesellschaft virulent. Danach sollen nicht nur die Politiker, sondern alle Bürgerinnen und Bürger ihre individuellen Nutzenvorstellungen zumindest genau kennen und wissen, was sie wollen. Die Politik verfolgt jedoch keine individuellen Interessen, sondern eben ein irgendwie geartetes "Gemeinwohl". Ob das zutrifft, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden.
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Betrachtet man einmal die politischen Parteien in der Bundesrepublik, so scheint es, daß vor allem die sog. Volksparteien vorgeben, einem "Gemeinwohl" verpflichtet zu sein. Die kleinen, im Bundestag vertretenen Parteien lassen eher erkennen, daß sie sich bestimmten Interessen besonders verpflichtet fühlen. Aber auch die größeren Volksparteien haben ihre Klientel und verfolgen deren Interessen besonders intensiv. Die Gemeinwohlorientierung scheint in der Politik der Bundesrepublik Deutschland immer mehr verlorengegangen zu sein. Denn Individuen und gesellschaftliche Gruppen haben im allgemeinen sehr differenzierte Vorstellungen über das, was sie unter Gemeinwohl verstehen. Anders formuliert: es ist gang und gäbe geworden, daß Individuen und betimmte gesellschaftliche Gruppen nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Dabei bleiben ständig zunehmnede Konflikte nicht aus. Vielen Menschen ist der Hinweis auf ein mögliches "Gemeinwohls" suspekt geworden. Zum einen haben Politiker damit "Schindluder" getrieben; denn was sie als Gemeinwohl ausgaben, waren nur ihre persönlichen Interessen. Zum anderen, liefern die praktischen Erfahrungen täglich Beweise für das eigennützige Verhalten der Politiker und der Individuen. Wer in allgemeinen Floskeln über das Gemeinwohl redet, das es anzustreben gilt, findet in der Öffentlichkeit kaum noch Akzeptanz. Andererseits gilt, j e konkreter die eigenen Vorstellungen formuliert werden, desto eher stößt man auf Widerspruch durch widergelagerte Interessen.. Ob man es bedauert oder nicht, aber es läßt sich durchaus behaupten: jedes Individuum (Ausnahmen bestätigen die Regel) verfolgt seine eigenen Interessen, und die sind keinesfalls mit einem definierten Gemeinwohl identisch. Mit der "unsichtbaren Hand" von Adam Smith ist es ebenfalls so eine Sache. Es gibt sie nicht. Theoretisch läßt sich allerdings feststellen, daß das individuelle Streben der Einzelnen zumindsest dann gesamtwirtschaftlich sinnvolle Ergebnisse hervorbringen kann, wenn auf allen Märkten Flexibilität der Preise und ein vollkommener oder zumindest funktionsfähiger Wettbewerb vorhanden ist. Der Begriff des "Gemeinwohls" bezieht sich im übrigen immer auf den Nationalstaat, für den die Politiker gewählt sind und dessen Interessen sie vertreten sollen. Bei Politikern, die für das Europäische Parlament gewählt worden sind, gilt dies in dieser Schärfe nicht mehr. Angesichts der wachsenden weltweiten Probleme wird es auch nicht immer rational sein, nur das Gemeinwohl des Nationalstaates in die politische Betrachtung einzubeziehen. Verschiedene Probleme, insbesondere die wachsenden Probleme des Umweltschutzes, können nicht mehr auf nationaler Ebene gelöst werden, sondern müssen zwingend zwischen allen entwickelten und sich entwickelnden Länden aufgegriffen und einer Lösung näher gebracht werden. In diesen Fällen ist das Gemeinwohl ein weltweites Ziel und kein nationales Anliegen.
4. Einfluß von Interessen
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4.2. Schumpeter als Vorgänger der Neuen Politischen Ökonomie Joseph A. Schumpeter legt in seinem Buch "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" den Grundstein für die "Neue Politische Ökonomie", eine Theorie, die nicht mehr von der "Gemeinwohl"-Vorstellung ausgeht. Von Schumperter ist die Anekdote überliefert, daß er schon sehr jung behauptet habe, er wolle der beste Ökonom der Welt, der beste Reiter Österreichs und der beste Liebhaber Wiens werden. Später in den Vereinigten Staaten hat er festgestellt, daß es ihm nicht gelungen sei, der beste Reiter Österreichs zu werden. Wie uns scheint, hat er es durchaus erreicht, zu einem der besten Ökonomen der Welt zu zählen. Dieses Urteil wird in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar. Zumindest haben uns am Ende des 20. Jahrhunderts in den Industrieländern - in einer sich schnell wandelnden Weltwirtschaft - die Rezepte eines Joseph Schumpeter durchaus mehr zu sagen als die Keynes' sehen Überlegungen. Schumpeter hatte, seiner Zeit weit voraus, schon damals die Notwendigkeit der schöpferischen Unternehmertätigkeit mit wirklichen Innovationen beschworen, auf die es gerade heute wieder in besonderem Maße ankommt. Schumpeter stellt auch als erster Ökonom die Gemeinwohl-These der liberalen Wirtschaftstheorie in Frage. Für ihn ist es zweifelhaft, ob in einem Volke ein einheitlicher politischer Wille existiert, weil die Individuen und verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft sehr unterschiedliche Vorstellungen über die anzustrebenden wirtschaftspolitischen Ziele haben. Diese Erkenntnis wirkt heute geradezu banal, aber sie ist empirisch richtig, und dies ist in der jüngsten Zeit immer deutlicher geworden. Vorsicht also vor jenen Politikern, die ständig mit Worten das Gemeinwohl beschwören und eigentlich nur ihre Interessen meinen. Damit sei nichts gegen die Bemühungen der sog. Kommunitaristen gesagt, deren Anliegen lobenswert erscheint, die aber nicht sagen, auf welche Weise konkret mehr Gemeinwohl- Überlegungen in die Politik eingefügt werden können. Schumpeter verlangt, daß die Leute, die ins Parlament gewählt werden, die "Parteimaschine" bedienen können. In der Tat ist unsere Parteiendemokratie im Westen so weit fortgeschritten, daß die entscheidende Macht nicht mehr bei den Individuen, sondern bei den Parteien liegt. Die Parteien, d.h. ihre zum Teil kartellähnlichen Führungssgremien und ihre verengten Führungsspitzen entscheiden über fast alle Personalprobleme. Das reicht von der Besetzung von höheren Beamten- und Richterposten bis hin zu politischen Posten aller Art auf Landes- oder Bundesebene. Ob diese Art der Personalauswahl mit der Forderung Schumpeters harmoniert, ist zweifelhaft. Er verlangt nämlich, daß die zu besetzenden Kabinettsposten mit Personen ausgefüllt werden, die über hohe "sittliche und fachliche Qualität" verfugen. Dieses Auswahlkriterium wird - wie es scheint - in der Bundesrepublik immer weniger beachtet. Was die fachliche Qualität angeht, so wird gerne behauptet, daß ein guter Politiker in allen Ressorts politische Entscheidungen fällen kann, und er für fachliche Fragen gute Beamte hat. Was die
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Auswahl nach sittlicher Qualität angeht, so scheint diese darunter zu leiden, daß hohe Anpassungsfähigkeit an die oben genannten Entscheidungssträger eine wichtige Voraussetzung für eigene Karriere ist. Zwischen beiden - Anpassungsfähigkeit und sittliche Qualität - besteht eher eine antinomische als eine harmonische Beziehung. Nach Schumpeter sollte ferner der wirksame Bereich politischer Entscheidungen nicht allzu weit ausgedehnt werden. Er meint, daß in der Politik durchaus eine gewisse Spezialisierung angebracht erscheint. Die Minister sind für ihren eng begrenzten Bereich zuständig, und den sollten sie fachlich sauber beherrschen. Vor allem benötigt eine Regierung nach Schumpeter eine in jeder Hinsicht qualifizierte Bürokratie mit Beamten, die über "Pflichtgefühl" und einen gewissen "Korpsgeist" verfügen. Dies sind bekannte, alte preußische Anforderungen; ob sie jedoch noch immer das Denken der Beamtenschaft bestimmen, ist zweifelhaft. Auf alle Fälle scheint das "Pflichtgefühl" mit seinem dienenden Charakter bei vielen Beamten abhanden gekommen zu sein. Vor allem in der Ministerialbürokratie hat sich statt des Pflichtbewußtseins ein eigenes Machtbewußtsein entwickelt. Dies trägt mit dazu bei, daß die eigentliche politische Macht entsprechend der Theorie nicht beim Parlament, sondern eher bei der Bürokratie angesiedelt werden ist. Schließlich verlangt Schumpeter, daß die Wählerschaft und das Parlament über moralische Qualitäten verfügen müssen. Demokratisch, mit Mehrheit zustande gekommene Gesetze müßten von allen akzeptiert werden, wobei sie von vornherein die Anliegen der Minderheiten, soweit es geht, beachten müßten. Dies ist heute ebenfalls nicht immer der Fall. Einerseits wird im Zuge einer polarisierenden politischen Diskussion häufig wenig Rücksicht auf Minderheiten genommen, andererseits werden ebenfalls demokratisch zustande gekommene Gesetze nicht immer von der Minderheit akzeptiert. Hierüber ist auch in unserer Demokratie noch viel Aufklärung erforderlich. Über die sittlichen Qualitäten der Politiker soll im folgenden Kapitel bei der Behandlung der Ökonomischen Theorie der Politik von Anthony Downs einiges ausgeführt werden.
4.3. Die Interessen in der "ökonomischen Theorie der Demokratie" Die allgemeine Theorie der Demokratie unterstellt für die Politiker, daß sie sich als politisch Verantwortliche an "Gemeinwohlinteressen" orientieren.. Aber die These, daß Politiker in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen, ist nicht einfach zu ignorieren. Deshalb geht Anthony Downs von einem "Konkurrenzkampf der Politiker um Wählerstimmen" aus. Für seine Grundannahme über das Handeln der Politiker spricht die aktuelle Erfahrung. So ist heutzutage festzustellen, daß programmatische Aussagen der Parteien für den
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Wettstreit um Wählerstimmen immer weniger Bedeutung haben. Der von starken Interessengruppen vorgeformte "Zeitgeist" bestimmt weitgehend das Handeln in der Politik. Der "Konkurrenzkampf um Wählerstimmen", der für Downs jetzt der entscheidende Antrieb politischen Handelns ist, verändert das Verhalten der Politiker. Ob sie sich so verhalten wie Unternehmer auf einem Markt möge dahingestellt bleiben. Man muß unter dieser Prämisse unterstellen, daß sie nicht mehr primär gemeinwohlorientiert sind, sondern unter der Zielsetzung der Stimmenmaximierung handeln. Politiker wollen heute die Wähler/innen für sich und ihre Partei einnehmen; sie versuchen Wählergruppen an sich zu binden; ihre Interessen zu vertreten. Die Frage, ob diese Interessenvertretung dem Gesamtwohl der Gesellschaft entspricht, wird nicht mehr gestellt. Downs legt seiner ökonomischen Theorie der Demokratie oder Politik folgende Annahmen zugrunde. 4.3.1. Grundannahmen Politiker und Wähler gleichermaßen handeln nach Downs zweckrational und eigennützig. Der Wähler will seinen persönlichen Nutzen maximieren und der Politiker seien Stimmenabteil. Zweck der Stimmenmaximierung sind Prestige, Macht und gut bezahlte öffentliche Ämter - und dies nicht, um dadurch übergeordnete politische Ziele durchsetzen zu können, sondern um ein höheres Einkommen zu erzielen. Der Wähler entscheidet sich - nach Downs - entsprechend dem "Nutzeneinkommen" das er sich vom Handeln der politischen Parteien in der Regierungsverantwortung verspricht. Erwartet er höhere Nutzeneinkommen von der im Amt befindlichen Regierungspartei, wählt er sie; erhofft er sich dagegen Vorteile von der Opposition, wird er diese unterstützen. Ist aber das Nutzeneinkommen für den Wähler bei Regierung und Opposition gleich, so wird er sich der Stimme enthalten. Gibt es noch mehr Parteien, so meint Downs, wird der Wähler auch noch die Wahlchancen dieser Parteien bei seiner Entscheidung beachten. Hat die Partei, die ihm das höchste Nutzeneinkommen verspricht, keine Chance an die Macht zu kommen, so wählt er die zweitbeste Lösung oder er unterstützt sogar "seine" chancenlose Partei, in der Hoffnung, daß sie langfristig an die Macht kommen kann. In dem Modell von Downs werden des weiteren Wahlkosten und Wahlinformationen als besondere Variablen für das Verhalten der Wähler hervorgehoben. Hier soll seine Darstellung nur knapp wiedergegeben werden. Vor allem ist die Sammlung von Informationen mit Kosten verbunden. Der Informationsgrad eines Wählers wird ferner durch Herkunft, Elternhaus, Allgemeinbildung und der sozialen Lage entscheidend mitbestimmt. Aber es fallen auch Wahlkosten an. So kommt er zu dem Schluß: rechnet der Wähler damit, daß seine Wahlentscheidung auf den Ausgang der Wahl Einfluß hat, so geht er zur Wahl, wenn das erwartete Nutzeneinkommen höher ist als die Wahlkosten. Errechnet der Wähler dagegen
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höhere Wahlkosten als Nutzeneinkommen, so wird er sich der Stimme enthalten. Er wird sich nach Downs auch dann der Stimme enthalten, wenn er davon ausgeht, das seine Stimmabgabe keinerlei Einfluß auf den Ausgang der Wahl hat. Soweit - kurz dargestellt - die durchaus nachvollziehbaren Prämissen für das Verhalten von Wählern und Poltikern.
4.3.2. Das Verhalten der Parteien Das Verhalten der Parteien, wie von Downs unterstellt, soll hier ebenfalls nur knapp wiedergegeben werden. Danach haben im politischen Wettkampf um Wählerstimmen nicht nur Politiker und Wähler, sondern auch die Programme, Doktrinen und Ideologien der Parteien eine gewisse Bedeutung. Mit Hilfe von Programmen werden die Wähler über Unterschiede in Grundsatzfragen der Parteien informiert. Mit Hilfe der "Ideologien" wird versucht, bestimmte Wählerschichten an die Partei zu binden, mit der sie traditionsgemäß oder aufgrund gemeinsamer Werte verbunden ist. Schwierig wird es bei einem eventuell erforderlich werdendem Ideologiewechsel, weil die herkömmlichen Ideen nicht mehr den neuen Herausforderungen entsprechen. Das könnte von Parteigängern und ehemaligen Wählern negativ bewertet werden und zumindest zur Stimmenthaltung führen. Das Ziel der Ideologieerhaltung könnte dann in einer Partei höher bewertet werden als das Ziel der Stimmenmaximierung mit der Folge von Stimmverlusten bei der nächsten Wahl. Einen solchen Konflikt zwischen ideologischer Treue und Stimmenmaximierung durch Bindung neuer Wählerschichten macht ab Mitte der 90iger Jahre die Traditionspartei der Sozialdemokraten in Deutschland durch. Downs glaubt noch, daß die ideologische Bindung der Wähler in ein LinksRechts-Schema eingeordnet werden kann, was immer darunter genau verstanden werden soll. Als Beispiel dienen 2 seiner Schaubilder, die kurz erläutert werden:
4. Einfluß von Interessen
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Schaubild Nr. 11 Anzahl der Wähler
zwei vorherrschende Ideologien (Kapitalismus/Sozialismus)
Anzahl
Schaubild Nr. 12
eine vorherrschende Ideologie (Öko-soziale Marktwirtschaft)
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Verteilen sich die Wähler um zwei voneinander abweichende Ideen oder Ideologien - siehe Schaubild 11 - wie früher einmal zwischen Sozialismus und Kapitalismus, so werden die Parteien versuchen, mit ihren Thesen die Wähler in den jeweiligen Gipfeln zu erreichen. Dies wäre eine zweigipflige Wählerverteilung mit starker Polarisierung zwischen den Parteien. Würde eine Partei sich in diesem Fall zur Mitte hin bewegen, so liefe sie Gefahr, an der Seite mehr zu verlieren, als sie hinzugewinnen könnte.Diese Situation war in etwa am Beginn der Bundesrepublik in den 50iger Jahren festzustellen, als der politische Streit zwischen SPD und CDU über die richtige Wirtschaftsordnung entbrannt war. Im Schaubild Nr. 11 geht Downs davon aus, daß die Interessen der Wähler (Ideologien) wie eine Normalverteilung um einen Gipfel herumgruppiert sind. Als Beispiel dient heute die marktwirtschaftliche Ordnung, die im Grundsatz von keiner relevanten Partei in der Bundesrepublik in Frage gestellt wird. Wenn dem so ist, dann drängeln sich gewissermaßen die politischen Parteien mit ihren Programmaussagen in der Mitte, weil jede Partei eine Maximierung der WählerStimmen anstrebt. Wer in diesem Fall die Mitte besetzt, hat die Mehrheit gewonnen. Die Programme und Sachaussagen werden sich immer mehr angleichen In dem Fall der Polarisierung - Schaubild Nr. 12 -und einer mittleren Schicht von Wählern, die sich nicht vertreten fühlt, ist das Aufkommen einer neuen Partei durchaus denkbar. Am Anfang der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Lücke von der Freien Demokratischen Patei (FDP) ausgefüllt. Schließlich gibt es Situationen, bei denen sich die Wählerschichten nach rechts bewegt haben Schaubild Nr. 12 - , und dort die Parteien weit entfernt von den ersten linken Wählergruppierungen sich in der Mitte Konkurrenz um Wählerstimmen machen. Hier fühlen sich dann linke Wählergruppen von den etablierten Parteien nicht mehr ausreichend vertreten, und das begünstigt das Entstehen einer neuen Linkspartei. Dieser Fall erinnert an das Erstarken der "Grünen" Ende der 70iger Jahre, als die damalige Regierungspartei SPD weiter nach rechts gerückt war.
4.3.3. Bewertung der Theorie Die vorgestellte "Ökonomische Theorie der Demokratie", bei der die neoklassischen, individualistischen Prinzipien der herrschenden ökonomischen Lehre auf die Politik übertragen werden, verdeutlicht offenbar realitätsbezogener als die Gemeinwohlthese die Verhaltensweisen von Wählern, Politikern und Parteien. An dieser Theorie ist manches richtig, und sie trägt deshalb dazu bei, die politischen Spielregeln zu erkennen und die Durchsetzungschancen politischer Maßnahmen - zu erhöhen. Dies ist ein wichtiges Anliegen dieses Buches. Über die Notwendigkeit der ökologisierung unserer Wirtschaft wird unter Fachleuten kaum gestritten; von Bedeutung ist dagegen die Frage, wie die notwendigen Maßnahmen durchgesetzt werden können. Die theoretische Wirtschaftspolitik hat
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sich unbedingt stärker als bisher um die Frage der Durchsetzung politischer Maßnahmen zu bemühen. Die Gemeinwohlvorstellung für die Politik vernebelt eher die Analyse und behindert die Durchsetzungsfähigkeit als daß sie für Aufklärung sorgt. Dennoch ist auch diese Analyse der "ökonomischen Theorie" immer nur eine Annäherung und keinesfalls in sich logisch geschlossen. Zwischen der Stimmenmaximierungsthese der Parteien und dem gleichfalls unterstellten zweckrationalen, eigennützigen Verhalten von Politikern scheint ein Widerspruch zu bestehen. Die Erfahrung spricht eher für die These, daß die Parteien versuchen ihre Stimmen zu maximieren, als daß jeder Politiker nur nach Macht, Ansehen, Prestige und gutdotierten Posten strebt. Der Einfluß der Parteien - zumindest in der Bundesrepublik - auf die Politiker ist erheblich. Die letztgenannten Politiker, die ihre Partei für Karrierezwecke benutzen, gibt es aber ebenfalls, und sie werden keinesfalls weniger. Dennoch sind viele Ausnahmen von Personen bekannt, die ihre Partei höher stellen als das eigene Karrierestreben. Diese sog. "Parteisoldaten" wird es immer wieder geben. Ferner verhalten sich Wähler nicht immer zweckrational, wie von Downs unterstellt wird. Die sozialen Bindungen an die Katholische Kirche oder an Ideen oder Ideologien sind teilweise in Deutschland noch recht stark, obgleich sie sich in den vergangenen Jahren gelockert haben. Insofern können sich durchaus die Parteien eine gewisse Verlagerung ihrer "Ideologien" erlauben, ohne Gefahr zu laufen, alle angestammten Wähler zu verlieren. In der Bundesrepublik Deutschland erscheint der Anteil der Wähler zu wachsen, der sich zweckrational verhält. Bei aller Problematik dieses Ansatzes führt er dennoch ein wenig weiter. Man mag über den Rückgang des Gemeinwohl - Ansatz in der Politik betrübt sein; aber wer Politik betreiben will muß zunächst und vor allem den Realitäten ins Auge sehen.
4.4. Neue Politische Ökonomie und Umweltpolitik In diesem Kapital wird versucht, die Thesen der Neuen Politischen Ökonomie auf die Umweltpolitik anzuwenden. Daß es gerade in diesem wichtigen Politikbereich nicht so vorangeht, wie es nach Ansicht vieler vorangehen müßte, hat seine Gründe. Nur wer sie kennt, hat die Möglichkeit sie zu verändern oder zu überwinden. Deshalb muß entsprechend der Neuen Politischen Ökonomie (NÖP) oder der ökonomischen Theorie der Politik gefragt werden, welche persönlichen Interessen die einzelnen Akteure in diesem Politikfeld haben. Dabei greifen wir vor allem auf Untersuchungen von Bruno S. Frey zurück.
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4.4.1. Die Interessen der verschiedenen Akteure Nach Frey wird allen Akteuren in der Politik ein kurzfristiges eigennütziges Verhalten, und das bedeutet eine Maximierung der persönlichen Nutzen, unterstellt. Generell heißt dies zunächst: die Wähler äußern im allgemeinen erst dann Interesse an einer Lösung der Umweltprobleme, wenn sie sichtbar und spürbar mit den Problemen des Lärms, der Luftverschmutzung, der Flächenerosion, der Wasserverunreinigung u.a.m. konfrontiert werden. Möglich ist ferner, daß ihnen diese Probleme indirekt durch Massenmedien "plastisch" ins Bewußtsein gerufen werden. Ihr Interesse an einer Lösung ist eben umso größer, je unmittelbarer sie selbst betroffen sind. Werden ihnen die Kosten einer Beseitigung der Umweltverschmutzung konkret vorgehalten, dann werden kurzfristige monetäre Belastungen im allgemeinen stärker bewertet als langfristige Entlastungen bei Umweltproblemen. Nur bei entsprechendem "Problemdruck" entstehen neue "politische Unternehmer" in Form von Verbänden oder neuen politischen Parteien. So war es in der Bundesrepublik am Ende der 70iger/Anfang der 80iger Jahre. Mittlerweile haben fast alle Parteien das Thema "Umweltschutz" mehr oder weniger konkret in ihre Programme aufgenommen. Die Regierung selber betreibt aber das Ziel der Stimmenmaximierung; sie wird erst dann auf diesem Felde aktiv, wenn der Problemdruck wächst und sie befürchten muß, bei Nichthandeln Wählerstimmen zu verlieren. Wenn die Regierung nichts unternimmt, neigt die Opposition dazu, so ein Thema in die politische Kontroverse einzuführen. Die Regierung wird nur dann konkrete Maßnahmen ergreifen, wenn sie dadurch erwartet, mehr Stimmen zu gewinnen als bei Nichtstun verloren gehen können. Wenn sie handelt, wird sie den Nutzen der Umweltpolitik preisen und die anfallenden Kosten verheimlichen oder die Kosten über Preissteigerungen - gewissermaaßen unsichtbar - abwälzen. Die Kosten werden jedenfalls lieber indirekt durch inflationäre Entwicklungen als direkt durch Steuererhöhungen hereingeholt. Das trägt bei den Wählern/innen weniger zur Verärgerung bei. Das Verhalten der Bürokratie wird ebenfalls nach Eigennutz und persönlichen Einkommenschancen beurteilt. Sie wird Umweltpolitik unterstützen, wenn sie sich davon Vorteile erhofft, also zunächst einen Zuwachs an Personal und Sachmitteln und letztlich bessere Aufstiegschancen. Sie wird im konkreten Fall Instrumente vorziehen, die ihnen einen Ermessensspielraum mit Einfluß auf eine "abhängige" Klientel zubilligt. Am liebsten verteilt sie Subventionen oder ergreift ordnungsrechtliche Maßnahmen mit Ge- und Verboten. Hierbei behält sie ihren Einfluß; das wäre gänzlich anders bei einer "marktwirtschaftlicheren" Politik, die auf Intemalisierung der externen Kosten durch Umweltsteuern oder Zertifikaten abstellt. Hierin sehen viele Umweltökonomen mit einen Grund, warum in der
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Bundesrepublik die ordnungsrechtlichen Maßnahmen stark ausgebaut und die marktwirtschaftlichen Instrumente bisher vernachlässigt wurden.
Die Produzenten und ihre Verbände haben in diesem Kampf für den Erhalt der Umwelt besondere Bedeutung. Das Problem wird die Unternehmen und Wirtschaftszweige allerdings unterschiedlich tangieren. Die großen Energieerzeuger und -Verbraucher u.a. werden wegen neuer Belastungen zu den "umweltpolitischen" Verlierern gehören und der Maschinenbau wegen neuer Nachfrage zu den Gewinnern. Erst wenn die Kostenbelastung sichtbar wird, setzen sich die Betroffenen und ihre Verbände zur Wehr. Gedroht wird mit Arbeitsplatzverlusten, falls die Umweltkosten zu einseitigen Belastungen fuhren. Deshalb werden die Produzenten ihre angestammten "Verbündeten", ihre Verbände und Arbeitnehmer, mobilisieren. Gegebenenfalls werden sie versuchen besonders hohe Kosten in Form von Subventionszahlungen der Allgemeinheit anzulasten. In dem Maße, wie die zusätzlichen Kosten für Umweltschutz bei den Unternehmen sichtbar werden, steigert sich auf alle Fälle ihr Widerstand. Das gilt selbst dann, wenn alle Unternehmen eines Wirtschaftszweiges gleichmäßig belastet und daamit die Wettbewerbsverhältnisse nicht unbedingt verändert werden. Deutlicher als bei anderen gilt, daß Unternehmen und ihre Vertreter vor allem die kurzfristigen Belastungen durch Umweltkosten sehen und nicht die langfristige Absicherung ihrer Produktionsbasis. Nicht nur Politker, ebenfalls die Vorstände der Unternehmen denken häufig nur bis zum Ende ihrer Wahlperiode.
4.4.2. Durchsetzbare und nichtdurchsetzbare Maßnahmen Die Regierung wird - wie angedeutet - dann Umweltschutzmaßnahmen durchsetzen wollen, wenn ein hoher Problemdruck besteht, sie bei der Durchfuhrung von MaOnahmen mehr Wähler hinzugewinnt, als ihr bei Nichthandeln verloren geht, die Umweltbelastungen für viele sichtbar und spürbar sind, und der zu erwartende Nutzen einzelnen Gruppen zurechenbar ist, während die Kosten der Allgmeinheit aufgebürdet werden. Bürokratie und Wirtschaft haben - wie die Analyse der Neuen Ökonomischen Politik aufzeigt - eine Präferenz für Subventionen oder Ge- und Verbote. Steuern auf Umweltbelastungen - wie von Pigou vorgeschlagen - zur Internalisierung der externen Kosten finden bei Regierung, Bürokratie und Wirtschaft aus ihrer Interessenlage heraus weniger Gefallen. Eine Ausgabe von Zertifikaten, zum Beispiel, fiir die Emission von Kohlendioxyd findet bei den relevanten Entscheidungssträgern noch weniger Unterstützung. An sich ist die Zertifikatsausgabe aus ökonomischer Sicht eine sehr elegante Lösung. Hier werden zunächst die Mengen der für die Umwelt insgesamt zulässigen Emissionen festgelegt. Diese Emissionsmengen können im Laufe der Zeit
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"abgewertet" (vermindert) werden, damit die Belastung mit diesem Schadstoff geringer wird. Die Zertifikate sind käuflich zu erwerben, so daß die Umweltbelastung einen Preis erhält; sie sind ferner handelbar, und dadurch können die Unternehmen, die rationalisiert haben, ihren Bedarf an Zertifikaten selbständig reduzieren. Die Unternehmen können dann sogar durch Verkauf einen Teil ihrer Investitionskosten wieder hereinbekommen. Der Preis für die Umweltbelastung bildet sich also an einem neuen "Markt für Emissionszertifikate", und so wird ein ständiger Druck auf Rationalisierung und Verringerung der Umweltbelastung ausgeübt. Auf diese Weise wird nach amerikanischen Erfahrungen mit einem geringen Kostenaufwand ein hoher Effekt an Umweltentlastung erzielt. Allerdings wirft die Abgrenzung eines "Emissionsraumes" Probleme auf, und nicht jede Umweltbelastung ist geeignet, auf diese Weise verringert zu werden. Für den Ballungsraum "Los Angeles" - ein in sich ziemlich geschlossener Bereich - Hessen sich jedoch auf diese Art verschiedene Emissionen vermindern. Was die Verminderung des C02 - Ausstoßes angeht, ist als relevanter Bereich die gesamte Erde betroffen. Hier geht es somit um das Problem einer internationalen Koordination dieser Maßnahmen. Zunächst zeigen aber selbst viele wichtige Regierungen noch kein Interesse an Zertifikatslösungen für den C 0 2 - Ausstoß. Die Bürokratie argumentiert gerne dagegen und meint, es handele sich hierbei um einen "bürokratischen" Lösungsansatz, und er könne dazu benutzt werden, einen Markt abzuschließen, indem die vergebenen Zertifikate an Newcomer nicht verkauft werden. Die Bürokratie ist aber dagegen, weil sie nur einmal bei der Ausgabe der Zertifikate gefordert ist. Danach wird das Problem dem Markt überantwortet. Die etablierten Umweltverbände sind skeptisch gegenüber diesem Weg; sie haben eher ein Interesse an einer regelmäßigen Überprüfungen der Politik. Aber selbst dies unterbleibt; denn die Unternehmen werden jetzt gezwungen, fortwährend nach einer Verminderung der Umweltbelastung zu suchen. Die großen Unternehmen in der Wirtschaft haben sich mit den Gewerbeaufsichtsämtern in denen Bürokraten und einige Wissenschaftler sitzen - arrangiert. So kommt die Theorie der Neuen Politischen Ökonomie zu dem Ergebnis, daß es erhebliche Probleme bei der Einführung grundlegender Neuerungen in der Umweltpolitik gibt. Alle wichtigen Träger haben sich mit dem "status quo" angefreundet; sie wollen im allgemeinen die Lage so lassen, wie sie ist. Dabei wäre eine weltweite Zertifikatslösung für die C 0 2 - Emissionen ein ökonomisch und ökologisch sinnvoller Ansatz, der - richtig ausgestaltet - ebenfalls einen entwicklungspolitischen Beitrag leisten könnte. Die Vereingten Staaten haben dies erkannt, wie jüngste Äußerungen von Vicepräsiden AI Gore belegen. Auf alle Fälle hat eine realistische Umweltpolitik die hier dargestellten Überlegungen mitzubeachten und bei der Durchsetzung konkreter Maßnahmen rechtzeitig "Gegenkräfte" oder "Hilfstruppen" zu mobilisieren.
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4.5. Die organisierten Interessen Wie dargestellt wurde, bestimmen die zweckrational und eigennützig handelnden Individuen, vor allem als Produzenten und Konsumenten, mit ihren Interessen weitgehend das wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Geschehen. Dieser Interesseneinfluß der Individuen wird durch die Organisation von Interessen in Vereinen, Verbänden und Kammern zusätzlich gesteigert. Deshalb soll hier der Frage nachgegangen werden, wie und warum es zur Gründung von Interessenorganisationen kommt, auf welche Art und Weise Verbände Einfluß nehmen, und welchen Einfluß sie letzlich haben. Für die Organisation von Interessen gibt es unterschiedliche Erklärungen. In diesem Abschnitt werden die Überlegungen der Neuen Politischen Ökonomie zugrundegelegt, wie sie von Mancur Olson aufgrund der Erfahrungen in den Vereingten Staaten angestellt wurden.
4.5.1. Organisationsvoraussetzungen Nach Olson handeln die Individuen bei der Frage der Gruppenbildung - wie in der ökonomischen Theorie der Politik generell unterstellt - eigennützig und zweckrational. Für die individuelle Entscheidung eine gemeinsame Organisation zur Verfolgung gemeinsamer Ziele einzusetzen sind drei Faktoren entscheidend: Der Nutzen, den der einzelne aus dem möglichen Kollektivgut durch die Verbandsarbeit zieht. Die Kosten zur Beschaffung des gewünschten Kollektivgutes, die bei dem einzelnen anfallen. Die Chancen, die der einzelne hat, trotz Nichtbeitritt zum Verband als "Trittbrettfahrer" in den Genuß des Kollektivgutes zu kommen. Diese drei Faktoren - individueller Nutzen, Kosten und TrittbrettfahrerChancen - werden vor allem durch die sog. "Bedürfhisintensität" und die "Gruppengröße" bestimmt. Olson kommt dabei zu folgendem Schema für die Organisierbarkeit von Interessen:
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Schaubild Nr. 13 Organisierbarkelt von Interessen Individuelle Entscheidungskriterien Nutzen
Kosten
Trittbrettfahrerchancen
Bedürfnisintensität gleich
ungleich
ungleich
Gruppen größe ( ausgeschlossen )
groß
( unbestimmt )
mittel
( möglich )
klein
Die "Trittbrettfahrerchance" kommen dadurch zustande, daß ein einmal erreichtes Kollektivgut - z.B. eine C02-Reduzierung - nicht dem einen gewährt und einem Nichtmitglied vorenthalten werden kann. Diese Kollektivgüter sind durch das Nicht-Ausschlußprinzip gekennzeichnet. Die "Bedürfnisintensität" ist nach 01son die Nutzenmenge, die ein Individuum bei gegebenem Versorgungsniveau der Gruppe mit einem Kollektivgut aus diesem zieht. Je unterschiedlicher diese Bedürfnisintensität zwischen den Gruppenmitgliedern ist, desto ungleicher ist das Interesse der einzelnen Gruppenmitgliedern an der Beschaffung des betreffenden Kollektivgutes. Olson kommt aufgrund dieser Überlegungen zu dem Ergebnis: "Nur wenn die Gruppe klein ist oder in der glücklichen Lage, über unabhängige Quellen selektiver Anreize zu verfugen, werden sie sich organisieren oder sich für ihre Ziele einsetzen". Wie außerdem gezeigt wurde, wächst mit zunehmender Bedürfnisintensität auch die Bereitschaft, sich für das Kollektivgut einzusetzen. Er folgert daraus ferner, daß bei hoher Ungleichheit der Bedürfnisintensität innerhalb einer Gruppe die Chance wächst, daß der Gruppe das Kollektivgut zur Verfugung gestellt wird. Die selektiven Anreize, die Olson erwähnt hat, müssen noch kurz näher betrachtet werden. Selektive Anreize könnten z.B. Güter oder Dienstleistungen sein, die nur ein organisiertes Mitglied in Anspruch nehmen kann; sie könnten auch mit einem besonderen Prestige verbunden werden. Es gab Zeiten, da waren Arbeitnehmer stolz darauf, einer bestimmten Gewerkschaft anzugehören und die Gewerkschaften pflegen diese Verbundenheit, insbesondere durch regelmäßige Jubi-
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larehrungen. Die besonderen Anreize können jedenfalls wirtschaftlicher und sozialer Art sein. Denkbar wären im Falle einer Trittbrettfahrerfunktion ferner negative Sanktionen, wie zum Beispiel gesellschaftliche Mißachtungen. Außer den von Olson genannten Motiven, Verbände zu gründen, um Kollektivgüter zu erstreiten, gibt es durchaus noch andere Begründungen. So könnte zum Beispiel eine bestimmte "Wertrationalität", der Glaube an ethische oder religóse Werte, ein Grund sein, einem Verband beizutreten. Viele Arbeiter sind nach den Kriegen in Deutschland, wie ihre Väter, Mitglied einer Gewerkschaft aus hergebrachter Tradition geworden. Am Anfang dieses Jahrhunderts hat das von Marx propagierte "Klassenbewußtsein" für Verbands- und Gewerkschaftsgründungen Bedeutung gehabt. Bei einzelnen Mitgliedern sind die Gründe für einen Beitritt in einem Verband durchaus unterschiedlich. Diese weniger ökonomischrationalen Beweggründe für den Beitritt in einem Verband habe jedoch an Bedeutung verloren. Alle gewerkschaftlichen, wirtschaftlichen und religiösen Verbände haben in den letzten Jahren Mitglieder verloren. Wer heute Beiträge an einen Verein, Verband oder an eine Partei bezahlt, fragt sich immer deutlicher: was kostet die Mitgliedschaft und was bringt sie mir ein!
4.5.2. Verbände und ihre politischen Maßnahmen Wie die Entwicklung der Verbände in der Bundesrepublik zeigt, hat das Schema von Olson eine gewissen Plausibilität für sich. Olsons Überlegungen fußen aber auf der Erfahrung in den Vereinigten Staaten. Betrachtet man die Anzahl der Verbände hier in der Bundesrepublik, so sind sie vor allem dort entstanden, wo kleinere Gruppen stark an Kollektivgütern interessiert sind. Als Beispiele sind die vielen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden zu nennen, die nach Regionen und Wirtschaftszweigen gegliedert sind. Hier haben sich kleinere Interessengruppen zusammengefunden einerseits, um wichtige, interne Informationen für die Verbandsmitglieder zur Verfügung zu stellen, und andererseits mit zum Teil sehr unterschiedlicher Bedürfnisintensität gegenüber Kollektivgütern. In der Bundesrepublik finden wir aber auch große Gruppen mit hohem Interesse an einem Kollektivgut, das von anderen Entscheidungsträgem zur Verfugung gestellt wird. Zu denken ist hier an die großen Gewerkschaften, besonders erwähnt werden sollen der Bauernverband oder an die Gewerkschaft IG Bergbau und Energie. Immer dann, wenn die Einkommen, ja die Existenz der Mitglieder von Subventionszahlungen aus dem Bundes- bzw. EU-Haushalten abhängig ist, bilden sich besonders starke Interessenverbände. Diese Situation zwingt die Betroffenen dazu sich zusammenzuschließen und erzwingt im Falle existenzbedrohender Kürzungen eine Radikalisierung ihrer politischen Aktivitäten.
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Olson spricht davon, daß die Personen oder Gruppen, die einen Verband bilden, eine hohe Bedürfnisintensität besitzen. Daß diese ungleich in der Gruppe verteilt sein muß, erscheint in Deutschland nicht so bedeutungsvoll. Aber je höher die erkennbare Bedürfnisintensität, desto stärker der Organisationsgrad. Die Verbände, deren Entstehung und Existenz auch mit Klassenbewußtsein, Tradition oder Wertorientiertheit zu erklären ist - wie die Gewerkschaften -, klagen besonders über Organisationsprobleme. Diese Erklärungsmuster verlieren heutzutage ihre Bindungskraft, während die Olson'sehen Kriterien an Bedeutung zunehmen. Wie in den Vereinigten Staaten ist in Deutschland nur eine schwache Verbandstätigkeit für Verbraucher, Steuerzahler, Sparer oder Umweltschützer u.a. festzustellen. Bei diesen Gruppen handelt es sich um große Bevölkerungsschichten mit gleicher und nicht besonders hoher Bedürfnisintensität, aber mit gewissen Chancen eine Trittbrettfahrerfunktion einzunehmen. Zwar gibt es in den genannten Bereichen überall rudimentäre Ansätze von Verbandsbildung, aber ihr Einfluß auf die Politik ist trotz des Bemühens, mit selektiven Anreizen den Organisationsgrad zu erhöhen, ziemlich gering. Dies läßt sich als struktureller Fehler einer pluralistischen, verbändeorientierten Wirtschaftsordnung ansehen. Wie ältere Unterssuchungen verdeutlichen und die Erfahrung zeigt, "schneiden" sich die organisierten Interessen einen "größeren Teil aus dem gesamtwirtschaftlichen Kuchen" heraus, als ihnen unter gleichen marktwirtschaftlichen Bedingungen zusteht. Anders formuliert heißt dies: jene Gruppen, die keine starke Interessenvertretung besitzen, werden bei der Verteilung des Volkseinkommens nicht angemessen berücksichtigt.. Auf welche Weise üben die Verbände ihren Einfluß aus? Peter Dobias unterscheidet Marktmacht und wirtschaftspolitische Macht und als Einflußmöglichkeit im wirtschaftspolitischen Prozeß, die Informationsleistungen und sonstigen Verbändeleistungen. Dazu nur kurz einige Anmerkungen: Die Sorge von Ludwig Erhard über die Steigerung der wirtschaftlichen Macht durch ihre Verbände ist noch immer berechtigt. Den Einflußmöglichkeiten auf die Entscheidungsträger in der Ministerialbürokratie und dem Parlament sind grundsätzlich keine Schranken auferlegt, obgleich im allgemeinen bestimmte Spielregeln eingehalten werden. Über Marktmacht verfugen die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf den Arbeitsmärkten, der Bauernverband bei der Preisfindung für AgrarMarktordnungsprodukte und einige spezielle Verbände bei der Preisbildung ihrer Mitglieder mit weitgehend homogenen Produkten. Von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung ist vor allem die Lohnfindung durch die Tarifvertragsparteien, zumal noch immer bestimmte "Schlüsselverhandlungen" Auswirkungen auf andere noch folgende Verhandlungen haben. Daß auf diese Weise das Lohnniveau insgesamt gesteigert werden kann, steht außer Frage. Außerdem haben die neuen aktuellen Probleme der Wirtschaft in der sich öffnenden Weltwirtschaft viel mit
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der Lohnhöhe und der Lohnfindung zu tun, so daß diesem Bereich nach wie vor besondere Aufmerksamkeit zukommt. Dennoch hat die Politik aufgrund der Tarifautonomie nur sehr begrenzt Einfluß auf diesen Prozeß, während seine gesamtwirtschaftliche Bedeutung stark gewachsen ist. Die wirtschaftspolitische Macht eines Verbandes wird herkömmlich durch seine Mitgliederzahl, den Organisationsgrad und die Finanzkraft erklärt. Sie hängt aber u.a. von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem Ansehen der handelnden Personen in der Öffentlichkeit und den Führungsqualitäten der leitenden Funktionäre ab. Wer - wie einige Funktionäre großer Verbände - regelmäßig seine Position überzieht, kann schnell an Einfluß und Macht verlieren. Die Verbände wirken nicht nur auf "ihrem" Markt, sondern sie versuchen vor allem, mit ihren Interessen Einfluß zu nehmen auf die Gesetzgebung, auf den Erlaß von Rechtsverordnungen, auf die Rechtsprechung und auf die öffentliche Meinung im weitesten Sinne. Die Kontakte, die von den Verbänden geknüpft und gepflegt werden, sind vielfältigster Art. Arbeitgeberverbände halten z.B. Kontakt zu Kirchen und Bundeswehr. Die Informationen, die sie liefern, sind für die Informierten mehr oder weniger brauchbar. Sie sind jedoch selten völlig objektiv, sondern stets entsprechend dem Interesse des Verbandes "gefärbt". Im allgemeinen werden ihre Interessen gegenüber den Informationsempfängem als "Gemeinwohlinteressen", als das Beste für alle Bürger, "kunstgerecht verpackt". Bei der Gesetzgebung oder dem Erlaß von Rechtsverordnungen werden ihre Informationen für ihre Zielgruppen in der Ministerialbürokratie und die Entscheidungsträger im Parlament besonders aufbereitet. Wichtiger sind in diesen Fällen der Einflußnahme bereits die zuständigen Referenten in den Ministerien, weil dort die entscheidenden Vorlagen vorformuliert werden. Die Interessenvertreter wichtiger Verbände und einiger Großkonzerne pflegen auch ständig mit ihnen Kontakt. Dies funktioniert vor allem deshalb, da auch die Referenten für ihre Arbeit brauchbare Informationen von ihnen benötigen. Es gibt zuständige Ministerialbeamte, die teilweise aufgrund langjähriger Kontakte oder aus anderen Günden nur noch in den Kategorien des für sie zuständigen Wirtschaftsbereichs denken. Die amtliche Statistik ist bedauerlicherweise häufig nicht in der Lage, ausreichende und brauchbare Daten aus Wirtschaftszweigen und Regionen zur Verfügung zu stellen. Durch diese Lücke erhalten die Verbände zusätzlichen Einfluß. Politiker und Ministerialbürokratie besorgen sich deshalb bei Verbandsvertretern im Falle eines bestimmten politischen Vorgehens besonderes Fachwissen, Informationen über Verhaltensänderungen und über Einfluß auf Wählerpräferenzen. Es gibt Informationen von politischer Relevanz, die in der Tat nur über die Verbände zu erhalten sind. Außerdem versuchen die meisten Verbände den Eindruck zu erwecken, daß sie starke Wählerschichten positiv oder für die ver-
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antwortliche Politik negativ beeinflussen könnten. Die Spitzenverbände der Industrie (BDI), des Handwerks (ZdH), des Handels (HDE) oder der Kammern (DIHT) haben verständlicherweise mehr Einfluß auf die genannten Entscheidungsträger als untergeordnete Fachverbände. In den Verbänden findet im übrigen zu bestimmten Problemen ein langwieriger und kontroverser Meinungsfindungsprozeß statt. Auch dort gibt es zwischen verschiedenen Mitgliedsverbänden und einzelnen Personen Meinungs- und Interessenunterschiede. Insofern sind die ersten Ansprechpartner für Ministerialbeamte und Politiker die Vertreter dieser Spitzenverbände. Verbände, die es nicht zu einer einheitlichen Interessen- und Sprachregelung bringen - wie beispielsweise die Verbände des Mittelstandes und sich zu einem bestimmten Problem keine einheitliche Meinung bilden, büßen automatisch an Einflußmöglichkeiten ein. In vielen Einzelfallen wird die Interessenvertretung nicht mehr wirksam durch die Funktionäre der Verbände, sondern durch die höchsten Repräsentanten der Unternehmen direkt wahrgenommen. Das Ansehen einzelner Spitzenmanager von Großkonzernen ist größer als das Ansehen wichtiger Verbandsfunktionäre. Dementsprechend haben die Topmanager mehr Einfluß auf die Politik, zumal viele Politiker sich gerne mit ihrem öffentlichem Ansehen schmücken. Ein wichiger Bereich der Verbandsarbeit ist das soeben ein wenig geschilderte "Lobbying"; denn hier gehts direkt um materielle Vor- oder Nachteile für die Unternehmen oder die Verbandsmitlgieder. Daneben spielt - selbstverständlich von Verband zu Verband differenziert - die sog. Öffentlichkeitsarbeit eine bedeutende Rolle. Fast jeder Verband gibt seine Zeitschrift heraus und versucht, sich mit Informationen in den regionalen oder überregionalen Medien ins "Gespräch" zu bringen. Hier berühren sich wiederum die Interessen von Verbänden mit denen von Politikern. Die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände ist zum einen nach innen, an die Mitglieder, gerichtet und zum anderen an die Allgemeinheit. Die großen Verbände, wie z.B. der BDI oder der DGB haben ihre eigenen "wissenschaftlichen" Institute, die darum bemüht sind, ihren Interessen einen objektiven Anstrich zu geben und sie in den Medien zu placieren. Dieser "Kampf der Interessen" in der Öffentlichkeit wird regelmäßig in Zeiten, in denen wichtige Entscheidungen anstehen, verstärkt durchgeführt. Dabei stellt sich heraus, daß einige Medien eine Präferenz für die Meinungsäußerungen der Wirtschaftsverbände haben und andere eher die Ansichten der Gewerkschaften und Verbraucherverbände publizieren. Schließlich ist die Finanzkraft mitentscheidend für die wirksame Einflußnahme bei der Interessenvertretung. Daß Parteien und Politiker von Wirtschaftsverbänden Spenden bekommen und sogar darauf angewiesen sind, ist allgemein bekannt. Demgemäß sind Parteien und Politiker, wenn sie durch Spenden begünstigt worden sind, durchaus eher geneigt den Argumenten und Interessen der Verbände zu folgen. Die Spenden der Verbände an die Parteien müssen ab einem
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festgelegten Betrag veröffentlicht werden. Doch diese Summe ist so hoch angesetzt, daß die Öffentlichkeit über diese Art der Einflußnahme viel zu wenig erfährt. Noch bedeutsamer und folgenschwerer ist eine Einflußnahme auf einzelne Politiker dadurch, daß sie mit ihrem ehemaligem Gehalt auf der Lohnliste eines Verbandes oder eines Unternehmens stehen, bei dem sie vorher tätig waren. Die finanzielle Einflußnahme auf die Ministerialbürokratie ist im Gegensatz zur Einflußnahme auf die Politiker schwieriger und diffferenzierter. Direkte Zahlungen sind bekanntlich strafbar, aber Einladungen zu einem wissenschaftlichem, gutdotiertem Vortrag oder zu einem honoriertem Aufsatz können u.U. als Nebeneinahmen akzeptiert werden. Auch das gute Essen bei Verbandsempfängen, die besondere Behandlung wichtiger Funktionsträger, bleibt nicht ohne Einfluß und zahlt sich für den Verband langfristig aus. Die Grenzen der Einflußnahme sind jedenfalls fließend, und es ist keiner davor gefeit - Ausnahmen bestätigen die Regel - durch persönlich erfahrene Annehmlichkeiten dem einen mehr Wohlwollen zu schenken als anderen. Die Verbände versuchen ihren Einfluß gegenüber der Politik mit allen Mitteln zu erhöhen, u.a. indem sie den Eindruck erwecken, sie seien in der Lage, der sie unterstützenden Partei viele Wählerstimmen zubringen oder anderenfalls abzuwerben. Dieser Selbsteinschätzung von Verbandsvertretern sollte stets mit Vorsicht begegnet werden. Wahlentscheidungen bilden sich nicht durch einmaliges Wohlverhalten von politischer Seite, und der Einfluß der Funktionäre auf die Mitglieder des Verbandes ist zudem viel geringer, als gerne beehauptet wird. Wichtiger als der "versprochene" und doch nie überprüfbare Wählerfang ist die zu erwartende Öffentlichkeitsarbeit in den Verbandsmedien. Eine Partei, die ständig gegen die Meinungsmache der großen Spitzenverbände der Wirtschaft gegenankämpfen muß, und die nicht über andere ausreichende Unterstützung in der Öffentlichkeit verfügt, wird es bei Wahlen immer schwer haben. 4.6.Interessendominanz und demokratische Entwicklung Im vorhergehenden Abschnitt wurde gezeigt, daß Interessen - die individuellen und organisierten Interessen - eine zunehmende, ja dominierende Bedeutung für die Wirtschaft und Wirtschaftspolitik haben. Interessen bestimmen das Wirtschaftsgeschehen und weitgehend die Wirtschaftspolitik. Von Gemeinwohlvertretung durch die Politik läßt sich nicht mehr sprechen. Ebenfalls eine gesamtwirtschaftlich orientierte "Ordnungspolitik", wie sie noch Walter Eucken gefordert hatte, um die Interessendominanz der Wirtschaftsverbände einzudämmen, ist trotz gegenteiliger Bekenntnisse ziemlich "aus der Mode gekommen". Nur wenige Politker sind heute noch bereit und in der Lage in ordnungspolitischen Kategorien zu denken und zu handeln. Durch die organisierten Interessen der Verbände wird der Einfluß der Wirtschaft auf die Politik erheblich gesteigert, während andere gering organisierte Interessen bei der Politikgestaltung kaum Beachtung
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finden. Vor allem die Interessen der Verbraucher und der Umwelt sind nur schwer organisierbar und finden größtenteils bei der Politik dementsprechend nur geringe Resonanz. Allerdings befindet sich die Wirtschaft schon seit einiger Zeit in einem rasanten Unstrukturierungsprozeß - von der Volkswirtschaft, für die auch die Eucken'sehen Thesen galten, hin zu einer marktwirtschaftlich strukturierten Weltwirtschaft. In dieser Phase des Übergangs sind herkömmliche Theorien und Lehrmeinungen der Ökonomie ohnehin nur noch bedingt anwendbar oder z.T. außer Kraft gesetzt. Die Theorie der Neuen Politischen Ökonomie (NÖP) bietet eine möglich Beschreibung des Verhaltens von Wirtschaft, Politik und anderen relevanten Entscheidungsträgern. Ihr Realitätsgehalt ist höher als die These von der Gemeinwohlorientierung, von der gerne öffentlich gesprochen wird. Dennoch muß vor einer groben Verallgemeinerung ausdrücklich gewarnt werden. Zwischen Wissenschaft und Praxis bestehen bekanntlich Wechselwirkungen, und diese Theorie an sich ist durchaus geeignet, das individualistische, interessengebundene Verhalten zu fördern und zu beschleunigen. Dies muß für eine Gesellschaft, wie der unsrigen insgesamt jedoch schädlich sein und ergibt langfristig keine sinnvolle Perspektive. Verstärkt erforderlich erscheint deshalb eine sog. "kommunizierende Wissenschaft", von der am ehesten ein Neuorientierung über leitende Interessen und neue Wertorientierungen zu erwarten ist. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch: Wissenschaft und Forschung dürfen sich nicht selbst überlassen werden, sondern sind unter ethischen Aspekten zu betrachten und zu bewerten. Das gilt für die Physik genauso wie für die Ökonomie und andere Wissenschaften. Dringend erforderlich erscheint daher eine stärkere Orientierung der Wirtschaftspolitik an gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen. Das heißt nicht, daß wichtige Interessen der Wirtschaft stärker als bisher außer Acht gelassen werden müssen. Es heißt nur: es ist nicht sinnvoll, daß der Einfluß der Verbände und ihrer Interessen über die Durchführung und Realisierung politischer Maßnahmen entscheidet. Für die Bürokratie gilt es, an Schumpeter erinnert zu werden. Auch heute noch werden hochqualifizierte, unabhängige Ministerialbeamte gebraucht, deren Aufstieg durch Erfolg, - bemessen an gesamtwirtschftlicher Zielsetzung - und nicht durch Parteibuch ermöglicht wird. Nicht minder notwendig ist es, daß sich die Qualität der politischen Arbeit und damit von Politikern und Parteien wieder verbessert. Nicht primär Interessenvertreter gehören ins Parlament, sondern Politiker, die an gesamtgesellschaftlichen Grundsätzen orientiert denken und handeln.
S. Konzeptionen
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5. Durchsetzungsprobleme, Konzeptionen und Leitbilder der Wirtschaftspolitik
Gliederung: 5.1. 5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4. 5.4. 5.5. 5.6. 5.6.1. 5.6.2. 5.7.
Konflikte in der Marktwirtschaft Makro-, meso- und mikroökonomische Konfliktminderungsmechanismen Bekannte Entscheidungsverfahren in der Kritik Mehrheitsprinzip Marktmechanismus Verhandlungsverfahren Bürokratie und Hierarchie Durchsetzungsinstrumente unter der "Gemeinwohl"Prämisse Praktische Erfahrungen bei der Durchsetzung von Maßnahmen Konzeptionen und Leitbilder als Instrument zur Realisierung neuer Politik Definitionen und Abgrenzungen Konzeptionen und Leitbilder, die sich durchgesetzt haben Die Öko-soziale Marktwirtschaft eine Konzeption der Zukunft ?
Durchsetzungsprobleme wirtschaftspolitischer Maßnahmen werden bisher in den Lehrbüchern zur Wirtschaftspolitik kaum behandelt. Eine Ausnahme bildet die Neue Politische Ökonomie, die unsere Aufmerksamkeit auf das Verhalten einzelner Entscheidimgsträger lenkt. Durch diese Theorie, die wir im vorigen Abschnitt kurz angesprochen haben, lassen sich Hindernisse bei der Durchsetzung von Maßnahmen besser erkennen. Keinesfalls wird das Problem der Durchsetzung rationaler Wirtschaftspolitik umfassend behandelt. Der neoklassische Ökonom analysiert dagegen bei bekannten Zielen die Lage und die Instrumente; er geht nicht der Frage nach, wie bestimmte Maßnahmen bei gegebenen Hindernissen unterschiedlicher Art durchgesetzt werden können. Daran leiden stets die Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschachaftlichen Entwicklung. Die Frage der Durchsetzbarkeit soll im Mittelpunkt dieses Abschnittes stehen. Dabei wird besonders auf wirtschaftspolitische Konzeptionen und Leitbilder eingegangen und die aktuelle Konzeption einer Öko-Sozialen Marktwirtschaft erläutert. Bekannte Leitbilder oder "Theoriegebäude", wie beispielsweise der Keynesianismus oder der Monetarismus, haben sich - wenngleich aus sehr unterschiedli-
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chen Gründen - letzlich gegen erhebliche Widerstände in der Realität durchgesetzt. Geholfen hat ihnen dabei, daß sie als geschlossene Leitbilder vorgetragen wurden und zur gegebenen Zeit auf einen entsprechenden "Resonanzboden" in der Wirtschaft und in der Öffentlichkeit gestoßen sind. Auch heute gilt, um eine lange praktizierte Wirtschaftspolitik zu ändern, benötigt man eine neue - in sich geschlossene - Konzeption. Dazu bedarf es in unserer Mediengesellschaft einer oder mehrerer Persönlichkeiten, die diese neue Konzeption propagieren und sie gewissermaßen in den Medien "überbringen". Es gehören folglich zumindest 3 Voraussetzungen zusammen: der "Resonanzboden" oder anders ausgedrückt, starke Interessenvertretungen, die sich für die neue Politik engagieren und ferner Persönlichkeiten und Konzeptionen oder Leitbilder. Eine noch so vernünftige Konzeption wird ohne entsprechende Propagandisten keine Realisierungschance haben. Der Name Ludwig Erhard ist so z.B. untrennbar mit dem der "Sozialen Marktwirtschaft" verbunden und Karl Schiller hat in Deutschland den Keynesianismus und die Globalsteuerung publik gemacht. Zunächst jedoch einen knappen Exkurs zu den stets vorhandenen Konflikten in einer offenen Gesellschaft, der bei uns praktizierten Marktwirtschaft, damit wir besser zwischen normalen und unnormalen Konflikten unterscheiden können.
5.1. Konflikte in der Marktwirtschaft Versuche, konfliktfreie Gesellschaften zu erdenken, hat es in der Wirtschaftsgeschichte in ausreichender Zahl gegeben. Erinnert sei hier nur an Piaton's "Der Staat", an "Utopia" von Thomas Morus oder an Karl Marx' "Kommunistische Gesellschaft". Alle Ideen oder Utopien, das "konfliktfreie" Paradies auf Erden zu schaffen, sind in der abendländischen Welt entweder versandet oder gescheitert. Noch gut in Erinnerung sind Bemühungen - durch Nazionalsozialismus oder Kommunismus - den "Himmel auf Erden" zu versprechen und dabei die "Hölle" zu verwirklichen. In allen konfliktfreien Utopien wurde versucht die Menschen auf die Bedürfnisse der Herrscher oder des Staates "zurechtzustutzen". Doch die Menschen ließen sich und lassen sich nicht verformen. Die Utopien mußten "zerplatzen". Eine offene Gesellschaft, mit freien und verantwortungsbewußten Menschen kann keine konfliktfreie Gesellschaft sein. Konflikte verschiedenster Art gehören zu jeder Gesellschaft, in der die Menschen in Freiheit, nach eigenen Vorstellungen leben wollen. Viele von uns müssen noch lernen, verantwortlich mit dieser Freiheit umzugehen. Der Mißbrauch von Drogen jedweder Art, um dieser Freiheit auszuweichen, oder die berühmte "Flucht in die Tonne", wie sie Diogenes versuchte, sind grundsätzlich keine Lösungen. Eine Ordnung wird daher nur dann Bestand haben, wenn sie so gestaltet ist, daß jeder einzelne Mensch eine Chance hat, sich darin mit all seinen Stärken und Schwächen entfalten zu können. Vor
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allem in der Ökonomie, aber auch in anderen Wissenschaften kommt es darauf an, "menschengerechte" Ordnungen zu konzipieren und keine Ordnungen, denen sich die Menschen anzupassen haben. Konflikte verschiedenster Art gehören zu jeder dezentralen Marktwirtschaft, eine wettbewerbliche Ordnung ohne Konflikte ist undenkbar. Unterschieden wird zwischen intra- und interpersonellen Konflikten. Die ersteren resultieren aus der Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen von Personen und den unzureichenden Mitteln zur Befriedigung dieser Bedürfnisse. Salopp ausgedrückt: intrapersonelle Konflikte erwachsen aus der Divergenz zwischen Wollen und Können. Darunter leiden viele Menschen, die sich in der Politik betätigen. Interpersonelle Konflikte sind jene Konflikte zwischen verschiedenen Menschen und Gruppen von Menschen. Dazu zählen u.a. das tägliche Feilschen auf allen Märkten, wie die Konflikte zwischen den Tarifvertragsparteien um Lohnerhöhungen und Arbeitsbedingungen. Konflikte verschiedener Art - sie scheinen in unserer Gesellschaft kräftig zuzunehmen - können produktiv oder unproduktiv sein. So haben die Lohnerhöhungen durch Tarifverhandlungen in den ersten Jahren der Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik um 1960 entscheidend zur Rationalisierung und Produktivitätssteigerung beigetragen. Mit Beginn der Globalisierung der Märkte um 1990 bewirkte der Lohnerhöhungsdruck eher eine Verlagerung der Produktion ins Ausland, insbesondere in andere EU-Staaten oder nach Nordamerika. Die Tarif-, konflikte wurden für die Gewerkschaften improduktiv. Ebenfalls intrapersonelle Konflikte können von den einzelnen produktiv oder unproduktiv genutzt werden. Es gibt verschiedene Mittel, um Konflikte zu verringern oder gar zu beseitigen. Ein Mittel für die Konfliktparteien wäre es, neue, gemeinsame Visionen oder Ideen zu entwickeln und dadurch den zugrundeliegenden Problemen ein übergeordnetes Ziel zu vermitteln. Hierdurch werden die Konflikte zwar nicht gelöst, aber vielleicht als sinnvoll und notwendig erkannt, und durch Zeitablauf möglicherweise vermindert. Seit nunmehr bald 2000 Jahren bemüht sich das Christentum, durch das verbindende Element der Liebe, Konflikte zwischen Personen und Personengruppen zu vermindern. Diese Idee hat immer wieder überraschende Wirkungen gezeitigt. Doch der Traum von einer konfliktfreien Gesellschaft auf Erden ist und bleibt, wie die Erfahrung lehrt, ein Traum. Unsere moderne Industriegesellschaft versucht es seit jetzt gut 200 Jahren mit der sog. "Ausweitung des Möglichkeitsbereichs", d.h. einer Steigerung der Produktivkräfte und einer besseren Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen. Aber auch diese Methode der materiellen Bedürfnisbefriedigung scheint nicht dazu in der Lage zu sein, Konflikte auf Dauer zu lösen. Je mehr einer hat, desto mehr will er haben!
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Trotz aller möglichen Bemühungen, konfliktfreie Gesellschaften zu schaffen, gilt die Erkenntnis, daß Utopien oder Konzepte immer nur der Stoff für eine annähernd zu gestaltende Wirklichkeit sein können. Es wird uns nicht vergönnt sein, alte Probleme zu lösen, ohne gleichzeitig neue zu schaffen. Vorsicht vor jenen ist also geboten, die den Traum der Menschen nach einem konfliktfreien Leben mißbrauchen. Menschsein zeichnet sich geradezu dadurch aus, Konflikte durchlebt und durchlitten zu haben. Diese Erkenntnis verpflichtet uns zur Toleranz und zum wertbewußten Kompromiß. Der Kompromiß ist gewissermaßen ein "Waffenstillstand auf Zeit" zwischen Personen oder Personengruppen. Er macht obrigkeitlichen Zwang entbehrlich und gewährt dem Einzelnen die Freiheit zur verantwortungsbwußten Entscheidung. Der Kompromiß dient dem sozialen Frieden, wie der Tarifvertrag im Arbeitsleben, der eine besondere Art eines Kompromiß auf Zeit darstellt. 5.2. Makro-, meso- und mikro-ökonomische Konfliktminderungsmechanismen Öffentliche Streitereien zwischen den politischen Parteien, den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden sowie den Verbänden untereinander oder mit der Politik stehen gewissermaßen in jeder marktwirtschaftlichen Demokratie auf der Tagesordnung. Häufig kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß jede Partei die Schuld fiir Fehlentwicklungen bei den anderen sucht, nur nicht bei sich selbst. Deshalb der Ruf nach Konfliktminderungsmechanismen. Hierbei geht es darum, den produktiven Effekt der Konflikte zu nutzen und die möglichen negativen Folgen zu vermindern oder zu vermeiden. Darartige Konfliktminderungsmechanismen gibt es in allen Gesellschaften in unterschiedlichster Form. In Japan, einer extrem konfliktscheuen Gesellschaft, wurde der Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen durch eine Binde um den Arm mit der Aufschrift "on strike" zum Ausdruck gebracht. In den Vereingten Staaten, einer angeblich konfliktfreudigen Gesellschaft, werden viele Konflikte "unter den Teppich gekehrt" oder durch die "Ausweitung des Möglichkeitsbereichs" eliminiert. Als makroökonomischer Konfliktminderungsmechanismus in einer Volkswirtschaft kennen wir die sog. Konzertierte Aktion gemäß § 3 des StWG, die Konflikte zwischen den wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik - also der TarifVertragspolitik, der Geldpolitik und der Fiskalpolitik - zu vermindern oder zu vermeiden hat. Dieses Instrument ist Mitte der 70iger an starken inneren Gegensätzen zerbrochen und seit dieser Zeit nicht mehr richtig zur Anwendung gekommen. Im politischen Bereich wären der Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat oder höchste Gerichte wie das Bundesverfassungsgericht dazu zu rechnen, aber auch die Mitte der 90iger Jahre wiederum in Mode gekommenen "Kanzlergespräche", ähnlich der Konzertierten Aktion. Leider hat die Umweltpolitik auf dieser gesamtwirtschaftlichen Ebene so gut wie keine Be-
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deutung. Es mangelt an einer entssprechenden "Lobby" und das Umweltbundesamt verfugt über zu wenig Kompetenzen, um die Umweltinteressen wirksam zu vertreten. Auf der Ebene der "Mesoökonomie", also zwischen Regionen oder Wirtschaftszweigen, kennen wir die Tarifverträge als "Kompromisse auf Zeit" zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Ihre Bedeutung hat sich in dem Maße verändert, wie sich die gesamtwirtschaftlichen Aufgaben und Rahmenbedingungen gewandelt haben. Nicht nur die Globalisierung der Märkte beeinflußt ihre Gestaltungsmöglichkeiten. Auch die neuen ökologischen Probleme erfordern z.T. eine andere Tarifpolitik, die die Kosten der Umweltpolitik auf dieser Ebene mit ins Kalkül stellt.. Zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und einzelnen Wirtschaftszweigen wurden in der Mitte der 90iger Jahre sog. Branchengespräche über mögliche Innovationshemmnisse durchgeführt. Dabei wurde dann ebenfalls über zu viel und selten über zu wenig Umweltschutz diskutiert. Auf regionaler Ebene kommt es seit geraumer Zeit immer mehr zu sog. regionalen Wirtschaftskonferenzen, um Interessenkonflikte in einer Region abzubauen und gemeinsame Aufgaben anzupacken. Denkbar wären vielleicht regionale Innovationskreise oder Innovationszirkel. Das wären Treffen aller " relevanten Kräften" in einer Region, die sich um die Durchsetzung wirklicher Neuerungen bemühen, um eine ökologieorientierte wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Hierbei geht es dann um die Schaffung von Arbeitsplätzen und um die Verminderung ökologischer Probleme wie beispielsweise durch die Konzipierung und den Bau gemeinsamer Abfallbeseitigungsanlagen. Auf mikroökonomischer, betrieblicher Ebene gibt es wohl in keinem anderen Land so viele gesetzliche "Konfliktverminderungsinstrumente" wie in Deutschland. Dazu gehören u.a. das Betriebsverfassungsgesetz mit der Errichtung seines Betriebsrates, die Mitbestimmung nach dem sog. Montangesetz und dem "76iger" - Gesetz im Aufsichtsrat und im Wirtschaftsausschuß eines Unternehmens. Dazu gehören ferner die Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivvermögen und in größeren Betrieben u.a.die Beauftragten für verschiedene Aufgaben sowie insbesondere der sog. Umweltbeauftragte. Inzwischen hat in anderen Ländern, vor allem in den Vereinigten Staaten, ein Umdenkungsprozeß eingesetzt, der dem Menschen im Betrieb, der wertvollsten "Ressource" überhaupt, mehr Bedeutung zumißt. So wird jetzt eine "Corporate Identity" oder ein "Total Quality Management" gefordert und damit jeder einzelnen Arbeitskraft und der Kommunikationsverbesserung zwischen den betrieblichen Ebenen viel größere Bedeutung als früher zuerkannt. Hans-Jürgen Warnecke propagiert die Unternehmen nach dem Prinzip der "Fraktale" zu organisieren und d.h. auf der Basis von Netzwerken, die sich selbst organisieren und optimieren. Alles ist heute im Fluß, und selbst alte betriebswirtschaftliche
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Theorien, die lange Zeit anerkannt waren, verlieren an Akzeptanz. Es muß aber durchaus nicht immer alles wie in Deutschland in Gesetze gegossen werden. Gerade in Unternehmen machen sich zuerst die neuen Markt- und Kundenanforderungen bemerkbar und zwingen so die Wirtschaft zu einem Umdenkungsprozeß und neuen Vorgehensweisen. Gestzliche Regelungen können dann auch hinderlich sein. Mehr Unternehmensbewußtsein, stärkere Mitverantwortung für die Produkte vor Ort, bessere Kundenbetreuung, Eliminierung von Konflikten aller Art und gemeinsames Vorgehen am Markt unter Beachtung der ökologischen Notwendigkeiten, das sind einige wichtige Anforderungen an eine zukunfts- und konsensorientierte Unternehmenspolitik.
5.3. Bekannte Entscheidungsverfahren in der Kritik Für die Durchsetzung einer ökologieorientierten Wirtschaftspolitik ist die Frage, welche Verfahren möglich sind, um Entscheidungen herbeizufuhren nicht ohne Bedeutung Von einigen Umweltökonomen ist bereits eine "ökodiktatur" gefordert worden, weil sie der Ansicht sind, daß nur mit diktatorischen Vollmachten die brennenden Umweltprobleme gelöst werden können. Wir wollen hier die 4 verschiedenen Entscheidungsverfahren, die es in unserer Ordnung gibt - Marktprozeß - Mehrheitsprinzip - bürokratische Hierarchie - Verhandlungsverfahren näher betrachten. Ein echter Neoklassiker setzt auf den Marktprozeß, und der möchte am liebsten selbst familiäre Angelegenheiten durch Marktbeziehungen erklären und zur Entscheidung bringen. Wenn es funktionierte, wäre es sicherlich besser als das hierarchische Verfahren von Befehl und Gehorsam, wie es in vielen Familien und Konzernen gang und gäbe ist. Denkbar wäre allerdings in der Familie ebenfalls ein Verfahren nach Mehrheitsentscheidungen oder dem Verhandlungsprinzip des "do ut des" einzufiihrren. Ein eingefleischter Sozialist setzt dagegen auf den Staat, der angeblich genau weiß, was für den einzelnen gut und schlecht ist. Für ihn hat deshalb das hierarchische Entscheidungsverfahren der Bürokratie stets große Bedeutung. Wenn er sich als Demokrat erweist, gilt möglicherweise das Mehrheitsprinzip, um eine Entscheidung herbeizufuhren, das aber stets "Unterlegene" zurückläßt, die mit der Entscheidung nicht einverstanden sind. Das Verhandlungsverfahren - bekannt im täglichen Geschehen und vor allem bei den Tarifverhandlungen - hinterläßt häufig ebenfalls einen "unangenehmen Beigeschmack". Kommt es bei Verhandlungen zu einem Kompromiß, so sind die Gegensätze nur für eine bestimmte Zeit aus der Welt geräumt. Statt des Verhandlungsprinzips bei Lohnauseinandersetzungen lassen sich Marktbeziehungen zwischen den Arbeitnehmern und dem Unternehmen konzipieren - eine gegenwärtig beliebte Forderung einiger Interessenvertreter der Wirtschaft.
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Jedes Verfahren hat Vor- und Nachteile, die es zu beleuchten und zu beachten gilt; eine Rangfolge für das eine oder andere Verfahren ist schwer aufzustellen, weil sich ihre Wertschätzung und Wirksamkeit je nach Aufgabe und im Zeitablauf ändern können. Aber der Marktprozeß - der von einigen linken Ideologen stets kritisch gesehen wird - hat, wenn er funktioniert, aus unserer Sicht deutliche Vorteile gegenüber den anderen Verfahren der Entscheidungsfindung. 5.3.1. Mehrheitsprinzip Das Mehrheitsprinzip, auch demokratisches Verfahren genannt, ist das geeignete Entscheidungsverfahren für einen größeren Wahlkörper - manchmal ein sehr mühseliges und langwieriges Verfahren -, das nicht bei allen Entscheidungen Anwendung finden kann. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, sich vorzustellen, daß militärische Entscheidungen über Rückzug oder Angriff nach diesem Verfahren entschieden werden sollen. Wirtschaftliche Entscheidungen, zum Beispiel über eine neue, grundlegende Innovation im Unternehmen, werden in Japan im allgemeinen erst dann getroffen, wenn das Projekt mit allen Beteiligten ausfuhrlich diskutiert und von einer großen Mehrheit akzeptiert worden ist. In Deutschland darf bei grundlegenden Neuerungen bestenfalls der Aufsichtsrat mitbestimmen. Durch die Anwendung dieses Verfahrens bei der Wahl von Personen wird grundsätzlich nur "Macht auf Zeit" verliehen. Personalentscheidungen werden im allgemeinen mit verdeckten Stimmzetteln herbeigeführt, wenn mehrere Kandidaten zur Verfügung stehen. Bei Personalentscheidungen ist nach vorheriger Festlegung im ersten Wahlgang immer der gewählt, der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Erhält keiner die Mehrheit (mehr als 50 %) gilt in einem 2. Wahlgang der als gewählt, der die einfache Mehrheit bekommt. Sachentscheidungen werden dagegen stets offen abgestimmt und hier gilt grundsätzlich die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Solche Abstimmungen können wiederholt werden, und deshalb steht dieses Verfahren für das permanente Ringen um Mehrheiten. Ist eine Entscheidung gefallen, so gilt es als nicht demokratisch, wenn der unterlegene Teil sogleich mit seinen Argumenten versucht eine neue Entscheidung herbeizufuhren. Wichtig ist bei Sachentscheidungen eine ausfuhrliche, kontroverse Diskussion, bei der ein Problem möglichst von allen Seiten beleuchtet werden soll. Nach unseren Erfahrungen läßt sich behaupten, die Güte einer demokratischen Entscheidung hängt von der Qualität der Diskussion und der Größe des Wahlkörpers ab. Je größer der Wahlkörper und je mehr Stimmberechtigte nicht von vornherein festgelegt, sondern offen für Argumente sind und je intensiver die Diskussion gefuhrt worden ist, desto tragfähiger ist das Ergebnis. Das
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demokratische Entscheidungsverfahren kanh auf einen großen Siegeszug in den vergangenen 100 Jahren zurückblicken, und es kommt in immer mehr Entscheidungssituationen zur Anwendung. Bei kleineren Wahlkörpern und unter bestimmten Bedingungen besteht aber stets die Gefahr, daß Demagogen mit ihren gut "verpackten", falschen Argumenten sich durchsetzen können. In diesem Fall kann es ebenfalls zu kartellähnlichen Absprachen oder Kungeleien kommen. Inwieweit die Informationstechnologie und das Internet zu einer neuen Art der Demokratie - gewissermaßen ohne Demagogie - beitragen werden, ist hier nicht abschließend zu beurteilen. Daß sich durch das Internet die Art und Weise der Kommunikation in Richtung Rationalität fortentwickeln kann, steht außer Frage. Daß diese neue Technologie aber auch den Anschein einer demokratischen Entscheidung vortäuschen kann, zeigen uns die sog. TED-Umfragen, die willkürlich durch einseitige Informationen Zustandekommen. Wie stets liegen bei dieser neuen Technologie Segen und Fluch nah beieinander.
5.3.2. Marktmechanismus Der Marktmechanismus koordiniert die Entscheidungen von Marktteilnehmern Anbietern und Nachfragern - über den Preis. Bei hohen, gewinnbringenden Preisen am Markt sollen die Anbieter ihre Angebote ausweiten und die Nachfrager ihre Nachfrage drosseln; bei niedrigen Preisen sollen die Nachfrager ihr Interesse steigern, so daß der Preis Angebot und Nachfrage stets zum Ausgleich bringt. Der Preis dient als Informationsindikator für Unternehmer und Verbraucher über Investitions- und Kaufentscheidungen. Bei Investitionsentscheidungen der Unternehmer sind nicht so sehr die aktuellen Preise, sondern mehr die zu erwartenden, zukünftigen Preise von Bedeutung. Selbstverständlich gibt es Situationen mit ungewöhnlichen, nicht vorhersehbaren Reaktionen der Marktteilnehmer. So könnten durchaus auf dem Arbeitsmarkt bei sinkenden Löhnen inverse Angebotsreaktionen auftreten, indem z.B. die Arbeitnehmer ihr Angebot an Arbeitsleistungen ausweiten. Unabdingbar für das Funktionieren des Marktmechanismus ist ein funktionsfähiger Wettbewerb und zwar mit den Preisen, zwischen den Marktteilnehmern auf der Angebots- und Nachfrageseite. Leider ist immer häufiger festzustellen, daß die Unternehmen den Preiswettbewerb meiden und statt dessen Wettbewerb mit der Qualität, irgendwelchen Konditionen oder u.a. nur der Werbung betreiben. Alle diese Fragen werden in der Preis- und Wettbewerbstheorie ausfuhrlich behandelt. Der M a r k t - und Preismechanismus ist der "Mechanismus der Wirtchaft", wo es um K a u f u n d Verkauf von Waren oder Dienstleistungen im weitesten Sinne geht. Umstritten ist, wie weit der Mechanismus auf andere Bereiche, wie Kultur und Sport oder Umweltschutz und auf soziale Leistungen, übertragen werden kann.
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Die Grenzen sind jedenfalls fließend, und es ist keinesfalls sicher, daß die anderen Entscheidungsmechanismen, wie z.B. die Bürokratie, automatisch für alle Beteiligten bessere Ergebnisse hervorbringen. Ein einmal eingeführter Mechanismus, an dem sich die Beteiligten gewöhnt haben, ist nur schwer durch andere zu ersetzen; denn entscheidend ist der Mensch mit seinen eingefahrenen Interessen, nicht der Mechanismus, der genutzt wird. Der Marktmechanismus, der für die nicht unmittelbar Beteiligten bestimmte Preis-Ergebnisse vorgibt, wird für die Beteiligten am Schluß häufig noch zu einem Verhandlungsfall. Deutlich sichtbar ist dies im Orient, wo jedem Marktbesucher dringend anzuraten ist, über den endgültigen Preis in ausführliche Verhandlungen einzutreten. In der Bundesrepublik ist der Marktteilnehmer bei bestimmten Käufen von größerem Wert ebenfalls gut beraten, wenn er den "gegebenen" Preis nicht hinnimmt, sondern Verhandlungen aufnimmt. 5.3.3. Verhandlungsverfahren Bei Verhandlungen geht es im allgemeinen um einen bilateralen, oder mehrseitigen Interessenausgleich über einen mehr oder weniger konkreten Verhandlungsgegenstand. Marktbeziehungen bilden sich meist über einen längeren Zeitraum heraus, während Verhandlungen in einem bestimmten Zeitraum durchgeführt und abgeschlossen werden. Grundsätzlich kann nach Abschluß der Verhandlungen die Angelegenheit als erledigt betrachtet werden, was aber nicht immer der Fall ist. Ein Ausgleich über den kontroversen Gegenstand kommt durch wechselseitiges Nachgeben zustande. Bei Verhandlungen wird am Beginn häufig eine "gute" Verhandlungsposition "aufgebaut". Mit Hilfe von Bluff und Drohungen wird versucht, die eigene Position durchzusetzen. Besonders bekannt sind die alljährlich wiederkehrenden Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Hierbei wird regelmäßig versucht, die Öffentlichkeit für seine eigene Ziele zu mobilisieren, um auf diese Weise Druck auf die Gegenseite auszuüben. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften differenzieren nach der wirtschaftlichen Lage der Gesamtwirtschaft und des Wirtschaftszweiges. Die Gewerkschaften gehen davon aus, daß etwa 2/3 der Forderungen durchgesetzt werden müssen. Insofern wird von vornherein eine Marge eingebaut, damit die ursprüngliche Forderung reduziert werden kann. Wenn von vornherein völlig abstruse Forderungen erhoben werden, ist ein Ergebnis in absehbarer Zeit erheblich erschwert. Wer die Lohnverhandlungen der Tarifvertragsparteien über einen längeren Zeitraum verfolgt, hat nicht selten den Eindruck, daß das Ergebnis vorher einigermaßen genau prognostiziert werden kann. Das öffentliche Getöse in den Medien, die lautstarken Drohungen und möglicherweise Streiks und Aussperrungen erscheinen nicht immer notwendig, um ein gegenseitig akzeptables Er-
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gebnis zu erreichen. Im Verhandlungsprozeß wird jede Seite versuchen, die Gegenseite mit Argumenten und Informationen aller Art, aber eben auch mit verschiedenen Tricks und Fehlinformationen .von seiner Forderung zu überzeugen. Von Verhandlungen kann man nicht sprechen, wenn eine Seite eine derartig starke Verhandlungsposition besitzt, daß sie in der Lage ist, der Gegenseite die Bedingungen zu diktieren. In diesem Fall besteht ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis, wie es in Bürokratien bei hierarchischen Strukturen üblich ist. 5.3.4. Bürokratie und Hierarchie In der Bürokratie werden die unterschiedlichen Positionen nicht durch Marktbeziehungen, Mehrheitsprinzip oder Verhandlungen aufeinander abgestimmt, sondern durch eine klar geordnete hierarchische Befehlsstruktur. Typisch hierfür ist die Ministerialbürokratie, in der der Minister Anweisungen erteilt, die von oben nach unten weitergegeben, gegengezeichnet und "unten" ausgeführt werden. So kommt es zur Formulierung von Gesetzentwürfen, die dann in einem Mehrheitsverfahren im Parlament zu geltendem Recht werden können, das von der gesamten Bürokratie exekutiert werden muß. Derartige hierarchische Abstimmungsstrukturen bestehen in allen Verwaltungen und in den Organisationen der privaten Großwirtschaft. Nach diesem Prinzip haben die Nazis versucht, die gesamte "Volksgemeinschaft" zu organisieren. Diese hierarchischen Strukturen werden heute immer mehr in Frage gestellt, weil sie eigenständiges Denken und Handeln der Organisationsmitglieder weitgehend ausschalten. Mitdenken, Mitverantwortung oder gar Mitbestimmung ist innerhalb einer Hierarchie nicht gefragt; die Kreativität des einzelnen ist nicht erwünscht, der Mensch in dieser Befehlskette ist ausführendes Organ und hat zu gehorchen. So lautet zumindest die offizielle Einstellung der Verwaltungsgelehrten. Tatsächlich hat sich das Verhalten der einzelnen in dieser Befehlsstruktur im allgemeinen erheblich verändert. Die Theorie der Neuen Politischen Ökonomie unterstellt bekanntlich für Beamte ein weitgehend eigennütziges Verhalten, indem sie wie andere im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Macht, Einfluß und höheren Einkommen streben. Damit wird das hierarchische Prinzip gewissermaßen von innen immer mehr in Frage gestellt. Andererseits haben aber die ausfuhrenden Organe häufig einen eigenen Gestaltungsspielraum, den sie nutzen können. Gesetze regeln nur selten konkret einen Einzelfall, sondern belassen stets einen "Ermessensspielraum". Vieles spricht dafür, daß dieses hierarchische Prinzip aus unterschiedlichen Gründen in unserer Gesellschaaft nicht mehr in die Gegenwart paßt. Selbst große Konzerne haben damit schlechte Erfahrungen gemacht und die Fragwürdigkeit stringenter Anweisungen von oben nach unten erkannt. In der Wirtschaft werden deshalb die Großunternehmen "dezentralisiert" und eigenständige Verwaltungseinheiten mit eigenen Verantwortungsstrukturen ge-
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schaffen, wie das Schlagwort von der "Gruppenarbeit" verdeutlicht. In der Ministerial- und Verwaltungsbürokratie hingegen gibt es gegen solche durchgreifenden Reformen erheblichen Widerstand. Keine Verantwortung zu besitzen und dennoch durchaus einen gewissen Einfluß ausüben, das ist eine angenehme, vielen Beamten liebgewonnene Beschäftigungssituation. Das Fachwissen der einzelnen in der Beamtenhierarchie ist erheblich, so daß sie durchaus in der Lage sind, ihre Position mit guten Argumenten zu verteidigen. Häufig, allzuhäufig ist selbst der Minister auf die Fachkenntnis der Ministerialbeamten stark angewiesen. Dennoch oder gerade deshalb muß verstärkt geprüft werden, wo und inwieweit hierarchische Strukturen durch andere politisch-ökonomische Entscheidungsverfahren ersetzt werden können. Immer dann, wenn es zur Neugründung oder Entflechtung von Unternehmen kommt, werden hierarchische Strukturen durch Marktbeziehungen ersetzt. Kommt es zur Bildung von Fraktalen und mehr Gruppenarbeit in den Unternehmen, so läßt sich auch dort das hierarchische Verfahren durch das Markt- und Mehrheitsprinzip ersetzen oder ergänzen. Weg von hierarchischen Strukturen und hin zum Marktmechanismus oder dem demokratischen Entscheidungsverfahren auf mikro- und makroökonomischer Ebene, ist z.Z. ein aktueller Entwicklungstrend. Dennoch gibt es stets in Politik und Wirtschaft ebenfalls einen latenten Drang zur Konzentration und Hierarchisierung. Die eingefahrenen Entscheidungsmechanismen gehören auf alle Fälle von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand, und neue Herausforderungen, wie sie z.Zt. festzustellen sind, verlangen geradezu nach neuen Antworten. 5.4. Durchsetzungsinstrumente unter der "Gemeinwohl"-Prämisse In diesem Kapitel sollen einige "Tricks" oder "Instrumente" der Regierung bzw. des relevanten Trägers zur Durchsetzung der beschlossenen Maßnahmen angesprochen werden. Was kann die Regierung machen, um die von ihr beschlossenen Maßnahmen gegen Widerstände zu realisieren? Dabei wollen wir davon ausgehen, daß der Träger oder die Regierung, wie es üblich war, das "Gemeinwohl" propagiert und anstrebt? Zunächst einmal ist hier die Informationspolitik zu erwähnen. Die Bundesregierung verfugt bekanntlich über ein besonderes Presse- und Informationsamt, das über alle Maßnahmen der Regierung umfangreich - und immer leicht gefärbt zugunsten der Regierung - die Öffentlichkeit unterrichtet. Heute besteht für jeden Bürger in der Regel die Möglichkeit sich über die Politik der Regierung und anderer Träger eine Fülle von gedrucktem Informationsmaterial zukommenzulassen. Der jährliche Haushalt, Hauptbuch der Nation genannt, liegt einige Monate nach Verabschiedung als umfangreiches Buch zur Einsicht für jeden vor. Be-
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drucktes Papier über die politischen Absichten und Maßnahmen gibt es im allgemeinen in Hülle und Fülle. Mit Hilfe von graphischen Darstellungen und anderen Bebilderungen wird versucht aus der langweiligsten Materie eine spannende Lektüre zu machen. Dennoch ist festzustellen, daß die Menschen keinesfalls umfassend informiert sind. Es ist zu vermuten, daß die Informationsflut in unseren Tagen eher zur Desorientierung als zur besseren Orientierung beiträgt. Genutzt wird von allen Trägern - bewußt oder unbewußt - gerne der von den Amerikanern sog. "band-wagon-effekt". Das ist ein Nachahmungseffekt, der durch Anschluß an die "stärkste Kraft", der Majorität, zustandekommt, die angeblich genau weiß, was richtig oder falsch ist. Latent ist dabei ein gewisses Vertrauen vorhanden gegenüber den Fachleuten, den Regierenden, die schon wissen, wo es entlanggehen muß. Ohne nähere Nachforschungen schließt man sich dabei der "Führung" an, wenn man selbst nicht genau Bescheid weiß oder keine eigene begründbare Meinung zu dem Problem besitzt. Die Masse der Bürger glaubt, daß es schon richtig ist, was die Regierung da macht. Nur bei völlig abstrusen Entscheidungen wird dieser "Hinterherlauf-Effekt" nicht zum Tragen kommen. Die "Propaganda" ist verpönt, nachdem es in Deutschland einmal ein Propaganda-Ministerium gab, und sie eigentlich mehr ein Instrument totalitärer Staaten ist. Dennoch steckt in Informationen der Bundesregierung oder des Wirtschaftsministeriums immer ein Schuß Propaganda: Man kennt zwar die schlechte wirtschaftliche Lage und formuliert die Nachricht dennoch so, daß sie für Uneingeweihte positiv klingt und weiterhin Anlaß zu Optimismus gibt. Generell läßt sich sagen: Propaganda wendet sich nicht an die Vernunft, sondern eher an das Gefühl der Menschen. Selbstverständlich weiß jeder Wirtschaftsminister, daß Wirtschafitspoltik viel mit Psychologie zu tun hat, und er deshalb schon verpflichtet ist, eine optimistische Stimmung zu verbreiten. Um wirtschaftspolitische Ziele in der Marktwirtschaft durchzusetzen, arbeitet die Regierung häufig mit "Zuckerbrot und Peitsche", d.h. mit finanziellen Anreizen oder Sanktionen. Zur Förderung des Wohnungsbaus, werden aktuell veerschiedene finanzielle Hilfen gewährt. Oder um die Schwefeldioxyd-Emissionen aus Industrieanlagen zu verringern, werden unter Strafandrohung bestimmte Grenzwerte festgelegt, die nicht überschritten werden dürfen. Um ein gesamtwirtschaftlich vernünftiges Verhalten durchzusetzen, greift die Regierung immer stärker auf Subventionen zurück. Auf Sanktionen mit Strafandrohung verschiedener Art wird eher verzichtet, weil sich die Wirtschaft und ihre Verbände dagegen massiv zur Wehr setzten. Die Androhung und Durchsetzung von Sanktionen wird sicherlich in dem Maße problematischer, als sich die Unternehmen durch Verlagerung ihrer Produktionsstätten in andere Länder dieser zusätzlichen Belastung entziehen können.
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Bekannt und vielfach belächelt war die Methode der "moral persuasion", die gerne von Ludwig Erhard angewandt worden war. Hierbei geht die Politik davon aus, daß die Bürger ein gewisses Interesse an einer gesamtwirtschaftlich vernünftigen Politik besitzen. Es handelt sich um eine Art "gutes Zureden", das sich bei Erhard fast ausschließlich an die Gewerkschaften gerichtet hatte. Die Bundesbank versucht heute in ihren Monatsberichten ebenfalls stets ihre Politik zu rechtfertigen und die Schuld für Fehlentwicklungen bei anderen, insbesondere bei den Gewerkschaften zu suchen. Damit die "moral persuasion" Wirkungen zeitigt, darf diese Methode nicht überstrapaziert werden. Notwendig sind ferner ein entsprechender "Resonanzboden" und eine entsprechende Übermittlungstechnik. Auch in der Umweltpolitik wird bekanntlich versucht, durch "gutes Zureden" ein umweltfreundliches Verhalten zu erreichen. Die Erfolge damit sind aber völlig unzureichend. Wenn das geforderte richtige Verhalten mit zusätzlichen Mühen und Kosten verbunden ist, wird das "gute Zureden" nicht ausreichen. Wichtig erscheint jedenfalls, daß derjenige oder die Institution, die dieses Mittel der "moral persuasion" anwendet, über entsprechende Glaubwürdigkeit verfugt und als "ehrlicher Makler" gilt.. Im allgemeinen wird hiermit jedoch lediglich ein Strohfeuer entfacht, das keine große, anhaltende Wirkung hervorbringt. Eine nachhaltige Bewußtseinsveränderung kann durch die Methode der "moral persuasion" nicht erreicht werden. Schließlich soll noch das Instrument der "Ablenkung" erwähnt werden. Hier wird vor allem mit irreführenden Begriffen versucht, von dem eigentlichen Anliegen "abzulenken". So trägt ein aktuelles Programm der Bundesregierung den Titel: "Für Wachstum und Arbeitsplätze"! Darin enthalten ist die Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und primär geht es dabei um eine Kostensenkungsmaßnahme für die Wirtschaft. Ob das eintritt, was in der Überschrift vorgegeben wird, hängt von etlichen anderen Faktoren ab, die nicht näher erläutert werden. Vorsichtig ausgedrückt, lassen sich solche Überschriften als geschönt oder Ablenkungsmaßnahmen deklarieren. Die Beispiele über derartige "Ablenkungen" ließen sich beliebig vermehren. Bei fast jedem Gesetz wird versucht, mit Hilfe der Überschrift von den möglicherweise darin enthaltenen "Grausamkeiten" für bestimmte Bevölkerungsgruppen abzulenken und den Maßnahmen zumindest mit Hilfe der Semantik einen "positiven Anstrich" zu geben.
5.5. Praktische Erfahrungen bei der Durchsetzung von Maßnahmen Aus der Entstehungsgeschichte einzelner Gesetze lassen sich grundsätzlich keine allgemeingültigen Aussagen über die Realisierungschancen wirtschaftspolitischer Anliegen ableiten. Dennoch können aus der Erfahrung mit erfolgreichen und
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gescheiterten Gesetzgebungsvorhaben bestimmte Lehren gezogen werden. Warum müssen Fehler, die einmal begangen wurden, wiederholt werden? Anhand eines positiven und eines negativen Beispiels sollen kurz einige besondere Probleme bei der Durchsetzung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen illustriert werden. Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums in der Wirtschaft (StWG) wurde am 8. Juni 1967 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. In der 4. Legislaturperiode am 11. März 1964 hatte die Regierung Erhard beschlossen, gesetzliche Maßnahmen zur Beeinflussung der konjunkturellen Entwicklung vorzubereiten. Gut drei Jahre später war das Gesetz mit erheblichen Ergänzungen verabschiedet. Während Erhard in dem ersten Entwurf vor allem Maßnahmen zur Förderung der Stabilität vorgesehen hatte - also Maßnahmen zur Drosselung der Konjunktur wurde der Entwurf durch die Opposiiton von Karl Schiller und Klaus-Dieter Arndt um wachstumsfördemde, globale Nachfragemaßnahmen ergänzt. Im Grunde ein sehr erfolgreiches und sogar schnelles Gesetzgebungsvorhaben, das schließlich von den großen Fraktionen im Bundestag einmütig akzeptiert worden ist. Heute hat das Gesetz so gut wie keine wirtschaftspolitische Bedeutung mehr. Damals war es jedoch von vielen relevanten Gruppen, insbesondere der Wissenschaft massiv gefordert und unterstützt worden. In den Vereinigten Staaten, das ständige Vorbild für deutsche Wirtschaftspolitik, hatte Anfang der 60iger Jahre Präsident Kennedy auf die Rezepte eines J.M. Keynes zurückgegriffen. So lag das Vorhaben im Trend der Zeit. Die wenigen Gegner der Gesetzesmaßnahme wurden als Ewig-Gestrige dargestellt und in eine Minderheitsposition abgedrängt. Obgleich die Regierung Erhard anfangs nur zögerlich an das Vorhaben herangegangen ist, hat die Erhard-Partei, die CDU, am Schluß das Gesetz ebenfalls unterstützt. Eine andere Maßnahme - das negative Beispiel -, die ebenfalls Anfang der 60iger Jahre auf der wirtschaftspolitischen Agenda stand, ist - allgemein gesprochen die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Im April 1963 hatte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung an Wilhelm Krelle einen Forschungsauftrag über "Die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Auswirkungen der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung zur Vermögensbilddung der Arbeitnehmer" erteilt. In dem Gutachten, das im Juli 1966 übergeben wurde, werden die damals aktuellen Pläne zur Ertragsbeteiligung von Gleitze (1958), Büttner, DGB (1961), Deist (1960), Friedrich (1962) und die Evangelisch-Katholische Denkschrift (1964) sorgfältig dargestellt. Kritik äußert Krelle ausschließlich an der Verteilung des "gewerblichen Kapitalvermögens". Aber gerade die Verteilung dieses Produktiwermögens ist gut 30 Jahre später nicht besser, sondern eher noch einseitiger geworden. Auf diesem Felde der überbetrieblichen Beteiligung der abhängig Beschäftigten am Produktiwermögen hat sich mit kleinen Ausnahmen gesetzgeberisch so gut wie nichts getan, obgleich sie von allen Parteien
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immer mal wieder gefordert wird.. Die Ursache dafür liegt vor allem darin, daß sowohl einige wichtige Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände mal mehr und mal weniger dagegen Front gemacht haben. Die Unterstützung wichtiger Interessengruppen war gering, und selbst die Wissenschaft hat sich nur vereinzelt dieses Themas angenommen. Seit 30 Jahren gibt es seitens der Politik und der Kirchen immer mal wieder Initiativen zur Einfuhrung einer besseren betrieblichen Beteiligung der abhängig Beschäftigten am Produktiwermögen, bisher allerdings ohne Erfolg. Eine besonders günstige wirtschaftliche Situation, die genutzt werden kann, hat es kaum gegeben, und je länger ein Thema in der politischen Diskussion ist, desto mehr nutzt es sich ab und kann dann nicht mehr durchgesetzt werden. Was ist aus diesen Beispielen zu erkennen? Was ist bei der Durchsetzung wichtiger wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu beachten? Die Bundesregierung und der Bundestag stehen unter erheblichem Einfluß der Interessenverbände. Eine Politik, die nicht von ihnen tolleriert oder zumindest in Ansätzen unterstützt wird, hat kaum Realisierungschancen. Nur noch Gesetzesvorhaben, die von starken Verbänden und anderen gesellschaftlichen Gruppen gewollt und unterstützt werden, haben reelle Chancen auf Verwirklichung. Auf sie nimmt die Bundesregierung im allgemeinen schon bei der Formulierung der Gesetzesentwürfe Rücksicht. Wichtig ist ferner, daß ein Entwurf gewissermaßen "ökonomische Rationalität" für sich beanspruchen kann. Gesetzesvorhaben, die gegen die Grundanliegen der Wirtschaft und ihrer Verbände gerichtet sind, werden in der bestehenden Ordnung nicht realisiert werden können. Zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Maßnahmen sind außerdem das allgemeine Klima und der Zeitpunkt der Initiative von großer Bedeutung. Für eine wirksame Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiwermögen ist der richtige Zeitpunkt verpaßt und für die Verabschiedung des StWG war die Zeit damals gekommen. Selbst für die Umorientierung der nachfrageorientierten Globalpolitik hin zur angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ab Ende der 70iger Jahre gab es eine entsprechende Klimaveränderung in allen vergleichbaren Industrieländern. Der Paradigmenwechsel war unaufhaltsam, weil Wissenschaft und Interessenpolitik in die gleiche Richtung wirkten und andere wissenschaftliche Konzeptionen nicht zur Problemlösung zur Verfugung standen. Parteien, die auf ein anderes Paradigma eingeschworen sind, haben es dann schwer, ihre Denk- und Handlungstrukturen der neuen wissenschaftlichen Richtung anzupassen. Erforderlich ist darum mehr denn je zur Durchsetzung von Maßnahmen eine kluge, durchdachte Vorgehensweise (Strategie). Will man etwas erreichen, braucht man in der Politik immer Verbündete. Da die Interessen organisiert und etabliert sind, und sie das Geschehen weitgehend bestimmen, läßt sich von vornherein der Widerstand gegen ein Anliegen abschätzen. Die Spielregeln unserer Marktwirtschaft sind durch den Einfluß der Interessen zumindest teilweise außer Kraft gesetzt worden. Mächtige Verbände haben eher eine Chance ihre Interessen
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auch gegen das Gemeinwohl durchzusetzen. Will die Politik eine Maßnahme realisieren und nicht von vornherein Widerstand provozieren, so muß sie die bestehenden Machtverhältnisse ins Kalkül ziehen. Wirtschaftspolitische Anliegen dürfen deshalb nicht als erstes durch die Regierungsvertreter auf den "offenen Markt" gebracht werden. Kluges Vorgehen erfordert, wie gesagt, eine durchdachte Strategie, und dazu gehört eine interne Abschätzung von Widerständen und Realisierungschancen mit den hierfür in Betracht kommenden Interessengruppen und der Wissenschaft. Die aktuelle Erfahrung in der Wirtschaftspolitik macht ferner immer wieder deutlich, daß Minister, die jede mögliche Maßnahme öffentlich ankündigen, kaum etwas erreichen, aber dafür jeden Tag in den Medien erwähnt werden. Dies ist ferner eine Folge unserer "kurzatmigen", bis zu den nächsten Wahlen und vor allem an Einzelinteressen orientierten Politik. 5.6.
Konzeptionen und Leitbilder als Instrument zur Realisierung einer neuen Politik
Wie bisher gezeigt wurde, bestimmen in der praktischen Wirtschaftspolitiik die Interessen und vor allem die organisierten Interessen maßgeblich die Durchsetzbarkeit von politischen Maßnahmen. Selbst die wissenschaftlichen Überlegungen sind grundsätzlich nicht frei von Interessen. Um diese Interessen und ihren Einfluß in der Politik zu vermindern oder "in Schach zu halten", bedarf es in sich geschlossener Konzeptionen. Nur mit klar definierten, umfassenden Konzeptionen oder Leitbildern sind wir in der Lage, den starken Interesseneinfluß ein wenig zurückzudrängen. Dabei solte man sich darüber im klaren sein, daß es Konzeptionen gibt und geben kann, die bestimmten Interessen in der Wirtschaft mehr oder weniger entsprechen.
5.6.1. Definitionen und Abgrenzungen Konzeptionen und Leitbilder sind immer in Gefahr, zu Ideologien zu entarten. Ideologien sind - nach Giersch - sozioökonomische Vorstellungen, denen die innere Widerspruchsfreiheit nicht bescheinigt werden kann; ihnen liegt ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit zugrunde. Das Wiklichkeitsbild kann veraltet sein, auf naiven Vorurteilen beruhen oder bestimmte weltanschaulich oder interessenbedingte Wunschvorstellungen zur Grundlage haben. Ideologien gibt es haufenweise, und sie werden stets mit besonderem Nachdruck vertreten. Selbst wenn gerne von einer Konzeption gesprochen wird, so ist dennoch Vorsicht geboten, weil es eine Ideologie sein kann. Eine Unterscheidung zwischen Konzeption und Ideologie ist manchmal recht schwierig. Im allgemeinen stecken hinter der sog. Konzeption ganz konkrete Interessen. Konzeptionen sind ein geschlossener und in sich widerspruchsfreier Zusammenhang von Zielen, Grundsätzen
J. Konzeptionen
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und zielkonformen Institutionen und Maßnahmen, wie Giersch definiert. Hans Georg Schachtschabel meint dagegen: wirtschaftspolitische Konzeptionen sind ein langfristig geltendes Leitbild für wirtschaftspolitische Aktivitäten. Leitbilder sind also kurzfristige Konzeptionen, sind gewissermaßen wirtschaftspolitische Denkmodelle mit aktuellem Bezug. Leitbilder in der Ablaufspolitik sind heutzutage Keynesianismus und Monetarismus, und in der Wettbewerbspolitik gibt es u.a. das Leitbild der vollkommenen Konkurrenz, des funktionsfähigen Wettbewerbs und der Chicago - School. Ein Paradigma - ein Musterbeispiel - ist dagegen eine grundlegende Denkungsart, die nicht nur fiir einen Wissenschaftsbereich Gültigkeit hat, sondern viele Bereiche umfassend tangiert. So haben in der Physik oder der Medizin viele Wissenschaftler das "mechanistische" Paradigma in Frage gestellt und verlangen statt dessen "ganzheitliches" Denken. In der Ökonomie wird es es aufgrund dieses allgemeinen Paradigmenwechsels ebenfalls zu einer neuen, interdisziplinären Betrachtungsweise kommen, einer besseren, gegenseitigen Befruchtung von Ökonomie und Ökologie. In der Wirklichkeit haben wir es regelmäßig eher mit Ideologien als mit Konzeptionen zu tun. Konzeptionen, die der zuvor gegebenen Definition entsprechen, gibt es vor allem in der Wissenschaft. Schon bei der Umsetzung einer Konzeption in die Realität sind wiederum Interessen im Spiel. Die Erfahrung zeigt: wenn Konzeptionen und Leitbilder sich letzlich in der Wirklichkeit durchgesetzt haben, so war dies mindestens an zwei Bedingungen geknüpft. Zum einen werden eingefahrene Ideologien/Konzeptionen nur dann abgelöst, wenn die Mißstände, die mit der alten Ideologie/Konzeption verbunden sind, über viele Jahre deutlich für alle sichtbar geworden sind und sie schließlich das Denken der Menschen beeinflussen. Zum anderen werden sich neue Ideologien/Konzeptionen nur dann durchsetzen, wenn in der Realität starke Interessengruppen oder große Gruppen der Wissenschaft auf Ablösung der alten Ideologie/Konzeption drängen und möglichst ansprechende neue Konzeptionen zur Verfügung stehen. Im folgenden sollen kurz die Erfahrungen mit realisierten Konzeptionen dargestellt werden. Danach folgen Ausfuhrungen zu der neuen Konzeption der Öko-Sozialen Marktwirtschaft, verbunden mit der Erwartung, daß möglichst bald Bedingungen eintreten, die dieser Konzeption zum Durchbruch verhelfen.
5.6.2. Konzeptionen und Leitbilder, die sich durchgesetzt haben. Hier geht es nicht um einen Rückblick auf historische Wirtschaftssysteme. Es geht vielmehr um die Frage, warum sich letztendlich eine Konzeption oder ein Leitbild durchgesetzt haben. Als eine umfassende Konzeption, die vor etwa 50 Jahren in der Bundesrepublik eingeführt wurde, ist die "Soziale Marktwirtschaft" anzusehen. Ihr lag mit dem Eucken'schen Modell der Wirtschaftsordnung und seinen regulierenden und konstituierenden Prinzipien (Ordoliberalismus)
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eine wohldurchdachte, wissenschaftliche Konzeption zugrunde. Walter Röpke betonte besonders die soziale Komponente und forderte Maßnahmen zur Deproletarisierung und Dezentralisierung durch Förderung kleiner und mittlerer Unterrnehmen. Ludwig Erhard hat diese Konzeption als erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, die auch von anderen Wissenschaftlern fortentwickelt wurde, gegen erhebliche Widerstände in die Realität umgesetzt. Die politischen Parteien, selbst die CDU mit ihrem Ahlener Programm, plädierten nach dem 2. Weltkrieg für eine Überfuhrung der Großindustrie in Staatseigentum. Die SPD lehnte durch ihren Wirtschaftsssprecher Nölting die ganze Richtung ab. Unterstützung bekam Erhard von der Industrie und großen Teile der Wissenschaft. Der Streit wurde dann vor allem durch die erfolgreichen Wahlen 1953 für Erhard und die CDU entschieden. Die Praxis hatte die Richtigkeit seiner Konzeption bewiesen. Unmittelbar danach (1953) formulierte Karl Schiller die neue Richtung für die Sozialdemokratie mit seinem Motto: "Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig". Schon bald machten sich die sich langsam etablierenden Interessengruppen bemerkbar, und seine erste schwere Niederlage erlitt Erhard bei der Verabschiedung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 1957. Der Industrie paßte die strenge wettbewerbspolitische Richtung nicht, Erhard mußte viele "Kröten schlucken" und konnte sein "Grundgesetz der Wirtschaft"- das Gesertz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) schließlich nur mit Unterstützung der SPD durchsetzen. Erhard äußerte wiederholt seine Sorge, daß die Interessengruppen immer mehr versuchen, eigene Wirtschaftspolitik zu betreiben, und daß eine Einordnung der Gruppeninteressen in den Staat nicht gelungen sei. Vor allem aufgrund einer eigenwilligen, stringenten Geldpolitik der Bundesbank kam es 1966 zu den ersten spürbaren rezesssiven Erscheinungen. Im Februar 1967 verzeichnete die alte Bundesrepublik eine "Rekordarbeitslosigkeit" - nach damaligen Maßstäben - von 670000 Arbeitslosen und einer Quote von gut 3%. Vor allem die wirtschaftliche Lage verlangte nach neuen, wirksamen Maßnahmen. Da in den Vereinigten Staaten die Keynes'schen Rezepte bereits angewandt wurden, setzte sich auch bei uns das Leitbild des Keynesianismus erfolgreich durch. Diesmal wurde die neue Politik von den Arbeitnehmern und ihren Interessenverbänden, den Gewerkschaften, unterstützt. Von der Arbeitgeberseite oder der Industrie wurde dem neuen Leitbild kaum Widerstand entgegengesetzt; denn sie erhofften sich von der Verringerung der "Krisen und Konjunkturen" in der Marktwirtschaft eine bessere Entwicklung. Die herrschende Lehre in den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere der Sachverständigenrat, war voll auf der Seite der "keynesianischen Revolution", wie manchmal etwas übertrieben formuliert wurde. Die Keynes'sche Politik, die ab 1966 in der Bundesrepublik etwa bis 1980 praktiziert worden ist, scheiterte zunächst an den Politikern. Sie wendeten Keynes'sche Rezepte selbst dann noch an, als es gar keine Keynes'sche Situation (hohe Arbeitslosigkeit, depresssive Erscheinungen, niedri-
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ge oder negative Realzinsen u.a.) mehr gab. Die Politik - so kann man getrost behaupten - war mit Keynes überfordert, zumal sich die wirtschaftliche Lage im Lande durch die Ölpreisexplosionen von außen erheblich verschlechtert hatte. Die wirtschaftspolitischen Ergebnisse wurden Ende der 70iger Jahre immer schlechter: steigende Arbeitslosigkeit, steigende Preise, zunehmende Verschuldimg! In dieser Situation drängte sich ein neues Leitbild auf, das in den Vereingten Staaten entwickelt und ausprobiert worden war: der Monetarismus. Das Leitbild des Monetarismus war von Milton Friedman (1957) als Gegenentwurf zum Keynes'schen Leitbild entwickelt worden. Es ist eigentlich kein Rezept, um auf nationaler Ebene mit neuen, weltwirtschaftlichen Problemen fertigzuwerden. Es ist ein neoklassisches Konzept mit Laissez - faire Elementen, das den Staat aus dem Ablauf der Wirtschaft wieder verbannen und ihn auf einige Kernfuktionen, vor allem die Regulierung der Geldmenge, beschränken will. In Deutschland wurde daraus vor allem vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Theorie der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, eine Fortentwicklung und Relativierung des Monetarismus. Die von der Chicagoer Schule unter Führung von M. Friedman entwickelte Konzeption lag gewissermaßen als "fleet in being" schon Anfang der 60iger Jahre bereit. Sie kam aber erst zum Zuge, als sich die Keynes'sehe Konzeption aufgrund der Anwendung durch die Politik als unzureichend herausgestellt hatte. Schwerwiegende wirtschaftliche Probleme "schrien" nach neuen Rezepten. Die monetaristische Konzeption paßte eigentlich gar nicht so recht zur Bewältigung der weltwirtschaftlichen Probleme, und dennoch kam sie zur Anwendung. Die Deutsche Bundesbank hat sie begierig aufgegriffen und selbst noch dann praktiziert, als andere Länder wie die Vereinigten Staaten schon lange davon Abschied genommen hatten. Die in Deutschland außerdem zur Anwendung gekommene angebotsorientierte Politik hat sich vor allem durchgesetzt, weil sie wiederum kräftige wissenschaftliche Unterstützung bekam und wichtige Interessen, wie z.B. die deutsche Industrie, auf verstärkte Anwendung drängten.
5.7. Die öko-soziale Marktwirtschaft eine Konzeption der Zukunft? Hier soll die Konzeption der öko-sozialen Marktwirtschaft nur in Umrissen dargestellt werden. Aber die öko-soziale Marktwirtschaft will die bewährte "Soziale Marktwirtschaft" um die ökologischen Notwendigkeiten ergänzen. Über die Schreibweise läßt sich trefflich streiten, aber im Mittelpunkt dieser Konzeption steht die Marktwirtschaft, die sowohl sozial als auch ökologisch ausgerichtet werden soll. Für die nächste Zeit geht es dabei primär um eine stärkeren ökologischen Ausrichtung dieser Marktwirtschaft, weil dies bisher vernachlässigt wurde. Am Ende steht dann eine Wirtschaftsordnimg, die sich durch eine zwingend "nachhaltige" Wirtschaftsweise auszeichnet. Diese öko-soziale Marktwirt-
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schaft darf unsere Umwelt nur so stark belastet, wie sie gleichzeitig in der Lage, ist auf natürliche Weise damit fertig zu werden. Die Wirtschaft dieser Ordnung wird ihre Produktion langfristig auf recyclebare und nachwachsende Rohstoffe umstellen müssen; spätestens dann, wenn die endlichen Rohstoffe nicht mehr exploriert werden können. Wann die "nachhaltige" öko-soziale Marktwirtschaft erreicht sein muß, kann heute niemand mit Bestimmtheit sagen; aber es ist zu vermuten, daß die C02-Klima-Problematik durch die Verbrennung von Kohlenstoffen eher eine Grenze aufzeigt als die Aufzehrung der bisher bekannten Kohlevorräte. Der Begriff öko-soziale Marktwirtschaft macht ebenfalls deutlich, daß es bei der Umgestaltung nur um die Anwendung marktwirtschaftlicher Instrumente gehen kann. Dazu sind u.a. zu rechnen: Steigerung des Umweltbewußtseins und -Verhaltens der Verbraucher. Umweltbewußte Unternehmensführung durch ein offensives Umweltmanagement. Umweltfreundliche Produkte und Verfahren müssen preislich günstiger sein als umweltschädliche Anwendung von Umweltabgaben/steuern, die externe Umweltkosten internalisieren; d.h. in die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung integrieren. Umweltlizenzen, mit denen der Schadstoffausstoß insgesamt begrenzt werden kann. Einführung einer Umwelthaftpflichtversicherung, die nach Risiko gestaffelt ist. Anwendung des Ordnungsrechts, wenn Gefahrenabwehr notwendig ist, und andere Instrumente nicht zur Verfügung stehen. Die marktwirtschaftlichen Instrumente stehen also bereit und dennoch "wursteln" wir so weiter wie bisher. Warum kommt es nicht zu dem Paradigmenwechsel und zum Aufbau einer neuen konzeptionellen Grundlage für unsere Wirtschaft und Wirtschaftspolitik? Dabei sind längst die ökologischen Probleme für alle, die sehen wollen, immer sichtbarer geworden: Aufheizung der Erdatmosphäre; Zerstörung der Ozonschicht; Vernichtung der tropischen Regenwälder; Abnahme der Artenvielfalt; Zunahme von Naturkatastrophen und Überflutung von Küstenregionen - auf internationaler Ebene -, oder für jeden direkt vor der Haustür: zunehmende Lärmbelästigung, überfüllte Straßen; Luftverunreinigung, steigende Preise für noch sauberes Wasser und immer mehr unerklärbare Krankheiten, um nur einige Problembereiche zu nennen.. Möglicherweise ist die unmittelbare Betroffenheit noch nicht ausreichend, so daß der Ruf nach Änderung nicht lautstark genug erschallt. Es kommt aber hinzu, daß die etablierten Interessen gegen grundlegende Änderungen sehr mächtig und die Interessen für die Einführung einer neuen ökologischer Konzeptionen schlecht organisiert und schwach sind. Vor allem werden diese ökologischen Probleme zur Zeit von anderen Problemen, wie
5. Konzeptionen
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Kapitalflucht, sinkende Realeinkommen oder steigewnde Arbeitslosigkeit überlagert. Aufgrund der weltwirtschaftlichen Veränderungen verzeichnen wir seit Mitte der 80iger Jahre sinkende Realeinkommen, eine hohe Arbeitslosigkeit, einen Abbau der Sozialleistungen und eine besorgniserregende Neuverschuldung der öffentlichen Hände. Unter diesen Bedingungen ist generell den Bürgern ein sicherer Arbeitsplatz schlichtweg wichtiger als saubere Luft oder weniger Straßenlärm, um nur einige Beispiele zu nennen. "Erst kommt das Fressen und dann die Moral", ist eine bekannte Formulierung von Bert Brecht, die sowohl für die Industrieländern als auch für die Entwicklungsländern verdeutlicht, warum die Probleme des Umweltschutzes in absehbarer Zeit keine nachhaltig verändernde Kraft werden. Die ökonomische Lage ist nicht reif für grundlegende Neuerungen, um es sanft auszudrücken. Die Umweltprobleme müssen noch eindringlicher den Menschen ins Bewußtsein dringen, um grundlegende politische Veränderungen vorzunehmen. Mächtige nationale Interessengruppen sind gegen die Einführung einer neuen Konzeption, weil sich damit im internationalen Vergleich ihre Marktposition verschlechtern würde. Dennoch duldet die Lösung - zumindest der genannten internationalen - Ökologieprobleme keinen Aufschub, wenn die Lebensbedingugen auf der Erde insgesamt nicht schweren Schaden nehmen sollen. Aber was läßt sich realistischerweise tun, worauf müssen wir die Energien zunächst konzentrieren? Gerade auf diesem Felde der ökologischen Erneuerung muß versucht werden, auf dem internationalen Felde besser als bisher voranzukommen. Es ist davon auszugehen, daß die Großkonzeme der Industrieländer langsam aufhören, "National Champions" zu sein, sondern immer mehr "Global Players" werden. Damit entziehen sie sich dem Einfluß der Volkswirtschaft und den Regierungsinstitutionen des Nationalstaates. Sie wenden sich verstärkt gegen nationale Gesetzgebung und verlangen - wenn überhaupt - nach internationaler Angleichung sowohl der steuerlichen, der sozialen als auch ökologischen Bestimmungen. Während viele nationale Politiker sich als unfähig erweisen, ihre nationalen Grenzen im Denken und Handeln zu überwinden, werden die Interessen der "Global Players" immer internationaler. Sie werden deshalb auch Interesse an der Lösung internationaler Umweltprobleme haben, wenn sie existenzbedrohend erscheinen. Das Problem der C02-Emissionen müßte mit ihnen zusammen auf mittlere Frist durch internationale Politikkoordination angepackt werden können. Entsprechende Vorschläge über "international handelbare Emissions-Zertifikate" liegen von wissenschaftlicher Seite vor. Es geht um die politische Umsetzung und dabei benötigt die Politik Verbündete. Während sich die Großindustrtie auf dem Wege in die "Weltmarktwirtschaft" befindet, werden kleine und mittlere Unternehmen die nationalen oder gar regionalen Märkte bestimmen. Ihnen kann und muß in Zukunft
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mehr Förderung zuteil werden und durch entsprechende Rahmensetzung Raum für ihre Entfaltung geschaffen bleiben. Eine neue Konzeption, die das noch immer vorherrschende monetaristische, angebotsorientierte Leitbild ablöst, wird nicht durch einen Glockenschlag vom Kirchenturm eingeleitet. Es wird ebenfalls nicht von heute auf morgen zu einer Ablösung des mechanistisch-materialistischen Paradigmas durch ein neues ganzheitlich-ökologisches Denken kommen. Der Umbruch hat aber bereits begonnen. Die Denkstrukturen der Menschen sind in Bewegung geraten; nur das Handeln von Politikern wird zum Teil noch durch die herrschenden Interessen gebremst. Um diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen, muß die Politik versuchen auf Umwegen zum Ziel zu kommen.
II. Teil: Spezielle Politikbereiche Nach den eher theoretischen Erörterungen ausgewählter Grundlagen der Wirtschaftspolitik mit Praxisbezug, sollen jetzt im zweiten Teil dieses Buches einige aktuelle Politikbereiche behandelt werden. Hier geht es um die instrumenteile Wirtschaftspolitik. Zuvor jedoch einige einfuhrende Abgrenzungen und Klarstellungen: Das Thema "Privatisierung" der Staatstätigkeit ist auf Bundesebene - mit wenigen Ausnahmen - von geringerer wirtschaftspolitischer Bedeutung. Diese durchaus wichtige Aufgabe ist aber auf Landes- und kommunaler Ebene noch keinesfalls überall abgeschlossen. In einer Wirtschftsordnung, die sich marktwirtschaftlich nennen will, ist es auf Dauer nicht akzeptabel einen Statsanteil am Sozialprodukt von über 50 Prozent zu verzeichnen. Die aktuelle Forderung nach "Entbürokratisierung" reicht über den wirtschaftspolitischen Bereich weit hinaus. Der Staat mit seiner Bürokratie ist im Laufe der Jahrzehnte in der Bundesrepublik zu einem "Moloch" entartet. Der direkte Abbau von Ministerialbürokratie in den Hauptstädten unserer Republik ist bisher nur zögerlich vorangekommen. Ein Politiker in Ministerfunktion ist stets bestrebt seinen eigenen "Beamten-Apparat" auszubauen aber nicht zu reduzieren. Das Thema "Deregulierung" ist außerdem von besonderer Aktualität in unserer Zeit, zweifellos ebenfalls für die Wirtschaft. Es ist aber eine ressortübergreifende Aufgabe und in erster Linie ein Bereich um den sich "federführend" die Innen- und Rechtspolitik zu bemühen hat. Diese Politikfelder werden deshalb in diesem Abschnitt nicht behandelt. Die bisher bei der Erörterung der Instrumente übliche, nahezu ausschließliche Fixierung auf die sog. ökonomische Logik ist nach unserem Dafürhalten auf Dauer nicht sinnvoll. Die Politik unterliegt im gewissen Ausmaß eigenen Zwängen und Gesetzen, die nicht einfach in der Wirtschaftspolitik mißachtet werden können. Das Wirtschaften unterliegt - wie wir meinen - nach wie vor trotz Deregulierung und Entbürokratisierung eben einer Fülle von politischen Restriktionen. Gleichzeitig hat aber auch die Politik immer stärker auf alte und neu hinzugekommene ökonomische "Hemmnisse" zu achten. Dieses Spannungsverhältnis zwischen politischen Zwängen in der Demokratie und den ökonomischen Erfordernissen in der Marktwirtschaft wird von Ökonomen im allgemeinen nicht besonders beachtet. So kommt es manchmal zu Forderungen der Ökonomen an die Politiker, die für Politiker ziemlich abwegig klingen. Sie können sie nur verwirklichen, wenn sie bereit sind "den eigenen Ast abzusägen, auf dem sie sitzen". Von den Politikern wird etwas erwartet, wozu sie aufgrund der Zwänge und Interessenlagen, denen sie unterliegen, gar nicht in der Lage sind. Andererseits gibt es mangels ökonomischer Kenntnisse politische Handlungen, die der Wirtschaft insgesamt nur schaden und eigentlich keinem nutzen. Mehr Kenntnis von den bestehenden Zwängen in Politik und Wirtschaft sind deshalb dringend erfor-
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
derlich und der Versuch, mit Hilfe des einen Bereichs den anderen zu dominieren, wird auf Dauer nicht gelingen, wenn nicht beides zerstört werden soll. Marktwirtschaft und Demokratie haben zum Teil eigene Handlungsbedingungen, und beide so zukunftsträchtige, weltweit dominierende Bereiche werden nur gemeinsam oder gar nicht überleben. Für die ausgewählten Politikbereiche, die im folgenden behandelt werden, sollen die instrumentellen Maßnahmen in enger Verbindung mit den jeweiligen Trägern dieser Politik angesprochen werden. Maßnahmen und Träger der Politik sind entsprechend der Theorie der ökonomischen Politik, wie gezeigt wurde, eng miteinander verwoben. Wir sind ferner der Meinung: je unabhängiger die Träger von ökonomischen und politischen Restriktionen verschiedener Art agieren können, desto zielgenauer und effektiver scheint die Wirkung ihrer Politik zu sein. Anders formuliert: je stärker die Träger dem Einfluß aus der Wirtschaft und ihrer Verbände ausgesetzt sind -, wie die Bundesregierung und das Parlament, desto schwieriger wird ein konzeptionelles, zielorientiertes Handeln. Ist es aber möglich, alle verschiedenen Politikbereiche auf unabhängige Träger zu verteilen? Einen wirklich unabhängigen Träger für die Umweltpolitik - vielleicht das Umweltbundesamt - würden wir für sehr sinnvoll halten. Wenden wir uns zunächst einmal der Stabilitäts- und Wachstumspolitik zu, die nach dem Gesetz von der Bundesregierung und dem Parlament betrieben werden sollte. Wir greifen im folgenden nur jene Bereiche der Wirtschaftspolitik auf, die für die ökologische Neuorientierung unserer Wirtschaft von besonderer Bedeutung sind.
6. Stabilitäts- und Wachstumspolitik der Bundesregierung Gliederung: 6.1. 6.2.
Begriffliche Klarstellungen Hohe Beschäftigung, Preisniveaustabilität, klassische und Keynes'sche Situation 6.3. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 6.3.1. Institutionelle Maßnahmen 6.3.2. Instrumentelle Maßnahmen 6.4. Grenzen der Stabilitäts- und Wachstumspolitik 6.5. Verzögerungen verschiedener Art oder Diskrepanzen zwischen Lagebeurteilung und Maßnahmen 6.6. Nachfrage- oder Angebotspolitik? 6.7. Stimmt das "Assignment" - die "Zuweisung" - noch?
6. Stabilläts- und Wachstumspolitik
6.1 Begriffliche Klarstellungen Die Begriffe Stabilitäts- und Wachstumspolitik gehen auf das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, kurz StWG genannt, zurück. Sie werden landläufig synonym mit "Konjunktur- oder Ablaufspolitik verwendet. Die Umweltpolitik kann mit dieser Konjukturpolitik, wie bereits praktiziert, eng verbunden werden. Auf alle Fälle sollte diese Politik in Zukunft nur betrieben werden, wenn sie bereit und in der Lage ist das qualitaive Wachstum zu fördern. Wenn es heute um die Beurteilung der aktuelle Wirtschaftspolitik zur Sicherung von Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in der Bundesrepublik geht, stehen sich zwei ideologisch getrennte Lager gegenüber. Viele Politiker verstehen nicht, daß Aussagen der Wissenschaftler immer zeitlich begrenzt sind. So hat z.B. einer der bekanntesten Ökonomen in der Bundesrepublik, Herbert Giersch, sich in den öoiger Jahren für die keynessche Globalsteuerung eingesetzt, während er ab Mitte der 70iger Jahre massiv für eine angebotorientierte Politik votierte. Für die eine Gruppe von Wissenschaftlern ist heute nur eine Politik zur Stabilisierung der Preise durch eine stringente Geldmengenpolitik und durch betriebliche Kostensenkung mit Hilfe der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik rational. Wie sie meinen, ist Preisstabilität die beste Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und steigende Beschäftigung. Sie haben erkannt, daß sich die Angebotsbedingungen der deutschen Wirtschaft vor allem im internationalen Vergleich durch neuaufgekommene Konkurrenz im Ausland erheblich verschlechtert haben. Diese Politik ist aber mit verhältnismäßig hohen realen Zinsen verbunden, und sie liegt - dies sei nur nebenbei erwähnt - somit im Interesse aller Kapitalbesitzer. Leider hat diese Politik, die seit 1980 in der Bundesrepublik betrieben wird, aufgrund ihrer Ergebnisse bisher nicht beweisen können, daß sie stetiges,angemessenes und d.h. qualitatives Wachstum und Beschäftigung deutlich fördert. Die andere, kleinere Gruppe der Wissenschaft fordert dagen immer noch eine nachfragebelebende, über zusätzliche Verschuldung finanzierte Wirtschaftspolitik. Diese Politik läge eher im Interesse der abhängig Beschäftigten, die über keine Kapitalanlagen verfügen und die vom Einsatz ihrer Arbeitskraft leben. Diese Politik soll über steigende Nachfrage in der Volkswirtschaft direkt für Wachstum und Beschäftigung sorgen. Dabei kann es dann durchaus wieder zu höheren Preissteigerungen kommen, weil eine gewisse schleichende inflationäre Entwicklung als "Schmieröl" der kapitalistischen Wirtschaftsweise betrachtet wird. Das ist im Kern die Keynes'sche Globalpolitik, wie sie von 1967 - 1980 unter sozialdemokratischer Ägide in Deutschland betrieben wurde.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
In beiden Fällen handelt es sich, wenn wir von der Deregulierungspolitik und der noch zu behandelnden Tarifpolitik einmal absehen, um Finanzpolitik der Bundesregierung. Bei der globalen Nachfragepolitik geht es um die Erhöhung der Ausgabenseite, und bei der Angebotspolitik um die Senkung der Einnahmeseite zum Zwecke der Kostensenkimg in den Unternehmen. Beide Politikansätze werden in diesem Kapitel kritisch beleuchtet. Sowohl der nachfrageorientierten Globalpolitik als auch der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ist es nicht vergönnt gewesen, das Problem der wachsenden Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Beide Ansätze der Finanzpolitik haben sich zum Ziel gesetzt, das ständige Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung, den Konjunkturzyklus, in einer Volkswirtschaft zu beseitigen oder zumindest abzuschwächen. Unter Konjunkturzyklus verstehen wir die Zeitspanne von einem Aufschwung der wirtschaftlichen Entwicklung bis zum nächsten Aufschwung. Den Höhepunkt der Wachstumsentwicklung bezeichnen wir als "Boom" und die im allgemeinen darauf folgende Abschwächungsphase zunächst als "Stagnation". Es folgt die Phase der "Rezession", die nach US-amerikanischem Spachgebrauch dadurch definiert ist, daß in zwei Quartalen hintereinander das "Wachstum" des Bruttoinlandsproduktes mit einem negativen Vorzeichen versehen ist. Nach dem Abschwung der Rezession folgt die Phase der Depression, an die sich ein neuer Aufschwung anschließt oder zumindest anschließen soll. Wir gehen nicht davon aus, daß dieser Konjunkturzyklus aus der wirtschaftlichen Entwicklung einer marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaft in Zukunft verschwunden sein wird. Richtig scheint jedoch, daß internationale Einflüsse auf die nationale Entwicklung erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Schaubild Nr. 14 Darstellung des Konjunkturzyklus Veränderung des BIP Kapazitätsauslastung der Industrie * *
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6. Slabilitäts- und Wachstumspolitik
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Zu den Frühindikatoren der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - zählen die Auftragseingänge in der Industrie oder die Baugenehmigungen sowie Befragungen der Unternehmen über die zu erwartende Investitionstätigkeit (Ifo-Konjunkturtest). Zu den Spätindikatoren für die Konjunktur rechnen dagegen die Lohn- und die Preisentwicklung; sie erhöhen sich im allgemeinen erst dann, wenn die Boomphase eine längere Zeit angehalten hat. Um die aktuelle Konjunkturentwicklung zu verdeutlichen, wird auch gerne auf die Kapazitätsauslastung der Industrie zurückgegriffen. Der prozentuale Anteil des Bruttoinlandsproduktes am Produktionspotential ergibt den Auslastungsgrad. Fällt die Kapazitätsauslastung der Industrie unter 80 % haben wir es nach Ansicht des Ifo-Institutes mit einer Rezession zu tun. Hier soll nicht die umfangreiche Konkunkturtheorie und -politik behandelt werden. Wir sind aber der Auffassung, daß es auch in Zukunft notwendig sein wird, sich mit diesem Phänomen zu befassen. Die Ursachen für konjunkturelle Schwankungen können von Zyklus zu Zyklus durchaus sehr unterschiedlich sein. Allein den staatlichen Eingriffen, also einem Politikversagen, die Schuld an dem konjunkturellen Auf und Ab zuzuschieben, ist nicht begründbar, wird aber immer wieder gerne von einigen Ökonomen versucht. Die schwere Wirtschaftskrise 1981/1982 lag nicht nur an einer falschen Politik, sondern vor allem an der zweiten ölpreisexplosion des Jahres 1979. Oder die boomartige Entwicklung in der alten Bundesrepublik in den Jahren 1991/1992 war die Folge der politisch gewollten Vereinigung und des damit verbundenen Nachfragepushes durch den Tranfer staatlicher Finanzmittel von West nach Ost.. In der Theorie werden u.a. endogene und exogene Konjunkturursachen unterschieden. Zu den endogenen Faktoren rechnen die Ursachen, die aus der Wirtschaftsentwicklung heraus entstehen, wie z. B. die Überinvestition, die Unterkonsumtion. Bei den sog. "bahnbrechenden" Innovationen (Schumpeter) kann es sich sowohl um einen endogenen als auch um einen exogenen Vorgang gehandelt haben. Zu den exogenen Faktoren zählen auf alle Fälle Kriege, psychologische Faktoren wie Optimismus und Pessimismus, oder z.B. die ö l preisexplosionen 1973 und 1979 und Wiedervereinigung Deutschlands 1989/1990. Diese Faktoren wird es von Zeit zu Zeit immer wieder geben, und sie sind kaum oder nur schwer prognostizierbar. Daneben kann zwischen monetären und realwirtschafltichen Ursachen für die konjunkturelle Entwicklung unterschieden werden. Zu den realwirtschaftlichen Ursachen gehören die ebenfalls schwer prognostizierbaren Innovationen Schumpeter'scher Prägung, die den Wirtschaftsprozeß auf ein neues, qualitativ höheres Niveau anheben. Monetäre Ursachen können zu hohe Zinsen, ein zu geringes Geldmengenwachstum durch die Zentralbank oder eine zu große Sparneigung der Individuen sein, die einen Wachstumssprozeß verhindern oder "abwürgen" können.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
Ein zu großes Geldmengenwachstum kann dagegen inflationäre Tendenzen fördern. 6.2. Hohe Beschäftigung, Preisniveaustabilität, klassische und Keynes'sche Situation In dem geltenden Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 heißt es im § 1: "Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen" Entgegen weitverbreiteter landläufiger Meinung wurde dieses Gesetz mit seinen Maßnahmen in der Zeit sozialdemokratischer Regierungsverantwortung nur z.T. angewendet. Der nationalökonomische Begriff des "gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" wird auch im Grundgesetz (Art. 104, 109 und 115) gebraucht, aber auch dort nicht näher definiert. Der Gesetzgeber hatte mit Absicht von einer näheren Konkretsierung durch die enumerative Aufzählung weiterer Ziele abgesehen, um so Raum für neue wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse zu lassen. Es wird im Gesetzestext im übrigen nicht von "hoher Beschäftigung", sondern bewußt von einem "hohen Beschäftigungsstand" gesprochen. Damit soll einerseits zum Ausdruck gebracht werden, daß es um die Ausnutzung aller Produktionsfaktoren geht und nicht nur um den Faktor "Arbeit"; es wird andererseits auf diese Weise darauf hingewiesen, daß es niemals um die volle, sondern nur um die optimale Ausnutzung dieser Produktionsfaktoren gehen kann. Eine gewisse Höhe an Arbeitslosigkeit ist nach dieser Auffassung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung unvermeidbar und durchaus mit einem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht vereinbar. Zunächst hatte die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht 1970/71 u.a. einen hohen Beschäftigungsstand durch eine Arbeitslosenquote von 0.8 % definiert. Doch schon bald hat sich diese Definition als völlig unrealistisch herausgestellt. Danach wurde auf die international anerkannte Definition abgestellt, nach der immer dann noch von Vollbeschäftigung gesprochen werden kann, wenn die Quote bis 3 % beträgt. Die Auslastung des Produktionspotentials soll bei hohem Beschäftigungsstand zwischen 92 und 98 % schwanken. Der Begriff "Stabilität des Preisniveaus" soll verdeutlichen, daß es bei dieser nationalen Politik nicht um die Stabilität des Geldwertes im Verhältnis zu anderen Währungen gehen kann. Es sollen auch nicht einzelne Preise, sondern
6. Slabililäts- und Wachslumspolitik
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das Preisniveau soll konstant gehalten werden. Wie sich immer wieder zeigt, ist eine Preisniveauentwicklung von 0 % kaum realistisch. Selbst in einer Wirtschaftsphase mit niedrigem Beschäftigungsstand für alle Produktionsfaktoren ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, eine Preissteigerung - gemessen am Preisindex für die Lebenshaltung - von unter 1.5 % zu erreichen. Sicherlich ist Preisniveaustabilität eine wichtige Voraussetzung für die Rechenhaftigkeit und das Funktionieren einer marktwirtschaftlichen Ordnung, und dennoch scheint sie trotz aller Bemühungen kaum realisierbar zu sein. Insofern gibt es zwischen den ökonomischen Begriffen und den politischen Möglichkeiten eine deutliche Diskrepanz, die besser analysiert werden muß. Vor allem im industriellen Sektor sind vielfach Preissteigerungen mit qualitativen Verbesserungen der Produkte verbunden. Hierbei wird die Preissteigrung zwar gemessen, aber der Qualitätsanstieg in der Statistik mißachtet. Es ist und bleibt eine Illusion zu glauben, daß in einer dynamischen marktwirtschaftlichen Ordnung das Ziel "Stabilität des Preisniveaus" oder "hoher Beschäftigungsstand" jemals auf längere Zeit erreicht werden kann. Das StWG hat viele Schwächen, auf die noch ausführlich hingewiesen werden soll. Es setzt auf alle Fälle bei seiner Anwendung bestimmte ökonomische Bedingungen, die sog. Keynes'sche Situation voraus. Keynes ging bei seinen wirtschaftspolitischen Vorschlägen davon aus, daß die politischen Instanzen der Volkswirtschaft noch weitgehend eigenständigen Gestaltungsspielraum besitzen; daß die Wirkungen der Maßnahmen in einer geschlossenen Volkswirtschaft zum Tragen kommen. Dies ist in der Bundesrepublik heute nicht mehr der Fall und insofern ist die unkoordinierte, nationale Konjunkturpolitik durch ein Land mit besonderer Vorsicht zu betreiben.. Zur Keynes'sehen Sitauation gehören: eine deutliche Unterauslastung aller Produktionsfaktoren, eine deflationäre Entwicklung mit sinkendem Preisniveau sehr niedrige oder gar negative Realzinsen ein ausgeglichener Haushalt mit möglichst angesparter Konjunkturrücklage u.a. Die meisten dieser Bedingungen sind Mitte der 90iger Jahre nicht erfüllt, so daß allein aus diesem Grunde eine ausgabesteigernde Fiskalpolitik nicht in Frage kommt. Die "klassische Situation" bei Unterauslastung der Produktionsfaktoren ist dagegen durch folgende Bedingungen gekennzeichnet: Absatzmangel wegen hoher Preise - Konkurrenz liefert günstiger! Geringe Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere wegen zu hoher Kosten.
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Hohe Lohn- und Lohnnebenkosten im Vergleich zu Wettbewerbern. Relativ hohe Realzinsen, da das anfallende Sparkapital von Kreditnehmern im In- und Ausland absorbiert wird. In einer derartigen Situation ist es nicht sinnvoll, mit zusätzlichen Konjunkturprogrammen die Nachfrage einer Volkswirtschaft anzukurbeln. Das würde zu steigenden Preisen und einer weiteren Verringerung der Absatzmöglichkeiten fuhren. Zunehmende Unterauslastung der Kapazitäten und steigende Arbeitslosigkeit wären die Folge. Diese Situation war im großen und ganzen Mitte der 90iger Jahre in der Bundesrepublik, insbesondere im internationalen Vergleich, gegeben. In dieser Situation gibt es dann nur einen ökonomisch richtigen Weg: durch Kosten- und Preissenkungen im internationalen Vergleich die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
6.3. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG) In seinem epochalen Werk "General Theory on Employment, Interest and Money" hat der Engländer John M. Keynes 1936 auf das Versagen der marktwirtschaftlichen Ordnung bei der Schaffung von Vollbeschäftigung hingewiesen. Er hatte mit diesem Werk theoretisch die Erfahrungen aus der schweren Weltwirtschaftskrise in den 20iger und 30iger Jahres dieses Jahrhunderts aufgearbeitet. Für ihn war es klar, daß die Marktwirtschaft unter bestimmten Bedingungen aus sich heraus nicht in der Lage war, einen hohen Beschäftigungsstand wiederherzustellen. Hauptverantwortlich dafür waren u.a. - die zumindest kurzfristigen Starrheiten bei Löhnen und Preisen, - die Geld- und Liquiditätssliebe der Wirtschaftssubjekte und - ungleiche Konsum- und Sparquoten, je nach Einkommenshöhe Keynes fordert zum Ausgleich der marktwirtschaftlichen Schwächen eine rationale Wirtschaftspolitik des Staates. Mit Hilfe der Fiskalpolitik sollen danach die großen Nachfragekomponenten - Staatsausgaben (Ast) - privater Konsum (Cpr) - private Investitionen (Ipr) und Außenbeitrag (Ex-Im) beeinflußt werden, so daß in der Volkswirtschaft insgesamt die ersparten Mittel durch Investitionen ( S = I ) ausgeglichen werden. Das Bruttosozialprodukt Y wird durch folgende Keynes'sehe - Gleichung wiedergegfeben: Y = Ipr + Cpr + Ast + (Ex-Im) Diese antizyklische Wirtschaftspolitik Keynes'scher Prägung wurde im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz mit der Schaffung neuer Institutionen und einer Fülle von Instrumenten gesetzlich verankert. Sie wurde zwar von neo-
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klassischer Seite abgelehnt, entsprach aber in den 60iger Jahren der herrschenden Volkswirtschaftslehre. Dem öffentlichen Druck wollte oder konnte sich damals selbst die Regierung Erhard nicht entziehen und verabschiedete im Juli 1966 den Gesetzentwurf zur "Förderung der wirtschaftlichen Stabilität", der im September des gleichen Jahres in den Bundestag eingebracht wurde. In den darauf folgenden 9 Beratungen im federführenden Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen wurde der Gesetzentwurf durch 17 Änderungsanträge der Opposition unter Führung der Abgeordneten Karl Schiller und Klaus-Dieter Arndt zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ausgeweitet. Das Gesetz wendet sich primär an staatliche Institutionen - Bundesregierung und Bundesbank - und verpflichtet sie zu einer globalen, antizyklischen Nachfragepolitik. Es gibt der Regierung etliche Instrumente zur Beeinflussung der aggregierten Nachfragekomponenten (instrumenteller Teil) an die Hand und schafft einige neue Institutionen (institutioneller Teil) zur Steigerung der Rationalität in der Wirtschaftspolitik. Während die instrumenteilen Vorschriften kaum zur Anwendung kamen, haben die institutionellen Bestimmungen erhebliche Bedeutung bekommen. Von Karl Schiller wurde das StWG gerne als das 2. Grundgesetz der Wirtschaft bezeichnet, das für den Ablauf der Wirtschaft verantwortlich ist. Daneben gibt es seit 1957 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das für den Erhalt der wettbewerblichen Strukturen auf allen Märkten instrumentelle Vorsorge trifft. Eine Abschaffung des StWG, wie es manchmal gefordert wird, kann allein wegen der institutionellen Vorschriften nicht in Frage kommen. Es scheint außerdem nicht völlig unmöglich, daß eine sog. "Keynes'sche Situation" wieder eintreten kann, und damit eine globale nachfrageorientierte Politik mit internationaler Koordination, sinnvoll wird. Diese Politik hätte dann vor allem die ökologische Problematik bei ihren Maßnahmen besonders zu beachten, wie es Ende der 70iger Jahre mit dem sog. Rhein-Bodensee-Programm zum Gewässerschutz sinnvoll praktiziert worden ist. 6.3.1. Insitutionelle Maßnahmen Es ist weitgehend in Vergessenheit geraten, welche gängigen institutionellen Maßnahmen der praktischen Wirtschaftspolitik alle auf das StWG zurückgehen. Dazu gehört z.B. der alljährlich von der Bundesregierung im Januar vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht. Darin muß laut Gesetz eine Stellungnahme zum Jahresgutachten des Sachverständigenrates enthalten sein. Außerdem werden darin die für das laufende Jahr angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele (Jahressprojektion) und die notwendigen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen dargelegt. Dieser Jahreswirtschaftsbericht mit
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seinen Daten ist eine wertvolle Rieht- und Orientierungsgröße für alle wirtschaftspolitischen Akteure, insbesondere fur kleine und mittlere Unternehmen, geworden und aus der wirtschaftspolitischen Praxis kaum noch wegzudenken. Im § 3 des StWG ist die sog. "Konzertierte Aktion" geregelt, bei der es um den Versuch geht, ein "gleichzeitig aufeinander abgestimmtes Verhalten" zwischen Bundesregierung, Tarifvertragsparteien und Bundesbank herzustellen. Dieser Versuch ist unter dem Namen "Konzertierte Aktion" Mitte der 70iger Jahre gescheitert. Der Teilnehmerkreis wurde immer größer und die Themen immer vielfältiger und dementsprechend ebenso die Streitereien. Unter anderem Namen (Kanzlerrunde; Bündnis für Arbeit u.a.) wird diese wirtschaftspolitisch sinnvolle Maßnahme der Koordinierung immer wieder versucht. Die Deutsche Bundesbank mit ihrer monetaristischen Geldmengenpolitik bleibt heute allerdings "draußen vor". Bei möglicherweise vorgegebener Geldpolitik durch die zu errichtende Europäische Zentralbank (EZB) und damit weitgehend festgelegter Finanzpolitik käme dann auf die Tarifvertragspolitik eine besondere Verantwortung zu.
Bekannt und immer wieder im Gerede ist die im § 9 StWG geregelte "mittelfristige Finanzplanung" Mittel (kurz: Mifrifi). Diese Finanzplanung über einen Zeitraum von 5 Jahren, ist nicht rechtsverbindlich, im Gegensatz zum jährlich aufzustellenden Haushaltsplan. Aber sie wird laufend überarbeitet und dient Außenstehenden als Orientierungshilfe. Die vielfältigen Prognoseprobleme wurden bereits erörtert. Allgemein bekannt ist, daß selbst Vorhersagen für das laufende Jahr sich immer wieder als schwierig erweisen. Insofern ist es leicht einzusehen, daß für 5 Jahre exakte Vorhersagen über Wirtschaftsentwicklung und Steuereinnahmen nahezu unmöglich sind. Diese Institution ist aber dennoch aus der Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht wegzudenken; denn sie hat entscheidend zu mehr Rationalität in der Finanzpoliitik beigetragen. So gut wie nie praktiziert wurden die in den §§ 10 und 11 geforderten "mehrjährigen Investitionssprogramme"^ Das gilt selbst für die sozialdemokratischen Wirtschafts- ud Finanzminister Schiller und Schmidt. Hierbei sollte es sich um Bedarfsschätzungen der Ressorts handeln, die nicht veröffentlicht werden, die aber bei Bedarf vorgezogen oder hintangestellt werden konnten. Von größerer politischer Bedeutung ist der Subventionsbericht (§ 12 StWG), der alle 2 Jahre veröffentlicht wird. In ihm werden die finanziellen Leistungen der Bundesregierung an die Wirtschaft in Finanzhilfen und Steuervergünstigungen und diese nach "Erhaltung" - "Anpassung" und "Förderung" unterteilt.
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Ob dieser Subventionsbericht maßgeblich zur Verringerung von Subventionen beigetragen hat, ist sehr zweifelhaft; dennoch schafft er ebenfalls mehr Transparenz, und er ermahnt laufend die Politiker, diesen beständigen "Fremdkörper der Marktwirtschaft" auf den politischen Prüfstand zu stellen. Wir glauben nicht, daß es gelingen wird, Subventionen aus der marktwirtschaftlichen Ordnung völlig zu verbannen. Subventionen sind noch immer ein relativ liberales Lenkungsinstrument, um Diskrepanzen zwischen betriebswirtschaftlichen Kalkulationen und gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen auszugleichen. Sie werden insbesondere auf dem Wege zur Ökologisierung der Marktwirtschaft eine größere Bedeutung bekommen. Sie sollten aber in Zukunft nur noch zeidich befristet und degressiv gestaltet werden. Im Stillen, aber dennoch effektiv, arbeitet der ebenfalls auf das StWG zurückgehende "Konjunkturrat der öffentlichen Hand" (§ 18) und der im Hanshaltsgrundsätzegesetz (§ 51) geregelte "Finanzplanungsrat". Sie haben beide eine Koordinationsaufgabe, insbesondere zwischen Bund und Ländern, um die Finanzpolitik auf die gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse abzustimmen. Alle diese institutionellen Maßnahmen aus der Zeit der globalen Nachfragepolitik haben sich mehr oder weniger bewährt und sind aus der aktuellen Politik nicht mehr wegzudenken. Sie haben entscheidend zur größeren Rationalität in der Wirtschaftspolitik beigetragen. Aus meiner Sicht kann es für die Zukunft nicht darum gehen, diese institutionellen Maßnahmen abzuschaffen; es geht vielmehr darum, sie möglicherweise durch die stärkere Verpflichtung zur Beachtung der ökologischen Komponente zu ergänzen. Deshalb wäre auch die regelmäßige Erstellung eines Umweltberichts durch die Bundesregierung als Ergänzung des Jahreswirtschaftsberichts durchaus sinnvoll. In ihm müßte ebenfalls - wie beim Jahreswirtschaftsbericht - zum Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen Stellung genommen und die geplanten umweltpolitischen Maßnahmen für die kommenden Jahre dargelegt werden.
6.3.2. Instrumentelle Maßnahmen Die instrumenteilen Maßnahmen aus dem StWG haben in der praktischen Politik keine besondere Bedeutung gehabt. Die relevanten steuerpolitischen Maßnahmen zur Beeinflussimg der privaten Investitionen und des privaten Konsums sind in den §§ 26 - 28 geregelt und niemals in der hier festgelegten Form zur Anwendung gekommen. Es soll deshalb auf die Variierung der Lohn- und Einkommenssteuer, auf die Einführung oder Beseitigung von Investitionszulagen oder Sonderabschreibungen nicht näher eingegangen werden.
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Erwähnenswert ist vielmehr die "antizyklische Haushaltsführung", wie sie im § 6 StWG geregelt ist. Danach sollten beispielsweise bei einer Abschwächung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit zusätzliche öffentliche Ausgaben geleistet werden. Die notwendigen Mittel wären zunächst aus der Konjunkturausgleichsrücklage zu entnehmen. Diese Konjunkturausgleichsrücklage sollte bei einer "die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigenden Nachfrageausweitung" eingerichtet werden, oder es sollte zur "Tilgung von Schulden bei der Deutschen Bundesbank" kommen. Doch nur ein einziges Mal im Jahre 1973 hat es Ansätze zur Bildung einer kleinen Konjunkturausgleichsrücklage gegeben, ansonsten zeigt leider die Erfahrung, daß die Politik mit diesen Bestimmungen offenbar überfordert war. Die Verschuldung ist in der Zeit, in der die dargelegte Konjunkturpolitik betrieben wurde, bis 1980 ständig angestiegen. Aber diese Feststellung einer ständigen Steigerung der Neuverschuldung gilt ebenfalls für die darauffolgende Zeit von 1982 an, in der eine konsequente angebotsorientierte Politik versucht wurde. Vieles deutet daraufhin, daß die Politik mit der dargelegten Fiskalpolitik - in guten Zeiten sparen und in schlechten Zeiten das Gesparte wieder ausgeben schlichtweg überfordert ist. Diese ökonomische Logik widerspricht einem rationalen Verhalten der Politiker in einer Demokratie. Nach den Überlegungen der Neuen ökonomischen Politik (NÖP) entspricht das Verhalten der Politiker der Zweckrationalität, zumindest dem Selbsterhaltungstrieb. Demnach ist die Erhöhung der Neuverschuldung für Politiker, die alle 4 Jahre wiedergewählt werden wollen, die einfachste und rationalste Art der Finanzierung von Steuersenkungen oder zusätzlichen Ausgaben. Steuererhöhungen oder Kürzungen von Staatsausgaben sind einfach erheblich schwieriger durchzusetzen, da sie immer potentielle Wähler belasten. Ebenfalls der Widerstand der Wahl-Bürger/innen gegen zusätzliche Staatsverschuldung ist viel geringer als gegen Steuererhöhungen oder Ausgaben- oder Subventionskürzungen. Zusätzliche Staatsverschuldung ist für die Bürger/innen im übrigen ziemlich undurchschaubar, und die unangenehmen Wirkungen machen sich im allgemeinen erst viele Jahre später nach den nächsten Wahlen und bei künftigen Generationen bemerkbar. So ist es zu erklären, daß die Neuverschuldung ständig anstieg, unabhängig von dem jeweiligen wirtschaftspolitischem Leitbild, das der Politik zugrunde lag. Erst die politische Entscheidung über die Einfuhrung einer Europäischen Währungsunion (EWU) mit den entsprechenden Konvergenzkriterien ab 1999 erhöht den Druck auf Verringerung der Neuverschuldung. Leider liefern die Ökonomen keine klaren Kriterien über die Grenzen der Neuverschuldung. Sie werden aber immer sichtbarer durch den Anteil der Zins- und Tilgungsraten am Staatshaushalt. Der Anteil der Zinsen an den Staatsausgaben hat mittlerweile für die Bundesregierung die 25 %-Marke überschritten und würde den Staat bei weiterem Anstieg zur Handlungsunfähigkeit verdammen.
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6.4. Grenzen der Stabilitäts- und Wachstumspolitik Die Globalpolitik, wie die Keynes'sche Nachfragepolitik genannt wurde, trug den Keim des Scheiterns in sich. Das "Globale" dieser Politik, also die Beeinflussung der großen Nachfragekomponenten, wurde von den Befürwortern gerne herausgestellt, obgleich de facto stets nur Teile der Aggregate, die Strukturen beeinflußt wurden. Kritiker hatten von Anfang an darauf aufmerksam gemacht, daß durch staatliche Ausgabenpolitik die marktwirtschaftlichen Strukturen ungleichmäßig beeinflußt werden. So sollte durch staatliche Konjunkturprogramme die Gesamtnachfrage des Staates erhöht werden. Tatsächlich wurde dadurch die Nachfrage in der Bauwirtschaft und einigen Zulieferern künstlich gesteigert. Der Einbruch nach der staatlichen Nachfragebelebung war häufig umso schlimmer. Ganz andere Wirkungen wären bei einer Erhöhung oder Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer um bis zu 10% zustande gekommen, die aber nie praktiziert worden ist. Von dieser Maßnahme hätten die kleinen Einkommensbezieher, die keine Steuer bezahlen, aber eine hohe Konsumquote besitzen, überhaupt nicht profitiert. Der Begriff "Globalpolitik" war deshalb immer ein wenig ideologisch besetzt; er war viel eher ein "VerteidigungsbegrifF' gegen den Vorwurf, daß die Globalsteuerung leicht zu einer Detailsteuerung entarten kann. Eine zielgerichtete Stabilitäts- und Wachstumspolitik, die sich darum bemüht, Krisen und Konjunkturen zu verringern, hätte außerdem eigentlich bei den privaten Investitionen ansetzen müssen. Staatsausgaben und Konsum der Privaten sind nicht die Ursachen für das Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung in der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Ursache liegt bei den privaten Investitionen. Aber will man diese wirklich drosseln, wenn sie in Boomzeiten schon einmal kräftig wachsen? Investitionen sind schließlich nicht nur Nachfrage, sondern vor allem die Produktionskapazitäten von morgen. Eine Politik der Belebung der Investitionen, wenn sie einmal lahmen, wäre schon eher angebracht. Eine Drosselung aber auf keinem Fall. Ob bei einer staatlichen Investitionsbelebung dann aber immer die "richtigen" Investitionen mit Zukunft herauskommen, oder ob es möglicherweise zu Fehlinvestitionen kommt, ist ebenfalls fraglich. Aus diesen Gründen hat sich die Politik an die Investitionen der Privaten nicht so richtig herangewagt. Es wäre auch in der marktwirtschaftlichen Ordnung, bei der die Entscheidungen über Investitionen grundsätzlich bei den Unternehmen liegen, eine zweifelhafte Angelegenheit. Die Globalpolitik, wie festgestellt wurde, war nie richtig "global", sondern stets auf die Beeinflussung von Strukturen ausgerichtet. Dementsprechend hatte sie die Strukturen verändert. Begünstigt von den Konjunkturprogrammen war vor allem die Bauwirtschaft, aber sie war sogleich benachteiligt, wenn die zusätzliche Nachfrage unterblieb. Begünstigt waren noch die Eisen-,
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und Stahl- und Zementindustrie als Vorlieferanten. Begünstigt wurden aber nicht jene Wirtschaftszweige, die unter der Abschwächung vielleicht besonders gelitten hatten: z.B. die Automobilindustrie, der Maschinenbau oder die Elektrotechnik. Sie profitierten vielleicht in einer zweiten oder dritten Phase, wenn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung aufgrund von Multiplikatoreffekten nach oben tendierte. Die kurzfristige Nachfragepolitik der öffentlichen Hände drosselt im Boom jene Wirtschaftszweige, die noch über unausgelastete Kapazitäten verfugen und sie fordert in der Rezession sogar jene Wirtschaftszweige, die ausgelastete Kapazitäten haben.. Die wirtschaftliche Entwicklung in den Wirtschaftszweigen war und ist eben sehr unterschiedlich. Und die wichtigsten Ursachen für unterschiedliche Kapazitätsauslastungen in den Wirtschaftszweigen sind heute nicht mehr die nationalen Nachfrageschwankungen, sondern der Konkurrenzdruck aus anderen Ländern. Dort verfugen heute die Unternehmen über völlig gleiche Maschinen mit gleicher Produktivität bei sehr ungleichen Arbeitsbedingungen für die Arbeitskräfte. Die sog. Globalpolitik verändert im übrigen nicht nur die Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Wirtschaftszweige; sie begünstigte in erster Linie größere Unternehmen und förderte damit sogar tendenziell die Konzentration in der Wirtschaft. Besonders fragwürdig wurde die damals praktizierte Globalpolitik, als nach der ersten Ölpreisexplosion 1973 die "Energie-Rechnung" der deutschen Volkswirtschaft vervierfacht wurde. Damals kam es zur Verschiebung der Kaufkraft von den Industrie- in die OPEC-Länder, was aus weltwirtschaftlicher Sicht eigentlich wünschenwert war. Nur der Versuch vor allem in der Bundesrepublik, die Kaufkraftverschiebung durch zusätzliche Nachfrageprogramme, also neuer Kaufkraftschöpfung in Inneren, auszugleichen, konnte ökonomisch nicht gutgehen. Es kam zur berühmt-berüchtigten Stagflation, einer Situation sowohl hoher und steigender Arbeitslosigkeit und dennoch steigenden Preisen. Die Ursache hierfür war aber nicht primär die Globalpolitik, sondern lag in den ölpreissteigerungen von 1973 und 1979. Aufgrund aller dieser Erfahrungen, muß heute festgestellt werden, daß die instrumentelle Nachfragepolitik, wie sie im StWG konzipiert ist, ein interessantes Experiment war, das sich als falsch herausgestellt hat. ökonomisch sinnvoll wäre es dagegen die Statsausgaben der öffentlichen Hände mittelfristig, entsprechend dem voraussichtlichen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes und den Steuereinnahmen über längere Zeit festzulegen. Sie wären konstant zu halten. Nur in einer Phase der konjunkturellen Abschwächung, wenn die Steuereinnahmen stagnieren, wäre ein Ausgleich durch zusätzliche Verschuldung der öffentlichen Hände möglich. In der Hochkonjunktur, wären dann aber obligatorisch die zusätzlichen Steuereinnahmen zur
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Schuldentilgung zu verwenden. Mit dieser mittelfristigen Orientierung der öffentlichen Ausgabenpolitk, könnte ein zusätzliches Element der Stabilisierung (built-in-stability) in den Wirtschaftsprozeß eingebaut werden.
6.5. Verzögerungen (Lags) verschiedener Art oder Diskrepanzen zwischen Lagebeurteilung und Maßnahmen Die schwerwiegendste Kritik an der Globalsteuerung hat mit den Verzögerungen verschiedener Art zu tun. Danach ist es offensichtlich nicht möglich, wirtschaftspolitische Lageanalyse und konkrete Maßnahmen rational aufeinander abzustimmen. Verzögerungen (Lags) lassen sich in vielfältiger Hinsicht feststellen. Es wird unterschieden nach Lags, die bis zur Entscheidung eintreten (innere Lags), und Lags, die bei der Durchführung von Maßnahmen (äußere Lags) möglich sind. Zu den inneren Lags gehören: - Prognoseverzögerungen, - Entscheidungsverzögerungen, - Exekutionsverzögerungen. Prognoseverzögerungen haben u.a. mit der mangelhaften statistischen Basis zu tun. Frühestens nach zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit sinkendem Bruttoinlandsprodukt weiß man, ob eine rezessive Phase bevorsteht. Bis zur endgültigen Veröffentlichung der Daten vergeht noch ein weiterer Monat. Ein von Interesseneinflüssen sehr abhängiger Träger der Wirtschaftspolitik, wie Bundesregierung und Parlament, wird im allgemeinen längere Zeit benötigen als ein unabhängiger Träger, bis er sich zu konkreten Handlungen durchringt. Ob es zu Maßnahmen kommen soll oder nicht, ist in einer Koalitionsregierung eher umstritten. Um die langwierige Diskussion auf parlamentarischer Ebene abzukürzen, war beim StWG vorgesehen, daß die Bundesregierung durch Rechtsverordnung handeln - konnte. Maßnahmen, die ergriffen wurden, erforderten danach allerdings der Zustimmung des Bundestages. Also mußte jede Regierung vor Erlaß der Rechtsverordnung sich darum bemühen, die Zustimmung in den tragenden Fraktionen zu erhalten. Hatten Regierung und Parlament schließlich eine Maßnahme für notwendig erachtet, so kam es bei der Durchführung entscheidend auf die Mitwirkung der Bürokratie (Exekutive) an. Hier konnten noch einmal Monate vergehen, bis die ersten beschlossenen Ausgaben für die vorgesehenen Zwecke getätigt wurden. Alles in allem kann es so, nachdem die Politik Handlungsbedarf erkennt, durch interne Lags mehr als ein Jahr dauern, bis schließlich gehandelt wird.
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Ferner sind die sog. äußeren Lags zu beachten. Dazu gehören: - Anstoßverzögerungen, - Verlaufsverzögerungen, - Kontrollverzögerungen Nachdem die Exekutive endlich ihre ersten Aufträge vergeben hat, wird wiederum Zeit vergehen, bis schließlich die Baumaßnahmen beginnen. Hierbei kann es sich um Verzögerungen handeln, die eintreten, weil u.a. die richtigen Arbeitskräfte nicht zur Verfügung stehen oder erst eingestellt werden müssen, weil Vorlieferungen notwendig sind, bis endlich begonnen werden kann. Die Verlaufsverzögerungen können aus einer Verlängerung der vorgesehenen Bauzeit resultieren. Hierfür gibt es eine Fülle unterschiedlicher Gründe. Schließlich kann es erhebliche Zeit erfordern, um die Maßnahme zu kontrollieren, ob sie wie vorgesehen durchgeführt wurde oder nicht. Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen sind bis dahin allerdings schon eingetreten; ein endgültiges Urteil, ob die Maßnahmen positiv oder negativ zu beurteilen sind, kann es aber erst nach der vorgenommenen Kontrolle geben. Alle diese "eingebauten" Verzögerungen sind in ihrer endgültigen Länge kaum exakt vorhersehbar. Es fehlen zwar entsprechende Untersuchungen; dennoch läßt sich leicht behaupten, daß etliche Maßnahmen wegen der Lags nicht anti-, sondern prozyklisch gewirkt haben. Insofern waren die Maßnahmen dann sogar kontraproduktiv. Die Bundesregierung und das Parlament waren einmal mehr, wie die Erfahrung zeigt, mit ihrer kurzfristigen Fiskalpolitik durch Konjukturprogramme schlicht und einfach überfordert. Wie die Theorie der rationalen Erwartungen verdeutlicht, kann es bei regelmäßiger Konjunkturpolitik ebenfalls zu Wirkungsveränderungen oder -Verzögerungen bei den Adressaten der Maßnahmen kommen. Wenn die Unternehmer in einer Rezession davon ausgehen, daß der Staat mit nachfragebelebenden Maßnahmen eingreift, wie es in den 70iger Jahren geschehen ist (rationale Erwartungen), wird er die Preise für seine Waren nicht senken, sondern konstant halten. Wenn es die Nachfrage wieder zuläßt, wird er die Preise weiter steigern. Oder bei den Gewerkschaften können durch antizyklische Konjunkturpolitik ebenfalls falsche Erwartungen um sich greifen, indem sie ohne Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche Bedingungen versuchen, Lohnerhöhungen durchzusetzen. Sie können ja davon ausgehen, daß im Falle einer Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit durch zu hohe Lohnsteigerungen, nachfragebelebende Programme vom Staat aufgelegt werden. Diese Haltung kann die Unternehmen wiederum von der Kostenseite her in Bedrängnis bringen. Die Wirkungen auf die Beschäftigung könnten ebenfalls bei fortwährender Globalpolitik von den herkömmlichen theoretischen Über-
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legungen erheblich abweichen. Wenn die Unternehmer wissen, daß die Nachfragesteigerung nur vorübergehend ist, werden sie zunächst keine zusätzlichen Arbeitskräfte einstellen. Dann weerden eben Überstunden eingeplant, oder befristete Arbeit oder Teilzeitarbeit u.a.durchgefiihrt.. Auf alle Fälle nutzen sich auf Dauer die erwarteten Effekte auf die Beschäftigung ab. Durch diese Theorie der rationalen Erwartungen, die viel Plausibilität für sich beanspruchen kann, wird der Widersinn einer kurzfristigen, antizyklischen Konjunkturpolitik erneut unter Beweis gestellt.. 6.6. Nachfrage - oder Angebotspolitik ? Der aktuelle Meinungsstreit wird heute in der Wissenschaft und Politik nicht mehr - wie zu Erhard's Zeiten - um Marktwirtschaft oder Sozialismus oder wie später - um Globalpolitik versus Lenkungspolitik geführt. An der Praktizierung der Globalpolitik, waren neben der SPD ebenso die CDU, CSU und die FDP etliche Jahre beteiligt. Heute gibt es in Expertenkreisen und der Politik Meinungsunterschiede bei der Frage, ob "Angebots- oder Nachfragepolitik" das Gebot unserer Zeit ist. Dabei wird im allgemeinen nicht darüber gestritten, ob die eine oder andere Politikvariante überhaupt möglich ist; strittig ist vielmehr die Frage, ob die aktuellen Wirtschaftsprobleme unserer Zeit mit angebotsfördernden oder nachfragebelebenden Maßnahmen eher vermindert werden können. Es geht also um eine differenzierte Lagebetrachtung: die Angebotspolitiker (herrschende Lehre) sind der Ansicht, daß die deutsche Wirtschaft - vor allem im internationalen Vergleich - schlechte Produktionsbedingungen aufweist, und insofern die Wirtschaft vor allem von Kosten verschiedener Art befreit werden muß, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, (klassische Situation) Wenn dies geschieht, werden Absatz und Produktion wieder steigen und neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Anhänger einer nachfrageorientierten Politik haben primär die unausgelasteten Kapazitäten der Wirtschaft im Blickfeld und argumentieren, daß zusätzliche Investitionen zusätzliche Absatzmöglichkeiten erfordern. Wenn Unternehmen ihre Produkte nicht absetzen können, werden sie nicht investieren, und deshalb gehe es bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen, um die Schaffung zusätzlicher Nachfrage: also verlangen sie (Alternativwissenschaftler), nachfragebelebende Konjunkturprogramme aufzulegen. Doch wer hat in dieser aktuellen Auseinandersetzung die besseren Argumente? Wir haben in den vorherigen Ausfuhrungen eine Antwort unter verschiedenen Aspakten schon gegeben. Der berühmte US-amerikanische Ökonom Paul A. Samuelson würde antworten: "It depends!" Von ihm stammt der
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berühmte Ausspruch: "God gave us two eyes" . . . - ein Auge, um die Nachfrageseite und eine Auge um die Angebotsseite zu beobachten. Diese Grundsatzaussage ist aber unter Ökonomen unumstritten; es geht heute vor allem um einen Streit unter Experten über die Lagebeurteilung der deutschen Wirtschaft. Sicherlich ist in der Mitte der 90iger Jahre eine grundlegend andere wirtschaftliche Situation gegeben als vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftsbereich. Aber nicht nur diese abrupten weltwirtschaftliche Veränderungen durch die Entstehung neuer Märkte in den mittel- und osteuropäischen Ländern, sondern auch die rapide Entwicklung der Wirtschaft in Japan, Korea und anderen Ländern vor allem Südostasiens haben das Umfeld der deutschen Industrie generell grundlegend verändert. Andererseits ist es immer noch so, daß wir in Deutschland 65 % unserer Produktion für den eigenen und 90 % für den europäischen Markt produzieren. Ein eigenes Nachfrageprogramm der Deutschen würde also zu 35 % ins Ausland "abfließen". Wenn nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, dann folglich nur auf europäischer Ebene, am besten sogar noch koordiniert mit den anderen großen Industrienationen wie den Vereinigten Staaten und Japan. Was auf alle Fälle beachtet werden muß: beide Politikvarianten kosten Geld. Die Nachfragepolitik bringt einen einmaligen Schub, und die Angebotspolitik verbessert langfristig die Wettwerbschancen der Wirtschaft. Vor allem muß man sehen, daß Angebotspolitik schon massiv von den Vereingten Staaten, Großbritannien und anderen Industrienationen betrieben wurde, während Deutschland noch Nachholbedarf hat. Vor allem die neu hinzugekommenen Industrieländer, die sog. "Kleinen Tiger" in Südostasien mit denen deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt in Konkurrenz stehen, verfugen über wesentlich besssere Wettbewerbsbedingungen. Aus diesen und anderen Gründen, die hier nicht alle aufgeführt werden können, sprechen in der Mitte der 90iger Jahre immer noch mehr Argumente für Angebots- als für Nachfragepolitik. Obwohl diese Politik bereits seit 1980 in der Bundesrepublik betrieben, also unter sozialdemokratischer Ägidie eingeleitet wurde, sind die wirtschaftspolitischen Probleme - mehr qualitatives Wachstum, weniger Arbeitslosigkeit und Verringerung der Neuverschuldung der öffentlichen Hände - im Laufe der Jahre nicht geringer, sondern größer geworden. Die Verteilung der Einkommen zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern, gemessen an der Lohn- und Gewinnquote, hatte sich in diesen Jahren ebenfalls einseitig zugunsten der Unternehmen entwickelt. Dennoch war der Weg zurück zum Keynesianismus und einer globalen Nachfragepolitik durch die Bundesrepublik, alleine aufgrund der dargelegten Ursachen, nicht gangbar. Aufgrund der neuen, internationalen Entwicklung und trotz nachweisbarer Zurückhaltung bei der Lohnentwicklung durch die Gewerkschaften leidet die Bundesrepublik an sog.
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klassischer Arbeitslosigkeit: zu hohe Lohnkosten, insbesondere Lohnnebenkosten im Vergleich mit der neuen, internationalen Konkurrenz. Deutsches Kapital floß in Form von Direktinvestitionen primär ins Ausland; ausländisches Kapital nur in geringem Umfang nach Deutschland. Immer mehr herkömmliche Produktion wurde ins Ausland verlagert, während neue Arbeitsplätze durch Investitionen in zukunftsträchtigen Bereichen in Deutschland kaum geschaffen wurden. Der dringend notwendigen Strukturwandel unserer Wirtschaft durch neue Investitionen und Innovationen kann nur durch neue und vorhandenen Unternehmen und nicht durch staatliche Nachfrageprogramme bewerkstelligt werden.
6.7. Stimmt das Assignment - die "Zuweisung" - noch? Hinter diesem Begriff nach dem "Assignment" steht die Frage, welche Politik eigentlich noch machbar und sinnvoll ist, und welcher Politikbereich forciert werden muß, um die Probleme zu verringern. Konkret: welcher Entscheidungsträger soll mit den ihm möglichen Instrumenten welche Ziele verfolgen und für die Lösung welcher politischen Aufgaben zuständig sein? Die dargestellten Probleme mit der nachfrageorientierten, diskretionären Stabilitäts- und Wachstumspolitik machen deutlich, daß hierauf in Zukunft im allgemeinen verzichtet werden muß. Von den noch zu behandelnden Politikbereichen kommt in Zukunft unseres Erachtens der Geldpolitk, der Tarifvertragspolitik, der Strukturpolitik; der Forschungspolitik und der Weltwirtschaftspolitik im Rahmen einer ökologieorientierten Wirtschaftspolitik besondere Bedeutung zu. Die Finanzpolitik gehört zweifellos zur Wirtschaftspolitik; dennoch wollen wir hier nicht näher darauf eingehen, da sie einen eigenständigen Forschungsbereich bildet. Für sie ist es wichtig, aus der extremen Unstetigkeit der vergangenen Jahre herauszukommen. Es ergibt keinen Sinn, konjunkturell bedingte Mindereinnahmen sogleich durch Kürzungen bei den Ausgaben auszugleichen. Vielmehr kommt es in Zukunft darauf an, die Ausgabenzuwächse der öffentlichen Hände in etwa konstant zu halten und sie an einer mittelfristigen Entwicklung des Bruttosozialproduktes zu orientieren. Mit der Einnahmeseite der öffentlichen Hände kann dagegen angebots- oder unter bestimmten Bedingungen - wie angesprochen - nachfragorientierte Politik gemacht werden. Die mittelfristig vorsichtig steigenden Staatsausgaben dürften aber nicht für konsumtive Zwecke, also für zusätzliches Personal, sondern müßten für Investitionen, für ökologisch ausgerichtet Investitionen zur Verfugung gestellt werden. Ihr Beitrag zur Ökologisierung der Wirtschaft ist nicht gering einzuschätzen.
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Wichtig ist, daß die Politik sich verstärkt darum bemüht, qualitatives Wachstum anzuregen und dazu gehört vor allem eine Geldpolitik, die sich nicht nur ein stabiles Preisniveau zum Ziel setzen muß, sonder ebenfallsmöglichst niedrige Realzinsen. Die deutsche Wirtschaft hat viele Jahre unter viel zu hohen Realzinsen "gelitten", so daß es für Kapitalbesitzer wesentlich attraktiver war, in Finanzanlagen zu investieren, als in Sachkapital. Deshalb muß immer wieder die Frage geprüft werden, ob die Geldpolitik wirklich geeignet, ist die Preisentwicklung stabil zu halten? Möglicherweise sind für die Preise und ihre Veränderungen vielmehr die Kosten, insbesondere die Lohnkostenentwicklung, verantwortlich. Auf alle Fälle kann es kaum strittig sein, daß für die Verbesserung der Beschäftigungslage und für den Kapitalfluß in nicht so gewinnträchtige ökologische Investitionen, niedrige Realzinsen dringend notwendig sind. Zur Erreichung dieser Ziele ist sowohl die Geldpolotik der Zentralbank als auch die Lohnpolitik der Gewerkschaften gefordert. Da aber die Geldpolitik - wie es den Anschein hat - in Zukunft von der Europäischen Zentralbank (EZB) betrieben wird, und der Einfluß der nationalen Politik dann äußerst gering ist, werden wir uns mit diesem wichtigen Politikfeld nicht näher befassen. Zusätzlich zur besseren Abstimmung von Lohn- und Geldpolitik bedarf es unseres Erachtens ferner einer wachstumsfördernden Politik vor allem unter ökologischen Aspekten. Darauf zielen die hier näher zu betrachtenden Politikbereiche der Tarifvertragspolitik, der ökologieorientierten Struktur- und nachhaltigen Forschungspolitik ab. Diesen Bereichen muß mehr Aufmerksamkeit durch Wissenschaft und Politik gewidmet werden als bisher. Ihnen haftet allerdings noch immer der Anschein einer "Lenkungspolitik" an und die Gefahr, daß die Tarifvertragsparteien ökonomische Gegebenheiten mißachten und der Staat überall lenkend und leitend in die Wirtschaft eingreift, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch wird Tarifvertragspolitik, Forschungs- und Strukturpolitik in der Bundesrepublik seit eh und je und in nahezu allen marktwirtschaftlich orientierten Ländern betrieben. Wichtig ist dabei, darauf zu achten, daß die Grundprinzipien der Marktwirtschaft - insbesondere der Grundsatz der Investitionsentscheidungen durch Unternehmer - nicht mißachtet werden. Ist das der Fall, so lassen sich in diesen näher zu betrachtenden Politikfelder - die eine besondere Art spezieller Angebotspolitik abdecken - die neuen ökologischen Weichenstellungen in der Wirtschaft möglicherweise eher bewerkstelligen und beschleunigen. Um mit den ökonomischen Lehrmeinungen unserer Tage zu sprechen: wir rücken ab von Keynes, relativieren Friedman und greifen zurück auf viele Ansätze und Vorschläge des jungen Joseph Alois Schumpeter. In einem letzten Abschnitt werden wir uns dann noch einigen Problemen einer verstärkt notwendigen Weltwirtschaftspolitik zuwenden.
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7. Tarifvertragspolitik von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden
Gliederung: 7.0 Die Lenkungsfunktion und Kaufkrafttheorie des Lohnes 7.1 Die neoklassische Lohntheorie in der Kritik 7.2 Der organisierte Arbeitsmarkt 7.2.1 Die Gewerkschaften 7.2.2 Die Arbeitgeberverbände 7.2.3 Machtverteilung im Verhandlungsprozeß 7.3 Das TarifVertragssystem und die Diffusion der Tariflöhne 7.3. l.Die Lohndrift 7.4. Produktivitäts- und ökologieorientierte Lohnpolitik 7.5 Staatliche Eingriffe in die Lohn- und Preisbildung 7.6 Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiwermögen 7.7 Deregulierung der Arbeitsmärkte durch Tariföffnungsklauseln
7.0. Die Lenkungsfunktion und Kaufkrafttheorie des Lohnes Die Bedeutung der Tarifvertragspolitik hat als Teilbereich der Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Sie wird im Zuge der Einführung einer Europäischen Währungsunion und der Entwicklung zur Weltmarktwirtschaft zusätzlich an Bedeutung gewinnnen. Dabei hat in der Bundesrepublik traditionsgemäß in diesem Bereich der Staat bei den Tarifverhandlungen "nichts zu suchen"; er gibt aber den Rahmen vor allem in Form des Tarifvertragsgesetzes vor. Bei der Tarifvertragspolitik handelt es sich primär um verbandliche Wirtschaftspolitik, mit der jedoch unmittelbar Einfluß auf relevante volkswirtschaftliche Größen genommen wird. Mit diesem Abschnitt kommen wir zu jenen Politikbereichen, die in Zukunft immer noch und verstärkt auf nationaler oder regionaler Ebene praktiziert werden können. In der Wissenschaft gab es weitgehenden Konsens, nur in der Politik wurde sie gerne geleugnet: die Lenkungsfunktion des Lohnes. Dabei kann es in der marktwirtschaftlichen Ordnung eigentlich keinen grundsätzlichen Streit darüber geben. Der Unternehmer wird immer dann zusätzliche Einstellungen vornehmen, wenn der zu erwartende Ertrag aus der Neueinstellung ein wenig größer ist als die zu zahlende Entlohnung. Das geht so weit, bis die Grenzkosten für den zusätzlichen Beschäftigten dem Grenzertrag gleich sind. Ist der Lohn höher als der Ertrag, so kommt es zu Entlassungen. Dieses ökonomisch rationale Verhalten unterstellt, so macht steigender Lohn die Einstellung von Arbeitskräften schwie-
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riger und sinkender Lohn die Neubeschäftigung wahrscheinlicher. Dies ist eine mikroökonomische "Binsenweisheit". Die Lenkungsfunktion des Lohnes hat zur Aufgabe, die Arbeitskräfte in die produktivste Verwendung zu locken. So sollen florierende Unternehmen oder Wirtschaftszweige mit guten Produktions- und Absatzbedingungen die Löhne erhöhen, um entsprechende Arbeitskräfte zu bekommen. Schrumpfende Unternehmen und Wirtschaftszweige werden dagegen Lohnzurückhaltung üben, um Arbeitskräfte zu veranlassen, in prosperierende Unternehmen überzuwechseln. Diese Lenkung von Arbeitskräften durch Lohnunterschiede ist an bestimmte Bedingungen gebunden. Sie hängt von der Flexibilität der Löhne (Lohnelastizität) und der Mobilität der Arbeitskräfte ab. Die Lohnflexibilität wäre gegeben, wenn es bei einem Nachfrageüberschuß nach Arbeitskräften zu Lohnerhöhungen und bei einem Angebotsüberschuß zu Lohnsenkungen kommt. Vor allem die zweite Möglichkeit ist jedoch in unserer Ordnung eng begrenzt. Die Tariflöhne bilden grundsätzlich den Mindestlohn, und Tariflohnsenkungen sind selbst in stark schrumpfenden Branchen kaum möglich. Dort wird es immer noch trotz Absatzschwierigkeiten zu gewissen Lohnerhöhungen kommen, was denn nach der oben beschriebenen Vorgehensweise der Unternehmer zum Abbau von Arbeitskräften fuhrt. Mit der Mobilität der Arbeitskräfte ist es ebenfalls so eine Sache. Die räumliche Mobilität, die Mobilität zwischen verschiedenen Regionen, ist mit steigendem Ausbildungsgrad höher als für einfache Tätgkeiten. Ein ostfriesischer Bauarbeiter mit eigenem Haus, ist kaum bereit für eine entsprechende Tätigkeit nach Bayern umzusiedeln. Die berufliche Mobilität, die Mobilität von einem Beruf in einen anderen, ist in Deutschland sicherlich geringer als in den Vereinigten Staaten. Von einem Beruf in einen anderen zu wechseln, erfordert hier im allgemeinen eine zusätzliche, zeitraubende Ausbildung. In den Staaten erhält man den neuen Job, wenn man in einer Probezeit bewiesen hat, daß die Arbeit gut gemacht wird. Wenn nicht, steht man von heute auf morgen wieder auf der Straße. Lohnflexibilität und Arbeitsmobilität sind also die wichtigsten "Instrumente", um stets einen Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen. Bei konstanten Löhnen und Arbeitslosigkeit könnte die Arbeitsmobilität für einen Ausgleich und die Herstellung eines neuen Gleichgewichts auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Wenn keine Mobilitätsbereitschaft vorhanden ist, kann die Arbeitslosigkeit nur durch sinkende Löhne vermieden werden. Bei einem konjunkturellen Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - d.h. einer verminderten Nachfragesituation bei allen Unternehmen zur gleichen Zeit - hilft verständlicherweise selbst hohe Mobilität nicht weiter. Wo immer einer hingehen will, es herrscht überall Beschäftigungsmangel. Jetzt kommt es vielmehr entscheidend darauf an herauszufinden, welche Ursachen dem Konjunktureinbruch zugrundeliegen. Haben wir es
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mit klassischer Arbeitslosigkeit zu tun, weil die hohen Lohnkosten die Absatzchancen verringern, so ist die Lohnelastizität gefragt. Haben wir dagegen einen Nachfrageeinbruch, eine Keynes'sche Situation, so wäre die Lohnsenkung eine verfehlte Reaktion. Für die Makroökonomie hat vor allem Keynes auf die Bedeutung der aggregierten Nachfrage für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hingewiesen. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Form des privaten Verbrauchs (Cpr) der Konsumenten, - etwa 55 Prozent der Verwendungsseite des Bruttoinlandsproduktes wird danach entscheidend von der gesamtwirtschaftlichen Lohnsumme bestimmt. Und was so echte Keynesianer sind, die behaupten, daß eine generelle Lohnerhöhung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit das Bruttoinlandsprodukt und die Beschäftigung steigern kann. Motto: die Löhne rauf und alles wird besser! (Kaufkrafttheorie des Lohnes) Wie weiland Baron Münchhausen ließe sich so eine Volkswirtschaft am eigenen Schöpfe aus dem Sumpf ziehen. So einfach ist das jedoch nicht. Auf der Unternehmensebene würde eine Lohnerhöhung, die die Kaufkraft steigern soll, also über die Produktivitätsentwicklung des Unternehmens hinaus, gar nichts bringen. In Normalfall fließt ein Bruchteil dessen, was an zusätzlichen Löhnen gezahlt wird nur als Nachfrage zurück. Selbst dann, wenn die Arbeitnehmer ihren gesamten zusätzlichen Lohn zum Einkauf bei ihrem Unternehmen verwenden, ist dies ein Nullsummenspiel. Die Nachfrage hat sich für das Unternehmen genauso erhöht, wie die zusätzlichen Lohnkosten. Die Rentabilitätssituation ist für das Unternehmen nicht besser geworden. Es werden die Waren des Unternehmens nur einmal häufiger produziert; die Belegschaft einmal bedient und der Produktionsapparat einmal zusätzlich genutzt. Die Mikro- und Makroebene hängen eng miteinander zusammen. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene bietet sich folgendes Bild: ein Teil der zusätzlichen Lohnerhöhungen, in Höhe der Sparquote, fließt aber überhaupt nicht in den Konsum und erhöht somit nicht die Absatzchancen der Unternehmen. Selbst wenn der gesamte Lohn in den Konsum fließen würde, wäre der Nachfragepush bei den Unternehmen sehr unterschiedlich. Profitieren würden die Unternehmen mit höherwertigen Gütern (hoher Nachfrageelastizität). Die Unternehmen mit Gütern des täglichen Bedarfs (niedrige Nachfrageelastizität) hätten höhere Löhne zu verkraften, aber keine zusätzliche Nachfrage. Zumindest dort käme es zu Entlassungen, die keinesfalls durch Neueinstellungen bei den "Profiteuren" ausgeglichen werden. Im übrigen leben wir seit langem nicht mehr in einer geschlossenen Volkswirtschaft; mindestens ein Drittel aller Güter kommt aus dem Ausland. Tendenz steigend. Dort wird man sich für eine derartige Politik bedanken, die den Absatz steigert und die Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenten vermindert. Diese Kaufkrafttheorie des Lohnes war stets von zweifelhaftem
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Wert, und sie wird angesichts der zunehmenden weltwirtschaftlichen Verflechtung immer wertloser. 7.1. Die neoklassische Lohntheorie in der Kritik Die neoklassischen Lohntheorie ist neuerdings bei vielen Ökonomen wieder in Mode gekommen. Deshalb soll sie hier in ihren Grundzügen kurz erwähnt werden. Sie meinen: wenn die Verhältnisse auf den Märkten nicht so sind, wie in der Theorie unterstellt, dann müsse man die Verhältnisse der Theorie anpassen. In dieser Theorie wird grundsätzlich ein polypolistischer Arbeitsmarkt unterstellt: viele Anbieter stehen vielen Nachfragern nach Arbeitskraft gegenüber! Wie auf einem Markt für Waren bildet sich der Lohn (Preis der Arbeitskraft) durch Angebot und Nachfrage. Es gelten die mikroökonomischen Marktgesetze. Lohnunterschiede kommen durch ein differenziertes Angebot bei differenzierter Nachfrage zustande. Außer den Lohndifferenzen nach Personen (Qualifikationen/Berufen) kommt es zu Differenzierungen nach Regionen, entsprechend der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung - die sich z.B. in Hamburg anders darstellt als in Mecklenburg - und es eregeben sich ferner Lohnunterschiede nach Wirtschaftszweigen, weil expandierende Sektoren höhere Löhne zahlen als schrumpfende Wirtschaftszweige. In allen diesen Fällen soll der Lohn und das Lohnniveau einer Region oder eines Wirtschaftszweiges durch die Entwicklung der Marktkräfte bestimmt werden und nicht durch außerökonomische Faktoren. Falls jedoch einmal außerökonomische Faktoren auf einem Arbeitsmarkt zu einem Ungleichgewicht führen, ist der Ausgleich bald durch das Wirken der Marktkräfte wiederhergestellt. Bei sinkender Nachfrage nach den Produkten eines Wirtschaftszweiges wird es bei starren Löhnen zwangsläufig zu Entlassungen kommen. Sind die Löhne aber flexibel, so kommt es in diesem Falle zu Lohnsenkungen. Das fuhrt zu Kostensenkungen in der Produktion, verbilligt die produzierten Waren und macht sie wieder wettbewerbsfähig. Der Absatz steigt, und damit können Löhne und Beschäftigung wieder steigen. So einfach ist das. Bei steigender Nachfrage läuft der Anpassungprozeß umgekehrt: steigende Löhne, steigende Preise, abnehmende Wettbewerbsfähigkeit und sinkender Absatz fuhren dazu, daß die Lohnwünsche nicht in den Himmel wachsen. Diese Darstellung verdeutlicht unmittelbar, daß viele Prämissen der neoklassischen Lohntheorie keine Gültigkeit haben. Sie hatte selbst am Anfang der industriellen Entwicklung und am Ende des 18. Jahrhunderts, als die Theorie formuliert wurde, keinen Realitätsbezug. Sie ist theoretisch wohl durchdacht und ökonomisch schlüssig, aber die Wirklichkeit war nie so.
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Echte Neoklassiker, die nur ihre Wissenschaft kennen, werden sagen, alles was ökonomisch vernünftig ist, kann politisch nicht falsch sein. Also müssen die politischen Verhältnisse an die ökonomische Theorie angepaßt werden. Aber geht das überhaupt? Kann es in einer Region jemals viele Unternehmen geben, die Arbeitskraft nachfragen? Läßt sich die wirtschaftliche Konzentration in der Wirtschaft etwa zurückdrehen? Es gab zum Beispiel niemals und nirgendwo einen polypolistischen Arbeitsmarkt mit vielen Nachfragern nach Arbeitskräften, auf dem sich der Anbieter seinen Job gewissermaßen hätte aussuchen können. Ist die Arbeitskraft, die zwingend an den Menschen gebunden ist, wirklich eine Ware wie jede andere? Diese "Ware" hat Gefühle, leidet Hunger und kann sich ganz anders verhalten, als es die Theorie unterstellt. Bei sinkenden Löhnen wird der Mensch kaum weniger, sondern mehr arbeiten. Die Ehefrau und die Kinder werden möglicherweise gezwungen sein, zusätzlich ihre Arbeitskraft anzubieten, um sich ernähren zu könnnen. (inverse Angebotsreaktionen) Steigt durch sinkende Löhne wirklich immer die Rentabilität des Unternehmens, wenn die alten Produkte ihren Lebenszyklus hinter sich haben und von den Konsumenten nicht mehr nachgefragt werden? Auf die Rentabilität wirken viele Faktoren ein. Kann man die Produktionskosten durch Senkung der Lohnkosten verringern, wenn wie in manchen Wirtschaftszweigen - die Lohnkosten 10 % und weniger von den Gesamtkosten ausmachen? (sinkender Lohnkostenanteil) Es gibt also eine Fülle von Bedenken, die der schlichten Anwendung der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie entgegenstehen. Plumpe Forderungen nach Lohnsenkungen, und alles wird wieder gut, sind deshalb häufig völlig unangebracht. Dennoch kann es Fälle geben, bei denen der unterstellte neoklassiche Marktmechanismus funktioniert. Im allgemeinen wird das nicht der Fall sein und deshalb benötigen wir dringend eine realitätsbezogene, ganzheitliche Lohntheorie.
7.2. Der organisierte Arbeitsmarkt Der Zusammenschluß der Arbeitnehmer zu Arbeiterselbsthilfevereinen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts (um 1860) war die zwangsläufige Folge einer ständig steigenden Proletarisierung der Arbeiterschaft. Ein Überangebot (Landflucht) an Arbeitskräften führte entsprechend der Theorie zu sinkenden Löhnen und zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise. Kein Ökonom hat diese Situation drastischer und korrekter dargestellt als Karl Marx. Die ersten Gewerkschaften traten um 1890 in direkte Gruppenverhandlungen mit den Unternehmen ein. Das Ziel waren der Abschluß von Tarifverträgen, in denen die Löhne und die Arbeitsbedingungen geregelt wurden. Die entscheidenden Instrumente der Gewerkschaften, um ihre Forderungen durchzusetzen, waren die Solidarität der Beschäftigten und die Möglichkeit der kollektiven Arbeitsverweigerung, also der Streik. Schon bald verspürten einzelne Unternehmen, daß die Gewerkschaften erhebliche Macht ausübten und z.T. Verhandlungsübermacht errangen. Um die
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Jahrhundertwende kam es deshalb zur ersten Wahl von Unternehmerfunktionären und nach dem 1. Weltkrieg zur Gründung von Unternehmerverbänden. Diese historische Entwicklung hin zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden verdeutlicht anschaulich die Entstehung der "countervailing power", wie J.K. Galbraith es genannt hat. Folgendes Schaubild von Herder-Dornreich spiegelt diese Situation wieder:
Der Arbeitsmarkt (M), auf dem sich am Anfang Arbeiter (A) und Unternehmer (U) gegenüberstanden, ist über Wahlen (W) fortentwickelt worden zum organisierten Arbeitsmarkt. Hier stehen sich die Verbände der Arbeitnehmer (VA) und Unternehmer (VU) gegenüber. In den Jahren 1967 - 1976 hatte die Politik versucht, mit Hilfe der Konzertierten Aktion auf das Verhalten von VA und VU Einfluß zu nehmen, und zwar ohne großen Erfolg. Als erfolgreich sind dagegen die langfristig ohne staatlichen Eingriff gewachsenen Beziehungen, wie hier kurz dargestellt, zwischen Arbeitgerbern und Arbeitnehmern zu bezeichnen. Der Staat sollte sich hüten, in diese historischen Beziehungen des organisierten Arbeitsmarktes einzugreifen und die Ökonomen haben diesen Arbeitsmarkt als Realität anzusehen.
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Der organisierte Arbeitsmarkt, wie hier geschildert, ist kein Polypol, wie die Neoklassiker es gerne hätten, sondern eher ein bilaterales Monopol oder ein Duopol. Das heißt nicht, daß fiir einzelne Tätigkeiten die indviduelle Lohnfindung ausgeschlossen ist. Im Gegenteil, dies wird für einen zunehmenden Personenkreis immer mehr der Fall sein. Um nit Robert B. Reich zu sprechen, gilt dies vor allem für die Dienstleister und Symbol-Analytiker, nicht so sehr für die Routinearbeiter Für breitere Arbeitnehmerschichten wird auch in Zukunft nicht in erster Linie der Marktprozeß für die Lohnfindung verantwortlich sein, sondern der Verhandlungsprozeß zwischen den Tarifvertragsparteien. Zwischen organisiertem und individuellem Arbeitsmarkt bestehen verschiedene, differenzierte Verbindungen, die noch kurz näher untersucht werden. Zur Zeit wird eifrig diskutiert, wie mehr Flexibilität in die Lohnfindung auf dem organisierten Arbeitsmarkt hineingebracht werden kann, und das ist eine Frage an beide Tarifvertragsparteien, an die Gewerkschaften und an die Arbeitgeberverbänden, die noch ausführlicher behandelt werden sollen. Nach heutigen Gegebenheiten läßt sich die Prämisse von J.M. Keynes, daß die Löhne nach unten hin völlig starr sind, nicht mehr aufrechterhalten. Keynes hatte deshalb Ausgleichsmaßnahmen des Staates gefordert, weil der neoklassische Arbeitsmarktmechanismus außer Funktion geraten war. Vor allem in den Vereinigten Staaten - aber auch in der Bundesrepublik - hat es seit Anfang der 80iger Jahre erhebliche Senkungen der Real- und vereinzelt der Nominallöhne gegeben. In der Bundesrepublik vollzog sich die Nominallohnsenkung durch Abbau außertariflicher Leistungen und in wenigen Fällen durch Einführung neuer Tariflohngruppen.
7.2.1 Gewerkschaften Die Gewerkschaften sind in unserer Gesellschaft noch immer umstritten, obgleich sie vielfältige Verdienste für Marktwirtschaft und Demokratie vorweisen können. Es scheint als kehre langsam bei der Betrachtung dieser historisch gewachsenen Organisationen der abhängig Beschäftigten mehr Sachlichkeit ein. Die Gewerkschaften selbst haben sich in den letzten Jahren aufgrund verschiedener Ereignisse und einer neuen Generation von Gewerkschaftsführern stark gewandelt. Vor allem hat das Zusammenwachsen der Märkte in Europa und im weltweiten Maßstab ihren Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erheblich verändert. Während sie bis zum Ende der 70iger Jahre ihre Lohnpolitik auf die relevanten Märkten in der Bundesrepublik Deutschland übertrugen, hat sich jetzt der relevante Markt für viele Wirtschaftszweige erheblich ausgeweitet. Diese Entwicklung gilt es, bei der Tarifvertragspolitik in Zukunft zu beachten. Die Gewerkschaften haben bei ihrer Lohnpolitik femer Rücksicht zu nehmen auf mögliche zusätzliche Kostenbelastungen der Unternehmen durch Umweltschutz-
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maßnahmen, die ebenfalls aus der angefallenen "finanziert" werden müssen.
Produktivitätsentwicklung
Durch die organisierte Lohnfindung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bildet der Tariflohn eine Untergrenze für die Entlohnung einer Tätigkeit (Mindestlohn). Bei grundlegenden Veränderungen im Umfeld der Unternehmen, wie sie oben angedeutet werden, kann dieser Mindestlohn allerdings höher als der Grenzlohn sein, den eine Tätigkeit unter ökonomischen Bedingungen noch "verkraften" kann. Dann wird bekanntlich Arbeitslosigkeit "produziert". Daß es in diesen Fällen für die Gewerkschaften schwer ist, Tariflöhne zu reduzieren, die einmal von den Arbeitgeberverbänden akzeptiert sind, leuchtet unmittelbar ein. Dies ist ein aktuelles Problem. Einige Gewerkschaften haben bereits niedrigere Einstiegslöhne für jene Arbeitnehmer akzeptiert, die längere Zeit arbeitslos waren. Der allgemein bekannte "Angebotszwang", unter den die Arbeitnehmer stehen, weil sie keine andere Einkommensquelle als den Lohn für ihre Arbeit haben, wird heutzutage für die Arbeitslosen nicht durch die Tariflöhne der Gewerkschaften, sondern durch die Sozialhilfe vermindert. Die Sozialhilfe, die jeder Bürger/in in der Bundesrepublik ohne eigenes Einkommen erhält, ist gewissermaßen die absolute Untergrenze für die Entlohnung der Arbeit. Sie gewährt den Bürgern ex definitione das Einkommen, das jemand benötigt, um in diesem Lande noch existieren zu können. Für weniger Geld wird hier keiner arbeiten, weil er ohne Arbeit den gleichen Betrag erhält. Auch hierüber gilt es nachzudenken, weil es durchaus Arbeiten gibt, die gemacht werden müssen, die aber unter den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen keinen höheren Lohn verkraften als die Sozialhilfe von sich aus gewährt. Ein Vorschlag, der hierfür in der Diskussion ist, wird durch das Schagwort "Bürgergeld" oder "Negative Einkommensteuer" umschrieben. Die Gewerkschaften haben auf alle Fälle mit dafür gesorgt, daß die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande nach dem Kriege bisher sehr positiv verlaufen ist. Kein anderer als der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat ihnen mehrfach großes volkswirtchaftliches Veranwortungsbewußtsein bescheinigt. Nur schwer beantwortet werden kann die Frage, ob die Gewerkschaften mit ihrer Lohnpolitk dazu beigetragen haben, die primäre Einkommensverteilung zugunsten der abhängig Beschäftigten zu verändern. Die sog. bereinigte Lohnquote - der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit am Volkseinkommen bei konstantem Anteil an abhängig Beschäftigten - weist in der Bunderepublik über einen längeren Zeitraum starke Schwankungen aus. Diese Lohnquote hatte sich Mitte der 90iger Jahre wieder auf die Zeit von Mitte der 60iger Jahre zurückgebildet. Dennoch sind wir der Ansicht, daß dieser grobe Maßstab für die Verteilung sich ohne gewerkschaftliche Tätigkeit noch ungünstiger für die Arbeitnehmer darstellen würde. Es gilt jedoch: die Bedingungen der Gütermarkte sind nicht ohne weiteres auf den Arbeitsmarkt
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zu übertragen; der Mensch, um den es auf dem Arbeitsmarkt geht, ist einfach keine Ware, und die ökonomischen Gesetze des Handels können nur sehr beschränkt auf die Lohnfindung angewandt werden. 7.2.2 Die Arbeitgeberverbände Die Arbeitgeberverbände sind - wie angedeutet - eine Gegenbewegung der Unternehmer auf das Erstarken der Gewerkschaften am Anfang dieses Jahrhunderts. Sie sind wiederum eine "countervailing power", die sich erst nach dem 1. Weltkrieg verstärkt entwickelt hat, um der Macht der Gewerkschaften entgegentreten zu könnnen. Die Arbeitgeberverbände sind keine Massenorganisationen, sondern manchmal Verbände mit nur wenigen Mitgliedern, die sich entsprechend ihrem "Gegenüber" als Metall- oder Chemie-Arbeitgeberverband für eine bestimmte Region organisiert haben. Bis zum Ende der 70iger Jahre haben sie in der Bundesrepublik im allgemeinen nur eine Abwehrhaltung gegenüber den Forderungen der Gewerkschaften eingenommen. Das, was von dort kam, war grundsätzlich schlecht und wurde zunächst abgelehnt. In den folgenden Verhandlungen wurden die unterschiedlichen Forderungen dann doch akzeptiert. Die Konfliktbereitschaft war bei guter Konjunktur gering, und die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Verbandsfunktionäre in der Öffentlichkeit wurde immer geringer. Anfang der 90iger Jahre gerieten auch die Arbeitgeberverbände von innen heraus unter Druck, weil die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsunternehmen sehr unterschiedlich war. Einzelne Unternehmen wollen die Vorgaben durch den Tarifvertrag nicht länger hinnehmen und drohen mit Austritt aus dem Verband. Diese internen Probleme, der zunehmende Wettbewerbsdruck und die verschlechterten Absatzchancen führten zu einer härteren Gegenwehr gegen gewerkschaftliche Forderungen. Etliche Unternehmen sind bereits aus den Arbeitgeberverbänden ausgeschieden, um die Bindung an die Tarifverträge aufzuheben. Wie die historische Entwicklung verdeutlicht, ist dies jedoch eine sehr kurzsichtige Reaktion auf die aktuellen wirtschaftlichen Probleme. Bei Unzufriedenheit der Arbeitnehmer kommt es in den Betrieben ohne Arbeitgeberverband wieder zur gewerkschftlichen Organisation der Arbeitnehmer und zwar schnller und einfacher als das früher der Fall war. Dann wird der Arbeitgeberverband wieder gebracht.
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7.2.3 Machtverteilung im Verhandlungsprozeß Die Tariflohnfindung auf dem organisierten Arbeitsmarkt erfolgt in der Form eines bilateralen Monopols durch einen Verhandlunsprozeß (bargaining process). Hier gilt weniger das Prinzip des "do ut des", sondern eher die Methode: Druck und Gegendruck! Die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften hängt von vielen Faktoren ab, die sich im Zeitablauf durchaus verändern könnnen. Ganz entscheidend ist z.B. die wirtschaftliche Situation des jeweiligen Wirtschaftszweiges und die konjunkturelle "Großwetterlage". Geht die Konjunktur gut und werden gute Absatz- und Gewinnaussichten bei guter Beschäftigung aller Produktionsfaktoren verzeichnet, so sind die Forderungen der Gewerkschaften hoch und die Realisierungschancen größer. Im einzelnen steigt die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, je höher der Zusammenhalt (Solidarität) der Mitglieder ist. Gibt es eventuell Streikbrecher? Wichtig ist über dies die Frage, wie prall die Streikkassen gefüllt sind. Eine Gewerkschaft, die laufend streikt, wird kaum über hohe finanzielle Rücklagen verfügen. Häufige Streiks durch eine Gewerkschaft können die Motivation der Mitglieder verringern, und j e seltener es zum Streik kommt, desto stärker werden sich die Mitglieder für die gemeinsamen Ziele engagieren. Wichtig ist ferner für die Durchsetzung der Forderungen die Verhandlungsstrategie, die im Vorstand und anderen Gremien der Gewerkschaften festgelegt wird. Welcher Wirtschaftszweig, welche Unternehmen sollen mit welchen Maßnahmen zuerst unter Druck gesetzt werden? Beide Tarifvertragsparteien haben im übrigen längst erkannt, daß die Öffentlichkeit beim Abschluß eines Vertrages ein "gewichtiges Wort" mitspricht. Deshalb wird von beiden Parteien eifrig Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um die öffentliche Meinung auf die eigene Seite zu ziehen. Diese Beeinflussung der öffentlichen Meinung nimmt manchmal kuriose Züge an; alles läuft nach einem bestimmten Ritual ab, und häufig gewinnt man den Eindruck, daß ohne "öffentliches Theater" ein für beide Seiten besseres Ergebnis Zustandekommen würde. Inwieweit die Arbeitgeberverbände unangemessene Forderungen der Gewerkschaften abweisen können, hat mit vergleichbaren Faktoren (Wirtschaftslage, Solidarität, finanzieller Rückhalt, Motivation, Verhandlungsstrategie und öffentliche Meinung) zu tun. Nicht selten lassen sich die Forderungen der Gewerkschaften in bestimmten Branchen oder größeren Unternehmen leichter durchsetzen.. Solange die Konjunktur für alle Unternehmen gut läuft, ist es ein leichtes, die ausgehandelten Tariflohnerhöhungen und die damit verbundenen Kostensteigerungen durch Preissteigerungen an die Verbraucher "weiterzugeben". So wird ein Gewinneinbruch verhindert. Bei angeglichenen Lohnsteigerungen in der gesamten Bundesrepublik wird dann die entsprechende gesamtwirtschaftliche Nachfrage geschaffen, die es ermöglicht, Lohnkostensteigerungen ohne weiteres auf die Preiseaufzuschlagen. Insofern wird unter diesen Bedingungen die Verteilung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern nicht verändert.
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Die Überwälzung der Tariflohnerhöhungen ist jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft. Sie ist erstens umso schwieriger, je stärker der Wettbewerb auf dem entsprechenden Markt ist und dieser hat gerade in den letzten Jahren durch internationale Konkurrenz zugenommen. Wenn es dennoch stets Preissteigerungen gibt, so hat dies vor allem mit den administrierten Peisen bei den Mieten und öffentlichen Dienstleistungen, aber auch mit der Preisbildung auf oligopolistischen Märkten zu tun. Die Überwälzung wird außerdem erschwert, wenn die Notenbank eine Politik des knappen Geldes betreibt und somit die entsprechende Geldmenge nicht zur Verfugung stellt. Drittens ist das Verhalten des Staates von Bedeutung. In den Jahren 1967 - 1980, als am Stabilitäts- und Wachstumsgesetz entlang antizyklische Konjunkturpolitik betrieben wurde, war die Überwälzung gewissermaßen gesichert. Der Staat sorgte bei einem eventuellen Nachfrageausfall durch staatliche Ausgabenprogramme fiir einen Ausgleich. Die Lohnerhöhungen durch die Tarifverträge konnten - wie herrlich keine Auswirkungen auf die Beschäftigung haben. Sie haben aber auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen, was sich langfristig bemerkbar machte. Es kommt hinzu, daß dank der Tarifvertragspolitik ein ständiger Druck auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität ausgeübt wurde. Anders ausgedrückt heißt dies, daß die Rationalisierung in der Zeit "agressiver" Tarifpolitk kräftig vorangetrieben worden ist. Während man jedoch modernste Maschinen mit hoher Produktivität leicht ins Ausland exportieren kann, werden die gestiegenen Löhne nicht mit exportiert. So konnte viele Länder in Asien und Amerika mit deutscher Unterstützung eine Produktion mit hoher Produktivität und niedrigen Lohnkosten aufbauen. Mittlerweile sind ferner die Überwälzungschancen im eigenen Lande erheblich geringer geworden: der Wettbewerb ist verschärft, die Geldpolitik vermindert einen Anstieg der Geldmenge, und der Staat sorgt nicht automatisch für hohe Beschäftigung. Die Macht der Gewerkschaften hat sich erheblich verringert; sie mußten erst langsam erkennen, daß die Tarifflohnerhöhungen nicht mehr imbedingt zu Reallohnerhöhungen fuhren, sondern lediglich die Beschäftigung spürbar verringern.
7.3 Das Tarifververtragssystem und die Diffusion der Tariflöhne Unter dem Tarifvertragssystem sind die historisch gewachsenen "geschriebenen und ungeschriebenen" Regeln und die sektorale und räumliche Abgrenzung für die Tariflohnfindung zu verstehen. Dazu gehört vor allem die in Art. 9 Abs 3 Grundgesetz geregelte Tarifautonomie und alle gesetzlichen Normen, wie z.B. das Tarifvertrgagesetz. Dazu gehören ferner die gesamtheit der bestehenden Tarifverträge, soeie deren rechtliche Würdigung durch die Rechtsprechung.
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Eine wichtige Neuerung wurde nach dem 2. Weltkrieg durch die Organisation der Gewerkschaften nach dem sog. Industrieverbandsprinzip eingeführt, mit dem weitgehend die Organisation nach den Berufsverbandsprinzip abgelöst wurde. Damit konnten sich alle Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer Tätigkeit in einem Betrieb und Wirtschaftszweig in einer Gewerkschaft organisieren. Der Einfluß der Gewerkschaft in einem Unternehmen wurde dadurch erheblich gesteigert. In der Weimarer Republik war in Deutschland das sog. Berufsverbandsprinzip verbreitet. Die Arbeitnehmer sind nach ihren Berufen gewerkschaftlich organisiert. Das hat zur Folge, daß in einem Betrieb stets mehrere Gewerkschaften vertreten sind, die sich dann untereinander Konkurrenz gemacht haben. Das Tarifvertragssystem in seiner Gesamtheit hat großen Einfluß auf die Tariflohnfindung und damit auf das Tariflohnniveau. In der Bundesrepublik haben sich im Laufe der Zeit sog. "Schlüsselverhandlungen" herausgebildet, und zwar nach Regionen und Wirtschaftszweigen. Die "Lohnfuhrerschaft" am Beginn einer Lohnrunde wechselte im Laufe der Zeit. Häufig wurden die Lohnverhandlungen von der IG Metall, aber auch der ÖTV, der IG Chemie oder IG Druck - um nur einige zu nennen - zuerst durchgeführt. Dabei wird der "Verhandlungspoker" gerne in den Gebieten eröffnet, in denen die Unternehmen über eine gute Wirtschaftslage verfugen. Die Tarifabschlüsse hatten dann Vorbildcharakter, und alle folgenden Verhandlungen haben sich an dem vorhergehenden Abschluß weitgehend orientiert. Man spricht von einer Diffusion der Tarifabschlüsse, die in der Vergangenheit zwischen Regionen und Wirtschaftszweigen deutlich festzustellen ist. Die Gewerkschaften stehen unter einem gewissen Druck ihrer Mitglieder. Sie setzen im allgemeinen alles daran, ihre einmal erreichte Stellung in der Lohnhierarchie nach Wirtschaftszweigen zu erhalten. Die Gewerkschaften müssen gewissermaßen jedesmal von neuem ihren Mitgliedern ihre Daseinsberechtigung beweisen und verdeutlichen, daß sich die Beitragszahlung auch "lohnt". Je besser ihnen dies gelingt, desto kleiner wird die Zahl der sog. "Trittbrettfahrer" sein, jene Arbeitnehmer, die zwar von den Tariflohnerhöhungen profitieren, aber keine Beiträge an die Gewerkschaft zahlen. Diese Trittbrettfahrer schwächen die gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit, und daran haben die Arbeitgeber ein Interesse. Sie übertragen deshalb ausgehandelte Tariflohnerhöhungen nicht nur auf die Mitglieder der Gewerkschaft in ihrem Unternehmen, wozu sie wegen der sog.Tarifgebundenheit verpflichtet sind, sondern stets auf alle Mitarbeiter. Die Arbeitgeberverbände sind im gewissen Ausmaß ebenfalls an gleichen Lohnerhöhungen für alle Mitglieder und alle "Konkurrenten" interessiert. Ungleiche Lohnerhöhungen zwischen den Mitarbeitern des eigenen Betriebes, würden den Betriebsfrieden in Mitleidenschaft ziehen. Unterschiedliche Lohnerhöhungen
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in den miteinander konkurrierenden Unternehmen würden zu Wettbewerbsverzerrungen und damit zu einem verschärften Wettbewerb fuhren. Eine gleiche Belastung für alle durch die Tarifabschlüsse fördert dagegen ein solidarisches Verhalten entweder bei Abwehrmaßnahmen gegen die Gewerkschaftsforderungen oder bei der möglicherweise notwendig gewordenen anschließenden Preiserhöhung. Anders ausgedrückt: gleiche Lohnerhöhungen fördern die Überwälzung, ungleiche Lohnerhöhungen fördern den Wettbewerb! Im Unternehmerlager wird nicht von "Trittbrettfahrern", sondern von "Schmutzkonkurrenz" gesprochen. Damit sind jene Unternehmen gemeint, die sich an keine Tarifverträge halten und durch geringere Lohnzahlungen Wettbewerbsvorteile besitzen. In den letzten Jahren hat diese "Schmutzkonkurrenz" in vielen Tarifbezirken zugenommen, und ob sie wirklich zu mehr Wettbewerb und damit zur Preisstabilität beiträgt, soll hier nicht näher untersucht werden. Erwähnt sei noch die Tatsache, daß Tarifverhandlungen mit einem großen räumlichen Geltungsbereich einen Tarifabschluß zur Folge haben, von dem im allgemeinen große und kleine Unternehmen betroffen sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Tariflohnerhöhung die Großen wegen unterschiedlicher Produktivitätsentwicklung weniger belasten als die kleineren Unternehmen. So ist tendenziell die Konzentration durch die Tariflohnpolitik gefördert worden. Vieles spricht ferner dafür, daß die Tariflohnpolitik in der Vergangenheit ebenfalls dazu beigetragen hat, das Produktivitätsniveau der deutschen Volkswirtschaft zu steigern. Die kleineren Unternehmen geraten bei dieser Lohnfindung unter besonderem Kostendruck und werden immer wieder zur Rationalisierung gezwungen, wenn sie im Konkurrenzkampf mithalten wollen. 1968 hat der langjährige Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herbert Giersch, auf einer Tagung des Vereins für Socialpolitik gegenüber den Gewerkschaften den bemerkenswerten Vorwurf erhoben, daß sie nicht genung für das Wohl der Arbeitnehmer getan haben. Damals ist durch die vereinbarten Lohnerhöhungen nicht annähernd das ausgeschöpft worden, was aufgrund der Produktivitässteigerung möglich gewesen wäre. Danach haben die Gewerkschaften meistens den umgekehrten Vorwurf von zu hohen Lohnerhöhungen zu hören bekommen. Dabei waren in den letzten Jahren ab 1992 die vereinbarten Tariflohnerhöhungen wieder relativ gemäßigt ausgefallen, so daß bei kräftiger Produktivitätssteigerung die Lohnstückkosten z.T. gesunken oder nur geringfügig gestiegen sind. Das erscheint aber heute durchaus sinnvoll zu sein, da die Konkurrenzt im benachbarten Ausland gewachsen ist und weiter ansteigt. Dort verzeichnen wir zwar niedrigere Produktivität in den Unternehmen aber eben auch erheblich niedrigere Lohnkosten in der Produktion. Im übrigen hatten wir zu jener Zeit absolute Vollbeschäftigung, während Mitte der 90iger Jahre die Arbeitslosigkeit bedenkliche Ausmaße angenommen hatte..
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7.3.1 Die Lohndrift Die Diffusion der Tariflöhne zwischen Regionen und Wirtschaftsszweigen fuhrt zu einer Angleichung der Tariflohnentwicklung, zur Verringerung der TariflohnDifferenzen und damit zur Schwächung der Lohnlenkungsfunktion, wie sie oben beschrieben wurde. Tariflöhne sind jedoch im allgemeinen Mindestlöhne, und sie unterscheiden sich von den Effektivlöhnen erheblich. Die Differenz zwischen dem Tarif- und Effektivlohn wird als "Lohndrift" bezeichnet. Diese Lohndrift ist von Unternehmen zu Unternehmen und von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig unterschiedlich. Sie spiegelt im gewissen Ausmaß die jeweilige wirtschaftliche Lage wider. In prosperierenden Unternehmen ist die Lohndrift höher als in Unternehmen in schwieriger wirtschaftlicher Situation. Diese Differenz zwischen Tarif- und Effektivlohn wird nicht nicht vom Gesetzgeber beeinflußt; sie wird ausschließlich durch die Tarifvertragspolitik und die unternehmensinterne Lohnpolitik bestimmt. Die Lohndrift schafft die Möglichkeit für einen Rest an Flexibilität für und Lenkungsmöglichkeit durch die Löhne . Sie ist in den letzten Jahren durch die Beseitigung außertariflicher Leistungen fast in allen Unternehmen abgebaut worden, aber dennoch im allgemeinen vorhanden. Die Ursachen dieser Lohndrift sind unterschiedlich. Wir unterscheiden Ursachen auf dem individuellem und Ursachen auf dem organisierten Arbeitsmarkt. Auf dem individuellen Arbeitsmarkt ergibt sich eine höhere Effektiventlohnung u.a. aus einem generellen Arbeitskräftemangel, so daß die Unternehmen zu besonderen Lohnzugeständnissen bereit sind. Ferner trägt die Akkord- oder Leistungsentlohnung dazu bei, daß die Effektivlöhne die Tariflöhne überschreiten, oder auch ein spezieller Arbeitskräftebedarf, den das Unternehmen nur durch Abwerbung und durch besondere finanzielle Anreize befriedigen kann. Zu den Ursachen auf dem organisierten Arbeitsmarkt zählen z.B. die Laufzeit der Tarifverträge. Bei längerer Laufzeit kann es durchaus sein, daß sich die wirtschaftlichen Gegebenheiten zwischen durch grundlegend ändern und Neueinstellungen nur durch höhere Effektivlöhne möglich sind. Die Lohndrift steigt, weil die Bindung an den Tarifvertrag Neuverhandlungen verhindert. Aber auch die betrieblichen und branchenbezogenen Differenzen in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit werden durch Tarifverträge nur unzureichend ausgeschöpft. Das eröffnet wiederum Spielraum für außertarifliche Leistungen. So beläßt nach wie vor - trotz der Lohnfindung durch unser Tarifvertragssystem und d.h. vor allem durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden - die Lohndrift einen individuellen Gestaltungsraum für die betriebliche Entlohnung.
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7.4 Produktivitäts- und ökologieorientierte Lohnpolitik Die Produktivität und ihre Entwicklung ist die entscheidende Quelle für den Wohlstand unserer Volkswirtschaft. Warum die Produktivität steigt soll nicht näher untersucht werden; vor allem die Anwendung neuer Forschungsergebnisse (Innovationen) und die Verbesserung der Qualität des "Humankapitals" können dafür wcihtige Gründe sein. Z.Z. steigt die Produktivität allerdings aus rein statistischen Gründen und zwar dadurch, daß es - aus welchen Gründen immer - zu Entlassungen von Arbeitnehmern kommt, bei gleicher oder steigender Ausbringimg in der Produktion. Die Folge ist in diesem Fall ein kräftiger Produktivitätszuwachs für das Unternehmen, obgleich die Produktivität für die Volkswirtschaft nicht erhöht worden ist. Bei der Berechnung der volkswirtschaftlichen Produktivität müßten eben korrekterweise die arbeitslosen Arbeitskräfte in Nenner dieser "Output-Input -Relation" mit berücksichtigt werden. Auf alle Fälle steht für die zusätzliche Verteilung zur Wohlstandssteigerung nur die echte gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung zur Verfügung. Daraus können höhere Gewinne, höhere Löhne und Gehälter, mehr Sozialleistungen, aber auch zusätzliche Maßnahmen für den Umweltschutz "finanziert" werden. Besonders wichtig ist dabei sich Klarheit über die Grenzen der zusätzlichen Verwendung zu verschaffen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hatte in seinem Jahresgutachten 1965/66 die Formel für die Lohnfindung zwischen den Tarifvertragsparteien vorgestellt. Der Sachverständigenrat schreibt damals, "das Problem der Geldwertstabilität bei Vollbeschäftigung ist identisch mit der Stabilisierung des volkswirtschaftlichen Kostenniveaus". Damit das Kostenniveau nicht steigt, dürfen die Nominallöhne nicht stärker erhöht werden, als die Produktivität steigt, gemessen an dem Produktionsergebnis je Stunde. Dabei wird ein monetäres und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zugrundegelegt. Die Formel für die Kostenniveaukonstanz - Lohnerhöhungen gleich Produktivitätserhöhungen - geht von der Beibehaltung der bestehenden Einkommensverteilung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern aus. Um ganz genau zu sein, muß die Formel um einige Struktureffekte noch bereinigt werden, so daß für die Lohnerhöhungen folgendes Schema gelten kann: Nominallohnerhöhung = Produktionsergebnis je Beschäftigtenstunde +/- Veränderung der Kapitalkosten (Zinssenkung/erhöhung) +/- terms oftrade - Veränderungen +/- Veränderungen des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung und bei ökologischer Ausrichung, also einer Politik der Internalisierung externer Kosten +/- zusätzliche Umweltbelastungen.
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Die hier dargestellten Struktureffekte besagen folgendes: in dem Maße, wie die Kapitalkosten aufgrund von Zinssenkungen im Unternehmen sinken, besteht mehr Spielraum für kostenniveauneutrale Lohnerhöhungen. Verbessern sich dagegen die terms of trade, weil die Exporterlöse steigen oder die Importpreise sinken, so haben wir wiederum mehr Spielraum für die Lohnpolitik. Alles gilt umgekehrt natürlich umgekehrt. In den letzten Jahren sind allerdings die Lohnnebenkosten ständig gestiegen, so daß sich der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung erhöht hat. Das hat dann einen geringeren Lohnerhöhungssspielraum für die Tarifvertragsparteien zur Folge. Eine Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten würde umgekehrt wirken, ist jedoch nur selten der Fall gewesen. Bei der Ergänzung der "Sozialen Marktwirtschaft" durch ökologische Notwendigkeiten kommt es häufig ebenfalls zu zusätzlichen finanziellen Belastungen der Unternehmen, die bei der Lohnfindung beachtet werden müssen. Die Kosten, die den Unternehmen aufgrund der Internalisierung der Umweltkosten auferlegt werden, müssen auch aus dem Produktivitätsfortschritt "bezahlt" werden. So ist der Lohnerhöhungsspielraum durch eine wirksame Umweltschutzpolitik in der Bundesrepublik kleiner geworden, und dies wird in Zukunft bei der Lohnfundung nicht außer Betracht bleiben können. Die dargestellte Lohnfindungsformel unterstellt - wie gesagt - Neutralität für das Kostenniveau und eine Konstanz der Verteilung zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Der Produktionsfaktor "Umwelt" ist bisher unbeachtet geblieben und wird erst langsam voll in die Kostenrechnung der Unternehmen integriert werden müssen. Die Formel gilt im übrigen für Wirtschaftszweige, die sich in Übereinstimmung mit dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht befinden. Bei der extremen Arbeitslosigkeit, wie sie Mitte der 90iger Jahre in der Bundesrepublik besteht, gilt es bei der Lohnfindung Rücksicht auf die Arbeitslosen zu nehmen. Das heißt konkret, daß in dieser Situation nicht die volle Produktivitätssteigerung für Lohnerhöhungen zur Verfügung stehen kann, sondern deutlich weniger, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Vorausgesetzt die Lenkungsfunktion des Lohnes funktioniert einigermaßen. Um die Lenkungsfunktion des Lohnes zum Einsatz zu bringen, müßten bei zusätzlichem Bedarf die Löhne in den Mangelbereichen überdurchschnittlich und in den Bereichen mit überschüssigen Arbeitskräften unterdurchschnittlich erhöht werden. Nach Ansicht des Sachverständigenrates mag es ferner sinnvoll sein, den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt "optimistisch" einzuschätzen, weil ein gewisser Lohndruck die Rationalisierungsbemühungen in den Unternehmen verstärken könnte. In seinem Gutachten 1972/73 verweist der Rat noch auf ein besonderes Problem. Mit der bisherigen Formel sind wir davon ausgegangen, daß unser Kosten- und Preisniveau konstant bleibt. Dies ist jedoch ziemlich unrealistisch; denn selbst wenn alle genannten Bedingungen erfüllt sind, sind stets Preissteigerungen zu verzeichnen gewesen. Der Rat forderte deshalb die Lohner-
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höhungsrate um einen Ausgleich "für unvermeidliche künftige Preissteigerungen" zu vergößern. Das heißt dann, daß nicht mehr die Nominallöhne, sondern in etwa die Reallöhne an die Entwicklung der Produktivität angepaßt werden sollen. Die dargelegten Korrekturen aufgrund zusätzlicher Kosten und Kostenerleichterungen bleiben, wie dargestellt, selbstverständlich erhalten.
7.5 Staatliche Eingriffe in die Lohn- und Preisbildung Dieses Thema ist eigentlich nicht aktuell, und dennoch soll es hier angesprochen werden, weil die Politik sich gerne im Grenzbereich des Erlaubten bewegt. Die politische Forderung nach Einschränkung der Tarifautonomie bringt immer Schlagzeilen in den Medien. Keiner kann mit Sicherheit behaupten, daß nicht doch wieder politische Kräfte das Sagen bekommen, die der Tarifautonomie feindlich gegenüberstehen und sie am liebsten abschaffen wollen. Die staatspolitische Problematik liegt darin, daß mit der Tarifpolitik autonome Verbände maßgeblichen Einfluß auf sehr bedeutende Daten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nehmen können: auf Lohn- und Kostenentwicklung und die Entwicklung des Preisniveaus in einer Volkswirtschaft. Die nach der Verfassung berufenen Tarifpartner haben somit erheblich volkswirtschaftliche Bedeutung. Sie werden durch die interne Willensbildung aber unzureichend kontrolliert und können eine Regierung spürbar in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn der Ruf nach staatlicher Kontrolle für die Lohnfindung auf den organisierten Arbeitsmärkten erfolgen sollte. Nach Artikel 9 Abs. 3 unseres Grundgesetzes ist in Deutschland das Recht, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Damit ist für die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Tarifautonomie weitgehend verbürgt; zumindest gibt es - unumstritten - einen sog. Kernbereich für die Tarifpolitik, in den der Staat in keinem Fall eingreifen darf. Direkter staatlicher Einfluß auf die Lohnfmdung und die wichtigsten Arbeitsbedingungen wird durch diese Bestimmungen ausgeschlossen. Die Konzertierte Aktion gemäß § 4 des StWG, wie sie in Deutschland von 1967 - 1974 praktiziert worden ist, verstieß nicht gegen diese verfassungsrechtliche Absicherung. Umstrittener war und ist die Aufstellung von sog. "Lohnpolitischen Leitlinien" als eine Orientierung für die Tarfverhandlungen. Diese "Leitlinien" sind im Grundsatz der Versuch, einen gewissen Einfluß auf die Lohnentwicklung zu nehmen. Sie wirken durch ihre Veröffentlichung und die darauffolgende öffentliche Diskussion im allgemeinen limitierend auf die Tariflohnfindung; sie sind aber noch gestattet, solange die freie Lohnfmdung der Tarifvertragsparteien erhalten bleibt. Lohnleitlinien sind an der Grenze des erlaubten Einflusses durch den Staat angesiedelt, und sie können
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
leicht dazu dienen, einer weiteren staatlichen Einflußnahme Tür und Tor zu öffnen. Der dann folgende weitere staatliche Schritt wäre ein Lohn- und Preisstopp. Beides gehört zusammen; denn es geht nicht an, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur jede Erhöhung der Löhne zu verbieten und den Unternehmern die Möglichkeit zu Preiserhöhungen zu belassen. Aber Preis- und Lohnstopp sind eigentlich schon der erste Schritt, für den Ausstieg aus der Marktwirtschaft. Wie wir gesehen haben, ist die Flexibilität der Preise und der Löhne ein ganz entscheidendes Element jeder marktwirtschaftlichen Ordnung. Eingriffe in die Lohnund Preisbildung sind für einen Marktwirtschatler stregstens verboten. Wie die Erfahrung zeigt, können ein Lohn- und Preisstopp auf Dauer nicht funktionieren. Zunächst ist für die Durchfuhrung der notwendigen Lohn- und Preiskontrollen ein gewaltiger Überwachungsapparat erforderlich. Schließlich gäbe es eine Fülle von Tricks, um die Kontrollen zu umgehen. Da werden einfach neue Produkte in neuer Verpackung zu höheren Preisen auf den Markt gebracht, obgleich der Inhalt der gleiche geblieben ist. Ohne große Schwierigkeiten läßt sich die Menge einer Ware manipulieren, während der Preis konstant bleibt. Preiskontrollen für Importgüter sind gar nicht möglich; aber Preiserhöhungen an dieser Stelle haben Preiserhöhungen an anderer Stelle zur Folge. Selbst zeitlich befristete Lohn- und Preisstopps haben sich als untauglich herausgestellt, weil die Preis- und Lohnerhöhungen zwar eine gewisse Zeit eingehalten, aber spätestens bei der Aufhebung des Stopps sofort nachgeholt werden. Am gefahrlichsten erscheint an dieser Maßnahme, daß die Rechenhaftigkeit des Systems zerstört wird und vor allem der Anreiz zur Rationalisierung und Produktivitätssteigerung verloren geht. Ein Lohn- und Preisstopp für eine längere Zeit einmal praktiziert, wirft eine Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb weit zurück. Wir sind der Meinung, daß sich die Tarifautonomie in der Bundeserpublik grundsätzlich bewährt hat. Dies hat auch wiederholt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten festgestellt. Immer dann, wenn von den Tarifvertragsparteien eine besondere Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erwartet wurde, wurde sie praktiziert. Die autonome Tariflohnpolitik der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände war in der Bundesrepublik erfolgreich, und sie hat mit Gewißheit bessere Ergebnisse hervorgebracht als jede denkbare staatliche Lohnfestsetzung. Sie hat allerdings nicht das erreicht, was sie einmal zu Beginn propagiert hat: eine Umverteilung der Einkommen zu Gunsten der abhängig Beschäftigten. Um die Einkommensverteilung zu verändern, bedarf es anderer Instrumente als der Lohnfmdung durch die Tarifvertagsparteien. Ein möglicher Weg könnte eine wirksame Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiwermögen sein.
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7.6 Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiwermögen Die Ökonomen in der Bundesrepublik befassen sich seit mehr als 30 Jahren mit der Frage, wie die abhängig Beschäftigten stärker am Produktiwermögen beteiligt werden können Wohlgemerkt: am Produktiwermögen in der Volkswirtschaft. Es geht nicht um die Verteilung des Sparkapitals, des Haus- und Grundbesitzes, des Versicherungsvermögens oder sonstiger Kapitalanlagen. In einigen wenigen Unternehmen der Bundesrepublik ist die betriebliche Beteiligung der Arbeitnehmer am Ertrag und/oder Kapital auf freiwilliger Basis seit langem eingeführt. Ferner trägt die Sparforderung der Bundesregierung aufgrund verschiedener gesetzlicher Maßnahmen, ebenfalls im gewissen Ausmaß zur Verbesserung der Vermögensverteilung des Produktiwermögens bei. Dennoch sind bisher alle Ansätze zur "gerechteren" Verteilung des Produktiwermögens unzureichend geblieben. Die Verteilung am Produktiwermögen, wie sie Krelle 1966 festgestellt hat (1.7% der Haushalte besitzen 71 % des Produktiwermögens), hat sich bis heute eher verschlechtert als verbessert. Daß sich wesentlich mehr Unternehmen freiwillig zur betrieblichen Beteiligung durchringen, ist aber kaum zu erwarten. Die staatlichen Anreize könnten zwar verbessert werden, würden jedoch den großen Durchbruch für eine Beteiligung auf breiter Front nicht erbringen. Eine deutliche Verbesserung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiwermögen wird es nur geben, wenn die Tarifvertragsparteien die Vermögensbildung der Arbeitnehmer in den Tarifverträgen vereinbaren. Aversionen gegen eine derartige Politik der Ertrags- und/oder Vermögensbeteiligung durch Tarifvertrag in Form des Investivlohnes oder einer überbetrieblichen Beteiligung gibt es bei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Einige Gewerkschaften, wie die IG Bau haben sehr früh die Vermögensbildung für ihre Arbeitnehmer durch Tarifpolitik vorangebracht. Andere Gewerkschaften, wie die IG Metall, waren und sind reserviert, weil sie befürchtet haben, daß zum Beispiel durch den Besitz von Vermögensanteilen in Form von Beteiligungen verschiedener Art aus den Arbeitnehmern kleine Kapitalisten werden. Sie vermuten, dadurch könnte die Streikbereitschaft der Beschäftigten spürbar zurückgehen und die Solidarität abnehmen. Das würde letztlich die Existenz der Gewerkschaften selbst gefährden. Die Arbeitgeberverbände sind das Sprachrohr ihrer Mitgliedsunternehmen, und diese haben im allgemeinen Sorge, daß durch Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenskapital ihr Einfluß vermindert wird und sie nicht mehr "Herr im Hause" sind. Mitbeteiligung am Produktiwermögen und Mitbestimmung der Arbeitnehmer sind für diese Unternehmer häufig eine raffinierte Methode eines indirekten Weges in den Sozialismus. Doch auch diese Denkungsart ist in der Wirtschaft weniger geworden. Die Erfolge jener Unternehmen am Markt, die Gruppenarbeit betreiben, die Verantwortung auf die Arbeitnehmer verlagern und dies durch Beteiligung am Ertrag honorieren, wer-
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den immer deutlicher. Es wird immer stärker erkannt, daß der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital der Vergangenheit angehört, und daß im Zuge der weltwirtschaftlichen Entwicklung nur jene Unternehmen Erfolg haben werden, in denen sich alle Beteiligten - Arbeitnehmer und Unternehmer - für den Erfolg des Unternehmens engagieren. Schaubild Nr. 16 Beteiligungen der Arbeitnehmer am Produktiwermögen Zahl der Beteiligungs/KursBeteiligungsformen Unternehmen wert in Mio DM
Zahl der Beteiligungs/KursUnternehmen wert in Mio DM
1986 Stille Beteiligung Genuß-Kapital Mitarbeiterdarlehn Belegschaftsaktien GmbH-Beteiligungen Genossenschaftsanteile Gesamt
555 80 367 300 80 120
1996 280 226 550 6500 10 15 7581
1000 200 500 350 150 300
700 400 800 13000 50 45 14995
Quelle: Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft (AGP)
Wie die Tabelle zeigt, gibt es von insgesamt etwa 34 Millionen Beschäftigten etwa 2 Millionen, die an ihrem Unternehmen, indem sie arbeiten, beteiligt sind. Will man diese Beteiligungen weiter kräftig erhöhen, so wird dies nur möglich sein über eine forcierte Tarifpolitik von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Diese eine Tarifpolitik darf nicht nur Lohnerhöhungen zum Ziel haben, sondern auch Gewinn- bzw. Vermögensbeteiligung. Neue Regelungen im Tarifvertrag könnten vorsehen, daß ein Teil des zur Verfügung stehenden "Lohnerhöhungsspielraums" nicht als Lohnerhöhung in die Verfügungsgewalt des einzelnen gehen, sondern als Investivlohn im Eigentum des Arbeitnehmers dem Unternehmen als Betriebskapital zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise werden mehrere Wirkungen erreicht. Zum einen wird der Preiserhöhungsspielraum für Überwälzungen vermindert; denn das Geld wird angelegt und nicht sofort wieder ausgegeben. Zum anderen wird die Bindung des Arbeitnehmers an seinen Betrieb gefordert; denn er ist "stiller Gesellschafter" gewor-
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den, und er wird sich dementsprechend stärker engagieren. Wichtig ist hierbei, daß der neu beteiligte Arbeitnehmer davon ausgehen kann, daß sein angelegtes Geld in "guten Händen" ist und nicht durch Konkurs demnächst verlorengehen wird. Eine vertragliche oder gesetzliche Absicherung der angesparten Mittel im Konkursfall müßte deshalb ebenfalls vorhanden sein. Da aber nicht jedes Unternehmen die entsprechende Sicherheit geben kann, sollte es eine Möglichkeit geben, die gewissermaßen "zwangsgesparten" Mittel bei einem professionellen Anleger - einem Investmentfonds u.a.- anzulegen. Zur betrieblichen Beteiligung der Arbeitnehmer, die Prioriät haben sollte, kann die weitere Möglichkeit hinzukommen, die gesparten Mittel auch "überbetrieblich" in einem Fonds anzulegen. Beide Möglichkeiten gehören zusammen, wenn ein Durchbruch auf diesem Felde durch die Tarifvertragspolitik erreicht werden soll.
7.7 Deregulierung der Arbeitsmärkte durch Tariföffnungsklauseln Die kritischen Stimmen in der ökonomischen Wissenschaft gegenüber dem bestehenden Tarifvertragssystem haben in den letzten Jahren mit steigender Arbeitslosigkeit zugenommen. Gefordert wird u.a.: Arbeitsplätze durch Lohnzugeständnisse auf betrieblicher Ebene bei Abwägung nach dem Günstigkeitsprinzip zu erhalten; die zwingende Tarifgebundenheit nach Verbandsaustritt aufzuheben oder Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen zum Gegenstand von Betriebsvereinbarungen zu machen. Die Deregulierungskommission der Bundesregierung verlangt ferner: im Konkursfall die Möglichkeit zu eröffnen, Tarifverträge durch Betriebsvereinbarungen zu unterschreiten, Langzeitarbeitslose zu untertariflichen Arbeitsbedingungen einzustellen und u.a. die Einschränkung der staatlichen Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Die zukünftige Entwicklung auf dem organisierten Arbeitsmarkt ist unbestimmt. Keiner kann die Tatsache ignorieren, daß es heute keine geschlossene Volkswirtschaft, sondern für Industrie und Dienstleistungen einen sich schnell ausweitenden Weltmarkt gibt, auf dem liebgewonnene Institutionen und Gewohnheiten zwingend in Frage gestellt werden müssen. Manches wurde in den letzten Jahren in diesem Bereich der Tarifvertragspolitik bereits flexibler gestaltet. Daß unser Tarifvertragsgesetz (TVG) aber abgeschafft wird, und die Gewerkschaften sich auflösen werden ist völlig unwahrscheinlich. Ein Zurück zur Lohnfindung vor der Entstehung der Gewerkschaften ist auch nicht wünschenswert. Die neoklassischen Gesetze der Preisbildung lassen sich nicht auf den Menschen und seine Arbeitskraft ohne weiteres übertragen. Es ist eher davon auszugehen, daß sich Arbeitnehmerorganisationen, vergleichbar unseren Gewerkschaften, in allen weltweit entstehenden industriellen Ballungsgebieten entwickeln und dort die individuelle durch kollektive Lohnfindung ersetzen. Davon unabhängig wird es einzelnen hochspezialisierten Experten
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mit besonderen Kenntnissen und hervorragenden Leistungen gelingen, einen eigenen "Weltmarktwert" zu erringen. Aber diese Experten haben nie Gewerkschaften benötigt, und das wird in Zukunft so bleiben. Für die weiterhin anfallende Massenproduktion mit erheblichem Beschäftigungspotential werden Gewerkschaften und kollektive Lohnfindung unabdingbar sein. Doch welche Aufgaben stehen in der Bundesrepublik für die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in überschaubarer Zukunft an? Jeder weiß, daß Überstundenarbeiten in vielen Betrieben unumgänglich sind, aber geleistete Überstunden könnten mit Hilfe von Jahres- oder Lebensarbeitszeitkonten durch Freizeit wieder abgegolten werden. Damit verbunden ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit und d.h. eine Entkoppelung der Betriebsnutzungsszeiten von den individuellen Arbeitszeiten. Dies ist ein nicht unwichtiges Instrument, um den Kostendruck in deutschen Unternehmen zu vermindern. Zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Berufsanfänger und Arbeitslose sind von Arbeitgeberverbänden niedrigere Einsteigtarife gefordert und von wenigen Gewerkschaften akzeptiert worden. "Produktivitätsschwache" Arbeitnehmer könnten auf diese Weise einen möglichen Wettbewerbsnachteil kompensieren. Erwähnt werden sollen ferner die sog. "Notfalltarife" für Krisenunternehmen, mit denen Unternehmen gerettet werden könnten. Im bevorstehenden Konkursfall haben Kapitaleigner, Management und Arbeitnehmer durch Vermögens- oder Einkommensverzicht dazu beigetragen, den Konkurs abzuwenden. Der Sinn ist es, das Unternehmen und den eigenen Arbeitsplatz auf Dauer zu retten. Aus der Not heraus sind selbst die Arbeitnehmer bereit, zu niedrigeren Tarifen für eine bestimmte Zeit weiterzuarbeiten. Manchmal stehen bei derartige Lösungen allerdings die Tarifverträge im Wege, und im Falle weiterer Gläubiger ist es nicht selten angebracht, das Unternehmen zuerst einmal in den Konkurs gehen zu lassen, um sich von bestimmten Schulden zu befreien. Um dies zu vermeiden, benötigen wir in den Trifverträgen bestimmte "Öffnungsklauseln", die es den Betriebsräten unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, Lohnverhandlungen für die Belegschaft eines Unternehmens zu fuhren. Zum Regelfall sollte so etwas nicht gemacht werden. Ein Beispiel: Ende der 80iger Jahre stand ein Unternehmen im Duisburger Raum mit 250 Beschäftigten vor dem Konkurs. Die zuständige Gewerkschaft wollte nicht akzeptieren, daß die Arbeitnehmer bereit waren, für längere Zeit unter Tariflohn zu arbeiten. Daraufhin haben alle Beschäftigten einen persönlichen Kredit aufgenommen und dem Unternehmen das Geld für mehrere Jahre zinslos zur Verfügung gestellt. Die Beschäftigten waren nun indirekt an ihrem Unternehmen beteiligt. Die Firma war gerettet worden. Sollte es für derartige Fälle in Zukunft Tariföffnungsklauseln geben, so ist eine Rettung des Unternehmens auf diese Weise einfacher zu erreichen, als über den geschilderten Weg. In diesen Fällen bei bevorstehendem Zusammenbruch eines Unternehmens und dem Verlust aller Arbeitsplätze muß eben die Unabdingbarkeit der Tarifverträge in
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Frage gestellt werden. Dies muß nicht zwingend durch eine Änderung des Tarifvertragsgesetztes oder des Betriebsverfassungsgesetzes erreicht werden. Es reichen Vereinbarungen in den Tarifverträgen - sog. TarifÖffnungsklauseln - um den Betriebsräten die Möglichkeiten abweichender Regelungen von Tarifvertrag unter bestimmten Bedingungen zu ermöglichen. Auf diese Weise würde der Einwand einiger Gewerkschaft aufgehoben, daß Tariföffnungsklauseln einen Verstoß gegen den im Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützten Kernbereich der Tarifautonomie darstellen können. Eine neue Kompetenzabgrenzung zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, möglichst durch Tarifvertrag und nicht durch den Gesetzgeber, ist sinnvoll. Die völlige Verlagerung der Lohnfindungskompetenz auf die betriebliche Ebene scheint dagegen keine akzeptable Lösung zu sein. Darunter würden vor allem kleine und mittlere Unternehmen zu leiden haben. Die regionalen, branchenbezogenen Flächentarifverträge sind gerade in ihrem Interesse keinesfalls völlig abzuschaffen. Aber notwendig wären sicherlich mehr Öffnungsmöglichkeiten in den Tarifverträgen für Ausnahmeregelimgen unter bestimmten Bedingungen und für zusätzliche, individuelle Bestimmungen in den Betriebsvereinbarungen. In diesen Fragen liegen übrigens die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nicht weit auseinander, wie eine Befragung des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel gezeigt hat. Lösungen zur Einfuhrung von mehr Flexibilität in den Tarifverträgen und d.h. mehr Kompetenz für die Betriebsräte sind möglich und sie sollten schnell verwirklicht werden.
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8. Ökologieorientierte Strukturpolitik
Gliederung: 8 . 1 . 8.2. 8.3 8.3.1 8.3.2 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4. 8.5. 8.5.1 8.5.2
Einleitende Erläuterungen Grundsätze einer ökologieorientierten Strukturpolitik Regionale Strukturpolitik Abgrenzung der Fördergebiete und -instrumente Überprüfung der geförderten Maßnahmen Sektorale Strukturpolitik Energiewirtschaft Verkehrssektor Landwirtschaft Chemische Industrie Unternehmensgrößenbezogene Strukturpolitik Existenzgründungshilfen ökologieorientierte Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen
8.1 Einleitende Erläuterungen Die notwendige Ökologisierung unserer Wirtschaft und des Wirtschaftsgeschehens ist nur in geringem Umfang durch die bisher diskutierten Politikbereiche zu erreichen. Die Stabilitäts-und Tarifvertragspolitik mit ihren unterschiedlichen Trägern und besonderen Aufgaben sind kaum in der Lage, den ökologischen Umbau der Wirtschaft entscheidend voranzubringen und die langfristige Wiedergewinnimg einer nachhaltigen Produktionsweise herzustellen. Sie sollten aber in Zukunft verstärkt dazubeitragen. Die ebenfalls ökonomisch wichtige Geld- und Wettbewerbspolitik wurde nicht behandelt, weil ihr Beitrag zur ökologisierung noch unbedeutender ist. Für die wichtigsten Maßnahmen zur ökologischen Ausrichtung der Wirtschaft benötigen wir andere Politikbereiche, wie z.B. die Strukturpolitik, die Forschungs- und Innovationspolitik und die internationale Wirtschaftspolitik. Diese 3 Politikbereiche sollen im folgenden ausfuhrlicher behandelt werden. In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern die praktizierte Strukturpolitik einen Beitrag zur ökologischen Neuausrichtung unserer Wirtschaftsordnung und -entwicklung leisten kann. Die Strukturpolitik befaßt sich mit einzelnen Teilen der Gesamtwirtschaft. Hier geht es nicht um Makroökonomie und nicht um die Probleme einzelner Unternehmen (MikroÖkonomie), hier geht es vielmehr um eine Gestaltungsebene dazwischen, die sog. Mesoökonomie. Dieser Politikansatz wird zwar bei einigen Ökonomen völlig abgelehnt; er findet aber immer mehr Unterstützung. Das hat mit den neuen Problemen zu tun, die sich aus der notwendigen ökologischen Be-
8. Ökologieorientierte
Strukturpolitik
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trachtung und der weltwirtschaftlichen Herausforderung ergeben. Die Gesamtwirtschaft läßt sich ohne Schwierigkeiten nach Regionen und Wirtschaftszweigen untergliedern und diese Unterteilung wird an wirtschftspolitischer Bedeutung gewinnen. Die Politik, die auf die Entwicklung der Regionen abzielt, wird als regionale Strukturpolitik, und die Politik zur Beeinflussung von Wirtschaftszweigen als sektorale Strukturpolitik bezeichnet. Problematischer ist die Unterteilung der Politik auf große, kleine und mittlere Unternehmen - unternehmensgrößenbezogene Strukturpolitik -. Während die Wirtschaftszweige sehr unterschiedlich von den neuen ökologischen Zwängen betroffen werden, sind die Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Veränderungen gerade bei Großunternehmen und kleinen und mittleren Unternehmen unterschiedlich. Die verschiedenen Regionen in der Bundesrepublik werden dann wieder von den vorhandenen Wirtschaftszweigen und Unternehmensgrößen unterschiedlich geprägt. Unter zukunftsorientierter Strukturpolitk wird im allgemeinen die staatliche Politk verstanden, die nicht auf den "Erhalt" oder die "Anpassung" von vorhandenen Strukturen ausgerichtet ist, sondern auf die "Förderung" zukünftiger Entwicklungen. Beispiele hierfür sind die Förderung der Kernenergie oder heute der zivilen Luft- und Raumfahrt. Diese Entwicklungen wären ohne staatliche Hilfen von privaten Unternehmen wegen des erheblichen Risikos und Kapitalbedarfs nicht in Angriff genommen worden. Diese zukunftorientierte Strukturpolitik soll ausfuhrlicher im folgenden Abschnitt unter der Forschungs- und Innovationspolitik abgehandelt werden.
Ökologieorientierte Strukturpolitik
Regionale Strukturpolitik - Fördergebiete - Maßnahmen
Unternehmensgrößenbezogene Strukturpolitik • Existenzgründungen • Ökologische Hilfen
Sektorale Strukturpolitik - Energiewirtschaft - Chem. Industrie - Agrarwirtschaft - Verkehrssektor Zukunftsgbezogene Strukturpolitik - Forschung und Technologie - Qualifizierung - Innovationspolitik
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
8.2 Grundsätze einer ökologieorientierten Strukturpolitik Verpönt ist die Strukturpolitik bei einigen Ökonomen, weil die Erfahrung immer wieder gezeigt hat, daß die praktizierte Strukturpolitk "entarten" kann. Kurzfristige finanzielle Hilfen an Unternehmen und Wirtschaftszweigen wurden zu Dauereinrichtungen; als "Förderung" oder "Anpassung" deklarierte Maßnahmen wurden zur Erhaltungsmaßnahme! Unterschieden wird deshalb auch zwischen "marktkonformer" und "dirigistischer" Strukturpolitik. Die marktkonforme Strukturpolitik versucht, möglichst schnell die Marktkräfte zum Tragen zu bringen, während die dirigistische Strukturpolitik gegen die Markttendenzen interveniert. Daß in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur eine marktkonforme Strukturpolitik akzeptiert werden kann, leuchtet unmittelbar ein. Schwieriger ist die Unterscheidung in der zukunftsorientierten Strukturpolitik zwischen einer "marktnaher" und "marktferner" Förderung durch den Staat. Hierüber gab es viele Jahre Streit zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister für Forschung und Technologie. Während der zuerst Genannte nur marktfern fördern wollte, plädierte der "zukunftsorientierte Forschungsminister" für "marktnahe" Förderung. Die Erklärung ist einfach: der Wirtschaftsminister wollte nicht in die bestehenden Wettbewerbsverhältnisse am Markt eingreifen, während der Forschungsminister auf konkrete Markterfolge aus war und nur etwas fördern wollte, was demnächst in marktgängige Produkte umgesetzt werden kann. Die Devise lautete: Unterstützung der Forschung - ja; Unterstützung der Forschungsergebnisse - nein! Aber diese herkömmliche Abgrenzung zwischen Forschung und Innovation muß schnellstens über Bord geworfen werden. Der Innovationsprozeß endet nicht bei Forschung und Entwicklung, sondern reicht bis zur Markterschließung und -durchdringung. Das Ergebnis dieser überflüsssigen Auseinandersetzung war: die marktferne Förderung kam weitgehend Großunternehmen zugute und war selten marktkonform, während die marktnahe Förderung für kleine und mittlere Unternehmen abgeblockt wurde. Ähnlich kurios waren die Ergebnisse aufgrund des langanhaltenden Streites zwischen Regierung und Industrie über die Frage, ob die staatliche Förderung "direkt" oder "indirekt" gewährt werden soll. Bei der direkten Förderung sind es im allgemeinen konkrete Projekte, und bei der indirekten Förderung geht es um Absetzungsmöglichkeiten von Forschungsausgaben von der Steuer. Auch hier gilt, daß die Absetzungsmöglichkeiten im allgemeinen bei Großunternehmen wesentlich größere Entlastungseffekte zur Folge haben als bei kleinen und mittleren Unternehmen. Wenn die kleinen spürbare finanzielle Hilfen bekommen sollen, müssen es häufig direkte Hilfen sein. Der Streit um Subventionen (Finanzhilfen und Steuervergünstigungen) ist in der Wirtschaft ein Dauerthema. Wer das verfolgt, kann sehr wohl zu dem Ergebnis kommen, daß es am besten wäre, wenn der Staat sich völlig aus der Strukturgestaltung heraushält. Nur das geht leider
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nicht, das wäre wirklichkeitsfremd. Vor allem deshalb, weil der Staat und andere Träger durch Stabilitäts- und Wachstumspolitik, durch Geld- und Währungspolitik und auch durch die Tarifvertragspolitik in die Strukturen eingreifen und sie verändern. Deshalb muß es darum gehen, die Strukturpolitik so rational und marktkonform zu gestalten, wie es nur irgend geht. Marktwirtschaftliche Strukturpolitik muß auf die Förderung des Strukturwandels abzielen und hat in erster Linie die Mobilität aller Produktionsfaktoren - Arbeit, Kapital, Umwelt und Wissen - zu steigern oder zumindest Hindernisse für die Mobilität abzubauen. Die finanziellen Hilfen sind grundsätzlich so zu gestalten, daß ein funktionsfähiger Wettbewerb gefördert und nicht vermindert wird. Bei unumgänglichen Engriffen in den Wettbewerb haben die Maßnahmen Priorität, die den Wettbewerb am wenigsten einschränken. Insofern sind unter bestimmten Bedingungen durchaus Umweltkartelle für eine begrenzte Zeit akzeptabel. Wir sind aber davon überzeugt, daß grundsätzlich Umweltpolitik bei funktionsfähigem Wettbewerb am ehesten zu verwirklichen und am sachgerechtesten zu betreiben ist. Umweltpolitik und Wettbewerb sind keine Alternativen, sondern ergänzen sich. Nur bei funktionsfähigem Wettbewerb ist der Staat ausreichend durchsetzungsfahig, um das gesamtgesellschaftliche Ziel des Umweltschutzes zu verwirklichen. Bei allen Strukturhilfen muß ferner der Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe" beachtet werden. Strukturpolitische Maßnahmen in Form von Subventionen oder auch Strukturkrisenkartellen, sollten immer nur zeitlich befristet gestattet sein. Die Frist ist so kurz wie möglich zu setzen. Grundsätzlich sind Strukturhilfen an realistische Bedingungen zu knüpfen, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, der Vermeidung von Umweltschäden oder eine bessere Nutzung der Umwelt u.a.m. Schaffung von Arbeitsplätzen und Umweltschutz sind langfristig keine Gegensätze und sollten bei staatlichen Subventionszahlungen viel stärker als bisher zur Bedingung verbunden werden. Eine schwierige Frage ist dabei, wie stark Hilfen an Bedingungen geknüpft werden können, damit die Hilfen von den Unternehmen noch angenommen werden. Finanzielle Strukturhilfen sollten ferner immer degressiv gestaltet werden, so daß ein begünstigtes Unternehmen von vornherein weiß, wann die Hilfen auslaufen. Bei einer Fortsetzung der Hilfen hat das Unternehmen die Beweislast für die Notwendigkeit der Fortsetzung, nicht der Staat. Bei strukturpolitischen Hilfen für ökologische Probleme müssen marktwirtschaftliche Instrumente des Umweltschutzes, stärker als bisher, Vorrang vor Ge- und Verboten haben. Nach den Grundsätzen der sektoralen Strukturpolitik des Bundesministeriums für Wirtschaft aus dem Jahr 1969 ist eine "Erhaltungspolitik" von Wirtschaftszweigen in der marktwirtschaftlichen Ordnung verboten, die "Anpasssungspolitik" für eine Übergangszeit jedoch zulässig und die
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
"Förderungspolitik" zukunftsträchtiger Entwicklungen erlaubt. Bekannt ist, daß die Strukturhilfen für die Landwirtschaft und den Kohlebergbau nicht mehr als Anpassungshilfen gelten, sondern seit langem zu Erhaltungssubventionen geworden sind. Diese "Etiketten" für staatliche Hilfen sind zwar nicht falsch, aber auf Dauer wenig hilfreich, weil sich die Inhalte der Politik verändert haben. Besonders wichtig für eine marktwirtschaftliche, ökologieorientierte Strukturpolitik sind folgende Grundsatz: - Strukturpolitische Maßnahmen des Staates sind viel stärker als bisher an ökologische Bedingungen zur Förderung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu binden. - Strukturpolitische Maßnahmen müssen den Wettbewerb fördern, und d..h. kleine und mittlere Unternehmen haben bei der Förderung Vorrang vor Großunternehmen. 8.3 Regionale Strukturpolitik Die regionale Strukturpolitik ist wissenschaftlich am weitesten erforscht und fugt sich am besten in die marktwirtchaftliche Ordnung ein. Regionale Unterschiede in der Wirtschaftskraft hat es immer gegeben und wird es immer geben. Nach unserem Grundgesetz ist die Bundesregierung verpflichtet, für eine Angleichung der Lebensverhältnisse in alle Regionen zu sorgen. Aktuell gilt das besonders für die neuen Bundesländer. Zu Beginn der wirtschaftliochen Entwicklung in der Bundesrepublik waren das Ruhrgebiet und der Raum um Hamburg expansive Ballungsräume mit relativ hohem Pro-Kopf-Einkommen. Seit längerem haben jetzt der Raum München oder Stuttgart eine höhere Entwicklungsdyynamik. In diesen Regionen sind die moderne, zukunftsorientierten Wirtschaftszweige beheimatet. In den Münchner Raum sind im übrigen über Jahre hinweg viele Gelder aus dem Forschungs- und Verteidigungsministerium geflossen. Welche Region die Region der Zukunft ist, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit prognostizieren. Auf alle Fälle wird es weiteren Wandel geben und Wachstumsräume von heute können durchaus zu Entwicklungsgebieten von morgen werden. Regionale Entwicklungen werden von Menschen gemacht. Die bisherige Regionalpolitik zielte weitgehend darauf ab, neue Dynamik in die Förderregionen durch den Abzug wirtschaftlicher Aktivitäten aus Ballungsräumen zu erreichen. Dagegen entwickelt sich in einer "reifen" Volkswirtschaft mit niedrigen Wachstumsraten immer mehr Widerstand. Umdenken und neues Handeln ist deshalb angesagt. In Zukunft kommt es vor allem darauf an, die Wachstumskräfte der eigenen Region ausfindig zu machen und zu entwickeln. Dabei kann es keine kurzfristigen Erfolge geben. Die am Ort vorhandenen größeren Unternehmen lassen sich nicht gerne in ihre "Karten" blicken und lassen techni-
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sehe Neuerungen schon mal in ihren Schiebladen liegen. Kleine und mittlere Unternehmen, sowie Neugründungen leiden häufig daran, daß sie die Marktchancen einer neuen Innovation nicht richtig beurteilen oder zu optimistich einschätzen. Eine wichtige Grundlahe für die langfristige Entwicklung ist aber Bildung, Ausbildung und Weiterbildung und die Beachtung des Umweltschutzes. Hier soll nicht auf alle Probleme der Regionalpolitik eingegangen werden, nur die Abgrenzung der Fördergebiete und die fördernden Maßnahmen werden etwas ausfuhrlicher diskutiert. 8.3.1 Abgrenzung der Fördergebiete und -instrumente Welche Regionen in Deutschland Fördergebiet werden, wird im Rahmenplan zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur festgelegt. Dieser Rahmenplan mit einer Laufzeit von 5 Jahren wird weigehend von Bund und Ländern im sog. Planungsausschuß ausgearbeitet. Bei der Festlegung dieser Fördergebiete müssen sich jedoch nicht nur Bund und Länder einigen; auch die EU-Kommission spricht ein gewichtiges Wort mit. Zuletzt wurde mit der EU-Kommission ausgehandelt, daß nicht mehr als 1/3 der Bevölkerung der Bundesrepublik in Fördergebieten leben dürfen. Dieser Bevölkerungsanteil wird erheblich reduziert werden müssen, wenn andere mitteleuropäische Staaten der EU beitreten sollen. Die EU-Kommission hat darüber zu wachen, daß die Förderung in der Europäischen Union in etwa nach einheitlichen Prinzipien erfolgt. Das Fördergebiet der Europäischen Union ist deshalb in sog. Ziel - 1 bis Ziel - 5 - Gebiete aufgeteilt, wobei auch hier eine Verringerung der Regionen im Gespräch ist.. Die deutschen Fördergebiete werden nach weitgehend objektiven Kriterien ausgewählt. Der gültige Index setzt sich z.Z. aus folgenden Elementen zusammen: 1. Arbeitslosigkeit, bestimmt durch die regionale Arbeitslosenquote und die zu erwartende Arbeitslosigkeit = 45% des Gesamtindex 2. Einkommenslage, errechnet durch die regionale Wertschöpfung und die Lohnsumme pro Kopf der Bevölkerung = 45% des Gesamtindex 3. Infrastrukturausstattung einer Region = 10% des Gesamtindex. Bei der Festlegung dieses Maßstabes für die Abgrenzung der Regionen in Deutschland wird regelmäßig kräftig politisch gepokert. Die Festlegung der Abgrenzungsindikatoren und die Auswahl des Abgrenzungsmodells sind eine politische Entscheidung und können wissenschaftlich nicht begründet werden. Nach dem jetzt gültigen Index ist noch das gesamte Gebiet der neuen Bundesländer Fördergebiet, obgleich die Förderung in Zukunft auch innerhalb Ostdeutschlands nach Wirtschaftskraft differenziert werden soll. Wenn die Arbeitslosigkeit noch stärker gewichtet werden würde, als es jetzt der Fall ist, würden noch einige Regionen in Nordrhein-Westfalen zusätzlich in die Förderung aufgenommen werden
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müssen. Dadurch, daß die Infrastrukturausstattung ebenfalls mit in den Index eingeht, sind wiederum in Bayern Regionen in die Förderung hineingekommen. Es ist schon eigenartig, wenn die Politiker alle Register ziehen, um noch ein Gebiet zum Fördergebiet zu machen. Dabei sollte man sich, bei Konstanz des Index, eigentlich freuen, wenn eine Region einmal aus der Förderung herausfallt, Dies deutet im allgemeinen auf eine verbesserte wirtschaftliche Situation hin. Grundsätzlich wird es jedoch von der Politik als Erfolg verkauft, wenn eine oder möglichst viele Regionen zu Fördergebieten werden; denn dann können Kommunen und Unternehmen für bestimmte Aufgaben besondere Fördermittel bekommen. In den ausgewiesenen Fördergebieten werden wiederum Schwerpunktorte und übergeordnete Schwerpunktorte festgelegt, in denen es eine Förderung von arbeitsplatzschaffenden Investitionen mit unterschiedlichen Sätzen bis zu 25 % gibt. In den neuen Bundesländern ist sogar eine Förderung bis zu 50 % möglich, wenn es sich um Neuansiedlungen von kleinen und mittleren Unternehmen handelt, die "strukturwirksam" sind und im "internationalen Standortwettbewerb" stehen. Neben den Investitionszulagen (prozentualer Betrag in Relation zur Investitionssumme) gibt es Investitionszuschüsse, die von der Steuer abgesetzt werden, Abschreibungsmöglichkeiten und verbilligte Kredite im allgemeinen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Bis heute ist die Gewährung finanzieller Hilfen im Rahmen der regionalen Strukturpolitik an die Durchfuhrung von Investitionen, also den Einsatz von Kapital und die Schaffung oder den Erhalt von Arbeitsplätzen gebunden. Der Umweltschutz müßtte noch wesentlich stärker bei der finanziellen Förderung beachtet werden, als dies bisher der Fall ist.
8.3.2 Überprüfung der geförderten Maßnahmen Wichtig für die Gewährung einer regionalen Investitionshilfe ist der sog. "Primäreffekt". Dahinter steckt die Überlegung, daß durch die Förderung die Einkommenssituation der Region verbessert werden soll. Deshalb werden nur Investitionen gefördert, die von übergeordneter Bedeutung sind, mit denen anschließend Waren oder Dienstleistungen "produziert" werden, die überregional absetzbar sind, und die auf diese Weise Einkommen von "draußen" in die Region hereinholen. Mitte der 90iger Jahre wurden nach langem Drängen auch Investitionen im Handwerk in die Förderung aufgenommen, obgleich hier der beschriebene Primäreffekt keinesfalls immer mit Sicherheit festzustellen ist. In diesem Zusammenhang soll noch einmal darauf hingewiesen werden, daß sich alles um die Förderung von Investitionen, also des Faktors Kapital dreht. Ob dies auf Dauer die Probleme einer Region überhaupt lösen kann, scheint zumindest sehr fraglich zu sein. Andere "Produktionsfaktoren", wie Bildung, Wissen und Umwelt kommen dabei zu kurz und sind langfristig möglicherweise von größerer Bedeutung.
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Bei längerfristiger Betrachtung ist ferner festzustellen, daß die Regionalhilfe, die seit 1969 in der Bundesrepublik aufgrund des Gesetzes zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur praktiziert wird, nur geringfügig dazu beigetragen hat, das Wachstum in Wachtumsregionen zu dämpfen und das Wachstum in zurückgebliebenen Regionen zu steigern. Selbstverständlich gibt es Beispiele, die diese Behauptung widerlegen. Ohne die regionale Struktrupolitik wären die Unterschiede in der Bundesrepublik zwischen Rückstands- und Wachstumsregionen noch größer ausgefallen. Dennoch waren zum Beispiel Ostfriesland, Ostbayern oder die Eifelregion am Anfang Fördergebiet, und sie sind es auch heute noch. Andererseits wurde das Wachstum in den Wachtumsregionen Hamburg, Köln-Bonn oder Stuttgart und München, die nie Fördergebiete waren, kaum beschränkt. Es kommt hinzu, daß wir jetzt Mitte der 90iger Jahre in einer "reifen" Volkswirtschaft leben, in der die Zuwachsraten des Bruttoinlandsproduktes wesentlich niedriger ausfallen müssen. Wenn dieser "Kuchen" in Zukunft noch um 2-3 % wachsen sollte, haben wir mehr, als zu hoffen war, erreicht. Es ist an der Zeit, verstärkt darüber nachzudenken, ob die Regionalförderung nicht grundlegend umgestaltet werden muß. Der einseitige Ansatz der Kapitalförderung mag zu Beginn richtig gewesen sein, aber er hat sich auf Dauer nicht bewährt. Seit längerem und vor allem heute kann diese Politik nicht mehr davon ausgehen, daß es gelingt, größere Wachstumspotentiale in die Förderregionen umzulenken. Der "Engpaßfaktor", der das Wachstum limitiert, ist nicht mehr das Kapital, sondern eher die hochqualifizierte Arbeitskraft, verbunden mit dem dynamischen, risikobereiten Unternehmer. Hier gilt es anzusetzen durch gezielte Förderung des Faktors "Humankapital". Diese Förderung muß nicht irgendwo, sondern in der betroffenen Region selbst vonstatten gehen. Dabei muß dann auch der für die Zukunft wichtige Faktor "Umwelt" von vornherein mit in die unternehmerischen Überlegungen eingebaut werden. Die Verantwortung für die Umwelt kann in Zunkunft nicht mehr irgendwo bei Dritten "abgegegeben" werden, sondern der "Verunreiniger", der Schädiger selbst ist und bleibt primär verantwortlich. In der Wettbewerbswirtschaft ist es zwar verständlich, daß jeder versucht, seine Kosten zu reduzieren, wo immer es geht. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Verantwortung des Schädigers, und wo sie mißachtet wird, ist der Staat oder sind übergeordnete Organisationen gefordert. Diese Verantwortung für die Umwelt ist stets zu beachten, und vor jeder Förderung, sei es von Human- oder Geldkapital, muß daraufgedrängt werden.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
8.4 Sektorale Strukturpolitik Sektorale Strukturpolitik hat in einer reinen, marktwirtschaftlichen Ordnung nichts zu suchen, und dennoch wird sie immer wieder praktiziert. Der sektorale Strukturwandel gehört jedenfalls zur real-existierenden Marktwirtschaft, weil es sowohl endogene als auch exogene Faktoren gibt, die den sektoralen Wandel in jeder Volkswirtschaft erzwingen. Wer versucht, sich gegen diesen Wandel zu wehren, produziert im allgemeinen volkswirtschaftlichen Rückschritt. So weiß heute keiner genau, was uns die Entwicklung der neuen Medien und der Informationstechnologie mit ihren unüberschaubaren Möglichkeiten wirklich bringen wird. Dennoch gibt es für unsere Gesellschaft kein Zurück oder eine Alternative; es gibt nur ein Voraus, wenn wir in der weltwirtschaftlichen Entwicklung in Zukunft mithalten wollen. Als endogene Faktoren werden Ursachen des Strukturwandels bezeichnet, die in der Wirtschaft selbst entstehen. Dazu gehört der nachfragebedingte Strukturwandel, z.B. wegen höherer Einkommen, Geschmacksund Modeänderungen oder technologischer Neuerungen, auch Innovationen genannt. Eine derartige Innovation ist die Einfuhrung der Informationsgesellschaft, die unser Leben und Arbeiten revolutionär verändert. Als exogene Faktoren des Strukturwandels können naturbedingte Veränderungen wirken, wie z.B. das Versiegen der Erdölquellen, oder umweltpolitische Notwendigkeiten, wie die notwendige Limitierung der C 0 2 - Emissionen pro Kopf der Bevölkerung. Der Strukturwandel, der durch die erforderliche ökologisierung der Wirtschaft eingeleitet werden muß, steckt erst in den Kinderschuhen. Aber auch gesetzliche Regulierungen oder Deregulierungen können strukturverändernd wirken. Erinnert sei nur an die Effekte im Handel aufgrund der Einfuhrung oder Abschaffung des Ladenschlußgesetzes. Marktwirtschaft und sektoraler Wandel gehören zusammen, aber auch der regionale Wandel ist im allgemeinen eine Folge des sektoralen Strukturwandels. In Regionen mit modernen, fortschrittlichen Wirtschaftszweigen lassen sich Wachstum und Entwicklung verzeichnen, und Regionen mit Landwirtschaft, Textilindustrie, Kohle, Eisen und Stahl fallen zurück, weil die Produkte nicht mehr in dem Maße nachgefragt werden. Aber warum dann eigentlich sektorale Strukturpolitik, warum überläßt man den Wandel nicht den genannten endogenen Marktkräften? Es leuchtet unmittelbar ein, daß die exogenen Kräfte des Strukturwandels politische Aktivitäten hervorrufen. Wenn das Erdöl versiegt, benötigen wir andere Energiequellen, für die ein Staat mindestens mitverantwortlich ist. Wirtschaft und Staat sind seit jeher eng miteinander verwoben. Die Idealvorstellungen der Klassiker und Ordoliberalen, daß der Staat sich völlig aus der Wirtschaft herauszuhalten hat, sind halt Ideale und werden niemals Realität. Aber Grundsätze formulieren und beachten, wie sie oben angedeutet wurden, das ist möglich und darum geht es in der konkreten Politik.
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Die Vorsorge für die Umwelt wird man in einer dezentralen Wirtschaftsordnung ebenfalls nicht den einzelnen Wirtschaftssubjekten überlassen können. Wo das hinfuhren würde ist bekannt; jeder versucht seine Kosten zu minimieren, indem er die ökologischen Lasten auf Dritte oder die Umwelt abwälzt. Bei der Aufgabe, diese externen Kosten zu "internalisieren", d.h. in die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung zu integrieren, muß der Staat für alle miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen die entsprechenden Rahmenbestimmungen vorgeben, wie sie bereits diskutiert worden sind.. Bei den endogenen Ursachen des Strukturwandels läßt sich am ehesten noch bei den "bahnbrechenden Neuerungen - wie Schumpeter sie nannte - Handlungsbedarf des Staates ausmachen, wenigstens dann, wenn sie so revolutionär sind wie die Einführung der Eisenbahnen, des Rundfunks und Fernsehens, der Einfuhrung der Kernenergie oder jetzt der Telekommunikation. Ohne Rahmengesetzgebung, ohne gegenseitige Unterstützung zwischen Wirtschaft und Staat wären diese Neuerungen kaum verwirklicht worden. Nicht selten hatte auch der Staat aus Machterhaltungsgründen ein elementares Interesse an der Durchsetzung der neuen Erfindungen. Heute, in der sich rasch wandelnden Weltwirtschaft, ist dieses Interesse besonders ausgeprägt. Nur die Volkswirtschaft, die in der Lage ist, ständig neue Innovationen möglichst schnell zu verwirklichen, wird im weltweiten Wirtschaftswettlauf nicht in die Bedeutungslosigkeit fallen. Im folgenden werden einige Wirtschaftszweige betrachtet, in denen aufgrund exogener Faktoren dringender Handlungsbedarf für eine ökologieorientierte, sektorale Strukturpolitik durch den Staat besteht.
8.4.1 Energiewirtschaft Wenn wir in Zukunft die Umwelt schützen und die Natur nicht stärker nutzen wollen, als sie selbst in der Lage ist, mit Verunreinigungen fertig zu werden (Nachhaltigkeit), dann gilt es in einigen, wenigen Wirtschaftsszweigen mit besonderen Umweltproblemen grundlegend umzusteuern. Zu diesen Wirtschaftszweigen gehört vor allem die Energiewirtschaft, primär die Elektrizitätserzeugung. Diese erfolgt weitgehend durch Verbrennung von fossilen Energieträgern. Im Jahre 1970 hatten wir in der Bundesrepublik einen Primärenergieverbrauch nahezu ohne Kernenergie von 350 Mio Tonnen SKE; für das Jahr 2000 ergibt sich nach dem Energieprogramm der Bundesregierung ein Primärenergieverbrauch von Braun-, Steinkohle, Mineralöl und Erdgas von 400 Mio Tonnen, von Wasserkraft in Höhe von etwa 50 Mio Tonnen und von Kernkraft in Höhe von 150 Mio. Tonnen SKE. Dies ist fast eine Verdoppelung des Primärenergieverbrauchs und immer noch eine Steigerung des Verbrauchs an fossilen Energieträgern um über 10 Prozent. Weltweit soll im vorindustriellen Zeitalter der C 0 2 Gehalt der Luft etwa 280 ppm (Teile pro Millionen Teile Luft) betragen haben.
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Im Jahre der ersten UN - Umweltkonferenz 1972 waren es 327 ppm, 1992 beim sog. Erdgipfel in Rio de Janeiro 356 ppm und 1997 bereits 364 ppm. Die Bundesregierung hat zugesagt ihre Emissionen an CO-2 bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent und die EU insgesamt will die CO-2 Emissionen bis zum Jahre 2010 um nur 15 Prozent vermindern. ökologisch betrachtet, sind zunächst einmal diese genannten fossilen Energiequellen nur zeitlich begrenzt verfugbar. Am besten bekannt sind die explorierbaren Kohlevorräte, die auf 200 Jahre geschätzt werden. Zum anderen wird bei der Verbrennung stets CO-2 erzeugt. Die Elektrizitätserzeugung gehört zu den schadstoffintensiven, luftbelastenden Sektoren der Wirtschaft. Mit Hilfe der sog. "End-of-the-pipe-Technologie" konnte zwar der Ausstoß an S02, NOx und Staub trotz steigender Stromerzeugung spürbar verringert werden. Die Folgen dieser nachgeschalteten Maßnahmen waren eine Verschiebung der Umweltbelastung hin zu den Klärschlämmen und dem Entstehen von Gips u.a.m.. Zumindest der Gips kann bisher zu 100 % verwertet werden. Problem Nr. 1 sind jedoch die C02-Emissionen; auch hier kam es zur relativen Entkoppelung von Stromerzeugung und C02-Ausstoß, aber dennoch ist steigende Verbrennung von Energieträgern - gwissermaßen ex definitione - stets mit steigendem C02-Ausstoß verbunden. Hauptverantwortlich sind hierfür die Industrieländer, die etwa 80 % aller C02-Emissionen emittieren. Das sind im Durchschnitt pro Kopf etwa 10 t C 0 2 , während in allen Entwicklungsländern diese Zahl auf 0,41 geschätzt wird. Dieses Problem bleibt uns also erhalten und kann auch nicht durch Behauptungen der Interesssenvertreter verniedlicht werden, daß etwa die C02-Emissionen keinen oder nur äußerst geringen Einfluß auf die Erwärmung der Erdatmosphäre haben. Viele Fachleute sehen das anders. Deshalb sollen alle Industrieländer ihre Emissionen von diesem Treibhausgas bis zum Jahre 2000 auf das Niveau von 1990 veringern. So, wie es heute aussieht, wird selbst die Bundesrepublik dieses geringe, allgemeine Ziel nicht erreichen. Die Reduktion der C02-Emissionen im Jahre 1996 um stolze 13 % geht weitgehend auf die Schließung alter "Dreckschleudern" und den Neubau moderner Kraftwerke in den neuen Bundesländern zurück. Eine einmalige und alles in allem traurige Situation. Dabei gibt es - allgemein gesprochen - für alle Industrieländer, die hierfür hauptverantwortlich sind und durchaus alleine handeln können, mindestens drei Handlungsmöglichkeiten: 1. Einsparung des Energieverbrauchs, 2. Steigerung der Energieproduktivität und 3. Erschließung alternativer Energiequellen. In allen drei Bereichen kann noch wesentlich mehr getan werden als bisher. Die Einsparung und Steigerung der Energieproduktivität kann vor allem durch stringente Wärmedämmung bei alten und neuen Häusern, durch neue, energiesparende Geräte im Haushalt oder Stromerzeugung, gepaart mit Wärmeerzeugung (Kraft-Wärme-Koppelung) vorangebracht werden. Als entscheidende Alternative
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zur Verbrennung wird heute die Nutzung der Windkraft, der Sonnenenergie, der Biomasse und der Erdwärme genannt. Die Nutzung der Wasserkraft und der Windenergie ist bereits weit vorangetrieben worden. Das entscheidende Instrument, um diese Veränderungen herbeizufuhren, ist für Ökonomen eine entsprechende Preisgestaltung. Wenn es gelingen sollte, die jetzt entstehenden externen Kosten der Umweltbelastung in die Preisgestaltung des Unternehmens und damit der Verbraucher zu integrieren, wird der ökonomische Druck zur Einsparung und Steigerung der Energieproduktivität kräftig erhöht. Die alternativen Energien hätten eine wesentlich bessere Marktchance. Ernst Ulrich v. Weizsäcker fordert seit langem, daß die Preise die "Wahrheit" sagen, und verlangt deshalb eine ökologische Steuerreform mit anfangs geringen Steuersätzen, die aber über einen längeren Zeitraum stetig ansteigen sollen. Die vielen Probleme, die mit der ökologischen Steuerreform zusammenhängen, sollen hier nicht erörtert werden. Wir sind der Ansicht, daß diese umweltpolitisch dringend notwendige Maßnahme nach Möglichkeit zumindest europaweit eingeführt werden muß. Udo E. Simonis vom Wissenschaftszentrum Berlin hat einen Plan für eine weitweite Zertifikatslösung zur Regulierung der C02-Emissionen vorgelegt. Diese Idee ist ebenfalls bei Ökonomen sehr beliebt. Hierbei würden die zulässigen C02-Emissionen nach einem bestimmten Schlüssel auf Personen, Länder oder Unternehmen aufgeteilt. Wer C02 emittieren will, benötigt dafür entsprechende staatliche Genehmigungen (Zertifikate). Nur mit entsprechenden Zertifikaten ist die Emission gestattet. Wer mehr emittieren will, als ihm Zertifikate zur Verfügung stehen, muß dazukaufen. Wer seine Zertifikate nicht benötigt, kann durch Verkauf seine Einkommenssituation verbessern. Es bildet sich gewissermaßen ein Markt für C02-Emissionsgenehmigungen. Die insgesamt, weltweit ausgegebenen Zertifikate dürften - in mittlerer Sicht - nicht mehr C02-Emissionen akzeptieren, als unser Klimasystem ohne Verwerfungen langfristig absorbieren kann. Leider gibt es auch hiergegen einige gravierende Bedenken. Zunächst einmal wird gerne behauptet, daß dieser Vorschlag eine weltweite Koordination zwischen allen Ländern erfordert, was einfach nicht machbar ist. Die Zertifikatslösung gehört demnach in den Bereich der Utopie. Vor allem würde eine Aufteilung der Emissionsgenehmigungen nach Bevölkerung oder Ländern die Industrienationen mit erheblichen Kosten belasten und den Entwicklungsländern kräftige Einkommenzuwächse bescheren. Wenn jedoch die Grenze der Emission für CÖ2 ist bereits erreicht ist, so hat dieser Lösungsan satz zur Folge, daß die Entwicklungsländer zwar kurzfristig neue Einkommen durch Verkauf der Zertifikate erschließen, aber ihre C02-Emissionen langfristig nicht mehr erhöhen dürfen. Wegen der erheblichen Kosten hat wahrscheinlich kein Land ernsthaftes Interesse an einem derartigen Vorgehen. Obgleich auf diese Weise ein gewaltiger ökonomischer Druck zur Einführung alternativer Energiequellen erzeugt werden würde.
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Eine besondere Idee der Energiewirtschaft ist das sog. "Joint Implementation (JI)". Hierbei wird davon ausgegangen, daß die globale Umwelt von "vermiedenen" C02-Emissionen profitiert. Deshalb bieten westliche Energieerzeugungsunternehmen, u. a. das deutsche RWE konkrete Hilfe für Anlagen in Entwicklungsländern oder in Mittel- und Osteuropa zur C02-Reduzierung an. Dabei geht es beispielsweise um die Förderung der Photovoltaik, den Ausbau der Wasserkraft, die Kraft-Wärme-Koppelung und vor allem um die Steigerung der Wirkungsgrade oder der Erhöhung der Energieproduktivität bei vorhandenen Energieerzeugungsanlagen. In einigen Ländern wie Indonesien, Jordanien oder Zimbabwe sind oder sollen in Kürze konkrete Maßnahmen von den 7 großen Energieerzeugungsunternehmen (E 7) in Kooperation mit den örtlichen Unternehmen durchgeführt werden. Eine sicherlich lobenswerte Angelegenheit. Problematisch und strittig ist jedoch die Anrechnung dieser Maßnahmen auf eigene Emissionsverminderungsziele in den Industrieländern. Mit Recht argumentieren die industriellen EVU's, daß eine DM oder ein Euro, eingesetzt in die C02-Reduzierung in den genannten Ländern, einen wesentlich größeren Effekt hat als in den Industrieländern mit hochmodernen Energieerzeugungsanlagen. Sie wollen deshalb, daß ihnen die in den Entwicklungsländern erreichten C02Verminderungen auf die notwendigen C02-Reduzierungen in den Industrieländern angerechnet werden. Darüber streiten sich aber Wirtschaft und Politik. Es kann auch nicht sein, daß die Industrieländer sich auf diese Weise von ihren Verpflichtungen zur C02-Reduzierung "loskaufen", und sie selbst dann nichts mehr unternehmen.
8.4.2
Verkehrssektor
Der Verkehr von Gütern und Personen gehört zwingend zur dezentralen marktwirtschaftlichen Ordnung und ist wie die Energieversorgung eine Grundvoraussetzung ihrer Entwicklung. Die Mobilität der Menschen ist mittlerweile für viele zu einer neuen Lebenshaltung und ein Stück persönlicher Freiheit geworden, auf die sie kaum verzichten wollen. Die Umweltbelastungen des Verkehrs sind jedoch gewaltig, obgleich zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern wie LKW, PKW, Schiene und Binnenschiff unter ökologischer Gesichtspunkten unbedingt unterschieden werden muß. In Deutschland benötigt der Verkehr im allgemeinen etwa 25 % des gesamten Energieverbrauchs; 60 % der gesamten Stickoxydbelastungen (NOx) und etwa 70 % der Belastungen an Kohlenmonoxyd (CO) , aber nur 8 % der C02-Belastungen gehen auf das Verkehrs- Konto. Der bei weitem überwiegende Teil entfällt dabei auf den Güterkraftverkehr. Als Umweltbelastung besonderer Art muß ferner der erhebliche Landverbrauch beim Straßenbau angesehen werden. Dieses Problem karrikierte die Süddeutsche Zeitung Mitte der
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80iger Jahre mit einem Bau-Schild auf dem stand: "Hier asphaltiert die Bundesrepublik Deutschland den Rest derselben!" Ganz soweit ist es zwar noch nicht, aber die Ausweisung neuer Straßentrassen stößt auf immer härteren Widerstand der betroffenen Bürger/innen. Dabei wird vor allem der Güterverkehr in Europa noch erheblich zunehmen. Seit 1987 bemüht sich die EU-Kommission, verstärkt die Liberalisierung des EU-Verkehrsmarktes durch die Beseitigung der Kontingente und Tarife und anderer diskriminierender Vorschriften für die verladende Wirtschaft voranzutreiben. Nach seriösen Schätzungen soll dies allerdings zu einer Zunahme des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs von 250 Mio Tonnen in 1986 auf 1000 Mio Tonnen im Jahre 2000 fuhren. Wer die Liberalisierung in Europa will, muß also auch die Wegekosten harmonisieren und das Verursacherprinzip für die Umweltbelastungen zum Tragen bringen. Nur auf diese Weise werden unerträgliche zusätzliche Umweltbelastungen vermieden werden können. Die Kommission hat jedoch zunächst nur die Liberalisierung vorangebracht; in Zukunft geht es darum, für eine Internalisierung der externen Kosten zu sorgen und dem Verkehr mehr oder weniger exakt die anfallenden Wegekosten überall in der Europäischen Union anzulasten. Besonders umweltbelastend ist der zunehmende Individualverkehr, insbesondere der Güterkraftverkehr. Während die Gütertransport-Verkehrsleistung von 1966 bis 1991 von 100 Mio Tonnen auf über 280 Mio Tonnen anstieg, hat sich die Transportleistung der Schiene in Deutschland in Wellenbewegungen von 100 auf etwa 110 Mio Tonnen erhöht. Vergleichbar verhalten sich die Schadstoffemissionen zwischen Güterverkehr und Schiene; sie sind nach einer Prognos-Berechnung in kg CO-Äquivalenten pro Gütertonnenkilometer für den Güterverkehr etwa 15 mal so groß wie für die Schiene. Aber was läßt sich machen? Zunächst ist die EU gefordert; denn nach der Liberalisierung des Güterverkehrs geht es jetzt um die Harmonisierung von Steuern und Gebühren in der Union. Auch Deutschland hat mittlerweile für LKW's eine Straßenbenutzungsgebühr von 2500 DM pro Jahr eingeführt. Sie muß von deutschen Fuhrunternehmern gezahlt werden, die jedoch zugleich mit der neuen Gebühr in gleicher Höhe von der bisherigen Güterkraftverkehrssteuer entlastet wurden. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Gebühr in 1997 auf DM 5000.zu erhöhen. Wie es scheint, ein Schritt in die richtige Richtung, der jedoch geradezu nach einer Harmonisierung in der ganzen Europäischen Union verlangt. Dazu gehört als Weiterentwicklung die Möglichkeit einer Anlastung der gefahrenen Kilometer mit Hilfe der Telematik für Lastkraftwagen. Im übrigen hat das Umweltbundesamt in Berlin gefordert, die EU-Abgaswerte für LKW's den neuen Möglichkeiten anzupassen. Für LKW's sind Abgasrückführung, RuOfilter und Oxydationskatalysatoren serienreif und müssen mit Zusatzkosten von bis zu 8000 DM für alle Fahrzeuge in Europa dringend vorgeschrieben werden. Alle diese und vergleichbare Maßnahmen bewirken eine Anlastung der Wegekosten
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beim Güterkraftverkehr und verringern die Wettbewerbsvorteile gegenüber Binnenschiff und Schiene. Der PKW-besitzer sieht im allgemeinen immer nur die laufenden Kosten. Um sein Umwelt- und Kostenbewußtsein zu stärken, ist es sinnvoll, die hubraumabhängige in eine schadstofTabhängige Kraftfahrzeugsteuer umzuwandeln oder noch besser - die Kraftfahrzeugsteuer abzuschaffen und den bisherigen Ertrag voll auf die Mineralölsteuer umzulegen. Die Aufkommenseffekte zwischen Bund und Ländern müßen selbstverständldich durch die Politik ausgeglichen werden. So wird einmal mehr das Fahren und die damit verbundene Umweltbelastung verteuert und die Nutzung alternativer Fortbewegungsmittel gefordert. Bevor jedoch von den Verkehrsteilnehmern ein "Umsteigen" eingefordert wird, sind häufig erst noch Alternativen zu schaffen. Damit die Alternativen angenommen werden, benötigen wir zugleich entsprechende kräftige Einkommens- und Preissignale. Gutes Zureden allein wird die Menschen nicht veranlassen, auf ihr liebgewonnenes Auto zu verzichten und stattdessen die Straßenbahn zu nutzen. Nur Innovationen - und das gilt für die gesamte ökologieorientierte Strukturpolitik - bringen uns weiter voran und nicht etwa eine rückwärtsgewandte Politik: zurück zu Pferd und Wagen!
8.4.3
Landwirtschaft
Die Landwirtschaft und die Landwirtschaftspolitik befinden sich im Umbruch. Jeder Sachkundige weiß, so wie es bisher in der Agrarpolitik der Europäischen Union gelaufen ist, kann es nicht weitergehen. Der Kern dieser Politik bestand in der Marktordnungspolitik für bestimmte, wichtige Agrarprodukte. Für diese Marktordnungsprodukte wurde ein europäischer Interventionspreis festgelegt, zu dem die Landwirte mit Sicherheit jede erzeugte Menge dieses Produktes am Markt verkaufen konnten. Der Marktpreis konnte nicht unter dem Interventionspreis sinken, weil dann die staatlichen Bevorratungsstellen das Produkt aufkaufen mußten. Da im allgemeinen die Weltmarktpreise für ein Produkt niedriger lagen, als die europäischen Interventionspreise, wurden auf die Agrarimporte Ausgleichsabgaben erhoben und bei Exporten Subventionen gezahlt. Diese Politik führte zur großbäuerlichen Landwirtschaft, zur "industriellen" Agrarproduktion. Die Bauern wurden zu landwirtschaftlichen Betrieben und die Landwirte zu selbständigen Unternehmern. Die Produktion wurde auf Masse getrimmt und so rationell wie möglich produziert. Damit war ein wichtiges Ziel erreicht: es gab in der Europäischen Union keinen Mangel mehr an Agrarprodukten; es gab bei den Marktordnungsprodukten im allgemeinen erhebliche Überschüsse mit den berühmten "Butterbergen" oder "Weinseen". Die Spezialisierung und Rationali-
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sierung der Agrarproduktion führte aber auch zu immer mehr Düngung und Pflanzenschutz. Die moderne Landwirtschaft ist mittlerweile, ökologisch gesehen, ein erheblicher Gefahrenherd geworden. Bekanntgeworden sind die mittlerweile verbotenen. Pflanzenschutzmittel wie E 605 oder DDT mit ihren gefahrlichen Wirkungen für das menschliche Leben. Aber auch andere, noch immer gebräuchliche Herbizide und Pestizide schädigen die Flora und Fauna. Auch weniger gefährliche Pflanzenschutzmittel, die auf dem Markt sind, können allzuleicht in zu hoher Dosierung erneut gefahrliche Wirkungen zeitigen. Die ökologischen Probleme der Landwirtschaft sind noch lange nicht alle aufgearbeitet. Die Überdüngung der Böden macht sich in einer Verunreinigung des Grundwassers geworden. Diund der nahegelegenen Teiche und Seen bemerkbar. Zum besonderen Problem ist die Gülle- und Klärschlammentsorgung geworden. Die großen, anfallenden Mengen an Gülle können nicht mehr ohne weiteres, wie es früher der Fall war, auf die Felder aufgebracht werden. Der Klärschlamm ist dagegen mit Schwermetallen und chemischen Stoffen derart vorbelastet, daß ein Aufbringen auf die Felder ebenfalls nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Die heutige Landwirtschaft ist mitverantwortlich für den gewaltigen Artenverlust. In Ländern mit weniger bebaubarem Ackerland kommt es zur Bodenerosion, zur Überweidung und zur besorgniserregenden Bodenverdichtung. Damit sind die ökologischen Probleme der Landwirtschaft nur in Umrissen aufgezeigt worden. Auch hier lautet die schwierige Frage, die nicht ausdiskutiert wird, wie die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft, die es in früheren Jahren gab, wiederhergestellt werden kann. Die Überschußproduktion bei den Marktordnungsprodukten hat sicherlich mit den relativ guten Preisen und der intensiven Agrarproduktion zu tun. In kaum einem Wirtschaftszweig ist im übrigen die Konzentration auf großbetriebliche Untrnehmensformen seit Anfang der 60iger Jahre so stark vorangegangen wie in der Landwirtschaft. Hier ist des Guten zu viel geschehen. Einerseits ist eine gewisse Konzentration auf größere Höfe Voraussetzung für eine rationellere Agrarproduktion; andererseits hat die damit verbundene Überproduktion die ökologischen Probleme gefördert. Notwendig wäre jetzt eine Absenkung aller Marktordnungspreise bei jenen Produkten, die zu Überschüssen geführt haben. Strenge Umweltschutzvorschriften, wie Festlegung der Viehdichte pro ha, Begrenzung der Gülleausbringung und des Chemikalieneinsatz, u..a.m. Auf europäischer Ebene wären dies wichtige Beiträge zur ökologischen Umgestaltung der jetzigen industriellen Agrarproduktion. Sowohl der ökologische Landbau als auch die Extensivierung und die landschaftspflegerische Leistung durch die Landwirte sollte auf unbürokratische Weise durch Einkommensanreize honoriert werden. Ein noch stärkeres Sterben der Höfe und eine weitere Konzentration in der Landwirtschaft wären gesamtwirtschaftlich betrachtet nicht mehr akzeptabel.
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Trotz der Absprachen über die Agrarhandelspolitik beim Abschluß der letzten GATT-Runde (Uruguay-Runde) besteht auf dieser Politikebene der WTO ebenfalls weiterhin agrarpolitischer Handlungsbedarf. Der Export von europäischen Agrarprodukten muß zwingend weitgehend verhindert werden. Europa kann kein Agrarexportland sein. Der Import bestimmter überseeischer Produkte ist dagegen zu erleichtern, und Kontingente zugunsten bestimmter Produzenten in bestimmten Ländern passen ebenfalls in der Zukunft nicht mehr in die zunehmende internationale Arbeitsteilung. Soweit nur einige wenige Grundsätze für eine Reform der europäischen Agrarpolitik. Auch in diesem Bereich ist eine Umorientierung aufgrund ökologischer Zwänge unvermeidbar und dringend geboten. 8.4.4 Chemische Industrie Die Chemische Industrie gehört zu den großen Industriebereichen unserer Wirtschaft. 1993 waren in dieser Branche noch etwa 570 000 Menschen beschäftigt. Die Branche hat einen hohen Ressourcen- und Energieeinsatz und zeichnet sich durch einen besonderen Produktionsprozeß aus. Die Produkte der Chemischen Industrie dienen zum großen Teil als Zwischenprodukte zur Weiterverarbeitung, und zwar in der eigenen, wie auch in anderen Industrien. Bei ihr geht es im allgemeinen um eine auf Stoffumwandlung, naturgesetzlich determinierte, Verbundproduktion. Es werden im Produktionsprozeß der Chemie Ausgangsmaterialien zu neuen Produkten zerlegt oder zu neuen Stoffen zusammengesetzt. Die Chemische Industrie wandelt in ihren Produktionsprozessen vor allem natürliche Rohstoffe in Zwischen- und Endprodukte um. Typische Beispiele hierfür sind die Verwendung von Salzen für die Herstellung von Düngemitteln oder Chlor. Neben dem Verbrauch der natürlich vorkommenden Rohstoffe, wird die Umwelt in Form von Wasser und Luft für die Produktion genutzt. Nach der Eisen- und Stahlindustrie ist die Chemie mit etwa 20 % der zweitgrößte Energieverbraucher des verarbeitenden Gewerbes. Ihre Energieintensität liegt erheblich über der durchschnittlichen Energieintensität des verarbeitenden Gewerbes. Selbst der elektrische Strom hat in bestimmten Bereichen der chemischen Industrie den Charakter von Rohstoffen. Die Umweltprobleme treten im besonderen bei der Produktion und bei der Anwendung und Entsorgung der Produkte auf. Die Eigenart der Chemischen Industrie, die Stoffumwandlung, kann zu besonderen Umweltproblemen führen, die sich durch die qualitative Änderung der beteiligten Stoffe, unvollständige Reaktionsverläufe, unerwünschte Nebenreaktionen mit Abfall von Nebenprodukten oder durch Störfälle beim Produktionsprozeß ergeben können. Die Chemische Industrie gehört somit, wie die bereits besprochenen Wirtschaftszweige, zu den besonders umweltbelastenden Branchen, der eine ökologieorientierte Strukturpolitik besondere Aufmerksamkeit widmen muß.
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Zunächst ist festzuhalten, daß in diesem Wirtschaftszweig von Anfang an aufgrund der üblichen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen Bemühungen um Energieeinsparung durchaus vorhanden waren. Aufgrund der Energiepreissteigerungen in den 70iger Jahren wurden die Energiesparbemfihungen zusätzlich intensiviert. Ebenso war die Suche nach Verwertung von Neben- und Folgeprodukten des Produktionsprozesses in dieser Branche sehr ausgeprägt. Bei der Ausgestaltung der Produktionsprozesse wurde stets darauf geachtet, möglichst geschlossene Kreisläufe herzustellen. Die Einrichtung geschlossener Produktionskreisläufe wird in Zukunft in der Chemie eine besondere Aufgabe bleiben. Zur besseren Kontrolle des gefährlichen Cadmiums im Stoffkreislauf empfiehlt der Sachverständigenrat für Umweltfragen die Einführung eines Pflichtpfandes. Dieses Pflichtpfand soll einmal beim Verarbeitungsprozeß und beim Import cadmiumhaltiger Grundstoffe sowie bei Herstellern und Importeuren cadmiumhaltiger Produkte erhoben werden. Bei Nachweis einer ordnungsgemäßen Endlagerung bzw. eines Exports sollen die Pfandbeträge wieder zurückgezahlt werden. Das Abwasserabgabengesetz hat, trotz seiner Unvollkommenheit, gerade in der Chemischen Industrie seit Ende der 70iger Jahre dazu beigetragen, daß die Abwassermengen reduziert oder eigene Abwasserreinigungsanlagen gebaut worden sind. Dennoch muß gerade in der Chemie die ökologische Umgestaltung weitergehen. Der langanhaltende Streit um ein Verbot (1991) des klimaschädigenden FCKW hat gezeigt, wie schwer es ist, eingefahrene Denkstrukturen zu verändern, und wie hartnäckig sich die Interessenvertreter einer Branche gegen neue Forschungsergebnisse sperren, die ihnen nicht genehm sind. Daß wir bei unserem Fortschritt - mit dem Tempo einer Schnecke - Fehler machen, steht wohl außer Frage und ist gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit; daß wir allerdings anschließend aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht lernen wollen und keine Rückschlüsse ziehen, ist die eigentlich Problematik unserer Zeit. Es dominiert häufig nicht die Vernunft, es dominieren, wie dargelegt, in Wirtschaft und Politik die Interessen.
8.5 Unteraehmensgrößenbezogene Strukturpolitik Dieser Teilbereich der Strukturpolitik ist in Praxis und Wissenschaft nicht so anerkannt wie die bisher behandelten Stukturbereiche. Unter untemehmensgrößenbezogener Strukturpolitik wird eine Politik zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen verstanden; landläufig in der Öffentlichkeit als Mittelstandspolitik bekannt. Der Begriff des "Mittelstandes" paßt jedoch nicht so recht in die marktwirtschaftliche Ordnung. Wenn es einen "Mittelstand" gibt, müßte es auch einen "Unter-" und/oder "Oberstand" geben, doch gerade durch die Marktwirtschaft sind die "Stände" ein für allemal abgeschafft worden. Eine Marktwirtschaft ist ein offenes Wirtschaftssystem, in dem Abgrenzungen, die zwar immer wieder
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versucht werden, grundsätzlich keine Berechtigung haben und stets fließend sind. Der Begriff "Mittelstand" ist jedoch besser eingeführt und durchaus gebräuchlich. Eine besondere Politik für kleine und mittlere Unternehmen in der Marktwirtschaft läßt sich mit mindestens zwei Argumenten begründen: die Marktwirtschaft ist gekennzeichnet durch einen immanenten, rapiden Konzentrationsprozeß, den kaum ein Ökonom schärfer analysiert hat als Karl Marx. Er hatte es allerdings nicht für möglich gehalten, daß der Staat eine wirksame Anti-Konzentrationspolitik betreiben kann. Dazu gehört zum Beispiel die Wettbewerbspolitik, aber auch die Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Wir sind der Ansicht, daß die Wettbewerbspolitik leider alleine nicht ausreicht, um funktionierende, wettbewerbliche Strukturen auf Dauer zu sichern. Zum zweiten - und das hat mit dem konstatierten Konzentrationsprozeß unmittelbar zu tun - haben kleine und mittlere Unternehmen eine Fülle von Nachteilen gegenüber den Großen. Sie haben Nachteile in der Produktion, der Finanzierung, dem Verkauf oder u.a. beim Marketing, um nur einige Bereiche zu nennen. Für diese Nachteile "gewährt" die unternehmensgrößenbezogene Strukturpolitik hier und da einen gewissen "Nachteilsausgleich", nicht mehr und nicht weniger. Es ist also durchaus berechtigt, daß die kleinen und mittleren Unternehmen durch verschiedene politische Maßnahmen besser behandelt werden als die bestehenden Großunternehmen. Vieles spricht im übrigen dafür, daß kleine vor allem mittlere Unternehmen über eine größere Innovationskraft und Innovationsintensität verfügen als Großunternehmen. Schumpeter hat dies noch anders gesehen; denn er glaubte, daß nur in Großunternehmen bahnbrechende Neuerungen getätigt werden. Heute trifft dies jedenfalls in dieser Eindeutigkeit nicht mehr zu. Wenn kleine und mittlere Unternehmen aber für bestimmte Zwecke finanzielle Ausgleichsmaßnahmen erhalten, dann muß neben der Arbeitsplatzschaffung die Umweltproblematik besondere Beachtung finden.
8.5.1
Existenzgründungshilfen
Es gibt bereits jetzt eine Fülle von Existenzgründungshilfen, und zwar vom Bund, den Ländern und Kommunen, den Kammern und den Wirtschaftsverbänden für kleine und mittlere Unternehmen. Ausreichendes Informationsmaterial wird regelmäßig mit neuesten Daten vom Bundesminister für Wirtschaft herausgegeben. Alle Maßnahmen haben zum Ziel, die Existenzgründung, den "Sprung in die Selbständigkeit" ein wenig zu erleichtern. Die Verbände und die Kammern leisten im allgemeinen eine qualitativ hochstehende Beratungsarbeit in Form von Einzelberatung oder Seminaren. Die Länder haben häufig zinsgünstige Kreditprogramme aufgelegt, die sie über die Sparkassen oder Landesbanken an Exi-
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171
Stenzgründer weitergeben. Der Bund betreibt eine Politik zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen seit 1969. Mittlerweile gibt es eine erhebliche Anzahl von Förderprogrammen, die für einen einzelnen Existenzgründer nicht mehr überschaubar sind. Die Hilfen für Existenzgründer haben sich im Laufe der Zeit geändert und bestehen heute u.a. aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm, das über die Hausbank zu beantragen ist und von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt abgewickelt wird. Diese wohl wichtigste Hilfe ist ein Darlehen für Existenzgründer, das nach einigen zinsfreien Jahren zurückgezahlt werden muß. Es hat jedoch Eigenkapitalcharakter, da es im Konkursfall nicht zu tilgen ist und zusätzlich beliehen werden kann. Die KfW oder die Deutsche Ausgleichsbank in BonnBad Godesberg vergibt ferner über die Hausbank zinsgünstige Kredite, die aus dem Haushalt des Wirtschaftsministers subventioniert werden. Die sog. Ansparförderung, die eine kurze Zeit für alle Existenzgründungen, auch für die freien Berufe, gewährt wurde, ist in den alten Bundesländern z.Zt. abgeschafft. Danach bekam ein Existenzgründer, der für diese Zwecke 50.000 DM angespart hatte, einen Zuschuß vom max. 10.000 DM = 20 %. Nicht viel, aber immerhin ein kleiner Anreiz, um den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen. Die Hilfen sind in den neuen Bundesländern ein wenig besser dotiert als in den alten Bundesländern, und das mag für eine Übergangszeit akzeptabel sein. Grundsätzlich müssen sie aus den genannten Gründen aber allen Existenzgründern in gleicher Höhe zur Verfugung gestellt werden. Die staatliche Förderung für Existenzgründer ist alles andere als übersichtlich und geordnet. Mehr Transparenz und Konzentration auf wenige Programme wäre sinnvoll. Neue Existenzgründunger als "Subventionsberater" hätten z.Zt. durchaus gute Gewinnaussichten. Wesentlich wichtiger als die jetzt praktizierte Förderung für Existenzgründungen wäre eine klare Orientierung. Bis auf die Beratungshilfen und das Eigenkapitalhilfeprogramm könnten fast alle weiteren Hilfen gestrichen werden. Dafür wären dann Existenzgründer von überflüsssiger Bürokratie und zusätzlichen Steuern für mindestens 5 Jahre zu befreien. Für ökologieorientierte Existenzgründungen gibt es bisher keine besonderen Hilfen. Vom Minister für Forschung und Technologie war Ende der 80iger Jahre ein Programm für technologieorientierte Existenzgründungen (TOU) mit besonders günstigen Krediten aufgelegt worden. Genauso wichtig wie die Wiedereinführung der Technologieförderung wäre eine stärkere Ökologieorientierung der Fördermitel für kleine und mittlere Unternehmen. Der Bedarf an jungen Unternehmern und neuen Innovationen auf diesem Felde ist groß.
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2. Teil: Spezieile Politikbereiche
8.5.2 ökologieorientierte Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen. Hier geht es um die Unternehmen, die im Markt sind und nicht selten im Wettbewerb mit Großunternehmen stehen. Warum ihnen staatliche Hilfen gewährt werden sollen, wurde im vorherigen Kapitel begründet. Die staatlichen Unterstützungen, die hier gewährt werden, gehen weitgehend auf bundespolitische Bestimmungen zurück. Nur im Konkursfall gibt es auf Landesebene, aber nicht in allen Ländern, möglicherweise noch Kredite oder Bürgschaften, wenn die privatwirtschaftlichen Kreditinstitute nicht mehr bereit sind Fremdkapital zur Verfügung zu stellen. Sie werden von sog. Kreditgarantiegemeinschaften oder Konkursauffanggesellschaften unter strengen Voraussetzugen gewährt. Eigentlich eine Aufgabe des Bundes und nicht einzelner Länder, wie es jetzt der Fall ist. Hinzukommen im Steuerrecht in Form von mehr oder weniger hohen Freibeträgen Ermäßigungen fiir kleine und mittlere Unternehmen u.a. in der Gewerbe-, Vermögens- und Erbschaftssteuer. Außerdem gibt es für Unternehmen im Markt Zuschüsse bei externer Unternehmensberatung; eine Maßnahme, die sich generell bewährt haben soll. Erwähnenswert sind ferner die Lohnkostenzuschüsse für Forschung und Entwicklung, wie es sie in der Bundesrepublik von 1978 bis 1988 gab und danach nur noch in den neuen Bundesländern. Angeblich war der Mißbrauch dieser Fördermaßnahmen zu groß geworden. Tatsächlich wurde auf diese Weise das "Innovationspotential" in kleinen und mittleren Unternehmen durch Einstellung von Forschungskräften spürbar erhöht. Außerdem verzeichnete man damals den angenehmen Nebeneffekt, daß junge Wissenschaftler (Diplom-Ingenieure, Ökonomen, Mediziner, Chemiker, Biologen u.a.m.) während dieser Zeit verhältnismäßig leicht einen adäquaten Arbeitsplatz gefunden haben. Alle die hier angedeuteeten Maßnahmen zur Förderung kleiner un mittlerer Unternehmen im Marktprozeß sind nicht an ökologische Bedingungen geknüpft, sonern dienen bestenfalls zur Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen. Eine entsprechende Fortentwicklung einiger Finanzhilfen wäre durchaus prüfensweert. Für die Zukunft sollten stärker als bisher kleine und mittlere Unternehmen gefördert werden, die bereit sind ihr Unternehmen ökologisch sinnvoll auf mehr Nachhaltigkeit auszurichten. So wie es Lohnkostenzuschüsse für Forschung und Entwicklung gab, könnte es Subventionen für das sog. Humankapital geben, wenn es sich um die knappe Ressource "Umwelt" kümmert. Diese Arbeit muß aber selbstverständdlich in mittlerer Frist - wie jede Tätigkeit in der marktwirtschaftlichen Ordnung - "rentabel" sein können und einen "Markt" finden. Dafür bedarf es noch zusätzlicher, neuer Weichenstellungen durch entsprechende Rahmenbedingungen seitens des Staates. Ein ökologischer Innovationsschub erfordert zum Beispiel u.a. eine entsprechende institutionelle Innovation vor allem im Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsbereich. Hier könnten neue ge-
8. Ökologieorientierte Strukturpolitik
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setzliche Grenzwerte, die von allen Marktteilnehmern einzuhalten sind, ebenfalls für private Innovations- und Investitionschancen sorgen. Wenn dies auf nationaler Ebene, innerhalb unseres gegebenen politischem Ordnungsrahmens nicht möglich ist, muß diese Aufgabe auf internationaler Ebene, mit mehr Nachdruck als bisher, angegangen werden. Für die Mobilisierung von Innovationen und großer, gemeinsamer Anstrengungen bedarf es ferner der Formulierung von Visionen oder ehrgeiziger politischer Ziele, wie es in Japan und den Vereinigten Staaten mit Erfolg versucht worden ist. Aber gerade daran mangelt es in Deutschland. Dabei wäre das Ziel einer sozialen und ökologische Marktwirtschaft, eines "ökologischen Wohlstandsmodells", von dem alle Bürger/innen profitieren, ein Ziel, für das sich der Einsatz der ganzen Gesellschaft lohnen würde. Unsere Hoffnung dafür ruht nicht auf den großen Unternehmen mit ihren etablierten Interessenverbänden; sie erwächst vielmehr aus jungen, kleineren Unternehmen und dynamischen Wirtschaftsfuhrern, die die Zeichen der Zeit erkennnen und entsprechend handeln. Im nächsten Abschnitt wird ein weiterer Teilbereich der Strukturpolitik behandelt, den wir als zukunftsorientierte Strukturpolitik bezeichnen. Hier geht es um die Forschungs- und Innovationspolitik, die entscheidenden Einfluß auf die zukünftige Entwicklung neuer Wirtschaftszweige hat.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
9. Nachhaltige Forschung»- und Innovationspolitik Gliederung: 9.1 9.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.3.6 9.3.7 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.5.
Allgemeine Ursachen der aktuellen Innovationsprobleme Ein finanzpolitischer Überblick Innovationshemmnisse bei Wissenschaft, Wirtschaft und Politik Mangelhafte Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Sicherheits- und Renditedenken in den Unternehmen Innovative Unternehmensftihrung Unzureichendes Angebot an Risikokapital Patentschutz und Genehmigungsverfahren Negatives Forschungs- und Innovationsklima Versäumnisse in der Bildungspolitik Zukünftige, ökologieorientierte Forschungs-und Innovationspolitik Wirtschaften in Kreisläufen Energieforschung für eine nachhaltige Entwicklung Mobilitäts- und Verkehrsforschung Forschung in der Landwirtschaft Das Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung
9.1. Allgemeine Ursachen der aktuellen Innovationsprobleme Nur durch Innovationen werden wir die ökologischen Probleme und die Beschäftigungskrise in unserem Lande überwinden. Die Enquetekommision des Deutschen Bundestages: "Schutz des Menschen und der Umwelt" formuliert: "Innovationen sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen zukunftsverträglichen Entwicklung; sie ist ihne Innovationen schlechterdings nicht möglich". Eine Renaissance fuherer Produktionsmethoden kann es nicht geben. Mehr denn je hängt der Wohlstand unserer Gesellschaft insgesamt von der Fähigkeit ab, neue Forschungsergebnisse rasch in marktgängige Produkte (Innovationen) umzusetzen. Neue Arbeitsplätze werden kaum in den alten Industrien und nicht bei den Großunternehmen entstehen. Ein Unternehmer, der ein lebenlang auf einem bestimmten Markt tätig war, wird nur selten in der Lage sein einen völlig neuen Markt zu erschließen. Den jungen, dynamischen und kreativen Unternehmen mit ihrem Angebot an zukunftsträchtigen Dienstleistungen und Produkten wird die Zukunft gehören. Es gibt nur diesen einen sinnvollen, nationalen Weg, um der ökologischen und weltwirtschaftlichen Herausforderung zu begegen. Die mögli-
9. Nachhallige Forschungs- undInnovalionspolitik
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che Alternative, der Weg des Protektionismus, muß in die Irre fuhren. Aber was ist zu tun, und was ist hier bisher falsch gelaufen? In der Forschungs- und Technologiepolitik, der zukunftsorientierten Strukturpolitik, haben sich im Laufe der Jahrzehnte und aufgrund der vorhandenen Interessengegensätze viele Ungereimtheiten eingeschlichen. Die Liste der geförderten Projekte, bei denen hinterher festgestellt werden kann, die Steuergelder waren nicht richtig angelegt, ist lang. In diesem Politikbereich wird seit langem scharf zwischen Grundlagen- und angewandte Forschungsförderung unterschieden. Die Bundesgelder für Grundlagenforschung fließen an einige Forschungseinrichtungen und an wenige Großunternehmen; die wesentlich geringeren Gelder für die angewandte Forschung erhalten die Fraunhofer-Gesellschaft, die Arbeitsgemeinschaft für industrielle Forschungsvorhaben (AIF) und ausgewählte kleine und mittere Unternehmen. Keinesfalls darf die Grudlagenforschung gering geschätzt werden. Aber in Zukunft muß das Ziel primär Innovationsförderung heißen, und dafür ist die angewandte Forschung zumindest genauso wichtig wie die Grundlagenforschung. Der sog. Zukunftsminister der Bundesregierung Jürgen Rüttgers hat recht, wenn er sagt: "Nicht Trennung, sondern intelligentes Zusammenfugen ist das Erfolgsrezept"! Die bisherige Forschungs- und Innovationspolitik kann "Nachhaltigkeit" für sich nicht in Anspruch nehmen. Die Forschungs- und Innovationspolitik muß deshalb insgesamt auf den wissenschaftlichen Prüfstand und eine neue Richtung, eine schärfere, ökologische Dimension erhalten. Die Fehlinvestitionen im Rahmen der Schnellen-Brüter Technologie zur Stromerzeugung kann jeder bei einem Besuch am Niederrhein in Kalkar mit eigenen Augen besichtigen. Die Forschungsaufwendungen für die Kernenergie insgesamt waren und bleiben eine ökologisch fragwürdige Politik. Dadurch werden vor allem viele nach uns folgende Generationen mit extrem gefährlichen Abfallen belasten. Keiner weiß heute genau, wo diese Abfälle über Jahrtausende sicher gelagert werden können. Aber gerade diese Problematik hätte vorher gelöst werden müssen, bevor Milliardenbeträge aus Steuergeldern in eine neue Entwicklung hineingesteckt werden. Der fachliche Überblick der zuständigen Beamten im Bereich Forschung, Innovationen oder Wirtschaft ist unzureichend. Die Kenntnis von Wissenschaft, Forschung und Innovationen der aktiven Politiker ist noch geringer. Beide Gruppen sind im allgemeinen auf Informationen aus der interessengeleiteten Wirtschaft angewiesen und kaum einer ist in der Lage diese sorgfältig zu überprüfen. Auf die Ergebnisse von Enquetekommissionen wird leider viel zu wenigt geachtet. Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn sieht den größten Fehler der aktuellen Forschungspolitik bei den falschen Adressaten und schreibt: "Die Förderpolitik der Bundesregierung verzerrt den Wettbewerb, weil sie einseitig einige Großbetriebe begünstigt. Sie ist
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2. Teil: Spezielle
Politikbereiche
innovationshemmend, weil Großprojekte mit äußerst geringer technologischer Breitenwirkung bevorzugt werden." Von den Gesamtaufwendungen des Forschungs- und Wirtschaftsministeriums an die gewerbliche Wirtschaft in Höhe von DM 2.3 Mrd. DM in 1993 flössen allein etwa ein Viertel ( 563 Mio DM) an den Daimler Benz Konzern. Es werden von Bonn aus nicht etwa neue Ideen kleiner und mittlerer Unternehmen gefördert; es wird auch nicht systematisch die ökologische Ausrichtung der Wirtschaft unterstützt, es wird vielmehr das gefordert, was immer gefordert wurde. Es ist schwer für die Politik, manchmal gar wegen abgeschlossener Verträge unmöglich, aus den einmal "befahrenen Gleisen" kurzfristig auszubrechen Vieles spricht dafür, daß die Großunternehmen mit einer starken Lobby sich einen deutlich größeren Anteil aus dem gesamten "Forschungskuchen" reservieren. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der schnell abgestellt werden muß. Mehr denn je ist die rasche Entwicklung neuer Produkte von herausragender Bedeutung, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Seit 1989 ist außerdem festzustellen, daß die eigenen Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung ständig weniger werden. Es kommt hinzu - wie Hans-Jürgen Warnecke schreibt - daß in deutschen Unternehmen die "Forschungs- und Entwicklungstiefe" extrem groß ist. 98 Prozent der Forschungsaufgaben werden hier im eigenen Hause gemacht, und nur 2 Prozent werden an auswärtige Institute vergeben. Das kann ökonomisch nicht rational sein und ist mit ein Grund für die allgemein beklagte Innovationskrise. Vor allem aber hat der Staat in den letzten Jahren seine Ausgaben für Forschung und Innovationen ständig reduziert. Mit einem Anteil der Forschungsausgaben in Relation zum Bruttosozialprodukt von 2.34 Prozent in 1994 lag die Bundesrepublik hinter Schweden, Frankreich, Japan und den Vereinigten Staaten. Angesichts dieser Entwicklung auf staatlicher Ebene sollte man sich nicht wundern, wenn die Wirtschaft nicht mehr bereit ist, den gleichen Anteil für Forschung und Entwicklung auszugeben, wie es früher der Fall war.
9.2.
Ein finanzpolitischer Überblick
Einen hervorragenden Überblick über alle Fragen der Forschungs- und Technologiepolitik und der bereitgestellten finanziellen Mittel bietet der Bundesbericht Forschung. Insgesamt wurden 1995 etwa 85 Mrd. DM, das sind rund 2.4 des Bruttosozialproduktes, für Forschung und Entwicklung ausgegeben, und von diesem Gesamtbetrag entfallen 40 % auf den Staat und 60 % auf die Wirtschaft. Von den staatlichen Ausgaben entfallen rund ein Drittel auf die Länder, die mit diesen Geldern vor allem die Hochschulforschung finanzieren. Von den Ausgaben des Bundes fließen etwa ein Viertel an die gewerbliche Wirtschaft. Der Anteil der im Wirtschaftssektor durchgeführten Forschung und Entwicklung, den die Wirtschaft selbst finanziert, betrug 1995 etwa 88.7 Prozent.
9. Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik
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Der größte Anteil der Bundesausgaben fließt in die Forschungsorganisationen ohne Erwerbszweck, wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der MaxPlanck-Gesellschaft, oder den staatlichen Großforschungseinrichtungen. Ein wichtige Frage ist immer noch, wie der Technologietransfer aus diesen Institutionen in die Wirtschaft weiter verbessert werden kann. Erwähnenswert ist noch die sog. Projektforderung, die zu zwei Dritteln der Wirtschaft zugute kommt. Diese Maßnahmen sind auf einige wenige Wirtschaftszweige konzentriert, wie z.B. der Luft- und Raumfahrt und der Energiewirtschaft. Bedauerlicherweise weist diese sektorale Förderstruktur im Zeitverlauf eine deutliche Konstanz auf., obgleich dies nicht zwingend ist, weil die Förderverträge immer nur über einige Jahre laufen. Offenbar kommt es regelmäßig, wenn direkte Forschungsgelder fließen, zu einer engeren Verknüpfung zwischen Geldgeber und Geldempfänger.Diese "Verbindungen" sind stärker als bisher kritisch zu durchleuchten und entweder zu kappen oder zu verändern. In Japan werden z.B. so gut wie keine direkten Gelder vom Staat an die Wirtschaft gezahlt. Dafür fördert das berühmtberüchtigte MITI die Forschungskooperation zwischen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Universitäten. Bestenfalls gibt es zur Unterstützung der Forschung und der Kooperation einmal zinsvergünstigte Kredite, die aber zurückgezahlt werden müssen. Von den Gesamtausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung in Höhe von 17.6 Mrd. DM entfielen 1996 1 Mrd. DM auf das Wirtschaftsministerium, 3.2 Mrd. DM auf das Verteidigungsministerium, 2.1 Mrd. DM auf übrige Ressorts und 11.3 Mrd. DM auf das Forschungsministerium. Für Innovationen und verbesserte Rahmenbedingungen werden nur etwa 800 Mio.DM aus den Forschungshaushalt bereitgestellt. Wenn wir ferner davon ausgehen, daß im allgemeinen die Gelder des Wirtschaftsministerium in Höhe von 1 Mrd. DM - vielleicht noch die des Verteidigungsministerium - "marktnah" ausgegeben wurden, so verdeutlichen diese Zahlen insgesamt ebenfalls eine erhebliche Markt- und Wirtschaftsdistanz der deutschen Forschungspolitik. Von den rund 17 Mrd. DM Forschungsausgaben des Bundes sollen insgesamt 7 Mrd. DM für Technologieund Innovationsförderung ausgegeben werden. Auch dies werden wir uns auf Dauer nicht erlauben können. Werden die FuE-Ausgaben des Bundes nach Förderschwerpunkten betrachtet, so entfallen etwa 14.4 Mrd. DM auf die zivilen Förderbereiche, davon lassen sich rund 2.3 Mrd. DM einer ökologieorientierten Forschung zurechnen, während die restlichen 12 Mrd. DM u.a. in die Weltraumforschung - 1.6 Mrd.DM, die Informationstechnologie - 1.0 Mrd. DM, die Materialforschung - 0.6 Mrd. DM, die Luftfahrtforschimg - 0.3 Mrd.DM und 0.5 Mrd.DM in die Geisteswissenschaften fließen. Die entscheidende Wende, der berühmte Quantensprung, in der
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2. Teil: Spezielle
Politikbereiche
Forschungspolitik zur nachhaltigen Forschungs- und Innovationspolitik steht noch aus. Wie sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich darstellen, zeigt das folgende Schaubild:
B r u t t o i n l a n d s a u s g a b e n f ü r F o r s c h u n g u n d E n t w i c k l u n g ( B A F E ) in a u s g e w ä h l t e n S t a a t e n d e r O E C D
1981-1994
in % des Bruttoinlandsprodukts
*
Vorläufige Daten der OECD, die z.T. auf nationalen Schätzungen, z.T. auf Schätzungen der OECD basieren
1) 1 9 8 7 Zeitreihenbruch; 1 9 8 6 und 1 9 8 8 Schätzungen, 1 9 9 2 - 1 9 9 4 revidierte Schätzungen Bis 1 9 9 0 früheres Bundesgebiet, 1991 Deutschland 2) FuE-Angaben überschätzt 3) Überwiegend ohne Investitionsausgaben, 1 9 9 1 Zeitreihenbruch 4) 1 9 9 3 vorläufige Angaben Quelle: O E C D (1995/2) und eigene Berechnungen des B M B F
BMBF, BuFo ' 9 6
Pro Einwohner haben wir in Deutschland 1993 - 450 DM ausgegeben; in Schweden waren es etwa 750 DM, in den USA - 645 DM, in Japan - 597 DM und in Frankreich immerhin 458 DM. Von den Ländern im Vergleich wurden nur in Großbritannien (371 DM), in Italien (235 DM) und in Kanada (291 DM) weniger als bei uns ausgegeben. Der Anteil, der von der Wirtschaft finanziert worden ist, lag in allen Ländern eng beieinander, und zwar zwischen 42 % (Kanada) und 68 % (Japan), in Deutschland betrug er - 61 %. Bei jeder Auswahl wird selektiert. Nach unserer Ansicht - und dies sollte durch einige Zahlen dokumentiert werden - muß in Deutschland mehr als bisher für Forschung und Entwicklung und insbe-
9. Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik
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sondere für die Förderung von Innovationen getan werden. Die paktizierte Forschungspolitik kommt ferner in keiner Weise der Aufgabe nach unsere Wirtschaft zur nachhaltigen Produktionsweise umzugestalten. 9.3. Innovationshemmnisse in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik Wenn von Innovationen gesprochen wird, sind im allgemeinen wirtschaftliche Innovationen im Sinne des frühen Schumpeters gemeint, also: neue Produkte auf den Markt bringen, neue Produktionsmethoden einfuhren, neue Absatzmärkte und neue Bezugsquellen erschließen oder neue Marktorganisationen, wie Kartelle oder gar Monopole, durchsetzen. Außerdem dürfen jedoch die sozialen, institutionellen und ökologischen Innovationen, um den Produktionsprozeß optimal zu gestalten, nicht vergessen und geringgeschätzt werden. Heutzutage müssen für die Bewertung von produkt- und verfahrensrelevanten Innovationen eben stets 3 Aspekte beachtet werden, nämlich:Ökonomieverträglichkeit, Sozialverträglichkeit und Umweltverträglichkeit! Innovationen sind immer risikoreich. Was danach kommt, ist neu, und keiner ist bekanntlich in der Lage, in die Zukunft zu blicken. Schumpeter hatte bereits, wie kein anderer, das "Veralten der Unternehmerfunktion" vorhergesagt hat. Die Unternehmerfunktion besteht ihrem Wesen nach nicht darin, etwas zu erfinden; sie besteht darin, daß sie Dinge in Gang setzt. Er schreibt: "Die vollkommene bürokratisierte industrielle Rieseneinheit verdrängt nicht nur die kleine oder mittelgroße Firma und "expropriiert" ihre Eigentümer, sondern verdrängt zuletzt auch den Unternehmer...". Für Schumpeter schwindet die Unternehmerfunktion und mit ihr der Unternehmer. Häufig kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß er einmal mehr Recht behalten wird. Was Schumpeter jedoch, genauso wie Marx, nicht sehen wollte oder konnte, ist die Tatsache, daß der Staat immer wieder in die Wirtschaft eingreift und sichtbare Entwicklungen gegen die Marktwirtschaft durch politische Aktivitäten korrigiert. Die Großunternehmen haben weitgehend die Vorhersagen dieser beiden Propheten bestätigt; die kleineren Unternehmen müssen vom Staat offenbar noch mehr als bisher gefordert werden, damit die Marktwirtschaft und das dynamische Element der Marktwirtschaft erhalten bleibt. Die Vertreter der Großunternehmer finden leider in den Medien ausschließlich Gehör, und sie klagen nur noch: die Schuld für die unzureichende Innovationstätigkeit liegt immer woanders, nur nicht bei ihnen und in den Unternehmen selbst. Die Wissenschaft unterstützt mit ihren Theorien eher die Großunternehmen und fordert "Rückzug des Staates aus der Forschungspolitik" oder "Beseitigung aller staatlichen Interventionen". Was dann aus dem Wettbewerbsprinzip oder dem Ziel einer ökologischen Erneuerung unserer Marktwirtschaft werden soll, lassen sie offen. Die folgende Übersicht
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2. Teil: Spezielle
Politikbereiche
über die Ursachen der Innovationshemmnisse wurde von der Mannheimer Forschungsgruppe erstellt:
Bewertung von Innovationshemmnissen durch die Unternehmen (1995) Vergleich von kleinen und mittleren Unternehmen und Großunternehmen in Westdeuschland in % Gesetze, rechtliche Regelungen Lange Genehmigungsverfahren Fehlendes Know-how Unternehmensinterne Widerstände Mangelnde technische Ausstattung Fachpersonalmangel Fehlendes Fremdkapital Fehlendes Eigenkapital Leichte Imitierbarkeit Lange Amortisationsdauer Hohe Innovationskosten Hohes Kostenrisiko Hohes Marktrisiko Hohes Realisierungsrisiko
0
10
2
30
40
50
60
Anteil der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe, die das jeweilige Innovationshemmnis als wichtig oder sehr wichtig bezeichnen • I
KMU
I
I
Großunternehmen
Immerhin sind bei den kleinen und mittleren Unternehmen die "unternehmensinternen Widerstände" nach eigenen Angaben das wichtigste Innovationshemmnis, und bei den Großunternehmen ist es "fehlendes" Fremdkapital wie gesagt, aus der Sicht der Betroffenen. Auf einige Innovationshemmnisse soll in den nächsten Kapiteln näher eingegangen werden, und zwar auf solche, die bei den möglichen Verantwortlichen - Wissenschaft, Wirtschaft und Staat - auftreten können.
9. Nachhallige Forschungs- und Innovationspolitik
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9.3.1. Mangelnde Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Die Notwendigkeit einer Forschungs- und Technologiepolitik ist in der Wissenschaft weitgehend unstrittig. Die Wissenschaft hat allerdings ihre Probleme mit den Details der praktizierten Forschungspolitik. Sie fordert im Grunde nur eine "marktferne" Politik, die sich darum bemüht, die Grundlagenforschung zu verbessern. Ein Hauptargument für diese wissenschaftlichen Aversionen gegen eine gezielte Förderung ist das Informationsproblem, das auf v. Hayek zurückgeht. Das nötige Wissen zur Beurteilung konkreter Projekte ist eben nicht in der Wissenschaft, beim Staat oder der Bürokratie vorhanden, sondern eher bei den im Wettbewerb stehenden Unternehmen. Die Forschungspolitik sollte deshalb dieser Betrachtungsweise angepaßt werden. Mit diesen wissenschaftlichen Ansichten ist nur eine indirekte Förderung über Steuererleichterungen für Grundlagenforschung vereinbar. Diese steuerliche Begünstigung hätte aber den Nachteil, daß sie neue und kleine Unternehmen gar nicht oder nur gerigfiigig begünstigen würde. Die neoklassische Wissenschaft liefert somit - gewollt oder ungewollt - Begründungen zur Förderung der Großunternehmen. Durch den 1994 durch die Bundesregierung gegründeten "Technologierat" wurde der Einfluß der Großunternehmen zusätzlich verstärkt. In diesem Gremium haben wenige Wissenschaftler und wenige Politiker neben vielen Vertretern aus großen Unternehmen Sitz und Stimme. Es ist eben nicht so, daß die Bürokratie den Unternehmen "aufschwätzt", was sie erforschen sollen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Großunternehmen haben irgendwelche Pläne, die ihnen zu risikoreich erscheinen. Diese Überlegungen versuchen sie mit Hilfe des Staates und seiner Forschungsgelder zu verwirklichen. Die Initiative geht im allgemeinen folglich von der Wirtschaft aus und insofern kann das Hayek'sche Informationsproblem nicht sonderlich stichhaltig sein. Eine berechtigte Frage ist, ob die Förderung, die bisher zustande gekommen ist oder die nach jetzigen Regeln zustande kommen wird, im Interesse der Gesamtgesellschaft liegt oder nur im Interesse eines Unternehmens und seiner Aktionäre. Eine grundlegende Änderung der Politik ist im übrigen alleine wegen vertraglicher Bindungen kurzfristig nicht möglich. Da aber die Großen immer globaler werden, benötigen sie eigentlich gar keine nationalen Forschungs- und Innovationsgelder mehr. Die Förderung sollte grundsätzlich auf kleine und mittlere Unternehmen konzentriert werden, um den Wettbewerb zu erhalten und zu fördern. Entscheidend ist jedoch die Ausrichtung dieser Politik auf das Ziel der Umgestaltung unserer Wirtschaft hin zur ökologischen Marktwirtschaft. Darauf hat sich die Forschungs- und Innovationspolitik zu konzentrieren. Dies ist die Herausforderung unserer Zeit und um die Lösung dieser Probleme hat sich jetzt die Politik zu bemühen.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
Auf einige Problem der schwierigen Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wurde hingewiesen. Die Wirtschaft versucht in der angewandten Forschung gerne alles selbst zu machen. Sie hat den Nutzen der Arbeitsteilung in diesem Forschungsbereich noch nicht richtig erkannt. Aus der Grundlagenforschung hält si sich dagegen weitgehend heraus. Dieser Bereich kann hohe Kosten aber nur spärliche Gewinne erbringen. In Deutschland gibt es besonders, mehr als in anderen westlichen Industrienationen, eine althergebrachte Unter- und Überordnung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Sie geht auf den bekannten Soziologen Max Weber zurück. Danach geht es in der reinen Wissenschaft um das "Seiende", um die Erkenntnis dessen, was ist, und nicht um das "Sein-soll", schon gar nicht um Interessen. Die Wissenschaft ist der Bereich der Erkenntnis der Wahrheit; die Wirtschaft der Bereich des Geldverdienens, und zwischen beiden ist und bleibt ein gewaltiger Unterschied. In den Vereinigten Staaten ist man immer viel pragmatischer vorgegangen, und in Japan hat man einer ganzheitlichen Betrachtungsweise gehuldigt. In Deutschland wird jetzt die "pure Not", der zunehmende Rückstand in der High-tech-Entwicklung, dazu führen, daß Wissenschaft und Wirtschaft ihr Eigendasein stärker aufgeben und mehr miteinander kooperieren müssen. Die Innovationskrise in Deutschland, so meint Hans-Jürgen Warnecke, ist vor allem eine Kommunikationskrise zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Verständlich; denn kein Mensch ist gerne bereit, von seinen vorgefaßten Meinungen durch Kommunikation einen Teil aufgeben zu müssen. Außer der Suche nach Wahrheit bedarf es zusätzlich noch einer neuen Grundeinstellung, einer neuen Geisteshaltung der Akteure in Wirtschaft und Wissenschaft. Ansätze für mehr Diskussion und Kooperation sind auf beiden Seiten vorhanden. In den Ingenieurwissenschaften, bei Architekten, Chemikern, Biologen u.a.m. war die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft stets enger als bei den Betriebs- und Volkswirten, den Psychologen oder Soziologen, um nur einige zu nennen. Heute bemühen sich eine Fülle von Instituten, häufig in der Rechtsform einer Stiftung, um Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Erinnert sei hier nur an die sog. An-Institute der Universitäten und Fachhochschulen, an die Bertelsmann-, Volkswagen- oder die Körber-Stiftung, die mit vielen anderen zusammen auf diesem Felde gute Arbeit leisten. Daneben wurden an vielen Universitäten oder in Zusammenarbeit mit ihnen sog. Transferzentren eingerichtet, die vor allem kleinen und mittleren Unternehmen mit ihrem Rat zur Verfügung stehen. Dennoch gibt es nach wie vor Schwierigkeiten in der Kooperation; zum Teil "leiden" kleine selbständige Unternehmer an Kontaktschwierigkeiten; zum Teil sprechen Wissenschaftler eine Sprache, die für Praktiker kaum verständlich ist. Auf alle Fälle müssen wir unsere Ressourcen in Wissenschaft und Wirtschaft wesentlich besser als bisher nutzen, wenn wir gegenüber anderen Industrienationen nicht noch weiter zurückfallen wollen.
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9.3.2 Sicherheits- und Renditedenken in den Unternehmen Etablierte Unternehmen , die an einem Markt eingeführt sind, gehen heute wesentlich vorsichtiger an die Durchführung von Innovationen heran als zu ihren Gründungszeiten. Der Unternehmer, wie wir ihn aus den Gründerzeiten des vorigen Jahrhunderts kennen, ist weitgehend ausgestorben, er wird auch nie wieder in Erscheinung treten. In Deutschland leben wir heute in einer reifen, saturierten Volkswirtschaft, in denen kleine und mittlere Unternehmen oder Manager der Großunternehmen den ökonomischen Ton angeben. Bei der Einführung neuer Produkte rechnen sie mit großer Sorgfalt: mögliche Preise und Absatzchancen, Bewertung des Risikos und Denken in Alternativen sind die Eckpfeiler einer Marktanalyse. Dabei werden das Risiko hoch und die Alternativen hoch eingeschätzt. In der Tat ist es schwer, auf den gesättigten Märkten eine Innovation zu finden, die mit Sicherheit eine Rendite von ca. 6 Prozent erbringt, wie sie bei langfristigeren Kaptitalanlagen leicht zu erreichen ist. Das Forschungsministerium hat jüngst aufgrund einer Untersuchung festgestellt, daß Innovationen nicht vorankommen, weil die "Impulse von den Märkten her" zu gering sind und das "Risiko im Vergleich zu den Absatz- und Ertragserwartungen" zu hoch ist. Man spricht von einem sog. "Impulsdefizit", was nur eine andere Ausdrucksweise ist für die beschriebenen Probleme. Man könnte auch von zu geringen ökonomischen Anreizen für eine kräftige Innovationstätigkeit sprechen. Über Verantwortung für dieses Innovationshemmnis ist damit noch nichts gesagt. Aber eine niedrigere Rendite für Alternativen auf dem Kapitalmarkt und eine größere Risikobereitschaft würden sich tendenziell innovationsfördernd auswirken. Doch dieses hohe oder ein ähnliches Rendite- und Risikodenken existiert in allen Vorstandsetagen der Großunternehmen. Es wäre falsch, daraus dem Management einen Vorwurf zu machen. Manager sind von den Kapitalbesitzern, den Aktionären, angestellte Führungskräfte, mit der Aufgabe, die Rendite des eingesetzten Kapitals so groß wie möglich zu machen. Wenn dabei risikoreiche Innovationen scheitern, riskieren sie ihre im allgemeien gut bezahlte Stellung ein. Das Management muß sich so und genauso verhalten, wie hier geschildert wurde. Ob es dabei sogleich öffentlich eine Politik des "shareholder-value" propagieren muß, um dadurch Aversionen in der Öffentlichkeit zu wecken, lassen wir einmal dahingestellt. Die Forderung nach mehr Risikobereitschaft, geringerem Sicherheitsdenken, größerer Mobilität und höherer Einsatzfreude ist nicht falsch. Diese Forderungen müssen sich an das Unternehmensmanagement, aber auch an alle anderen Verantwortungsträger in unserer Gesellschaft richten. Solche Forderungen sind nur leicht erhoben und häufig schwer zu realisieren, weil es für den Entscheidungsträger Zwänge und Abhängigkeiten gibt, die er zu beachten hat, und aus denen er nicht ohne weiteres ausbrechen kann. Tendenziell tragen alle finanziellen Hilfen zur Förderung der In-
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
vestitions- und Innovationstätigkeit, wie u.a. Steuersenkungen, Forschungs- und Innovationszulagen, Abschreibungserleichterungen oder Innovationsrücklagen dazu bei, dieses Innovationshemmnis zu vermindern.
9.3.3 Innovative Untemehmensfuhrung Die Forderung nach einer innovativen Untemehmensfuhrung, ist eine Art Gegenbewegung zur bis heute praktizierten Lean-strategie; Lean-production und leanadministration waren über viele Jahre die Forderungen an die Unternehmensleitungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zurückzugewinnen. Damit verbunden war - nicht im Sinne der Erfinder - eine Unternehmenspolitik, die mit aller Gewalt versuchte, die Kosten zu reduzieren, insbesondere die Lohnkosten. (cost - cutting) Sie wurde in der Bundesrepublik von fast allen größeren Unternehmen über einige Jahre praktiziert. Die Manager rühmten sich teilweise gegenüber ihren Aktionären und in der Öffentlichkeit mit dem schnellen, kräftigen Abbau von x-tausend Arbeitsplätzen. In einigen Unternehmen wurden das "Controlling" abgeschafft, um sich anschließend darüber zu wundem, daß die Korruption in dem Unternehmen "ins Kraut schießt". Schon bald wurde der Widerstand gegen diese Politik immer größer. Dabei ging er zum Teil auf wissenschaftliche Überlegungen zurück, die in den 70iger Jahren aus dem Projekt "Humanisierung der Arbeitswelt" des Bundesministers für Forschung hervorgegangen waren. Damals hatten zuerst deutsche Sozialwissenschaftler für neue Produktionsformen in der Industrie plädiert und das Modell der "Gruppenarbeit" propagiert. Zur Anwendung kam es aber zuerst in Schweden und dann in Japan, um von dort aus in Deutschland wieder Eingang in die Betriebswirtschaft zu finden. Neuerdings wird immer mehr erkannt, daß mit Kostensenkungen allein keine Zukunft für die Unternehmen zu gewinnen ist. Insbesondere von Hamel und Prahalad wurde zuerst eine neue innovative, zukunftsorientierte Unternehmenstrategie gefordert. Sie soll in erster Linie neue Produkte kreieren und auf mehr Kundenorientierung ausgerichtet sein. Dabei kommt es darauf an, die alten, vertikalen Entscheidungstrukturen mit ihren "Funktionsfürsten" in horizontale Teams oder Verantwortungsgruppen umzuwandeln. Den eigenverantwortlich handelnden Gruppen für die Produktion oder die Auftragsabwicklung stehen bestenfalls "Prozeßverantwortliche" vor. Für viele Unternehmensberater ist dieser systematische Wechsel von der vertikalen zur horizontalen Unternehmensorganisation eine wichtige Voraussetzung für neues Wachstum. Für aufgeschlossene Unternehmensleiter geht es jetzt um mehr Kundennähe, neue Produkte, Qualitätssteigerung, Teamorganisation, innovative Anreizkonzepte, Führung durch Zielvorgabe oder "Total Quality Management" (TQM) und a.m.
9. Nachhallige Forschungs- und Innovationspolitik
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Diese neuen Überlegungen sind beim deutschen Management mittlerweile bekannt, nur mit der Umsetzung in den Unternehmen hapert es noch. Gerade die grundlegende Veränderung der Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen in den Unternehmen ist keine leichte Aufgabe, weil es dabei auch um die Veränderung der gewachsenen Macht- und Einflußstruktur geht. Ohne Beratung von außen und insbesondere ohne die zusätzliche Motivation der breiten Mitarbeiterschichten wird es nicht klappen. Am Ende steht das Ziel, den bisherigen Abteilungsleiter zum Unternehmer zu machen, und einfache Mitarbeiter zum mitverantwortlichen Denken und Handeln im Interesse des Unternehmens zu bewegen. Zur innovativen Unternehmensführung gehört selbstverständlich ein entsprechendes Lohn-Anreiz-System. Insofern wird die alte Forderung nach Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn und/oder Produktiwermögen ebenfalls wieder aktuell. Von einem entsprechenden Umdenken in den Untemehmensführungen profitiert nicht nur das Unternehmen, sondern die gesamte Volkswirtschaft.
9.3.4
Unzureichendes Angebot an Risikokapital
Generell ist in Deutschland der Zugang zu Fremd- und Beteiligungskapital für kleine und mittlere Unternehmen ein schwieriges Problem. Bei der Einführung neuer Technologien kommt es für sie aufgrund der Kreditvergabepraxis der Banken zu zusätzlichen Schwierigkeiten. Dies hat im Dezember 1995 das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim aufgrund einer Umfrage festgestellt. Bei dem gängigen Begriff des Risiko- oder Wagniskapitals (venture capital) handelt es sich landläufig um die Finanzierung von risikoreichen Innovationen bei Neugründungen oder von bestehenden kleinen und mittleren Unternehmen. Die etablierten Großunternehmen haben im allgemeinen keine Finanzierungsprobleme; denn an ihnen sind häufig die Banken direkt beteiligt. Im Falle einer finanziellen Schieflage wird ihnen schnell "frisches" Kapital zur Verfügung gestellt, wie die Beispiele im Jahre 1996 von KHD, Köln, Metallgesellschaft, Frankfurt, oder Babcock, Oberhausen, zeigen. Kleinere Unternehmen erhalten dagegen bei der Gründung oder der 1. Wachstumsphase nur Fremdkapital von den Kreditinsituten, wenn sie über Eigenkapital oder Vermögen verfügen. Noch so gute Ideen von dynamischen, jungen Existenzgründern reichen grundsätzlich zur Kreditvergabe durch Kreditinstitute nicht aus. Allerdings gibt es - als Tropfen auf dem heißen Stein - bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt ein sog. ERP-Beteiligungsprogramm, bei dem die Darlehen der Hausbanken von der KfW refinanziert werden, die dann ein Ausfallrisiko bis 90 Prozent übernimmt. Dieses Programm ist leider jedes Jahr ausgebucht. Die Banken verweisen Existenzgründer oder Innovatoren an ihre besonderen Wagnis-Finanzierungsgesellschaften, die meistens Kreditanträge
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
mit gleicher Akribie und Unkenntnis prüfen, wie die Bankangestellten selbst. Intensive Bemühungen um zusätzliches Risikokapital für kleine und mittlere Unternehmen in der deutschen Wirtschaft sind aber auf staatlicher Ebene und durch die Kreditwirtschaft eingeleitet worden. In den Vereinigten Staaten werden seit vielen Jahren durch sog. "Venture-capital-fonds" gute Geschäftsideen von jungen Exxistenzgründern mit ausreichendem Kapital ausgestattet. Selbst junge Deutsche haben davon profitiert. Das Kapital stammt im allgemeinen von Kapitalanlagefonds, die einen bestimmten Betrag für diese Zwecke zur Verfügung stellen. Von 10 Kreditvergaben sind nach Erfahrungen 8 Flops und nur 2 zu gewinnträchtigen Anlagen geworden. Wer in Amerika jedoch einmal in Konkurs gegangen ist, wird dort nicht gleich als "Versager" gebrandmarkt und von weiteren Krediten ausgeschlossen, wie es in Deutschland der Fall ist. Die vergleichbaren Institute wie die Anlagefonds sind in Deutschland die Versicherungen. Sie dürfen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz aber nur einen kleinen Betrag von 3 Prozent für risikoreiche Zwecke zur Verfügung stellen und können deshalb vergleichbare Risikofonds, wie in den Staaten, nicht mit Kapital ausstatten. Es wäre zu prüfen, ob das Versicherungsaufsichtsgesetz den neuen Notwendigkeiten in Deutschland angepaßt werden kann. Auf alle Fälle werden in Deutschland noch immer bestimmte Anlagen im Wohnungs- und Schiffbau oder Investitionen in bestimmten Regionen durch Sonderabschreibungen oder anderen steuerlichen Anreizen besonders begünstigt; "Investitionen" oder Kapitalanlagen in risikoreiche Innovationen dagegen nicht. Angesichts dieser Verzerrungen bei den verschiedenen Anlagemöglichkeiten in Deutschland durch die Finanzpolitik der Bundesregierung darf man sich nicht wundern, daß für Innovationszwecke kein entsprechendes Kapital zur Verfügung steht. Auch die jungen Unternehmer müssen sicherlich umdenken. Sie meinen allzuhäufig, daß ihre Expansion nur aus eigenen Gewinnen finanziert werden darf; sie haben "Angst" vor Fremdkapital im Unternehmen, weil sie dann nicht mehr "Herr im Hause" sind. Das ist jedoch "Schnee von gestern"; denn wie hatte Schumpeter zu seiner Zeit schon gesagt: Jeder große Unternehmer ist auf seinen Schulden zum Erfolg geritten! Wenn wir in unserem Lande ein größeres Angebot an Risikokapital wollen, muß ebenfalls der Gesetzgeber handeln. Die Finanzkapitalsammelstellen benötigen mehr Freiraum für risikoreiche Anlagen. Die steuerlichen Anreizsysteme für Kapitalanlagen müssen überprüft und auf die neuen Innovationsaufgaben ausgerichtet werden.
9. Nachhallige Forschungs- und Innovationspolitik
9.3.5
187
Patentschutz und Genehmigungsverfahren
Die Dauer der Genehmigungsverfahren für Neuansiedlungen von Unternehmen und für die Einführung neuer Produktionsverfahren ist ein ständiger Kritikpunkt für die deutsche Innovationsschwäche. Darauf hat im Juli 1996 erneut das IfoInstitut in München aufmerksam gemacht. Im Hinblick auf die Genehmigung für die Ansiedlung neuer Unternehmen hatte jüngst ein Regierungspräsident festgestellt, daß sie in 1994, 1995 und 1996 ständig auf Unternehmensansiedlungen in ihrem Regierungsbezirk gewartet haben. Die Genehmigung wäre, im Falle eines konkreten Antragseingang, in wenigen Monaten von ihm persönlich überbracht worden. Von besonderer Bedeutung sind offenbar die Probleme, die mit der Markteinführung neuer pharmazeutischer und chemischer Produkte zusammenhängen. In der Pharmazeutischen Industrie wird die Länge der Genehmigungsverfahren durch das Bundesamt für Gesundheit und Pharmazie in Berlin kritisiert. Während die Laufzeit für den Patentschutz grundsätzlich 20 Jahre beträgt, gehen mit der Anmeldung und der Genehmigung des Produktes durch das ehemalige Bundesgesundheitsamt allein 6 - 8 Jahre verloren. In London oder Stockholm benötigen die dortigen Zulassungstellen für die gleiche Arbeit nicht mehr als 1 Jahr. Die nutzbare Patentschutzfrist ist für die Industrie in Deutschland 6 - 7 Jahre kürzer als im europäischen Ausland. Nur zur Klarstellung: Patentschutz ist nichts anderes als der für eine begrenzte Zeit geltende Schutz geistigen Eigentums vor Nachahmern, um dem Eigentümer eine Ausnutzung der patentgeschützten Innovation zu gewährleisten. In dieser Laufzeit des Patentschutzes wird die Konkurrenz ausgeschlossen, und der Anbieter erhält die Möglichkeit, zumindest einen Teil seiner Aufwendungen für Forschung und Innovation wieder hereinzubekommen. Für die Pharmaindustrie kann diese Frist durch die EU-Kommisson im Rahmen eines ergänzenden Schutzzertifikates (SPC) um wenige Jahre erweitert werden. Schon jetzt werden Patentanmeldungen von der deutschen Pharmazeutischen Industrie immer mehr im europäischen Ausland vorgenommen. Wie der internationale Vergleich zwischen Deutschland, den Vereinigten Staaten und Japan zwischen 1982 und 1992 ausweist, sind die Patentaktivitäten in Deutschland in dieser Zeit weitgehend konstant geblieben; weltweit sind sie um 3 Prozent und in den USA seit 1988 um 40 Prozent angestiegen. Obgleich das Gentechnikgesetz, das lange Zeit als Innovationshemmnis Nr 1 angesehen wurde, mittlerweile novelliert worden ist, verlangt es noch immer erheblichen bürokratischen Aufwand. Für die sog. Sicherheitsstufe 1 ist nach dem Gentechnikgesetz "nicht von einem Risiko für die menschlicher Gesundheit und die Umwelt auszugehen". Dennoch ist hierfür eine Anmeldung erforderlich, die mit einer 2-3monatigen Prüfzeit verbunden ist und einen erheblichen "Formularkrieg" erfordert. Wenn die Definition der Sicherheitsstufe 1 eingehalten
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
wird, müßte es eigentlich ausreichend sein, wenn es statt der Anmeldung durch die Wirtschaft eine Anzeige gibt. Auf diese Weise könnte sich die Aufsichtsbehörde von der ordnungsgemäßen Durchfuhrung der Arbeiten überzeugen, ohne daß es zu Verzögerungen kommt. Soweit nur einige exemplarische Hinweise über geringen Patentschutz und lange Genehmigungsverfahren, die uns zumindest in den dargestellten Fällen als berechtigt erscheinen. Nicht immer sind die Klagen der Wirtschaft über diese Probleme akzeptabel; gerade ein verstärkter Umweltschutz verlangt nach bestimmten Kontrollen durch die staatliche Aufsicht. Nicht selten neigt der Gesetzgeber dazu, unsinnige Bestimmungen zu formulieren, die zur Erreichung der wirklich wichtigen Ziele nicht notwendig sind. 9.3.6
Negatives Forschungs- und Innovationsklima
Die Ursachen für das angeblich so schlechte "Forschungsklima" in Deutschland wurden in den vorhergehenden Kapiteln schon teilweise, angedeutet. Es ist eher ein Thema des Gefühls und der Empfindungen als der konkreten Analyse. Die vielen Ungereimtheiten in der Forschungs- und Innovationspoitik wirken sich negativ auf das allgemeine Empfinden aus. Die grüne Umweltschutzbewegung hat in der Mitte der 70iger Jahre ebenfalls eine technik- und fortschrittsfeindliche Grundstimmung in der Bevölkerung verbreitet. Heute noch fühlen sich viele Menschen über die Zunkunft verunsichert und sind voller Ängste vor den großen technischen Neuerungen. So antworten auf die Frage des Allensbach-Instituts, ob der technische Fortschritt den Lebensstandard verbessert oder verschlechtert, in Deutschland 28 % mit "verschlechtert und nur 43 % mit "verbessert". In Japan sieht es ganz anders aus: "verschlechtert - 4% und "verbessert " - 74 %. Vor allem die Wirtschaft und ihre Verbände weisen gerne auf das schlechte Forschungs- und Innovationsklima hin. Die Bundesregierung hat einen "Rat für Forschung, Technologie und Innovationen beim Bundeskanzler" im März 1995 (Technologierat) eingerichtet. Zu seinen Aufgaben zählt u.a. die "Verbesserung der Aufgeschlossenheit für neue Technik" Von dort ist dieses Thema bisher aber nicht aufgegriffen worden. Manchen dient es auch als "Buhmann", um vom eigenen Nichtstun abzulenken oder andere Interessen durchzusetzen. Dennoch ist es, auch aus unserer Sicht, nicht etwa ein unbedeutendes Thema. Karl Schiller pflegte zu sagen, daß Wirtschaftspolitik zu 50 Prozent aus Psychologie und zu 50 % aus harter Faktensetzung besteht. So ähnlich ist es mit der Forschungs- und Innovationspolitik. Wie beim Sport gilt hier: ein gutes Klima, eine breite öffentliche Anerkennung fördert Spitzenleistungen, und Spitzenleitungen fordern das allgemeine Bemühen auf breiter Basis. Die öffentliche Stimmung ist gegenüber den verschiedenen Forschungsgebieten sehr differenziert. Gegen die althergebrachten Forschungsgebiete (Elektrotechnik, Chemie, Automobil- und Maschinenbau u.a.) gibt es wenig Ein-
9. Nachhaltige Forschungs- undInnovationspoUtik
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Wendungen; Kritik kommt gerade gegenüber den neuen High-Tech-Bereichen auf, wie gegenüber der Bio- und Gen- oder der Informationstechnologie. Gerade in diesen Bereichen haben wir in Deutschland jedoch bereits einen spürbaren Rückstand zu verzeichnen. Was läßt sich sinnvollerweise machen? Wir brauchen nicht nur unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten eine seriöse Technikfolgenabschätzung, wie sie im Deutschen Bundestag versucht wird. Wir benötigen mehr intelligente Technik, mit größerer Effizient und d.h. mit geringerem Einsatz von Material und Energieressourcen und damit weniger Umweltbeeinflussung. Eine derartige neue Technik hätte kein Akzeptanzproblem in der Öffentlichkeit. Bei der Entscheidung über die neuen Technologien dürfen wir nicht nur die Vor- und Nachteile der neuen Technologien erörtern; wir müssen stets darauf aufmerksam machen, was geschehen kann, wenn die Entwicklung so weiter läuft wie bisher und nichts unternommen wird. Schließlich sollte die Öffentlichkeit wissen, daß die verantwortlichen Entscheidungsträger fiir neue Technologien nicht alles wissen können, was sie wissen müßten (Leaming by doing). Gerade deshalb sollte ein Ausstieg aus einer neuen Entwicklung stets ins Auge gefaßt werden, wenn sie sich als nicht "nachhaltig" erweist. Es kommt hinzu: nicht nur jedes Unternehmen benötigt eine bestimmte "Vision" über die zukünftige Entwicklung. Auch die Politik, zumindest die Forschungs- und Innovationspolitik, muß verstärkt verdeutlichen, in welche Richtung sich dieser zukunftsträchtige Politikbereich fortentwickeln soll. Bei der Erarbeitung dieser gesamtgesellschaftlichen Vision muß interdisziplinär und in "ganzheitlichen" Zusammenhängen gedacht und vorgegangen werden. Nur durch allseitig akzeptierte Ziele kann in Deutschland eine neue Aufbruchstimmung geschaffen werden, die für den Erfolg von Wirtschaft und Wissenschaft dringend erforderlich ist.
9.3.7
Versäumnisse in der Bildungspolitik
Hier geht es nicht um die aktuellen Probleme der Bildungspolitik von Bund und Ländern, obgleich die Ausgaben für Bildung ähnlich stark zurückgegangen sind, wie die für die Forschungspolitik. Es läßt sich außerdem nicht leugnen, daß der Wissenschaftsstandort Deutschland offenbar im Ansehen ausländischer Studenten an Bedeutung verloren hat. Junge deutsche Wissenschaftler gehen vermehrt ins Ausland, und beides ist bedenklich; denn für die Innovationsfähigkeit kommt nach wie vor den Hochschulen eine große Bedeutung zu. Neben der so wichtigen Forschungs- und Innovationspolitik muß es zu einer Ausweitung des entsprechenden Wissens und der Bildung kommen. Dabei ist in erster Linie die höhere Schule und die berufliche Weiterbildung gefragt. Während das herkömmliche Lernen sich an dem Wissen der Vergangenheit orientiert, gehört zum innovationsorientiertem Lernen die Auseinandersetzung mit der Zukunft. Dieses drin-
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
gend erforderliche neue, innovatorische Lernen ist ferner durch Offenheit gegenüber aktuellen Ideen und durch Partizipation mit anderen Ideen oder Wissensgebieten den bekannten Mut zum Risiko voraus. Es soll sich nicht nur auf Naturwissenschaft und Technik bezgekennzeichnet. Innovation setzt, wie bereits gezeigt worden ist, genauso wie innovatives Lernen iehen, sondern muß alle Wissens- und Lebensbereiche, die Geisteswissenschaften und insbesondere die Ökologie, umfassen. Die Bildungspolitik ist also wesentlich stärker als bisher gefragt. Es geht eben nicht nur um die Entwicklung neuer Technologie oder die Förderung entsprechender Institutionen. Entscheidend ist vor allem die Unterstützung einer schnelle und breite Diffusion neuen Wissens in allen relevanten Bereichen. Viele Innovationen im kleinen mit hoher Veränderungsdynamik haben einen Verlust an Fachwissen und Status einzelner Personen im Berufsleben zur Folge. Berufliche Weiterbildung ist deshalb das Gebot unserer Zeit und dafür sind zusätzliche finanzielle Mittel, durch Unternehmen, Bund und Ländern und die Bundesanstalt für Arbeit, zur Verfügung zu stellen.
9.4. Zukünftige, ökologieorientierte Forschungs- und Innovationspolitik Am Ende des 20. Jahrhunderts stehen wir in Deutschland vor zwei großen gesellschaftspolitischen Problemen: Erstens: wie können wir im technologischen Wettbewerb zwischen Großunternehmen und Nationen unseren relativen Wohlstand sichern und für jeden Arbeitswilligen einen Arbeitsplatz bereitstellen? Zweitens: Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um für uns und die nachfolgenden Generationen die Lebensmöglichkeiten auf dieser Erde und die Umwelt zu erhalten. Die Fragen stehen nicht im Widerspruch zueinandern; im Gegenteil jede akzaptable Politik wird versuchen, die Antworten auf beide Fragen miteinander zu verbinden. Faktum ist zur Zeit, daß alle hochentwickelten Länder in Europa, Amerika und Ostasien um nahezu die gleichen Techologiefelder konkurrieren. Für diese Volkswirtschaften geht es in dem internationalen Wettbewerb darum, den forschungs- und wertschöpfungsintensiven Produktionen optimale Stadortbedingungen zu bieten. Die Politik der ökologischen Neuorientierung bedarf eines bestimmten "Nährbodens" und der Erforschung der sozialen und ökologischen Folgewirkungen. Eine weitere Ökologisierung der Produktion setzt nicht, wie bisher üblich, auf nachsorgenden Umweltschutz, auf "end-of-the-pipe"-Technologien, vielmehr müssen in Zukunft die ökologischen Ziele "vorsorgend", und das heißt: direkt bei der Entwicklung und Gestaltung der Produktion beachtet werden. Mit einer derartigen Verzahnung von Ökonomie und Ökologie würde eine völlig neue Produktionsweise geschaffen, gewissermaßen ein neuer Quantensprung der Pro-
9. Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik
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duktion erreicht werden. Das würde den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik und die Exportchancen in diesem Lande entscheidend verbessern. Die Bundesrepublik Deutschland ist bereits heute ein führender Exporteur für Umwelttechnik, aber die anderen Konkurrenten schlafen nicht und sind laufend bemüht aufzuholen. Für die Zukunft geht es darum, durch den Einbau eines vollintegrierten Umweltschutzes in die Produktion neue Chancen zu erschließen. Diese Umgestaltung der Produktion wird gekennzeichnet sein durch: - abfallarme und ressourcenschonende Produktion, - eine massive Effizienssteigerung der eingesetzten Rohstoffe und der Energie Die oben dargestellte Stuktur des Haushaltes des Forschungsministeriums entspricht diesen Zielen in keiner Weise. Zwar wurden im Laufe der 80iger Jahre die Mittel für Ökologie-, Umwelt- und Klimaforschung aufgestockt; eine klare Ausrichtung der vorhandenen Mittel auf die Entwicklung einer Produktion mit volllintegriertem Umweltschutz gibt es jedoch nicht. Die Mittel des Bundesforschungsministers werden überwiegend für Großtechnologien und die Förderung des nachsorgenden Umweltschutzes ausgegeben. Im sog. Delphi-Report mit dem Titel "Innovationen für unsere Zukunft" sehen die befragten Experten die künftigen Schlüsseltechnologien in den Bereichen Dienstleistungen, Ressourceneffizienz und Vorsorge für Umwelt und Gesundheit. Es wäre an der Zeit, daß die Zunkuftsaussagen dieser unabhängigen Experten in die Politik eingehen.
9.4.1 Wirtschaften in Kreisläufen Die Forderung nach einer "Kreislaufwirtschaft für alle Stoffströme" ist leichter gestellt als realisiert, wie die anhaltende öffentliche Diskussion über das Kreislaufwirtschaftsgesetz zeigt. Hierbei geht es um revolutionäre Veränderungen des industriellen Produktionsprozesses. Es geht um den Aufbau branchenübergreifender, umweltgerechter "Stoffstromkreisläufe". Dabei soll der Produktionsprozeß insbesondere im Hinblick auf den Stoffeinsatz optimiert und zu einem "geschlossenen" Prozeß umgestaltet werden. In Betracht gezogen wird dabei der gesamte Lebensweg eines Produktes und seiner Produktionskomponenten, wie der Einsatz der Produktionsstoffe, der Werkstoffe und der Energie u.a.m. - gewissermaßen "von der Wiege bis zu Bahre". Auch die Wiederverwertung des Produktes geht in die Überlegungen ein. Deshalb sollen nur solche Rohstoffe verwendet werden, die in den Produktionsprozeß zurückgeführt werden könnne. Es leuchtet unmittelbar ein, daß diesen geschlossenen Produktionsprozessen, so sie dann möglich sind, wenigstens mittelfristig die Zukunft gehören wird. Lang-
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
fristig fuhrt kein Weg vorbei an dieser neuen, zu erarbeitenden Produktionsweise, wenn die Menschheit auf diesem Globus überleben will. Das Wirtschaften in Kreisläufen erfordert die Einführung einer Vielzahl neuer Techniken (in der Fertigung, der Demontage, der Wiederverwendung u.a.m.), und es setzt voraus, daß es gelingt, die aktive Mitarbeit aller Beteiligten auf allen Ebenen des Prozesses zu erreichen. Der Bundesforschungsminister hat jüngst in einem Rahmenkonzept "Produktion 2000" die notwendigen Forschungsthemen aufgelistet, die angepackt und unterstützt werden sollen Dazu gehört u.a. die Identifikation der Kreislauftauglichkeit von Werkstoffen und Werkstoffverbindungen; die Entwicklung verfahrenstechnischer Prozesse zur Stoffumwandlung oder die Optimierung von Aufbereitungstechniken für die industrtielle Demontage gebrauchter Produkte. Wir benötigen femer Instrumente und Strategien, um ein intelligentes Stoffmanagement zu ermöglichen. Am Ende müssen für jeden Produktionsbetrieb abrufbare Informationen über brauchbare Rohstoffe und Sekundärrohstoffe zur Verfugung stehen. Es geht außerdem bei dem Aufbau geschlossener Stoffkreisläufe um die Einführung einer Fülle neuer, innovativer Verwertungstechniken, worauf der Bundesforschungsminister ausdrücklich aufmerksam macht. Trotz der Fülle der Probleme kann es auf diesem Felde kein Zurück mehr geben, sondern nur ein Voraus. Der Staat sollte sich auch nicht anmaßen, alle Fragen, die mit dem Wirtschaften in Kreisläufen zusammenhängen, von sich aus lösen und beantworten zu können. Der Staat hat hier wie überall die Rahmendaten vorzugeben und der Wirtschaft die Aufgabe zu überlassen, in einer bestirnten Frist den Produktionsprozeß und die eingesetzten Produktionsmittel in ein geschlossenes Kreislaufsystem zu überfuhren. Die Umgestaltung der Produktion und der Produktionsprozesse für die bekannten Massenprodukte der Menschheit würde die Exportmöglichkeiten der Wirtschaft für diese Produktionsanlagen erheblich steigern.
9.4.2. Energieforschung für eine nachhaltige Entwicklung Die Einfuhrung einer nachhaltigen Energiepolitik ist im Hinblick auf die unmittelbare Bedrohung der Erde und ihres Klimas durch umweltschädliche Gase, insbesondere durch den C02-Ausstoß der dringendste und bedeutendste Forschungsbereich. Langwierige Forschungsprogramme mit zeitraubenden Forschungsarbeiten werden sich Deutschland und die industrialisierte Welt in diesem Bereich gar nicht erlauben können. "Die Energieerzeugung ist heute zu ca. einem Drittel an der weltweiten, anthropogenen Klimaänderung beteiligt", heißt es in dem Forschungsbericht der Bundesregierung. Sie hat sich im C02-Minderungsprogramm verpflichtet, bis zum Jahre 2005 eine Senkung von 25 Prozent C02-Ausstoß in der Bundesrepublik gegenüber 1990 vorzunehmen. Auf der
9. Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik
193
Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung vom Juni 1992 in Rio de Janeiro haben sich alle Länder der Völkergemeinschaft dazu verpflichtet, eine nachhaltige Entwicklung (sustainable development) einzuleiten. In Deutschland ist es bisher gelungen, den Anstieg des Primärenergieverbrauchs vom Wachstum des Bruttosozialproduktes abzukoppeln. Dank der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands, und der damit verbundenen Stillegung vieler Energieerzeugungs- und Produktionsanlagen in den neuen Bundesländern, ist bei uns 1996 der C02-Ausstoß sogar um 12 % gesunken. Dennoch müssen dringend hierfür weitere Einspar- und Effizienspotentiale erschlossen werden. Wichtig wäre dafür alle Energie-Einspartechniken zu nutzen, insbesondere die Anwendung der Kraft-Wärme-Kopplung in vorhandenen und in allen neuen Elektrizitätswerken auf Verbrennungsbasis. Längerfristig können und müssen nach Ansicht der Bundesregierung erneuerbare Energien, vor allem in Form von Biomasse, Solarthermie oder Photovoltaik Bedeutung bekommen. Die Wasser- und Windenergie trägt in Deutschland aufgrund der gesetzlichen Förderung bereits zu einem sichtbaren Anteil an der Stromerzeugung bei. Die Sonnenenergie wird in der Bundesrepubilk nicht mehr besonders gefordert. Trotz der entscheidenden Forschungsergebnisse aus Deutschland wird die Anwendung in Japan und den Vereingten Staaten schneller vorangetrieben. Sicherlich sind stets aus ökonomischer Sicht bei der Bewertung alternativer Energiequellen Kosten-Nutzen-Analysen angebracht, und bei einem einfachen Vergleich ohne externe Kosten ergibt sich noch immer, daß die Kilowattstunde aus Sonnenenergie wesentlich teurer ist als z.B. aus der Verbrennung von Kohle oder anderen fossilen Energieträgern. Aber diese Vergleiche hinken immer, weil gar nicht alle Kosten beachtet werden können. Es kommt, wie sich an diesem Beispiel zeigt, eben nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf die Unterstützung der Markteinführung an. Die monopolistischen Elektrizitäserzeuger in Deutschland mit ihrem erheblichen Einfluß auf politische Entscheidungssprozesse haben allein aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen überhaupt kein Interesse an einer grundlegenden Änderung der Stromerzeugung.
9.4.3. Mobilitäts- und Verkehrsforschung Vor 200 Jahren haben die Menschen pro Person und Pro Jahr etwa 100 km zurückgelegt; am Anfang dieses Jahrhunderts hat sich die Maßzahl auf 1000 km erhöht, und heute gehen wir davon aus, daß eine Person in den Industrieländern etwa 10 000 km pro Jahr zurücklegt. Aber nicht nur die Mobilität von Personen, die Mobilität von Gütern ist ebenfalls kräftig gestiegen. Diese Mobilität der Güter wird mit der Ausdehnung der Märkte weiter anwachsen. Auch hier, vergleichbar der Energieerzeuegung, geht der steigende Wohlstand mit einer Zu-
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
nähme des Verkehrs von Personen und Gütern einher. Für die Zukunft kommt es darauf. - wie bei der Energieerzeugung die Verkehrsleistung von der Zunahme des Bruttosozialproduktes abzukoppeln und dabei vor allem die Emissionsbelastung durch Lärm und Luftverschmutzung zu verringern. Wir brauchen auch hier eine "Effizienzrevolution", also eine spürbare Verbesserung des Verhältnisses von Nutzen und Aufwand im Verkehr. Dabei sehen die Prognosen für den Personen- und den Güterverkehr, wie das folgende Schaubild zeigt, alles andere als ermutigend aus: Verkehrsprognosen
Güterverkehr
Personenverkehr
in Mrd. tkm
in Mrd. Pkm
1200
Luftverkehr Fahrrad, zu Fuß Öffentlicher Straßenpersonenverkehr Eisenbahn
17
800
100
600 Binnenschiffahrt Eisenbahn
400
Straßengüternahverkehr
123 I f
1989
I I H
2005
2020
Straßengüterfernverkehr
200
1989
Motorisierter individualverkehr 871
2005
2020
Quelle: DIW, Ikarus
Aber schon jetzt gibt es Ansätze für eine Entkoppelung. Für den Güterverkehr werden Szenarien erprobt, die kombinierte Transporte zunächst per LKW - Binnenschiff - Bahn und wieder per LKW vorsehen. Dabei ist ein Wechsel der Transportgefäße nicht erforderlich. Im Bereich der persönlichen Mobilität müßten fern er die Übergänge zwischen den Verkehrsträgern benutzerfreundlicher gestaltet werden. So können die einzelnen Verkehrsträger (PKW, ICE-Züge, Nahverkehrsmittel u.a.) zu einem flexiblen Gesamtverkehrssystem zusammen-
9. Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik
195
wachsen, das die Verkehrsteilnehmer schnell und umweltfreundlich nutzen können. Die Mobilitäs- und Verkehrsforschung hat die Aufgabe, derartige vollintegrierte Verkehrskonzepte zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. Dabei wird es entscheidend darauf ankommen, trotz eines wahrscheinlich zunehmenden Verkehrsaufkommens, die Umweltbelastungen absolut zu verringern. Ein Mittel, um dies zu erreichen, ist die bessere Vernetzung und Verknüpfung der Verkehrsträger von Straße, Schiene, Wasser und Luft. Das Zusammenwirken von Kommunikationstechnik mit der Leit- und Informationstechnik zur Regulierung des Straßenverkehrs faßt man in dem Begriff der Telematik zusammen. Die Anwendung der Telematik auf den Personenverkehr wirft jedoch schwierige Datenschutzprobleme auf, die nicht ignoriert werden dürfen. Vor allem beim Gütertransport geht es darum, mit Hilfe der Telematik die Transportketten durch Informationsketten zu ergänzen, um alle Aufgaben des Transports besser aufeinander abzustimmen. Hier kommt dann auch die stärkere Nutzung der umweltfreundlichen und kostengünstigen Schiffahrt ins Spiel. Die Küsten- und Binnenschiffahrt, die über erhebliche unausgelastete Kapazitäten verfugt, muß dringend besser eingesetzt werden. Doch von allen diese Maßnahmen sind keine durchschlagenden Erfolge für die Emissionsverringerung durch den Verkehr zu erwarten. Um den Schadstoffausstoß zu verringern, ist die Verbesserung konventioneller und die Entwicklung neuer Antriebssysteme erforderlich. Mittelfristig geht es ferner um Gewichtsreduzierung im Fahrzeugbau durch den Einsatz von Aluminium und völlig neue Materalien. Längerfristig müssen alternative Energie- und Antriebskonzepte (Wasserstoff als Antriebsmedium) einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Umwelt- und Energieversorgungsprobleme leisten. Auf die Notwendigkeit des Baus voll recycyelbarer Automobile wurde bereits hingewiesen. Ob die Ausdehnung und stärkere Nutzung der modernen Informationstechnologie zu einer Abnahme des Personenverkehrs führt, und wir uns wieder zurückbewegen auf die 1000 km pro Person und Jahr, kann heute keiner mit Sicherheit sagen. Unserer Ansicht nach ist das Mobilitätsbedürfnis der Menschen so stark, daß es eher zur Ausweitung als zur Einschränkung des Verkehrs in Zukunft kommen wird.
9.4.4. Forschung in der Landwirtschaft Die Landwirtschaft gilt unter dem Aspekt des Umweltschutzes als ein besonders problematischer Wirtschaftsszweig. Die Forschungspolitik bemüht sich um diesen Bereich und setzt einen Schwerpunkt in der Biotechnologie. Es sollen und können hier nicht alle Punkte erwähnt werden, die von forschungspolitischer Relevanz sind. Ein wenig stolz ist das Forschungsministerium auf die Tatsache, daß
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
in den letzen Jahren an mehreren Standorten in Deutschland biotechnologisch veränderte Formen verschiedener Nutzpflanzen im Freiland erprobt werden konnten. Die Widerstände gegen diese Freisetzungsexperimente konnten mit Hilfe der Universitäten und der Wirtschaft spürbar vermindert werden. Bei dieser Forschung geht es um die Entwicklung von Pflanzen,die resistenter gegen Schädlinge und Krankheiten werden sollen. Untersucht wird zudem der industrielle Einsatz dieser "biogenen" Produkte als "nachwachsende" Rohstoffe. Dies könnte dazu beitragen, daß sich der Aufwand an Betriebsmitteln reduziert. Das Forschungsministerium hat in den zurückliegenden 5 Jahren vor allem auch Grundlagenkenntnisse zur biologischen WasserstofTgewinnung gefördert. Für die Zukunft geht es um die stärkere Anwendungsorientierung dieser Forschung. Erste Durchbrüche dieser Forschungsrichtung sind angeblich bei Pflanzenölen gelungen. In der bereits erwähnten Delphi-Studie soll die Biotechnologie bis zum Jahre 2020 an jeder zweiten der 3o wichtigsten Innovationen beteiligt sein. Die Bundesregierung gibt für die Forschungs- und Technologieförderung auf diesem Gebiet der Biotechnologie insgesamt etwa 1 Mrd. DM aus. Für das besondere Programm "Biotechnologie 2000" werden allein pro Jahr 330 Mio DM zur Verfügung gestellt. Ob man es gut findet oder nicht, aber auch die Biotechnologie ist, wie die Informationstechnologie, nicht mehr einzufangen oder gar aufzuhalten. Deshalb kommt es jetzt darauf an, die Entwicklung zum Nutzen der Menschheit fortzuführen. Das heißt aber auch, daß wir nicht alles machen dürfen, was wir können. Die Grenzen dieser Forschungssrichtung werden durch die Bioethik-Konvention des Europa Rates noch sehr unzureichend aufgezeigt. Auf diesem Felde ist feerner bereits die internationale Kooperation innerhalb Europas und mit Japan und den Vereingten Staaten weit fortgeschritten. Mit den Vereinigten Staaten wurde ein Verfahren zur Erzeugung von Tieren mit vorbestimmten Geschlecht entwickelt. Von diesen neuen Möglichkeiten der Produktionstechnik erhofft man sich eine Senkimg der Tierbestandsgrößen. Die gemeinsamen Aktivitäten mit den USA konzentrieren sich aber in erster Linie auf die bessere kommerzielle Nutzung der Biotechnologie.
9.5 Das Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung Das Leitbild einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung, wie es von der Enquetekommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" in ihrem "Konzept Nachhaltigkeit" entworfen wurde, verlangt dreierlei: - Befriedigung der Bedürfnisse einer wachsenden Zahl von Menschen - Begrenzung des Abbaus natürlicher Ressourcen
9. Nachhaltige Forschungs- und Innovationspolitik
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- Verminderung der Umweltbelastung auf mittlere Sicht. Damit diese Entwicklung stabil verläuft und langfristig wirksam ist, muß das Leitbild gleichermaßen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielsetzungen genügen. Die "Nachhaltigkeit" des Leitbildes zielt also auf eine ganzheitliche, d.h. wirtschaftliche, ökologische und soziale Modernisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ab. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die vorhandenen Hemmnisse, wie sie angedeutet wurden, besser erkannt und Ansatzpunkte zur Förderung dieser Entwicklung erarbeitet werden. Daß es in der Bundesrepublik eine sichtbare Diskrepanz zwischen Umweltbewußtsein und Umweltverhalten gibt, ist allgemein bekannt. Um eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten, müssen sich aber in der Industriegesellschaft dringend die Formen des Wirtschaftens und Konsumierens sowie die Lebensstile ändern. Zwar gibt es in der Bundesrepublik eine hoch entwickeltes Umweltbewußtsein, aber dies kann nur zu 1 5 - 2 0 Prozent durch erhöhtes Wissen über die Umweltproblematik erklärt werden. Um die Diskrepanz zwischen Bewußtsein und Verhalten weiter zu verringern, ist eben verstärkt auf individuelle Kosten-Nutzen - Abwägungen zu setzen. Konkret heißt dies, daß es darauf ankommt, Umweltverschmutzer finanziell zu belasten und umweltgerechtes Verhalten finanziell zu fördern. Mit Aufklärung und gutem Zureden allein ist eben das Umweltverhalten nur sehr bedingt zu beeinflussen. Jegliche ökonomische und soziale Entwicklung setzt die Sicherung der Umwelt voraus. Die Umweltsicherung und die damit verbundene Umweltpolitik kann aber durchaus auch eine dynamisierende Schlüsselrolle für Innovationen, Schaffung von Arbeitsplätzen und Effizienzsteigerung in der Wirtschaft übernehmen. Betrachten wir einmal verschiedene Aktionsfelder für die Umweltpolitik so geht es stets um Wollen und Können. Im Bereich der Unternehmen sind die entscheidenden Innovationsimpulse letztlich immer betriebswirtschaftlich bedingt. Ob hier zum Beispiel von additiven zu integrierten Umwelttechnologien übergegangen wird, ist ein Frage der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung. Auch Ressourceneinsparung oder Kooperationen basieren letztlich auf einem ökonomischen Kalkül der Unternehmen. Ein weiteres Aktionsfeld sind die Organisationsstrukturen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Gerade die betriebsinternen Strukturen neigen dazu bahnbrechende Neuerungen zu blockieren. Sie sind nicht geeignet große Veränderungen zu akzeptieren. Besonders "querdenkende Visionäre" haben es schwer sich gegenüber eingefahrenen Strukturen durchzusetzen. Für diese Gruppe müssen besonders zusätzlich Freiräume geschaffen und Hierarchien abgebaut werden. Ferner sind "Bildung und Kommunikation" zu nennen, als weitere Aktionsfelder zur Belebung eines nachhaltig zukunftsverträglichen Innovationsprozesses. Bildung und Kommunikation sind entscheidende Schlüsselgrößen für den Erfolg dieser Innovationsstrategie. Während Bildung im allgemeinen nur langfristig wirkt, können neue Kommunikationsstrategien sehr
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kurzfristig große Wirkungen entfalten. Um ein positives Innovationsklima zu schaffen, sind breite Beteiligung und offene, transparente Informationen für alle ein wichtiger Ansatz. Ein bekanntes Aktionsfeld a la Schumpeter sind die Produkte, Produktionsverfahren und neue Technologien. Hierzu nur wenige Anmerkungen, für ausfuhrliche Diskussionen ist hier nicht der Platz. Aber alle Innovationsstrategien, die auf diesen Bereich gerichtet sind, müssen auf eine Verbesserung im Sinne der Nachhaltigkeit abstellen. Die Prozeß- oder Produktinnovationen sollten u.a. zu einer Verbesserung der Ressourcenproduktivität, einer stärkeren Nutzimg regenerierbarer Energie- und Stoffquellen, einer höheren Umweltverträglichkeit, einer Verbesserung der Recyclemöglichkeiten, einer steigenden Produkt und Anwendersicherheit u.a.m. beitragen. Schließlich wäre noch das Aktionsfeld "Wissenschaft und Forschung" zu erwähnen. Hier wäre in einem diskursiven Prozeß der Bedarf an Problemlösungen, an Handlungswissen und an technischen Möglichkeiten zu erarbeiten. Wissenschaft und Forschung müssen stärker als bisher einen Beitrag dazu leisten, zugleich zukunftssichere Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu schaffen, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken und die natürlichen Lebensgrundlagen auf Dauer zu sichern. Es geht um eine Neuorientierung, einen Paradigmenwechsel, von Wissenschaft und Forschung entsprechend dem Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung. Dazu gehört u.a. mehr Interdisziplinarität, eine bessere Verbindung von grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung, die Zukunftsorientierung mit entsprechender Folgenabschätzung und eine bessere Verbindung zwischen der globalen und der regionalen Untersuchungsebene. Um das schwierige Problem der Umsetzung von Neuerungen, der Umwandlung von technischen Erfindungen in marktgängige Produkte voranzutreiben, hat sich mittlerweile ein eigener Wissenschaftszweig, die "Implantationswissenschaft" gegründet. Sie will der Frage nachgehen, warum verschiedene Neuerungen zwar patentiert, aber dennoch nicht durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang sei auf ein Buch von Peter Littig verwiesen, mit dem vielsagenden Titel: "Die Klugen fressen die Dummen"!
10. Globalisierung
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10. Globalisierung der Wirtschaft und nationale Wirtschaftspolitik Gliederung: 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.7.1 10.7.2 10.7.3 10.7.4 10.7.5 10.8
Globale Veränderungen und nationale Handlungsmöglichkeiten Internationale Finanzmärkte und Zinszusammenhang Internationaler Handel, multinationale Unternehmen und Direktinvestitionen Sinkende Raumüberwindungskosten und neue Kommunikationsmöglichkeiten Wachsende Bindungen zwischen den nationale Arbeitsmärkten Zunehmende weltweite Umweltprobleme Möglichkeiten und Grenzen einer Politikkoordinierung Probleme der Weltwährungs-un-ordnung Das Welthandelsabkommen und die WTO Auf dem Wege zur Welt-Wettbewerbsordnung Entwicklungshilfe und Rohstoffabkommen Weltwirtschaftsgipfel - unzureichende Koordinierungsbemühungen Wirtschafts- und Umweltpolitik in einer sich rasch wandelnden Weltwirtschaft
10.1 Globale Veränderungen und nationale Handlungsmöglichkeiten In dem letzten Abschnitt sollen die globalen wirtschaftlichen Entwicklung und die daraus folgenden Zwangsläufigkeiten und Grenzen f ü r die nationale Wirtschafts- und Umweltpolitik dargestellt werden. Dabei ist die weltwirtschaftliche Entwicklung, die wir landläufig als "Globalisierung" bezeichnen eine durchaus zwiespältige Angelegenheit. Aber ob wir wollen oder nicht, es gibt kein Zurück mehr und keine sinnvolle, akzeptable Alternative. Die Globalisierung wird das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben aller Menschen in den Industrienationen, Schwellen- und Entwicklungsländern erheblich verändern. Wie bei allen grundlegenden geselllschaftlichen Veränderungen wird es dabei Chancen und Risiken, Gewinner und Verlierer geben. Im Zuge der Globalisierung werden die Produkte auf unseren Märkten immer internationaler. Die größeren Unternehmen werden ihre Güterproduktion nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten in jene Länder verlagern, in denen sich ihre Gewinnaussichten am günstigsten darstellen. Die Betriebswirtschaft behält ihre Bedeutung, aber die Volkswirtschaftslehre wird manche Theorie verändern oder "über Bord werfen müssen". Wir sind auf dem Wege von der Volkswirt-
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schaft zur Weltmarktwirtchaft bereits kräftig vorangeschritten und einge Ökonomen und viele Politiker haben es noch gar nicht so recht gemerkt. Anders als bei der Nationalökonomie, die sich auf dem Boden des Nationalstaat entwickelt hat, fehlt der wachsenden globalen Ökonomie eine oberste Instanz, die ihr "Rahmenbedingungen" vorgeben könnte. Viele Menschen trauen dem Staat und seiner Regierung noch Handlungsmöglichkeiten zu, die er schon lange nicht mehr hat. Dies ist mit ein Grund für die zunehmende Staats- Regierung- und Parteienverdrossenheit in unserer Zeit. Eine Gruppe der politischen Akteure neigt dazu, die rasche und bedingungslose Anpassung der nationalökonomischen an die weltwirtschaftlichen Bedingungen zu verlangen. Dahinter stehen massive wirtschatliche Interessen. Andere Gruppen meinen, auf Anpassung völlig verzichten zu können. Sie glauben, daß es kurzfristig möglich sei, einen neuen weltweiten Regelungsmechanismus aufzubauen, um für. die wichtisten sozialen und ökologischen Rahmensetzungen einheitliche Verpflichtungen für alle Länder zu schaffen. Letztlich träumen viele noch von einem eigenen nationalen oder europäischem Weg, einer Abschottung von den Zwängen des Weltmarktes. Doch alle Möglichkeiten erscheinen einseitig, unzulänglich und wenig realistisch. In dieser Frage scheint, wie so häufig, ein Mittelweg mit Augenmaß und Verantwortungsbewußtsein die einzige akzeptable Strategie. Anpassung ja, wo immer möglich, ohne dabei das gesellschaftliche Gefüge eines Landes zu ruinieren. Umgestaltung der Wirtschaft durch Investitionen und Innovationen, um auf den Weltmärkten bestehen zu können. Aber auch internationale Initiativen zur Kooperation, und zwar zunächst dort, wo es zwingend nötig ist. Zu diesen zwingenden Notwendigkeiten gehört ein schnelles, weltweites Handeln zur Reduzierung bedrohlicher Emissionen und zur Durchsetzimg einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Aussitzen und abwarten verbietet sich hierbei, weil nur so künftige Generationen eigene Wahlmöglichkeiten der Lebensgestaltung behalten. Die klassische Außenhandelstheorie geht davon aus, daß es immer dann zum Warenaustauch kommt, wenn die Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich knapp sind (Unterschiede in den komparative Kosten). Die Waren und Dienstleistungen werden schließlich in dem Lande produziert, in dem die meisten, günstigsten Produktionsfaktoren vorhanden sind (Heckscher-Ohlin-Theorem). Daraus wurde bis vor kurzem noch geschlossen, daß kapitalintensive Länder kapitalintensive Produkte und kapitalärme Länder eher arbeitsintensive Produkte exportieren. Diese Theorie macht zunächst auf Probleme aufmerksam: der internationale Handel müßte dazu führen, daß arbeitsintensive Produkte aus dem Ausland kommen und dadurch Arbeitsplätze mit den weniger qualifizierten Arbeitskräf-
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ten bei uns verdrängt werden. Die Theorie mißachtet aber auch einige neuere globale Entwicklungen: durch die Liberalisierung der Finanzmärkte ist die Verfügbarkeit von Kapital weltweit, in nahezu jedem Lande gegeben; durch die neue Informationstechnologie ist modernes technisches Wissen Uberall abrufbar. Damit ist die Möglichkeit des Aufbaus kapitalintensiver Produktionen in jedem Lande der Welt grundsätzlich möglich. Einige Länder nutzen sie, andere nicht. Auf alle Fälle kommen jetzt kapitalintensive Güter auch aus dem Ausland zu uns und sorgen für Konkurrenz in kapitalintensiven Produktionszweigen. Richtig ist ferner, daß große ehemals nationale Unternehmen immer internationaler werden. Diese weltweit agierenden multinationalen Unternehmen sind keine "nationalen Champions" mehr, sonder "global player" geworden und gehen mit ihrer Produktion und ihrem "Know . how" dorthin, wo Arbeitskräfte billig und die Steuern und Abgaben u.a. niedrig sind. Diese global player "verlieren" ihre nationalen Interessen und die Manager dieser Großen fühlen sich ihren Aktionären und den Arbeitnehmern aber nicht mehr dem Nationalstaat verplichtet. Entscheidende Voraussetzungen für diese weltwirtschaftliche Entwicklung waren der ideologische und realwirtschaftliche Sieg der Marktwirtschaft über den real existierenden Sozialismus; der Abbau vielfaltiger Mobilitiätsschranken zwischen den Ländern, wie z.B.die Beseitigung von Handelshemmnissen und der Aufbau neuer Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten und u.a. die extremen ökonomischen Anreize zur Produktionsverlagerung, wie niedrigste Arbeitskosten in anderen nahegelegenen Ländern für ebenfalls hochqualifizierte Arbeit bei hoher Investitionssicherheit. Auf einzelne, besonders wichtige Entwicklungsfaktoren wollen wir im folgenden näher eingehen.
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Internationale Finanzmärkte und Zinszusammenhang
Bis Ende der 60iger Jahre herrschte nach dem 2. Weltkrieg auf den internationalen Finanzmarkten eine gewisse Ordnung. Die internationale Liquidität wurde weitgehend durch Beschlüsse der Zentralbanken der großen Industrienationen bestimmt. Die Kreditschöpfungsmöglichkeit der Privaten hielt sich in Grenzen und die Großbanken operierten an den wichtigen Bankplätzen der Welt - New York, Landon, Frankfurt a.M., Tokio, - unter Aufsicht der Zentralbank. Bis dahin war die internationalen Finanzmärkte noch in Ordnung. Damals zeigten sich aber bereits die ersten Auflösungserscheinungen dieser Welt-Währungsordnung, dem sog. Bretton-Woods-System. Heute muß man besser von Währungs-un-ordnung sprechen, zumal keine schlüssigen Rezepte vorhanden sind mehr Ordnimg zu schaffen. Die Unordnung kam nicht von heute auf morgen. Besonders wichtig war die Auflhebung der Goldeinlösungspflicht für den Dollar durch die Vereinigten Staaten (1973) und der Beschluß des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Industrieländer zu flexiblen (floatenden) Wechselkursen überzugehen.
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Damit wurde die "Herrschaft" der wichtigen Zentralbanken für die Weltliquidität und die Wechselkurse endgültig aufgehoben. Es bildeten sich verstärkt die sog. Xeno-Finanzmärkte, (fremdbeherrschte) die größte "banktechnische Innovation" unserer Zeit, wie Wilhelm Hankel formulierte. Die Banken schaffen sich dort ihre "Filialen", wo die Steuern und andere Kosten niedrig sind und die Aufsicht gering oder gar nicht vorhanden war. Alle Großanken eröffneten jetzt Dependancen in Vaduz in Liechtenstein, in Luxemburg, in Nassau auf den Bahamas oder in Singapur. Das Banking folgte nicht mehr, wie es früher der Fall war, dem Handel sondern entfente sich von ihm und entfaltete ein ungestörtes Eigenleben. Kredite und Kreditschöpfung waren - im Gegensatz zu früher - kein Problem mehr. Man schafft sich Kreditschöpfungsmöglichkeiten durch interne, gegenseitige Kreditvergabe. Die internationale Liquidität wird nicht mehr exogen vorgegeben, sondern vom neuen Bankensystem her selbst geschaffen. Die internationale Geldmenge übersteigt bei weitem die tatsächlich benötigte Geldmenge. Die Schätzungen sind unterschiedlich, aber der ehemalige Weltbankpräsident Mc'Namara meinte, daß 1990 - 30 000 Milliarden Dollar anlagesuchendes Kapital weltweit "herumvagabundieren". Davon werden nur 3 - 5 % zur Finanzierung der Handelsgeschäfte benötigt, während riesige Finanzsummen tagtäglich dorthin verlagert werden, wo sie aufgrund kleinster Zinsdifferenzen höhere Rendite erwirtschaften. Die Weltwährungsordnung wurde "entstaatlicht" und aus der Herrschaft der Zentralbanken wurde die Herrschaft der privaten Weltbankiers. Die Verfügungsberechtigten über das internationale Kapital haben die Macht auf den Weltfinanzmärkten endgültig übernommen. Das Kapital fließt dort hin, wo es höhere Zinsen, mehr Rendite, stabile steigende Wechselkurse und sichere Investitionsbedingungen erwarten darf. Einige Unternehmen verdienen mit Kapitalanlagen mehr Geld als mit der Produktion von Waren. Investitionen in internationalen Finanzanlagen sind vielfach wesentlich rentabler als Investitionen in Sachanlagen. Unter diesen Bedingugen muß man sich über zunehmende Arbeitslosigkeit in den Nationalstaaten gar nicht wundern. Der politische Ordnungsrahmen ist zerbrochen und die ökonomischen Weichen können nicht mehr richtig gestellt werden. Nach der alten Theorie werden die Wechselkurse und Zinsen in einem Lande durch obiektiv bestimmbare Knappheitsrelationen, wie den sog. "fundamentals" entscheidend geprägt. Heute haben Erwartungen, Spekulationen oder falsche Reden von Notenbankpräsidenten und Finanzministern erhebliche Bedeutung für kurzfristige Veränderungen. Ob man es wahrhaben will oder nicht, die internationalen Finanzmärkte sind extrem sensibel und es gibt durchaus soetwas, wie einen internationalen Zinszusammenhang. Unter sonst gleichen Bedingungen kann kein Land ohne Schaden eine völlig eigenständige Zinspolitik betreiben. Die Bundesbank hat ihren frühe-
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ren Spielraum verloren und ihre Zinssenkungsmöglichkeiten zur Belebung des Wirtschaftswachstums im eigenen Lande sind gerade aufgrund dieses Zusammenhangs eng begrenzt. 10.3 Internationaler Handel, multinationale Unternehmen und Direktinvestitionen Das internationale Handelsvolumen zwischen den Nationalstaaten ist heutzutage nur wenig höher als 1925 vor der großen Weltwirtschaftskrise. Nur der Anteil Deutschlands am Welthandelsvolumen ist in den letzten Jahren leicht gesunken. Grundlegend neu sind die zunehmende Internationalität der Grußunternehmen (global player) und die Direktinvestitionen sogar von mittleren Unternehmen in Ländern mit günstigeren Produktionsbedingungen und Absatzchancen. Die großen Konzerne aller Industrieländer sind an allen wichtigen internationalen Märkten präsent, wie Siemens, Daimler-Benz, Volkswagen, Hoechst u.a. aus Deutschland, um nur einige zu nennen. Diese Konzerne haben ihre nationalen Bindungen abgelegt und sind zu multinationalen Unternehmen geworden. Sie tragen damit im allgemeinen zur Steigerung des technischen Wissens und zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder bei. Anlagesuchendes Kapital aus Deutschland wird nicht mehr hier angelegt, sondern drängt auf die expandierenden Märkte in Südostasien, Südamerika oder in Mittel-und Osteuropa. Die Motive für diese Kapitalanlagen sind unterschiedlich und solllen nicht erörtert werden. Immerhin floß seit Anfang der 90iger Jahre pro Jahr etwa 20 - 40 Mrd. DM aus Deutschland heraus und bestenfalls 10 Mrd DM 1995 herein.
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Ein Problem sind dabei nicht die herausfließenden Kapitalien. Problematisch ist vielmehr, daß im Vergleich zu früheren Jahren auf längere Sicht weniger Kapital nach Deutschland fließt. Wichtige Ursache für diese zunehmende Kapitalverflechtung war und ist der Abbau von Mobilitätsschranken für Güter, Kapital und Technologie. Im Rahmen der verschiedenen GATT-Verhandlungen sind mittlerweile die Zölle für Industrieprodukte derart gesenkt, daß sie kein Handeslshemmnis mehr darstellen. In langfristiger Betrachtung haben sich die Transportkosten in Relation zu den Güterpreisen erheblich verringert, so daß es heute möglich ist in Europa z.B. Obst und Gemüse aus Südafrika oder Australien zu beziehen. Über die weggefallenen Schranken für Kapitalbwegungen wurde bereits berichtet.
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Entscheidend ist jedoch: die Anzahl der Länder mit entsprechenden Investitionsund Gewinnchancen hat erheblich zugenommen. In diesem "Wettlauf um Investitionskapital" (Standortwettbewerb) ist jedes Land gezwungenermaßen bemüht, bei sich die Bedingungen für Kapitalanlagen zu verbessern. Selbst die Bundesrepublik Deutschland mußte in gewissem Maße sich dieser Entwicklung anpassen und eine dementsprechende Politik betreiben. In der jeweiligen Landeswährung betrachtet, sind die Lohnstückkosten in Deutschland gegenüber anderen Inddustriestaaten seit Anfang der 80iger Jahre deutlich zurückgeblieben. Werden jedoch die Wechselkursveränderungen durch Umrechnung in Sonderziehungsrechte eliminiert, so zeigt sich eine zienlich angeglichene Entwicklung für die Lohnstückkosten in allen Industrienationen. Die Mobilitätsschranken für den Technologietransfer wurde durch die neuen Informationsmöglichkeiten aufgrund der Computertechnik und der internationalen Netzverbindungen nahezu völlig beseitigt. Patente in Form von Blaupausen sind ohne jede Grenzkontrolle in Minutenschnelle rund um den Globus zu transferieren. Das internationale Kapital fließt vor allem dahin, wo eine hohe Rendite zu erwarten ist, wie in Südostasien oder in Südamerika. Eine Entwicklung, die auch nicht mehr durch die Gründung neuer überregionaler Wirtschaftszonen, wie der Europäischen Union, zurückgedreht werden kann. Selbst eine "Festung Europa" hätte keine Möglichkeiten den freien Verkehr von Kapital und Technologie zu behindern. Die Europäische Zentralbank mit der einheitlichen europäischen Währung, dem Euro, wird ebenfalls auf den internationalen Zinszusammenhang und die Wechselkursentwicklung Rücksicht nehmen müssen. Die unterschiedlichen Investitionsbedingungen werden durch viele Faktoren, aber ganz entscheidend durch Lohn- und Lohnzusatzkosten und die Qualifikation der Arbeitskräfte bestimmt. Gerade hier haben wir in der Bundesrepublik ein Problem. Die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten sind nicht mehr durch irgendwelche Schranken geschützt, sondern rechtfertigen sich ganz allein aus dem entsprechend höherem Produktivitätsniveau. Dies hängt wiederum sehr direkt von der beruflichen Qualifikation der Arbeitskräfte ab. Eine akzeptable Anpassungsstrategie sollte in diesem Bereich auf eine Absenkung der Lohnnebenkosten und eine überdurchschnittliche Steigerung der Produktivität abstellen. Nur so wird es möglich sein, die ökologische Umgestaltung zu betreiben und das vorhandene Lohnniveau zu halten ohne zusätzliche Arbeitsplätze zu gefährden.
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Sinkende Raumüberwindungskosten und neue Kommunikationsmöglichkeiten
Die Fortschritte in der Transport- und Kommunikationstechnik haben die Transport- und Kommunikationskosten internationaler Geschäftstätigkeit drastisch gesenkt. In der Sprache der Ökonomen verringern sie die ökonomischen Entfernun-
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gen. Bei den Transportkosten sind in erster Linie die Flugtransportkosten von Bedeutung und sie zeigen aus verschiedenen Gründen (steigender Wettbewerb, Großraumflugzeuge, sinkende Besatzungskosten, niedrige Benzinpreise u.a.) seit längerer Zeit eine sinkende Tendenz. Ob diese Entwicklung anhält, kann heute keiner mit Bestimmtheit sagen. Vieles spricht dafür, daß unter Beachtung der Umweltkosten die gesamtgesellschaftlichen Kosten des Luftverkehrs höher ausfallen müssen als gegenwärtig. Hinzukommen die weltweit stark gestiegenen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten z.B. durch die Errichtung von "Datenautobahnen" oder das weltweit vorrhandene Internet. Die damit verbundenen Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft. Das Internet ist ein zusätzliches Kommunikationsmedium und zwar Informationswerkzeug, Vertriebskanal, Bildungsstätte und einiges mehr zur gleichen Zeit. Multinationale Unternehmen sind auf diese Weise weltweit genauso miteinander verbunden, wie Handelsfilialen in der gleichen Stadt. Bill Gates, der wichtigste Guru des aufziehenden Informationszeitalters hat wohl recht, wenn er von der Möglichkeit des "Teleshopping" (Einkauf überall in der Welt per Internet) oder von Tele-Konferenzen über den PC-Bildschirm spricht und erhebliche, zusätzliche Bildungsmöglichkeiten anmahnt. Ob die Telekonferenzen allerdings einen Beitrag zur Verringerung des Flugverkehrs leisten, und die Nutzung des "umweltschädlichen" Flugzeuges einschränken, ist eher unwahrscheinlich. Diese Entwicklung ermöglicht auf alle Fälle die Auftragsvergabe, Kontrolle und Koordination internationaler Tätigkeiten von Deutschland aus. Ein Werbefilm, der bei uns etwa 1 Millionen DM kostet, wird in den Ländern des ehemaligen Ostblocks für 150 - 300 000 DM in gleicher Qualität produziert. Doch dies ist nur ein Beispiel von vielen. Die Werbeagenturen sind längst nicht mehr die einzigen, die Dienstleistungen auf dem Weltmarkt "aufkaufen". Vermehrt werden internationale "Produktionsnetzwerke" errichtet und diese internationale Produktion ist z.T. ein Ersatz für den internationalen Handel. Die globale Produktion von Nutzfahrzeugen ist z:B. bei Mercedes-Benz weit vorangeschritten. In allen großen Handelsräumen - NAFTA, Mercosur, ASEAN, hat der deutsche Konzern eigene Produktionsstätten aufgebaut. Die weltweite Koordination der Fertigung sorgt dafür, daß Produktions- und Absatzstruktur nahezu kongruent sind. Etwa 44 Prozent seiner Nutzfahrzeuge verkauft der Konzern außerhalb Europas und 40 Prozent werden dort auch gebaut. Die wichtigen Regionen unsere Welt sind ökonomisch bereits soweit zusammengewachsen, daß ein Zurück zur nationalen Produktion und zur Nationalökonomie unmöglich erscheint.
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10.5 Wachsende Bindungen zwischen den nationalen Arbeitsmärkten Global betrachtet gibt es keinen weltweiten Arbeitsmarkt. Dafür sind die unterschiedlichen Hürden für die Migration zwischen den Ländern immer noch viel zu hoch (Einwanderungsbestimmungen, Sprache, Lebensgewohnheiten, nationale Gesetze u.a.m). Die Arbeitsmärkte der meisten Industriestaaten werden durch restriktive Einwanderungspolitik mehr oder weniger stark voneinander abgeschottet. Trotzdem nimmt die Anzahl der illegal in den Industrieländern lebenden Menschen ständig zu. Im allgemeinen sind die Wanderungsbewegungen nicht politisch, sondern wirtschaftlich begründet. In 3 der fuhrenden OECD-Staaten liegt der Anteil der im Ausland geborenen Einwohner über 10 Prozent; die Tendenz ist in allen Industrienationen steigend. In der Europäischen Union sind die wichtigsten Hindernisse durch Niederlassungsfreiheit und die Freiheit der Arbeitsplatzwah) beseitigt worden. So kann es nicht verhindert werden, daß etwa EU-Ausländer aus Portigal, Spanien oder Irland sich auf Baustellen in Berlin für niedrigere Löhne verdingen, als es die deutschen Tarifverträge vorsehen. Der Versuch durch Festlegung eines Mindestlohnes für Bauarbeiter unliebsame Konkurrenz vom deutschen Baumarkt fernzuhalten, wird keine Lösung von Dauer sein. Um Wanderungsbewegungen der Arbeitnehmer in Europa zu vermindern, wird es zur angeglichenen Tarifvertragspoltik für die gesamt EU kommen müssen. Eine Aufgabe, die von den Gewerkschaften europaweite Zusammenarbeit und Solidarität verlangt. Zu erwarten ist femer, daß die internationalen Migrationsstöme in Zukunft weiter zunehmen werden, wenn es nicht zu einer Angleichung der Einkommensund Vermögensunterschiede zwischen den entwickelten und unterentwickelten Ländern kommt. Diese Angleichungstendenzen werden auf den differenzierten Arbeitsmärkten (nach Regionen, Sektoren, Qualifikationen u.a.m.), unterschiedliche Wirkungen entfalten. Für Robert B. Reich sitzen im 1. Boot die "unqualifizierten Arbeitnehmer", die immer mehr unter globalen Anpassungszwang geraten. Außerdem unterscheidet er die "Dienstleister" und die "Systemanalytiker", die höchsten Löhne erzielen, sofern sie besondere Leistungen erbringen, die weltweit zu "vermarkten" sind. Schon heute werden gerade Dienstleistungen weltweit eingekauft und vermarktet. Die Verbreitung stößt dank des neu etablierten Informations- und Kommunikationssystems auf keine größeren Hindernisse. Der entscheidende Anstoß für die Errichtung dieses weltweiten Arbeitsmaktes geht von den bestehenden Lohnunterschieden bei nahezu gleicher Qualitätsarbeit aus. Es sind längst nicht mehr einfache, sondern immer häufiger hoch intelligente Dienstleistungen, die per Kabel oder Satellit importiert werden. Mit der Einführung allgemein gültiger Qualitätssicherungssysteme ist gute Qalität zur Selbst-
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Verständlichkeit geworden. Selbst komplexe Fertigungsprozesse können heute in Niedriglohnländer durchgeführt werden. In Indien z.B. gibt es nicht nur niedrigste Fertigungskosten, sondern außerdem hervorragende Spezialisten, wenn es um Programmierung und Datenverarbeitungsprobleme geht. Die indischen SoftwareExporte sind von 1987 - 95 von etwa 3 0 Mio DM auf 900 Mio DM gestiegen. Außerdem haben sich vor allem amerikanische Computerfirmen in Südindien niedergelassen, weil sie dort hochqualifizierte Experten in ausreichender Zahl gefunden haben. Deutsche Anlagenbauer sind z.Z. dabei neue Konstruktionsbüro in Indien aufzubauen. Soweit nur einioge Hinweise über die zunehmenden internationalen Bindungen selbst der Arbeitsmärkte, die witer voranschreiten werden und deshalb nicht einfach ignoriert werden können. 10.6 Zunehmende weltweite Umweltprobleme Umweltprobleme haben zunehmend globalen Charakter und werden sich ohne Gegenmaßnahmen in den kommenden Jahren massiv verstärken, schreibt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregireung in seinem Gutachten "Welt im Wandel" 1993 unter dem Vorsitzenden Hartmut Graßl. In nüchternen Worten schildert das Gutachten die wichtigsten Umweltprobleme unserer Zeit: Emissionen von Treibhausgasen und Schadstoffen vor allem der hochentwickleten Industrieländer, Zerstörung der uns schützenden Ozonschicht in der Stratosphäre mit der Folge - regional unterschiedlicher Zunahmeraten von Hautkrebs und grauem Star, eine unterschiedlich ausgeprägte Erwärmung der Atmosphäre und damit verbunden eine Verschiebung der Niederschlagsgürtel und der Vegetations- und Anbauzonen der Erde. Von weltweiter Bedeutung ist ferner die Übernutzung und Zerstörung der Wälder und die Vernichtung des Lebensraumes für viele Tiere und Pflanzenarten. Die biologische Vielfalt nimmt weltweit mit einer Rate ab, die tausendmal höher ist als in den vergangenen 65 Mio. Jahren. Außerdem müssen in Zukunft verstärkt Umweltprobleme von den sich entwikkelnden Länder erwartet werden, insbesondere aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums. Der steigende Bedarf an Lebensraum zwingt zu einer rapiden Ausweitimg der Landnutzug. Diese Umweltprobleme sind Folge der zunehmenden Armut in diesen Ländern; denn noch immer leben auf unserer Erde über 1 Milliarde Menschen mit einem Einkommen unter dem Exxistenzminimum. All diese Erkenntnisse sind in der Wissenschaft unbestritten, wenn gleich es in anderen Fragen noch dringenden Forschungsbedarf gibt. Endgültige Antworten gibt es z.B. nicht über die zukünftige Verfügbarkeit von Wasser bei wachsender Bevölkerung und regional unterschiedlicher Klimaänderungen oder über die Chancen einer Sensibilisierung aller Menschen für globale Umweltprobleme und einer Verminderung ihres umweltschädlichen Verhaltens. Doch nur mit Aufklärung,
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gutem Zureden und moralischen Appellen wird man auf diesem Felde nicht erfolgreich sein und schon gar nicht die angesprochenen Probleme lösen. Ob es die Ökonomen gerne sehen oder nicht, es ist zur Lösung dieser Probleme die Politik gefordert und zwar nicht nur auf nationaler, sondern auf europäischer und internationaler Ebene. Es geht auf mittlere Frist nicht nur um die Abwendung von Schaden; es geht vielmehr um die Frage, ob die Menschheit insgesamt auf diesem Globus überleben wird. Zur Gefahrenabwehr besteht hier dringend politischer Handlungsbedarf und zwar nicht durch einzelne Personen oder Unternehmen, sondern durch höchste politische Instanzen. Für die Verminderung der Emissionen der langlebigen Treibhausgase gibt es seit 1992 die von 170 Nationen gezeichnete Klimakonvention von Rio. Die C 0 2 - Konzentration in der Atmosphäre lag in der vorindustriellen Zeit bei 280 ppm (Teile pro Millionen Teile Luft); dieser Anteil erhöhte sich bis 1972 auf 327 und liegt heute bei 364 ppm. Jetzt kommt es dringend auf die Umsetzung der Klimakonvention an und damit beginnen erst die eigentlichen Probleme. Auch von dem neuen Klimagipfel in Kyoto 1997 sind zur Zeit keine wirkungsvollen und nachprüfbaren Verabredungen zu erwarten. Die Zuwachsraten an Emissionen und Bevölkerungswachstum, die wir jetzt in den sich entwicklenden Ländern feststellen, hatten die heutigen Industrieländen im Laufe ihrer Entwicklung ebenfalls verzeichnet. Es wäre wohl falsch, wenn die Industrienationen, die schließlich Hauptverursacher aller Umweltprobleme sind, bei diesen globalen Umweltfragen ausschließlich auf internationales Vorgehen abstellen. Je mehr ein Industrieland von sich aus zur Verringerung der Umweltprobleme beiträgt, desto glaubwürdiger kann es Forderungen an alle anderen Länder erheben. Notwendig wäre zunächst auch die Erhöhung der Entwicklungshilfe auf den in Rio de Janeiro zugesagten Betrag von 0.7 Prozent des Bruttosozialproduktes. Zusätzlche Gelder müßten außerdem zur Behebung der unmittelbaren Armut, zur Familienplanung und Verbesserung der Stellung der Frau eingesetzt werden. Der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltfragen fordert, wie dargelegt, eine globale "Zertifikatslösung zur Reduzierung der C02 - Emissionen" mit dem Ziel dieses Instrument international einzuführen. Dies wäre ein wichtiger Schritt, für den gar nicht genug Anstrengungen der internationale Politikkoordinierung unternommen werden können. Ein Schritt im übrigen, von dem auch die sich entwicklenden Länder durchaus materiell profitieren könnten, wenn es ihnen gelingt das Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen. Parallel zur C02 - Reduzierung muß vor allem weltweit auf erhöhte Transfers zum Schutz der Tropenwälder hingewirkt werden, um das für die gesamte Welt öffentliche Gut "Tropenwald" zu erhalten. Es war der Bericht der Brundtland-Kommission der ausfuhrlich darauf aufmerksam gemacht hat, daß es nicht nur eine Beziehung
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zwischen industriellem Wachstum und Umweltzerstörung gibt, sondern ebenfalls ein enger Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und wachsender Armut besteht. Damit wurde einmal mehr darauf hingewiesen, daß die Vernetzung ökologischer Probleme erheblich ist und durch nationale und vor allem internationale Maßnahmen angepackt werden muß. Eine derartige Politik muß und darf nicht wirtschaftsfeindlich sein. Sie muß vielmehr das umweltgerechte Verhalten von Individuen, Unternehmen und Staaten begünstigen und die Umweltzerstörung mit finanziellen Ababen belasten Die Zielsetzung einer "nachhaltige" (sustainable) Wirtschaftsweise ist wiederholt formuliert worden. Betriebswirtschaftlich geht es in Zukunft darum die externen Kosten der Umweltbelastung in das private Rechnungswesen voll zu internalisieren. Wir sind erst ganz am Anfang des Weges zu einer weltweiten "naturgerechten" Marktwirtschaft. Diese Welt-Marktwirtschaft wird ohne einheitlich ökologische und ein Mindestmaß an sozialer Rahmensetzung durch multinationale Absprachen der Nationalstaaten nicht auf Dauer überleben können.
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Möglichkeiten und Grenzen einer koordinierten Weltwirtschaftspolitik
Von einer Welt-Marktwirtschaft sind wir noch weit entfernt. Keiner kann heute sagen, ob es sie jemals geben wird. Die Kräfte des Protektionismus sind in allen ehemaligen Nationalstaaten noch vorhanden und es gibt überall - vor allen in Frankreich - Nationalökonomen, die meinen, daß es möglich und sinnvoll ist sich von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abzukoppeln. Eine Renaissance der Idee des Nationalstaats ist allerdings in Europa weniger wahrscheinlich als in anderen, aufstrebenden Teile der Welt. Die Idee einer Welt-Marktwirtschaft ist dagegen noch ein Traum. Auf diese Weise könnten aber ein für allemal nationale Rivalitäten überwunden werden, weil die Einhaltung der marktwirtschaftlichen Spielregeln für jeden von elementarer Bedeutung für die eigene wirtschaftliche Entwicklung ist. Auch in einer Welt-Marktwirtschaft wird es selbstverständlich weiterhin das politische Ordnungsprinzip des Nationalstaates geben; von einer Weltregierung sind wir noch viel weiter entfernt. Starke ökonomische und ökologische Kräfte, die in diese Richtung drängen sind - wie dargestellt wurde - aber vorhanden. Zu dieser Welt-Marktwirtschaft gehören außer dem freien Verkehr von Gütern und Dienstleistungen, von Kapital und Arbeit ferner - wie die Erfahrung auf nationaler Ebene gezeigt hat - die ordnungspolitische Ergänzung, zumindest mit ökologischen und sozialen Mindestbedingungen. Stefan Leibfried meint, wenn wir einen Rückfall in den Protektionismus verhindern wollen, muß eine bestimmte soziale Absicherung auf nationaler Ebene erhalten bleiben. Richtig ist daran sicher-
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lieh, daß ein radikaler Abbau von sozialen Errungenschaften in den Industrienationen für die breiten Arbeitnehmerschichten den Ruf nach einem nationalen Alleingang erheblich verstärken würde. Was für die Industriestaaten gilt, muß über kurz oder lang ebenfalls in den aufstrebenden Marktwirtschaften der sich entwicklenden Staaten gelten. Wenn eine weltweite marktwirtchaftliche Ordnung Wirklichkeit werden soll, geht es außerdem um einheitliche Rahmenbedingunen für den Umweltschutz und - wie in Europa - um den Schutz des Wettbewerbs durch nationale oder übernationale Regeln. Der marktwirtschaftliche Rahmen hat mindestens 4 Seiten: eine Seite für Privatrecht und Vertragsfreiheit, eine neue, ergänzende ökologische Seite, eine Seite für soziale Mindestbedingungen und eine Seite für den Schutz des funktionsfähigen Wettbewerbs. Manches ist und wird auf nationaler Ebene von den vorhandenen politischen Entscheidungsinstanzen für die Sicherung des Wettbewerbs, für die sozialen und ökologischen Rahmenbedingunen getan. 170 Staaten haben sich 1992 auf der Konferenz von Rio, wie gesagt, auf das Leitbild der "nachhaltigen Entwicklung" festgeigt. Um die Einführung sozialer Mindestbedingungen in das Welthandelsabkommen (GATT) wird seit längerem kräftig gestritten. Weltweite Regeln zum Schutze des Wettbewerbs stehen zwar zur Debatte, aber werden noch einige Zeit auf sich warten lassen. Wenn es um die Einführung konkreter Maßnahmen geht, die auf den einzelnen Nationalstaat begrenzt sind, geraten wir heutzutage immer tiefer in ein Dilemma. Zusätzliche Handlungsspielräume können sich in den einzelnen Länder nur durch eigene Produktivitätsgewinne ergeben, die dann aber nicht für Lohnerhöhungen zur Verfügung stehen. Daß diese Grenzen wenig Handlungsspielraum eröffnen, leuchtet unmittelbar ein: eine reife Volkwirtschaft, wie die der Bundesrepublik Deutschland, wird langfristig nie mit mehr Produktivitätswachs als 2 - 3 Prozent rechnen können. Daraus wären dann außer den gewünschten Lohnerhöhungen alle anderen zusätzliche Belastungen zu finanzieren. Um diesen nationalen Spielraum zu erweitern, muß es zu internationalen Verhandlungen und Absprachen kommen. Nur bisher konnten sich die nationalen Akteuere auf den genannten Feldern bestenfalls auf Grundsätze einigen, aber nur nicht auf konkrete Maßnahmen.
10.7.1 Probleme der Weltwährungs-un-ordnung Daß die Weltwährungsordnung in Turbulenzen steckt, ist geschildert worden. Eigentlich sind sich alle Experten darüber einig, daß stabilere Wechselkurse und damit mehr Rechenhaftigkeit für die internationalen Finanz- und Gütermärkte wünschenswert wären. Floatende Wechselkurse, wie es sie gegenwärtig gibt, tragen Unsicherheit in den internationalen Austausch von Gütern und Dienstleistun-
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gen und erschweren die Entwicklung der Direktinvestitonen im Ausland. Nur einige berufsmäßige Geldanleger und internationale Spekulanten profitieren von dem jetzigen Zustand der floatenden Wechselkurse. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre wurden deutsche Direktinvestitionen vor allem in den Vereinigten Staaten getätigt. Das hatte u.a. mit dem besonders günstigen Dollarkurs zu tun. Deutsche Investitionen waren dort extrem günstig, genauso wie der Import von Waren oder Dienstleistungen aus den Vereinigten Staaten. Die Kaufkraftparitätentheorie, die bekanntlich langfrisitig eine Angleichung der Wechselkurse an die Kaufkraft unterstellt, war über Jahre außer Kraft getreten; denn dieser "Kaufkraft" entsprach ein Wechelkurs für den Dollar von etwa DM 1.65 - 1.75 und nicht von DM 1.50 und weniger. Der deutsche Export war durch den hohen DM Kurs zweifellos erschwert. Unternehmen mit hohem Exportanteil und mit Konkurrenz aus dem Dollarraum hatten es besonders schwer ihre DM-Verkaufserlöse zu erzielen. Nicht selten sind sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und haben Arbeitsplätze abgebaut. Andererseits hat ein "günstiger" Dollarkurs - wie dargestellt - die Importe verbilligt und preisliche Vorteile für jene gebracht, die auf Importe engwiesen sind. Über das Pro und Contra eines starken DM-Wechelkurses läßt sich aus diesen und anderen Gründen trefflich streiten. Im allgemeinen gilt jedoch die Ansicht, wie sie im Bericht des Ausschußes für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Europäischen Parlaments formuliert worden ist: "Wechselkursschwankungen bieten einen kurzfristigen Vorteil, für diejenigen Länder, deren Währung abgewertet wird, doch dieser Vorteil ist von kurzer Dauer, da er steigende Zinssätze und Inflationsraten nach sich zieht". Deutschland hat - gesamtwirtschaftlich betrachtet - unter der starken DM gegenüber dem Dollar im allgemeinen nicht gelitten. Langfristig wurde bisher durch mehr und schärfere Konkurenz aus dem Ausland oder auf Auslandsmärkten die Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Besorgniserrgend ist jedoch - und das ist ein ernstes Problem - das überraschende und unkontollierbare Auf und Ab der Wechselkurse, das erratische Schwanken der Währungsrelationen gegeneinander. Private Spekulanten, die über riesige Summe konvertierbarer Währungen verfugen, sind kursfristig in der Lage für erhebliche Unordnung auf den internationalen Finanzmärkten zu sorgen. So etwas gab es 1992 im Europäischen Währungssystem, als die Lira, der Franc, der Peso und das Pfund Sterling aufgurnd spekulativer Bewegungen abgewertet werden mußten und die DM aufgewertet wurde.Das Problem mit dem wir es hier zu tun haben heißt nicht, Auf- und Abwertung verhindern; es heißt mehr Ruhe, Ordnung und Berechenbarkeit in die internationalen Währungsbeziehungen bringen und sich von den spekulativen Einflüssen abkoppeln.
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Dafür sind immer wieder 3 Vorschläge in der Diskussion: Ökonomen, wie Wilhelm Hankel möchten mit 50ig jähriger Verspätung den Keynes-PIan von Bretton Woods für das Internationale Währungssystem zum Tragen bringen. Keynes hatte die Einrichtung einer Weltzentralbank mit einer eigenen Geldschöpfungsmöglichkeit - unabhängig von Dollar vorgeschlagen. Dieser Plan, der absolut feste Wechselkurse vorsah, hat heute so gut wie keine Realisierungschancen, zumal er damals wie heute auf den Widerstand der Vereingten Staaten stoßen würde. Außerdem wird seit längerem u.a. von Fred Bergsten diskutiert mit Hilfe sog. Zielzonen, die zwischen den Währungsbehörden der wichigsten Industrienationen festgelegt werden, mehr Stabilität in die Wechselkursentwicklung zu bringen. Bisher haben sich vor allem die Bundesbank und der Bundesfinanzminister gegen solche Überlegungen ausgesprochen, weil das internatiale Finanzkapital solche Festlegungen schnell testen würde. Die Bundesbank erkennt sehr genau, daß sie selbst im Verbund mit der Federal Reserve gegen die geballte Spekulation machtlos wären. Schließlich gibt es die Überlegung des Nobelpreistägers James Tobin über eine Besteuerung der Devisentransaktionen mit nur einem minimalen Steuersatz, um den Umtausch zu verteuern und damit unattraktiv zu machen. Besteuert werden müßten in diesem Fall aber auch Devisengeschäfte für den normalen Im- und Export. Man sieht es den Devisen im allgemeinen nicht an, welchen Zweckem sie dienen sollen. Entscheiden ist jedoch, daß dieser Plan voraussetzt, daß alle Länder die gleiche Steuer erheben. Ein Verlangen, daß gegenwärtig kaum realisiert werden kann, weil es immer Länder gibt, die es aus ökonomischen, egoistischen Überlegungen nicht mitmachen. In der Europäischen Union ist es bisher nicht einmal möglich gewesen eine einheitliche Zinsbesteuerung einzuführen. Möglich und realistisch erscheint augenblicklich nur die Schaffung einer einheitlichen europäischen Währung in der Europäischen Union. Dies wäre ein erster Schritt, um danach festere Wechselkurse zwischen dem Euro, dem Dollar und dem Yen zu schaffen. Außerdem könnten zusätzlich vereinheitlichte Kontroll- und Buchhaltungsvorschriften für alle Devisentransaktionen auf den wichtigsten Devisenmärkte angestrebt werden. Doch dies beides ist bereits ein schwieriges Unterfangen, und mehr Stabilität ist angesichts der vielen Imponderabilien zur Zeit kaum möglich. Es kommt hinzu: starke Interessengruppen sind um den Erhalt des "Status quo", der jetzigen Weltwährungs-un-ordnung intesiv bemüht. Die Forderung nach echter Kooperation in der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zwischen den großen Industrienationen ist schnell erhoben, aber - wie gezeigt worden ist - nicht einmal im Bereich der Währungspolitik kurzfristig zu verwirklichen.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
10.7.2
Das Welthandelsabkommen und die WTO
Das GATT - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen - ist durch die UruguayRunde, die 1994 beendet wurde, zum Welthandelsabkommen mit der Welthandelsorganisation (WTO) umgestaltet worden. Der Sitz der neuen Organisation ist Genf, wie er es auch für das GATT war. Damit ist 50 Jahre später ein wichtiger Teil der Havanna-Charta, die International Trade Organisation (ITO) als WTO doch noch ins Leben gerufen worden. Die Verhandlungen der Uruguay - Runde zwischen den 120 Mitgliedern des GATT, haben sich 7 Jahre hingezogen und lange Zeit sah es so aus, daß die Verhandlungsrunde um die weitere Liberalisierung des Welthandels scheiteren würde. Die sich entwicklenden Länder hatten immerhin - gegen ihre gegenwärtigen Interessen - neue Bestimmungen über Dienstleistungen (GATS) und über den "Schutz des geistgen Eigentums" nach langen Verhandlungen akzeptiert. Die Industrieländer, insbesondere die Europäische Union, wollten nur nach erheblichem politischem Druck durch die Vereingten Staaten eine weitere Öffnung der abgeschlossenen Agrarmärkte akzeptieren. Die Begrenzung der Textilimporte in die Industrieländer wurde ein wenig gemildert, aber nicht abgeschafft. Ein neues Streitschlichtungsverfahren wurde einvernehmlich zwischen Industrie- und sich entwicklenden Ländern eingeführt, obgleich unmittelbar danach die Anwendung von der EU im "Bananenstreit" hinausgezögert wurde. Am Ende der Verhandlungen hatten alle Beteiligten erkannt, daß es für jeden mehr Schaden als Nutzen bringt, wenn die Uruguay-Runde nicht zum Erfolg gebracht wird. Die Industrieländer reden gerne vom weltweiten freien Handel aber in konkreten Fällen, wenn sie ihre Märkte öffnen sollen, sind die Regierungen häufig zu schwach, um sich gegen die organisierten Angebotsinteressen im eigenen Lande durchzusetzen. In Zukunft stehen vor allem - von den Industrieländern gewünscht - u.a. zwei besonders wichtige Themen auf der Agenda der Weiterentwicklung der WTO. Das ist zum einen der Wunsch einer Implementierung wichtiger ILO - Standards (soziale Mindeststandards) und zum anderen die Einführung von sog. Umweltmindeststandards in den WTO-Vertrag. Beide Ansätze - Sozialund Umweltmindeststandards - werden von den Vereingten Staaten und Frankreich voll unterstützt. In Deutschland wehren sich bestimmte liberale Kräfte gegen die Einführung von Umwelt- und Sozialstandards in die allgemeinen Handelsbestimnungen der WTO. Hinter diesem Wunsch stecken die Überlegungen, zwischen allen Ländern, die miteinander nach WTO-regeln Handel treiben, einheitliche Rahmenbedingungen festzulegen. Nach langen Verhandlungen sind jetzt durch das WTO Abkommen protektionistische Maßnahmen wie Zölle, Kontingente, Exportsubventionen u.a. verboten oder reguliert. Der internationale Handel kann jedoch wei-
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terhin verzerrt werden, z.B. durch Verbot von Gewerkschaften und damit der Möglichkeit der Lohndrückerei oder durch Ausbeutung der Natur z.B. bei der Kohleproduktion und einer Preiskalkulation ohne jede Rekultivierungskosten, um nur einige Beispiele zu nennen. Dem Einfallsreichtum nach beabsichtigten Verzerrung des Marktes oder einer Subventionierung des Exports sind kaum Grenzen gesetzt. Dennoch muß ein auf Dauer funktionsfähiges Welthandelssystem bemüht sein, zumindest die größten Verzerrungen zu beseitigen und in etwa gleichen Bedingungen für allle Handelspartner schaffen. Die sich entwicklenden Länder sind seit 1966 von einigen Bestimmungen des GATT ausgenommen und hatten im gewissen Ausmaß eigene Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Zwischen den entwickelten, angeglichenen Industrieländern müssen aber langfristig auf allen relevanten Gebieten faire Wettbewerbsverhältnisse bestehen. Bei der Frage "Einführung von Sozialklauseln" in das internationale Handelssystem, geht es um die allgemeine Akzeptanz der gewerkschaftlichen Betätigung, um ein Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit und vielleicht um Mindestanforderungen an Gesundheitsschutz und sozialen Lebensbedingungen. Einige Forderungen davon sind in der Charta der Vereinten Nationen und in Resolutionen der Internationalen Arbeitsoganisation (ILO) bereits von allen Ländern der Weltgemeinschaft akzeptiert worden. Das Problem liegt bei der Umsetzung und der Frage, ob hierfür gegebenenfalls handelspolitische Sanktionen eingesetzt werden sollen? Gegen diese Möglichkeit haben sich viele Wirtschaftsexperten der Industrieländer ausgesprochen, weil sie befürchten, daß damit den Industrieländern die Möglichkeit neuer protektionistischer Maßnahmen an die Hand gegeben werden. Selbst die UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung), traditionsgemäß die Stimme der sich entwickelnden Länder, warnt vor sozialen Mindeststandards im Handel und lehnt sie jetzt kategorisch ab. Sie erkennt an, daß in den Industrieländern in bestimmten Wirtschaftszweigen Arbeitsplätze aufgrund günstigerer Produktionsbedingungen in den sich entwicklenden Ländern verloren gehen. Das Problem der extremen Arbeitslosigkeit in den Industrieländern läßt sich aber nicht durch das Wachstum des Nord-Süd-Handels überzeugend erklären. Die alamierende Unterbeschäftigung in den Industrieländern sei vielmehr die Folge neuer Technologien und unflexibler Arbeitsbedingungen. Demgegenüber streben die EU-Kommission, die Vereinigten Staaten und einige wichtige Industrienationen die Implementierung von weltweiten soziale Mindeststandards in das Welthandelsabkommen an. Wohlgemerkt, dabei geht es um Mindeststandards, wie Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit und der Gewerkschaftsfreiheit. Selbstverständlich sollen Unterschiede bei den Löhnen und den Sozialleistungen erhalten bleiben. Dieser Streit wird so schnell nicht abgeschlossen sein.
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
Ähnlich, wenngleich ein wenig ausgeglichener, sieht es bei der Frage der Einführung von Umwelt-Mindeststandards in das WTO - Abkommen aus. Hierfür gibt es bereits einen WTO-Ausschuß für Handel und Umwelt, der seine Arbeit aufgenommen hat. Er hat die Aufgabe erhalten, sich mit bisher vernachlässigten Beziehung zwischen Handelssystem und Umweltschutz zu befassen, sowie die positiven wie negativen Auswirkungen der Beseitigung der Handelsbeschränkungen und -Verzerrungen für die Umwelt zu erörtern. Dabei geht es ebenfalls um mögliche Öko-Abgaben, um weltweit externe Kosten zu internalisieren und um den denkbaren Einbau des Ziels einer "nachhaltigen Entwicklung". Dabei sollen Umweltsachverständige und andere internationale Organisationen zu Rate gezogen werden. Anders ausgedrückt: es wird noch eine längere Zeit dauern bis man zu konkreten Maßnahmen kommt. Mittlerweile formiert sich der Widerstand: die sich entwickelnden Länder werfen den Industrieländern vor, sich mit dem Ruf nach Umweltmindestnormen lediglich den eigenen Produkten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen zu wollen. Das Ifo-Institut in München fordert eine Beschränkung von internationalen Normen auf "globale Umweltprobleme, wie den Abbau der Ozonschicht. Bei nationalen Umweltproblemen sei die Möglichkeit des Mißbrauchs für protektionistische Zwecke groß. Nach einer Untersuchung für die Friedrich Ebert-Stiftung hat der bisherige Umweltschutz aber so gut wie keinen Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieländer insgesamt. Der praktizierte Umweltschutz sei bestenfalls für wenige Wirtschaftsszweige, die näher behandelt wurden, von Bedeutung. Immerhin gibt es so etwas wie eine Wanderung von "schmutzigen" Industrien von den entwickelten in die sich entwickelnden Länder. Wenn die Industrieländer mehr Umweltschutz wollen, argumentieren die sich entwickelnden Länder, dann sollen sie es machen, aber sie sollen nicht etwa ihre Normen und Werturteile auf anderen Länder übertragen. Auch das klingt zunächt gut, ist aber der "Schnee von gestern"; denn die Übertragung bestimmter Normen hat bereits stattgefunden. Jetzt geht es darum, die Lebensfähigkeit auf der gesamten Erde zu sichern und dabei ist internationale Kooperation - so schwer sie sich anläßt - unumgänglich.
10.7.3
Auf den Wege zur Welt-Wettbewerbsordnung
Außer einem angeglichenem Privatrechtsrahmen für die wirtschaftliche Betätigung und bestimmten sozialen und ökologischen Mindestgrundbedingungen des Wirtschaftens, benötigen wir in einer Welt-Marktwirtschaft vor allem einheitliche Regelungen über den Schutz des Wettbewerbs. In der Bundesrepublik haben wir in Anlehnung an die angelsächsiche Rechtslage seit 1957 ein nationales Kartellrecht (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB), mit dem auf allen Märkten wettbewerbliche Strukturen gesichert werden sollen. Aus nationa-
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ler Sicht ist die Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs z.Z. kein besonderes Problem; denn der Wettbewerb ist auf den herkömmlichen, relevanten Märkten in den letzten Jahren nicht geringer, sondern eher stärker geworden. Das hat vor allem mit der zunehmenden Konkurrenz aus dem Ausland auf den angestammten Märkten für Industrieprodukte zu tun. Aber die Öffnung der Märkte durch die genannten Entwicklungen, durch das neue WTO-Abkommen und die Vervollkommnung der Europäischen Union, hat nicht nur mehr Wettbewerb für die deutsche Industrie im Ausland zu Folge. Auch der Wettbewerb auf den heimischen Märkten ist durch Importe von Waren und Dienstleistungen spürbar schärfer geworden. Daß diese Entwicklung in Richtung mehr Wettbewerb anhält, ist allerdings unwahrscheinlich. Schon jetzt geben weltweit einige hundert multinationale Unternehmen auf vielen Weltmärkten den "wirtschaftlichen Ton" an. Auf diesen Weltmärkten wird die Konzentration ähnlich verlaufen, wie auf den nationalen Märkten bis zum Beginn der 70iger Jahre. Wenn die weltwirtschaftliche Entwicklung so weiter läuft, könnten privatwirtschaftliche Wettbewerbsbeschränkungen durch sog. strategische Allianzen, Kartellabsprachen, Unternehmensfusionen oder monopolistische Situationen die positiven Wirkungen der neuen Welthandelsordnung schnell zunichte machen. Deshalb ist auch hier Handlungsbedarf gegeben. Dazu gehören Kartellverbote, Mißbrauchskontrollen für marktbeherrschende Unternehmen, Fusionskontrollen bei der Bildung von Monopolen, und bestimmte Regeln für einen fairen Wettbewerb, die von allen Marktteilnehmern eingehalten werden müssen. Um diese Frage der weltweiten Wettbewerbskontrollen bemühen sich einige Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, die erste Vorschläge für entsprechende internationale Regelungen vorgelegt haben. Außerdem gab es Diskussionen auf der WTO-Konferenz im Dezember 1996 in Singapur und immerhin einen Anhang zum WTO-Abkommen, nachdem internationale Übereinkommen möglich sind. Für den Wettbewerb gibt es aber weder auf nationaler Ebene noch auf internationaler Ebene eine wirksame Interessenvertretung. Wenn nicht der Ordo-Liberalismus in Deutschland mit Nachdruck auf die Notwendigkeit und die Sicherung des Wettbewerbs durch Wettbewerbspolitik hingewiesen und ein Politiker wie Ludwig Erhard dafür gestritten hätte, wäre das deutsche Wettbewerbsrecht erheblich schwächer ausgefallen. Unternehmen haben stets das Verlangen zur Sicherung ihrer Marktposition und ihrer zukünftigen Entwicklung möglichst dem Wettbewerb zu entfliehen; Wettbewerb d.h. immer Rivalität, Unsicherheit und verstärkt bei Investitionen in die Zukunft stets die Gefahr des Scheiterns. Politiker aller Parteien vertreten ferner immer mehr Interessen betimmter Gruppen, insesondere die Interessen der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände. Und obgleich die Verbraucher eigentlich Interessse an einem funktionierenden
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
Wettbewerb haben müßten, können sie seine Vorteile häufig nicht richtig einordnen. So gibts es kaum Politiker die sich noch ausschließlich an gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten orientieren. Die Funktionäre in den internationalen Organisationen sind ebenfalls primär an ihren Interessen oder den Interessen ihrer Länder ausgerichtet. Themen, für die sich aber keiner einsetzt - und mögen sie gesamtwirtschaftlich noch so wichtig sein - kommen dann leicht zu kurz. Dennoch haben die EU - Kommission und die OECD dieses Thema mittlerweile ebenfalls erkannt und darüber erste Gespräche eingeleitet. Bei der nächsten Konferenz über das WTO-Abkommen soll dieses Thema nach den Vorstellungen der Bundesregierung wieder auf die Tagesordnung kommen. Dabei müßte es nicht unbedingt sogleich zur Gründung eines Welt-Kartellamtes kommen. Das wäre zwar eine optimale Lösung, die aber zunächst kaum als realistisch eingeschätzt werden kann. Die sog. van Miert-Gruppe fordert in ihrem Bericht "Wettbewerbspolitik in der neuen Handelsordnung" eine multilaterale Übereinkunft im Rahmen einer neuen Organisation. Vor allem die Staaten, in denen das Leitbild des Wettbewerbs praktiziert wird, wie in Nordamerika, Australien, Neuseeland und Europa, sollten Gründungsmitlgieder einer neuen multilateralen Organisation werden. Japan und andere, entwickelte süd-ostasiatische und südamerikanische Staaten müßten sich in einer überschaubaren Frist dem neuen internationalen Wettbewerbskontrollsamt anschließen. Diese neue internationale Einrichtung hätte zunächst die Aufgabe Informationen zu samameln, und ein Streitschlichtungsverfahren einzurichten. Dies alles sollte nach Ansicht der Expertenkommission zunächst in einem multilateralen Abkommen zwischen den OECD Ländern geregelt werden, was entsprechend dem Anhang 4 des WTO-Übereinkommens durchaus machbar ist. Das Übereinkommen sollte einige wettbewerbsrechtliche Grundtatbestände regeln, wie das - Verbot horizontaler Preiskartelle - Verbot von Exportkartellen - Verbot der Beschränkung des Angebots - Verbot der Aufteilung der Märkte - Kontrolle marktbeherrschender Positionen - Angleichung der Fusionskontrollvorschriften. Bleibt die nationale Wettbewerbsbehörde, die mit einem beanstandeten Fall befaßt ist, untätig, könnte die Streitsache vor die zu gründende Schiedsstelle gebracht werden. Stellt die Schiedsstelle möglichweise einen Verstoß fest, so könnten internationale Sekundärpflichten, die von den WTO-Regeln anerkannt werden, einen Ausgleich erzwingen. Damit dieses Thema "Handel und Wettbewerb" vorankommt, wird vorgeschlagen zunächst bilaterale Ubereinkommen zu treffen und auf europäischer Ebene eine einheitliche Position herbeizufuhren. Gleichzeitig sollte eine multilaterale Rahmenregelung erarbeitet werden, die mit den bilateralen Absprachen konform geht. Die Länder, die bilaterale Vereinbarungen treffen, wären die Gründungsmitlglieder des multilateralen Übereinkommens. Schließlich hofft die
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Kommission, daß die zentripetalen Kräfte so groß werden, daß alle wichtigen Industrienationen von sich aus dem neuen Welt-Wettbewerbsabkommen beitreten. Dies ist aber ein schwieriger Weg, der mit wenigen ersten Schritten begonnen wurde und der noch viel Widerstand auch aus der Wirtschaft hervorruft, je intensiver er beschritten wird. Nur, um auf diesem Felde der internationalen Kooperation und der Erstellung gemeinsamer Spielregeln voranzukommen, muß bald begonnen werden. Um hier etwas zu erreichen, wäre es zumindst sinnvoll, daß die großen Industrienationen, die in der OECD zusammenarbeiten, eine einheitlioche Position erarbeiten und diese gemeinsam vertreten.
10.7.4 Entwicklungshilfe und Rohstoffabkommen Hier soll die Entwicklungshilfe und -politik nicht ausfuhrlich dargestellt werden. Hier werden vielmehr einige Konfliktlinien zwischen Industrie- und Entwicklungsländern kurz aufgezeigt und dies insbesondere anhand der praktizierten RohstofTabkommen. Wenn wir jetzt in fast allen Ländern der Welt die marktwirtschaftlichen Prinzipien grundsätzlich anerkannt werden, so müssen wir darin eine große Chance sehen. Besondere Risiken gibt es dann, wenn wir diese Chancen versäumen. Damit sie genutzt werden, kommt es aber darauf an, mehr Ehrlichkeit und Grundsatztreue in die gegenseitigen Beziehungen zwischen Industrieländer und den sich entwickelnden Länder zu bringen. So sind in der Entwicklungspolitik immer noch die Strategien zur "Befriedigung der Grundbedürfnisse" und der "Hilfe zur Selbsthilfe" wichtige, allgemein akzeptierte Ansätze. Ein Beispiel: wenn die Industrieländer den sich entwickelnden Ländern eine Chance geben wollen, müssen sie zunächst helfen die Agrarproduktion anzuregen. Das heißt aber auch, daß sie bereit sein müssen ihnen die Überschüsse der produzierten Agrargüter abzukaufen, und zwar ohne handelspolitische Hindernisse. Das gleiche gilt für einfache Industrieprodukte, wie Textilien, Schuhe oder einfache Möbel und. a.m. Doch diese banale, leicht akzeptable Art der Entwicklungshilfe stößt in den Industrienationen auf eine Fülle von interessengeleiteten Problemen. Die GATT-Verhandlungen im Rahmen der Uruguay Runde haben den handelspolitischen Egoismus der wohlhabenden Industirenationen in erschreckender Weise einmal mehr deutlich gemacht.. Bei diesen Auseinandersetzungen wird seitens der Industrieländer nicht selten "falsch gespielt" und die Entwicklungsländer sind immer wieder die Verlierer. Aber gerade sie müssen, wenn sie den Entwicklungsländern wirklich helfen wollen, ihnen die Produkte, die sie produzieren können ohne Handelsbeschränkungen abnehmen. Das wäre unumstritten die beste Art der Entwicklungshilfe und zwar ohne viel Bürokratie.
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2. Teil: Spezielle Polilikbereiche
Ein weiterer Engpaßfaktor für eine marktwirtschaftliche Entwicklung der sich entwickelnden Länder ist, genauso wie in strukturschwachen Regionen der Industrieländer, das Fehlen von unternehmerischen Persönlichkeiten. Sie lassen sich nicht von heute auf morgen "aus dem Boden stampfen". Die Industrieländer können durch Direktinvestitionen und dem Aufbau von Produktionsstätten vor Ort bei der Ausbildung des dortigen Arbeitskräftepotential durchaus helfen. Das müßte eine der vornehmste Aufgabe der multinatinalen Unternehmen in den sich entwickelnden Ländern sein. Wichtig ist ferner, daß junge Leute aus diesen Ländern verstärkt die Chance bekommen bei uns eine Ausbildung durchzumachen und unternehmerisches Denken und Handeln lernen. Hier sind wiederum in den Industrieländern manche Versäumnisse festzustellen. Tatsache ist es z.B., daß sich die "Terms of Trade" - das reale Austauschverhältnis im internationalen Handel - für die Entwicklungsländer in langfristiger Betrachtung ständig verschlechtert haben. Um eine Volkswagen einzukaufen, müssen heute von den Entwicklungsländern wesentlich mehr Säcke Kaffee exportiert werden, als noch vor 10 Jahren. Um diese "Fehlentwicklung" abzuschwächen oder aufzuheben, wurde viele Jahre von der UNCTAD und etlichen Entwicklungsländern eine "neue Weltwirtschaftsordnung" gefordert. Dabei ging es vor allem um die Errichtung eines"gemeinsarnen Fonds" und die Schaffung von mehreren "RohstofTabkommen" zur Stabilisierung der Rohstoffpreise. Hinter diesen Begriffen stand die Idee, für wichtige Exportprodukte der sich entwickelnden Länder eigene Fonds zu errichten, die preisstabilisierend in den Markt eingreifen sollten. Ähnlich den Marktordnungen für Agrarprodukte in der EU, sollte der Fond bei niedrigen Weltmarktpreisen die Produkte kaufen und bei hohen Preisen wieder verkaufen. Auf diese Art sollte das Preisniveau für die Produkte stabilisiert und hoch gehalten werden. Auf europäischer Ebene zeigen sich mittlerweile immer deutlicher die Schwächen der Marktordnungspolitik. Viele Ökonomen und Politiker hatten von Anfang an gegen die internationale Fondsbildung erhebliche Bedenken angemeldet und eine Fülle von Gegenargumenten vorgetragen: Gemeinsame Fonds konnte es nur für jene Produkte geben, die über einen längeren Zeitraum lagerfähig waren und nicht verderben. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß zwecks Preisstabilisierung die Waren unter Umständen mehrere Jahre aus den Markt genommen werden müssen. Die Manager der Fonds mußten über besondere Marktkenntnisse und eine hohe Prognosefahigkeit verfügen. Wie das mit den Prognosen und dem Blick in die Zukunft ist, wurde bereits dargelegt. Die Fähigkeit, die Preisentwicklung für diese Produkte vorherzusehen, ist zwangsläufig sehr begrenzt. Vor allem die Entwicklung der Verbrauchsgewohnheiten und damit der Nachfrage in den Industrieländern hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Wie das häufig ist, Theorie und Praxis klaffen weit auseinander: Der Deutsche Bundestag hat am 4. Juni 1985 ein "Gesetz zum Übereinkommen vom 27.6.1980 zur Gründung des
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Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe" beschlossen. Das Übereinkommen trat am 19.6 1989 in Kraft, nachdem sich mindestens 90 Staaten beteiligt hatten und zwei Drittel des einzuzahlenden Kapitals von mindestens 470 Mio. Dollar eingebracht wurden. Dem Abkommen gehören heute 105 Staaten an; nicht beteiligt sind die USA, Australien, Neuseeland, Kanada und die Schweiz. Aufgrund des Übereinkommens gibt es einen "Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe" (GF) und eine Fülle von einzelnen Rohstoffabkommen. Die Aufgaben des GF werden nach zwei "Schaltern" unterschieden. Der 1. Schalter soll der Finanzierung von "Bufferstocks" für die Waren der RohstofFabkommen dienen, die in nationalen Lagerhäusern gelagert werden sollen. Dieser Schalter ist nach wie vor inaktiv und soll dies - nach Ansicht der Experten und der Industrie und einiger Entwicklungsländer - auch bleiben. Der 2. Schalter soll Projekte im Bereich der Forschung und Entwicklung fordern, die zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Rohstoffe dienen. Diese Maßnahmen sollen zur Diversifizierung und damit zur Verringerung der einseitigen Abhängigkeit der Entwicklungsländer von bestimmten Rohstoffen beitragen. Es gibt gegenwärtig für folgende Produkte einzelne Internationale Rohstoffabkommen: Naturkautschuk, Kaffee, Kakao, Tropenholz Jute, Zucker und das Internationales Übereinkommen für Olivenoel. Wenngleich diese Abkommen nicht so funktionieren, wie es ursprünglich beabsichtigt war, so haben sie doch nach Ansicht der Bundesregierung positive Wirkungen entfalltet. Das Internationale Tropenholz - Übereinkommen hat auch zum Ziel für die Einführung einer umweltfreundlichen Bewirtschaftung tropischer Nutzwälder zu sorgen. Die neuen Übereinkommen enthalten alle keine marktregulierenden Bestimmungen. Das Interesse beim Tropenholz - Übereinkommen besteht für die Tropenwald - Länder und für die Verbraucher darin, durch eine Zertifizierung von Holz eine nachhaltige Bewirtschaftung einzuführen. Ungewöhnliche Schritte fuhren - wie dieses Beispiel zeigt - nicht immer zum Ziel und haben dennoch positive Wirkungen. Zumindest wurde mit dem GF und den verschiedenen Ubereinkommen für Rohstoffe die internationale Zusammenarbeit mustergültig gefordert. Über die ökonomischen Wirkungen läßt sich trefflich streiten.
10.7.5 Weltwirtschaftsgipfel - unzureichende Koordinierungsbemühungen Weltwirtschaftsgipfel zwischen den höchsten politischen Entscheidungsträgern der 7 wichtigsten Industrienationen sind alljährlich zu einem politischen Ritual für die Koordinierung der Weltwirtschaftsprobleme geworden. Mittlerweile sind es 8 teilnehmende Ländern, weil es sinnvoll war die militärische Großmacht Rußland hinzuzuziehen. Der erste Weltwirtschaftsgipfel geht auf eine Initiative
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2. Teil: Spezielle Politikbereiche
von Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem französichen Präsidenten Giscard d Estaing zurück. Er fand Mitte November 1975 in Rambouillet in Frankreich statt. An ihm nahmen neben den beiden Initiatoren der Präsident der Vereingten Staaten und die Premierminister von Japan, Italien und Großbritannien teil. Damals war es nur ein Gipfel der G 6. Ab 1976 ist noch Kanada hinzugekommen, womit die Runde zur bekannten G 7 - Gruppe avanciert, die jetzt G 8 geworden ist. Die Weltwirtschaftsgipfel sind mittlerweile zu einer ständigen Gesprächs- und Koordinierungseinrichtung für langfristige und aktuelle weltwirtschaftliche Problem geworden. Helmut Wagner ist der Ansicht, daß sich die Intention der Gipfel im Zeitablauf verändert hat: zunächst stellt er ein "Phase der Vertrauensbildung" fest. Danach folgte eine kurze Phase der "diskretionären Makropolitik", eine Zeit, in der versucht wurde globale Nachfragepolitik zu koordinieren. Von 1979 - 85 können wir eine längere "Phase der Konsolidierung" der nationalen Politiken feststellen und von 1986 - 89 standen währungspoitische Koordinierungsbemühungen im Vordergrund der Weltwirtschaftsgespräche. In den letzten Jahren sind die Themen häufig durch aktuelle Probleme dominiert worden. 1995 in Halifax war es u.a. um die mexikanische Wirtschaftskrise und um den Krieg in Tschetchenien gegangen. Ein Jahr später 1996 in Lyon stand das Thema der zunehmenden Arbeitslosigkeit ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Auf dieser Konferenz konnte Präsident Clinton stolz auf die Schaffung von 9.7 Mio neuer Arbeitsplätze in den letzten 3 Jahren in den Vereingten Staaten hinweisen, während die Europäer ständig steigende Arbeitslosigkeit und 23 Mio Arbeitslose eingestehen mußten. 1997 in Denver wurde schließlich die gleichberechtigte Teilnahme Rußlands festgelegt und über die NATO-Osterweiterung gesprochen. Immer häufiger wurden Themen zur Diskussion gestellt, die nur sehr entfernt mit Weltwirtschaftsproblemen zu tun hatten. Wenn die Ausgangsbedingungen bereits stark differieren, wird ein koordiniertes Vorgehen schwieriger werden. Aber Sinn und Zweck der Weltwirtschaftkonferenzen, seien es nun die erwähnten Gipfel oder eine Umweltkonferenz der G 7 Staaten wie 1996 in Caen, sollten Absprache über gemeinsame Vorgehensweisen sein. Dabei spielen stets auch die agierenden Personen eine wichtige Rolle, ob sie miteinander "können" oder nicht. Leider vermitteln die jüngsten Konferenzen den Eindruck, daß die "Gipfel" immer mehr zu ineffizienten Diskutierkreisen entartet sind. In der Regel wurden in den letzten Jahren auf den Konferenzen keine konkreten Handlungsanweisungen festgelegt, die dann hinterher realisiert werden. Schon gar nicht wird am Beginn der nächsten Konferenz geprüft, inwieweit die Beschlüsse des vorhergehenden Gipfels umgesetzt worden sind. Dabei hat es zweifellos frühere Treffen gegeben, die dazu beigetragen haben, die internationalen Konflikte zwischen den Ländern zu verringern und die abgetimmte Vorgehensweisen - insbesondere in der Währungspolitik - festgelegt haben. In
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der jüngsten Vergangenheit haben die Weltwirtschaftsgipfel nicht mehr das gebracht, was von ihnen erwartet werden konnte. Mittlerweile ist in der Öffentlichkeit immer mehr der Eindruck entstanden, daß die unverbindlichen Vereinbarungen auf den Konferenzen "just for show" sind. Die Konferenzen dienen eher zur Selbstdarstellung der handelnden Personen. Jeder möchte seine jeweiligen nationalen politischen Ziele durchsetzen. Die eigentliche Zielsetzung, die Koordinierung sinnvoller gemeinsamer politischer Maßnahmen, ist unwichtiger geworden. Dabei ist der Bedarf an Koordinierung zwischen den wichtigen Industrienationen im Zuge der Globalisierung nicht kleiner, sondern eher größer geworden. Sinnvoll wäre durchaus eine gemeinsame, abgestimmte Vorgehensweise in der Währungspolitik, der Handels- und Entwicklungspolitik, der Wettbewerbspolitik, der Finanzpolitik und auch in der Unweitpolitik, wenn es um Probleme von globaler Bedeutung geht. Auf dem letzten Weltwirtschaftsgipfeln in Denver wurde z.B. propagiert, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aussschließlich eine Sache eines jeden einzelnen Landes ist. Diese Aussage erscheint unter ökonomischen Aspekten und im Hinblick auf die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft nicht mehr logisch. Sicherlich hat jedes Land seinen Beitrag zur Verringerung dieses Problems zu leisten; dennoch ist es unter ökonomischen Aspekten unumgänglich, daß die Maßnahmen in den verschiedenen Industrienationen zumindest in die gleiche Richtung wirken. Es ergibt keinen Sinn, wenn etwa in den Vereinigten Staaten eine streng monetaristische Politk betrieben wird und in Europa eine Keynes'sche Nachfragepolitik. Das läßt die wachsende wirtschaftliche Interdependenz nicht mehr zu. Gerade diese Grundsatzfragen müssen auf den Gipfeln ausdiskutiert werden, damit Spannungen vermindert werden. Zu den dringenden Aufgaben zwecks besserer Koordinierung gehören heutzutage z.B. das Bemühen um stabilere Wechselkurse und niedrige Zinsen, aber auch die Einfuhrung einer wirksamen C02 - Minderungspolitik. Entsprechende Instrument, wie die dargestellten Emissionszertifikate oder "Joint Implementation" Überlegungen ständen hierfür zur Verefugung. Diese Maßnahmen müßten zunächst im Kreise der G 8 Länder diskutiert und akzeptiert werden Danach könnte versucht werden, sie weltweit durch gemeinsames Geben und Nehmen zum Tragen zu bringen. Aber auf den Weltwirtschaftskonferenzen finden sich noch immer 7 oder jetzt 8 einzelne "Führer" ihrer jeweiligen Nationalstaaten zusammen. Ein nachhaltiges Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für diese Welt und ihre Entwicklung ist noch nicht entstanden. Die gemeinsamen Probleme sind noch nicht ausreichend stark in das Bewußtsein der Menschen in den reichen Industrieländer gedrungen.
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10.8 Wirtschafts- und Umweltpolitik in einer sich wandelnden Weltwirtschaft In diesem abschließenden Kapitel sollen einge Handlungsalternativen aufgezeigt werden, die angesichts der globalen Veränderungen auf nationaler und internationaler Ebene diskutiert und in Angriff genommen werden müssen. Die nationalen Handlungsmöglichkeiten sind in nahezu allen wichtigen Politikbereichen aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft stark eingengt. Die Koordination der Wirtschafts- und Umweltpolitik auf internationaler Ebene wird seit 1975 versucht, aber steckt immer noch - wie im vorigen Kapitel gezeigt werden sollte - in den Kinderschuhen. Was die nationalen Handlungsmöglichkeiten zur Verringerung der Arbeitslosigkeit angeht, so wollen wir hier zwischen defensiven und offensiven Maßnahmen unterscheiden. Zu den defensiven Maßnahmen rechnen die meisten globalen angebotspolitischen Möglichkeiten. Dazu gehören die Senkung der Untemehmenssteuern, die Reduzierung der Reallöhne, der Abbau von Sozialleistungen oder u.a. die Verringerung des Umweltschutzes. Zu den offensiven Maßnahmen wären die bekannte Nachfragepolitik mit Hilfe von Konjunkturprogrammen zu rechnen. Dazu gehören ferner eine spezielle Angebotspolitik, um die Posiiton der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt zu verbessern. Beispielhaft erwähnt seien nur: verstärkte Bildungsmaßnahmen mit einem Ausbau der beruflichen Weiterbildung, intensivere Bemühungen um Forschung und Entwicklung, Maßnahmen zur Umwandlung neuer Forschungsergebnisse in Innovationen verschiedenster Art, Hilfen zur Existenzgründung und Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, alle Maßnahmen zur Steigerung der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Poduktivität u.a.m. Einen nationalen Alleingang in der globalen Nachfragepolitik, also einer offensiven Maßnahme, hat sich Frankreich - wie dargelegt - Anfang der 80iger Jahre gestattet. Der Erfolg war, daß die vollen Kosten in Frankreich anfielen und die Nachfrage ebenfalls in anderen europäischen Ländern anstieg. Diese globalen, offensiven Maßnahmen sind, wie sich zeigt, angesichts der internationalen Veflechtung von einem Nationalstaat alleine nicht mehr sinnvoll durchfuhrbar. Die Wirkungen sind zu gering und - im Vergleich dazu - die Kosten aus volkswirtschaftlicher Sicht zu hoch. Machbar und erfolgversprechend sind dagegen auf nationaler Ebene durchaus spezielle und globale angebotspolitische Maßnahmen. Hier haben aus Kosten- und Effektivitätsgründen spezielle, offensive Maßnahmen Vorrang vor den globalen defensiven Maßnahmen. Für die Umweltpolitik tun sich ebenfalls aufgrund der Globalisierung unserer Wirtschaft neue Grenzen auf. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen weist darauf in, daß die Kosten des Umwelt-
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schutzes in Deutschland eine besondere Höhe erreicht haben. Weitere Steigerungen müßten die Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Industriezweige, die von Umweltkosten besonders belastet werden und die im internationalen Wettbewerb stehen, negativ tangieren. Nach den ersten Berechnungen der "Umweltökonomische Gesamtrechnung" des Statistischen Bundesamtes entwikkelte sich der durchschnittliche Anteil der Umweltschutzmaßnahmen am Bruttoinlandsprodukt von 1980 - 1.4 % auf - 1.6 Prozent in 1996. Das ist eine Steigerungsrate für Umweltschutzmaßnahmen in den vergangenen 15 Jahren, die eher auf zurückhaltende Politik in diesem Bereich schließen läßt. Somit hat die nationale Umweltpolitk durchaus noch einen minimalen Handlungsspielraum. Aber die Grenzen werden sichtbar, weil andere Industrieländer in Sachen Umweltschutz leider nicht die gleiche Sensibilität an den Tag legen, wie die Bundesrepublik Deutschland. Zusätzliche Umweltschutzmaßnahmen stehen außerdem - vor allem in energieintensiven Wirtschaftszweigen - bei hoher gesamtwirtschaftlicher Arbeitslosigkeit in Konflikt mit dem Erhalt oder der Schaffung von Arbeitsplätzen. Die deutsche Stahl- oder Aluminiumindustrie z.B. hat im Vergleich zum benachbarten Ausland überdurchschnittliche Umweltkosten in Deutschland zu tragen. Das gilt wie dargelegt - ebenfalls für einige andere Wirtschaftszweige. Zusätzliche Belastungen auf diesem Gebiet könnten Neuinvestitionen verhindern oder gar zur Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland fuhren. Auch eine einseitige exorbitante Erhöhung der Mineralölpreise aus ökologischen Gründen, würde durch Importe aus dem Ausland oder Tanken im Ausland unterlaufen werden. Wie wiederholt angedeutet, bedarf es gerade auf diesem Grunde internationaler Zusammenarbeit und einer angeglichenen Gesetzgebung, zumindest auf der Ebene der Europäischen Union.. Bei der Umweltpolitik wurde in Deutschland zunächst und vor allem mit ordnungsrechtlichen Instrumenten gearbeitet. Dazu zählt das Immissionsschutzgesetz mit der TA Luft u.a. In Zukunft kommt es darauf an, mehr ökonomische Instrumente zur Anwendung zu bringen (finanzielle Abgaben, Ökosteuern, Zertifikate u.a.). Diese sind für die Umweltverschmutzer ebenfalls stets mit zusätzlichen Kostenbelastungen verbunden. In diesem Fall zeigen sich jetzt immer deutlicher die Grenzen der nationalen Politik. Weitere Kostenbelastungen können in der eng verwobenen Weltwirtschaft bei betroffenen Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, zur Reduzierung von Arbeitsplätzen, zu Unternehmensverlagerungen oder gar zu Unternehmenszusammenbrüchen fuhren. Sie sind wirtschaftlich gesehen grundsätzlich aus dem anfallenden Produktivitätszuwachs zu "finanzieren" und schmälern damit den Spielraum für Lohnerhöhungen oder zusätzliche soziale Leistungen.
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Zusätzliche ökonomische Instrumente einfuhren ist außerdem besonders schwierig, weil diese Instrumente eine "institutionellen Innovation" darstellen. Sie verändern Einflußstrukturen und greifen in Besitzstände ein, und das stößt bekanntlich stets auf erhebliche Widerstände der Betroffenen. Die Probleme werden noch vergrößert, wenn bedacht wird, daß diese Maßnahmen nicht mehr national, sondern zumindest auf europäischer Ebene realisiert werden müssen. Wie bereits festgestellt worden ist, wären für die schwerwiegendsten Umweltprobleme, wie die C 0 2 - Emissionen internationale Absprachen und Maßnahmen zwingend erforderlich. Der Handlungsbedarf steigt hierfür ständig. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung weist regelmäßig auf die herausragenden weltweiten Umweltprobleme hin: Veränderung des Klimas, Verlust fruchtbarer Böden, Ubernutzung der Weltmeere, Zunahme der Naturkatastophen und - nicht zu vergessen - das Bevölkerungswachstum. Er meint, Deutschland trägt gemessen an seiner Einwohnerzahl besonders stark zu den globalen Umweltproblemen bei. Deutschland hat deshalb auch eine besondere Verantwortung dafür, daß diese Probleme endlich und konsequent angefaßt werden. Mehr internationale Umweltforschung und stärker internationale Kooperation zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind dringend geboten, um dieses brennende Problem einer Lösung näher zu bringen.
Literaturverzeichnis zu Teil I: Grundlagen der Wirtschaftspolitik
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Sachregister
Ablaufspolitik, 15, 111 Ablenkung, 99 Alternative Energiequellen, 162 amtliche Statistik, 54 angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, 105, 111, 125 Angleichung der Lebensverhältnisse, 156 Anpassungspolitik, 155 Antinomie, 41 antizyklische Wirtschaftspolitik, 116f, 139 Arbeitslosenquote, 43 Arbeitsmarkt, 132f, 135 Arbeitsproduktivität, 139 Außenhandelstheorie, 200 außenwirtschaftliche Ziele, 40f außenwirtschaftliches Gleichgewicht, 45 Außenwirtschaftspolitik, 14, 17 Ausweitung des Möglichkeitsbereiches, 89 Chaos-Theorie, 25f Corporate Identity, 91 Countervaining Power, 134, 137 C02-Emissionen, 160fT C02-Minderungsprogramm, 192 Delphi-Report, 191 demokratisches Verfahren, 93 Depression, 112 Deregulierung, 109, 149 Deutsche Forschungsgemeinschaft, 177 Devisentransaktionen, 213 Effizienzrevolution, 194 eigennütziges Verhalten, 96 Einkommensverteilung, 46 Emissionszertifikate, 78, 223 Energieproduktivität, 34, 162 Energiesparbemühungen, 169 Energieverbrauch, 162 Entbürokratisierung, 109 Entropie, 27f Enquete-Kommissionen, 61
Erhaltungspolitik, 155 EU-Kommission, 157 Europäische Union, 21, 213 Europäische Währungsunion 46 Existenzgründer, 171 Extensivierung, 167 externe Effekte, 30 externe Kosten, 30, 77 Falsifizierbarkeit, 23, 58 Festung Europa, 205 finanzielle Sanktionen, 98 Finanzkraft, 84 Finanzplanungsrat, 119 Finanzpolitik, 112, 127 Förderungspolitik, 156 Forschungsinstitute, 60 Forschungspolitik, 128 Freiheit, 37 Friedman'sche Weltpolitik, 15 Frühindikatoren, 113 funktionsfähiger Wettbewerb, 10, 13, 68, 94, 155 GATT-Verhandlungen, 204 Geldpolitik, 128 Gemeinlastprinzip, 33 gemeinsame Fonds für Rohstoffe, 221 Gemeinwohl, 35, 67f Genehmigungsverfahren, 187 Gentechnikgesetz, 187 Gerechtigkeit, 37 gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, 114 geschlossene Kreisläufe, 169 Global Player, 201 Globalpolitik, 121 Gruppenarbeit, 97, 184 Haftungsregeln, 31 handelspolitische Hindernisse, 219 Harmonie, 41 Heckscher-Ohlin-Theorem, 200 hierarchische Befehlsstruktur, 96
Sachregister
hoher Beschäftigungsstand, 42, 114 Humankapital, 143, 159, 172 Ideologien, 72, 102 Implantationswissenschaft, 198 Impulsdefizit, 183 individueller Arbeitsmarkt, 142 individueller Nutzen, 79 Industrieverbandsprinzip, 140 Informationsindikator, 94 Informationspolitik, 97 Informationstechnologie, 94, 201 Innovationen, 174, 183 Innovationsintensität, 170 innovationsorientiertes Lernen, 189 Innovationszirkel, 91 innovative Unternehmensfuhrung, 185 institutionelle Innovationen, 226 Interessendominanz, 85 Interessenverbände, 101 Internalisierung der Umweltkosten, 144 Intemationalisierung der Wirtschaft, 13 internationale Kooperation, 21, 30, 34, 107 internationale Koordination, 78 internationale Politikkoordinierung, 209, 211, 214f,222f internationale Wirtschaftspolitik, 20 internationaler Zinszusammenhang, 202 internationales Wettbewerbskontrollamt, 218f interpersonelle Konflikte, 89 Investitionsprogramme, 118 Investitionszulagen, 158 Investivlohn, 148 Joint Implementation, 164, 223 Kapazitätsauslastung, 113, 122 Kaufkraftparitätentheorie, 212 Kaufkrafttheorie des Lohnes, 131 Kaufkraftverluste, 44 Keynesianische Globalpolitik, 15, 111 Keynesianische Politik, 33, 87, 104 Keynes'che Situation, 115 klassische Situation, 115 Konjunkturpolitik, 12 Konjunkturrat, 119
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Konjunkturursachen, 113 Konjunkturzyklus, 112 Konkursauffanggesellschaft, 172 Konsumfreiheit, 10 Konzeptionen, 102 Konzentration, 133 konzertierte Aktion, 90, 118 Kommunikationskrise, 182 kommunistische Gesellschaft, 88 Kommunitaristen, 69 Kompromißsuche, 59,90 Kraft-Wärme-Kopplung, 193 Kreislaufwirtschaft, 191 kritischer Rationalismus, 58 Lean-Production, 184 Lags, 123f Leistungsbilanz, 45 Leitbilder, 103 Lohn- und Preisstopp, 146 Lohndrift, 142 Lohnflexibilität, 11, 130 Lohnhierarchie, 140 Lohnkostenzuschüsse, 172 Lohnpolitik, 128, 129 Lohnquote,-136 Markt- und Preismechanismus, 94 Marktmacht, 82 marktnahe und marktferne Förderung, 154 Max-Planck-Gesellschaft, 177 Mesoökonomie, 152 Migrationsströme, 207 Mindestlohn, 136 mittelfristige Finanzplanung, 118 Mittelstandspolitik, 169f Mobilität, 130 Monetarismus, 87, 105 Monopolkommission, 60 Moral Persuasion, 99 multinationale Unternehmen, 217 Nationale Champions, 201 natürliche Lebensgrundlage, 37, 38 negative Einkommenssteuer, 136 Neoklassik, 33 Nettosozialprodukt, 48 neue politische Ökonomie, 32, 70
234
Sachregister
Neutralität, 41 Nicht-Ausschlußprinzip, 80 normative Ökonomik, 35 Nutzeneinkommen, 71 Nutzenmaximierung, 76 Öffentlichkeitsarbeit, 84 ökologisierung der Produktion, 190 ökologische Marktwirtschaft, 173 ökologische Rahmenbedingungen, 12 ökonomische Instrumente, 225 ökonomische Rationalität, 101 Ökosozialprodukt, 49 Ökosteuer, 34 Ölpreisexplosion, 120 Ordnungspolitik, 15, 40 Organisationsgrad, 82 Organisierter Arbeitsmarkt, 142 Paradigmenwechsel, 101, 103 Parteiendemokratie, 69 Patentschutz, 187 Photovoltaik, 193 praktische Wirtschaftspolitik, 18 Planungsausschuß, 157 Polarisierung, 74 Politikberatung, 59, 61 Politikversagen, 113 Popper-Kriterium, 58 Primäreffekt, 158 Primärenergie verbrauch, 161 Preisentwicklung, 12 Preisflexibilität, 11 Preisniveaustabilität, 114 Privatisierung, 109 Produktivität, 143 Produzentenverbände, 77 Prognosen, 25, 62 Prognosetätigkeit, 64 Projektforderung, 177 Projektionen, 25, 63, 65 Propaganda, 98 Protektionismus, 210 qualitatives Wachstum, 50, 57 Quantentheorie, 25
Rationale Erwartungen, 44, 124 rationale Wirtschaftspolitik, 18 REP-Beteiligungsprogramm, 185 Resonanzboden, 88 Restriktionen, 53, 109 Rezession, 112 Rohstoffabkommen, 219, 220 Rohstoffproduktivität, 34 Sachverständigenrat, 60, 65, 119 schadstoffabhängige Kraftfahrzeugsteuer, 166 schleichende Inflation, 44 Schlüsselverhandlungen, 82, 140 Schmutzkonkurrenz, 141 schöpferische Unternehmertätigkeit, 69 Schwerpunktorte, 158 selektive Anreize, 80 Sicherheit, 38 Solidarität, 38 soziale Marktwirtschaft, 103, 173 sozialökonomische Theoriebildung, 23 Sozialökonomisches Optimum, 36, 67 Sozialpolitik, 12 Staatsverschuldung, 120 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, 100 Stagflation, 44, 122 Stagnation, 112 Standortwettbewerb, 205 statistische Daten, 54 Stimmenmaximierung, 71, 75f Stoffstromkreisläufe, 191f Strukturpolitik, 16, 20, 128, 153f, 160 Strukturwandel, 160 Subventionsbericht, 118 Tarifautonomie, 13, 145 Tariföffnungsklauseln, 150 Tarifverträge, 91 TarifVertragsgesetz, 149 Tarifvertragsparteien, 22, 95 Tarifvertragspolitik, 128 Technologierat, 181 Telematik, 165, 195 Terms of Trade, 220 Theorie der erschöpfbaren Ressourcen, 31 Total Quality Management, 184 Transferzentren, 182
Transportkosten, 204, 206 Transzendenz, 27 Trittbrettfahrer-Chancen, 79, 141 Übernutzung, 28 UNCTAD, 215 Unternehmerfreiheit, 10 Umweltbeauftragte, 91 Umweltbericht, 119 Umweltbundesamt, 22 Umweltmindeststandards, 216 umweltökonomische Gesamtrechnung, 55 Umweltverträglichkeit, 179ital-Fond, 186 Venture Capital-Fond, 186 Verbände, 22 Verbandsvertreter, 83 Verfugungsrecht, 29, 31 Verhandlungsmacht, 138 Vernetzung der Verkehrsträger, 195 Vermögensverteilung, 46, 147 Vermögensverzehr, 28 Versicherungsaufsichtsgesetz, 186 Verteilungspolitik, 14 Verursacherprinzip, 165 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 55 Vorsorgeprinzip, 33, 161 Wachstumstheorie, 29 Wahlinformationen, 71 Wechselkurse, 45, 202 Wegekosten, 165 Welt-Wettbewerbsordnung, 216f Welthandelsorganisation, 214 Weltwährungsordnung, 211 weltwirtschaftliche Veränderungen, 107, 126 Wertfreiheit, 25 Wertrationalität, 81 Wohlstandsindikator, 55 Xeno-Finanzmärkte, 202 Zeitpräferenzraten, 31 Zertifikatslösung, 163, 209 Zielzonen, 213